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Elvira Frankenheim

Eine Woche Malle


Eine Woche Malle - 3 Sterne AI

E-Book Version 1 - September 2010

Copyright©2009 Elvira Frankenheim

Alle Rechte beim Verlag Stefan Hoffmann Dormagen

Umschlaggestaltung: Steffi

Infos unter: www.schnickschnackblues.de


Viel Ruhe in Cala Ratjada wünschen sich der schon etwas in die Jahre
gekommene Autor Dieter und seine junge Freundin, als die beiden eine
Flugpauschalreise nach Mallorca buchen. Eine wild gewordene Horde
von tschechischen Cellisten verwüstet jedoch dort die Hotelzimmer, das
bedeutet Arbeit für Sarah Sackmann. Die sexy Reiseleiterin kümmert sich
auf eine ganz reizende Art und Weise um das Wohl ihrer Feriengäste.
Allerdings nur um das der männlichen ...
5. Mai 2009 - 3.55 Uhr
Jesus Christus, der ist vom Teufel besessen! Mit 90 km/h durch die
geschlossene Ortschaft. Unser in Anatolien geborener Taxifahrer stinkt zu
allem Übel noch heftig nach Rasierwasser von Atatürk, das mit
Knoblauch. Na fabelhaft! Dieter sitzt vorne und döst ´ne Runde. Es ist
kurz vor vier morgens. Zu dieser unmoslemischen Zeit zwitschert weder
Nachtigall noch Lerche, nur einige wenige werden noch munter am
Vögeln gewesen sein. Nachts in der Großstadt. Knut steckt in Ruth,
Lesbe Heike in Mareike und der einsame Gunter holt sich einen runter.

Mein Freund und ich fahren nicht in Urlaub, um es wild zu treiben,


sondern um endlich mal eine ganze Woche etwas Gemeinsames zu
erleben, weil wir noch nie das Glück hatten, länger als ein Wochenende
zusammen zu verbringen. Außerdem haben wir letzte Nacht in der Kiste
dermaßen vorgelegt, dass ich mich davon eine Woche richtig gut erholen
muss. Dieter ist ein prima Lover. Als er mir an seinem Geburtstag zum
ersten Mal den Slip heruntergerissen hat, vor drei Monaten war das,
dachte ich, jetzt kommt die schnellste Nummer deines Lebens. Hier
wurde ich eines Besseren belehrte. Bereits sein Vorspiel war so prickelnd,
wie ich es vorher nie im Bett erlebt hatte. Weder Potenz- noch Prostata-
probleme scheinen ihm Schwierigkeiten zu bereiten, noch Haare wollen
ihm keine ausfallen. Bei Männern um die Fünfzig sicher eine Seltenheit.
Aber Erfahrungen mit Liebhaber, die doppelt so alt sind wie ich, hatte ich
bisher noch nicht gesammelt.

Der Taxifahrer fragt mich, ob ich Musik aus seiner Heimat hören möchte.
Unüberlegt sage ich zu. Das Gedudel ist schrecklich, dazu singt der noch,
zumindest versucht er es. Mein Schatz zeigt sich wieder als die Ruhe in
Person und döst unbeeindruckt weiter. Als das Lied zu Ende ist, verrät
mir der chaotische Karaoke-Amateur, seinem Schwager gehört die
Imbissstube Istanbul, dort gibt es den besten Döner in der ganzen
Altstadt. Den Spruch hat er aus amerikanischen Spielfilmen geklaut,
allerdings geht´s da immer um die besten Hamburger in der ganzen Stadt,
auch wenn es sich nur um ein verschlafenes Provinznest handelt, häufig
im texanisch-mexikanischen Grenzgebiet. Der Fremde, der das Restau-
rant betritt, jagt entweder einen entflohenen Sträfling, ein Alien oder ist
einem Umweltskandal auf der Spur.

***

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Unser Chauffeur wechselt im Rheinufertunnel auf die linke Spur, weil er
ein Überholmanöver startet. Bei seinem beschnittenen Schwager werde
ich wohl kaum einen Happen essen, ich ziehe Sushi als auch Gerichte mit
Curry vor. Wer kann schon sicher sagen, dass seine Speisen die besten
sind? Was mich bei der Ratesendung Wer wird Millionär? mit Günther
Jauch immer zum Schmunzeln bringt, ist Günnis folgende Frage „Zu wie
viel Prozent sind Sie sich sicher?“ Ha, entweder bin ich mir sicher oder
nicht! Dazwischen liegt bei mir nichts. Oder doch? Ein bisschen
schwanger gibt´s auch nicht, oder? Wenn jemandem alle vier Antworten
spanisch vorkommen, und er entscheidet sich für eine, dann müsste er
sich im Grunde genommen zu 25 Prozent sicher sein. Ich weiß nicht, wie
die alle auf ihre 10, 20, 30 Prozent und so kommen, keine Ahnung. Na ja,
Mathematik war, im Gegensatz zu shoppen gehen und Mangas zeichnen,
noch nie so richtig mein Ding. Das Leben ist ganz schön kompliziert, und
mit binomischen Formeln wird´s einfach noch komplizierter, findet ihr
nicht?

Wir sind am Terminal angekommen. Mit meinem Freund spiele ich


Schnick Schnack Schnuck und Dieter darf die 35 Euro Taxifahrt
bezahlen. Pech für ihn, Glück für mich. Für das gesparte Geld kauf ich
mir im Urlaub was Heißes zum Anziehen, geil!!! Hand aufs Herz, wir
Frauen haben doch alle diesen Klamotten-Tick. Und alles Haben-Wollen
wäre noch besser. Na ja, warum nicht gleich ein kleines Häuschen im
Grünen mit Garten und Obstbäumen, ich will Kirschen. Habsucht hin,
Habsucht her. Aber wer träumt nicht davon? Dieter ist es übrigens egal,
wie viel ich für Kleidung ausgebe, mein Modebewusstsein wäre ganz
nett, er schätzt meinen tollen Geschmack. Mein Vater hat, als ich noch
jünger war, oft geschimpft, wenn ich mein ganzes Geld für Klamotten
verjubelt hatte. Er hielt nix von meinem Modebewusstsein. Die Menschen
sollten besser mal ein Gottesbewusstsein entwickeln und warnte an-
dauernd vor der Habsucht. Mein Vater ist Christ, geht aber nie in die
Kirche, da wären zu viele Heuchler. Solche Menschen lesen, hören,
predigen das Wort Gottes, befolgen es aber nicht. Oder ziehen keinen
Nutzen davon und genießen ihr Leben nicht.

Schnell raus aus dem Wagen, der Geruch ist schon ein wenig penetrant,
und erst mal einchecken und so. Das kann dauern. „Hoffentlich zeigen die
im Flieger nicht wieder die Mr. Bean Folge beim Zahnarzt“, sagt mein
Schatz zu mir, als wir uns am AIRBERLIN Schalter anstellen. Mit dieser
Gesellschaft ist Dieter schon des Öfteren nach Mallorca geflogen. Und

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mit meinem Dentisten hatte ich lange kein Rendezvous mehr, fällt mir
dazu ein. Ich sollte ihm nach meinem Urlaub einen Besuch abstatten. Von
einer solchen netten Kapazität von Doktor, der dazu noch atemberaubend
aussieht, lasse ich mir jedes Mal mit Freude die virtuose Anwendung von
Zahnseide beibringen. Haare auf den Zähnen hab ich keine, aber dafür
Dieter um so mehr. Eigentlich ist der in vieler Hinsicht das genaue
Gegenteil von mir, schon optisch. Während ich bei Germany´s next
Topmodel phänomenale Chancen auf die ersten Plätze hätte - Eitelkeit
hin, Eitelkeit her - könnte er keinen Blumentopf bei einem Schönheits-
wettbewerb gewinnen. The Beauty and the Beast, das war schon immer
ein Klassiker. Dieter meint, die beste Waffe eines Mannes ist die
Attraktivität seiner Frau. Mein Vater macht mich heute noch darauf
aufmerksam, dass meine Schönheit vergänglich ist, nur eine gottes-
fürchtige Frau erhält ihren Lohn. Akustisch wiederum ist mein Romeo
wesentlich auffälliger als ich es bin, aber es gibt auch Ausnahmen. Beim
Sex zum Beispiel. Oder wenn ich auf der Theaterbühne stehe. Das ist
ebenfalls mein Ding - Theater spielen!

***

Dieter wohnt in einer Stadt am Rhein, die zwischen Köln und Düsseldorf
liegt. Hier hatte jemand Mitte der Neunziger Jahre an einem Badesee sein
Krokodil verloren, was damals bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Wir
kennen uns seit fünf Jahren. Er suchte übers Web eine Zeichnerin und
fand mich. Zufall? Schicksal? Göttliche Fügung? Gott hat überall seine
Finger mit im Spiel, belehrt mich mein Vater heute noch. Das könnte man
auch Schicksal nennen, Zufall gäbe es nicht. Die ersten vier Jahre
kommunizierten Dieter und ich ausschließlich übers Internet und Telefon.
Auf der Arbeitsebene haben wir uns von Anfang an gut verstanden. Für
seine verrückten Satireheftchen durfte ich die Coverfiguren zeichnen.
Seine Ideen grafisch umzusetzen, bereitete mir viel Spaß und gab mir
Bestätigung, denn Dieter war äußerst zufrieden mit meiner Arbeit. Wir
ergänzten uns, und so ist das auch geblieben. Apropos verrückt. Dazu
fällt mir ein interessanter Spruch von Dieter ein, der wie folgt lautet: „Die
höchste Form des Glückes ist ein Leben mit einem gewissen Grad an
Verrücktheit.“ Ziemlich krass was, oder?

***

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Letztes Jahr im Juli hatte Dieter etwas in Osnabrück zu erledigen und wir
nutzen diese Chance, um uns endlich mal in die Äuglein zu schauen.
Direkt in Osnabrück wohne ich nicht, aber ich hab beruflich viel in dieser
merkwürdigen niedersächsischen Stadt zu tun, wo es Wüste gibt und viel
Wasser in Moskau. Bei diesem ersten Treffen in einem Restaurant zog er
mich sofort magisch an. Zur Begrüßung wurde ich überhäuft mit Kom-
plimenten, die charmant, witzig und einfallsreich waren. Ich kam auf
meine Kosten, er kam auf seine Kosten. Sein Selbstbewusstsein gab mir
Sicherheit, ich fühlte mich in seiner Anwesenheit geborgen, er wurde mir
sympathisch. Wir respektierten uns. Ach ja, bevor ich´s vergess. Später
gingen wir noch in eine Disco, wo wir auf Freunde von mir trafen. Dieter
gab zu dröhnender Punkmusik auf der Tanzfläche einen Pogo zum
Besten, knickte dabei aber blöde mit dem Fuß um. Eine Freundin von mir
fuhr ihn dann netterweise mit ihrem Auto in sein Hotel. Beim zweiten
Treffen Mitte Oktober in Münster ebenfalls in einem Restaurant zog es
ihm die Schuhe aus, als ich im megageilen Top im Restaurant erschien.
Bei dem Dekolleté bestand Fluchtgefahr für meine Brüste. Beim dritten
Treffen an seinem Geburtstag bei ihm zu Hause zog er mich schließlich
aus. Wir stellten fest, dass wir beide unterhalb der Gürtellinie fantastisch
zusammenpassen.

***

Die Schlange vor der Fluggastkontrolle ist nicht lang. Dieter legt sein
Handgepäck zum Durchleuchten in eine Kunststoffschale. Alles, was ich
in Verbindung mit Metall bringe, kommt zunächst in meine Designer-
Handtasche. Die kleine Uhr, die Halskette und das Goldene Blatt. Das
Täschchen tue ich in die Schale und schiebe diese aufs Fließband. Mit
beiden Händen hält Dieter sich die Ohren zu, so spaziert der vor mir
durch den türlosen Rahmen. Ein akustisches Signal ertönt keins. Ich folge
ihm und hoffe, die Metalldetektoren sprechen nicht auf mein Bauch-
nabelpiercing an, an das ich nicht mehr gedacht habe. Sie tun es zum
Glück nicht. Dieter nimmt mich in Empfang und legt seinen rechten Arm
um meine Schulter. „Alles okay?“, will er komischerweise nicht von mir,
sondern vom Sicherheitsbeamten wissen, der nur wortlos nickt. „Wie ist
ihr Name Soldat?“ lautet seine nächste Frage. Aber zum Glück hat Dieter
vorher seinen Kopf zu mir gedreht, damit es den Anschein hat, er würde
mit mir reden. Nach einem Schmatzer auf meine Wange nimmt er seinen
Arm weg von mir. Ich bin wieder frei und hole rasch Emporio Armani
vom Röntgen ab.

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Der Beamte wird den Spruch mit dem Soldaten nicht mitgekriegt haben,
denn der reagiert gar nicht darauf. Unüberhörbar ist jedoch ein Spanier,
der beschallt mit seinem Handygespräch die gesamte Halle, wo wir auf
den Einstieg in den Flieger warten. „Seit wann liest du das Goldene Blatt,
Zaubermaus?“ Die hab ich mir gekauft, weil ein Artikel über Bruce
Willis drin steht, deshalb! „Die hat mir meine Oma vererbt“, scherze ich.
Mein Lover ist neugierig geworden. „Eine bessere Ausrede fällt dir nicht
ein?“ „Na gut, um ehrlich zu sein. Ich hab sie mir nur gekauft, weil ...
weil die was über Lady Gaga ... Lady Di geschrieben haben“, lüge ich
und laufe immer mehr im Gesicht rot an. Aber eine Frau muss ihre
Geheimnisse hüten, so bleibt sie ewig interessant für den Mann. „Ich
schreib bald einen Artikel über die Seitensprünge prominenter Reitlehrer
in königlichen Reitställen“, spricht mein geliebter Autor und grinst mich
an. Wer die Geschichte um Lady Di kennt, weiß wie desillusionierend
dies alles für die Leser der Regenbogenpresse gewesen sein muss. Erst
Traumhochzeit, dann Scheidung und ganz am Schluss ein mysteriöser
Tod. Ist die heile Welt nur eine Illusion?

Als der Flug nach Palma aufgerufen wird, springt Dieter auf, packt mich
und zieht mich an der Hand aus dem Sitz, wie höflich, wie zuvor-
kommend. Gähnend stakse ich Händchen haltend mit meinem Kavalier
zum Boarding-Gate. Morgens fünf Uhr fünfzehn in Deutschland. Präziser
gesagt, Rhein-Ruhr-Flughafen Düsseldorf. Zehn Minuten später sitze ich
im Flugzeug auf dem Fensterplatz 12 F. Zu meiner rechten befindet sich
das Bordfenster, zu meiner linken ein toller und erfahrener Mann, den ich
niemals zum Fenster hinauswerfen würde.

***

5. Mai 2009 - 5.30 Uhr


Neben meinem Süßen pflanzt sich einer mit längeren, ungepflegten
Haaren. Der Typ trägt ein schwarzes T-Shirt über seinen Jeans und ich
schätze ihn auf Anfang dreißig. Dieter dreht sich zu mir und flüstert mir
ins Ohr: „Boah, der Freak duftet nach Bukarester Bahnhofstoilette und
Olbas-Tropfen gleichzeitig, riechst du das auch?“ „Zum Glück noch
nicht“, und ich ziehe ein paar Mal mein Näschen hoch. Was sind Olbas-
Tropfen? Kann man damit eine Schwangerschaft verhindern? Ich frage
besser nicht danach.

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Jetzt riecht es doch ein wenig merkwürdig. Dieter wird von seinem
Nebenmann angesprochen, der wohl in den letzten drei Tagen kein
Rendezvous mit einer Dusche noch mit ´nem Rasierapparat gehabt haben
wird. „Fliegt ihr auch nach Mallorca zum Urlauben?“ „Echt?“ tut mein
Freund überrascht, „ist das nicht die Maschine nach Helsinki?“ „Nein,
hätte ja sein können, dass ihr weiterfliegt.“ Da muss ich ihm recht geben.
Der Bursche grinst und zeigt dabei sein Gebiss, welches in den letzten 30
Jahren kein Date mit einer Zahnbürste gehabt haben wird. Gegen meine
makellosen Zähnchen sind seine das reinste Kariesimperium. Nun stellt er
mir eine Frage. „Du bist mir schon beim Einsteigen aufgefallen. Was
steht eigentlich genau hinten auf deinem T-Shirt drauf? Bei mir steht
hinten Iron Maiden drauf. Und bei dir, dieser gekritzelte Name da? Ed
Handy, was ist das? Ein neuer Mobilfunkanbieter?“ Ich muss schmun-
zeln, der Kerl ist nicht gerade unwitzig. Er guckt mich an und zieht dabei
ein solch entstelltes Gesicht, so wie mein Vater früher, als ich ihm meine
vermasselten Mathearbeiten vorlegte.

„Ed Hardy heißt das“, belehrt Dieter ihn und kann sich ein Lachen gerade
so verkneifen. „Du meinst dieses Mode-Label von diesem Tattoo-Ami,
alles klar. Kennste Iron Maiden?“ Kenn ich nicht, aber die Frage war ja
nicht an mich gerichtet. „Logo“, gibt mein Freund zu. „666 - The number
of the Beast. Iron Maiden ist eine legendäre Heavy Metal Gruppe, die hab
ich schon live gesehen, als Konzerte noch unter 20 DM, also umgerechnet
unter 10 Euro gekostet haben. Der Sänger heißt Bruce Dickinson. Der hat
nicht nur die Metal-Röhre schlechthin, der ist auch ausgebildeter Pilot
und fliegt sogar Verkehrsmaschinen.“ „Hey super. Du bist voll der
Checker. Ich bin übrigens Karl-Heinz. Ihr dürft auch Kalle sagen, das ist
mir sogar lieber.“ Wir verraten ihm darauf unsere Vornamen. Mit Kalle
nach Malle, passt irgendwie.

***

Alle Passagiere sind jetzt an Bord und eine Stewardess, die was
Besonderes sein muss, gibt uns die Sicherheitsbelehrung. Die was
Besonderes sein muss heißt Marina und spricht mit einem
osteuropäischen Akzent. Kalle meint zu uns: „Wisst ihr, wie die sich
anhört? Wie Teresa Orlowski. Ihr wisst, wen ich meine?“ „Wer war das
noch mal?“ frag ich und schüttel mit dem Kopf. „Eine ehemalige Porno-
Produzentin, die war auch Darstellerin“, antwortet Dieter. „Hey super. Du
bist wirklich voll der Checker“, stellt Kalle mit Begeisterung fest und

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witzelt weiter: „Wenn diese Queen of Hardcore an Bord wäre, würde die
sicher sagen: Die Gummipuppen befinden sich unter dem Sitz. Blasen sie
diese bitte erst nach dem Verlassen des Flugzeuges auf. Zur Stimulation
zeigen wir ihnen heute einen erotischen Film aus meinem Programm. Bei
Potenzproblemen servieren wir ihnen die Getränke auf Wunsch mit
Viagra. Es wird dann der Moment folgen, wo man zollfrei das neue
Rasierwasser von Lindsay Lohan kaufen kann.“ „Seit wann brauchen
Frauen Rasierwasser?“, will Dieter wissen und ich bin neugierig auf
Kalles Antwort. „Das Für nach der Intimra...“ „Ja, komm jetzt, ist gut“,
unterbricht Dieter ihn und fängt an zu grinsen. „Welchen Ort machst du
denn auf der Insel unsicher?“ „Weiß ich selber noch nicht, ich hab ´ne
Roulette-Reise gebucht. Und ihr?“ „Cala Ratjada ...“

Der Kapitän stellt sich vor und gibt die Flugzeit mit einer Stunde und
fünfundfünfzig Minuten bekannt. Das sagen die jedes Mal immer so
sicher, als ob nichts passieren könnte. Angenommen, wenn ein total
durchgeknallter Jauch mit einer Handgranate in den Fingern und dem
Koran unterm Arm sich auf diese Weise Zugang zum Cockpit ver-
schaffen würde, dann wäre ich aufs Äußerste gespannt, ob wir überhaupt
irgendwo sicher landen würden.

„Auf der rechten Seite befindet sich Paris“, teilt uns der Flugkapitän
etwas später mit. Ich seh nur eine Decke aus Wolken, selbst die Spitze
des Eiffelturmes ist nicht zu erkennen. Für eine Million Euro wäre die
Frage nach der Höhe des Turmes ein wenig zu einfach. Das exakte
Gewicht zu erraten hingegen wäre wesentlich schwieriger. Das inter-
essiert uns Frauen sowieso mehr, das Gewicht. Insbesondere Kitty, meine
beste und leicht übergewichtige Freundin. Die verfeinert all ihre
Lieblingsspeisen mit Schokoladensoße. Meine Güte, und quatschen kann
die ohne Ende. Das mollige Plappermaul heißt richtig eigentlich Michaela
Kittner. Sie hat ihren Kosenamen also ihrem Familiennamen zu ver-
danken. Wir kennen uns seit ungefähr drei Jahren durch die Theater-
gruppe. Kitty hatte vor drei Tagen ihren 24. Geburtstag und ist durch ein
großzügiges Geldgeschenk ihrer Mutter nun jederzeit in der Lage, sich
eine Last-Minute-Pauschalflugreise zu gönnen. Sie wird mich sofort
ansimsen, sobald sie etwas festgemacht hat. Sollte sie ebenfalls nach
Malle fliegen, könnte ich mich mit ihr treffen. Dieter hat Kitty einmal
kennen gelernt, und zwar an diesem Abend in der Disco, wo er sich den
Fuß verknackst hatte. Ich glaub Kitty war´s sogar, die den Verletzten
sicher zum Hotel chauffiert hat.

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Ist Frankreich größer als Deutschland, Herr Jauch? Wir sollten den
Franzosen das Saarland zurückgeben. Dafür bekommen die Spanier den
französischen Teil des Baskenlands, das dann endlich komplett ist und
unabhängig wird. Spanien ist den ETA-Terror los, das Volk atmet auf und
wir erhalten dafür als Dank Mallorca als neues deutsches Bundesland.
Erster Ministerpräsident auf der Sonneninsel wird dann keinesfalls
Lafontaine oder Müntefering, sondern Bodo Ballermann.

Kalle bewertet das von Marina servierte kalte Putenbrust-Sandwich mit


vier Spucktüten. Dafür lobt er die Oberweite der Stewardess. Diese
Lutschglocken, so Kalle, wären das genaue Gegenteil einer Hühnerbrust.
Kalle erzählt uns, wo er herkommt. Aus Gelsenkirchen. Kalle erzählt uns,
wo sein Lieblingsplatz ist. Auf Schalke. Kalle erzählt uns, wo sein
Lieblingsplatz nach Mitternacht ist. Unter der Theke. Weil er sich mit
Bier die Wunden ausspült, die ihm das Leben geschlagen hat. Weil er
noch nicht seine Traumfrau gefunden hat, darum. Warum betrinken sich
die Leute, wenn ihre Wünsche nicht in Erfüllung gehen? Dann erzählt uns
Kalle noch, was er bald gerne tun würde. Auswandern, um endlich sein
Glück zu finden. Goodbye Deutschland? Warum bleibt er nicht hier?
Wenn der mal richtig geputzt und gepflegt werden würde, hätte der gute
Chancen eine passende Kandidatin zu pudern. Ein Fall für die Super
Nanny.

***

Palma liegt an der Südwestküste und ist die Hauptstadt von Malle. Der
König von Malle heißt Jürgen Drews, aber der regiert nur über deutsche
Touristen mit über 1,8 Promille Glückseligkeit in den Adern. Palma ist
eine lebendige Großstadt mit vielen architektonischen Juwelen, allen
voran die dominierende gotische Kathedrale La Seu. Das Zentrum der
Stadt bildet die historische Altstadt, und schöne Farbtupfer dort bilden die
zahlreichen Jugendstil-Häuser. Gleich neben der viel befahrenen Haupt-
straße am Hafen verläuft eine tolle Promenade zum Bummeln und
Fummeln, Sehen und Gesehenwerden, Fressen und Gefressenwerden.
Nachtschwärmer können sich hier amüsieren, denn hier finden sich die
meisten Cafés, Bars und Restaurants der Stadt.

***

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5. Mai 2009 - 7.58 Uhr
Niemand applaudiert, nachdem wir ohne Probleme gelandet sind.
Niemand hat für den Piloten Geld gesammelt, so wie es bei Busfahrten
üblich ist. Beim Erreichen der Parkposition werden Handys aus allen
erdenklichen Taschen gezaubert und flink eingeschaltet. Ich mach es
nicht anders, leider zeigt das Display keine Eingänge an. Es folgt das
übliche Prozedere. Raus aus dem Flieger und zuerst mal aufs Klo. Dann
geht´s zur Gepäckausgabe und warten ist angesagt. Hat man alles, beim
Reiseveranstalter melden, der teilt einem die Busnummer mit. Wieder
warten, bis die Gruppe vollständig ist. Dann geht´s Richtung Hotel, das
kann dauern, je nachdem, an welchen Ferienorten und Unterkünften
unterwegs der Busfahrer die Urlauber alle rausschmeißen muss. Kalle
sitzt nicht in unserem Bus. Wo seine Reise hingeht, wissen wir nicht.
Cala Ratjada liegt im Nordosten von Malle. Der Ort mit seinem zauber-
haften Hafen ist ein beliebtes Ferienziel und verfügt über fünf Strände,
die allesamt mit der Blauen Flagge ausgezeichnet sind. Dort kann man
gut seinen Rausch ausschlafen und gleichzeitig sonnen. Manche Touris
mit einem hohen Promillegehalt liegen auch bis tief in die Nacht dort, die
tun dann monden. In Cala Ratjada ist es erfolgreich gelungen, den Ort in
seiner Ursprünglichkeit zu erhalten. Die attraktive Uferpromenade ober-
halb der Felsküste wird gerne von rücksichtslosen Radfahrern genutzt,
um friedliche Spaziergänger in Angst und Schrecken zu versetzen. Jeden
Samstag bietet sich dem Urlauber auf dem Wochenmarkt von Capdepera
die Gelegenheit, seine Geldbörse von geschickten Dieben aus der Tasche
ziehen zu lassen. Kriminelle gibt´s halt überall.

***

5. Mai 2009 - 10.35 Uhr


Wir sind da! Das ist also unsere Bleibe mit 72 Prozent Weiter-
empfehlung. Nun ja, von außen hat es eher den Charakter eines Schul-
landheims. Die Sonne empfängt uns mit einem strahlenden Gesicht und
so kann´s die nächste Woche auch bleiben, da hätt´ ich nix dagegen.
Beim Betreten des Hotels begutachte ich die Blumen im Pflanzenwagen,
die scheint man hier mit Zigarettenstummeln zu düngen. Kein Wunder,
dass einige schon verwelkt sind. Das gibt Punktabzug. Wenn die keine
Ahnung von Botanik haben, sollen die besser den Eingangsbereich mit
einem Ensemble aus tropischen Plastikgewächsen zieren.

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Hotelbewertungen lesen ist echt lustig, da gehen die Meinungen ziemlich
auseinander. Während Annika und Tim sich beschwerten, im Hotel wäre
abends zu wenig Party, empfanden Ingeborg und Ottokar die Ruhe in der
Anlage als sehr angenehm. Für den einen war der Kaffee einsame Spitze,
für den anderen nur eine ungenießbare braune Flüssigkeit. Über den
Komfort in den Zimmern kann man streiten. Es kommt ja auch drauf an,
wo man herkommt, wie man daheim eingerichtet ist und so. Da ist es
schon ein gewaltiger Unterschied, ob man von Guantanamo oder von
Beverly Hills angereist kommt.

Der Hotelmanager hat ein auffällig dickes Riechorgan als auch ein ex-
zellentes Sprachorgan. „Grande catastrofe! Grande catastrofe!“, schimpft
er heftig zur Begrüßung, als wir uns mit dem Reisegepäck der Rezeption
nähern. „Wucher-Reisen? Sie sind Wucher-Reisen?“ „Korrekt“, antwortet
ihm Dieter mit einer Ruhe, obwohl auch er ahnt, dass eine Hiobsbotschaft
wie ein Damoklesschwert am seidenen Faden über unseren Köpfen
schwebt. „Kaputt, kaputt, kaputt ...“, jammert unser Empfang weiter. Was
ist kaputt? Ich brauch eine Erklärung.

Eine Dame stürmt ins Hotel. Sie ist außer Atem und trägt einen knappen,
engen, roten Rock sowie eine weiße Bluse, die weit aufgeknöpft ist,
sodass man beinahe ihren ganzen schwarzen BH sehen kann. „Wer ist
das?“ frage ich Dieter, doch dem scheint es den Atem verschlagen zu
haben, der bleibt stumm. Hoffentlich ist das die Erklärung. „Hallo“,
pustet die Atemlose, „ich muss erst mal Luft holen.“ „Sind Sie die
Reiseleiterin?“ frage ich, nachdem sie sich wieder einigermaßen erholt
hat. „Ja, mein Name ist Sarah Sackmann von Wucher-Reisen. Haben Sie
bei uns gewu..., äh gebucht?“ „Genau“, sagt Dieter. Frau Sackmann
schaut auf ihr Klemmbrett und muss noch mehr wissen. „Dann müssen
Sie Herr Dobrowolski mit Begleitung sein, ist das richtig?“ Wir beiden
nicken nur kurz, gucken uns dumm an und warten gespannt auf weitere
Infos. Das Unerwartete ist der Feind des Menschen, auf das man
vorbereitet sein sollte.

Wir werden noch mehr ausgequetscht. „Okay, sie hatten jetzt genau was
gebucht?“ „Eine Woche Malle, drei Sterne, AI“, sag ich und drück mich
dabei klar und deutlich aus. „Folgendes, diese Nacht haben Mitglieder
eines Prager Streichorchesters sechs Zimmer ...“ „Siete!“, unterbricht der
Manager die Reiseleiterin unüberhörbar. „Nun gut, sieben Zimmer
schwer verwüstet.“ „Wie? Keine Rockmusiker? Kein germanischer

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Kegelklub? Keine besoffenen Engländer?“ wundert sich Dieter und nicht
nur der. Ein Rudel Musikanten darf man auf gar keinen Fall unter-
schätzen, egal ob sie sich an Mozarts kleiner Nachtmusik versuchen oder
Heavy Metal lärmen. Eventuell gelingt es ja dieser wild gewordenen
Horde von tschechischen Cellisten, den Ort schwer zu verwüsten und ihm
so seine Ursprünglichkeit zu nehmen.

„Das Orchester ist heute Morgen abgereist, allerdings dauert die Reno-
vierung der Zimmer mindestens zwei Tage.“ „Tres dias!“ Wieder wird
unsere Reiseleiterin lautstark vom Nasenbär an der Rezeption korrigiert.
„Da dieses Hotel total ausgewu... äh ausgebucht ist, kann ich sie nur
woanders unterbringen. Ich kümmer mich nun um alles.“ Sarah
Sackmann stellt sich neben Dieter und spendet Trost, indem sie mit ihrer
rechten Hand über seinen Rücken rubbelt und zu ihm meint: „Keine
Panik, ich bin ja da. Jetzt wird alles gut.“ Dann gleitet sie mit ihrem
Händchen tiefer und tätschelt an seinem Hintern rum. Hey! Moment mal,
Finger weg von dem, der gehört mir, das ist meiner, absolut! Als ob sie
meine Gedanken gehört hätte, lässt sie ihre Pfoten davon weg und stellt
fest, dass sie ihr Handy in ihrem Twingo gelassen hat. Ja Handy, das ist
gut. Ich schau nach, ob sich in der Zwischenzeit was getan hat. Zwei
SMS´ sind eingegangen. Die erste ist von meinem Mobilfunkanbieter, der
mich auf seine günstigen Auslandstarife aufmerksam macht, die zweite
ist von Kitty. Hi suesse, fliege morgen nach malle, gut angekommen? Ich
werde ihr später antworten, im Augenblick ist mir nicht danach. Ich
brauch ein Bier. Und dann eine Dusche.

***

5. Mai 2009 - 11.10 Uhr


Der von der Reiseleiterin organisierte Transfer ist da, ein gelber Fiat
Punto mit einem spanischen Fahrer, der ein Silberkettchen mit einem
Kreuz um den Hals trägt. Der ist sehr freundlich und hilft uns beim
Gepäck einladen. Dieter setzt sich nach vorne, wir sind die einzigen
Fahrgäste. „Einmal Dreiundachtzigste, Ecke Madison“, scherzt mein
Freund und zu mir sagt er. „Drei Tage für das Renovieren? Scotty von der
Enterprise hätte das in drei Stunden hingekriegt. Hast du gesehen, den
schwarzen Büstenhalter von der Sackmann?“ „Klar“, antworte ich
schnippisch, „das dir das wieder aufgefallen ist.“ Ich verschränke die
Arme vor meiner Brust und ziehe eine Grimasse. „Hey, sei doch nicht
gleich so zickig.“ „Denk ja nicht, ich hab nicht bemerkt, wie die dir am

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Arsch rumgespielt hat.“ „Hm-mh, sie war halt besorgt um unser Wohl.“
Eher um dein Wohl ...

***

Ich bin sauer und kann die angenehme Fahrt nicht wirklich genießen. Und
zu allem Unglück fängt der Motor kurz hinter Porto Cristo noch an zu
stottern, so wie ich, wenn mir keine passende Ausrede einfällt. Der
Spanier stoppt den Punto ganz rechts am Rand der Landstraße. Schon
wieder eine „Grande catastrofe?“ möchte Dieter wissen. Der Spanier
schüttelt mit dem Kopf, weiß aber selber nicht so recht. Er steigt aus und
öffnet die Motorhaube. „Boah ey, können die Scotty nicht eben runter
beamen, der findet den Fehler sofort“, witzelt Dieter, aber so richtig
kommt der Gag bei ihm selber nicht an. Die Haube wird wieder
geschlossen und der Fahrer versucht den Motor zu starten. Der Anlasser
scheint zu funktionieren, aber der Motor will nicht so richtig anspringen.
Nun schickt der gottesfürchtige Spanier ein Stoßgebet gen Himmel und
versucht es auf ein Neues sein Glück. Halleluja, der Motor springt sofort
an, wer hätte das gedacht? Was mir im Leben aufgefallen ist, das sich
Menschen erst an Gott wenden, wenn eine Notsituation eingetreten ist.
Mit der dummen Frage „Warum hat Gott das zugelassen?“ setzt man den
Allmächtigen auf die Anklagebank. Aber da gehört der Mensch hin, weil
wir alle Sünder sind, weil wir alle von verbotenen Früchten naschen und
deshalb darf man diese Frage nicht stellen, hat mir mein Vater bei-
gebracht. Gott ist schließlich niemanden Rechenschaft schuldig. Außer-
dem hat er vor 2000 Jahren alles für die Menschen getan. Nun gut, das
wollte ich noch anmerken. Wir drei schicken ein Dankgebet gen Himmel.
Die Tour geht weiter, meine Laune bessert sich.

***

Porto Colom liegt an der Ostküste Mallorcas und ist benannt nach
Christoph Kolumbus, der angeblich hier geboren sein soll, was aber nicht
der Wahrheit entspricht. Früher dachte ich auch immer, Kolumbus wäre
Spanier, aber er stammt aus der italienischen Stadt Genua. Dieser Welten-
segler machte sich einst auf den Weg nach Westen, um nach Indien zu
gelangen, kam aber in Amerika an. So ungefähr kenn ich das von meiner
Freundin Kitty. Wenn die sich auf den Weg ins Fitness-Center Uncle Sam
macht, schafft sie es immer nur bis ins Eiscafé Italia. Einen Ballermann
kennt man in Porto Colom nicht, hier geht es insgesamt noch recht ruhig

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zu. Interessant sind die Altstadt und auch der Hafen. Hier befinden sich
zahlreiche gute Fischrestaurants neben bunten Fischerhütten und kleinen,
weiß gekalkten Häuschen.

***

5. Mai 2009 - 12.25 Uhr


Wir sind da! Das ist also unsere Unterkunft mit keine Ahnung wie viel
Prozent Weiterempfehlung. Das Hotel wird von einem Schweizer geführt
und ich hoffe, hier geht es auch so ruhig und entspannt zu wie in der
Schweiz. Wir erhalten den Schlüssel für ein Zimmer im fünften Stock,
darüber wäre nur noch der Spabereich. Ein billig anmutendes Armband
ist die Akkreditierung für kostenlose Getränke bis 23.30 Uhr. Hier täuscht
der Schein gewaltig.

Endlich komm ich zum Bier. Ich lass Dieter und mein Gepäck an der
Rezeption alleine, eile zur Bar und geb meine Bestellung auf. Nachdem
ich an der Theke mit zwei gierigen Schlückchen das Glas geleert habe,
spricht mich jemand von der Seite an. „Hey, was machst du denn hier?“
Ich schau mir etwas verwundert den Typen an, der frisch geduscht
aussieht und eine coole Sonnenbrille trägt. Irgendwie bekannt kommt er
mir ja vor. Woher kenn ich den nur? „Ich bin´s doch nur, Kalle“, so hilft
er mir. „Ah, Kalle du. Ich hab dich zuerst gar nicht erkannt. Hast dich
optisch schon sehr verbessert.“ Jetzt noch die Haare ab und die Karies
raus, dann ist der ganz akzeptabel. „Klar, ich hab die gestrige Nacht in
der Düsseldorfer Altstadt verbracht, in einer verqualmten Kneipe und
Bier gesoffen, um die Zeit zu überbrücken. Das hinterlässt Spuren. Den
Koffer hatte ich bereits am Vorabend aufgeben, und so kam ich nicht an
frische Klamotten zum Wechseln ran, an dies hatte ich nicht gedacht.
Aber was mich wundert, dass du hier bist. Ich dachte, ihr seid in Cala
Ratjada. Und wo ist überhaupt Dieter?“

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5. Mai 2009 - 14.00 Uhr
Gibt es etwas Schöneres als eine wohltuende, erfrischende Dusche? Klar,
aber nicht, wenn man vollkommen durchgeschwitzt ist und die Klamotten
unangenehm am Körper kleben. Da hat man nicht groß Lust auf
irgendetwas anderes, da freut man sich aufs Duschen. Erst nach dem
Duschen freut man sich aufs Essen, das sich als äußerst genießbar heraus-
stellt.

***

Es ist zwei, wir haben uns den Bauch vollgeschlagen, und die Sondierung
der Hotelanlage steht nun auf unserem Plan. Wir stellen fest, das alles
liegt direkt an der Felsenküste. Wir stellen fest, Kalle hat sein Zimmer
direkt neben uns. Wir stellen fest, die rattenscharfe Frau Sackmann,
absolut die heißeste Reiseleiterin auf der ganzen Insel, kommt morgen um
11 Uhr für ihre Sprechstunde ins Hotel. Und hier gibt es nur einen
einzigen Animateur und der heißt Toshiba. Der ist Japaner und spricht
fließend spanisch, deutsch, englisch und was weiß ich alles. Kommt
immer drauf an, welchen Kanal man eingeschaltet hat. Am Mittwoch
zeigen uns seine LCDs das unter Fußballfreunden mit Spannung
erwartete Halbfinalrückspiel Chelsea gegen Barcelona.

„Hör mal Zaubermaus, mir kommt da so eine Idee. Sollen wir nicht die
Reiseleiterin fragen, ob wir hier unser Zimmer behalten können? Die
Anlage hier ist doch toll, sie hat eine bessere Lage als die in Ratjada. Und
dieser Ferienschreck Kalle sorgt mit seinen Kommentaren für ein wenig
Abwechslung. Wir haben hier Zimmer mit Meerblick, auf den hätten wir
in Cala Ratjada verzichten müssen. In dieser Absteige war der erste
Eindruck schon nicht besonders und der Nasenbär von Hotelmanager
hatte den Charme eines Herbergsvaters.“ „Jo“, stimme ich zu. „Ich find
das hier auch super, und das Essen schmeckt. Bleiben wir hier?“ „Jo!“

***

Wir verlassen das Hotel um die Gegend zu sondieren. Hoppla, wer


kommt uns denn da kurz vorm Hafen entgegen? Sein kurzärmliges rotes
Hemd trägt er offen, über seine tief sitzende schwarze Caprihose kommt
sein muskulöser Oberkörper wunderbar zur Geltung. Mmmh - sexy. Seine
Haut ist leicht gebräunt und auf seinem linken Oberarm hat er sich eine
schwarze Rose tätowieren lassen. Mein Höschen schmilzt! „Guck mal,

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der sieht aus wie Bruce Willis anno 1990“, meint Dieter zu mir. Sag bloß!
„Jo ...“, sag ich nur und mehr krieg ich schon nicht mehr raus. Ich bin
baff! Dieter mag den Schauspieler nicht. Er ist neidisch, weil am Ende
vom Spielfilm Keine halbe Sachen Bruce Willis seine Zunge in den
Rachen der Sprechstundenhilfe und Auftragskillerin Jill, gespielt von
Amanda Peet, schieben darf. Amanda Peet gehört wie Anne Hathaway zu
Dieters Lieblingsschauspielerinnen. Deshalb mag Dieter Bruce Willis
nicht. Und deshalb mag ich Amanda Peet nicht! Bruce passiert uns und
ich drehe mich kurz um, ob der Adonis, der glatt als jüngerer Bruder von
Bruce Willis durchgehen könnte, in unser Hotel biegt. Nein, das tut er
nicht. Er marschiert weiter geradeaus. Das einzige, wofür ich ohne mit
der Wimper zu zucken einen Mord begehen würde, wäre ein Date mit
Bruce Willis. Mit dem Echten natürlich!

***

5. Mai 2009 - 19.30 Uhr


Das Restaurant ist bereits seit einer halben Stunde geöffnet, aber wir sind
noch auf unserem Zimmer. Ich kann mich nicht so recht entscheiden,
welche Klamotten ich beim Abendessen tragen soll. Endlich hab ich
meine Garderobe gefunden, mit dem ich mich auch in der Bar sehen
lassen kann. Denn da geht´s hinterher hin. Auffie! Dieter und ich
verlassen fluchtartig das Zimmer und verzichten auf den Fahrstuhl,
springen stattdessen munter die Treppen runter. Im Speisesaal winkt uns
Kalle zu und nehmen sein Angebot an, ihm an seinem Tisch Gesellschaft
zu leisten. Wir wollen uns kulinarisch verwöhnen lassen und haben die
Qual zwischen Spaghetti Bolognese, Eisbein mit Sauerkraut und anderen
leckeren mallorquinischen Spezialitäten, mmmh. Das Büfett schreit
gerade zu nach Völlerei. Kitty käme hier voll auf ihre Kosten. Völlerei
hin, Völlerei her. Egal, leisten wir uns die Todsünde, wir sind ja im
Urlaub!

***

5. Mai 2009 - 22.45 Uhr


Bei All-inclusive schlagen viele Urlauber heftig zu. Nicht, das man sich
prügeln täte, sondern bei alkoholischen Getränken, die man nicht
bezahlen braucht. Dieter möchte noch eine Gratis-Runde ausgeben. „Hey
Kalle, schaffen wir noch ein Bier?” Unser neuer Bekannter antwortet
begeistert mit Barack Obamas Parole „Yes we can!“ Die beiden Männer

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ordern im Chor drei Bierchen, die prompt frisch gezapft zu uns finden.
Das gute Dutzend an Touristen, die mit uns die Bar belagern, scheinen
alle aus Deutschland zu kommen. Das wievielte Bier ich jetzt runterspüle,
weiß ich nicht, aber es wird eines der Letzten sein. Dieter und Kalle
werden plötzlich kreativ und denken sich kleine lustige Reime aus, die
mit Urlaub zu tun haben. Mit Alma in Palma, mit Kai auf Hawaii, mit
Nina und Tina in China, mit Sabine in der Ukraine, mit Richy auf den
Fidschis, mit Yvonne in Heilbronn und mit Erika in Amerika.

„Ich kannte sogar mal eine Erika, die war gar nicht so übel. Und naiv war
die, heiliges Kanonenrohr. Die Glücksspirale hielt sie für ein nicht
wirklich verlässliches Verhütungsmittel. Sie heiratete einen Blender.
Könnt ich einer Frau etwas vormachen, wäre ich schon längst
verheiratet.“ Kalles Sprüche sind eine Bereicherung für alle, die das an
der Theke mitbekommen. „Nur bei meinem Standvermögen bräuchte ich
es nicht zu übertreiben. Nur fehlt mir die richtige Frau, damit ich es
endlich beweisen kann.“ Ein blondes Weib Mitte 40 mit dicken Gläsern
auf der Nase und Dialekt aus dem hohen Norden mischt sich ein.
„Männer geben oft mit ihrer Potenz an, als können sie mit ihrem Schwanz
halb Bremerhaven zum Einsturz bringen, aber versagen im Bett. Ein
Angeber mit einem Schlappschwanz ist ungefähr so wie ein fettes
Portemonnaie, welches nur mit Kleingeld gefüllt ist. Man kann sich nicht
viel dafür kaufen, man hat nicht lang davon.“ „Wo du gerade Geld
erwähnst ...“ Kalle nippt kurz an seinem Glas und fährt dann fort: „Kennt
einer ´ne gute Bank, wo ich mir Kohle leihen kann, damit ich
schuldenfrei werde? „Beim Geld hört die Freundschaft auf“, findet Dieter
und Kalle schwatzt weiter: „Aber beim Geld fängt sie manchmal auch an.
Kannst du mir eventuell 5000 Euro leihen? Es wäre der Beginn einer
wunderbaren Freundschaft“, fragt Kalle die norddeutsche Brillen-
schlange. Die verschüttet vor Schreck ihren Vino tinto über ihr hellblaues
Top. „Prima kannst du das“, findet Kalle sichtlich amüsiert, „zum Glück
war´s nur Rotwein und kein klares Wasser.“ „Hey“, zischt die Natter,
„was sollen die dummen Bemerkungen?“ „War doch nur ironisch
gemeint“, erklärt Kalle. „Ein ironischer Kommentar ist eine lächelnd
vorgetragene Beleidigung“, behauptet die Giftschlange ernst. „Aber nur
für Menschen, die keinen Humor besitzen“, philosophiert Dieter und ist
sich dabei 100 Prozent sicher, dass es so ist.

***

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Ein weiteres Bier riskier ich nicht mehr. Ich sag kurz den Phrasen-
dreschern tschüss und verlasse die Bar Richtung Aufzug. Als ich aufs
Knöpfchen drücke, höre ich noch, wie der ganze Mob an der Theke brüllt
„Yes we can!“ Das erinnert mich an vergangene Nacht. Nachdem Dieter
und ich abends das erste Mal zusammen geschlafen hatten, legte ich
meinen Kopf auf seine Brust. Er spielte mit meinen langen Haaren und
legte danach seine Hand unter mein Kinn, um mich zu küssen. Und um
mich zu fragen: „Schaffen wir noch ne Runde?“ Ohne meine Antwort
abzuwarten, meinte er dann stolz „Yes we can!“ und legte wieder los. Das
ging dann noch einige Male so weiter mit diesem „Yes we can!“ - „Yes
we can!“ - „Yes we can!“ Mittlerweile glaube ich, dass die Frage gar
nicht mir gegolten hat, sondern seinen Schwanz. Sein bestes Stück
scheint ihm ein prima Ersatz für einen turbo-affengeilen Sportwagen zu
sein, den er deshalb auch nicht nötig hat. Wenn er mich im Bett sportlich
herausfordert, spätestens bei einer dieser koreanischen Knotenstellungen,
wünschte ich mir immer, er hätte einen. In meinen Gedanken kurvt er
dann mit mir bei Sonnenschein und wolkenlosen Himmel über Land-
straßen - herrlich! Das Verdeck ist offen, mit meinem Haar spielt der
Wind und ich genieße den Hauch von Freiheit und Abenteuer.

Puh, ich bin todmüde. Die Strapazen des Tages machen mir zu schaffen.
Das frühe Aufstehen, die turbulente Nacht davor, der viele Alkohol. Ich
zieh mich langsam aus. Auf meinem Bett liegt noch ein Berg aus Tops,
Röcken und Hosen, die drauf flogen, bevor ich mein abendliches
Siegeroutfit gefunden hatte. Die Klamotten werfe ich in den Schrank und
mich ins Bett.

Ich nehme Schritte im Flur wahr. Und Stimmen. Dieter und Kalle
scheinen sich zu verabschieden. Genau, die Tür geht auf und mein
Liebster ist da, der verschwindet aber gleich wieder im Klo. Nebenan
höre ich, wie Kalle in sein Zimmer poltert. Ziemlich hellhörig, das Ganze
hier. Aber für südeuropäische Verhältnisse schon irgendwie normal. Ich
hör, wie Kalle einen tierisch fahren lässt. Oder war´s mein Freund? Ich
höre, wie Kalle den lauten Fernseher anstellt. Hoffentlich kommt Dieter
nicht auf die Idee mit mir was anzustellen, ich brauch ´ne ordentliche
Mütze voll Schlaf. Falls er zu Fummeln anfangen sollte, werde ich ihm
direkt die Prokura wieder streichen.

***

20
6. Mai 2009 - 9.20 Uhr
Über das Frühstück kann ich nicht meckern, nur Dieter passt der Kaffee
nicht, der wäre ihm zu bitter. Als Ersatz trinkt er Kakao, der ihm
hervorragend schmeckt. Gut gestärkt und gut gelaunt verlassen wir den
Speisesaal. „Die kenn ich doch! Ist das nicht deine Busenfreundin
Kitty?“, fragt mein Schatz mich, als wir uns der Rezeption nähern.
Natürlich ist sie das! Welch Zufall, das Moppelchen quartiert sich in
unserem Hotel ein. Leise steuern wir auf Kitty zu und ich spreche sie von
der Seite an. Kitty hat mich nicht kommen gesehen, da sie das
Anmeldeformular am Ausfüllen ist. „Hallöchen ...“

Meine beste Freundin ist kurz verdutzt und fällt mir dann kreischend vor
Freude um den Hals. „Aber, aber, aber ...“, stottert sie und kriegt vor
Aufregung zunächst keinen ganzen Satz raus. Ich erzähl die Story, warum
wir hier sind. Hatte ihr ja auch noch nicht mitgeteilt, weil ich vergessen
hatte, auf ihre SMS zu antworten. „Stell dir vor, ich hab beim Transfer
hier hin im Bus einen süßen Typen aus Berlin kennen gelernt“, schnattert
Kitty, die sich schnell wieder gefasst hat. „Einen Berliner? Wie heißt der
denn?“ „Das möchte ich selber gern wissen, bin noch gar nicht dazu
gekommen, ihn zu fragen. Aber der macht in Werbung. Oh hi, Didi.“ „Hi
Kitty, du hier und nicht in Hollywood?“, flachst Dieter, grinst und macht
weiter Konversation. „Soso, da hast du bereits einen kennen gelernt. Aus
Berlin auch noch, tolle Stadt.“ Seine „tolle Stadt“ ist gelogen. Berlin
gefällt meinem Freund nicht, hat er mir mal verraten. Und die Leute, die
dort leben, mag er auch nicht. Na ja, man darf nicht pauschalieren. Berlin
ist nicht gleich Berlin, und Berliner sind nicht gleich Berliner. Es ist
schon ein Unterschied, ob man gewöhnlich in Kreuzberg randaliert, im
Schloss Bellevue residiert oder Berliner mit Schokostreusel garniert und
zum Kaffee serviert. Mit Kitty verabreden wir uns um 13 Uhr zum
Mittagessen. Um 14 Uhr käme ihr neuer Bekannter, der in einem anderen
Hotel in diesem Ort untergebracht wurde, sie hier abholen. Diesem
Rendezvous fiebert sie bereits vor Spannung und Erwartung entgegen.
Gute Chance für Kitty, ihrem Single-Dasein endlich auf Wiedersehen zu
sagen.

***

21
6. Mai 2009 - 9.45 Uhr
Wenn es möglich sein sollte, bleiben wir in diesem Hotel. Soll sich Dieter
um alles kümmern. Der giert ja schon danach, der Sackmann wieder in
die Bluse zu glotzen. Soll der mit der um elf Uhr alles klären, ich geh
zum Strand. In der Nähe der Rezeption bespreche ich mit ihm alles.
Okay, er versucht, mit der Reiseleiterin zu reden, ob wir hier in diesem
Hotel bis zur Abreise bleiben können, mich findet er am Strand. Dieter
verabschiedet sich mit einem Wangenküsschen von mir und rennt nach
draußen. Keine Ahnung, wo der noch hin will.

Ich bummel noch ein wenig durchs Hotel. An der Bar sitzt einsam Kalle.
Er zischt ein Bier, um dem Kater von letzter Nacht die Krallen zu stutzen.
„Na Kalle, alles klar? Wie geht´s dir?“ Als Antwort erhalte ich einen nett
gemeinten leisen Rülpser. „Was machst du eigentlich beruflich so,
Kalle?“ „Warten. Auf eine Chance. Auf bessere Zeiten warten.“ „Also
nix?“ „Ja, genau.“ „Und wie finanziert man so einen Urlaub, wenn ich
mal fragen darf?“ „Durch Schulden machen“, lacht Kalle und kommt
dann zum Thema. „Glücklicherweise hab ich eine reiche Tante, von der
gibt´s ab und zu eine kleine Finanzspritze. Aber die Schulden bleiben, ich
verjubel das Geld lieber.“ „Sieh an, deswegen willst du dich also bald ins
Ausland verpissen? Soso ... Und mit Arbeiten gehen ist nix? Schon mal
versucht?“ „Für mich ist das nix“, gibt Kalle zu und bestellt noch ein
Bier.

Faulheit hin, Faulheit her. Der Mensch muss arbeiten, muss sich sinnvoll
beschäftigen. Irgendeine Gabe hat jeder von Gott bekommen, weiß mein
Vater. Das einzigste, was er nie machen würde, wäre Nichtstun. Nachdem
ich mich von Kalle verabschiedet habe, mache ich auf dem Zimmer alles
fertig fürs Sonnenbaden.

***

6. Mai 2009 - 10.00 Uhr


Auf Flip Flops trödel ich in einer langen weißen Baumwollhose und
einem pink geblümten H&M-Top von unserem Hotel zum Strand Cala
Marsal, dafür brauch ich gut eine Viertelstunde. Die Badebucht wird
seinen Namen von diesem Hotel erhalten haben, welches nur durch eine
Straße vom Strand getrennt ist. Ungefähr so wie die Metropole Istanbul
benannt worden ist nach dieser Bude mit dem außergewöhnlichen
delikaten Döner. Ein freies Plätzchen zu finden ist nicht schwer, es ist ja

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auch noch früh und Vorsaison. Aus meiner Lieblingsstrandtasche, da wo
die Schwarze Stadtkatze drauf ist, hole ich das große Handtuch hervor
und breite es aus. Dann zieh ich Hose und Top aus und mach es mir
bequem. Da liege ich nun auf dem Rücken in einem gelben Bikini und
denke über meine Zukunft nach, mit der Erkenntnis, das alles meist
anders kommt, als man denkt. Stimmt´s, Herr Kolumbus?

Links neben mir, in einigen Metern Entfernung, ziehen sich zwei


deutsche Mädels ihr Bikini-Oberteil aus. Die mit den dickeren Möpsen
trägt einen Stringtanga, da hab ich schon Zahnseide gesehen, die war
dicker. Oben ohne ist nix für mich. Besser schneeweiße Titten, die von
einem Mann zärtlich massiert werden, als braun gebrannte Brüste, um die
sich keiner kümmert und die lediglich von notgeilen Männeraugen
angestarrt werden. Oder von neidischen Damenaugen. Eifersucht hin,
Eifersucht her. Auf meine optimale Oberweite bin ich stolz, da hat es der
liebe Gott besonders gut mit mir gemeint.

Nur wenige haben bislang meine Dinger unbedeckt betrachten können.


Meinem letzten Lover hätte ich sie am besten nie gezeigt. Zuvor hatte ich
mich nach fast acht Jahren von einem Freund, mit dem ich schon in
meiner Jugendzeit zusammen war, getrennt, weil die Liebe verblüht war
und ich mich bei ihm nicht mehr wohlgefühlt hatte. Das Ganze endete
ziemlich krass für mich, sodass ich kaum atmen konnte. Okay, aber
lassen wir das. Viel zu überstürzt und unüberlegt fing ich kurz danach
eine neue Beziehung an. Es war Liebe auf den ersten Blick bei mir. Das
ist mein Traumboy in alle Ewigkeit, das hatte ich im Gefühl. Aber
Gefühle lügen auch und Liebe macht blind, sowieso. Als mir sechs
Wochen später die Augen aufgingen, auf was für einen Idioten ich da
reingefallen bin, war´s natürlich bereits zu spät, da war schon was
gelaufen. Ich trennte mich rasch von dem Typen, der mir sogar im
Dezember verboten hatte, Winterstiefel zu kaufen. Okay, lassen wir auch
das.

***

Die Sonne brennt mir auf die Haut und es wird Zeit mich einzucremen.
Mein Bauchnabel ist zum Hochofen geworden und es dauert nicht mehr
lange, bis sich das Piercing verflüssigen wird. Ich richte mich auf und
greife zur Sonnenmilch und fange an. Während ich mich einreibe, schaue
ich kurz nach links. Er kommt auf mich zu, aber er sieht mich nicht.

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Bruce Willis, zumindest seine 20 Jahre jüngere Ausgabe. Diesmal trägt er
nicht nur eine schwarze Hose, sondern auch noch ein T-Shirt in Schwarz.
Er sieht mich nicht, weil sich seine Augen an den beiden Oben-Ohne-
Miezen festsaugen. Jetzt registriert er mich und nimmt mich ins Visier. Er
lacht mich an. Er steuert auf mich zu. Mein Herz fängt wild an zu pochen.
„May I help you?“ Oh Gott, doch kein englischer Inselaffe? Na ja, man
darf nicht pauschalieren. Wobei will er mir helfen? Ach ja, beim
Auftragen von Sonnenschutzmittel, war ja auch unschwer zu erraten, was
ich gerade am Machen bin. Mh-hm ... Warum nicht? Beim Rücken kann
er mir helfen. Wenn Dieter sich von der Reiseleiterin am Hintern
rumspielen lässt, dann kann der mir ohne Weiteres den Rücken
einschmieren, why not?

„My name is Jack and I´m from Manchester. What´s your name?“ Ich
piepse ihm meinen und Jack in black will mehr wissen. „You are from
Russia, aren´t you?“ „No, german … from Germany”, nuschel ich. „Oh,
nice german girl. Give me the sunblocker.” Er hockt sich neben mich. Ich
reich ihm die Sonnenmilch und er kleckst was davon auf meine
Schultern. „Do you want to ride my cock tonight?” Hä? Was soll ich
diese Nacht? Ride my cock? Keinen blassen Schimmer, was das sein soll.
Ich brauch Nachhilfe, und deshalb werde ihn nach der Bedeutung fragen.
„Äh ... Jack. What is the meaning of to ride a cock?“ Ich habe gar nicht
registriert, dass sich Kalle zu uns gesellt hat und der hat die Unterhaltung
mitgekriegt. „Who are you?”, will Jack wissen. Das fragt er ziemlich
unfreundlich, der fühlt sich durch Kalles Anwesenheit sichtlich gestört
bei seinem Unterfangen. „This is a friend of mine“, erkläre ich. „Yes, and
if you want to ride a cock tonight, take a british bitch”, warnt Kalle ihn.
Bitch habe ich verstanden, aber den kompletten Sinn noch nicht. „Piss
off, or I will kick your ass“, droht Jack und fängt an, mich einzureiben.
„Finger weg von der Frau, sonst radier ich dir gleich das Tattoo weg“,
droht auch Kalle meinem Nachhilfelehrer und zeigt ihm den
hochgestreckten Mittelfinger der rechten Hand, den klassischen
Stinkefinger also. Jetzt geht´s rund. Jack versucht, sich das Objekt der
vulgären Geste zu schnappen, schafft es aber nicht. Nach dieser
misslungenen Attacke erhebt sich der Brite und schwingt nun blitzartig
seine geballte Faust Richtung Kalles Gesicht, doch der kann gerade noch
dem Schlag ausweichen.

***

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Angriff war schon immer die beste Verteidigung, das weiß auch Kalle,
und der tritt dem Jack gegen elf Uhr voll heftig in die Zwölf, da wird´s
wohl dreizehn geschlagen beim Engländer, der umkippt wie ein nasser
Sack Kartoffeln und sich krümmend im Sand wälzt. Ich pack flink meine
Siebensachen zusammen und rede Kalle gut zu, den Strand ebenfalls
schleunigst Richtung Hotel Marsal zu verlassen. Doch Kalle kann nur
humpeln. „Verdammt, ich glaub, ich hab mir den Fuß gebrochen“, meint
er und verzieht dabei schmerzhaft sein Gesicht. Der Ferienarzt wäre jetzt
nicht schlecht. „Wird schon wieder. Im Hotel sollen die dir einen
Krankenwagen rufen“, tröste ich ihn. „Dieser scheiß englische Wichser,
soll der noch mal ankommen, dem wird ich´s richtig geben.“ Kalle ist
zornig, nicht ohne Grund. Rachsucht hin, Rachsucht her. Mein Vater
würde wohl sagen: „Lass das sein mit der Vergeltung, der liebe Gott
wird´s schon richten. Menschen, die sich beherrschen können, sind starke
Persönlichkeiten, denn Selbstbeherrschung ist kontrollierte Kraft.“

***

6. Mai 2009 - 13.05 Uhr


„Dann kam der Krankenwagen und man hat ihn nach Manacor in die
Klinik gefahren“, erzähl ich Dieter und mehr weiß ich im Moment auch
nicht. „Kalle hat aber einen Fehler gemacht. Er hätte sich besser die
Zähne rausschlagen sollen, damit er´s endlich zum Zahnklempner
schafft“, findet Dieter und grinst mich an. „Find ich gut, dass du das mit
der Sackmann alles so unkompliziert regeln konntest, das wir hier bleiben
können.“ „Ja“, freut sich Dieter, „find ich selber gut, dass das alles prima
geklappt hat.“ Kitty tapst ins Restaurant, setzt sich zu uns und trällert den
Refrain vom neuesten Hit der Kelly Clarkson. Ich berichte ihr von der
Sache mit Kalle. „Der tut mir aber Leid“, sagt Kitty mitfühlend. Kurz
nach 14 Uhr erscheint Kittys Verabredung, der Berliner. Der stellt sich
kurz vor und Kitty stellt uns kurz vor. Man merkt schon, wie Kitty es
drängelt, mit dem Typen alleine zu sein. Die beiden verduften auch flink.

„Ich möchte wetten, dass bei Kitty diese Nacht noch was läuft. Die ist so
heiß ...“ „Hey, du spinnst wohl!“, schnauze ich Dieter an. „Kitty ist ein
anständiges Mädchen. Die ist nicht so einfach zu bekommen. Die kriegt
man nicht von heute auf morgen rum.“ „Zu wie viel Prozent bist du dir
dabei sicher? Komm, ich werde morgen diesen Berliner fragen, ob der die
flachgelegt hat. Ich sag ja. Um was wetten wir?“ „35 Euro!“ schlage ich
vor. „Abgemacht!“

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6. Mai 2009 - 19.10 Uhr
Kitty, Kalle, mein Freund und ich sitzen im Restaurant und sind am
Futtern. Kitty freut sich auf ihr zweites Treffen mit dem Berliner um 20
Uhr. Kalle freut sich, dass sein Fuß nicht mehr so heftig wehtut. Da hat er
noch mal Glück gehabt, gebrochen sei nix, diagnostizierte der balearische
Röntgenexperte. Man hat seinen Füßchen im Krankenhaus lediglich
eingesalbt und danach dick verbunden.

Kurz nach acht machen Dieter und ich uns auf. Wir lassen die beiden
allein. Kittys Berliner hat sich noch nicht blicken lassen, und deshalb ist
Kitty bereits ein wenig beunruhigt. Sich Sorgen machen bedeutet Angst
davor zu haben, dass sich Erwartungen nicht erfüllen. Händchen haltend
schlender ich mit Dieter zum Hafen runter. Die Temperatur ist noch
angenehm und vom Meer her weht nur eine schwache Brise. Wir
genießen diesen wundervollen Abend, schauen uns am Wasser um,
flanieren durch die Altstadt. Wir finden eine Bank, die noch nix von der
Finanzkrise gehört hat, und machen es uns dort bequem. Nur ein einziges
Wölkchen ist am Himmel zu sehen, und ich stell mir vor, es ist der
Schleier einer zauberhaften Fee. Gegen halb zehn machen wir uns auf den
Weg zurück ins Hotel.

***

6. Mai 2009 - 22.15 Uhr


Ohne noch einen Abstecher an die Bar zu machen, fahren wir mit dem
Aufzug hoch aufs Zimmer. Just als Dieter unter der Dusche ist, klopft es
an der Tür. Ich mach auf und mir offenbart sich ein leicht alkoholisierter
Kalle, der eine Bitte an mich richtet. „Hört mal ... habt ihr eventuell ... ein
Kondom zu viel? Oder auch zwei ... drei?“ Ich bin einen Moment
perplex. „Äh ... nein“, antworte ich leise. „Da können wir dir leider nicht
mit dienen.“ „Mist ...“ Kalle ist enttäuscht, aber wünscht mir noch eine
gute Nacht, bevor er hinkend in seinem Zimmer verschwindet.

Schamlos nackt wie Adam vor dem Sündenfall kehrt Dieter aus dem Bad
zurück. Ich schiele kurz auf ein interessantes Teil an seinem Körper, dass
ich bei mir nicht vorweisen kann. „Mit wem hast du denn gerade ge-
sprochen, Zaubermaus?“ Er scheint was mitbekommen zu haben. „Es war
nur Kalle.“ „Kalle? Was wollte der denn?“ Ich überlege, ob ich ihm den
wahren Grund sagen soll, aber ich lasse es zunächst. „Nix ...“ „Wie nix?

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Da klopft es spät abends an unserer Tür und der wollte nix?“ „Äh ... na
gut. Ich sag´s dir. Er wollte, ähem er wollte ein Präservativ.“ „Einen
Pariser? Kalle, der verzweifelte Wichser, wollte einen Pariser, eine
Lümmeltüte? Ha, was ist los? Hat der eine abgeschleppt?“ „Woher soll
ich das denn wissen? Ich hab niemanden bemerkt.“ „Moment mal, ich
glaub, in meiner Reisetasche könnte noch eine Packung sein.“ Erneut bin
ich perplex. „Seit wann hast du Kondome dabei? Davon hast du mir noch
nie erzählt?“ Dieter gibt mir keine Antwort und durchsucht schweigend
sein Gepäck.

„Voilá, ich hab sie, die Packung. Einer ist noch drin.“ „Wieso ist da nur
noch einer drin? Wo ist denn der Rest geblieben? Du schuldest mir eine
Erklärung!“ Das fordere ich akustisch sehr auffällig von ihm und schaue
ihn dabei mit ernster Miene an. „Hey, reg dich ab, ja. Die hab ich mir
letztes Jahr vorm Sommerurlaub gekauft, da waren wir noch nicht
zusammen.“ Okay, das muss ich schlucken. Da hat er möglicherweise
eine blonde Rucksacktouristin aus Skandinavien mit Alkohol gefügig
gemacht und am Strand durchgebumst. Oder er ist mit einer Angestellten
eines unmöglichen schwedischen Möbelhauses im Schlafsack zusammen-
gestoßen, hat den Elchtest geprobt. Okay, Schluss damit. Die Fantasie
einer Frau ist der beste Dünger für ihre Eifersucht. Immerhin scheint er
vernünftig genug zu sein und legt Wert auf geschützten Verkehr, benutzt
Gummis. Viel mit echter Liebe wird das Ganze nicht zutun gehabt haben,
denk ich mal. Sex ohne wahre Liebe wäre für mich rohe Gewalt. Deshalb
hatte ich noch nie einen One-Night-Stand. Eine wilde Bekannte von mir
schon. Sie spricht dann immer von einer fabulösen, heißen, spontanen
Affäre.

„Komm, gib her. Ich bring es ihm, husch du schon mal ins Bettchen.“
Dieter wirft mir die Schachtel zu, und ich werfe einen kurzen Blick drauf.
Gefühlsecht, Hauchdünn, Inhalt drei. Moment mal, hat er mich nicht an
seinem Geburtstag gebeichtet, er hätte im Jahr 2000, da wo ich meinen
ersten richtigen Sex hatte, seinen Letzten gehabt? Ich weiß nicht, was du
letzten Sommer getan hast, aber ich möchte es schon wissen, mein Freund
und Kupferstecher.

Ich geh raus und klopf an die Tür nebenan. „Hey Kalle, mach mal auf. Ich
bin´s.“ Die Tür öffnet sich. „Schau mal, was ich ...“ Eine strahlende Kitty
glotzt mich mit großen Augen an und reißt mir gierig die Packung aus der
Hand. Ohne ein Wort mit mir gewechselt zu haben, schließt sie schnell

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wieder die Tür und ich krieg die Tür nicht zu. Zurück im Zimmer werde
ich sofort von im Bett liegenden Dieter gefragt, wie Kalle reagiert hat.
„Äääääh ... ja“, stotter ich. „Kalle ... Kalle hat sich natürlich gefreut“,
lüge ich und knipse schnell das Licht aus, damit er nicht sieht, wie ich im
Gesicht knallrot anlaufe.

***

20 Minuten später, wir versuchen zu schlafen, fängt das Gestöhne an.


„Hör mal, Kalle hat tatsächlich eine gefunden, die sich von ihm pimpern
lässt.“ „Na und?“, knurr ich und dreh meinem Freund den Rücken zu.
Mich wurmt es, das Kitty sich so schnell auf eine Bettgeschichte mit
Kalle eingelassen hat. Für mich war sie eine hoffnungslose Romantikerin
und schwärmte von inniger Liebe, und die braucht Zeit, muss sich
entwickeln. Aber sie benimmt sich wie ein schlampiges Flittchen. Ihr
Gestöhne wird immer heftiger und lauter, dass es den Nachtportier im
Erdgeschoss noch unterhalten wird. „Galaktisch, die geht ab wie Lucy“,
kichert Dieter und ist neugierig geworden. „Mit was für einer Tussie
treibt der es?“ „Keine Ahnung, ich hab nix gesehen“, schwindel ich und
füge gähnend hinzu: „Und du bleib bloß schön brav.“

Oh Gott, Kitty geht wirklich ab wie Lucy, da kann ich akustisch nicht
mithalten. Mit Kitty in der Kiste. Kalle geht mit Kitty in die Kiste. Von
ihr hätte ich es am wenigsten erwartet, dass sie sich von einem Typen
flachlegen lässt, von dem sie noch nicht einmal den vollständigen Namen
kennt. Wollust hin, Wollust her. Mein Vater macht mich noch heute drauf
aufmerksam, dass außerehelicher Sex Sünde sei, die man nicht tun sollte.
Ich glaube ihm, aber ich halt mich nicht daran und denk auch nicht daran.
Kein Sex vor der Ehe - wer schafft das schon? Gott sei Dank hört das
Liebesspiel bald auf und ich falle in einen tiefen Schlaf.

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7. Mai 2009 - 8.00 Uhr
Insgesamt haben Dieter und ich vergangene Nacht gut geschlafen. Um die
letzte Müdigkeit zu vertreiben, hopsen wir lieber die Treppen runter ins
Erdgeschoss. Statt rechts zum Frühstücksbüfett zu gehen, biegen wir nach
links und verlassen das Hotel, weil mein Liebster einen spontanen
Spaziergang zum Meer vorgeschlagen hat. Dem schließe ich mich an,
denn so richtigen Appetit habe ich noch nicht, es ist noch früh.

Am wunderbaren Strand ist noch kein Mensch. Wir genießen die Ruhe
und Einsamkeit. Es ist einfach herrlich, fantastisch. So schön, ja noch
schöner, muss es im Garten Eden gewesen sein. Leider ist dieser Fleck
hier seit gestern kein Paradies mehr für mich, dank diesem brutalen Arsch
von Engländer. Ich glaube, den Himmel auf Erden zu suchen ist auch so
´ne Sache, die sich früher oder später als Illusion entpuppen wird, bei den
vielen bösen Menschen und den vielen Krisen in dieser Welt. Und nicht,
dass sich auch noch der echte Bruce Willis als Ekelpaket erweist, wenn
man mal das Glück haben sollte, ihn privat kennen zu lernen. Aber auf
dieses Glück kann ich seit gestern gut verzichten, es könnte mir meine
Träume zerstören.

Erneut macht Dieter einen Vorschlag, den ich annehme. Wir erkunden
einfach das Hotel Marsal. Okay, ein Schild macht uns drauf aufmerksam,
dass der Zutritt nur Gästen gestattet ist. Der Hinweis wird ignoriert und
wir gehen am großen Pool vorbei, dann Treppen hoch auf den Eingang
zu. Vor dem Hotel hält ein französischer Kleinwagen. „Guck mal“, meint
Dieter, „das ist doch das Auto von unserer Reiseleiterin.“ „Klar, was du
nicht schon alles von der weißt“, maule ich. Meine Stimmung ändert sich
jedoch schlagartig zum Positiven, als der Berliner aus dem Fahrzeug
springt und seinem Chauffeur zum Abschied ein Dutzend Küsschen
zuwirft. Besser gesagt Chauffeurin, denn hinterm Lenkrad hockt die
Sackmann, ohne Frage. „Da kannst du von Ausgehen, das zwischen den
beiden diese Nacht was gelaufen ist“, analysiert Dieter die Lage. „Da
kannst du mal sehen, wie die sich um das Wohl ihrer Feriengäste
kümmert.“ „Ja klar, aber scheinbar nur um das Wohl der männlichen
Gäste“, korrigier ich meinen Liebsten. „Der Kerl wird gestern Abend
Kitty versetzt haben, geh ich von aus. Ich denke, deine Busenfreundin
was not amused.“ Von wegen, wenn der wüsste, was da gelaufen ist.

***

29
Im Hotel schauen wir uns ein bisschen um und stellen fest, dass die Frau
Sackmann gestern um 11.30 Uhr hier gewesen muss, denn gestern war
Mittwoch. „Ich glaub, die hat bei ihrem Termin den Berliner kennen
gelernt und sich an den gleich ran gemacht“, vermute ich. „Da wird
unsere kleine Kitty die Nacht wohl alleine verbracht haben, und ich hätte
schwören können, die angelt sich den Typen und kriegt ihn diese Nacht
noch rum. Somit hast du ja die Wette gewonnen, Zaubermaus.“ „Welche
Wette?“, nuschel ich und tue nur so, als ob ich´s vergessen hätte. „Unsere
35-Euro-Wette. Na, bei der anständigen Kitty lief nix diese Nacht. Somit
hast du recht behalten.“ „Jo ...“, krieg ich grad so raus und spüre einen
fetten Kloß im Hals.

Ich mag Katzen, Kitty mag Katzen. Ich halt nix von One-Night-Stands,
Kitty hält ebenfalls nix davon. Hat sie mir nun andauernd etwas
vorgemacht? Eine Frau muss ihre Geheimnisse hüten, so überrascht sie
immer wieder aufs Neue ihre beste Freundin, ob positiv oder negativ.
Alles kommt irgendwann ans Licht, pflegt mein Vater zu sagen. Dass mir
mein Handy letzten Monat ins Klo gefallen ist, weiß bislang noch kein
Mensch. Das Ganze ist mir immer noch ziemlich peinlich und ich behalt
es lieber für mich.

Ich dachte, Kitty wäre ein anständiges Mädchen. Na ja, aber auch brave
Mädels wollen mal ihren Spaß mit Jungs haben, ich bin ja auch ein braves
Mädchen. War´s jetzt für meine Freundin nur ein Ausrutscher oder hat
die Liebe Kitty wie ein Blitz getroffen? Soll ich das gewonnene Geld von
Dieter annehmen oder nicht? Kitty wird ihre Nacht mit Kalle bestimmt
nicht meinem Freund beichten, aber Kalle wird damit wohl unter
Männern angeben, und dann ist es raus. Spätestens heute Abend an der
Bar. Falls es mehr zwischen den beiden werden sollte, wenn das Herz
noch im Spiel ist, kommt sowieso alles heraus. Spätestens heute Abend
an der Bar, wenn die beiden am Turteln sind wie die Turbotäubchen.

„Hier die 35 Euro.“ Mist, was mach ich nur? Wie komm ich da wieder
raus? „Äääh..., ja ..., ja ..., ja ... Weißt du was, mein Schatz? Wir
vergessen die Wette einfach.“ „Wie vergessen?“ „Ja, wir vergessen die
Wette und du behältst die Scheine. Steck sie wieder ein. Aber eine Frage
musst du mir dafür beantworten, abgemacht?“ Dieter steckt die Knete
wieder ein. „Okay, schieß los, bin gespannt.“ „Also, mein Bester. Was ist
passiert mit den beiden fehlenden Kondomen? Das möchte ich nur
wissen.“ Dieter fängt an zu lachen. „Nein, das ausgerechnet! Oh Mann ...

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Na gut, du willst es wissen. Früher oder später hätte ich es dir eh verraten.
Ich hab Kitty gebumst.“ „Was??? Du hast Kitty ...?“ „Klar!” „Und wann
war das Bitteschön???“ „Wann das war? Hey, wir hatten nur eine Frage
ausgemacht.“ „Raus mit der Sprache“, fahr ich ihn scharf an. „Okay, is´
ja gut. Ich sag´s dir ja. Das war in der Nacht, als sie mich von der Disco
ins Hotel gefahren hat, weil ich mir den Fuß verletzt hatte. Letztes Jahr
im Sommer in Osnabrück war das, weißt du doch.“ Kitty spielt wohl
gerne das wilde Luder von Krankenschwester mit einem Faible für
Fußverletzte. Jetzt wird mir auch die Wette klar. Dieter wusste ganz
genau, dass man Kitty problemlos in die Kiste bekommt, wenn man nur
will. „Augenblick noch, die Kondome waren nicht für Kitty eingeplant,
sondern für mich. Du wolltest mich gleich bei unserem ersten Treffen
flachlegen, hast stattdessen meine beste Freundin vernascht.“ Es kommt
immer anders, als man denkt. Sag ich doch!

***

7. Mai 2009 - 9.15 Uhr


Wieder in Eintracht nach diesem kleinen Zwist hocken meine bessere
Hälfte und ich am Tisch und sind am Frühstücken. Eine fröhlich
gestimmte Kitty kommt in den Saal hereinstolziert und ein fröhlich
gestimmter Kalle hereingehumpelt. Ich begrüße sie: „Na, ihr Hübschen -
gut geschlafen? Heiß gewesen diese Nacht.“ Die beiden strahlen mich an,
aber plündern erst mal das Büfett, während Dieter meine Anspielung
nicht versteht und sich über die nächtliche Hitze wundert. „So heiß war
doch das gar nicht die Nacht?“

„Ach ja, Kalle“, frage ich ihn, „was war das noch mal, was dieser
Engländer mit mir tonight vorhatte? Irgendwas mit ride my cock, oder
vertue ich mich da jetzt?“ „Ich kann dir sagen, was der mit dir machen
wollte, aber ich sag´s dir nicht. Normalerweise hätte ich auch nicht
gewusst, was das bedeutet, aber durch meinen starken Konsum von
amerikanischen Pornos aus dem Internet weiß ich es mittlerweile.“ Na,
der Kerl ist wenigstens ehrlich. Kitty wird schon bald in der Kiste
rauskriegen, ob der noch mehr davon profitiert hat.

Selbst ein Blinder würde sehen, dass zwischen Kitty und Kalle was im
Busch ist. Ihr Verhalten lässt nicht leugnen, dass die beiden schwer
verknallt sind. Das merkt natürlich auch Dieter, und nachdem sich das
neue Paar wieder verzogen hat, meint er zu mir: „Ist dir das auch

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aufgefallen, das zwischen den beiden was läuft, Zaubermaus?“ „Da lief
letzte Nacht schon allerhand.“ Dieter fängt an zu lachen. „Nein, das war
also unser Pummelchen Kitty, die gestern Nacht abging wie Lucy.“
„Genau mein Lieber, der Berliner hat Kitty versetzt und Kalle hat sie
getröstet.“ „Und bei jedem Glas Alkohol sind die beiden sich dann
gestern am Abend näher gekommen.“ „So wird´s gewesen sein.“ Hey,
Momentchen mal du Schlunz, dann hab ich die Wette doch gewonnen!“,
freut sich Dieter. „Welche Wette?“ sage ich, „die wollten wir doch
vergessen ...“

***

7. Mai 2009 - 10.20 Uhr


Wenn man dem Wetterfrosch Glauben schenkt, soll es die ganze Woche
schön bleiben. Ohne die beiden frisch Verliebten nehmen Dieter und ich
den Linienbus nach Porto Cristo. Sehenswert sind dort die Cuevas del
Dra, die „Drachenhöhlen“. Sie sind die größten und ältesten Tropfstein-
höhlen von Malle und nach einem sagenhaften Drachen benannt, der dort
angeblich einen Schatz bewacht haben soll. Bei uns in Deutschland gibt
es auch sagenhaft viele Drachen von Frauen, die ihren Schatz von Mann
bewachen, damit er sich nicht in der Kneipe oder bei einer Sport-
veranstaltung amüsiert. Ein Mann, der immer tut, was eine Frau will, wird
jedoch mit der Zeit für das Weib uninteressant, glaubt mir. Nach dem
Besuch der Höhlen sind wir runter zum Hafen gebummelt, da ist es ganz
hübsch. Wir genießen noch den Rest vom Tag und das herrliche Wetter
macht es uns auch nicht allzu schwer.

***

8. Mai 2009
Der Wetterfrosch scheint recht zu haben, der Tag beginnt wieder mit viel
Sonne und kaum Wolken. Wieder ohne unsere frisch Verliebten, unter-
nehmen wir eine Wanderung zu den Ruinen des Castell de Santueri, die
sich auf einer 400 m hohen Erhebung befinden. Für den Hinweg brauchen
wir gut drei Stunden, lohnt sich aber, denn wir haben oben einen
fantastischen Blick über den Osten der Insel.

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9. Mai 2009
Wetterfrösche lügen nicht, zumindest in Spanien. Ein wunderbarer Tag
bricht an, aber mir schmerzen die Füße, weil ich mir als Andenken an die
Wandertour Blasen an den Füßen geholt habe. Das ist nicht komisch.

***

Um es uns von nun an bequemer zu machen, mieten wir für zwei Tage
einen Seat Ibiza Diesel. Mit dem Leihwagen tuckern nur Dieter und ich
zunächst nach Cala D´or. Genau wie damals Gallien dank Asterix and
Friends nicht ganz besetzt war, ist Cala D´or der einzige Ort auf Malle,
der noch fest in britischer Hand ist. Mit voller Kraft und Kühnheit kämpft
die Neckermann-Wehrmacht hier seit Jahren verbissen um jeden deut-
schen Urlauber und es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir in Cala
D´or das Kommando übernehmen. Von diesem Ort ist es nicht mehr weit
zu den traumhaften Stränden der Cala Mondragó.

***

Das Fischerdörfchen Cala Figuera liegt einige Kilometer weiter südlich


und gehört zu den malerischsten Orten der Insel. Es liegt an einer
fjordartigen, tief ins Land hinein ragenden Bucht, in denen jede Menge
niedliche Fischerboote und Segelschiffe ankern.

***

Wir halten uns weiter Richtung Süden und machen am schönen Strand
von Cala Santanyí eine längere Pause. Die Bucht, die tief ins Land reicht,
wird von bewaldeten Felsen eingerahmt. Wir kraxeln die Treppen hoch
und finden die Stelle, von wo man aus das im Meer befindliche bizarre
Felstor Es Pontas bewundern kann. Bei Colonia St. Jordi gleicht die
Küste einer Dünenlandschaft, wie ich es von der Nordsee her kenne. Bei
Cala Pi drehen wir um und fahren lieber zurück, und nicht weiter nach El
Arenal, um nicht noch in die Aura vom gefürchteten Ballermann zu
gelangen.

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10. Mai 2009
An diesem Tag schaffen es endlich Kitty und Kalle auch wieder aus den
Federn. Die beiden zu einer Spritztour zu überreden fällt nicht schwer, da
das Programm von Herrn Toshiba, Formel Eins aus Barcelona, keine
ernstzunehmende Alternative für das frische Traumpärchen ist. Kalle hat
den Verband am Fuß abgenommen, kann also wieder ganz gut laufen.
Kitty scheint sich erst wieder an eine aufrechte Position gewöhnen zu
müssen. Wir machen uns am Vormittag bei herrlichem Wetter mit dem
Auto auf den Weg nach Cala Ratjada.

Westwärts geht´s danach weiter bis zur großen Bucht von Alcúdia. Eine
längere Rast machen wir in Ca'n Picafort. Dieser Ort war in früheren
Jahren ein Fischerdorf und ist heute ein Ferienort mit allem, was das
Urlauberherz begehrt. Zahlreiche Cafés und Restaurants säumen die
Promenade. Und eine freilaufende Promenadenmischung macht mir am
langen Strand das Leben schwer, weil der freche Köter mich dauernd
anbellt. Ich trau mich nicht weiterzugehen, bleibe wie angewurzelt
stehen. Als für den Hund das Spiel mit mir seinen Reiz verloren hat,
findet er in Kitty schnell ein neues Opfer, welches er in Schach halten
kann. Glücklichweise verpisst sich der Hund nach einer Weile wieder.

Über Manacor fahren wir zurück Richtung Porto Colom und als wir kurz
hinter Felantix der Wegweiser nach Sant Salvador ins Auge springt, biegt
Dieter den Wagen rechts in die schmale Straße und nach einer Million
Kurven erreichten wir das Kloster. Von hier hat man sogar einen noch
besseren Rundblick über die Insel als von den Überresten des Castell de
Santueri, wo ich mit Dieter vor zwei Tagen hingelatscht bin. Den Stress
hätten wir uns also sparen können, die Blasen an meinen Füßen natürlich
auch.

***

11. Mai 2009


Nach dem Frühstück geben wir den Mietwagen zurück und genießen den
letzten Tag vor der Abreise. Wir gehen früh schlafen, da wir morgen
bereits um sechs Uhr für den Transfer zum Flughafen bereit sein müssen.
Dann geht´s wieder Richtung Heimat und das Alltagsleben hat einen
wieder schnell.

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12. Mai 2009 - 11.55 Uhr
Sicher ist unsere Boing in Düsseldorf gelandet. Kalle bleibt noch eine
Woche und kann sich heute noch mit Kitty vergnügen, die sich morgen
von Malle und Kalle verabschieden muss. Wie das mit den beiden weiter
geht, wird sich zeigen. Alles ist möglich, bis hin zu Nachwuchs, zu dauer-
plärrenden kleinen Bazillenschleudern. Die Zuneigung kann sich aber
auch schnell wieder verflüchtigen.

Eine Beziehung ist auch eine Chance. Vielleicht schafft es Kalle durch
Kittys Einfluss endlich mal, beruflich in die Pötte zu kommen. Und Trost
spendenden Alkohol konsumieren wäre bei einer intakten Beziehung
nicht mehr nötig. Alkohol führt sowieso zu nix, höchstens in die Ab-
hängigkeit. Sein Schicksal sollte jedermann als Chance sehen, und aus
vergangenen Fehlern muss gelernt werden.

Einen Spielfilm oder ein Buch, wo die Hauptfiguren am Ende heiraten,


halten viele für eine Geschichte mit Happy End. Mittlerweile bin ich
nicht mehr so naiv dies zu glauben. Nach der Hochzeit fangen die
Probleme meist erst richtig an, Krisen werden kommen und stellen die
Ehe auf die Probe. Hab ich recht, Prinz Charles?

Ein All-inclusive Urlaub auf Mallorca gleicht schon fast einem Leben wie
im Paradies. Jedoch werden auch Urlaubsparadiese früher oder später von
Katastrophen, Krisen und Kriminalität heimgesucht, und für viele wäre
dies desillusionierend.

Es wird oft von einer zweiten Chance gesprochen. Manch einer erhält im
Leben eine zweite Chance, aber man hat nur ein Leben. Gott hat uns
Menschen eine zweite Chance gegeben, als er seinen Sohn ans Kreuz
geschlagen hat, um für unsere Sünden zu bezahlen. Gesündigt haben wir
im Urlaub alle, und nicht nur im Urlaub. Und Sünde ist Trennung von
Gott. Durch den Glauben an Jesus Christus werden wir wieder mit Gott
versöhnt und erben das himmlische Paradies. Um dies zu erben, muss
man in Beziehung zu Gott bleiben.

Ist die heile Welt nur eine Illusion? Mein Vater, der es versteht das Leben
trotzdem zu genießen, sagt ja. Und ich glaube, er wird recht behalten.
Denn wir leben in einer gefallenen Welt und die einzige Chance, die sich
nicht als Illusion herausstellen wird, heißt Jesus Christus.

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