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Technische Universität Darmstadt
Veranstaltung: Soziologie der Moral
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ....................................................................................................... 3
2 Einstieg in die Moraltheorie von Niklas Luhmann ........................................ 5
3 Grundlegende Begriffe und Zusammenhänge ............................................... 6
3.1 Ego und Alter ........................................................................................... 6
3.2 Moral ........................................................................................................ 7
3.3 Ethik ......................................................................................................... 9
4 Funktion der Moral....................................................................................... 10
4.1 Bivalenz der Moral ................................................................................. 13
4.2 Freiheit als Folge der Moral ................................................................... 13
4.3 Funktionale Äquivalente der Moral ....................................................... 14
5 Evolutionäre Generalisierung....................................................................... 15
6 Kritik an Luhmanns Moraltheorie ................................................................ 16
7 Fazit .............................................................................................................. 19
Literaturverzeichnis ......................................................................................... 21
1 Einleitung
,,Außerdem handelt es sich um einen hochinfektiösen Gegenstand, den man nur mit
Handschuhen und mit möglichst sterilen Instrumenten anfassen sollte. Sonst infiziert
man sich selbst mit Moral (…)“ (Luhmann 1989: S.359).
Seit Beginn an ist die Soziologie mit der Moral verwickelt. Denn es ist der im 19. Jahrhundert
moralisch begründeten Unzufriedenheit an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu
verdanken, dass sich die Soziologie als eigenständige Wissenschaft herausbilden konnte.
Außerdem war die Idee, „mit dem Mittel dieser neuen Wissenschaft den
Auflösungserscheinungen ihrer Zeit durch die Stärkung einer neuen Moral
entgegenzutreten“ (Liebig 2012: S. 1), Antrieb für einige Gründerväter. So sind bis heute
einige soziologischen Analysen der Gesellschaft durch einen moralischen Antrieb
gekennzeichnet. Auch wollen viele Fachanhänger die Moral stärken und beleben und somit
die festgestellten Zerfallprozesse der modernen Gesellschaft entgegenwirken. Doch dieses
Verständnis der Soziologie ist nicht unproblematisch und führt immer wieder zu Debatten
über die Angemessenheit der Grenzen zwischen dem deskriptiven und normativen
Selbstverständnis (vgl. Liebig 2007: S.1).
Daraus folgte, dass die Soziologie als Wissenschaft sich von den moralischen Wertungen
und der Moral ablösen wollte. Parallel zu dieser Entwicklung wurde die Moral aber auch oft
als spezifisches Merkmal der soziologischen Identität bezeichnet. So galt die Soziologie für
Durkheim als die eindeutige Wissenschaft der Moral. Mittelpunkt dabei sollte die
Beschäftigung mit der Moral sein. Wobei die Aufgaben, die gesellschaftlichen
Moralkonzeptionen empirisch zu beschreiben, deren Wurzeln zu erläutern und deren
Funktion bei der Reproduktion und Konstitution sozialer Ordnung aufzuzeigen, der
Soziologie zugeschrieben wurde. Für lange Zeit galt die Moral deshalb als Notwendigkeit
für jede Art von gesellschaftlichem Zusammenleben und wurde als Bedingung bei der
Entwicklung von Gesellschaften angesehen. Gerade diese Sichtweise ist für viele Denker
der hauptsächliche Unterschied der Soziologie zu anderen Sozial- und
Geisteswissenschaften (vgl. Liebig 2012: S.1).
3
Die Beschreibung und Erklärung der aktuellen Struktur der moralischen Regelsysteme und
deren soziale Abhängigkeit war, laut Emile Durkheim, die Hauptaufgabe der Soziologie. Die
Kombination aus Beschreibung und vor allem der Erklärung als Ergebnis von Prozessen und
Strukturen der Gesellschaft war ein spezifisches Merkmal des soziologischen Zugangs zur
Moral. Diese Beschreibung des Gegenstandes und der Aufgaben einer erklärenden
Soziologie der Moral, welche sich auf Durkheim begründete, galt für die damalige Zeit als
geeignet, um den Zugang zur Moral zu schaffen. Allerdings ist dies, laut Niklas Luhmann,
nicht passend für moderne, funktional differenzierte Gesellschaften (vgl. Liebig 2007: S.1-
3).
Die moralsoziologischen Gedanken von Niklas Luhmann finden ihre Anfänge im Jahre
1975, als er mit Stephan Pfürtner zu diesem Thema ein Seminar abhält. Daraufhin folgte der
Beitrag Soziologie der Moral, welcher eine unmoralische Definition der Moral als
Gegenstand umfasst. Seine dort niedergeschriebenen Überlegungen setzen an die Probleme
doppelter Kontingenz an und beschäftigen sich mit der Frage, wie es den Personen möglich
ist, sich in sozialen Situationen in die Rolle ihres Gegenübers hineinzuversetzen und
gegenseitige Erwartungen zu konstruieren (vgl. Kirchmeier 2012: S.106). Wie genau er den
Begriff der Moral versteht und in welchem Zusammenhang er die Moral mit der Soziologie
setzt, soll in dieser Arbeit erörtert werden.
In der folgenden Arbeit soll zunächst ein kurzer Einstieg in die Moraltheorie von Luhmann
dargestellt werden. Anschließend werden grundlegende Begriffe wie Ego, Alter, Moral und
Ethik definiert und deren Zusammenhänge erläutert. Daraufhin folgt die Darstellung der
Funktion der Moral und es wird auf ihre Bivalenz näher eingegangen. Weiterhin wird die
Verknüpfung zur Freiheit aufgezeigt und die funktionalen Äquivalente näher betrachtet. Im
Anschluss wird auf die evolutionäre Generalisierung eingegangen. Bevor es im letzten
Kapitel zu einer Zusammenfassung der Soziologie der Moral von Niklas Luhmann kommt,
sollen vorher generelle Kritikpunkte dieser Theorie von anderen Autoren
zusammengetragen werden.
Es wird davon ausgegangen, dass die Theorie Sozialer Systeme von Luhmann bekannt ist.
Deshalb wird nicht nochmal explizit darauf eingegangen, da dies den Rahmen der Arbeit
überschreiten würde. Allerdings werden, wenn es zum besseren Verständnis der hier
dargestellten Moraltheorie notwendig ist, generelle Verknüpfungen zur Theorie Sozialer
Systeme im erforderlichen Umfang dargelegt.
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2 Einstieg in die Moraltheorie von Niklas Luhmann
Zu Beginn muss sich jede Theorie der Gesellschaft mit der Definition und Auslegung des
Sozialen beschäftigen und ausformulieren. Nach Luhmann kann die Gesellschaft nicht durch
die Individuen gemessen werden und andersherum. Das Fundament jeder Gesellschaftsform
bildet das Soziale beziehungsweise die Sozialität. In Luhmanns Systemtheorie setzt er die
Kommunikation an diese Stelle (vgl. Großmaß 2013: S.68). ,,Das Soziale wird – dynamisch
– als das Prozessieren von Kommunikation gefasst“ (Großmaß 2013: S.68). Somit sind
Subjekte und Personen kein Bestandteil der Gesellschaft mehr. Dabei ist deren Existenz
akzeptiert, aber die Gesellschaft lässt sich nicht auf personelle Interaktionen reduzieren.
Doch alle diese Interaktionen zwischen Personen bis hin zu politischen Parteien und
Prozessen der Wirtschaft werden alle unter Kommunikation gefasst, welche die Basis allen
Sozialen bildet (vgl. Großmaß 2013: S.68). Hier schafft Luhmann die Verbindung zur Moral.
Wenn die Thematik der Moral von einer Wissenschaft behandelt wird, dann muss diese sich
entscheiden, ob sie sich den moralischen Normen fügt oder nicht. Sie steht vor der
Entscheidung eine Position zu wählen. Zum einen kann sie das Schlechte für schlecht und
im Gegensatz dazu das Gute für gutheißen. Damit würde sie sich der Mehrheit der Stimmen
anschließen. Andererseits kann sie sich auch als moralfreie Erkenntnisleistung, welche die
Moral lediglich als weiteren Gegenstand begreift, verstehen (vgl. Luhmann 2012: S.56).
Luhmann ist dem zweiten Verfahren zuzuordnen. In der Soziologie kann eine Theorie der
Moral lediglich eine Außenperspektive gegenüber ethnischen und moralischen Fragen
einnehmen, wenn sie sich von moralischen Wertungen distanziert. So versetzt sie sich in die
Lage eines unabhängigen Beobachters (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.179). Deshalb versucht
Luhmann nicht einfach eine Moraltheorie aufzustellen, sondern eine systemtheoretische
Theorie der Moral als Supertheorie zu konzipieren. (vgl. Luhmann 1978: S.43).
Supertheorien haben in der Wissenschaft ihre eigenständige Funktion und bedienen sich
dabei eigener Mittel und Rechte (vgl. Luhmann 1978: S.9) ,,Sie sind innerhalb des
Wissenschaftssystems die Auffang- und Abwehrebene für moralische ebenso wie für
erkenntnistheoretische (…) Ansprüche“ (Luhmann 1978: S.9). Eine Supertheorie
rekonstruiert einerseits die theoretisierenden Moralbegriffe und andererseits erklärt sie,
inwiefern der Moralist begrenzt ist. Entscheidend für Luhmann ist es, ,,das Faktum der Moral
mit moralfreien Begriffen zu begreifen“ (Luhmann 1978: S.43).
Weiterhin meint Luhmann, dass Sprache immer die Beschreibung und die Stellungnahme
enthält. Dies gilt sowohl im Bereich der Theorie als auch im Bereich der Gegenstände. So
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ist es nicht möglich, über moralische Fragen zu sprechen und sich dabei nicht auf die Moral
einzulassen. Deshalb vertritt er die Meinung, dass man sich von der Moral distanzieren sollte
(vgl. Luhmann 2012: S.56). ,,Wenn schon die bloße Theorie der Moral dazu dienen könne,
ihren Autor moralisch zu beurteilen oder zu verurteilen, solle man besser davon absehen, sie
zu Papier zu bringen“ (Luhmann 2012: S. 57).
,,Die Einsicht in den Geltungsgrund dieser Normen oder Werte führe zwangsläufig
zur Anerkennung ihrer Geltung; gerade Geltung könne man nicht zunächst einsehen
und sie dann doch nicht anerkennen; seiner eigenen Einsicht könne man sich nicht
wieder entziehen; wer so handele, handele wider besseres Wissen“ (Luhmann 2012:
S.56).
Bei der Entscheidung der Wissenschaften mit Moral umzugehen, spielt schon die Definition
des Moralbegriffes eine Rolle. Denn der Moralbegriff formt diese schon von Beginn an in
die eine oder in die andere Richtung (Luhmann 2012: S.56).
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dem Wissen, dass der andere es ihm gleichtut. Den einzelnen Systemen ist bewusst, dass es
für den jeweils anderen Umwelt ist (vgl. Luhmann 2012: S.97-100).
Weiterhin bedeutet die gegenseitige Zuschreibung von Kontingenz, dass die ,,(…) beiden
jeweils in sich selbst eine dreifache Rolle integrieren. Jeder ist für sich selbst zunächst Ego,
weiß aber auch, daß er für den anderen Alter ist und außerdem noch, daß der andere ihn als
alter Ego betrachtet“ (Luhmann 2012: S.101). Da allerdings die System/ Umwelt-
Perspektiven zu komplex sind und über die einfach verständlichen Ich/Du-Beziehungen weit
hinausreichen, ist die Integration der drei Rollen mit Problemen verknüpft (vgl. Luhmann
2012: S.101-102).
Aus diesem Grund ,,wird über die Integration der wechselseitig verschränkten
Perspektiven und Identitäten nur in vereinfachter Form kommuniziert. Als Indikator
für einen akzeptierbaren Einbau des Ego und Alter und alter Ego in die Sichtweise
und Selbstidentifikationseines Alter dient der Ausdruck von Achtung und die
Kommunikation über die Bedingungen wechselseitiger Achtung“ (Luhmann 2012:
S.102).
Ego achtet Alter und zeigt ihm diese Achtung, indem er sich selbst als Alter im Alter
anerkennt. Achtung steht hierbei für komplexe Beziehungen im Kommunikationsprozess,
welche nur durch die Auswechslung durch die Symbole vereinfacht werden (vgl. Luhmann
2012: 102). Dabei handelt es sich bei Achtung nicht um eine Eigenschaft, sondern um eine
in sozialen Systemen erzielte oder entfernte personenbezogene Zuteilung (vgl. Luhmann
1987: S.47-48). Achtung ist die Basis von Kommunikation und sorgt für eine Reduzierung
der Problematik der doppelten Kontingenz (vgl. Liebig 2007: S.28). In größeren,
komplexeren Gesellschaften bedarf es generalisierten Achtungsbedingungen, um einer
möglichen Inkonsistenz der Zuteilung entgegenzuwirken (vgl. Luhmann 1987: S.47-48).
Auf diesen Ansatz von Luhmann wird im späteren Kapitel zur Evolutionären
Generalisierung noch einmal näher darauf eingegangen.
3.2 Moral
Der Begriff der Moral von Luhmann ,,geht von einer theoretischen Vorentscheidung aus“
(Kirchmeier 2012: S.105). Er ordnet den Begriff nicht der Systemtheorie zu, sondern ist der
Auffassung, dass es sich hierbei um einen thematischen Begriff handelt. Diese Ansicht des
Moralbegriffes unterscheidet Luhmann zu anderen Vertretern wie Durkheim. Für Luhmann
ist die Moral ein soziales Phänomen wie Liebe, Individualität und Macht (vgl. Kirchmeier
2012: S.105).
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Er definiert die Moral als spezifische Art von Kommunikation. Diese Kommunikation
operiert mit binären Codes, denn sie unterscheidet zwischen gut und schlecht
beziehungsweise Gut und Böse. Mit dieser Vorgehensweise bringt sie menschliche Achtung
und Missachtung zum Ausdruck (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.179). Doch Moral besteht
nicht aus Achtung oder deren Erweisungen, denn ,,die Gesamtheit der faktisch praktizierten
Bedingungen wechselseitiger Achtung oder Mißachtung macht die Moral einer Gesellschaft
aus“ (Luhmann 1978: S.51). Es ist nicht möglich, Moral zu vermehren, indem man Achtung
vermehrt, denn sie entsteht aus implizierter oder explizierter Kommunikation über Achtung
(vgl. Luhmann 1978: S.51).
Dabei beziehen sich die Codewerte nicht auf charakterisierende Eigenschaften oder
Leistungen. Erst, wenn die Codewerte gut und schlecht gleichzeitige Andeutungen auf
Missachtung und Achtung enthalten und diese sich auf eine einzige, ganze Person beziehen,
dann liegt eine moralische Kommunikation vor. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine
Kommunikation erst dann moralische Qualität enthält, wenn sie aufzeigt, für welche
Handlungen und Ansichten eine Person Missachtung beziehungsweise Achtung verdient.
Dies kann deutlich ausgedrückt werden, jedoch wird es meistens nur angedeutet. Aufgrund
der universellen Codes kann die Moral alles beurteilen. Jede Handlung, Ansicht und jedes
Thema kann moralisch beobachtet werden. Kommunikation ist nicht in jedem Fall
moralisch, jedoch wenn es der Fall ist, dann ist ein besonderer Eifer der moralischen
Beurteilung zu erkennen. Ein moralisches Engagement kann nur schwer zurückgezogen
werden, da er sich auf die ganze Person bezieht (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.179-180).
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Die Unterscheidung von normal und anormal hat nicht den Sinn deren Häufigkeit zu
dokumentieren, sondern dient dazu Vermutungen für zukünftige Handlungen zu erstellen.
Normale Handlungen werden als gut und alltäglich definiert. Anormale Handlungen haben
als Folge, dass andere Personen mit Missachtung oder mit Hochachtung, darauf reagieren.
Die Moral entscheidet darüber, was das vom Normalen aus gesehene Anormale ist. Dabei
ist es wichtig, die Moral und den Konsens nicht gleichzusetzen. Denn mit Achtung wird die
erfolgreiche Integration des Alter in die operative Ich-Identität deutlich und nicht etwa die
Honorierung von Konsens (vgl. Luhmann 1978: S. 53-54). ,,Moral ist ein für alle
Schattierungen von Konsens und Dissens empfindliches Instrument, aber inkompatibel mit
Situationen, in denen Konsens und Dissens gegen Null tendieren“ (Luhmann 1978:S.54).
Damit werden die negativen Moralauffassungen deutlich. Durch moralische
Kommunikation können Konflikte ausgelöst werden. Die Moral kann den Streit sogar
verschärfen, indem sie dafür sorgt, dass die Personen an ihrem Standpunkt festhalten (vgl.
Luhmann 1978: S.54-55). So ist die Gefahr mit Kommunikation in komplexeren
Gesellschaften zu versagen, deutlich höher (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.105), da ,,man die
Person nicht mehr kennt, die man mit Moral überzieht“ (Luhmann 1989: S.362-363.).
Außerdem kann in modernen, funktionaldifferenzierten Gesellschaften nicht mehr davon
ausgegangen werden, dass es moralische Regelungen gibt, welche für die Allgemeinheit
gültig sind. Denn die Moralnormen werden gesellschaftsabhängig und kontingent (vgl.
Luhmann 1978: S.42). Damit die Moralität vor Widersprüchen geschützt ist, entwickeln
solche Gesellschaften eine Ethik (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.105).
3.3 Ethik
Bei dieser Ethik handelt es sich um einen weiteren wichtigen Begriff in der Moraltheorie
Luhmanns. In der philosophischen Tradition wird Ethik als Begründungstheorie der Moral
verstanden (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.104). Im Gegensatz dazu und vielen anderen
soziologischen Denkern definiert Luhmann die Ethik als Reflexionstheorie der Moral (vgl.
Kneer/ Nassehi 2000: S.181). Erst Ende des 18. Jahrhunderts hat sie sich als solche
hervorgehoben (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.104). Ihre Aufgabe ist es, die Moral zu
reflektieren und nicht mehr zu begründen (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.181). ,,Unter Ethik
wird jede kognitive Beschreibung der Moral verstanden, die moralische Kommunikation aus
einer moralinternen Perspektive reflektiert“ (Kneer/ Nassehi 2000: S.181). In der
traditionellen Ethikkonzeption wird die Moral als etwas Gutes definiert. Jedoch bringt diese
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auch negative Seiten mit sich. Moralische Kommunikation endet nicht selten in Konflikten
oder Streit. Dies ist eines der Hauptprobleme der Moral. So ist nach Luhmann die Ethik
angehalten die Risiken und Gefahren der moralischen Kommunikation aufzuzeigen (vgl.
Kneer/ Nassehi 2000: S.181). ,,Angesichts dieser Sachlage ist es die vielleicht
vordringlichste Aufgabe der Ethik, vor Moral zu warnen“ (Luhmann 2012: S.266). Sie soll
Übersetzungsleistung von der Gesellschaft zur Moral und umgekehrt leisten und nicht
ihrerseits Moral betreiben (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.107).
,,In einer bedeutenden soziologischen Tradition, die auf Durkheim zurückgeht und
auch von Parsons akzeptiert worden ist, hat man Moral als ein, wenn nicht als das
Phänomen angesehen, das gesellschaftliches Zusammenleben erst ermöglicht. Die
Kopplung von Moralbegriff und Gesellschaftsbegriff lief über die Begriffe Wert und
Norm. Deren Verhältnis zueinander blieb ungeklärt“ (Navas 1993: S.297 zit. nach
Luhmann et. al. 1984: S.11).
Dazu meint Luhmann, dass lediglich bei einer einseitigen, oberflächlichen Betrachtung die
Moral als ein Mittel gesehen werden kann, welches die Menschheit in der Gesellschaft hält.
Moral hat auch negative Seiten. Sie kann verfeinden, stößt ab und kann dazu beitragen
Lösungen von Konflikten zu erschweren. So meint Luhmann, dass die Funktion der Moral
nicht durch den bloßen Hinweis auf gesellschaftliche Integrationsbedarf bestimmt werden
kann (vgl. Luhmann 1984: S.318). Denn ,,die Gesellschaft ist, zum Glück, keine moralische
Tatsache“ (Luhmann 1984: S.318).
Eine Theorie, die den oben genannten Aspekt der Integrationsfunktion ablehnt, übernimmt
hohe Argumentationslasten und muss eine Alternative vorlegen können. Für diese
Alternative bedient sich Luhmann des Interpenetrationsbegriffs. Das bedeutet, dass der
Bezug der Moral weg von der einfachen Beziehung von Gesellschaft und Mensch, hin zur
Beziehung zwischen Beziehung gelegt wird. Hierbei geht es darum, zwei unterschiedliche
Verhältnisse von Interpenetration zu koordinieren (vgl. Luhmann 1984: S.318). Für
Luhmann handelt es sich bei der Funktion der Moral um ein komplexes Verfahren von
sozialer Koordination. Dieses Verfahren ermöglicht es die Interaktionsbeziehungen auf
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Missachtung und Achtung zu vereinfachen (vgl. Liebig 2007: S.28+29) ,,Alle Moral bezieht
sich letztlich auf die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Menschen einander achten
bzw. mißachten“ (Luhmann 1984: S.318). Moral bindet die personellen
Interpenetrationsformen an Bedingungen, die ebenso für die Interpenetration sozialer
Systeme gültig sind. (vgl. Neckel/Wolf 1988: S.61).
Auch wenn die Moral nicht mit Integration zu tun hat, so spielt doch die Inklusion eine Rolle
(vgl. Navas 1993: S.297). Wie oben bei der Begriffserläuterung schon angemerkt, beziehen
sich die Begriffe der Achtung und Missachtung auf die ganze Person und auf deren
Gesellschaftszugehörigkeit (vgl. Luhmann 1989: S.365). ,,Es sind Bezeichnungen für, oder
indirekt: Hinweise auf die Inklusion der Person in die Gesellschaft“ (Luhmann 1989: S.365).
Dies ist ein interessanter Punkt, denn moralische Kommunikation ist somit inklusiv und
symmetrisch. Man muss die Pflichten selbst akzeptieren und sich einschließen, wenn man
will, dass andere sie auch übernehmen (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.105). Doch auch hier
spiegelt sich die von Luhmann schon angedeutet negative Seite der Moral wider (vgl. Navas
1993: S.297), denn bei der Exklusion ist die Angelegenheit komplizierter (vgl. Reese-
Schäfer 2011: S.105). Personen können aus der Gesellschaft nicht ausgeschlossen werden
(vgl. Luhmann 1989: S.367).
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Luhmann diesen Sachverhalt als polemogene Seite der Moral. Aus diesem Grund ist auch
die Aufgabe der Ethik, vor der Moral zu warnen, so wichtig (vgl. Navas 1993: S.298).
Die Funktion der Moral liegt darin, durch ihre Bereitstellung des binären Codes eine
Verknüpfung zwischen personaler und systemischer Kommunikation herzustellen (vgl.
Neckel/Wolf 1988: S.61). Doch Moral ist ein Bestandteil der kommunikativen Wirklichkeit
und stellt nicht bloß die Bedingungen für die Interaktionssysteme zur Verfügung. Sie kann
in allen Teilen der Gesellschaft stattfinden. Überall, wo über Achtung oder Missachtung
gesprochen wird und es darum geht, ein Gespräch fortzusetzen oder zu beenden, ist Moral
vorhanden. Die moralische Kommunikation wird durch die Personalisierung
gekennzeichnet. Ihre Funktion liegt darin in Interaktionssystemen ein Gespräch
aufrechtzuhalten, obwohl ein Ende droht. Dies geschieht, indem man auf die Meta-Ebene
wechselt und über Achtungsbedingungen spricht (vgl. Liebig 2007: S.29-30).
Sollte in Teilsystemen der Gesellschaft doch Moral Anwendung finden, ist dies ein Zeichen
von Problemen. Außerdem sorgt die Moral dafür, dass die spezifischen Codierungen richtig
verwendet werden. Bei Verstößen und Verletzung der Regeln wird auf diese moralisch
reagiert. Moral muss dementsprechend als Mittel und nicht als Zweck angesehen werden.
Sie hat in den modernen differenzierten Gesellschaften eine ambivalente Bedeutung.
Teilsysteme versuchen die Moralisierung zu verhindern und sind zugleich auf die Hilfe
moralischer Kommunikation angewiesen (Liebig 2007: S.31-32).
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4.1 Bivalenz der Moral
Des Weiteren betrachtet Luhmann das Problem der Bivalenz der Moral näher. Achtung und
Missachtung sind die zwei einzigen Wertungen der Achtungskommunikation. Dabei sind
beide Möglichkeiten unabhängig voneinander. Dies meint, dass ein Verlust der Achtung
nicht automatisch in Missachtung endet, sondern er kann ebenso in Gleichgültigkeit münden.
Beide sind kein knappes Gut. Aber sie werden auch nicht nach Belieben zugeteilt, sondern
werden nach Bedingungen festgelegt. So bildet sich Konsistenz der Achtungspraxis und die
Möglichkeit sich vor Konsens mit Dritten im Vorhinein abzusichern. Zudem ist es möglich,
Achtungskommunikationen in umstrittenen Fällen zu begründen. Die Tragweite in der
Gesellschaft von der Dualisierung gut und böse ist begrenzt, denn sie ist kein Superdual,
welches alle anderen Duale strukturiert (vgl. Luhmann 1978: S.57-58). ,,Auch wenn jede
Situation moralisch bewertbar ist, besagt dies nicht, daß jede Situation nur moralisch
bewertbar ist“ (Luhmann 1978: S.58). Der Dualisierung kommt eine besondere Funktion zu
(vgl. Luhmann 1978: S.58-59).
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(Luhmann 1989: S.439). So fasst Luhmann Freiheit als Produkt der Kommunikation, was
wiederum impliziert, dass Freiheit ein Produkt der Gesellschaft ist. Dabei entsteht sie nicht
laufend im Selbstbestimmungsprozess von Kommunikation und besitzt kein psychisches
Gegenstück. Ebenso ist die Kompatibilität mit einem strukturdeterminierten System
gegeben. Freiheit entsteht, indem Systeme durch Kommunikation eine Unterscheidung von
Annahme und Ablehnung treffen (vgl. Luhmann 1989: S.439).
Den Ansatz nutzt Luhmann auch bei der Moral. Diese ,,habe die Funktion, Ego/Alter-
Synthesen durch Achtung zu indizieren und in dieser Verkürzung kommunikabel zu machen,
so ist das, funktionsanalytisch gesehen, nur eine halbfertige Erkenntnis“ (Luhmann 1978:
S.65). Nun versucht er aufzuzeigen, welche alternativen Möglichkeiten es gibt, um diese
Synthesen zu regeln. Für historisch und gesellschaftlich-strukturell bedeutsam hält Luhmann
die Anschlussrationalität, Recht und Liebe. Anschlussrationales Verhalten bedeutet, dass
Ego die Entscheidung von Alter hinnimmt und seine eigene Handlung dazu abstimmt.
Luhmann verdeutlicht dies anhand von Beispielen: Man zahlt den verlangten Preis oder
kauft eben nicht, oder man beendet einen Rechtsstreit, ohne zu prüfen, warum gestritten
wird. Das anschlussrationale Handeln erspart einem viel Zeit (vgl. Luhmann 1978: S.65-
67).
Durch Recht werden anschlussrationale Handlungen ermöglicht, obwohl noch gar keine
gelegt sind. Diese Generalisierung von Verhaltensprämissen kann nur bestehen, wenn
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festgelegt ist, was erwartet und was nicht erwartet werden kann. Achtungsorientierte Ego-
Alter-Synthesen werden durch die soziale Koordination nicht vorausgesetzt, solange man
sich auf Rechtsvorschriften verlassen kann und durch diese abgesichert ist. Recht ist somit
unabhängig von moralischen Handlungen (vgl. Luhmann 1978: S.67-69).
Liebe ist unverantwortlich und unkonditionierbar für Luhmann. Hierbei geschieht etwas,
was sonst von Luhmann als unmöglich beschrieben wird. Ego kann Alter in seiner vollen
Komplexität beachten und sich nach der Umwelt des personalen Systems von Alter
verhalten. Dies bedeutet nicht, dass Ego sich Alter unterordnet und ihm alle Wünsche erfüllt.
Vielmehr fragt sich Ego vor einer Handlung, welchen Zweck diese für Alter hat und wie sie
aus Alters Perspektive aussehen würde Diese Grundorientierung ist Liebe. Sie ist eine
besondere Art von Kommunikation und spezialisiert auf Zweierbeziehungen. Denn diese
intimen und kurzgeschlossenen Kommunikationen gelten für die Moral als Gefahr. So
übernimmt die Liebe die Übermittlung von Ego-Alter-Synthesen und ermöglicht es dem Ego
die gesamte Welt von Alter als Prämisse für sein eigenes Handeln zu nutzen und unmoralisch
zu handeln (vgl. Luhmann 1978: S.69-72).
5 Evolutionäre Generalisierung
Seit Beginn des 19.Jahrhunderts geht man davon aus, dass sich durch die gesellschaftliche
Entwicklung und Evolution die Integrationsmittel und Solidaritätsformen der Gesellschaft
neuformieren müssen. Ihre Generalisierung und Spezifikation müssten zunehmen. In diese
Analyse bezieht Luhmann nun die Moral mit ein. Er fragt danach, welche Auswirkungen die
Evolution der Gesellschaft auf die Bedingungen der Achtungskommunikation hat (vgl.
Luhmann 1978: S.75-78).
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berücksichtigen, dass Alter in einem komplexen Interaktionsnetz steht und er nur vereinzelt
Zugang dazu hat. So ist für Alter eine Identität notwendig, die er in andere Interaktionen
mitnehmen kann (vgl. Luhmann 1978: S.78-79). ,,Alter ist in der Formulierung seines
Verhaltensprinzips durch eine Mehrheit von Bezugsgruppen getragen, die ihm
möglicherweise verschiedenartiges Verhalten abverlangen oder ihm gar verschiedenartige
Achtungsbedingungen aufoktroyieren“ (Luhmann 1978: S.79). Zweitens ergeht dies auch
Ego so. Er muss sein Achtungsverhalten gegenüber Alter vor anderen rechtfertigen können,
wenn Alter abwesend ist. Ego ist es nicht möglich, Liebe und Einheit zu suchen, wenn Härte
und Führung verlangt werden. Auch die Einnahme einer Perspektive eines bestimmten Alter
ist ausgeschlossen, wenn andere dadurch verärgert sind. Beide Seiten, Ego und Alter, sind
nicht frei. Sie müssen Rücksicht auf die Abwesenden nehmen und können sich nicht mehr
einer sozialen homogenen Realität hingeben (vgl. Luhmann 1978: S.80).
Alejandro Navas, Professor der Soziologie an der Universität Navarra (vgl. Universidad de
Navarra o.A.), ist der Auffassung, dass Luhmann die Moral am liebsten aus dem
gesellschaftlichen Leben auslöschen würde. Doch es bleibt ihm keine andere Wahl als die
Moral zu akzeptieren, da das Faktum der Moralität in der Welt verankert ist und sich nicht
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einfach abschaffen lässt. Navas kritisiert daran, dass Luhmann zu diesem Faktum keine
befriedigende Argumentation offenlegt. Des Weiteren empfindet er die Erteilung von
Missachtung und Achtung als fragwürdig (vgl. Navas 1993: S.302-303). ,,Es scheint mir
mehr als zweifelhaft, daß man darin das Wesen der Moral sehen könne“ (Navas 1993:
S.303). Denn auch bei Zustimmung dieses Punktes, würden sich mehrere Schwierigkeiten
ergeben. Entspricht eine Person den Erwartungen, wird sie nach Luhmann mit Achtung
belohnt. Navas verurteilt allerdings, dass Luhmann sich nicht dazu äußert, um welche Art
von Erwartungen es sich handelt oder welchen Ursprung sie haben, obwohl dies ein
wichtiger Aspekt für Navas ist (vgl. Navas 1993: S.303).
Daran anschließend geht Navas auf die von Luhmann genannten Bedingung für das
Entscheiden über Missachtung und Achtung ein. Luhmann akzeptiert diese Bedingungen,
aufgrund dessen er seinen Ansatz als empirisch bezeichnet. Doch Navas hinterfragt auch
diese Stellungnahme (vgl. Navas 1993: S.303). Er stellt Fragen, wie, ,,wie kommt die
gesellschaftliche Kommunikation dazu, solche Bedingungen aufzustellen? Wie wird
erreicht, daß der Ausdruck von Achtung bzw. Mißachtung der Beliebigkeit entzogen wird?“
(Navas 1993: S.303). Auf diese Punkte geht Niklas Luhmann nicht ein (vgl. Navas 1993:
S.303).
Auch Neckel und Wolf benennen Bedenken bei genauerer Betrachtung der Theorie. Sie
thematisieren, dass Luhmann bei seinem Versuch eine moralfreie Moraltheorie zu
formulieren, sich auf die Person bezieht und gerade dieser Bezug sehr fragwürdig ist (vgl.
Neckel/Wolf 1988: S.62). Denn sie lässt ,,erhebliche Zweifel an der normativen
Voraussetzungslosigkeit und mithin dem Allgemeinheitsanspruch der systemtheoretischen
Moralkonzeption aufkommen (…)“ (Neckel/Wolf 1988: S.62). Die Zuteilung von Achtung
findet personenbezogen statt und bezieht sich auf die Person als Ganzes. Das hat zur Folge,
dass in die moralische Beurteilung nicht nur Handlungseffekte, sondern auch deren
Intentionen miteinfließen. Die Bindung zwischen Moral und Achtung und dann eben diese
zur Person gilt nicht als universell. Diese Konstellation der Bindungen ist das Ergebnis der
geschichtlichen Evolution. Luhmann meint, dass lediglich die Achtungsbedingungen
historisch kontingent sind. Dies ist somit nicht der Fall, sondern auch die binäre Codierung
selbst ist es (vgl. Neckel/Wolf 1988: S.62-63). Weiterhin eignet sich der Bezug von Achtung
und Missachtung zur Person nicht, wenn man die Moral als universell gültige Kategorie
ansehen will. Die binäre Codierung knüpft an historische Symbole an, welche für die
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Bewertung von personaler Kommunikation oft nicht bedeutsam sind (vgl. Neckel/ Wolf
1988: S.64).
Zudem kritisiert Reese-Schäfer den Bezug zur gesamten Person. Er ist der Meinung, dass
der Achtungsbegriff überholt ist. Nach Luhmann ist nur lediglich eine binäre Zuteilung
möglich, eine Mischform kommt für ihn nicht in Frage. Reese-Schäfer betont jedoch, dass
in der heutigen ausdifferenzierten Gesellschaft Mischurteile normal sind. Auch die Person
kommt nicht mehr als Ganzes vor, sondern ist zerrissen (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.113-
114). Des Weiteren beurteilt Reese-Schäfer die Dualität von Achtung und Missachtung. Dies
scheint ihm nur noch auf unterorganisierte Gesellschaftsbereiche anwendbar zu sein. Als
Beispiel nennt er die Führungskraft in der traditionellen Gesellschaft. Für Führungskräfte in
modernen Gesellschaften kommt es dagegen nicht mehr auf Achtung an (vgl. Reese-Schäfer
2011: S.113). ,,Ein Politiker kann sich über viele Jahre höchster Wertschätzung erfreuen,
gerade weil er als prinzipienlos und als Schlitzohr gilt“ (Reese-Schäfer 2011: S.113).
Weiterhin werfen Neckel und Wolf dem Soziologen vor, dass Luhmann die Moral sehr
beschränkt darstellt. Nach ihm hat die Moral nur einen begrenzten Raum in Interaktionen.
Diese dürfen weder zu intim noch zu funktional bedeutsam sein. Hierdurch versucht
Luhmann sich dem Verdacht von Moralisierung zu entziehen. Die Moral wird verkürzt
dargestellt und findet nur noch im Alltag Raum als Vorlage zum Umgang mit Menschen,
wo Individuen flüchtigen Kontakt mit anderen haben. So kann die luhmannsche
Moraltheorie nicht das halten, was Luhmann zu Anfang verspricht. Er genügt somit seinen
eigenen Ansprüchen nicht, eine Moraltheorie zu formulieren, welche sich von der Moral
abgrenzt (vgl. Neckel/Wolf 1988: S.62+71-73). Neckel und Wolf gehen einen Schritt weiter
und schreiben:
Ein weiterer Kritikpunkt wird von Kneer und Nassehi genannt. Sie kritisieren die von
Luhmann formulierte Aufgabe der Ethik. Nach ihrer Ansicht beschränkt Luhmann sich dabei
zu sehr auf eine Seite, die der negativen Folgen von Moralisierung. Sie erinnern daran, dass
es sich hierbei um einen differenztheoretischen Ansatz handelt. Dieser hat die Aufgabe
sowohl die negative als auch die positive Seite von moralischer Kommunikation zu
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reflektieren (vgl. Kneer/Nassehi 2000: S.185). Sie meinen, ,,womöglich könnte die Ethik
einen kontrollierten Gebrauch der Moral empfehlen“ (Kneer/Nassehi 2000: S.185).
7 Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Niklas Luhmann mit seiner Moraltheorie
versucht, eine Supertheorie ohne moralische Begriffe zu formulieren. Dabei stellt er sich den
Traditionen der Soziologie entgegen. Dies äußert sich schon in der Definition des Begriffs
der Moral. Denn Luhmann versteht die Moral als Gegenstand. Sie ist eine spezifische Art
von Kommunikation und operiert mit einer binären Codierung. Durch den Code gut/schlecht
bringt sie menschliche Achtung bzw. Missachtung zum Ausdruck. Achtung und
Missachtung werden dabei auf die ganze Person zugeteilt. Diese Zuteilung unterliegt
bestimmten Bedingungen. Eine Kommunikation muss nicht zwangsläufig immer moralisch
sein, aber mit Moral und deren universellen Code kann alles beurteilt werden. Dabei ist
moralische Kommunikation nicht immer positiv zu bewerten. Durch sie können auch
Konflikte entstehen und Streit sich verhärten, indem eine Person ihre Stellung vertritt und
nicht davon ablässt. Dies bezeichnet Luhmann als Hauptproblem der Moral, welches nur mit
Hilfe der Ethik zu kontrollieren ist. Die Ethik ist nach Luhmann eine Reflexionstheorie der
Moral und nicht mehr Begründungstheorie. Sie hat die Aufgabe vor Moral zu warnen und
diese zu reflektieren und zu begründen.
Doch Luhmann fasst nicht nur die Ethik im Vergleich zur traditionellen Soziologie auf,
sondern ist beim Begriff der Freiheit ebenfalls entgegengesetzter Meinung. Er begreift die
Freiheit als Folge von Moral und nicht als Voraussetzung. Sie ist ein Produkt, welches aus
der Kommunikation entsteht. Denn jede Person hat die freie Wahl, ob sie die
Kommunikation annimmt oder ablehnt.
Nach Luhmann hat die Moral nicht mehr die Funktion der Integration. Als Alternativen
benutzt er den Interpenetrationsbegriff. Damit lenkt er den Moralbezug zur Beziehung
zwischen Beziehungen. Die Moralfunktion liegt darin, die personellen und systemischen
Kommunikationen zu verknüpfen, indem sie Codes verwendet. Es ist ein Prozess von
Codierung mit der speziellen Aufgabe anhand von Bedingungen die
Achtungskommunikation und die Ego-Alter-Synthesen zu steuern.
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In modernen funktional differenzierten Gesellschaften hat die Moral eine ambivalente
Bedeutung. Die Teilsysteme versuchen einerseits die Moralisierung zu verhindern,
andererseits sind sie auf die Unterstützung durch die moralische Kommunikation
angewiesen. Luhmann ist der Auffassung, dass die gesellschaftliche Evolution auch
Auswirkungen auf die moralischen Bedingungen der Achtungskommunikation hat. So ist es
Notwendig in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften die Moral zu generalisieren.
Bei der Beschäftigung mit der Funktion der Moral betrachtet Luhmann ebenfalls die
funktionalen Äquivalente der Moral. Er ist der Meinung, dass es notwendig ist, sich auch
mit den Alternativen zu beschäftigen, welche die Ego-Alter-Synthesen regeln könnten. Als
Alternativen nennt er Liebe, Anschlussrationalität und Recht. Durch die Ausgrenzung dieser
Alternativen gewinnt der Gegenstand der Moral an Konturen.
In der Kritik der Moraltheorie von Luhmann wird deutlich, dass er seinen eigenen
Ansprüchen nicht genügt. Neckel und Wolf kritisieren den Bezug zur Person bei der
Achtungszuteilung. Somit werden in die moralische Beurteilung neben den
Handlungseffekten auch Intentionen miteingeschlossen. So sind nicht nur, wie Luhmann
aussagt, Achtungsbedingungen, sondern auch der binäre Code selbst historisch kontingent.
Auch Reese-Schäfer meint, dass der Achtungsbegriff überholt ist und es in modernen
Gesellschaften die Möglichkeit einer Mischform geben müsste.
Neckel und Wolf behaupten sogar, dass bald das Soziale aus der Sozialwissenschaft
verschwindet und das Problem mit der Moral sich theoretisch ganz von selbst auflöse. Die
Moraltheorie von Niklas Luhmann ist zwar als Supertheorie angesehen, aber es wird durch
verschiedene Kritikpunkte von unterschiedlichen Autoren aufgezeigt, dass sie sich nicht von
der Moral abgrenzen kann. Somit lässt sich abschließend festhalten, dass Luhmanns Theorie
nicht das halten kann, was er verspricht.
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Literaturverzeichnis
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und Ethik in der Theorie Luhmanns. In: Ruth Großmaß/ Roland Anhorn (Hrsg.), Kritik der
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berufliche Praxis (65-82). Wiesbaden: Springer Fachmedien.
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Suhrkamp.
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Joachim Hruschka/ Jan C. Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik/ annual Review of
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(zuletzt gesehen am 14.09.2020).
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