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Mai 2020 IDE NTITÄ TSK RISE M E NSC HE NBIL D BIBEL

welt &
Priester Selbstbestimmung Homosexualität
Warum Warum Katholiken Warum Paulus
Schockenhoffs zu einer Agenda uns noch

kirche
neue Moral der Vielfalt nein immer etwas zu
nicht überzeugt sagen müssen sagen hat

M I T D E R T A G E S P O S T A U F D E M S Y N O D A L E N W E G

Sexualität —
braucht
die Kirche
Nachhilfe?
adobe.stock.com
EDITORIAL

Lingener
„Weltenwende“
VO N O L I V E R M A K S A N 2019 beschlossen die Bischöfe in Lingen den
Braucht die Kirche Nachhilfe beim Synodalen Weg. Der Moraltheologe Schockenhoff
Thema Sexualität? Außerhalb der
Kirche ist die Antwort auf diese
rüttelte bereits zum Auftakt an der traditionellen
Frage schnell gegeben. Die katholi- Sexualmoral. Eine Erwiderung aus
sche Sexualmoral gilt als irrelevant
und der näheren Beschäftigung klassisch-katholischer Perspektive
nicht wert. Doch auch innerkirch- VON MARKUS CHRISTOPH SJM

D
lich mehren sich bis in bischöfliche
ie katholische Sexualmoral logie des Leibes von Johannes Paul II.
und akademische Kreise hinein die
leidet seit Jahrzehnten un- überwinde diese pessimistische Pers-
Stimmen, die glauben, die Moral-
ter Imageproblemen: pektive nicht. Erst „Amoris laetitia“
lehre der Kirche sei nicht aufge-
Weltfremd, verklemmt, von Papst Franziskus würdige „wie
klärt genug und hinke hinter den
realitätsfern sei sie. Meint man. Und kein lehramtliches Dokument zuvor
Erkenntnissen der Humanwissen-
Frau. Auch in der Kirche. Eine grund- die erotische Dimension der Liebe“
schaften hinterher. In diesem Sinne
sätzliche „Kurskorrektur der Sexual- (L4). Diese positive Sicht gelte es fort-
verordnet der Synodale Weg der
ethik“ forderte der Freiburger Moral- zusetzen.
Kirche in Deutschland für seine
theologe Eberhard Schockenhoff im
Dauer die Beschäftigung mit der
Sexualität.
Frühjahr 2019 in Lingen anlässlich Beziehungsethik versus
eines Studientages der deutschen Bi-
Die neue Ausgabe von „welt&kir-
schöfe (Lingener Vortrag, S. 6, kurz Aktmoral
che“ geht diesen folgenreichen An-
L6). Nur so könne man nach der Miss- Die Theologie könne dabei auf die
fragen nach. Kein Zweifel besteht,
brauchskrise verlorenes Vertrauen zu- Ergebnisse der modernen Sexualwis-
dass es sich bei der Frage nach der
rückgewinnen. Schockenhoff erhielt senschaften zurückgreifen. Dort
Sexualität um eine zentrale han-
viel Zustimmung; er habe „Anachro- unterscheidet man vier Sinndimensio-
delt. Soll die Erlösung dem ganzen
nismen, Widersprüche und lebens- nen von Sexualität: (a) Lustfunktion:
Menschen gelten, muss sie also
fremde Aspekte in der kirchlichen Se- Sexualität spendet Befriedigung, (b)
auch seine Sexualität umfassen. In
xualmoral“ aufgedeckt (Pressebericht Beziehungsfunktion: Sie stärkt Part-
der Theologie des Leibes hat
DBK). Inzwischen hat das vierte Fo- nerbindung, (c) Identitätsfunktion:
Johannes Paul II. der Kirche das
rum des Synodalen Wegs in einem Das Sich-begehrt-Wissen steigert das
Evangelium erlöster Leiblichkeit
Arbeitspapier, das ausdrücklich „auf Selbstwertgefühl, (d) Fortpflanzungs-
verkündet. Paul VI. hat vor ihm die
der Grundlage des Vortrags von Prof. funktion: Sexualität ist auf Zeugung
wechselseitige Verwiesenheit von
Dr. Eberhard Schockenhoff“ entstand, ausgerichtet. Schockenhoff formuliert
Fruchtbarkeit und Personsein in
dessen Positionen als Mehrheitsmei- nun als Grundregel, dass „eine verant-
seiner Enzyklika „Humanae vitae“
nung übernommen. Grund genug für wortliche Gestaltung menschlicher
beschrieben.
einen Blick auf seine Thesen. Sexualität zwar die Integration aller
Doch ist Sexualität nicht einfach
Nach Schockenhoff herrscht in der Sinnwerte in das eigene Sexualverhal-
nur hell und rein und Mittun am
Kirche seit Augustinus eine „negative ten fordert, einzelne sexuelle Hand-
Werk des Schöpfers. „Dunkles Ge-
Bewertung der sexuellen Lust“ (L3). lungen aber auch dann bejahenswür-
heimnis“ wird sie in dieser Ausgabe
Dieses Erbe wirke bis heute fort in der dig bleiben, wenn sie nicht alle Fakto-
auch genannt. Kurz: Sie ist erlö-
lehramtlichen Ablehnung von Selbst- ren zugleich realisieren.“ (L6) Wohl-
sungsbedürftig. Das wusste schon
befriedigung, künstlicher Verhütung gemerkt, der Kirche war stets klar,
Paulus, der mit seinen Äußerungen
und Homosexualität. Auch die Theo- dass nicht jeder Sexualakt alle vier Di-
zur Sexualität heute Kopfschütteln
auslöst oder als falsch verstanden
gilt. Verkompliziert wird die Lage
durch die Gender-Theorie, die auch Impressum Welt & Kirche
innerhalb der Kirche Akzeptanz erscheint alle zwei Monate als Beilage zur katholischen Wochenzeitung Die Tagespost.
findet als Instrument zur Herstel- Berner Straße 2, D-97084Würzburg www.die-tagespost.de Exemplare gratis bestellbar unter:
info@die-tagespost.de Redaktion: Simon Kajan V.i.S.d.P.: Oliver Maksan
lung der Geschlechtergerechtigkeit.
Theologischer Beirat: Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Prof. Dr. Karl-Heinz Menke,
Viele Anfragen also, die in die eine Prof. Dr. Christoph Binninger, Prof. Dr. Christoph Ohly
Frage dieses Heftes münden.

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Mit der Tagespost auf dem Synodalen Weg

Studientag der Bischofskonferenz in Lingen: Damals wurde der Synodale Weg beschlossen. Gottesdienst mit
Bischöfen und anderen Teilnehmern im März 2019. Foto: KNA

mensionen verwirklicht; nicht immer Sexualität „aus den normativen Fes- gisch nicht gegeneinander ausspielen
wird ein Kind gezeugt. Doch eine se- seln der traditionellen Sexualmoral zu (auch wenn das in der Umweltpolitik
xuelle Handlung darf nicht ihren eige- befreien.“ (L6) oft geschieht).
nen Sinngehalten, zum Beispiel Wie überzeugend ist dieser Ansatz? Umweltschutz taugt freilich nur be-
Fruchtbarkeit, widersprechen. Ge- Auch Umweltschutz kennt verschiede- dingt als Beispiel für Ethik; bloße Na-
schlechtlich verkehren und gleichzei- ne Sinndimensionen: Sparsamkeit mit turkausalität impliziert noch kein mo-
tig Fortpflanzung verunmöglichen gilt Ressourcen, Reduzierung von Treib- ralisches Sollen. Aber die Verknüp-
als moralisch verwerflich. Bisher. hausgasen, Erhalt von Artenvielfalt. fung von Gesamtverhalten und Einzel-
Hier setzt Schockenhoff an: Wenn Wer Umweltschutz ernstnimmt, muss akt gilt in der Moral genauso wie beim
eine Beziehung für Kinder grundsätz- alle Sinngehalte im Blick behalten, Umweltschutz. Bei aller Wichtigkeit
lich offen sei, etwa in Form eines zu- nicht nur als Grundhaltung, sondern einer verantwortlichen Gesamtgestal-
künftigen Kinderwunsches, sei Fort- genauso in den Einzelprojekten. Eine tung von Sexualität, die Schockenhoff
pflanzung ausreichend bejaht. Wer CO2-neutrale Technik, die Ressour- zurecht betont, ersetzt sie nicht die
dann künstlich verhüte, bejahe cen verschwendet, schützt die Umwelt Bedeutung des einzelnen Sexualaktes,
Fruchtbarkeit weiterhin als Grundhal- nicht, sondern schädigt sie. der die liebende, körperliche Selbstga-
tung und die Verhütung bleibe mora- Es wäre absurd, würde ein Umwelt- be beziehungsweise Ganzannahme
lisch einwandfrei. Ähnlich bei Selbst- minister – frei nach Schockenhoff – des Anderen meint. Und Ganzannah-
befriedigung für bloßen Lustgewinn: erklären, dass eine verantwortliche me meint Ganz-Annahme, also ein-
Dies sei legitim, wenn Beziehungs- Gestaltung von Umweltschutz zwar schließlich Fruchtbarkeit. Es geht da-
und Fortpflanzungsfunktion ander- die Integration aller Sinnwerte von bei um keine theologische Erfindung,
weitig bejaht sind. Auch homosexuelle Umweltschutz in das eigene Gesamt- sondern schlicht um die Anerkennung
Akte lassen sich dann positiv werten, verhalten fordert, einzelne Umwelt- des Sinns von Sexualität. Daraus folgt
sofern der „soziale Sinn der Sexualität schutzhandlungen aber auch dann be- aber: Sex, das heißt liebende Selbstga-
und ihre Bedeutung für die Erhaltung jahenswürdig bleiben, wenn sie nicht be, praktiziert alleine ohne Partner
der menschlichen Gesellschaft inner- alle Faktoren zugleich realisieren. Na- (bei Selbstbefriedigung), wird zur wi-
lich bejaht“ (L6) und damit eine er- türlich kann ein Einzelprojekt nicht dersprüchlichen Geste. Ebenso Sex,
weiterte Art von Fruchtbarkeit gelebt alle Sinngehalte von Ökologie fördern; das heißt Ganz-Annahme des Anderen
wird. Kurz: Die moralische Qualifi- eine CO2-neutrale Technik muss (also inklusive Fruchtbarkeit), bei An-
kation eines Sexualverhaltens soll nicht gleichzeitig Ressourcenachtsam- wendung künstlicher Verhütung. Sex
nicht mehr vom Akt selbst abhängen, keit und Artenvielfalt steigern. Aber als Ja und Nein zugleich. Diese Wider-
sondern vom sexuellen „Gesamtver- wenn sie andere Umweltaspekte direkt sprüchlichkeit im Sexualakt löst sich
halten im Laufe des Lebens“ (L5). unterläuft, ist sie ökologisch „unmora- nicht dadurch in Luft auf, dass die Be-
Schockenhoff plädiert für eine Bezie- lisch“, egal wie grün die sonstige ziehungs- oder Fortpflanzungsfunk-
hungsethik als Alternative zur bisheri- Grundhaltung ist. Gesamtverhalten tion als allgemeine Grundhaltung be-
gen Aktmoral. Damit sei es möglich, und Einzelprojekt lassen sich ökolo- jaht bleibt – so wie der Widersinn

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einer CO2-neutralen Artenausrottung hungsstärkung (bei Homosexualität de 1968 von Paul VI. in „Humanae
nicht durch ein ökologisches Gesamt- und vorehelichem Verkehr), mal der vitae“, 1975 von der Glaubenskongre-
verhalten plötzlich sinnvoll wird, oder Ganzhingabe-für-immer (Ehe). Der gation, 1981 von Johannes Paul II. in
eine Einzellüge durch eine ehrliche Sexualakt in sich hat keine Bedeutung „Familiaris consortio“ und nochmals
Grundhaltung. mehr, sein Wert hängt von der jeweili- 1993 in „Veritatis splendor“ bekräftigt:
Schockenhoff könnte einwenden, gen Haltung der Partner ab; eine wert- „Die sittliche Qualität der menschli-
dass viele CO2-Techniken die Arten- lose Münze, die ihre beliebige Bedeu- chen Handlungen [ist] nicht allein aus
vielfalt weder fördern noch hindern, tung von den Akteuren erhält. So las- der Absicht, der Grundorientierung
sondern diesbezüglich neutral sind, sen sich schlagartig Selbstbefriedi- oder Grundoption abzuleiten“ (VS
und folglich gut. Genauso sei lustvoller gung, Verhütung, außerehelicher oder 67). Auch nach „Amoris laetitia“ ist je-
Sex gut, wenn er gegenüber anderen homosexueller Verkehr positiv bewer- de sexuelle Handlung bereits „,durch
Sinndimensionen wie Fruchtbarkeit ten – solange die Grundhaltung ihre natürliche Eigenart‘ auf die Zeu-
neutral bleibt. Ja, wenn! Aber gibt es stimmt. Gleiches müsste dann wohl gung ausgerichtet“ (AL 80), nicht erst
diese Neutralität bei Sexualität? Wenn auch gelten für einvernehmliche Sei- durch das Gesamtverhalten der Part-
der Sexualakt körperliche Selbstgabe tensprünge, BDSM-Spiele und Poly- ner. Ob man es wenigstens Papst Fran-
meint, kann er gegenüber der körper- amorie – solange das gewonnene ziskus glaubt? Nichts Neues unter der
lichen Selbstgabe (=Fruchtbarkeit) nie Mehr an Lust einer Beziehung insge- Sonne. Der Ansatz von Schockenhoff,
neutral sein, so wenig wie eine CO2- samt gut tut. Benedikt XVI. hat in der jetzt vom Synodalen Weg über-
Technik gegenüber ihrem CO2-Aus- „Deus caritas est“ vor einer solchen nommen wird, ist seit Jahrzehnten be-
stoß. Schockenhoff setzt die Neut- Banalisierung der Erotik gewarnt, die kannt. Die Antwort dazu auch.
ralität von lustvollem Sex gegenüber „den Leib und die Geschlechtlichkeit
Fruchtbarkeit erst voraus, um dann als das bloß Materielle an sich“ be-
daraus zu folgern, im Einzelfall könne trachtet, das man „kalkulierend ein-
Sex gegenüber Fortpflanzung neutral setzt und ausnützt (…) In Wirklichkeit
sein. stehen wir dabei vor einer Entwürdi-
gung des menschlichen Leibes, der (…)
Ende der Sexualität als nicht mehr lebendiger Ausdruck der
Ganzheit unseres Seins ist, sondern
liebender Selbstgabe gleichsam ins bloß Biologische zu-
Zugegeben, die vier Sinndimensio- rückgestoßen wird.“ (DCE 5) Damit
nen der Sexualität, die Schockenhoff sind die Konsequenzen der angestreb-
von den Sexualwissenschaften über- ten „Kurskorrektur“ hellsichtig be-
nimmt, können die klassische Moral schrieben.
bereichern: Lust, Beziehung, Identität Für diesen Neuansatz habe „die
und Fruchtbarkeit sind wesentliche theologische Forschung (…) in den P. Markus Christoph SJM ist Do-
Aspekte von Sexualität. Ebenso wird vergangenen Jahrzehnten viel Vor- zent im Studienhaus der Servi
man Schockenhoff zustimmen, dass arbeit geleistet“ (L4). Schockenhoff Jesu et Mariae/Blindenmarkt(A).
das lustvolle Begehren von der Theo- bezieht sich auf das rund 50 Jahre alte
logie oft einseitig negativ bewertet Arbeitspapier: Menschliche Sexualität
wurde. Soweit so gut. Doch die Mora- der Würzburger Synode von 1973.
lität von Sexualität hängt nicht allein Schon damals kannte man die vier K U R Z G E FA S S T
von der allgemeinen Integrierung Sinndimensionen von Sexualität
Eine vorgeblich durchwegs nega-
ihrer Sinnwerte ab, sondern – wie bei (3.1.2.2); es sei legitim, sie in der Pra-
tive Bewertung der Sexualität
jeder moralischen Handlung – vom xis auch zu verneinen (3.1.3); alle Ak-
sollte im Nachgang von „Amoris
Akt, der Absicht und den Umständen – te, die eine Beziehung fördern, seien
laetitia“ überwunden werden.
den drei „Quellen der Sittlichkeit“ gut (4.1.2). Die damaligen Bischöfe
Das war das formulierte Ziel
(KKK 1750). Selbst wenn Absicht und lehnten das Papier ab; viele Punkte be-
Eberhard Schockenhoffs, als der
Umstände gut sind, ersetzen nicht die dürften „einer gründlichen Korrektur“
Synodale Weg aus der Taufe ge-
Bedeutung des Sexualaktes. Hier und (DBK 1977). Bereits 1965 hatte das 2.
hoben wurde. Unter Einbezie-
nirgends anders liegt das Problem der Vatikanum erklärt, dass „die sittliche
hung von Sexualwissenschaften
Lingener „Weltenwende“. Qualität der Handlungsweise nicht al-
sollte eine der herrschenden ge-
Schockenhoff wünscht sich vom lein von der guten Absicht und Bewer-
sellschaftlichen Vorstellungen
Lehramt eine höhere Wertschätzung tung der Motive ab[hängt], sondern
angepasste Sexualmoral formu-
von sexueller Lust und Erotik. Doch auch von objektiven Kriterien, die sich
liert werden. Die tradierte christ-
sein Ansatz führt genau genommen aus dem Wesen der menschlichen
liche Bewertung von Empfäng-
zum Gegenteil. Für ihn ist die sexuelle Person und ihrer Akte ergeben und die
nisverhütung, Homosexualität
Begegnung nicht mehr liebende sowohl den vollen Sinn gegenseitiger
und Wiederverheiratung steht
Selbstgabe, sondern frei interpretier- Hingabe als auch den einer wirklich
damit für P. Markus Christoph
bares Rohmaterial, das mal dem blo- humanen Zeugung in wirklicher Liebe
SJM zur Disposition.
ßen Lustgewinn dient, mal der Bezie- wahren“ (GS 51). Diese Einsicht wur-

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Mit der Tagespost auf dem Synodalen Weg

Marxistische, libertäre und neokonstruktivistische Konzepte des Menschen fließen in der „Ideologie der Viel-
falt“ zusammen. Gegner der Gender-Ideologie haben einen schweren Stand. Nun verschreibt sich auch der
Synodale Weg dem Paradigma der „Vielfalt“. Foto: dpa

Ideologie der „Vielfalt“


Auch der Synodale Weg träumt mit vom „Neuen Menschen“. Doch was be-
deutet das für das christliche Menschenbild? V O N C H R I S T I A N S P A E M A N N

D
em Synodalforum „Sexual- findet sich noch ein defensives Ver- politisch und weltanschaulich gleich-
moral“ liegt ein Arbeits- ständnis der Menschenrechte, bei dem gestellt werden sollen. Ein Abgleich
papier mit dem Titel „Zur das Individuum vor staatlicher Will- dieser Lebensformen an anthropologi-
Weiterentwicklung katho- kür geschützt werden soll. Den einzel- schen Maßstäben, empirischen Daten
lischer Sexuallehre“ vor, in dem eine nen Menschen sah man dabei in eine, oder am Kontext des Gemeinwohls
weitgehende Aufweichung der kirchli- nach den Prinzipien des Gemeinwohls wird als diskriminierend abgelehnt.
chen Sexualmoral gefordert wird. organisierte Gesellschaft eingebettet. Wir sind hier mit einer gnostischen
Demnach sei die Ehe zwischen Mann Im Mittelpunkt dieser Ordnung stand Konzeption vom Menschen konfron-
und Frau zwar für die menschliche Se- die natürliche Familie. In den letzten tiert. Dieser wird nicht mehr als ein
xualität „der beste biographische und Jahrzehnten kam es zu einem radika- kreatürliches Wesen gesehen, das sich
institutionelle Rahmen“, andere For- len Wandel dieses Verständnisses. Aus in seiner Natur vorfindet und darin
men gelebter Sexualität sollten aber defensiven wurden offensive Rechte. verwirklicht, sondern als ein abstrakt-
auch kirchlich anerkannt werden. „Se- Diese zielen auf die Durchsetzung öf- autonomes Subjekt, das sich mit sei-
xuelle Selbstbestimmung“ wird in die- fentlicher Geltung weitgehend beliebi- nem Willen jederzeit instrumentell
sem Papier nicht nur als Abwehrrecht, ger Willensäußerungen des Individu- gegenüber seiner Natur verhalten
sondern als positives Recht der Gläu- ums ab und machen einen Anspruch kann. Neomarxistische, libertäre und
bigen, „’Ja zu sagen zu sexuellen auf „Würde“ geltend. Solche Rechte neokonstruktivistische Konzepte vom
Handlungen, die sie wollen“ aufge- sind zum Beispiel das „Recht auf Menschen fließen in dieser „Ideologie
fasst. Angesagt ist also sexueller Plura- Selbstbestimmung der geschlechtli- der Vielfalt“ zusammen, die längst die
lismus in der Kirche, nicht als Faktum, chen Identität“ oder das „Recht auf mächtigsten internationalen Organi-
sondern normativ, als anerkannte Plu- einen selbstbestimmten Tod“. Im Vor- sationen durchdrungen hat.
ralität von Lebensformen. dergrund stehen aktuell die Etablie- Die katholische Kirche im deutsch-
Um den zeitgeistlichen Hintergrund rung einer Diversität von sexuellen sprachigen Raum ist für das Eindrin-
dieser Entwicklung zu verstehen, Identitäten, Orientierungen und Le- gen dieser Ideologie besonders emp-
lohnt sich ein Blick in die Vergangen- bensformen, die der natürlichen Ehe fänglich. Neben den jahrzehntelangen
heit. In der UNO-Erklärung von 1948 und Familie gesellschaftlich, bildungs- Einflüssen durch heterodoxe, dem

5
Utilitarismus verpflichtete Moral- stücken auf Commonsense-Niveau der geistigen Natur des Menschen ver-
theologen und dem Eindringen der herunterdimmt und „in sich schlechte letzt. Johannes Paul II. betonte in die-
Genderideologie in katholische Aus- Handlungen“ nur noch auf dem sem Zusammenhang, dass „es um
bildungseinrichtungen, spielen hierbei Niveau des Strafgesetzbuchs bei Ge- menschliche Personen geht, deren
Geld, Macht und Ansehen eine Rolle. fahr für „Leib und Leben“ definiert Würde verlangt, dass sie für immer
Das wird in dem Brief der zehn Gene- werden? und ausschließlich das Ziel liebender
ralvikare an die Deutsche Bischofs- Das generationenübergreifende Ge- Hingabe sind, ohne jegliche zeitliche
konferenz vom 09.09.2019 deutlich. füge der Spezies Mensch fußt auf der oder sonstige Begrenzung“ („Familia-
Hier wird mit den typischen Phrasen körperlichen Vereinigung von Mann ris consortio“). Eine Verletzung der
die Forderung nach einer „Kirche, in und Frau. Diese stellt ein komplexes Würde besteht auch bei der Verwen-
der Pluralität und Diversität ge- Geschehen auf allen Ebenen des dung von Verhütungsmitteln inner-
wünscht und erlaubt sind“ erhoben, Menschseins dar. Männliche und halb der Ehe, bei der sich die Partner
weil nur so die „Kirche eine Chance weibliche Geschlechtsorgane passen immer irgendwie zum Objekt machen.
hat, in unserer Gesellschaft wirksam anatomisch, histologisch und physio- In dem vorliegenden Arbeitspapier
präsent bleiben zu können“. Im logisch zusammen. In ihrer Vereini- findet sich die Vorstellung, dass „Se-
Zusammenhang mit der Befürchtung, gung kommt bei einem verheirateten xualität […] dem Aufbau eines Schutz-
dass die Kirche „durch allgemeine ge- Paar die Verbundenheit des ganzen raumes von Intimität und Verlässlich-
sellschaftliche Entwicklungen zuneh- Lebens zur Darstellung. Da Vergan- keit“ dient. Dies ist eine sexualisierte
mend ins Abseits gerät“, werden in genheit und Zukunft dem Menschen Auffassung von Beziehung. Umge-
einer der reichsten Teilkirchen der nicht äußerlich sind, sondern zu sei- kehrt wäre es richtig. Der „Aufbau
Welt „schwindende Ressourcen […] im nem Wesen gehören, ist das eheliche eines Schutzraumes von Intimität und
Bereich der Finanzen“ beklagt. Gläu- „Ja“ in jedem einzelnen Akt gegenwär- Verlässlichkeit“ ist die Voraussetzung
bigen wird hierbei nahegelegt, auf „den tig. Es ermöglicht, dass die Hingabe für menschenwürdige Sexualität und
Vorwurf mangelnder ,Rechtgläubig- umfassend kongruent erlebt werden auf psychologischer Ebene ein starkes
keit‘ zu verzichten.“ kann. Die Komplementarität von Argument für voreheliche Enthalt-
Dringt hier tatsächlich eine gottge- Mann und Frau ist familienbildend samkeit.
wollte Vielfalt in die Kirche ein? Han- und für die geschlechtliche Identitäts- Die homosexuelle Konstellation ist
delt es sich wirklich um ein vertieftes entwicklung der Kinder von großer per se unfruchtbar, nicht komplemen-
Verständnis menschlicher Sexualität, Bedeutung. Durch ein Fehlen dieses tär und kann sich in keiner natürlichen
wenn dieses mit theologischen Kunst- „Ja“ in der Sexualität wird die Würde Vereinigung darstellen. Laut Arbeits-

Die christliche Sexualethik sei veraltet und nicht mehr Gegenstand der Beichte. Doch ist sie jahrzehntelang
jungen Menschen vorenthalten worden, so der Psychotherapeut Christian Spaemann. Foto: Adobe stock

6
Mit der Tagespost auf dem Synodalen Weg

papier bedürfe es „einer vorbehaltlo- menschlicher Sexualität“ zwar „die In- gen steht unsere gebrochene Natur
sen Anerkennung gleichgeschlechtli- tegration aller Sinnwerte in das eigene gegenüber. Die Klammer, die beide
cher Lebensgemeinschaften und des Sexualverhalten“ erfordert, dies aber Seiten zusammenhält, ist die Barm-
Verzichts darauf, die in ihnen gelebte nur „für die Partnerschaft als Ganze herzigkeit. Barmherzigkeit nicht ver-
sexuelle Praxis moralisch zu disquali- und nicht für jede einzelne sexuelle standen als Verleugnung der Wahrheit
fizieren“. Theologen und Würdenträ- Handlung zu fordern“ ist und daher durch Affirmation der Unreinheit,
ger, die an solch einer Etablierung der sexuelle Handlungen „auch dann beja- sondern als Verständnis, Geduld, De-
Homosexualität in der Kirche Inte- henswürdig [bleiben], wenn sie nicht mut und Vergebung.
resse haben, müssten den Gläubigen alle Faktoren zugleich realisieren“.
Sinn und Bedeutung homosexueller Genau dieser Art Bilanzmoral hat be-
Handlungen erklären und wie diese reits Paul VI. in seiner Enzyklika
vollzogen werden sollen, damit sie „Humanae vitae“ eine klare Absage er-
gottgefällig sind. Dem pauschalen Ver- teilt. Demnach können nicht in sich
weis auf „Erkenntnisse der Human- defizitäre sexuelle Akte an der Gutheit
wissenschaften“ liegt ein naturalisti- anderer Akte teilhaben. Das ist unmit-
scher Fehlschluss zugrunde. Außer- telbar einsichtig. Wer würde etwa ein-
dem, welche Erkenntnisse sollen das zelne Lügen in der Bilanz verschiede-
sein? ner Akte der Ehrlichkeit neutralisiert
Über Daten zu Familiengeschichte, und damit gerechtfertigt sehen?
psychischer Gesundheit und Bezie- Bei genauem Hinsehen kann man
hungsleben von Homosexuellen wird erkennen, dass jede Form von Sexuali-
nicht ohne Grund in der Öffentlichkeit tät außerhalb der Ehe von Mann und
meist geschwiegen. Hierzu gehört Frau die Würde des Menschen ver- Christian Spaemann ist Facharzt
auch die um ein Vielfaches höhere Ra- letzt. Ihre Rechtfertigung enthält im- für Psychiatrie und Psychothera-
te an Pädophilie, die im Zusammen- mer ein gnostisches Moment der pie.
hang mit dem Missbrauch in der Kir- Selbsterhebung über die leib-seelische Foto: privat
che systematisch unter den Teppich Konstitution des Menschen und ihre
gekehrt wird. Wie wäre es, wenn man Bedeutung für die geschlechtliche Be-
bei solchen Fragen mit jenen christli- gegnung.
chen Gruppierungen in Kontakt tritt, Von einer „Weiterentwicklung der
die sich intensiv mit ihrer sexuellen katholischen Sexuallehre“ kann also K U R Z G E FA S S T
Orientierung auseinandergesetzt ha- keine Rede sein, wenn der Gehalt des-
„Sexuelle Selbstbestimmung“
ben und angesichts ihres Glaubens zu sen, was weiterentwickelt werden soll,
wird immer stärker zum Para-
ganz anderen Schlüssen gekommen verloren geht. Der Hinweis darauf,
digma gesellschaftlicher Akzep-
sind als die Verfasser des Arbeits- dass „viele Aspekte der kirchlichen Se-
tanz jeder Sexualethik. Der Sy-
papiers? xualmoral“ „von einer Mehrheit der
nodale Weg möchten daher den
Auch die Masturbation soll nun den Gläubigen nicht verstanden“, „nicht
sexuellen Pluralismus in der Ge-
kirchlichen Segen erhalten, kann sie als sündhaft betrachtet wird und folge-
sellschaft als normativ sittlich
doch als „das lustvolle Erleben des richtig auch nicht Gegenstand des
würdigen. Das Recht auf Selbst-
eigenen Körpers […] einen verant- Beichtgespräches“ sind, ist unredlich.
bestimmung wird nicht nur de-
wortlichen Umgang mit der eigenen Man hat bei uns diese Sexualmoral
fensiv ausgelegt, sondern offen-
Sexualität bedeuten“. Was ist hier mit Generationen junger Menschen vor-
siv. Die Durchsetzung des Rechts
„verantwortlichem Umgang“ gemeint? enthalten und will nun das Ergebnis
auf sexuelle Selbstbestimmung
Von Verantwortung kann ja nur dann dieses Versäumnisses zur Grundlage
ist damit gleichbedeutend mit
die Rede sein, wenn kein Zwang, son- ihrer Abschaffung machen. Warum die
dem Anspruch auf Würde einer
dern eine gewisse Freiheit besteht. Vermittlung katholischer Sexualmoral
Person. Mit der Durchsetzung
Vertreter der Kirche, die Selbstbefrie- in anderen Ländern geglückt ist,
einer „Ideologie der Vielfalt“
digung in den angestrebten Kanon ge- scheint die Verfasser des Arbeits-
wird eine „Diversität“ von sexuel-
segneter sexueller Handlungen auf- papiers nicht zu interessieren.
len Identitäten, Orientierungen
nehmen wollen, müssten daher erklä- Die mit einem Leben aus der Gnade
und Lebensformen als gleich-
ren, worin das speziell Verantwortli- untrennbar verbundene Herausforde-
wertige Alternative zur natürli-
che liegt, wenn sich jemand gegen Ent- rung an unseren Sexus geht unmittel-
chen Ehe etabliert. Die gesell-
haltsamkeit und für Autoerotik ent- bar auf Christus zurück, begegnet uns
schaftliche, bildungspolitische
scheidet. „Eine generell positive Wür- auf Schritt und Tritt in der Hl. Schrift,
und weltanschauliche Gleich-
digung menschlicher Sexualität steht bei den Kirchenvätern und im Leben
stellung der Lebensmodelle fin-
lehramtlich noch aus“, heißt es in dem der Heiligen. Ohne solche Herausfor-
det ihre Grundlage in einer neo-
Arbeitspapier. Was soll da „generell“ derungen würde der Glaube irrational,
marxistischen, libertären und
gewürdigt werden? Die reine Lust? freudlos und schal und hätte tatsäch-
neokonstruktivistischen Konzep-
Des Weiteren wird behauptet, dass lich keine Bedeutung, weder gestern
tion des Menschen.
die „verantwortliche Gestaltung noch heute. Diesen Herausforderun-

7
„Humanae vitae“:
nochmals gelesen
Die Enzyklika „Huma- nicht aus einzelnen Akten zusammen. Fragen, die nicht befriedigend auszu-
Ehe ist mehr als die Summe von Ge- tragen sind, weil dazu rationale Diffe-
nae vitae“ Papst Pauls schlechtsverkehr. Wird also der ein- renzierungen nicht hinreichen.
zelne Akt nicht übergewichtet? Vor al- Daher sei diese Schwierigkeit nicht
VI. ist bis heute anstö- lem dann, wenn der grundsätzliche von der „Absicht“ aus, sondern anders
ßig. Der Papst bestand Wille zum Kind im Eheversprechen beleuchtet: Was bewirkt es für die
bezeugt ist? Frau, wenn Liebe und Fruchtbarkeit
darauf, dass jeder ehe- Der zweite Einwand ist empirischer getrennt werden? In einer Zeit, welche
liche Akt von sich aus Art. Die „Natur“ selbst trennt Liebe die „grüne Natur“ verherrlicht, bleibt
und Zeugung: an den unfruchtbaren unverständlich, weshalb junge Frauen
auf die Erzeugung Tagen der Frau, während der Schwan- über Jahrzehnte ihren Monatsrhyth-
gerschaft oder bei Unfruchtbarkeit des mus abstellen sollen, teilweise schon
menschlichen Lebens Mannes, jedenfalls aber im Alter. Also in der Pubertät, wenn der Organismus
hingeordnet bleiben sind Liebe und Zeugung nicht eisern noch gar nicht ausgereift ist. Ferner er-
zusammengeschmiedet: Der Schöpfer laubt die manipulative Unterbrechung
muss. selbst hat das Band dazwischen gelo- des Geschlechtsaktes nicht, dass das
Die Lehre einer von ckert.
Dennoch betont „Humanae vitae“,
innige Zugehören von Mann und Frau
über die Feinabstimmung ihrer Orga-
Gott bestimmten un- jeder einzelne Akt sei an beides gekop- ne erfahren wird, sondern stört ihre
pelt: an die liebende Hingabe und den Zugehörigkeit ausgerechnet am Höhe-
lösbaren Verknüpfung Willen zum Kind. Sowohl die Kürze punkt. Geradezu leibhaft verletzt wird
von liebender Vereini- des Dokuments als auch die Erlaubnis, aber die Frau durch anschließende
die von Natur aus unfruchtbaren Tage Praktiken wie die „Pille danach“ oder
gung und Fortpflan- zu „nutzen“, beantworten die erhobe- gar die Abtreibung. Leibhafte Verlet-
nen Bedenken nicht ausführlich und zung schließt seelische Verletzung
zung im ehelichen Akt räumen sie auch nicht ganz aus. „Nut- zwangsläufig ein. Psychologisch führt
ist auch für die Dis- zen“ enthält ja auch die Absicht, ein die Sterilisierung des weiblichen
Kind auszuschließen. Sonst geschieht Rhythmus zu organischen und nicht
kussionen auf dem Sy- es eben manipulativ oder chemisch selten zu seelischen Blockaden. Inso-
nodalen Weg visionär mit Pille. Was unterscheidet aber dann fern kann die beständige Neutralisie-
Absicht von Absicht? rung und „Bereitstellung“ des weibli-
VON HANNA-BARBARA
Man kann darauf verweisen, dass chen Leibes auch als Sargnagel des Fe-
G E R L - FA L K OV I T Z bei periodischer Unfruchtbarkeit das minismus gesehen werden. Die En-
vertrauensvolle Gespräch zwischen zyklika spricht von der Herabsetzung

W
ahrhaftig Spreng-Sät- den Eheleuten zur Rücksicht auf den zu einem „Werkzeug der Triebbefrie-
ze! In der aufgeheizten weiblichen Rhythmus führt, während digung“, also von der klassischen Ver-
sexuellen Atmosphäre bei chemischer Verhütung die Frau dinglichung. Es handelt sich um
der 68er wirkte die En- beständig verfügbar wird. Das führt Emanzipation vom eigenen Leib, sei-
zyklika nicht nur antiquiert, sondern nahe an ihre Instrumentalisierung he- nen Ansprüchen und Seligkeiten – zu-
betont herausfordernd. Und die These, ran, zu schweigen von der Belastung gunsten einer verdeckten, uneinge-
Liebe und Zeugung gehörten untrenn- durch die Pille. Stattdessen führt die standenen Unterwerfung unter den
bar zueinander, wurde bald durch die erlaubte „Nutzung“ empfängnisfreier Mann.
Möglichkeit extrakorporaler Befruch- Tage zu einem anderen Umgang mit- Solche Bedenken gelten auch umge-
tung gestürzt. einander und wird dem weiblichen kehrt für das Erzwingen von Zeugung.
Die Enzyklika führt selbst zwei ge- Rhythmus gerecht, steigert auch die Zwar legt die Enzyklika dazu keine
wichtige Einwände an, die abzuwägen gegenseitige Erwartung. Allerdings ist ausführliche Argumentation vor, aber
sind. Der erste ist psychologischer Art: auch hier Absicht im Spiel. Möglicher- fünfzig Jahre später lässt sich sehen,
Ehe, ganzheitlich gesehen, setzt sich ja weise gehört dieser Sachverhalt zu den was das Abkoppeln der Zeugung von

8
Mit der Tagespost auf dem Synodalen Weg

wirklichung (Deontologisierung) bei


Judith Butler oder seiner entgrenzen-
den Technisierung (Denaturalisie-
rung) bei Donna Haraway. Leib ist der
„blinde Fleck“ bisheriger Emanzipa-
tion. Man wirft dem Christentum gern
Leib- und Frauenfeindlichkeit vor.
Aber beides ist heute ausgeprägt im
Radikalfeminismus und Gender
Mainstreaming zu finden.
Die Enzyklika wäre unterschätzt,
würde man sie nur von den Folgen
ihrer Nicht-Beachtung auslesen, es
wäre ein allzu bitterer Triumph. Daher
nochmals: Wenn tatsächlich jeder ehe-
liche Akt Hingabe und Fruchtbarkeit
einschließen soll, so bedeutet das für
Der Essener Katholikentag 1968 wurde zur Zäsur des Nachkriegs- Frau wie Mann, eine Sprache zu ge-
katholizismus. Die Entfremdung der deutschen Katholiken von der winnen, um sich abzustimmen. Der
Weltkirche wurde deutlich. Der Grund: „Humanae vitae“. Foto: KNA viel tiefere leibliche Einsatz der Frau
für das Kind bedeutet klarerweise eine
Asymmetrie der Geschlechter. Sie
der Liebe auslöst: Ei- und Samenban- sche löste es widerwärtige Empfin- muss immer wieder zu einem Ge-
ken mit Gen-Beipackzettel, anonyme dungen aus. Der neue Mensch sollte spräch führen über die Belastbarkeit
Zeugung im Labor; bezahlte Samen- sich nicht als gezeugt und geboren, der Frau durch Geburten, über
spender statt Väter (zum Teil mit über sondern als gemacht verstehen, einzig Arbeitsteilung, über gemeinsam ver-
50 Kindern); Eimutter, Leihmutter, der technisierten Gesellschaft ver-
Beimutter – statt einfach Mutter. Die dankt, keinem älteren Du – oder am
Leihmutter wird zum bloßen Uterus Ende gar Gott. Übrigens kam das Wort
herabgesetzt, was durchaus drastisch Vater ohnehin nicht mehr vor – offen- K U R Z G E FA S S T
mit „Gebärmaschine“ wiederzugeben bar war er noch leichter auszuschalten
Die Enzyklika „Humanae vitae“
ist – eine empörende Vermarktung als die Mutter.
lehrt, dass jeder eheliche Akt von
ihres Unterleibs (und des Gefühlsle-
sich aus auf die Erzeugung
bens in der Schwangerschaft). Und das Der neue Mensch: nicht menschlichen Lebens hingeord-
Kind wird Werkzeug einer Wunscher-
füllung oder auszulebender elterlicher gezeugt und geboren net bleiben muss. Die liebende
Vereinigung und Fortpflanzung
„Instinkte“; kann aber auch „zurückge- Natürlich war im Raum der (katho-
seien unlösbar durch den Schöp-
geben“ = abgetrieben werden. lischen) Kirche die Verteidigung be-
fer miteinander verbunden wor-
Die Schärfe dieser Reduktionen war sonders der Mutterschaft immer gege-
den. Paul VI. betont in „Huma-
1968 nicht vorauszusehen, dennoch ben, prallte aber am feministischen
nae vitae“, dass jeder einzelne
formuliert die Enzyklika die innere Diskurs ab. Nach Simone de Beauvoir
Akt an die liebende Hingabe und
Logik einer von der Liebe getrennten war die Kategorie „weiblich“ von
den Willen zum Kind gebunden
Zeugung richtig. Sie ordnet sich damit Grund auf repressiv – darunter fiel
sein muss.
in eine keineswegs nur binnenkatholi- auch Mutterschaft. Das Kind stelle
Die erlaubte „Nutzung“ empfäng-
sche Warnung ein, die schon früher wegen seiner leib-seelischen Abhän-
nisfreier Tage führt im Gegensatz
aufhorchen ließ. Rilke sah bereits in gigkeit die natürliche „Fessel der Frau“
zu hormonellen Verhütungsmit-
den 1920er Jahren eine tiefgehende vor.
teln zu einem rücksichtsvollen
Vergessenheit der leiblichen Herkunft Der weibliche Körper müsse „trans-
Gespräch miteinander. Bei der
wirksam: „die Väter, die wie Trümmer zendiert“ und neutralisiert werden:
permanenten "Verfügbarkeit" der
Gebirgs uns im Grunde beruhn, (...) durch chemische Einebnung des Bio-
Frau warnt die Enzyklika vor der
das trockene Flußbett einstiger Müt- rhythmus, im schärfsten Fall durch
Herabsetzung der Frau zu einem
ter, (...) die ganze lautlose Landschaft“ Abtreibung. Die Frau bleibt nur noch
„Werkzeug der Triebbefriedi-
(Dritte Duineser Elegie). Brave New von der abstrakten Autonomie des
gung“, also vor der klassischen
World, die Negativutopie von Aldous Selbstseins bestimmt.
Verdinglichung.
Huxley, führte 1932 das Schreckbild Mit der Gendertheorie hat sich eine
Perspektivisch lassen sich aus der
einer biologistisch manipulierten noch tiefere Leibvergessenheit durch-
Enzyklika auch Argumente gegen
Menschheit vor, in der man industriell gesetzt. In all dem kommt es (unaus-
die anonyme Zeugung im Labor,
erzeugt und kollektiv erzogen wird. gesprochen) zu einer Abwertung des
gegen Samenspender und Leih-
Ein Wort war von Grund auf verboten: weiblichen Leibes, sei es in seiner Ver-
mutterschaft finden.
das Wort „Mutter“; nach Gehirnwä- männlichung bei Beauvoir, seiner Ent-

9
Wider die
antwortete Lösungen – statt einer
simplen Automatik der Unfruchtbar-
keit. Dasein ist Leibsein – mit je ande-
ren Folgen für Frau oder Mann.
Wichtig bleibt: Das Glücken der Ge-

Gnosis
schlechtlichkeit kann nicht sakramen-
tal garantiert werden, aber die Enzyk-
lika gibt die Elemente an, unter denen
die schwierige Balance gelingen kann:
a) den Leib in seinem Geschlecht und
b) in der Anlage für das Kind anzu-
erkennen; c) auch den Eros in den Be-
reich des Heiligen zu stellen: im Sak-
rament. Zeugung und Geburt sind
Die Einheit von Sexualität und Spiritualität nach
paradiesisch verliehene Gaben (Gen Johannes Paul II. muss auch die Diskussionen um
1,28). Das ist kein naiver Naturbegriff,
sondern schöpferische Überführung
eine erneuerte Sexualmoral inspirieren
von Natur in kultivierte, angenomme- VO N M I C H A E L WA L D S T E I N
ne, endliche Natur.

D
Nie wird nur primitive Natur durch ie Theologie des Leibes rung, verbunden mit der Fähigkeit, die
das Christentum verherrlicht: Sie ist (oder Theologie des Flei- persönliche Erfahrung des Lesers an-
vielmehr selbst in den Raum des Gött- sches, poln.: teologia ciała zusprechen.
lichen zu heben und dort heilend zu = Körper, Fleisch von Diese zwei Kennzeichen des karme-
bearbeiten. Mensch oder Tier) hat ihre Wurzeln in litanischen Personalismus prägen
Könnte über alle Morallehren hin- einer Grunderfahrung Karol Wojtyłas. auch die von Johannes Paul entwickel-
weg die Vision erneuert werden, dass „Als junger Priester lernte ich die te pastorale Methode für Sex. Es ist
sich im Einlassen auf das fremde Ge- menschliche Liebe zu lieben. Das ist schwer, auf einem Bein allein zu ge-
schlecht eine göttliche Spannung, eine eines der grundlegenden Themen, auf hen. Schönheit allein ist ein starkes
lebendige Fruchtbarkeit und die das ich mein Priesteramt, meine Auf- Bein, aber wenn Verifizierung in der
Not(wendigkeit) asymmetrischer Ge- gabe auf der Kanzel, im Beichtstuhl persönlich gelebten Erfahrung als
meinschaft ausdrückt? Schöpferi- und auch im geschriebenen Wort kon- zweites Bein dazukommt, dann erst
sches, erlaubtes, leibhaftes Anderssein zentriert habe. Wenn man die mensch- entfaltet Schönheit ihre gewaltlos
auf dem Boden gemeinsamer göttli- liche Liebe liebt, so entsteht auch das überzeugende Kraft, die das Leben
cher Grundausstattung – mit dem lebendige Bedürfnis, alle Kräfte zu- verändern kann. „Die Reinheit ist die
Antlitz von Frau oder Mann: Das ist gunsten der ,schönen Liebe‘ einzuset- Herrlichkeit des menschlichen Leibes
der Vorschlag der Enzyklika an alle zen. Denn die Liebe ist schön. Die jun- vor Gott. Sie ist die Herrlichkeit Got-
Dekonstruktionen, Neutralisierungen gen Menschen suchen im Grunde stets tes im menschlichen Leib… Aus der
und Verdinglichungen des Ge- das Schöne in der Liebe; sie wollen im Reinheit fließt die einmalige Schön-
schlechts. Grunde das Schöne in der Liebe; sie heit, die alle Bereiche des menschli-
wollen, dass ihre Liebe schön ist.“ chen Zusammenlebens durchdringt
(Johannes Paul II., Die Schwelle der und erlaubt, die Schlichtheit und Tie-
Hoffnung überschreiten, Hamburg fe, die Herzlichkeit und unnachahmli-
1994, 145f.) che Echtheit des persönlichen Ver-
Die Begegnung mit Johannes vom trauens auszudrücken“ (ThL 57,3).
Kreuz (1542–1591) war ein wichtiger Die Wirksamkeit dieser pastoralen
Faktor in dieser Grunderfahrung. Methode zeigt sich in der breiten Be-
Wojtyła lernte sofort Spanisch, um die wegung, die sich vor allem in den USA
Texte des Doctor Mysticus im Original unter jungen Menschen durch Impul-
zu lesen. Johannes vom Kreuz entfal- se der Theologie des Leibes gebildet
tet die erotische Bilderwelt des Ho- hat.
henliedes als Symbol für die Gotteslie- Die gedankliche Einheit der „Theo-
be und skizziert damit einschlussweise logie des Leibes“ fließt aus zwei
eine personale Theologie der Ehe mit Grundsätzen, der personalen Norm
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz ist zwei besonderen Kennzeichen. Eines und dem Gesetz der Hingabe, die in
Religionsphilosophin und leitet ist die Ganzhingabe zwischen Mann „Gaudium et spes“ 24 auf trinitari-
das Europäische Institut für und Frau in Verbindung mit ihrer scher Grundlage skizziert sind. Johan-
Philosophie und Religion an der Wurzel im dreifaltigen Gott, zentraler nes Paul sieht sie als „summa veritatis,
Phil.-Theologischen Hochschule Inhalt der Schönheit in der Liebe. Das Zusammenfassung der ganzen Wahr-
Benedikt XVI. in Heiligenkreuz zweite Kennzeichen ist die konzent- heit über Mann und Frau“ („Mulieris
bei Wien. Foto: Björn Hänssler rierte Besinnung auf gelebte Erfah- dignitatem“ 7,7). „Wenn der Herr

10
Mit der Tagespost auf dem Synodalen Weg

wollen und miteinander das Leben in


Gemeinschaft teilen.
Die Struktur der Theologie des Lei-
bes (zwei Teile mit je drei Kapiteln) ist
einfach und klar. Der erste Teil („Die
Worte Christi“) entwickelt den Begriff
„bräutliche Bedeutung des Leibes“ in
drei Schritten. Am Anfang steht die
Einsetzung der Ehe durch den Schöp-
fer als Sakrament der Ganzhingabe
zwischen Mann und Frau. „Sie sind al-
so nicht mehr zwei, sondern ein
Fleisch. Was aber Gott verbunden hat,
das darf der Mensch nicht trennen“
(Mt 19,6). In der Mitte, in der Gegen-
wart, kommen Mann und Frau
manchmal in Gefahr, so zu begehren,
dass die volle Liebe fehlt. „Wer eine
Frau ansieht, um sie zu begehren, hat
in seinem Herzen schon Ehebruch mit
ihr begangen“ (Mt 5,28). Am Ende
kommt die Auferstehung, in der das
Pilgerbrot der Ehe vom Mahl des
Unter dem Leitwort der „Theologie des Leibes“ entfaltete Johannes
Paul II. in 133 Mittwochskatechesen von 1979–1984 eine Sexualethik, in Lammes abgelöst wird. „Nach der Auf-
deren Mitte die Bestimmung der Eheleute steht, „ein Fleisch zu wer- erstehung heiratet man nicht“ (Mt
den“. Foto: dpa 22,30).
Der zweite Teil („Das Sakrament“)
analysiert den Akt, in dem Mann und
Jesus zum Vater betet, ,dass alle eins Frau diese bräutliche Bedeutung im
K U R Z G E FA S S T seien ... wie auch wir eins sind‘ (Joh sakramentalen Zeichen der Ganzhin-
17,21) … legt er eine gewisse Ähnlich- gabe einander zusprechen, zuerst
Die Theologie des Leibes Johan-
keit nahe zwischen der Einheit der durch Worte im Eheversprechen, dann
nes Pauls II. entwickelt aus dem
göttlichen Personen und der Einheit durch ihr Fleisch im ehelichen Akt in
Gedanken der Gottebenbildlich-
der Kinder Gottes in Wahrheit und der ganzen Zeit ihres Ehelebens. Die
keit des Menschen und seiner
Liebe. Diese Ähnlichkeit zeigt, dass ersten zwei Kapitel betrachten diesen
Ähnlichkeit mit der Trinität die
der Mensch, der auf Erden die einzige Akt von den zwei Blickpunkten aus,
Struktur menschlicher Liebe: ei-
von Gott um ihrer selbst willen gewoll- die zu jedem Sakrament gehören: der
nander wollen und miteinander
te Kreatur ist, sich selbst nur durch die Gnade des Sakraments und dem wirk-
Gemeinschaft zu begründen.
aufrichtige Hingabe seiner selbst voll- samen Zeichen dieser Gnade. Höhe-
Die Ehe, die der Schöpfer am
kommen finden kann (Lk 17,33: „Wer punkt des zweiten Kapitels und des
Anfang eingesetzt hat, begründet
sein Leben abzusichern sucht, wird es ganzen Buches ist die Analyse des Ur-
den bräutlichen Charakter des
verlieren; wer es dagegen verliert, wird sprungs und Reifens des sakramenta-
Leibes, denn Mann und Frau
es als lebendiges zeugen.“ Griech.: len Zeichens im Hohenlied. Der Ur-
sind aufeinander, also die Ehe,
zoogonesei) Die Urbild-Abbild-Bezie- sprung liegt in Entdeckung, Bezaube-
hingeordnet.
hung zwischen Gott und Mensch wird rung, Staunen und Faszination (ThL
Die christliche Ehe verleiht dem
in „Gaudium et spes“ 24 in zwei 108,4–6), die schon im Ruf Adams an-
bräutlichen Verhältnis von Mann
Grundsätzen entfaltet. Erstens, so wie klingen: „Diese ist endlich Bein von
und Frau sakramentalen Charak-
Gott jede Person um ihrer selbst wil- meinem Bein und Fleisch von meinem
ter. Was in der Sprache bei der
len liebt, müssen auch Menschen für Fleisch“ (Gen 2,23). Johannes Paul
Trauung als Ganzhingabe be-
jede Person das Gute wollen, um ihrer sieht zwei Schritte des Reifens, ent-
kundet wird, soll im Fleisch ver-
selbst willen. Wojtyła nennt diesen sprechend den zwei Grundsätzen von
wirklicht werden: Teilhabe an der
Grundsatz die personalistische Norm „Gaudium et spes“ 24, eine typische
Schöpfungs- und Erlösungstätig-
und sieht ihn eng verwandt mit dem Argumentationsfigur. Der erste ist in
keit Gottes.
Gebot der Nächstenliebe. Zweitens: der Benennung der Frau als „Schwes-
Die Einheit von ehelicher Liebe
Personen erreichen ihr Ziel nur in ra- ter“ erkennbar. Der Mann sieht sie
und Fortpflanzung ist daher
dikaler Selbsthingabe. Diesen zwei nicht nur als Objekt der erotischen
konstitutiv für die Ehe, denn der
Grundsätzen entsprechen die zwei Faszination und Begierde, sondern
Akt bedeutet: „Mir dir will ich
Wesenszüge von Freundschaft, die auch als Schwester. Seine Worte „um-
Ursprung neuen Lebens sein,
schon in der antiken Philosophie fangen ihr ganzes Ich mit einer selbst-
weil ich Dich liebe.“
unterschieden werden: einander wohl- losen Zärtlichkeit“ (ThL 110,2). Der

11
zweite Schritt beginnt mit den Worten: nicht mehr der eheliche Akt. Wenn ergo sum‘, ,Ich denke, also bin ich‘, for-
„ein verschlossener Garten ist meine man jemandem in die Augen schaut, muliert hat, hat auch der modernen
Schwester Braut, ein verschlossener aber dabei die eigenen Augen schließt, Auffassung vom Menschen den dualis-
Garten, ein versiegelter Quell“. (Hld dann schaut man nicht. Man zerstört tischen Charakter aufgeprägt, der sie
4,12) Der Mann anerkennt die Frau genau das, was dem Akt des Schauens kennzeichnet. Zum Rationalismus ge-
„als Herrin ihres eigenen Geheimnis- sein besonderes Wesen gibt. Anders ist hört die radikale Gegeneinander-
ses“ (ThL 110,7). Aufgrund dieser An- es, wenn man in der Nacht zu schauen stellung von Geist und Körper und
erkennung kann sie ihre Freiheit als sucht, aber nichts sieht. Körper und Geist im Menschen. Der
Herrin in Worte der endgültigen Hin- Aufgrund der Einheit der Person ist Mensch ist hingegen Person in der
gabe fassen (ThL 111,5): „Drücke mich Gehen ein einziger menschlicher Akt. Einheit von Körper und Geist. Der
wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Man kann ein Innen (Absicht, Ent- Körper darf niemals auf reine Materie
Siegel auf deinen Arm!“ (Hld 8,6). scheidung) und ein Außen (Impuls der verkürzt werden: Er ist ein ,von Geist
Das letzte Kapitel behandelt die Beine, Bewegung von Ort zu Ort) erfüllter‘ Körper. … In einer solchen
Frage der Empfängnisregelung („Hu- unterscheiden, aber Gehen ist die Ein- (dualistischen) anthropologischen
manae vitae“) unter dem Blickpunkt heit eines einzigen Aktes. In der Pers- Perspektive erlebt die Menschheitsfa-
der Wahrhaftigkeit des sakramentalen pektive der handelnden Person greift milie soeben die Erfahrung eines neu-
Zeichens. Das Argument des Buches Gehen die natürliche Teleologie der en Manichäismus, in dem der Körper
lässt sich in einem Satz zusammenfas- Bewegung (von einem Ort zu einem und der Geist radikal einander ent-
sen. Wenn Mann und Frau die bräut- anderen) als Wesenszug auf. „Von Ort gegengesetzt werden. Weder lebt der
liche Bedeutung des Leibes (I, Kap. zu Ort“ ist nicht nur eine objektive Körper vom Geist, noch belebt der
1–3) im sakramentalen Zeichen der Wirkung des inneren Aktes, sondern Geist den Körper. Der Mensch hört so
Ehe einander zusprechen (II, Kap. ein Wesenszug des menschlichen Ak- auf, als Person und Subjekt zu leben“
1–2), sollen sie wahrhaftig wirklich tes. Auf ähnliche Weise greift der ehe- (Johannes Paul II., Brief an die Fami-
meinen, was sie in der Sprache des liche Akt die natürliche (aber nicht nur lien 19).
Leibes zueinander sagen (II, Kap. 3). biologische) Teleologie von Fortpflan- Die positive Hauptthese der Theo-
„Durch Gesten und Reaktionen, durch zung als Wesenszug auf. Der Sinnge- logie des Leibes ist das Gegenstück
die gesamte wechselseitig sich bedin- halt Fortpflanzung ist deshalb im ehe- dieser Kritik am cartesischen Dualis-
gende Dynamik der Spannung und der lichen Akt tief verwurzelt und bleibt mus. „Der Leib, und nur er, kann das
Lust – deren direkte Quelle und Sub- erhalten, auch wenn Mann und Frau Unsichtbare sichtbar machen: das
jekt der Leib in seiner Männlichkeit wissen, dass er keine Schwangerschaft Geistliche und Göttliche. Er wurde ge-
und Weiblichkeit ist, der Leib in sei- verursachen wird. schaffen, um das von Ewigkeit her in
nem eigenen und wechselseitigen In seiner Kritik an „Humanae vitae“ Gott verborgene Geheimnis in die
Handeln –, durch all das ,spricht‘ der und der Theologie des Leibes geht Ste- sichtbare Wirklichkeit der Welt zu
Mensch, die Person“ (ThL 123,4). phan Goertz von der Annahme aus, übertragen und so Zeichen dieses Ge-
Zu dieser Sprache des Leibes gehö- dass der Begriff „Sinngehalt Fort- heimnisses zu sein“ (19,4).
ren zwei untrennbare Bedeutungen: pflanzung“ nicht einen Wesenszug des
Einheit der ehelichen Liebe und Fort- Aktes benennt, sondern die tatsächli-
pflanzung. „Die eine wird zusammen che oder doch potenzielle Wirkung.
mit der anderen verwirklicht, und in „Insofern weiß Paul VI. um die Trenn-
gewissem Sinn sogar die eine durch barkeit von Liebe und Fortpflanzung“
die andere“ (ThL 123,6). Die Formu- („Moralische Wahrheit und biologi-
lierung „die eine durch die andere“ sche Gesetze“ in: K. Hilpert/ S. Müller
zeigt, dass Johannes Paul die Untrenn- (Hg.), Humanae vitae. Die anstößige
barkeit nicht als Norm versteht (man Enzyklika, Freiburg 2018, 51, vgl. 45).
kann die Bedeutungen trennen, aber Diese Fehlinterpretation unterläuft
man soll es nicht), sondern als Tatsa- Goertz wohl deshalb, weil er im Ein-
che (beide stehen oder fallen mitei- klang mit Descartes den weit verbrei-
nander). Grundlage der Norm ist die teten Dualismus von ausgedehntem
Tatsache, dass Mann und Frau die bei- Ding (res extensa) und denkendem Michael Waldstein ist österrei-
den Bedeutungen nicht trennen kön- Ding (res cogitans) akzeptiert und chisch-amerikanischer Theologe
nen. Zerstört man den Sinngehalt der deshalb die Frage nach den Wesenszü- und lehrt an der Franciscan Uni-
ehelichen Liebeseinheit, zum Beispiel gen des ehelichen Aktes nicht stellt. versity of Steubenville.
durch Vergewaltigung, dann zerstört Menschliche Handlung spaltet sich für Foto: Ave Maria University
man auch die Fortpflanzung als men- ihn in objektives Geschehen mit Fol-
schenwürdige Handlung. Zerstört gen im ausgedehnten Ding und subjek- Literaturtipp: Johannes Paul II.,
man den Sinngehalt der Fortpflan- tiver Absicht im denkenden Ding. Die menschliche Liebe im gött-
zung, dann kann der Akt nicht von sei- Gegen diese dualistische Auffassung lichen Heilsplan. Katechesen
nem Wesen her sagen: „Mir dir will ich wendet sich Johannes Paul II. mit gro- 1979–1981, hg. v. Norbert u.
Ursprung neuen Lebens sein, weil ich ßer Entschiedenheit. „Der Philosoph Renate Martin, Vallendar-Schön-
dich liebe.“ In beiden Fällen ist es (Descartes), der das Prinzip ,Cogito, statt 1985 (=ThL)

12
Mit der Tagespost auf dem Synodalen Weg

Die französischen Katholiken gingen für die christliche Geschlechter-Ordnung auf die Straße. Der Synodale
Weg der deutschen Katholiken sucht dagegen die Angleichung an postmoderne Wertvorstellungen. Foto: dpa

„Verherrlicht Gott
in Eurem Leib“
Von „falschen“ Körpern und „wahren“ Identitäten V O N B E AT E B E C K M A N N - Z Ö L L E R

U
m eine Kultur des Lebens „Tinder-App“ (die anzeigt, wo jemand nach selbstsüchtigen Interessen zu
und der Schönheit, den in der Nähe gerade Sex will)? Vater manipulieren? Ist der Leib beseelt und
„Glanz der Ordnung“ ins und Mutter – in Zeiten von „Elter 1“ trägt daher einen Sinn in sich, dessen
Spiel der Geschlechter zu und „Elter 2“, von Samenbanken, symbolische und konkrete Bedeutung
bringen, muss die Gender-Perspektive Leihmutterschaft, Adoption durch wir verstehen können („Naturrecht“),
gründlich verstanden werden. Gender Homo-Paare, Sterilisation für 20-jäh- unabhängig vom Lebensstil? Oder ist
bedeutet „soziales Geschlecht“, also rige Mädchen (Deutschland3000), der Leib ein Körper, ein seelenloses
Lebensweisen von Männern und um folgenlosen Sex zu haben? „Fami- Ding, das von außen durch Menschen
Frauen, die kulturell geprägt und vom lie ist, was wir daraus machen“, so das „besprochen“ wird, wie im Konstrukti-
biologischen Geschlecht (engl. sex) Motto eines katholischen Queer-Got- vismus behauptet?
unabhängig sind. Erst so ist nachzu- tesdienstes in München. Judith Butler, die geistige Mutter
vollziehen, warum beim Synodalen Vertreter der Gender Studies spre- der „Gender-“ und „Queer“-Theorie,
Weg darüber diskutiert wird, ob ein chen von einem „Kulturkampf um die analysiert in „Gender Trouble“ (1990,
Priester „in persona Christi“ männli- Gesellschafts- und Geschlechterord- dt. „Das Unbehagen der Geschlech-
chen Geschlechts sein muss. Warum nung“ (Hark/Villa, „Antigenderis- ter“) den Leib als „besprechbaren“
sollte der biologische Leib eine sym- mus“, 2017). Das „Natürliche“ liegt Körper: Wenn der Arzt ein neugebore-
bolische Dimension haben? Warum der Freitags-Jugend zwar für Klima, nes Baby hochhebt und sagt „Es ist ein
könnte das Priesteramt nicht als „Rol- Tierschutz und Umwelt am Herzen, Mädchen“, dann lese er nicht eine
le“ (engl. gender) wie jeder andere Be- nicht mehr aber für den Leib und sein Botschaft, die diesem Leib biologisch
ruf von einer Frau ausgeübt werden? Begehren. Daher lautet die zentrale eingeschrieben und damit „natürlich“
Die biblischen Bilder leuchten kaum Frage: Gibt es eine Sprache, in der ist. Sondern er lege diesem Leib ein
noch ein: Braut und Bräutigam – im unser Leib zu uns spricht? Und kulturelles Programm gewaltsam auf,
Zeitalter von „Schwulenhochzeit“ und können wir auf sie hören, ohne sie damit er der „Bio-Macht“ (= Fort-

13
pflanzung, M. Foucault) diene, später der kulturanalytischen Gender-Theo- Dem Leib als Frau ist eingeschrie-
einen Mann begehre und Mutter wer- rie begrüßen können: Am Vorbild der ben, dass es eine andere Form des
de. Dem Körper wird daher laut Butler gebildeten Ordensfrau wurde histo- Menschseins gibt: den Mann (und um-
gewaltsam eine einengende Rolle risch-kulturell deutlicher als an einer gekehrt). Darüber hinaus erfolgt die
(„gender“) von heterosexuellen Frau innerhalb einer reinen Familien- Zuordnung zum anderen Geschlecht
Macht-Instanzen zugeschrieben: „Du kultur (zum Beispiel im Islam), dass auf psychologischem Weg (Bischof-
wirst später für Haushalt und Kinder der Anteil am gemeinsamen Mensch- Köhler 2011, Maccoby 2000). Hierbei
da sein.“ Der Körper werde irrtüm- sein zwischen Mann und Frau größer kann es, wie die Sexualtherapie zeigt,
lich „essenzialisiert“, das heißt ihm ist, dass das biologische Geschlecht zu vielen Störungen kommen (Fend
werde ein „Wesen der Frau“ und „des eine Kultivierung erfährt und die an- 2005). Der Übergang vom Ablehnen
Mannes“ unterstellt, das es nicht gebe. drozentrische Perspektive einer Er- des anderen Geschlechts in der Vorpu-
„Eine Frau wird nicht als Frau gebo- gänzung aus Frauen-Sicht bedarf bertät (für Jungs sind Mädchen „doof“
ren, sondern zur Frau gemacht.“ (S. de (Beckmann-Zöller 2010). und umgekehrt) zum Begehren des
Beauvoir) Wie Gleichberechtigung bei Würdi- anderen Geschlechts gelingt nicht „au-
Nach Butler „gibt es“ den Körper als gung der Unterschiede – in gegenseiti- tomatisch“. Dem heterosexuellen Be-
biologisches natürliches Geschlecht ger Achtung, jenseits von Misogynie gehren liegt eben kein absoluter biolo-
(„sex“) gar nicht, sondern der Körper und Misandrie – gelebt werden kann, gischer Mechanismus zugrunde, daher
des ICH sei immer schon rollenbe- ist weiterhin auch in der Kirche ein of- können seelische Verletzungen und
setzt (gegendert). Bisher habe man fenes Projekt – jenseits der Ämterfra- biographische Irritationen die psycho-
aber viele Rollen einfach übersehen, ge. soziale Entwicklung der sexuellen An-
etwa die für intersexuelle Körper Während in der Gender-Theorie er- ziehung stören (Miltenberger u.a.
(„Bodies that matter“, 1993, dt. „Kör- gänzende Perspektiven etwa für die 2014; Baier/Loewit, Sexualmedizin,
per von Gewicht“, 1995) oder für Medizin hilfreich sind, so dass man 2011). Der Mensch als geistige Person
homosexuelle Lebensweisen, in denen nun Herzinfarkte auch an Frauen, kann sich jedoch entscheiden, die see-
die Zeugungs- und Empfängnisfähig- nicht nur an Männern untersucht lischen Konflikte, die dem homoeroti-
keit des Leibes gar nicht aktiviert wird. („Frauenherzen schlagen anders“), schen oder anderen Formen des Be-
Daher sei die Kategorie „natürliches“ werden andere Differenzierungen ig-
Geschlecht und „Zwei“-Geschlecht- noriert. Zum Beispiel unterscheidet
lichkeit theoretisch aufzulösen. man in der Naturphilosophie den „na-
Fruchtbarkeit wird damit etwas Zufäl- türlichen“ Geschlechtsleib, der zu K U R Z G E FA S S T
liges, das man aktivieren kann oder einer Lebensweitergabe befähigt, vom
„Gender“ bezeichnet das ,soziale
nicht. Würde Butler den Blick aller- „naturwüchsigen“, der intersexuelle
Geschlecht‘, also die kulturell ge-
dings nicht auf das ICH des (evtl. Abweichungen von der Norm aufweist
prägte Lebensweise von Frauen
intersexuellen oder potenziell homo- („drittes Geschlecht“, „divers“, „*“).
und Männern. Nach Judith But-
sexuellen) Babys richten, sondern Am intersexuellen Leib lässt sich eine
ler, der einflussreichsten Vertre-
„umkehren“ zum WIR der Eltern, wä- Kultivierung der Sexualität – was ja
terin der „Gender“- und „Queer“-
re klar: ICH bin nur da, weil meine El- „Lebensweitergabe“ meint – gerade
Theorie, gibt es den Körper als
tern in komplementär-leiblicher Er- nicht ausrichten. Denn Fruchtbarkeit
biologisches, natürliches Ge-
gänzung mich ermöglichten. Die Zwei- ist zwar nicht das einzige Ziel von Se-
schlecht („sex“) gar nicht. Viel-
geschlechtlichkeit anzuerkennen ist xualität, aber sie gibt eine Orientie-
mehr ist nach diesen Theorien
damit ein Akt der Dankbarkeit für das rung, die in den zweigeschlechtlichen
das Ich durch kulturelle Kodie-
Leben und eine Folge des Gebots: „Eh- Leib eingeschrieben ist. Auch un-
rung ,gegendert‘. Butler kon-
re Vater und Mutter, damit du lange fruchtbare heterosexuelle Paare kön-
struiert den Leib als „besprech-
lebst in diesem Land.“ nen (medizinisch oder durch ein Wun-
baren“ Körper. Damit ist er nicht
Dem teils berechtigten Vorwurf der der) potenziell ein Kind empfangen,
biologisch bestimmt. Vielmehr
Gender Theorie gegen die Engführung weil ihre Organe einander exakt zuge-
lege die Gesellschaft dem Leib
Frau = Mutter („Essentialismus“) lässt ordnet sind. Ein homosexuelles Paar
ein kulturelles Programm gewalt-
sich mit Jesu Erlösungsordnung be- muss jedoch eine andersgeschlechtli-
sam auf, damit er der Fortpflan-
gegnen, die zugleich ermöglicht, An- che Person oder Teile derselben für
zung diene und Vater/Mutter
schluss an die Natürlichkeit des Ge- seine Interessen instrumentalisieren.
wird. Der Körper werde damit
schlechtsleibes zu halten. So zeigt Das bringt das Kind um Mutter oder
essenzialistisch betrachtet: „Eine
Edith Stein auf, wie Frauen durch den Vater, also um die Hälfte seiner gene-
Frau wird nicht als Frau geboren,
zölibatären Lebensstil zu Berufungen tischen Identität. Da von seinem
sondern zur Frau gemacht.“ (S.
jenseits des leiblichen Mutterseins homosexuellen „Eltern“-Paar die Be-
de Beauvoir). Die positive Seite
freigesetzt wurden. Man könne „über deutung der leiblich-natürlichen Mut-
der Gender Theorie ist zu wür-
die natürlichen Grenzen hinauswach- ter- oder Vaterschaft praktisch ge-
digen, während es zugleich gilt,
sen“, das gelinge jedoch nicht „durch leugnet wird, erlebt das Kind keine na-
die komplementäre Zuordnung
einen eigenmächtigen Kampf gegen türliche Nähe zu dem fehlenden El-
von Mann und Frau zurück zu
die Natur“. Hier liegt die theologische tern-Teil, dessen Verwandtschaft und
gewinnen.
Wurzel, warum wir die positive Seite somit seiner Identität.

14
Mit der Tagespost auf dem Synodalen Weg

gehrens zugrunde liegen (Mentzos riante“ missverstanden wird. So for- wachsen, sondern der Zustimmung
1984), zu erforschen, um besser auf dert etwa P. Zulehner mehr „Schöp- des Willens bedürfen: Ein Mann, der
die Sprache des komplementär ange- fungsvertrauen“, dass die „homosexu- homoerotisch empfindet und begehrt,
legten Leibes zu hören (Malo 2018). elle Anlage“ unter Gottes positives sündigt nicht, wenn er seinem Gefühl
In etlichen Pastoralpapieren (etwa Urteil falle: „und er sah, dass es sehr nicht in der Praxis nachgibt. Nach
Freiburg 2019) heißt es unkritisch, gut war“ (2019). Und wie kann man Gender-Lesart aber entsteht durch
dass „Natur– und Humanwissenschaf- fordern, dass jemand seine „von Gott sein Begehren bereits ein „neues“ Ge-
ten“ (alle?) heute davon ausgehen, geschaffene“ sexuelle Anlage nicht schlecht, eine weitere „sexuelle Identi-
dem Empfinden von Lesben und auslebt? Den homoerotischen Gefüh- tät“: „der Homosexuelle“ jenseits von
Schwulen liege eine unveränderliche len wird also eine „quasi-biologische“ „Mann“. Eine Frau, die sich „im fal-
„homosexuelle Anlage“ zugrunde, pa- Grundlage zugeschrieben. Aber: schen Leib“ fühlt (Gender-Disphorie),
rallel zur Anziehung zwischen Mann Spricht hier tatsächlich der Leib oder hat nicht die wahre Identität eines bio-
und Frau. Daher könne man nicht nicht vielmehr das Begehren? Könnte logischen Mannes (Transgender).
mehr von einer Sexualethik sprechen, sich in die ein oder andere Weise der Man könnte ihr aber helfen, die Ursa-
die auf Ehe und Familie angelegt ist, Homosexualität nicht ähnlich wie in chen der seelischen Spannung zu fin-
sondern von Beziehungsethik. Wis- der Heterosexualität eine Krise einge- den und einen Weg der inneren Ver-
senschaftliche Untersuchungen (Dan- schlichen haben, vielleicht die fehlen- söhnung mit ihrem Leib zu gehen (D.
necker 2000, L.S. Mayer u.a. 2016) de Bestätigung des eigenen Mann- Cloutier 2019). Wenn sie sich jedoch
zeigen jedoch, dass die behauptete bio- oder Frau-Seins (Mentzos 1984)? für eine hormonelle und operative Be-
logische Verankerung des gleichge- Auch wenn man heute von einer kom- handlung entschließt (transsexuell),
schlechtlichen Begehrens im Men- plexeren biologischen Geschlechts- das heißt ihrem Gefühl nachgibt und
schen hinterfragt wird, zum Beispiel werdung des Embryos ausgeht (H.-J. sich für eine Handlung gegen die Spra-
aufgrund der hohen Fluidität von Voß, 2010), konnte keine biologische che ihres Leibes entscheidet, versucht
homosexuellen Orientierungen im Ju- Disposition zur Homosexualität ent- sie mit Hilfe der Medizin, eine Span-
gendalter (Kinnish u.a. 2004). Biogra- deckt werden (Sullins 2019). Daher nung der Psyche durch die Verände-
fien von A. Lombard (2015) oder D. sollte in der Sexualmoral weiterhin rung des Leibes zu lösen.
Mattson (2019) verdeutlichen, wie unterschieden werden zwischen dem Im Synodalen Weg kämpfen viele
diese Orientierungen sich auch verän- natürlichen Leib (Grundlage der Iden- Theologen dafür, homoerotische und
dern können. Wenn selbst liberale Se- tität als Mann oder Frau, an dem auch außereheliche Formen von erotischer
xualwissenschaftler wie Gunter intersexuelle Menschen je nach Be- Lust-Stimulation, auch „self sex“, „als
Schmidt (2001) Berichte von Verän- fund Anteil haben), der Psyche (se- Quelle menschlicher Daseinsfreude“
derungen dokumentieren, zeigt das, xuelles Begehren, homoerotische Ge- positiv anzuerkennen. Wollen sie uns
dass das homoerotische Begehren lei- fühle) und den Handlungen (Lebens- katholischen Eltern für die Erziehung
der von Theologen als „Schöpfungsva- stil), die daraus nicht automatisch er- ihrer Teenager keine andere Leitlinie

„Du willst eine Kirche, die geschlechtergerecht ist und in der Frauen ihre Berufungen leben können.“ – Die
Bischöfe Bode und Wilmer beten mit einer Abordnung der katholischen Frauenverbände KfD und KDFB vor
der Eröffnung des Synodalen Wegs für eine ,gendergerechte‘ Kirche. Foto: KNA

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Identitätspolitik prägt in immer mehr Ländern auch den öffentlichen Raum. Foto: dpa

anbieten als: „anything goes“, soweit Norm auf, würde der Schmerz durch einem andersgeschlechtlichen Ehe-
du es mit deiner eigenen subjektiv allgemeine Verwirrung und Orientie- partner und Kindern zu schenken oder
empfundenen Würde und der des an- rungslosigkeit „vergemeinschaftet“. in der Ehelosigkeit um des Himmels-
deren vereinbaren kannst? Wenn ihr Jugendlichen wird heute nicht mehr reiches willen den Leib Ihm „reinen
Sado-Maso-Sex mögt, warum nicht? Ehe und Familie als Ziel des sexuellen Herzens“ zu geben, das Leben aber al-
Wenn bei homosexuellen Akten so- Empfindens vorgeschlagen, sondern len Menschen. Diese Beheimatung in
wieso keine Lebensweitergabe einge- ein freizügiges Ausprobieren, ob sie einer christlichen Geschlechter-Ord-
schlossen ist, dann müssten auch an- nun Homo, Hetero, Bi, Trans oder was nung kann mit Gottes Hilfe gelingen,
dere sexuelle Vorlieben nicht mehr auf immer seien. Die seelischen Verlet- damit nicht noch mehr Menschen dem
Ehe und Familie hin geordnet werden. zungen, die dabei entstehen, machen kanadischen Transgender-Künstlx
Missbrauch an Kindern wird übrigens nicht bindungsfähiger – im Gegenteil. (sic) Rae Spoon zustimmen: „Ich bin
im Arbeitspapier „Sexualethik“ nur Durch eine entwicklungssensible Se- nicht im falschen Körper geboren. Ich
kritisiert, weil das Kind nicht von sei- xualpädagogik kann man Jugendli- bin in der falschen Welt geboren.“
ner „sexuellen Selbstbestimmung“ chen helfen, die Sprache des Leibes (Goodbye Gender, 2014)
Gebrauch machen kann. Wenn ich die von der der Sinnen-Seele zu unter-
„Würde“ des anderen achte, achte ich scheiden, und ihnen die gute Ordnung
allerdings auch die Bedeutung seines einer Kultur des Lebens vor Augen
Leibes und seiner psychosozialen Ent- stellen.
wicklung, seiner leiblichen Anlage zu Die Kirche hat sich aus der Sexual-
Ehe und Mutter- oder Vaterschaft. erziehung größtenteils zurückgezogen.
Sonst hieße es: den anderen minus sei- Zu Recht bemerkt Klaus Berger
ner leiblichen Fruchtbarkeit lieben (2019), „mit einer innerlich ausge-
und achten, was ja schon bei der künst- höhlten Theologie lasse sich keine Se-
lichen Verhütung im ehelichen Akt der xualmoral verkünden“. Wer den lie-
Fall ist. benden (Gott-)Vater nicht kennt und
Wenn die Norm verschwindet, liegt ihm vertraut, der wird seine beglü-
der Schmerz, der nicht zu unterschät- ckenden Wege gar nicht erst kennen
zen ist, nicht mehr allein bei denjeni- lernen wollen. Nämlich: im eigenen Beate Beckmann-Zöller, Freibe-
gen, die anders als die Norm (Mann Leib heimisch sein; die Konflikte see- rufliche Religionsphilosophie und
und Frau) fühlen. Diesen Schmerz lischen Begehrens in Christus lösen Vize-Präsidentin der Edith-Stein-
sollten wir lernen, mitzutragen. Löst lernen; im Hl. Geist die eigene Beru- Gesellschaft Deutschland.
man jedoch die zweigeschlechtliche fung entdecken – entweder den Leib Foto: privat

16
Mit der Tagespost auf dem Synodalen Weg

Segen ohne Umkehr


wäre Lüge
Die Kirche begründet die mit Männern schlafen werden das chen Leben haben (Röm 7). Die Taufe
Reich Gottes erben“, sagt Paulus im und ein neues Leben in Christus sind
ihre Ablehnung prakti- Ersten Korintherbrief. Enterbt zu sein für Paulus allerdings die Rettung
zierter Homosexualität klingt gewiss anders als gesegnet. (Röm 8). Wenn jedoch nach der Taufe
Was sagt also der Neutestamentler? ein Christ immer noch oder wiederum
auch mit der Schrift. Hoffentlich das, was das Neue Testa- ein unreines Leben führt, dann verjagt
Ein Gespräch mit dem ment sagt. Er ist sich seiner Pflicht, in
der Kirche diesem Wort treu zu blei-
er den Heiligen Geist aus dem Leib.
Kurzum: Ein Segensritus ohne Ent-
Neutestamentler ben, sehr bewusst. haltsamkeit wäre für Paulus eine un-
vorstellbare Art von kirchlicher Lüge
Anthony Giambrone Nun wusste der Apostel Paulus we- gewesen.
über Sodom, Paulus der etwas über die komplexe, jeden-
falls nicht selbstgewählte Entste- Die Kirche lehnt praktizierte Homo-
und was sie uns heute hung von Homosexualität, noch sexualität ab. Kann sie sich dabei
zu sagen haben kannte er von Liebe getragene wirklich allein auf die Heilige
homosexuelle Paarbeziehungen. Schrift berufen? Oder gründet ihre
VON JENS HARTNER Was sollte er uns also dazu heute zu Lehre nicht vielmehr auf dem Na-
sagen haben? turrecht?
Pater Anthony, das Zentralkomitee Paulus hat sicher vieles nicht gewusst, Warum sollte sie nicht auf beiden
der deutschen Katholiken hat im was Schulkinder heute wissen. Aber er gründen? In Röm 1,26–27 benutzt
November 2019 entschieden: „Als hat den auferstandenen Herrn ge- Paulus den griechischen Ausdruck pa-
ZdK setzen wir uns dafür ein, dass kannt und lebendig gesehen und hat ra physin. Die Einheitsübersetzung
in naher Zukunft ein offizieller Ri- sein Amt in der Kirche von ihm. Das übersetzt richtig: „widernatürlich“.
tus für die Segnung homosexueller sollte ihm bei Christen aller Zeiten Noch genauer könnte man es mit
Paare erarbeitet wird“. Was sagt Gehör verschaffen. „außerhalb der göttlichen Weltord-
der Neutestamentler zu dieser For- nung“ wiedergeben. Denn die betref-
derung? Inwiefern? fende Natur (physis) bezeichnet nicht
Die Kirche muss unbedingt neue, Paulus redet nie von sexuellen „Orien- nur die „menschliche Natur“, sondern
kraftvollere Wege finden, den Men- tierungen“, sondern immer von Taten die Gesamtschöpfungsordnung, wäh-
schen der heutigen Zeit die Macht und und Lastern. Wer unkeusch lebt, ist in rend para hier „nicht dazu gehörend“
den Segen des Evangeliums näherzu- höchst ernster Gefahr, meint der bedeutet. Dies wendet Paulus auf den
bringen und wirksamer zu verkünden. Apostel. Dass Ehebruch oft aus Liebe gleichgeschlechtlichen Verkehr an. Er
Besonders denen, die sich von der Kir- begangen wird, war Paulus sicher be- spielt eindeutig auf griechisch-römi-
che entfernt haben, aber oft gutwillig kannt; aber in seinen Augen rechtfer- sches Naturrecht an, einen wichtigen
sind. Daran gibt es keinen Zweifel. tigt das die Missetat nicht. Dement- Teil der hellenistischen Moralphiloso-
Aber als Antwort auf diese dringende sprechend glaube ich nicht, dass die phie im Denken des Apostels. Schon
Aufgabe ist der Vorschlag des ZdK Freundschaft, auf der viele homosexu- Platon hatte die Redewendung para
eine dreiste Forderung. Wie soll die elle Paarbeziehungen gründen, seine physin entwickelt, um unfruchtbare
Kirche segnen, was bisher immer als Meinung über gleichgeschlechtlichen Arten sexuellen Verkehrs zu beschrei-
Todsünde verstanden worden ist? Verkehr ändern würde. Dass einige ben. Kata physin, „der Natur gemäß“,
Hier sollen ja nicht bloß die Werte Begierden widernatürlich und zerstö- hingegen bezeichnete den Verkehr, der
einer nicht sexuell verwirklichten rerisch sind, was auch immer ihre Ent- für Fruchtbarkeit offen war. Ein späte-
Freundschaft gesegnet werden. Man stehung, ist für ihn selbstverständlich. rer Denker wie Philo von Alexandrien,
muss kein studierter Exeget sein, um Das Woher ist ihm aber weniger wich- Philosoph und Zeitgenosse des hl.
zu sehen, dass es eine ganze Reihe von tig als das Wohin: Laufen wir himmel- Paulus, hat denselben Ausdruck para
Schriftstellen gibt, die mit dem Ansatz wärts? Erbsünde und ihre Wirkungen physin benutzt, um die sexuelle Lust
des ZdK nicht in Einklang zu bringen sind ja nie selbstgewählt. Alle Men- der Sodomiter zu beschreiben.
sind. „Weder Unzüchtige noch Göt- schen leiden unter unerwünschten Be-
zendiener, weder Ehebrecher noch gierden, die keinen Platz im christli- Aber ist damit der Sinn von Gen 19
,verweiblichte Männer‘, noch Männer, getroffen? Ja, Sodom und Gomor-

17
rha werden von Gott bestraft. Aber
wofür? Weil sie Sex mit Männern
hatten – oder nicht vielmehr des-
halb, weil sie ihn erzwingen wollten?
Die Rhetorik in Gen 19 will die Sün-
den der Sodomiter bis zum Himmel
aufhäufen, weil ihre Ungerechtigkeit
ja bis zum Himmel schrie. Genau des-
wegen soll man aber nicht Einzelsün-
den auswählen, um dann zu sagen:
„Voilà, die wahre strafwürdige Sünde
der Sodomiter“. Dass Männer andere
Männer „erkennen,“ ist sicher nur ein
Teil der Gesamtsünde Sodoms. Im
Crescendo des Kapitels ist der wider-
natürliche Verkehr zwischen Männern
trotzdem eine Art Sahnehäubchen.
Rhetorisch macht Paulus etwas Ähnli-
ches in Röm 1. Er betont den morali-
schen Tiefpunkt einer Gesellschaft,
wie weit das dort genannte Böse ge-
„Auch Sodom und Gomorra und ihre Nachbarstädte sind ein Beispiel: In
diehen ist. Die Sodomiter sind nicht ähnlicher Weise wie diese trieben sie Unzucht und liefen anderem
nur gewalttätige Lüstlinge, sondern Fleisch nach; daher erleiden sie die Strafe ewigen Feuers“, heißt es im
noch schlimmer. Ihre Zurückweisung Judas-Brief. Bild: Blick von den Sodom-Bergen am Toten Meer. Foto: KNA
der Töchter Lots und ihr Hunger nach
Männern macht deutlich, um welche
Lust es hier geht. Dass der Text damit gen Feuers.“ „Diese“ spielt auf die ge- gesetze. Alle Arten von Unzucht, Por-
eine bronzezeitliche Ethik von „ein- fallenen Engel aus dem Buch Genesis neia, aber bleiben weiterhin verboten
vernehmlichem Geschlechtsverkehr“ an, die sogenannten Wächter, die ihre – nicht nur Sex unter Männern. Inzest
lehren will, scheint mir lächerlich ana- Stelle im Himmel verlassen haben, um und andere sexuelle Sünden werden
chronistisch. Die gleichgeschlechtli- mit den Töchtern der Menschen zu auch in Lev 18 verboten. Menstrua-
che Lust in Sodom ist letztlich das kopulieren. Die Analogie meint, dass tion, als Blutfrage, handelt von einem
Übel, das übrig bleibt, wenn man sich die Sodomiter, wie die Wächter, nach kultischem Reinheitstabu (Lev
die beiden Engelgäste wegdenkt. Sie verkehrten Partnern verlangen. Hier 15,19–30), denn „du würdest durch sie
kommen ja nur deshalb nach Sodom, findet eine Vermischung der gottgege- unrein“ (Lev 18,19–20).
weil Gott schon zuvor die Sünde der benen Kategorien statt. „Nach ande-
Stadt festgestellt hatte. Offenbar pfle- rem Fleisch“ hat den Sinn von „fal- Dieses Gebot ist also abgeschafft für
gen die Männer ihre himmelschreien- schem Fleisch“, ähnlich wie im bibli- Christen.
den sündhaften Gebräuche ganz unab- schen Ausdruck „anderen – also fal- Ja. Aber bei Sex zwischen Männern
hängig von ihrer eher zufälligen Rolle schen – Göttern nachlaufen“. geht es nicht um ein kultisches son-
als gescheiterte Gastwirte. Und wenn dern ein moralisches Vergehen: „das
die alttestamentliche Erzählung weni- Aber ist das Alte Testament für die wäre ein Gräuel“ (Lev 18,22). Um Le-
ger gezielt als die mahnende neutesta- Bestimmung heutiger Moral hilf- vitikus 18 verstehen zu können, muss
mentliche Rede ist, hilft das Neue Tes- reich? Ein Beispiel: In Levitikus 18 man sehen, dass Reinheits- und Mo-
tament uns immerhin, das Alte richtig wird Sex unter Männern mit Todes- ralvorschriften miteinander verwoben
zu lesen. strafe bedroht. Etwas weiter wird sind. In Lev 20,13 hingegen wird ein-
der Verkehr mit menstruierenden deutig für sexuelle Sünden, wie in Lev
Inwiefern? Frauen verboten. Warum soll Ka- 18 erwähnt, inklusive wenn ein Mann
Gleichgeschlechtliches Begehren wird tholiken das Eine binden – und das mit einem Mann schläft, die Todes-
im NT eindeutig herausgegriffen und Andere nicht? Spricht hier nicht aus strafe verhängt. Aber der Beischlaf mit
als eine zum Himmel schreiende Sün- beidem der antike Orient zu uns? der menstruierenden Frau fehlt in die-
de gesehen. Der Brief des Judas 1,7 Hier sind wir wieder bei der Paulini- ser Liste hinrichtungswürdiger Taten.
lehrt uns sehr deutlich, was ein Christ schen Theologie mit der Frage, was Er wird nur mit der Strafe des rituel-
zur Zeit Jesu als „die (allerschlimm- vom Gesetz des alten Bundes für len Ausmerzens, eine Art Ausgren-
ste) Sünde“ der Sodomiter ansah: Christen gültig bleibt und was nicht. zung, belegt (Lev 20,18).
„Auch Sodom und Gomorra und ihre Wie Jesus selbst hat Paulus das ethi-
Nachbarstädte sind ein Beispiel: In sche Herzstück des Gesetzes, die Zehn Schauen wir ins Neue Testament. In
ähnlicher Weise wie diese trieben sie Gebote, beibehalten. Nur kultische Röm 1,24–27 heißt es: Männer trei-
Unzucht und liefen anderem Fleisch Anordnungen wurden abgeschafft, so- ben mit Männern Unzucht und
nach; daher erleiden sie die Strafe ewi- wie Beschneidung und Lebensmittel- erhalten den ihnen gebührenden

18
Mit der Tagespost auf dem Synodalen Weg

Lohn für ihre Verirrung. Werden fruchtbar sein kann. Das ist die An- klassische Belegstelle gegen gleich-
hier wirklich homosexuelle Taten sicht der gesamten hellenistischen und geschlechtlichen Sex sprechen. In 1
verurteilt – oder dem Kontext nach paulinischen Moralphilosophie. Kor 6,9 zählt Paulus Lustknaben
die kultische heidnische Abkehr von und Knabenschänder unter die, die
Gott? Und gleichgeschlechtiger Verkehr das Himmelreich nicht erben. Hier
Es geht auch hier um beides. Im bibli- ist dafür das Bilderbuchbeispiel. ist offensichtlich Gewalt im Spiel
schen Denken sind Sexualität und Genau. Paulus verfolgt im Römerbrief und soziale Abhängigkeit. Taugt der
Kult immer eng miteinander verbun- aber natürlich vielschichtigere Ziele, Vers also wirklich als Belegstelle
den. Daher kommt zum Beispiel die als einfach Sexualethik zu lehren. Da- gegen praktizierte Homosexualität?
wiederkehrende biblische Metapher her sollen wir nicht versuchen, alles in Geht es nicht eher um Päderastie?
von Götzendienst als Ehebruch und einer einzelnen Stelle zu finden. Ins- Sie sagen gemäß der Einheitsüberset-
das Begriffspaar „weder Unzüchtige besondere was er hier über den Leib zung „Lustknabe“. Die richtige Über-
noch Götzendiener“ (1 Kor 6,9). der „Unzüchtigen“ sagt, geht viel tiefer setzung ist aber schon die erste Frage.
„Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit“ als die damalige Philosophie. „Darum Das Wort heißt griechisch „malakai“,
werden in Röm 1,18 deutlich als die lieferte Gott sie durch die Begierden was ehrlich ein bisschen schwer ist, zu
Zwillingsthemen angekündigt, gegen ihres Herzens der Unreinheit aus, so- übersetzen. Wörtlich bezeichnet Pau-
die der Zorn Gottes offenbar wird und dass sie ihren Leib durch ihr eigenes lus die Männer als „weich“ und in der
vor dem die Kraft Gottes im Evange- Tun entehrten.“ Welche Ehre genau griechisch-römischen Welt bezeichne-
lium rettet (Röm 1,16–18). Es wäre da- hat der Leib verloren? Porneia ist eine te „weich“ etwas als „nicht männlich“
rum falsch, Idolatrie und Unzucht in besondere Sünde, die man gegen den (anandreia) und damit „weiblich“ und
Röm 1,24–27 voneinander zu trennen eigenen Leib begeht (1 Kor 6,18–19). „moralisch schwach“. Das mag heute
oder gegeneinander auszuspielen. Für Paulus verschmutzt die Unzucht fremd anmuten, aber „weiblich“ hatte
Paulus warnt davor, die menschliche den Leib. Und warum ist das wichtig? damals die starke Konnotation von se-
Gemeinschaft könne den Verstand „Der Leib ist nicht für die Unzucht da, xueller Zügellosigkeit. Diese Andeu-
völlig verlieren, die Wahrheit verleug- sondern für den Herrn, und der Herr tung ist im Kontext von Unzucht in 1
nen und abgrundtief in den Sumpf der für den Leib“ (1 Kor 6,13). Unzucht Kor 6 offensichtlich mit im Spiel. Das
Erniedrigung fallen. Der Mensch kann schadet dem Leib eschatologisch, also Wort kann manchmal „Lustknaben“
sogar Tiere anbeten und als Sklave der im Blick auf das letzte Ziel. Ohne Rei- bezeichnen; aber dieser Begriff ist
eigenen Gelüste nach Sex para physin nigung durch das Evangelium kann er auch viel zu eng. Der Mann, der die
verlangen. Nicht die Vernunft, son- keinen Anteil an der herrlichen Ehre Rolle der „Frau“ im Beischlaf mit
dern Hedoné, Leidenschaften und Be- der Auferstehung haben (1 Kor 6,14). einem anderen Mann einnimmt, wird
gierden, regieren dort, sagt er, wo der zum Beispiel auch mit dem Wort
Verkehr prinzipiell naturgemäß nicht Lassen Sie uns über eine weitere „weich/weiblich“ bezeichnet. Bei Phi-
lo ist der Mann ebenso „weich“, der
sich von seiner Frau scheiden lässt und
sie dann später wieder heiratet, nach-
dem sie eine zweite Ehe mit einem an-
deren eingegangen war. Eunuchen, die
nach Frauen verlangen, sind ein weite-
res Beispiel. Es geht hier also um
Männer, die irgendwie ihre männliche
Würde und sexuelle Selbstbeherr-
schung verloren haben. „Verweiblichte
Männer“ erfasst den Sinn erträglich,
obwohl nicht perfekt.

Und die Knabenschänder? Ist das


eine richtige Übersetzung?
Das zweite Wort führt diese entwürdi-
gende Zügellosigkeit noch weiter aus.
Aber „Knabenschänder“ ist ebenfalls
keine hinreichende Übersetzung für
„arsenokoitai“. Es ist schlicht ein
Wort, das Paulus selbst auf der Basis
von Lev 18 – einem Schlüsseltext für 1
Kor 6 – erfindet. Die Bedeutung ist
ziemlich transparent: Männer, die mit
Männern ins Bett gehen. Päderastie,
Das Urteil des Paulus über Homosexualität ist heute umstritten. Pater ein wichtiger Teil der homoerotischen
Anthony Giambrone OP verteidigt den Völkerapostel. Foto: dpa „griechischen Liebe“, war damals all-

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gegenwärtig. Zweifelsohne war Paulus geeignet machen. Und ja, das ist heute „von der Sklaverei und Verlorenheit
dagegen. Aber es wäre schlechte Exe- (wie damals) ein „Stein des Anstoßes“, befreit... zur Freiheit und Herrlichkeit
gese, dies auf den Widerspruch gegen Aber man sollte ebenso all die ande- der Kinder Gottes“ (Röm 8,21). Und
Päderastie zu reduzieren. Paulus ist ren, nicht sexuellen Sünden noch dazu „Sind wir Kinder, dann auch Erben:
nie politisch korrekt, und wir sollen nennen, die uns auch tödlich schaden. Erben Gottes und Miterben Christi“
seine Stimme nicht einfach verdrän- Wer unter uns dann steht nicht vor (Röm 8,17): also nicht enterbt, son-
gen. Als Jude des 1. Jh.s fand er heid- diesem unglücklichen Befund: dass dern in hohem Maße gesegnet (Eph
nische Unzucht aller Art sündhaft und wir Sünder sind? Ist das nicht genau 1,3)!
abscheulich. Hier erwähnt er Männer die Botschaft des Römerbriefes? „Wir
mit Männern; im Römerbrief ergänzt wissen, dass Gottes Gericht über alle,
er Frauen mit Frauen. Inzest und Ehe- die solche Dinge tun, der Wahrheit
bruch hat er gleichermaßen im Auge. entspricht. Meinst du etwa, o Mensch,
Das Problem ist schließlich Porneia du könntest dem Gericht Gottes ent-
im Allgemeinen (1 Kor 6,18–19). Ge- rinnen, wenn du die richtest, die solche
walt und soziale Abhängigkeit waren Dinge tun, und dasselbe tust wie sie?“
damals wie heute ganz sicher ein (Röm 2,3). Kurzum: „Alle haben ge-
Problem. Aber in 1 Kor 6 werden sie sündigt und die Herrlichkeit Gottes
weder genannt noch betont. verloren“ (Röm 3,23). Barmherzigkeit
hat nur da eine Bedeutung, wo uns das
Sie haben also keinen Zweifel, dass Gericht droht. In diesen unseren gefal-
die Bibel im Alten wie Neuen Testa- lenen Zustand hinein verkündigt Pau-
ment praktizierte Homosexualität lus daher die gute Nachricht der Ge-
verurteilt. Welcher Trost bleibt für rechtigkeit und „der Kraft Gottes, die Anthony Giambrone ist Domini-
homosexuelle Menschen? Müssen jeden rettet, der glaubt“ (Röm 1,16): kaner aus New York und Vize-
Sie nicht angesichts dieses unbarm- Juden und Griechen, Männer und Direktor der Ècole biblique in
herzigen Befunds verzweifeln? Frauen, Sklaven und Freie – alle. „Es Jerusalem. Er lehrt Neues Testa-
Das Wort Gottes ist alles andere als gibt keine Verurteilung mehr für die, ment.
trostlos – aber auch kein machtloses welche in Christus Jesus sind“ (Röm Foto: École biblique
Menschenwort. Ja, alle Arten von 8,1)! Der Glaube befähigt uns alle zu
außerehelichem Verkehr werden einem neuen Leben „nicht nach dem
streng verurteilt, weil sie uns für das Fleisch, sondern nach dem Geist“
ewige Leben im Angesicht Gottes un- (Röm 8,4) und in Christus werden wir

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„Die Tagespost ist unverzichtbar! Gut, dass es sie gibt.“ Benedikt XVI.

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