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1
Brad S. Gregory, The Unintended Reformation. How a Religious Rev-
olution Secularized Society, Cambridge, MA / London, 2012, 100.
2 Christoph Schwöbel
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zips, in: ders., Zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus, Gütersloh 1995,
68–88, 81.
7 A. a. O., 84.
Sola Scriptura – Schriftprinzip und Schriftgebrauch 3
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nicht, oder jedenfalls nicht konstitutiv, auf die Exegese als wis-
senschaftliche Disziplin bezogen sind. Die intensive Beziehung
zwischen Schriftauslegung und Predigtpraxis z. B., wie sie in der
dialektischen und kerygmatischen Theologie des 20. Jahrhunderts
programmatisch gepflegt wurde, ist längst Theologiegeschichte.
Durch diese Situation ist sehr grundsätzlich die Frage gestellt, was
in der Diskussion des reformatorischen Schriftprinzips eigentlich
Schrift und was Prinzip heißen kann.
Muss man sich nicht auch fragen, ob die Krise des Schriftprin-
zips sich nicht auch an den Bewegungen ablesen lässt, wo die
Rolle der Schrift als Prinzip gar nicht in Frage zu stehen scheint,
Bewegungen die, obwohl die Bezeichnung zunächst eine pro-
8 A. a. O., 87.
4 Christoph Schwöbel
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9
Vgl. die ausführlichen Analysen in Christoph Schwöbel, Gott im Ge-
spräch. Theologische Studien zur Gegenwartsdeutung, Tübingen 2011, 39–68.
10
Vgl. Christoph Schwöbel, Eigensinn gegen Eigensinnigkeit: warum
die Suche nach der Klarheit der Schrift schwierig ist, aber unerlässlich bleibt,
in: Zeitzeichen 15 (2014) H. 7, 20–22.
Sola Scriptura – Schriftprinzip und Schriftgebrauch 5
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11
Vgl. Thomas Kaufmann, Vorreformatorische Laienbibel und reforma-
torisches Evangelium, in: ZThK 101, 2004, 138–174.
12
Vgl. Stephan H. Pfürtner, Das reformatorische ›Sola Scriptura‹ –
theologischer Auslegungsgrund des Thomas von Aquin?, in: Carl Heinz
Ratschow (Hg.), Sola Scriptura?, Marburg 1977, 48–80.
Sola Scriptura – Schriftprinzip und Schriftgebrauch 7
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Autorität der Väter, die doch selbst die Schrift als Kriterium ihrer
Lehre beanspruchten. Gegenüber dem kumulativen Traditions-
modell wird ein kritisches Traditionsmodell etabliert, dass die
Schrift zum Maßstab der Tradition erhebt.15 Das aber heißt, »dass
sie durch sich selbst ganz gewiss ist, ganz leicht zugänglich, ganz
verständlich, ihr eigener Ausleger, alles von allen prüfend, richtend
und erleuchtend«. Nach dieser Aussage, die Schrift sei sui ipsius
interpres, folgt nun im Anschluss an Ps 119 (Vg 118), 30 die For-
mulierung des Schriftprinzips:
»Hier verleiht der Geist ganz klar Erleuchtung und lehrt, dass Erkenntnis
allein durch die Worte Gottes verliehen wird gleichwie durch eine Tür
oder eine Öffnung oder ein erstes Prinzip (wie man sagt), von dem aus
der anfangen muss, der zum Licht und zur Erkenntnis gelangen will.
Wiederum [heißt es in Ps 119 / Vg. 118, 160]: ›Das Prinzip oder das Haupt
deiner Worte ist Wahrheit.‹ Du siehst, dass auch hier die Wahrheit nur
dem Haupt der Worte Gottes zugesprochen wird. Das heißt, wenn du die
Worte Gottes an erster Stelle gelernt hast, so wirst du von ihnen auch wie
von einem ersten Prinzip zum Urteil über alle Wörter gebracht werden«16.
15
Zum Vergleich von »kumulativem« und »kritischem« Traditionsmodell
vgl. Christoph Schwöbel, Rationality, Tradition and Theology. Six Theses,
in: Marcel Sarot / Gijsbert van den Brink (Hg.), Identity and Change in
the Christian Tradition, Frankfurt / Berlin / Wien 1999, 159–186.
16
Martin Luther, Assertio omnium articulorum, WA 7, 97, 26–32;
LDStA 1, 81, 5–17.
17
Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers (1962) 71994, 74. Althaus
betont dann eine Seite später: »Selbstauslegung der Schrift und Auslegung
durch den Heiligen Geist – das sind bei Luther zusammengehörige Ausdrücke
für die gleiche Sache.« (75).
18
Jörg Lauster, Prinzip und Methode. Die Transformation des protestan-
tischen Schriftprinzips durch die historische Kritik von Schleiermacher bis zur
Gegenwart, Tübingen 2004, 12. Die Interpretation des Schriftprinzips im Sinne
der aristotelischen Prinzipienlehre beginnt, wie Lauster überzeugend nach-
weist, bei Melanchthon und wird bei Johann Gerhard systematisch entfaltet.
Sola Scriptura – Schriftprinzip und Schriftgebrauch 9
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die Erkenntnis allein durch die Worte Gottes verliehen wird. Lu-
ther bezieht sich mit den Worten »Tür« oder »Öffnung« auf das
Evidenzerlebnis, das mit dem Offenbarungsbegriff beschrieben
wird.19 Mit dem Zitat von Ps 119, 160 »Dein Wort ist nichts als
Wahrheit« wird die Selbstauslegung der Schrift im Evidentmachen
des Schriftwortes auf das Wort Gottes bezogen. Der Kontrast
liegt nicht zwischen den Worten der Tradition und dem Wort der
Schrift, sondern zwischen den Menschensatzungen und dem Wort
Gottes.20 Darum hat die Schrift als geistgewirkte Selbstbezeugung
Gottes den ersten Rang in Fragen der Lehrautorität. Dennoch
können die in dieser Weise evident gewordenen Prinzipien, die
»non nisi verba divina«21 als Maßstab aller menschlichen Konklu-
sionen gelten, weil die göttlichen Worte klarer und gewisser sind
als die der Menschen. Darum ist für das Verfahren der Schriftaus-
legung klar, dass wir die heiligen Schriften »per seipsas et illarum
proprium spiritum« betrachten sollten.22 Luthers hier zusammen
mit dem Schriftprinzip eingeführtes kritisches Traditionsver-
ständnis ermöglicht auch eine positive Würdigung der Tradition.
Zwar insistiert Luther darauf, dass die Freiheit des Geistes und
die Majestät des Wortes Gottes den Kirchenvätern vorangestellt
wird, sie werden aber als Vorbild angeführt, »wie sie zu ihrer Zeit
am Worte Gottes gearbeitet haben«.23 Sie sind den Aposteln und
Propheten untergeordnet, aber das – so zeigt Luther durch den
Traditionsbeweis des Väterzitates – entspricht gerade ihrem Selbst-
Dokuments ist nicht zulässig.
19
Vgl. Luthers Beschreibung der Entdeckung der Bedeutung des Ausdrucks
»Gerechtigkeit Gottes« in der Vorrede zum 1. Band der Opera latina (1545)
WA 54, 179–187, 186, 3–10: »Donec miserente Deo meditabundus dies et noc-
tes connexionem verborum attenderem, nempe: Iustitia Dei revelatur in illo,
sicut scriptum est: Iustus ex fide vivit, ibi iustitiam Dei coepi intelligere eam,
qua iustus dono Dei vivit, nempe ex fide, et esse hanc sententiam, revelari per
euangelium iustitiam Dei, scilicet passivam, qua nos Deus misericors iustificat
per fidem, sicut scriptum est: Iustus ex fide vivit. Hic me prorsus renatum esse
sensi, et apertis portis in ipsam paradisum intrasse. Ibi continuo alia mihi facies
totius scripturae apparuit.«
20 Vgl. die Schrift: Von Menschenlehre zu meiden, 1522, WA 10/2, 72–92.
21
WA 7, 98, 4, LDStA 1, 80, 23.
22
WA 7, 98, 18, LDStA 1, 82, 7.
23 WA 7, 100, 17–19, LDStA 1, 82, 40–41.
10 Christoph Schwöbel
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selbst als aus den Bächen [zu] trinken«,24 wird mit einem Zitat des
hl. Bernhard belegt.
Heilige Geist schenkt, hat das Evangelium zum Inhalt, das aller
Kreatur gepredigt ist. »Christus nämlich hat uns den Sinn eröffnet,
dass wir die Schriften verstehen.«29
Wie sind diese theologischen Einsichten nun in der Schrift-
auslegung im Einzelnen zu bewähren? Luther führt zunächst
eine Unterscheidung ein zwischen Gott und der Schrift Gottes,
die nicht weniger als Schöpfer und Geschöpf zwei Dinge sind.
Während in Gott vieles verborgen ist, es sei denn er offenbart
24
WA 7, 100, 25–26, LDStA 1, 89 10–11.
25
WA 18, 602, 31, LDStA 1, 225, 40–41.
26 WA 18, 605, 13–14, LDStA 1, 233, 11–12.
27
WA 18, 604, 33, LDStA 1, 230, 19: »Quid enim incertitudine miserius?«
28
WA 18, 605, 32–34, LDStA 1, 232, 28–30.
29 WA 18, 607, 4, LDStA 1, 237, 20–21.
Sola Scriptura – Schriftprinzip und Schriftgebrauch 11
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es, ist diese prinzipielle Dunkelheit nicht von der Schrift aus-
zusagen. Natürlich gesteht Luther exegetische Schwierigkeiten
aus Unkenntnis des Vokabulars und der Grammatik zu. Aber aus
dieser Undeutlichkeit zu schließen, die Sache sei unklar, wenn die
Worte mal klar, mal unklar sind, ist ein Fehlschluss. Wie wird dann
die Sache der Schrift klar? Auf diese Frage antwortet die Lehre von
der doppelten Klarheit der Schrift. Die äußere Klarheit der Schrift
ist das, was die Schrift klar und deutlich sagt, wenn sie nach dem
Literalsinn ausgelegt wird. Die Schrift meint, was sie sagt, und das
macht die Schriftauslegung dem öffentlichen Diskurs zugänglich.
Mit der Zurückstellung des vierfachen Schriftsinnes gibt es hier
keine Einschränkung der öffentlichen Verständigung. Die innere
Klarheit ist Gabe des Geistes Gottes. Wo diese Gabe nicht gegeben
wird, haben Menschen ein »verdunkeltes Herz«, das darin besteht,
dass sie für das, was sie von der äußeren Klarheit verstehen, nichts
fühlen und wahrhaft erkennen.30 Damit ist gemeint, dass die innere
Klarheit, die durch das Wirken des Geistes Gottes geschenkt wird,
genau die Anwendung des in der äußeren Klarheit Verstandenen
auf den Hörer der Schriftverkündigung selbst erschließt, so dass
ihm die Wahrheit des äußerlich klar Gesagten innerlich, im Her-
zen, einleuchtet und er sie als Gewissheit fühlt.
Wichtig ist zu bemerken, dass das allgemeine Priestertum der
Gläubigen an der äußeren Klarheit der Schrift hängt. Hieronymus
Emser hatte 1 Pt 1, 9 »Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht,
Dokuments ist nicht zulässig.
30
WA 18, 609, 5–10 »Si de interna claritate dixeris, nullus homo unum iota
in scripturis videt, nisi spiritum Dei habet, omnes habent obscuratum cor,
ita, ut si etiam dicant et norint proferre omnia scripturae, nihil tamen horum
sentiant aut vere cognoscant, neque credunt Deum, nec sese creaturas Dei,
necque quicquam aliud …«. LDStA 1, 238.
31 Vgl. Schwarz, Martin Luther (wie Anm. 13), 39 f.
12 Christoph Schwöbel
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auf eine Randglosse auf Gen 3, 15 seit 1523 aufmerksam, die dies
auf den Punkt bringt:
»Dis ist das erst Euangelium und Verheissung von Christo geschehen
auff Erden, Das er solt, Sünd, Tod und Helle uberwinden und uns von
der Schlangen gewalt selig machen. Dar an Adam gleubet mit allen seinen
Nachkomen, Dauon er Christen und selig worden ist von seinem Fall«38.
Die Bibel, die für Luther wie für die ganze vormoderne Tradition
das Weltbuch ist, das von Alpha bis Omega den ganzen Verlauf
der Geschichte umfasst, ist durch das Protevangelium nicht nur in
seiner Ganzheit Christusbuch, sondern auch das Buch von Ver-
39
Schwarz, Martin Luther (wie Anm. 13), 54 stellt den lateinischen Text
nach und seine Übersetzung, die wir hier zitieren nebeneinander. Der latei-
nische Text lautet: »1. Unus et idem Deus ab initio mundi variis modis per
fidem in eundem Christum cultus est. 2. Certum est, Adam et Hevam in
semen mulieris promissum [Gen 3, 15], id est, in Deum promissorem credidis-
se. … 5. Aliis quidem personis aliisque temporibus eiusdem promissionis fides
renovata est … 9. Desierunt per tempora varii illi modi credendi in semen
promissum seu in eundem Christum. 10. Sicut et ipsa christiana fides novissimo
tempore Evangelii innovata desinet in fine mundi, 11. Ut stet illud verissime
dictum: Christus Iesus heri et hodie, ipse et in saecula, [Hebr 13 [V. 8]]« Dis-
putation über Hebr 13, 8, 7. 7. 1542, WA 39/2, 187, 4–188, 6.
Sola Scriptura – Schriftprinzip und Schriftgebrauch 15
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In diesem Kriterium sind Luthers z. T. recht harte Urteile über den
Jakobusbrief oder auch den 1. Petrusbrief begründet. Ja, Luther
geht so weit, dass sich an diesem Kriterium zeigt, dass der Kanon
nicht formell abgeschlossen sein kann, sondern das als Kanon
akzeptiert wird, was sich in der Kirche im Schriftgebrauch, vor
allem im Gottesdienst, bewährt hat. Daran zeigt sich, dass Ernst
Käsemanns Rede vom »Kanon im Kanon« zumindest missver-
ständlich ist, denn es ist Christus als Fluchtpunkt, der die Wertung
der Grenzen des Kanons bestimmt. Ebenso ist die Rede von der
»Mitte der Schrift« hier durchaus problematisch, denn auf Chris-
tus als Fluchtpunkt können für Luther auch Texte verweisen, die
Dokuments ist nicht zulässig.
immer von der Einheit der Gottheit und Menschheit in der Per-
son Christi her zu verstehen. Die Inkarnation als die Heiligung
der menschlichen Kommunikationsmittel, die Luther vor allem in
seiner Theologie des Abendmahls entfaltet, ist auch die Grundlage
für den Christusbezug der Schrift.41
rauf, dass Gott nicht abgesehen von seinem Wort in seiner nackten
Majestät erkannt werden will, hat nichts anderes zum Hinter-
grund, als dass Gott in Ewigkeit ein Gespräch ist. Das Johannes-
evangelium ist ihm dafür der wichtigste Zeuge.
»Denn allhie sagt er von einem gesprech, so gehalten wird in der Gottheit
(ausser allen Creaturn) und setzet einen Predig stul, da beide ist, der da
redet, und der da zuhoret, Machet den Vater zum Prediger, den Heiligen
Geist aber zum Zuhörer«46.
Für Luther ist dies keine Metapher. Die Einheit des Wesens Gottes
mit dem Gespräch, das Gott ist, wird darum nachdrücklich fest-
gehalten:
»Aber dieses alles, sprechen, gesprochen werden und zu hören geschicht
alles jnnerthalb der Göttlichen natur und bleibet auch allein jnn derselben,
da gar kein Creatur nicht ist noch sein kan, sondern beide, sprecher und
Wort und Hörer, mus Gott selbs sein. Alle drey gleich ewig und jnn
ungesonderter einiger Maiestet, Denn jnn dem Göttlichen wesen ist kein
enderung noch ungleichheit und weder anfang noch ende, Das man nicht
sagen kan, das der Hörer etwas ausser Gott sey oder angefangen habe ein
Hörer zu werden, Sondern gleich wie der Vater ein ewiger Sprecher ist, der
Son jnn ewigkeit gesprochen wird, ist, also der heilige Geist von ewigkeit
der Zuhörer«47.
Ist Christus das in Ewigkeit gesprochene Wort, das als inkarnier-
tes Wort in der Geschichte wirksam ist als leibliche Gestalt des
ewigen Wortes, so ist der Geist der ewige Zuhörer, der das, was er
im ewigen Gespräch der Trinität hört, den Menschen verkündigt
und damit das hörbare und in den Sakramenten sichtbar erfahr-
bare Wort Christi im Herzen zur Gewissheit werden lässt.48 Diese
aufeinander bezogene doppelte Vermittlung von Gottes ewigem
Gespräch in die Zeit ist der Ankerpunkt des Zusammenhangs
von Wort und Geist, den Luther gegenüber dem spiritualistischen
Flügel der Reformation immer wieder einprägt.
»Sihe, das ists, so er gesagt, das der heilige Geist sol reden und verkündigen
Dokuments ist nicht zulässig.
nicht anders, denn was er höret, nemlich jnn der ewigen Gottheit bey
Christo und dem Vater, da ers allein sihet und weis, wie es zu gehet, Euch
aber (spricht er) sol ers verkündigen, erstlich jns hertz und darnach durch
ewern mund, das es also gegleubet werde, Bis so lang das wir auch dahin
kommen, da wirs werden offenbarlich anschawen«49.
Albrecht Beutel hat bei Luther vier Gestalten des Wortes Gottes
unterschieden: das innertrinitarische verbum aeternum, das ver-
bum creatum, dem zufolge Gott, der durch das Wort schafft, die
47
WA 46, 59, 35–60, 6.
48
Zu Luthers Trinitätslehre vgl. Christoph Schwöbel, The Triune God
of Grace. The Doctrine of the Trinity in the Theology of the Reformers, in:
James M. Byrne (Hg.), The Christian Understanding of God Today, Dublin
1993, 49–64.
49 WA 46, 68, 3–8.
Sola Scriptura – Schriftprinzip und Schriftgebrauch 19
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Dinge (res) als vocabula oder dictiones Dei schafft, als Bedeu-
tungsträger in ihrem geschöpflichen Sein, das verbum scriptum
der Schrift und das verbum praedicatum des menschlichen Zeug-
nisses. In dieser Weise ist das kommunikative Beziehungsgesche-
hen zwischen dem deus loquens und dem homo audiens intern
gegliedert.50 Luthers Charakterisierung dieses »Wortgeschehens«
als »Gespräch« weist darüber hinaus noch auf einen anderen Zu-
sammenhang hin. Das Gespräch, das Gott ist und in das er durch
Christus und den Geist seine Geschöpfe hineinzieht, indem er
das Hören und das Antworten ermöglicht, hat grundsätzlich dia-
logischen Charakter. Diese Abkehr von der Monologizität ist auch
für das Schriftprinzip und die Schriftauslegung in der Theologie
Luthers von höchster Bedeutung. Luther ersetzt nicht eine mono-
logische Kommunikationsstruktur durch eine andere, die Lehr-
autorität der Kirche durch die Autorität der Schrift, sondern deckt
den Charakter der Autorität der Schrift als einen dialogischen auf.
Das ist nirgends klarer formuliert als in der sog. »Torgauer Kirch-
weihpredigt«51: »auff das dis newe Haus dahin gericht werde, das
nichts anders darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit
uns rede durch sein heiliges Wort, und wir widerumb mit jm reden
durch Gebet und Lobgesang«.
50
Vgl. Albrecht Beutel, Wort Gottes, in: ders. (Hg.), Luther Handbuch,
Tübingen 22010, 362–371. Grundlegend ist die Monographie: Albrecht Beutel,
In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis (HUTh
27), 1991.
51 WA 49, 588–615, hier: 588, 12–18. Vgl. Christopher Spehr, Luthers
res nicht erfasst werden kann, denn die res sind ja selbst die verba
des Schöpfers. Ebenso wird man Falk Wagners Vorschlag, zwi-
schen dem historischen Anfang und dem systematischen Grund
des Christentums zu unterscheiden, aus der Sicht der Theologie
Luthers nicht zustimmen können, denn der systematische Grund
des Christentums erschließt sich ja gerade in seiner erfahrenen
und erzählten Geschichte – und nicht abgesehen von ihr. Nicht
ein Begriff des Christentums erschließt also den Zugang zu den
Texten, sondern das trinitarische christliche Gottesverständnis,
das es nicht ermöglicht, dass »das christologische Subjekt allein
als nicht-sinnlicher gedanklicher Gehalt« (Falk Wagners Version
des sola) erfasst werden könnte, abgesehen von der leiblichen und
darum sinnlichen Selbstvergegenwärtigung des Schöpferlogos im
Medium menschlicher Erfahrung, wie sie in der Schrift bezeugt
ist. Dafür, dass es die Offenbarung des trinitarischen Gottes ist,
die den Begriff des Christentums, gerade in seiner geschichtlichen
Vermittlung als der »offenbaren Religion« konstituiert, könnte
man sich übrigens auch auf Wagners Kronzeugen Hegel berufen.
Wird die Bedeutung der Schrift so erfasst, muss sofort auch
betont werden, dass das Schriftprinzip seinen primären Kontext
in der Heilskommunikation hat. Das ist es, was bei Luther den
Christusbezug, den Bezug auf den Glauben und die kommunizier-
te Gnade mit dem sola scriptura verbindet. Die Rolle der Schrift
in der Beschreibung des fundamentum fidei, ihre theologische
Dokuments ist nicht zulässig.
of Medieval Biblical Interpretation and His Use of the Church Fathers, in:
Robert Kolb / Irene Dingel / Lubomir Batka (Hg.), The Oxford Hand-
book of Martin Luther’s Theology, Oxford 2014, 71–90.
56
Vgl. exemplarisch für viele andere Stellen die Assertio omnium articulo-
rum, WA 7, 99; LDStA 1, 84/85.
57 Vgl. Paul R. Hinlicky, Beloved Community. Critical Dogmatics after
die Situation der Lesenden und Hörenden, das durch die geist-
liche, moralische oder anagogische Übertragung erreicht wird,
vielmehr vollzieht sich die »Horizontverschmelzung« durch die
Einbeziehung der Lesenden und Hörenden in die Situation des
Schrifttextes. Die Auslegung vollzieht sich durch die Praxis des
Textes.
new mensch, der alle dinck anderß ansihet denn vorhynn, anderß richtet,
anderß urteylt, anderß dunckt, anderß will, anderß redt, anderß liebt,
anderß lust, anderß wirckt unnd feret denn vorhynn …«61
Dokuments ist nicht zulässig.
Die Lehre vom unfreien Willen, die Luther in seiner gegen Erasmus
gerichteten systematisch-theologischen Hauptschrift De servo
arbitrio (1525)1 entwickelt hat, scheint die evangelische Theologie
in eine äußerst prekäre Lage zu bringen. Einerseits ist diese Lehre
untrennbar mit der Rechtfertigungslehre verknüpft. Denn wenn
der Sünder allein durch die Gnade Gottes gerechtfertigt werden
kann, besitzt er keine Freiheit an seiner Rechtfertigung auch nur
mitzuwirken. Wenn die Befreiung aus Sünde und Verlorenheit
ausschließlich vom barmherzigen Willen Gottes abhängt, muss
der Mensch ganz und gar unfähig sein, sich selbst zu befreien oder
zu seiner Befreiung beizutragen. Die Lehre von der Unfreiheit des
menschlichen Willens ist für Luther unverzichtbar, weil sie die
anthropologische Entsprechung des »sola gratia« ist. Ihr zu wider-
sprechen heißt deshalb nichts Geringeres, als die Rechtfertigungs-
lehre und damit die protestantische Identität zu untergraben.
Dokuments ist nicht zulässig.
1
Luthers De servo arbitrio wird zitiert nach WA 18. Bei der Übersetzung
ins Deutsche folge ich in der Regel dem Band Martin Luther, Dass der freie
Wille nichts sei. Antwort D. Martin Luthers an Erasmus von Rotterdam, über-
setzt von Bruno Jordahn, München 31975.