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Zusammenfassung der Vorlesung

Analysis 1
Sergio Conti
Universität Bonn
Wintersemester 2019-2020

Dies ist eine gekürzte Zusammenfassung und kein vollständiges Skript der
Vorlesung. Deshalb kann diese Zusammenfassung den Besuch der Vorlesung
oder ein Lehrbuch nicht ersetzen. Wie in der Vorlesung besprochen, werden
folgende Bücher empfohlen:

Fo1 Otto Forster, Analysis 1, Vieweg studium

Hi1 Stefan Hildebrandt, Analysis 1, Springer

Kö1 Konrad Königsberger, Analysis 1, Springer

Insbesondere enthalten diese Notizen nur ausgewählte Beweise. Die anderen


sind entweder leichte Übungsaufgaben oder in der angegebenen Literatur zu
finden.
Tippfehler und Korrekturen bitte an sergio.conti@uni-bonn.de.
Diese Zusammenfassung basiert auf den oben genannten Büchern und
auf früheren Vorlesungszusammenfassungen (S. Conti WS 2009-10, S.
Müller WS 2010-11, M. Disertori WS 2018-19) und ist nur für
Hörer der Vorlesung V1G1/MB01 Analysis 1 an der Universität Bonn,
Wintersemester 2019-2020, bestimmt. Eine aktuelle Version ist unter
https://www.iam.uni-bonn.de/aaa2/teaching/ zu finden.

1 [7. November 2019]


Inhaltsverzeichnis
1 Zahlenmengen: R, N, Z, Q, C 3
1.1 Die reellen Zahlen R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.1.1 Körperaktiomen, Grundrechenarten . . . . . . . . . . 3
1.1.2 Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.1.3 Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2 Die natürlichen Zahlen N, vollständige Induktion . . . . . . . 6
1.3 Die ganzen Zahlen Z und die rationalen Zahlen Q . . . . . . . 15
1.4 Endliche und abzählbare Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.5 Vollständigkeit von R: inf, sup, Intervallschachtelung . . . . . 19
1.6 Die komplexen Zahlen C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2 Folgen und Grenzwerte 29


2.1 Konvergente Folgen reeller Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.2 Teilfolgen, Satz von Bolzano-Weierstraß . . . . . . . . . . . . 34
2.3 Bestimmt divergente Folgen, lim inf und lim sup . . . . . . . . 36
2.4 Metrische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

2 [7. November 2019]


[07.10.2019]

1 Zahlenmengen: R, N, Z, Q, C
Wir benutzen die übliche Notation für Mengen (A ⊂ B, a ∈ A, A∩B, A∪B,
A \ B, A × B) und für Funktionen (f : A → B, a 7→ f (a)). Diese Konzepte
werden in der linearen Algebra besprochen.

1.1 Die reellen Zahlen R


Axiom 1.1. Es gibt eine Menge R mit folgenden Eigenschaften:

(i) R ist ein Körper (Definition 1.2);

(ii) R ist geordnet (Definition 1.5);

(iii) R ist ordnungsvollständig (Definition 1.7).

1.1.1 Körperaktiomen, Grundrechenarten

Definition 1.2. Eine Menge K ist ein Körper, falls zwei Operationen + :
K × K → K und · : K × K → K (Addition und Multiplikation bzw. Summe
und Produkt genannt) und zwei Elemente 0, 1 ∈ K existieren (mit 1 6= 0),
so dass gilt:

(i) Addition und Multiplikation sind kommutativ, d.h., a + b = b + a und


a · b = b · a für alle a, b ∈ K.

(ii) Addition und Multiplikation sind assoziativ, d.h., (a+b)+c = a+(b+c)


und (a · b) · c = a · (b · c) für alle a, b, c ∈ K.

(iii) 0 + a = a und 1 · a = a für alle a ∈ K.

(iv) Für alle a ∈ K gibt es ein x ∈ K mit a + x = 0; für alle a ∈ K mit


a 6= 0 gibt es ein x ∈ K mit a · x = 1.

(v) Es gilt das Distributivgesetz, d.h., a · (b + c) = (a · b) + (a · c).


Bemerkung 1.3. Die Elemente 0 und 1 sind eindeutig durch (iii) bestimmt.
Für a ∈ K ist die Lösung der Gleichung x + a = 0 eindeutig. Sie wird −a
genannt, anstatt a + (−b) schreibt man auch a − b.
Für a ∈ K, a 6= 0, ist die Lösung der Gleichung a · x = 1 eindeutig, sie wird
1/a genannt. Anstatt a · (1/b) schreibt man auch a/b oder a · b−1 oder b−1 · a
oder ab .

3 [7. November 2019]


Der Punkt wird oft weggelassen, ab = a · b. Klammern werden auch,
wo sie nicht notwendig sind, weggelassen, mit der Konvention, dass man
zuerst Produkte und danach Summen rechnen muss, “Punktrechnung vor
Strichrechnung”. Z.B. schreibt man a + b + c, ab + c, ab/c.
Für a · a schreibt man auch a2 .

Beweis: Eindeutigkeit der 0. Wir nehmen an, dass zwei Elemente 0, 00 ∈ K


existieren, so dass 0 + a = a und 00 + a = a für alle a ∈ K, und zeigen,
dass 0 = 00 . Wir betrachten die Größe 0 + 00 . Da 0 + a = a für alle a, gilt
0 + 00 = 00 . Aus (i) folgt, dass 0 + 00 = 00 + 0. Aus 00 + a = a für alle a, gilt
00 + 0 = 0. Deshalb 00 = 0 + 00 = 00 + 0 = 0.
Wir beweisen Eindeutigkeit der Lösung von a + x = 0. Sei a ∈ K fest. Seien
x, y ∈ K zwei Lösungen, d.h., zwei Elemente von K so dass a + x = 0 und
a + y = 0. Aus a + x = 0 und (iii) folgt (a + x) + y = 0 + y = y. Aus (ii) und
(i) folgt (a + x) + y = (x + a) + y = x + (a + y), und wie oben mit a + y = 0,
(iii) und (i) erhalten wir x + (a + y) = x + 0 = 0 + x = x. Deshalb x = y.
Die anderen Aussagen werden in den Hausaufgaben bewiesen.
In dieser Vorlesung werden wir die drei Körper R, Q und C betrachten,
weitere Beispiele werden in der Linearen Algebra besprochen.

Bemerkung 1.4. Aus dieser Definition kann man leicht sehen, dass fol-
gende Rechenregeln gelten:

−(−a) = a (−a) + (−b) = −(a + b) (1.1)


(−1) · a = −a (1.2)
−1 −1 −1 −1 −1
(a ) =a a b = (ab) für a, b 6= 0 (1.3)
a·0=0 a(−b) = −(ab) (1.4)
(−a)(−b) = ab a(b − c) = ab − ac (1.5)
a b ad + bc a b ab
+ = · = für c, d 6= 0 (1.6)
c d cd c d cd
Aus ab = 0 folgt a = 0 oder b = 0 . (1.7)

Wir beweisen, dass a · 0 = 0 für alle a ∈ K. Aus (iii) folgt a · 0 = a · (0 + 0),


aus (v) folgt a · (0 + 0) = (a · 0) + (a · 0). Aus (iv) folgt, dass ein x esistiert,
so dass (a · 0) + x = 0. Dann a · 0 + x = (a · 0) + (a · 0) + x und deshalb
0 = a · 0.
Beweis: Hausaufgabe, vgl. auch [Hi1, Kap. 1.3].

1.1.2 Ordnung.

Wir brauchen ein Kriterium, um zu entscheiden, wann a > b ist. Wir bemer-
ken, dass für jedes Paar a, b von reellen Zahlen, das wir ausprobieren, a > b

4 [7. November 2019]


genau dann gilt, wenn a − b > 0. Wir werden diese Eigenschaft benutzen,
um den Begriff der Ordnung zu definieren.

Definition 1.5 (Ordnung). Ein Körper K heißt geordnet, wenn eine Teil-
menge K+ von K existiert, sodass gilt:

(i) Für jedes a ∈ K gilt genau eine der drei Bedingungen


a ∈ K+ , a = 0, −a ∈ K+ .

(ii) Aus a, b ∈ K+ folgt a + b ∈ K+ und ab ∈ K+ .

Die Schreibweise a > b bedeutet a − b ∈ K+ . Analog steht a < b für b − a ∈


K+ , a ≥ b für a − b ∈ K+ ∪ {0}, a ≤ b für b − a ∈ K+ ∪ {0}.
Man nennt die Elemente von K+ positiv und die Elemente von K+ ∪ {0}
nichtnegativ.

Die Schreibweise a < b < c bedeutet a < b und b < c; a ≤ b ≤ c bedeutet


a ≤ b und b ≤ c.
Es ist leicht zu sehen dass
a>0 genau dann wenn a − 0 = a ∈ K+
(1.8)
a≥0 genau dann wenn a − 0 = a ∈ K+ ∪ {0}.

Bemerkung 1.6. Es gilt

a · a > 0 für alle a 6= 0 (1.9)


1>0 (1.10)
ab > 0 genau dann, wenn (b > 0 und a > 0) oder (b < 0 und a < 0)
(1.11)
a > 0 genau dann, wenn 1/a > 0 (1.12)
Aus a > 0 und b ≥ 0 folgt a + b > 0 (1.13)
Aus a < b und b < c folgt a < c (1.14)
Aus a ≤ b und b ≤ c folgt a ≤ c (1.15)
Aus a < b und c ≤ d folgt a + c < b + d (1.16)
Aus a ≤ b und c ≤ d folgt a + c ≤ b + d (1.17)
Aus a < b und c > 0 folgt ac < bc (1.18)

Beweis von (1.9). Sei a 6= 0. Aus (i) folgt, dass genau eine der zwei Be-
dingungen a ∈ K+ , −a ∈ K+ gilt. Wenn a ∈ K+ , dann folgt a · a ∈ K+
aus (ii), dann a · a > 0. Wenn −a ∈ K+ dann (−a) · (−a) > 0 aus (ii).
Aber aus Bem. 1.4 gilt (−a) · (−a) = (−1) · a · (−1) · a. Aus Def. 1.2
(i) und (ii) folgt (−1) · a · (−1) · a = (−1 · (−1)) · (a · a), mit (1.1) folgt
(−1) · a · (−1) · a = 1 · (a · a) = a · a. Dann a · a = (−a) · (−a) > 0.

5 [7. November 2019]


[07.10.2019]
[09.10.2019]

Beweis von (1.10). Es folgt aus Def. 1.2, dass 1 6= 0. Aus (1.9) mit a = 1
folgt, dass 1 · 1 > 0. Aber 1 · 1 = 1 aus Def. 1.2 (iii).
Beweis der anderen Aussagen. Übung.
Man kann jetzt 2 := 1 + 1 definieren, und analog 3 := 2 + 1, 4 := 3 + 1, . . . .
Es ist auch leicht zu sehen, dass 0 < 1 < 2 < 3 < 4 . . . , insbesondere, dass
alle diese Zahlen unterschiedlich sind.

1.1.3 Vollständigkeit

Definition 1.7 (Vollständigkeit). Sei K ein geordneter Körper. K heißt


ordnungsvollständig, wenn folgendes gilt:
Wenn A, B ⊂ K nichtleer sind und die Eigenschaft haben, dass a ≤ b für
alle a ∈ A und b ∈ B, dann gibt es ein x ∈ K so, dass a ≤ x ≤ b für alle
a ∈ A und b ∈ B gilt.

Wir werden später (Sekt. 1.5) die Konsequenzen dieser Eigenschaft genauer
besprechen, und im Kapitel 2 eine allgemeinere Definition von Vollständig-
keit geben, die auch auf nichtgeordnete (aber metrisierte) Mengen anwend-
bar ist.

1.2 Die natürlichen Zahlen N, vollständige Induktion


Definition 1.8. Eine Teilmenge M eines Körpers K wird induktiv genannt,
wenn

(i) 0 ∈ M ;

(ii) für alle a ∈ M gilt a + 1 ∈ M .

Beispiel. R ist eine induktive Teilmenge von R.


Beweis. Die Aussage ist richtig, wenn sowohl (i) als auch (ii) richtig sind.
0 ∈ R, also ist (i) richtig. Da R ein Körper ist und 1 ∈ R, gilt für alle a ∈ R
auch a + 1 ∈ R. Dann ist auch (ii) richtig.

Beispiel. R≥ := {a ∈ R| a ≥ 0} ist eine induktive Teilmenge von R.


Beweis. 0 ∈ R, also ist (i) richtig. Sei jetzt a ∈ R≥ , d.h. a ≥ 0. Aus (1.10)
wissen wir 1 > 0. Aus (1.17) folgt dann a + 1 ≥ 0 + 0 = 0. Dann ist auch
(ii) richtig.

6 [7. November 2019]


Definition 1.9 (Natürliche Zahlen). Sei Mind die Menge, deren Elemente
die induktiven Teilmengen von R sind,

Mind := {X ⊆ R| X induktive Teilmenge von X}.

Die Menge der natürlichen Zahlen N ist der Durchschnitt aller induktiven
Teilmengen von R : \
N := X. (1.19)
X∈Mind

Weiterhin definieren wir N∗ := N \ {0}.

Formel (1.19) bedeutet, dass n ∈ N genau dann, wenn n ∈ X für alle


X ∈ Mind .
Hinweis: in einigen Texte wird das Symbol N für N ∗ benutzt.

Bemerkung 1.10. Die Menge Mind ist nichtleer, Mind 6= ∅, weil R ∈


Mind . Deshalb ist die obige Definition wohlgestellt.
Außerdem gilt N ⊆ X für jede X ∈ Mind .

Lemma 1.11. N ist eine induktive Menge.

Beweis. Sei X ein beliebiges Element in Mind . Dann ist X eine induktive
Teilmenge, und insbesondere 0 ∈ X. Da X beliebig ist, gilt 0 ∈ X für alle
X ∈ Mind , dann 0 ∈ N und Eigenschaft (i) gilt.
Sei jetzt n ∈ N Sei X ein beliebiges Element in Mind . Aus der Definition
von N folgt, dass n ∈ X. Da X induktiv ist und n ∈ X folgt, dass auch
n + 1 ∈ X. Da X beliebig ist, gilt n + 1 ∈ X für alle X ∈ Mind , d.h.
n + 1 ∈ N.

Man kann deshalb die Definition auch als “N ist die kleinste induktive
Teilmenge von R” formulieren, wobei die Bedeutung von “kleinste” durch
die obige Konstruktion geklärt wird. Wir haben insbesondere gezeigt, dass
N ∈ Mind .

Lemma 1.12. Für alle n ∈ N gilt n ≥ 0.

Beweis. Folgt aus R≥ = {a ∈ R| a ≥ 0} ∈ Mind .

Satz 1.13 (Beweisprinzip der vollständigen Induktion). Zu jeder natürli-


chen Zahl n sei eine Aussage A(n) gegeben, so dass gilt

(i) A(0) ist richtig;

(ii) Für alle n ∈ N, für die A(n) richtig ist, ist auch A(n + 1) richtig.
[man schreibt auch “A(n) richtig ⇒ A(n + 1) richtig”]

7 [7. November 2019]


Dann ist A(n) für alle n ∈ N richtig.

Beweis. Sei
M := {n ∈ N : A(n) ist richtig} . (1.20)
Die Menge M ist in N enthalten, und ist eine induktive Teilmenge von R.
Aus M ⊆ N ⊆ M folgt M = N.

Notation: Man nennt (i) den Induktionsanfang (IA) oder die Induktions-
verankerung und (ii) den Induktionsschritt (IS). In (ii) heißt die Aussage
“A(n) ist richtig” Induktionshypothese (IH).

Lemma 1.14. Es gilt:

(i) Falls n, m ∈ N, dann n + m ∈ N und n · m ∈ N.

(ii) Für n ∈ N gilt entweder n = 0 oder n − 1 ∈ N.

(iii) Für n ∈ N gibt es kein m ∈ N mit n < m < n + 1.

(iv) Falls n, m ∈ N und m ≤ n, dann n − m ∈ N.

Beweis. (i): Sei m ∈ N fest. Wir betrachten für n ∈ N die Aussage

A(n) : m + n ∈ N, (1.21)

und werden A(n) mit vollständiger Induktion beweisen.


Induktionsanfang: Für n = 0 gilt m + 0 = m ∈ N, deshalb ist A(0) richtig.
Induktionsschritt: Sei A(n) richtig. Dann gilt m + (n + 1) = (m + n) + 1. Aus
A(n) folgt, dass m + n ∈ N. Da N induktiv ist folgt, dass (m + n) + 1 ∈ N.
Daraus folgt die erste Behauptung.
Um den zweiten Teil zu beweisen, betrachten wir die Aussage

A0 (n) : m · n ∈ N. (1.22)

Induktionsanfang: Für n = 0 gilt m · 0 = 0 ∈ N, deshalb ist A0 (0) richtig.


Induktionsschritt: Sei A0 (n) richtig. Dann gilt m(n + 1) = mn + m; da mn
und m in N sind, folgt aus dem bereits bewiesenen ersten Teil von (i), dass
m(n + 1) ∈ N. Das beendet den Beweis von (i).
(ii): Beweis durch Induktion. Für n = 0 ist die Aussage richtig. Für alle
n ∈ N ist die Aussage A(n + 1) ebenfalls richtig, weil (n + 1) − 1 = n ∈ N.
(iii): Wir beweisen durch Induktion die stärkere Aussage

Für k ∈ N gibt es kein m ∈ N mit k − 1 < m < k. (1.23)

Für k = 0 folgt die Aussage aus Lemma 1.12. Die Aussage sei für k richtig.
Falls ein m ∈ N mit k < m < k + 1 existieren würde, dann wäre (aus (ii))

8 [7. November 2019]


entweder m = 0 oder m − 1 ∈ N. Die erste Option kann nicht sein (sonst
wäre n < 0), und die zweite ebenfalls nicht (weil sonst k − 1 < m − 1 < k
der Induktionsannahme widersprechen würde). Deshalb gibt es kein solches
m, und der Beweis von (1.23) ist beendet. Um (iii) zu beweisen reicht es,
(1.23) mit k = n + 1 anzuwenden (da N induktiv ist, folgt aus n ∈ N dass
k ∈ N).
(iv): Hausaufgabe.

Bemerkung. Im Beweis von (iii) wurde gezeigt, dass falls A(n + 1) falsch
ist, dann muss auch A(n) falsch sein. Falls A(n) wahr ist (wie im Induk-
tionsbeweis angenommen), dann folgt, dass A(n + 1) ebenfalls wahr sein
muss. Dieses Beweisverfahren wird Widerspruchsbeweis genannt. Man kann
es auch so formulieren: um zu zeigen, dass eine Aussage A wahr ist, reicht
es zu zeigen, dass A nicht falsch sein kann.

Lemma 1.15. Für jedes n ∈ N gilt genau eine der zwei Bedingungen

n
(i) ∈N d.h., es gibt ein m ∈ N so dass n = 2m
2
n−1
(ii) ∈N d.h., es gibt ein m ∈ N so dass n = 2m + 1.
2
Wenn (i) gilt, heißt n gerade Zahl. Wenn (ii) gilt, heißt n ungerade Zahl.

Beweis. Übung.

Mit Lemma 1.14(iv) kann die Aussage von Satz 1.13 verallgemeinert werden.

Bemerkung 1.16. Sei N0 ∈ N. Um die Aussage A(n) für alle n ∈ N,


n ≥ N0 zu beweisen, reicht es statt (i)

(i’) A(N0 ) ist richtig

zu zeigen.

Beweis. Für h ∈ N sei A∗ (h) := A(N0 + h). Aus (i’) folgt, dass A∗ (0) richtig
ist, und aus (ii) dass A∗ (h) ⇒ A∗ (h + 1). Dann zeigt Satz 1.13, dass A∗ (h)
für alle h ∈ N wahr ist. Für n ∈ N, n ≥ N0 , ist n − N0 ∈ N. Deshalb ist
A(n) = A∗ (n − N0 ) auch wahr.

Bemerkung. Wir werden später (Satz 1.28) zeigen, dass man statt (ii)
den schwächeren Schluss

(ii’) Für jedes n, für welches A(0), . . . , A(n) richtig sind (d.h., A(k) ist
richtig für alle k ∈ N, k ≤ n), ist auch A(n + 1) richtig

9 [7. November 2019]


benutzen kann.
[09.10.2019]
[14.10.2019]

Die Methode der vollständigen Induktion wird auch für Definitionen benutzt
(Konstruktion durch vollständige Induktion oder rekursive Definition):

Definition 1.17. Sei x ∈ R, n ∈ N. Dann ist xn durch

(i) x0 := 1;

(ii) xn+1 := xn · x

definiert. Insbesondere gilt 00 = 1.

Lemma 1.18 (Bernoullische Ungleichung). Sei n ∈ N, a ∈ R, a > −1.


Dann gilt:
(1 + a)n ≥ 1 + na . (1.24)

Beweis. Wir beweisen die Aussage mit vollständiger Induktion. Sei A(n) die
Aussage (1.24). Induktionsbeginn: Für n = 0 gilt 1 = 1. Induktionsschritt:
Die Aussage sei für n wahr. Dann gilt (mit (1.18))

(1 + a)n+1 = (1 + a)n (1 + a) ≥ (1 + na)(1 + a) (1.25)


2
= 1 + (n + 1)a + na ≥ 1 + (n + 1)a . (1.26)

Hinweis:

Definition 1.19 (Rekursive Definition von Summe und Produkt). Sei für
alle i ∈ N eine reelle Zahl ai gegeben. Dann ist für alle n ∈ N die Summe
P n
i=0 ai rekursiv definiert durch
P0
(i) für n = 0 gilt i=0 ai := a0 ;
Pn+1 Pn
(ii) für n ∈ N gilt i=0 ai := an+1 + ( i=0 ai ).

Ferner, setzt man für n, m ∈ N,


n
(P
n−m
X
j=0 aj+m falls n ≥ m
ai := (1.27)
i=m
0 falls n < m.
Qn
Analog definiert man das Produkt i=0 ai rekursiv durch
Q0
(i) für n = 0 gilt i=0 ai := a0 ;

(ii) für n ∈ N gilt i=0 ai := an+1 · ( ni=0 ai ).


Qn+1 Q

10 [7. November 2019]


Ferner, setzt man für n, m ∈ N,
n
(Q
n−m
Y
j=0 aj+m falls n ≥ m
ai := (1.28)
i=m
1 falls n < m

Wenn n ≥ m schreibt man manchmal für nj=m ai auch am +am+1 +. . .+an


P
oder am + . . . + an und benutzt eine analoge Notation für Produkte. In den
degenerierten Fällen n < m muss man diese Notation aber sorgfältig im
Sinne der obigen Definition interpretieren.
Bemerkung 1.20. Für x, y ∈ R, n ∈ N, ai ∈ R, es gilt:
n
Y
xn = x (1.29)
i=1
n
X
1=n+1 (1.30)
i=0
n
X n(n + 1)
i= (1.31)
2
i=0
n
X n
X n
X n
X
(x + y) ai = ((x + y)ai ) = (xai ) + (yai ) (1.32)
i=m i=m i=m i=m
Xn n+k
X
ai = ai−k (1.33)
i=m i=m+k

Beweis. Beweis von (1.30): Wir benutzen


P vollständige Induktion. Sei ai = 1
für alle i, und sei A(n) die Aussage ni=0 1 = n + 1.
IA: 0i=0 ai = a0 = 1 = 0 + 1. Dann ist A(0) richtig.
P

IH: Sei A(n) richtig für ein gegebenes n ∈ N.


IH
IS: n+1
P Pn
i=0 ai = ( i=0 ai ) + an+1 = (n + 1) + an+1 = (n + 1) + 1. Dann ist
auch A(n + 1) richtig.
Beweis von (1.31): Wir benutzen vollständige Induktion. Sei ai = i für alle
i, und sei A(n) die Aussage ni=0 i = n(n+1)
P
2 .
P0 0(0+1)
IA: i=0 ai = a0 = 0 = 2 . Dann ist A(0) richtig.
IH: Sei A(n) richtig für ein gegebenes n ∈ N.
IH n(n+1)
IS: n+1 + an+1 = n(n+1)
P Pn
i=0 ai = ( i=0 ai ) + an+1 = 2 2 + (n + 1) =
n (n+1)((n+1)+1)
( 2 + 1)(n + 1) = 2 . Dann ist auch A(n + 1) richtig.
Beweis der anderen Aussagen: Übung.
Lemma 1.21. Sei x ∈ R, x 6= 1, n ∈ N. Dann gilt
n
X 1 − xn+1
xi = . (1.34)
1−x
i=0

11 [7. November 2019]


Beweis. Wir wenden vollständige Induktion an. Sei A(n) die Aussage (1.34).
Induktionsanfang: Für n = 0 erhalten wir x0 = (1 − x)/(1 − x), was wahr
ist. Deshalb gilt A(0).
Induktionsschritt: Falls A(n) richtig ist, dann zeigt die Rechnung
n+1 n
X X 1 − xn+1 1 − xn+2
xi = xn+1 + xi = xn+1 + = , (1.35)
1−x 1−x
i=0 i=0

dass A(n + 1) richtig ist.

Alternativer Beweis. Wir rechnen


n
X n
X n
X
i i
(1 − x) x = x − xi+1 (1.36)
i=0 i=0 i=0
Xn n+1
X
= xi − xi = 1 − xn+1 . (1.37)
i=0 i=1

Definition 1.22. Sei n ∈ N. Dann ist n! (n Fakultät) durch


n
Y
n! := i (1.38)
i=1

definiert.

Bemerkung. Es ist leicht zu sehen, dass

(i) 0! = 1;

(ii) (n + 1)! = n! · (n + 1), n ∈ N

eine äquivalente Definition ist.

  1.23. Seien k, n ∈ N, mit k ≤ n. Dann wird der Binomialkoef-


Definition
n
fizient (n über k) durch
k
 
n n!
:= (1.39)
k k!(n − k)!
 
n
definiert. Für k > n setzt man := 0.
k

12 [7. November 2019]


Bemerkung. Man kann leicht sehen, dass
  Y k
n n−i+1
= (1.40)
k i
i=1

gilt.
Lemma 1.24. Seien n, k ∈ N, n, k ≥ 1. Es gilt
     
n n−1 n−1
= + . (1.41)
k k k−1
 
n
Insbesondere ist ∈ N für alle n, k.
k
Hinweis: für k = 0 und/oder n = 0 ist die rechte Seite nicht definiert.

Beweis. Die Aussage (1.41) wird in der Hausaufgabe bewiesen. Daraus  kann

n
man leicht mit Induktion die Aussage B(n) beweisen, die besagt, dass ∈
k
N für alle k.

Satz 1.25 (Binomischer Lehrsatz). Seien x ∈ R, n ∈ N. Dann gilt:


n  
k n−k n
X
n
(x + y) = x y . (1.42)
k
k=0

Beweis. Für n = 0 erhalten wir 1 = 1. Die Aussage sei für n richtig. Dann
gilt:
n  
k n−k n
X
n+1
(x + y) = (x + y) x y (1.43)
k
k=0
n   X n  
k+1 n−k n k n−k+1 n
X
= x y + x y (1.44)
k k
k=0 k=0
n+1
X
= xk y n−k+1 ck , (1.45)
k=0

wobei c0 = 1, cn+1 = 1, und


   
n n
ck = + (1.46)
k k−1
für 1 ≤ k < n gilt. Mit Lemma 1.24 ist der Beweis beendet.

Definition 1.26. Sei A ⊂ R. Eine Zahl a ∈ A ist ein Minimum von A,


falls
a ≤ b für alle b ∈ A , (1.47)
man schreibt a = min A. Das Maximum max A wird analog definiert.

13 [7. November 2019]


Bemerkung. Nicht alle Mengen besitzen ein Minimum (Beispiele: R, R+ ).
Falls ein Minimum existiert, ist es eindeutig, weil aus a ≤ a0 und a0 ≤ a folgt
a = a0 . Analoges gilt für das Maximum.

Bemerkung. Die Schreibweise “a = min A” bedeutet, dass (i) A eine


Teilmenge von R ist, die ein Minimum besitzt, und (ii) das Minimum gleich
a ist.

Satz 1.27. Sei M ⊆ N nichtleer. Dann besitzt M ein Minimum, d.h., es


gibt m ∈ M so, dass m ≤ a für alle a ∈ M .

Beweis. Sei M ⊆ N eine Menge, die kein Minimum besitzt. Es reicht zu


zeigen, dass M = ∅.
Sei A(n) die Aussage “n < b für alle b ∈ M ”. Insbesondere impliziert A(n),
dass n 6∈ M . Deshalb reicht es, A(n) mit Induktion zu beweisen.
Falls A(0) falsch wäre, dann gäbe es b ∈ M mit b ≤ 0. Dann wäre b = 0 ∈ M .
Aber da M ⊆ N, erfüllen alle a ∈ M die Bedingung a ≥ 0, und 0 wäre ein
Minimum. Deshalb ist A(0) richtig.
Sei A(n) richtig. Falls A(n+1) falsch wäre, dann gäbe es b ∈ M mit b ≤ n+1.
Da M kein Minimum besitzt, gäbe es auch a ∈ M mit a < b, und deshalb mit
a < n + 1. Aus A(n) und a ∈ M folgt n < a. Aber es gibt keine natürliche
Zahl a mit n < a < n + 1 (Lemma 1.14(iii)). Deshalb ist auch A(n + 1)
richtig.
Es folgt, dass alle A(n) richtig sind, und für alle n ∈ N die Aussage n 6∈ M
gilt, d.h., N ∩ M = ∅. Mit M ⊆ N folgt M = ∅.

[14.10.2019]
[16.10.2019]

Satz 1.28 (Beweisprinzip der vollständigen Induktion, II). Sei N0 ∈ N, und


sei zu jeder natürlichen Zahl n mit n ≥ N0 eine Aussage A(n) gegeben, so
dass gilt:

(i) A(N0 ) ist wahr;

(ii) Für jedes n ≥ N0 , für welches A(N0 ), . . . , A(n) wahr sind (d.h., A(k)
ist wahr für alle k ∈ N, N0 ≤ k ≤ n), ist auch A(n + 1) wahr

Dann ist A(n) für alle n ∈ N, n ≥ N0 , wahr.

Beweis. Sei M := {n ∈ N : n ≥ N0 , A(n) ist nicht wahr}. Falls M leer


ist, ist der Beweis beendet. Sonst sei m := min M . Aus m ∈ M folgt, dass
m ≥ N0 . Aus (i) folgt, dass m nicht gleich N0 sein kann und deshalb dass

14 [7. November 2019]


m > N0 . Die Zahl n = m − 1 ∈ N hätte dann folgende Eigenschaften:
n ≥ N0 ; A(k) ist wahr für alle k ∈ N mit N0 ≤ k ≤ n; A(n + 1) ist falsch.
Das widerspricht aber (ii), deshalb ist M = ∅.

Bemerkung. Die Idee dieses Beweises ist in vielen Situationen nützlich,


sowohl in N, als auch in R. Man sucht den Wert m, bei dem zum ersten

Mal“ etwas schiefgeht. Man muss bei solchen Argumenten nur sicherstellen,
dass die Aussage zum ersten Mal“ wohldefiniert ist. Deswegen mussten wir

zunächst Satz 1.27 beweisen.

1.3 Die ganzen Zahlen Z und die rationalen Zahlen Q


Definition 1.29. Z := N ∪ {x ∈ R : −x ∈ N}.

Lemma 1.30. Falls a, b ∈ Z, dann a + b, a − b, a · b ∈ Z. Es gibt keine


a, b ∈ Z mit a < b < a + 1.

Beweis. Hausaufgabe (vgl. Lemma 1.14).

Definition 1.31. Q := {x ∈ R : es gibt q ∈ N∗ , so dass qx ∈ Z}.

Bem. q is nicht eindeutig.

Lemma 1.32. Q ist ein Körper.

Beweis. Hausaufgabe.

Satz 1.33. Es gibt kein x ∈ Q mit der Eigenschaft x2 = 2.

Beweis. Falls es ein x ∈ Q mit x2 = 2 gäbe, dann gäbe es ein q ∈ N∗ mit


p := xq ∈ Z und p2 = 2q 2 . Sei

A := {q ∈ N∗ : es gibt p ∈ Z mit p2 = 2q 2 } . (1.48)

Es reicht zu zeigen, dass A leer ist. Falls nicht, dann besitzt A ein Minimum.
Sei q := min A, und sei p ∈ Z so, dass p2 = 2q 2 . Da (−p)2 = p2 können wir
annehmen, dass p > 0.
Falls ein m ∈ N mit p = 2m existiert, dann impliziert (2m)2 = 2q 2 schon
2m2 = q 2 . Diese Gleichung aber zeigt, dass m ∈ A und dass m < q, im
Widerspruch zur Definition von q.
Falls kein solches m existiert, dann folgt aus Lemma 1.15 , dass (p−1)/2 ∈ N,
und deshalb
p2 − 1 p−1 2
 
=2 + p − 1 ∈ N. (1.49)
2 2

15 [7. November 2019]


Mit q 2 = p2 /2 ∈ N würde dann 1/2 ∈ N folgen, mit 0 < 1/2 < 1 dies
widerspricht Lemma 1.30.
In beiden Fällen haben wir einen Widerspruch erreicht, und somit haben
wir gezeigt, dass A = ∅.

1.4 Endliche und abzählbare Mengen


Definition 1.34. Seien A, B zwei Mengen, f : A → B eine Abbildung.

(i) f ist surjektiv, wenn es für alle b ∈ B mindestens ein a ∈ A gibt, so


dass f (a) = b gilt;

(ii) f ist injektiv, wenn es für alle b ∈ B höchstens ein a ∈ A gibt, so dass
f (a) = b gilt;

(iii) f ist bijektiv, wenn es für alle b ∈ B genau ein a ∈ A gibt, so dass
f (a) = b gilt.

(iv) Für A0 ⊆ A wir definieren f (A0 ) := {f (a)| a ∈ A0 } ⊆ B.

(v) Für B 0 ⊆ B wir definieren f −1 (B 0 ) := {a| f (a) ∈ B 0 } ⊆ A.

Bemerkung. Folgende drei Bedingungen sind äquivalent: (i) f ist bijektiv;


(ii) f ist sowohl surjektiv als auch injektiv; (iii) f besitzt eine bijektive
Umkehrfunktion.

Bemerkung. Die Abbildung f : N → N∗ , f (n) = n + 1 ist bijektiv. Die


Umkehrfunktion ist g : N∗ → N, g(n) = n − 1. Falls f bijektiv ist, und
b ∈ B, dann besteht f −1 ({b}) aus genau einem Element von A. Man kann
dann auch f −1 für die Umkehrabbildung schreiben.
Definition 1.35. Für n ∈ N sei Kn := {i ∈ N : i < n}.

(i) Eine Menge X ist endlich, wenn X = ∅ oder ein n ∈ N und eine
bijektive Abbildung f : Kn → X existieren. In diesem Fall setzt man
#X := n; #∅ := 0.

(ii) Falls X nicht endlich ist, dann wird X unendlich genannt, und man
setzt #X := ∞.

(iii) Eine Menge X ist abzählbar, wenn eine bijektive Abbildung f : N → X


existiert.

(iv) Eine Menge X ist überabzählbar, wenn sie weder endlich noch abzähl-
bar ist.

Man schreibt oft |X| statt #X.

16 [7. November 2019]


Bemerkung. Die Definition von #X ist wohlgestellt, weil aus der Exis-
tenz zweier bijektiver Abbildungen f : Kn → X und g : Km → X folgt,
dass n = m. Ferner kann man für kein X und kein n ∈ N zwei bijektive
Abbildungen f : Kn → X und g : N → X finden. Beweis: Hausaufgabe.
Beispiel. Sei 2N := {2n : n ∈ N}. Diese Menge ist abzählbar.
Beweis. Sei f : N → 2N durch f (n) := 2n definiert. f ist wohldefiniert und
bijektiv (Übung).
Satz 1.36. (i) Z ist abzählbar.
(ii) Q ist abzählbar.
(iii) Falls A und B abzählbar sind, dann ist A × B abzählbar.

Wir werden später (Satz 1.51) zeigen, dass R nicht abzählbar ist.
Bevor wir Satz 1.36 zu beweisen führen wir zwei weitere Aussagen ein.
Lemma 1.37. Sei A eine unendliche Menge.

(i) Falls eine surjektive Abbildung f : N → A existiert, dann ist A abzähl-


bar.
(ii) Falls eine injektive Abbildung h : A → N existiert, dann ist A abzähl-
bar.

Beweis. (i). Wir definieren rekursiv eine bijektive Abbildung g : N → A. Sei


g(0) := f (0). Für n ∈ N∗ sei g auf Kn bereits definiert und auf diese Menge
injektiv. Da A unendlich ist, ist die Menge
Bn := A \ g(Kn ) = A \ {g(i) : i ∈ N, i < n} (1.50)
nicht leer. Deshalb können wir
g(n) := f (min{k ∈ N : f (k) ∈ Bn }) (1.51)
−1
= f (min f (Bn )) (1.52)
= f (min{k ∈ N : f (k) 6= g(i) für alle i ∈ N, i < n}) (1.53)
definieren. Aus der Definition folgt, dass g auf Kn+1 injektiv ist und dass
f (Kn ) ⊆ g(Kn ). Mit Induktion folgt dann, dass g : N → A bijektiv ist.
(ii). Sei h wie angegeben. Sei a0 ∈ A (A ist unendlich und deshalb nicht
leer). Wir definieren
(
a falls ein a ∈ A existiert, so dass h(a) = n
f (n) := (1.54)
a0 sonst.
Aus der Injektivität von h folgt, dass f wohldefiniert ist. Für alle a gibt es
ein n = h(a) so dass f (n) = a, deshalb ist f surjektiv. Die Aussage folgt
dann aus (i).

17 [7. November 2019]


Lemma 1.38. Es gibt eine bijektive Abbildung f : N × N → N.

Beweis. Wir definieren f : N × N → N durch


1
f (x, y) := (x + y)(x + y + 1) + y . (1.55)
2
 
n
(Aus ∈ N für alle n ∈ N folgt dass f (x, y) ∈ N). Um zu zeigen, dass
2
f injektiv ist, betrachten wir zwei Paare (x, y), (x0 , y 0 ) ∈ N mit f (x, y) =
f (x0 , y 0 ).
Falls x0 + y 0 > x + y, dann gilt x0 + y 0 ≥ x + y + 1, und deshalb
1
f (x0 , y 0 ) ≥ (x + y + 1)(x + y + 2) + y 0 (1.56)
2
1
= (x + y + 1)(x + y) + (x + y + 1) + y 0 (1.57)
2
= f (x, y) + x + 1 + y 0 . (1.58)

Aus f (x, y) = f (x0 , y 0 ) folgt dann 0 ≥ x + 1 + y 0 , ein Widerspruch. Analog


wird der Fall x + y > x0 + y 0 ausgeschlossen.
Deshalb gilt x + y = x0 + y 0 . Aus 0 = f (x, y) − f (x0 , y 0 ) = y − y 0 folgt dann
y = y 0 , und somit x = x0 . Dies beweist, dass f injektiv ist. Die Aussage folgt
dann aus Lemma 1.37(ii).

Bemerkung 1.39. Die Abbildung, die in (1.55) definiert wurde, ist bijektiv.

Beweis. Wir beweisen induktiv die Aussage A(n): es gibt (x, y) ∈ N × N so


dass f (x, y) = n.
A(0) ist wahr, weil f (0, 0) = 0. Falls A(n) wahr ist, dann gibt es (x, y) mit
f (x, y) = n. Wir unterscheiden zwei Fälle: Falls x > 0, dann x − 1 ∈ N und
f (x − 1, y + 1) = f (x, y) + 1 = n + 1, deshalb ist A(n + 1) wahr. Sonst gilt
x = 0, und eine leichte Rechnung zeigt:

f (y + 1, 0) = f (0, y) + 1 = n + 1 . (1.59)

Deshalb ist A(n + 1) auch im zweiten Fall wahr und der Beweis ist beendet.

Beweis von Satz 1.36. (iii) folgt unmittelbar aus Lemma 1.38.
(i): Sei g : N × N → Z durch g(n, m) := n − m definiert, f : N → N × N
bijektiv (Lemma 1.38). Aus der Definition von Z folgt, dass g surjektiv ist.
Deshalb ist g̃ := g ◦ f : N → Z surjektiv. Aus Lemma 1.37(i) folgt die
Aussage.
(ii): Sei h : Z × N∗ → Q durch h(p, q) := p/q definiert. Die Abbildung h ist
surjektiv. Die Aussage folgt aus (i), (iii), und Lemma 1.37.

18 [7. November 2019]


Lemma 1.40. Sei X ⊆ R endlich, nichtleer. Dann besitzt X Maximum und
Minimum.

Beweis. Wir beweisen durch Induktion die Aussage A(n): jede Menge X ⊆
R mit #X = n besitzt ein Minimum, für alle n ∈ N∗ .
Falls X nur ein Element hat, dann ist A(1) wahr. Wir nehmen jetzt an,
dass A(n) wahr ist und #X = n + 1. Sei x ∈ X, X 0 := X \ {x}. Dann gilt
#X 0 = n, und deshalb gibt es ein y = min X 0 . Ist y < x, dann ist y auch ein
Minimum von X, sonst ist x ein Minimum von X. Deshalb gilt A(n+1).

[16.10.2019]
[21.10.2019]

1.5 Vollständigkeit von R: inf, sup, Intervallschachtelung


Definition 1.41. Eine Menge A ⊆ R ist nach oben beschränkt, wenn ein
p ∈ R existiert, so dass gilt:

a ≤ p für alle a ∈ A ; (1.60)

die Zahl p wird dann obere Schranke für A genannt. Analog ist A nach unten
beschränkt wenn ein q ∈ R existiert, so dass q ≤ a für alle a ∈ A; die Zahl
q wird dann untere Schranke für A genannt. Die Menge A wird beschränkt
genannt, wenn sie sowohl nach oben als auch nach unten beschränkt ist.

Bemerkung. Eine obere/untere Schranke, falls sie existiert, ist nicht ein-
deutig.

Bemerkung. Falls A ein Minimum besitzt, dann ist A nach unten be-
schränkt (und min A eine untere Schranke). Es gibt Mengen die nach unten
beschränkt sind und trotzdem kein Minimum besitzen, wie zum Beispiel
R+ = {x ∈ R : x > 0}.

Satz 1.42 (Archimedes). N ist nicht nach oben beschränkt, d.h., für alle
a ∈ R gibt es ein n ∈ N, so dass a < n gilt.

Beweis. Sei
B := {a ∈ R : n ≤ a für alle n ∈ N} . (1.61)
Es reicht zu zeigen, dass B = ∅. Falls B 6= ∅, folgt aus der Vollständigkeit
von R (und der Tatsache dass N 6= ∅), dass es ein x ∈ R gibt, so dass gilt:

n≤x≤b für alle n ∈ N, b ∈ B . (1.62)

19 [7. November 2019]


Aus x − 1 < x folgt, dass x − 1 6∈ B. Aus der Definition von B folgt, dass es
ein n ∈ N gibt, mit x − 1 < n. Deshalb gilt x < n + 1. Da n + 1 ∈ N ist dies
mit (1.62) inkompatibel.

Satz 1.43. Sei A ⊆ R nichtleer, nach oben beschränkt. Dann besitzt die
Menge

B := {p ∈ R : p ist eine obere Schranke für A} (1.63)


= {p ∈ R : a ≤ p für alle a ∈ A} (1.64)

ein Minimum. Analog, wenn A nichtleer und nach unten beschränkt ist,
besitzt die Menge {q ∈ R : a ≥ q für alle a ∈ A} ein Maximum.

Beweis. Aus der Vollständigkeit von R folgt, dass es ein x ∈ R gibt, so dass
gilt:
a ≤ x für alle a ∈ A (1.65)
und
x ≤ p für alle p ∈ B . (1.66)
Aus (1.65) folgt, dass x ∈ B. Aus (1.66) folgt, dass x = min B.

Bemerkung. Die Existenz dieses Minimums ist zur Vollständigkeit von


R äquivalent, und wird manchmal auch – statt Definition 1.7 – als Axiom
genommen (z.B. [Hi1]).

Definition 1.44. Das Supremum von A wird wie folgt definiert: Falls A ⊆ R
nichtleer und nach oben beschränkt ist, dann gilt:

sup A := min{p ∈ R : a ≤ p für alle a ∈ A} . (1.67)

Falls A nichtleer aber nicht nach oben beschränkt ist, dann gilt sup A := ∞;
sup ∅ := −∞. Analog gilt für A nichtleer und nach unten beschränkt:

inf A := max{p ∈ R : a ≥ p für alle a ∈ A}; (1.68)

falls A nach unten unbeschränkt ist, gilt inf A := −∞, und inf ∅ := ∞.

Lemma 1.45. Sei A ⊆ R, s ∈ R. Dann ist s = sup A genau dann, wenn

(i) für alle a ∈ A gilt a ≤ s;

(ii) es für alle b < s ein a ∈ A gibt, so dass b < a.

Insbesondere folgt aus (i) und (ii), dass A nichtleer und nach oben beschränkt
ist. Analoges gilt für inf.

Beweis. Hausaufgabe.

20 [7. November 2019]


Definition 1.46 (Intervalle). Für a, b ∈ R werden folgende Mengen defi-
niert:
[a, b] := {x ∈ R : a ≤ x und x ≤ b} , (1.69)
(a, b] := {x ∈ R : a < x und x ≤ b} , (1.70)
[a, b) := {x ∈ R : a ≤ x und x < b} , (1.71)
(a, b) := {x ∈ R : a < x und x < b} . (1.72)
Ferner,
(−∞, b] := {x ∈ R : x ≤ b} , (1.73)
(−∞, b) := {x ∈ R : x < b} , (1.74)
[a, ∞) := {x ∈ R : a ≤ x} , (1.75)
(a, ∞) := {x ∈ R : a < x} , (1.76)
(−∞, ∞) := R . (1.77)
Das Intervall [a, b] heißt kompaktes Intervall; (a, b), (−∞, b), (a, ∞) und
(−∞, ∞) nennt man offene Intervalle.
Aus der Definition folgt unmittelbar, dass [a, b] = ∅ für a > b, und [a, b) =
(a, b] = (a, b) = ∅ für a ≥ b.
Definition 1.47. Eine Intervallschachtelung ist eine Folge (In )n∈N von In-
tervalle, so dass gilt:
(i) In ist nichtleerer und kompakt, In = [an , bn ] mit an ≤ bn ;
(ii) In+1 ⊆ In für alle n ∈ N;
(iii) Für alle ε > 0 ein n ∈ N existiert, so dass bn − an < ε.
Satz 1.48 (Intervallschachtelungsprinzip). Zu jeder Intervallschachtelung
gibt es genau eine reelle Zahl, die allen Intervallen angehört.
T
Anders gesagt, enthält der Durchschnitt n∈N In genau einen Punkt.

Beweis. Eindeutigkeit: Falls die Zahl nicht eindeutig ist, dann gibt es x, y ∈
R mit x < y und x, y ∈ In für alle n ∈ N. Sei ε = y − x. Aus (ii) folgt, dass
es ein n gibt, für das gilt bn − an < ε. Aber aus y, x ∈ In folgt
an ≤ x < y ≤ bn , (1.78)
was y − x < ε impliziert und somit ein Widerspruch ist.
Existenz: Aus In+1 ⊆ In folgt Ik ⊆ In für alle k ≥ n (Induktion!), und
deshalb
an ≤ bk für alle n, k ∈ N . (1.79)
Wir betrachten die zwei Mengen A := {an : n ∈ N} und B := {bn : n ∈ N}.
Wegen der Vollständigkeit von R gibt es ein x ∈ R, so dass an ≤ x ≤ bn für
alle n ∈ N gilt.

21 [7. November 2019]


Bemerkung. Es reicht, wenn die Intervalle In für alle n ∈ N, n ≥ N0 ,
definiert sind.

Bemerkung. Die Eigenschaft von Satz 1.48, zusammen mit dem Archi-
medischen Satz 1.42 ist wieder zur Vollständigkeit äquivalent.

Bemerkung. Die offenen Intervalle In := (0, 1/n), I0 := (0, 1), bilden


keine Intervallschachtelung, und ∩n∈N In = ∅.

Satz 1.49. Seien x ∈ [0, ∞) und k ∈ N∗ . Dann gibt es ein eindeutiges


y ∈ [0, ∞), so dass y k = x gilt.
√ √
Definition 1.50. Man schreibt y = k x = x1/k ; für k = 2 auch nur x.

Beweis. Eindeutigkeit: Wir beweisen zuerst, dass

ak < bk für alle a, b ∈ R, k ∈ N∗ mit 0 ≤ a < b . (1.80)

Beweis von (1.80): Für k = 1 ist die Aussage wahr. Falls die Aussage für k
gilt, dann gilt ak+1 = a · ak ≤ a · bk < b · bk = bk+1 (weil aus a < b und c > 0
die Ungleichung ac < bc folgt). Daher ist (1.80) bewiesen.
Beweis der Eindeutigkeit von y: Falls man zwei Lösungen y < y 0 hätte, dann
wäre y k < (y 0 )k , entgegen der Annahme y k = (y 0 )k = x.
Existenz: Wir konstruieren induktiv eine Intervallschachtelung In := [an , bn ]
mit der Eigenschaft, dass
b0 − a0
bn − an = und akn ≤ x ≤ bkn für alle n ∈ N . (1.81)
2n
Diese Konstruktionsmethode wird manchmal Bisektionsverfahren genannt.
Sei a0 := 0, b0 := 1+x. Aus Lemma 1.18 und der Rechnung (1+x)k ≥ kx ≥ x
folgt, dass (1.81) für n = 0 gilt. Ist In mit der Eigenschaft (1.81) gegeben,
so konstruieren wir In+1 wie folgt. Sei cn := (bn + an )/2. Falls ckn ≤ x, dann
setzen wir In+1 := [cn , bn ] (d.h., an+1 := cn , bn+1 := bn ), sonst In+1 :=
[an , cn ] (d.h., an+1 := an , bn+1 := cn ). In beiden Fällen kann man leicht
überprüfen, dass In+1 die Eigenschaft (1.81) erfüllt. Aus der Konstruktion
folgt, dass In+1 ⊆ In .
[21.10.2019]
[23.10.2019]

Um zu zeigen, dass (In )n∈N eine Intervallschachtelung ist, bleibt zu zeigen,


dass für alle ε > 0 ein n ∈ N existiert, so dass (1 + x)/2n < ε. Letzte
Bedingung ist zu 2n > (1 + x)/ε äquivalent. Da 2n = (1 + 1)n ≥ 1 + n
(Lemma 1.18), reicht es ein n ∈ N zu wählen, so dass n > (1 + x)/ε (Satz

22 [7. November 2019]


1.42) gilt. Sei y der Schnittpunkt aller Intervalle In . Dann gilt an ≤ y ≤ bn
für alle n. Es bleibt zu zeigen, dass y k = x.
Die Intervalle Jn := [akn , bkn ] bilden auch eine Intervallschachtelung, weil aus
an ≤ an+1 folgt, dass akn ≤ akn+1 , und aus Lemma 1.21 (mit w := an /bn ∈
(0, 1)) folgt, dass
 k−1  
an X an i k(1 + x)k

k k k
bn − an = bn 1 − ≤ (bn − an )kbk−1
0 = . (1.82)
bn bn 2n
i=0

Deshalb gibt es nur ein z ∈ R, für das akn ≤ z ≤ bkn für alle n gilt.
Aus an ≤ y ≤ bn folgt akn ≤ y k ≤ bkn für alle n; aus (1.81) folgt akn ≤ x ≤ bkn
für alle n. Aber die Intervallschachtelung Jn hat nur einen gemeinsamen
Punkt, deshalb gilt y k = x.

Bemerkung. Aus (1.80) folgt leicht, dass


a1/k < b1/k für alle a, b ∈ R, k ∈ N∗ mit 0 ≤ a < b . (1.83)
Satz 1.51. Es gibt eine injektive aber keine surjektive Abbildung f : N → R,
d.h., R ist überabzählbar.

Beweis. Die Identität ist eine injektive Abbildung.


Sei f : N → R gegeben. Wir wollen zeigen, dass f nicht surjektiv ist. Dafür
konstruieren wir induktiv eine Intervallschachtelung In = [an , bn ] mit der
Eigenschaft
1
f (n) 6∈ In und bn − an = n (1.84)
3
für alle n ∈ N. Sei I0 := [a0 , b0 ] := [f (0) + 1, f (0) + 2]. Sei In ein Intervall mit
der Eigenschaft (1.84) gegeben. Wir teilen In in die drei Intervalle [an , cn ],
[cn , dn ], [dn , bn ] auf, wobei
2 1 1 2
cn := an + bn , dn := an + bn . (1.85)
3 3 3 3
Falls f (n + 1) ≤ cn , dann setzen wir In+1 := [dn , bn ]; sonst setzen wir
In+1 := [an , cn ]. In beiden Fällen erfüllt In+1 die Eigenschaft (1.84). Wie
im Beweis von Satz 1.49 kann man zeigen, dass für alle ε > 0 ein n ∈ N
existiert, so dass 1/3n < ε. Deshalb bildet In eine Intervallschachtelung, und
es gibt ein x ∈ R mit x ∈ In für alle n. Dies impliziert x 6= f (n) für alle
n.

Lemma 1.52. Sei A ⊆ Z nicht leer, nach oben beschänkt. Dann besitzt A
ein Maximum.
Sei A ⊆ Z nicht leer, nach unten beschänkt. Dann besitzt A ein Minimum.
Sei x ∈ R. Dann hat {z ∈ Z : z ≤ x} ein Maximum und {z ∈ Z : z ≥ x} ein
Minimum.

23 [7. November 2019]


Beweis. Sei m := sup A. Da A 6= ∅ und A nach oben beschänkt ist, gilt
m ∈ R. Sei a ∈ A mit a > m − 1 (dies existiert, sonst wäre m − 1 eine obere
Schranke). Falls ein b ∈ A ⊆ Z mit a < b existiert, dann wäre notwendiger-
weise b ≥ a + 1 > m. Dies ist aber nicht möglich, da m eine obere Schranke
ist. Deshalb gilt a = m = max A.
Die zweite Aussage wird analog bewiesen (oder man wendet die erste Aus-
sage an der Menge −A).
Die dritte folgt aus den ersten beiden (mit Archimedes kann man leicht
zeigen, dass die Mengen nicht leer sind).

Definition 1.53. Sei x ∈ R. Dann gilt:

bxc := max{z ∈ Z : z ≤ x} (1.86)

und
dxe := min{z ∈ Z : z ≥ x} . (1.87)

Bemerkung. Aus der Definition folgt unmittelbar, dass

x − 1 < bxc ≤ x (1.88)

und
x ≤ dxe < x + 1 (1.89)
für alle x ∈ R.
Satz 1.54. Für alle ε > 0 und x ∈ R gibt es ein q ∈ Q und ein p ∈ R \ Q,
so dass x − ε < q < x + ε und x − ε < p < x + ε gelten.

Kurzform: “Q und R \ Q sind in R dicht”. Die allgemeine Definition von


“dicht” wird später eingeführt.

Beweis. Hausaufgabe.

Definition 1.55. Der Absolutbetrag (oder Betrag) | · | einer reellen Zahl


wird durch (
x falls x ≥ 0
|x| := (1.90)
−x sonst
definiert.

Bemerkung. Äquivalente Definitionen sind |x| = max{x, −x} und |x| =



x2 .
Lemma 1.56. Es gilt:

(i) |x| ≥ 0 für alle x ∈ R;

24 [7. November 2019]


(ii) |x| = 0 genau dann, wenn x = 0;

(iii) |x + y| ≤ |x| + |y| für alle x, y ∈ R (Dreiecksungleichung);



(iv) |x − y| ≥ |x| − |y| für alle x, y ∈ R;

(v) |xy| = |x| |y|.

Beweis. Hausaufgabe.

25 [7. November 2019]


1.6 Die komplexen Zahlen C
Definition 1.57. Die Menge der komplexen Zahlen C ist die Menge der
Paare (x, y), x, y ∈ R (d.h., C = R×R) mit den folgenden zwei Operationen:

(a, b) + (c, d) := (a + c, b + d) (1.91)

und
(a, b) · (c, d) := (ac − bd, ad + bc) . (1.92)
Ferner gilt i := (0, 1).

Satz 1.58. C ist ein Körper mit (0, 0) als Nullelement und (1, 0) als Eins-
element.

Beweis. Die Eigenschaften der Summe sowie das Distributivgesetz und das
Kommutativgesetz des Produktes sind leicht nachzuprüfen. Assoziativgesetz
des Produktes: Hausaufgabe.
Wir zeigen, dass für (a, b) 6= (0, 0) die Gleichung (a, b) · x = (1, 0) die Lösung
 
a −b
x= , (1.93)
a2 + b2 a2 + b2

hat:
 
a −b −b a
(a, b)x = a− 2 b, a+ 2 b (1.94)
a2 + b2 a + b2 a2 + b2 a + b2
 2
a + b2 ab − ba

= , = (1, 0) . (1.95)
a2 + b2 a2 + b2

Dann folgt, dass die Gleichung (a, b) · y = (c, d) die Lösung (c, d) · x hat.

Da (a, 0) + (b, 0) = (a + b, 0) und (a, 0) · (b, 0) = (ab, 0), kann man x ∈ R


mit (x, 0) ∈ C identifizieren. Das Symbol “·” wird auch oft weggelassen.
Man schreibt deshalb a + ib statt (a, b). Aus Satz 1.58 folgt insbesondere,
dass die Rechenregeln (1.1-1.7) auch für Zahlen in C gelten. C ist aber nicht
im Sinne von Definition 1.5 geordnet. Beweis: Sei C+ wie in Definition 1.5.
Dann 1 ∈ C+ . Aus i2 = (−i)2 = −1 6∈ C+ folgt, dass sowohl i ∈ C+ als
auch −i ∈ C+ unmöglich sind. Deshalb existiert keine solche Menge C+ . Die
Abkürzung “x > 0” wird deshalb für “x ∈ R und x > 0” oder “x ∈ (0, ∞)”
oft benutzt.
[23.10.2019]
[28.10.2019]

Beispiel. Für z, w ∈ C, ist z 2 = w2 genau dann, wenn z = w oder z = −w.

26 [7. November 2019]


Beispiel. Die Gleichung
√ z 3 = 1 hat genau
√ drei Lösungen z ∈ C, und zwar
1 3 1 3
z1 = 1, z2 = − 2 + i 2 , z3 = − 2 + i 2 . Um diese zu bestimmen, rechnet
man z 3 − 1 = (z − 1)(z 2 + z + 1) und
√ !2
1 2 3 1 2
   
2 3
z +z+1= z+ + = z+ + i (1.96)
2 4 2 2

(oder mit (p, q)-Formel).

Definition 1.59. Für z = (a, b) ∈ C ist Re z := a der Realteil von z,


Im z := b der Imaginärteil, und z̄ := a − ib die konjugiert komplexe Zahl.

Bemerkung. Man schreibt “z ∈ R” für “Im z = 0”.


Man kann leicht überprüfen, dass folgende Rechenregeln gelten:
1
Re z = (z + z) (1.97)
2
1
Im z = (z − z) (1.98)
2i
z+w =z+w (1.99)
z·w =z·w (1.100)
z=z (1.101)
z = z genau dann, wenn z ∈ R (1.102)
z = w genau dann, wenn Re z = Re w und Im z = Im w (1.103)
2 2
z · z = (Re z) + (Im z) ∈ [0, ∞) (1.104)

Definition 1.60. Für z ∈ C ist |z| := z · z.

Bemerkung. Aus (1.104) folgt, dass z · z ∈ [0, ∞), deshalb ist die Wurzel
wohldefiniert. Falls z ∈ R, dann stimmt diese Definition mit der alten (Def.
1.55) überein.

Lemma 1.61. Für z, w ∈ C, gilt:

(i) |z| ∈ [0, ∞) für alle z ∈ C; |z| = 0 genau dann, wenn z = 0.

(ii) | Re z| ≤ |z|, | Im z| ≤ |z|; |z| = |z|.

(iii) |z + w| ≤ |z| + |w| (Dreiecksungleichung);



(iv) |z − w| ≥ |z| − |w| (Dreiecksungleichung, zweite Form);

(v) |z · w| = |z| |w|;

27 [7. November 2019]


Beweis. Die Aussagen (i) und (ii) folgen unmittelbar aus den Definitionen.
Um (iii) zu beweisen, reicht es zu zeigen, dass

|z + w|2 ≤ (|z| + |w|)2 (1.105)

gilt (wg. (1.83)). Dafür rechnen wir

|z + w|2 = (z + w)(z + w) = |z|2 + |w|2 + zw + wz (1.106)


= |z|2 + |w|2 + 2 Re(zw) (1.107)
2 2
≤ |z| + |w| + 2|zw| (1.108)
= |z|2 + |w|2 + 2|z| |w| = (|z| + |w|)2 . (1.109)

Somit ist (iii) bewiesen.


Wir beweisen jetzt (iv). Aus (iii) folgt, dass

|z| = |(z − w) + w| ≤ |z − w| + |w| (1.110)

deshalb |z − w| ≥ |z| − |w|. Analog folgt aus

|w| = |(w − z) + z| ≤ |w − z| + |z| = |z − w| + |z| (1.111)

dass |z − w| ≥ |w| − |z|. Diese beide Aussagen gemeinsam beweisen (iv).


(v) folgt analog aus |zw|2 = (zw)(zw) = (zz)(ww) = |z|2 |w|2 .

Bemerkung. Im Beweis von (iv) haben wir folgendes benutzt: für x, y ∈ R


gilt
|x| ≤ y genau dann, wenn x ≤ y und −x ≤ y. (1.112)

Bemerkung. Im Internet sind viele tools vorhanden, die die Ope-


rationen in C visualisieren. Wir verweisen hier exemplarisch auf
das von Frau Lager bereitgestelltes geogebra-applet, verfügbar unter
https://www.geogebra.org/m/j44bxv3f .

28 [7. November 2019]


2 Folgen und Grenzwerte
2.1 Konvergente Folgen reeller Zahlen
Eine Folge reeller Zahlen ist eine Abbildung a : N → R oder, allgemeiner,
a : N≥n0 → R, wobei N≥n0 := {n ∈ N : n ≥ n0 } für ein n0 ∈ N (wobei N≥0 =
N). Man schreibt statt a : N → R auch (an )n∈N . Wir werden später Folgen
von komplexer Zahlen, Vektoren, Funktionen, oder allgemeiner Elementen
eines metrischen Raumes X betrachten.
Definition 2.1. Sei a : N≥n0 → R eine Folge reeller Zahlen, wobei N≥n0 :=
{n ∈ N : n ≥ n0 } für ein n0 ∈ N, und a∗ ∈ R. Die Folge a heißt gegen a∗
konvergent (in Zeichen: lim an = a∗ , oder kürzer an → a∗ ) wenn folgendes
n→∞
gilt:
Zu jedem ε > 0 gibt es ein Nε ∈ N, so dass gilt:
|an − a∗ | < ε für alle n ∈ N≥n0 mit n ≥ Nε . (2.1)
Die Folge a heißt konvergent, wenn es ein a∗ ∈ R gibt, so dass a gegen
a∗ konvergiert. Eine nichtkonvergente Folge heißt divergent. Eine Folge, die
gegen 0 konvergiert, wird auch Nullfolge genannt.

1
Beispiel. Die Folge an := 2−n ist eine Nullfolge, lim = 0.
n→∞ 2n
(
0 falls n gerade,
Beispiel. Die Folge bn := ist divergent.
1 sonst
Konvergenz beschreibt das Verhalten der Folge für n sehr groß. Deshalb ist
es irrelevant, wenn man endlich viele Werte modifiziert oder weglässt. Der
Wert von n0 ist ebenfalls unwichtig.
Lemma 2.2. Sei a : N≥n0 → R eine Folge, a∗ ∈ R. Die Folge (an )n∈N≥n0
ist genau dann gegen a∗ konvergent, wenn folgendes gilt:
für alle ε > 0 ist die Menge {n ∈ N≥n0 : |an − a∗ | ≥ ε} endlich. (2.2)

Beweis. Der kurze Beweis wurde in der Vorlesung besprochen.

Lemma 2.3. Sei a : N≥n0 → R, a∗ ∈ R.

(i) Wir definieren die Folge b : N≥m0 → R, für m0 ≥ n0 , durch bn := an .


Dann gilt lim an = a∗ genau dann, wenn lim bn = a∗ .
n→∞ n→∞

(ii) Wir definieren die Folge c : N → R durch


(
an falls n ≥ n0
cn := (2.3)
1 sonst.

29 [7. November 2019]


Dann gilt lim an = a∗ genau dann, wenn lim cn = a∗ .
n→∞ n→∞

Beweis. Der kurze Beweis wurde in der Vorlesung besprochen.

Lemma 2.4. Falls a : N≥n0 → R gegen a∗ konvergiert, und a auch gegen


ã∗ konvergiert, dann gilt a∗ = ã∗ .

Beweis. Falls nicht, dann ist ε := |ã∗ − a∗ |/2 > 0. Sei Nε so, dass |an − a∗ | <
ε für alle n ≥ Nε . Sei Ñε so, dass |an − ã∗ | < ε für alle n ≥ Ñε . Sei
n = max{Nε , Ñε }. Dann erhält man:
1 1 1
|ã∗ − a∗ | ≤ |ã∗ − an | + |ã∗ − ãn | < ε + ε = ε = |ã∗ − a∗ | , (2.4)
2 2 2
und somit einen Widerspruch.

Lemma 2.5. Falls die Folge a : N≥n0 → R gegen a∗ konvergiert, und die
Folge b : N≥m0 → R gegen b∗ konvergiert, dann konvergiert a + b gegen
a∗ + b∗ , und a − b gegen a∗ − b∗ .

Notation: Für a, b : N → R ist die Folge a+b : N → R durch (a+b)n := an +bn


definiert. Für a : N≥n0 → R, b : N≥m0 → R ist dann a + b : N≥max{n0 ,m0 } →
R.

Beweis. (i): Sei ε > 0 gegeben. Da an → a∗ , existiert ein Nε0 , so dass gilt:
1
|an − a∗ | < ε für alle n ∈ N mit n ≥ Nε0 . (2.5)
2
Da bn → b∗ , existiert ein Nε00 , so dass gilt:
1
|bn − b∗ | < ε für alle n ∈ N mit n ≥ Nε00 . (2.6)
2
Sei Nε := max{Nε0 , Nε00 }. Dann gilt

|(an +bn )−(a∗ +b∗ )| ≤ |an −a∗ |+|bn −b∗ | < ε für alle n ∈ N mit n ≥ Nε .
(2.7)
Deshalb gilt lim (an + bn ) = a∗ + b∗ .
n→∞

Beispiel. Sei x ∈ R und a : N → R durch an := x definiert. Dann gilt


limn→∞ an = x. Beweis: Es reicht Nε := 0 zu nehmen, unabhängig von ε.

30 [7. November 2019]


Beispiel. Sei a : N≥1 → R durch an := 1/n definiert. Dann ist an eine
Nullfolge. Beweis: Sei ε > 0. Sei Nε := b1/εc + 1. Für n ≥ Nε gilt nε > 1
und deshalb |an − 0| = 1/n < ε.

Definition 2.6. Eine Folge a : N≥n0 → R wird nach oben beschränkt ge-
nannt, wenn die Menge a(N≥n0 ) ⊆ R nach oben beschränkt ist. Analog wer-
den “nach unten beschränkt” und “beschränkt” definiert.

Notation: a(N≥n0 ) := {an : n ∈ N≥n0 }.

Lemma 2.7. Sei a : N≥n0 → R eine konvergente Folge. Dann ist a be-
schränkt.

[28.10.2019]
[30.10.2019]

Beweis. Sei a∗ := limn→∞ an . Aus der Definition folgt, dass es ein N1 ≥


n0 gibt, so dass |an − a∗ | ≤ 1 für alle n ≥ N1 . Sei M := max{|a∗ | +
1, |an0 |, . . . , |aN1 |}. Dann gilt |an | ≤ M für alle n ∈ N≥n0 .

Lemma 2.8. Falls a : N≥n0 → R gegen a∗ konvergiert, und b : N≥n0 → R


gegen b∗ konvergiert, dann konvergiert ab gegen a∗ b∗ .

Aus Lemma 2.5 und Lemma 2.8 folgt insbesondere, dass, falls limn→∞ an =
a∗ und limn→∞ bn = b∗ , und λ, µ ∈ R, dann limn→∞ (λan +µbn ) = λa∗ +µb∗ .

Beweis. Wir rechnen

|an bn −a∗ b∗ | = |an bn −an b∗ +an b∗ −a∗ b∗ | ≤ |an | |bn −b∗ |+|b∗ | |an −a∗ | . (2.8)

Sei ε > 0 beliebig. Wir wählen Nε0 so, dass gilt:


1
|an − a∗ | < ε für alle n ∈ N mit n ≥ Nε0 . (2.9)
2(1 + |b∗ |)

Dann wählen wir M ∈ R so, dass |an | ≤ M für alle N gilt (das existiert
wegen Lemma 2.7), und Nε00 ∈ N so, dass gilt:
1
|bn − b∗ | < ε für alle n ∈ N mit n ≥ Nε00 . (2.10)
2(1 + M )

Dann gilt, für Nε := max{Nε0 , Nε00 },


1 1
|an bn − a∗ b∗ | < M ε + |b∗ | ε≤ε (2.11)
2(1 + M ) 2(1 + |b∗ |)

für alle n ∈ N mit n ≥ Nε .

31 [7. November 2019]


Lemma 2.9. Sei a : N≥n0 → R gegen a∗ konvergent und b : N≥m0 → R
gegen b∗ konvergent. Falls b∗ 6= 0, dann existiert ein p0 ∈ N, so dass bn 6= 0
für alle n ∈ N≥p0 und limn→∞ an /bn = a∗ /b∗ gilt.

Beweis. Es reicht den Fall an = 1 zu beweisen und Lemma 2.8 auf die Folgen
a und 1/b anzuwenden.
Aus der Definition von limn→∞ bn = b∗ mit ε = |b∗ |/2 folgt, dass es ein
p0 ∈ N gibt, so dass gilt:
1
|bn | ≥ |b∗ | − |bn − b∗ | > |b∗ | für alle n ≥ p0 . (2.12)
2
Dann gilt auch für alle n ≥ p0 ,


− = |bn − b | ≤ 2 |bn − b∗ | .
1 1
bn b∗ (2.13)
|bn | |b∗ | |b∗ |2

Da limn→∞ bn = b∗ , gibt es für jedes ε > 0 ein Nε ∈ N, so dass |bn − b∗ | <


|b∗ |2 ε/2 für alle n ≥ Nε gilt. Daraus folgt

1
− 1 ≤ε

bn b∗ für alle n ≥ max{p0 , Nε } . (2.14)

Lemma 2.10. Seien a, b Folgen mit an ≤ bn für alle n. Falls limn→∞ an =


a∗ und limn→∞ bn = b∗ , dann a∗ ≤ b∗ .

Beweis. Es reicht zu zeigen, dass aus b∗ < a∗ die Existenz eines n ∈ N mit
bn < an folgt. Sei ε := (a∗ − b∗ )/2. Sei Nε0 so, dass |an − a∗ | < ε, und sei Nε00
so, dass |bn − b∗ | < ε. Dann gilt, mit n := max{Nε0 , Nε00 },

bn < b∗ + ε = a∗ − ε < an . (2.15)

Lemma 2.11. Seien an , bn , cn Folgen mit an ≤ bn ≤ cn für alle n. Falls


limn→∞ an = limn→∞ cn = a∗ , dann limn→∞ bn = a∗ .

Beweis. Sei ε > 0 gegeben. Dann existiert ein Nε , so dass |an − a∗ | < ε und
|cn − a∗ | < ε. Es folgt, dass für alle n ≥ Nε gilt:

a∗ − ε < an < bn < cn < a∗ + ε (2.16)

und somit |bn − a∗ | < ε.

Definition 2.12. Sei X ⊆ R nichtleer. Eine Abbildung f : X → R heißt

(i) monoton wachsend, falls f (x) ≤ f (y) für alle x, y ∈ X mit x ≤ y;

32 [7. November 2019]


(ii) streng monoton wachsend, falls f (x) < f (y) für alle x, y ∈ X mit
x < y;

(iii) monoton fallend, falls f (x) ≥ f (y) für alle x, y ∈ X mit x ≤ y;

(iv) streng monoton fallend, falls f (x) > f (y) für alle x, y ∈ X mit x < y;

(v) monoton, wenn f entweder monoton wachsend oder monoton fallend


ist;

(vi) streng monoton, wenn f entweder streng monoton wachsend oder


streng monoton fallend ist.

Bemerkung. Man sagt auch “nichtfallend” statt “wachsend”, und “nicht-


wachsend” statt “fallend”. In einigen Büchern wird “monoton” durch
“schwach monoton” ersetzt, und “streng monoton” durch “monoton” (vgl.
[Hi1], Bem. 4 in Kap. 2.3, Seite 143).

Bemerkung. Eine Folge a : N → R ist genau dann streng monoton wach-


send, wenn
an < an+1 für alle n ∈ N ; (2.17)
und genau dann monoton wachsend, wenn

an ≤ an+1 für alle n ∈ N . (2.18)

(Beweis, z.B. mit Induktion: Hausaufgabe).

Satz 2.13. Eine monotone Folge ist genau dann konvergent, wenn sie be-
schränkt ist. Falls a : N → R monoton wachsend ist, dann limn→∞ an =
sup a(N). Falls a : N → R monoton fallend ist, dann limn→∞ an = inf a(N).

Beweis. Jede konvergente Folge ist beschränkt (Lemma 2.7). Es reicht des-
halb zu zeigen, dass jede monotone und beschränkte Folge konvergiert. Sei
(an )n∈N monoton wachsend und beschränkt, und sei s = sup a(N). Da s eine
obere Schranke für a(N) ist, gilt an ≤ s für alle n. Sei ε > 0. Da s − ε < s
keine obere Schranke ist, gibt es Nε ∈ N, so dass s − ε < aNε gilt (vgl.
auch Lemma 1.45). Aus der Monotonie folgt dann s − ε < aNε ≤ an für alle
n ≥ Nε , und deshalb

s − ε < an ≤ s für alle n ≥ Nε . (2.19)

Es folgt, dass limn→∞ an = s. Für monoton fallende Folgen wird analog mit
inf argumentiert.

33 [7. November 2019]


Bemerkung. Falls die Intervalle In = [an , bn ], n ∈ N, eine Intervallschach-
telung bilden, dann gilt: (i) Die Folge a ist monoton wachsend und be-
schränkt; (ii) Die Folge b ist monoton fallend und beschränkt; (iii) Die Folge
b − a ist eine Nullfolge; (iv) beide Folgen konvergieren, und der Grenzwert
ist genau der Punkt x, der in allen Intervallen In liegt.

Beispiel. Der Beweis von Satz 1.49 kann jetzt umformuliert werden. Man
hat Folgen a, b : N → R konstruiert, die (1.81 ) erfüllen. Aus In+1 ⊆ In
folgt an ≤ an+1 ≤ bn+1 ≤ b0 für alle n. Daraus folgt, dass a monoton
wachsend und beschränkt ist, und deshalb konvergent. Sei a∗ := limn→∞ an .
Aus limn→∞ (bn − an ) = 0 und Lemma 2.5 folgt, dass bn auch gegen a∗
konvergiert. Aus Lemma 2.8 folgt, dass akn und bkn gegen ak∗ konvergieren
(Induktionsbeweis: Hausaufgabe). Mit akn ≤ x ≤ bkn und Lemma 2.11 folgt,
dass die konstante Folge x ebenfalls gegen ak∗ konvergiert. Deshalb ist ak∗ = x.

2.2 Teilfolgen, Satz von Bolzano-Weierstraß


Definition 2.14. Sei a : N → R eine Folge, und ϕ : N → N streng monoton
wachsend (d.h. ϕ(k) < ϕ(k + 1) für alle k ∈ N). Dann ist die Verkettung
a ◦ ϕ : N → R, k 7→ aϕ(k) , eine Teilfolge von a.

Bemerkung. Falls n : N → N streng monoton wachsend ist, dann gilt


nk ≥ k für alle k ∈ N; insbesondere ist die Folge n nach oben nicht be-
schränkt.

Beispiel. Die Folge an := (−1)n ist divergent, aber die zwei Teilfolgen
k 7→ a2k und k 7→ a2k+1 sind beide konvergent, mit

lim a2k = 1 und lim a2k+1 = −1 . (2.20)


k→∞ k→∞

[30.10.2019]
[04.11.2019]

Lemma 2.15. Falls an → a∗ , dann konvergiert auch jede Teilfolge von a


gegen a∗ .

Beweis. Hausaufgabe.

Bemerkung. Sei a : N → R eine Folge, b := a ◦ ϕ eine Teilfolge von a,


und c := b ◦ ψ eine Teilfolge von b. Dann ist c eine Teilfolge von a. Beweis:
c = a◦(ϕ◦ψ), k 7→ c(k) = a(ϕ(ψ(k)), und ϕ◦ψ : N → N ist streng wachsend.

34 [7. November 2019]


Satz 2.16. Jede Folge reeller Zahlen besitzt eine monotone Teilfolge.

Beweis. Sei x : N → R gegeben. Wir betrachten die Menge der “Spitzen”

S := {n ∈ N : an > am für alle m > n} . (2.21)

Wir unterscheiden zwei Fälle.


Falls S endlich ist, dann definiert man

ϕ(0) := max S + 1 (2.22)

(ϕ(0) = 0 falls S = ∅) und induktiv

ϕ(k + 1) := min{m ∈ N : m > ϕ(k), aϕ(k) ≤ am } . (2.23)

Die genannte Menge ist nichtleer weil ϕ(k) 6∈ S und besitzt deshalb ein
Minimum (Satz 1.27). Es folgt, dass aϕ(k+1) ≥ aϕ(k) und ϕ(k + 1) > ϕ(k)
für alle k ∈ N, und in diesem Fall ist der Beweis beendet.
Falls S unendlich ist, dann setzen wir

ϕ(0) := min S (2.24)

und induktiv
ϕ(k + 1) := min{n ∈ S : n > ϕ(k)} . (2.25)
Dann ϕ(k + 1) > ϕ(k), und aus ϕ(k) ∈ S folgt, dass aϕ(k+1) < aϕ(k) .

Satz 2.17 (Bolzano-Weierstraß). Sei x : N → R beschränkt. Dann besitzt x


eine konvergente Teilfolge.

Beweis. Aus Satz 2.16 folgt, dass x eine monotone Teilfolge besitzt. Da x
beschränkt ist, ist die Teilfolge auch beschränkt, und deshalb konvergent
(Satz 2.13).

Bemerkung. Man kann den Satz auch durch Konstruktion einer pas-
senden Intervallschachtelung beweisen, vgl., zum Beispiel, [Kö1] oder
www.youtube.com/watch?v=eM3S74kchoM.

Lemma 2.18. Sei A ⊆ R nicht leer, beschränkt.

(i) Es gibt eine monoton wachsende Folge a : N → A die gegen sup s


konvergiert.

(ii) Falls s ∈ R eine obere Schranke ist, und eine Folge a : N → A existiert,
die gegen s konvergiert, dann gilt s = sup A.

Beweis. Hausaufgabe.

35 [7. November 2019]


2.3 Bestimmt divergente Folgen, lim inf und lim sup
Definition 2.19. Die Folge a : N → R heißt gegen ∞ bestimmt divergent
(limn→∞ an = ∞), wenn es zu jedem k ∈ R ein Nk ∈ N gibt, so dass

an > k für alle n ∈ N, n ≥ Nk (2.26)

gilt. Die Folge a : N → R heißt gegen −∞ bestimmt divergent (limn→∞ an =


−∞), wenn es zu jedem k ∈ R ein Nk ∈ N gibt, so dass

an < k für alle n ∈ N, n ≥ Nk (2.27)

gilt.
Lemma 2.20. (i) Sei a : N → R so, dass limn→∞ an = ∞. Dann gilt
limn→∞ a1n = 0 und limn→∞ (−an ) = −∞.

(ii) Sei a : N → R so, dass limn→∞ an = 0 und an 6= 0 für alle n. Dann


gilt limn→∞ |a1n | = ∞.

(iii) Sei a : N → R so, dass limn→∞ an = ∞, und b : N → R beschränkt.


Dann gilt limn→∞ (an + bn ) = ∞

(iv) Sei a : N → R so, dass limn→∞ an = ∞, und b : N → R so dass


bn ≥ an für alle n. Dann gilt limn→∞ bn = ∞.

Bemerkung. Bei (ii) und (iv) reicht es natürlich, wenn die Bedingungen
an 6= 0 und an ≤ bn für alle n ≥ n0 erfüllt sind.

Beweis. Hausaufgabe.

Lemma 2.21. Jede unbeschränkte monotone Folge ist bestimmt divergent.

Beweis. Hausaufgabe.

Bemerkung. Daraus folgt, dass limn→∞ xn ∈ R ∪ {−∞, ∞} für jede mo-


notone Folge x : N → R existiert.
Definition 2.22. Sei x : N → R eine Folge. Falls xn nach unten beschränkt
ist, dann setzt man

lim inf xn = lim inf{xk : k ≥ n} , (2.28)


n→∞ n→∞

sonst lim inf n→∞ xn = −∞. Analog, falls xn nach oben beschränkt ist, dann

lim sup xn = lim sup{xk : k ≥ n} , (2.29)


n→∞ n→∞

sonst lim supn→∞ xn = ∞.

36 [7. November 2019]


Bemerkung. Falls xn nach unten beschränkt ist, dann ist n 7→ inf{xk :
k ≥ n} eine monoton wachsende Folge reeller Zahlen, und daher entweder
konvergent oder bestimmt gegen ∞ divergent. Deshalb lim inf n→∞ xn ∈ R ∪
{−∞, ∞} für jede Folge x : N → R. Analog lim sup.

Bemerkung. Falls xn nach unten unbeschränkt ist, dann ist inf{xk : k ≥


n} = −∞ für alle n.
[04.11.2019]
[06.11.2019]

Bemerkung. Die Definition von lim inf kann auch so formuliert wer-
(x)
den: Sei x : N → R. Man definiert Ik := inf{xn : n ≥ k}. Falls x
(x)
nach unten unbeschränkt ist, dann Ik = −∞ für alle k; und man setzt
(x)
lim inf n→∞ xn := −∞. Sonst ist I (x) : N → R. Die Folge Ik ist monoton
wachsend und deshalb entweder konvergent oder bestimmt gegen ∞ diver-
(x)
gent. Dann ist lim inf n→∞ xn := limk→∞ Ik .

Lemma 2.23. Sei x : N → R eine Folge.

(i) Falls y : N → R eine konvergente Teilfolge von x ist, dann gilt

lim inf xn ≤ lim yk ≤ lim sup xn . (2.30)


n→∞ k→∞ n→∞

Diese Gleichung ist so zu verstehen, dass −∞ ≤ a ≤ ∞ für alle a ∈


R ∪ {−∞, ∞}.

(ii) Es gibt zwei Teilfolgen a und b von x mit der Eigenschaft, dass

lim ak = lim inf xn (2.31)


k→∞ n→∞

und
lim bk = lim sup xn . (2.32)
k→∞ n→∞

Beweis. (i): Falls x nach unten unbeschränkt ist, dann lim inf n→∞ xn = −∞
und die erste Ungleichung in (2.30) ist immer erfüllt. Andernfalls, betrachten
wir für k ∈ N
Ik := inf{xn : n ≥ k} . (2.33)
Sei ϕ : N → N streng monoton, mit yk = xϕ(k) . Aus ϕ(k) ≥ k folgt, dass
Ik ≤ xϕ(k) = yk . Deshalb (Def. 2.22 und Lemma 2.10) gilt:

lim inf xn = lim Ik ≤ lim yk . (2.34)


n→∞ k→∞ k→∞

37 [7. November 2019]


Die zweite Ungleichung wird analog bewiesen.
(ii): Wir konstruieren ϕ : N → N so dass a := x ◦ ϕ die genannte Eigenschaft
hat. Falls x nach unten unbeschränkt ist, dann definieren wir ϕ(0) := 0, und

ϕ(k + 1) := min{n ∈ N : n > ϕ(k), xn < −k} . (2.35)

Da x unbeschränkt ist, ist die Menge nicht leer und ϕ wohldefiniert. Aus
ak < −k folgt, dass ak gegen −∞ bestimmt divergiert.
Sei jetzt x nach unten beschränkt, und Ik wie oben definiert. Wir setzen
ϕ(0) := 0. Für k ∈ N setzen wir
1
ϕ(k + 1) := min{n ∈ N : n > ϕ(k), xn < Iϕ(k)+1 + }. (2.36)
k+1
Dies existiert, weil Iϕ(k)+1 = inf{xn : n > ϕ(k)}, und deshalb ist Iϕ(k)+1 +
1
k+1 keine untere Schranke für diese Menge.
1
Daraus folgt, Iϕ(k)+1 ≤ xϕ(k)+1 ≤ Iϕ(k)+1 + k+1 und deshalb (Lemma 2.11),
dass limk→∞ xϕ(k) = limk→∞ Ik = lim inf n→∞ xn .

Satz 2.24. Eine Folge reeller Zahlen x : N → R ist genau dann konvergent,
wenn
lim inf xn = lim sup xn ∈ R , (2.37)
n→∞ n→∞

und genau dann bestimmt divergent, wenn

lim inf xn = lim sup xn ∈ {−∞, ∞} . (2.38)


n→∞ n→∞

Beweis. Wir betrachten den Fall, dass x beschränkt ist:


Sei x∗ := lim inf xn = lim sup xn ∈ R. Sei Ik := inf{xn : n ≥ k}, Sk :=
n→∞ n→∞
sup{xn : n ≥ k}. Aus Ik ≤ xk ≤ Sk folgt (mit Lemma 2.11), dass lim xk =
k→∞
x∗ .
Sei x eine konvergente Folge, und x∗ := lim xn . Dann konvergiert jede Teil-
n→∞
folge von x auch gegen x (Lemma 2.15). Aus Lemma 2.23 folgt, dass x eine
Teilfolge besitzt, die gegen lim inf xn konvergiert; dann muss lim inf xn = x∗
n→∞ n→∞
sein. Analog folgt, dass lim sup xn = x∗ .
n→∞
Der Fall, dass x unbeschränkt ist, kann analog behandelt werden.

2.4 Metrische Räume


Definition 2.25. Sei X eine nichtleere Menge und d : X × X → [0, ∞).
Das Paar (X, d) ist ein metrischer Raum, und d eine Metrik auf X, wenn
folgendes gilt:

38 [7. November 2019]


(i) d(x, y) = d(y, x) für alle x, y ∈ X;
(ii) d(x, y) = 0 genau dann, wenn x = y;
(iii) d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) für alle x, y, z ∈ X.
Lemma 2.26. Die Funktion d(x, y) := |x − y| ist eine Metrik auf R und auf
C.

Beweis. Die erste Aussage folgt aus der Definition und Lemma 1.56, die
zweite aus Lemma 1.61.

Wenn nicht weiter spezifiziert, benutzt man auf R und C diese beiden Me-
triken.

Bemerkung. Sei X eine Menge. Die Funktion δ : X × X → [0, ∞),


(
0 falls x = y
δ(x, y) := (2.39)
1 sonst

ist eine Metrik.


Definition 2.27. Sei (X, d) ein metrischer Raum, und a : N → X. Die
Folge a konvergiert gegen a∗ ∈ X, wenn für alle ε > 0 ein Nε ∈ N existiert,
so dass gilt:

d(an , a∗ ) < ε für alle n ∈ N, n ≥ Nε . (2.40)

Man schreibt limn→∞ an = a∗ .

Im Fall X = R ist diese Definition identisch zur alten. Für X = C konvergiert


zn gegen z ∗ genau dann, wenn Re zn gegen Re z ∗ und Im zn gegen Im z ∗
konvergieren.
Lemma 2.28. Sei (X, d) ein metrischer Raum, a : N → X. Falls a gegen
a∗ konvergiert, und a gegen ã∗ konvergiert, dann gilt a∗ = ã∗ .

Beweis. Analog zum Beweis von Lemma 2.4: Falls d(a∗ , ã∗ ) > 0, betrachten
wir ε := 21 d(a∗ , ã∗ ), ein n so, dass d(an , a∗ ) < ε und d(an , ã∗ ) < ε, und
erhalten durch die Dreiecksungleichung einen Widerspruch.

Bemerkung. Das Konvergenzkonzept hängt von der Metrik ab. Zum Bei-
spiel ist die durch an := 2−n definierte Folge in (R, d) konvergent, aber in
(R, δ) divergent.
Definition 2.29. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Für x ∈ X und ε ∈
(0, ∞) sei die (offene) ε-Kugel mit Zentrum x durch die Menge Bε (x) :=
{y ∈ X : d(x, y) < ε} definiert.

39 [7. November 2019]


Bemerkung. Eine Folge a : N → X ist genau dann gegen a∗ ∈ X konver-
gent, wenn für alle ε > 0 die Menge {n ∈ N : an 6∈ Bε (x)} endlich ist.

Beispiel. Die Abbildung d1 : C × C → [0, ∞), d1 (z, w) := | Re(z − w)| +


| Im(z − w)|, ist eine Metrik. Die Menge B1/2 (i) ist ein Quadrat mit Eck-
punkte i/2, i + 1/2, 3i/2, i − 1/2.
[06.11.2019]
[11.11.2019]

40 [7. November 2019]

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