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I

Block I

Gesund ist,
was funktioniert

Grundlagen des Lebens


II

Inhaltsverzeichnis

1 Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert 1


1.1 Grundlagen der Evolution 3

1.1.1 Die Selektion 4

1.1.2 Die Mutation 6

1.2 Wirkebene der Evolution 7

1.3 Entwicklung als Weiterentwicklung 9

2 Was ist Leben? 11


2.1 Zelluläres Leben 12

2.2 Die Biomembran 13

2.3 Das Erbgut 15

2.3.1 Aufbau und Funktion 16

2.3.2 Replikation 19

2.3.3 Reparatur 21

3 Vom Erbgut zum Organismus 23


3.1 Proteinsynthese 25

3.1.1 Der Ablauf im Einzelnen 26

3.1.2 Translation im Cytoplasma 30

3.1.3 Der genetische Code 33

4 Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens 36


4.1 Cytosol – Puffersystem und Syntheseort 40

4.2 Der Zellkern 41

4.3 Endoplasmatisches Retikulum 43

4.3.1 rER – Translation und Modifikation 43


III

4.3.2 sER – Stoffwechsel- und Speicherort 44

4.4 Ribosomen – Translation 45

4.5 Golgi-Apparat 46

4.6 Lysosomen – Verdauung 47

4.7 Peroxisomen – Entgiftung 49

4.8 Mitochondrien – Kraftwerke der Zelle 50

4.9 Cytoskelett 52

4.9.1 Mikrotubuli 54

4.9.2 Mikrofilamente 55

4.9.3 Intermediärfilamente 56

5 Umwelt und Individuum 58


5.1 Transport 59

5.1.1 Diffusion 59

5.1.2 Transport an Membranen 62

5.1.3 Membranflussmechanismen 64

5.2 Zellkontakte 66

5.2.1 Extrazelluläre Matrix 67

5.2.2 Glykokalyx 67

5.2.3 Kontaktinhibition 68

5.2.4 Formen der Zellkontakte 68

6 Grundlagen der Vielfalt – die Komplexität 70


6.1 Prokaryoten und Eukaryoten – Leben mit und ohne Zellkern 72

6.1.1 Endosymbiontentheorie 73

6.2 Einzeller und Vielzeller 75

6.2.1 Von der Zelle zum Vielzeller 76


6.2.2 DNA und Chromosomen 76

6.2.3 Zellzyklus 78
IV

6.2.4 Struktur der Chromosomen 83

7 Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen 84


7.1 Regulation funktioniert über die Beeinflussung von
Wahrscheinlichkeiten 85

7.2 Regulation auf Enzymebene 86

7.2.1 Regulation der Enzymaktivität 86

7.2.2 Regulation der Synthese von Enzymen 87

7.2.3 Vergleich der Regulationsmechanismen 88

7.3 Regulation bei Vielzellern 89

7.3.1 Rezeptoren 90

7.4 Regulation der Entwicklung von der Zygote zum Menschen 92

7.4.1 DNA-Methylierung 93

7.4.2 Histonmodifikation 94

7.4.3 miRNAs (microRNAs) 94

8 Vermehrung 95
8.1 Zellzyklus – ein Rückblick 96
8.2 Meiose 97

8.2.1 Reduktionsteilung 98

8.2.2 Äquationsteilung 100

8.2.3 Rekombination 101

8.3 Genkartierung 103


1
Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

1 Warum Leben so funktioniert, wie es


funktioniert
Erarbeitungshilfen

• Was ist eine Mutation und welche Bedeutung haben


Mutationen für die Evolution?
• Was ist Selektion und welche Bedeutung hat
Selektion für die Evolution?
• Definieren Sie die folgenden Begriffe und setzen Sie
sie in Bezug zueinander:
*Genom
*Genotyp
*Phänotyp
• Was ist Evolution? Was ist ihre Wirkebene?
• Erläutern Sie, welche Konsequenzen das frühzeitige
Absetzen eines Antibiotikums haben kann. Beziehen
Sie die vorgestellte Grafik mit ein.
• Was ist mit dem Satz „Die Evolution geht immer von
etwas Vorhandenem aus“ gemeint?
• Wie hängen die Entwicklung hin zum Menschen und
die Entstehung von Krankheiten, deren Anlagen
vererbbar sind, zusammen?
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Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

Sowohl Mediziner als auch Biologen beschäftigen sich mit dem Leben. Sie als
angehende Mediziner wollen Leben erhalten und Lebensqualität verbessern. Biologen
versuchen zu verstehen, wie Leben entstanden ist und wie es funktioniert.

Schauen wir uns um, stellen wir fest, dass die Vielfalt der Lebensformen, die uns
umgibt, nahezu unbegreiflich ist. Es wird uns nicht in jedem Fall direkt einleuchten,
warum das Leben solche Blüten treibt. Wenn wir einen kritischen Blick auf den Menschen
werfen, müssen wir feststellen, dass auch er mit Sicherheit in seiner Komplexität
faszinierend, aber nicht in allen Bereichen sinnvoll konstruiert ist. Er ist ziemlich
störanfällig, nicht unbegrenzt haltbar und macht manchmal seltsame Dinge.

Tatsächlich ist das Verständnis dafür, wie die Vielfalt des Lebens entstehen konnte,
auch die Grundlage dafür, die Schwächen des Menschen zu verstehen.

Es liegt auf der Hand,


dass Sie ein
Grundverständnis der
Funktion benötigen. Sie
werden außerdem sehen,
wie wichtig ein Einblick in
die Entstehung des Lebens
und die Entwicklung des
Menschen für das
Verständnis von
Krankheiten, Altern und
Tod ist.

Abbildung 1.1: Vielfalt


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Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

1.1 Grundlagen der Evolution


Alles Leben ist durch Evolution aus den Ursprüngen des Lebens entstanden. Die
vielfältigen Hinweise und Beweise für diese Theorie würden für Sie zu weit führen. Wir
wollen Ihnen hier nur die Grundlagen aufzeigen und dabei verdeutlichen, dass die
Ursache einer Reihe von Krankheiten auch ein Grundpfeiler der Evolution ist. Wichtig ist,
dass dieser Grundsatz (mit wenigen Ausnahmen) allgemein anerkannt und für die
Biologie grundlegend ist.

Abbildung 1.2: Kiemenbögen

Biologisches Denken ist evolutives Denken. Das bedeutet, dass es ein Denken in
Prozessen ist. Viele Zusammenhänge sind nur durch die Geschichte ihres Werdens
verständlich.

Ein Beispiel dafür ist die Anlage von Kiemenbögen in der Embryonalentwicklung des
Menschen (→ Abb. 1.2). Diese Anlagen entwickeln sich zu ganz anderen Strukturen als
Kiemen – es ist daher nicht zu verstehen, warum sie zunächst als Kiemenbögen angelegt
werden. Wenn man sich aber vor Augen führt, dass Mensch und Fisch gemeinsame
Vorfahren haben, die Kiemen ausbildeten, wird klar, dass eine vorhandene Anlage mit
einem anderen Zweck weiter benutzt wird.
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Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

Dieses Denken in Prozessen kann es Ihnen ermöglichen, eine Reihe von


Zusammenhängen in Bezug auf Krankheit, Altern und Tod zu verstehen. Wir möchten
Ihnen daher die wesentlichen Elemente dieser Prozesse vorstellen.

1.1.1 Die Selektion


Selektion ist die Auswahl einer Variante durch die Umwelt.

Schauen wir uns ein Beispiel an, das Ihnen in der Hausarztpraxis begegnen kann. Ein
Patient kommt mit einer bakteriellen Infektion in Ihre Praxis. Sie verschreiben ihm ein
Antibiotikum, das er eine Woche lang einnehmen soll. Nach 10 Tagen kommt er wieder
und klagt über Beschwerden, die mindestens ebenso schlimm sind wie zuvor. Es war ihm
nach drei Tagen mit Antibiotikum besser gegangen. Er hat das Medikament abgesetzt, und
wenige Tage später zeigten sich wieder Symptome. Sie verschreiben Ihrem Patienten das
gleiche Antibiotikum noch einmal, aber die Symptome klingen nicht wieder ab.

Die folgende Grafik (→ Abb. 1.3) zeigt in Tendenzen die besprochenen Abläufe. Sie
berücksichtigt nicht, dass eine Resistenz auch – unabhängig vom Antibiotikum – die
Bekämpfung durch das Immunsystem beeinflussen kann.

Wenn Bakterien in einen Organismus eindringen und dort günstige Bedingungen


vorfinden, können sie sich durch Zweiteilung schnell vermehren. Das Darmbakterium E.
coli kann sich beispielsweise innerhalb von 20 Minuten verdoppeln. Das Immunsystem
muss nach dem Eindringen eines Erregers erst aktiviert werden. Dies kann schnell gehen,
wenn ein Organismus immun gegen den Eindringling ist, es kann aber auch länger dauern,
wenn der Erreger für das Immunsystem unbekannt ist. In jedem Fall gibt es eine
Verzögerung, bis das Immunsystem reagiert.

Die Schädigung des Organismus wird mit steigender Bakterienzahl größer, bis
Symptome zu beobachten sind. In einigen Fällen kann das Immunsystem die Bakterien
nicht schneller abwehren, als diese sich vermehren. In einem solchen Fall hilft ein
Antibiotikum, das Bakterien abtötet oder ihre Vermehrung hemmt. Beide Faktoren –
Immunsystem und Antibiotikum – können zusammen die Infektion überwinden.

Die Symptome der Infektion lassen an einem Punkt nach, an dem noch Bakterien
vorhanden sind – ihre Zahl wurde nur gesenkt. Wenn nun das Antibiotikum frühzeitig
abgesetzt wird, kann es sein, dass das Immunsystem mit dem Rest der Bakterien nicht
fertig wird, und diese sich wieder schnell vermehren. Die Symptome kehren zurück. Das
leuchtet soweit ein – bemerkenswert ist aber, dass die gleiche Infektion dann unter
Umständen nicht mehr mit dem gleichen Antibiotikum bekämpft werden kann.
5
Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

Abbildung 1.3: Verlauf einer Bakterieninfektion bei verfrühtem Absetzen des Antibiotikums

Die Bakterien, die Ihren Patienten infiziert haben, sind grundsätzlich anfällig für das
Antibiotikum. Das hat das Abklingen der Symptome gezeigt. Die Bakterien sind aber nicht
völlig gleich. Es kann sein, dass einige Bakterien vorhanden sind, bei denen durch eine
Veränderung im Erbgut ein Faktor so geändert wurde, dass das Antibiotikum bei ihnen
nicht wirkt: Sie sind resistent.

Es gibt erst einmal sehr wenige resistente Bakterien, die sich aber bei weiterer
Antibiotikagabe besser vermehren können als die nicht resistenten. Das bedeutet, dass im
Verhältnis immer mehr resistente Bakterien vorkommen. Wenn durch das Antibiotikum
die Bakterienzahl niedrig genug gehalten wird, kann das Immunsystem damit fertig
werden. Wird nun das Antibiotikum abgesetzt, können sich alle Bakterien wieder
ungestört vermehren, aber das Verhältnis nicht resistenter zu resistenten Formen ist
inzwischen so schlecht, dass die resistenten Bakterien sich viel schneller vermehren und
selbst bei weiterer Antibiotikagabe ungehindert die Symptome verursachen können. Sie
haben einen Grundpfeiler der Evolution beobachtet – die Selektion. Dies ist kein
bewusster Prozess. Ausgewählt wird, was überleben bzw. sich vermehren kann.
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Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

1.1.2 Die Mutation


Mutationen sind Änderungen im Erbgut.

Ausgewählt werden kann immer nur da, wo verschiedene Varianten im Angebot sind.
Änderungen der Erbsubstanz können zu einer Änderung des Organismus führen. Solche
Änderungen sind in der Natur immer zufällig.

Innerhalb einer Art kann jeder Organismus sich im Laufe des Lebens innerhalb eines
gegebenen Rahmens verändern. Sie können beispielsweise lernen, schneller zu rennen,
aber Sie können bei aller Anstrengung nicht fliegen. Das, was Sie erreichen, hat dann erst
einmal keine Auswirkung auf die Art. Die Entwicklung einer Art – unter Umständen sogar
bis zu ihrer Trennung in zwei oder mehr Arten – kann nur dann erfolgen, wenn eine
Änderung vererbt werden kann. Das können vor allem 1 Änderungen, die in den
Nukleinsäuren auftreten.

Die Grundlage vieler Krankheiten mit erblicher Veranlagung sind auf Mutationen
zurückzuführen. Hier sind die Mutationen in den Keimzellen aufgetreten.

Artbegriff
Mit dem Begriff „Art“ benutzen wir wohl einen der heute am meisten umstrittenen
Begriffe in der Biologie. Sie alle haben eine Vorstellung davon, was eine Art ist, und es
gelingt Ihnen mühelos zu sagen, dass es sich bei Schimpansen um eine andere Art als
bei Menschen handelt. Tatsächlich ist diese Bestimmung nicht immer so einfach. Lange
Zeit galt als Bedingung dafür, dass Organismen zu einer Art gehören, dass sie fruchtbare
Nachkommen hervorbringen können. So können sich Pferd und Esel zwar paaren und
auch Nachkommen haben, diese wiederum können aber keine Nachkommen
hervorbringen.
Wir können und wollen an dieser Stelle nicht darauf eingehen, warum der
Artbegriff in dieser Weise heute keinen Bestand mehr hat und warum wir Ihnen keine
allgemeingültige Definition anbieten können. Wir werden den Begriff in der Form
verwenden, dass alle Organismen zu einer Art gehören, die einen gemeinsamen
Genpool haben. Das bedeutet, dass sie alle über die gleiche Grundausstattung von
Genen verfügen und diese auch an die nachfolgende Generation weitergeben. Wenn
dann beispielsweise in einem Bienenstock die Arbeiterbienen ihre Königin, die alleine
für den Nachwuchs zuständig ist, versorgen, so verfügt die Königin über die gleiche
Genausstattung. Die Arbeiterin selbst kann den Bestand sichern, indem sie sich nicht
selbst fortpflanzt, sondern die Fortpflanzung der Königin unterstützt.

1 Bis vor kurzem hätten wir uns das „vor allem“ sparen können. Es war allgemein anerkannt, dass
vererbbare Veränderungen ausschließlich Änderungen der Nukleinsäuren sind. Das kann Ihnen auch
weiterhin als Grundsatz dienen. Sie müssen sich aber bewusst sein, dass dieser Gedanke nach neueren
Erkenntnissen zu kurz greift – wir kommen darauf zurück.
7
Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

Mutationen in Körperzellen werden zwar nicht an die folgende Generation


weitergegeben, können aber gravierende Folgen für den betroffenen Organismus haben.
Krebs ist ein wichtiges Beispiel für die Wirkung von Mutationen in Körperzellen. Machen
Sie sich aber bitte bewusst, dass dieser Faktor, der zu schweren Beeinträchtigungen
führen kann, auch die Grundlage der Entwicklung hin zum Menschen war.

Abbildung 1.4: Evolution geht von Vorhandenem aus (Beispiel Kohl)

1.2 Wirkebene der Evolution


Es ist wichtig zu unterscheiden, dass die Mutation zwar im Erbgut erfolgt, dass die
Selektion sich aber auf den Organismus richtet. Wir unterscheiden zwischen Genotyp und
Phänotyp. Der Genotyp ist die Gesamtheit der genetischen Ausstattung, der Phänotyp ist
die Realisierung der genetischen Informationen im Organismus unter Einfluss der
Umwelt. Das bedeutet, dass im Genom eine Art Bauanleitung vorliegt, die umgesetzt wird.

Am Phänotyp können Sie Merkmale erkennen, für die Sie im Genotyp Anlagen finden.
Resistenzen sind auf der Ebene eines Bakteriums ebenso Merkmale wie die Haarfarbe für
den Menschen. Die Gesamtheit der Anlagen im Chromosom bzw. in den Chromosomen
eines Organismus wird auch als Genom bezeichnet.
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Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

Jede Zelle hat ein Genom. Bei Vielzellern wie dem Menschen sind alle Zellen
ursprünglich aus einer Zelle hervorgegangen und haben somit prinzipiell das gleiche
Genom.

Schauen wir noch einmal auf unser Praxis-Beispiel: Wenn der Umweltfaktor
„Antibiotikagabe“ die Bakterien mit der Merkmalsausprägung „resistent“ begünstigt hat,
dann werden gleichzeitig alle andere Merkmale und damit alle anderen Anlagen dieses
Bakteriums mit begünstigt – das kann bedeuten, dass sich ein Bakterium besonders gut
entwickelt, das unter anderen Bedingungen einen erheblichen Nachteil gegenüber seinen
„Kollegen“ hatte.

Abbildung 1.5: Selektionsdruck durch Antibiotikagabe

Die Auswahl durch die Umwelt ist keine wohlüberlegte Abwägung von Vor- und
Nachteilen, sondern eine reine Wirkung von Überlebensfähigkeit.

„Überlebensfähigkeit“ meint im evolutiven Kontext weniger das Überleben eines


Organismus selbst, sondern vielmehr, dass er sein Erbgut an die Folgegeneration
weitergibt. Dieser Gedanke ist vermutlich gerade für Sie als angehende Ärzte etwas
befremdlich, da es Ihnen natürlich vor allem um das Wohl des Menschen, der vor ihnen
sitzt, geht und weniger darum, dass er sich erfolgreich reproduziert. Im Sinne der
Evolution zählt aber nur genau das. Dies sehen Sie auch daran, dass die meisten
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Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

Alterungserscheinungen des Menschen nach seiner reproduktiven Phase einsetzen. Die


Evolution unterstützt nicht den Erhalt des Organismus nach der Reproduktion.

Wir müssen sogar noch einen Schritt weiter gehen. Im Sinne der Evolution geht es
nicht nur darum, ob ein Organismus seine Erbanlagen weitergeben kann oder nicht,
sondern darum, ob eine Art überlebt oder nicht.

1.3 Entwicklung als Weiterentwicklung


Greifen wir noch einmal den Gedanken auf, dass die Evolution immer von etwas
Vorhandenem ausgeht. Würden Sie einem Ingenieur die Aufgabe übertragen, einen
Menschen zu entwickeln, so würde er sich Gedanken darüber machen, welchen
Anforderungen dieser Mensch gerecht werden muss, und würde versuchen, ihn dafür zu
optimieren. In der Evolution läuft das anders. Die Entwicklung ist nicht auf ein Ziel hin
ausgerichtet. Es ist immer das gleiche Wechselspiel zwischen Mutation und Selektion.2

Abbildung 1.6: Frühe Embryonalstadien verschiedener Wirbeltiere

Sie können das heute noch beispielsweise an der Embryonalentwicklung des


Menschen erkennen. Die frühen Embryonalstadien des Menschen (ganz rechts)
unterscheiden sich deutlich weniger von denen des Fischs, der Schildkröte und des Vogels
(von links), als man erwarten würde, wenn man sich die Neugeborenen ansieht. Auf die
Kiemenanlagen haben wir ja schon verwiesen. Warum sollten diese in der Entwicklung
des menschlichen Embryos auftreten? Welcher Konstrukteur würde sich diesen Spaß
erlauben? Sie treten auf, weil wir aus Formen entstanden sind, die mit Kiemen geatmet
haben, und weil wir diesen Anteil der Gene noch immer in uns tragen.

2 Spannend ist allerdings, dass Menschen heute vieles daransetzen, Techniken aus der Natur zu kopieren.
Es gibt hierzu einen ganzen Wissenschaftszweig – die Bionik. Der Entwicklungsprozess der Natur kann dem
der Menschen durchaus überlegen sein.
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Kapitel 1 – Warum Leben so funktioniert, wie es funktioniert

Es gibt auch Fehlbildungen beim Menschen, die auf Gene verweisen, die im Normalfall
bei uns nicht mehr ausgebildet werden, sehr wohl aber bei unseren Vorfahren. Ein
Beispiel ist die Ausbildung einer Ganzkörperbehaarung, die einem Fell gleicht.

Zwar können wir nicht in der Zeit zurückgehen, um zu sehen, wie sich tatsächlich die
heute lebenden Arten entwickelt haben und was ihr Ursprung war, aber wir können noch
heute das Wirken von Mutation und Selektion beobachten. Sie werden als Ärzte selbst in
diesen Prozess eingreifen und die natürliche Härte, die ihm innewohnt, mildern können.
So kann beispielsweise ein Kind, dass in früheren
Zeiten eine schwere geistige Behinderung
gehabt hätte, weil es unter Phenylketonurie
leidet, heute relativ unbeeinträchtigt leben, weil
Ärzte die Krankheit direkt nach der Geburt
erkennen und Gegenmaßnahmen veranlassen
können.

Abbildung 1.7: Tognina Gonsalvus [12]


11
Kapitel 2 – Was ist Leben?

2 Was ist Leben?


Erarbeitungshilfen

• Nennen Sie das entscheidende Kriterium zur


Unterscheidung von belebt und unbelebt.
• Warum wurden Viren lange nicht zu den Lebewesen
gezählt und wie unterscheiden sie sich von zellulären
Formen?
• Nennen Sie die Funktionen der Membranen.
• Aus welchen Bausteinen ist die Membran aufgebaut
und welche Funktionen haben diese?
• Erläutern Sie, inwieweit der Aufbau der
Phospholipidmoleküle den Aufbau der Membran
bedingt.
• Welchen Einfluss haben gesättigte bzw. ungesättigte
Fettsäuren auf die Membran, welchen Cholesterol?
• Erläutern Sie den Begriff „Fluid-Mosaik-Modell“.
Skizzieren Sie dabei einen schematischen
Querschnitt durch eine Membran.
• Was bedeutet selektive Permeabilität der Membran?
• Nennen Sie die Bestandteile der DNA und RNA.
Stellen Sie die Unterschiede der beiden
Nukleinsäuren heraus. Sie sollen in der Lage sein,
selbst ein Schema der Nukleinsäuren zu zeichnen,
aus dem die wesentlichen Strukturen und
Informationen zu entnehmen sind (Aufbau,
Polarität).
• Beschreiben Sie den Aufbau der DNA-Doppelhelix.
• Erläutern Sie das Prinzip und die Bedeutung der
komplementären Basenpaarung.
• Was bedeutet semikonservative Replikation?
• Beschreiben Sie den Ablauf der Replikation anhand
der beteiligten Enzyme.
• Wie funktioniert DNA-Reparatur, und warum ist sie
wichtig?
12
Kapitel 2 – Was ist Leben?

Die Frage danach, was Leben ist, ist nur auf den ersten Blick profan.

In der Biologie sorgt die Frage immer wieder für größere Diskussionen. So tendiert
man erst seit Kurzem dazu, Viren als Lebewesen zu bezeichnen. Da Stoffwechsel als
zentrales Kriterium für Leben galt und
Viren keinen Stoffwechsel haben,
wurden sie nicht zu den Lebewesen
gezählt. Erst in diesem Jahrhundert
wurden mit den Mimi-Viren Viren
gefunden, die in Größe und
Genomausstattung so weite
Überschneidungen mit anderen
Lebensformen haben, dass es kaum
möglich war, ihnen Lebendigkeit
abzusprechen.
Abbildung 2.1: Seepocken [12] Das entscheidende Kriterium zur
Eine Lebensform, die nicht unbedingt direkt als Unterscheidung zwischen belebt und
solche zu erkennen ist. unbelebt ist heute das Erbgut. Nur
Lebewesen verfügen über eigene
Informationen zu ihrer eigenen Entwicklung. Evolution als Wechsel-spiel zwischen
Mutation und Selektion gibt es daher nur im Bereich des Lebenden. Nicht belebte Stoffe
können sich verbinden und Verbindungen wieder lösen, aber sie entwickeln sich nicht im
Austausch mit der Umwelt weiter. Umgekehrt gibt es auch kein Leben ohne Evolution.

2.1 Zelluläres Leben


Der Grundbaustein der meisten
Lebensformen ist die Zelle. Hier nehmen Viren
weiterhin eine Sonderrolle ein. Sie verfügen
über eigenes Erbgut, sind aber als einzige
Lebewesen nicht als Zellen organisiert.

Alle anderen Lebensformen verfügen


über eine eigene Biomembran, die eine Zelle
begrenzt und als solche bestimmt. Wenn Viren
eine Membran haben, so stammt diese von der
Wirtszelle. Während das Erbgut notwendig ist,
um Nachkommen zu schaffen, so hilft die Abbildung 2.2: HI-Viren: Viren mit Membran [12]
Biomembran, alle Bausteine zusammen zu
halten und von der Umwelt abzugrenzen. Zum Verständnis basaler Lebensvorgänge und
deren Beeinträchtigungen müssen wir uns also mit diesen beiden Faktoren – Erbgut und
Membranen – beschäftigen.
13
Kapitel 2 – Was ist Leben?

2.2 Die Biomembran


Biomembranen grenzen Zellen nicht nur nach außen ab. Sie dienen auch dem
selektiven Stoffaustausch, dem Informationsaustausch und als Reaktionsraum. Ihr
Aufbau lässt erkennen, wie sie diese Funktionen erfüllen. Die Bestandteile sind
hauptsächlich Lipide und Proteine.

Lipide:

In der Biomembran finden wir vor allem Phospholipide, die durch Cholesterol und
Glykolipide ergänzt werden.

Die → Abb. 2.3 zeigt den Aufbau der Phospholipide. Das Grundgerüst bildet ein
Glycerinmolekül, an das Fettsäuren und eine Phosphatgruppe gebunden sind. Dadurch
haben Phospholipide einen hydrophilen Kopf und einen hydrophoben Schwanzteil. Sie
werden als amphipathisch bzw. amphiphil bezeichnet.

In wässrigem Milieu richten sich die hydrophoben Anteile zueinander und die
hydrophilen zum Wasser. So entsteht eine Lipiddoppelschicht, die im
Elektronenmikroskop einen typischen dreischichtigen Aufbau zeigt (→ Abb. 2.3 unten).

Abbildung 2.3: Phospholipide

Eine wesentliche Eigenschaft dieser doppelschichtigen Membran ist ihre Fluidität. Sie ist
dadurch bedingt, dass die Bausteine der Membran nicht kovalent miteinander verbunden
sind, und so die Moleküle seitlich relativ flexibel ihre Position wechseln können.
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Kapitel 2 – Was ist Leben?

(→ Abb. 2.4 a) Je mehr ungesättigte


Fettsäuren vorkommen, um so fluider ist
die Membran, da ungesättigte Fettsäuren
in beide Richtungen abknicken können
und so die stabilere, parallele Anordnung
gesättigter Fettsäuren stören
(→ Abb. 2.4 b).

Cholesterol hält die Fluidität unter


verschiedenen Außenbedingungen
konstant (→ Abb. 2.4 c) Es ist außerdem
an den sogenannten Lipid-Flößen (lipid
rafts) beteiligt. Diese spielen
wahrscheinlich eine Rolle bei der
interzellulären Signaltransduktion.

Eine solche Lipidschicht ist selektiv


permeabel. Das bedeutet, dass sie weder
ganz undurchlässig noch völlig
durchlässig ist. Sehr kleine Moleküle (z.B.
Gase und Wasser) können die Membran
ebenso durchdringen wie lipophile
Abbildung 2.4: Fluidität von Membranen
Substanzen. Größere und hydrophile
Moleküle werden aufgehalten. a) Fluidität durch laterale Bewegung

b) gesteigerte Fluidität durch ungesättigte Fettsäuren

c) Einfluss von Cholesterin auf die Fluidität


Proteine in der Biomembran:

Zwischen den Lipiden eingebettet – entweder der Membran aufgelagert oder in diese
integriert – finden wir zahlreiche Proteine (→ Abb. 2.5). Deren Zahl und
Zusammensetzung hängt von der Funktion der jeweiligen Biomembran ab. Die Proteine
sind in einer mehr oder weniger gleichmäßigen Lipidschicht als Einschlüsse verteilt, man
spricht vom Fluid-Mosaik-Modell der Membran. Während die Lipide der Membran vor
allem der Abgrenzung dienen, sind die Proteine für verschiedene Funktionen
verantwortlich: für den Transport in die und aus der Zelle, den Kontakt mit anderen Zellen
und für verschiedene Stoffwechselprozesse.
15
Kapitel 2 – Was ist Leben?

Abbildung 2.5: Biomembran mit eingelagerten Proteinen

Die Membran, die eine Zelle nach außen umgibt, wird als Zellmembran oder
Plasmalemma bezeichnet. Das Plasmalemma ist eine spezielle Biomembran. Bei
eukaryotischen Organismen wird das Zellinnere von weiteren Biomembranen in
sogenannte Kompartimente unterteilt. Die Biomembranen der Kompartimente können
sich je nach Funktion des Kompartiments unterscheiden.

2.3 Das Erbgut


Je fundamentaler die Bedeutung einer Struktur für das Leben ist, um so stabiler bleibt
sie im Laufe der Evolution. Beispielsweise müssen alle Tiere atmen, und so finden wir bei
allen Tieren Strukturen, die die Atmung ermöglichen. Es gibt aber eine Reihe
verschiedener Möglichkeiten zur Atmung, und wir haben schon gesehen, dass die
Kiemenatmung offenbar älter als unsere Lungenatmung ist, da wir in der
Embryonalentwicklung Kiemenanlagen aufweisen. Die Strukturen zur Atmung haben sich
also im Laufe der Evolution geändert.

Anders verhält es sich beim Erbgut: Leben ist per definitionem ohne Vermehrung
nicht möglich, und tatsächlich verfügen alle Lebewesen über die grundsätzlich gleiche
Erbsubstanz – die Nukleinsäuren. Die älteste Form der Erbsubstanz war offenbar die
Ribonukleinsäure (RNA), die erst später von der Desoxyribonukleinsäure (DNA)
weitgehend abgelöst wurde. Die Gleichartigkeit der Nukleinsäuren bei allen Lebewesen
belegt ihre funktionale Bedeutung für das Leben.
16
Kapitel 2 – Was ist Leben?

2.3.1 Aufbau und Funktion


Wir schauen uns zunächst die Bausteine der Nukleinsäuren an, um ihren Aufbau im Anschluss
besser verstehen zu können.

Bausteine der Nukleinsäuren

Nukleinsäuren sind aus Nukleotiden zusammengesetzte Polymere. Nukleotide


bestehen aus einem Fünffachzucker – einer Pentose –, einem Phosphatrest und einer
Base. Die Einheit aus Pentose und Base ohne den Phosphatrest bezeichnet man als
Nukleosid.

Wir unterscheiden bei Nukleinsäuren das 3'-Ende, an dem eine OH-Gruppe hängt, und
das 5'-Ende mit einer Phosphatgruppe. Die Verlängerung zur Nukleinsäurekette kann
ausschließlich an einer OH-Gruppe erfolgen. Daraus ergibt sich, dass Nukleinsäuren
immer eine Richtung – eine Polarität – aufweisen.

Abbildung 2.6: Bausteine der Nukleinsäuren

Bei der RNA ist die Pentose Ribose, bei der DNA die sehr ähnliche Desoxyribose, bei
der im Vergleich zur Ribose eine OH-Gruppe durch ein Wasserstoffatom ersetzt ist. Da so
eine Stelle fehlt, an der es relativ leicht zu Reaktionen kommen kann, ist die DNA stabiler
17
Kapitel 2 – Was ist Leben?

als die RNA. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass sie die RNA weitgehend als Erbsubstanz
abgelöst hat.

Die Basen der Nukleinsäuren sind Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin und Uracil. In der
DNA kommen nur die ersten vier vor, während in der RNA Uracil statt Thymin eingebaut
wird. Adenin und Guanin sind Purinderivate, Cytosin, Thymin und Uracil leiten sich von
Pyrimidin ab.

Besonderheiten der Basen

Die Strukturformeln der Basen


lassen eine Reihe von Stellen
erkennen, an denen sich
Wasserstoffbrückenbindungen
ausbilden können.
Wasserstoffbrückenbindungen sind
nicht sehr stark, sie können sich
jederzeit bilden und wieder auflösen.
Je mehr Wasserstoffbrücken es
allerdings zwischen zwei Molekülen
gibt, umso höher ist die
Wahrscheinlichkeit, dass diese
Moleküle länger verbunden bleiben.
Die Basen der Nukleinsäuren können
sich auf unterschiedliche Art
miteinander verbinden, aber in der
stabilsten und damit
wahrscheinlichsten Form ist immer Abbildung 2.7: Komplementäre Basenpaarung
Adenin mit Thymin (bzw. Uracil) über
zwei Wasserstoffbrückenbindungen und Guanin mit Cytosin über drei
Wasserstoffbrückenbindungen verbunden.

Sie erkennen in → Abb. 2.6 und 2.7, dass die Purinbasen deutlich größer sind als die
Pyrimidinbasen. Auch dies begünstigt die Paarung zwischen jeweils einem Pyrimidin und
einem Purin (→ Abb. 2.7). Die Verbindungen ergeben sich nur durch die Anziehungskräfte
der Teilladungen und die unterschiedliche Stabilität. Dies bezeichnet man als
komplementäre Basenpaarung. Die komplementäre Basenpaarung kann als ein
Grundprinzip des Lebens bezeichnet werden. Sie ist der Grund dafür, dass Nukleinsäuren
sich so gut als Erbsubstanz eignen.

DNA

Die DNA ist doppelsträngig organisiert. Zwei Einzelstränge sind einander


komplementär zugeordnet, wobei die Einzelstränge eine gegenläufige Polarität haben
(→ Abb. 2.8). In der dreidimensionalen Struktur erkennen wir eine schraubig gewundene
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Kapitel 2 – Was ist Leben?

Doppelhelix. Die Basen sind einander durch die komplementäre Basenpaarung


zugewandt. Nach außen können wir eine große und eine kleine Furche unterscheiden.
Über diese können in unterschiedlichen Zellen und Lebenszyklen spezifisch Strukturen
mit regulatorischer Funktion binden und sich wieder lösen.

Abbildung 2.8: DNA

RNA

Die RNA liegt meist einzelsträngig vor. Es


können aber komplementäre Basenpaarungen
innerhalb eines Strangs auftreten, die der RNA dann
wiedererkennbare Strukturen verleihen. Besonders
bekannt ist die Kleeblattstruktur der tRNA
(→ Abb. 2.9).

Die Funktionen der RNA sind sehr vielfältig.


Schon lange ist bekannt, dass sie unter anderem für
den Transport der Erbinformation aus dem Kern
heraus benötigt wird, der Übersetzung von
Erbinformation in Proteine dient und wichtige
regulatorische Funktionen übernimmt.
Abbildung 2.9: Kleeblattstruktur
der tRNA
19
Kapitel 2 – Was ist Leben?

2.3.2 Replikation
Replikation ist die Verdopplung der DNA.

Eine Vermehrung von Organismen ist nur möglich, wenn jeder neu entstehende
Organismus die vollständigen Erbinformationen erhält. Das bedeutet, dass vor jeder
Zellteilung zunächst das Erbgut verdoppelt werden muss. Das gilt in gleicher Weise
sowohl für die Vermehrung eines einzelligen Organismus durch Zweiteilung, als auch für
die Teilung von Zellen bei einem Vielzeller.

Das Prinzip der Replikation ist sehr einfach: Der DNA-Doppelstrang wird
aufgespalten, die passenden Basen lagern sich komplementär zu den vorhandenen Basen
an die beiden Einzelstränge an und werden miteinander verbunden. So entstehen zwei
DNA-Doppelstränge, die jeweils aus einem alten und einem neuen Einzelstrang bestehen.
Deshalb heißt der Mechanismus semikonservative Replikation (→ Abb. 2.10).

Abbildung 2.10: Prinzip der semikonservativen Replikation


20
Kapitel 2 – Was ist Leben?

Enzyme der Replikation

Die Zuordnung der Basen zueinander funktioniert ohne Enzyme nach dem Prinzip
der komplementären Basenpaarung. Ansonsten sind eine Reihe von Enzymen am
Replikationsprozess beteiligt – wir können von einer ganzen Maschinerie sprechen, die
Sie in der → Abb. 2.11 erkennen können.

Der DNA-Doppelstrang muss zur Vorbereitung auf die Replikation aufgespalten


werden. Da die Summe der Wasserstoffbrückenbindungen den Strang stabilisiert, werden
Enzyme und Energie benötigt, um die Basen zu trennen. Diese Enzyme heißen Helicasen.
Durch die Trennung der Basen entsteht die sogenannte Replikationsgabel.

Abbildung 2.11: Replikationsgabel [12]

Die DNA-Polymerase ist ein Komplex aus einer Vielzahl von Proteinen, der
unterschiedliche Funktionen vereint. Die Hauptfunktion ist die Verlängerung eines
entstehenden DNA-Stranges.

Die DNA-Polymerase bindet an den Startpunkt der Replikation. Die Verlängerung der
Zucker-Phosphat-Achse ist nur an der 3'-Hydroxylgruppe möglich. Die DNA-Polymerase
liest den DNA-Strang in 3'→5'-Richtung ab und bildet in 5'→3'-Richtung einen
komplementären Strang. Die Polymerase wird durch eine passende Base aktiviert und
stellt die kovalente Bindung zwischen Zucker und Phosphat her. Die benötigte Energie
wird durch die Hydrolyse der angelieferten Nukleotidtriphosphate bereitgestellt. Nach
Katalyse der Bindung nimmt die Polymerase wieder ihre Ursprungsform ein, in der sie
eine Base weiter den Strang entlang rückt. Die Replikation des 5'→3'-Stranges erfolgt so
ohne Unterbrechungen. Man spricht hier von der Synthese des Leitstrangs.

Fällt Ihnen ein Problem auf? Was ist mit dem anderen, dem gegenläufigen Strang?
Hier passt die Richtung der Polymerisation nicht zur Richtung des Strangs. Der Ablauf ist
21
Kapitel 2 – Was ist Leben?

etwas komplizierter. Der Strang wird von der DNA-Polymerase stückweise in 3'→5'-
Richtung abgelesen. Der Folgestrang entsteht in sogenannten Okazaki-Fragmenten, die
durch ein anderes Enzym, eine Ligase, miteinander verbunden werden. Obwohl die
Begriffe Leitstrang und Folgestrang den Gedanken nahelegen, handelt es sich nicht um
zeitversetzte Synthesen.

Die DNA-Polymerase hat eine sehr seltsame Eigenart: Sie kann keine Stränge
anfangen, sie kann nur an bereits bestehenden Stücken fortsetzen. Diese Anfangsstücke
werden aus RNA gebildet. Man bezeichnet sie als Primer und das sie bildende Enzym als
Primase. Jeder DNA-Strang, auch jedes einzelne Okazaki-Fragment, benötigt seinen
eigenen Primer. Exonukleasen entfernen die RNA-Stücke, und Ligasen sorgen für die
Verbindung der Okazaki-Fragmente zum Gesamtstrang.

Es muss noch ein Problem gelöst werden, das wir bislang ignoriert haben. Stellen Sie
sich vor, wie so eine Helikase zwischen den DNA-Einzelsträngen entlangfährt, sie trennt
und spreizt – dann wird Ihnen auffallen, dass die Doppelhelixstruktur zu einem Problem
führen muss. Wenn Sie eine Blase der Doppelhelix in die Länge ziehen, kommt es
automatisch zu einer Überdrillung der anderen Windungen. Hier kommen
Topoisomerasen zum Einsatz. Sie sorgen für eine Entspannung der DNA.

Ablauf im Überblick

Die Replikation beginnt mit der Initiation, bei der sich an der DNA der
Replikationskomplex bildet. Dieser Zustand ist noch recht instabil. Erst wenn ein kurzes
DNA-Stück erfolgreich synthetisiert wurde, stabilisiert sich die Struktur für die
fortlaufende Replikation. Diese wird mit der Elongation fortgesetzt, bei der beide Seiten
der DNA-Doppelhelix repliziert werden. Hier findet gleichzeitig eine erste Reparatur statt
(s.u.). Die Replikation endet mit der Termination, in der sich der Replikationskomplex
von der DNA löst und die beiden DNA-Doppelhelices freigesetzt werden.

2.3.3 Reparatur
DNA-Replikation ist ein erstaunlicher Prozess – eine sehr komplexe Maschinerie
wirkt hier zusammen, und das in verblüffender Geschwindigkeit: In einer Minute wird der
neu entstehende DNA-Einzelstrang um 2,6 kb (Kilobasen), also ca. 2.600 Basen,
verlängert. Es ist beeindruckend, mit welch einer Genauigkeit gearbeitet wird. Trotzdem
treten Fehler auf – die Fehlerrate bei der komplementären Basenpaarung liegt bei einem
Fehler je 10.000 bis 100.000 (104 - 105) Basen. Das bedeutet auf das gesamte Genom
betrachtet immerhin noch ca. 60.000 Fehler je Replikationsrunde.
22
Kapitel 2 – Was ist Leben?

Tatsächlich wird im Schnitt nur


ein Fehler pro Genom beobachtet,
da hier die Reparaturfunktion der
DNA-Polymerase greift. Es folgt
noch ein Korrekturlesen, bei dem
beispielsweise Verformungen der
DNA durch Fehlpaarungen erkannt
werden. Organismen ohne
Reparaturmechanismen weisen
deutlich höhere Fehler- und somit
Mutationsraten auf.

Ein Fehler pro Genom ist zwar


auf der einen Seite erstaunlich
wenig, auf den Organismus und die
Häufigkeit der Zellteilungen
bezogen jedoch eine ganze Menge.
Hier liegt ein Grund dafür, dass wir
altern und für einige typische
Alterskrankheiten.

Fehler treten aber nicht nur bei


der Replikation selbst auf. Auch
während der Zeit, in der die Zelle
ohne Verdopplung verharrt, kann
die DNA zum Beispiel durch UV- Abbildung 2.12: Beispiel für einen
Strahlung verändert werden. Solche Reparaturmechanismus: Exzisionsreparatur
Fehler werden durch die
Exzisionsreparatur behoben: Chemisch modifizierte Basen können erkannt, entfernt und
ersetzt werden (→ Abb. 2.12).

Die Bedeutung der DNA-


Reparatur wird deutlich, wenn wir
uns Menschen ansehen, deren
Mechanismus zur Exzisionsreparatur
gestört ist. Dies ist bei der genetisch
bedingten Krankheit Xeroderma
pigmentosum der Fall. Schäden durch
UV-Strahlung können hier nicht
behoben werden, und die Menschen
entwickeln schon nach geringer
Sonneneinstrahlung Hautver-
änderungen bis hin zum Hautkrebs
Abbildung 2.13: Xeroderma pigmentosum [12]
(→ Abb. 2.13).
23
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

3 Vom Erbgut zum Organismus


Erarbeitungshilfen

• Nennen Sie die Hauptschritte der Proteinsynthese


und ordnen Sie die Zellorganellen zu.
• Nennen Sie die Eigenschaften des genetischen Codes
und erläutern Sie sie.
• Beschreiben und erläutern Sie Transkription,
Prozessierung und Translation.
• Was besagt die Wobble-Theorie?
• Was ist ein Codon, was ist ein Anticodon?
• Was ist ein Polysom?
• Warum benötigt die RNA-Polymerase keine
Reparaturfunktion?
24
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Grundlagenwissen Enzyme
Enzyme sind Biokatalysatoren. Katalysatoren ermöglichen Reaktionen und bleiben
dabei unverändert. Die Umbauprozesse in unserem Körper können ohne Enzyme nicht
stattfinden. Das ist auch gut so, weil wir uns sonst theoretisch in einem Umfeld mit
Sauerstoff in ein Aschehäufchen verwandeln müssten. Das passiert nicht, weil
organische Substanzen metastabil sind. Das bedeutet, dass sie unter physiologischen
Bedingungen nicht unkontrolliert ablaufen. Man kann die Reaktion in Gang setzen,
indem man Energie - beispielsweise Wärme - zuführt. Die Funktion der Energiezufuhr
übernehmen in Lebewesen die Enzyme. Der Vorteil dabei ist, dass Enzyme deutlich
gezielter wirken als beispielsweise ein Feuer und dass sie in ihrer Funktion auch
reguliert werden können. Enzyme sind Strukturen, die aus einem oder mehreren
Proteinmolekülen bestehen und durch zusätzliche Gruppen ergänzt werden können.
Die wichtigsten Stellen am Enzym sind das aktive Zentrum und in den meisten Fällen
ein allosterisches Zentrum. Am aktiven Zentrum läuft die Reaktion ab, die durch das
Enzym beschleunigt bzw. ermöglicht wird. Hier wird das Substrat gebunden und
umgesetzt. Dabei werden kovalente Bindungen entweder geschlossen oder gelöst.
Welche Reaktion erfolgt, ist enzymabhängig. Das wird als Wirkungsspezifität des
Enzyms bezeichnet. Spezifisch ist auch, welches Substrat gebunden wird. Das heißt
entsprechend Substratspezifität. Das bedeutet, dass jedes Enzym an genau einem
bestimmten Substrat genau eine bestimmte Reaktion beschleunigen kann. Die
Substratspezifität kann unterschiedlich präzise sein. Manchmal können Enzyme auch
mit Substratgruppen interagieren. Am allosterischen Zentrum kann ein Molekül
binden, das nicht direkt an der Reaktion teilnimmt. Durch diese Bindung kann sich die
Struktur des Enzyms so verändern, dass es aktiviert oder deaktiviert wird.

Die einfachsten Formen am Anfang des Lebens bestanden wohl aus nicht mehr als
reiner Nukleinsäure. Sie schwammen in einem Meer, in dem die verschiedensten
Moleküle in großer Menge vorkamen und konnten sich replizieren, wenn sie auf passende
Basen trafen.

In unserer Vorstellung gehört mehr zum Leben als die reine Weitergabe des Erbgutes.
Leben ist für uns durch Organismen gekennzeichnet. Das bedeutet, dass die
Informationen des Erbgutes nicht nur für ihre eigene Wiederholung ausreichen können.
Es muss auch Informationen geben, die Bauanleitungen für den Organismus enthalten.
Wie kann aber aus so etwas Kleinem und Einförmigem wie den Nukleinsäuren ein
Organismus entstehen? Sie können sich vermutlich vorstellen, dass das ein komplizierter
Prozess sein muss, und jeder Fehler in diesem Prozess kann zu Schädigungen des
betroffenen Organismus führen.

Schlüsselelement sind die Proteine. Aufgebaut aus Aminosäuren, können sie


vielfältige Aufgaben übernehmen. Sie können selbst als Bausteine dienen, können aber
auch in Form der Enzyme als Werkzeuge und gleichzeitig als Baumeister wirken.

Die vielfältigen Funktionen können Proteine nur durch große Präzision des Aufbaus
erfüllen. Falsche Aminosäuren können wie Sand im Getriebe sein. Es gibt 20 verschiedene
Aminosäuren, die sich in ihrer Ladung und/oder der Größe der Reste unterscheiden.
25
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Werden ähnliche Aminosäuren ausgetauscht, kann das ohne Folgen für das Protein
bleiben. Werden aber Aminosäuren mit unterschiedlichen Ladungen oder Teilladungen
gegeneinander getauscht, können sich die Eigenschaften eines Proteins erheblich ändern.
Wo beispielsweise vorher eine positive Ladung an einer Aminosäure durch eine negative
Ladung an einer anderen Aminosäure angezogen wurde, kann es nun durch eine ebenfalls
negative Ladung der ausgetauschten Aminosäure zur Abstoßung kommen. Auch der
Austausch zwischen Resten, die sich in der räumlichen Struktur erheblich unterscheiden,
kann ein Protein verändern.

3.1 Proteinsynthese
Verschaffen wir uns zunächst einen Überblick über den Ablauf und die Verortung der
einzelnen Schritte der Proteinsynthese in der Zelle, bevor wir uns den Schritten im
Einzelnen zuwenden. Wir können auf dem Weg von der DNA zum Protein drei
Hauptschritte unterscheiden (→ Abb. 3.1):

1. Transkription: In der Transkription, die im Zellkern stattfindet, wird ein DNA-


Abschnitt in Prä-mRNA bzw. das Primärtranskript überführt. mRNA steht für messenger
RNA, da diese ein Bote zwischen dem Zellkern und dem Cytoplasma ist.

2. Prozessierung: Der zweite Schritt ist das Zurechtschneiden der Prä-mRNA an


sogenannten Spleißosomen. Auch dieser Prozess findet im Zellkern statt. Erst dann
verlässt die Information als mRNA zur Proteinsynthese den Kern und gelangt in das
Cytoplasma.

3. Translation: In der Translation wird die Information aus der Basensequenz in eine
Aminosäuresequenz umgeschrieben.
26
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Abbildung 3.1: Proteinsynthese in Eukaryoten

3.1.1 Der Ablauf im Einzelnen


Transkription im Zellkern

Als Transkription wird der Prozess bezeichnet, in dem die DNA in RNA überführt wird
(→ Abb. 3.2). Es gibt verschiedene Formen von RNA mit unterschiedlichen Funktionen,
die Sie im Weiteren kennenlernen werden (mRNA, tRNA, rRNA, snRNA usw.). Die RNA-
Synthese erfolgt mithilfe von DNA-abhängigen RNA-Polymerasen.
27
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Abbildung 3.2: Transkription

Initiation: Die Transkription beginnt an sogenannten Initiationsstellen. Wie


kompliziert es ist, diese richtig und zum richtigen Zeitpunkt zu erkennen, sehen Sie schon
daran, dass am Transkriptionsstart eine Vielzahl verschiedener Transkriptionsfaktoren
beteiligt ist bzw. sein kann. Im menschlichen Genom finden wir ca. 2000. Die
Transkriptionsfaktoren ermöglichen der RNA-Polymerase, in Kontakt mit der DNA zu
treten. Sie lagert sich zwischen die beiden DNA-Stränge, wobei der enzymatisch aktive
Bereich dem gerade abgelesenen – codogenen – Strang zugewandt ist, während der
andere Strang über den Rücken des Enzyms geführt wird. Die DNA wird dabei nur über
kurze Abschnitte geöffnet. Der Start der RNA-Synthese benötigt – im Gegensatz zur DNA-
Synthese – keinen Primer.

Elongation: Die RNA-Polymerase fährt den DNA-Strang entlang und verbindet die
Basen, die sich komplementär an der DNA angelagert haben. Dabei werden hier nur
Nukleotide verwendet, die Ribose - nicht Desoxyribose wie bei der Replikation - als
Zucker aufweisen. Komplementär zu Adenin ist bei der RNA-Synthese die dem Thymin
sehr ähnliche Base Uracil. Die Kettenverlängerung erfolgt am 3'-OH-Ende – das kennen
Sie schon von der Replikation.
28
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Bei der Transkription gibt es keine Korrekturmechanismen. Fehler bleiben somit im


Transkript erhalten.

Das Primärtranskript ist ebenso wie alle daraus entstehenden RNA-Formen recht
kurzlebig. Seine Informationen werden nicht innerhalb einer Zelllinie weitergegeben.
Außerdem wird RNA in einer entsprechenden Stoffwechselsituation immer wieder neu
gebildet, während die DNA nur jeweils einmal bei der Replikation verdoppelt wird. Eine
fehlerhafte RNA hat daher deutlich weniger Folgen als eine fehlerhafte DNA, so dass sich
keine aufwändigen Reparaturmechanismen herausgebildet haben.

Termination: Die entstehende RNA bindet zu keinem Zeitpunkt an die DNA – die
wachsende Nukleinsäurekette ragt von der DNA weg. Am Terminationspunkt wird sie
vollständig freigesetzt. Das Produkt der RNA-Polymerase ist bei Eukaryoten immer ein
Primärtranskript. Das bedeutet, dass die entstandene Nukleinsäurekette immer noch
bearbeitet wird, bevor sie ihre Funktionen übernehmen kann.

Prozessierung im Zellkern

Die Umformung des Primärtranskripts in die funktionsfähige RNA-Form bezeichnet


man als Prozessierung bzw. Processing (→ Abb. 3.3). Auch dieses findet im Zellkern statt.
Wir schauen es uns am Beispiel der Bildung von mRNA an.

Das Primärskript hat ein 3'-OH- und ein 5'-Phosphat-Ende. Beide Enden werden vor
Abbau geschützt: Am 3'-Ende wird ein sogenannter Poly-A-Schwanz angehängt, dieser
besteht aus bis zu 200 Adenylresten. Am 5'-Ende wird eine Nukleinsäuresequenz
angehängt, die als Cap (Kappe) bezeichnet wird. Diese schützt nicht nur das Ende der
mRNA vor Abbau, sondern hilft auch bei der späteren Bindung an die Ribosomen.

Abbildung 3.3: Processing


29
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Nachdem das Primärtranskript vor Abbau geschützt wurde, geschieht das


Wesentliche – das Spleißen (→ Abb. 3.4). Wenn Sie sich vor Augen führen, dass der
Komplex für den Spleißprozess etwa ebenso groß wie ein Ribosom ist, wird klar, dass der
Prozess von Bedeutung sein muss. Das sogenannte Spleißosom besteht aus ca. 100
Proteinen und einer bestimmten Sorte RNA – der snRNAs (small nuclear RNA).
Tatsächlich ist das Spleißen ein so komplexer Vorgang, dass wir ihn an dieser Stelle nur
rudimentär und nur am Beispiel der Entstehung von mRNA vorstellen können.

Ein Primärtranskript ist deutlich länger als die fertige mRNA. Die Bereiche, die
entfernt werden, bezeichnet man als
Introns – sie sind zwischen die
Information gefügt. Die Bereiche, die
verbleiben, sind Exons – Bereiche, die
später exprimiert werden. Vielleicht
können Sie sich das auch damit merken,
dass diese Bestandteile zur Translation
aus dem Zellkern exportiert werden.

Das eigentliche Schneiden wird von


den snRNAs übernommen, die an
sogenannten Consensussequenzen
zwischen Introns und Exons binden. Die
Struktur wird im Spleißosom stabilisiert,
so dass die entstehenden Enden
zusammengefügt werden können. Ein
Primärtranskript kann Ansatzstellen für
alternative Spleißprozesse bieten, und
eine mRNA kann aus Transkripten von
Abbildung 3.4: Spleißen
verschiedenen DNA-Strängen entstehen.

Die Bedeutung, die das Spleißen auf dem Weg von der Erbinformation zum
Organismus hat, wird deutlich, wenn man sich anschaut, dass es Erbkrankheiten wie die
spinale Muskelatrophie gibt, die auf inkorrekte Spleißstellen zurückzuführen sind. Hinzu
kommt, dass beim Spleißen einzelne Basen verloren gehen können. 15% der Ein-Basen-
Mutationen, die genetisch bedingte Krankheitsbilder zur Folge haben, entstehen so.
30
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

3.1.2 Translation im Cytoplasma


Die fertige mRNA verlässt den Zellkern und gelangt in das Cytoplasma, wo die
eigentliche Bildung der Proteine an den Ribosomen – entweder frei im Cytoplasma oder
am rauen Endoplasmatischen Retikulum – erfolgt. Bevor wir uns der eigentlichen
Translation zuwenden, müssen wir uns allerdings noch zwei Strukturen ansehen – die
transfer-RNA (tRNA) und die Aminoacyl-tRNA-Synthetase.

tRNA: Das Übersetzungsmolekül zwischen Nukleinsäure und Aminosäuren ist


wiederum eine RNA. Bei dieser RNA handelt es sich um die tRNA – transfer-RNA. Diese
verfügt über ein exponiertes Basentriplett. Es wird als Anticodon bezeichnet, weil es zu
einem Codon (→ Abb. 3.5) der mRNA passt. Die
tRNA wird durch doppelsträngige Bereiche
stabilisiert und bildet die sogenannte
Kleeblattstruktur.

Neben dem Anticodon fällt noch eine Art


herausragender Schwanz am
gegenüberliegenden Ende auf. Dies ist die
Bindungsstelle für die Aminosäure. An eine
tRNA mit einem spezifischen Anticodon wird
immer die gleiche Aminosäure gebunden. So
erfolgt die Zuordnung zwischen Basentriplett
und Aminosäure. Diese Zuordnung wird von den
Aminoacyl-tRNA-Synthetasen übernommen.
Diese Enzyme haben zwei Bindungsstellen: An
der einen bindet eine spezifische tRNA und an
der anderen bindet eine Aminosäure. Die
Enzyme sorgen für eine kovalente Bindung
zwischen tRNA und Aminosäure, die Abbildung 3.5: tRNA
entstehenden Moleküle heißen Aminoacyl-
tRNA.
31
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Initiation: Die Hauptkomponenten der Translation sind die mRNA und die
Ribosomen, welche aus zwei Untereinheiten bestehen. Das Cap-Ende der mRNA
ermöglicht den Kontakt zur kleinen Untereinheit der Ribosomen, wobei das Startcodon
an die P-Bindungsstelle des Ribosoms gelangt (→ Abb. 3.6). „P“ steht hier für „Peptidyl“ -
an der P-Stelle ist die wachsende Polypeptidkette gebunden. An dieser Stelle kann nur ein
wachsendes Peptid gebunden werden, daher wird für den Start eine spezielle Initiator-
Aminosäure benötigt. An die mRNA in der P-Stellung bindet die tRNA mit einem speziellen
Initiator-Methionin. Erst dann wird das Ribosom durch die große Untereinheit
komplettiert.

Abbildung 3.6: Initiation der Translation

Neben der Peptidbindungsstelle gibt es noch die A-Bindungsstelle („A“ steht für
„Aminoacyl“), an der neue Aminoacyl-tRNAs ankommen, und eine E-Stelle („E“ steht für
„Exit“), an der entladene tRNAs entlassen werden. Die Ribosomen bestehen aus Proteinen
und ribosomalen Ribonukleinsäuren (rRNAs). Dabei kommt den verschiedenen rRNAs
die eigentliche enzymatische Funktion zu.

Elongation: Sie wissen, dass die mRNA durch die verschiedenen Enden eine Polarität
hat. Diese ist wichtig, da die transportierte Information nur in eine Richtung gelesen einen
Sinn ergibt. Bei der Ablesung wird die richtige Richtung dadurch eingehalten, dass das
Cap-Ende in Kontakt mit dem Ribosom tritt. Die mRNA wird von 5' nach 3' abgelesen,
wobei die Peptidyltransferase für die Bildung der Peptidbindung zwischen den
32
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Aminosäuren verantwortlich ist. Zeitgleich mit der Peptidbindung wird die wachsende
Peptidkette aus der P-Stelle auf die tRNA an der A-Stelle transferiert. So wird die tRNA auf
der P-Stelle frei und rückt von der P-Stelle auf die E-Stelle. Die wachsende Peptidkette
wird von der A- auf die P-Stelle verschoben, die nächste tRNA kann an der A-Stelle binden.
Die tRNA an der Exit-Stelle löst sich. Dieser Prozess wiederholt sich so lange, bis die
Information vollständig in eine Proteinkette umgesetzt wurde (→ Abb. 3.7).

Abbildung 3.7: Vorgänge am Ribosom bei der Translation


33
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Termination: Das Ende der Translation wird durch Stoppsignale eingeleitet. Diese
Signale sind ganz einfach Codons, für die es keine passende tRNA gibt – die Translation
muss also abbrechen. Meist gibt es zwei Stoppsignale hintereinander, so dass die Gefahr
verringert wird, dass ein Ribosom über eine solche Leerstelle hinweggleitet. Dadurch,
dass die A-Stelle nicht besetzt wird, werden Terminations- bzw. Freisetzungsfaktoren
(release factors) aktiviert, die zum Kettenabbruch führen. Die Peptidkette wird von der
letzten tRNA gelöst, und diese verlässt den Komplex (→ Abb. 3.8).

Abbildung 3.8: Termination der Translation

Mehrere Ribosomen können gleichzeitig eine mRNA translatieren. Das beschleunigt die
Proteinsynthese. Bei einer solchen Kette sprechen wir von einem Polysom oder
Polyribosom.

3.1.3 Der genetische Code


Das Prinzip des Übergangs von einer Basensequenz in eine Aminosäuresequenz
müssen wir uns etwas genauer ansehen. Bislang kennen Sie den Übergang von einer
Nukleinsäurekette in eine andere. Dabei erfolgt die Umschreibung immer auf der Basis
von komplementärer Basenpaarung. Einen solchen Zusammenhang gibt es zwischen
Basen und Aminosäuren nicht. Die Übersetzung muss hier also komplizierter sein.
Deshalb sprechen wir hier auch von einem Code, weil die „Sprache“ der Basen in die
„Sprache“ der Aminosäuren überführt werden muss.

Zunächst müssen wir feststellen, dass es 4 verschiedene Basen, aber 20 verschiedene


Aminosäuren gibt. Eine direkte Zuordnung ist also nicht möglich. Es müssen mindestens
3 Basen für eine Aminosäure stehen, um genügend Variationsmöglichkeiten zu erhalten.
34
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

Tatsächlich codiert immer ein Basentriplett für eine Aminosäure. Heute ist gut
bekannt, welche Tripletts für welche Aminosäure codieren. Sie können dies der
Codesonne entnehmen (→ Abb. 3.9). Vielleicht stolpern Sie bei der Betrachtung der
Codesonne darüber, dass die Base Thymin nicht vorkommt und stattdessen das U für
Uracil enthalten ist. Sie haben schon gelernt, dass in der RNA Uracil an die Stelle von
Thymin tritt, und so ist klar, dass Sie in der Codesonne keine DNA-Tripletts, sondern RNA-
Tripletts sehen. Das ist sinnvoll, weil die DNA, die bei der Translation (Übersetzung von
Nukleinsäure in Proteine) gut geschützt im Zellkern liegt, ja keine Rolle mehr spielt.

Abbildung 3.9: Codesonne

Es gibt vier grundlegende Eigenschaften des genetischen Codes, die Sie sich
merken müssen: Der genetische Code ist nahezu universell, degeneriert, kommafrei und
nicht überlappend.

Nahezu universell: Der genetische Code gilt so wie für den Menschen auch für
nahezu alle anderen Organismen. Es gibt nur einige wenige Ausnahmen, die für Sie nicht
von Bedeutung sind.

Degeneriert: Wenn Sie sich die Codesonne ansehen, stellen Sie fest, dass es eine
Reihe von Aminosäuren gibt, die unterschiedlichen Tripletts zugeordnet sind. Während
der Pfad von den Tripletts immer eindeutig zu einer bestimmten Aminosäure führt, kann
35
Kapitel 3 – Vom Erbgut zum Organismus

man umgekehrt nicht von einer Aminosäure eindeutig auf das zugrunde liegende Triplett
schließen.

Kommafrei und nicht überlappend: Diese beiden Eigenschaften beziehen sich


darauf, wie die Basen in der Nukleinsäure bei der Entstehung der Proteinkette abgelesen
werden. Kommafrei bedeutet, dass ein Triplett nach dem anderen abgelesen wird, dass es
keine zwischengeschalteten Basen gibt, die die Tripletts trennen, wie Kommata die Worte
eines Satzes. Nicht überlappend bedeutet, dass jede Base in nur einem Triplett genutzt
wird. Das bedeutet, dass die Maschinerie zur Proteinsynthese wandert immer in
kompletten Dreiergruppen an der Nukleinsäure entlang.

Wobble

Abschließend müssen wir uns noch eine Besonderheit ansehen. Der genetische Code
ist degeneriert, und mit einem genaueren Blick auf die Translation können wir das auch
verstehen.

Das Anticodon der tRNA nimmt Kontakt zum Codon auf der mRNA auf. Diese Bindung
beruht wieder einmal auf komplementärer Basenpaarung. Untersuchungen haben
gezeigt, dass hier die beiden ersten Basen deutlich wichtiger sind als die dritte. Die dritte
Stelle wird als Wobble-Position bezeichnet. Hier ist die Basenpaarung flexibler, so dass
die Basen sozusagen wackeln – Wobble ist der englische Begriff dafür. So kann sich eine
tRNA mit ihrem Anticodon an verschieden Codons anlagern, auch wenn die dritte Position
nach der komplementären Basenpaarung nicht passen würde.

Vergleichen Sie diese Information einmal mit der Codesonne (→ Abb. 3.9). Sie werden
feststellen, dass tatsächlich die ersten beiden Basen des Tripletts immer einen klaren Pfad
zur Aminosäure darstellen, und dass es Unterschiede nur in der dritten Position gibt.
36
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

4 Die Zelle als Grundbaustein des


(zellulären) Lebens
Erarbeitungshilfen

• Die → Abb. 4.1 hilft Ihnen, die Zellbestandteile zu


ordnen.
Ergänzen Sie die Organellen mit einfacher und mit
Doppelmembran.
• Füllen Sie die → Tabelle 4.1 am Ende des Kapitels,
S. 57, aus.
• Sie sollten die Bestandteile des Cytoskeletts mit ihren
Bausteinen nennen, sie der Größe nach sortieren und
Funktionen zuordnen können.
• Unterscheiden Sie Euchromatin und
Heterochromatin. Worin liegt der funktionelle
Unterschied?
• Was ist ein Nucleolus und was sind seine
Komponenten?
• Erläutern Sie die Gewöhnung an Barbiturate.
37
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

Wir haben die Erbsubstanz und die Biomembran als Charakteristika zellulären
Lebens kennengelernt. Abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten können Zellen sehr
unterschiedlich aussehen, verschiedene Funktionen übernehmen und einzeln oder als
Vielzeller organisiert vorkommen.

Grundbaustein der Menschen ist die tierische eukaryotische Zelle, deren Funktionen
wir verstehen müssen, bevor wir uns ihr Zusammenwirken im Gesamtorganismus
ansehen können. → Abbildung 4.1 zeigt ein zusammenfassendes Schema tierischer Zellen.
Keine Zelle sieht tatsächlich so aus, aber wir können uns daran alle für uns wichtigen
Bestandteile ansehen.

Grundsätzlich unterscheiden wir eukaryotische und prokaryotische Zellen.

Eukaryotische Zellen sind deutlich komplexer aufgebaut als prokaryotische.

Vor allem fällt auf, dass bei Eukaryoten – im Gegensatz zu Prokaryoten – der
Innenraum in verschiedene Räume unterteilt ist. Diese bezeichnet man als
Kompartimente.

Alle eukaryotischen Zellen sind im Inneren gegliedert, das gilt für Pflanzen und Pilze
genauso wie für tierische Zellen.

Wir wollen uns hier auf die tierischen Zellen beschränken, da es für Sie als angehende
Mediziner nicht so wichtig ist, den Aufbau der Pflanzenzelle zu kennen. Auf die Pilze als
potentielle Pathogene kommen wir allerdings noch zurück.

Sie sollen nun zuerst einen Überblick über die Zelle bekommen. Betrachten Sie das
bitte so wie bei einem Touristen, der sich anhand des Stadtplans über die Stadt, die er
besuchen will, informiert. Zunächst schaut er sich an, wo was liegt und liest die
Kurzinformationen zu den Sehenswürdigkeiten. Wenn er dann an Ort und Stelle ist, kann
er diesen Überblick mit deutlich mehr Inhalt füllen und sich so auch besser merken.

Grundsätzlich gilt, dass die Zelle die kleinste lebensfähige Einheit mit Membran ist.
Dies gilt von der Anlage her auch für die Zellen unseres Körpers, auch wenn der Grad der
jeweiligen Differenzierung die Überlebensfähigkeit der Einzelzelle dem Leben des
Gesamtorganismus untergeordnet ist. Das geht sogar so weit, dass bei der Reifung der
Erythrozyten der Zellkern abgestoßen wird.

Die Grundsubstanz der Zelle ist das Cytoplasma, dessen flüssiger Bestandteil als
Cytosol bezeichnet wird. Das Cytoplasma wird von der Membran nach außen abgegrenzt.
Es umfasst das Cytosol und alle Kompartimente außer dem Zellkern.

Da ist zunächst der für Eukaryoten namensgebende Zellkern. Er ist von einer
Doppelmembran umgeben und enthält die Chromosomen mit der DNA. Er ist das
Informationszentrum der Zelle.
38
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

Die Bauanweisungen verlassen die Zelle und gelangen zum Endoplasmatischen


Retikulum. Hierbei handelt es sich um ein schlauchförmiges Netzsystem, das in zwei
Bereiche unterteilt werden kann – das raue (rough) und das glatte (smooth)
Endoplasmatische Retikulum (rER, sER). Die Membran des Zellkerns geht in das System
des ERs über.

Am rER werden die Informationen aus dem Zellkern in Proteinen umgesetzt. Rau
wird das ER durch Ribosomen, die die Maschinen der Proteinsynthese sind. Es gibt im
Cytosol auch freie Ribosomen, die ebenfalls der Proteinsynthese dienen.

Eine wichtige Aufgabe des sER ist die Synthese von Membranlipiden, durch die das
ER auch wächst.

Der aus dem ER hervorgehende Golgi-Apparat ist dem ER in der Struktur recht
ähnlich. Auch hier finden wir Stapel aus flachen Membranzisternen – die Sacculi, die
allerdings nicht zu einem Netzwerk verbunden sind, sondern als Stapelhaufen
(Dictyosomen) vorliegen. Ihre Membran erhalten sie durch Vesikeltransport vom ER. Hier
erhalten einige der Produkte des ER ihren Feinschliff, bevor sie an ihre Funktionsorte
verteilt werden.

Für die Verteilung spielt das Cytoskelett eine wichtige Rolle. Vom Golgiapparat
werden unter anderem Lysosomen abgeschnürt, die eine wesentliche Komponente des
Verdauungssystems der Zelle darstellen.

Außerdem werden kleine Membranbläschen, sogenannte Vesikel, abgeschnürt, die


beispielsweise Sekrete zur Zellmembran bringen, wo sie nach außen abgegeben werden
können.

Transportvorgänge vom ER über den Golgiapparat und die Vesikel zur Zellmembran
sind vom Transport von Lipiden begleitet. Zellorganellen erhalten die für ihr Wachstum
benötigten Lipide auf diesem Weg. Daher zählt man diese Organellen auch zum
Endomembransystem.

Es gibt mit den Mitochondrien und den Peroxisomen noch zwei wichtige Organellen,
die allerdings nicht zum Endomembransystem gehören, sie sind nicht an den Lipidfluss
über Vesikel angebunden.

Peroxisomen sind sphärische membranumgrenzte Organellen. Sie dienen der


Entgiftung.

Mitochondrien sind fadenförmige bis sphärische Organellen, die im Cytoplasma


verteilt sind. Auffällig ist, dass sie – wie der Zellkern – über eine doppelte Membran
verfügen und außerdem eigenständige, ringförmig organisierte DNA aufweisen.

Mitochondrien nutzen Sauerstoff zur Energiegewinnung. Sie werden als Kraftwerke


der Zelle bezeichnet.
39
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

Abbildung 4.1: Tierische Zelle [6]


40
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

4.1 Cytosol - Puffersystem und Syntheseort


Das Cytoplasma umfasst das gesamte Innere der Zelle. Es wird vom Plasmalemma
nach außen abgegrenzt. Der flüssige Anteil des Cytoplasmas ist das Cytosol. In diesem sind
eine Vielzahl chemischer Substanzen gelöst. Es schafft ein Puffersystem für Ionen, die oft
in einem engen Rahmen reguliert werden müssen. Hervorzuheben sind dabei die
Calciumionen (Ca2+), denen eine wichtige Funktion in Regulationsprozessen zukommt,
und die Magnesiumionen (Mg2+), die eine Funktion als Kofaktoren für eine Reihe von
Enzymen haben.

Außerdem finden im Cytoplasma eine Reihe von Aufbau- und Abbauprozessen statt.
Aufgebaut werden u.a.:

• Aminosäuren
• Fettsäuren
• Nukleotide
• Glykogen
• Proteine (an den Ribosomen)

Abgebaut werden:

• Einfachzucker (Glykolyse).
41
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

4.2 Der Zellkern - Informationszentrum


Zentrales Element der eukaryotischen Zelle ist der namensgebende Zellkern
(→ Abb. 4.2). Der Durchmesser des Zellkerns liegt bei ca. 5 μm. Seine äußere Hülle ist eine
Doppelmembran (also zwei Lipiddoppelschichten), die das Kernplasma mit der DNA
einschließt. Im Unterschied zur Zellmembran (Plasmalemma) fallen bei der Kernhülle
vergleichsweise große Porenkomplexe auf. Diese sind ein Hinweis darauf, dass ein reger
Transport zwischen Kern und Cytoplasma stattfindet. Aus dem Kern heraus werden
Ribosomenuntereinheiten und mRNA als Transportform der Erbsubstanz transportiert,
während umgekehrt im Cytoplasma gebildete Proteine in den Kern hineingelangen
müssen. Der Transport von größeren Molekülen wird von Importinen und Exportinen
unterstützt. Dabei handelt es sich um lösliche Transportproteine, die zwischen Proteinen
im Kernporenkomplex auf der einen Seite und Kernlokalisations-Signalen an den zu
transportierenden Proteinen auf der anderen Seite vermitteln.

Abbildung 4.2: Zellkern [6]

Im Inneren liegt der Kernhülle eine Lamina an. Diese ist an der Stelle der Kernporen
unterbrochen. Sie besteht aus Laminen, bei denen es sich um einen Typus von
Intermediärfilamenten handelt. Die Lamine übernehmen eine wichtige Funktion bei der
Organisation der Chromosomen. Diese heften an der Lamina an.
42
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

Von den Chromosomen ist bei intaktem Zellkern nicht viel zu sehen. Sie können
lediglich hellere und dunklere Bereiche ohne klare Struktur unterscheiden. Diese werden
Euchromatin und Heterochromatin genannt. Die Namensgebung ist auf Zeiten zurück
zuführen, in denen Unterscheidungen meist mit Färbemethoden getroffen wurden. Die
Chromosomen wurden so genannt, weil sie leicht anfärbbare Strukturen sind. Ihre
Substanz ist entsprechend das Chromatin. Als Euchromatin bezeichnet man den Bereich,
der bei einer Färbung weniger Farbe aufnahm; als Heterochromatin den Bereich, der
stärker gefärbt erschien. Für Sie ist es wichtig zu wissen, dass im Heterochromatinbereich
das Chromatin und damit die DNA dichter gepackt ist und so nur eingeschränkt
zugänglich ist, während im Euchromatin die DNA aufgelockerter vorliegt. Nur in
aufgelockerten Bereichen ist es möglich, die Information, die in der DNA verschlüsselt ist,
abzulesen.

Eine auffällige Struktur im Zellkern ist das Kernkörperchen, der Nucleolus, dessen
Größe vom Aktivitätszustand der Zelle abhängig ist. Hier werden die
Ribosomenuntereinheiten gebildet, die im Cytoplasma zur Proteinbiosynthese gebraucht
werden. Entsprechend werden mehr Ribosomenuntereinheiten benötigt, wenn der
Stoffwechsel einer Zelle besonders aktiv ist. Im Zellkern können ein oder auch mehrere
Nucleoli vorliegen. Der Nucleolus ist nicht von einer eigenen Membran umgeben.

Der Nucleolus besteht aus drei Komponenten:

• Nucleolus-Organisator-Regionen (NOR): Dabei handelt es sich um DNA-


Abschnitte, die die Informationen zur Bildung der ribosomalen RNA tragen
und in Chromatinschleifen organisiert sind.
• Fibrilläres Material: Hier sind ribosomale Proteine gebunden, die aus dem
Cytoplasma in den Kern importiert wurden.
• Granuläres Material: Hier finden sich fertige und unfertige ribosomale
Untereinheiten.
43
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

4.3 Endoplasmatisches Retikulum


Die äußere Kernmembran geht in das endoplasmatische Retikulum über. Dieses ist
ein netzförmiges Schlauchsystem aus gefalteter Membran, das in einen rauen (rough, rER)
und einen glatten Teil (smooth, sER) unterschieden wird (→ Abb. 4.3).

4.3.1 rER – Translation und Modifikation


Das rER erscheint im
elektronenmikroskopischen Bild getüpfelt. Hier
sind Ribosomen gebunden, an denen
Proteinsynthese (sekretorische Proteine,
Membranproteine, Lysosomproteine) stattfindet.
Die produzierten Proteine werden schon
während der Synthese (co-translational) in das
Lumen (den Innenraum) des ER transportiert
oder in die Membran eingebaut. Eine
Schlüsselfunktion nehmen hier
Signalerkennungspartikel ein. Diese liegen frei
im Cytoplasma vor, bis an einem Ribosom ein
Protein gebildet wird, das eine spezifische
Erkennungssequenz aufweist. Das
Signalerkennungspartikel bindet an diese
Sequenz und an das Ribosom und stoppt damit
die Translation, bis der Komplex an einem
Rezeptor auf der ER-Membran gebunden hat.
Dann wird die Translation zu Ende geführt.

Die Proteine können auch posttranslational


verändert werden. Im rER selbst finden
Hydroxylierungen und N-Glykosylierungen statt.
Abbildung 4.3: Endoplasmatisches
Außerdem können Disulfidbrücken ausgebildet
Retikulum [6]
werden. Die Hydroxylierungen benötigen
Ascorbinsäure, so dass sich ein Vitamin-C-Mangel Oben eine schematische Darstellung,
auswirken kann. Es kann zu Störungen der unten eine elektronenmikroskopische
Aufnahme
Kollagensynthese kommen, in der die
Hydroxylierungen eine wichtige Rolle spielen. So können Störungen am rER die Ursache
für Skorbut sein.
44
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

4.3.2 sER – Stoffwechsel und Speicherort


Das glatte ER ist an verschiedenen Stoffwechselprozessen beteiligt. Wesentlich ist die
Lipidsynthese. Diese liefert auch die Bestandteile für die Synthese des sERs. So wächst
es röhrenförmig aus dem rER heraus. Die Enzyme zur Lipidsynthese befinden sich an der
dem Cytosol zugewandten Seite, die sich daher zuerst vergrößert. Flippasen übernehmen
den Transport von Lipiden auf die andere Seite, da Lipide aufgrund der
Polaritätsverhältnisse nur selten selbst auf die andere Seite der Lipiddoppelschicht
wechseln können. Da die Flippasen unterschiedliche Lipide verschieden oft
transportieren, unterscheiden sich die Lipidschichten.

Die Lipidsynthese ist gut an den Epithelzellen des Dünndarms zu erkennen. Im


Dünndarm werden Nahrungsfette aufgespalten. Die Bausteine, Glycerin und Fettsäuren,
können von den Epithelzellen aufgenommen werden. Dort werden die Lipide wieder neu
zusammengesetzt, so dass im glatten ER Fetttröpfchen zu erkennen sind. Solche
Fetttröpfchen werden in den Fettzellen gespeichert. Wenn Fetttröpfchen in Leberzellen
zu erkennen sind, so ist dies ein Zeichen von krankhafter Überfettung.

Das sER ist besonders gut in Zellen ausgebildet, die Steroide synthetisieren, also in
der Nebennierenrinde und den Keimdrüsen. Auch in der Leber finden wir einen großen
sER Anteil, denn Leberzellen sind die einzigen Stellen im Körper, die Cholesterin bilden.

Eine weitere Funktion des glatten ER ist die Speicherung von Ca2+-Ionen. Diese ist
besonders in den Muskelfasern der quergestreiften Muskulatur ausgeprägt, in denen Ca2+
wesentlich für die Funktionalität ist. Dort finden wir mit dem sarkoplasmatischen
Retikulum eine Sonderform des glatten ER.

Andere Zellen speichern im sER Glykogen, das den Zellen als Energiereserve dient.
Die Vorräte sind in ständigem Auf- und Abbau (Glykogenspeicherung und
Gluconeogenese), woran eine Reihe von Enzymen beteiligt ist. Es können
unterschiedliche Defekte an verschiedenen Enzymen und in unterschiedlichen Zellen
auftreten, so dass im Klinischen verschiedene Krankheitsbilder zu unterscheiden sind.
Alle werden zusammengefasst als Glykogenspeicherkrankheiten bezeichnet.

Abgesehen von Aufbau und Speicherung hat das sER besonders in der Leber auch eine
besondere Funktion für die Abfallbeseitigung der Zelle. Menschen nehmen Stoffe auf
oder produzieren sie selbst, deren Abbauprodukte sie nicht direkt ausscheiden können.
Bei fremd aufgenommenen Stoffen spricht man allgemein von Xenobiotika. Diese Stoffe
müssen zunächst verändert werden, um dann abgegeben werden zu können. Würden sie
sich ansammeln, könnte dies tödliche Folgen für den Organismus haben.

Als Beispiel seien Barbiturate genannt. Durch Anheftung einer Hydroxylgruppe


werden diese besser löslich gemacht, so dass sie leichter aus dem Körper entfernt werden
können. Gleichzeitig beschleunigen Barbiturate die ER-Bildung, wodurch wiederum mehr
Barbiturate abgebaut werden können. Dies bewirkt eine Gewöhnung an diese
45
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

Beruhigungsmittel, so dass die benötigte Dosis immer höher wird. Hier sehen wir einen
Prozess, der uns besonders gut nachvollziehen lässt, wie Abläufe evolutionär entstehen,
die wir aus unserer heutigen Sicht als nachteilig bewerten würden.

Das Problem mit der Entgiftung geht auch noch einen Schritt weiter. Natürlich ist es
sinnvoll, dass Giftstoffe so umgewandelt werden, dass sie ausgeschieden werden können.
Da es eine Vielzahl von Giftstoffen geben kann, müssen die Entgiftungsfunktionen relativ
unspezifisch sein. Die Anheftung von OH-Gruppen, um die Stoffe besser löslich zu machen,
entspricht diesem Kriterium. Leider ist es so, dass dieser Mechanismus auch seine
Kehrseite hat. Das Gift Aflatoxin des Schimmelpilzes Aspergillus, den Sie als pelzigen
Flaum auf Nahrungsmitteln kennen, ist für den Menschen eigentlich gar kein Gift – es wird
erst durch eine solche Hydroxylierung aktiviert und so zu einem hochwirksamen
Karzinogen. Da die Entgiftungsfunktion vor allem in der Leber geschieht, ist das Aflatoxin
ein Leber-Karzinogen.

4.4 Ribosomen - Translation


Ribosomen sind Komplexe aus Proteinen und rRNA. Sie haben keine Membranhülle.
Sie liegen entweder im Cytoplasma frei vor oder sind an das raue ER gebunden. Sie haben
Sie bereits als Maschinerie der Translation kennengelernt. Ribosomen können
ausschließlich Aminosäuren verküpfen. An den freien Ribosomen entstehen daher auch
reine Proteine. Proteine, die nach ihrer Bildung noch modifiziert werden, können nur an
den Ribosomen am ER gebildet werden. Wo sie direkt im ER weiter verarbeitet werden.
Wenn sich mehrere Ribosomen an einer mRNA sammeln, spricht man von einem
Polyribosom oder Polysom.

Abbildung 4.4: Ribosomen [6]


46
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

4.5 Golgi-Apparat
Während das ER auf der einen Seite in die Membran des Zellkerns übergeht, werden
auf der anderen Seite kleine Bläschen – Vesikel – abgeschnürt, in denen Materialien aus
dem ER weiter transportiert werden. Sie gelangen zum größten Teil zu der nächsten
Struktur, die wir uns ansehen wollen.

Abbildung 4.5: Golgi-Apparat [6]

Der Golgi-Apparat ist dem ER in der Struktur recht ähnlich. Auch hier finden wir
Stapel aus flachen Membranzisternen – die Sacculi, die allerdings nicht zu einem
Netzwerk verbunden sind, sondern als Dictyosomen (Stapelhaufen) vorliegen. Ihre
Membran erhalten sie durch Vesikeltransport vom ER.

Je nach Zelltyp kommen unterschiedlich viele Golgi-Apparate in der Zelle vor. In


sekretorischen Zellen, das sind Zellen, die verschiedene Stoffe/Sekrete abgeben, finden
wir die meisten Typen von Golgi-Apparaten. Der Golgi-Apparat ist eine Art Umschlagplatz,
an dem Waren nicht nur ankommen und an ihre endgültigen Ziele (Plasmamembran,
Endosomen, Vakuolen und Lysosomen) verteilt, sondern auch noch verändert und
angepasst werden.

Der Golgi-Apparat weist eine cis-trans-Polarität auf. An der cis-Seite wird das Material
aus dem ER angeliefert. Dort beginnt dann die chemische Modifizierung. Dabei handelt es
sich vor allem um Abänderungen von Oligosacchariden, die bereits im ER kovalent an
Proteinmoleküle angeheftet wurden. Auch Lipide können im Golgi-Feld mit Zuckerketten
47
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

versehen werden. Diese vielen verschiedenen Oligosaccharidketten erfüllen


wahrscheinlich Signalfunktionen. Als Bestandteile der Glykokalix (s.u.) dienen sie z.B. den
Zellen eines Gewebes dazu, sich gegenseitig zu erkennen. Andererseits bekommen
bestimmte Glykoproteine Phosphat an ihre Oligosaccharide angeheftet und werden
dadurch zum spezifischen Weitertransport markiert. Das Leitenzym des Golgi-Apparates
ist die Galaktosyl-Transferase.

Vom trans-Golgi-Netz werden wieder Vesikel abgeschnürt. Ihr weiteres Schicksal


hängt davon ab, ob ihre Membran bestimmte Signalmoleküle enthält. Vesikel ohne
Signalmoleküle verschmelzen einfach mit der Zellmembran und entleeren ihren Inhalt in
die Umgebung der Zelle. Die Vesikelmembran wird dabei neuer Bestandteil der
Zellmembran. Viele Sekrete, z.B. Schleimstoffe der Epithelien, werden in dieser Weise
ohne weitere Kontrolle nach außen abgegeben. Eine Reihe von Sekreten, z.B. Hormone
und Verdauungsenzyme, werden in sekretorischen Vesikeln in der Nähe der Zellmembran
zwischengelagert. Sie entleeren ihren Inhalt erst auf einen von außen kommenden Reiz
hin.

Ein dritter Typ von Kompartimenten, die vom trans-Golgi-Netz abgeschnürt werden,
enthält Verdauungsenzyme, die innerhalb der Zelle wirken sollen. Diese Kompartimente
werden primäre Lysosomen genannt.

4.6 Lysosomen - Verdauung


Lysosomen sind, da sie als Vesikel vom Golgi-Apparat abgegeben wurden, von einer
Membran umgeben. Sie enthalten etwa 40 verschiedene Verdauungsenzyme, die sehr
unterschiedliche Substrate zerlegen: Proteine, Polysaccharide, Nukleinsäuren, Lipide
usw. Allen Verdauungsenzymen gemeinsam ist, dass sie in saurem Milieu aktiv sind – ihr
pH-Optimum liegt etwa bei pH 5 – und dass sie ihr jeweiliges Substrat hydrolytisch, d.h.
unter Beteiligung von Wassermolekülen, spalten. Sie werden daher saure Hydrolasen
genannt. Als histochemisches Leitenzym der Lysosomen gilt die saure Phosphatase.

Alle Proteine werden am rauen ER in das ER-Lumen hineinsynthetisiert und


gemeinsam mit anderen Proteinen über Vesikel in Golgi-Felder weitergeleitet. Die
Entscheidung darüber, wohin die Proteine letztlich gelangen, ist bereits in der
Basensequenz ihrer Gene vorgegeben. So verschieden ihre Aminosäuresequenzen im
Einzelnen auch sind, alle enthalten nach ihrer Faltung im ER einen spezifischen
Signalbereich. In diesem Fall handelt es sich nicht um ein zusammenhängendes
Signalpeptid, sondern der Signalbereich setzt sich aus verschiedenen Anteilen der
jeweiligen Polypeptidkette zusammen. Er dient als Erkennungssignal für ein bestimmtes
Enzym im cis-Golgi-Netz, das Phosphat auf Mannose in den Oligosaccharidketten der
sauren Hydrolasen überträgt. Alle 40 sauren Hydrolasen bilden diesen spezifischen
Signalbereich; alle tragen daher nach Durchlaufen des cis-Golgi-Netzes Mannose-6-
Phosphat. Sie sind aufgrund dieses Signals gegen weitere Veränderungen im Golgi-Feld
48
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

geschützt und werden im trans-Golgi-Netz an spezifische Rezeptoren gebunden. Diese


sogenannten M6P-Rezeptoren sind Proteine, die spezifisch in der Membran des trans-
Golgi-Netzes vorkommen und dort diejenigen Moleküle binden, die Mannose-6-Phospat
als Molekülgruppe enthalten – d.h. also alle sauren Hydrolasen. Membranbereiche mit
angehäuften M6P-Rezeptoren schnüren Vesikel ab, die spezifisch saure Hydrolasen
enthalten. So entstehen die primären Lysosomen. Bei der sogenannten I-Zell-Erkrankung
(Mukolipidose II) ist genau dieser Mechanismus gestört. Durch einen Enzymdefekt
können die signalgebenden Phosphorylierungen nicht durchgeführt werden. Die Proteine
werde nicht adressiert und können so nicht in Lysosomen gebracht werden, sondern
werden unkontrolliert in die Zelle abgegeben. Sie können sich vorstellen, was passiert,
wenn Verdauungsenzyme frei in der Zelle vorkommen. Die Lebenserwartung der
Betroffenen ist gering.

Abbildung 4.6: Lysosom [6]

Bei der Gicht wird die Lysosomenmembran verletzt, und die in das Cytosol
gelangenden Verdauungsenzyme rufen Entzündungsreaktionen hervor.

Wenn Lysosomen Material zum Abbau aufgenommen haben, bezeichnen wir sie als
sekundäre Lysosomen. Sekundäre Lysosomen können noch in Autophagosomen und
Heterophagosomen unterschieden werden, je nachdem, ob zelleigenes oder zellfremdes
Material aufgenommen wurde.

Die Verdauungsenzyme sind dabei immer noch durch eine Membran vom Cytosol
getrennt. Die freigesetzten kleinen Moleküle, z.B. Aminosäuren, werden dann mithilfe von
Permeasen durch die Membran hindurch ins Cytosol gebracht, wo sie für den
Zellstoffwechsel zur Verfügung stehen.
49
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

Beim Verdauen größerer Partikel wie Bakterienzellen oder Mitochondrien bleiben oft
unverdauliche Reste übrig, die entweder durch Exocytose ausgeschieden werden, oder
membranumhüllt als sogenannte Residualkörper in der Zelle verbleiben. Oft enthalten
sie eine gelbe Substanz, das Lipofuscin. Es ist für das Auftreten der sogenannten
Altersflecken in der Haut verantwortlich.

4.7 Peroxisomen - Entgiftung


Peroxisomen entstehen durch Wachstum und Teilung vorhandener Peroxisomen.
Das ER ist an der Neuentstehung von Peroxisomen beteiligt. Anders als die Lysosomen
erhalten die Peroxisomen ihre Proteine nicht über Vesikel aus dem ER und dem Golgi-
Apparat. Alle ihre Proteine werden vollständig im Cytosol synthetisiert. Sie haben eine
kurze Erkennungssequenz, aufgrund derer sie spezifisch an Rezeptor-Moleküle in der
Peroxisomen-Membran gebunden und dann durch die Membran in das Innere der
Peroxisomen transportiert werden. Diese Art des Transports ohne Vesikel wird
Translokation genannt.

Auch neue Phospholipide für das Wachstum ihrer Membran erhalten die
Peroxisomen nicht über Vesikel. Phospholipide werden zwar auch in der Membran des
ER synthetisiert, von dort aber nicht als Vesikel abgeschnürt. Spezifische Transport-
Proteine greifen sich Phospholipid-Moleküle und bringen sie in die wachsende
Peroxisomen-Membran. Wenn ein Peroxisom groß genug geworden ist, teilt es sich durch
Einschnürung seiner Membran. Ihre Funktion ist es, reduzierte Kohlenstoffverbindungen
unter Verwendung von molekularem Sauerstoff zu oxidieren. Hierbei werden vor allem
komplexe Lipide unter Energiefreisetzung abgebaut.

Weiterhin können sie giftige Substanzen in der Zelle durch Oxidation unschädlich
machen. So wird z.B. ¼ des Ethanols im Blut durch Peroxidasen zu Acetaldehyd oxidiert
und dem Stoffwechsel verfügbar gemacht. Leberzellen und Nierenzellen sind daher auch
besonders reich an Peroxisomen.

Bei ihrer Tätigkeit entsteht das sehr giftige Wasserstoffperoxid (H2O2). Peroxisomen
enthalten dementsprechend auch immer das Enzym Katalase, das auch als Leitenzym der
Peroxisomen bezeichnet wird. Es zerlegt sehr effizient H2O2.

Allerdings finden in Peroxisomen nicht ausschließlich abbauende Prozesse statt. Sie


sind auch an der Synthese von Phospholipiden und von Cholesterinvorstufen beteiligt.
Außerdem spielen sie eine Rolle in der Steroidhormonsynthese.

Der Ausfall von Peroxisomen hat schwerwiegende Folgen. Bei Patienten mit dem
Zellweger-Syndrom können die in den Peroxisomen benötigten Proteine nicht aus dem
Cytoplasma importiert werden. Das führt zum Ausfall der Peroxisomen und damit zu
50
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

Veränderungen in Gehirn, Leber und Niere (Cerebro-hepato-renales Syndrom), die früh


zum Tod des Betroffenen führen.

4.8 Mitochondrien – Kraftwerke der Zelle


Mitochondrien sind insofern besondere Organellen, als dass sie über eine
Maschinerie zur Proteinsynthese verfügen. Die DNA der Mitochondrien entspricht ca.
0,5‰ der Gesamt-DNA der Säugetierzellen. Sie ist allerdings nicht von einer eigenen
Membran umgeben wie die DNA des Zellkerns. Mitochondrien vermehren sich durch
Zweiteilung. Die äußere Membran der Mitochondrien dient dem Schutz, sie ist relativ
durchlässig. Durch Porine in der äußeren Membran findet ein reger Austausch zwischen
dem Raum zwischen den Mitochondrienmembranen und dem Cytoplasma statt.

Abbildung 4.7: Mitochondrium [6]

Die innere Membran ist relativ undurchlässig. Hier spielt Cardiolipin eine wichtige
Rolle. Permeasen sorgen für einen gezielten Austausch. Die innere Membran ist vielfältig
nach innen vorgewölbt und gefaltet. Da die Membran eine reichhaltige Ausstattung mit
Enzymen hat, wird dieser Reaktionsraum durch die Faltung vergrößert. An dem typischen
Muster der Membran-Einstülpungen sind Mitochondrien auf elektronenmikroskopischen
Bildern leicht zu erkennen. Meistens sind die Vorstülpungen der inneren Membran
scheibenförmig - ähnlich wie bei den Dictyosomen im Golgi-Feld oder wie beim ER. Man
spricht dann vom Crista-Typ. In den Mitochondrien bestimmter Zellen sind die
51
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

Vorstülpungen röhrenförmig. Dann spricht man vom Tubulus-Typ. Dieser Typus ist für
Zellen, in denen Steroidhormone gebildet werden, typisch.

Im Mitochondrium finden verschiedene Prozesse statt, die unter Verbrauch von


Sauerstoff zur Bereitstellung von chemisch gebundener Energie in Form von
Adenosintriphosphat (ATP) führen. Im Innenraum der Mitochondrien finden wir den
Citratzyklus, sowie die β-Oxidation der Fettsäuren. In der inneren
Mitochondrienmembran sind die Enzyme der Atmungskette lokalisiert. Der Name
Atmungskette ergibt sich daraus, dass die beteiligten Enzyme wie die Glieder einer Kette
aneinandergereiht sind. Dadurch wird eine effiziente Fließbandarbeit ermöglicht. In der
Atmungskette wird die bei schrittweisen Redoxreaktionen freiwerdende Energie in
chemische Energie in Form von ATP umgewandelt. ATP entsteht dabei aus
Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat (P). Die Bindung zum dritten Phosphat ist eine
sogenannte energiereiche Bindung, deren Auflösung Energie für andere
Stoffwechselschritte zur Verfügung stellen kann.

Trotz ihrer eigenen Erbsubstanz und ihrer eigenen Maschinerie zur Proteinsynthese
stellen Mitochondrien nur wenige ihrer Proteine selbst her. Die meisten mitochondrialen
Proteine werden an den Ribosomen im Cytosol synthetisiert und in die Mitochondrien
eingeschleust. Wieder sorgt eine Signalsequenz dafür, dass die Polypeptidkette spezifisch
an einen Rezeptor in der äußeren Mitochondrienmembran bindet. Daraufhin wird die
Polypeptidkette von einem Translokator – einer Art Permease für Polypeptidketten –
zunächst ein Stück weit durch die beiden Mitochondrienmembranen hindurchgeschoben.
Danach wird sie von einer anderen Komponente in das Innere des Mitochondriums, die
Matrix, hineingezogen. Wir haben es hier wieder mit Translokation zu tun.

Viele der aus dem Cytosol importierten Proteine finden ihren Bestimmungsort in der
inneren Mitochondrienmembran, manche im Raum zwischen der inneren und der
äußeren Membran. Über die richtige Zuweisung entscheidet eine weitere Signalsequenz,
die wirksam wird, nachdem in der Matrix des Mitochondriums eine Peptidase die erste
Signalsequenz abgespalten hat - ein hübsches Beispiel dafür, wie eine gesteuerte Abfolge
von verschiedenen Einzelprozessen zur Herstellung eines funktionierenden komplexen
Gebildes führt.

Die für das Wachstum der Mitochondrienmembranen erforderlichen Phospholipid-


Moleküle werden wie bei den Peroxisomen mithilfe spezifischer Transport-Proteine aus
dem ER, wo sie synthetisiert werden, herangebracht und in die cytosolische Lipidschicht
der äußeren Mitochondrienmembran eingefügt. Von hier werden sie dann wieder mithilfe
von Flippasen auf die übrigen Lipidschichten weiterverteilt.

Die Bedeutung der Mitochondrien für die Zelle wird auch daran deutlich, dass sich in
ihrer Membran spezifische Proteine (Bcl-2-Familie) befinden, die bei der Regulation der
Apoptose (dem programmierte Zelltod) eine wichtige Rolle spielen. Die gravierenden
Folgen der Schädigung von Mitochondrien auf die Zelle zeigt sich daran, dass dabei
Substanzen freigesetzt werden, die die Apoptose durch Aktivierung von Proteasen
52
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

einleiten. Dies bezeichnet man als intrinsischen Weg zur Einleitung der Apoptose. Das
Absterben der Zelle durch Apoptose schont das benachbarte Gewebe, da die Zelle von
innen heraus abgebaut wird. Die Zellbestandteile werden von Fresszellen phagocytiert
und damit entfernt.

Abbildung 4.8: Embryonalentwicklung der Mäusepfote [6]

Den Gegensatz zur Apoptose bildet die Nekrose. Diese wird durch Einflüsse, die als
pathogen zusammengefasst werden, ausgelöst. Die Zelle stirbt unkontrolliert ab und
entleert ihren Inhalt in die Umgebung. Dies kann zu Entzündungsreaktionen führen, die
das umgebende Gewebe in Mitleidenschaft ziehen.

Die Apoptose hat allerdings nicht nur bei der Entsorgung absterbender Zellen,
sondern auch in Entwicklungsprozessen eine wichtige Funktion. Bei der
Embryonalentwicklung werden teilweise Strukturen angelegt und nachträglich durch
Apoptose ausgeformt, wie sie an der Embryonalentwicklung der Mäusepfote (→ Abb. 4.8)
erkennen können.

4.9 Cytoskelett
Der letzte Zellbestandteil, den wir hier besprechen wollen, ist das Cytoskelett, das aus
Mikrotubuli, Intermediärfilamenten und Mikrofilamenten (Aktinfilamenten) aufgebaut
ist.

Die Benennung der Filamente erfolgte nach ihrer Größe: Intermediärfilamente


(Durchmesser ca. 10 nm) liegen zwischen der der größeren Mikrotubuli (Durchmesser
ca. 20 nm) und der der kleineren Mikrofilamente (Durchmesser ca. 6 nm).

Während Mikrotubuli und Aktinfilamente immer grundsätzlich gleich aufgebaut sind


und im wesentlichen Hilfsproteine darüber entscheiden, welche Funktion sie haben, gibt
es eine Reihe verschiedener Intermediärfilamente, wobei wir nur die der Kernlamina in
allen Zellen finden.
53
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

Abbildung 4.9: Cytoskelett [6]

Die Abhängigkeit der


Intermediärfilamente vom
Zelltyp wird in der
Tumordiagnostik genutzt:
Wenn entartete Zellen sich in
ihrem Aussehen so stark
verändert haben, dass sie dem
ursprünglichen Gewebe nicht
mehr zugeordnet werden
können, greift man auf eine
Bestimmung über die
Intermediärfilamente zurück.

Abbildung 4.10: Cytoskelett, elektronenmikroskopische


Aufnahme [6]
54
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

4.9.1 Mikrotubuli
Mikrotubuli sind aus dem Protein Tubulin aufgebaut. Dabei handelt es sich um ein
globuläres Heterodimer aus α- und β-Tubulin. Bei der Aggregation bindet immer eine α-
Untereinheit an eine β-Untereinheit, so dass eine fadenförmige Struktur entsteht, die als
Protofilament bezeichnet wird. 13 dieser Protofilamete bilden zusammen einen
Mikrotubulus.

Mikrotubuli haben viellfältige Funktionen in der Zelle:

• Form und Stütze der Zelle


• Bewegung (Cilien und Geißeln) der Zelle
• „Schienennetz“ für den intrazellulären Transport von Vesikeln
• Mitosespindel verteilt die Chromosomen bei der Zellteilung

Die Mikrotubuli des


Spindelapparates werden während
des gesamte Zellzyklus aus dem
Centrosom heraus organisiert,
einem MTOC (microtubule
organizing center), in dem sich zwei
Centriolen befinden (→ Abb. 4.11).
Microtubuli sind - mehr als jeder
andere Bestandteil des Cytoskletts -
in einem ständigen Auf- und Abbau
begriffen. Abbildung 4.11: Centrosom [6]
Definitionsgemäß wird am
Plus-Ende vor allem aufgebaut und am Minus-Ende findet vor allem Abbau statt.

Basalkörper sind ebenfalls MTOCs. Sie organisieren Cilien, die eukaryotischen Zellen
zur Fortbewegung dienen können und beim Menschen wichtige Funktionen im
Abtransport von Abfallprodukten beispielsweise im Flimmerepithel übernehmen.
55
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

In der eukaryotischen Zelle


übernehmen Mikrotubuli auch die
Funktion eines Schienennetzes für
Zellorganellen und Makromoleküle. Als
Waggons fungieren die Motorproteine
Dynein und Kinesin, die auf der einen Seite
eine Bindung zum Mikrotubulus und auf
der anderen Seite eine Bindung zum
Transportgut aufnehmen. Dabei „fahren“
Kinesine grundsätzlich vom Minus- zum
Plus-Ende, während Dyneine immer vom
Plus- zum Minus-Ende transportieren
(→ Abb. 4.12).

Abbildung 4.12: Vesikeltransport [6]

4.9.2 Mikrofilamente
Das wichtigste Mikrofilament ist das Aktin, das aus globulären, monomeren
Untereinheiten, den G-Aktinen, aufgebaut ist. Wie die Mikrotubuli können auch
Aktinfilamente dynamischen Prozessen unterworfen sein – allerdings in deutlich
geringerem Maße. Durch Quervernetzungen zwischen Aktinfilamenten – beispielsweise
durch Fimbrin – wird der Zellkortex gebildet, der die Form der Zelle stabilisiert. Aktin ist
außerdem an Ausstülpungen aus der Zelle beteiligt, die wir bei amöboiden
Kriechbewegungen und bei der Phagocytose finden. Auch feste Ausstülpungen, wie die
Mikrovilli, die z.B. der Oberflächenvergrößerung von Epithelzellen dienen können,
werden von Aktinfilamenten stabilisiert. In Kombination mit dem Motorprotein Myosin
übernimmt Aktin wichtige Aufgaben bei der Bewegung – sowohl für die Zelle selbst, als
auch besonders in den Muskeln.

Für Sie als Mediziner ist noch das Mikrofilament Spektrin von Bedeutung, da es für
das Cytoskelett der Erythrozyten wichtig ist.
56
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

4.9.3 Intermediärfilamente
Intermediärfilamente sind aus monomeren Proteinen aufgebaut, wobei jeder
Filamenttyp nur aus einer Sorte von Proteinen besteht. Wir finden in dieser Gruppe sehr
vielfältige Strukturen. Die meisten kommen entsprechend der Funktion nur in
bestimmten Zelltypen vor, die wir der Vollständigkeit halber auflisten wollen:

Neuronen: Neurofilamente

Epithelzellen: Cytokeratin

Fibroblasten: Vimetin

Muskelfasern: Desmin

Astroglia (im Nervensystem): GFAP (gliäres fibrilläres saures Protein)

Gemeinsam ist allen Intermediärfilamenten, dass sie sehr reißfest sind und vor allem
in Zugrichtung belastet werden können.
57

Tabelle 4.1: Zellorganellen


Form/Aufbau Position Membranhülle DNA Erhalten auffällige Funktionen
(0/1/2) (ja/nein) Lipide von… Strukturen
Cytoplasma/Cytosol
Zellkern
Kapitel 4 – Die Zelle als Grundbaustein des (zellulären) Lebens

rER
sER
Ribosomen
Golgi-Apparat
Lysosomen
Peroxisomen
Mitochondrien
58
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

5 Umwelt und Individuum


Erarbeitungshilfen

• Was ist Diffusion? Welche Formen gibt es an der


Membran?
• Was ist Osmose?
• Welchen Einfluss auf die Membranstruktur haben
gesättigte Fettsäuren, ungesättigte Fettsäuren und
Cholesterol (Cholesterin)?
• Was bedeutet Fluid-Mosaik-Modell?
• Wie unterscheiden sich passiver und aktiver
Transport?
• Was sind Membranflussmechanismen? Warum sind
sie notwendig?
• Beschreiben Sie den Vorgang der Vesikelbildung
unter Benennung der beteiligten Strukturen.
• Welche Funktion haben SNARE-Proteine?
• Was ist die extrazelluläre Matrix?
• Was ist die Glykokalyx?
• Was bedeutet Kontaktinhibition? Wie wird sie
reguliert?
• Welche Formen von Zellkontakten gibt es? Welche
Funktionen haben sie? Bringen Sie Funktion und
Aufbau in einen Zusammenhang.
59
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

Sie haben das Plasmalemma (die Zellmembran) als Grenze zwischen Innen und
Außen einer jeden Zelle kennengelernt. Eine solche Grenze ist notwendig, um alles
zusammen zu halten, was die Zelle zum Leben benötigt, und um die Zelle vor schädlichen
Einflüssen aus der Umwelt zu schützen. Gleichzeitig muss die Zelle aber im Austausch mit
der Umwelt stehen, da sie Material und Energie benötigt. Soweit gilt das für alle Zellen. Im
vielzelligen Organismus kommen an den Grenzen andere Anforderungen hinzu. Die Zellen
müssen sich mit anderen Zellen austauschen, damit sowohl die Zellen in einem Verband
zusammen agieren, als auch verschiedene Zellverbände im Organismus koordiniert
werden können. In diesem Kapitel wollen wir uns mit dem Austausch zwischen Zelle und
Umwelt beschäftigen.

5.1 Transport
Wie gelangen Stoffe von der Zelle in die Umwelt und umgekehrt, wie in andere Zellen
– benachbarte oder weit entfernte? Wir wollen uns einige Transportformen ansehen.

5.1.1 Diffusion
Beginnen wir mit der einfachsten Form von Transport, die immer und überall
stattfindet, ohne dass wir darauf einen Einfluss haben. Diese beruht auf der Bewegung
kleinster Teilchen. Wir wollen zum Verständnis nicht weit in die Physik gehen. Machen
Sie sich bitte nur bewusst, dass jede Materie aus Teilchen besteht. Je nach Form, in der die
Materie vorkommt, sind diese Teilchen unterschiedlich stark in Bewegung. Das Beispiel
Wasser ist hier besonders anschaulich: Ein Block aus gefrorenem Wasser ist ziemlich fest,
und die Teilchen (Wassermoleküle) bewegen sich so gut wie gar nicht. Wenn das Eis
erwärmt wird, geraten die Teilchen stärker in Bewegung – das Wasser wird flüssig. Wird
noch mehr Hitze zugeführt, wird das Wasser zu Wasserdampf. Hier sind die Teilchen am
meisten in Bewegung – das Wasser ist gasförmig. Neben der Korrelation zwischen dem
Grad an Festigkeit von Materie und der Beweglichkeit der Teilchen wird hier auch der
Zusammenhang zwischen der Temperatur und der Bewegung der Teilchen deutlich – je
höher die Temperatur, umso mehr sind die Teilchen in Bewegung. Wir können sagen, dass
Wärme nichts anderes ist, als die Bewegung kleinster Teilchen. Wir sprechen daher auch
von Wärmebewegung.

Diese Wärmebewegung ist völlig ungerichtet. Teilchen bewegen sich, stoßen


gegeneinander oder gegen eine Gefäßwand und werden umgelenkt, beschleunigt oder
verlangsamt. In jedem Fall ist die Bewegung jedes einzelnen Teilchens zufällig – diffus.
Der Vorgang wird auch als Diffusion bezeichnet. Während man für keines der einzelnen
Teilchen eine Prognose abgeben kann, wo es nach einer gewissen Zeit auftauchen wird,
hat Diffusion als Gesamtprozess dennoch eine Richtung, die sich durch den Zufall der
Einzelbewegung ergibt, wie die → Abbildung 5.1 beschreibt.
60
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

Abbildung 5.1: Diffusion

Osmose als Sonderform der Diffusion

Die Diffusion läuft nicht immer so ungehindert wie bislang betrachtet. Für viele Stoffe
stellt die Membran eine Diffusionsbarriere zwischen dem Inneren und Äußeren der Zelle
dar. Die Zellbestandteile verteilen sich daher nicht in der Umgebung, und das Äußere
kann nicht in die Zelle eindringen.

Durch ihren Aufbau als Lipiddoppelschicht ist die Membran durchlässig für lipophile
Stoffe. Hydrophile und damit gleichzeitig lipophobe Stoffe dagegen können die Membran
kaum durchdringen. Eine Reihe von Hormonen ist lipophil und kann im Zellinneren
wirken, während hydrophile Hormone außerhalb der Zelle verbleiben und dort mit einem
Rezeptor in Kontakt treten müssen.

Wenn eine Membran zwei Flüssigkeitsbereiche trennt, so gleichen sich im Laufe der
Zeit die Konzentrationen aller Substanzen, für die die Membran durchlässig ist, aus. Wird
nun in einen Bereich beispielsweise Glukose gegeben, so kann die Konzentration nicht
durch den Übertritt von Glukose aus dem Bereich mit hoher Konzentration zum Bereich
niedriger Konzentration ausgeglichen werden, da die Glukose die Membran nicht
61
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

durchdringen kann. Stattdessen dringt Wasser in den Bereich mit Glukose, so dass die
dort niedrigere Wasserkonzentration ausgeglichen wird. Bei der Diffusion von Wasser
über eine selektiv permeable Membran spricht man von Osmose.

Abbildung 5.2: Osmose

Diffusion ist ein sehr langsamer Prozess. Sie kann nur auf sehr kurzen Strecken
effektiven Stofftransport gewährleisten. Wenn eine bestimmte Menge Glukose
beispielsweise eine Entfernung von 1 μm in einer Sekunde überwindet, braucht sie für
einen Zentimeter fast drei Stunden. Das ist für die meisten Lebensprozesse zu langsam.
Deshalb wird beispielsweise auch das Blut in Ihrem Körper durch eine starke Pumpe
angetrieben.
62
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

5.1.2 Transport an Membranen

Abbildung 5.3: Erleichterte Diffusion: Kanalprotein

Abbildung 5.4: Erleichterte Diffusion: Transportproteine

Diffusion erfolgt ohne Aufwendung von Energie. Diffusion an der Membran kann in
zwei Formen stattfinden. Wenige Substanzen können direkt über die Lipiddoppelschicht
diffundieren. Selbst den sehr kleinen Wassermolekülen gelingt dies nur in geringem
Maße. Die Durchlässigkeit der Membran für Wasser ergibt sich aus winzigen Kanälen, die
durch Aquaporine (Proteine) gebildet werden, die wasserdurchlässig sind. Für größere
Moleküle gibt es eine Reihe von Transport- und Kanalproteinen, die sie selektiv passieren
lassen können. Solange dieser Transport aus einem Bereich mit höherer Konzentration in
einen Bereich mit niedrigerer Konzentration, also mit dem Konzentrationsgradienten,
63
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

erfolgt, ist er zwar selektiv, aber dennoch passiv. Man spricht hier auch von erleichterter
Diffusion (→ Abb. 5.3 und 5.4).

Abbildung 5.5: Aktiver Transport

Vom passiven ist der aktive Transport (→ Abb. 5.5) zu unterscheiden. Hierbei wird
Energie benötigt. Der aktive Transport über die Membran kann gegen einen
Konzentrationsgradienten erfolgen. So wie die erleichterte Diffusion sind auch hier
selektierende Proteine beteiligt. Das bekannteste Protein für aktiven Transport ist die
Natrium/Kalium-Pumpe (eigentlich Na+/K+-ATPase) (→ Abb. 5.6). Diese müssen Sie nicht
in ihrer ganzen Komplexität verstehen. Sie sollen nur einen Einblick gewinnen, dass
solche Transportprozesse sehr aufwändig organisiert sein können.

Abbildung 5.6: Natrium/Kalium-Pumpe


64
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

5.1.3 Membranflussmechanismen
Bislang haben wir uns ausschließlich mit dem Transport über die Biomembran
beschäftigt. Die Größe der transportierten Stoffe ist dabei durch die Größe der
Transportproteine beschränkt. Es gibt eine Reihe von Prozessen, bei denen entweder
größere Partikel oder aber größere Mengen kleiner Partikel aufgenommen oder
abgegeben werden müssen. Hier erfolgt der Transport nicht über die Membran, sondern
unter Einbeziehung der Membran. Wir sprechen daher von Membranflussmechanismen.
Auch hier handelt es sich um eine Form des aktiven Transports, da Energie benötigt wird.

Eine wichtige Rolle spielen solche Mechanismen in unserem Abwehrsystem.


Fresszellen vernichten Eindringlinge, die sie entweder selbst als solche erkennen, oder
die vom Immunsystem markiert wurden. Außerdem „fressen“ sie den Müll, der bei der
Wirkung des Immunsystems entsteht, beispielsweise wenn Fremdkörper durch
Verklumpung ausgeschaltet werden.

Bei der Ansammlung von größeren Mengen, die zu transportieren sind, geht es oft um
Sekrete, die zunächst gesammelt und dann bei Bedarf abgegeben werden. Sie haben
solchen Vesikeltransport schon kennengelernt. Wie bei den verschiedenen
Transportformen über die Membran finden auch Membranflussmechanismen nicht nur
am Plasmalemma, sondern auch an Membranen innerhalb der Zelle statt.

Wir unterscheiden zwischen Endocytose und Exocytose, je nachdem, ob es um die


Aufnahme oder die Abgabe von Stoffen geht. Bei der Exocytose gelangt ein Vesikel mit
Material an die Membran, verschmilzt mit dieser und entleert damit seinen Inhalt nach
außen. Die Membran des Vesikels wird durch die Verschmelzung einen Bestandteil der
Membran.

Abbildung 5.7: Exocytose

Die Endocytose ist etwas aufwändiger, da das Material erst einmal in Vesikeln
gesammelt werden muss. Die Spezifität der Endocytose wird durch Adaptine ermöglicht.
Diese binden auf der cytoplasmatischen Seite der Membran an Transmembranezeptoren,
nachdem auf der extrazellulären Seite der Membran das Material, das transportiert
werden soll, gebunden wurde. Die beladenen Rezeptoren wandern dann durch laterale
65
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

Diffusion in Bereiche (sog. coated pits), welche dann durch die Einwölbung der Membran
umschlossen werden (→ Abb. 5.8).

Die Vesikel werden durch Hüllproteine (Clathrin) auf der cytoplasmatischen Seite
der Membran geformt, die an der Innenseite der Membran einen Stachelsaum bilden.
Dadurch formen sie eine Art Korb, eine Hülle (coat), in den die Membran eingewölbt wird.
Sobald die Plasmamembranen zusammenstoßen, verschmelzen sie. Diese Vesikel werden
als Stachelsaumvesikel (coated vesicles) bezeichnet. Beim Transport zwischen ER und
Golgi-Apparat übernehmen diese Funktion die Coatomere (Coat-Proteine COPI und
COPII).

Meist sollen die Vesikel


an bestimmte Orte
gelangen. Hier kommt eine
Art Druckknopfprinzip zum
Einsatz. Es handelt sich
dabei um sogenannte
SNAREs (soluble N-
ethylmaleimide-sensitive
factor attachment protein
receptors), die sich sowohl
auf den Vesikelmembranen
(v-SNARE; vesicle), als auch
auf den Zielmembranen (t-
SNARE; target membrane)
befinden. v-SNARE und t-
SNARE passen wie die
beiden Hälften eines
Druckknopfes zusammen
und binden so die
Vesikelmembran zur
Verschmelzung an die
Zielmembran. Für die
Spezifität der
„Druckknöpfe“ sind
Abbildung 5.8: Endocytose Proteine der Rab-Familie
Abbildung 5.8: Endocytose verantwortlich. Die
Auflösung der SNARE-
Komplexe wird
enzymatisch gesteuert, so dass die Proteine für eine neue Fusion zur Verfügung stehen
und unkontrollierte Fusionen vermieden werden.

Bei der Endocytose unterscheiden wir zwischen Pinocytose (Aufnahme kleiner


Partikel und Flüssigkeiten), Phagocytose (Aufnahme großer Partikel) und Transcytose
66
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

(Transport von Vesikeln durch die Zelle). Zur Pinocytose sind alle Zellen und auch
verschiedene Zellorganellen befähigt, während es Phagocytose nur bei spezifischen
Zellen, beispielsweise in der Immunabwehr, gibt. Aufnahmevesikel werden als
Endosomen bezeichnet. Wenn sie Material enthalten, das verdaut werden soll,
verschmelzen sie mit primären Lysosomen und bilden so sekundäre Lysosomen, in denen
das aufgenommene Material verdaut wird.

Ein Beispiel für die Bedeutung der selektiven Endocytose ist die familiäre
Hypercholesterolämie (bzw. Hypercholesterinämie), bei der der Cholesterinspiegel im
Blut erhöht ist. Die Ursache ist eine Mutation am Rezeptor, der für eine Anreicherung des
Cholesterins im Membranbereich verantwortlich ist, so dass Cholesterin nicht in
ausreichender Form in die Zelle aufgenommen werden kann.

Vesikel zur Exocytose werden am Golgi-Apparat abgeschnürt und mit Hilfe des
Cytoskeletts zum Plasmalemma gebracht. Die Abgabe eines Sekretes kann permanent
(konstitutiv) oder reguliert auf ein Signal hin erfolgen.

Eine Sonderform der Stoffabgabe ist die Apocytose (bitte verwechseln Sie den Begriff
„Apocytose“ nicht mit dem der „Apoptose“!). Bei der Apocytose werden die Vesikel
zusammen mit ihrem Inhalt abgegeben, statt mit der Membran zu verschmelzen und nur
den Inhalt nach außen abzugeben. Bei der unspezifschen Apocytose schnüren sich kleine
Plasmamembranareale ab. Spezifische Apocytose liegt z.B. bei der Sekretion von
Milchfetttropfen der laktierenden Brustdrüse vor. Dieser Mechanismus, der für uns
Säugetiere notwendig ist, wird von Viren zur Abschnürung aus infizierten Zellen
ausgenutzt. Ein kleines Beispiel für Coevolution.

5.2 Zellkontakte
Transportmechanismen dienen der Versorgung von Zellen mit Materialien und
Information und zur Abfallbeseitigung. Sie wissen, wie wichtig eine gute
Transportlogistik für ihr alltägliches Leben ist. Doch unabhängig davon, wie gut geregelt
ist, wie Sie jeweils von a nach b kommen – der direkte Austausch mit Ihrer Umwelt vor
Ort bleibt mindestens ebenso wichtig.

So ist es auch bei den Zellen eines Vielzellers. Ein Vielzeller kann nur entstehen, wenn
seine Zellen nach ihren Teilungen miteinander in Kontakt bleiben, und dieser Kontakt
muss geregelt werden. Dabei geht es also um deutlich mehr als ein reines
Aneinanderhaften.
67
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

5.2.1 Extrazelluläre Matrix


Beim Vesikeltransport haben Sie gesehen, dass Membranen, die direkt aneinander
angrenzen, auch miteinander verschmelzen. Zellen in einem Gewebeverband dürfen also
nicht in einem direkten Kontakt miteinander stehen. Der Interzellularraum ist daher von
einer extrazellulären Matrix ausgefüllt. Diese besteht aus Faserproteinen, die ein
Polysaccharidgel durchziehen. Je nachdem, um welches Gewebe es sich handelt,
unterscheidet sich
der Grad der
Festigkeit.
Unterschieden
werden Binde-
gewebe, Bänder,
Knorpel und
Knochen. Eines der
wichtigsten
Faserproteine ist das
Kollagen. Wir
werden bei der
Besprechung der
Osteogenesis
imperfecta, die auf
einer Fehlbildung
beim Kollagen
beruht, darauf
zurückkommen.

Abbildung 5.9: Extrazelluläre Matrix

5.2.2 Glykokalyx
Nahezu allen pro- und eukaryotischen Zellen ist eine dünne Schicht aufgelagert, die
Glykokalyx. Eine Ausnahme sind Pflanzen, welche keine besitzen. Die Glykokalyx besteht
aus den Zuckeranteilen der Glyko-Membranbestandteile. Diese können von Molekülen
aus der extrazellulären Matrix ergänzt werden. Die Zuckeranteile können sehr
vielgestaltig sein und dienen daher bei verschiedenen Interaktionen als
Erkennungssignale.

Als Beispiel wollen wir uns die Interaktion zwischen Endothelzellen und Leukocyten
ansehen. Aktivierte Endothelzellen bilden spezielle Glykoproteine, die Selektine, die zu
Oligosacchariden der Leukocyten passen. Die Interaktion der Moleküle veranlasst eine
68
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

Bindung zwischen Endothelzellen und Leukocyten, die durch andere


Entzündungsbestandteile stabilisiert werden. Die gebundenen Leukocyten können dann
eine Entzündungsreaktion starten. Die Bedeutung, die dieser Prozess für die
Immunabwehr hat, wird bei Patienten deutlich, die an einem genetischen Defekt leiden,
der diese Bindung beeinträchtigt. Diese Patienten weisen eine hohe Anfälligkeit für
bakterielle Infektionen auf.

5.2.3 Kontaktinhibition
So wie Einzeller im Austausch mit dem Außenmedium stehen, bilden der Raum
zwischen den Zellen, die extrazelluläre Matrix, und die Nachbarzellen die Umwelt der
Zelle im vielzelligen Organismus. Während ein Einzeller sich bei guten
Umweltbedingungen teilt, sobald er eine entsprechende Größe erreicht hat, darf sich eine
Zelle im Zellverband nur teilen, wenn dies für den Zellverband notwendig ist. So dürfen
Hautzellen nicht unkontrolliert wuchern. Bei einer Verletzung müssen sich die Zellen
wieder teilen, bis die Wunde geschlossen ist, aber nicht darüber hinaus. Diese
grundlegende Voraussetzung der Zusammenarbeit wird durch Kontaktinhibition
gewährleistet. Hierzu wirken Adhäsionsmoleküle (Cadherine) und Adaptermoleküle
(Catenine) zusammen. Die Zelle „merkt“, dass sie Nachbarzellen hat, und stellt die
Teilung ein. Die Koordination von Zellen im Verband geht sogar so weit, dass eine Zelle,
wenn sie von den Nachbarzellen nicht regelmäßig Signale bekommt, die ihre
Notwendigkeit bestätigen, die Apoptose einleitet. Gleiches geschieht, wenn Sie ein Signal
zur Selbstzerstörung (Todessignal) erhält. Dies ist der extrinsische Weg zur Einleitung
der Apoptose – den intrinsischen haben Sie schon im Zusammenhang mit den
Mitochondrien kennengelernt.

Die Bedeutung dieses Mechanismus wird im Zusammenhang mit der Entstehung von
Krebs offensichtlich. Krebszellen werden durch Kontakt nicht in der Vermehrung
gehemmt. Man hat bei Tumorzellen Mutationen für die zuständigen Kontaktmoleküle
gefunden. Die betroffenen Zellen wachsen ungehemmt und können den Zellverband
verlassen. So entstehen Metastasen.

5.2.4 Formen der Zellkontakte


Die erste Voraussetzung für einen Vielzeller ist, dass seine Zellen miteinander
verbunden sind. Dabei gibt es unterschiedliche Formen von Verbindungen, die entweder
nur für einen reinen Zusammenhalt, für einen Austausch von Stoffen oder zur
Informationsübermittlung verantwortlich sind.

Zusammenhalt: Für den Zusammenhalt der Zellen untereinander sind Gürtel-


Desmosomen und Punkt-Desmosomen verantwortlich. Gürtel-Desmosomen bilden
69
Kapitel 5 – Umwelt und Individuum

eine Zonula adhaerens, Punkt-Desmosomen eine Macula adhaerens. Als Zonula wird eine
Kontaktlinie bezeichnet, die um die Zelle herumläuft, während die Kontakte in einer
Macula nur punktförmig voneinander abgegrenzt sind. „Adhaerens“ bedeutet, dass,
obwohl die Zellen dort aneinanderhaften, dennoch ein Spalt verbleibt.

Von den Desmosomen unterscheiden wir die Hemidesmosomen, die keinen Zell-
Zell-Kontakt darstellen, sondern die Epithelzellen mit dem Bindegewebe verkleben.
Wichtiger Bestandteil der Desmosomen und Hemidesmosomen sind
Intermediärfilamente, die Sie schon als zugfeste Fasern kennengelernt haben.

Abdichtung: In Zellverbänden, die eine Art Dichtungsschicht bilden, werden die


Zellen durch tight junctions (Verschlusskontakte) verbunden. Diese bilden eine Zonula
occludens, einen Bereich, durch den keine Diffusion möglich ist. Den Begriff „Zonula“
können Sie schon zuordnen, „occludens“ bedeutet, dass hier der Spalt, den wir bei
„adhaerens“ noch finden, verschwindet. Es ist ein komplett dichter Kontakt.

Solche Verschlusskontakte finden wir beispielsweise bei Epithelzellen, die das Lumen
des Dünndarms bilden. Die pathogene Wirkung des Cholerabakteriums beruht darauf,
dass sein Toxin die Permeabilität der Verschlusskontakte beeinflusst. So werden Ionen
und diesen folgend Wasser in das Darmlumen abgegeben, und es kommt zum Durchfall.

Kommunikation: Zur Kommunikation dienen gap junctions. Das sind Kontakte, über
die ein Stoffaustausch zwischen Zellen möglich ist. So können sich beispielsweise
Wachstumssignale durch ein Gewebe verbreiten. In gewisser Weise werden auch die
chemischen Synapsen zu den Kommunikationskontakten gezählt. Sie dienen allerdings
der Informationsweitergabe durch Erregungsfortleitung und stellen daher keinen
eigentlichen Zellkontakt her.
70
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

6 Grundlage der Vielfalt – die


Komplexität
Erarbeitungshilfen

• Worin unterscheiden sich Pro- und Eukaryoten? Was


bedeutet das für ihre Komplexität?
• Was besagt die Endosymbiontentheorie? Erläutern
Sie.
• Nennen Sie Hinweise auf die
Endosymbiontentheorie.
• Nennen Sie Hinweise für die Entwicklung der
Vielzeller aus den Einzellern.
• Wie wird DNA organisiert?
• Nennen Sie die Phasen des Zellzyklus und
beschreiben Sie, was in den Phasen passiert.
• Sie sollen auf Abbildungen die einzelnen Phasen der
Mitose erkennen und sortieren können.
• Erläutern Sie, wie Mikrotubuli in der Anaphase
wirken.
• Warum wird die Mitose auch als indirekte
Kernteilung bezeichnet? In welchen Mitose-Phasen
liegt ein geschlossener Zellkern vor?
• Beschreiben Sie die Struktur von Chromosomen in
verschiedenen Phasen des Zellzyklus. Wie
funktioniert die Kondensation von Chromatin?
71
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

Dem grundsätzlich gleichen Aufbau der eukaryotischen Zellen steht die


unüberschaubare Vielfalt der Lebewesen gegenüber.

Die unterschiedliche Komplexität fällt besonders auf. Damit müssen wir uns ein
wenig beschäftigen. Komplexität wird durch das Zusammenwirken einfacher
Grundbausteine ermöglicht. Je komplexer ein Organismus wird, umso komplexer ist auch
die Regulation dieses Zusammenspiels.

Organismen mit einfachem Aufbau haben häufig eine relativ geringe Toleranz gegen
Schwankungen der Umweltbedingungen. Ihre Art kann sich relativ schnell verändern, da
sie sich in großer Zahl replizieren, dabei viele Änderungen im Erbgut auftreten und so zu
jeder Zeit viele Varianten existieren. Wenn sich die Umwelt ändert, ist die
Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass eine der Varianten überleben und sich vermehren
kann.

Bei sehr komplexen Organismen ist das anders. Hier müssen immer viele Faktoren
für die Funktion ineinandergreifen, so dass Änderungen häufiger schädlich sind.
Außerdem reproduzieren sie sich nicht in so großer Geschwindigkeit. So können sie in
einer stabileren Umwelt deutlich vielfältigere Funktionen entwickeln.

Es gibt zwei Grundpfeiler der Komplexität, die wir uns ansehen wollen – die
Unterscheidung von Zellen mit und ohne Zellkern und die zwischen Einzellern und
Vielzellern.

Abbildung 6.1: Vielfalt der Lebewesen [12]


72
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

6.1 Prokaryoten und Eukaryoten – Leben mit und


ohne Zellkern
Bei Organismen mit Zellkern ist das Erbgut durch eine Doppelmembran vom Rest der
Zelle abgegrenzt, bei Organismen ohne Zellkern nicht. Karyon heißt Kern. Prokaryoten
sind vor (griech. pro) der Entstehung des Zellkerns entstanden. Organismen, deren Zellen
einen Zellkern haben, heißen Eukaryoten (griech. eu – echt).

Das Vorhandensein oder


Fehlen eines Zellkerns ist die
namensgebende Unter-
scheidung zwischen
Prokaryoten und Eukaryoten.
Sie steht aber eigentlich auch
für das Vorhandensein oder
Fehlen von abgegrenzten
Räumen in der Zelle.

Bei Prokaryoten
umschließt eine äußere
Membran ein Zellinneres, in
dem verschiedene – auch
gegenläufige – Stoffwechsel-
prozesse im gleichen Raum
ablaufen. Bei den Eukaryoten
können wir verschiedene
durch Membranen
abgegrenzte Bereiche –
Kompartimente – erkennen,
in denen unterschiedliche
Stoffwechselprozesse räum-
lich getrennt sind.

Die Trennung von


Stoffwechselräumen in
verschiedene Kompartimente
Abbildung 6.2: Größenskala und der Schutz der DNA in
einem Zellkern erhöht die
Komplexität der Zellstruktur. Damit ist vor allem die Möglichkeit verbunden, größer zu
werden. Während Bakterien 1-5 μm messen, sind durchschnittliche Eukaryotenzellen 10-
100 μm groß. → Abb. 6.2 gibt einen Überblick über Größenordnung verschiedener Zellen
und Zellbestandteile in Beziehung zur Größe des Menschen.
73
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

In einfachen Systemen
kann Größe ein deutlicher
evolutiver Vorteil sein, da
tendenziell größere
Organismen kleinere fressen
können. Eukaryotische
Einzeller können
prokaryotische als Nahrung
aufnehmen. Dies kann in der
Frühphase des Lebens ein
Faktor gewesen sein, der die
Entwicklung der Eukaryoten
gefördert hat. Heute sind die
Verhältnisse deutlich
komplexer, so dass der Größe
alleine keine so wichtige Rolle
mehr zukommt. Außerdem
konnten durch die
Kompartimente auch
Bereiche mit besonderen
Funktionen entwickelt
werden, wie vor allem die
hochkomplexen Nesselzellen
Abbildung 6.3: Hochkomplexe Einzelzelle: Die Nesselzelle
der Quallen eindrucksvoll
zeigen (→ Abb. 6.3).

6.1.1 Endosymbiontentheorie
Die Neuverwendung vorhandener Strukturen haben Sie schon als zentrales Element
der Evolution kennengelernt. Ein schönes Beispiel ist die Entstehung der Eukaryoten. Wir
wollen dazu zunächst die Mitochondrien in den Blick nehmen. Wir können feststellen,
dass diese über eigene DNA verfügen, die wie bei den Prokaryoten zum Ring geschlossen
ist. Nehmen Sie das bitte für den Augenblick so hin. Sie werden in Block IV noch mehr über
die DNA bei Prokaryoten lernen.

Außerdem haben sie eine eigene Maschinerie, um die Informationen aus der DNA
umzusetzen. Diese Maschinerie ähnelt auffällig der der Prokaryoten, während sie sich von
der eukaryotischen unterscheidet. Hinzu kommt, dass sich Mitochondrien durch Teilung
vermehren. Die Ähnlichkeit zwischen Prokaryoten und Mitochondrien geht weiter bis ins
Detail. So ist z.B. das Lipid Cardiolipin außer in Mitochondrien nur bei Prokaryoten zu
finden. Sie ahnen bereits, worauf das hinausläuft. Mitochondrien waren früher
unabhängige Prokaryoten. Sie wurden – vermutlich eigentlich als Nahrung – von einer
74
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

anderen Zelle aufgenommen. Dort wurden sie nicht abgebaut, sondern sie haben sich
zusammen mit der Zelle entwickelt und deren Energieversorgung übernommen. Dabei
haben sie im Entwicklungsprozess viel von ihrer Eigenständigkeit verloren. Sie werden
mit vielem von der Zelle versorgt, der sie im Gegenzug dazu Energie liefern.

Wir sagen heute, dass Mitochondrien durch Endosymbiose entstanden sind. Als
Symbiose wird eine Kooperation zwischen zwei Partnern bezeichnet, von der beide
Seiten profitieren. Endosymbiose bedeutet, dass einer der Symbiosepartner im Inneren
des anderen lebt. Man bezeichnet dabei den Organismus, der im Inneren des anderen lebt,
als Symbiont und den aufnehmenden Organismus als Wirt.

Abgesehen von den Ähnlichkeiten zwischen


Mitochondrien und Prokaryoten gibt es eine
heute lebende Form, die eine Art
Übergangsstadium dieser Zusammenarbeit
darstellt. Die Amöbe Pelomyxa palustris ist ein
einzelliger Eukaryot, in dessen Inneren
Prokaryoten, die noch als solche zu erkennen
sind, als Endosymbionten vorkommen. Diese
übernehmen die Energieversorgung der Amöbe
Abbildung 6.4: Pelomyxa palustris [12] und werden als Gegenleistung dafür von der
Amöbe ernährt (→ Abb. 6.4).

Auch die
Entstehung des
Zellkerns scheint auf
Endosymbiose zu
beruhen. Als Symbiont
kommt eine
Organismenform in
Frage, die ansonsten für
Sie keine weitere Rolle
spielt – die Archaeen.
Diese sind – wie die
Prokaryoten – Zellen
ohne Zellkern. In ihrer
Organisation ähneln sie
aber ansonsten eher
den Eukaryoten.

Abbildung 6.5: Entwicklung eines zellulären Schleimpilzes

Sie müssen nicht die Entwicklungsstadien im Einzelnen nachvollziehen können – Sie sollen lediglich
einen Eindruck davon bekommen, dass manche Organismen im Wechselspiel mit Ihrer Umwelt
zwischen Einzelligkeit und Mehrzelligkeit wechseln können.
75
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

6.2 Einzeller und Vielzeller


Die zweite wichtige Unterscheidung im Komplexitätsgrad ist die zwischen Einzellern
und Vielzellern. Prokaryoten kommen praktisch ausschließlich als Einzeller vor. Bei den
Eukaryoten finden wir sowohl Einzeller als auch Vielzeller.

Die Entwicklung vom Ein-


zum Vielzeller ist gut an heute
noch lebenden Organismen
nachzuvollziehen. Es gibt
Formen, bei denen eine
Kooperation zwischen
verschiedenen Zellen
vorübergehend ist. Außerdem
gibt es Formen, bei denen sich
mehrere Zellen mit gleichen
Funktionen
zusammenschließen. Und
drittens gibt es Organismen, bei
denen verschiedene Zelltypen
zu funktionellen Einheiten
verbunden sind.

Außerdem gibt es Zellen in


Vielzellern, die
Verhaltensweisen von
Einzellern zeigen. So bezeichnet
man z.B. die Bewegung einiger
Leukocyten im menschlichen
Körper als amöboid, weil sie der
der einzelligen Amöben ähnelt.
Der Schleim in der Lunge wird
von Cilien abtransportiert, die
an die Abbildung 6.6: Hierarchie biologischer Ordnung bis hin
Fortbewegungsstrukturen zum Organismus
einzelliger Vorfahren erinnern.

Auch der Aufbau eines Vielzellers kann als eine Art Symbiose verstanden werden. Im
Verband können Funktionen erreicht werden, die auf einzelligem Niveau nicht denkbar
sind. Dabei verlieren die einzelnen Zellen ihre unabhängige Lebensfähigkeit.

Die Komplexität, die mit der Mehrzelligkeit einhergeht, ermöglicht eine nahezu
unendliche Vielfalt der Funktionsweisen. Sie bietet aber auch eine Reihe zusätzlicher
Ansatzpunkte für Störungen, die sich uns als Krankheiten zeigen.
76
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

6.2.1 Von der Zelle zum Vielzeller


Wir haben schon mehrfach erwähnt, dass Einzeller sich durch Zweiteilung
vermehren. Bei der Vervielfachung eines Einzellers und der Zellen eines Vielzellers gibt
es erst einmal keinen Unterschied. Der grundlegende Mechanismus ist gleich. Danach
bleiben aber beim Vielzeller die Zellen miteinander verbunden. Sowohl beim
eukaryotischen Einzeller als auch beim Vielzeller verfügen alle nachfolgenden Zellen über
das gleiche Erbgut. Beim Einzeller sind aber auch die Funktionen jeder Zelle gleich,
während es beim Vielzeller zu vielfältigen Differenzierungen kommt.

Bevor sich eine Zelle teilen kann muss sie ihr Erbgut verdoppeln. Damit wird
sichergestellt, dass jede Tochterzelle einen vollständigen Satz an Informationen erhält.
Sie haben mit der Replikation bereits den Mechanismus zur Verdopplung der DNA
kennengelernt. Wir wollen ihn uns nun auf struktureller Ebene ansehen.

6.2.2 DNA und Chromosomen


Jede Zelle treibt viel Aufwand,
um ihre DNA sorgfältig zu
replizieren und Fehler dabei zu
vermeiden oder zu beheben. In
jeder Zelle finden wir das gesamte
menschliche Genom, das im
einfachen Satz ca. 3 Milliarden
Basenpaare enthält, aufgeteilt auf
23 verschiedene DNA-
Doppelstränge. Ihre Körperzellen
besitzen einen doppelten Satz, also
46 DNA-Doppelstränge.

Wenn wir uns jetzt vorstellen,


dass der Zellkern einer Körperzelle
einen Durchmesser von 5-16 μm
hat, in dem 46 DNA-Stränge von
jeweils ca. 5 cm Länge verstaut
werden müssen, können wir
erahnen, dass das ohne eine gute
Organisation ein heilloses
Durcheinander geben würde.

Die DNA muss also organisiert


werden. Dies geschieht mit Hilfe Abbildung 6.7: DNA-Kondensation
von Proteinen und beginnt direkt
77
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

mit der Replikation der DNA. DNA und Protein liegen in einem Verhältnis von 20:80 vor
und bilden so das Chromatin. Im Chromatin sind die DNA-Stränge mit ihren Proteinen
nicht einzeln erkennbar. Dies ist erst der Fall, wenn sie für den Zellzyklus kondensieren.
Dann bezeichnet man sie als Chromosomen.

Die Proteine im Chromatin werden in Histone und Nicht-Histone unterteilt, wobei


wir uns besonders für die Histone interessieren. Diese weisen einen hohen basischen
Anteil auf, wodurch sie in Kontakt mit der sauren DNA treten können. Es gibt fünf Haupt-
Histontypen (H1, H2A, H2B, H3 und H4). Vier Histon-Typen (H2A, H2B, H3 und H4) lagern
sich – jeweils als Dimere – zu einem Oktamer zusammen. Diese Oktamere bilden flache
Zylinder, um die sich die DNA windet. Die Kombination aus DNA und Histonoktamer
bezeichnet man als Nucleosom. Zwei Nucleosome sind immer über ein Stück DNA, den
Linker, miteinander verbunden. In der Linker-Region findet sich der fünfte Histontyp
(H1).

Abbildung 6.8: Nucleosomen

Bitte verwechseln Sie nicht Nucleosomen mit Nucleoli – wir stellen immer wieder
fest, dass das leicht passiert.

Die Verpackung kann unterschiedlich dicht sein. Eng gepackte Bereiche bezeichnet
man als Heterochromatin, lockerere als Euchromatin. Wo die DNA eng gepackt ist, kann
keine Erbinformation umgesetzt (exprimiert) werden. Es gibt Bereiche, in denen die DNA
immer eng gepackt vorliegt und solche, bei denen dies vom Differenzierungszustand der
Zelle abhängig ist.
78
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

6.2.3 Zellzyklus
Den Zeitraum von einer Zellteilung bis zur nächsten bezeichnet man als Zellzyklus
(→ Abb. 6.9). Funktional können wir zwei Hauptteile des Zellzyklus unterscheiden:

1. Die Interphase, in der das Zellwachstum und die Replikation erfolgt.

2. Die M-Phase, die nochmals unterteilt wird in:

a. Die Mitose, in der die Kernteilung mit der Verteilung des Erbgutes vollzogen
wird.

b. Die Cytokinese, die die eigentliche Zellteilung und die Vorbereitung auf die
nächste Zellteilung bezeichnet.

Der Übergang von der Mitose zur Cytokinese erfolgt praktisch nahtlos. Die
Interphase umfasst die G1-, G2- und manchmal auch G0-Phase sowie die S-Phase. Bei
den G-Phasen war lange nicht bekannt, was passiert. Deshalb auch der Name, das G steht
für gap (Lücke).

Abbildung 6.9: Zellzyklus


79
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

Während der Interphase sind keine Chromosomen zu erkennen. Hier wird die DNA
entweder als Transkriptionsvorlage oder zur Verdopplung benötigt und ist daher relativ
wenig spiralisiert. Hier liegen zwei Sätze mit 23 Chromatinfäden vor – man spricht auch
von Ein-Chromatid-Chromosomen. Das Vorliegen von zwei Chromosomensätzen
bezeichnet man als diploid.

Die G1-Phase ist die hauptsächliche Wachstumsphase der Zelle. Die Chromosomen
liegen als Ein-Chromatid-Chromosomen vor, wie sie bei der Zellteilung entstanden sind.

An die G1-Phase kann eine G0-Phase anschließen. Das ist eine Ruhephase, in der die
Zelle nicht weiter auf einen Teilungsprozess vorbereitet wird. Eine Reihe von Zellen
verbleibt dauerhaft in diesem Zustand, während andere durch äußere Aktivierung wieder
in die Teilung eintreten können. Epithelzellen sind ein schönes Beispiel: Im geschlossenen
Zellverband teilen sich die Zellen nicht mehr. Bei einer Verletzung können aber neue
Zellteilungen angeregt werden.

Sofern keine G0-Phase eingeleitet wird, gelangt die Zelle von der G1-Phase in die
sogenannte S-Phase (Synthesephase). Der Zeitpunkt wird durch das Verhältnis von
Kern zu Plasma bestimmt. Die S-Phase ist durch die Replikation der DNA gekennzeichnet.
Hier entstehen aus den Ein-Chromatid-Chromosomen wieder Zwei-Chromatid-
Chromosomen. Dabei sind die beiden Chromatidfäden am Centromer miteinander
verbunden. Das Centromer ist immer heterochromatisch. Seine Replikation wird nicht in
der S-Phase, sondern erst während der Mitose abgeschlossen. Auch hier können Sie die
Chromosomen im Lichtmikroskop nicht sehen. Die S-Phase dauert bei Menschen 6-
8 Stunden. Gleichzeitig mit der Replikation werden auch Histone produziert.

Die G2-Phase ist mit 3-5 Stunden relativ kurz. Hier wird die Zellteilung vorbereitet.
Neben der Synthese der Proteine für die Mitose ist vor allem die Reparatur der DNA – die
Beseitigung von Replikationsfehlern – wichtig.

Der auf die G2-Phase folgende Eintritt der Zelle in die M-Phase ist streng kontrolliert.
Tochterzellen einer Zelle, die sich zu früh teilt, sind nicht überlebensfähig. Das ist aber für
den Organismus das geringere Problem. Besonders wichtig ist, dass die Replikation der
DNA ordnungsgemäß abgeschlossen und überprüft wurde. Die Weitergabe von DNA-
Schäden kann gravierende Folgen für den Organismus haben. Wir werden darauf noch im
Zusammenhang mit der Entstehung von Krebs zurückkommen.

Die M-Phase besteht aus der Kernteilung (Mitose; daher auch der Name) und der
daran anschließenden Zellteilung (Cytokinese).

Die Mitose wird noch einmal in verschiedene Phasen unterteilt, die im


Lichtmikroskop gut zu erkennen sind (→ Abb. 6.10):
80
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

Abbildung 6.10: Mitosephasen

In der Prophase kondensiert das Chromatin im Zellkern. Jetzt werden die


Chromosomen zum ersten Mal erkennbar. Der Nucleolus löst sich auf. Die polaren
Spindelfasern treffen aufeinander und legen die Zellpole fest, indem sie die Centrosomen
in Richtung Zellmembran verschieben.

Die Prometaphase ist von der Auflösung der Kernmembran gekennzeichnet. Die
Lamine der Kernmembran werden depolymerisiert. Die Lamine A und C flottieren im
Cytoplasma, während Lamin B an den Kernmembranvesikeln hängen bleibt. Durch
Auflösung der Kernmembran hat der Spindelapparat über die Kinetochorfasern direkten
Zugang zu den Chromosomen. Ihren Namen haben die Kinetochorfasern daher, dass sie
81
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

am Kinetochor der Chromosomen ansetzen. Da die Kernmembran während der Teilung


des Kerns aufgelöst ist, spricht man bei der Mitose auch von einer indirekten Kernteilung.

In der Metaphase sind die Chromosomen in der Äquatorialebene angeordnet. Das


liegt daran, dass nun alle Centromere mit Kinetochorfasern verbunden sind. Diese reichen
jeweils von einem Zellpol zu den Kinetochoren auf einer Seite des Centromers. So ist jedes
Zwei-Chromatid-Chromosom mit jedem Zellpol verbunden. Die Chromosomen sind nun
maximal verkürzt und im Lichtmikroskop gut zu erkennen. Die Centromere der
Chromosomen liegen sich so gegenüber, dass eine Art Sternfigur entsteht – ein
sogenannter Monaster (Einstern).

Abbildung 6.11: Aufbau des Spindelapparats

Cytostatika wie das Colchicin wirken auf die Ausbildung der Teilungsspindel, da sie
die Verlängerung der Mikrotubuli unterbinden. Eine geordnete Zellteilung ist damit nicht
mehr möglich. Colchicin kann daher für den Menschen tödlich sein, wird aber in
vorsichtiger Dosierung in der Krebstherapie eingesetzt, um dort die Teilungen der
entarteten Zellen zu unterbinden.

Wenn die Chromosomen in der Metaphaseplatte ausgerichtet sind, werden


Kohäsine – Proteine, die die Chromatidenarme am Centromer zusammenhalten –
gespalten. Gleichzeitig wird die Replikation beendet, die in der S-Phase in der
Centromerregion gestoppt wurde.
82
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

Zu Beginn der Anaphase werden die Mikrotubuli in Kinetochornähe depolymerisiert,


wodurch die Chromosomen sich den Polen nähern. Dabei sorgt das Motorprotein Kinesin
dafür, dass bei der Depolymerisation der Kontakt zwischen Spindelfaser und Kinetochor
erhalten bleibt. Bei der Trennung erscheinen die Chromosomen in sogenannten Diastern
(Doppelsternen). In der späten Anaphase bewirken die polaren Spindelfasern, dass die
Zellpole weiter auseinandergeschoben werden. So weichen die Chromatiden der
Chromosomen weiter auseinander.

Abbildung 6.12: Kinetochor im Anaphase-Chromosom

In der Telophase sind die Chromosomen maximal voneinander entfernt. Sie werden
an den Zellpolen von den Kernmembranfragmenten umhüllt, die im Cytoplasma
verblieben waren. Diese fließen ineinander und bilden die neue Kernmembran. Die
Chromosomen dekondensieren, so dass die rRNA-Synthese wieder beginnen kann, und
die Nucleoli wieder neu gebildet werden können. Die Chromosomen verschwimmen
dabei wieder im Chromatin. Damit ist die Kernteilung abgeschlossen. Die Zellteilung wird
am Ende der Telophase durch die Bildung eines Teilungsrings in Höhe der ehemaligen
Äquatorialebene eingeleitet.

Die Cytokinese beendet die M-Phase. Zu Beginn der Cytokinese bildet sich der
Teilungsring, der am Ende der Telophase angelegt wurde, fertig aus. Er besteht aus Aktin
und Myosin – den beiden Proteinen, die Sie schon als wesentlich für Bewegungselemente
kennengelernt haben. Der Ring schnürt sich zu, wodurch das Cytoplasma mechanisch
aufgeteilt wird. Einige Bestandteile werden organisiert verteilt. So erhält jede
Tochterzelle einen Zellkern und ein Centriolenpaar. Bei anderen Zellbestandteilen wirkt
der Zufall. Der Spindelapparat wird schließlich abgebaut und zu Cytoskelettbestandteilen
umgebaut.
83
Kapitel 6 – Grundlage der Vielfalt – die Komplexität

6.2.4 Struktur der Chromosomen


Vermutlich haben Sie schon häufiger Bilder von Chromosomen gesehen
(→ Abb. 6.13). Ihnen müsste jetzt klar sein, dass diese Bilder Chromosomen immer in dem
Stadium zeigen, in dem sie sich die kürzeste Zeit befinden – in der Metaphase. Sie sind
dort einfach optisch am leichtesten zugänglich. Leider führt das oft zu Verwirrungen – wir
stellen immer wieder fest, dass sich die kondensierten Zwei-Chromatid-Chromosomen so
im Denken verankern, dass Studierende davon ausgehen, die Chromosomen würden
immer so vorliegen. In den normalen Körperzellen, die sich nicht in Teilung befinden,
liegen im Lichtmikroskop nicht sichtbare Ein-Chromatid-Chromosomen vor. Davon gibt
es 23 verschiedene Typen und von jedem Typ zwei, also insgesamt 46.

Abbildung 6.13: Chromosomenstruktur


84
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

7 Regulation zur Aufrechterhaltung von


Lebensfunktionen
Erarbeitungshilfen

• Warum hat Regulation in der Biologie etwas mit


Wahrscheinlichkeiten zu tun?
• Welche Regulationsmöglichkeiten gibt es im
Zusammenhang mit Enzymen? Beschreiben und
erläutern Sie jeweils ein Beispiel. Vergleichen Sie sie
im Hinblick auf Effektivität. Wie heißen die
beteiligten Strukturen?
• Was sind Enhancer und Silencer?
• Welche Formen der Signalleitung gibt es bei
Vielzellern?
Charakterisieren Sie diese.
• Warum gibt es Rezeptoren?
• Welche Typen von Rezeptoren gibt es? Beschreiben
Sie diese.
• Was ist Determinierung, was Differenzierung?
• Was ist ein epigenetisches Muster?
• Welche Möglichkeiten der epigenetischen
Modifikation haben Sie kennengelernt? Erläutern Sie
diese.
85
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

In diesem Kapitel kommen wir zu einem Thema, das alle Bereiche des Lebens
durchzieht – egal, ob wir Prokaryoten oder Eukaryoten, Einzeller oder Vielzeller
betrachten, egal, ob wir uns den direkten Austausch einer Zelle mit ihrer Umgebung,
Vorgänge innerhalb einer Zelle oder zwischen Zellen im Zellverbund ansehen – immer
treffen wir auf ein Phänomen in einem buntem Strauß an Ausprägungen – die Regulation.

Wir möchten Ihnen nur einige Beispiele erläutern, die Ihnen helfen werden,
Regulationsmechanismen zu verstehen, wenn Sie Ihnen begegnen.

7.1 Regulation funktioniert über die


Beeinflussung von Wahrscheinlichkeiten
Bevor wir uns einzelnen Beispielen zuwenden, müssen wir ein Grundprinzip
verstehen. Regulation ist fast immer ein Prozess mit vielen fließenden Übergängen. Sie
müssen sich klar machen, dass es in der Biologie mehr Grautöne als Schwarz-Weiß-
Situationen gibt. Dies lässt sich besonders gut an den Wasserstoffbrückenbindungen
verdeutlichen. Diese sind schwache Bindungen, und damit liegen die
Wahrscheinlichkeiten dafür, dass die Bindung hält und die, dass die Bindung nicht hält,
ziemlich nah zusammen. Eine kovalente Bindung ist im Vergleich zur
Wasserstoffbrückenbindung ca. 20-mal stärker. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine
kovalente Bindung hält, nähert sich unter physiologischen Bedingungen 100% an.

Wir können also davon ausgehen, dass zwei Moleküle, die über eine
Wasserstoffbrückenbindung miteinander verbunden sind, sich immer wieder lösen und
erneut verbinden. Wenn nun zumindest eines dieser Moleküle nur vereinzelt vorliegt, ist
die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht neu binden kann – einfach, weil sich die Moleküle
nicht mehr finden - deutlich höher, als wenn die Konzentration hoch ist. Wenn also
beispielsweise ein Stoff ein Enzym aktiviert, solange er gebunden ist, dann steigt die
Wahrscheinlichkeit, dass das Enzym aktiviert wird, mit der Konzentration des Stoffes an.
Bei jeder Ablösung wird schnell wieder ein Neuer gebunden. Sinkt die Konzentration, so
wird der Stoff seltener ersetzt, wenn er sich gelöst hat, und die Aktivierungsrate sinkt.
Wenn wir sagen, dass ein Stoff gebunden ist, dann heißt das nur, dass über den
betrachteten Zeitraum häufiger ein Molekül dieses Stoffes gebunden ist, als keines
gebunden ist.

Die Verhältnisse ähneln einem Dimmer bei einer Lampe. Hätte die Lampe einen festen
Schalter, gäbe es Licht oder kein Licht. Beim Dimmer gibt es eine Vielzahl von Zuständen
dazwischen. Das ist sehr wichtig, damit jede Regulation einerseits in beide Richtungen
funktioniert, und andererseits, um sie präzise an die Umweltbedingungen anzupassen.
86
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

7.2 Regulation auf Enzymebene


Zur Regulation enzymatischer Katalyse gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
einerseits kann die Aktivität des betreffenden Enzyms, andererseits kann seine
Konzentration geändert werden.

Wir wollen uns beide Wege am Beispiel des Tryptophans ansehen – einmal die
Regulation der Enzymaktivität und zum anderen die Regulation der Synthese der Enzyme.

Tryptophan ist eine der 20 Aminosäuren, die zur Proteinsynthese benötigt werden.
Escherichia coli, ein Darmbakterium, kann in einem sog. Minimalmedium wachsen und
dabei aus Glukose und einigen Salzen die verschiedenen organischen Substanzen des
Zellstoffwechsels herstellen, u.a. auch Tryptophan. Wenn E. coli in seiner Umgebung
Tryptophan vorfindet, kann man beobachten, dass die Zellen sofort ihre eigene
Tryptophansynthese stoppen. Wenn dann das angebotene Tryptophan verbraucht ist,
setzt zunehmend die eigene Tryptophansynthese wieder ein.

7.2.1 Regulation der Enzymaktivität


Wenden wir uns zunächst der Regulation der Aktivität von Enzymen zu. Im
verzweigten Netzwerk des Zellstoffwechsels führen fünf Syntheseschritte nach einem
letzten Verzweigungspunkt zum Tryptophan. Das erste Enzym dieser Synthesekette hat
an seiner Oberfläche einen Bereich, an den ein Tryptophanmolekül binden kann.
Aufgrund des allosterischen Effekts ändert das Enzymmolekül daraufhin seine
Konformation und wird inaktiv. Infolgedessen werden das nächste und auch die
folgenden Zwischenprodukte und schließlich das Endprodukt Tryptophan nicht mehr
synthetisiert. Nur die vorhandenen Zwischenprodukte werden noch verarbeitet, dann
kommt die Tryptophansynthese zum Erliegen. So spart die Zelle Energie und Nährstoffe.
Auch, dass bereits das erste Enzym der Synthesekette inaktiviert wird, ist wichtig. Wenn
ein späterer Schritt blockiert würde, würden die Schritte davor noch unnötig Material und
Energie verbrauchen. Möglicherweise würde sogar ein schädliches Stoffwechsel-
Zwischenprodukt angehäuft. Andererseits wäre es gefährlich, wenn Tryptophan einen
früheren Schritt blockieren würde, da dann auch andere Stoffwechsel-Produkte nicht
mehr synthetisiert würden.

Ein Molekül, das durch Binden an ein Proteinmolekül dessen Aktivität beeinflusst,
wird Effektor genannt. In unserem Beispiel ist es das Endprodukt der Synthesekette, das
Tryptophan, das seine eigene Synthese hemmt. Wir haben es mit einer (negativen)
Rückkopplung zu tun. Das Binden eines Effektors an ein Protein ist nicht endgültig,
sondern reversibel. An dieser Stelle kommt nun die Frage der Wahrscheinlichkeit ins
Spiel.
87
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

7.2.2 Regulation der Synthese von Enzymen


Wenden wir uns nun der Regulation der Proteinsynthese zu. Wenn E. coli in seiner
Umgebung die Aminosäure Tryptophan vorfindet, wird nicht nur die Aktivität des ersten
Enzyms vermindert. Vielmehr kann man beobachten, dass nach einigen Minuten auch
keine tryptophansynthetisierenden Enzyme mehr neu gebildet werden. Ansatzpunkt
dieser Regulation ist der Start der Transkription.

Abbildung 7.1: Regulation der Tryptophansynthese bei E. coli

In unserem Beispiel dient wieder das Endprodukt Tryptophan als Effektor. In diesem
Fall bindet es an ein anderes regulatorisches Protein. Dieses Protein bindet spezifisch an
Tryptophan als Effektor und ändert daraufhin seine Konformation. Nun kann es an der
DNA binden und hindert so die RNA-Polymerase daran, den für die Tryptophansynthese
zuständigen DNA-Abschnitt zu transkribieren. Das zweite regulatorische Protein
reprimiert also die Transkription, es wirkt als Repressor. → Abb. 7.1 zeigt die beteiligte
Struktur und das Schema des Ablaufs.
88
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

7.2.3 Vergleich der Regulationsmechanismen


Enzymmoleküle sind groß – sie bestehen aus hunderten von kovalent gebundenen
Aminosäuremolekülen. Ihre Synthese verschlingt im Zellstoffwechsel den Hauptanteil an
Material und Energie. Deshalb kommt der Regulation der Proteinsynthese eine so große
Bedeutung zu. Aber auch die Regulation der Enzymaktivität hat ihre Bedeutung. Das wird
verständlich, wenn wir bedenken, dass Proteine sehr langlebig sind. Auch wenn bei hoher
Tryptophankonzentration keine neuen tryptophanspezifischen Enzyme mehr hergestellt
werden, ist zunächst noch die volle Enzymausstattung in der Zelle vorhanden. Sie wird
nur durch Wachstum und Vermehrung der Bakterien allmählich reduziert. Hier wird nun
die Regulation der Enzymaktivität bedeutsam. Ständig und ohne Verzögerung wird durch
sie die Geschwindigkeit der Tryptophansynthese der jeweiligen
Tryptophankonzentration angepasst.

So ergänzen sich die beiden


Regulations-Mechanismen
(→ Abb. 7.2): die Regulation der
Proteinsynthese hilft schwerfällig
und langsam, einen großen Betrag
an Material und Energie
einzusparen; die Regulation der
Enzymaktivität ermöglicht
blitzschnell eine zusätzliche
Einsparung des relativ geringen
Restbetrags.

Auch auf der Ebene der


Transkription gibt es natürlich
Prozesse, die positiv reguliert
werden. Das Effektor-Protein heißt
in diesem Fall Aktivator und
veranlasst bei seiner Bindung am
Operator die Transkription.

Abbildung 7.2: Vergleich der beiden


Regulationsmechanismen
89
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

7.3 Regulation bei Vielzellern


Die Regulation der Enzymsynthese bei Prokaryoten stellt eine Reaktion auf die
Änderung von Umweltbedingungen dar. Die Mechanismen sind relativ einfach. Das dürfte
auch damit zusammenhängen, dass das Genom der Prokaryoten recht einfach organisiert
ist. Regulationseinheiten und Gene sind beispielsweise in einem Operon organisiert. Bei
den eukaryotischen Zellen, insbesondere denen der Vielzeller, sind die Verhältnisse etwas
komplizierter. Wir finden hier ca. 2000 Transkriptionsfaktoren.

Oft spielen auch noch eine Reihe weiterer Strukturen eine Rolle, so dass der
Transkriptionsstart unter vielfacher Kontrolle steht. Anführen möchten wir die Enhancer
und Silencer. Das sind DNA-Sequenzen, die weit – bis zu 50 kb – vom eigentlichen
Transkriptionsstart entfernt liegen und dennoch mit diesem interagieren. Hier können
Transkriptionsfaktorkomplexe binden, die mechanisch auf die Struktur der DNA
einwirken, und damit die Transkription erleichtern (Enhancer) oder erschweren
(Silencer).

Die Abstimmung eines Einzellers mit seiner Umgebung ist relativ einfach: Eine
Substanz, die fehlt, muss gebildet werden; wenn eine Substanz vorhanden ist, ist es
sinnvoller sie aufzunehmen und die Energiekosten für die Bildung zu sparen. Anders ist
das bei Zellen in einem vielzelligen Organismus. Hier haben nur verhältnismäßig wenige
Zellen überhaupt einen Kontakt mit der äußeren Umwelt. Für sie bilden die Nachbarzellen
und der extrazelluläre Raum die Umwelt. Diese müssen also für die Zelle spiegeln, was
dem Organismus in der „Außenwelt“ begegnet. Nervensystem und Blutkreislauf sind zwei
Systeme, die Informationen – und im Falle des Blutes auch Nährstoffe und Sauerstoff – im
Körper verteilen.

Beim Nervensystem werden die Informationen über Nervenimpulse rein elektrisch


(elektrische Synapse mit gap junctions) oder mit Unterstützung chemischer Substanzen
(chemische Synapse) weitergegeben. Die Zuordnung einer Information zu ihrem
Zielgebiet erfolgt über Nervenbahnen. Wir sprechen dabei von synaptischer
Signalleitung.

Im Blut werden Informationen über Hormone im Körper verteilt. Die Zuordnung zu


den Zielgebieten ergibt sich hier aus der Rezeptorausstattung der möglichen Zielzellen.
Hier sprechen wir von endokriner Signalleitung.

Es gibt aber auch Kontakte zwischen benachbarten Zellen, bei denen die Ausbreitung
des Signals über Diffusion im Interzellularraum schnell genug ist. Hier sprechen wir von
parakriner Signalleitung.

Bei Wachstumshormonen wirkt die Signalfunktion auch auf die Zelle, die das Signal
abgibt, selbst. Die Wirkung ist hier autokrin. Dies spielt eine wichtige Rolle beim
Wachstum von Tumoren. Tumorzellen können Wachstumshormone abgeben, die auf sie
selbst zurückwirken und ihre Vervielfältigung beschleunigen.
90
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

Als letztes ist noch die kontaktabhängige Signalleitung zu nennen, die nur im
direkten Kontakt zwischen Zellen (z.B. Immunsystem) wirksam wird.

In jedem Fall gibt es immer eine Station, die ein Signal aussendet, und (mindestens)
eine Station, die es aufnimmt. Ausgesendet wird immer ein primäres Signal (first
messenger), welches für sich jedoch nicht wirksam ist. Es muss zunächst durch die
Bindung an einen Rezeptor empfangen werden. Der Rezeptor kann dann entweder selbst
enzymatisch eine Reaktion bewirken, oder er sendet einen zweiten Boten (second
messenger) aus.

7.3.1 Rezeptoren
Die Ausstattung einer Zelle mit Rezeptoren entscheidet, auf welche Informationen sie
reagiert. Letztlich ist es dasselbe, wenn Sie durch eine belebte Straße gehen, in der
Menschen mit ganz unterschiedlichen Sprachen sprechen – alle übermitteln
Informationen, aber Sie können nur die verstehen, deren Sprache Sie kennen.

Die Rezeptoren können sich entweder in der Zellmembran oder im Zellinnern


befinden. Für die meisten Signalmoleküle ist die Zellmembran undurchlässig. Für diese
müssen die Rezeptoren außen angebracht sein. Aber auch Hormone, die in eine Zelle
eindringen können, wirken dort nur über Rezeptoren. Sie finden diese entweder im
Cytoplasma oder im Zellkern. Steroidhormone sind beispielsweise lipophil. Sie können in
das Cytosol gelangen, wo sie an spezifische Rezeptoren binden. An Rezeptoren gebunden
gelangen sie in den Zellkern, wo sie auf die Genexpression einwirken.

Rezeptoren sind Proteine. Der Kontakt mit einem Botenstoff führt zu einer
Konformationsänderung, die zur Signalweiterleitung oder direkten Reaktion führt
(→ Abb. 7.3). Erkennen Sie das Muster wieder? Das Prinzip ist das gleiche wie bei der
Regulation der Enzymaktivität.

Abbildung 7.3: Signalübertragungskaskade


91
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

Wir unterscheiden drei Typen von Rezeptoren: G-Protein-gekoppelte Rezeptoren,


Enzym-gekoppelte Rezeptoren und Ionenkanal-gekoppelte Rezeptoren.

Die meisten Rezeptoren sind an G-Proteine gekoppelt. Es sind


Transmembranproteine, die mit sieben α-Helices die Zellmembran durchspannen.
Wenn die Rezeptoren ein Signal binden, aktivieren sie ein G-Protein. Sie übertragen
sozusagen ihre eigene Konformationsänderung auf das nächste Protein. Die G-Proteine
sind ebenfalls in die Membran eingelagert. G-Proteine werden bei Bindung von
Guanintriphosphat (GTP) aktiviert und haben in der inaktiven Form Guanindiphosphat
(GDP) gebunden. Das aktivierte G-Protein kann wiederum auf verschiedene Zielproteine
wirken. Hier wird die Information in Form eines second messengers weiter in die Zelle
gegeben.

Enzym-gekoppelte Rezeptoren durchspannen ebenfalls die Membran. Sie binden


das Signal außerhalb der Zelle und haben auf der dem Cytsol zugewandten Seite einen
enzymatisch wirksamen Teil. Hierbei handelt es sich meist um Tyrosinkinasen mit
Phosphorylisierungsfunktion. Sie können ganze Phosphorylierungskaskaden einleiten,
z.B. den sogenannten MAP-Kinase-Signalweg. EGF (epidermal growth factor), Insulin und
PDGF (platelet-derived growth factor) wirken über solche Rezeptortyrosinkinasen.

Ionenkanal-gekoppelte Rezeptoren wirken mit der Bindung eines Signalmoleküls


auf einen Ionenkanal ein, der dann geöffnet oder geschlossen wird.

Abbildung 7.4: Komplexe Regulationsmöglichkeiten


92
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

Die Regulationsmöglichkeiten gewinnen an Komplexität, wenn man betrachtet, dass


nicht immer ein Signal zu genau einer Antwort führt. Ein Signal kann auch verschiedene
Antworten zur Verfügung haben, oder die Antwort wird durch das Wechselspiel von zwei
Signalen bestimmt. Das gleiche Signalmolekül kann auch mit verschiedenen Rezeptoren
unterschiedliche Reaktionen hervorrufen (→ Abb. 7.4).

7.4 Regulation der Entwicklung von der Zygote


zum Menschen
Sie haben einen Einblick in die Vielfalt der Regulationsmechanismen erhalten, die
notwendig sind, um die vielfältigen Funktionen eines so komplexen Wesens wie dem
Menschen aufrecht zu erhalten. Tatsächlich nimmt auch die Fülle der
Regulationsmechanismen mit zunehmender Komplexität eines Organismus tendenziell
zu. Vielleicht haben Sie aber auch das Gefühl, dass wir bei unseren Erklärungen mitten im
Problem stecken geblieben sind. Es ist ja beispielsweise interessant zu wissen, dass eine
Zelle nur dann auf einen Botenstoff reagiert, wenn sie den entsprechenden Rezeptor hat
– aber warum hat sie den überhaupt? Es ist nicht selbstverständlich, dass die Rezeptoren
vorhanden sind – das zeigen Krankheiten wie beispielsweise die Insulinresistenzen, bei
denen die Zahl an Rezeptoren reduziert oder ihre Empfindlichkeit verringert ist.

Wie kommt es aber überhaupt dazu, dass es so viele verschiedene Zelltypen in einem
Organismus gibt? Es ist immer recht leicht gesagt, dass das Erbgut die Information enthält,
aus der sich ein Organismus entwickelt. Aber wie ist es tatsächlich möglich, dass eine Zelle
unserer Haut den gleichen Informationssatz hat wie eine Nervenzelle oder eine
Bauchspeicheldrüsenzelle, und diese Zellen dennoch unterschiedlich aussehen und
unterschiedliche Aufgaben übernehmen?

Schon frühzeitig, zu einer Zeit, in der wir noch keine Unterschiede zwischen
verschiedenen Zellen erkennen können, wird festgelegt, wie eine Zelle sich im Weiteren
entwickelt. Diese Festlegung bezeichnen wir als Determination. Die tatsächliche
funktionale Ausstattung der Zelle ist die Differenzierung. Die Gestalt eines Organismus
ergibt sich aber erst aus der spezifischen Anordnung differenzierter Zellen, der
Morphogenese. Die Vergrößerung innerhalb der festgelegten Gestalt, vor allem durch
Vermehrung der Zellzahl, wird als Wachstum bezeichnet.

Wenn wir uns unterschiedliche Zelltypen ansehen, fällt auf, dass sie unterschiedlich
differenziert sein können, aber auch, dass sie unterschiedliche Möglichkeiten der
Entwicklung haben. Omnipotente embryonale Stammzellen können sich noch in jeden
Zelltyp entwickeln. Deshalb sind sie auch in der medizinischen und biologischen
Forschung so begehrt. Je weiter eine Zelle entwickelt ist, umso weniger
Differenzierungsmöglichkeiten hat sie. Die menschlichen Erythrozyten als Extremfall
stoßen sogar am Ende ihrer Entwicklung den Zellkern aus. Die Zellen, die den Zellkern
93
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

behalten, verfügen aber alle über das gleiche Genom. Der Unterschied besteht im
sogenannten epigenetischen Muster. Als epigenetisch bezeichnet man Veränderungen,
die nicht in der Basensequenz der Nukleinsäure geschehen und die dennoch an
Tochterzellen weitergegeben werden können. Solche Veränderungen liegen im
Methylierungsmuster der DNA oder in der Modifikation von Histonen vor.

Abbildung 7.5: Determination und Differenzierung

7.4.1 DNA-Methylierung
Wie bereits erwähnt, nehmen die Regulationsmöglichkeiten mit der Komplexität zu.
DNA-Methylierung ist ein schönes Beispiel, denn sie kommt erst bei höheren Organismen
vor.

DNA-Methyl-Transferasen können beim Menschen Cytosine methylieren, die mit


Guaninen benachbart sind (sogenannte CpG-Inseln). Die Enzyme erkennen diese
Kombinationen außen, in der Furchung der DNA. Durch die Methylierung von DNA wird
die Transkription in diesem Bereich verändert. Zum Beispiel kann sie verhindert oder
eingeschränkt werden, indem Transkriptionsfaktoren an der Bindung gehindert werden.
So können ganze Informationsbereiche abgeschaltet werden. Wichtig ist, dass diese
Änderung – ebenfalls durch DNA-Methyl-Transferasen - nach einer Replikation auf den
neu gebildeten DNA-Strang übertragen wird. Man spricht hier von Erhaltungsmetyhlasen.
94
Kapitel 7 – Regulation zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen

So kann das Methylierungsmuster von Zelle zu Zelle weitergegeben werden. Zellen, die
das gleiche Methylierungsmuster haben, gehören in einem Gewebe zusammen, Zellen mit
unterschiedlichem Methylierungsmuster gehören zu verschiedenen Geweben.

7.4.2 Histonmodifikation
Der zweite Mechanismus beruht auf der Änderung von Histonen. Sie haben diese
Proteine als wesentlich für die Chromosomenstruktur kennengelernt. Werden Histone
methyliert oder acetyliert, kann sich der Kondensationsgrad des Chromosoms an dieser
Stelle ändern. Stärker kondensierte Bereiche werden nicht transkribiert, so wird die
genetische Information abgeschaltet.

Ein schönes Beispiel für die Histonmodifikation finden wir beim menschlichen
Hämoglobin. Der Komplex, der für den Transport von Sauerstoff im Blut verantwortlich
ist, unterscheidet sich in verschiedenen Lebensphasen. Beim Ungeborenen wird bis zur
achten Woche ein anderes Hämoglobin produziert als in den Folgemonaten. Nach der
Geburt erfolgt ein weiterer Wechsel. Dieser Ablauf wird über Histonmodifikationen
gesteuert.

7.4.3 microRNAs (miRNAs)


Bedenkt man, dass miRNAs an praktisch allen molekularbiologischen Prozessen
beteiligt sind, ist es verblüffend, dass ihre Entdeckung noch nicht lange zurückliegt.
miRNAs sind kleine RNA-Stücke, die keine codierenden Sequenzen tragen. Sie entstehen
durch Spleißen aus einem miRNA-Primärtranskript, das direkt eine Reihe von miRNAs
umfasst. Sie können an das 3'-Ende einer mRNA vor der Translation binden und damit
ihre Translation teilweise oder ganz verhindern (RNA-Interferenz). miRNAs stellen ein
wichtiges Forschungsfeld in der Medizin dar. Sie können künstlich erzeugt und in Zellen
eingebracht werden, wo sie die Translation unerwünschter Genprodukte stoppen
können. Umgekehrt können auch bekannte miRNAs, deren Auswirkung auf die Zelle man
verhindern möchte, durch sogenannte Antagomire – kleine komplementäre RNA-Stücke
– ausgeschaltet werden. Der Begriff Antagomir setzt sich aus den Begriffen „Antagonist“
und „miRNA“ zusammen. Offenbar spielen miRNAs auch eine wichtige Rolle bei der
Tumorentstehung.

Mit den miRNAs funktionell verwandt sind siRNAs (small interfering), auf deren
Wirkung z.B. das neue Ebolamedikament TKM-Ebola beruht.
95
Kapitel 8 – Vermehrung

8 Vermehrung
Erarbeitungshilfen

• Warum ist Meiose notwendig?


• Beschreiben und erläutern Sie unter Verwendung
der Fachtermini den Ablauf der Meiose.
• Vergleichen Sie den Ablauf der Meiose mit dem der
Mitose.
• Sie sollen die Meiosestadien erkennen und ordnen
können.
• Fertigen Sie eine Tabelle zum Ploidiegrad, zur
Chromatidenzahl der Chromosomen und zu ihrer
Sichtbarkeit in den verschiedenen Stadien an.
• Was ist Rekombination? Wo findet sie statt?
• Was sind Schwesterchromatiden, was sind Nicht-
Schwesterchromatiden?
• Unterscheiden Sie Somazellen und Keimzellen.
• Was ist der synaptonemale Komplex?
• Was ist eine Tetrade/Bivalente?
• Was ist ein Crossing-over, was ein Chiasma? Welche
Funktionen haben sie?
• Erläutern Sie kurz das Prinzip einer Genkartierung.
• Nennen Sie den wesentlichen Unterschied zwischen
Spermatogenese und Oogenese.
• Was ist eine Kopplungsgruppe? Wie kann sie
aufgelöst werden?
• Nutzen Sie die Abbildungen, um sich den Ablauf der
Meiose einzuprägen, und sich die Unterschiede
zwischen der Meiose und der Mitose vor Augen zu
führen. Sie sollen auch beantworten können, wozu
diese Unterschiede dienen.
96
Kapitel 8 – Vermehrung

Wir haben nun die Entwicklung bis zum Organismus verfolgt. Dabei haben Sie bereits
gelernt, wie sich eukaryotische Einzeller und die Zellen eines Vielzellers durch Teilung
vermehren. Wir wollen uns nun noch ansehen, wie die Vermehrung des Menschen als
Beispiel für einen Vielzeller mit sexueller Fortpflanzung aussieht.

Wenn sich ein eukaryotischer Einzeller vermehrt, so wird zunächst das Erbgut
verdoppelt und verteilt, bevor die Zelle in zwei Tochterzellen aufgeteilt wird. Beide Zellen
haben dann das gleiche Erbgut. Bei dieser Form der Fortpflanzung spielt Sexualität keine
Rolle.

Bei uns ist das anders. Eine Vermehrung des Menschen ohne Sexualität ist nicht
möglich3. Die wichtigste Konsequenz daraus haben Sie täglich vor Augen – kein Kind
entspricht völlig einem Elternteil.

Während Einzeller ihre Erbinformation vollständig an ihre Tochterzellen


weitergeben, erhält ein Kind Erbanlagen von beiden Elternteilen. Das ist ein zentrales
Element für den evolutiven Prozess. Die Anlagen der Eltern werden durchmischt – wir
sprechen in der Biologie von Rekombination – und so erhöht sich die Zahl möglicher
Variationen erheblich.

Wir kommen darauf noch zurück – an dieser Stelle soll es zunächst um die
grundlegenden Funktionsmechanismen gehen.

8.1 Zellzyklus – ein Rückblick


Werfen wir noch einmal einen Blick auf den Zellzyklus (→ Abb. 8.1):

Eine menschliche Zelle mit diploidem Chromosomensatz (46 Ein-Chromatid-


Chromosomen; 2n, 1c) verdoppelt in der S-Phase das Erbgut, so dass nun im diploiden
Satz die Chromosomen mit jeweils zwei Chromatiden vorliegen (2n, 2c). In der Mitose
werden die Chromatiden der Chromosomen
nun getrennt und gleichmäßig verteilt – die
Zellen haben weiterhin einen diploiden Satz,
wobei die Chromosomen nun nur noch ein
Chromatid haben (2n, 1c) – es ändert sich die
Chromatidenzahl innerhalb der homologen
Chromosomen (c), nicht aber die Ploidie (n).
Zu jedem Zeitpunkt liegen die
Erbinformationen im Zellkern doppelt vor.
Abbildung 8.1: Zellzyklus

3
Bitte beachten Sie, dass es durchaus eukaryotische Vielzeller gibt, die sich ohne Sexualtität
(ungeschlechtlich) vermehren, wie z.B. die Kartoffelpflanze.
97
Kapitel 8 – Vermehrung

8.2 Meiose
Wenn wir uns nun vorstellen, dass zwei diploide Zellen zusammenkommen, um einen
neuen Organismus zu schaffen, dann wäre das Erbgut nach der Verschmelzung dieser
beiden Zellen vierfach vorhanden, im neuen Durchgang achtfach usw. Das ist offenbar
nicht der Fall, da Ihre Zellen dann schon längst vor lauter DNA aus allen Nähten geplatzt
wären. Bei der Bildung von Eizelle und Spermium muss also etwas passieren, das dafür
sorgt, dass die Erbgutmenge über die Generationen konstant bleibt. Dies passiert in der
Meiose. Im Unterschied zur Mitose besteht die Meiose aus zwei Teilungsschritten, wobei
der erste Teilungsschritt als Reduktionsteilung bezeichnet wird. Hier wird vom
diploiden auf den haploiden Chromosomensatz reduziert. Der zweite Teilungsschritt
heißt Äquationsteilung und verläuft wie die Mitose.

Wir müssen beim Menschen zwei


Gruppen von Zellen unterscheiden –
die Keimbahnzellen und die
Körperzellen. Schon bei der
Entwicklung eines Embryos werden
die Zellen festgelegt, aus denen später
die Gameten, also Spermien oder
Eizellen, hervorgehen. Nur diese
Zellen sind an der Bildung der
nächsten Generation beteiligt. Alle
anderen Zellen werden als Körper-
oder Somazellen bezeichnet. Sie
differenzieren sich in die vielfältigen
Zelltypen, die Sie als Menschen
ausmachen. Keine dieser Zellen wird
jemals etwas mit der Vererbung zu
tun haben. Eine Keimbahnzelle
verfügt, bevor sie in die Meiose
eintritt, wie die Somazellen über
einen doppelten Chromosomensatz,
wobei jedes Chromosom nur über ein
Chromatid verfügt.

Vor Beginn der Meiose wird die Abbildung 8.2: Kernphasenwechsel


DNA verdoppelt, so dass die
Chromosomen als Zwei-Chromatid-
Chromosomen vorliegen. Die → Abb. 8.3 zeigt diesen Zustand als Schema bei einer
angenommenen Chromosomenzahl von drei in einem einfachen Satz. Zu diesem
Zeitpunkt sind einzelne Chromosomen eigentlich nicht zu erkennen, da der
Kondensationsgrad zu gering ist.
98
Kapitel 8 – Vermehrung

Abbildung 8.3: Chromosomensatz einer (hypothetischen) Zelle vor Eintritt in die Meiose

Beim Menschen ist n = 23, 2n = 46.

8.2.1 Reduktionsteilung
Prophase 1

Die (menschliche) Zelle tritt mit ihren 46 Chromosomen in die Meiose ein. Die
Reduktionsteilung beginnt mit der Prophase 1. Hier werden die Chromosomen
kondensiert und so sichtbar. Wir werden zur Vereinfachung im Folgenden nicht mehr alle
Chromosomen bei ihrem Gang durch die Meiose betrachten, sondern nur noch ein Paar
homologer Chromosomen. Bitte machen Sie sich diese Vereinfachung aber bewusst. Die
Prophase wird in der Meiose weiter unterteilt: Leptotän, Zygotän, Pachytän, Diplotän und
Diakinese.

Im Leptotän sind die Chromosomen noch nicht sichtbar. Die Chromosomen haften
mit ihren Enden an der nucleären Lamina an.

Im Zygotän passiert zum ersten Mal etwas, das die Meiose grundlegend von der
Mitose unterscheidet: Die homologen Chromosomen paaren sich. Hierzu wird der
99
Kapitel 8 – Vermehrung

sogenannte synaptonemale Komplex gebildet


(→ Abb. 8.4). In diesem bilden
gegenüberliegende Proteinstreben zusammen
mit Querstreben eine Art Leiter, entlang derer die
Homologen zusammengeführt werden.

Ein Chromosomenpaar kann sich von den


anderen unterscheiden: Beim männlichen
Genotyp finden wir ein X- und ein Y-Chromosom,
die nicht so homolog zueinander sind wie die
anderen Chromosomenpaare. Hier hilft ein
sogenanntes Sexvesikel, in dem die homologen
Abschnitte gepaart werden.

Abbildung 8.4: Synaptonemaler


Komplex

Die Chromosomenpaare werden als


Bivalente oder als Tetrade bezeichnet.
So werden 23 Chromsomenpaare
gebildet, die durch Kohesine – spezifische
Proteine – stabilisiert werden. Die
Bivalente bestehen jeweils aus zwei
Abbildung 8.5: Tetrade Chromosomen mit insgesamt vier
Chromatiden (→ Abb. 8.5). Die
homologen Chromosomen enthalten die
gleichen Genorte. Eines stammt ursprünglich vom Vater, eines von der Mutter. Die
Chromatiden eines Chromosoms werden als Schwesterchromatiden bezeichnet.
Betrachtet man die Bivalente, so sind die Chromatiden des jeweils anderen Chromosoms
Nicht-Schwesterchromatiden.

Im Pachytän findet das Crossing-over statt (s.u.).

Im Diplotän weichen die homologen Chromosomen wieder auseinander. Die


Kohesine werden gespalten, und der synaptonemale Komplex löst sich auf. Die
homologen Chromosomen bleiben aber durch Bindungen im Centromerbereich
miteinander verbunden. Eine zusätzliche Stabilisierung schaffen sogenannte Chiasmata.
Das sind Stellen, an denen die Crossing-over aus dem Pachytän sichtbar werden.
Untersuchungen zeigen, dass diese für die geordnete Verteilung der Chromosomen
wichtig sind. Im weiblichen Organismus werden die entstehenden Keimzellen in diesem
Zustand erst einmal fixiert. Die Zellen treten in das Diktyotän ein. Erst ab der Pubertät
entwickeln sich die Keimzellen weiter zu Gameten.
100
Kapitel 8 – Vermehrung

Mit der Diakinese kommt die Prophase I zum Abschluss. Dabei wird die
Kernmembran aufgelöst, und der Spalt zwischen den Schwesterchromatiden wird
deutlich.

Metaphase 1

An die Prophase schließt sich auch hier die Metaphase an, in der die
Chromosomenpaare in der Äquatorialebene orientiert werden.

Anaphase 1

In der Anaphase können wir den zweiten wesentlichen Unterschied zur Mitose
erkennen. Anders als in der Mitose werden die Chromosomen nicht am Centromer geteilt
und zu den Polen transportiert, sondern bleiben in der Zwei-Chromatidstruktur.
Stattdessen werden die Bivalente aufgetrennt, so dass die homologen Chromosomen auf
die Pole verteilt werden. Dies wird dadurch koordiniert, dass die Spindelfasern nicht wie
bei der Mitose an beiden Seiten des Centromers ansetzen, sondern an jeweils einer Seite
der Bivalente. So ist jedes homologe Chromosom nur mit einem Spindelpol verbunden. In
jede Tochterzelle gelangt ein haploider Chromosomensatz, also 23 Chromosomen. Dabei
ist es völlig zufällig, welches der homologen Chromosomen zu welchem Pol gelangt. Es
spielt keine Rolle, ob es ursprünglich vom Vater oder der Mutter stammte. Hier ist nun
der Startschuss für die kurze Phase, in der unsere Zellen in haploider Form vorliegen.

Telophase 1

Mit der Telophase I wird die Reduktionsteilung abgeschlossen, und nach einer kurzen
Interphase tritt die Zelle in die Äquationsteilung ein.

8.2.2 Äquationsteilung
Die Äquationsteilung gleicht einer Mitose. Die Chromosomen werden nun wie bei der
Mitose in der Äquatorialebene angeordnet und in der Anaphase am Centromer getrennt.
Als Ergebnis von Reduktions- und Äquationsteilung sind nun vier Zellen entstanden, die
von jedem Chromosom nur eine Variante (haploid, 1n) und diese in der Ein-
Chromatidform (1c) enthalten.

Tatsächlich ist es nur in der Spermatogenese so, dass aus einer Spermatozyte auch
tatsächlich vier Spermatiden entstehen, die sich dann alle durch Umformungen zu reifen
Spermien entwickeln. Beim weiblichen Organismus liegen die Verhältnisse etwas anders.
Bei der Befruchtung werden hier keine kleinen, beweglichen Erbgutträger benötigt,
sondern Zellen, die einem entstehenden Embryo die erste Nahrung geben können. Bei der
Oogenese werden die Chromosomen zwar in der gleichen Weise verteilt wie bei der
Spermatogenese, aber die begleitenden Zellteilungen sind inäqual (ungleich). Schon bei
der ersten Teilung entsteht eine größere Zelle, während die andere als sogenanntes
101
Kapitel 8 – Vermehrung

Polkörperchen abgeschnürt wird. In der Äquationsteilung teilen sich dann Zelle und
Polkörperchen, wobei die Zelle wiederum ein Polkörperchen abschnürt. Es reift nur eine
Eizelle heran, die über deutlich mehr Cytoplasma verfügt als Spermien.

Abbildung 8.6: Zufällige Verteilung der mütterlichen und väterlichen Chromosomen

8.2.3 Rekombination
Durch die Reduktionsteilung wird es möglich, die Erbanlagen zweier Organismen
miteinander zu kombinieren. Durch die zufällige Verteilung der ehemals väterlichen und
mütterlichen Chromosomen bei der Gametenbildung gibt es schon eine unübersehbare
Vielzahl an Variationsmöglichkeiten (→ Abb. 8.6).

Wenn Sie aber genau hinsehen, werden Sie feststellen, dass die Anlagen – vereinfacht
ausgedrückt – in 23 Gruppen vorliegen, da es nur 23 verschiedene Chromosomen gibt.
Natürlich gibt es deutlich mehr als 23 verschiedene Anlagen, so dass also auf jedem
Chromosom mehrere vorliegen müssen. Man spricht daher von Kopplungsgruppen.
Tatsächlich ist es aber so, dass es nicht nur zur zufälligen Verteilung der väterlichen und
mütterlichen Chromosomen (Kopplungsgruppen) kommt, sondern auch zu einer
Durchmischung der Anlagen in den verschiedenen Kopplungsgruppen. Dies geschieht im
Crossing-over während des Pachytäns (→ Abb. 8.7).
102
Kapitel 8 – Vermehrung

Abbildung 8.7: Rekombination

Sie müssen die komplexen Vorgänge nicht kennen. Es reicht zu wissen, dass die
Chromosomenstränge im synaptonemalen Komplex so stabilisiert werden, dass sie
geschnitten und wieder verbunden werden können. Wenn die Verbindung sozusagen
über Kreuz geschieht, also zwischen zwei Nicht-Schwesterchromatiden, ist ein Crossing-
over entstanden. In der Folge hängt ein Teil des väterlichen am mütterlichen Chromosom
und umgekehrt. So werden die Anlagen weiter durchmischt. Die Stellen, an denen es zu
Überkreuzungen gekommen ist, sind die bei der ersten Auflösung der Tetraden
sichtbaren Chiasmata.
103
Kapitel 8 – Vermehrung

8.3 Genkartierung
Crossing-over können genutzt werden, um sich eine Vorstellung über die Lage
einzelner Anlagen auf den Chromosomen zu verschaffen. Bei der Fruchtfliege Drosophila
konnten so umfassende Genkarten erstellt werden.

Hierzu muss man sich nur anschauen, wie oft Anlagen, die auf einem Chromosom
liegen, bei der Kreuzung vermischt werden. Je weiter entfernt sie von einander liegen,
umso häufiger können sie tendenziell durch Crossing-over getrennt werden (→ Abb. 8.8).
Solche Karten lassen sich am ehesten bei Organismen erstellen, bei denen man gezielte
Kreuzungen in großen Zahlen durchführen kann. Vor der Entwicklung der heutigen
molekularbiologischen Methoden war es so möglich, einen ersten Überblick zur
Anordnung von Anlagen auf Chromosomen zu gewinnen.

Abbildung 8.8: Rekombinationshäufigkeiten


a

Abbildungsverzeichnis
Soweit nicht anders angegeben, sind die Abbildung selber erstellt und/oder fallen unter
die Lizenz CC0.

Abbildung 1.1: Vielfalt 2

Abbildung 1.2: Kiemenbögen 3

Abbildung 1.3: Verlauf einer Bakterieninfektion bei verfrühtem Absetzen

des Antibiotikums 5

Abbildung 1.4: Evolution geht von Vorhandenem aus (Beispiel Kohl) 7

Abbildung 1.5: Selektionsdruck durch Antibiotikagabe 8

Abbildung 1.6: Frühe Embryonalstadien verschiedener Wirbeltiere 9

Abbildung 1.7: Tognina Gonsalvus [12] 10

Abbildung 2.1: Seepocken [12] 12

Abbildung 2.2: HI-Viren: Viren mit einer Membranhülle [12] 12

Abbildung 2.3: Phospholipide 13

Abbildung 2.4: Fluidität von Membranen 14

Abbildung 2.5: Biomembran mit eingelagerten Proteinen 15

Abbildung 2.6: Bausteine der Nukleinsäuren 16

Abbildung 2.7: Komplementäre Basenpaarung 17

Abbildung 2.8: DNA 18

Abbildung 2.9: Kleeblattstruktur der tRNA 18

Abbildung 2.10: Prinzip der semikonservativen Replikation 19

Abbildung 2.11: Replikationsgabel [12] 20

Abbildung 2.12: Beispiel für einen Reparaturmechanismus:

Exzisionsreparatur 22

Abbildung 2.13: Xeroderma pigmentosum [12] 22

Abbildung 3.1: Proteinsynthese in Eukaryoten 26

Abbildung 3.2: Transkription 27


b

Abbildung 3.3: Processing 28

Abbildung 3.4: Spleißen 29

Abbildung 3.5: tRNA 30

Abbildung 3.6: Initiation der Translation 31

Abbildung 3.7: Vorgänge am Ribosom bei der Translation 32

Abbildung 3.8: Termination der Translation 33

Abbildung 3.9: Codesonne 34

Abbildung 4.1: Tierische Zelle [6] 39

Abbildung 4.2: Zellkern [6] 41

Abbildung 4.3: Endoplasmatisches Retikulum [6] 43

Abbildung 4.4: Ribosomen [6] 45

Abbildung 4.5: Golgi-Apparat [6] 46

Abbildung 4.6: Lysosom [6] 48

Abbildung 4.7: Mitochondrium [6] 50

Abbildung 4.8: Embryonalentwicklung der Mäusepfote [6] 52

Abbildung 4.9: Cytoskelett [6] 53

Abbildung 4.10: Cytoskelett, elektronenmikroskopische Aufnahme [6] 53

Abbildung 4.11: Centrosom [6] 54

Abbildung 4.12: Vesikeltransport [6] 55

Abbildung 5.1: Diffusion 60

Abbildung 5.2: Osmose 61

Abbildung 5.3: Erleichterte Diffusion: Kanalprotein 62

Abbildung 5.4: Erleichterte Diffusion: Transportproteine 62

Abbildung 5.5: Aktiver Transport 63

Abbildung 5.6: Natrium/Kalium-Pumpe 63

Abbildung 5.7: Exocytose 64

Abbildung 5.8: Endocytose 65


c

Abbildung 5.9: Extrazelluläre Matrix 67

Abbildung 6.1: Vielfalt der Lebewesen 71

Abbildung 6.2: Größenskala 72

Abbildung 6.3: Hochkomplexe Einzelzelle: Die Nesselzelle 73

Abbildung 6.4: Pelomyxa palustris 74

Abbildung 6.5: Entwicklung eines zellulären Schleimpilzes 74

Abbildung 6.6: Hierarchie biologischer Ordnung bis hin zum Organismus 75

Abbildung 6.7: DNA-Kondensation 76

Abbildung 6.8: Nucleosomen 77

Abbildung 6.9: Zellzyklus 78

Abbildung 6.10: Mitosestadien 80

Abbildung 6.11: Aufbau des Spindelapparats 81

Abbildung 6.12: Kinetochor im Anaphase-Chromosom 82

Abbildung 6.13: Chromosomenstruktur 83

Abbildung 7.1: Regulation der Tryptophysynthese bei E. coli 87

Abbildung 7.2: Vergleich der beiden Regulationsmechanismen 88

Abbildung 7.3: Signalübertragungskaskade 90

Abbildung 7.4: Komplexe Regulationsmöglichkeiten 91

Abbildung 7.5: Determination und Differenzierung 93

Abbildung 8.1: Zellzyklus 96

Abbildung 8.2: Kernphasenwechsel 97

Abbildung 8.3: Chromosomensatz einer (hypothetischen) Zelle vor Eintritt

in die Meiose 98

Abbildung 8.4: Synaptonemaler Komplex 99

Abbildung 8.5: Tertrade 99

Abbildung 8.6: Zufällige Verteilung der mütterlichen und väterlichen

Chromosomen 101
d

Abbildung 8.7: Rekombination 102

Abbildung 8.8: Rekombinationshäufigkeiten 103

Tabellenverzeichnis
Tabelle 4.1: Zellorganellen 57

Literaturverzeichnis
[1] Zellbiologie; Helmut Plattner, Joachim Hentschel; Thieme 2006

[2] Biologie und molekulare Medizin; Monika Hirsch-Kauffmann, Manfred Schweiger,


Michal-Ruth Schweiger; Thieme 2009

[3] Genetik, Graw, Springer 2010

[4] Basiswissen Humangenetik; Christian P. Schaaf, Johannes Zschocke; 2012

[5] Lernen, Manfred Spitzer, Spektrum 2007

[6] Biologie. Der neue Campbell, Anselm Kratochwil, Renate Scheibe, Hemut
Wieczorek und Neil A. Campbell; Pearson 2009

[7] Brock Mikrobiologie; Micchael T.Madigan, John M.Martinko, David A. Stahl, David
P. Clark; Pearson Studium-Biologie; 2013

[8] Molekularbiologie; James D. Watson; 2011

[9] Innere Medizin, Classen, Diehl, Kochsiek 2009

[10] Genetik, Wilfried Janning, Elisabeth Knust; 2008

[11] Gentechnik – Biotechnik; Theodor Dingermann, Ilse Zündorf, Thomas Winckler,


Hans-Christian Mahler; Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2010

[12] http://de.wikipedia.org/ bzw. http://commons.wikimedia.org/

[13] Lexikon der Biologie des Spektrum Verlages,

http://www.spektrum.de/lexikon/biologie

[14] Molecular Biology of the Cell, 6th Ed., Alberts et al. 2014

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