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HEGEL UND PLOTIN

Author(s): W. BEIERWALTES
Source: Revue Internationale de Philosophie , 1970, Vol. 24, No. 92 (2) (1970), pp. 348-357
Published by: Revue Internationale de Philosophie

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/23940613

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HEGEL UND PLOTIN

von W. BEIERWALTES

Das « und » im Titel stellt eine hermeneutisch schwierige Aufga


Nicht sollen gewisse Denkresultate Hegels und Plotins äusser
nebeneinander gepfählt werden. Einzig sinnvoll ist vielmehr, m
dische und sachliche Analogien in den vom Ansatz her verschiede
Denkstrukturen zu eruieren und sie aus ihrer jeweiligen Funk
heraus sich gegenseitig erläutern zu lassen. Dabei kann so
derselbe Aspekt, dieselbe Fragerichtung oder Problemstellun
auch die unter dem scheinbar selben Resultat sich verbergend
terschiedliche Intention in beiden Philosophien zu Tage tret
wird die hegelsche Plotin-Interpretation, gerade weil sie Plo
Wesentlichem systematisch umformt, zum Index eines p
phischen Engagements für dieselbe Sache unter verändert
schichtlichen Bedingungen, ober aber zur Erinnerung daran
an Denkmöglichem durch die Geschichte des Denkens end
eliminiert zu sein scheint.
Den zähen Firnis der aufklärerischen und kritizistischen Interpre
tationsgeschichte durch stossend hat Hegel den logisch-spekulativen
Sinn der neuplatonischen Philosophie wiedererkannt und ihn von
seinem eigenen Denken her begründet. Im Blick auf die geschichtliche
Situation und die philosophischen Konsequenzen des hegelschen
Durchbruchs ist es nicht allzu gravierend, dass Hegel gerade in der
Plotin-Auslegung Fehler gemacht hat, die sogar dem nicht reich be
gabten Philosophiehistoriker de Jong (vj auffallen konnten. Diese Fehler
werden im folgenden nicht noch einmal nachgerechnet ; es soll viel
mehr der springende Punkt deutlich gemacht werden, der eine Kom
munikation zwischen Plotin und Hegel überhaupt ermöglichte. Ob

(1) Κ. Η. Ε. de Jong, Hegel und Plotin, Leiden, 1916. Ziel dieser« Kritischen Studie»
ist es, die Arbeitsmethode und Denkart Hegels bzw. seiner Schule als unpräzis und inadä
quat zu entlarven.

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HEGEL UND PLOTIN 349

gleich Plotin als einem Neuplatoniker derselbe bedeutsame


tische Ort innerhalb der Hegeischen Konstruktion der G
der Philosophie zukommt, ist Hegels Kommunikation mit
aus weniger differenziert als die mit Proklos (2). Letztere
am Leitfaden der Begriffe Totalität, konkret, Trinität, D
Negation, Grenze und Leben eine gründliche Affinität in
struktur beider. Erstere dagegen basiert auf zwar wesentlich
doch allgemeineren Elementen einer Philosophie des a
Geistes bzw. Subjektes.

Konträr zu den in den Philosophiegeschichten Bruckers, Tiede


manns und Tennemanns gängig gewordenen, freilich auch system
gebundenen Diffamierungen oder Restriktionen des Neuplatonis
mus (3) hat Hegel Plotin und damit neuplatonisches Philosophieren
überhaupt vom Makel der Schwärmerei oder des irrationalen Phan
tasierens befreit. « Schwärmerei», ein« Name im Munde des kahlen
Verstandes» (4), entzieht sich dem metaphysischen Impuls und
Anspruch der Philosophie mit Leichtigkeit ab ovo, indem sie bereits
die Erhebung zu spekulativen Wahrheiten als phantastisch abtut.
Dies aber, die « Erhebung des Geistes in das Denken oder in die
Sphäre der Bewegung des Gedankens» (6), sieht Hegel als das Zen
trum der plotinischen und seiner eigenen Philosophie. Nicht-schwär
merisch ist Plotins Philosophie daher rational : ihr Prinzip ist die

(2) Vgl. hierzu meinen Beitrag Hegel und Proklos zur Festschrift für H.-G. Gadamer (Her
meneutik und Dialektik, Tübingen, 1970). Dort findet sich auch Näheres über die Stellung,
die Hegel dem Neuplatonismus in seinem System der Geschichte zugesprochen hat. In
einer eigenen Abhandlung versuche ich, den geschichtlichen und sachlichen Kontext zu
Hegels Plotin-Auslegung zu klären, der Goethe, Novalis, Schelling, Creuzer und den jün
geren Fichte umfasst.
(3) J. Brucker, Historia critica philosophiae, Leipzig, 1742, II. Bd., 217 ff. (im Kapitel
'de secta eclectica') ; D. Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, Marburg, 1793, 3.Bd.
(der verheissungsvollen Ankündigung S. 263 und dem versöhnlichen Epilog S. 431 f.
widersprechen S. 373, 382, 402 und 427 als systemgebundene Diffamierungen Plotins
gründlich) ; W. G. Tennemann, Geschichte der Philosophie, Leipzig, 1807, 6.Bd., z.B. S. 66.
(4) Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke (Jubiläumsausgabe),
XIX, 44( = 1. Auflage, Berlin 1836, 15. Bd).
(5) Hegel, XIX, 44.

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350 W. BEIERWALTES

«Vernunft, die in und für sich selbst ist» (e). In dem ene
Versuch, die Philosophie Plotins beim Begriff zu halte
Wahrheit ist ihm allein in der Vernunft und in dem Begreife
fasst er selbst die mystische Ekstase als einen rationalen
Akt, als Heraustreten aus dem Inhalt des sinnlichen Bewusstseins,
als « reines Denken, das bei sich selbst ist, sich zum Gegenstand
hat» (8). Reines Denken, das sich selbst 'Gegenstand' ist, träfe
freilich als Charakterisierung allenfalls auf den plotinischen νους zu,
nicht aber auf die Struktur des Aktes der Einung mit dem Einen selbst.
Dieser gerade überspringt im zeitlosen Augenblick das Denken,
das als dialektisches ausschliesslich — obgleich notwendig — Vor
bereitung der transrationalen, gegenstandlosen und daher diffe
renz-losen Einung sein kann. Die « Rationalisierung » der plotini
schen Ekstase ist vom Ansatz Hegels her durchaus verständlich.
Weil ihm eine nicht durch aktive Vernunft bestimmte Wirklichkeit
nicht vorstellbar ist, formt er das Eine Plotins rigoros nach seinem
eigenen Modell des Subjekts. Danach denkt das Eine, obgleich
Plotin — wenigstens in seinen späteren Schriften (9) — es strikt als
nicht-denkendes vorgestellt hat. Das Wesen des höchsten Seins,
des Gottes, ist das Denken selbst, oder : das « absolute Wesen ist im
Denken des Selbstbewusstseins gegenwärtig und ist darin als Wesen,
oder das Denken selbst ist das Göttliche » (10).
Gestalt-, Etwas-Sein und Sein überhaupt hat Plotin dem Einen
abgesprochen, weil diese Prädikate Differenzierung und damit Viel
heit im absolut Nicht-Vielen setzten. Hegel dagegen versteht das
plotinische Eine als das «reine Sein». 'Reines Sein' nun aber
nicht als das leere, noch unbestimmte, unvermittelte Sein im Sinne
des Anfangs Hegelscher Logik, sondern als die absolute Wirklich
keit an ihm selbst, reine Fülle, als solche « Grund und Ursache alles
erscheinenden Seins», «Wesen aller Wesen» (u). 'Sein' impliziert
höchste Objektivität, so dass das Eine nicht etwa als die — Kan
tische— Kategorie 'Einheit' und damit als blosses Regulativ der
Vernunft begriffen werden kann. Dies Eine, reines Sein, höchste

(6) Ebd.
(7) XIX, 42.
(8) XIX, 45.
(9) Vgl. hierzu J. M. Rist, Plotinus, The Road to Reality, Cambridge, 1967, 38 ff.
(10) XIX, 46.
(11) XIX, 47.

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HEGEL UND PLOTIN 351

Objektivität und produktiver Grund, ist und bleibt Gott und reales
Eines, obgleich es sich ins Vielcaufschliesst : es ist « der Zusammen
hang, die Diesselbigkeit selbst» (12).
Wenn nun das Eine qua Gott reines Sein ist, das Wesen Gottes
aber das Denken selbst ist, dann vollzieht sich das göttlich-Eine als
die Identität von Denken und Sein. Hegel hat demnach
den eigenen Grundgedanken, dass Sein konkret nur als sich selbst
begreifendes Denken sein kann und nur dieses Sichselbstbegreifen
des Begriffes absolute Idee zu werden imstande ist, in Plotins erstes
Prinzip hineinprojiziert oder den eigenen Gedanken als vorausleuch
tende Idee in Plotin wiedergefunden. Dem Fremdes Suchenden
erhellt und offenbart sich das Eigene ; der Interpret Hegel ist offen
sichtlich durch sich selbst als ein « Lehrling von Sais » gefangen :
« Einem gelang es, er hob den Schleier der Göttin zu Sais. Aber was
sah er, er sah — Wunder des Wunders, sich selbst».
Der jede andere Denkmöglichkeit ausschliessende und damit
auch dem Fremden gegenüber Gewalt brauchende Verstehens
horizont fHegels ist also als Subjektivität oder als Denken bestimmt.
Daher nennt Hegel die « Idee der plotinischen Philosophie «Intel
lektualismus» oder einen « hohen Idealismus, der aber
von Seiten des Begriffs noch nicht vollendeter Idealismus ist» (13) ;
letzteres offensichtlich deshalb, weil noch nicht 'Ich' und 'Freiheit'
zur Quelle und zum Explikationsfeld des Denkens geworden sind,
also das Problem der Identität von Denken und Sein noch nicht zu
reichend vom Subjekt her idealistisch gelöst ist : Sein ist
bei Plotin immer noch primär Sein und nicht Denken.
'Vollendeter Idealismus' ist für Hegel zudem dialektisch. Dia
lektik — unterschieden von einer mehr statisch verstandenen zwei
poligen Beziehung von In-sich-Seiendem — meint hier die prozes
suale Entfaltung des Seins im oder als Denken. Das im Anfang dieses
Prozesses schon implizierte Absolute 'wird zu sich' gerade durch
Aufhebung alles Anderen oder Negativen i η der Negation. « Be
sondere Existenzen » (14), wie Plotin sie im Intelligiblen und Sensiblen
setzt, können nicht sein. Sollte Plotin in diesem Sinne « dialek
tisch» und das heisst wahrhaft philosophisch sein, so müsste das

(12) XIX, 49.


(13) XIX, 47.
(14) XIX, 69.

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352 W. BEIERWALTES

« Hervorgehen » des Absoluten aus ihm selbst als eine


Selbstnegation denkbar sein ; die« einfache Einheit» de
dann nicht deshalb « absolute Negativität», weil nichts
mativ ausgesagt werden kann — auf diesem Modu
tivität aber insistiert Plotin — , sondern weil sie im Aufh
selbst, d.h. im Herausgehen aus ihn selbst sich selbst n
sich so zugleich zum vollendeten Sein des Begriffs ver
Herausgehen ist eben jene Negativität an sich» (15). Is
lute Negativität nicht produktiv im Sinne prozessualer
dung, so kann der« Fortgang (des Absoluten) zur Besti
oder sein « Sichaufschliessen » nicht den Anspruch auf
keit des Begriffs» (17) erheben. 'Notwendigkeit' des B
einmal sagen, dass ein Sichaufschliessen des Absolut
Pejoration, wohl aber als ein Prozess zur Vollendung s
zum anderen, dass ausschliesslich begreifende Rechtf
Sichaufschliessens legitim sein könne : ' Emanation ' ka
nur « gesetzt » sein oder « geschehen » (18), sie muss al
keit des sich begreifen wollenden Seins selbst zwingen
gemacht werden. Der Gebrauch von « bunten Bildern »
des Begriffs verschleiert eher den Hervorgang. Der g
träre plotinische Ansatz, der die grundsätzliche Unbeg
des « Abstiegs » gerade durch Bilder und Metaphern
darzustellen versucht, wird also rigoros auf den eigenen a
Der hegelsche Vorbegriff vom Absoluten, der in de
tion auch für den Begriff des plotinischen Einen massg
impliziert die Einheit von Sein und Denken sowie dere
zum vollendet-Absoluten hin. Den Anfang vollende
greifende Entfaltung ist Dialektik. Diesem Vorbegr
lektik und Absolutem kann die plotinische Dialekti
dem überseienden, vordenklichen Einen und dem das Sein seienden
und denkenden Geist adäquat gar nicht in den Blick kommen.
Die von Hegel teilweise zutreffend beschriebene Intention der
plotinischen Philosophie, dass sie nicht primär Erklärung der
Wirklichkeit sein wolle, sondern die « einzelnen Gegenstände als

(15) XIX, 53.


(16) XIX, 50.
(17) XIX, 52 ; 68.
(18) XIX, 52.
(19) XIX, 68.

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HEGEL UND PLOTIN 353

Anfang nehme» (20), und so abstraktiv


liehe fortschreite, um « dem Geist sei
Mitte der einfach klaren Idee» (21), zielt
die nicht-denkende απλωσις oder ενω
tinischen Philosophierens hegelisch :
bung ins « reine Denken » und damit i
Mutatis mutandis ist dies Hegels eige
Der Grund, warum Hegel die plotini
in ihr den Mysten der « spekulativen
wusst» (22) werden lässt, zeigt sich dah
Prinzip der Konnatur alitât von Erkenne
wenn das Eine reines Sein ist und als solches sich selbst denkt,
dann kann die Ekstase gar nicht — wie Plotin will — nicht-denkend
sein ; sie wird zum höchsten intellektuellen Akt des Men
schen.

II

1. Während der « intellektualistische » oder « idealistische » As


pekt, in dem Hegel Plotin sieht, das Wesen des Einen denaturiert,
ist er für den Geist ein abschliessendes Hermeneuticum. Im
plotinischen 'Geist' nämlich erkennt Hegel die Identität in
Differenz als Selbstreflexion vollzogen. Geist ist das Denken nu
Denken des Denkens, als das Sich-selbst-Finden seiner selbst (
Sich selbst denkend unterscheidet das Denken in sich das
Zu-Denkende und «hebt» die Unterschiede zugleich wieder
«auf». Der Denkakt ist demnach wesentlich Unterscheiden der
Unterschiede in sich, das durch deren «Aufhebung» oder durch
« Übergang» von einem zum anderen sich immer selbst gleich
bleibt (24). Der Geist ist daher einmal negative Einheit, indem
er das « Prinzip der Individualität», d.h. des Eigenseins der Ideen
in sich enthält, zum anderen aber ist er ρ ο s i t i ν e Einheit, indem

(20) XIX, 40.


(21) XIX, 41.
(22) XIX, 45.
(23) XIX, 50.
(24) XIX, 50 ; 55.

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354 W. BEIERWALTES

er das in ihm Différente in die Identität reflektiert und so wesentlich


auch « Beisichselbstbleiben der Betrachtung » ist (25).
Diese Auslegung Hegels trifft bei Plotin den Sachverhalt, dass
Sein und Geist 'eine Natur' sind (26) oder dass der Geist das Sein
der Ideen ist; wenn er die Ideen selbst denkt — und dies ist
sein Grund-Akt —, dann denkt er sich selbst als das Sein. Er ist
daher wesentlich die Identität von Denken und Sein : Sein legt sich
als Denken aus, Denken aber begreift sich im Sein als dieses selbst.
Die Identität ist als Einheit dergestalt zu verstehen, dass in ihr das
Geeinte differenzierbar bleibt : Geist ist πλήθος άδιάκρπον και αυ
διακεκριμένον (27). Andersheit als für Sein und Wirken des Gei
stes konstitutive Kategorie ist der Grund dafür, dass jedes einzelne
Zu-Denkende oder Gedachte (Idee) sich überhaupt zu artikulieren
imstande ist und dadurch als e s selbst fassbar wird. Andersheit
ist also nur von Selbigkeit her und auf diese hin zu verstehen. Sie ist
das bewegende und zugleich haltgebende Element in der « Objek
tivierung » des Denkens, das sich freilich — im Sinne Plotins —
nie im « Objekt » fixiert, sondern dieses als von sich selbst unter
schiedenes immer zugleich aufhebt, indem es in jedem Einzelnen das
Ganze perspektivisch durchscheinen lässt, d.h. im Einzelnen sich
als das Ganze mit-denkt. Andersheit wird so zur Garantie der Ein
heit des Ganzen : einer in sich differenzierten, gerade durch das Diffé
rente in ihr dynamischen, selbst-bewussten Einheit. Wenn das
Denken « denkt, macht es sich zu zweien, oder vielmehr, weil es
denkt, ist es zwei ('Objektivierung'), und weil es zugleich sich selbst
denkt, ist es Eines » (28). Der Geist also ist Einheit trotz Anders
heit oder durch sie ; das Eine selbst hingegen ist Einheit ohne
Andersheit, deshalb denkt es auch nicht. Plotin erscheint dies nur
konsequent, weil ihm Einheit ohne Andersheit — der absolute
Ausschluss des Vielen also — das« Werthaftere» ist gegenüber einer
Einheit i η der Andersheit. Anders der hegelsche Begriff der ab
soluten Einheit : er lebt allererst durch Negation und Andersheit.
Dieses Leben der Einheit ist das sich selbst begreifende und dadurch

(25) XIX, 51.


(26) V, 9, 8, 16f.
(27) VI, 9, 5, 16.
(28) V, 6, 1, 22 f. Zum Problem im ganzen vgl. W. Beierwaltes, Plotin. Über Ewigkeit
und Zeit (Kommentar zu III, 7), Frankfurt, 1967, 21 ff.

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HEGEL UND PLOTIN 355

sich ständig negierend-differenzierende und zugleich


thetisierende Denken als das zu sich kommende Absolute.
Da das aristotelische 'Denken des Denken's (νοήσεως νόησις)
nach hegelschem Selbstverständnis der adäquateste Vorgriff auf
seinen eigenen Begriff vom absoluten Denken oder Denkendes Abso
luten ist (29) und Plotin sich gerade durch seinen Geist-Begriff in
diese « höchste Region — ins aristotelische « Denken des Denkens »
nämlich—-geschwungen» hat (30), bedürfte es — für Hegel — bei
Plotin des Einen im Grunde überhaupt nicht oder aber der Geist
sollte erstes Prinzip sein ; da aber das plotinische Eine nicht aus
dem System zu eskamotieren ist, muss es wenigstens denken : eine
merkwürdige Ver kehr ung von Plotins eigener Kritik an Aristoteles,
dieser habe illegitim das Denken zum ersten Prinzip erhoben (31),
zugleich aber eine für Hegels Verhältnis zur Tradition aufschluss
reiche Wiederholung christlicher Rezeption des Neuplatonismus,
in der das nicht-denkende Eine mit dem sich selbst denkenden Gott
als dem absoluten Grund ineins gesetzt werden musste.
Gerade aus Hegels Auslegung des plotinischen Geist-Begriffes
wird deutlich : nicht einem Kritizisten oder gar einem metaphysik
freien Aufklärer, sondern am ehesten und nachhaltigsten einem Idea
listen konnte Plotin oder neuplatonische Philosophie überhaupt zum
bedenkenswerten Gegenstand oder gar zum Stimulans des eigenen
Gedankens werden. Das Denken beider nämlich hat sich — frei
lich von unterschiedlichen Voraussetzungen her und mit unterschied
lichen Konsequenzen — auf das Problem des Selbstdenkens des
Geistes und damit auf die Frage nach einem absoluten Selbstbe
wusstsein, in dem das Sein sich ausspricht, intensiv eingelassen.

2. Hegels Begriff des Absoluten ist von seinen geschichtlich kon


stitutiven Elementen her nicht zuletzt als spekulative Synthesis des
aristotelischen Begriffes des göttlichen Selbstdenkens und der
parmenideischen Identität von Denken und Sein zu ver
stehen (32). Zwar insinuiert Hegel, wie sich gezeigt hat, diesen Be

(29) Enzyklopädie (1830), nach § 577. Vgl. meine Abhandlung, Hegel und Proklos
(s. oben Anm. 2 S. 253 f.).
(30) XIX, 67.
(31) Vgl. Plotin, V, 1, 9, 7 ff.
(32) Hegel begreift das parmenideische « Denken» nicht als eine Grundstruktur oder
als die Artikuliertheit des « Seins », sondern setzt beide als gleichursprüngliche Momente

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356 W. BEIERWALTES

griff des Absoluten -— dazu noch als dialektisch geda


nur dem plotinischen Geist-Begriff, sondern auch dem
Einen, trifft sich jedoch für den Geist-Begriff mit eine
Intention von Plotins eigenem Parmenides-Verständn
nämlich hat Plotin Parmenides' Fragment 3 : « Dassel
und Sein » ' hypostatisch' gedeutet. Der Gedanke, die
sagen, dass nur dasjenige gedacht werden könne, was auc
weder bei Plotin noch bei Hegel auf, vielmehr wird τ
selbe», prädikativ verstanden und als Vollzug der zw
heit begriffen (33) : Diese ist Sein und denkt sich
Geist ist daher Denken und Sein in Einem ; oder in ihm, als
er selbst, ist Denken und Sein dasselbe. Freilich bleibt die Differenz
zwischen dem als νπόστασις die Identität von Denken und Sein
vollziehenden νοϋς Plotins und dem Subjekt Hegels : jener ist durch
das Eine zum Eigenen vermittelt und vermittelt die Seele, dieses
aber ist das in sich und mit sich vermittelte Ganze als das Absolute
selbst.

Die Tatsache, dass Hegel den parmenideischen Grund-Satz, durch


Aristoteles modifiziert, ausgesprochen und unausgesprochen, im
plotinischen νοϋς als neue hypostatische Einheit entdecken kann,
ist eines der klarsten Indizien dafür, dass sich Hegels eigener Geist
Begriff in dem plotinischen als einem Vor-Begriff zwar unklar aber
nicht blind spiegelt. Weil diese parmenideische Identität von Den
ken und Sein und das aristotelische Sichselbstdenken des Gottes für
eine dem absoluten νοϋς immanente Dialektik oder für seine Dyna
mik konstitutiv sind, kann im Blick Hegels auch der plotinische
(und nicht nur, durch die Triplicität, der proklische) Geist als ein
Concretum gelten. Dies aber impliziert, dass das Sich-in
sich-selbst-Unterscheiden des Geistes sich immerfort synthetisiert,
aufhebt oder versöhnt, nichts « Anderes » in ihm als abstrakt Nega

an, die sich gegenseitig auslegen. Sein ist demnach die Grundlegung seiner selbst als Den
ken : « Das Denken producirt sich, was producirt wird ist ein Gedanke ; Denken ist also
mit seinem Sein identisch, denn es ist nichts ausser dem Sein, dieser grossen Affirmation »
(Hegel zu ParmenidesFr. 8, 34-36, Werke XVII, 312. Dort und 313 verweist Hegel auch
auf die Parmenides-Interpretation Plotins).
(33) Plotin, V, 9, 5, 29 ; V, 1, 8, 15 ff. ; III, 8, 8, 8 ; I, 4, 10, 6. Vgl. meinen Kom
mentar zu III, 7, S. 25. Für eine geschichtlich genuine Interpretationsmöglichkeit siehe
U. Hölscher, Parmenides, Vom Wesen des Seienden, Reihe Theorie 1, Frankfurt, 1969, 81 ff.,
Ders., Anfängliches Fragen, Göttingen, 1968, 91 ff.

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HEGEL UND PLOTIN 357

tives in sich selbst fixiert sein lässt. Andersheit wird zum zwar not
wendigen aber denkend sich selbst aufhebenden Moment im Geht,
durch das er allererst zum Ganzen « concresciert». So ist Konkret
Sein hegelisch ein hohes Prädikat für neuplatonisches Denken :
« Nur als in sich sich bestimmendes Denken hat der Geist Sinn. Das
ist reine Identität des Denkens, das sich weiss, sich in sich unterschei
det, und nach der Seite dieses Unterschiedes sich bestimmt, darin
aber vollkommen durchsichtige Einheit mit sich selbst bleibt. Das
ist das Konkrete» (34). Das 'Konkrete' also ist die hegelische For
mulierung der plotinischen 'Einheit in der Verschiedenheit'.

Universität Münster.

(34) XIX, 7, über den Neuplatonismus im allgemeinen. Vgl. ebd. auch S. 10 und 14,
sowie meine Anm. 2 genannte Abhandlung S. 254 ff.

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