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Maurice Merleau­Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, Vorwort

Eingangsfrage: „Phänomenologie – was ist das“ (3/I)

MP zeigt Bandbreite und Widersprüchlichkeit auf, indem er Husserl­
nahe gegen Heidegger­nahe Positionen (bzw. aus Husserls Spätwerk) 
gegenüberstellt.

Husserl Heidegger/Spätwerk Husserl
„Phänomenologie ist Wesensforschung  „Phänomenologie [ist] eine Philosophie,
(l'étude des essences) – alle Probleme, die alles Wesen zurückversetzt in die 
so lehrt sie, wollen gelöst sein durch  Existenz und ein Verstehen von Mensch 
Wesensbestimmungen: Bestimmung des  und Welt in der 'Faktizität' fordert.“ 
Wesens der Wahrnehmung etwa, des Wesens (3/I)
des Bewusstseins.“ (3/I)
„Phänomenlogie ist  „[Phänomenologie ist] eine Philosophie,
Transzendentalphilosophie, die die  die lehrt, daß Welt vor aller Reflexion
Thesen (les affirmations) der  in unveräußerlicher Gegenwart (comme 
natürlichen Einstellung, um sie zu  une présence inaliénable) 'je schon da 
verstehen, außer Geltung setzt.“ (3/I) ist', eine Philosophie, die auf nichts 
anderes abzielt, als diesem naiven 
Weltbezug (contact naïf avec le monde) 
nachzugehen, um ihm endlich eine 
philosophische Satzung zu geben.“ (3/I)
„[Phänomenologie] hat es abgesehen auf  „[Phänomenologie ist] Besinnung auf 
Philosophie als 'strenge  Raum, Zeit und Welt des 'Lebens' 
Wissenschaft'.“ (3/I) (compte rendu de l'espace, du temps, 
du monde 'vecus').“ (3/I)
„[Phänomenologie] ist der Versuch einer „Und doch spricht Husserl in seinen 
direkten Beschreibung aller Erfahrung,  letzten Werken von 'genetischer 
so wie sie ist, ohne Rücksicht auf  Phänomenologie', ja 'konstruktiver 
Probleme genetischer Psychologie oder  Phänomenologie'.“ (3/I)
Kausalerklärungen, wie sie 
Naturwissenschaft, Geschichte und 
Soziologie zu bieten vermögen.“ (3/I)

MP resumiert:
"Phänomenologie ist vollziehbar und ist erkennbar als Manier oder 
Stil, sie existiert als Bewegung, aber noch ist sie nicht zu 
abgeschlossenem philosophischen Bewusstsein gelangt." ­ "[La] 
phénoménologie se laisse pratiquer et reconnaître comme manière ou
comme style, elle existe comme mouvement, avant d'être parvenue à 
une entière conscience philosophique." (4/II) 

Und es ergibt sich ein Zielauftrag:
„Statt zahlreiche Zitate aufzureihen, gilt es, die Phänomenologie 
für uns zu fixieren und zu objektivieren... Phänomenologie ist 
zugänglich nur in der phänomenologischen Methode. Suchen wir also 
die bekannten Hauptthemen der Phänomenologie in Ausdrücklichkeit 
aneinander zu knüpfen, wie sie lebendig spontan sich selbst 
miteinander verknüpft haben (comme ils se sont noués spontanement 
dans la vie).“ (4/II) – das Explizieren des Selbstorganisierten.
Sodann werden der Reihe nach folgende Hauptthemen aufgedröselt:

[1] Beschreibung, Deskription (4­7/II­V)

[2] Phänomenologische Reduktion (7­11/V­IX)

[3] Eidetische Reduktion, Wesen (11­14/IX­XII)

[4] Intentionalität (14­16/XII­XV)

Marshall hierüber grundsätzlich: „In what follows, Merleau­Ponty 
gives a very Heideggerian interpretation of Husserl. Merleau­Ponty
is much more concerned with presenting the truth he finds in 
Husserl rather than what Husserl may have actually held.“ 
(Marshall 2008, 74)

ad [1]

Husserls Aufforderung an die anfangende Phänomenologie, noch 
verstanden als deskriptive Phänomenologie:

„Es gilt zu beschreiben, nicht zu analysieren und zu erklären.“ 
(4/

„Zurückzugehen auf die 'Sachen selbst' heißt zurückgehen auf diese
aller Erkenntnis vorausliegende Welt, von der alle Erkenntnis 
spricht und bezüglich deren alle Bestimmung der Wissenschaft 
notwendig abstrakt, signitiv, sekundär bleibt, so wie Geographie 
gegenüber der Landschaft, in der wir allererst lernten, was 
dergleichen wie Wald, Wiese und Fluß überhaupt ist.“ (5/

„Ich bin ... absoluter Ursprung, und meine Existenz geht nicht, 
als aus ihren Antezedentien, hervor aus meiner physischen und 
sozialen Umwelt, sie geht vielmehr auf diese hin zu und gibt ihr 
den Seinsgrund erst.“ (5/

Kritik am empirisch­intellektualistischen Komplex (Descartes, 
Kant, Jules Lagneau, Alain = Emile Chartier). Er setze an die 
Stelle der Beschreibung von Erfahrung deren Rekonstruktion. Kants 
Analysen seien rein noetisch, die „Welt auf die synthetische 
Aktivität des Subjekts“ gründend. Es sei Husserls Verdienst, dem 
die „noematische Reflexion“ entgegengesetzt zu haben, „die beim 
Gegenstand selbst verbleibt und dessen ursprüngliche Einheit 
auslegen, nicht erzeugen will“. (6/

„Die Wirklichkeit ist zu beschreiben, nicht zu konstruieren oder 
zu konstituieren. Das will sagen: Wahrnehmung ist nicht den 
Synthesen des Urteils, der Akte oder der Prädikation zu 
assimilieren.“ (6/
[ad 2]

Was ist „der wahre Sinn der vielberedeten phänomenologischen 
Reduktion“? (7/

„Vielleicht hat Eugen Fink, seinerzeit Husserls Assistent, den 
Gedanken der Reduktion am treffendsten formuliert, als er sie 
charakterisierte als das 'Erstaunen' angesichts einer Welt.“ (10/

„Phänomenologische Reduktion ist nicht, wie man geglaubt hat, 
Formel eines philosophischen Idealismus, sondern die einer 
Existenzphilosophie: auf dem Grunde der phänomenologischen 
Reduktion tritt Heidegger's 'In­der­Welt­sein' erst in die 
Erscheinung.“ (11/

Im Zusammenhang mit der Reduktion spricht Merleau­Ponty auch von 
dem „Weltinteresse, das uns doch definiert“, und von dem es zurück
zu treten gilt, „um es selbst als Schauspiel erscheinen zu 
lassen“. (11/

[ad 3]

„... doch deutlich ist hiermit, daß der Rückgang aufs Wesen [in 
der eidetischen Reduktion] nicht Ziel, sondern Mittel ist, daß 
unser tatsächliches Engagement in der Welt es bleibt, was es zu 
verstehen und zu begreifen gilt, was alle unsere begrifflichen 
Fixierungen polarisieren muß.“ (11/
Literatur:

Marshall, George J. (2008): A guide to Merleau­Ponty's 
Phenomenology of Perception. Marquette University Press.

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