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Technik

Die Roboter aus dem Morge


Schon im frühen Mittelalter bauten orientalische Erfinder künstliche Singvöge
Geschichte
Raubtiere und Diener. Das Abendland blickte mit Argwohn auf die unbegreiflichen Aut

D
er oströmische Kaiser Konstantinbrachten nur diese Heiden am Randedann der zwei kupferne Roboterkinder in ih
VII. hatte seine höchsteigene Art,
Welt solche Mirakel zuwege? Hörner und lächeln einander zu – „man
Besucher zu empfangen. Neben sei- „Die Zeitgenossen bemerkten schon, hätte geschworen, sie seien lebendig“,
nem Thron hockten goldene Löwen, dass die eine bewegliche Mechanik im Spiel schreibt der Dichter.
unversehens zum Leben erwachten:war“, Mit sagt die amerikanische Historikerin Solche Kunstgeschöpfe schienendie
schauerlichem Gebrüll rissen sie dasEllyMaul Truitt. „Aber sie waren nicht imstan- Grenze zwischen Leben und Tod zu verwi
auf, ließen die Zunge schlackern undde, schlu-
solche Apparate nachzubauen. Des- schen. Wirkten sie nicht wie beseelt? In e
gen dazu mit dem Schwanz. halb nahmen sie als Erklärung zuner Hilfe,
französischen Nachdichtung der Tris-
Auch dem italienischen Diplomaten was ihnen besser vertraut war: das Wirken tan-Sage schafft sich der traurige Ritte
Liut prand von Cremona wurde das von Spek- Dämonen oder eine günstige Konstel- Ersatz für seine unerreichbare Isolde: ein
takel zuteil. Der Mann tat sogleich, was
lation der Gestirne.“ lebensechte Puppe, deren hohle Brust mit
die Sitte befahl: Er warf sich der Länge In den mechanischen Vögeln etwa erlesenen moch- Kräutern gefüllt ist. Über verbo
nach zu Boden. Als er den Blick wieder ten zauberkräftige Edelsteine verbaut genesein.
Röhren entströmen die Wohlgerüche
zu heben wagte, war der Thron mitsamt Und der Gesang: vielleicht ein Windhauch, Isoldens Mund – fast so etwas wie ein See-
dem Kaiser zur Saaldecke aufgefahren. mittels Geisterbeschwörung in den Baum lenhauch. Und neben der Puppe wackelt a
Im Jahr 949 weilte Liutprand auf dirigiert?
Dienst- kleiner Automatenhund Petitcru mit dem
reise im fernen Konstantinopel, dem heu- Ständig stellten sich neue Rätsel. Karl Kopf und lässt sein Glöckchen klingeln.
tigen Istanbul. Dort tat sich ihm eine der
WeltGroße zum Beispiel bekam 807 nach Vom Handwerk der höheren Mechanik
schier unfassbarer Wunder auf. DenChristus
Him- ein unerhörtes Geschenk von hatten
Ha- die Europäer keine Ahnung. Den
melfahrtsthron vermochte der Gesandte run al-Raschid, dem Kalifen von Bagdad: Bau scheinlebendiger Statuen hielten sie
sich noch einigermaßen zu erklären.eine Ver-ausgeklügelte Wasseruhr mit beweg- deshalb eher für ein Spezialgebiet der Ph
mutlich war es eine verborgene Gewinde-lichen Figuren. Zur vollen Stunde fiel losophie.
die Von etlichen Großdenkern der
spindel („wie bei unseren Weinpressen“), Epoche ging die Sage, sie hätten vermöge
die den Monarchen emporschraubte.
Aber welches Geheimnis mochte der Eine mechanische Kellnerin ihrer Geisteskraft Roboter erschaffen.
Eine damals beliebte Legende handelt
vergoldete Baum bergen, den Liutprand auf Rollen füllte den von dem deutschen Theologen Albertus
mit eigenen Augen sah? In den Zweigen
zwitscherte eine Vogelschar aus Metall – Tischgästen selbstständig Magnus: Ein Mitbruder klopft eines Tage
an die Tür seiner Mönchszelle. Er wir
und jede Art trug ihre typischen Gesänge
vor. Einen wackeren Mitteleuropäer muss-
die Gläser mit Wein. hereingebeten – und fällt schier in Ohn-
macht. Albertus ist gar nicht da, im Zim-
te so etwas überirdisch dünken. passende Anzahl von Bronzekugeln in mer einsteht ein sprechenderAutomat.
In der Fremde dagegen war man solcheBecken, ein Türchen ging auf, und hervor Schnell zerschlägt der Mönch das unchris
Wunder längst gewohnt. Ähnliche Vogel- kam einer von zwölf kleinen metallenen liche Machwerk. Albertus schimpft ih
bäume gab es an den Höfen der Kalifen Reitern
in – was war das, wenn nicht reine später bitterlich aus: Nur alle 30000 Jahr
Bagdad und Samarra. Auch der Sultan Magie?
von klagt der Gelehrte, stünden die Sterne in
Damaskus und etliche indische Fürsten Die Historikerin Truitt ergründet der in ei-
richtigen Konstellation für ein solche
ließen sich von künstlichen Singvögelnnem gerade erschienenen Buch erstmals, Geschöpf.
unterhalten. Franziskanermönche auf wieHei-
schwer den Europäern des Mittelalters Besonders gern dachten sich Dichter
denmission entdeckten sogar ein pracht-die exotischen Apparate zu denkendamals ga- Geschichten über sprechende Kö
volles Exemplar im Palast eines mongo ben*.- Reisende brachten damals immer fe aus. Der englische Philosoph Roger
lischen Khans. wiederdie Kunde von wundersamen Bacon, so hieß es in einem Roman, habe
Jeder bessere Potentat im Orient, Kunstwesen,
so die aus eigenem Antrieb einen
zu solchen aus Messing gefertigt; der
scheint es fast, leistete sich damals einen
handeln schienen. Und bald bevölkerten Kunstkopf konnte angeblich die Zukunft
mit Druckluft betriebenen Zwitscherbaum.
auch abendländische Dichter ihre Werke weissagen. Ein ganz ähnlicher Automat
Im Abendland dagegen galten um diese mit metallenen Bogenschützen, sprechen- sei – nach sorgfältiger Inspektion der Ge-
Zeit schon eiserne Pflugscharen als GipdenfelStatuen und anderen ausgedachten stirne – dem Mathematiker Gerbert von
der modernen Technik. Die Christenheit Großtaten des Automatenbaus. Aurillac gelungen, dem späteren Papst Sy
war, nach dem Zerfall des Römischen Ein französischer Heldengesangdes vester II. Nach seinem Tod erzählte man
Reichs, für Jahrhunderte in Rückstand zwölften Jahrhunderts malt sich aus, sich,
wieGerbert habe für den prophetischen
geraten. Karl der Große samt Gefolge nach Kon- Kopf seine Seele dem Teufel verkauft.
Das Morgenland hingegen verstandstantinopel
sich reist. Dort empfängt ihn König Stets schwankten die Zeitgenossen zwi
bereits im frühen Mittelalter auf zierliche,
Hugo in einem beispiellosen Prachtbau: schenBeiBewunderung und Argwohn. Okk
meisterhaft konstruierte Automaten. Wind
Als dreht sich der ganze Palast „wie te Mächte
ein mochten am Automatenbau be
Antrieb dienten meist beweglich aufge- Wagenrad“ um einen riesigen Pfeilerteiligt aus sein. Und überhaupt: Christliche D
hängte Gewichte. Arabische Ingenieure massivem Silber. Auf dem Dachfirst mut blasenund eigenmächtiger Schöpferstolz, d
entwarfen besonders diffizile Mechanis- passte nicht gut zusammen.
men aus hydraulischen Röhren, Ventilen Die kunstfertigen Konstrukteure des O
* Elly R. Truitt: „Medieval Robots – Mechanism, Magic,
und Zahnstangengetrieben – unbegreiflich
Nature, and Art“. ents dagegen führten eine Tradition fort,
University of Pennsylvania Press,
für die Christenmenschen jener Zeit:Philadelphia;
Wie 256 Seiten; 55 Dollar. die bis in die Antike zurückreicht. Bereit

120DER SPIEGEL 26 / 2015


im dritten Jahrhundert vor Christus ersann
der griechischeMechanikerKtesibios
Druckluftkatapulte, wasserbetriebene Or-
geln und pneumatische Singvögel. Seine
Nachfolger ließen sich viele weitere Gerät -
schaften einfallen – spielerisch lernten sie
das Wirken der Naturkräfte zu nutzen.
Als die antike Kultur versank, traten vor
allem die Araber das Erbe der unbefange-
nen Bastler an. Im zwölften Jahrhundert
entwarf der Erfinder al-Dschasari eine
großmächtige Elefantenuhr (siehe Grafik),
die zu den genialsten Apparaten der Epo-
che gehört. Der Meister hinterließ auch
ein Handbuch für den Bau zahlreicher Ge-
rätschaften – von Schöpfwerken über Was-
serspiele bis hin zu einer automatischen
Kellnerin auf Rollen, die mittels eingebau-
ter Hebel und Seilzüge den Tischgästen
Wein nachschenkte.
Im christlichen Mittelalter aber war der
antike Ingenieursgeist gründlich in Verges-
senheit geraten. Erst im 13. Jahrhundert
wagten sich auch europäische Handwerker
allmählich an kniffligere Apparate. Eine
Art Leistungsschau boten die berühmten
Gärten von Hesdin, ein Schlosspark im ho-
hen Norden Frankreichs. Der mächtige Graf
Robert II. von Artois hatte hier neueste Be-
lustigungstechnik installieren lassen – in
den weitläufigen Anlagen standen die ers-
ten Automaten des Abendlandes.
Heute ist von der alten Pracht nichts
mehr übrig; auch die anderen Zauber -
maschinen des Mittelalters sind allesamt
verloren gegangen. Damals aber galten die
Gärten von Hesdin als kleines Weltwunder.
Den Besuchern drohten unerhörte Über-
raschungen auf Schritt und Tritt: Von den
Bäumen winkten mechanische Affen, ge-
hüllt in echte Dachsfelle. Brücken gaben
beim Betreten plötzlich nach, sodass die
Spaziergänger in den Teich plumpsten. Sta-
tuen begannen zu sprechen oder schnitten
Grimassen. Wer an verborgene Schalter
rührte, wurde mit Wasser bespritzt und
mit Mehl oder Ruß eingestäubt.
Im Rummel von Hesdin kündigte sich
schon der moderne Freizeitpark an – das
Vergnügen hatten freilich vor allem die
Eingeweihten: Sie lachten über die Ah-
nungslosen, die auf die grobschlächtige
Spaßmechanik hereinfielen.
Überhaupt hatte der Fortschritt - im Auto
matenbau eine gewisse Entzauberung mit
sich gebracht: Wo ehedem höhere Magie
wirkte, sah man nun Zahnräder, Seilzüge
und Ventile. Aus Mirakelwerken waren
schnöde Apparate geworden.
Und auf das freie Spiel der Ideen folgte
bald der Ernst einer neuen Zeit: Mit der
Erfindung der Räderuhr übernahm eine
ganz andere Art von Automaten das Regi-
ment – im Dienste von Gleichtakt und
Effizienz. Manfred Dworschak

Mail: manfred_dworschak@spiegel.de

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