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IDEE UND ONTOLOGISCHE DIFFERENZ

von Bruno Lfebrucks, Köln


»»

Bei einem Vergleich einiger Gedanken Hegels und Heideggers möge es


sich mir um solche handeln, in denen beide Denker in einer gewissen Nähe
stehen. Es kann nicht der ganze Hegel, bei dem die Ansätze zu fast allem
liegen, was nach ihm philosophisch geschah, in Bezug zu einem lebenden
Denker gebracht werden, von dessen Fragen wir nicht wissen, ob sie schon
in der Zeit nach dem ersten Weltkriege die ihnen innewohnende Fruchtbar-
keit entfaltet haben oder ob sie so von einem Späteren aufgenommen wer-
den können, daß sie-im philosophischen Denken der Zukunft einen Platz
finden. Ein solches Vorhaben müßte immer zuungunsten Heideggers aus-
fallen. Es sei hier nur eine Nähe beider Denker in solchen Fragen
aufgefwiesen, in denen sie dem Wortlaut nach so wenig miteiiuander ge-
meinsam zu haben scheinen wie in den Worten der Überschrift dieses Auf-
satzes,
Die Frage, wie weit der Heideggersche Frageansatz noch im Räume der
Metaphysik steht, ist dabei nur dann in historischer Absicht gestellt, wenn
darin das systematische Interesse selbst enthalten bleibt. Die Untersuchung
wird sich in einem Zwischenbereich bewegen, für den wir heute noch
keinen Namen haben. Es ist der der Sprache selbst, die immer zugleich
systematisch und historisch, spekulativ und empirisch, individuell und allge-
mein, real und ideal, ja subjektiv und objektiv ist. Alles das muß hier
selbstverständlich unerörtert bleiben. Ebenso das Verhältnis von Intellek-
tualität und Sensualität. Wenn nihil est in lintellectu, quod non ante fuerit
in sensu, so muß mit dem.Hegel der Encyklopädie auch gesagt werden,
nihil est in sensu, quod non ante fuerit in intellectu. Satz und Gegensatz
dürften heute in gleicher Weise erhärtet sein. Eine Betrachtungsweise von
der anderen zu trennen, aus welchen wissenschaftlichen Idealen dieses auch
•immer geschehen möge, dürfte daher bereits zu jener schlechten Meta-
physik gehören, von der wir uns seit dem beginnenden 19. Jahrhundert in
immer wieder neuen Formen zu befreien versuchen.
In Die sechs großen Themen der abendländischen Metaphysik und der
Ausgang des Mittelalters von Heinz Heimsoeth scheint, wenn auch nicht
ausdrücklich intendiert, ein Verfahren geübt, das, dem Wissen sowohl um
die Unmöglichkeit des Nurhistorischen wie auch um die Naivität des Nur-
systematischen entstammend, sich in einer Atmosphäre bewegt, in der Takt
und esprit de finesse wieder ein philosophisches Gesicht erhalten. Auch
solches wäre erforderlich, -einige Probleme bei zwei Denkern zu verglei-
chen, die heute weder historisch noch systematisch überblickbar sind.
Wie weit gehören Heideggers Fragen in einen .wirklich oder nur ver-
meintlich nachmetaphysischen Raum? Gibt es überhaupt ein philosophisches.
Anliegen, das nachmetaphysisch ist, oder ist solches nicht besser wissen-
schaftlich zu nennen? Da niemandem eine solche Kennzeichnung zur Cha-

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rakteristik der Heideggerschen Fragen -einfallen wird, muß offenbleiben, ob
sie nicht außerhalb dieser Alternative stehen. Unsere Untersuchung fragt,
ob »es überhaupt metaphysikfreie menschliche Erfahrung gegeben habe oder
auch nur geben könne. Bei Heidegger werden -diese Fragen dringlich, weil
hier die Metaphysik nicht in der Meinung eines Abschiedes von der Philo-
sophie, sondern gerade zu ihrer Wiedergewinnung überwunden werden soll.
„Idee" wird immer im Sinne Hegels, niemals in dem Kants gebraucht
werden. Diese ist mit der ontologischen Differenz zwischen Sein und Seien-
dem bei Heidegger zu vergleichen. Beide Denker sollen dabei nicht gegen-
einander ausgespielt sondern möglichst in ein Gespräch gebracht werden.
Unsere These zur Auseinandersetzung Heideggers mit Hegel selbst, mit
der wir beginnen, wird lauten: Wenn die Transzendenz des Daseiaas ins
Sein das Tor zur Heideggerschen Ontologie bildet, so ist bei Hegel — mit
Rücksicht auf den Vergleich mit Heidegger — nicht nur diese Transzendenz
zu denken sondern auch die Rückkehr vom Sein ins Seiende. Das wird
Konsequenzen in sämtlichen hier behandelten Problemen haben.
Im Gegensatz zu den meisten Untersuchungen, die heute über diese
Fragen erschienen sind, gehen wir von der Hegeischen Denkweise aus. Al-
lerdings ohne die Naivität, heute als Hegelianer tauftreten zu wollen. Der
Gedanke der Hegeischen Dialektik ist vielleicht nur noch im Zusammen-
hang mit der Frage nach dem Wesen der Sprache fruchtbar zu machen.
Wieweit trägt der Mensch -als Sprachwesen dialektische Züge, die sich aus
seinem Angesicht nicht verwischen lassen, ohne ihn eines solchen über-
haupt zu berauben? Wenn für Heidegger dagegen die Dialektik lediglich
eine Verlegenheit der Metaphysik ist, so müßte es dem eigenen hier eben
angedeuteten Unternehmen förderlich sein, einige Klarheit über das Ver-
hältnis seines Denkens zu Hegel zu gewinnen, damit man sieht, ob selbst
von der Heideggerschen Frage aus schon ein Verdikt über die Dialektik
zu sprechen ist. Hier würde auch die Attitüde der Bescheidenheit, daß Heid-
egger doch nur eine Frage gestellt habe — 30 Jahre nach dem Erscheinen
von Sein und Zeit — den philosophischen Gedanken nicht fördern.
Heideggers Auseinandersetzung mit Hegel. Die Subjektität
In den Holzwegen findet sich unter der Überschrift „Hegels Begriff der
Erfahrung"1 eine Interpretation der Einleitung zur Phänomenologie des
Geistes. Gleich in den Ausführungen zum ersten Abschnitt wird, als sei
dieses selbstverständlich, die „Sache der Philosophie" mit einer Stelle aus
der Metaphysik des Aristoteles als ontologisch charakterisiert. Ist die Phä-
nomenologie des Geistes als Ontologie gefaßt nicht bereits unterbelichtet?
Hegel denkt in ihr die Wesensgeschichte des Bewußtseins.· Für alle von
Hegel so genannte „Reflexionsphilosophie11 ist „Wesensgeschichte1' bereits
ein Unbegriff, weil das Wesen stets ungesdiiditlich ged&dit werden müsse
und nur Reales eine Geschichte haben oder auch geschichtlich sein könne.
Hegel könnte darin, daß er nicht die Frage nach dem Seienden -als Seien-
den, die nadi dem Sein des Seienden stellt, dieiinbeantwortbar sein dürfte,
alle Ontologie, welchen Stiles auch immer, bereits überstiegen haben. Es
besteht hier die Aussicht, daß man von Heidegger her einen solchen Ge-
dankengang einen nihilistischen nennt. Wenn jemand die Frage nach dem

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Sein für unbeantwortbar hält, so hält er offenbar den Blick nicht dahin ge-
richtet, woher doch alles Seiende seinen Ursprung oder auch Anfang haber
nämlich nach, dem Sein. Aber was ist dieses Sein selbst? Nach Heidegger
ist es diese Frage, auf die die großen metaphysischen Denker ihre jewei-
ligen Antworten gegeben haben. Deshalb wird auch die Phänomenologie des
Geistes unter diesem Fragehorizont gesehen. Schließlich soll Hegel das Sein
selbst als ein höchstes Seiendes, nämlich als Geist bestimmt und damit ver-
fehlt haben. Ist das, was Hegel Geist nennt, wirklich eine Bestimmtheit des
Seins, gar »ein Seiendes, oder wird der Unterschied von Sein und Seiendem
innerhalb des Geistes am Werke sein, auch dann, wenn Hegel diese Voka-
beln nicht gebraucht?
Es bedarf keiner Betonung, daß Hegel die jeweilige Transzendenz des
Bewußtseienden in das Bewußt-Sein nicht in die als letzte und1 ausdrück-
lich zu stellende Frage nach so etwas wie dem Heideggerschen Sein gebracht
hat. Der überstieg wird vielmehr konkret in der jeweiligen Stufe an und
in der Erfahrung des Bewußtseins geleistet. Was Heidegger uns dagegen
zumutet, ist der Sprung von welcher der Stufen des Bewußtseienden auch
immer in das Sein. Es ist ein nichtchristlich vorgestelltes Absolutes — das
Einfachste, wie das Absolute noch je — das dann mit den Erfahrungen des
Christentums in vorchristliches, griechisches, schließlich in vorgriechisches
Denken mündet. Die Frage leitet uns auf -alle Fälle in eine unmenschliche
Dimension und wind schon daher immer nur zu Programmen führen. Wir
haben hier den Versuch einer nur ungegenständlichen Philosophie.
Nach Heidegger sieht es hier ganz anders aus. Hegel gehört als letzter
in die Reihe der großen Denker, die die Seinsfrage versäumt haben. Schon
in Sein und Zeit heißt es, Hegel habe, indem er das Sein als das
frunbestimmte Unmittelbare" bestimmte, sich zwar in derselben Blickrich-
tung wie die antike Ontologie gehalten, „nur daß er das von Aristoteles
schon gestellte Problem der Einheit des Seins gegenüber der Mannigfaltig-
keit der sachhaltigen ,Kategorien' aus der Hand gibt" (Sein und Zeit, S. 3).
Hat die Entdeckung einer großen Mannigfaltigkeit von Kategorien, darüber
hinaus das Durchschreiten der wirklich erreichbaren Stufen, die immer wie-
.der neue Vergegenständlichung nach der Entgegenständlichung nicht ein
stärkeres Festhalten der Einheit des Seins zur Voraussetzung, als der Ver-
such eines direkten Blicks auf das Sein? Das menschliche Gesicht des Seins
könnte darin dialektisch sein, daß es nur über die Mannigfaltigkeit der
Seienden und ihrer Kategorien, diese aber wieder nur im ständigen Hin-
ausragen des Blicks in das Sein zu gewinnen wären.
Heidegger deutet die Erfahrung des Bewußtseins bei Hegel als Vorstel-
len, gemäß der von ihm vorgenommenen bekannten Charakterisierung der
Metaphysik der Neuzeit. Es fällt auf, daß damit ein Ausdruck Hegels, den
dieser in der Auseinandersetzung mit Kant und »anderen Vorgängern
braucht, aufgenommen wird'. Aber bei Heidegger scheint etwas Grunds ätz-
lidieres als bei Hegel intendiert. Die „Subjekrtiität", „das Suibjektsein des
Subjekts, d. h. der Subjekt-Objekt-Beziehung" (Holzwege, S. 122) soll bei
Hegel darin bestehen, daß das Wissen sich zwar aus der Relation zu den
Gegenständen löst, aber: „Die Loslösung läßt dieses Vorstellen bestehen,
so zwar, daß dieses nicht mehr nur seinem Gegenstand nachhängt11 (HW.

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S. 125). Alle weiteren Momente der Absolutheit haben „den Charakter der
Repräsentation" (HW. S. 125). Wiederum fällt auf, daß Heidegger in diesen
Einwänden zugibt, daß das Wissen sich von den Gegenständen loslöse und
ihnen nicht einfach nachhänge. Selbst diese Loslösung habe jedoch nicht aus
dem Vorstellen herausgeführt. Wie sehr Hegel schließlich der bekannten
Charakteristik der Philosophie der Neuzeit geradezu als Kronzeuge zu die-
nen hat, zeige hier nur «die Wendung, die die Dialektik Hegels als eine
\Villensmetaphysik ansieht, in der, von „der Gewalt des Willens, -als wel-
cher das Absulute seine Anwesenheit (Parusie) will" (HW. S. 178) die
Rede ist. In dieser These steckt die Konstruktion einer Kontinuität, die von
Descaites bis Nietzsche reichen soll. In ihrem Gefolge hat sich heute eine
gefährliche Ansicht von dem Willenscharakter der ganzen Metaphysik der
Neuzeit herausgebildet, der zwar auf die von Hegel bekämpfte Reflexions-
philosophie zutreffen mag, von der der Hegel der beiden Hauptwerke da-
gegen weit entfernt gewesen sein dürfte.
Nach dieser kurzen Skizze einiger Thesen der Hegelinterpretation
Heideggers und der ebenso kurzen Entgegnung sei jetzt auf Heideggers In-
terpretation der Eiiüeitungsabschnitte der Phänomenologie des Geistes
selbst eingegangen, um daran zugleich die eben nur -angedeutete Auffas-
sung des Unterschiedes zwischen Idee und ontologischer Differenz heraus-
zuarbeiten.
In der Erörterung des ersten Abschnittes der Einleitung der Phänomeno-
logie kommt Heidegger zu dem echt Hegeischen Satze: „Dieses Bei-uns-an-
wesen, die Parusie, gehört zum Absoluten an und für sich" (HW. S. 120).
Es liegt also im Wesen des Absoluten, nicht platonisches Wesen zu sein
sondern zu erscheinen. Schon die Logik sagt vom Wesen des Wesens: „Das
Wesen muß erscheinen" (Logik II, S. 101). Darin liegt die Möglichkeit der
Konkretisierung des Wesens zum Begriff, die Möglichkeit dies Überschrei-
tens der Wesensphilosophie. Die Aesthetik Hegels wird die ursprüng-
liche Zusammengehörigkeit von Erscheinung und Idee im Bereiche der
Kunst festhalten.
Einige Sätze vorher heißt es bei Heidegger: „Das Erkennen des Abso-
luten steht im Strahl des Lichtes, gibt ihn zurück, strahlt ihn wider und ist
so in seinem Wesen der Strahl selbst, kein bloßes Medium, durch das der
Strahl erst hindurdifinden müßte." (HW. S. 120). Dieser Satz steht in der
Interpretation dessen, was Hegel im ersten Abschnitt in Auseinanderset-
zung mit der Kantischen Philosophie gesagt hat. In ihm ist — unter ande-
rem — gesagt, daß das Erkennen des Absoluten durch den Menschen zu-
gleich das Erkennen des Menschen durch das Absolute ist. Mit ihm allein
sollte daher schon die Auslegung des Wesens des Geistes als „Selbstbe-
wußtsein" hinfallen, wenn mit diesem nicht die Identität des Selbstbewußt-
seins des Menschen und' des Absoluten mitgedacht ist. In der Erkenntnis
des Absoluten ist das Absolute zugleidi erkennendes Subjekt wie erkanntes
Objekt. Zugleich ist die Erkenntnis der absolute Unterschied beider. Die
Gegenbewegung in der Phänomenologie des Geistes ist der Gang des Men-
schen zum Absoluten und der des Absoluten zum Menschen. Diese zwei
Bewegungen sind als ein Weg nicht vorzustellen, was ja unmöglich ist,
sondern zu begreifen. Sobald wir dagegen den absoluten Geist als Seiendes

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unter Seiendem vorstellen, werden diese Sätze sinnlos. Es können dann die
Wege von der sinnlichen Gewißheit zum absoluten Geist und der vom ab-
soluten Geist zur sinnlichen Gewißheit nicht ein Weg sein. Nicht weniger
als dieser Grundzug der Phänomenologie des Geistes ist es, der uns ver-
bietet, den absoluten Geist als ein Seiendes unter Seiendem vorzustellen,
was Hegel ja gerade Kant vorgeworfen hat. Das Absolute ist nicht Seien-
des. Eher schon wäre es Sein. Aber nicht Sein im Beideggerschen Sinne,
nicht Seiendes als Seiendes im Sinne des Aristoteles, 'auch nicht das Sein
im ersten Teile der Logik Hegels, sondern: Sein als Sein, Sein als Wesen,
Sein als die Einheit von Sein und Wesen, als Begriff. Wenn wir dagegen
den Hegeischen Geist ein Seiendes unter anderem Seienden nennen, so
haben wir ihn von der Philosophie der Neuzeit her als eine res verstanden
und darin das ganze Hegeische Werk beiseite gelassen.
Unsere erste Frage wird also sein, ob Hegel in der Phänomenologie des
Geistes das, was Heidegger die ontologische Differenz nennt, gedacht hat,
oder «ob wir nachträglich in ihn etwas hineinlegen, was wir nur von Heideg-
ger her kennen.
•Der 6. Abschnitt der Einleitung zeigt den Weg der Phänomenologie als
den radikalen Zweifel, ja, als die Verzweiflung an der Unmittelbairkeit alles
Seienden. „Das natürliche Bewußtsein wird sich erweisen, nur Begriff des
Wissens oder nicht reales Wissen zu sein" (Ph. d'. G., S. 67). Das natürliche
Bewußtsein: das sind alle Stufen, insofern sie noch ein Unmittelbares,
ein Seiendes als die Vergessenheit des Weges vor sich haben. Ob dieses
Seiende Ding, Kraft, Selbstbewußtsein des Anderen, das physiognomisch
Beobachtbare oder was immer ist, das alles ändert nichts daran, daß darin
der Gegenstand und der Mensch als ein Stück Natur gesehen sind, die in
Unmittelbarkeit zur Präsentation kommen können. Von diesem Verständnis
des Menschen als eines Seienden innerhalb der Natur im weitesten Sinne
des Wortes hat das natürliche Bewußtsein seinen Namen. In ihr haben das
natürliche Bewußtsein und alle Wissenschaften, die in seinem Bereich woh-
nen, ihre schlechte Metaphysik, die sie nur deshalb nicht sehen, weil sie
die ihrige ist. Auch die späteren Stufen des Bewußtseins in der Phäno-
menologie des Geistes haben immer ihre Unmittelbarkeit. Die Gegenständ-
lichkeit, die dem Bewußtsein wird, stellt -sich dann immer -als die Unwahr-
heit heraus. In dieser Gegenständlichkeit glaubt das jeweilig Bewußtseiende
schon den Zusammenfall von Denken und Sein zu erfahren. Aber wie soll
es sich hier um einen Zusammenfall handeln, wenn das Sein als Denken,
d. h. aber nicht als Gegenstand erfahren werden soll. Als Denken allerdings
im Hegeischen Sinne, nicht im Kantischen, da eine sogenannte Erfahrung
des Seins als Denken vom Kantischen Begriff des Denkens her den Eindruck
entstehen ließe, Hegel sei nicht nur Metaphysiker im Heideggerscjien Sinne,
sondern ein solcher, der die guten Kantischen Gründe gegen die Meta-
physik einfach vergessen habe.
Die jeweilige Stufe des Bewußtseienden hält sich unmittelbar für das
„reale Wissen14. Deshalb hat der nächste Schritt für sie immer die Bedeu-
tung des Todes, nicht narr des „qualitativen Sprunges" (Phänomenologie des
Geistes, S. 15). Sterben des Bewußt-Seins heißt Verlust der eigenen Wahr-
heit, nicht Tod eines Seienden. Der Weg des Bewußtseins als eines natür-

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liehen ist daher der Weg nicht des Zweifels, sondern der Verzweiflung, wie
sie Kierkegaard nicht radikaler gedacht hat. Das Leben in der Hegeischen
Phänomenologie erneuert sich nur im Tode und in der christlichen Kate-
gorie der Auferstehung. Einen anderen Weg zur Erkenntnis gibt es nach
Hegel nicht. Das cartesische Bewußtsein dagegen, das geradezu ans Prüfen
geht, das darin selbst nicht angezweifelt wird, ist nicht zum Zweifel an
der Subjektivität gekommen.
Heidegger gibt in der Erläuterung dieses Abschnittes eine nähere Be-
stimmung von Bewußtsein. Wissen bedeute vidi, ich habe gesehen. „Das
Perfekt des Gesehenhabens ist das Präsens des Wissens, in welcher Prä-
senz das Gesehene präsent ist" (HW. S. 133). Das ist durch alle Stufen der
Phänomenologie zu verfolgen, wenn wir von der an Husserl gemahnen-
den Aiusdrucksweise absehen. Das ist jedoch in den folgenden Sätzen nicht
mehr möglich. In ihnen wird nämlich Sehen als „Vor-sich-haben im Vor-
stellen11 gedacht. Das Vorstellen ist ideal im Sinne der perceptio. Darin
liegt nur die eine Hälfte der Hegeischen Auffassung des Bewußtseins.
Diese Hälfte bleibt abstrakt. Jede Stufe hat bei Hegel ihren Gegenstand,
[; | jede Stufe ist immer die Vergegenständlichung der gewesenen Geschichte
f des Bewußtseins. In dieser Vergegenständlichung ist die Geschichte zwar
l gegenwärtig, aber in Unmittelbarkeit. Die Wahrnehmung und das Wahr-
'· genommene zeigen darin nicht, daß sie unsere vergangene Geschichte sind.
; Wenn Heidegger also sagt: „In der Versammlung west das Gesichtete
an" iind „Die conscientia ist die Versammlung in die Anwesenheit von der
Art der Präsenz des Repräsentierten11 (HW. S. 133), so ist darin nur die
Hälfte der Geschichtlichkeit des Bewußtseins bei Hegel genannt. Die an-
dere Hälfte, nämlich die eigentliche Geschichte des Bewußtseins, die Hegel
mit dem dialektischen Wort „Erfahrung" bezeichnet, also die Erfahrung,
daß diese Unmittelbarkeit des Gegenstandes schon die Vermittlung, seine
unsichtbare Geschichtlichkeit in sich hat und als dieses geschichtliche We-
sen den eigenen Widerspruch ans Licht des Bewußtseins bringen wird,
worin das Bewußtsein sich erweist, auch nicht mehr Vorstellung in dem
von Heidegger angegebenen Sinne zu sein, sondern — einen Ausdruck
Jacob Burkhardts aufzunehmen, der gegenhegelisdi gedacht, dennoch ganz
im Räume Hegels steht — das „Wühlen" des Geistes selbst — das hier
nur sehr summarisch Anzudeutende ist von Heidegger nicht ausgesprochen.
Unsere These lautet daher: In dem dauernden Untergang der Gegenstände
der jeweiligen Stufen der Phänomenologie des Geistes haben wir die Tran-
szendenz des Bewußtseienden in das Bewußtsein und die Transzendenz
der seienden Inhalte in das Sein der jeweiligen Stufe. Dazu und zugleich
aber auch die Umkehr in das Seiende der nächsten Stufe, als die neue Un-
mittelbarkeit. Wenn wir daher heute mit Heidegger wohl die Transzendenz
vom Seienden ins Sein, aber nicht die Rückkehr vom Sein ins Seiende voll-
ziehen können, so scheint mir bei Hegel das volle Walten der ontologischen
Differenz — wie wir heiute mit Hilfe Heideggers sagen können — zwar
nicht ausgesprochen, aber am Werke.
Heidegger madit auf den Doppelsinn im Worte „Bewußt-Sein" aufmerksam.
„Das gebrauchte Wort ,-sein' meint jedoch gemäß dem langher gewohnten
Wortgebraudi zugleich das Seiende selber, das in solcher Weise ist. Der

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andere Name für dieses Seiende, das in der Weise des -Wissens ist, lautet
»Subjekt1: das überall schon Vor-liegende, Anwesende und daher alles Be-
wußtsein Begleitende: das Vor-stellende selber in seinem Vorstellen, das
sein Vor-gestelltes auf sich zu und so zurückstellt. Das Vor-stellen präsen-
tiert in der Weise der Repräsentation" (HW. S. 133,34). Mit anderen Wor-
ten: der ganze geschichtliche, genauer sprachliche Vorgang, der im Worte
Bewußtsein ausgesagt ist, interpretiert sich selbst „gemäß dem langher ge-
wohnten Wortgebrauch11 — als Seiendes. Dieser Gegenstand ist „das Sein
des Subjekts41. Aber nicht das Subjekt auf der einen Seite des Bewußt-
seins, sondern dieses als Ganzes, als „in sich reflektierte Subjekt-Objekt-
Beziehung". Diese trägt den Namen „die Subjektität11.
«Darin ist nun wiederum die andere Hälfte der Erfahrung des Bewußt-
seins bei Hegel ergriffen, nämlich die Vergegenständlichung zum jeweilig
Bewußtseienden und seinem Gegenstand. Bei Hegel dagegen besteht die
Dialektik der Erfahrung in der Einheit von Vergegenständlichung und Ent-
gegenständlichung.
Wird Hegel nach Heidegger das ens qua ens perceptum nicht über-
schreiten? In der Entfaltung dieser Frage heißt es, daß das natürliche Be-
wußtsein in allen Gestalten des Geistes lebt, ja, daß es jede der Gestalten
in seiner Weise lebt, „auch und gerade diejenige des absoluten Wissens,
das sich als die absolute Metaphysik ereignet, nur wenigen Denkenden zu-
weilen sichtbaru (HW. S. 137). Das natürliche Bewußtsein hat sich auch in
der letzten Stufe erhalten. Das werden wir bejahen müssen. Die Stufen der
Phänomenologie würden ohne Gegenständlichkeit, ohne Unmittelbarkeit, ohne
„-sein", ja ohne die Erhaltung der sinnlichen Gewißheit ein Denken vor-
tragen, von dem Kant dann mit Recht hätte sagen können, es fehle ihm die
Anschauung. Aber Heidegger meint mit dem Sididurchhalten der Gegen-
ständlichkeit die Seinsvergessenheit. Vielleicht vergißt Hegel das Sein ge-
rade dann nicht, wenn er über Heidegger hinausgehend das zugleich not-
wendige Moment der Gegenständlichkeit nicht vergißt. Ist schon in der Er-
haltung des natürlichen Bewußtseins der Zusammenhang der Hegeischen
Metaphysik mit der bestimmten Interpretation der Metaphysik der Neuzeit
unter der Signatur der „Subjektität" gegeben? Es heißt: „Diese Metaphysik
ist vor dem Positivismus des 19. und 20. Jahrhunderts so wenig zusammen-
gebrochen, daß vielmehr die moderne technische Welt in ihrem unbedingten
Anspruch nichts anderes ist als das natürliche Bewußtsein, das nach der
Weise seines Meinens die unbedingte, sich selbst sichernde Herstellbarkeit
alles Seienden in der unaufhaltsamen Vergegenständlichung von allem und
jedem vollzieht" (HW. S. 137,38). Es ist dieses unter anderem auch die Me-
taphysik des gesunden Menschenverstandes der im Gegenzuge zu Hegel
entstandenen Geisteswissenschaften, der sich selbst nach zwei Weltkriegen
immer noch für gesund und metaphysifcfrei hält, also offenbar noch schwe-
rerer Erfahrungen bedarf, um zur Einsicht in die eigene Metaphysik zu ge-
langen, es ist die Metaphysik der Technik, in die wir heute mit Hilfe der
Hegelschen Einsichten in das Sein der Arbeit einzudringen beginnen. Diese
Metaphysik ist nicht zusammengebrochen. Wir stimmen aus voller Über-
zeugung zu. Aber soll diese Metaphysik etwa die Hegels sein? Das müssen
wir schon deshalb bestreiten, weil Hegel in der Einheit von Entgegenständ-

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lichung und Vergegenständlichung nicht nur die Geschichtlichkeit sondern
darüber hinaus die Geschichte des Bewußtseins zu denken anfing.
Heidegger weiß wohl, daß die Hegeische Metaphysik nicht die der Ver-
gegenständlidiung ist. In dieser Metaphysik sähe sich das natürliche Be-
wußtsein in ein anderes Licht gestellt, heißt es, allerdings mit einem das
Zugeständnis wieder einschränkenden Zusatz: „ohne doch jemals dieses
Licht ials solches erblicken zu können" (HW. S. 138). Kann man eine solche
Behauptung machen, ohne auch nur auf die Bedeutung des Scheines im
zweiten Teile der Logik 'bei Hegel einzugehen? Wie kann im Denken Hegels
das natürliche Bewußtsein in der ihm eigenen Landschaft erscheinen, wenn
dieses Denken noch in ihr befangen ist. Die Erfahrung des Bewußtseins,
wie Hegel sie gedacht hat, ist notwendig der Abschied von dem, was das
Bewußtseiend'e vor dieser Erfahrung ist und von den dazugehörigen Gegen-
ständen. Wer diesen Satz bestreitet, bleibt in der eleatistisdien Tradition
der abendländischen Philosophie befangen, ja, letzten Endes wird er immer
<ier nur wissenschaftlichen Fixation des Gedankens erliegen. Die Erfahrung
jder Landschaft der Philosophie der Neuzeit, das Erscheinen des natürlichen
Bewußtseins in der ihm eigenen Landschaft muß daher bereits das über-
schreiten ihrer Grenze sein.
Die Verzweiflung des natürlichen Bewußtseins an seiner Wahrheit soll
nach Heidegger nicht Sache dieses natürlichen Bewußtseins selbst, sondern
Sache der Darstellung sein. Dem ist zu entgegnen, daß hier gar keine echte
Alternative vorliegt. Auch das natürliche Bewußtsein erfährt seine Entnatür-
lichung darin, daß es von Stufe zu Stufe an seinen Gegenständen verzwei-
felt. Andernfalls handelte es sich gar nicht um ein Bewußtsein, sondern um
ein Stück Natur. Wohl bleibt das natürliche Bewußtsein als natürliches er-
halten, als solches bleibt es in der metaphysischen stultitia des Selbstbe-
wußtseins. Daher die wachsende Hartnäckigkeit der Stufen gegen das Be-
stehen des eigenen Todes. Der Satz des zu vermeidenden Widerspruchs
kann als das Zeichen der Furcht des natürlichen Bewußtseins begriffen wer-
den, in seinen Grund zu gehen und darin eben als Bewußtseiendes „aufge-
rieben" zu werden.
Selbst wenn wir dem natürlichen Bewußtsein keine Entnatürlichung
zugestehen wollten, müßte Heidegger zugeben, daß wenigstens die Darstel-
lung Hegels in den Kategorien der Entgegenständlichung und Vergegen-
ständlichung die ontologische Differenz gedacht habe. Heidegger kann wohl
der Darstellung als dem sich vollbringenden Skeptizismus zusprechen, daß
das Zusehen der ursprünglich verstandenen Skepsis „sehend dem Sein des
Seienden" nachgeht. „Ihr Zusehen hat im vorhinein das Sein des Seienden
gesehen." Aber dieses ist nichts Hegel Eigenes, denn: „Die Denker sind von
Hause aus die Skeptiker am Seienden aus der Skepsis in das Sein" (HW.
S. 140). Nicht einmal die eine Hälfte seines Denkens, nämlich die Sicht in
das Sein, wird Hegel hier so zugestanden, daß man spürte, Heidegger habe
hier wirklich Hegel selbst vor Augen und nicht einen sogenannten Gang
der neuzeitlichen Philosophie. Zunächst wird zwar dem sich vollbringen-
den Skeptizismus zugesprochen, daß er „die Geschichtlichkeit der Ge-
schichte" (HW. S. 141) ist. Wir müßten selbst dieses Wenige — von Hegel
aus gesehen — immer noch für die abstrakte Hälfte halten. Denn die Ge-

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sdiichtlich/te;/ der Geschichte, die Realität des Realen, die Seiendheit des
Seienden, das sind immer noch Formulierungen, die die Hegelsche Einheit
von Sein und Wesen, den Begriff, nidit «erreichen, sondern im Wesen
stecken und damit in Wahrheit wieder nur gegenständlich geblieben sind.
Wenn wir das vollzogen haben, sehen wir vielleicht auch bei Hegel
den Grund des Verschweigens der Transzendenz ins Sein, wie hier der
Grund für das Schweigen der Kunst über die in ihr am Werke seienden
Abstraktionen liegen dürfte.
Dieses müßte in einer Interpretation der Auslegung der einleitenden
Abschnitte zur Phänomenologie gezeigt werden. Es sei hier nur auf -einiges
aius den Abschnitten 13 und 15 hingewiesen, was unsere Stellungnahme
verdeutlichen möge.
Der dreizehnte Abschnitt handelt von der Prüfung des Bewußtseins. Das
Bewußtsein prüft sich selbst. Es ist iür das Bewnißtseiende, daß der Gegenstand
unabhängig von -ihm ein Sein hat. Auf dieser Unterscheidung, die sich 'also
innerhalb des Bewußt-Seins vollzieht, beruht die Prüfung. Vergleicht das
Bewußtseiende innerhalb des Bewußt-Seins das, was an dem .Gegenstande
nur für «es ist, mit dem, was für es am Gegenstande an sich ist, so können
beide auseinanderfalten. Das Bewußtseiende sagt dann: ich muß mein Wis-
sen von dem Gegenstande ändern, um -es dem Gegenstande gemäß zu
machen. „Mein Wissen": dieses ist das Bewußtseiendeselbst. Alle undialek-
tische Philosophie, die sich immer an der Wahrnehmung orientiert und auch
so etwas wie das Bewuß t seiende nur in Analogie zu -einem Wahrgenom-
menen auffaßt, vergißt hier die Geschichte und Geschichtlichkeit des Be-
wußtseins, indem sie die Voraussetzung macht, dieses Bewoißtseiende bliebe
bei der Veränderung seines Wissens, also seiner selbst, unverändert. Alle
undialektische Philosophie phantasiert hier zu dem Bewußtsein ein Substrat
hinzu, das sie nicht finden dürfte.
Hierin besteht vielmehr die Veränderung des ganzen Bewußt-Seins, so-
wohl seiner subjektiven Seite wie seines Gegenstandes. In dieser Verän-
derung des Wissens wird 'also auch der von dem Bewußtseienden als an-
sichseiend gemeinte Gegenstand ein anderer. Das Bewußtseiende erfährt
in dieser Bewegung: was mir vorher das Ansich des Gegenstandes war, er-
weist sich jetzt, in Wahrheit nur ein Fürmidi des Gegenstandes gewesen zu
sein. Hegel sagt: „Es wird hiemit dem Bewußtsein, das dasjenige, was ihm
vorher das A n s i c h war, nicht an sich ist, oder daß es nur f ü r es (das
Bewußtsein) an sich war'1 (Ph. d. G. S. 72). Der Gegenstand des Bewußt-
seins also hält ebenso die Veränderung des Bewußtseins nicht aus. Auch er
wird verändert. So prüft sich das Bewußt-Sein nicht an einem ihm fremden
feststehenden Gegenstände. Es prüft sich selbst als Maßstab. Prüft es sich
vielleicht an «einem Prinzip, das es in der Hand hielte? Auch das ist leider
nicht möglich, denn von Stufe zu Stufe wird sich der Maßstab der Prüfung
ändern. Da hier die aus dem natürlichen Bewußtsein stammende Angst vor
der Ungesichertheit solchen Vorgehens einsetzt, 'entsteht die Frage nach
dem Prinzip einer solchen Änderung. Diese Frage wird mit dem »ersten Satze
des folgenden Abschnittes beantwortet: „Diese d i a l e k t i s c h e Bewe-
gung, welche das Bewußtsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als
an seinem Gegenstande ausübt, i n s o f e r n ihm d e r n e u e w a h r e

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G e g e n s t a n d daraus e n t s p r i n g t , ist eigentlich dasjenige, was E r -
f a h r u n g genannt wird11 (Ph. d. G. S. 73), Dieser Satz enthält mit der
Angabe des Prinzips den ganzen Gang der Phänomenologie des Geistes. Da
dieses Prinzip jedoch in der dialektischen Bewegung selbst besteht, hebt
dieser Satz die Philosophie als Prinzipienwissenschaft in die Dialektik auf.
In ihm ist gleichzeitig die Überwindung der Metaphysik des Wesens aus-
gesprochen, was dann die Logik, allerdings in einer sehr langen Denkbewe-
gung, durchführt. In ihm haben wir zugleich den Gedanken, daß nur die in
der abendländischen Philosophie bisher höchste Form der Spekulation das
Bathos der menschlichen Erfahrung, nach dem wir doch hoffentlich alle
streben, wirklich gewonnen hat.
DieDialektik derBewegung besteht darin^daß sie sowohl auf der Seite des
Bewußtseienden wie auf der seines jeweiligen Gegenstandes statthat. Ferner
darin, daß dem Bewußtsein „der neue wahre Gegenstand daraus entspringt11.
Nicht setzt sich ein bewegter Gegenstand zur Ruhe, sondern: aus einer
Bewegung des Bewußt-Seins entspringt wieder ein festes, der neue Gegen-
stand. Die Dialektik ist sowohl Einheit der subjektiven und objektiven
.Seite der Bewegung als auch die Einheit von Bewegung und neuem Gegen-
Island, in dem dann ja auch die Bewegung fortgesetzt wird. Die Geschicht-
lichkeit des Bewußt-Seins besteht darin, daß das Bewußtseiende wie der
Gegenstand als Unmittelbarkeiten der nächsten Stufe auftreten und zu-
'gleich Unmittelbarkeiten der.ganzen früheren Bewegung sind. Das Verges-
sen dieser Bewegung ist immer diese notwendige Unmittelbarkeit, die Er-
scheinung der Bewegung als neuer Gegenstand, als Seiendes, worin die Be-
wegung als Bewegung verborgen ist, wie immer im natürlichen oder wahr-
nehmenden Bewußtsein. Darin ist in der Natürlichkeit aller Stufeh ihre Ge-
schichte verborgen.
Darüber hinaus erscheint in der GegenständlichJceif das vorher ver-
meintliche Reale als Nurideales im neuzeitlichen Sinne. Es ist das Erschei-
nen der Erscheinung selbst. Hierzu gibt Hegel folgende Erklärung: „Das
Bewußtsein weiß e t w a s , dieser Gegenstand ist das Wesen oder das A n -
s i c h ; er ist aber auch für das Bewußtsein das A n s i c h ; damit tritt die
Zweideutigkeit dieses Wahren ein. Wir sehen, daß das Bewußtsein jetzt
zwei Gegenstände hat, den einen das erste A n s i c h , den zweiten, das
„ F ü r - e s - s e i n d i e s e s A n s i c h " (Ph.d.G., S. 73). Hier erfolgt also
nicht innerhalb der Subjekt-Objektbeziehung ein Zurückgehen in die Sub-
jektivität, sondern das Wissen von einem neuen Gegenstande. Dieser neue
Gegenstand ist das „Für-es-sein dieses Ansidi". Er ist die über den ersten
und alle früheren Gegenstände gemachte Erfahrung. Deshalb haben die Ge-
genstände solche Qualitäten, die uns ansprechen. Daß sie uns „ansprechen",
ist keine Metaphysik, sondern Erfahrung von Jahrtausenden. Nur bedurfte es
der äußersten Metaphysik, um solche Erfahrung als Erfahrung ernst zu neh-
men. Als neuer Gegenstand ist er zugleich die vergessene Vermittlung der
Erfahrung. Das Bewußt-Sein in der Phänomenologie arbeitet diese Vergeß-
lichkeit hinweg, allerdings wiederum nicht-mit einem Sciilage, sondern
immer wieder zu neuer, in ihrem Kerne jedoch von Stufe zu Stufe ungegen-
ständlidier werdender Gegenständlichkeit, von Stufe zu Stufe weniger
vergeßlich werdender Vergeßlidikeit, da es sidi als natürliches Bewußtsein

' 277
sdiiditlidike/f der Geschichte, die Realität des Realen, die Seiend/ie// des
Seienden, das sind immer noch Formulierungen, die die Hegeische Einheit
von Sein und Wesen, den Begriff, nicht «erreichen, sondern im Wesen
stechen und damit in Wahrheit wieder nur gegenständlich geblieben sind.
Wenn wir das vollzogen haben, sehen wir vielleicht auch bei Hegel
den Grund des Verschweigens der Transzendenz ins Sein, wie hier der
Grund für das Schweigen der Kunst über die in ihr am Werke seienden
Abstraktionen liegen dürfte.
Dieses müßte in einer Interpretation der Auslegung der einleitenden
Abschnitte zur Phänomenologie gezeigt werden. Es sei hier nur auf einiges
aus den Abschnitten 13 und 15 hingewiesen, was unsere Stellungnahme
verdeutlichen möge.
Der dreizehnte Abschnitt handelt von der Prüfung des Bewußtseins. Das
Bewußtsein prüft sich selbst. Es ist /ürdas Bewußtseiende, daßder Gegenstand
unabhängig von -ihm ein Sein hat. Auf dieser Unterscheidung, die sich 'also
innerhalb des Bewußt-Seins vollzieht, beruht die Prüfung. Vergleicht das
Bewußtseiende innerhalb des Bewußt-Seins das, was an dem Gegenstände
nur für es ist, mit dem, was für es am Gegenstande an sich ist, so können
beide auseinandertfallen. Das Bewußtseiende sagt dann: ich muß mein Wis-
sen von dem Gegenstande ändern, um es dem Gegenstande gemäß zu
machen. „Mein Wissen": dieses ist das Bewußtseiende selbst. Alle undialek-
tische Philosophie, die sich immer 'an der Wahrnehmung orientiert und auch
so etwas wie das Bewnßtseiende nur in Analogie zu einem Wahrgenom-
menen auffaßt, vergißt hier die Geschichte und Geschichtlichkeit des Be-
wußtseins, indem sie die Voraussetzung macht, dieses Bewußtseiende bliebe
bei der Veränderung seines Wissens, also seiner selbst, unverändert. Alle
undialektische Philosophie phantasiert hier zu dem Bewußtsein ein Substrat
hinzu, das sie nicht finden dürfte.
Hierin besteht vielmehr die Veränderung des ganzen Bewußt-Seins, so-
wohl seiner subjektiven Seite wie seines Gegenstandes. In dieser Verän-
derung des Wissens wird -also auch der von dem Bewußtseienden als an-
sichseiend gemeinte Gegenstand ein anderer. Das Bewußtseiende erfährt
in dieser Bewegung: was mir vorher das Ansich des Gegenstandes war, er-
weist sich jetzt, in Wahrheit nur ein Fürmich des Gegenstandes gewesen zu
sein. Hegel sagt: „Es wird hiemit dem Bewußtsein, das dasjenige, was ihm
vorher das A n s i c h war, nitht an sich ist, oder daß es nur f ü r es (das
Bewußtsein) a n sich war" (Ph. d. G. S. 72). Der Gegenstand des Bewußt-
seins also hält ebenso die Veränderung des Bewußtseins nicht aus. Auch er
wird verändert. So prüft sich das Bewußt-Sein nicht >an einem ihm fremden
feststehenden Gegenstände. Es prüft sich selbst als Maßstab. Prüft es sich
vielleicht aoi einem Prinzip, dias es in der Hand hielte? Auch das ist leider
nicht möglich, denn von Stufe zu Stufe wird sich der Maßstab der Prüfung
ändern. Da hier die aus dem natürlichen Bewußtsein stammende Angst vor
der Ungesichertheit solchen Vorgehens einsetzt, entsteht die Frage nach
dem Prinzip einer solchen Änderung. Diese Frage wird mit dem ersten Satze
des folgenden Abschnittes beantwortet: „Diese d i a l e k t i s c h e Bewe-
gung, welche das Bewußtsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als
an seinem Gegenstande ausübt, i n s o f e r n ihm d e r n e u e w a h r e

276
G e g e n s t a n d daraus e n t s p r i n g t , ist eigentlich dasjenige, was E r -
f a h r u n g genannt wird" (Ph. d. G. S. 73). Dieser Satz enthält mit der
Angabe des Prinzips den ganzen Gang der Phänomenologie des Geistes. Da
dieses Prinzip jedoch in der dialektischen Bewegung selbst besteht, hebt
dieser Satz die Philosophie als Prinzipienwissenschaft in die Dialektik auf.
In ihm ist gleichzeitig die Überwindung der Metaphysik des Wesens aus-
gesprochen, was dann die Logik, allerdings in einer sehr langen Denkbewe-
gung, durchführt. In ihm haben wir zugleich den Gedanken, daß nur die in
der abendländischen Philosophie bisher höchste Form der Spekulation das
Bathos der menschlichen Erfahrung, nach dem wir doch hoffentlich alle
streben, wirklich gewonnen hat.
DieDialektik derBewegung besteht darin,daß sie sowohl tauf der Seite des
Bewußtseienden wie auf der seines jeweiligen Gegenstandes statthat. Ferner
darin, daß dem Bewußtsein „der neue wahre Gegenstand daraus entspringt11.
Nicht setzt sich ein bewegter Gegenstand zur Ruhe, sondern: aus einer
Bewegung des Bewußt-Seins entspringt wieder ein festes, der neue Gegen-
stand. Die Dialektik ist sowohl Einheit der subjektiven und objektiven
jSeite der Bewegung als auch die Einheit von Bewegung und neuem Gegen-
; stand, in dem dann ja auch die Bewegung fortgesetzt wird. Die Geschicht-
lichkeit des Bewußt-Seins besteht darin, daß das Bewußtseiende wie der
^Gegenstand als Unmittelbarkeiten der nächsten Stufe auftreten und zu-
gleich Unmittelbarkeiten der.ganzen früheren Bewegung sind. Das Verges-
sen dieser Bewegung ist immer diese notwendige Unmittelbarkeit, die Er-
scheinung der Bewegung als neuer Gegenstand, als Seiendes, worin die Be-
wegung als Bewegung verborgen ist, wie immer im natürlichen oder wahr-
nehmenden Bewußtsein. Darin ist in der Natürlichkeit aller Stufeh ihre Ge-
schichte verborgen.
Darüber hinaus erscheint in der Gegenständlichlceif das vorher ver-
meintliche Reale als Nurideales im neuzeitlichen Sinne. Es ist das Erschei-
nen der Erscheinung selbst Hierzu gibt Hegel folgende Erklärung: „Das
Bewußtsein weiß e t w a s , dieser Gegenstand ist das Wesen oder das A n -
s i c h ; er ist aber auch für das Bewußtsein das A n s i c h ; damit tritt die
Zweideutigkeit dieses Wahren ein. Wir sehen, daß das Bewußtsein jetzt
zwei Gegenstände hat, den einen das erste An s i c h , den zweiten, das
„ F ü r - e s - s e i n d i e s e s A n s i c h " (Ph.d.G., S. 73). Hier erfolgt also
nicht innerhalb der Subjekt-Objektbeziehung ein Zurückgehen in die Sub-
jektivität, sondern das Wissen von einem neuen Gegenstande. Dieser neue
Gegenstand ist das „Für-es-sein dieses Ansidi". Er ist die über den ersten
und alle früheren Gegenstände gemachte Erfahrung. Deshalb haben die Ge-
genstände solche Qualitäten, die uns ansprechen. Daß sie uns „ansprechen",
ist keine Metaphysik, sondern Erfahrung von Jahrtausenden. Nur (bedurfte es
der äußersten Metaphysik, um solche Erfahrung als Erfahrung ernst zu neh-
men. Als neuer Gegenstand ist er zugleich die vergessene Vermittlung der
Erfahrung. Das Bewußt-Sein in der Phänomenologie arbeitet diese Vergeß-
liciikeit hinweg, allerdings wiederum nicht-mit einem Schlage, sondern
immer wieder zu neuer, in ihrem Kerne jedoch von Stufe zu Stufe ungegen-
ständliciier werdender Gegenständlidikeit, von Stufe zu Stufe weniger
vergeßlich werdender Vergeßlichkeit, da es sidi als (natürliches Bewußtsein

* 277
durchhalten muß, wenn -es sich noch um das menschliche Bewußtsein han-
deln soll. Auf diese Weise sind in jedem neuen Gegenstand Sein und
Nichtsein «aller früheren Stufen versammelt. .
Heidegger beginnt seine Erläuterungen des vierzehnten Abschnittes
gleichfalls mit der Hervorhebung des ersten Satzes. Auf die Frage, was
Hegel mit dem Worte „Erfahrung" „nenne", antwortet er: „Er nennt das Sein
des Seienden" (HW. S. 165,66). Wenn schon nicht das Denken, so wird
Hegel hier freundlicherweise doch das Nennen des Seins des Seienden zu-
geschrieben. Es wird (allerdings gleich warnend hinzugefügt: „Das Seiende
ist inzwischen zum Subjekt und mit diesem zum Objekt und zum Objek-
tiven geworden" (HW. S. 166). Auch Heidegger hebt hervor, daß nach
Hegel „das entscheidende Wesensmoment der Erfahrung" darin besteht,
„daß in ihr dem Bewußtsein der neue wahre Gegenstand entspringt" (HW.
S. 170). Ja, er fügt hinzu, es komme nicht auf das Zurkenntnisnehmen des
Gegenstandes als eines Gegenübers .an, sondern auf „das Entstehen des
neuen Gegenstandes als das Entstehen der Wahrheit". Was also ist die Er-
fahrung? Heidegger antwortet ontolagisch: „ D a s E r f a h r e n i s t e i n e
Weise des A n w e s e n s , d. h. d e s S e i n s " (HW. S. 170). Dennoch
wird Hegels Gedanke trotz dieser großen Nähe zur eigenen Philosophie
auf die „vor-steilende 'Präsentation" reduziert „Die Erfahrung ist die Sub-
jektität des absoluten Subjekts" (HW, S. 171). Die Erfahrung ist wohl die
Parusie des Absoluten, aber eben „als die Präsentation der absoluten Re-
präsentation" (HW. S. 171). Kann man behaupten, daß die Präsentation der
absoluten Repräsentation, wie sie hier genannt wird, noch in der Linie des
Descartes, also in der Linie derjenigen Philosophie liegt, die die Unmittel-
barfceit des Selbstbewußtseins als rocher de bronce der Philosophie stabi-
lisiert hat, wenn doch diese Unmittelbarkeit in der Phänomenologie des
Geistes nicht einmal, sondern einige .zwanzig Male hinweggearbeitet wird?
Und hat das Hinwegarbeiten nicht gerade die „Subjektität des absoluten
Subjekts" hinweggearbeitet?
Der fünfzehnte Abschnitt wird von Heidegger in großer Nähe zu dem
Gedanken ,der ontologischen Differenz interpretiert. Heißt es doch von der
„metaphysisch gedachten Erfahrung", daß sie „dem natürlichen Bewußtsein
unzugänglich" bleibe (HW. S. 172). „Sie ist die Seiendheit des Seienden
und darum nirgends als ein seiendes Bestandstück innerhalb des Seienden
vorfmdlich."
Wenn wir hier statt Seiendheit auch das Wort Geschichte vorzögen,
weil der nurwesentliche Sinn, der in „Seiendheit11 liegt, auch durch viele
Gegenerklärungen nicht zu eliminieren sein dürfte, da in einem solchen
Falle die Sprache mit uns denkt und nicht wir mit der Sprache — wenn wir
hier also das Wort Geschichte vorzögen, so scheint Hegel hier zugesprochen
zu werden, wenigstens die Transzendenz vom Seienden ins Sein gedacht
zu haben. So ist es auch als ein Verständnis Hegels anzusehen, wenn Heid-
egger die Umkehrung des Bewußtseins aus seinem abstrakten natürlichen
Zustande in seine Konkretion die „Skepsis in die Absolutheit" (HW.
S. 176), die Entäußerung der Erscheinungen in das Erscheinen selbst
nennt und die "Entäußerung als die „Er-innerung in den Gang
des Erscheinens seiner Absolutheit" begreift (HW. S. 176). Warum

278
aber wird damit Hegel noch immer nicht «als derjenige gesehen,
der die ontologische Differenz innerhalb seines Gedankens hat? Weil durch
die Hegeische Zusammenstellung der Kategorien der Entäußerung und Er-
innerung (vgl. Logik II, S, 150 ff.) in unserem Zusammenhang gesagt wäre,
daß das Denken der ontologischen Differenz die Dialektik zur Vorausset-
zung hat.
Heideggers These ist in folgendem Satz zusammengefaßt: „Eine völlig
andere Frage ist freilich, ob und inwiefern die Subjektität ein eigenes We-
sensgeschick des Seins ist, darin sich die Unverborgenheit des Seins, nicht
die Wahrheit des Seienden, e n t z i e h t und damit eine eigene Epoche
bestimmt. Innerhalb der Subjektität wird, jedes Seiende als solches zum
Gegenstand" (HW. S. 176,77). Kann das Hinwegarbeiten der Gegenstand·
lidhkeit nach jeder Stufe immer noch als ein Sichentziehen der Unverbor-
genheit des Seins verstanden werden?
Die Heideggersche Frage scheint mir, in Richtung auf die Philo-
sophie der Neuzeit gestellt, im großen und ganzen gesehen erhellend TM
sein. An Hegel gestellt, scheint sie dagegen eine überbeanspruchung des
eigenen Ansatzes selbst, der das Sein des Seienden als ein noch ursprüng-
licheres Geschehen verstehen möchte als das begriffene Absolute. Heideg-
ger sieht im Absoluten nur die Erfüllung der abendländischen Metaphysik,
die die Frage nach dem Sein vergessen haben soll. Hier bleibt uns nur die
Gegenfrage, ob wir diese, so'wie sie in Hegel erscheint, schon erreicht ha-
ben, wenn wir das Absolute als ein Seiendes verstehen.
Ich fasse zusammen: Hegel hatte gesagt, der zweite Gegenstand sei das
„Für-es-sein dieses Ansich". Darin bestand der Übergang von einer Stufe in
die nächste. Es ist hier nicht der Ort auszuführen, daß ein solcher Übergang
von einer Stufe in die nächste stets ein metaphysischer Sprung durch den
Tod der jeweiligen Bewußtseinsstufe ist und nidit ein artistisches Vorbei-
springen am Tode. Die Umkehrung des Bewußtseins bei Hegel ist heute
als etwas viel Einschneidenderes zu erfahren, als es noch Kierkegaard
möglich war. Warum hat die einzelne Gestalt des Bewußtseins sich immer
nur als die subjektive Seite? Warum hat sie die gemachte Erfahrung immer
wieder als den neuen Gegenstand? Warum hat sie die eigene Umkehrung
in diesem neuen Gegenstande dagegen vergessen? Weil sie sich 1) als
Seiende hier selbst transzendiert, durch ihre Erfahrungen dazu gezwungen.
Weil sie 2) als natürliches Bewußtsein diese Transzendenz selbst — in ihr
weiterschreitend — vergegenständlicht. Weil hier die sprachliche Wahrheit
gedacht und gezeigt ist, daß der Mensch nicht in Abstraktionen leben und
vor allem, daß der Mensch nicht in Abstraktionen denken kann, sondern
beides nur in Gestalten, in denen immer die Einheit von Sein und Wesen
vor uns steht. Solche Vergegenständlichungen sind daher mit Hegel als
die epochalen Ruhepausen im Gange des Seins zum Bewußt-Sein zu den-
ken. In ihnen hat die einzelne Seite sich immer nur als subjektive und
ihren Gegenstand als einen unbegriffenen Inhalt, Das aber gehört nicht
nur zur modernen „Subjektität11. Hegel selbst hat gewußt, daß die Erfah-
rung der Wirklichkeit in der Klammer der Subjekt-Objekt-Beziehung die
Fessel der Unmittelbarkeit des Bewußtseins ist. Sobald wir deshalb in der
Subjekt-Objektbeziehung einen zwar zur Struktur des ganzen Bewußt-
• %
279
Seins gehörenden Querschnitt durch die vertikal dazu laufende Bewegung
des Bewußt-Seins sehen, haben wir in diesem immer wieder aufzuheben-
den Moment der Erfahrung des Bewußtseins ein wesentliches Moment
seiner Gesdiichtlidikeit und Geschichte. Diese Geschichte ist 'also die
Transzendenz des Bewußtseienden in sein Sein und seine Umkehr aus
dem Sein in das Seiende der neuen Gestalten, die sich sofort wieder auf
die subjektive und objektive Seite verteilen. In diesem Auf-die-Seite-Brin-
gen besteht die tötende Krtaft des Gedankens, seine Natürlichkeit wie
seine Endlichkeit. In ihm ist der Tod des Bewußt-Seins selbst beschlossen.
Es geschieht ihm darin nichts Fremdes, «auch in allen Stufen der Entfrem-
dung nicht, sondern nur das ihm, seinem sprachlichen „theoretischen Tun"
Gemäße. Daß das Bewußt-Sein wenigstens stirbt, wenigstens sich „aufreibt"
und nicht in der Endlichkeit fixiert bleibt, zeigt das Leben des Wider-
spruches, zeigt das Bewußtsein als geistiges. Daß das Bewußtsein als
neues Bewußtseiendes aufersteht, sich zu neuer Gegenständlichkeit fixiert,
Gestalt gewinnt, zeigt seine Rückkehr aus der Transzendenz ins Seiende,
zeigt das dialektische Walten nun der vollen ontologischen Differenz. Und
wir denken, daß auch das Schweigen über dieses pudendum des Geistes
darin in seiner Notwendigkeit angedeutet sein möge.
Zum Verhältnis von Logik und Realphilosophie bei Hegel
Die Erfahrung des Bewußtseins sollte nach Heidegger das Anwesen
des Seins sein. Dieses Sein jedoch, als Absolutes gedacht, sollte die Sub-
jektität ausmachen. Wenn jedoch in der Erfahrung auch die Rückkehr aus
dem Sein in das Seiende gesehen werden kann, greift die Charakterisie-
rung als Subjektität zur kurz. In diesem Zusammenhang müssen wenig-
stens einige kurze Bemerkungen zum Verhältnis von Logik und Real-
philosophie bei Hegel stehen. Während die formale Logik nicht direkt
mit dem unter ihr enthaltenen Materialen zu tun hat, ist der Zugang zur dia-
lektischen Logik Hegels nur von der Phänomenologie des Geistes her zu ge-
winnen. Wie dort bis in die letzte Stufe die früheren, also z. B. die der
Wahrnehmung, erhalten blieben, so handelt es sich in der Logik nicht um
solche Begriffe, die zu ihrer Erfüllung irgendeiner Anschauung bedürften.
Die Hegeischen logischen Kategorien haben die Anschauung noch von der
sinnlichen Gewißheit der Phänomenologie in sich, sie sind ohne eine ihnen
entsprechende Anschauung überhaupt nicht z»u verstehen. Wie es daher
nicht eines besonderen Übergangs von der Phänomenologie des Geistes in
die Logik bedarf, wenn man sich nicht durch ein allzu laienhaftes Ver-
ständnis des Wortes von den Gedanken Gottes in einen philosophischen
verführen läßt, so bedarf es streng genommen auch
11
keines „Überganges von der Logik zur Realphilosophie. Versuchen wir
hier, wenn auch etwas stichworthaft, unter Idee das zu fassen, „was die
Welt im Innersten zusammenhält11, so is-t nicht einzusehen, wie hier noch
ein „Übergang11 zur Realphilosophie stattfinden müßte, da das Sein in der
Idee doch immer noch erhalten ist. Aber von diesem Sein her können wir
gerade begreifen, daß auch — unter anderem — ein Übergang stattfindet.
In dem Schlußsatz aus dem Logikteil der Encyklopädie ist denn auch das
Übergehen als ein Moment der Bewegung von der Idee zur Natur ge-

280
nannt. „Die absolute F r e i h e i t der Idee aber ist, daß sie nidit bloß
ins L e b e n ü b e r g e h t , noch als endliches Erkennen dasselbe in sidi
s c h e i n e n läßt, sondern in der absoluten Wahrheit ihrer selbst sich
e n t s c h l i e ß t , das Moment ihrer Besonderheit oder des ersten Bestim-
N mens und Andersseins, die u n m i t t e l b a r e I d e e als ihren Wider-
schein, sich als N a t u r frei aus s i c h zu e n t l a s s e n " (Encyklopädie
der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, § 244). Es handelt sich
also bei der Hegeischen Naturphilosophie nicht um Deduktionen aus einer
Wesenssphäre, als welche bei solchem Verständnis hier die Idee ge-
sehen wäre. Schon innerhalb der Logik haben wir seit dem zweiten Teil
in wachsendem Maße die Einheit von Sein und Wesen. Das ist in Ana-
logie zur menschlichen Erfahrung zu begreifen, weshalb solche Kategorien
wie Ding -an sich und Erscheinung auch im zweiten Teile der Logik vor-
kommen können. Wäre der Begriff nicht die Einheit von Sein und Wesen,
dann gäbe es allerdings nur den Übergang von der Idee zur Unmittelbar-
keit der Natur. So aber geschieht der Prozeß von der Idee zur Natur auf
Grund des Seinscharakters der Idee als Übergang, auf Grund ihres Wesens-
charakters als ein Scheinen, und auf Grund .ihres Begriffscharakters als ihr
Sichaufschließen zur Natur.
Die Hegeische Idee war bereits seit ihrer Unmittelbarkeit als Begriff
die Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit. Sie als das Ungegenständ-
liche schlechthin enthielt „alle Bestimmtheit" (Logik II, S. 484). Die Natur
mit ihren Einzelgestaltungen ist daher nichts anderes als die nach der Idee
erscheinende Unmittelbarkeit der Vereinigung sämtlicher Kategorien. Es
ist auch nicht zu vergessen, daß schon die Allgemeinheit des Begriffes die
Einheit von Sein und Wesen war, nicht dagegen das wie auch immer auf-
gefaßte platonische Wesen oder gar die Allgemeinheit des Kaoitischen
Begriffs. Von solchem abstrakten Allgemeinen allerdings wäre ein Sprung
in die Natur etwas Unbegreifliches, wenn nicht hybrid Metaphysisches.
Daß aber ein solcher qualitativer Sprung doch — wenn auch nicht allein —
geschieht, liegt am Seinsmoment, jetzt nicht der Natur, sondern der Idee
selbst.
Denn die Idee hat keinen „Inhalt, der ihr gegenüberträte und sie zur
einseitigen, äußerlichen Form bestimmte" (Logik II, S. 501). Was Hegel im
folgenden vom Begriff sagt, gilt von der ganzen Bewegung seines Denkens,
die bei der sinnlichen Gewißheit der Phänomenologie einsetzt, sich durch
die drei Teile der Logik erstreckt und noch durch die Philosophie der
Natur und des Geistes hindurch lebendig ist. „Der Begriff in der absoluten
Methode e r h ä l t sich in seinem Anderssein, das Allgemeine in seiner
Besonderung, in dem Urteile und der Realität; es erhebt auf jede
Stufe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden
Inhalts und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nidits,
noch läßt es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich
und bereichert und verdichtet sidi in siA" (Logik II, S. 502). Die absolute
Methode Hegels fruchtbar madien kann daher nicht heißen, die luftigen
Räume einer nach Kant unerlaubten Metaphysik zu erfliegen, sondern
kann überhaupt nur in der Intention vorgenommen werden, mit ihrer
Hilfe die mensciilidie Erfahrung so zu erreichen, wie sie in dem Menschen

28t
als gesdiichtlich-spachliches Wesen wirklich geschieht. Nur wenn wir
die Denkbewegung Hegels durch die Phänomenologie, Logik und Real-
philosophie als die der menschlichen Erfahrung begreifen, können wir
diese nach den phänomenjologischen Einsätzen unseres Jahrhunderts wie-
der fruchtbar machen.
Zur Frage des „Übergangs" zurückkehrend ist jetzt auf eine Stelle am
Schlüsse des dritten Teiles der Logik einzugehen, die unseren Ausführun-
gen zu widersprechen scheint. Hegel sagt: „ Z w e i t e n s ist diese Idee
noch logisch, sie ist in den reinen Gedanken eingeschlossen, die Wissen-
schaft nur des göttlichen B e g r i f f s . Die systematische Ausführung ist
zwar selbst eine Realisation, aber innerhalb derselben Sphäre gehalten"
(Logik II, S. 505). Die Realisation innerhalb der Logik scheint den Raum der
Logik nicht zu überschreiten. Es ist an dieser Stelle entscheidend, daß. wir
uns durch das von uns gebrauchte Bild des Raumes der Logik nicht zu der
Ansicht verführen lassen, es würde in der Logik ein Bereich von logischen
Gegenständen abgehandelt. Sobald Hegel die Eindeutigkeit des Unterschie-
des der Logik von der Realphilosophie im Auge hat und diese allein zum
Gegenstand der Aussage macht, geht die Identität von Logik und Realität
wieder verloren. Hegel im Umkreis seiner Größe aufsuchen heißt in
diesem Zusammenhang wenigstens darauf aufmerksam machen, daß er
gleich noch sagen wird, daß die Bestimmung der Idee als Natur „aber
nicht ein G e w o r d e n s ein und Ü b e r g a n g , wie noch oben, der sub-
jektive Begriff in seiner Totalität zur O b j e k t i v i t ä t , auch der sub-
jektive Zweck zum Leben wird". Und etwas weiter heißt es, auf den
hoch dialektischen Charakter solchen Ubergehens hinweisend, das zu-
gleich Ruhe ist: „Das Übergehen ist also hier .vielmehr so zu fassen, daß
die Idee sich selbst f r e i e n t l ä ß t , ihrer absolut sicher und in sich
xuhend" (Logik I, S. 505). Es darf hier nicht darauf insistiert werden, daß
auch die Hegeische Philosophie darin das Schicksal alles Endlichen teilt,
um der Eindeutigkeit der Aussagen willen die Gegenaussagen nicht immer
gleich zur Stelle zu haben. Gerade hierin, wie auch darin, daß in der
Phänomenologie des Geistes um der Eindeutigkeit aller Aussagen willen
schließlich eine Stufe als die erreichte letzte Wahrheit gesetzt werden
muß, könnte ein sehr menschliches Moment der Bescheidenheit liegen, weil
wir auch die Dialektik aller Stufen an einer letzten nicht mehr dialektischen
festmachen müssen, obwohl wir wissen, das das nicht wahr ist.
Die Frage an Heidegger muß von hier aus gesehen lauten: Ist das Sein
nicht nur unter der Bedingung nicht Seiendes, daß es die Eindeutigkeit auf-
gibt, daß es also dialektisch ist? Wer so weit mitdenkt, wird auch im Er-
reichen einer sogenannten letzten Stufe der Phänomenologie ein Moment
der denkerischen Bescheidung sehen müssen, die in den Bedingungen
der Möglichkeit einer sinnvollen Mitteilung, also nicht in der Theorie liegt.
So ist auch die Idee in der Logik schon bei 'Sein und Nichts am Werke.
Wenn wir dagegen bis heute glauben, es müßte doch einen „Übergang"
von der Idee zur Realität geben, Oder gar es müßte eindeutig nur einen
solchen Übergang geben, so haben wir die ganze Logik als einen Bereich
von Seienden verstanden, ja wir sind, um die verheerenden systematischen
Polgen einer solchen Nivellierung ins wahrnehmende Bewußtsein anzu-

:282
deuten, nodi immer den Einwänden der Feuerbach, Marx und Kierke-
gaard «erlegen, die das Denken des Seins bei Hegel glaubten vom Sein
unterscheiden zu müssen und darin die oberste Grundformel aller Dialek-
tik, die der Nichtunterschiedenheit der Unterschiedenen, -aus dem Auge
verloren hatten. An dem Verständnis des Sichaufschließens der Idee zum
Räume und zur Natur muß der Einwand des 19. Jahrhunderts, Hegel habe
nicht das Sein sondern den Gedanken des Seins gedacht, in sich zusammen-
brechen. Wem dieser Einwand zu Recht besteht, möge daran ein Kriterium
dafür haben, daß er die Idee Hegels als ein Seiendes unter Seiendem miß-
verstanden hat.
Denken wir die Idee dagegen als die Versammlung sämtlicher Kate-
gorien der Logik, so gibt es zunächst vom Sein der Idee aus so etwas wie
einen „Übergang" von der Idee zur Natur, Aber vom Wesen der Idee
erweist sich dieser Übergang, nur ein scheinbarer gewesen zu sein. Denn
vom Wesen der Idee erweist sich doch das Sein der Idee als Schein! Und
vom Begriff der Idee, der das Sein wieder in sich enthält, ist der Ent-
schluß der Idee «unter anderem auch die Auslegung dessen, was sie enthält.
Die „Auslegung" hat die Idee schon vom Absoluten des zweiten Teiles
der Logik her (Logik II, S. 157. ff). Und hier schon hieß es: „In ihrer
wahrhaften Darstellung ist diese Auslegung das bisherige Ganze der lo-
gisdien Bewegung der Sphäre des S e i n s und des W e s e n s , ..."
(Logik II, S. 159). Wenn sich die Idee zur Natur auf schließt, auslegt, so ist
dieses die Versammlung der Gesamtbewegung der Kategorien der Logik
in einen Punkt. Ein „Übergang" allein wäre daher so abstrakt,, daß darin
eine Nivellierung Hegels auf eine Ontologie steckte, die -er als einziger
überwunden hatte.
Der Entschluß der Idee darf also auch nicht gegenständlich gefaßt
werden. Dazu müßte man die Voraussetzung machen, daß die Logik als
solche nicht die Realität in sich enthalte, sondern trotz der Unterscheidung
von Wesen und' Begriff doch zum Wesen gehöre. Eine solche An-
nahme hat in sich versteckt die Vorannahme, daß Hegel die Metaphysik
des Wesens nicht überschritten habe. Wenn sich die Idee zur Natur ent-
schließt, so handelt es sich hier nicht um eine ontologisch zu fassende
„Art des Seins", oder gar eine Region, aus der zur Realität erst überge-
gangen werden müßte. Die Idee ist kein Wesen, das erst mit Fleisch und
Knochen umkleidet werden müßte, um etwas Reales zu sein. Daß die Idee
sich entschließt, heißt nur, -es liegt in der Idee selbst, in ihrer eigenen
Natur, die von ihr verschiedene Natur zu haben. Nichts anderes hat die
ganze Logik, wenn man in ihr die Phänomenologie des Geistes aufgehoben
weiß, gezeigt. Die Idee ist der Gesamtprozeß der Welt, selbstverständlich
mit der Einschränkung, wie er im menschlichen Gedanken gefaßt werden
kann. Dieser menschliche Gedanke aber ist einmal nicht ein Gedanke,
zu dem -auf eine dodi höchst wunderbare Weise noch eine empirische
Anschauung erst hinzutreten müßte. Im Heraustreten der Idee geht sie
nicht aus sidi heraus, um zur Welt zu werden, sondern sie bleibt „im
reditverstandenen Sinne drinnen", wenn sie sidi zur Natur aufschließt, um
hier eine Formulierung Heideggers aus einem anderen Zusammenhange
(S. u. Z. S. 62) aufzunehmen. Die der Idee äußerliche Natur ist nicht
außerhalb der Idee.
283
Vielmehr: wenn das Gesamt aller Kategorien in die Unmittelbarkeit
umschlägt, ,so haben wir die sinnliche Unsinnlichkeit, die unsimüiche
Sinnlichkeit, den Raum, d. h. den Beginn der Philosophie der Natur. So
kann Hegel von der Logik sagen, daß sie wohl „die formelle Wissenschaft11
gegenüber den „konkreten Wissenschaften11 ist, aber er fügt hinzu, daß
sie die „Wissenschaft der a b s o l u t e n F o r m " (Logik II, S. 231) ist
Die absolute Form hat immer den Inhalt in sich. Man darf schließlich bei
dem Ausdruck „freier Entschluß" an dem Begriff der Freiheit so wenig
Anstoß nehmen, wie man Heidegger nicht entgegen kann, -er denke das
Sein .als Seiendes, wenn -er von der „Huld" des Seins spricht. Im Falle
Heideggers handelt «es sich wohl um die Not, die die Sprache uns hier
zuschickt. Bei Hegel dagegen handelt es sich bei der Einheit »von Über-
gang und1 freiem Entschluß der Idee zur Natur wiederum um das volle
Walten der ontologischen Differenz, um die größere Form der Rückkehr
vom Sein ins Seiende, die wir innerhalb der Phänomenologie des Geistes
in der Bewegung des Bewußt-Seins gefunden hatten.

Das Problem der Metaphysik und die Frage nach1 dem Sein
Es genügt daher nicht zu sagen, Hegel habe, wenn auch nicht aus-
drücklich, so etwas wie das Heideggersche Sein gedacht. Eine solche These
betrachtete Hegel von vornherein unter dem Blickwinkel Heideggers und
ginge damit an dem zentralen Problem der Dialektik vorbei. Hegel hat
in der. Phänomenologie des Geistes nicht nur die Transzendenz vom Seien-
den in das Nichts des Seienden gedacht, sondern auch die Rückkehr vom
Sein in die jeweilig seienden Gestalten. Der sogenannte Übergang von
der Logik zur Realphilosophie zeigte sich uns «als die Wiederkehr der
gleichen Sache. Darin ist das Zentrum der Dialektik noch verborgen. Was
jedoch die Metaphysik als Seinsvergessenheit betrifft, so ist diese Frage
jetzt zu betrachten.
Weil das Problem der Metaphysik heute von Heidegger unter dem Titel
der sogenannten Seinsvergessenheit gestellt ist, eignet sich die Formel
„Wahrheit des Seins" nicht für die Betrachtung beider Denker. Was
Hegel Geist, Widerspruch, Idee nennt, sind nicht Bestimmungen dessen,
was Heidegger Sein nennt. Bei einer solchen Sicht kann immer nur her-
auskommen, daß Hegel in die Geschichte der Seinsvergesseniheit ge-
höre. Dieses Resultat ist schon durch das Licht gegeben, das durch'die
Formel „Wahrheit des Seins" aufgesteckt ist.
Nach Heidegger entzieht sich das Sein, indem es sich als Seiendes ent-
birgt. Die Wahiiheit des Seins kann daher niemals restlose Enthüllung sein.
Die Verbergung des Seins, ja des zeitweise so geschriebenen Seyns, näm-
lich des Unterschiedes zwischen Sein und Seiendem, also der ontologischen
Differenz, ist ein Geschehnis des Seins selbst. Im Anaximanderaiufsatz heißt
es daher, daß „ d i e S e i n s v e r g e s s e n h e i t die V e r g e s s e n -
h e i t d e s U n t e r s c h i e d e s d e s S e i n s z u m S/ei e n d e n " i s t
[Holzwege, 336). Wohl im Hinblick auf das Buch der Metaphysik des
Aristoteles und auch auf Hegel wird gesagt: „Vielmehr wird auch die
frühe Spur des Unterschiedes dadurch ausgelöscht, daß das Anwesen

284
wie ein Anwesendes erscheint und seine Herkunft m einem höchsten
Anwesenden findet" (HW. S. 336). Auf Hegel können wir -einen solchen
Satz schon deshalb nicht beziehen, weil das Absolute kein höchstes
Seiendes ist. Die Stufe der Bildung zeigt auch bei Hegel die Gegen-
ständlichkeit (mit Heidegger zusprechen, das Sein in seiner Verborgen-
heit als Seiendes) in ihrer größten Hartnäckigkeit. Wie eine solche Stufe
des Denkens der Philosophie, für die hier die letzte Stufe in der Phänome-
nologie des Geistes stehen möge, am nächsten ist, so ist sie ihr zugleich am
fernsten, weil sie sich aus innerer Notwendigkeit am konsequentesten
<lem Eingehen auf den dialektischen Gedanken verschließt. Deshalb sei in
diesem Zusammenhang hier nair auf einen Satz aus der Differenzschrift des
jungen Hegel hingewiesen, der ihn beim Einstieg in das eigene Denken
gegenüber der Welt der Bildung zeigt. Hierbei wird die Welt der Bildung
in den Kategorien des jungen Hegel — was man nicht mit welchem Ro-
mantizismus auch immer verwechseln möge — als die Welt des „Toten"
ausgesagt, welches Tote in den „theologischen Jugendschriften" als die
Objektivität der Objekte entwickelt war. Es handelt sich hier oim nichts
weniger als um einen Kapitalismus des Seienden, Nach der geschichtlichen
Weiterentwicklung der Hegeischen Philosophie bedarf es keiner näheren
Ausführung, um den Blick auf die politische Dimension zu lenken, die in
dem jetzt anzuführenden Satze steckt, der, genügend meditiert, zeigt, wie
der Aufbruch der Dialektik bei Hegel gerade von einem Nichtvergessen des
Seins begleitet war/Er laufet: „Ein Zeitalter, das eine solche Menge philo-
sophischer Systeme als eine Vergangenheit hinter sich liegen hat, scheint
•zu derjenigen Indifferenz kommen zu müssen, welche das Leben erlangt,
nachdem es sich in allen Formen versucht hat. Der Trieb zur Totalität
äußert sich noch als Trieb zur Vollständigkeit der Kenntnisse, wenn die
verknöcherte Individualität sich nicht mehr selbst ins Leben wagt. Sie sucht
sich durch die Mannigfaltigkeit dessen, was sie hat, den Schein desjenigen
T.U verschaffen, was sie nicht ist.11 (Glockner, Werke L S. 39.)
Es wäre vieles über einen solchen Satz zu sagen. Er möge hier ohne
weiteren Kommentar stehenbleiben. Allein angesichts seiner sollte Heid-
egger Hegel nicht als den Gipfel der Seinsvergessenheit ansehen, sondern
als einen Denker auch größerer Nähe zum eigenen Anliegen.
Hier ist die Situation äußerster Ferne, in der die Welt der Bildung zur
Philosophie steht, mit Genialität erfaßt. Die geistigen Gebilde werden als
nur seiende, nur gegenständliche, dem Menschen verfügbare erfahren wie
die von ihm hergestellten Gegenstände auch. Die Mannigfaltigkeit des Ha-
bens soll ein Sein vortäuschen, das gestorben ist.
Die Metaphysik soll nach Heidegger Seinsvergessenheit sein. Was also
ist Sein? Seinsvergessenheit wie die Frage nach dem Sein sind nicht zu
trennen. Zuerst muß die Seinsvergessenheit sein, damit die Frage nach dein
Sein ausdrücklich werden kann. Das mutet esdiatologisch an, und wir müs-
sen es wohl dahingestellt sein lassen, ob sich solche Ansicht im Anblick
wirklicher Geschichte bewähren kann. Zum. mindesten liegt hier die Gefahr
einer totalitären Dialektik, die, einen undialektischen Notwendigkeitsbe-
griff voraussetzend, etwa von einer Notwendigkeit des Umschlagens der
Seinsvergessenheit in das Denken des Seins spräche. Der überstieg zum

285
Sein war die Transzendenz. Was ist die Transzendenz? In Was ist Meta-
physik? sagt Heidegger: „Da-sein heißt Hineingehaltenheit in das Nichts.
Sidiihineinhaltend in das Nichts ist das Dasein je schon über das Seiende
im Ganzen hinaus. Dieses Hinaussein über das Seiende nennen wir die
Transzendenz" („Was ist Metaphysik?" S. 32). Das Sdion-sein-bei einer
Welt war in Sein und Zeit nur aus dem überstieg des Daseins ins Sein
möglich gewesen. Transzendenz ins Nichts des Seienden ist Transzendenz
ins Sein.
Hier geht Heidegger einen Schritt weiter. Nämlich: „Würde das Dasein
im Grunde seines Wesens nicht transzendieren, d. h. jetzt, würde es sich
nicht im vorhinein in das Nichts hineinhalten, dann könnte es sich nie zu
Seiendem verhalten, also auch nicht zu sich selbst" (WM. S. 32). Dieser Satz
ist aufschlußreich über das Verhältnis von Dialektik und Ontologie. Denn
entweder sagen wir, daß das Sich-zu-sich-selbst-verhalten kein ursprüng-
liches, sondern bereits — ontologisch gesehen — ein sekundäres Phänomen
sei, also auf die Transzendenz zum Sein zurückgeführt werden müsse, oder
wir sehen in dem Zugleich des Verhaltens des Menschen zur Welt und zu
sich selbst den dialektischen, d. h. uns aber letzten Endes sprachlichen Cha-
rakter der menschlichen Weltbegegnung, mit Hegel zu sprechen, seine Gei-
stigkeit, die weder auf ein Seiendes noch auf ein Sein zurückgeführt wer-
den kann (vgl. Theodor Litt: Mensch und Welt, S. 153 ff.)
Das gilt -allerdings nicht für einen Geist, der bereits vergegenständlicht
und etwa als oberstes Stockwerk vorgestellt ist. Eine solche Unableit-
barkeit bliebe natürlich-idealistisch. Es gilt nur für den Geist, den wir
allein kennen, der sich schon in der physiologischen Ausstattung des
Menschen dokumentiert, nämlich den menschlich-leiblichen Geist. Dieses
begriff seinerzeit Herder mit dem wahrhaft großartigen, alle Idealismen
und Biologismen gleichzeitig hinter sich lassenden Satze: „Schon als
Tier hat der Mensch Sprache." In unseren Tagen hat Arnold Gehlen
diesen Ansatz in seinen beiden vorliegenden Werken über den Menschen
aufgenommen.
Selbst wenn wir Heidegger soweit entgegenkämen, beides, die Tran-
szendenz wie die Dialektik der menschlichen Weltbegegnung als einen un-
geteilten Akt zu begreifen, so wäre darin gedacht, daß diese Dialektik von
gleicher Ursprünglichkeit wäre wie die Heideggersche Transzendenz. Von
Hegel .aus gesehen ist die Zurückführung der Dialektik auf ein fundamen-
talontologisches Wesen des Menschen nicht möglich. Wenn Heidegger da-
her fortfährt: „Ohne ursprüngliche Offenbarkeit des Nichts kein Selbstsein
und keine Freiheit" (WM. S. 32), so müssen wir den Gegensatz dazu nen-
nen: „Ohne Freiheit und Selbstsein des Menschen keine ursprüngliche Of-
fenbarkeit des Nichts.11 Die Wahrheit liegt auch hier wie in aller Dialektik
nicht etwa bei diesem Gegensatz. Erst dann wäre sie unter den Titeln der
Subjektivität und Subjektität zu betrachten. Sie liegt vielmehr — für den
Menschen — in jener unaussprechbaren Mitte, um die Satz und Gegensatz
sich wie zwei Hälften der Peripherie eines Kreises schließen, ohne den
Inhalt zu berühren. Auch hier kann, wie schon Aristoteles forderte, das zu
Definierende in der Definition nicht ausgesagt werden, aber nicht aus den
bekannten Gründen, sondern weil das Phänomen nur in solchem dialek-

286
tischen Unisprechen überhaupt erscheint. Heidegger dagegen weiß, was
früher ist, die Transzendenz ins Nichts, die ursprüngliche Offenbarkeit des
Nichts oder die beschriebene Dialektik. Wenn das Dasein an ihm selbst
ontologisch ist, so hat darin weder das Ontische noch das Logische einen
Vorrang. Darüber hinaus aber hat auch das Ontologische keinen Vorrang
vor dem Dialektischen, weil es, wie wir meinen, im Dialektischen wohnen
kann.
Im Humanismusbrief sagt Heidegger selbst: „Das Denken, das nach der
Wahrheit des Seins fragt und dabei den Wesensaufenthalt des Menschen
vom Sein her und auf dieses hin bestimmt, ist weder Ethik noch Ontologie."
(„Ubei den Humanismus" S. 42.)
Das gleiche gilt aber in mehrfacher Hinsicht für Hegel.

Das Problem der Wahrheit


Im § 44 von Sein und Zeit stellt Heidegger einige erleuchtende Fragen
zum Wahrheitsproblem, von denen man allerdings nicht sagen kann, daß
|sie bis heute eine Antwort gefunden hätten. Zunächst wird Sein und Wahr-
; freit des Seins in ausdrücklicher Nähe genannt. Von den Fragen seien nur
;|einige genannt. Was, so wird gefragt, bedeute der Ausdruck Wahrheit,
l [wenn er terminologisch als Seiendes und Sein gebraucht werden kann?
Könnte man hier nicht antworten, der Ausdruck Wahrheit bedeute hier Un-
iverborgenheit und ontologische Differenz? Aber Unverborgenheit ist nicht
nur eine Angelegenheit der Sache, sondern »auch die des Hinblickenden,
Eine ganze Reihe von Fragen wird zum Ubereinstimmungscharakter, der
im traditionellen Wahrheitsbegriff als adäquatio rei et intellectus liegt, ge-
stellt. Wir nehmen an, daß auf Husserl eingegangen sein soll, wenn am
Urteil ein realer psychischer Vorgang und «das Geurteilte als idealer Ge-
halt unterschieden werden. Was bedeutet es für den Wahiiheitsbegriff,
wenn Husserl sagen kann, der Urteilsakt sei real, ein vorhandener, wäh-
rend nur der ideale Gehalt „wahr41 sei. Es ist ein Zentral anliegen von Sein
und Zeit, zu zeigen, daß gerade ein realer nur vorhandener Urteilsakt eine
Konstruktion ist, da die Analytik des menschlichen Daseins dieses gar nicht
eis einfach vorhanden zeigt. Nach Husserl aber müßte die Übereinstim-
mung ihren Ort zwischen dem idealen Urteilsgehalt und dem realen Ding
haben, worüber geurteilt wird. Und wenn Nicolai Hartmann in der Meta-
physik der Erkenntnis von einer partialen ontologischen Deckung von
Bewußtseinskategorien, Ideal- und Realkategorien gesprochen hatte, so
fragt Heidegger, ob -dieses Übereinstimmen selbst seiner Seinsart nach real,
ideal oder keines von beiden sei. Wenn man schon ontologisch vorgeht,
ist eine solche Frage nicht zu vermeiden, da ja alles eine Seinsart haben
muß, also auch die Übereinstimmung. Damit ist man dann aber bei dem
Methexisproblem angelangt, das seit Platos Zeiten der Lösung harrt.
Soweit die Fragen. Hatte aber Hegel nicht einiges Entscheidende über
den Methexischarakter von Realem und Idealem gesagt? Wenn nach Hus-
serl die realen Urteilsakte die idealen Urteilsinhalte realiter fundierten, die
idealen Urteilsinhalte aber die realen Urteilsakte.idealiter bestimmten, so
haben wir hier zwei Fundierungen, die sich in den Ethiken von Max Scheler

287
und Nicolai Hartmann noch einmal spiegelten, da nach Sdieler die höheren
Werte die niederen fundieren sollten, was also Wesensfundierung war und
nach Hartmann die höheren Werte auf den niederen aufruhen, was also
nicht axioiogisch, sondern ontologisch zu verstehen war. Heidegger stellt
zu alle dem die schöne Frage: „Liegt die Verkehrung der Frage schon
im Ansatz, in der ontologisch ungeklärten Trennung des Realen und
Idealen?" (S. u, Z. S. 217).
Bei Hegel sind Bewußtsein, Begriff und existierender Begriff, nämlich
das Ich, von vornherein so konzipiert, wie wir .sie in der Erfahrung
finden, nämlich als Einheiten von Realität und Idealität. Merkwür-
digerweise fällt in diesem Zusammenhang bei Heidegger von Hegel kein
Wort. Liegt das vielleicht daran, daß im § 44 von Sein und Zeit das tra-
ditionelle Wesen der Wahrheit »entwickelt wird? Gegen Hartmann ge-
wendet wird weiter gefragt: „Wird die Wirklichkeit des Erkennens und
Urteilens nicht in zwei Seinsweisen und »Schichten1 lauseinandergebrodien,
deren Zusammenstückung die Seinsart des Erkennens nie trifft?" (S. u. Z.
S. 217). Was ist zur Beantwortung dieser Fragen bei Heidegger selbst bis
heute geschehen?
Hier könnte man mit Hilfe Hegels, der allerdings niemals von so etwas
wie einer „Seinsart des Erkennens11 sprechen könnte, ein Stück weiter-
kommen. Dazu ist die Sprache -als die Einheit des Realen und Idealen
innerhalb jeder menschlichen Erkenntnis zu denken. Heidegger dagegen
findet schließlich auch in der Wahrheitsfrage die Seinsfrage wieder. Wahr-
sein der Aussage muß verstanden werden als „entdeckendsein11. Eine Aus-
sage ist dann wahr, wenn sie nicht das Ding, den Gedanken, die Sache
zeigt, sondern deren Sein, das also, was sie „ist". So schließt sich der Kreis.
Sein und Wahrheit des Seins sind zum mindesten in großer Nähe zu sehen.
Wahrheit soll also gar nicht die Struktur der Übereinstimmung haben. Was
aber ist, so fragen wir, mit dem „entdeckendsein" oder mit der „Entdeckt-
heit11 darüber hinaus gesagt? War die Angleichung, seitdem sie nicht mehr
war, denn jemals anders als metaphorisch verstanden worden?
Diese Fragen aber sollten nur den traditionellen Wahrheitsbegriff in
seinen Fundamenten auflockern. Der nächste Schritt beginnt daher mit dem
Satz: „Wahrsein (Wahrheit) besagt entdeckendsein'1 (S. u. Z. S. 218). Hier
ist die Hegeische Dimension der Fragestellung schon deshalb nicht er-
reicht, weil Wahrheif und Wahrsein in einem Zuge genannt werden und
die Sprache, die den Wörtern auf -heil nur ideale Bedeutung zuspricht,
stärker -sein dürfte als die Meinung, die doch zweifellos darüber hinaus
möchte.
Wahrheit ist „entdeckendsein" des Daseins und Entdecktheiit der Sache.
Sie gründet in der Erschlossenheit des Daseins, die ihrerseits auf die
Entschlossenheit und Zeitlichkeit -eben dieses Daseins zurückgeführt wird.
Wahrheit gründet im Da- des Daseins. Wenn Heidegger sagen kann: „Mit
dem Sein des Daseins und' seiner Erschlossenheit ist gleichursprünglidi
Entdedctheit des innerweltlich Seiendenu, so ist er damit bei dem, was
Hegel Bewußtsein genannt hat. Dieses ist immer in gleichursprünglicher
Verdedcung -oder gleidiursprünglidiem Aufweis «beider Seiten. Dieses Be-
wußtsein ist nach Hegel „Ich", nicht das ego des Descartes, sondern die exi-

288
stierende Einheit von Sein und Wesen. Wäre es nidit erhellend gewesen,
wenn Heidegger gerade am Problem der Beziehung zwischen ideal Seien-
dem und real Vorhandenem an diesen Hegel gedacht hätte, innerhalb des-
sen „Ich" die Einheit beider so gedacht ist, daß die Widersprüchlichkeit, die
in dieser Einheit liegt, und die Bewegung, ja das dauernde Sichaufreiben
einer solchen Einheit hervorruft, ins ausdrückliche Bewußtsein gehoben ist?
Der Satz Heideggers, daß das Dasein -an ihm selbst ontologisch -sei, kann
vom Hegeischen Ich des dritten Teiles der Logik, ja vom Hegelischen Be-
wußtsein der Phänomenologie verstanden werden. Dann aber entsteht
wieder die Frage, wie dieses Ontologisch-Sein des Daseins nicht dialek-
tisch aufgefaßt werden soll.
. Folgen wir Heidegger. Er wird die Abkünftigkeit des traditionellen
Wahrheitsbegriffes aus einem „ursprünglichen Phänomen der Wahrheit11
w
aufzeigen. Und hier hat aucii die Sprache ihre Rolle, wenn auch, wie noch
immer in der Tradition des Nachdenkens über die Sprache, eine negative.
Die Wahrheit nämlich als Entdecktheit muß ausgesprochen werden. Mit
der Ausgesprocheniheit jedoch rückt die Entdecktheit „in die Seiinsart des
innerweltlich Zuhandenen. Sofern sich nun aiber in ihr -als Entdecktheit
von.., ein Bezug zum Vorhandenen .durchhält, wird die Entdecktheit (Wahr-
heit) ihrerseits zu einer vorhandenen Beziehung zwischen Vorhandenen
[ (intellectus und res).11 Die Stelle ist eine der am stärksten hervorgehobe-
i nen in Sein und Zeit. Dennoch, ist sie ganz von Hegel her zu verstehen.
't Das Bewußtsein versteht sich in seiner Wahrheit aus dem, was es selbst
herstellte. Es interpretiert sich selbst, seinen Weltbezug, schließlich als
einen vorhandenen, d. h. als einen Gegenstand unter Gegenständen. Der
ganze Weltbezug wird aius einem Moment seiner selbst verstanden. Wir
braudien jetzt nur die eine Frage zu stellen, .um das ganz und gar hege-
lische Wesen dieser Heideggersdien Argumentation zu verstehen. Was
war die dauernde Vergegenständlichung der Stufen in der Phänomeno-
logie des Geistes anderes -als dieses, daß das Bewußtsein im Verfügbar-
madien seiner eigenen Erfahrungen diese vergegenständlichte und den
neuen Gegenstand als die Wahrheit erfuhr? Heidegger sagt, das Dasein
verstehe sich aus dem innerweltlidi Begegnenden. Nach Hegel versteht
sich das Bewußtsein immer aus seiner früheren Erfahrung, die ihm als
Gegenstand entgegenkommt. Sie kommt ihm in solchen „transzendent
emotionalen Akten" entgegen, daß wir nicht verstehen, wie Nicolai Hart-
mann in ihnen einen Erweis für die Realität der Außenwelt sehen konnte,
da doch Hegel bereits hinter solche Akte gesehen hatte. Was ist das aber
anderes, als das allerdings notwendige Verfallen des Bewußtseins an die
Vergegenständlidiung, an die Vergessenheit des Weges, an- die Verfüg-
barmachung des Weges als Resultat? Dieses „Verfallen11 ist ein Geschehen
innerhalb der Sprache selbst. Und wenn Heidegger hinzufügt, daß das
Dasein notwendig in der Unwahrheit ist, daß also eine solche Vergegen-
ständlidiung nicht abgewertet werden darf, so ist gerade das eine he-
gelisdie Einsicht zu nennen. Hegel hat gerade in der Wahrheitsfrage die
Einheit von Vergegenständlichung und Entgegenständlidiung. Hat Heid-
egger diese Einheit wirklich auch? Ist bei ihm die Einsicht in die Not-
wendigkeit des so genannten Verfallens immer durchgehalten, wenn doch

289
bei ihm altes Entspringen im ontologischen Felde Degeneration istt
Das Phänomen der Wahrheit soll nach Heidegger eigens ontologisdi
begründet werden. Es gründe in der Seinsverfassung des Daseins selbst.
Die Frage, von der Hegeischen Dialektik her gesehen, ist hier die, ob die
Seinsfundierung der Wahrheit nicht ebenso nach einer Wahrheitsfundie-
mng des S eins verlangt. Auch hier kann niur ein Ontologe oder ein
Idealist behaupten, er wisse, was früher ist, das Sein oder die Wahrheit.
Nur -ein Ontologe kann Wahrheit und Sein in eine solche undialektisch
gemeinte Nähe bringen, wie Heidegger am Anfang des § 44 von Sein und
Zeit. Der Dialektiker dagegen weiß, daß er das nicht weiß. Er läßt die
alte Frage mach der Henne und dem Ei unbeantwortet. Er bleibt in der
Position des sich selbst vollbringenden Skeptizismus.
In der Schrift Vom Wesen der Wahrheit wird die Problematik noch
einmal vertieft. Hier soll „ein Wandel des Fragens11 vollzogen werden,
der „in die Überwindung der Metaphysik gehört" (WW. S. 26,27). Es
handelt sich um nichts Geringeres als um die Infragestellung des meta-
physischen Wesensbegriffs selbst. Die Erschlossenheit des Daseins als Be-
dingung der Möglichkeit von so etwas wie Unverborgenheit des Seins
wird jetzt als „Offenständigkeit des Verhaltens" ausgesagt, das seinerseits
in der Freiheit gründet. Diese Freiheit besteht im Seinlassenkönnen des
Seienden, was es ist, d.h. in seinem Sein. Läßt der Mensch das Seiende
dagegen nicht sein, was und wie es ist, so ist er darin unfrei und das
Sein wird verdeckt. Fangen wir von daher vielleicht an, heute wieder
zu verstehen, was in der Auffassung der Geschichte als der wachsenden
Freiheit bei Hegel vielleicht gesehen war? Wird das Sein verdeckt, so
kommt der Schein zur Macht. Freiheit ist jetzt nicht mehr Eigentum des
Menschen, über das er verfügen könnte. Vielmehr: der Mensch ek-sistiert
in das Sein hinaus nur als Eigentum dieser Freiheit selbst.
Das im Räume dieser Freiheit, geschehende Seinlassen des Seienden
verbirgt einerseits das Seiende im Ganzen, andererseits verstellt es ge-
rade das Sein. So liegt es im Wesen der Wahrheit, daß dieses Wesen kein
platonisches Wesen mehr ist, weil innerhalb seiner Entbergung und Ver-
bergung gleich ursprünglich geschehen. Diese Verborgenheit der Ver-
borgenheit als solche ist das Geheimnis. Die „Verbergung des Verborge-
nen" macht das Geheimnis «aus (WW. S. 19), „Das eigentliche Un-wesen
der Wahrheit ist das Geheimnis." (W.W. S. 20). Dieses Un-wesen, wie es
hier genannt wird, ist der Wahrheit selbst also wesentlich.
Auch ibei Hegel gehörte der geheimnisvolle Gegenstand in jeder Stufe
der Phänomenologie zur Wahrheit. Schon daß die Wahrheit nicht als
Resultat — wie Geld — eingestrichen werden kann, sondern zur ihr
der Weg zu ihr .gehört, zeigt, daß die jeweiligen Vergegenständlichungen,
die doch eine Bedingung des Wegcharakters sind, zum Wesen der Wahr-
heit gehören. Hier haben wir die Einheit und Differenz von Sein und
Seiendem, die ihrerseits den Widerspruch und darin die Bewegung, das
Schaffen des Weges des Bewußt-Seins hat. Wenn Heidegger daher hin-
zufügt: „Allein das vergessene Geheimnis des Daseins wird durch die
Vergessenheit nicht beseitigt, sondern die Vergessenheit verleiht dem
scheinbaren Schwund des Vergessens eine eigene Gegenwart", so ist

290
das eine rein hegelische Lehre, nach der die Macht der jeweiligen Stufe
des Bewußtseins immer darin bestand, daß sie in der Gegenständlichkeit
ihrer Erfahrung die Vergessenheit des Weges war. Erst im Abschied
jeder Stufe erfuhr das Bewußtsein die Nichtigkeit seines Gegenstandes
als wahren Gegenstandes und trat damit aus der Vergessenheit des
Weges und dem Sichwärmen im jeweilig Erreichten in die Frische des
Gedankens.
Die letzte Frage ist im Wahrheitsproblem die nach der Wahrheit des
Wesens. Heißt es doch «ausdrücklich, die Frage nach dem Wesen der
Wahrheit führe „über das Gehege der gewohnten Umgrenzung im üb-
lichen Wesensbegriff hinaus" (WW. S. 25). Nun hat Hegels große Logik
drei Teile, von denen zum mindesten die beiden letzten nicht ein Programm
vorlegen, sondern die wirkliche Hinaushebung des Begriffs aus der ge-
wohnten Dimension allgemeiner Wesenheit leisten. War Hegel bisher
nicht der einzige, der die Philosophie über das hier von Heidegger ge-
; nannte Gehege hinausgeführt hat? Auch Heidegger sieht, daß wir nicht
einen einzigen Schritt aus der Metaphysik hinaustun, bevor wir nicht
1
nach dem Wesen des Wesens fragen. „Die Frage nach dem Wesen der
Wahrheit entspringt aus der Frage nach der Wahrheit des Wesens" (WW.
S. 26). Die Unverborgenheit nicht des Seienden sondern dessen, was das
j Seiende ist, ist nicht mehr eine übersinnliche, ungeschichtliche, sich immer
; gleichbleibende Idee, wie noch die Urteilsinhalte Husserls, sondern der
sich in den jeweiligen Sphären und Gestalten der Geschichte als Sein ver-
bergende, sich als diese Seienden enthüllende Unterschied von Sein und
Seiendem selbst. „Das Wesen der Wahrheit ist die Wahrheit des Wesens."
(W.W. S. 26) Die Unverborgenheit des Anwesens der jeweilig Anwesen-
den ist das Anwesen dieser Unverborgenheit selbst. Damit dürfte aber auch
die Eindeutigkeit der Aussagen, auf die alle Metaphysik, soweit sie in der
Wesensbetrachtung gebannt bleibt, insistieren muß, verlassen sein.
Heidegger .allerdings sagt, der Satz, daß das Wesen der Wahrheit
die Wahrheit des Wesens ist, sei „nicht dialektisch11. Zur Erläuterung
wird hinzugefügt: „Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen der
Wahrheit ist die Sage einer Kehre innerhalb des Geschichte des Sey-ns,"
(W. W. S. 26) Warum aber soll diese Kehre nicht dialektisch sein? Da das
Denken sich in dieser Schrift absichtlich „dem Anschein nach in der Bahn
der Metaphysik" (W. W. S. 26) halte, geht Heidegger hier nur so weit, im
lichtenden Bergen die Bedingung der Möglichkeit für so etwas wie w die
Übereinstimmung von Erkenntnis und Seiendem" zu sehen, „Das lichtende
Bergen ist, d. h. läßt wesen die Übereinstimmung zwischen Erkenntnis und
Seiendem" (W. W. S. 26). Dieses lichtende Bergen ist der Rauhi der
nicht mehr in erster Linie die Ersdilossenheit des Daseins, sondern eher
schon die Offenständigkeit des Daseins in diesen Raum. War aber die
Grundkategorie der Aufhebung in ihrer dreifachen Bedeutung bei Hegel
nicht eine solche Raumeröffnung? In ihr ging der jeweilige Gegenstand zu-
grunde, das Bewußtsein starb, d. h. es verlor seine Wahrheit, den Raum
seiner Offenheit, dann wieder auferstand es, in höherer Stufe war der
Weg im Gegenstand verborgen, aber der neue Gegenstand präsentierte
nicht einfach das Dunkel der Nacht,' sondern war „lichtendes Bergen",
» «
291
aus «dem heraus er zugleich das neue Licht wie die Verbergung des Lichtes
eben als neuer Gegenstand war.
Der Wandel des Fragens, bei Heidegger nach langer unphilosophisdier
Zeit wieder eingeleitet, ist bei Hegel vollzogen. Allerdings hat Hegel ge-
zeigt, daß wir den Wesensbegriff nur dann überschreiten, wenn wir den
Widerspruch beachten, darauf .aufmerksam werden, daß wir hier den Bereich
der eindeutigen Aussagen verlassen haben. Bei Hegel gehört <zur Über-
schreitung der Wesensphilosophie nicht nur das überschreiten des ge-
sunden Menschenverstandes, sondern das der Reflexionsphilosophie. Bei
Hegel ist deshalb Wesen nicht wie bei Heidegger verbal zu lesen, sondern
verbal und substantivisch zugleich. Audi der Unterschied von Sein und
Seiendem müßte nach Hegel im Widerspruch begründet sein, im plato-
nischen , das nicht „das Andere von Etwas, sondern das Andere
an ihm selbst, d. i. das Andere seiner selbst" (Logik I, S. 105) ist.
Hierzu gehören die sich von sich -abstoßende Negativität des zweiten
Teiles der Logik und die widersprüchliche Einheit von Sein und Wesen
im dritten Teil.
Wenn Heidegger dagegen immer wieder betont, daß seine Uberlegun-
gen über das Verhältnis des Wesens der Wahrheit zur Wahrheit des
Wesens nicht dialektisch sein sollen, so scheint hier ein Begriff der Dia-
lektik vorausgesetzt, der dem 19. Jahrhundert entstammt, das sich allein
dadurch decouvrierte, sich selbst den Ruhm zuzuschreiben, Hegel über-
wunden zu haben. Unsere Frage muß daher heute lauten: Geht der Weg
für uns heute von der Idee zur ontologischen Differenz oder von der
ontologischen Differenz zu einem allmählichen Begreifen dessen, was
Hegel den absoluten Geist und die Idee genannt hat? Denn gerade Hegel
könnte, auf die Durchführung in seiner Logik hinweisend, in diesem Ge-
spräch sagen: „Die Wahrheit des Wesens (substantivisch) (nämlich der
Begriff) ist das Wesen (verbal) der Wahrheit11.

Das Problem der Zeit


Es ist für beide Denker von zentraler Bedeutung. Die Dinge sind nach
Hegel nicht deshalb endlich, weil sie in der Zeit sind, sondern sie sind
darum in der Zeit» weil sie endlich sind. „Weil die Dinge endlich sind,
darum sind sie in der Zeit? nicht weil sie in der Zeit sind, darum gehen sie
unter" (Hegel: Werke, Glöckner Bd. IX, S. 80,81, § 258 Zusatz). Die tran-
szendentale Idealität der Zeit bei Kant reduziert sie darauf, Anschauungs-
form des Menschen zu sein. Es sieht also so aus, als halbe Hegel hier wie-
der Kant vergessen. Aber das Ding in der Phänomenologie d&s Geistes·
ist bereits das Nichts der sinnlichen Gewißheit, das Bewußtsein ist in den
Dingen schon enthalten. Von solchen „Dingen11 spricht Hegel. Allerdings
ist das Ding dann nicht die Erscheinung Kants, wenn darunter etwas nur
Subjektives (nicht in der Erkenntnis — denn hier sind Erscheinungen und
nur Erscheinungen objektiv —, sondern dem ontologischen Sinne nach)
verstanden werden sollte. Das-Ding ist bei Hegel bereits die, wenn auch
noch in der Unmittelbarkeit des wahrnehmenden Bewußtseins stehende Ein-
heit von Subjekt und Objekt Diese Dinge also sind endlich und darum

292
auch zeitlich. Fragen wir, ob sie die Zeitlichkeit von Gnaden der Endlich-
keit von „Etwas" im ersten Teile der Logik haben oder von Gnaden des
Menschen, so dürfte das bei Hegel weder in einem idealistischen noch
realistischen Sinne zu -trennen sein. Nachdem wir im zweiten Abschnitt ge-
sehen haben, daß die Logik Hegels nicht einfach eine Wesenswissenschaft
ist, müssen wir darauf gefaßt sein, schon in „Etwas" ja schon im „Werden",
den Beginn der Konstitution der Zeit zu finden. Fertig ist die Zeit gewisser-
maßen erst in der Idee und in der Philosophie der Natur. Ihren Ursprung
aber müssen wir schon hier finden. Es trifft sich glücklich, daß, Hegel nun
wirklich die Zeit nicht einfach bei der Naturphilosophie beginnen läßt,
sondern ausspricht, daß die Idee selbst die Zeit ist Wer dem Gange der
Logik gefolgt ist, hätte eine solche Bestätigung nicht gebraucht
Bleiben wir vorerst bei den Dingen. Sie sind endlich, -einmal als die
angeschauten des wahrnehmenden Bewußtseins, die sie sind, dann, inso-
fern sie „etwas" sind. Von hier her haben sie den Widerspruch, in sich
zu sein und nicht zu sein, nämlich zu werden. Hegel wird die Zeit auch
jdie Abstraktion des ganzen Prozesses nennen. Konkret, soweit die Stufe
der Wahrnehmung überhaupt konkret ist, sind die endlichen Dinge, nicht
konkret ist ihre Endlichkeit, ihre ZeitHdik-eit, ihr Wesen. Konkret ist das
|menschliche Dasein, nicht konkret ist seine Zeitlichkeit. Das wahrhaft Kon-
krete aber ist der Gesamtprozeß des Geschehens, die Idee, der sich selbst
durchsichtige Prozeß. Dieses Diurchsichtigsein ist selbst Prozeß. Soweit zum
Beginn ,über die Zeitlichkeit der Dinge bei Hegel, wenn wir die ursprüng-
liche Zeit Heideggers mit der von Hegel vergleichen wollen.
Um, zur ursprünglichen Zeit Heideggers zu gelangen, richten wir den
Blick auf die Endlichkeit des Seins selbst und auf die Endlichkeit des
Daseins.
Heidegger interpretiert den Satz Hegels „Das reine Sein und das reine
Nichts ist also dasselbe11 in Was ist Metaphysik? (S. 36): „Dieser Satz
Hegels besteht zu Recht. Sein und Nichts gehören zusammen, aber nicht
weil sie beide — vom Hegeischen Begriff des Denkens aus gesehen —
in ihrer Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit übereinkommen, sondern
weil das Sein selbst im Wesen endlich ist und sich nur in der Transzendenz
des in das Nichts hinausgehaltenen Daseins offenbart." Es ist hier nicht
von der Endlichkeit des Daseins, sondern von der des Seins die Rede!
Was in der Formel „im Wesen endlich11 Wesen -bedeutet, ist deshalb schwer
zu sagen, weil hier Wesen nicht gleich essentia gelesen werden darf, da
das ja keinen Sinn gäbe. Wir werden wohl wieder an die verbale Bedeu-
tung denken «müssen. Bei Hegel ist das Sein nicht endlich. Die Endlichkeit
beginnt erst mit dem Daseienden. „Etwas11 ist endlich, und weil es endlich
ist, deshalb ist «es in der Zeit. Ist das Sein bei Heidegger „im Wesen end-
lich11 — und was dürfte es über dieses Anwesen hinaus noch sein? —, so
ist dieses Sein doch in einer ursprünglichen Bezüglichkeit zum Menschen
gedacht, worüber ja viele Stellen in Sein und Zeit Auskunft geben.
Zur ursprünglichen Zeit gelangen wir ferner über die Frage nach dem
Ganzseinkönnen des Daseins. Die Zeitlichkeit des Daseins, das Sein zum
Tode, mögen das andeuten. Nicht ein ganzes Vorhandenes oder eine vor-
handene Ganzheit soll das Dasein sein, sondern ein Ganzseinkönnen, das
* «
293
sich, wenn nicht im Angesicht des Todes, so doch im ständigen Sein zum
Tode existential ausspricht. Bei Hegel sind Ganzes und Teil Kategorien
des zweiten Teiles der Logik, nicht des dritten, wo zum ersten Male so
etwas wie „Ich" gefaßt werden kann. Dieses sollte uns zu bedenken ge-
ben, ob so etwas wie das menschliche Dasein überhaupt auf sein Ganzsein
befragbar ist, eine Frage, die einen großen Teil von Sein und Zeit ein-
nimmt. Liegt eine solche Frage nicht unter dem Niveau des menschlichen
Dasein? Der Mensch ist kein Kunstwerk. Die niederen Stufen der Wirklich-
keit sind ganzheitlicher und vollkommener als die höheren. Gelangt eine
zur Vollkommenheit und Ganzheit innerhalb ihrer Möglichkeiten, so kann
sie in eine höhere, dann aber unvollkommene unganzheitliche Qualität
umschlagen.
Das Ganzseinkönnen des Daseins mündet bei Heidegger in die Seins-
frage. Eigentliche Existenz ist vorlaufende Entschlossenheit, ist Sichhinein-
halten in das Nichts des Seienden, in das Sein. Eigentliche Existenz ist Ek-
sistenz ins Sein. Diese Transzendenz «des menschlichen Daseins muß des-
halb auch hier behandelt werden, wedl sie das eigentlich zeitliche Ge-
schehen des Daseins ist. Dasein als Sein zum Tode, als Gespanntsein in
seine äußerste Möglichkeit, ist ein Vorlaufen, das der Existenz „als äußerste
Möglichkeit die Selbst auf gäbe11 erschließt (S. u. Z. S. 264). Das eigentliche
Sein zum Tode zerbricht jede Versteifung auf Seiendes wie „auf die je
erreichte Existenz".
Die Zeitlichkeit bei Hegel hat einen -anderen Charakter. In der Phäno-
menologie des Geistes besteht sie darin, daß das Bewußtsein in der Auf-
gabe einer Stufe nicht nur ins Nichts des Seienden hineingehalten ist, son-
dern eben wieder zur seienden Gestalt der nächsten Stufe zurückkehrt und
sich darin — zunächst — versteifen muß. Es wird jetzt für das Z e i t p r o -
b l e m wichtig, daß es bei Hegel über die Transzendenz ins Sein auch die
Rückkehr ins Seiende gibt. Es gibt die willentliche Beschränkung auf das
Seiende. Der Tod ist bei Hegel in erster Linie nicht etwas, wozu das Bewußt-
sein gespannt ist, sondern das Zwischen den Stufen, eine Art Situation der
Situationslosigkeit. Der Tod nicht des Bewußtseienden, wovon wir keine
Erfahrung haben, sondern des Bewußt-Seins ist „für uns oder an sich" das
Kriterium dafür, ob das Bewußt-Sein die nächste Stufe usurpiert oder er-
fährt. Es ist noch einmal daran zu erinnern, daß erst das nachmetaphysische
Dasein artistisch am Tode vorbeispringt, wie Nietzsche in gewissen anti-
metaphysischen Ambitionen gewollt und Rilke in der vierten Duineser
Elegie aufgezeigt hat. Sterben und Auferstehen sind bei Hegel keine ge-
genständlichen Charaktere eines Bewußtseienden.
Heidegger nennt den Tod (S. u. Z. S. 250) „die Möglichkeit der schlecht-
hinnigen Daseinsunmöglichkeit", dann aber auch „die eigenste, unbezüg-
liche, unüberholbare Möglichkeit11 (ebda).
Hegel hat seine Auffassung vom Tode innerhalb des Bewußtseins in der
Vorrede zur Phänomenologie des Geistes ausgesprochen: „Aber nicht das
Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein be-
wahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des
Geistes." (S. 29.) Von diesem Geist wird gesagt, daß er seine Wahrheit nur
gewinnt, „indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet" (S. 30).

294
Die absolute Zerrissenheit wird in der Phänomenologie entsprechend spät
auftaudien als die Stufe, die der Wahrheit am nächsten und so die größte
Unwahrheit ist. Hegel sagt nicht, daß der Geist sich nach der absoluten
Zerrissenheit finde, sondern „in" ihr. In diesem Zusammenhang steht die
Stelle von der Macht des Geistes, die im Verweilen im Angesichte des Ne-
gativen besteht. „Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es (das Nega-
tive) in das Sein umkehrt." Dieses Negative trägt den Namen „der
Tod", „wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen" (S. 29). Die Zau-
berkraft des Geistes wird das „Sein oder die Unmittelbarkeit" genannt,
„welche nicht die Vermittlung außer ihr hat, sondern diese selbst ist".
(S. 30) Das Verweilen des Geistes im Angesichte des Todes ist also die Ein-
heit von Unmittelbarkeit und' Vermittlung, "die über der ganzen Logik He-
gels steht. Diese Einheit kehrt das Negative, den Tod, in das Sein um. Da-
mit ist also nicht die Heideggersche Transzendenz ins Sein gemeint, son-
dern das Dialektische, daß diese Transzendenz ins Nichts des Seienden
; zugleich die Rückkehr in das Seiende der nächsten Stufe ist. Die Umkehr in
|das Sein bei Hegel ist nicht der Gang ins Sein Heideggers, sondern nach
diesem die Rückkehr in die Unmittelbarkeit der nächsten Stufe, die aller-
;(dings alle früheren Vermittlungen in sich hat. Also: das Aushalten im An-
jgesidite des Negativen ist die Auferstehung des Bewußt-Seins 'aus dem
| Tode. Die Transzendenz ins Sein im Heideggers dien Sinne ist wieder nur
die Hälfte davon. Das ist hier noch einmal zu bedenken, wo wir mit Heid-
eggers Sein zum Tode einen Zugang zur Zeitlidifceit Heideggers und mit
dem Aushalten des Todes einen Zugang zur Zeitlichkeit Hegels gewinnen
wollen. Heideggers Sichhineinhalten in das Nichts des Seienden ist daher
nicht mit der Hegeischen „Zauberkraft" zu vergleichen. Heidegger müßte
hier sagen, diese Umkehr in das Sein sei gerade eine Umkehr in das Sei-
ende, und so ist es bei Hegel auch gemeint. Zur neuen Gestalt kommt das
Bewußt-Sein dadurch, daß es im Angesichte des Nichts aushält. Dieses
Aushalten ist zugleich die Umkehr ins Seiende, es kann nicht mit der un-
dialektischen Hinausgehaltenheit ins Sein bei Heidegger identifiziert wer-
den. Bei Heidegger finden wir niemals den Gedanken, daß die Entgegen-
ständlichung zugleich die neue Vergegenständlichung ist. In der Welt der
Wahrnehmung muß man das alte Gebäude vorerst abbauen, wenn man ein
neues errichten will. In der Welt des Geistes dagegen sind beide Vorgänge
ein und derselbe. Bei Hegel kann die Umkehr des Todes nur auf dem
Grunde des Widerspruchs gedacht werden. Die Zauberkraft ist die Dialektik
selbst. In der Heideggerschen Philosophie besteht solange keine Möglich-
keit hierzu, als der Tod die „unüberholbare Möglichkeit11 ist. Hegel dagegen
müßte darauf entgegnen, daß der Tod hier gegenständlich gedacht, d. h.
hier nur vorgestellt ist. Die Frage ist daher mitten im Zeitproblem: Ist die
Kehre von der Zeit zum Sein anders möglich als dialektisch?
Bei Hegel ist die Idee selbst die Zeit. In der Idee aber ist nicht nur die
Bewegung vom Sein zur Idee, sondern auch die von der Idee zum Sein hin
enthalten. Das Zugleich beider Bewegungen sowohl in der Phänomenologie
des Geistes wie in der Logik ist daher auch für das Zeitproblem bei beiden
Denkern entscheidend.
Was hat die Idee mit der Zeit zu tun? Hegel sagt: „Der Prozeß der

295
wirklichen Dinge selbst macht also die Zeit" (Werke. Glockner IX, S. 81).
Da «die Idee alle Wirklichkeit ist, muß sie auch die Zeit im eigentlichen,
im ursprünglichen Sinne sein. „Die Idee, der Geist, ist über der Zeit, weil
solches der Begriff der Zeit selbst ist" (ebd. S. 82). Zeitliches steht im Hori-
zonte der Zeit. Dieser Horizont kann dann selbst nicht wieder zeitlich sein.
Die Zeit ist der ewige Prozeß selbst, oder doch das abstrakte Moment an
ihm, das die Einheit von Sein und Nichtsein in den endlichen Dingen, den
seienden Widerspruch macht.
Zeitliches steht «im Horizonte der Zeit. Die Zeit selbst ist nicht zeitlich.
So dachte Hegel. Seiendes steht im Horizonte des Seins. Das Sein selbst
ist daher nicht seiend. Denkt Heidegger so? Doch wohl nicht, da er sagt,
daß Sein sogar „im Wesen endlich11 ist. Seiendes ist. Sein dagegen ist doch
nichts anderes als dieses „ist11. Kann dieses „ist" als solches wiederum sein?
Kann der Horizont des Seienden, das Sein, seinerseits einen Horizont haben,
der mit.ihm, dem Horizonte, zum mindesten in Analogie stehen müßte? Hät-
ten wir dann nicht alles als Seiendes vorgestellt? Sollte hier nicht die Frage
erlaubt sein, ob der Horizont des Seins nicht die Sprache, das möge in un-
serem Zusammenhange nur heißen, die Dialektik, ist? Nach Hegel sind
Zeit lind Prozeß selbst zeitlos. „Denn wir müssen unterscheiden, ob etwas
der ganze Prozeß, oder nur ein Moment des Prozesses ist" (Werke. Glock-
ner IX, S. 82). In dem hier herangezogenen Pariagraphen selbst heißt es
dann: „Darum ist das Endliche vergänglich und zeitlich, weil es nicht, wie
der Begriff, an -ihm selbst die totale Negativität ist, sondern diese als sein
allgemeines Wesen zwar in sich hat, aber ihm nicht gemäß, einseitig ist,
daher sich zu derselben als zu seiner Macht verhält" (Werke. Glockner IX,
S. 80). Wieder hängt alles an der Auffassung des Wesensbegriffes. Die ab-
solute Negativität ist zeitlos. Aber nicht, weil sie ein sogenanntes Ideales,
irgendwo über der Zeit ist, sondern weil sie die Zeit selbst ist, die abstrakte
Einheit von Sein und Nichtsein, die Einheit des Widerspruchs alles Seien-
den, die Identität der Identität und Nichtidentität, Was dagegen die totale
Negativität nur „als sein 'allgemeines Wesen" zwar in sich hat, aber sie
nicht ist, ist nicht die Zeit, sondern nur zeitlich.
So haben wir auch bei Hegel den Unterschied zwischen einer ursprüng-
lichen Zeit und -einer Weltzeit. Was noch nicht zur Negation der Negation
gekommen ist, ist im ursprünglichen Sinne von Zeit noch nicht zeitlich,
was (bei Hegel „ewig" heißt. Es hat die absolute Negativität nur als all-
gemeines Wesen in sich, so wie „Etwas" im ersten Teile der Logik den
Widerspruch zwar in sich selbst hat, aber nicht als gesetzten und begrif-
fenen. So ist „etwas" zwar auch zeitlich, «aber in einem noch unmittelbaren
und gegenständlichen Sinne. Und so gibt es bei Hegel eine Kontinuität der
sich in der Logik konstituierenden Zeit von „Etwas" bis zur Idee, die selbst
die Zeit schlechthin ist. Wie in der Logik von der Zeit nicht die Rede ist,
so in der Phänomenologie des Geistes nicht von der Idee. Aber beide sind
in der Sache beider Werke.
Bei Heidegger müssen wir eine ursprüngliche Zeitlichkeit von der In-
nerzeitigkeit der Dinge unterscheiden. Die ursprüngliche Zeitlichkeit zei-
tigt so etwas wie eine Weltzeit, eine Art vergegenständlichter Zeit, der
Heidegger jedoch den eigentlichen Zeitcharakter abspricht, Die Dinge sind

296
zwar innerzeitig, im strengen Sinne des Wortes jedoch nicht zeitlich. Diese
„Innerzeitigkeit des Zuhandenen und Vorhandenen" (S.u. Z. S. 420) ist un-
eigentliche Zeit. Solches Seiende ist wie jedes nichtidaseinsmäßige Seiende,
wie zunächst schroff gesagt wird, unzeitlich, „mag es real vorkommen, ent-
stehen und vergehen oder fideal' bestehen" (S. u. Z. S. 420).
Kann Heidegger den innerzeitigen Dingen eine Art abgeleiteter Zeit-
lichkeit zugestehen? Die Hegeischen Dinge, so sahen wir, haben einmal
schon vom Bewußtsein an sich, dann begann ihre Zeitlichkeit schon im
„Etwas" der Logik. Heidegger scheint hier zunächst mehr in der transzen-
dentalphilosophischen Nähe Kants zu stehen, der Zeit als eine Form der
menschlichen Anschauung sieht. Aber nach Heidegger soll das Sein als
Anwesen selbst „im Wesen endlich11 sein.* Wir stehen damit wieder bei
der Frage n/ach der Kehre. Bei Heidegger hat bis heute die Entgegenständ-
lichungden Vorzug, und dadurch nimmt das! Verhältnis von Urzeit und Welt-
zeit den Charakter der Degeneration an. Müssen wir deshalb Innerzeitlich-
keit .als Unzeitlidikeit lesen?
Zum Schlüsse muß noch auf das Verhältnis einer ursprünglichen Seins-
geschichte zur Weltgeschichte eingegangen werden. Nach Heidegger
könnte nur .die erste im eigentlichen Sinne zeitlichen Charakter tragen.
Indem die Zeit sich verweltlicht, indem der Mensch seine Zeitlichkeit aus
[der Innerzeitlidikeit der Dinge her versteht, geschieht eine Veröffent-
l lichung der Zeit, die bei Heidegger als Degeneration begriffen wird. Die Ur-
geschichte des Seins könnte mit der Geschichte des absoluten Geistes bei
Hegel verglichen werden. Urgeschichte, Weltgeschichte und Naturge-
schichte scheinen bei Heidegger weiter auseinandergehalten zu werden
als bei Hegel, auch wenn wir die Innerzeitigkeit der natürlichen Dinge als
sekundäre Zeitlichkeit und nicht als Abwesenheit jeder Zeitlichkeit zu be-
greifen hätten.
Hegels Begriff der Weltgeschichte kann nicht als ein Abfall von einer
ursprünglichen Geschichte der Idee »begriffen werden. Die Geschichte bei
Hegel muß immer sowohl die ungegenständliche Zeit wie die vergegen-
ständlichte der Welt enthalten. Es kann bei ihm niemals das Entweder-Oder
einer gegenständlichen oder ungegenständlichen Zeit geben. Bei Heidegger
dagegen geschieht das Transparentwerden des Weltgeschichtlichen
auf die ursprüngliche Geschichte in der „ E n t g e g e n w ä r t i g u n g des
Heute11 und' „Entwöhnung von den Ublichkeiten des Man" (S. u. Z.
S. 391). In diesem Zusammenhange sagt Heidegger vom innerweltlich
Seienden, daß es „als solches geschichtlich11 (S. 389) ist. Seine Geschichte
bedeute nicht ein Äußeres, das die innere Geschichte der Seele ledig-
lich begleite (S. u. Z. S. 388,89). „Wir nennen dieses Seiende das
W e l t - G e s c h i c h t l i c h e . 1 1 (S. 389) Damit ist das Innerzeitige ja
als Zeitliches, wenn auch vielleicht nodi sekundär Zeitliches gedacht.
Dennoch läßt der Zug des Man zu dem Aufenthalt beim Seienden,
dessen Verlorenheit von Heidegger ja mit Pascalscher Schärfe beschrieben
ist, die Notwendigkeit der Rückkehr in das Man gerade innerhalb der Ge-
schichte nicht zur Sprache kommen. So kann es eigentlich keinen Über-
gang von der Seinsgesdiidite zur Weltgeschichte geben. Hierin lag für
uns der Hauptunterschied beider Denker in der Seinsfrage, beim Problem

297
der Wahrheit, dem Problem der Zeit, wie jetzt beim Verhältnis von Seins-
gesdiichte und Weltgeschichte. Er war schon bei der Interpretation der Ein-
leitung der Phänomenologie -entscheidend. Nach Hegel wäre die Zeit des
Seienden nicht als weniger ursprünglich zu begreifen als die des Seins.
Die Zeit des absoluten Geistes ist nicht ursprünglicher als die der Welt-
geschichte.
Heidegger sagt über das Wesen der Weltgeschichte: „Aus der Epoche
des Seins kommt das epochale Wesen seines Geschickes, worin die eigent-
liche'Weltgeschichte ist. Jedesmal, wenn das Sein in seinem Geschick an
sich hält, ereignet sich jäh ,und unversehens Welt." Ferner: „Das epochale
Wesen des Seins gehört in den verborgenen Zeitcharakter des Seins und
kennzeichnet das im Sein gedachte Wesen der Zeit" (HW. S. 311). Der
Grund der Weltgeschichte ist das Sichschicken des Seins in das Seiende.
Das Sein schickt sich in seine eigene Verbergung. Darin müßte für Heid-
egger dann auch der notwendige Irrtum der weltgeschichtlich Handelnden
liegen. Ein Irrtum, der im Wesen des Da-seins der Handelnden selbst liegt,
was kein Gegensatz dazu ist, daß dieser Irrtum, diese Irre im Entzug des
Seins liegt. Hier scheinen mir, soweit die Heideggersdien Andeutungen
solches hergeben, Heidegger und Hegel in bezug iauf das Problem der
Weltgeschichte ein Stück zusammenzugehen.

Widerstreit und Widerspruch


Gleich ist jedoch auf den Unterschied aufmerksam zu machen. Die Ge-
schichte des Seins ereignete sich bei Heidegger aus dein Widerstreit, der
im Verhältnis von Sein und Seiendem in der ontologisdien Differenz selbst
liegt. Die Geschichte bei Hegel ist das Leben des absoluten Geistes, der
sich in den verschiedenen Formen des seienden, des wesenden und des
begriffenen Widerspruchs als Idee enthüllt und sich als Staat, Weltgeist
und absoluter Geist zum Fünsidisein bringt. Widerstreit und Widerspruch
müssen daher auch hier, wie in .allen früheren Themen, geeignet sein, die
Differenz in der Sache beider Denker zu fassen.
Bei Hegel war die bestimmte Negation die Bedingung der Möglichkeit
der Stufen in der Phänomenologie des Geistes, also der Wesensgeschichte
des Bewußtseins wie auch des Fortgangs der ganzen Geschichte des Men-
schen. Bei Heidegger liegt dagegen das Hauptaugenmerk auf der Ent-
gegenständlidiung. Wenn alle Vergegenständlichung mit dem Verdikt be-
legt wird, zur Metaphysik zu gehören, so kommen wir zur Herabdrückung
alles Weltgeschichtlichen in -die Umtriebe des Man,
Im Wahrheitsproblem wollte Heidegger die Aussage Wahrheit auf ein
ursprünglicheres Geschehen zurückführen, während bei Hegel die Unwahr-
heit der Reflexionsphilosophie in der Naivität der Eindeutigkeit der Aus-
sagen lag, sofern .in ihr nicht schon die Zweideutigkeit enthalten sein soll.
Hegel könnte den Widerspruch niemals aoif einen Widerstreit zurückfüh-
ren, weil das bei ihm die Zurückführung des begrifflichen Widerspruchs
auf den seienden wäre.
Die Situation an dieser entscheidenden Stelle heute zu bestimmen ist
nicht leicht. Vielleicht steht hier der Herrschaft der formalen Logik bis zur

298
Logistik die Knechtschaft der Dialektik gegenüber, die einander auf Leben
und Tod begegnen müßten, wenn die Dialektik überhaupt polemisch ge-
stimmt wäre. Hierbei springt nur derjenige durch den Tod des Bewußt-
seins — nicht des Bewußtseienden, welches vielleicht der gegenständlich
zu nennende Irrtum* der Tragödie ist —, der „innerlich 'aufgelöst11 wurde,
der „durchaus in sich selbst erzittert" hat, in dem „alles Fixe gebebt" hat
(Ph. d. G. S. 148). Erscheint aber solches Erzittern des Menschen als Stimme,
so haben wir vielleicht einen Einblick in den nicht zu ergründenden Ur-
sprung der Sprache getan. Solches Erzittern begleitet die Tonalität der
Sprache vom Lallen des Kindes bis in ihre herrlichsten Schöpfungen.
Formale Logik und Dialektik aber können deshalb nicht gegen-
einander polemisch werden, weil sie nicht in einer Ebene liegen,
nicht denselben Boden unter den Füßen haben. Wir müssen lernen,
Hegels Phänomenologie so zu lesen, daß dieses innere Erzittern beim
Übergang jeder Stufe in die nächste erscheint, ja daß auf Grund dieses und
keines landeren Geschehens alle Stufen in allen scheinen. So werden auch
.Herrschaft und Knechtschaft in allen Stufen erfahren. Daher allein ist es
jnicht möglich, nach so etwas wie einer ontologischen Verwurzelung des
[Widerspruches zu fragen. Die Hegeische Philosophie ist wie jede sich
i l selbst verstehende Dialektik aller Ontologie gegenüber bodenlos. In -dieser
l Heimat- und Bodenlosigkeit hat sie nicht ihre Not, sondern ihre Wahrheit.
; Wenn Heidegger dagegen, das Zugrundegehen des Seienden an seinem
Widerspruch nicht kennt, sondern den Widerstreit in der ontologischen
Differenz zwischen Sein und Seiendem, der dadurch ist, daß das Sein sich
verhält (im Sinne des Zurückhaltens), indem es nicht als es selbst, sondern
als Seiendes erscheint, so ist dieser ontologische Widerstreit nicht zu
schnell mit dem Widerspruch Hegels zu vergleichen. Es scheint mir im
gegenwärtigen Augenblick besser, Widerspruch und Widerstreit in ihrer
Unvereinbarkeit stehen zu lassen.
Allerdings kennt auch Hegel das Ansichhalten des Seins, und zwar ge-
rade in seiner Form als Idee. Einmal konstituierte auch bei Hegel die Un-
wahrheit innerhalb des Wesens der Wahrheit die Gegenständlichkeit. Wenn
man also den Widerstreit vom Ansichhalten des Seins her sieht, also ge-
rade in der Entbergung des Seins als Seiendes, so scheint mir darin die
entscheidende Differenz zu Hegel nicht ausgesprochen. War das In-den-
Kampf-Sdiicken der Leidenschaften durch die Idee nicht ein Ansichhalten
dieser Idee selbst? „Nicht die allgemeine Idee ist es, welche sich in Gegen-
satz und Kampf, welche sich in Gefahr begibt; sie hält sich unangegriffen
und unbeschädigt im Hintergrund und schickt das Besondere der Leiden-
schaft in den Kampf, sich abzureiben11 (Philosophie der Weltgeschichte.
Meiner 1944, S. 83). Hier hat die Idee ihr christliches Angesicht verhüllt,
indem sie als Weltgeschichte erscheint.
Aber auch bei Heidegger hat die Wahrheit nicht nur den Aufenthalt
im Sein, sondern eine Gestalt im Seienden, nämlich in der Gestalt des
Kunstwerks. „Geschaffensein des Werkes heißt: Festgestelltsein der Wahr-
heit in die Gestalt* (HW. S. 52). Im Seienden des Kunstwerks wird das
sonst im Seienden gerade Verborgene offenbar: nämlich das Sein selbst.
Haben wir in der Phänomenologie des Geistes nicht eine ähnliche Of-

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Teilbarkeit gerade in den Gestalten, wenn „für uns oder an sich" der Weg
doch nicht vergessen ist, und auch die Vergeßlichkeit des Bewußtseienden
von Stufe zu Stufe geringer wird? Dennoch machen sich Idee und absoluter
Geist in den Gestalten Hegels nicht verfügbar. Aber auch dieses ist nicht
so eindeutig, wenn man das Christliche in dem allen nicht einfach über-
hört. Die Frage an Heidegger lautet von hier aus: Ist das Sichentbergen
des Seins ins Seiende ein eindeutiges Sichnichtverfügbarmachen und nicht
vielmehr ein dialektisches Sichverhalten im Sichverschenken?
Aber der Widerstreit soll nicht auflösbar sein, während der Wider-
spruch es ist. Hier hätten wir einen Gegensatz in der Sache beider Den-
ker, der von den größten Konsequenzen bis in das Politische und Sozio-
logische hinein sein müßte. Nach Hegel ist das Einkehren in die Wirksam-
keit des seienden Widerspruches (der Tod) derselbe Vorgang wie seine
Auflösung (die Auferstehung). Beides nicht als Seiendes vorgestellt, son-
dern innerhalb des Bewußt-Seins. Nach Hegel wäre die Unauifihebbarkeit
des Widerstreits die Unmöglichkeit der Bewegung des Bewußtseins.
Der Unterschied zwischen Widerstreit und Widerspruch ist .also im
Vorrang des Seins vor dem Seienden bei Heidegger begründet. Es ist die
Variation des -gleichen Themas, das uns von Anfang unserer Ausführungen
beschäftigt. Bei Hegel kann es weder den Vorrang des Seins noch den des
Ursprungs, noch den des Anfänglichen geben, weil bei ihm die Gewichte
zwischen Sein und Seiendem weitläufiger verteilt sind.
Dennoch sed zum Schluß noch einmal auf den Kunstaufsatz Heideggers
hingewiesen. Hier ist die Wahrheit als der Urstreit ausgesagt, „in dem je
in einer Weise das Offene erstritten wird" (HW. S. 49). Im Kunstwerk
setzt sich die Wahrheit ins Werk. In ihm erscheint nicht ein besonderes
Seiendes, sondern in dem Seienden und von dem Seienden des Kunstwerks
her erscheint und stellt sich dar: das, was sie sind, also ihr Sein. „Im Werk
dagegen ist dieses, daß es als solches i s t , gerade das Ungewöhnliche"
(HW S. 53). Wenn es Heidegger an einer Stelle gelungen ist, Kunst und
Wahrheit in einen gültigen Bezug zu setzen, so hier, wo gezeigt wird, daß
zum Wesen des Kunstwerkes die Darstellung dessen gehört, „daß über-
haupt solches Werk ist und nicht vielmehr nicht ist" (HW. S. 53). Der zu-
handene Hammer dagegen, das Werkzeug, das durch Dienlichkeit charak-
terisiert ist, hat seine Tugend in der Unauiffälligkeit. Er schweigt gerade
von seinem Sein. Im Kunstwerk dagegen erstrahlt in der seienden Ge-
stalt diese sowohl in ihrem Sein wie Erde und Welt von ihr aus. Hier
haben wir das Sein im Seienden und darum, wo man es vielleicht am
wenigstens vermutet, die 'größte Nähe zu Hegel. Eine Interpretation des
Kunstaufsatzes von Heidegger hätte zu zeigen, daß in ihm ein Niveau des
Philosophierens erreicht ist, das auch in der Phänomenologie Hegels keine
Ästhetisierung der Wirklichkeit mehr erblickt. Denn selbst beim Kunst-
werk handelt es sich um „Wahrheit" und nicht um ästhetische Phänomene,
Sollten wir mit der Nähe dieser Gedanken über den Urstreit als Wider-
streit ,zum immanenten Widerspruch Hegels nicht völlig vorbeigesehen
haben — was allerdings bei Heideggers bekannter Stellung zur Dialektik
zu erwarten ist —, dann könnte man zum Verständnis der Heideggerschen
Philosophie doch die These wagen, daß sie auf ihrem eigenen Boden.

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nachdem sie im Räume Kant-Fichte begann, langsam, wenn auch nach den
Erfahrungen des 19. Jahrhunderts nur zögernd, auf die Philosophie Hegels
zugeht.

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