Sie sind auf Seite 1von 4

See discussions, stats, and author profiles for this publication at: https://www.researchgate.

net/publication/289629382

Pro & Contra E-Cigarettes - Part of the Problem or Part of the Solution?

Article  in  Suchttherapie · November 2015

CITATIONS READS

0 71

2 authors, including:

Heino Stoever
Frankfurt University of Applied Sciences
1,036 PUBLICATIONS   3,311 CITATIONS   

SEE PROFILE

Some of the authors of this publication are also working on these related projects:

Drogenkonsum und Gesundheitsverhalten von Männern die Sex mit Männern haben - die Clubdrug-Studie View project

Was tun, wenn Cannabis zum Problem wird? View project

All content following this page was uploaded by Heino Stoever on 25 January 2016.

The user has requested enhancement of the downloaded file.


Neues & Trends 147

Pro und Kontra Dr. Pötschke-Langer: Das Rauchen ist


heute dank verschiedener Tabakkontroll-

E-Zigaretten – Teil des maßnahmen deutlich weniger präsent als


noch vor etwa 10 Jahren. Die Bevölkerung

Problems oder Teil der Lösung? weiß dies zu schätzen und steht beispiels-
weise mehrheitlich hinter den Nichtrau-
cherschutzgesetzen. Nicht nur fast 95 %
In den letzten Jahren ist eine Zunahme des Gebrauchs von der Nichtraucher, sondern auch beachtli-
che 57 % der Raucher befürworten diese
E-Zigaretten zu beobachten. Die elektronische Zigarette ist ein
Regelungen. Fast genauso viele sind auch
zumeist batteriebetriebenes Gerät, welches eine Flüssigkeit der Meinung, dass die Nichtraucher-
(Liquid) verdampft, um das Aerosol anstelle des konventionellen schutzgesetze auch für E-Zigaretten gel-
ten sollten. Die Bevölkerung selbst
Zigarettenrauchs zu inhalieren. Über Pro- und Kontrapositionen wünscht sich also, dass das Rauchen und
zu diesem „Lifestyle-Produkt“ diskutieren Dr. Martina Pötschke- auch der E-Zigarettenkonsum in der Öf-
fentlichkeit beschränkt werden. Diesem
Langer, Heidelberg, und Prof. Dr. Heino Stöver, Frankfurt a.M.
Votum sollte die Politik folgen.
Die Fragen stellte Dr. Silke Kuhn, Hamburg.
Prof. Stöver: Die Erfolge beim Nichtrau-
cherschutz werden durch die E-Zigarette
nicht zunichte gemacht – es ist auch nicht
zu erwarten, dass die E-Zigarette diese
Entwicklung behindert, weil die weitere
Reduktion des Tabakzigarettenkonsums
im Zentrum gesundheitspolitischer An-
strengungen bleiben wird. Die E-Zigarette
wird im Wesentlichen als Alternative für
ehemalige Dauerkonsumenten von Tabak-
zigaretten eine Rolle spielen – als weniger
riskante, selbstinitiierte „Substitutions-
©Frank Eckgold/www.Fotolia.com

behandlung“, quasi als „Harm Reduction


- Maßnahme“. Eine Akzeptanzsteigerung
wird dadurch nicht provoziert, eher eine
Anerkennung, riskantere Konsumformen
mit einer E-Zigarette zu überwinden.

?
Ist die E-Zigarette eine

?
Der Gebrauch von E-Zigaretten Ausstiegshilfe oder eher eine
wir einen steigenden Trend: Etwa 2 Mio.
wird bereits in Kinofilmen Einstiegsdroge?
Deutsche greifen zur E-Zigarette. Je stär-
gezeigt (z.B. in „Monsieur
Claude und seine Töchter“, ker Nichtraucherschutzgesetze umge-
Frankreich/2014). Ist das Dampfen in setzt werden, desto wahrscheinlicher ist Dr. Pötschke-Langer: Die Studienlage zur
der Gesellschaft angekommen? es, dass einerseits viele Menschen aus Wirksamkeit von E-Zigaretten als Hilfs-
dem Tabakkonsum ganz aussteigen bzw. mittel zum Rauchstopp ist dünn. Daher
gar nicht erst beginnen, oder anderer- wird sie von Suchtexperten derzeit nicht
Dr. Pötschke-Langer: In Deutschland seits eben auf „elektronische Dampfer- für diese Verwendung empfohlen, auch
kennen zwar die meisten Bürgerinnen zeugnisse“ umsteigen. Es gibt bereits wenn einzelnen Rauchern damit der Aus-
und Bürger E-Zigaretten, aber nur rund eine „Dampferkultur von unten“, die stieg gelungen sein mag. Studien zur Fra-
9 % von ihnen haben sie ausprobiert und eben nicht „von oben“ informiert oder ge, ob E-Zigaretten den Einstieg ins Rau-
nicht einmal 1 % sind Dauerkonsumen- gesundheitspolitisch geleitet und bera- chen fördern, gibt es keine. Allerdings
ten. Dauerhaft werden diese Produkte ten wird. werden die Produkte besonders häufig
also nur von Wenigen konsumiert, daher von Jugendlichen und jungen Menschen
sind sie nicht „in der Gesellschaft ange- ausprobiert – auch von denjenigen, die

?
kommen“. Allerdings versucht die E-Zi- Es wird befürchtet, dass durch zuvor keine Zigaretten angerührt haben –
garetten-Lobby lautstark das Gegenteil E-Zigaretten die Kampagnen dies schürt Bedenken. Zudem wenden
zu suggerieren. gegen das Rauchen wieder sich die Hersteller mit jugendlich-peppi-
rückgängig gemacht werden, dass also ger Werbung gezielt an diese Altersgrup-
E-Zigaretten zu einer gesellschaftlichen
Prof. Stöver: In mehreren Ländern Euro- pen. Da außerdem die Art der Verwen-
Akzeptanzsteigerung des Rauchens
pas hat die Zahl der E-Zigarettennutzer in dung sehr stark dem Rauchen ähnelt, ist
beitragen könnten. Wie sehen Sie das?
den letzten Jahren teilweise massiv zuge- zu befürchten, dass die Produkte junge
nommen. Auch in Deutschland erleben Menschen dem Rauchen einen Schritt nä-

Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt. --- Proof copy: publication (also online), reproduction and further transmission is not all
Suchttherapie 2014; 15
148 Neues & Trends

her bringen. Junge Erwachsene haben in hält, zusätzlich krebserzeugende Subs- Nikotinabhängigkeit führen oder dem
Fokusgruppen genau dies bestätigt. tanzen, lungengängige Partikel und Aro- Rauchen näher bringen. Zusätzlich zu
men, von denen manche allergen wirken diesen richtig dargestellten Forschungs-
Prof. Stöver: Die E-Zigarette ist eine wei- können. In den meisten Produkten ist au- defiziten zeigt die WHO – auf ausdrück-
tere Ausstiegshilfe neben anderen Rauch- ßerdem Nikotin enthalten. Dies macht lichen Wunsch der Mitgliedstaaten – Op-
entwöhnungsstrategien. Nicht mehr aber abhängig, ist giftig, fördert das Tumor- tionen für die Regulierung der Produkte
auch nicht weniger: Eine im Dezember wachstum und steht in jüngster Zeit im auf.
2014 in der Cochrane Library veröffent- Verdacht, selbst Krebs zu erzeugen. E-In-
lichte Übersichtsarbeit bestätigt, dass die halationsgeräte sind also keine harmlo- Prof. Stöver: Es bestehen viele For-
Erfolgschancen auf einen dauerhaften sen Lifestyle-Produkte. schungslücken: zum Beispiel produktsi-
Rauchstopp mit der E-Zigarette von 4 % cherheitsbezogene Fragestellungen, die
auf 9 % mehr als verdoppelt werden. Die Prof. Stöver: Einer von zwei lebenslan- Rolle der Gesundheitspolitik bei der Un-
höchste Ausstiegsrate aus dem Tabak- gen Rauchern stirbt an den Folgen seiner terstützung von Dauerrauchern beim
konsum hatten E-Zigarettenkonsumen- Abhängigkeit. Das ist die entscheidende Umstieg/Ausstieg (verunsichernd, oder
ten, die ein nikotinhaltiges Liquid be- Herausforderung für die öffentliche Ge- ermutigend-stärkend), die Frage nach
nutzten: Nach einem Jahr waren 9 % noch sundheit und für Rauchstoppstrategien. der gesellschaftlichen Akzeptanz, die
ohne Rückfall zur Tabakzigarette. Hinzu In Deutschland sind etwa 25–30 % der er- Überprüfung der Gateway-Hypothese
kommen noch die Raucher, die „ledig- wachsenen Bevölkerung Raucher. Wir (Einstieg in den Tabakkonsum über elek-
lich” ihren Tabakverbrauch reduzierten: haben nicht viele Pfeile im Köcher der tronische Dampferzeugnisse vorwiegend
36 % bei denen mit nikotinhaltigen Liquid Rauchentwöhnungsstrategien. Warum bei Jugendlichen). Ganz wichtig ist aber
und 27 % bei denen ohne Nikotin im Li- ohne Not einen wichtigen herauswer- auch die Forschung nach den Gründen
quid. Die Gefahr, dass E-Zigaretten ein fen? In anderen Ländern werden die Ri- für einen nicht stattfindenden Risikoab-
Einstiegsprodukt sein könnten, ist sehr siken vor dem Hintergrund hoher tabak- wägungsprozess in der deutschen Ge-
gering: E-Zigaretten werden von Nicht- bedingter Morbidität und Mortalität viel sundheits-/Tabakpolitik. An den Folgen
rauchern eher selten probiert und nahe- stärker abgewogen: Die Organisation Pu- ihres Tabakkonsums sterben täglich ca.
zu gar nicht dauerhaft genutzt. Das Auf- blic Health England (PHE) bspw. geht da- 300 Menschen in Deutschland. Von der
kommen der E-Zigarette ging bisher mit von aus, dass E-Zigaretten etwa 95 % we- E-Zigarette, die es hierzulande nun schon
einer zahlenmäßigen Abnahme der niger schädlich sind als Tabakzigaretten seit 8 Jahre gibt, sind keine Mortalitäts-
Rauchanfänger bei Kindern und Jugend- und gründete daraufhin eine nationale daten bekannt. In dieser Zeit verstarben
lichen einher. Eine im Januar 2015 veröf- Public-Health-Strategie. Natürlich weiß aber mehr als 800 000 Deutsche an ta-
fentlichte Studie zeigt, dass nicht rau- man auch in England, dass E-Zigaretten bakbedingten Folgen. Hier wäre For-
chende Jugendliche eher nicht an E-Ziga- nicht völlig ohne Gesundheitsrisiken schung von hohem Interesse, welche ge-
retten interessiert sind. Aromatisierte E- sind – es geht jedoch um einen realisti- sundheitsschädlichen Wirkungen die E-
Liquids üben laut der Studie ebenfalls schen und pragmatischen Schadensab- Zigarette hat.
eine geringe Anziehungskraft auf Ju- wägungsprozess. Auch in der Gesund-
gendliche aus. heitspolitik sollten Harm -Reduction–Er-

?
wägungen eine gewichtige Rolle spielen. Welche rechtlichen Regelungen
oder Regulierungen würden

?
Wie schätzen Sie die Sie bzgl. des Jugendschutzes,

?
Gesundheitsgefährdung durch Die scharfe Reaktion der aber auch des Verbraucherschutzes
elektronische Dampferzeugnisse Fachzeitschrift „Addiction“ (z.B. Kontrolle der Produktqualität)
(eDe) im Vergleich zum auf den WHO-Report zu befürworten?
konventionellen Tabakkonsum ein? E-Zigaretten zeigt einen Mangel an
Evidenzbasierung der Diskussion.
Dr. Pötschke-Langer: Wir unterstützen
Welche Forschungslücken müssten
Dr. Pötschke-Langer: Im Vergleich zu nachdrücklich folgende, auch von der
noch gefüllt werden?
herkömmlichen Zigaretten sind E-Inha- WHO geäußerten Optionen: E-Zigaretten
lationsprodukte weniger schädlich. Da und vergleichbare Produkte gehören nicht
gehört aber auch nicht viel dazu, denn Ta- Dr. Pötschke-Langer: Die heftige Reakti- in Kinderhände. Deswegen brauchen wir
bakrauch enthält Tausende schädlicher on auf den sinnvollen WHO-Report, der ein Verkaufs- und Nutzungsverbot für un-
Substanzen, darunter rund 90 krebser- alle Evidenz zu den E-Zigaretten zusam- ter 18-Jährige. Um eine Normalisierung
zeugende. Dies ist allerdings nicht die menfasst, aber auch die Mängel der Evi- des Konsums in der Gesellschaft von vorn-
entscheidende Frage, da die Produkte denz aufzeigt, erstaunt. Dem WHO-Re- herein zu unterbinden, muss der E-Ziga-
auch von Nichtrauchern, die nicht per- port ist zu entnehmen, dass man in erster rettenkonsum in gleicher Weise wie das
manent ein Giftgemisch inhalieren, ver- Linie viel zu wenig über das Schadenspo- Rauchen im öffentlichen Raum untersagt
wendet werden können. Daher ist die tenzial der Produkte weiß. Wir brauchen werden; E-Zigaretten müssen also den
Frage viel wichtiger, ob E-Zigaretten für dringend Studien zu den kurz- und lang- Nichtraucherschutzgesetzen unterstellt
diese Gruppe unbedenklich sind; und ge- fristigen gesundheitlichen Auswirkun- werden. Der Verbraucherschutz wird spä-
nau das sind sie nicht: In E-Inhalations- gen des E-Zigarettenkonsums. Weiterhin testens ab Mai 2016 durch die europäi-
produkten wird ein Chemikaliengemisch muss geklärt werden, ob E-Zigaretten si- sche Tabakproduktrichtlinie reguliert, die
vernebelt, das als Grundsubstanz das chere Hilfsmittel für einen Rauchstopp klare Vorschriften zur Produktqualität
atemwegsreizende Propylenglykol ent- sind und ob sie junge Menschen in eine enthält.

Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt. --- Proof copy: publication (also online), reproduction and further transmission is not all
Suchttherapie 2014; 15
Neues & Trends 149

Prof. Stöver: Verbieten ist immer das Ein-


fachste. Aber ist es auch das Wirksamste?
Ist es bspw. nicht etwas irritierend, eine
tabak-/nikotinlose E-Zigarette unter der
Tabakproduktrichtlinie zu regulieren? Es
hat leider keine öffentliche Debatte über
Kontrollstrategien und -alternativen in
Deutschland stattgefunden. Eine Abgabe
nur an über 18-Jährige wird ebenfalls be-
fürwortet – diese Produkte gehören nicht
in die Hände von Kindern und Jugendli-
chen. Alle Möglichkeiten der Produktsi-
cherheit sollten beachtet werden: Auf
dem Etikett sollten Angaben zur Herkunft
des Liquids enthalten sein, zum Ge-
schmack (Aroma) des Liquids, dem Inhalt,
der Zusammensetzung, v.a. dem Nikotin-
anteil (wieviel mg/ml oder in Prozent).
Pflichtangaben über Beimischungen soll-
ten ebenso gemacht werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Prof. Dr. Heino Stöver
ist Dipl.-Sozialwissen-
schaftler und seit 2009
Professor an der Frank-
furt University of Ap-
plied Sciences, Fach-
bereich 4 „Soziale Ar-
beit und Gesundheit“.
Sein Tätigkeitsschwerpunkt ist die Sozi-
alwissenschaftliche Suchtforschung. Er
ist geschäftsführender Direktor des Ins-
tituts für Suchtforschung der Frankfurt
University of Applied Sciences (www.
isff.info).

Dr. Martina Pötschke-


Langer ist Humanme-
dizinerin und wandte
sich schon früh der
Präventiven Medizin
zu. Sie ist Leiterin der
Stabsstelle Krebsprä-
vention und des WHO-
Kollaborationszentrums für Tabakkont-
rolle im Deutschen Krebsforschungszen-
trum, Heidelberg und Herausgeberin
verschiedener Publikationsreihen des
Deutschen Krebsforschungszentrums
zur Tabakprävention.

Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt. --- Proof copy: publication (also online), reproduction and further transmission is not all
Suchttherapie 2014; 15

View publication stats

Das könnte Ihnen auch gefallen