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ARBEITSLIEDER und SPIRITUALS

Die Chormusik die ein Genre prägte

Wenn man an Chormusik denkt, denkt man wahrscheinlich an kirchlicher Musik oder an weltlicher
Musik, die mit klassischer, ernster bzw. E-Musik verbunden wird. Allerdings ist Chormusik auch
verantwortlich für die Entwicklung von neuen populären Musikrichtungen die das letzte
Jahrhundert maßgeblich geprägt haben, allen voran der Blues. Dieser entwickelte sich nämlich
aus Sklavengesängen und Spirituals, die in Chören gesungen wurden und die weiteren
Entwicklungen der Populärmusik beeinflusst haben.

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren Arbeiter mit afrikanischen Wurzeln gezwungen im
amerikanischen Mississippi-Delta, intensive, manuelle Arbeit zu verrichten. Dies geschah nicht nur
während der Sklaverei, sondern später auch mit „freien“ Menschen, die unter ähnlichen
Umständen auf Plantagen arbeiten mussten. Außerdem gab es ein, oft ungerechtes,
Rechtssystem, welches Zwangsarbeiter in Chain Gangs (-> Kettenbanden) zu ebenfalls schweren
Arbeiten verurteilte. Unter diesen Umständen entstanden improvisierte, partizipatorische Lieder,
die eine ausgeprägte, aus Afrika stammende, Tendenz zum Singen in der Gruppe widerspiegeln.
Allerdings ist hier auch festzuhalten dass es auch in anderen Kulturen, von Europa bis Ozeanien
Arbeitslieder gab, die ebenfalls in Gruppen gesungen wurden bzw. werden; besonders wichtig
wurden sie jedoch in den Südstaaten der USA. Solche Lieder dienten einer Vielzahl von
funktionalen Zwecken, wie z. B. der Steuerung des Arbeitsrhythmus und der Synchronisierung
von Bewegungen der Gruppe, aber auch um die Last der Arbeit leichter erscheinen zu lassen
oder einfach der Aufmunterung dienen sollte.

Die improvisierten Texte dieser Arbeitslieder (-> Work Songs) befassten sich direkt mit der
speziellen Arbeit, die der Sänger zu der Zeit verrichtete, oder kommentierten irgendeinen Aspekt
seiner unmittelbaren Umgebung; personalisierte lyrische Kommentare blieben ein entscheidendes
Merkmal von Blues-Texten und wurden später auf andere Stile ausgeweitet, besonders auf Hip-
Hop. Auch der Call-and-Response-Stil, bei dem ein Arbeiter ein Solo singt und der Rest unisono
antwortet, wurde später zu einem typischen Merkmal des Blues-Stils, obwohl die Antwort meist
durch eine Gitarre ersetzt wurde, die mit einem Slide oder einem anderen Instrument gespielt
wurde, das die menschliche Stimme imitierte.

Während Arbeitslieder in der Gruppe aufgeführt wurden, gab es sogenannte Field Hollers (->
Feldbrüller), die von einem einzelnen Sänger vorgetragen wurden und stöhnende, einfache
Phrasen („oh lord“ oder „hey hey“) enthielten auf denen stimmlich improvisiert wurde. Der Fokus
wurde hier mehr auf den stimmlichen Ausdruck als auf den lyrischen Inhalt gelegt und das Ganze
wurde mit Slides (glissando), Bends, Blue Notes (prägend für die Blues Skala) und Growls (tiefes
Brummen) verziert. Solche Verzierungen stammen meist aus der afrikanischen Tradition
verschiedenster Völker, auch wenn man sie teilweise auch in anderen Traditionen wiederfindet
wie z.B. dem Jodelgesang in unseren Breiten. Der stöhnende Gesangsstil der Field Holler wurde
später wieder aufgenommen, besonders von Bluesinterpreten wie Blind Lemon Jefferson oder
Howlin’ Wolf, dann aber auch von Rocksängern wie z.B. Robert Plant von Led Zeppelin. Durch
die Nachahmung der Field Holler auf Instrumenten, wie z.B. Gitarre, entstanden Spieltechniken
(Slides, Bends, usw.), die mittlerweile zum Standard-Repertoire des Instruments gehören.
„Arwhoolie“ ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel, da sich der Gesang auf den Noten der später
berühmt gewordenen Blues-Tonleiter (in diesem Fall in der Tonart E) bewegt und die zuvor
erwähnten Gesangstechniken recht anschaulich angewandt werden.

Der wohl wichtigste amerikanische Vorläufer des Blues war der Spiritual, eine Form des christlich
religiösen Liedes. Spirituals waren eine leidenschaftliche Liedform, dessen Texte vom Leben
geschlagener und sehnsüchtiger Menschen erzählen, wie es auch im Blues der Fall ist. Spirituals
waren jedoch weniger spezifisch auf den Interpreten bezogen, sondern auf die allgemeine
Einsamkeit der Menschheit, und erzählten ihre Geschichten mit Hilfe von Metaphern eher bildlich
als direkt. Die daraus entstandene sprachliche Doppeldeutigkeit ist übrigens heute noch typisch
für afroamerikanische Musikstile. Trotz einiger Unterschiede sind Spiritual und Blues nicht
voneinander zu trennen - viele Spirituals wären wahrscheinlich Blues genannt worden, wenn
dieser Begriff zu der Zeit verbreitet gewesen wäre.

Die ersten Sklaven in den Vereinigten Staaten wurden schon früh mit der „weißen“ Kultur in
Verbindung gebracht und so auch mit der tiefen Verwurzelung des christlichen Glaubens der
europäisch-stämmigen Amerikaner auseinandergesetzt. Gottesdienste der Methodisten und
Baptisten waren durch ihre bodenständige Art bei Sklaven beliebt und wurden mit der Zeit Orte
an dem Einflüsse der schwarzen Heimatkulturen auf weiße Kirchen- und Volksmusik trafen und
miteinander verschmolzen. Dies bedeutete auch eine Verschmelzung der musikalischen
Merkmale der jeweiligen Musik. Während die einen eher zur Improvisation neigten und
hauptsächlich auf Pentatonik-Skalen aufbauten, hatten die anderen harmonische Kadenzen und
eine klare Trennung von Dur- und Moll-Skalen im Gepäck. Der Gesang wurde daraufhin
zunehmend mehrstimmig, mit Terzabständen zwischen den Stimmen. Auch in den Spirituals
findet man oft einen Call-and-Response-Stil wieder, allerdings wurden hier biblische Themen
angesprochen. Mit der zunehmenden Verbreitung dieser Lieder fand der Spiritual auch im Alltag
seinen Platz – es wurde auf bekannten rhythmischen Figuren frei improvisiert und immer wieder
gab es, der Situation und Kontext angepasste Interpretationen, die teilweise sehr gegensätzlich
sein konnten, da sämtliches Repertoire mündlich überliefert wurde.

An dieser Stelle ist es vielleicht auch interessant zu erwähnen dass der Klang des Gospels, also
der Weiterentwicklung der Spirituals, auch mit der früheren Tradition der Jubiläumsquartette (->
jubilee quartets) und den Close-Harmony-Klängen des Barbershops verbunden ist. Diese sind
wiederum mit einer Form der Close-Harmony, also der Arrangements in engen Lagen, verbunden,
die in Deutschland, Österreich und vor allem im Alpenraum zu finden waren. Diese kamen durch
deutsche oder deutschsprachige Einwanderer nach Amerika: In den 1830er Jahren tourten
Gesangsgruppen die aus den Alpenregion stammten durch die Vereinigten Staaten. Sie führten
das Publikum in ihre Gesangswelt und es brach ein regelrechter Hype dafür aus. Die
vierstimmigen Harmonien wurden übernommen, auf englische Texte übertragen und schon bald
begann man, diese "deutsch-alpenländische" Harmonie mit lokaler Musik dieser Zeit zu
kombinieren - vor allem mit Parlor Balladen und schwarzen Spirituals. Diese vielfältige
Vermischung der Genres führte zur Entstehung des Barbershop und der schwarzen A-cappella-
Jubiläumsquartetten, die fast ausschließlich Spirituals in diesem Stil sangen.

Obwohl man nicht mit Sicherheit sagen kann, wann genau Blues entstanden ist, kann man doch
diese unbegleiteten Spirituals und Arbeitslieder, als Vorgänger dessen ansehen was sich später
zum Blues entwickelt hat. Da die ersten Bluesmusiker, meist wegen mangelnder Alternativen, als
Solo-Interpreten auftraten, wurde der Call-and-Response-Gruppengesang zu einer Art
Konversation mit dem Instrument umgedichtet und popularisiert. Allerdings dauerte dieser
Vorgang wiederum einige Jahrzehnte, da die frühesten Bluesmusiker durchs Land zogen und
wenig oder keine Aufzeichnungen hinterließen, welche Art von Musik sie genau spielten oder
woher sie kam. Der Blues wurde im Allgemeinen als Musik der Unterschicht betrachtet und somit
von den oberen Schichten nicht beachtet. Aus diesem Grund sind die Wurzeln des Blues nicht
genau dokumentiert – was wir aber mit Sicherheit wissen ist, dass es seitdem kaum eine
Musikrichtung geschafft hat das weitere Geschehen der Populärmusik so sehr zu beeinflussen.

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GeorgPomarolli2021

Beispiele zum Reinhöhren

WORK SONGS
I Be So Glad When The Sun Goes Down - Aufnahme von Alan Lomax
Early In The Mornin’ - Aufnahme von Alan Lomax
Long John - Aufnahme von Alan Lomax

FIELD HOLLER
Tangle Eye Blues - Aufnahme von Alan Lomax
Field Call - Annie Grace Horn Dodson
Arwhoolie - Thomas Marshall

SPIRITUALS
Oh When The Saints Go Marching In (in all seinen Ausführungen)
Nobody Knows The Trouble I’ve Seen (in all seinen Ausführungen)
Go Down Moses (in all seinen Ausführungen)

BLUES & SPÄTERE ENTWICKLUNGEN


Dark Was The Night Cold Was The Ground - Blind Willie Johnson (-> dieses Lied befindet sich
zusammen mit Kompositionen u.a. von Bach, Mozart und Beethoven auf der Voyager Golden Record,
welche sich an Bord der 1977 gestarteten interstellaren Raumsonden Voyager 1 und 2 befindet)
Smokestack Lightning - Howlin’ Wolf
I Can’t Quit You Baby - Led Zeppelin

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