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Dieter Bauer, BR

Staatl. Schulpsychologe
Schulämter Weiden/Neustadt

Handlungsaspekte der »Neuen Autorität«


Die »Neue Autorität« speist sich aus der Quelle der Präsenz. Daraus ergibt sich ein Vorgehen, welches auf
die Veränderung der eigenen Handlungsmöglichkeiten zur Stärkung der Präsenz abzielt. Die Wurzeln dieser
Handlungen kommen aus der systemischen Haltung und dem gewaltlosen Widerstand nach Mahatma
Gandhi und Martin Luther King. Beide Haltungen gehen u. a. davon aus, dass ein anderer Mensch nicht
ohne seine Zustimmung in seinem Handeln und seiner Überzeugung veränderbar ist.

wöchigen Schulverbot belegt worden. Auf


Daher ist ein erfolgreiches eigenes Handeln die Frage nach einer alternativen Hand-
davon geprägt, dass man dieses unabhängig lungsmöglichkeit habe Juul geantwortet, er
vom Verhalten des anderen werden lässt. denke, »... dass die Schulleiterin gemeinsam
mit der betreffenden Lehrerin unverzüglich
zu dem Jungen nach Hause fahren und sich
Während Anstrengungen zur Verhaltensänderung beide bei ihm entschuldigen sollten. Und
durch Belohnen oder Bestrafen beim Schüler nicht zwar sollten sie sich dafür entschuldigen,
selten zu Resignation und/oder weiterer Eskalation dass sie seine Entwicklung so lange beo-
führen, geht es beim Fokus auf das eigene Han- bachtet und nichts unternommen hatten, ob-
deln nicht um den Effekt beim Schüler, sondern wohl sie genau wussten, wie schlecht es ihm
vorrangig um die eigene Handlung und Aussage in geht und wie deprimierend seine Lebensum-
aller Öffentlichkeit. Das erscheint enttäuschend stände sind« (ebd., S. 100).
und befreiend zugleich.
Enttäuschend könnte der Abschied von der Ein- Juul drückt hier drastisch die Verantwortlichkeit der
sicht sein, dass wir keinen direkten Einfluss auf Lehrpersonen aus und benennt die Lehrer als Er-
das Verhalten anderer haben. Somit scheint auch ziehungsverantwortliche, die die Aufgabe haben,
keine Kontrolle über das Lern- und Leistungs- so- die Situation eines Schülers zu berücksichtigen
wie Sozialverhalten von Schülern möglich zu sein. und auf diese entsprechend zu reagieren, bevor es
Diese - zugegebenermaßen manchmal hilfreiche - zu einer Eskalation kommt. Gleichwohl macht er
Kontrolle bedingt wohl aber auch eine große Ver- auch sichtbar, wer in einer Eskalation bzw. nach
antwortung, denn der Lehrer wäre damit auch für einer solchen die Verantwortung für die Reparatur
die Effekte, also auch die möglicherweise weniger der Beziehung hat: die Lehrperson. Der Lehrer ist
guten Lern- und Verhaltensergebnisse verantwort- also zunächst in seiner Entscheidung gefragt, ob
lich. Diese Verantwortung nicht zu haben erscheint er bereit ist, in diesem Sinne die Erziehungsver-
uns befreiend und eröffnet Möglichkeiten des Han- antwortung für seine Schüler in der Schule zu
delns und Betrachtens, die vorrangig bei der han- übernehmen.
delnden Person liegen. Am Anfang steht die Entscheidung:
Diese Haltung bedarf zunächst einer Grundent- • Ich übernehme die Verantwortung für die Be-
scheidung. ziehung.
Beim Konzept der »Neuen Autorität« erklärt sich • Ich übernehme die Verantwortung für die Repa-
der Erziehende verantwortlich für die Prozesse, die ratur bzw. (Wieder-)Herstellung der Beziehung.
im Rahmen seines Auftrags und seines Einflussbe-
reichs auftauchen. Diese zunächst scheinbar ba- • Ich übernehme die Verantwortung für eine ge-
nale Aussage hat recht radikale Konsequenzen. lingende Netzwerkorientierung.
Jesper Juul (2013, S. 99 ff.) provoziert mit dem • Wir können dich nicht kontrollieren, aber in der
Beispiel aus einer Privatschule, bei dem es um Beharrlichkeit bleiben.
diesen Aspekt geht:
• Wir werden dich nicht zwingen und dir zugleich
Er berichtet von der Schilderung zweier Leh-
unseren Protest und unsere Sorge demonstrie-
rer, die ein halbes Jahr lang einen Schüler ren.
beobachten, der durch familiäre Schwierig- Dies meint durchaus auch die Klarstellung und das
keiten deutliche soziale Probleme und einen
Einfordern von geltenden Regeln mit Beharrlichkeit
Leistungsabfall zeigt. In einer Eskalation mit
der Klassenlehrerin, bei der sie ihn anfasste,
und ggf. Einbeziehen anderer Erziehungsverant-
habe er sich losgerissen und die Hand der wortlicher.
Lehrerin weggeschlagen. Er sei in die Toilet- Der Lehrer, der sich als Autorität im Sinne dieser
te gelaufen, habe dort einen Toilettendeckel
Verantwortung versteht, wird folgerichtig auch den
aus seiner Halterung gerissen und diesen
aus dem Fenster geworfen. Er sei daraufhin
Umgang mit den Eltern, mit den eigenen Kollegen
nach Hause geschickt und mit einem zwei- und letztlich auch mit der Entwicklung des Leitbil-
des seiner Schule daran ausrichten.
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Auf diese Grundentscheidung aufbauend haben hang und in der gegenseitigen Zugehörigkeit einen
sich für uns 6 Aspekte der Betrachtung und des komplexen Sinn ergeben. Diese werden wir im
Handelns herausgebildet, die zwar jeweils einzeln Folgenden näher beschreiben und mit Beispielop-
beschreibbar erscheinen, doch nur im Zusammen- tionen versehen.

Handlungsaspekt: Haltung, Entscheidung, Werte


Ein Lehrer, der die beschriebene persönliche Autorität ausdrückt, wird schon im Sinne der Wachsamen Sor-
ge aktiv werden. Dabei ergeben sich die ersten Interventionsmöglichkeiten aus seiner physischen Präsenz
und dem entsprechenden Einsatz.
Körper und Sprache vorstehenden Schritt, betont nach einer Phase
des Schweigens aber die Erwartung, dass die
Das eigene Auftreten, die körperliche Präsenz in
Störung beendet wird, und schaut danach die
Verbindung mit der benutzten Sprache, Mimik und
Betroffenen erneut eine Weile schweigend an
Gestik gestalten einen Möglichkeitsraum von Be-
(»Ausrufezeichen«). Dann fährt er im Unterricht
gegnung.
fort. An dieser Stelle können auch kurze präg-
nante Ankündigungen zur späteren Klärung der
Um die Haltung der »Neuen Autorität« zu Situation (»Vertagen«) hilfreich sein. Hier ist ein
entwickeln, braucht der einzelne Lehrer also Übergang zur dritten Stufe der Wachsamen
die innere Bereitschaft sich auf diese selbst- Sorge möglich und vielleicht auch notwendig.
reflexive Handlung einzulassen.
• Präsente Pause: Für eine festgelegte Zeit ver-
bringen alle Erziehungsverantwortlichen an ei-
Olweus (1991) hat den Nachweis erbracht, dass
ner Schule ihre Zeit in der Pause draußen,
die Anwesenheit von Lehrern in allen Bereichen
werden in ihrer Gesamtzahl sichtbar und spre-
der Schule eine Grundbedingung darstellt, um
chen die Schüler an.
gegen Mobbingphänomene vorgehen zu können.
Die bewegliche Präsenz des Lehrers in der Klasse • Variation der präsenten Pause: Die Lehrkräfte
erhöht außerdem seine Autorität gegenüber den verteilen Flugzettel mit der Botschaft, dass sie
Schülern. Aus unserer Erfahrung ergeben sich aufmerksam sind.
einige hilfreiche Möglichkeiten, die hier kurz aufge-
listet werden: • Es werden Namenslisten zum sofortigen An-
sprechen angelegt.
• Die Lehrkraft ist bereits vor den Schülern im
Klassenraum anwesend. • Die Regeln werden gemeinsam geklärt.

• Jeder einzelne Schüler wird persönlich begrüßt. • Die Lehrer bieten Möglichkeiten an, wie sich
freiwillige Mitarbeit gestalten lässt.
• Schweigend und interessiert fokussiert der Leh-
rer die Klasse, wobei er jeden Schüler so lange Autorität und Anerkennung
anschaut, bis der Blick erwidert wird. Autorität wird als eine zweiseitige Angelegenheit
beschrieben: Eine Autoritätsperson muss zunächst
• Es gibt gegenseitige Kurzbesuche von Lehr-
entschieden haben, diese Funktion bzw. Rol-
kräften im Unterricht, die vorher angekündigt
le/Aufgabe auch einnehmen zu wollen, zum ande-
worden sind. Dazu kommt eine Kollegin bzw.
ren benötigt Autorität die Anerkennung durch die
ein Kollege in den Klassenraum und setzt sich
auf einen extra dafür bereitgestellten Stuhl. anvertrauten Personen (u. a. Baumann-Habersack
2015).
• Der Raum wird mit der persönlichen Note des
Dies führt uns dazu, dass jemand, der eine Autori-
Klassenlehrers oder auch der Klasse beson-
tät sein will, sich quasi anbieten, sich als solche
ders gestaltet.
zeigen müsste. Lehrer und Pädagogen sind stets
• Die Tische werden so arrangiert, dass unter- Modelle für die Kinder und Jugendlichen - ob sie
schiedliche Aufmerksamkeiten notwendig sind. es wollen oder nicht -, da sie für die Kinder wäh-
Dabei bewegt sich die Lehrperson regelmäßig rend ihrer Entwicklung in bedeutsamen Rollen
im Raum bzw. wechselt die Plätze, von denen wahrzunehmen sind. Wir wissen, dass Menschen
aus sie den Unterricht leitet. nur von den Personen lernen bzw. Entwicklungs-
impulse annehmen, die sie als entwicklungsför-
• Bei Störungen begibt sich der Lehrer direkt zum dernd anerkennen. Neben der grundsätzlichen
Ort der Störung bzw. zu dem betroffenen Schü- Zustimmung zur Autoritätsrolle bedeutet dies also
ler und führt den Unterricht von dort weiter. auch, dass die Autoritätsperson eine Haltung und
Bleibt die Unruhe bestehen, unterbricht er den Verhaltensweisen zeigt, die es den Schülern mög-
Unterricht einen Moment schweigend und lich machen, sie als Autorität anzuerkennen.
schaut den bzw. die betroffenen Schüler an. Bei
erneuter Störung geht er ebenso vor wie im Es sind dazu also entsprechende Angebote sei-
tens der Autoritätsperson nötig. Diese Angebote
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dienen dazu, die Beziehungen zu den Schülern durchaus mitbekommen. Hier verbindet sich das
und ihren Eltern frühzeitig und aktiv zu stabilisie- Kümmern mit einem transparenten Vorgehen,
ren. Wir haben dies schon unter »Wachsamer welches auch bei anderen Schülern mit ähnlichen
Sorge« oben beschrieben. In unserer bisherigen Verhaltensneigungen möglicherweise schon Aus-
Arbeit in Schulen haben wir dazu verschiedene wirkungen auf deren Verhalten in ähnlichen Situa-
Ansätze und kreative Umsetzungen erlebt. tionen haben wird. Gleichzeitig soll der betroffene
Schüler nicht bloßgestellt werden. Die Art und
Einige Kollegien sind beispielsweise dazu überge-
Weise der Ansprache wird diesen Unterschied
gangen, noch in den Sommerferien bzw. gleich zu
deutlich machen.
Beginn des neuen Schuljahres ihre neuen Schüler
zu Hause zu besuchen. Wenngleich dies sicherlich Ziele im eigenen sozialen Handeln
mit einem hohen Aufwand verbunden ist, be-
In Fortbildungen für Kollegien und Schulteams
schreiben die Lehrer, die dies bei der Übernahme
fragen wir nach, welche Werte das jeweils einzelne
einer Klasse gemacht haben, dass sie bei späte-
und gemeinsame Handeln bestimmen, welche
ren Eskalationen und Schwierigkeiten deutlich
Werteüberschrift quasi über dem Eingang der
weniger Zeit aufwenden mussten. Andere Kollegen
Schule bzw. des Klassenzimmers hängt. Die ver-
starten mit besonderen Aktionen zum Kennenler-
mittelten Werte scheinen eine zwingende Grundla-
nen, fahren für einige Tage in Jugendbildungshäu-
ge der Anerkennung als Autorität zu sein. Neben
ser usw.
der Qualität des Unterrichts werden in den ge-
Im Sinne der Präsenz erleben die Schüler die nannten Befragungen dazu in der Regel auch Wer-
Lehrperson dadurch frühzeitig als Ansprechpart- te wie Respekt, Wertschätzung, friedlicher Um-
ner. Dieser frühe Beziehungskontakt erschwert es gang miteinander, Entwicklung sozialer Kompe-
den Schülern, später in einen Konflikt mit Lehrern tenzen u. a. m. genannt.
einzusteigen. Gleichzeitig könnten die Lehrer
Grundsätzlich erscheint es aus unserer Sicht hilf-
Fehlentwicklungen leichter rechtzeitig mitbekom-
reich, wenn Lehrer und andere pädagogische
men, wenn die Jugendlichen wissen, dass sie ei-
Fachkräfte ihren Schülern gegenüber frühzeitig die
nen Klassenlehrer haben, der an ihnen und ihrer
von ihnen angestrebten Ziele ankündigen und
Entwicklung interessiert ist.
diese mit entsprechenden Handlungen versehen.
Aufmerksamkeit und Kontaktaufnahme
Aus unserer Sicht sollte man neben den obenste-
Nach unseren Befragungen (Lemme et al. 2009) henden Grundhaltungen in Zusammenhang mit
werden Lehrer dann als besonders kompetent und dem Konzept der »Neuen Autorität« folgende Wer-
als Autorität anerkannt, wenn sie sich auch jen- tehaltungen diskutieren und reflektieren:
seits des Unterrichts für die Schüler interessieren.
Hierbei geht es nicht nur um das Grüßen außer- • Respekt und Wertschätzung:
halb des Klassenraums, sondern auch um die Diese Werte gelten auch dann, wenn sich das
persönliche Ansprache bei Fehlzeiten oder Un- Gegenüber anders bzw. respektlos und nicht
pässlichkeiten. wertschätzend verhält. Diese Werte gehen da-
So erscheint es wichtig wahrzunehmen (und sich von aus, dass der Mensch nicht durch sein
auch die Zeit zur Überprüfung zu nehmen), wer im Handeln, sondern in seinem grundsätzlichen
Unterricht fehlt. Sollten entsprechende Rückfragen Wert als Person an sich angenommen wird.
in der Klasse keine Aufklärung geben, empfehlen Auch massives Überzeugen und Insistieren
wir den persönlichen Anruf bzw. die Mittei- durch (vermeintliche) Argumente gilt als eine
lung/Weitergabe an den Klassenlehrer, der dies Form der Grenzüberschreitung und Respektlo-
dann übernimmt. Dieses Nachhaken - verbunden sigkeit (Hannah Arendt 1957). So zeigen sich
mit möglicherweise schon vorhergehenden Kon- Respekt und Wertschätzung in der intensiven
taktaufnahmen (s. o.) - kann Schulabwesenheiten und auf gemeinsame Veränderung ausgerichte-
schnell aufdecken und diesen sogar möglicher- ten Auseinandersetzung ohne jede Form der
weise vorbeugen. Das eigene Handeln und die Beleidigung oder Ausgrenzung.
gemachten Beobachtungen sollten unseres Erach- • Lösungs- und Entwicklungsfokussierung:
tens in der Klasse zurückgemeldet werden. Ge-
schieht dies entsprechend wertschätzend, sorgt es Sie zielt darauf ab, die aktuelle Situation zum
auch bei anderen Schülern vor, da diese merken, Besseren zu verändern. Wesentlich ist also
dass sie sich weniger gut dem Nachfragen und nicht die Frage nach Schuld und Ursache, son-
Kümmern einer Lehrkraft entziehen können. Au- dern der Wunsch nach einer Entwicklung bzw.
ßerdem stärkt es das Ansehen der Lehrkraft. Lösung, die das Zusammenleben ab jetzt güns-
tiger für alle (!) Beteiligten gestalten lässt.
Insgesamt erscheint es für Lehrer sinnvoll, bei
Störungen oder Auffälligkeiten die Schüler schon • Beharrlichkeit statt Strafen und Sanktionen:
frühzeitig direkt in der Klasse anzusprechen. Ein Die Veränderung im Verhalten einer anderen
Klärungsgespräch kann dann auf die Pause nach Person findet letztlich ausschließlich mit der
dem Unterricht oder einen anderen Zeitpunkt ver- Zustimmung dieser Person statt. Während Stra-
legt werden. Die Klasse sollte diese Vereinbarung fen und Sanktionen den Widerstand in der Re-
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gel erhöhen bzw. ihn massiv brechen (auf Kos- schämung gibt. Gleichwohl könnte ein respektvol-
ten von Beziehungsoptionen), schaffen Beharr- ler Umgang so gestaltet sein, dass es die Möglich-
lichkeit in der Wiederholung (ohne Predigt und keit des Austauschs und der Transparenz darüber
Überzeugen) und Konstanz die Gewissheit, gibt. Die Lehrperson selbst könnte die Schüler
dass wirkliches Interesse an einer Veränderung auffordern, einen Bewertungsbogen für sich aus-
der Situation und der Beziehung existiert. Die zufüllen, und könnte diesen später mit den Schü-
Haltung dazu ist von Neugier, Klarheit und (e- lern gemeinsam auswerten. So kann die Lehrerin
her schweigender) Eindeutigkeit geprägt. Dies bzw. der Lehrer auf das eigene Handeln Bezug
führt in der Regel zu Möglichkeiten der Verän- nehmen und gleichzeitig im Sinne einer Selbstrefe-
derung, die auch von den Beobachtern wahr- renz bestimmte Umstände verändern oder beto-
genommen und verinnerlicht werden. nen.
• Transparenz und Nachvollziehbarkeit des eige- Die Motive von destruktiv bzw. störend han-
nen Vorgehens: delnden Schülern umdeuten
Die Transparenz sorgt für die Nachvollziehbar- Verhaltensweisen einer Person nehmen wir häufig
keit wie auch für die Möglichkeit, das erlebte als Aussage über die Person als solche wahr bzw.
Handeln selbstreflexiv infrage zu stellen. Dar- ziehen Rückschlüsse auf die Person. Bei der Stra-
aus ergibt sich letztlich die Legitimität des eige- tegie der Um-deutung sucht man nach einer ver-
nen Handelns. ständlichen Motivation oder einem zugrunde lie-
genden Bedürfnis des störenden Verhaltens. Da-
• Eltern als Partner in einem kooperierenden und bei geht man davon aus, dass mehrere Interpreta-
gegenseitig unterstützenden Prozess verste- tionen desselben Verhaltens zugleich zutreffen
hen: können und ein problematisches Verhalten aus
Diese Haltung ist davon geprägt, Einladungen Sicht des Betroffenen eine angemessene Reaktion
und Möglichkeiten für die Eltern zu schaffen - auf die von ihm wahrgenommene Situation dar-
egal, ob sie kooperativ sind oder nicht. Denn stellt (Hubrig u. Herrmann 2007, S. 132 ff.).
wenn sie nicht eingeladen werden, können sie Es erscheint leichter, auf ein wahrgenommenes
auch nicht kommen. Bedürfnis zu reagieren als auf eine möglicherweise
Der Umgang mit Scham und Beschämung ist im feindlich gesinnte Absicht (Omer u. von Schlippe
Kontext Schule aus unserer Sicht ein besonderer. 2010). Selbst bei unverändertem Verhalten von
Fast jeder Schüler kann sich im Laufe der eigenen Schülern gibt diese Art der Problembeschreibung
Schulzeit an mindestens eine Situation erinnern, in einer Lehrperson die Möglichkeit, ihr eigenes Den-
der er von einem Lehrer bloßgestellt bzw. be- ken und Verhalten zu verändern und dadurch ei-
schämt worden ist. Auch heute gibt es an den ver- nen Rahmen anzubieten, der auch für den be-
schiedensten Schulen regelmäßig entsprechende troffenen Schüler alternative Wege ermöglicht.
Berichte von Schülern - aber auch Berichte von Eine »gute Absicht« anzunehmen ist genauso
Lehrkräften -, die von der Schulleitung oder von hypothetisch wie eine »negative Absicht« zu un-
Kollegen bloßgestellt worden sind. terstellen. Ersteres wirkt allerdings deutlich entlas-
tend und schafft einen Kontext, der einer positiven
An einem Ort, an dem Noten und Bewertungen Veränderung mehr Wahrscheinlichkeitsraum bietet
zum Alltag gehören, lässt es sich wohl kaum aus- als eine mögliche negative Zuschreibung.
schließen, dass es auch die Erfahrung von Be-

Handlungsaspekt: Selbstkontrolle und Deeskalation


Der Verlust von Selbstkontrolle und der Fähigkeit, in kritischen Situationen deeskalierend handeln zu kön-
nen, kann auf 3 Ebenen entstehen:
1. der Person an sich,
2. in der Beziehungsdynamik und
3. im System.
(1) Zunächst ist es möglich, dass ich als Person mehr Einfluss auf meine Emotionen und Körperre-
aufgrund einer Situation oder einer persönlichen aktionen bekomme, sodass mein Handeln wieder
Betroffenheit innerlich emotional oder auch körper- angemessen erscheint.
lich eskaliere, quasi außer Kontrolle gerate (emoti-
(2) Bei Fortbildungen berichten Lehrkräfte im per-
onale oder auch körperliche Reaktion). Um die
sönlichen Gespräch, dass sie sich in Konfliktsitua-
Selbstkontrolle zurückzuerlangen, ist es in der
tionen häufig auch und gerade durch die Art und
Regel hilfreich, Abstand zu gewinnen, also Formen
Weise des Verhaltens von Jugendlichen provoziert
der Beruhigung und Entspannung zu finden. Auch
und abgewertet fühlen. Dann fällt es ihnen schwer,
Gespräche und Reflexionen mit anderen erschei-
nicht wütend oder gar ausfallend und beleidigend
nen förderlich - und zwar mit dem Ziel, dass ich
zu werden. Auch beschreiben sie den Druck, unter
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dem sie durch die Situation in der Klasse stehen. des Handelnden zu verstehen, sein Bedürfnis zu
Sie möchten dann nicht ihr Gesicht verlieren und erfüllen, nicht aber als ein Verhalten, das gegen
haben den Eindruck, dass die gesamte Klasse nun mich gerichtet ist.
auf ihre Reaktion wartet. Nicht selten bewerten die
Der Provokation standhalten
Lehrpersonen ihre daraufhin gezeigten Reaktionen
im Nachhinein als wenig tauglich, und kritisieren Gefühle haben einen starken Einfluss auf unser
sich selbst für das entsprechende Vorgehen. Verhalten. Die stärksten davon sind Angst, Scham,
Schuld, Ärger und Ohnmacht. Wenn wir diese
Während der schulische Unterricht mehrheitlich
Gefühle empfinden, neigen wir schneller dazu, die
Sachinformationen vermittelt, werden Störungen
Selbstkontrolle zu verlieren und anders zu han-
und Verweigerungen bzw. destruktive Verhaltens-
deln, als wir dies zunächst beabsichtigt haben.
weisen in der Regel als abwertende Beziehungs-
Entsprechend werden genau diese »Knöpfe« (von
botschaften wahrgenommen. Für den deeskalie-
Schlippe u. Grabbe 2007, S. 59) von Schülern
renden Umgang in der Begegnung mit Schülern
(und auch anderen ...) gedrückt, wenn diese in
(auch Eltern, Kollegen oder anderen) erscheint
eine Situation geraten, in der sie sich durchsetzen
eine Position hilfreicher, die es uns erlaubt, eska-
möchten. Es ist daher ratsam, sich der eigenen
lierende Situationen als »Spiele« zu betrachten,
Reaktionsneigungen bewusst zu werden und
deren »implizite und explizite Regeln« gerade
Handlungsoptionen zu entwickeln, die dem Kon-
übertreten wurden. Diese Haltung hilft dabei, aus
trollverlust bzw. der Kontrolleinschränkung entge-
einer Art Metaposition auf die Situation zu schauen
genwirken. Dazu sind innere Mantras, ritualisierte
(Hubrig u. Herrmann 2007).
Handlungen oder psychologische Interventions-
Eine weitere große Hilfe ist für viele die Möglich- techniken (z. B. PEP, siehe Bohne 2013) geeignet.
keit, sich von dem Druck zu befreien, sie müssten
Gleichwohl ist es allein schon hilfreich, in kritischen
zeitnah und grundsätzlich klärend handeln (Omer
Situationen die Stimme zu senken und das Tempo
u. von Schlippe 2004, 2006; Lemme 2009). Statt-
zu reduzieren.
dessen können Möglichkeiten der Vernetzung,
Verzögerung und Öffentlichkeit genutzt werden. Vertagen (»Schmiede das Eisen, wenn es kalt
»Ich muss nicht gewinnen, doch ich will beharrlich ist!« - Haim Omer)
sein!« ist ein Satz, der in der Pädagogik zentrale
Bedeutung gewinnt. Menschen fühlen sich in der In der verhaltensorientierten Vorgehensweise wird
Regel innerlich gestärkt, wenn sie es schaffen, stets eine unmittelbare Reaktion eingefordert. Au-
sich nicht in Konflikte verwickeln zu lassen, und ßer unter Schutzaspekten gibt es unseres Erach-
somit aus der Auseinandersetzung um Gewinnen tens kaum eine Situation, in der es vorteilhaft sein
oder Verlieren, »Rechthaben oder Nicht-recht- könnte, schnell zu handeln. Im Gegenteil: Wir ge-
Haben« aussteigen. hen davon aus, dass ein Vertagen der Lösung
sogar etliche Vorteile mit sich bringt. So gibt es
Auch Predigten, wiederholtes Überzeugen durch Gelegenheit zur Beruhigung für alle Beteiligten
vermeintliche Argumente, Generalisierungen (im- sowie zur Absprache mit Unterstützern. Die Lehr-
mer, nie...) und Schuldzuschreibungen (Du- kraft könnte in einer kritischen Situation ankündi-
Botschaften) führen i. d. R. zur Ausweitung eines gen, dass sie das Verhalten wahrgenommen hat
Konflikts, ebenso wie verbale Attacken und Feind- und nicht jetzt, aber doch später darauf zurück-
seligkeiten. Demgegenüber bewirken positive, kommen wird.
integrierende Aussagen (»ich« oder »wir« statt
»ihr« oder »du«) eine Stärkung der »konstruktiven
Vertagen
inneren Stimmen« des Schülers, der sich destruk-
tiv verhält. Das betroffene Kind bzw. der Jugendli- »Ich habe gesehen, was hier passiert ist und
che bleibt so ideell in die Gemeinschaft eingebun- was du gemacht hast. Ich als Verantwortli-
den und kann ohne Gesichtsverlust auf eine weite- che und wir als Kollegium können und wer-
den dein Verhalten so nicht dulden. Ich wer-
re Eskalation verzichten.
de mich mit den anderen beraten. Wir wer-
Insofern stehen u. a. folgende Handlungsoptionen den auf dein Verhalten zurückkommen und
zur Verfügung: dich darauf ansprechen.«

Metaperspektive einnehmen
Auf diese Weise reagiert man einerseits direkt,
Zur Entlastung der eigenen emotionalen Betrof- vertagt aber auch gleichzeitig die Lösung. Alle
fenheit ist es häufig hilfreich, eine distanzierte Per- Maßnahmen des gewaltlosen Widerstands werden
spektive einzunehmen - sozusagen eine Adlerper- dann durchgeführt, wenn die Emotionen sich ins-
spektive. Die Fähigkeit, Verhaltensweisen distan- gesamt etwas beruhigt haben - so lassen sich
zierter zu betrachten, ermöglicht eine Reflexion Eskalation und Zwang vermeiden.
über die Zusammenhänge, die zu diesem Verhal-
ten geführt haben. Insofern lässt sich über Bedürf- (3) Eine weitere mögliche Eskalationsgefahr liegt
nisse, Rahmenbedingungen oder auch Persönlich- in der Systemdiskussion — also der Art und Wei-
keitsanteile sprechen. Dies wiederum ermöglicht se, wie über eine Situation bzw. einen Vorfall ge-
es mir, inakzeptables Verhalten als den Versuch sprochen wird.

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Fragemuster zur Deeskalation in Gruppen /


In einem Workshop berichtete eine Lehrerin Teams
von einer Streitsituation unter Schülern. Als
die Lehrerin dazwischenging, wurde sie von Was genau hat zu der Situation geführt, könnte
Apfelsinenschalen getroffen, die ein Schüler also das Verhalten besser erklären?
aus Ärger in ihre Richtung warf. In der Dis-
kussion im Kollegium wurde sehr emotional • Was genau ist passiert? Was ist das eigentliche
über den Vorfall gesprochen. Die mehrheitli- Problem dieser Situation gewesen?
che Einschätzung war, das Werfen der Ap-
felsinenschalen als Gewalt einzustufen und
• Welches Bedürfnis könnte hinter diesem Ver-
entsprechend für diese unruhige Klasse mit halten stehen?
ihren vielen Streitereien ein Exempel zu sta- • Für wen oder was ist die geplante Intervention
tuieren. Es wurde überlegt, den betroffenen
hilfreich? Was genau möchten wir denn errei-
Schüler für eine Woche von der Schule zu
suspendieren und dazu eine Klassenkonfe- chen?
renz einzuberufen. • Was könnte auch den betroffenen Schüler in
seiner Entwicklung fördern bzw. zu einer Ge-
Die Reaktionen auf eine emotional aufgeladene samtberuhigung aller Beteiligten beitragen?
Situation würden nach distanzierterer Betrachtung
• Wann verhält sich dieser Schüler anders als in
im betroffenen Team bzw. Kollegium häufig weni-
der berichteten Situation?
ger eskalierend ausfallen. Ähnliches gilt für stark
negativ geprägte Beschreibungen von Schülern • Welche Fälligkeiten besitzt dieser Schüler in
oder Klassen, mit denen man als betroffener Pä- anderen Kontexten?
dagoge in der Zukunft zu tun haben wird. Eine
Möglichkeit der differenzierteren Betrachtung ist • Wer hat einen guten Einfluss und Kontakt zu
auch hier die Vertagung auf einen etwas späteren diesem Schüler und kann somit entsprechend
Zeitpunkt, zu dem sich die Emotionen der betroffe- deeskalierend einwirken?
nen Personen beruhigt haben. Darüber hinaus • Unter diesen Umständen: Welches Vorgehen
haben sich folgende Strategien bzw. Fragemuster erscheint uns zielführend und angemessen?
als hilfreich erwiesen:

Handlungsaspekt: Transparenz und Öffentlichkeit


Jeder von uns weiß: Unerlaubte Dinge tun wir am liebsten unbeobachtet, um etwaigen Schwierigkeiten aus
dem Wege zu gehen. Dies gilt natürlich auch für Schüler. Jede Form von Grenzüberschreitung findet in der
Regel zunächst heimlich statt.
Gerade Gewalt, Mobbing, Schutzgelderpressun- den ist, wie die Meinung der Verantwortlichen dazu
gen und weitere destruktive Handlungsweisen ist und dass sie die Verantwortung für eine Klärung
weiten sich sogar aus, wenn sie eine Weile unbe- übernehmen. Auch etwaige Schutzmaßnahmen
obachtet bleiben. Dies gilt auch für weit weniger können an dieser Stelle bereits angekündigt wer-
gravierende Dinge wie die möglicherweise uner- den.
laubte Nutzung von Handys im Unterricht. Es gibt
Hier zeigen sich die zentralen Funktionen der
zudem auch etliche Beispiele, an denen gewaltbe-
Handlungen zur Transparenz und zum Herstellen
reite und destruktive Verhaltensweisen von Er-
von Öffentlichkeit:
wachsenen wahrgenommen, aber nicht weiter
beachtet worden sind. Auch das, was auf dem • Schutz bieten durch Benennen der Beobach-
Pausenhof oder in der Schule selbst eigentlich tung und dadurch, dass man die Verantwortung
verboten ist, aber stillschweigend geduldet wird, für das weitere Vorgehen übernimmt
weitet sich in der Regel aus - solche Duldung wird
oft wie eine Erlaubnis zum weiteren Vorgehen • Vernetzungen und Bündnisse schaffen
verstanden. Zudem sinkt die Autorität der Erwach- • Die Bekanntmachung des eigenen Handelns,
senen, während die destruktive Verhaltensbereit- indem man die Verhaltensweisen und Beobach-
schaft einiger Schüler wächst. tungen ohne Anklage oder Beschämung ein-
Demgegenüber stärken wir im Konzept der »Neu- zelner Personen (keine Namensnennung) be-
en Autorität« bewusst und gezielt die Bereitschaft, nennt
jede Form der Geheimhaltung und Isolation zu • Transparenz im Sinne der Überprüfbarkeit und
überwinden. Auch wenn in einzelnen Fällen noch Zuverlässigkeit sowie der Selbstkontrolle beim
nicht klar ist, wie das Vorgehen genau aussehen weiteren Vorgehen
soll, ist es schon sehr hilfreich, wenn der Klassen-
lehrer, das Kollegium bzw. die Schulleitung in ei- • Legitimation des eigenen Handelns (die sich
nem ersten Schritt mitteilen, was beobachtet wor- aus den vorigen Punkten ergibt)

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Gewalthandlungen können ohne Diffamierung wir es für äußerst sinnvoll, dass sie später be-
einzelner Personen in der Schule bekannt ge- richten, in welcher Art und Weise sie vorgegan-
macht werden. Wir regen an, in den Klassen über gen sind und was sich daraus ergeben hat.
entsprechende Vorkommnisse zu sprechen und
gemeinsam zu überlegen, was jeder Einzelne tun • Durch die Absprache mit anderen Lehrkräften
kann, um eine Wiederholung zu vermeiden. Zur erscheinen die Lehrer als ein Team und erlan-
Etablierung einer entsprechenden Vorgehenswei- gen damit insgesamt eine größere Anerken-
se in der Kultur einer Schule können alle analogen nung. Nach unseren bisherigen Erfahrungen
und digitalen Mittel der Kommunikation ohne Na- gehen wir davon aus, dass das Gefühl der Si-
mensnennung über Gewaltvorfälle und entspre- cherheit für Schüler somit steigt (Omer u. von
chende Gegenmaßnahmen berichten. Schlippe 2010). Damit einhergehend sinkt das
Destruktionsniveau. Wie oben schon beschrie-
Es gilt, in der Schule und mit allen beteiligten Per- ben führen auch die offene und gegenseitige
sonen eine Kommunikation zu fördern, die eine wertschätzende Auseinandersetzung über so-
konstruktive Auseinandersetzung mit Gewalt und ziale Abläufe und konstruktive Kritik zu einem
eskalierenden Konflikten ermöglicht. Diese basiert Modell im Umgang mit Zusammenhängen, die
zunächst auf Transparenz und Berichterstattung. auch zwischen den Schülern auftauchen. Die
Eine solche Öffnung schafft grundsätzlich ein grö- soziale Kompetenz jedes einzelnen Schülers
ßeres Vertrauen von Schülern in das Lehrpersonal wird an dieser Stelle angehoben. Die Rückwir-
und in dessen Fähigkeiten, Eskalationen erfolg- kung einer positiveren Klassenatmosphäre gilt
reich zu handhaben (Omer 2009). Sie schafft au- mittlerweile als anerkannt (Keller 2012).
ßerdem eine Grundlage, in kritischen Situationen
schnell und effektiv handeln zu können. Damit wird • Das Öffnen des eigenen Klassenraums für an-
auch angekündigt, dass es Möglichkeiten der Ver- dere Lehrer und auch für Eltern vermittelt die
änderung, der Verbesserung und möglicherweise Botschaft, dass die unterrichtende Lehrperson
auch der Wiedergutmachung gibt. Das schafft eine nicht alleine, sondern in einem offenen Aus-
Perspektive der Hoffnung und Lösungsfokussie- tausch mit anderen Erziehungsverantwortlichen
rung. steht. Damit sinkt die Bereitschaft zur Eskalati-
on, gleichzeitig steigt die Möglichkeit einer an-
Wie oben schon erwähnt ist die Haltung von gemessenen, eher demokratisch orientierten
Transparenz und Öffentlichkeit eine, die im Rah- Klärung von kritischen Situationen.
men der Wachsamen Sorge schon präventiv bei
nicht betroffenen Schülern wirkt. Dabei sind gleich Diese Haltung lässt sich auf die gesamte Schule
verschiedene Ebenen angesprochen: übertragen. An dieser Stelle wird deutlich, dass ein
Handeln im Sinne der »Neuen Autorität« Auswir-
• Die betroffenen Schüler erleben nicht nur eine kungen auf verschiedene Bereiche des Systems
Öffentlichkeit, in der sie angesprochen werden, Schule haben kann: Neben dem Handeln im Zu-
sondern sie erleben ebenfalls eine klare Auf- sammenhang mit der Schülerschaft wird es Aus-
merksamkeit einer Person, die sich als ein Ge- wirkungen für die Struktur des Systems, für das
genüber im Sinne der Erziehungsverantwort- Miteinander im Kollegium sowie für das Leitbild
lichkeit zeigt. Andere Schüler bekommen mit, in geben - und vermutlich darüber hinaus.
welcher Art die Verantwortlichen vorgehen und
wie verbindlich sie dabei sind. Insofern halten

Handlungsaspekt: Unterstützung und Netzwerke


Ein zentraler Bestandteil der Präsenz ist die Botschaft »Ich bleibe nicht allein!«. Wenn wir uns als allein oder
auch alleingelassen erleben, schwindet ein großer Teil unserer Wirksamkeit. Erleben wir uns hingegen als
Teil eines Teams, verstärkt dies unsere Position - es stärkt den Anteil selbsterlebter Autorität.
Darüber hinaus führt der wertschätzende und lö- genommen. In allen Zusammenhängen, in denen
sungsfokussierte Austausch in einem Netzwerk zu Pädagogik und Erziehung gut gelingen, ist das
einer selbstreflexiven Auseinandersetzung mit den »Wir-Gefühl« eines Teams bzw. Kollegiums mit
eigenen Schwächen und Stärken, was insgesamt der zentrale Faktor für die Wirksamkeit.
zu einer persönlichen Stärkung führt. Außerdem
Netzwerke, die bereits gestaltet und entwickelt
erhöht eine solche teamorientierte Reflexion die
sind, können schon unter weniger bzw. gar nicht
eigene Selbstkontrolle, da ich den anderen meine
belasteten Situationen in ihrer Wirksamkeit über-
eigenen Vorgehensweisen im Sinne des gemein-
prüft werden. Dies bedeutet, dass sie dann unter
samen Vorgehens erklären muss.
besonderen und kritischen Situationen sofort wirk-
Durch die kollektive Mitteilung und Durchführung sam sind und Möglichkeiten des schnellen Han-
von Maßnahmen der »Neuen Autorität« bekommt delns eröffnen. Wenn die notwendigen Netzwerke
der Widerstand gegen destruktive und nicht gedul- erst unter Konfliktbedingungen gebildet werden,
dete Verhaltensweisen eine größere Basis und bedeutet dies eine deutliche Zeitverzögerung und
wird von den Betroffenen als solcher auch wahr- einen erheblich größeren Aufwand.
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Im Kontext Schule lassen sich aus unserer Sicht sigkeit ist es möglich, sich konstruktiv gegenseitige
vorrangig drei mögliche Kooperationsebenen unter Unterstützung anzubieten. Daraus resultierend
den Erziehenden betrachten: können gemeinsame Vorgehensweisen entstehen,
die die Lehrpersonen sonst alleine durchgeführt
1. Kooperation im Kollegium
hätten. So kündigen sie Veränderungen nicht mehr
2. Kooperation mit Eltern alleine, sondern zu zweit an. Die Kultur eines
Teams entsteht dann, wenn man auf Unterstüt-
3. Kooperation mit Externen zung zurückgreift und in sichtbarer Form in einem
»Wir« spricht - selbst wenn diese Unterstützung
1. Kooperation im Kollegium nicht zwingend notwendig ist. Unterstützung, die
erst dann wirksam wird, wenn sie zwingend not-
In Kollegien reflektieren wir die Möglichkeiten, wie wendig ist, wird in der Regel nicht als Unterstüt-
sich Gruppen und Kreise von Lehrern bilden kön- zung, sondern als Hilfe verstanden, die man benö-
nen, in denen ein intensiver Austausch über Erle- tigt, weil es allein nicht mehr gelingt. Dies stärkt die
bensinhalte möglich wird. In Fallbesprechungen eigene Position aber nicht.
und Supervisionen kann man gemeinsame Gestal-
tungs- und Handlungserfahrungen machen, die Fallbesprechungen, offene Klassenzimmer und
einen Ausbau der Kooperations- und Integrations- persönliche Reflexion des eigenen Handelns bil-
möglichkeiten schaffen. In kritischen Situationen den die Basis dieser Vorgehensweisen.
zeigt es sich als sehr entlastend, wenn man eine 2. Kooperation mit Eltern
gegenseitige Unterstützung schaffen kann, sodass
sich der Lehrer der Situation nicht allein aussetzen Der Kontakt zwischen Lehrern und Eltern ist oft
muss. Dies erscheint vielen zunächst fremd, da sie sehr belastet. Bezeichnungen wie »Elternbrechta-
Sorge haben, ihr Gesicht zu verlieren. In der Kultur ge« machen sichtbar, dass die Kooperation als
eines gemeinsamen »Wir« ist dies jedoch eine anstrengend, zeitraubend und wenig hilfreich er-
hohe Handlungskompetenz, denn die Isolation des lebt wird. Lehrer neigen dazu, Eltern nicht als
Einzelnen ist damit aufgehoben, und er wird deut- Partner in Auseinandersetzungen wahrzunehmen -
lich weniger anfechtbar. denn nicht selten machen sie die Eltern für die
Verhaltensweisen des Kindes verantwortlich. Dar-
Gerade bei akut drohender Gefahr scheint ein über hinaus befürchten Lehrer oft, dass das Auf-
schnelles Handeln erforderlich zu sein, wie die decken von Schwierigkeiten die Kritik gegen sie
aktuellen Vorfälle um die sogenannten Amokläufe selbst verstärken könnte. Gerade dieses häufig als
deutlich machen. Besondere Kreise im Sinne eines abweisend und begrenzend wahrgenommene
Frühwarnsystems einzurichten, die sich mit be- Verhalten führt allerdings in der Regel zu mehr
sonderen Fragestellungen beschäftigen, scheint Misstrauen und Auseinandersetzungen sowie zur
eine gute Vorbereitung auch im Hinblick auf weite- Abwertung seitens der Eltern. Manche Eltern sind
re Eskalationen zu sein. Reine Notfallpläne zu für Lehrer zudem nur unter hohem Zeitaufwand
erstellen führt hingegen offensichtlich zu »Abnut- oder gar nicht zu erreichen.
zungserscheinungen« - zumal diese nur, wie der
Name schon sagt, im Notfall genutzt werden. Gleichwohl kann Lernen nur bei intensiver Koope-
ration stattfinden. Dort, wo Erwachsene nicht mit-
Omer (2008,2009) schlägt deshalb vor, aktive einander sprechen, entstehen Kommunikationslü-
Alarmsysteme in Schulen einzurichten, die es er- cken. Manche Schüler nutzen solche Lücken aus.
möglichen, Alarmsignale zu erkennen, sie zu be- Wenn die Erwachsenen nichts voneinander wis-
werten und entsprechend handeln zu können. Er sen, ist es schwierig, dies bei Konflikten aufzuho-
beschreibt dazu ein Obhut-Kollegium, gebildet aus len. Wir stimmen Omer und von Schlippe (2010)
Schulleitung und Lehrkräften, das sich verpflichtet, zu, wenn sie die Gefahr sehen, dass bei Konflikten
mit Eltern und auch außerschulischen Funktions- zwischen Lehrern und Eltern die Sicherheit aller
trägern zusammenzuarbeiten. Die Aufgabe dieses Beteiligten verloren gehen kann. Zunächst nimmt
Kollegiums besteht darin, Gefahrensignale (z. B. in der Regel die Autorität der Lehrer ab, wenn El-
Drohungen) frühzeitig wahrzunehmen und zu be- tern diese vor ihren Kindern abwerten. In der Fol-
werten sowie ggf. Gegenmaßnahmen einzuleiten. ge, häufig von diesen nicht bedacht, reduziert sich
Dieses Kollegium wird immer dann tätig, wenn es auch die Autorität der Eltern, da die Abwertung von
eine Rückmeldung über eine drohende Gefahr Lehrern quasi die Erlaubnis impliziert, Erwachsene
gibt. Es ist also regelmäßig aktiv. abwerten und respektlos behandeln zu dürfen.
Wir gehen davon aus, dass eine gelingende ge- Damit können, wie sich schon vielfach gezeigt hat,
genseitige Unterstützung zunächst den Dialog negative Neigungen bzw. Verhaltensweisen zu-
untereinander ermöglicht. Das bedeutet im Alltag, nehmen, sich in der Klasse ausbreiten und somit
dass Gesprächsräume eingerichtet werden, in auch letztendlich die Sicherheit in der Klasse durch
denen man sich konstruktiv über das eigene Erle- Ausweitung gewaltbereiter und respektloser Hand-
ben, die Wahrnehmung von Verhalten und Perso- lungen verringern. Daraus folgend empfehlen wir
nen sowie über die Selbstreflexion des eigenen die grundsätzliche und frühzeitige Entwicklung
Handelns austauschen kann. Erst unter dem eige- einer Kooperationskultur zwischen Eltern und Leh-
nen Eingeständnis von Fehlern und erlebter Hilflo-
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rern, die die Wahrscheinlichkeit gegenseitiger Ab- • gemeinsame Vorgehensweisen bei Problemen
wertung verringert.
3. Kooperation mit Externen
Das alltägliche Erleben von Lehrern ist davon ge-
prägt, dass die Kooperation mit Eltern bei steigen- Ebenso wie mit Kollegen und Eltern lässt sich auch
dem Alter und mit sinkendem Schulniveau immer mit anderen Personen und Institutionen (ehemali-
schwieriger wird. Auch Migration und Sprache gen Schülern, Polizei, Psychotherapeuten, Ärzten,
stellen häufige Erschwernisse in der Kooperation Jugendamt u. a. m.) außerhalb der Schule eine
dar. Wir regen in unseren Fortbildungen Interventi- regelmäßige entsprechende Kooperation aufbau-
onskreise von Lehrern und Eltern an, die sich mit en. Auch ältere Schüler kann man innerhalb der
diesen Fragen beschäftigen. Die Aufgabe eines Schule als Paten aktivieren. Der Kontakt zu ande-
solchen Vermittlungskreises ist es, Kontakt zu ren Erwachsenen erhöht die Möglichkeit, auf das
Eltern aufzunehmen, die bei auffälligem Verhalten Verhalten der Schüler Einfluss zu nehmen. Im
ihrer Kinder in der Schule nicht erreichbar sind. So Gegensatz dazu isolieren sich Lehrer, wenn sie
könnten auch andere Eltern die Aufgabe über- den Ort, an dem Schwierigkeiten geklärt werden
nehmen, diese Eltern zu kontaktieren. können, zu sehr zu einem privaten, für sie nicht
erreichbaren Ort (Eltern, Psychotherapeutinnen u.
Auch hier gilt, dass es eine Illusion wäre zu glau- a. m.) erklären. Schule bildet für die Schüler - aber
ben, alle Eltern würden gerne und regelmäßig auch für alle beteiligten Erwachsenen - die
Kontakt zur Schule halten. Insofern werden auch Schnittstelle zur Gesellschaft, repräsentiert diese
auf die freundlichsten, persönlichsten und beharr- in gewissem Sinne. Insofern ist die Verantwortung
lichsten Einladungen nicht alle Eltern positiv rea- für das System Schule stets auch eine Verantwor-
gieren. Verzichtet der Lehrer allerdings auf die tung für die gesellschaftliche Integration und Rah-
Einladung der Eltern, haben diese keine Chance mung.
mehr, auf Einladungen zu reagieren. Die Lehrkraft
verzichtet dann ihrerseits auf die Kontaktaufnahme Mögliche Teams/Netzwerke/Vorgehensweisen:
und wird dies in der eigenen Haltung auch im Kon- • Leitungsteam, Obhut-Team
takt zum Schüler zeigen.
• Unterstützungs-, Reflexionsteams im Sinne der
Beispiele und Anregungen für eine gelungene Intervision und Fallberatung in Jahrgangsstu-
Kooperation mit den Eltern: fen- oder Klassenteams.
• frühzeitige Einladungen an Eltern zur Bezie- • Intervision und Supervision (extern)
hungsgestaltung - zu Beginn eines Schuljahres
bzw. bei Übernahme einer neuen Klasse • Ombuds-Teams im Kollegium, für Konflikte
zwischen Eltern und Lehrern sowie zwischen
• Gestaltung von Gesprächen mit Eltern als Ko- Schülern und Lehrern, bestehend aus den je-
operation von gleichberechtigten Erziehungs- weils betroffenen Personengruppen
verantwortlichen, die für unterschiedliche Berei-
che zuständig sind • regelmäßige Sprechzeiten und Kontaktgesprä-
che mit Eltern außerhalb oder statt Eltern-
• Öffnen des Klassenraums für Eltern im Sinne sprechtagen - ggf. unter Beteiligung von Kolle-
der Hospitation und Unterstützung gen mit gutem Kontakt zum Schüler
• Transparenz und Öffentlichkeit als Grundhal- • Rückkehr- und Abwesenheitsgespräche zur
tung zwischen Lehrern, Eltern und Schülern gelingenden und integrativen Rückkehr vo-
• frühzeitiges Einbinden bei entstehenden rübergehend abwesender Schüler
Schwierigkeiten • Einladung und regelmäßige Kontakte an religi-
• Gremium für Konflikte zwischen Eltern und öse Vertreter der Kulturen, die an der Schule
Lehrern zusammenleben

• Projekte im Sinne gemeinsamer sozialer Ver- • Begegnungskreise mit Externen, Gesellschafts-


antwortlichkeit vertretern, Politikern, Freiwilligen ...

• frühe Hilfen ermöglichen bei Schwierigkeiten


von außen

Handlungsaspekt: Gegenüber, Protest und Widerstand


Im Laufe unserer gemeinsamen Arbeit mit Schulen haben sich einige demonstrative Vorgehensweisen als
hilfreich für die eigene Haltung und im Umgang mit kritisch zu bewertenden Situationen gezeigt. Allen Me-
thoden gemeinsam ist die vorausgehende Entscheidung, einem Verhalten deutlich zu begegnen, welches so
in dieser Art in der Schule entweder nicht akzeptabel ist oder Anlass zur Sorge gibt. Damit stellt sich die
Lehrkraft erziehungsverantwortlich in die Rolle einer aktiv handelnden Person, die sich mit den beteiligten
Schülern auseinandersetzen will und wird. Die methodischen Möglichkeiten werden an dieser Stelle in der
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Reihenfolge ihrer Intensität dargestellt. Dabei bleibt es das Ziel aller Vorgehensweisen, die Präsenz der
Lehrkräfte zu stärken.
Wir haben weiter oben die Wachsame Sorge als
Prozessmodell vorgestellt. Schrittweise können Der 11-jährige Kevin fiel seit Wochen durch
Interventionen zunächst wiederholt werden, dann massiv aggressives Verhalten auf. Er schlug
durch größere Unterstützung nachhaltiger gemacht Mitschüler, erpresste Geld und motivierte
andere zu ähnlichen Verhaltensweisen. El-
und schließlich durch die Intensivierung verstärkt
tern, Klassen- und Fachlehrer hatten ge-
werden. Entsprechend kann man die Maßnahmen meinsam mit der Schulleitung das weitere
wieder reduzieren, wenn sich das Verhalten ver- Vorgehen überlegt. Es wurde eine Klassen-
bessert. konferenz einberufen, in der Kevin anwesend
war. Er saß neben seinem Vater. Am Ende
Die Steigerung der Präsenz sowie die Beharrlich-
dieser Zusammenkunft wurde folgende An-
keit stellen also die ersten Optionen für entspre- kündigung von der Klassenlehrerin verlesen:
chende Vorgehensweisen dar.
»Lieber Kevin, wir, also deine Eltern und ich
In Fortbildungen von Schulkollegien werden wir als deine Klassenlehrerin wie auch das ge-
häufig gefragt, welche Möglichkeiten es gibt, ge- samte Kollegium, sind in großer Sorge um
gen Unruhe in Schulklassen vorzugehen. Weiter dich und deine Mitschüler. Wir haben zu viel
oben haben wir schon auf die Präsenzerweiterun- gewalttätiges Verhalten erlebt wie Schlagen
gen hingewiesen. Ein erster Schritt der Intensivie- und Erpressen. Dieses Verhalten können und
rung stellt das sogenannte »Ausrufezeichen« dar. wollen wir nicht dulden. Wir möchten auch,
Nachdem die Lehrperson sich zunächst im Raum dass du in dieser Klasse und an dieser Schu-
le bleiben kannst. Daher haben wir uns zu-
vor allem dort bewegt, wo die Unruhe entsteht,
sammengetan und gemeinsame Aktionen be-
führt sie bei anhaltender Unruhe den Unterricht schlossen: Du wirst für eine Woche vom Un-
weiter, schaut die beteiligten Schüler aber nach- terricht ausgeschlossen. Täglich erhältst du
haltig mehrere Sekunden lang an. Sollte auch dies deine Hausaufgaben, indem Mitschüler oder
nicht ausreichen, bleibt sie vor den betreffenden wir Lehrkräfte dich besuchen. Wir (deine El-
Schülern stehen, unterbricht ihr Sprechen, schaut tern und wir Lehrer) wer-
den Schüler schweigend (3 Sekunden) an, spricht den mit dir Gespräche darüberführen, was
eine kurze Anweisung (z. B. »Ich erwarte ab jetzt wir von dir erwarten, damit du in die Klasse
Ruhe!«), schaut danach erneut schweigend (3 zurückkehren kannst. Wir werden uns unter-
Sekunden) und führt dann den Unterricht weiter. einander über dein Verhalten austauschen
Das Schweigen vor und nach der Mitteilung stellt und dir jeweils eine Rückmeldung geben,
das »Ausrufezeichen« dar. was wir beobachtet haben.
Die Erweiterung dieser Vorgehensweise könnte Du bist uns wichtig und wir möchten, dass du
ggf. in einer Ankündigung der Lehrkraft liegen, die in der Schule und in der Klasse bleiben
erneut mit Schweigen vor und nach der Bekannt- kannst!«
machung mit einem Ausrufezeichen betont wird:
Eine Ankündigung beginnt damit, dass sich die
»Da ich feststelle, dass trotz meiner Anwei- Erwachsenen für eine gemeinsame Vorgehens-
sungen keine Ruhe eingetreten ist, werde ich weise entscheiden, die nicht darauf zielt, Macht zu
mich mit meinen Kollegen und euren Eltern demonstrieren oder sich durch Strafen durchzu-
beraten, wohl euch auch einzeln ansprechen, setzen (Omer u. von Schlippe 2004). Dabei wird
weil mir wichtig ist, dass der Unterricht für das abgelehnte Verhalten deutlich benannt. Zu-
alle ungestört und angenehm durchgeführt gleich wird betont, wie wichtig den Beteiligten der
werden kann!« Jugendliche ist und welche eigenen Handlungs-
schritte sie unternehmen wollen, um die Situation
Die Aufgabe der Lehrperson ist nachfolgend die zu verbessern. Dies kann z. B. die Vergrößerung
Durchführung der Maßnahmen, die sie angekün- des Unterstützungsnetzwerks und der Öffentlich-
digt hat - mit der entsprechenden Rückmeldung an keit sein oder vermehrte Präsenz. Als hilfreich hat
die Schüler, welche weiteren Schritte folgen wer- sich eine ritualisierte Situation wie in diesem Fall
den. Die Stärkung der Präsenz liegt vor allem in die Klassenkonferenz erwiesen.
der Entschiedenheit und der Erweiterung des Un- Eine Grundschule verwendete in mehreren Situati-
terstützungsnetzwerks. onen und in Zusammenhang mit kritischen Ereig-
Wie oben beschrieben ist die Entscheidung für nissen den Wochenabschluss mit allen Schülern
eine entsprechende Vorgehensweise der erste und Lehrern für Ankündigungen. Das gesamte
Schritt zur Veränderung der Situation. Kollegium trat dazu gemeinsam vor die Schüler-
schaft und kündigte an, in welcher Form sie han-
deln wollten.

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Ankündigung von Lehrern weiter an dieser Schule halten und werden


alles, was uns möglich ist, tun, um euch zu
• Wir sind in Sorge um dich! schützen.
• Wir nehmen wahr: Euer Lehrerteam«
Fehlzeiten, Verweigerung, Angst, Krankheiten,
Gewalt... Die beständige aufmerksame Fürsorge des Leh-
rers und die demonstrative Anwesenheit auch
• Wir werden Folgendes machen: nach kritischen Situationen vermittelt die Botschaft,
• achten auf ... dass er für alle Schüler erreichbar ist, sich nach-
haltig für den Schutz jedes einzelnen einsetzen
• Dokumentieren ... und sich gegen vorkommende Übergriffe wenden
• Kontakt aufnehmen zu . wird. Dazu sind verschiedene Handlungen möglich
- so z. B. das Schweigende Gespräch oder das
• Informieren ...
Sit-in.
• Unterstützung holen ...
Das Schweigende Gespräch
• Protest zeigen durch ...
Das »Schweigende Gespräch« haben wir als ein-
• dich wiederholt ansprechen auf … fachere Variante entwickelt, um Sorge und Protest
gegenüber dem nicht duldbaren Verhalten auszu-
• präsent sein durch ...
drücken. Zudem wird der Schüler in seiner Ver-
• Und dich nicht zwingen! antwortung für die Gestaltung von Beziehungen
ernstgenommen. Ein oder zwei Lehrkräfte setzen
• Du bist uns wichtig! sich mit dem betroffenen Schüler bzw. der Schüle-
rin in einen ruhigen Raum, die Lehrkräfte eher im
Bereich der Tür. Sie setzen sich und nehmen da-
Der Schwerpunkt einer Ankündigung liegt nicht bei eine Haltung von Entschiedenheit und sichtba-
vorrangig darauf, das inakzeptable Verhalten ab- rem Interesse am Schüler ein. Sie leiten das Ge-
zulehnen, auch wenn dies unbedingt benannt wird. spräch mit folgenden Worten ein:
Die Ankündigung achtet darauf, die Sorge der
Lehrkräfte mitzuteilen, und macht klar, was die
Lehrpersonen im Umgang mit dem inakzeptablen »Wir wissen und akzeptieren, dass eine Ver-
Verhalten ab sofort zusätzlich, verstärkt oder an- änderung deines Verhaltens nur mit Deiner
Zustimmung möglich ist. Gleichwohl dulden
ders machen werden. Danach handeln sie ent-
wir („dein Verhalten“ - wird konkret benannt)
sprechend dieser Ankündigung. Es werden weder nicht mehr. Daher werden wir hier eine Weile
Zwang noch Forderungen ausgesprochen - es sei sitzen und schweigen. Wir warten dabei auf
denn, eine Wiedergutmachung wird eingefordert. Vorschläge von dir, was du tun willst, damit
Im Folgenden ist ein Raster zur Erstellung einer dein Verhalten und unsere Beziehung wieder
Ankündigung dargestellt. besser werden.«

Beispiel einer Ankündigung (7. Klasse einer Danach schweigen sie bis zu 3 Minuten - je nach-
Gesamtschule) dem, was sie zuvor festgelegt haben. Dabei blei-
»Wir Lehrer haben in eurer Klasse beobach- ben sie in Gesprächshaltung, aber ohne zu spre-
tet, dass einige Schüler von anderen getre- chen. Konstruktive Vorschläge greifen sie auf und
ten, geschlagen und erpresst werden. Das treffen darüber eine Vereinbarung. Provokationen
macht uns große Sorge! Wir sehen das als und unbrauchbare Vorschläge werden ignoriert.
Gewalt und werden dies auf keinen Fall in Sollte keine Vereinbarung getroffen worden sein,
dieser Klasse und an dieser Schule dulden. wird dieses Schweigende Gespräch beendet mit:
Daher werden wir Folgendes tun:
Wir werden vermehrt vor und nach dem Un- »Heute haben wir noch keine Lösung gefun-
terricht anwesend und auch in den Pausen den!«
aufmerksam sein. Wir werden, sobald uns
Verhaltensweisen auffallen, die uns Sorgen
machen, die betreffenden Schüler anspre- Entsprechend kann eine Wiederholung zu weiteren
chen, eure Eltern informieren und dann ein- Zeitpunkten mit möglicherweise unterschiedlicher
zelne weitere Schritte überlegen. Wir scheu- Beteiligung der Lehrkräfte stattfinden. Das
en auch vor Schulausschlüssen nicht zurück, Schweigende Gespräch unterscheidet sich im
um Schutz für alle zu ermöglichen. Dazu Organisationsaufwand sowie in der zeitlichen und
werden wir einen Elternabend mit euren El-
personellen Umsetzung vom Sit-in, welches um-
tern durchführen, an dem wir mit diesen das
gemeinsame Vorgehen absprechen. Alle un- fangreicher und komplexer angelegt ist.
sere Beobachtungen werden dokumentiert
und der Schulleitung, allen Kollegen, euch
und euren Eltern zur Verfügung gestellt. Wir
möchten jede und jeden Einzelnen von euch
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Das Schul-Sit-in Eltern abgesprochen werden, dass es während


des Ausschlusses zu folgenden Vereinbarungen
Dies ist ein festgelegtes Vorgehen, bei dem Lehrer
kommt:
und Pädagogen (gerne wenn möglich auch Eltern)
ihren Widerstand gegen destruktive Verhaltens- • Die Hausaufgaben müssen der Lehrkraft zur
weisen eines oder auch mehrerer Schüler zum Überprüfung vorgelegt werden.
Ausdruck bringen und sich zur Änderung der zu-
gehörigen Situation verpflichten. Dazu ist eine gute • Besuche von Lehrern oder Termine in der
Vorbereitung nötig. Eine Ankündigung wie oben Schule mit Gesprächen zur Lösung der Situati-
beschrieben ist die Voraussetzung. In einer unge- on
störten Situation setzen sich Eltern und Lehrer • Beteiligung der Schulleitung
gemeinsam mit dem Jugendlichen in einen Raum.
Sie teilen mit, gegen welches Verhalten sie sich • Teilnahme an Arbeiten in einem separaten
wenden. Möglicherweise nimmt jeder der Anwe- Raum unter Beobachtung
senden kurz Stellung zum Verhalten und zur eige- • ggf. Verlängerung des Ausschlusses bei feh-
nen Betroffenheit. Auch der Jugendliche wird be- lender Einsicht oder Ablehnung der Gesprächs-
fragt. Dann kann der Leiter des Sit-ins folgende kontakte,
Worte äußern:
• Forderung für eine Wiedergutmachung an be-
»Wir sehen, dass sich auch positive Dinge
troffene Mitschüler, Lehrkräfte und die gesamte
ereignet haben. Klasse

Heute sind wir aber wegen der genannten In ähnlicher Weise lassen sich auch Auszeit- oder
Vorfälle hier. Deswegen werden wir hier sit- Trainingsraumprojekte in das Konzept der »Neuen
zen und darauf warten, dass du Vorschläge Autorität« integrieren. Dabei ist aus unserer Sicht
machst, wie sich dieses Verhalten in Zukunft festzuhalten, dass ein vorübergehender Aus-
verhindern lässt und wie du die Verletzun- schluss keine Bestrafung darstellt und nicht vor-
gen, die du angerichtet hast, wiedergutma- rangig den Pädagogen zur Erleichterung dienen
chen kannst.« soll. Zur Selbstreflexion in Zusammenhang mit
diesen Maßnahmen hilft in der Regel die Frage:
Danach schweigen die Anwesenden eine Viertel-
stunde oder länger, ohne sich auf Diskussionen Wem dient diese Intervention gerade in ers-
oder Provokationen einzulassen. Dann werden ter Linie?
positive Lösungsvorschläge aufgegriffen und in der
Umsetzung begleitet. Sollte keine Lösung gefun-
den worden sein, stehen die Anwesenden auf, Beantwortet die Lehrkraft diese Frage mit vorran-
erklären, dass heute keine Lösung gefunden wor- gigem Blick auf sich selbst, benötigt sie Unterstüt-
den sei und sie darauf zurückkommen werden (s. zung durch das Kollegium. Vielmehr geht es um
a. Omer u. von Schlippe 2010). eine Maßnahme von Schutz, Beruhigung und De-
eskalation. Dies wiederum setzt voraus, dass die
Wenn Lehrer sich in der Schule entscheiden, in Lehrperson, die diese Maßnahme einsetzt, eben-
dieser oder ähnlicher Art eigene Präsenz und Mög- falls dafür bereitsteht, sich mit dem Schüler über
lichkeiten des Widerstands zu demonstrieren, und seine Rückkehr auszutauschen. Der Kontakt wird
dabei beharrlich im Kontakt bleiben, verändert sich nicht abgebrochen, sondern aufrechterhalten bzw.
die Qualität für alle Beteiligten. Die Lehrkraft wird wieder aufgenommen.
deutlich in der eigenen Autorität bestärkt, der be-
troffene Schüler hat eine klare Botschaft erhalten, Wir empfehlen außerdem die Dokumentation der
und die beobachtenden Schüler erleben eine durchgeführten Maßnahmen, wobei der Prozess
Handlungskompetenz, die sich auch auf ihre Ver- und die Vorgehensweisen im Rahmen der be-
haltensweisen auswirkt. Derartige Aktionen wer- troffenen bzw. notwendigen Öffentlichkeit allen
den entweder wiederholt durchgeführt oder in eine Unterstützern sowie den beteiligten Schülern
umfangreichere Strategie eingebunden. selbst zur Verfügung gestellt werden. Dabei sollten
die beschriebenen abgelehnten Verhaltensweisen
Eine weitere Möglichkeit stellt die sogenannte prä- genauso benannt werden wie auch erste beobach-
sente Suspendierung dar (notwendige vorüber- tete positive Veränderungen und andere prosozia-
gehende Schulausschlüsse bei gleichzeitig auf- le Verhaltensweisen. Diese lösungsfokussierte
rechterhaltenem Kontakt). Aus Schutzgründen Vorgehensweise betont, dass die betroffenen
kann es unerlässlich sein, dass inakzeptabel und Schüler in ihrer ganzen Person wahrgenommen
destruktiv handelnde Schüler vom Unterricht bzw. werden und dass man es ihnen zutraut, sich kon-
der Anwesenheit in der Klasse und in der Schule struktiv und sozial angemessen verhalten zu kön-
befreit werden. Allein die Abwesenheit stellt aber nen.
nach unserer Ansicht kein angemessenes päda-
gogisches Mittel zu Veränderung dar. So könnte in
einer entsprechenden Klassenkonferenz mit den

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Handlungsaspekt: Beziehungsgesten und Wiedergutmachung


Wenn, wie oben beschrieben, Lehrer vor allem dann als Autorität wahrgenommen werden, wenn sie persön-
lich erfahrbar werden bzw. ein freundlicher und respektvoller Umgang möglich ist, erscheint es sinnvoll, die-
se Haltung mit entsprechenden Gesten zu zeigen (Omer u. von Schlippe 2004). Dies können kleine freundli-
che Bemerkungen oder Gesten sein, die an keine Bedingungen geknüpft sind und weitgehend unabhängig
vom Verhalten des Schülers gemacht werden. Einzelgespräche in außerschulischen Kontexten oder Besu-
che der Lehrer bei den betroffenen Jugendlichen zu Hause können ebenfalls hilfreich sein. »Die Zeit, die ich
in die Beziehungsgestaltung investiert habe, habe ich später im Unterricht um ein Mehrfaches wieder aufho-
len können, weil viel weniger Störungen bzw. Probleme zu klären waren«, berichtete eine Lehrerin.
Der Lehrer ist leitender Repräsentant der Gesell- Wenn dieser Prozess noch mit sehr viel Gegen-
schaft, in der die destruktiven Verhaltensweisen wehr behaftet ist, dann eignen sich das »Schwei-
stattgefunden haben. Jemand, der auf eine negativ gende Gespräch« oder das »Sit-in«, um mehr
bewertete Art und Weise Regeln dieser Gemein- Nachhaltigkeit zu erwirken. Auch die Erweiterung
schaft verletzt, stellt sich damit nicht nur gegen des Netzwerks ist in der Regel sehr hilfreich.
einzelne Personen, sondern auch an den Rand
Ebenso kann auch eine zwischenzeitliche stellver-
dieses Gesellschaftssystems. Öffentliche Wieder-
tretende Wiedergutmachungsgeste förderlich sein.
gutmachung bietet dem betroffenen Schüler die
Dabei übernehmen die verantwortlichen Erwach-
Möglichkeit der Reintegration in diese Gesell-
senen die Durchführung einer Geste. Dadurch
schaft, stellt die Würde der betroffenen Opfer wie-
sehen die Geschädigten, dass der Prozess noch
der her, verbessert die Klassenatmosphäre und
aufrechterhalten wird, und die zuvor Schädigenden
stärkt die Autorität des Lehrers.
bekommen mit, dass die Erwachsenen hi der For-
Während bei der traditionellen Autorität davon derung nach einer Wiedergutmachungsleistung
ausgegangen wurde, dass ein »Täter« intensive nicht nachlassen werden.
Reue zeigen müsse, sich danach »ehrlich« ent-
(2) Als sichtbare Wiedergutmachung vollführt man
schuldigen, den Schaden »reparieren« und sich
eine Geste des guten Willens zugunsten der Ge-
einer Strafe unterziehen müsse, meint man mit
schädigten. Es soll etwas Konkretes sein, damit
Wiedergutmachung etwas anderes. Der Lehrer
am Ende für alle ein gutes Gefühl spürbar bleibt.
wendet sich als Repräsentant eines Unterstüt-
Dabei ist es wichtig, auf die Fähigkeiten und Talen-
zungsnetzwerks an den Schüler. Dieses Unterstüt-
te der Beteiligten zu achten.
zungsnetzwerk bietet dem betroffenen Schüler
Hilfe dabei an, eine entsprechende Wiedergutma- Omer und von Schlippe (2010) sehen in Wieder-
chungsgeste zu leisten. gutmachungen eine wertvolle Alternative zu Stra-
fen. »Im Gegensatz zur Bestrafung, deren Ziel
In dieser Anleitung werden zwei Aspekte beson-
Vergeltung und Abschreckung ist, besteht das Ziel
ders fokussiert:
der Wiedergutmachung darin, die Verinnerlichung
(1) Gemeinsam mit dem Schüler wird ein Bericht der Wertvorstellung gegen Gewalt zu fördern«
bzw. ein Brief verfasst, in dem er das, was er ge- (ebd., S. 268). An der Umsetzung sind zudem alle
tan hat, darlegt und dieses Verhalten bedauert. beteiligt, die zum gesellschaftlichen System gehö-
Dieser Schritt ist Voraussetzung für den zweiten ren: Lehrer, Eltern, »Täter« und »Opfer« sowie das
Schritt, die sichtbare Geste. weitere Umfeld der Schüler.

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Leitfaden zum Konzept der »Neuen Autorität«


• Wer oder was braucht Schutz?
• Wer oder was eskaliert? Wie hoch ist die Eskalation einzuschätzen? Was kann dazu beitragen, die Situa-
tion kurzfristig zu deeskalieren?
• Um welche Verhaltensweisen geht es ganz genau? Welches Verhalten kann nicht mehr geduldet wer-
den?
• Welche Bedürfnisse/Motivationen stehen hinter dem gezeigten Verhalten?
• Wie wirkt sich dies auf die Präsenz der beteiligten Erziehungsverantwortlichen aus?
• Welche Interventionen sind auf welchen Ebenen erforderlich, um Präsenz (wieder-)herzustellen (Hand-
lungsaspekte)?
• Was ist der nächste Schritt? Auch wenn er noch so klein ist ...

In unserem Vorgehen orientieren wir uns an diesem Leitfaden. Aus unserer Sicht kann man für jeden Fall
und jede Situation das Vorgehen daraus ableiten.
Wer oder was braucht Schutz? Grundsätzlich greifen zunächst die Maßnahmen
aus dem Handlungsaspekt Selbstkontrol-
Zunächst ist vor jeder weiteren Vorgehensweise zu
le/Deeskalation.
prüfen, ob es jemanden oder etwas gibt, der bzw.
das geschützt werden muss, bzw. ob es jemanden Für eine Eskalation in der Beziehungsdynamik
gibt, der durch weitere Handlungen möglicher- bzw. beim Schüler kann man gemäß der Wach-
weise in Gefahr geraten könnte. Auch darf der samen Sorge vorgehen.
Handelnde selbst nicht in persönliche Gefahr
In jedem Fall sollen vor nachhaltigen Maßnahmen
kommen.
zur Veränderung zunächst Schritte eingerichtet
Um Personen zu schützen kann es erforderlich werden, die es den Beteiligten möglich machen,
sein, vorübergehend Maßnahmen der Beruhigung reflektiert und lösungsfokussiert vorzugehen.
und Deeskalation zu ergreifen: Beruhigungsecke,
Um welches Verhalten geht es ganz genau?
separate angrenzende Räume, Beaufsichtigung in
Welches Verhalten kann nicht mehr geduldet
anderen Klassen oder Räumen, auch Schulin-
werden?
sel/Trainingsräume, Entlassungen nach Hause ...
Dann stellt sich die Frage, um welche Verhaltens-
Die orientierende Frage bleibt:
weisen und -muster es denn im Besonderen geht.
Wem oder wozu dient meine Intervention? Dabei gilt es, unabhängig von der Bewertung le-
diglich die Verhaltensweisen zu benennen. An
Ziel der Maßnahme soll die Deeskalation und Be-
dieser Stelle empfehlen wir, das auch explizit zu
ruhigung sein - in dem Maße, wie es erforderlich
tun. Denn wenn wir über Verhaltensweisen und -
ist, um nach möglichst kurzer Zeit wieder Kontakt
muster sprechen, reden wir nicht über eine Person
und Beziehung aufzunehmen. Auch das Öffent-
oder Gruppe. Dadurch können wir eine differen-
lichmachen ist eine Maßnahme zum Schutz, da mit
zierte Sicht auf die Persönlichkeiten und auch die
größerer Öffentlichkeit auch das Maß der allge-
positiven Eigenschaften der Betroffenen einneh-
meinen Aufmerksamkeit steigt.
men.
Neben Personen können möglicherweise auch
Zudem erlaubt uns das Sprechen über beobachte-
Gegenstände oder Werte zu schützen sein. Dies
te Verhaltensweisen einen größeren Spielraum an
wird ebenfalls am ehesten durch eine öffentliche
Veränderungsoptionen, da Personen selbst be-
Bekanntmachung erreicht.
kanntlich wenig bis gar nicht beeinflussbar sind.
Wer oder was eskaliert? Wie hoch ist die Eska- Wie das Konzept der »Neuen Autorität« geht auch
lation einzuschätzen? Was kann dazu beitra- die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall
gen, die Situation kurzfristig zu deeskalieren? Rosenberg (u. a. 2012, 2011, 2004) davon aus,
dass die Formulierung von beobachtbaren Verhal-
Diese Frage hängt eng mit der ersten zusammen, tensweisen Veränderungen eher möglich macht,
da Schutzmaßnahmen in jedem Fall deeskalierend da dies weniger als Angriff, sondern eher als Be-
wirken. Wie weiter oben schon näher beschrieben obachtung wahrgenommen wird. Die Bereitschaft
kann eine Eskalation an 3 Stellen entstehen: in der zur Veränderung erhöht sich somit.
Lehrperson selbst, in der Beziehungsdynamik
und/oder im System. Je nach Ausmaß der Eskala- In der Regel ist es an dieser Stelle notwendig zu
tion entscheidet sich die Intensität der nächsten entscheiden, welche der manchmal zahlreichen
Schritte. nichtakzeptablen bzw. besorgniserregenden Ver-

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haltensweisen eine Form des Widerstands oder Welche Interventionen sind aufweichen Ebe-
eine Intervention benötigt. Da nicht alle Verhal- nen erforderlich, um Präsenz (wieder-) herzu-
tensweisen gleichzeitig bearbeitet werden können, stellen (Handlungsaspekte)?
ist dies auch ein Selbstschutz vor Überforderung.
Betrachten wir die beobachtbaren Verhaltenswei-
Gleichwohl hat sich gezeigt, dass die Vorgehens-
sen, erleben wir daraufhin, an welcher Stelle die
weise nach dem gewaltlosen Widerstand gegen-
Präsenz der Lehrer geschwächt ist. Dies können
über einer einzelnen Verhaltensweise auch Verän-
wir insbesondere durch die Gedanken und Gefühle
derungen bei anderen mit sich bringt.
der Betroffenen feststellen. Die Frage ist dann,
Welche Bedürfnisse/Motivationen stehen hin- was die Präsenz dieser verantwortlich handelnden
ter dem gezeigten Verhalten? Personen wieder stärken kann.
In vielen Fällen wird uns schnell sichtbar, welches Alle notwendigen Maßnahmen zielen nicht primär
Bedürfnis oder welche Motivation hinter der wahr- auf Veränderungen des Schülers. Es geht um die
genommenen Verhaltensweise liegt. Dies kann Stärkung der Erziehungsverantwortlichen, die auf-
man bei der Vorgehensweise entsprechend be- grund ihrer gestärkten Präsenz ihren Handlungs-
rücksichtigen. Unabhängig davon sollten der eige- rahmen so gestalten können, dass das nicht ge-
ne Protest bzw. die eindeutige Selbstaussage in duldete Schülerhandeln weniger sinnvoll bzw. nicht
Bezug auf das Verhalten dadurch nicht geschmä- mehr wirksam wird, sich also infolgedessen wahr-
lert werden. Allerdings wissen wir aus Erfahrung, scheinlich verändert.
dass bedürfnisbezogene Angebote eher deeskalie-
Was ist der nächste Schritt? Auch wenn er
rend wirken und einfacher anzunehmen sind. Im
Muster einer symmetrischen Eskalation ist die
noch so klein ist...
Erwartungshaltung geprägt von der Annahme, Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich
dass die Reaktion der anderen Seite eine erneut möglicherweise ein Vorgehen in einzelnen Schrit-
eskalierende und auf den Sieg ausgerichtete sein ten oder auch zunächst nur ein kleiner nächster
muss. Ein Angebot an das vermutete Bedürfnis Schritt. Wie dieser aussieht, entscheidet letztlich
gehört insofern nicht in das erwartete Muster und die Lehrperson oder die Lehrergruppe, die sich
verwirrt eher - dies spart etwas Energie, wenn man zum Handeln entschlossen hat.
somit nicht mehr im gleichen Muster reagieren
muss. Zentral aus unserer Sicht bleibt: Es sollte in jedem
Fall ein sichtbarer Schritt folgen, der auch im Be-
Wie wirkt sich dies auf die Präsenz der betei- obachterkreis öffentlich gemacht wird. Dies mar-
ligten Erziehungsverantwortlichen aus? kiert die Übernahme der Verantwortung und klärt
die Situation für alle Beteiligten.
Handlungsweisen anderer Menschen wirken sich
auf die Wirksamkeit von Lehrkräften und Pädago- Dieser Leitfaden dient als Orientierungshilfe. Für
gen in der Schule aus. Sollten diese feststellen, die Umsetzung benötigen Sie aber möglicherweise
dass es ein Problem gibt, dem es zu begegnen noch weitergehende Hilfestellungen. Auf unserer
gilt, dann wird es eine oder mehrere Dimensionen Homepage finden Sie weitere Informationen und
der Präsenz geben, die geschwächt bzw. betroffen Arbeitsmaterialien:
sind. Es gilt also zu überprüfen, ob es im Bereich
der physischen Präsenz, der pragmatischen Prä- www.neueautoritaet.de
senz, der intentionalen oder emotional-
moralischen Präsenz, der internalen oder der sys-
temischen Präsenz Handlungsbedarf zur Stärkung
gibt. Sind alle Präsenzdimensionen funktional
wirksam, wird das, was Schulpädagogen beobach-
ten, kein Problem darstellen. Ein Problem entsteht
aus systemischer Perspektive dadurch, dass wir
eine Situation bzw. ein Verhalten als problematisch
bewerten. Es wird also erst durch die eigene Per-
spektive (sprich: Präsenzsituation) zu einem Prob-
lem. Entsprechend benötigen die Lehrkräfte und Quelle:
Pädagogen dort eine Stärkung, wo sie glauben, Martin Lemme & Bruno Körner:
dass das Problem eben ein solches ist.
»Neue Autorität« in der Schule
Wenn deutlich geworden ist, an welcher Stelle die
Präsenz zu stärken ist, dann ergeben sich die Präsenz und Beziehung im Schulalltag
nächsten notwendigen Schritte. Carl-Auer-Systeme Verlag 2016
ISBN 978-3-8497-0146-8

neue autorität in der schule.docx

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