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PROBLEME UND METHODEN DES ALLGEMEINEN

KANTINDEX *

DER ALLGEMEINE KANTINDEX


UND SEINE PHILOSOPHISCHEN PROBLEME

von Gottfried Martin, Bonn

Wilhelm Dilthey hat im Jahre 1894 einen Beschluß der Preußischen Akademie
der Wissenschaften in Berlin herbeigeführt, eine vollständige kritische Gesamt-
ausgabe der Schriften von Immanuel Kant zu veranstalten. Im Jahre 1901 konnte
der erste Band erscheinen. Von der Ausgabe liegen inzwischen die drei ersten Ab-
teilungen: die Werke, die Briefe und der Nachlaß, vollständig vor. Von der vier-
ten Abteilung, Vorlesungsnachschriften, sind inzwischen zwei Bände erschienen.
Insgesamt liegen damit bis jetzt 25 Bände vor. Die gesamte Ausgabe wird etwa
29 Bände umfassen, und man darf hoffen, daß die noch ausstehenden vier Bände
in absehbarer Zeit erscheinen werden.
Es ist selbstverständlich, daß eine so große Ausgabe einen angemessenen Index
braucht, und noch mehr gilt die Notwendigkeit eines angemessenen Index für die
Ausgaben, die in diesem Jahrhundert begonnen sind: die Gesamtausgaben von
Leibniz und von Husserl. Diese beiden Gesamtausgaben werden weit umfang-
reicher sein als die Akademieausgabe von Kant, und damit wird die Notwendig-
keit eines angemessenen Index noch viel dringender. Die Schwierigkeit der Frage
liegt darin: Was ist ein angemessener Index. Eines ist klar, daß für die Forschung
nur ein Index von ansehnlichem Umfang einen Wert hat. Die klassische Index-
arbeit erstrebt die Angabe aller wichtigen Wörter an allen wichtigen Stellen. Wir
haben zwei Vorbilder dafür. Das eine ist der Index Aristotelicus von Bonitz, der
im Anschluß an die Akademieausgabe von Aristoteles schon 1861 erschienen ist.
Das zweite ist das Goethewörterbuch, das im Anschluß an die Weimarer Ausgabe
die Verzettelung beendet und mit dem Druck 1966 begonnen hat.
Sowohl der Index Aristotelicus als auch das Goethewörterbuch beruhen, wie
ich schon sagte, auf der klassischen Methode, für alle wichtigen Worte alle wich-
tigen Stellen zu bringen. Die modernen elektronischen Methoden dagegen eröff-
nen die Möglichkeit, einen Index als Thesaurus zu schaffen, das heißt für jedes
Wort jede Stelle anzugeben. Ich habe im Jahre 1952 mit den Vorarbeiten zu einem

* Drei Vorträge, gehalten am 4. 9. 1968 auf dem XIV. Internationalen Kongreß für
Philosophie in Wien.

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Allgemeinen Kantindex begonnen und zunächst etwa 6 Jahre lang nach der
klassischen Methode gearbeitet. Im Jahre 1958 habe ich mich entschlossen, die
klassische Methode zu verlassen, und mit elektronischen Methoden einen Index
zu schaffen, der für jedes Wort jede Stelle verzeichnet. Über die von uns ange-
wandten Methoden werden zwei meiner Mitarbeiter berichten. Ich darf mich auf
die philosophischen Probleme des Kantindex beschränken und die Frage aufwer-
fen: Welchen Wert hat für die Philosophie ein Thesaurus, das heißt also, ein Index,
der für jedes Wort, also auch für jedes ,undV,nicht', ,ist', ,aber* jede Stelle ver-
zeichnet. Der Allgemeine Kantindex, der diese Methode verfolgt, ist bewußt als
ein Experiment angelegt. Wir haben gezeigt, daß das Problem eines Thesaurus
technisch lösbar ist, die künftige wissenschaftliche Arbeit muß zeigen, ob ein
Wort-für-Wort-Index wissenschaftlich wertvoll, das heißt aber, ob er wissenschaft-
lich notwendig ist.
Eines ist von vorneherein klar, daß ein Wort-für-Wort-Index für alle sprach-
lichen Probleme ein kostbares Handwerkszeug sein wird. Untersuchungen über die
Struktur und die Entwicklung der deutschen Sprache sind jetzt nicht mehr auf das
Sprachgefühl des Untersuchenden angewiesen, jetzt stehen genaue Unterlagen zur
Verfügung. Mit zwei kleinen Arbeiten, die soeben in Druck gehen, hoffe ich auf
die Möglichkeiten hingewiesen zu haben.
Aber hat ein Wort-für-Wort-Index auch für die Philosophie eine Bedeutung?
Ich glaube diese Frage mit Nachdruck bejahen zu dürfen. Eine Untersuchung über
das Problem Analytisch-synthetisch' bei Kant habe ich soeben abgeschlossen, eine
Untersuchung über das Problem des Systems bei Kant habe ich unter den Händen.
In beiden Untersuchungen zeigt sich, daß sowohl für synthetisch' als auch für
,System* bei Kant eine ganze Reihe von Bedeutungen vorliegen. Ich halte dies
nicht für einen Schaden. Die Bedeutungsentfaltung dieser Termini zeigt in Wirk-
lichkeit erst den Zusammenhang mit der Tradition, aber auch mit der Arbeit der
konkreten Wissenschaft. Sowohl synthetisch' als auch ,System* sind ja längst ge-
brauchte wissenschaftliche und philosophische Termini. Jetzt erst können wir das
Entstehen der spezifisch Kantischen Bedeutung in systematischer und in zeitlicher
Hinsicht genau verfolgen. Aber erst die künftige Arbeit mit diesem neuen Hand-
werkszeug wird den vollen Wert des neuen Instrumentes zeigen.
Freilich wird es auch helfen, Fragen negativ zu beantworten. So bin ich gefragt
worden: Was ist der Unterschied zwischen Urteilskraft und Urteilsvermögen? Der
Index zeigt, daß Kant ständig den Terminus Urteilskraft benutzt, und zwar etwa
300 mal. Dagegen kommt der Terminus Urteilsvermögen nur ein einziges Mal
vor, und die Frage kann also aus dieser einzigen Stelle vollkommen geklärt wer-
den, insbesonders dahin, daß es sich nicht um einen spezifisch Kantischen Termi-
nus handelt.
Bei diesen Untersuchungen hat sich die große Bedeutung eines auf dem Thesau-
rusprinzip aufgebauten Wort-für-Wort-Index bestätigt. Man kann jetzt sicher sein,'
daß man alle Stellen in der Hand hat, und diese absolut sichere Vollständigkeit
erweist sich als ein Instrument von großem Wert. Aber es ist selbstverständlich,

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daß die eigentliche Bewährung des Thesaurusprinzips erst dann erfolgen wird,
wenn es in den breit gestreuten Arbeiten der Kantkenner auf seinen Wert geprüft
wird.
Für den Allgemeinen Kantindex stellt sidi noch eine weitere Frage. Er ist zu-
gleich ein Experiment für einen allgemeinen Index der gesamten wissenschaftlichen
Literatur. Bereits Leibniz hat einen Thesaurus omnis humanae scientiae gefordert.
Dabei hat er in einer sehr überzeugenden Weise gesagt: eine Wissenschaft, die
nicht weiß, was sie weiß, ist wie eine Bibliothek, die keinen Katalog hat, oder wie
ein Kaufmann, der keine Bücher führt. Ich brauche nicht zu sagen, daß die Pro-
bleme eines Thesaurus omnis humanae scientiae heute, bei der lawinenhaft ange-
schwollenen Flut der wissenschaftlichen Publikationen, ein noch weit schwereres
Gewicht erhalten.
Es gibt, soweit ich sehen kann, drei Möglichkeiten: Die erste Möglichkeit ist ein
Titelverzeichnis aller wissenschaftlichen Publikationen. Die zweite Möglichkeit ist
die Erstellung von Zusammenfassungen, von Abstracts, wie sie in den chemischen,
den physikalischen, den mathematischen Zentralblättern geübt wird. Diese Me-
thode kann auch als Stichwortmethode ausgebildet werden. Die dritte ist das
Thesaurusprinzip, nach dem die gesamte wissenschaftliche Literatur auf Band ge-
nommen und dann Wort für Wort indiziert wird.
Vergleicht man die drei Methoden, so ergibt sich bald, daß die erste Methode,
ein bloßes Titelverzeichnis aller wissenschaftlichen Publikationen zwar notwendig,
aber unzureichend ist. Es kommt also auf einen Vergleich der Methode der Zu-
sammenfassungen mit der Thesaurusmethode an. Nun haften der zweiten Methode
doch eine ganze Reihe von Mängeln an. Sie verlangt zunächst einen großen Stab
von hochqualifizierten Mitarbeitern. Dann ist sie langsam und in Bezug auf Voll-
ständigkeit nicht zuverlässig. Schließlich müssen die Zusammenfassungen ihrer-
seits wieder in großen Registern aufgeschlossen werden. Die dritte Methode
schließlich, die gesamte wissenschaftliche Literatur Wort für Wort zu indizieren,
sieht zunächst wie eine Utopie aus. Natürlich ist sie erst dann realisierbar, wenn
wir Lesemaschinen haben. Aber die an das Programmieren gestellte Aufgabe, aus
jeder wissenschaftlichen Publikation das sachlich Wichtige auszuschütteln, wird
nicht unlösbar sein. Die Elektronenrechner unserer Zeit wären dann in der Lage,
das Problem technisch zu bewältigen. —Aus den vorliegenden Arbeiten, dem Index
Aristotelicus, dem Homerwörterbuch, dem Goethewörterbuch und dem Kantindex
wird man schließen dürfen, daß ein Thesaurus omnis humanae scientiae ungefähr
denselben Umfang haben dürfte wie die wissenschaftliche Literatur selbst, so daß
unsere Bibliotheken sich durch einen vollständigen Index aller ihrer Bestände
etwa verdoppeln würden.
Es ist klar, daß der Thesaurus omnis humanae scientiae eine Aufgabe darstellt,
die noch unser Jahrhundert wird angreifen müssen. Die Wahl wird sein zwischen
der Methode der Zusammenfassung und der Methode des Thesaurus. Beide Me-
thoden sind technisch möglich. Welche Methode die wissenschaftlich bessere ist,
und welche Methode also verwirklicht werden muß, das können erst weitgespannte

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Experimente zeigen. Von diesen Experimenten wird der Allgemeine Kantindex
kein unwichtiger Teil sein: an ihm wird sich zeigen, welche Bedeutung in der Philo-
sophie und welche Bedeutung in den Geisteswissenschaften überhaupt ein auf dem
Thesaurusprinzip aufgebauter Index hat, und nach meiner Überzeugung wird
sich in absehbarer Zeit erweisen, daß ein solcher Index ein unentbehrliches Werk-
zeug ist.

DER ALLGEMEINE KANTINDEX


UND SEINE ELEKTRONISCHEN PROBLEME

von Hans Adolf Martin, Bonn

Im folgenden soll kurz über die Herstellung des Index mittels elektronischer
Rechenanlage berichtet werden. Das Beispiel wird zeigen, daß diese Geräte auch
in den Geisteswissenschaften ein interessantes Hilfsmittel werden können. Die ent-
sprechenden Bemühungen reichen bis in das Jahr 1677, als Leibniz eine in Hanno-
ver zu sehende mechanische Rechenmaschine konstruierte.
Auch heute noch arbeiten die Rechner nach einfachen mathematischen und logi-
schen Gesichtspunkten, doch haben erst die letzten Jahrzehnte die entscheidenden
Fortschritte in zwei wesentlichen Punkten gebracht: Der erste Punkt ist die hohe
Arbeitsgeschwindigkeit. Sie mildert das krasse Mißverhältnis zwischen logischer
Operation und menschlicher Handlungsweise. Da moderne Geräte 300 000 Opera-
tionen pro.Sekunde leisten, können einfache Prozesse wie Rechnen und Sortieren
sehr schnell, komplizierte — wie die Simulation eines Industriebetriebes — in er-
träglicher Zeit nachgeahmt werden. Der zweite Punkt ist die Programmierbarkeit.
Eine elementare Operation wie „Addieren" oder „Vergleich zweier Zahlen" ge-
hört zu den unmittelbaren Fähigkeiten eines Rechners und wird Befehl genannt.
Mit diesen Befehlen konstruiert man komplizierte Eigenschaften. Durch dieses
Kombinationsprinzip erhalten die Rechner eine beachtliche Flexibilität. Daneben
können sie Entscheidungen fällen in folgender Form: ist A > B so nehme einen
bestimmten Befehl als nächsten, ist A == B so nehme einen anderen als nächsten,
ist A < B so nehme einen dritten als nächsten. Diese Fähigkeit muß besonders
betont werden.
Sie hat zur Folge, daß der Mensch zwar alle möglichen Entscheidungen kennt,
die aktuellen aber nur der Rechner. Wenn Sie weiterhin im Auge behalten, daß
der Rechner sein eigenes Programm ändern kann, so wird wohl plausibel, daß
alle auf logische Berechnungen zurückführbaren Handlungen nachgeahmt werden
können, z. B. so komplizierte Vorgänge wie das Lernen. Das Problem ist heute
weniger die technische Durchführbarkeit als die logische Durchführung eines Pro-
blems.

201
Ein interessanter Anwendungsbereich wird das Problem der Informationser-
schließung sein. Es geht um die einfache Frage: Wie kann ich mir vorhandenes
Wissen bewußt machen. Ein erster Ansatz ist die Indizierung. Sie wurde für die
Werke Kants in folgender Form durchgeführt: Zugrundegelegt wird eine beste-
hende Textausgabe. Ihr Inhalt wird mit schreibmaschinenähnlichen Geräten auf
Lochkarten übertragen. Ein Band von 500 Seiten erfordert ca. 20 000 Lochkarten
und 150 Stunden Arbeit. Die Karten werden vom Rechner gelesen und auf
Magnetband übertragen. Dieses Band stellt den maschinenlesbaren Originaltext
dar. Ein Magnetband kann 7 Textbände aufnehmen und kann in 6 Minuten ge-
lesen oder beschrieben werden. Zur Korrektur wird das Band ausgeschrieben und
mit dem Original verglichen. Jeder Zeile entspricht eine Karte. Eine falsche Zeile
wird neu gelocht und ergibt eine Korrekturkarte. Das Magnetband wird nun ko-
piert und dabei jede falsche Karte durch die Korrekturkarte ersetzt.
Der nächste Schritt ist die Abtrennung einzelner Worte. Es wird ein Katalog
von Zeichen aufgestellt, die zur Wortbegrenzung dienen. Solche Zeichen sind:
Zwischenraum, Punkt, Komma und andere. Die restlichen Zeichen sind Bestand-
teile eines Wortes wie A, B oder C. So gelingt es von vorne beginnend Wort für
Wort aus dem Text zu lösen. Jedem Wort wird eine Angabe über die Herkunft,
bestehend aus Band, Seite und Zeile, zugefügt. Diese Kombination von Wort und
Quelle kann nun sortiert werden. Ein Band der Akademieausgabe enthält ca.
150 000 Worte und ist in 50 Minuten sortiert. Dabei sammeln sich alle gleichartigen
Worte zu einer Reihe, innerhalb derer nach der Quelle sortiert wird. Ein nach-
folgendes Druckprogramm bringt den Inhalt des sortierten Magnetbandes auf
Papier. Es nimmt das erste Wort einer Reihe als Stichwort einer Zeile und setzt
alle Quellen dieser Reihe in diese oder nachfolgende Zeilen. Die Häufigkeit eines
Wortes ergibt sich einfach aus der Anzahl der Quellen. So entsteht ein Katalog
in alphabetischer Reihenfolge mit zugehörigen Stellenhinweisen. Der Katalog ent-
hält die volle Information des Originaltextes, denn man kann diesen daraus re-
konstruieren.
. Wieweit eine Bearbeitung möglich ist, wird das Ziel der nächsten Untersuchun-
gen sein. Ohne Zweifel darf kein Informationsverlust und damit eine Entwertung
des Index entstehen. Die wirkliche Ausführung des beschriebenen Weges ist aller-
dings mühsamer. Die verwendeten Programme umfassen wohl 30 000 Befehle. Es
bilden sich jedoch in zunehmendem Maße Programmbibliotheken, denen man um-
somehr fertige Programme entnehmen kann, je weniger individuell die eigenen
Wünsche sind. — Nach der Herstellung des Index entsteht die Frage der Druck-
legung. Es werden Programme entwickelt, welche die Arbeit des Buchdruckers,
insbesondere des Setzers übernehmen. Eine günstige Voraussetzung war, daß der
zu druckende Text schon maschinenlesbar vorlag. Wir entschlossen uns zu diesem
Weg, weil es wahrscheinlich ist, daß die Qualität der Setzmaschinen von den im
Rechenbetrieb benutzten Druckern in absehbarer Zeit erreicht wird.
Die Eingabe eines in gedruckter Form vorliegenden Textes bereitet größere
Schwierigkeiten. Befriedigende Lesemaschinen existieren vorläufig nicht, so daß

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ein Ablochen weiterhin üblich bleiben wird. Günstiger liegen die Verhältnisse bei
Werken, die zur Zeit in Drude sind. Bei der Herstellung des Satzspiegels ent-
steht ein Lochstreifen, der von Rechengeräten gelesen werden kann und für In-
dizes äußerst wertvoll ist.
Es darf allerdings die Frage aufgeworfen werden, wieweit überhaupt noch das
Papier als Informationsträger üblich bleiben wird. Es gibt schon heute die Mög-
lichkeit, über Fernsehschirme mit Rechenautomaten in Verbindung zu treten, und
dieser Griff wird so trivial werden, wie unser Griff zum Telefon. — Interessan-
ter und tiefgehender sind die Fragen, wie man Textstellen auch dann finden kann,
wenn man sie nur sinngemäß umschreiben kann, was sich also eigentlich hinter
s dem Won „Sinn" verbirgt. Hier können wir zur Zeit nur ausführen, was wir
j auch logisch bewältigen können.

LINGUISTISCHE ASPEKTE DES KANTINDEX

von D. Krallmann, Bonn

1. Benutzt man elektronische Rechenmaschinen zur Bearbeitung sprachlicher


Probleme, so ergibt sich zwangsläufig eine gewisse Reihenfolge des Analysen-
prozesses. Diese Reihenfolge hat einmal technische Gründe, zu ihnen gehören Fra-
gen der Kodierung und Probleme der Ein- und Ausgabe; zum anderen ist die
Reihenfolge bedingt durch eine vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt aus ge-
sehene Problematik, die darin besteht, linguistische Einheiten, die oft nur intuitiv
bzw. tentativ beschrieben werden können oder sogar nur als Phänomene bekannt
sind, formal, d. h. extensional derart zu definieren, daß sie maschinell zu mani-
pulieren sind.
Ich möchte mich hier in erster Linie dieser Problematik widmen und die Ar-
beiten am Allgemeinen Kantindex unter linguistischen Gesichtspunkten betrachten.
Sie betreffen insbesondere Wortdefinitionen und im weiteren den Versuch einer
Charakterisierung philosophischer Begriffe mit linguistischen Mitteln. Sie spiegeln
sich jedoch auch wieder in der Reihenfolge, in der die Ergebnisse zum Allgemeinen
Kantindex vorgelegt werden, angefangen bei einem Wortindex, einem Stellen-
index bis hin zum Sachindex.
2. Eine maschinelle Bearbeitung sprachlichen Materials, sei es Sprachanalyse,
-Übersetzung, -dokumentation usw., setzt zur Zeit noch eine Übertragung der
Daten auf Lochkarten, -streifen oder ähnliche Informationsträger voraus. Für die'
Arbeiten am Allgemeinen Kantindex wurden Lochkarten zur Eingabe in den Com-
puter verwendet. Der Kantische Text wird Vollständig auf Lochkarten über-

203
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Rangiuufigkeitsliste (entnommen, der Kr« d* r. V.)


Rang HFK Wortform Rang HFK Wertform
1 8032 DER 12S 246 ERSCHEINUNG
2 5662 DIE 129 246 GANZ
3 4014 UND 130 243 DEREN
4 31S4 IN 131 243 NOTWENDIG
5 2629 IST 132 243 UEBER
6 2402 zu 133 239 ALLEN

7 2333 NICHT 134 238 TRANSCENDENTALEN


8 2171 ALS 135 231 DAHER
9 1826 SO 136 226 ART
10 1752 VON 137 223 UNSERER.
11 1644 SIE 138 220 MACHEN
12 1610 DAS 139 218 HIER
13 1539 SICH 140 218 WELT
14 1490 DEN 141 215 VERSTAND
15 1435 DASS 142 209 BEGRIFFEN
16 1390 DES 143 208 DIESEN
17 13S3 ABER. 144 208 VORSTELLUNG

b. Neben diesen Häufigkeitslisten sind für die Arbeiten am Kantindex Wort-


formlisten von ungleich größerer Bedeutung. In der einfachsten Form werden die
verschiedenen Wertformen alphabetisch sortiert, jedem Wort wird seine Belegung
im zugehörigen Text zugeordnet* Diese Form einer alphabetischen Liste liegt
als Index zu den Bänden l—9 der Akademie-Ausgabe vor 2.
c. Die nächste Operation ist die Herstellung eines sogenannten Stellenindex.
Die maschinelle Bearbeitung ist dieselbe wie bei der alphabetischen Liste, nur
wird jeder Wortform noch die Seiten- und Zeilenangabe des Wortes im Text
zugefügt. Der Index enthält also die Häufigkeit der Wortformen im gegebenen
Text, die Wortform und die Stellenangabe; diese zerfallt links beginnend in eine
dreiziffrige Seiten- und eine zweiziffrige Zeilennummer, Derartige Indizes liegen^
2
G. Martin (Hrsg.), Allgemeiner Kantindtx, Bd. 16/17, Wortindex zu Band 1—9,
Berlin 1967.

205
als Maschinenausdrudc des Computers bis jetzt für 14 Werke der Akademie-Aus-
gabe vor.
4. Das Textkorpus der Werke 1—9, für die eine grammatikalische Analyse bis
jetzt durchgeführt wurde, enthält ungefähr 1,4 Millionen Textwörter und
rd, 57 000 verschiedene Wortformen. Will man hieraus beispielsweise einen Stel-
lenindex, der auf linguistisch einwandfreien Definitionen der Wörter basiert, her-
stellen, ist es erforderlich, die verschiedenen Wortformen in die zugehörigen
Grundformen, d. h. Lexikonformen zu überführen.
Ein derartiger Schritt kann drei verschiedene Analysenstufen wiederspiegeln:
a. eine morphologische Analyse der Wörter,
b. eine syntaktische Analyse der Wörter,
c. eine semantische Analyse der Wörter.
a. Verschiedene Wortformen können zu einer lexikalischen Grundform gehören,
z. B. GAB, GEBEN, GEGEBEN, GIBT usw. zu „geben". Diese Wortformen
stellen Flektionsformen ein und derselben Lexikonform dar.
b. Eine Wortform kann entsprechend ihrer syntaktischen Verwendung im Text
verschiedenen Lexikonformen zugehören. Dies wurde bei der vorliegenden Arbeit
noch dadurch verstärkt, daß beim Abschreiben des Textes nicht zwischen Groß-
und Kleinschreibung unterschieden wurde. Hierdurch fallen z. B. die 3. Person
Singular Präteritum des Verbs „begreifen" und das Substantiv „Begriff in der
Wortform BEGRIFF zusammen.
c. Ein Wort kann aufgrund der Tatsache, daß ihm mehrere Inhalte zukommen,
in verschiedene Lexikonformen aufgegliedert werden müssen, wie beispielsweise
„Schloß", „Schluß", „Kapelle" usw. Die Arbeiten sind zur Zeit auf die Punkte
a. und b. beschränkt. Sie werden rein manuell durchgeführt. An der Automatisie-
rung dieses Prozesses wird gearbeitet; er wird in Kürze abgeschlossen sein. Dann
wird auch dieser Teil der Analyse vom Computer durchgeführt.
Für die grammatikalische Analyse wurden in Anlehnung an die Dudengramma-
tik zehn Wortklassen definiert. Es sind dies die bekannten Wortarten der tradi-
tionellen Grammatik, nämlich Substantiv, Verb, Adjektiv, Numerale, Pronomen,
Artikel, Adverb, Präposition, Konjunktion und Interjektion. Das Ergebnis dieser
Analyse ist ein Stellenindex zu jedem Werk, in dem nicht mehr verschiedene
Wortformen an verschiedenen Stellen des Alphabets aufgeführt sind, sondern
Lexikonformen mit Seiten- und Zeilenangaben des Textes stehen.
Eine letzte Änderung erfährt dieser Index noch dadurch, daß philosophische
Begriffe, die, weil sie aus zwei oder mehr Wörtern bestehen, aufgrund der ma-
schinenorientierten Definition von Wortformen an verschiedenen Stellen des
Alphabets als eigene Wörter auftreten, zu einem Ordnungsbegriff zusammen-
geführt werden. Es sind dies Begriffe wie beispielsweise „a priori", „a parte
priori", „a parte posteriori", „an sich", „Ding an sich", „an sich selbst" u. ä.
5. Wir haben gezeigt, daß die linguistische Datenverarbeitung Methoden und
Verfahren zur Verfügung stellt, die für philosophische Fragestellungen eine erste

206
Arbeitsbasis schaffen. Wir wollen .nun untersuchen, ob es möglich ist, mithilfe
linguistischer Methoden einer direkten Beantwortung philosophischer Fragen näher
zu kommen. Der folgende Versuch ist aufzufassen als linguistische Interpretation
philosophischer Gesichtspunkte. Die Ergebnisse werden aufgefaßt als Aussagen
über den „Umfang" und die „Intensität" von Definitionen philosophischer Be-
griffe. Diese Aussagen glauben wir der syntaktischen Struktur, in die bestimmte
philosophische Begriffe eingebettet sind, entnehmen zu können; genauer gesagt
wird aus der Verwendung bestimmter Prädikate, die mit einzelnen philosophi-
schen Begriffen als Subjekt im Satz vorkommen, auf den Definitionsumfang und
die Definitionsintensität dieser Begriffe geschlossen.
Ausgangspunkt dieser Untersuchung waren die Bände 3 und 5 der Akademie-
Ausgabe. Untersucht und grammatikalisch klassifiziert wurden 11 Substantive
mit einer Gesamthäufigkeit von rd. 8500 Stellen. Es sind dies die Wörter „An-
schauung", „Bedingung", „Begriff", „Ding", „Einheit", „Erfahrung", „Erkennt-
nis", „Erscheinung", „Idee" und „Vernunft". Die Auswahl dieser Wörter wurde
nicht von philosophischen, sondern von häufigkeits-theoretischen Gesichtspunkten
bestimmt.
Betrachtet man die Verteilungen der syntaktischen Funktionen, so zeigen sich bei
den 11 Wörtern z. T. erhebliche Unterschiede (vgl. Tab. 2). Als Beispiel seien die
Wörter „Vernunft" und „Erfahrung" genannt. Während bei dem Wort „Erfah-

rt. 2

Wort rel. HFK rel. Anzahl


als Subjekt versdi. Verben

Vernunft Bd. III 23,36 % 49


Vernunft Bd. V 22,18% 48
Idee 20,50% 50
Begriff Bd. III 20,99% 43
Begriff Bd. V 18,81% 39
Einheit 19,26 % 40
Zeit 18,71% 31
Erkenntnis 16,02% 52
Erfahrung 13,91 % 39
Anschauung 12,55% 41
Erscheinung 12,51 % 43
Bedingung 11,95% 55
Ding 11,44% 35

207
rung" fast die Hälfte aller untersuchten Fälle, nämlich 45,99 % auf verschiedene
Umstandsergänzungcn entfallen, machen sie bei dem Wort „Vernunft" nicht ein-
mal ein Fünftel (18,27%) aus. Beide Wörter zeichnen sich außerdem dadurch
aus, daß sie relativ häufig als zweites oder drittes Attribut auftreten, wie z. B.
in der Folge: „Die Bestimmung der formalen Bedingungen eines vollständigen
Systems der reinen Vernunft".
Geht man davon aus, daß die Subjektstellung die syntaktische Funktion ist,
die sich am häufigsten zu einer direkten Definition eines Wortes anbietet, so zeigt
sich folgendes Bild: Das Wort „Vernunft" tritt mit 23,36% (in Band 3) bzw.
22,18 % (Band 5) von den untersuchten Wörtern am häufigsten als Subjekt auf.
Ihm folgen die Wörter „Idee" und „Begriff" mit je ungefähr 20 %, bis zu den
Wörtern „Bedingung" und „Ding" mit 11,9 % bzw. 11,4 %.
Das Subjekt erfährt seine für einen Sachverhalt gültige Aussage erst durch das
Prädikat. Das Prädikat erweist sidi als das Satzglied, das den Satz begründet
und das Subjekt in seiner Bestimmung deutlich werden läßt. Aus diesem Grunde
wurden bei jedem Wort die in den Subjektfällen auftretenden verschiedenen Ver-
ben gezählt3. Hier zeigt sich, daß das am häufigsten als Subjekt auftretende Wort
„Vernunft" bei der Zahl der verschiedenen Verben erst an vierter Stelle rangiert.
Das Wort mit den meisten verschiedenen Verben ist das nur zu knapp 12 % als
Subjekt auftretende Wort „Bedingung", bei dem 55 verschiedene Verben im Prä-
dikat vorkommen. Die wenigsten Verben besitzen die Wörter „Zeit" mit 31 und
„Ding" mit 35 verschiedenen Verben.
Zu den Verben selbst ist zu sagen, daß das häufigste Verb bei allen Wörtern
„sein" heißt. Danach folgen die Verben „geben", „enthalten", „beziehen", „ha-
ben", „bestimmen" und „machen".
Für die Definierbarkeit eines Begriffes ist jedodi nicht nur die Zahl der ver-
schiedenen prädikativen Aussagen, die den Definitionsumfang festlegen, entschei-
dend, sondern auch ihre Verwendungshäufigkeit bei den einzelnen Wörtern. In
Tabelle 3 sind die Resultate für die untersuchten Wörter zusammengefaßt.
Spalte l gibt den prozentualen Anteil des häufigsten Verbs an der Gesamtvertei-
lung der Prädikate an, also des Wortes „sein", Spalte 3 den prozentualen Anteil
der nur einmal vorkommenden Verben, Spalte 2 den Anteil der „Mittelfeld-
verben"; in Spalte 4 ist aufgeführt, mit wieviel verschiedenen Verben die ersten
50 % der Gesamthäufigkeit der Prädikate belegt sind.
Der prozentuale Anteil des häufigsten Verbs, nämlich „sein", an der Gesamt-
verteilung der Prädikate beträgt bei dem Wort „Vernunft" nur 13,16 bzw.
14,42 % an der Gesamtheit aller verschiedenen Prädikate dieses Wortes; da-
gegen beträgt der Prozentsatz bei den Wörtern „Ding" und „Zeit" 46,57 bzw.
46,31 %. Berücksichtigt man gleichzeitig, daß wiederum bei dem Wort Vernunft

3
Um eine gültige Vergleichsbasis zu besitzen, wurden die absoluten Zahlen der ver-
sdiiedenen Verben bei den versdiiedenen Wörtern auf eine Vorkommenshäufigkeit von
jeweils 100 bezogen.

208
Tab. 3
I II III IV

Vernunft Bd. III 13,16 58,40 28,39 16


Vernunft Bd. V ' 14,42 58,61 26,92 14
Begriff Bd. III 26,03 47,50 26,40 10
Begriff Bd. V 28,30 49,27 21,39 8
Anschauung 35,60 34,46 29,80 2
Erfahrung 35,57 37,49 : 26,92 2
Erkenntnis 35,27 23,52 41,17 5
Bedingung 38,20 22,20 39,50 6
Idee 39,00 26,00 35,00 4
Erscheinung 39,39 34,34 26,26 4
Einheit 42,69 34,82 22,47 3
Ding 46,57 30,10 23,28 2
Zeit 46,31 37,89 15,78 2

14 bzw. 16 Verben notwendig sind, um 50 °/o der Gesamthäufigkeiten aller Prädi-


kate zu erreichen, wogegen es bei den Wörtern Ding und Zeit nur zwei Verben
sind, so zeigt dies, daß nur die letztgenannten Wörter eine ausgezeichnete Domi-
nanz in der Verwendung von Prädikaten aufzeigen.
In unserer Interpretation würde dies bedeuten, daß die Wörter Ding und Zeit
sehr definitionsintensiv sind, da bei ihnen eine bevorzugte und einheitliche Ver-
wendung der in prädikativer Stellung auftretenden Verben festzustellen ist.
6. Eine weitere Verfeinerung der Ergebnisse könnte man noch dadurch errei-
chen, daß man verschiedene Verben, die synonyme Ausdrucksweisen für ein und
dieselbe Satzaussage darstellen, unter einem Prädikat zusammenfaßte. Eine solche
Vereinheitlichung ist hier jedoch nicht durchgeführt worden, noch schien sie not-
wendig, da es in erster Linie darauf ankam, eine bestimmte linguistische Methode
auf eine philosophische Fragestellung anzuwenden.
Diese in vielen Punkten sicher noch zu vervollkommnende Methode, auf ver-
schiedene philosophische Begriffe in den einzelnen Werken bei Kant angewandt,
könnte Aufschluß geben darüber, wann ein Begriff nach der ersten tentativen
Verwendung seine volle philosophische „Dichte" erreicht. Die Formulierung der
Ergebnisse wird dabei allerdings, da die Methodik eine statistisch-linguistische ist,
immer wahrscheinlichkeitstheoretischer Natur sein, die endgültige Aussage muß
einer philosophischen Interpretation vorbehalten bleiben.

209

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