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4 Softwaresicht – Prüfstand

Nach der ausführlichen Diskussion der beiden unteren (Hardware-)Ebenen aus der gene-
rellen Architektur eines Prüfstands, wie sie in Abb. 3-1 dargestellt ist, wird in dem nun
folgenden Teil des Buches die Automatisierungsebene diskutiert. Diese umfasst unter-
schiedliche Softwarefunktionen, um verschiedene Prüfaufgaben automatisch ausführen
zu können. Andere Funktionen stellen die Sicherheit der Prüflinge und der Prüfstands-
umgebung sicher oder simulieren Komponenten, die am Prüfstand nicht real aufgebaut
sind, aber das Verhalten der zu prüfenden real vorhandenen Komponenten beeinflussen.
Im ersten Kapitel wird zunächst auf die allgemeine Softwarestruktur eingegangen und
einige Standards für Schnittstellen vorgestellt. Die Verwendung dieser Standards erlaubt
es den Anwendern, neue Softwarekomponenten in ein Automatisierungssystem hinzuzu-
fügen, um so schnell und kostengünstig neue Testherausforderungen angehen zu können.
Anschließend werden einzelne wichtige Softwarefunktionen erklärt, die in allen Auto-
matisierungssystemen in der einen oder anderen Form vorhanden sind.

4.1 Softwarestruktur und Schnittstellenstandards


4.1.1 Softwarestruktur

Die Automatisierungsebene muss ebenfalls modular aufgebaut sein, um rasch wechseln-


de Testaufgaben automatisch effizient durchführen zu können. Die dazu notwendige
Software-Architektur ist in der Abb. 4-1 schematisch dargestellt und besteht aus den
folgenden Ebenen (von unten nach oben):
– Testobjekte, welche entsprechend modelliert werden müssen. Modellierungssprachen
wie SYSML sind hier weit verbreitet. Die Testobjekte können in den meisten Auto-
matisierungssystemen über systemweite Namen angesprochen werden.
– Sensor- und Aktuatorobjekte, welche auch in Datenstrukturen beschrieben werden,
die mit Editoren dynamisch erweitert und an neue Prüfaufgaben angepasst werden
können. Auch diese Objekte müssen separat adressiert werden können.
– Treiberebene: Die meisten Automatisierungssysteme erlauben das nachträgliche Hin-
zufügen von weiteren Treibern, welche die Verbindung von Sensoren, Aktuatoren
und/oder intelligenten Systemen herstellen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014


M. Paulweber, K. Lebert, Mess- und Prüfstandstechnik, Der Fahrzeugantrieb, DOI 10.1007/978-3-658-04453-4_4
274 4 Softwaresicht – Prüfstand

SW-Architektur-Testsystem

Service-Interfaces

Daten-
Automati-
aufzeichnung Signal-
sierungs- Regler Simulation Optimierung
und verarbeitung
funktionen
-abspeicherung

Prozessgrößen-Verwaltung

Interface- Interface- Interface- Interface-


Adapter/ Adapter/ Adapter/ Adapter/
Treiber Treiber Treiber Treiber

Sensoren Aktuatoren Intelligente Systeme

Optional: Prüfling 3
Optional: Prüfling 2
Prüfling 1

Abb. 4-1 Software-Architektur

– Um die erfassten Daten für weitere Berechnungen oder Automatisierungsfunktionen


zur Verfügung zu haben, werden diese in einer Prozessgrößenverwaltungsschicht zur
Verfügung gestellt. In dieser können in den meisten Automatisierungssystemen dy-
namisch neue Größen erzeugt oder gelöscht werden. Auf die Größen kann entweder
mittels Namen oder eindeutigen Identifikationsschlüsseln (IDs) zugegriffen werden.
– Die Prozessgrößen werden in der Schicht der Automatisierungsfunktionen weiterver-
arbeitet. Die Verknüpfungen können ebenfalls über Namen oder IDs erfolgen und
werden entweder grafisch oder in Form von Skripts oder Formeln beschrieben. Typi-
sche Automatisierungsmodule sind Formelberechnungen, Reglermodule, Simula-
tionsmodule, Überwachungsmodule, Bewertungsmodule, Abspeichermodule, Opti-
mierungsfunktionen und das Kernstück des Test-Abarbeiters. Der Großteil der Auto-
matisierungssysteme von Prüfständen erlaubt die Beschreibung von neuen Prüf-
ablaufbeschreibungen in textueller Form (Skripts in meist intelligenten Editoren mit
automatischer Vervollständigung von Textelementen etc.) oder in grafischer Form.
Weit verbreitet sind Skriptsprachen wie Visual Basic (Microsoft) oder Python, gra-
fisch wird oft der Standard IEC 1131 aus der SPS-Technik verwendet.
4.1 Softwarestruktur und Schnittstellenstandards 275

– Um die Automatisierungsaufgaben in Entwicklungsabläufe besser einbetten zu kön-


nen, haben sich Service Oriented Architectures (SOA) durchgesetzt. Sie erlauben es,
die Funktionen des Automatisierungssystems von externen Softwareprogrammen aus
anzusprechen. Die von den Prüfstandsystemen zur Verfügung gestellten Funktionen
(Services) variieren. Abb. 4-1 zeigt typische Schnittstellen.
Damit sich Automatisierungssysteme leichter mit Messgeräten, Steuergeräten oder ande-
ren Entwicklungswerkzeugen verbinden lassen, haben sich zahlreiche Organisationen
gebildet, welche die dazu erforderlichen Schnittstellen definieren und standardisieren.
Wie in der obigen Aufzählung erwähnt, basieren die meisten Schnittstellen auf den
Grundlagen einer Service Oriented Architecture. Prüfsysteme, die derartige standardi-
sierte Schnittstellen verwenden, können wesentlich rascher und kostengünstiger erwei-
tert und verändert werden. Damit kann die am Anfang dieses Kapitels beschriebene
Hauptanforderung erfüllt werden. Im folgenden Kapitel werden die am häufigsten ver-
wendeten Standards kurz erläutert.

4.1.2 Schnittstellenstandards
Standardisierte Schnittstellen sind von großer Bedeutung für moderne Prüfsysteme. In
der Automobilindustrie hat sich Ende der 1990er Jahre eine Standardisierungsorganisa-
tion gebildet, die sich mit Schnittstellen bei Mess- und Prüfsystemen in der Automobil-
industrie beschäftigt. ASAM-(Association for Standardization of Automation and Mea-
suring-)Systems hat inzwischen mehr als 150 Mitglieder weltweit, unter denen sich alle
großen Automobilfirmen und Zulieferfirmen befinden. Abb. 4-2 zeigt die von ASAM
definierten Schnittstellenstandards [8] zwischen den unterschiedlichen Komponenten
eines automatischen Testsystems.
Neben ASAM beschäftigen sich weitere Organisationen mit der Standardisierung von
Schnittstellen zwischen Software-Entwicklungswerkzeugen, zu denen auch automatische
Testsysteme zählen. In Europa ist die ARTEMIS-IA und EICOSE zu erwähnen, die in
EU-Projekten Schnittstellen zwischen Entwicklungswerkzeugen für Embedded Software
definieren. Die Standards sind in einigen aufeinander aufbauenden EU-Projekten
(CESAR, MBAT, iFEST, CRYSTAL) entstanden und basieren auf der von OASIS [66]
standardisierten Kommunikationsarchitektur OSLC [67].
Ein weiterer wichtiger Standard hat sich im Bereich der Simulation herausgebildet,
der es erlaubt komplexe Umgebungssimulationen in automatische Prüfabläufe einzu-
beziehen: Der FMI Standard, der von einem Modelica Association Project (MAP) der
MODELICA Organisation definiert und gepflegt wird [68], erlaubt das Verknüpfen von
unterschiedlichen Simulationsmodellen, wie es zur Berechnung von Umgebungsbedin-
gungen für Testobjekte erforderlich ist.
In den folgenden Abschnitten werden die in Abb. 4-2 eingezeichneten standardisier-
ten Schnittstellen näher beschrieben (für nähere Details siehe [8]). Dafür hat ASAM die
Standards in drei Gruppen unterteilt:
– AE: Automotive Electronics
– CAT: Computer Aided Testing
– COMMON: Übergreifende Standards für AE und CAT

 
276 4 Softwaresicht – Prüfstand

Büroebene

Auswertung
und Analyse

Requirementspeicherung,
Simulation
Simulationsmodell-
RectIF und ASAM-ODS und Parameter,
und ASAM-ATF Steuergerätedaten,
Messdatenerfassung Ergebnisdaten-
und Automatisierung speicherung
Externe Simulation Automatisierung
Übergeordnete

ASAM-HILI ASAM-ACI

ASAM-CC
Prüflaborebene

ASAM-MCD2
ASAM-GDI

ASAM-MCD3
FMI Regelungs- und Echtzeit-
simulationssystem

Steuergeräte-Kalibriersystem
MCD1

Steuergeräte

Abb. 4-2 Standardisierte Schnittstellen

Dabei verwendet ASAM übliche Beschreibungsmethoden für die Technologiedefinitio-


nen in den Standards:
– Formatbeschreibung: definiert Syntax und Semantik eines Dateiformats für den Da-
tenaustausch.
– API: definiert Schnittstellen und funktionales Verhalten von ausführbaren Routinen,
die als aufrufbare Dienste und zum Datenaustausch zwischen Computerprogrammen
verwendet werden.
– Protokolldefinition: definiert Syntax, Semantik und Synchronisation einer Bus-
Kommunikation, um eine Verbindung zwischen zwei Computersystemen herzu-
stellen.
– Technologiereferenz: spezifiziert eine technologieabhängige Interpretation eines
technologieunabhängigen Teils des Standards, typischerweise über Abbildungsregeln
oder Programmcode.
– Application Area Companion: definiert eine Erweiterung des Basis-Standards für
einen bestimmten Anwendungsbereich oder Gerätetyp.
– Transportschichtspezifikation: definiert die Umsetzung einer generischen Protokoll-
definition auf einen konkreten, physikalischen Layer.
4.1 Softwarestruktur und Schnittstellenstandards 277

ASAM AE
ASAM AE Standards (Automotive Electronics) werden hauptsächlich während der De-
sign- und Implementierungsphase von Steuergerätesoftware eingesetzt. Sie haben ihren
Schwerpunkt in:
– dem Design von funktionalen Spezifikationen und Interfacespezifikationen für Soft-
warekomponenten
– der Durchführung von Mess-, Applikations- und Diagnoseaufgaben am Steuergerät
– der Automatisierung von HiL Tests
– der Beschreibung von Entwicklungsartefakten
– dem Austausch von Entwicklungsanforderungen

Tab. 4-1 ASAM AE Standards (siehe [8])

Standard Titel Beschreibung


ASAM Automotive Definition eines XML-basierten Formats zum Beschreiben von
ATX Test Exchange Tests. Ermöglicht die Wiederverwendung der Testbeschreibungen
Format in verschiedenen Testautomatisierungssystemen. Deckt Aktivitäten
wie die Testspezifikation, Testplanung, Testdurchführung und
Testauswertung ab. Testspezifikationen beinhalten Testfälle, Se-
quenzen, Schritte, Aktionen und zugehörige Metadaten. Format
erlaubt die Ablage von Testwerten für Inputs (Stimuli-Werte),
Outputs (Erwartungswerte) und Ausführungsbedingungen. Häufig
verwendet im Zusammenhang mit Hardware-in-the-Loop-Prüf-
ständen (HiL).
ASAM Container Definition eines XML-basierten Formats zum Beschreiben von
CC Catalog Entwicklungsartefakten, wie beispielsweise Source-Code, kompi-
lierter Objektcode oder Dokumentdateien, und zugehörige Meta-
Informationen über die Objekte, wie beispielsweise Ersteller, Name
und Version. Wird hauptsichtlich verwendet zwischen Hersteller
und Zulieferer zum Informationsaustausch.
ASAM Calibration Data Definition eines XML-basierten Formats zum Speichern von Appli-
CDF Format kationswerten und zugehörigen Metadaten über deren Ursprung
und Qualität. Ergänzt MCD-2 MC, indem es die Werte der Appli-
kationsparameter enthält, die in MCD-2 MC beschrieben sind.
ASAM Functional Definition eines XML-basierten Formats zum Beschreiben der
FSX Specification funktionalen Spezifikation von Software, hauptsächlich um daraus
Exchange eine technische Dokumentation zu generieren. Das Format erlaubt
Format die Dokumentation via Prosatext in mehreren Sprachen, Cross-Re-
ferenzen, Links und Nennung von Anforderungen. Varianten der
Spezifikation können ausgedrückt werden. Ergänzt MDX, das die
Interface-Definitionen der Funktionen enthält.

 
278 4 Softwaresicht – Prüfstand

Standard Titel Beschreibung


ASAM Hardware-in- Definition einer API zwischen Programmen zur Testautomatisie-
HIL (neu the-Loop rung und HIL-Teststandkomponenten insbesondere für den Steu-
ASAM ergerätetest. Ermöglicht den Zugriff auf Simulationsmodelle,
xIL) steuergeräteinterne Mess- und Applikationsdaten, Diagnosedaten
und die elektrische Fehlersimulation. API ist als technologieunab-
hängiges UML-Model definiert. Enthält Code-Beispiele für die
Implementierung der API in C# und Python.
ASAM ISSUE Ex- Definition eines XML-basierten Formats zum Informationsaus-
ISSUE change Format tausch zwischen Beteiligten in einem verteilten Entwicklungspro-
zess. Deckt Änderungsanforderungen, Klärungsanfragen, Fehler-
berichte und weitere Anwendungsfälle ab. Weiterhin Definition
des zugehörigen Bearbeitungsprozesses.
ASAM Model Based Definition einer Blockbibliothek mit typischen Funktionen für die
MBFS Functions Spe- modellbasierte Entwicklung von Regelungsalgorithmen für Kfz-
cification Steuergeräte. Enthält Definition von 70 Blöcken mit Icons, Pseu-
docode und Testvektoren. Enthält weiterhin die Beschreibung
einer Referenzimplementierung für MATLAB/Simulink©.
ASAM CAN Calibra- Definition eines Kommunikationsprotokolls zwischen Master- und
MCD-1 tion Protocol Slave-Controller an einem CAN 2.0B-Netzwerk. Beinhaltet die
CCP Übertragung von Applikationsparametern an Slave-Controllern,
kontinuierliche Datenakquisition von Slave-Controllern und die
Ausführung von allgemeinen Kontrollfunktionen. Standard ist
auch bekannt unter dem Namen „ASAP1“.
ASAM The Universal Definition eines busunabhängigen Kommunikationsprotokolls
MCD-1 Measurement zwischen Master- und Slave-Controller. Beinhaltet synchrone Da-
XCP and Calibration tenakquisition und Stimulation, Lese- und Schreibzugriff auf
Protocol Family Applikationsdaten, Speicherseiten-Management, Flash-Program-
mierung und weitere, optionale Funktionen. Transport-Layer-Spe-
zifikationen sind definiert für CAN, Ethernet (TCP/IP & UDP/IP),
FlexRay, USB und SxI. Ist eine Verallgemeinerung und Weiter-
entwicklung von MCD-1 CCP.
ASAM Data Model Definition eines XML-basierten Formats zum Beschreiben von
MCD-2 D Specification Diagnose-, Programmierungs- und fahrzeugspezifische Interface-
for ECU Daten für den Datenaustausch zwischen Steuergerät und externem
Diagnostics Testgerät. Kompatibilität zum Standard ermöglicht es, dass exter-
ne Testgeräte nicht speziell programmiert werden müssen, um
Diagnosedaten vom Steuergerät zu verarbeiten. Standard ist auch
bekannt unter dem Namen „ODX“.
ASAM ECU Measure- Definition von Applikationsparametern (CHARACTERISTIC)
MCD-2 ment and Cali- und Messdaten (MEASUREMENT) mittels eines nicht XML-
MC bration Data konformen Formats. Diese Daten befinden sich im Speicher des
Exchange Steuergeräts. Das Format erlaubt den Zugriff auf die Daten durch
Format ein Applikationssystem. Enthält weiterhin die Beschreibung der
HW-Schnittstelle des Steuergeräts für die Konfiguration der Trei-
ber des Applikationssystems. Standard ist auch bekannt unter dem
Namen „ASAP2“.
4.1 Softwarestruktur und Schnittstellenstandards 279

Standard Titel Beschreibung


ASAM Data Model for Definition eines XML-basierten Formats zum Beschreiben von
MCD-2 ECU Network Messages und deren Zeitverhalten für Kommunikationsbusse im
NET Systems Fahrzeug. Format wird hauptsächlich verwendet für FlexRay und
MOST, unterstützt aber auch CAN, TTCAN, LIN und Ethernet.
Wird verwendet für Entwurf, Konfiguration, Datenaufzeichnung
und Simulation der Kommunikation am Bus. Standard ist auch
bekannt unter dem Namen „FIBEX“. Inhalt ist harmonisiert mit
dem AUTOSAR System Template.
ASAM Automation / Definition eines RS232-Protokolls zwischen Software zur Testau-
MCD-3 Optimization tomatisierung und einem Mess- und Applikationssystem, das an
ASAP3 and ECU Cali- einem Steuergerät angeschlossen ist. Der Standard ist technolo-
bration System gisch veraltet. MCD-3 MC sollte stattdessen verwendet werden.
Interface
ASAM Application Definition einer objektorientierten API für einen Diagnoseserver,
MCD-3 D Programming der bus- und protokollunabhängige Dienste für die Kommunika-
Interface for tion zwischen Client-Applikationen und Steuergeräten zur Verfü-
MVCI Diagnos- gung stellt. Beinhaltet eine Abbildung der OO-API auf C++, Java
tic Server und COM-IDL mit Code-Beispielen. Ergänzt MCD-2 D, das die
eigentliche Diagnosekonfiguration der Steuergeräte und Netzwer-
ke im Kfz enthält.
ASAM Application Definition einer objektorientierten API für einen Mess- und Appli-
MCD-3 Programming kationsserver, der bus- und protokollunabhängige Dienste für die
MC Interface for Kommunikation zwischen Client-Applikationen und Steuergeräten
Measurement zur Verfügung stellt. Beinhaltet eine Abbildung der OO-API auf
and Calibration COM-IDL mit Codebeispielen. Ergänzt MCD-2 MC, das die ei-
server gentliche Mess- und Applikationsdatenbeschreibung der Steuerge-
räte enthält.
ASAM Model Data Definition eines XML-basierten Formats zum Beschreiben von
MDX Exchange Funktionsschnittstellen und ihrer Daten (Variablen und Applika-
Format tionsparameter) sowie des Schedulings in der Steuergerätsoftware.
Erlaubt die Integration der Funktionen als Objektcode in die Ge-
samtsteuergerätesoftware ohne Zugriff auf den Quellcode zu ha-
ben. Ergänzt FSX, das die funktionale Beschreibung der Funktio-
nen enthält. MDX ist Vorläufer des AUTOSAR Software Compo-
nent Templates.

ASAM CAT
ASAM CAT Standards (Computer Aided Testing) werden hauptsächlich für die Verifi-
kation und Validierung von Steuergerätesoftware (rechte Seite des V-Models), der au-
tomatisierten Applikation und dem Systemtest an Motor- und Fahrzeugprüfständen ein-
gesetzt. Sie haben ihren Schwerpunkt in:
– der automatisierten Applikation
– der Ablage von Testdaten
– der Auswertung und Analyse von Testdaten

 
280 4 Softwaresicht – Prüfstand

Tab. 4-2 ASAM CAT Standards (siehe [8])

Standard Titel Beschreibung


ASAM Automatic Definition einer Client-Server- und objekt-orientierten API für
ACI Calibration Applikationsautomatisierungssysteme (Client) zur Fernsteuerung
Interface von Prüfstandautomatisierungssystemen (Server). Standard be-
inhaltet
– Player-Dienst: Steuerung der Prüfstandaktuatoren zum Ein-
stellen der Sollwerte
– Recorder-Dienst: Auszeichnung von Messdaten (Ist- oder
Mittelwerte) vom Prüfstand
– Watcher-Dienst: Überwachung von Grenzwertüberschreitun-
gen der Messdaten
– Device-Dienst: weitere steuergerätespezifische oder prüf-
standspezifische Dienste
Client und Server laufen eventuell auf verschiedenen Host-Sys-
temen, sind über TCP/IP verbunden und sind fähig zur Ausfüh-
rung von statischen Tests.
Beinhaltet Richtlinien für die Middelware-Implementierung mit
CORBA, eine Schnittstellendefinitionsdatei und eine Beschrei-
bung für Schnittstellenzertifizierungstests.
ASAM Components for Definitionen von Funktionskomponenten für die Auswertung
CEA Evaluation and und die Analyse von Mess- oder Testdaten. Wird häufig verwen-
Analysis det für die Entwicklung von Programmen zur Verarbeitung und
Visualisierung von Testdaten. Definierte Komponenten sind: In-
put, Worker, Output, Consumer, Producer und Viewer.
Dienstroutinen sind verfügbar für die Erstellung von Grafiken,
Logging & Tracing, Einheitenumrechnungen, Undo & Redo, In-
terkomponentenkommunikation und Hilfe. Weiterhin Definition
eines Datei-Formats für die CAE Komponentenbeschreibung.
Beinhaltet Referenzcode für Java und .NET.
ASAM Generic Device Standard definiert die Verbindung von Geräten zum Messen und
GDI Interface Steuern von Prüfständen mit Prüfstandautomatisierungssystemen
mittels einer Vier-Schichtenarchitektur.
Beinhaltet die Spezifikation von
– Layer 4: Koordinatordienste für die Übersetzung von Mess-
und Steueranweisungen von Prüfstandautomatisierungssyste-
men in Gerätetreiber-Anweisungen
– Layer 3: Treiber für den einheitlichen Zugriff auf unterschied-
liche Geräte
– Layer 2: Plattformadapter für einheitliche Schnittstellen zu be-
stimmten Geräten oder Betriebssystemdiensten
– Layer 1: Transportschicht und Kommunikationsarten für den
Datenaustausch mit Geräten über IPv4, USB, SoftSync, COM
oder LPT
4.1 Softwarestruktur und Schnittstellenstandards 281

Standard Titel Beschreibung


Standard definiert APIs für alle Schichten und stellt Formate für
die Beschreibung von Geräteeigenschaften und Datenverbindun-
gen bereit. Beinhaltet Companion-Standards der Kommunikation
an Fahrzeugprüfständen, Crash-Test-Geräten, Mehrkanal-DAQ-
Systeme und eine Abbildung von MCD-3 auf GDI. Beinhaltet
Schema- und C-Header-Dateien sowie Beispieldateien zu Be-
schreibungsformaten und Implementierung. Auch verfügbar als
ISO 20242, jedoch ohne die automobilspezifischen Companion-
Standards und Code.
ASAM Open Data Standard definiert das dauerhafte Speichern und Abrufen von
ODS Services Daten unabhängig von einer IT-Infrastruktur. Wird hauptsächlich
im Umfeld von Testautomatisierungssystemen eingesetzt.
– Beinhaltet die Spezifikation von einem Basisdatenmodell
– abgeleiteten Applikationsmodellen
– einem Model für relationale Datenbanken für die physische
Ablage von Daten
– einer API für den Zugriff auf Daten der Datenbanken
– einer API für den Zugriff auf Metainformationen über das
Applikationsmodell, welches der Datenbank unterliegt
– zwei Dateiformaten (eins in XML) für den dateibasierten
Datenaustausch
– Enthält Applikationsmodelle zur Fahrzeuggeometrie, NVH-
Tests, Teststandkalibrierdaten, Busdaten und Testprozessen.
Beinhaltet Schema- und Schnittstellendefinitionsdateien sowie
Beispieldateien zu Beschreibungsformaten.

ASAM COMMON
ASAM COMMON Standards kommen in beiden Bereichen, AE und CAT, zum Einsatz.

Tab. 4-3 ASAM COMMON Standards (siehe [8])

Standard Titel Beschreibung


ASAM Layout Ex- Definition eines XML-basierten Formats zum Beschreiben von
LXF change Format Graphik-Layouts für die Nutzung von Datennachbearbeitungs-
programmen und automatischen Dokumentengeneratoren. Bein-
haltet die Definitionen für das Master-Layout, Canvas und grafi-
sche Objekte wie beispielsweise Bilder, Charts, Shapes und Kur-
ven. Kann Formeln beinhalten, die zur Ausführungszeit aufge-
löst werden. Wird insbesondere zusammen mit CAE verwendet.
ASAM Measurement Definition eines blockbasierten und kanalorientierten, Binärfor-
MDF Data Format mats für das Speichern von Messdaten inklusive beschreibender
Metadaten. Erlaubt die Synchronisation der Daten nach Zeit,
Winkel, Distanz und Index. Erlaubt das effiziente Speichern der
Daten in Echtzeit. MDF-Dateien können in ODS-Datenbanken
referenziert werden.

 
282 4 Softwaresicht – Prüfstand

4.2 Messdatenerfassung
Die Erfassung und Verarbeitung physikalischer Werte von Prüflingen, wie beispielswei-
se Drehmoment, Drehzahl, Druck, Temperatur, Gangwechsel usw., durchläuft vom Sen-
sor bis hin zur Auswertung nach Abb. 4-3 üblicherweise mehrere Stufen.
Typischerweise erfolgt die Diskretisierung der Werte möglichst nahe an der Messstel-
le. Bei vielen am Markt verfügbaren Lösungen geschieht dies bereits im Messmodul. Mit
der Wertdiskretisierung geht auch eine zeitliche Diskretisierung einher. In Abhängigkeit
der Messmethode des Analog-/Digitalwandlers kann dies über das Halten und Abtasten
des Momentanwertes (sample and hold) oder bei der integrativen Messung über die
Mittelung eines Wertes über eine Abtastperiode erfolgen. Die Erfassung des Wertes
kann dabei zeitsynchron, winkelsynchron oder ereignisorientiert geschehen.

Auswertung
Sensor Messmodul Übertragung Verarbeitung
Visualisierung

Abb. 4-3 Datenfluss in der Signalerfassung

Für die korrekte Darstellung und die Weiterverarbeitung ist neben dem digitalisierten
Wert auch dessen Erfassungszeitpunkt ts wichtig. Im Allgemeinen ist daher zusätzlich
zum Wert auch ein Zeitstempel der Entstehung (time stamped data) zu erfassen. Optio-
nal können weitere Eigenschaften über modale Kriterien wie Gültigkeit oder Verfüg-
barkeit miteinbezogen werden. Mit diesen Informationen lassen sich Messwerte aus
Quellen mit unterschiedlichen Abtastzeitpunkten und ereignisorientiert erfasste Werte
synchronisieren.

4.2.1 Arten der Datenerfassung

Zeitsynchrone Erfassung
Ein wichtiges Kriterium in einem digitalen Messsystem ist die Kontrolle des Zeitpunktes
der Erfassung der Messwerte. Bei der zeitsynchronen Erfassung bestimmt das zeitliche
Verhalten eines definierten periodischen Vorgangs (Clock Master) diese Abtastzeitpunk-
te. Als Clock Master können periodische Quellen hoher zeitlicher Qualität und Verfüg-
barkeit dienen, beispielsweise ein Messmodul oder der heruntergeteilte CPU Takt des
System-PCs.
Ein Clock Master ist global im Messsystem gültig, da gerade bei Prüfstandsystemen
die zeitliche Konsistenz der Datenerfassung essenziell ist, beispielsweise um kausale
Zusammenhänge richtig darzustellen. Zeitlich getrennte Ereignisse der Realität sollen
bei geeigneter zeitlicher Auflösung der Messung (also bei ausreichend hoher zyklischer
Erfassungsfrequenz) in der Repräsentierung am Messsystem ebenfalls zeitlich getrennt
und in korrekter Reihenfolge dargestellt werden.
Je nach technischer Umsetzung der Messsysteme und ihrer Analog-/Digitalwandler
(kurz: ADC) wird zu dem vom Clock Master bestimmten Zeitpunkt eine Momentauf-
4.2 Messdatenerfassung 283

nahme der Messgröße ermittelt (Sample & Hold), oder eine kurze Messperiode lang das
Signal mittelnd gemessen (integrierende ADC-Systeme). Die zeitsynchrone Erfassung
einfacher Sensoren am Prüfstand, wie beispielsweise für Drehzahl, Drehmoment, Druck
oder Temperaturen, bietet einige Vorteile:
– Einfaches Design und geringer Ressourcenbedarf im Messsystem, da der Zugriff auf
die Sensoren, die Erfassung und die Berechnung der Werte in einem genauen zeitli-
chen Plan festgelegt sind und bereits bei der Systemauslegung statisch optimiert wer-
den können.
– Deterministischer Ablauf und somit harte Echtzeit wird möglich.
– Einfache Erkennung eines Ausfalls von Sensoren, Messmodulen, Netzwerkknoten
oder Berechnungsschritten, da der Entstehungszeitpunkt eines neuen Wertes vorab
bekannt ist und ein Ausbleiben leicht detektiert werden kann.
Gemäß dem Nyquist-Shannon-Abtasttheorem muss die periodische Abtastung eines
Signals mit mindestens dem Doppelten der höchsten vorkommenden Signalfrequenz
erfolgen. Die maximale Signalfrequenz wird durch implizite (beispielsweise im Sensor)
oder explizite (vor dem ADC befindliche Filterung) begrenzt (siehe dazu auch Abschnitt
4.3.3).

Winkelsynchrone Erfassung
Bei phasengesteuerten Vorgängen wie beispielsweise der Verbrennung im Zylinder von
Verbrennungskraftmaschinen kann es zielführender sein, anstelle von zeitlich äqui-
distanten Mess- und Berechnungsvorgängen eine phasensynchrone Abtastung und Ver-
arbeitung einzuführen. So löst bei der winkelsynchronen Erfassung beispielsweise der
obere Totpunkt der Kurbelwelle einen Erfassungstrigger aus, was im Gegensatz zur
zeitsynchronen Erfassung zu Perioden unterschiedlicher Zeitdauer in Abhängigkeit der
Drehzahl führt.
Auf diese Art kann die erfasste Messgröße, z. B. der Zylinderinnendruck, drehzahlu-
nabhängig als Funktion des Drehwinkels und damit gekoppelt an die Arbeitsphase er-
fasst und dargestellt werden. Das Messsystem muss dabei in seinen Erfassungs- und
Verarbeitungsressourcen auf eine Erfassungsrate entsprechend einer erforderlichen ma-
ximalen Drehzahl ausgelegt sein. Weiterführende Details zur Zündwinkel- und Indizier-
messtechnik werden in Kapitel 3.3.11 bzw. 3.3.16 gegeben.

Ereignisgesteuerte Erfassung
Für manche Signalformen ist die zeitsynchrone Erfassungsmethode möglicherweise
weniger optimal. Dazu zählen Ereignisse („Events“, aperiodische Sprungfunktionen), die
nicht periodisch auftreten wie ein Gangwechsel oder eine Statusmeldung im Fehlerfall.
Bei zeitsynchroner Erfassung erfordern sie dennoch entsprechend dem Theorem hohe
Abtastraten und damit Rechenzeit- und Ressourcenbedarf, allerdings ohne Informations-
gewinn und damit auch mit unwirtschaftlich hoher Redundanz. In diesem Fall empfiehlt
sich die ereignisgesteuerte Erfassung.
Im Gegensatz zur zeit- oder winkelsynchronen Erfassung erfolgt die ereignisgesteuer-
te Erfassung azyklisch, also nicht in vorherbestimmter Periodizität, sondern ausgelöst

 
284 4 Softwaresicht – Prüfstand

durch ein Ereignis. Werden Größen ereignisgesteuert erfasst, soll eine Referenz auf den
Zeitstempel des Ereignisses für eine spätere eindeutige Zuordenbarkeit möglich sein, da
mangels Zykluszeit die Berechnung aus der Sequenznummer nicht möglich ist.
Eine Herausforderung für die Auslegung des Messsystems stellt die Unplanbarkeit
von Ereignissen dar. Dennoch müssen ausreichend Mess- und Rechenressourcen zu
Verfügung stehen, um eine zeitnahe Erfassung und Verarbeitung und damit eine zeitli-
che Konsistenz der Werte sicherzustellen. In der Realisierung der Messsysteme bedeutet
das, ausreichende Erfassungs- und Verarbeitungskapazität vorzuhalten, um auch beim
Auftreten einer zu definierenden, maximalen zeitlichen Dichte von Ereignissen (Bursts)
die Datenkonsistenz garantieren zu können.

4.2.2 Erfassungszeitpunkt

Für die korrekte Darstellung und die Weiterverarbeitung ist neben dem digitalisierten
Wert auch dessen Erfassungszeitpunkt ts wichtig. Dieser Zeitbezug kann auf verschie-
dene Arten erfolgen:
– Absolutzeit (auch wall-clock time bezeichnet)
– Relativzeit in Bezug auf ein bestimmtes Ereignis
– Sequenzielle Nummer in einer geordneten Reihe an Messwerten
Die Zuordnung des Zeitpunkts der Wertentstehung zur Zyklusnummer setzt im Allge-
meinen zyklische Abtastung, also eine periodische Erfassung in konstanten Zeitinterval-
len, voraus. Soll beispielsweise aus einer Aufzeichnung der genaue Entstehungszeit-
punkt eines bestimmten Wertes rekonstruiert werden, so genügt es, zu der Startzeit der
Aufzeichnung das Produkt aus Zyklusnummer des Wertes und dessen Zykluszeit zu
addieren.
Werden zwei oder mehr zyklisch gemessene Werte verknüpft, beispielsweise in einer
Leistungsberechnung mit dem Produkt aus Drehzahl und Drehmoment, so muss zur
Vermeidung von Phasenfehlern sichergestellt sein, Werte aus dem gleichen Zyklus zu
verwenden. Es ist ein wichtiges Kriterium für Echtzeit-Datenerfassungssysteme, diesen
Zusammenhang auch bei unterschiedlich langen Erfassungsketten sicher zu stellen, bei-
spielsweise wenn die Messwerte über unterschiedliche Bussysteme ins System kommen,
oder unterschiedliche Verarbeitungsschritte wie Filterung oder Skalierung durchlaufen.
Allgemein formuliert: Werden zwei zyklisch erfasste Größen X und Y verwendet, um
daraus zyklisch Z gemäß:

Z[n] = F(X[n1], Y[n2]) mit n, n1, n2 … Zyklusnummer


Gleichung 4-1 Zyklische Größenerfassung

zu berechnen, so ist sicherzustellen, dass für jeden Wert Z[n] gilt, dass er von Eingangs-
werten mit n1 = n2 = n errechnet wurde.
Bei der zeitlichen Abbildung der Erfassung ist zu beachten, dass die Zuordnung zu
einer Zyklusnummer typischerweise im zentralen Erfassungssystem erfolgt. Oft wird in
Automatisierungssystemen dafür der sogenannte Clock Master Tick (CMT) verwendet,
4.2 Messdatenerfassung 285

eine im System global verfügbare, streng monoton steigende Zahl an Systemzyklen der
höchsten unterstützten Frequenz seit Systemstart. Wird das Signal nicht mit der höchsten
sondern mit einer davon abgeleiteten Frequenz erfasst, kann jederzeit über das Teiler-
verhältnis entsprechend umgerechnet werden.
Damit ergibt sich also der Entstehungszeitpunkt eines Messwertes im Automatisie-
rungssystem aus:
t = (CMT – CMT0) * fACQ/ fCM + ts,aqc
CMT Registrierter clock master tick des aktuellen Wertes
CMT0 Registrierter clock master tick bei der ersten Erfassung
des Wertes, also zu ts,aqc
ts,aqc Absolute Startzeit der ersten Erfassung des Wertes
fACQ Zyklische Abtastfrequenz des betrachteten Wertes,
beispielsweise 1 kHz
fCM Frequenz des Clockmasters im System, beispielsweise 10 kHz
Gleichung 4-2 Entstehungszeitpunkt

Das „Alter“ eines Messwertes („Data Age“, manchmal auch als Latenzzeit bezeichnet)
ergibt sich als Zeitdifferenz zwischen der tatsächlichen Erfassung im Messmodul und
der Verfügbarkeit im System.
Data Age ist die Akkumulierung von Verarbeitungszeit im Messmodul, der Übertra-
gungszeit im digitalen Netzwerk (beispielsweise über einen Feldbus), und der Übertra-
gungszeit im zentralen System, also bis der Wert für weitere Berechnungen beispiels-
weise über seinen Namen zur Verfügung steht.

4.2.3 Synchronisierung

Systemweite zeitliche Konsistenz lässt sich am einfachsten bei einheitlicher Erfassungs-


methodik und globalem Systemtakt erreichen. Sind in einem System jedoch unterschied-
liche Auslöser einer Erfassung aktiv, wie beispielsweise die parallele Erfassung winkel-
und zeitsynchroner Daten, und sollen diese dennoch gemeinsam verrechnet werden, so
sind besondere Verfahren für die Abtastung, Filterung oder zeitliche Interpolation er-
forderlich.
Aus diesem Grund sind bei hochwertigen Datenerfassungssystemen alle diese Schritte
synchronisiert, von dem Start der A/D Wandlung im Messmodul, weiter zum Bustakt am
Übertragungsmedium (z. B. am IEEE-1394-Bus) bis hin zum Verarbeitungstakt (CMT)
im Echtzeitsystem. Die Quelle dieses Taktes wird dabei als Clock Master bezeichnet. Da
wie beschrieben alle weiteren Verarbeitungsschritte damit synchronisiert werden, ist es
wichtig dafür einen möglichst hochwertigen Takt betreffend Frequenzstabilität und ge-
ringem Jitter zu verwenden.
In komplexen Prüfstandsystemen ist es nicht unüblich, verschiedene Erfassungssys-
teme über unterschiedliche Bussysteme zu kombinieren. Um auch in dieser Kombination
minimales Data Age und phasenrichtige Verrechnung im Echtzeitsystem zu gewährleis-
ten, ist eine Synchronisation von Erfassung und Datentransport mit dem Clock Master

 
286 4 Softwaresicht – Prüfstand

wichtig. Beispielsweise kann das Automatisierungssystem an Profibus-DP-Netzwerken


als Master auftreten, um Beginn und Dauer der Buszyklen bestimmen und damit zu
einem Clock Master synchronisieren zu können. Auch CANopen ermöglicht es, durch
Aussenden einer speziellen zyklischen Nachricht (der SYNC Message) alle angeschlos-
senen Knoten auf diesen Clock Master zu synchronisieren. Details zu den hier erwähnten
Bussystemen können Kapitel 3.5 entnommen werden.
Wenn technisch möglich kann die Synchronisierung eines Zeitgebers (Clock Master)
zu einem anderen Zeitgeber durch kontinuierliches Nachjustieren einer Zykluszeit er-
reicht werden, was effektiv einen gemeinsamen, globalen Clock Master ergibt. Eine
solche Synchronisation wird beispielsweise über NTP (Network Time Protocol) via
LAN durchgeführt.
Andere Methoden erfordern das kontinuierliche Nachjustieren der Zykluszeit
periodischer Vorgänge ähnlich dem PLL (Phase Locked Loop) Verfahren, entweder im
Frequenzverhältnis 1:1 oder in einem anderen, festgelegten Teilverhältnis. Echtzeit-
Ethernetsysteme verwenden noch präzisere Methoden wie beispielsweise IEEE1588, um
ihre Knoten auf <1—s zeitlich zu synchronisieren.
Solcherart synchronisierte Systeme garantieren auch Datenkonsistenz, d. h. pro Zy-
klus steht immer genau ein Wert zur Verfügung. Wird das nicht garantiert und bei-
spielsweise Mess- und Verarbeitungszyklus laufen nicht synchron ab, so kann es dazu
kommen, dass in manchen Zyklen zwei und in anderen kein Wert erfasst wird. So kann
es dann bei sequenzieller Aufzeichnung zu fehlenden Werten oder fälschlicherweise zu
Duplikaten kommen.

4.2.4 Modale Kriterien

Neben dem gemessenen Wert und dessen Zeitbezug (time-stamp) können auch weitere
Eigenschaften erfasst und mitverarbeitet werden, beispielsweise Angaben zur Verfüg-
barkeit oder Messmethode.Die Verfügbarkeit oder auch der Zustand (State) eines Mess-
wertes hängt von der Situation des Sensors und der Messkette, dem korrektem Messbe-
reich, dem Kalibrierzustand etc. ab. Der Messwertzustand kann über zusätzliche Attribu-
te als Kanalstatus gemeinsam mit dem Kanalwert transportiert, verarbeitet und darge-
stellt werden, und wird auch in die Entscheidung über die Gültigkeit der Messung mit
einbezogen.
Beispielsweise kann das Ergebnis einer zyklisch berechneten Formel für Zeiträume,
während denen ein Eingangswert als nicht verfügbar markiert ist, ebenfalls als undefi-
niert markiert werden; gleiches gilt für die-Datenaufzeichnung oder weitere Datennut-
zungsmöglichkeiten. Der zeitliche Bereich, in dem ein Wert gültig oder von Relevanz
ist, kann jedoch auch von anderer Information abhängen. So bietet eine Datenaufzeich-
nung beispielsweise die Möglichkeit, nur während dem Anliegen bestimmter Kriterien –
sogenannter Trigger – zu starten.
4.2 Messdatenerfassung 287

4.2.5 Datenvorverarbeitung

Eine Verarbeitung von Daten, welche zeitnah zu ihrer Erfassung und damit meist noch
im Echtzeitsystem erfolgt, wird als Onlinedatenvorverarbeitung bezeichnet. Im Gegen-
satz zur Offlineverarbeitung oder Post-Processing, welche basierend auf gespeicherten
Resultatdaten zumeist erst später erfolgt, ist bei der Onlineverarbeitung das Einhalten
zeitlicher Kriterien erforderlich. So muss bei einer zyklischen Datenerfassung auch der
verrechnete Wert ebenso zyklisch entstehen, also die Rechenzeit kleiner der Zykluszeit
bleiben. Im Idealfall erfolgt die Verarbeitung sogar noch im selben Zyklus, in dem der
Wert erfasst wurde.

Skalierung und Linearisierung


Sensoren bzw. Transducer wandeln die zu messende physikalische Größe „X“ (Druck,
Temperatur, Weg, Kraft etc.) in eine elektrische Repräsentation „Y“ um (Spannung,
Strom, Widerstand, Frequenz etc.). Die Übertragungskennlinie eines Sensors definiert
diese Abbildung einer physikalischen auf eine elektrische Größe:
y f i x 

Gleichung 4-3 Skalierung

Diese Kennlinie kann entweder durch eine mathematische Beschreibung oder durch
experimentelles Vermessen bestimmt werden. Im ersten Fall ergibt sich eine geschlosse-
ne Formel, während beim experimentellen Vermessen die Messpunkte als Kennlinie
abgelegt und Zwischenwerte durch geeignete Interpolationsverfahren (stückweise lineare
Approximation, Polynome oder gebrochene rationale Funktionen bestimmter Ordnung)
bestimmt werden. Durch Invertieren dieser Übertragungsfunktion kann aus der im
Messmodul gemessenen elektrischen Größe (z. B. Spannung in mV) der am Sensor
anliegende physikalische Wert errechnet werden.
~
X fi y

Gleichung 4-4 Berechnung der physikalischen Größe

Die Berechnung erfolgt oft intern in den einzelnen Messmodulen, d. h. es wird der be-
reits vorverarbeitete Messwert „X“ an ein Automatisierungssystem geschickt. Bei weni-
ger intelligenten Systemen muss diese Umrechnung im Automatisierungssystem erfol-
gen und stellt den ersten Schritt einer Datenvorverarbeitung dar.

Antialiasing
Das Nyquist-Shannon Abtasttheorem besagt, dass ein kontinuierliches Signal mit einer
Maximalfrequenz fmax mit einer Frequenz von mindestens 2 mal fmax abgetastet werden
muss, damit aus dem so erhaltenen, zeitdiskreten Signal das Ursprungssignal ohne In-
formationsverlust wieder rekonstruiert werden kann. Eventuell enthaltene Signalanteile
mit einer Frequenz größer der Hälfte der Abtastfrequenz müssen vor der Abtastung mit
einem Tiefpassfilter aus dem Signal herausgefiltert werden, da es sonst zu Artefakten

 
288 4 Softwaresicht – Prüfstand

kommt.Dieses bereits 1928 von Harry Nyquist formulierte Abtasttheorem wurde 1949
von Claude E. Shannon bewiesen. Bei der Quantisierung in einem Messmodul erfolgt
deshalb zumeist eine Begrenzung der Bandbreite des Messwertes durch implizite (bei-
spielsweise im Sensor) oder explizite (vor einem Analog-/Digitalwandler befindliche)
Filterung.

Einheitenumrechnung
Eine gemessene physikalische Größe wird durch ihren numerischen Wert und ihre Ein-
heit repräsentiert. Als Einheit sind gemäß ISO/IEC 80000-1 die im Internationalen
Einheitensystem (SI-System) definierten metrischen Einheiten zu verwenden. Sie bil-
den ein kohärentes Einheitensystem. Zur besseren Les- und Handhabbarkeit werden
gegebenenfalls SI-Präfixes verwendet (z. B. Milli-, Mikro-, Kilo-, Mega-).
Viele Sensoren und Messmodule liefern bereits ihre Werte in SI-Einheiten. Oftmals
sind jedoch die Werte mit ihrer Einheit auf den Messbereich angepasst (z. B. Spannun-
gen in —V oder mV). Drucksensoren liefern häufig ihre Messwerte in der Einheit bar.
Die SI-Einheit ist jedoch in Pascal (Pa) ausgewiesen. Ähnlich ist es bei Temperaturen,
die zumindest im deutschsprachigen Raum häufig in Grad Celsius (°C) und nicht in der
SI-Einheit Kelvin (K) angegeben werden. Für eine konsistente Darstellung im System
kann deshalb eine zyklische Einheitenumrechnung notwendig werden. Sind geeignete
Meta-Informationen bereits vorhanden, kann dies automatisiert erfolgen. Ist beispiels-
weise in der Sensorbeschreibung hinterlegt, dass Messwerte in mV übertragen werden
und ist über den zugeordneten Eingang im Automatisierungssystem eine Größe mit der
Einheit V referenziert, kann die entsprechende Umrechnung (Multiplikation mit 0.001)
ohne Interaktion mit dem Benutzer durchgeführt werden.
Auch bei der Darstellung von Messergebnissen auf Oberflächen eines Automatisie-
rungssystems werden oftmals länderspezifische Einheiten gewünscht. So wird man in
Deutschland eine Fahrzeuggeschwindigkeit in km/h anzeigen wollen, während in Groß-
britannien die Einheit mph gebräuchlich ist. Beide verwenden dabei nicht die SI-Einheit
m/s für Geschwindigkeit. Auch bei der Anzeige von Druck findet man oftmals die An-
gaben in mmHG oder bar anstelle der SI-Einheit Pascal. Auch in diesen Fällen muss eine
zyklische Einheitenumrechnung vorgenommen werden.

4.3 Signalverarbeitung
4.3.1 Signalgeneratoren

Für viele Versuche benötigt man vordefinierte Signalverläufe. Dazu stellen die Automa-
tisierungssysteme entsprechende Funktionen zur Verfügung:
– Generierung eines Signalverlaufs mittels einer mathematischen Funktion (z. B. Sinus-
funktion, Rampenfunktionen, Sprungfunktionen). Dabei wird der Wert einer Größe
am Automatisierungssystem zeitlich nach dieser Vorgabe verändert. Die Periode und
die Amplitude der Funktion kann über Parametrierung verändert werden.
4.3 Signalverarbeitung 289

– Abspielen von Werten, die in einer Datei oder einer ASAM-ODS Messung gespei-
chert sind. Dies sind oftmals Daten aus einem realen Fahrversuch, die am Prüfstand
eingespielt werden sollen.
– Abspielen von Kurvenverläufen, die mit speziellen Editoren des Automatisierungs-
systems vorgegeben werden (siehe Abschnitt 4.6.1)
Die Größen, welche die Werte der Signalgeneratoren beinhalten, werden in den meisten
Automatisierungssystemen wie Messgrößen behandelt und können auf gleiche Weise in
Berechnungen weiterverwendet oder abgespeichert werden.

4.3.2 Berechnung
Aus einzelnen gemessenen Größen werden am Prüfstand zur Laufzeit abhängige Größen
berechnet. So ergibt das Produkt aus Winkelgeschwindigkeit und Drehmoment die Leis-
tung. Diese Berechnungen müssen hochgenau und in Echtzeit ausgeführt werden. Die
Automatisierungssysteme stellen dafür Werkzeuge zur Verfügung, mit denen sowohl
einfache als auch komplexe Berechnungen definiert werden können. Diese Berechnun-
gen werden in einzelnen Formeln abgelegt. Das Automatisierungssystem führt dann
diese Formeln zyklisch oder ereignisgesteuert aus. Die Berechnung erfolgt dabei meist in
Echtzeit.
Zur Definition der Formeln steht häufig eine Skriptsprache wie Visual Basic Scripting
oder Python zur Verfügung. Vordefinierte mathematische, logische oder statistische
Funktionen erleichtern die Handhabung (siehe Abb. 4-4). Zur Gewährleistung einer
flexiblen Formelverwaltung im gesamten Prüffeld werden die einzelnen Formeln häufig
in einer Bibliothek verwaltet. Darin können Formeln strukturiert der Prüfaufgabe oder
der Prüfstandsausstattung zugeordnet werden.

Abb. 4-4 Beispiel eines Editors zum Erzeugen einer Formel in einer Prüflaufbibliothek

 
290 4 Softwaresicht – Prüfstand

Neben der direkten Verrechnung von gemessenen Größen werden Formeln auch für
die Korrektur und Kompensation von Signallaufzeiten verwendet. Damit kann sicherge-
stellt werden, dass unabhängig von der Signalquelle Größen auf der gleichen Zeitbasis
vorliegen. In einer Stationärmessung können Formeln auch zur Vor- oder Nachbereitung
von Größen verwendet werden. Für diesen häufig auftretenden Anwendungsfall bieten
viele Automatisierungssysteme schon entsprechend vorbereitete Funktionen an.

4.3.3 Filterung

Bereits vor der Quantisierung im Analog-/Digitalwandler ist gemäß dem Nyquist-


Shannon-Abtasttheorem eine Begrenzung der Signalbandbreite durch geeignete Filter
erforderlich. Es gibt aber auch nach der Digitalisierung gelegentlich die Anforderung
einer weiteren Filterung, beispielsweise bei der Visualisierung stark verrauschter Signale
zur Bewertung der Signaltendenz oder beim Zusammenschalten zweier Rechenkompo-
nenten mit unterschiedlicher Rechenperiode.
Digitale Filter werden durch das sogenannte Filterpolynom beschrieben – je höher die
Ordnung des Filterpolynoms, auch Filterordnung genannt, desto besser werden Signal-
anteile mit Frequenzen im Sperrbereich gedämpft. Anderseits haben Filter höherer Ord-
nung höhere Berechnungszeiten und eine größere Verzögerung von Quellsignaländerun-
gen zu Zielsignaländerungen.
Es werden zwei Hauptarten von digitalen Filtern unterschieden:
– IIR Filter („Infinite Impulse Response“ Filter – Filter mit unbegrenztem Impuls-
ansprechverhalten)
– FIR Filter („Finite Impulse Response“ Filter – Filter mit begrenztem Impulsansprech-
verhalten)
Die Verarbeitung von Signalen auf unterschiedlichen Zyklusfrequenzen erfordert auf
Grund des Antialiasingeffektes eine zusätzliche Filterkomponente. Abb. 4-5 zeigt dafür
ein Beispiel. Komponente A erzeugt kontinuierliche Werte mit einer Zyklusfrequenz von
1 kHz, Komponente B verarbeitet diese, jedoch nur mit einer Zyklusfrequenz von
100 Hz. Zur Vermeidung von Aliasing-Fehlern ist ein digitaler Filter dazwischen zu
schalten.

Komponente A Dig. Filter Komponente B


Zyklisch, Zyklisch,
Fg = 50 Hz
Periodenzeit = 1 ms Periodenzeit = 10 ms

Abb. 4-5 Filter in der Datenerfassungskette

Dies kann automatisiert bei der Erstellung der Datenerfassungskette geschehen, indem
eine passende Filterkomponente in den Signalfluss eingefügt wird, wenn durch die Pa-
rametrierung eines Signalflusses ein derartiger „Frequenzbruch“ entsteht. Zusätzlich
erlaubt die Parametrierung expliziter Filter dem Anwender, bewusst eine solche Signal-
4.3 Signalverarbeitung 291

formung vorzunehmen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine Filterung nur für konti-
nuierliche Größen sinnvoll ist. Wertdiskrete Zahlen, wie z. B. die Gangnummer einer
Getriebeelektronik, dürfen nicht durch Filter verarbeitet werden.

4.3.4 Grenzwertüberwachung

Durch die Einbindung einer Vielzahl von Komponenten ist ein spezielles Überwa-
chungssystem für Prüfstände erforderlich, das für die Sicherheit von Bedienpersonal,
Prüfling und Prüfstandsausrüstung sorgt. Aus diesem Grund ist ein mehrstufiges Sicher-
heitskonzept in einem Automatisierungssystem ein wesentliches Merkmal (siehe auch
Kapitel 4.7).
Dabei umfasst die mehrstufige Überwachung drei voneinander unabhängige Funk-
tionen:
– Grenzwertüberwachung
– Prüfstandsüberwachung
– Post-Mortem Analyse mittels Post Mortem Rekorder
Bei der Grenzwertüberwachung wird zwischen Grenzwerten für den Prüfstand, für den
Prüfling sowie für den Prüflauf unterschieden. Die Funktion „Grenzwertüberwachung“
dient dem Schutz des Prüflings und der Prüfstandsausrüstung. Werte von Messgrößen
(z. B. Drehzahl, Öltemperatur usw.) werden kontinuierlich mit definierten Warn- und
Alarmgrenzwerten verglichen. Bei jeder Grenzwertverletzung wird ein definiertes Er-
eignis ausgeführt (z. B. Stoppen des Prüflings). Abb. 4-6 zeigt die Anzeige der Grenz-
werte aller überwachten Kanäle. Parameter wie obere und untere Warn- und Alarmgren-
ze sowie die definierte Reaktion werden visualisiert. Der Anwender kann diese Werte
online modifizieren.

Abb. 4-6 Beispiel für eine online Anzeige einer Grenzwertüberwachung

Mit der Funktion „Prüfstandsüberwachung“ nach Abb. 4-7 können am Prüfstand spezifi-
sche Status-Bits überwacht werden (z. B. Türkontakt). Wird über ein parametriertes Bit
ein Fehler gemeldet, so können vordefinerte Reaktionen eingeleitet werden. Häufig wird
dadurch der Betrieb des Prüfstands aus Sicherheitsgründen verhindert.

 
292 4 Softwaresicht – Prüfstand

Abb. 4-7 Beispiel für eine Online-Anzeige einer Prüfstandsüberwachung

Der Post-Mortem-Rekorder wird bei einer Grenzwertverletzung automatisch aktiviert


und speichert je nach Konfiguration eine vordefinierte Zeit lang die Daten der zuvor
gewählten Messgrößen. Damit protokollioert der Post-Mortem-Rekorder die Grenzwert-
verletzungen und unterstützt somit die Untersuchung von Ausfallgründen für einen Prüf-
lauf.

4.3.5 Allgemeine Regler

Allgemeiner Regelkreis
Regelkreise kommen bei Prüfstandssystemen sehr häufig vor. Beispiele hierfür sind die
Regelung von Temperaturen in Konditioniersystemen für Kraftstoff oder Kühlmittel
(siehe Abschnitt 3.2.4) oder die Drehzahlregelung in einem Prüfstandsautomatisierungs-
system. Abb. 4-8 zeigt einen derartigen Regelkreis in vereinfachter Darstellung nach
DIN 19226.
Beim vereinfachten Regelkreis sind das Stellglied, der eigentlich zu regelnde Prozess
und das Messglied zur sogenannten Regelstrecke zusammengefasst. Der Ausgangsgröße
der Regelstrecke kann eine Störgröße z(t) überlagert sein, woraus sich die Regelgröße
x(t) ergibt. Diese wird zurückgeführt und mit der Führungsgröße w(t) über eine Diffe-
renzbildung verglichen. Die sich ergebende Regeldifferenz e(t) stellt die eigentliche
Eingangsgröße für den Regler dar.
4.3 Signalverarbeitung 293

Störgröße
z(t)
Führungsgröße Regeldifferenz Stellgröße Regelgröße
w(t) e(t) y(t) + x(t)
+ +
Regler Regelstrecke
-

Abb. 4-8 Prinzipieller Aufbau des vereinfachten Regelkreises nach DIN 19226

Das Regelgesetz bestimmt mit Hilfe der Regeldifferenz eine Stellgröße, die wiederum
auf die Regelstrecke wirkt. Auf Grund der Rückführung der Regelgröße spricht man hier
von einem Regelkreis. Wird die Regelgröße nicht rückgeführt, spricht man von einer
Steuerung.
Prinzipiell lassen sich zwei Arten von Regelungsaufgaben unterscheiden. Bei der
Folgeregelung soll die Regelgröße einem vorgegebenen Verlauf der Führungsgröße
folgen. So kann die Regelungsaufgabe sein, einen vorgegebenen sich ändernden Tempe-
raturverlauf für die Kühlwassertemperatur einzuhalten. Bei der Festwertregelung soll ein
vorgegebener Arbeitspunkt eingehalten und Störeinflüsse ausgeregelt werden. So wird
beispielsweise eine Kühlwassertemperatur fest vorgegeben und der Einfluss der sich
ändernden Umgebungstemperatur soll ausgeglichen werden.
Die Anforderungen an den Regelkreis sind für Folge- und Festwertregelung gleich.
Zentrales Anliegen ist die Stabilität des Regelkreises. Dabei heißt ein Regelkreis stabil,
wenn nach endlicher Anregung durch Führungs- und Störgrößen die Regelgröße endlich
bleibt. Verschwindet die Anregung, so strebt die Regelgröße gegen Null. Für die Stabili-
tätsanalyse wurden zahlreiche Verfahren entwickelt. Beispielhaft seien hier nur das
Hurwitz- oder das Nyquistkriterium genannt.
Beim stationären Verhalten wird das Verhalten der Regelgröße nach Abklingen aller
Regelvorgänge betrachtet. So wird beispielsweise durch ein Sprung in der Führungsgrö-
ße für die Einstellung eines neuen Arbeitspunktes ein Regelvorgang initiiert. Nach Ab-
klingen der transienten Vorgänge wird sich bei einem stabilen Regelkreis ein stationärer
Endwert ergeben. Entspricht dieser Endwert genau der vorgegebenen Führungsgröße, so
spricht man davon, dass der Regelkreis keine bleibende Regelabweichung besitzt. Es
kann gezeigt werden, dass für einen Sollwertsprung in Regler oder Regelstrecke ein
Integralanteil vorhanden sein muss, damit der Regelkreis keine bleibende Regelabwei-
chung besitzt („Inneres-Modell-Prinzip“).
Neben den statischen Anforderungen spielt natürlich auch das dynamische Über-
gangsverhalten eine Rolle. Dabei werden für eine sprunghafte Änderung Kenngrößen,
wie Anstiegszeit, Überschwingweite und Beruhigungszeit definiert, um das Antwortver-
halten zu beurteilen. Häufig werden dafür Prototypenverläufe von bekannten Filtern
herangezogen, um mit dem Reglerentwurf dem Regelkreis das entsprechende Verhalten
aufzuprägen. Die Robustheit eines Reglers soll sicherstellen, dass der Regelkreis trotz
sich verändernder Bedingungen, beispielsweise durch Alterung und Verschleiß, stabil

 
294 4 Softwaresicht – Prüfstand

bleibt. Deshalb sollte man für den Regler immer eine Sicherheitsreserve beim Entwurf
vorhalten. Stichworte sind hier Amplituden- und Phasenreserve.
Abb. 4-8 zeigt den Regelkreis im Zeitbereich. Für die Analyse von Regelkreisen hat
sich vor allem die Transformation des Regelkreises in den sogenannten Frequenzbereich
mit Hilfe der Laplace-Transformation etabliert. Im Frequenzbereich lassen sich die im
Zeitbereich über gewöhnliche Differentialgleichungen beschriebenen Systeme sehr ein-
fach mit sogenannten (linearen) Übertragungsfunktionen ausdrücken. Sehr viele Analy-
se- und Entwurfsverfahren sind deshalb im Frequenzbereich definiert.

PID-Regler
In der Praxis wird der sogenannte PID-Regler sehr häufig angewendet. Er besteht nach
Abb. 4-9 aus einem Proportional-, einem Integral- und einem Differenzialanteil. Dabei
lassen sich zwei Darstellungsformen unterscheiden, die ineinander überführbar sind. Bei
vorgegebenen Reglerbausteinen in einem Prüfstandssystem ist immer darauf zu achten,
in welcher Form der PID-Regler implementiert ist, damit bei der Übertragung von Ent-
wurfsparametern in den Baustein keine Umrechnungsfehler entstehen.

Proportional-
anteil

Regeldifferenz + Stellgröße
e(t) + y(t)
Integralanteil
+

Differenzial-
anteil

Regeldifferenz Stellgröße
e(t) + y(t)
Verstärkungs- +
Integralanteil
faktor
+

Differenzial-
anteil

Abb. 4-9 PID-Regler in den zwei Grundformen Summenform (oben) und Zeitkonstantenform
(unten)
4.3 Signalverarbeitung 295

Für die obere Darstellung ergibt sich folgender Zusammenhang im Zeitbereich


†
›ሺ–ሻ ൌ  ୔ ή ‡ሺ–ሻ ൅   ୍ න ‡ሺɒሻ†ɒ ൅  ୈ ή ‡ሺ–ሻ
†–
Gleichung 4-5 PID-Regler in der Summenform

Oder als Übertragungsfunktion im Laplacebereich:


ͳ
ሺ•ሻ ൌ ൬ ୔ ൅  ୍ ൅  ୈ •൰
•
mit den Parametern:
 ୔ Konstante des Proportionalanteils
 ୍ Konstante des Integralanteils
 ୔ Konstante des Differenzialanteils
Gleichung 4-6 Übertragungsfunktion eines PID-Reglers in der Summenform

Für die untere Darstellung ergibt sich folgender Zusammenhang im Zeitbereich


ͳ †
›ሺ–ሻ ൌ  ୖ ή ൬‡ሺ–ሻ ൅ න ‡ሺɒሻ†ɒ ൅ ୈ ή ‡ሺ–ሻ൰
୍ †–
Gleichung 4-7 PID-Regler in der Zeitkonstantenform

oder als Übertragungsfunktion im Laplacebereich


ͳ
ሺ•ሻ ൌ  ୖ ൬ͳ ൅ ൅ ୈ •൰
୍ •
mit den Parametern:
ୖ Verstärkungsfaktor
୍ Nachstellzeit (Integrierzeit)
ୈ (auch ୚ ) Vorhaltezeit (Differenzierzeit)
Gleichung 4-8 Übertragungsfunktion eines PID-Reglers in der Zeitkonstantenform

Der Vorteil der unteren Darstellungsform liegt in der physikalischen Interpretierbarkeit


der Parameter, da es sich um den Verstärkungsfaktor und um Zeitkonstanten handelt, die
über Sprungantworten konkret bestimmt werden können. Auch die meisten Einstell-
regeln führen auf Werte für diese Darstellungsform. Der Vorteil der oberen Darstel-
lungsform liegt in der einfachen Realisierung von Abwandlungen des Regelgesetzes. So
lässt sich der Integralanteil sehr einfach mit KI = 0 ausschalten und ein PD-Regler reali-
sieren. Dies ist in der unteren Darstellungsform (Gleichung 4-8) nur mit einem sehr
großen Wert für TI näherungsweise realisierbar.
Vereinfachend kann man sagen, dass ein PID-Regler mit seinem Proportionalanteil
die Gegenwart, mit seinem Integralanteil durch Aufsummierung die Vergangenheit und
mit seinem Differenzialanteil mit Hilfe der Änderungsgeschwindigkeit eine Prognose für
die Zukunft bewertet.

 
296 4 Softwaresicht – Prüfstand

Für einen PID-Regler gibt es eine Vielzahl von empirischen Einstellregeln, worüber
sich die Reglerparameter bestimmen lassen. Die bekanntesten Einstellregeln sind nach
ihren Urhebern Ziegler und Nichols benannt. Kann eine Strecke kurzzeitig an der Stabi-
litätsgrenze betrieben werden, so wird der Regelkreis zunächst über einen reinen P-
Regler geschlossen. Der Verstärkungsfaktor wird so lange erhöht bis sich der Regelkreis
nach einer Sollwertänderung an seiner Stabilitätsgrenze befindet. Der Wert des Verstär-
kungsfaktors an der Stabilitätsgrenze ist die kritische Verstärkung ‫ܭ‬ோ , die Periodendauer
der auftretenden Dauerschwingung ist die kritische Periodendauer ܶ௞௥௜௧ . Aus diesen
beiden Kennwerten lassen sich die Parameter für einen PID-Regler ableiten.
 ୖ ൌ ǡ ͸ ή  ୖǡ୩୰୧୲ 
୍  ൌ Ͳǡͷ ή ୩୰୧୲ 
ୈ  ൌ Ͳǡͳʹ ή ୩୰୧୲
Gleichung 4-9 Einstellregeln für einen PID-Regler über die kritische Verstärkung
und Periodendauer

Liegt eine stabile Sprungantwort der Regelstrecke vor, so kann diese gerade bei nicht
schwingungsfähigen Systemen oftmals über ein System 1. Ordnung mit Totzeit appro-
ximiert werden.


ሺ•ሻ ൎ ή ‡ି୘౪ୱ
ଵ • ൅ ͳ
Gleichung 4-10 Approximation einer Regelstrecke für die Einstellung eines PID-Reglers

Auch aus diesen Kennwerten lassen sich dann die Parameter eines PID-Reglers be-
stimmen.
ͳǡʹ ଵ
ୖ ൌ ή 
 ୲
୍  ൌ ʹ ή ୲ 
ୈ  ൌ Ͳǡͷ ή ୲
Gleichung 4-11 Einstellregeln für einen PID-Regler über die Approximation einer Regelstrecke

Auch für andere charakteristische Sprungantworten einer Regelstrecke gibt es in der


Fachliteratur entsprechende Einstellregeln (vgl. [69]).

Realer PID-Regler
Der PID-Regler nach Gleichung 4-8 ist systemtheoretisch ein akausales System, da ein
reiner Differenzialanteil nicht realisiert werden kann. Deshalb wird dem Differenzialan-
teil noch ein Tiefpass erster Ordnung hinzugefügt.
4.3 Signalverarbeitung 297

ͳ ୈ
ሺ•ሻ ൌ  ୖ ൬ͳ ൅ ൅ •൰
୍ • • ൅ ͳ
mit den Parametern:
ୖ Verstärkungsfaktor
୍ Nachstellzeit (Integrierzeit)
ୈ (auch ୚ ) Vorhaltezeit (Differenzierzeit)
 Zeitkonstante des Tiefpassfilters
Gleichung 4-12 Übertragungsfunktion eines realen PID-Reglers

Der Tiefpass sorgt auch dafür, dass etwaige Störpegel auf dem Nutzsignal nicht noch
zusätzlich durch den Differenzialanteil verstärkt werden.

Zeitdiskreter PID-Regler
Liegen vorgefertigte Reglerbausteine in einem Automatisierungssystem vor, so können
meist die Parameter aus einem kontinuierlichen Entwurf direkt eingetragen werden.
Manchmal müssen die Reglergesetze allerdings auf einem Rechner selbst implementiert
werden. Liegt ein Regler aus dem kontinuierlichen Entwurf vor, so liegt es nahe, diesen
für eine vorgegebene Abtastzeit ܶௌ zu diskretisieren. Dies ist immer problemlos möglich,
wenn die Abtastzeit gegenüber der Grenzfrequenz des Regelkreises klein genug ist.
Am einfachsten ist das Ersetzen der einzelnen Reglerteile des PID-Reglers durch Me-
thoden der numerischen Approximation, indem der kontinuierliche Integralanteil über
die Rechteckregel und die Summe der abgetasteten Werte und der Differenzialanteil
über den Differenzenquotienten zwischen zwei Abtastwerten angenähert wird.

ͳ †
›ሺ–ሻ ൌ  ୖ ή ൭‡ሺ–ሻ ൅ න ‡ሺɒሻ†ɒ ൅ ୈ ή ‡ሺ–ሻ൱
୍ †–

ͳ ୗ ୩ ୗ
න ‡ሺɒሻ†ɒ ൎ ෍ ‡ሺሻ ൌ ›୍ ሺ െ ͳሻ ൅ ή ‡ሺሻ
୍ ୍ ୧ୀଵ ୍
† ‡ሺሻ െ ‡ሺ െ ͳሻ
ୈ ‡ሺ–ሻ  ൎ ୈ
†– ୗ
Gleichung 4-13 Zeitdiskrete Approximation von Integral- und Differenzialanteil
eines PID-Reglers

Damit ergibt sich das zeitdiskrete Regelgesetz eines idealen PID-Reglers.


ୗ
›୍ ሺሻ ൌ ›୍ ሺ െ ͳሻ ൅ ή ‡ሺሻ
୍
‡ሺሻ െ ‡ሺ െ ͳሻ
›ሺሻ ൌ  ୖ ή ቆ‡ሺሻ ൅ ›୍ ሺሻ ൅ ୈ ቇ
ୗ
Gleichung 4-14 Zeitdiskreter PID-Regler

 
298 4 Softwaresicht – Prüfstand

Verwendet man für die Approximation des Integralanteils die etwas genauere Trapez-
regel, so ergibt sich die folgende Approximation für den Integralanteil:
ୗ
›୍ ሺሻ ൌ ›୍ ሺ െ ͳሻ ൅ ή ‡ሺሻ
ʹ୍
Gleichung 4-15 Approximation des Integralanteils über dieTrapezregel

Für diesen sogenannten quasikontinuierlichen Entwurf gibt es noch weitere Möglichkei-


ten aus einer gegebenen beliebigen zeitkontinuierlichen Übertragungsfunktion ein zeit-
diskretes Regelgesetz abzuleiten. Die bekannteste Transformation stellt die bilineare
oder Tustin-Transformation dar. Details dafür können der Fachliteratur entnommen
werden (vgl. [70]).

4.3.6 Bewertung und Plausibilität

Die Produktivitätsanforderungen an moderne Prüfstandssysteme sind in den letzten Jah-


ren durch Forderungen nach kürzeren Entwicklungszeiten bei geringeren Kosten und
gehobenen Qualitätsansprüchen stark gestiegen. Dem wird durch hohen Automatisie-
rungsgrad entgegengesteuert, was eine Sicherung der Messdatenqualität voraussetzt. In
der Praxis kommt es jedoch im Prüffeldbetrieb immer wieder zu Fehl- und Wiederhol-
versuchen aufgrund mangelnder Qualität der Messdaten. Es kommt z. B. vor, dass ein
Temperatursensor ausfällt oder nicht angeschlossen ist. Eine andere Fehlerquelle sind
wegdriftende Messsignale. Bei immer größer werdender Messstellenanzahl ist eine per-
manente manuelle Überprüfung bzw. Supervision der Messtechnik durch einen Prüf-
standsbediener äußerst schwierig.

Messdatenplausibilitätsbewertung
Die frühzeitige Erkennung von unbrauchbaren bzw. unplausiblen Messwerten im manu-
ellen als auch automatisierten Betrieb spart wertvolle Prüfstandszeit. Daraus ergibt sich
der Bedarf, die Plausibilität der Daten aller Messgeräte und Subsysteme am Prüfstand in
vernünftiger Zeit, mit vernünftigem Aufwand und ohne Experten vor Ort ständig online
und während des Prüfstandsbetriebes zu bewerten.
Manche Automatisierungssysteme können mit einer Softwarekomponente erweitert
werden, um derartige Fehlmessungen während des Prüfstandsbetriebes zu erkennen.
Damit können Zustände anhand von Messsignalen erkannt werden, die zu unbrauchba-
ren bzw. unplausiblen Messwerten führen. Expertenwissen und Anwendererfahrung
kann in einer deratigen Applikation abgebildet werden.
Das Herzstück einer integrierten Online-Diagnose ist ein integriertes Drei-Säulen-
modell mit den folgenden Funktionsgruppen:
– Systemkontrolle
– Signalqualität
– Signalplausiblität
4.3 Signalverarbeitung 299

Mit der Systemkontrolle erfolgt eine Funktionskontrolle der angeschlossenen Mess-


technik. Die Säule Signalqualität beschäftigt sich mit dem Signalverlauf und der statisti-
schen Analyse des Signalverhaltens (z. B. Ausreißer, grobe Unstetigkeit, Rauschen etc.).
Die dritte Säule analysiert die Plausibilität der Messwerte. Die Plausibilitätsprüfung
erfolgt durch Quervergleiche der Messgrößen, wobei physikalische und benutzerdefi-
nierte Regeln geprüft werden (z. B. Redundanzen zwischen gleichartigen/ähnlichen
Messgrößen, Temperaturverläufe entlang eines Abgasstrangs, ausgewogene Massen-
bilanzen u.v.m.). In der Säule Plausibilität liefert das System seine Erfahrungen mit einer
langen Erprobungsphase auf Prüfständen in Form von Plausibilitätsmethoden vordefi-
niert aus.

Abb. 4-10 Beispiel einer Detailansicht über den aktuellen Status der Diagnose

Die drei Funktionsgruppen decken alle Bereiche des Prüfstandsbetriebes ab. Die Still-
standsdiagnose ermöglicht eine schnelle Kontrolle von einzelnen Kanälen noch bevor
mit der eigentlichen Arbeit begonnen wird. Die Ergebnisse werden in übersichtlicher

 
300 4 Softwaresicht – Prüfstand

Form in einem Bericht dargestellt. Die Kontrolle wird auch oft „Start up check“ oder
„Good morning check“ genannt. Die zyklische Diagnose analysiert kontinuierlich ein-
zelne Kanäle, die vom Automatisierungssystem geliefert werden.
Widersprüche in den beobachtenden Messgrößen werden unmittelbar an den Prüf-
standsbediener, z. B. durch ein blickendes Warndreieck, weitergemeldet. Zur näheren
Erklärung werden Meldungen in Klartext ausgegeben. Die protokollierten Ergebnisse
lassen sich mit einer integrierten Auswertung schnell und übersichtlich darstellen.
Zeitgleich mit einer Stationärstufenmessung kann bei manchen Automatisierungssys-
temen ein messsynchroner Modus aktiviert werden. Ziel ist es, die Ergebnisdaten einer
Stationärstufenmessung sofort nach deren Beendigung auf Plausibilität zu überprüfen.

4.4 Datenaufzeichnung
In einem Automatisierungssystem werden sehr viele unterschiedliche Messgrößen er-
fasst. Daraus werden weitere Größen mittels Formeln, Regelalgorithmen, Filter oder
Simulationsmodellen berechnet. Die Gesamtheit dieser Größen enthält die Informatio-
nen, die das Verhalten des Prüflings und die Versuchsbedingungen beschreiben. Daher
müssen diese Werte abgespeichert und für die Nachverarbeitung bereitgestellt werden.
Man unterscheidet verschiedene Formen der Abspeicherung:
– Stationäre Messung
– Kontinuierliche Aufzeichnung
– Post-Mortem-Aufzeichnung
Daneben können die Daten unterschiedlich abgespeichert werden:
– Zeitgeführte Abspeicherung
– Kurbelwinkelgeführte Abspeicherung
– Ereignisgeführte Abspeicherung
– Kombinationen aus obigen Abspeichertypen
Die Ergebnisse werden sehr oft direkt in einem standardisierten Format abgelegt. Häufig
verwendete Abspeichertypen sind ASAM-ODS-kompatible Datenbanken (siehe Ab-
schnitt 4.1.2) oder die Speicherung in Dateien z. B. als cvs-Dateien (comma separated
values) oder im ASAM-MDF Format.

4.4.1 Stationärmessung

Viele der Auswertungen im Antriebsstrangentwicklungsprozess gehen von stationären


(das heisst zeitlich konstanten) Verhältnissen im Prüfling aus. Diese müssen vom Auto-
matisierungssystem durch die Vorgabe entsprechender Stellgrößen und geeigneter Re-
gelalgorithmen hergestellt werden (siehe auch Abschnitte über Regler 4.3.5 und 4.5
sowie über Konditioniersysteme 3.2.3 und 3.2.4).
Danach stellen die Testautomatisierungsfunktionen entsprechende Algorithmen zur
Verfügung, mit denen überprüft werden kann, ob sich bereits stationäre Bedingungen
eingestellt haben. Anschließend werden bei diesem Messungstyp die erfassten oder be-
4.4 Datenaufzeichnung 301

rechneten Werte im Automatisierungssystem für eine bestimmte parametrierte Zeit


(Messzeit) gemittelt und abgespeichert.
Viele Automatisierungssysteme legen neben den Mittelwerten auch Minimal-, Maxi-
malwert und Standardabweichung aus der Messphase für jede abgespeicherte Größe ab.

4.4.2 Kontinuierliche Aufzeichnung

Im Gegensatz dazu speichert man bei der kontinuierlichen Aufzeichnung alle (oder eine
parametrierte Teilmenge) erfassten und berechneten Größen des Automatisierungssys-
tems mit einer einstellbaren Frequenz ab. Diese Softwarekomponente wird häufig als
Datenrekorder bezeichnet. Falls sich die Erfassungsfrequenz einer Größe von der Ab-
speicherfrequenz unterscheidet, müssen entsprechende Antialising-Filter (siehe Ab-
schnitt über Antialiasing auf Seite 287) verwendet werden. Moderne Automatisierungs-
systeme führen diese Antialising Filterberechnungen automatisch aus, ohne dass sie vom
Anwender parametriert werden müssen.
Bei vielen Automatisierungssystemen können die Beginnzeiten der Rekorder definiert
werden. Dabei kann z. B. zwischen einem Start über Kommando in einem Prüfablauf,
dem Auftreten eines parametrierten Ereignisses oder einem sofortigen Beginn bei Test-
beginn unterschieden werden.

4.4.3 Post-Mortem-Aufzeichnung

Eine spezielle Art der relevanzgesteuerten Aufzeichnung ist das Post-Mortem-Verfahren


nach Abb. 4-11. Bei dieser Anwendung bewirkt erst das Eintreten eines bestimmten
Vorfalls, beispielsweise ein unbeabsichtigtes Abstellen des Prüflings oder ein Über-
schreiten eines bestimmten Grenzwertes die Entscheidung, zyklisch erfasste Werte vor,
während und nach dem Vorfall aufzuzeichnen und abzuspeichern.

Pre-Triggerdaten
Ringpuffer

Trigger Event

Post-Triggerdaten

Abb. 4-11 Ringpuffer-Aufzeichnung eines Post-Mortem-Rekorders

 
302 4 Softwaresicht – Prüfstand

Manche Automatisierungssysteme ermöglichen Post-Mortem-Auswertungen durch


kontinuierliche Aufzeichnung ausgewählter Signale in einer Endlosschleife. Zyklisch
erfasste Messwerte werden in einen Ringpuffer kopiert. Beim Erreichen der definierten
Ringpufferlänge überschreibt der nächste, neueste Wert den jeweils ältesten.
Bei Auftreten des als Post-Mortem-Trigger definierten Verfahrens wird der Post-
Mortem-Rekorder in die Nachlaufphase umgeschaltet. Bricht der Anwender nicht bereits
vorher ab, zeichnet der Rekorder bis zum Ende der Nachlaufzeit weiter Daten auf. Der
Inhalt der Ringpuffer, bestehend aus Pre- und Post-Triggerdaten, und damit die Vorge-
schichte des Vorfalls und die Geschehnisse unmittelbar danach, werden als Rekorder-
resultat abgelegt und stehen für die Offlineanalyse zur Verfügung.

4.5 Prüfstandsregelung und Simulation


Regelungs- und Simulationsaufgaben sind inzwischen zu integralen Bestandteilen eines
Automatisierungssystems am Prüfstand geworden. Zunächst werden deshalb spezielle
Regelungskonzepte für unterschiedliche Prüfstandskonfigurationen vorgestellt. Diese
gewährleisten, dass auch dynamische auf Simulation basierende Vorgänge am Prüfstand
nachgestellt werden können. Die dafür verwendeten Modelle können sehr einfach sein.
Auf einige dieser sehr einfachen Fahrzeugersatzmodelle wird näher eingegangen. Sollen
komplexe Fahrmanöver am Prüfstand nachgestellt werden, gelangt man zum virtuellen
Fahrversuch, für den detaillierte Modelle für Fahrer, Fahrzeug und Umgebung notwen-
dig werden. Bei der Gesamtfahrzeugsimulation müssen häufig Teilmodelle aus unter-
schiedlichen domänenspezifischen Werkzeugen kombiniert werden. Die Konzepte Inte-
grationsplattform und Co-Simulation werden deshalb kurz eingeführt. Abschließend
wird in diesem Kapitel noch die Simulation von komplexen Kommunikationsstrukturen
mit Hilfe der so genannten Restbussimulation erläutert.

4.5.1 Regelung am Verbrennungsmotorprüfstand

Im Entwicklungsprozess eines Verbrennungsmotors gehört der Motorprüfstand weltweit


zu den Standardwerkzeugen der Ingenieure für Entwicklungs-, Test- und Validierung-
saufgaben. Das Ziel der Arbeit mit einem Motorprüfstandes ist, Belastungszustände des
Verbrennungsmotors möglichst realitätsnah reproduzieren zu können. Im Rahmen der
fahrzeugnahen Erprobung werden häufig gemessene Drehzahl- und Drehmomentprofile
am Prüfstand vorgegeben. Bei diesen sogenannten Nachfahrprogrammen werden die im
Fahrversuch gemessenen Werte (Drehzahl, Drehmoment) dem Prüfstand mit Abtast-
frequenzen >100 Hz vorgegeben. Dabei ist die Betriebsfestigkeitserprobung mit diesen
Nachfahrprogrammen, bei denen dem Prüfling Drehzahl und Drehmoment bzw. Dreh-
zahl und Fahrpedalstellung aufgeprägt werden, eine seit Jahren etablierte Prüfmethodik.
Durch immer intelligentere und vernetzte Prüflinge kommt dieses Verfahren heute al-
lerdings an seine Grenzen. So stehen einem Getriebesteuergerät zur Durchführung eines
Schaltvorganges beispielsweise Informationen über Fahrzustände von anderen Steuerge-
räten zur Verfügung. Das Ausbleiben eines Signales kann dazu führen, dass sich das
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 303

Verhalten des Steuergerätes und somit auch der Schaltvorgang und damit die Rand-
bedingungen der Prüfung ändern. Dadurch ist die Anforderung der Reproduzierbakreit
von Prüfläufen nicht mehr gewährleistet.
Die streckenbasierte Erprobung mit Hilfe eines virtuellen Fahrzeuges kann dieses Di-
lemma lösen. Dazu wird die Belastung des Verbrennungsmotors mit Hilfe eines Simula-
tionsmodells, welches aus Fahrzeug, Umgebung und Fahrer besteht, berechnet und als
Last über die Momentenstelleinrichtung (Belastungsmaschine) dem Verbrennungsmotor
aufgeschaltet (siehe Abb. 4-12). Dabei ist eine möglichst genaue Abbildung der Belas-
tung sowohl stationär als auch vor allem dynamisch das Ziel der Simulation.

Verbrennungsmotor

Simulation
Anschlussteil

Dämpfungselement
Geschwindigkeits-
messung

Anschlussteil
Geschwindigkeits- Schwungrad
messung Belastungseinheit Verbindungswelle
Wellendrehmomentmessung

Abb. 4-12 Konzept eines Motorprüfstandes

Die modellbasierte Erprobung am Prüfstand erfordert allerdings eine höhere Dynamik


bei der Veränderung der Stellgrößen. Dies kann über eine Kombination aus einer steife-
ren Wellenauslegung zwischen Prüfling und Belastungsmaschine und einer daran ange-
passten Regelstrategie erreicht werden.

Ersatzmodell
Ein Motorprüfstand besteht im Wesentlichen aus einem Verbrennungsmotor und einer
über eine elastische Welle verbundene elektrische Maschine (siehe Abb. 4-13).

 
304 4 Softwaresicht – Prüfstand

Automatisierungs- und Steuerungssystem

ωD TD TST ωE α

Umrichter-
Schrank
Leistungsmessung
α-Stellmotor

Belastungs- Verbrennungs-
einheit motor
ωD Speed-
encoder

TST Mess- Verbindungs- ωE Speed-


vorrichtung welle encoder
Abb. 4-13 Komponenten eines Motorprüfstandes

Der Verbrennungsmotor, der Rotor der Belastungsmaschine und die elastische Verbin-
dungswelle bilden die für die Regelung relevanten mechanischen Komponenten. Verein-
fachend kann dieses System als Zweimassenschwinger betrachtet werden (siehe Abb.
4-14). Die elektrischen Komponenten, wie beispielsweise der elektrische Kreis der Be-
lastungsmaschine, der Umrichter und die Momenten- und Drehzahlmessungen, können
mit Ausnahme einer Totzeit bis zu einer bestimmten Frequenz als linear betrachtet wer-
den. Diese Grenzfrequenz ist von dem jeweils eingesetzten Maschinentyp abhängig und
liegt bei Synchronmaschinen und entsprechenden Umrichtern bei etwa 1 kHz. Die Tot-
zeit im Regelkreis der Belastungsmaschine liegt bei modernen Systemen bei etwa
0,9 ms.

ωE θE TE

ωD
c, d

TD θD

Abb. 4-14 Zweimassenschwinger der Prüfstandsmechanik


4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 305

Tab. 4-4 Beschreibung der Formelzeichen aus Abb. 4-13 und Abb. 4-14

Abkürzung Beschreibung Einheit


TD Stellmoment der Belastungsmaschine [Nm]
TST Gemessenes Wellenmoment [Nm]
TE Verbrennungsmotormoment [Nm]
TD Massenträgheitsmoment des Rotors der Belastungsmaschine [kg m2]
TMotor Massenträgheitsmoment der rotierenden Teile des Verbrennungs- [kg m2]
motors
ZD Drehzahl der Belastungsmaschine [rad/s]
Z Drehzahl des Verbrennungsmotors [rad/s]
c Steifigkeit der Welle [Nm/rad]
d Dämpfung der Welle [Nm s/rad]
D Fahrpedalstellung [0..1]

Mechanische Anpassungen
Üblicherweise werden an konventionellen Motorprüfständen Asynchronmaschinen ein-
gesetzt. Die mechanische Ankopplung über die elastische Welle an den Verbrennungs-
motor wird auf eine Eigenfrequenz ausgelegt, die zwischen der Zündfrequenz bei Star-
terdrehzahl und der Zündfrequenz bei Leerlaufdrehzahl zu liegen kommt. Für einen
Vierzylindermotor ergibt sich somit eine Eigenfrequenz von ca. 15 Hz bei einer Stan-
dardwelle. Die Eigenfrequenz wird hauptsächlich durch die Grundfrequenz der Verbren-
nungsstöße angeregt. Somit wird sie bei dieser Auslegung nur bei Start/Stopp durchfah-
ren. Aus diesem Grund liegt der dauerhafte (stationäre) Betrieb nicht im Arbeitsbereich
der Eigenfrequenz des Gesamtsystems und ein sicherer Betrieb ist möglich.
Das Durchfahren der Eigenfrequenzdrehzahl ist dabei möglich, da nur eine kurze
Verweildauer in der Eigenfrequenzdrehzahl garantiert wird und ein zusätzliches Dämp-
fungselement im Wellenaufbau enthalten ist. Durch die Auslegung der Welle auf eine
Eigenfrequenz von 15 Hz ist allerdings auch die Bandbreite des übertragenen Momentes
an den Verbrennungsmotor begrenzt. Um die Bandbreite zu erhöhen, ist es notwendig,
die Steifigkeit der Welle („steife Welle“) und somit die Eigenfrequenz der Prüfstands-
anordnung zu erhöhen (siehe auch Abschnitt 3.1.3).
In Abb. 4-15 sind die Bode-Diagramme der Übertragungsfunktionen vom Stellmo-
ment der Belastungsmaschine TD zum Wellenmoment TST für verschieden steife Wellen
dargestellt. Im Falle der Standardwelle endet die Bandbreite von einem sinnvoll über-
tragbaren Moment unter 10 Hz. Hingegen kann bei einer steifen Welle eine Momenten-
dynamik bis 40 Hz übertragen werden. Allerdings verschiebt sich dabei die Eigen-
frequenz des Prüfstandes in den Arbeitsbereich des Verbrennungsmotors. Dies bedeutet,
dass die Zündstöße des Verbrennungsmotors die Prüfstandseigenfrequenz anregen.
Durch Resonanzeffekte kann dies insbesondere bei Vollastbetrieb des Motors im Eigen-
frequenzbereich zur Zerstörung der mechanischen Ankopplung führen.

 
306 4 Softwaresicht – Prüfstand

geschwindigkeit

geschwindigkeit

geschwindigkeit
Leerlauf-
Start-

Max.
20

Standardwelle
0 Steife Welle
Verstärkung (dB)

ƒ0 der schwachen Welle

ƒ0 der steifen Welle


-20

-40

-60 1 Startgeschwindigkeitsbereich
0

2 Anlaufgeschwindigkeitsbereich
-45
Phase (deg)

3 Betriebsgeschwindigkeitsbereich
-90

-135
1 2 3
-180
101 15 60 102 103
Frequenz (Hz)

Abb. 4-15 Betriebsbereiche eines Motorprüfstandes

Durch die Erhöhung der Eigenfrequenz des Prüfstandes ergeben sich erhöhte Anforde-
rungen an die Dynamik der elektrischen Belastungsmaschine. Der Einsatz von Perma-
nentmagnetsynchronmaschinen mit geringem Trägheitsmoment (siehe auch Seite 133)
erlaubt Beschleunigungen bis zu 70 000 Upm/s, welche notwendig sind, um die Reso-
nanz im Frequenzbereich der Eigenfrequenz zu dämpfen. Zusätzlich ist eine für diesen
Betrieb angepasste Regelungsstrategie notwendig.

Angepasste Regelungsstrategie
Für den Betrieb eines Prüfstandes mit steifer Welle wird eine daran angepasste Rege-
lungsstrategie verwendet. Dabei besteht die Regelung nach Abb. 4-16 im Wesentlichen
aus einem Drehzahlregler für die Belastungsmaschine, einem Verbrennungsmotorbeob-
achter (ͳΤ•Ʌ୑୭୲୭୰ ), einem Motormomentenschätzer und einer Reihe an FIFO-(First-In-
First-Out-)Speichern (siehe [71], [72], [73] und [74]). Ziel ist es, das geschätzte und
phasenkorrigierte Verbrennungsmotormoment dem Wellenmomentenregler als Sollwert
aufzuschalten. Die Störgrößenaufschaltung basiert auf dem durch einen Kalman-Filter
geschätzten Verbrennungsmotormoment  ෡୉ .
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 307

TST 1 ωr -
sθMotor Drehzahlregler
-
TD
ωD
TST
Prüfstand
ωE
Störgrößengenerator TE
(Motordrehmoment)

Switching Law
TE Motormomenten-
FIFO 1
schätzer
FIFO 2

FIFO n

Abb. 4-16 Wellenmomentenreglerstruktur mit Störgrößenaufschaltung

Aufgrund der sich wiederholenden Eigenschaft eines Arbeitsspieles des Verbrennungs-


motors kann die Störgröße vorausberechnet werden, um die Systemtotzeiten zu kompen-
sieren. Da sich die Systemtotzeit arbeitspunktabhängig ändert, ist eine Adaption der
Vorausrechendauer notwendig. Diese Adaption wird durch den Einsatz einer Reihe an
FIFO-Speichern mit einer geeigneten Schaltlogik realisiert. Das beschriebene Verfahren
ist durch Patente geschützt.
Abb. 4-17 zeigt das Ergebnis der Wellenmomentenregelung am realen Prüfstand bei
geringer Verbrennungsmotorlast. Zum Zeitpunkt 5 s wurde der Wellenmomentenregler
deaktiviert. Es zeigt sich ein signifikanter Anstieg des Wellenmomentes, da die Drehzahl
der Belastungsmaschine nicht mehr der Drehzahl des Verbrennungsmotors folgt. Dieser
Versuch kann nicht unter Volllast durchgeführt werden, da es durch Resonanzerschei-
nungen zur Zerstörung kommen kann.
In Abb. 4-18 wird das Führungsverhalten der Wellenmomentenregelung im Detail
dargestellt. Ziel ist es, den Drehungleichförmigkeiten des Verbrennungsmotors bis zu
einer Grundfrequenz von ca. 80 Hz mit der Belastungseinheit nachzufahren (oberes
Diagramm in Abb. 4-18). Dies entspricht einem konstanten Halten des Verdrehwinkels
zwischen Verbrennungsmotor und Belastungsmaschine. Ein konstanter Verdrehwinkel
bedeutet dabei ein konstantes Wellenmoment (unteres Diagramm in Abb. 4-18). Das
Wellenmoment oszilliert mit ca. ±20 Nm. Bei einer Wellensteifigkeit von ca. 11 000
Nm/rad entspricht dieses Moment einem Verdrehwinkel zwischen Verbrennungsmotor
und Belastungsmaschine von nur ca. ±0,1 °. Weitere Details zu Regelung, Implementie-
rung und Anwendung finden sich in [75], [76], [77], [78] und [79].

 
308 4 Softwaresicht – Prüfstand

Realer Prüfstand
1200
Belastungsmaschinendrehzahl
1100
Geschwindigkeit (rpm)

Motordrehzahl
1000
900
800
700
600
500
4 4.5 5 5.5 6 6.5

300
Wellenmoment
200
Motormoment (Nm)

100

-100

-200

-300
4 4.5 5 5.5 6 6.5
Zeit (s)

Abb. 4-17 Zeitschriebe für Motordrehzahl, Belastungsmaschinendrehzahl und Wellenmoment –


zum Zeitpunkt 5,1 s wird die Wellenmomentenregelung ausgeschaltet

Realer Prüfstand
1300
Belastungsmaschinendrehzahl
Motordrehzahl
Geschwindigkeit (rpm)

1250

1200

1150

1100
3.2 3.25 3.3 3.35 3.4 3.45 3.5 3.55 3.6

50
Wellenmoment
Motormoment (Nm)

-50
3.2 3.25 3.3 3.35 3.4 3.45 3.5 3.55 3.6
Zeit (s)

Abb. 4-18 Detailansicht von Abb. 4-17


4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 309

4.5.2 Regler für Antriebsstrangprüfstände

Typische Prüfstandsaufbauten für die Antriebsstrangerprobung sind in Abb. 2-50 bis


Abb. 2-53 dargestellt (siehe Kapitel 2.3). Die Prüfstandsaufbauten sind dadurch gekenn-
zeichnet, dass der Prüfling mit bis zu vier Belastungsmaschinen an den Seitenwellen
bzw. an der Kardanwelle belastet wird. Weiterhin kann zur Leistungserzeugung der
Originalantrieb (Verbrennungsmotor oder Hybridantrieb) durch eine elektrische An-
triebsmaschine (vgl. Kapitel 3.2.1) ersetzt werden. Dabei ist die Synchronität von bis zu
vier einzelnen Maschinen die Herausforderung bei der Regelung dieser Belastungsma-
schinen, sodass im Antriebsstrangprüfling keine ungewollten Verspannungen auftreten.
Am Antriebsstrangprüfstand werden dazu gekoppelte Regelungsarten verwendet. Die
Regelungsart legt fest, welche Größen von der Abtriebsseite (Belastungsmaschinen)
bzw. von der Antriebsseite (Verbrennungsmotor oder elektrische Antriebseinheit) gere-
gelt werden. Eine Regelungsart besteht nach Tab. 2-1 aus den zwei Unterregelarten für
Abtrieb und Antrieb sowie einer optionalen so genannten Deltaregelung zwischen rech-
tem und linkem Rad bzw.vorne und hinten.

Tab. 4-5 Regelungsarten am Antriebsstrangprüfstand

Abtrieb Antrieb Deltaregelung


Drehzahl Pedal 'n oder 'M
Drehmoment Pedal 'n oder 'M
Drehzahl Drehmoment 'n oder 'M
Drehmoment Drehzahl 'n oder 'M
Drehzahl Drehzahl 'n oder 'M
Drehmoment Drehmoment 'n oder 'M

Modales Regelungskonzept
Die modale Regelung wird besonders in der Mehrgrößenregelung verwendet. Ziel ist es
hierbei, die Einzelgrößen durch eine geeignete Transformation in unabhängige Größen
zu transformieren. Durch diese Koordinatentransformation ergeben sich dann entkoppel-
te Regelkreise. Hierdurch reduziert sich der Entwurf eines Mehrgrößenregelkreises auf
den Entwurf mehrerer entkoppelter Einzelregelkreise. Am Antriebsstrangprüfstand
spricht man hier von einer Summen- bzw. Deltastruktur.
Die einzelnen Modes der modalen Regelung in der Summen- bzw. Deltastruktur sind:
– Summendrehmoment
– Mittendrehzahl
– Deltadrehmoment
– Deltadrehzahl

 
310 4 Softwaresicht – Prüfstand

Bei den Differenzwerten (Deltawerten) muss der Bezugspunkt mitberücksichtigt werden:


– Differenz zwischen linker und rechter Maschine an der Vorderachse
– Differenz zwischen linker und rechter Maschine an der Hinterachse
– Differenz zwischen Vorder- und Hinterachse
Somit lassen sich für einen Allradprüfling mit fester Lastverteilung x zwischen Vorder-
und Hinterachse folgende Transformationsvorschriften angeben:
Summendrehmoment: ୗ୳୫୫ୣ ൌ ୴ǡ୪ ൅ ୴ǡ୰ ൅ ୦ǡ୪ ൅ ୦ǡ୰
Differenzdrehmoment vorne: '୴୭୰୬ୣ ൌ ୴ǡ୪ െ ୴ǡ୰
Differenzdrehmoment hinten: '୦୧୬୲ୣ୬ ൌ ୦ǡ୪ െ ୦ǡ୰
Differenzdrehmoment
vorne/hinten: '୴୭୰୬ୣȀ୦୧୬୲ୣ୬ ൌ ሺͳ െ šሻሺ୴ǡ୪ ൅ ୴ǡ୰ ሻ െ šሺ୦ǡ୪ ൅ ୦ǡ୰ ሻ
Mittendrehzahl: ୑୧୲୲ୣ ൌ ሺ୴ǡ୪ ൅ ୴ǡ୰ ൅ ୦ǡ୪ ൅ ୦ǡ୰ ሻȀͶ
Differenzdrehzahl vorne: '୴୭୰୬ୣ ൌ ୴ǡ୪ െ ୴ǡ୰
Differenzdrehzahl hinten: '୦୧୬୲ୣ୬ ൌ ୦ǡ୪ െ ୪ǡ୰
Differenzdrehzahl vorne/hinten:'୴୭୰୬ୣȀ୦୧୬୲ୣ୬ ൌ ሺ୴ǡ୪ ൅ ୴ǡ୰ ሻ െ ሺ୦ǡ୪ ൅ ୦ǡ୰ ሻ
Gleichung 4-16 Momentenberechnung

uv,r

Mv,r
nv,r Sollwert (∆M, ∆n)

∆Mvorne - Delta-
∆nvorne Regler

Sollwert (M oder n) -
0,5
Fahrtrichtung Msumme - Haupt-
nMitte Regler
MVKM 0,5
nVKM

∆Mvorne - Delta-
∆nvorne Regler

Mv,l
nv,l Sollwert (∆M, ∆n)

uv,l

Abb. 4-19 Reglerstruktur am Beispiel eines FWD-Prüfstandes


4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 311

Diese Transformationen müssen einerseits für die Istwerte des modalen Reglers in der
Summen- bzw. Deltastruktur durchgeführt werden, andererseits müssen die Stellgrößen
der modalen Regler in Stellgrößen für die einzelnen Abtriebsmaschinen rücktransfor-
miert werden. Abb. 4-19 zeigt die prinzipielle Reglerstruktur bestehend aus Haupt- und
Deltaregler am Beispiel eines Four-Wheel-Drive-(4WD-)Prüfstandes mit zwei Ab-
triebsmaschinen.
Der Vorteil der modalen Regelung ist, dass die Kopplungen zwischen Antrieb und
Abtrieb sich nur im Hauptregelkreis widerspiegeln. Daher kommt der Auslegung des
Hauptreglers eine besondere Bedeutung zu. Der Deltaregler übernimmt die Aufgabe der
Regelung der gewünschten Lastverteilung 'M oder der gewünschten Differenzdrehzahl
'n, z. B. während einer Kurvenfahrt.

Dynamische Folgewertregelung
Prüfaufgaben in der Antriebsstrangerprobung sind selten stationäre Versuche. Meistens
werden dynamische Profile für Drehzahl bzw. Drehmoment vorgegeben. In diesem Fall
muss die Regelungsstruktur für eine dynamische Folgewertregelung ausgelegt werden.
Üblicherweise werden dafür Regler in PI-(D)-Struktur verwendet (siehe Kapitel 4.3.5).
Diese Regelungsstruktur gewährleistet keine bleibende Regelabweichung für die Fest-
wertregelung. In der Folgewertregelung ergibt sich allerdings mit dem sogenannten
Schleppfehler eine dynamische Regelabweichung, die durch geeignete Steuermaßnah-
men reduziert bzw. kompensiert werden kann. Im Allgemeinen wird eine Reglerstruktur
mit Vorsteuerung und Störgrößenaufschaltung verwendet.

Störgröße , z

Vorsteuerung

Führungsgröße , w
Regler
Stellgröße , u
-

Istgröße , y

Abb. 4-20 Reglerstruktur mit Vorsteuerung und Störgrößenaufschaltung

Durch die Regelungsstruktur nach Abb. 4-20 lässt sich das dynamische Verhalten des
geschlossenen Regelkreises verbessern, ohne die Stabilität und Robustheit zu beeinflus-
sen. Die Störgrößenaufschaltung kompensiert den Einfluss von Drehzahl und Dreh-
moment der Antriebsseite (Verbrennungsmotor oder elektrische Antriebsmaschine) auf
die Abtriebe. Die Vorsteuerung dient im Wesentlichen der Kompensation des Schlepp-
fehlers.

 
312 4 Softwaresicht – Prüfstand

4.5.3 Regelung am Rollenprüfstand

Am Rollenprüfstand ist das gesamte Fahrzeug real vorhanden. Da sich das Fahrzeug am
Rollenprüfstand jedoch nicht bewegt, muss der Einfluss von Beschleunigung, Bergauf-
und Bergabfahrt, aber auch teilweise der Umgebungsbedingungen, wie Temperatur,
Luftdruck oder Feuchtigkeit, von der Simulationsumgebung abgedeckt werden.
Für den Betrieb mit einem realen Fahrer oder einem Fahrroboter gibt es auf Rollen-
prüfständen drei Grundregelarten:
– Kraftregelung
– Geschwindigkeitsregelung
– Straßenlastsimulation.
Für spezielle Anwendungsfälle, z. B. Kalibrationsaufgaben, kommen weitere Regelarten
hinzu. Tab. 4-6 zeigt eine Übersicht über mögliche Regelarten auf Rollenprüfständen.

Tab. 4-6 Regelarten auf Rollenprüfständen

Name der Regelart Regelung des Prüfstands Regelung des Prüflings


RG/Alpha Straßenlastsimulation Alpha (Fahrpedal)
RG /n Straßenlastsimulation Motordrehzahl
RG /v Straßenlastsimulation Rollengeschwindigkeit
RG /Fahrer Straßenlastsimulation Realer Fahrer
F/Alpha Rollenzugkraft Alpha (Fahrpedal)
F /n Rollenzugkraft Motordrehzahl
F /v Rollenzugkraft Rollengeschwindigkeit
F /Fahrer Rollenzugkraft Realer Fahrer
v/Alpha Rollengeschwindigkeit Alpha (Fahrpedal)
v/Fahrer Rollengeschwindigkeit Realer Fahrer
n/Alpha Motordrehzahl Alpha (Fahrpedal)

Im Folgenden wird zunächst nur auf die Grundregelarten Zugkraft- und Geschwindig-
keitsregelung eingegangen. Für die Straßenlastsimulation ist ein entsprechendes Fahr-
zeugmodell notwendig, das in Kapitel 4.5.4 eingeführt und dort auch in Bezug auf die
Anwendung am Rollenprüfstand diskutiert wird.

Zugkraft- und Geschwindigkeitsregelung


Bei der Zugkraftregelung wird eine definierte Zugkraft auf die Rollen aufgebracht. Diese
ist unabhängig von der Geschwindigkeit und kann bei mehreren Belastungsmaschinen
auch unterschiedlich groß sein. Bei der Geschwindigkeitsregelung ist das Verhalten
umgekehrt. Hierbei wird eine Geschwindigkeit unabhängig von der Zugkraft eingestellt.
Außerdem ist es auch hier möglich, bei mehreren Belastungsmaschinen eine globale
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 313

Geschwindigkeit oder unterschiedliche Geschwindigkeiten einzustellen. Da diese beiden


Regelarten generische Sollwertvorgaben sind und keine Fahrzeug- oder Straßenlastsimu-
lation im Hintergrund läuft, sind diese hinsichtlich Bedatung und Parametrierung zu-
nächst unabhängig vom Prüfling.

Zugkraft- und Geschwindigkeitsmessung


Für alle Regelarten ist die Messung der Zugkraft und der Geschwindigkeit eine essen-
zielle Voraussetzung. Die Geschwindigkeit wird in der Regel über Impuls- oder Sinus-
Cosinus-Geber an der Motorwelle (siehe auch Kapitel 3.3.7) erfasst. Aus der Geschwin-
digkeit wird dann die Beschleunigung abgeleitet. Die Zugkraft wird bei den meisten
Konfigurationen über pendelnd gelagerte Maschinen in Verbindung mit einer Kraft-
messdose gemessen (Abb. 4-21 und Seite 130). Die Herausforderung ist hierbei, die
Bestimmung der Zugkraft im Reifen-Rollen-Kontakt.

FMess FZug

r R

Abb. 4-21 Schematischer Aufbau zur Erfassung der Zugkraft

Direkt gemessen wird die Kraft in der Kraftmessdose (FMess). Diese kann über die ent-
sprechenden Hebel- und Radienverhältnisse auf die Kraft im Reifen-Rollen-Kontakt
(FZug) hochgerechnet werden. Für den statischen Fall ist dies ausreichend. Für den insta-
tionären, dynamischen Fall müssen allerdings noch andere Korrekturkräfte berücksich-
tigt werden. Im Rollenprüfstand gibt es beispielsweise geschwindigkeitsabhängige (bei
Klimakammern auch temperaturabhängige) Verluste (FVerluste), welche in der Regel in
Form eines Polynoms zweiter Ordnung beschrieben werden. Beschleunigt oder verzögert
die Rolle, müssen zusätzlich Trägheitsverluste berücksichtigt werden (FB,Rolle). Damit
ergibt sich für die Berechung der Zugkraft im Reifen-Rollen-Kontakt die nachfolgende
Gleichung.
r
FZug FMess ˜  FVerluste  FB,Rolle
R
Gleichung 4-17 Zugkraft

Weiterführende Literatur findet man unter [80], [81] und [82].

 
314 4 Softwaresicht – Prüfstand

4.5.4 Einfache Fahrzeugersatzmodelle

Die Bereitstellung aussagekräftiger mathematischer Modelle erlaubt Simulationen und


Parameterstudien lange bevor der erste Fahrzeugprototyp gebaut ist. Im Hinblick auf
eine Anwendung in Kombination mit realen Komponenten („Hardware in the Loop“)
erlauben die Modelle ein frühes Betreiben und Testen eines Prüflings.
Einer der ersten Schritte einer Modellbildung ist die Wahl eines geeigneten Ersatzsys-
tems. Solche Ersatzsysteme bestehen im einfachsten Fall aus einzelnen Massepunkten
und können über räumlich ausgedehnte starre Körper und miteinander verbundene
Mehrkörpersysteme bis hin zu Finite-Element-Systemen führen.
Durch die Wahl des für die Fragestellung geeigneten Ersatzsystems bricht der Ingeni-
eur komplexe Wirkstrukturen auf und kann dadurch zentrale physikalische Effekte iso-
lieren. Die damit verbundene parametrische und strukturelle Reduktion macht das Sys-
tem überschaubar und häufig sogar einer analytischen Betrachtung zugänglich. Diese
problemspezifischen Modelle erschließen stets nur begrenzte, oft sogar nur lokale Be-
triebsbereiche (Geradeausfahrt, stationäre Kreisfahrt usw.). Das Ersatzsystem ist dann
gut gewählt, wenn es einen hohen Wirkbeitrag im Sinne eines vorliegenden konkreten
Phänomens aufweist.
Eine wesentliche Anforderung an die Simulationsmodelle im Zusammenspiel mit rea-
len Hardwarekomponenten ist deren Echtzeitfähigkeit. Es muss sichergestellt werden,
dass die Berechnungen rechtzeitig, also innerhalb einer definierten maximalen Reak-
tionszeit, und gleichzeitig – also über ein Echtzeitbetriebssystem quasi simultan – durch-
geführt werden. Durch die am Prüfstand begrenzten Rechenressourcen haben sich zu-
nächst sehr einfache Modelle durchgesetzt, die allerdings bis heute für bestimmte An-
wendungen erfolgreich eingesetzt werden. Dazu gehören die in diesem Kapitel vorge-
stellten Modelle „1D-Punktmassenmodell für die Längsdynamik“, „Torsionsschwingun-
gen im Antriebsstrang“ und „Schlupfsimulation“.

1D-Punktmassenmodell für die Längsdynamik


Der meistverwendete Modellansatz an Antriebsstrang- und Rollenprüfständen ist das so
genannte 1D-Punktmassenmodell für die Längsdynamik. Hierbei ist die Fahrzeugmasse
am Fahrzeugschwerpunkt konzentriert und es wird die Bewegungsrichtung in nur einer
Dimension (1D) für die Längsdynamik beschrieben. Die Gleichung zur Fahrzeugsimula-
tion ergibt sich aufgrund des Impulserhaltungssatzes unter Berücksichtigung von An-
triebskraft, Luftwiderstand, Rollwiderstand und Steigungswiderstand nach Abb. 4-22.
FB FAntrieb  FL  FR  FS
Gleichung 4-18 Bewegungsleichng

Nachstehend werden die Formeln für die genannten Kräfte aufgeführt:


Rollwiderstand FR fR ˜ m ˜ g
mit fr Rollwiderstandsbeiwert
m Fahrzeugmasse
g Erdbeschleunigung
Gleichung 4-19 Rollwiderstand
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 315

FL
v
FAntrieb

m FR

α FR

Abb. 4-22 Kräfte am Fahrzeugschwerpunkt

Luftwiderstand FL ȡL 2
cw ˜ A ˜ ˜v
2
mit cw Luftwiderstandsbeiwert
A Fahrzeugprojektionsfläche in Längsrichtung
ρL Luftdichte
v Relativgeschwindigkeit
Gleichung 4-20 Luftwiderstand

R
φ
Beschleunigungswiderstand FB m ˜ a  Θges,R ˜ 2
rdyn

mit m Fahrzeugmasse
a Fahrzeuglängsbeschleunigung
4 ges,R Trägheitsmoment aller drehenden Teile des Fahrzeugs
(bezogen auf die Antriebsräder)
φ R Winkelbeschleunigung der Antriebsräder
rdyn Dynamischer Reifenradius
Gleichung 4-21 Beschleunigungswiderstand

Steigungswiderstand FS m ˜ g ˜ sin(αS )

mit m Fahrzeugmasse
g Erdbeschleunigung
αS Steigungswinkel
Gleichung 4-22 Steigungswiderstand

 
316 4 Softwaresicht – Prüfstand

Torsionsschwingungen im Antriebsstrang
Ein wesentlicher Einfluss auf die erzielbaren Ergebnisse am Prüfstand besitzt die Fahr-
zeugmassensimulation. In der Vergangenheit wurde die fehlende Fahrzeugmasse fast
vollständig durch Schwungmassen am Antriebsstrang- oder Fahrzeugrollenprüfstand
abgebildet. Am Antriebsstrangprüfstand wurden diese Schwungmassen immer direkt an
die Seitenwelle gekoppelt. Hierdurch war sichergestellt, dass die niedrigste dominante
Eigenfrequenz (Zweimassenschwinger Motor–Fahrzeug) am Prüfstand mit der des Fahr-
zeuges korreliert.
Im Dämpfungsverhalten unterscheiden sich jedoch Prüfstand und Fahrzeug, da die für
die Dämpfung hauptsächlich verantwortliche Komponente – der Reifen – fehlt. Am
dynamischen Motorprüfstand oder an einem HiL-Prüfstand sind hingegen mehrere An-
triebsstrangkomponenten nicht vorhanden. Deshalb ist die reine Simulation des Fahrzeu-
ges nicht ausreichend. Oftmals ist es erforderlich das Schwingungsverhalten des An-
triebsstranges abzubilden, wofür ein geeignetes dynamisches Modell des Antriebsstran-
ges verwendet wird.
Im Allgemeinen lässt sich der Antriebsstrang als Mehrmassenschwinger darstellen.
Diese Massen sind z. B. Verbrennungsmotor, Kupplung, Getriebe, Kardanwelle, Achs-
differenzial, Seitenwelle, Räder und Fahrzeug. Diese Massen sind über lineare als auch
über nicht-lineare Feder-Dämpfer-Elemente miteinander gekoppelt.

Abb. 4-23 Ersatzmodell des Antriebsstranges

Aufgrund der Anforderung an die Echtzeitfähigkeit des Modells wird das Mehrmassen-
modell meist auf ein Zweimassenmodell mit den dominanten Massen Verbrennungsmo-
tor und Fahrzeug sowie einer Ersatzsteifigkeit reduziert. Hiermit lassen sich die typische
Ruckelfrequenzen im Antriebsstrang (typischerweise zwischen 2 Hz und 10 Hz) an ei-
nem dynamischen Motorenprüfstand nachbilden. Die Bewegungsgleichungen der beiden
Massen ergeben sich dabei über den Drehimpulserhaltungssatz. Für lineare Feder- und
Dämpfergesetze lassen sich die nachfolgenden Gleichungen angeben:
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 317

dȦ1 (t)
41 MAntrieb  c M2  M1  d Ȧ2  Ȧ1
dt
dȦ2 (t)
42 MAbtrieb  c M2  M1  d Ȧ2  Ȧ1
dt
mit 41 ,4 2 Trägheitsmomente der beiden Schwungmassen
Ȧ1 , Ȧ 2 Drehzahlen der Schwungmassen
c Federsteifigkeit
d Dämpferkonstante
Mi von außen angreifende Antriebs- bzw. Abtriebsmomente
M1 M2 Drehwinkeln
Gleichung 4-23 Bewegungsgleichungen für einen Zweimassenschwinger

Schlupfsimulation
Die Erfahrungen haben gezeigt, dass dynamische Antriebsstrangprüfstände mit mechani-
scher oder elektrischer Massensimulation und einem einfachen Modell für die Längs-
dynamik nicht geeignet sind, um intelligente Allradsysteme, Torque-Vectoring-Systeme
oder Hybridantriebe mittels Fahrzeugsimulation zu erproben. Die Verkoppelung ver-
schiedener Steuergeräte zur Fahrzeugstabilisierung (ESP), Getriebeansteuerung (TCU)
oder Bremsdruckregelung (ABS) haben bei diesen Antriebsstrangkonzepten einen ent-
scheidenden Einfluss auf das radindividuelle Drehzahl- und Drehmomentniveau.

instabil stabil instabil


1

0.8

0.6

0.4

0.2

-0.2

-0.4

-0.6
Längskraft
-0.8 Querkraft
-1
-1 -0.5 0 0.5 1

Schlupf = (vrad - vkfz)/vrad

Abb. 4-24 Schlupfkurve beim Beschleunigen des Fahrzeugs

 
318 4 Softwaresicht – Prüfstand

Ein Aufprägen von Differenzdrehzahl bzw. Differenzdrehmoment an der Vorder-


bzw. Hinterachse bedeutet, dass die Prüfstandregelung gegen die Prüflingsregelung
arbeitet. Dieses Problem wird durch die Verwendung eines Fahrdynamikmodells gelöst.
Das mehrdimensionale Fahrzeugmodell mit Reifensimulation berechnet dann die radin-
dividuelle Traktionskraft. Dabei bestimmt der Reifen-Fahrbahnkontakt maßgeblich die
radindividuelle Traktionskraft. Dieser wird mit der in Abb. 4-24 gezeigten ȝ-Schlupf-
kurve beschrieben.
Die Schlupfkurve beschreibt die übertragbare Traktionskraft in Längs- und Querrich-
tung des Rades und trägt wesentlich zur Fahrstabilität bei, wobei Längs- und Querkräfte
voneinander abhängen. Die resultierende Gesamtkraft kann die maximale Reibungskraft
nicht überschreiten. Die Längskräfte werden dann durch die einzelnen Abtriebs-
maschinen dem Antriebsstrang aufgeprägt, während die Querkräfte nur im Simulations-
modell berücksichtigt werden. Damit Fahrversuche auf unterschiedlichem Fahrbahnbe-
lag am Antriebsstrangprüfstand realitätsnah abgebildet werden können, muss das polare
Trägheitsmoment der Abtriebsmachinen mit dem des Rades vergleichbar sein. Dieses
gewährleistet am Prüfstand ein zum Fahrzeug identisches Eigenschwingungsverhalten.

φ
К

y
x

Abb. 4-25 Fahrzeugfestes Koordinatensystem

Zur Fahrzeugsimulation kann ein Modell mit sechs Freiheitsgraden im fahrzeugfesten


Koordinatensystem nach Abb. 4-25 verwendet werden. Dabei beschreibt das Modell die
folgenden Bewegungen eines Fahrzeugs:
– Längsbewegung (X-Richtung)
– Querbewegung (Y-Richtung)
– Hochbewegung (Z-Richtung)
– Wanken (Rotation um die X-Achse)
– Nicken (Rotation um die Y-Achse)
– Gieren (Rotation um die Z-Achse)
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 319

Durch das Aufstellen der Impulsbilanzgleichungen für alle sechs Freiheitsgrade mit
den Kräften und Momenten lässt sich das entsprechende mathematische Modell ableiten
[83]. Das Fahrzeugmodell unter Berücksichtigung des Reifen-Fahrbahn-Kontaktes ist
Voraussetzung für die manöverbasierte Erprobung an dynamischen bzw. hochdynami-
schen Prüfständen (siehe Abschnitt 4.5.5).

Anwendung der Fahrzeugersatzmodelle

Antriebsstrangprüfstand
Mit Hilfe des 1D-Punktmassenmodells wird anhand des gemessenen Drehmomentes, des
Fahrwiderstandes und der Fahrzeugmasse die entsprechende Fahrzeuggeschwindigkeit
bzw. die Drehzahl am Schwerpunkt berechnet. Diese Schwerpunktsdrehzahl (Mitten-
drehzahl) wird dann durch das Regelsystem am Motorprüfstand eingestellt. Damit lassen
sich transiente Zustandsübergänge realitätsnah abbilden. Abb. 4-26 zeigt dieses Vorge-
hen anhand eines Antriebsstrangprüfstandes mit zwei angetriebenen Rädern.

Rad-
maschine

Drehmoment-
messung

Fahrzeug- Fahrzeug-
Masse widerstand MRL
Drehmoment-
messung

v = nSP rdyn
Rad-
maschine

Prüfstand Simulation

Abb. 4-26 Fahrzeugsimulation am Beispiel eines 2WD-Antriebsstrangprüfstands

Die Simulation einer Kurvenfahrt (Differenzdrehzahl auf einer Achse) ist dabei nicht
Bestandteil des Fahrzeugmodells. Die Differenzdrehzahl auf einer Achse während der
Kurvenfahrt wird unter Kenntnis von Kurvenradius, Schwerpunktsdrehzahl und Spur-
weite berechnet. Das Regelsystem prägt dann dem Prüfling diese Differenzdrehzahl auf
(siehe Abb. 4-27).

 
320 4 Softwaresicht – Prüfstand

FL HL
FL
HL
FR
HR
HR
Frontachse FR

Frontachse

Hinterachse
Hinterachse

Mittelpunkt Mittelpunkt

Abb. 4-27 Kurvenfahrt für das Einradmodell

Straßenlastsimulation am Rollenprüfstand
Ziel der Straßenlastsimulation ist es, das gleiche Verhalten des Fahrzeuges hinsichtlich
Beschleunigung und Verzögerung auf dem Rollenprüfstand zu erhalten wie auf der Stra-
ße. Man unterscheidet dabei zwischen konventioneller (z. B. relevant für Abgaszertifi-
zierung) und erweiterter Straßenlastsimulation.
Für die konventionelle Straßenlastsimulation ist ein schnelles Bedaten dieser Glei-
chung bzw. ein schneller und einfacher Prozess zur Parametergewinnung Voraussetzung.
Hierzu wird unter vorgeschriebenen Bedingungen (ebene Fahrbahn, keine Windeinflüsse
etc.) auf einer realen Strecke ein Ausrollversuch in Form eines Geschwindigkeit-Zeit-
Diagramms mit dem Zielfahrzeug aufgezeichnet.
Im Anschluss daran erfolgt eine Approximation dieser Kurve in Form einer Glei-
chung zweiter Ordnung (teilweise auch höherer Ordnung). Diese Straßengleichung ist
nun die Basis für die Bedatung des Modells auf dem Rollenprüfstand. Mit Hilfe eines
speziellen Algorithmus erfolgt eine Anpassung der Straßenparameter an die sogenannten
Rollenparameter. Dies ist erforderlich, um auf dem Rollenprüfstand z. B. die gleichen
Ausrollzeiten zu erreichen wie auf der Straße. Eine 1:1-Übertragung der Straßenparame-
ter ist nicht möglich, da beispielsweise der Rollwiderstand des Reifens auf der Straße
und auf der Rolle unterschiedlich ist.
Bei der erweiterten Straßenlastsimulation kommt anstatt einer approximierten Kurve
im einfachsten Fall das 1D-Punktmassenmodell zum Einsatz. Bei höheren Anforderun-
gen an die Genauigkeit werden komplexere Fahrzeugmodelle verwendet. Dabei werden
in Abhängigkeit der Fahrsituation die Widerstandskräfte in Echtzeit berechnet. Damit ist
es möglich, in Prüfläufen und Manövern Einflüsse durch Wind, aerodynamische Ein-
flüsse (z. B. durch einen automatischen Spoiler) oder auch Kurvenfahrten oder Anfahrts-
szenarien am Randstein zu simulieren. Auch Kraftstoffverbrauchsuntersuchungen bei
unterschiedlichen Bedingungen können dann am Rollenprüfstand durchgeführt werden.
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 321

4.5.5 Virtueller Fahrversuch

Urbane Mobiltät definiert sich neu. Wo vorher das eigene Fahrzeug noch ein Statussym-
bol war, stellt es jetzt ein Fortbewegungsmittel dar, das sich umwelt- und sozialverträg-
lich verhalten soll. Dabei stellt sich nun die Frage, welche Antriebsart dafür unter wel-
chen Randbedingungen besonders geeignet ist. Da dies niemand genau vorhersagen
kann, verfolgen die Hersteller einen Ansatz, was der Verband der deutschen Automobil-
industrie (VDA) eine „Fächerstrategie“ nennt. Bei der Antriebstechnik ist dieser Fächer
besonders groß. Batterien mit unzähligen Laptopzellen, Benzin-, Diesel-, Wasserstoff-,
Gas-, Kerosin-, Salatöl- oder Ethanolmotoren, Hybridsysteme, Schaltgetriebe mit sieben
Gängen, Doppelkupplungen, aktive Differentiale, Downsizing, Zylinder- und Neben-
agregateabschaltung sind Facetten dieses Fächers. Die verschiedenen Systeme müssen
über entsprechende elektronische Regelsysteme gesteuert und das eigene Verhalten
bewertet sowie im Fehlerfall diagnostiziert werden.
Ein vorausschauendes Energiemanagement optimiert Fahrzeug und Fahrer im Ge-
samtsystems seiner Umgebung: der Straße und des Verkehrs. Selbst der Wankelmotor
versucht ein Comeback als leiser und leichter Antrieb, der in Elektrofahrzeugen die
Reichweite verlängert. Tatsache ist: Keiner weiß heute, welche Antriebstechnologien
sich morgen durchsetzen werden. Sicher ist aber, dass dadurch die Variantenvielfalt der
Fahrzeuge enorm steigen wird (siehe auch Kapitel 1.1).
Dabei vernetzen sich die Fahrzeuge zukünftig untereinander und mit entsprechender
Infrastruktur außerhalb des Fahrzeuges. Dies macht zwar das Gesamtsystem sicherer,
agiler, komfortabler und effizienter, die Komplexität und Anforderungen hinsichtlich
Kosten, Qualität und Entwicklungszeiten erhöhen sich jedoch deutlich. In Kombination
mit der Vielfalt der Fahrzeugvarianten steigt damit neben dem Entwicklungsaufwand vor
allem der Absicherungsaufwand, um die Sicherheit, Funktionen und Performance der
vernetzen Fahrzeugsysteme im realen Kundeneinsatz sicherzustellen. Die Wechselwir-
kungen zwischen den Subsystemen und deren Auswirkung auf das Verhalten des Ge-
samtsystems Fahrzeug ist nicht immer bekannt und über Engineering Judgement kann
selbst von erfahrenen Experten keine Freigabe mehr erfolgen.
Der anerkannte und objektive Stand der Technik ist vom Hersteller und vom Zuliefe-
rer als Schutz vor juristischen Auseinandersetzungen einzuhalten und wird nicht immer
durch Normen vorgeschrieben. Das traditionelle komponentenorientierte Vorgehen ist
vor diesem Hintergrund als kritisch zu bewerten, da eine funktionale Sicherheit auf
Fahrzeugsystemebene über die Komponentenabsicherung systembedingt nicht nach-
weisbar ist. Nicht mehr der Prüfling steht im Mittelpunkt, sondern er ist nur Teil des
Gesamtsystems „Fahrzeug“. Dies erfordert ein Umdenken hin zu durchgängigen Test-
und Absicherungsprozessen, in denen der virtuelle Fahrversuch die entscheidende Rolle
spielt, um frühzeitig Integrationstests bei fehlenden realen Fahrzeugkomponenten durch-
führen zu können.

 
322 4 Softwaresicht – Prüfstand

Auswirkungen auf den Prüfstandstest


Welche Konsequenz haben die beschriebenen Randbedingungen auf die Entwicklungs-
und Testwerkzeuge des modernen Antriebsstranges? Rufen wir uns die allgemeinste
Definition eines Tests in Erinnerung [84]: „Ein Test ist ein Versuch, mit dem größere
Sicherheit darüber gewonnen werden soll, ob ein technischer Apparat oder ein Vorgang
innerhalb der geplanten Rahmenbedingungen funktioniert bzw. ob bestimmte Eigen-
schaften vorliegen oder nicht.“
Überträgt man dies auf die Aufgabenstellung, „das Fahrzeug und den Antriebsstrang
von morgen zu entwickeln und zu testen“, muss eine moderne Entwicklungs- und Test-
umgebung des „technischen Apparats“ Antriebsstrang es beispielsweise ermöglichen,
größere Sicherheit darüber zu gewinnen, welches reale Verbrauchspotenzial sich durch
eine vorausschauende Energiemanagmentfunktion innerhalb der unterschiedlichen Rah-
menbedingungen einer realen Stadt- oder Überlandfahrt im Gebirge ergeben.
Eine andere Aufgabenstellung ergibt sich aus der Frage, wie sich die Reichweite eines
elektrifizierten Fahrzeuges in den verschiedenen realistischen Einsatzbedingungen ver-
hält. Auch der Nachweis, ob die emissionsreduzierenden Maßnahmen im realen Einsatz
so ankommen, wie es der Gesetzgeber vorschreibt bzw. der Endverbraucher erwartet, ist
zu erbringen. Dabei hängen die Emissionen eines Verbrennungsmotors von sehr vielen
Parametern ab: In welchem Umfeld bewegt sich das Fahrzeug (Stadt oder Land, Winter
oder Sommer, Rush-Hour oder freie Fahrbahn, Regen, Schnee, Nebel, …)? Welcher
Fahrertyp bewegt das Fahrzeug (sportlich/defensiv/ökonomisch)? Wie ist das Fahrzeug
beladen? Wie wurde der Motor und wie wurde die Schaltstrategie kalibriert?
Der Projektleiter einer neuen Fahrzeuggeneration ist am Wirkzusammenhang zwi-
schen diesen Einflussfaktoren und der Zielfunktion eines emissionsarmen Gesamtfahr-
zeuges interessiert, um eine optimale Einstellung der Faktoren zu ermitteln. Der reale
Fahrversuch ist ungeeignet, diesen Wirkzusammenhang systematisch und mit der not-
wendigen Trennschärfe zu bestimmen. Hierfür gibt es viele Gründe, z. B. die nur schwer
reproduzierbaren Umgebungsbedingungen und Verkehrsszenarien. Versuche in einem
nachweisbaren, kontrollierten Rahmen sind jedoch Grundvoraussetzung, um optimale
Einstellungen zu finden.
Diese Beispiele lassen unmittelbar erkennen: Die Einzelkomponenten und Subsyste-
me sind immer auch Teil des Gesamtsystems „Fahrzeug“. Die Bewertung der Fahrzeug-
eigenschaften im Gesamtfahrzeug in einer möglichst frühen Phase der Funktionsent-
wicklung ist dabei eine Schlüsselaufgabe. Wie beinflusst meine Komponente (Unit Un-
der Test) die Eigenschaften/Funktionen des Gesamtfahrzeuges und lassen sich mit dem
Verhalten der Komponenten die Gesamtfahrzeugziele und -anforderungen erreichen?
Deshalb müssen diese Fragen frühzeitig in realistischen, kundennahen Einsatzszena-
rien bei optimaler Reproduzierbarkeit im so genannten „Closed-Loop“-Betrieb im virtu-
ellen Fahrversuch beantwortet werden. „Closed-Loop“-Betrieb bedeutet dabei, dass die
Fahrer in den geschlossenen Regelkreis ihrer Umgebung eingebettet sind und damit
interagieren. Damit sind aber früher verwendete Methoden wie das Nachfahren real
aufgenommener Fahrprofile nicht zielführend, da dann bei geänderten Funktio-
nen/Bedatungen im Prüfling die Rückkopplungen mit der Umgebung zu anderen Größen
führen müssen im Vergleich zu den zuvor aufgenommenen realen Fahrversuchdaten.
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 323

Abb. 4-28 Closed-Loop-Prinzip Fahrer–Fahrzeug–Umwelt (Straße/Verkehr)

Nur in realitätsnahen Fahrsituationen und Fahrmanövern kann größere Sicherheit dar-


über gewonnen werden, ob bestimmte Funktionen bestimmungsgemäß arbeiten und
sicher funktionieren. Zudem muss geprüft werden, ob die gewünschten Gesamtfahrzeug-
eigenschaften vorliegen oder nicht. Aus diesem Grund wünschen sich Fahrzeughersteller
und Zulieferer Methoden, Werkzeuge und Prozesse, die sich auf Augenhöhe mit diesen
komplexen Anforderungen befinden. Nur dann wird Testen zu einem wirklich wert-
schöpfenden Element im Entwicklungsprozess. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei
dem virtuellen Gesamtfahrzeug zu. Dieses begleitet als „Virtueller Prototyp“ alle Statio-
nen des Entwicklungsprozesses und erlaubt ein Testen, Absichern und Optimieren des
Gesamtsystems. Teure Fehlerentscheidungen und Fehlentwicklungen aufgrund eines
fehlenden übergeordneten Systemverständnisses werden so vermieden oder zumindest
reduziert.

Virtuelles Gesamtfahrzeug
„Schon heute die Fahrzeuge von morgen testfahren“ – genau hier setzt der virtuelle
Fahrversuch an und bildet umfassend den realen Fahrversuch in einer virtuellen Welt ab.
Dabei fährt ein virtueller (Test)Fahrer ein virtuelles Vollfahrzeug in einer virtuellen
Umgebung bestehend aus einem 3D-Straßennetz, einer Straßeninfrastruktur (z. B. Schil-

 
324 4 Softwaresicht – Prüfstand

der, Ampeln, Leitplanken), einem Verkehrsfluss (z. B. Pkw, Lkw, Krad, Fußgänger) und
den gewünschten Umweltbedingungen (z. B. Temperatur, Luftdruck, Sonnenein-
strahlung).
Um für eine breite Anwendung auch die möglichen mechanischen und elektrischen
Komponentenschnittstellen vorzuhalten, ist es sinnvoll, als virtuelles Fahrzeug ein 3D-
Vollfahrzeugmodell zu verwenden. Dabei handelt es sich um ein voll-nichtlineares 3D-
Fahrdynamikmodell mit Aufbau, Achsen, Federung, Lenkung, Motorlagerung, Antriebs-
strang, hydraulischen Bremsen, Reifen und Aerodynamik. Dazu wird das Gesamtsystem
„Fahrzeug“ in Teilsysteme zerlegt, die getrennt voneinander beschrieben werden und
anschließend wieder baukastenförmig zusammengesetzt werden können.
Zur mathematischen Beschreibung werden deshalb häufig Mehrkörpersysteme
(MKS) eingesetzt. Diese bestehen aus einer endlichen Anzahl starrer Körper, die durch
Kraftelemente (Federn, Dämpfer, Kontaktkräfte zwischen Rad und Fahrweg) und Ge-
lenke untereinander und mit der Umgebung gekoppelt sind. Darüber lassen sich insbe-
sondere auch die häufig auftretenden Nichtlinearitäten (etwa des Reifens und der kom-
plexen Radführung), die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Komponenten sowie
die komplexen Kontaktkräfte des Reifens mit der Fahrbahn abbilden. Mathematisch
gesprochen ergibt sich ein gekoppeltes differential-algebraisches System, das durch
entsprechende numerische Verfahren gelöst werden kann.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Gesamtsystem „Fahrzeug“ zunehmend
nicht nur durch mechanische Bauelemente, sondern auch durch elektronische Regelun-
gen sowie elektrische oder hydraulische Aktuatoren beschrieben werden muss. Dadurch
ergibt sich ein so genannter Multi-Domain-Ansatz, in dem Simulationsmodelle aus ver-
schiedenen Anwendungen zu einem Gesamtfahrzeugmodell integriert werden müssen.
Zwei Konzepte werden im Kapitel 4.5.6 näher erläutert.
Um einen realen Fahrversuch möglichst gut im virtuellen Fahrversuch abzubilden,
nimmt der virtuelle Fahrer, also das mathematische, numerische Modell eines realen
Fahrers, ebenfalls eine wichtige Rolle ein. Reale Fahrer setzen eine bestimmte Fahrauf-
gabe unterschiedlich um und zeichnen sich durch verschiedene Fahrstrategien aus. Diese
reichen vom defensiven, sparsamen bis hin zum sportlichen oder gar aggressiven Fahr-
stil. Jede dieser Fahrstrategien hat Einfluss auf bestimmte Fahrzeugfunktionen und das
Systemverhalten: Wird dieser Effekt beim virtuellen Fahrer ignoriert, führt dies unter
anderem beim Ermitteln von Verbrauchs- und Emissionswerten oder beim Untersuchen
von Batterieladezuständen zu Schwierigkeiten. Unterzieht man diese Fahrstrategien
einer genaueren Betrachtung, so zeigt sich, dass sich die Fahrer durch sehr unterschied-
liche Linienwahl, Kurshalte-, Lenk-, Brems- und Beschleunigungsstrategien unter-
scheiden.
Für valide Aussagen im virtuellen Gelände ist es daher sehr wichtig, dass das virtuelle
Fahrermodell diese Unterschiede realitätsnah abbilden kann. Die Hersteller von Simula-
tionssoftware für virtuelle Fahrversuche legen daher seit vielen Jahren einen Entwick-
lungsschwerpunkt auf die realistische Rekonstruktion der Fahrereingabe. Dazu werden
Fahrermodelle mit einem Repertoire an Fahrstilen und Fahrstrategien ausgestattet, die
vom Anwender über eine Bedienoberfläche ausgewählt werden können. Eine wichtige
Rolle spielen hier zunehmend auch Verkehrsfolgemodelle („Traffic-2-Follow-Funk-
tionen“). Der virtuelle Fahrer ist damit in der Lage zu „sehen“ und aktiv einem anderen
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 325

Fahrzeug zu folgen, wobei die Geschwindigkeit des virtuellen Fahrzeugs an das voraus-
fahrende Fahrzeug, an den eigenen Fahrerwunsch, an die Strecke, an die Möglichkeiten
des Fahrzeugs und an die Gebots- und Verbotsschilder sowie Ampelanlagen entlang der
Strecke angepasst wird. Frei definiert werden zeitliche und räumliche Abstandsfenster
sowie die gewünschte Folgestrategie.
Dadurch kann beispielsweise die Veränderung des Fahrverhaltens zu einem unter-
schiedlichen Ziehharmonikaeffekt im Verkehrsfluss und damit auch zu einem anderen
Verbrauch führen. Damit ermöglicht es ein virtueller Fahrer, umfassende systematische
Untersuchungen und realistische Bewertungen von integrierten Funktionen im Hinblick
auf unterschiedliche Fahrertypen durchzuführen. Zu diesen Funktionen gehören bei-
spielsweise eine vorausschauende Energiemanagementstrategie und ein effizientes Bat-
teriemanagement. Lange vor dem ersten realen Prototyp können somit die Eigenschaften
des künftigen Fahrzeugs realistisch ermittelt werden.

Teststrategien im virtuellen Fahrversuch


Die notwendigen Tests können im Allgemeinen in drei Testgruppen eingeteilt und mit
entsprechenden Testinhalten belegt werden. Tab. 4-7 veranschaulicht dies am Beispiel
einer Längsmomentregelung.
Die erste Testgruppe sind Sicherheitstest, auch Fail Safe Tests genannt, welche im
Wesentlichen auf Basis der funktionalen Sicherheit nach ISO 26262 aufgebaut und
durchgeführt werden. Hierbei wird überprüft, ob das System zuverlässig arbeitet, Fehler
richtig erkannt werden, das System in einem Fehlerfall in einen sicheren Zustand über-
führt wird, der Fahrer ordnungsgemäß gewarnt wird und die Diagnose wie vorgesehen
funktioniert. Zu den typischen Fehlerarten gehören beispielsweise mechanische oder
elektrische Sensor- oder Aktuatorfehler, Erkennungsfehler oder Kommunikationsfehler.
Bei der zweiten Gruppe, den Funktionstests, finden in einer definierten Fahrsituation
(sogenannte Manöver) Überprüfungen statt, ob Funktionen fehlerfrei implementiert sind
und sich ihrer Spezifikation entsprechend verhalten. Hierzu gehört sehr häufig ein gan-
zes Bündel von Fragestellungen: Wird die Funktion in der bestimmten Fahrsituation
überhaupt aktiviert? Erfolgt der Drehmomenteingriff in die richtige Richtung, d. h. mit
richtigem Vorzeichen? Gibt es Unterschiede bei den Einheiten der verwendeten Signale?
Dies kann bei Steuergerätefunktionen mitunter fatale Folgen haben. Ein oft zitiertes
Beispiel ist hier der Verlust des Mars Climate Orbiters aufgrund eines schlichten Einhei-
tenfehlers (imperiales System vs. SI-System) im Navigationssystem [85].
Auch eigentlich erwünschte Funktionen können in bestimmten Fahrsituationen plötz-
lich nicht mehr vorteilhaft sein oder gar sicherheitskritisch werden. Ein Beispiel hierfür
ist die Rekuperationsfunktion eines Hybridfahrzeugs mit elektrischer Hinterachse. Bei
Kurvenfahrt auf niedrigem Reibwert kann diese zum Stabilitätsverlust des Fahrzeuges
mit lebensbedrohlichen Konsequenzen führen. Dies bedeutet, dass die Rekuperations-
und Bremsfunktion zuverlässig in dieser Fahrsituation deaktiviert werden muss. Solche
Testfälle müssen im Sinne eines systematischen Testens generiert und dokumentiert
werden.

 
326 4 Softwaresicht – Prüfstand

Tab. 4-7 Einteilung der Tests in Sicherheits-, Funktions- und Performancetests am Beispiel
Längsmomentenregelung

Sicherheitssoftwaretest Funktionstests Performancetests


Fehlersicherheitstests Fahrmanöverkatalog
Über-/Unterspannung Schlupfregelung Traktionsperformance
Sensorsignalunterbrechung Reduktion Raddurchdrehen Beschleunigungsperformance
Sensorfehler Offset, Drift Momentverteilung/-transfer Steigfähigkeit
Aktuatordefekt Beschleunigung ISO-Spurwechselperformance
Fehlermoment Traktionkontrolle Slalomperformance
Pumpen Performancefehler Bremsregelung Rundenzeitperformance
Kupplung Kalibrierungsfehler Aktive Gierratenregelung Querbeschleunigungs-
CAN-Fehler Autom. Momentenreduktion performance
Kurzschluss Untersteuerungreduktion Bremsperformance
Lose Kontakte Anhängerfunktion Untersteuerperformance
Diagnose Botschaften Entkuppelungsanforderung Stabilitätskennwerte
Schnittstellen und Kommuni- ESC Lenkbarkeitskriterien
kationstests zu anderen ECU Ackermannregelung Nürburgringperformance
Autom. Kupplungs- Verbrauchperformance
kalibrierung

Die Frage, wie leistungsfähig die Funktionen sind bzw. wie sich das Fahr- oder Fahr-
zeugverhalten darstellt, wird damit noch nicht beantwortet. Diese Antwort wird in der
dritten Gruppe, den Performancetests, gesucht. Hier geht es beispielsweise darum, die
erreichten Bremswege, das Beschleunigungsvermögen auf Eis, den Realverbrauch auf
einer vordefinierten Strecke oder die Reichweite eines Elektrofahrzeuges in Abhängig-
keit der Kalibriergrößen zu bewerten.
Die Beispiele zeigen, dass virtuelle Fahrversuche in die Teststrategie mit eingebunden
werden müssen. So wird der Prüfstandsbetreiber eines Komponentenprüfstandes in die
Lage versetzt, erste Tests mit Bezug zu einer höheren Systemebene, nämlich zur Ge-
samtfahrzeugebene, durchführen zu können. Der virtuelle Fahrversuch gibt dem Prüf-
standsbetreiber ein Werkzeug an die Hand, funktionale Sicherheit (ISO 26262) und
Performance durchgängig und aus der Systemsicht eines Gesamtfahrzeugs nachweisen
zu können, um so auch in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zu einer effizienteren
Entwicklung von sicherheitsrelevanten Systemen beizusteuern. In Zukunft wird sich
diese Testmethodik auch über die Grenzen der Hersteller und Fahrzeugintegratoren
hinweg auf die internen und externen Komponentenzulieferer auswirken.
Testen mit virtuellen Fahrversuchen bedeutet dabei mehr als nur Modelle zu bewe-
gen. Es bedeutet, den Arbeitsplatz des Testfahrers von der Straße ins Labor oder Büro zu
verlegen – inklusive Testmanövern, Strecken, Diagnose-, Mess- und Anwendungswerk-
zeugen. Dies führt zu manöver-/eventbasierten und streckenbasierten Testmethoden, die
sich beliebig kombinieren lassen. Wie bei einer realen Testfahrt werden dem (virtuellen)
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 327

Fahrer Manöveranweisungen mit speziellen Aktionen zugewiesen. Diese Anweisungen


sind z. B. Fahrzeugsteuerungs- und -regelaufgaben, Fahreraktivitäten, Systemeingriffe
und -bedienung, Beobachtung von Fahrzuständen, Fehleingriffe oder die Bedienung der
Mess-, Kalibrier- und Diagnosetechnik.
Moderne Werkzeuge unterstützen dabei die Entwicklung entsprechender Testfälle mit
Hilfe einer interaktiven Manöversteuerung, die dem virtuellen Fahrer eventbasiert die
Fahraufträge übergibt. Entscheidend dabei ist, dass das Manöver eine generische para-
metrische Beschreibung besitzt, die mit jedem Fahrzeugmodell in allen Konfigurationen
und mit unterschiedlichen Parametersätzen weitgehend unverändert eingesetzt und au-
tomatisch ausgeführt werden kann. Open- und Closed-Loop-Minimanöver in Längs- und
Querrichtung lassen sich dabei beliebig und wechselseitig kombinieren.
Tab. 4-8 veranschaulicht am Beispiel eines Bremsversuchs auf einer —-Splitt-Reib-
fläche den Aufbau und Ablauf eines virtuellen Fahrversuchs. Dieser dient der Eigen-
schaftsbewertung eines Hybridfahrzeuges, um die integrale Funktion aus elektrischer
und hydraulischer Bremse, auch bekannt als Torque Blending, im Hinblick auf Stabilität,
Sicherheit und Performance zu bewerten.

Tab. 4-8 Manöver- und eventbasierter Ansatz einer —-Splitt Bremsung zur Bewertung eines
Hybridfahrzeuges

Mini-Ma- Fahrer- und Aktionsanweisungen Längs- Quer-


növer Nr. dynamik dynamik
0 Beschleunigung auf 100 km/h und Konstantfahrt 100 Closed Loop Closed Loop
km/h zur Anfahrt auf eine —-Splitt-Reibfläche VirtualDriver VirtualDriver
1 Markierung: Schnelle Gaswegnahme Open Loop VirtualDriver
Freies Rollen im Schiebebetrieb zur Stabilitätsbeur-
teilung aufgrund der Schleppmomentregelung
2 Vollbremsung: Fixierung der Lenkung um Stabili- Open Loop Open Loop
tätskriterium (Gierratenmaximung im 1 s Fenster),
aufgrund des Torque Blending, zu ermitteln
3 Lenkkorrrektur nach 1 s: Umschalten in Closed- Open Loop VirtualDriver
Loop um den Lenkwinkelbedarf als Beherrschbar-
keitskriterium zu ermitteln
4 Fehleraufschaltung bei 50 km/h: Kommunika- Open Loop VirtualDriver
tionsfehler zwischen HCU und BCU um Fehlerer-
kennung und Fehlereffekt zu bewerten und die Diag-
nose zu testen.
5 Bremsen in den Stillstand: Auslesen des Fehlerspei- Open Loop VirtualDriver
chers zur Überprüfung der richtigen Diagnoseeinträ-
ge, Löschen des Fehlerspeichers

 
328 4 Softwaresicht – Prüfstand

Bei diesem manöver- und eventbasierten Test wird das Fahrzeug zunächst auf
100 km/h beschleunigt. Dies geschieht im Closed-Loop-Betrieb für Längs- und Quer-
dynamik mit Hilfe des virtuellen Fahrers. Bei dem Event „Erreichen einer Markierung“
geht der Fahrer plötzlich vom Gas. Damit wird das Gaspedal in der Längsdynamik im
Open-Loop-Betrieb gesteuert, in der Querdynamik hält der Fahrer das Fahrzeug weiter-
hin durch Lenkbewegungen auf Kurs. Danach wird bei der Vollbremsung auch die gere-
gelte Lenkbewegung unterbunden, in dem der Fahrer auch in der Querdynamik in den
Open-Loop-Modus versetzt wird. Die Lenkkorrektur als Maß für die Beherrschbarkeit
erfolgt dann wieder im Closed-Loop-Betrieb für die Querdynamik durch den virtuellen
Fahrer. Im Anschluss daran erfolgt noch eine Fehleraufschaltung bevor das Fahrzeug
gestoppt wird.
In Erweiterung des manöver- und eventbasierten Ansatzes wird die Performance des
Gesamtfahrzeuges beim streckenbasiertem Testen nach Abb. 4-29 analysiert und bewer-
tet. Dazu gehören beispielsweise Verbrauchseigenschaften, Emissionsverhalten oder die
Reichweite von Elektrofahrzeugen bezogen auf unterschiedliche Streckentypen wie
Stadt, Landstraße, Autobahnen oder Gebirgsfahrten und in der Wechselwirkung mit
verschiedenen Fahrertypen (sportlich, normal, defensiv oder ökonomisch).

Abb. 4-29 Streckenbasierter Ansatz mit AVL InMotion powered by IPG/CarMaker

Dabei werden Kartendaten realer 3D-Straßenverläufe beispielsweise aus einem Naviga-


tionsystem, von Kartendiensten oder aus eigenen 3D-Streckenmessungen in die Simula-
tionsumgebung importiert und mit den verschiedenen Rauigkeitsprofilen der Fahrbahn
versehen. So können kundenspezifische Haus- oder Teststrecken, aber auch beliebige
Streckenverläufen als Teil der Simulation als Abbild der Realität zur Verfügung gestellt
werden (siehe Abb. 4-30).
Um Ergebnisse aus dem realen Fahrversuch mit den simulierten Ergebnissen in unter-
schiedlichen Prüfumgebungen wie Motor-, Antriebsstrang- oder Rollenprüfstand ver-
gleichbar zu machen, kann einem Führungsfahrzeug ein wegbasiertes Geschwindig-
keitsprofil vorgegeben werden. Diesem Geschwindigkeitsprofil wird dann exakt gefolgt
und somit können die Ergebnisse anschließend verglichen werden. Zeitbasierte Ge-
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 329

schwindigkeitsvorgaben aus dem Fahrversuch können insbesondere auf kurvenreichen


Strecken nicht verwendet werden, da nach einem gewissen Zeitraum die Zuordnung Zeit
und Weg in der Simulation im Vergleich zur Realität auseinanderdriften kann.

Abb. 4-30 Kopplung des Navigationsystems mit dem Fahrzeug im streckenbasierten Ansatz

ADAS-(Advanced-Driver-Assistance-Systems)-Navigationsdaten enthalten darüber


hinaus Informationen über die Straßeninfrastruktur, wie z. B. Steigungen, Straßentypen,
Beschilderung, Ampeln, Kreuzungen, Anzahl von Spuren und Spurbreiten. Dabei stehen
die Daten in einer so hohen Qualität zur Verfügung, dass diese direkt in der Simulations-
umgebung verwendet werden können: Der virtuelle Fahrer befährt die vorgegebene
Route völlig eigenständig nach einer parametrierbaren Fahr- und Kursstrategie und be-
achtet die Verkehrszeichen.
Manöver-, event- und streckenbasierte Tests können auch beliebig kombiniert wer-
den, um das Fahrzeug in gezielte, reproduzierbare Fahrsituationen zu führen, in der eine
Zielfunktion zu bewerten ist. Darüber hinaus kann der Beitrag dieser Funktion auf die
Eigenschaften des Gesamtfahrzeugs analysiert werden (siehe Abb. 4-31). So können
beispielsweise gezielt eingesteuerte Verkehrsobjekte, den virtuellen Fahrer zur Folge-
fahrt oder zum Überholen bewegen, um die Wirsamkeit der Segelfunktion oder die State
of Charge (SOC) Degradation zu bewerten.
Zusammenfassend werden nochmals die verschiedenen Ansätze für den virtuellen
Fahrversuch gegenübergestellt. Beim Manöver- und eventbasierten Testen erfolgt eine
feste Zuordnung zwischen Funktion, Fahrmanöver und den Bewertungskriterien.
– Der virtuelle Fahrer erhält Anweisungen für ein Fahrmanöver, definierte Aktionen
und Überwachungen, die er ausführt.
– Dazu erhält der Fahrer Fahrempfehlungen von der Mensch-Maschine-Schnittstelle
wie Gaswegnahme (Segeln), Gangwahl, Bremspedalstellung, die er je nach seinen
eingestellten Eigenschaften unterschiedlich befolgt.
– Weitere Verkehrsobjekte, wie andere Teilnehmer, erhalten Fahrmanöver- und Über-
wachungsanweisungen.

 
330 4 Softwaresicht – Prüfstand

Abb. 4-31 Kombination manöver- und eventbasierter und streckenbasierter Ansatz

Beim streckenbasierten Ansatz bzw. beim freien Fahren finden integrale Bewertungen
einer Gesamtfahrzeugeigenschaft auf langen Stadt-, Land- oder Autobahnrouten in Ab-
hängigkeit unterschiedlicher Fahrertypen und Fahrstrategien statt. Häufig werden Eigen-
schaften wie Emission, Verbrauch, Anteil des elektrischen Fahrens oder Rundenzeit
untersucht.
– Hier trifft der Fahrer seine Fahrentscheidungen frei entsprechend seines Fahrstils
(sportlich, normal, energiesparend, defensiv, hektisch). Dies betrifft die Kurs- und
Geschwindigkeitswahl, das Verwenden von Gas und Bremse sowie die Ausnutzung
seiner Beschleunigungsvorgaben.
– Der Fahrer hält sich an Gebots- und Verbotszeichen und befolgt Ampeln.
– Der Fahrer folgt dem Verkehr oder überholt diesen nach eigener Entscheidung.
– Der Fahrer erhält Fahrempfehlungen von der Mensch-Maschine-Schnittstelle wie
Gaswegnahme (Segeln), Gangwahl, Bremsen, die er je nach seinen eingestellten Ei-
genschaften unterschiedlich befolgt.
Über die Kombination aus freiem Fahren und manöver- und eventbasierten Szenarien
werden gezielt Situationen und Ereignisse eingesteuert, um eine Gesamtfahrzeugeigen-
schaft (z. B. Emission, Verbrauch, Anteil des elektrischen Fahrens) integral zu bewerten:
– Der Fahrer trifft freie Fahrentscheidungen und hält sich an Gebots-, Verbotszeichen
und befolgt Ampeln.
– Es werden gezielt unterschiedliche Verkehrsereignisse entlang der Route eingesteuert,
die situativ getriggert werden.
– Der Fahrer erhält gezielte Manöveranweisungen an bestimmten Streckenpunkten oder
zu bestimmten Verkehrsereignisse (z. B. beim Überholen Vollgas zu geben).
– Der Fahrer erhält Fahrempfehlungen entsprechend den Ereignissen, die er je nach
seinen eingestellten Eigenschaften unterschiedlich befolgt.
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 331

4.5.6 Virtuelle Fahrzeugintegration

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in der Automobilindustrie zahlreiche spezifi-


sche Simulationswerkzeuge etabliert. So gibt es Expertenwerkzeuge für die signalfluss-
basierte Beschreibung von Regelalgorithmen, Mehrkörpersimulationssysteme für die
Beschreibung von Antriebssträngen und Fahrdynamikkomponenten, Simulationswerk-
zeuge für die Bremshydraulik oder interne Motorprozesse. Diese Werkzeuge sind typi-
scherweise auf einzelne Fachgebiete, den so genannten Domains, spezialisiert.
Die Entwicklung moderner mechatronischer Systeme erfordert allerdings einen we-
sentlich breiteren Ansatz. Für eine gesamtheitliche Betrachtung müssen die Wechselwir-
kungen zwischen Teilsystemen aus unterschiedlichen Fachbereichen in Betracht gezogen
werden. Mit der heutzutage zur Verfügung stehenden Rechenleistung in Echtzeitumge-
bungen an Prüfständen steigt deshalb die Anforderung diese meist sehr genauen fach-
spezifischen Modelle in ein Gesamtkonzept einzubinden.
Dabei werden hauptsächlich zwei Ansätze verfolgt. Ein Werkzeug stellt eine soge-
nannte Integrationsplattform dar und kann über definierte Schnittstellen-Modelle aus
anderen Werkzeugen integrieren und ausführen. Oder es kann eine sogeannte Co-
Simulationsumgebung aufgebaut werden, die heterogene Simulationsumgebungen unter-
stützt.
In beiden Fällen besteht ein weiterer Vorteil darin, dass eine systematische Aufteilung
verschiedener Tätigkeiten unterstützt wird, deren Bedeutung vor dem Hintergrund der
immer größer werdenden Komplexität des Systems „Kraftfahrzeug“ weiter steigt. Für
die Modellerstellung können für die Experten domänenspezfische Autorenwerkzeuge
eingesetzt werden, die dann am Prüfstand scheinbar unsichtbar eingebunden werden
können. Über die gewohnte Benutzerführung und die Mensch-Maschine-Schnittstelle
kann dann die Komplexität für den Tester wieder reduziert werden.

Integrationsplattform
Ein Beispiel für eine Integrationsplattform zeigt Abb. 4-32.

VTD
Virtuelle Testfahrt

Virtuelle
Fahrzeugintegration

FMI xFMI FMI xFMI FMI FMI FMI

Virtueller Realer Virtuelles Reales Virtuelles Virtuelle Virtuelle


Motor Motor Getriebe Getriebe Fahrgestell ADAS HVAC

Abb. 4-32 Fahrzeugintegrationsplattform IPGCar für den virtuellen Fahrversuch

 
332 4 Softwaresicht – Prüfstand

Alle Systeme und Komponenten sind dabei beliebig auswechselbar oder erweiterbar,
ob als virtuelle Modellkomponente, als Software, als reales Steuergerät oder als mecha-
nische Hardware. Voraussetzung dafür ist die Definition von standardisierten Schnittstel-
len. Jede Komponente und jedes Subsystem kann dann an seinen vordefinierten Platz
einsortiert und in einer einheitlichen und bewährten Reihenfolge (Scheduling) berechnet
werden.
Wichtig ist, dass sich beliebige Komponenten, ob real oder virtuell, ob mechanisch,
elektrisch, hydraulisch oder pneumatisch aus verschiedenen Umgebungen in das virtuel-
le Fahrzeug integrieren lassen. Damit kann man für nahezu alle Prüfstandsumgebungen
eine Umgebung aufbauen, in der ein virtueller Fahrversuch für den Prüfling durchgeführt
werden kann. Abb. 4-33 zeigt ein Beispiel für die Integration eines realen Antriebsstran-
ges in eine virtuelle Vollfahrzeugumgebung. Mit dieser Kombination können somit
virtuelle Fahrversuche, wie beispielsweise standardisierte Verbrauchsrunden, Fahrbahr-
keitstests, Beschleunigungs- und Bremsmanöver oder gar eine Slalomfahrt oder ein
Fahrspurwechsel durchgeführt werden (siehe Kapitel 4.5.5). Der Prüfling ist in diesem
Fall der gesamte Antriebsstrang, dessen Einfluss auf die Gesamtfahrzeugeigenschaften
untersucht werden kann.

ECU Anwendungs-PC ECU CarMaker


Arbeitsplatz-PC

Gigabit-Ethernet
Identische Kommunikation Kalibrierungsdaten Projektdaten
wie unten

CarMaker Realtime-Node
Fahrermodell
Antriebsstrang Straßenmodell
CAN(2)
VSC STR YGS Fahrzeugmodell

Ethernet via Fernsteuerung


Abgas Anwendung I/F
messung Motorsteuergerät
Prüfstand I/F CAN
Schaltroboter
Prüfstandssteuerung
Schaltrobotersteuerung
(2)
Prüfstandssicherheit
E-Gas
Abgasmessung Schaltrobotersteuerung
Drehmomentmessung(1) Dyno-Steuerung

Dyno-Geschwindigkeitsset(2)
Geschwindigkeitsmessung
Dyno-Inverter
Elektrische Drehmomentsteuerung

(1) CarMaker Eingabe zur HiL-Simulation


(2) CarMaker Ausgabe am Prüfstand

Abb. 4-33 Integration des realen Antriebsstrangs in ein Vollfahrzeug mittels Antriebsstrang-
prüfstand

Eine moderne Fahrzeugintegrationsplattform ist heute in der Lage, nahezu jede Kompo-
nente oder unterschiedliche Subsysteme aus den verschiedenen Modellierungsumgebun-
gen, wie Dymola, Matlab/Simulink, AVL Cruise oder als nativer C-Code, in den virtuel-
len Prototyp zu integrieren. Große Bedeutung kommt dabei den vernetzten Regelsyste-
men zu, die in Kombination mit Sensorik und Aktoren als mechatronisches System in
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 333

der Integrationsumgebung zusammengeführt werden können. Dafür muss das virtuelle


Fahrzeug auch umfangreiche und frei positionierbare Sensoren mit einem entsprechen-
den Verhalten vorhalten. Die Modelle aus den unterschiedlichen Domänen können heute
auch als Funktional Mock-up Unit (FMU) basierend auf dem Functional Mock-up Inter-
face (FMI) Standard eingebunden werden. Dies erlaubt einen Austausch zwischen den
Simulationsplattformen unterschiedlicher Hersteller.
In dem hier behandelten Beispiel einer Integrationsplattform ist das Konzept des Mo-
dellmanagers von entscheidender Bedeutung. Mit diesem Werkzeug lassen sich einfach
und effizient Modelle unterschiedlicher Domänen in das Vollfahrzeug integrieren. Dazu
sind unterschiedliche Modellklassen wie Motoren, Antriebsstrang, Kupplung, Getriebe,
Differential, E-Maschine, Batterie, Radaufhängung, Achsen, Stoßdämpfer, Stabilisator,
Bremsen, Reifen, Lenkungen, Bordnetz, Beleuchtung definiert. Die Signalschnittstellen
(Input/Output) sind zusammen mit Namenskonventionen festgelegt. Die Modelle können
aus unterschiedlichen Umgebungen erzeugt und den entsprechenden Modellklassen
zugeordnet werden. Die Simulationsumgebung registriert diese Modelle automatisch
durch zyklische Überwachung der Modellbibliothek und bindet diese an richtiger Stelle
ein. Dadurch ist es möglich, die unterschiedlichen Modelle zu verwalten und zu organi-
sieren.
Die Teilmodelle können komfortabel über die Bedienoberfläche oder aus der Testau-
tomatisierung heraus während des Prüfstandbetriebs umgeschaltet werden. Die Kompo-
nenten werden automatisch am richtigen Platz eingebaut und entsprechend mit den Sig-
nalen verbunden. Die Bedatung, die Initialisierung, der zyklische Aufruf sowie das ab-
schließende Aufräumen werden automatisch vom Modellmanager übernommen. Über
diesen Mechanismus lassen sich neben den Modellen auch sehr einfach Hardwarekom-
ponenten und -systeme, wie unterschiedliche Steuergeräte, Motoren, Antriebsstrang,
Lenkung etc. in den „Functional Mock-up Prototype“ beispielsweise über eine Hard-
ware-in-the-Loop-(HIL-)Umgebung einbinden. Für das Fahrzeugmodell selbst ist es
hierbei irrelevant, ob ein Signal zyklisch mit einem Modell ausgetauscht wird oder ob
die Signale über die I/O-Schnittstelle eines Steuergeräts oder eines Motorenprüfstands
kommen [86].
Die Komponenten, ob virtuell oder real, lassen sich auch während der Simulation um-
schalten oder falls gefordert parallel betreiben. Wichtig dabei ist, dass die Schnittstelle
gleich ausgestaltet ist.

Co-Simulation
Die im vorherigen Kapitel beschriebene Vorgangsweise führt oft zu einer Verkoppelung
von Simulationsmodellen für verschiedene Fahrzeugkomponenten, die mit unterschiedli-
chen Simulationswerkzeugen erstellt wurden. Man kann nun entweder diese Modelle in
ein Format für die Integrationsplattform übersetzen oder man verbindet die entsprechen-
den Simulationswerkzeuge während der Simulation mit Hilfe einer so genannten Co-
Simulation.
Mit der Einführung von Co-Simulation im modernen Entwicklungsprozess kann die
Aufgabe der Entwicklung komplexer mechatronischer Systeme auf eine sehr effiziente
Art und Weise gelöst werden. Im Bereich der alternativen Antriebe liegt der Fokus auf
der Integration von elektrischen und thermischen Fahrzeugkomponenten in bestehende

 
334 4 Softwaresicht – Prüfstand

(mechanische) Antriebskonzepte. Die Aufgabe einer Co-Simulation ist es dann, die


komplexen Wechselwirkungen von verschiedenen Simulationsmodellen in einer geeig-
neten und vor allem korrekten Weise zu berücksichtigen (Abb. 4-34). Das verifizierte
Zusammenspiel von zahlreichen Modellen (und damit auch simulierten Komponenten)
ermöglicht eine realistische virtuelle Konzeptionierung und Validierung des Gesamtsys-
tems – bestehend aus Fahrzeug, Fahrer und Umwelt (siehe auch Kapitel 4.5.5).

Lösung A Lösung B Lösung C

Modell x Modell y Modell z


(z.B. in (z.B. in (z.B. in
Simulink) Dymola) Cruise)

Co-Simulationsplattform

Abb. 4-34 Kopplung von unterschiedlichen Simulationswerkzeugen mittels


einer Co-Simulationsplattform

Bei der Kopplung von Simulationswerkzeugen (Co-Simulation) aus verschiedenen Ent-


wicklungsbereichen sind einige wichtige Aspekte zu berücksichtigen:
– Die Simulationsmodelle sollten so wenig wie möglich verändert werden, d. h. nur
Eingangs-, Ausgangs- oder Steuerelemente dürfen für die Co-Simulation hinzugefügt
werden.
– Die Simulationsmodelle verwenden ihre spezifischen numerischen Lösungsalgorith-
men (Integratoren, Solver) und Simulationsschrittweiten.
– Es werden keine Änderung der Solvereinstellungen vorgenommen, d. h. jene Einstel-
lungen, die vom Modellentwickler definiert wurden, verwendet man auch in der Co-
Simulation.
– Die Kommunikationsintervalle zwischen Co-Simulationsplattform und Simulations-
werkzeugen sind autonom und adaptierbar.
– Die Co-Simulationsplattform kann eine Fernsteuerung der Simulationswerkzeuge
durchführen.
– Koppelfehler sind zeitlich und topologisch lokalisierbar.
Für die Co-Simulation wird das (virtuelle) Gesamtsystem in sogenannte Komponenten-
modelle aufgeteilt. Diese können unabhängig voneinander gelöst werden, wobei ledig-
lich die Ein- und Ausgangssignale (Koppelgrößen) miteinander verbunden werden. Die
für eine Lösung des Gesamtsystems notwendige Extrapolation der Koppelsignale zu
einem jeden Rechenschritt führt zum sogenannten Koppelfehler. Um die Korrektheit der
Co-Simulation gewährleisten zu können, muss dieser Koppelfehler kompensiert werden,
wofür Verfahren, wie z. B. das energieerhaltende Extrapolationsverfahren NEPCE von
ViF (siehe [87]) zum Einsatz kommen können. Für die Anbindung von Simulations-
4.5 Prüfstandsregelung und Simulation 335

modellen bzw. -werkzeugen hat sich in den letzten Jahren ein Standard etabliert, das
sogenannte Functional Mock-up Interface (FMI) (siehe auch [68] und Abschnitt 4.1.2).
FMI definiert ein einheitliches Interface, welches die Interaktionen von komplexen Si-
mulationsmodellen aus unterschiedlichsten Bereichen der Physik ermöglicht. Mittels
FMI können sowohl Simulationsmodelle als auch die Simulationswerkzeuge angekop-
pelt werden, was den Betrieb und die Wartung von Co-Simulationsplattformen deutlich
erleichtert.

ACoRTA Kopplungsansatz

ICOS Realtime Framework


Regler Anlage
-

Umlaufzeit Umlaufzeit

Abb. 4-35 Kopplung von Echtzeitsystemen bzw. von Echtzeit- mit Nichtechtzeitsystemen

Eine logische Erweiterung des Co-Simulationsansatzes stellt die Einbindung von Echt-
zeitsystemen in die Systemsimulation dar. Sind eine oder mehrere Komponenten als
echte Hardware verfügbar, so können diese direkt in das bestehende Systemmodell ein-
gebunden werden. Bei der Erweiterung der Co-Simulation in die Echtzeitdomäne sind
zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen. Spezielle Verbindungselemente müssen
eine zeitkorrekte Kopplung der beteiligten Echtzeit- und Nichtechzeitsysteme gewähr-
leisten. Die im Gesamtsystem auftretenden Umlaufzeiten (Round Trip Times) müssen so
klein als möglich gehalten werden, um die Stabilität existierender Regelkreise gewähr-
leisten zu können (siehe Abb. 4-35). Ein weiteres Problem stellen verrauschte Sensor-
signale bei den Echtzeitsystemen dar. Arbeiten hierzu werden im Forschungsprojekt
ACoRTA (Advanced Co-Simualtion Methods for Real-Time Applications) durchgeführt
(siehe [88]).

4.5.7 Restbussimulation

An Prüfständen ist der Prüfling häufig über Bussysteme (siehe auch Kapitel 3.5) mit
anderen intelligenten Systemen verknüpft. Ein Betrieb des Prüflings ist meist nur mög-
lich, wenn auch die Kommunikation mit diesen Teilnehmern sichergestellt werden kann.
Es ist jedoch oft auf Grund der fehlenden Verfügbarkeit oder aus Kosten- und Komple-
xitätsgründen nicht möglich bzw. sinnvoll, das gesamte Netzwerk am Prüfstand aufzu-
bauen. Deshalb können notwendige Teilnehmer mit ihren Kommunikationsdaten nach
Abb. 4-36 mit Hilfe der sogenannten Restbussimulation virtuell eingebunden werden.

 
336 4 Softwaresicht – Prüfstand

Virtuelles Teilsystem
Reales Teilsystem
Simulierter Restbussimulation
Knoten 2

Realer Simulierter
Bus Bus

Realer Simulierter
Knoten 1 Knoten 3

Abb. 4-36 Restbussimulation mit Hilfe eines virtuellen Teilsystems [11]

An die Restbussimulation können unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Oft-


mals reicht es für den sicheren Betrieb eines Prüflings in einem Arbeitspunkt aus, ihn
mit statischen Botschaften auf seiner Kommunikationsschnittstelle zu versorgen. So
kann beispielsweise ein Freigabesignal eines Steuergerätes während des Betriebes eines
Motors erforderlich sein, das über eine Kommunikationsschnittstelle übergeben werden
kann, ohne dass das reale Steuergerät eingebunden werden muss.
Plausibilisiert ein Prüfling sein eigenes Verhalten mit Aussagen anderer intelligenter
Teilnehmer in einem Netzwerk, so reicht eine einfache statische Vorgabe von Werten
meist nicht aus. Dafür ist eine dynamische Simulation des Netzwerkpartners notwendig,
damit der Prüfling nicht in einen Fehlerfall oder im schlimmsten Fall in eine Notaussitu-
ation versetzt wird.
Neben der Sicherstellung des Betriebs eines Prüflings kann die Restbussimulation
auch verwendet werden, um Testfälle für eine fehlerbehaftete Kommunikation im Netz-
werk zu generieren. Dabei soll der Prüfling über manipulierte Nachrichten auf seinen
Kommunikationsleitungen bewusst in Fehlersituationen gebracht werden. Damit können
insbesondere auch Diagnose- und Notabschaltfunktionen eines Prüflings überprüft wer-
den. Auch Fehler in der Busphysik, ungültige Nachrichten oder Stresstests auf Grund
von Busüberlastungen können damit nachgestellt werden.
Für den Aufbau einer Restbussimulation helfen die verschiedenen Standards, in denen
die Kommunikationsinformationen eines Netzwerkes abgelegt werden können. So gibt
es für CAN die sogenannten DBC-(Data-Base-CAN-) oder A2L-(ASAM-A2L-)Be-
schreibungen. Mit dem Bussystem Flexray wurde die sogenannte FIBEX-(Fieldbus-
Exchange-Format-)Beschreibung eingeführt. Einige Werkzeughersteller verwenden
diese Information und unterstützen damit den Anwender beim Aufbau einer Restbus-
simulation. Virtuelle intelligente Systeme können dann mit gängigen Programmier- und
Modellierungssprachen den einzelnen Teilnehmern für die Kommunikation wichtige
dynamische Eigenschaften aufprägen. Standardaufgaben sind dabei meist schon in den
Programmpaketen enthalten und lassen sich durch einfaches Parametrieren aktivieren.
Wichtig für den Prüfstandsbetrieb ist eine nahtlose Integration der Restbussimulation,
da im Normalfall kein Experte zur Verfügung steht. Deshalb können kommerziell ver-
4.6 Testautomatisierung 337

fügbare Restbussimulationswerkzeuge auch autark über Konfigurationsdateien betrieben


werden. Somit kann ein Experte in seinem Werkzeug die notwendige Restbussimulation
entwerfen und als „Black Box“ dem Prüfstandsbetreiber zur Verfügung stellen. Damit
wird die Expertentätigkeit Auslegung der Restbussimulation vom Betrieb der Restbus-
simulation entkoppelt. Über entsprechende Softwareschnittstellen zum Automatisie-
rungssystem ist dann auch eine Fernsteuerung in gewissem Rahmen möglich.

4.6 Testautomatisierung
Die Möglichkeit zur Testautomatisierung stellt den entscheidenden Hebel für einen effi-
zienten und kostengünstigen Prüfstandsbetrieb dar. Dazu müssen zunächst Prüfabläufe
definiert werden können. Automatisierter Betrieb heißt aber auch komplexe Überwa-
chungs- und Steuerungsaufgaben asynchron zum Prüfabläuf durchführen zu können.
Dies kann über Prüfstandszustandssteuerungen realisiert werden. Abschließend wird mit
der automatischen Bedatung von Steuergeräten auf einen komplexen Anwendungsfall
für die Testautomatisierung eingegangen.

4.6.1 Prüfablauf
Automatisierte Prüfabläufe stellen auf Grund der stark erhöhten Komplexität der Prüf-
aufgaben einen Schlüsselfaktor für die Effizienzsteigerung am Prüfstand dar. Dies liegt
unter anderen daran, dass die Teststrategie für einen betrachteten Prüfling auch unter
Produktivitäts- und Kostengesichtspunkten bewertet wird. Tests im Fahrzeug sind sehr
teuer. Deshalb versuchen Hersteller Straßentests auf Rollenprüfständen durchzuführen
und Rollenprüfstandstests auf Antriebsstrangprüfstände oder Motorenprüfstände zu
verlagern. Eine Konsequenz daraus ist, dass Kalibrieraufgaben auch transiente Zyklen
benötigen, welche z. B. auf hochdynamischen Prüfständen abgefahren werden können.
Eine bestimmte Anzahl von physischen Tests wird durch Simulation ersetzt oder mit
realen Komponenten kombiniert, z. B. die Simulation eines Straßenprofiles und das
Fahrzeugverhalten auf einem Antriebsstrangprüfstand.
Während in der Vergangenheit der Entwicklungsfokus auf dem Verbrennungsmotor
lag, ist das Augenmerk nun auf die Abgasnachbehandlung, das Thermomanagement, das
Zusammenspiel von unterschiedlichen Steuergeräten (z. B. Advanced Driver Assistant
Systems – ADAS) und die Optimierung des Energiemanagements eines Fahrzeugs oder
einer Komponente gerichtet. Die Steuergeräte mit ihren verschieden optimierten Konfi-
gurationen und Ausprägungen sind ein Schlüsselfaktor, um reduzierten Treibstoff-
verbrauch, aber auch besseren Fahrkomfort und erhöhte Sicherheit zu ermöglichen.
Beispielsweise werden Fahrzeuge mit einem intelligenten Bremssystem ausgestattet, um
die Sicherheit zu erhöhen.
Zur Bewältigung dieser Variantenvielfalt sind modulare und leistungsstarke Werk-
zeuge erforderlich, um Testabläufe zu definieren und auszuführen. Diese müssen in der
Lage sein, große Datenmengen zu verwalten und abzuspeichern, welche durch verschie-
dene Motor- und Getriebeelektroniken und Messgeräte generiert werden. Echtzeit und

 
338 4 Softwaresicht – Prüfstand

intelligente Synchronisationsmechanismen werden hierfür benötigt. Außerdem muss der


Anstieg der Datenmenge im Design der Testabläufe berücksichtigt werden, was effi-
ziente Mittel zur Datenplausibilisierung, Datenevaluierung und Datenabspeicherung
erfordert.

Grundlegende Funktionen
Die Unterstützung verschiedener Prüfaufgaben (z. B. die Vorgabe von stationären Stu-
fenfolgen nach Abb. 4-37), das Abfahren von Kennfeldern, die Definition von transien-
ten Straßenprofilen oder manöverbasiertes Testen, sind die Kernaufgaben jeder moder-
nen Prüflaufautomatisierung. Ein unbemannter Betrieb eines Prüfstandes hat signifikante
Auswirkungen auf Produktivität und Kosten. Daher ist es für einen automatisierten Prüf-
ablauf Grundvoraussetzung, dass Grenzwerte online überwacht und visualisiert werden.

Abb. 4-37 Beispiel einer parametrierten Stufenfolge

Darüber hinaus ist eine automatisierte Ausnahmebehandlung im Fehlerfall ein Muss für
jeden Prüfstand. Mit diesen automatisierten Mechanismen wird gewährleistet, dass der
Prüfling auch in ungewollten Betriebszuständen in einen sicheren Betriebszustand ge-
bracht wird oder im Falle einer möglichen Versuchsfortsetzung der automatisierte Prüf-
lauf an definierten Wiederaufsetzpunkten fortgesetzt werden kann. Dabei setzt eine Au-
tomatisierung auch erweiterte Benutzerschnittstellen mit integrierten Debuggern voraus,
um bei der Prüflaufentwicklung Fehler im Prüfablaufdesign einfach entdecken zu kön-
nen und die Fehlersuche zu erleichtern.
Nachgeordnete Systeme, wie Haustechnik, Prozessleitsysteme und andere im Prüf-
feldkontext relevanten Systeme, müssen über den automatisierten Prüfablauf gesteuert
werden können. Auf Änderungen der Umgebungsbedingungen muss reagiert werden
können. Daher benötigt ein System zur automatisierten Prüflaufabarbeitung klar defi-
4.6 Testautomatisierung 339

nierte Schnittstellen zu diesen Subsystemen. Dabei können frei definierbare Zustands-


maschinen in diesem Umfeld helfen, die Vielfalt der Anwendungsfälle abzudecken. Ein
bevorzugtes Mittel hierfür stellt ein Scripting Interface sowohl im Prüfablauf als auch in
der Zustandsmaschine dar.
Um immer wieder auftretende Prüfaufgaben separieren zu können, bietet sich eine
Kapselung von Funktionsblöcken in Bibliotheken an. Mit einem solchen Mechanismus
lassen sich Aufgaben, wie z. B. das Warmfahren des Motors, das Einstellen bestimmter
Betriebspunkte oder die Aufnahme einer Volllastkurve, in Bibliotheksbausteinen ab-
bilden, die in allen Prüfläufen verwendet werden können.

Testerstellung
Die Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit von Testdesigns sind entscheidende Fak-
toren für die Akzeptanz innerhalb verschiedener Benutzerebenen. Der Applikationsinge-
nieur möchte sehr einfach schon existierende Stufenprofile auf verschiedenen Prüf-
standstypen nachfahren und reproduzierbare Messergebnisse zur Entwicklung weiter-
verwenden.
Dazu benötigt er ein Hilfsmittel, das es
ihm ermöglicht, alle relevanten Informati-
onen, wie Sollwerte von Fahrpedalstel-
lung, Straßensteigung, Stellung der Gang-
schaltung, Umweltbedingungen und Hö-
henprofile, in einen automatisierten Prüf-
ablauf integrieren zu können.
Aus vordefinierten Bibliotheken kann nun
der Prüflaufautor in einer grafischen Be-
dienumgebung seine Versuchsabläufe
modellieren (siehe Abb. 4-38). Die Wie-
derverwendung von vordefinierten Bi-
bliotheksbausteinen, die Definition ver-
schiedener Arten der Messwertaufnahme
(stationäre oder kontinuierliche Messung)
oder die Definition von Abspeicherdaten
helfen bei einer schnellen und effizienten
Erstellung der Prüfabläufe.

Abb. 4-38 Beispiel eines grafischen Prüflaufs

 
340 4 Softwaresicht – Prüfstand

Testverwaltung
Eine Versionierung der erstellten Prüfabläufe ermöglicht ein einfaches Wiederherstellen
von vorherigen Testdesigns. Die zentrale Verwaltung dieser Prüfabläufe auf einem mit
verschiedenen Benutzerrechten geschützten Leitrechner unterstützt bei der effizienten
Wartung und stellt sicher, dass nur befugte Benutzer ein Testdesign verändern bzw.
anlegen können.

4.6.2 Prüfstandszustandssteuerung

Beim Ausführen von automatisierten Prüfläufen müssen eine Reihe von gleichbleiben-
den Funktionen ausgeführt werden, die asynchron zum Prüfablauf ablaufen. Beispiele
dafür sind:
– Komplexe Überwachungs- und Steuerungsaufgaben, um die Sicherheit von Prüflin-
gen oder Prüflingskomponenten zu gewährleisten
– Steuerungsaufgaben, um definierte oder vom Prüflauf bzw. Simulationsprogrammen
vorgebene Umgebungsbedingungen mit Hilfe entsprechender Aktuatoren und Stimuli
einzustellen
– Komplexe Reaktionen auf Grenzwertverletzungen, bei denen bestimmte Sequenzen
eingehalten werden müssen, um Prüflinge wieder in sichere Zustände zu überführen.
Ein Beispiel ist das Herunterfahren von Mehrmaschinenprüfständen bei Ausfall eines
Drehzahlsensors.
Diese asynchronen Prozeduren können entweder in einer externen SPS (Speicherpro-
grammierbare Steuerung) oder in entsprechenden Prüfstandssteuerungsfunktions-
modulen des Automatisierungssystems selbst programmiert werden.
Falls es sich um eine externe SPS handelt, müssen die in den Steuerungsaufgaben
notwendigen Größen kontinuierlich zwischen Automatisierungssystem und SPS ausge-
tauscht werden. Als Kommunikationsprotokoll wird sehr oft das Profibus-Protokoll
verwendet (siehe Abschnitt 3.5.3).
Bei Funktionsmodulen in Automatisierungssystemen haben sich State-Event-
Programmiermodelle bewährt. Hierbei können in einem Prüfstandssystem beliebig viele
virtuelle Geräte angelegt werden, für die entsprechende Zustände definiert werden kön-
nen. Die Zustandsübergänge werden Events zugeordnet, die z. B. das Überschreiten
eines Wertes für eine Prüfstandsgröße oder die Änderung eines Digitalbits sein können.
Bei jeder Zustandsänderung wird eine kurze Automatisierungssequenz ausgeführt, die in
einer entsprechenden Programmiersprache im Automatisierungsystem vom Anwender
definiert wird.

4.6.3 Automatische Bedatung von Steuergeräten

Motivation
Eine weitere Aufgabe der Automatisierung von Prüfständen ist die automatische Beda-
tung von Steuergeräten, welcher in den letzten Jahren eine immer größere Bedeutung
zukommt. Einerseits bedingt durch die zunehmende Komplexität der Prüflinge in Bezug
4.6 Testautomatisierung 341

auf die gestiegene Anzahl der Variationsparameter in den unterschiedlichen Steuergerä-


ten (siehe auch Kapitel 2.3.6) aktueller Antriebsstränge wie auch die exponentiell stei-
gende Anzahl der zu bedatenden Steuergerätelabels (Kennfelder, Kennlinien, Werte),
andererseits bedingt durch höhere Erwartungen hinsichtlich verkürzter Entwicklungs-
zeiten, Kostenreduzierung und Qualität sind neue Ansätze in der Steuergerätebedatung
unumgänglich.
Dabei wird in vier Schritten vorgegangen:
– Der Prüfling, für den das zu parametrierende Steuergerät zuständig ist, wird in unter-
schiedlichen Betriebspunkten betrieben. Dabei werden Messwerte aufgenommen und
abgespeichert.
– Danach werden aus den aufgenommenen Messwerten mathematische Modelle be-
rechnet, die das Verhalten des Prüflings näherungsweise beschreiben.
– Im nächsten Schritt werden diese Modelle verwendet, um optimale Parameter im
Steuergerät zu finden.
– Der letzte Schritt stellt die Überprüfung des Optimierungsergebnisses dar. Dazu wer-
den die im vorherigen Schritt gefundenen Parameter in das Steuergerät geladen und
diese bei Referenztests überprüft.
Hauptziele beim Einsatz neuer Automatisierungsmethoden und Optimierungswerkzeuge
sind:
– Reduktion des Bedatungs- und Testaufwandes durch den Einsatz von Methodik, z. B.
DoE (Design of Experiment) oder dynamische Motorvermessung
– Hoher Grad an Automatisierung unter Einsatz intelligenter Automatisierungsstrate-
gien
– Erhöhte Ergebnisqualität durch reproduzierbare Vorgehensweisen und den Einsatz
modellbasierter Verfahren
Um die genannten Ziele zu erreichen, werden unterschiedliche Ansätze verwendet. Bei
der Entwicklung dieser Ansätze und Methoden spielt die Anwendbarkeit im Umfeld der
Automobilindustrie mit Blick auf Kalibrier- und testspezifische Prozesse, organisatori-
sche Strukturen beim OEM und vorhandene Kompetenzen der Mitarbeiter eine entschei-
dende Rolle. Nur die Werkzeuge und Methoden, die sich an oben genannten Punkten
orientieren und von einer breiten Basis der Anwender verstanden und akzeptiert werden,
kommen flächendeckend zum Einsatz.
Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Ansätze in einem kurzen Überblick be-
schrieben und hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile bewertet werden. Der Schwerpunkt
liegt dabei auf den Ansätzen, welche bereits eine weite Verbreitung bei den Automobil-
herstellern genießen und ihre Vorteile im täglichen Einsatz gezeigt haben. Zur tiefer-
gehenden Studie wird auf einschlägige Fachliteratur zum Thema verwiesen.

Unterschiedliche Ansätze der automatischen Steuergerätebedatung


Bei den mehrheitlich verwendeten Ansätzen wird wie folgt unterschieden:
– Online- und Offline-Optimierung
– Lokale und globale Modellbildung

 
342 4 Softwaresicht – Prüfstand

– Stationäre und dynamische Vermessung


– Stationäre und dynamische Modellbildung
– Betriebspunktbezogene Optimierung und Zyklusoptimierung
In der realen Anwendung der Steuergerätebedatung in der Automobilindustrie stellen die
jeweils fett gedruckten Vorgehensweisen aus heutiger Sicht die größte Verbreitung dar.
Hintergrund ist neben hohem Reifegrad der Methoden und Werkzeuge eine breite Ak-
zeptanz bei den Anwendern.
Die folgende Liste beinhaltet die grundsätzlichen Bestandteile, welche alle Vorge-
hensweisen gemeinsam haben:
– Versuchsplanung
– Versuchsdurchführung mit Automatisierung/Datengenerierung
– Datenplausibilisierung
– Modellbildung und Plausibilisierung
– Optimierung
– Verifikation
– Kennfeldberechnung und Datensatzerstellung für Steuergeräte
– Überprüfung der Optimierungsergebnisse mit Hilfe von Referenztests

Unterschiede zwischen Online- und Offline-Optimierung


Es wird grundsätzlich hinsichtlich der Vorgehensweise zwischen Online- und Offline-
Optimierung unterschieden. Beide Ansätze setzen entsprechende Methoden und Werk-
zeuge voraus, welche einen modellbasierten Applikationsansatz unterstützen.
Bei der Online-Optimierung wird innerhalb eines Betriebspunktes (Drehzahl/Last)
ein sicherer Startpunkt definiert, d. h. eine Kombination der unterschiedlichen Varia-
tionsparameter des Motors, bei welcher der Motor sicher betrieben werden kann. Bei-
spiele für Variationsparameter eines Ottomotors sind Zündzeitpunkt, Einspritzmenge
und -zeitpunkt sowie Ladedruck. Für einen Dieselmotor können Einspritzmenge und
-zeitpunkt, Anzahl Vor- und Nacheinspritzungen sowie Ladedruck herangezogen wer-
den. Zusätzlich zur Definition einer Zielgröße (z. B. minimaler Verbrauch oder maxima-
les Moment) werden begrenzende Größen über entsprechende Limits definiert, z. B. für
die Abgastemperatur (Bauteilschutzmaßnahme) oder hinsichtlich nicht gewünschter
Emissionswerte (Beispiel Schwarzrauch).
Anschließend wird eine Parametervariation im direkten Umfeld des Startpunktes
durchgeführt. Nach Mittelwertmessung der ersten drei Variationen findet automatisch
eine Online-Berechnung von Modellen für die Ziel- und begrenzenden Limitgrößen statt.
Die Basis der Modellberechnung ist hierbei in vielen Fällen ein Polynomansatz.
Anhand der gebildeten Modelle wird mittels eines Online-Optimierers die Variations-
strategie in Richtung des nächsten Optimums verändert. Grundlage eines solchen Opti-
mierers ist häufig ein Gradientenverfahren. Je nachdem ob ein Minimum (z. B. minima-
ler Verbrauch) oder Maximum (z. B. maximales Moment) gesucht wird, bewegt der
Optimierer die Variationsparameter in Richtung des nächsten Minimums (steilster Ab-
stieg) oder Maximums (steilster Anstieg). Der Vorteil eines solchen Verfahrens ist, dass
ein Ergebnis in Form eines Optimums direkt nach dem Prüflauf zur Verfügung steht.
Dem stehen jedoch erhebliche Nachteile gegenüber, z. B. findet der Optimierer nur das
4.6 Testautomatisierung 343

am nächsten gelegene, lokale Optimum in Abhängigkeit vom Startpunkt. Dieser Nachteil


wäre in Kombination mit Verfahren zur Auswahl multipler Startpunkte zu umgehen,
allerdings sind die Gesamtlaufzeiten dann häufig nicht mehr akzeptabel.
Bei der Offline-Optimierung findet der Schritt der Datengenerierung am Prüfstand
losgelöst von der Modellbildung statt. In Abb. 4-39 sind die einzelnen Schritte der Off-
line-Optimierung dargestellt.

Versuchsplanung Messung Modellbildung Modellanalyse Optimierung


/ Indentifikation

Stellgrößen- Ausgangs- Motor- verbesserte optimale


kombination größensignale modelle Modelle Stellgrößen

Abb. 4-39 Prozessschritte der Offline-Optimierung [15]

Im ersten Schritt findet die Versuchsplanung statt. Hierbei kommt die Methode der
statistischen Versuchsplanung (DoE) zum Einsatz. Unter Verwendung von Vorwissen
des Anwenders zu den Abhängigkeiten der Zielgrößen von den Variationsgrößen des
Prüflings wird ein Versuchsplan zur Variation der Stellgrößen des Motors innerhalb
eines Betriebspunktes (Drehzahl/Last) generiert. Beispielhaft sind in Tab. 4-9 verschie-
dene Versuchplanungstypen mit ihren Vor- und Nachteilen genannt. Für detaillierte
Informationen zu den einzelnen Versuchsplanungstypen wird hier auf einschlägige Lite-
ratur verwiesen [89].

Tab. 4-9 Beispiele für Versuchsplanungstypen [15]

Versuchsplan Modellordnung/Vorteile Nachteile


Box-Behnken – Polynome zweiter Ordnung – Wechselwirkungen nicht voll-
ständig erfassbar
Central Composite – Polynome zweiter Ordnung – Symmetrischer Versuchsbereich
– Vollständig identifizierbar erforderlich

D-Optimal – Beliebige Ordnung – Rechnerunterstützung notwendig


– Richtungsspezifisch
– Beliebiger Versuchsraum
– Inclusions möglich
– Beliebige Gesamtpunkteanzahl
Latin Hyper Cube – Füllt den Versuchsraum – Richtungsspezifische Unterschei-
mit Punkten dung nicht möglich
– Kein Vorwissen erforderlich – Rechnerunterstützung notwendig
S-Optimal – Füllt den Versuchsraum gleich- – Rechnerunterstützung notwendig
mäßig auch bei extrem unsymmet-
rischen Versuchsräumen

 
344 4 Softwaresicht – Prüfstand

Ziel beim Einsatz von DoE ist es, mit minimalem Aufwand an Messungen die maxi-
male Informationen (in dem Modell) in dem zu untersuchenden Variationsraum zu gene-
rieren. Im zweiten Schritt findet die Messung am Motorenprüfstand statt. Idealerweise
ist dieser Schritt vollautomatisiert, um maximale Reproduzierbarkeit sicherzustellen.
Bei Verwendung mancher besonders leistungsfähiger Steuergerätekalibrierungstools
besteht die Möglichkeit der Verwendung adaptiver DoE Algorithmen nach Abb. 4-40.
Hierbei kann in einem Zug am Prüfstand automatisiert der fahrbare Versuchsraum in-
nerhalb eines Betriebspunktes ermittelt werden (Screeningversuch), ein entsprechender
DoE Versuchsplan für diesen Versuchsraum online berechnet und in einem Schritt ver-
messen werden (adaptiver DoE-Versuchsplan). Diese leistungsfähigen Steuergeräteka-
librierungstools reagieren dabei auf eventuell auftretende Limitverletzungen mit einer
automatischen Anpassung des Versuchsraums an die Fahrbarkeitsgrenzen. Als Ver-
suchsplantypen selbst eignen sich besonders sogenannte D-Optimale oder Space-Filling-
Versuchspläne, da diese nicht symmetrische Versuchsräume umgehen können.

16
12
Durchführung eines Screeningversuchs (FF,
8
CCD, D-Optimal), um die Laufgrenzen und
4
Variablen-Abhängigkeiten zu bestimmen.
0
100 90 20 30
KFWESDS KFZWSCHU

Versuchsraum

17
12,75
Berechnung der Grenzen des Versuchsraumes
8,5 mit Hilfe der vorhandenen Messpunkte
4,25 (Approximation).
0
100 92 31
84 17 24
KFWESDS
KFWESDS
KFZWSCHU
KFZWSCHU

16
12
8 Berechnung eines D-optimalen Versuchsplans im
4 beschränkten Versuchsraum.
0
100 30
90 20
KFWESDS KFZWSCHU

Abb. 4-40 Screeningversuch mit anschließender Berechnung der Hüllkurve und D-optimaler
DoE-Versuchsplanvermessung [90]
4.6 Testautomatisierung 345

Einzelne Variationsparameter können hierbei ausgenommen und automatisiert auf ei-


nen Bestpunkt für jeden Betriebszustand geregelt werden. Als Beispiel soll hier eine
Echtzeitregelung des Zündzeitpunkts bei einem Ottomotor genannt werden. Der Zünd-
zeitpunkt wird in diesem Beispiel auf optimale Schwerpunktlage bzw. auf einen definier-
ten Sicherheitsabstand zur Klopfgrenze geregelt. Dadurch findet eine Reduktion der
Variationsparameter des Versuchsplans bei gleichzeitiger optimaler Einstellung des
Parameters Zündzeitpunkt statt. Solche Regelungen werden im Zusammenhang mit
unterlagerten Bauteilschutzreglern angewendet [90].
Im Anschluss an die vollständige Vermessung des Versuchsplans folgt die statistisch
unterstützte Rohdatenanalyse und Modellbildung. Mit Hilfe statistischer Bewertungen
in Form von Diagrammen und Kennwerten werden die Rohdaten beurteilt und model-
liert. Bei der Modellbildung kommen unterschiedliche Ansätze zum Einsatz, wobei
Polynommodelle oder künstlich neuronale Netze am häufigsten vertreten sind. Auch hier
sei auf die einschlägige Literatur verwiesen [89].

NOx
Minimal

BE
Grenzwert

Rauch
Grenzwert

300 350 400 450 -2 0 2 1 1.5 2 1500 2000 2500995 10001005 1010 350 400 450 500
Luftmasse Ansteuerbeginn Pilotmenge Pilotabstand Ladedruck Raildruck
[mg/Hub] Haupteinspritzung [mg/Hub] [μs] [mbar] [bar]
[°KW]

Versuchsraum Verifikationspunkt Modell Vorhersagebereich

Abb. 4-41 Intersection Plot – Modelle für Zielgröße und begrenzende Größen über den Varia-
tionsparametern des Motors [90]

Nachdem die Modelle gebildet und mit statistischen Methoden verifiziert wurden, kann
mittels unterschiedlicher Optimierungsverfahren, z. B. Gradientenverfahren oder geneti-
scher Algorithmen, eine Optimierung durchgeführt werden. Hierbei wird anhand einer

 
346 4 Softwaresicht – Prüfstand

Zielgröße (z. B. minimaler Verbrauch) oder Zielfunktion (multiobjektive Optimierung)


unter Einhaltung von Restriktionen (z. B. Bauteilschutz oder Begrenzung unzulässiger
Emissionswerte) eine bestmögliche Parameterkombination ermittelt. Bei dieser Vorge-
hensweise spricht man von einer lokalen, betriebspunktbezogenen Optimierung. Die
generierten Modelle wie auch die berechneten Optima können grafisch im sogenannten
Intersection Plot (siehe Abb. 4-41) dargestellt werden.
Im Anschluss an die Optimierung findet eine Verifikation des Ergebnisses am Prüf-
stand statt. Aus den unterschiedlichen Optima für die jeweiligen Betriebspunkte können
mit den zugehörigen Variationsparametern die Besteinstellungen unter Verwendung
eines Kennfeldrechners für neue Steuergerätekennfelder bzw. Datensätze erstellt werden.

Unterschiede zwischen lokalen und globalen Modellen


Grundsätzlich wird zwischen lokalen, betriebspunktbezogenen und globalen Modellen
unterschieden. Beide Ansätze erfordern unterschiedliche Herangehensweisen in der
Versuchsplanung.
Lokale Modelle beziehen sich immer auf einen Betriebspunkt, d. h. z. B. eine Dreh-
zahl und eine Last. Sie haben ihre Gültigkeit innerhalb der Grenzen dieses Betriebspunk-
tes. Heute sind in den meisten Fällen die Informationen in den Steuergeräten in Form
von Kennfeldern mit Drehzahl- und Laststützstellen abgelegt. Die Stützstellen entspre-
chen damit den Betriebspunkten, womit das Ergebnis leicht in das Steuergerät zu über-
tragen ist. Um lokale Modelle zu erstellen, erfolgt die Vorgehensweise wie vorausge-
hend bereits beschrieben. Es werden betriebspunktbezogene Versuchspläne erstellt,
abgefahren und im Anschluss die Daten plausibilisiert und modelliert. Als Modelle
kommen vorwiegend Polynome zum Einsatz, da innerhalb von Betriebspunkten keine
Unstetigkeiten zu erwarten sind. Die folgende Gleichung zeigt beispielhaft ein lokales
Polynommodell zweiter Ordnung mit Wechselwirkungen für den Kraftstoffverbrauch:

BH a 0  a1 ˜ S  a 2 ˜ S2  b1 ˜ R  b 2 ˜ R 2  c1 ˜ A  c 2 ˜ A 2
 d1 ˜ S ˜ R  d 2 ˜ R ˜ A  d 3 ˜ S ˜ A

mit:
BH Kraftstoffverbrauch [kg/h]
S Spritzbeginn in [Grad Kurbelwinkél vor OT]
R Raildruck in [bar]
A Abgasrückführrate in [ %]
a0 bis d3 Polynomkoeffizienten

Gleichung 4-24 Kraftstoffverbrauch angenähert durch ein Polynom zweiter Ordnung inklusive
Wechselwirkungen [15]

Globale Modelle und diesbezügliche Versuchspläne sind nicht betriebspunktbezogen,


sondern enthalten z. B. Drehzahl und Last als freie Parameter, welche bei der Versuchs-
planerstellung wie Variationsparameter behandelt und variiert werden. Das Ergebnis
sind Modelle, welche das Verhalten hinsichtlich Zielgröße oder Restriktion über Dreh-
4.6 Testautomatisierung 347

zahl und Last hinweg beschreiben. Aus globalen Modellen kann man mit Festsetzung
der Drehzahl und Last lokale Werte für Betriebspunkte berechnen.
Da das Verhalten bestimmter zu modellierender Zielgrößen oder der Restriktionen
über Betriebspunktgrenzen hinweg theoretisch Unstetigkeiten (z. B. Sprünge) enthalten
kann und Polynomansätze ein solches Verhalten nicht abbilden können, finden hier
hauptsächlich andere Modellansätze Verwendung. Unter anderem werden unterschiedli-
che Arten von neuronalen Netzen verwendet, welche nicht lineares Verhalten entspre-
chend abbilden können.
Will man einen globalen Modellansatz umsetzen, muss dies schon bei der Versuchs-
planung berücksichtigt werden. Insbesondere Vorwissen, z. B. von Vorversuchen oder
von vergleichbaren Vorgängermotoren, kann hilfreich sein. Ist kein Vorwissen vorhan-
den, so werden gegebenenfalls Vorversuche durchgeführt. Diese decken den zu untersu-
chenden Versuchsraum gleichmäßig, z. B. über einen Latin Hyper Cube Versuchsplan
(siehe Abb. 4-40), mit Messpunkten ab. Mit Hilfe von Teilungsalgorithmen neuronaler
Netze wird anschließend anhand der gewonnenen Messdaten eine Teilung des Versuchs-
raums in Bereiche herbeigeführt.
Bereiche mit hohen Nichtlinearitäten werden durch den Algorithmus stärker unterteilt
als solche mit linearem Verlauf. Man benötigt in den Bereichen des Kennfeldes mit
hohen Nichtlinearitäten mehr Informationen, d. h. Messpunkte als in Bereichen hoher
Linearität. Diese Informationen werden anschließend genutzt, um für Bereiche mit hoher
Teilung respektive Nichtlinearitäten, zusätzliche Messpunkte über Teilversuchspläne zu
ermitteln. In Bereichen hoher Linearitäten sind meist keine weiteren Informationen er-
forderlich. Die Teilmodelle werden am Ende über den Modellbildungsalgorithmus zu
einem globalen Gesamtmodell verschliffen.

Unterschiede zwischen stationärer und dynamischer Vermessung


und Modellbildung
Bisher wurden Motoren auf Prüfständen in der Basisapplikation hauptsächlich stationär
abgestimmt. Da sie aber im eigentlichen Fahrbetrieb dynamisch betrieben werden, wird
eine dynamische „Optimierung“ durch den Applikateur idealerweise am dynamischen
Prüfstand und im Fahrzeug vorgenommen. Die Ansätze der automatisierten, stationären
Optimierung wurden bereits ausführlich beschrieben.
Parallel dazu gibt es Ansätze zur dynamischen Vermessung von Motoren mit an-
schließender dynamischer Modellbildung, auf die hier kurz eingegangen werden soll.
Hierbei wird der Motor unter Verwendung spezieller Versuchspläne dynamisch ange-
regt. Als Beispiel sollen hier APRBS (Amplitudenmodulierte Pseudo Rausch Binärsequ-
zenz) Signale genannt werden [91]. Um die dynamischen Eigenschaften eines Motors zu
ermitteln, ist hierbei die stochastische, dynamische Anregung aller Variationsgrößen
über den gesamten Betriebsbereich notwendig.
Das Ergebnis einer solchen Vorgehensweise sind Daten, welche das Zeitverhalten der
Abhängigkeit der Zielgrößen von den Variationsgrößen als Information enthalten. Hier-
bei muss sichergestellt werden, dass auftretende Totzeiten einzelner Messgrößen, z. B.
bei Emissionsmessungen durch die Gasdynamik zwischen Abgasentnahme und Mess-
gerät, automatisiert bereinigt werden. Diese Daten können anschließend zur dynami-
schen Modellbildung herangezogen werden. Hierbei kommen künstlich neuronale Netze

 
348 4 Softwaresicht – Prüfstand

zum Einsatz, welche neben den bereits beschriebenen Eigenschaften die Dynamik des
Systems entsprechend abbilden können.
Der Vollständigkeit halber soll hier kurz auch die transiente Vermessung erwähnt
werden. Sie stellt einen Zwischenschritt zwischen stationärer und dynamischer Vermes-
sung dar. Bei der transienten Vermessung werden die Variationsparameter kontinuierlich
verstellt, allerdings so schnell wie möglich, um kurze Versuchszeiten zu haben und so
langsam wie nötig, um das System nicht dynamisch anzuregen. Hierbei werden die Vari-
ationsparameter quasi stationär über Rampen verstellt und der Motor somit quasi statio-
när betrieben. Die Vorgehensweise wird auch als Slow Dynamic Slopes bezeichnet [90].
Das Ergebnis sind stationäre Daten. Der Vorteil liegt dabei in der relativ schnellen Ver-
messung, allerdings ist das Verfahren nur für spezielle Variationsparameter und Appli-
kationsaufgaben anwendbar.

4000
Stationärer Betriebspunkt

Amplitude-modulated
3000 Pseudo
2000 Random APRBS-Modulation
neng [rpm]
1000 Binary mit Standardeinstellungen
Signal
200 m 100
0 rp egr [%]
100 = 200
0 Teng [Nm] n eng 50

0
100 5
Motorsteuerung mit einer Standard-

egr [%] Θinj [°CA]


0
Motorsteuerungseinheit (ECU)

50
-5
0
-10
0 Θinj [°CA]
-5
-10 80 vtg [%]
-15
60
100
vtg [%] 40
50 20
Standard
350 400 450 500
0 Standard + APRBS
200 400 600 8001000 Zeit [s]
Muster [-]

Abb. 4-42 Vorgehensweise der dynamischen Modellbildung mittels APRBS-Signalen [91]

Unterschiede zwischen betriebspunktbezogener Optimierung


und Zyklusoptimierung
Bei der an die Evaluierung der Modelle anschließenden Optimierung wird grundsätzlich
unterschieden in:
– Lokale, betriebspunktbezogene Optimierung
– Zyklusoptimierung (globale Optimierung)
Ziel der lokalen, betriebspunktbezogenen Optimierung ist, die Berechnung von Best-
einstellungen für die Variationsparameter innerhalb eines Betriebspunktes unter Einhal-
tung lokaler Restriktionen zu erhalten. Zielgröße kann dabei z. B. minimaler Verbrauch
oder maximales Moment sein. Bei den Restriktionen wird zwischen legislativen und
4.6 Testautomatisierung 349

motorischen Grenzwerten unterschieden. Ein Optimierer, z. B. ein Gradientenverfah-


ren/Methode des steilsten Anstiegs oder evolutionäre Verfahren wie genetische Algo-
rithmen, optimiert die Variationsparameter dabei so, dass ein minimaler Verbrauch unter
Einhaltung der definierten Grenzen erreicht wird. Für detaillierte Informationen zur
Vorgehensweise wird hier auf die einschlägige Literatur verwiesen [89].
Die globale Optimierung wird im Rahmen einer Zyklusoptimierung bei PKW-Mo-
toren oder beim klassischen NFZ 13-Punkte-Test angewendet. Bei der Zyklusoptimie-
rung werden in einer Simulation eines Fahrzeuges mit entsprechenden hinterlegten Fahr-
zeugdaten (z. B. Widerstände, Übersetzungsverhältnisse, Motordaten, Kennfelder etc.) in
einem bestimmten Abgastestzyklus, z. B. NEDC oder FTP75, die am häufigsten gefah-
renen Betriebspunkte ermittelt und entsprechend gewichtet. Beim 13-Punkte-Test sind
die entsprechend gewichteten Betriebspunkte vom Gesetzgeber bereits vorgegeben. Für
die in der Simulation ermittelten oder vorgegebenen Betriebspunkte werden lokale Mo-
delle wie bereits beschrieben ermittelt.
Für eine anschließende globale Optimierung werden folgende Ziele bzw. Restriktio-
nen definiert:
– Zielgröße, z. B. minimaler Verbrauch
– Individuelle, lokale Grenzen innerhalb eines jeden Betriebspunktes, z. B. Abgas-
temperatur
– Globale Grenzen, d. h. alle Betriebspunkte müssen in Summe eingehalten werden,
z. B. Emissionsgrößen wie Stickoxide, Kohlenwasserstoffe, Partikel etc.
Unter Verwendung bestimmter Optimierungsalgorithmen, wie z. B. dem Lagrange-Ver-
fahren, werden die Variationsparametereinstellungen ermittelt, welche den minimalen
Verbrauch unter Einhaltung der lokalen wie globalen Grenzen sicherstellen. Dabei dür-
fen die lokalen Grenzen innerhalb eines Betriebspunktes nicht verletzt werden. Die glo-
balen Grenzen müssen in Summe über alle Betriebspunkte unter Beachtung der Gewich-
tung der Betriebspunkte eingehalten werden, können aber innerhalb eines Betriebspunk-
tes verletzt werden. Mit den Ergebnissen einer solchen globalen Optimierung können in
einem frühen Stadium der Entwicklung, in dem noch kein reales Fahrzeug vorhanden ist,
Rückschlüsse gezogen werden, ob das Fahrzeug mit dem definierten Motor den Zyklus
bestehen wird oder nicht. Hierbei sind folgenden Randbedingungen zu beachten:
– Motormodelle sind oft stationär und der Fahrzyklus ist dynamisch
– Emissionen werden am Prüfstand in Masse pro Zeit gemessen, Emission sind im
Zyklus in Masse pro km definiert
Die gebildeten Modelle und die Ergebnisse der Optimierung sind vom Applikateur hin-
sichtlich Plausibilität zu überprüfen und am Motorenprüfstand zu verifizieren. Aus den
Ergebnissen, d. h. den optimalen Einstellungen der Variationsparameter innerhalb der
jeweiligen Betriebspunkte, werden im Anschluss an die Verifikation mit Hilfe eines
sogenannten Kennfeldrechners unter Verwendung bestimmter Berechnungs- und Glät-
tungsalgorithmen neue Parameterkennfelder für das Motorsteuergerät berechnet, welche
z. B. Übergangsverhalten und Stellgeschwindigkeit der Aktuatoren berücksichtigen
müssen. Diese sind am Prüfstand und im Fahrzeug zu verifizieren.

 
350 4 Softwaresicht – Prüfstand

4.7 Messdatenauswertung
Aktuelle Softwarewerkzeuge erlauben umfangreiche Auswertungen und Analysen der
gemessenen Daten im sogenannten Post Processing, also auf Basis von abgespeicherten
Daten entweder parallel zum Versuch oder nach Ende des Versuchs. Für diese Auswer-
tungen gibt es zahlreiche Möglichkeiten vom einfachen Sichten der Daten über die grafi-
sche interaktive Analyse bis hin zu komplexen Applikationen mit entsprechenden For-
melbibliotheken.
Diese Auswertungen können interaktiv aber auch automatisiert erfolgen. Interaktiv
können neue Auswertungen wesentlich schneller und flexibler erstellt werden. Wenn
Auswertungen aber wiederholt werden sollen, muss der Auswertevorgang komplett neu
eingegeben werden. Bei automatisierten Auswertungen ist dagegen der Initialaufwand
deutlich höher, der Wiederholaufwand aber signifikant niedriger.

4.7.1 Messdatenauswahl

Am Beginn jeder Datenauswertung steht die Auswahl der Messdaten. Aufgrund der
immer weiter verbesserten Möglichkeiten der Messdatenerfassung steigt die Menge an
Messdaten laufend an. Daher kommt der effizienten Messdatenauswahl ebenfalls immer
größere Bedeutung zu.

Interaktive Auswahl
Ein leistungsfähiger Datenbrowser nach Abb. 4-43 ermöglicht es, ähnlich einem Fi-
lebrowser interaktiv durch die Ablagestrukturen zu gehen und die gewünschten Daten
auszuwählen. Für diese interaktive Auswahl dienen sowohl die Ablagestrukturen selbst
(Ordner) als auch Attribute von Versuchen, Versuchsreihen oder Messungen.

Abb. 4-43 Beispiel eines Messdatenbrowsers für die Anzeige von Motormessdaten
4.7 Messdatenauswertung 351

Diese Attribute werden in Spalten angezeigt und erlauben so eine Sortierung, z. B.


der Versuchsreihen nach dem Projekt, dem sie jeweils zugeordnet sind. Die gefundene
Versuchsreihe kann man nun auswählen, wodurch man sich eine Ebene weiter begibt.
Hier kann man nun wieder die in der Versuchsreihe enthaltenen Versuche nach deren
Attributen sortieren. Auf diese Art kann man sich interaktiv durch die Datenstrukturen
bewegen.
Obwohl sich der ASAM ODS-Standard und auch das MDF Format (siehe Seite 279)
als Datenablage sehr gut etabliert haben, steigt die Anzahl der Messdatenformate doch
weiter stetig an. Diese Messdatenformate sind in ihrer Struktur bereits sehr unterschied-
lich. In einem Format entspricht eine Datei einem Versuch, in einem anderen enthält
eine Datei nur einen Messkanal. Andere Formate orientieren sich an Datenbanken, d. h.
die Struktur wird in Form von Datenbanktabellen und einem Datenmodell definiert.
Aktuelle Werkzeuge zur Messdatenauswahl stellen die Messdaten ungeachtet ihrer
physikalischen Struktur in einer gemeinsamen logischen Struktur dar, wobei sich das
Werkzeug sinnvollerweise an den logischen Strukturen standardisierter Ablagen, wie
z. B. ASAM ODS orientieren sollte. Bei Prüfstandsdaten stellt hier der Versuch eine
zentrale Rolle dar. Der Versuch kann mehrere Messungen enthalten und die Messungen
enthalten wieder jeweils die zur Messung gehörigen Messkanäle. Diese immer gleiche
logische Abbildung ermöglicht auch einen effizienten Vergleich von Messdaten unter-
schiedlicher Datenquellen und Datenformate.

Abb. 4-44 Beispiel eines Messdatenbrowsers zur Anzeige von Indizierdaten

 
352 4 Softwaresicht – Prüfstand

Datensuche
Neben der interaktiven Datenauswahl wird es immer wichtiger, auch leistungsfähige
Mechanismen für die automatische Datensuche anwenden zu können. Im Idealfall hat
man in der Datenablage bereits Attribute definiert, die dann in der Suche verwendet
werden können. Das hat den Vorteil, dass die Suche sehr schnell ist, da die Attribute sehr
schnell gelesen werden können. Der Nachteil ist jedoch, dass diese Attribute bereits im
Datenmodell definiert sein müssen. Möchte man weitere Attribute hinzufügen, ist eine
Änderung des Datenmodells nötig. Die neuen Attribute sind infolge auch nur in neueren
Messdaten verfügbar.

Abb. 4-45 Datensuche mittels Attributen

Eine weitere Suchvariante ist die Suche mittels Dateninhalten. Diese Variante hat den
Vorteil, dass man nach sämtlichen Dateninhalten suchen kann. Da Messdaten im Kon-
trast zu Attributen auch Vektordaten sind, gibt es hier erweiterte Suchmöglichkeiten,
weil man hier z. B. nach Maximalwerten, Minimalwerten oder Durchschnittswerten
suchen kann. Von Nachteil ist der wesentlich höhere Zeitaufwand bei der Suche, da hier
einerseits Dateninhalte gelesen werden müssen, und andererseits auch Vektordaten zu
bearbeiten sind. Diese Art der Suche stellt daher wesentlich größere Anforderungen an
die Auswertesoftware. Caching-Mechanismen spielen hier unter anderem eine große
Rolle.
Im Zeitalter der indexbasierten Suchmaschinen, die man aus dem Internet kennt, wird
diese Art der Suche auch für Messdaten immer interessanter. In diesem Fall ist es jedoch
nötig, die Daten zu indexieren, bevor man suchen kann. Dieses Indexieren muss automa-
tisch im Hintergrund passieren, damit man auch für neu gemessene Messdaten ohne
großen Zeitverzug Indexdaten sammelt. Im Unterschied zu den Internetsuchmaschinen,
die primär Textinhalte indexieren, muss man bei Messdaten primär numerische Daten
indexieren, bei Vektordaten auch wieder mit zusätzlichen statistischen Funktionen. Der
große Vorteil dieser Suchvariante ist die extrem hohe Suchgeschwindigkeit.
4.7 Messdatenauswertung 353

Abb. 4-46 Datensuche mittels Dateninhalten

4.7.2 Messdatendarstellung

Nachdem man die gewünschten Messdaten gefunden hat, ist in den meisten Fällen die
Darstellung der nächste Schritt. Je nach Anwendung gibt es unterschiedliche Ausprä-
gungen der Datendarstellung, z. B. die schnelle Datensichtung, die interaktive grafische
Analyse, der grafische Vergleich von Messdaten oder die Erstellung von Grafiken für
Berichte und Präsentationen. Moderne Auswertesoftware muss die doch sehr unter-
schiedlichen Anforderungen für alle diese Ausprägungen erfüllen.

Schnelles Sichten
Die erste Stufe der Darstellung ist die schnelle Sichtung der Messdaten. Diese kann zum
Teil bereits als Teil der Datenauswahl erfolgen, wenn das Datenauswahlwerkzeug be-
reits numerische oder grafische Vorschaumöglichkeiten bietet.

 
354 4 Softwaresicht – Prüfstand

Interaktive Analyse
Für die interaktive grafische Analyse werden die Daten in unterschiedlicher Art darge-
stellt. Dazu gehören typischerweise Diagramme mit Liniengrafiken, Balken oder Bän-
dern. Diese Diagramme erlauben typischerweise die freie Anordnung von nahezu belie-
big vielen Y-Achsen. Auf einer Achse können auch mehrere Datenkanäle gemeinsam
angezeigt werden. Eine flexible Legende erlaubt die Identifikation der Kurven im Dia-
gramm. In diesen Diagrammen hat man zur Vermessung der Kurven einen oder mehrere
Cursor, mit denen Einzelwerte oder Differenzen von Kurven ausgelesen werden können,
oft auch mit erweiterten statistischen Funktionen. Weitere Darstellungsmöglichkeiten
sind hier auch numerische Listen und Tabellen.

Abb. 4-47 Beispiel für eine interaktive Datenanalyse mittels Bandcursor

Zur Erstellung von Berichten in Präsentationsqualität ist es nötig, die Diagramme genau
nach Bedarf gestalten zu können. Dazu ist ein komfortabler grafischer Editor nötig, der
intuitiv zu bedienen ist. Die einzelnen grafischen Objekte müssen genügend Einstell-
möglichkeiten bieten, um die gewünschte Gestaltung zu ermöglichen. Die Verwendung
von standardisierten Vorlagen soll hier die Erstellung dieser Berichte erleichtern und
sicherstellen, dass diese Berichte das gewünschte vereinheitlichte Aussehen besitzen.
4.7 Messdatenauswertung 355

Kennfelddarstellungen
Die Darstellung von Kennfeldern stellt eine weitere Anforderung an das Auswertewerk-
zeug dar. Kennfelder werden typischerweise als Isolinienkennfelder oder als 3D-Kenn-
felder dargestellt. In beiden Fällen ist es nötig, aus den mehr oder weniger unregelmäßi-
gen Messdaten durch Interpolation ein regelmäßiges Gitter als Basis für die Darstellung
zu erstellen. Für diese Interpolation sind unterschiedliche Algorithmen nötig, um
brauchbare Ergebnisse für unterschiedlich organisierte Daten zu liefern. So ist z. B. der
Algorithmus für Daten, die am Prüfstand nach Drehzahlstufen erfasst werden, nicht dazu
geeignet, Kennfelder für Turboladerkompressoren zu erstellen. Eine weitere Anforde-
rung ist die Begrenzung der Kennfelder durch obere und untere Hüllkurven. Diese Hüll-
kurven werden typischerweise aus dem Erfassungsbereich der Messdaten automatisch
berechnet. Auch dazu sind wieder unterschiedliche Algorithmen nötig.

Kennfelddarstellung für Treibstoffverbrauch


18
325
16 300
Leistung [kW] 275
Mittlerer Druck PE_MI [bar]

14 250
225
12 200

10

0
1000 1250 1500 1750 2000 2250
N [RPM]
Abb. 4-48 Beispiel für eine Isolinien-Kennfelddarstellung

Darstellung von winkelsynchronen Daten


Indizierdaten werden typischerweise nicht zeitlich äquidistant sondern bei gleichen Kur-
belwinkelwerten erfasst. Im Unterschied zu generischen Auswertewerkzeugen müssen
Werkzeuge für Prüfstandsdaten auch die spezifischen Eigenheiten der in diesem Umfeld
vorkommenden Daten unterstützen. Als Beispiel wäre hier zu erwähnen, dass es auf
einfache Weise möglich sein soll, unterschiedliche Verbrennungszyklen anzuwählen,
wenn man mit zyklischen kurbelwinkel-basierten Daten arbeitet.

 
356 4 Softwaresicht – Prüfstand

MD [NM]
800 120
600 100
400 80
200 Time sec 4.040 60
P21 MBAR 2280.303
0 40
MD NM 1773.055
-200 ALPHA PROZ PROZ 104.712 20
3000 2000

MD [NM]
2500 1500
2000 1000
1500 500
1000 0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Zeit [sec]

P_ZYL [BAR] NADEL [MM] LEITUNG [BAR]

0.6 1800
NADEL [MM]

Cycle: 43
0.4 1600
0.2

LEITUNG [BAR]
1400
0.0 1200
-0.2 1000
60 800
P_ZYL [BAR]

40 600
20 400
0 200
-20 0
-50 -40 -30 -20 -10 0 10 20 30 40 50 60
Kurbelwinkel [Grad]

Abb. 4-49 Beispiel einer interaktiven Indiziermessdatenauswertung

Umgang mit großen Datenmengen


Nachdem immer mehr Messdaten aufgenommen und abgespeichert werden, muss auch
das Darstellungswerkzeug für die Verarbeitung großer Datenmengen besondere Mecha-
nismen anbieten. Dazu gehören Methoden des adaptiven Ladens und das Bereitstellen
von Vorschaudaten.
Erstellt man z. B. ein Diagramm mit Daten mit langer Aufnahmezeit, so werden im
ersten Schritt die Daten zwar in voller Länge, jedoch mit reduzierter Auflösung, geladen.
Dadurch bekommt der Anwender einen guten Überblick über die Daten. Durch gezieltes
Zoomen auf der X-Achse kann nun ein bestimmten Bereich vergrößert werden. Die
Software schaltet dann automatisch auf volle Auflösung um, da nun nur mehr ein Teil
der Daten geladen werden muss. Auch hier werden Caching-Mechanismen verwendet,
um beim erneuten Laden des selben Bereichs die Daten nicht erneut z. B. von einem
Datenserver im Netzwerk laden zu müssen.
Datenvergleich
Eine häufige Anwendung im Bereich der Messdatendarstellung ist der Vergleich von
Messdaten. Typischerweise erstellt man ein Diagramm zunächst für Kurven aus einer
Messung. Möchte man nun in diesem Diagramm dieselben Kanäle aus einer anderen
Messung zum Vergleich überlagern oder ersetzen, sollte das auf einfache Art mit weni-
gen Interaktionen möglich sein.
4.7 Messdatenauswertung 357

Abb. 4-50 Einfache Benutzerführung


für den interaktiven Datenvergleich

Hier sollte es auch möglich sein, Eigenschaften der Kurven wie z. B. Linienfarbe, -stärke
und -stil automatisch den unterschiedlichen Messungen zuzuordnen.

4.7.3 Datensynchronisierung

Oft werden am Prüfstand Aufzeichnungen vorgenommen, in denen mehrere Messgeräte


beteiligt sind. Viele dieser Daten sind schon über das Automatisierungssystem synchro-
nisiert. Sind jedoch auch Messgeräte beteiligt, die nicht mit dem Automatisierungss-
system verbunden sind und über eine eigene Aufzeichnung verfügen, können die resul-
tierenden Messdaten bezüglich ihrer Zeitbasiswerte unsynchronisiert sein. Das heisst,
sowohl die Auflösung als auch die Startzeiten sind unterschiedlich. Für die gemeinsame
Auswertung dieser Daten ist nun eine Sychnronisierung auf eine gemeinsame Zeitbasis
notwendig. Typischerweise hat man mit diesen Geräten auch gemeinsame Signale oder
Signale mit ähnlichem Kurvenverlauf (z. B. Drehzahl oder Geschwindigkeit) gemessen.
Diese Signale kann man nun für die Synchronisierung verwenden. Dazu gibt es mehrere
Möglichkeiten:
– Interaktive Zeitbasisverschiebung
– Automatische Zeitbasisverschiebung
Weitere Anforderungen an die Synchronisierung ergeben sich aus der gemeinsamen
Darstellung von zeit- und winkelsynchron aufgenommen Daten sowie aus der Kombina-
tion von numerischen Daten mit Videoaufzeichnungen.

Interaktive Zeitbasisverschiebung
Im grafischen Editor des Auswertewerkzeugs gibt es die Möglichkeit, die zu synchroni-
sierenden Kurven anzuzeigen. Nun hat man entweder direkt durch Ziehen mit der Maus
oder durch spezifische Dialoge die Möglichkeit, einzelne Kurven zu verschieben.

 
358 4 Softwaresicht – Prüfstand

Abb. 4-51 Interaktives Verschieben von Messkurven

Hat man die Verschiebung für eine markante Kurve durchgeführt, kann man nun diese
Verschiebung optional auf sämtliche Kanäle der Messung anwenden.

Automatische Zeitbasisverschiebung
Neben der manuellen Verschiebung sollten gute Nachverabeitungswerkzeuge auch die
Möglichkeit beinhalten, Messdaten automatisch zu verschieben. Auch hier ist es nötig, in
den zu synchronisierenden Messungen möglichst ähnliche Kurven mit ausreichend mar-
kanten Signalverläufen vorzufinden.

Abb. 4-52 Einfache Benutzeroberfläche für automatische Kurvenausrichtung

Das Werkzeug verwendet nun spezielle Korrelationsalgorithmen, die automatisch den


Verschiebungswert berechnen, bei dem die beiden Kurven die maximale Überdeckung
erreichen. Das Ergebnis wird nach der Berechnung sofort grafisch dargestellt, sodass
4.7 Messdatenauswertung 359

man es verifizieren und eventuell manuell noch fein abstimmen kann. Durch die Einbet-
tung dieser Verschiebefunktion in den grafischen Editor kann man auch gezielt vor der
automatischen Synchronisierung mit dem Bandcursor einen Bereich vorgeben, sodass
die nachfolgende automatische Synchronisierung schneller und genauer arbeiten kann.
Auch hier kann man wieder auswählen, ob die Verschiebung für die gesamte Messung
angewandt werden soll.

Datensynchronisierung von Prüfstandsdaten und Indizierdaten


Neben der reinen Zeitbasissynchronisierung gibt es noch weitere Anwendungsfälle der
Datensynchronisierung. Denkbar sind hier z. B. Synchronisierungen zwischen stationä-
ren Prüfstandsdaten und Daten aus dazu parallel laufenden Indiziermessungen. Bereits
während der Erfassung werden hier Verknüpfungsinformationen mit den Stationärmes-
sungen gespeichert. Die Auswertesoftware soll diese Information dazu verwenden kön-
nen, um automatisch jeweils die zu einem Stationärmesspunkt passende Indiziermessung
zu finden und darzustellen.

Abb. 4-53 Beispiel für die interaktive automatische Synchronisation von Prüfstandsmessdaten
und damit verknüpften Indiziermessungen

 
360 4 Softwaresicht – Prüfstand

Synchronisierung zwischen Messdaten und Videodaten


Immer häufiger werden parallel zu Rekordermessungen auch Bilddaten in Form von
Videos aufgezeichnet. Moderne Auswertewerkezeuge sollen ein gemeinsames synchro-
nes Anzeigen und Abspielen von Messdaten und Videoaufzeichnungen erlauben. Be-
wegt man sich mit dem Diagrammcursor an eine andere Stelle der Messdaten, soll sich
das Videobild entsprechend anpassen. Fährt man im Video an eine andere Stelle, soll
sich das Diagramm entsprechend anpassen.

Abb. 4-54 Beispiel für die synchrone interaktive Darstellung von Datenkurven und Video-
inhalten

4.7.4 Formeln und Berechnungen

Neben der Darstellung der Messdaten selbst ist es auch nötig, berechnete Größen darzu-
stellen. Die Berechnung erfolgt hier typischerweise mit einer formelbasierten Berech-
nungsmaschine, die als Eingangsgröße direkt auf die Messdaten zugreifen kann. Die
Ergebnisse der Berechnung werden idealerweise parallel zu den Messgrößen eingeblen-
det, sodass der Benutzer berechnete Größen völlig gleich wie gemessene Größen ver-
wenden kann. Diese Formel-Engine ist ein integrierter Teil der Auswertesoftware. Die
Berechnung erfolgt automatisch, sobald die berechneten Werte für die Darstellung oder
zur weiteren Berechnung benötigt werden.
4.7 Messdatenauswertung 361

Werkzeuge
Je nach Anwendungsfall kann man für die Definition der Berechnung unterschiedliche
Werkzeuge verwenden: Einfache Berechnungen wird man mit einem Taschenrechner-
werkzeug erstellen, für komplexere Berechnungen wird man eine einfache Programmier-
sprache verwenden. Besonders komfortabel sind grafische Berechnungseditoren, die eine
Programmierung durch Anordnen und Verbinden von Berechnungsblöcken erlauben.
Idealerweise verfügt ein Datenauswertewerkzeug über die volle Bandbreite dieser Re-
chenwerkzeuge.

Abb. 4-55 Taschenrechner als einfaches Werkzeug zur Definition von Berechnungen

Funktionen

Allgemeine Funktionen
Zur Datenanalyse sind eine Vielzahl an Berechnungsfunktionen notwendig. Neben den
grundlegenden arithmetischen Funktionen sind sämtliche allgemeine Funktionen wie
Integrieren, Differenzieren, Logarithmieren, sowie trigonometrische, statistische und
logische Funktionen etc. nötig. Darüber hinaus sind Signalverarbeitungsfunktionen, wie
z. B. Glättungsfunktionen, Splines oder Approximationsverfahren, von essenzieller Be-
deutung. Auch die unterschiedlichsten Varianten digitaler Filter und Frequenzanalyse-
verfahren dürfen in Messdatenauswerte-Werkzeugen nicht fehlen.

 
362 4 Softwaresicht – Prüfstand

Abb. 4-56 Beispiel einer grafischen Definition von Berechnungen

Eventauswertung
Eventgesteuerte Auswertungen erlauben das effiziente Auswerten sehr großer Mess-
daten, die sich im Allgemeinen über eine sehr lange Messdauer erstrecken. Typischer-
weise machen die wirklich auswerterelevanten Anteile der Messdaten nur einen Bruch-
teil der gesamten Daten aus. Sehr oft kann man diese relevanten Anteile aufgrund von
Events definieren, wie im Beispiel von Gangschaltungsevents. In diesem Fall sind nur
die Abschnitte der Daten kurz vor und nach diesen Ereignissen von Interesse.
Das Werkzeug soll nun einerseits ein schnelles Auffinden dieser Events erlauben und
die Events auf einer Zeitachse anzeigen. Hier ist es auch sehr hilfreich, die Events filtern
zu können, um z. B. nur hochschaltende Gangwechselereignisse zu untersuchen. Darüber
hinaus sollen nun die gefundenen Events zur Navigation dienen, um sehr schnell und
einfach den jeweils interessanten Teil der Daten vor und nach den Events weiter grafisch
untersuchen zu können.
So zeigt das obere Diagramm in Abb. 4-57 sämtliche Gangwechsel an. Im darunter-
liegenden Diagramm werden nur mehr ausgewählte Gangwechsel angezeigt. Bewegt
man nun den Cursor auf ein spezifisches Gangwechselevent, so wird automatisch im
darüber liegenden Detaildiagramm der zu diesem Gangwechselevent gehörige Detailbe-
reich der Originalmessdaten angezeigt.
4.7 Messdatenauswertung 363

Abb. 4-57 Prinzipschema des breiten Anwendungsbereichs

4.7.5 Klassierungen

Klassierungen erlauben eine sehr effiziente Datenverdichtung. Mittels Klassierungen


kann man aus umfangreichen Messdaten z. B. nur die wirklich schädigungsrelevanten
Anteile ermitteln. Moderne Auswertesoftware soll eine Berechnung der Klassierergeb-
nisse aus Messdaten erlauben. Dazu passsende Dateiformate unterstützen auch eine
Abspeicherung von Klassierergebnissen. Auch diese sollen von Auswerteprogrammen
wieder eingelesen und nach eventueller Reduktion der Dimension auch angezeigt wer-
den können.

Berechnung der Klassiermatrix


Im einfachsten Fall definiert man nur eine Klassierungsdimension, z. B. die Größe Dreh-
zahl. Man spricht dabei von einer eindimensionalen Klassierung. Für diese Dimension
definiert man den Bereich, den man in Klassen einteilen will, sowie die Breite der ein-
zelnen Klassen. Im Falle der einfachsten Klassierung (genannt Sample-Klassierung)
wird nun ermittelt, wie viele Messpunkte in jede der definierten Klassen fallen. Als Er-
gebnis erhält man nun eine Verteilung der Messdaten auf die einzelnen Klassen. Neben
der einfachen Sample-Klassierung gibt es weitere aufwändigere Verfahren, bei denen
unter anderem nicht die Anzahl der Messpunkte pro Klasse, sondern die Anzahl der
tatsächlichen Überrollungen pro Klasse gezählt werden. In diesem Fall wird neben dem

 
364 4 Softwaresicht – Prüfstand

eigentlichen Klassierungssignal auch die Drehzahlinformation genutzt, um zu ermitteln,


wie vielen Umdrehungen ein Messpunkt tatsächlich entspricht.
Eine weitere wichtige Klassierungsvariante ist die Rainflow-Klassierung. Diese dient
dazu aus realen unregelmäßigen Lastwechselsignalen Aussagen über die Schädigungsre-
levanz zu bekommen. Man kann jedoch auch mehrere Dimensionen definieren, die für
eine Klassierung herangezogen werden. In diesem Fall bekommt man als Ergebnis eine
Klassiermatrix. Jedem Eintrag in der Ergebnismatrix entspricht genau eine Kombination
von Werten sämtlicher Klassierdimensionen.

Abb. 4-58 Beispiele für Klassierdarstellungen

Reduktion der Klassiermatrix


Für die sinnvolle Darstellung müssen mehrdimensionale Klassierungen wieder auf eine
oder zwei Dimensionen reduziert werden. Der Vorteil der Berechnung mehrdimensiona-
ler Klassierungen liegt darin, dass man die zeitaufwändige Klassierungsberechnung nur
4.7 Messdatenauswertung 365

einmal durchführen muss. Das Reduzieren einer mehrdimensionalen Klassierung auf


eine niedrigere Dimension benötigt danach nur mehr einen Bruchteil der Zeit und kann
nun für beliebige Kombinationen von Dimensionen rasch durchgeführt werden. Auch
diese Funktionalität soll in modernen Auswertepaketen enthalten sein.

Darstellung der Klassierungsergebnisse


Eindimensionale Klassierergebnisse werden typischerweise in Balkendiagrammen dar-
gestellt. Zweidimensionale Klassierergebnisse können als 3D-Balken oder auch als Pi-
vot-Tabellen dargestellt werden.

4.7.6 Effizienzsteigerung bei der Datenauswertung

Layouts
Die Erstellung komplexer Darstellungen kann recht aufwändig sein. Deshalb ist es sehr
wichtig, dass die Layouts für diese Darstellungen auf einfache Art abgespeichert und
später wieder geladen werden können. Es soll auch möglich sein, gespeicherte Darstel-
lungen mit beliebigen anderen Messdaten zu verwenden, solange die verwendeten Na-
men der Kanäle übereinstimmen.

Modellierung von Arbeitsabläufen


Komplexere Auswerteaufgaben bestehen aus mehreren Schritten, die typischerweise in
einer definierten Reihenfolge abgearbeitet werden. Das Auswertewerkzeug soll erlauben,
spezifische Arbeitsabläufe zu modellieren und die Oberfläche des Werkzeugs den Ab-
läufen anzupassen. Gegebenenfalls sollen auch nicht benötigte Funktionen des Werk-
zeugs ausgeblendet werden, damit der Benutzer nicht vom eigentlichen Ablauf abgelenkt
wird.

Spezifische Anpassung der Oberfläche an die Auswerteaufgabe


Es soll auch möglich sein, die Oberfläche des Werkzeugs der Rolle des Benutzers anzu-
passen. Ein Benutzer, der eine Auswertung erstellen soll, benötigt wesentlich mehr
Funktionen als ein Benutzer, der eine Auswertung nur verwendet. Es ist also nötig diese
Rollen und die damit verbundene Benutzeroberfläche flexibel definieren zu können.

Austausch ganzer Arbeitsumgebungen für Auswertungen


Besonders in größeren Unternehmen gibt es eine Vielzahl von komplexen Auswerteauf-
gaben, die jeweils über ihren spezifischen Arbeitsablauf und ihre maßgeschneiderte
Benutzeroberfläche definiert sind. Die gesamte Arbeitsumgebung für die Auswerteauf-
gabe soll auf einfache Art und Weise austauschbar sein. Der Applikationsentwickler
erstellt sämtliche Layouts, den Arbeitsablauf und die Anpassungen der Oberfläche und
speichert diese gesamte Arbeitsumgebung als Datei ab. Ein Benutzer braucht nun nur
diese Arbeitsumgebung mit dem Auswertewerkzeug zu laden und hat damit automatisch
eine optimal angepasste Oberfläche für eine bestimmte Aufgabe. Der Wechsel zu einer
völlig anderen Arbeitsumgebung für eine andere Auswerteaufgabe erfordert lediglich
das Laden einer anderen Arbeitsumgebungsdatei.

 
366 4 Softwaresicht – Prüfstand

Abb. 4-59 Beispiel einer Arbeitsumgebung für Kennfeldinterpolation mit angepasstem Arbeits-
ablauf

Automatisierung der Auswertung


Sämtliche Möglichkeiten des Auswertewerkzeugs sollen auch für eine automatisierte
Auswertung von Messdaten zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass alle Aktionen, die
interaktiv über die Benutzerschnittstelle möglich sind, auch programmatisch in einer
Scriptsprache verfügbar sein müssen. Makrorekorder unterstützen den Prozess der Au-
tomatisierung, indem sie interaktive Schritte aufzeichnen und diese beispielsweise als
ablauffähiges Skript zur Verfügung stellen. Diese Aufzeichnung kann als Basis für eine
komplexe Automatisierungsroutine dienen.
Damit ist es dann möglich, Auswertungen völlig automatisch ablaufen zu lassen. So
kann man beispielsweise dieselben Auswertungen über sämtliche neuen Versuche durch-
führen, sodass danach für alle Versuche die gleichen standardisierten Berichte verfügbar
sind. Damit ist es möglich, die Berichtserstellung entweder direkt nach der Abspeiche-
rung des Versuchs oder auch gesammelt für alle Versuche in der Nacht durchzuführen.
4.8 Sicherheit 367

4.8 Sicherheit
4.8.1 Gefährdungsanalyse und Risikobeurteilung

Der Hersteller einer Maschine ist nach der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG verpflichtet
eine Gefährdungsanalyse durchzuführen, um die mit der Maschine verbundenen Gefah-
ren zu ermitteln. Die Norm EN ISO 12100:2010 „Sicherheit von Maschinen – Allgemei-
ne Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominimierung” beinhaltet die In-
formationen, welche zur Risikobeurteilung erforderlich sind. Für die definierten Risiken
kann mit Hilfe der Normen EN ISO 13849-1 oder IEC 62061 eine Eingruppierung in
Sicherheitskategorie, Performance Level (PL) oder Safety Integrity Level (SIL) durchge-
führt werden. Die Normen enthalten Gestaltungsleitsätze für sicherheitsbezogene Teile
von Steuerungen.
Die Risikobeurteilung erfolgt nach folgenden Kriterien:
– Schwere der möglichen Verletzung (schwer/leicht)
– Häufigkeit oder Aufenthaltsdauer im Gefahrenbereich (häufig/selten)
– Möglichkeiten zur Vermeidung (kaum möglich/möglich)
Dabei ist der Hersteller für die Sicherheit des Produktes verantwortlich und muss des-
halb die folgenden Auflagen erfüllen:
– Erstellen einer Risikoanalyse über die Gefahren, die von der Maschine selbst aus-
gehen
– Aufstellen von Maßnahmen zur Reduzierung und Beseitigung der Gefahren
– Dokumentation des Restrisikos aus Sicht des Herstellers
– Auswahl einer geeigneten Steuerung, Anbringung von Schutzeinrichtungen und Si-
cherstellen einer ergonomischen Bedienung
– Dokumentation der Maschine mit einem Hinweis auf Restgefahren
Der Betreiber der Maschine ist verantwortlich für die Sicherheit der Anwendung. Zu
seinen Aufgaben gehören:
– Erstellung einer Risikoanalyse über die Gefahren, die von der Verwendung der Ma-
schine ausgehen
– Dokumentation des Restrisikos aus der Sicht des Betreibers
– Gewährleistung eines sicheren Betriebs und des Schutzes des Bedienpersonals, bei-
spielsweise über geeignete Absperrungen oder Unterweisungen
Bei der Sicherheit eines Produktes und der Anwendung gilt der Grundsatz der Risiko-
minderung über eine inhärent sichere Konstruktion. Sollte dies nicht möglich sein, müs-
sen zunächst technische Schutzmaßnahmen getroffen werden. Eine entsprechende Be-
nutzerinformation ist der letzte Schritt, falls konstruktive oder technische Schutzmaß-
nahmen nicht realisiert werden können.

 
368 4 Softwaresicht – Prüfstand

4.8.2 Gefährdungsanalyse an Prüfständen

Gefahrenanalysen haben ergeben, dass die mechanischen Bewegungen in der Prüfzelle


die größte Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Personen darstellen. Besonders
gefährlich sind die Drehbewegungen des Systems Dyno-Welle-Prüfling am Motoren-
bzw. Elektromotorenprüfstand und Drehbewegungen von Antriebsstrangkomponenten.
Zusätzlich stellen besonders bei Mehrmaschinenprüfständen hohe Drehmomente eine
große Gefahr dar. Selbst bei niedrigen Drehzahlen oder Stillstand (Drehzahl = 0) kann es
durch Verspannungen im Antriebsstrang zu Materialbeschädigungen und zum Bruch von
Achsen und Wellen kommen. Gebrochene, sich drehende Achsen und Wellen sind auch
bei niedriger Drehgeschwindigkeit gefährlich. Die oben beschriebenen Gefahren werden
bei der Anwendung der Norm EN ISO 13849-1 besonders beachtet. Gefahren durch
Feuer, Kontamination, Transport mittels mechanischer Systeme und gefährliche Stoffe
sind gesondert berücksichtigt. Bei Prüfständen für elektrische Komponenten aus Fahr-
zeugen sind hohe Gleichspannungen ein neues Gefahrenpotenzial. Bei Brennstoffzellen-
prüfständen muss auf austretendes H2-Gas geachtet werden.

Schwere der Verletzung (S)


P1 S1 Leichte (üblicherweise reversible) Verletzung
a
F1 S2 Schwere (üblicherweise irreversible) Verletzung
P2 einschließlich Tod
b
S1 P1
b
F2 Häufigkeit und/oder Dauer der Gefährdungsexposition (F)
P2
c F1 Selten bis öfter und/oder kurze Dauer der
P1 Exposition
F1 c
P2 F2 Häufig bis dauernd und/oder lange Dauer der
S2
d Exposition
P1
F2 d
Möglichkeit zur Vermeidung der Gefährdung (P)
P2
e P1 Möglich unter bestimmten Bedingungen
P2 Kaum möglich

Abb. 4-60 Risikograf gemäß EN ISO 13849-1 zur Bestimmung des Performance Levels
für drehende Teile

Die Norm EN ISO 13849-1 „Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsbezogene Teile von
Steuerungen – Teil 1: Allgemeine Gestaltungsleitsätze“ beschreibt das Sicherheitsniveau
einer Sicherheitsfunktion als Performance Level (PL). Bei drehenden Teilen am Prüf-
stand, die zu schweren Verletzungen oder Tod führen können, ist deshalb der Perfor-
mance Level „d“ erforderlich. Dieser Performance Level kann bei Verwendung von
sicherheitsbezogenen Teilen von Steuerungskomponenten durch eine redundante Struk-
tur – also beispielsweise durch einen zweikanaligen Aufbau– erreicht werden. Dabei
müssen die Systeme mit einem Diagnosedeckungsgrad (DC) t 60 % und mit einer hohen
4.8 Sicherheit 369

Bauteilqualität (MTTFd > 30 Jahre) ausgelegt werden. Die Einstufung PL „d“ entspricht
dabei der Einstufung SIL 2 über die Norm IEC/EN 62061, die das Sicherheitsniveau
einer Sicherheitsfunktion als Safety Integrity Level (SIL) beschreibt. Abb. 4-60 zeigt den
Risikograf gemäß EN ISO 13849-1 zur Bestimmung des Performance Level für drehen-
de Teile, wie sie beispielsweise bei Belastungsmaschinen, Wellen und Motoren am Prüf-
stand vorkommen.
Dabei ist der Diagnosedeckungsgrad DC ein Maß für die Wirksamkeit der Diagnose
und wird über das Verhältnis der Ausfallrate der bemerkten gefährlichen Ausfälle und
der Ausfallrate der gesamten gefährlichen Ausfälle ermittelt. Die mittlere Zeit bis zum
gefahrbringenden Ausfall (MTTFd) kann als Maß für die Bauteilqualität herangezogen
werden. Eine mögliche redundante Architektur zeigt Abb. 4-61.

m
im
l1 L1 im O1

m
im
l2 L2 im O2

Die gestrichelten Linien zeigen die vernünftigerweise durchführbare Fehlererkennung.

Legende
im Verbindungsmittel
C Kreuzvergleich
l1, l2 Eingabeeinheiten
L1, L2 Logik
m Überwachung
O1, O2 Ausgabeeinheiten, z. B. Hauptschütz

Abb. 4-61 Redundante Architektur mit Kreuzvergleich zweier Steuerungen

Der Performance Level muss für jede Gefährdung (z. B. Konditionierung) getrennt er-
mittelt werden. Danach wird die Sicherheitskette ausgelegt. Ein rechnerischer Nachweis
kann mit dem Werkzeug SISTEMA des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Ge-
setzlichen Unfallversicherung erstellt werden. Sicherheitskreise können z. B. mit Hilfe
des Safety Calculators PAScal der Firma Pilz GmbH & Co. KG verifiziert werden.

 
370 4 Softwaresicht – Prüfstand

4.8.3 Sicherheitsrelevante Systeme

Der Begriff „sicherheitsrelevante Systeme“ umfasst alle Systeme des Prüfstandes, die
während des Betriebs eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Personen dar-
stellen und in gefährlichen Situationen sicher stillgesetzt werden müssen („Sicher abge-
schaltetes Moment“, Nothalt). Zu den sicherheitsrelevanten Systemen gehören:
– Belastungsmaschine, elektrischer Antriebsmotor
– Prüfling: Verbrennungsmotor, E-Motor, Hybridmotor
– Welle: Verbindung von Belastungseinheit und Prüfling
– Elektrische Spannungsquelle: Batterie, Brennstoffzelle, SuperCAP
– Schaltroboter, Ganghebelsteller, Docksystem, Spannungsquelle (z. B. Batteriesimu-
lator)
– Mess- und Konditioniergeräte, externe Geräte

4.8.4 Sicherheitsfunktionen

In gefährlichen Situationen (z. B. Öffnen der Prüfzellentüren während des Prüfbetriebs,


Öffnen des Wellenschutzes, Notfall, der zum Drücken des NOTHALT-Tasters veran-
lasst) wird eine Funktionskette in Gang gesetzt, die das Prüfstandssystem sicher still-
setzt. Das Stillsetzen erfolgt durch die Sicherheitsfunktionen „Sicherer Stopp 1“ (SS1),
„Sicher abgeschaltetes Moment“ (STO) und Nothalt.
Beim „Sicheren Stopp 1“ (SS1) führt das elektrische Leistungsantriebssystem oder
die externe Sicherheitssteuerung folgende Funktionen aus:
a) Auslösen und Überwachen der Größe der Motorverzögerung innerhalb festgelegter
Grenzen und Auslösen der STO-Funktion, wenn die Motordrehzahl Stillstandbedin-
gungen erreicht, oder
b) Auslösen der Motorverzögerung und nach einer anwendungsspezifischen Zeitverzö-
gerung Auslösen der STO-Funktion
Diese Sicherheitsfunktion entspricht einem gesteuerten Stillsetzen nach IEC 60204-1,
Stopp Kategorie 1.
Im Zustand „Sicher abgeschaltetes Moment“ (STO) wird dem Motor keine Energie
zugeführt, die eine Drehung bzw. eine Bewegung beim Linearmotor verursachen kann.
Das elektrische Leistungsantriebssystem liefert keine Energie an den Motor, die ein
Drehmoment bzw. eine Kraft bei einem Linearmotor erzeugen kann. Dies entspricht
einem ungesteuerten Stillsetzen nach IEC 60204-1, Stopp Kategorie 0. Diese Sicher-
heitsfunktion wird verwendet, wenn die Abschaltung der Energie zur Verhinderung
eines unerwarteten Anlaufs oder zur Begrenzung der Drehzahl erforderlich ist.
Im Gegensatz dazu bezeichnet man mit STOP ein gesteuertes Stillsetzen, bei dem die
Energiezufuhr zu den Maschinenantriebselementen beibehalten wird. Diese Sicherheits-
funktion entspricht einem gesteuerten Stillsetzen nach IEC 60204-1, Stopp Kategorie 2.
Die folgenden Voraussetzungen müssen am Prüfstand gegeben sein, damit die Si-
cherheitsanforderungen erfüllt werden können:
4.8 Sicherheit 371

– Die Prüfzelle ist vom Bedienbereich räumlich getrennt. Alle potenziellen Gefahren-
quellen befinden sich in der Prüfzelle: Belastungseinheiten, Prüfling, Welle, Schalt-
roboter, Ganghebelsteller, Kupplungsaktuator, Docksystem, Batteriesimulator, Mess-
und Konditioniergeräte und externe Geräte.
– Wände, Boden, Decke, Türen und Fenster der Prüfzelle sind ausreichend fest, damit
unter Umständen brechende und durch die Luft geschleuderte Teile – z. B. bei einem
Materialbruch – nicht nach außen durchdringen können.
– Alle bewegten Teile innerhalb der Prüfzelle – vor allem jene, die eine Gefahr für das
Leben und die Gesundheit von Personen darstellen (z. B. Welle, bewegte Teile des
Motors) – sind gegen Berühren abgedeckt.
– Alle zum Prüfbetrieb notwendigen Komponenten erfüllen alle für sie anwendbaren
EG-Richtlinien. Entsprechende Konformitätserklärungen bzw. Einbauerklärungen
müssen vorhanden sein.

4.8.5 Sicherheitshardware

Verbrennungsmotoren- und Elektromotorenprüfstand


Das nachstehende Bild (Abb. 4-62) zeigt den prinzipiellen Aufbau einer Sicherheits-
hardware an einem Verbrennungsmotorenprüfstand.

Taste Drehzahlsensoren
Betriebsartenschalter WIEDERAUFNAHME Wellenschutz mit Sicherheitsschalter
(Schlüsselschalter) TEST Sicherheitsschalter für Prüfzellentüren

Sicherheits-SPS NOT-HALT-TASTER
(im Schaltschrank) Schlüsseltaster ABHÖRVERSUCH
(im Bedienraum neben Prüfzellentür)

Abb. 4-62 Beispiel für eine Sicherheitshardware für Verbrennungsmotoren- oder Elektro-
motorenprüfstände

 
372 4 Softwaresicht – Prüfstand

Da sich die drehenden Teile von diesem Prüfstandstype nicht von einem Elektromoto-
renprüfstand unterscheiden, kann diese Anordnung auch für zweiteren Prüfstand ver-
wendet werden.

Mehrmaschinenprüfstand
Die Sicherheitshardware für Mehrmaschinenprüfstände ist etwas komplexer als für Ein-
maschinenprüfeinreichtungen. Sie wird in der folgenden Abbildung dargestellt:

Betriebsartenschalter Taste DYNO-STO- Drehzahlsensoren Sicherheitsschalter


(Schlüsselschalter) WIEDERAUFNAHME Schlüsselschalter für Prüfzellentüren
TEST

NOT-HALT-TASTER
Sicherheits-SPS
Schlüsseltaster ABHÖRVERSUCH
(im Schaltschrank)
(im Bedienraum neben Prüfzellentür)

Abb. 4-63 Beispiel für eine Sicherheitshardware für Powerpack- oder Mehrmaschinenprüfstände

4.8.6 Aufbau der Sicherheitsfunktionen

Der grundsätzliche Aufbau der Sicherheitsfunktionen hat folgende Eigenschaften:


– Die gesamte Hardware ist – wo benötigt – zweikanalig aufgebaut.
– Für das nach der Norm erforderliche Sicherheitsniveau werden geeignete Hardware-
Komponenten eingesetzt.
– Das verwendete Sicherheitsschaltgerät (Sicherheits-SPS) hat eine ausreichend schnel-
le Reaktionszeit, um bei den schnell hochlaufenden Belastungseinheiten noch vor Er-
reichen gefährlicher Drehzahlen ein „Sicher abgeschaltetes Moment“ aktivieren zu
können. Dabei steht die Abkürzung SPS für Speicherprogrammierbare Steuerung.
4.8 Sicherheit 373

– Die Steuereinheiten von gefährlichen Bewegungen (Belastungseinheit, Schaltroboter)


haben auch intern eine zweikanalige Ausführung zur Sicherstellung der Funktionen
„Sicher abgeschaltetes Moment“ und Nothalt.
– Die Belastungseinheiten müssen eine sicherheitsgerichtete Schnittstelle besitzen, die
ein Ausführen von „Sicher abgeschaltetem Moment“ und Nothalt ermöglicht.
– Durch funktionelle Signale werden auch in der Automatisierung die jeweiligen Be-
triebsarten und Reaktionen angezeigt und verarbeitet. Diese Funktionalität ist nicht
sicherheitsgerichtet. Sicherheitsfunktionen werden von der Sicherheitshardware aus-
geführt
Die Sicherheits-SPS überwacht nach Abb. 4-64 die folgenden Sensoren und Sicherheits-
funktionen:

Auswahl der Betriebsart


Betriebsartenschalter
STO für nicht verwendete Zutrittskontrolle Prüfzelle
Dynos bei Mehrfachkonfiguration Sicherheitsschalter für Prüf-
DYNO-STO-Schlüsselschalter zellentüren (Türkontaktschalter)

Sicherheits-SPS
Drehzahlüberwachung Dyno(s) Reset
Drehzahlsensoren Taste WIEDERAUFNAHME TEST
(„Keine Person in Prüfzelle“,
Berührungsschutz (Welle) STO zurücksetzen)
Wellenschutz mit Taste RESET am Bedienfeld
Sicherheitsschalter (Not-Halt zurücksetzen)

Abschaltung/Not-Halt Abhörversuch
NOT-HALT-Taster Schlüsseltaster ABHÖRVERSUCH

STO = Safe Torque Off („Sicher abgeschaltetes Moment“)

Abb. 4-64 Eingänge (Sensoren und Sicherheitsfunktionen) für eine Sicherheits-SPS

Je nach Betriebsart werden diese Funktionen wie nachfolgend beschrieben unterschied-


lich ausgeführt.

Prüfbetrieb
Zum Prüfbetrieb zählen manueller Betrieb, Automatikbetrieb und Remotebetrieb. Wäh-
rend des normalen Prüfbetriebs darf keine Person in der Prüfzelle sein, wobei das Öffnen
der Türen durch Türkontakte sicherheitsgerichtet überwacht wird. In dieser Betriebsart
können Prüfläufe durchgeführt werden. Wird eine Tür zur Prüfzelle geöffnet, erfolgt
eine sicherheitsgerichtete Abschaltung. Nach geregeltem Herunterfahren befindet sich
die Belastungsmaschine im sicheren Zustand „Sicher abgeschaltetes Moment“ (STO).
Wird bei Stillstand (z. B. Prüflaufende) die Tür zur Prüfzelle geöffnet, erfolgt auch ein
Übergang der Belastungsmaschine in den Zustand „Sicher abgeschaltetes Moment“.
Dadurch wird das Schutzziel gegen unerwarteten Anlauf erfüllt. Über die in Hardware

 
374 4 Softwaresicht – Prüfstand

ausgeführte Taste WIEDERAUFNAHME TEST erfolgt die Freigabe für die Prüflauf-
fortsetzung und die Bestätigung, dass sich keine Person in der Prüfzelle befindet. Eine
mögliche Realisierung zeigt Abb. 4-65.

Betriebsarten-
schalter Taste
WIEDERAUFNAHME Taste RESET
NOT-HALT-Taster,
TEST (Bedienfeld)
Wellenschutz-Schalter
Türkontaktüberwachung, Brandalarm
Betriebsart Zutrittskontrolle Prüfzelle HC-Alarm, CO-Alarm
PRÜFBETRIEB

Abhörversuch

Sicherheits-SPS

Dyno(s) Prüfling Schaltroboter, Docksystem Batteriesimulator Messgeräte,


(Belastungsmaschine[n], Ganghebelsteller Konditioniergeräte,
elektrischer Antriebsmotor) externe Geräte

STO Not-Halt “Zündung“ Reset STO = Safe Torque Off (“Sicher abgeschaltetes Moment“)

Abb. 4-65 Sicher abgeschaltetes Moment und Nothalt in Betriebsart PRÜFBETRIEB

Prüfzellenservice
In der Betriebsart Prüfzellenservice sind alle sicherheitsrelevanten Systeme dauerhaft im
Zustand Nothalt (siehe auch Abb. 4-66). Dynos sind elektromechanisch abgeschaltet.
Die Zündung des Prüflings ist abgeschaltet. In dieser Betriebsart dürfen die Prüfzellen-
türen geöffnet werden bzw. offen stehen. Personen dürfen sich in der Prüfzelle befinden.
Arbeiten an der Mechanik (Prüfling, Welle, Dyno usw.) können durchgeführt werden.
Bevor Arbeiten an elektrischen Einrichtungen durchgeführt werden, muss der Haupt-
schalter auf AUS gestellt werden.
4.8 Sicherheit 375

Betriebsarten-
schalter

Betriebsart
PRÜFZELLEN
SERVICE

Sicherheits-SPS

Dyno(s) Prüfling Schaltroboter, Docksystem Batteriesimulator Messgeräte,


(Belastungsmaschine[n], Ganghebelsteller Konditioniergeräte,
elektrischer Antriebsmotor) externe Geräte

Not-Halt “Zündung“

Abb. 4-66 Nothalt in Betriebsart PRÜFZELLENSERVICE

Reduzierte Drehzahl

Motoren- und Elektromaschinenprüfstände


In diesem Betriebszustand ist das Betreten der Prüfzelle erlaubt. Der Motor läuft weiter,
solange sich die Drehzahl unter der sicheren Drehzahlgrenze befindet. Bei Überschrei-
tung der Grenzdrehzahl wird die Belastungsmaschine unmittelbar in den Zustand „Sicher
abgeschaltetes Moment“ (STO) geschaltet und trudelt aus. Parallel dazu wird der Prüf-
ling ausgeschaltet. Wird durch den Anwender ein Stopp ausgelöst und der Stillstand
erreicht, erfolgt auch ein Übergang der Belastungsmaschine in den Zustand „Sicher
abgeschaltetes Moment“. Dadurch wird das Schutzziel gegen unerwarteten Anlauf er-
füllt. Über in Hardware ausgeführte Taster erfolgt die Freigabe für einen neuerlichen
Start und die Bestätigung, dass keine Person in der Prüfzelle durch den Start gefährdet
wird. Abb. 4-67 veranschaulicht diesen Betriebszustand.

 
376 4 Softwaresicht – Prüfstand

Betriebsarten-
schalter

Taste RESET
NOT-HALT-Taster,
Drehzahl- (Bedienfeld)
Taste Wellenschutz-Schalter
WIEDERAUFNAHME überwachung Brandalarm
Betriebsart (Dyno) HC-Alarm, CO-Alarm
TEST
REDUZIERTE
DREHZAHL

Bedingung: Bedingung:
Sicherheits-SPS
Zeitüberschreitung und nist > nreduziert oder
(nist = 0) nist = 0

Dyno Prüfling Docksystem Batteriesimulator Messgeräte,


Konditioniergeräte,
externe Geräte

STO Not-Halt “Zündung“ Reset

nist = Istdrehzahl nreduziert = reduzierte Drehzahl STO = Safe Torque Off (“Sicher abgeschaltetes Moment“)

Abb. 4-67 Sicher abgeschaltetes Moment und Nothalt in Betriebsart REDUZIERTE DREH-
ZAHL

Mehrmaschinen- und High-Speed-Prüfstände


In der Betriebsart REDUZIERTE DREHZAHL dürfen sich Personen in der Prüfzelle
befinden. Die Abtriebsmaschinen werden auf „Sicher abgeschaltetes Moment“ gesteuert.
In der Prüfzelle können bestimmte Arbeiten verrichtet werden. Dazu gehören beispiels-
weise optische und akustische Überprüfungen an dem mit niedriger Drehzahl laufenden
Prüfling oder eine Ölstandskontrolle.

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