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Nach der ausführlichen Diskussion der beiden unteren (Hardware-)Ebenen aus der gene-
rellen Architektur eines Prüfstands, wie sie in Abb. 3-1 dargestellt ist, wird in dem nun
folgenden Teil des Buches die Automatisierungsebene diskutiert. Diese umfasst unter-
schiedliche Softwarefunktionen, um verschiedene Prüfaufgaben automatisch ausführen
zu können. Andere Funktionen stellen die Sicherheit der Prüflinge und der Prüfstands-
umgebung sicher oder simulieren Komponenten, die am Prüfstand nicht real aufgebaut
sind, aber das Verhalten der zu prüfenden real vorhandenen Komponenten beeinflussen.
Im ersten Kapitel wird zunächst auf die allgemeine Softwarestruktur eingegangen und
einige Standards für Schnittstellen vorgestellt. Die Verwendung dieser Standards erlaubt
es den Anwendern, neue Softwarekomponenten in ein Automatisierungssystem hinzuzu-
fügen, um so schnell und kostengünstig neue Testherausforderungen angehen zu können.
Anschließend werden einzelne wichtige Softwarefunktionen erklärt, die in allen Auto-
matisierungssystemen in der einen oder anderen Form vorhanden sind.
SW-Architektur-Testsystem
Service-Interfaces
Daten-
Automati-
aufzeichnung Signal-
sierungs- Regler Simulation Optimierung
und verarbeitung
funktionen
-abspeicherung
Prozessgrößen-Verwaltung
Optional: Prüfling 3
Optional: Prüfling 2
Prüfling 1
4.1.2 Schnittstellenstandards
Standardisierte Schnittstellen sind von großer Bedeutung für moderne Prüfsysteme. In
der Automobilindustrie hat sich Ende der 1990er Jahre eine Standardisierungsorganisa-
tion gebildet, die sich mit Schnittstellen bei Mess- und Prüfsystemen in der Automobil-
industrie beschäftigt. ASAM-(Association for Standardization of Automation and Mea-
suring-)Systems hat inzwischen mehr als 150 Mitglieder weltweit, unter denen sich alle
großen Automobilfirmen und Zulieferfirmen befinden. Abb. 4-2 zeigt die von ASAM
definierten Schnittstellenstandards [8] zwischen den unterschiedlichen Komponenten
eines automatischen Testsystems.
Neben ASAM beschäftigen sich weitere Organisationen mit der Standardisierung von
Schnittstellen zwischen Software-Entwicklungswerkzeugen, zu denen auch automatische
Testsysteme zählen. In Europa ist die ARTEMIS-IA und EICOSE zu erwähnen, die in
EU-Projekten Schnittstellen zwischen Entwicklungswerkzeugen für Embedded Software
definieren. Die Standards sind in einigen aufeinander aufbauenden EU-Projekten
(CESAR, MBAT, iFEST, CRYSTAL) entstanden und basieren auf der von OASIS [66]
standardisierten Kommunikationsarchitektur OSLC [67].
Ein weiterer wichtiger Standard hat sich im Bereich der Simulation herausgebildet,
der es erlaubt komplexe Umgebungssimulationen in automatische Prüfabläufe einzu-
beziehen: Der FMI Standard, der von einem Modelica Association Project (MAP) der
MODELICA Organisation definiert und gepflegt wird [68], erlaubt das Verknüpfen von
unterschiedlichen Simulationsmodellen, wie es zur Berechnung von Umgebungsbedin-
gungen für Testobjekte erforderlich ist.
In den folgenden Abschnitten werden die in Abb. 4-2 eingezeichneten standardisier-
ten Schnittstellen näher beschrieben (für nähere Details siehe [8]). Dafür hat ASAM die
Standards in drei Gruppen unterteilt:
– AE: Automotive Electronics
– CAT: Computer Aided Testing
– COMMON: Übergreifende Standards für AE und CAT
276 4 Softwaresicht – Prüfstand
Büroebene
Auswertung
und Analyse
Requirementspeicherung,
Simulation
Simulationsmodell-
RectIF und ASAM-ODS und Parameter,
und ASAM-ATF Steuergerätedaten,
Messdatenerfassung Ergebnisdaten-
und Automatisierung speicherung
Externe Simulation Automatisierung
Übergeordnete
ASAM-HILI ASAM-ACI
ASAM-CC
Prüflaborebene
ASAM-MCD2
ASAM-GDI
ASAM-MCD3
FMI Regelungs- und Echtzeit-
simulationssystem
Steuergeräte-Kalibriersystem
MCD1
Steuergeräte
ASAM AE
ASAM AE Standards (Automotive Electronics) werden hauptsächlich während der De-
sign- und Implementierungsphase von Steuergerätesoftware eingesetzt. Sie haben ihren
Schwerpunkt in:
– dem Design von funktionalen Spezifikationen und Interfacespezifikationen für Soft-
warekomponenten
– der Durchführung von Mess-, Applikations- und Diagnoseaufgaben am Steuergerät
– der Automatisierung von HiL Tests
– der Beschreibung von Entwicklungsartefakten
– dem Austausch von Entwicklungsanforderungen
278 4 Softwaresicht – Prüfstand
ASAM CAT
ASAM CAT Standards (Computer Aided Testing) werden hauptsächlich für die Verifi-
kation und Validierung von Steuergerätesoftware (rechte Seite des V-Models), der au-
tomatisierten Applikation und dem Systemtest an Motor- und Fahrzeugprüfständen ein-
gesetzt. Sie haben ihren Schwerpunkt in:
– der automatisierten Applikation
– der Ablage von Testdaten
– der Auswertung und Analyse von Testdaten
280 4 Softwaresicht – Prüfstand
ASAM COMMON
ASAM COMMON Standards kommen in beiden Bereichen, AE und CAT, zum Einsatz.
282 4 Softwaresicht – Prüfstand
4.2 Messdatenerfassung
Die Erfassung und Verarbeitung physikalischer Werte von Prüflingen, wie beispielswei-
se Drehmoment, Drehzahl, Druck, Temperatur, Gangwechsel usw., durchläuft vom Sen-
sor bis hin zur Auswertung nach Abb. 4-3 üblicherweise mehrere Stufen.
Typischerweise erfolgt die Diskretisierung der Werte möglichst nahe an der Messstel-
le. Bei vielen am Markt verfügbaren Lösungen geschieht dies bereits im Messmodul. Mit
der Wertdiskretisierung geht auch eine zeitliche Diskretisierung einher. In Abhängigkeit
der Messmethode des Analog-/Digitalwandlers kann dies über das Halten und Abtasten
des Momentanwertes (sample and hold) oder bei der integrativen Messung über die
Mittelung eines Wertes über eine Abtastperiode erfolgen. Die Erfassung des Wertes
kann dabei zeitsynchron, winkelsynchron oder ereignisorientiert geschehen.
Auswertung
Sensor Messmodul Übertragung Verarbeitung
Visualisierung
Für die korrekte Darstellung und die Weiterverarbeitung ist neben dem digitalisierten
Wert auch dessen Erfassungszeitpunkt ts wichtig. Im Allgemeinen ist daher zusätzlich
zum Wert auch ein Zeitstempel der Entstehung (time stamped data) zu erfassen. Optio-
nal können weitere Eigenschaften über modale Kriterien wie Gültigkeit oder Verfüg-
barkeit miteinbezogen werden. Mit diesen Informationen lassen sich Messwerte aus
Quellen mit unterschiedlichen Abtastzeitpunkten und ereignisorientiert erfasste Werte
synchronisieren.
Zeitsynchrone Erfassung
Ein wichtiges Kriterium in einem digitalen Messsystem ist die Kontrolle des Zeitpunktes
der Erfassung der Messwerte. Bei der zeitsynchronen Erfassung bestimmt das zeitliche
Verhalten eines definierten periodischen Vorgangs (Clock Master) diese Abtastzeitpunk-
te. Als Clock Master können periodische Quellen hoher zeitlicher Qualität und Verfüg-
barkeit dienen, beispielsweise ein Messmodul oder der heruntergeteilte CPU Takt des
System-PCs.
Ein Clock Master ist global im Messsystem gültig, da gerade bei Prüfstandsystemen
die zeitliche Konsistenz der Datenerfassung essenziell ist, beispielsweise um kausale
Zusammenhänge richtig darzustellen. Zeitlich getrennte Ereignisse der Realität sollen
bei geeigneter zeitlicher Auflösung der Messung (also bei ausreichend hoher zyklischer
Erfassungsfrequenz) in der Repräsentierung am Messsystem ebenfalls zeitlich getrennt
und in korrekter Reihenfolge dargestellt werden.
Je nach technischer Umsetzung der Messsysteme und ihrer Analog-/Digitalwandler
(kurz: ADC) wird zu dem vom Clock Master bestimmten Zeitpunkt eine Momentauf-
4.2 Messdatenerfassung 283
nahme der Messgröße ermittelt (Sample & Hold), oder eine kurze Messperiode lang das
Signal mittelnd gemessen (integrierende ADC-Systeme). Die zeitsynchrone Erfassung
einfacher Sensoren am Prüfstand, wie beispielsweise für Drehzahl, Drehmoment, Druck
oder Temperaturen, bietet einige Vorteile:
– Einfaches Design und geringer Ressourcenbedarf im Messsystem, da der Zugriff auf
die Sensoren, die Erfassung und die Berechnung der Werte in einem genauen zeitli-
chen Plan festgelegt sind und bereits bei der Systemauslegung statisch optimiert wer-
den können.
– Deterministischer Ablauf und somit harte Echtzeit wird möglich.
– Einfache Erkennung eines Ausfalls von Sensoren, Messmodulen, Netzwerkknoten
oder Berechnungsschritten, da der Entstehungszeitpunkt eines neuen Wertes vorab
bekannt ist und ein Ausbleiben leicht detektiert werden kann.
Gemäß dem Nyquist-Shannon-Abtasttheorem muss die periodische Abtastung eines
Signals mit mindestens dem Doppelten der höchsten vorkommenden Signalfrequenz
erfolgen. Die maximale Signalfrequenz wird durch implizite (beispielsweise im Sensor)
oder explizite (vor dem ADC befindliche Filterung) begrenzt (siehe dazu auch Abschnitt
4.3.3).
Winkelsynchrone Erfassung
Bei phasengesteuerten Vorgängen wie beispielsweise der Verbrennung im Zylinder von
Verbrennungskraftmaschinen kann es zielführender sein, anstelle von zeitlich äqui-
distanten Mess- und Berechnungsvorgängen eine phasensynchrone Abtastung und Ver-
arbeitung einzuführen. So löst bei der winkelsynchronen Erfassung beispielsweise der
obere Totpunkt der Kurbelwelle einen Erfassungstrigger aus, was im Gegensatz zur
zeitsynchronen Erfassung zu Perioden unterschiedlicher Zeitdauer in Abhängigkeit der
Drehzahl führt.
Auf diese Art kann die erfasste Messgröße, z. B. der Zylinderinnendruck, drehzahlu-
nabhängig als Funktion des Drehwinkels und damit gekoppelt an die Arbeitsphase er-
fasst und dargestellt werden. Das Messsystem muss dabei in seinen Erfassungs- und
Verarbeitungsressourcen auf eine Erfassungsrate entsprechend einer erforderlichen ma-
ximalen Drehzahl ausgelegt sein. Weiterführende Details zur Zündwinkel- und Indizier-
messtechnik werden in Kapitel 3.3.11 bzw. 3.3.16 gegeben.
Ereignisgesteuerte Erfassung
Für manche Signalformen ist die zeitsynchrone Erfassungsmethode möglicherweise
weniger optimal. Dazu zählen Ereignisse („Events“, aperiodische Sprungfunktionen), die
nicht periodisch auftreten wie ein Gangwechsel oder eine Statusmeldung im Fehlerfall.
Bei zeitsynchroner Erfassung erfordern sie dennoch entsprechend dem Theorem hohe
Abtastraten und damit Rechenzeit- und Ressourcenbedarf, allerdings ohne Informations-
gewinn und damit auch mit unwirtschaftlich hoher Redundanz. In diesem Fall empfiehlt
sich die ereignisgesteuerte Erfassung.
Im Gegensatz zur zeit- oder winkelsynchronen Erfassung erfolgt die ereignisgesteuer-
te Erfassung azyklisch, also nicht in vorherbestimmter Periodizität, sondern ausgelöst
284 4 Softwaresicht – Prüfstand
durch ein Ereignis. Werden Größen ereignisgesteuert erfasst, soll eine Referenz auf den
Zeitstempel des Ereignisses für eine spätere eindeutige Zuordenbarkeit möglich sein, da
mangels Zykluszeit die Berechnung aus der Sequenznummer nicht möglich ist.
Eine Herausforderung für die Auslegung des Messsystems stellt die Unplanbarkeit
von Ereignissen dar. Dennoch müssen ausreichend Mess- und Rechenressourcen zu
Verfügung stehen, um eine zeitnahe Erfassung und Verarbeitung und damit eine zeitli-
che Konsistenz der Werte sicherzustellen. In der Realisierung der Messsysteme bedeutet
das, ausreichende Erfassungs- und Verarbeitungskapazität vorzuhalten, um auch beim
Auftreten einer zu definierenden, maximalen zeitlichen Dichte von Ereignissen (Bursts)
die Datenkonsistenz garantieren zu können.
4.2.2 Erfassungszeitpunkt
Für die korrekte Darstellung und die Weiterverarbeitung ist neben dem digitalisierten
Wert auch dessen Erfassungszeitpunkt ts wichtig. Dieser Zeitbezug kann auf verschie-
dene Arten erfolgen:
– Absolutzeit (auch wall-clock time bezeichnet)
– Relativzeit in Bezug auf ein bestimmtes Ereignis
– Sequenzielle Nummer in einer geordneten Reihe an Messwerten
Die Zuordnung des Zeitpunkts der Wertentstehung zur Zyklusnummer setzt im Allge-
meinen zyklische Abtastung, also eine periodische Erfassung in konstanten Zeitinterval-
len, voraus. Soll beispielsweise aus einer Aufzeichnung der genaue Entstehungszeit-
punkt eines bestimmten Wertes rekonstruiert werden, so genügt es, zu der Startzeit der
Aufzeichnung das Produkt aus Zyklusnummer des Wertes und dessen Zykluszeit zu
addieren.
Werden zwei oder mehr zyklisch gemessene Werte verknüpft, beispielsweise in einer
Leistungsberechnung mit dem Produkt aus Drehzahl und Drehmoment, so muss zur
Vermeidung von Phasenfehlern sichergestellt sein, Werte aus dem gleichen Zyklus zu
verwenden. Es ist ein wichtiges Kriterium für Echtzeit-Datenerfassungssysteme, diesen
Zusammenhang auch bei unterschiedlich langen Erfassungsketten sicher zu stellen, bei-
spielsweise wenn die Messwerte über unterschiedliche Bussysteme ins System kommen,
oder unterschiedliche Verarbeitungsschritte wie Filterung oder Skalierung durchlaufen.
Allgemein formuliert: Werden zwei zyklisch erfasste Größen X und Y verwendet, um
daraus zyklisch Z gemäß:
zu berechnen, so ist sicherzustellen, dass für jeden Wert Z[n] gilt, dass er von Eingangs-
werten mit n1 = n2 = n errechnet wurde.
Bei der zeitlichen Abbildung der Erfassung ist zu beachten, dass die Zuordnung zu
einer Zyklusnummer typischerweise im zentralen Erfassungssystem erfolgt. Oft wird in
Automatisierungssystemen dafür der sogenannte Clock Master Tick (CMT) verwendet,
4.2 Messdatenerfassung 285
eine im System global verfügbare, streng monoton steigende Zahl an Systemzyklen der
höchsten unterstützten Frequenz seit Systemstart. Wird das Signal nicht mit der höchsten
sondern mit einer davon abgeleiteten Frequenz erfasst, kann jederzeit über das Teiler-
verhältnis entsprechend umgerechnet werden.
Damit ergibt sich also der Entstehungszeitpunkt eines Messwertes im Automatisie-
rungssystem aus:
t = (CMT – CMT0) * fACQ/ fCM + ts,aqc
CMT Registrierter clock master tick des aktuellen Wertes
CMT0 Registrierter clock master tick bei der ersten Erfassung
des Wertes, also zu ts,aqc
ts,aqc Absolute Startzeit der ersten Erfassung des Wertes
fACQ Zyklische Abtastfrequenz des betrachteten Wertes,
beispielsweise 1 kHz
fCM Frequenz des Clockmasters im System, beispielsweise 10 kHz
Gleichung 4-2 Entstehungszeitpunkt
Das „Alter“ eines Messwertes („Data Age“, manchmal auch als Latenzzeit bezeichnet)
ergibt sich als Zeitdifferenz zwischen der tatsächlichen Erfassung im Messmodul und
der Verfügbarkeit im System.
Data Age ist die Akkumulierung von Verarbeitungszeit im Messmodul, der Übertra-
gungszeit im digitalen Netzwerk (beispielsweise über einen Feldbus), und der Übertra-
gungszeit im zentralen System, also bis der Wert für weitere Berechnungen beispiels-
weise über seinen Namen zur Verfügung steht.
4.2.3 Synchronisierung
286 4 Softwaresicht – Prüfstand
Neben dem gemessenen Wert und dessen Zeitbezug (time-stamp) können auch weitere
Eigenschaften erfasst und mitverarbeitet werden, beispielsweise Angaben zur Verfüg-
barkeit oder Messmethode.Die Verfügbarkeit oder auch der Zustand (State) eines Mess-
wertes hängt von der Situation des Sensors und der Messkette, dem korrektem Messbe-
reich, dem Kalibrierzustand etc. ab. Der Messwertzustand kann über zusätzliche Attribu-
te als Kanalstatus gemeinsam mit dem Kanalwert transportiert, verarbeitet und darge-
stellt werden, und wird auch in die Entscheidung über die Gültigkeit der Messung mit
einbezogen.
Beispielsweise kann das Ergebnis einer zyklisch berechneten Formel für Zeiträume,
während denen ein Eingangswert als nicht verfügbar markiert ist, ebenfalls als undefi-
niert markiert werden; gleiches gilt für die-Datenaufzeichnung oder weitere Datennut-
zungsmöglichkeiten. Der zeitliche Bereich, in dem ein Wert gültig oder von Relevanz
ist, kann jedoch auch von anderer Information abhängen. So bietet eine Datenaufzeich-
nung beispielsweise die Möglichkeit, nur während dem Anliegen bestimmter Kriterien –
sogenannter Trigger – zu starten.
4.2 Messdatenerfassung 287
4.2.5 Datenvorverarbeitung
Eine Verarbeitung von Daten, welche zeitnah zu ihrer Erfassung und damit meist noch
im Echtzeitsystem erfolgt, wird als Onlinedatenvorverarbeitung bezeichnet. Im Gegen-
satz zur Offlineverarbeitung oder Post-Processing, welche basierend auf gespeicherten
Resultatdaten zumeist erst später erfolgt, ist bei der Onlineverarbeitung das Einhalten
zeitlicher Kriterien erforderlich. So muss bei einer zyklischen Datenerfassung auch der
verrechnete Wert ebenso zyklisch entstehen, also die Rechenzeit kleiner der Zykluszeit
bleiben. Im Idealfall erfolgt die Verarbeitung sogar noch im selben Zyklus, in dem der
Wert erfasst wurde.
Diese Kennlinie kann entweder durch eine mathematische Beschreibung oder durch
experimentelles Vermessen bestimmt werden. Im ersten Fall ergibt sich eine geschlosse-
ne Formel, während beim experimentellen Vermessen die Messpunkte als Kennlinie
abgelegt und Zwischenwerte durch geeignete Interpolationsverfahren (stückweise lineare
Approximation, Polynome oder gebrochene rationale Funktionen bestimmter Ordnung)
bestimmt werden. Durch Invertieren dieser Übertragungsfunktion kann aus der im
Messmodul gemessenen elektrischen Größe (z. B. Spannung in mV) der am Sensor
anliegende physikalische Wert errechnet werden.
~
X fi y
Die Berechnung erfolgt oft intern in den einzelnen Messmodulen, d. h. es wird der be-
reits vorverarbeitete Messwert „X“ an ein Automatisierungssystem geschickt. Bei weni-
ger intelligenten Systemen muss diese Umrechnung im Automatisierungssystem erfol-
gen und stellt den ersten Schritt einer Datenvorverarbeitung dar.
Antialiasing
Das Nyquist-Shannon Abtasttheorem besagt, dass ein kontinuierliches Signal mit einer
Maximalfrequenz fmax mit einer Frequenz von mindestens 2 mal fmax abgetastet werden
muss, damit aus dem so erhaltenen, zeitdiskreten Signal das Ursprungssignal ohne In-
formationsverlust wieder rekonstruiert werden kann. Eventuell enthaltene Signalanteile
mit einer Frequenz größer der Hälfte der Abtastfrequenz müssen vor der Abtastung mit
einem Tiefpassfilter aus dem Signal herausgefiltert werden, da es sonst zu Artefakten
288 4 Softwaresicht – Prüfstand
kommt.Dieses bereits 1928 von Harry Nyquist formulierte Abtasttheorem wurde 1949
von Claude E. Shannon bewiesen. Bei der Quantisierung in einem Messmodul erfolgt
deshalb zumeist eine Begrenzung der Bandbreite des Messwertes durch implizite (bei-
spielsweise im Sensor) oder explizite (vor einem Analog-/Digitalwandler befindliche)
Filterung.
Einheitenumrechnung
Eine gemessene physikalische Größe wird durch ihren numerischen Wert und ihre Ein-
heit repräsentiert. Als Einheit sind gemäß ISO/IEC 80000-1 die im Internationalen
Einheitensystem (SI-System) definierten metrischen Einheiten zu verwenden. Sie bil-
den ein kohärentes Einheitensystem. Zur besseren Les- und Handhabbarkeit werden
gegebenenfalls SI-Präfixes verwendet (z. B. Milli-, Mikro-, Kilo-, Mega-).
Viele Sensoren und Messmodule liefern bereits ihre Werte in SI-Einheiten. Oftmals
sind jedoch die Werte mit ihrer Einheit auf den Messbereich angepasst (z. B. Spannun-
gen in V oder mV). Drucksensoren liefern häufig ihre Messwerte in der Einheit bar.
Die SI-Einheit ist jedoch in Pascal (Pa) ausgewiesen. Ähnlich ist es bei Temperaturen,
die zumindest im deutschsprachigen Raum häufig in Grad Celsius (°C) und nicht in der
SI-Einheit Kelvin (K) angegeben werden. Für eine konsistente Darstellung im System
kann deshalb eine zyklische Einheitenumrechnung notwendig werden. Sind geeignete
Meta-Informationen bereits vorhanden, kann dies automatisiert erfolgen. Ist beispiels-
weise in der Sensorbeschreibung hinterlegt, dass Messwerte in mV übertragen werden
und ist über den zugeordneten Eingang im Automatisierungssystem eine Größe mit der
Einheit V referenziert, kann die entsprechende Umrechnung (Multiplikation mit 0.001)
ohne Interaktion mit dem Benutzer durchgeführt werden.
Auch bei der Darstellung von Messergebnissen auf Oberflächen eines Automatisie-
rungssystems werden oftmals länderspezifische Einheiten gewünscht. So wird man in
Deutschland eine Fahrzeuggeschwindigkeit in km/h anzeigen wollen, während in Groß-
britannien die Einheit mph gebräuchlich ist. Beide verwenden dabei nicht die SI-Einheit
m/s für Geschwindigkeit. Auch bei der Anzeige von Druck findet man oftmals die An-
gaben in mmHG oder bar anstelle der SI-Einheit Pascal. Auch in diesen Fällen muss eine
zyklische Einheitenumrechnung vorgenommen werden.
4.3 Signalverarbeitung
4.3.1 Signalgeneratoren
Für viele Versuche benötigt man vordefinierte Signalverläufe. Dazu stellen die Automa-
tisierungssysteme entsprechende Funktionen zur Verfügung:
– Generierung eines Signalverlaufs mittels einer mathematischen Funktion (z. B. Sinus-
funktion, Rampenfunktionen, Sprungfunktionen). Dabei wird der Wert einer Größe
am Automatisierungssystem zeitlich nach dieser Vorgabe verändert. Die Periode und
die Amplitude der Funktion kann über Parametrierung verändert werden.
4.3 Signalverarbeitung 289
– Abspielen von Werten, die in einer Datei oder einer ASAM-ODS Messung gespei-
chert sind. Dies sind oftmals Daten aus einem realen Fahrversuch, die am Prüfstand
eingespielt werden sollen.
– Abspielen von Kurvenverläufen, die mit speziellen Editoren des Automatisierungs-
systems vorgegeben werden (siehe Abschnitt 4.6.1)
Die Größen, welche die Werte der Signalgeneratoren beinhalten, werden in den meisten
Automatisierungssystemen wie Messgrößen behandelt und können auf gleiche Weise in
Berechnungen weiterverwendet oder abgespeichert werden.
4.3.2 Berechnung
Aus einzelnen gemessenen Größen werden am Prüfstand zur Laufzeit abhängige Größen
berechnet. So ergibt das Produkt aus Winkelgeschwindigkeit und Drehmoment die Leis-
tung. Diese Berechnungen müssen hochgenau und in Echtzeit ausgeführt werden. Die
Automatisierungssysteme stellen dafür Werkzeuge zur Verfügung, mit denen sowohl
einfache als auch komplexe Berechnungen definiert werden können. Diese Berechnun-
gen werden in einzelnen Formeln abgelegt. Das Automatisierungssystem führt dann
diese Formeln zyklisch oder ereignisgesteuert aus. Die Berechnung erfolgt dabei meist in
Echtzeit.
Zur Definition der Formeln steht häufig eine Skriptsprache wie Visual Basic Scripting
oder Python zur Verfügung. Vordefinierte mathematische, logische oder statistische
Funktionen erleichtern die Handhabung (siehe Abb. 4-4). Zur Gewährleistung einer
flexiblen Formelverwaltung im gesamten Prüffeld werden die einzelnen Formeln häufig
in einer Bibliothek verwaltet. Darin können Formeln strukturiert der Prüfaufgabe oder
der Prüfstandsausstattung zugeordnet werden.
Abb. 4-4 Beispiel eines Editors zum Erzeugen einer Formel in einer Prüflaufbibliothek
290 4 Softwaresicht – Prüfstand
Neben der direkten Verrechnung von gemessenen Größen werden Formeln auch für
die Korrektur und Kompensation von Signallaufzeiten verwendet. Damit kann sicherge-
stellt werden, dass unabhängig von der Signalquelle Größen auf der gleichen Zeitbasis
vorliegen. In einer Stationärmessung können Formeln auch zur Vor- oder Nachbereitung
von Größen verwendet werden. Für diesen häufig auftretenden Anwendungsfall bieten
viele Automatisierungssysteme schon entsprechend vorbereitete Funktionen an.
4.3.3 Filterung
Dies kann automatisiert bei der Erstellung der Datenerfassungskette geschehen, indem
eine passende Filterkomponente in den Signalfluss eingefügt wird, wenn durch die Pa-
rametrierung eines Signalflusses ein derartiger „Frequenzbruch“ entsteht. Zusätzlich
erlaubt die Parametrierung expliziter Filter dem Anwender, bewusst eine solche Signal-
4.3 Signalverarbeitung 291
formung vorzunehmen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine Filterung nur für konti-
nuierliche Größen sinnvoll ist. Wertdiskrete Zahlen, wie z. B. die Gangnummer einer
Getriebeelektronik, dürfen nicht durch Filter verarbeitet werden.
4.3.4 Grenzwertüberwachung
Durch die Einbindung einer Vielzahl von Komponenten ist ein spezielles Überwa-
chungssystem für Prüfstände erforderlich, das für die Sicherheit von Bedienpersonal,
Prüfling und Prüfstandsausrüstung sorgt. Aus diesem Grund ist ein mehrstufiges Sicher-
heitskonzept in einem Automatisierungssystem ein wesentliches Merkmal (siehe auch
Kapitel 4.7).
Dabei umfasst die mehrstufige Überwachung drei voneinander unabhängige Funk-
tionen:
– Grenzwertüberwachung
– Prüfstandsüberwachung
– Post-Mortem Analyse mittels Post Mortem Rekorder
Bei der Grenzwertüberwachung wird zwischen Grenzwerten für den Prüfstand, für den
Prüfling sowie für den Prüflauf unterschieden. Die Funktion „Grenzwertüberwachung“
dient dem Schutz des Prüflings und der Prüfstandsausrüstung. Werte von Messgrößen
(z. B. Drehzahl, Öltemperatur usw.) werden kontinuierlich mit definierten Warn- und
Alarmgrenzwerten verglichen. Bei jeder Grenzwertverletzung wird ein definiertes Er-
eignis ausgeführt (z. B. Stoppen des Prüflings). Abb. 4-6 zeigt die Anzeige der Grenz-
werte aller überwachten Kanäle. Parameter wie obere und untere Warn- und Alarmgren-
ze sowie die definierte Reaktion werden visualisiert. Der Anwender kann diese Werte
online modifizieren.
Mit der Funktion „Prüfstandsüberwachung“ nach Abb. 4-7 können am Prüfstand spezifi-
sche Status-Bits überwacht werden (z. B. Türkontakt). Wird über ein parametriertes Bit
ein Fehler gemeldet, so können vordefinerte Reaktionen eingeleitet werden. Häufig wird
dadurch der Betrieb des Prüfstands aus Sicherheitsgründen verhindert.
292 4 Softwaresicht – Prüfstand
Allgemeiner Regelkreis
Regelkreise kommen bei Prüfstandssystemen sehr häufig vor. Beispiele hierfür sind die
Regelung von Temperaturen in Konditioniersystemen für Kraftstoff oder Kühlmittel
(siehe Abschnitt 3.2.4) oder die Drehzahlregelung in einem Prüfstandsautomatisierungs-
system. Abb. 4-8 zeigt einen derartigen Regelkreis in vereinfachter Darstellung nach
DIN 19226.
Beim vereinfachten Regelkreis sind das Stellglied, der eigentlich zu regelnde Prozess
und das Messglied zur sogenannten Regelstrecke zusammengefasst. Der Ausgangsgröße
der Regelstrecke kann eine Störgröße z(t) überlagert sein, woraus sich die Regelgröße
x(t) ergibt. Diese wird zurückgeführt und mit der Führungsgröße w(t) über eine Diffe-
renzbildung verglichen. Die sich ergebende Regeldifferenz e(t) stellt die eigentliche
Eingangsgröße für den Regler dar.
4.3 Signalverarbeitung 293
Störgröße
z(t)
Führungsgröße Regeldifferenz Stellgröße Regelgröße
w(t) e(t) y(t) + x(t)
+ +
Regler Regelstrecke
-
Abb. 4-8 Prinzipieller Aufbau des vereinfachten Regelkreises nach DIN 19226
Das Regelgesetz bestimmt mit Hilfe der Regeldifferenz eine Stellgröße, die wiederum
auf die Regelstrecke wirkt. Auf Grund der Rückführung der Regelgröße spricht man hier
von einem Regelkreis. Wird die Regelgröße nicht rückgeführt, spricht man von einer
Steuerung.
Prinzipiell lassen sich zwei Arten von Regelungsaufgaben unterscheiden. Bei der
Folgeregelung soll die Regelgröße einem vorgegebenen Verlauf der Führungsgröße
folgen. So kann die Regelungsaufgabe sein, einen vorgegebenen sich ändernden Tempe-
raturverlauf für die Kühlwassertemperatur einzuhalten. Bei der Festwertregelung soll ein
vorgegebener Arbeitspunkt eingehalten und Störeinflüsse ausgeregelt werden. So wird
beispielsweise eine Kühlwassertemperatur fest vorgegeben und der Einfluss der sich
ändernden Umgebungstemperatur soll ausgeglichen werden.
Die Anforderungen an den Regelkreis sind für Folge- und Festwertregelung gleich.
Zentrales Anliegen ist die Stabilität des Regelkreises. Dabei heißt ein Regelkreis stabil,
wenn nach endlicher Anregung durch Führungs- und Störgrößen die Regelgröße endlich
bleibt. Verschwindet die Anregung, so strebt die Regelgröße gegen Null. Für die Stabili-
tätsanalyse wurden zahlreiche Verfahren entwickelt. Beispielhaft seien hier nur das
Hurwitz- oder das Nyquistkriterium genannt.
Beim stationären Verhalten wird das Verhalten der Regelgröße nach Abklingen aller
Regelvorgänge betrachtet. So wird beispielsweise durch ein Sprung in der Führungsgrö-
ße für die Einstellung eines neuen Arbeitspunktes ein Regelvorgang initiiert. Nach Ab-
klingen der transienten Vorgänge wird sich bei einem stabilen Regelkreis ein stationärer
Endwert ergeben. Entspricht dieser Endwert genau der vorgegebenen Führungsgröße, so
spricht man davon, dass der Regelkreis keine bleibende Regelabweichung besitzt. Es
kann gezeigt werden, dass für einen Sollwertsprung in Regler oder Regelstrecke ein
Integralanteil vorhanden sein muss, damit der Regelkreis keine bleibende Regelabwei-
chung besitzt („Inneres-Modell-Prinzip“).
Neben den statischen Anforderungen spielt natürlich auch das dynamische Über-
gangsverhalten eine Rolle. Dabei werden für eine sprunghafte Änderung Kenngrößen,
wie Anstiegszeit, Überschwingweite und Beruhigungszeit definiert, um das Antwortver-
halten zu beurteilen. Häufig werden dafür Prototypenverläufe von bekannten Filtern
herangezogen, um mit dem Reglerentwurf dem Regelkreis das entsprechende Verhalten
aufzuprägen. Die Robustheit eines Reglers soll sicherstellen, dass der Regelkreis trotz
sich verändernder Bedingungen, beispielsweise durch Alterung und Verschleiß, stabil
294 4 Softwaresicht – Prüfstand
bleibt. Deshalb sollte man für den Regler immer eine Sicherheitsreserve beim Entwurf
vorhalten. Stichworte sind hier Amplituden- und Phasenreserve.
Abb. 4-8 zeigt den Regelkreis im Zeitbereich. Für die Analyse von Regelkreisen hat
sich vor allem die Transformation des Regelkreises in den sogenannten Frequenzbereich
mit Hilfe der Laplace-Transformation etabliert. Im Frequenzbereich lassen sich die im
Zeitbereich über gewöhnliche Differentialgleichungen beschriebenen Systeme sehr ein-
fach mit sogenannten (linearen) Übertragungsfunktionen ausdrücken. Sehr viele Analy-
se- und Entwurfsverfahren sind deshalb im Frequenzbereich definiert.
PID-Regler
In der Praxis wird der sogenannte PID-Regler sehr häufig angewendet. Er besteht nach
Abb. 4-9 aus einem Proportional-, einem Integral- und einem Differenzialanteil. Dabei
lassen sich zwei Darstellungsformen unterscheiden, die ineinander überführbar sind. Bei
vorgegebenen Reglerbausteinen in einem Prüfstandssystem ist immer darauf zu achten,
in welcher Form der PID-Regler implementiert ist, damit bei der Übertragung von Ent-
wurfsparametern in den Baustein keine Umrechnungsfehler entstehen.
Proportional-
anteil
Regeldifferenz + Stellgröße
e(t) + y(t)
Integralanteil
+
Differenzial-
anteil
Regeldifferenz Stellgröße
e(t) + y(t)
Verstärkungs- +
Integralanteil
faktor
+
Differenzial-
anteil
Abb. 4-9 PID-Regler in den zwei Grundformen Summenform (oben) und Zeitkonstantenform
(unten)
4.3 Signalverarbeitung 295
296 4 Softwaresicht – Prüfstand
Für einen PID-Regler gibt es eine Vielzahl von empirischen Einstellregeln, worüber
sich die Reglerparameter bestimmen lassen. Die bekanntesten Einstellregeln sind nach
ihren Urhebern Ziegler und Nichols benannt. Kann eine Strecke kurzzeitig an der Stabi-
litätsgrenze betrieben werden, so wird der Regelkreis zunächst über einen reinen P-
Regler geschlossen. Der Verstärkungsfaktor wird so lange erhöht bis sich der Regelkreis
nach einer Sollwertänderung an seiner Stabilitätsgrenze befindet. Der Wert des Verstär-
kungsfaktors an der Stabilitätsgrenze ist die kritische Verstärkung ܭோ , die Periodendauer
der auftretenden Dauerschwingung ist die kritische Periodendauer ܶ௧ . Aus diesen
beiden Kennwerten lassen sich die Parameter für einen PID-Regler ableiten.
ୖ ൌ ǡ ή ୖǡ୩୰୧୲
୍ ൌ Ͳǡͷ ή ୩୰୧୲
ୈ ൌ Ͳǡͳʹ ή ୩୰୧୲
Gleichung 4-9 Einstellregeln für einen PID-Regler über die kritische Verstärkung
und Periodendauer
Liegt eine stabile Sprungantwort der Regelstrecke vor, so kann diese gerade bei nicht
schwingungsfähigen Systemen oftmals über ein System 1. Ordnung mit Totzeit appro-
ximiert werden.
ሺሻ ൎ ή ି౪ୱ
ଵ ͳ
Gleichung 4-10 Approximation einer Regelstrecke für die Einstellung eines PID-Reglers
Auch aus diesen Kennwerten lassen sich dann die Parameter eines PID-Reglers be-
stimmen.
ͳǡʹ ଵ
ୖ ൌ ή
୲
୍ ൌ ʹ ή ୲
ୈ ൌ Ͳǡͷ ή ୲
Gleichung 4-11 Einstellregeln für einen PID-Regler über die Approximation einer Regelstrecke
Realer PID-Regler
Der PID-Regler nach Gleichung 4-8 ist systemtheoretisch ein akausales System, da ein
reiner Differenzialanteil nicht realisiert werden kann. Deshalb wird dem Differenzialan-
teil noch ein Tiefpass erster Ordnung hinzugefügt.
4.3 Signalverarbeitung 297
ͳ ୈ
ሺሻ ൌ ୖ ൬ͳ ൰
୍ ͳ
mit den Parametern:
ୖ Verstärkungsfaktor
୍ Nachstellzeit (Integrierzeit)
ୈ (auch ) Vorhaltezeit (Differenzierzeit)
Zeitkonstante des Tiefpassfilters
Gleichung 4-12 Übertragungsfunktion eines realen PID-Reglers
Der Tiefpass sorgt auch dafür, dass etwaige Störpegel auf dem Nutzsignal nicht noch
zusätzlich durch den Differenzialanteil verstärkt werden.
Zeitdiskreter PID-Regler
Liegen vorgefertigte Reglerbausteine in einem Automatisierungssystem vor, so können
meist die Parameter aus einem kontinuierlichen Entwurf direkt eingetragen werden.
Manchmal müssen die Reglergesetze allerdings auf einem Rechner selbst implementiert
werden. Liegt ein Regler aus dem kontinuierlichen Entwurf vor, so liegt es nahe, diesen
für eine vorgegebene Abtastzeit ܶௌ zu diskretisieren. Dies ist immer problemlos möglich,
wenn die Abtastzeit gegenüber der Grenzfrequenz des Regelkreises klein genug ist.
Am einfachsten ist das Ersetzen der einzelnen Reglerteile des PID-Reglers durch Me-
thoden der numerischen Approximation, indem der kontinuierliche Integralanteil über
die Rechteckregel und die Summe der abgetasteten Werte und der Differenzialanteil
über den Differenzenquotienten zwischen zwei Abtastwerten angenähert wird.
ͳ
ሺሻ ൌ ୖ ή ൭ሺሻ න ሺɒሻɒ ୈ ή ሺሻ൱
୍
ͳ ୗ ୩ ୗ
න ሺɒሻɒ ൎ ሺሻ ൌ ୍ ሺ െ ͳሻ ή ሺሻ
୍ ୍ ୧ୀଵ ୍
ሺሻ െ ሺ െ ͳሻ
ୈ ሺሻ ൎ ୈ
ୗ
Gleichung 4-13 Zeitdiskrete Approximation von Integral- und Differenzialanteil
eines PID-Reglers
298 4 Softwaresicht – Prüfstand
Verwendet man für die Approximation des Integralanteils die etwas genauere Trapez-
regel, so ergibt sich die folgende Approximation für den Integralanteil:
ୗ
୍ ሺሻ ൌ ୍ ሺ െ ͳሻ ή ሺሻ
ʹ୍
Gleichung 4-15 Approximation des Integralanteils über dieTrapezregel
Messdatenplausibilitätsbewertung
Die frühzeitige Erkennung von unbrauchbaren bzw. unplausiblen Messwerten im manu-
ellen als auch automatisierten Betrieb spart wertvolle Prüfstandszeit. Daraus ergibt sich
der Bedarf, die Plausibilität der Daten aller Messgeräte und Subsysteme am Prüfstand in
vernünftiger Zeit, mit vernünftigem Aufwand und ohne Experten vor Ort ständig online
und während des Prüfstandsbetriebes zu bewerten.
Manche Automatisierungssysteme können mit einer Softwarekomponente erweitert
werden, um derartige Fehlmessungen während des Prüfstandsbetriebes zu erkennen.
Damit können Zustände anhand von Messsignalen erkannt werden, die zu unbrauchba-
ren bzw. unplausiblen Messwerten führen. Expertenwissen und Anwendererfahrung
kann in einer deratigen Applikation abgebildet werden.
Das Herzstück einer integrierten Online-Diagnose ist ein integriertes Drei-Säulen-
modell mit den folgenden Funktionsgruppen:
– Systemkontrolle
– Signalqualität
– Signalplausiblität
4.3 Signalverarbeitung 299
Abb. 4-10 Beispiel einer Detailansicht über den aktuellen Status der Diagnose
Die drei Funktionsgruppen decken alle Bereiche des Prüfstandsbetriebes ab. Die Still-
standsdiagnose ermöglicht eine schnelle Kontrolle von einzelnen Kanälen noch bevor
mit der eigentlichen Arbeit begonnen wird. Die Ergebnisse werden in übersichtlicher
300 4 Softwaresicht – Prüfstand
Form in einem Bericht dargestellt. Die Kontrolle wird auch oft „Start up check“ oder
„Good morning check“ genannt. Die zyklische Diagnose analysiert kontinuierlich ein-
zelne Kanäle, die vom Automatisierungssystem geliefert werden.
Widersprüche in den beobachtenden Messgrößen werden unmittelbar an den Prüf-
standsbediener, z. B. durch ein blickendes Warndreieck, weitergemeldet. Zur näheren
Erklärung werden Meldungen in Klartext ausgegeben. Die protokollierten Ergebnisse
lassen sich mit einer integrierten Auswertung schnell und übersichtlich darstellen.
Zeitgleich mit einer Stationärstufenmessung kann bei manchen Automatisierungssys-
temen ein messsynchroner Modus aktiviert werden. Ziel ist es, die Ergebnisdaten einer
Stationärstufenmessung sofort nach deren Beendigung auf Plausibilität zu überprüfen.
4.4 Datenaufzeichnung
In einem Automatisierungssystem werden sehr viele unterschiedliche Messgrößen er-
fasst. Daraus werden weitere Größen mittels Formeln, Regelalgorithmen, Filter oder
Simulationsmodellen berechnet. Die Gesamtheit dieser Größen enthält die Informatio-
nen, die das Verhalten des Prüflings und die Versuchsbedingungen beschreiben. Daher
müssen diese Werte abgespeichert und für die Nachverarbeitung bereitgestellt werden.
Man unterscheidet verschiedene Formen der Abspeicherung:
– Stationäre Messung
– Kontinuierliche Aufzeichnung
– Post-Mortem-Aufzeichnung
Daneben können die Daten unterschiedlich abgespeichert werden:
– Zeitgeführte Abspeicherung
– Kurbelwinkelgeführte Abspeicherung
– Ereignisgeführte Abspeicherung
– Kombinationen aus obigen Abspeichertypen
Die Ergebnisse werden sehr oft direkt in einem standardisierten Format abgelegt. Häufig
verwendete Abspeichertypen sind ASAM-ODS-kompatible Datenbanken (siehe Ab-
schnitt 4.1.2) oder die Speicherung in Dateien z. B. als cvs-Dateien (comma separated
values) oder im ASAM-MDF Format.
4.4.1 Stationärmessung
Im Gegensatz dazu speichert man bei der kontinuierlichen Aufzeichnung alle (oder eine
parametrierte Teilmenge) erfassten und berechneten Größen des Automatisierungssys-
tems mit einer einstellbaren Frequenz ab. Diese Softwarekomponente wird häufig als
Datenrekorder bezeichnet. Falls sich die Erfassungsfrequenz einer Größe von der Ab-
speicherfrequenz unterscheidet, müssen entsprechende Antialising-Filter (siehe Ab-
schnitt über Antialiasing auf Seite 287) verwendet werden. Moderne Automatisierungs-
systeme führen diese Antialising Filterberechnungen automatisch aus, ohne dass sie vom
Anwender parametriert werden müssen.
Bei vielen Automatisierungssystemen können die Beginnzeiten der Rekorder definiert
werden. Dabei kann z. B. zwischen einem Start über Kommando in einem Prüfablauf,
dem Auftreten eines parametrierten Ereignisses oder einem sofortigen Beginn bei Test-
beginn unterschieden werden.
4.4.3 Post-Mortem-Aufzeichnung
Pre-Triggerdaten
Ringpuffer
Trigger Event
Post-Triggerdaten
302 4 Softwaresicht – Prüfstand
Verhalten des Steuergerätes und somit auch der Schaltvorgang und damit die Rand-
bedingungen der Prüfung ändern. Dadurch ist die Anforderung der Reproduzierbakreit
von Prüfläufen nicht mehr gewährleistet.
Die streckenbasierte Erprobung mit Hilfe eines virtuellen Fahrzeuges kann dieses Di-
lemma lösen. Dazu wird die Belastung des Verbrennungsmotors mit Hilfe eines Simula-
tionsmodells, welches aus Fahrzeug, Umgebung und Fahrer besteht, berechnet und als
Last über die Momentenstelleinrichtung (Belastungsmaschine) dem Verbrennungsmotor
aufgeschaltet (siehe Abb. 4-12). Dabei ist eine möglichst genaue Abbildung der Belas-
tung sowohl stationär als auch vor allem dynamisch das Ziel der Simulation.
Verbrennungsmotor
Simulation
Anschlussteil
Dämpfungselement
Geschwindigkeits-
messung
Anschlussteil
Geschwindigkeits- Schwungrad
messung Belastungseinheit Verbindungswelle
Wellendrehmomentmessung
Ersatzmodell
Ein Motorprüfstand besteht im Wesentlichen aus einem Verbrennungsmotor und einer
über eine elastische Welle verbundene elektrische Maschine (siehe Abb. 4-13).
304 4 Softwaresicht – Prüfstand
ωD TD TST ωE α
Umrichter-
Schrank
Leistungsmessung
α-Stellmotor
Belastungs- Verbrennungs-
einheit motor
ωD Speed-
encoder
Der Verbrennungsmotor, der Rotor der Belastungsmaschine und die elastische Verbin-
dungswelle bilden die für die Regelung relevanten mechanischen Komponenten. Verein-
fachend kann dieses System als Zweimassenschwinger betrachtet werden (siehe Abb.
4-14). Die elektrischen Komponenten, wie beispielsweise der elektrische Kreis der Be-
lastungsmaschine, der Umrichter und die Momenten- und Drehzahlmessungen, können
mit Ausnahme einer Totzeit bis zu einer bestimmten Frequenz als linear betrachtet wer-
den. Diese Grenzfrequenz ist von dem jeweils eingesetzten Maschinentyp abhängig und
liegt bei Synchronmaschinen und entsprechenden Umrichtern bei etwa 1 kHz. Die Tot-
zeit im Regelkreis der Belastungsmaschine liegt bei modernen Systemen bei etwa
0,9 ms.
ωE θE TE
ωD
c, d
TD θD
Tab. 4-4 Beschreibung der Formelzeichen aus Abb. 4-13 und Abb. 4-14
Mechanische Anpassungen
Üblicherweise werden an konventionellen Motorprüfständen Asynchronmaschinen ein-
gesetzt. Die mechanische Ankopplung über die elastische Welle an den Verbrennungs-
motor wird auf eine Eigenfrequenz ausgelegt, die zwischen der Zündfrequenz bei Star-
terdrehzahl und der Zündfrequenz bei Leerlaufdrehzahl zu liegen kommt. Für einen
Vierzylindermotor ergibt sich somit eine Eigenfrequenz von ca. 15 Hz bei einer Stan-
dardwelle. Die Eigenfrequenz wird hauptsächlich durch die Grundfrequenz der Verbren-
nungsstöße angeregt. Somit wird sie bei dieser Auslegung nur bei Start/Stopp durchfah-
ren. Aus diesem Grund liegt der dauerhafte (stationäre) Betrieb nicht im Arbeitsbereich
der Eigenfrequenz des Gesamtsystems und ein sicherer Betrieb ist möglich.
Das Durchfahren der Eigenfrequenzdrehzahl ist dabei möglich, da nur eine kurze
Verweildauer in der Eigenfrequenzdrehzahl garantiert wird und ein zusätzliches Dämp-
fungselement im Wellenaufbau enthalten ist. Durch die Auslegung der Welle auf eine
Eigenfrequenz von 15 Hz ist allerdings auch die Bandbreite des übertragenen Momentes
an den Verbrennungsmotor begrenzt. Um die Bandbreite zu erhöhen, ist es notwendig,
die Steifigkeit der Welle („steife Welle“) und somit die Eigenfrequenz der Prüfstands-
anordnung zu erhöhen (siehe auch Abschnitt 3.1.3).
In Abb. 4-15 sind die Bode-Diagramme der Übertragungsfunktionen vom Stellmo-
ment der Belastungsmaschine TD zum Wellenmoment TST für verschieden steife Wellen
dargestellt. Im Falle der Standardwelle endet die Bandbreite von einem sinnvoll über-
tragbaren Moment unter 10 Hz. Hingegen kann bei einer steifen Welle eine Momenten-
dynamik bis 40 Hz übertragen werden. Allerdings verschiebt sich dabei die Eigen-
frequenz des Prüfstandes in den Arbeitsbereich des Verbrennungsmotors. Dies bedeutet,
dass die Zündstöße des Verbrennungsmotors die Prüfstandseigenfrequenz anregen.
Durch Resonanzeffekte kann dies insbesondere bei Vollastbetrieb des Motors im Eigen-
frequenzbereich zur Zerstörung der mechanischen Ankopplung führen.
306 4 Softwaresicht – Prüfstand
geschwindigkeit
geschwindigkeit
geschwindigkeit
Leerlauf-
Start-
Max.
20
Standardwelle
0 Steife Welle
Verstärkung (dB)
-40
-60 1 Startgeschwindigkeitsbereich
0
2 Anlaufgeschwindigkeitsbereich
-45
Phase (deg)
3 Betriebsgeschwindigkeitsbereich
-90
-135
1 2 3
-180
101 15 60 102 103
Frequenz (Hz)
Durch die Erhöhung der Eigenfrequenz des Prüfstandes ergeben sich erhöhte Anforde-
rungen an die Dynamik der elektrischen Belastungsmaschine. Der Einsatz von Perma-
nentmagnetsynchronmaschinen mit geringem Trägheitsmoment (siehe auch Seite 133)
erlaubt Beschleunigungen bis zu 70 000 Upm/s, welche notwendig sind, um die Reso-
nanz im Frequenzbereich der Eigenfrequenz zu dämpfen. Zusätzlich ist eine für diesen
Betrieb angepasste Regelungsstrategie notwendig.
Angepasste Regelungsstrategie
Für den Betrieb eines Prüfstandes mit steifer Welle wird eine daran angepasste Rege-
lungsstrategie verwendet. Dabei besteht die Regelung nach Abb. 4-16 im Wesentlichen
aus einem Drehzahlregler für die Belastungsmaschine, einem Verbrennungsmotorbeob-
achter (ͳΤɅ୭୲୭୰ ), einem Motormomentenschätzer und einer Reihe an FIFO-(First-In-
First-Out-)Speichern (siehe [71], [72], [73] und [74]). Ziel ist es, das geschätzte und
phasenkorrigierte Verbrennungsmotormoment dem Wellenmomentenregler als Sollwert
aufzuschalten. Die Störgrößenaufschaltung basiert auf dem durch einen Kalman-Filter
geschätzten Verbrennungsmotormoment .
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 307
TST 1 ωr -
sθMotor Drehzahlregler
-
TD
ωD
TST
Prüfstand
ωE
Störgrößengenerator TE
(Motordrehmoment)
Switching Law
TE Motormomenten-
FIFO 1
schätzer
FIFO 2
FIFO n
308 4 Softwaresicht – Prüfstand
Realer Prüfstand
1200
Belastungsmaschinendrehzahl
1100
Geschwindigkeit (rpm)
Motordrehzahl
1000
900
800
700
600
500
4 4.5 5 5.5 6 6.5
300
Wellenmoment
200
Motormoment (Nm)
100
-100
-200
-300
4 4.5 5 5.5 6 6.5
Zeit (s)
Realer Prüfstand
1300
Belastungsmaschinendrehzahl
Motordrehzahl
Geschwindigkeit (rpm)
1250
1200
1150
1100
3.2 3.25 3.3 3.35 3.4 3.45 3.5 3.55 3.6
50
Wellenmoment
Motormoment (Nm)
-50
3.2 3.25 3.3 3.35 3.4 3.45 3.5 3.55 3.6
Zeit (s)
Modales Regelungskonzept
Die modale Regelung wird besonders in der Mehrgrößenregelung verwendet. Ziel ist es
hierbei, die Einzelgrößen durch eine geeignete Transformation in unabhängige Größen
zu transformieren. Durch diese Koordinatentransformation ergeben sich dann entkoppel-
te Regelkreise. Hierdurch reduziert sich der Entwurf eines Mehrgrößenregelkreises auf
den Entwurf mehrerer entkoppelter Einzelregelkreise. Am Antriebsstrangprüfstand
spricht man hier von einer Summen- bzw. Deltastruktur.
Die einzelnen Modes der modalen Regelung in der Summen- bzw. Deltastruktur sind:
– Summendrehmoment
– Mittendrehzahl
– Deltadrehmoment
– Deltadrehzahl
310 4 Softwaresicht – Prüfstand
uv,r
Mv,r
nv,r Sollwert (∆M, ∆n)
∆Mvorne - Delta-
∆nvorne Regler
Sollwert (M oder n) -
0,5
Fahrtrichtung Msumme - Haupt-
nMitte Regler
MVKM 0,5
nVKM
∆Mvorne - Delta-
∆nvorne Regler
Mv,l
nv,l Sollwert (∆M, ∆n)
uv,l
Diese Transformationen müssen einerseits für die Istwerte des modalen Reglers in der
Summen- bzw. Deltastruktur durchgeführt werden, andererseits müssen die Stellgrößen
der modalen Regler in Stellgrößen für die einzelnen Abtriebsmaschinen rücktransfor-
miert werden. Abb. 4-19 zeigt die prinzipielle Reglerstruktur bestehend aus Haupt- und
Deltaregler am Beispiel eines Four-Wheel-Drive-(4WD-)Prüfstandes mit zwei Ab-
triebsmaschinen.
Der Vorteil der modalen Regelung ist, dass die Kopplungen zwischen Antrieb und
Abtrieb sich nur im Hauptregelkreis widerspiegeln. Daher kommt der Auslegung des
Hauptreglers eine besondere Bedeutung zu. Der Deltaregler übernimmt die Aufgabe der
Regelung der gewünschten Lastverteilung 'M oder der gewünschten Differenzdrehzahl
'n, z. B. während einer Kurvenfahrt.
Dynamische Folgewertregelung
Prüfaufgaben in der Antriebsstrangerprobung sind selten stationäre Versuche. Meistens
werden dynamische Profile für Drehzahl bzw. Drehmoment vorgegeben. In diesem Fall
muss die Regelungsstruktur für eine dynamische Folgewertregelung ausgelegt werden.
Üblicherweise werden dafür Regler in PI-(D)-Struktur verwendet (siehe Kapitel 4.3.5).
Diese Regelungsstruktur gewährleistet keine bleibende Regelabweichung für die Fest-
wertregelung. In der Folgewertregelung ergibt sich allerdings mit dem sogenannten
Schleppfehler eine dynamische Regelabweichung, die durch geeignete Steuermaßnah-
men reduziert bzw. kompensiert werden kann. Im Allgemeinen wird eine Reglerstruktur
mit Vorsteuerung und Störgrößenaufschaltung verwendet.
Störgröße , z
Vorsteuerung
Führungsgröße , w
Regler
Stellgröße , u
-
Istgröße , y
Durch die Regelungsstruktur nach Abb. 4-20 lässt sich das dynamische Verhalten des
geschlossenen Regelkreises verbessern, ohne die Stabilität und Robustheit zu beeinflus-
sen. Die Störgrößenaufschaltung kompensiert den Einfluss von Drehzahl und Dreh-
moment der Antriebsseite (Verbrennungsmotor oder elektrische Antriebsmaschine) auf
die Abtriebe. Die Vorsteuerung dient im Wesentlichen der Kompensation des Schlepp-
fehlers.
312 4 Softwaresicht – Prüfstand
Am Rollenprüfstand ist das gesamte Fahrzeug real vorhanden. Da sich das Fahrzeug am
Rollenprüfstand jedoch nicht bewegt, muss der Einfluss von Beschleunigung, Bergauf-
und Bergabfahrt, aber auch teilweise der Umgebungsbedingungen, wie Temperatur,
Luftdruck oder Feuchtigkeit, von der Simulationsumgebung abgedeckt werden.
Für den Betrieb mit einem realen Fahrer oder einem Fahrroboter gibt es auf Rollen-
prüfständen drei Grundregelarten:
– Kraftregelung
– Geschwindigkeitsregelung
– Straßenlastsimulation.
Für spezielle Anwendungsfälle, z. B. Kalibrationsaufgaben, kommen weitere Regelarten
hinzu. Tab. 4-6 zeigt eine Übersicht über mögliche Regelarten auf Rollenprüfständen.
Im Folgenden wird zunächst nur auf die Grundregelarten Zugkraft- und Geschwindig-
keitsregelung eingegangen. Für die Straßenlastsimulation ist ein entsprechendes Fahr-
zeugmodell notwendig, das in Kapitel 4.5.4 eingeführt und dort auch in Bezug auf die
Anwendung am Rollenprüfstand diskutiert wird.
FMess FZug
r R
Direkt gemessen wird die Kraft in der Kraftmessdose (FMess). Diese kann über die ent-
sprechenden Hebel- und Radienverhältnisse auf die Kraft im Reifen-Rollen-Kontakt
(FZug) hochgerechnet werden. Für den statischen Fall ist dies ausreichend. Für den insta-
tionären, dynamischen Fall müssen allerdings noch andere Korrekturkräfte berücksich-
tigt werden. Im Rollenprüfstand gibt es beispielsweise geschwindigkeitsabhängige (bei
Klimakammern auch temperaturabhängige) Verluste (FVerluste), welche in der Regel in
Form eines Polynoms zweiter Ordnung beschrieben werden. Beschleunigt oder verzögert
die Rolle, müssen zusätzlich Trägheitsverluste berücksichtigt werden (FB,Rolle). Damit
ergibt sich für die Berechung der Zugkraft im Reifen-Rollen-Kontakt die nachfolgende
Gleichung.
r
FZug FMess FVerluste FB,Rolle
R
Gleichung 4-17 Zugkraft
314 4 Softwaresicht – Prüfstand
FL
v
FAntrieb
m FR
α FR
Luftwiderstand FL ȡL 2
cw A v
2
mit cw Luftwiderstandsbeiwert
A Fahrzeugprojektionsfläche in Längsrichtung
ρL Luftdichte
v Relativgeschwindigkeit
Gleichung 4-20 Luftwiderstand
R
φ
Beschleunigungswiderstand FB m a Θges,R 2
rdyn
mit m Fahrzeugmasse
a Fahrzeuglängsbeschleunigung
4 ges,R Trägheitsmoment aller drehenden Teile des Fahrzeugs
(bezogen auf die Antriebsräder)
φ R Winkelbeschleunigung der Antriebsräder
rdyn Dynamischer Reifenradius
Gleichung 4-21 Beschleunigungswiderstand
Steigungswiderstand FS m g sin(αS )
mit m Fahrzeugmasse
g Erdbeschleunigung
αS Steigungswinkel
Gleichung 4-22 Steigungswiderstand
316 4 Softwaresicht – Prüfstand
Torsionsschwingungen im Antriebsstrang
Ein wesentlicher Einfluss auf die erzielbaren Ergebnisse am Prüfstand besitzt die Fahr-
zeugmassensimulation. In der Vergangenheit wurde die fehlende Fahrzeugmasse fast
vollständig durch Schwungmassen am Antriebsstrang- oder Fahrzeugrollenprüfstand
abgebildet. Am Antriebsstrangprüfstand wurden diese Schwungmassen immer direkt an
die Seitenwelle gekoppelt. Hierdurch war sichergestellt, dass die niedrigste dominante
Eigenfrequenz (Zweimassenschwinger Motor–Fahrzeug) am Prüfstand mit der des Fahr-
zeuges korreliert.
Im Dämpfungsverhalten unterscheiden sich jedoch Prüfstand und Fahrzeug, da die für
die Dämpfung hauptsächlich verantwortliche Komponente – der Reifen – fehlt. Am
dynamischen Motorprüfstand oder an einem HiL-Prüfstand sind hingegen mehrere An-
triebsstrangkomponenten nicht vorhanden. Deshalb ist die reine Simulation des Fahrzeu-
ges nicht ausreichend. Oftmals ist es erforderlich das Schwingungsverhalten des An-
triebsstranges abzubilden, wofür ein geeignetes dynamisches Modell des Antriebsstran-
ges verwendet wird.
Im Allgemeinen lässt sich der Antriebsstrang als Mehrmassenschwinger darstellen.
Diese Massen sind z. B. Verbrennungsmotor, Kupplung, Getriebe, Kardanwelle, Achs-
differenzial, Seitenwelle, Räder und Fahrzeug. Diese Massen sind über lineare als auch
über nicht-lineare Feder-Dämpfer-Elemente miteinander gekoppelt.
Aufgrund der Anforderung an die Echtzeitfähigkeit des Modells wird das Mehrmassen-
modell meist auf ein Zweimassenmodell mit den dominanten Massen Verbrennungsmo-
tor und Fahrzeug sowie einer Ersatzsteifigkeit reduziert. Hiermit lassen sich die typische
Ruckelfrequenzen im Antriebsstrang (typischerweise zwischen 2 Hz und 10 Hz) an ei-
nem dynamischen Motorenprüfstand nachbilden. Die Bewegungsgleichungen der beiden
Massen ergeben sich dabei über den Drehimpulserhaltungssatz. Für lineare Feder- und
Dämpfergesetze lassen sich die nachfolgenden Gleichungen angeben:
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 317
dȦ1 (t)
41 MAntrieb c M2 M1 d Ȧ2 Ȧ1
dt
dȦ2 (t)
42 MAbtrieb c M2 M1 d Ȧ2 Ȧ1
dt
mit 41 ,4 2 Trägheitsmomente der beiden Schwungmassen
Ȧ1 , Ȧ 2 Drehzahlen der Schwungmassen
c Federsteifigkeit
d Dämpferkonstante
Mi von außen angreifende Antriebs- bzw. Abtriebsmomente
M1 M2 Drehwinkeln
Gleichung 4-23 Bewegungsgleichungen für einen Zweimassenschwinger
Schlupfsimulation
Die Erfahrungen haben gezeigt, dass dynamische Antriebsstrangprüfstände mit mechani-
scher oder elektrischer Massensimulation und einem einfachen Modell für die Längs-
dynamik nicht geeignet sind, um intelligente Allradsysteme, Torque-Vectoring-Systeme
oder Hybridantriebe mittels Fahrzeugsimulation zu erproben. Die Verkoppelung ver-
schiedener Steuergeräte zur Fahrzeugstabilisierung (ESP), Getriebeansteuerung (TCU)
oder Bremsdruckregelung (ABS) haben bei diesen Antriebsstrangkonzepten einen ent-
scheidenden Einfluss auf das radindividuelle Drehzahl- und Drehmomentniveau.
0.8
0.6
0.4
0.2
-0.2
-0.4
-0.6
Längskraft
-0.8 Querkraft
-1
-1 -0.5 0 0.5 1
318 4 Softwaresicht – Prüfstand
φ
К
y
x
Durch das Aufstellen der Impulsbilanzgleichungen für alle sechs Freiheitsgrade mit
den Kräften und Momenten lässt sich das entsprechende mathematische Modell ableiten
[83]. Das Fahrzeugmodell unter Berücksichtigung des Reifen-Fahrbahn-Kontaktes ist
Voraussetzung für die manöverbasierte Erprobung an dynamischen bzw. hochdynami-
schen Prüfständen (siehe Abschnitt 4.5.5).
Antriebsstrangprüfstand
Mit Hilfe des 1D-Punktmassenmodells wird anhand des gemessenen Drehmomentes, des
Fahrwiderstandes und der Fahrzeugmasse die entsprechende Fahrzeuggeschwindigkeit
bzw. die Drehzahl am Schwerpunkt berechnet. Diese Schwerpunktsdrehzahl (Mitten-
drehzahl) wird dann durch das Regelsystem am Motorprüfstand eingestellt. Damit lassen
sich transiente Zustandsübergänge realitätsnah abbilden. Abb. 4-26 zeigt dieses Vorge-
hen anhand eines Antriebsstrangprüfstandes mit zwei angetriebenen Rädern.
Rad-
maschine
Drehmoment-
messung
Fahrzeug- Fahrzeug-
Masse widerstand MRL
Drehmoment-
messung
v = nSP rdyn
Rad-
maschine
Prüfstand Simulation
Die Simulation einer Kurvenfahrt (Differenzdrehzahl auf einer Achse) ist dabei nicht
Bestandteil des Fahrzeugmodells. Die Differenzdrehzahl auf einer Achse während der
Kurvenfahrt wird unter Kenntnis von Kurvenradius, Schwerpunktsdrehzahl und Spur-
weite berechnet. Das Regelsystem prägt dann dem Prüfling diese Differenzdrehzahl auf
(siehe Abb. 4-27).
320 4 Softwaresicht – Prüfstand
FL HL
FL
HL
FR
HR
HR
Frontachse FR
Frontachse
Hinterachse
Hinterachse
Mittelpunkt Mittelpunkt
Straßenlastsimulation am Rollenprüfstand
Ziel der Straßenlastsimulation ist es, das gleiche Verhalten des Fahrzeuges hinsichtlich
Beschleunigung und Verzögerung auf dem Rollenprüfstand zu erhalten wie auf der Stra-
ße. Man unterscheidet dabei zwischen konventioneller (z. B. relevant für Abgaszertifi-
zierung) und erweiterter Straßenlastsimulation.
Für die konventionelle Straßenlastsimulation ist ein schnelles Bedaten dieser Glei-
chung bzw. ein schneller und einfacher Prozess zur Parametergewinnung Voraussetzung.
Hierzu wird unter vorgeschriebenen Bedingungen (ebene Fahrbahn, keine Windeinflüsse
etc.) auf einer realen Strecke ein Ausrollversuch in Form eines Geschwindigkeit-Zeit-
Diagramms mit dem Zielfahrzeug aufgezeichnet.
Im Anschluss daran erfolgt eine Approximation dieser Kurve in Form einer Glei-
chung zweiter Ordnung (teilweise auch höherer Ordnung). Diese Straßengleichung ist
nun die Basis für die Bedatung des Modells auf dem Rollenprüfstand. Mit Hilfe eines
speziellen Algorithmus erfolgt eine Anpassung der Straßenparameter an die sogenannten
Rollenparameter. Dies ist erforderlich, um auf dem Rollenprüfstand z. B. die gleichen
Ausrollzeiten zu erreichen wie auf der Straße. Eine 1:1-Übertragung der Straßenparame-
ter ist nicht möglich, da beispielsweise der Rollwiderstand des Reifens auf der Straße
und auf der Rolle unterschiedlich ist.
Bei der erweiterten Straßenlastsimulation kommt anstatt einer approximierten Kurve
im einfachsten Fall das 1D-Punktmassenmodell zum Einsatz. Bei höheren Anforderun-
gen an die Genauigkeit werden komplexere Fahrzeugmodelle verwendet. Dabei werden
in Abhängigkeit der Fahrsituation die Widerstandskräfte in Echtzeit berechnet. Damit ist
es möglich, in Prüfläufen und Manövern Einflüsse durch Wind, aerodynamische Ein-
flüsse (z. B. durch einen automatischen Spoiler) oder auch Kurvenfahrten oder Anfahrts-
szenarien am Randstein zu simulieren. Auch Kraftstoffverbrauchsuntersuchungen bei
unterschiedlichen Bedingungen können dann am Rollenprüfstand durchgeführt werden.
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 321
Urbane Mobiltät definiert sich neu. Wo vorher das eigene Fahrzeug noch ein Statussym-
bol war, stellt es jetzt ein Fortbewegungsmittel dar, das sich umwelt- und sozialverträg-
lich verhalten soll. Dabei stellt sich nun die Frage, welche Antriebsart dafür unter wel-
chen Randbedingungen besonders geeignet ist. Da dies niemand genau vorhersagen
kann, verfolgen die Hersteller einen Ansatz, was der Verband der deutschen Automobil-
industrie (VDA) eine „Fächerstrategie“ nennt. Bei der Antriebstechnik ist dieser Fächer
besonders groß. Batterien mit unzähligen Laptopzellen, Benzin-, Diesel-, Wasserstoff-,
Gas-, Kerosin-, Salatöl- oder Ethanolmotoren, Hybridsysteme, Schaltgetriebe mit sieben
Gängen, Doppelkupplungen, aktive Differentiale, Downsizing, Zylinder- und Neben-
agregateabschaltung sind Facetten dieses Fächers. Die verschiedenen Systeme müssen
über entsprechende elektronische Regelsysteme gesteuert und das eigene Verhalten
bewertet sowie im Fehlerfall diagnostiziert werden.
Ein vorausschauendes Energiemanagement optimiert Fahrzeug und Fahrer im Ge-
samtsystems seiner Umgebung: der Straße und des Verkehrs. Selbst der Wankelmotor
versucht ein Comeback als leiser und leichter Antrieb, der in Elektrofahrzeugen die
Reichweite verlängert. Tatsache ist: Keiner weiß heute, welche Antriebstechnologien
sich morgen durchsetzen werden. Sicher ist aber, dass dadurch die Variantenvielfalt der
Fahrzeuge enorm steigen wird (siehe auch Kapitel 1.1).
Dabei vernetzen sich die Fahrzeuge zukünftig untereinander und mit entsprechender
Infrastruktur außerhalb des Fahrzeuges. Dies macht zwar das Gesamtsystem sicherer,
agiler, komfortabler und effizienter, die Komplexität und Anforderungen hinsichtlich
Kosten, Qualität und Entwicklungszeiten erhöhen sich jedoch deutlich. In Kombination
mit der Vielfalt der Fahrzeugvarianten steigt damit neben dem Entwicklungsaufwand vor
allem der Absicherungsaufwand, um die Sicherheit, Funktionen und Performance der
vernetzen Fahrzeugsysteme im realen Kundeneinsatz sicherzustellen. Die Wechselwir-
kungen zwischen den Subsystemen und deren Auswirkung auf das Verhalten des Ge-
samtsystems Fahrzeug ist nicht immer bekannt und über Engineering Judgement kann
selbst von erfahrenen Experten keine Freigabe mehr erfolgen.
Der anerkannte und objektive Stand der Technik ist vom Hersteller und vom Zuliefe-
rer als Schutz vor juristischen Auseinandersetzungen einzuhalten und wird nicht immer
durch Normen vorgeschrieben. Das traditionelle komponentenorientierte Vorgehen ist
vor diesem Hintergrund als kritisch zu bewerten, da eine funktionale Sicherheit auf
Fahrzeugsystemebene über die Komponentenabsicherung systembedingt nicht nach-
weisbar ist. Nicht mehr der Prüfling steht im Mittelpunkt, sondern er ist nur Teil des
Gesamtsystems „Fahrzeug“. Dies erfordert ein Umdenken hin zu durchgängigen Test-
und Absicherungsprozessen, in denen der virtuelle Fahrversuch die entscheidende Rolle
spielt, um frühzeitig Integrationstests bei fehlenden realen Fahrzeugkomponenten durch-
führen zu können.
322 4 Softwaresicht – Prüfstand
Virtuelles Gesamtfahrzeug
„Schon heute die Fahrzeuge von morgen testfahren“ – genau hier setzt der virtuelle
Fahrversuch an und bildet umfassend den realen Fahrversuch in einer virtuellen Welt ab.
Dabei fährt ein virtueller (Test)Fahrer ein virtuelles Vollfahrzeug in einer virtuellen
Umgebung bestehend aus einem 3D-Straßennetz, einer Straßeninfrastruktur (z. B. Schil-
324 4 Softwaresicht – Prüfstand
der, Ampeln, Leitplanken), einem Verkehrsfluss (z. B. Pkw, Lkw, Krad, Fußgänger) und
den gewünschten Umweltbedingungen (z. B. Temperatur, Luftdruck, Sonnenein-
strahlung).
Um für eine breite Anwendung auch die möglichen mechanischen und elektrischen
Komponentenschnittstellen vorzuhalten, ist es sinnvoll, als virtuelles Fahrzeug ein 3D-
Vollfahrzeugmodell zu verwenden. Dabei handelt es sich um ein voll-nichtlineares 3D-
Fahrdynamikmodell mit Aufbau, Achsen, Federung, Lenkung, Motorlagerung, Antriebs-
strang, hydraulischen Bremsen, Reifen und Aerodynamik. Dazu wird das Gesamtsystem
„Fahrzeug“ in Teilsysteme zerlegt, die getrennt voneinander beschrieben werden und
anschließend wieder baukastenförmig zusammengesetzt werden können.
Zur mathematischen Beschreibung werden deshalb häufig Mehrkörpersysteme
(MKS) eingesetzt. Diese bestehen aus einer endlichen Anzahl starrer Körper, die durch
Kraftelemente (Federn, Dämpfer, Kontaktkräfte zwischen Rad und Fahrweg) und Ge-
lenke untereinander und mit der Umgebung gekoppelt sind. Darüber lassen sich insbe-
sondere auch die häufig auftretenden Nichtlinearitäten (etwa des Reifens und der kom-
plexen Radführung), die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Komponenten sowie
die komplexen Kontaktkräfte des Reifens mit der Fahrbahn abbilden. Mathematisch
gesprochen ergibt sich ein gekoppeltes differential-algebraisches System, das durch
entsprechende numerische Verfahren gelöst werden kann.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Gesamtsystem „Fahrzeug“ zunehmend
nicht nur durch mechanische Bauelemente, sondern auch durch elektronische Regelun-
gen sowie elektrische oder hydraulische Aktuatoren beschrieben werden muss. Dadurch
ergibt sich ein so genannter Multi-Domain-Ansatz, in dem Simulationsmodelle aus ver-
schiedenen Anwendungen zu einem Gesamtfahrzeugmodell integriert werden müssen.
Zwei Konzepte werden im Kapitel 4.5.6 näher erläutert.
Um einen realen Fahrversuch möglichst gut im virtuellen Fahrversuch abzubilden,
nimmt der virtuelle Fahrer, also das mathematische, numerische Modell eines realen
Fahrers, ebenfalls eine wichtige Rolle ein. Reale Fahrer setzen eine bestimmte Fahrauf-
gabe unterschiedlich um und zeichnen sich durch verschiedene Fahrstrategien aus. Diese
reichen vom defensiven, sparsamen bis hin zum sportlichen oder gar aggressiven Fahr-
stil. Jede dieser Fahrstrategien hat Einfluss auf bestimmte Fahrzeugfunktionen und das
Systemverhalten: Wird dieser Effekt beim virtuellen Fahrer ignoriert, führt dies unter
anderem beim Ermitteln von Verbrauchs- und Emissionswerten oder beim Untersuchen
von Batterieladezuständen zu Schwierigkeiten. Unterzieht man diese Fahrstrategien
einer genaueren Betrachtung, so zeigt sich, dass sich die Fahrer durch sehr unterschied-
liche Linienwahl, Kurshalte-, Lenk-, Brems- und Beschleunigungsstrategien unter-
scheiden.
Für valide Aussagen im virtuellen Gelände ist es daher sehr wichtig, dass das virtuelle
Fahrermodell diese Unterschiede realitätsnah abbilden kann. Die Hersteller von Simula-
tionssoftware für virtuelle Fahrversuche legen daher seit vielen Jahren einen Entwick-
lungsschwerpunkt auf die realistische Rekonstruktion der Fahrereingabe. Dazu werden
Fahrermodelle mit einem Repertoire an Fahrstilen und Fahrstrategien ausgestattet, die
vom Anwender über eine Bedienoberfläche ausgewählt werden können. Eine wichtige
Rolle spielen hier zunehmend auch Verkehrsfolgemodelle („Traffic-2-Follow-Funk-
tionen“). Der virtuelle Fahrer ist damit in der Lage zu „sehen“ und aktiv einem anderen
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 325
Fahrzeug zu folgen, wobei die Geschwindigkeit des virtuellen Fahrzeugs an das voraus-
fahrende Fahrzeug, an den eigenen Fahrerwunsch, an die Strecke, an die Möglichkeiten
des Fahrzeugs und an die Gebots- und Verbotsschilder sowie Ampelanlagen entlang der
Strecke angepasst wird. Frei definiert werden zeitliche und räumliche Abstandsfenster
sowie die gewünschte Folgestrategie.
Dadurch kann beispielsweise die Veränderung des Fahrverhaltens zu einem unter-
schiedlichen Ziehharmonikaeffekt im Verkehrsfluss und damit auch zu einem anderen
Verbrauch führen. Damit ermöglicht es ein virtueller Fahrer, umfassende systematische
Untersuchungen und realistische Bewertungen von integrierten Funktionen im Hinblick
auf unterschiedliche Fahrertypen durchzuführen. Zu diesen Funktionen gehören bei-
spielsweise eine vorausschauende Energiemanagementstrategie und ein effizientes Bat-
teriemanagement. Lange vor dem ersten realen Prototyp können somit die Eigenschaften
des künftigen Fahrzeugs realistisch ermittelt werden.
326 4 Softwaresicht – Prüfstand
Tab. 4-7 Einteilung der Tests in Sicherheits-, Funktions- und Performancetests am Beispiel
Längsmomentenregelung
Die Frage, wie leistungsfähig die Funktionen sind bzw. wie sich das Fahr- oder Fahr-
zeugverhalten darstellt, wird damit noch nicht beantwortet. Diese Antwort wird in der
dritten Gruppe, den Performancetests, gesucht. Hier geht es beispielsweise darum, die
erreichten Bremswege, das Beschleunigungsvermögen auf Eis, den Realverbrauch auf
einer vordefinierten Strecke oder die Reichweite eines Elektrofahrzeuges in Abhängig-
keit der Kalibriergrößen zu bewerten.
Die Beispiele zeigen, dass virtuelle Fahrversuche in die Teststrategie mit eingebunden
werden müssen. So wird der Prüfstandsbetreiber eines Komponentenprüfstandes in die
Lage versetzt, erste Tests mit Bezug zu einer höheren Systemebene, nämlich zur Ge-
samtfahrzeugebene, durchführen zu können. Der virtuelle Fahrversuch gibt dem Prüf-
standsbetreiber ein Werkzeug an die Hand, funktionale Sicherheit (ISO 26262) und
Performance durchgängig und aus der Systemsicht eines Gesamtfahrzeugs nachweisen
zu können, um so auch in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zu einer effizienteren
Entwicklung von sicherheitsrelevanten Systemen beizusteuern. In Zukunft wird sich
diese Testmethodik auch über die Grenzen der Hersteller und Fahrzeugintegratoren
hinweg auf die internen und externen Komponentenzulieferer auswirken.
Testen mit virtuellen Fahrversuchen bedeutet dabei mehr als nur Modelle zu bewe-
gen. Es bedeutet, den Arbeitsplatz des Testfahrers von der Straße ins Labor oder Büro zu
verlegen – inklusive Testmanövern, Strecken, Diagnose-, Mess- und Anwendungswerk-
zeugen. Dies führt zu manöver-/eventbasierten und streckenbasierten Testmethoden, die
sich beliebig kombinieren lassen. Wie bei einer realen Testfahrt werden dem (virtuellen)
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 327
Tab. 4-8 Manöver- und eventbasierter Ansatz einer -Splitt Bremsung zur Bewertung eines
Hybridfahrzeuges
328 4 Softwaresicht – Prüfstand
Bei diesem manöver- und eventbasierten Test wird das Fahrzeug zunächst auf
100 km/h beschleunigt. Dies geschieht im Closed-Loop-Betrieb für Längs- und Quer-
dynamik mit Hilfe des virtuellen Fahrers. Bei dem Event „Erreichen einer Markierung“
geht der Fahrer plötzlich vom Gas. Damit wird das Gaspedal in der Längsdynamik im
Open-Loop-Betrieb gesteuert, in der Querdynamik hält der Fahrer das Fahrzeug weiter-
hin durch Lenkbewegungen auf Kurs. Danach wird bei der Vollbremsung auch die gere-
gelte Lenkbewegung unterbunden, in dem der Fahrer auch in der Querdynamik in den
Open-Loop-Modus versetzt wird. Die Lenkkorrektur als Maß für die Beherrschbarkeit
erfolgt dann wieder im Closed-Loop-Betrieb für die Querdynamik durch den virtuellen
Fahrer. Im Anschluss daran erfolgt noch eine Fehleraufschaltung bevor das Fahrzeug
gestoppt wird.
In Erweiterung des manöver- und eventbasierten Ansatzes wird die Performance des
Gesamtfahrzeuges beim streckenbasiertem Testen nach Abb. 4-29 analysiert und bewer-
tet. Dazu gehören beispielsweise Verbrauchseigenschaften, Emissionsverhalten oder die
Reichweite von Elektrofahrzeugen bezogen auf unterschiedliche Streckentypen wie
Stadt, Landstraße, Autobahnen oder Gebirgsfahrten und in der Wechselwirkung mit
verschiedenen Fahrertypen (sportlich, normal, defensiv oder ökonomisch).
Abb. 4-30 Kopplung des Navigationsystems mit dem Fahrzeug im streckenbasierten Ansatz
330 4 Softwaresicht – Prüfstand
Beim streckenbasierten Ansatz bzw. beim freien Fahren finden integrale Bewertungen
einer Gesamtfahrzeugeigenschaft auf langen Stadt-, Land- oder Autobahnrouten in Ab-
hängigkeit unterschiedlicher Fahrertypen und Fahrstrategien statt. Häufig werden Eigen-
schaften wie Emission, Verbrauch, Anteil des elektrischen Fahrens oder Rundenzeit
untersucht.
– Hier trifft der Fahrer seine Fahrentscheidungen frei entsprechend seines Fahrstils
(sportlich, normal, energiesparend, defensiv, hektisch). Dies betrifft die Kurs- und
Geschwindigkeitswahl, das Verwenden von Gas und Bremse sowie die Ausnutzung
seiner Beschleunigungsvorgaben.
– Der Fahrer hält sich an Gebots- und Verbotszeichen und befolgt Ampeln.
– Der Fahrer folgt dem Verkehr oder überholt diesen nach eigener Entscheidung.
– Der Fahrer erhält Fahrempfehlungen von der Mensch-Maschine-Schnittstelle wie
Gaswegnahme (Segeln), Gangwahl, Bremsen, die er je nach seinen eingestellten Ei-
genschaften unterschiedlich befolgt.
Über die Kombination aus freiem Fahren und manöver- und eventbasierten Szenarien
werden gezielt Situationen und Ereignisse eingesteuert, um eine Gesamtfahrzeugeigen-
schaft (z. B. Emission, Verbrauch, Anteil des elektrischen Fahrens) integral zu bewerten:
– Der Fahrer trifft freie Fahrentscheidungen und hält sich an Gebots-, Verbotszeichen
und befolgt Ampeln.
– Es werden gezielt unterschiedliche Verkehrsereignisse entlang der Route eingesteuert,
die situativ getriggert werden.
– Der Fahrer erhält gezielte Manöveranweisungen an bestimmten Streckenpunkten oder
zu bestimmten Verkehrsereignisse (z. B. beim Überholen Vollgas zu geben).
– Der Fahrer erhält Fahrempfehlungen entsprechend den Ereignissen, die er je nach
seinen eingestellten Eigenschaften unterschiedlich befolgt.
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 331
Integrationsplattform
Ein Beispiel für eine Integrationsplattform zeigt Abb. 4-32.
VTD
Virtuelle Testfahrt
Virtuelle
Fahrzeugintegration
332 4 Softwaresicht – Prüfstand
Alle Systeme und Komponenten sind dabei beliebig auswechselbar oder erweiterbar,
ob als virtuelle Modellkomponente, als Software, als reales Steuergerät oder als mecha-
nische Hardware. Voraussetzung dafür ist die Definition von standardisierten Schnittstel-
len. Jede Komponente und jedes Subsystem kann dann an seinen vordefinierten Platz
einsortiert und in einer einheitlichen und bewährten Reihenfolge (Scheduling) berechnet
werden.
Wichtig ist, dass sich beliebige Komponenten, ob real oder virtuell, ob mechanisch,
elektrisch, hydraulisch oder pneumatisch aus verschiedenen Umgebungen in das virtuel-
le Fahrzeug integrieren lassen. Damit kann man für nahezu alle Prüfstandsumgebungen
eine Umgebung aufbauen, in der ein virtueller Fahrversuch für den Prüfling durchgeführt
werden kann. Abb. 4-33 zeigt ein Beispiel für die Integration eines realen Antriebsstran-
ges in eine virtuelle Vollfahrzeugumgebung. Mit dieser Kombination können somit
virtuelle Fahrversuche, wie beispielsweise standardisierte Verbrauchsrunden, Fahrbahr-
keitstests, Beschleunigungs- und Bremsmanöver oder gar eine Slalomfahrt oder ein
Fahrspurwechsel durchgeführt werden (siehe Kapitel 4.5.5). Der Prüfling ist in diesem
Fall der gesamte Antriebsstrang, dessen Einfluss auf die Gesamtfahrzeugeigenschaften
untersucht werden kann.
Gigabit-Ethernet
Identische Kommunikation Kalibrierungsdaten Projektdaten
wie unten
CarMaker Realtime-Node
Fahrermodell
Antriebsstrang Straßenmodell
CAN(2)
VSC STR YGS Fahrzeugmodell
Dyno-Geschwindigkeitsset(2)
Geschwindigkeitsmessung
Dyno-Inverter
Elektrische Drehmomentsteuerung
Abb. 4-33 Integration des realen Antriebsstrangs in ein Vollfahrzeug mittels Antriebsstrang-
prüfstand
Eine moderne Fahrzeugintegrationsplattform ist heute in der Lage, nahezu jede Kompo-
nente oder unterschiedliche Subsysteme aus den verschiedenen Modellierungsumgebun-
gen, wie Dymola, Matlab/Simulink, AVL Cruise oder als nativer C-Code, in den virtuel-
len Prototyp zu integrieren. Große Bedeutung kommt dabei den vernetzten Regelsyste-
men zu, die in Kombination mit Sensorik und Aktoren als mechatronisches System in
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 333
Co-Simulation
Die im vorherigen Kapitel beschriebene Vorgangsweise führt oft zu einer Verkoppelung
von Simulationsmodellen für verschiedene Fahrzeugkomponenten, die mit unterschiedli-
chen Simulationswerkzeugen erstellt wurden. Man kann nun entweder diese Modelle in
ein Format für die Integrationsplattform übersetzen oder man verbindet die entsprechen-
den Simulationswerkzeuge während der Simulation mit Hilfe einer so genannten Co-
Simulation.
Mit der Einführung von Co-Simulation im modernen Entwicklungsprozess kann die
Aufgabe der Entwicklung komplexer mechatronischer Systeme auf eine sehr effiziente
Art und Weise gelöst werden. Im Bereich der alternativen Antriebe liegt der Fokus auf
der Integration von elektrischen und thermischen Fahrzeugkomponenten in bestehende
334 4 Softwaresicht – Prüfstand
Co-Simulationsplattform
modellen bzw. -werkzeugen hat sich in den letzten Jahren ein Standard etabliert, das
sogenannte Functional Mock-up Interface (FMI) (siehe auch [68] und Abschnitt 4.1.2).
FMI definiert ein einheitliches Interface, welches die Interaktionen von komplexen Si-
mulationsmodellen aus unterschiedlichsten Bereichen der Physik ermöglicht. Mittels
FMI können sowohl Simulationsmodelle als auch die Simulationswerkzeuge angekop-
pelt werden, was den Betrieb und die Wartung von Co-Simulationsplattformen deutlich
erleichtert.
ACoRTA Kopplungsansatz
Umlaufzeit Umlaufzeit
Abb. 4-35 Kopplung von Echtzeitsystemen bzw. von Echtzeit- mit Nichtechtzeitsystemen
Eine logische Erweiterung des Co-Simulationsansatzes stellt die Einbindung von Echt-
zeitsystemen in die Systemsimulation dar. Sind eine oder mehrere Komponenten als
echte Hardware verfügbar, so können diese direkt in das bestehende Systemmodell ein-
gebunden werden. Bei der Erweiterung der Co-Simulation in die Echtzeitdomäne sind
zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen. Spezielle Verbindungselemente müssen
eine zeitkorrekte Kopplung der beteiligten Echtzeit- und Nichtechzeitsysteme gewähr-
leisten. Die im Gesamtsystem auftretenden Umlaufzeiten (Round Trip Times) müssen so
klein als möglich gehalten werden, um die Stabilität existierender Regelkreise gewähr-
leisten zu können (siehe Abb. 4-35). Ein weiteres Problem stellen verrauschte Sensor-
signale bei den Echtzeitsystemen dar. Arbeiten hierzu werden im Forschungsprojekt
ACoRTA (Advanced Co-Simualtion Methods for Real-Time Applications) durchgeführt
(siehe [88]).
4.5.7 Restbussimulation
An Prüfständen ist der Prüfling häufig über Bussysteme (siehe auch Kapitel 3.5) mit
anderen intelligenten Systemen verknüpft. Ein Betrieb des Prüflings ist meist nur mög-
lich, wenn auch die Kommunikation mit diesen Teilnehmern sichergestellt werden kann.
Es ist jedoch oft auf Grund der fehlenden Verfügbarkeit oder aus Kosten- und Komple-
xitätsgründen nicht möglich bzw. sinnvoll, das gesamte Netzwerk am Prüfstand aufzu-
bauen. Deshalb können notwendige Teilnehmer mit ihren Kommunikationsdaten nach
Abb. 4-36 mit Hilfe der sogenannten Restbussimulation virtuell eingebunden werden.
336 4 Softwaresicht – Prüfstand
Virtuelles Teilsystem
Reales Teilsystem
Simulierter Restbussimulation
Knoten 2
Realer Simulierter
Bus Bus
Realer Simulierter
Knoten 1 Knoten 3
4.6 Testautomatisierung
Die Möglichkeit zur Testautomatisierung stellt den entscheidenden Hebel für einen effi-
zienten und kostengünstigen Prüfstandsbetrieb dar. Dazu müssen zunächst Prüfabläufe
definiert werden können. Automatisierter Betrieb heißt aber auch komplexe Überwa-
chungs- und Steuerungsaufgaben asynchron zum Prüfabläuf durchführen zu können.
Dies kann über Prüfstandszustandssteuerungen realisiert werden. Abschließend wird mit
der automatischen Bedatung von Steuergeräten auf einen komplexen Anwendungsfall
für die Testautomatisierung eingegangen.
4.6.1 Prüfablauf
Automatisierte Prüfabläufe stellen auf Grund der stark erhöhten Komplexität der Prüf-
aufgaben einen Schlüsselfaktor für die Effizienzsteigerung am Prüfstand dar. Dies liegt
unter anderen daran, dass die Teststrategie für einen betrachteten Prüfling auch unter
Produktivitäts- und Kostengesichtspunkten bewertet wird. Tests im Fahrzeug sind sehr
teuer. Deshalb versuchen Hersteller Straßentests auf Rollenprüfständen durchzuführen
und Rollenprüfstandstests auf Antriebsstrangprüfstände oder Motorenprüfstände zu
verlagern. Eine Konsequenz daraus ist, dass Kalibrieraufgaben auch transiente Zyklen
benötigen, welche z. B. auf hochdynamischen Prüfständen abgefahren werden können.
Eine bestimmte Anzahl von physischen Tests wird durch Simulation ersetzt oder mit
realen Komponenten kombiniert, z. B. die Simulation eines Straßenprofiles und das
Fahrzeugverhalten auf einem Antriebsstrangprüfstand.
Während in der Vergangenheit der Entwicklungsfokus auf dem Verbrennungsmotor
lag, ist das Augenmerk nun auf die Abgasnachbehandlung, das Thermomanagement, das
Zusammenspiel von unterschiedlichen Steuergeräten (z. B. Advanced Driver Assistant
Systems – ADAS) und die Optimierung des Energiemanagements eines Fahrzeugs oder
einer Komponente gerichtet. Die Steuergeräte mit ihren verschieden optimierten Konfi-
gurationen und Ausprägungen sind ein Schlüsselfaktor, um reduzierten Treibstoff-
verbrauch, aber auch besseren Fahrkomfort und erhöhte Sicherheit zu ermöglichen.
Beispielsweise werden Fahrzeuge mit einem intelligenten Bremssystem ausgestattet, um
die Sicherheit zu erhöhen.
Zur Bewältigung dieser Variantenvielfalt sind modulare und leistungsstarke Werk-
zeuge erforderlich, um Testabläufe zu definieren und auszuführen. Diese müssen in der
Lage sein, große Datenmengen zu verwalten und abzuspeichern, welche durch verschie-
dene Motor- und Getriebeelektroniken und Messgeräte generiert werden. Echtzeit und
338 4 Softwaresicht – Prüfstand
Grundlegende Funktionen
Die Unterstützung verschiedener Prüfaufgaben (z. B. die Vorgabe von stationären Stu-
fenfolgen nach Abb. 4-37), das Abfahren von Kennfeldern, die Definition von transien-
ten Straßenprofilen oder manöverbasiertes Testen, sind die Kernaufgaben jeder moder-
nen Prüflaufautomatisierung. Ein unbemannter Betrieb eines Prüfstandes hat signifikante
Auswirkungen auf Produktivität und Kosten. Daher ist es für einen automatisierten Prüf-
ablauf Grundvoraussetzung, dass Grenzwerte online überwacht und visualisiert werden.
Darüber hinaus ist eine automatisierte Ausnahmebehandlung im Fehlerfall ein Muss für
jeden Prüfstand. Mit diesen automatisierten Mechanismen wird gewährleistet, dass der
Prüfling auch in ungewollten Betriebszuständen in einen sicheren Betriebszustand ge-
bracht wird oder im Falle einer möglichen Versuchsfortsetzung der automatisierte Prüf-
lauf an definierten Wiederaufsetzpunkten fortgesetzt werden kann. Dabei setzt eine Au-
tomatisierung auch erweiterte Benutzerschnittstellen mit integrierten Debuggern voraus,
um bei der Prüflaufentwicklung Fehler im Prüfablaufdesign einfach entdecken zu kön-
nen und die Fehlersuche zu erleichtern.
Nachgeordnete Systeme, wie Haustechnik, Prozessleitsysteme und andere im Prüf-
feldkontext relevanten Systeme, müssen über den automatisierten Prüfablauf gesteuert
werden können. Auf Änderungen der Umgebungsbedingungen muss reagiert werden
können. Daher benötigt ein System zur automatisierten Prüflaufabarbeitung klar defi-
4.6 Testautomatisierung 339
Testerstellung
Die Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit von Testdesigns sind entscheidende Fak-
toren für die Akzeptanz innerhalb verschiedener Benutzerebenen. Der Applikationsinge-
nieur möchte sehr einfach schon existierende Stufenprofile auf verschiedenen Prüf-
standstypen nachfahren und reproduzierbare Messergebnisse zur Entwicklung weiter-
verwenden.
Dazu benötigt er ein Hilfsmittel, das es
ihm ermöglicht, alle relevanten Informati-
onen, wie Sollwerte von Fahrpedalstel-
lung, Straßensteigung, Stellung der Gang-
schaltung, Umweltbedingungen und Hö-
henprofile, in einen automatisierten Prüf-
ablauf integrieren zu können.
Aus vordefinierten Bibliotheken kann nun
der Prüflaufautor in einer grafischen Be-
dienumgebung seine Versuchsabläufe
modellieren (siehe Abb. 4-38). Die Wie-
derverwendung von vordefinierten Bi-
bliotheksbausteinen, die Definition ver-
schiedener Arten der Messwertaufnahme
(stationäre oder kontinuierliche Messung)
oder die Definition von Abspeicherdaten
helfen bei einer schnellen und effizienten
Erstellung der Prüfabläufe.
340 4 Softwaresicht – Prüfstand
Testverwaltung
Eine Versionierung der erstellten Prüfabläufe ermöglicht ein einfaches Wiederherstellen
von vorherigen Testdesigns. Die zentrale Verwaltung dieser Prüfabläufe auf einem mit
verschiedenen Benutzerrechten geschützten Leitrechner unterstützt bei der effizienten
Wartung und stellt sicher, dass nur befugte Benutzer ein Testdesign verändern bzw.
anlegen können.
4.6.2 Prüfstandszustandssteuerung
Beim Ausführen von automatisierten Prüfläufen müssen eine Reihe von gleichbleiben-
den Funktionen ausgeführt werden, die asynchron zum Prüfablauf ablaufen. Beispiele
dafür sind:
– Komplexe Überwachungs- und Steuerungsaufgaben, um die Sicherheit von Prüflin-
gen oder Prüflingskomponenten zu gewährleisten
– Steuerungsaufgaben, um definierte oder vom Prüflauf bzw. Simulationsprogrammen
vorgebene Umgebungsbedingungen mit Hilfe entsprechender Aktuatoren und Stimuli
einzustellen
– Komplexe Reaktionen auf Grenzwertverletzungen, bei denen bestimmte Sequenzen
eingehalten werden müssen, um Prüflinge wieder in sichere Zustände zu überführen.
Ein Beispiel ist das Herunterfahren von Mehrmaschinenprüfständen bei Ausfall eines
Drehzahlsensors.
Diese asynchronen Prozeduren können entweder in einer externen SPS (Speicherpro-
grammierbare Steuerung) oder in entsprechenden Prüfstandssteuerungsfunktions-
modulen des Automatisierungssystems selbst programmiert werden.
Falls es sich um eine externe SPS handelt, müssen die in den Steuerungsaufgaben
notwendigen Größen kontinuierlich zwischen Automatisierungssystem und SPS ausge-
tauscht werden. Als Kommunikationsprotokoll wird sehr oft das Profibus-Protokoll
verwendet (siehe Abschnitt 3.5.3).
Bei Funktionsmodulen in Automatisierungssystemen haben sich State-Event-
Programmiermodelle bewährt. Hierbei können in einem Prüfstandssystem beliebig viele
virtuelle Geräte angelegt werden, für die entsprechende Zustände definiert werden kön-
nen. Die Zustandsübergänge werden Events zugeordnet, die z. B. das Überschreiten
eines Wertes für eine Prüfstandsgröße oder die Änderung eines Digitalbits sein können.
Bei jeder Zustandsänderung wird eine kurze Automatisierungssequenz ausgeführt, die in
einer entsprechenden Programmiersprache im Automatisierungsystem vom Anwender
definiert wird.
Motivation
Eine weitere Aufgabe der Automatisierung von Prüfständen ist die automatische Beda-
tung von Steuergeräten, welcher in den letzten Jahren eine immer größere Bedeutung
zukommt. Einerseits bedingt durch die zunehmende Komplexität der Prüflinge in Bezug
4.6 Testautomatisierung 341
342 4 Softwaresicht – Prüfstand
Im ersten Schritt findet die Versuchsplanung statt. Hierbei kommt die Methode der
statistischen Versuchsplanung (DoE) zum Einsatz. Unter Verwendung von Vorwissen
des Anwenders zu den Abhängigkeiten der Zielgrößen von den Variationsgrößen des
Prüflings wird ein Versuchsplan zur Variation der Stellgrößen des Motors innerhalb
eines Betriebspunktes (Drehzahl/Last) generiert. Beispielhaft sind in Tab. 4-9 verschie-
dene Versuchplanungstypen mit ihren Vor- und Nachteilen genannt. Für detaillierte
Informationen zu den einzelnen Versuchsplanungstypen wird hier auf einschlägige Lite-
ratur verwiesen [89].
344 4 Softwaresicht – Prüfstand
Ziel beim Einsatz von DoE ist es, mit minimalem Aufwand an Messungen die maxi-
male Informationen (in dem Modell) in dem zu untersuchenden Variationsraum zu gene-
rieren. Im zweiten Schritt findet die Messung am Motorenprüfstand statt. Idealerweise
ist dieser Schritt vollautomatisiert, um maximale Reproduzierbarkeit sicherzustellen.
Bei Verwendung mancher besonders leistungsfähiger Steuergerätekalibrierungstools
besteht die Möglichkeit der Verwendung adaptiver DoE Algorithmen nach Abb. 4-40.
Hierbei kann in einem Zug am Prüfstand automatisiert der fahrbare Versuchsraum in-
nerhalb eines Betriebspunktes ermittelt werden (Screeningversuch), ein entsprechender
DoE Versuchsplan für diesen Versuchsraum online berechnet und in einem Schritt ver-
messen werden (adaptiver DoE-Versuchsplan). Diese leistungsfähigen Steuergeräteka-
librierungstools reagieren dabei auf eventuell auftretende Limitverletzungen mit einer
automatischen Anpassung des Versuchsraums an die Fahrbarkeitsgrenzen. Als Ver-
suchsplantypen selbst eignen sich besonders sogenannte D-Optimale oder Space-Filling-
Versuchspläne, da diese nicht symmetrische Versuchsräume umgehen können.
16
12
Durchführung eines Screeningversuchs (FF,
8
CCD, D-Optimal), um die Laufgrenzen und
4
Variablen-Abhängigkeiten zu bestimmen.
0
100 90 20 30
KFWESDS KFZWSCHU
Versuchsraum
17
12,75
Berechnung der Grenzen des Versuchsraumes
8,5 mit Hilfe der vorhandenen Messpunkte
4,25 (Approximation).
0
100 92 31
84 17 24
KFWESDS
KFWESDS
KFZWSCHU
KFZWSCHU
16
12
8 Berechnung eines D-optimalen Versuchsplans im
4 beschränkten Versuchsraum.
0
100 30
90 20
KFWESDS KFZWSCHU
Abb. 4-40 Screeningversuch mit anschließender Berechnung der Hüllkurve und D-optimaler
DoE-Versuchsplanvermessung [90]
4.6 Testautomatisierung 345
NOx
Minimal
BE
Grenzwert
Rauch
Grenzwert
300 350 400 450 -2 0 2 1 1.5 2 1500 2000 2500995 10001005 1010 350 400 450 500
Luftmasse Ansteuerbeginn Pilotmenge Pilotabstand Ladedruck Raildruck
[mg/Hub] Haupteinspritzung [mg/Hub] [μs] [mbar] [bar]
[°KW]
Abb. 4-41 Intersection Plot – Modelle für Zielgröße und begrenzende Größen über den Varia-
tionsparametern des Motors [90]
Nachdem die Modelle gebildet und mit statistischen Methoden verifiziert wurden, kann
mittels unterschiedlicher Optimierungsverfahren, z. B. Gradientenverfahren oder geneti-
scher Algorithmen, eine Optimierung durchgeführt werden. Hierbei wird anhand einer
346 4 Softwaresicht – Prüfstand
BH a 0 a1 S a 2 S2 b1 R b 2 R 2 c1 A c 2 A 2
d1 S R d 2 R A d 3 S A
mit:
BH Kraftstoffverbrauch [kg/h]
S Spritzbeginn in [Grad Kurbelwinkél vor OT]
R Raildruck in [bar]
A Abgasrückführrate in [ %]
a0 bis d3 Polynomkoeffizienten
Gleichung 4-24 Kraftstoffverbrauch angenähert durch ein Polynom zweiter Ordnung inklusive
Wechselwirkungen [15]
zahl und Last hinweg beschreiben. Aus globalen Modellen kann man mit Festsetzung
der Drehzahl und Last lokale Werte für Betriebspunkte berechnen.
Da das Verhalten bestimmter zu modellierender Zielgrößen oder der Restriktionen
über Betriebspunktgrenzen hinweg theoretisch Unstetigkeiten (z. B. Sprünge) enthalten
kann und Polynomansätze ein solches Verhalten nicht abbilden können, finden hier
hauptsächlich andere Modellansätze Verwendung. Unter anderem werden unterschiedli-
che Arten von neuronalen Netzen verwendet, welche nicht lineares Verhalten entspre-
chend abbilden können.
Will man einen globalen Modellansatz umsetzen, muss dies schon bei der Versuchs-
planung berücksichtigt werden. Insbesondere Vorwissen, z. B. von Vorversuchen oder
von vergleichbaren Vorgängermotoren, kann hilfreich sein. Ist kein Vorwissen vorhan-
den, so werden gegebenenfalls Vorversuche durchgeführt. Diese decken den zu untersu-
chenden Versuchsraum gleichmäßig, z. B. über einen Latin Hyper Cube Versuchsplan
(siehe Abb. 4-40), mit Messpunkten ab. Mit Hilfe von Teilungsalgorithmen neuronaler
Netze wird anschließend anhand der gewonnenen Messdaten eine Teilung des Versuchs-
raums in Bereiche herbeigeführt.
Bereiche mit hohen Nichtlinearitäten werden durch den Algorithmus stärker unterteilt
als solche mit linearem Verlauf. Man benötigt in den Bereichen des Kennfeldes mit
hohen Nichtlinearitäten mehr Informationen, d. h. Messpunkte als in Bereichen hoher
Linearität. Diese Informationen werden anschließend genutzt, um für Bereiche mit hoher
Teilung respektive Nichtlinearitäten, zusätzliche Messpunkte über Teilversuchspläne zu
ermitteln. In Bereichen hoher Linearitäten sind meist keine weiteren Informationen er-
forderlich. Die Teilmodelle werden am Ende über den Modellbildungsalgorithmus zu
einem globalen Gesamtmodell verschliffen.
348 4 Softwaresicht – Prüfstand
zum Einsatz, welche neben den bereits beschriebenen Eigenschaften die Dynamik des
Systems entsprechend abbilden können.
Der Vollständigkeit halber soll hier kurz auch die transiente Vermessung erwähnt
werden. Sie stellt einen Zwischenschritt zwischen stationärer und dynamischer Vermes-
sung dar. Bei der transienten Vermessung werden die Variationsparameter kontinuierlich
verstellt, allerdings so schnell wie möglich, um kurze Versuchszeiten zu haben und so
langsam wie nötig, um das System nicht dynamisch anzuregen. Hierbei werden die Vari-
ationsparameter quasi stationär über Rampen verstellt und der Motor somit quasi statio-
när betrieben. Die Vorgehensweise wird auch als Slow Dynamic Slopes bezeichnet [90].
Das Ergebnis sind stationäre Daten. Der Vorteil liegt dabei in der relativ schnellen Ver-
messung, allerdings ist das Verfahren nur für spezielle Variationsparameter und Appli-
kationsaufgaben anwendbar.
4000
Stationärer Betriebspunkt
Amplitude-modulated
3000 Pseudo
2000 Random APRBS-Modulation
neng [rpm]
1000 Binary mit Standardeinstellungen
Signal
200 m 100
0 rp egr [%]
100 = 200
0 Teng [Nm] n eng 50
0
100 5
Motorsteuerung mit einer Standard-
50
-5
0
-10
0 Θinj [°CA]
-5
-10 80 vtg [%]
-15
60
100
vtg [%] 40
50 20
Standard
350 400 450 500
0 Standard + APRBS
200 400 600 8001000 Zeit [s]
Muster [-]
350 4 Softwaresicht – Prüfstand
4.7 Messdatenauswertung
Aktuelle Softwarewerkzeuge erlauben umfangreiche Auswertungen und Analysen der
gemessenen Daten im sogenannten Post Processing, also auf Basis von abgespeicherten
Daten entweder parallel zum Versuch oder nach Ende des Versuchs. Für diese Auswer-
tungen gibt es zahlreiche Möglichkeiten vom einfachen Sichten der Daten über die grafi-
sche interaktive Analyse bis hin zu komplexen Applikationen mit entsprechenden For-
melbibliotheken.
Diese Auswertungen können interaktiv aber auch automatisiert erfolgen. Interaktiv
können neue Auswertungen wesentlich schneller und flexibler erstellt werden. Wenn
Auswertungen aber wiederholt werden sollen, muss der Auswertevorgang komplett neu
eingegeben werden. Bei automatisierten Auswertungen ist dagegen der Initialaufwand
deutlich höher, der Wiederholaufwand aber signifikant niedriger.
4.7.1 Messdatenauswahl
Am Beginn jeder Datenauswertung steht die Auswahl der Messdaten. Aufgrund der
immer weiter verbesserten Möglichkeiten der Messdatenerfassung steigt die Menge an
Messdaten laufend an. Daher kommt der effizienten Messdatenauswahl ebenfalls immer
größere Bedeutung zu.
Interaktive Auswahl
Ein leistungsfähiger Datenbrowser nach Abb. 4-43 ermöglicht es, ähnlich einem Fi-
lebrowser interaktiv durch die Ablagestrukturen zu gehen und die gewünschten Daten
auszuwählen. Für diese interaktive Auswahl dienen sowohl die Ablagestrukturen selbst
(Ordner) als auch Attribute von Versuchen, Versuchsreihen oder Messungen.
Abb. 4-43 Beispiel eines Messdatenbrowsers für die Anzeige von Motormessdaten
4.7 Messdatenauswertung 351
352 4 Softwaresicht – Prüfstand
Datensuche
Neben der interaktiven Datenauswahl wird es immer wichtiger, auch leistungsfähige
Mechanismen für die automatische Datensuche anwenden zu können. Im Idealfall hat
man in der Datenablage bereits Attribute definiert, die dann in der Suche verwendet
werden können. Das hat den Vorteil, dass die Suche sehr schnell ist, da die Attribute sehr
schnell gelesen werden können. Der Nachteil ist jedoch, dass diese Attribute bereits im
Datenmodell definiert sein müssen. Möchte man weitere Attribute hinzufügen, ist eine
Änderung des Datenmodells nötig. Die neuen Attribute sind infolge auch nur in neueren
Messdaten verfügbar.
Eine weitere Suchvariante ist die Suche mittels Dateninhalten. Diese Variante hat den
Vorteil, dass man nach sämtlichen Dateninhalten suchen kann. Da Messdaten im Kon-
trast zu Attributen auch Vektordaten sind, gibt es hier erweiterte Suchmöglichkeiten,
weil man hier z. B. nach Maximalwerten, Minimalwerten oder Durchschnittswerten
suchen kann. Von Nachteil ist der wesentlich höhere Zeitaufwand bei der Suche, da hier
einerseits Dateninhalte gelesen werden müssen, und andererseits auch Vektordaten zu
bearbeiten sind. Diese Art der Suche stellt daher wesentlich größere Anforderungen an
die Auswertesoftware. Caching-Mechanismen spielen hier unter anderem eine große
Rolle.
Im Zeitalter der indexbasierten Suchmaschinen, die man aus dem Internet kennt, wird
diese Art der Suche auch für Messdaten immer interessanter. In diesem Fall ist es jedoch
nötig, die Daten zu indexieren, bevor man suchen kann. Dieses Indexieren muss automa-
tisch im Hintergrund passieren, damit man auch für neu gemessene Messdaten ohne
großen Zeitverzug Indexdaten sammelt. Im Unterschied zu den Internetsuchmaschinen,
die primär Textinhalte indexieren, muss man bei Messdaten primär numerische Daten
indexieren, bei Vektordaten auch wieder mit zusätzlichen statistischen Funktionen. Der
große Vorteil dieser Suchvariante ist die extrem hohe Suchgeschwindigkeit.
4.7 Messdatenauswertung 353
4.7.2 Messdatendarstellung
Nachdem man die gewünschten Messdaten gefunden hat, ist in den meisten Fällen die
Darstellung der nächste Schritt. Je nach Anwendung gibt es unterschiedliche Ausprä-
gungen der Datendarstellung, z. B. die schnelle Datensichtung, die interaktive grafische
Analyse, der grafische Vergleich von Messdaten oder die Erstellung von Grafiken für
Berichte und Präsentationen. Moderne Auswertesoftware muss die doch sehr unter-
schiedlichen Anforderungen für alle diese Ausprägungen erfüllen.
Schnelles Sichten
Die erste Stufe der Darstellung ist die schnelle Sichtung der Messdaten. Diese kann zum
Teil bereits als Teil der Datenauswahl erfolgen, wenn das Datenauswahlwerkzeug be-
reits numerische oder grafische Vorschaumöglichkeiten bietet.
354 4 Softwaresicht – Prüfstand
Interaktive Analyse
Für die interaktive grafische Analyse werden die Daten in unterschiedlicher Art darge-
stellt. Dazu gehören typischerweise Diagramme mit Liniengrafiken, Balken oder Bän-
dern. Diese Diagramme erlauben typischerweise die freie Anordnung von nahezu belie-
big vielen Y-Achsen. Auf einer Achse können auch mehrere Datenkanäle gemeinsam
angezeigt werden. Eine flexible Legende erlaubt die Identifikation der Kurven im Dia-
gramm. In diesen Diagrammen hat man zur Vermessung der Kurven einen oder mehrere
Cursor, mit denen Einzelwerte oder Differenzen von Kurven ausgelesen werden können,
oft auch mit erweiterten statistischen Funktionen. Weitere Darstellungsmöglichkeiten
sind hier auch numerische Listen und Tabellen.
Zur Erstellung von Berichten in Präsentationsqualität ist es nötig, die Diagramme genau
nach Bedarf gestalten zu können. Dazu ist ein komfortabler grafischer Editor nötig, der
intuitiv zu bedienen ist. Die einzelnen grafischen Objekte müssen genügend Einstell-
möglichkeiten bieten, um die gewünschte Gestaltung zu ermöglichen. Die Verwendung
von standardisierten Vorlagen soll hier die Erstellung dieser Berichte erleichtern und
sicherstellen, dass diese Berichte das gewünschte vereinheitlichte Aussehen besitzen.
4.7 Messdatenauswertung 355
Kennfelddarstellungen
Die Darstellung von Kennfeldern stellt eine weitere Anforderung an das Auswertewerk-
zeug dar. Kennfelder werden typischerweise als Isolinienkennfelder oder als 3D-Kenn-
felder dargestellt. In beiden Fällen ist es nötig, aus den mehr oder weniger unregelmäßi-
gen Messdaten durch Interpolation ein regelmäßiges Gitter als Basis für die Darstellung
zu erstellen. Für diese Interpolation sind unterschiedliche Algorithmen nötig, um
brauchbare Ergebnisse für unterschiedlich organisierte Daten zu liefern. So ist z. B. der
Algorithmus für Daten, die am Prüfstand nach Drehzahlstufen erfasst werden, nicht dazu
geeignet, Kennfelder für Turboladerkompressoren zu erstellen. Eine weitere Anforde-
rung ist die Begrenzung der Kennfelder durch obere und untere Hüllkurven. Diese Hüll-
kurven werden typischerweise aus dem Erfassungsbereich der Messdaten automatisch
berechnet. Auch dazu sind wieder unterschiedliche Algorithmen nötig.
14 250
225
12 200
10
0
1000 1250 1500 1750 2000 2250
N [RPM]
Abb. 4-48 Beispiel für eine Isolinien-Kennfelddarstellung
356 4 Softwaresicht – Prüfstand
MD [NM]
800 120
600 100
400 80
200 Time sec 4.040 60
P21 MBAR 2280.303
0 40
MD NM 1773.055
-200 ALPHA PROZ PROZ 104.712 20
3000 2000
MD [NM]
2500 1500
2000 1000
1500 500
1000 0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Zeit [sec]
0.6 1800
NADEL [MM]
Cycle: 43
0.4 1600
0.2
LEITUNG [BAR]
1400
0.0 1200
-0.2 1000
60 800
P_ZYL [BAR]
40 600
20 400
0 200
-20 0
-50 -40 -30 -20 -10 0 10 20 30 40 50 60
Kurbelwinkel [Grad]
Hier sollte es auch möglich sein, Eigenschaften der Kurven wie z. B. Linienfarbe, -stärke
und -stil automatisch den unterschiedlichen Messungen zuzuordnen.
4.7.3 Datensynchronisierung
Interaktive Zeitbasisverschiebung
Im grafischen Editor des Auswertewerkzeugs gibt es die Möglichkeit, die zu synchroni-
sierenden Kurven anzuzeigen. Nun hat man entweder direkt durch Ziehen mit der Maus
oder durch spezifische Dialoge die Möglichkeit, einzelne Kurven zu verschieben.
358 4 Softwaresicht – Prüfstand
Hat man die Verschiebung für eine markante Kurve durchgeführt, kann man nun diese
Verschiebung optional auf sämtliche Kanäle der Messung anwenden.
Automatische Zeitbasisverschiebung
Neben der manuellen Verschiebung sollten gute Nachverabeitungswerkzeuge auch die
Möglichkeit beinhalten, Messdaten automatisch zu verschieben. Auch hier ist es nötig, in
den zu synchronisierenden Messungen möglichst ähnliche Kurven mit ausreichend mar-
kanten Signalverläufen vorzufinden.
man es verifizieren und eventuell manuell noch fein abstimmen kann. Durch die Einbet-
tung dieser Verschiebefunktion in den grafischen Editor kann man auch gezielt vor der
automatischen Synchronisierung mit dem Bandcursor einen Bereich vorgeben, sodass
die nachfolgende automatische Synchronisierung schneller und genauer arbeiten kann.
Auch hier kann man wieder auswählen, ob die Verschiebung für die gesamte Messung
angewandt werden soll.
Abb. 4-53 Beispiel für die interaktive automatische Synchronisation von Prüfstandsmessdaten
und damit verknüpften Indiziermessungen
360 4 Softwaresicht – Prüfstand
Abb. 4-54 Beispiel für die synchrone interaktive Darstellung von Datenkurven und Video-
inhalten
Neben der Darstellung der Messdaten selbst ist es auch nötig, berechnete Größen darzu-
stellen. Die Berechnung erfolgt hier typischerweise mit einer formelbasierten Berech-
nungsmaschine, die als Eingangsgröße direkt auf die Messdaten zugreifen kann. Die
Ergebnisse der Berechnung werden idealerweise parallel zu den Messgrößen eingeblen-
det, sodass der Benutzer berechnete Größen völlig gleich wie gemessene Größen ver-
wenden kann. Diese Formel-Engine ist ein integrierter Teil der Auswertesoftware. Die
Berechnung erfolgt automatisch, sobald die berechneten Werte für die Darstellung oder
zur weiteren Berechnung benötigt werden.
4.7 Messdatenauswertung 361
Werkzeuge
Je nach Anwendungsfall kann man für die Definition der Berechnung unterschiedliche
Werkzeuge verwenden: Einfache Berechnungen wird man mit einem Taschenrechner-
werkzeug erstellen, für komplexere Berechnungen wird man eine einfache Programmier-
sprache verwenden. Besonders komfortabel sind grafische Berechnungseditoren, die eine
Programmierung durch Anordnen und Verbinden von Berechnungsblöcken erlauben.
Idealerweise verfügt ein Datenauswertewerkzeug über die volle Bandbreite dieser Re-
chenwerkzeuge.
Abb. 4-55 Taschenrechner als einfaches Werkzeug zur Definition von Berechnungen
Funktionen
Allgemeine Funktionen
Zur Datenanalyse sind eine Vielzahl an Berechnungsfunktionen notwendig. Neben den
grundlegenden arithmetischen Funktionen sind sämtliche allgemeine Funktionen wie
Integrieren, Differenzieren, Logarithmieren, sowie trigonometrische, statistische und
logische Funktionen etc. nötig. Darüber hinaus sind Signalverarbeitungsfunktionen, wie
z. B. Glättungsfunktionen, Splines oder Approximationsverfahren, von essenzieller Be-
deutung. Auch die unterschiedlichsten Varianten digitaler Filter und Frequenzanalyse-
verfahren dürfen in Messdatenauswerte-Werkzeugen nicht fehlen.
362 4 Softwaresicht – Prüfstand
Eventauswertung
Eventgesteuerte Auswertungen erlauben das effiziente Auswerten sehr großer Mess-
daten, die sich im Allgemeinen über eine sehr lange Messdauer erstrecken. Typischer-
weise machen die wirklich auswerterelevanten Anteile der Messdaten nur einen Bruch-
teil der gesamten Daten aus. Sehr oft kann man diese relevanten Anteile aufgrund von
Events definieren, wie im Beispiel von Gangschaltungsevents. In diesem Fall sind nur
die Abschnitte der Daten kurz vor und nach diesen Ereignissen von Interesse.
Das Werkzeug soll nun einerseits ein schnelles Auffinden dieser Events erlauben und
die Events auf einer Zeitachse anzeigen. Hier ist es auch sehr hilfreich, die Events filtern
zu können, um z. B. nur hochschaltende Gangwechselereignisse zu untersuchen. Darüber
hinaus sollen nun die gefundenen Events zur Navigation dienen, um sehr schnell und
einfach den jeweils interessanten Teil der Daten vor und nach den Events weiter grafisch
untersuchen zu können.
So zeigt das obere Diagramm in Abb. 4-57 sämtliche Gangwechsel an. Im darunter-
liegenden Diagramm werden nur mehr ausgewählte Gangwechsel angezeigt. Bewegt
man nun den Cursor auf ein spezifisches Gangwechselevent, so wird automatisch im
darüber liegenden Detaildiagramm der zu diesem Gangwechselevent gehörige Detailbe-
reich der Originalmessdaten angezeigt.
4.7 Messdatenauswertung 363
4.7.5 Klassierungen
364 4 Softwaresicht – Prüfstand
Layouts
Die Erstellung komplexer Darstellungen kann recht aufwändig sein. Deshalb ist es sehr
wichtig, dass die Layouts für diese Darstellungen auf einfache Art abgespeichert und
später wieder geladen werden können. Es soll auch möglich sein, gespeicherte Darstel-
lungen mit beliebigen anderen Messdaten zu verwenden, solange die verwendeten Na-
men der Kanäle übereinstimmen.
366 4 Softwaresicht – Prüfstand
Abb. 4-59 Beispiel einer Arbeitsumgebung für Kennfeldinterpolation mit angepasstem Arbeits-
ablauf
4.8 Sicherheit
4.8.1 Gefährdungsanalyse und Risikobeurteilung
Der Hersteller einer Maschine ist nach der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG verpflichtet
eine Gefährdungsanalyse durchzuführen, um die mit der Maschine verbundenen Gefah-
ren zu ermitteln. Die Norm EN ISO 12100:2010 „Sicherheit von Maschinen – Allgemei-
ne Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominimierung” beinhaltet die In-
formationen, welche zur Risikobeurteilung erforderlich sind. Für die definierten Risiken
kann mit Hilfe der Normen EN ISO 13849-1 oder IEC 62061 eine Eingruppierung in
Sicherheitskategorie, Performance Level (PL) oder Safety Integrity Level (SIL) durchge-
führt werden. Die Normen enthalten Gestaltungsleitsätze für sicherheitsbezogene Teile
von Steuerungen.
Die Risikobeurteilung erfolgt nach folgenden Kriterien:
– Schwere der möglichen Verletzung (schwer/leicht)
– Häufigkeit oder Aufenthaltsdauer im Gefahrenbereich (häufig/selten)
– Möglichkeiten zur Vermeidung (kaum möglich/möglich)
Dabei ist der Hersteller für die Sicherheit des Produktes verantwortlich und muss des-
halb die folgenden Auflagen erfüllen:
– Erstellen einer Risikoanalyse über die Gefahren, die von der Maschine selbst aus-
gehen
– Aufstellen von Maßnahmen zur Reduzierung und Beseitigung der Gefahren
– Dokumentation des Restrisikos aus Sicht des Herstellers
– Auswahl einer geeigneten Steuerung, Anbringung von Schutzeinrichtungen und Si-
cherstellen einer ergonomischen Bedienung
– Dokumentation der Maschine mit einem Hinweis auf Restgefahren
Der Betreiber der Maschine ist verantwortlich für die Sicherheit der Anwendung. Zu
seinen Aufgaben gehören:
– Erstellung einer Risikoanalyse über die Gefahren, die von der Verwendung der Ma-
schine ausgehen
– Dokumentation des Restrisikos aus der Sicht des Betreibers
– Gewährleistung eines sicheren Betriebs und des Schutzes des Bedienpersonals, bei-
spielsweise über geeignete Absperrungen oder Unterweisungen
Bei der Sicherheit eines Produktes und der Anwendung gilt der Grundsatz der Risiko-
minderung über eine inhärent sichere Konstruktion. Sollte dies nicht möglich sein, müs-
sen zunächst technische Schutzmaßnahmen getroffen werden. Eine entsprechende Be-
nutzerinformation ist der letzte Schritt, falls konstruktive oder technische Schutzmaß-
nahmen nicht realisiert werden können.
368 4 Softwaresicht – Prüfstand
Abb. 4-60 Risikograf gemäß EN ISO 13849-1 zur Bestimmung des Performance Levels
für drehende Teile
Die Norm EN ISO 13849-1 „Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsbezogene Teile von
Steuerungen – Teil 1: Allgemeine Gestaltungsleitsätze“ beschreibt das Sicherheitsniveau
einer Sicherheitsfunktion als Performance Level (PL). Bei drehenden Teilen am Prüf-
stand, die zu schweren Verletzungen oder Tod führen können, ist deshalb der Perfor-
mance Level „d“ erforderlich. Dieser Performance Level kann bei Verwendung von
sicherheitsbezogenen Teilen von Steuerungskomponenten durch eine redundante Struk-
tur – also beispielsweise durch einen zweikanaligen Aufbau– erreicht werden. Dabei
müssen die Systeme mit einem Diagnosedeckungsgrad (DC) t 60 % und mit einer hohen
4.8 Sicherheit 369
Bauteilqualität (MTTFd > 30 Jahre) ausgelegt werden. Die Einstufung PL „d“ entspricht
dabei der Einstufung SIL 2 über die Norm IEC/EN 62061, die das Sicherheitsniveau
einer Sicherheitsfunktion als Safety Integrity Level (SIL) beschreibt. Abb. 4-60 zeigt den
Risikograf gemäß EN ISO 13849-1 zur Bestimmung des Performance Level für drehen-
de Teile, wie sie beispielsweise bei Belastungsmaschinen, Wellen und Motoren am Prüf-
stand vorkommen.
Dabei ist der Diagnosedeckungsgrad DC ein Maß für die Wirksamkeit der Diagnose
und wird über das Verhältnis der Ausfallrate der bemerkten gefährlichen Ausfälle und
der Ausfallrate der gesamten gefährlichen Ausfälle ermittelt. Die mittlere Zeit bis zum
gefahrbringenden Ausfall (MTTFd) kann als Maß für die Bauteilqualität herangezogen
werden. Eine mögliche redundante Architektur zeigt Abb. 4-61.
m
im
l1 L1 im O1
m
im
l2 L2 im O2
Legende
im Verbindungsmittel
C Kreuzvergleich
l1, l2 Eingabeeinheiten
L1, L2 Logik
m Überwachung
O1, O2 Ausgabeeinheiten, z. B. Hauptschütz
Der Performance Level muss für jede Gefährdung (z. B. Konditionierung) getrennt er-
mittelt werden. Danach wird die Sicherheitskette ausgelegt. Ein rechnerischer Nachweis
kann mit dem Werkzeug SISTEMA des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Ge-
setzlichen Unfallversicherung erstellt werden. Sicherheitskreise können z. B. mit Hilfe
des Safety Calculators PAScal der Firma Pilz GmbH & Co. KG verifiziert werden.
370 4 Softwaresicht – Prüfstand
Der Begriff „sicherheitsrelevante Systeme“ umfasst alle Systeme des Prüfstandes, die
während des Betriebs eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Personen dar-
stellen und in gefährlichen Situationen sicher stillgesetzt werden müssen („Sicher abge-
schaltetes Moment“, Nothalt). Zu den sicherheitsrelevanten Systemen gehören:
– Belastungsmaschine, elektrischer Antriebsmotor
– Prüfling: Verbrennungsmotor, E-Motor, Hybridmotor
– Welle: Verbindung von Belastungseinheit und Prüfling
– Elektrische Spannungsquelle: Batterie, Brennstoffzelle, SuperCAP
– Schaltroboter, Ganghebelsteller, Docksystem, Spannungsquelle (z. B. Batteriesimu-
lator)
– Mess- und Konditioniergeräte, externe Geräte
4.8.4 Sicherheitsfunktionen
– Die Prüfzelle ist vom Bedienbereich räumlich getrennt. Alle potenziellen Gefahren-
quellen befinden sich in der Prüfzelle: Belastungseinheiten, Prüfling, Welle, Schalt-
roboter, Ganghebelsteller, Kupplungsaktuator, Docksystem, Batteriesimulator, Mess-
und Konditioniergeräte und externe Geräte.
– Wände, Boden, Decke, Türen und Fenster der Prüfzelle sind ausreichend fest, damit
unter Umständen brechende und durch die Luft geschleuderte Teile – z. B. bei einem
Materialbruch – nicht nach außen durchdringen können.
– Alle bewegten Teile innerhalb der Prüfzelle – vor allem jene, die eine Gefahr für das
Leben und die Gesundheit von Personen darstellen (z. B. Welle, bewegte Teile des
Motors) – sind gegen Berühren abgedeckt.
– Alle zum Prüfbetrieb notwendigen Komponenten erfüllen alle für sie anwendbaren
EG-Richtlinien. Entsprechende Konformitätserklärungen bzw. Einbauerklärungen
müssen vorhanden sein.
4.8.5 Sicherheitshardware
Taste Drehzahlsensoren
Betriebsartenschalter WIEDERAUFNAHME Wellenschutz mit Sicherheitsschalter
(Schlüsselschalter) TEST Sicherheitsschalter für Prüfzellentüren
Sicherheits-SPS NOT-HALT-TASTER
(im Schaltschrank) Schlüsseltaster ABHÖRVERSUCH
(im Bedienraum neben Prüfzellentür)
Abb. 4-62 Beispiel für eine Sicherheitshardware für Verbrennungsmotoren- oder Elektro-
motorenprüfstände
372 4 Softwaresicht – Prüfstand
Da sich die drehenden Teile von diesem Prüfstandstype nicht von einem Elektromoto-
renprüfstand unterscheiden, kann diese Anordnung auch für zweiteren Prüfstand ver-
wendet werden.
Mehrmaschinenprüfstand
Die Sicherheitshardware für Mehrmaschinenprüfstände ist etwas komplexer als für Ein-
maschinenprüfeinreichtungen. Sie wird in der folgenden Abbildung dargestellt:
NOT-HALT-TASTER
Sicherheits-SPS
Schlüsseltaster ABHÖRVERSUCH
(im Schaltschrank)
(im Bedienraum neben Prüfzellentür)
Abb. 4-63 Beispiel für eine Sicherheitshardware für Powerpack- oder Mehrmaschinenprüfstände
Sicherheits-SPS
Drehzahlüberwachung Dyno(s) Reset
Drehzahlsensoren Taste WIEDERAUFNAHME TEST
(„Keine Person in Prüfzelle“,
Berührungsschutz (Welle) STO zurücksetzen)
Wellenschutz mit Taste RESET am Bedienfeld
Sicherheitsschalter (Not-Halt zurücksetzen)
Abschaltung/Not-Halt Abhörversuch
NOT-HALT-Taster Schlüsseltaster ABHÖRVERSUCH
Prüfbetrieb
Zum Prüfbetrieb zählen manueller Betrieb, Automatikbetrieb und Remotebetrieb. Wäh-
rend des normalen Prüfbetriebs darf keine Person in der Prüfzelle sein, wobei das Öffnen
der Türen durch Türkontakte sicherheitsgerichtet überwacht wird. In dieser Betriebsart
können Prüfläufe durchgeführt werden. Wird eine Tür zur Prüfzelle geöffnet, erfolgt
eine sicherheitsgerichtete Abschaltung. Nach geregeltem Herunterfahren befindet sich
die Belastungsmaschine im sicheren Zustand „Sicher abgeschaltetes Moment“ (STO).
Wird bei Stillstand (z. B. Prüflaufende) die Tür zur Prüfzelle geöffnet, erfolgt auch ein
Übergang der Belastungsmaschine in den Zustand „Sicher abgeschaltetes Moment“.
Dadurch wird das Schutzziel gegen unerwarteten Anlauf erfüllt. Über die in Hardware
374 4 Softwaresicht – Prüfstand
ausgeführte Taste WIEDERAUFNAHME TEST erfolgt die Freigabe für die Prüflauf-
fortsetzung und die Bestätigung, dass sich keine Person in der Prüfzelle befindet. Eine
mögliche Realisierung zeigt Abb. 4-65.
Betriebsarten-
schalter Taste
WIEDERAUFNAHME Taste RESET
NOT-HALT-Taster,
TEST (Bedienfeld)
Wellenschutz-Schalter
Türkontaktüberwachung, Brandalarm
Betriebsart Zutrittskontrolle Prüfzelle HC-Alarm, CO-Alarm
PRÜFBETRIEB
Abhörversuch
Sicherheits-SPS
STO Not-Halt “Zündung“ Reset STO = Safe Torque Off (“Sicher abgeschaltetes Moment“)
Prüfzellenservice
In der Betriebsart Prüfzellenservice sind alle sicherheitsrelevanten Systeme dauerhaft im
Zustand Nothalt (siehe auch Abb. 4-66). Dynos sind elektromechanisch abgeschaltet.
Die Zündung des Prüflings ist abgeschaltet. In dieser Betriebsart dürfen die Prüfzellen-
türen geöffnet werden bzw. offen stehen. Personen dürfen sich in der Prüfzelle befinden.
Arbeiten an der Mechanik (Prüfling, Welle, Dyno usw.) können durchgeführt werden.
Bevor Arbeiten an elektrischen Einrichtungen durchgeführt werden, muss der Haupt-
schalter auf AUS gestellt werden.
4.8 Sicherheit 375
Betriebsarten-
schalter
Betriebsart
PRÜFZELLEN
SERVICE
Sicherheits-SPS
Not-Halt “Zündung“
Reduzierte Drehzahl
376 4 Softwaresicht – Prüfstand
Betriebsarten-
schalter
Taste RESET
NOT-HALT-Taster,
Drehzahl- (Bedienfeld)
Taste Wellenschutz-Schalter
WIEDERAUFNAHME überwachung Brandalarm
Betriebsart (Dyno) HC-Alarm, CO-Alarm
TEST
REDUZIERTE
DREHZAHL
Bedingung: Bedingung:
Sicherheits-SPS
Zeitüberschreitung und nist > nreduziert oder
(nist = 0) nist = 0
nist = Istdrehzahl nreduziert = reduzierte Drehzahl STO = Safe Torque Off (“Sicher abgeschaltetes Moment“)
Abb. 4-67 Sicher abgeschaltetes Moment und Nothalt in Betriebsart REDUZIERTE DREH-
ZAHL