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Morbus Hansen: «Aussatz» erkennen und behandeln


BettinaTöndurya, MartinTheilera, Claudine Kocherb, Jürg Hafnera
Universitätsspital Zürich:
a Dermatologische Klinik;

b Klinik für Infektiologie

Fallschilderung strichpräparat einer Skarifikation des völlig gesund


aussehenden linken Ohrläppchens (Slit Skin Smear)
Ein 24-jähriger somalischer Flüchtling fiel bei der Ein- und zweier hypopigmentierter Hautläsionen zeigten sich
trittsuntersuchung durch ein Ödem der rechten Hand mikroskopisch in der Ziehl-Neelson-Färbung wiederholt
auf (Abb. 1 x). Er berichtete, dass er seit einigen Wochen säurefeste Stäbchen, was durch das Institut für medizi-
an beiden Händen und Füssen, besonders stark aber nische Mikrobiologie bestätigt wurde. Die Polymerase-
an dieser rechten Hand weniger Gefühl habe. Bei der kettenreaktion (PCR) mit einer DNA-Sonde für Myko-
Untersuchung fielen disseminierte, jedoch hauptsächlich bacterium leprae aus Gewebeproben sowie aus einem
am Oberkörper und Oberarm hypopigmentierte Maculae Nasenabstrich fiel jedoch negativ aus. Dennoch wurde
und Plaques auf (Abb. 2 x). Auf Befragung berichtete aufgrund des hochcharakteristischen klinischen Bildes
er, dass diese Hypopigmentationen seit ungefähr vier mit multiplen disseminierten hypo- und hyperpigmen-
Jahren bestünden und langsam progredient seien. Seit tierten Maculae und Plaques, der Sensibilitätsstörungen
längerem leide er auch unter einer nasalen Obstruktion und des Nachweises von säurefesten Stäbchen im Slit
und einem diffusen Haarausfall. Im Bereich des N. ulna- Skin Smear trotz negativem PCR-Nachweis die Diagnose
ris des rechten Oberarms war ein subkutaner Tumor eines Morbus Hansen vom Borderline-tuberkuloiden
palpabel. Der Patient war afebril, in einem guten Allge- Typ nach Ridley und Jopling bzw. vom multibazillären
meinzustand, und die restliche klinische Untersuchung Typ nach der WHO-Klassifikation gestellt. Gemäss
fiel bis auf leicht druckdolente, nicht vergrösserte Lymph- Schema des U.S. Public Health Service (USPHS) wurde
knoten inguinal beidseits unauffällig aus. Laborchemisch eine Tripeltherapie mit Dapson (100 mg/Tag), Rifampicin
fand sich ein erhöhtes CRP (104 mg/l) ohne Leukozy- (600 mg/Tag) und Clofazimin (50 mg/Tag) für zwei Jahre
tose, die restlichen Laboruntersuchungen waren unauf- begonnen.
fällig. Fünf Tage nach Therapiebeginn kam es beim Patienten
In der ehemaligen direkten Umgebung des Patienten in zu einer Zunahme der Schmerzen und der Schwellung
Somalia litt niemand an ähnlichen Symptomen. Es waren der rechten Hand sowie zu Schmerzen in beiden Beinen.
keine relevanten Vorerkrankungen bekannt. Anhand der Symptome und des zeitlichen Auftretens
Bei Verdacht auf einen Morbus Hansen (Lepra) wurde wurden eine Typ-1-Leprareaktion diagnostiziert und zu-
eine Probeexzision einer hypopigmentierten Läsion am sätzlich eine Therapie mit Prednison begonnen. Klinische
volaren Unterarm rechts durchgeführt. Histologisch Zeichen einer Typ-2-Leprareaktion (akute Iritis, Orchitis
fanden sich perivaskulär orientierte, rundzellige Ent- oder Erythema nodosum) fanden sich nicht. Bei Reduk-
zündungsinfiltrate mit Beimengung von Plasmazellen. tion der Kortikosteroide kam es jeweils zu einem Rezidiv,
In der Spezialfärbung (Fite-Faraco) waren vereinzelt weshalb die Prednisondosis wiederholt erhöht werden
kleine säurefeste Stäbchen zu erkennen. Auch im Aus- musste. Bei der letzten Kontrolle im August 2009 (ein

Abbildung 2
Abbildung 1 Multiple hypopigmentierte, teilweise schuppende Maculae
Ödematöse Schwellung der rechten Hand. und Plaques am Rücken (Pfeile).

Schweiz Med Forum 2009;9(46):838 838


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Jahr nach Therapiebeginn) wurde die Prednison-Tages- Die lepromatöse Lepra zeigt früh Systembeteiligung. An
dosis auf 40 mg belassen. der Haut finden sich symmetrisch Maculae und infil-
trierte Plaques, welche knotig werden können (Leprome).
Bei Befall der Nasen- und Mundschleimhaut kommt es
Diskussion zu chronischer Rhinorrhoe und Epistaxis. Auch andere
Organe wie Augen, inguinale Lymphknoten, Leber, Milz,
Bei Morbus Hansen (Lepra) handelt es sich um eine Hoden, Schilddrüse und Nebennieren können betroffen
chronische Infektionskrankheit durch Mykobacterium sein. Eine Nervenbeteiligung findet sich erst spät und
leprae. Die weltweite Prävalenz im Jahre 2008 betrug fällt nur gering aus.
212 802 gemeldete Fälle weltweit (gemäss WHO), mit Die Diagnose der Lepra beruht in erster Linie auf dem
fallender Tendenz. Die Lepra kommt vorwiegend in den Nachweis säurefester Stäbchen. Dieser kann in der histo-
Tropen und Subtropen vor. Der Infektionsmodus erfolgt logischen Untersuchung (Färbung nach Ziehl-Neelsen
von Mensch zu Mensch mittels Tröpfchen- oder Schmier- oder Fite-Faraco), der Anfertigung von Skarifikations-
infektion mit einer Inkubationszeit von 3 bis 30 Jahren präparaten (Slit Skin Smear) aus den Ohrläppchen oder
[1]. Die Erkrankung zeigt ein breites klinisches und histo- aus Hautläsionen sowie anhand von Nasenabstrichen
logisches Spektrum, abhängig von der Immunitätslage erfolgen. Eine Kultur auf leblosen Medien ist nicht mög-
des Wirtes. Die Klassifikation von Ridley und Jopling lich. Der Erreger kann zudem durch Nukleinsäuream-
basiert auf immunologischen, histopathologischen und plifikation mittels PCR aus Gewebeproben oder Sekreten
mikrobiologischen Parametern [2]. Sie reicht von der nachgewiesen werden [3]. Der Lepromintest mit intra-
tuberkuloiden, erregerarmen Lepra mit starker zellulärer dermaler Injektion hitzegetöteter Lepraerreger und der
Immunantwort über Zwischenformen (Borderline) bis serologische Nachweis von Antikörpern gegen pheno-
zur lepromatösen, erregerreichen anergen Lepra mit lisches Glykolipid, einen Zellwandbestandteil (IgM-anti-
defekter zellulärer Immunantwort. Aufgrund der meist PGL-1-Antikörper), sind obsolet.
fehlenden Verfügbarkeit histologischer Untersuchungs- Die den Ressourcen angepasste Therapie in Endemie-
methoden in Endemiegebieten unterscheidet die WHO gebieten basiert auf der WHO-Klassifikation, welche
jedoch ganz pragmatisch lediglich die auf der Klinik beim multibazillären Typ eine Tripeltherapie mit Rifam-
beruhende paucibazilläre (1–5 Hautveränderungen) picin (600 mg/Monat), Dapson (100 mg/Tag) und Clofa-
von der multibazillären Lepra (>5 Hautveränderungen) zimin (50 mg/Tag) über 12 Monate und beim pauciba-
(Tab. 1 p). Patienten mit Nachweis von Bazillen im Slit zillären Typ eine Kombinationstherapie mit Rifampicin
Skin Smear werden von der WHO ungeachtet der Anzahl (600 mg/Monat) und Dapson (100 mg/Tag) über 6 Mo-
Hautveränderungen als multibazillär eingeteilt. nate vorsieht [4]. In Industrieländern empfiehlt sich die
Die tuberkuloide Lepra manifestiert sich an der Haut Therapie gemäss Schema des U.S. Public Health Service,
und den peripheren Nerven. Klinisch finden sich asym- welche im Gegensatz zur WHO beim multibazillären
metrisch erythematöse Maculae, welche sich peripher- Typ eine Therapiedauer von zwei Jahren und eine täg-
wärts vergrössern und zentral unter Depigmentierung liche Rifampicingabe (600 mg/Tag), beim paucibazillären
oder Atrophie abheilen. Läsional oder im Versorgungs- Typ eine Therapiedauer von einem Jahr und eine täg-
gebiet des betreffenden Nervs kommt es initial zur liche Rifampicingabe (600 mg/Tag) empfiehlt (Tab. 2 p).
Hyperästhesie, im weiteren Verlauf zu Verlust des Tem- Unter der Therapie kann in bis zu 50% der Patienten
peratur-, Berührungs- und Schmerzempfindens sowie eine hypererge Leprareaktion eintreten. Die Typ-1-
zur Anhidrose. Früh kommt es zur Nervenbeteiligung Leprareaktion tritt vor allem bei der Borderlineform auf
mit klinisch strangartiger Verdickung der Nerven, welche und entspricht einer Typ-IV-Hypersensitivitätsreaktion
zu schweren behindernden Mutilationen führen kann. (Coombs und Gell) gegenüber mykobakteriellen Anti-

Tabelle 1. Klassifikation der Lepra nach Ridley/Jopling und WHO.

Klassifikation Lepra-Spektrum
Ausgeprägt 1 Zelluläre Immunität 3 Schwach
Ridley/Jopling Tuberkuloid Borderline-tuberkuloid Borderline Borderline-lepromatös Lepromatös
WHO Paucibazillär Multibazillär

Tabelle 2. Antibakterielle Therapie der Lepra nach den Empfehlungen der WHO und des U.S. Public Health Service
(PB = paucibazillär, MB = multibazillär).

Lepraform Rifampicin Dapson Clofazimin Dauer


WHO PB 600 mg/Monat 100 mg/Tag – 6 Monate
MB 600 mg/Monat 100 mg/Tag 50 mg/Tag 1 Jahr
U.S. Public Health PB 600 mg/Tag 100 mg/Tag – 1 Jahr
Service
MB 600 mg/Tag 100 mg/Tag 50 mg/Tag 2 Jahre

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genen [5]. Klinisch zeigt sich dies in ödematösen Verän- Schlussfolgerung und Fazit
derungen im Bereich vorbestehender Hautveränderun-
gen und Schmerzen im betreffenden Dermatom. Es Die Lepra ist zwar heutzutage auch in den tropischen
besteht die Gefahr einer irreversiblen Nervenschädigung Ländern stark rückläufig, aber selbstverständlich immer
mit Funktionsverlust. Die Therapie besteht in der Gabe noch eine ernste Erkrankung, welche ohne Therapie zu
von systemischen Kortikosteroiden, welche meist über schwerer neurologischer Beeinträchtigung und System-
3–6 Monate gegeben werden müssen und bei deren Re- beteiligung führen kann. Die Kombination von hypopig-
duktion es häufig zum Rezidiv kommt. Grundsätzlich ist mentierten Flecken und Plaques mit neurologischen
eine Erhaltungsdosis zur Kontrolle der Symptome not- Ausfällen und palpablen subkutanen Nervenschwellun-
wendig. gen ist diagnostisch wegweisend. Wichtig ist eine früh-
Die Typ-2-Leprareaktion (Erythema nodosum leprosum) zeitige Therapie, wobei bei der Wahl des Antibiotika-
tritt ausschliesslich bei Patienten mit Borderline- oder schemas zwischen der multi- und der paucibazillären
lepromatöser Lepra auf. Die Ursache liegt in einer Im- Form unterschieden werden muss.
munkomplexvaskulitis und ist durch kutan-subkutane
druckdolente Knoten am Unterschenkel, dem Gesicht Danksagung
und dem Rumpf gekennzeichnet. Zudem kann es zu Wir danken Herrn Dr. med. J. Blum vom Tropeninstitut
systemischer Beteiligung der Augen, Nieren und des Basel für seine wertvollen Informationen.
Bewegungsapparates mit Lymphknotenschwellung und
Fieber kommen. Therapeutisch wird in erster Linie
Thalidomid, eventuell in Kombination mit systemischen
Kortikosteroiden gegeben, wobei meist eine kurzzeitige
Therapie ausreichend ist. Die Prognose ist abhängig
Korrespondenz:
vom Lepratyp und dem Therapiebeginn. Während die
Dr. med. B.Töndury
tuberkuloide Lepra einen meist günstigen Verlauf mit Dermatologische Klinik
Neigung zu spontaner Regression zeigt, ist die Prognose Universitätsspital Zürich
der lepramatösen Lepra ernst und kann unbehandelt CH-8091 Zürich
innert 10–15 Jahren zum Tode führen. bettina.toendury@usz.ch

Literatur
1 Britton WJ, Lockwood DN. Leprosy. Lancet. 2004;363:1209–19. 4 Jacobson RR, Krahenbuhl JL. Lancet. 1999;353(9153):655–60.
2 Ridley DS, Jopling WH. Classification of leprosy according to immunity. 5 Mohanty KK, Joshi B, Katoch K, Sengupta U. Leprosy reactions: hu-
A five-group system. Int J Lepr Other Mycobact Dis. 1966;34:255–73. moral and cellular immune response to M. leprae, 65kDa, 28kDa, and
3 Scollard DM, Gillis TP, Williams DL. Polymerase chain reaction assay 18kDa antigens. Int J Lepra Other Mycobact Dis. 2004;72(2):
for the detection and identification of Mycobacterium leprae in pa- 149–58.
tients in the United States. Am J Clin Pathol. 1998;109:642–6.

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