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Irene Breuer

Ontologie der Person und Geschichte


bei Husserl
Die diachronische Individualität des Selbst

1 Einleitung
Im Sinne der Herausarbeitung einer Ontologie der Person stellt Husserl in den
Ideen II die Frage nach den Arten von Realitäten und ordnet sie in Stufen oder
Schichten ein. »Allgemein gesprochen dient der ontologische Stufenbegriff dazu,
einen Zusammenhang zu formulieren, der die Heterogenität von Entitäten respek-
tiert und ihre Einheit trotz und in der Verschiedenheit verständlich macht.«¹ Ein
Vorzug von Stufenontologien ist, dass sie die unser Selbstverständnis prägende Be-
sonderheit, d. h. Personen zu sein, gegenüber anderen Lebewesen bewahrt.² In
diesem Sinne entwirft Husserl ein Schichtenmodell, das folgende Stufen aufweist:
1) leblose, materielle Natur, 2) der Mensch als beseelter Körper, 3) der Mensch
als Person beziehungsweise als Geist. Die dritte Stufe des ontologischen Modells,
die uns hier interessiert, gehört zur »persönlichen Realität«: Es ist »das persönli-
che Ich« als das »Menschen-Ich«.³ Während die ersten zwei Stufen in der natürli-
chen, lebensweltlichen Einstellung erfasst werden, ist die dritte das Produkt einer
personalistischen Einstellung, die erst nach der Einklammerung der lebensweltli-
chen Einstellung, d. h. nach der Epoché, erfolgt. Die Ontologie erfährt hier einen
Bruch und erweist sich als problematisch, weil die unterschiedlichen Realitätsstu-
fen Korrelate unterschiedlicher Einstellungen sind. Der Weltentwurf ist deshalb
nicht ontologisch, sondern transzendental angelegt, weil er nur aufgrund der kor-
relativen Einstellungen möglich ist. Dieser Entwurf ist »ein subjektives Vorkomm-

1 Matthias Wunsch: »Stufenontologien der menschlichen Person«, in: Inga Römer, Mat-
thias Wunsch (Hrsg.): Person: Anthropologische, phänomenologische und analytische Per-
spektiven, Münster 2013, 237–257, hier S. 240.
2 Ibid.
3 Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philo-
sophie. Zweites Buch. Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution, Husserliana
[im Folgenden abgekürzt als ›Hua‹] IV, Marly Biemel (Hrsg.), Den Haag 1952, S. 252.
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nis in mir«,⁴ so dass alles, was ist, im eigenen Bewusstseinsleben verbleibt: Der
Weg zum transzendentalen Idealismus ist somit angebahnt.⁵ Es stellen sich hier
zwei Probleme heraus, die den Gegenstand der Untersuchung bilden: Erstens, der
Begriff der Person gehört nicht zur ontologischen Reihe, da er nur durch einen
Einstellungswechsel zu erfassen ist – Frage der Einheit der ontologischen Realität
– und zweitens, Dinge sind subjektiv-relativ, denn sie sind nur für ein geistiges
Subjekt gegeben, das somit die Bedingung der Möglichkeit der Realität der Din-
ge ist – Frage des Rückgriffs auf einen transzendentalen Idealismus. Die folgenden
Überlegungen sind dazu bestimmt, diese Fragen zu exponieren und die Einheit der
ontologischen Reihe zu etablieren. Es wird sich zeigen, dass Husserls Ausarbeitung
eines phänomenologischen ›Wesensbegriffs von Person‹ einerseits und diejenige ei-
ner rückläufigen Konstitution der Welt durch ein existierendes Ich andererseits, die
Instanzen darstellen, die die Einbeziehung der Geschichte und der Kultur in die
Ontologie ermöglichen. Auf diese Weise leistet die Herausarbeitung einer Onto-
logie der Person einen Beitrag zur Einbindung einerseits der Naturwissenschaften
in die phänomenologische Geisteswissenschaft und andererseits der Geschichte in
die phänomenologische Ontologie.

2 Husserls Schichtenmodell der Realität

Auf die Frage nach den Arten von Realität entwickelt Husserl ein Schichtenmo-
dell, das folgende Stufen aufweist: Als allererstes scheidet er die leblose »materielle
Natur«,⁶ die Gegenstand der Physik ist,⁷ von der Natur als »zweite Art von Realitä-
ten« ab, u.zw. als »beseelte«, »lebendige, animalische Natur«.⁸ Es handelt sich hier
um keine empirische Reflexion auf die Natur, sondern um eine apriorische Unter-
suchung, die transzendentalphänomenologisch verfährt. So sagt Husserl: »Es ist
klar, dass ›Natur‹ in diesem Sinne eine Sphäre ›bloßer Sachen‹ ist, eine Sphäre von
Gegenständlichkeiten, die durch eine apriori im Wesen des konstituierenden Be-
wusstseins vorgezeichnete Demarkation sich von allen anderen theoretisch zu be-
handelnden Gegenstandssphären abscheidet.«⁹ Dabei hebt er die Anschauungsdin-
ge von den Dingen der Welt scharf ab, indem er ihnen einen Zugang gewährt, der

4 Husserl: Erste Philosophie (1923/1924). Erster Teil. Kritische Ideengeschichte, Hua VII,
Rudolf Boehm (Hrsg.), Den Haag 1956, S. 226.
5 Vgl. Husserl: Erste Philosophie (1923/1924). Zweiter Teil. Kritische Ideengeschichte, Hua
VIII, Rudolf Boehm (Hrsg.), Den Haag 1959, S. 181: »Im Grunde genommen liegt
schon in der phänomenologischen Reduktion […] die Marschroute auf den transzendentalen
Idealismus vorgedeutet, wie denn die ganze Phänomenologie nichts anderes ist als die erste
streng wissenschaftliche Gestalt dieses Idealismus.«
6 Husserl: Hua IV, S. 27.
7 Ibid., S. 45.
8 Ibid., S. 27. Husserl macht deutlich, dass wir diese Naturobjekte in einer theoretischen
beziehungsweise »naturwissenschaftlichen Einstellung« erfassen, die erst nach der Re-
duktion von unseren alltäglichen Gemütsintentionen und alle aus ihr herstammenden
Apperzeptionen, wie die wertende, aufgedeckt wird.
9 Ibid., S. 25.
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nur durch eine »Art Ausschaltung, eine Art Epoch髹⁰ der alltäglichen Dingwelt
zu erlangen ist. Und dies ist so, weil in der wissenschaftlichen Betrachtung Realität,
oder Substantialität und Kausalität »untrennbar« zusammengehören, während in
der phänomenologischen Betrachtung dieses erste Naturding lediglich als Korrelat
des Anschauungsdings in seiner leibhaften Gegebenheit fungiert.¹¹ Damit macht
er deutlich, dass wir diese Naturobjekte in einer theoretischen beziehungsweise
»naturwissenschaftlichen Einstellung«¹² erfassen, die erst nach der Reduktion von
unseren alltäglichen Gemütsintentionen und allen aus ihr herstammenden App-
erzeptionen, wie der wertenden, aufgedeckt wird. Denn im gewöhnlichen Leben
sind wir von unserem Erkenntnisinteresse und von unseren Gemütsapperzeptio-
nen geleitet, so dass alle Gegenstände uns mit gewissen Wertcharakteren erschei-
nen. In der theoretischen Einstellung dagegen, fassen wir das erfahrene Ding in
seiner »Materialität« und in seiner »Beziehung auf ›Umstände‹«¹³ auf, d. h. in sei-
ner – so könnte dies genannt werden – ›relationalen Wirklichkeit‹. Durch diesen
Einstellungswechsel erfassen wir das »Reale«¹⁴ des phänomenalen Dinges. Hier-
aus wird ersichtlich, dass die regionale Ontologie der Natur zur transzendentalen
Phänomenologie gehört, die aprioristisch verfährt. In Bezug zur zweiten Art von
Realität – der beseelten Natur – interessiert uns hier die Unterscheidung zwischen
den verschiedenen Ichbegriffen, da Husserl hier einen neuen Ich-Begriff einführt:
den Ich-Mensch. Allererst haben wir, so Husserl, das reine (transzendentale) Ich,
ferner, das »reale-seelische« Ich, also das empirische Ich in seiner Einheit Leib-Seele,
unter welchem die »Einheit ›Ich-Mensch‹« zu finden ist.¹⁵ Spätere Präzisionen er-
geben den Begriff des personalen Ich, das eine »geistige Individualität« hat, einen
»Charakter, seine Sinnesart«¹⁶ besitzt. Dieser Begriff enthält »ein Plus«, mit dem
Husserl die Welthabe meint. Denn die Person beteiligt sich an der Welt durch
die Bildung von »Personen-Gemeinschaften« wie sozialen, rechtlichen und kirch-
lichen Institutionen.¹⁷ So wohnt den Begriffen ›Mensch‹ und ›Ich‹ eine Zweideu-
tigkeit ein: Zum einen sind der Mensch als »geistiges Reales« und das Ich als »per-
sonale[s] Ich« Objekte der »geisteswissenschaftlichen (personalen) Auffassung bezie-
hungsweise Erfahrung«; zum anderen ist der Mensch als »Natur« ein Objekt der
»naturwissenschaftlichen Anthropologie«, während das »seelische« Ich ein Objekt
der »psychologische[n] Auffassung« ist.¹⁸

10 Ibid., S. 27.
11 Ibid., S. 45.
12 Ibid., S. 27.
13 Ibid., S. 41.
14 Ibid., S. 43.
15 Ibid., S. 93.
16 Ibid., S. 140. Vgl. auch Husserl: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus
dem Nachlass. Zweiter Teil: 1921–1928, Hua XIV, Iso Kern (Hrsg.), Den Haag 1973,
S. 23 und Husserl: Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge, Hua I, Stephan
Strasser (Hrsg.), Den Haag 1950, S. 101.
17 Husserl: Hua IV, S. 141.
18 Ibid., S. 143.
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3 Umdeutung des reinen Ich – reflexives und vorreflexives Selbst

Diese anfängliche Doppeldeutigkeit des Ich-Menschen lässt sich auf einen drei-
fachen Bedeutungsumfang erweitern, wenn wir die Umdeutung des reinen, tran-
szendentalen Ich in Betracht ziehen. Denn Husserl scheint von der Neuauffassung
des Ich als Mensch zu der Revision des Ich als leerem Ichpol verleitet worden zu
sein:¹⁹ Das »reine Ich liegt aber auch im personalen Ich beschlossen, jeder Akt cogi-
to des personalen Ich ist auch Akt des reinen Ich […]«,²⁰ so Husserl. Trotzdem
muss zwischen reinem Ich und Person unterschieden werden, wie Marbach un-
terstreicht.²¹ Denn das reine Subjekt ist kein Allgemeines, sondern ist jeweils ein
»Ich selbst«, das sich seiner selbst bewusst und in sich selbst unwandelbar ist, ob-
wohl es sich als personales Ich in seinen Betätigungen, Aktivitäten und Passivitäten
wandelt.²² In der Selbstwahrnehmung, die eine Selbstreflexion des reinen Ich ist,
identifiziert sich das Ich als Subjekt in jedem cogito und als identisches Subjekt
der »mannigfaltigen Aktionen und Passionen«; korrelativ dazu versteht es sich als
Subjekt »der mannigfaltige[n] Habe« der affizierenden, vorgegebenen immanen-
ten oder transzendenten Gegenstände.²³ Denn das reine Ich kann nicht von seiner
Habe, die ihn jeweils affiziert, getrennt werden. Das reine Ich besitzt also einen
Kern von Selbstheit, der in der einzigartigen Selbsterfassung seines Verhaltens und
seiner Motivationen besteht und ihm daher von anderen reinen Ich wesentlich un-
terscheidet. Dieser Kern von Selbstheit ist seinerseits unreflektiert, da er Objekt der
Reflexion des reinen Ich ist. So setzt das reflexive Selbst ein vorreflexives Selbst vor-
aus, insofern es durch seine Affektionen und Passionen individualisiert ist. Durch
die Reflexion des reinen Ich »weiß ich von meinem unreflektierten Ichleben«,²⁴
denn »[d]as Ich ist ursprünglich nicht aus Erfahrung […], sondern aus Leben (es
ist, was es ist, nicht für das Ich, sondern selbst das Ich)«,²⁵ so Husserl. Das reine
Ich besitzt also einen Kern von unreflektierter, individualisierter Selbstheit, der seine
Identität ausmacht. Diese Selbstgegebenheit ist also die originäre Gegebenheits-
weise der Person. Nur sekundär erfährt sie sich selbst »im Sinne von assoziativer
Apperzeption«.²⁶ Die unreflektierte Selbstheit entfaltet sich also im faktischen Le-
ben als faktische Existenz und wird erst nachträglich als Persönlichkeit durch die
Reflexion des reinen Ich erfahren. Das reine Ich findet das vorreflexive Selbst als fak-
tisch Existierendes vor – dieses vorreflexive Selbst wird als ein vorhandenes Seiendes

19 Vgl. ibid., S. 311; Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologi-
schen Philosophie. Erstes Buch: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, Hua
III/I, Karl Schuhmann (Hrsg.), Den Haag 1976 [Textgrundlage ist der Text der 2. Auf-
lage der Ideen von 1922], S. 179 und Husserl: Hua XIV, S. 29.
20 Husserl, unveröffentlichtes Manuskript, Ms. A VI 21, S. 21a und b, zitiert in Eduard
Marbach: Das Problem des Ich in der Phänomenologie Husserls, Den Haag 1974, S. 315.
21 Marbach: Das Problem des Ich, S. 315.
22 Husserl: Hua IV, S. 103 f.
23 Ibid., S. 248.
24 Ibid.
25 Ibid., S. 252.
26 Ibid.
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von dem reinen, transzendentalen Ich erst nachträglich als solches entdeckt. Da
die Selbstreflexion »eine wesentliche konstitutive Funktion«²⁷ hat, kann sie als ein
rückwärtiger Konstitutionsprozess des Ich verstanden werden. Die vom transzenden-
talen Ich rückwärtig vollzogene Konstitution von Ich und von Welt erklärt den
besonderen Sinn von Husserls transzendentalem Idealismus, wie am Ende des Bei-
trags näher erläutert wird.

4 Die dritte Realitätsstufe: die persönliche Realität


Werfen wir jetzt einen näheren Blick auf die dritte Realitätsstufe: die »persönli-
che ›Realität‹«.²⁸ Es bedarf nach Husserl einer »Objektivierung höherer Stufe«,
wodurch wir einen »objektive(n) Geist«²⁹ erfassen, einen Menschen, ein »persön-
liches Ich« mit »›persönlichen Eigenschaften‹ oder Charaktereigenschaften« verse-
hen.³⁰ Dieses »persönliche Ich ist das Menschen-Ich«, es erfährt nicht nur sein
eigenes Verhalten, sondern dasjenige der Anderen »unter ihren umweltlichen Um-
ständen«. So »lernt er sich selbst als persönliche Realität kennen«,³¹ d. h. der Ich-
Mensch ist eine Person nur insofern er Mitglied einer Gemeinschaft ist: Person zu
sein heißt also, ein soziales Wesen zu sein.
Das persönliche Ich öffnet sich nicht nur zur Welt, sondern zu seiner eigenen
Geschichte: er entdeckt sein unreflektiertes Ichleben und lernt sich selbst kennen
als das Ich seiner Aktionen und Passionen, die sich in seiner Lebenszeit zeitlich ver-
ändern. Person zu sein heißt also, nicht nur Subjekt der cogito-Akte beziehungs-
weise der aktiven Intentionalität, sondern auch Subjekt der Affekte und Habitua-
litäten beziehungsweise der passiven Intentionalität zu sein. Die Selbstreflexion ist
also ein Prozess der Selbsterkenntnis und der Individuation in eins: Das Selbst
erkennt sich in seiner Selbstheit, insofern es die Geschichte seiner Wandlung als
seine eigene erfasst und als Selbigkeit, indem es dasselbe unter aller Veränderung
bleibt. Person zu sein heißt daher, ein geschichtliches Wesen zu sein. Die Person
wird also in ihrer diachronischen Singularität erfasst.

5 Person als freies Vernunftich – das Wesen der Person, ihre


individuelle Notwendigkeit

Husserl fasst dieses personale Ich als »Subjekt« der Vernunftakte, das »selbstverant-
wortlich« und »frei tätig« ist.³² Das Ich ist also für seine theoretischen Überzeu-
gungen und nicht nur für seine Handlungen verantwortlich, so dass die Person

27 Ibid., S. 251.
28 Ibid., S. 250, Fn. 1
29 Ibid., S. 244.
30 Ibid., S. 249.
31 Ibid., S. 250, Fn. 1.
32 Ibid., S. 269.
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zusätzlich einen »moralischen Charakter« hat.³³ In seinen Motivationen bekundet


sich seine »individuelle Eigenart«: Im Voraus beziehungsweise »apriori« ist eine
Mannigfaltigkeit von möglichen Akten oder Stellungnahmen denkbar, jeder Akt
aber ist »›a-priori‹ in einem neuen eigentümlichen Sinn« notwendig.³⁴ Dieses apriori
wird als eine »individuelle Notwendigkeit«³⁵ begriffen, denn sie betrifft das indi-
viduelle Einzelwesen: Ist das Ich »ein identisches« beziehungsweise ist das Wesen
der Person ein Unveränderliches, so ist für jedes Ich die »wirkliche Entscheidung
einsichtigerweise die einzig mögliche.«³⁶ Husserl versteht hier das Wesen noch in
einer aristotelischen Weise: Dem unveränderlichen Wesen liegen bestimmte Mög-
lichkeiten potentiell vor, die apriori, jedoch je nach Individuum und Umstände
andere, notwendig sind. Denn die »Person bildet sich durch ›Erfahrung‹«³⁷ so dass
durch die Veränderung der Motivationen der Mensch »ein anderer«³⁸ wird. Das
personale Ich ist also ein Selbst in seiner individuellen Geschichte und in seinen
lebensweltlichen Erfahrungen. Er wird als Selbst immer ein jeweils Anderer, ohne
dass er sich fremd wäre, da der Kern seiner Selbstheit erhalten bleibt. Unizität, Sin-
gularität und geschichtliche Wandelbarkeit charakterisieren also das personale Ich.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es Husserl in diesen Untersuchungen
darum geht, einen phänomenologischen ›Wesensbegriff von Person‹ auszuarbeiten.
Es gilt, nach allgemeinen Wesensgesetzen zu bestimmen, »was dieses nur im Ein-
leben in ein aktuelles cogito und den Zusammenhang der rückliegenden (habituell
gewordenen) Stellungnahmen und die Motivationsszusammenhänge zu erfassen-
de Ich ist, was ich als identisch durchgehende Person Ich eigentlich finde.«³⁹

6 Darstellung der offenen Fragen

Wie bereits erwähnt, mit der Auffassung des Menschen als Person erfährt das onto-
logische Schichtenmodell einen Bruch, wie László Tengelyi zu Recht hervorgeho-
ben hat:⁴⁰ Die dritte Stufe, wird nicht in der natürlichen, sondern in der persona-
listischen Einstellung erfasst, so dass der Weltentwurf nicht ontologisch, sondern
transzendental, d. h. aufgrund der korrelativen Einstellungen angelegt ist. Es ent-
steht hier die Frage der Einheit der ontologischen Realität.
Zu dieser Frage gesellt sich eine andere: die Frage des Rückgriffs auf einen tran-
szendentalen Idealismus. Denn Dinge sind subjektiv-relativ, sie sind nur für ein

33 Ibid., S. 271 f.
34 Husserl: Hua XIV, S. 22. Vgl. S. 24: Denn was für ein Ich »überhaupt […] möglich«
in einem bestimmten Zusammenhang und für das aktuelle Jetzt ist, ist notwendig
vorgezeichnet.
35 Ibid., S. 24.
36 Ibid., S. 22 f.
37 Husserl: Hua IV, S. 271.
38 Ibid., S. 266.
39 Husserl: Hua XIV, S. 17.
40 Mitteilung am Oberseminar »Husserls Schichtentheorie der Welt«, Bergische Universi-
tät Wuppertal, Fachbereich A, WS 2012/13.
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geistiges Subjekt gegeben, das somit die Bedingung der Möglichkeit der Realität
der Dinge ist. In den Worten Husserls: »Streichen wir alle Geister aus der Welt,
so ist keine Natur mehr«,⁴¹ d. h. alle Naturdinge sind relativ auf das absolute Be-
wusstsein, das als »ein für sich geschlossener Seinszusammenhang« gilt, und nicht auf
die Existenz der Welt angewiesen ist, wie es in den Ideen I heißt.⁴² Somit sondert
sich das absolute beziehungsweise immanente Sein von der Welt transzendenter
Dinge ab, die aber umgekehrt auf aktuelles Bewusstsein angewiesen sind.⁴³ Es
handelt sich also um eine einseitige Abhängigkeit der Transzendenz auf die Imma-
nenz, die, mit Tengelyi gesagt, »den Sinn des transzendentalphänomenologischen
Idealismus« bestimmt.⁴⁴

7 Die Frage der Einheit der ontologischen Realität – das offene,


geschichtliche Wesen des Ich als Person
Wenden wir uns dem ersten Problem zu: der Frage der Einheit der ontologischen Rea-
lität. Die Eingliederung des Ich als Person in die ontologische Reihe wird durch ei-
ne bahnbrechende Revision des Wesensbegriffs vorbereitet. Denn das Ding ist »so-
zusagen immer auf dem Marsch […], etwas, das nicht im voraus sein Wesen hat«,
sondern etwas, das »ein offenes Wesen hat (und) immer wieder je nach den konsti-
tutiven Umständen der Gegebenheit neue Eigenschaften annehmen kann«.⁴⁵ Es
handelt sich also um Eigenschaften, die nicht in seinem Wesen aktuell oder po-
tentiell vorliegen. Husserls Begriff der »Offenheit« richtet sich hier offensichtlich
gegen die aristotelische Ontologie der Formsubstanz: Das Wesen ist nicht als All-
gemeinheit, sondern als eine raumzeitlich bedingte Individualität aufgefasst. Diese
Offenheit des Wesens wird auf das Subjekt übertragen, insofern es wesentlich offen
für die Geschichte ist. In dieser Hinsicht sagt Husserl: »Das Ich ist nicht leerer Pol,
sondern Träger seiner Habitualität, und darin liegt, es hat seine Geschichte.«⁴⁶ Das
Ich als Naturgeist bekommt im Kontext seiner Kulturwelt neue Habitualitäten, die
die »interpersonale Kulturleistung im personalen Verband« ausmacht.⁴⁷ Diese Än-
derungsfähigkeit setzt voraus, dass »das Bewusstsein […] ein eigenes Wesen [hat],
ein fließendes und exakt nicht zu bestimmendes«.⁴⁸ Die Lösung der Frage nach
der Einheit der ontologischen Reihe besteht darin, die wesentliche Offenheit des
Bewusstseins mit dem Ich als Person zu verbinden. In den Worten Husserls, diese
»absolute Individuation (des Bewusstseins) geht in das personale Ich ein«.⁴⁹ Diese
41 Husserl: Hua IV, S. 297.
42 Husserl: Hua III/1, S. 105.
43 Ibid., S. 104.
44 László Tengelyi: »Husserls methodologischer Transzendentalismus«, in: Carlo Ierna,
Hanne Jacobs u. a. (Hrsg.),: Philosophy, Phenomenology. Sciences. Essays in Commemora-
tion of Edmund Husserl, Dordrecht 2010, S. 135–153, hier S. 140.
45 Husserl: Hua IV, S. 299.
46 Ibid., S. 300.
47 Ibid., S. 288 f.
48 Ibid., S. 301.
49 Ibid.
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Aussage ist deshalb ausschlaggebend, weil sie der Einsicht in das veränderungsfähi-
ge Wesen des personalen Ich besser Rechnung zu tragen vermag als das Argument
der Geschichte. Damit hängt eine Revision des Begriffs des menschlichen Geistes
zusammen. Denn »Geister sind eben nicht Einheiten von Erscheinungen, sondern
Einheiten von absoluten Bewusstseinszusammenhängen, genauer gesprochen Ich-
einheiten«,⁵⁰ so Husserl. Dies bedeutet, dass zum Geiste die spezifische Individua-
lität gehört. Diese Aussagen Husserls stellen die Einheit der ontologischen Reihe
her, denn die dritte Realität, der Mensch als Person oder Geist, ist die einzige
Realität, in der es absolute Individuation gibt. Der Mensch besitzt ein persona-
les, individuelles Ich, das ein Träger seiner Habitualitäten ist, eine Persönlichkeit
mit individueller Geschichte hat, und durch seine Kulturleistungen an die Natur-
dinge gebunden ist. Das Selbst ist also in seiner diachronischen Individualität zu
erfahren, so dass die Geschichte in die Ontologie eingebunden wird.

8 Die Frage des Rekurses auf einen transzendentalen Idealismus


Wiederholen wir die Aussagen Husserls: Der Geist ist »absolut« und »irrelativ«.
»Streichen wir alle Geister aus der Welt, so ist keine Natur mehr. Streichen wir
aber die Natur, […] so bleibt noch immer etwas übrig: der Geist als individueller
Geist.«⁵¹ Naturdinge kann es nur für ein geistiges Subjekt geben, so dass das Sub-
jekt Bedingung der Möglichkeit der Realität der Dinge ist. Die Lösung zu diesem
Problem, d. h. zu dem des Rückgriffs auf einen transzendentalen Idealismus, besteht
in der Anerkennung, dass »[r]eales Sein […] nicht nur überhaupt eine faktisch
seiende Erkenntnissubjektivität (der formal allgemeine Beweis des transzendenta-
len Idealismus), sondern reales Sein […] oder Sein einer realen Welt« zugleich
fordert.⁵² Eine bloß materielle Welt als Unterstufe erfordert eine existierende Sub-
jektivität, die diese Welt »rückwärts«⁵³ konstituiert, wie wir oben am Beispiel des
Ich gesehen haben. So sagt Husserl: »Eine Welt, die notwendig eine konstituierte
Welt ist, existiert, auch wenn die Konstitution keine aktuelle ist, und […] ohne
konstitutiv erfahren zu sein.«⁵⁴ Denn eine existierende Welt ohne Subjekte, »die
wirklich sie erfahren […] ist nur denkbar als Vergangenheit einer Welt mit solchen
Subjekten.«⁵⁵ Dies bedeutet, dass keine aktuelle Konstitution vonnöten ist um die
Existenz der Welt zu behaupten, sondern eben nur eine, die die Realität rückläufig
konstituiert. Die Natur ist also Gegenstand einer Rückbesinnung; die Welt fordert

50 Ibid.
51 Ibid., S. 297.
52 Husserl: Transzendentaler Idealismus. Texte aus dem Nachlass (1908–1921), Hua XXXVI,
Robin D. Rollinger, in Verb. mit Rochus Sowa (Hrsg.), Dordrecht 2003, S. 133. Das
Sein der realen Welt »ist zugleich nur so denkbar«, sagt weiterhin Husserl, »dass die
korrelative Erkenntnissubjektivität in dieser Welt leibliche Subjektivität, menschliche
ist.«
53 Ibid., S. 141.
54 Ibid.
55 Ibid., S. 144, Fn. 2.
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nicht nur ein aktuell existierendes Subjekt,⁵⁶ sondern eine »absolut rechtfertigen-
de[] erkennende[] Vernunft«, denn der Anfang muss ein »erkenntnistheoretischer
sein […], ein solcher […], der im Fortgang von absoluten Prinzipien geleitet ist«,
denn der Philosoph kann mit »keiner Vorgegebenheit anfangen«.⁵⁷ Dieser konsti-
tuierende Geist wird jedoch nicht als soziale Person verstanden: Die reale Existenz
der Naturdinge hängt nicht vom dem »individuelle[n] Geist als Person im engeren,
sozialen Sinn«, sondern vom transzendentalem Ich »mit seinem Bewußtseinsle-
ben« ab,⁵⁸ so Husserl. Wir sind also Produkte einer materiellen Phase, aber unsere
Existenz als Vernunftwesen beginnt mit unserem erkennenden Bewusstsein, das
rückläufig die materielle Welt konstituiert. Die Natur hat ontologischen Vorrang
eben deshalb, weil die Konstitution keine aktuelle zu sein braucht.

9 Die Ontologie der Person

In einem Text aus dem Jahre 1926 entwickelt Husserl eine »Ontologie der Per-
sonalität sofern sie Natur erkennende ist«,⁵⁹ die beide Probleme des Schichten-
modells in Ideen II in Beziehung setzt: Die »personale Ontologie« begründet die
»Ontologie der Natur«, die selbst ein »subjektives Gebilde«⁶⁰ ist. Die Ontologie
fängt aber mit der »Setzung dieser Welt« an, in der wir »als erfahrende, denken-
de etc. Subjekte darin beschlossen«⁶¹ sind. Das offene Wesen dieser Welt verlangt
in seiner Variation die Kompossibilität der Möglichkeitssetzungen, so dass eine
»mögliche Welt« entsteht: »Diese Leitidee einer möglichen Welt ist das Thema der
Ontologie«,⁶² so Husserl. So fängt die ontologische Reihe mit der Setzung einer
gemeinsamen faktischen Welt an, worauf stufenweise die Wesensnotwendigkeiten
möglicher Welten, möglicher Subjekte und die ontologischen Disziplinen aufbau-
en. Diese wiederum setzt nicht nur eine faktisch existierende, erkenntnisfähige
Subjektivität beziehungsweise eine apodiktisch faktische Existenz, die sagen kann:
»Ich bin, ich lebe in meine Welt hinein. Das Faktum kann ich nicht durchstreichen«,⁶³
sondern eine transzendentale Subjektivität voraus, die sie rückläufig konstituiert.
Denn obwohl die Welt für den Menschen faktisch ›da‹ ist, erhält sie erst »aus ihm
her Sinn und Geistesgestalt«. In den Worten Husserls: »Jede mögliche Welt ist
Welt für eine Subjektivität«.⁶⁴

56 Ibid., S. 140.
57 Husserl: Einleitung in die Philosophie. Vorlesungen 1922/23, Hua XXXV, Berndt Goos-
sens (Hrsg.), Dordrecht 2002, S. 48 f.
58 Husserl: Hua IV, S. 297.
59 Husserl: Zur Lehre vom Wesen und zur Methode der eidetischen Variation. Texte aus dem
Nachlass (1891–1935), Hua XLI, Dirk Fonfara (Hrsg.), Dordrecht 2012, S. 324.
60 Ibid.
61 Ibid., S. 339.
62 Ibid., S. 345.
63 Ibid., S. 338.
64 Ibid., S. 337.
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10 Fazit

Die Ontologie der Person stellt eine Schlüsselrolle dar, da sie nicht nur die begrün-
dende Instanz der ontologischen Reihe ist, sondern die ermöglichende Instanz für
die Einbeziehung der Geschichte und der Kultur in die Ontologie: Die Person
ist absolut individuell, doch ihr Wesen ist geschichtlich und kulturell wandelbar.
Kein solipsistisches Ich, sondern ein soziales Ich mit seinem intentionalen, indivi-
duellen Bewusstseinsleben konstituiert eine uns gemeinsame Welt.

Literaturverzeichnis
Husserl, Edmund: Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge, Hua I, Stephan Strasser
(Hrsg.), Den Haag 1950, Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomeno-
logischen Philosophie. Zweites Buch. Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution,
Husserliana [im Folgenden abgekürzt als ›Hua‹] IV, Marly Biemel (Hrsg.), Den Haag
1952.
–: Erste Philosophie (1923/1924). Erster Teil. Kritische Ideengeschichte, Hua VII, Rudolf
Boehm (Hrsg.), Den Haag 1956.
—: Erste Philosophie (1923/1924). Zweiter Teil. Kritische Ideengeschichte, Hua VIII, hrsg. von
Rudolf Boehm (Hrsg.), Den Haag 1959.
—: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Zweiter Teil: 1921–
1928, Hua XIV, Iso Kern (Hrsg.), Den Haag 1973.
—: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch:
Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, Hua III/I, Karl Schuhmann (Hrsg.),
Den Haag 1976 [Textgrundlage ist der Text der 2. Auflage der Ideen von 1922].
—: Einleitung in die Philosophie. Vorlesungen 1922/23, Hua XXXV, Berndt Goossens (Hrsg.),
Dordrecht 2002.
—: Transzendentaler Idealismus. Texte aus dem Nachlass (1908–1921), Hua XXXVI, Robin
D. Rollinger, in Verb. mit Rochus Sowa (Hrsg.), Dordrecht 2003.
—: Zur Lehre vom Wesen und zur Methode der eidetischen Variation. Texte aus dem Nachlass
(1891–1935), Hua XLI, Dirk Fonfara (Hrsg.), Dordrecht 2012.
Marbach, Eduard: Das Problem des Ich in der Phänomenologie Husserls, Den Haag 1974.
Tengelyi, László: »Husserls methodologischer Transzendentalismus«, in: Carlo Ierna, Han-
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of Edmund Husserl, Dordrecht 2010, S. 135–153.
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