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#metoo & what to do?

Vom Hashtag zum Handeln

#metoo war das überraschendste Phänomen 2017/18, allerdings nur, wenn man die
Augen vor den Signalen verschlossen hatte, die unübersehbar daraufhin deuteten,
dass die Zeit reif war für eine grundlegende Auseinandersetzung - oder auf gut
Denglisch #timesup. Schon zuvor prangerten #aufschrei und andere Hashtags
Übergriffe und Alltagssexismus an. Doch während die Debatte in den sozialen
Medien bereits tobte, fragten die traditionellen Medien überrascht: Was ist
Sexismus? Und wenn ja, gibt es ihn überhaupt noch? Es brauchte #metoo mit
seinem Hollywood-Staraufgebot, um die letzten Zweifel zu beseitigen. Wenn sogar
schöne, berühmte Frauen, deren Namen weltweit bekannt waren, berichteten, dass
sie von mächtigen Männern wie dem Filmproduzenten Harvey Weinstein, sexuell
unter Druck gesetzt wurden, war hier ein Problem, dem man sich stellen musste.
Und nachdem der erste Weinstein geworfen war, ließen sich die Enthüllungen nicht
mehr stoppen. Schnell beschränkten sich die Vorwürfe nicht mehr auf die
Übergriffe in Hollywood: Im Europaparlament, im Britischen Unterhaus, im
deutschen Rundfunk und quer durch die Gesellschaft wurde über sexuelle
Grenzüberschreitungen und Sexismus diskutiert.

Keine Aufklärungskampagne für sozial angemessenes Verhalten hätte so


breitenwirksam sein können wie #metoo. „Denk an Weinstein“ wurde ein
kulturelles Kürzel dafür, wenn sexuelle Grenzen überschritten werden. Galten
Menschen, die sich beschwerten, vorher als Spaßbremsen, wurden sie plötzlich
ernst genommen und konnten – so das neue Versprechen - ihre Erfahrungen in der
Gewissheit teilen, dass ihnen mit Empathie und Offenheit zugehört wird. Das ist
ein Paradigmenwechsel, der nicht hoch genug bewertet werden kann. Denn bis
dahin war gerade das Sprechen über erfahrene Grenzüberschreitungen häufig eine
1
Quelle erneuter Verletzungen – durch die Stigmatisierung der Opfer aber oft auch
schlicht durch die Hilflosigkeit der Zuhörenden. Es gab keinen gesellschaftlichen
Ort, um diese Erfahrungen zu teilen und gemeinsam darum zu trauern. Und #metoo
machte deutlich, wie groß das Bedürfnis danach war.

Die schiere Masse der Geschichten, die so lange nicht geteilt worden waren und
jetzt hochgespült wurden, erzeugte kurzfristig den Eindruck, sexuelle Übergriffe
wären massiv angestiegen – obwohl die Zahlen rückläufig sind (noch immer zu
hoch, aber deutlich sinken). Und die (Arbeits)Welt sei ein gefährlicher Ort für
Frauen - obwohl nach wie vor die meisten Übergriffe eben nicht auf dem
Arbeitsplatz stattfinden. Doch entstand dadurch der Druck, etwas strukturell zu
unternehmen. Die Medienbranche richtete zusammen mit den staatlichen Theatern
und Orchestern eine unabhängige Vertrauenstelle gegen sexuelle Belästigung ein;
das Europaparlament berät über eine unabhängige Untersuchung; und allgemein
keimt das Bewusstsein, dass man nicht erst bei Übergriffen aktiv werden, sondern
insgesamt über Führungsstil und gesundes Arbeitsklima auch in „den Künsten“
nachdenken sollte. Allerdings wies Sheryl Sandberg, die Geschäftsführerin von
Facebook, auch darauf hin, dass amerikanische Firmen aus Angst vor Klagen
anfingen, weniger Frauen einzustellen, und warnte: „Die Arbeitswelt
frauenfreundlicher zu gestalten, bedeutet nicht nur, sie nicht sexuell zu belästigen,
sondern auch sie nicht zu isolieren oder zu ignorieren.“1

Vor allem in Amerika aber auch in Deutschland, mehrten sich Berichte von
Professoren, Dozenten und Lehrern, die ihre Bürotür bei Sprechstunden mit
Studentinnen oder Schülerinnen offen ließen, um sich vor möglichen Vorwürfen zu
schützen oder auch, um den jungen Frauen ein größeres Gefühl von Sicherheit zu
vermitteln. Es bleibt zu beobachten, ob sich hier eine Tendenz abzeichnet. Doch
liegen dem Geschlechterbilder zu Grunde, die vorsichtig ausgedrückt
1
Sheryl Sandberg auf Facebook 3.12.2017, 15:13 Uhr
2
stockkonservativ sind. Und diese Rollen werden mit bestem Wissen und Gewissen
weiter reproduziert. So erzählte eine Anruferin in einer Call-in Sendung im
Deutschlandfunk, wie sie beim Joggen von einem Mann angegriffen worden war;
Sie bog den kleinen Finger der Hand, die er ihr über den Mund gelegt hatte, nach
außen und schrie um Hilfe; Daraufhin ergriff der Angreifer die Flucht. Der
Moderator sagte einfühlsam: „Das muss ja sehr traumatisch gewesen sein.“2
Warum gratulierte er ihr statt dessen nicht dafür, dass sie sich erfolgreich gewehrt
hatte? Wenn man der Berichterstattung glauben kann, sind Männer aktiv und
gefährlich und Frauen passiv und wehrlos und andere Geschlechter gibt es in der
Debatte nahezu nicht, obwohl wir wissen, dass trans Menschen die Gruppe mit dem
höchsten Risiko sind, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden. Für eine Debatte
über Sexismus reproduziert #metoo ganz schön sexistische Geschlechterbilder.

Doch was ist Sexismus? Ist es das sexuelle Belästigen von Frauen? Ist es, wenn

man Frauen auf Grund ihres Geschlechts benachteiligt? Oder wenn man Menschen

auf Grund ihres Geschlechts benachteiligt? Oder auch nur unterschiedlich

behandelt? Alle diese Definitionen werden verwendet und häufig auch miteinander

vermischt. Deshalb ist die nützlichste Definition: „Sexismus ist, von anderen zu

erwarten/verlangen, dass sie Geschlechternormen verkörpern.“3 In diesem Sinne

hat #metoo ein Sexismusproblem. Das liegt jedoch nicht an #metoo, sondern daran,

dass das die einzigen Sprachmuster sind, die wir haben, sobald es um sexualisierte

Gewalt geht. Als Ergebnis operieren wir mit eben jenen Geschlechterbildern, die

2
vgl #MeToo – Was muss sich ändern? Auf Deutschlandfunk 18.11.2017
3
Eva Fels und Dagmar Fink: Was ist Sexismus? Impulsreferat zum Workshop „Was ist Sexismus? Was haben
feministische Strategien mit Transgender-Politiken zu tun?“ 02.02.2002 Transkript auf:
http://gendertalk,transgender.at/sexismus.htm
3
wir verändern wollen. Und Schweigen ist keine Lösung. Es führt kein Weg zurück,

aber alle Wege nach vorne sind mit Altlasten übersäht. Wie wichtig die

Veränderung dieser Denkmuster ist, zeigt eine Studie der Psychologinnen Jenifer

Jewell und Christia Brown, die nachweist, dass Menschen umso eher sexuell

übergriffig werden, je stereotyper ihre Rollenbilder sind.4

Der Vorteil von #metoo ist, dass die Debatte inzwischen so lange anhält, dass sie

die Zeit und den Raum hat, sich zu entwickeln und zu vertiefen. Im Oktober 2017

erklärte Gero von Randow noch in der ZEIT, männliche Vergewaltigungsopfer, die

#metoo tweeteten hätten „nichts begriffen”, da es bei dem hashtag um „das

Patriarchat“ ginge, also “eine spezifische Gewalt gegen Frauen, die System hat.

Männer fallen ihr nicht zum Opfer.”5 Spätestens seit den Vorwürfen gegen die

Schauspielerin Asia Argento, ihren damals 17jährigen Co-Star Jimmy Bennett zu

Sex gezwungen zu haben, änderte sich der Umgang mit männlichen Opfern.

„#metoo ist für alle von uns, inklusive der mutigen jungen Männer, die jetzt ihre

Geschichten erzählen,“ 6 tweetete Tarana Burke, die Begründerin des Hashtags, im

August 2018. Und sogar, wenn sie nicht Opfer von sexueller Gewalt werden,

können Männer Opfer von Sexismus sein, denn Männer haben auch ein Geschlecht.
4
vgl. Jennifer Jewell und Christia Spears Brown: All My Friends Are Doing It: Potentially Offensive Sexual
Behavior Within Adolescent Social Networks. In: Journal of Research on Adolescence: Juni 2014
5
Gero von Randow: Ich auch? Ich auch. „Spezifische Gewalt gegen Frauen, die System hat“ in DIE ZEIT
18.10.2017
6
zitiert nach Sandra Gonzales: #metoo founder Tarana Burke says ‚there is no model survivor‘ after Asia Argento
report. Auf CNN 21.08.2018
4
Die Anklagen gegen Asia Argento erschütterten die Öffentlichkeit noch aus einem

weiteren Grund, war Argento doch eine der ersten und lautesten Anklägerinnen

Weinsteins. Nach den ursprünglichen Entlassungswellen in Hollywood begannen

nun die ersten Come-backs anzurollen. Außerdem zeichnete sich mit den Anklagen

gegen den Juristen Brett Kavanaugh ab, dass #metoo zwar Hollywoodstars und

Produzenten entthronen mochte, nicht aber eine Ernennung zum Richter am

obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten verhindern konnte. Ist #metoo also

gescheitert? Keineswegs. Doch ist die Aufgabe eine Komplexe. Alle Studien zu

sexualisierter Gewalt zeigen, dass höhere Strafen nicht zu weniger Straftaten

führen. Dann müsste Saudi Arabien das frauenfreundlichste Land sein, dort steht

auf Vergewaltigung die Todesstrafe. Was ist also erfolgreiche Prävention?

Schließlich werden durch Artikel 12 der Istanbul-Konvention, die Deutschland

auch unter dem Druck von #metoo seit dem 1.2.2018 ratifiziert hat,

Präventionsmaßnahmen jetzt verpflichtend. Die Antwort darauf ist vielfältig. Sie

reicht von Gendertrainigs für Kindergärten – und zwar nicht für die Kinder,

sondern für die Erzieherinnen und Erzieher, damit sie ihre Schutzbefohlenen nicht

in Geschlechterschubladen stecken, à la: die Mädchen spielen mit den pinken

Puppen und die Jungs gehen Fußballbolzen (und auch dazu gibt es erschöpfende

Studien: Menschen überschätzen ihre Fähigkeit, die Geschlechter gleich zu

5
behandeln) – zu Trainings in gewaltfreier Kommunikation nach Marshall B.

Rosenberg für Politiker*innen. Auch ist es höchste Zeit für eine eingehende

Reflexion von Macht, so gibt es inzwischen zahlreiche Hinweise darauf, dass

Macht detrimentale Auswirkungen auf das Gehirn hat und beispielsweise die

Fähigkeit Empathie zu empfinden nachhaltig schädigt.7 Doch ist Empathie der

Schlüssel zu einer konsensuellen Sexualität.

Eine vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebene Studie von Liz Kelly und

Nicola Sharp-Jeffs fand heraus, dass eine der unmittelbar wirksamsten

Präventionen feministische Selbstbehauptung ist, da Feministische

Selbstbehauptung (oder WenDo) zu den wenigen Trainings gehört, die auf

Empowerment setzen, und eben nicht darauf Frauen zu „beschützen“ (und damit

zumindest zu einem Teil zu entmündigen). Nur um Missverständnissen

vorzubeugen: Es geht nicht darum, dass sich Menschen nur gut genug wehren

sollen, damit ihnen nichts passiert (und ansonsten halt selbst schuld sind.), sondern,

dass wir in einer Gesellschaft aufwachsen, in der wir lernen, „keinen Ärger zu

machen“, „freundlich zu sein“, „nicht so kompliziert zu sein“. In WenDo Kursen

lernen die Teilnehmerinnen, sich das Recht auf die eigenen Grenzen zurück zu

nehmen. Selbstverteidigung beginnt im Kopf und nicht in den Muskeln. Denn viele

7
vergleiche Jerry Useem: Power Causes Brain Damage. In: The Atlantic Juli/August 2017
6
der Fälle, die in der Öffentlichkeit heiß und kontrovers verhandelt wurden - wie die

Vorwürde gegen den Comedian Lewis C. K. oder den Schauspieler Aziz Ansari –

drehten sich darum, dass Menschen eben nicht in der Lage waren, nein zu sagen,

obwohl sie eine Situation eindeutig als übergriffig empfanden. Die Kommentare

spalteten sich dazu in der Regel in zwei Lager: Es war ihre Schuld (soll sie sich

doch ein Rückrat wachsen lassen) versus es war seine Schuld (hätte er doch ihre

Gedanken gelesen). Dabei gibt es strukturelle Gründe, warum Menschen nicht nein

sagen können. Und damit muss auch strukturell umgegangen werden.

Obligatorische WenDo-Kurse an Schulen könnten so eine strukturelle Intervention

sein. Allerdings richten sich WenDo-Kurse bisher nur an Mädchen und Frauen und

es bräuchte ein Äquivalent für alle anderen Geschlechter. Und zwar ein echtes

Äquivalent und nicht einen Kurs, in dem Jungs lernen, mit Mädchen respektvoll

umzugehen, sondern dass auch ihre eigenen Grenzen respektiert werden müssen.

Und nebenbei: Es ist viel leichter, auf die Grenzen anderer zu achten, wenn man

selber welche haben darf.

Schweden geht noch einen Schritt weiter und hat das Sexualstrafrecht im August

2018 dergestalt geändert, dass es nun ein explizites Ja zu Sex geben muss,

ansonsten ist es kein Sex, sondern eine Vergewaltigung. Die deutsche Presse

7
reagierte entsetzt bis zynisch: „Sterben jetzt die Schweden aus?“8 Als wäre es

absurd, dass man Sex nur mit Menschen teilen sollte, die das ebenfalls aktiv

wollen. Doch wiesen die Entgleisungen der Presse auf ein tieferliegendes Problem

hin. So schrieb Focus, dass Männer jetzt ihre Partnerinnen vorher um Erlaubnis

fragen müssen (ursprünglich stand in dem Artikel sogar „schriftlich um Erlaubnis

fragen“, was nachträglich korrigiert wurde). Dabei ist das schwedische Gesetz

geschlechtsneutral formuliert: beide - oder wenn es mehr sind: alle - müssen

zustimmen. Allerdings gehen wir noch immer mit der Vorstellung an sexuelle

Interaktionen heran, dass Männer die Bittsteller sind und Frauen diejenigen, die

Sex gewähren oder verweigern. Entsprechend werden sich diese Vorstellungen,

wenn sich nicht aktiv mitreflektiert werden, auch auf die Auslegung des Gesetzes

auswirken.

Dabei geht es nicht darum, Frauen vor Sex zu beschützen, sondern um sexuelle
Selbstbestimmung für alle. Frauen sind keine zarten, zerbrechlichen Wesen und
Männer keine selbst- und sexsüchtigen Klötze. Also sollten wir auch nicht so über
sie reden. Alle Geschlechter - und inzwischen gibt es in Deutschland drei davon! –
können zart und selbstsüchtig sein, zerbrechlich und ignorant und geil und
desinteressiert und noch viel mehr sein. Und wir alle müssen miteinander umgehen,
als wären wir Menschen, und nicht Vertreter der Spezies „anderes Geschlecht“.
Das ist der allererste Schritt in einer Sexismusdebatte.

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Kolumne zu der Debatte von Margarete Stokowski: Sterben jetzt die Schweden aus? In Spiegel Online 26.12.2017
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