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Herakleides Kritikos
»Über die Städte in Hellas«
Eine Periegese Griechenlands
am Vorabend des Chremonideischen Krieges
herausgegeben von
Band 49
ISBN-10 3-8316-0596-3
ISBN-13 978-3-8316-0596-5
Printed in Germany
5
Vorwort
ben lassen, denn in ihm lernte ich einen Autor kennen, der ebenso wie ich
über die Kanten jenes postgelben Lineals geblickt und ein Dorf am Balaton
in den buntesten Farben beschrieben hätte.
Ich möchte an dieser Stelle auch zurückblicken: Bevor ich nach Freiburg
kam, studierte ich in Würzburg bei Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Timpe. Ihm
verdanke ich das Fundament meines wissenschaftlichen Arbeitens. Er
lehrte mich zwei im ersten Anschein vielleicht widersprüchlich erscheinen-
de Prinzipien: erstens den konzentrierten, beinahe ausschließlich wirkenden
6
Vorwort
respektvollen Umgang mit den antiken Quellen und zweitens die Fähigkeit,
unser Fach in einem weiten Horizont, gleichsam wie in einem Blick von
außen wahrzunehmen. Beides ist nicht nur bis dato gültig, vielmehr scheint
es für unsere Wissenschaft heute wichtiger denn je.
Da ich mich ausgesprochen leicht vertppe, möchte ich mich herzlich bei
Dr. Ann-Cathrin Harders, Marike Igel, Damian Dietrich, Dr. Matthias
Haake, Fabian Goldbeck, Korbinian Golla, Christoph Grill, Christian Orth,
Elmar Schumacher und vor allem bei Olaf Schlunke für ihre unermüd-
lichen Korrekturen bedanken. Mit Herausstellung des letzteren soll der
Dank für die Hilfe der anderen nicht geschmälert werden, doch sei dieser
Platz nur eine kleine Gelegenheit, seine freundliche, verlässliche, gewissen-
hafte und stets kompetente Unterstützung selbst in persönlich dunklen
Stunden hervorzuheben. Ebenso möchte ich mich bei Dr. Matthias Haake
besonders bedanken, da er mir nicht nur das Manuskript seiner erstklas-
sigen Dissertation vor Drucklegung aus Münster zur Verfügung stellte,
sondern auch ein wichtiger, da interessierter und kritischer Gesprächpartner
war. Alle Aufgeführten hatten mit meiner chaotischen Art der Datenver-
arbeitung keine leichte Aufgabe, und mancher wird sich dabei wie Sisy-
phos gefühlt haben, da schon nach einigen Tagen erneut dieselben, ver-
meintlich bereits korrigierten Fehler auftauchten. Sollten sich daher noch
Verstöße im Text finden, so liegt das ganz an mir, da ich die Manuskripte
fatalerweise noch einmal in die Hände bekommen hatte. Gerade hier sei
auch Dr. Reiner Fuest für seine fachmännische und klaviaturbegabte Hilfe
bei der Formatierung des Textes gedankt.
Für die Aufnahme in die Reihe Quellen und Forschungen zur Antiken Welt
danke ich den Herausgebern Prof. Dr. Peter Funke, Prof. Dr. Hans-Joachim
Gehrke, Prof. Dr. Gustav Adolf Lehmann und Prof. Dr. Carola Reinsberg.
Zudem sei Herrn Franz Keim vom Herbert Utz Verlag für seine zuvor-
kommende Beratung und unterstützende Bearbeitung gedankt.
Die Arbeit ist meinem wertvollen, viel zu früh verstorbenen Freund Oke
Lafrenz und meinen lieben Eltern gewidmet. In einer Phase, die mich am
Sinn des Studiums zweifeln ließ, traf ich in Freiburg auf Oke Lafrenz,
einen ganz wunderbaren und einzigartigen Menschen. Wir forschten ge-
meinsam an Texten, philosophierten, reparierten, rochen ebenso oft nach
Bücherstaub wie nach Motorenöl und hatten bei all unseren Ausflügen
durch die Geisteswelt immer Boden unter den Füßen behalten. Ihm verdan-
7
Vorwort
ke ich, dass ich diese Dissertation schrieb, vor allem aber die grundlegende
Erkenntnis, dass Einfachheit, vor der sich viele Wissenschaftler fürchten,
das wahre Ziel ehrlichen Forschens sein sollte.
Meinen lieben Eltern, Margarete Arenz und Friedrich Arenz, gebührt der
größte Dank: Sie beschenkten mich mit den kostbarsten, den wichtigen
Dingen, die sich mit unseren schwachen, fußnotengestützten Worten nicht
beschreiben lassen. Ihnen sei dieses Buch daher ein bescheidener Versuch,
mein tiefes, dankbares Bewusstsein hierüber auszudrücken.
8
Inhalt
1 Einleitung 13
1.1 Forschungsstand 15
1.2 Forschungsschwerpunkte 19
1.2.1 Herakleides 19
1.2.2 Die geschichtliche Einordnung der Schrift 21
1.2.3 Der Perieget 22
1.3 Herakleides Kritikos als Quelle 24
1.4 Ziel der vorliegenden Interpretation 27
4 Textüberlieferung 84
4.1 Die Überlieferungszweige 85
4.2 Fragment I und III 87
4.2.1 Paris Suppl. 443 D 87
4.2.2 Monac. 566 d1 90
9
Inhalt
6 Interpretation 130
6.1 Einführung 130
6.1.1 Der Bios Hellados 130
6.1.2 Die Gattungsfrage 131
6.1.3 Die Periegese 133
6.2 Die Periegese des Herakleides Kritikos 137
6.2.1 Erzählstruktur 137
6.2.2 Topographie 138
6.2.3 Klima 142
6.2.4 Kult und Mythos 143
6.3 Durch Boiotien nach Euboia 145
6.3.1 Oropos 145
6.3.2 Tanagra 147
6.3.3 Theben 148
6.3.4 Anthedon 151
6.3.5 Chalkis 152
6.4 ‚Politik’ im ersten Fragment 155
6.4.1 Oropos 156
6.4.2 Plataiai 157
6.4.3 Theben 158
6.4.4 Chalkis 159
6.5 Hellas und Thessalien 162
10
Inhalt
7 Kommentar 177
7.1 Fragment I 177
7.2 Fragment II 216
7.3 Fragment III 223
8 Quellenregister 231
8.1 Literarische Quellen 231
8.2 Inschriften 237
9 Kartenanhang 239
9.1 Attika, Boiotien, Euboia, Thessalien bis zum Peneios 239
9.2 Phthiotis, Thessalien, Athos 240
10 Literatur 241
10.1 Textausgaben in chronologischer Ordnung 241
10.2 Teileditionen und Übersetzungen in alphabetischer Ordnung 244
10.3 Sekundärliteratur 246
10.4 Abkürzungen der verwendeten Fragmentsammlungen 276
10.5 Anmerkungen zur Zitierweise und Gestaltung 276
11
1 Einleitung
Die unter dem Titel Über die Städte in Griechenland überlieferte Periegese
eines ansonsten unbekannten Herakleides Kritikos ist ein vortreffliches
Zeugnis für diese inhaltliche Vielfalt, denn ihr Autor beschränkt sich
während seiner Reise von Athen nach Demetrias keineswegs auf eine rein
topographische Berichterstattung. Vielmehr eröffnet er dem Leser eine fa-
cettenreiche und detaillierte Beschreibung Zentralgriechenlands in einer
*
A. LEONTIES, Topographies of Hellenism, Ithaka, London 1995, S. 3.
13
1 Einleitung
äußerst bewegten Phase der Geschichte. Nicht zuletzt auch, weil die
Reisebeschreibung eines der wenigen Prosazeugnisse aus hellenistischer
Zeit ist, wurde ihr seit dem 16. Jahrhundert bis heute immer wieder das
Interesse der Forschung zuteil. Unerfreulicherweise sind aber nur drei
Fragmente erhalten, die in fünf Auszügen überliefert wurden.1 Das erste
Fragment beinhaltet die Wanderbeschreibungen von Athen über Oropos,
Tanagra, Plataiai, Theben und Anthedon bis Chalkis. Das zweite gibt eine
ausführliche Schilderung des Peliongebirges, und im dritten hält der
vermutlich aus Thessalien stammende Herakleides Kritikos ein persön-
liches Plädoyer für seine Heimat als Herkunftsort aller Hellenen.
Die letzte Edition von F. PFISTER (1951)2 brachte die seit J. HUDSON
(1703)3 und D. ALEXANDRIDES (1807)4 im 18. und 19. Jahrhundert einset-
zende Forschung über Herakleides Kritikos zu einem vorläufigen Ab-
schluss. Da die Periegese historisch bislang jedoch nur unbefriedigend
eingeordnet werden konnte, blieb ihr Quellenwert unbestimmt. Trotzdem
besprach F. PFISTER Herakleides Kritikos als politischen Autor, der in
seinem Reisebericht ein neues hellenisches Bündnissystem habe vorschla-
gen wollen.5 Die vorliegende Interpretation wird diese Deutung in Frage
stellen und nachweisen, dass der Reisebericht kein politisches Programm
beinhaltet. Die Periegese des Herakleides Kritikos entfaltet vielmehr eine
Momentaufnahme, die zwei unterschiedliche Modelle hellenischer Selbst-
empfindung abbildet.
1
D, d1, d2, E, e8. Zu den Derivaten aus E siehe Kap.4.3.2.
2
F. PFISTER, Die Reisebilder des Herakleides. Einleitung, Text, Übersetzung und Kom-
mentar mit einer Übersicht über die Geschichte der griechischen Volkskunde, Wien
1951.
3
J. HUDSON, Geographiae veteris scriptores Graeci minores. Cum interpretatione
Latina, dissertationibus ac annotationibus, Bd.2, Oxford 1703.
4
D. ALEXANDRIDES, Sullogh=j tw=n e)n e)pitom$= toi=j pa/lai gewgrafhqe/ntwn,
e)kdoqe/ntwn filoti/m% dapa/n$ tw=n e)c )Iwanni/nwn filogenesta/twn a)delfw=n
Zwsimadw=n, Bd.1, Wien 1807.
5
F. PFISTER, S. 24ff., 28ff., 99f., 222ff.
14
1.1 Forschungsstand
1.1 Forschungsstand
Die Forschung über die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts6 Dikaiarchos
von Messene zugeschriebenen Fragmente der Schrift peri\ tw=n e)n t$=
(Ella/di po/lewn setzte im 16. Jahrhundert ein. Jene Interpretationen blie-
ben philologischen Untersuchungen verpflichtet und widmeten sich
ausschließlich der kritischen Textedition. Ende des 19. und Anfang des 20.
Jahrhunderts wurden schließlich auch althistorische Fragestellungen ent-
wickelt, die sich vornehmlich auf die prosopographische Verortung des
Autors konzentrierten und hierbei wiederholt Herakleides Kritikos mit den
besser bekannten Autoren Herakleides Pontikos oder Herakleides Lembos
zu identifizieren versuchten.7 Die letzte Textausgabe F. PFISTERs schloss
diese Strömung vorerst ab. Erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts
erschienen erneut kleinere Arbeiten, die jedoch weniger das Werkganze, als
vielmehr die Athenkapitel des ersten Fragments (I.1-5) zum Untersu-
chungsgegenstand wählten, um sie nach soziokulturellen und gesell-
schaftshistorischen Aspekten zu analysieren.8
6
C. MÜLLER, GGM I 97-110, zitierte die Schrift noch unter Dikaiarchos mit der
Alternative, sie einem in D isoliert notierten Athenaios zuzuschreiben: Dicaearchi ut
fertur, potius vero Athenaei descriptionis Graecae fragmenta tria. Die erste Ausgabe,
die Herakleides Kritikos als Autor der Periegese berücksichtigt ist W.H. DUKEs, Three
fragments of the peri\ tw=n e)n t$= (Ella/di po/lewn of Heracleides the Critic, in: Essays
and Studies presented to William Ridgeway , Cambridge 1913, S. 228-248.
7
So etwa durch die Arbeiten von G.F. UNGER, Herakleides Pontikos der Kritiker, in:
RhM 38 (1883), S. 481-506; H. SCHRADER, Heraclidea. Ein Beitrag zur Beurtheilung
der schriftstellerischen Thätigkeit des (älteren) Pontikers Herakleides und des Heraklei-
des Lembos, in: Philologus 44 (1885), S. 236-261; E. FABRICIUS, Über die Abfassungs-
zeit der griechischen Städtebilder des Herakleides, in: Bonner Studien Reinhard Kekulé
gewidmet, Berlin 1890, S. 58-66. G. PASQUALI, Die schriftstellerische Form des
Pausanias, in: Hermes 48 (1913), S. 161-223.
8
K. FITTSCHEN, Eine Stadt für Schaulustige und Müßiggänger: Athen im 3. und 2. Jh. v.
Chr., in: M. WÖRRLE, P. ZANKER (Hrsgg.), Stadtbild und Bürgerbild im Hellenismus,
Kolloquium, München, 24. bis 26. Juni 1993, München 1995, S. 55-77; É. PERRIN,
Héracleidès Le Crétois à Athènes: Les plaisirs du tourisme, in: REG 104 (1994), S.
192-202. Ch. HABICHT, Athen. Die Geschichte der Stadt in hellenistischer Zeit, Mün-
chen 1995, bes. S. 173-175; P. SCHOLZ, Der Philosoph und die Politik. Die Ausbildung
der philosophischen Lebensform und die Entwicklung des Verhältnisses von Philoso-
phie und Politik im 4. und 3. Jh. v. Chr., Stuttgart 1998. Jetzt auch M. HAAKE, Der
Philosoph in der Stadt. Untersuchungen zur öffentlichen Rede über Philosophen und
Philosophie in den hellenistischen Poleis, Diss. Münster 2004 (i.D.).
15
1 Einleitung
gewinnen. Grund hierfür war erstens die Wiederentdeckung des seit dem
16. Jahrhundert der Forschung nicht mehr zugänglichen Codex Parisinus
Suppl. 443 [D] im Jahr 1837 und zweitens die Berücksichtigung von Codex
Parisinus 571 [E]. F. OSANN wurde nämlich während der Untersuchung
dieser Handschrift im Jahr 1831 auf ein Testimonium in den mirabilia des
Paradoxographen Apollonios aufmerksam, welches Herakleides Kritikos9
als Autor der Schrift peri\ tw=n e)n t$= (Ella/di po/lewn zu erkennen
gibt.10 Das Zitat beschreibt eine Heilpflanze auf dem Pelion und kann der
herakleidischen Ausführung im zweiten Fragment zugeordnet werden
(II.5), die direkt in die Anfangszeilen des dritten Fragments übergeht. Die-
ser Befund stellte somit die Autorschaft des Dikaiarchos in Frage.11 Die
Zusammengehörigkeit der drei Textstücke konnte außerdem durch die von
A.J. LETRONNE analysierten Abhängigkeitsverhältnisse der Codices sowie
in den weiterführenden Untersuchungen A. DILLERs bestätigt werden.12 Das
Arrangement der Auszüge erklärte W.H. DUKE m.E. korrekt, wonach sie
aus der vollständigen, heute nicht mehr erhaltenen Periegese des Heraklei-
des herausgelöst worden seien, um eine thematische Lücke innerhalb der
Trimeter des Dionysiosgedichtes zu schließen.13 Ob Herakleides Kritikos
außerdem eine in vier kleineren Stücken tradierte Schrift mit dem Titel
14
peri\ nh/swn geschrieben hat, ist bislang allerdings nicht nachweisbar.
9
Zur Konjektur Krhtiko/j in Kritiko/j durch Olearius siehe O. KELLER, Naturalium
rerum scriptores graeci, Bd.1, Leipzig 1877, S. 49 und jetzt Apollonios Parad. 19
(Parad. Gr. IX, S. 130 GIANNINI = S. 109 WESTERMANN).
10
Vgl. dazu Kap.2.2.
11
F. OSANN, Rezension zu J.F. Gails Edition, in: Allgemeine Lit. Ztg., Halle 1831,
Ergänzungsblätter, 26.März 1838, S. 205f.
12
A. J. LETRONNE, Fragments des poèmes géographiques de Scymnous de Chio et du
faux Dicéarque, Paris 1840; A. DILLER, The Tradition of the Minor Greek Geographers,
Oxford 1952, S. 30f.
13
W. H. DUKE, Three fragments, S. 240ff., bes. S. 243.
14
FHG II 197f. und in der Praefatio GGM I LII. Die vier Fragmente sind bei Olearius,
Harpokrat. Stru/mh, Plin. nat. 4, 70. und Suid. Na/coj überliefert. Bei Stephanus findet
sich die Zuschreibung auf Herakleides Pontikus; bei Harpokrates steht der Zusatz h)\
Filoste/fanoj. Die übrigen Fragmente verzeichnen lediglich einen unbestimmten
Herakleides als Autor. G.F. UNGER, Herakleides Pontikus der Kritiker, S. 491ff., be-
stimmt den Pontikos als Autor; vgl. dazu F. SUSEMIHL, Geschichte der Griechischen
Literatur in der Alexandrinerzeit, Bd.2, Leipzig 1892, S. 4, Anm. 8.
16
1.1 Forschungsstand
edierte15 und das erste und dritte Fragment samt der Trimeterverse des
Dionysios Kalliphontis16 einem Exzerpt des bi/oj (Ella/doj des Dikaiar-
15
H. STEPHANUS, Dicaearchi Geographica quaedam, sive de Vita Graeciae. Eiusdem
Descriptio Graeciae, versibus iambicis ad Theophrastum. Cum latina interpretatione
atque annotationibus Henrici Stephani et eius dialogo qui inscriptus est Dicaearchi
Sympractor, Genf 1589; D. HOESCHEL, Geographica Marciani Heracleotae, Scylaris
Caryandensis, Artemidori Ephesii, Dicaearchi Messenii, Isidori Characeni. Omnia
nunc primum, praeter Dicaearchi illa, a Davide Hoeschelio Aug. ex. manuscript. codd.
edita, Augsburg 1600; J. GRONOVIUS, Thesaurus antiquitatum Graecarum, Vol. XI,
1699, S. 1-96; J. HUDSON, Geographiae veteris scriptores Graeci minores. Cum
interpretatione Latina, dissertationobus ac annotationibus, Bd.2, Oxford 1703; D.
ALEXANDRIDES, Sullogh=j tw=n e)n e)pitom$= toi=j pa/lai gewgrafhqe/ntwn,
e)kdoqe/ntwn filoti/m% dapa/n$ tw=n e)c )Iwanni/nwn filogenesta/twn a)delfw=n
Zwsimadw=n, Bd.1, Wien 1807; M. MARX, Dicaearchi Peripatetici Bi/oj (Ella/doj
aliaque fragmenta Geographica emendata atque illustrata, in: F. CREUZER, Meletemata
e disciplina antiquitatis, Bd.3, 1819, S.171-210; G. MANZI, Dikaia/rxou tou=
Messhni/ou a)nagrafh\ kai\ bi/oj (Ella/doj cum Lucae Holstenii lucubrationibus ad
priora duo opuscula, Rom 1819; C. ERRANTE, I frammenti di Dicearco da Messina
raccolti e illustrati, 2 Bde, Palermo 1822; J. F. GAIL, Geographi Graeci minores, Bd.2,
Paris 1828; A. BUTTMANN, Quaestiones de Dicaearcho, Programm von Schulpforta,
Nürnberg 1832; A.J. LETRONNE, Fragments des poèmes géographiques de Scymnus de
Chio et du faux Dicéarque, Paris 1840; M. FUHR, Dicaearchi quae supersunt composita,
edita et illustrata, Darmstadt 1841. A. MEINEKE, Scymni Chii periegesis et Dionysii
descriptio Graeciae, Berlin 1846; C. MÜLLER, Fragmenta Historicorum Graecorum,
Bd.2 (1848), S. 254-264; DERS., Geographi Graeci minores, Bd.1 (1882), S. 97-110;
W.H. DUKE, Three Fragments of the peri\ tw=n e)n t%= (Ella/di po/lewn of Heracleides
the Critic, in: Essays and Studies presented to William Ridgeway, Cambridge 1913, S.
228-248; A. KAIBEL, „Heraclidae descriptio Athenarum“, Strena Helbigiana, Stuttgart
1910, 143-145; F. PFISTER, Die Reisebilder des Herakleides. Einleitung, Text, Über-
setzung und Kommentar mit einer Übersicht über die Geschichte der griechischen
Volkskunde, Wien 1951. Übersetzungen: E. MEYER, Botanische Erläuterungen zu
Strabons Geographie und einem Fragment des Dikäarchos, Königsberg 1852; F.K.
SEELIGER, Bruchstück eines Reiseführers durch Griechenland um 100 v., Zittau 1900, S.
1-15;. W.S. FERGUSON, Hellenistic Athens, London 1911, S. 261ff. (Übersetzung von
I.1-6); H. HITZIG, Die griechischen Städtebilder des Herakleides, in: DERS., Festgabe für
H. Blümner, Zürich 1914; B. LAVAGNINI, L’Attica e la Beozia ellenistiche in una
periegesi del secolo III, in: Atene e Roma 3 (1922), S. 126-133; M. NINCK, Die Ent-
deckung von Europa durch die Griechen, Basel 1945, S. 142ff. (mit kurzer Einführung);
M.M. AUSTIN, The Hellenistic world from Alexander to the Roman conquest. A
selection of ancient sources in translation, Cambridge 21984, S151-154; S.C.
BAKHUIZEN, Studies in the Topography of Chalkis on Euboea (A Discussion of the
Sources). Chalcidian Studies, Bd.1, Leiden 1985, S. 14ff; É. PERRIN, Heracleidès le
Crétois à Athènes: Les Plaisirs du tourisme culturel, in: REG 107 (1994), S. 192-202;
K. FITTSCHEN, Eine Stadt für Schaulustige und Müßiggänger, in: M. WÖRRLE, P.
ZANKER (Hrsgg.), Stadtbild und Bürgerbild im Hellenismus, München 1995, S. 55-77.
J.D. MIKALSON, Religion in Hellenistic Athens, Berkeley, Los Angeles, London 1998,
S. 166ff. Die Angaben sind im Literaturverzeichnis näher erläutert.
16
Einen weiteren Fortschritt, der auch die Forschung über Herakleides Kritikos
befruchtet, leistete D. MARCOTTE, Le poème géographique de Dionysios, fils de Calli-
phon. Édition, traduction et commentaire, Lüttich 1990, der die innerhalb der heraklei-
dischen Prosa stehenden Trimeterverse des Dionysios Kalliphontis analysierte und
17
1 Einleitung
kritisch edierte. Vgl. dazu jetzt auch D.C. MIRHADI, Dicaearchus of Messana: The
Sources, Text and Translation, in: WW. FORTENBAUCH, E. SCHÜTRUMPF (Hrsgg.),
Dicaearchus of Messana, Text, Translation, and Discussion, New Brunswick, New
Jersey 2001, S. 17 und eo ipso loco P.T. KEYSER, The Geographical Work of Dikai-
archos, S. 371.
17
Siehe dazu Kap.2.1.
18
Die Handschriften werden nicht nach F. PFISTERs Bezeichnung, sondern nach A.
DILLER, The Tradition of the Minor Greek Geographers, Oxford 1952, zitiert.
19
C. MÜLLER, FHG II 234-264: dort sind alle drei Fragmente kritisch bearbeitet und
Dikaiarchos zugeschrieben.
18
1.2 Forschungsschwerpunkte
1.2 Forschungsschwerpunkte
1.2.1 Herakleides
19
1 Einleitung
Athener und kein Ende, in: Jbb. für class. Philologie, Suppl. 18 (1892), S. 701-705
motiviert; vgl. dazu auch H. BLOCH, Herakleides Lembos and his Epitome of Aristotle’s
Politeiai, in: TAPA 71 (1940), S. 32, Anm.17; G.F. UNGER, Herakleides Pontikos der
Kritiker, S. 481-509: Herakleides Kritikos wird dort mit dem Lembier identifiziert. Zu-
gleich werden ihm Werke des Pontikos zugeschrieben.
25
F. PFISTER, S. 47ff: „Man kann vielleicht sogar soweit gehen und unsern H. mit jenem
Herakleides identifizieren, der die Politien der peripatetischen Schule exzerpiert hat.
Daß der Stil dieser Exzerpte ein anderer ist, als der unseres Textes des H., besagt
natürlich nichts, da es sich ja um ein ganz andersartiges Werk handelt und der
Exzerptor sich an den Text der Vorlage angeschlossen hat.“
26
Vgl. A. BONNAFE, Regard d’un touriste sur l’Attique et sur la Béotie d’après le
premier fragment du Pseudo-Dicéarque, in: Le regard des ancients sur l’étranger:
actes du colloque organize par la Mapfen et l’Areald, Dijon 1988, S. 19ff.; vgl. auch P.
CECCARELLI, I Nesiotika, in: ASNP 19 (1989), S. 903-935.
27
A. DIHLE, Eraclide e la Periegesi ellenistica, in: F. PRONTERA, Geografia storica
della Grecia antica, Roma, Bari 1991, S. 67ff. Siehe auch W. DITTENBERGER, Ethnika
und Verwandtes, in: Hermes 42 (1907), S. 1-34 u. S. 161-234; dazu auch D. MARCOTTE,
Le poème, S. 13.
28
H. BLOCH, Herakleides Lembos and his Epitome, S. 27-39; vgl. auch H.H. LUCAS, Zu
Herakleides Lembos, in: Hermes 75 (1940), S. 236f.
29
M. POLITO, Dagli scritti di Eraclide sulle costituzioni. Un commento storico, Napoli
2001, S. 9.
20
1.2 Forschungsschwerpunkte
30
J. HUDSON, Geographiae veteris scriptores Graeci minores. Cum interpretatione
Latina, dissertationibus ac annotationibus, Bd.2, Oxford 1703.
31
G.F. UNGER, Herakleides Pontikos der Kritiker, S. 481ff. definierte den von
Herakleides für Athen mit dem Begriff doulei/a (I.2) beschriebenen Zustand mit der
achaischen Besetzung des Piräus durch Flamininus 192 v. Chr. Dies belegte er mit Liv.
35, 50, 3; die rechtlosen Zustände in Theben sollen mit Pol. 20, 6; 22, 4 bestätigt
werden, obgleich die Interpretation an Herakleides’ Darlegung der mangelhaften Pro-
zessordnung in Theben vorbeigeht: G.F. UNGER ist der Ansicht, dass Herakleides die
Rechtlosigkeit beschreibt, die – nach Polybios – von 216 bis 187 andauerte; siehe hierzu
auch F. SUSEMIHL, Geschichte der Griechischen Literatur, Bd.2, S. 3, Anm. 7;
Herakleides bewertet hingegen die Prozesse der Oligarchen.
32
F. SUSEMIHL, Geschichte der Griechischen Literatur, Bd.2, S. 683; siehe auch U.v.
WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Oropos und die Graier, in: Hermes 21 (1886), S. 103
und E. FABRICIUS, Über die Abfassungszeit, S. 61f.; vgl. dazu Kap.3.
33
H. TREIDLER, Rezension zu F. PFISTER (1951), in: Gnomon 26 (1954), S. 351.
21
1 Einleitung
22
1.2 Forschungsschwerpunkte
39
G. PASQUALI, Die schriftstellerische Form, S. 199f; A. DIHLE, Eraclide e la periegesi
ellenistca, S. 69ff.
40
H. BISCHOFF, Perieget, RE 37 (1937), 725ff.
41
Ch. HABICHT, Pausanias und seine Beschreibung Griechenlands, München 1985,
S.14ff.
23
1 Einleitung
24
1.3 Herakleides Kritikos als Quelle
48
L. CASSON, Travel in the Ancient World, London 1974, S. 229, 338, 362f; vgl. auch
J.-M. ANDRÉ, M.–F. BASLEZ, Voyager dans l’Antiquité, Paris 1993, S. 297ff., bes. S.
299: „Dès la fin de ce IIe siècle, Athènes passait pour «le séjour des études», selon
l’expression de Cicéron. La ville possédait cinq gymnases dont l’Académie, le Lycée, le
Cynosarges. Tous étaient plantés d’ abres et de gazon, et dans ces jardins variés
fleurissaient des écoles philosophiques diverses. Il y régnait une mode du dilettantisme
et du plaisir. Les loisirs et les plaisirs, les spectacles d’un théâtre «en tout point digne
d’éloge, immense et admirable», constituaient un attrait de plus.“
49
R.v.d. HOFF, Tradition and innovation: portraits and dedications on the early
Hellenistic Akropolis, in: O. PALAGIA, S.V. TRACY (Hrsgg.), The Macedonians in
Athens, 322-229 B.C., Proceedings of an International Conference held at the
University of Athens, May 24-26, 2001, Oxford 2003, S.173ff.
50
R. PARKER, Athenian Religion. A History, Oxford 1996, S.267f.
51
J.D. MIKALSON, Religion in Hellenistic Athens, Berkeley, Los Angeles, London 1998.
52
P. SCHOLZ, Der Philosoph und die Politik. Die Ausbildung der philosophischen
Lebensform und die Entwicklung des Verhältnisses von Philosophie und Politik im 4.
und 3. Jh. v. Chr., Stuttgart 1998, S. 372 versuchte anhand der Athenbeschreibung die
abgeschlossene Etablierung der Philosophen als akzeptierte Außenseiter in der Stadt zu
belegen. Im Gegensatz dazu aber M. HAAKE, Der Philosoph in der Stadt. Unter-
suchungen zur öffentlichen Rede über Philosophen und Philosophie in den hellenis-
tischen Poleis. Diss. Münster 2004 (i.D.), der aufgrund des inschriftlichen Befunds
nachweisen konnte, dass die Philosophen in Athen nicht nur integriert, sondern auch
angesehen waren.
53
C. SCHNEIDER, Kulturgeschichte des Hellenismus, Bd.1, S. 179; 201; 258ff.
54
M. ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der Hellenistischen Welt,
Bd.1, Darmstadt 1955, S.162f.
25
1 Einleitung
55
Zur generellen Kritik an M. ROSTOVTZEFF vgl. J.K. DAVIES, Hellenistic economies in
the Post-Finley era, in: Z.H. ARCHIBALD, J. DAVIES u.a. (Hrsgg.), Hellenistic
Economies, London New York 2001, S. 11 – 62; G. OLIVER, Regions and Microre-
gions. Grain for Rhamnous, ibidem, S. 137ff.
56
W.M. LEAKE, Travels in Northern Greece, Bd.2, Amsterdam 1967 [ND]; siehe auch
H.N. ULRICHS, Reisen und Forschungen in Griechenland, Berlin 1840 und C. BURSIAN,
Geographie von Griechenland, Bd.1, Das nördliche Griechenland mit 7 lithographisch-
en Tafeln, Leipzig 1862.
57
C. WACHSMUTH, Die Stadt Athen im Altertum, Bd.1, Leipzig 1874, S. 43ff.
58
W. JUDEICH, Topographie von Athen. Mit 48 Abbildungen im Text und 3 Plänen in
der Mappe, München 1905, S. 10.
59
J.M. FOSSEY, Topography and Population of Ancient Boiotia, Bd.1, Chicago 1980,
bes. S. 42, 98ff., 256, 263.
60
F. STÄHLIN, Das hellenistische Thessalien. Landeskundliche und geschichtliche
Beschreibung Thessaliens in der hellenistischen und römischen Zeit, Stuttgart 1924, S.
46.
61
M. C. HERRERO INGELMO, Algunas observaciones sobre Heraclides Crítico, in: Actas
del XI Congreso Español de Estudios Clásicos, Bd. 2, Madrid 2005, S. 321-328.
26
1.4 Ziel der vorliegenden Interpretation
Die Interpretation des zweiten und dritten Fragments wird die bereits für
die Plataiaibeschreibung getroffene Vermutung erhärten, dass Herakleides
aus Thessalien stammte, vermutlich sogar Bürger der Stadt Demetrias war.
Da Athen und Alexandria für den Freiheitskampf gegen Antigonos mit der
panhellenischen Identität warben, die auf die Perserabwehr rekurrierte,
trifft bei Herakleides dieses Griechenbild auf Ablehnung und wird im
dritten Fragment einem genealogischen Entwurf gegenübergestellt, wonach
alle Griechen vom thessalischen Hellen abstammten. Dennoch beinhaltet
die Periegese keine bündnispolitische Programmatik. Die vorliegende
Interpretation erkennt Herakleides vielmehr als vielseitig interessierten
Reiseführer, der allerdings über eine reine Reisberichterstattung hinaus ein
Stimmungsbild seiner Zeit festhält, das zwei Auffassungen hellenischer
Identität beschreibt. Bei allem erfüllen aber weniger politische Themati-
sierungen die Erzählung, als weit mehr oftmals detailliert dargestellte Be-
62
Vgl. dazu C. SCHNEIDER, Kulturgeschichte des Hellenismus, Bd.1, S. 179: „Äußerlich
war das Athen des dritten Jahrhunderts stehen geblieben und geriet in eine zunehmende
Stagnation.“ Ebenso Ch. HABICHT, Athen. Die Geschichte der Stadt in hellenistischer
Zeit, München 1995, S. 174f.: „Herakleides schildert Athen als eine Stadt in tiefem
Frieden, in der sich gut leben läßt. Ob sie frei war oder vom makedonischen König
beherrscht, läßt er nicht erkennen, und auch von politischer Betätigung ihrer Bürger ist
mit keiner Silbe die Rede.“ Vgl. auch J. M. CAMP, The archeology of Athens, New
Haven, London 2000, S. 167; B. DREYER, Das spätklassische Athen, S. 147, Anm. 142
und 144; vgl. auch É. PERRIN, Les plaisirs, bes. S. 197ff.; K. FITTSCHEN, Eine Stadt für
Schaulustige, S. 58ff.
27
1 Einleitung
28
2 Der Autor und sein Hintergrund
Die Überlieferungsgeschichte der Periegese ist mit Lücken behaftet, die es
erschweren, Herakleides Kritikos zweifelsfrei als ihren Autor zu bestim-
men. Denn der Reisebericht wurde nur in Auszügen innerhalb einer ver-
mutlich von Constantin Porphyrogennetos organisierten Geographensamm-
lung überliefert und scheint bereits dort Dikaiarchos von Messene zuge-
schrieben worden zu sein.1 Außerdem zwingen zwei Randnotizen, die
einen ansonsten unbekannten Athenaios als Autor nennen, zur Vermutung,
dass die Reisebeschreibung schon in Byzanz nicht mehr literaturge-
schichtlich eingeordnet werden konnte2 und die Prosa des Herakleides
vermutlich als topographischer Lückenfüller mitten in die Trimeter des
Kalliphonsohnes Dionysios eingefügt wurde.3 Das Gedicht endet in D
zumindest samt der Prosa mit dem nachgetragenen Titel Dikaia/rxou
a)nagrafh\ th=j (Ella/doj (fol.123v.) und in d2 mit der redaktionellen
Bemerkung: te/loj Diakaia/rxou a)nagrafh=j (fol.245v.). Die Athenbe-
schreibung ist somit direkt an die Periegese des Dionysios mit der
Darstellung des nördlichen Ambrakia bis Megara (v.107) angeknüpft.4 Das
erste Fragment geht dann nahtlos in das dritte über, welches mit kata-
pau/omen to\n lo/gon endet; hierauf reiht sich wiederum ohne Überleitung
das Dionysiosgedicht mit der Beschreibung Kretas (vv.110ff.) an.5
Obgleich die Texttradition also offenbar mehr Fragen aufwirft, als Antwor-
ten anbietet, kann die Person des Herakleides Kritikos dennoch nur aus den
drei überlieferten Fragmenten erfasst werden, da er als Autor an anderer
Stelle nicht in Erscheinung tritt. Lediglich im einzigen Testimonium zu den
1
Siehe dazu W.H. DUKE, Three fragments of the peri\ tw=n e)n t$= (Ella/di po/lewn of
Heracleides the critic, in: Essays and Studies presented to William Ridgeway,
Cambridge 1913, S. 241, der die 50 Bände starke Sammlung Collectanea et Excerpta
Historici-Politica et Moralia des Porphyrogennetos vermutet; vgl. auch A. DILLER, The
Tradition of the Minor Greek Geographers, Oxford 1952, S. 4f. u. S. 46.
2
Die Randnotiz findet sich in den Handschriften D (Cod. Parisinus Suppl.443,
fol.106r.) und d2 (Cod. Vaticanus Pal. 142, fol.236r.); vgl. C. MÜLLER in der Einleitung
zu GMM I LIff.; dazu auch A. DILLER, The Tradition, S. 20.
3
So W. H. DUKE, Three fragments, S. 240ff. bes. S. 243.
4
Vgl. D. MARCOTTE, Le poème géographique de Dionysios, fils de Calliphon. Édition,
traduction et commentaire, Lüttich 1990, S. 61.
5
F. PFISTER, S. 21.
29
2 Der Autor und sein Hintergrund
6
peri\ tw=n e)n t$= (Ella/di po/lewn des Paradoxographen Apollonios ist
er uns heute auf dem Papier bekannt. Dieser zitiert ihn aus dem zweiten
Fragment als Verfasser dieser Schrift.7
6
130 (GIANNINI) = 109 (WESTERMANN)
7
Zur Frage der Autorschaft der Schrift peri\ nh/swn siehe Kap.1.1, Anm. 14; vgl auch
P. CECCARELLI, Nesiotika I, in: ASNP 19 (1989), S. 903ff.
30
3 Die geschichtliche Einordnung
3.1 Einführung
1
Vgl. H. TREIDLERs Rezension, Gnomon 26 (1954), S. 351, wo aufgrund der
„Behaglichkeit der Beschreibung“ eine Datierung in die erste Hälfte des dritten Jahr-
hunderts erwogen wird.
2
F. PFISTER, Die Reisebilder des Herakleides. Einleitung, Text, Übersetzung und Kom-
mentar mit einer Übersicht über die Geschichte der griechischen Volkskunde, Wien
1951, S. 28f.: „Und so zeigt auch die Schrift des Herakleides, wie die peripatetischen
Politien [...], noch in einem Abglanz, dass die Volkskunde eine Vorhalle der Staats-
wissenschaft ist.“ F. PFISTERs Deutung basiert auf der Deutung des Peripatos, die auf
Plat. rep. 473c-e fußte, dass die Herrscher Philosophen oder die Philosophen Herrscher
werden müssten. Die Untersuchungsergebnisse der jüngeren Forschung zum Verhältnis
der Philosophie zur Politik widersprechen dieser Einschätzung: Philosophische Konzep-
te wurden in der politischen Praxis nicht realisiert; eine praktische Umsetzung philoso-
phischer Lehrinhalte in die praktische Lebenswelt städtischer Politik ist nicht nachweis-
bar. Vgl. etwa die Arbeiten von H.-J. GEHRKE, Phokion, Studien zur Erfassung seiner
historischen Gestalt, München 1976; und DERS., Das Verhältnis von Politik und Philo-
sophie im Wirken des Demetrios von Phaleron, in: Chiron 8 (1978), S. 149ff., DERS.,
Theorie und politische Praxis der Philosophen, in: W. SCHULLER (Hrsg.), Politische
Theorie und Praxis im Altertum, Darmstadt 1998, S. 100ff.; vgl. bes. S. 101 mit Anm.1,
wo für Demetrios von Phaleron die Mischverfassungslehre des Aristoteles nicht gänz-
lich abgelehnt wird. Zur hellenistischen Philosophie vgl. F. UEBERWEG, Grundriss der
Geschichte der Philosophie, 1. Teil: Die Philosophie des Altertums, hrsg. von K.
PRAECHTER, Berlin 121926; G.J.D. AALDERS, Political Thought in Hellenistic Times,
Amsterdam 1975. Zu Platon siehe K. TRAMPEDACH, Platon, die Akademie und die
zeitgenössische Politik, Stuttgart 1994; zur sozialen Stellung des Philosophen in der
polis jetzt M. HAAKE, Der Philosoph in der Stadt. Untersuchungen zur öffentlichen
Rede über Philosophen und Philosophie in den hellenistischen Poleis, Diss. Münster
2004 (i.D.); vgl. auch Kap.2.3.2.
49
3 Die geschichtliche Einordnung
3
In erster Linie sind hier folgende Arbeiten zu nennen: G. DE SANCTIS, Contributi della
storia della guerra lamia alla guerra cremonide, in: K.J. BELOCH (Hrsg.), Sudi di storia
antica, Bd.2, Rom 1893, S. 1ff.; H. HEINEN, Untersuchungen zur hellenistischen Ge-
schichte des 3. Jahrh. v. Chr., Wiesbaden 1972; Ch. HABICHT, Untersuchungen zur po-
litischen Geschichte Athens im 3. Jahrhundert v. Chr., München 1979; DERS., Studien
zur Geschichte Athens in hellenistischer Zeit, Göttingen 1982; DERS., Athen in helle-
nistischer Zeit. Gesammelte Aufsätze, München 1994; DERS., Athen. Die Geschichte der
Stadt in hellenistischer Zeit, München 1995; B. DREYER, Untersuchungen zur Ge-
schichte des spätklassischen Athen (322-ca. 230 v. Chr.), Stuttgart 1997; und S.V.
TRACY, Athens and Macedon, Berkeley, Los Angeles, London 2003; O. PALAGIA, S.V.
TRACY (Hrsgg.), The Macedonians in Athens, 322-229 B.C., Proceedings of an Inter-
national Conference held at the University of Athens, May 24-26, 2001, Oxford 2003;
allgemein: H.-J. GEHRKE, Geschichte des Hellenismus, München 32003; die bisher die
Forschung zur zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts bestimmenden Resultate von
W.S. FERGUSON, Hellenistic Athens, London 1911 und W.W. TARN, Antigonos Gona-
tas, Oxford 1969 [ND] konnten an entscheidenden Punkten revidiert werden.
4
Der Begriff politisch meint in der vorliegenden Auseinandersetzung den Sammelbe-
griff intra- wie interpolitischer öffentlicher Organisationsformen der beschriebenen
poleis. Vgl. zu den Begriffen auch Kap.6.4.
5
Zur Datierung des Chremonideischen Krieges vgl. H. HEINEN, Untersuchungen, S.
122f., der das Dekret des Chremonides (StVA III 476 = Syll3 434/5; IG II2 686/687) als
casus belli für das Jahr 267 interpretiert; B. DREYER, Das spätklassische Athen, S. 331
argumentiert hingegen für eine Abfassung des Beschlusses im Herbst des Jahres 265 als
Reaktion auf Antigonos’ Gonatas Angriff gegen Athen nach seinem Sieg über die
Kelten 266; vgl. dort auch die Zusammenstellung auf S. 423; siehe knapp: M.J.
OSBORNE, Naturalization in Athens II, Brüssel 1982, S. 165-167; S.V. TRACY, Two
Attic Letter Cutters of the Third century: 286/5-235/4 B.C., in: Hesperia 57 (1988), S.
304 und 309, 85-87; einleuchtend ist m.E. Ch. HABICHTs, Untersuchungen, S. 108ff.
Erklärung der Kriegsursache mit der athenischen Motivation zur Rückgewinnung des
Piräus. Siehe auch den weiten Datierungsansatz (276-262) bei É. WILL, Histoire
Politique du Monde Héllenistique (323-30 av. J.-C.), Bd.1, Nancy 1979, S. 219ff.
50
3.1 Einführung
lemaios II. diplomatisch eng verbunden war und gemeinsam mit dem
ägyptischen König den Krieg gegen Antigonos Gonatas vorbereitete. Da
Herakleides aber darauf verzichtet, politische und historische Phänomene
als solche zu thematisieren, sind alle mittelbaren Anzeichen im Text, die
auf die Abfassungszeit hindeuten, für die Datierung herauszulösen. Die in
Kap.6 dargelegte Auswertung des dritten Fragments wird schließlich die im
Anschluss ausgeführten Überlegungen bestätigen und den hier getroffenen
Zeitraum von 12 Jahren absichern.
51
4 Textüberlieferung
Die vorliegende Textausgabe berücksichtigt fünf Handschriften,1 die in
zwei Gruppen überliefert wurden. Das erste und dritte Fragment basieren
auf drei Manuskripten der ersten Abteilung, deren ältestes auf Pergament
(Cod. Paris. Suppl 443) aus dem späten 13. Jahrhundert stammt: D.2 Die
zweite Handschrift auf Papier (Cod. Monacensis 566) hängt direkt von D
ab und wurde ungefähr 1505 erstellt: d1. Sowohl von dieser als auch von D
wurde etwa zeitgleich eine dritte auf Papier (Cod. Vaticanus Pal. 142
graecus) niedergeschrieben: d2.3 L. HOLSTEN berichtete außerdem von
einem Codex Altempsianus, der das erste und dritte Fragment beinhaltet
haben könnte, da er wie D, d1 und d2 Isidors Mansiones Parthicae ver-
zeichnet habe.4 Diese Schrift ist allerdings nicht mehr auffindbar.
Das zweite Fragment, welches J. HUDSON erstmals 1703 edierte, ist aus
mindestens zwei Handschriften rekonstruierbar, von denen allerdings der
sogenannte Codex Gudianus, der hier mit e8 bezeichnet ist, nur dem Erst-
herausgeber als Abschrift vorgelegen hatte und bis heute verloren ist. Die
zweite wurde wie D im späten 13. Jahrhundert produziert (Cod. Paris,
graecus 571); sie beinhaltet den Text des zweiten Fragments und den
Beginn des dritten: E.
1
Die Fünfzahl beinhaltet den verlorenen Codex e8, da er durch J. HUDSON,
Geographiae veteris scriptores Graeci minores. Cum interpretatione Latina,
dissertationibus ac annotationibus, Bd.2, Oxford 1703 als Abschrift zumindest indirekt
vorliegt. Die bei A. DILLER, The Tradition of the Minor Greek Geographers, Oxford
1952, S. 31f. aufgelisteten Derivate e6 und e7 aus E blieben für die Edition von
Fragment II allerdings unberücksichtigt und wurden nicht persönlich eingesehen. E, D,
d1 und d2 wurden von mir vor Ort geprüft und E mit J. HUDSONs Abschrift e8
abgeglichen.
2
Um die Überlieferungsgeschichte des kompilierten Geographenbandes seit dem
sechsten Jahrhundert besser zu verdeutlichen, wurden die Bezeichnungen von A.
DILLER, The Tradition übernommen; sie entsprechen nicht F. PFISTERs, S. 3ff. Siglen.
3
Vgl. dazu A. DILLER, The Tradition, S. 22ff.; F. PFISTER, S. 6 setzt d1 hingegen später
an als d2.
4
M.G. DRAUDIUS, Bibliotheca Classica, Frankfurt 1611, S. 788 erwähnt zudem eine
Handschrift, die das erste und dritte Fragment enthalten haben könnte, aber nicht mehr
einsehbar ist. Dass der Codex Gudianus und der Altempsianus ein und dieselbe Hand-
schrift darstellen, erlaubt L. HOLSTENs Bemerkung; vgl. dazu G.G. BREDOW, Epistolae
Parisienses, Leipzig 1812, S. 18; siehe auch W.H. DUKE, Three Fragments of the peri\
tw=n e)n t$= (Ella/di po/lewn of Heracleides the Critic, in: Essays and Studies
presented to William Ridgeway, Cambridge 1913, S. 239 und F. PFISTER, S. 9f.
84
4.1 Die Überlieferungszweige
85
4 Textüberlieferung
12
Vgl. L. HOLSTEN, in J. F. BOISSONADE (Hrsg.), Lucae Holstenii epistolae ad diversos,
Paris 1817, 10ff.; G. MANZI, Dikaia/rxou tou= Messhni/ou a)nagrafh\ kai\ bi/oj
( lla/doj. Cum Lucae Holstenii lucubrationibus ad priora duo opuscula. Accesserunt
E
ad coetros Geographiae auctores Holstenii item notulae non antea editae. Haec omnia
cura ac studio G. Manzi, bibliothecae Barberinae praefecti, in lucem diemque
proferuntur, Rom 1819, S. 103ff.; A. DILLER, The Tradition, S. 101. − Zu Apollonios:
130 GIANNINI; 109 WESTERMANN.
13
A. DILLER, The Tradition, S. 30.
14
Vgl. W.H. DUKE, Three Fragments bezeichnete die Periegese als Lückenfüller, S.
240: „It is probable that the originator of the tradition represented by P [D] had a gap
in his metrical a)nagrafh\ − which he believed to be by Dicaearchus − and filled it up
by two handy excerpts of Heracleides.“ H. SCHRADER, Heraclidea. Ein Beitrag zur
Beurtheilung der schriftstellerischen Thätigkeit des (älteren) Pontikers Herakleides und
des Herakleides Lembos, in: Philologus 44 (1885), S. 236ff. beurteilte die Schrift als
Exzerptsammlung, die Herakleides Lembos verfasste, da er Herakleides als Autor für
das Pelionfragment bestritt.
86
5 peri\ tw=n e)n t$= (Ella/di po/lewn∗
5.1 Testimonien
a) APOLLONIOS Hist mir. 19 (GIANNINI 130/WESTERMANN 109): H
( ra-
klei/dhj de\ o( Kritiko\j e)n t%= peri\ tw=n e)n t$= (Ella/di po/lewn
3 kata\ to\ Ph/lion o)/roj fu/esqai/ fhsin a)/kanqan karpofo/ron, h(=j to\n
karpo\n e)a/n tij tri/yaj met' e)lai/ou kai\ u(/datoj xri/s$ to\ au(tou= h)\
a)/llou sw=ma xeimw=noj o)/ntoj, ou)k e)paisqh/setai tou= yu/xouj.
_____________________
2 krhtiko/j cod.; kritiko/j corr. OLEARIUS.
∗
Siehe auch FGrHist 2022 (i.D.).
101
5 peri\ tw=n e)n t$= (Ella/di po/lewn
e)/xein e)piki/nduna! tou\j me\n e)k th=j xw/raj, e)n $(= pe/fuke, t$= o)sm$=
makra\n a)pelau/nei, tou\j d' e)ggi/santaj a)xrei=on ka/ron kataxe/assa,
tou\j d' a(yame/nouj au)th=j a)nairei= t$= o)sm$=. Toiau/thn th\n du/namin
toi=j d' a)nqrw/poij h(dei=a katafai/netai! t$= tou= qu/mou ga/r a)nqou=ntoj
o)sm$= paraplhsi/a! tou\j de\ dhxqe/ntaj u(f' ou(potou=n o)/fewj e)n oi)/n%
doqei=sa u(gia/zei.
102
5.2 Fragmente I bis III
1) 'Enteu=qen ei)j to\ )Aqhnai/wn e)/peisin a)/stu. o(do\j de\ h(dei=a, gewr-
goume/nh pa=sa, e)/xousa/ ti t$= o)/yei fila/nqrwpon. h( de\ po/lij chra\
3 pa=sa, ou)k eu)/udroj, kakw=j e)rrumotomhme/nh dia\ th\n a)rxaio/thta. ai(
me\n pollai\ tw=n oi)kiw=n eu)telei=j, o)li/gai de\ xrh/simai, a)pisthqei/h d'
a)\n e)cai/fnhj u(po\ tw=n ce/nwn qewroume/nh, ei) au)th\ e)sti\n h( pros-
6 agoreuome/nh tw=n 'Aqhnai/wn po/lij! met' ou) polu\ de\ pisteu/seien a)/n
tij. + w=(de h)=n + tw=n e)n t$= oi)koume/n$ ka/lliston! qe/atron a)cio/logon,
me/ga kai\ qaumasto/n, 'Aqhna=j i(ero\n polutele/j, a)po/yion, a)/cion
9 qe/aj, o( kalou/menoj Parqenw/n, u(perkei/menon tou= qea/trou, mega/lhn
kata/plhcin poiei= toi=j qewrou=sin. 'Olu/mpion h(mitele\j me\n kata/-
plhcin d' e)/xon th\n th=j oi)kodomi/aj u(pografh/n, geno/menon d' a)\n
12 be/ltiston ei)/per sunetele/sqh. gumna/sia tri/a, 'Akadhmi/a, Lu/keion,
Kuno/sargej: pa/nta kata/dendra/ te kai\ toi=j e)da/fesi pow/dh. e(ortai\
pantodapai/! filoso/fwn pantodapw=n yuxh=j a)pa/tai kai\ a)na/pausij!
15 sxolai\ pollai/, qe/ai sunexei=j.
2) Ta\ gino/mena e)k th=j gh=j pa/nta a)ti/mhta kai\ prw=ta t$= geu/sei,
mikr%= de\ spaniw/tera. a)ll' h( tw=n ce/nwn e(ka/stoij sunoikoume/nh
18 tai=j e)piqumi/aij eu)a/rmostoj diatribh\ perispw=sa th\n dia/noian e)pi\
_____________________
1 'Aqhnai/wn e)p / eis a)/stu D, e)/peisin d1, d2, 'Enteu=qen ei)j toÜ 'Aqhnai/wn... a)/stu
PFISTER, e)pi/asin GAIL, e)ph?/ein KAIBEL, e)/peisin DUKE, MÜLLER, MARX, e)/pestin a)/stu
o(do/j OSANN, e)sti\n a)s / tu sta/dia m´ vel n´ prop. STEPHANUS : 2 th\n o)/yin prop. MARX
: 4 a)posthqei/h D, d2, corr. STEPHANUS : 5 au(/th MARX, PFISTER : 7 w=d) e h)n= D, d2, w(d/ e
= d1, %)dei=on HEMESTERHUS, w(d
h)n = PFISTER; qea/trwn a)ciolo/gwn [...] qaumastw=n,
= e h)n
ka/lliston sequ. prop. HOLSTEN : 8 meta\\ D, d2, me/ga d1, corr. STEPHANUS; a)po/bion d1,
d2, difficile lectu D, a)po/yion MÜLLER, PERRIN, a)po/bion PFISTER : 9 qea/j D, qe/aj d2, d1:
11 ei)j th\n mavult STEPHANUS, kataplh/cimon vel kataplhkth\n prop. SALMASIUS
(exercit., S. 141) : 12 )Akadami/a D,'Akadhmi/a d1, d2, PFISTER : 13 Kuno\j a)/rgoj D,
Kunosa/rgej d1, d2 : 15 qeai\ D, qe/ai d2, d1 : 17 ceinw=n D, d1, d2, sunoikoume/nh D, d1, d2,
oi)keioume/nh HOLSTEN, sunoikoume/nh, h( tai=j tw=n ce/nwn e(ka/stoij sunoikoume/naij
e)piqumi/aij prop. MARX, sunoik<ei>oume/nh PFISTER : 18 eu)a/rmwstoj D, eu)a/rmostoj
d2.
103
6 Interpretation
6.1 Einführung
„Er ist ganz andern Geistes Kind als Pausanias; von der Trockenheit,
Nüchternheit, ruhigen Objektivität, oft peinlichen Genauigkeit und gelegent-
lichen Langweiligkeit der Darstellung dieses späten Periegeten findet sich
bei Herakleides keine Spur. Er schildert vielmehr höchst anschaulich; was
er sagt, hat Leben, Wärme und Farbe; nicht Mythos und Geschichte ver-
gangener Zeiten, nicht Tempel und Götterbilder und was damit zusammen-
hängt, sondern die Menschen der Gegenwart, ihr Charakter, ihr Leben und
Treiben, ihre Daseinsbedingungen sind es, die ihn in erster Linie interes-
sieren.“
Mit diesen Worten fasste H. HITZIG einen Gesamteindruck von der Perie-
gese des Herakleides zusammen.1 Seine Deutung entspricht der schon in
der Erstausgabe des H. STEPHANUS angelegten Ansicht, wonach der Reise-
bericht eine res inaudita verkörpere, da man dort bislang Unbekanntes über
die Sitten der Griechen erfahren könne: [...] quod ex eo multa discentur de
Graecorum moribus, quae lectorum auribus nova futura sint.2 Auch die
Kritik U.v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFFs spiegelt diese Tendenz wider,
wenn er schreibt, dass die „wenigen Blätter aus den hellenistischen Städte-
bildern an unmittelbarer Lebensfülle fast unerreicht“ seien.3
1
H. HITZIG, Die griechischen Städtebilder des Herakleides, in: DERS. (Hrsg.), Festgabe
Hugo Blümner, überreicht zum 9. August 1914, Zürich 1914, S. 1-15, S. 2.
2
H. STEPHANUS, Dicaearchi Geographica quaedam, sive de Vita Graeciae. Eiusdem
Descriptio Graeciae, versibus iambicis ad Theophrastum. Cum Latine Interpretatione
atque annotationibus Henrici Stephani et eius dialogo qui inscriptus est Dicaearci
Sympractor, Paris 1589.
3
U.v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Antigonos von Karystos, Berlin 1881, S. 165.
4
Vgl. etwa auch E. MEYER, Pausanias. Beschreibung Griechenlands, Zürich 1954, S.
10f.: „Aus dem 3. Jahrhundert besitzen wir größere Teile einer Beschreibung
Griechenlands [...] eine köstliche, lebensnahe, temperamentvolle Schilderung von Land
und Leuten, aber auch mit sehr subjektiven und kühn vereinfachenden Urteilen [...].
Herakleides’ Schrift [...] ist durch ihre lebendigen Schilderungen von hohem Wert und
Interesse [...]. Sie will geistreich und eindrucksvoll charakterisieren, aber nicht
130
6.1 Einführung
das Lob hierauf durchzieht die Forschungsliteratur wie ein roter Faden. Bei
aller Begeisterung über die literarische Gefälligkeit des Textes versäumte
man jedoch, die Periegese über diesen Bereich hinaus vertiefend zu ana-
lysieren. Außerdem konzentrierten sich die Interpreten beinahe ausschließ-
lich auf das erste Fragmentstück und dort vor allem auf die Beschreibung
Athens (I.1-5). Das zweite Fragment hingegen, welches die Pelionbe-
schreibung enthält, sowie das dritte mit dem Plädoyer für Thessalien als
Ursprungsregion griechischer Selbstempfindung wurden nur stiefmütterlich
behandelt.5
131
6 Interpretation
132
6.1 Einführung
Die Periegese bildete sich als Gattung erst ab Mitte des dritten vorchrist-
lichen Jahrhunderts aus.15 Zumindest sind Autoren, die sich selbst Peri-
egeten nannten oder von anderen als solche bezeichnet wurden, erst ab
dieser Zeit greifbar. Nach F. JACOBY habe sich die Periegese als eigen-
ständige literarische Form aus der Periodos entwickelt, ihren habitus über-
nommen und hierbei sowohl Elemente des Epos als auch der Erkundung im
Sinne eines Hekataios rezipiert.16 Tatsächlich sind vor Pausanias lediglich
Diodor, Heliodor, Polemon von Ilion und Dionysios Periegetes als Peri-
egeten bekannt, deren erhaltenes Textmaterial dem prosaischen Wortsinn
der Periegese gerecht wird, da man ihre Aufzeichnungen durchaus als Frem-
denführerliteratur titulieren kann.17 Sie verarbeiteten nämlich selbsterlebte
Eindrücke und beschrieben Denkmäler und religiöse Monumente, und glei-
chermaßen sind ihre Erzählungen topographisch strukturiert: Diodor kon-
zentrierte sich etwa in seinen Schriften peri\ mnhma/twn und peri\ tw=n
dh/mwn auf Attika und bestach mit weitreichenden Ortsangaben,18 und Heli-
odor beschränkte sich in seinem Werk peri\ th=j a)kropo/lewj auf Athen.19
Ebenso darf für acht Werke des Polemon von Ilion eine periegetische Inten-
tion vermutet werden.20 Er beschäftigte sich beispielsweise in der Schrift
peri\ tw=n a)nathma/twn tw=n e)n t$= a)kropo/lei ausschließlich mit den
Heiligtümern auf der Akropolis.
13
Vgl. dazu A. DIHLE, Eraclide e la periegesi, S. 71: „Un elemento commune ai due
autri è la commistione di dati topografici che si basano su autopsía […].“
14
Vgl. dazu Ch. HABICHT, Pausanias und seine Beschreibung Griechenlands, München
1985, S. 30f.
15
Vgl. Ch. HABICHT, Pausanias, S. 14f.
16
F. JACOBY, Über die Entwicklung der Griechischen Historiographie und den Plan
einer neuen Sammlung der griechischen Historikerfragmente, in: Klio 9 (1909), S. 84f.
17
H. BISCHOFF, Perieget, RE 19,1 (1937), 725-742.
18
FGrHist 372; vgl. Kap.2, Anm. 47.
19
FGrHist 373; vgl. Kap.2, Anm. 47.
20
FHG III 108-148; L. PRELLER, Polemonis Periegetae Fragmenta, Amsterdam 1964
[ND], S. 4ff.; FGrHist IV (i.D).
133
6 Interpretation
Fragt man nach den Motiven dieser Literaten, so scheinen einige Verse aus
der Weltrundreise eines ansonsten unbekannten, als Ps.-Skymnos bezeichne-
ten Autors aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert ausgesprochen
aufschlussreich. Obgleich dieser mit der oben festgestellten topographischen
Begrenzung bricht, wenn er zu Fuß und per Schiff die ganze bewohnte Welt
erkunden möchte (vv. 45ff.),21 formuliert er eine Zielsetzung, die auch in den
Periegesen erkannt werden kann. Denn seine Reisebeschreibung ist als un-
terhaltsames Lehrgedicht konzipiert, das dem Leser ermöglichen soll, sich
ohne die Beschwerlichkeiten des Odysseus auf vergnügliche Art und Weise
ein Bild von der eigenen Heimat, ihrer Geschichte und von anderen Städten,
deren Gründungen, Sitten und Gebräuchen zu machen (vv. 91-102):
134
7 Kommentar
7.1 Fragment I
1
)E
/ sti te e)nteu=qen a)rxh\
xh\ th=j Peloponnh/sou
Vermutlich Prosaeinschub eines byzantinischen Redaktors innerhalb der vv. 107-109
(MARCOTTE) der iambischen Trimeter des Dionysios Kalliphontis. Siehe dagegen aber
A.J. LETRONNE, Fragments des poëmes géographiques de Scymnus de Chio et du faux
Dicaearque, Paris 1840, S. 431, der die Prosa in Trimeter umgestaltete: e)nteu=qen a)rxh\
th=j Peloponnh/sou limh/n. Dieser Konjektur folgte C. MÜLLER, GGM I 238f. Das
erste Fragment schließt in direkter Folge des dritten an die zuvor in vv. 1-109
(MARCOTTE) geschilderte Griechenlandbeschreibung des Dionysios von Ambrakia bis
Megara und der Stadt Lechaion an (vgl. Kap.4). F. PFISTER, S. 22 und 99 vermutet, dass
der Satz aufgrund der stilistischen Form des e)nteu=qen von Herakleides stamme und
dieser bewusst die Peloponnes nicht geschildert habe, da er bei einer zuvor erfolgten
Beschreibung der Halbinsel auf den Anfang Attikas hätte hinweisen müssen. Der
Ausschluss der Peloponnes hätte nach F. PFISTER politische Motive. Es sind jedoch
texttraditionelle und gattungstheoretische Gründe hierfür verantwortlich zu machen: Der
mit Herakleides im Geographenkompendium überlieferte Dion. Kall., in dessen
Trimeter die Prosa des Herakleides gerückt ist, wandte sich wahrscheinlich nach der
Beschreibung Lechaions der Peloponnes zu. Die Passage ist jedoch nicht mehr erhalten.
Für diese Hypothese spricht allerdings die gleiche Vorgehensweise des [Skymnos]; dort
setzt ab v. 488 die Beschreibung Boiotiens und der Megaris ein; ab v. 511 folgt die
Peloponnes, dann ab v. 535 Kreta; erst ab v. 559 wird nach einer Inselperiegese über
Salamis Athen beschrieben; vgl. dazu M. KORENJAK, Die Welt-Rundreise eines
anonymen griechischen Autors ("Pseudo-Skymnos"). Einleitung, Text, Übersetzung und
Kommentar, Hildesheim, Zürich, New York 2003, S. 9ff.; jetzt FGrHist V 2048 (i.D.).
[Skymnos] ließ also nach der Peloponnes die Beschreibung Kretas folgen (vv. 535), die
auch bei Dionysios ab v. 110 zu finden ist. Die Eingliederung der Prosafragmente I und
III ist somit redaktionell motiviert und entspricht dem um Übersicht bemühten
kompilatorischen Charakter des byzantinischen Geographenkompendiums, welches
direkt nach Abschluss des nördlichen Griechenlands den Erzählanschluss nach Osten
mit Athen gesucht hat. Vgl. zur Komposition auch D. MARCOTTE, Le poème
géographique de Dionysios, fils de Calliphon. Édition, traduction et commentaire,
Leuven 1990, S. 13ff. und S. 169ff.; GGM I 242; jetzt FGrHist V 2018 (i.D.). −
Herakleides’ topographische Einteilung Griechenlands ist konventionell: [Skylax], der
sich auf Ephoros berufende Strabon sowie Phileas aus dem fünften Jahrhundert, den
Dion. Kall. vv. 33f. (MARCOTTE) zitiert, arbeiteten mit der gleichen Einteilung; vgl.
dazu ausführlich die Kommentierung zu III.1 unter a)po\ Peloponnh/sou.
177
7 Kommentar
'Enteu=qen ei)j
Stereotyper Beginn einer neuen Stadtbeschreibung. Bis auf I.26 verwendet Herakleides
diesen Ausdruck immer. F. PFISTER, S. 100 vermutet m.E. richtig, dass die Strecke von
Anthedon nach Chalkis die Boiotienbeschreibung beendet und einen Wechsel in ein
neues Land kennzeichnet. Daher wählt Herakleides wohl die Formulierung 'Ec 'Anqh-
do/noj ei)j Xalki/da. Dies könnte zugleich den Schluss erlauben, dass Herakleides vor
der Skizzierung Athens eine Stadt in Attika, vermutlich Eleusis, beschrieben hat.
Dagegen aber C. WACHSMUTH, Die Stadt Athen im Altertum, Bd.2, S. 183, der
vermutet, dass Herakleides vom Piräus nach Athen gekommen sei. Vgl. auch K.
FITTSCHEN, Eine Stadt für Schaulustige und Müßiggänger: Athen im 3. und 2. Jh. v.
Chr., in: M. WÖRRLE, P. ZANKER (Hrsgg.), Stadtbild und Bürgerbild im Hellenismus,
München 1995, S. 58, der einen Reiseweg von der Peloponnes her annimmt. − Der
Anfang des ersten Fragments ist verderbt. D gibt e)/pei mit supraskribiertem s; in d1 und
d2 steht e)p / eisin. A. KAIBELs Vorschlag, e)p$/ein zu setzen, ist inhaltlich nicht
problematisch, da Herakleides auch an anderen Stellen in die erste Person wechselt
(I.10, III passim). Die Lesart ist jedoch textkritisch schwer haltbar. G. PASQUALI, Die
schriftstellerische Form des Pausanias, in: Hermes 48 (1913), S. 199 hat diese Variante
übernommen. Der Plural kann hingegen unpersönlich aufgefasst werden und sich auf
die Reisenden allgemein beziehen. H. STEPHANUS vermutete hingegen die Angabe der
Stadienzahl, die bis auf I.6 immer genannt wird, und setzte für das in den codd.
überlieferte e)p/ eis e)sti\n: )Aqhnai/wn e)sti\n a)s
/ tu sta/dia [...]; vgl. auch D. MARCOTTE,
Le poème, S. 169ff.
a)s
/ tu
Die Bezeichnung bezieht sich wohl auf die Unterstadt um die Akropolis. Das im
Anschluss von Herakleides gewählte Wort po/lij steht in keinem begrifflichen
Gegensatz zu a)/stu. Dagegen aber Strab. 9, 396, der mit a)/stu die Akropolis bezeichnet;
vgl. hierzu W. JUDEICH, Topographie von Athen, S. 61. Die unterschiedlichen Begriffe
könnten ebenso auf den verderbten Zustand des Satzes Rückschlüsse erlauben, die H.
STEPHANUS’ Konjektur zu e)nteu=qen ei)j (s.o.) bekräftigten. Im übrigen lässt Herakleides
immer nach ei)j den Städtenamen folgen (vgl. I.6; 8; 11; 12; 23). Lediglich in I.26 macht
er eine Ausnahme (s.o. zu e)nteu=qen ei)j). Dennoch ist nicht auszuschließen, dass
Herakleides im Sinn der bei Strabon zu findenden Differenzierung zuerst die bereits aus
der Ferne sichtbare Akropolis nennt, ehe er den Blick auf die Unterstadt lenkt. Siehe
auch U. KAHRSTEDT, Die Landgrenzen Athens, in: AM 46 (1932), S. 20 ff; vgl. hierzu
auch unten zu a)po/yion.
o(do\
oj
\ de\
de\ h(dei=a, gewrgoume/nh pa=sa, e)/xousa/ ti t$= o)/yei fila/nqrwpon
Herakleides näherte sich vermutlich von Eleusis kommend Athen auf der sogenannten
Heiligen Straße, auf welcher an den Eleusinien der Weg der Prozession verlief (s.o zu
e)nteu=qen ei)j). Er musste zunächst den schmalen Höhenzug des Aigáleos überwinden,
doch bezieht sich die Wegbeschreibung ausschließlich auf die attische Ebene, die mit
der eleusinischen topographisch verbunden ist: A. PHILPPSON, E. KIRSTEN, Die
Griechischen Landschaften, Bd. 3: Der Nordosten der griechischen Halbinsel. Attika
und Megaris, Frankfurt a. M. 1952, S. 854ff; zur Fruchtbarkeit der Ebene S. 860ff. Die
178
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