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Stefan Griller
Heinz Peter Rill
(Gesamtredaktion)
SpringerWienNewYork
Forschungen aus Staat und Recht 136
Herausgeber: Univ.-Prof. Dr. Bernhard Raschauer,
im Zusammenwirken mit Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Günther Winkler
und Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter
Gesamtredaktion:
Univ.-Prof. Dr. Stefan Griller, FB Öffentliches Recht
Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
Univ.-Prof. Dr. Heinz Peter Rill, Wirtschaftsuniversität Wien
Wien, Österreich
© 2011 Springer-Verlag/Wien
Printed in Austria
SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen
von Springer Science + Business Media
springer.at
ISSN 0071-7657
ISBN 978-3-211-36811-4 SpringerWienNewYork
Vorwort
Vom 25. bis 27. Februar 2002 fand an der Wirtschaftsuniversität Wien
ein internationales Seminar aus Rechtstheorie mit dem Titel „Rechtsbe-
griff – Dynamik – Auslegung“ statt. Es wurde vom damaligen Institut für
Verfassungs- und Verwaltungsrecht sowie dem damaligen Forschungs-
institut für Europafragen dieser Universität, personell vertreten durch die
beiden Herausgeber des vorliegenden Bandes, veranstaltet. Die Schriftfas-
sungen aller Vorträge – bis auf zwei – sind hier versammelt.
Wir haben drei Themenkreise für dieses Seminar ausgewählt, die nach
unserem Verständnis für die Rechtstheorie von zentraler Bedeutung sind.
Wesentliche theoretische Grundlage der Rechtswissenschaft insgesamt ist
die nur zu oft fehlende Gegenstandsabgrenzung. Eben dieser sind die Er-
örterungen über den „Rechtsbegriff“ – deshalb der erste Untertitel – bei
Kelsen, Hart und Dworkin gewidmet. Aus der Sicht von Rechtstheo-
retikern, die ihre Prägung durch die Reine Rechtslehre nicht verleugnen
können, ist zweitens die von Merkl und Kelsen entwickelte bzw zu ei-
nem Kernstück der Reinen Rechtslehre gemachte Stufenbaulehre eine für
das Verständnis des Rechts wesentliche Theorie. Diese wurde im hier do-
kumentierten Seminar unter dem Titel „Dynamik“ zum Gegenstand kri-
tischer Betrachtung gemacht. Dritter Themenkreis in unserem Seminar
war die Auslegung, die in theoretischer Sicht wie auch mit Blick auf die
Praxis beleuchtet wurde. Leider betrifft der schon erwähnte Ausfall von
zwei Beiträgen diesen Bereich.
Die Entstehung dieses Bandes hatte bedauerlicherweise ein wechselvol-
les Schicksal und wäre mehrmals beinahe gescheitert. Durchaus typische,
aber konkret über das übliche Ausmaß deutlich hinausgehende Schwierig-
keiten bei der „Veredelung“ der Vortragsmanuskripte für die Veröffentli-
chung haben zu der Verzögerung geführt.
Umso mehr freut es uns, dass die Veröffentlichung nun doch noch ge-
lungen ist! Inzwischen glauben wir mit dem Abstand der Jahre sagen zu
können, dass die ins Grundlegende und Methodische gehende Ausrich-
tung der einzelnen Beiträge sie tatsächlich über die Tagesaktualität hin-
aushebt, sodass die Relevanz der Schriftfassungen durch den zeitlichen Ab-
stand zum Seminar nicht beeinträchtigt erscheint. Nichtsdestotrotz haben
beinahe alle Autoren ihre Beiträge in den vergangenen zwei Jahren noch-
mals überarbeitet und aktualisiert.
Die berufliche Position vieler Autoren hat sich inzwischen geändert.
Wir haben uns entschlossen, im Autorenverzeichnis sowohl die damalige
als auch die aktuelle Position anzugeben.
VI Vorwort
Clemens Jabloner
Der Rechtsbegriff bei Hans Kelsen ............................................................................ 21
Michael Pawlik
Der Rechtsbegriff bei H.L.A. Hart ............................................................................ 41
Stefan Griller
Der Rechtsbegriff bei Ronald Dworkin ..................................................................... 57
Ewald Wiederin
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls .................................................................... 81
Michael Potacs
Die Grundnormproblematik ..................................................................................... 135
Theodor Schilling
Das Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht ....... 153
Bernd-Christian Funk
Die Leistungsfähigkeit der Stufenbaulehre
Zur Wissenssoziologie eines reduzierten Positivismus ............................................... 195
Robert Schick
Auslegung und Rechtsfortbildung ............................................................................. 209
Rudolf Streinz
Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH
Eine kritische Betrachtung ........................................................................................ 223
Clemens Jabloner
Der Rechtsbegriff bei Hans Kelsen .......................................................................... 21
I. Einleitung ........................................................................................................ 21
II. Das Recht als Normenordnung ....................................................................... 23
III. Das Recht als effektive Zwangsordnung .......................................................... 29
IV. Schlussbetrachtung .......................................................................................... 36
Michael Pawlik
Der Rechtsbegriff bei H.L.A. Hart .......................................................................... 41
I. Ziel und Grundaussagen von Harts Rechtstheorie .......................................... 41
II. Recht als Verbindung von Primär- und Sekundärregeln:
Einzelheiten und Kritik .................................................................................. 46
III. Die verschiedenen „Standpunkte“ gegenüber dem Recht ................................ 50
IV. Fazit ................................................................................................................. 54
Stefan Griller
Der Rechtsbegriff bei Ronald Dworkin ................................................................... 57
I. Einleitung ........................................................................................................ 57
II. Prinzipien und Regeln ..................................................................................... 58
A. Die Position Dworkins ................................................................................. 58
B. Kritische Würdigung .................................................................................... 61
1. Logischer Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien? .......................... 61
2. Konsequenzen eines Konflikts: Ungültigkeit versus Verdrängung? ............ 62
3. Prinzipien als Optimierungsgebote ........................................................... 64
4. Zwischenresümee für die Interpretationslehre ........................................... 67
III. Die Bedeutung des Prinzipienarguments für den Rechtsbegriff ....................... 70
X Inhaltsverzeichnis
Seite
A. Die Position Dworkins ................................................................................. 70
B. Kritische Würdigung .................................................................................... 71
IV. Schlussbemerkung ........................................................................................... 78
Ewald Wiederin
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls ................................................................... 81
I. Die Stufenbaulehre Merkls als Kernelement der Reinen Rechtslehre ............... 83
II. Der Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit ............................................. 88
1. Notwendigkeit einer hierarchischen Stufung? .............................................. 89
2. Baumstruktur statt Stufenbau? ..................................................................... 90
3. Erosion des Stufenbaus infolge Gesetzesbedingtheit der Verfassung? ............ 92
a) Die rechtliche Bedingtheit bei Merkl ......................................................... 93
b) Die conditio-sine-qua-non-Formel ............................................................ 94
c) Determinierende Normen .......................................................................... 97
4. Historischer Hintergrund ............................................................................. 100
III. Der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft ................................................ 104
1. Die derogatorische Kraft bei Merkl .............................................................. 105
2. Differenzierungen des Derogationsbegriffs ................................................... 107
3. Derogation, Suspension und Invalidation im positiven Recht ...................... 109
a) Derogation ................................................................................................. 109
b) Suspension ................................................................................................. 112
c) Invalidation ................................................................................................ 113
4. Folgerungen ................................................................................................. 118
a) Kontingenz des Stufenbaus nach der derogatorischen Kraft ....................... 118
b) Bedingungen für einen Stufenbau .............................................................. 118
c) Derogatorische Kraft und Fehlerkalkül ...................................................... 120
IV. Stufenbau und Fehlerkalkül ............................................................................. 121
1. Der Fehlerkalkül bei Merkl .......................................................................... 122
2. Integration des Fehlerkalküls in den Stufenbau
nach der rechtlichen Bedingtheit? ................................................................ 123
3. Fehlerkalkül als Alternativermächtigung? ..................................................... 126
4. Einwirkungen des Fehlerkalküls auf den Stufenbau
nach der derogatorischen Kraft .................................................................... 128
V. Schlussbemerkung ........................................................................................... 129
Michael Potacs
Die Grundnormproblematik .................................................................................... 135
I. Der Anspruch der Reinen Rechtslehre ............................................................. 135
II. Die Funktion der Grundnorm im System der Reinen Rechtslehre .................. 137
III. Kritik an der Grundnormlehre ........................................................................ 140
IV. Erkenntnisgegenstand einer „beschreibenden“ Rechtswissenschaft .................. 145
V. Annahmen einer objektiven Rechtswissenschaft .............................................. 148
VI. Schlussbemerkung ........................................................................................... 150
Inhaltsverzeichnis XI
Seite
Theodor Schilling
Das Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht .... 153
I. Einleitung ........................................................................................................ 153
II. Rechtstheoretische Vorüberlegungen ............................................................... 154
A. Die Grundnorm ........................................................................................... 154
B. Die Rechtsordnungswahl ............................................................................. 155
1. Die externe und die interne Rechtsordnungswahl ..................................... 155
2. Konstellationen ......................................................................................... 159
a) Mangelnde Anerkennung einer realen Rechtsordnung .......................... 159
b) Revolutionäre Ersetzung einer realen Rechtsordnung ............................ 160
c) Nebeneinander mehrerer realer Rechtsordnungen ................................. 164
III. Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatliches Recht .......................................... 164
A. Das institutionelle Prinzip ............................................................................ 165
1. Das institutionelle Prinzip im Verhältnis Völkerrecht/Landesrecht ........... 167
2. Das institutionelle Prinzip im Verhältnis
Gemeinschaftsrecht/mitgliedstaatliches Recht ........................................... 169
a) Die revolutionäre Neubildung der Gemeinschaftsrechtsordnung ........... 170
b) Das Verhältnis Gemeinschaftsrecht/
mitgliedstaatliches Recht aus der Sicht des EuGH ................................. 172
c) Das Verhältnis Gemeinschaftsrecht/mitgliedstaatliches Recht
aus der Sicht der mitgliedstaatlichen Rechtsstäbe ................................... 173
d) Das Aggregat aus Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht ..... 176
B. Die Frage nach der koordinierenden Rechtsordnung ................................... 178
1. Mögliche koordinierende Rechtsordnungen ............................................. 178
a) Das Völkerrecht als koordinierende Rechtsordnung .............................. 178
b) Die kleine Rechtsordnung oder die Fundamentalität der Revolution .... 179
2. Die tatsächlichen Entscheidungen der mitgliedstaatlichen Gerichte ......... 183
a) Schwierigkeiten der dogmatischen Erfassung ......................................... 183
b) Die Vermeidung von Divergenzen ......................................................... 185
c) Die rechtstheoretische Einordnung ........................................................ 189
IV. Schluss ............................................................................................................. 190
Bernd-Christian Funk
Die Leistungsfähigkeit der Stufenbaulehre
Zur Wissenssoziologie eines reduzierten Positivismus ............................................... 195
I. Die zwei Seiten der Stufenbaulehre:
heuristische Theorie (dictum) und Konstruktionslogik des Rechts (res) ......... 195
II. Kritik der Grundlagen – Stufenbau
als Konstruktionslogik des positiven Rechts? .................................................. 198
III. Kritik der Stufenbaulehre als Theorie .............................................................. 202
IV. Wie leistungsfähig ist die Stufenbaulehre (noch)? ............................................ 206
Robert Schick
Auslegung und Rechtsfortbildung ........................................................................... 209
I. Einleitung ........................................................................................................ 209
II. Einschränkungen und Klarstellungen .............................................................. 210
XII Inhaltsverzeichnis
Seite
III. Konzentration auf Einzelnormerzeugung ........................................................ 211
IV. Rekonstruktion der interpretativen Prämissen ................................................. 211
V. Fallbeispiel VfSlg 15.970/2000 (slowenische Amtssprachen-Verordnung) ....... 214
1. Abschließende Regelung durch die Verordnung ........................................... 216
2. Auch Gemeinden sind Verwaltungsbezirke .................................................. 216
3. Übernahme der Vorjudikatur ....................................................................... 217
4. Ableitung aus den vorhandenen Prämissen .................................................. 217
5. Kritik ........................................................................................................... 218
VI. Rechtsfortbildung und Richterrecht ................................................................ 219
VII. Zulässigkeit von Rechtsfortbildung ................................................................. 220
Rudolf Streinz
Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH
Eine kritische Betrachtung ........................................................................................ 223
I. Kritik am EuGH aus Praxis und Wissenschaft ................................................ 223
1. Das Maastricht-Urteil des BVerfG ................................................................ 223
2. Kritisierte und akzeptierte Rechtsfortbildung:
Unmittelbare Wirkung von Richtlinien ....................................................... 227
3. Rechtsprechung zum Arbeits-, Gesellschafts- und Bilanzrecht ..................... 229
4. Der gemeinschaftsrechtlich begründete
Staatshaftungsanspruch: Von Francovich zu Köbler ..................................... 232
5. Die Lückenschließungskompetenz des Art 352 AEUV (Art 308 EGV) ....... 236
6. Kompetenzerweiterungen durch „dynamische“ Rechtsprechung .................. 237
7. Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts ........................................... 240
8. Ergebnis ....................................................................................................... 240
II. Die Auslegungsmethoden des EuGH als supranationalem Gericht ................. 241
1. Auslegungsmethoden des EuGH .................................................................. 241
a) Notwendige Modifikationen der klassischen Auslegungsmethoden .......... 242
b) Die besondere Bedeutung der teleologischen Methode ............................. 245
c) Die Bedeutung der Rechtsvergleichung ..................................................... 246
2. Besonderheiten supranationaler Rechtsprechung ......................................... 248
III. Die Auswirkungen der besonderen Aufgaben des EuGH ................................ 249
1. Die Ausfüllung des EG-Vertrags als Rahmenvertrag ..................................... 249
2. Gemeinschaftsrechtliche Begriffsbildung ...................................................... 250
3. Entwicklung der Gemeinschafts- bzw Unionsgrundrechte ........................... 250
4. Entwicklung von Strukturprinzipien des Gemeinschaftsrechts ..................... 252
a) Vorrang des Gemeinschaftsrechts (Rechts der Europäischen Union) ......... 252
b) Weitere Instrumente zur Sicherung der effektiven und
einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts (Unionsrechts) .......... 253
IV. Würdigung der Rechtsprechung des EuGH .................................................... 255
1 Und zwar ungeachtet der unterschiedlichen theoretischen Prämissen, von denen die
Autoren wie zB Hermann Kantorowicz, Hans Kelsen, Franz Bydlinski ausgehen.
2 Im weitesten Sinne.
3 Wie zB Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928) bei der Entwicklung seines Verfas-
sungsbegriffs, den er der Weimarer Reichsverfassung imputiert.
4 Ausgabe oJ 23.
2 Heinz Peter Rill
5 Erfassung der Merkmale von Gegenständen, die üblicherweise als rechtliche Phäno-
mene angesprochen werden.
6 Normen, die jemand aufstellt, und Werturteile, die jemand fällt, mögen noch so über-
zeugend begründet werden, das Prädikat „wahr“ kann ihnen ebenso wenig wie das Prädikat
„falsch“ zuerkannt werden. Anderes gilt für Aussagen, auch wenn es strittig ist, unter wel-
chen Bedingungen die genannten Prädikate einer Aussage zugeschrieben werden können.
7 Werner Maihofer (Hrsg), Begriff und Wesen des Rechts (1973) IX ff.
8 Maihofer (FN 7) XVII.
9 Rudolf Carnap, Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit (1959) 12 ff.
Grundlegende Fragen bei der Entwicklung eines Rechtsbegriffs 3
nicht erforderlich sind, sollten, auch wenn sie manches illustrieren mö-
gen, nicht in die Definition aufgenommen werden, sondern der wissen-
schaftlichen Befassung mit dem Gegenstand Recht vorbehalten bleiben.
Wenn man Recht als zwangsbewehrte Ordnung definiert, sollte dies zB
nicht die Beantwortung der Frage präjudizieren, ob das Recht seinem
immanenten Sinn nach darauf angelegt ist, einen allgemeinen Verhaltens-
maßstab für die Rechtsgenossen darzustellen, oder ob das Sanktionsgebot
als die primäre Anordnung zu qualifizieren ist10. Ebenso wenig hindert
die Definition des Rechts als Zwangsordnung, Erlaubnissen und Ermäch-
tigungen, wie sie im Recht vorzufinden sind, in der Rechtsanwendung
angemessen Rechnung zu tragen oder leges imperfectae als gebietende,
wenngleich sanktionslose Festlegungen der Rechtsordnung anerkennen zu
lassen, statt sie jedes Sollenscharakters zu entkleiden. Kurz, eine auf die
Abgrenzungsfunktion zugeschnittene, nur „formale“ Rechtsdefinition
schließt eine Inhaltsbetrachtung des Rechts nicht aus und soll diese auch
nicht präjudizieren.
Ich will daher mit dem hier zugrunde gelegten Postulat, die Rechtsde-
finition nicht mit Elementen zu belasten, die für ihre Abgrenzungsfunk-
tion entbehrlich sind, nicht einer Rechtstheorie das Wort reden, der es
um die „möglichste Vereinfachung der Welt“11 geht und die die Komple-
____________________
10 Es ist daher nicht der Meinung Hans Kelsens in der 1. Aufl der Reinen Rechtsleh-
re (1927) 30 f zuzustimmen, wenn er die Sanktionsnorm als primäre, das Gebot der Sankti-
onsvermeidung als sekundäre Rechtsnorm qualifiziert. Noch viel weniger ist Kelsen zu-
zustimmen, wenn er zuletzt – siehe Allgemeine Theorie der Normen (1979) 108 – über-
haupt nur die Sanktionsnorm als Rechtsnorm gelten lassen will, indem er ausführt: „Man
pflegt zwischen Rechtsnormen, die ein bestimmtes Verhalten gebieten, und Rechtsnormen,
die an das diesen Normen zuwidere Verhalten eine Sanktion knüpfen, als zwischen pri-
mären und sekundären Rechtsnormen zu unterscheiden, wie etwa: Man soll nicht steh-
len; wenn jemand stiehlt, soll er bestraft werden. Aber die Formulierung der ersten der
beiden Normen ist überflüssig, da das Nicht-Stehlen-Sollen r e c h t l i c h nur in dem an die
Bedingung des Stehlens geknüpften Bestraft-Werden-Sollen besteht. Die Moral gebietet ein
Verhalten nicht d a d u r c h , dass sie an das moralwidrige Verhalten eine Sanktion knüpft.
Hier stehen ganz wesentlich z w e i Normen nebeneinander, wie z.B.: ‚Man soll nicht lügen.‘
‚Man soll Lügen mißbilligen, das Unterlassen des Lügens billigen.‘ “ Diese Sicht wird der
Eigenart des Rechts nicht gerecht und liegt hier dem Begriffsmerkmal „zwangsbewehrt“
nicht zu Grunde. Sinn auch der rechtlichen Anordnungen und nicht nur der Normen der
Moral ist es primär, erwünschtes Verhalten zu gebieten, auch wenn die Zwangsbewehrung
Essentiale des Rechtsbegriffs und gerade nicht der Moral ist.
11 So die Kritik von Erich Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie
(1921) 85, an Kelsen.
Die nicht nur von Erich Kaufmann vorgetragene Kritik, die mit dem Vorwurf der
Ausklammerung der Rechtsinhaltsbetrachtung einhergeht, lässt sich freilich erklären: Kel-
sen versteht die Rechtswissenschaft als eine auf Erkenntnis der Eigenart des Gegenstands
Recht gerichtete Disziplin und versteht demgemäß die rechtswissenschaftliche Auslegung
als ein allein auf Erkenntnis des Sinngehalts von Rechtsvorschriften gerichtetes Geschäft.
Demgemäß erachtet er die rechtswissenschaftliche Auslegung darauf beschränkt, den mög-
lichen Wortsinn von Rechtsvorschriften zu ermitteln. Jede darüber hinausgehende Inter-
4 Heinz Peter Rill
pretation ist für ihn nicht mehr wissenschaftlich. Innerhalb der möglichen Bedeutung ei-
ner Rechtsvorschrift kann keine der in Betracht kommenden Varianten als richtig oder
falsch ausgezeichnet werden. Unter Zugrundelegung eines anderen Wissenschaftsbegriffs
würden Rechtsinhaltsfragen ins Blickfeld des Rechtswissenschaftlers rücken. Sie würden
Gegenstand eines praktisch vernünftigen Diskurses sein. Es ginge nicht nur um richtig oder
falsch, sondern letztlich um mehr oder weniger überzeugend. In diesem Sinne wird denn
auch – zumeist ohne dies offenzulegen – Rechtswissenschaft betrieben.
12 Vgl in diesem Zusammenhang die Wiedergabe kritischer Stimmen zu „Kelsens ...
Formalismus und Rekonstruktivismus“ bei Michael Pawlik, Die Reine Rechtslehre
Kelsens und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (1993) 60 ff.
13 Ausdruck bei Bernd-Christian Funk, Der verfahrensfreie Verwaltungsakt (1975)
10 FN 34.
14 Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches I5 (1911) XI, und Funk
(FN 13).
Grundlegende Fragen bei der Entwicklung eines Rechtsbegriffs 5
15
Siehe Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat – Recht und Justiz im Dritten Reich (2001).
16
Vgl Horst Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozia-
lismus, VVDStRL 60 (2001) 9 (59 ff ).
6 Heinz Peter Rill
21 Vgl die Darlegung des von Robert Walter so genannten dynamischen Rechts-
normbegriffs in dessen Schrift Der Aufbau der Rechtsordnung2 (1974) 17f.
22 Adressat ist der Rechtsträger, für den der Walter des zuständigen Organs zu handeln
hat. Siehe schon Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (1911) 525.
23 Freilich kann man auch im Sinne von Walter (FN 21) 46 für die zahlreichen Ele-
mente, die in die Sanktionsnormen zusammengeführt werden, den Terminus „Rechtsvor-
schrift“ wählen. Aber solche terminologischen Festlegungen haben nur einen Sinn, wenn
sie sich auch durchsetzen. Andernfalls vertraut man lieber darauf, dass im jeweiligen Kon-
text erkennbar ist, was der sich Äußernde meint, auch wenn danach ein und dasselbe
Wort nicht immer dieselbe Bedeutung hat.
8 Heinz Peter Rill
These zutreffend ist oder ob der Zusammenhang zwischen dem Recht und
seiner Befolgung durch die Normadressaten komplexer ist, kann30 für die
Entwicklung des Rechtsbegriffs dahinstehen.
Zu betonen ist, dass das Kriterium der Zwangsbewehrung im Sinne
von Bewehrung mit Zwangssanktionen zu verstehen ist. Denn nicht jeder
Zwangsakt, der als Rechtsfolge für ein bestimmtes menschliches Verhal-
ten vorgesehen ist, stellt eine Sanktion dar. Vielmehr werden nur mit je-
nen Zwangsakten Sanktionen verhängt, die als Rechtsfolge eines uner-
wünschten Verhaltens vorgesehen sind. Ob ein bestimmtes Verhalten un-
erwünscht ist und demnach die zwangsandrohende Rechtsfolge eine Sank-
tion gebietet, ist eine Frage der Bewertung31 durch den Gesetzgeber. Im
Wege der Auslegung lässt sich, wie ich meine, so gut wie immer mit hin-
reichender Sicherheit die Bewertung ermitteln32, von der der Gesetzgeber
ausgegangen ist. Denn Rechtsvorschriften sind unter Berücksichtigung des
allgemeinen Sprachgebrauchs, bekannter Sachzusammenhänge und in der
Gesellschaft herrschender Bewertungen zu verstehen. Ohne die Einbezie-
hung dieser Faktoren ist juristische Interpretation, die diesen Namen ver-
dient, gar nicht möglich.
30
Auch wenn es wohl evident ist, dass Letzteres zutrifft.
Robert Walter in seiner Rezension von Kelsen, Reine Rechtslehre2, ÖJZ 1960,
31
669 (670).
32 Ohne vorherige Interpretation, die das Verhältnis Unrecht – Sanktion explizit macht,
kann selbstverständlich nicht von der Rechtsfolge (Zwangsaktsandrohung) auf ein Gebot
zu zwangsvermeidendem Verhalten logisch geschlossen werden; Ota Weinberger (FN 28).
33 Kelsen (FN 24) 4 ff.
34 Zum Willensaktsbegriff vgl Heinz Peter Rill, Hermeneutik des kommunikations-
theoretischen Ansatzes, in: Vetter/Potacs (Hrsg), Beiträge zur juristischen Hermeneutik
(1990) 53 (54 ff ).
10 Heinz Peter Rill
ten Gemeinschaft garantiert. In der Voraussetzung der Grundnorm wird kein dem positi-
ven Recht transzendenter Wert bejaht.“
12 Heinz Peter Rill
bis hin zur Verhängung der gesetzlich festgelegten Sanktionen und erfor-
derlichenfalls ihrer Vollstreckung als Antwort auf rechtswidriges Verhal-
ten. Ist dies der Fall, dann ist die Ordnung effektiv, dann werden die
Normen dieser Ordnung von den staatlichen Organwaltern vollzogen und
ebenso von den Rechtsunterworfenen im Großen und Ganzen angewen-
det und befolgt. Funktioniert das System nicht, besteht es nicht länger,
maW gilt es nicht. Dieser Mangel an Effektivität ist, um mit Lippold zu
sprechen, ein Sein von von Normen festgelegter Relevanz. Der Einwand,
der Rechtsbegriff dürfe nicht mit dem Merkmal der Wirksamkeit belastet
sein, weil andernfalls zB historisches Recht nicht Gegenstand rechtswis-
senschaftlicher, näherhin rechtsdogmatischer Betrachtung sein kann, ist
eine sonderbare petitio principii. Es gibt keinen vernünftigen Grund, wa-
rum ehemals geltendes Recht oder möglicherweise künftig Geltung erlan-
gendes Recht nicht Gegenstand rechtsdogmatischen Raisonnements sein
soll. Auf das Tempus kann es doch nicht ankommen.
Da das Funktionieren des Rechtssystems mit der Grosso-modo-Befol-
gung der dem System zugehörigen Normen zusammenfällt, ist es ent-
behrlich, die Effektivität als eigenes Merkmal in die Rechtsdefinition auf-
zunehmen und Recht als ein System zwangsbewehrter Normen zu ver-
stehen, wobei „System“ den dynamisch zu begreifenden Rechtserzeugungs-
zusammenhang meint. Der Problematik des Effektivitätskriteriums, die
von Lippold auch für die Eliminierung der Effektivität aus dem Rechts-
begriff ins Treffen geführt wird, entkommt man freilich nicht. Die Prob-
lematik lässt sich nicht eliminieren. Den erforderlichen Grad der Effekti-
vität über wertausfüllungsbedürftige Formeln (wie im Großen und Gan-
zen oder grosso modo) hinaus zu präzisieren ist in sinnvoller Weise nicht
möglich. Die Unbestimmtheit des Wirksamseins im Großen und Ganzen
muss in Kauf genommen werden. Ein sinnvoller Rechtsbegriff, der stets
eine eindeutige Identifikation erlaubt, lässt sich nicht entwickeln. In der
nicht bloß hypothetischen Situation zweier um ihre Geltung und damit
ihre Effektivität ringenden Rechtsordnungen bedarf es der Klarstellung des
Rechtsbetrachters, von welcher der beiden Ordnungen er sprechen will.
43Kelsen (FN 24) 321 ff; ders, General Theory on Law and State (1946) 328 ff.
44Freilich könnte man das Recht auch so definieren, dass man einen bestimmten Grad
der Zentralisierung zu einem Essentiale des Begriffs macht. Dies bedeutete aber, dass man
allen Ordnungen primitiven Entwicklungsstands den Rechtscharakter abspräche, was nicht
sinnvoll wäre, weil man die die Ordnungen verschiedenen Entwicklungsstandes verbin-
dende friedensstiftende Funktion ignorierte.
45 Darauf hat schon Felix Somló, Juristische Grundlehre2 (1927, Neudruck Scientia
Aalen 1973) 163 f, im Rahmen der Erörterung des umstrittenen Rechtscharakters des Völ-
kerrechts hingewiesen und darüber hinaus zutreffend dargetan, dass die Leugnung des
Rechtscharakters des Völkerrechts überzeugend nur mit dem Argument begründet werden
kann, es sei nicht hinreichend effektiv, um unter den Rechtsbegriff subsumiert zu werden,
von dem man ausgeht.
46 (FN 45) 163 ff.
47 Alfred Verdross, Völkerrecht5 (1964) 109.
48 Dh betrachtet man das Völkerrecht nicht als vom jeweiligen Staat delegiertes Recht,
was dem Geltungsanspruch des Völkerrechts nicht entspricht.
Grundlegende Fragen bei der Entwicklung eines Rechtsbegriffs 15
VI. Trennungsthese
Lassen Sie mich in meiner zugegebenermaßen selektiven Behandlung
der grundlegenden Fragen der begrifflichen Erfassung der sich als Recht
ausgebenden und als solches verstandenen sozial wirksamen Ordnung den
Blick auf die Frage richten: Soll sich die Definition des Rechts auf die be-
griffliche Erfassung durch die bisher angesprochenen Merkmale beschrän-
ken oder sollen weitere Elemente in die Definition aufgenommen wer-
den? Diese weiteren Elemente könnten – wie ich ja schon eingangs aus-
geführt habe – Teile der sich als Recht verstehenden sozial wirksamen
Ordnung des Rechtscharakters entkleiden oder als zusätzliche normative
Elemente den Kreis der als Recht zu definierenden Phänomene erweitern.
Am heftigsten umstritten ist in diesem Zusammenhang wohl, ob ein
sog moralisches Minimum in den Rechtsbegriff eingebaut werden soll, wie
dies zB Franz Bydlinski50 und Robert Alexy51 fordern. Alexy meint,
in diesem Zusammenhang betonen zu müssen, dass die Ablehnung der
Trennungsthese nur aus der von ihm52 so bezeichneten Teilnehmerperspek-
tive begründet ist53. Aus der dieser Sicht gegenüberstehenden Beobach-
terperspektive sei der Trennungsthese zuzustimmen. Die Teilnehmerper-
spektive – so die Definition Alexys – nimmt der ein, „wer in einem
Rechtssystem an einer Argumentation darüber teilnimmt, was in diesem
Rechtssystem geboten … ist und zu was es ermächtigt. Im Zentrum der
Teilnehmerperspektive steht der Richter“. Danach stehe in dieser Perspek-
tive der Richter im Zentrum. Sie werde daher auch vom Rechtswissen-
schaftler eingenommen, da sich dieser letztlich darauf beziehe, „wie ein
____________________
der die sozial wirksame Ordnung mit der Maßgabe erfasst, dass – ganz
im Sinne der bekannten Radbruchschen Formel60 – krass ungerechte
Normen keine Rechtsqualität haben. Wenn Gustav Radbruch – sei es
zu Recht, sei es zu Unrecht – gemeint hat, der Rechtspositivismus habe
dem nationalsozialistischen Unrechtsregime Vorschub geleistet61, so hat
er jenen Rechtspositivismus ins Visier genommen, den man naiven Rechts-
positivismus nennt62 und der abzulehnen ist. Denn dieser Rechtspositi-
vismus geht unreflektiert davon aus, dass der von den Rechtsetzungsauto-
ritäten63 erhobene Verbindlichkeitsanspruch zu akzeptieren ist, maW dass
die Vorschriften des positiven Rechts zu befolgen sind. Wird aber mit
dem Einbau des moralischen Elements „soweit nicht krass ungerecht“ der
naive Rechtspositivismus auch wirklich überwunden? Ich meine Nein.
Denn mit einem Rechtsbegriff, der krass ungerechten Normen keine
Rechtsqualität zuspricht, wird der naive Rechtspositivismus nicht voll-
ends überwunden. Denn es ist zwar eine gut begründbare, in der Regel
beachtenswerte Wegweisung, das positive Recht um der Rechtssicherheit
willen zu befolgen, soweit es nicht krass ungerecht ist. Damit kann indes
das Verbindlichkeitsproblem nicht als gelöst betrachtet werden. Ich mei-
ne, dass eine Antwort auf die Frage nach der moralischen Verbindlichkeit
einer Norm eine Prüfung im Einzelfall erfordert und dass auch nicht ge-
rade krass ungerechten Normen der Gehorsam zu verweigern sein kann
oder doch verweigert werden darf. Schon aus diesem Grund soll mE der
Rechtsbegriff nicht Anspruch erheben, eine Antwort auf das Verbindlich-
keitsproblem zu geben. Die Rechtsdogmatik, deren Gegenstand durch den
Rechtsbegriff abgegrenzt wird, soll also nur darzulegen haben, was nach
dem Geltungsanspruch gesollt ist, der in dem als Recht definierten Nor-
mensystem zum Ausdruck kommt.
Nun könnten die Vertreter der Verbindungsthese zugestehen, dass der
wertbezogene Rechtsbegriff die Verbindlichkeitsfrage nicht lösen könne,
und einwenden, mit dem moralischen Minimum sei eine allgemein ak-
zeptierte Grenze fixiert, die das Allerböseste verhindere. Solche Apologie
gibt sich einer Illusion hin, Wirksamkeit entfaltet die Radbruchsche For-
mel nur ex post, insbesondere im Rahmen einer Vergangenheitsbewälti-
gung durch die Gerichte, deren Legitimation zur Qualifikation positiv-
rechtlicher Normen als krass ungerecht problematisch ist. Gute Gründe
sprechen dafür, die Radbruchsche Formel nicht richterrechtlich wirksam
werden zu lassen, sondern es für eine Aufgabe des Gesetzgebers zu sehen,
____________________
60 Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, JZ 1946, 105
(107).
61 Radbruch (FN 60) 105.
62 Alfred Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie2 (1963) 192.
63 Rechtsetzung iwS, also Setzung genereller und individueller Normen.
Grundlegende Fragen bei der Entwicklung eines Rechtsbegriffs 19
positives Recht der Vergangenheit, das als krass ungerecht erachtet wird,
zu ahnden. Was die viel wichtigere Prävention anbelangt, so ist die Rad-
bruchsche Formel nicht geeignet, böse Fehlentwicklungen hintanzuhal-
ten. Denn die Gerechtigkeit ist eine Tochter der Zeit. Heute sind wir –
sehen wir von extremistischen Randgruppen ab – alle überzeugt, dass die
NS-Regelung, die alle Juden, die Deutschland verlassen hatten, ausbür-
gerte, krass ungerecht ist. Ob dieses Werturteil auch in der NS-Zeit herr-
schend war, dessen bin ich mir nicht so sicher64.
So wenig ein wertbezogener Rechtsbegriff geeignet ist, Entwicklungen
wie jene zu verhindern, die dem 20. Jahrhundert ein hässliches Gesicht
geben, so verfehlt ist es, einem auf der Trennungsthese beruhenden Rechts-
begriff vorzuwerfen, „Werbewirkung für die Unsittlichkeit“ zu entfalten65.
ME bereitet der positivistische Wertrelativismus und mit ihm ein die Ver-
bindlichkeitsfrage offen lassender Rechtsbegriff viel eher einen fruchtbaren
Boden für eine kritische Haltung, also für ein stetes Hinterfragen von in
der Gesellschaft auftretenden Wertvorstellungen als das moralische Mini-
mum eines wertbezogenen Rechtsbegriffs. Dies zeigen nicht zuletzt so
manche metaphysisch bewegte Juristen, die Kelsen oder überhaupt dem
von Kelsen geprägten Rechtspositivismus Inhaltsleere, Befürwortung eines
ethischen Anything-goes vorwerfen, sich selbst aber als Wertbewusste von
fragwürdigen Ideologien verführen und kritische Rationalität vermissen
ließen. Eben kritische Rationalität und Skepsis gegenüber allen Propheten,
die mit großer Sicherheit vorgeben zu wissen, was gerecht und moralisch
ist, sind vonnöten. Der positivistische Wertrelativismus fördert diese kri-
tische Haltung. Die Kritik an „naturrechtlichen“ Ansätzen66 erfließt ja aus
kritischer Rationalität, nicht aber aus einer einen Diskurs über Wertungs-
fragen ablehnenden Haltung. Dass Werturteile nicht wahrheitsfähig sind,
stellt ja keine Absage an einen rationalen Diskurs über Wertfragen dar.
____________________
64
Siehe zB Ernst Forsthoff, Der totale Staat (1933) 38 ff.
65
Wie Bydlinski (FN 50) 286 meint.
66
Naturrechtlich steht unter Anführungszeichen, um alle Richtungen, die präpositive
Vorgaben in den Rechtsbegriff einbauen, zu erfassen.
Clemens Jabloner
Der Rechtsbegriff bei Hans Kelsen
I. Einleitung
Eine bündige Definition des Rechtsbegriffs finden wir bei Kelsen
nicht. Vielmehr umschreibt er den Gegenstand „Recht“ aus verschiedenen
Perspektiven. Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, die ihrem Lehrbuch
des Verfassungsrechts einen explizit auf die Reine Rechtslehre gestützten
Rechtsbegriff voranstellen, erfassen ihren Gegenstand wie folgt:1 Unter dem
positiven Recht werde jedes
– von Menschen für Menschen gesetzte,
– regelmäßig wirksame (effektive) und
– organisierten Zwang androhende Regelungssystem
verstanden. Ein solches System werde – dem Charakter der Rechtswissen-
schaft als einer auf die Erkenntnis von Normen gerichteten Wissenschaft
entsprechend – als Normensystem betrachtet, was freilich eine Grundnorm
voraussetze.
Im Folgenden wird versucht, die einzelnen Elemente dieses Rechtsbe-
griffs zu analysieren, wobei auf die Spätlehre Kelsens Bezug genommen
wird.2 Weiterentwicklungen und Kritik werden nur punktuell berücksich-
tigt. Die Skizze soll die Kontur des Kelsen’schen Rechtsbegriffs deutlich
hervortreten lassen.3
Vorauszuschicken ist der Hinweis auf einige grundsätzliche Elemente
der Reinen Rechtslehre: Sie legt den Gegenstand „Recht“ nicht im Wege
____________________
1
Vgl Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer (2007), Rz 1 f.
2
Quellen sind daher vor allem die beiden späten Fassungen des Kelsen’schen Systems:
Die „Reine Rechtslehre“ in der Fassung von 1960 (im Folgenden: Kelsen [1960]) und die
„Allgemeine Theorie der Normen“ von 1979 (im Folgenden: Kelsen [1979]). Zur Entwick-
lung der Reinen Rechtslehre und den Besonderheiten der Spätlehre vgl etwa Heidemann
(1997a) 140. Ausgeklammert bleibt im Folgenden, dass die Reine Rechtslehre Normen-
systeme danach unterscheidet, ob sie dem statischen oder dynamischen Prinzip folgen (vgl
Kelsen [1960] 198). Normen des statischen Typus gelten, weil ihr Inhalt im Inhalt höhe-
rer Normen seinen Geltungsgrund findet, Normen des dynamischen Typus basieren auf
höheren Normen, die allein den Geltungsgrund, aber nicht den Geltungsinhalt liefern.
Zur Modernität der dynamischen Rechtsbetrachtung vgl Lippold (2000) 445.
3 Zum Thema besteht bereits eine Reihe von Abhandlungen. Hingewiesen sei beispiel-
haft zunächst auf Kelsens zuerst 1958 erschienen Aufsatz „Der Begriff der Rechtsordnung“
(Kelsen [1958]), in dem allerdings der Zwangscharakter der Rechtsordnung ausgeklam-
mert bleibt. Kritisch weiterentwickelt wird der Rechtsbegriff Kelsens in mehreren Schrif-
ten Walters, besonders Walter (1974), weiters bei Kucsko-Stadlmayer (1992) und
Thienel (1998). Für eine Gesamtdarstellung der Lehre Kelsens vgl Horst Dreier (1990)
und Walter (1999). Eine Darstellung der Lehre als Spielart einer positivistischen Rechts-
theorie findet sich bei Ott (1992) 45, 233.
22 Clemens Jabloner
ge man die Wirklichkeit als gesollt ansah, war schon deshalb kein Platz
für eine reine Normwissenschaft.
Bei steter Bedachtnahme auf die Trennung von Sein und Sollen hat die
Reine Rechtslehre indessen eine doppelte Aufgabenstellung: Sie will so-
wohl eine normativistische Theorie sein, die das Recht in seiner Eigenart
als Sollensordnung beschreibt, als auch eine positivistische Theorie, die nur
jene Sollensordnungen zu erfassen sucht, die einen spezifischen Bezug zur
Wirklichkeit aufweisen. In diesem Sinn soll im Folgenden zunächst das
Recht als Sollensordnung dargestellt werden, sodann das Recht als effek-
tive Zwangsordnung. Es soll also zunächst um jene Elemente gehen, die
eher den normativistischen Aspekt zur Geltung bringen und sodann um
jene Elemente, die eher für den positivistischen Aspekt der Reinen Rechts-
lehre stehen.
16 Das unterscheidet die Reine Rechtslehre insbesondere von der Lehre Harts. Da-
rüber, dass die Reine Rechtslehre ihren Gegenstand dennoch nicht ohne Bezugnahme auf
die Wirklichkeit wählt vgl später III.
17 Vgl zum Folgenden Kelsen (1960) 68.
18 Die Trennung von Recht und Moral ist ein Grundzug nicht nur der Reinen Rechts-
lehre, sondern jeder rechtspositivistischen Theorie. In der neueren Literatur wird der ge-
genteilige Standpunkt bisweilen als Problem zu unterscheidender Perspektiven auf das
Recht formuliert (vgl besonders Alexy [1992] 39 und Koller [1997] 45). Es gäbe die
Perspektive des Teilnehmers, der innerhalb eines Rechtssystems argumentiere und ein In-
teresse daran habe, dass sich die Auslegung und Handhabung des Rechts an den zu Grunde
liegenden Wertvorstellung orientiere, auf Grund welcher er die Regeln akzeptiere (Koller
[1997] 48). Diese „Teilnehmerperspektive“ werde dabei nicht nur vom Richter einge-
nommen, sondern auch vom rechtsdogmatisch tätigen Rechtswissenschaftler, wenn er die
Rechtsordnung beschreibt. Für den Teilnehmer habe die Trennungsthese nicht zu gelten.
Diese verbliebe allein der Perspektive des „Beobachters“, der eine ferne oder frühere Rechts-
ordnung daraufhin untersuche, wie sie wirklich angewendet werde oder worden sei.
Zunächst scheint dies der Reinen Rechtslehre nicht fern zu stehen, betont diese
doch im Rahmen ihrer Interpretationstheorie, dass man den Erkenntnisvorgang der wis-
senschaftlichen Interpretation vom Entscheidungsvorgang des rechtsanwendenden Organs
trennen muss. Versteht man den Entscheidungsvorgang als existentielle Situation, in die
der Rechtsanwender gestellt ist, dann kann es zu einem Konflikt zwischen der anzuwen-
denden Rechtsregel und einer zu befolgenden, d.h. für den Betreffenden subjektiv ver-
bindlichen moralischen Norm kommen. Nach der Reinen Rechtslehre gibt es keinen ab-
soluten Befolgungsanspruch des Rechts. Der Rechtsanwender kann sich daher auch für
die Moral entscheiden, er darf dabei bloß nicht meinen, innerhalb des Rechts zu bleiben.
Damit hat die Perspektiventhese aber nichts zu tun: Jedenfalls in der Version von Koller
(1997) 49 kann auch die Rechtsdogmatik – also der wissenschaftliche Teil der Rechtsan-
26 Clemens Jabloner
20 Vgl Kelsen (1979) 84. Die semantische Eigenart der Kelsen’schen Sollensvorstel-
lung hat die Kritik besonders von Paulson hervorgerufen (Paulson [2001]). Kelsen
war sich dieser Problematik durchaus bewusst. In einer 1965 verfassten, aber erst 2003 er-
schienenen Abhandlung „Geltung und Wirksamkeit des Rechts“ heißt es dazu wie folgt:
„Das Wort ‚Sollen‘ bedeutet wohl sehr häufig ein Gebot, das heißt: ein Gebot wird viel-
fach nicht nur in einem Imperativ, sondern auch in einem Soll-Satz ausgedrückt, wie in
den Normen: ‚Du sollst nicht lügen‘, ‚Man soll nicht stehlen.‘ Aber das Wort ‚Sollen‘ be-
deutet nicht notwendig, dass das Verhalten, auf das es sich bezieht, geboten ist. Das zeigt
die Redensart: ‚Er soll gesagt haben, dass ...‘; was bedeutet: ‚Er hat angeblich (im Original
kursiv) gesagt, dass ...‘“ (Kelsen [2003]).
21 Vgl später III. 3.
22 Um den Titel J. L. Austins „How to do things with words“ zu paraphrasieren.
23 Vgl grundlegend Opałek (1986) 8.
24 Vgl Opałek (1986), besonders 98.
25 Vgl Jabloner/Okresek (1983).
26 Vgl Kucko-Stadlmayer (1992) 35.
28 Clemens Jabloner
Rechtslage, seine Aussagen können wahr oder falsch sein, aber nicht gel-
ten. Die Rechtswissenschaft kann keine Rechtsnormen erzeugen. Aller-
dings kann eine positive Rechtsordnung die Rechtslehre als Rechtsquelle
einsetzen.27 Moderne, rechtsquellenmäßig ausdifferenzierte Rechtsordnun-
gen gehen diesen Weg nicht.28
7. Ein zweites Problem liegt im Verhältnis zwischen Recht und Lo-
gik. Im Sinne der Spätlehre Kelsens können aus Rechtsnormen mit logi-
schen Operationen keine weiteren Rechtsnormen abgeleitet werden. Wohl
aber kann auf der Ebene der Rechtswissenschaft der normative Syllogis-
mus vorgedacht werden: Ein Rechtsetzer, der die Rechtserzeugung auf
eine generell-abstrakte und auf eine individuell-konkrete Ebene aufteilt,
will damit wohl auch die herkömmliche juristische Subsumtionstechnik
angewendet haben. Aber auch hier ist die Norm vom Recht anwenden-
den Organ zu setzen.29
____________________
27 Vgl Art 38 Z 1 lit d des Statuts des Internationalen Gerichtshofes; zur Problematik
der Völkerrechtsdoktrin in der aktuellen Rechtsquellenlehre des Völkerrechts vgl etwa
Fischer/Köck (2000) Rz 142, 185.
28 Versteht man unter der „Positivität“ des Rechts in rechtssoziologischer Perspektive das
Ergebnis einer Evolution, die dazu führt, dass als „Recht“ nur noch angesehen wird, was
„vom Rechtssystem selbst durch Verfügung über das Symbol der Rechtsgeltung in Geltung
gesetzt ist“ (vgl Luhmann [1993a] 280), dann braucht die notwendige Veränderung des
Rechts nicht mehr unter der Vorstellung der bloßen „Rechtserkenntnis“ zu erfolgen, son-
dern eben durch explizite Rechtssetzung. Es ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt
ganz einsichtig, weshalb die Rechtswissenschaft in modernen Rechtsordnungen keine
Rechtsquelle darstellt. Zur Frage, ob die Rechtswissenschaft das Recht verändern kann, sei
auf die Kontroverse zwischen Öhlinger (1991) und Walter (1992b) hingewiesen. Nach
hier vertretener Ansicht sind zwei Aspekte auseinander zu halten: Fasst man das Recht als
Normenordnung auf, so stellt sich die Frage, welche Menschen in einer Rechtsordnung zur
Normerzeugung zuständig sind. Dazu können auch Menschen in ihrer Funktion als Rechts-
lehrer gehören. Es ist nun nicht zu sehen, dass in modernen staatlichen Rechtsordnungen
eine diesbezügliche Ermächtigung besteht, zweifellos nicht nach der österreichischen Rechts-
ordnung. Eine andere Sache ist es, dass in einem rechtssoziologischen Sinn Rechtslehren
Faktoren sind, die das Recht beeinflussen. Dabei geht es aber um eine kausale Beziehung
und Rechtslehren, mögen sie auch „herrschend“ sein, unterscheiden sich nicht von ande-
ren kausalen Faktoren, die auf das Recht einwirken wie politische oder wirtschaftliche Ein-
flüsse (so letztlich auch Öhlinger [1991] 722, wonach die Rechtswissenschaft nur inso-
fern Wirksamkeit erlange, als sie die Rechtsanwendung beeinflusse). Einen bedenklichen
Schritt zu weit geht das „konsenspositivistische Modell“ Funks [2003]): Demnach sei im
kommunikativen Prozess der Rechtserkenntnis, die zugleich auch Rechtsgestaltung sei, das
Verhalten des beobachtenden Subjekts sowohl hinsichtlich der Intentionen als auch der
Wirkungen in das Wissenschaftsgeschehen einzubeziehen. Die damit vollzogene Vermen-
gung von Normsetzung und Normbeschreibung hat mit einem irgendwie verstandenen
Rechtspositivismus nichts mehr zu tun. Funk übersieht auch die enorme politische Be-
deutung seines Rechtsverständnisses: Denn wenn es auf kommunikative Prozesse ankommt,
so auf die schlagkräftigeren Argumente. Es liegt auf der Hand, dass die wirtschaftlich stär-
keren Kräfte sich die besseren argumentativen Ressourcen, einfach gesagt: die effektiveren
Rechtsanwälte, die teureren Gutachter – leisten können. Die Rechtsanwendung ist kein Ort
herrschaftsfreier Kommunikation!
29 Vgl Walter (1999) 30.
Der Rechtsbegriff bei Hans Kelsen 29
Die Frage, welche Normen wirksam sein müssen und wie weit diese
Wirksamkeit reichen muss, wurde bisher von der Reinen Rechtslehre nicht
näher geprüft. Das hat seinen Grund wohl darin, dass sie sich als eine
Theorie zur Beschreibung etablierter Sollensordnungen versteht. Zwar
wird die vollzogene Revolution konstatiert – wenn eine nicht nach den
bisherigen Regeln erzeugte „Verfassung“ relativ wirksam geworden ist –,
der revolutionäre Prozess selbst liegt indessen außerhalb des Programms
der Reinen Rechtslehre.33, 34
Zu erwähnen ist schließlich, dass das Kriterium der Wirksamkeit auch
auf die Normstruktur selbst zurückwirkt. Von einer Wirksamkeit kann
nämlich nur dann gesprochen werden, wenn und so lange eine Norm be-
folgbar oder anwendbar ist.35 Das Verhalten des Adressaten muss so er-
fasst sein, dass er die Wahl hat, sich normgemäß zu verhalten oder nicht.
Es liegt auf der Hand, dass etwa Befehle, die nicht befolgt werden kön-
nen – Beispiele kann man sich leicht ausmalen – mangels direktiver Qua-
lität keine Normen sein können, sondern allenfalls in einem ganz ande-
ren Zusammenhang stehen, etwa in jenem der Erniedrigung oder des
Scherzes. Ebenso wenig sind Befehle befolgbar, deren Nichtbefolgung
unmöglich ist, wie etwa die Anordnung, einen hermetisch geschlossenen
Raum nicht verlassen zu dürfen.
2. Für Kelsen ist das Recht die spezifische Sozialtechnik einer
Zwangsordnung.36 Festzuhalten ist zunächst, dass die Hereinnahme des
Zwangselements auf der normativen Ebene erfolgt. Zwang soll ausgeübt
werden, ob er ausgeübt wird, ist eine Frage der Wirksamkeit. Mit dem
Zwang – konstitutiv für die Rechtsnorm und diese von anderen sozialen
Normen unterscheidend – meint Kelsen den gesellschaftlich organisier-
____________________
die Beschreibung einer komplexer strukturierten Rechtsordnung wird die Wirksamkeit aber
sinnvoller Weise auf das Normensystem zu beziehen sein. Vgl dazu Thienel (1986) 33.
33 Da die Reine Rechtslehre somit „Ordnung“ voraussetzt, greift ihr Rechtsbegriff auch
nicht bei der Beschreibung instabiler Ordnungsverhältnisse, etwa in städtischen Randzo-
nen oder in Staaten mit mehr oder weniger großen rechtsfreien Enklaven, in denen sich
Formen pseudo- oder quasirechtlicher Gewaltausübung herausbilden. Anscheinend nehmen
in der heutigen Welt diese Bereiche eher zu. In Ansehung dessen wird im Rahmen von
Bemühungen der „postcolonial law studies“ Kritik an formalen Rechtsauffassungen, vor
allem nach der Art Kelsens, geübt (vgl Norrie [1999] 260). Diese Kritik trifft die Reine
Rechtslehre nicht, da sie die Beschreibung solcher Zustände nicht anstrebt. Das wissen-
schaftliche Interesse an der Deutung und Beschreibung solcher Phänomene soll indessen
nicht bestritten werden.
34 Es ist in der Literatur verschiedentlich betont worden, dass gerade bei der näheren
Beleuchtung des Elementes der „Wirksamkeit“ die Rechtstheorie von Hart Wichtiges leis-
tet – so Pawlik (1993) 79.
35 Vgl Kelsen (1960) 10. Zu möglichen Modifikationen im positiven Recht vgl
Thienel (1986) 35.
36 Vgl etwa Kelsen (1941/42) 75.
Der Rechtsbegriff bei Hans Kelsen 31
ten, äußeren Zwang, der auf den Menschen ausgeübt wird.37 Davon sei
der psychische Zwang als Merkmal aller sozialen Ordnungen zu unter-
scheiden. Er sei eine Form der Motivation, dh des Zwangs in einem psy-
chologischen Sinn. Kelsen unterscheidet die Zwangstechnik der indirek-
ten Motivation durch Strafe von der direkten Motivation als Technik der
freiwilligen Befolgung von Normen. Es leuchtet ein, dass die Wirksam-
keit einer Rechtsordnung hauptsächlich durch die Zwangsdrohung, also
auf dem Regelfall des erwünschten Verhaltens und nicht auf dem Aus-
nahmefall der zwangsweisen Herstellung des gesollten Zustandes beruhen
muss. Schon deshalb hat das Recht eine unmittelbare regulative Funktion
und ist nicht nur eine Apparatur zur Steuerung der Zwangsausübung. Es
ist für die folgenden Überlegungen wichtig, den Unterschied zwischen
dem Apparat und seiner Funktion im Auge zu behalten.
3. Nach Kelsen funktioniert die Rechtsordnung freilich so, dass nicht
– oder jedenfalls nicht primär – diejenigen Menschen angesprochen wer-
den, um deren Verhalten es geht. Angelpunkt der Rechtsordnung ist viel-
mehr die an (staatliche) Organe gerichtete Ermächtigung, Zwang auszu-
üben, wenn das gewünschte Verhalten nicht gesetzt wird. Kelsen lehrt,
dass die Rechtsnorm in ihrer „primären Gestalt“ einen Menschen ermäch-
tigt, unter einer bestimmten Bedingung einen Zwangsakt zu setzen.38 Er
formulierte seine Auffassung zunehmend radikaler:39 Zunächst akzeptiert
er noch die „sekundäre Gestalt“ der Normierung des Zwang vermeiden-
den Verhaltens, später geht dieses Sollen dann in der primären Norm auf.
Das Recht gebiete ein bestimmtes Verhalten „nur dadurch“, dass es an
das gegenteilige Verhalten einen Zwangsakt als Sanktion knüpfe. 40
Die manchmal als „Sanktionslehre“ bezeichnete Konstruktion gehört
zu den meist umstrittenen Thesen der Reinen Rechtslehre. Denn wenn
Kelsen einerseits betont, dass das Recht eine Sozialtechnik zur Steuerung
menschlichen Verhaltens sei und wenn es der Zweck nicht aller, aber doch
vieler Ermächtigungsnormen sei, menschliches Verhalten zu steuern, könn-
te es zumindest kontraintuitiv erscheinen, die Beziehungen zwischen der
Rechtsordnung und den von ihr zu steuernden Menschen gleichsam an
den Rand zu rücken.
____________________
37 Vgl Kelsen (1960) 34, dort auch besonders zum Zusammenhang von Zwang und
Sanktion.
38 Kelsen (1960) 30. In der Regel – aber nicht zwingend – ist das Organ zur Ausübung
seiner Ermächtigung auch verpflichtet – so der Richter auf Grund seines Dienstrechts; vgl
Kelsen (1979) 83. Damit kommt die Verhaltensteuerung der staatlichen Organe – soll es
nicht beim bloßen Ermächtigen bleiben – freilich wiederum „nur“ als bedingendes Ele-
ment für einen von einem anderen Organ zu setzenden Zwangsakt zum Ausdruck.
39 Zur Entwicklung vgl Kucsko-Stadlmayer (1992) 25.
40 Die Worte „nur dadurch“ setzt Kelsen gesperrt.
32 Clemens Jabloner
Keim Imperativ ohne Imperator. Aber daneben gilt auch ein nicht auf den Befehlsgeber,
sondern auf den zweiten Menschen bezogener Grundsatz: Kein Imperativ ohne Imperaten,
d.h. kein Imperativ ohne eine Person oder Personen, an die der Imperativ gerichtet ist.
Allgemein formuliert: Keine Norm ohne eine normsetzende Autorität, keine Norm ohne
Normadressat (oder Normadressaten)“.49
An dieser Beschreibung interessiert hier, dass dem kommunikativen
Vorgang ein innerpsychischer – der Seinssphäre angehörender – Akt vor-
ausgeht. Es ist dieser Willensakt, der der Norm ihre Positivität gibt. Die
Abschichtung des Willensaktes führt zu einer schärferen Akzentuierung
des positivistischen Aspekts der Reinen Rechtslehre (Setzungspositivismus),
da die normative Welt als eine von konkreten Menschen gestaltete und
daher von ihnen oder anderen auch veränderbare Welt besonders deutlich
wird. Die „Imperatorthese“ in ihrer extremen Form begegnet allerdings
mehreren Problemen:
a. Ein erster Einwand geht dahin, dass die Beobachtbarkeit eines in-
nerpsychischen Willensaktes problematisch sei. Nach jüngsten naturwis-
senschaftlichen Erkenntnissen lässt sich zwar ein reales Geschehen empi-
risch nachweisen, dieses entspricht allerdings nicht dem „volitiven“ Er-
lebnis, also dem bewussten „Willensakt“, sondern geht diesem voraus.50
Damit ist zwar ein Anknüpfungspunkt in der Seinswelt gegeben. Es ist
aber fraglich, ob das gemessene „Bereitschaftspotential“51 als vorsprachli-
ches Element die für den Zweck der Normstiftung geeignete Realität ist.
Angesichts dieser Schwierigkeiten, den „Willensakt“ festzumachen, hat
der Verfasser dieses Beitrages in einer früheren Arbeit vorgeschlagen, un-
ter Heranziehung der „Sprechakttheorie“ zwar daran festzuhalten, dass die
(subjektive) Norm durch eine Tatsache, nämlich einen Befehlsakt, „er-
zeugt“ wird, aber auf das Element des Willensaktes zu verzichten.52 Der
relevante tatsächliche Vorgang wäre so rein objektiv gedeutet. Es gebe
auch dann noch einen Imperator, also einen realen Menschen, der reale
Befehlsakte setzt, es wäre aber ausreichend, allein sein äußeres Verhalten
in Rechnung zu stellen. Damit würde man vom problematischen realpsy-
chischen Willensakt, dessen sprachliche Form der Imperativ ist, zum Kon-
zept eines Sprechaktes übergehen, der ohne den „inneren Faktor“ aus-
kommt und nur verlangt, dass der Sprecher weiß, dass sein Akt die Inten-
tion des Imperativs hat.
Dem wäre noch die folgende Überlegung hinzufügen: Die Frage nach
der empirischen Nachweisbarkeit des Willensaktes ist zu unterscheiden
von der Problematik des „freien Willens“. Dennoch besteht ein Zusam-
____________________
IV. Schlussbetrachtung
Die Reine Rechtslehre ist eine positivistische Rechtstheorie. Sie basiert
auf dem Interesse, die von einer sozialen Autorität getroffenen Anordnun-
gen möglichst genau zu beschreiben. Im Vergleich zu anderen rechtsposi-
tivistischen Lehren verfügt die Reine Rechtslehre wohl über ein besonde-
res Maß an Selbstreflexion.60 Als Rechtstheorie ist sie kein abgeschlosse-
nes Ganzes, sondern kritisch weiter zu entwickeln; Kelsen hat kein dog-
matisches Gebäude hinterlassen.
Im Bezug auf die Rechtstechnik bietet die Reine Rechtslehre eine sehr
geeignete Grundlage dafür an, die rechtlichen Formen auszudifferenzie-
ren und zu verfeinern. Wie wichtig dies ist, zeigt sich etwa am Beispiel
des Gemeinschaftsrechts. Im Bezug auf die Rechtswissenschaft, die sich
als Rechtsdogmatik mit der Auslegung des positiven Rechts beschäftigt,
führt die Reine Rechtslehre zur Einsicht in die Relativität des jeweiligen
Standpunktes und daher zu einer Zurückhaltung, die der Rechtswissen-
schaft gut ansteht.
Es wird nicht übersehen, dass sich der volle Erklärungswert der Rei-
nen Rechtslehre besonders gegenüber modernen, auf expliziter Setzung be-
ruhenden, Rechtsordnungen entfaltet. Mit einer Vergröberung der Rechts-
ordnung wäre wohl auch ein geringerer Gebrauchswert der Reinen Rechts-
lehre verbunden. Dies bedeutet aber nicht, dass sie nach ihrem wissen-
schaftstheoretischen Konzept nicht geeignet wäre, jede Form einer Rechts-
ordnung zu beschreiben. Versteht man die „Positivierung“ des Rechts
rechtssoziologisch als die bewusst gewordene Veränderbarkeit des Rechts,
so kann die Reine Rechtslehre als Werkzeugkasten gesehen werden, der
das Recht auch technisch verfügbar macht.
____________________
57 Diese skeptische Haltung gegenüber dem Gewohnheitsrecht ist nicht neu und wur-
de schon etwa von Max Weber (1967) 209, eingenommen. Zum Ganzen vgl Rüthers
(1999), Rz 232.
58 Kelsen (1965).
59 Vgl Thienel (1998) 181.
60 Dieser Zug wird auch von Heidemann (1997b) 54, hervorgehoben.
Der Rechtsbegriff bei Hans Kelsen 37
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Michael Pawlik
Der Rechtsbegriff bei H.L.A. Hart
1 Über die Rezeptionsgeschichte des „Concept of Law“ berichtet Lacey (2004) 223 ff.
42 Michael Pawlik
2
Hart (1994) V.
3
Harts philosophische Prägung durch J. L. Austin wird nachgezeichnet von Lacey
(2004) 133 ff.
4 MacCormick (1981) 30.
5 Winch (1966) 55.
6 Vgl Winch (1966) 55 ff.
7 Ebenda, 58.
8 Ebenda, 40 ff.
9 Ebenda, 75.
10 Ebenda, 157.
11 Hart (1994) 255.
Der Rechtsbegriff bei H.L.A. Hart 43
12 Ebenda, V.
13 Ebenda.
44 Michael Pawlik
erfolgreich teilnehmen, wer gegenüber den Regeln, welche die Praxis kon-
stituieren, einen internen Standpunkt einnimmt, wer also die betreffen-
den Regeln ihrem intrinsischen Sinn entsprechend als Maßstäbe gesollten
Verhaltens anerkennt. Den externen Standpunkt einzunehmen ist selbst-
verständlich möglich, jedoch verfehlt diese Perspektive den spezifischen
Kommunikationsstil der sozialen Praxis „Recht“. Die erste Teilaufgabe ist
hingegen noch offen: Welche Typen von Regeln sind es, die in ihrem Zu-
sammenwirken „das Recht“ ausmachen? Um Harts Antwort auf diese
Frage angemessen würdigen zu können, ist auf die letzte der eingangs er-
wähnten Traditionslinien, die politische Philosophie der frühen Neuzeit,
zurückzugreifen.
3. Die neuzeitliche Philosophie lässt sich als Reaktion auf einen Be-
fund tiefgreifender Unsicherheit lesen. Das Grundmodell dieser Denk-
haltung im Bereich der Erkenntnistheorie ist der cartesische Zweifel. Auch
die politische Philosophie der frühen Neuzeit machte die Bewältigung
von Unsicherheit zu ihrem großen Thema, oblag es doch ihr, das trauma-
tische Erlebnis des Bürgerkriegs zu verarbeiten. Die Antwort des Hobbes
auf diese Erfahrung bestand bekanntlich in der Etablierung des Levia-
than. Dessen gleichsam monolithische Gestalt korrespondierte der Radi-
kalität des von Hobbes entworfenen Naturzustandsszenarios: Die katastro-
phischen Folgen der Machtzersplitterung lassen sich nach Hobbes nur
durch eine möglichst weitgehende Machtakkumulation auf Seiten des
Souveräns beheben. John Locke unternahm es, in die pauschale Natur-
zustandsdiagnose des Hobbes eine Reihe von Differenzierungen einzu-
schreiben: Erstens fehle es an einem feststehenden Gesetz, das als die Norm
für Recht und Unrecht und als der allgemeine Maßstab zur Entscheidung
von Streitigkeiten anerkannt sei. Zweitens fehle es an einem anerkannten
und unparteiischen Richter. Drittens schließlich fehle es an einer Gewalt,
die dem gerechten Urteil die ihm gebührende Vollstreckung sichern könn-
te.14 Die Staatsgewalt sei dazu verpflichtet (und, was für Lockes Begrün-
dungsziel noch bedeutsamer ist, sie sei darauf beschränkt), gegen diese
drei Mängel Vorsorge zu treffen; der Inhaber der Staatsgewalt müsse da-
her Institutionen schaffen, welche die verbindliche Setzung, Interpretation
und Durchsetzung von Rechtsvorschriften zur Aufgabe hätten. Zu diesem
Begründungsgang Lockes finden sich in Harts Exposition des Rechts-
begriffs bemerkenswerte Parallelen.15
Dem „Naturzustand“ der politischen Philosophie entspricht bei Hart
die Situation, dass das Leben einer Gesellschaft allein durch sogenannte
Primärregeln angeleitet wird. Auf Harts Verständnis des Begriffs der Pri-
____________________
märregeln werden wir in Kürze genauer eingehen; vorerst mag der Hin-
weis genügen, dass ein Ensemble von Primärregeln durch die Abwesen-
heit autoritativer Zentralinstanzen gekennzeichnet ist. Ein solcher Zustand
weist eine Reihe von Mängeln auf. Ihre Beschreibung durch Hart atmet
den Geist Lockes. Erstens fehlt es nach Hart hier an Verfahren, anhand
derer verbindlich festgestellt werden könne, ob eine bestimmte Regel zu
den maßgeblichen Verhaltensstandards der betreffenden Gesellschaft ge-
höre oder welchen genauen Inhalt sie habe. Dies sei der Mangel der Un-
bestimmtheit („uncertainty“).16 Zweitens habe die Ausübung sozialer Kon-
trolle allein durch Primärregeln den Nachteil, dass sie zu unbeweglich sei
(„static character“), weil sie kein Verfahren zur Anpassung von Verhaltens-
regeln an veränderte Umstände zur Verfügung stelle.17 Drittens schließ-
lich sei eine ausschließlich der privaten Initiative der Betroffenen überlas-
sene, dh völlig dezentralisierte Durchsetzung der Sanktionen für Regel-
verstöße mit großer Ineffektivität („inefficiency“) verbunden; überdies berge
sie die Gefahr einer nicht abreißenden Kette von Privatfehden, von Ra-
che und Wiedervergeltung, in sich.18
Jede dieser Unzulänglichkeiten kann nach Hart durch die Einführung
eines bestimmten Typs von Sekundärregeln beseitigt werden. Das Unbe-
stimmtheitsproblem werde durch die Einführung einer Regel gelöst, wel-
che die autoritative Identifizierung der in einer bestimmten Gesellschaft
gültigen Regeln ermögliche; diese Regel erkenne die Bezugnahme auf be-
stimmte Rechtsgeltungskriterien „as the proper way of disposing of doubts
as to the existence of the rule“ an.19 Eine solche Regel bezeichnet Hart
als Erkenntnisregel („rule of recognition“).20 Die mit der Unbeweglichkeit
eines Ensembles von Primärregeln verbundenen Nachteile können nach
Harts Auffassung mit Hilfe von Änderungsregeln („rules of change“) abge-
stellt werden, die ein Individuum oder eine Körperschaft dazu ermächti-
gen, neue Primärregeln in Geltung zu setzen und alte abzuschaffen.21 Den
durch die unzureichende Wirksamkeit privat organisierter Regeldurchset-
zung verursachten Schwierigkeiten sei durch die Einführung von Ent-
scheidungsregeln („rules of adjudication“) zu begegnen. Diese erteilen ge-
wissen Personen – den Richtern – zunächst die Befugnis, autoritativ dar-
über zu entscheiden, ob in konkreten Fällen eine Pflichten begründende
Regel verletzt worden sei oder nicht; darüber hinaus verleihen sie in der
Regel den Gerichten auch die Rechtsmacht, die Anwendung von Sankti-
____________________
22 Ebenda, 94 f.
23 Ebenda, 91.
24 Geiger (1964) 136.
25 Hart (1994) 240, 249 f.
26 Dazu Weber (1980) 419, 815 ff.
Der Rechtsbegriff bei H.L.A. Hart 47
zifischer Weise unvollständig ist. Mit dem deontischen Status der je ein-
zelnen Primärregel hat dieser Befund ersichtlich nichts zu tun.
Ebenso wenig wie die Gleichsetzung der Primärregeln mit Pflichtre-
geln überzeugt die Identifizierung der Sekundärregeln mit Ermächtigungs-
regeln. Die Sekundärregel par excellence, die Erkenntnisregel, ist nach
Hart nämlich keine Ermächtigungs-, sondern eine Pflichtregel.34 Wie
ich bereits erwähnt habe, enthält die Erkenntnisregel die in einer Rechts-
ordnung maßgeblichen Rechtsgeltungskriterien; dadurch bildet sie den
Geltungsgrund für alle Rechtsregeln, die diesen Maßstäben genügen. Wel-
che Existenzweise, anspruchsvoller formuliert: welcher ontologische Sta-
tus kommt aber der Erkenntnisregel als solcher zu? Für Hart, der, wie
wir gesehen haben, in Anknüpfung an die sprachanalytische Philosophie
die Verankerung „ideeller“ Phänomene in sozialer Praxis betont, lautet
die Antwort: Die Erkenntnisregel ist das Produkt der Rechtsanwendungs-
tätigkeit des Rechtsstabs, vor allem der Gerichte; sie erwächst also jener
sozialen Praxis, die sie ihrerseits anzuleiten beansprucht, und verknüpft
damit in gewisser Weise Vergangenheit und Zukunft. Näherhin hängt die
Existenz einer Erkenntnisregel bestimmten Inhalts von zwei Faktoren ab:
Erstens müssen die Amtsträger ihrer Entscheidung darüber, ob einer be-
stimmten Vorschrift rechtliche Geltung zukommt oder nicht, tatsächlich
die in der Erkenntnisregel enthaltenen Rechtsgeltungskriterien zugrunde
legen. Zweitens müssen die Amtsträger (zumindest in ihrer deutlichen
Mehrheit) die in der Erkenntnisregel enthaltenen Geltungskriterien als „a
public, common standard of correct judicial decision“35 ansehen und auf
Abweichungen mit ernsthafter Kritik reagieren.36 Vor diesem Hintergrund
kann Hart die Erkenntnisregel des englischen bzw des US-amerikani-
schen Rechtssystems ausdrücklich als eine Regel bezeichnen „requiring
judges to accept as law Acts of Parliament or Acts of Congress.“37 Harts
Parallelisierung einer funktionalen und einer deontologischen Unterschei-
dung von Primär- und Sekundärregeln ist also in mehrfacher Hinsicht
verfehlt. „Descriptive sociology“ und „analytical jurisprudence“ lassen sich
nicht so einfach miteinander vereinbaren wie von Hart angenommen.
2. Weitere intrikate Fragen ergeben sich im Hinblick auf das Verhält-
nis der Erkenntnisregel zu der Entscheidungsregel. Wie ich soeben ge-
zeigt habe, normiert die Erkenntnisregel die Art und Weise, wie, dh an-
hand welcher Kriterien die Amtsträger, vorrangig die Richter, die ihnen
verliehene Entscheidungsmacht zu gebrauchen haben. Der zu einem be-
____________________
Harts Thematisierung des Rechts als einer sozialen Praxis ist an sich
in besonderer Weise dazu geeignet, diesen Zusammenhang auf den Be-
griff zu bringen und dadurch den (vor allem kontinentaleuropäischen)
Mythos von der Herrschaft der Gesetzgebung über die Gesetzesanwen-
dung nachhaltig zu relativieren. Indessen hat Hart diese Chance weitge-
hend ungenutzt gelassen, denn er hat die hier aufgeworfenen Fragen nach
dem Zusammenhang der rechtlichen Spitzenregeln leider mit keinem
Wort erörtert. Dabei hätte er darin ein Feld gefunden, in dem er den Zu-
sammenhang von „analytical jurisprudence“ und „descriptive sociology“
in produktiverer Weise hätte behandeln können als anhand seiner ambi-
valenten Schilderung des Verhältnisses von Primär- und Sekundärregeln.
aus freien Stücken als das für die Gesellschaft, in der er lebt, maßgebende
Regelsystem. Derjenige, der zwar in seinem äußerlichen Verhalten das
Recht als maßgebliche Verhaltensordnung zugrunde legt, dazu aber nicht
durch innere Billigung, sondern durch die Furcht vor Bestrafung oder
sonstigen Sanktionen motiviert wird, nimmt daher nach Hart nicht den
internen, sondern einen externen Standpunkt ein.44 Neben dieser auf das
Fehlen innerer Billigung abstellenden Spielart des externen Standpunkts
nennt Hart im „Concept of Law“ noch zwei weitere Varianten dieser
Sichtweise. Wer den von Hart selbst sogenannten extremen externen Stand-
punkt 45 einnimmt, beschränkt sich darauf, Kausalbeziehungen innerhalb
von Handlungsabläufen aufzuweisen sowie Verhaltensregelmäßigkeiten
und Verhaltenswahrscheinlichkeiten zu konstatieren.46 Ein solcher Be-
obachter lässt in seinen auf das Recht bezogenen Äußerungen dessen Nor-
mativität konsequent außer Betracht.47 Derjenige, der den eingeschränk-
ten externen Standpunkt vertritt, mag hingegen, „without accepting the
rules himself, assert that the group accepts the rules, and thus may from
outside refer to the way in which they are concerned with them from the
internal point of view.“48
Die Kritiker Harts haben rasch erkannt, dass seine vorstehend wie-
dergegebenen Ausführungen eine Lücke aufweisen; sie sehen nämlich kei-
ne Begriffskategorie vor, mit der die Position des rechtsdogmatisch tätigen
Rechtswissenschaftlers erfasst werden könnte. Dieser begreift und diskutiert
eine bestimmte Rechtsordnung zwar als normatives System – und zwar,
anders als der eingeschränkt externe Beobachter, sozusagen im eigenen
Namen, nicht als Wiedergabe der normativen Praktiken anderer; er beab-
sichtigt aber nicht, dadurch seine – moralisch oder anderweitig begrün-
dete – Billigung dieser Ordnung zum Ausdruck zu bringen. Er expliziert
lediglich das nach ihr gesollte Verhalten in Form einer wissenschaftlich-
beschreibenden Darstellung. Hart hat diese Kritik ausdrücklich als be-
rechtigt anerkannt und seine ursprüngliche Zweiteilung in seinen späte-
ren Werken durch eine dritte Kategorie von Aussagen ergänzt, die er im
Anschluss an Raz49 als „detached normative statements“ bezeichnet50
und die er charakterisiert als Äußerungen „made from the point of view
of those who accept the law by those who in fact do not accept it.“51
____________________
52 Ebenda, 154.
53 Ebenda.
54 Ebenda; Hart (1983) 14.
55 Vgl Hart (1982) 154.
56 Zum Folgenden Pawlik (1992) 174 ff. mwN.
57 Treffend bemerkt Bayles (1993) 55: „A speaker’s belief in the truth or correctness
of a statement does not affect its meaning.“
58 Baurmann (2010) 171.
Der Rechtsbegriff bei H.L.A. Hart 53
IV. Fazit
Das Fazit der vorangegangenen Überlegungen ist rasch gezogen: Auf-
merksamkeit und Anerkennung verdient Harts Versuch, drei der ein-
flussreichsten Strömungen der englischsprachigen Philosophie und Rechts-
theorie – das sprachanalytische Denken, die politische Philosophie John
Lockes und die analytical jurisprudence John Austins – in ein einheitli-
ches Theoriegebäude zu integrieren. Insbesondere Harts Auffassung des
Rechts als einer sozialen Praxis erlaubt erhellende Einsichten in die Zu-
sammenhänge, die zwischen der Positivitäts- und der Normativitätskom-
ponente des Rechtsbegriffs bestehen. Hart selber hat dieses Erklärungs-
potential seines Ansatzes allerdings nur zum Teil entfaltet. Seine Ausfüh-
rungen zu den zwei zentralen Teilmomenten seines Rechtsbegriffs – die
Unterscheidung der Primär- und Sekundärregeln sowie der unterschiedli-
chen „Standpunkte“, die gegenüber dem Recht möglich seien – leiden
hingegen unter schwerwiegenden Ambivalenzen. Hart ist hier seinem
übergroßen systematischen Ehrgeiz zum Opfer gefallen. Dies schmälert
nicht die Bedeutung seines Werks als Quell vielfältiger Anregungen. Hin-
ter die Einschätzung eines seiner Bewunderer, Harts „Concept of Law“
____________________
sei „probably the best book in legal philosophy ever written“,65 wird man
allerdings ein großes Fragezeichen setzen müssen.
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Stefan Griller
Der Rechtsbegriff bei Ronald Dworkin
I. Einleitung
Ronald Dworkin hat im vergangenen Jahrhundert einen der inter-
essantesten Angriffe auf eine rechtspositivistische Konzeption des Rechts
unternommen. Zwei zentrale Bausteine seiner Lehre sind von besonderer
Bedeutung und sollen hier genauer untersucht werden. Der Erste ist die
Differenzierung zwischen Regeln und Prinzipien. Dworkin meint, letz-
tere seien logisch von Regeln zu unterscheidende Elemente der Rechtsord-
nung. Der zweite ist Dworkins Ablehnung der These, in sogenannten
schwierigen Fällen (hard cases) räume die Rechtsordnung dem Richter
sehr häufig Ermessen bis hin zur Freiheit ein, nach eigenen, außerrechtli-
chen Maßstäben zu entscheiden. Dem setzt er entgegen, es gebe immer
eine richtige Antwort, nämlich eine auf der Grundlage von individuellen
Rechten, die unanhängig von positiven Rechtsregeln bestünden. Von aus-
schlaggebender Bedeutung dabei seien eben die erwähnten Prinzipien.
Jeder Fall lasse sich auf der Grundlage von Prinzipien – und daher auf
Grund von Bestandteilen jeder Rechtsordnung – entscheiden.
Die Lehre Dworkins ist nach wie vor von erheblichem Einfluss, ins-
besondere, aber nicht nur in der Grundrechtsdogmatik. So vertritt Ro-
bert Alexy – in einer Weiterentwicklung des Ansatzes – die Auffassung,
Grundrechte seien Prinzipien, die sich als Optimierungsgebote, neuerdings
auch als „Ideales Sollen“ rekonstruieren lassen, und als solche von anderer
Qualität seien als herkömmliche juristische Regeln.1 Die EU-Grundrech-
te-Charta unterscheidet, man könnte meinen: in Anlehnung daran, zwi-
schen „Regeln“ und „Grundsätzen“ (in der englischen Fassung: „principles“),
und erklärt die Letzteren für ausführungsbedürftig, was unter anderem
bedeutet, dass sie vor Gericht „nur bei der Auslegung“ dieser Ausführungs-
akte „und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit“ herangezogen
werden können.2
____________________
1 Zuerst Robert Alexy, Theorie der Grundrechte (1985), 71 ff; zuletzt (nach etlichen
Modifikationen) Robert Alexy, Ideales Sollen, in Laura Clérico / Jan-Reinard Sieckmann
(Hrsg), Grundrechte, Prinzipien und Argumentation (2009) 21 – 38.
Für Österreich etwa auch Manfred Stelzer, Das Wesensgehaltsargument und der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1991) 212 ff.
2 Art 52 Abs 5 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl Nr 2010/C 83/
389.
Letztlich führt diese Anknüpfung aber nicht weiter, sondern stiftet allenfalls zusätz-
liche Verwirrung: wenn, dann sind im Sinne der erwähnten Lehre sicher grundsätzlich al-
58 Stefan Griller
le, und nicht nur die in der Grundrechtecharta in ihrer Wirkung besonders beschränkten
Grundrechte „Prinzipien“.
3 Ronald Dworkin, Taking Rights Seriously (1977) 17.
4 “…by test having to do not with their content but with their pedigree or the manner
in which they were adopted or developed.”
5 “It must be decided by some official, like a judge, ‘exercising his descretion,’ which
means reaching beyond the law for some other sort of standard to guide him in manufac-
turing a fresh legal rule or supplementing an old one.”
6 “In the absence of such a valid legal rule there is no legal obligation; it follows that
when the judge decides an issue by exercising his discretion, he is not enforcing a legal right
as to that issue.”
Der Rechtsbegriff bei Ronald Dworkin 59
Hart7 auch personifiziert, mit dem zentralen Vorwurf an, es sei auf ein
System von Regeln zugeschnitten, und verfehle damit die wichtige Rolle,
die andere Bestandteile als Regeln in der Rechtsordnung einnehmen, näm-
lich insbesondere Prinzipien. “My strategy will be organized around the
fact that when lawyers reason or dispute about legal rights and obligations,
particularly in those hard cases when our problems with these concepts
seem most acute, they make use of standards that do not function as rules
but operate differently as principles, policies, and other sorts of standards.
Positivism, I shall argue, is a model of and for a system of rules, and its
central notion of single fundamental test for law forces us to miss the
important roles of these standards that are not rules.”8
Dworkin differenziert dabei – in durchaus diskussionswürdiger Wei-
se, auf die hier nicht eingegangen werden soll – zwischen policies and
principles, und er definiert in diesem Zusammenhang genauer, was sei-
ner Meinung nach ein Prinzip ist. Eine Politik („policy“) ist danach ein
gestecktes Ziel, üblicherweise eine Verbesserung von wirtschaftlichen, po-
litischen oder sozialen Zuständen einer Gemeinschaft, oder auch die Be-
wahrung bestehender Zustände vor Veränderung. Ein Prinzip ist demge-
genüber ein Standard, der nicht aus einem der genannten Gründe – also
wegen einer Verbesserung der wirtschaftlichen, politischen oder sozialen
Situation – erstrebenswert ist, sondern weil es sich um eine Anforderung
der Gerechtigkeit, Fairness oder einer anderen ethischen bzw moralischen
Dimension handelt: “I call a ‘principle’ a standard that is to be observed,
not because it will advance, or secure an economic, political, or social si-
tuation deemed disirable, but because it is a requirement of justice or fair-
ness, or some other dimension of morality.”9
Dworkin erläutert an einer Fülle an Beispielen aus der Rechtspraxis
die Bedeutung, die er der so getroffenen Unterscheidung zwischen Regeln
und Prinzipien zumisst. Gleich sein erstes Beispiel enthüllt das wesentli-
che Konfliktpotential. Es geht um die 1889 im Fall Riggs v Palmer10 ent-
schiedene Frage, ob ein Mörder das ihm testamentarisch zugedachte Er-
be antreten könne. Ein New Yorker Gericht hatte dazu ausgeführt, die
einschlägigen Vorschriften enthielten, wörtlich verstanden („literally con-
strued“) keinerlei Hindernis. Da aber alle Gesetze und Verträge in ihrer
Durchführung und ihrem Effekt den generellen, fundamentalen Maximen
des Common law unterlägen, müsse auch hier beachtet werden, dass nie-
mand durch seinen eigene Betrug profitieren oder durch seinen eigenen
____________________
Fehler Vorteile erzielen dürfe, niemand einen Anspruch auf eine eigene
Ungerechtigkeit stützen, und niemand Eigentum durch die Begehung
eines Verbrechens erlangen dürfe. Der Mörder erhielt die Erbschaft nicht.
Die erste der von ihm als typisch positivistisch angegriffenen Positio-
nen – also die zentrale Rolle von Rechtserzeugungsregeln als Erkenntnis-
regeln für die Abgrenzung von Rechtsordnungen – verwirft Dworkin
zusammen mit dem Argument, es gebe in jeder Nation mit einem entwi-
ckelten Rechtssystem eine soziale Regel („social rule“) oder ein Bündel
solcher Regeln, welche die Pflicht der Richter klären, andere Regeln oder
Prinzipien als Recht anzuerkennen.11 Das sei zu unterscheiden von der
zweiten, durchaus akzeptablen These, dass es in jedem System eine Rechts-
regel („normative rule“) mit einer solchen Funktion gebe. Die erste These
trägt nach Dworkin die Vorstellung, es gebe prinzipiell die Möglichkeit,
rechtliche Standards von moralischen oder politischen zu trennen. Das
würde reichen, um rechtliche von moralischen Regeln und von Prinzipien
zu unterscheiden. Ist die erste These hingegen falsch, gibt es auch die schar-
fe Unterscheidung nicht.12 Auf diesen Punkt komme ich später nochmals
zurück, wenn es um die Bedeutung der Prinzipien für den Rechtsbegriff
geht.
Die zweite These, also die Entscheidung schwieriger Fällen nach außer-
rechtlichen Maßstäben, nämlich nach Gutdünken des Richters, sei falsch,
weil Prinzipien jede Entscheidung bestimmen würden. Es könne zwar
sein, dass sie fehlerhaft angewendet würden, aber es gebe keinen Fall, der
nicht durch Prinzipien erfasst sei.13 Damit ist natürlich auch die dritte
These, in strittigen Fällen werde Recht nicht erzwungen, sondern neu ge-
schaffen, grundsätzlich falsch, weil der Richter seine Antwort nicht erfin-
de, sondern so gut wie immer anhand von Prinzipien entdecke, welche
Rechte die Parteien haben (“... a legal obligation exists whenever the case
supporting such an obligation ... is stronger that the case against it”).14
Sogar wenn es keine klaren Regeln gebe, könne eine Partei ein Recht ha-
ben, das Verfahren zu gewinnen. Der Richter habe die Pflicht zu entde-
cken, welches die Rechte der Parteien seien, nicht aber, im Rückblick neue
Rechte zu erfinden. (“I shall argue that even when no settled rule disposes
of the case, one party may nevertheless have a right to win. It remains the
judge’s duty, even in hard cases, to discover what the rights of the parties
are, not to invent new rights retrospectively.”15)
____________________
B. Kritische Würdigung
1. Logischer Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien?
Einige Punkte sind für die Analyse des hier nur kurz skizzierten An-
satzes von zentraler Bedeutung.
Zunächst ist wichtig, dass Dworkin die Differenz zwischen Regeln
und Prinzipien für eine logische hält („logical distinction“);16 im Übrigen
eine Position, die auch im deutschen Sprachraum immer wieder vertreten
wurde.17 Regeln seien in einer Alles-oder-Nichts-Weise anzuwenden.
Wenn die Tatbestandsmerkmale verwirklicht seien, gebe es nur zwei Mög-
lichkeiten: Entweder die Regel sei gültig, dann müsse ihre Lösung akzep-
tiert werden, oder sie sei nicht gültig, sodass sie für den Fall nichts beitra-
ge. Prinzipien hingegen enthielten keine konkreten Pflichten oder Rech-
te. Sie hätten eine Dimension, die den Regeln abgehe, nämlich jene des
Gewichts oder der Wichtigkeit („weight or importance“).
Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Ausnahmen.
Das ist offenkundig, denn der Einwand, auch bei Regeln sei das Alles-
oder-Nichts-Prinzip keineswegs so klar, liegt auf der Hand. Dworkin be-
harrt aber auf dem Unterschied. Er meint, die Regel könne sehr wohl Aus-
nahmen haben. Diese müssten eben alle aufgezählt werden, um die Regel
vollständig anzugeben. Zumindest theoretisch könnten alle Ausnahmen
von der Regel aufgezählt werden. Das sei bei Prinzipien anders. Gegen-
beispiele – wie etwa, dass jemand sehr wohl vom eigenen Fehlverhalten
profitieren könne, zB in Fällen der Ersitzung eines Durchgangsrechts –
könnten nicht einfach als Ausnahmen vom Prinzip erfasst werden. Nicht
einmal theoretisch könne man alle Gegenbeispiele aufzählen.18
Diese These ist wiederholt – und meines Erachtens zutreffend – ange-
griffen worden: den logischen Unterschied im angesprochenen Sinn zwi-
schen Regeln und Prinzipien gibt es nicht.19 Statt langer theoretischer Er-
____________________
usw).22 Bei Prinzipien sei das anders. Sie würden eine Entscheidung in
einer bestimmten Richtung nahe legen („incline a decision one way“), und
sie blieben intakt, selbst wenn sie sich in einem konkreten Fall nicht durch-
setzen („they survive intact when they do not prevail“)23. Manche nennen
dies das Kollisionstheorem.
Dieses sog Kollisionstheorem soll hier nicht in allen Facetten erörtert
werden. Auch dies hat Alexy24 bereits getan und dabei eine Reihe von
Schwierigkeiten festgestellt. Er hat aber dennoch zumindest im Prinzip die
Auffassung vertreten, dass das Kollisionstheorem für Regeln Gültigkeit ha-
be.25 Hingegen lasse sich für Prinzipien nicht so ohne weiteres sagen, dass
es nicht gelte.
An dieser Stelle soll dazu bloß die These erläutert werden, dass die
Geltung des Kollisionstheorems eine Frage der konkreten Ausgestaltung
der Rechtsordnung ist, und zwar auch in Bezug auf Regeln. Es ist kei-
neswegs ausgeschlossen, wie behauptet wird, dass von zwei einander wi-
dersprechenden Regeln beide als Bestandteile der Rechtsordnung erhal-
ten werden können und je nach Gewicht im konkreten Fall zu entschei-
den ist.26
Ein Beispiel ist der Anwendungsvorrang im EU-Recht. Will man nicht,
was völlig unhaltbar wäre, behaupten, dass es sich beim unmittelbar an-
wendbaren EU-Recht ausschließlich um Prinzipien handelt, ist das Er-
gebnis unabweislich, dass der Widerspruch zwischen zwei Regeln durch-
aus auch zur Weitergeltung beider Regeln führen kann. Freilich ist trotz-
dem nur eine von beiden anwendbar. Man kann zwar nicht ohne weite-
res sagen, dass beim Anwendungsvorrang die Verdrängung nach dem Ge-
wicht im konkreten Fall entschieden wird.27 Jedenfalls aber ist das Kollisi-
onstheorem schon in dem Sinne, dass von zwei konfligierenden Regeln
immer nur eine gültig sein, i.e. der Rechtsordnung angehören könne, nicht
zwingend. Abhängig von konkreten Rechtsordnungen lassen sich weitere
Beispiele finden, etwa die Zurückdrängung einer Verfassungsnorm durch
ein verfassungswidriges Gesetz bis zu dessen Beseitigung; auch hier trifft
es die Sache nicht, wenn man behauptet, in diesem – oft sehr lang andau-
ernden – Zeitraum gelte nur eine der beiden Normen.
Ein weiteres Beispiel, das gegen die kategoriale Unterscheidung zwi-
schen Regeln und Prinzipien spricht und die besondere Rolle des Verhält-
____________________
nisses von Regel und Ausnahme illustrieren hilft, sei hier das Mordver-
bot, und zwar in seinem Verhältnis zur Notwehr.28
Zunächst wird man annehmen dürfen, das Mordverbot sei eine Regel
im Sinne Dworkins. Somit sollten die für Prinzipien bedeutsamen Über-
legungen hier keine Rolle spielen, das Verbot sollte entweder befolgt oder
nicht befolgt werden können, im Konfliktfall mit einer anderen Regel
wäre es (eventuell bloß partiell) ungültig. Aber aus § 3 StGB wird deutlich,
dass die Tötung unter Umständen nicht verboten, nämlich nicht rechts-
widrig ist, wenn sie aus einer notwendigen Verteidigungshandlung resul-
tiert. Freilich kann man bei Anwendung der rechtfertigenden Notwehr
nicht sagen, das Mordverbot habe keine Gültigkeit. Es tritt nur hinter das
Notwehrrecht zurück. Allerdings ist eine Verteidigungshandlung und da-
mit eine eventuelle Tötung nicht rechtmäßig, wenn die Verteidigung un-
angemessen ist. Der Sache nach ist dies eine typische Verhältnismäßigkeits-
prüfung. Sollte man daraus schließen, dass das Mordverbot doch keiner
Regel entspringt, also ein Prinzip ist, oder sollte man daraus nicht vielmehr
schließen, dass die Regel-Ausnahme-Relation in etlichen und nicht bloß
marginalen Fällen nach dem von Dworkin für Prinzipien reklamierten
Muster funktioniert? Meines Erachtens ist Letzteres der Fall. Das heißt
zunächst nur, dass es in diesen Fällen keinen wie immer gearteten logi-
schen Unterschied gibt.
se. Wer anhand von Prinzipien eine Festlegung treffen will müsse dartun,
dass eventuell gegenläufige Prinzipien zurücktreten. Darin liege der berech-
tigte Kern des Dworkinschen Kollisionstheorems. Diesem unterschied-
lichen Prima-facie-Charakter liege eine im weiteren Sinne logische Di-
vergenz der Eigenschaft von Prinzipien und Regeln zugrunde. Einer Re-
gel könne entweder gefolgt werden oder nicht, einem Prinzip könne
mehr oder weniger entsprochen werden. Als Beispiele nennt Alexy ei-
nerseits das Gebot der Straßenverkehrsordnung, links zu überholen. Das
könne nur entweder befolgt oder nicht befolgt werden. Hingegen könne
das grundrechtliche Gebot, die Freiheit der Berichterstattung zu schüt-
zen, in höherem oder geringerem Maße erfüllt werden. Dies komme deut-
lich im Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Ausdruck. Prinzipien, und hier
zB eben Grundrechte, seien daher Optimierungsgebote.
Erstens ist gegen den – von Alexy bloß behaupteten, nicht argumen-
tativ entwickelten – Prima-facie-Charakter Folgendes zu sagen: der Prima-
facie-Charakter zB des Eigentumsgrundrechts – in Österreich ursprüng-
lich etwa Art 5 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staats-
bürger (StGG): „Das Eigentum ist unverletzlich ...“ –, aber grundsätzlich
aller Grundrechte, ja vermutlich aller Prinzipien (Optimierungsgeboten)
ist der eines Befolgungsgebotes. Erst zusammen mit den Gesetzesvorbe-
halten, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, und denkbaren Kollisionen
mit anderen Grundrechten ergibt sich die Möglichkeit, unter bestimmten
Voraussetzungen abzuweichen. Aber diese Abweichung ist zu begründen.
Warum die Beweislast umgekehrt sein soll, ist nicht zu sehen. Der Prima-
facie-Charakter von Prinzipien unterscheidet sich daher keineswegs kate-
gorial von jenem von Regeln.
Zweitens dürfte die Lage selbst bei vermeintlich klaren Regeln nicht
so einfach sein, wie es von Alexy behauptet wird. Nehmen wir das Gebot
der Straßenverkehrsordnung, links zu überholen. Auf den ersten Blick
klingt das sehr einleuchtend. Aber es gibt – nicht nur in Österreich, das
hier als Beispiel dient – Ausnahmen von dem Gebot, und voraussetzungs-
gemäß ist die Regel nur vollständig beschrieben, wenn alle ihre Ausnah-
men aufgezählt werden. Links abbiegende oder zum linken Fahrbahnrand
zufahrende Fahrzeuge, aber auch Schienenfahrzeuge dürfen rechts über-
holt werden.30 Darüber hinaus wird das Vorbeifahren vom Überholen
unterschieden, und das Nebeneinanderfahren von Fahrzeugreihen mit un-
terschiedlicher Geschwindigkeit auf Fahrbahnen mit mehr als einem Fahr-
streifen ist auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit nicht verboten.31
Anders definiert könnte man das auch als Ausnahme von Gebot, links zu
____________________
überholen, ansehen. Wie ist das also, wenn jemand auf einer dreispurigen
Autobahn in einer Kolonne in der mittleren Spur fährt, und gleichzeitig
rechts einen einzelnen Lkw, aber links eine langsamere Fahrzeugreihe über-
holt – was, nebenbei gesagt, heutzutage vielleicht nicht einmal mehr die
Ausnahme ist? Könnte man das nicht auch so formulieren: Er soll mög-
lichst links überholen, außer in den erwähnten Fällen, oder außer die
Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, die er ja auch zu beachten hat
– konkret darf etwa durch den Wechsel eines Fahrstreifens keine Gefähr-
dung oder Behinderung entstehen32 – gebieten anderes. Anders gesagt:
Es gibt jedenfalls Ausnahmen von dem Gebot, und es ist nicht zu sagen,
warum diese Ausnahmen einen ganz anderen logischen Charakter haben
als eine partielle Durchbrechung der Freiheit der Medienberichterstattung
zugunsten des Persönlichkeitsschutzes.33 Ob man die skizzierten Bestim-
mungen über das Linksfahrgebot als „Optimierungsgebot“ bezeichnet oder
nicht, erscheint sekundär.
Drittens finden sich in vielen Rechtsordnungen spezielle Kombinatio-
nen von (klassischen) Regeln, welche die Grenzlinie zu Prinzipien im Sinne
von Optimierungsgeboten verwischen. Der in der Gewerbeordnung ver-
wendete Industriebegriff34 sei stellvertretend für Regeln, die nach dem
Muster eines sog beweglichen Systems konstruiert sind, erwähnt.35 Für
Gewerbe, die in der Form eines Industriebetriebs ausgeübt werden, ist, so
sagt das Gesetz, grundsätzlich kein Befähigungsnachweis erforderlich.
Wann ein Industriebetrieb vorliegt, ist anhand mehrerer Merkmale zu prü-
fen, zB organisatorische Trennung in technische und kaufmännische Füh-
rung, Arbeitsteilung, serienmäßige Erzeugung. Dann bestimmt das Gesetz:
„Die Merkmale ... müssen nur insoweit vorliegen, als sie für die Gestal-
tung des Arbeitsablaufes bedeutsam sind, sie müssen auch nicht alle vor-
liegen, doch müssen sie gegenüber den für eine andere Betriebsform spre-
chenden Merkmale überwiegen.“
Für die Prinzipiendebatte kommt es nur darauf an, dass es sich hier
wohl um eine typische Regel handelt, die aber trotzdem mehr oder weni-
ger erfüllt werden kann. Anders gesagt: Das komparative Element in recht-
lichen Vorschriften ist häufiger, als man vielleicht denken möchte. Es
zwingt nicht automatisch dazu, solche Vorschriften für eine eigene Nor-
menklasse zu halten. Weder der Straßenverkehrsordnung oder bei der Not-
____________________
36 Statt vieler so etwa Hart (FN 7) 262 f; Poscher (FN 19) 371.
37 Zu diesem Punkt auch Alexy (FN 21) 207 ff.
68 Stefan Griller
und Jurist müsse eine „theory of law“ entwickeln, welche die Summe der
geltenden Prinzipien und deren relatives Gewicht darlegt (“... a ‘theory of
law’ which described that set of principles and assigned relative weights
to each ...”38) Das ist auch die Aufgabe, die Dworkin seinem Modellath-
leten, pardon: Modelljuristen Herkules zudenkt.39 “He must construct a
scheme of abstract and concrete principles that provides a coherent justi-
fication for all common law precedents and, so far as these are to be justi-
fied on principle, constitutional and statutory provisions as well.”40
Aber eine solche Rangordnung, die im Voraus und abstrakt die Lö-
sung aller denkbaren Kollisionen zwischen Prinzipien, aber auch zwischen
Prinzipien und Regeln leisten könnte, ist nicht in Sicht, und es gibt gute
Gründe, warum eine solche Aufgabe gar nicht lösbar ist.41 Damit bleibt
aber wiederum der Entscheidungsspielraum des Richters als unentrinnba-
res Element der Lösung von „hard cases“.
Dworkin erkennt diesen Einwand durchaus. Er versucht ihm haupt-
sächlich mit dem Argument zu begegnen, dass sein Modellrichter Herku-
les, um zu einer Entscheidung zu gelangen, nicht seine eigenen Wertungen
trifft, sondern, vereinfachend gesagt, zuerst die Wertungen seiner Rechts-
ordnung ermittelt und diese dann seiner Entscheidung zugrunde legt.42
Natürlich entgeht ihm nicht, dass diese Wertungen durchaus widersprüch-
lich sein können: “... the community’s morality ... is not some sum or
combination or function of the competing claims of its members; it is
rather what each of the competing claims claims to be. When Hercules
relies upon his own conception of dignity, … he is still relying on his own
sense of what the community’s morality provides.” Dies erscheint weni-
ger als Ausweg sondern viel eher als Eingeständnis der Vergeblichkeit des
Versuchs, den Entscheidungsspielraum des Richters zu eliminieren.
Dworkins Alternative zur – seiner Auffassung nach – positivistischen
Konzeption von Ermessensentscheidungen erscheint insofern keineswegs
besonders tragfähig. Überdies dürfte die antipositivistische Attacke in die-
sem Zusammenhang die Schranken zulässiger Vereinfachung überschrei-
ten. Zumindest rekonstruiert Dworkin manchen Standpunkt in einer
Weise, der seine eigene Antikritik erleichtert. Dworkin unterscheidet
mehrere Spielarten des Ermessens.43 Einerseits spricht er vom schwachen
Ermessens in dem Sinn, dass die Entscheidungsfindung nicht mechanisch
____________________
Es spielt für die obigen Überlegungen keine zentrale Rolle, dass im Üb-
rigen der – in der Tat auch von Hart vertretenen Auffassung – entgegen-
zutreten ist, Ermessensentscheidungen ergingen im rechtsfreien Raum.
Manche Positivisten, aber nicht nur solche, mögen dies so sehen. Dem-
gegenüber lässt sich zeigen, dass ein Verhalten, gemessen an einer konkre-
ten Rechtsordnung, grundsätzlich immer „geregelt“, nämlich entweder ver-
boten oder erlaubt ist – tertium non datur (mit der Ergänzung, dass er-
laubtes Verhalten auch geboten sein kann).48 Für den Standpunkt Dwor-
kins lässt sich daraus aber wohl wenig gewinnen. Denn auch wenn man
sich auf diese Weise seinem Standpunkt nähert, dass es immer eine „Lö-
sung“ gibt: die Schwierigkeit bei Ermessensentscheidungen liegt nicht
darin, dass die Rechtsordnung ein bestimmtes Verhalten ungeregelt gelas-
sen hätte, sondern darin zu erkennen, wie sie es geregelt hat (nämlich, ob
sie es verboten, geboten oder erlaubt hat). Es liegt also immer ein Erkennt-
nisproblem vor. Dies gilt für Positivisten will ihre Gegner gleichermaßen.
Dass dieses Erkenntnisproblem durch die besonderen Eigenschaften von
Prinzipien – wie immer diese im Detail aussehen mögen – vermieden wer-
den könnte, ist nicht zu sehen.
48 Siehe Stefan Griller, Der Schutz der Grundrechte vor Verletzungen durch Pri-
vate, JBl 1992, 205 (209).
49 Dworkin (FN 3) 39 ff, 59 ff.
50 Dworkin (FN 3) 40.
Der Rechtsbegriff bei Ronald Dworkin 71
B. Kritische Würdigung
(1.) Das erste soeben skizzierte Argument, nämlich jenes der für den
Rechtspositivismus desaströsen Funktion von Rechtserkenntnisregeln, wel-
che die Gewohnheit als Tatbestand akzeptieren, wurde von Dworkin zwar
in engem Zusammenhang mit seiner Prinzipienlehre entwickelt. Der Ein-
wand hat er aber grundsätzlich unabhängig von dieser Lehre Gewicht.53
____________________
51 Dworkin (FN 3) 42: “If ... the test is whether the community regards the custom-
ary practice as legally binding, the whole point of the master rule is undercut, at least for
this class of rules... [I]f the master rule says merely that whatever other rules the com-
munity accepts as legally binding are legally binding, then it provides no such test at all,
beyond the test we should use were there no master rule.”
52 Dworkin (FN 3), insb 81 ff.
53 Vorauszuschicken ist, dass es sich bei den in ihrer Geltung zweifelhaften und über
eine solche Gewohnheitsrechtsermächtigung gerechtfertigten Prinzipien immer um solche
72 Stefan Griller
handeln muss, die dem positiven Recht nicht durch Interpretation zu entnehmen sind.
Sind sie hingegen der Rechtsordnung zu entnehmen, greift der Einwand von vornherein
nicht. Er gilt daher nicht für die vielen Fälle, in denen auch Positivisten im Sinne Dwor-
kins Prinzipien deshalb akzeptieren und anwenden können (wie auch immer sie dies tun),
weil sie diese Prinzipien als Bestandteil des positiven Rechts anerkennen, also zB einen
Grundrechtskatalog, oder einen der Rechtsordnung im Weg systematischer Interpretation
entnommen Grundsatz, dass niemand aus seinem eigenen Vorteil Nutzen ziehen dürfe.
Der Gewohnheitsrechtseinwand trifft also nur die Rechtfertigung von Prinzipien, die nicht,
wie auch immer, dem positiven Recht entnommen werden können.
Der Rechtsbegriff bei Ronald Dworkin 73
nent und erlauben unter Umständen auch Abweichungen von den positi-
vierten Regeln, also letztlich Entscheidungen contra legem. Dworkins
Thesen können, wie schon erwähnt, insofern in diesem Sinne verstanden
werden insofern, als jede Interpretation angeblich notwendig Prinzipien
mit berücksichtigt, und zwar auch moralische Gesichtspunkte.54 Zwar sol-
len dies nach Dworkin nicht primär die moralischen Prinzipien des In-
terpreten sein, sondern jene der Rechtsgemeinschaft, in welcher der Fall
entschieden wird. Jedenfalls gebe es auf dieser Grundlage, und zwar mit
Hilfe der Verknüpfung zwischen Recht und Moral, grundsätzlich in je-
dem Fall eine richtige Entscheidung.
Vor allem in Interesse der Kürze möchte ich die diesbezüglichen, nicht
ganz widerspruchsfreien Ausführungen Dworkins55 in der Rekonstruk-
tion von Alexy diskutieren. Dieser meint, die Unterscheidung zwischen
Regeln und Prinzipien führe über drei Thesen zu einem notwendigen Zu-
sammenhang zwischen Recht und Moral. Alexy nennt sie die „Inkorpo-
rationsthese“, die „Moralthese“ und die „Richtigkeitsthese“.
Nach der Inkorporationsthese enthalte jedes Rechtssystem notwendig,
und nicht nur auf Grund positivrechtlicher Anordnung, Prinzipien. Be-
gründet wird dies mit einer anderen von Alexy vertretenen These, näm-
lich dem sog Richtigkeitsanspruch. Dieser fordere, dass in einem zweifel-
haften Fall „stets dann eine Abwägung und damit eine Berücksichtigung
von Prinzipien stattfindet, wenn dies möglich ist.“56 Auf dieses, bei Dwor-
kin so nicht zu findende Argumentationselement kommt es wesentlich an.
Mit ihm steht und fällt die Notwendigkeit der Anwendung von (überpo-
sitiven) Prinzipien in Rechtsordnungen.
Nach dem Richtigkeitsargument ist ein wesentliches Kennzeichen je-
der Rechtsordnung ihr Anspruch auf Richtigkeit. Mehr noch: „Der An-
spruch auf Richtigkeit ist ein notwendiges Element des Begriffs des
Rechts.“57 Dieser Anspruch werde von den Teilnehmern an einem Rechts-
system auf den verschiedensten Ebenen notwendig erhoben. „Wenn und
insoweit dieser Anspruch moralische Implikationen hat, ist damit ein be-
grifflich notwendiger Zusammenhang zwischen Recht und Moral darge-
tan.“58 Im Zusammenhang mit der Prinzipiendiskussion kommt Alexy
darauf zurück. Er weist den Einwand, dass Prinzipien, die von Richtern
angewendet werden, nicht notwendig zum Rechtssystem gehören müss-
ten, gerade mit Hilfe des Richtigkeitsarguments zurück. Denn dieses Ar-
____________________
gument werde „notwendig nicht erfüllt“, wenn ein Richter in einem zwei-
felhaften Fall von zwei Entscheidungen die eine mit der Begründung wählt:
„Wenn ich abgewogen hätte, wäre ich zu der anderen Entscheidung ge-
kommen, aber ich habe nicht abgewogen.“ Damit sei deutlich, dass Ab-
wägungen und damit die Berücksichtigung von Prinzipien geboten sei.
Diese Argumentation ist schwer nachvollziehbar. Zunächst hat das Rich-
tigkeitsargument, selbst wenn man es akzeptiert, keineswegs notwendig ei-
ne das betreffende Rechtssystem transzendierende Komponente. Das ist
ein allgemeiner, nicht auf das Prinzipienproblem beschränkter Einwand.
„Richtigkeit“ kann auch heißen: nach den Maßstäben des betreffenden
Systems richtig, also nach allen in diesem zum Ausdruck kommenden
Grundlagen und Wertungen. Die begriffliche Verbindung mit ganz ande-
ren, im System nicht weiter bestimmten und auch nicht benannten Rich-
tigkeitskriterien ist keineswegs zwingend. Das will nicht heißen, dass et-
wa ein Gerechtigkeitsanspruch von vornherein nicht Bestandteil des so ver-
standenen Richtigkeitsarguments sein könnte. Zu einer systemtranszendie-
renden Explikation von Gerechtigkeit – etwa in einem freien Diskurs –
zwingt der Ansatz von vornherein aber nicht.
Trotz dieser Skepsis soll auf die beiden weiteren Thesen eingegangen
werden. Die „Moralthese“ besagt, in ihrer von Alexy zunächst diskutier-
ten schwachen Form, dass „ein notwendiger Zusammenhang zwischen
dem Recht und irgendeiner Moral besteht.“59 Die These treffe dann zu,
wenn sich unter den in zweifelhaften Fällen zu berücksichtigenden Prin-
zipien stets solche finden, die zu irgendeiner Moral gehören. Dies sei der
Fall. Und wieder kommt das Richtigkeitsargument ins Spiel: „Wer sagen
will, was gesollt ist, ohne dass er seine Antwort ausschließlich auf die Ent-
scheidungen einer Autorität stützen kann, muß alle einschlägigen Prinzi-
pien berücksichtigen, wenn er dem Anspruch auf Richtigkeit genügen will.
Unter den für die Lösung einer praktischen Frage einschlägigen Prinzipien
aber finden sich stets auch solche, die zu irgendeiner Moral gehören.“60
Freilich macht Alexy damit den gleichen Kunstgriff wie zuvor: Er unter-
stellt dem Richtigkeitsargument bereits einen bestimmten, gleichsam von
außen übergestülpten Inhalt, der erst immanent nachzuweisen wäre. Im
Kontrast dazu wäre es etwa sehr wohl denkbar, dass in „hard cases“ dem
Richtigkeitsargument einer konkreten Rechtsordnung schon durch lose
Analogien Genüge getan ist, das seien Analogien, die in loser Anlehnung
an andere Problemlösungen der Rechtsordnung gebildet werden, ohne dass
dies zwingend wäre. Die Heranziehung externer moralischer Prinzipien
ist damit keineswegs zwingend geboten.
____________________
Alexy wagt aber noch einen weiteren Schritt. Er postuliert einen not-
wendigen Zusammenhang „zwischen dem Recht und der oder einer rich-
tigen Moral“, nämlich in seiner „Richtigkeitsthese“61. Dieser Teil der Ar-
gumentation kann nicht als Rekonstruktion von Dworkins Lehre ausge-
geben werden,62 und Alexy macht das auch nicht. Im Kontext der Prin-
zipiendiskussion kann man aber Alexy wohl so interpretieren, dass er ei-
ne konsequente Weiterentwicklung des Dworkinschen Prinzipienansat-
zes im Auge hat. Alexy meint nämlich: „Die Richtigkeitsthese ist das Er-
gebnis einer Anwendung des Richtigkeitsarguments im Rahmen des Prin-
zipienarguments.“63
Diskutiert wird dies anhand des Rassen- und des Führerprinzips im
nationalsozialistischen Rechtssystem. Auch der Richter, der das Rassen-
und das Führerprinzip anwende, erhebe mit seiner Entscheidung einen
Anspruch auf Richtigkeit. Dieser impliziere einen Anspruch auf Begründ-
barkeit, der sich nicht darauf beschränke, dass das Urteil im Sinne irgend-
einer Moral begründbar und insofern richtig sei, „sondern er erstreckt sich
darauf, dass das Urteil im Sinne einer begründbaren und deshalb richti-
gen Moral richtig ist. Der notwendige Zusammenhang zwischen dem
Recht und der richtigen Moral wird dadurch gestiftet, dass der Anspruch
auf Richtigkeit einen Anspruch auf moralische Richtigkeit einschließt, der
sich auch auf die zugrundgelegten Prinzipien erstreckt.“64 Zwar führe dies
im konkreten Fall nicht zur Leugnung des Rechtscharakters eines solchen
Urteils – dies kommt nach Alexy nur bei ganz extremen, unerträglichem
Unrecht in Betracht, was hier seiner Meinung nach offenbar nicht vor-
liegt. Absolute Nichtigkeit würde implizieren, dass alles, was nicht mora-
lisch richtig ist, kein Recht sei. Eine so starke These könne nicht vertre-
ten werden. Im Beispielsfall könne es daher nicht um einen „klassifizie-
renden“, sondern nur um einen „qualifizierenden Zusammenhang“ gehen.
„Vor der Schwelle extremen Unrechts führt ein Verstoß gegen die Moral
nicht dazu, dass die fragliche Norm oder die fragliche Entscheidung den
Rechtscharakter verliert, also kein Recht ist (klassifizierender Zusammen-
hang), sondern nur dazu, dass sie eine rechtlich fehlerhafte Norm oder
____________________
65
Alexy (FN 56) 133.
66
Alexy (FN 56) 135.
67 Alexy (FN 56) 135 f.
68 Vgl etwa Rs C-124/95, Centro-Com, Slg 1997, I-81, dem der Fall oben im Text
nachempfunden ist.
Der Rechtsbegriff bei Ronald Dworkin 77
69 Dazu in diesem Band insb die Beiträge von Rill, Jabloner, Potacs und Pawlik.
70 Ansatzweise etwa bei Hart (FN 7) 244 ff.
78 Stefan Griller
IV. Schlussbemerkung
Dworkins Angriff auf den Rechtspositivismus eröffnet eine Reihe in-
teressanter Diskussionsfelder. Die Unterscheidung zwischen Prinzipien und
Regeln erlaubt ein stärker ausdifferenziertes Bild der Rechtsordnung. Frei-
lich: die These, Prinzipien gehörten zu einer anderen logischen Kategorie
von Rechtsvorschriften als Regeln, für die daher unter anderem besondere
Interpretationsmethoden, etwa die Abwägung, zur Anwendung kommen
müssten, erscheint nicht begründbar. Prinzipien lassen sich als Optimie-
rungsgebote rekonstruieren, was keinen geteilten Normbegriff erfordert.
In ähnlicher Weise schlägt die These, die unvermeidliche Relevanz von
Prinzipien in der Rechtsanwendung erfordere einen Rechtsbegriff, der auch
moralische Maßstäbe als konstituierende Merkmale mit einschließe, nicht
durch. Eine überzeugende Begründung, warum externe Bewertungsmaß-
____________________
71 Vgl dazu Stefan Griller, Gibt es eine intersubjektiv überprüfbare Bedeutung von
Normtexten?, in Griller/Korinek/Potacs (Hrsg), Grundfragen und aktuelle Probleme des
öffentlichen Rechts, Festschrift für Heinz Peter Rill zum 60. Geburtstag (1995) 543 (hier
insb 555 ff, 560 ff ).
Der Rechtsbegriff bei Ronald Dworkin 79
____________________
* Der Beitrag wurde am 11. Mai 2004 abgeschlossen; später erschienene Literatur
konnte – mit Ausnahme einiger Beiträge im Band von S. L. Paulson/M. Stolleis (Hrsg),
Hans Kelsen. Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts (2005), die
mir damals schon im Manuskript zugänglich waren – nicht mehr berücksichtigt werden.
Manche der unter III. 3. enthaltenen, der Veranschaulichung dienenden positivrechtlichen
Ausführungen sind mittlerweile durch die B-VG-Novelle BGBl I 2008/2 überholt.
1 Stanley L. Paulson, Zur Stufenbaulehre Merkls in ihrer Bedeutung für die Allge-
meine Rechtslehre, in: R. Walter (Hrsg), Adolf J. Merkl. Werk und Wirksamkeit (1990)
93 (93).
2 Hans Kelsen, Adolf Merkl zu seinem siebzigsten Geburtstag am 23. März 1960,
ZÖR 10 (1959/60) 313 (313): „Erst durch Merkls Stufentheorie haben wir Einsicht in
die innere Struktur einer Rechtsordnung gewonnen.“ Ähnliche Einschätzungen bei John
Dickinson, The Law Behind Law, 29 Columbia Law Review (1929) 113, 285 (319)
(„perhaps the most valuable contribution of recent German juristic thought“), Wolf-
Dietrich Grussmann, Adolf Julius Merkl und die Lehre vom Stufenbau des Rechts, FS
Hofer-Zeni (1998) 95 (99), Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Der Beitrag Adolf Merkls zur
Reinen Rechtslehre, in: R. Walter (Hrsg), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre (1992)
107 (110), und Ota Weinberger, Die Struktur der rechtlichen Normenordnung, in: G.
Winkler (GesRed), Rechtstheorie und Rechtsinformatik (1975) 110 (125).
3 Peter Koller, Zur Theorie des rechtlichen Stufenbaues, in: S. L. Paulson/M.
Stolleis (Hrsg), Hans Kelsen. Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts
(2005) 106 (106).
4 Werner Krawietz, Die Lehre vom Stufenbau des Rechts – eine säkularisierte poli-
tische Theologie, in: W. Krawietz/H. Schelsky (Hrsg), Rechtssystem und gesellschaftliche
Basis bei Hans Kelsen, Rechtstheorie Beiheft 5 (1984) 255 (263).
82 Ewald Wiederin
9 Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwickelt aus der Lehre vom
Rechtssatze (11911, 21923) 537 ff, insb 541: „Das Gesetz ist die notwendige Form des
Rechtssatzes“.
10 Kelsen, Hauptprobleme (FN 9) 556 ff.
11 Kelsen, Hauptprobleme (FN 9) 411: „Es ist das große Mysterium von Recht und
Staat, das sich in dem Gesetzgebungsakte vollzieht“.
12 Kelsen, Hauptprobleme (FN 9) 410, 466.
13 So treffend Paulson, Stufenbaulehre (FN 1) 101.
14 Vgl Adolf Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaues, in: A.
Verdroß (Hrsg), Gesellschaft, Recht und Staat. Kelsen-FS (1931) 252 (257 f ). Die Bei-
träge Merkls werden hier, soweit möglich, unter der Abkürzung „WRS“ nach dem Ab-
druck im Sammelband „Die Wiener Rechtstheoretische Schule“ (hrsg von H. Klecatsky,
R. Marcic und H. Schambeck) zitiert (hier: WRS 1311 [1317 f ]); beim Erstzitat ist (ne-
ben der Originalfundstelle) unter dem Kürzel „GS“ und der Bandanzahl jeweils auch die
Fundstelle in den Gesammelten Schriften (hrsg von D. Mayer-Maly, H. Schambeck und
W.-D. Grussmann) angeführt (hier: GS I/1, 437).
84 Ewald Wiederin
15 Es ist wenig übertrieben zu behaupten, dass die Reine Rechtslehre in ihrer heutigen
Gestalt mit der Stufenbaulehre steht und fällt.
16 Vgl insbesondere Theo Öhlinger, Der Stufenbau der Rechtsordnung. Rechtstheo-
retische und ideologische Aspekte (1975) 9 ff, und Martin Borowski, Die Lehre vom
Stufenbau des Rechts nach Adolf Julius Merkl, in: S. L. Paulson/M. Stolleis (Hrsg), Hans
Kelsen. Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts (2005) 122 (123 ff).
17 Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft (1923) 217 ff.
18 Vgl schon Adolf Merkl, Die Verordnungsgewalt im Kriege III, JBl 1916, 397, 409
(410), GS II/1, 3 (30): „Man übersieht vielfach, daß der Gesetzgeber nicht allmächtig,
sondern nichts als Kreatur der Staatsverfassung ist“; eingehend ders, Rechtskraft (FN 17)
217 ff.
19 Dazu Hans Kelsen, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, VVDStRL
5 (1929) 30 (31 ff ), und Karl Korinek, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der
Staatsfunktionen, VVDStRL 39 (1981) 7 (11 ff, 26 ff, 40 ff ).
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 85
27 Vgl Merkl, Prolegomena (FN 14) 285, WRS 1351: „Man kann die Lehre des rechtli-
chen Stufenbaues geradezu als neue Sinngebung der Staatsfunktionen erklären“. Dazu Hans
Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925) 229 ff, 255 ff; Franz Weyr, Reine Rechtslehre
und Verwaltungsrecht, in: A. Verdroß (Hrsg), Gesellschaft, Staat und Recht. Kelsen-FS
(1931) 366 (382 ff ); Öhlinger, Stufenbau (FN 16) 31 f; Friedrich Koja, Allgemeine
Staatslehre (1993) 140 ff; Borowski, Lehre (FN 16) 139 ff mwN.
28 Vgl Richard Novak, Die Fehlerhaftigkeit von Gesetzen und Verordnungen (1967)
8 f, und Borowski, Lehre (FN 16) 151: „Aus dem Stufenbau des Rechts ergibt sich gleich-
sam von selbst die Lehre des rechtlichen Fehlers.“
29 Vgl Merkl, Rechtskraft (FN 17) 293 f; ders, Allgemeines Verwaltungsrecht (1927)
196 f; ders, Prolegomena (FN 14) 293 f, WRS 1360 f.
30 Das ist in der rechtstheoretischen Diskussion nur selten aufgegriffen worden. Eine
Ausnahme bildet Stanley L. Paulson, Rezension, 27 American Journal of Jurisprudence
(1982) 159 (163 ff ).
31 So zu den Vollzugsakten Merkl, Prolegomena (FN 14) 269, WRS 1331 f, in Aus-
einandersetzung mit der Kritik von Hans Nawiasky, Kritische Bemerkungen zur Lehre
vom Stufenbau der Rechtsordnung, ZÖR 6 (1927) 488 (489); ebenso schon Merkl,
Rechtskraft (FN 17) 218 f, wo die Differenzierung zwischen Rechtsnormen und Rechts-
erscheinungen grundgelegt wird. Für die Ursprungsnorm hat Merkl diese Folgerung hin-
gegen nie gezogen: vgl Rechtskraft (FN 17) 215 f, wo sie augenscheinlich als Norm apo-
strophiert wird. Zum Ganzen auch Paulson, Rezension (FN 30) 164, Bettina Stoitzner,
Die Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung, in: S. L. Paulson/R. Walter (Hrsg), Unter-
suchungen zur Reinen Rechtslehre (1986) 51 (61 f ), und Borowski, Lehre (FN 16) 134.
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 87
32 Vgl Merkl, Prolegomena (FN 14) 290 ff, WRS 1356 ff.
33 Vgl Niklas Luhmann, Rechtssoziologie (21983) 354 ff; Torstein Eckhoff/Nils
Kristian Sundby, Rechtssysteme (1988) 152 ff.
34 Näher Borowski, Lehre (FN 16) 124 ff.
35 Merkl, Rechtskraft (FN 17) 182 ff, 205 f.
36 Eine gute Skizze findet sich bei Herbert Haller, Die Prüfung von Gesetzen (1979)
4 ff.
37 Robert von Mohl, Ueber die rechtliche Bedeutung verfassungswidriger Gesetze,
in: ders, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik Bd I (1860) 66 (83 FN 1), wo sowohl recht-
liche Bedingtheit als auch derogatorische Kraft angesprochen sind: „Wenn die Gültigkeit
[von] Vorschriften auf rechtsverbindliche Weise von der Erfüllung bestimmter Bedingun-
gen abhängig gemacht ist, so müssen diese eingehalten werden, oder es hat die fragliche
Norm keine verpflichtende Kraft. [...] Und was, zweitens, das Recht des Gesetzgebers be-
trifft, den Begriff der Verfassungsmässigkeit festzustellen, oder, deutlicher gesprochen, ei-
ne Norm als Verfassungsgesetz zu erklären: so besteht dasselbe allerdings, allein ebenfalls
wieder unter Einhaltung bestimmter Bedingungen. Diese sind nun bei einem einfachen
Gesetze selbstredend nicht erfüllt; also kann dasselbe auch nicht als Verfassungsgesetz gel-
ten, beziehungsweise bestehende Verfassungsbestimmungen gültig abändern. Diese Sätze
gehören so sehr den elementarsten Lehren der juristischen Logik an, dass man sich fast
scheuet, sie auszusprechen.“
88 Ewald Wiederin
dingtheit von ihm terminologisch noch gar nicht die Rede.38 Er erhält
diese Bezeichnung erst in der zweiten Phase um 1930, in welcher ihm ein
Stufenbau nach der derogatorischen Kraft zur Seite gestellt wird.
ein Stufenbau, der durch das Kriterium der rechtlichen Bedingtheit cha-
rakterisiert ist. Die höherrangigen Rechtsquellen sind der Ursprung, aus
dem die niedrigerrangigen Normen erfließen.46
46 Merkl, Rechtskraft (FN 17) 216; ders, Prolegomena (FN 14) 275 f, WRS 1339 f.
47 Krawietz, Stufenbau (FN 4) 260 ff, der dahinter eine Rezeption von ursprünglich
teils religiös, teils politisch motivierten legeshierachischen Ordnungsvorstellungen durch ei-
ne vermeintlich „reine“ Rechtslehre ortet.
48 Vgl Merkl, Rechtsantlitz (FN 24) WRS 1095; ders, Rechtskraft (FN 17) 209 f; ders,
Gesetzesrecht und Richterrecht, Prager Juristische Zeitschrift 2 (1922) Sp 337, GS I/1,
317, WRS 1615 (1618): „Keine Rechtsordnung ist denkbar, die nicht mindestens zwei
Rechtsgestalten aufwiese; anderenfalls könnte ja nicht von einer Rechtshierarchie gespro-
chen werden, die jeder Rechtsordnung immanent ist.“
49 Merkl, Prolegomena (FN 14) 252 f, 254 f, WRS 1311 f, 1314. Diese völlig „un-
schuldige“ und begrüßenswerte Revision seines ursprünglichen, zu zirkulären Argumen-
ten Zuflucht nehmenden Standpunkts hat ihm von Seiten Krawietz’s prompt den Vor-
wurf eingetragen, sich durch eine Rochade der Betrachtungsebenen – hier Idealrechtssys-
tem, dort Realrechtssystem – gegen Kritik immunisieren zu wollen: vgl dens, Stufenbau
(FN 4) 262. Gewissermaßen ins Leere geht daher auch die conclusio, dass sich „der Stu-
fenbau als solcher als Teil einer selbstreferentiellen Ordnung“ erweise, „die im Rechtssys-
tem selbst hergestellt worden ist“ (ibid 267). Dem hätte der Merkl der Prolegomena
durchaus zugestimmt. Vgl auch Robert Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung (21974)
67: „Mit Entschiedenheit muß betont werden, daß der Stufenbau des Rechts aus diesem
selbst abgeleitet werden muß. Die Lehre vom Stufenbau kann nur den – bereits im Recht
bestehenden – stufenförmigen Aufbau aufzeigen.“ (Hervorhebung im Original)
50 Dieses Gebot soll exemplarisch aufzeigen, dass ein oft herausgestellter „Mangel“ der
einstufigen Struktur – die Unmöglichkeit einer Ahndung von Normverstößen (Merkl, Pro-
90 Ewald Wiederin
legomena [FN 14] 260, WRS 1320; H. L. A. Hart, The Concept of Law [1961] 89 ff;
Paulson, Stufenbaulehre [FN 1] 96) – ihr bei näherem Hinsehen gar nicht innewohnt,
weil sie Reflexivität nicht ausschließt.
51 So Jürgen Behrend, Untersuchungen zur Stufenbaulehre Adolf Merkls und Hans
Kelsens (1977) 24 ff, 43 f.
52 Vgl die verschiedenen Ansätze bei Hart, Concept (FN 50) 77 ff; Mark Galanter,
Justice in Many Rooms, in: M. Cappelletti (Hrsg), Acces to Justice and the Welfare State
(1981) 147 (161 ff ); Gunther Teubner, Recht als autopoietisches System (1989) 49 ff;
Paulson, Stufenbaulehre (FN 1) 95 ff; Alois Troller, Das Rechtsdenken aus bürgerli-
cher und marxistisch-leninistischer Perspektive (1986) 20; Peter Koller, Theorie des
Rechts (21997) 121 f. Vgl auch Hermann Kantorowicz, Der Begriff des Rechts (1957)
87 ff: Recht als Gesamtheit „gerichtsfähiger“ Regeln.
53 Erich Voegelin, Die Einheit des Rechtes und das soziale Sinngebilde Staat, Inter-
nationale Zeitschrift für Theorie des Rechts V (1930/31) 58 (69). Ebenso Öhlinger,
Stufenbau (FN 16) 17; Horst Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheo-
rie bei Hans Kelsen (21990) 134 FN 263; Gerhard Robbers, Für ein neues Verhältnis
zwischen Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, NJW 1998, 935 (938), der
im übrigen jedoch gegen ein Phantom polemisiert, wenn er der Stufenbaulehre vorwirft,
„das moderne Bild der Verfassung als Rahmenordnung“ nicht adäquat abbilden zu kön-
nen: Ohne Erstere wäre Letzteres gar nicht vorstellbar.
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 91
herer Stufe sowohl die Erzeugung von generellen wie auch die Erzeugung
von individuellen Normen regeln könne.54
Diesem Kritikpunkt hat Merkl von allem Anfang an Berechtigung
zuerkannt. Zum einen hält er ausdrücklich fest, dass Durchführungsver-
ordnungen sowohl durch die Verfassung, die diesen Verordnungstypus
delegiert, als auch durch das Gesetz bedingt sind, welches durchgeführt
werden soll.55 Zum anderen betont er, dass die innerhalb des demokrati-
schen Verfassungsstaates regelmäßig zu beobachtenden „Standardabstufun-
gen“ durch Weglassen von Ebenen verkürzt oder durch Hinzufügen von
Ebenen verlängert sein können.56 Gelegentlich beschreibt er darum auch
– vor allem in früheren Arbeiten – das Verhältnis der verschiedenen Rechts-
formen zueinander in Bildern, die nicht von einer streng hierarchischen
Gliederung der verschiedenen Rechtsschichten zeugen,57 sondern auf eine
Baumstruktur hinweisen. Er bezeichnet zB die Rechtsordnung als ein
„überreich verzweigte[s] System von Rechtserscheinungen“58 und vergleicht
sie bald mit dem menschlichen Nervensystem, „das durch das Gehirn kon-
stituiert wird“,59 bald mit dem „Blutgefäßsystem, das im Herzen sein Zen-
trum hat.“60 Es kommt daher wenig überraschend, dass die Stufenmeta-
pher von Merkl ursprünglich in einem Zusammenhang eingeführt wird,
der mit dem Bild einer Treppe wenig zu tun hat.61
____________________
sich bei ihr, so paradox es auch klingen möge, ebenso um eine Ausfüh-
rungsgesetzgebung wie bei allen Akten einfacher Gesetzgebung.69 Eine
solche Identifikation der Verfassung mit der historisch ersten, revolutio-
när eingeführten ersten Konstitution liegt jedoch deshalb schief, weil sie
die Verfassung durch andere als formelle Merkmale bestimmt. Wohl aus
diesem Grund hat sie Merkl bei Ausarbeitung seiner Stufenbaulehre nicht
weiter verfolgt. In den Prolegomena hält er fest, dass ein Gesetz seine
Geltung „bloß der Verfassung“ verdankt.70 Walter ist hingegen der Mei-
nung, dass für die Erzeugung eines Gesetzes auch unterverfassungsgesetz-
liche Normen bestimmend sind. Dieser Gegensatz der Auffassungen sei
zum Anlass genommen, dem entscheidenden Kriterium – der rechtlichen
Bedingtheit der einen Norm durch die andere Norm – näher auf den
Grund zu gehen.
69 Merkl, Unveränderlichkeit (FN 68) WRS 1083; ders, Die Rechtseinheit des öster-
reichischen Staates, AöR 37 (1918) 56, GS I/1, 169, WRS 1115 (1139).
70 Merkl, Prolegomena (FN 14) 284, WRS 1350.
71 Merkl, Rechtseinheit (FN 69) WRS 1141.
72 Merkl, Rechtseinheit (FN 69) WRS 1163.
73 Merkl, Rechtseinheit (FN 69) WRS 1122, 1163. Ähnlich zuvor Alfred Verdross,
Zum Problem der Rechtsunterworfenheit des Gesetzgebers, JBl 1916, 471, WRS 1545
(1555): „So gipfelt endlich die ganze staatliche Ordnung in der Verfassung, von der und
aus der – für eine von oben herabsehende Betrachtungsweise – alle Ermächtigungen und
alle Verpflichtungen strahlenförmig ausgehen und in die – von unten hinaufblickend – alle
Rechtserscheinungen sich zurückflüchten, um auf sie gestützt Kraft von ihrer Kraft und
Macht von ihrer Macht zu erlangen.“
74 Merkl, Unveränderlichkeit (FN 68) WRS 1082.
75 Merkl, Rechtskraft (FN 17) 216.
94 Ewald Wiederin
b) Die conditio-sine-qua-non-Formel
Versteht man unter rechtlicher Bedingtheit, dass „ein Rechtssatz nicht
ohne den vorgängigen Rechtssatz gedacht werden kann“,80 so wird das
____________________
mel“ in Zweifel zu ziehen und sie zugunsten einer besseren Definition von
„rechtlicher Bedingtheit“ preiszugeben.84
c) Determinierende Normen
Bei diesem Befund liegt es nahe,85 auf den alternativen Ansatz Merkls
zurückzugreifen und alle jene Rechtsnormen als bedingend anzusehen,
die Form und Inhalt anderer Rechtssätze vorzeichnen. Nach dieser Ein-
grenzung genügt es „für die Kennzeichnung eines Rechtssatzes als bedin-
gend [...], wenn er in der Aktreihe dem Rechtssatz, zu dem er erkennt-
nismäßig in Beziehung gesetzt ist, einfach vorgelagert ist“.86
In der Analyse dieser Konzeption, der die meisten Vertreter der Stu-
fenbaulehre nahestehen dürften,87 soll an dieser Stelle nicht weiter be-
schäftigen, ob sich in ihr der Regress auf bedingende Normen auf der
Stufe der Verfassung abbrechen lässt oder ob sich nicht vielmehr die Ver-
fassung ihrerseits als bedingte Norm erweist, weil sie unter Vorschriften
____________________
84 Vergleichbare Schwierigkeiten haben dazu geführt, dass die Kausalität einer Handlung
im Zivil- und Strafrecht mittlerweile überwiegend nicht mehr nach der conditio-sine-qua-
non-Formel beurteilt wird. Eingehend Manfred Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt
im Strafrecht (1974) 84 ff.
85 Der Versuch Kelsens, die bedingende Norm (in Unterschied zum tatsächlichen Er-
zeugungsakt) als conditio per quam für die Geltung der erzeugten zu definieren (Hans Kel-
sen, Der Begriff der Rechtsordnung, Logique et Analyse 1958, 155, WRS 1395 [1396 f ];
ders, Reine Rechtslehre2 [FN 56] 196 f, ebenso in anderem Zusammenhang auch Merkl,
Verwaltungsrecht [FN 29] 172), ist ebenfalls kein zielführender Weg. Die Unterscheidung
zwischen conditio sine qua non und conditio per quam ist der Logik so nicht geläufig
(Ota Weinberger, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus [1985] 34)
und lässt sich nur als Unterscheidung zwischen Replikation und Äquivalenz deuten (Rai-
ner Lippold, Reine Rechtslehre und Strafrechtsdoktrin [1989] 89 f ). Es ist jedoch ausge-
schlossen, dass irgendeine Norm eine hinreichende Bedingung für die Geltung einer durch
sie bedingten, später erzeugten Norm darstellt, weil dies den Fall mitausschließt, dass im
betreffenden Rechtssystem die bedingende Norm gilt, die bedingte Norm aber (noch) nicht
gilt. – Durch Verwendung der conditio-per-quam-Formel dürfte Kelsen allerdings nur
gemeint haben, dass der Obersatz eine Aussage über die Geltung einer Ermächtigungs-
norm enthalten muss, wenn der Schlusssatz eine Aussage über die Geltung einer zweiten
Norm enthält (ähnlich Rudolf Thienel, Geltung und Wirksamkeit, in: S. L. Paulson/R.
Walter (Hrsg), Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre (1986) 20 (32 mit FN 70).
86 Merkl, Prolegomena (FN 14) 275, WRS 1339.
87 Dies wird meist nur en passant erkennbar. Ein Prüfstein ist beispielsweise, ob Urtei-
le niedriger Instanz im Stufenbau der rechtlichen Bedingtheit mit Merkl (Prolegomena
[FN 14] 278 f, WRS 1343 f; Rechtskraft [FN 17] 215) den Urteilen höherer Instanz
übergeordnet werden, was nach der conditio-sine-qua-non-Formel ganz unausweichlich ist.
Jüngere Autoren lehnen dies meist mit der Begründung ab, dass der Prozessakt erster In-
stanz den höherinstanzlichen Akt zwar tatsächlich, aber nicht normativ bedinge, weil er
keine Anforderungen an Entstehung und Geltung des Rechtsmittelaktes enthalte (Behrend,
Untersuchungen [FN 51] 40; Stoitzner, Stufenbau [FN 31] 72), und legen damit ihre
Vorstellung von rechtlicher Bedingtheit offen. In dieselbe Richtung ferner Friedrich Koja,
Das Werk, in: ders (Hrsg), Hans Kelsen oder Die Reinheit der Rechtslehre (1988) 37 (52);
Öhlinger, Gehalt (FN 20) 84.
98 Ewald Wiederin
92 Im Ergebnis trifft sich meine Kritik teilweise wieder mit Krawietz, Stufenbau (FN 4)
266; Parallelen bestehen ferner zu den Überlegungen von Klaus Vogel, Der räumliche
Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm (1965) 253 ff, der nur eine logische Stu-
fung zwischen (bedingten) Objektrechtsnormen und (bedingenden) Metarechtsnormen an-
100 Ewald Wiederin
4. Historischer Hintergrund
Die offen gebliebene Möglichkeit, den Bedingungszusammenhang als
Netzwerk von Akten und Deutungsschemata aufzufassen,95 soll hier nicht
weiter verfolgt werden. An dieser Stelle interessiert, dass gerade die eben
isolierte „Unreinheit“ für den Erfolg der Stufenbaulehre maßgeblich ver-
antwortlich war. Einer der Haupteinwände, mit denen die Verfechter ei-
nes richterlichen Prüfungsrechts zu kämpfen hatten, war bekanntlich der
in den unterschiedlichsten Spielarten geäußerte Vorwurf seiner praktischen
Undurchführbarkeit. In intelligenter und scharfsinniger Weise wurde er
auf dem 4. Deutschen Juristentag von Stubenrauch akzentuiert.96 Wenn
____________________
erkennt, und zur Kritik von Novak, Fehlerhaftigkeit (FN 28)19 ff, an der formalen Feh-
lertheorie.
93 Vgl nur Hans Kelsen, Über Staatsunrecht, GrünhutsZ 1914, 1, WRS 957 (1014);
Merkl, Verwaltungsrecht (FN 29) 195 f.
94 Wenn wir uns gleichwohl dazu berufen fühlen, die Prüfung an einem bestimmten
Punkte abzubrechen, dann deshalb, weil eine Norm des positiven Rechts uns sagt, dass hin-
ter diesem Punkt liegende Normen, mögen sie auch einen gegenteiligen Anschein erwecken,
für die Gültigkeit und Rechtmäßigkeit des geprüften Aktes nicht von Belang sind.
95 Grundlegend Voegelin, Einheit (FN 53) 63 ff. Aus der jüngeren Diskussion vgl
Öhlinger, Stufenbau (FN 16) 17; Krawietz, Stufenbau (FN 4) 267 ff; Norbert Ach-
terberg, Die Bedeutung der Gesetzgebungslehre für die Entwicklung einer Allgemeinen
Regelungstheorie, ZG 1986, 221 (226); ferner Lippold, Recht (FN 67) 400 ff, der auf
die Möglichkeit einer Reformulierung durch Verwendung der Begrifflichkeit der Netz-
werktheorie hinweist.
96 v. Stubenrauch, Gutachten über die Gesetzgebungsfrage, „ob der Richter auch
über die Frage zu befinden hat, ob ein Gesetz verfassungsmäßig zu Stande gekommen“,
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 101
man den Richter ungeachtet der in der Publikation des Gesetzes erfolg-
ten Berufung auf die Zustimmung der Stände für ermächtigt halte, in die
Prüfung der Frage einzutreten, ob dieser Konsens wirklich erteilt wurde,
dann führe kein Weg daran vorbei, gleiches auch für die Einhaltung der
Vorschriften der Geschäftsordnung, die Gültigkeit der Wahlgesetze und
den richtigen Vollzug der Wahlen zu fordern. Denn es gebe keinen ein-
leuchtenden Grund, „bei einem oder dem andern dieser Punkte stehen zu
bleiben und denselben als Endziel für das Prüfungsrecht des Richters hin-
zustellen“.97 Alle erwähnten „Momente“ regelten das Zustandekommen
eines Gesetzes. Folglich müsse dem Richter „auch bezüglich ihrer ein Prü-
fungsrecht eingeräumt, oder richtiger gesagt eine Pflicht zur Prüfung auf-
erlegt“ werden.98
Gegen diese Argumentation, die keinen Geringeren als Jhering zu
einer Revision seiner ursprünglich eingenommenen Position bewog,99 wur-
de von den anderen Gutachtern eingewendet, dass dem Richter die Beur-
teilung der „interna corporis“ nicht zustehen könne, weil nur die Kam-
mern selbst zu ihrer Geltendmachung legitimiert seien.100 Der tatsächli-
che Sitzungs- und Abstimmungsverlauf in den gesetzgebenden Körper-
schaften trete hinter die Erklärung ihrer Präsidenten über das gültige Zu-
standekommen des gefassten Beschlusses zurück.101
Diese von der herrschenden Lehre bereitwillig aufgenommene,102 aber
gleichwohl wenig überzeugende103 Rückzugsposition bot Laband will-
____________________
„Wenn man dem Richter diese Kognition nicht zugestehen wollte, dann würde in solchen
Fällen überhaupt gar kein Recht zu finden sein, d. h. die Rechtsfrage würde von der Macht-
frage absorbirt werden, es würde sich die Macht an die Stelle des Rechtes setzen: und Macht
ohne Recht, das ist Tyrannei.“
104 Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches Bd II (41901) 39 ff; ihm fol-
gend Georg Meyer/Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (71919)
740.
105 Laband, Staatsrecht II (FN 104) 42 f.
106 Laband, Staatsrecht II (FN 104) 43.
107 Vgl Merkl, Verwaltungsrecht (FN 29) 193: „Die Stufenfolge der determinierenden
Normen ergibt den nächstliegenden Einteilungsgrund der Fehler.“
108 Merkl, Prolegomena (FN 14) 284, WRS 1350: „Ein Gesetz z. B. verdankt seine
Geltung bloß der Verfassung“.
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 103
109 Vgl zB Art 7 StGG über die richterliche Gewalt, RGBl 1867/144.
110 Vgl Art 139 Abs 1, 140 Abs 1 B-VG, Art 93 Abs 1 Z 2, 100 Abs 1 GG.
111 Dies hat vor allem Stanley L. Paulson herausgearbeitet: vgl dens, Stufenbaulehre
(FN 1) 97 ff.
112 Folgerichtig muss Merkl den nur mehr bedingten Vollstreckungsakten wie auch der
lediglich bedingenden „Grundnorm“ den Normcharakter absprechen. Erstere sind nur
mehr rechtserheblich, ohne als Recht erheblich zu sein. Letztere bildet eine Voraussetzung,
die das Recht erst erheblich macht, ohne selbst rechtserheblich zu sein.
113 So der Titel seiner grundlegenden Abhandlung (FN 24) WRS 1091 ff; vgl ferner
ders, Anwendung (FN 24) WRS 1167 ff.
114 Vgl Merkl, Rechtskraft (FN 17) 228: „[D]ie Rechtskraft eines Aktes steht und fällt
mit seiner Qualität als Rechtsnorm“ (Hervorhebungen im Original).
115 Diese Frage ist mitunter nicht leicht zu entscheiden: vgl Merkl, Verwaltungsrecht
(FN 29) 174.
116 So durchwegs die zwar unzutreffende, aber nicht völlig aus der Luft gegriffene Deu-
tung der Stufenbaulehre bei Fritz Sander, Rechtsdogmatik oder Theorie der Rechtser-
fahrung? (1921) 16 FN 1: „Die Verfassung ist das beharrende Subjekt, aus welchem die
Urteile der Rechtswissenschaft [...] das übrige Recht als Prädikate herausziehen [...] Denn
das Recht wird nicht in einem kontinuierlichen Zusammenhange nach den Regeln der Ver-
fassung erzeugt, sondern ist bereits in der Verfassung ‚konzentriert‘ enthalten.“ Dagegen
Merkl, Rechtskraft (FN 17) 223 FN 1; zu ähnlichen Einwänden von Nawiasky, ZÖR 6
(1927) 492 f, und Voegelin, Einheit (FN 53) 71 ff, vgl Merkl, Prolegomena (FN 14)
284, WRS 1349.
104 Ewald Wiederin
117 Merkl, Prolegomena (FN 14) 274, WRS 1337. Vgl auch Merkl, Rechtseinheit
(FN 69) WRS 1141: Alle Rechtserzeugung inklusive der Verfassungsänderung ist nicht
Umwandlung, sondern bloße Abwandlung der Verfassung.
118 Vgl Merkl, Rechtseinheit (FN 69) WRS 1160.
119 Vgl nur Merkl, Rechtskraft (FN 17) 196, gegen Bierling: „Erwähnt sei nur, daß
die subordinierte Norm [...] oder Rechtserscheinung der niederen Stufe [...] zwar in ihrer
Entstehung, nicht aber in ihrem Bestande, in ihrer fortdauernden Geltung durch eine su-
perordinierte Norm, oder anders ausgedrückt, durch die Rechtserscheinung höherer Stufe
bedingt ist.“ Gegen Merkl wiederum Thomas Cornides, Ordinale Deontik (1974) 154 f.
120 Eine Art Brückenfunktion kommt dem Allgemeinen Verwaltungsrecht des Jahres
1927 (FN 29) zu, in dem zwar nicht bei Darstellung des Stufenbaues, wohl aber bei der
Erörterung der Rechtsquellen des Verwaltungsrechtes auf Rangunterschiede hingewiesen
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 105
Stufenbautheorems durch Hans Kelsen auf den Stufenbau nach der recht-
lichen Bedingtheit beschränkt.121 Im Laufe der rechtstheoretischen Dis-
kussion dürften sich jedoch die Einschätzungen ein wenig verschoben ha-
ben. Nicht wenigen Autoren gilt mittlerweile der Stufenbau nach der de-
rogatorischen Kraft als der wichtigere Zweig der Theorie.122 Skeptiker
wenden allerdings ein, dass auch anhand des Derogationskriteriums kei-
ne durchgängige hierarchische Schichtung der Rechtsordnung nach Rechts-
satzformen rekonstruierbar sei.123
wird (113): „Das Kriterium des Rechtsranges einer Rechtsquelle ist ihre sogenannte dero-
gatorische Kraft. Rechtserscheinungen von gleicher derogatorischer Kraft sind einander
rangsgleich, Rechtserscheinungen von verschiedener derogatorischer Kraft sind rangsver-
schieden, und zwar in dem Sinne, dass die Derogierbarkeit einer Rechtsquelle durch die
andere den höheren Rang der derogierenden und den niederen Rang der derogierbaren
Rechtsquelle anzeigt.“
121 Vgl Kelsen, Staatslehre (FN 27) 233 ff, Reine Rechtslehre1 (1934) 62 ff, 73, und
Reine Rechtslehre2 (FN 56) 228 ff.
122 Vgl Walter, Aufbau (FN 49) 55 ff; Koller, Stufenbau (FN 3) 112 f. Anders
Behrend, Untersuchungen (FN 51) 36: „Für eine ausschließlich auf die rechtswesenhaf-
ten normlogischen Erkenntnisse der Stufenbautheorie konzentrierende Arbeit wie die
vorliegende sind über die Derogationsmechanismen und -zusammenhänge an und für
sich nur wenige Worte zu verlieren.“
123 Öhlinger, Stufenbau (FN 16) 20 ff, 26.
124 Allgemeine Einschätzung: vgl Öhlinger, Stufenbau (FN 16) 18 („ziemlich unver-
mittelt“); Lippold, Recht (FN 67) 381 („nur angedeutet“); Borowski, Lehre (FN 16)
153 („– höflich gesagt – alles andere als ausgearbeitet“).
125 Merkl, Prolegomena (FN 14) 276, WRS 1340.
106 Ewald Wiederin
____________________
131 Walter, Aufbau (FN 49) 57 f; ders, Der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft
im österreichischen Recht, ÖJZ 1965, 169 (169).
132 Walter, Aufbau (FN 49) 58; mit eingehender dogmatischer Begründung ders, Kön-
nen Verordnungen Gesetzen derogieren? ÖJZ 1961, 2 (3 ff, 7).
133 Walter, Aufbau (FN 49) 56.
134 Walter, Aufbau (FN 49) 58 mit FN 108.
135 Vgl Robert Walter, ABGB und Verfassung, ÖJZ 1966, 1 (7 f ); ders, Derogation
oder Invalidation, in: F. Ermacora/H. Klecatsky/R. Marcic (Hrsg), Hundert Jahre Verfas-
sungsgerichtsbarkeit, fünfzig Jahre Verfassungsgerichtshof in Österreich (1968) 209 (209).
136 Walter, Derogation (FN 135) 216.
137 Griller, JRP 2000, 275; Peter Knobl, Der Stufenbau von Verordnungen im ös-
terreichischen Recht (1989) 10a f; Heinz Mayer, Die Theorie des rechtlichen Stufenbaues,
in: R. Walter (Hrsg), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre (1992) 37 (43 f ); Stoitzner,
Lehre (FN 31) 64, 67.
108 Ewald Wiederin
a) Derogation
Legt man ein enges Begriffsverständnis zugrunde, das Derogation mit
der endgültigen Vernichtung von Recht identifiziert,144 und beschränkt
man die Analyse auf das derogatorische Potential, so dürfte sich in der ös-
terreichischen Rechtsordnung in der Tat eine Pyramide rekonstruieren
lassen. Sie stellt sich jedoch nicht unwesentlich anders dar als die Stufen-
bauschemata in den einschlägigen Lehrbüchern.
Erstens wird sichtbar, dass in der derogatorischen Kraft zwischen ein-
fachem Bundesverfassungsrecht und „qualifiziertem“, nur im Wege des
Art 44 Abs 3 B-VG zu erzeugendem Bundesverfassungsrecht kein Unter-
schied besteht: Späteres Bundesverfassungsrecht kann früheres Bundes-
verfassungsrecht aufheben, auch wenn es dies aufgrund des Erfordernisses
einer Volksabstimmung möglicherweise nicht darf. Außerdem lässt sich
zeigen, dass die im jüngeren Schrifttum im Vordringen befindliche, auch
von Öhlinger zugrunde gelegte Auffassung, wonach Bundesverfassungs-
gesetze den Landesverfassungsgesetzen nicht zu derogieren vermögen, nicht
überzeugt.145 Bundesverfassungsrecht steht folglich im Stufenbau nach
der derogatorischen Kraft über Landesverfassungsrecht. Bundesgesetze und
Landesgesetze verfügen hingegen über gleiches derogatorisches Potential
– sei es, weil sie einander wechselseitig zu derogieren vermögen, sei es, weil
sie dieser Fähigkeit wechselseitig ermangeln.146
Außerdem fehlt Gesetzen in der Tat die Fähigkeit, Verfassungsgesetze
von Bund und Ländern in ihrer Geltung zu berühren. Schon diese Auf-
____________________
144 Für viele Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (1979) 85.
145 Vgl die Argumente bei Ewald Wiederin, Bundesrecht und Landesrecht (1995)
230 ff.
146 Eingehend zu diesem Thema Wiederin, Bundesrecht (FN 145), mit Nachweisen des
Meinungsstandes (71 ff ).
110 Ewald Wiederin
fassung ist allerdings nicht selbstverständlich: Aufgrund des Art 140 Abs 6
B-VG ließe sich auch argumentieren, dass einfache Gesetze Verfassungs-
gesetze aufheben können, obschon sie es nicht dürfen, mit der Folge, dass
der VfGH die einfachgesetzliche Derogationsnorm aufzuheben und das
Wiederinkrafttreten der zu Unrecht aufgehobenen Verfassungsbestimmung
anzuordnen hätte. Dieser Weg wäre jedoch nur gangbar, wenn eine Be-
stimmung im Gesetzesrang, die einer Verfassungsbestimmung formell
derogierte, als verfassungswidrig zustande gekommen qualifiziert wer-
den könnte. Das ist jedoch nicht der Fall; vielmehr liegt eine inhaltliche
Rechtswidrigkeit vor. Soweit einfache Gesetze Verfassungsgesetze aufhe-
ben wollen, was in der Praxis nicht selten vorkommt,147 bleibt es daher
beim bloßen Versuch, der sein Ziel nicht erreicht.148
Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Gesetz und Verordnung.
Durchführungsverordnungen können Gesetze zwar zurückdrängen, ver-
mögen sie aber nicht aufzuheben.149 Auch gesetzesergänzende Verordnun-
gen sind den Gesetzen an derogatorischer Kraft unterlegen. Notverord-
nungen nach Art 18 Abs 3 und 97 Abs 3 B-VG und gesetzesvertretende
Verordnungen dürften hingegen über die derogatorische Kraft von Geset-
zen verfügen.150 Bei den Gesetzen bewirken spezielle Erzeugungsbedin-
gungen, wie sie verschiedentlich vorgesehen sind,151 keine Unterschiede
nach der derogatorischen Kraft.152
Auf diese Weise ergibt sich eine Stufenfolge, in der das Bundesverfas-
sungsrecht den höchsten Rang einnimmt und die Landesverfassungsge-
setze, die Gesetze und die Verordnungen die jeweils nachfolgenden Plätze
besetzen. Die Höherrangigkeit im Stufenbau nach der derogatorischen
Kraft einer Norm liegt allerdings lediglich darin begründet, dass eine
____________________
147 Vgl zB die Aufhebung der Verfassungsbestimmungen im BG zur Erfüllung des In-
ternationalen Übereinkommens von 1960 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See,
BGBl 1972/382, durch § 19 Schiffahrts-Erfüllungsgesetz BGBl 1996/387, die Aufhebung
der Verfassungsbestimmung in § 7 Abs 2 WertzollG BGBl 1980/221 durch § 120 Abs 2
ZollR-DG, BGBl 1994/659, sowie die Aufhebung des Art II § 53a MOG BGBl 1985/210
durch § 92 Abs 1 MOG idF BGBl 1992/373.
148 Nicht einfach ist hingegen die Frage zu beantworten, ob solche Derogationsnormen
absolut nichtig sind oder ob sie die einschlägige Verfassungsbestimmung wenn schon nicht
aufzuheben, so doch zurückzudrängen vermögen.
149 Vgl VfSlg 2873/1955, Antoniolli, Verwaltungsrecht (1954) 84; Günther Wink-
ler, Der Verfassungsrang von Staatsverträgen, ZÖR 19 (1959/60) 514, zitiert nach: ders,
Orientierungen im öffentlichen Recht (1979) 51 (56); Walter, ÖJZ 1961, 3 ff; Heinz
Mayer, Die Verordnung (1977) 36.
150 Zu Notverordnungen näher Josef W. Aichlreiter, Österreichisches Verordnungs-
recht (1988) 906 ff.
151 Vgl (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Art 14 Abs 10, 14a Abs 8, 23a Abs 5, 26
Abs 6, 30 Abs 2 B-VG, § 38 Abs 5 BWG, § 9 Abs 2 Minderheitenschulgesetz für Kärnten.
152 Näher Rudolf Thienel, Gibt es einen Stufenbau der Bundesgesetze nach ihrer Er-
zeugungsform? ÖJZ 1983, 477 (477 ff ).
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 111
Norm der höheren Stufe keine Aufhebung durch eine Norm niedrigerer
Stufe befürchten muss (lex inferior non derogat legi superiori). Hinsicht-
lich der aktiven Fähigkeit, die Geltung einer anderen Norm zu beenden,
bewirkt die höhere Stellung im Stufenbau regelmäßig keine Verstärkung:
Die höherrangigere Norm vermag eine niedrigerrangige Vorschrift nicht
deshalb außer Kraft zu setzen, weil sie lex superior ist. Sie derogiert ihr
lediglich unter der Voraussetzung, dass sie zugleich eine lex posterior dar-
stellt und ihr als solche zu derogieren vermag. Das zeigt sich deutlich bei
Phänomenen der materiellen Derogation. Eine spätere Verfassungsvor-
schrift hebt ein früheres einfaches Gesetz genau dann auf, wenn es ihm
auch als späteres einfaches Gesetz derogieren würde.153 Ist das nicht der
Fall, so kommt es lediglich zur Invalidation.154
Die individuellen Normen fügen sich hingegen weniger nahtlos in die
Stufenfolge ein. Zwar steht fest, dass sie Verordnungen und Gesetze nicht
außer Kraft zu setzen vermögen; ob sie aber umgekehrt durch generelle
Rechtsnormen ihre Geltung verlieren können, ist nicht von vornherein
ausgemacht. Bejaht man das hiezu erforderliche derogatorische Potential,
so tun sich Rechtsschutzlücken auf: Wenn ein verfassungswidriges Gesetz
ein Urteil vernichten kann, das einer Person einen bestimmten Anspruch
zubilligt, so vermöchte im österreichischen Rechtsschutzsystem die ver-
fassungsgerichtliche Kassation eines solchen Gesetzes nichts daran zu än-
dern, dass das Urteil dem Rechtsbestand nicht mehr angehört. Dem VfGH
mangelt es an einer Befugnis, das Wiederinkrafttreten von individuellen
Rechtsnormen anzuordnen, die durch eine rechtswidrige generelle Norm
aus dem Rechtsbestand eliminiert worden sind. Das scheint darauf hin-
zudeuten, dass Bescheide und Urteile den Gesetzen und Verordnungen
an derogatorischer Kraft jedenfalls nicht schlechthin unterlegen sind. Zwin-
gend ist diese Ansicht freilich nicht.
Hinsichtlich einer anderen Rechtssatzform hängt die derogatorische
Kraft jedoch nicht von der Form, sondern primär vom Inhalt ab. An wel-
cher Stelle Erkenntnisse des VfGH, mit denen rechtswidrige generelle
Normen aufgehoben werden, im derogatorischen Stufenbau stehen, lässt
sich nicht pauschal beantworten. Entscheidend ist, ob sich die Kassation
auf eine Vorschrift im Verfassungsrang, auf ein einfaches Gesetz oder auf
eine Verordnung bezieht: Der Inhalt der Norm bestimmt ihren Rang.
Noch komplexer wird das Bild, wenn Staatsverträge in die Analyse ein-
bezogen werden. Diese Rechtsform ist einerseits deshalb bemerkenswert,
weil sie ungeachtet der im Genehmigungsbeschluss zum Ausdruck kom-
____________________
153 Wiederin, Bundesrecht (FN 145) 250 f mit FN 899; ähnlich im Ergebnis Aichl-
reiter, Verordnungsrecht (FN 150) 1148 ff.
154 Vgl aus der Rechtsprechung zB VfSlg 12.845/1991, wo der VfGH Invalidation an-
genommen hat, obwohl richtigerweise von Derogation auszugehen gewesen wäre.
112 Ewald Wiederin
b) Suspension
Nimmt man die Fähigkeit einer Norm, für die Dauer ihrer eigenen
Geltung andere Normen zurückzudrängen, als leitendes Ordnungsprin-
zip, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. Insoweit sind Gesetze der Ver-
fassung, Verordnungen den Gesetzen und Urteile sowie Bescheide den ge-
____________________
155 Vgl Art 1 Abs 1 des Vertrages zwischen Österreich und der BRD über den Verlauf
der gemeinsamen Staatsgrenze, BGBl 1979/388, der ungeachtet seines Verfassungsrangs
durch den (nicht als verfassungsändernd genehmigten) Art 8 Z 4 des Vertrages BGBl
1993/633 außer Kraft trat; weiters die Verfassungsbestimmungen in Art II, VIII und XII
des Übereinkommens zur Errichtung der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank, BGBl
1977/174, die durch den (nicht als verfassungsändernd genehmigten) Änderungsbeschluss
BGBl 1996/78 ihre Geltung eingebüßt haben; ferner Art 2 Abs 3 des Abkommens mit
Italien über die Regelung des Grenzüberganges bei Eisenbahnen, BGBl 1976/473, dem
durch das nicht in Verfassungsrang transformierte Änderungsabkommen BGBl 1991/83
derogiert worden ist.
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 113
c) Invalidation
Schließlich bleibt zu untersuchen, ob sich ein Stufenbau ergibt, wenn
als Kriterium die Fähigkeit gewählt wird, Normen einer anderen Form
aufhebbar zu machen und sie dadurch mittelbar um ihre Geltung zu
bringen. Im Unterschied zur Derogation wird die Aufhebung der niedri-
gerrangigen Norm also nicht durch die höherrangige Norm selbst besorgt;
der Konflikt hat lediglich die Vernichtbarkeit der ersteren zur Folge. Da
es hiezu eines Rechtsaktes von dritter Seite bedarf, kann man von einer
Fremdderogation im Unterschied zu Selbstderogation sprechen.158
Dieses Kriterium dürfte das, was mit der Höherrangigkeit einer Vor-
schrift gemeinhin assoziiert wird, weit besser treffen als die Derogation im
engeren Sinn. Beispielsweise bereitet es keine Schwierigkeit, Grundsatz-
____________________
156 Schon aus diesem Grund geht es nicht an, die Fähigkeit zur Suspension in einen wei-
ten Derogationsbegriff zu integrieren: je nachdem, ob auf die Fähigkeit zur Derogation
oder zur Suspension abgestellt wird, ergibt sich gegenläufige Hierarchie: Was hier zuoberst
steht, liegt dort zuunterst.
157 Ich setze selbstverständlich voraus, dass es (in Ermangelung der nötigen derogatori-
schen Kraft oder des Vorliegens der Derogationsvoraussetzungen) zu keiner Aufhebung des
Bescheides durch das Gesetz gekommen ist.
158 Die Begriffe sind entlehnt von Achterberg, ZG 1986, 226, der sie jedoch in ande-
rem Sinne verwendet (Selbstderogation als Derogation zwischen Normen der gleichen,
Fremdderogation als Derogation zwischen Normen verschiedener Stufe).
114 Ewald Wiederin
162 Vgl statt vieler VfSlg 2455/1952, und Walter/Mayer, Grundriß (FN 5) Rz 160.
163 Allgemein zu solchen Schlüssen Walter, Aufbau (FN 49) 59.
164 Ebenso Haller, Prüfung (FN 36) 145.
116 Ewald Wiederin
166 Die „Nichtigkeit“ bzw „Ungültigkeit“ erweist sich aufgrund des „Verwerfungsmono-
pols“ des EuGH als bloße Vernichtbarkeit.
167 Ein Beispiel bildet die Bescheidbeschwerde gemäß Art 144 B-VG, in deren Rahmen
nur Verfassungswidrigkeiten (präziser: Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter
Rechte oder Verletzungen in Rechten infolge Anwendung rechtswidriger genereller Nor-
men) geltend gemacht werden können.
118 Ewald Wiederin
4. Folgerungen
Die vorstehenden, recht weitwendig geratenen dogmatischen Über-
legungen erlauben es, auf theoretischer Ebene einige Folgerungen zu zie-
hen.168
168 Auf die Richtigkeit der vorstehenden dogmatischen Überlegungen kommt es in weite-
rer Folge nicht an: Für die theoretischen Schlussfolgerungen genügt es, dass ein Rechts-
system so aufgebaut sein könnte, wie die österreichische Rechtsordnung soeben skizziert
worden ist.
169 Walter, Aufbau (FN 49) 59 f.
170 Lippold, Recht (FN 67) 392.
171 Dies hat vor allem Walter immer wieder betont: vgl Aufbau (FN 49) 67 f, und
ders, Die Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung, Archivum Iuridicum Cracoviense 13
(1980) 5 (6, 14 ff ).
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 119
klar definiert ist und das mit der Form zusammenhängt. Die herrschende
Auffassung fasst den Derogationsbegriff weit und glaubt, alle unter die-
sen Oberbegriff fallenden Phänomene in einen einheitlichen Stufenbau
verpacken zu müssen. Nachdem es sich bei Derogation, Suspension und
Invalidation um verschiedene Vorgänge handelt, kommt es aber nicht
überraschend, dass sich die Ergebnisse nicht decken; und nachdem die
Fähigkeit zur Suspension grundsätzlich nichts mit der Rechtsform zu tun
hat, kann sich mit ihr als Ordnungsprinzip allenfalls eine Über- oder Un-
terordnung von Rechtsnormen, nicht aber von Rechtsnormformen erge-
ben. Die Rechtsform ist lediglich im Verhältnis zwischen Gemeinschafts-
recht und nationalem Recht entscheidend.
Damit sich ein Stufenbau zeigt, muss die hierarchische Relation drit-
tens transitiv sein.172 Transitivität bedeutet, dass dann, wenn eine in die
Form A gekleidete Norm einer in die Form B gekleidete Norm derogie-
ren (bzw sie invalidieren) kann, nicht aber umgekehrt, und wenn eine in
Form B gekleidete Norm einer in die Form C gekleidete Norm derogie-
ren kann, nicht aber umgekehrt, eine in Form A gekleidete Norm auch
einer in die Form C gekleidete Norm derogieren kann, während die
Derogation einer in Form A gekleideten Norm durch eine in die Form C
gekleideten Norm ausgeschlossen ist. Einfacher ausgedrückt: Die größere
rechtliche Kraft muss sich von Station zu Station weiter vererben. Es
muss folglich ausgeschlossen sein, dass im Verhältnis zwischen drei Rechts-
formen die eine jeweils der zweiten überlegen und der dritten unterlegen
ist, wie dies beispielsweise beim Spiel Schere – Stein – Papier der Fall ist.
Außerdem muss sich auch die Gleichrangigkeit weiter vererben.
Dass von einer Transitivität der Derogationsrelation in der österreichi-
schen Rechtsordnung nicht durchgängig die Rede sein kann, haben die
obigen Ausführungen zur Derogation ieS gezeigt. Staatsverträge im Ver-
ordnungsrang und Staatsverträge im Verfassungsrang vermögen einander
wechselseitig außer Kraft zu setzen; Staatsverträge im Verfassungsrang
sind Verfassungsgesetzen ebenfalls gleichgeordnet, wenn nicht überlegen,
weil sie durch die letzteren nicht aufgehoben, sondern nur zurückge-
drängt werden. Von einer Derogierbarkeit von Verfassungsgesetzen durch
verordnungsrangige Staatsverträge kann indessen keine Rede sein.
Den bisher postulierten Elementen ist eine weitere Forderung inhä-
rent: Das Ordnungselement muss jeweils dasselbe bleiben. Das Abstellen
auf das rechtliche Potential verdeckt insoweit, dass bei Derogation bzw
Invalidation neben der Form immer auch der Inhalt im Spiel ist: Vom
wechselseitigen inhaltlichen Verhältnis der konkreten Normen hängt ab,
ob sich das in der Rechtsnormform schlummernde Potential aktualisiert.
____________________
176 Vgl Merkl, Prolegomena (FN 14) 292 ff, WRS 1359 ff.
177 Merkl, Rechtskraft (FN 17) 293; ders, Verwaltungsrecht (FN 29) 196; ders, Prole-
gomena (FN 14) 293 f, WRS 1361.
178 Merkl, Verwaltungsrecht (FN 29) 196, und Rechtskraft (FN 17) 301.
179 Merkl, Rechtskraft (FN 17) 294.
180 Vgl Walter, Aufbau (FN 49) 58 FN 107.
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 123
185 Merkl, Prolegomena (FN 14) 275, WRS 1339. Die Stelle ist oben bei FN 76 wört-
lich wiedergegeben.
186 Walter, Aufbau (FN 49) 62: „Eine nur scheinbare Bedingtheit liegt vor, wenn die
Rechtserzeugungsregel zwar eine Bedingung zu enthalten scheint, es sich aber zeigt, daß
deren Nichteinhaltung weder die Entstehung der niedrigeren Rechtsvorschrift verhindert
noch deren Mangelhaftigkeit nach sich zieht. In solchen Fällen liegt keine Bedingtheit vor“
(Hervorhebungen im Original).
187 Subkutan schimmert aber bisweilen auch bei ihm die implizit abgelehnte Alterna-
tivkonzeption durch: vgl Walter, Aufbau (FN 49) 62 (Hinweis auf das parlamentarische
Geschäftsordnungsgesetz).
188 Walter, Aufbau (FN 49) 61 f. Das ist terminologisch nicht ganz glücklich. In Er-
mangelung einer erzeugten Norm ergibt es wenig Sinn, von „Bedingtheit“ zu sprechen.
Treffender wäre es, diese Norm als „absolut bedingend“ zu charakterisieren.
189 Walter, Aufbau (FN 49) 62.
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 125
190 Aus diesem Grund reichte ein von den Verfechtern des richterlichen Prüfungsrechts
im 19. Jahrhundert gern benutztes Argument – das besonders bei Georg Friedrich
Puchta, Vorlesungen über das heutige römische Recht Bd I (31852) 33 f, deutlich wer-
dende unreflektierte Zur-Deckung-Bringen von Bedingungen der ersten mit Bedingungen
der zweiten Art – als alleinige rechtsdogmatische Begründung zwar nicht hin: zu Recht
kritisch E. v. Stockmar, Ist der deutsche Richter an allgemeine landesherrliche Constitu-
tionen gebunden, welche ohne die nach Vorschrift der Verfassung einzuholende ständi-
sche Zustimmung erlassen sind? ZCP 10 (1853) 18, 213 (insb 37 f, 69 ff ). Es verfügte
aber deshalb über eine hohe suggestive Kraft, als es die Möglichkeit bot, die Ebenen zu
wechseln und die auf „Determinierungsseite“ ganz unvermeidlichen Zugeständnisse der
Gegner eines Prüfungsrechts auf die Rechtsfolgenseite zu wenden, um sie dort gegen sie zu
kehren.
191 Alexander Somek, Rechtssystem und Republik (1992) 488.
192 Vgl Merkl, Rechtskraft (FN 17) 277: „Die Kombination der Rechtskraft mit dem
Fehlerkalkül ergibt dann tatsächlich einen Tatbestand, den man abbreviatorisch und so-
mit ungenau als Rechtskraft rechtswidrigen Rechtes bezeichnen kann.“ Dieser Ungenau-
igkeit verfällt freilich auch Merkl, wenn er ganz am Rande von der „Rechtskraftnorm“
spricht: ders, Justizirrtum und Rechtswahrheit, ZStW 45 (1925) 452, GS I/1, 369, WRS
105 (205). Someks immanente Kritik am Fehlerkalkül, die bezeichnenderweise auf dieser
Rechtskraftnorm aufbaut, übergeht auch, dass Merkl die Lösung seines Problems auf „dem
geraden Weg“ einer Derogation (Rechtssystem [FN 191] 487 f) keineswegs unberücksich-
126 Ewald Wiederin
tigt lässt; weist Merkl selbst doch darauf hin, dass „in der Ordnung der Rechtsmittel“
eine Kombination von Derogation und Fehlerkalkül weithin üblich ist (ders, Rechtskraft
[FN 17] 293). Auf den Fehlerkalkül kann und will Merkl dabei allerdings nicht verzich-
ten; denn ohne ihn bleibt unverständlich, weshalb ein fehlerhaftes Urteil unterer Instanz bis
zu seiner gebotenen Aufhebung durch das Obergericht trotz des die Kassation nach sich
ziehenden Defekts seine Adressaten rechtlich zu binden vermag.
193 Auch der weitere Einwand von Somek, Rechtssystem (FN 191) 488, dass über die
Einhaltung der Bedingungen der Rechtskraftnorm letztlich die höchsten Organe entschei-
den und dass hinsichtlich dieser Akte nur mehr die Wirksamkeit ein die Rechtstheorie in-
teressierendes Phänomen darstellt, vermag Merkls Position nicht zu erschüttern. Denn
erstens muss auch das höchstgerichtliche Urteil gewisse Bedingungen erfüllen, um über-
haupt als Urteil im Rechtssinn gedeutet werden zu können: vgl Merkl, Rechtskraft
(FN 17) 281 ff. Zweitens kann eine solche Entscheidung dem absolut nichtigen Akt nicht
zur Geltung verhelfen und vermag daher nur im Rahmen prozessualer Bindungsnormen
normative Wirkungen zu entfalten. Drittens schließlich kann durchaus fraglich sein, ob für
letztinstanzliche Urteile überhaupt ihrerseits ein Fehlerkalkül besteht. Über die Sprengkraft,
die in diesem Ansatz steckt, belehrt Merkls (im konkreten Fall durchaus unzutreffende)
Negation der Existenz eines Fehlerkalküls für verfassungsgerichtliche Urteile im österrei-
chischen Verfassungsrecht (ders, Die gerichtliche Prüfung von Gesetzen und Verordnun-
gen, ZBl 39 [1921] 569 [604 ff ], GS II/1, 393 [432 ff ]).
Auf der Hand liegt freilich, dass dies einen konsequenten Rechtsrealisten nicht trifft.
Denn er kann sich immer mit der erst in der Zukunft erfolgenden Entscheidung all dieser
Fragen durch den Rechtsstab begnügen, mit der Maßgabe, dass auch über die Zugehörig-
keit der Entscheidenden zum Rechtsstab erst innerhalb dieses Prozesses entschieden wird
(so Sander, Rechtsdogmatik [FN 116] 62 ff, und auch Kelsen, Staatsunrecht [FN 93]
WRS 1005; ders, Reine Rechtslehre2 [FN 56] 274, 280 ff; ders, Was ist ein Rechtsakt?
ZÖR 4 [1951/52] 263, WRS 1381 [1385 ff ]; einschränkend wieder ders, Allgemeine
Theorie [FN 144] 200) oder dass diese Zugehörigkeit nach außerjuristischen Merkmalen
geklärt wird (vgl Alfred Verdross, Eine Antinomie der Rechtstheorie, JBl 1951, 169,
WRS 1375 [1377 ff ]; Johannes Schnizer, Ein Stück Papier und was uns daran zu den-
ken gibt, in: R. Walter/C. Jabloner [Hrsg], Strukturprobleme des öffentlichen Rechts. GS
Ringhofer [1995] 119 [148 ff ]). Dieses Zugeständnis besagt aber nicht mehr, als dass nor-
mativer Skeptizismus letztlich genauso wenig widerlegbar ist wie ontologischer. Abgese-
hen davon bleibt im Rahmen der rechtsrealistischen Position unverständlich, weswegen es
schon auf die einzelnen behördlichen Entscheidungen und nicht erst auf die konkreten Voll-
streckungsakte ankommen soll. Denn individuelle Normen unterscheiden sich von gene-
rellen weder im Medium Sprache noch in ihren Wirkungen; insbesondere können beide
die Möglichkeit einer Zuwiderhandlung nicht ausschließen.
194 Ebenso Walter, Aufbau (FN 49) 63 ff, zu der von ihm erwogenen Integration der
Rechtsform in den Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit.
Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls 127
V. Schlussbemerkung
Mein Beitrag hat gezeigt, dass im Rahmen der Stufenbaulehre viele
Fragen noch nicht ausdiskutiert sind. Eine Prognose kann man gleich-
wohl wagen, ohne über prophetische Gaben verfügen zu müssen. Merkls
Lehre vom Stufenbau wird Bestand haben, auch wenn „die geniale Ein-
fachheit des ersten Entwurfs einer differenzierteren Sicht weichen muß“.206
Sie vermag nämlich eine wesentliche Eigenschaft von Rechtsordnungen
adäquat zu beschreiben. Wenn Recht in einer komplexen Welt Ordnungs-
funktionen erfüllen und zugleich Rechtssicherheit gewährleisten will, dann
muss es zwangsläufig Unterscheidungen zwischen Rechtsformen treffen
und diese Rechtsformen zueinander in ein hierarchisches Verhältnis brin-
gen. Dass dieses Verhältnis in den positiven Rechtsordnungen regelmäßig
dermaßen differenziert ausgestaltet ist, dass das Bild einer Treppe ihm nicht
in allen Façetten gerecht wird, macht es noch nicht falsch.
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Michael Potacs
Die Grundnormproblematik
schaft entwickeln. Gerade weil sich Kelsen auch an Kant orientiert, er-
scheint eine Präzisierung des von der Reinen Rechtslehre erhobenen An-
spruchs unter Heranziehung der „Kritik der reinen Vernunft“ Kants wohl
nicht als unzulässig. Darin werden von Kant als Grundfragen der mensch-
lichen Vernunft (und damit wohl auch der Philosophie) folgende drei
Fragen genannt: „1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was
darf ich hoffen?“8. Während die letzte Frage („Was darf ich hoffen?“) im
vorliegenden Zusammenhang außer Betracht bleiben kann (es geht dabei
nach Kant um die „Glücksseligkeit“) sind die ersten beiden Fragen für
die Reine Rechtslehre von grundlegender Bedeutung.
Überlegt man sich, auf welche dieser Fragen, die reine Rechtslehre ei-
ne Antwort geben will, so kann es sich dabei nur um die erste Frage
(„Was kann ich wissen?“) handeln. Denn die reine Rechtslehre will ja die
Grundlagen für eine „objektive, ihren Gegenstand nur beschreibende
Rechtswissenschaft“9 entwickeln. Die Grundnorm sieht Kelsen dement-
sprechend auch als eine „erkenntnistheoretische Antwort“ auf die Frage
nach den Bedingungen der Möglichkeit der Beschreibung des „objekti-
ven Sinnes“10 positiver Rechtsvorschriften. Wohl im Einklang mit der
neukantianischen Tradition11 beansprucht Kelsen somit, eine theoreti-
sche Fundierung einer auf objektive Erkenntnis ausgerichteten Wissen-
schaft über die „Auslegung“ des positiven Rechts zu liefern. Zwar ent-
spricht es dem Neukantianismus, dass die zweite von Kant gestellte Fra-
ge „Was soll ich tun?“ und damit die praktische Philosophie als unwissen-
schaftlich bzw „metaphysisch“ ausgeklammert bleibt. Auch Kelsen spart
in seinen Werken nicht mit Kritik an der praktischen Philosophie Kants.12
Andererseits steht Kelsen vor der besonderen Situation, dass es sich beim
Gegenstand seiner Untersuchungen um Normen handelt, weshalb er die
Frage „Was soll ich tun?“ seines Erachtens nicht einfach ausklammern
kann. Die Schwierigkeit, vor die sich Kelsen gestellt sieht, besteht also
in folgendem: Einerseits geht es ihm um die Entwicklung der Grundla-
gen einer objektiv beschreibenden Rechtswissenschaft, also um ein Anlie-
gen der theoretischen Philosophie. Andererseits handelt es sich beim Ge-
genstand dieser Wissenschaft um Normen, also um ein „Sollen“ das an
sich ein klassisches Thema der praktischen Philosophie ist.13
____________________
8
Kant (2000) 677.
9
Kelsen (1960) VIII.
10 Kelsen (1960) 205.
11 Dazu zB Luf (1984) 572; Pohlmann (1984) 84, 89 ff; Hammer (1986) 212.
12 Dazu zB Luf (1984) 572.
13 So meint Kelsen einmal: „Das Problem der Positivität des Rechts besteht gerade dar-
in: daß dieses zugleich als Sollen und Sein erscheint, obgleich sich diese beiden Katego-
rien logisch ausschließen“ (Kelsen [1968a] 285).
Die Grundnormproblematik 137
14Kelsen (1960) 5.
15Ebenda.
16 Ebenda. In diesem „Sollen“ ist nach Kelsen das „Dürfen“ und „Können“ mit inbe-
griffen.
17 Kühne (1984) 194.
18 Kelsen (1960) 7.
19 Ebenda.
20 Ebenda.
21 Kelsen (1960) 72 ff.
22 Kelsen (1960) 7.
138 Michael Potacs
29 Kelsen (1960) 205. Bei Einschätzung des Charakters der Grundnorm hat Kelsen
etwas geschwankt. In der ersten Auflage der Reinen Rechtslehre hat Kelsen die Grund-
norm auch als eine „hypothetische Grundlage“ bezeichnet (Kelsen [1934] 66). Nach
Kelsen (1979) 206, ist die Grundnorm eine „bloß gedachte, und das heißt fingierte
Norm“, eine „Fiktion im Sinne der Vaihingerschen Philosophie des Als-Ob“. Siehe zu
den unterschiedlichen theoretischen Einordnungen der Grundnorm durch Kelsen wei-
ters Weinberger (1981) 132 sowie Walter (1993) 94 ff.
30 Kelsen (1960) 208.
31 Kelsen (1960) 209.
32 Kelsen (1960) 205.
33 Kelsen (1960) 205.
34 Nach Kelsen (1968b) 827, gibt die Grundnorm somit „keine kategorische, son-
dern eine hypothetische, bedingte Antwort. Sie lautet: Wenn man positives Recht als gül-
tig betrachtet, das heißt: wenn man annimmt, daß man sich so verhalten soll, wie die
Normen dieses Rechts vorschreiben, so setzt man die Norm voraus: daß man sich so ver-
halten soll, wie die historisch erste Verfassung, der gemäß die Rechtsordnung erzeugt ist,
vorschreibt“.
140 Michael Potacs
35
So etwa Walter (1984) 607; Thienel (1986) 30; Thienel (1991) 7.
36
Kelsen (1960) 219.
37 Aus diesem Grund geht auch der Vorwurf ins Leere, wonach Kelsen mit dem An-
knüpfen der Geltung einer Rechtsordnung an deren Wirksamkeit gegen die Unterschei-
dung zwischen Sein und Sollen verstoße; so etwa Köchler (1984) 638; in diesem Sinn
offenbar auch Pawlik (1994) 467.
38 Kelsen (1979) 205.
39 Thienel (1991) 7, FN 39.
40 Thienel (1991) 6.
Die Grundnormproblematik 141
Anordnungen) lässt sich ohne weiteres auch ohne die Annahme beschrei-
ben, dass man deren Anordnungen befolgen soll. Eine Beschreibung po-
sitiver Rechtsvorschriften ist vielmehr auch dann denkbar, wenn man den
Inhalt der betreffenden Vorschrift (etwa eines Terrorregimes) ablehnt.
Ganz im Gegenteil muss man den Inhalt von Anordnungen gerade auch
dann erkennen und beschreiben können, wenn man meint, dass diese
Anordnungen nicht befolgt werden sollen. Dagegen wendet Jabloner
ein, dass eine Beschreibung von verwerflich erachteten Rechtsvorschrif-
ten durch die Grundnorm überhaupt erst ermöglicht wird.45 Dieser Ein-
wand vermag aber nicht zu überzeugen, wenn man die Grundnorm mit
den Worten Kelsens so versteht: „man soll sich so verhalten, wie die Ver-
fassung vorschreibt, das heißt: wie es dem subjektiven Sinn des verfas-
sunggebenden Willensaktes, den Vorschriften des Verfassungsgebers ent-
spricht“46. Es ist auch nicht zu erkennen, welchen Sinngehalt die Grund-
norm sonst haben sollte. Beinhaltet die Grundnorm aber die Annahme
der Rechtsbefolgung als Voraussetzung der objektiven Beschreibung von
Rechtsvorschriften, dann ließen sich auch verwerflich erachtete Rechts-
ordnungen nur unter dieser Annahme objektiv beschreiben, was aber
kaum nachvollziehbar erscheint. Nur anzumerken ist daher außerdem
noch, dass die Annahme eines Befolgungsgebotes etwa bei der Beschrei-
bung einer längst nicht mehr wirksamen Rechtsordnung (wie etwa der
altrömischen) auch kaum einen Sinn machen würde.47 Die Behauptung
Kelsens, wonach „alle Juristen“ eine Grundnorm „zumeist unbewußt“48
annehmen, mag psychologisch zutreffen oder auch nicht. Aus erkenntnis-
theoretischer Sicht entscheidend ist, dass einem die Entbehrlichkeit der
Grundnorm klar wird, wenn man sich ihre Bedeutung kritisch ins Be-
wusstsein ruft.
Diesem von mir vorgetragenen Einwand könnte aus der Sicht der
Reinen Rechtslehre entgegengehalten werden, dass er die Sein/Sollen-
Dichotomie unbeachtet lasse.49 Aus dieser gehe hervor, dass normative
Anordnungen nur unter Rückgriff auf andere normative Anordnungen
als solche erkennbar und beschreibbar seien. Will man daher eine Verfas-
sung als Normensystem deuten, dann müsse eine weitere normative An-
nahme hypothetisch getroffen werden. Wohl in diesem Sinne argumen-
tiert Rudolf Thienel, dass die Grundnorm als Annahme anzusehen sei,
____________________
45
Jabloner (2009) 174.
46
Kelsen (1960) 205.
47 So schon Potacs (1993a) 111. Kritisch zur Grundnorm nunmehr auch – wenngleich
auf Grund eines etwas anderen methodologischen Ansatzes – Fritzsche (2002) 152 f.
48 Kelsen (1960) 209.
49 In diesem Sinne Thienel (1993) 577; dagegen allerdings bereits Potacs (1993b)
581.
Die Grundnormproblematik 143
benden Wissenschaft. Diese Form von „Existenz“ einer Norm ist allein
für ihre Erkennbarkeit und Beschreibung relevant. Normen „existieren“
in diesem Sinne in derselben Weise wie die Bedeutungen anderer sprach-
licher Äußerungen oder die Deutungen der Natur- und empirischen So-
zialwissenschaften. Der Gegenstand der Rechtswissenschaft unterscheidet
sich in dieser Hinsicht nicht von jenem der Natur- und empirischen So-
zialwissenschaften.65 Man kann daher durchaus sagen, dass Rechtsnor-
men in ihrer Eigenschaft als zu beschreibender Erkenntnisgegenstand ei-
ne „Existenz“ als Sinngehalt einer zumeist sprachlichen Äußerung füh-
ren. Diese erkenntnistheoretisch relevante „Existenz“ von Normen schließt
es freilich nicht aus, dass man ihnen auch noch in anderer Hinsicht eine
„Existenz“ beimisst. In diesem Sinne ist es keineswegs verfehlt, wenn man
mit Kelsen eine spezifische Existenz einer Norm auch in ihrer Geltung
sieht.66 Man sollte nur nicht übersehen, dass es sich dabei eben um eine
bestimmte Art von „Existenz“ und nicht um die „Existenz“ einer Norm
schlechthin handelt. Kein Einwand besteht daher gegen ein solches Ver-
ständnis zum einen nur dann, wenn man – wie hier – unter der „Gel-
tung“ die spezifische „Existenz“ einer Norm innerhalb eines Normensys-
tems bzw einer Normenhierarchie versteht. Zum anderen wäre es unzu-
lässig, wenn man – wie anscheinend Kelsen und seine Anhänger dies tun
– aus der Geltung einer Norm auf ihre „Existenz“ als Gegenstand einer
beschreibenden Rechtswissenschaft schließt. Denn in dieser Hinsicht
besteht die „Existenz“ einer Norm gerade nicht in ihrer Geltung, son-
dern in ihrer Eigenschaft als Sinngehalt von zumeist sprachlichen Äu-
ßerungen.
Aber auch die terminologische Unterscheidung Kelsens zwischen dem
objektiven und dem subjektiven Sinn eines „Sollens“ lässt sich – freilich
in etwas anderer Bedeutung67 – bei der hier vertretenen Position aufrecht
____________________
68 Siehe allerdings Weinberger (1981) 130, demzufolge „die Konzeption des zweier-
lei Sinns von Normen, eines subjektiven und eines objektiven, als konfus aufgegeben wer-
den muß“.
69 Heck (1968) 75 f; von Mettenheim (1984) 43; Rill (1985) 465; Rill (1990) 55;
Weinberger (1988) 183; Thienel (1991) 191 ff. Darin liegt kein unzulässiger Schluss
vom Sein auf ein Sollen. Ein solcher läge vor, wenn aus dem „Sein“ des positiven Rechts
abgeleitet würde, dass dessen Anordnungen auch befolgt werden sollen; dazu Potacs
(1993b) 581. AA offenbar Kaufmann (1986) 427.
70 Rill (1985) 466, 585; Rill (1990) 55.
71 Zum Charakter dieser Regeln als „Theorien“ siehe Potacs (1994b) 195 f, 199 ff.
148 Michael Potacs
72 Walter (1983) 195; Rill (1985) 466; Rill (1990) 58 ff. In diesem Sinn auch
Weinberger (1988) 183.
73 Kelsen (1960) VIII.
74 Albert (1987) 44.
Die Grundnormproblematik 149
ihres Inhaltes mit der Realität als wahr angesehen wird.75 Zu weiteren
Annahmen einer solchen Wissenschaft gehören etwa in den Natur- und
empirischen Sozialwissenschaften nicht nur die Annahme einer objekti-
ven Realität, sondern – mit den Worten von Albert – „darüber hinaus
die ihrer prinzipiellen Erkennbarkeit, weiter die der Existenz von Ge-
setzmäßigkeiten, der Möglichkeit von Erklärungen auf ihrer Grundlage
und schließlich die mit allen diesen Hypothesen zusammenhängende An-
nahme der Möglichkeit mehr oder weniger zutreffender Darstellung rea-
ler Sachverhalte“76.
Auch eine „objektive, ihren Gegenstand nur beschreibenden Rechts-
wissenschaft“ hat zunächst von der „Korrespondenztheorie“ der Wahrheit
auszugehen.77 Eine Aussage über den Inhalt einer Rechtsnorm ist dem-
nach dann wahr, wenn sie deren objektiven Sinngehalt zutreffend be-
schreibt. Dies schließt – das sei hier nur angemerkt – nicht aus, dass die-
ser objektive Sinngehalt auch mehrdeutig oder vage sein kann. Die weite-
ren „metaphysischen Hypothesen“ einer objektiven Rechtswissenschaft
können in Anlehnung an die dargelegte Umschreibung von Hans Al-
bert vielleicht so formuliert werden: Zu den zwingenden Annahmen ei-
ner solchen Wissenschaft gehört vor allem die Annahme objektiver Be-
deutungen von zumeist sprachlichen Äußerungen als Normen,78 ihre
prinzipielle Erkennbarkeit und die Annahme der Möglichkeit ihrer mehr
oder weniger zutreffenden Beschreibung.79
Nur zur Klarstellung sei betont, dass mit diesen Annahmen keines-
wegs „implizit“ eine Grundnorm vorausgesetzt wird.80 Nach den darge-
legten „metaphysischen Hypothesen“ gibt es zwar einen objektiven Sinn-
gehalt von Rechtsvorschriften. Doch im Gegensatz zur Lehre von der
Grundnorm besagt keine dieser Annahmen, dass man den objektiven
Sinngehalt dieser Rechtsvorschriften auch befolgen soll.81
____________________
VI. Schlussbemerkung
Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass die Lehre von der
Grundnorm keine überzeugende erkenntnistheoretische Fundierung ei-
ner objektiven, ihren Gegenstand nur beschreibenden Rechtswissenschaft
zu leisten vermag. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass mit der Be-
schreibung des Inhaltes von Rechtsvorschriften zwingend die Annahme
verbunden ist, dass man die darin getroffenen Anordnungen auch befol-
gen soll. Damit im Zusammenhang stehend besteht auch kein Grund da-
zu, mit Kelsen unter „Normen“ als Gegenstand einer objektiven Rechts-
wissenschaft ein „objektiv gültiges“ (dh für jedermann verbindliches)
„Sollen“ zu verstehen. Kelsen dürfte zu dieser – mE verfehlten – Auffas-
sung auf Grund einer zu weit gehenden Deutung der Sein/Sollen-Dicho-
tomie gelangt sein. Bezug nehmend auf die eingangs erwähnten philoso-
phischen Grundfragen Immanuel Kants sei mir folgende Feststellung
gestattet: Kelsen wollte mit seiner Lehre von der Grundnorm zweifellos
eine Antwort auf die Frage „Was kann ich wissen?“ geben. Die Besonder-
heit des Erkenntnisgegenstandes hat ihn aber zu einer Beantwortung die-
ser Frage mit Argumenten zur Frage „Was soll ich tun?“ – also zur fal-
schen Frage – verleitet.
Erlauben Sie mir im Anschluss an meine Darlegungen noch folgende
abschließende Bemerkung: Die dargelegte Kritik an der Grundnormlehre
schmälert in keiner Weise das große wissenschaftliche Werk Hans Kel-
sens. Insbesondere sind damit seine unbezahlbaren Verdienste um eine
Verteidigung einer positivistischen Rechtswissenschaft nicht in Zweifel zu
ziehen. Jean-Paul Sartre hat einmal den von ihm entwickelten „Exis-
tentialismus“ als Philosophie „am Saum des Marxismus“82 bezeichnet. In
Anlehnung daran verstehe ich meine kritischen Bemerkungen als Ausei-
nandersetzung am Saum des Rechtspositivismus, zu dessen Entwicklung
kein anderer so wesentlich beigetragen hat wie Hans Kelsen.
Verwendete Literatur
Hans Albert (1978), Traktat über rationale Praxis, Tübingen (Mohr) 1978.
Hans Albert (1987), Kritik der reinen Erkenntnislehre. Das Erkenntnisproblem in rea-
listischer Perspektive, Tübingen (Mohr) 1987.
____________________
ein logischer Widerspruch etwas Sinnloses dar“ (Kelsen [1960] 210). Auch mit der hier
vertretenen Position steht eine „metaphysische Hypothese“ im Einklang, wonach Rechts-
ordnungen prinzipiell sinnvolle und in sich widerspruchsfreie Systeme darstellen. Anders
als nach der Grundnormkonzeption Kelsens handelt es sich dabei jedoch um keinen As-
pekt des „Geltungsgrundes“ (Kelsen [1960] 209) der Rechtsordnung, sondern um eine
Annahme über die Beschaffenheit des positiven Rechts.
82 Sartre (1979) 17.
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152 Michael Potacs
I. Einleitung
Wir leben, so heißt es, in post-westfälischer Zeit. Die Eckpfeiler des
westfälischen Systems, Nationalstaat und Völkerrecht, böten keine einfa-
chen Erklärungen mehr für das, was in der Rechtswirklichkeit zu be-
obachten sei. Daher sei für diese Beobachtungen ein meta-konstitutionel-
ler Rahmen1 oder ein Mehrebenen-Verfassungssystem2 erforderlich. Wel-
che analytische Kraft solchen Überlegungen beizumessen ist, oder ob sie
sich im Deskriptiven erschöpfen, kann hier letztlich dahin stehen; sicher
ist, dass die hier darzustellenden Erwägungen auf Erscheinungen der
Rechtswirklichkeit eingehen müssen, die auch meta-konstitutioneller Be-
trachtung zugänglich sind. Solche Betrachtungen werden freilich im Fol-
genden unterbleiben; vielmehr wird sich erweisen, dass das hergebrachte
juristische Instrumentarium, allen post-westfälischen Entwicklungen zum
Trotz, zum Erfassen auch der heutigen Rechtswirklichkeit genügt.
Der Beitrag behandelt das Verhältnis namentlich zwischen Gemein-
schaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht, und das ihrer jeweiligen Ge-
richte, wobei das Völkerrecht schon aus Platzgründen nur an zwei Stellen
ergänzend angesprochen werden kann. Dieses Verhältnis ist als ange-
wandte Rechtstheorie zu erörtern, als Schnittpunkt zwischen Rechtstheo-
rie und positivem Recht. Die zu erörternden Fragen lassen sich mit zwei
anscheinend widersprüchlichen Aussagen zu den beiden namentlich zu
behandelnden Rechtsordnungen umreißen: (1) Die Rechtsprechung des
EuGH seit dem Urteil Costa/ENEL 3 ist revolutionär in dem Sinne, dass
sie eine neue Rechtsordnung (die autonome Gemeinschaftsrechtsordnung)
geschaffen hat, die von den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unab-
hängig ist, aber diese inkorporiert; und (2) diese Revolution hatte keine
unmittelbare Bedeutung für die bestehenden Rechtsordnungen der Mit-
gliedstaaten, die weiterhin von der Gemeinschaftsrechtsordnung unab-
hängig sind, aber diese inkorporieren.
Nach einigen rechtstheoretischen Vorüberlegungen, die namentlich
durch ein wichtiges Urteil des Court of Appeal von Fidschi4 inspiriert
____________________
1
Vgl Walker (2000) 16 f.
2
Pernice (1999).
3
Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1253, 1269.
4
Urteil vom 1. März 2001, http://www.vanuatu.usp.ac.fj/paclawmat/Fiji_cases/
Volume_Q-R/Republic_v_Prasad.html.
154 Theodor Schilling
sind, sind die eben gemachten Aussagen etwas näher zu erläutern. An-
schließend ist zu erörtern, wie sich die umrissene Rechtslage, rechtstheo-
retisch betrachtet, also ausgehend von der derzeitigen Rechtslage ohne
Eingreifen einer verfassungsgebenden Gewalt, in der Weise ändern kann,
dass eine einheitliche Rechtsordnung entsteht. Der Beitrag wird dabei
durchgehend von dem Privileg des Rechtswissenschaftlers Gebrauch ma-
chen, nicht an eine bestimmte Rechtsordnung gefesselt zu sein. Er wird
also die Rechtsordnung der Gemeinschaft und die der Mitgliedstaaten
betrachten, die Voraussetzungen ihrer Vereinigung erörtern und die Ein-
zelheiten ihrer derzeitigen von einander unabhängigen, sich gegenseitig
inkorporierenden Geltung darlegen.
5
Hart (1994) 100 f spricht von „courts, lawyers and ordinary citizens“.
6
Kelsen (1960) 208 f, FN *.
7 In der Eignung zu einer solchen Erfassung und Beschreibung sieht Ott (1991)
532 einen Vorteil des Institutionalistischen Rechtspositivismus für rechtshistorische, -so-
ziologische und -ethnologische Forschungen.
8 Hart (1994) 293, sub 3, sagt deshalb zu Recht, dass „Kelsen’s basic norm has in a
sense always the same content“.
9 Kelsen hat gelegentlich Zweifel daran geäußert, dass auch die Rechtswissenschaft
die Grundnorm voraussetzen könne, diese Zweifel aber später aufgegeben (vgl Kelsen
[1960] 208 f, FN *). Umgekehrt, und vielleicht mit mehr Recht, geht Brookfield
(1999) davon aus, dass „[i]n Kelsen’s theory, the jurist or legal scientist ... presupposes the
grundnorm“ (Hervorhebung nur hier). Und vgl Lippold (1988) 476, der deshalb termi-
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 155
B. Die Rechtsordnungswahl
1. Die externe und die interne Rechtsordnungswahl
Sind mehrere Rechtsordnungen in die Betrachtung einzubeziehen, so
können diese beziehungslos nebeneinander stehen oder miteinander ver-
bunden sein. In beiden Fällen ist zu entscheiden, welche Rechtsordnung
unter den jeweils gegebenen Umständen maßgeblich ist. Sofern revoluti-
onäre Entwicklungen in Frage stehen, kann diese Entscheidung auch die
Frage betreffen, ob die eine oder die andere Rechtsordnung als solche
existiert. Wie das Voraussetzen der Grundnorm kann diese Entscheidung
auf interner oder externer Betrachtung beruhen.
a) Die externe Betrachtungsweise ist die des Rechtswissenschaftlers.
Ihm steht es vollkommen frei, mehrere Rechtsordnungen dergestalt in
seine Betrachtung einzubeziehen, dass jede Rechtsordnung ihre eigene
Grundnorm hat, die vorauszusetzen ist, dass sie also beziehungslos ne-
beneinander stehen:14 Der Rechtswissenschaftler kann gleichzeitig belie-
bige historische und literarische wie auch reale Rechtsordnungen in den
____________________
Blick nehmen und sie untersuchen.15 Setzt man voraus, dass von zwei
verbundenen Rechtsordnungen, etwa von Völkerrecht und einer staatli-
chen Rechtsordnung, die eine die andere inkorporieren muss (soweit nicht
eine dritte Rechtsordnung beiden vorgelagert ist),16 so steht es dem Be-
trachter gleichwohl frei, diese Rechtsordnungen als getrennt oder als ver-
bunden zu betrachten. Betrachtet er sie als verbunden, muss er sich wei-
ter entscheiden, welche Rechtsordnung er als geltend betrachten will, mit
anderen Worten welche Rechtsordnung die andere inkorporiert, auf wel-
che Rechtsordnung sich die Grundnorm beziehen soll. Diese Entschei-
dung ist eine allein vom Erkenntnisinteresse des Betrachters abhängige
Willensentscheidung dahin, dass der Erkennende eine bestimmte Rechts-
ordnung – und nicht eine andere – als die Rechtsordnung behandeln
will, der die andere inkorporiert ist (Rechtsordnungswahl).17
Kommen revolutionäre Entwicklungen in Betracht, kann der externe
Beobachter die angebliche Revolution unter verschiedenen Aspekten be-
trachten. Er kann auf Legitimitätsaspekte abstellen,18 die, genau gesehen,
außerrechtlich sind.19 Er kann die Rechtmäßigkeit der Revolution entwe-
der vom Gesichtspunkt der Rechtsordnung(en) beurteilen, die die Revolu-
tion angeblich gestürzt hat,20 oder vom Gesichtspunkt einer Rechtsordnung
____________________
15 Das ist das tägliche Brot des Rechtsvergleichers. Vgl etwa zur Geschichte vom stö-
ßigen Ochsen (2. Mose 21, 35 f im Vergleich zu anderen alt-vorderasiatischen Gesetzbü-
chern) Watson (1974) 22 ff.
16 Nach Kelsen (1928) 104 f „ist die Annahme zweier Normsysteme, sofern ihre Gel-
tung in Frage kommt, nur im Sinne einer Alternative denkbar“ (Hervorhebungen im Ori-
ginal). Mit anderen Worten: Wenn nur zwei Normsysteme zueinander in Beziehung ste-
hen, kommt nur das Verhältnis der Über- und Unterordnung in Betracht; „Die Neben-
ordnung zweier Normsysteme ist nur mit Hilfe einer über den beiden koordinierten Sys-
temen stehenden, sie gegenseitig abgrenzenden und so koordinierenden Ordnung denk-
bar“: ibid, 111. Vgl auch Merkl (1993a) 298. Pluralistische Rechtstheorien, die sich ge-
gen diesen monistischen Ansatz stellen, haben in Wirklichkeit nur die externe Betrach-
tungsweise nach innen zu verlagern versucht, was sich letztlich als nicht durchführbar er-
weist; vgl dazu Schilling (1997) 574 f.
17 Vgl bereits Merkl (1993a) 313 und 316 zur Entscheidung zwischen den beiden
monistischen Betrachtungsmöglichkeiten des Völkerrechts. – Ich habe das früher so aus-
gedrückt, dass Erkenntnisakt nur das Voraussetzen einer, nicht aber das einer bestimmten
Grundnorm sei; vgl Schilling (1998a) 150, Sp. 2.
18 So im Kontext Gemeinschaft-Mitgliedstaaten ausdrücklich Hartley (2001) 232 f.
Vgl auch Hartley (1999) 95 ff; Schilling (1996a) 390 f.
19 Vgl Eleftheriadis (1996a) 217.
20 So im genannten Kontext Schilling (1996b), aber auch Ipsen, (1972), § 2/26, und
seine Schüler: Die von Ipsen wiederbelebte Lehre vom „Gesamtakt staatlicher Integra-
tionsgewalt“ – sie nimmt Überlegungen von Binding (1920) 162 ff zur deutschen Reichs-
verfassung von 1871 auf; vgl Kelsen (1928) 284 FN 1; vgl weiter Kuntze (1892) – könn-
te, falls es diese Gewalt überhaupt geben sollte, nur in den Rechtsordnungen der Mitglied-
staaten ihre Grundlage haben. Zu dieser Form der rechtlichen Metaphysik vgl Schilling
(1997) 569 f.
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 157
21 So im genannten Kontext Wengler (1968a) 960 und FN 108 (989), der nachge-
wiesen hat, dass die vom EuGH für seine Revolution gegebene Begründung völkerrechtlich
verfehlt ist.
22 Im genannten Kontext tun dies am radikalsten die von Kakouris (1987) 331 und
FN 20 zitierten anonymen Autoren: »Une opinion extrême a même été soutenue, ›qu’il
n’était même pas besoin de ratification pour qu’il [der EG-Vertrag] prenne effet‹!«
23 Pawlik (1994) 461 f.
24 Vgl dazu Brookfield (1999) 18 f.
158 Theodor Schilling
2. Konstellationen
Die Möglichkeit einer Rechtsordnungswahl ist für folgende drei Kons-
tellationen zu erörtern: Eine reale Rechtsordnung wird von bestimmten
Bevölkerungskreisen nicht oder nicht uneingeschränkt anerkannt; eine rea-
le Rechtsordnung wird revolutionär durch eine andere ersetzt; es beste-
hen mehrere reale Rechtsordnungen nebeneinander. Ein solches Neben-
einander kann auch das Ergebnis der revolutionären Neubildung einer der
Rechtsordnungen sein, so dass zwischen den Konstellationen 2 und 3
Mischformen möglich sind.
28 Ein weiteres Beispiel bespricht Brookfield (1999) 127: Dort geht es um Maori-
Nationalisten, die die neuseeländische Rechtsordnung nicht anerkennen.
29 Vgl etwa Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Pressemitteilung Nr 13
vom 28. 04. 1998.
30 Brookfield (1999) 38 ff erörtert einen Fall aus Queensland – R v Walker [1989] 2
Qd R 79 –, in dem der Richter auf eine solche kontrafaktische Rechtsordnungswahl eines
Angeklagten eingegangen ist, um über die Legalität der von ihm angewandten Rechtsord-
nung hinaus auch deren Legitimität darzutun.
31 Urteil des OLG Düsseldorf vom 15. 11. 2000.
160 Theodor Schilling
Dieses Urteil wirft Fragen nach der Art der vom Court of Appeal von
Fidschi in Anspruch genommenen Zuständigkeit und damit zugleich
nach der Rechtsordnung auf, in deren Rahmen er entschieden hat, zu der
also der Effektivitäts-Tatbestand gehört. Der Court of Appeal hat die Zu-
ständigkeit, kraft deren er die Revolution und ihre Verfassung verwarf
und die alte Verfassung als noch in Kraft befindlich erklärte, als „supra-
constitutional jurisdiction“ bezeichnet.37 Zugleich lehnte er es ab, die
theoretischen Grundlagen seiner suprakonstitutionellen Zuständigkeit zu
erörtern.38 Gleichwohl findet sich in seinem Urteil ein klarer Hinweis auf
den Ort dieser Zuständigkeit, nämlich die Betonung des Umstands, dass
die Richter des Court of Appeal „are sitting as Judges of a Fiji Court“.
Dieser Hinweis lässt sich nur dahin verstehen, dass die Zuständigkeit
auf dem Recht von Fidschi beruht. Da der Court of Appeal sie sich im
formgerechten Verfahren mit Rechtsprechungswillen zugesprochen hat,39
muss es sich bei diesem Recht um positives Recht handeln.40 Dement-
sprechend ist die Entscheidung in der Sache als gewöhnliche gerichtliche
Entscheidung aufgrund einer Beweislastregelung ergangen.41 Da die posi-
tiv-rechtlich geregelte Zuständigkeit suprakonstitutionell ist, kann sie zum
anderen nicht auf einer der von der revolutionären oder der vorrevoluti-
onären Verfassung konstituierten Rechtsordnungen beruhen, die beide
den Court of Appeal zur Rechtsprechung befugten, so dass er zwischen
ihnen, in Ermangelung einer koordinierenden Rechtsordnung, nicht nach
rechtlichen Gesichtspunkten hätte entscheiden können. Sie kann viel-
mehr nur auf einer diesen Rechtsordnungen vorgelagerten, sie koordinie-
renden Rechtsordnung beruhen, die neben der Zuständigkeitsregelung
auch das vom Court of Appeal von Fidschi angewandte Recht enthalten,
also die Entscheidung darüber ermöglichen muss, welche Verfassung von
Fidschi gilt.
Diese vorgelagerte Rechtsordnung ist hier von Interesse. Sie ist nur
denkbar als ganz kleine, einfache Rechtsordnung des Inhalts: „Eine Ver-
____________________
fassung wird revolutionär durch eine neue Verfassung nur verdrängt, wenn
diese den achtgliedrigen Effektivitäts-Tatbestand erfüllt“. Diese kleine
Rechtsordnung ist damit die „norm behind the Grundnorm“42 der auf die
beiden Verfassungen – die vorrevolutionäre und die revolutionäre – ge-
stützten Rechtsordnungen,43 die diese koordiniert,44 sie zu einer Gesamt-
rechtsordnung zusammenfasst. Sie ist eine offenbar richterrechtliche Über-
Verfassung, die über die beiden Verfassungsgeber, deren jeweiligen Wei-
sungen in beiden Rechtsordnungen grundsätzlich zu folgen ist, als Rich-
ter über die Effektivität der Revolution den Court of Appeal von Fidschi
setzt.
(2) Abstrakt gesehen, kann eine kleine Rechtsordnung nur dann an-
genommen werden, wenn zwischen der vorrevolutionären und der revo-
lutionären Rechtsordnung institutionelle Kontinuität in dem Sinne be-
steht, dass die Gerichte von der vorrevolutionären wie von der revolutio-
nären Verfassung mit einer Rechtsprechungsbefugnis betraut sind. Wenn
nämlich die revolutionäre Verfassung die alten Gerichte abschafft oder an
ihrer Stelle ein neues Gericht errichtet und neue Richter bestellt, so ver-
liert die alte Verfassung ihr institutionelles Substrat; hier ist die instituti-
onelle Kontinuität unterbrochen, das neue Gericht nicht mehr von der
alten Verfassung zur Rechtsprechung befugt (fundamentale Revolution).
Hier kommt eine kleine Rechtsordnung nicht in Betracht; die neuen Ge-
richte können über den Status der revolutionären Rechtsordnung nicht
befinden, da sie ein Teil von ihr, und nur von ihr, sind.
Belässt eine Revolutionsregierung hingegen die unter der alten Verfas-
sung bestellten Richter im Amt und die unter der alten Verfassung er-
richteten Gerichte bestehen, so ist – ganz unabhängig davon, ob sie den
Richtern einen neuen Eid abverlangt oder nicht – davon auszugehen, dass
die Gerichte die Befugnis zur Rechtsprechung nach der neuen revolutio-
nären Verfassung haben sollen. Die Befugnis nach der alten Verfassung,
unter der sie errichtet wurden, steht ihnen ohnehin zu.45 Hier hat das
Gericht die Wahl, entweder der alten Verfassung die Treue zu halten und
die ihm von der neuen Verfassung angetragene Befugnis nicht wahrzu-
____________________
nehmen oder sich der Revolution anzuschließen und künftig die alte Ver-
fassung zu ignorieren, oder schließlich beide Befugnisse wahrzunehmen.
Für diese – revolutionäre oder politische – Wahl kann es rechtliche Ge-
sichtspunkte nicht geben. Weist das Gericht die revolutionäre Befugnis zu-
rück oder schließt es sich umgekehrt der Revolution an, so hat es bei die-
ser nicht rechtsgeleiteten Entscheidung sein Bewenden; das Gericht wird
Teil der Rechtsordnung, für die es sich entschieden hat, und kann künftig
nicht mehr über deren Status, sondern nach Maßgabe des institutionel-
len Prinzips nur noch in ihrem Rahmen entscheiden. Nimmt das Gericht
hingegen beide Befugnisse, die vorrevolutionäre und die revolutionäre, an,
so kann es die außerrechtliche Rechtsordnungswahl in eine rechtsgeleite-
te Entscheidung überführen. In diesem Fall kann es nämlich zu einem
Normenkonflikt zwischen den beiden Verfassungen kommen, die das Ge-
richt jeweils zur Rechtsprechung befugen. Zur Auflösung dieses Konflikts,
der ja entschieden werden muss,46 kann das Gericht eine kleine Rechts-
ordnung annehmen, die besagt, wie zu entscheiden ist. Tut es das, so wird
die revolutionäre oder politische Wahl in eine rechtliche Entscheidung
überführt. Psychologisch gesehen, muss jedes Gericht versucht sein, so vor-
zugehen; so ungewohnt ihm das Treffen einer politischen Wahl ist, so
selbstverständlich sind ihm rechtsgeleitete Entscheidungen.
Die damit bewirkte Verrechtlichung und Institutionalisierung der Ent-
scheidung über die Effektivität der revolutionären Rechtsordnung erreicht
insbesondere, dass der zeitliche Geltungsbereich einer Rechtsordnung
nicht durch jede Revolution im Rechtssinne unterbrochen wird,47 son-
dern nur durch eine fundamentale Revolution. Diese Annahme einer
Rechtsordnung, die bei institutioneller Kontinuität eine eben deswegen
nicht fundamentale Revolution überdauert, entspricht in höherem Maße
der Realität als die Annahme einer Diskontinuität.48
Zugleich hat diese Annahme eine Verschiebung der Grundnorm zur
Folge: Der der allgemeinen49 Kelsen’schen Grundnorm: „Man soll sich
der tatsächlich gesetzten und wirksamen Verfassung gemäß verhalten“50
____________________
anscheinend entsprechende Satz: „Man soll sich nur dann einer revoluti-
onären Verfassung gemäß verhalten, wenn diese den Effektivitäts-Tatbe-
stand erfüllt“ ist keine Grundnorm, sondern eine Norm des positiven
Rechts. Die Annahme einer kleinen Rechtsordnung hat mit anderen Wor-
ten zur Folge, dass die Effektivität der verfassungsgestützten Rechtsord-
nung kein factum brutum mehr ist, nicht als faktische Bedingung der Gel-
tung dieser Rechtsordnung angesehen werden kann,51 sondern dass sie
zum Tatbestand eines vorgeordneten Rechtssatzes wird; die Entscheidung
zwischen den durch die kleine Rechtsordnung koordinierten Rechtsord-
nungen wird zur Rechtsfrage. Damit ist eine Grundnorm der kleinen
Rechtsordnung vorauszusetzen. Diese unterscheidet sich von der gängigen
Fassung der Kelsen’schen Grundnorm nur dadurch, dass sie nicht den
Befehl des Verfassungsgebers, sondern den des Gerichts zu befolgen be-
fiehlt, das über die Effektivität der Revolution entscheidet: Man soll sich
der Verfassung gemäß verhalten, die dieses Gericht für effektiv erklärt.
51 So Kelsen (1960) 215 ff; dagegen namentlich Lippold (1988) 472 ff.
52 Vgl dazu sub III A 2 a.
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 165
53 Vgl Merkl (1993a) 298 ff; Merkl (1993b) 395 ff; Kelsen (1928) 102 ff.
54 Da Völkerrecht einen größeren geographischen Anwendungsbereich hat als Gemein-
schaftsrecht und dieses als mitgliedstaatliches Recht, liegt genau genommen nur Teiliden-
tität des Rechtsstoffs vor; die Konstruktion, die vom staatlichen Recht ausgeht, umfasst
zwar auch den Stoff des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, aber anders als diese nicht
denjenigen der anderen (mitglied-)staatlichen Rechtsordnungen. Diese Feinheit ist für die
vorliegende Untersuchung ohne Bedeutung.
166 Theodor Schilling
55 Vgl auch Merkl (1993c) 491 f: „Die Theorie des rechtlichen Stufenbaues ... ver-
mag gerade den Einwand zu widerlegen, auf den ihre einsichtsvollsten Gegner rekurrie-
ren: Die so oft gehörte Behauptung der heuristischen Unfruchtbarkeit und somit Wertlo-
sigkeit der ,Reinen Rechtslehre‘ “.
56 Für das Verhältnis Landesrecht-Völkerrecht sehr klar Merkl (1993a) 312; ebenso
Kelsen (1928) 151 ff, 204 ff. Für das Verhältnis mitgliedstaatliches Recht-Gemeinschafts-
recht vgl Eleftheriadis (1996a) 217.
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 167
67 Vgl dazu die Nachweise bei Claes/de Witte (1998) 183 ff.
68 Vgl aber auch Tomuschat (1993).
69 Vgl etwa zur Gesetzgebung zu Fragen der Staatenimmunität Hailbronner (2004)
178 f.
70 Als solche Gerichte zu nennen sind das Jugoslawien- und das Ruanda-Tribunal als
ad hoc-Gerichte sowie insbesondere der Internationale Strafgerichtshof.
71 Vgl nur Deutsche Rechtsprechung zum Völkerrecht und Europarecht (1998); Fontes
iuris gentium, Series A Sectio II (1935–1985).
72 Vgl etwa Kunig (2004) 97.
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 169
73 Vgl nur BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30. 6. 2009, Absatz-Nr 340, unter http://www.
bverfg.de/entscheidungen/es20090630_2bve000206.html – Lissabon.
74 Vgl Text bei FN 64.
75 Vgl etwa Bolton (1997), zit von der Website der Federalist Society, http://www.
fed-soc.org/Publications/practicegroupnewsletters/internationalnews/internationalnews.htm,
der mit den Worten: „In the international arena, ... resolution of disputes ... requires po-
litical adjustments – not legal adjudications – among the states ..., up to and including war“
den Grundsatz des pacta sunt servanda schlicht negiert. Wenn er dabei zustimmend Su-
preme Court, Chae Chan Ping, 130 US, 581, 602, zitiert: „whilst it would always be a
matter of the utmost gravity and delicacy to refuse to execute a treaty, the power to do so
was prerogative, of which no nation could be deprived without deeply affecting its inde-
pendence“, so will er übersehen, dass diese Entscheidung von 1889 nur den internen Nach-
rang eines völkerrechtlichen Vertrages gegenüber einem späteren Gesetz, nicht aber die
Frage der völkerrechtlichen Pflicht zur Vertragserfüllung betrifft.
76 So U. Everling, Steht Deutschland noch zur Rechtsgemeinschaft?, FAZ vom 3. 9.
1996, 11, zustimmend zit. von, und hier zit. nach, Schwarze (2000) 174: „Wer die Gel-
tung des Rechts aus eigener Selbstherrlichkeit negiert, stellt die Gemeinschaft, den Kern
der europäischen Friedensordnung seit dem Krieg, in Frage.“ Als Rüge einer gerichtlichen,
also internen Entscheidung ist das freilich verfehlt. Zudem: Bevor man wissen kann, wer
170 Theodor Schilling
„das“ Recht negiert, muss man wissen, was „das“ Recht ist, und sagen, welches Recht man
meint.
77 Zur Bedeutung des demokratischen Prinzips in diesem Zusammenhang vgl To-
muschat (1990) 351. Für MacCormick (1994) 285 gehört der Grundsatz der Volks-
souveränität „to the theory of democracy as ideal moral theory, rather than to a descrip-
tive or analytical legal or political theory“. Vgl auch Williams (2001) 92: “A court might
apply the effectiveness doctrine where the overthrow of the old legal order can be seen as
a part of a ‘glorious revolution’ ”.
78 Vgl zB Schilling (1996a) 390 f, 392 f.
79 Vgl auch FN 96.
80 Zur Bedeutung gerichtlicher Zuständigkeiten für die Autonomie einer Rechtsord-
nung vgl die in FN 86 zitierten Gutachten.
81 Zum Begriff der Revolution in diesem Zusammenhang vgl Kelsen (1960) 213;
Merkl (1993d) 200 ff; ähnlich Hartley (FN 18) 228 ff, und, allgemein, Brookfield
(1999) 13 ff. – Die Idee eines „multilevel constitutionalism“, eines Verfassungsverbundes
auf mehreren Ebenen, wie sie Pernice (1999), passim, insb 715, und wiederholt, nament-
lich in Pernice (2001) 172 ff vertritt, ist ebenfalls revolutionärer Natur. Der Verfassungs-
verbund, der auf den Abschluss der Gemeinschaftsverträge gestützt ist, ist etwas grundle-
gend anderes als die nationalen Ein-Ebenen-Verfassungen, die vor diesem Vertragsschluss
in Kraft waren, und der Vetragsschluss fand nicht in den Formen statt, die diese Verfas-
sungen für Verfassungsänderungen vorsahen. Pernice (1999) 717 betrachtet die Revolu-
tion sogar als solche des pouvoir constituant, nämlich „by the peoples of the Member States
acting through their treaty-making institutions and procedures“. Ein solches Verfahren
zum Erlass einer historisch ersten Verfassung ist – abstrakt gesehen – sicherlich möglich,
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 171
doch finden sich – konkret – keine Hinweise darauf, dass die mitgliedstaatlichen Gesetz-
geber (oder ihre Völker durch sie) als Verfassunggeber der Gemeinschaft hätten handeln
wollen, als sie die Gemeinschaftsverträge ratifizierten; vgl Schilling (1997) 393 f. Das
gesteht auch Pernice (2001) 176 zu. Gegen die Behauptung von Pernice (1999) 717,
die Integrationsklauseln in den Verfassungen der Mitgliedstaaten „establish direct consti-
tutional relations between the people and the supranational institutions“, ist einzuwen-
den, dass diese Klauseln allgemein eine solche Auslegung jedenfalls unter Zugrundelegen
des allgemeinen Auslegungskanons nicht zulassen, dass sie generell nicht in dieser Art aus-
gelegt werden, dass Pernice nicht einmal versucht, eine solche Auslegung lege artis vorzu-
nehmen und dass eine solche Auslegung, sollte sie unter einem post-modernen „anything
goes“-Ansatz doch möglich sein, der Rechtswirklichkeit nicht entspräche. – Damit soll
nicht bestritten werden, dass die Gemeinschaftsverträge als „Vertragsverfassung“ betrach-
tet werden können; vgl hierzu Schilling (1996c) 50 ff.
82 Vgl zB Weiler/Haltern (1996) 420 ff.
83 Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1253, 1269.
84 Rs 26/62, Van Gend & Loos, Slg 1963, 1, 25.
85 Nach Oppermann (1999) 230 (Rdn 617) ist das ein „axiomatischer Grundansatz“
(Hervorhebung nur hier).
86 Gutachten 1/91, Slg 1991, I-6084, Rdn 30 ff. Vgl weiter Gutachten 1/92, Slg 1992,
I-2821, Rdn 17 ff.
87 Vgl etwa Schilling (1994a) 212 ff; Kakouris (1987) 331: »Le traité ne tire pas sa
validité des Constitutions des Etats membres«.
88 Vgl nur Rs 26/62, Van Gend & Loos, Slg 1963, 1, 25; Eleftheriadis (1996b) 34.
Vgl aber auch Kakouris (1987) 331.
89 Vgl aber Weiler/Haltern (1996), passim.
172 Theodor Schilling
ne revolutionäre Basis gestellt.90 Wie jede Revolution ist auch diese aus
der Sicht der vorrevolutionären Rechtsordnung(en) rechtswidrig, aus der
Sicht des externen Betrachters ein zu beachtendes Faktum und aus der ei-
genen Sicht der Revolution die Grundlage einer neuen Rechtsordnung.
90 Das belegen alle diejenigen, die überzeugend nachgewiesen haben, dass die Recht-
sprechung des EuGH unter den Gesichtspunkten der Legitimität, des Völkerrechts und
des Rechts der Mitgliedstaaten falsch ist; vgl die Nachweise in FN 18–21. – Den umge-
kehrten Fall nicht einer revolutionären Schaffung einer größeren Einheit, sondern der re-
volutionären Aufteilung einer bestehenden Einheit – der britischen „imperial crown“ in
mehrere regionale Kronen, darunter die „crown in right of New Zealand“ – bespricht
Brookfield (1999) 124 ff mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung.
91 Das ist es auch; vgl FN 16.
92 Rs C-6 und 9/90, Francovich, Slg 1991, I-5357.
93 Rs C-221/89, Factortame, Slg 1991, I-3905.
94 Rs 14/68, Walt Wilhelm, Slg 1969, 1, Rdn 6; ähnlich Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964,
1269, bestätigt in Rs Francovich (Slg 1991, I-5357), Rdn 31. Vgl auch Art 7 EWRA, Proto-
koll Nr 35 zum EWR-Abkommen und zum Ganzen (liechtensteinischer) Staatgerichtshof
als Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 3. 5. 1999, StGH 1998/61, mit weiteren Nachweisen.
95 Vgl jüngstens Rs C-118/00, Gervais Lasy, Slg 2001, I-5063, Rdn 51 f, mwN.
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 173
101 Insofern kann ich Hartley (1999) 231 nicht folgen, nach dessen Auffassung „[i]f
the European Grundnorm were to change so as to transform the Community Treaties into
a self-sustaining constitution, the result would be that Community law would not longer
apply in the Member States because the Member States accepted it: it would apply whether
they liked it or not“. Seiner Feststellung ibid, 232 FN 26, stimme ich hingegen zu.
102 Vgl die Nachweise bei Hartley (1999) 233, FN 35, und bei Schilling (1997) 574,
FN 58, sowie BVerfG, 2 BvE 2/08, Absatz-Nr 343 – Lissabon: „Der Anwendungsvorrang
reicht für in Deutschland ausgeübte Hoheitsgewalt nur soweit, wie die Bundesrepublik
Deutschland dieser Kollisionsregel zugestimmt hat und zustimmen durfte“.
103 Vgl Schilling (1994a) 184.
104 So zitiert Limbach (2001) 2916 die Solange I-Entscheidung, BVerfGE 37, 271,
280. Nach Limbach, ibid, werden „die wesentlichen rechtlichen Grundannahmen ... [die-
ser] Entscheidung gar nicht bestritten“.
105 BVerfG, 2 BvE 2/08, Absatz-Nr 241 – Lissabon.
106 Wenn nach Limbach (2001) 2917 f „[d]ie vom Bundesverfassungsgericht bean-
spruchte Reservekompetenz ... nur die – den modernen demokratischen Verfassungen
gemeinsame – normative Idee [behauptet], dass jede öffentliche Gewalt durch die Men-
schen- und Bürgerrechte ihre Grenzen erfährt“, so wendet es diese Idee doch aufgrund
der Ausprägung an, die sie im Grundgesetz erfahren hat; vgl BVerfGE 102, 147, 164 –
Bananen.
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 175
107 Vgl das Protokoll zu Artikel 141 (ex-Artikel 119) des Vertrages zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft (,Barber‘-Protokoll), das seinen Ursprung im Vertrag von
Maastricht hat.
108 Nach verbreiteter Meinung ist die einschlägige Rechtsprechung des EuGH vom bei-
tretenden Staat als Teil des im Zeitpunkt des Beitritts geltenden acquis communautaire zu
übernehmen; vgl etwa Holzinger (1994) 95. Aber der Beitrittsvertrag kann dem beitre-
tenden Staat als acquis communautaire nur das auferlegen, was tatsächlich „acquis“ ist, al-
so schon für die bisherigen Mitgliedstaaten gilt; das ist hier nur die Revolution des EuGH
in der Gemeinschaftsrechtsordnung, nicht aber eine solche in den mitgliedstaatlichen
Rechtsordnungen, die zu bewirken dem EuGH gerade verwehrt ist.
109 Erklärung Nr 17 zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezem-
ber 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat, ABl EG Nr C 115/
2008, 345.
110 Zum „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Ver-
hältnismäßigkeit“, das mit dem Vertrag von Amsterdam beschlossen wurde und einen An-
hang zum Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft darstellt, vgl etwa
Piris (1999) 557, FN 108, der „particularly stress[es] the constitutional importance of
paragraphs 2 and 3 of [that] Protocol“; Pernice (1999) 719, der dieses Protokoll als Be-
stätigung der „principles established by the [European Court] on the relationship between
Community law and national law“ sieht. “Thus, ... primacy of European law is founded
on the common decision of the peoples of the Member States to achieve a functioning
structure of political action above the State level. This structure may not be put into ques-
tion by the institutions of an individual Member State”.
176 Theodor Schilling
111 BVerfG, 2 BvE 2/08, Absatz-Nr 179 – Lissabon; vgl auch Absatz-Nr 228.
112 So besonders deutlich BVerfG, 2 BvE 2/08, Absatz-Nr 339 – Lissabon.
113 Deshalb ist die Kritik von Eleftheriadis (1998), dass „both the European Court
of Justice and the German Constitutional Court have refused to acknowledge the nature
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 177
of [the] problem and, by simply asserting what had to be established, have just begged the
constitutional question“, insofern zutreffend, als beide Gerichte in der Tat auf die außer-
rechtliche Frage der Revolution keine ausdrückliche Antwort geben; vgl aber jetzt Text bei
FN 144.
114 Vgl oben sub III A vor I.
115 „Der [EuGH] hat ... nach Artikel [234 EG]-Vertrag ... die Aufgabe, ... zur Rechts-
pflege in den Mitgliedstaaten beizutragen“: Rs 149/82, Robards, Slg 1983, 171, Rdn 19,
st Rspr. Vgl auch Pernice (1999) 724, mit weiteren Nachweisen, der eine „unity in
substance of Community and national law“ behauptet (auch wenn er fortfährt: „forming
one composite legal system“).
116 Von Kakouris (1987) 331.
117 Eleftheriadis (1996a) 217.
178 Theodor Schilling
geordnet ist, da die Substanz der Hoheitsrechte solange bei den Mitglied-
staaten verbleiben muss. Dem entspricht die Rechtsprechung des EGMR,
dass im Verhältnis der EMRK zur EG und deren Mitgliedstaaten Hand-
lungen der EG den Mitgliedstaaten zuzurechnen sind.124
Diese Rechtsprechung des EGMR ist Ausdruck einer gegenüber dem
Verhältnis der Gemeinschaft zu ihren Mitgliedstaaten externen Betrach-
tungsweise, die nur das „Außenverhältnis“ des Verbundes aus Gemein-
schaft und Mitgliedstaaten betrifft. Ebenso wie die reportierten Überle-
gungen der Lehre stößt sie sich, was das „Innenverhältnis“ dieses Ver-
bundes betrifft, an dessen positivem Recht. Als koordinierende Rechtsord-
nung kommt nämlich nur eine solche in Betracht, die von allen zu koor-
dinierenden Rechtsordnungen als solche akzeptiert wird. Zwar scheinen
einige mitgliedstaatliche Rechtsordnungen, darunter die deutsche, das Völ-
kerrecht als koordinierende Rechtsordnung zu akzeptieren.125 Die Gemein-
schaftsrechtsordnung jedoch tut das nicht. Aus ihrer Sicht entsprechen
die reportierten Überlegungen der „vorrevolutionären“ Betrachtungswei-
se, der entsprechend der EuGH 1963 noch ausgeführt hat, die Gemein-
schaft stelle eine „neue Rechtsordnung des Völkerrechts“ dar.126 Diese Be-
trachtungsweise hatte der EuGH ein Jahr später bereits aufgegeben, als er
die Gemeinschaftsrechtsordnung ohne weitere Qualifizierung als „eigene
Rechtsordnung“ bezeichnete.127 Da die positive Gemeinschaftsrechtsord-
nung die Völkerrechtsordnung nicht als koordinierende Rechtsordnung
akzeptiert,128 kommt diese positiv-rechtlich als solche nicht in Betracht.
124 Vgl EGMR, Fall Matthews/UK, Application no 24833/94, Urteil vom 18. 2. 1999,
§ 32; Schilling (2000) 399 f. Diese Rechtsprechung kann auch auf den Grundsatz des
pacta sunt servanda gestützt werden. Alternativ ließe sich sagen, dass sie sich auf eine eige-
ne Grundnorm der EMRK stütze und deren Beachtung verlange.
125 So lässt sich jedenfalls das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts lesen; vgl
etwa Weiler/Haltern (1996) 446, die von der „internationalistic logic claimed by the
German Court“ sprechen. Vgl auch BVerfG, 2 BvE 2/08, Absatz-Nrn 223, 340 – Lissabon.
126 Rs 26/62, Van Gend & Loos, Slg 1963, 1, 25; (Hervorhebung nur hier).
127 Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1253, 1269.
128 Ebenso iE Pernice (1999) 712 f.
180 Theodor Schilling
kerrechtlichen Vertrag, der ein neues Gericht schuf, aber nicht revolutio-
när war, und der ca 10 Jahre später vom EuGH vorgenommenen Revolu-
tion, die gegenüber der völkerrechtlichen Errichtung die institutionelle
Kontinuität wahrte.129 Das spricht zunächst gegen eine fundamentale Re-
volution. Freilich ist auch die gegenteilige Auffassung vertretbar; die Frage,
ob diese beiden historisch getrennten Vorgänge rechtlich gesehen zusam-
mengezogen werden können, lässt sich bejahen. Die Rechtsprechungsbe-
fugnis, die der EuGH zunächst auf der Grundlage der mitgliedstaatlichen
Verfassungen über die Ratifikation der Gemeinschaftsverträge hatte, weist
er seit der Revolution zurück.130 Auch hinsichtlich seiner „vorrevolutio-
nären“ Entscheidungen dürfte der EuGH „– in seiner jeweiligen Beset-
zung – das Recht der authentischen Interpretation und damit das letzte
Wort haben“,131 so dass auch die „vorrevolutionären“ Entscheidungen
heute als revolutionäre zu lesen sind. Damit wird die Revolution auf den
Zeitpunkt der Errichtung der Gemeinschaft zurückbezogen, zu dem ein
neues Gemeinschaftsgericht geschaffen wurde. Letztlich kann die Frage
unter praktischen Gesichtspunkten dahin stehen. Unabhängig davon,
ob sich für die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit die Annahme einer kleinen
Rechtsordnung, die über ihr und den vorrevolutionären Rechtsordnun-
gen der Mitgliedstaaten stünde, verbietet oder nicht, unterstellt der EuGH
seine Revolution keiner derartigen kleinen Rechtsordnung, sondern setzt
schlicht die Grundnorm des Gemeinschaftsrechts voraus, wenn er etwa
ausführt: „Der EWG-Vertrag hat eine eigenständige Rechtsordnung ge-
schaffen“.132 Eine Änderung dieser Rechtsprechung ist so wenig in Sicht,
dass es nicht lohnend erscheint, zu erörtern, ob eine solche Änderung ei-
ne (Konter-)Revolution oder im Rahmen der geltenden Gemeinschafts-
rechtsordnung zulässig wäre.133
(2) (a) Auch aus der Sicht der mitgliedstaatlichen Gerichte liegt in
der revolutionären Entstehung der Gemeinschaftsrechtsordnung eine Re-
volution, denn diese hat auch sie grundsätzlich mit der Rechtsprechung
anhand ihrer eigenen revolutionären Vorgaben betraut134 und ihnen da-
____________________
129 Vgl das „vorrevolutionäre“ Urteil Van Gend & Loos und das „revolutionäre“ Urteil
Costa/ENEL.
130 Vgl Text bei FN 84.
131 So, für das Bundesverfassungsgericht, Limbach (2001) 2917.
132 Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1253, 1269, bestätigt in Rs C-6 und 9/90, Fran-
covich, Slg 1991, I-5357, Rdn 31. – Zum Zusatz des EuGH, dass diese Rechtsordnung in
die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden sei, vgl Text bei und
nach FN 94.
133 Vgl auch FN 113.
134 Vgl Urteil Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1253, 1269. Die Generalanwälte des
EuGH bezeichnen die mitgliedstaatlichen Gerichte in ständiger Praxis als „juge commu-
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 181
mit revolutionär eine Befugnis gegeben, die sie zuvor nicht hatten. Diese
zusätzliche Befugnis ist derjenigen vergleichbar, die eine innerstaatliche
Revolution von ihr aufrechterhaltenen vorrevolutionären Gerichten gibt.
Für die vorrevolutionären mitgliedstaatlichen Gerichte liegt in dieser Be-
trauung – bei offenkundiger institutioneller Kontinuität – eine nicht-
fundamentale Revolution. Für sie gilt konkret, was bereits abstrakt fest-
gestellt wurde:135 Sie haben die Wahl, der Verfassung des Mitgliedstaats
die Treue zu halten und die revolutionäre Befugnis nicht wahrzunehmen
oder sich dem revolutionären Gemeinschaftsrecht zu unterstellen und die
mitgliedstaatliche Verfassung zu ignorieren, soweit sie dem Gemein-
schaftsrecht widerspricht, oder schließlich beide Befugnisse wahrzuneh-
men. Diese Wahl ist eine nicht rechtsgeleitete Entscheidung in dem Sin-
ne, dass sie eine Entscheidung zwischen zwei Grundnormen ist. Freilich
braucht es sich deshalb nicht zwangsläufig um eine willkürliche Entschei-
dung zu handeln; sie kann auf durchaus plausiblen außerrechtlichen Ge-
sichtspunkten beruhen.
Diese Entscheidung lässt sich in eine rechtsgeleitete überführen, wenn
die mitgliedstaatlichen Gerichte die revolutionäre Befugnis neben ihrer
Rechtsprechungsbefugnis nach der mitgliedstaatlichen Verfassung wahr-
nehmen, was in sich freilich auch eine nicht rechtsgeleitete Entscheidung
ist. Dann ist ihnen die Möglichkeit der Annahme einer kleinen Rechts-
ordnung eröffnet, die als staatliche zu denken wäre und die – aus mit-
gliedstaatlicher Sicht – die vorrevolutionäre mitgliedstaatliche und die re-
volutionäre Gemeinschaftsrechtsordnung insoweit überwölbte, als sie den
jeweiligen Mitgliedstaat betrifft. Treffen die Gerichte eines Mitgliedstaats
die Wahl, sich dem revolutionären Gemeinschaftsrecht zu unterstellen,
oder nehmen sie eine kleine Rechtsordnung und zudem an, dass die Re-
volution des EuGH deren entsprechenden Tatbestand erfüllt, so ist die
Revolution des EuGH nicht mehr auf die Gemeinschaftsebene beschränkt,
sondern auch in der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats erfolgt; diese
Rechtsordnung wäre auch aus ihrer eigenen Sicht der Gemeinschafts-
rechtsordnung inkorporiert. Dieser entscheidende Erfolg der Revolution
des EuGH beruhte nicht auf irgendeiner Handlung des EuGH über die
Eröffnung der revolutionären Befugnis der mitgliedstaatlichen Gerichte
hinaus, sondern ausschließlich auf einer politischen Wahl sowie gegebe-
nenfalls einer rechtlichen Entscheidung des zuständigen mitgliedstaatli-
____________________
nautaire de droit commun“; vgl zuletzt Generalanwalt Bot, Schlussanträge in der Rs 455/
06, Urteil vom 25. 11. 2008, Nrn 5, 128; weiter etwa Generalanwalt Cosmas, Schlussan-
träge in der Rs C-423/98, Albore, Slg 2000, I-5965, Nr 79. Vgl weiter aus der Rechtspre-
chung des GeI Rs T-51/89, Tetra Pak Rausing, Slg 1990, II-309, Rdn 42; Rs T-219/95 R,
Danielsson ua/Kommission, Slg 1995, II-3051, Rdn 77.
135 Sub B 2 b.
182 Theodor Schilling
chen Gerichts, die auf der Basis der kleinen Rechtsordnung getroffen
würde, die nur dieses Gericht annehmen kann.136
(b) Wie eine kleine Rechtsordnung aussehen könnte, die die Mög-
lichkeit einer Anerkennung der Revolution des EuGH vorsieht, lässt sich
ansatzweise manchen Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungs-
gerichts entnehmen, auch wenn dieses eine solche kleine Rechtsordnung
nicht kennt. Insbesondere die Ausführungen des Maastricht-Urteils zu den
derzeitigen Mängeln der Gemeinschaft unter dem Gesichtspunkt der ma-
teriellen Demokratie, namentlich der für eine demokratische Legitimati-
on der Gemeinschaft erforderlichen Homogenität137 lassen sich als Hin-
weise auf eine solche kleine Rechtsordnung in dem Sinne lesen, dass der-
zeit zwar nicht, nach einer Behebung dieser Mängel,138 also insbesondere
nach Herstellung dieser Homogenität, aber sehr wohl eine weitere Zu-
rücknahme der demokratischen Rückkopplung der Gemeinschaft an die
Mitgliedstaaten und letztlich wohl selbst die Anerkennung einer revoluti-
onären Gemeinschaftsrechtsordnung möglich wäre. Bei dieser Lesart hätte
das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil zwar gemäß dem in-
stitutionellen Prinzip schlicht auf der Basis des Grundgesetzes entschie-
den, aber die Möglichkeit offen gelassen, bei veränderter Sachlage auf-
grund einer deutschen kleinen Rechtsordnung die revolutionäre Gemein-
schaftsrechtsordnung als solche anzuerkennen. Mit dem Lissabon-Urteil
ist diese Lesart freilich nicht mehr zu vereinbaren: Wieder auf der Grund-
lage des Grundgesetzes erlassen, heißt es dort klar, dass dieses die für
Deutschland handelnden Organe, und das muss das Bundesverfassungs-
gericht einschließen, nicht ermächtigt, durch Eintritt in einen Bundesstaat
das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes, das heißt der staats-
angehörigen Bürger, aufzugeben. Die Revolution steht nur dem Volk selbst
zu, nicht seinen verfassten Organen.139
Das lässt immer noch die Möglichkeit offen, dass die mitgliedstaatli-
chen Höchstgerichte dann eine kleine Rechtsordnung annehmen und de-
ren entsprechender Tatbestand als erfüllt betrachten werden, wenn die
Gemeinschaftsrechtsordnung auf einer Verfassung beruhen wird, die in
____________________
136 Das stellt einen Unterschied zu Revolutionen in einem einzigen Staat mit instituti-
oneller Kontinuität der Gerichte dar: Dort erlaubt das Abstellen auf den Rechtsstab re-
gelmäßig eine klare Aussage über die Wahl einer Rechtsordnung, wie sämtliche in dem
Urteil des Court of Appeal von Fidschi (FN 4) herangezogenen Entscheidungen (mit einer
Ausnahme: vgl zum einen High Court of Southern Rhodesia, Madzimbamuto v. Lardner-
Burke [1968] 2 S Afr LR 284 (Southern Rhodesia HC), zum anderen Privy Council
(FN 46) und dieses selbst belegen.
137 BVerfGE 89, 155, 185 f – Maastricht.
138 „Derartige tatsächliche Bedingungen können sich ... im Verlauf der Zeit im institu-
tionellen Rahmen der Europäischen Union entwickeln“: ibid, 185.
139 BVerfG, 2 BvE 2/08, Absatz-Nr 228 – Lissabon.
Verhältnis zwischen Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht 183
wie sie etwa der Court of Appeal von Fidschi getroffen hat,140 findet sich
nicht. Die Feststellung des Inhalts von stillschweigenden Entscheidungen
hingegen stellt den Beobachter vor Schwierigkeiten. Ob etwa ein Gericht
aufgrund der stillschweigenden Annahme einer kleinen Rechtsordnung
oder vielmehr aufgrund einer stillschweigenden Rechtsordnungswahl ent-
schieden hat, lässt sich für den Beobachter letztlich nicht feststellen; die
beiden möglichen Ergebnisse der Anwendung der kleinen Rechtsordnung –
Geltung der vorrevolutionären oder der revolutionären Rechtsordnung –
unterscheiden sich nicht von denen, die auch bei einer nicht rechtsgelei-
teten Rechtsordnungswahl möglich wären, bei der die Gerichte die Wahl
haben, sich der Revolution anzuschließen oder der mitgliedstaatlichen
Verfassung die Treue zu halten. Freilich liegt es entsprechend dem Öko-
nomieprinzip („Rasiermesser“) des Wilhelm von Ockham nahe, in sol-
chen Fällen eine schlichte Rechtsordnungswahl anzunehmen.141
Schwierigkeiten bereitet es aber bereits, festzustellen, ob ein Gericht –
unter welcher Konstruktion auch immer – von der Geltung der vorrevo-
lutionären oder der revolutionären Rechtsordnung ausgeht.142 Eine sol-
che Feststellung ist nur möglich, wenn entweder die Entscheidung Dikta
enthält, die nur eine Deutung zulassen (und somit einer ausdrücklichen
Entscheidung nahekommt), oder wenn die Rechtsprechung der revoluti-
onären Gemeinschaftsgerichtsbarkeit und die Rechtsprechung der natio-
nalen Höchstgerichte in concreto zu unterschiedlichen Ergebnissen füh-
ren würden.
Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht, dass es die
ihm eröffnete Wahlmöglichkeit getreu dem institutionellen Prinzip nicht
zur Kenntnis nimmt; diese nicht rechtgeleitete Wahl verbirgt es, so scheint
es jedenfalls auf den ersten Blick, dadurch, dass es aus dem deutschen
Grundgesetz herleitet, dass aus dessen Sicht eine Revolution nicht zuläs-
sig war. Das ist freilich keine Begründung für die getroffene Wahl, son-
dern bereits ihre Folge.143 Auf den zweiten Blick lassen sich der Entschei-
dung freilich außerrechtliche Gründe für diese Wahl entnehmen. Auch
dem externen Beobachter dürfte es einleuchten, dass eine Revolution im
Rechtssinne aus demokratietheoretischen Gründen nicht von den obers-
____________________
156 High Court of Southern Rhodesia (FN 136), per Justice MacDonald, hier zitiert
nach Wengler (1968b) 568.
157 Vgl Dworkin (1987) 31 ff.
158 Nach BVerfG, 2 BvE 2/08, Absatz-Nr 339 – Lissabon, ist dieser Rahmen (nur) über-
schritten, „wenn es ersichtlich am [deutschen] Rechtsanwendungsbefehl mangelt“ oder „ei-
ne Verletzung der ... unverfügbaren ... Verfassungsidentität“ in Frage steht.
159 Der Gebrauch des Ausdrucks „Kooperation“ in BVerfGE 89, 155, 175 und 178 –
Maastricht wurde in den Anmerkungen zu dieser Entscheidung häufig beanstandet; vgl
die Nachweise bei Heintzen, (1994) 583, FN 82. Verstanden wie im Text, ist Koopera-
tion eine harmlose, sogar gebotene Voraussetzung für das Funktionieren des Aggregats aus
den Rechtsordnungen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten, das nach Pernice
(1999) aufrund einer „common decision of the peoples of the Member States“ erforder-
lich ist. Ähnlich wie hier Heintzen (1994) 589.
160 BVerfG, 2 BvE 2/08, Absatz-Nrn 225, 227 – Lissabon.
161 De Witte (1998) 292 f kommt zu dem Ergebnis, dass eine Reihe von mitgliedstaat-
lichen Höchstgerichten eine „fine-tuned balance between requirements of European integra-
tion and state sovereignty“ gefunden habe, die einer „peaceful coëxistence“ gleiche, „whose
maintenance is in the hands of the political and judicial institutions of the Member States“.
188 Theodor Schilling
168 Für die entsprechenden Verhältnisse in den Niederlanden vgl Claes/de Witte (1998)
14 ff.
169 Zuerst erwähnt in Schrödinger (1935) 812; vgl dazu zB Gribbin (1984) 203 ff.
170 Ähnlich iE MacCormick (1993) 4 ff.
190 Theodor Schilling
IV. Schluss
Die Untersuchung endet damit mit einem klaren non liquet. Die hier
erörterten Fragen nach dem Verhältnis namentlich zwischen Gemein-
schaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht in der Rechtswirklichkeit las-
sen sich auf dem gewählten theoretischen Niveau nicht generell mit Si-
cherheit beantworten. Für Deutschland ist hingegen die Antwort mög-
lich, dass die unterschiedlichen Konstruktionen des Rechtsstoffs aus Ge-
meinschaftsrecht und deutschem Recht, die der EuGH bzw das Bundes-
verfassungsgericht vertreten, sich gegenseitig ausschließen. Das ist aus der
Sicht des Bürgers zwar nicht unbedenklich. Ich hatte mich in einem frühe-
ren Beitrag dagegen verwahrt, dass das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht
zu mitgliedstaatlichem Recht zur Folge haben könne, dass nicht alle
Rechtsfragen rechtlich beantwortet werden könnten.171 Daran ist grund-
sätzlich festzuhalten. Jedoch kann die Antwort nach Maßgabe dessen un-
terschiedlich ausfallen, welches Gericht für ihre Erteilung zuständig ist.
Solange aber eine Kooperation dieser Gerichte dafür sorgt, dass das letzt-
lich nicht der Fall ist, wiegen die Bedenken des Bürgers nicht allzu schwer.
Abgeholfen werden kann ihnen nicht rechtlich, sondern nur politisch:
entweder, wie hier erörtert, durch die Unterstellung der deutschen oder,
allgemeiner, der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung unter die Gemein-
schaftsrechtsordnung oder durch die Annahme einer kleinen Rechtsord-
nung seitens des mitgliedstaatlichen Höchstgerichts oder, demokratiethe-
oretisch überzeugender, durch ein Eingreifen der verfassungsgebenden Ge-
walten der Mitgliedstaaten.
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Bernd-Christian Funk
Die Leistungsfähigkeit der Stufenbaulehre
Zur Wissenssoziologie eines reduzierten Positivismus
1
Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht (1927, Neudruck 1969), Vorwort.
2
Der Ansatz erinnert an die Lehre von den Universalien und den Essentialien.
3 Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus, in: Gesellschaft,
Staat und Recht, FS für Kelsen (1931) 252 ff (Nachdruck in: Klecatsky/Marcic/Scham-
beck, Die Wiener rechtstheoretische Schule [1968] Bd 2, 1311 ff [1316]).
4 Merkl, Prolegomena (FN 3) 1317.
196 Bernd-Christian Funk
5
Merkl, Prolegomena (FN 3) 1335 f.
6
Merkl, Prolegomena (FN 3) 1351.
7 Merkl, Prolegomena (FN 3) 1361.
8 Kelsen, Reine Rechtslehre (1934) 62 ff („Die Rechtsordnung und ihr Stufenbau“);
Reine Rechtslehre2 (1960) 228 ff („Der Stufenbau der Rechtsordnung“ im Kapitel über
„Rechtsdynamik“).
9 Kelsen, Rechtslehre2 (FN 8) 1.
10 Schild, Die zwei Systeme der Reinen Rechtslehre. Eine Kelsen-Interpretation, Wie-
ner Jahrbuch für Philosophie, Bd IV (1971) 150; Schild, Geschichtlichkeit des Rechts-
gesetzes und Rechtswissenschaft, in: Heintel-FS (1972) 144.
11 Aus dem neueren Diskurs um die Stufenbaulehre seien insbesondere die folgenden
Publikationen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – hervorgehoben: Aichlreiter, Stu-
fenbau- und Derogationsfragen bei Flächenwidmungsplänen, ecolex 1995, 65; Baumgart-
Die Leistungsfähigkeit der Stufenbaulehre 197
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Borowski, Die Lehre vom Stufenbau des Rechts nach Adolf Julius Merkl, in: Paulson/
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derts (2005) 122; Griller, Der Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung nach dem
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desverfassung und pouvoir constituant, juridikum 2004, 112; Handstanger, Die Be-
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Reinen Rechtslehre (1986) 51; Thienel, Gibt es einen Stufenbau der Bundesgesetze nach
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12 „Koppelung“ und „Interpenetration“ in der Terminologie der Systemtheorie.
13 Dazu siehe auch Funk, Rechtswissenschaft als Erkenntnis und kommunikatives Han-
deln, dargestellt anhand von Entwicklungen in der Staatsrechtslehre, JRP 2000, 65; Funk,
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Verfassungsstaat am Scheideweg (2005), 127; Funk, Die Wirklichkeitsannahmen der
Rechtswissenschaften, Publikationen der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, in:
Brix/Magerl (Hrsg), Weltbilder in den Wissenschaften (2005) 81.
198 Bernd-Christian Funk
Bzgl der system- und kommunikationstheoretischen Grundlagen sei – parte pro toto
– auf Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie (1984); Schütz-
eichel, Soziologische Kommunikationstheorien (2004), verwiesen.
14 Kelsen, Rechtslehre2 (FN 8) 196 ff.
15 Kelsen, Rechtslehre2 (FN 8) 5 unter Berufung auf George Edward Moore.
16 Kelsen, Rechtslehre2 (FN 8) 10.
17 George Edward Moore, Principia Ethica (1903).
18 Kelsen spricht vom Methodensynkretismus als Grundübel der Jurisprudenz des 19.
und 20. Jahrhunderts (Reine Rechtslehre2 1 – FN 8). Mit der Hypostasierung von Sein
und Sollen und der Gleichsetzung von Recht und Sollen wird ein Ansatz zugrunde gelegt,
der das reduktionistische Gegenstück zum Methodensynkretismus bildet, indem er die
Wirksamkeit als Geltungsbedingung zwar akzeptiert, aber der rechtswissenschaftlichen Ana-
lyse vorenthält.
Die Leistungsfähigkeit der Stufenbaulehre 199
griffen worden. Sie bleibt in der Ambivalenz von Ontologie und Kon-
struktivismus stecken.
Die Zuordnung der Rechtsgeltung zur Welt des Sollens und der Rechts-
wirksamkeit zur Welt des Seins ist ein weiterer ontologisch-konstrukti-
vistischer Reduktionismus. Der Ansatz verstellt eine weitere Auseinander-
setzung mit der im Prinzip zugestandenen Tatsache einer fundamentalen
Wechselwirkung zwischen Geltung und Wirksamkeit: Die Wirksamkeit des
Rechts ist insofern eine Bedingung der Rechtsgeltung, als ineffektivem
oder ineffektiv gewordenem Recht keine Geltung zugebilligt wird. Die
Wechselwirkung wird zwar erkannt, dann aber als Problem ausgeklam-
mert und mit der Formel von der Wirksamkeit „im großen und gan-
zen“,19 die keines weiteren Nachweises bedürfe, in eine Scheinlösung
transformiert. Auf diese Weise wird das Ergebnis schon im Ansatz gegen
Kritik immunisiert.
Die Geltung des Rechts ist eine soziale Tatsache. Als solche kann sie
nur mit Hilfe von sozialen Tatsachen erklärt werden. Rechtsgeltung beruht
auf einem Zusammentreffen (Koppelung) zweier Systeme gesellschaftlicher
Kommunikation: einem kommunizierten Geltungsanspruch20 und einem
ebenfalls kommunizierten, diesen Anspruch bestätigenden oder in Frage
stellenden Verhalten21 der Angehörigen einer Rechtsgemeinschaft. Beides
zusammen in seiner wechselwirkenden (gekoppelten) Dynamik ergibt Gel-
tung von positivem Recht und ermöglicht Aussagen über Rechtsgeltung.
Mit der apriorischen Zuweisung der Rechtsgeltung zur Sollenswelt und
der Ausblendung der Wirksamkeit mit Hilfe einer Fiktion, die auf der
Annahme (Evidenz?) der Zugehörigkeit von Einzelnormen zu einem Sys-
tem beruht, dessen Effektivität und damit Geltung „im großen und gan-
zen“ vorausgesetzt werden kann und darf, und dessen Prüfung nicht Sa-
che der Rechtswissenschaft ist, entsteht ein auf Sollensansprüche redu-
zierter Rechtspositivismus, der eine – wie von ihm selbst zugestanden we-
sentliche – Facette der Rechtsgeltung als bloße Seinstatsache von vorn
herein ausklammert, zugleich aber auch als voraussetzbar erklärt. Erneut
zeigt sich die Wirkung des im Ansatz zugrunde gelegten Widerspruches
von Empirie (Theorie) und Konstruktivismus.
Zur Rettung des Ansatzes und zur Immunisierung des Widerspruches
in den Grundlagen muss die Grundnorm als transzendental-logische Bedin-
____________________
19 Kelsen, Rechtslehre2 (FN 8) 219. Diese Formel passt nicht zu der Formel, dass
„zwischen Geltung und Wirksamkeit „ein gewisser Zusammenhang“ bestehen könne, und
dass eine Rechtsnorm als „objektiv gültig“ nur dann angesehen werde, wenn das von ihr
geregelte menschliche Verhalten „ihr tatsächlich, wenigstens bis zu einem gewissen Gra-
de“ (sic!) entspricht – Kelsen, aaO 10.
20 „Sollen“ im Sinne der Reinen Rechtslehre.
21 „Sein“ im Sinne der Reinen Rechtslehre.
200 Bernd-Christian Funk
gung für objektive Erkennbarkeit des Rechts eingeführt werden. Sie bildet
die konstruktivistisch-fiktive Prämisse für eine Identifikation von Rechts-
dynamik und Stufenbau, der einerseits als konstruktionslogische Struktur
des positiven Rechts, andererseits auch als dessen Realität verstanden wird.
Auch hier ist der erwähnte reduktionistische Widerspruch in den erkennt-
nistheoretischen Grundlagen der Reinen Rechtslehre wirksam.
Der ontologisch-konstruktivistische Reduktionismus setzt sich in der
Theorie der Auslegung fort. Bei den zugrunde gelegten Ansätzen ist eine
Theorie der Auslegung, die sich mit einer Schnittstelle von „Sollen“ und
„Sein“ befasst, ein Fremdkörper. Schon eingangs werden in der Reinen
Rechtslehre erkenntnistheoretische Distanz und Skepsis gegenüber einer
Theorie der Interpretation signalisiert.22 Die knappen Ausführungen23
zum Thema „Interpretation“ enthalten im Kern die Botschaft, dass ei-
ne wissenschaftliche Interpretation praktisch nicht möglich ist, denn:
„Rechtswissenschaftliche Interpretation kann nichts anderes als die mög-
lichen Bedeutungen einer Rechtsnorm herausstellen. Sie kann als Erkennt-
nis ihres Gegenstandes keine Entscheidung zwischen den von ihr aufge-
zeigten Möglichkeiten treffen, sie muß diese Entscheidung dem Rechts-
organ überlassen, das nach der Rechtsordnung zuständig ist, Recht anzu-
wenden.“24
Diese Auffassung über Interpretation bringt eine neue Variante von
erkenntnisphilosophischem Reduktionismus ins Spiel. Sie geht davon aus,
dass es invariante und objektiv erkennbare „mögliche Bedeutungen einer
Rechtsnorm“ gäbe, die als solche „herausgestellt“ werden könnten. Diese
Annahme ist realitätsfremd. Sie geht an der Funktionsweise gesellschaftli-
cher Kommunikation und deren Bedeutung für die Geltung, Wirksamkeit
und Dynamik des Rechts vorüber.
Interpretation ist eine Form gesellschaftlicher Kommunikation. Sie ver-
mag – wenn sie unter Angehörigen einer Rechtsgemeinschaft stattfindet
– Rechtsgeltung zu beeinflussen. Das gilt gleichermaßen für imperative
Kommunikation, sprich: Rechtssetzung und Rechtsanwendung durch ein-
seitige Normsetzung, wie auch für konsensuale Kommunikation in Form
von Verträgen und formlosen Abmachungen, aber auch für kommuni-
zierte Auslegung, einschließlich kommunizierten rechtserheblichen Verhal-
tens, gleichgültig ob es in der Rechtsgemeinschaft als rechtsgemäß oder
____________________
22 Kelsen, Rechtslehre2 (FN 8) 1: „Die Reine Rechtslehre ist eine Theorie des positi-
ven Rechts; des positiven Rechts schlechthin, nicht einer speziellen Rechtsordnung. Sie ist
eine allgemeine Rechtslehre, nicht Interpretation besonderer oder nationaler Rechtsnormen.
Aber (sic!) sie gibt eine Theorie der Interpretation“.
23 Kelsen, Rechtslehre2 (FN 8) 346–354.
24 Kelsen, Rechtslehre2 (FN 8) 353.
Die Leistungsfähigkeit der Stufenbaulehre 201
27 Dies entspricht der in sozialen Systemen zu beobachtenden Koppelung von causa und
telos.
28 „Gesellschaftliche“ Kommunikation zum Unterschied von maschineller Kommuni-
kation, die anderen Gesetzen unterliegt.
29 „Autopoiesis“ im Jargon der Systemtheorie.
204 Bernd-Christian Funk
Verwendete Literatur
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des 20. Jahrhunderts (2005) 122.
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Funktionslogik beweglich gekoppelter Systeme, in: FS Pernthaler, Vom Verfassungs-
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Adolf Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus, in: Gesellschaft,
Staat und Recht, FS für Kelsen (1931) 252 ff (Nachdruck in: Klecatsky/Marcic/
Schambeck, Die Wiener rechtstheoretische Schule [1968] Bd 2, 1311 ff [1316]).
208 Bernd-Christian Funk
1 Die Vortragsform wurde auch für die schriftliche Fassung weitgehend beibehalten.
Auf einen ausgedehnten Fußnotenapparat wurde verzichtet.
2 Der Beitrag beschränkt sich auf die österreichische Gerichtsbarkeit, insb diejenige der
beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts.
3 Vgl www.ris.bka.gv.at.
4 Stand 13. Jänner 2011.
5 Davon in acht Fällen nur in der Wiedergabe des Beschwerdevorbringens bzw der
Bescheidbegründung (oder der Gegenschrift); VwGH 97/02/0505, 97/16/0281, 2004/
03/0066, 2005/03/0051, 2003/20/0181, 2006/12/0021, 2006/12/0204, 2007/18/0038.
6 VwGH 88/03/0210.
7 VwGH 83/09/0086.
8 Er beruft sich dabei auf Bydlinski, Methodenlehre und Rechtsbegriff 2 (1991); VwGH
93/08/0008.
210 Robert Schick
zur Auslegung des Begriffes „civil rights“ erweise sich als „offene Rechts-
fortbildung“9.
Durchsucht man hingegen mit Hilfe einer weithin verwendeten Such-
maschine das Internet auf kumulatives Vorkommen der Begriffe „Ausle-
gung“ und „Rechtsfortbildung“, so ergeben sich Tausende Treffer, und eine
grobe Durchsicht liefert einen wahren Steinbruch an nützlichen Hinwei-
sen zu Methodenlehre, Rechtstheorie, Sprachanalyse, aber auch zur Prob-
lematik der Rechtsfortbildung durch Gerichte, nicht zuletzt der beiden
genannten Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts. Man ist daher geneigt
zu fragen, ob diese beiden Gerichtshöfe, aber nicht nur sie, wirklich nur
Auslegung betreiben, oder ob auch Rechtsfortbildung erfolgt, diese aber
undeklariert bleibt (verdeckte Rechtsfortbildung).
Einwände dagegen, sie noch zum Bereich der Auslegung zu zählen. Damit
verbleiben für die Rechtsfortbildung im Wesentlichen Lückenschließun-
gen, Einbindungen allgemeiner Rechtsgrundsätze, aber auch, wie es scheint,
unbestimmte Rechtsbegriffe, nicht zuletzt auch „unrichtige“ oder „verfehl-
te“ Auslegungen. Es genügt für das Folgende, Auslegung und Rechtsfort-
bildung als grundsätzlich unterscheidbare Phänomene zu behandeln und
einzuräumen, dass die Abgrenzung im Einzelfall schwer fällt. Dahingestellt
bleiben kann einstweilen auch, ob und inwieweit Rechtsfortbildung über-
haupt zulässig oder allenfalls geboten ist.
Bekannt ist in der Regel auch im Großen und Ganzen der im Einzel-
fall angenommene bzw der Entscheidung zu Grunde gelegte Sachverhalt
(eigene Feststellung oder Entscheidung auf der Grundlage des von der Un-
terinstanz angenommenen Sachverhalts). An dieser Stelle ist gleichwohl
ein Zögern angebracht, weil Richter aus eigener Erfahrung das Phäno-
men der zur Unkenntlichkeit komprimierten Fallkonstellation kennen.
Von der Beschreibung des Sachverhalts gibt es bekanntlich keinen gültigen
deduktiven Übergang zur Rechtsfolge (zur Entscheidung, zum Spruch).
Sämtliche in Betracht kommende Rechtsvorschriften liegen ebenfalls
vor, auch von ihnen gibt es jedoch, im Zusammenhang mit dem Sach-
verhalt, keinen gültigen deduktiven Übergang zur Rechtsfolge. Man steht
vor der Kluft zwischen Sachverhaltsprämisse und Normprämisse. Diese
Kluft ist nur durch Zwischenschaltung weiterer Prämissen überbrückbar,
welche die Sachverhaltsbeschreibung und den Bedingungsteil des Norm-
satzes verbinden. Erst hier betritt man das Reich der Auslegungshypothe-
sen. Diese können verschiedener Art sein, ganz im Sinne der von mir an-
gesprochenen Offenheit für Auslegungskriterien. Je nach Art der Ausle-
gungshypothesen werden uU auch durchaus komplexe Tatbestandsergän-
zungen nötig sein.
Mindestens eine der in die deduktive Argumentation eingebaute (ein-
gestellte) Prämisse muss als Ergebnis einer Auslegung deutbar sein. Diese
Prämisse muss in der Lage sein, Sachverhaltsbeschreibung und Bedin-
gungsteil des Normsatzes zu überbrücken. Im Falle einer semantischen In-
terpretation wird es eines Satzes bedürfen, demzufolge alle Fälle mit Merk-
malen, wie sie der Sachverhalt aufweist, zu den Tatbestandsvoraussetzun-
gen der Norm gehören. Ob ein solcher Satz, der (ausdrücklich oder er-
kennbar) in den Begründungszusammenhang gestellt wird, noch als Aus-
legungsergebnis angesehen werden kann, hängt nun nicht nur, wie ange-
deutet, davon ab, welche Auslegungskriterien man überhaupt akzeptiert,
sondern zusätzlich, ob man – sehr vergröbernd gesagt – eine Auslegung
als geglückt12 ansieht. Da die Gewinnung der Auslegungsprämissen nicht
schematisch abläuft, sind unterschiedliche Ansichten zur „Geglücktheit“
in einigermaßen heiklen Fällen kaum vermeidbar. Es mag zutreffen, dass
in die Beurteilung an dieser Stelle jeweils auch Wertungen einfließen, da-
vor braucht man aber nicht zurückzuschrecken, denn daraus folgt nicht,
dass eine rationale Auseinandersetzung darüber ausscheidet.
Gelangt man nun im Laufe ein solchen kritischen Rekonstruktion zur
Auffassung, dass eine Begründungsprämisse nicht mehr als Ergebnis einer
____________________
12 Es ist nicht zu übersehen, dass es sich hier um ein schwaches Kriterium handelt. Letzt-
lich geht es darum, ob eine Prämisse vom gewählten Auslegungsmittel getragen wird, also
im Rahmen dessen bleibt, was dieses hergibt.
214 Robert Schick
Auslegung qualifiziert werden kann (also nicht erzielbar ist), dann liegt die
Annahme nahe, dass es vielmehr zur Setzung der Prämisse gekommen ist
(oder die zur Herstellung einer vollständigen deduktiven Ableitung erfor-
derliche Prämisse nur als gesetzt verstanden werden kann). Die Rekonstruk-
tion der Entscheidungsbegründung hätte dann zum Ergebnis geführt,
dass ein wesentlicher Teil der gültigen Deduktion – nur von einer solchen
kann hier sinnvoll die Rede sein –, sehr unscharf gesprochen, nicht mehr
auf die maßgeblichen Rechtsvorschriften zurückgeführt werden kann. An
diese Fälle ist mE gedacht, wenn von Rechtsfortbildung eines Gerichts
die Rede ist, die typischer Weise im Duktus der Entscheidungsbegründung
gerade nicht als solche deklariert wird.
Es sei hier angemerkt, dass im vorliegenden Zusammenhang die Zweck-
mäßigkeit, Ausgewogenheit oder praktische Vernünftigkeit der auf Setzung
beruhenden Prämisse nicht von Interesse ist.
erscheint mir, dass die zu Grunde liegende Fallkonstellation auf den ers-
ten Blick eher einfach zu sein scheint.
Das Volksgruppengesetz verpflichtete die Bundesregierung, unter Be-
rücksichtigung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch Verordnung die-
jenigen Behörden und Dienststellen festzulegen, bei denen zusätzlich zur
deutschen Amtssprache die Verwendung der Sprache einer Volksgruppe
zugelassen wird, wobei jedoch das Recht der Verwendung dieser Sprache
auf bestimmte Personen oder Angelegenheiten beschränkt werden konn-
te14. In Ausführung dieser Bestimmung erging die Verordnung der Bun-
desregierung BGBl 1977/307 (sog slowenische Amtssprachen-Verordnung).
Ihr § 2 Abs 2 Z 3 lautete:
„§ 2.
...
(2) Die slowenische Sprache ist zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache ferner
vor den Gemeindebehörden und Gemeindedienststellen folgender Gemeinden zugelassen:
...
3. im politischen Bezirk Völkermarkt: Sittersdorf.“
Dieses Wort „Sittersdorf“ wurde nach dem dürren Spruch des Erkennt-
nisses vom VfGH als gesetzwidrig aufgehoben. Nur dieser Spruch wurde
von der Bundesregierung im Bundesgesetzblatt kundgemacht15. Wie kam
es zu dieser Entscheidung?
Vorauszuschicken ist, dass die Gemeinde Eberndorf im politischen Be-
zirk Völkermarkt in Kärnten liegt und dem Beschwerdeführer im Aus-
gangsverfahren, grob gesagt, der Gebrauch der slowenischen Sprache vor
einer Gemeindebehörde in Eberndorf mit der Begründung verwehrt wur-
de, die Gemeinde Eberndorf sei in § 2 der Verordnung nicht angeführt,
weshalb die slowenische Sprache dort nicht zugelassen sei. Aus Anlass der
dagegen erhobenen Beschwerde beschloss der VfGH, die Gesetzmäßigkeit
des Wortes „Sittersdorf“ in der erwähnten Verordnungsstelle zu prüfen16.
Maßgeblich ist im Folgenden die im Verfassungsrang17 stehende Z 3
in Art 7 des Staatsvertrags von Wien 1955, BGBl 151:
„Artikel 7.
Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten
...
3. In den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens, des Burgenlandes und der Stei-
ermark mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung wird die slowenische
oder kroatische Sprache zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache zugelassen. In solchen
Bezirken werden die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in
slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfaßt.“
____________________
Zu Grunde gelegt wurde vom VfGH weiters, dass die Gemeinde Ebern-
dorf bei der Volkszählung 1991 einen Anteil von 10,4 % slowenisch spre-
chender Wohnbevölkerung aufwies und der Anteil der slowenisch Spre-
chenden an der Wohnbevölkerung bei den vorhergehenden Volkszählun-
gen 8,0 % (1951), 10,0 % (1961), 15,9 % (1971) und 9,5 % (1981) be-
trug18.
Die Begründung des Erkenntnisses vollzog sich in mehreren Schritten:
18 Angegeben wurden auch die Prozentsätze der windischsprachigen und der deutsch-
sprachigen Bevölkerung.
19 Übereinkommen über das Recht der Verträge BGBl 1980/40.
20 Dies bereits in der Stammfassung des B-VG 1920.
Auslegung und Rechtsfortbildung 217
21 VfSlg 11.585/1987.
218 Robert Schick
größere Zahl der dort wohnenden Personen zur Minderheit gehören müs-
se“ bzw hiefür ein „nicht ganz unbedeutender (Minderheiten-)Prozentsatz“
zu fordern sei, und dass den diesbezüglichen Feststellungen „bloß eine ,ver-
gröberte statistische Erfassung zugrundezulegen sei‘“ (VfSlg 12.836/1991,
S 204, unter Berufung auf VfSlg 11.585/1987, S 751) – auch (schon) ei-
ne Gemeinde, die – so wie die Gemeinde Eberndorf – bei der Volkszäh-
lung 1991 einen Anteil von 10,4 % slowenisch sprechender österreichi-
scher Wohnbevölkerung aufwies und in der dieser Anteil bzw der Anteil
slowenisch Sprechender an der Wohnbevölkerung insgesamt bei den vor-
hergehenden Volkszählungen 8,0 % (1951), 10,0 % (1961), 15,9 % (1971)
und 9,5 % (1981) betrug, wobei ... .“
Interessanterweise trug der VfGH zur Bestärkung des bereits erzielten
Ergebnisses ein weiteres Begründungselement nach. Ausdrücklich verwarf
er nämlich die Auffassung, jede staatliche Regelung, die sich innerhalb
der durch die völkerrechtliche Praxis bestimmten Bandbreite von 5 bis
25 % hält, sei staatsvertrags- und damit verfassungskonform. Dazu ging er
auf die Entstehungsgeschichte des Staatsvertrages von Wien 1955 ein.
Die ursprünglich seitens des Vereinigten Königreiches ventilierte Beschrän-
kung auf Bezirke mit einem „beträchtlichen Anteil“ von Minderheitsan-
gehörigen sei zu Gunsten des sowjetischen Textvorschlages fallen gelassen
worden. Daraus sei abzuleiten, dass in Eberndorf angesichts der angege-
benen Prozentsätze am Vorliegen „gemischter Bevölkerung“ kein Zweifel
bestehen kann.
Damit erwies sich nach Auffassung des VfGH die in der Verordnung
enthaltene Beschränkung auf die einzig genannte Gemeinde Sittersdorf als
gesetzwidrig, weil sie den bestehenden völkerrechtlichen Bestimmungen
widersprach, die das Gesetz als Determinanten nannte.
5. Kritik
Wie so oft beim Phänomen unbestimmter Rechtsbegriffe kann auch
im Beispielsfall bei der Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidungsbe-
gründung ein gewisses Unbehagen auftreten. Jedenfalls problematisch er-
scheint isoliert betrachtet die gleichsam als Bestärkung nachgetragene Be-
gründung. Sie mag für die Ableitung der Verfassungswidrigkeit einer in der
Nähe von 25 % angesetzten gesetzlichen Grenze tauglich sein, für die Ab-
leitung des Einzelfallergebnisses ist sie nicht ausreichend. Um die Konse-
quenz zu vermeiden, dass hier ein „non sequitur“ vorliegt, muss man sich
einen in den deduktiven Zusammenhang gestellten zusätzlichen Satz den-
ken. Es liegt nahe, dass dieser Satz letztlich einen Prozentsatz nennen muss.
Nicht anders ergeht es in Ansehung der Hauptbegründung. Nach mei-
nem persönlichen Sprachverständnis hätte ich zwar keine Bedenken, bei
Auslegung und Rechtsfortbildung 219
Rechtsordnung fehlt, versteht sich von selbst. Sie bieten auch den letztin-
stanzlichen Gerichten selbst, wie das Amtssprachenerkenntnis zeigt, die
Gelegenheit, ihre Entscheidungen als in der eigenen Rechtsprechungstra-
dition stehend darzustellen. Leitsätze sind aber, solange eine diesbezügli-
che Ermächtigung zur generellen Normerzeugung fehlt, keine von den Ge-
richten erzeugte Normen.
1 BVerfGE 89, 155 (209 f). Durch den Vertrag von Amsterdam vom 2. 10. 1997 (ABl
EG 1997 Nr C 340) erfolgten folgende Umnummerierungen: Art N EUV = Art 48 EUV;
Art K.9 EUV wurde neu gefasst in Art K.6 EUV = Art 34 EUV; Art 235 EWGV =
Art 308 EGV. Der am 1. 12. 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon (ABl EU 2007
Nr C 306/1; konsolidierte Fassung in ABl EU 2008 Nr C 115/47, zuletzt ABl EU 2010
Nr C 83/1) behält den Vertrag über die Europäische Union (EUV) in geänderter Fassung
bei und übernimmt mit Änderungen den Inhalt des Vertrages zur Gründung der Europä-
ischen Gemeinschaft (EGV) mit deren Übernahme durch die einheitliche Europäische Uni-
on (vgl Art 1 Abs 3 Satz 2 EUV nF) in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen
224 Rudolf Streinz
Union (AEUV). Das Vertragsänderungsverfahren ist jetzt in Art 48 EUV nF geregelt. Art 34
EUV aF wurde aufgehoben, da die bisherige polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit
in Strafsachen (PJZS) in den Titel V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts“, Art 67-89 AEUV) integriert wurde (Kapitel 4 und Kapitel 5, Art 82-89 AEUV)
und insoweit an die Stelle der EU-Rahmenbeschlüsse die allgemeine Rechtsetzungsform
der EU-Richtlinie (Art 288 Abs 2 AEUV) tritt.
2 Vgl die Stellungnahme von M. Zuleeg, NJW 1993, 3058. Vgl auch H. P. Ipsen,
Zehn Glossen zum Maastricht-Urteil, EuR 29 (1994) 1 (11, 18).
3 Vgl zur diesbezüglichen Kompetenz(-beanspruchung) R. Streinz, Verfassungsvor-
behalte gegenüber Gemeinschaftsrecht – eine deutsche Besonderheit? Die Schranken der
Integrationsermächtigung und ihre Realisierung in den Verfassungen der Mitgliedstaaten,
in: Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, 1437 (1445 ff) mwN. Zum limitierten, aber
fortbestehenden Kontrollvorbehalt vgl insbesondere F. C. Mayer, Kompetenzüberschrei-
tung und Letztentscheidung. Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die
Letztentscheidung über Ultra vires-Akte in Mehrebenensystemen. Eine rechtsvergleichen-
de Betrachtung von Konflikten zwischen Gerichten am Beispiel der EU und der USA,
2000, 95. Aus der neueren Literatur zu den Schranken der Integrationsermächtigung vgl
zB P. M. Huber, Vergleich, in: A. von Bogdandy/P. Cruz Villalón/P.M. Huber (Hrsg),
Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd II: Offene Staatlichkeit – Wissenschaft vom Ver-
fassungsrecht, 2008, § 26 (403 ff) und ebd die Landesberichte zur „Offenen Staatlichkeit“
in Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Öster-
reich, Polen, Schweden, Schweiz, Spanien und Ungarn; ferner die Beiträge in W. Kluth
(Hrsg), Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht. Eine Analyse der Einwir-
kungen der Europäischen Integration auf die mitgliedstaatlichen Verfassungssysteme und
ein Vergleich ihrer Reaktionsmodelle, 2007.
4 Gegen das BVerfG insbesondere M. Zuleeg, in: Alternativkommentar zum Grund-
gesetz, 3. Aufl, Loseblatt (2001), Art 23 Rn 33. Zu den verfassungsrechtlichen Kompetenz-
grenzen vgl zB T. v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integra-
tion, 1996, 453 ff. Rechtsvergleichend Mayer (FN 3) 87 ff.
5 R. Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europä-
ischen Gemeinschaften, in: Festschrift für Ulrich Everling, 1995, 1491 (1491).
6 BVerfG 123, 267 = EuGRZ 2009, 339, Tz 340 unter Verweis auf seine bisherige
Rechtsprechung.
Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH 225
7
BVerfG, EuGRZ 2009, 339, Tz 341.
8
BVerfG, EuGRZ 2009, 339, Tz 332 („Vorrang kraft verfassungsrechtlicher Ermäch-
tigung“), Tz 335 (keine „rechtsvernichtende, derogative Wirkung“ des supranational be-
gründeten Rechts analog Art 31 GG, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht), Tz 342 f
(„der im Zustimmungsgesetz enthaltene Rechtsanwendungsbefehl, der nur im Rahmen
der geltenden Verfassungsordnung erteilt werden kann“, als „Grund und Grenze für die
Geltung des Rechts der Europäischen Union in der Bundesrepublik Deutschland“).
9 Vgl BVerfG, EuGRZ 2009, 339, 340: „wenn ausnahmsweise, unter besonderen
und engen Voraussetzungen, das Bundesverfassungsgericht Recht der Europäischen Union
für in Deutschland nicht anwendbar erklärt“.
10 BVerfG, EuGRZ 2009, 339, Leitsatz 4 Satz 2 und Tz 339 unter ausdrücklicher Be-
zugnahme auf Art 4 Abs 2 Satz 1 EUV („Die Union achtet die Gleichheit der Mitglied-
staaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegen-
den politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lo-
kalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt.“)
11 BVerfG, EuGRZ 2009, 339, Tz 240: „Die Identitätskontrolle ermöglicht die Prü-
fung, ob infolge des Handelns europäischer Organe die in Art 79 Abs 3 für unantastbar
erklärten Grundsätze der Art 1 und 20 GG verletzt werden“.
12 BVerfG, EuGRZ 2009, 339, Tz 339: „Der europarechtliche Anwendungsvorrang
bleibt … ein völkerrechtlich übertragenes, demnach abgeleitetes Institut, das erst mit
dem Rechtsanwendungsbefehl durch das Zustimmungsgesetz in Deutschland Rechtswir-
kung entfaltet“. … „Es ist eine Konsequenz der fortbestehenden Souveränität der Mit-
gliedstaaten, dass jedenfalls dann, wenn es ersichtlich am konstitutiven Rechtsanwen-
dungsbefehl mangelt, die Unanwendbarkeit eines solchen Rechtsaktes für Deutschland
vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wird“. Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung
des BVerfG (BVerfGE 58, 1 (30 f ); 75, 223 (235, 242; 89, 155 [188]) ebd, Tz 240.
13 Vgl dazu L. Gerken/V. Rieble/G.H. Roth/T. Stein/R. Streinz, „Mangold“ als
ausbrechender Rechtsakt, 2009.
226 Rudolf Streinz
richte und der nationalen Gerichte, weiter zu entwickeln?, Verhandlungen des 60. Deut-
schen Juristentages, Bd II/1, 1994, N 9 (9).
40 EuGH, Urt v 22. 11. 2005, Rs C-144/04 – Mangold/Helm –, Slg 2005, I-9981.
41 So Egger (FN 36) 71 ff. Eingehend zum Fall Mangold Gerken/Rieble/Roth/
Stein/Streinz (FN 13). Insoweit auch kritisch BVerfG, EuGRZ 2010, 497, Tz 78 – Ho-
neywell: „Es kann dahinstehen, ob sich ein allgemeiner Grundsatz des Verbots der Alters-
diskriminierung aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den völkerrechtlichen
Verträgen der Mitgliedstaaten ableiten ließe, obwohl nur zwei der zum Zeitpunkt der Man-
gold-Entscheidung 15 Verfassungen der Mitgliedstaaten ein besonderes Verbot der Dis-
kriminierung aufgrund des Alters zu entnehmen war. … Denn zu einem ersichtlichen Ver-
stoß im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung würde auch eine un-
terstellte, rechtsmethodisch nicht mehr vertretbare Rechtsfortbildung des Gerichtshofs erst
dann, wenn sie auch praktisch kompetenzbegründend wirkte.“
42 EuGH, Urt v 30. 5. 1991, verb Rs C-19/90 und C-20/90 – Marina Karella und
Nikolaos Karellas/Ypourgou viomichanias, energeias kai technologias und Organismou
Anasygkrotiseos Epicheirision AE –, Slg 1991, I-2691.
43 EuGH, Urt v 27. 6. 1996, Rs C-234/94 – Waltraud Tomberger/Gebrüder von der
Wettern GmbH –, Slg 1996, I-3133.
44 EuGH, Urt v 17. 3. 1998, Rs C-45/96 – Bayerische Hypotheken und Wechselbank
AG/Edgar Dietzinger –, Slg 1998, I-1199.
45 Vgl Junker (FN 38); Everling (FN 39); M. Lutter, Quo vadis, EuGH?, Oder:
Die Putzfrau als Teilbetrieb, ZIP 1994, 1514; P. Clever, Grundsätzliche Bemerkungen
zur Rechtsprechung des EuGH, DAngVers 1993, 71 (71 ff); A. Samara-Krispis/E. Stein-
dorff, Anmerkung, CMLRev 29 (1992) 615 (619 ff ); P. Hommelhoff, Die Auslegung
angeglichenen Gesellschaftsrechts – eine Analyse der EuGH-Rechtsprechung, in: R. Schulze
(Hrsg), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, 1999, 29 (44); J.
Schulze-Osterloh, Anmerkung ZIP 1997, 1375. Vgl auch R. Streinz, Kurioses aus
Brüssel, EWS 2003, 1 (5 f ).
46 Vgl dazu R. Streinz/S. Leible, Die Zukunft des Gerichtssystems der Europäischen
Gemeinschaft – Reflexionen über Reflexionspapiere, EWS 2001, 1 (6); Hommelhoff
(FN 45) 44 mwN in FN 98. Ein Beispiel bringt S. Leible, in: Martiny/Witzleb (Hrsg),
Auf dem Wege zu einem europäischen Zivilgesetzbuch, 1999, 53 (76): LAG Düsseldorf,
DB 1995, 275 (276) mit Anm B. Schiefer.
47 Vgl Schlachter (FN 38) 45, 52.
Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH 231
48 Durch den Vertrag von Lissabon werden das Europäische Parlament und der Rat aus-
drücklich als „Gesetzgeber“ der Europäischen Union bezeichnet (Art 14 Abs 1 Satz 1,
Art 16 Abs 1 Satz 1 EUV), die grundsätzlich im „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“
(Art 294 AEUV) Verordnungen und Richtlinien (Art 288 Abs 2 bzw 3 AEUV) erlassen.
Die in der Sache an sich zutreffenden Bezeichnungen „Europäisches Gesetz“ bzw „Euro-
päisches Rahmengesetz“, die der Vertrag über eine Verfassung für Europa (ABl EU 2004
Nr C 310/1) vorsah (Art I-33 Abs 1 UAbs 2 bzw 3 EVV), wurden offenbar wegen der da-
rin gesehenen Assoziation an einen Staat bewusst nicht in den Vertrag von Lissabon über-
nommen.
49 Vgl Schlachter (FN 38) 47 und H.-D. Steinmeyer, Die Austauschbarkeit arbeits-
rechtlicher und sozialrechtlicher Gestaltungsformen und das Europäische Gemeinschafts-
recht, in: Festschrift für Otto-Rudolf Kissel, 1994, 1165 (1171 f ) zur im Fall Paletta
(FN 35) maßgeblichen Verordnung (EWG) Nr 574/72 des Rates vom 21. 3. 1972 über
die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 zur Anwendung der Systeme der
sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihre Familienangehörigen,
die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl EG 1972 Nr L 74/1 (aktualisierte
Fassung in Ehlermann/Bieber, Handbuch des Europäischen Rechts, Loseblatt, Nr I A
27/2.2). Die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 wurde mittlerweile durch die Verordnung
(EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit vom 29. 4. 2004 (ABlEU 2004 Nr L 166/1; aktuelle Fas-
sung in Sartorius II – Internationale Verträge – Europarecht, Loseblatt, Nr 185) ersetzt.
50 Art 18 Abs 5 DurchführungsVO 574/72 (FN 49) war im konkreten Fall schlech-
terdings nicht praktikabel; vgl Schlachter (FN 38) 50.
51 EuGH, Rs C-45/90 (FN 35), Slg 1992, I-3465, Rn 27.
52 Steinmeyer (FN 49) 1177; Schlachter (FN 38) 51; R. Wank, Anmerkung zu
EuGH, Rs C-45/90, AR-Blattei 1000.3.1, Nr 164.
53 So zB W. Blomeyer, Anmerkung zu EuGH, Urt v 14.4.1994 – Rs C-392/92, EZA
§ 613a BGB Nr 114.
54 Dies wäre durch eine teleologische Reduktion der Verordnung möglich gewesen, so
bereits die Stellungnahme der Kommission im Verfahren, vgl Rs C-45/90 (FN 35), Slg
1992, I-3435 f, Nr 3. Vgl auch M. Zuleeg, Die Rechtsprechung des EuGH zum Arbeits-
und Sozialrecht im Streit, ArbuR 1994, 77 (82); Wank (FN 52); Schlachter (FN 38)
50 f. Zur Diskrepanz der Vorwürfe gegen den EuGH vgl Zuleeg, aaO, und Steinmeyer
(FN 49) 1179.
232 Rudolf Streinz
61 Ebd, FN 52: „Methodologisch interessant ist der Vergleich mit dem Begründungs-
aufwand, den der Große Senat des BGH bei der Entwicklung des enteignungsgleichen
Eingriffs für erforderlich gehalten hat (vgl BGHZ 6, 270 [273–295])“.
62 F. Ossenbühl, Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch, DVBl 1992,
993 (994 f ).
63 Ukrow (FN 28) 273 ff, 307 ff.
64 Ebd, 328.
65 Vgl ebd, 212 f mwN. Zur „Wesentlichkeitstheorie“ im deutschen Recht vgl BVerfGE
40, 237 (249); 49, 89 (127); 58, 257 (278); 76, 1 (75 f ); 77, 170 (230 f ). Zusammen-
fassend K. Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl 1978, 809 ff; E. Schmidt-Assmann, in: Isensee/
Kirchhof (Hrsg), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd II,
3. Aufl 2004, § 26, Rn 64 f; H. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer
Gesetzgebung, 1988, 162 ff. Zu Ansätzen eines entsprechenden Wesentlichkeitsgrundsat-
zes im Gemeinschaftsrecht vgl H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen
Gemeinschaft, 1993, 220 f; R. Streinz, Divergierende Risikoabschätzung und Kennzeich-
nung, in: ders (Hrsg), „Novel Food“, 2. Aufl 1995, 131 (144). Ansätze finden sich mittler-
weile auch in der Rechtsprechung des EuGH, vgl EuGH, Urt v 6. 12. 2005, Rs C-66/04 –
Vereinigtes Königreich/Europäisches Parlament und Rat –, Slg 2005, I-10552, Rn 48
sowie im Vertrag von Lissabon, vgl Art 290 Abs 1 UAbs 2 Satz 2 AEUV, wonach die „we-
sentlichen Aspekte eines Bereichs“ stets durch den Gesetzgebungsakt des Unionsgesetzge-
bers (Europäisches Parlament und Rat gemeinsam) selbst zu regeln sind. Vgl dazu C. Oh-
ler, in: R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon – Einführung mit Sy-
nopse, 3. Aufl 2010, 96 f.
234 Rudolf Streinz
Abzuwarten bleibt die Reaktion auf die Einbeziehung der Urteile letzt-
instanzlicher Gerichte der Mitgliedstaaten in die möglichen haftungsbe-
gründenden Tatbestände durch das Urteil im Fall Köbler72. Diese Einbe-
ziehung ist durchaus konsequent73 und entspricht auch der Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)74. Sie
betrifft aber mit der Judikative einen bereits in der Sache heiklen Bereich,
zu dem noch „menschliche“ Konfliktpotentiale im Verhältnis zu den
Höchstgerichten einschließlich zu den Verfassungsgerichten der Mitglied-
staaten hinzukommen können. Der EuGH ist daher zu Recht auf die vor-
gebrachten Einwände der beklagten Republik Österreich sowie weiterer
Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, die sich im Verfahren geäu-
ßert haben, relativ sorgfältig eingegangen und hat den Besonderheiten der
Judikative (Rechtskraft, Rechtssicherheit, richterliche Unabhängigkeit)
durch weitere Differenzierungen der im Grundsatz gemeinsamen Anfor-
derungen des gemeinschaftsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruchs
Rechnung getragen, indem im Rahmen des flexiblen Korrektivs des „hin-
reichend qualifizierten Verstoßes“ hier ein „offenkundiger“ Verstoß gefor-
dert wird75. Hinter dieser „Schonung“ der nationalen Gerichte, für die der
EuGH übrigens nicht nur gelobt wurde76, steckt wohl auch das Bestreben,
das in Art 267 AEUV (Art 234 EGV) angelegte „Kooperationsverhältnis“
mit diesen nicht zu beschädigen. Da der EuGH die Mitgliedstaaten aus-
drücklich nicht davon entbindet, festgestellte Verstöße gegen das Gemein-
schaftsrecht für die Zukunft abzustellen, wozu ggf auch die Verpflichtung
gehören kann, den Gerichten durch Änderung oder Präzisierung der Ge-
setze klarere Vorgaben zu liefern, ist diese Zurückhaltung letztlich zu be-
grüßen77. Generell fällt auf, dass der EuGH die Voraussetzungen des Staats-
____________________
EuGH mit Art 308 EGV hauptsächlich wegen der Wahl der Rechtsgrund-
lage befasst, und zwar durch das Europäische Parlament, das den betref-
fenden Rechtsakt auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt sehen wollte,
die ihm das Mitentscheidungsverfahren (bislang Art 251 EGV) eröffnet
hätte86, ferner in dem Gutachten zum möglichen Beitritt der EG zur Eu-
ropäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfrei-
heiten (EMRK), wo der Gerichtshof aber gerade diese Kompetenz ver-
neinte87. Im Übrigen ist nach der bisherigen Praxis zu erwarten, dass der
EuGH gerade bei einer einstimmigen Ratsentscheidung dem Unionsge-
setzgeber gegenüber eine (hier verständliche)88 Zurückhaltung an den Tag
legen würde, eine Zurückhaltung, für die er in Grundrechtsfragen zu
Recht gerügt wurde89.
dung durch den EuGH – Hat Europarecht Methode?, in: von Danwitz ua (Hrsg), Auf dem
Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, 1993, 31 (34 ff ).
92 Vgl dazu P. Kirchhof, Entscheidungszuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in
der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, 2001, 15 ff. Vgl auch M. Zuleeg,
in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Aufl 2003,
Art 5, Rn 1: „ist das gesamte Unionshandeln einer verfassungsmäßigen Legalität unterwor-
fen“. Zu Art 5 EGV als der „Schlüsselnorm des gemeinschaftlichen Kompetenzgefüges“
vgl C. Calliess, Nach dem „Tabakwerbung-Urteil“ des EuGH: Binnenmarkt und gemein-
schaftsrechtliche Kompetenzverfassung im neuen Licht, Jura 2001, 311 (313 f ).
93 Art 5 Abs 1 Satz 1, Abs 2 EUV. Vgl auch den Verweis in Art 4 Abs 1 EUV. So auch
bereits Art I-9 Abs 2 EVV.
94 Vgl EuGH, Urt v 13. 2. 1985, Rs 293/83 – Françoise Gravier/Stadt Lüttich –, Slg
1985, 593 (614).
95 Vgl zur Kodifizierung der EPZ in der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA), zur
Umgestaltung zur Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres (ZBJI) im Vertrag von
Maastricht und zur Reduktion auf die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in
Strafsachen (PJZS) im Vertrag von Amsterdam Streinz (FN 23), Rn 33, 40, 52. Vgl auch
die Übernahme in den Titel V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“),
Art 67 – Art 89 AEUV in den Kapiteln „Politik betreffend Grenzkontrollen, Asyl und Ein-
wanderung“ (Art 77 – Art 80 AEUV), „Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen“ (Art 81
AEUV), „Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ (Art 82 – Art 86 AEUV) und „Poli-
zeiliche Zusammenarbeit“(Art 87 – Art 89 AEUV).
96 Urt v 30. 5. 1989, Rs 242/87 – Kommission/Rat –, Slg 1989, 1425.
97 EuGH, Urt v 30. 5. 1989, Rs 56/88 – Vereinigtes Königreich/Rat –, Slg 1989, 1615.
98 Beschluss des Rates betreffend die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durch-
führung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung vom 2. 4. 1963 (ABl EG 1963
Nr 1338, 63).
Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH 239
8. Ergebnis
Der hier nur kursorische, im Wesentlichen auf die deutsche Sicht be-
schränkte und schon deshalb unvollständige110 Überblick über die Kritik
an der Rechtsprechung des EuGH lässt erkennen, dass an der Auslegungs-
methode des EuGH vor allem der (jedenfalls aus deutscher Sicht) als un-
zureichend empfundene Begründungsaufwand und die daraus folgende ge-
ringe Transparenz der Entscheidungsfindung beanstandet wird111. Eine
solche Transparenz wird vor allem für die Entwicklung von Instituten ge-
fordert, die sich aus dem Wortlaut des Vertrags allein nicht entwickeln
lassen (zB Staatshaftungsanspruch) bzw denen (wie der unmittelbaren Wir-
kung von Richtlinien) Wortlaut und System des Vertrags auf den ersten
Blick entgegenstehen (vgl Art 249 Abs 3 gegenüber Art 249 Abs 2 EGV;
____________________
anlässlich der Verabschiedung von Eckart Klein, 2009, 63 (72 ff ) mwN; eingehend dazu
F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürger-
schaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007.
108 Vgl M. Schwab, Der Dialog zwischen dem EuGH und nationalen Exegeten bei der
Auslegung von Gemeinschaftsrecht und angeglichenem Recht, ZGR 29 (2000) 246 (246 ff)
mwN; J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Ge-
meinschaften, 1997, 277 ff; Leible (FN 46) 76 ff; Hommelhoff (FN 45) 42 ff.
109 Vgl die Kritik von Schwab (FN 108), ZGR 2000, 464, 478. Vgl auch die Kritik
von Hommelhoff (FN 45) 42 ff sowie von M. Lutter, Ergänzende Bemerkungen zur
Auslegung im Gesellschaftsrecht und im Kapitalmarktrecht, in: Schulze (FN 45) 83 (83).
110 Zum Erfordernis eines vergleichenden Blicks über die Grenze vgl Everling (FN 55),
JZ 2000, 218. Als Beispiel (zugleich aus der Sicht eines Richters des EuGH) vgl hierzu O.
Due, Pourquoi cette solution? (De certains problèmes concernant la motivation des arrêts
de la Cour de justice des Communautés européennes), in: Festschrift für Ulrich Everling,
1995, 273 ff; von Danwitz (FN 59), EuR 2008, 776 ff.
111 Vgl dazu auch zusammenfassend A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, § 3,
Rn 23 ff.
Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH 241
jetzt insoweit unverändert Art 288 Abs 3 gegenüber Art 288 Abs 2 AEUV).
Hinter dem Vorwurf einer über den Vertrag hinausgehenden Kompe-
tenzausweitung steckt eine Kritik an einer Überbetonung und vor allem
einseitigen Ausrichtung („Zweck ist die Ausweitung der Gemeinschafts-
kompetenzen“) der teleologischen Methode112. Hinsichtlich der Ausle-
gung sekundären Gemeinschaftsrechts wird bezüglich der im nationalen
Recht umsetzungsbedürftigen und daher auf Einfügung in das nationale
Recht ausgerichteten und letztlich auch angewiesenen Richtlinien ein
unzulänglicher Dialog mit den nationalen Gerichten (vgl Art 267
AEUV/bislang Art 234 EGV) und eine unzureichende Auseinanderset-
zung mit der Wissenschaft (des jeweiligen nationalen Rechtsgebiets und
rechtsvergleichend) bemängelt.
Bevor diese Kritik am EuGH aus Praxis und Wissenschaft gewürdigt
wird, soll zunächst ein kurzer Überblick über die Auslegungsmethoden
des EuGH als supranationalem Gericht gegeben werden. Denn nur die
Erkenntnis der Spezifika und der Anforderungen supranationaler Recht-
sprechung ermöglicht ein sachgerechtes Urteil. Die allein nationale Brille
würde den Blick zwangsläufig verzerren.
112 Vgl dazu (und dagegen) U. Everling, Zur Begründung der Urteile des Gerichts-
hofs der Europäischen Gemeinschaften, EuR 29 (1994) 127 (128) (= Aufsätze [FN 55]
368 [369]).
113 Vgl K.-D. Borchardt, in: O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg), EG-Vertrag. Kommen-
tar, 5. Aufl 2010, Art 19 EUV, Rn 14 ff; R. Geiger, in: R. Geiger/D.-E. Khan/M. Kot-
zur, EUV/AEUV, 5. Aufl 2010, Art 19 EUV, Rn 15 ff; F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf/
Nettesheim (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union. Kommentar, Loseblatt, Art 19
EUV, Rn 53 ff; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hrsg), EU-Kommentar, Loseblatt, Art 1
EGV, Rn 58 ff; I. Pernice/F. C. Mayer, ebd, Art 220, Rn 42 ff; Schwarze, in: Schwarze
(FN 70), Art 220, Rn 27 ff; Wegener, in: Calliess/Ruffert (FN 70); Art 220, Rn 12 ff.
Aus der Lehrbuchliteratur vgl zB Thiele (FN 111), § 3 mwN; A. Epiney, in: R. Bieber/
A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, Europarecht und Politik, 8. Aufl 2008, § 9,
Rn 16 ff; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 4. Aufl 2009, § 10, Rn 165 ff.
114 Vgl zB Anweiler (FN 108); C. Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichts-
hofs der Europäischen Gemeinschaft, 1998, 143 ff; S. Grundmann, Die Auslegung des
Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, 1997. Vgl auch zB A. Arnull,
The European Union and its Court of Justice, 2. Aufl 2006, 607 ff.
242 Rudolf Streinz
115 Vgl bereits H. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemein-
schaftsrechts aus der Sicht eines Richters, in: Begegnung von Justiz und Hochschule
am 22. und 28. 9. 1976, 1976, I, 1 (5 ff ). Ferner zB Nettesheim (FN 113), Art 1,
Rn 60 mwN; Thiele (FN 111), § 3, Rn 1 ff. Ausführlich Müller/Christensen (FN 34)
205 ff.
116 Vgl Borchardt (FN 113), Art 220, Rn 22. Für immerhin begrenzte Rolle Thiele
(FN 111), § 3, Rn 6; Oppermann/Classen/Nettesheim (FN 113), § 10, Rn 174.
117 Vgl dazu Nettesheim (FN 113), Art 1 Rn 73 mwN. Beschränkte Eröffnung des
Zugangs zu allen Schriftstücken der Gemeinschaftsorgane, sofern sie älter als 30 Jahre sind
und keinem Geheimschutz unterliegen, durch die Verordnung (EWG) Nr 354/83 des
Rates vom 1. 2. 1983 über die Freigabe der historischen Archive der Europäischen Wirt-
schaftsgemeinschaften der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl 1983 Nr L 43/1; vgl da-
zu Pernice/Mayer (FN 113), Art 220, Rn 53.
118 Erwägungsgrund 12 EUV aF: „entschlossen, den Prozess der Schaffung einer immer
engeren Union der Völker Europas … weiterzuführen“; Erwägungsgrund 1 EGV: „in dem
festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europä-
ischen Völker zu schaffen“. Vgl dazu Buck (FN 114) 213 ff. Zur rechtlichen Erheblichkeit
der Präambeln zum EU-Vertrag und zum EG-Vertrag vgl Zuleeg (FN 92), Präambel,
Rn 2 mwN. Die Formel des „immer enger“ behält auch der Vertrag von Lissabon bei, der
in Erwägungsgrund 13 der Präambel des EUV bzw in Erwägungsgrund 1 der Präambel des
AEUV die genannten Erwägungsgründe des EUV aF bzw des EGV wortgleich übernimmt.
119 Vgl A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Aufl
1984, 496 ff (§ 782); W. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl
2004, 146 f (§ 11, Rn 21).
120 Nettesheim (FN 113), Art 1, Rn 75.
121 Vgl Nettesheim (FN 113), Art 1, Rn 75 mwN; Thiele (FN 111), § 3, Rn 7; Bor-
chardt (FN 113), Art 220, Rn 23. Beispiel: EuGH, Urt v 17. 6. 1998, Rs C-321/96 –
Wilhelm Mecklenburg/Kreis Pinneberg – Der Landrat –, Slg 1998, I-3809, Rn 28.
Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH 243
dingungen der Brüsseler EG-Institutionen, in: Born/Stickel (Hrsg), Deutsch als Verkehrs-
sprache in Europa, 1993, 88 (99). Zu einem konkreten Beispiel in Art 1 (Begriff des öf-
fentlichen Auftraggebers) in den Richtlinien des Rates Nr 92/50/EWG vom 18. 6. 1992
sowie Nr 93/36/EWG und Nr 93/37/EWG vom 14. 6. 1993 über die Koordinierung der
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (bzw Lieferaufträge bzw Bau-
aufträge), ABlEG 1992 Nr L 209/1 bzw 1993 Nr L 199/1 bzw 54 (Ehlermann/Bieber
[FN 49], Nr I A 28/5.14, I A 28/5.4 und I A 28/5.3) vgl K. Hailbronner, Der Begriff
des öffentlichen Auftraggebers nach den EG-Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge,
EWS 1995, 285 (287). In seinem Schlussantrag vom 24. 6. 1999 zu EuGH, Urt v 28. 10.
1999, Rs C-6/98 – ARD/PRO Sieben Media AG –, Slg 1999, I-7599 (7610), Nr 36 hat
Generalanwalt Jacobs der Entstehungsgeschichte – auch wenn er ihr „kein großes Gewicht“
beimaß – der Richtlinie Nr 89/552/EWG des Rates vom 3. 10. 1989 zur Koordinierung
bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung
der Fernsehtätigkeit (ABl 1989 Nr L 298/23; L 331/51; Ehlermann/Bieber [FN 49], Nr I
A 28/22.6) zum Problem des sog Brutto- oder Nettoprinzips entnommen, dass aufgrund
der Meinungsverschiedenheiten in den Rechtssetzungsorganen absichtlich eine mehrdeu-
tige Formulierung beibehalten wurde. Davon zu unterscheiden ist die fehlerhafte sprach-
liche Umsetzung von Richtlinien im nationalen Recht, vgl zB den Sachverhalt in EuGH,
Urt v 28. 4. 1993, Rs C-306/91 – Kommission/Italien –, Slg 1993, I-2133, Rn 15 ff.
130 Vgl Streinz (FN 23), Rn 241 f. Grundlegend EuGH, Urt v 21. 11. 1974, Rs 6/74 –
Moulijn/Kommission –, Slg 1974, 1287 (Leitsatz 1). Bestätigt zB in EuGH, Urt v 27. 10.
1977, Rs 30/77 – Bouchereau –, Slg 1977, 1999, Rn 13/14. Instruktiv EuGH, Urt v 28. 3.
1985, Rs 100/84 – Kommission/Vereinigtes Königreich –, Slg 1985, 1169, Rn 17: „taken
from the sea“/„gefangen“. Ausführlich dazu Schübel-Pfister (FN 124) 227 ff.
131 Die Entwürfe der Kommission, die in fast allen Fällen ein Initiativmonopol für
Rechtssetzungsvorhaben hat (vgl Art 17 Abs 2 Satz 1 EUV; Breier, in: Lenz/Borchardt
[FN 113], Art 17 EUV, Rn 13; J. Schoo, in: Schwarze [FN 70], Art 250, Rn 3) werden
grundsätzlich in der internen Arbeitssprache der jeweiligen Generaldirektion erstellt, vgl
A. Alonso Madero, Problèmes et perspectives de la communication écrite dans les Com-
munautés européennes, Terminologie et Traduction 1992/1, 343 (345). Die Angaben über
die „Ursprungssprachen“ schwanken, wobei das Englische das Französische in letzter Zeit
eingeholt, wenn nicht überholt haben dürfte.
132 Vgl zB W. Volz, Deutsch im Übersetzeralltag der EG-Kommission, in: Born/Sti-
ckel (FN 129) 64 (71).
133 Vgl nur die Bemerkung von Generalanwalt Mancini im Schlussantrag vom 7. 2.
1985 zu EuGH, Rs 100/84 (FN 130), Slg 1985, 1169 (1173), Nr 4, dass er „zwar die
Weisheit des Gemeinschaftsgesetzgebers bewundere, jedoch nicht seine schludrige und
allzu oft ungenaue Sprache“. Das Problem wird durchaus erkannt, wie zahlreiche Ent-
Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH 245
schließungen des Europäischen Rates und des Rates zeigen, vgl zB die Erklärung (Nr 39)
zur redaktionellen Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, die bei der Ams-
terdamer Konferenz der Staats- und Regierungschefs der Schlussakte zum Amsterdamer
Vertrag vom 2. 10. 1997 beigefügt wurde (ABl 1997 Nr C 340/139). Ausführlich zu den
verschiedenen Ursachen der Sprachdivergenzen im Gemeinschaftsrecht Schübel-Pfister
(FN 124) 104 ff mwN.
134 Vgl die Gesamtbewertung bei Streinz (FN 5) 1508 ff.
135 Nettesheim (FN 113), Art 1, Rn 76.
136 Vgl zum „Verfassungsbegriff“ Streinz (FN 23), Rn 136 ff, 404 sowie zB I. Pernice,
Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001) 148 (149 ff ); ders,
Die Europäische Verfassung, in: Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, 1319 (1323 ff);
P. M. Huber, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001) 194
(196 ff ); Zuleeg (FN 92), Art 1, Rn 10 mwN. Vgl bereits BVerfGE 22, 293 (296).
137 Vgl Schwarze, in: Schwarze (FN 70), Art 1, Rn 7: Der EWG- bzw EG-Vertrag war,
anders als die Gründungsverträge der EAG und EGKS, nicht als Normenvertrag (traité
loi), der bereits selbst die Festlegung der wichtigsten Verpflichtungen der Mitgliedstaaten
enthält, sondern vielmehr als Rahmenvertrag (traité cadre), dessen Durchführung den Er-
lass fortschreitender sekundärer Gesetzgebung impliziert, angelegt. Der AEUV übernimmt
zwar den EGV materiell im Wesentlichen. Allerdings haben die ausdrücklichen Kompe-
tenzzuweisungen in den Reformverträgen zu primärrechtlichen Konkretisierungen geführt.
Etwas anderes war gemeint, wenn der Unionsvertrag von Maastricht als Rahmenvertrag
bezeichnet wurde, nämlich die in Art 1 Abs 3 EUV aF angesprochene Verbindung zwi-
schen Europäischen Gemeinschaften und den Politiken (Gemeinsame Außen- und Sicher-
heitspolitik) und Formen der Zusammenarbeit (polizeiliche und justizielle Zusammenar-
beit in Strafsachen) sowie der in Art 3 Abs 1 EUV aF genannte „einheitliche institutionel-
le Rahmen“.
246 Rudolf Streinz
beimaß147. Allerdings wäre auch hier zu hinterfragen, ob dies auf den kon-
kreten Fall bzw die konkrete Fallgruppe beschränkt war oder verallgemei-
nert werden kann148. Dies ist ein generelles Problem bei EuGH-Entschei-
dungen, insbesondere in Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art 267
AEUV (Art 234 EGV). Die nachfolgende Praxis kann nämlich von ent-
scheidender Bedeutung für einen wesentlichen Aspekt der Funktionswei-
se des Unionsrechts sein, nämlich die Akzeptanz149 einer nur beschränkt
____________________
Kohle und Stahl (EGKS) und ist wegen des Französischen als Arbeits-
sprache des Gerichtshofs – alle Urteile werden zunächst auf französisch
abgefasst, unabhängig von der Verfahrenssprache – vom französischen
Recht geprägt155, hat aber deutliche Modifikationen im Stil ua unter deut-
schem und englischem Einfluss erfahren156. Hinzu kommt das Problem,
sich zwischen den Richtern nicht nur auf den Tenor, sondern auch auf
die Gründe einigen zu müssen, wodurch manches „unter den Tisch“ fal-
len kann157, fehlende Ausführungen also mit Vorsicht gewürdigt werden
müssen. Dies kann Defizite in der Begründungspraxis nicht entschuldigen,
aber die Schwierigkeiten bei ihrem Abbau erklären.
155 Vgl dazu von Danwitz (FN 59), EuR 2008, 779.
156 Vgl dazu Everling (FN 112), EuR 1994, 136 ff.
157 Vgl dazu Everling (FN 112), EuR 1994, 141.
158 Vgl dazu von Danwitz (FN 59), EuR 2008, 769 ff.
159 Vgl zB U. Everling, Rechtsvereinheitlichung durch Richterrecht in der Europä-
ischen Gemeinschaft, RabelsZ 50 (1986) 193 (195 f, 214 ff), allerdings bereits unter Hin-
weis auf die Grenzen (ebd, 228 ff ).
160 Vgl dazu Streinz (FN 23), Rn 566 ff, 864, 936 f mwN.
250 Rudolf Streinz
2. Gemeinschaftsrechtliche Begriffsbildung
Die Begriffe des Gemeinschaftsrechts bedurften der Bestimmung, die,
soweit nicht eine durch Auslegung zu ermittelnde Verweisung ins natio-
nale Recht vorliegt, autonom erfolgen musste, um die einheitliche und
effektive Anwendung des Gemeinschaftsrechts (jetzt Unionsrechts) zu si-
chern. Ein Beispiel ist die Bestimmung des Begriffs „öffentliche Verwal-
tung“ in Art 39 Abs 4 EGV, jetzt Art 45 Abs 4 AEUV165.
161 EuGH, Urt v 24. 11. 1993 – verb Rs C-267 und C-268/91 – Keck und Mithouard –
Slg 1993, I-6097, Rn 17 f.
162 Vgl dazu Streinz (FN 23), Rn 808, 864. Zu Verunsicherungen wegen Unklarhei-
ten vgl ebd, Rn 864a. Kritisch wegen des Fehlens ähnlicher Differenzierungen bei ande-
ren Grundfreiheiten Potacs (FN 28), EuR 2009, 481 f.
163 Dies gilt insbesondere für den Gesundheitsschutz, allerdings unter Kontrolle des
EuGH, vgl W. Schroeder, in: Streinz (FN 70), Art 30, Rn 13 f; T. Kingreen, in: Calliess/
Ruffert (FN 70), Art 30, Rn 199. Zum Schutz mitgliedstaatlicher Identität und zur „schwie-
rigen Gratwanderung zwischen integrationspolitischer Klugheit und fataler Desintegrati-
on“ vgl von Danwitz (FN 59), EuR 2008, 783 ff.
164 Vgl insbesondere EuGH, Urt v 19. 5. 2009, verb Rs C-171 und C-172/07 – Apo-
thekerkammer des Saarlandes ua/Saarland ua – EuZW 2009, 409 ff. Kritisch dazu C.
Herrmann, EuZW 2009, 423 ff. Vgl auch die Analyse von R. Streinz, JuS 2009, 1034 ff.
Die Folgen für die Realität des Anwendungvorrangs zeichnen sich bereits ab. Grundsätz-
lich bestätigt wurden der Anwendungsvorrang und die daraus folgenden Pflichten aller-
dings in EuGH, Urt v 8. 9. 2010 – Rs C-409/06 – Winner Wetten – SpuRt 2010, 247
Tz 53 ff.
165 Vgl EuGH, Urt v 3. 7. 1986, Rs 66/85 – Deborah Lawrie-Blum/Land Baden-
Württemberg –, Slg 1986, 2121, Rn 16. Vgl zur Entwicklung „autonomer“ Begriffe des
Gemeinschaftsrechts J. Schwarze, in: Schwarze (FN 70), Art 220, Rn 30 mwN.
Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH 251
166 Angelehnt an Art 4 des französischen Code Civil: »Le juge qui refusera de juger,
sous prétexte du silence, de l’obscurité ou de l’insuffisance de la loi, pourra être poursouvi
comme coupable de déni de justice«.
167 EuGH, Urt v 12. 7. 1957, verb Rs 7/56 und 3-7/57 – Algera ua/Gemeinsame Ver-
sammlung der EGKS –, Slg 1957, 83 (118).
168 Vgl R. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europä-
isches Gemeinschaftsrecht, 1989, 380 f.
169 BullEG 3-1977, 5. Sinngemäß gleich, aber mit abweichendem Wortlaut in ABl EG
1977 Nr C 103/1.
170 So offensichtlich BVerfGE 73, 339 (378), vgl Streinz (FN 168) 64 (FN 182). An-
satzweise aber wohl auch EuGH, Urt v 13. 12. 1979, Rs 44/79 – Liselotte Hauer/Land
Rheinland-Pfalz – Slg 1979, 3727, Rn 15.
171 Aktualisierte Fassung in Sartorius II, Nr 130.
172 Vgl BullEU 12-2000, Nr I.2.1.
173 ABl 2000 Nr C 364/1. Mit Kommentar abgedruckt in EuGRZ 2001, 554 ff,
559 ff; JöR nF 49 (2001) 31 ff. Kommentiert in J. Meyer (Hrsg), Kommentar zur Char-
ta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl 2010; I. Pernice/F. C. Mayer, in:
Grabitz/Hilf (FN 113); R. Streinz, in: Streinz, EUV/EGV (FN 70); C. Calliess, T. Kin-
green, M. Ruffert, S. Krebber, W, Kluth, H.-J. Blanke, in: Calliess/Ruffert (FN 70).
174 Der Beitritt der EU forderte eine Änderung der EMRK durch das 14. Protokoll zur
EMRK, das nach der Ratifikation durch die Russische Föderation am 1. 6. 2010 in Kraft
getreten ist.
252 Rudolf Streinz
175 Protokoll (Nr 30) über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europä-
ischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich, ABl EU 2008 Nr C 115/313; ABl
EU 2010 Nr C 83/313.
176 Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten haben anlässlich des Europä-
ischen Rates vom 29./30. 10. 2009 in Brüssel der Tschechischen Republik ein entspre-
chendes Protokoll zugesichert, das mit dem Beitritt des nächsten Mitgliedstaates ratifiziert
werden soll. Vgl EU-Nachrichten, Dokumentation Nr 3/2009, 2 (I.2) und 12 f (Anlage I).
Vgl dazu Streinz, Rechtliche Verankerung der Garantien für Irland und der „Fußnote“
für Tschechien, in: Eilmansberger/Griller/Obwexer (Hrsg), Rechtsfragen der Implemen-
tierung des Vertrags von Lissabon, 2011, 23 (35 ff ).
177 Vgl zB Besonderheiten wie das „legal privilege“ für Rechtsanwälte, vgl EuGH, Urt v
18. 5. 1982 Rs 155/79 – AM&S Europe/Kommission –, Slg 1982, 1575, Rn 18 ff.
178 Vgl J. Weiler, A Quiet Revolution – The European Court of Justice and its Inter-
locutors, Comparative Political Studies 26 (1994) 510 (510 ff) – mit positiver Würdigung.
179 Vgl Dehousse (FN 28) 43; kritisch Hartley, Objective Interpreter (FN 28) 313
zur Herleitung der unmittelbaren Wirkung von Vertragsbestimmungen in EuGH, Urt v
5. 2. 1963, Rs 26/62 – van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung –, Slg 1963,
1 (24 ff ).
180 Vgl dazu zB Oppermann/Classen/Nettesheim (FN 113), § 11, Rn 27 f.
181 EuGH, Rs 6/64 (FN 123); Urt v 9. 3. 1978, Rs 106/77 – Staatliche Finanzverwal-
tung/Simmenthal –, Slg 1978, 629, Rn 17/18.
182 EuGH, Urt v 22. 10. 1998 – verb Rs C-10/97 bis C-22/97 – IN.CO.GE 90 ua –
Slg 1998, I-6307, Rn 21. Vgl dazu Streinz (FN 23), Rn 222.
Auslegung des Gemeinschaftsrechts bzw Unionsrechts durch den EuGH 253
183 Vgl dazu Streinz (FN 23), Rn 225 ff mwN. Vgl zu den keineswegs auf Deutsch-
land beschränkten Verfassungsvorbehalten T. Schilling, Rang und Geltung von Normen
in gestuften Rechtsordnungen, 1994, 181 ff und Streinz (FN 5) 1437 (1445 ff, 1456 ff )
sowie oben FN 3.
184 Zur Akzeptanz der Doktrinen des Vorrangs und der unmittelbaren Wirkung des
Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten vgl die Landesberichte für Belgien, Frankreich,
Deutschland, Italien, die Niederlande und das Vereinigte Königreich in A.-M. Slaugh-
ter/A. Stone Sweet/J. H. H. Weiler (Hrsg), The European Court and National Courts –
Doctrine and Jurisprudence. Legal Change in Its Social Context, 1998 (Reprint 2000) 3 ff
sowie K. Alter, Explaining National Court Acceptance of European Court Jurisprudence:
A Critical Evaluation of Theories of Legal Integration, ebd, 227 ff. Vgl auch Dehousse
(FN 28) 43 ff.
185 Art I-6 EVV.
186 Erklärung Nr 1 (ABl EU 2004 Nr C 310/420): „Die Konferenz stellt fest, dass Ar-
tikel I-6 die geltende Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Ausdruck bringt“.
187 Vgl Entwurf des Mandats des Europäischen Rates, Schlussfolgerungen des Europä-
ischen Rates (Brüssel) vom 21./22. 6. 2007, Anlage I, EU-Nachrichten, Dokumentation
Nr 2/2007, 9 (Nr I.1).
188 Erklärung (Nr 17) zum Vorrang ABl EU 2008 Nr C 115/344; ABl EU 2010 Nr C
83/344.
254 Rudolf Streinz
friede erfordert, auch ein nicht überzeugendes, ja (bis auf äußerste Gren-
zen) selbst ein falsches Urteil zu akzeptieren206. Letztlich wird eine „äuße-
re“ Autorität aber nur bei anerkannter „innerer“ Autorität, beruhend auf
„richtigen“ (veritas) und (als) richtig vermittelten Urteilen entstehen kön-
nen207. In einer Rechtsgemeinschaft, die wie die Europäische Gemein-
schaft bzw jetzt die Europäische Union mehr noch als ein Staat nicht (al-
lein) auf Befehl und Zwang, sondern auf Überzeugung und Argument
angewiesen ist, wächst dem EuGH die hermeneutische Aufgabe, die je-
dem Rechtsanwender und jedem Gericht obliegt208, in besonderer Weise
zu209. Die Begründungsanforderung gilt vor allem nach wie vor für die
Entwicklung einer Grundrechtsdogmatik, auch und gerade nach dem er-
folgten Inkrafttreten der Europäischen Grundrechtecharta als verbindli-
chem Unionsrecht. Denn für den tatsächlichen Grundrechtsschutz in-
nerhalb der Union ist auch und vielleicht gerade jetzt die Rechtsprechung
des EuGH entscheidend. In diesem Zusammenhang sollte der EuGH die
geringe Prüfdichte gegenüber Akten des Unionsgesetzgebers209a überden-
ken, selbst wenn man beachtet, dass zumindest das Ausmaß der Nor-
menkontrolle in Europa nicht einheitlich gesehen wird210, und auch die
Praxis des deutschen BVerfG kritisch hinterfragt werden kann211. Die Be-
____________________
206 Vgl E. Klein, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft,
VVDStRL 50 (1991) 56 (66 f ). Vgl zur Fehlertoleranz gegenüber dem EuGH jetzt aus-
drücklich BVerfG, EuGRZ 2010, 497 Tz 66.
207 Vgl zur Autorität des Richterspruchs H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juris-
ten. Theorie der Norm und des Gesetzes, 3. Aufl 1999, Rn 933 ff.
208 Vgl zur Bedeutung der juristischen Hermeneutik als „Kunstlehre des Verstehens“
für die juristische Argumentation A. Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie,
1994, 44 ff mwN – auch zur Kontroverse zwischen Hermeneutik und Argumentations-
theorie (ebd, 46 ff ). Vgl auch H.-M. Pawlowski, Einführung in die Juristische Metho-
denlehre. Ein Studienbuch zu den Grundlagenfächern Rechtsphilosophie und Rechtsthe-
orie, 1986, Rn 86 ff. Entscheidend ist die rationale Vermittlung juristischer Ergebnisse,
vgl F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl 1991, 9 ff. Zur
praktischen Bedeutung juristischer Dogmatik vgl auch R. Streinz, Eigenart, Möglichkei-
ten und Grenzen der Methoden in der Staatsrechtswissenschaft, in: P. Schäfer (Hrsg), Ei-
genart, Möglichkeiten und Grenzen der Methoden in den Wissenschaften. Ein Symposi-
um, 1988, 87 (102 ff ).
209 Vgl dazu Everling (FN 112), EuR 1994, 131; Müller/Christensen (FN 34) 434 f.
209a Vgl jetzt aber EuGH, Urt v 9. 11. 2010, verb Rs C-92/09 und C-93/09 – Volker
und Markus Schecke GbR und Hartmut Eifert/Land Hessen –, Rn 43 ff: Datenschutz.
210 Vgl dazu C. Starck/A. Weber (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit in Westeuropa,
2 Bde, 1986; K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfah-
ren, Entscheidungen, 7. Aufl 2007, Rn 3 mwN in FN 8.
211 Zu den Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit vgl zB E. Klein, in: E. Benda/E.
Klein, Verfassungsprozeßrecht. Ein Lehr- und Handbuch, 2. Aufl 2001, Rn 19 ff; Sch-
laich/Korioth (FN 210), Rn 505 ff mwN; entscheidend ist, die Aufgabe der Kontrolle
von der der Gestaltung abzugrenzen und das Ernstnehmen der Verfassung als Kon-
trollmaßstab, vgl ebd, Rn 527.
258 Rudolf Streinz
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264 Rudolf Streinz
Clemens Jabloner, Univ.-Prof. Dr., ist seit 1993 Präsident des Ver-
waltungsgerichtshofs in Wien und Professor für Verfassungsrecht an der
Universität Wien. Kontakt: clemens.jabloner@vwgh.gv.at.
Michael Pawlik, Prof. Dr. LL.M., hatte 2002 den Lehrstuhl für Straf-
recht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock
inne. Heute forscht und lehrt er an der Universität Regensburg Strafrecht,
Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie. Kontakt: michael.pawlik@jura.
uni-regensburg.de.
Michael Potacs, Univ.-Prof. DDr., wirkte 2002 als Professor für Öf-
fentliches Recht an der Universität Klagenfurt. Seit 2010 forscht und lehrt
er im Rahmen des Instituts für Österreichisches und Europäisches Öffent-
liches Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien. Kontakt: michael.potacs@
wu.ac.at.
Heinz Peter Rill, em. o. Univ.-Prof. Dr., war bis zu seiner Emeri-
tierung im Jahre 2003 Vorstand des Instituts für Verfassungs- und Ver-
waltungsrecht der Wirtschaftsuniversität Wien. Kontakt: heinz.peter.rill@
wu.ac.at.
Robert Schick, HR Dr., war 2002 und ist noch heute Hofrat des
Verwaltungsgerichtshofs und Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofs in
Wien. Kontakt: robert.schick@vwgh.gv.at.
266 Verzeichnis der Autoren dieses Bandes
Rudolf Streinz, Prof. Dr., hatte 2002 den Lehrstuhl für Öffentli-
ches Recht, Völker- und Europarecht der Universität Bayreuth inne. 2003
wechselte er an die Ludwig-Maximilians-Universität München auf den
Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht. Kontakt: streinz.pers@
jura.uni-muenchen.de.
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29: Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein Beitrag zur modernen
Staatsformenlehre. Von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mantl. X, 391 Seiten. 1975.
Geheftet € 71,–
30: Die Gehorsamspflicht der Verwaltungsorgane. Eine verfassungsrechtliche Untersu-
chung zum Dienstrecht. Gleichzeitig ein Beitrag zur Lehre vom Verwaltungsakt. Von
DDr. Karl Lengheimer. X, 124 Seiten. 1975. Geheftet € 23,–
31: Neutralität und Neutralitätspolitik. Die österreichische Neutralität zwischen Schwei-
zer Muster und sowjetischer Koexistenzdoktrin. Von Univ.-Prof. Dr. Konrad Gin-
ther. X, 168 Seiten. 1975. Geheftet € 35,–
32: Rechtstheorie und Rechtsinformatik. Voraussetzungen und Möglichkeiten formaler
Erkenntnis des Rechts. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Wink-
ler. 39 Abbildungen. XVI, 248 Seiten. 1975. Geheftet € 36,–
33: Die Völkerrechtssubjektivität der Unionsrepubliken der UdSSR. Von Univ.-Prof.
Dr. Henn-Jüri Uibopuu. XV, 341 Seiten. 1975. Geheftet € 65,–
34: Staatsmonopole. Von Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer. XVI, 424 Seiten. 1976.
Geheftet € 48,–
35: Logische Verfahren der juristischen Begründung. Eine Einführung. Von Univ.-Prof.
Mag. Dr. Ilmar Tammelo und Dr. Gabriël Moens. VIII, 111 Seiten. 1976.
Vergriffen
36: Rechtsphilosophie und Gesetzgebung. Überlegungen zu den Grundlagen der moder-
nen Gesetzgebung und Gesetzesanwendung. Gesamtredaktion: Univ.-Prof. DDDr.
Johann Mokre und Univ.-Prof. DDr. Ota Weinberger. 4 Abbildungen. VII, 199
Seiten. 1976. Geheftet € 46,–
37: Internationale Konflikte – verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung. Versu-
che einer transdisziplinären Betrachtung der Grundsätze des Gewalt- und Interven-
tionsverbots sowie der friedlichen Streitbeilegung im Lichte der UN-Prinzipiende-
klaration 1970 und der modernen Sozialwissenschaften. Von Univ.-Prof. Dr. Hans-
peter Neuhold. XX, 598 Seiten. 1977. Geheftet € 67,–
38: Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum
Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grund-
lagenforschung. Von Univ.-Prof. DDr. Werner Krawietz. XXI, 316 Seiten. 1978.
Geheftet € 70,–
39: Grundfragen der Philosophie des Rechts. Von Univ.-Prof. Dr. Vladimír Kubeš.
VIII, 87 Seiten. 1977. Geheftet € 19,–
40: Dauernde Neutralität und europäische Integration. Von Univ.-Prof. Dr. Michael
Schweitzer. XVI, 347 Seiten. 1977. Geheftet € 66,–
41: Politische Planung im parlamentarischen Regierungssystem. Dargestellt am Bei-
spiel der mittelfristigen Finanzplanung. Von Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner.
XVI, 395 Seiten. 1978. Geheftet € 76,–
42: Freiheit und Gleichheit. Die Aktualität im politischen Denken Kants. Von Univ.-
Prof. Dr. Gerhard Luf. VII, 197 Seiten. 1978. Geheftet € 41,–
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58: Die Rechtspflicht. Von Univ.-Prof. Dr. Vladimír Kubeš. VIII, 140 Seiten. 1981.
Geheftet € 31,–
59: Mehrdeutigkeit und juristische Auslegung. Von Univ.-Prof. Dr. Michael Thaler.
VII, 187 Seiten. 1982. Geheftet € 44,–
60: Öffentliche Fonds. Eine Untersuchung ihrer verfassungs- und verwaltungsrechtli-
chen Hauptprobleme. Von Univ.-Prof. Dr. Harald Stolzlechner. XVII, 389
Seiten. 1982. Geheftet € 63,–
61: Der internationale Regionalismus. Integration und Desintegration von Staatenbe-
ziehungen in weltweiter Verflechtung. Von Univ.-Doz. Dr. Winfried Lang. XIII,
217 Seiten. 1982. Geheftet € 54,–
62: Rechtsstaat und Planung. Gesamtredaktion: Dr. Josef Azizi und Univ.-Prof. Dr.
Stefan Griller. XII, 124 Seiten. 1982. Geheftet € 27,–
63: Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz. Die Freiheit der Medien und ihre Ver-
antwortung im System der Grundrechte. Von Univ.-Prof. Dr. Walter Berka. XIII,
375 Seiten. 1982. Geheftet € 75,–
64: Grundlagen der juristischen Argumentation. Von Univ.-Prof. Dr. Aleksander Pec-
zenik. 5 Abbildungen. XIII, 266 Seiten. 1983. Geheftet € 67,–
65: Evolution des Rechts. Eine Vorstudie zu den Evolutionsprinzipien des Rechts auf
anthropologischer Grundlage. Von Univ.-Prof. Dr. Herbert Zemen, M. C. L. (Co-
lumbia). XIII, 135 Seiten. 1983. Geheftet € 31,–
66: Bereicherung im öffentlichen Recht. Von Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kerschner.
XVI, 158 Seiten. 1983. Geheftet € 38,–
67: Das Disziplinarrecht der Beamten. Von Univ.-Prof. Dr. Garbiele Kucsko-Stadl-
mayer. XVII, 622 Seiten. 1985. Vergriffen
68: Freiheit und Gleichgewicht im Denken Montesquieus und Burkes. Ein analyti-
scher Beitrag zur Geschichte der Lehre vom Staat im 18. Jahrhundert. Von Hon.-
Prof. DDr. Thomas Chaimowicz. XI, 202 Seiten. 1985. Vergriffen
69: Rohstoffgewinnung in der Antarktis. Völkerrechtliche Grundlagen der Nutzung
Nichtlebender Ressourcen. Von Dr. Ulrich J. Nussbaum. 1 Abbildung. XIII, 236
Seiten. 1985. Geheftet € 54,–
70: Theorie der Direktiven und der Normen. Von Univ.-Prof. Dr. Kazimierz Opałek.
VII, 178 Seiten. 1986. Geheftet € 47,–
71: Die seerechtliche Verteilung von Nutzungsrechten. Rechte der Binnenstaaten in der
ausschließlichen Wirtschaftszone. Von Univ.-Prof. Dr. Gerhard Hafner. XV, 533
Seiten. 1987. Geheftet € 95,–
72: Der Landeshauptmann. Historische Entwicklung, Wesen und verfassungsrechtliche
Gestalt einer Institution. Von Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Pesendorfer. 1 Abbil-
dung. XIV, 243 Seiten. 1986. Geheftet € 58,–
73: Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht. Gesamtredaktion:
Univ.-Prof. Dr. Franz Bydlinski, Univ.-Prof. Dr. Heinz Krejci, Univ.-Prof. Dr.
Bernd Schilcher und Univ.-Prof. Dr. Viktor Steininger. X, 327 Seiten. 1986.
Geheftet € 62,–
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74: Rechtsregeln und Spielregeln. Eine Abhandlung zur analytischen Rechtstheorie. Von
Univ.-Prof. Dr. Gregorio Robles. Aus dem Spanischen übersetzt von Dr. Ulrike
Steinhäusl und Hedwig Ciupka. IX, 230 Seiten. 1987. Geheftet € 53,–
75: Rechtslogik und Rechtswirklichkeit. Eine empirisch-realistische Studie. Von Sen.-
Präs. tit. a. o. Univ.-Prof. Hofrat Dr. Friedrich Tezner. Unveränderter Nachdruck
der ersten Auflage 1925. Mit einem Geleitwort von Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Gün-
ther Winkler. XI, 194 Seiten. 1986. Geheftet € 45,–
76: Theorie der Gesetzgebung. Materiale und formale Bestimmungsgründe der Gesetz-
gebung in Geschichte und Gegenwart. Von Univ.-Prof. Dr. Vladimír Kubeš. XII,
299 Seiten. 1987. Geheftet € 71,–
77: Die Sicherheitspolizei und ihre Handlungsformen. Von Dr. Wolfgang Blum. XII,
181 Seiten. 1987. Geheftet € 45,–
78/ Politische Grundrechte. Von Univ.-Prof. Dr. Manfred Nowak. XXIV, 585 Seiten.
79: 1988. Geheftet € 110,–
80: Die Rechtspersönlichkeit der Universitäten. Rechtshistorische, rechtsdogmatische
und rechtstheoretische Untersuchungen zur wissenschaftlichen Selbstverwaltung. Von
Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. XVI, 451 Seiten. 1988.
Geheftet € 66,–
81: Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker. Gesamtredaktion: Univ.-
Prof. DDr. Ota Weinberger und Univ.-Prof. DDr. Werner Krawietz. VII, 393
Seiten. 1988. Geheftet € 95,–
82: Organgewinnung zu Zwecken der Transplantation. Eine systematische Analyse des
geltenden Rechts. Von Univ.-Prof. DDr. Christian Kopetzki. XIV, 294 Seiten.
1988. Geheftet € 46,–
83: Rechtsphilosophie zwischen Ost und West. Eine vergleichende Analyse der frühen
rechtsphilosophischen Gedanken von John C. H. Wu. Von Dr. Matthias Chris-
tian. VIII, 220 Seiten. 1988. Geheftet € 55,–
84: Islam und Friedensvölkerrechtsordnung. Die dogmatischen Grundlagen der Teil-
nahme eines islamischen Staates am modernen Völkerrechtssystem am Beispiel Ägyp-
tens. Von Dr. Dietrich F. R. Pohl. XXI, 174 Seiten. 1988.
Geheftet € 41,–
85: Theorie und Methode in der Rechtswissenschaft. Ausgewählte Abhandlungen. Von
Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Günther Winkler. XII, 282 Seiten. 1989.
Geheftet € 38,–
86: Die einstweilige Verfügung im schiedsgerichtlichen Verfahren. Von Univ.-Doz. Dr.
Christian Hausmaninger. XII, 182 Seiten. 1989. Geheftet € 30,–
87: Reine Rechtslehre und Strafrechtsdoktrin. Zur Theorienstruktur in der Rechtswis-
senschaft am Beispiel der Allgemeinen Strafrechtslehre. Von Dr. Rainer Lippold.
XII, 458 Seiten. 1989. Geheftet € 64,–
88: Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen. Eine
Untersuchung zu Art 9 Abs 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes. Von Univ.-Prof. Dr.
Stefan Griller. XXVIII, 558 Seiten. 1989. Geheftet € 74,–
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