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Bernd Janowski

Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der


priesterlichen Urgeschichte

Gen 1,1–2,3 und Gen *6,9–9,29 erzählen von einer Welt, wie sie vom Schöpfergott ur-
sprünglich intendiert war, durch die Gewalt unter den Geschöpfen aber korrumpiert
und durch das „Gedenken“ Gottes an Noah (Gen 8,1a) vor dem Untergang bewahrt
wurde. Die priesterliche Urgeschichte entwirft das Bild von einem Gott, der auf „die
‚Störungen‘ der guten Schöpfung durch seine Geschöpfe“ (E. Blum) reagiert, aber die
Geschichte über tiefgreifende Brüche weiterführt – bis hin zur Errichtung des Heilig-
tums am Sinai, in dem er inmitten der Israeliten „wohnen“ will (Ex 29,45 f). Der Drei-
klang von Schöpfung, Flut und Noahbund ist der rote Faden der priesterlichen Urge-
schichte.

Das Alte Testament beginnt mit dem „Anfang“ (‫רא ׁשית‬, !qw^, principium),
d. h. mit der Entstehung der Welt, ihrer raumzeitlichen Ordnung und der
Erschaffung der Geschöpfe, die die Lebensräume Himmel, Erde und Meer
bevölkern; das Ziel dieses Proömiums ist das „Ruhen“ Gottes am siebten
Tag (Gen 1,1–2,3.4a). Dann folgt eine dichte Kette von Erzählungen, die
ein dramatisches Gefälle haben und von der Übertretung des göttlichen
Verbots (Gen *2,4b–3,24 nP) bis zum Bund Gottes mit Noah (Gen 9,8–17
P) reichen. Schöpfungsüberlieferungen gibt es auch in der Prophetie (Jer;
Isa 40–55.56–66), in den Psalmen (Ps 8; 19; 104; 136 u. a.) und in der
Weisheitsliteratur (Prov 8,22–31; Job 28; 38,1–42,6; Qoh 1,3–11; Sir 24 u.
a.).1 Aber nirgends hat das Thema „Schöpfung“ eine derart grundlegende
Bedeutung wie in der biblischen Urgeschichte. Aus ihr wird im Folgenden
der priesterliche Erzählfaden2 herausgegriffen, dessen Hauptstadien
Schöpfung, Flut und Noahbund die spannungsreiche Beziehung von Gott,
Welt und Mensch(heit) widerspiegeln.

1 S. dazu den Überblick bei K. Schmid, Schöpfung im Alten Testament, in: ders. (Hg.),
Schöpfung (UTB 3514), Tübingen: Mohr Siebeck, 2012, 71–120, hier 99–113.
2 Zu den Einleitungsfragen s. E. Blum, Art. Urgeschichte, TRE 34 (2002), 436–445; E. Zen-
ger, Das priester(schrift)liche Werk, in: ders. u. a., Einleitung in das Alte Testament
(KStTh 1,1), Stuttgart: Kohlhammer, 72008, 156–175, ferner J.Chr. Gertz, Tora und Vor-
dere Propheten, in: ders., Grundinformation Altes Testament (UTB 2745), Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht, 32008, 193–311, hier 236–247 und K. Schmid, Literaturge-
schichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchge-
sellschaft, 2008, 146–150.

HeBAI 1 (2012), 502–521 ISSN 2192-2276 © 2012 Mohr Siebeck


Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte 503

I. Die Schöpfungserzählung

1. Gottes Sturm über dem Wasser


Gen 1,1–2,4a oder genauer 1,1–2,33 ist nicht irgendein Text, sondern die
Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens.4 Er beginnt, wie sein
erstes Wort ‫ ברא ׁשית‬anzeigt, mit einer Aussage über den Anfang des göttli-
chen Schöpfungshandelns (V. 1), die in ein Gefüge von drei subordinier-
ten Nominalsätzen (V. 2) sowie in eine Markierung des Handlungsanfangs
(V. 3) eingebunden ist:
1 Als Gott anfing, den Himmel und die Erde zu schaffen,
2 während die Erde Tohuwabohu war,
wobei Finsternis über der Oberfläche der Urflut war,
und der Wind / Sturm Gottes über der Oberfläche des Wassers
5
in Bewegung war / hin und her flatterte,
3 da sprach Gott: „Es werde Licht“,
und es wurde Licht.

Folgt man der syntaktischen Analyse dieses Textes durch H. Rechenma-


cher und M. Weippert,6 so lässt sich die Hierarchie seiner Sätze folgender-
maßen anordnen:

3 Zu Gen 2,4a als Brückentext zwischen Gen 1,1–2,3 und Gen 2,4b–3,24 s. D.M. Carr, Rea-
ding the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville / KE: West-
minster John Knox, 1996, 73–75 und J. Chr. Gertz, The Formation of the Primeval Hi-
story, in: C.A. Evans / J.N. Lohr / D.L. Petersen (ed.), The Book of Genesis. Composition,
Reception, and Interpretation, Leiden / Boston: Brill, 2012, 107–135, hier 114–118. Zum
Verhältnis von priesterlicher und nichtpriesterlicher Schöpfungserzählung s. zuletzt R.
Heckl, Die Exposition des Pentateuchs. Überlegungen zum literarischen und theologi-
schen Konzept von Genesis 1–3, in: Ex oriente Lux. Studien zur Theologie des Alten Tes-
taments. FS R. Lux, hg. von A. Berlejung und R. Heckl (ABG 39), Leipzig: Evangelische
Verlagsanstalt, 2012, 3–37.
4 S. dazu B. Janowski, Die Welt des Anfangs. Gen 1,1–2,4a als Magna Charta des biblischen
Schöpfungsglaubens, in: ders. / F. Schweitzer / Chr. Schwöbel (Hg.), Schöpfungsglaube
vor der Herausforderung des Kreationismus, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag,
2010, 27–53.
5 Zum Verständnis von V. 2 s. B. Janowski / A. Krüger, Gottes Sturm und Gottes Atem.
Zum Verständnis von ‫ רוח‬in Gen 1,2 und in Ps 104,29, in: JBTh 24 (2009), 3–29, hier 11–
17.
6 S. dazu H. Rechenmacher, Gott und das Chaos. Ein Beitrag zum Verständnis von Gen
1,1–3, in: ZAW 114 (2002), 1–20; M. Weippert, Schöpfung am Anfang oder Anfang der
Schöpfung? Noch einmal zu Syntax und Semantik von Gen 1,1–3, in: ThZ 60 (2004), 5–
22; Janowski, Welt des Anfangs (s. Anm. 4), 29–32, ferner A. Schüle, Der Prolog der he-
bräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Ge-
nesis 1–11) (AThANT 86), Zürich: TVZ, 2006, 67–74. Anders zuletzt H.-J. Stipp, Gen 1,1
und asyndetische Relativsätze im Bibelhebräischen, in: S.Ö. Steingrimsson (Hg.), Litera-
tur- und sprachwissenschaftliche Beiträge zu alttestamentlichen Texten (ATSAT 83), St.
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1 Anfang des Schöpfungshandelns Zeitangabe „als“


Himmel und Erde Merismus für „Welt“
2 Vorweltschilderung Umstandsbestimmungen „während“/„wobei“
Tohuwabohu: „Erde“ in ihrer chaotischen Gestalt:
Finsternis über der Urflut Finsternis + Ortsangabe
Sturm Gottes über dem Wasser Sturm Gottes + Ortsangabe
3 Schöpfung durch das Wort Handlungseinsatz „da“
Ersterschaffenes Licht 1. Tag (3–5)

Welcher Anfang wird hier beschrieben, und wie sah der Zustand der
Welt aus, bevor diese ins Sein trat? Der zweite Teil dieser Frage weist,
wenn man auf V. 2 achtet, auf einen logischen Widerspruch hin, weil von
„Welt“ – dafür steht der Merismus „Himmel und Erde“ (V. 1) – erst ge-
sprochen werden kann, wenn es sie gibt, d. h. erst ab dem 2. (Himmels-
feste: V. 6–8) und dem 3. Schöpfungstag (Erde, Meer, Pflanzen: V. 9–13),
aber nicht, bevor es sie gibt. Diesen Widerspruch nimmt die Priester-
schrift aber in Kauf, weil sie keine anderen als die ihr zur Verfügung ste-
henden anschauungsgebundenen Ausdrucksmittel besitzt, um den chao-
tischen Zustand der ‚Welt vor der Schöpfung‘, d. h. einer Erde ohne
Himmel und Licht auszusagen.7 Die Vorweltschilderung8 von V. 2 hat
demnach nicht den Zustand der „Erde“ im Blick, wie dieser nach Ab-
schluss der Schöpfung aussieht, sondern denjenigen, wie er zum Zeit-
punkt ihrer chaotischen Existenzform (Tohuwabohu) bestand. Die so be-
schriebene Erde könnte man als „Erde in ihrer chaotischen Gestalt“9 be-
zeichnen: sie war vom uranfänglichen Wasser (‫ )תהום‬bedeckt, über dem
Finsternis lag.
Diese chaotische Vorwelt wird „durch die göttlichen Ordnungsakte
der ersten Schöpfungstage in den Kosmos hinein verwandelt …“10, wobei
der – ‚jenseits des Chaos‘11 liegende – Ausgangspunkt der elementare Akt

Ottilien: EOS, 2007, 323–355; ders., Anfang und Ende. Nochmals zur Syntax von Gen
1,1, in: ZAH 17–20 (2004–2007), 188–196 und W. Oswald, Das Erstlingswerk Gottes –
zur Übersetzung von Gen 1,1, in: ZAW 120 (2008), 417–421, die 1,1 wieder als Mott-
overs auffassen.
7 Vgl. Weippert, aaO., 21 und Rechenmacher, aaO., 10. Man kann diesen Widerspruch
mit A. Koschorke, Zur Logik kultureller Gründungserzählungen, in: Zeitschrift für
Ideengeschichte 1 (2007), 5–12, hier 8 f als „Paradoxie der Darstellung“ bezeichnen. Ein
vergleichbarer logischer Widerspruch liegt vor, wenn in der Tagesformel V. 5b.8b.13 die
Begriffe „Abend“, „Morgen“ und „Tag“ bereits vor der Erschaffung der Gestirne (V. 14–
19) gebraucht werden.
8 S. dazu M. Bauks, Die Welt am Anfang. Zum Verhältnis von Vorwelt und Weltentste-
hung in Gen 1 und in der altorientalischen Literatur (WMANT 74), Neukirchen-Vluyn:
Neukirchener Verlag, 1997.
9 Vgl. Weippert, aaO., 13.21.
10 Ders., aaO., 22.
11 Vgl. Schüle, Prolog (s. Anm. 6), 136.
Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte 505

des Sprechens Gottes ist, der das Licht als erstes Element der kosmischen
Ordnung in das vorweltliche Chaos hineinträgt. An diesem kreativen
Geschehen findet das Chaos seine Grenze.12 Deshalb steht bei der Dar-
stellung des ersten Schöpfungstages (1,3–5) die Billigungsformel nicht
am Ende, so dass sie Tag und Nacht umgriffe, sondern Gott „zieht aus-
nahmsweise am ersten Tag die Beurteilung des Lichtes vor, während er
der Finsternis zwar einen Namen gibt, sie aber nicht beurteilt, und er
nennt auch, um jedes Missverständnis auszuschalten, ausnahmsweise das
Licht ausdrücklich in der Billigungsformel (sonst lautet sie nur: Elohim
sah, daß es gut war)“13.
Das aber bedeutet, dass Gott, als er „Himmel und Erde“, d. h. die Welt
schuf, auf Vorhandenes zurückgreifen konnte.14 Die Tradition hat hier
von der „Schöpfung aus dem Nichts“ (creatio ex nihilo) gesprochen, al-
lerdings gegen die Aussageintention des Textes, der im Unterschied zu 2
Makk 7,28 nicht von einer creatio ex nihilo, sondern von einer creatio
contra nihilum, von einer Schöpfung gegen das vorgegebene Chaos15
spricht. Während also 1,1 + 1,3–31 von der Erschaffung der geordneten
Lebenswelt sprechen, nennt 1,2 „vorgegebene Größen, ohne deren Vor-
gegebenheit zu problematisieren, an denen Gott erschaffend handelt“16.
Er handelt an ihnen erschaffend, indem er sie in den Kosmos hinein ver-
wandelt und ihnen damit ihre ausschließlich chaotische Qualität nimmt.
Für die Frage nach dem „Anfang“ der Schöpfung sind diese Überle-
gungen von grundlegender Bedeutung. Gegenüber dem Kreationismus,
der die Pointe des biblischen Textes verfehlt, indem er ihn wortwörtlich
nimmt und historisiert,17 meint der biblische Text nämlich nicht einen
historischen Anfangsmoment vor etwa 6000 Jahren – nirgendwo in 1,1–
2,3 findet sich eine Datumsangabe! –, sondern ein Grundgeschehen, das
Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft der Menschheit und Israels
hat:

12 S. dazu ders., aaO., 134ff und Janowski / Krüger, Gottes Sturm (s. Anm. 5), 11–17.
13 W. Groß, Das Negative in Schöpfung und Geschichte: YHWH hat auch Finsternis und
Unheil erschaffen (Jes 45,7), in: ders., Studien zur Priesterschrift und zu alttestamentli-
chen Gottesbildern (SBAB 30), Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk, 1999, 145–158,
hier 149.
14 Vgl. Weippert, Schöpfung (s. Anm. 6), 21.
15 Zur Kritik an einer creatio ex nihilo als Leitvorstellung von Gen 1,1–2,3 s. Weippert,
aaO., 21 f; O. Keel / S. Schroer, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorienta-
lischer Religionen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 22008, 74 f u. a. Schüle, Prolog
(s. Anm. 6), 112 spricht statt von creatio ex nihilo von creatio ex tumulto.
16 W. Groß, Art. Creatio ex nihilo, RGG4 2 (1999), 485–487, hier 485.
17 Vgl. Chr. Link, Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliches Weltver-
ständnis, in: EvTh 68 (2008), 84–98, hier 92.
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„Wer mit Gen 1 vom Anfang spricht, macht keine objektivierbare Aussage über den
historischen Ursprung der Welt. Er bringt vielmehr zum Ausdruck, daß er selbst von
einem bleibend aktuellen, gegenwärtig wirksamen und erfahrbaren Anfang herkommt.
Er redet von seinem eigenen geschichtlichen Standort aus, weil nur er sich theologisch
verantworten läßt. Die historische Wahrheit der Schöpfungsberichte ist also gerade
nicht ein Historikum, das man hinter den alten Berichten freilegen könnte, sondern
die theologisch gedeutete Erfahrungswelt, deren Aussagekraft und Evidenz sich im
Heute des Erzählers bewährt.“18

Wer im Sinn von Gen 1,1 nach dem Anfang der Welt fragt, „muß sich
daher von der Vorstellung naturgeschichtlicher Werdeprozesse trennen,
die den Rückschluss auf ein Ursprungsdatum von Himmel und Erde na-
helegen könnten“19. Das hätte, wie auch der zeitgeschichtliche Kontext
zeigt, nicht im Interesse des priesterlichen Verfassers gelegen. Angesichts
des zerstörten Tempels und des verwüsteten Landes fragt man „nicht
primär nach den Rätseln der Kosmogonie. Der Blick ist aufs Überleben
gerichtet“20. Dieser Blick sollte durch den Glauben an den Schöpfergott
und seine grundlegenden „Setzungen“ gestärkt werden.

2. Schöpfungswerke und Schöpfungstage


Durch die bisherigen Ausführungen dürfte deutlich geworden sein, dass
die priesterliche Schöpfungserzählung einem Darstellungsprinzip folgt,
das sich sowohl dem biologistischen als auch dem historisierenden Zu-
griff entzieht. Was sie bietet, ist nicht eine historisch-genetische Wel-
tentstehungstheorie, sondern eine Form der religiösen Weltdeutung, die
man als Schöpfungserzählung mit doxologischem Charakter bezeichnen
kann.
Die traditionellen Gattungsbezeichnungen von Gen 1,1–2,3 als
Schöpfungsbericht oder Schöpfungsgeschichte sind kritisch zu hinterfra-
gen. Angemessener dürfte die Bezeichnung Schöpfungs- oder An-
fangserzählung sein. Es ist allerdings eine „Form einer Erzählung, die ei-
gentlich keine Erzählung ist“21, sondern die aufgrund ihrer immer glei-
chen Sätze und Merismen (Himmel und Erde, Licht und Finsternis, Tag
und Nacht, Wasser- und Flugtiere) hymnische Züge aufweist.22 Überdies

18 Ders., Schöpfung. Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahr-


hunderts (HST 7/2), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1991, 357.
19 Link, Schöpfungsglaube (s. Anm. 17), 92
20 Ders., ebd.
21 C. Westermann, Genesis. Band 1.: Genesis 1–11 (BK I/1), Neukirchen-Vluyn: Neukir-
chener Verlag, 1974, 112.
22 Vgl. S. Herrmann, Die Naturlehre des Schöpfungsberichtes, in: ders., Gesammelte Stu-
dien zur Geschichte und Theologie des Alten Testaments (ThB 75), München: Chr. Kai-
ser Verlag, 1986, 32–46, hier 45 f mit Anm. 39; U. Neumann-Gorsolke, Herrschen in
Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte 507

fühlt man sich an „die Sprachform der Genealogien“ erinnert, „für die ja
das Wiederkehren immer gleicher Sätze bezeichnend ist“;23 es ist aller-
dings eine „‚Genealogie‘ im übertragenen Sinne“24, worauf auch die (se-
kundäre) Toledot-Formel von Gen 2,4a hinweisen könnte, die 1,1–2,3
mit der folgenden Geschichte des ‫ אדם‬auf der ‫ אדמה‬in 2,4b–4,26 verbin-
det.25 K. Seybold spricht dagegen von „Sakralstil“ und J.Chr. Gertz von
„priesterlicher Wissenschaftsprosa“.26
Diese Intention kommt auch in der Komposition der priesterlichen
Schöpfungserzählung zum Ausdruck (s. Skizze 1). Sie beruht auf einer
Hervorhebung der Kategorie der Zeit (1./4./7. Tag) sowie auf einer Auf-
teilung der Schöpfungswerke in Lebensräume (1.–4. Tag) und ihnen zu-
geordnete Lebewesen (5.–6. Tag). Um die Eigenart dieser Komposition zu
erfassen, müssen wir uns deutlich machen, dass 1,3–2,3 – entgegen dem
in 1,2 skizzierten Bild einer chaotischen ‚Welt vor der Schöpfung‘ –,
Gottes Schöpfungshandeln als Ermöglichung von Leben „in einem allen
Lebewesen gemeinsam zugewiesenen Lebensraum“27 beschreibt, wobei
der Ordnungskategorie „Zeit“ eine fundamentale Bedeutung zukommt.
Diese äußert sich nicht nur in der Scheidung von Licht und Finsternis als
des von Gott gesetzten Wechsels der Zeitgrößen „Tag“ und „Nacht“ (1,3–
5) sowie in der Erschaffung der beiden „Leuchten“ Sonne und Mond
(1,14–19),28 sondern auch in der Abfolge von sechs Arbeitstagen und
einem abschließenden siebten Ruhetag. Die gesamte Schöpfung ist damit
als „Sieben-Tage-Einheit“ gestaltet, innerhalb deren die Tage I–IV (1,3–
19) einen thematisch selbständigen Textabschnitt bilden, von dem die

den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Bei-
spiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten (WMANT 101), Neukirchen-
Vluyn: Neukirchener Verlag, 2004, 158–161 und F.H. Polak, Poetic Style and Parallelism
in the Creation Account (Genesis 1,1–2,3), in: H. Graf Reventlow / Y. Hoffman (ed.),
Creation in Jewish and Christian Tradition (JSOT.S 319), London / New York: Sheffield
Academic Press, 2002, 2–31.
23 Westermann, ebd.
24 Th. Hieke, Die Genealogien der Genesis (HBS 39), Freiburg / Basel / Wien: Herder,
2003, 249 Anm. 679.
25 S. dazu ders., aaO., 241–251.
26 S. dazu K. Seybold, Poetik der erzählenden Literatur im Alten Testament, Stuttgart:
Kohlhammer, 2006, 244 f und J.Chr. Gertz, Antibabylonische Polemik im priesterlichen
Schöpfungsbericht?, ZThK 106 (2009), 137–155, hier 149–155.
27 E. Zenger, Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theolo-
gie der priesterschriftlichen Urgeschichte (SBS 112), Stuttgart: Verlag Katholisches Bi-
belwerk, 21987, 78, vgl. 58.65.81 f. u. ö.
28 Zur Funktion von 1,14–19 im Kontext von 1,1–2,3 s. B. Janowski, Die lebendige Statue
Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: ders., Die Welt als
Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn: Neukir-
chener Verlag, 2008, 140–171, hier 158.
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Tage V–VI (1,20–31) als ein zweiter, durch eine Reihe von Besonderhei-
ten (Verben ‫„ ברא‬schaffen, hervorbringen“ und ‫ ברך‬pi. „segnen“) ausge-
zeichneter Abschnitt abgesetzt sind.29 Den Abschluss bildet das Motiv
der „Segnung“ und „Heiligung“ des 7. Tages (2,3a) und das „Ruhen“
Gottes an eben diesem Tag (2,2b.3b). Schematisch lässt sich das folgen-
dermaßen darstellen:

Skizze 1: Die Komposition der priesterlichen Schöpfungserzählung

29 Zum thematischen Einschnitt nach Tag IV (Gen 1,14–19) und zu den Besonderheiten in
der Darstellung der Tage V–VI s. auch P. Weimar, Die Priesterschrift. Struktur und
Komposition eines literarischen Werkes, in: ders., Studien zur Priesterschrift (FAT 56),
Tübingen: Mohr Siebeck, 2008, 19–90, hier 59 f u. ö., anders zuletzt Schmid, Schöpfung
(s. Anm. 1), 79, der von einer Zäsur zwischen dem 3. und dem 4. Tag ausgeht. Zur
Komposition von Gen 1,1–2,3 s. Zenger, aaO., 71–80; B. Janowski, Tempel und Schöp-
fung. Schöpfungstheologische Aspekte der priesterschriftlichen Heiligtumskonzeption,
in: ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 1,
Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 22004, 214–246, hier 232–237; N.C. Baumgart,
Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlichem Hinter-
grund von Gen 5–9 (HBS 22), Freiburg / Basel / Wien: Herder, 1999, 85–89; Neumann-
Gorsolke, Herrschen (s. Anm. 22), 141–161; P. Weimar, Struktur und Gestalt der pries-
terschriftlichen Schöpfungserzählung (Gen 1,1–2,4a*), in: ders., aaO., 91–134 u. a.
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Charakteristisch für die Darstellung des göttlichen Schöpfungshandelns


sind dabei mehrere Aspekte. Der erste Aspekt betrifft den Zusammenhang
von Wortbericht und Tatbericht, die jeweils durch die sog. Geschehensfor-
mel „und es geschah so“ als anordnendes und ausführendes Tun Gottes
miteinander verbunden werden.30 Der zweite Aspekt ist der Akt des Un-
terscheidens: Gott „schied“ (‫ בדל‬hif.) zwischen dem Licht und der Finster-
nis (1,4), zwischen den Wassern unterhalb der „Feste“ und den Wassern
oberhalb der „Feste“ (1,7) sowie zwischen Tag und Nacht (1,14) bzw. zwi-
schen Licht und Finsternis (1,18). Dieser Akt des Unterscheidens macht
deutlich, dass die priesterliche Schöpfungserzählung als eine „Folge fort-
schreitender Grenzziehungen“31 stilisiert ist. „Erschaffen“ heißt nach Gen
1 „Grenzen setzen und dadurch definierte Verhältnisse und Beziehungen
stiften, die … der Grund dafür sind, dass sich das Leben durch Auswahl
und Entscheidung von Möglichkeiten entwickelt“32. In dieses Gefüge von-
einander abgegrenzter und aufeinander bezogener Lebensräume samt der
ihnen zugeordneten Lebewesen wird der Mensch am 6. Tag eingebunden
und damit „gebunden an alles, was vor ihm geschaffen ist: an Raum und
Zeit, an Pflanzen und Tiere“33 – und doch unübersehbar herausgehoben
durch seine Bestimmung zum „Bild Gottes“ (imago Dei) und zur „Herr-
schaft über die Tiere und die Erde“ (dominium animalium et terrae). Was
Gottebenbildlichkeit und Herrschaft über die Tiere und die Erde heißt, habe
ich andernorts ausführlicher dargestellt.34 Für unseren Zusammenhang
genügt es darauf hinzuweisen, dass der Mensch mit der Metapher der
„Herrschaft“ in ein Verhältnis zur Welt gesetzt wird, die er gestalten soll –
und zwar innerhalb der Grenzen der Schöpfung.
Damit kommt ein dritter Aspekt, nämlich die weltbildhafte Klassifikati-
on der Tiergattungen in den Blick. Damit ist gemeint, dass die Tiere in
ihrer Artenvielfalt erschaffen35 und nach ihrer Zugehörigkeit zu den Le-
bensräumen „Meer“, „Himmel“ und „Erde“ klassifiziert werden. So heißt
alles, was im Meer schwimmt, „Fische des Meeres“ (1,26, vgl. 1,20 f), und

30 S. dazu O.H. Steck, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkriti-
schen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Genesis 1,1–2,4a (FRLANT
115), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1981, 32–72; Schüle, Prolog (s. Anm. 6),
130–134 und Janowski, Welt des Anfangs (s. Anm. 4), 37–39.
31 Chr. Link, Der Mensch als Geschöpf und als Schöpfer, in: J. Moltmann (Hg.), Versöh-
nung mit der Natur (KT 92), München: Chr. Kaiser Verlag, 1986, 15–47, hier 20.
32 Ders., ebd. (Hervorhebung im Original).
33 Ders., aaO., 20 f.
34 S. dazu Janowski, Statue Gottes (s. Anm. 28), 146–163.
35 Der Aspekt der „Artenvielfalt“ wird durch den Klassifikationsterminus ‫„ מין‬Art (botani-
sche oder zoologische Spezies)“ in Gen 1,11 f.21.24 f (insgesamt 10mal, vgl. Gen 6,19 f;
7,14; 8,17) zum Ausdruck gebracht, s. dazu Steck, Schöpfungsbericht (s. Anm. 30), 265 s.
v. Arten, vgl. Westermann, Genesis (s. Anm. 21), 175.
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alles, was in der Luft fliegt, „Flugtiere des Himmels“. Zur dritten Kategorie
gehören die Tiere, die auf der „Erde“ leben. Für sie gibt es keinen zusam-
menfassenden Begriff, sondern sie werden nach ihrer Beziehung zum Erd-
boden eingeteilt (1,26, vgl. 1,24 f).36 Die Klassifikation der Lebewesen des
5. und 6. Tages ist demnach auf die Taxonomie der Lebensräume – Him-
mel, Meer und Erde – bezogen, von denen am 2. und 3. Tag die Rede ist.
Diese Taxonomie ist auch für den Herrschaftsauftrag von 1,26 – 28 leitend:
26 Und Gott sagte:
„Wir wollen Menschen machen als unser Bild unseresgleichen,
damit sie herrschen über die Fische des Meeres
und über die Flugtiere des Himmels
und über das Vieh und über alle ‘Tiere’ 37 der Erde
und über alle Kriechtiere, die sich regen auf der Erde.“
27 Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn,
männlich und weiblich schuf er sie.
28 Und Gott segnete sie, und Gott sagte zu ihnen:
„Seid fruchtbar und werdet zahlreich
und füllt die Erde und (‚betretet sie‘ =) nehmt sie in Anspruch,
und herrscht über die Fische des Meeres
und über die Flugtiere des Himmels
und über jedes Lebewesen, das sich regt auf der Erde.“

Der Mensch ist „Bild Gottes, insofern er sich verantwortlich handelnd zu


seinem Lebensraum samt den Lebewesen darin verhält“38 und nicht, inso-
fern er zu einem autonomen Verfügen über die Tierwelt für selbstgewählte
Zwecke ermächtigt wird. Das Zusammenleben des Menschen mit den Tie-
ren, mit denen er denselben Lebensraum „Erde“ teilt, wird durch die
Nahrungszuweisung Gen 1,29 f reguliert. Diese impliziert Gemeinschaft
(gleicher Lebensraum) und Differenz (unterschiedliche Nahrung)39 und
schützt Mensch und Tier vor wechselseitigem Blutvergießen. Die so ge-
ordnete Schöpfungswelt – „alles, was er gemacht hatte“ – wird vom
Schöpfergott als „sehr gut“ qualifiziert (1,31).

36 Vgl. M. Weippert, Tier und Mensch in einer menschenarmen Welt. Zum sog. dominium
terrae in Genesis 1, in: H.-P. Mathys (Hg.), Ebenbild Gottes – Herrscher über die Welt.
Studien zu Würde und Auftrag des Menschen (BThSt 33), Neukirchen-Vluyn: Neukir-
chener Verlag, 1998, 35–55, hier 44 Anm.14 und Janowski, Statue Gottes (s. Anm. 27),
204 mit Anm.79.
37 So mit Syr (+ hjwt’ ffi ‫) ַח ַיּת‬, vgl. V. 24.25.28.
38 W. Groß, Die˙ Gottebenbildlichkeit des Menschen im Kontext der Priesterschrift, in:
ders., Studien zur Priesterschrift (s. Anm. 13), 11–36, hier 33. s. ferner Janowski, Statue
Gottes (s. Anm. 28), 146–163.
39 Nämlich Früchte und Samen für die Menschen, Gräser und Kräuter für die Tiere.
Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte 511

3. Gottes Ruhen am siebten Tag


Mit der Billigungs- oder Werkabschlussformel40 und der Tagesformel von
1,31 ist die priesterliche Schöpfungserzählung noch nicht zu Ende. Denn
in 2,2 f folgt ein Passus, der den feierlichen Abschluss des göttlichen
Schöpfungshandelns zum Ausdruck bringt:
2 Und Gott vollendete am siebten Tag seine Arbeit,
die er getan hatte,
und er hörte auf am siebten Tag mit all seiner Arbeit,
die er getan hatte.
3 Und Gott segnete den siebten Tag und er heiligte ihn,
denn an ihm hörte er auf mit all seiner Arbeit, die Gott
geschaffen hatte, indem er (sie) tat.

Wenn die Erschaffung der acht Schöpfungswerke in 1,31 abgeschlossen ist,


können die Vorgänge am siebten Tag kein weiteres Schöpfungswerk im
Sinn der Werke I–VIII mehr sein.41 Das Verb ‫ כלה‬pi. in 2,2a („vollenden,
zum Abschluss bringen“) meint dann das Zum-Abschluss-Bringen der in
sich bereits abgeschlossenen Schöpfungsarbeit der voraufgehenden sechs
Tage.42 Dem entspricht das parallele Verb ‫ ׁשבת‬in 2,2b (vgl. 2,3b), dessen
Bedeutung nicht von den Sabbatgeboten der beiden Dekaloge (Ex 20,8–11
par. Dtn 5,12–15), sondern von den Ruhetagsgeboten des Bundesbuchs
(Ex 23,12) bzw. des Privilegrechts (Ex 34,21) herzuleiten und folglich nicht
mit „(ein Fest) feiern, Sabbat halten“, sondern mit „aufhören (zu arbeiten),
ruhen“ zu übersetzen ist.43
Demgegenüber formuliert 2,3a etwas Neues, weil die Segnung und die
Heiligung des siebten Tages auf dessen zukünftige Daseinsgestalt ausge-
richtet sind. Während das Verb ‫ ברך‬pi. „segnen“ hier wie in 1,22 (Segnung

40 Die übliche Bezeichnung des Satzes „und Gott sah, dass es gut war“ als „Billigungsfor-
mel“ (1,4.10.12.18.21.25, vgl. 1,31) ist nicht ganz passend, da „das ‚Sehen‘ Gottes nicht
examinierend, sondern aneignend-erwählend ist“ (Keel / Schroer, Schöpfung [s.
Anm. 15], 177 Anm. 86), s. dazu Schmidt, Schöpfungsgeschichte (s. Anm. 30), 61 f;
Westermann, Genesis (s. Anm. 21), 156 f u. a. Im Sehen Gottes, der sein Werk als „gut“
anerkennt, liegt im übrigen „die deutlichste Verbindung zwischen Schöpfungsbericht
und Schöpferlob; das Lob des Schöpfers setzt die Anerkennung durch den Schöpfer
fort“ (Westermann, aaO., 156). So verlegt die Priesterschrift „in das Urteil des Schöpfers
zurück, was Gegenstand des Gotteslobes ist“ (H.-F. Fuhs, Art. ‫ ָרָאה‬usw., ThWAT 7
[1993], 225–266, hier 255).
41 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht (s. Anm. 30), 185.
42 S. dazu ders., aaO., 179 Anm. 758; 184 Anm. 778; 186 f, ferner Zenger, Gottes Bogen (s.
Anm. 27), 67 f und Ges18 546 f s.v. ‫ כלה‬pi. 1.
43 S. dazu Zenger, aaO., 98ff und A. Grund, Die Entstehung des Sabbats. Seine Bedeutung
für Israels Zeitkonzept und Erinnerungskultur (FAT 75), Tübingen: Mohr Siebeck, 2011,
43–50.
512 Bernd Janowski

der Wasser- und Flugtiere) und in 1,28 (Segnung des Menschen) den As-
pekt der Lebensfülle/-steigerung betont,44 meint das „Heiligen“ (‫ קד ׁש‬pi.),
dass dieser Tag als ein besonderer, Gott zugehöriger Tag gegenüber den
voraufgehenden sechs Schöpfungstagen ausgegrenzt ist. Bedeutet also das
„Heiligen“ des siebten Tages dessen Setzung als eines ausgegrenzten, Gott
zugehörigen Tages, so bewirkt das „Segnen“ die fortdauernde, lebensför-
derliche Gültigkeit dieser Ordnung,45 d. h. die stetige Wiederkehr des ge-
heiligten siebten Tages nach einer Folge von sechs Arbeitstagen, die zu-
sammen mit diesem als Zeiteinheit von 6 + 1 Tagen (= 1 Woche) geschaf-
fen sind. Die priesterliche Schöpfungserzählung endet in 2,2 f darum
ebenso gewichtig, wie sie in 1,1 f begonnen hatte.
Ziehen wir ein Zwischenfazit: Achtet man auf die Eigenbegrifflichkeit
und poetische Struktur von Gen 1,1–2,4a, so wird deutlich, dass im Verlauf
der sechs Schöpfungstage „ein Bildaufbau hochgefahren (wird), der in sich
so logisch und überzeugend klingt, daß man ihn fast zweitausend Jahre
lang als Naturwissenschaft verkannt hat“46. Es ist das Bild eines kosmischen
Hauses, das vom Schöpfer in das uranfängliche Chaoswasser hineinge-
stemmt wird (V. 1 f.3–5) und dessen ‚Dach‘ die Himmelsfeste mit den
großen Leuchten (V. 6–8.14–19) und dessen ‚Fußboden‘ die Erde ist, auf
der die Pflanzen für die Tiere und die Menschen wachsen (V. 9–13.29 f).47
Charakteristisch ist dabei der Akt des göttlichen Unterscheidens (‫ בדל‬hif.),
die Interdependenz von Lebensräumen und Lebewesen sowie die Position
des Menschen in dem so geordneten Weltganzen. Gott, der dieses Geflecht
lebensförderlicher Interdependenzen wahrnimmt, bewertet es auch, wie
der Text 6mal hervorhebt (V. 4.10.12.18.21.25) – bis hin zu jenem umfas-
senden „Gütesiegel“, das ausdrücklich das Ganze in den Blick nimmt:
„Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe: es war sehr gut“ (V.
31).

44 Zur Semantik von ‫ ברך‬pi. s. M. Leuenberger, Segen und Segenstheologien im alten Isra-
el. Untersuchungen zu ihren religions- und theologiegeschichtlichen Konstellationen
und Transformationen (AThANT 90), Zürich: TVZ, 2008, 9 f.
45 Vgl. B. Jacob, Das Buch Genesis. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck
Institut, Stuttgart: Calwer Verlag, 2000, 67.
46 N. Lohfink, Die Gottesstatue. Kreatur und Kunst nach Genesis 1, in: ders., Im Schatten
deiner Flügel. Große Bibeltexte neu erschlossen, Freiburg / Basel / Wien: Herder, 1999,
29–48, hier 33.
47 Vgl. Seybold, Poetik (s. Anm. 26), 300 f.
Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte 513

II. Die Fluterzählung

Es gehört zur Dramatik der biblischen Urgeschichte, dass es bei dem um-
fassenden Gütesiegel, das der Schöpfer seiner Schöpfung erteilt, nicht
bleibt. Das ist das Thema der nichtpriesterlichen Darstellung in Gen
*2,4b–4,26 und ihrer narrativen Hamartiologie.48 Sowohl die nichtpries-
terliche (Gen *6,5–8,22) als auch die priesterliche Fluterzählung (Gen
*6,9–9,29) hat auf diese Problematik reagiert und ihre jeweilige Darstel-
lung mit eigenen Akzentsetzungen versehen. Während Gott nach Gen
8,21 f in einem schwurartigen Satz die künftige Bewahrung „alles Lebendi-
gen“ zusagt, schließt er nach Gen 9,8–17 einen Bund mit Noah und seinen
Söhnen, in den „alles Fleisch“ (Menschen und Tiere) einbezogen ist. Um
diesen dramatischen Übergang von der Vernichtung zur Bewahrung der
Schöpfung nachzuzeichnen, setzen wir mit einer kurzen Beschreibung der
priesterlichen Fluterzählung ein.

1. Kompositorische Aspekte
Die priesterliche Fluterzählung beginnt nach der Toledot-Überschrift
6,9aa mit dem Abschnitt 6,9ab–10, der zusammen mit 9,28 f einen Rah-
men um *6,9–9,29 bildet (s. Skizze 2). Da dieser Rahmen dem genealogi-
schen Grundmuster von 5,1–32 nachgebildet ist,49 wird die Fluterzählung
an den bisherigen Geschehensverlauf zurückgebunden und als Fortfüh-
rung der in 1,1–2,3 begonnenen Erzählung konzipiert. Wichtig für das
Gesamtverständnis ist dabei, dass mit Gen 5,1b–2 ein Rückgriff auf die
Gottebenbildlichkeit des Menschen erfolgt (V. 1b.3a, vgl. Gen 1,26 f mit
anderer Abfolge der Bildtermini) und mit dem Verb „segnen“ (V. 2b) der
Schöpfungssegen aus Gen 1,28 erinnert und aktualisiert wird.
„Damit wurzelt die Genealogie Adams im Schöpfungssegen: Der Segen wird wirksam,
und damit gehen die Genealogien aus der Schöpfung hervor. Die Menschheit kann nach
dem mörderischen Geschlecht der Kainiten neu beginnen.“50

Das Korpus der priesterlichen Fluterzählung ist dreigliedrig, d. h. es gibt


drei Erzählabschnitte, die entweder als Reden oder als Handlungen Gottes

48 S. dazu M. Witte, Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche


Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26 (BZAW 265), Berlin / New York: de Gruyter, 1998,
151–171.
49 Gen 5,1–32 hat die Form einer zehngliedrigen genealogischen Liste, die die Namen von
Adam bis Noah umfasst und jeweils die Verbfolge leben – zeugen – sterben bzw. leben –
zeugen (– weiterleben – weiterzeugen) – sterben aufweist, s. dazu Th. Hieke, Die Genea-
logien der Genesis (HBS 39), Freiburg/Basel/Wien: Herder, 2003, 65–90.90–98.
50 Ders., aaO., 83.
514 Bernd Janowski

stilisiert sind und die im Mittelteil (*7,6–8,14) durch chronologische An-


gaben gerahmt werden (7,6.11/8,13 f*). Zwischen dem Rahmenelement
6,9 f und dem mit 6,13 beginnenden Korpus steht in 6,11 f ein Passus, der
die Faktoren benennt, die das Flutgeschehen ausgelöst haben. Die Wucht
dieser Aussagen wird erst deutlich, wenn man sie vor dem Hintergrund
der Schöpfungserzählung und hier speziell von 1,31a (:: 6,12) liest:51
Genealogischer Rahmen (6,9–10)
9 Dies ist die Toledot Noahs. → 5,22.24; 17,1
Noah war ein gerechter, untadeliger
Mann unter seinen Zeitgenossen,
mit Gott wandelte Noah.
10 Und Noah zeugte drei Söhne:
Sem, Ham und Japhet.
Auslösung der Flut (6,11–12)
11 Und es verderbte die Erde vor Gott, :: 1,31a
und voll wurde die Erde von Gewalt,
12 und Gott sah die Erde,
und siehe: sie war verderbt,
denn verderbt hatte alles Fleisch seinen
Weg auf der Erde.
Reden Gottes vor der Flut (6,13–22)
6,13–17a Ankündigung der Flut und Auftrag
zum Bau der Arche
6,13–17b Überleitung mit Ankündigung: „Aufrichten“ des → 9,11.17
6,18a Bundes
6,18b–21 Auftrag zum Besteigen der Arche und
Maßnahmen zum Überleben der Tiere
6,22 Erfüllungsnotiz: Tun Noahs
Handeln Gottes während der Flut (*7,6 – 8,14)
7,6.*11–24 Chronologische Angaben Alter Noahs/17.II.600
Hereinbrechen der Flut: Wasser als ‚Todeshaus‘ →1,2a
8,1a Peripetie: „Gedenken“ Gottes → 9,15 f
8,*1b–14 Abtrocknen der Flut: → 1,2b.9 f
Erde als ‚Lebenshaus‘ 1.I.601/27.II.601
Chronologische Angaben
Reden Gottes nach der Flut (*8,15–9,17)
*8,15–9,7 Auftrag zum Verlassen der Arche und Bestimmung → 1,26.28
des Menschen zum Bild Gottes und Schrecken der
Tiere
9,8–17 Aufrichten des Bundes und Zeichen: ‚Gottes Bogen → 6,18a
in den Wolken‘

51 S. dazu unten 14.


Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte 515

Genealogischer Rahmen (9,28–29)


28 Und Noah lebte nach der Flut 350 Jahre. → 5,32
Und es waren alle Tage Noahs 950 Jahre,
29 dann starb er.
Skizze 2: Die Komposition der priesterlichen Fluterzählung

Wie diese Kompositionsskizze deutlich macht, ist Noah die zentrale Figur
der priesterlichen Urgeschichte, weil er den Schöpfungssegen von Gen
1,26–28 weiter trägt und der nachflutlichen Menschheit durch Gottes
„Gedenken“ an ihn und die Lebewesen in der Arche (8,1a) eine Zukunft
eröffnet.52 Um dies zu verdeutlichen, müssen wir die priesterliche Fluter-
zählung etwas genauer in den Blick nehmen.

2. Das „Ende allen Fleisches“


Während Gen 1,26–28 die Erschaffung des Menschen zum/r „Bild/Statue“
Gottes und die Beauftragung dieses Menschen zur Herrschaft über die
Tiere (dominium animalium) sowie zur Inanspruchnahme der Erde (do-
minium terrae) beschreibt, scheint Gen 9,1–753 die gute Ordnung der ur-
anfänglichen Schöpfung durch eine Art ‚Notverordnung‘ wieder rückgän-
gig zu machen. Nachdem sich die Arche auf einem der Berge von Ararat
niedergelassen hatte (Gen 8,4), die Wasser vollständig von der Erde weg-
getrocknet waren (Gen 8,13a.14) und Noah mit allen Lebewesen, die bei
ihm waren, die Arche auf Gottes Befehl hin verlassen hatte (Gen 8,15–17,
Ausführungsbericht 8,18 f), folgt nach der Segnung Noahs und seiner
Söhne (Gen 9,1a) die erste Rede Gottes nach der Flut. Wichtig sind dabei
die Bezüge zur Schöpfungserzählung, speziell zu Gen 1,28.29 f:
1 Segnung + Redeeinleitungsformel
Da segnete Gott Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: 1,28

52 S. dazu Zenger, Gottes Bogen (s. Anm. 27), 103–136.201; Witte, aaO., 130–146 und M.
Arneth, Durch Adams Fall ist ganz verderbt … Studien zur Entstehung der alttesta-
mentlichen Urgeschichte (FRLANT 217), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007,
43–92.
53 Zu Gen 9,1ff s. O.H. Steck, Der Mensch und die Todesstrafe. Exegetisches zur Überset-
zung der Präposition Beth in Gen 9,6a, in: ThZ 53 (1997), 118–130; J. Ebach, Bild Gottes
und Schrecken der Tiere. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: ders.,
Ursprung und Ziel. Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit, Neukirchen-Vluyn:
Neukirchener Verlag, 1986, 16–47; Baumgart, Umkehr des Schöpfergottes (s. Anm. 29),
290–334; W. Gross, Zukunft für Israel. Alttestamentliche Bundeskonzepte und die aktu-
elle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176), Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk,
1998, 47–52; R. Oberforcher, Biblische Lesarten zur Anthropologie des Ebenbildmotivs,
in: A. Vonach / G. Fischer (Hg.), Horizonte biblischer Texte. FS J.M. Oesch (OBO 196),
Freiburg (Schweiz) / Göttingen: Academic Press / Vandenhoeck & Ruprecht, 2003, 131–
168, hier 147–149 u. a.
516 Bernd Janowski

Segenszusage: Mehrung und dominium terrae


„Seid fruchtbar und werdet zahlreich 1,28
und füllt die Erde!
2 Übereignung der Tiere: dominium animalium
Und Furcht vor euch und Schrecken vor euch liege auf allen 1,28
Tieren der Erde und auf allen Vögeln des Himmels,
auf allem, was auf dem Erdboden kriecht, und auf allen
Fischen des Meeres.
In eure Hand sind sie gegeben.
3 f Tiertötung (erlaubt)
3 Sicherung der Nahrungsgrundlage 1,29f
Alles, was sich regt, das lebendig ist – euch sei es
zur Nahrung,
wie das Grüne des Krautes habe ich euch alles gegeben.
4 Einschränkung: Blutgenussverbot –
Nur Fleisch mitsamt seinem Leben – sein Blut – sollt ihr
nicht essen.
5 f Menschentötung (verboten) –
5 Einforderung gewaltsam vergossenen Blutes
Jedoch euer Blut, das eines jeden von euch, werde ich
einfordern,
aus der Hand eines jeden werde ich es fordern,
und aus der Hand des Menschen, aus der Hand eines jeden
‘seines Bruders‚
fordere ich das Leben des Menschen.
6 Begründung: Rechtssatz mit imago Dei-Aussage
Wer das Blut des Menschen vergießt – durch den Menschen54
soll sein Blut vergossen werden,
denn als Bild Gottes hat er den Menschen gemacht.
7 Segenszusage
Ihr aber seid fruchtbar und werdet zahlreich, 1,28, vgl. Ex 1,7
wimmelt auf der Erde und werdet zahlreich auf ihr!“
Skizze 3: Bezüge von Gen 9,1–7 zur Schöpfungserzählung

Wenn 9,1–7 den Fortbestand der Menschheit garantiert, so muss zunächst


verwundern, mit welchen Maßnahmen diese Garantie von Gott der nach-
flutlichen Menschheit gegeben wird. Zwar soll unkontrollierte „Gewalt“
(‫ )חמס‬auf der Erde hinfort ausgeschlossen sein – aber um den Preis, dass
die Tiere der Verfügungsgewalt des Menschen unterliegen (V. 2), ihre Tö-
tung zu Nahrungszwecken erlaubt ist (V. 3), diese Erlaubnis aber durch
das Blutgenussverbot eingeschränkt wird (V. 4).55 Demgegenüber sind Tö-
54 Anders Schmid, Schöpfung (s. Anm. 1), 82: „um den Wert des Menschen“.
55 In der Systematik der Priesterschrift bezieht sich das Blutgenussverbot von Gen 9,4 auf
Lev 17,10–14, wonach das Blut wegen des in ihm präsenten Lebens an den Altar appli-
Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte 517

tungsdelikte am Menschen grundsätzlich verboten, weil Gott ihn als sein/e


„Bild/Statue“ (‫ )צלם‬gemacht hat (V. 6). Die in V. 3 f erlaubte Tiertötung
intendiert aber keine Ausrottung der Tierwelt. Das widerspräche nicht nur
jeder Klugheitserwägung, sondern auch der Segensverheißung von Gen
9,8–17, wonach auch die Tiere zum Gottesbund gehören. Mit schranken-
loser Gewalt hat die nachflutliche Neuregelung also nichts zu tun. Sie zeigt
aber, als wie gravierend die Priesterschrift die Kluft zwischen dem Men-
schen und seinen Mitgeschöpfen empfunden hat und wie konfliktträchtig
das Zusammenleben von Mensch und Tier in dem gemeinsamen Lebens-
raum „Erde“ (vgl. Gen 1,24–31) in Wirklichkeit ist. „Nicht um seiner selbst
willen, sondern um der Integrität der gemeinsamen Lebenswelt willen, die
er mit den Tieren teilt, wird der Mensch mit dem Mandat zu ‚herrschen‘
beauftragt“56. Diese Integrität wurde nach Gen 6,11–13 durch die „Gewalt“
(‫ )חמס‬allen Fleisches, also von Mensch und Tier, verdorben (V. 11 f) und
die Erde mit Gewalt „angefüllt“ (V. 11b.13a):
11 Und es verderbte die Erde vor Gott,
und voll wurde die Erde von Gewalt.
12 Und Gott sah die Erde und siehe: sie war verderbt,
denn verderbt hatte alles Fleisch seinen Weg auf der Erde.
13 Und Gott sprach zu Noah:
„Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen,
denn voll ist die Erde von Gewalt von ihnen her,
und siehe, ich bin dabei, sie zu vernichten (zusammen) mit der Erde.“

Damit ist, wie die der Billigungsformel von Gen 1,31a („Und siehe: sie war
sehr gut“) gegenüberstehende Formulierung von Gen 6,12a („Und siehe:
sie war verderbt“) prägnant zeigt, „ein Totalumschlag von der idealen
Schöpfung in eine durch Gewalt pervertierte Welt ausgesagt“57, der Gott in
seiner Rede vor der Flut das „Ende allen Fleisches“ ankündigt (6,13–17a)58

ziert werden soll, um dort Sühne für die Israeliten zu schaffen, s. dazu B. Janowski,
Sühne als Heilsgeschehen. Traditions- und religionsgeschichtliche Studien zur priester-
schriftlichen Sühnetheologie (WMANT 55), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag,
2
2000, 242–247.
56 Link, Schöpfung (s. Anm. 18), 396.
57 Oberforcher, Biblische Lesarten (s. Anm. 56), 145, vgl. Schmid, Schöpfung (s. Anm. 1),
80 f.
58 Möglicherweise unter Aufnahme von Am 8,2, s. dazu R. Smend, „Das Ende ist gekom-
men.“ Ein Amoswort in der Priesterschrift, in: ders., Die Mitte des Alten Testaments
(BEvTh 99), München: Chr. Kaiser Verlag, 1986, 154–159, vgl. J.Chr. Gertz, Beobach-
tungen zum literarischen Charakter und zum geistesgeschichtlichen Ort der nichtprie-
sterschriftlichen Sintfluterzählung, in: Auf dem Weg zur Endgestalt von Genesis bis II
Regum. FS H.-Chr. Schmitt (BZAW 370), hg. von M. Beck und U. Schorn, Berlin / New
York: de Gruyter, 2006, 41–57, hier 54 f.
518 Bernd Janowski

und von dem nur Noah, seine Frau, seine drei Söhne und deren Frauen
sowie je zwei Exemplare von allen Tieren (außer den Fischen) ausgenom-
men sind (6,18b–21), „um sie mit dir am Leben zu erhalten“ (6,19a, vgl. V.
20b). Dann nimmt das Geschehen nach 7,*6.11–24 seinen katastrophalen
Lauf, bis derselbe Gott, der die Flut gebracht hatte (6,13.17), deren tödli-
che Gewalt durch einen „Wind“ aufhält (8,1b, vgl. 1,2b!) und damit die
Erde wieder in ein Lebenshaus verwandelt (8,13a.14). Und genau an die-
sem Punkt, als das Wasser seinen Höchststand erreicht hatte (7,24), setzt
mit 8,1a die durch das „Gedenken“ Gottes herbeigeführte Wende ein:
7,24 Und das Wasser schwoll an auf der Erde 150 Tage.
8,1a Und Gott dachte (‫ )זכר‬an Noah und an alle Wildtiere
und an alles Vieh, das bei ihm in der Arche war.
8,1b Und Gott ließ einen Wind wehen über die Erde hin,
so dass das Wasser sank.

In der priesterlichen Fluterzählung markiert demnach 8,1a die Peripetie,


denn ‫ זכר‬ist „der Ausdruck des göttlichen Erbarmens, durch das Noah
wieder Lebensraum geschaffen wird.“59 Wodurch aber wir diese plötzliche
Wende herbeigeführt? Oder kommt sie gar nicht so plötzlich? Die Formu-
lierung von 8,1a scheint für die Beantwortung dieser Frage keinen An-
haltspunkt zu bieten. Achtet man aber auf den Kontext, so wird deutlich,
dass in der Überleitung 6,18a von Gott das „Aufrichten“ (‫ קום‬hif.) seines
Bundes angekündigt wird, dessen er im nachflutlichen Äon „gedenken“
wird (9,15 f). Diese Bezüge lassen sich folgendermaßen darstellen:
Reden Gottes vor der Flut (6,13–22)
6,17b Überleitung mit Ankündigung:
6,18a Aufrichten des Bundes
Handeln Gottes während der Flut (*7,6–8,14)
7,24 Und das Wasser schwoll an auf der Erde 150 Tage.
8,1a Und Gott dachte an Noah und an alle Wildtiere
und an alles Vieh, das bei ihm in der Arche war.
8,1b Und Gott ließ einen Wind wehen über die Erde hin,
so dass das Wasser sank.
Reden Gottes nach der Flut (*8,15–9,17)
9,11 Aufrichten des Bundes
9,12.15 f Geben und Gedenken des Bundes
9,17 Aufrichten des Bundes

59 W. Schottroff, „Gedenken“ im alten Orient und im Alten Testament. Die Wurzel zākar
im semitischen Sprachkreis (WMANT 15), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag,
2
1967, 187, vgl. 186 und Baumgart, Umkehr des Schöpfergottes (s. Anm. 29), 344 u. a.
Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte 519

Wenn man diese sprachlichen Bezüge beachtet, so wird klar, dass die Bun-
deszusage von 6,18a im Gedenken Gottes an Noah und an alle Lebewesen
in der Arche (8,1a) realisiert wird. Das aber bedeutet, dass schon in der in
6,18a angekündigten Aufrichtung des Bundes die entscheidende Voraus-
setzung für das lebensförderliche Gedenken Gottes von 8,1a gegeben ist.
Mit der Handlungssequenz 6,18a („aufrichten“) – 8,1a („gedenken“) – 9,11
(„aufrichten“) / 12 („geben“) + 15 f („gedenken“) / 17 („aufrichten“) dürfte
die priesterliche Fluterzählung demnach die Intention verfolgen, dass das
beabsichtigte Aufrichten des Bundes (6,18a) das Gedenken dieses Bundes
(8,1a) nach sich zieht und im zukünftigen Gedenken Gottes (9,15 f) sich
der dann aufzurichtende (9,11) bzw. aufgerichtete Bund (9,17) ereignet,
und zwar als „ewiger Bund“. So wird die Erzählung von der schöpferi-
schen Erinnerung Gottes in der Flut zum Paradigma für sein zukünftiges
Handeln an der Menschheit und an Israel oder anders gesagt: „Gott wird
in Zukunft handeln, wie man ihn im Erzählten handeln sah.“60

3. Gottes Bogen in den Wolken


Ein Element, das für das Verständnis der priesterlichen Urgeschichte es-
sentiell ist, bedarf zum Schluss der ausdrücklichen Erwähnung, nämlich
das „Zeichen des Bundes“, das in Gen 9,12–17 als ‚Gottes Bogen in den
Wolken‘ konkretisiert wird:
Rahmung
12 Und Gott sprach: A
„Dies ist das Zeichen des Bundes,

Bundesschluss
den ich hiermit gebe zwischen mir und euch und jedem B
lebenden Wesen bei euch für ewige Geschlechter:
13 Meinen Bogen gebe ich hiermit in die Wolken,
und er wird dienen als Zeichen des Bundes zwischen mir A
und der Erde.

Zusicherung für die Zukunft


14 Und es wird sein: Wenn ich (in Zukunft) Wolken wölke A
über der Erde,
dann wird der Bogen in den Wolken erscheinen,
15 und ich werde an meinen Bund denken, der zwischen mir und B
euch und jedem lebenden Wesen ist an allem Fleisch:
Nie mehr wird das Wasser zur Flut werden, um alles Fleisch C
zu vernichten.
16 So wird der Bogen in den Wolken sein, B

60 Baumgart, Umkehr des Schöpfergottes (s. Anm. 29), 343 f.


520 Bernd Janowski

und ich werde ihn sehen, A


so dass ich an den ewigen Bund denke zwischen Gott und
jedem lebenden Wesen an allem Fleisch, das auf der Erde ist.“

Rahmung (zusammenfassende Rückschau → V. 8–11)


17 Und Gott sprach zu Noah:
„Dies ist das Zeichen des Bundes,
den ich aufgerichtet habe zwischen mir und euch und allem Fleisch,
das auf der Erde ist.“61

Wie W. Groß deutlich gemacht hat, stehen in V. 12 f das Partizip ‫[„( ֹנ ֵתן‬das
Zeichen des Bundes, den] ich hiermit gebe“) und die x-qatal-Form ‫ָנ ַתִּתי‬
(„[meinen Bogen] gebe ich hiermit“) für Koinzidenz, d. h. für die „Identi-
tät zwischen dem Äußern des Satzes und der Realisierung des durch ihn
bezeichneten Sachverhalts“62. Damit wird der Bund realisiert, d. h. Gott
setzt seinen Bund aktuell ein, indem er das Zeichen des Bundes in die
Wolken gibt. Demgegenüber erläutern V. 15 f die Funktion des Bundes im
Blick auf die zukünftige Realisierung der in ihr beschlossenen Zusage,
wofür die Wendung „meines/des Bundes gedenken“ gebraucht wird. Jedes
Mal wenn dieses Zeichen – „der/mein Bogen“ – in den Wolken erscheint,
wird JHWH es „sehen“ und an den ewigen Bund „denken“, den er mit
Noah und der Schöpfung geschlossen hat. Der in die Wolken gegebene
Bogen ist als „der abgelegte, entspannte, von seiner Sehne befreite Bogen
… das Erinnerungszeichen Jahwes, dass er keine Vernichtungshandlungen
gegen die Erde und ihre Bewohner mehr ausführt“63. Die tödliche Ausein-
andersetzung zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung ist beendet.

III. Zusammenfassung

Die biblische Urgeschichte (Gen 1–11), so können wir resümieren, erzählt


von der Entstehung der Welt und den Grundgegebenheiten des menschli-
chen Daseins. In ihren beiden Hauptsträngen, dem priesterlichen und
dem nichtpriesterlichen Erzählfaden, werden dabei die Akzente unter-
schiedlich gesetzt. Wie die Schöpfungs- (Gen 1,1–2,3) und die Fluterzäh-

61 Zur Textanordnung s. Arneth, Adams Fall (s. Anm. 55), 83–92, ferner Gross, Zukunft
für Israel (s. Anm. 56), 51 f.
62 Groß, aaO., 52.
63 U. Rüterswörden, Der Bogen in Gen 9, in: ders., Dominium terrae. Studien zur Genese
einer alttestamentlichen Vorstellung (BZAW 215), Berlin / New York: de Gruyter, 1993,
131–154, hier 151. Anders Zenger, Gottes Bogen (s. Anm. 27), 11–14.124–131.181,
demzufolge der Bogen das Machtsymbol des Schöpfergottes ist, der seine Königsherr-
schaft über die Erde antritt und damit deren Bestand garantiert.
Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte 521

lung (Gen *6,9–9,29) zeigen, entwirft die priesterliche Urgeschichte die


Vision einer Welt, wie sie vom Schöpfergott intendiert war, aber durch die
Gewalt unter den Geschöpfen bis an den Rand der Auslöschung gebracht
wurde. Die Welt, die durch das „Gedenken“ Gottes (Gen 8,1a) vor dem
Untergang bewahrt wurde, ist die Welt, wie wir sie kennen – gefährdet
durch das konfliktträchtige Zusammenleben von Mensch und Tier in dem
gemeinsamen Lebensraum „Erde“. In der Wahrnehmung dieser Ambiva-
lenz, die bestehende Gewaltverhältnisse nicht leugnet (Tiertötung), aber
auf das nötige Minimum einzugrenzen sucht (Bluttabu), ist der priesterli-
che Verfasser ein Realist. Er weiß, das das Leben bedroht ist und deshalb
mit ,ordnender Gewalt‘ geschützt werden muss. Zugleich ist er mehr als
dies, weil er weiter geht, als wir es je tun würden, indem er auch die Tiere
zum Gottesbund zählt (Gen 9,8–17). So entsteht das Bild von einem Han-
deln Gottes, der auf „die ,Störungen‘ der guten Schöpfung durch seine
Geschöpfe, zumal durch die Menschen“64 reagiert und damit die Ge-
schichte über tiefgreifende Brüche wie die Flut weiterführt – bis hin zur
Errichtung des Heiligtums am Sinai, in dem der Schöpfergott inmitten der
Israeliten „wohnen“ will (Ex 29,45 f P).65 Hier, am Sinai, hat die in der
Schöpfung grundgelegte Hinwendung Gottes zur Welt ihr Ziel erreicht, und
zwar als Gemeinschaft mit Israel, mit dem „sich der Schöpfer wieder eine
‚Heimat‘ in seiner Schöpfung, eine Gemeinschaft (schafft), in deren Le-
bensvollzug (z. B. Speisegesetze; solidarische Ethik) und Ergehen (vgl. die
Segensperspektive in Lev 26) die schöpfungswidrige Gewalttat in ihre
Schranken gewiesen werden soll, die aber gleichwohl der noachitischen
Menschheit angehörig bleibt“66. Dieser Dreiklang von Schöpfung, Flut und
Noahbund ist der rote Faden der priesterlichen Urgeschichte.

Bernd Janowski
Professor emeritus für Altes Testament
Universität Tübingen
Liebermeisterstr. 12
D – 72076 Tübingen
bernd.janowski@uni-tuebingen.de

64 E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin / New York
1990, 330.
65 S. dazu B. Janowski, Die Einwohnung Gottes in Israel. Eine religions- und theologiege-
schichtliche Skizze zur biblischen Schekina-Theologie, in: ders. / E.E. Popkes (Hg.), Das
Geheimnis der Gegenwart Gottes. Zur Schechina-Vorstellung in Judentum und Chri-
stentum (WUNT), Tübingen: Mohr Siebeck, 2013 (im Druck).
66 Blum, aaO., 331.

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