Sie sind auf Seite 1von 19

KAUSALITÄT UND FINALITÄT IN HOBBES'

NATURPHILOSOPHIE
von M. Riedel, Heidelberg

Wenn man die metaphysischen Systeme des 17. Jahrhunderts unter einem Ge-
sichtspunkt thematisieren wollte, der ihnen gemeinsam ist, so wäre wohl an erster
Stelle die Polemik gegen den Zweckgedanken zu erwähnen. Sie spielt in der Ab-
grenzung vom Aristotelismus der Schulphilosophie eine ähnliche Rolle wie bei den
Logikern des 16. Jahrhunderts (Petrus Ramus, Zabarella) die Polemik gegen
die aristotelisch-scholastische Syllogistik. Derselbe Einwand der Unbraudibar-
keifc und theoretischen Unfruchtbarkeit, den wir von dorther kennen, wird jetzt
auch gegen die Übertragung des Zweckes auf die Natur und ihre Bewegungsvor-
gänge erhoben. So haben Francis Bacon, Descartes und Spinoza übereinstimmend
erklärt, sie sei für die Physik nicht nur nutzlos, sondern auch schädlich, weil
sie von der Erforschung der Natur nach „Gesetzen" und „Wirkungen" ablenke *.
Nun ist freilich die Lehre vom Zweck (doctrina de fine), gegen die sie polemisieren,
begrifflich und geschichtlich·etwas ganz anderes als die bekannte Theorie von den
„Absichten der naturlichen Dinge", die uns zuerst bei Christian Wolff unter dem
Titel der Teleologie entgegentritt. Obwohl die kritische Argumentation des 17.
Jahrhunderts die anthropozentrische Verengung des Zweckgedankens in der neu-
zeitlichen Philosophie vielfach berührt und die Kritik an ihr antizipiert, steht sie
der Sache nach noch im Zusammenhang mit dem traditionell-ontologisdien Sche-
ma der vier Ursachen, das erst im Gefolge jener Kritik auseinanderbridit. Es
hat daher seinen guten Grund, wenn Bacon seinen Einwand gegen den Zweckge-
danken im Neuen Organon mit dem Hinweis beginnt, daß die Aufstellung der
vier Ursachen bei den Scholastikern nicht übel sei: „Etiam non male constituuntur
causae quatüor: materia, forma, efficiens et finis"2. Nach diesem Lehrstück ist
der Zweck weder eine „Absicht", die unser Verstand an der Natur entdecken kann
oder auch nicht bzw. nur dann entdeckt, wenn er sie als Abzweckung aller Dinge
auf den menschlichen Gebrauch deutet, sondern, mit Materie, Form und Bewe-
gung, ihre Ursaae. Genau an dieser Stelle setzt freilich die Kritik an. Das Übel
des Schemas liegt nicht an der Aufstellung der vier Ursachen, wohl aber an der Be-

1
Bacon, Nov. Org. 1. II, Aph. 2; Descartes, M ed. IV, 6; Princ. phil. l, I, 28; Spinoza,
Etb. P. I, Prop. XXXVI, Append.
2
Nov. Org. l II, Aph- 2. VgL De augment. scient. L III, c. IV.

417
Handlung, die darin der causa finalis zuteil wird. Die scholastische Interpretation
des Zweckes als einer Ursache, die im Wechselspiel mit jenen anderen Ursachen die
Entstehung und das Sein der Dinge verständlich machen soll, hat die Unter-
suchung der physikalisch fruchtbaren Ursachen behindert und dazu beigetragen,
daß sich die Naturwissenschaften bisher mit Schein und Schatten begnügten. Die
Zweckursachcn, so faßt Spinoza die kritischen Einwände von Bacon und Des-
cartcs zusammen, sind nichts als menschliche Einbildungen (figmcnta), welche die
Natur auf den Kopf stellen, weil die Anhänger dieser Lehre als Ursache betrach-
ten, was in Wahrheit Wirkung, und umgekehrt als Wirkung, was in Wahrheit
Ursache ist3.
Nun kann man die Polemik des 17. Jahrhunderts gegen die Übertragung des
Zwcckbegriffs auf die Natur nicht eigentlich originell nennen. Die neueren For-
schungen zur spätscholastischen Naturphilosophie (P. Duhcm, A. Koyr£, A. Maier)
haben uns darüber belehrt, daß die Kritik an der Erklärung natürlicher Be-
wegungsvorgänge aus der causa finalis schon im 14. Jahrhundert einsetzt. Sie
richtet sich gegen die Dogmatisierung des Zweckbegriffs in den Systemen der
Hochscholastik, die von dem Grundsatz ausgeht, daß alles Tätige um eines Zweckes
willen tätig sei (omnc agens agit propter finem)4. Hier erhält der Zweckbegriff
eine gencrell-ontologische Geltung, die ihm Aristoteles noch keineswegs zubilligte.
Die causa finalis ist nicht nur eine der vier Ursachen, die zu ihrer Wirksamkeit der
anderen bedarf, sondern die Ursache der Ursachen, die „causa aliarum causarum" 5.
Diese Stellung ist, wie man leicht sieht, theologisch motiviert; sie ergibt sich
daraus, daß in der Reihe der Ursachen und Wirkungen alles auf einen letzten oder
höchsten Zweck hingeordnet ist, um dessentwillen etwas „ersehnt" wird e. Unter
diesem Gesichtspunkt kann die Kausalität des Zwecks gar nicht zum Problem
werden. Erst Duns Scotus und Wilhelm von Ockham fragen, worin sie besteht.
Ihre Antwort,'die sich nicht zufällig an eine Aristotelische Überlegung über die
Wirkungsweise des Telos anschließt7, ist ebenso überzeugend wie einfach und
wird von der Scholastik der folgenden Jahrhunderte allgemein akzeptiert. Als Spe-
zifikum der causa finalis hebt Ockham hervor, daß sie verursachen kann, ohne
äußerlich (in re extra) zu existieren, woraus er folgert, daß die Bewegung auf
einen Zweck hin keine wirkliche, sondern eine übertragene (motio metaphorica)
sei, da sie nur über ein vorstellendes und beabsichtigendes agens verläuft. Zwar

» Etb. P. I, Prop. XXXVI, Appcnd.


4
Thomas von Aquin, 5. tb. I, qu, 44, art« 4; Duns Scotus, Opus Oxoniense I, dist.
8, qu. 5, num. 6; Do Primo Principio, c. 2, concl, 4. Vgl. A. Maicr, Finalkausalität und
Naturgesetz. In: etaphysis e Hintergründe der spatsdwlastlsacn Naturphilosophie,
Rom 1955, S. 274.
1
S. tb. I, qu. 5, art. 2 ad 2; Comm.m Phys. II 5, 11. Vgl. W.Wicland, Die aristotclisdie
Physik, Göttingcn 1962, S. 263,
6
Summa contra gent. 1. I, c, LXXV, 5: „Causalitas autem finis in hoc consistit, quod
propter ipsam alia dcsidcrantur." Zum Vorrang der Finalität im Schema der vier Ursa-
chen vgl. 5. tb. I, qu. 105, art. 5.
7
Vgl. De gen. et corr. I 7, 324 b 13—15.

418
kommt in Beziehung auf die Existenz Gottes jeder Wirkung in der Natur eine End-
ursache zu, sofern sie von Gott gewollt wird, aber wenn man von allen Autoritä-
ten absehe, könne man das weder rational (ex per se notis) noch empirisch (per
experientiam) beweisen 8. Die Naturereignisse — das ist die Position, die neben
Ockham vor allem Buridan in seinen Aristoteles-Kommentaren vertritt — stehen
nicht unter Bedingungen von Zwecken, deren Realisierung die Möglichkeit des
Zufalls offenläßt, sondern von Wirkungen, die eindeutig determiniert sind.
So zeichnet sich hier die Tendenz ab, daß causa finalis und causa efficiens
auseinandertreten; die eine wird dem Gebiet der Ethik und Metaphysik, die an-
dere dem der Physik zugeordnet. Eine reinliche Scheidung liegt freilich noch außer-
halb des Gesichtskreises der spätscholastischen Philosophie. Sie vollzieht sich
erst unter dem Einfluß der mechanischen Naturwissenschaft des 17. Jahrhunderts,
die der Kritik von Bacon, Descartes und Spinoza an der herkömmlichen Auf-
fassung der causa finalis das Gepräge gibt. Für sie gehört die ideologische Be-
wegungsordnung als Erklärungsprinzip der Natur nicht nur zu den möglicherweise
sinnvollen Metaphern, sondern zu jenen puren Pigmenten des menschlichen Gei-
stes, die nun der kritischen Destruktion anheimfallen. Das heißt aber nicht, daß
sie damit die überlieferte Lehre vom Zweck gänzlich preisgeben. Das Gegenteil ist
der Fall. Die causa finalis, die sie aus der Physik verbannen wollen, findet eine
Zuflucht in der Metaphysik: „Physica est", heißt es bezüglich der Neuordnung
des (aristotelisch-scholastischen) Schemas der vier Ursachen in Bacons De augmentis
scienfiarum, „quae inquirit de efficiente et materia; Metaphysica, quae de forma
et fine" 9. Man wird sicherlich nicht sagen können, daß die metaphysischen Sy-
steme von Descartes und Spinoza und später von Leibniz dieses Programm von
Bacon einfach eingelöst hätten; aber sie sind ihm zumindest darin gefolgt, daß
sie die Zweckursachen aus der Betrachtung der Physik ausgeschlossen und doch
für die Metaphysik den Gedanken einer perfectio des Seins behauptet haben, von
welcher sie die Begreiflichkeit des Universums abhängig machen. Dadurch wird
der Kritik des traditionellen Zweckbegriffs ein Teil von jener Stoßkraft ge-
nommen, die ihr die neue Naturwissenschaft verleiht. Wenn man ihre Motive
genauer untersucht, stellt sich heraus, daß die Einwände gegen die causa finalis
weniger auf den Gesetzen der mechanischen Bewegung als auf deren metaphysischer
Ableitung aus der unendlichen Vollkommenheit Gottes beruhen. Sie verbietet es,
nach den Zwecken in der Natur auch nur zu fragen, da sich unser endlicher
Verstand die Erforschung von Gottes Absichten bei der Schöpfung der Welt nicht
anmaßen kann. So lautet das Argument von Descartes, das sich ähnlich auch bei

8
W. v. Ockham, Quodl. IV, qu. 1; Sent. qu. 3; 5 c; Phys. II, c. 6; Duns Scotus, Metaph.
V, qu. 1; Sent. II, dist. 25, qu. 1. Vgl. E. Hochstetter, Studien zur Metaphysik und Erkennt-
nislehre Wilhelms von Ockham, Berlin/Leipzig 1927, S. 144 ff.; S. Moser, Grundbegriffe
der Naturphilosophie bei Wilhelm von Ockham, Innsbruck 1932 (== Philosophie· und
Grenzwissenschaften, Bd. IV, H. 2/3), S. 77 f.; A. Maier, Finalkausalität und Naturgesetz,
S. 284 f. und 295 ff.; D. Webering, Theory of Demonstration according to William Ock-
, Louvain/Padcrborn 1953, S. 152 und 162 f.
• De augm. scient. 1. III, c. IV.

419
Spinoza findet. Die mechanischen Bcwegungsgesetze der Natur sind so voll-
kommen beschaffen, daß sie der weiteren Vervollkommnung, d. h. der Hinord-
nung auf ein Gesetz der Zwecke gänzlich unbedürftig sind. Die Möglichkeit der
causa finalis in der Natur einräumen, heißt für Spinoza, die Vollkommenheit
Gottes aufheben, weil unter ihrer Voraussetzung Gott oder die Natur als um
eines Zweckes willen handelnd und folglich als unvollkommen zu denken
wären 10.
Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf die Herkunft des Perfectio-Argu-
ments näher einzugehen, die teils wieder auf die Spätscholastik, teils auf den Ein-
fluß zurückführen würde, den die stoische Philosophie im 16. und 17. Jahrhundert
ausübt11. Um seinen geschichtlichen und systematischen Stellenwert zu bestim-
men, mag es genügen, auf die eigentümliche Struktur jenes Arguments hinzuwei-
sen, mit dem Descartes und Spinoza die Kritik an der causa finalis begründen.
Offenkundig haben wir es hier mit einem Zirkel in der Argumentation zu tun,
aus dem sie eben deshalb nicht hinausfinden, weil sie die Begreiflichkeit des
Universums von einer selber noch teleologischen Metaphysik abhängig machen.
Der Einwand, der die causa efficiens aus der Verklammerung mit dem Schema
der vier Ursachen löst und die Kausalität in dem uns geläufig gewordenen Be-
griffssinn auf den mechanischen Wirkungszusammenhang der Natur umstellt,
ist von demselben Gedanken des Zweckes bestimmt, den er destruieren soll.
Diesen Zirkel muß man vor Augen haben, wenn man die Position verstehen
will, die Hobbes in der Kritik <des 17. Jahrhunderts am Zweckbegriff der
Schulphilosophie einnimmt. Durch die zeitweilige Überschätzung von Bacon und
den Einfluß von Locke und Hume auf den Entwicklungsgang der neueren Phi-
losophie (Kant) hat Hobbes lange Zeit im Hintergrund des philosophiegeschicht-
lichen Interesses gestanden, und erst seit den letzten Jahrzehnten beginnt sein
Werk allmählich aus dem Schatten von Descartes und Spinoza herauszutreten12.
Im folgenden soll gezeigt werden, daß diese veränderte Einschätzung, die be-
kanntlich von der Interpretation seiner Ethik und Politik ihren Ausgang ge-
nommen hat, nicht unbegründet ist und im übrigen auch die theoretische Phi-
losophie betrifft. Der Punkt, an dem Hobbes den genannten Zirkel in der
Argumentation durchbricht, läßt sich ziemlich genau angeben; er liegt, mit einem
Satz gesagt, darin, daß er die causa finalis in seinem System nicht nur aus der
Physik, sondern auch aus der Metaphysik ausschließt. Während Descartes und
10
Descartes, Med. IV, 4—7; Spinoza, Eth. P. I, Prop. XXXVI, App.; P. IV, Praef.
11
Vgl. W. Dilthey, Wehanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und
Reformation. Ges. Sehr., Bd. 2, Stuttgart/Göttingen I960*. — Das Perfectio-Argument
findet sich bereits bei Taurellus, De mundo I, 3.
12
Außer den älteren Arbeiten von F. Tönnies, Thomas Hobbes. Leben und Lehre,
Stuttgart 18961 und G.C.Robertson, Hobbes,Edinburgh/London ISSo^sind hier vor allem
folgende Schriften zu nennen: F. Brandt, Thomas Hobbes9 Mechanical Conceptlon of
Nature, Kopenhagen/London 1928; J. Laird, Hobbes, London 1934; L. Strauss, The
Political Philosophy of Hobbes, London 19361; R. Peters, Hobbes, London 19561; J. W. N.
Watkins, Hobbes's System of Ideas, London 1965.

420
Spinoza das Schema der vier Ursachen nicht eigentlich auflösen und deshalb noch
vielfach mit seinen Bestandteilen arbeiten, begegnet Hobbes der scholastischen
Philosophie auf ihrem eigenen Felde, indem er die Kritik des Zweckgedankens in
jenen Teil des philosophischen Systems hineinträgt, der bei ihm noch unter dem
alten Namen der „ersten Philosophie" (prima philosophia) auftritt. Das macht
seine Argumentation philosophiegeschichtlich interessant und befreit sie von den
Inkonsequenzen, welche die metaphysischen Systeme des 17. Jahrhunderts kenn-
zeichnen. Ich werde im ersten Teil der folgenden Untersuchungen zunächst diese
Auflösung des überlieferten Zweckprinzips innerhalb der prima philosophie er-
örtern, um daran anschließend den Grundbegriff des conatus zu behandeln, der
in der Lehre vom Menschen (Ethik, Politik) das Mittel zur Auflösung der Idee
einer Wirkungsweise nach Zwecken ist, und in einem dritten Teil insofern wieder
zum Ausgangspunkt zurückkehren, als ich nachweisen möchte, daß das eigentliche
Motiv der Auflösung in der Tat ein metaphysisches ist, das sich mit den her-
kömmlichen Etikettierungen von Hobbes' Philosophie als „Materialismus" bzw.
„Nominalismus" nicht oder nur unzureichend erklären läßt.

Wenn man von der Exposition der Kritik in der fertigen Gestalt von Hobbes*
System ausgeht, so sind es im wesentlichen die Kapitel IX und X von De corpore,
die dafür in Betracht kommen; das eine trägt den Titel: De causa et effectu,
das andere: De potentia et actu. Von diesen Kapiteln hat Frithjof Brandt, dem
wir eine eindrucksvolle und in ihrer gelehrten Gründlichkeit bis heute unüber-
troffene Studie über Hobbes' Naturphilosophie verdanken, gesagt, daß sie die
problematischsten und schwierigsten seien, die der Verfasser des Leviathan je ge-
schrieben habe18. Tatsädilich pflegt die Hobbes-Literatur über sie meist rasch
hinwegzugehen, und selbst bei Brandt beansprucht ihre Interpretation nur einen
verhältnismäßig schmalen Raum. Daß die hier vorliegenden Probleme noch weit-
hin unaufgeklärt sind, hängt freilich nicht nur mit den Schwierigkeiten zusam-
men, die ihre Formulierung aufgeben mag, sondern damit, daß deren Lösung in
einer falschen oder zumindest einseitigen Richtung gesucht wird, — der von
Hobbes' „mechanistischer" Physik. So richtig es ist, daß das erste Kapitel die
allgemeinen Kausalgesetze des medianischen Naturzusammenhangs angibt, so
irreführend ist es, seine Grundsätze darauf zu isolieren. Dann bleibt nämlich
die Schwierigkeit zurück, weshalb Hobbes die Analyse der Kausalität unter dem
Titel: De potentia et actu fortsetzt, so daß die Frage nach der inneren Beziehung
der beiden Kapitel gar nicht mehr gestellt werden kann. Gerade auf diesen Ge-
sichtspunkt kommt es aber an. Denn das zweite Kapitel enthält nichts anderes als
die Auseinandersetzung mit der ideologischen Ontologie der Schulphilosophie
auf der Basis des Kausalitätsbegriffs der neuen medianischen Bewegungslehre, den
das erste formuliert, wobei das Epochemachende von Hobbes' Kritik nicht darin be-
13
Vgl. F. Brandt, Thomas Hobbes' Medianical Conception of Nature, S. 266.

421
steht, daß sie mit der. causa finalis das Schema der vier Ursachen, sondern daß
sie sein eigentliches Prinzip, die aristotelisch-scholastische Unterscheidung von
Akt und Potenz auflöst.
Daß Hobbes die Kritik auf diese Unterscheidung zuriickbezieht und damit
einen Zusammenhang thematisiert, der Bacon und Descartes und später auch
Spinoza verborgen blieb, ist freilich kein Zufall Wie alle Philosophen jener
Zeit war er in seiner Jugend in die Lehre der Schulphilosophie gegangen.
Nach den Angaben der Autobiographie hat er in Oxford Aristoteles fünf Jahre
lang studiert; ob es sich bei diesen Studien um den echten Aristoteles oder mehr
um die scholastischen Kommentatoren handelte, wissen wir nicht14. Sicher ist,
daß Hobbes damals auch die Schriften und Kommentare von Suarez kennen-
lernt, den er mit Vorliebe den „school-man" nennt und wohl als seinen mäch-
tigsten Gegner betrachtet hat15. So sind in seinem Werk Aristoteles und der
scholastische Aristotelismus (zwischen denen er im allgemeinen nicht unter-
scheidet) überall gegenwärtig, — gegenwärtig aber nicht nur in jener Ver-
mischung der Begriffe, die wir in den metaphysischen Systemen des 17. Jahr-
hunderts feststellen können, sondern vornehmlich als Folie und kritischer Be-
zugspunkt der eigenen Theorie und Begrifflichkeit. Das erste Moment überwiegt
naturgemäß am Anfang von Hobbes1 philosophischer Entwicklung, das zweite
an ihrem Abschluß, der mit dem Erscheinen von De corpore (1655) erreicht
ist. In der Dedikation zu diesem Werk, die im Blick auf das fertige System ge-
schrieben worden ist und seine Absicht angibt, bezieht sich Hobbes auf das neue
Zeitalter der Physik, das mit Kopernikus und Kepler für die Astronomie, mit
Galilei für die Mechanik und mit Harvey für die Medizin begonnen habe.
Ober allen steht der Name von Galilei; durch ihn sei, so sagt Hobbes unter
Anspielung auf einen Satz der Discorsi (3. Tag), das Tor zur Naturwissen-
schaft geöffnet. worden, dessen Schlüssel in der Kenntnis der Natur der Be-
wegung, und das heißt hier: der Ortsbewegung liege. Aber die Anspielung darf
nicht darüber hinwegtäuschen, daß Hobbes* mechanische Konzeption in einer
wichtigen Hinsicht eine ganz andere ist als die von Galilei und später von
Newton. Er diskutiert weder die mechanische Möglichkeit der Ortsbewegung noch
14
Die Erinnerung an den Aristotelismus der Schulphilosophie bezeugen die ironischen
Verse der Vita, die Hobbes als 84jähriger Greis verfaßte: „Materia et forma, ut partibus,
esse docet / Et species rerum, volitando per aera, formas / Donare hinc oculis, auribus
inde sonos. / Multos effectus tribuit syn et antipathiae, et supra captum talia multa
meum." Vgl. Op. lat. I, p. LXXXVII. Zu Hobbes' durch die Scholastik und die Renais-
sance-Aristoteliker vermittelten Aristotelesstudium vgl. jetzt F. O. Wolf, Die neue Wissen-
schaft des Thomas Hobbes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1969, S. 38 f., 79 f.
15
Vgl. English Works (zit. E. W.), Vol. III, p. 70; IV, p. 330; V, 10—11; VI, 185.
Die Lehre von der causa finalis behandelt Suarez in den Disputationes metaphysicae,
Disp. XXIII—XXIV. Inwieweit Hobbes dem Zusammenhang der scholastischen Theorie
folgt, zeigt sich u. a. daran, daß Suarez nach der Thematisierung des Kausalbegriffs
in Disp. XII zunächst das Verhältnis von Materie und Form und Potenz und Akt be-
handelt (Disp. XIII sqq.), um ab Disp. XVII sqq. das Kausalitätsproblem wiederauf-
zunehmen.

422
leitet er ihre Gesetze aus dem Zusammenwirken von Experiment, Induktion und
mathematischer Deduktion ab, sondern setzt sie als ontologisches Datum voraus.
Mit einem Wort: er befolgt nicht die Methode der neuen Wissenschaft, stimmt
aber darin mit ihr überein, daß das Erklärungsprinzip der Natur in Figur und
Bewegung zu suchen sei: „... in natura omnia mechanice fieri" 16.
Dieses Prinzip hat Hobbes der prima philosophia zugrunde -gelegt und dadurch
der mechanischen Theorie eine Ausdehnung gegeben, die sein System von allen
anderen metaphysischen Systemen des 17. Jahrhunderts unterscheidet. Die prima
philosophia, die an der Spitze der Naturphilosophie steht, fragt nicht mehr nach
dem Seienden als Seienden, sondern was Raum, Zeit, Körper, Bewegung, Größe
sind. So zeichnet Hobbes an ihrem Beginn (c. VI—VIII) die Grundbegriffe der
neuen ^Bewegungslehre nach, um mit ihrer Hilfe die Denkmittel der aristote-
lisch-scholastischen Ontologie aufzulösen. Auch diese war ja eine Lehre von der
Bewegung 17, aber sie hat sie nicht als einheitlidies Erklärungsprinzip der Na-
tur verstanden. Das hat im wesentlichen zwei Gründe; 1. weil sie die Bewegung im
umfassenden Sinne der Veränderung (mutatio) auffaßt, die in verschiedene Arten
zerfällt, von denen die Ortsbewegung bekanntlich nur ein relativ spezielles physi-
kalisches Phänomen ist; und 2. zerfällt die Bewegung selbst wieder in die Be-
griffe von Potenz und Akt, die als Seinsmodi ihre Erklärung bestimmen. Für
das Teleologieproblem ist die zuletzt erwähnte Unterscheidung von besonderer Be-
deutung. Denn der Stellenwert der Finalität im Schema der vier Ursachen ist
nicht «aus ihm selbst verständlich, wohl aber aus der Differenz von Potenz und
Akt, 'die man als sein eigentliches Fundament betrachten muß. Beide Begriffe ha-
ben -von vornherein eine ideologische Struktur; die Potenz ist eine Fähigkeit
oder Anlage „zu etwas", das ihr als Zweck vorgezeichnet ist, der Akt die Ver-
wirklichung oder Vollendung „von etwas", das die Potenz in sich enthält. In der
Terminologie der zeitgenössischen Sdiulphilosophie: „Potentia est quaedam dis-
positio seu quidam ordo ad actum. — Actus est potentiae perfectio" 18. Nach
dieser Unterscheidung ist die Bewegung weder Potenz noch Akt, sondern der Über-
gang von dieser zu jenem, oder, wie man aus Aristoteles zitiert, eine noch nicht
zum Ende gekommene Wirklichkeit ( ). Die Sdiulphilosophie
hatte hieraus lediglich gefolgert, daß in der Bestimmung des motus das Wort
,actus" nur uneigentlich (improprie) gebraucht werden dürfe, weil es eine perfec-
tio bedeute, die der Bewegung offenkundig abgehe, nicht aber, daß die Kategorie
der perfectio und die teleologische Beziehung von Potenz und Akt zu ihrer In-
terpretation untauglich seien. Sie hat sie im Gegenteil für alle Bewegungsarten
vorausgesetzt, einschließlich der Ortsbewegung, in der das Bewegbare actu als an
einem erworbenen und potentia als an einem anderen Ort befindlich vorgestellt

" Op. lat. I, p. XXVIII.


17
Darauf hat Hobbes mehrfadi hingewiesen und in diesem Punkt Aristoteles, den er
auf dem Gebiet der philosophia civilis grundsätzlich ablehnt, ausgerechnet auf dem der
Physik seine Zustimmung gegeben. Vgl. Op. lat. IV, p. 29, 36, 226, 236.
18
Goclenius, Lexicon pbilosophicum (1613), p. 46.

423
wurde, wobei die ideologische Deutung durch die Lehre von den natürlichen ör-
tcrn eine zusätzliche Stütze fand, weil hier jeder Körper, der nicht an dem
ihm wesensgemäßen Ort war, als „ens in potentia" begriffen werden mußte,
das in actu zu seinem Ort zurückkehrt. Die Seinsmodi konnten nun ihrerseits
wieder dem Begriff des actus appliziert werden, woraus sich die Unterscheidung
von actus primus und actus secundus, von „erster" und „zweiter Wirklichkeit"
ergibt. Hier baut sich das Teleologieprinzip auf derselben ontologischen Struktur
des „ens in actu" auf, der essentia oder forma, die, nach dem Schema der Potenz,
auf eine Tätigkeit (actio essentialis) hingeordnet ist, worin eine Sache ihre
zweite Wirklichkeit hat: „Forma, quae est actus primus, est propter suam
Operationen!, quae est actus secundus"19. Die Beziehung, die hier zwischen
Ontologie und Teleologie besteht, läßt sich kurz so ausdrücken: 1. Alles, was ist,
hat seinen Zweck in einer seiner Wesensform entsprechenden Tätigkeit, die das
bloß Seiende übersteigt. 2. Alle Tätigkeit geschieht um eines Zweckes willen,
seiner Vollkommenheit, in der sich das jeweilige Sein der Sache erfüllt: „Operatio
est ultima perfectio rei"20. Das heißt aber nicht, daß die Tätigkeit allein durch
diesen Zweck verursacht und in ihrer Betätigung determiniert wäre, sondern
umgekehrt: der 'Sinn der Unterscheidung von potentia und actus auf der einen,
von actus primus und actus secundus auf der anderen Seite besteht darin, das
freie Zusammenspiel der Verursachung, das die causa finalis in ihrer Angewiesen-
heit auf die anderen Ursachen fordert, durch einen Begriff von Wirklichkeit zu
sichern, der nicht kausal determiniert ist. Gerade weil das Reich des Möglichen
sich weiter ausdehnt als das des Wirklichen und weil das Wirkliche kraft seiner
ideologischen Struktur sich selber überschreitet, ist Raum gewonnen für jene
Kausalität der Zwecke und Formen, die nach scholastischer Ansicht das Seiende von
sich her („spontan") in Bewegung und Tätigkeit setzen.
An dieses, ideologische Grundprinzip der traditionellen Ontologie knüpft
Hobbes in Kapitel X von De corpore an, und es spricht für seinen kritischen
Scharfsinn, daß er.es genau an der Stelle destruiert, die bei Descartes noch um-
gangen war. Die Basis seiner Kritik liegt in einem Begriff von Ursache und Wir-
kung, der durch die neue Bewegungslehre eine höchst folgenreiche Umgestaltung er-
fährt. Es ist interessant zu sehen, daß sich diese Verbindung, die nun allmählich an
die Stelle des alten Zusammenhangs von Kausal- und Substanzbegriff tritt, erst
zu einem relativ späten Zeitpunkt von Hobbes' philosophischer Entwicklung und
in mehreren recht mühsamen Denkschritten vollzieht. In der frühesten Schrift zur
prima philosophia, dem sogenannten Sbort Tract on First Prindples (ca. 1630—
1636) stehen alte und neue Bewegungslehre auf der einen, Substanz- und Kau-
salitätstheorie auf der anderen Seite noch unverbunden nebeneinander, so daß
der Kausalbegriff eine zugleich mechanische und ideologische Deutung erfährt.
Die Idee, daß Sinneswahrnehmung und Begehren auf Ortsbewegung beruhe,
19
Thomas von Aquin S. th. I, qu. 105, art. 3; vgl. Goclenius, Lexicon philosophicum,
p. 46.
20
Vgl. S. th. I, qu. 73, art. 1; I/II, qu. 3, art. 2,

424
ist schon formuliert (Sect. III, Concl. l—7), aber daneben kennt Hobbes eine
dem aktiven Körper (agens) inhärente substanzielle Bewegungskraft, die, nach dem
scholastischen Muster des unbewegten Bewegers, den passiven Körper von sich
her, d. h. ohne vorhergehenden Anstoß, in Tätigkeit setzt (Sect. I, 9). Dieser
doppelte Begriff der Bewegung, in dem das Schema einer in Tätigkeit befind-
lichen Substanz und die ontologische Unterscheidung von Akt und Potenz dem
Bewegungsverlauf noch stillschweigend substituiert sind, hat Hobbes zu Anfang
der 40er Jahre preisgegeben. Die Hypothese der universell-mechanistischen Theo-
rie, die alle unräumlichen Elemente aus dem Bewegungsbegriff eliminiert, for-
muliert er bereits in der Auseinandersetzung mit Descartes' Dioptrique (1641),
wovon im folgenden noch zu sprechen sein wird. Ihre klassische Formel
findet sich am Anfang des Tractatus Opticus (1644): „Omnis actio est motus localis
in agente, sicut et omnis passio est motus localis in patiente"21. Aber auch
hier bleibt das Verhältnis von Kausalitäts- und Bewegungslehre unerörtert; eine
Verbindung wird erst in De corpore hergestellt. Allerdings muß man sagen, daß
sie Hobbes nun zu jenen evidenten Gegebenheiten des Denkens rechnet, die
sich nicht weiter ableiten lassen. Immerhin wird eine Begründung insofern angedeu-
tet, ajs der Kausalbegriff die Interaktion der Körper betrifft, die durch räum-
liche Bewegung bestimmt ist, und die Ursache einer Bewegung kann nicht ein
ruhender Körper oder Form und Zweck, sondern wieder nur Bewegung sein22.
Die fundamentale Relation von Ursache und Wirkung als mechanischem Bewe-
gungszusammenhang von Körpern erklärt sich aus der Stellung des Trägheits-
gesetzes in Hobbes* Naturphilosophie. Seine Formulierung — Alles, was sich be-
wegt, ist nicht nur bewegt worden, sondern wird auch immer weiter bewegt sein 25
— ist zwar unvollständig (weil von der Ruhe her konzipiert), setzt aber voraus,
daß es keine „innere" Ursache der Bewegung und damit keinen Kausalzusammen-
hang im traditionellen Sinne geben kann. Der Begriff der Ursache ist durch
die mechanische Bewegung selbst und ihre Gesetze und nicht mehr durch jene
Idee der in Tätigkeit befindlichen Substanz definiert, die nadb dem Schema der
ontologisdien Unterscheidung das natürliche Geschehen von sich her in Bewegung
bringt. Unter dieser Voraussetzung muß der causa efficiens eine besondere Rolle
im Interaktionsfeld der Körper zufallen. Nicht ohne Grund hat Hobbes später
in der Schrift Decameron Physiologicum, wo die Verbindung von Kausalitäts-
und Bewegungslehre noch einmal thematisiert wird, im Hinblick auf die vier
Ursachen der Sdiulphilosophie nachdrücklich hervorgehoben, daß er einzig die
Wirkursache suche (I seek only the ef f icient) u, und dabei müsse man von der
Natur der Bewegung ausgehen. Der von uns wahrgenommene Wechsel im natürli-
chen Geschehen hat eine einzig und universell wirkende Ursache (one universal

" VgL Op. Lat. V, p. 217.


« VgL De corpore, c. VI, 5.
** De corpore II, c. VIII, 11; 19.
" E. W. VII, p. 83.

425
cfficicnt cause), nämlich den Wechsel der Bewegung«. Ihre Verbindung berühr
also auf einer Äquivokation, die allerdings das notwendige Resultat der von Hob-
bes übernommenen und metaphysisch interpretierten neuen Bewegungslehre ist. Der
Kausalitätsspielraum der Körper reduziert sich auf ihre Interaktion, die durch
die Linearität der Bewegungsanstöße determiniert ist. Wie die Ursache eine
„vorhergehende", so ist die Wirkung eine „nachfolgende" Bewegung, womit
sich für Hobbes — wiederum im Unterschied zu Descartes, der dem Gedanken
der Teleologie auch in seiner Physik noch eine gewisse Wirkungsmöglichkeit
einräumt — der Kausalitätszusammenhang der Natur schließt.
Es ist dieser Begriff der Kausalität, der nun in De Corpore auf die onto-
logische Unterscheidung von Potentia und Actus übergreift. Das Kapitel X beginnt
mit der These, daß ihr Verhältnis mit dem von causa und effectus zusammen-
falle, wobei die unterschiedliche Benennung aus einer Verschiedenheit der Be-
trachtungsweise zu erklären sei. Dahinter steht eine weitere These, die für Hobbes
wichtiger als die erste ist und auf deren Begründung es ihm auch wesentlich an-
kommt, daß nämlich potentia und actus gar nicht unterschieden, sondern ontolo-
gisch dasselbe sind, nur von verschiedenen Seiten gesehen. Er will beweisen, daß
die Möglichkeit nichts anderes ist als eine zukünftige Wirklichkeit, die ihrer-
seits nicht als Tätigkeit, sondern als Wirkung einer sie bedingenden Ursache ver-
standen werden muß. Mit einem Satz: die Differenz von potentia und actus wird
so auf die Relation von causa und, effectus bezogen, daß sie in ihr verschwindet.
Der Beweisgang führt über die Gleichsetzung der Potenz des aktiven Körpers
(agens) mit der causa efficiens und der des passiven Körpers (patiens) mit der
causa materialis. Auch hier bedient sich Hobbes der scholastischen Terminologie,
die aber nun eine grundsätzliche Umdeutung erfährt. Nicht nur, daß die Zahl
der Ursachen auf zwei zusammenschmilzt — auch ihre Beziehung hat sich ver-
ändert. Denn ein einzelnes agens oder eine causa kann sich nicht selbst zur Wir-
kung bestimmen, sondern bedarf dazu eines Anstoßes durch ein anderes agens oder
eine andere causa, die es in Bewegung bringt, und bezuglich dieses Bewegungs-
anstoßes erscheinen beide als passive Potenz und Materialursache. So steht
nach Hobbes der Begriff der Ursache unter Bedingung von Teilursachen, die
sich verbinden müssen, wenn eine Wirkung erfolgen soll; dasselbe gilt für den
Begriff der Potenz. Wie causa efficiens und causa materialis zusammengenom-
men die vollständige Ursache (causa integra) bilden, aus der die Wirkung her-
vorgeht, so machen aktive und passive Potenz erst zusammen die volle Mög-
lichkeit aus, die sich unmittelbar zur Wirklichkeit aufhebt: „Quemadmodum
igitur quo instante causa est integra, eodem effectus productus est; sie quoque
quo instante potentia plena fit, eodem quoque actus, qui ab ea produci potuit,
productus est"26. Weil potentia und causa dasselbe sind, fallen actus und
effectus zusammen. Die Wirklichkeit ist nicht mehr durch den Begriff der Tätig-

25
E. W. VII, p. 83.
26
De corpore II, c. X 2.

426
keit oder Produktion, sondern durch den der Wirkung definiert, die, wenn sie
einmal eingetreten ist, stets als Produkt notwendiger Ursachen verstanden wer-
den muß. Damit wird die onto-teleologische Unterscheidung zwischen potentia und
actus einerseits, actus secundus und actus primus andererseits überflüssig. Wenn
die Potenz des agens nichts anderes ist als die Wirkursache und diese in einer
Bewegung besteht, die vom aktiven Körper auf den passiven übergeht und dort
eine Wirkung (im Sinne der Synonymität von effectus und actus) hervorbringt,
so folgt daraus, daß alle aktive Potenz ebenfalls Bewegung ist. Und aus dieser
Gleichstellung leitet Hobbes dann seine These ab, daß die potentia nicht eine vom
actus verschiedene, undeterminierte Seinsmöglichkeit (accidens), sondern selber
eine Wirklichkeit sei, nämlich eine Bewegung (motus), die nur deshalb Potenz
heißt, weil durch sie eine andere Wirklichkeit, d. h. eine Bewegung hervorgebracht
werden soll27. Durch diese These hat Hobbes das Teleologieprinzip der scholasti-
schen Ontologie, die Unterscheidung von potentia und actus aufgelöst und an seine
Stelle das mechanische Prinzip der neuen Bewegungslehre gesetzt. Der Begriff der
Wirklichkeit, den sie impliziert, ist rein kinetisch oder mechanisch und nicht
mehr teleologisch begründet. So wenig es für Hobbes eine Anlage oder Potenz
zur Bewegung gibt, so wenig gibt es jenen Akt, den sie nie erreicht und der sie
doch von sich her bestimmen soll. Mit dieser Unterscheidung hat Hobbes am
Schluß des Kapitel X von De corpore schließlich auch die Annahme des tra-
ditionellen Schemas der Verursachung verworfen. Die Argumentation ist eine
Folgerung aus den bisher gewonnenen Resultaten und bringt erkenntnismäßig
nichts Neues. Wie actus und potentia auf Grund jenes neuen, nicht-teleologi-
schen Wirklichkeitsbegriffs als causa und effectus erscheinen, so sind nun causa
formalis und causa finalis in Wahrheit causae efficientes — Bewegungsursachen,
die als solche nicht mehr metaphorisch, sondern wirklich, d. h. mechanisch be-
wegen: „Finalis causa locum non habet nisi in iis rebus quae habent sensum
et voluntatem, quam efficientem quoque esse suo loco ostendemus" 28.

II
Nun kann man leicht zeigen, daß die Beweise, die Hobbes für seine These von
der .Universalität der mechanischen Bewegung gibt und von denen hier nur
die wichtigsten erwähnt worden sind, an einem elementaren logischen Mangel
leiden: sie setzen immer schon voraus, was zu beweisen ist. In der Tat handelt es
sich um eine Voraussetzung, die Hobbes selber nicht mehr diskutiert, weil sie
das Prinzip seiner Philosophie ist — die Reduktion der Wirklichkeit des Wirk-
lichen auf einen Zusammenhang von Körper und Bewegung (matter in motion).
In dieser Formel ist jenes mechanistische Konzept der Bewegung umschrieben,
dem Hobbes in der prima philosophia eine metaphysische oder, wenn man so
will, dogmatische Deutung gibt. Der Dogmatismus der mechanischen Bewegung hat

" De corpore II, c. X 6.


*8 De corpore II, c, X 7.

427
jedoch, philosophiegeschichtlich gesehen, eine kritische, die Ansprüche der Schul-
philosophie restringierende und auflösende Funktion. Das läßt sich besonders
klar am Beispiel der Auflösung der Zweckbegriffe durch die Theorie des conatus
oder Bewegungsanfangs erkennen, die eines der wirkungsgeschichtlich bedeutsam-
sten, aber auch dunkelsten Lehrstücke von Hobbes' Philosophie ist* Sie enthält die
begrifflichen Mittel, mit denen er seine These demonstriert, daß auch die scheinbar
zweckmäßige Tätigkeit von Körpern, die Empfindung, Vorstellungen und Wil-
len besitzen, auf Wirkursachen zurückgeht.
Der Ort, an dem Hobbes diesen Begriff in seinem System einführt, ist nicht
die erste Philosophie, sondern die Lehre von den Gesetzen und Größen der Be-
wegung im III. Teil von De corpore, die Mechanik im engeren Sinn. Seine
Definition ist rein phoronomisch, auf die Ortsbewegung bezogen: Conatus heißt
eine Bewegung durch Raum und Zeit, wie sie kleiner nicht gegeben oder be-
stimmt, d. h. äußerlich dargestellt oder mit Zahlen bezeichnet werden kann —
Bewegung durch einen Punkt2*. Ohne diesen Begriff schon zu kennen, hatte
Hobbes die Hypothese einer solchen Bewegung bereits im Little Treatise erwo-
gen, wo er alle Veränderungen durch lokale Bewegungen von unsichtbaren
Teilen der Körper, der sogenannten Lebensgeister, zu erklären versucht. Die
Hypothese impliziert unter anderem eine bemerkenswerte Neubestimmung
der scholastischen Grundbegriffe, unter ihnen des Verhältnisses von causa
finalis und causa efficiens. Wenn jede Veränderung das Resultat eines Bewe-
gungsanstoßes, d. h. äußerlich verursacht ist, so besagt das für die Veränderun-
gen innerhalb der Willenssphäre (Streben, Begehren usf.), daß sie nicht durch den
Willen selbst verursacht sind. Damit wird die Möglichkeit eines Willens, dessen
Bewegung von innen her, durch Formen und Zwecke bestimmt wäre, von vorn-
herein abgewiesen. Was im Wollen oder Begehren bewegt, ist nicht das Wollen
oder Begehren,-sondern das begehrte Objekt. Hobbes glaubt sich hier noch mit
Aristoteles und der Schulphilosophie in Übereinstimmung zu befinden, hat
aber tatsächlich schon deren Position unterlaufen. Die Idee, daß im Begehren
nicht nur das begehrte Objekt, sondern das Objekt — durch lokale Bewegung —
uns an sich zieht, hat zur Folge, daß sich das traditionelle, für den Handlungs-
begriff-der Ethik zentrale Verhältnis von pauens und agens umdreht. Der
Handelnde, der ein Gut begehrt, ist das patiens, das begehrte Gut das agens.
Der Akt der Begierde, sagt Hobbes, ist eine Bewegung des Spiritus animalis in
Richtung auf das Objekt, das ihn bewegt (Sect. III, 8)80. Daraus folgt weiter,
daß das Gut, welches wir begehren, kein Zweck ist, der unser Begehren verur-
sacht, sondern umgekehrt: das Begehren ist die Wirkung, die von dem Objekt aus-
geht, das also in Wirklichkeit eine causa efficiens ist. Das Gut übt als Gegen-
stand des Begehrens eine Wirkung oder Bewegung aus, die als solche lokal zu be-
29
De corpore III, c. XV, 2.
50
Vgl. Elements of Law, ed. F. Tönnies, Cambridge 1928, App. I, p. 166. Vgl. die
instruktive Interpretation dieses Zusammenhangs bei J. W. N. Watkins, Hobbes's System
of Ideas, London 1965, p. 44 f.

428
stimmen sein muß: „Good is to every thing, that which hath active power to
attract it locally" (Sect, III, 7)«.
Darin ist bereits die Konzeption des conatus angelegt, die denn auch nicht
zufällig mit Bezug auf Begierde und Abneigung erstmals in den Elements of Law
(1640) auftritt. Sie ist dazu berufen, Phänomene dieser Art, die einen unräumlichen,
qualitativen Charakter haben, nach dem Schema des motus localis und der von
ihm dargestellten causa efficiens zu erklären. Jedoch unterscheidet Hobbes bei der
ersten Anwendung des Begriffs noch deutlich zwischen der Bewegung selbst und
den conatus, den er als inneren Anfang der animalischen Bewegung (internal
beginning of animal motion) bestimmt82. Diese Differenz ist in De corpore und
in De homlne beseitigt, wo der conatus, ohne Einschränkung durch ein weiteres
Merkmal, den Anfang der Bewegung bezeichnet, der als solcher räumlich deter-
miniert ist. Dazwischen liegt die Kritik an Descartes' Dloptrlque (1641), die genau
von jener Einschränkung ausgeht und Hobbes wahrscheinlich dazu angeregt hat,
den Begriff aus den ideologischen Zusammenhängen, in denen ihn Descartes
und auch die Schulphilosophie verwendeten, herauszulösen und für seine eigene
mechanistische Theorie zu übernehmen. Die Beziehung zu Descartes war durch
Mersenne vermittelt worden, der diesem mitgeteilt hatte, daß Hobbes eine der sei-
nigen ähnliche Philosophie in petto habe. Aber nach Hobbes ist die Cartesianische
Konzeption der Naturphilosophie nicht streng mechanisch, weil sie zwischen der
Bewegung und der Bewegungstätigkeit, — hinneigung oder — tendenz (actio sive
inclinatio sive conatus) einen Unterschied macht: „Hie iam dissentimus", merkt
Hobbes zu diesen Unterscheidungen an, „nam quod ille conari, ego moveri voco,
et actionem, quam ille a motu distinguit, ego (ex demonstratis sectione prima)
motum esse volo"83. Der Ausdruck „conatus" bzw. „inclinatio" bedeutet bei
Descartes entweder die bloße Möglichkeit einer Bewegung, wobei dann keine
Wirkung erfolgen kann, oder er bezeichnet die Tendenz zu einer Bewegung in
bestimmter Richtung, dann aber wäre diese Tendenz schon wirkliche -Bewegung,
wenn auch nur der Anfang derselben. Die Entwürfe zu der erwähnten ersten
Sektion sind nicht erhalten; aber wir kennen Hobbes' Argument aus einem Brief
Descartes' an Mersenne vom 8. Februar 1641: er (Hobbes) wolle, daß die
inclinatio (= conatus) selbst motus sei — „quia — inquit — principium motus
est motus" M.
So hat sich die Theorie des conatus im Zusammenhang mit der Kritik am Te-
leologieprinzip der scholastischen Ontologie entwickelt. Sie radikalisiert diese Kri-
tik, indem sie gestattet, die mechanische Hypothese über die Grenzen der Natur-
philosophie hinaus auf Bewußtseins- und Wülenszustände anzuwenden und nicht

31
Elements of Law, p. 165.
32
Elements of Law I, eh. VII, 2, ed. F. Tönnies, p. 22. Vgl. nodi Lev. I, c. I; VI.
33
Elements of Law, App. II: Excerpta de tractatu optico, c. I, 10, p. 171. Vgl.
M. Köhler, Studien zur Naturphilosophie des Thomas Hobbes^ in: Archiv für Geschiehte
der Philosophie, Bd. 16 (1903), S. 70.
34
Op. lat. V, p. 296. Vgl. auch Elements of Law, p. 176.

429
nur, wie das Dcscartes schon getan hatte, auf die Funktionen des animalischen
Körpers. In Hobbes' Argument gegen Descartes* Unterscheidung von inclinatio
bzw. conatus und motus kehrt dieselbe Begriffsstruktur wieder, die der Aufhebung
der ontologischen Differenz von potentia und actus zugrunde liegt. Wie er dort der
Potenz den positiven Inhalt der Wirklichkeit, der Bewegung und Ursache gibt, so
faßt er hier den conatus als eine potentielle Bewegung auf, die selber schon aktuell,
nämlich der Anfang einer anderen Bewegung ist. Der conatus ist eine Art Ele-
mentarbewegung der inneren Teile des bewegten Körpers, Bewegung in unendlich
kleiner Strecke, auf der er sich nach dem Verhältnis der Ursache und Wirkung
fortpflanzt, und zwar von Punkt zu Punkt, ohne Rücksicht auf die endliche
Zeit, von der abstrahiert ist35. Mit dieser Formulierung hat sich Hobbes theore-
tisch die Möglichkeit geschaffen, den gesamten Inhalt des Bewußtseins unter die
Gesetze der mechanischen Bewegung zu bringen. Er entfernt die Begriffe von Akt
und Potenz, die keiner Anschauung angehören und deshalb nicht konstruierbar
sind, nun selbst aus jener Sphäre des Vorstellens und Strebens, die in der Meta-
physik des 17. Jahrhunderts mit dem Teleologieprinzip der Ontologie noch
vielfach verbunden war. Dabei besitzt auch für Hobbes der conatus die Evidenz
eines Empfindungs- und Lebensdatums, das als solches nicht in die räumliche An-
schauung fällt; aber er hat ihn doch in Beziehung auf die Bewegung der Körper in
Raum und Zeit definiert und dadurch der mechanischen Konstruktion fähig ge-
macht. Das unterscheidet seinen Conatusbegriff von dem Descartes' und auch von
dem des Spinoza, die beide an den-Substraten der Onto-Teleologie noch festhalten.
Besonders deutlich ist das bei Spinoza, der den conatus als das Streben eines je-
den Dinges nach Selbsterhaltung und diese als die Verwirklichung seines Wesens
bestimmt: „Conatus, quo unaquaeque res in suo esse perseverare conatur, nihil
est praeter ipsius rei actualem essentiam"se. Im Gegensatz zu Spinoza hat
Hobbes die Beziehung des Begriffs auf eine Wesensnatur, die es als Zweck zu
verwirklichen gilt, ausgeschaltet; der conatus ist wesentlich zweck- und ziellos.
Das folgt aus seiner Definition, die dem Bezug auf ein Ziel dadurch die Spitze
abbricht, daß sie den conatus als Bewegung durch einen Punkt definiert. „Stre-
ben" (conatus) kann diese Bewegung nur deshalb heißen, weil sie nicht räumlich
und zeitlich wahrgenommen wird. Gleichwohl gehört sie insofern zur Anschauung,
als sie sich in der Dimension der Ortsbewegung darstellen läßt. Das Streben (cona-
ri) ist für Hobbes einfach gleichbedeutend mit dem Fortschreiten (ire) S7, wobei die
Bewegung, gleichgültig, ob sie einen Widerstand findet oder nicht, dieselbe bleibt.
So gilt auch hier der Grundsatz der neuen Bewegungslehre: „Wenn ein Körper
einen gegen einen anderen Körper gerichteten Bewegungsantrieb oder conatus be-
sitzt, bewegt er denselben, dieser einen dritten und so fort"38. Die Gesetze des
85
Vgl. dazu K. Lasswitz, Geschichte der Atomistik, Bd. 2, Hamburg/Leipzig 1890
S. 214 ff.
M
Eth. III, Prop. VII.
37
De corpore III, c. XV, 7; XXII, 1.
58
De corpore III, c. XXII.

430
mechanischen Naturzusammenhangs sind universell geworden; keine Bewegung
kann aus sich selbst anfangen und aus sich selbst auf ein Ziel gerichtet sein, — am
wenigsten jene „innere Bewegung", die Hobbes unter dem Namen des conatus zu
veranschaulichen und damit konstruktionsfähig zu machen versucht.
Ich übergehe die verschiedenen Formen und Stufen der Anwendung, die diese
Theorie in Hobbes' System findet, und beschränke midi darauf, die Folgen zu
untersuchen, die sie für die Auflösung und Umdeutung der traditionellen ethi-
schen Zweckbegriffe gehabt hat. Wenn man so will, handelt es sich hier um jene
Stelle im System, an der die Aufgabe einer anschaulichen Konstruktion der Wirk-
lichkeit des Wirklichen, welche die Theorie des conatus lösen soll, mit dem ideolo-
gischen Anspruch der Schulphilosophie am härtesten kontrastiert. Von der Mög-
lichkeit eines solchen Begriffs hat sie nach Hobbes eben deshalb keine Rechenschaft
geben können, weil sie die Phänomene der „inneren Bewegung" (Vorstellen, Be-
gehren usf.) durch „innere Ursachen" (Formen, Zwecke) erklärte. Die Schulen,
heißt es im Leviathan, sehen im Begehren überhaupt keine Bewegung, sondern
nur Zwecke, auf die es gerichtet ist. Und da sie nicht umhin können, auch dem
Begehren von Zwecken Bewegung zuzuschreiben, haben sie sich jene motio meta-
phorica ausgedacht, die eine Formel ohne Sinn ist und von Hobbes mit der Be-
merkung erledigt wird, daß nur Wörter, nicht aber Körper und Bewegungen als
metaphorisch zu bezeichnen seien39. „In Wahrheit" gibt es überhaupt keine
Zwecke, die von sich her das Begehren bewegen könnten. Denn weder summen
die Menschen hinsichtlich des Objekts überein, welches sie begehren, noch ist das
Begehren von der Art, daß es eine solche Übereinstimmung gestattete. Um diese
Thesen zu beweisen, appliziert nun Hobbes die Conatustheorie der traditionell-
teleologischen Güter- und Zweckordnung. Sie löst die Begriffe des höchsten Gutes
(summum bonum) und letzten Zweckes (finis ultimum), in denen nach den „Bü-
chern der alten Moralphilosophen" das Begehren seine Erfüllung finden sollte, auf
und setzt an seine Stelle die Idee eines „größten Guts", dessen Merkmal im un-
gehinderten Fortschreiten (progressio) zu immer neuen Zielen und Zwecken be-
steht. Wenn der letzte Zweck erreicht wäre, so lautet Hobbes' Argumentation,
würde nichts mehr begehrt und erstrebt, woraus folgte, daß es von diesem Zeit-
punkt an für die Menschen überhaupt kein Gut, ja nicht einmal mehr eine Empfin-
dung geben würde; denn alle Empfindungen sind mit Begehren und Wider-
streben verbunden, deren Ursache der conatus ist. Die Bewegung des conatus aber
kennt keinen Stillstand, sondern ist ein Fortschreiten von Punkt zu Punkt und
Teil zu Teil. Genau von dieser Struktur ist die genannte Idee des „größten Guts"
(bonorum maximum), die Hobbes als ruhelosen Fortschritt von Ziel zu Ziel defi-
niert, der erst mit dem Tod endet40. Und wie das Ziel oder der Zweck, so
lösen sich das Begehren und das begehrte Objekt in Teile und Teilbewegungen auf:
das Erlangen des Begehrten, sein Genuß, ist für Hobbes ein Fortschritt* von
29
Lev. I, c. VI, Op. lat. III, p. 41. Vgl. dazu die Gegenposition von Suarez, Disp.
met. XIII, l, 13—14.
40
Vgl. De komine, c. XI 15; Lev. I, c. XL

431
Begehren zu Begehren, nämlich die Bewegung (motus) der genießenden Seele
(anima) durch die Teile des Objekts, welches genossen wird.
III
In dieser Umdeutung der obersten Zweckbegriffe der traditionellen Moral-
philosophie vollendet sich die Tendenz zur anschaulichen Konstruktion der
Wirklichkeit des Wirklichen, die der mechanistischen Theorie des 17. Jahrhunderts
innewohnt. Der conatus ist das universelle Konstruktionsmoment des Mechanis-
mus, das dazu dient, intensive Qualitäten wie Formen und Zwecke in extensiven
Relationen auszudrücken, das Ruhende als Bewegungsresultat darzustellen und
alle Nativität zum Effekt zu machen41. Die neuere Hobbes-Forschung hat die
Ausschaltung der natürlichen Zweck- und Güterordnung aus der Ethik und Poli-
tik als den Beginn eines grundsätzlichen Wandels in der Selbstauffassung des Men-
schen verstanden, der in seiner Konsequenz zum modernen Fortschrittsbegriff und
zur Differenz zwischen Natur und Geschichte führt42. Das kann an dieser
Stelle nicht weiter erörtert werden. Weit wichtiger scheint mir zu sein, auch hier
die Zusammenhänge zu beachten, die zwischen dieser veränderten anthropologischen
Auffassung und den Grundlagen der Ontologie bestehen. Die Auflösung jener
Einheit von Natur und Geschichte des Menschen, die L. Strauss in Hobbes'
politischer Philosophie konstatiert,' ist selber eine Folge der kritischen De-
struktion der Onto-Teleologie. Freilich lassen sich deren Motive nicht allein aus der
mechanistischen Hypothese und ihrer Tendenz zur absoluten Konstruktion ab-
leiten. Denn die Kritik ist bei Hobbes weder ein theoretisches Lehrstück neben
anderen noch das Ergebnis oder gar die Voraussetzung der mechanistischen
Naturtheorie, sondern wesentlich ein Bestandteil seines Kampfes gegen die Dogma-
tik der Schule, die den ursprünglichen Sinn des biblischen Christentums durch die
Rezeption der heidnisch-antiken Philosophie verkehrt hat. In diesem Kampf,
der die neue Naturwissenschaft und die theologischen Lehren der Reformation
(Luther und Calvin) als Bundesgenossen sieht, steht Hobbes im 17. Jahrhundert
nicht allein. Die Okkasionalisten (Geulincx, Malebranche) und die Vertreter
einer aus den mosaischen Urkunden derivierten Physik (R. Fludd) begreifen die
mechanische Theorie als Hinwendung zum wahren Christentum, weil sie mit
den substantiellen Formen und Zwecken die heidnischen Götter und Dämonen
vertreibt, die auf dem Umweg über die Philosophie wieder Eingang in die Na-
tur gefunden hatten. Es ist der Kampf um einen neuen Naturbegriff, der das
ganze 17. Jahrhundert durchzieht und der Etablierung der mechanischen Natur-
wissenschaft eine theologische Bedeutung gibt. Seine Vorgeschichte weist auf die
reformatorische Abgrenzung vom hierarchischen Stufenbau des Kosmos zurück, der
nach der aristotelisch-scholastischen Lehre das Reich der Natur (regnum naturae)
41
VgL dazu die sdiarfsiditigen Bemerkungen bei Paul Yorck von Wartenburg,
Bewußtseinsstellung und Geschichte, (ed. L Fetscher) Tübingen 1956, S. 166 f.
42
VgL L. Strauss, Naturreat und Geic&K&fe, Stuttgart 1953, S. 172 ff.; ders.:
Hobbes* politische Wissenschaft, Neuwied/Berlin 1965, S. 158 f.

432
über sich selbst hinaus- und zum Reich der Gnade (regnum gratiae) forttreibt.
Im Unterschied dazu ist der Naturbegriff, von dem die Reformatoren des 16,
und die Metaphysiker des 17. Jahrhunderts Gebrauch machen,' rein privativ be-
stimmt, d. h. von aller ontologisch positiven Seinsmöglichkeit entblößt. Die Na-
tur — so lautet schon das Argument von Luther — stellt keinen Zweck als Ge-
genwurf (obiectum) vor sich hin, zu dem sie tendiert, sondern richtet sich nur
auf sich selbst48. Von diesem privativen Naturbegriff ist noch Hobbes* Kritik
des Teleologieprinzipes der scholastischen Ontologie abhängig, ja man kann
sagen, daß sie von ihm aus erst voll verständlich wird.
Das läßt sich an Hand des „Anfangs" von Hobbes' Naturphilosophie im
einzelnen nachweisen. Dieser Anfang ist nicht mit der zufälligen Weise identisch,
in der die Darstellung einer Theorie „anfangen" kann, sondern enthält das
metaphysische Prinzip, von dem sie getragen wird. Die prima philosophia, die
an der Spitze der Naturphilosophie steht, beginnt mit der Idee einer allge-
meinen Weltvernichtung, der (totalen) Privation der Natur, um im Ausgang da-
von die Frage zu erörtern, was einem Menschen (der allein von der Vernichtung
ausgenommen werden soll) als Gegenstand der Erkenntnis zurückbleibt oder
welche Materialien er zum Aufbau der Wissenschaft dann noch zu verwenden
Anlaß hätte **. Kein Zweifel, daß diese Idee nicht nur eine methodische Fiktion ist,
als die sie Hobbes einführt. Ihr Ursprung liegt, wie leicht zu erkennen ist, in
der biblisch-christlichen Schöpfungslehre. Auf sie bezieht sich Hobbes im Vor-
wort1 zu De corpore. Die wissensdiaftliche Erkenntnis ist eine Nachahmung der
Schöpfung. Der Philosoph muß so schaffen wie Gott selbst, der das Chaos
sondert und ordnet. Die natürliche Welt wird aufgehoben, damit sie schrittweise
in der logisch-mechanischen Konstruktion wieder entstehen kann45. Das ist der
methodische Sinn der Privationsthesis, mit der die prima philosophia beginnt.
Ontologisch drückt sie jedoch den denkbar schärfsten Gegensatz zu der gleichen
Kategorie der Privation aus, die in der scholastischen Naturphilosophie den Pro-
zeß des Werdens bestimmt. Auch hier liegt der Entstehung der Dinge die Idee
der Privation zugrunde,: aber diese ist keine totale, sondern „Ausfall" der Form,

43
Vorlesung über den Römerbrief (1515/16), c. VIII, hrsg. von M. Hofmann, Weimar
1960,
44
Bd. 2, S. 64 f.
De corpore II, c. VII 1: „Doctrinae naturalis exordium oprime ... a privatlone, id
est a ficta universi sublatione, capiemus." Die Privationsthese begegnet zuerst in den
Elements of Law (1640), I, eh. I 7. Der Anlaß zu ihrer Formulierung ist wahrscheinlich
von Descartes* neuer Grundlegung der Metaphysik in dem 1637 erschienenen Discours de
la Methode ausgegangen, mit der sie inhaltlich jedoch wenig gemeinsam hat. Bei Hobbes
ist das Erkenntnissubjekt, das nach der supponierten Weltvernichtung übrigbleibt, ein
leiblich-körperlidies Wesen,'bei Descartes die körperlose res cogitans. Vgl. dazu Hobbes'
Einwand gegen die 2. Meditation von Descartes (De natura mentis humanae), Op. lat,
V, p. 253. Auf dem Konstruktionsgedanken beruht auch die Wissensdiaftslehre von
Gasscndi, der von der Privationsthesis jedoch keinen Gebrauch macht. Vgl. Syntagma
Philosophicum I, Inst. Logica, P. IV, C. V, Op. omn. I, Genf 1658, p. 122—123.
45
Vgl. W. Dilthey, Gesammelte Schriften, Bd. 2, Stuttgart/Göttingen I9606, S. 378.

433
Beraubung einer positiven Semsmöglichkeit, die als solche den Vorrang vor dem
Nichtsein hat. Die Privation muß im Hinblick auf die Potenz verstanden wer-
den; sie ist Mangel an Sein, Nichtvorhandensein eines aktuell Seienden und nicht
dessen Negation. Form und Privation sind so aufeinander bezogen, daß sie
zusammen mit der Materie das Werden der Natur im Sinne einer in sich teleolo-
gisch bewegten Ordnung immer schon vorstrukturiert haben, in der die Position
(die Form) dem Wesen nach früher ist als die Negation.
Dieses Verhältnis kehrt sidi bei Hobbes um, weil der von ihm gebrauchte Be-
griff der Privation nicht, wie der aristotelisch-scholastische, einen Mangel an
Sein, sondern den Verlust alles Seienden, seine Vernichtung (annihilatio) meint.
Ich kann hier den Ursprung und die Funktion dieser Kategorie in Hobbes'
Denken nur kurz andeuten. Auf die Verwandtschaft mit dem biblisdi-diristlichen
Gedanken der Schöpfung aus Nichts ist bereits hingewiesen worden. Außer
dem Vorwort zu De corpore gibt es eine Stelle im Anhang zum Leviathan, an der
sich Hobbes dieses Zusammenhangs erinnert. Hier bringt er die geschichtliche Ge-
genstellung zu Aristoteles und zum scholastischen Aristotelismus in einigen knappen
und klaren Sätzen zur Sprache: „Quid credendum est", lautet die Frage, „per
vocem hanc, Creator') Anne mundum hunc a nihilo factum esse?" Die Antwort:
„Gerte ex nihilo; non ut Aristoteles, ex materia praeexistente. Expressa enim
dictum est in Scripturis Sacris, omnia facta esse ex nihilo" 4e. Mit der Rezeption
der Aristotelischen Ontologie in der mittelalterlichen Schulphilosophie geht nicht
dieser biblische Gedanke, wohl aber die metaphysische Konsequenz der Depotenzie-
rung der Natur und ihrer teleologischen Bewegungsordnung verloren, die er in
den ersten nachchristlichen Jahrhunderten besaß. Nicht ohne Grund betrachtet
Hobbes die Rezeption als einen Rückfall der christlichen Offenbarungsreligion in
die heidnische Kosmologie und Philosophie. Indem das Reich der Gnade wieder un-
ter Naturbegriffe subsumiert wird, entsteht aus ihm jenes „Reich der Finsternis"
(regnum tenebrarum), das sich in der Schulphilosophie verkörpert und dem die
ganze Schärfe von Hobbes' Polemik gilt. Die Funktion der Privationsthesis am
Anfang der prima philosophia liegt darin, die Berufung auf die Natur als eine
Begründungsinstanz für Glaubenssätze, Wissenschaft und menschliche Lebensver-
hältnisse aufzuheben und damit den Schleier der Natürlichkeit zu zerreißen, den
die scholastische Tradition dem menschlichen Denken übergeworfen hatte. Die
Ausschaltung des Zweckes aus der Physik und Metaphysik ist eine notwendige
Folge dieser Thesis, die dem dogmatischen Kern des Christentums weit ange-
messener ist als jener resümierte Aristotelismus der Schulphilosophie, der das
„ex nihilo" von der privatio her zu denken versuchte und dadurch genötigt war,
die Unterscheidung von Potenz und Akt in die Auslegung des Schöpfungsge-
dankens und schließlich auch in die Natur- und Freiheitslehre wieder einzuführen,

4
« App. ad Lev., Op. lat. III, p. 513. Vgl. dazu meinen Aufsatz: Zum Verhältnis von
Ontologie und politischer Theorie bei Hobbes. In: Hobbes-Forsaungen, hrsg. von R.
Koselledc und R. Sdinur, Berlin 1969, S. 103 ff.

434
— womit sich die Grenzlinien zwischen dem Reich der Natur und dem Reich der
Gnade verwischen mußten.
Das ist der Punkt, der Hobbes' Kritik am Teleologiepririzip der scholasti-
schen Ontologie motiviert und um den sich die Auseinandersetzung mit seinen theo-
logischen Gegnern (Bischof Bramhall) bewegt. Der Einwand, den er z. B. bezüglich
der Frage der Willensfreiheit erhebt, ist eben dieser, daß die scholastische Unter-
scheidung zwischen der potentia oder facultas und dem actus des Willens auf die
Konfusion von Willen und Nicht-Willen hinauslaufe, weil man sich überhaupt kei-
nen Willen denken könne, der nicht aktuell determiniert wäre. Die Potenz ist Pri-
vation, aber alle Privation ist in Wahrheit Negation und als solche „nichts" im Ver-
gleich zu jener Position, die sich im Bewegungsakt der Körper darstellt47. Der
Privationsgedanke entfernt alle Begriffe psychischer und „geistiger" Provenienz aus
der Natur, die zum Material herabsinkt, an dem sich die Methode der Kon-
struktion bewährt. Die Privation der Natur schließt, theologisch geredet, die
Freiheit von der Welt und die Freilassung der letzteren in sich. Insofern gibt
sie der reformatorischen Bewußtseinsstellung radikaler Weltfreiheit und zugleich
dem Konstruktionsprinzip der neuen Naturwissenschaft Ausdruck, .das denselben
Standpunkt der Freiheit voraussetzt. Es ist die Paradoxie von Hobbes' Philoso-
phie, daß sie diesen Standpunkt der Freiheit für die Theorie der gesellschaftlich-
geschichtlichen Welt selber nicht voll zur Geltung zu bringen vermag. Ihr Aufbau
folgt dem gleichen linearen Gang der mittelalterlich-scholastischen Systeme von
der ersten Philosophie über die Physik und Ethik zur Politik, mit dem Unter-
schied freilich, daß an die Stelle der ideologischen Metaphysik eine mechanistische
tritt. Dazu ist Hobbes genötigt, weil er noch keine andere Möglichkeit sah, der
substanzialistisdien und teleologisch-formalistischen Auffassung von Natur und
Mensch und damit jenem „Reich der Finsternis" zu entgehen48, das der Frei-
heit keinen Raum gibt. Gleichwohl ist es sein Verdienst, das Problem des
Zweckes in diesem Zusammenhang erneut gestellt zu haben, und man kann sa-
gen, daß die Lösungen, die es bei Leibniz und später bei Kant findet, selber erst
möglich geworden sind durch die Reflexion auf die veränderte metaphysische La-
ge, die Hobbes' Kritik des scholastischen Teleologieprinzips und der universelle Gel-
tungsanspruch der mechanistischen Theorie für die neuere Philosophie geschaffen
hat.

47
VgL The Questions concerning Liberty, Necessity, and Change, E. W. V, p. 386 ff.,
362 f., 426 ff.; Lev. c. XLVI, op. lat. III, p. 499. Die Argumente von Bischof Bramhall
zur Begründung der Willensfreiheit finden sich bei Suarez, Disp. met. XVIII—XIX.
Gegen die Unterscheidung von facultas und actus des Willens wendet sich sdion Luther
in seinem Streit mit Erasmus (Weimarer Ausgabe, Bd. 18, S. 662 f.) Zu Hobbes' Wert-
schätzung von Luther und Calvin vgl. E. W., V, p. 64 f., 266.
48
Vgl. Leo Strauss, Hobbef politisae Wissenschaft, S. 158.

435

Das könnte Ihnen auch gefallen