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Der Vordenker des 21.

Jahrhunderts

Das Universum in einem Buch: Alexander von Humboldts


"Kosmos"

Nach seiner amerikanischen Reise wirkte Humboldt zunächst 20 Jahre


lang in Paris, bevor er 1827 nach Berlin zurückkehrte. In den
folgenden 30 Jahren trug er das gesammelte Wissen in einem Werk
zusammen – dem "Kosmos".

Im Alter von 34 Jahren hatte Alexander von Humboldt bereits den


höchsten damals bekannten Berg der Welt bestiegen und ein
Vermögen in eine Südamerika-Expedition investiert. Er hatte
Pflanzen, Tiere, Artefakte und jede Menge Zahlen und Fakten
gesammelt und war mit beeindruckenden Berichten zurückgekehrt.

Für den Rest seines Lebens war Humboldt ein gern gesehener Gast bei
Kaisern, Königen, Prinzen, Regierungsoberhäuptern, Botschaftern,
Künstlern und Wissenschaftlern. Einige wollten seinen Rat, andere
wollten sich einfach nur im Dunstkreis eines Genies aufhalten.
Dadurch erreichte er einen ungewöhlichen Status. Ein
Wissenschaftler, der sich in den exklusivsten gesellschaftlichen
Kreisen bewegte, wie ein legendärer Gelehrter. Diesen Ruf hatte sich
Humboldt hart erarbeitet.

Auf Humboldts Spuren: Die Vermessung der neuen Welt

Nach fünf Jahren war er 1804 von seiner abenteuerlichen Reise durch
die spanisch-amerikanischen Kolonien nach Berlin zurückgekehrt. In
der Heimat herrschten turbulente Zeiten. Preußen und Frankreich
befanden sich im Krieg und als Napoleon im Oktober 1806 in die
preußische Hauptstadt einmarschierte, floh die königliche Familie aus
Berlin. Preußen verlor die Hälfte seines Staatsgebiets und wurde
gezwungen, hohe Reparationen zu zahlen.

Humboldt wurde  im November 1807 vom preußischen König nach


Paris geschickt, um bei den Reparationszahlungen nachzuverhandeln.
Er hatte allerdings von Anfang an nicht nur die Interessen seines
Landes im Kopf und so blieb er die nächsten 20 Jahre in Paris.
Während des Krieges hatte es Humboldt als Deutscher nicht leicht in
Frankreich. Anschuldigungen, er sei ein Spion, ignorierte Humboldt
einfach, selbst noch, als preußische Truppen in Paris einmarschierten.
Humboldt verstand sich als Wissenschaftler mit einer Mission.

Wirken in Paris

Humboldt kannte sich in der Welt wissenschaftlicher


Veröffentlichungen gut aus. Er wusste, dass Paris das Zentrum der
akademischen Welt war, und dass sich dort die nötigen Illustratoren,
Graveure, Setzer, Drucker und andere wissenschaftliche
Kooperationspartner aufhielten, mit deren Hilfe er die Ergebnisse
seiner Südamerika-Expedition der Öffentlichkeit zugängiglich machen
wollte.

Da Humboldt keine Unterstützung von Seiten der preußischen


Regierung oder einer anderen Institution erhielt, zahlte er die
Produktion seiner Bücher aus seinem schwindenden Erbe. Humboldt
wollte keinen Reiseführer veröfflichen. Er wollte etwas ganz
Besonderes schaffen, etwas, das noch keine Privatperson vor ihm in
dieser Weise geschaffen hatte.

Das erste Buch entstand 1807 aus handschriftlichen Manuskripten und


in Kooperation mit verschiedenen Experten sowie Künstlern. In den
kommenden 30 Jahre veröffentlichte Humboldt zahlreiche weitere
Bücher. Der letzte Teil der Serie erschien im August 1838. Viele
seiner Materialien blieben allerdings unveröffentlicht.

Insgesamt veröffentlichte Humboldt 32 Bände. Die genaue Anzahl


variiert je nachdem, wie die Bücher gebunden wurden und was jeweils
zur Reihe gezählt wird. Die Bücher, die hauptsächlich in Französisch
verfasst wurden, deckten eine Vielzahl verschiedener Themen aus
dem Bereich der Botanik, der Astronomie, Zoologie und Geografie ab.
Es gab Sonderbände über Kuba und Mexiko und ein beliebtes
Reisetagebuch. Neunzehn der Bücher sind große Bildbände mit über
1400 opulenten Illustrationen, die Momentaufnahmen, Karten, Berge,
Pflanzen, Insekten und andere Tiere zeigen. Einige dieser Bücher sind
so schwer, dass man sie am besten zu zweit trägt und stehend an
einem Pult liest.

Zurück in der Heimat

Mit 57 war Alexander von Humboldt pleite. Die Finanzierung seiner


Reisen, sein kostspieliges Leben in Paris und die Produktion der
vielen opulenten Wissenschaftsbücher hatten ihn finanziell ruiniert.

Humboldt hatte seinen jahrzehntelangen Veröffentlichungsprozess


noch nicht abgeschlossen, als er eine Nachricht aus Berlin erhielt.
Nicht von seinem Bruder, der ihn zuhause vermisste, sondern vom
preußische König Friedrich Wilhelm III. Humboldt war ein
preußischer Untertan und seine finanzielle Zukunft hing von einem
Stipendium des Königs ab. Also kehrte er 1827 nach Berlin zurück.
Der König erhoffte sich durch die Nähe zum größten Wissenschaftler
seines Landes einen Prestigegewinn für sein Reich. Humboldt sollte
ihn nicht enttäuschen.

Direkt nach seiner Ankunft brachte Humboldt frischen Wind in


Berlins akademische Zirkel. Er hielt an der Universität 61
Vorträge über Natur und Geografie. Das Interesse war so groß, dass
Humboldt einen Monat später eine verkürzte Reihe mit 16 Vorträgen
in einer sehr viel größeren Konzerthalle wiederholte.

Diese Vorträge, die Humboldt über fünf Monate verteilt hielt, zogen
Preußens König, Gelehrte, Studenten und andere Zuhörer an, die einen
Platz ergattern konnten. Die Vortragsreihe sollte das wissenschaftliche
Ereignis des Jahrhunderts in Preußen werden und seinem restlichen
Leben eine Richtung geben. Schon bald bekam er einen Vertrag über
die Herausgabe seiner Vorträge in Buchform. Der Name des Werks
war "Kosmos".
Die letzten Kapitel

In einem Brief an den befreundeten Autor Karl August Varnhagen von


Ense schrieb Humboldt 1834: "Ich habe den tollen Einfall, die ganze
materielle Welt, alles was wir heute von den Erscheinungen der
Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur
Geographie der Moose auf den Granitfelsen, wissen."

Zu Humboldts Lebenszeit war der Umfang des menschlichen Wissens


exponentiell gewachsen. Trotzdem glaubte Humboldt zunächst, er
könne sein Werk über das Universum auf zwei Bände beschränken.
Sie sollten alles, von den Pflanzen, der Astronomie und dem Klima
bis zu den Ozeanen, der Atmosphäre und den Planeten abdecken.
Außerdem wollte Humboldt erklären, was all diese Dinge miteinander
verband. Für dieses ehrgeizige Vorhaben entschied sich Humboldt für
seine Muttersprache Deutsch. Allerdings neigte er in allen Sprachen
zu einem abschweifenden, wenig fokussierten Schreibstil, und er hatte
wohl auch den gewaltigen Umfang des Projekts unterschätzt.

Der erste "Kosmos"-Band erschien 1845, fast zehn Jahre nachdem


Humboldt ernsthaft mit der Arbeit an diesem Projekt begonnen hatte.
Band zwei folgte kurz darauf im Jahre 1847, und Band drei folgte
1851. Den Vertrag mit seinem Verlag hatte Humboldt erfüllt, aber er
schrieb weiter - denn er hatte noch mehr mitzuteilen. Der vierte Band
erschien 1857.

Auch Humboldt muss irgendwann klar geworden sein, dass kein Werk
der Welt das gesamte Universum beschreiben konnte. Trotzdem nahm
er noch sechs Wochen vor seinem Tode Druckproben für den
Folgeband ab.

Das fünfte Buch der Reihe sollte nicht mehr zu Humboldts Lebzeiten
erscheinen. Was er "das Werk meines Lebens" nannte, blieb
unvollendet. Den letzten Band, der erschienen war, hatte bereits sein
Assistent Johann Eduard Buschmann zusammengetragen. Unvollendet
blieb der Teil über die Menschheit und ihre Verbindung zum
Universum - also der komplexeste Teil von allen.
Anerkennung und Opfer für seine Wissenschaften

Vermutlich hätte Humboldt noch mehr geschrieben, aber die Erfüllung


seiner anderen Verpflichtungen waren sehr zeitaufwendig. Als einer
der berühmtesten Männer Europas war er zeitlebens ständig
unterwegs.

Humboldt war seit 1805 ein königlicher Kammerherr und erhielt eine
Pension vom Hofe. Obwohl Friedrich Wilhelm III. ihm zunächst die
Freiheit schenkte, in Paris zu leben, musste Humboldt häufig mit der
königlichen Entourage zu Abend essen oder sich auf Reisen begeben,
die im Sommer schon mal einen Monat daueren konnten. Als
Friedrich Wilhelm IV. 1840 König von Preußen wurde, ernannte er
Humboldt zu einem Mitglied des preußischen Staatsrates und band ihn
so noch enger an den Hof.

Das ständige Planen, Packen, Unterhalten und Reisen waren für


Humboldt eine große Belastung. Ein Beispiel aus Humboldts
Kalender ist das Jahr 1845, das er mit einem Besuch beim belgischen
König Leopold am Neujahrstag begann. Sechs Tage später war er bei
Frankreichs König Louis Philippe zu Gast. Er blieb viereinhalb
Monate in Paris und wurde zum Präsidenten der Geographischen
Gesellschaft gewählt. Der erste Band des "Kosmos" wurde gedruckt.
Danach reiste Humboldt über Frankfurt, Erfurt und Weimar zurück
nach Berlin, bevor er im Juni den preußischen König auf eine Vier-
Tage-Reise nach Kopenhagen begleitete.

Im Juli reiste er für die Einweihung einer Beethoven-Statue für einen


Monat nach Bonn. Die britische Königin Victoria war ebenfalls dort
und wollte den berühmten Wissenschaftler auch treffen. In der Nähe
von Bonn führte er einige Experimente durch, bevor er zurück nach
Berlin fuhr, wo er im September die russische Zarin willkommen hieß.
Gegen Ende des Jahres erhielt er eine weitere Ehrendoktorwürde,
diesmal von der Universität Tübingen.

So wollte Alexander von Humboldt sein Leben eigentlich nicht


verbringen. Er brauchte das Geld des Königs, nicht aber die
Gesellschaft royaler Persönlichkeiten. Er blieb ein Junggeselle, der am
liebsten schreiben und sich mit Gelehrten und talentierten Menschen
umgeben wollte. Stattdessen war sein Leben voller Zäsuren, und es
brachte eine Flut an Briefen, Gästen und Kosten mit sich.

Trotz seiner exzellenten Bildung konnte Humboldt nicht mit Geld


umgehen. Seine Südamerikareise hatte ihn zwischen 40.000 und
52.000 Taler seines 90.000 Taler großen Erbes gekostet.
Bankunterlagen zeigen, dass Humboldt im Jahre 1822 nur noch
14.600 Taler besaß. 1829 hatte er bereits Schulden in Höhe von 2900
Talern. Dabei lebte er gar nicht im Luxus und er gab auch kein Geld
für Überflüssiges aus. Die einzige Extravaganz, die er sich leistete,
war die Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Bücher.

Auch 30 Jahre später spürte Humboldt noch die Last dieses Lebens –
und noch immer sorgte er sich wegen seiner Schulden. Humboldt starb
am 6. Mai 1859, nur wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag. Aber
was war dies für ein Leben! Er hatte Thomas Jefferson, Napoleon, den
Marquis de Lafayette, Charles Darwin und drei russische Zaren
getroffen. Nie hat er einem Gast die Unterkunft verwehrt. Er half
dabei, ein Gesetz zu verabschieden, wonach Sklaven frei waren,
sobald sie preußisches Staatsgebiet erreichten.

Als Humboldt noch ein junger Mann war, schrieb Deutschlands


berühmtester Dichter Goethe: "Es ist incalculabel was er noch für die
Wissenschaften thun kann." Er sollte Recht behalten. Humboldt hat
mehr erreicht, als sich die Menschen seiner Zeit hätten träumen lassen.
Er hatte sein Vermögen geopfert und sein privilegiertes Leben der
Wissenschaft gewidmet. Von Berlin aus ist er nach Peru und bis an die
Grenzen Chinas gereist und hatte genug wissenschaftliche Artikel für
20 Leben veröffentlicht. Alexander von Humboldt war eine Ein-
Mann-Lehranstalt, die unsere Sicht auf die Welt veränderte.

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