Sie sind auf Seite 1von 8

Ulrich Fritz Wodarzik, Lampertheim

Hegels Geistmetaphysik mit Blick auf Plotins


Seelenproblematik
„Den Menschen allen ward zuteil, sich selbst zu
erkennen und vollständig zu denken.“1

1 D
 er metaphysische Ort des subjektiven Geistes in der
Enzyklopädie
Will man Hegels Geistmetaphysik, insbesondere Hegels Philosophie des subjektiven Geistes ver-
stehen, dann ist man gut beraten, wenn man zu seiner Enzyklopädie greift, ohne dabei die Phä-
nomenologie des Geistes und die Wissenschaft der Logik zu übersehen. In seinen drei Entwürfen
der Enzyklopädie schließt sich Hegel immer mehr den Neuplatonismus an, der durch Plotin und
Proklos seine spätantike Vollendung erfuhr. Hegel vertiefte dabei das typisch triadische Denken
der Neuplatoniker, indem er die Bewegung des Begriffs, als das Denken der Idee in den Vorder-
grund setzte. Das Ganze seiner systematischen Philosophie ist durch das dialektische „Gesetz
der Trias“2 bestimmt, ein technischer Ausdruck, der vielleicht den Begriff Trinitätsspekulationen
besser charakterisiert. Jenes Gesetzt nahm in Hegels Denken in seiner Wirkmächtigkeit immer
mehr zu, und so ist es auch heute, wie es die neueren Forschungen belegen.3
Der Seelenbegriff steckt in den triadischen Strukturen der Philosophie des Geistes. Die Anth-
ropologie oder die Seele4 erforscht den Teil der geistigen Tätigkeit des Menschen, der mit der
lebendigen und individuellen Körperlichkeit verbunden ist. „Der Geist ist als die Wahrheit der
Natur geworden.“ (10, 43)5 Phänomene des Geistes, etwa das Bewusstsein in seiner Reflexion,
oder die „Gewissheit seiner selbst; die unmittelbare Identität der natürlichen Seele“ (10, 199), wie
der theoretische,6 praktische und der freie Geist als Wille selbst, sind weitere drei Entwicklungs-
stufen. Man erkennt daran sehr schön, wie sich der objektive Geist mit seiner Trias7 an den sub-
jektiven Geist anschließt. Der Selbstbezug der Seele im Rahmen der Hegelschen Geistmetaphysik
beginnt bei der subjektiven Geisttriade als eine Entwicklungsstufe der Geisttrias8 als Vollendung
nach Natur und Logik. Diskursiv gliedert sich diese Ureinheit in die einzelnen, selbst triadisch
zergliedernden Momente, wie eine Art rekursive „Triadizität“.9 Die Entwicklung, kraft dieser tria-

1 Heraklit, Fr. 116.


2 Ich übernehme diesen Begriff, d. h. „Gesetz der Trias“ von Herrn Werner Beierwaltes, Denken des Einen, Frankfurt
am Main 1985, 208.
3 Ich denke an die bahnbrechenden Arbeiten im deutschsprechenden Raum von den Herren Werner Beierwaltes
und Jens Halfwassen.
4 Bezeichnung von Hegel in seiner Vorlesung Philosophie des subjektiven Geistes, vgl. GW 25.1.
5 G. W. F. Hegel wird zitiert nach der Werksausgabe in 20 Bänden, Frankfurt/M, 1986: (Band, Seite); die kursive
Schreibweise in den Zitaten stammt von Hegel.
6 Den theoretischen Geist differenziert Hegel tief in triadische Strukturen, vgl. Enz.. § 445, Zusatz am Ende.
7 Recht-Moral-Sittlichkeit.
8 Subjektiver –, objektiver – und absoluter Geist.
9 Hegel nennt das zuweilen auch Triplizität.
 Ulrich Fritz Wodarzik, Hegels Geistmetaphysik mit Blick auf Plotins Seelenproblematik 273

dischen Strukturen im Hegelschen Sinne, kann man gut durch den Satz verstehen: „was an sich
Geist ist, auch für sich Geist werden soll“.10 Der Mensch an sich, so z. B. das Neugeborene ist
immer schon Geist, aber er soll sich dessen auch bewusstwerden. Er soll sich unter allen natürli-
chen Umständen zu dem machen, was er eigentlich ist, d. h. sich vergeistigen. Die Anthropologie
und die Seele bilden ein erstes Moment in der Trias des subjektiven Geistes, weitere Entwicklungs-
zustände sind die „Phänomenologie des Geistes“ und „Der in sich bestimmende Geist, als Subjekt
für sich, der Gegenstand der Psychologie“.11 Die Seele bezeichnet Hegel pointiert mit Naturgeist:
„Der erste Teil also ist der Geist als Naturgeist, auf der zweiten Stufe ist der Geist in Relation auf
Andere, auf der dritten als reiner Geist in Relation nur mit sich selbst.“12 Die Trias „Anthropologie.
Die Seele“ gliedert sich in die natürliche-, die fühlende- und die wirkliche Seele. Diese einzelnen
Momente der Seelentrias differenzieren sich noch weiter. Man staunt über Hegels anthropologi-
sche Kenntnisse und die Fülle der Beispiele und der einzuordnenden Phänomene. Die berühmte
Phänomenologie des Geistes von 1807 ist „nur“ ein Moment in der Unterttriade des subjektiven
Geistes geworden. Die Hegelforschung hat sich daran mit und ohne Erfolg abgearbeitet.13
Seele ist die Idee der Einheit eines lebendigen Wesens, wie es der Mensch ist. Die Seele als
Geistseele hat Plotin zufolge ihren Ursprung im Geist, dem seienden Einen und dieses ist das Eine
in uns, das im diskursiven Denken als Einheit neben den Vielheiten erscheint. Diese gedankliche
Annahme des unum in nobis als ein Faktum der Vernunft,14 verhindert jeden skeptischen Angriff,
ferner jeden möglichen Regress oder auch Progress des Weiterbegründens im Sinne der schlech-
ten Unendlichkeit. Der subjektive Geist ist selbst nur ein Moment der Geisttrinität, und diese ist
ein Moment der Ur-Trinität Logik-Natur-Geist.15 Diese drei Teile der Enzyklopädie sind nacheinan-
der von Hegel in seiner berühmten Darstellung fixiert: Logik steht für das „ewige Sein Gottes vor
der Schöpfung“, Natur steht für die „Entäußerung“ der göttlichen Idee im Naturprozess und Geist
steht für die Rückkehr des Göttlichen aus seiner notwendigen Entäußerung zu sich. Es ist eine
Art Begriffskreisprozess, der die dialektische Dynamik expliziert.16 „Wir sehen im Ganzen drei
Sphären voneinander unterschieden, bestimmt so, dass sie τρίάς sind, jede ist zugleich wieder
das Ganze dieser Momente, es sind verschiedene Ordnungen der Erzeugung.“ (19, 475)
In der neuplatonischen Tradition hat die Ur-Trias die Gestalt Sein-Leben-Geist, die das dia-
lektische Gesetz der Trias formal-sprachlich darstellt. Eine Textstelle aus der Proposition 70 der
Elemente der Theologie des Proklos soll das explizieren: „Denn zuerst muss z. B. das Sein da sein,
danach Lebewesen und dann Mensch. Also ist etwas kein Mensch mehr, wenn das Vernunftver-
mögen es verlässt, es bleibt allerdings atmendes und wahrnehmendes Lebewesen. Wird es wiede-
rum vom Leben verlassen, dann bleibt noch das Seiende, denn auch, wenn jenes nicht mehr lebt,
ist das Sein noch da. Dasselbe gilt für alle anderen Fälle.“17

10 Vgl. I. Fetscher, Hegels Lehre vom Menschen, Stuttgart 1970, 29.


11 Enz. § 387 oder (10, 38).
12 GW 25.1, 9.
13 Vgl. das lesenswerte Buch von Jens Rometsch, Hegel Theorie des erkennenden Subjekts – Systematische Untersu-
chungen zur enzyklopädischen Philosophie des subjektiven Geistes, Würzburg 2007.
14 Wie ich es nennen will.
15 Diese Trias war bei den Alten: Logik-Physik-Ethik und geht auf Xenokrates zurück. Sie wurde von Kant vehement
verteidigt, vgl., Beginn der Vorrede zu: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Für Physik nimmt Hegel den umfassen-
deren Begriff Natur, wie auch für Ethik den Geistbegriff. Damit geht Hegel über Kant hinaus.
16 Drei Polaritäten werden dreimal durch eine Mitte vermittelt. Man denke an einem gleichseitigen Dreieck, in dem
eine Ecke die gegenüberliegende Strecke vermittelt. Man erinnere sich an das Fragment vom göttlichen Dreieck bei
Hegel (Rosenkranz).
17 Vgl. E.-O. Onnasch und B. Schohmakers, Proklos, Theoretische Grundlegung (griechisch-deutsch), Hamburg 2015,
83.
274 Hegel-Jahrbuch 2018

2 P
 lotins Hypostasen-Hierarchie und die Seele. Lineare
oder zyklische Dialektik?
„Somit hat Platon gewusst, dass aus dem Guten der Geist und aus dem Geist die Seele hervor-
geht.“18 Im Sinne der Selbsterkenntnis zeigt Plotin in der Enn. V 3 mit Emphase seine tiefe Über-
zeugung, dass die Seele als die den Menschen bestimmende Denkkraft über ihre eigene Grenze
ihres diskursiven Denkens hinausgehen muss, um auf ihren eigenen Ursprung zu stoßen. In der
Selbsterkenntnis wird sich die Seele ihrer Herkunft durch den Geist, den wirksamen Nous, der
nach dem Einen kommt, bewusst und begreift ihren „Grund und macht sich durch einen Einungs-
prozess mit ihm ihr eigentliches Selbst bewusst“.19 Die jeweils intensivere Seinsweise von Einheit,
anstelle der Vielheit ist die höhere oder ursprünglichere in ihrer wertvolleren Verwirklichung. Das
heißt der Einheitsgedanke ist vorherrschend, wie es die Vernunft fordert. Bei Plotin ist die Seele
ein Abbild des Geistes der ein Abbild des unerreichbaren Guten oder Einen ist. Er unterscheidet
im höchsten und vollkommensten Bereich drei Stufen oder Hypostasen: Hen, Nous und Psyché,
wobei unter Psyché das Seelische oder auch das Leben schlechthin zu verstehen ist. Gemäß der
Enn. V 1, 8–9 gilt: I. Das Eine („to hen“) ist das absolute Eine oder der ursprungslose Ursprung
(„a-pollon“). Es ist seins- und denktranszendent nur negativ erreichbar. (1. Hypothese des Parme-
nides) II. Das „hen-polla“, Plotin nennt es „Eines Vieles“, ist das seiende Eine, das „to hen on“ und
wird als Geist bezeichnet (2. Hypothese des Parmenides). III. Das „hen kai polla“ steht für Eines
und Vieles, und das ist bei Plotin die Seele (3. Hypothese des Parmenides). Diese ontologische
Reihenfolge, die sich an den Platonischen Parmenides orientiert, ist nicht zyklisch, wie bei Hegels
Triplizität im Sinne des Dreischritts. Bei Plotin liegt somit eine lineare Ordnung oder Hierarchie
von Vielheit zur Einheit vor. Um das Eine metaphorisch zu fassen, stelle man sich einen Erkennt-
niskegel vor; um das undenkbare Eine „zu fassen“, muss der einzige Apex, d. h. die Kegelspitze
„nach oben“ verlassen werden. So ist der Zielpunkt in unendlicher Ferne entrückt und damit im
eigentlichen Sinne unerreichbar. Damit ist Plotins dialektische Methode angesprochen. Die Basis
des Ereigniskegels bilde die Mannigfaltigkeit der Materie; von der kann aufgestiegen werden,
indem man immer mehr von sich wirft. Tu alle Dinge fort (ἄφελε πάντα), postuliert Plotin,20 um
zum Absoluten aufzusteigen. Es stellt sich sofort die Frage: wie kann Seintranszendentes über-
haupt irgendwas bewirken? Eine Deutung der individuellen Seele wie in der Anthropologie gibt
es bei Plotin nicht und damit auch keine seelischen Reflexionen in Ansehung der Verfasstheit der
Gegensätze des Wirklichen. So blieb dem Neuplatonismus „der Gedanke der unendlichen Sub-
jektivität, und diese als absolute Freiheit, als Ich verschlossen“.21 Der Sache nach hat Plotin wohl
als erster begriffen, dass sich die Ursprungsproblematik in einer triadischen Ordnung denken
lässt, also das absolute Eine, der Geist und die Seele. Nur hat er offengelassen, ob diese triadi-
sche Ordnung linear oder kreisförmig zu denken ist. Durch seine Stufenordnung der Hyposta-
sen scheint Plotin eine lineare Ordnung mit einem unerreichbaren Letzten vorzuziehen. Hegel
favorisiert mehr die zyklische Ordnung des Proklos. So entstehen zwei verschiedene dialektische
Methoden.
Für Hegels Denken waren drei Themenkomplexe maßgebend: Die Platonische Ideenlehre
und die Dialektik, die Aristotelische Seelenlehre und Theologie22 und die neuplatonische Ein-

18 Vgl. W. Beierwaltes, Das wahre Selbst, Frankfurt 2001, 19.


19 Ebd., 99, kursiv im Original. Das Denken des Absoluten ist als das Denken seiner selbst vorstellbar. Mein Sein ist
mein Denken.
20 Enn. V 3, 17, letzter Satz. ἄφελε πάντα drückt die Dialektik Plotins in maximaler Kurzform aus.
21 Die Hegelstelle ist entnommen aus W. Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, Frankfurt am Main 2. Aufl. 2004,
170, mit Bezug zu Hegel.
22 Vgl. das Aristoteles-Zitat am Ende der Enzyklopädie, „νοήσεως νόησις“.
 Ulrich Fritz Wodarzik, Hegels Geistmetaphysik mit Blick auf Plotins Seelenproblematik 275

heitsmetaphysik.23 Trotzdem wirft er Plotin vor, mit „bunten Bildern“ (19, 463) zu argumentieren.
Wie kann das Hen geben, was es selbst nicht hat, und warum bleibt es nicht bei sich, d. h. warum
gibt es außer ihm überhaupt noch etwas? Erst Proklos transformierte diese Ideen in ein zyklisches
Denken, indem er auf genuine platonische und aristotelische Gedankengänge zurückgriff, ohne
dabei das absolute Eine als Einheit stiftendes zu verleugnen.24 Die triadische Struktur der Ideen
erkannt zu haben, ist Hegel zufolge die größte Leistung des Neuplatonismus. Hegel interpretiert
Plotins Geistmetaphysik mehr subjektivitätstheoretisch.25 Der Geist (nous) ist das seiende Eine
und hat eine prinzipiell-triadische Struktur, wie Plotin in der Enn. V 3 es darstellt.26 „So bringt die
Trias Sein-Leben-Denken [das dialektische Gesetz der Trias, U. F. W.] das Wesen des reinen Seins
als sich selbst denkendes Denken in der Drei-Einheit von ursprunghafter Einheit, Selbstunter-
scheidung in die Vielheit und Rückkehr der Vielheit in die Einheit.“27 Erkennen kann nur der, der
sich selbst als Geist geistig wahrnimmt, nachdem er ins Sein getreten ist, d. h. existiert, lebt und
über seinen eigenen Zweck und Wert nachdenkt.28
Über Plotin schreibt Hegel: „Der ganze Ton seines Philosophierens ist ein Hinführen zur
Tugend und zur intellektuellen Betrachtung des Ewigen und Einen, als der Quelle derselben. Und
er geht dann insofern ins Spezielle der Tugend, um die Seele von Leidenschaften […] zu reinigen.“
(19, 439) Den tiefen Gedanken der plotinischen Seelenmetaphysik betont Hegel: „Die Seelen aber
in der Welt sind dem Höheren verwandt. Wie sollten sie also von diesem abgeschnitten sein?“ (19,
440) Jede Einheit als ein Begriff oder gedachte Idee ist nur dann eine konkrete Einheit, wenn sie
Gegensätze belässt, aushält und zusammenführt. Die triadisch-dialektische Methode bei Hegel
ist anders, über Plotin schreibt er: „Er ist nicht dialektisch.“ (19, 463) In nicht zu übertreffenden
Weise bringt es Herr Halfwassen auf den Punkt: „Für Hegel geht das Denken nur aus sich heraus,
um zu sich selbst zurückzukehren, aber es geht niemals über sich selbst hinaus wie bei Plotin.“29

3 Z
 um neuplatonisch-triadischen Strukturprinzip:
μονή – πρόοδοζ – ἐπιστρoφή
„Am Anfang der Darstellung steht immer das reine Phänomen, das als solches hingenommen und
geschaut werden muss, um erst im Anschluss an diese Schau ‚begriffen‘ und durch das Begreifen
dialektisch bewegt zu werden. Diese phänomenologisch-dialektische Bewegung muss man mit-
vollziehen, wenn man Hegels Lehre vom Menschen verstehen will.“30 Bei den Neuplatonikern
wird der Ursprungsgedanke Platons eigens hervorgehoben. Das Gute ist über alles und in Allem,
als ein Überseiendes.31 Wenn das Eine (im Sinne des Hervorgangs in die Existenz) oder das Gute

23 Vgl. Beierwaltes, Denken des Einen, a. a. O. (Anm. 2), 223.


24 Ich meine damit „Die triadische Struktur der Kausalität“, wie sie in den Prop. 25–49 in den Elementen der Theolo-
gie des Proklos dargestellt wird. Dazu Onnasch/ Schohmakers, Proklos, a. a. O. (Anm. 17), Einleitung, XLVII.
25 Vgl. J. Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des
Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Hamburg 2005, 2. Aufl., 382–385.
26 Plotin, Enn., V 3, 5 +6. Diese zentrale Stelle der Geisttrinität in den Enn. V 3 zitiert auch Hegel, vgl. (19, 453). Die
drei Momente sind ineinander verschränkt, jedes Moment enthält die beiden anderen in der Art einer Perichorese.
J. Halfwassen spricht explizit vom „Selbstbewusstsein als triadische Einheit“, vgl. Halfwassen, Hegel, a. a. O. (Anm.
25), 373.
27 Ebd., 132 und die Anm. 147 dort.
28 Als ein Gleichnis: Wie kann ich die Wurzel einer Pflanze begreifen ohne den Vorgang des Blühens und des Über-
gangs zur Frucht.
29 Halfwassen, Hegel, a. a. O. (Anm. 25), 381, kursiv im Original.
30 Fetscher, Hegels Lehre vom Menschen, a. a. O. (Anm. 10), 18.
31 Vgl. Platons, Politeia, 509 b.
276 Hegel-Jahrbuch 2018

Platons (im Sinne der Rückkehr als Wert)32 als ein Unbegreifliches begriffen wird, dann zerfällt
das Eine in die xenokratische Trias: Logik – Physik – Ethik.33 Sie ist isomorph zur Trias Logik-
Natur-Geist, die in der Enzyklopädie weiter in Untertriaden ausdifferenziert ist. Der Urgrund all
dieser Triaden ist die neuplatonische triadische Struktur, d. h. das dialektische Gesetz der Trias:
μονή – πρόοδοζ – ἐπιστρoφή34 als Momente des Geistes. Diese Trias ist uns durch spekulative
Selbstoffenbarung gegeben, wie wir bei Hegel nachlesen können.35 Ausgedrückt seien die drei
zeitlosen Geist-Momente, auch als „Dreiheit von Weltordnungen“ bezeichnet,36 in meiner Inter-
pretation: A. Existenz, Einheit, Logik, den in sich bleibenden Gedanken, d. h. Sein an sich (μονή).
B. Werden, Vielheit, Natur als Abfall des göttlichen Gedankens von sich selbst, d. h. Leben für
sich (πρόοδοζ). C. Wert, Versöhnung, d. h. Geist oder Ethik an-sich-und-für-sich (ἐπιστρoφή). Die
Isomorphie dieser neuplatonischen Modelltriade und Hegels Begriffstriplizität ist offensichtlich.
Die Gestalt der Wahrheit scheint eine gesetzmäßig triadische Struktur zu besitzen.37 Der zen-
trale Begriff der Selbstoffenbarung hat nicht bloß in religiösen Kontexten Bedeutung, sondern
insbesondere in der Philosophie des Geistes, Enzyklopädie § 383: „Der Geist offenbart daher im
Anderen nur sich selber, seine eigene Natur; diese besteht aber in der Selbstoffenbarung. Das
Sichselbstoffenbaren ist daher selbst der Inhalt des Geistes und nicht etwa nur eine äußerlich
zum Inhalt desselben hinzukommende Form […].“ (10, 28). Diese genuine Begriffsstruktur ist das
entscheidende Substrat einer systematisch-paradigmatischen Philosophie und bildet eine Grund-
struktur unser logischen, natürlichen und geistig-freiheitlichen Wirklichkeit. Es ist die Einheit der
Idee in drei Sphären. „Wir sehen im Ganzen drei Sphären voneinander unterschieden, bestimmt
so, dass sie τρίάς sind, jede ist zugleich wieder das Ganze dieser Momente, es sind verschiedene
Ordnungen der Erzeugung.“ (19, 475) Wir haben so, I. Bestimmung des unvermittelten obersten
Prinzips, II. Phänomenale Entäußerung dieses Prinzips in der Natur und III. Die Stellung des Men-
schen als Geist und seine freiheitlich vermittelte Bestimmung zu seinem Ursprung. „[Es ist] der
Idee wesentlich, sich zu entäußern und aus der Entäußerung in sich zurückzukehren, [daher] ist
das Wissen des Geistes von der Idee zugleich das Wissen der absoluten Idee von sich selbst, d. h.
es ist die Selbsterkenntnis des Absoluten als Geist.“38 Geist bezeichnet nach Hegel die konkret frei
zu sich selbst gekommene, d. h. sich selbst erkannte Idee. Wir wissen, wenn wir wahrnehmen,
dass wir wahrnehmen, aber wir können nicht wahrnehmen, dass wir wahrnehmen. Die Wahr-
nehmung der Seele geht bis in unsere geistige Tätigkeit und von dieser zurück in die bewusste
Wahrnehmung. In mehreren Enn. behandelt Plotin die Seelenproblematik.39 Der Geist bestimmt
die Seele und die bestimmt die Materie (mens agit molem).

32 Mein Gedanke ist dabei: Hervorgang geht in Existenz oder Verursachung über (Negation des An-sich-sein oder
des Verharrens), Rückkehr zum Ursprung (log. Idee). Der Rückkehr-Begriff kann nur sinnvoller Weise mit dem Begriff
Wert oder Versöhnung (Ethik) umschrieben werden (als zweite Negation).
33 Siehe noch einmal Anm. 15.
34 Durch Plotin vorbereitet und von Proklos systematisiert, vgl., „Die triadische Struktur der Kausalität“, Proklos,
Elemente der Theologie, a. a. O. (Anm. 17) die Propositionen 25–49, insbesondere 31! Hier sieht man eine sprachliche
Darstellung des dialektischen Gesetzes der Trias. Keine deutsche Übersetzung kann diese Grundstruktur verflachen
oder gar verfälschen, dazu ist sie zu eindeutig!
35 „Wir haben überhaupt die Idee zu betrachten als göttliche Selbstoffenbarung, und diese Offenbarung ist in den
drei angegebenen Bestimmungen zu nehmen.“ (17, 216)
36 Beierwaltes, Platonismus, a. a. O. (Anm. 21), 183.
37 „Wahrheit kann mit Geist oder Idee identisch gesetzt werden.“ Vgl. ebd., 161.
38 Vgl. J. Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus, 2. Aufl. 2005, 102, kursiv im Original.
39 Alle drei Enn.: IV 3, IV 4 und IV 5 haben den Titel Probleme der Seele. Hier ist ein Zusammenhang mit meinem
Arbeittitel zu konstatieren. Ferner zur Seele, IV 7: Die Unsterblichkeit der Seele, IV 2, IV 1: Das Wesen der Seele, IV 6, 8,
IV 9: Die Einheit der Einzelseelen. I 1: Was das Lebewesen sei und was der Mensch?
 Ulrich Fritz Wodarzik, Hegels Geistmetaphysik mit Blick auf Plotins Seelenproblematik 277

4 Schlussfolgerungen
Die Unterschiede zwischen Plotin und Hegel sind unübersehbar, doch mit Proklos scheint Hegel
geistesverwandt zu sein.40 „Die Philosophie des Geistes hat den Geist als unser inneres Selbst zum
Gegenstande, – weder das uns und sich selbst Äußerliche noch das sich selbst schlechthin Inner-
liche, [sondern] unseren Geist, der zwischen der natürlichen Welt und der ewigen Welt steht und
beide als Extreme bezieht und zusammenknüpft.“ (11, 517) Das einzige und wahre Ziel der Seele
bei Plotin bedeutet das Eine zu berühren, indem man alle Gegensätze von sich lässt. Bei Hegel
bleibt dagegen die Seele ein Moment der Selbsterkenntnis des subjektiven Geistmoments. Das
unerreichbare Eine gibt es bei Hegel nicht. Wie ist Selbsterkenntnis möglich, wenn das Selbst
alles von sich weisen soll beim Aufstieg zum Einen? Bei Plotin gilt die Seele als eine Hypostase
des Geistes, bei Hegel dagegen, ist sie eine diskursive Zustandsform41 neben der Phänomenologie
und der Vernunft des subjektiven Geistes. Bei Plotin ist das Eine nichts von dem, dessen Ursprung
es ist; das Eine ist seins- und denktranszendent. Es ist, da nichts von ihm ausgesagt werden kann,
nicht „seiend“, nicht „Sein“, nicht „Leben“. Es ist über dieses alles hinaus.42 Diese Aussage ist für
Hegel ein unakzeptabler Gedanke, aber er ist von Plotin gedacht und damit seinem Inhalt und
seiner Geltung nach im Modus des Denkens. Das Sein des Geistes ist reine Selbstverwirklichung,
dagegen ist die Seele auf Gegenständliches bezogen in ihrem Einen und Vielen. Die Position der
Seele bei Hegel, tief in seinem Trialismus43 versteckt, hat eine völlig andere gedankliche Topolo-
gie, als die plotinische Seele, die als eine Sprosse seiner „Hypostasenleiter“ fungiert. Für Hegel
gilt, dass Sein mit dem Denken identisch ist, und so schließt er sich mehr Aristoteles an, als an
Plotin. Bei Plotin ist das Eine das unerreichbare göttlich Transzendente, bei Aristoteles ist das
Denken des Denkens. Weil also das Denken im Sinne des Parmenides reines Sein bedeutet, ist das
Denken des Seins das höchste Göttliche. Diesen Gedanken favorisiert Hegel, indem er ihn mit dem
dialektischen Gesetz der Trias verbindet. „Hegel hat demnach den eigenen Grundgedanken, dass
Sein konkret nur als sich selbstbegreifendes Denken sein kann und nur dieses Selbstbegreifen
des Begriffes absolute Idee zu werden imstande ist, in Plotins erstes Prinzip hineinprojiziert.“44
Weil für Hegel eine Wirklichkeit ohne aktive Vernunft nicht denkbar ist, transformiert er das Hen
Plotins rigoros nach seinem eigenen Gedankengang. Demnach denkt das Eine, weil es Sein ist, als
Geist. Für Hegel gilt nur das unum in nobis, d. h. das Eine in uns, denn nur dieses ist denkend für
uns am Anfang. Ich sage: der Mensch ist das Denken des Geistes, was auch seine Wahrheit und
seinen Wert ausmacht. Das Selbstdenken ist dann die Trinität Gedachtes-Denkakt-Denker,45 also,
wenn man so will wieder die Ur-Trinität Sein-Leben-Geist. Fetscher spricht in diesem Zusammen-
hang von der Dreiteilung des Menschen, sie steht im Hegelschen System am Anfang der Philoso-
phie des Geistes. Im Nous sind Sein-Leben-Denken fest verbunden. Das dialektische Gesetz der
Trias weist jede Einseitigkeit oder Antagonismus prinzipiell zurück. Eingebildete Mystik, Sehn-
sucht nach dem Einen und das in einseitiger Weise, ist mit dieser dialektisch-zyklischen Methodik
ausgeschlossen. Das gilt für jede Stufe in der Triadik, sei es in der Natur, der Logik oder auch bloß
im subjektiven oder objektiven Geist. Das allein scheint mir die wesentliche Stärke des hegel-
schen Systems zu sein. Plotin setzt eine lineare „Hypostasenleiter“ voraus, die mit dem absoluten

40 Ausführlich dazu Beierwaltes, Platonismus, a. a. O. (Anm. 21), 144–153 und J. Halfwassen, Hegel, a. a. O. (Anm. 25),
dort 5. und 6. Kapitel.
41 „Die Vollzugsform der Seele ist Dianoia: das Hindurchdenken durch die vom Nous dargebotenen Noemata, die sie
voneinander abhebend aufeinander bezieht, weil sie immer schon von dem fortblickt, was sie eigentlich sieht, und
deshalb das Noeton selbst als solches nicht erfasst.“ Vgl. K. H. Volkmann-Schluck, Plotin als Interpret der Ontologie
Platons, Frankfurt am Main 1966, 50.
42 Plotin, von mir paraphrasiert, vgl. Enn. III 8, 10.
43 Bezeichnung von mir, in scharfer Zurückweisung jeder Dualismus-Spielart.
44 Beierwaltes, Platonismus, a. a. O. (Anm. 21), 147.
45 Enn. V 8, 4, 31–37. „Eines wird also zugleich sein: denkender Geist, Denken und das Gedachte.“ Enn. V 3, 5.
278 Hegel-Jahrbuch 2018

Einen46 beginnt, Hegel favorisiert eine zyklische Anordnung. Der eine beginnt mit einem undenk-
baren Hen und der andere basiert sein Denken auf das Kreismodell, das tatsächlich anfangslos
ist, d. h. unvermittelt und zugleich vermittelt.47 Bei Hegel ist die Idee freie Subjektivität, die ihre
Bestimmungen aus eigner Ursprünglichkeit selbstständig setzt und nicht wie bei Plotin aus einem
unbegreiflichen absoluten Ursprung erst ins Sein kommt. Die denkende Seele ist der existierende
Begriff; aber in ihrem Vollzug wird sie des Ganzen verlustig, weil sie Vieles und Eines will.
Beide Denker begegnen sich im spekulativen Denken, aber ihre dialektischen Methoden sind
verschieden und daher auch ihre Theorien der Seele, was hier aus Platzgründen nicht weiter dar-
gestellt werden kann. Dialektik ist Entfaltung des Seins im oder als Denken und denkt Wirklich-
keit als konkrete Einheit von Gegensätzen. Dergestalt, dass jeder Pol das ist, was er ist, durch sein
Nichtsein des anderen. Ergänzen sie sich zu einem Ganzen, dann sind die Gegensätze konträr,
aber nicht kontradiktorisch. Beide Gegensätze haben ihren eigenen Wert und Anspruch auf unge-
störte Existenz. Bei Plotin sind die absolut einheitlichen Ideen ein Produkt des Hen. Für Hegel
ist die Identität von Sein und Denken offenbar das alleinige absolute Maß. Der Intellektualismus
Plotins ist nicht vollendet, was aber Hegel für sich beansprucht. Der Geist und das Hen fallen für
Hegel zusammen, d. h. er hält das oberste plotinische Prinzip im Grunde für entbehrlich und führt
so Plotin auf die aristotelische Konzeption zurück.48 Hegel will es auch nicht hinnehmen, dass der
Abstieg von dem Einen nicht denkbar sein soll, denn das unvermittelte Sein der logischen Ideen
„ist anfangs zwar da, kommt aber erst zu sich, dadurch, dass es aus sich heraustritt, alles andere
‚aufhebt‘ und wieder zu sich zurückkehrt“.49

Dr. rer. nat. Ulrich Fritz Wodarzik


Gotenweg 11
D – 68623 Lampertheim
wodarzik@gmx.de

46 Es ist nichts von dem, dessen Ursprung es ist, d. h. weder Geist noch Seele. „Plotins Gedankengebäude“ ist wie
ein Seinskegel und wird „zugleich ‚dekonstruiert‘: aus dem Einen (Hen) zum Geist (Nus) und zur Seele (Psyché) hin“
als „Hypostasenleiter“. Vgl. W. Beierwaltes, Das Wahre Selbst, a. a. O. (Anm. 18), 10.
47 Beim Kreis ist jeder Punkt auf der Peripherie Anfang und Ende zugleich. Ferner sei auf das dialektische Verhältnis
beim Kreis hingewiesen: es gibt einen Mittelpunkt und die durch die Radien vermittelten unendliche vielen Punkte
auf der Kreisperipherie, die aber wiederum durch die Radien zum einzigen Zentrum weisen. Man stelle sich ein Rad
vor: die Speichen vermitteln zwischen der Achse und Felge.
48 Vgl. V. Schubert, Plotin, München 1973, 14 f.
49 Ebd., 17. Wohin denn sonst? Jeder unendliche Regress oder auch Progress der in die Unbestimmtheit landet, wird
durch das Kreisdenken verhindert. Der Kreis wie auch die Sphäre ist endlich und unendlich zu gleich. Auch bei Nietz-
sche gilt der Gedanke: Das Unendliche ist nur zyklisch zu denken und „krumm ist der Weg zur Ewigkeit“ Mir scheint,
das war auch Hegel Grundgedanke seines philosophischen Systems.
Copyright of Hegel -- Jahrbuch is the property of De Gruyter and its content may not be
copied or emailed to multiple sites or posted to a listserv without the copyright holder's
express written permission. However, users may print, download, or email articles for
individual use.

Das könnte Ihnen auch gefallen