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Teil II Lehren
Nach dem Lernen nun zum Lehren. Ist es che, aber nicht beliebige Vorgehenswei-
berhaupt notwendig, dass wir uns ei- sen und Prinzipien beschrieben und hin-
gens mit dem Lehren befassen? Und sichtlich ihrer Wirksamkeit beurteilt. Die
wenn ja, weshalb dann in dieser Reihen- Darstellung der Lehrmethoden und In-
folge? Geht das Lehren nicht eigentlich struktionsmodelle sttzt sich dabei auf
dem Lernen voran und setzt dieses ber- Ergebnisse der empirischen Lehr-Lern-
haupt erst in Gang? Oder gelingt Lehren Forschung. Insofern ist sie deskriptiv und
seinerseits nur, wenn die Gesetzmßig- nicht normativ-prskriptiv im Sinne einer
keiten des Lernens zuvor bekannt sind Methodenempfehlung fr die Unter-
und sich die Lehrttigkeit daran orien- richtspraxis zu verstehen.
tiert? Im siebten Kapitel werden Rahmenbe-
Das Auslçsen und Optimieren von Lern- dingungen des Lehrens im institutionel-
prozessen ist das Ziel des Lehrens, inso- len Kontext betrachtet. Die Konzentra-
weit ist es dem Lernen zweckrational vor- tion auf den schulischen Unterricht
und untergeordnet zugleich. Im zweiten kennzeichnet zugleich die besonderen
Teil dieses Buches geht es um das kom- gesellschaftlichen Erwartungen, die seit
plexe Zusammenspiel von Lehren und jeher an die Pdagogische Psychologie
Lernen. Er ist in die vier Kapitel 5 bis 8 ge- herangetragen werden: einen Beitrag
gliedert: zur Verbesserung von Bildung und Erzie-
hung zu leisten. Auch außerhalb und un-
5 Auffassungen ber Lehren, abhngig von der Lehrttigkeit gibt es
6 Erfolgreiches Lehren als Aufbau von Bedingungen, die das schulische Lernen
Wissen und Kçnnen, beeinflussen. Schulischer Lernerfolg
7 Rahmenbedingungen des Lehrens, hngt deshalb nicht nur von den unter-
8 Besonderheiten des Lehrens. richtlichen Lehrttigkeiten ab.
Spezielle Aspekte des Lehrens werden im
Im fnften Kapitel werden begriffliche achten Kapitel behandelt. Sie betreffen
Klrungen vorgenommen und histori- vor allem adaptive Maßnahmen der be-
sche Entwicklungslinien nachgezeichnet, sonderen Behandlung von Teilgruppen
die zu den gegenwrtigen Auffassungen von Lernenden und die Fçrderung von
von Lehren gefhrt haben. Dabei wird individuellen Lernvoraussetzungen.
Lehren in einer ersten Annherung als di-
daktisches – theoretisch begrndbares – Lehren lernen. Burrhus Frederic Skinner,
Handeln betrachtet, mit dem Ziel, das der bereits erwhnte einflussreiche und
Lernen zu fçrdern. streitbare Lerntheoretiker des 20. Jahr-
Im sechsten Kapitel wird unter dieser Pr- hunderts, hat 1954 eine kleine Schrift mit
misse nach Bedingungen erfolgreichen dem Titel »Die Wissenschaft vom Lernen
Lehrens gefragt. Es werden unterschiedli- und die Kunst des Lehrens« verçffent-
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Teil II Lehren
gisch zu begrnden und als didaktische Die Herausforderungen und Probleme der
Kernprozesse mit Blick auf ihre prakti- pdagogischen Praxis sind vielfltig und
sche Anwendbarkeit im Unterricht den sie sind dringlich. Der alte Wunsch nach
angehenden Lehrer(inne)n einbend zu pdagogisch relevanten Theorien des Leh-
vermitteln (vgl. Kap. 5.2). rens und Lernens ist deshalb nur allzu ver-
stndlich. Richard Mayer sieht hierfr im
Theorie einer Praxis. Die Frage, was gute
kognitionspsychologischen Paradigma
Lehre ausmacht und auf welche Weise
aus erkenntnistheoretischer Sicht eine
unterrichtliches Handeln den Wissens-
gnstige Ausgangslage gegeben. Es sei
fortschritt der Lernenden begnstigen
nmlich ein besonderer Reiz und ein bei-
kann, ist so alt wie die Schule selbst. Die
derseitiger Vorteil, wenn Kognition und
im sechsten Kapitel vorgestellten Metho-
Instruktion, Lernen und Lehren, Psycholo-
den und Prinzipien erfolgreicher Lehre
gie und Pdagogik unter dem Dach einer
reprsentieren den Ertrag einer anwen-
kognitiven Pdagogischen Psychologie
dungsorientierten, aber nicht vornehm-
zusammenfnden, um eine solche Theo-
lich der Anwendung verpflichteten Pda-
rienbildung voranzutreiben:
gogischen Psychologie. Wir sehen die
Aufgabe der Pdagogischen Psychologie Kurz gesagt sind Psychologie und Pdagogik
vor allem darin, die Theorie-Praxis-Br- von beiderseitigem Nutzen. Zur Rolle der
Psychologie in der Pdagogik ist zu sagen,
cke fr beide Seiten begehbar zu ma-
dass es nichts Ntzlicheres fr die Praxis gibt
chen. Erst wenn das im besten Sinne als eine gute Theorie. Zur Rolle der Pdago-
theoretische Wissen ber Lernen und In- gik in der Psychologie ist zu sagen, dass es
struktionsmethoden fr die unterrichts- nichts Ntzlicheres fr die Theoriebildung
praktische Arbeit der Lehrenden hand- gibt als ein gutes praktisches Problem. (May-
lungsleitend geworden ist, ist die eine er, 2001, S. 87)
Hlfte des Weges zurckgelegt. Und erst Am Mangel an »guten praktischen Pro-
wenn die unterrichtspraktische Kompe- blemen« im Bereich des Unterrichtens
tenz der Lehrenden, das tatschliche Leh- und Erziehens sollte Mayers visionrer
rerhandeln und die Komplexitt des Ausblick jedenfalls nicht scheitern. Es
Lehr-Lern-Geschehens als Forschungsthe- gibt genug davon.
men in der empirischen Lehr-Lern-For-
schung fest etabliert sind, ist auch die an-
dere Hlfte begangen.
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Lehrens – wie sie sich aus den Befunden dagogischen Psychologie. Sie beziehen
der empirischen Lehr-Lern-Forschung allgemein- und entwicklungspsycholo-
destillieren lassen – beschrieben. Dabei gische Erkenntnisse ber Lernen und
wird auch auf Gemeinsamkeiten unter- Entwicklung mit ein. In Teil I ist auf die
schiedlicher Theorienfamilien verwiesen. neurowissenschaftlichen Beitrge hinge-
Nicht eigens behandelt wird die neuer- wiesen worden, die unser Verstndnis
dings unter dem Schlagwort »Neurodi- kognitiver Prozesse und Strukturen berei-
daktik« verschiedentlich plakativ dis- chert haben. Neuropdagogische Einsich-
kutierte Thematik (Hther, 2004; Spitzer, ten, die ber das in der pdagogisch-
2004). Die in diesem Lehrbuch vor- psychologischen Modellbildung bereits
gestellten Instruktionsmodelle und Lehr- Bekannte hinausgingen, vermçgen wir
methoden stehen in der Tradition der derzeit (noch) nicht zu erkennen.
empirischen Lehr-Lern-Forschung der P-
Orientierungsfragen
. Wie hngen Lernen und Lehren miteinander zusammen?
. Was folgt aus dem INVO-Modell des Lernens fr das Lehren?
. Muss man zwischen Lehren und Instruktion unterscheiden? Was versteht man ei-
gentlich unter Didaktik?
. Kann man Lehren berhaupt im Voraus planen? Ist die Außensteuerung von
Lernprozessen mçglich oder gar notwendig?
. Kann man Lehren lernen?
Teil II Lehren
Teil II Lehren
Definition: Konstruktivismus
Der Begriff wird in ganz unterschiedlichen Zusammenhngen, in unterschiedlichen
wissenschaftlichen Disziplinen und mit unterschiedlichen Bedeutungen versehen ge-
braucht. Wir beschrnken uns auf seine lern- und instruktionspsychologische Ver-
wendung im Sinne einer individuellen Konstruktion von Wissen.
. Lernen, konstruktivistisch betrachtet, ist nicht die Verarbeitung von Informatio-
nen, sondern ihre (stets subjektive) Interpretation. Diese Interpretation wird sehr
viel weniger als in den kognitionspsychologischen Modellen durch strukturelle
und prozessuale Parameter des kognitiven Apparats bestimmt als vielmehr durch
die aktuellen Situationen, Kontexte und Vorbedingungen, unter denen sie stattfin-
det.
. Lernen, konstruktivistisch betrachtet, ist nicht von außen steuerbar. Lernprozesse
sind deshalb auch nur bedingt vorhersehbar. Ob Instruktion in Lehr-Lern-Situa-
tionen unmçglich oder sogar schdlich ist, wird durchaus kontrovers beurteilt.
»Gemßigte Konstruktivisten« gehen davon aus, dass Lernen »von außen«, d. h.
durch das Gestalten von Lernumgebungen, »angestoßen« und erleichtert werden
kann.
. Dass jedes Unterrichten von bereits vorhandenem Wissen ausgehen muss, ist die
Kernaussage einer konstruktivistischen Didaktik. Sie ist bereits in Piagets struk-
turgenetischer Entwicklungstheorie formuliert.
(nach Terhart, 2000, S. 181–201)
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Konstruktivistisch im Sinne der auf Piaget schung des Lernens unter den Bedingun-
und Wygotski (aber auch auf Bartletts gen des Lehrens. Im Interesse am
Gedchtnispsychologie) zurckgehenden menschlichen Lernen fllt das Kerngebiet
Tradition des Lernens ist also eine be- der Pdagogischen Psychologie in großen
stimmte Auffassung ber den Wissens- Teilen mit dem der Kognitionswissen-
aufbau des Lernenden: Wissenserwerb als schaft zusammen, weshalb auch die Er-
individuelle Konstruktion. Es ist eine kenntnis von Snow und Swanson (1992)
ganz andere Frage, welche Lehrmethoden nicht verwundert, dass es sich bei den
geeignet sind, diesen Konstruktionspro- Kognitionswissenschaftlern und den In-
zess zu untersttzen. struktionspsychologen im Wesentlichen
um die gleichen Personen handelt.
Lernen durch Lehren, so wie bislang ver-
Lernen durch Lehren
standen, kennzeichnet die klassische p-
Die Pdagogische Psychologie beschftigt dagogische Situation der zielgerichteten
sich mit dem menschlichen Lernen in Si- Interaktion zwischen Lehrenden und Ler-
tuationen, die eigens zur Auslçsung oder nenden und fokussiert den Wissensauf-
Untersttzung dieses Lernens hergestellt bau des Lernenden unter der Bedingung
werden. Die Situationen nennt man des Belehrtwerdens. Das apodiktische
»pdagogische«, d. h. die Erziehung be- Lernen durch Lehren ist aber auch in an-
treffende, wobei der Erziehungs- als derer Weise bereits besetzt. Im Rahmen
Oberbegriff hier inhalts- und situations- sozial-konstruktivistischer Anstze, wie
bergreifend sehr weit gefasst ist und in- am Beispiel der von Annemarie Palincsar
stitutionelle Kontexte der Schule und an- und Ann Brown entwickelten Methode
derer Bildungseinrichtungen ebenso der reziproken Instruktion (vgl. Kapitel
einschließt wie die Familie. Das Herstel- 6.4) gezeigt, lsst sich der erfolgreiche
len der Lernsituationen nennt man »Leh- Wissensaufbau der Lernenden nmlich
ren«, wobei auch dieser Begriff extensiv auch als Funktion ihrer eigenen Lehrttig-
zu verstehen ist und vom schulischen Un- keit darstellen (Renkl, 1997; Rosenshine
terrichten bis zum huslichen Erziehen & Meister, 1994). Man kann einen Sach-
reicht. Das ist bekanntlich das Kerngebiet verhalt leichter erlernen, wenn man ihn
der Pdagogischen Psychologie: die Erfor- anderen zugleich auch erklren muss.
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Mit anderen Worten: Lehren muss um Wie werden die unterschiedlichen Lehr-
seiner selbst willen theoretisch betrachtet theorien und Instruktionsmodelle bzw.
und einer wissenschaftlichen berpr- die auf ihnen basierenden Lehrmethoden
fung unterzogen werden. Das aber heißt: diesen Anforderungen gerecht? In der P-
ber die Beschreibung und Erklrung dagogischen Psychologie lassen sich drei
von Lernprozessen hinaus muss die Wirk- wichtige Perspektiven unterscheiden, aus
samkeit von Lehrprozessen erforscht denen heraus Lehrtheorien entwickelt
werden. Lehren muss aus seinen Bedin- wurden: eine verhaltensorientiert-empiri-
gungen heraus erklrt und ber die Ver- sche, eine kognitiv-rationalistische und
haltensweisen erfolgreich Lehrender theo- eine konstruktivistische, letztere mit eher
retisch rekonstruiert werden. kognitivistischer oder eher sozialer Aus-
Aus mehr als drei Jahrzehnten empirischer gestaltung (Greeno, Collins & Resnick,
Lehr-Lern-Forschung lassen sich mittler- 1996; Shuell, 1996).
weile tragfhige Bausteine erfahrungswis- Unter der verhaltensorientierten (beha-
senschaftlicher Theorien des Lehrens be- vioralen) Perspektive werden die Schwer-
nennen. Sie sind im Wesentlichen aus der punkte bei der Analyse des Zielverhal-
Beobachtung und Analyse erfolgreich tens, bei der Planung der einzelnen
Lehrender und erfolgreichen Lehrer(in- Lehrschritte und bei der Leistungsrck-
nen)handelns abgeleitet. Sie lassen sich als meldung gesetzt. Przise operationalisier-
Lehrstrategien zu grundlegenden Lehr-/ te Lehrziele, die kleinschrittige Darbie-
Lernfunktionen unterrichtlichen Handelns tung von Stoffinhalten in einer zuvor
verdichten. Im Folgenden werden diese sachlogisch festgelegten Sequenz, das
Bausteine zusammenfassend dargestellt. wiederholte und kontrollierte ben sowie
eine regelmßige Ergebniskontrolle mit
unmittelbarer Leistungsrckmeldung
Was muss eine Theorie des sind besondere Kennzeichen von Lehr-
Lehrens leisten? ttigkeiten in der Tradition der Theorien
des assoziativen, außengesteuerten Ler-
Robert Glaser (1976; Glaser & Bassok,
nens. Das sind die Lehrmodelle des direk-
1989) hat fnf notwendige Basiskom-
ten Unterrichtens (explicit teaching). In
ponenten fr Lehrtheorien benannt, sie
den Kapiteln 6.1 und 6.2 werden solche
bezeichnen zugleich eine zweckrational-
Anstze spter vorgestellt.
pragmatische Schrittfolge von Instruktion
Unter der kognitivistischen Perspektive
in einer ursprnglich verhaltenstheoreti-
werden die Schwerpunkte der Lehrttig-
schen Tradition:
keit anders gesetzt, zumindest anders
1. Lehrziele als Zielleistungen im Sinne begrndet. Durch Unterricht sollen (kog-
eines Soll-Zustandes definieren, nitive) Prozesse des Wissenserwerbs ge-
2. Eingangsvoraussetzungen im Sinne fçrdert werden, indem »verstehendes«
eines Ist-Zustandes diagnostizieren, Lernen ausgelçst wird. Dies geschieht, in-
3. den (Lern-)Prozess des bergangs dem relevantes Vorwissen aktiviert, der
vom Ist-Zustand in den Soll-Zustand Lernprozess angeleitet und der Lern-
beschreiben und erklren, transfer gebahnt wird (comprehension
4. die instruktionalen Bedingungen, die teaching). In der Betonung der besonde-
den bergang erleichtern, spezifizie- ren Bedeutung von Lernvoraussetzungen
ren, hneln sich die verhaltensorientierten
5. die instruktionalen Wirkungen nach und die kognitivistischen Instruktions-
Abschluss eines Lehrgangs erfassen. modelle.
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Noch deutlicher auf die Eigenaktivitt des 6.5 werden solche Lehrmodelle spter be-
Lernenden bezogen ist die konstruktivisti- handelt. In Abbildung 5.1 sind die vier
sche Perspektive des Lehrens. Auch sie lehr-lern-theoretischen Traditionen mit ih-
setzt am Vorwissen der Lernenden an und ren Schlsselbegriffen aufgelistet.
nimmt die bereits vorhandenen Wissens-
strukturen zum Ausgangspunkt der Lehr- Erfolgreiche Lehrerinnen und
ttigkeit. Auf eine instruktionale Außen-
Lehrer
steuerung wird aber fast vçllig verzichtet:
Lernen ist individuelle Wissenskonstrukti- Wodurch zeichnen sich erfolgreiche Leh-
on, nicht Wissenserwerb durch Vermitt- rerinnen und Lehrer aus? Die empirische
lung. Diese Perspektive steht in der Tradi- Unterrichtsforschung hat sich an zwei
tion des entdeckenden, problemlçsenden Zielkriterien orientiert, um diese Frage zu
Lernens in so genannten »offenen« oder beantworten:
»problemorientierten« Lernumgebungen.
. Was sind die Resultate guten Unter-
Die konstruktivistische Perspektive lsst
richts?
sich weiter ausdifferenzieren: In ihrer kog-
. Mit welchen Mitteln wurden diese Re-
nitiv-konstruktivistischen Ausgestaltung
sultate erreicht?
beruft sie sich auf das Prinzip des indivi-
duellen »kognitiven Konflikts« im Sinne In der Tradition einer vornehmlich am
Piagets oder Bruners, in ihrer sozio-kon- guten Resultat – der Lernleistung von
struktivistischen Variante vor allem auf Schlerinnen und Schlern – orientierten
Prozesse des sozialen Austauschs Wygots- Forschungslinie wurde zunchst nach all-
kischer Prgung. In den Kapiteln 6.3 bis gemeinen Merkmalen der Lehrerpersçn-
verhaltensorientiert-
empiristisch
Wissenserwerb Primat der Instruktion Lehrzielanalyse,
Thorndike
durch Assoziationen Verhaltenskontrolle Sequenzierung der
Skinner
Explicit teaching Lehrinhalte,
Gagné
Reaktionslernen aktives Lehren Leistungsrückmeldung
Frühere Kurzfristiger
Erfahrungen des Lernzuwachs
Lehrers • Wissen
• soziale Schicht • Einstellungen
Lehrermerkmale Lehrer- • Fähigkeiten
• Alter
• »teaching skills« verhalten
.... ...
• Intelligenz Änderun-
• Motivation gen des
Erfahrungen aus …
Schüler- Langfristige
der Lehrerausbil-
verhaltens Lernergebnisse
dung
• welche Uni?
Schüler- • Identität
• welches Fach? verhalten • Berufsqualifizierung
... ...
Kontextvariablen
Schüler-
Frühere
eigenschaften
Erfahrungen • Fähigkeiten
des Schülers • Wissen
• Geschlecht • Einstellungen
... ....
Teil II Lehren
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Teil II Lehren
Teil II Lehren
einer dritten Phase konsolidiert werden. didaktische Kurzschluss besteht darin, bloße Er-
Zu guter Letzt muss das Gelernte anwend- gebnisse zu vermitteln und zu meinen, man ha-
bar gemacht werden, damit es auf neue be nicht die Zeit oder es sei zu umstndlich, mit
den Schlern jene Ttigkeiten in Gang zu set-
Situationen transferiert werden kann.
zen, deren Ergebnis die Einsicht, die Problemlç-
Aeblis Lehrtheorie ist als »Psychologische
sung, der Begriff ist. (Aebli, 1987, S. 30–31)
Didaktik« zunchst eine Theorie des di-
daktischen Handelns auf der Grundlage Gerhard Steiner spricht hnlich wie Aebli
der strukturgenetischen Erkenntnistheo- von den »didaktischen Kernprozessen«
rie von Piaget. Sie knpft an die spekula- des Aufbauens, Durcharbeitens und Kon-
tiven berlegungen der Herbartianer solidierens, die das Wissen, das Kçnnen
ber die Phasen des Lernprozesses und und das Anwenden des Gelernten befçr-
die daraus folgenden Stufen des Unter- dern (Steiner, 1996, 2001). In Steiners
richtens an. Sie wird zur erfahrungswis- Terminologie wird Aeblis Didaktik nher
senschaftlichen Theorie, wo sie die not- an die aktuelle kognitionswissenschaftli-
wendigen Phasen des Lernprozesses als che Diskussion herangefhrt. Die ber-
Lernfunktionen bezeichnet und von der lappung mit den Lehr- und Lernfunktio-
prskriptiven auf die beschreibende und nen der kognitiv-konstruktivistischen
empirisch begrndbare Ebene der Lehr- Tradition (z. B. Shuell, 1996) wird dabei
Lern-Forschung zurckfhrt. noch sichtbarer.
Aebli teilt mit Piaget die konstruktivisti-
sche Grundhaltung, weist aber dem Leh-
rer oder Erzieher eine aktivere Aufgabe
zu, als dies Piaget vorgesehen hat: das 5.3 Die Vereinbarkeit
Anregen von Lernprozessen durch das von Instruktion
Bereitstellen von Lernangeboten und und Konstruktion
Problemen, das Anleiten beim Aufbau
von Handlungsstrukturen und Operatio- Lehrttigkeit lsst sich auf der Grundlage
nen, das Durcharbeiten, ben und An- konstruktivistischer, kognitivistischer und
wenden der neu aufgebauten Strukturen. verhaltensorientierter Auffassungen von
Und doch kann der Lehrende dem Ler- Lernen begrnden und gestalten. Die in
nenden das Lernen nicht abnehmen: vor Kapitel 5.2 aufgelisteten Lehr-Lern-Funk-
dem didaktischen Kurzschluss wird des- tionen lassen sich leicht in entsprechende
halb besonders gewarnt. Handlungsanweisungen bersetzen. Bei
Die große Gefahr besteht darin, dass Wissens- der Auswahl einer Lehrmethode wird
stoffe unabhngig von den unterrichtlichen T- auch eine Rolle spielen, welche Lernziele
tigkeiten gesehen werden, deren Niederschlag durch Lehren erreicht werden sollen. Der
und Ergebnis sie eigentlich darstellen sollten. Erwerb systematischen Wissens, der Er-
Sie werden dem Schler unmittelbar vorgetra- werb anwendungsfhigen, transferier-
gen oder zum Lesen im Lehrbuch »aufgege- baren Wissens, der Erwerb allgemeiner
ben«. Einige Unglcksraben lernen sie aus- Lernkompetenzen und von Schlsselqua-
wendig, auch wenn sie sie nicht verstehen. lifikationen, der Aufbau sozialer Verhal-
Stoffsammlungen, also Beschreibungen von
tensweisen und der Aufbau von Wertori-
Wissen, Zusammenfassungen von Unterrichts-
ergebnissen, sind dann gefhrlich, wenn sie im
entierungen wird vermutlich nicht durch
Unterricht nicht in Ttigkeiten zurckverwan- eine einzige Lehrmethode zu erreichen
delt werden, die von lebendigen Problemen aus- sein (Weinert, 2000b).
gehen und vom Schler eigenes Handeln, Be- Aus einer pragmatischen Perspektive, wie
obachten und Nachdenken erfordern. Der es Reinmann-Rothmeier und Mandl
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(2001) tun, wird in der Instruktionspsy- Eine solche Auffassung von Lernen hat in-
chologie ohnehin meist ein so genannter sofern weit reichende Folgerungen fr das
»gemßigter« Konstruktivismus vertre- Lehren, als sie dem Lehrenden eine ver-
ten, der die Koexistenz zwischen Instruk- antwortliche Position zuweist, jenseits ei-
tion und Konstruktion nicht nur zulsst, nes radikal-konstruktivistischen Lehrver-
sondern gleichsam einfordert. Die »M- bots (Lehren ist nicht mçglich, weil das
ßigung« drckt sich auch in der Ausblen- lernende System von außen prinzipiell un-
dung der epistemisch-erkenntnistheo- zugnglich ist) und einer behavioral-kog-
retischen Dimension des Konstrukti- nitivistischen Lehrverpflichtung (Lehren
vismusbegriffs aus. Damit bleibt die ist notwendig, weil Lernen erst dadurch
radikal-konstruktivistische Position einer ermçglicht bzw. erleichtert wird). Eine
»konstruierten Wirklichkeit« (Watzla- moderat-konstruktivistische Sichtweise
wick, 1976), d. h. einer unauflçsbaren betrachtet Lehren nicht nur als mçglich,
Relativitt von Wirklichkeit im Sinne ei- sondern zugleich als ntzlich, wenn es
ner Verneinung ontologischer Realitt – nmlich die Eigenaktivitt, die Situiertheit
auch in ihrer neurobiologischen Ausge- und die soziale Eingebettetheit des Ler-
staltung –, in der lehr-lern-theoretischen nens fçrdert (Terhart, 2000, 2002).
Diskussion außen vor. Zentrale Annahme
Die Aufgabe des Lehrers besteht mithin darin,
des gemßigten, in der Instruktionspsy- solche Lernumwelten aufzubauen bzw. zu in-
chologie vornehmlich vertretenen Kon- szenieren, in denen Lernen als in sozialen und
struktivismus ist vielmehr die der eigenen situativen Kontexten stattfindendes Ko-Kon-
individuellen, »inneren« Konstruktions- struieren und Restrukturieren wahrscheinlicher
leistung des Lernenden beim Wissens- wird. Dafr sind vor allem solche Lernumwel-
erwerb. Neue Wissensstrukturen – so die ten geeignet, die dem situationsbedingten und
Kernthese – kçnnen nur generativ aus der konstruktiven Charakter jedweden Lernens
Restrukturierung bereits bestehenden Rechnung tragen und in denen bzw. durch die
hindurch Lernende sich selbstndig ihren Weg
Wissens entstehen und folglich nicht
bahnen kçnnen. (Terhart, 2000, S. 190)
»von außen nach innen«, durch Vermitt-
lung, transportiert werden. Und spter, die moderat-pragmatische
Lernen, das sich in dieser Weise kon- Sichtweise eines pdagogischen Konstruk-
struktiv und eigenttig-aktiv vollzieht, ist tivismus nochmals zusammenfassend:
in hohem Maße individuell – weil auch
Hat man auf diese Weise den Kern des Ansat-
die jeweiligen Ausgangspunkte des Kon- zes der Konstruktivistischen Didaktik rekon-
struktionsprozesses verschieden sind. Es struiert, so berrascht, dass eigentlich nichts
weist zudem aufgrund seiner Konkretheit wirklich berrascht. (Terhart, 2000, S. 191)
notwendigerweise eine starke Situations-
und Kontextbindung auf. Fgt man die- Das ist nicht resignativ oder gar triviali-
sen Attributen noch hinzu, dass die Ver- sierend gemeint. Es wird lediglich auf
antwortung fr den Erfolg des Lernens den Umstand der Neubeschreibung altbe-
beim Lernenden selbst liegt und dass kannter didaktischer Prinzipien aufmerk-
Wissen grundstzlich in sozialen und sam gemacht: Lernen ist Wissenskon-
kulturell geprgten Kontexten erzeugt struktion und setzt Eigenttigkeit des
wird, so sind die wesentlichen Grund- Lernenden voraus. Lehren ist mçglich
bausteine einer moderat konstruktivisti- und hilfreich, muss aber stets vom vor-
schen Lehr-Lern-Philosophie benannt: handenen Wissen ausgehen.
aktiv, konstruktiv, situiert, selbstregulativ Es ist weder mçglich noch sinnvoll, allein auf
und sozial. aktive Konstruktionsleistungen der Lernenden
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Teil II Lehren
Organisieren
OUTPUT
Arbeits-
INPUT
Senso-
risches speicher
Register Selegieren
Integrieren
Langzeit-
gedächtnis
zu vertrauen; man kann Lernenden aber auch werden. Erfolgreich Lernende zeichnen
nicht stndig fertige Wissenssysteme nach fest- sich dadurch aus, dass sie mittels strategi-
stehenden Regeln vermitteln. (Reinmann-Roth- scher Maßnahmen Kontrolle ber die ge-
meier & Mandl, 1997, S. 377)
nannten Prozesse erlangen. Enge Bezge
Brcken schlagen. Die so beschriebene zu dem in Kapitel 2 dieses Buches dar-
Vereinbarkeit von Instruktion und Eigen- gestellten INVO-Modell sind hier un-
ttigkeit lsst sich leichter illustrieren, schwer zu erkennen. Ebenso leicht lassen
wenn man Konzepte und Prinzipien be- sich die in Kapitel 5.2 beschriebenen
nennt, in denen sie realisiert ist. Die Lehr-Lern-Funktionen auf die Prozesse
gemeinsame Plattform ist dabei eine kog- mehrstufiger Informationsverarbeitung
nitionspsychologische: Lernen als be- beziehen.
reichsspezifischer, systematischer, mehr-
stufiger und kumulativer Prozess der Kernelemente moderat-
Informationsverarbeitung, in dessen Ver- konstruktivistischen Lehrens
lauf Wissensstrukturen aktiv aufgebaut
und fortwhrend verndert werden. May- Als wichtige Ansatzpunkte zur Fçrderung
ers SOI-Modell des Lernens mag hier als – nicht Steuerung – des Wissenserwerbs
Referenzrahmen dienen. Mayer (1992a, gelten die folgenden fnf Merkmale und
2003a) unterscheidet die kognitiven Pro- Prinzipien des Lehr-Lern-Prozesses (vgl.
zesse der Selektion (S), Organisation (O) Reinmann-Rothmeier & Mandl, 1998;
und Integration (I) von Informationen Shuell, 1996):
(Abb. 5.3).
. aktiv,
In der Selektionsphase erfolgt eine geziel-
. konstruktiv,
te Aufmerksamkeitszuwendung, in der
. situiert,
Organisationsphase werden die in den
. selbstregulativ,
Arbeitsspeicher transferierten Informatio-
. sozial.
nen (untereinander) verdichtet und ver-
knpft, in der Integrationsphase werden Anleitung zum aktiven Lernen. Aktiv
sie mit dem bereits vorhandenen Wissen meint die Eigenaktivitt des Lernenden.
elaborativ verbunden. Gelernt wird, Lehrarrangements mssen Vorkehrungen
wenn alle Phasen erfolgreich durchlaufen enthalten, die die Eigenttigkeit des Ler-
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Teil II Lehren
notwendige Voraussetzungen beim Ler- Weinert (1996a, 1998a) hat deshalb kriti-
nenden geknpft ist. Sind kooperative sche Fragen zur bergeneralisierung des
Fertigkeiten nicht vorhanden, mssen sie situierten, selbstregulierten und koope-
zunchst vermittelt und eingebt werden rativen Lernens gestellt. Vor allem mahnt
(vgl. Kapitel 6.5). er die Sicherstellung der »notwendigen
Systematik kumulativen Lernens« an und
die »erforderliche Automatisierung« von
Wasser in den Wein
routinisierten Fertigkeiten. Ohne qualifi-
Das Leitbild vom aktiven und konstrukti- zierte Lernvoraussetzungen fhre das
ven, intrinsisch motivierten, situiert und selbststndige Lernen »mit hoher Wahr-
kontextuiert, kooperativ und selbstregu- scheinlichkeit zu Lerndefiziten, fehler-
lativ Lernenden, ist ein idealisiertes. Es behafteten Kenntnissen und Misserfolgs-
kennzeichnet erfolgreiches Lernen und es erlebnissen«. In der Tat muss man sich
bezieht seinen besonderen Charme so- gelegentlich wundern, denn:
wohl aus der multiplen theoretischen Be- Aus dem Schler, der einer wissenschaftlich
grndbarkeit der einzelnen Komponenten fundierten, didaktisch reflektierten, externen
als auch aus der Wnschbarkeit seiner Instruktion zum Lernen bedarf, wird plçtzlich
praktischen Umsetzung. Das Primat der der kompetent Lernende, dem man nur die ent-
Wissenskonstruktion durch aktives und sprechenden Gelegenheiten und Anregungen
selbstgesteuertes Lernen verdrngt in geben muss, damit er von sich aus und auf sei-
scheinbar plausibler Weise die Leitvor- ne spezifische Art und Weise das tut, was zum
erfolgreichen Lernen notwendig ist. (Weinert,
stellung einer fremdgesteuert-systemati-
1998a, S. 207)
schen Wissensvermittlung, die dem Ler-
nenden eine eher passiv-rezeptive Rolle In Anlehnung an Weinert (2000b) lassen
auferlegt. Damit wird aber an das schon sich die notwendigen und unstrittigen
von Bransford et al. (2000) angesproche- Kernelemente des Lehrens und Lernens
ne Problem erinnert: Aus einem lerntheo- im Sinne eines Lerndreiecks illustrieren.
retischen Paradigmenwechsel lsst sich ei- Drei gundlegende Auffassungen von Leh-
ne bertragung auf Lehrmodelle nicht ren und Lernen aus Abbildung 5.1 finden
unmittelbar ableiten. sich darin wieder: die kognitivistische
Die fnf Kernelemente bedrfen deshalb und die beiden konstruktivistischen. Aus
einer Ergnzung. Die Fçrderung des kognitivistischer Sicht tritt nun die Ziel-
selbststndigen, selbstregulativen Ler- gerichtetheit und die Systematik des Ler-
nens, um ein Beispiel zu geben, bedarf ei- nens zu den fnf oben beschriebenen mo-
ner ausgeprgten Darstellungs- und An- derat-konstruktivistischen Kernelementen
leitungskomponente – idealerweise durch hinzu (Abb. 5.4).
ein kompetentes kognitives Modell (z. B.
kann das die Lehrperson bernehmen). Zielgerichtetes, kumulatives und syste-
Auch wird es whrend der kontrollierten matisches Lernen. Intelligentes Wissen
Phasen des Einbens und der Korrektur muss also – in Ergnzung zu den bereits
neu erworbener Fertigkeiten einer sol- beschriebenen Prinzipien – in systemati-
chen Hilfe bedrfen, unter allmhlicher scher Weise und zielgerichtet vermittelt
Ausblendung der gewhrten Unterstt- werden, indem Inhalte sachlogisch ange-
zung – im Sinne einer gelenkten Außen- ordnet werden, auf das Vorwissen Bezug
steuerung. Solches lsst sich kaum ber genommen wird, Fragen unterschiedli-
indirekte Methoden des entdeckenlassen- cher Schwierigkeit gestellt werden, fr
den Lehrens erreichen. ausreichende bung gesorgt wird und die
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kognitivistische Sichtweise
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Abb. 5.4: Kernelemente des Lehrens und Lernens (nach Weinert, 2000b)
Teil II Lehren
… und Wissenschaften bringen niemals Kunst der Geist schçpft ja nicht aus dem Nichts,
direkt aus sich hervor. Ein vermittelnder, sondern aus dem verfgbaren Wissen
schçpferischer Geist muss die Anwendung ber Lehren und Lernen. Die Wissen-
selbstndig vollziehen, durch seine Originali- schaft vom Lehren und Lernen kann die-
tt. (James, 1899/1900, S. 8)
ses Wissen bereitstellen. Der Wissens-
Der Hinweis auf den schçpferischen stand wird in den folgenden Kapiteln
Geist ist so notwendig wie treffend. Aber prsentiert.
Literaturhinweis
Aebli, H. (1983). Zwçlf Grundformen des Lehrens. Stuttgart: Klett-Cotta.
Zusammenfassung
Die Psychologie des Lehrens befasst sich mit der zielfçrderlichen und lernerleichtern-
den Funktion von Lehr- und Unterrichtsmethoden. Lehren heißt nicht einfach pr-
skriptiv »Lernenmachen«, sondern Lehren ist der zentrale Forschungsgegenstand
der Instruktionspsychologie, die das Lernen unter den Bedingungen des Lehrens un-
tersucht. Die Auffassungen ber Lehren sind sehr verschieden. Den meisten Lehr-
theorien ist aber gemein, dass sie Aussagen ber Lehrziele, ber Eingangsvorausset-
zungen der Lernenden, ber die Natur von Lernprozessen, ber instruktionale
Maßnahmen zur Befçrderung dieser Prozesse und ber das Feststellen und Prfen
instruktionaler Wirkungen treffen. Einflussreiche Theorien des Lehrens wurden aus
verhaltensorientierter, aus kognitionspsychologischer und aus konstruktivistischer
Perspektive entwickelt.
Aus verhaltensorientierter Sicht lsst sich Unterricht rational planen und gestalten.
Die Strukturierung, Sequenzierung und kleinschrittige Darbietung von Stoffinhal-
ten, verbunden mit geeigneten Maßnahmen zur Klassenfhrung und Lernstands-
kontrolle, gewhrleistet effektives Unterrichten. Aus kognitionspsychologischer
Sicht sind solche Lehrmodelle um motivationale Aspekte und um Aspekte der
Selbststeuerung, Selbstkontrolle und Selbstbewertung des Lernenden zu ergnzen.
Aus konstruktivistischer Sicht kann Wissen nur situiert und kontextbezogen auf-
gebaut werden, »von außen« allenfalls begleitet, nicht aber kontrolliert. Die indivi-
duelle Wissenskonstruktion wird durch das Bereitstellen authentischer, problemori-
entierter Lernkontexte erleichtert.
Konstruktion und Instruktion, fremdgesteuerte Wissensvermittlung und selbst-
gesteuerter Wissensaufbau, lassen sich durchaus integrieren. Das Rahmenmodell der
mehrstufigen Informationsverarbeitung bietet eine gemeinsame kognitionspsycholo-
gische Plattform fr eine gemßigt-konstruktivistische Auffassung von Lernen und
Lehren.
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Teil II Lehren
Orientierungsfragen
. Ist Lehren berhaupt notwendig, damit gelernt wird?
. Wann ist eine Lehrmethode erfolgreich?
. Welche Lehrmethode ist die beste?
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Teil II Lehren
Rosenshine und Stevens haben die oben Prgnanter lsst sich der programma-
bereits genannten Merkmale effektiven tische Anspruch des Direkten Unterrich-
Unterrichtens zu folgender Beschreibung tens kaum ausdrcken. Die sechs grund-
verdichtet: legenden Lehrfunktionen werden im
Folgenden nher beschrieben.
Die Hauptkomponenten systematischen Unter-
richtens beinhalten das Vorgehen in kleinen
Schritten mit bungsphasen nach jedem Rckblick und Prfung
Schritt, das Anleiten der Schler whrend der der Lernvoraussetzungen
anfnglichen bungen und das Ermçglichen
eines großen Ausmaßes erfolgreichen bens Indem der Einstieg in eine neue Lernein-
fr alle Schler. Natrlich verwirklichen alle heit stets mit einer rckblickenden Pr-
Lehrer einige dieser Aspekte manches Mal, fung der Lernvoraussetzungen beginnt,
aber die effektivsten Lehrer verwirklichen die wird zum einen die notwendige Ein-
meisten dieser Aspekte fast die ganze Zeit ber. gangsdiagnostik betrieben, zum anderen
(Rosenshine & Stevens, 1986, S. 377) wird das zuvor Gelernte nochmals gefes-
tigt (»berlernen« in den verhaltensori-
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Teil II Lehren
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len ihre neu erworbenen Kenntnisse und …«). Falsche Antworten mssen kor-
Fertigkeiten in dieser Unterrichtsphase rigiert werden. Dazu kann man erforder-
sichtbar zeigen oder ausfhren. Mçg- liche Hilfen zur richtigen Beantwortung
lichst alle Lernenden sollen die gestellten geben, die gestellte Frage vereinfachen,
Fragen beantworten (was sich leicht reali- notwendige Vorkenntnisse in Erinnerung
sieren lsst, wenn Fragen schriftlich zu rufen oder zustzliche Erklrungen an-
beantworten sind) und sie mssen stets bieten. Keine Frage darf unbeantwortet
eine Rckmeldung auf ihre Antwort er- bleiben!
halten. Zur Technik der Lehrerfragen und zum
Umgang mit korrekten, ausbleibenden
Lernberwachung oder fehlerhaften Schlerantworten ist ei-
ne eigene Forschungstradition entstanden
und Rckmeldung
(zusammenfassend: Good & Brophy,
Antworten, die Schlerinnen auf Lehrer- 1997). Im Unterrichtsmodell der Direk-
fragen geben, mssen in geeigneter ten Instruktion sind es vor allem die Leh-
Weise kommentiert werden (Feedback). rerfragen, die Lernaktivitten und -resul-
Schnell, sicher und richtig gegebene Ant- tate sichtbar machen. Denn indem sie auf
worten sollen als solche sachlich aner- Fragen antworten, wenden Lernende das
kannt werden (»Das ist richtig!«) und/ neu Gelernte an. Die Fragen sollen klar,
oder es kann, eine richtige Antwort kurz und verstndlich formuliert werden;
belohnend, eine zweite Frage direkt an- sie sollen durch Nachdenken zu beant-
geschlossen werden. Zçgerliche, aber worten sein. Es sollen Fragen unter-
richtig gegebene Antworten sollten etwas schiedlichen Niveaus gestellt werden. Die
ausfhrlicher kommentiert werden, um Fragen sollen bedeutsame Unterrichtszie-
das noch nicht konsolidierte Wissen zu le betreffen und in einer vernnftigen Ab-
festigen (»Ja, Judith, das ist richtig, weil folge prsentiert werden. Es wird emp-
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fohlen, die Fragen an die ganze Klasse zu menfassungen kçnnen auch als Hausauf-
richten und gengend Wartezeit zuzulas- gaben gefordert werden. Wçchentliche
sen. Gute Lehrer kçnnen es brigens ln- oder monatliche Leistungstests liefern
ger ertragen, wenn eine Frage nicht so dem Lehrenden darber hinaus wichtige
rasch beantwortet wird. Informationen und kçnnen auf die Not-
wendigkeit weiterer Erklrungen verwei-
sen.
Selbststndiges ben
Das selbststndige ben, z. B. in Phasen Wirksamkeit Direkter
der Stillarbeit oder durch Hausarbeiten,
Instruktion
soll erst dann stattfinden, wenn die Lern-
inhalte sicher verstanden und hinreichend Die in den Lehrfunktionen zusammenge-
gefestigt sind. fassten Prinzipien effektiven Lehrens sind
das prskriptive Destillat aus vielen
Ich mache es dir vor, dann machen wir es ge-
empirischen Untersuchungen zur Unter-
meinsam, und dann wirst du es alleine machen.
(Rosenshine & Stevens, 1986, S. 380)
richtsqualitt. Die Erkenntnisse wurden
zunchst vornehmlich korrelativ ber
Hinweise darauf, wann das selbststndi- Unterrichtsbeobachtungen in natrlichen
ge ben beginnen kann, sind der Phase Situationen gewonnen, spter auch aus
des angeleiteten bens zu entnehmen, de- quasi-experimentellen Studien. Die korre-
ren erfolgreichen Abschluss Brophy und lativen Studien folgen einem einfachen
Good (1986) ber das 80 %-Kriterium Schema:
definieren: Mindestens 80 Prozent der
. ber Leistungstests werden mehr oder
Lehrerfragen sollten korrekte Antworten
weniger erfolgreiche Schulklassen iden-
gefunden haben. Die Stillarbeit in der
tifiziert.
Klasse muss aktiv berwacht und vor al-
. Durch systematische Unterrichtsbe-
lem mssen die Ergebnisse selbststndi-
obachtungen werden Merkmale des
gen bens kontrolliert werden. Selbst-
Lehrerhandelns in diesen Klassen er-
stndiges ben ist besonders wichtig,
fasst.
wenn grundlegende Kenntnisse und Fer-
. Durch statistische Analysen wird nach
tigkeiten, z. B. in der Mathematik, beim
systematischen Zusammenhngen zwi-
Lesen und Schreiben oder beim Erlernen
schen Lehrerhandeln und Lernerfolg
einer Fremdsprache zu erwerben sind.
gesucht.
Durch das selbststndige ben wird das
neu Gelernte verfestigt und automatisiert. Terhart (2000) bezeichnet dieses Vorge-
Das selbststndige ben hat eine geringe- hen treffend als »eine Art Rckschluss-
re Bedeutung, wenn komplexe und mehr- verfahren«: Guter Unterricht wird zu-
schichtige Inhalte (»Die Franzçsische Re- nchst ber das Resultat oder Produkt
volution«) vermittelt werden. desselben – den Unterrichtserfolg – defi-
niert. Anschließend wird nach Korrelaten
Rckblick und dieses Produkts gesucht. Weil sich die
Korrelate vornehmlich auf proximale
Lernerfolgskontrolle
Prozessvariablen des Unterrichts bezie-
In regelmßigen Abstnden, am besten hen, spricht man auch vom Paradigma
einmal wçchentlich, soll ein zusammen- der Prozess-Produkt-Forschung (Dunkin
fassender Rckblick auf die unterrichte- & Biddle, 1974; Rosenshine & Furst,
ten Inhalte stattfinden. Solche Zusam- 1973; vgl. Abb. 5.2).
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richtsstoffes nutzen, in ihren Darstellun- sondern nur in Bezug auf konkrete Lern-
gen klar, verstndlich und strukturiert ziele, Lernvoraussetzungen und Lern-
erscheinen, aufgabenbezogene Schler- inhalte wird eine Methode mehr oder we-
aktivitten fçrdern, das Anforderungs- niger gut geeignet sein. Es ist deshalb
niveau an die unterschiedlichen Fhig- zweifelhaft, inwieweit die experimentelle
keiten der Schler anpassen und »in Zuweisung von Lehrenden auf die eine
zweckmßiger Weise Klassen-, Gruppen- oder andere Lehrmethode den Besonder-
und Einzelarbeit« kombinieren (Weinert, heiten und Erfordernissen einer konkre-
1996a, S. 8). Es zeigt sich aber auch, dass ten Unterrichtssituation berhaupt ge-
erfolgreicher Unterricht »auf eine sehr ver- recht werden kann.
schiedene, aber nicht beliebige Weise reali- Wie Grundschullehrer im Fach Mathe-
siert werden« kann (Weinert & Helmke, matik im Rahmen eines Trainings auf die
1997a, S. 472). Prinzipien des Direkten Unterrichtens
Neben den korrelativen gibt es auch verpflichtet werden, ist beispielhaft bei
experimentelle Studien im Prozess-Pro- Good und Grouws (1979) beschrieben.
dukt-Paradigma. Sie zielen nicht rck- Die Autoren haben auch untersucht, ob
schließend-beobachtend auf die Verhal- die trainierten Lehrpersonen die neuen
tensweisen der »besten Lehrer«, sondern Verhaltensweisen tatschlich im Unter-
intervenierend-manipulativ auf die »beste richt praktizieren und wie sich das auf
Lehrmethode«. Forschungsmethodisch die Schulleistungen auswirkt: In die Stu-
sind sie wie folgt angelegt: die waren 40 Mathematiklehrer der vier-
ten Klassenstufe einbezogen. Einund-
. ber Eingangstests werden (zwei oder
zwanzig von ihnen durchliefen ein
mehr) vergleichbare Gruppen von Ler-
90-mintiges Trainingsprogramm zur Di-
nenden definiert.
rekten Instruktion und erhielten ein er-
. Die Lehrenden wenden in diesen Grup-
luterndes Manual zur Unterrichtsvor-
pen unterschiedliche Lehrmethoden
bereitung nach den fnf oben genannten
an, um den gleichen Lerninhalt zu ver-
Prinzipien. Die anderen wurden instru-
mitteln.
iert, ihren Unterricht »wie bisher« zu ge-
. ber einen Leistungstest am Ende des
stalten. In regelmßigen Abstnden wur-
Unterrichts wird die Wirksamkeit der
de der Unterricht in den Experimental-
beiden Methoden ermittelt.
und in den Kontrollklassen beobachtet.
Interventionsstudien dieser Art haben die Die Mathematikleistungen der Schlerin-
Befunde aus den korrelativen Analysen nen und Schler wurden zu Beginn und
im Wesentlichen besttigt (z. B. Good & zum Ende der Lerneinheit mit standardi-
Grouws, 1979). Sie belegen zugleich die sierten und mit lehrzielorientierten Tests
prinzipielle Modifizierbarkeit des In- erfasst. Wie die Unterrichtsbeobachtun-
struktionsverhaltens. Zu Recht wird bei gen zeigten, hatten die Lehrenden we-
solchen Studien jedoch auf ein anderes sentliche (z. B. Hausaufgaben berprfen,
Problem hingewiesen: dass nmlich die Rckblick zu Beginn, Stillarbeit), aber
Suche nach der besten Lehrmethode der durchaus nicht alle Trainingsprinzipien
Suche nach der besten Medizin gleicht, der Direkten Instruktion in ihr unterricht-
»ohne die Krankheit, die es zu heilen und liches Verhalten bernommen. Die Leis-
den Patienten, den es zu behandeln gilt«, tungsfortschritte fielen in den Klassen der
gengend im Blick zu haben (Terhart, trainierten Lehrer grçßer aus.
2000, S. 81). Es gibt nmlich nicht die ge- Das Direkte Unterrichten ist erfolgreich.
nerell bessere oder schlechtere Methode, »So kann man auch unterrichten« heißt es
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4. Hausaufgaben
. erteile routinemßig am Ende jeder Mathematikstunde Hausaufgaben, außer frei-
tags,
. die Hausaufgaben sollten nicht mehr als 15 Minuten Bearbeitungszeit erfordern,
. die Hausaufgaben sollten auch Wiederholungsaufgaben beinhalten.
5. Zustzliche Wiederholungen
. wiederhole die Inhalte der letzten Woche whrend der ersten 20 Minuten an je-
dem Montag,
. gehe auf die Fertigkeiten und Konzepte ein, die whrend der letzten Woche be-
handelt wurden,
. wiederhole die Inhalte des letzten Monats an jedem vierten Montag,
. gehe auf die Fertigkeiten und Konzepte ein, die whrend des Monats behandelt
wurden.
(leicht gekrzt, aus Good & Grouws, 1979, S. 357)
Teil II Lehren
wendens dieser Kenntnisse. Es wird auch zipien der Direkten Instruktion wieder
berichtet, dass Maßnahmen der Direkten finden. Stets ist es aber das hohe Aus-
Instruktion wirksamer zur Erreichung maß an Lehrersteuerung und Lernber-
kognitiver Lernziele eingesetzt werden wachung – die Organisation und Kon-
kçnnen als zur Erreichung sozialer, affekti- trolle der Lernprozesse durch die Lehr-
ver oder emanzipatorischer Ziele. person –, welches die direkte Wissensver-
Die Direkte Instruktion ist nicht mit dem mittlung von den anderen Formen des
Frontalunterricht gleichzusetzen, aber im Unterrichtens unterscheidet.
Frontalunterricht kommen die wesentli- Viele Untersuchungen zeigen, dass die
chen Prinzipien direkten Unterrichtens Unterrichtsrealitt an deutschen Schulen
zum Einsatz. Ohnehin wird es kaum eine in hohem Maße durch einen direkten,
Methode des Unterrichtens in Schulklas- fragend-entwickelnden Unterrichtsstil ge-
sen geben, in der sich nicht wichtige Prin- prgt ist, in Verbindung mit dem Lehrer-
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vortrag, der Stillarbeit und dem angeleite- mit dem, was der Lernende bereits vorher
ten ben (Hage et al., 1985; Wiechmann, weiß, erfolgt. Es ist die Aufgabe des Un-
1999). terrichts, dies zu gewhrleisten. Neben
Die von Michael Pressley (z. B. McCor- dem sinnvollen gibt es auch ein mecha-
mick & Pressley, 1997) propagierte Me- nisches sprachliches Lernen, man denke
thode der Direkten Erklrungen (direct nur an das Auswendiglernen von Telefon-
explanation) wurde ursprnglich von nummern oder Geheimzahlen (zumin-
Duffy und Kollegen im Zusammenhang dest, wenn dabei keine Mnemotechniken
mit dem Leseunterricht entwickelt (Duffy zur Anwendung kommen). Das sinnvolle
& Roehler, 1989). Sie weist eine große sprachliche Lernen kann rezeptiv oder
bereinstimmung mit den Prinzipien der durch Entdeckungen erfolgen. Ausubel
Direkten Instruktion auf, gibt dieser je- pldiert fr die rezeptive Variante – die
doch einen kognitionspsychologischen mit Jerome Bruner darber gefhrte Kon-
berbau (oder Unterbau, ganz wie man troverse wird in Kapitel 6.3 aufgegriffen.
will). Neu sind beim Direkten Erklren
Rezeptives vs. entdeckendes Lernen. Fr
die beiden zustzlichen Phasen des men-
das rezeptive Lernen prsentiert der Leh-
talen Modellierens und des individuell
rende den Lerninhalt in seiner endglti-
angepassten Elaborierens im Sinne eines
gen (fertigen) Form, z. B. als Lehrbuch-
Lerngersts (»scaffolding«). Die Metho-
text oder als Unterrichtsvortrag. Die
de des Direkten Erklrens weist deshalb
Informationsaufnahme durch den Ler-
enge Verbindungen zum reziproken Leh-
nenden kann daraufhin mechanisch oder
ren (Palincsar & Brown, 1984) und zur
sinnvoll (elaborativ) erfolgen. Beim ent-
kognitiven Meisterlehre (Collins et al.,
deckenden Lernen ist der Lerninhalt hin-
1989) auf (vgl. dazu Kap. 6.4).
gegen nicht in seiner endgltigen Form
gegeben; das zu lernende Material muss
Ausubels Darstellendes zuerst entdeckt werden. Nach der Entde-
Unterrichten ckung folgt wiederum meist eine rezepti-
ve Lernphase.
Mit David Ausubels »Educational psy-
chology: a cognitive view« ist 1968 eine Mechanisches vs. sinnvolles Lernen. Beim
Abkehr von der vornehmlich verhaltens- mechanischen Lernen wird wortwçrtlich
psychologischen Fundierung der Unter- (und nicht inhaltlich) gelernt. Die Lern-
richtsplanung eingeleitet worden. Aus- inhalte werden dabei nicht auf das Vor-
ubel bestreitet nicht, dass es auch Formen wissen bezogen. Sinnvolles Lernen setzt
des assoziativ-mechanischen, des perzep- hingegen voraus, dass relevante Vor-
tiv-motorischen oder des sozialen Ler- kenntnisse aktiviert werden (kçnnen), die
nens gibt. Nur sind sie nicht sein Thema. eine Subsumtion, Erweiterung oder Ver-
Schulisches Lernen – so Ausubel – knpfung des neuen mit dem bereits
geschieht im Wesentlichen durch das vorhandenen Wissen zulassen. Ausubel
sinnvoll-rezeptive Nachvollziehen von spricht in diesem Zusammenhang auch
Zusammenhngen. Und das primre Me- von assimilierendem Lernen.
dium schulischen Lernens ist die Sprache.
Sprachliches Lernen nennt Ausubel auch Prinzipien des Darstellenden
symbolisches Lernen – Lernen in und mit
Unterrichtens
dem Symbolsystem Sprache. Sinnvolles
symbolisches Lernen findet statt, wenn Das sinnvolle rezeptive Lernen lsst sich
eine Verknpfung des neuen Lernstoffs – so Ausubel – am besten durch Darstel-
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gleichen Weise behandelt, mit großer Wettbewerb abbrechen. Die starre Zeit-
Wahrscheinlichkeit die im Hinblick auf vorgabe ist fr die Zwei-Stunden-Lufer
ein Lernziel vorgefundenen Eingangs- unnçtig, fr die Vier-Stunden-Lufer ver-
unterschiede festigen und reproduzieren, hngnisvoll. Sie mssten das Unterneh-
wahrscheinlich sogar vergrçßern. men erfolglos einstellen, obgleich viele
Ein wichtiges Unterrichtsmerkmal ist die von ihnen vermutlich doch noch ins Ziel
Zeit, die im Unterricht zur Verfgung gekommen wren, wenn man ihnen die
steht, genauer: die Zeitdauer, die der Leh- Zeit dazu gelassen htte. Anders als die
rende fr einen Vortrag oder eine Erkl- schulische Unterrichtszeit, ist die Zeit-
rung, fr das Vorzeigen oder Vormachen messung beim wirklichen Marathonlauf
aufwendet oder fr das angeleitete und glcklicherweise adaptiv – beim Ziel-
das selbststndige ben bereitstellt. Die eingang wird jedem Lufer im Nachhi-
Lernenden unterscheiden sich nun aber nein die Zeit »zugemessen«, die er tat-
darin, wie viel Zeit sie bençtigen (und schlich gebraucht hat, um das Ziel zu
auch tatschlich einsetzen), um etwas zu erreichen.
erlernen. Diese Erkenntnis ist nicht neu – Adaptieren heißt anpassen. Nicht nur die
Corno und Snow (1986) zufolge war es Unterrichtszeit kann man den Erforder-
schon in den vorchristlichen Hochkultu- nissen und Bedrfnissen der Lernenden
ren bekannt, dass Lernende mit unter- anpassen, auch das unterrichtsmetho-
schiedlichen Lernvoraussetzungen dem- dische Vorgehen oder gar das Lernziel
entsprechend in unterschiedlicher Weise selbst. Der Begriff der adaptiven Instrukti-
unterwiesen werden sollten. Jedoch ist on ist eine Sammelbezeichnung fr den
die unterrichtspraktische Umsetzung der unterrichtlichen Umgang mit interindivi-
Lernzeitdifferenzierung unter den Bedin- duellen Differenzen. Dabei wird das un-
gungen des Schulklassenunterrichts alles terrichtliche Vorgehen an vorgegebene
andere als trivial. Wie lsst sich im starren oder vorgefundene Unterschiede ange-
Zeitrahmen des Schulunterrichts die Not- passt, um individuelle Lernprozesse zu op-
wendigkeit unterschiedlicher Lernzeiten timieren (Corno & Snow, 1986). Durch
praktisch realisieren? adaptiven Unterricht soll jeder Lernende
Es ist allerdings nicht allein der quantita- mçglichst gut gefçrdert werden. Ob eine
tive Aspekt des Unterrichts, welcher der solcherart optimierte Fçrderung individu-
Anpassung bedarf: Die eine Schlerin elle Leistungsdefizite nicht nur ausglei-
wird die Addition mit Zehnerberschrei- chen, sondern letztendlich sogar zu einer
tung in kurzer Zeit verstanden haben, fr Verringerung der Leistungsvariabilitt in
einen anderen Schler wird es nicht aus- heterogenen Lerngruppen beitragen kann
reichen, das Zeitbudget zu erhçhen, son- (und soll), wird kontrovers beurteilt
dern es wird zudem ein (zeit-)aufwndi- (Bloom, 1976; Neber, 1996). Dennoch ist
ges didaktisches Zurckgehen vom die Notwendigkeit des adaptiven Unter-
Operieren mit Zahlsymbolen auf die iko- richtens unstrittig. Sie leitet sich aus der
nische oder gar enaktive Reprsentations- grundstzlichen Problematik nahezu jeder
ebene erforderlich sein, das aber heißt: ei- Gruppenunterweisung in nicht selegierten
ne vçllig andere Form der Instruktion. Lerngruppen ab: der vorgefundenen Un-
Es ist offensichtlich: Gleiche Lernzeit fr terschiedlichkeit der Lernenden.
alle ist genauso unsinnig, als wolle man Vor allem Lee Cronbach und Richard
bei einem Marathonlauf fr alle Teilneh- Snow (Corno & Snow, 1986; Cronbach
mer eine Richtzeit von drei Stunden und & Snow, 1977) haben sich um eine kon-
20 Minuten festlegen und danach den zeptuelle Klrung der Adaptivitt von In-
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optimalen Trainingsversuchen. Die syste- Cronbach (1975, S. 119) hat das so um-
matische Ermutigung wurde durch kurze schrieben: »Sobald wir auf Interaktionen
Zurufe beim Weitsprung, beim Schlag- achten, betreten wir ein Spiegelkabinett,
ballwurf und beim 50-Meter-Lauf experi- das sich bis zur Unendlichkeit ausdehnt.«
mentell induziert. Es zeigte sich, dass vor Vermutlich gibt es viele Eigenschaften
allem die hochngstlichen Schler (aus- von Lernenden, die mit vielen Lehr-
weislich ihrer Testwerte fr Schul- und methoden, Lerninhalten und Lernzielen
Prfungsangst) von den ermutigenden im Hinblick auf den Lernerfolg Wechsel-
Verstrkungen profitierten. In einer Kon- beziehungen aufweisen. Hinzu kommt:
trollgruppe ohne solche Verstrkungen Selbst wenn die maßgeblichen Wechsel-
konnten sich die ngstlichen Schler in wirkungen alle bekannt wren, wie soll-
ihren Leistungen nmlich nicht verbes- ten die auf ihnen beruhenden Schlussfol-
sern. Fr die weniger ngstlichen Schler gerungen unter den Bedingungen des
waren die Ermutigungen wie auch deren Gruppenunterrichts in praktikable, diffe-
Ausbleiben weniger wichtig – wenn auch renzierende instruktionale Maßnahmen
nicht schdlich. umgesetzt werden?
Studien wie diese haben eine methodische Auch wenn der unmittelbare unterrichts-
Forschungstradition in der Instruktions- methodische Nutzen mithin zweifelhaft
psychologie begrndet, die als ATI-For- erscheint, kommt der ATI-Forschung im
schung bekannt wurde. Das Akronym wertenden Rckblick eine besondere Be-
ATI steht fr »Aptitude-Treatment-Inter- deutung zu. Sie hat, wie Terhart (2000,
action« – die differenzielle Wirksamkeit S. 84) treffend formuliert, »die Mçglich-
pdagogischer Interventionen. Eine keit des einfachen Methodenvergleichs
brauchbare deutsche bersetzung hat sich endgltig sabotiert«. Die naive Suche
nicht durchgesetzt. Als »aptitudes« be- nach der besten Lehrmethode, dem bes-
zeichnet man die Eigenschaften oder ten Unterrichtsmedium, dem erfolgreichs-
Merkmale (eigentlich: die Eignungen) der ten Lehrerverhalten war damit in ihrer
Lernenden, als »treatment« die unter- Ausschnitthaftigkeit als zu kurz gegriffen
richtlichen Maßnahmen (eigentlich: die entzaubert. Was neben dieser ernchtern-
Behandlung) durch die Lehrenden, also in den Erkenntnis bleibt, sind die vielflti-
der Regel die Lehrmethode, und die »in- gen ATI-Befunde zur Wirksamkeit in-
teraction« ist im Sinne eines statistischen struktionaler Medien in Abhngigkeit
Interaktionseffekts im varianzanalyti- von spezifischen kognitiven Lernvoraus-
schen Versuchsplan gemeint. setzungen (z. B. Plass, Chun, Mayer &
Schlerinnen und Schler mit bestimmten Leutner, 1998; Tuovinen & Sweller,
Eignungen und Voraussetzungen (Aptitu- 1999; ausfhrlicher vgl. Kap. 7.4). Es gibt
des) lernen also offensichtlich besser, wenn ganz offensichtlich Interaktionen zwi-
sie nach einer bestimmten Methode schen ngstlichkeit, Intelligenz und Vor-
(Treatment) unterrichtet werden; fr an- kenntnisniveau der Lernenden und Merk-
dere ist wiederum eine andere Methode malen der Instruktion: ngstlichere und
gnstiger. Die vielfach aufgefundene infe- Leistungsschwchere scheinen nmlich
renzstatistisch bedeutsame Wechselwir- von hochstrukturierten Unterrichts-
kung (Interaction) zwischen Eigenschaf- umgebungen mit klar definierten Auf-
ten des Lernenden und bestimmten Unter- gabenstellungen, von einer schrittweisen
richtsmerkmalen erçffnet allerdings auf Stoffprsentation und einer strkeren
der Theorie- wie auf der Praxisebene weit Lenkung vergleichsweise mehr zu profi-
mehr Probleme, als sie zu lçsen vorgibt. tieren (Snow & Swanson, 1992; Swan-
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son, 1999). Erklrt wird das durch eine instruktionale Vorgehensweisen kçnnen
kompensatorische Wirkung der direkten also dazu fhren, dass die Lernenden in-
Instruktion bei den leistungsschwcheren dividuell optimal gefçrdert werden.
Schlern, bei denen defizitre kognitive Die adaptive Instruktion sorgt offenbar dafr,
oder motivationale Lernvoraussetzungen dass getan wird, was fr den Lernprozess not-
durch ußere Vorgaben substituiert und wendig ist, was aber der Lernende zu einem be-
damit Prozesse der Informationsverar- stimmten Zeitpunkt selbst spontan nicht tun
beitung erleichtert wrden. Lernende kann. (Weinert, 1996c, S. 32)
hingegen, die aufgrund ihrer Lernvoraus-
setzungen zu selbstregulativem Lernver- Modelle der Adaptation
halten in der Lage seien, profitierten eher Leutner (1992) hat die Facetten des
von offenen und entdeckenlassenden Un- Adaptationsbegriffs systematisiert. Er un-
terrichtsverfahren. Ganz unterschiedliche terscheidet zwischen dem Adaptations-
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gen Lernsequenzen und auf den im »Ler- wenn es um das Erreichen nicht-kogniti-
nermodul« reprsentierten (subjektiven) ver Lernziele geht, etwa um die Vernde-
Stand des Wissensaufbaus, quasi als Di- rung von Einstellungen und Werthaltun-
agnosekomponente des Systems. gen.
Programmierter Unterricht ist effektiv
und effizient. Gottschaldt (1972) berich-
Zielerreichendes Lernen
tet fr das Bruch-, Dreisatz- und Prozent-
rechnen in sechsten und siebten Klassen Auf Benjamin Bloom (1976) geht das
ber eine Lernzeitersparnis in betrcht- Konzept des zielerreichenden Lernens zu-
licher Grçßenordnung bei gleichem Lern- rck (learning-for-mastery; LFM). Unter
erfolg wie in herkçmmlich unterrichteten den Bedingungen des Unterrichts in
Kontrollklassen. Einen geringeren Lern- Schulklassen ist das zielerreichende ein
zeitbedarf indiziert auch eine Metaanaly- individualisiertes, angepasstes Lernen,
se zur Wirksamkeit des computerunter- wobei die wesentliche Adaptivittsmaß-
sttzten Unterrichts (Kulik & Kulik, nahme in der Gewhrung unterschiedli-
1989). Es ist allerdings nicht die mediale cher Lernzeiten zur Bewltigung vorgege-
Realisation – programmiertes Lehrbuch bener Lernaufgaben besteht.
bzw. Computerprogramm –, die fr den
positiven Effekt verantwortlich ist, son- Was irgendein Mensch auf der Welt lernen
kann, kçnnen fast alle Menschen lernen, wenn
dern der beiden Medien gemeinsame
sie mit angemessenem Vorwissen und angemes-
adaptive Aspekt der Individualisierung senen aktuellen Lernbedingungen ausgestattet
von Unterricht. Programmierte Instrukti- werden. (Bloom, 1976, S. 7)
on trgt den Unterschieden zwischen den
Lernenden Rechnung, indem ein indivi- »Alle Schler schaffen es!« lautet die
duelles Lerntempo zur Zielerreichung zu- deutsche bersetzung von Blooms visio-
gelassen (Zeitadaptivitt) und, wenn er- nrem Programm. Das auf den schu-
forderlich, erneute Erklrungen und lischen Unterricht bezogene zielerreichen-
weitere Beispiele angeboten werden. Sie de Lernen fußt auf John B. Carrolls
fordert die Selbstttigkeit (Aktivitt) des Vorberlegungen zur Bedeutsamkeit der
Lernenden ein und sie nutzt zwei weitere aktiven Lernzeit fr den Schulerfolg (Car-
bewhrte Wirkmechanismen der operan- roll, 1963). Auch Carrolls richtungswei-
ten Konditionierung: fehlerfreies Lernen sender Aufsatz hat brigens eine ver-
und unmittelbare Rckmeldung. Die Me- gleichbar plakative deutsche bersetzung
thode des PU ist weniger gut geeignet, gefunden: »Lernerfolg fr alle«.
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aus. Aber jede erbrachte Lernleistung ist Studien zur Direkten Instruktion klar er-
immer auch eine Leistung in einer Zeit- wiesen, dass der vermittelte Stoffumfang
einheit. So gesehen ist die Allokation von in entscheidender Weise den resultieren-
Lehr-Lern-Zeit im Unterricht ein knappes den Wissensaufbau beeinflusst (vgl. Kap.
Gut. Nur bei unbegrenzter Unterrichts- 6.1). Erst wenn man die zeitadaptiven
zeit und wenn die schneller Lernenden Sttzkurse additiv, d. h. zustzlich zum
whrenddessen eine Auszeit nehmen, regulren Unterricht anbietet, findet die
kann sich deshalb der »hypertrophe An- Umverteilung der unterrichtlichen Lern-
spruch« (Weinert, 1998a, S. 206) Blooms zeit zu Gunsten der langsamer Lernenden
erfllen, wonach das zielerreichende Ler- ihr Ende. Mit der Folge allerdings, dass
nen langfristig dazu fhren werde, die die Leistungsunterschiede zwischen den
Leistungsvarianz in einer Lerngruppe zu Lernenden in der Regel weiter bestehen
verringern. Mit anderen Worten: Nur bleiben.
wenn man bewusst »Robin-Hood-Effek- Eine damit zusammenhngende Frage ist
te«, d. h. ein ausgleichendes Umverteilen die nach den »Kosten« der Divergenz-
der pdagogischen Bemhungen auf die minderung durch Lernzeitadaptation zu-
Leistungsschwcheren, einkalkuliert oder lasten einer mçglicherweise unterbliebe-
die Leistungsanforderungen sprbar nen Leistungsfçrderung. Wenn – wie
senkt, wird das zielerreichende auch ein bereits angedeutet – die Unterrichtszeit
ausgleichendes Lernen. im Klassenverband »nur einmal ausgege-
Vorliegende Metaanalysen und zusam- ben werden kann«, (Ewert & Thomas,
menfassende Darstellungen stimmen weit 1996, S. 100) stellt sich nmlich die Fra-
gehend darin berein, dass die zeitadap- ge, ob ein »zgiges Voranschreiten« zu
tiven Maßnahmen des zielerreichenden Gunsten der Leistungsentwicklung der
Lernens prinzipiell wirksam sind (Guskey, schneller Lernenden nicht dem divergenz-
1987; Kulik, Kulik & Bangert-Drowns, mindernden ben und Wiederholen unter
1990; Slavin, 1987). Allerdings, darauf einem bergeordneten Gesichtspunkt
weist insbesondere Arlin (1984) hin, pro- vorzuziehen ist. Was bringt es der Lern-
fitieren vornehmlich die Lernschwachen gruppe insgesamt, wenn »alle warten
von diesen Maßnahmen. Die schneller [mssen], bis der letzte durchs Ziel ge-
Lernenden werden in ihrer Leistungsent- gangen ist, ehe es weiter geht?« (Ewert &
wicklung eher gebremst. Daran ndern Thomas, 1996, S. 99). Allerdings gibt es
auch die vielfltigen »enrichment activi- Hinweise, dass die Zielkriterien der Leis-
ties« nichts, die man ihnen anbietet: sie tungsfçrderung und des Ausgleichs von
als Tutoren einsetzen, ihnen ergnzendes Leistungsunterschieden nicht gnzlich so
Lernmaterial vorlegen, sie mit Arbeiten inkompatibel sind, wie es zunchst
ihrer Wahl beschftigen. Slavin (1987) scheint (Helmke, 1988; Helmke & Wei-
bringt es diesbezglich auf den Punkt: nert, 1997b; vgl. Kap. 7.1).
Die Unterrichtszeit, die man bençtigt, um
die Lernschwcheren zum Lernziel zu
Fazit
fhren, muss irgendwo herkommen. Bei
insgesamt begrenzter Unterrichtszeit re- Maßnahmen der adaptiven Instruktion
sultiert zwangslufig ein unerwnschter sind nahe liegend und notwendig, um
»tradeoff« zwischen dem vermittelbaren Lernprozesse an individuelle Lernvoraus-
Stoffumfang auf der einen Seite und der setzungen anzupassen. Sie setzen eine
Zielerreichungsquote auf der anderen. sorgfltige Lernstandsdiagnostik voraus.
Dies aber ist ein Problem, haben doch die Die Anpassung kann sich auf die Aus-
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Teil II Lehren
wahl (erreichbarer) Lernziele, auf die Ap- zum selbstgesteuerten Lernen (vgl. Kapi-
plikation (geeigneter) Lehrmethoden oder tel 6.6) darauf zurckkommen.
Lernumgebungen und auf die Variabilitt
der zur Zielerreichung gewhrten Lern-
zeit beziehen. Befunde der ATI-Forschung 6.3 Entdeckenlassendes
weisen darauf hin, dass bei einer Passung Lehren
individueller Lernvoraussetzungen mit
bestimmten Strukturmerkmalen unter- »Erfolgreiches Lehren« lautet die Gene-
richtlichen Handelns Lernergebnisse in ralberschrift des sechsten Kapitels. Inte-
der Tat optimierbar sind (Prferenzmo- ressanterweise firmieren aber die meisten
dell). Die Erfahrungen mit Blooms zieler- Teilabschnitte, beginnend mit diesem, in
reichendem Lernen haben gezeigt, dass anderen Darstellungen hufig unter dem
Leistungsdefizite durch Erhçhung des Etikett »Lernen«: entdeckendes, situier-
Zeitaufwandes behoben werden kçnnen tes oder problemorientiertes, kooperati-
(Fçrdermodell). Die vielfltigen Ergebnis- ves und selbstgesteuertes. Das ist gewiss
se zum remedialen Lernen belegen zudem, kein Zufall und auch keine sprachliche
dass Leistungsdefizite auszugleichen sind, Ungenauigkeit. In den Komposita tritt
wenn die Ursachen defizitrer Lernleis- vielmehr zutage, dass die Lehrersteue-
tungen angegangen werden (Kompensati- rung der Direkten und der Adaptiven In-
onsmodell). Aus der kognitiven Trainings- struktion (vgl. Kapitel 6.1 und 6.2) nun-
forschung ist seit langem bekannt, dass mehr einer strkeren Selbststeuerung des
Schlerinnen und Schler mit Lern- Lernenden Raum gibt, oder, um es an-
schwierigkeiten einer besonderen Art von ders zu formulieren, dass anstelle vor-
Trainingsmaßnahmen bedrfen (Gersten bereiteter Erklrungen und Antworten
et al., 2001; Swanson, 1999; vgl. auch der Lehrenden antwortsuchende Fragen
Kap. 8.4). Es scheint mithin unstrittig, und Problemlçseversuche der Lernenden
dass adaptive Maßnahmen die Leistungs- in ihrer wissensaufbauenden Funktion
entwicklung der langsamer Lernenden in betrachtet werden. Wir haben uns – um
positiver Weise befçrdern kçnnen. Alle das Lehren vom Lernen begrifflich deut-
Maßnahmen der Lernziel- und der Lehr- licher abzusetzen – im sechsten Kapitel
methodenadaptivitt kommen im Grunde des Lehrbuchs, wo mçglich, dennoch
den schnelleren und den langsameren, fr die Bezeichnung »Lehren« entschie-
den besseren und den schwcheren Ler- den.
nern in gleicher Weise zu Gute. Wird im Das entdeckenlassende Lehren basiert auf
Klassenverband jedoch nur die Lernzeit einer Art indirekter, sokratischer Instruk-
zu Gunsten der langsameren Lerner adap- tion, bei der (die angestrebten) Wissens-
tiert, so resultiert fr die schnelleren hu- strukturen eben nicht instruktional vor-
fig eine (unerwnschte) Lernhemmung. gegeben, sondern vom Lernenden selbst
Die vorgestellten Adaptationsmaßnah- aktiv generiert (hergeleitet) und konstru-
men sind lehrerinitiiert. Merrill (1975) iert werden mssen. In diesem Sinne zhlt
hat darauf hingewiesen, dass auch die es zur Familie der kognitiv-konstrukti-
Lernenden selbst im Verlauf von Lernpro- vistischen Lehr-Lern-Theorien mit ver-
zessen solche Adaptationen vornehmen gleichsweise geringer externaler Steue-
kçnnen: also z. B. selbst die Lernzeit er- rungskomponente. Beim Durcharbeiten
hçhen, selbst andere Lernstrategien ein- des folgenden Unterrichtsbeispiels lassen
setzen, selbst andere mediale Darstellun- sich wichtige Prinzipien des entdeckenlas-
gen auswhlen. Wir werden im Abschnitt senden Lehrens entdecken – zusammen
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net, um das Volumen zu bestimmen«, fgt Esther hinzu. »Das glaube ich nicht«,
sagt Philipp, »das eine waren doch lauter Flchen und hier haben wir einen Kreis
und eine Hçhe.« »Ich weiß, wie wir es beweisen kçnnen«, ergnzt Jan. »Wir wissen
zwar noch nicht, wie groß das Volumen dieses kleinen Zylinders hier ist, aber wir
wissen, dass das Wasservolumen gleich bleiben wird, wenn wir das Wasser in einen
grçßeren Zylinder umschtten.«
(Jan entfernt das Wasser aus vier der fnf der Zylinder und schttet das Wasser aus
dem kleinsten in den nchst grçßeren um. Auch bei diesem misst er dann den Kreis-
durchmesser und die Hçhe des Wasserstandes. Er bestimmt nun die Bodenflche
dieses Zylinders und setzt diesen Wert in die Formel ein, die Luisa vorgeschlagen
hat. Das Wasservolumen entspricht dem fr den kleineren Zylinder bereits berech-
neten.)
Die Monster rufen nach Frau Mayer und erklren ihr Vorgehen. »Wunderbar! Jetzt
kçnnt ihr mir helfen, die anderen Gruppen auf den richtigen Weg zu bringen. Sagt
ihnen nicht die Lçsung, aber helft ihnen, die richtige Spur zu finden. Ihr beiden geht
bitte zu den Bad Girls, Philipp und Jan untersttzen die Superstars.«
(Beispiel nach Slavin, 2006, pp. 241–242; hier gekrzt und modifiziert)
auch darauf an, die »richtigen« Probleme Einsichten, die von anderen entdeckt
auszuwhlen, die Schlerinnen und Sch- wurden und auf sinnvolle Weise kom-
ler in geeigneter Weise zur Selbstttigkeit muniziert worden sind«. Aber es ist ein
zu motivieren, der Verfestigung von Fehl- verstehendes Nach-Entdecken, welches
konzepten whrend des Lernens gegen- dem Lernenden ein besonderes Ausmaß
zusteuern und eine konsolidierende Form an Eigenttigkeit und aktiver Auseinan-
der Ergebnissicherung am Ende des Lern- dersetzung mit seiner Lernumwelt abver-
prozesses zu gewhrleisten. Ganz ohne langt.
Lenkung kommt nmlich das entdecken-
de Lernen nicht aus, in der Lernsituation
Bruners Beitrag
selbst tritt sie aber mçglichst in den Hin-
tergrund. Der Begriff des Entdeckungslernens geht
Auch fr die Lernenden ist das ent- auf Jerome Bruner (1961; 1966) zurck;
deckende Lernen kein Kinderspiel. Die Bruner steht dabei in der reformpdago-
induktiv-konstruktiven Denkprozesse gischen Tradition Deweys und ist beein-
stellen hçhere Anforderungen an den flusst von der strukturalistischen Theorie
kognitiven Apparat, als es beim rezepti- Piagets und der sozio-kulturellen Analyse
ven Lernen der Fall sein drfte. Entdecker Wygotskis. Das Entdeckungslernen ist
probieren etwas aus. Sie bedienen sich brigens nicht der einzige wichtige Bei-
dabei vorhandener Methoden und Hilfs- trag Bruners zur Pdagogischen Psycho-
mittel und des Vorwissens, das sie bereits logie: Nachhaltige Wirkungen haben
besitzen. Vor allem aber bedienen sie sich auch seine bildungspolitischen und kul-
ihres eigenen Verstandes. Durch Nach- turanthropologischen Arbeiten hinterlas-
denken und Ausprobieren gelangen die sen (z. B. Bruner, 1971, 1996).
Lernenden zu neuen Einsichten, indem Bruner ist Ende der 1950er-Jahre einer
sie Elemente einer gegebenen Situation der Wegbereiter der so genannten »kogni-
umordnen und damit ber das Gegebene tiven Wende« gewesen. Die auf den
hinausgehen. Natrlich ist das entdecken- »Sputnik-Schock« in den 1960er-Jahren
de Lernen letztendlich auch nur ein Ent- folgende Bildungsoffensive in den USA
decken aus zweiter Hand, nur ein »Nach- hat er entscheidend mitgeprgt. Die De-
Entdecken« (Terhart, 2000), denn, so batte um das entdeckende Lernen – vor
Bruners schrfster Kritiker Ausubel allem in den naturwissenschaftlichen F-
(1968/1974, S. 528), »das meiste von chern – hat hier ihren Ausgangspunkt,
dem, was man wirklich weiß, besteht aus verbunden mit der Zielvorstellung, quali-
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Teil II Lehren
Teil II Lehren
Fokus: Selbsterklrungen
Beim Lernen mit (ausgearbeiteten) Lçsungsbeispielen ist die Qualitt der generierten
Selbsterklrungen entscheidend. Werden Lçsungsbeispiele nmlich nur passiv und
oberflchlich verarbeitet, d. h. nur flchtig nachvollzogen, dann sind sie wenig lern-
wirksam. Um aus beispielhaft bereits gelçsten Aufgaben effektiv lernen zu kçnnen,
mssen die Lernenden aktiv so genannte Elaborationsstrategien anwenden, um sich
die Aufgaben selbst zu erklren, d. h. sie mssen ber die Aufgabe hinaus Inferen-
zen ziehen, Zusammenhnge erkennen und den gesamten Verstehensprozess meta-
kognitiv berwachen. Selbsterklrungen dienen der aktiven Verarbeitung von Lç-
sungsbeispielen. Sie kçnnen durch Anleitungen zu Verbalisierungen gefçrdert
werden. Stark (1999) pldiert z. B. fr die Vorgabe unvollstndiger Lçsungsbeispie-
le, um passives und oberflchliches Lernen zu verhindern.
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Fragetrainings fr die Inhaltsdomne des wie »Verstehen« und »Anwenden«, aber
Geschichtsunterrichts beschrieben. auch der Lerntransfer, wird offenbar
Einen hnlichen Ansatz verfolgt Alison durch entdeckende Methoden eher be-
King (1991, 1994) mit der Methode des gnstigt. Es gibt auch Hinweise darauf,
gelenkten kooperativen Fragens (vgl. Kap. dass die Entdeckungsmethode eher das
6.5). Es werden allgemeine Fragenforma- lngerfristige als das kurzzeitige Behalten
te (so genannte Fragenstmme) vorgege- befçrdert (z. B. Worthen, 1973). Und es
ben, die zu konkreten Fragen vervollstn- scheint sich Ausubels Vermutung zur
digt werden sollen, um eine elaborative differenziellen Wirksamkeit des Ent-
Informationsverarbeitung zu befçrdern. deckungslernens zu besttigen: Leistungs-
Die Fragenstmme zielen auf das Generie- schwchere Schlerinnen und Schler
ren interner und externer Verknpfungen bedrfen einer hçheren Lenkungskom-
der neu prsentierten Inhalte: ponente (Heller & Hany, 1996; Neber,
1996; Swanson, 1999).
. »Was wre ein Beispiel fr …?«
Von den Vorteilen einer Mischform ent-
. »Worin unterscheiden sich …?«
deckenlassender und darstellender Ver-
. »Was wrde passieren, wenn …?«
fahren berichten Schwartz und Bransford
. »Erklre, warum …!«
(1998). Sie hatten in einer quasi-experi-
King hat zeigen kçnnen, dass ein Training mentellen Versuchsanordnung 36 Studi-
des gelenkten kooperativen Fragens zu enanfnger in das Schemakonzept der
besseren Verstehens- und Behaltensleis- Kognitiven Psychologie eingefhrt, und
tungen fhrt (King, 1991, 1994). Ob auf zwar entweder durch induktives Ent-
eine Frage richtig oder falsch geantwortet deckungslernen, durch Lehrbuch und
wurde, war dabei gar nicht so entschei- Vorlesung oder durch eine Kombination
dend: Allein das Formulieren von Fragen beider Vorgehensweisen. Die Mischform
fhrte offenbar schon zu einer in hçhe- – Schwartz und Bransford nennen sie
rem Maße elaborativen Informationsver- »Entdeckendes Darbieten« – war den bei-
arbeitung. den anderen Vorgehensweisen berlegen.
Die grçßten Lerneffekte ließen sich dann
erzielen, wenn durch eine vorgeschaltete
Wirksamkeit
Entdeckungsphase der Boden fr das ex-
Dem entdeckenlassenden Lehren werden positorische Unterrichten – ber Vortrag
eine Reihe erwnschter, inhaltsbergrei- oder Lehrbuch – bereitet wurde. Dieser
fender Nebenwirkungen zugeschrieben: Synergieeffekt trat aber nur dann auf,
Es fçrdere das Neugierverhalten und die wenn das entdeckenlassende dem exposi-
(intrinsische) Lernmotivation und es un- torischen Lehren voranging.
tersttze auf indirektem Wege die Ausbil-
dung metakognitiven Wissens ber den
Einsatz von Problemlçsestrategien. 6.4 Problemorientiertes
Die empirische Befundlage hierzu ist un- Lehren
einheitlich (vgl. McDaniel & Schlager,
1990; Neber, 1981), spricht aber insge- Ob operantes oder kognitives, assoziati-
samt eher fr einen Vorteil des entdecken- ves oder einsichtiges, entdeckendes oder
den gegenber dem rezeptiven (insbeson- rezeptives Lernen: In der Regel wird von
dere: programmierten) Lernen. Vor allem situations- und gegenstandsbergreifen-
das Erreichen der in Blooms Lernzielta- den Gesetzmßigkeiten des Lernprozesses
xonomie »hçher« angeordneten Lernziele und von prinzipiell generalisierbaren,
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d. h. auf neue Situationen bertragbaren Leitfigur (Moll, 2001; Tudge & Scrims-
Lernergebnissen ausgegangen. Von Ver- her, 2003). Ein Lernkontext – so Wygots-
tretern des Situiertheitsansatzes wird ki – wird meist von mehreren Individuen
demgegenber die Situations- und Kon- geteilt – neben dem Lernenden wird in
textgebundenheit von Lernen und die der Regel ein Lehrender Teilhaber sein,
Notwendigkeit problemorientierter Lehr- aber auch andere kollaborierende Mit-
methoden betont. Wenn sich Lernen in lernende. Im Prozess des sozialen Aus-
konkreten Lernepisoden vollzieht, so die tauschs werden unter den am Lernpro-
Grundannahme der Situationisten, dann zess Beteiligten Bedeutungszuschreibun-
bleibt auch die Nutzbarkeit des Gelernten gen gemeinsam entwickelt und interaktiv
in hohem Maße an den jeweiligen ausgehandelt. Das aber heißt: Zum Auf-
Lernkontext gebunden. Aus dieser Si- bau neuer Kenntnisse und Fertigkeiten
tuationsgebundenheit von Lernen wird bedarf es stets einer sozialen Gemein-
die instruktionspsychologische Forde- schaft von Lernenden – Lernen und Wis-
rung abgeleitet, der konkreten Gestaltung senskonstruktion sind mithin genuin so-
von Lernsituationen besondere Aufmerk- ziale Prozesse. Aus heutiger Sicht verbin-
samkeit zu widmen, denn: Die Eigenhei- det Wygotskis sozio-kulturelle Theorie
ten der Lernsituation beschrnken die die Individuumszentrierung der kogniti-
sptere Anwendbarkeit des Gelernten. onspsychologischen mit der Umweltzen-
trierung der verhaltensorientierten Tra-
Die Wurzeln. Der Aufsatz »Situated cog- dition und beide zusammen mit der so-
nition and the culture of learning« von zial-interaktionistischen Perspektive von
Brown, Collins und Duguid (1989) im George Herbert Mead (1934).
Educational Researcher gilt als Auslçser
der situationistischen Position (wichtig zu Grundannahmen. Wird (schulisches) Wis-
wissen: Es handelt sich dabei um John sen anhand ungeeigneter Beispiele erwor-
Seely Brown und nicht um die 1999 ver- ben, ist es nicht anschlussfhig und kann
storbene Ann Brown des »reciprocal tea- in realen Situationen (»im wirklichen Le-
ching«). Dem vorausgegangen waren die ben«) nicht genutzt werden. Die Situatio-
kulturanthropologischen Studien von nisten ziehen aus dieser vermeintlichen
Jean Lave, Barbara Rogoff und anderen Sollbruchstelle zwischen Schulwissen und
(Lave, 1988; Rogoff, 1990; Rogoff & La- Lebenspraxis den Schluss, dass die Lern-
ve, 1984). Die Feldstudien von Lave und situationen den spteren Anwendungs-
Rogoff zum nicht-institutionalisierten, so- situationen mçglichst hneln sollten, d. h.
zial konstruierten Lernen fußen ihrerseits in besonderer Weise realitts- oder lebens-
auf den handlungstheoretischen Vorarbei- nah bzw. »authentisch« zu gestalten sei-
ten der russischen (materialistischen) en (Brown et al., 1989; Collins, Brown &
Schule um Wygotski, Leontiew und Newman, 1989; Greeno et al., 1996).
Davydov, aber auch auf Deweys Erzie-
hungsphilosophie und auf den reformp- Aus dieser Perspektive betrachtet, kann es ei-
dagogischen Ideen Kerschensteiners, sp- nen abstrakt-allgemeinen Wissenserwerb nicht
geben, der frei wre von dem Kontext, in dem
ter Wagenscheins (zusammenfassend:
er stattfindet, und von den Aktivitten, durch
Bredo, 1994, 1997; Brown, 1997). die er vonstatten geht. Vielmehr hngt das,
Vor allem in postmodernen sozial-kon- was wir lernen, sehr stark von den besonderen
struktivistischen Argumentationszusam- Hinweisen und der kognitiven Untersttzung
menhngen gilt der in den 1970er-Jahren ab, die in diesem Kontext und in diesen Aktivi-
wiederentdeckte Wygotski (1934) als tten liegen. (Shuell, 1996, S. 746)
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gens eingebt werden. Hinzu kommt: Si- Grundmodell des handwerklichen Aus-
tuiertes Lernen ist stets ein sozialer Pro- bildungsverhltnisses zwischen Meister
zess. Auf der Makroebene wirken Ein- und Lehrling entspricht, ist von Collins et
flsse der jeweiligen Kultur, in der das al. (1989) auf das schulische, kognitive
Lernen stattfindet; auf der Mikroebene Lernen bertragen und unter der Bezeich-
sind die individuellen Wissenskonstruk- nung »kognitive Meisterlehre« (cognitive
tionen mit jenen der Lehrenden und der apprenticeship; CA) bekannt gemacht
kollaborierenden Mitlernenden in Ein- worden. Dabei stand weniger die Analo-
klang zu bringen (Greeno et al., 1996; Pa- gie zu gegenwrtigen Formen der ge-
lincsar, 1998). Bei den unterrichtlichen werblichen oder kaufmnnischen Ausbil-
Realisierungen des situierten Lernens dung Pate als vielmehr der fast nos-
handelt es sich in der Regel um »liberali- talgisch zu nennende Verweis auf einen
sierte Variante[n] des Konstruktivismus«, prinstitutionellen natrlichen Urzustand
bei denen ber die Verknpfung von des Lernens.
Selbst- und Fremdsteuerung ein pragma- Die Meisterlehre ist die Art, auf die wir am na-
tischer Ausgleich zwischen Instruktion trlichsten lernen. Sie bestimmte das Lernen,
und Konstruktion angestrebt wird (Gers- bevor es Schulen gab, vom Erlernen der Spra-
tenmaier & Mandl, 2001). che bis hin zum Regieren eines Kçnigreichs …
Zwei wichtige Formen situierten, prob- Vor allem in Lernumgebungen, in denen indivi-
lemorientierten Lehrens sind die »kogni- dualisiert und sehr personalintensiv unterrich-
tive Meisterlehre« und die Methode der tet wird, wie beim Tennistraining, beim Fremd-
sprachen-Lernen in einer Berlitz-Schule oder
»Verstehensanker«. Sie eint die Ausrich-
bei der Ausbildung in medizinischer Diagnos-
tung an komplexen, realittsnahen Prob-
tik, werden Methoden der Meisterlehre auch
lemen als Ausgangspunkt von Lernpro- heute noch eingesetzt. Mit Hilfe der neuen Me-
zessen. Fr diese beiden Prototypen dien lassen sich Techniken des Modellierens
werden im Folgenden unterrichtliche und des angeleiteten bens nunmehr in einer
Realisierungen und – soweit vorhanden – Weise optimieren, die diese Art zu lehren (die
Untersuchungen zu ihrer Wirksamkeit Meisterlehre) kostengnstig und effektiv gestal-
prsentiert. tet und somit einer breiteren Verwendung zu-
fhren kann. (Collins et al., 1989, S. 491)
Kognitive Meisterlehre
Anregend fr den CA-Ansatz waren vor
Das Lernen durch angeleitete Partizipati- allem die Fallberichte zu Lern- und Kom-
on (apprenticeship learning), das dem munikationsformen in vorindustriellen,
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nichtwestlichen Kulturen, wie sie insbe- Ergebnis einer isolierten instruktionalen Lekti-
sondere den ethnographischen Arbeiten on. (Bredo, 1997, S. 37)
von Lave (1988) und Rogoff (1990) zu
entnehmen sind. Diese Studien weisen Situiertes Lernen nach dem Modell der
auf den Handlungskontext des Wissens- Meisterlehre ist mithin praxisnah angelei-
erwerbs im sozialen Austausch hin. So tetes, individualisiertes Lernen. Es wird
berichtet beispielsweise Lave (1988), dass realisiert durch Formen der Partizipation
liberianische Schneider ihr Handwerk in einer Gemeinschaft praktisch ttiger
praktisch ohne institutionalisierte In- Menschen. Reinmann-Rothmeier und
struktion, nur durch einfache Partizipati- Mandl (2001) sprechen in diesem Zu-
on am Produktionsprozess erlernen. sammenhang auch von der »Einfhrung
in eine Expertenkultur«.
Der Schneiderlehrling beginnt damit, Arbeits- Im Kern des didaktischen Vorgehens geht
schritte zu bernehmen, die relativ wenig spe- es bei den unterrichtlichen Realisierungen
zialisierte Fertigkeiten erfordern und, im Falle der Meisterlehre um eine lehrergesteuerte
des Scheiterns, nur ein geringes finanzielles Ri-
Abfolge von Modellierung, Anleitung
siko beinhalten. Mit der Zeit wechselt er dann
und Untersttzung des Lernens und um
zu spezialisierteren, risikoreicheren und als
wichtiger bewerteten Teilauftrgen. Wann im- die Fçrderung der Selbstttigkeit des Ler-
mer »Lernen« auftrat, war es mehr oder weni- nenden, hufig unter Nutzung moderner
ger beilufig whrend der gemeinsamen Arbeit Medien oder Technologien. Dies beinhal-
mit anderen in unterschiedlichen Phasen der tet typischerweise das modellhafte Vor-
Kleidungsproduktion entstanden und nicht als machen oder Demonstrieren einer (kogni-
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tiven) Ttigkeit durch den Lehrenden so- erlaubt ein untersttztes Erproben
wie das angeleitete Beobachtenlassen und von Methoden und Strategien, die
das untersttzte und kontrollierte Nach- der Lernende noch nicht allein voll-
ahmenlassen durch den Lernenden; ver- ziehen kann. Schrittweise werden
bunden mit besonderen instruktionalen aber die Hilfestellungen wieder aus-
Techniken, die neuartige Bezeichnungen geblendet und das Lerngerst wird
wie »scaffolding« und »fading« tragen, wieder abgebaut.
aber nichts anderes meinen, als dass ein 4. Artikulation. Die Lernenden werden
helfendes Lerngerst zunchst auf- und aufgefordert, whrend der Aufgaben-
dann schrittweise wieder abgebaut wird. bearbeitung ihre Gedanken zu arti-
Mit anderen Worten: dass sich der Leh- kulieren; gelegentlich werden auch
rende, der »Kognitive Meister«, beim explizite Nachfragen gestellt, um die
Fortschreiten des Lernprozesses sukzessi- Qualitt des internalen kognitiven
ve aus dem Prozess des Wissensaufbaus Modells zu diagnostizieren. Nur so
wieder zurckzieht. wird der Lernende spter in der Lage
Collins et al. (1989) haben das metho- sein, selbststndig strategische Ent-
dische Zusammenspiel zwischen Beob- scheidungen zu treffen.
achtenlassen, Untersttzung geben und 5. Reflexion. Die Lernenden werden
selbststndiger Praxis in einer Sequenz aufgefordert, ihr eigenes Vorgehen –
von sechs Stufen zusammengefasst: die eigenen Strategien – mit dem stra-
tegischen Vorgehen der anderen Ler-
1. Modellieren. Der Lehrende fhrt die nenden und dem des lehrenden Ex-
Lçsung einer Zielaufgabe modellhaft perten zu vergleichen. Durch diesen
vor (demonstriert die neue Fertig- Vergleich wird eine neue Abstrakti-
keit). Wenn es um eine kognitive onsebene erreicht.
Fertigkeit geht, erfordert dies eine 6. Exploration. Die Anregung, neue
Externalisierung der internen kogni- Probleme selbststndig zu explo-
tiven Prozesse durch begleitendes rieren, beschließt den Unterrichts-
Verbalisieren. Lernexperten (»Kogni- zyklus.
tive Meister«) legen also offen, wie
sie lernstrategisch vorgehen. Sie bie- Wirksamkeit
ten damit Gelegenheit zur Nach-
ahmung. Collins et al. (1989) nennen drei Muster-
2. Angeleitetes ben (Coaching). Nun beispiele der praktischen Umsetzung die-
muss der Lernende die Aufgabe ser Prinzipien in situierten, problemorien-
selbst ausfhren oder lçsen. Er wird tierten Lernumgebungen: »Reciprocal
dabei vom Lehrenden betreut und Teaching of Reading« von Palincsar und
gezielt untersttzt, z. B. durch not- Brown (1984) als Trainingsprogramm
wendige Hinweise, Rckmeldungen zum Textverstehen, »Procedural Faciliati-
und Erinnerungen. on of Writing« von Scardamalia und Be-
3. Lernhilfen und Lernsteuerung (Scaf- reiter (1985) als Trainingsprogramm zum
folding and Fading). Zur Erleichte- Textverfassen und »Methods for Tea-
rung des Wissensaufbaus wird ein ching Mathematical Problem Solving«
»Lerngerst« aufgebaut. Vorber- von Schoenfeld (1985) als Trainingspro-
gehend kann der Lehrende schwieri- gramm zur Fçrderung des mathemati-
ge Teilaufgaben auch vollstndig schen Denkens. Alle drei Programme so-
selbst bernehmen. Das Lerngerst wie deren Weiterentwicklungen, aber
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Schler U (L): » Ich glaube, der Text kçnnte so weiter gehen, dass beschrieben wird,
wie das Salz erstmals entdeckt wurde, und dann, woraus Salz besteht, und dann,
wie es entsteht.«
Lehrperson (LP): »O.K. Kçnnen wir einen anderen Lehrer whlen?«
»Speisesalz wird durch die dritte Methode gewonnen, die knstliche Verdunstung.
In ein unterirdisches Salzbett wird Wasser gepumpt, um das Salz aufzulçsen und ei-
ne Lake herzustellen, die an die Oberflche gebracht wird. Nach der Reinigung bei
hohen Temperaturen ist das Salz fertig fr unseren Tisch.«
Schler K (L): »Nach der Reinigung bei hohen Temperaturen ist das Salz fertig fr
was?«
Schler C (S): »Unseren Tisch.«
Schler K (L): »Das stimmt. Zum Zusammenfassen: Nach der Reinigung kommt
das Salz auf unsere Tische.«
Lehrperson (LP): »Das war sehr schçn, Ken, und ich finde eure Arbeit sehr gut, aber
ich glaube, da gehçrt noch etwas anderes in unsere Zusammenfassung. Es gibt noch
mehr wichtige Informationen, die wir einbeziehen sollten …«
(nach Brown & Palincsar, 1989, S. 421)
auch andere Anstze, die auf den Prinzi- und metastrategischen Elementen zurck-
pien der Meisterlehre beruhen, haben gefhrt.
sich in Evaluationsstudien als wirksam Cornelia Grsel (1997) berichtet ber die
erwiesen (Brown, 1997; Rosenshine & Adaptation, Implementation und Erpro-
Meister, 1994; zusammenfassend: Gr- bung der computerbasierten Lernpro-
sel, 1997, oder Stark, 1999). Das ist gramme PlanAlyzer und Thyroidea in
nicht wirklich berraschend, vereinen sie der klinischen Ausbildung von Studentin-
doch die bekanntermaßen wirksamen nen und Studenten der Medizin. Unter
Merkmale direkter Instruktion mit den besonderer Bercksichtigung der beiden
Vorteilen des selbstttigen, nachahmen- CA-Prinzipien Artikulation und Coa-
den und sozialen Lernens. Andere erfolg- ching waren in diesen Studien problem-
reiche kognitive Trainings, die ebenfalls orientierte Lernumgebungen mit einem
wesentliche Prinzipien der Meisterlehre hohen Ausmaß an Authentizitt realisiert
realisieren, werden in Kapitel 8.1 be- worden. Auch hier zeigt sich, dass erst
schrieben. das Bereitstellen zustzlicher instruktio-
Rosenshine und Meister (1994) haben ei- naler Hilfen und Anregungen den Erwerb
ne Metaanalyse zum Reciprocal Teaching anwendungsorientierten Wissens, d. h.
vorgelegt, in der zwischen Studien mit die Diagnosekompetenz der angehenden
und ohne vorherige explizite Modellie- Mediziner, befçrderte.
rung der Strategien des Textverstehens Unter den situierten Lernumgebungen
durch die Lehrperson unterschieden wird. gibt es weitere methodische Anstze, die
Bei einer mittleren Effektstrke von d = die von Collins et al. (1989) formulierten
0.57 zeigen sich grçßere Effekte nach Prinzipien bercksichtigen. Bei Blumen-
vorherigem expliziten Modellieren der feld et al. (1997) findet sich zu diesen An-
vier Strategien. Die Wirksamkeit des Re- stzen eine zusammenfassende bersicht.
ciprocal Teaching wird vor allem auf die Die meisten Konzeptionen verwenden
gelungene Verknpfung von strategischen Computer zur Untersttzung des Lern-
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prozesses und fokussieren die Bedeutsam- on; AI) ein weiteres Beispiel des situierten
keit einer gemeinsamen Lerngruppe (kol- Lernens durch problemorientierte Metho-
laboratives Lernen). den. Sie stehen eher in Piagets als in
Wygotskis Tradition. Zur Fçrderung des
verstehenden Wissenserwerbs werden
Verstehensanker
spannende (kindgemße) Abenteuerge-
Neben der Kognitiven Meisterlehre sind schichten im Filmformat angeboten, in
die Verstehensanker (anchored instructi- die das zu erlernende konzeptuelle Wis-
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Teil II Lehren
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Teil II Lehren
derson, Reder & Simon, 1996, 1997; erwerbs werden aus kognitivistischer Sicht
Greeno, 1997; Kirshner & Whitson, empirische Befunde entgegengehalten, die
1998) wurde intensiv ber die Tragfhig- eine breite Generalisierbarkeit erlernter
keit und Ntzlichkeit des Situiertheits- Basiskompetenzen belegen – sichtbar vor
ansatzes gestritten. In der Zeitschrift fr allem am Beispiel des Lesens, Schreibens
Pdagogische Psychologie ist diese De- und Rechnens. Solche Befunde sprechen
batte von Alexander Renkl (2000) und fr den Erfolg eines vertikalen und hori-
Karl Josef Klauer (1999, 2000) nochmals zontalen Wissenstransfers zwischen unter-
aufgegriffen worden. Kern der Auseinan- richtlichen Lernaufgaben und fr die
dersetzung zwischen Situationisten und Wirksamkeit allgemeiner und spezifischer
Kognitivisten ist die Frage, ob die sym- kognitiver Trainings (zumal, wenn in sol-
bolischen Prozesse der Informationsverar- chen Trainings Phasen einer abstrakt-in-
beitung eher in abstrakter Form oder eher formierenden Instruktion mit Phasen an-
ber alltagspraktische Erfahrungen in der geleiteten und selbststndigen bens
sozialen Interaktion untersttzt werden kombiniert werden). Mit anderen Worten:
kçnnen, oder, wie es Weinert (1998a, Auch in Lernumgebungen, die weder au-
S. 208) ironisch zuspitzt, ob das Lernen thentisch noch sozial gestaltet sind, wird
»im Kopf der Lernenden« stattfindet oder offenbar hinreichend gut gelernt.
in »der Interaktion mit sozialen, kulturel- Die Auseinandersetzung zwischen den Si-
len und physikalischen Kontexten«. tuationisten und den Kognitivisten ist
Den zentralen Thesen der Situationsver- von erkenntnistheoretischen und philoso-
ankerung von Lernvorgngen, des prinzi- phischen Grundberzeugungen ber-
piell geringen, wenn nicht unmçglichen lagert: auf der einen Seite die gemßigt,
Wissenstransfers, des begrenzten Nutzens gelegentlich auch radikaler vorgetragene
abstrakter Prinzipien und der grundstz- sozial-konstruktivistische Position, auf
lich sozialen Bedingtheit des Wissens- der anderen Seite die rational-kognitivisti-
1. Lernen findet im sozialen Kontext statt und ist dennoch ein individueller
Prozess.
2. Lernen ist spezifisch und allgemein zugleich; ein Lerntransfer ist mçglich, auch
wenn er nicht immer gelingt.
3. Situative und kognitive Zugnge zur Erforschung von Lehr-Lern-Prozessen
kçnnen einander ergnzen und sie kçnnen unterschiedliche Methoden der Er-
kenntnisgewinnung anwenden.
4. Pdagogische Maßnahmen sollten auf der Grundlage wissenschaftlicher Er-
kenntnisse fußen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse sollten mit strengen
wissenschaftlichen Methoden erzielt werden.
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sche Sichtweise (Billett, 1996; Gersten- wenn in der Alltagspraxis fr die Alltags-
maier & Mandl, 2001). Beide Sichtwei- praxis gelernt wird.
sen haben eines gemeinsam: Aus lerntheoretischer Sicht ist das Trans-
ferproblem zweifellos zentral (vgl. Kap.
Die radikaleren Fraktionen der jeweiligen An- 3.3). Der zu Recht beklagte Umstand des
hngerschaft tendieren … zu einem gewissen trgen, kompartmentalisierten, nicht an-
Holismus, d. h. zu einer Tendenz, die Gesamt-
wendbaren Wissens war ja der Ausgangs-
ordnung des Universums im ganz Kleinen wie
im ganz Großen aus einer Wurzel oder einem
punkt des situierten Lernens. Nur: Wenn
Prinzip zu erklren, welches dann natrlich zu die Rechenfertigkeit der Straßenkinder
dem Gedanken fhrt, dass ganz zwanglos Alles nicht auf die Schularithmetik transferiert,
mit Allem zusammenhngt, das Große sich im folgt daraus wirklich, dass in der Schule
Kleinen widerspiegelt und umgekehrt, alles sei- situierter gelernt werden sollte? Mit noch
nen Sinn, seine Bedeutung und Ordnung hat – weniger Aussicht auf Transfer? Zu Ende
und sei es die der Un-Ordnung. (Terhart, 2000, gedacht impliziert der Situiertheitsansatz
S. 189) das Ende jeglichen Transferanspruchs.
Unter den Rahmenbedingungen sich
Aus forschungsmethodologischer Sicht rasch wandelnder beruflicher Anforde-
ist der empirische Nachweis ohnehin die rungen scheint dies aber nicht unproble-
kritische Prfgrçße des Situiertheitsansat- matisch. Es kann doch kaum Anspruch
zes. Fallbeispiele und teilnehmende Be- von Schule sein, auf einen bestimmten
obachtungen aus der qualitativ-narrati- Beruf vorzubereiten. Anders als in der
ven Feldforschung kçnnen zwar wichtige handwerklichen Meisterlehre werden die
Anregungen geben, kontrollierte (wenn Situation des Wissenserwerbs und die Si-
mçglich: experimentelle) Studien jedoch tuation der spteren Wissensanwendung
nicht ersetzen. Damit sich der Situiert- in der heutigen Zeit eben gerade nicht
heitsansatz nicht im Anekdotischen er- mehr zusammenfallen. Daraus aber folgt:
schçpft, sind Implementationsstudien Wenn im Unterricht kontextgebunden
und Wirksamkeitsprfungen notwendig. und situiert gelernt wird, dann ist eben-
Dass sich die illustrativen Beispiele der dort die Option zur Flexibilisierung und
brasilianischen Straßenkinder und der Dekontextualisierung des Gelernten mit
Httenksedit leicht konterkarieren las- anzulegen, um spteren Lerntransfer zu
sen, haben schon Anderson et al. (1996; ermçglichen. Was aber heißt das fr die
vgl. auch Klauer, 2000) gezeigt: Das All- Schulentwicklung? Wenn Schule Bildung
tagswissen der Straßenkinder transferiert und nicht nur berufsqualifizierende Aus-
offenbar nicht auf Schularithmetik. Wohl bildung ermçglichen will, muss sie zu
wahr! Das legendre Httenksebeispiel abstrakten Konzepten hinter den enakti-
veranschaulicht auch die prinzipielle Be- ven und situationsgebundenen fhren.
grenztheit des situativen Lernens. Denn Die Kontextgebundenheit und die Hand-
nur durch kreative Zusatzberlegungen lungsverankerung von Wissen lsst sich
(zuvor ins Gefrierfach stellen) lsst es sich durchaus unterrichtlich bercksichtigen
auf flssige Materialien bertragen. Da- und nutzen, ohne zugleich den Anspruch
raus zu folgern, der Schulunterricht ms- der Abstraktion und der Systematik gnz-
se sich ndern, um den Erfordernissen lich fallen zu lassen. Hans Aeblis All-
der Lebenswirklichkeit zu entsprechen, gemeine Didaktik – von der Handlung
scheint wenig durchdacht. Vor allem wird ber die Operation zum Begriff – kann
aber das Transfer- oder Anwendungspro- hier wiederum als Beispiel dienen (vgl.
blem von Wissen nur scheinbar gelçst, Kapitel 5.2).
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Teil II Lehren
Klauer (2000) sieht im Situationismus ei- maier (1999) die neue Perspektive des so
ne ganz andere Gefahr, nmlich die der genannten situierten Lernens durch pro-
Dissoziation des wissenschaftsorientier- blemorientierte Lehrmethoden. Ob sich
ten vom »gemeinschaftsorientierten« Ler- dieses Dreiecksverhltnis letztendlich als
nen fr die breite Masse, im Sinne einer gefhrliche Liebschaft oder als zukunfts-
allgemeinen Volksbildung: trchtige Verbindung herausstellen wird,
Wie lange wird es wohl dauern, bis offenbar muss – soweit es das Wissenschaftsver-
wird, dass Wissen vornehmlich bei schwachen stndnis der Psychologie angeht – letzt-
Lernern im Kontext des Erwerbs situiert bleibt endlich die Empirie weisen. Genau darin
und dass leistungstchtigere viel rascher zum besteht aber derzeit das Hauptproblem
flexiblen Einsatz und Transfer fhig sind? Oder bei der Bewertung des Situiertheitsansat-
bis offenbar wird, dass ein Unterricht gemß zes: Es wurde mit großem Enthusiasmus
dem Situiertheitskonzept gut befhigte Lernen- eine modern anmutende (eigentlich aber
de unterfordert und auf Dauer langweilt?
nicht wirklich neue) Unterrichtsphiloso-
(Klauer, 2000, S. 10)
phie positioniert, die sich theoretisch ele-
Klauers Befrchtung mag bertrieben gant begrnden lsst; aber es gibt bislang
sein. Gleichwohl wird man ber die not- nur wenige belastbare empirische Studien
wendigen Lernvoraussetzungen der Me- zur Sttzung dieser Konzeption (Ander-
thoden des situierten, problemorientier- son et al., 1996; vgl. dazu auch Klauer,
ten Lehrens nachdenken mssen. Dabei 1999; Renkl, 2000).
muss die Frage erlaubt sein, ob der Er-
werb domnspezifischer Expertise, im
Sinne einer »Berufsvorbereitung«, tat-
schlich an die Stelle des klassischen Bil- 6.5 Kooperative
dungsauftrags von Schule treten kann Lehrarrangements
und soll.
Hans Gruber (1999) hat das Konzept der »Jetzt wollen wir die Lernaufgabe als
»Erfahrung« benutzt, um die Vereinbar- Gruppenprozess organisieren! Schließlich
keit des kognitionspsychologischen mit lesen Sie dieses Lehrbuch nicht (nur) zum
dem situativen Ansatz zu verdeutlichen. Vergngen, sondern um sich auf eine Pr-
Gruber spricht von »Informationsver- fung in Pdagogischer Psychologie vor-
arbeitung in Situationen«. Das heißt, auf zubereiten. Und das sollte zum einen
der Grundlage individueller kognitiver mçglichst effizient, zum anderen mçg-
Verarbeitungsprozesse werden subjektive lichst nachhaltig, im Sinne einer qualitativ
Erfahrungen dadurch konstruiert, dass hochwertigen Wissenskonstruktion, ge-
sie auf selbst erlebten Ereignissen aufbau- schehen. Bilden Sie zusammen mit drei
en. Komplexe und authentische Lern- weiteren Kommilitonen eine Kleingruppe
umgebungen, die ein episodisches Erle- und teilen Sie sich den folgenden Ab-
ben ermçglichen, regen mithin zur schnitt 6.5 untereinander auf. Zwar sollen
aktiven Konstruktion von Wissen an. Sie alle vier den gesamten Text einmal
Wichtig ist allerdings, dass die bereit- grndlich durcharbeiten, aber die weiter
gestellten Lernsituationen durch Maß- gehenden Arbeitsauftrge sind spezifisch:
nahmen der instruktionalen Betreuung Zwei von Ihnen sollen sich in Theorie
gesttzt werden. und Praxis einer bestimmten kooperati-
Als »mnage
trois«, als »love affair« ven Methode – des so genannten Grup-
zwischen Philosophie, Psychologie und penpuzzles – einarbeiten und zustzlich
Medientechnologie, bezeichnete Gersten- die beiden empirischen Originalarbeiten
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von Borsch, Jrgen-Lohmann und Giesen Umgang mit Kontroversen, ist eine
(2002) sowie von Jrgen-Lohmann, wichtige Voraussetzung des kooperativen
Borsch und Giesen (2002) zu diesem The- Arbeitens. Historische Vorlufer der
ma lesen und in ihren Kernaussagen zu- neueren pdagogisch-psychologischen
sammenfassen. Die beiden anderen sollen Anstze des kooperativen Lernens sind
sich intensiver mit der Metaanalyse von vor allem die sozial- und entwicklungs-
Rohrbeck, Ginsburg-Block, Fantuzzo psychologischen Arbeiten von Kurt Le-
und Miller (2003) zur Wirksamkeit ko- win und Morton Deutsch sowie von Jean
operativer Lernformen in der Grundschu- Piaget und Lew Wygotski in der ersten
le beschftigen. Und sie sollen sich mit Hlfte des 20. Jahrhunderts (vgl. dazu
dem methodischen Vorgehen der Meta- Slavin, 1995; Webb & Palincsar, 1996).
analyse auseinander setzen. Die Lern- Seit den 1970er-Jahren ist vor allem in
ergebnisse beider Arbeitsgruppen mssen den USA und in Israel eine Wiederentde-
dann in geeigneter Weise schriftlich doku- ckung kooperativer Lehr-Lern-Formen zu
mentiert und in einer gemeinsamen Grup- beobachten – Wiederentdeckung deshalb,
pensitzung den Lernenden der jeweils an- weil kooperative Unterrichtselemente in
deren Gruppe vorgetragen werden. Nur den reformpdagogischen Anstzen zu
so kçnnen alle von den vertiefenden Ar- Beginn des 20. Jahrhunderts schon eine
beiten der jeweils anderen profitieren.« Rolle gespielt haben. Die neuerliche Be-
Beim schulischen kooperativen Lernen grndung der kooperativen Renaissance
sind die Lerngruppen in der Regel leis- setzt auf drei unterschiedlichen Ebenen
tungsheterogen zusammengesetzt und sie an:
bleiben in ihrer Zusammenstellung meist
ber einen lngeren Zeitraum bestehen. . Das kooperative Lernen soll dazu bei-
Oft ist es hilfreich oder gar notwendig, tragen, dass nicht nur kognitive, son-
vor Beginn des kooperativen Arbeitens dern auch motivationale und emotio-
kommunikative Basiskompetenzen ein- nale Lernziele erreicht werden.
zuben, wie z. B. die Fertigkeiten zum . Durch kooperative Lehrformen sollen
bermitteln kongruenter Botschaften, die Qualitt und die Anwendbarkeit
zum (wertungsfreien) Paraphrasieren von des erworbenen Wissens verbessert
Nachrichten oder zum (gleichberechtig- werden.
ten) Aushandeln von Bedeutungsber- . Die Anwendung kooperativer Lehr-
einstimmungen. Auch das Beherrschen formen soll sozialintegrativ und damit
elementarer Gruppenregeln, z. B. zum gesellschaftspolitisch prventiv wirken,
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Teil II Lehren
da durch das gemeinsame Lernen und genen Erfolgs. Johnson und Johnson
Arbeiten im Klassenverband der Um- nennen das eine »negative Interdepen-
gang mit und die Bewltigung von denz«.
Konflikten zwischen verschiedenen Es gibt noch eine weitere, weniger wett-
Gruppierungen eingebt wird. bewerbsorientierte Form nicht-koope-
rativer Zielstrukturen, die Johnson und
Zur Verortung kooperativen Lernens im Johnson als individualistische bezeich-
Kontext anderer schulischer Lehr-Lern- nen. Das sind Lehr-Lern-Situationen ohne
Methoden haben Johnson und Johnson Interdependenz, in denen die Lernenden
(1994) den Begriff der unterschiedlichen unabhngig voneinander mehr oder we-
Zielstrukturen von Lehr-Lern-Situationen niger erfolgreich sein kçnnen, weil die ex-
geprgt. In der Systematik der Johnsons terne Leistungsbewertung nicht nach so-
werden drei Arten von Zielstrukturen zialen, sondern nach absoluten (oder
unterschieden: kooperative, kompetitive nach individuellen) Maßstben vor-
und individualistische. genommen wird – wie es etwa beim Er-
Eine kooperative Zielstruktur ist dann ge- reichen eines Tagesziels fr den Strecken-
geben, wenn eine Gruppe von Lernenden wanderer der Fall ist.
eine Aufgabe nur gemeinsam erfolgreich Hufig liegen der Organisation schu-
lçsen kann. Johnson und Johnson nennen lischer Lernprozesse kompetitive Ziel-
das eine »positive Interdependenz«. Das strukturen zugrunde, ohne dass damit
Lernziel, das jeder Einzelne fr sich an- Vorteile verbunden wren. Im Gegenteil:
strebt, kann nur erreicht werden, wenn Ungnstig verlaufende soziale Vergleichs-
auch alle anderen zum Ziel kommen – prozesse kçnnen sich fr die erfolglos Ler-
wie etwa beim Staffellauf in der Leicht- nenden demotivierend und auf ihr Selbst-
athletik. Die Zielstrukturen der Einzelnen konzept beeintrchtigend auswirken.
sind in diesem Fall in ihrer wechselseiti- Vom Einsatz kooperativer Lernformen er-
gen Abhngigkeit positiv miteinander hofft man sich hingegen gnstige Auswir-
verknpft. kungen im Hinblick auf das Erreichen
Ganz anders verhlt es sich in Lehr- kognitiver, motivationaler und emotiona-
Lern-Situationen, in denen unter kom- ler Lernziele. Allerdings setzt der erfolg-
petitiven Zielstrukturen Leistungsbewer- reiche Einsatz kooperativer Lehrformen
tungen aufgrund des sozialen Vergleichs voraus, dass Lernaufgaben, Lernanreize
zwischen den Lernenden vorgenommen und die Bewertung der Lernleistung in be-
werden. In solchen Situationen sind die sonderer Weise gestaltet werden. Es reicht
Aufgaben so gestellt, dass sie auch jeder nmlich nicht aus, eine Gruppe von Ler-
fr sich allein lçsen kann. Zusammenar- nenden zusammenzustellen und sie zu ge-
beit ist mçglich, aber nicht notwendiger- meinsamem Tun aufzufordern. Nicht jede
weise erforderlich – wie es etwa mit der Gruppenarbeit ist kooperativ.
Fhrungsarbeit in einer Ausreißergruppe Um den Voraussetzungen kooperativen
in einem Radrennen der Fall ist. Die Ler- Lernens eine Systematik zu unterlegen,
nenden bzw. die Sportler konkurrieren werden im Folgenden die fnf Basismerk-
letztendlich miteinander um eine gute male kooperativen Lernens nach Johnson
Leistungsbewertung. Wenn es nur einen und Johnson (1994) dargestellt: die po-
Sieger geben kann, sind die Zielstruktu- sitive Interdependenz, die individuelle
ren negativ miteinander verknpft, denn Verantwortlichkeit, die fçrderlichen Inter-
der wahrscheinliche Erfolg des anderen aktionsstrukturen, die kooperativen Ar-
vermindert die Wahrscheinlichkeit des ei- beitstechniken und die Gruppenreflexion.
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Teil II Lehren
Lernprozess, wie sie blicherweise die 5. Reflexive Prozesse. Nicht nur das ge-
Lehrenden in den Unterrichtsmodellen meinsame Arbeiten am Lerninhalt ist
Direkter Instruktion wahrnehmen. wichtig. Es ist auch notwendig, dass
sich die Lernenden ber hilfreiche oder
4. Kooperative Arbeitstechniken. Erfolg- den Lernerfolg beeintrchtigende
reiches kooperatives Lernen setzt vo- Gruppenprozesse untereinander aus-
raus, dass die Lernenden gewillt und in tauschen. Eine konstruktive Form der
der Lage sind, angemessen miteinander Gruppenreflexion kann die Effektivitt
zu kommunizieren, ein vertrauensvolles der gemeinsamen Arbeit voranbrin-
Gruppenklima aufzubauen, Fhrungs- gen. Die reflexiven Prozesse, d. h. das
aufgaben zu bernehmen und anzuer- Fokussieren und Kommentieren der ei-
kennen und Kontroversen konstruktiv genen Lernprozesse in der Gruppe, las-
zu bewltigen. Kommunikative Fertig- sen sich in Termini metakognitiver Ak-
keiten sind grundlegende Voraussetzun- tivitten beschreiben: regelmßiges
gen einer kooperativen Zusammen- berprfen, ob vereinbarte Verhaltens-
arbeit. Ideen, Entwrfe und persçnliche regeln eingehalten und gesetzte Ziele
Ansichten werden in der Gruppe dann erreicht werden, regulative Vernde-
leichter offenbart, wenn sich die Grup- rung von Strategien und Verhaltens-
penmitglieder gegenseitiger Unterstt- weisen, die sich als nicht zielfhrend
zung und uneingeschrnkter persçnli- erwiesen haben. Das zieladaptive
cher Wertschtzung und Akzeptanz si- Funktionieren einer Lerngruppe hngt
cher sein kçnnen. Die einzelnen Lernen- auch davon ab, ob stçrende und
den werden nmlich nur dann bereit leistungsbeeintrchtigende Aktivitten
sein, »ihre Kognitionen zu teilen«, und Verhaltensweisen erkannt, ange-
wenn sie nicht befrchten mssen, als sprochen und verndert werden.
Personen abgewertet oder um den Er-
trag ihrer Ideen gebracht zu werden. Das sind die Basismerkmale und Grund-
Zur Gruppenarbeit gehçrt notwendi- voraussetzungen kooperativen Lernens.
gerweise auch die Bewltigung sach- Vor ihrem Hintergrund lassen sich unter-
licher und persçnlicher Konflikte. Sach- richtspraktische Realisierungen koope-
liche Kontroversen sind bei der Grup- rativer Lehrmethoden nher betrachten.
penarbeit nicht nur unvermeidlich, sie Diese Methoden sind aus ganz unter-
treiben im Idealfall die Klrungen im schiedlichen theoretischen Traditionen
Lernprozess voran. Wichtig ist, dass in- heraus entwickelt worden. Um eine leich-
dividuelle Beitrge oder Meinungen tere Einordnung zu ermçglichen, werden
nicht vorschnell als richtig oder falsch, zunchst die vier wichtigsten theoreti-
sondern letztendlich als mehr oder we- schen Perspektiven aufgezeigt.
niger zielfhrend anerkannt werden.
Auch spter verworfene Beitrge und Theoretische Perspektiven
Ideen besitzen in ihrer prozesshaften Be-
der Kooperation
deutsamkeit eine wichtige Funktion.
Unterschiedliche Ideen und Ansichten Slavin (1995) hat eine motivationspsy-
sind in diesem Sinne stets notwendige chologische von zwei im engeren Sinne
Zwischenphasen auf dem Weg zur ab- kognitionspsychologischen Begrndungs-
schließenden Lçsung einer Lernaufgabe perspektiven unterschieden. Sptere Sys-
– sie drfen nicht vorschnell geglttet tematisierungen nehmen hufig eine Vier-
und integriert werden. teilung der Theoriefamilien vor: in eine
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Teil II Lehren
individuellen Anerkennungen fr spe- Teile eines Ganzen sind, so wie Teile ei-
zifische Anteile am Zustandekommen nes Puzzles zusammengehçren.
eines Gruppenprodukts zu kombinie- (…) Schler helfen einander beim Lernen,
ren. Die Verknpfung individueller mit weil ihnen etwas an der Gruppe und an ih-
kollektiven Gratifikationssystemen gilt ren Mitgliedern liegt und weil die Mitglied-
dabei als besonders erfolgversprechend schaft in der Gruppe fr ihre eigene Identi-
(vgl. Johnson & Johnson, 1994; Sla- tt wichtig ist. (Brown & Palincsar, 1989,
vin, 1983, 1995). S. 395)
Die von Slavin und Mitarbeitern ent- Die sozial-kohsive Perspektive ist so-
wickelten Methoden der Gruppenral- zusagen das intrinsisch motivierte Ge-
lye (STAD; Student Teams Achieve- genstck der zuvor dargestellten (ex-
ment Divisions), des Gruppenturniers trinsischorientierten) motivationstheo-
(TGT; Teams Games Tournaments) retischen Sichtweise. Daraus folgt eine
und des Gruppenwettbewerbs (TAI; strikte Ablehnung der Belohnungs-
Team Accelerated Instruction) sind Bei- interdependenz:
spiele fr die Realisierung interdepen- Wenn die Aufgabe herausfordernd und inte-
denter Belohnungssysteme. Bei der ressant ist und wenn die Schler ausrei-
STAD-Methode wird, hnlich wie bei chend ber kooperative Fertigkeiten ver-
TGT, durch das unterrichtliche Arran- fgen, werden sie den Prozess der
gement der Leistungswettbewerb zwi- Gruppenarbeit selbst als stark belohnend
schen den Lernteams forciert. Die Be- empfinden (…) Niemals aber sollte man die
lohnungen erfolgen in erster Linie Schler nach ihren individuellen Beitrgen
zum Gruppenprodukt benoten oder bewer-
teambezogen, allerdings wird dabei
ten. (Cohen, 1986, S. 69–70)
sichergestellt, dass jedes Gruppenmit-
glied zu gleichen Anteilen zur Gesamt- Unter der Perspektive der sozialen
bewertung einer Gruppe beitragen Kohsion wird die positive Interdepen-
kann und soll. Eine Aufgabenspeziali- denz deshalb ausschließlich ber
sierung innerhalb der Gruppe findet bei Aufgabenspezialisierungen und ber
den Wettbewerbsmethoden nicht statt. unterschiedliche Rollenzuweisungen
hergestellt. Zwei unterrichtliche Reali-
4. Die Perspektive der sozialen Kohsion. sierungen der sozial-kohsiven Per-
Neben der Ziel- und Belohnungsinter- spektive werden spter nher beschrie-
dependenz, die sich eher aus einer ben – das Gruppenpuzzle (Jigsaw I)
pragmatischen Sichtweise begrnden von Aronson und die Methode der
lassen, gilt die soziale Interdependenz Gruppenrecherche von Sharan und
als ein weiterer grundlegender Wirk- Sharan. Weiterentwicklungen und Mo-
mechanismus kooperativen Lernens. difikationen, wie Slavins Jigsaw II (Sla-
Im Unterschied zu den zuvor genann- vin, 1985) oder die so genannten »Le-
ten Perspektiven enthlt die Perspekti- arning Together«-Umgebungen von
ve der sozialen Kohsion jedoch eine Johnson und Johnson (1994), verbin-
idealistische Nuance. Kooperiert wird den in vielversprechender Weise die
nicht etwa, weil man etwas dafr be- sozial-kohsive Perspektive mit den Be-
kommt, sondern weil man sich zusam- lohnungs- und Verantwortlichkeits-
mengehçrig fhlt. Soziale Kohsion strukturen der motivationalen Theorie.
meint, dass die Mitglieder einer Lern-
gruppe aus eigenem Antrieb »zusam- Vorlufiges Fazit. Die vier Perspektiven
menhaften« und dass sie notwendige schließen sich nicht gegenseitig aus, son-
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Entwicklung
Kognitive
Elaboration
Motivation *
Soziale
Kohäsion
* nur JIGSAW II
dern fokussieren einander sinnvoll ergn- von bis zu sechs Teilnehmern entwickelt.
zende Aspekte des Gruppenlernens. Hin- Sie lsst sich bereits in der Grundschule
zu kommt, dass die unterschiedlichen einsetzen und kommt in ihrer unterricht-
Realisierungen fr unterschiedliche Lern- lichen Realisierung dem nahe, was in der
inhalte und fr unterschiedliche Ziel- Allgemeinen Grundschuldidaktik in der
gruppen von Lernenden unterschiedlich Tradition Deweys als Projektarbeit oder
gut geeignet scheinen. Im Folgenden wer- als Projektmethode bezeichnet wird. Im
den vier kooperative Lernarrangements Unterschied zum Gruppenpuzzle und zur
ausfhrlicher vorgestellt: die Gruppenral- Skriptkooperation ist die Gruppenrecher-
lye als Prototyp der motivationstheoreti- che eine »offene«, wenig vorstrukturierte
schen Perspektive, das Gruppenpuzzle, Unterrichtsform.
welches sozial-kohsive mit motiva- Die Gruppenarbeit beginnt damit, dass
tionalen Traditionen verbindet, die Grup- die Lehrperson einer grçßeren Gruppe
penrecherche, die der sozial-kohsiven von Schlerinnen und Schlern (in der
Sichtweise verpflichtet ist, und die Skript- Regel der gesamten Schulklasse) Unter-
kooperation, die sich auf die Sichtweise themen innerhalb eines Rahmenthemas
der kognitiven Elaboration beruft. In den zur Auswahl anbietet. Teilgruppen der
Darstellungen werden die bereits auf- Lernenden sollen dann in Gruppenarbeit
gezeigten berschneidungen der Begrn- diese unterschiedlichen Unterthemen be-
dungszusammenhnge nochmals deutlich arbeiten. Die Mitglieder einer solchen
(Abb. 6.1). Teilgruppe einigen sich untereinander,
welchen Beitrag sie mit welchen Hilfsmit-
teln und in welcher Weise (wiederum ar-
Gruppenrecherche
beitsteilig) leisten wollen. Jedes Gruppen-
Die Methode der Gruppenrecherche mitglied arbeitet dann innerhalb eines
(Group Investigation) wurde von Shlomo Unterthemas weit gehend selbststndig
und Yael Sharan (1992) fr Kleingruppen an einem speziellen Teilaspekt eines Un-
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terthemas. Durch organisatorische Vor- auf der Grundlage der sozialen Kohsion
kehrungen wird gewhrleistet, dass die argumentieren. Die ursprngliche Form
Zugnglichkeit zu Lernmaterialien und des Gruppenpuzzles JIGSAW I (Aronson
Informationen und die Mçglichkeit zu et al., 1978) ist hier vor allem zu nennen.
Kommunikation und Informationsaus- Slavin und die Johnsons haben aber zu-
tausch stets gegeben sind. Die individuel- stzlich Gruppenanreize in die Investiga-
len Erarbeitungen werden spter in den tionsmethoden eingefgt. Slavins JIG-
einzelnen Teilgruppen wieder zusammen- SAW II (Slavin, 1985; Clarke, 1994) ist
getragen und prsentiert. Jede der Teil- hierfr ein gutes Beispiel.
gruppen bereitet abschließend eine Team-
prsentation in der Gesamtgruppe, der
Skriptkooperation
Schulklasse, vor. Die Bewertung der
Arbeitsleistung obliegt allein den Team- Dansereau und Kollegen haben fr ko-
mitgliedern selbst und der gesamten operative Dyaden Methoden entwickelt,
Schulklasse. Gruppenbelohnungen und die sich vor allem fr das Lernen aus
-bewertungen durch die Lehrpersonen Lehrbuchtexten eignen (O’Donnell,
sind nicht vorgesehen. 1996; O’Donnell & Dansereau, 1992).
Die positive Interdependenz wird bei der Die Partner eines Lerntandems lesen ei-
Gruppenrecherche durch Aufgabeninter- nen bestimmten Textabschnitt, der eine
dependenz, d. h. durch die individuellen muss den Inhalt in eigenen Worten zu-
Verantwortlichkeiten fr die Teilbeitrge, sammenfassen, also die Rolle des Lehrers
hergestellt. Allein die Prozesse der sozia- bernehmen, der andere hçrt zu, kor-
len Kohsion sichern die Wirksamkeit rigiert und ergnzt das Vorgetragene. Fr
der Methode. Die erfahrene Wertscht- den nchsten Textabschnitt werden die
zung durch die kollaborierenden Mitler- Rollen des Lehrers und des Zuhçrers ge-
nenden und der Stolz auf das gemeinsam tauscht. In einer Korrekturphase kommt
erstellte Produkt gelten als die entschei- es durch das partnerschaftliche Arbeiten
denden Wirkmechanismen. zu weiterfhrenden kognitiven Elabora-
Fr die Methode der Gruppenrecherche tionen – es entstehen so genannte »ko-
werden positive Effekte berichtet – wenn operative Skripts« des Gelesenen. Insbe-
die Projektarbeit durch die Lehrperson sondere wegen des evozierten Erklrens
sorgfltig vorbereitet war (Sharan & Sha- und Nachfragens wird aus kognitionspsy-
char, 1988). Allerdings ist zu bedenken, chologischer Perspektive ein Vorteil der
dass eine externe Bewertung des Gruppen- Skriptkooperation gegenber dem indivi-
produkts nicht ohne weiteres mçglich ist, duellen Textlernen gesehen. Strittig ist, ob
wenn man die Investigationsmethode sich dieser Vorteil textabschnittsbezogen
ernst nimmt. Unstrittig scheint, dass in nur zu Gunsten des jeweils erklrenden
»funktionierenden« Teilgruppen gute Partners auswirkt (Renkl, 1997).
Lernerfolge erzielt werden kçnnen. Strittig Im Brunerschen Sinne hat die Methode
ist, inwieweit diese Lernerfolge durch die wenig Entdeckenlassendes. Im Gegenteil:
abschließende Teamprsentation auch in Eine ausgeprgte Instruktionskomponen-
die Gesamtgruppe »transferiert« werden te strukturiert die Lehr-Lern-Situation
kçnnen. vor. Es werden detaillierte Anweisungen
Neben den Sharans haben auch Cohen gegeben, wer wann welche Rolle und
(1986), Aronson et al. (1978), Slavin welche Aufgaben bernehmen soll. Die
(1985) und Johnson und Johnson (1994) positive Interdependenz wird ber die
unterrichtliche Methoden vorgestellt, die Rollen- und Aufgabenteilung hergestellt,
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Teil II Lehren
Die Individualtestung am Ende der ko- der kooperativen Phase auch tatschlich
operativen Lernphase und die Ermittlung zielbezogen kooperativ gelernt wird. Vor
eines Gruppengesamtwertes auf der allem Slavin weist auf die Unverzichtbar-
Grundlage der individuellen Lernfort- keit solcher Individualtestungen hin:
schrittswerte sollen gewhrleisten, dass in
A
Einführungsphase
B B
B
A Stammgruppenbildung B
A
A B
A D
D C C
C
D
C
D C
D
B B
D D
B A B
Erarbeitung der
Thema 3 C Teilthemen in Thema 2
A
Expertengruppen
D D
C
A B
2 2
B
1 Themen 3 B 1 Themen 3
A Vermittlungsphase
4 4
A
B
2 Vermittlung der C
D
1 Themen 3 Teilthemen in 2C
C
D D 4
D Stammgruppen 1 Themen 3
C
C 4
C
Abb. 6.2: Arbeitsphasen des Gruppenpuzzles (aus: Borsch, F. (2005). Der Einsatz des
Gruppenpuzzles in der Grundschule. Hamburg: Kovač. Abdruck mit freundlicher Ge-
nehmigung des Verlags Dr. Kovac̆)
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Teil II Lehren
Fr das Team gibt es nur einen einzigen Weg Lernen findet in der zweiten, der so ge-
zum Erfolg: Sicherzustellen, dass alle Mitglie- nannten Erarbeitungsphase statt. Dazu
der gelernt haben. Daher konzentrieren sich treffen sich die Lernenden aus den ver-
die Aktivitten der Gruppenmitglieder darauf,
schiedenen Stammgruppen, die dasselbe
sich gegenseitig die Konzepte zu erklren, sich
Teilgebiet gewhlt haben, in so genannten
beim ben zu helfen und zu Leistungen anzu-
spornen. Im Gegensatz dazu gibt es nur wenig Expertengruppen. In den Expertengrup-
Anreize zur Kooperation, wenn die Gruppen- pen wird der Lernstoff eines Teilgebiets
belohnungen auf der Basis eines Gesamt- selbststndig (aber gemeinsam) erarbeitet
produkts der Gruppe gegeben werden. Dann und fr die sptere Prsentation in den je-
kçnnen nmlich auch ein oder zwei Gruppen- weiligen Stammgruppen vorbereitet. In
mitglieder die gesamte Arbeit tun. (Slavin et al., dieser Arbeitsphase werden die Lernen-
2003, S. 180) den zu Experten in ihrem Teilgebiet. In
der dritten, der Vermittlungsphase mssen
sie ihr neu erworbenes Wissen an ihre
Gruppenpuzzle
(frhere) Stammgruppe weitergeben. Im
Das ursprngliche Gruppenpuzzle JIG- Austausch dafr erhalten sie jenes Wissen,
SAW I (Aronson et al., 1978; Aronson & das sich ihre jeweiligen Stammgruppen-
Patnoe, 1997) beruht, wie die Methoden kollegen in den anderen Expertengruppen
der Sharans, auf (eher idealistischen) sozi- angeeignet haben. Einem Puzzle gleich
al-kohsiven Vorstellungen. Die positive werden in dieser Vermittlungsphase die
Interdependenz soll durch spezifische Auf- einzelnen Wissensteile zu einem Ganzen
gabenstellungen, die sich wie Teile eines zusammengesetzt. In einer abschließen-
Puzzles zum Ganzen zusammenfgen, er- den Phase der Evaluation und Integration
zeugt werden. In Aronsons Konzeption ist bearbeiten die Lernenden individuell, in
die Methode explizit nicht-kompetitiv an- Kleingruppen oder der gesamten Klasse
gelegt. Diese als JIGSAW I bezeichnete Aufgaben, bei denen alle Wissensteile in-
Form des Gruppenpuzzles wird im Fol- tegriert werden mssen.
genden vorgestellt (Abb. 6.2). Slavin (1985) hat Aronsons Konzeption
Clarke (1994) beschreibt die vier Arbeits- jedoch weiterentwickelt und zustzlich
phasen beim Gruppenpuzzle folgender- zur Aufgabeninterdependenz eine Be-
maßen: Vorbereitend gliedern die Lehren- lohnungsinterdependenz ber Gruppen-
den den Lernstoff in Teilgebiete, fr die belohnungen fr die erfolgreichste Grup-
sie Lernmaterialien auswhlen. In der pe in der Phase der Integration eingefhrt.
ersten, der Einfhrungsphase gibt der Dadurch wird allerdings eine kompetitive
Lehrende fr die Gesamtgruppe einen Situation unter den Gruppen erzeugt und
berblick zur Gesamtthematik. Danach es besteht die Gefahr, dass sich die Mit-
werden die Lernenden in so genannte glieder der verschiedenen Stammgruppen
Stammgruppen zu vier bis sechs Lernen- nicht mehr wechselseitig untersttzen,
den eingeteilt. Diese Stammgruppen sol- um den Erfolg der eigenen Gruppe zu si-
len leistungsheterogen zusammengesetzt chern.
sein. Jede Stammgruppe hat den gesamten Beim Gruppenpuzzle fließen drei Er-
Lernstoff zu bearbeiten, allerdings nicht klrungsperspektiven kooperativer Lehr-
in gemeinsamer Gruppenarbeit, sondern Lern-Modelle zusammen und es sind
auf eine besondere Weise arbeitsteilig, in- alle fnf Basiselemente erfolgreicher Ko-
dem jedes Stammgruppenmitglied fr ei- operation nach Johnson und Johnson
nes der Teilgebiete Verantwortung ber- (1994) verwirklicht. Positive Interdepen-
nimmt. Das eigentliche arbeitsteilige denz wird ber das gemeinsame Lernziel,
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Teil II Lehren
Effekte fr den Einsatz des Gruppenpuzz- gesamt zeigen die Analysen einen be-
les berichtet (Slavin, 1995). Dass es vor achtlichen Leistungsvorteil kooperativ
allem in der Vermittlungsphase zu Ver- lernender Schlerinnen und Schler ge-
stehensproblemen kommen kann, haben genber individualistisch oder kompeti-
die Untersuchungen von Borsch (2005) tiv strukturiertem Unterricht. Allerdings
und Kronenberger (2004) in der dritten sind die Effekte in den einzelnen Studien
Grundschulklasse gezeigt. sehr unterschiedlich, was auf den Ein-
fluss moderierender Bedingungen hin-
Wirksamkeit kooperativer weist.
Rohrbeck et al. (2003) haben eine Me-
Methoden
taanalyse zum »peer-assisted learning«
Einer von Antil, Jenkins, Wayne und Va- (PAL) im Grundschulalter vorgelegt. PAL
dasy (1998) durchgefhrten Befragung zu umfasst ein breites Spektrum koope-
Folge werden kooperative Lernformen rativer Lernformen und Tutorenmodelle,
nahezu flchendeckend in amerikani- sowohl fr das Lernen in Dyaden als
schen Grundschulen eingesetzt. Besser auch in Kleingruppen. Insofern ergnzt
sollte man hier aber von Formen der die Metaanalyse von Rohrbeck et al. die
»Gruppenarbeit« sprechen, denn keiner Befundlage vorangegangener Zusammen-
der von Antil et al. befragten Lehrer hat fassungen. Eine zustzliche Przisierung
sich explizit auf eines der oben beschrie- besteht darin, dass Teilkomponenten der
benen Modelle kooperativen Lehrens kooperativen Methode in ihrer Wirksam-
bezogen. Meist wird bei einer so verstan- keit vergleichend analysiert und differen-
denen Gruppenarbeit zwar ein Gruppen- zielle Effekte (Moderatoren) der Wirk-
produkt erwartet und es werden unter- samkeit thematisiert werden.
schiedliche Aufgaben an unterschiedliche In die Metaanalyse waren 90 Interventi-
Schler delegiert. Es fehlt aber in der Re- onsstudien einbezogen, die den Kriterien
gel an Maßnahmen, die die individuelle einer (quasi-)experimentellen Versuchs-
Verantwortlichkeit und damit die zentrale anordnung gengten. ber alle spezi-
Voraussetzung erfolgreicher Kooperation fischen Interventionsformen hinweg lsst
gewhrleisten kçnnten. sich fr die kooperativen/tutoriellen Ar-
In der Metaanalyse von Slavin (1995) rangements eine moderate berlegenheit
wird eine mittlere Effektstrke von 0.26 gegenber herkçmmlichen Lehrformen
zu Gunsten des kooperativen Lernens feststellen (gewichtete Effektstrke d =
berichtet (Gruppenrecherche: d = 0.06, 0.33). Grçßere Effekte lassen sich dann
Gruppenrallye: d = 0.32, Gruppenpuzzle: finden, wenn bestimmte Teilkomponen-
d = 0.12). Johnson (2003) ermittelt ber ten kooperativer Arrangements realisiert
754 Studien hinweg eine mittlere Effekt- sind. Auch gibt es fr Teilgruppen von
strke von 0.64. In einer differenzierte- Lernenden grçßere Effekte:
ren Aufstellung von Johnson, Johnson
und Stanne (2000) werden die Studien . Kooperative Lehrformen sind beson-
nach kompetitiven Kontrollbedingungen ders wirksam, wenn den Lernenden
(Gruppenrecherche: d = 0.37, Gruppen- ein hohes Maß an Autonomie bertra-
rallye: d = 0.51, Gruppenpuzzle: d = gen wird. Dies kann z. B. durch eine
0.29) und individualistischen Kontroll- hçhere Eigenverantwortlichkeit bei
bedingungen (Gruppenrecherche: d = der Festlegung von Lernzielen und bei
0.62, Gruppenrallye: d = 0.29, Gruppen- der Auswahl von Belohnungen gesche-
puzzle: d = 0.13) aufgeschlsselt. Ins- hen.
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Teil II Lehren
rangements wird hingegen die Betonung (frher Konstruktion) und Integration ver-
der internen Steuerungskomponente der dichtet (vgl. Abb. 5.3). Ganz gleich, ob
eher problemorientierten Lehr-Lern-Mo- man nun drei oder vier Phasen der Infor-
delle sichtbar (vgl. Kap. 6.3 bis 6.5). mationsverarbeitung annehmen mag:
Zwar hat die Selbststeuerung von Lern- Selbst initiierte, aktive und strategische
verhalten auch eine behavioristisch-ope- Steuerungsmaßnahmen ermçglichen, be-
rante Vorgeschichte, der eigentliche fçrdern und verbessern die Informations-
Durchbruch gelang aber erst mit dem Sie- verarbeitung in allen diesen Phasen.
geszug der kognitionspsychologischen Definitionen selbstgesteuerten (selbst-
Modelle (Schunk & Zimmerman, 2003). regulierten) Lernens stellen den strategi-
Erst im Paradigma der Informationsverar- schen und zieladaptiven Aspekt des Lern-
beitung waren Selbststeuerungsmaßnah- verhaltens heraus: die Auswahl, die
men kognitiver, metakognitiver und moti- Anwendung und die berwachung von
vationaler Art nicht nur mçglich, sondern Lernstrategien. Wird in diesem Sinne
fr das Gelingen von Lernprozessen strategisch und letztendlich erfolgreich
gleichsam konstitutiv. In einer fr die Ent- selbstgesteuert gelernt, so sind gnstige
wicklung des Selbststeuerungsansatzes Auswirkungen auf den Wissenserwerb
wegweisenden Arbeit haben Weinstein und fr die Entwicklung des Selbstkon-
und Mayer (1986) vier Phasen im Prozess zepts eigener Tchtigkeit zu erwarten.
der Informationsverarbeitung unterschie- Zugleich festigt das erfolgreiche selbst-
den, in denen die selbststeuernden Aktivi- gesteuerte Lernen die notwendigen Kom-
tten ansetzen kçnnen: bei der Selektion, petenzen der Selbststeuerung.
der Konstruktion, dem Erwerb bzw. der Zu Unrecht werden solche Kompetenzen
Speicherung und bei der Integration von brigens vielfach als »gegeben« voraus-
Informationen. Mayer (2003a) hat dies gesetzt – so insbesondere im sekundren
spter in seinem SOI-Modell auf die drei und tertiren Bildungsbereich. Kaum eine
Kernphasen der Selektion, Organisation Lehrerin erklrt ihren Schlern, wie sie
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a)
Beobachtung
und Bewertung
eigenen Lern-
verhaltens
d) b)
Bewertung der Zielsetzung und
Effektivität des strategisches
Strategieeinsatzes Planen
c)
Strategieeinsatz
und Überwachung
Teil II Lehren
instruktive Repertoire, sind damit die all- schen denen Lernende auswhlen kçn-
gemeinen Basiskomponenten einer In- nen. Boekaerts spricht auf dieser Modell-
struktionstheorie, wie sie Robert Glaser ebene von »Was-Fragen« des Lernens,
(1976; vgl. Kap. 5.2) formuliert hat, wie z. B.: »Was kann ich tun, um den In-
selbstregulativ reformuliert vorhanden: halt eines Textes zu behalten?«
Eingangsvoraussetzungen selbst diagnos- Die mittlere Ellipse des Modells adressiert
tizieren, Ziele selbst definieren, instruk- die nchst hçhere Regulationsebene – die
tionale Maßnahmen (d. h. geeignete Stra- des gesamten Lernprozesses. Damit legt
tegien) selbst spezifizieren, instruktionale sich die zweite Schicht ber die erste, so
Wirkungen selbst erfassen. wie sich die bergeordneten (metakogni-
Es ist offensichtlich, dass die metakogni- tiven) auf die untergeordneten (kogniti-
tiven Kompetenzen des Planens, ber- ven) Strategien der Informationsverarbei-
wachens, Bewertens und – wenn nçtig – tung beziehen. Es geht darum, den
Korrigierens den konzeptuellen Kern der Einsatz der kognitiven Primrstrategien
Selbstregulation ausmachen (Schmitz, zu kontrollieren und zu optimieren. Boe-
2003). kaerts spricht hier von »Wie-Fragen« des
Lernens, wie z. B.: »Wie kann ich kon-
Drei Schichten der Selbstregulation. Dass trollieren, ob ich die Hauptaussagen eines
sich die Selbststeuerung nicht nur auf die Textes wirklich behalten habe?« Regulati-
Regulation »kalter« kognitiver und meta- on auf dieser Ebene setzt metakognitives
kognitiver Prozesse beschrnken darf, hat Wissen voraus und darber hinaus die
vor allem Monique Boekaerts (1996, metakognitiven prozeduralen Fertigkei-
1997) betont. Insbesondere weist Boe- ten des Planens, berwachens und Kor-
kaerts auf den wichtigen Aspekt der mo- rigierens.
tivationalen Selbstregulation hin und auf Die ußere Ellipse des Modells symboli-
die wechselseitigen Verknpfungen und siert die Einbettung des gesamten Lern-
Bedingtheiten der motivationalen und prozesses (und der darin eingebetteten
der kognitiven Regulationsebenen. kognitiven Prozesse) in das kognitive und
Boekaerts (1999) hat ein Dreischichten- motivationale Selbstkonzept und in die
modell konzentrischer Ellipsen vorgelegt, selbstbezogenen berzeugungen einer
das unterschiedliche Traditionen selbst- Person. Hier sind »Warum-Fragen« der
gesteuerten Lernens bercksichtigt (Abb. motivationalen, emotionalen und volitio-
6.4). Die innere Ellipse von Boekaerts nalen Selbstkontrolle des Lernens ange-
Dreischichtenmodell thematisiert die sprochen, wie z. B.: »Warum soll ich die-
Ebene der kognitiven Prozesse und der sen Text berhaupt lesen?« Wer ber die
auf sie einwirkenden kognitiven Primr- Warum-Frage nachgedacht hat, wird
strategien der Informationsverarbeitung. mçglicherweise zu der Auffassung gelan-
Das sind die von Lernenden quasi habitu- gen, dass die Was- und die Wie-Fragen der
ell bevorzugten Herangehensweisen oder Lern- und Kontrolltechniken demgegen-
Lernstile, die gelegentlich als »Tiefen- ber nur von nachgeordneter Bedeutung
oder Oberflchenverarbeitung« oder als sind. Es ist aber notwendig, die operative
»Reproduktions-, Leistungs- oder Verste- Ebene des »Was« und des »Wie« der Lern-
hensorientierung« umschrieben werden regulation ebenso gut zu beherrschen,
(vgl. dazu Artelt, 2000; Wild, 2000). Re- denn eine positive Antwort auf die Wa-
gulation auf dieser Ebene setzt notwendi- rum-Frage stellt nur eine notwendige, kei-
gerweise voraus, dass unterschiedliche nesfalls aber hinreichende Bedingung er-
Primrstrategien verfgbar sind, zwi- folgreicher Lernsteuerung dar.
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Teil II Lehren
Regulation der
Informationsverarbeitungsprozesse
Kognitive Strategien
Abb. 6.4: Drei Schichten der Selbstregulation (nach Boekaerts, 1999, S. 449)
Interne Lernsteuerung
Lernprodukte
Lernprozess: Planung Durchführung Bewertung
Merkmale des
erworbenen Wissens:
(z. B. Umfang,Tiefe,
z. B. Lehrerverhalten, Verstärkung, Unterrichtsmethoden,
Differenziertheit,
Lernumwelt, Prüfungen
Kohärenz)
Externe Lernsteuerung
erhalten und die Regulation der Auf- prgt die Ausgestaltung derjenigen Ler-
merksamkeit sowie das Erkennen von nermerkmale, die als personale Vorbe-
und das Umgehen mit Verstndnispro- dingungen einen jeden (weiteren) Lern-
blemen. Erst die metakognitive Kontrolle prozess habituell mitbestimmen: das
sichert eine zielfhrende Nutzung der inhaltliche Vorwissen, das strategische
kognitiven Strategien. und das metastrategische Wissen, die pro-
Steuerungsmaßnahmen nach dem Ler- zeduralen strategischen und metastrategi-
nen sind vornehmlich bewertender Na- schen Kompetenzen, die motivationalen
tur. Sie beinhalten Vergleichsprozesse in- Orientierungen und berzeugungen (Pe-
dividueller und sozialer Art. Sie geben krun, 1997).
Auskunft ber die Angemessenheit des Bernhard Schmitz’ (2001; Perels, Schmitz
zuvor gewhlten Strategieeinsatzes. Bei & Bruder, 2003) prozessuales Selbstregu-
einem positiven Lernausgang wird die lationsmodell ist in den Lernphasen hn-
Selbstbewertung zur Selbstverstrkung lich wie das Dreiphasenmodell von Schie-
fhren. fele und Pekrun konzipiert, betont aber
Jede Lernepisode wird so zum Teil der in- strker die Rckkoppelungsschleife, die
dividuellen Lerngeschichte einer Person. von der Phase nach dem Lernen, der post-
Die kumulative Lerngeschichte wiederum aktionalen, zur nachfolgenden lernvor-
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Teil II Lehren
bereitenden Phase, der praktionalen dem er sich nach getaner Arbeit mit einer
Lernphase eines neuen Lernzyklus, fhrt. angenehmen Ttigkeit belohnt. Weil er
Solche Rckkoppelungen spielen eine von vornherein mit lernintentionsbedroh-
wichtige Rolle bei der Entwicklung fhig- lichen Ablenkungen rechnet, macht er
keitsbezogener Selbstkonzepte und Selbst- whrend des Lernens die Zimmertr zu
wirksamkeitsberzeugungen. und schaltet sein Handy aus. Katja (22)
Jede Lernanforderung, mit der ein Ler- ist intrinsisch motiviert, weil sie sich fr
nender konfrontiert wird, lçst in der das Seminarthema besonders interessiert.
praktionalen Phase nicht nur (die bereits Beides sind gute Voraussetzungen fr den
geschilderten) Prozesse der Ziel- und Wil- Einsatz anspruchsvoller Verstehensstrate-
lensbildung aus, sondern auch eine Reihe gien. Franz setzt whrend des Lernens
emotionaler Zustnde unterschiedlicher elaborative Verstehensstrategien ein. Da-
Gestimmtheit – dies zustzlich zu den in zu aktiviert er sein inhaltsbezogenes Vor-
einer beliebigen Lernsituation ohnehin wissen und versucht, Verknpfungen zwi-
aktuell vorhandenen emotionalen Ge- schen neuen und schon vorhandenen
stimmtheiten. Lernbezogene Emotionen Wissenselementen herzustellen, so etwa,
sind nicht ohne Einfluss auf die Willens- wenn er fr die Zeitenfolge im Franzçsi-
bildung und auf die Auswahl von Lern- schen nach Analogien zur ihm bekannten
strategien in der praktionalen Phase, sie consecutio temporum im Lateinunter-
beeinflussen auch den Einsatz von Lern- richt sucht. Um sicherzustellen, dass er
strategien in der aktionalen Phase. Empi- das Verstandene auch behalten hat, wen-
rische Studien haben gezeigt, dass eine det er abschließend eine Wiederholungs-
ngstliche Gestimmtheit vor dem Lernen strategie an. Katja (22) setzt Organisati-
mit einer verminderten Lernmotivation onsstrategien zur Informationsreduktion
und einem wenig effektiven Lernverhal- ein, indem sie Zusammenfassungen an-
ten einhergeht (Pickl et al., 2001; Schmitz fertigt und wichtige Textstellen unter-
& Wiese, 1999). streicht. Fr das Verstehen des Gelesenen
wre es gut gewesen, wenn sie sich zu-
Fazit. Die vorgestellten Modelle eint ein stzlich Fragen zum Text berlegt und
definitorischer Kern: Selbstgesteuertes Anwendungsbeispiele ausgedacht htte.
Lernen beruht auf dem Vorhandensein Franz hat sich vor dem Lernen berlegt,
und Zusammenwirken spezifischer Struk- was genau gefragt sein kçnnte – entspre-
turen und Prozesse auf der kognitiven chend plant er sein Lernverhalten. Er
und auf der motivationalen Funktions- kennt den Unterschied zwischen Verste-
ebene: »SRL is the fusion of skill and hen und Behalten. Zur Lernkontrolle ließ
will« (Paris & Paris, 2001, S. 98). Es sind er sich von seinem Bruder abfragen und
sehr unterschiedliche Klassifikationssyste- er versuchte, seiner Mutter zu erklren,
me denkbar, um zu einer genaueren Syste- was er gelernt hat. Katja hat erst beim
matisierung dieses SRL-Kerns zu gelan- Lernen gemerkt, dass man Dinge auch
gen. Wir haben im zweiten Kapitel dieses behalten kann, ohne sie verstanden zu ha-
Buches mit dem INVO-Modell eine sol- ben. Deshalb korrigiert sie spter ihr
che Systematisierung vorgeschlagen. Lernverhalten. Schwierige Textstellen
liest sie nun ein zweites Mal.
Erfolgreiche Selbstregulation Den aufmerksamen Leser(inne)n wird
nicht entgangen sein, dass die Modelle
Franz (15) aus dem Eingangsbeispiel die- und Verhaltensweisen selbstgesteuerten
ses Abschnitts motiviert sich selbst, in- Lernens nur dann gelingen kçnnen, wenn
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viele Seiten will ich heute schreiben? Wie (fr eine bersicht vgl. Wild, 2000). Die
viele Bahnen will ich heute schwimmen? Skalen »Memorieren« und »Elaborieren«
In welcher Zeit?«) und sie sind berzeugt zielen auf die beiden von Weinstein und
davon, diese Ziele durch eigene Anstren- Mayer (1986) so bezeichneten kognitiven
gung auch erreichen zu kçnnen. Erfolg- Primrstrategien, die Skalen »Veran-
reich Lernende verfgen ber ein reich- schaulichen« und »Transformieren« auf
haltiges Repertoire bereichsbezogener das Organisieren von Lernmaterial. Die
Lernstrategien, sie kennen den Nutzen beiden anderen Skalen zielen auf die Re-
und die Anwendungsbedingungen dieser gulation von Anstrengung und Zeitma-
Strategien und sie sind in der Lage, ihr nagement – also auf so genannte Sttz-
strategisches Lernverhalten durch Metho- strategien.
den der motivationalen und volitionalen Die ber Fragebogen diagnostizierten
Kontrolle abzuschirmen. Sie wenden da- Lerngewohnheiten haben allerdings in der
zu Techniken der Selbstinstruktion und Regel nur wenig mit dem ber Klausur-
der Selbstverstrkung an. Erfolgreich Ler- leistungen erfassten Lernerfolg von Stu-
nende beobachten sorgfltig ihre Lern- dierenden zu tun. In einer Studie mit fast
fortschritte und sie kontrollieren fortlau- 400 Studierenden zeigten sich nur nied-
fend, ob und was sie gelernt haben. Sie rige korrelative Zusammenhnge; am
bewerten ihren Lernfortschritt selbst und ehesten fhrt noch die Anstrengungsregu-
ziehen daraus Konsequenzen. lation zu besseren Lernleistungen (Gold,
2005). Es zeigt sich aber, dass die Zusam-
menhnge zwischen Lernstrategien und
Diagnostik der Selbstregulation
Lernerfolg hçher ausfallen, wenn das
Selbstregulative Fertigkeiten lassen sich Lernerfolgskriterium anspruchsvoller de-
durch geeignete Maßnahmen unterstt- finiert wird. Treten Aufstze oder Referate
zen und fçrdern. Eine solche Fçrderung als Leistungsanforderung an die Stelle der
setzt aber eine zuverlssige Zustandsdiag- Mehrfachwahlaufgaben einer Klausur,
nostik voraus. Dass dies nicht einfach dann gehen mit gut bewerteten Leistun-
sein wird, liegt auf der Hand: Wissen gen zugleich hçhere Ausprgungen auf
ber und situationsgerechte Anwendung der Skala »Elaborieren« und auf den
von selbstregulativen Strategien sind beiden Skalen zur Erfassung organisieren-
durchaus nicht deckungsgleich. Deshalb der Strategien (»Veranschaulichen« und
reichen Selbstausknfte ber dispositio- »Transformieren«) einher (Gold, 2005;
nal-habituelle Aspekte der Selbstregulati- Souvignier & Gold, 2004). Mit anderen
on beim Lernen allein nicht aus (Artelt, Worten: Wenn in Leistungssituationen re-
2000; Jamieson-Noel & Winne, 2003). flexives und anspruchsvolles anstelle von
Zur lernstrategischen Schnelldiagnostik reproduktivem Wissen eingefordert wird,
eignet sich der Fragebogen WLS »Wie ler- dann erweist sich offenbar strategisches
nen Sie?« (Gold, 2005; Souvignier & Verhalten als ntzlich.
Gold, 2004). Der Fragebogen ist in einer
fr Oberstufenschler konzipierten Form Fçrderung selbstgesteuerten Lernens im
auf der folgenden Seite, zusammen mit Unterricht. Das selbstgesteuerte Lernen
der notwendigen Auswertungsanwei- lsst sich fçrdern, indem (schulische)
sung, abgedruckt (Abb. 6.6). Die 35 Lernumgebungen so gestaltet werden,
Items der WLS-Skalen sind auf der Basis dass Selbststeuerung nicht nur mçglich,
bereits vorhandener Instrumente aus- sondern nahe gelegt und eingefordert
gewhlt, modifiziert und ergnzt worden wird. Damit sind vor allem die in den Ab-
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Teil II Lehren
Literaturhinweise
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Reynolds & G. E. Miller (Eds.), Handbook of Psychology, Vol. 7, Educational Psy-
chology (pp. 59–77). Hoboken: Wiley.
Zusammenfassung
Es gibt unterschiedliche, aber nicht beliebige Vorgehensweisen erfolgreichen Leh-
rens. Auf verhaltens- und kognitionspsychologischen Anstzen fußen die Methoden
der Direkten und der Adaptiven Instruktion. Fr beide Methoden gilt, dass die Leh-
renden den Unterricht rational planen, vorbereiten, steuern und berwachen. Sie
fungieren als »didactic leader«. Das entdeckenlassende und das situierte Lehren sind
dagegen lehr-lern-theoretischen Anstzen verpflichtet, die vornehmlich die Selbst-
ttigkeit und die Eigenverantwortlichkeit des Lernenden betonen. Anstze dieser
Art setzen auf die Selbststeuerung des Lernens, bei dem die Regulation des Zielset-
zungs- und Bewertungsverhaltens durch kognitive, metakognitive und motivationa-
le Prozesse geleistet wird. Auch das kooperative Lernen beruht auf einer Lehrmetho-
de mit hohen Selbststeuerungsanteilen.
Die Hauptmerkmale der lehrerzentrierten Direkten Instruktion (Eingangsprfung,
darstellende Stoffvermittlung, angeleitetes und selbststndiges ben, regelmßige
berprfung des Lernerfolgs) haben sich als effektiv erwiesen. Adaptive Maßnah-
men sind darber hinaus notwendig und geeignet, um Anpassungen an unterschied-
liche Lernvoraussetzungen sicherzustellen. Blooms zielerreichendes Lernen ist ein
Beispiel fr eine lernzeitadaptive Maßnahme. Den Methoden des entdeckenlassen-
den und problemorientierten Lehrens liegt die Annahme zugrunde, dass das Selbst-
entdeckte von einer anderen Verstehens- und Behaltensqualitt sei als das durch eine
Erklrung Vermittelte. Die in den 1960er-Jahren zwischen Bruner und Ausubel ge-
fhrte Kontroverse ber das Entdeckungslernen ist gut geeignet, um die gegenstzli-
chen Positionen zu illustrieren.
Die Vertreter der situierten Kognition berufen sich auf kulturanthropologische Studi-
en und auf die frhen Arbeiten von Wygotski. Mit der kognitiven Meisterlehre, dem
reziproken Lehren und der Methode der Verstehensanker liegen drei bewhrte un-
terrichtspraktische Umsetzungen der situiert-konstruktivistischen Lernprinzipien
vor.
Beim kooperativen Lernen arbeiten die Lernenden zusammen, um Wissen zu erwer-
ben. Methoden des kooperativen Lernens sind effektiv, wenn bestimmte Vorausset-
zungen, die Aufgabenstellung, die individuellen Verantwortlichkeiten und die Kom-
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Modelle selbstgesteuerten Lernens gehen davon aus, dass die Lernenden selbst ihr
Lernverhalten initiieren, gestalten und kontrollieren mssen, um erfolgreich zu sein.
Die Verfgbarkeit strategischer, metakognitiver, motivationaler und volitionaler
Kompetenzen macht den Kern der Selbstregulation aus. Erfolgreich Lernende sind
diesbezglich Experten.
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Die im sechsten Kapitel beschriebenen eine lange Tradition, die sich aus den
Methoden des Lehrens beeinflussen das klassischen Modellen schulischen Ler-
Lernen und den Aufbau von Wissen und nens und aus der empirischen Forschung
Kçnnen bei den Adressaten der instruk- zur Wirksamkeit von Lehrmethoden und
tionalen Maßnahmen. Sie sind aber nicht Schulsystemen, zur Leistungsentwicklung
die einzigen Einflussgrçßen. Ihre Wirk- von Schulen und Schulklassen speist. Die
samkeit bemisst sich aus dem Vorhanden- aufzhlende Betrachtung der Bedingungs-
sein und Zusammenspiel wichtiger Rah- faktoren – innerhalb und außerhalb von
menbedingungen des Lehrens. In Kapitel Schule und Unterricht sowie innerhalb
7 werden wichtige Rahmenbedingungen und außerhalb des Lernenden selbst –
erfolgreichen Lehrens behandelt und es schließt die Behandlung grundstzlicher
wird das Zusammenwirken der unter- Fragen mit ein. Dazu gehçren z. B. die
schiedlichen Aspekte und Bedingungen Problematik der multiplen Zielkriterien
von Unterricht nher beschrieben. von Unterricht und Schule sowie das Pro-
Merkmale der Qualitt und Quantitt blem der Vereinbarung disparater Unter-
von Unterricht, die individuelle Lernpro- richtsziele, die multiple Determiniertheit
zesse auslçsen und begnstigen, werden von Schulerfolg sowie die Frage der Kop-
im Folgenden in einen grçßeren Zusam- pelung oder Kompensation von Bedin-
menhang gestellt. Was sind die Ziele von gungsfaktoren.
Unterricht und Schule insgesamt? Welche Pdagogische Fertigkeiten der Klassen-
notwendigen Voraussetzungen mssen fhrung und des Managements von Un-
gegeben sein, um durch unterrichtliches terrichtsablufen und -problemen sind
Handeln diese Ziele erreichen zu kçnnen? notwendige Bestandteile aller erfolgrei-
Welche pdagogischen Fertigkeiten der chen Lehrmethoden. Als leicht beobacht-
Klassenfhrung und des -managements, bare Prozessvariablen des unterrichtlichen
welche diagnostischen Fertigkeiten des Lehrverhaltens gehçren sie zugleich zum
Beurteilens und Bewertens muss eine inhaltlichen Kern der Forschungstradition
Lehrerin besitzen? Wovon hngt die Ef- des Prozess-Produkt-Paradigmas schu-
fektivitt von Unterricht, ja von Schule lischen Lernens. Ihre besondere Attrakti-
insgesamt, ab? Wie wirken unterricht- vitt verdanken sie auch einer vergleichs-
liche Bedingungen, Kontextbedingungen weise geringen Modifikationsresistenz.
schulischen Lernens und die individuellen Mit anderen Worten: Solche Fertigkeiten
Lernvoraussetzungen der Schlerinnen kann man erlernen. Vor allem in den
und Schler zusammen? amerikanischen Lehrbchern nehmen die
Am Anfang steht der Entwurf einer Syste- Prinzipien effizienter Klassenfhrung
matik der Bedingungsfaktoren schu- breiten Raum ein (Good & Brophy, 1997;
lischen Lernens (Kapitel 7.1). Die syste- Slavin, 2006). In Kapitel 7.2 werden sol-
matisch-ordnende Betrachtungsweise hat che Prinzipien dargestellt.
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Orientierungsfragen
. Wozu ist Schule gut?
. Lsst sich Schulerfolg vorhersagen? Welches sind die wichtigsten Prdiktoren fr
schulische Leistungen?
. Wodurch ist qualitativ guter Unterricht charakterisiert?
. Kann man in kleinen Klassen besser lernen als in großen?
. Was sind Merkmale effizienter Klassenfhrung?
. Wie lassen sich schulische Leistungen angemessen beurteilen?
. Kann man mit Bildern oder Texten besser lernen? Oder mit dem Computer?
Teil II Lehren
Teil II Lehren
adaptive Stoffvermittlung bei effizienter sen fllt die Effektbilanz eines leistungs-
Lernzielorientierung. egalisierenden Mathematikunterrichts
Das Problem der Vereinbarkeit von Un- nmlich deutlich gnstiger aus als fr die
terrichtszielen stellt sich aber nicht nur Begabungsschwachen – dies ein weiterer
fr die unterschiedlichen Zielkriterien des Hinweis auf die lernhierarchische Bin-
affektiven und kognitiven Bereichs. Blei- nenstruktur des Stoffinhalts Mathematik
ben wir bei den kognitiven Lernzielen: und auf die kompensatorische Wirksam-
Bezogen auf den Wissens- und Kom- keit zeitadaptiver unterrichtlicher Maß-
petenzerwerb ist zunchst der individuel- nahmen.
le Leistungsfortschritt (Qualifizierung) ei- Der Ausgleich von Leistungsunterschie-
ne primre Zielgrçße von Unterricht. den lsst sich – zwar mhsam und nur in
Leistungsfortschritte kçnnen (nahezu) al- Maßen, aber durchaus im Einklang mit
le Kinder durch Unterricht erreichen. dem Zielkriterium der Qualifizierung –
Aber nicht alle kçnnen den gleichen Wis- unter bestimmten Rahmenbedingungen
sensstand erreichen, auch dann nicht, und bei Realisierung geeigneter Unter-
wenn sie lange genug und unter den fr richtsprinzipien erreichen (Baumert et al.,
sie optimalen Bedingungen lernen. Der 1986; Treinies & Einsiedler, 1996). An-
Ausgleich von Leistungsunterschieden dreas Helmke (1988) spricht in diesem
(Egalisierung) ist deshalb eine zweite Fall von »Optimalklassen« der doppelten
wichtige Zielgrçße von Unterricht. Sie Zielerreichung. Optimalklassen sind die
ließe sich mhelos im Sinne eines intellek- »doppelt erfolgreichen« Klassen, also die-
tuellen »Downgrading« erreichen, wo- jenigen Klassen, bei denen sich die Leis-
durch allerdings das durchschnittliche tungsstreuung aufgrund von Unterricht
Qualifikationsniveau der Schulklasse zu Gunsten der Leistungsschwcheren
Schaden nhme. Denn eine Leistungsega- vermindert, ohne dass es dadurch zu Ein-
lisierung auf niedrigem Niveau wrde ja bußen beim mittleren Leistungsniveau
nicht durch eine Verbesserung der leis- der Klasse und bei den Leistungsstrke-
tungsschwcheren, sondern vornehmlich ren kommt. Helmke charakterisiert das
durch eine nivellierende Verschlechterung Unterrichtsmuster in den »Optimalklas-
der ursprnglich Leistungsstrkeren be- sen« folgendermaßen:
wirkt. Besonders ernchternd ist, dass ein
. Lehrstoffzentrierung, Klarheit und Ver-
egalisierender Unterrichtsstil den Lern-
stndlichkeit der Instruktion,
fortschritt der Leistungs- und Begabungs-
. effiziente Klassenfhrung,
strkeren hemmt, ohne den Begabungs-
. Fçrderungsorientierung im Sinne einer
schwcheren zum Vorteil zu gereichen.
Anpassung an wesentliche Merkmale
Dies berichtet wiederum Helmke (1988)
der Lernenden und des Kontextes,
auf der Datenbasis der Mnchner Haupt-
. hohe Leistungsansprche bei Verzicht
schulstudie, in weitgehender berein-
auf geschwindigkeitsbetonte Leis-
stimmung mit entsprechenden Befunden
tungsanforderungen.
aus der Heidelberger Hauptschul- (Trei-
ber & Weinert, 1985) und der Berliner Wie man sieht, finden sich hier wesentli-
Gymnasialstudie (Baumert et al., 1986). che Unterrichtsmerkmale der kognitiven
Aufschlussreich ist allerdings die Diffe- und affektiven Zielerreichung wieder
renzierung der Leistungsschwcheren in (s.o.). Weder ein leistungsmaximierender
solche mit Begabungs- und solche mit und tempofixierter Unterrichtsstil noch
Vorkenntnisdefiziten. Fr Schlerinnen eine sozialintegrativ ausgleichende Orien-
und Schler mit defizitren Vorkenntnis- tierung allein kçnnen also der multiplen
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Zielsetzung gengen. Erst die Kombinati- toren sind die individuellen Lernvoraus-
on hoher Leistungsansprche mit einer setzungen sowie die Prozessmerkmale
proaktiven Anpassung an die vorgefun- des Unterrichts und der Erziehung. Bei-
dene Heterogenitt der Lernvorausset- spiele fr distale Faktoren sind die
zungen lsst sowohl Lernfortschritte fr strukturellen Merkmale von Familien,
alle (Qualifizierung) als auch eine Verrin- das Schul- und Unterrichtsklima oder
gerung von interindividuellen Leistungs- die Persçnlichkeitsmerkmale der Lehren-
unterschieden (Egalisierung) erwarten. den. Die distalen Faktoren sind nicht
Dies wohl vor allem deshalb, weil insbe- weniger bedeutsam, sie sind nur in der
sondere die Lernschwcheren von gut Wirkungskette weiter entfernt: So hat
strukturiertem, didaktisch hochwertigem die Sozialschicht der Eltern keinen ei-
Unterricht profitieren. genstndigen Erklrungswert im Hin-
blick auf die unterschiedlichen Lesekom-
Unterschiedliche Analyseebenen. Deter- petenzen der Kinder. Es sind aber die
minanten der Schulleistung lassen sich mit der sozialen Schichtzugehçrigkeit
in unterschiedlichen Bereichen und auf assoziierten Merkmale, wie die Bil-
mehreren Ebenen definieren. Es gibt Ein- dungsnhe und der Anregungsgehalt der
flussgrçßen, die der schulischen Leistung huslichen Umwelt, die elterlichen Leis-
kausal »nher stehen« (so genannte pro- tungserwartungen und das Bekrfti-
ximale Faktoren) oder von ihr »weiter gungsverhalten sowie das sprachliche
entfernt« sind (so genannte distale Fak- Modellverhalten, die auf der Wirkebene
toren). Beispiele fr die proximalen Fak- der familiren Interaktion die Entwick-
Fokus: Chancengleichheit
Die Gleichheit der Bildungschancen wird in der anglo-amerikanischen Diskussion
vornehmlich inputgesteuert-quantitativ unter dem Gesichtspunkt egalitrer Bil-
dungsgelegenheiten fr die Angehçrigen aller sozialen und ethnischen Teilgruppen
betrachtet (Angebotsgleichheit). In Deutschland wird dagegen meist die Forderung
nach einem korrigierenden Chancenausgleich erhoben (vgl. Schnabel, 2001). Mit
Verweis auf geschlechts- und schichtspezifische Disparitten von Bildungskarrieren
wird dabei weniger das Bildungsangebot als vielmehr das Resultat von Bildungs-
prozessen problematisiert. Dazu zwei Beispiele:
Gesamtschule. Mit der Einfhrung der Gesamtschule in den 1970er-Jahren war ei-
ne Verringerung des Einflusses der sozialen Herkunft auf die Bildungskarrieren der
Kinder intendiert gewesen. Wie die jngeren Vergleichsstudien TIMSS und PISA be-
legen, ist diese Entkoppelung nur unzureichend gelungen. (Baumert et al., 2001)
Koedukation. Mit der neuerlichen Propagierung nicht-koedukativer Beschulungs-
formen seit den 1980er-Jahren war ein Gegensteuern der geschlechtsstereotypen
Kurs- und Studienfachwahlen von Abiturientinnen beabsichtigt. Insbesondere sollte
die unterrichtliche Separierung der Geschlechter der Ausprgung geschlechter-
stereotyper Interessenstrukturen entgegenwirken. Lngsschnittstudien und Fallana-
lysen der Arbeitsgruppe Bildungslebenslufe zeigen, dass dies – im Hinblick auf das
Zielkriterium der Studienfachwahlentscheidung – in begrenztem Maße auch ge-
lingt. (Giesen, Gold, Hummer & Weck, 1992; Gisbert, 1995, 2001)
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Teil II Lehren
lung der kindlichen Lesekompetenz ent- Hinzu kommt ein Weiteres: Da sich Ef-
scheidend beeinflussen. fekte von Einflussfaktoren auf ganz un-
Sauer und Gamsjger (1996) spezifizieren terschiedlichen Aggregatebenen auswir-
mit zunehmender Nhe zum Schulleis- ken, kçnnen sie in ihrem komplexen
tungskriterium Einflussgrçßen auf sozio- Zusammenwirken leicht fehlinterpretiert
logischer, çkologischer, psychologischer werden. Variablen aus unterschiedlichen
und schulischer Ebene. Helmke und Wei- Lebenszusammenhngen kçnnen nm-
nert (1997a) sprechen in ihrem Rahmen- lich gleichlufige, gegenlufige oder sub-
modell von kulturellen, gesellschaftlichen stitutive Beziehungen zum Kriterium auf-
und wirtschaftlichen Rahmenbedingun- weisen. Analysen auf der Individualebene
gen, von schulorganisatorischen Einfls- verkennen, dass Schlerinnen und Sch-
sen, vom Einfluss der Schulklasse, der ler der einen und eben nicht einer anderen
Lehrperson und des von ihr ausgehenden Schulklasse angehçren und dass sie damit
Unterrichtsverhaltens, vom Einfluss der eine gemeinsame schulklassenbezogene
Status- und Strukturmerkmale der Fami- Mikroumwelt teilen. Analysen auf der
lie, vom Erziehungsverhalten der Eltern Mikroebene der Schulklassen mitteln das
und schließlich von den kognitiven, moti- Individuum unter dem Aspekt der ge-
vationalen und emotionalen Lernvoraus- meinsamen Unterrichtung, negieren aber
setzungen (Abb. 7.1). weiterhin den Einfluss, der auf der Meso-
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ebene von Schulkulturen und -klimata tagsschulen oder die Straffung von Lehr-
und von den Schuleinzugsbereichen aus- plnen), unterliegt leicht einem ȍkologi-
geht. Strukturunterschiede auf der Ma- schen Fehlschluss« – wenn nmlich aus
kroebene eines Systems werden in der Re- den Ergebnissen internationaler Ver-
gel erst im interkulturellen Vergleich gleichsuntersuchungen (also aus Zu-
sichtbar. sammenhngen auf einer hçheren Aggre-
Das aber heißt, dass die Schler einer gatebene) auf (so nicht beobachtete)
Klasse, die Klassen einer Schule, die Wirkmechanismen einer darunterliegen-
Schulen eines Landes streng genommen den Aggregatebene geschlossen wird. Die
nicht als unabhngige Beobachtungsein- im Sinne einer Makrosteuerung adminis-
heiten gelten kçnnen und dass (die bli- trativ eingeleiteten Vernderungen auf
chen) Analysen auf der Individualebene der institutionellen Ebene (z. B. die Ein-
durch systematische Varianzanteile der richtung von Ganztagsschulen) sind aber
»hçheren Ebenen« belastet sind – es in der Regel so weit von der eigentlichen
handelt sich im varianzanalytischen Sin- Wirkebene (z. B. der individuellen Lern-
ne also um so genannte »nested de- fçrderung) entfernt, dass unklar bleiben
signs«. Diese lassen sich angemessen nur muss, welche Wirkungen sie berhaupt
ber struktur- und mehrebenenanalyti- entfalten kçnnen.
sche statistische Auswertungsverfahren
bearbeiten (Bryk & Raudenbush, 1992; Multiple Determiniertheit. Schulleistun-
Ditton, 1998). Erst solche Verfahren er- gen sind multipel determiniert, das Rah-
mçglichen eine separate Schtzung der menmodell von Helmke und Weinert
relativen Einflsse, die auf der Indivi- (1997a; Abb. 7.1) vermittelt einen Ein-
dual- bzw. auf der Schulklassenebene ei- druck davon. Das aber heißt, wir haben
ne Rolle spielen. es mit multiplen Kriterien und multiplen
Die Einleitung administrativer Maßnah- Prdiktoren auf unterschiedlichen Ebe-
men bildungspolitischer und schulorgani- nen zu tun, die in vielfltiger Weise funk-
satorischer Art, wie sie im Anschluss an tional miteinander verknpft sind. Auf
TIMSS oder PISA zu beobachten waren und zwischen diesen Ebenen existieren
(z. B. die forcierte Einrichtung von Ganz- additive und multiplikative, lineare, mo-
Fokus: Mehrebenenanalyse
Herkçmmliche regressionsanalytische Verfahren sind zur Verrechnung geschachtel-
ter Datenstze ungeeignet, da die Voraussetzung unabhngiger Stichprobenelemen-
te nicht erfllt ist. Im hierarchisch linearen Modell (HLM) lassen sich hingegen
Merkmale auf unterschiedlichen Ebenen spezifizieren, z. B. im Zusammenhang mit
schulbezogenen Studien auf der Ebene des Individuums (1. Ebene), auf der Ebene
des Klassenkollektivs (2. Ebene) und auf der Ebene der Institution Schule oder des
Schulsystems (3. Ebene). Entsprechend kçnnen Effekte von Individual- und Aggre-
gatvariablen unabhngig voneinander bestimmt werden, indem die Regressionsana-
lyse um eine oder mehrere Ebenen erweitert wird. Die auf Individualebene geschtz-
ten Regressionsgewichte lassen sich im HLM als abhngige Variablen betrachten,
deren Ausprgung durch Merkmale der Aggregatvariablen anderer Ebenen vorher-
gesagt wird. Die Berechnung der Parameter erfolgt simultan durch Maximum-Like-
lihood-Schtzungen.
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Varianz der kognitiven und der motivatio- Bedeutung der Lehr-Lern-Zeit fr den
nalen Prdiktoren der Schulleistung er- Lernerfolg. Das Produktivittsmodell von
mittelt. Das liegt fr die Kriterien der Walberg (1986) systematisiert und er-
Deutsch- und Mathematiknoten etwas gnzt diese Einflussfaktoren um distale
ber dem spezifischen Beitrag der ein- Umweltmerkmale. Helmke (2002, 2003)
bezogenen kognitiven Prdiktoren allein. hat ein integratives Angebots-Nutzungs-
Modell unterrichtlicher Wirkungen ent-
wickelt.
Modelle schulischen Lernens
Modelle schulischen Lernens beziehen Carrolls Modell. Carroll (1963) betrach-
sich in der Regel auf die »mittlere« Ag- tet Lernerfolg als Funktion der auf-
gregatebene des Lernens in der Schul- gewandten im Verhltnis zur bençtigten
klasse. Sie sind damit »ber« den auf der Lernzeit. In dieser Schlichtheit ist Carrolls
Individualebene angesiedelten Prozess- die Mutter aller Modelle. Die Relation
modellen selbst- und fremdgesteuerten der beiden finalen Determinanten defi-
Lernens (vgl. Abb 5.3 und 6.5) und »un- niert den individuellen Lernerfolg. Wird
terhalb« des Schul- und Bildungssystem- soviel Zeit aufgewendet, wie bençtigt
vergleichs spezifiziert. Solche Modelle wird, ist das Ergebnis entsprechend posi-
strukturieren die Empirie und ermçgli- tiv. Wird zur Aufgabenbearbeitung mehr
chen eine Ordnung der Befundlage. Die Zeit bençtigt, als tatschlich investiert,
frhen Modelle von Carroll (1963) und werden Lernschwierigkeiten die Folge
Bloom (1976) thematisieren vor allem die sein (Abb. 7.2).
Aufgabenspezifische
Begabung
Instruktionsverständnis Benötigte
Lernzeit
Ausmaß des
Lernerfolgs
Qualität des Unterrichts
Aufgewendete
Lernzeit
Ausdauer
(Lernmotivation)
Zugestandene Lernzeit
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Teil II Lehren
Die (tatschlich) bençtigte Lernzeit ergibt in hohem Maße vorhanden ist) und bei
sich in Carrolls Modell aus der aufgaben- einer hohen allgemeinen Intelligenz (In-
spezifischen Begabung (weniger Begabte struktionsverstndnis) wird man eine
brauchen mehr Zeit) und aus der Fhig- qualitativ schlechte Unterrichtsgestaltung
keit, die Aufgabenanforderung zu verste- wohl bis zu einem gewissen Grade »ver-
hen (wer die Instruktionen nicht sofort schmerzen« kçnnen. Auf der anderen Sei-
versteht, braucht mehr Zeit). Hinzu te: Wird ein gut strukturierter, niveau-
kommt der Einfluss der Unterrichtsquali- adaptiver und anregender Unterricht die
tt (schlechter Unterricht wirkt sich lern- Bedeutsamkeit der allgemeinen Intelli-
zeitverlngernd aus). Die Qualitt des genz fr den Lernzeitbedarf nicht deut-
Unterrichts interagiert auch mit dem In- lich verringern? Slavin (2006) hat dem in
struktionsverstndnis der Lernenden. seinem so genannten QAIT-Modell wi-
Die (tatschlich) aufgewendete Lernzeit dersprochen. QAIT (Quality, Appropria-
hngt ab von der individuellen Ausdauer teness, Incentives, Time) fasst die durch
bzw. der Lernmotivation (Lern- und Leis- Instruktion modifizierbaren Stellgrçßen
tungsmotivierte und sachinhaltlich Inte- des Carroll-Modells zusammen. Alle
ressierte sind bereit, mehr Zeit aufzuwen- vier QAIT-Komponenten, also die Unter-
den) und von der durch die Lehrperson richtsqualitt im engeren Sinne (z. B.
zugestandenen Lernzeit oder Lerngele- Strukturiertheit, Verstndlichkeit), die
genheit. Die Ausdauer, also die Bereit- Angemessenheit oder Adaptivitt des
schaft, Lernzeit zu investieren, wird wie- Vorgehens, die Motivierungsqualitt und
derum durch die Unterrichtsqualitt mit die Gestaltung des Lernzeitparameters,
beeinflusst. Auch die dem Lernenden zu- seien unbedingt notwendige, nicht ohne
gestandene Lernzeit steht in einer Bezie- Verlust kompensierbare und mithin mul-
hung zu den Merkmalen der Unterrichts- tiplikativ verknpfte Erfolgsdeterminan-
qualitt. Sie wird zudem durch die in ten von Unterricht.
Stundentafel und Lehrplan vorgesehene,
Blooms Modell. Bloom (1976) differen-
d. h. »zugeteilte« Lernzeit bestimmt.
ziert den Lernerfolg im Hinblick auf den
Helmke und Weinert (1997a) bezeichnen
Leistungsbereich (kognitive vs. affektive
die vom Lernenden aufgabenbezogen ge-
Lernergebnisse) und im Hinblick auf die
nutzte przisierend als »aktive Lernzeit«
Leistungseffizienz (d. h. die Leistungs-
und differenzieren hinsichtlich der zuge-
menge in Relation zu der dafr bençtig-
standenen zwischen der »nominal« laut
ten Zeit). Das Lernergebnis beruht in
Stundenplan vorgeschriebenen Unter-
Blooms Modell auf einem Zusammen-
richtszeit, den »tatschlich« gehaltenen
spiel der kognitiven und der affektiven
Schulstunden und der in diesen Stunden
Lernvoraussetzungen mit Merkmalen der
»curricular gentzten« Unterrichtszeit.
Unterrichtsqualitt (Abbildung 7.3).
Carrolls Modell verspricht vielfltige
Entscheidende Stellgrçße der Intervention
Mçglichkeiten pdagogischer Interven-
ist die Unterrichtsqualitt. Diese ist durch
tion, vor allem in lernzeitadaptiver Hin-
vier Aspekte nher bestimmt, die in ihrer
sicht. Das Modell lsst allerdings offen,
unterrichtlichen Realisation allesamt eine
in welchem Maße die finalen Lernzeit-
hohe Steuerungskomponente auszeichnet:
determinanten in ihrer Bedingtheit auf
wechselseitig kompensierbaren (d. h. ad- . schrittweise Darbietung der Lernin-
ditiven) Einflssen beruhen. Bei einer halte,
hohen aufgabenspezifischen Begabung . bekrftigendes Lehrverhalten bei auf-
(d. h., wenn bereichsbezogenes Vorwissen gabenbezogenen Lernaktivitten,
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Kognitive
Kognitive Lern-
Lern-
ergebnisse
voraussetzungen
(Ausmaß, Effizienz)
Lernaufgaben
Affektive
Lern- Affektive Lern-
voraussetzungen ergebnisse
Qualität des
Unterrichts
Darbietung
Bekräftigung
Eigenaktivität
Rückmeldungen
Abb. 7.3: Blooms Modell (nach Helmke & Weinert, 1997a, S. 81)
. hohe Anteile an aktiver Lernzeit durch riablenbereiche fr die Produktivitt eines
Forcierung der Eigenaktivitt der Ler- Lernenden, einer Schule oder einer Schul-
nenden, klasse ausschlaggebend: 1. der Bereich
. unmittelbare Leistungsrckmeldungen der Schlerkompetenzen (kognitive und
sowie Korrekturen und – wenn nçtig – motivationale Fhigkeiten sowie der all-
zustzliche bungsaufgaben und zu- gemeine Entwicklungsstand), 2. der Be-
stzliche Lernzeit. reich des Unterrichts (Qualitt und Quan-
titt von Unterricht) und 3. der Bereich
So betrachtet lsst sich Unterrichtsquali- der so genannten Umwelt- oder Kontext-
tt leicht »quantifizieren« und verweist variablen. In Abbildung 7.4 finden sich
wiederum auf das grundlegende Prinzip neben den neun Produktivittsfaktoren
der Lernzeitadaptivitt in Blooms Kon- aus diesen drei Bereichen die mittleren
zept des zielerreichenden Lernens (vgl. (unkorrigierten) Korrelationskoeffizienten
Kapitel 6.2): Wenn zustzliche Lernzeit der jeweiligen Faktoren mit der Schulleis-
gewhrt wird, kçnnen fast alle Lernenden tung (vgl. Fraser et al., 1987).
ein beliebig anspruchsvolles Lernziel er- Es drfte kaum mçglich sein, so res-
reichen. miert Schnabel (2001, S. 479), einen wei-
teren Einflussfaktor zu finden, »der nicht
Walbergs Produktivittsmodell. Walberg unter einem der neun Faktoren zu subsu-
und Kollegen haben ber die Analysen mieren wre oder zumindest mittelbar
vieler tausend Einzelstudien eine Systema- ber diese wirkt«. Unterschiedlich sind
tisierung von Einzelbefunden in Form ei- die Auffassungen darber, wie die Fak-
nes Neun-Faktoren-Modells der Schul- toren zusammenwirken. Fr die fnf
leistung vorgenommen (Fraser, Walberg, Kernfaktoren aus dem Bereich der Sch-
Welch & Hattie, 1987; Walberg, 1986; lerkompetenzen und des Unterrichts-
Wang et al., 1993). Danach sind drei Va- geschehens wird eine wechselseitige Sub-
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Teil II Lehren
Teil II Lehren
resse und die Lernfreude (vgl. dazu Kapi- • Intelligenztestleistung (1. Klasse) mit .47*
tel 2). Mathematikleistung (4. Klasse)
Besonders enge Beziehungen des Lern-
erfolgs bestehen zur Intelligenz und zu
Partialkorrelationen
den bereichsspezifischen Vorkenntnissen,
weil die Intelligenteren schneller, leichter • Mathematikleistung (2. Klasse) mit
.68*
Mathematikleistung (4. Klasse) bei
und besser lernen und weil sie hufiger
Auspartialisierung der Intelligenztest-
ber ein »intelligent organisiertes« Wis- leistung (1. Klasse)
sen verfgen, welches die Bewltigung
neuer, darauf aufbauender Lernprozesse • Intelligenztestleistung (1. Klasse) mit
.15*
wiederum erleichtert (vgl. Kapitel 2.2). Mathematikleistung (4. Klasse) bei
Auspartialisierung der Mathematik-
Weinert und Helmke (1995) fhren aus leistung in der 2. Klasse
der lngsschnittlichen SCHOLASTIK-
Anmerkung: *p<.01
Studie Korrelationen und Partialkorrela-
tionen an, die die nachhaltige Bedeutsam- Abb. 7.6: Vorkenntnisse und Leistung
keit der mathematischen Vorkenntnisse (nach Weinert & Helmke, 1995, S. 17)
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Fokus: Schulnoten
In der SCHOLASTIK-Studie wurden Schulnoten erhoben und klassenweise stan-
dardisiert. So verwendet markieren sie den individuellen Abstand vom jeweiligen
Klassenmittelwert.
In der schulischen Bewertungspraxis sollen Schulnoten als Ergebnis eines (mçglichst
objektiven) Beurteilungsprozesses das Konstrukt Schulleistung ausdrcken, und zwar
nach vorgegebenen Richtlinien. Dabei sollen sie interindividuelle Unterschiede und in-
traindividuelle Vernderungen mçglichst zuverlssig abbilden. Den Schulnoten (Zif-
fernnoten) kommt aber neben der pdagogischen (Rckmeldung, Anreiz) eine wichti-
ge gesellschaftliche Funktion (Berechtigung, Zuordnung, Kontrolle) zu. Es wird
durchaus kontrovers beurteilt, ob Ziffernnoten einen hinreichenden Informationsge-
halt aufweisen. Hufig wird empfohlen, dass die Notengebung anstelle einer sozialen
der sachlichen Bezugsnormorientierung folgen solle (vgl. dazu Kapitel 7.3). Dies aber
gilt – wie die Ansprche an die Kriterien der Objektivitt und Reliabilitt – fr jede
Art der Diagnostik, also auch fr das Berichtszeugnis (Jger, 2000; Tent, 2001).
sowie Weinert, Schrader und Helmke rung von Schulleistung erlaubt«. Einsied-
(1990) anhand der Mnchner Haupt- ler (1997, S. 228) unterscheidet:
schuldaten berichtet. Aus der Expertise-
. Makromethoden des Unterrichts (im
forschung war dies in anderen Zusam-
Sinne der in Kapitel 6 beschriebenen),
menhngen ohnehin schon bekannt
. Mikroverhaltensweisen der Lernsteue-
(Gruber, 1994).
rung (wie z. B. Strukturierungshinweise
In der SCHOLASTIK-Studie ließen sich
oder Leistungsrckmeldungen),
Testleistungen in eigens konstruierten
. Methoden des Klassenmanagements,
Schulleistungstests durch die kognitiven
. den Einsatz unterschiedlicher Sozialfor-
(Intelligenz, Konzentrationsfhigkeit) und
men des Unterrichts (wie z. B. Still-
die motivationalen (Selbstkonzept, Leis-
oder Gruppenarbeit),
tungsangst) Faktoren brigens besser vor-
. die Herstellung eines gnstigen Sozial-
hersagen als Schulnoten. Und es ließ sich
oder Unterrichtsklimas.
fr den Inhaltsbereich Mathematik deut-
lich mehr Kriteriumsvarianz aufklren Helmke und Weinert (1997a) geben einen
als fr den Inhaltsbereich Deutsch berblick zum Stand der Forschung zur
(Rechtschreiben). Verglichen mit den mo- Unterrichtsqualitt (vgl. auch Clausen,
tivationalen Faktoren kam dabei den 2002; Gruehn, 2000). Meist wird »vor-
kognitiven Merkmalen eine hçhere Pr- sichtig« argumentiert, wenn es um den
diktionskraft zu (Helmke, 1997). relativen und spezifischen Erklrungsbei-
trag der Unterrichtsqualitt im Vergleich
Unterrichtsqualitt zu anderen Determinanten des Lern-
erfolgs geht; Jencks et al. (1972) haben
Weinert, Schrader und Helmke (1989, hier die negative Erwartungshaltung vor-
S. 899) definieren Unterrichtsqualitt gegeben. Zwar lsst sich durch alle in Ka-
pragmatisch als »stabile[s] Muster von pitel 6 beschriebenen Instruktionsmetho-
Instruktionsverhalten, das als Ganzes den qualitativ guter Unterricht gestalten;
oder durch einzelne Komponenten die die Metaanalysen der Produktivittsfor-
substanzielle Vorhersage und/oder Erkl- schung fallen jedoch hinsichtlich der spe-
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Teil II Lehren
zifischen Wirksamkeit einzelner Instrukti- ter fhren dort zum mehrkriterialen Er-
onsmethoden eher enttuschend aus und folg (Helmke, 1988; Helmke & Schrader,
geben keine Hinweise, unter welchen 1990). Auch die sechs »Meisterlehrer«
Rahmenbedingungen welche Instrukti- aus der SCHOLASTIK-Studie – das sind
onsmethode erfolgreich sein kann. Das Lehrende der Klassen mit den hçchsten
aber liegt vor allem in den methodischen Leistungszuwchsen in Mathematik –
Defiziten unterrichtlicher Vergleichsstudi- zeigen durchaus variable Muster erfolg-
en begrndet. Denn: reichen Unterrichtens (Helmke & Wei-
Bercksichtigt man … die relevanten Kontext- nert, 1997b; Weinert & Helmke, 1997b).
bedingungen, spezifiziert man einen sinnvollen Nur zwei der sechs weisen bei allen acht
Ausschnitt aus dem zu untersuchenden Phno- Indikatoren der Unterrichtsqualitt ber-
menbereich, erfasst man in reliabler Weise vali- durchschnittliche Werte auf. Nur einer
de Indikatoren der simultan wie sukzessive ab- der Indikatoren – nmlich die Klarheit
laufenden Unterrichts- und Lernprozesse, der Lehrerußerungen – scheint mithin
whlt man zugleich ein zweckmßiges Aggre- eine notwendige Bedingung guten Unter-
gierungsniveau fr die Daten …, so ndert sich
richtens zu sein.
das Bild vçllig: Qualittsunterschiede des Un-
terrichts werden fr die Schulleistungen und
ihre interindividuellen Differenzen zu Determi- Prozessmerkmale des Unterrichts. In der
nanten von begrenzter, aber erheblicher Wich- SCHOLASTIK-Studie wurden die Klas-
tigkeit. (Helmke & Weinert, 1997a, S. 126) senfhrung, die Strukturiertheit des Lern-
stoffes, das Ausmaß an individueller Un-
Helmke und Weinert (1997a, S. 127) tersttzung, die Fçrderungsorientierung,
fhren die Vielfltigkeit und Widersprch- das Sozialklima und die Variabilitt von
lichkeit des Erkenntnisstandes nicht zu- Sozialformen des Unterrichts durch hoch-
letzt auf unterschiedliche »Kernannahmen inferente Ratings geschulter Beobachter
ber die zentralen Gesetzmßigkeiten des erfasst. Die perzipierte Klarheit der Leh-
Lernens und Lehrens und die daraus ab- rerußerungen wurde hingegen direkt bei
leitbaren zweckmßigen Forschungsstra- den Schlerinnen und Schlern erfasst,
tegien« zurck. Dazu zhlen die grund- die Motivierungsqualitt des Unterrichts
legenden Unterschiede zwischen »instruk- (indirekt) ebenfalls ber die Schlerinnen
tionszentrierten und lernorientierten« und Schler, und zwar durch ein nied-
Anstzen, zwischen »Prozess-Produkt- riginferentes Beobachtungsinventar zum
Modellen und Modellen der kognitiven Aufmerksamkeitsverhalten.
Mediation« sowie zwischen »variablen- Nur fr den Leistungszuwachs im Fach
und personzentrierten« Anstzen. Fr eine Mathematik lassen sich auf Schulklassen-
Systematisierung empirischer Befunde bie- ebene konsistent und substanziell Bezie-
tet sich vor allem die zuletzt genannte Un- hungen zu den Merkmalen der Unter-
terscheidungsebene an (vgl. auch Brom- richtsqualitt nachweisen (Helmke &
me, 1992, 1997; Helmke, 2003). Weinert, 1997b; Abb. 7.7): Erfolgreiche
Klassen zeichnen sich durch eine effizien-
Lehrerpersçnlichkeit und Unterrichtsstil. te Klassenfhrung, durch eine hohe
»Lehrer kçnnen sowohl guten als auch Strukturiertheit des Lehrervortrags, durch
schlechten Unterricht auf eine sehr ver- ein hçheres Maß an individueller fachli-
schiedene Weise halten« (Helmke & Wei- cher Untersttzung (auch im Sinne einer
nert, 1997a, S. 130). Ein Blick auf die fortwhrenden Diagnostik und Kontrolle
Optimal- oder Positivklassen belegt dies des Lernverhaltens) und durch variable
– ganz unterschiedliche Interaktionsmus- unterrichtliche Sozialformen aus. Es ver-
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Teil II Lehren
Klasse nach Sozialschicht und Geschlecht Unter den vier Kontextfaktoren des Wal-
kçnnen sowohl die Qualittsmerkmale bergschen Produktivittsmodells ist die
der Unterrichtsgestaltung als auch die »husliche Umwelt« der bedeutsamste,
Leistungsentwicklung der Schlerinnen beispielhaft charakterisiert durch die
und Schler beeinflussen. Es gibt aber – elterliche Hausaufgabenkontrolle (vgl.
abgesehen von extrem großen oder sehr Abb. 7.4). Helmke, Schrader und Leh-
kleinen Klassen und von den beiden An- neis-Klepper (1991) haben in einer Teil-
fangsklassen in der Primarstufe – keine stichprobe der Mnchner Hauptschulstu-
Hinweise darauf, dass in den grçßeren die untersucht, welche relative Bedeutung
Klassen schlechter und in kleineren besser dem Elternverhalten fr die kindliche
gelernt wird (Ehrenberg, Brewer, Gamo- Schulleistung zukommt. Mtter, deren
ran & Willms, 2001). In der SCHOLAS- Kinder eine gnstige schulische Leis-
TIK-Studie war in den grçßeren Klassen tungsentwicklung nahmen, waren dem-
sogar eine effizientere Klassenfhrung, nach eher solche mit hohen Leistungs-
ein strukturierterer Unterricht, ein hçhe- erwartungen und mit einer Tendenz zur
res Ausmaß an individueller Unterstt- berschtzung der tatschlichen Kompe-
zung und ein gnstigeres Sozialklima be- tenz ihres Kindes (zur Funktion des ber-
obachtet worden (Helmke & Weinert, optimismus vgl. Kapitel 4.1). Wenn sie
1997b). Der kontraintuitive Befund lsst sich bei der Hausaufgabenkontrolle ein-
sich durch einen »erzwungenen« Anpas- schalteten, dann »eher prozess- als pro-
sungsprozess des Lehrerverhaltens an die duktorientiert«. Bei der Aufklrung der
gegebenen Notwendigkeiten erklren. Schulleistungsvarianz spielen die Eltern-
Helmke und Weinert bieten eine alterna- merkmale fr sich genommen eine
tive Erklrung an, dass nmlich die vergleichsweise geringere Rolle als die
Schulleitung die »kompetenteren Lehr- kognitiven Determinanten; sie sind aller-
krfte« offenbar gezielt in den zahlen- dings in betrchtlichem Umfang mit die-
mßig grçßeren Klassen einsetze. sen konfundiert.
Fr die familiren Determinanten lassen Fr die Kontextfaktoren schulischen Ler-
sich auf der (prinzipiell beeinflussbaren) nens und Lehrens gilt, dass sie nur mehr-
Prozessebene des Erziehungsverhaltens ebenenanalytisch angemessen modelliert
vier Funktionsbereiche benennen, »die und in ihrer Bedeutsamkeit geprft wer-
fr die Entwicklung der Schulleistung den kçnnen. Hinzu kommt ein weiteres,
von Belang sind« (Helmke & Weinert, bislang unterschlagenes Problem, das aber
1997a, S. 121): aus Kapitel 6.2 noch bekannt sein drfte:
das der vielfltigen Interaktion zwischen
. Stimulation (durch eine anregende Unterrichts- und Schlermerkmalen, d. h.
husliche Lernumwelt), der notwendigen bereinstimmung zwi-
. zustzliche Instruktion (durch additive schen individuellen Lernvoraussetzungen
oder kompensatorische husliche Stoff- und den fr diese Individuen »passenden«
vermittlung; Nachhilfe), unterrichtlichen Methoden und Verhal-
. untersttzende Fçrderung leistungs- tensweisen. Zwar werden die Erkenntnis-
zuversichtlicher Motivsysteme (durch se unbersichtlicher und komplexer,
die Einwirkung auf die Selbstkonzept- wenn individuelle Determinanten, Unter-
entwicklung), richtsvariablen und Kontextfaktoren si-
. modellhafte Vorbildfunktion in leis- multan zu beachten sind. Die Dringlich-
tungsthematischen Zusammenhngen. keit einer solchen Betrachtungsweise liegt
jedoch auf der Hand. Denn:
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Teil II Lehren
Definition: Klassenmanagement
Das Klassenmanagement beinhaltet alle Methoden, die eingesetzt werden, um die
Lernaktivitten in der Klasse zu organisieren. Dazu gehçren Instruktionen, rumli-
che und schliche Strukturen und alles Weitere, was dazu beitragen soll, um fr eine
effektive Nutzung von Unterrichtszeit zu sorgen, eine frçhliche und effektive Lern-
umgebung zu schaffen und Verhaltensprobleme und andere Stçrungen zu minimie-
ren. (nach Slavin, 2006, S. 351)
Unterricht beinhaltet klare Ziele und An- von Ruhe und Ordnung kann nmlich
forderungen fr die Schler(innen) und auf sehr unterschiedliche Weise erreicht
erhçht die Nutzbarkeit der Unterrichts- werden. »Erzwingt« man sie durch auto-
zeit fr die aktive Auseinandersetzung ritres Verhalten, gehen die Vorteile des
mit den Lerninhalten. gelungenen Klassenmanagements offen-
Je mehr Unterrichtszeit fr die Reduktion stç- kundig wieder verloren (vgl. Einsiedler,
render Aktivitten verbraucht bzw. verschwen- 2000). Eine erhçhte aktive Lernzeit und
det wird, desto weniger aktive Lernzeit steht ein hohes Leistungsniveau werden dage-
zur Verfgung. Je hufiger einzelne Schler im gen durch einen autoritativen Unter-
Unterricht anwesend und zugleich geistig ab- richtsstil erreicht, bei dem zwar feste Re-
wesend sind, um so weniger kçnnen sie lernen. geln und Normen vorgegeben sind, diese
Der Klassenfhrung kommt deshalb eine jedoch erklrt und begrndet werden, mit
Schlsselfunktion im Unterricht zu. (Weinert, dem Ziel, die Schlerinnen und Schler
2000b, S. 15)
von der Ntzlichkeit der Regeln zu ber-
Unterrichtsstçrungen und Disziplinpro- zeugen.
bleme verringern aber nicht nur die akti- Helmke (2003; vgl. auch Good & Bro-
ve Lernzeit der Schler(innen), sie gehç- phy, 1997) hat darauf hingewiesen, dass
ren auch zu den am hufigsten genannten sich die Unterscheidung zwischen »Dis-
Belastungsfaktoren fr Lehrerinnen und ziplin« und »effizienter Klassenfhrung«
Lehrer. offenkundig erst mit zunehmender Be-
Von einem guten Klassenmanagement rufserfahrung der Lehrkrfte herausbil-
und einer effizienten Klassenfhrung ver- det. In Befragungen von Berufsanfngern
spricht man sich zu Recht eine Verringe- und erfahrenen Lehrkrften nach der Be-
rung von Disziplinproblemen. Dennoch deutung des Themas Klassenfhrung fr
ist ein hohes Maß an Disziplin in der den eigenen Unterricht zeigte sich, dass
Klasse nicht gleich zu setzen mit effizien- Berufsanfnger »effiziente Klassenfh-
ter Klassenfhrung. Die Sicherstellung rung« und »Disziplin« weitgehend gleich
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setzten: Klassenfhrung bedeutet fr sie, gestellens im Unterricht oder auf das
die Schler(innen) unter Kontrolle zu ha- Anzeigen von Hilfsbedrftigkeit bezie-
ben und klar zu machen, wer hier »der hen,
Chef« ist. Bei den Antworten der berufs- . Routinen der Kommunikation zwi-
erfahrenen Lehrkrfte kam der Begriff schen Schler(inne)n, die die Zulssig-
»Disziplin« dagegen kaum vor. Unter keit und Erwnschtheit von Schler-
Klassenfhrung subsumierten sie vor al- Schler-Interaktionen whrend des
lem das sorgfltige und rechtzeitige Pla- Unterrichts beschreiben.
nen der Unterrichtsstunde, die Auswahl
interessanten Lehrmaterials sowie das Wie solche Routinen im Einzelnen aus-
rechtzeitige und entschiedene Einfhren sehen, wird natrlich von der Jahrgangs-
klarer Verhaltensregeln in der Klasse. stufe und von anderen Besonderheiten
der Klasse abhngig sein.
Verhaltensregeln und -routinen Im Unterschied zu diesen spezifischen
Verhaltensmustern spricht man von Re-
Als Voraussetzung effizienter Klassenfh- geln, wenn es um allgemeine Standards
rung und erfolgreichen Klassenmanage- des Verhaltens geht. blicherweise wer-
ments gilt die frhzeitige und konsequen- den fr ein erfolgreiches Klassenmanage-
te Einfhrung von Regeln und Routinen ment mehr Routinen als Regeln existie-
fr das Verhalten in der Klasse. Unter ren. Dafr sind die Regeln sehr viel
Routinen versteht man spezifische Ver- expliziter und verbindlicher als die Routi-
haltensmuster fr immer wiederkehrende nen. Hufig werden sie sogar schriftlich
Situationen, wie etwa das Austeilen und festgehalten, den Schler(inne)n und gele-
Einsammeln von Materialien, das Wann gentlich auch den Eltern ausgehndigt
und Wie des Redens im Unterricht oder oder auf eine andere Weise zugnglich ge-
das Verhalten beim Verlassen des Klassen- macht. McPhillimy (1996) schlgt vor,
raums. Routinen sind selten schriftlich drei Metaregeln bei der Einfhrung von
festgelegt, dennoch kann ohne sie keine Regeln zu beachten: (a) es sollten so we-
effiziente Klassenfhrung aufkommen. nig Regeln wie mçglich eingefhrt wer-
Claire Weinstein (2003; Weinstein & den, (b) diese sollten so einsichtig wie
Mignano, 2003) erachtet fr das Klassen- mçglich sein, und (c) Regeln sollten mçg-
management im Primar- und Sekundar- lichst positiv formuliert sein. Die in den
bereich die folgenden Routinen als not- einschlgigen Lehrbchern zur Klassen-
wendig: fhrung vorgeschlagenen Regeln hneln
einander. Meist beziehen sie sich auf all-
. Verwaltungsroutinen, die sich z. B. auf gemeine Normen des Miteinanders in der
die unterrichtliche Anwesenheitspflicht Schule:
beziehen,
. Sei freundlich und hilfsbereit!
. Mobilittsroutinen, die sich z. B. da-
. Respektiere das Eigentum anderer!
rauf beziehen, wie und wann das Klas-
. Befolge alle Schulregeln!
senzimmer whrend des Unterrichts
verlassen werden darf, Entscheidend dafr, ob die Einfhrung
. Routinen fr das Beginnen und Been- von Routinen und Regeln gelingt und da-
den einer Unterrichtsstunde, wie z. B. mit das fr ein gelungenes Klassenmana-
das Notieren von Hausaufgaben, gement charakteristische Lernklima in ei-
. Routinen der Lehrer-Schler-Interakti- ner Klasse entstehen kann, ist deren
on, die sich z. B. auf die Art des Fra- frhzeitige und konsequente Einfhrung.
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Teil II Lehren
Das Adjektiv »frhzeitig« ist dabei wçrt- liert hatten. Besonders reibungslos verlief
lich gemeint. Bereits die ersten Tage und der Unterricht, wenn zustzlich auch die
Wochen eines Schuljahres – insbesondere (gnstigen) Konsequenzen fr regelkon-
wenn die Lehrkraft eine Klasse neu ber- formes und die Sanktionen fr regelwid-
nimmt – sind entscheidend. Das belegt riges Verhalten von Anfang an deutlich
beispielsweise eine Untersuchung von gemacht worden waren. Lehrkrfte, die
Emmer, Evertson und Anderson (1980) sowohl frhzeitig als auch konsequent
in 28 Klassen des dritten Schuljahres. Ein Regeln und Routinen eingefhrt hatten,
reibungsloser Unterrichtsverlauf mit ho- konnten sich im Unterricht viel besser auf
hen Anteilen aktiver Lernzeit war bei je- die eigentlichen Lernaktivitten konzen-
nen Lehrer(inne)n zu beobachten, die trieren. Sie konnten Aufgabenstellungen
vom ersten Schultag an die wichtigsten leichter erlutern, wo nçtig Korrekturen
Verhaltensregeln konsequent eingefhrt und Wiederholungen anbringen sowie
und ihre Umsetzung beispielhaft model- differenziertere Rckmeldungen geben.
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Teil II Lehren
hatte einen Studenten gergt, der wh- Allgegenwrtigkeit. Streng genommen ist
rend der Vorlesung in der Tageszeitung die Allgegenwart der Lehrkraft natrlich
las, statt aufmerksam den Ausfhrungen eine an Allmachtsphantasien erinnernde
zu folgen. Die Rge bewirkte mehr, als er Fiktion. Auch ein noch so erfahrener und
geahnt hatte. Nicht nur fhrte sie dazu, versierter Lehrer kann nicht wirklich im-
dass der Gescholtene seine Zeitung zur mer ber alles im Bilde sein, was im Un-
Seite legte. Vielmehr gab es eine Art Wel- terricht oder gar in der Klasse insgesamt
leneffekt – die Rge schien sich auch auf abluft. Dennoch wird diese Fiktion
das Verhalten der nicht gergten Studie- leicht zur subjektiven Realitt, nmlich
renden im Hçrsaal auszuwirken: Es wur- dann, wenn eine Lehrkraft bei den Sch-
de schlagartig still im Raum, das Flstern ler(innen) den Eindruck erweckt, jederzeit
untereinander wurde eingestellt, Seiten- ber alles, was in der Klasse geschieht,
blicke unterblieben, die Augen wandten genau Bescheid zu wissen. Dieser erste
sich vom Lehrer ab und vergruben sich in Bereich effizienter Klassenfhrung wird
den Mitschriften. von Kounin (1970) durch zwei Kom-
Dass eine solche Stimmung nicht gerade petenzen des Lehrenden nher umschrie-
lernfçrderlich ist, leuchtete Kounin un- ben, die er als Prsenz (withitness) und
mittelbar ein. Er begann mit einer Serie berlappung (overlapping) bezeichnet.
empirischer Untersuchungen zu der Fra- Prsenz bedeutet, dass die Lehrkraft alle
ge, welche Arten von Interventionen sich Aktivitten der Schler(innen) im Blick
auf den Unterrichtsfluss und auf das akti- hat. Das geht so weit, dass die Unterrich-
ve Lernen in der Klasse besonders gnstig teten das Gefhl haben, die Lehrperson
auswirken. Die mehrjhrigen For- habe auch im Rcken Augen und Ohren.
schungsbemhungen blieben ohne befrie- Dieser Eindruck wird vermittelt, wenn
digendes Resultat. Dies nderte sich erst, man sehr deutlich macht, dass Stçrungen
als Kounin die Perspektive wechselte und und heikle Entwicklungen nicht geflis-
im Rahmen von groß angelegten Video- sentlich bersehen und schon gar nicht
studien der Frage nachging, worin sich ignoriert werden. Mit berlappung ist
Lehrkrfte von Klassen mit hoher aktiver die Kompetenz der Lehrperson gemeint,
Lernzeit und geringer Stçrungsrate von mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Ge-
solchen unterschieden, die ber hufige lingt es, sich einem Verhaltensproblem zu
Disziplinprobleme klagten. widmen, ohne die bersicht und Kontrol-
Aus diesen Rekonstruktionen erfolgrei- le ber die gesamte Klasse zu verlieren,
chen Klassenmanagements leitete Kounin dann strkt auch das den subjektiven
(1970) eine Reihe von Prinzipien effizien- Eindruck, dass der Lehrer oder die Lehre-
ter Klassenfhrung ab, die sich vier rin allgegenwrtig sei. Die Folge ist, dass
Bereichen zuordnen lassen: der Allgegen- es wenig Anlass gibt, die Kompetenzen
wrtigkeit der Lehrkraft, der Reibungs- der Lehrperson durch Stçrmançver wei-
losigkeit im Unterrichtsablauf, der Auf- ter auszuloten oder in Frage zu stellen.
rechterhaltung des Gruppenfokus und
der berdrussvermeidung. Auch wenn Reibungsloser Unterrichtsablauf. In je-
die im Folgenden etwas nher ausgefhr- dem Unterricht kommt es zu bergngen
ten Prinzipien nicht immer klar von der zwischen verschiedenen Phasen, Aktivit-
zugleich verwendeten Unterrichtsmetho- ten oder Anforderungen. Erfolgreiches
dik abzugrenzen sind, gelten sie bis heute Klassenmanagement ist auch dadurch
als eine geeignete Grundlage fr eine effi- charakterisiert, dass die Unterrichtsdyna-
ziente Klassenfhrung. mik auch bei solchen bergngen erhal-
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Fokus: Allgegenwrtigkeit
Fetsco und McClure (2005, S. 322ff) haben einige Techniken aufgefhrt, die geeig-
net sind, den Eindruck der Allgegenwrtigkeit zu erhçhen:
. regelmßig den Klassenraum mit den Augen forschend absuchen und nicht zu
lange einen einzelnen Schler zu fokussieren,
. im Unterricht stehen anstatt zu sitzen und dabei Positionen einnehmen, aus denen
heraus der gesamte Klassenraum berblickt werden kann,
. in Phasen der Gruppenarbeit durch den Raum wandern und die Aktivitten ber-
wachen,
. darauf achten, dass die Sicht auf die ganze Klasse nicht blockiert wird.
Fokus: Reibungsverluste
. Whrend einer Rechenbung ermahnt der Lehrer einen Schler, aufrecht zu sit-
zen, und macht ihm vor, wie er richtig sitzen solle.
. Mitten in die Stillarbeitsphase einer Unterrichtsstunde hinein fragt die Lehrerin
unvermittelt, ob jemand wisse, warum Dennis heute fehle.
. Whrend eines Unterrichtsgesprchs entdeckt der Lehrer ein Abfallpapier auf dem
Boden und macht zu dieser Beobachtung einige grundstzliche Bemerkungen.
(nach Nolting, 2002, S. 33)
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Analyse: Erwartungseffekte
Ovid berichtet, dass sich einst der zyprische Stadtkçnig und Bildhauer Pygmalion ei-
ne wunderschçne Frauenstatue geschaffen hatte, in die er sich unsterblich verliebte.
Er wnschte sich nichts sehnlicher, als dass die Statue »aufblhe« und zum Leben er-
weckt werde, damit er sie ehelichen kçnnte. Die Gçtter hatten ein Einsehen – und die
sehnliche Erwartung des Pygmalion und alle seine Wnsche wurden Wirklichkeit.
Der Sozialpsychologe Robert Rosenthal und die Schulleiterin Leonore Jacobsen
(1968) berichteten vom »Aufblhen« von Schulkindern aufgrund einer entspre-
chenden Leistungserwartung ihrer Lehrer. In Anlehnung an Pygmalions Geschichte
haben sie das Phnomen als Pygmalioneffekt im Unterricht bezeichnet. In mehreren
Klassen einer Grundschule hatten die Forscher einen speziellen Intelligenztest
durchgefhrt, vorgeblich mit dem Ziel, die weitere Leistungsentwicklung der Kin-
der vorherzusagen. Im Anschluss wurden den Lehrern dieser Schler einige als ver-
meintlich Hochbegabte namentlich benannt – fr sie sei ein besonders deutlicher
Leistungsfortschritt im nchsten Schuljahr zu erwarten. Tatschlich waren diese
Schler per Zufall ausgewhlt worden. Dennoch erreichten deutlich mehr von ih-
nen am Ende des Schuljahres bessere kognitive Leistungswerte als die Schler einer
Kontrollgruppe.
Was war passiert? Die Lehrer gingen mit den vermeintlich Hochbegabten freundli-
cher und nachsichtiger um und sie gaben ihnen vermehrt Gelegenheit, sich am Un-
terricht zu beteiligen (zu einer umfassenden Darstellung und Diskussion vgl. Rosen-
thal, 1991; Ludwig, 2001).
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Teil II Lehren
Diese zweite Gruppe benotete nicht nur ihnen zugrunde liegen und wie die Test-
den Gesamtaufsatz, sondern auch ver- werte zu interpretieren sind.
gleichsweise gut objektivierbare Teilkom- Es gibt eine Reihe von Gtekriterien, die
ponenten, wie die Rechtschreibung, im an diagnostische Urteile anzulegen sind,
Durchschnitt deutlich besser. damit sie als angemessen und fair gelten
Auch die PISA-Studie aus dem Jahre kçnnen. Welche Gtekriterien mssen be-
2000 deutet an, dass es um die diagnosti- achtet werden und wie relevant sind diese
sche Kompetenz von Lehrer(inne)n nicht Gtekriterien fr das tgliche Urteilsver-
immer gut bestellt ist. Die Lehrkrfte der halten von Lehrerinnen und Lehrern?
an der PISA-Studie beteiligten Haupt- Des Weiteren geht es in diesem Abschnitt
schulen wurden gebeten, jene Schler um die Bezugsnormen, an denen sich
und Schlerinnen zu nennen, »deren Le- Leistungsbeurteilungen orientieren. Die
sefhigkeit so gering ausgeprgt ist, dass bloße Feststellung oder Messung einer
sie sich als ernsthaftes Problem beim Leistung ist lediglich die Voraussetzung
bergang ins Berufsleben erweisen wird dafr, eine Leistungsbewertung vorneh-
... [weil sie] deutlich unterhalb der Lese- men zu kçnnen. Erst wenn die Leistungs-
fhigkeit gleichaltriger Schlerinnen und feststellung mit einer Norm oder mit ei-
Schler derselben Schulform [liegt]« (Ar- nem Standard verglichen wird, wird
telt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001, deutlich, ob es sich um eine gute oder um
S. 119). Von den etwa 23 Prozent Haupt- eine weniger gute Leistung handelt.
schlern, deren gemessene Lesefhigkeit Schließlich wird thematisiert, wie es um
noch unterhalb der basalen Lesekom- die Genauigkeit der Leistungsbeurteilun-
petenzstufe 1 lag, wurde aber nur jeder gen steht. Es gibt unterschiedliche Kom-
Zehnte von seinen Lehrer(inne)n als zur ponenten der Urteilsgenauigkeit und es
Risikogruppe gehçrig eingestuft. gibt typische Fehlerquellen, die die Ge-
Auch wenn die aufgefhrten Befunde kei- nauigkeit von Leistungsbeurteilungen be-
neswegs zu der Schlussfolgerung verfh- eintrchtigen. Abschließend geht es um
ren sollten, die diagnostischen Kompeten- die Wirkungen von Lehrerurteilen. Den
zen von Lehrkrften seien durchwegs Bewertungen und Leistungsrckmeldun-
mangelhaft, so machen sie doch deutlich, gen kommt nmlich eine große Bedeutung
wie schwierig das zutreffende und zuver- fr das knftige Lern- und Leistungsver-
lssige Beurteilen und Bewerten von halten der Schlerinnen und Schler zu.
Schulleistungen ist. In diesem Abschnitt
werden wir deshalb ber wichtige Grund-
Diagnose und Prognose
lagen einer professionellen Leistungsdiag-
nostik in Schule und Unterricht informie- Auf den ersten Blick ist die Beurteilung
ren. Zunchst werden grundlegende und Bewertung der Leistungen von Sch-
Begriffe der Diagnose und Prognose er- lerinnen und Schlern eine Diagnose. Der
lutert, um anschließend zentrale The- griechische Ursprung des Wortes Diag-
menbereiche der Beurteilung und Bewer- nose bedeutet nmlich so viel wie »eine
tung schulischer Leistung zu skizzieren. unterscheidende, zusammenfassende Be-
Da standardisierte Schulleistungstests in urteilung«. Es geht also um eine zusam-
jngerer Zeit auch im deutschen Sprach- menfassende Bewertung bisher erbrachter
raum sehr an Bedeutung gewonnen ha- Leistungen. Fr die mit der Diagnose
ben, wird erklrt, was standardisierte einhergehende Bewertung ist die Vorgabe
Tests eigentlich sind, wozu sie bençtigt eines Unterscheidungskatalogs, eines Ka-
werden, welche Konstruktionsprinzipien tegorien- bzw. sonstigen Klassifikations-
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systems erforderlich. Das am meisten ver- zur Vorhersage schulischer und akademi-
breitete Klassifikationssystem im Kontext scher Leistungen wissen wir: Die besten
von Schule sind Zensuren. Die Bewer- Prdiktoren fr zuknftige Leistungen
tung einer erbrachten Leistung durch die sind die vergangenen Leistungen (Helm-
Vergabe einer Zensur ist eine Diagnose ke & Weinert, 1997a).
im Sinne einer Schlussfolgerung ber den ber die Qualitt von Diagnosen und
erreichten Leistungsstand auf der Grund- Prognosen entscheidet der Prozess des Di-
lage des gezeigten Leistungsverhaltens agnostizierens. Es verwundert daher nicht,
und der fr die Jahrgangsstufe definierten dass Oser (2004) bei seiner Beschreibung
Leistungserwartung. von Kompetenzen als Standards fr die
In der schulischen Praxis sind Leistungs- Lehrerbildung auch die Kompetenz der
bewertungen jedoch hufig weit mehr als vielseitigen, gerechten und effizienten
eine Schlussfolgerung ber das bisher ge- berprfung von Schulleistungen auf-
zeigte Lern- und Leistungsverhalten. Oft- fhrt. Aber wie lsst sich die Qualitt die-
mals haben Beurteilungen und Zensuren ses Diagnostizierens sichern? Pdagogi-
auch die Funktion, die Geeignetheit eines sche Psychologen sind davon berzeugt,
Schlers etwa fr bestimmte weiterfh- dass die beste Qualittssicherung fr das
rende Bildungsgnge abzuschtzen. Aus Diagnostizieren schulischer Leistungen in
der Diagnose eines bisher erreichten Leis- der Bereitstellung geeigneter diagnosti-
tungsniveaus wird somit eine Prognose scher Werkzeuge liegt. Wie den Bnden
ber zuknftig erreichbare Lernziele (z. B. der Reihe »Tests und Trends. Jahrbuch
bei der bertrittsentscheidung am Ende der pdagogisch-psychologischen Diag-
der Grundschule oder bei der Entschei- nostik« zu entnehmen ist, liegen mittler-
dung ber die Befhigung, nach erfolgrei- weile fr viele (wenn auch noch keines-
chem Abschluss der Realschule noch eine wegs fr alle) schulische Leistungsbereiche
Hochschulreife zu erreichen). diagnostische Testverfahren vor, die den
Im brigen hat sich der Gebrauch von di- Prozess des unterrichtlichen Diagnostizie-
agnostischen Urteilen anhand der bisher rens entscheidend verbessern helfen. Im
gezeigten (Schul-)Leistungen durchaus als Folgenden wird auf die Konstruktion, die
angemessene Grundlage fr eine prog- Interpretation und den Nutzen solcher
nostische Entscheidung erwiesen. Aus der Tests eingegangen. Aber auch vorstruktu-
Expertiseforschung, aus den Studien zum rierte Interviews und systematische Ver-
kumulativen Lernen und aus den Studien haltensbeobachtungen sind durchaus
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Teil II Lehren
taugliche diagnostische Instrumente (vgl. richts zu tun haben, oder entschließt sich
dazu Lukesch, 1998). der Lehrer gar, unterschiedlichen Sch-
ler(inne)n unterschiedliche Aufgaben
vorzulegen, dann entsteht bei vielen
Was sind standardisierte Tests?
Schler(inne)n der Eindruck, die Leis-
Im Sprachgebrauch hat es sich eingebr- tungsprobe sei nicht »fair«. Der Erfolg
gert, Leistungsberprfungen als Tests zu des Einzelnen bei einer solchen Leistungs-
bezeichnen. So kndigt der Lehrer am probe hngt brigens nicht nur davon ab,
Ende einer curricularen Einheit an: ob die Inhalte der letzten curricularen
»Morgen schreiben wir einen kleinen Einheit verstanden und behalten wurden,
Test, damit ich sehe, ob ihr das Thema sondern auch von einer Reihe anderer
verstanden habt«. Bei dem dann am Begebenheiten. Haben die Prfaufgaben
nchsten Tag vorgelegten Test handelt es nur wenig mit den Inhalten des Unter-
sich streng genommen um eine Leis- richts zu tun, entscheiden mitunter
tungsprobe, die sich unmittelbar auf den Qualitt und Verfgbarkeit des geeig-
vorausgegangenen Unterricht bezieht. neten Vorwissens ber das individuelle
Haben die Schler(innen) den Eindruck, Abschneiden. hnliches gilt fr den Fall,
dass die Aufgaben der Leistungsprobe dass ein Test fr jeden Schler eine jeweils
nicht viel mit den Inhalten des Unter- andere Aufgabe bereithlt: Schlerin A ist
Definition: Test
Ein Test ist ein systematisches und routinemßig einsetzbares Verfahren zur Mes-
sung definierter Ausschnitte menschlichen Verhaltens. Die Messung wird verwen-
det, um den Grad der Ausprgung einer so genannten Eigenschaft, Fhigkeit oder
Fertigkeit festzustellen und/oder um ein zuknftiges Verhalten vorherzusagen.
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Kompetenzen
Kennen Verstehen Anwenden ... ...
Tonarten
Instrumente
Inhalte
Komposi-
tionsstile
...
...
Abb. 7.8: Matrix der Lehrzielanalyse als Grundlage zur Konstruktion standardisierter
Tests (Beispiel fr den Bereich Musik)
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Teil II Lehren
auch beim Erstellen einer »normalen« teilnehmer sollte sich aber schon im
Klassenarbeit geschieht – sind aber wei- dreistelligen Bereich bewegen) erfolgen.
tere Konstruktionsschritte erforderlich, Hufig werden die Schler(innen) und
um eine Standardisierung im engeren Lehrer(innen) zustzlich nach der Testung
Sinne zu gewhrleisten. Lukesch (1998) um eine allgemeine Einschtzung ber
nennt hier eine Abfolge von fnf Schritten: die Angemessenheit und Schwierigkeit
Vorerprobung, Testdurchfhrung an einer der Aufgaben und der Testinstruktionen
kleinen Stichprobe, Aufgaben- und Test- gebeten.
analyse, Testvalidierung und Testeichung. Anhand der Daten dieser Vorerprobung
Sind die Testaufgaben (Items) fr das ge- wird eine Aufgaben- und Testanalyse
plante Testverfahren in einem ersten Ent- durchgefhrt, bei der bestimmte Item-
wurf zusammengestellt, sollte dieser an kennwerte und Testindikatoren berechnet
einigen Personen erprobt werden. Im werden. Die beiden wichtigsten Item-
Wesentlichen geht es bei dieser Vorer- kennwerte sind die Aufgabenschwierig-
probung um eine berprfung der Ver- keit und die Trennschrfe einer Aufgabe.
stndlichkeit und Eindeutigkeit der Auf- Die Aufgabenschwierigkeit gibt an, wie
gabenformulierung und um eine erste viele Personen eine Aufgabe richtig gelçst
Abschtzung der Durchfhrungsprakti- haben. Aufgaben mit hoher Schwierigkeit
kabilitt. Treten hier Probleme auf, so (also mit einem kleinen Prozentsatz richti-
fhrt dies frhzeitig zu einer entsprechen- ger Lçsungen) sind gut geeignet, um Leis-
den Revision der betroffenen Items. tungsunterschiede zwischen leistungs-
Ist aufgrund der Vorerprobung gesichert, starken Personen abzubilden. Leichte
dass die Testitems verstndlich und ein- Aufgaben, die von sehr vielen Personen
deutig sind, kann eine erste Testdurchfh- richtig beantwortet werden, sind dagegen
rung unter realen Bedingungen an einer zur Erfassung von Unterschieden zwi-
kleinen Stichprobe (die Anzahl der Test- schen den leistungsschwcheren Personen
Beispiel: Aufgabenschwierigkeit
In dem von Roick, Gçlitz und Hasselhorn (2004) vorgelegten Mathematiktest fr
dritte Klassen (DEMAT 3+) werden z. B. Items zur Subtraktion vorgegeben. Eines
lautet:
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geeignet. Die besten Differenzierungs- und die Testeichung. Bei der Testvalidie-
mçglichkeiten bieten Aufgaben mit einer rung geht es um die empirische berpr-
mittleren Schwierigkeit. Empfehlenswert fung der Gltigkeit (Validitt) des Testver-
sind daher Testverfahren, bei denen sich fahrens. Ein Test ist dann valide, wenn er
die Aufgabenschwierigkeiten zwischen tatschlich das misst, was er messen soll.
0.20 (jeder Fnfte kennt die richtige Lç- Die Gltigkeit eines Mathematiktests
sung) und 0.80 (vier von fnf Personen lsst sich beispielsweise danach bewerten,
kennen die richtige Lçsung) streuen. ob die Testergebnisse in einem Zusam-
Der zweite zentrale Itemkennwert fr die menhang stehen mit der Einschtzung
weitere Konstruktion des Testverfahrens des mathematischen Leistungsvermçgens
ist die Trennschrfe. Sie gibt an, wie gut durch einen entsprechenden Fachlehrer
die Lçsung eines jeden einzelnen Items oder mit den Ergebnissen in einem ande-
mit dem Abschneiden im Gesamttest ren Mathematiktest. Fr den oben er-
bereinstimmt, d. h., wie trennscharf eine whnten DEMAT 3+ konnte z. B. bei
einzelne Aufgabe ist. Trennschrfen sind einer Testvalidierung ein statistischer Zu-
als statistische Zusammenhnge (Korrela- sammenhang von r = -0.61 zwischen der
tionen) zwischen der Lçsung des jeweili- Testleistung und der Mathematiknote
gen Einzelitems und dem Abschneiden festgestellt werden: Das bedeutet, dass
im Gesamttest definiert. Die Trennschr- Kinder mit einem hohen Testpunktwert
fen kçnnen, wie bei Korrelationskoeffi- eine bessere (d. h. numerisch kleinere) No-
zienten blich, Werte zwischen -1 und +1 te in Mathematik aufweisen.
annehmen, wobei eine Trennschrfe von Der letzte Schritt bei der Konstruktion ei-
0 indiziert, dass eine Aufgabe von leis- nes standardisierten Testverfahrens ist die
tungsstarken wie leistungsschwachen Per- Eichung bzw. die Normierung im engeren
sonen gleich hufig richtig gelçst wird. Sinne. Hierzu wird der Test in einer
Solche Aufgaben sind wenig aussagekrf- großen und reprsentativen Stichprobe
tig und sollten wieder aus dem Testent- durchgefhrt, um einen Vergleichsmaß-
wurf herausgenommen werden. Anzu- stab zu generieren, der spter die Grundla-
streben ist eine Auswahl von Items mit ge fr die Bewertung von Einzelleistungen
einer mçglichst hohen positiven Trenn- abgeben wird. Man nennt die Testeichung
schrfe. auch Normierung, weil durch sie die Be-
Ist ber die Aufgaben- und Testanalyse wertungsnormen fr die Interpretation
eine Reihe unterschiedlich schwieriger von Testwerten gewonnen werden.
und trennscharfer Items zusammenge- In der testdiagnostischen Praxis haben
stellt, werden in der Endform des Tests sich ganz unterschiedliche Normierungen
die Items nach ansteigendem Schwierig- eingebrgert. Weitlufig bekannt ist die
keitsgrad angeordnet. Dies gilt jedenfalls IQ-Normierung, die vor allem bei Intelli-
fr Leistungstests und hat den Vorteil, genztests Verwendung findet. In den Ab-
dass zunchst die leichteren Aufgaben zu schnitten ber Lernschwierigkeiten (Kap.
bearbeiten sind. Sie werden mit einer grç- 4.2) und ber Hochbegabung (Kap. 4.3)
ßeren Wahrscheinlichkeit richtig gelçst – war davon bereits die Rede. Bei einer
und wenn die ersten Aufgaben erfolgreich mittleren Testleistung wird hier der Wert
gemeistert werden, entsteht eine gnstige 100 vergeben. Der IQ-Normierung liegt
Testmotivation. eine theoretische (Standard-)Normalver-
Nach der Aufgaben- und Testanalyse ver- teilung zugrunde, die fr 68 Prozent der
bleiben zwei weitere Schritte der Test- in der Eichstichprobe untersuchten Per-
konstruktion: nmlich die Testvalidierung sonen IQ-Leistungen zwischen 85 und
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Teil II Lehren
Fokus: Prozentrangnormen
Um zu Prozentrangnormen zu gelangen, fasst man die Rohwerte (z. B. die Anzahl
der richtig gelçsten Testitems) zu Rohwertklassen zusammen, die jeweils gleiche
Prozentanteile der Gesamtverteilung der Rohwerte ausmachen. Auf diese Art und
Weise kann man jedem Rohwert des Tests einen bestimmten Prozentrang zuordnen.
Der Prozentrang gibt an, wie viel Prozent der Eichstichprobe diese oder eine
schlechtere Leistung gezeigt haben. Ein Prozentrang PR = 60 bedeutet z. B., dass 60
Prozent der Personen der Eichstichprobe genauso viele oder noch weniger Testitems
richtig gelçst haben.
Prozentrnge sind gleichverteilt. Im mittleren Leistungsbereich differenzieren die
Prozentrangnormen sehr stark, d. h. schon sehr kleine Unterschiede in den Rohwer-
ten machen sich deutlich in den Prozentrangunterschieden bemerkbar. In den Ex-
trembereichen der Leistung hingegen machen selbst grçßere Rohwertunterschiede
in den Prozentrngen kaum noch einen Unterschied. Weil die Normalverteilungs-
annahme fehlt, kann man mit Prozentrangnormen in der schlussfolgernden Statistik
nur wenig anfangen. In der diagnostischen Praxis sind sie jedoch sehr beliebt, weil
sie eine rasche Bestimmung der relativen Position einer getesteten Person zulassen.
115 Punkten postuliert. Bei schulischen scher Konzepte. Zu diesen zhlen die
Leistungstests werden nur selten IQ-Nor- Hufigkeitsverteilung, die Maßzahlen
mierungen vorgenommen. Weit verbrei- der zentralen Tendenz und der Streuung
tet sind die ohne Verteilungsannahmen sowie die Unterscheidung zwischen ei-
operierenden Prozentrangnormierungen. nem Rohwert und einem Normwert so-
An den Prozentrngen lsst sich direkt wie zwischen dem Testwert und dem
ablesen, ob man zu den Schlechtesten »wahren« Wert einer Person. Unter den
oder Besten einer Stichprobe gehçrt. Stichworten Deskriptivstatistik, Wahr-
scheinlichkeitsrechnung und Testtheorie
Wie werden Testwerte finden sich einfhrende Darstellungen
hierzu in nahezu jedem Standardwerk der
interpretiert?
Psychologie (vgl. z. B. Zimbardo & Ger-
In Lndern, in denen die Anwendung rig, 2004).
standardisierter Tests zum Schulalltag ge-
hçrt, wird von den Lehrkrften erwartet, Rohwerte und Normwerte. Bisher haben
dass sie wissen, wie man die Ergebnisse wir immer von den Testwerten gespro-
solcher Tests interpretiert. Bei genauem chen, also von Punktwerten, die Personen
Hinschauen zeigt sich jedoch, dass die In- bei einem Test erzielen. Lassen wir z. B.
terpretation von Testwerten keineswegs einen Test bearbeiten, der aus zehn Auf-
trivial ist. Oft genug enthalten die Test- gaben besteht, und zhlen aus, ob eine
manuale zwar unterschiedliche Kennwer- Aufgabe richtig beantwortet wurde oder
te und Kennziffern – es fllt aber dem An- nicht, dann wird als Rohwert die Anzahl
wender nicht leicht, ihre Bedeutung und richtig gelçster Aufgaben herangezogen.
ihre Implikationen zu berblicken. Allein aufgrund des erreichten Rohwertes
Fr das Verstehen und Interpretieren von einer Person kann man aber – von Ex-
Testwerten bedarf es der Kenntnis grund- tremfllen einmal abgesehen – das Leis-
legender statistischer und messtheoreti- tungsvermçgen einer Person nicht wirk-
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180 ...................................................................................
160 ...................................................................................
140 ...................................................................................
120 ...................................................................................
Häufigkeit
100 ...................................................................................
80 ...................................................................................
60 ...................................................................................
40 ...................................................................................
20 ...................................................................................
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40
Rohwert
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Teil II Lehren
z. B. bei einem Leistungstest. Es handelt sich dabei um das arithmetische Mittel – die
Einzelwerte werden aufaddiert und durch die Anzahl der Einzelwerte dividiert. Der
Mittelwert ist eine hervorragende Schtzung fr den zu erwartenden Wert, solange
die Hufigkeitsverteilung der Werte in etwa einer Normalverteilung entspricht. Der
Median ist der Messwert, der genau in der Mitte einer Verteilung von Messwerten
steht, wenn man die Messwerte zuvor der Grçße nach ansteigend geordnet hat. Zur
Ermittlung des Medians bringt man die verfgbaren Einzelwerte deshalb zunchst
in eine aufsteigende Rangreihe. Bei einer ungeraden Anzahl von Meßwerten ent-
spricht dann der Median der Merkmalsausprgung des Rangplatzes, der die Werte-
verteilung in zwei Hlften teilt. Der Median entspricht zugleich einem Prozentrang
von 50 (PR = 50). Beim Modalwert handelt sich um den am hufigsten vorkommen-
den Einzelwert einer Messwertverteilung. Sind die Meßwerte exakt normalverteilt,
so sind die Ausprgungen von Mittelwert, Median und Modalwert identisch.
Maße der Variabilitt. Wir haben bereits erlutert, was unter einer Verteilung von
Werten zu verstehen ist. Beispielsweise kçnnen die individuellen Testwerte weit
streuen oder auch sehr eng beieinander liegen. Liegen die Werte weit auseinander,
so fllt es im Allgemeinen sehr viel leichter, Unterschiede zwischen Einzelwerten zu
interpretieren. Zwei hufig verwendete Maße zur Beschreibung der Variabilitt oder
Streuung einer Verteilung sind die Bandbreite und die Standardabweichung. Unter
Bandbreite (Variationsbreite) versteht man den Abstand zwischen dem niedrigsten
und dem hçchsten Wert in einer Verteilung. Dieses Maß der Variation ist hinsicht-
lich seiner Aussagekraft relativ anfllig fr so genannte »Ausreißer« in einer Hu-
figkeitsverteilung. Informativer ist hier die Standardabweichung, als Maß fr die
durchschnittliche Abweichung der Einzelwerte vom Mittelwert einer Verteilung. Sie
wird berechnet als Quadratwurzel aus der Varianz – der Summe der mittleren qua-
drierten Abweichungen aller Einzelwerte vom Gesamtmittelwert. Haben alle Test-
teilnehmer den gleichen Wert erzielt, so gibt es keine Variabilitt und auch die Stan-
dardabweichung ist null (SD = 0).
lich bewerten. Hierfr bedarf es eines Ver- ten. Der beobachtete Wert ist offenkun-
gleichsmaßstabes, der bei standardisier- dig: Eine Person hat beispielsweise 60
ten Tests durch die Normierung bzw. Ei- von 100 Testaufgaben richtig beantwortet
chung zur Verfgung steht. Aufgrund der (Rohwert) und aufgrund der Normie-
mittleren Leistung und der Verteilung in rungsdaten kann dieser Leistung ein
einer Eichstichprobe lsst sich jedem Normwert (z. B. Z = 105) zugeordnet
Rohwert ein entsprechender Normwert werden. Nun ist allerdings kein noch so
zuordnen, um die Position einer geteste- gut konstruierter Test vçllig messfehler-
ten Person im Hinblick auf diesen Maß- frei. Daraus folgt, dass man bei einem be-
stab zu bestimmen. Zu den gngigsten obachteten Testwert nicht genau wissen
Normwerten gehçren Z-Werte, IQ-Werte kann, inwieweit er punktgenau das tat-
und T-Werte (Abb. 7.10). schliche Leistungsvermçgen der Person
(den »wahren« Wert) abbildet. Der be-
Der wahre Wert. Eine weitere wichtige obachtete Wert ist deshalb nur eine Scht-
Unterscheidung der Testdiagnostik ist die zung des »wahren« Wertes einer Person.
zwischen beobachteten und wahren Wer- Zur Beurteilung der Gte dieser Scht-
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Fokus: Testnormen
Es gibt lineartransformierte und flchentransformierte Testnormwerte. Die gngigs-
ten lineartransformierten Normwerte sind Standardwerte (Z-Werte), IQ-Werte und
T-Werte. Den Z-, IQ und T-Werten liegt die Annahme der Normalverteilung zugrun-
de. Sie sind als Vielfache der Standardabweichung definiert und durch Lineartrans-
formation ineinander berfhrbar und unterscheiden sich nur hinsichtlich der Me-
trik von Mittelwert und Streuung voneinander. Z-Werte weisen einen Mittelwert
von 100 und eine Standardabweichung von 10 auf; IQ-Werte haben ebenfalls den
Mittelwert von 100, jedoch eine Standardabweichung von 15, und T-Werte haben
einen Mittelwert von 50 und eine Standardabweichung von 10.
Die Prozentrnge (PR) sind dagegen aus der Dichtefunktion der Normalverteilung
abgeleitet und als kumulative relative Hufigkeit aus der Verteilung aller Testwerte
der Eichstichprobe definiert.
...................................................................................
Häufigkeit
......................
....................
Intelligenzquotient 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135 140 145
(MW=100 s=15)
T-Wert 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80
(MW=50 s=10)
Prozentrang 0 0 1 2 5 9 16 25 37 50 63 75 84 91 95 98 99 99 100
Schulnote
(MW=3 s=1) 5 4 3 2 1
Teil II Lehren
Beobachtbare Testleistung
....................................
.........................................
.......................
.........................
Testscore
68 %
95 %
Vertrauensintervalle für wahre Testleistung
Abb. 7.11: Vertrauensintervalle fr unterschiedliche Konfidenzwahrscheinlichkeiten
Wichtige Entscheidungen, bei denen der neben mssen sie weitere Gtemerkmale
Einsatz standardisierter Tests zumindest aufweisen.
empfehlenswert ist, stehen zu ganz unter-
schiedlichen Anlssen im Bildungslebens-
lauf an. Hufig sind diese Anlsse mit Gtekriterien fr
weit reichenden Weichenstellungen ver- diagnostisches Urteilen
bunden. Manchmal wird es sich um Se-
lektionsentscheidungen handeln. So et- Nicht jedes diagnostische Urteil ber
wa, wenn es um die Frage geht, wer aus schulische Leistungen muss zwangslufig
einer Gruppe von Bewerbern um ein Sti- auf der Basis standardisierter Tests erfol-
pendium vermutlich die leistungsfhigste gen. Dennoch sollte die Qualitt jedes Ur-
Person sein wird. Manchmal wird es teils mçglichst hoch sein. Um dies zu ge-
auch um die Frage gehen, ob ein Schler whrleisten, wird fr pdagogische und
tatschlich eine Rechenschwche oder ei- psychologische Testverfahren das Einhal-
ne besondere Aufmerksamkeitsstçrung ten bestimmter Gtekriterien gefordert
aufweist. Dann geht es nicht um Selekti- (Hcker, Leutner & Amelang, 1998). Ob
on, sondern um die Zuweisung zu einer ein Gtekriterium erfllt ist, ist in der Re-
spezifischen Fçrdermaßnahme oder The- gel keine einfache Ja-Nein-Entscheidung.
rapie. Aber das Streben nach einer mçglichst
Gerade bei Entscheidungen, welche be- hohen Ausprgung hinsichtlich der zent-
sonderen Fçrdermaßnahmen bei spezi- ralen Gtemerkmale eines Tests ist zum
fischen Lernschwierigkeiten angezeigt Kriterium der Qualittssicherung diag-
sind (Fçrderentscheidungen), hat sich die nostischer Urteile im Allgemeinen gewor-
Verwendung standardisierter Tests sehr den. Als wichtigste Gtekriterien gelten
bewhrt. Dass sie eigens normiert sein die Objektivitt, die Zuverlssigkeit (Re-
mssen, wurde bereits beschrieben. Da- liabilitt) und die Gltigkeit (Validitt) ei-
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nes Tests. Hinzu kommt eine Reihe von ob nur bei einer vollstndig richtigen Lç-
Nebengtekriterien. sung einer Aufgabe oder auch schon bei
richtigen Teilschritten Bewertungspunkte
Objektivitt. Ein Test oder eine Beurtei- vergeben werden.
lung ist objektiv, wenn das diagnostische Schließlich muss auch die Interpretations-
Urteil ber die zu beurteilende Person eindeutigkeit eines Ergebnisses gewhr-
von der Person/Persçnlichkeit des Beur- leistet sein (Interpretationsobjektivitt).
teilers nicht beeinflusst ist. Vollkommen Bei standardisierten Tests ist dies unpro-
objektiv sind demnach Urteile, wenn alle blematisch, da der erzielte Rohwert nach
in Frage kommenden und befragten Beur- Vorschrift in einen Normwert umgewan-
teiler genau zum gleichen Ergebnis ge- delt wird. Ist allerdings ein solche Nor-
kommen sind. Seit langem gelten die Be- mierung nicht mçglich – wie z. B. bei der
urteilungen von Schleraufstzen durch Bildung einer Zeugnisnote aus verschie-
Fachlehrer als wenig objektiv. Dies hat in denen schriftlich und mndlich erbrach-
der Ausbildung von Lehramtsstudieren- ten Einzelleistungen – kann es leicht zu
den zu erhçhten Anstrengungen hinsicht- Einschrnkungen der Objektivitt kom-
lich der Sensibilisierung fr Probleme der men.
Leistungsbeurteilung gefhrt, um die Ob-
jektivitt der Notengebung zu steigern. Reliabilitt. Das Gtemerkmal der Relia-
Dennoch lsst sich leicht zeigen, dass un- bilitt bezieht sich auf die Zuverlssigkeit
terschiedliche Lehrpersonen sehr unter- bzw. Genauigkeit des diagnostischen Ur-
schiedliche Noten fr ein und dieselbe teils. Von einem reliablen diagnostischen
Klassenarbeit vergeben (z. B. Birkel & Werkzeug erwartet man, dass es przise
Birkel, 2002). und exakt misst. Wie wir beim Thema
Objektivittseinbußen kçnnen an unter- »wahrer Wert« bereits erlutert haben, ist
schiedlichen Stellen des diagnostischen die messfehlerfreie Erfassung von indivi-
Urteilsprozesses auftreten: schon bei der duellen Lern- und Leistungspotenzialen
Durchfhrung einer Leistungsprobe oder kaum mçglich. Im Rahmen der klassi-
eines Tests, dann bei der Auswertung und schen Testtheorie (vgl. Moosbrugger &
schließlich bei der Interpretation. Die Hartig, 2003) hat man sich mit der Frage
Durchfhrungsobjektivitt wird meist beschftigt, inwieweit man von den ge-
ber die Standardisierung der Durchfh- messenen (beobachteten) Werten auf die
rungsbedingungen zu sichern versucht. situationsunabhngigen »wahren« Merk-
Bei der Auswertungsobjektivitt geht es malsausprgungen schließen kann. Die
um die Fehleranflligkeit bei der Auszh- Axiome der klassischen Testtheorie erçff-
lung oder Verrechnung des von der Test- nen verschiedene Mçglichkeiten zur em-
person gezeigten diagnostisch relevanten pirischen Abschtzung der Reliabilitt ei-
Verhaltens. Handelt es sich bei dem nes Testverfahrens.
Antwortverhalten um Richtig-Falsch-An- Bei der empirischen Bestimmung der Re-
gaben etwa auf der Basis von Multiple- liabilitt (Messgenauigkeit) eines Tests
Choice-Aufgaben, so wird die Auswer- wird der Anteil der Varianz der »wahren
tungsobjektivitt vergleichsweise hoch Werte« an der Varianz der beobachteten
sein. Je komplexer die Testanforderung Werte geschtzt. Hierfr gibt es drei
jedoch ist, desto eher werden sich Proble- Mçglichkeiten: die Berechnung der Re-
me einer objektiven Testauswertung erge- test-Reliabilitt und der Paralleltest-Relia-
ben. So muss beispielsweise bei einem bilitt sowie die Bestimmung der internen
Mathematiktest genau festgelegt werden, Konsistenz. Bei all diesen Anstzen wer-
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Teil II Lehren
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Validitt. Das Gtemerkmal der Validitt mal, das nur graduell zu bestimmen ist.
bezieht sich auf die Gltigkeit des diag- Stets geht es um den Grad der Genau-
nostischen Verfahrens, auf die Frage also, igkeit, mit dem ein Verfahren tatschlich
wie gut das Verfahren genau jenes jenes Merkmal misst, das es zu messen
Merkmal erfasst, das es zu messen bean- vorgibt. Bezogen auf die Beurteilung und
sprucht. Die Validitt eines diagnosti- Bewertung schulischer Leistungen sind
schen Testverfahrens ist auch dann noch vor allem zwei Spielarten der Validitt
nicht automatisch gegeben, wenn Objek- von Bedeutung: die Inhaltsvaliditt und
tivitt und Reliabilitt in hohem Maße er- die Kriteriumsvaliditt.
fllt sind. Von Inhaltsvaliditt spricht man, wenn
hnlich wie bei der Reliabilitt handelt die Testanforderungen den zu beurteilen-
es sich bei der Validitt um ein Gtemerk- den Bereich in optimaler Weise reprsen-
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Teil II Lehren
tieren. Bei der Testkonstruktion greift scher Sicht heute nicht mehr akzeptierbar.
man gerne auf so genannte Experten zu- Nach Kubinger (1996) gilt das Gtekrite-
rck, um die Inhaltsvaliditt zu bestim- rium der Normierung als erfllt, wenn
men. Kommen die Experten bereinstim- zur Relativierung individueller Testergeb-
mend zu dem Ergebnis, dass ein Test gut nisse Normen einer definierten Populati-
geeignet ist, um den interessierenden Be- on anhand der Daten einer reprsentati-
reich zu messen, gilt das Verfahren als in- ven Eichstichprobe vorliegen.
haltsvalide.
Wenn es empirische Untersuchungen gibt, Nebengtekriterien. Neben den Haupt-
die belegen, dass die Testergebnisse mit gtemerkmalen (Objektivitt, Reliabili-
einem (zuvor) festgelegten Außenkriteri- tt, Validitt, Normierung) gibt es eine
um gut bereinstimmen (Kriteriums- Reihe so genannter Nebengtekriterien
validitt), hat dies oft eine grçßere ber- von Tests. Zu den hufig aufgezhlten
zeugungskraft als die Inhaltsvaliditt. Nebengtekriterien zhlen die kono-
Cronbach (1970) hat diese Art der empi- mie, die Ntzlichkeit, die Zumutbarkeit,
rischen Validitt danach unterteilt, ob die die Unverflschbarkeit und die Fairness.
empirische bereinstimmung mit einem Stehen zwei oder mehrere diagnostische
zeitgleich erfassten Kriterium (konkur- Verfahren zur Verfgung, um die gleiche
rente Validitt) oder mit einem zeitlich schulische Leistung zu beurteilen und un-
spter beobachtbaren Kriterium nach- terscheiden sich diese nicht wesentlich
gewiesen wird (prognostische Validitt). hinsichtlich der Hauptgtemerkmale,
Die empirische Validittsbestimmung dann ist jenes Verfahren vorzuziehen, das
wird von vielen Autoren als die grçßte am wirtschaftlichsten von allen ist (ko-
Herausforderung bei der Konstruktion nomie). Die Wirtschaftlichkeit wird meist
und Entwicklung von Verfahren zur Un- ber den finanziellen Aufwand und die
tersttzung des diagnostischen Urteils- zeitliche Belastung fr den Urteilenden
prozesses angesehen. Es ist daher wenig und den zu Beurteilenden eingeschtzt.
verwunderlich, dass sich mittlerweile eine Auch die Ntzlichkeit ist ein sinnvolles
Vielzahl unterschiedlicher Methoden zur Nebengtekriterium. Sie bezieht sich auf
Bestimmung der empirischen Validitt den praktischen Bedarf fr das Verfahren.
etabliert hat (vgl. zum berblick Lu- Gibt es kein alternatives Verfahren, um
kesch, 1998, S. 58 ff). die relevante Leistung zu messen, dann
ist die Ntzlichkeit hoch zu veranschla-
Normierung. Bei der Konstruktion und gen.
Interpretation standardisierter Tests ha- Bezieht sich die Ntzlichkeit vor allem
ben wir bereits ber Normwerte gespro- auf den Beurteiler im diagnostischen Pro-
chen. Normwerte dienen der Bewertung zess, so fokussiert das Kriterium der Zu-
individueller Testergebnisse auf der Basis mutbarkeit die Belastung der zu beurtei-
der in einer geeigneten Referenzpopulati- lenden Person. Diesem Kriterium gemß
on erbrachten Leistungen. Insbesondere sollte jeweils jenes Verfahren bevorzugt
im Zusammenhang mit der Beurteilung werden, bei welchem die physische und
von Leistungen wird die Normierung ei- psychische Belastung der getesteten Per-
nes Tests vielfach als viertes Hauptgte- son mçglichst gering gehalten wird.
kriterium eines diagnostischen Verfahrens Bisweilen ist darber diskutiert worden,
aufgefasst. Nicht-normierte Tests sind fr inwieweit die Durchschaubarkeit von
die Praxis der Beurteilung schulischer Testanforderungen die Validitt beein-
Leistungen aus pdagogisch-psychologi- trchtigt. Da Validittsbeeintrchtigun-
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Teil II Lehren
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Die standardisierten Tests zeigen einen fehlerfrei erfolgt, kçnnen weitere Fehler
Weg auf, die Anwendung sachlicher Be- auftreten. Besonders typisch sind dabei
zugsnormen weiter zu befçrdern – im Zu- die folgenden Beurteilungsfehler:
ge der Normierung von Testverfahren
fließt allerdings auch die soziale Bezugs- . Mildeeffekt: Eine einzelne zu beurtei-
norm wieder mit ein. lende Person wird zu positiv beurteilt.
Die Ursache sind Voreingenommenhei-
Typische Fehler bei ten gegenber einzelnen Personen.
. Großzgigkeitsfehler: Alle Personen
der Urteilsbildung
werden gnstiger beurteilt, als es der
Vor allem dann, wenn Leistungsbeurtei- Sache nach angemessen wre. Zu die-
lungen nicht auf der Grundlage standar- sem Fehler kann es kommen, wenn der
disierter Tests erfolgen, sondern aufgrund Bezug zur sachlichen Norm verloren
alltglicher Beobachtungen, ist die Ob- gegangen ist.
jektivitt des Urteils gefhrdet. Hier . Halo- oder Hofeffekt: Das Urteil wird
lassen sich Beobachtungsfehler von Beur- von einer markanten Eigenschaft der
teilungsfehlern abgrenzen. Von Beobach- zu beurteilenden Person (z. B. das Aus-
tungsfehlern spricht man, wenn Fehler sehen oder die Mundart) beeinflusst.
auftreten, die mit dem begrenzten Ver- Die daraus resultierende Verzerrung
mçgen bzw. dem fehlenden Willen des des Urteils kann sich sowohl zu Guns-
Beobachters zu tun haben. Geringe Sorg- ten als auch zu Ungunsten der zu beur-
falt, Langeweile, Mdigkeit oder auch teilenden Person auswirken.
Unvertrautheit mit der Situation der Leis- . Logischer Fehler: Eine subtile Variante
tungsbeurteilung kçnnen dazu fhren, des Hofeffekts ist der logische Fehler.
dass nicht alle fr das Urteil relevanten Er tritt auf, wenn eine flschliche An-
Verhaltensweisen und Phnomene von nahme ber den Zusammenhang zwei-
der urteilenden Person wahrgenommen er Merkmale das Urteil beeinflusst.
werden. Die Folge ist, dass die Objektivi- Glaubt beispielsweise ein Lehrer, dass
tt des Urteils leidet. viele Rechtschreibfehler die Folge einer
Aber auch, wenn die Beobachtung der geringen Intelligenz seien, kommt er
leistungsrelevanten Verhaltensmerkmale gar nicht erst auf den Gedanken, es
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Teil II Lehren
kçnne eine spezifische Lese-Recht- gut belegt, dass Lehrerurteile einen direk-
schreib-Stçrung vorliegen (vgl. Kap. ten Einfluss darauf haben, wie und was
4.2). Schler lernen (Crooks, 1988).
. Tendenz zur Mitte: Manche Urteiler Insbesondere die Lernmotivation wird
meiden extreme Urteile. Die Folge da- durch Leistungsurteile beeinflusst. Dieser
von ist die Tendenz, nur mittlere Be- Einfluss kann in seiner Auswirkung posi-
wertungen (z. B. nur Zensuren zwi- tiv (Ermutigung) oder negativ (Entmuti-
schen 2 und 4) abzugeben. gung) fr das weitere Lernverhalten aus-
. Tendenz zu extremen Urteilen: Andere fallen. Die nahe liegende Annahme, gute
Personen hingegen berhçhen gerne in Beurteilungen wirkten generell ermuti-
ihrer Bewertung Unterschiede zwischen gend und schlechte Beurteilungen ent-
Personen. Sie sind von einer Leistung mutigend, erweist sich bei genauerer Be-
entweder begeistert oder enttuscht. trachtung allerdings als zu grobe
Die Folge ist eine Tendenz, mittlere Be- Vereinfachung. Erst wenn eine Leistungs-
wertungen zu vermeiden und bevor- bewertung auch vom Lernenden selbst
zugt die Extrempunkte der Bewer- subjektiv als »gut« wahrgenommen wird,
tungsskala zu verwenden. stellt sich auch ein subjektives Erfolgser-
lebnis ein, welches die Bereitschaft er-
Welche Wirkungen haben hçht, sich auch zuknftig zu engagieren.
Unter dem Stichwort »paradoxe Effekte
Lehrerurteile?
von Lob und Tadel« wird in der Motiva-
In den bisherigen Ausfhrungen haben tionsforschung seit lngerem diskutiert,
wir viel ber die Mçglichkeiten und Ge- wann ein lobendes Urteil subjektiv als po-
fahren auf dem Weg zu einer angemesse- sitive Rckmeldung wahrgenommen
nen Leistungsbeurteilung berichtet. Dies wird und wann nicht.
zu wissen ist wichtig, um Bewertungen Positive motivationale Effekte lassen sich
mçglichst objektiv, reliabel, valide und durch Leistungsbeurteilungen insbeson-
fair zu gestalten. Das Thema Leistungs- dere dann erzielen, wenn sie – zumindest
beurteilung ist aber noch nicht hinrei- zustzlich – eine individuelle Bezugs-
chend behandelt. Zumindest liegt es na- normorientierung mit enthalten (s.o.) und
he, sich auch der Frage zu widmen, was wenn die darauf basierende Bewertung
Leistungsurteile – seien sie angemessen zeitnah zur erbrachten Leistung rck-
oder nicht – bei den Beurteilten auslçsen. gemeldet wird. Dies gilt zumindest fr
Auf einer rein rationalen Ebene ist diese den Fall, dass die Leistung zumindest in
Frage schnell beantwortet, haben Leis- Teilen positiv bewertet werden kann.
tungsbeurteilungen doch zunchst die Aus diesen kurzen Ausfhrungen zu ei-
Funktion, dem Lernenden eine wertende nem von der Forschung noch eher ver-
Rckmeldung zu geben. Man darf dabei nachlssigten Bereich der Leistungs-
jedoch nicht bersehen, dass es sich um beurteilung kçnnte man den Schluss
die wertende Rckmeldung zu einer per- ziehen, dass Leistungsurteile mçglichst so
sçnlichen Leistung handelt. Rckmeldun- gestaltet sein sollten, dass sie vom Ler-
gen dieser Art sind in hohem Grade nenden als subjektiv positiv aufgefasst
selbstwertrelevant. Obwohl die Erfor- werden kçnnen. Dieser Schluss ist jedoch
schung der Auswirkungen von Leistungs- voreilig. Auch der Umgang mit Misserfol-
urteilen auf die beurteilte Person zu den gen will gelernt sein. Langfristig erfolgrei-
eher vernachlssigten Forschungsgebieten ches Lernen setzt voraus, dass subjektive
der Pdagogischen Psychologie gehçrt, ist Misserfolge nicht zur Entmutigung fh-
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ren, sondern als Ansporn fr vermehrte (Textbasis) bildet. Die hierarchiehçheren
Lernaktivitten genommen werden kçn- Prozesse der Verknpfung, Reduktion
nen. Wie dies am besten im Rahmen und Verdichtung von propositionalen Se-
realer Leistungsbeurteilungen vermittelt quenzen dieser Textbasis dienen im Zuge
werden kann, gehçrt zu den spannenden einer globalen Kohrenzbildung der Her-
Fragen fr die zuknftige pdagogisch- stellung bergeordneter semantischer
psychologische Forschung. und syntaktischer Relationen zwischen
Stzen und Textabschnitten. Das Resultat
dieser Prozesse nennt man die Makro-
7.4 Instruktionsmedien struktur (die Hauptideen) eines Textes.
Integriert in die beim Leser bereits vor
Texte sind Lernmedien. Die Theorie des dem Lesen vorhandenen Vorwissens-
Textverstehens von Walter Kintsch (1996; strukturen und losgelçst von der Wort-
Kintsch & van Dijk, 1978) geht davon ebene der Textvorgabe entsteht so ein
aus, dass beim Lesen eines Textes multi- mentales Modell der Textbedeutung.
ple mentale Reprsentationen gebildet Kintsch (1993) bezeichnet dies als Situa-
werden. Durch hierarchieniedrige Pro- tionsmodell.
zesse der Buchstaben-, Wort- und Satz- Das Verstehen und Behalten von Texten
identifikation wird zunchst eine text- geht also weit ber die Textoberflche hi-
immanente (mikro-)propositionale Text- naus. Versuchen Sie einmal, den Text im
reprsentation aufgebaut. Prozesse der nachfolgenden Beispielkstchen zu ver-
lokalen Kohrenzbildung sorgen dafr, stehen. Er enthlt als Originalzitat Aus-
dass einzelne Propositionen miteinander zge aus der deutschen Zusammenfas-
verbunden werden und sich so eine sung einer Studie von Beck, McKeown,
zusammenhngende Textreprsentation Sinatra und Loxterman (1991).
Man htte auch die spanische oder die selten vor!). Trotz der sprachoberflchli-
franzçsische Zusammenfassung der Stu- chen Holprigkeiten: Aufgrund Ihres Vor-
die abdrucken kçnnen. Sie sind offenbar wissens haben Sie einen Eindruck davon
allesamt lieblos mit einem Sprachcompu- gewinnen kçnnen, worum es in der Stu-
ter erstellt worden (Achten Sie knftig die geht. Verstndlicher wre vermutlich
einmal darauf; das kommt gar nicht so die Originalzusammenfassung in eng-
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Teil II Lehren
lischer Sprache gewesen. Sie beschreibt Mayer & Moreno, 2003). Schnotz (2002;
die Studie als einen beraus gelungenen Schnotz & Bannert, 1999) hat hierzu eine
Versuch, Lehrbuchtexte in verstehensfçr- alternative Sichtweise entwickelt. Fr
derlicher Weise zu optimieren. Modelle multimedialen Lernens ist Swel-
Das Textbeispiel illustriert, dass Lernme- lers Theorie der kapazitren Begrenztheit
dien (hier Texte) in zweierlei Hinsicht Ge- und mentalen Belastung des Arbeits-
genstand einer instruktionspsychologi- gedchtnisses – die so genannte Cognitive
schen Betrachtung sein kçnnen: in der Art Load Theory, kurz CLT – von Bedeutung
(und Optimierung) ihrer medialen und in- (Sweller, 1988; Sweller, van Merrienboer
struktionalen Gestaltung und in der Ana- & Paas, 1998). In einer zunehmend ein-
lyse der (kognitiven) Verarbeitungsprozes- fluss- und ertragreichen Forschungstradi-
se, die sie beim Lernenden auslçsen oder tion wird auf der Basis der CLT der Ver-
auslçsen sollen. Die instruktionale Ge- such unternommen, durch eine geeignete
staltung von Lehrmaterialien, wie Texte, Gestaltung multimedialer Lernsituatio-
Texte mit Bildern, Filme oder computer- nen deren Vorteile zu nutzen und zugleich
gesttzte Lern- oder Simulationsprogram- der mentalen berlastung der Lernenden
me, zielt mit Blick auf den Lernenden auf entgegenzuwirken (Kirschner, 2002;
die Erleichterung des Verstehens und Be- Mayer & Moreno, 2003; Van Merrienbo-
haltens neuer Informationen. Diese Blick- er, Kirschner & Kester, 2003). Aus Mo-
richtung ist fr mediendidaktische Fra- dellen multimedialen Lernens lassen sich
gestellungen typisch. Die Analyse der didaktische Schlussfolgerungen ber lern-
Wirkungen und Wirksamkeit von Gestal- fçrderliche Gestaltungsmerkmale von
tungsmerkmalen von Medien sowie der Lernmedien ziehen. Es werden einige Un-
dabei zu bercksichtigenden Begrenzthei- tersuchungen zur Wirksamkeit solcher In-
ten der individuellen Lernmçglichkeiten terventionen und zum Umgang mit der
ist fr psychologische Arbeiten zum Ver- mentalen Belastung exemplarisch dar-
stndnis (multi-)medialer Informations- gestellt. Sie zeigen einmal mehr die ent-
verarbeitung charakteristisch. scheidende Rolle des Lernenden beim
Im Folgenden wird der Medienbegriff in (medialen) Lernen.
seiner instruktionspsychologischen Aus-
formung nher beschrieben und es wird
Lernen mit Medien
nach dem »Neuen« bei den »Neuen Me-
dien« gefragt. Danach wird ein theoreti- In Aeblis (1983) psychologischer Didak-
sches Modell multimedialen Lernens vor- tik ist von fnf Medien der (inneren) Er-
gestellt, das Modell von Mayer (2003b; fahrungsbildung die Rede, bei dreien
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Teil II Lehren
Arten von Kombinationen von Kodierun- (1946), wonach wir 90 Prozent dessen
gen und Modalitten, aber auch alle behalten, was wir tun, aber nur 30 Pro-
Kombinationen von Gerten und Tech- zent dessen, was wir sehen, und nur 20
nologien. Monomedial ist z. B. dieses Prozent dessen, was wir hçren (wenn man
Lehrbuch (solange es keine begleitenden Hçren und Sehen multimodal kombiniert,
Folienvorlagen, Powerpoint-Prsentatio- resultieren immerhin 50 Prozent). Ganz
nen oder Animationen gibt). schlecht ist es brigens mit dem Behalten
Weidenmann (2001) fasst die wesentli- durch Lesen bestellt (nur 10 Prozent), aber
chen Aspekte des Lernens mit Medien so das wissen Sie vermutlich schon aus eige-
zusammen: ner Erfahrung! Dales »Realittskontinu-
um« (die ominçsen Prozentangaben sucht
. Informationen werden immer in einem
man in seinem Buch brigens vergebens)
Symbolsystem kodiert.
deckt sich mit lteren und neueren (re-
. Die bermittlungsmedien strukturie-
form-)pdagogischen Konzepten, wonach
ren dieses Symbolsystem entsprechend
umso leichter gelernt werde, je unmittel-
ihren Eigenschaften.
barer und konkreter die Erfahrung sei.
. Die so kodierte und medienspezifisch
Die These lsst sich in ihrer Allgemeinheit
strukturierte Information stellt an die
so nicht belegen – auch nicht, wenn man
Lernenden bestimmte psychologische
die Theorie der Doppelkodierung (Paivio,
Anforderungen, die die Informations-
1986) oder das multimediale Lernmodell
verarbeitung und damit das Lernen be-
von Mayer (2003b) heranzieht. Und was
einflussen.
den unterstellten Multimediavorteil der
Es sind weniger die Modalitten der Sin- Additivitt von Sinnesmodalitten angeht,
nesrezeption als vielmehr die Kodalitten so sind vor dem Hintergrund der menta-
der Informationsprsentation und die len Belastungstheorie (CLT) wesentlich
Formen ihrer internen Reprsentation differenziertere Betrachtungsweisen zu
und Verarbeitung, die instruktionspsy- Kontiguitt und Kohrenz multimodaler
chologisch entscheidend sind. So wie die Prsentationen mçglich (Mayer & More-
Kodalitt letztlich ber die Modalitt do- no, 2003). Wenig hilfreich ist in diesem
miniert, so dominiert am Ende aber auch Zusammenhang der regelmßige Verweis
die Instruktionsmethode, die sich der auf die zustzliche Erklrungskraft hirn-
Medien bedient, ber die Prsentations- physiologischer und -anatomischer Pro-
weise der Lerninhalte (Weidenmann, zesse und Spezialisierungen im Sinne einer
2002) und von der notwendigen Eigen- Lateralitt der kognitiven Verarbeitung. In
aktivitt des Lernenden wird letztendlich den Bereich der naiven (wenn nicht ge-
wiederum die Wirksamkeit einer Metho- fhrlichen) Annahmen fllt auch die Sinn-
de abhngen. haftigkeit der populrwissenschaftlich
weit verbreiteten Typisierung von Lernen-
Alte Medien, Neue Medien, den (vgl. dazu den berblick bei Hassel-
horn, 1995) nach bevorzugten Moda-
Multimedia
litten der Informationsaufnahme (vgl.
ber die Lernwirksamkeit von Medien Kapitel 2.3).
kursieren bisweilen sehr »naive Annah- Der Vorteil unmittelbarer Erfahrung und
men« (Weidenmann, 2002). Viele Darstel- die Additivitt von Sinneskanlen lsst
lungen zur mehrkanaligen Informations- sich auch nicht durch die originelle Studie
verarbeitung berufen sich etwa auf den von Dker und Tausch (1957) und ihre
berchtigten »Erfahrungskegel« von Dale Replikation durch Heller (1981) belegen.
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Teil II Lehren
Worte Worte
Worte Ohren Klänge
ordnen Verbale Kodierung inte-
aus-
wählen grieren
Vorwissen
Bilder Abbilder
Bilder Augen Abbilder Bildhafte Kodierung
ordnen
aus-
wählen
Abb. 7.12: Multimediales Lernen (nach Mayer & Moreno, 2003, S. 44)
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fr geschriebene Worte, die auf die Augen tref- eine kombinierte audio-visuelle Infor-
fen; der Pfeil von den Worten zu den Ohren mationsdarbietung unter bestimmten
steht fr gesprochene Worte, die auf die Ohren Bedingungen vorteilhaft sein.
treffen; und der Pfeil von den Bildern zu den . Nur das aktive, generative, strategische
Augen steht fr Bilder, die auf die Augen tref-
Lernen kann zum verstehenden Wis-
fen. Der Pfeil mit der Aufschrift Worte Aus-
whlen zeigt an, dass der Lernende seine Auf-
sensaufbau fhren. Formen »passiver«
merksamkeit auf einige der auditorischen Informationsaufnahme kçnnen intelli-
Reize lenkt, die durch die Ohren hereinkom- gentes und anwendungsfhiges Wissen
men; der Pfeil mit der Aufschrift Abbilder Aus- nicht hervorbringen.
whlen dagegen zeigt an, dass der Lernende
seine Aufmerksamkeit auf einige der visuellen Mayer und Mitarbeiter haben in einer
Reize lenkt, die durch die Augen hereinkom- Reihe von experimentellen Studien zum
men. Der Pfeil mit der Aufschrift Worte Ord- multimedialen Lernen die Lernwirksam-
nen zeigt an, dass der Lernende eine kohrente
keit multikodaler und multimodaler Pr-
verbale Reprsentation aus den hereinkom-
menden Wçrtern bildet; der Pfeil mit der Auf- sentations- und Verarbeitungsprinzipien
schrift Abbilder Ordnen dagegen zeigt an, dass untersucht (zusammenfassend: Mayer &
der Lernende eine kohrente bildhafte Repr- Moreno, 2003). Zunchst zur Multi-
sentation aus den hereinkommenden Bildern kodalitt: Wenn Informationen in Text
konstruiert. Der Pfeil mit der Aufschrift Inte- und Bild prsentiert werden, wird besser
grieren schließlich steht fr die Verschmelzung gelernt (Multimediaeffekt). Dieser Vorteil
des verbalen Modells, des bildhaften Modells der Doppelkodierung resultiert aber nur
und des Vorwissens. Zustzlich gehen wir da- dann, wenn durch die Art der Prsentati-
von aus, dass die Selektions- und Organisati-
on die zeitliche und rumliche Integration
onsprozesse durch das Vorwissen gesteuert
von Text- und Bildinformationen gewhr-
werden, welches der Lernende aktiviert. Beim
multimedialen Lernen erfordert die aktive In- leistet ist, wenn also Bilder und Texte
formationsverarbeitung fnf unterschiedliche gleichzeitig und nicht nacheinander dar-
kognitive Prozesse: die Auswahl bzw. Selektion geboten werden (Kontiguittseffekt). Be-
von Wçrtern, die Selektion von Abbildern, die sonders fr Lernende mit ungnstigen
Organisation von Wçrtern, die Organisation Lernvoraussetzungen ist die instruktiona-
von Abbildern und die Integration. Die Prozes- le Beachtung des Kontiguittsprinzips
se beanspruchen die kognitive Kapazitt des von großer Bedeutung. Wichtig ist auch,
Informationsverarbeitungssystems. (Mayer & dass Text- und Bildinformation aufeinan-
Moreno, 2003, S. 44)
der bezogen sind bzw. referenziell aufei-
Mayer bezieht sich bei seinen berlegun- nander bezogen werden kçnnen und
gen auf Paivios Theorie der dualen Kodie- nicht unverbunden – unnçtige Zusatz-
rung (Paivio, 1986) und auf Baddeleys belastung verursachend – nebeneinander
Theorie des Arbeitsgedchtnisses (Badde- stehen (Kohrenzeffekt).
ley, 1986); es sind aber auch Bezge zu der Vorteile der Multimodalititt der Infor-
Theorie des Textverstehens von Kintsch mationsprsentation und -verarbeitung
(1996) zu erkennen. Die zwei operativen sind ebenfalls belegt (z. B. Brnken, Seu-
Gedchtnissubsysteme bei Paivio und bei fert & Zander, 2005). Wenn verbal ko-
Baddeley bilden nur die Basis fr zwei dierte Informationen zugleich visuell
weitere Grundannahmen Mayers: (z. B. auf dem Bildschirm) und akustisch
(z. B. als Tonkassette) prsentiert werden,
. Weil die Verarbeitungskapazitt im au- wird besser gelernt (Modalittseffekt).
ditiv-verbalen und im bildhaft-pikto- Auch das gilt aber nur dann, wenn die zu-
rialen Teilsystem begrenzt ist, kann stzliche Stimulierung keine dysfunktio-
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Teil II Lehren
Ergebnisse:
Zustzliche Gerusche und Hintergrundmusik fhren zu schlechteren Verstehens-
und Behaltensleistungen. Offensichtlich wird der auditive Teil des Arbeitsgedcht-
nisses zustzlich durch irrelevante (extraneous) Informationen belastet (overload).
Die Ergebnisse werden als Kohrenzeffekt des multimodalen Lernens in berein-
stimmung mit der Overloadtheorie interpretiert.
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Das Modell von Sweller. In einer anderen Konventionelle Instruktion neigt dazu, das Ar-
Forschungstradition sind John Swellers beitsgedchtnis durch ineffektive mentale Be-
Arbeiten zur modalittsspezifischen men- lastung (extraneous load) zu beanspruchen,
wohingegen das erfolgreiche Lernen den ber-
talen Belastung des Arbeitsgedchtnisses
gang von ineffektiver zu effektiver Belastung
entstanden (Sweller, 1988; Sweller et al.,
(germane load) verlangt. Die CLT geht davon
1998). Swellers »Cognitive Load Theo- aus, dass instruktionale Interventionen die in-
ry« (CLT) geht davon aus, dass eine mul- trinsische CL nicht verndern kçnnen, weil sie
timodale Informationsdarbietung zu ei- in dem zu behandelnden Material begrndet
ner besseren Ressourcenausschçpfung liegt. Das Ausmaß der ineffektiven (extraneous
fhren (allerdings auch gegenteilige Ef- load) und der effektiven (germane load) Belas-
fekte haben) kann. Sweller zu Folge hngt tung werden dagegen durch die Art der Lern-
die mentale Belastung des Arbeits- umgebung bestimmt. (Kirschner, 2002, S. 4)
gedchtnisses von der begrenzten Ver-
arbeitungskapazitt der auditiven und
der visuellen Subsysteme ab – in Relation Instruktionale Lern-
Darbietungs-/
Gestaltung aktivität
zu den Anforderungen des Lernmaterials. verarbeitungs-
abhängige
Vorstrukturierte, textlich-bildhaft und/ Belastung
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Teil II Lehren
Teil II Lehren
. Organisationshilfen (z. B. im Sinne von Medium als »zu schwierig«, kçnnen aus-
Ausubels »advance organizer«, vgl. weichende Vermeidungshaltungen die
Kap. 1.3), Folge sein.
. Sequenzierung (im Sinne einer lern-
erleichternden Reihung von Informa- Bereichsspezifisches Vorwissen. Seine he-
tionen). rausragende Bedeutung fr das Lernen gilt
auch fr das Lernen mit Medien. Beim
Wir haben uns – wie andere Lehrbuch- Lernen mit so genannten Hypertexten
autoren auch – bemht, diesen Kriterien profitieren z. B. Schlerinnen und Schler
zu entsprechen. Es ist in der Lesefor- mit bereichsspezifischen Vorkenntnissen
schung allerdings umstritten, wie weitge- von der Mediennutzung vergleichsweise
hend eine Verstndlichkeitsoptimierung mehr (Mçller & Mller-Kalthoff, 2000).
und die Bereitstellung von Lesehilfen Dies gilt insbesondere dann, wenn beglei-
sinnvoll sind (Christmann & Groeben, tende Lenkungs- und Strukturierungshil-
2002; McNamara et al., 1996; vgl. hierzu fen nicht gegeben werden und die Lern-
auch der Abschnitt: »Wie man mit die- schwcheren sich selbst berlassen blei-
sem Buch arbeiten kann«, Seite 1). ber- ben. Denn bekanntlich kommt jede Form
triebene Maßnahmen der Didaktisierung der zustzlichen Strukturierungshilfe,
und Vereinfachung kçnnten nmlich sei sie auf die Anordnung von Texten und Bil-
auch einer passiven Textverarbeitung Vor- dern, auf das Vermeiden von kognitiver ber-
schub leisten (was allerdings nicht als Pl- lastung oder auf die Steuerung des Lernprozes-
doyer fr unverstndliche Texte verstan- ses bezogen, in erster Linie Schlerinnen und
den werden soll!). Ohnehin gilt: Nicht Schlern mit geringen Lernvoraussetzungen
nur die prsentierten Texte, auch das stra- zugute (Blçmeke, 2003, S. 69).
tegische Leseverhalten, d. h. die Metho- Auf der anderen Seite ist verschiedentlich
den der Textverarbeitung, lassen sich op- darauf hingewiesen worden, dass die aus
timieren. CLT resultierenden instruktionalen Emp-
fehlungen (s.o.) vornehmlich »inhaltliche
Novizen« oder Lernende mit ungnstigen
Die Rolle der Lernenden
Lernvoraussetzungen adressierten (z. B.
Die lernende Person spielt die Hauptrolle. Kalyuga, Ayres, Chandler & Sweller,
Sie muss Kontrolle ber die essentiellen 2003). Die angezielten Wirkungen der in-
kognitiven Prozesse der Selektion, Orga- struktionalen Optimierung trfen dem-
nisation und Integration von Informatio- nach bei voranschreitender Expertise gar
nen gewinnen. Das multimediale Lernen nicht mehr ein – mithin ein Umkehreffekt
stellt hohe Anforderungen an die Selbst- der Expertise oder ein so genanntes Ex-
steuerungskompetenz des Lernens. Dar- pertenparadoxon. Das spricht aber nicht
ber hinaus gibt es weitere Merkmale der gegen die Ntzlichkeit solcher Empfeh-
Lernenden, die auf die Lernwirksamkeit lungen. Vielmehr spiegelt dieses Phno-
von Instruktionsmedien Einfluss haben: men ein bereits in Abschnitt 2.2 beschrie-
vor allem das bereichsspezifische Vorwis- benes Dilemma der Notwendigkeit
sen und die medienspezifischen Kom- instruktionaler Differenzierung: Werden
petenzen. Auch die Einstellung zum Me- Lernerleichterungen nicht bençtigt, dann
dium kann eine Rolle spielen. Wird ein werden sie auch nicht genutzt und blei-
Medium als »zu leicht« eingestuft, fehlt ben unwirksam. Kalyuga et al. (2003) be-
es mçglicherweise an der konstruktiven schreiben in diesem Zusammenhang so-
Eigenttigkeit der Lernenden. Gilt ein gar negative Effekte.
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Literaturhinweise
Good, T. L. & Brophy, J. E. (1997). Looking in classrooms (7th ed.). New York:
Harper.
Weinert, F. E. (Hrsg.) (2001a). Leistungsmessung in Schulen. Weinheim: Beltz.
Helmke, A. & Weinert, F. E. (1997a). Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen.
In F. E. Weinert (Hrsg.), Psychologie des Unterrichts und der Schule, D/I/3, Enzyklo-
pdie der Psychologie (S. 71–176). Gçttingen: Hogrefe.
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Teil II Lehren
Zusammenfassung
Ob schulisches Lernen gelingt, hngt nicht nur vom Einsatz geeigneter Lehrmetho-
den ab. Neben der Qualitt und Quantitt des unterrichtlichen Angebots sind es die
lernrelevanten Personmerkmale der Schlerinnen und Schler, die die schulischen
Leistungen beeinflussen. Hinzu kommt der Einfluss von Kontextbedingungen au-
ßer- und innerschulischer Art.
Die Quantitt des unterrichtlichen Angebots – die bereitgestellte bzw. tatschlich ge-
nutzte Lernzeit – spielt in den klassischen Lehr-Lernzeit-Modellen eine große Rolle.
Merkmale der Unterrichtsqualitt sind eine effiziente Klassenfhrung, eine hohe
Strukturiertheit des Lehrervortrags und ein hohes Maß an individueller fachlicher
Untersttzung. »Meisterlehrer« verstehen es, in diesem Sinne auf durchaus individu-
elle und variable Weise erfolgreich zu unterrichten.
Eine effiziente Klassenfhrung schafft stçrungsarme Lernumgebungen und gewhr-
leistet einen reibungslosen Unterrichtsablauf – beides begnstigt erfolgreiches Ler-
nen. Effiziente Klassenfhrung basiert ganz wesentlich auf dem Prinzip der Prventi-
on. Besonders wichtig ist dabei die frhzeitige Einfhrung und Einforderung von
Regeln und Routinen fr das Verhalten im Unterricht. Es muss aber auch klar sein,
was geschieht, wenn Regeln nicht eingehalten werden.
Schulische Leistungen mssen zutreffend, zuverlssig und fair gemessen und bewer-
tet werden. Dies erfordert besondere diagnostische Kompetenzen der Lehrerinnen
und Lehrer. Durch den Einsatz standardisierter Testverfahren wird versucht, die Ge-
nauigkeit und Objektivitt von Leistungsbeurteilungen zu erhçhen. Bei der Interpre-
tation individueller Testwerte wird in der Regel eine soziale Bezugsnorm zugrunde
gelegt – der Vergleich mit Gleichaltrigen. Andere mçgliche Bezugsnormen sind die
individuelle – der ipsative Vergleich mit den bisher gezeigten eigenen Leistungen –
oder die sachliche Bezugsnorm – die Orientierung an einem inhaltlich verankerten
Leistungsstandard.
Instruktionsmedien sind bei allen Spielarten des Lehrens prsent. Sie lassen sich
nach den Symbolsystemen klassifizieren, derer sie sich bedienen. Die Kodierungs-
form einer Information stellt Anforderungen an die Lernenden, die den Lernerfolg
beeinflussen. Modelle multimedialen Lernens thematisieren dies und beschreiben
die Lernwirksamkeit und die Lernhindernisse in Abhngigkeit von Medienattribu-
ten, Lernzielen und individuellen Lernvoraussetzungen.
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Die Frage, welche Lehrmethoden fr die ningsgestaltung und Bedingungen der
Erreichung bestimmter Lernziele ange- Wirksamkeit kognitiver Trainings dar-
messen und wirksam sind, ist von vielen gestellt. Dabei wird deutlich, dass kogniti-
Aspekten der Lehr-Lern-Situationen ab- ve Fhigkeiten durch Anleitung und
hngig. Zentrale Aspekte sind die Unter- bung vor allem dann nachhaltig gefçr-
schiedlichkeiten der Lernenden und die dert werden, wenn ein Trainingspro-
daraus folgenden Konsequenzen fr die gramm selbstregulative und motivationale
Planung und Gestaltung von Unterricht. Komponenten mit einschließt.
Das achte Kapitel behandelt solche diffe- Gute Informationsverarbeitung beruht
renziellen Aspekte. Dabei werden zu- auf dem Zusammenspiel kognitiver,
nchst Methoden und Maßnahmen zur selbstregulativer, motivationaler und voli-
Fçrderung kognitiver und motivationaler tionaler Prozesse – wie es in Kapitel 2 be-
Lernvoraussetzungen vorgestellt, bevor schrieben wurde. Dem Abschnitt ber
auf die Themenbereiche der Koedukation Kognitives Training ist deshalb ein wei-
sowie der Instruktion bei besonderen terer ber die Fçrderung von Motivation
Lernvoraussetzungen eingegangen wird. und Interesse zur Seite gestellt (Kap. 8.2).
Wenn besonderer Fçrderbedarf besteht, Denn: Schulleistungsprobleme gehen hu-
wird hufig eine individuelle, unterrichts- fig mit selbst abwertenden Attributionen,
additive Fçrderung die Methode der Wahl misserfolgsorientierten Ergebniserwartun-
sein. Es gibt eine Reihe von Trainingspro- gen und dysfunktionalen Selbstwirksam-
grammen, die einen wichtigen Beitrag zur keitsberzeugungen einher. Die Lern- und
Verbesserung und Optimierung der kogni- Anstrengungsbereitschaft lernschwieriger
tiven Lernvoraussetzungen fr Lernende Kinder ist durch die beim bisherigen Ler-
unterschiedlichen Lebensalters und Leis- nen erfahrenen Entmutigungen reduziert.
tungsniveaus leisten kçnnen (vgl. Hager, Damit kognitive Trainings ihre Wirksam-
1995; Klauer, 2001b). So werden in den keit entfalten kçnnen, sind sie deshalb um
Denktrainingsprogrammen von Klauer selbstwertfçrderliche Maßnahmen zur
(2001a) Operationen des induktiven Den- Steigerung von Motivation und Lerninte-
kens, die bei vielen schulischen und außer- resse zu ergnzen. Ausgehend von
schulischen Lernanforderungen eine Rolle (fremd-)motivierenden Maßnahmen der
spielen, systematisch eingebt. Andere Verhaltenssteuerung durch Feedback und
Trainingsprogramme zielen auf die Ver- Belohnung wird in den Motivationstrai-
mittlung kognitiver und metakognitiver nings die Aufgabe der motivationalen
Strategien der Informationsverarbeitung, Selbstregulation schrittweise an die Ler-
auf die Verbesserung der Planungsfhig- nenden selbst bertragen. Neben Techni-
keit, der Konzentration, des rumlichen ken der Selbstverstrkung werden dabei
Denkens oder des Gedchtnisses. In Ab- vor allem ein realistisches Zielsetzungsver-
schnitt 8.1 werden Prinzipien der Trai- halten und eine lernfçrderliche Form der
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Teil II Lehren
Orientierungsfragen
. Wie muss ein erfolgreiches kognitives Training aufgebaut sein?
. Wie lsst sich die Lernmotivation fçrdern?
. Warum sollten Mdchen und Jungen gemeinsam unterrichtet werden?
. Trgt der koedukative Unterricht dazu bei, dass sich Leistungs- und Interessens-
unterschiede zwischen Jungen und Mdchen verstrken?
. Ist es besser, Lern- und Leistungsschwache integrativ, d. h. in Regelschulen,
zu unterrichten? Und wenn ja, fr wen?
. Welche Instruktionsmethoden oder -prinzipien sind fr Lernschwache besonders
geeignet? Welche nicht?
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Teil II Lehren
Teil II Lehren
Wenn auch das wiederholte ben von ne fundierte Bewertung der Programme
Konzentrationstestaufgaben kaum zu derzeit nicht mçglich ist.
nachweisbaren Kompetenzsteigerungen
fhrt, so finden sich in der einschlgigen Kognitive Trainings
Literatur durchaus Konzentrationstrai- zur Funktionssteigerung
nings fr jngere Grundschulkinder (Hip-
des Arbeitsgedchtnisses
penstiel & Krautz, 1992) und fr Kinder
bis zur achten Klasse (Krowatschek, Auf der Basis des in Kapitel 2.1 dar-
1995). Sie setzen auf Techniken der so gestellten Mehrkomponentenmodells
genannten Selbstinstruktion (Wagner, lassen sich sprachlich-phonologische und
1976), um die Selbststeuerung von Auf- visuell-rumliche Grundfunktionen des
merksamkeitsprozessen und damit die Arbeitsgedchtnisses unterscheiden. Hin-
Konzentrationsleistung insgesamt zu ver- zu kommen die zentral-exekutiven Funk-
bessern. tionen, die allerdings analytisch kaum
Techniken der verbalen Selbstinstruktion mehr von den metakognitiven Funktio-
sind auch in das von Schçll (1997) vor- nen der Strategieregulation zu trennen
gelegte Gruppentraining fr Drittklssler sind. Letztere werden deshalb nicht hier,
einbezogen. In diesem, wie in einigen an- sondern unter dem Stichwort der meta-
deren Aufmerksamkeits- und Konzentra- kognitiven Regulation weiter unten be-
tionstrainings, wird vor allem die Fçr- handelt.
derung eines reflexiven Arbeitsstils
angestrebt, was die Anstze durchaus in Sprachlich-phonologische Funktionen.
die Nhe metakognitiver Trainings rckt Die strukturelle Komponente des phono-
(s. u.). Umfangreichere Wirksamkeitsana- logischen Arbeitsgedchtnisses – der so
lysen sind noch nicht bekannt, so dass ei- genannte phonetische Speicher – gilt ab
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dem dritten Lebensjahr als relativ alters- keiten gibt Souvignier (2001). Danach
invariant (vgl. Kap. 4.1). Er scheint auch scheint ein besonders aussichtsreicher
durch Trainingsmaßnahmen nicht we- Fçrderansatz in der Beschftigung mit
sentlich beeinflussbar (Barclay, 1981; entsprechenden Computerspielen zu be-
Mhler & Hasselhorn, 2001). Versuche, stehen. Solche Spiele besitzen mehrere
die Funktionstchtigkeit des phonologi- Eigenschaften, die sich als wirksam zur
schen Arbeitsgedchtnisses durch Trai- Verbesserung rumlicher Fhigkeiten er-
ningsmaßnahmen zu steigern, mssen wiesen haben: a) es werden zentrale visu-
sich mithin auf die prozessualen Kom- ell-rumliche Anforderungen gestellt, wie
ponenten richten. Sie haben sich vor al- das schnelle berblicken und Absuchen
lem darauf konzentriert, durch geeignete einer komplexen Szenerie, wie das menta-
bungen die Geschwindigkeit des »inne- le Transformieren abgebildeter Objekte
ren Nachsprechens« (subvocal rehearsal) und wie das rasche Vergleichen von For-
zu erhçhen. Aber auch diesen Bemhun- men und Mustern; b) den Spielen wohnt
gen war nur wenig Erfolg beschieden ein hoher Aufforderungscharakter inne,
(vgl. Hulme & Muir, 1985; Kurland, sich aktiv mit den visuell-rumlichen An-
1981, zit. nach Case, 1999). forderungen auseinander zu setzen; c) es
werden systematisch unmittelbare Rck-
Visuell-rumliche Funktionen. Auch der meldungen zur Leistung gegeben; d)
Verbesserung rumlicher Fhigkeiten durch die variable Gestaltung des
wird bisweilen eine große Bedeutung zu- Schwierigkeitsniveaus ist ein hohes Maß
geschrieben. Rumliche Fhigkeiten neh- an Adaptivitt gewhrleistet.
men nmlich in vielen theoretischen In aller Regel zeigten sich im Vergleich mit einer
Modellen der Intelligenz eine zentrale Kontrollgruppe signifikante Verbesserungen
Stellung ein. Intelligenzforscher subsu- rumlicher Fhigkeiten in der Folge einer Fçr-
mieren sie unter die fluide Intelligenz- derung mit Computerspielen … Die fçrderliche
komponente (z. B. Carroll, 1993). Aus Wirkung konnte sowohl fr unterschiedliche
der Perspektive des INVO-Modells er- Computerspiele als auch in bezug auf unter-
folgreichen Lernens charakterisieren die schiedliche Testverfahren – mit Schwerpunkten
bei Leistungen der Visualisierung und der men-
rumlichen Funktionen einen wichtigen
talen Rotation – nachgewiesen werden. Die
Bereich, der insbesondere bei der Verar- Trainingsdauer umfasste bei den meisten Unter-
beitung bildhaften Lernmaterials (Kirby, suchungen vier bis sechs Stunden. Auch im
1993) eine große Rolle spielt. Hinblick auf das Alter und die allgemeine intel-
Einen guten berblick ber Trainings- lektuelle Leistungsfhigkeit der Probanden
anstze zur Fçrderung rumlicher Fhig- zeigten sich keine differenziellen Effekte. So-
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Teil II Lehren
und auch vorgesehen, die von entspre- Denkens und damit die Fhigkeit zur
chend ausgebildeten Fachkrften durch- intelligenten Informationsverarbeitung
gefhrt werden sollte. Dennoch scheint nachhaltig zu verbessern. Als »induktiv«
das Programm – nach einer entsprechen- bezeichnet Klauer jenes Denken, das sich
den Einarbeitungszeit – auch von pda- auf die Feststellung der Gleichheit und/
gogischen Fachkrften ohne Therapie- oder Verschiedenheit von Merkmalen
ausbildung durchfhrbar (vgl. Lauth & oder Relationen bei beliebigen Materia-
Linderkamp, 1998). lien bezieht. Mit anderen Worten: Es geht
um den Kernbereich des logischen Den-
Denkstrategien. Im Zuge der Weiterent- kens. Alle Anforderungen des induktiven
wicklung kognitiver Theorien und einer Denkens, denen ein zentraler Stellenwert
immer strker werdenden Prozessorien- fr das erfolgreiche Bewltigen von intel-
tierung in der Intelligenzforschung kam lektuellen Anforderungen berhaupt zu-
es in den 1980er-Jahren zu einer Intensi- kommt, lassen sich Klauer zu Folge
vierung der Bemhungen, kognitive Trai- (1989) unter diese Definition des indukti-
nings zur direkten Fçrderung von Denk- ven Denkens subsumieren. »Zu Ende ge-
kompetenzen zu entwickeln. Solche dacht« resultieren aus Klauers Theorie
Denktrainings erheben den weit reichen- des induktiven Denkens sechs paradig-
den Anspruch, durch die Einbung matische Aufgabentypen: Generalisie-
kognitiver Strategien eine nachhaltige rung, Diskrimination, Kreuzklassifika-
Verbesserung der intellektuellen Leis- tion, Beziehungserfassung, Beziehungs-
tungsfhigkeit zu erreichen. unterscheidung und Systembildung. Die
Zu Recht gilt im deutschen Sprachraum anspruchsvollsten Aufgaben sind solche
das von Klauer (1989, 1991, 1993a, der Kreuzklassifikation (d. h. das Feststel-
2002) entwickelte Programm »Denktrai- len von Gleichheit und Verschiedenheit
ning«, in seinen unterschiedlichen Versio- von Merkmalen) und der Systembildung
nen fr Kinder, Jugendliche und Senioren, (d. h. das Feststellen von Gleichheit und
als besonders einschlgig. An der poten- Verschiedenheit von Relationen).
ziellen Wirksamkeit der verschiedenen Die Grundidee des Klauer-Trainings be-
Varianten des Klauer-Trainings kann es steht nun darin, durch das Bearbeiten ei-
keinen Zweifel geben – kein anderes ner reichhaltigen Aufgabenauswahl aus
Denktraining ist auch nur annhernd oft den sechs Aufgabentypen (in der Regel
und umfassend evaluiert worden. werden 20 Aufgaben pro Aufgabentyp
Der Anspruch des Klauer-Trainings be- zur Verfgung gestellt) Strategien des Ver-
steht darin, die Strategien des induktiven gleichens von Merkmalen und Relationen
Beispiel: Kreuzklassifikationen
Hunde unterscheiden sich u. a. in der Grçße und hinsichtlich der Art ihrer Behaa-
rung. So lassen sich z. B. große, mittelgroße und kleine Hunde voneinander unter-
scheiden, die entweder welliges oder glattes Haar haben. In welche der daraus resul-
tierenden Kategorien kann man die folgenden Hunderassen einordnen?
. Rehpinscher, . Langhaardackel,
. Cockerspaniel, . Dogge,
. Bernhardiner, . Boxer.
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Teil II Lehren
Teil II Lehren
Teaching« von Palincsar und Brown Lehrperson demonstriert selbst die jewei-
(1984), das ursprnglich ebenfalls fr ligen kognitiven Aktivitten (also z. B.
den Aufbau des Textverstehens entwi- das Zusammenfassen von Textinhalten).
ckelt wurde, mittlerweile aber auch zur Die Lernenden werden in ausfhrlicher
Fçrderung des mathematischen Denkens Weise ber die Notwendigkeit, die Mçg-
im Grundschulalter und fr die bessere lichkeiten und die Grenzen sowie ber
Verarbeitung akustischer Informationen den zu erwartenden persçnlichen Nutzen
bei Schulanfnger(inne)n genutzt wird. des Strategieeinsatzes informiert. Und es
Das »Reciprocal Teaching« basiert auf wird Schritt fr Schritt die Eigenverant-
wechselseitigen Lehr-Lern-Schritten, in wortlichkeit der Strategienutzung gestei-
deren Verlauf Lehrende und Lernende gert.
ihre Rollen tauschen. In der ursprng- Der Einbezug metakognitiver Elemente
lichen Variante ist die Fçrderung des hat sich auch bei anderen kognitiven
Leseverstndnisses und der selbststndi- Trainings bewhrt. So zielen Lauth und
gen Verstehenskontrolle die eigentliche Schlottke (2002) in ihrem Training fr
Zielvariable (vgl. Kap. 6.4). Vier konkrete aufmerksamkeitsgestçrte Kinder aus-
strategische Aktivitten werden fr das drcklich auf die (metakognitiven) Berei-
Training ausgewhlt: Zusammenfassen che der Planungsfhigkeit und Selbst-
wesentlicher Inhalte, Generieren verste- reflexivitt. Auch Souvignier (2001)
hensbezogener Fragen, Vorhersage des resmiert, dass die Verbesserung rumli-
weiteren Textgeschehens und Klren von cher Fhigkeiten auf dem Erwerb einer
mehrdeutigen Textpassagen. Diese Strate- hçheren strategischen Flexibilitt beruhe
gien werden in einer Art des »sokrati- und dass sich dementsprechend auch kei-
schen Dialogs« vermittelt, dem das Prin- ne verbindlichen Vorgaben fr ein »rum-
zip des entdeckenden Lernens zugrunde liches Strategietraining« formulieren lie-
liegt. Das Programm umfasst etwa 20 ßen. Folgerichtig pldiert er dafr, bei
Trainingssitzungen von jeweils 25 Minu- den Adressaten von Trainingsmaßnah-
ten Dauer und kann sowohl als Indivi- men ein mçglichst hohes Maß an Reflexi-
dualtraining als auch in Gruppen von bis on ber die eigenen Vorgehensweisen an-
zu 20 Kindern durchgefhrt werden. zustreben. Auch das Klauer-Training (s.o.)
Whrend des Trainings werden verschie- zielt auf die Entwicklung der Selbstrefle-
dene Instruktionselemente realisiert: Die xion.
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erzielt werden – diese bleiben jedoch hu- neuen Kompetenzen auswirken. In die-
fig eng auf den trainierten Aufgaben- oder sem Zusammenhang haben sich insbe-
Inhaltskontext beschrnkt, innerhalb des- sondere gezielte Informationen ber die
sen trainiert wurde. Ntzlichkeit der vermittelten Strategien
Daraus sollte man nicht voreilig den und das direkte Einben von Techniken
Schluss ziehen, dass die breiter angeleg- der Selbstkontrolle und Lernregulation
ten, nicht auf spezifische kognitive Funk- als wirksam erwiesen (vgl. Hasselhorn,
tionen ausgerichteten Trainingskonzepte 1987; Mhler & Hasselhorn, 2001). Die-
als Mittel der Wahl gelten mssen, um se Komponenten gehçren zu den zentra-
mçglichst breite Transferwirkungen zu len Bausteinen metakognitiv orientierter
erzielen. Ein gnzlich unspezifisches Trainings. Wichtiger als die Frage nach
Denktraining garantiert nmlich keines- dem Allgemeinheitsgrad oder der Spezifi-
wegs den erwnschten Transfer. tt eines Trainingsprogramms scheint da-
Seit den 1980er-Jahren hat man daher her die metakognitive Einbindung der
immer wieder gefordert, kognitive Trai- neu vermittelten kognitiven Kompeten-
nings stets mit Komponenten anzurei- zen. Die grçßte Wirksamkeit versprechen
chern, die sich gnstig auf die sptere Ge- deshalb kognitive Trainings, die eine sol-
neralisierung der im Training vermittelten che Einbindung gewhrleisten.
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hen. Hinzu kommen weitere Empfehlun- den. Stipek (2002) weist darauf hin, dass
gen, die zum Ziel haben, Grundvoraus- insbesondere authentische Lernanforde-
setzungen fr ein erfolgreiches Lernen zu rungen geeignet sind, diese vierte Voraus-
schaffen. setzung zu erfllen.
Teil II Lehren
den subjektiven Wert einer Lernttigkeit Um zu verhindern, dass Lernende von der
durch das Inaussichtstellen einer Beloh- eigentlichen Lernanforderung abschwei-
nung zu erhçhen. Dabei sollte allerdings fen, gibt es eine Reihe von Maßnahmen
bedacht werden, dass die extrinsische Be- (vgl. Woolfolk, 2004). So lsst sich die
lohnung fr eine schon intrinsisch moti- aktive Beteiligung dadurch steigern, dass
vierte Handlung das Ausmaß an intrinsi- man den Lernenden durch Fragen und
scher Motivation untergraben kann (vgl. Antworten, durch kleine Auftrge oder
Kap. 2.4). durch das Demonstrieren von Fertigkei-
ten Gelegenheit gibt, Erfolge zu erleben.
Hilfestellungen fr ausdauernde Auf- Wichtig auch, dass man Sorge dafr
gabenbezogenheit. Sind die Lernanforde- trgt, dass »fertige Produkte« erzeugt
rungen anspruchsvoll, dann bleibt es werden und dass vollstndige Handlun-
nicht aus, dass Lerner(innen) bisweilen gen erbracht werden kçnnen; dass man
auf Schwierigkeiten stoßen. Beispielswei- das Risikopotenzial einer Aufgabe (also
se werden Sachverhalte nicht auf Anhieb die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns) re-
klar, oder man bekommt das Gefhl, dass duziert, ohne die Aufgabe zu sehr zu ver-
noch irgendwelche Informationen fehlen, einfachen; dass man eine berbetonung
um ein Problem lçsen zu kçnnen. In sol- der Benotung vermeidet und dass die
chen Situationen ist es besonders wichtig, Lehrenden ihre eigene Motivation und
der Aufgabe die volle Aufmerksamkeit zu ihr eigenes Interesse am Lernstoff deut-
widmen. Oftmals aber schweifen die Ge- lich werden lassen.
danken des Lernenden ab, wie man es
z. B. bei Leistungsngstlichen beobachten Anstze zur Fçrderung individu-
kann, die – anstatt sich auf die Aufgabe eller motivationaler Dispositionen
zu konzentrieren – damit anfangen, sich
Sorgen um ihre eigene Leistung zu ma- Die skizzierten Prinzipien der motivatio-
chen oder darber, welchen Eindruck sie nalen Optimierung von Unterricht lassen
bei den anderen hinterlassen. Dies redu- erkennen, dass eine Erhçhung des Unter-
ziert die Aufgabenbezogenheit, die nçtig haltungswertes von Unterricht nicht aus-
ist, um die Lernanforderung in hinrei- reichen wird, um die Lernmotivation wir-
chendem Maße zu fokussieren. kungsvoll zu steigern. Allzu hufig fhrt
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ihren tatschlichen Fhigkeiten entweder zu nel (1976) drei Ziele: 1. Die unrealisti-
hoch oder zu niedrig sind … Die Handlungs- schen Ziele sollen den eigenen realisti-
ergebnisse, die aus diesem unrealistischen Ziel- schen Leistungsmçglichkeiten angepasst
setzungsverhalten (Normwerte) resultieren, er-
werden; 2. das Begabungsselbstkonzept
klren sie in der Weise, daß sie Erfolge ... auf
soll durch die Vermittlung gnstiger At-
Glck und auf Aufgabenleichtigkeit zurck-
fhren, whrend sie fr Mißerfolge eher ihre tributionsmuster verndert werden und
schlechten Fhigkeiten ... verantwortlich ma- 3. der Anreizwert leistungsorientierten
chen ... Diese negative Selbstbewertung der ei- Verhaltens soll durch den Aufbau positi-
genen Tchtigkeit (Attribuierungsvoreinge- ver Selbstbekrftigungen gesteigert wer-
nommenheit) ruft nicht nur eine entsprechende den.
negative Selbstbekrftigung hervor ..., sondern Der Ansatz von Krug und Hanel (1976)
bedingt auch die Stabilitt des mißerfolgsorien- ist mittlerweile in vielfltiger Weise in
tierten Leistungsverhaltens. Um die erwarteten schulischen Kontexten und fr Lernende
negativen Selbstbewertungen und Selbstbekrf-
unterschiedlichen Alters erfolgreich um-
tigungen zu vermeiden, gehen Mißerfolgs-
motivierte leistungsorientierten Ttigkeiten
gesetzt worden (vgl. Rheinberg & Krug,
zumeist aus dem Weg (Krug & Hanel, 1976, 2005, Schreblowski, 2004). Dabei hat
S. 275). sich die Verknpfung von Motivnde-
rungsstrategien mit bereichsspezifischen
Um die Negativspirale einer ungns- Lernstrategietrainings als besonders ef-
tigen Konstellation des Selbstbekrfti- fektiv herausgestellt. Allerdings scheint
gungssystems aufzubrechen, verfolgt das der Aufbau eines positiven Selbstbekrfti-
Trainingsprogramm von Krug und Ha- gungssystems sehr viel Zeit zu erfordern.
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Wie lsst sich Interesse fr ein sonen, die vom Lerner zur Gruppe der Exper-
ten oder Fachkollegen im weitesten Sinne
neues Lerngebiet wecken?
gerechnet werden (z. B. Lehrer oder fachlich
kompetente Peers). (Krapp, 1998a, S. 198)
Ausgeprgtes bereichsspezifisches Interes-
se fhrt zu einer persçnlichen Identifikati-
on mit dem Interessengegenstand und
kann Lernende in einen Zustand intrinsi- 8.3 Koedukation
scher Lernmotivation versetzen, der zu
intensiveren Lernaktivitten fhrt (vgl. Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist immer
Krapp, 1998a). Gelingt es, echtes Interes- wieder die Frage diskutiert worden, ob
se fr ein Lerngebiet zu wecken, dann Mdchen und Jungen gemeinsam (Ko-
braucht der Lehrende sich kaum mehr edukation bzw. Koinstruktion) oder bes-
um das Problem der Lernmotivation zu ser getrennt (Monoedukation) unterrich-
kmmern. Die Bereitschaft, anstrengende tet werden sollten (vgl. Kraul, 1994). Von
Lernaktivitten zu unternehmen, entsteht Anfang an stand dabei die Frage der
bei vorhandenem Interesse gewisserma- Gleichstellung im Vordergrund: Die hç-
ßen von selbst. So verwundert es nicht, here schulische Bildung war lange Zeit
dass der Genese und Fçrderung von Sach- ausschließlich den Jungen vorbehalten.
interessen in der Pdagogik und Psycho- Gegner der Koedukation argumentierten
logie unterrichtlichen Geschehens große Ende des 19. Jahrhunderts, dass die Jun-
Aufmerksamkeit gewidmet wird. gen vor den Mdchen geschtzt werden
Doch eine befriedigende Antwort auf die mssten. Ende des 20. Jahrhundert finden
Frage, wie sich Interesse fr ein Sachge- sich hnliche Argumente – allerdings mit
biet wecken lsst, zeichnet sich bisher vernderten Vorzeichen. Wird doch nun-
bestenfalls schemenhaft ab. Sicherlich fin- mehr angefhrt, dass die Mdchen vom
det man eine Reihe von Empfehlungen, gemeinsamen Unterricht Nachteile haben
wie man den Einstieg in ein Themen- und – zumindest im mathematisch-natur-
gebiet »interessant machen« kann (s.o.). wissenschaftlichen Bereich – vor den Jun-
Ob aus dem dabei bisweilen entstehen- gen geschtzt werden mssten.
den situationalen Interesse allerdings ein Aber warum sollten Mdchen einen
berdauerndes Interesse wird, hngt von Nachteil vom gemeinsamen Unterricht
einer Reihe hçchst individueller Voraus- mit Jungen haben? Um diese Frage empi-
setzungen ab. Krapp (1998a) weist da- risch fundiert zu beantworten, sind sehr
rauf hin, dass hier den mehr oder weniger unterschiedliche potenzielle Wirkungen
bewusst wahrgenommenen Erlebensqua- monoedukativen vs. koedukativen Unter-
litten eine entscheidende Rolle zu- richts untersucht worden: schulische Leis-
kommt. tungen, Karriereaspirationen, Wahl von
Schul- und Studienfchern, akademische
Dabei geht es keineswegs um die Optimierung Selbstkonzepte, schulische Integration,
eines ganzheitlichen Gefhls des subjektiven soziales Engagement, Einstellungen vor
Wohlbefindens, sondern um die positive Bilan-
allem zum mathematisch-naturwissen-
zierung der Erfahrungen im Hinblick auf die
grundlegenden psychologischen Bedrfnisse
schaftlichen Unterricht sowie Denkver-
nach Kompetenzerfahrung (z. B. bei selbstn- mçgen und Problemlçseverhalten (vgl.
dig gelçsten Aufgaben), nach autonomer Herwartz-Emden, Schurt & Waburg,
Handlungssteuerung (z. B. bei der Planung und 2005). Aus der in diesem Lehrbuch ein-
Realisierung der Lernttigkeit) und nach sozia- genommenen Perspektive einer Pdagogi-
ler Eingebundenheit in Bezug auf jene Per- schen Psychologie des erfolgreichen Ler-
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nens und Lehrens sind dabei vor allem die Dies wirft die Frage auf, ob sich solche
Befunde zu den Fachinteressen und den ungnstigen Selbstkonzept- und Interes-
akademischen Selbstkonzepten relevant, senentwicklungen von Mdchen nicht
da diese wesentliche Bestandteile der mo- verhindern ließen. Im Zusammenhang
tivationalen Lernvoraussetzungen sind. mit dieser Frage wird hufig auf Studien
Insbesondere im Bereich naturwissen- verwiesen, denen zu Folge Mdchen, die
schaftlicher Fcher scheint sich koeduka- in getrenntgeschlechtlichen Schulen un-
tiver Unterricht ungnstig auf die Interes- terrichtet werden, ein vergleichsweise po-
senlage von Mdchen auszuwirken (vgl. sitives Selbstkonzept der eigenen mathe-
Giesen, Gold, Hummer & Weck, 1992). matisch-naturwissenschaftlichen Fhig-
Bei einem Vergleich koedukativer und keiten entwickelt haben, mehr Interesse
monoedukativer Gymnasien in den F- an diesen Unterrichtsfchern bekunden,
chern Deutsch, Englisch und Mathematik hufiger naturwissenschaftliche Kurse
beobachtete Baumert (1992) eine Verstr- whlen und dort auch besser abschneiden
kung geschlechtsspezifischer Interessen- (z. B. Cipriani-Sklar, 1997; Giesen et al.,
polarisierungen durch Koedukation. 1992). Aus diesen Befunden ableiten zu
Neuere internationale Schulleistungsver- wollen, dass der naturwissenschaftliche
gleiche zu mathematischen und naturwis- Unterricht in geschlechtsgetrennten
senschaftlichen Fachleistungen von Sch- Gruppen durchgefhrt werden muss,
lerinnen und Schlern der Sekundarstufen scheint jedoch voreilig. Denn bei genaue-
I und II dokumentieren bereinstimmend rer Betrachtung des Forschungsstands zu
und ber alle untersuchten Lnder hinweg den Auswirkungen monoedukativen Un-
substanzielle Geschlechterunterschiede terrichts finden sich durchaus auch Studi-
nicht nur im Interesse, sondern auch im en, die keine Unterschiede in Abhngig-
fachspezifischen Selbstvertrauen und in keit von der Geschlechterkonstellation
den Leistungen zu Ungunsten der Md- der Lerngruppe nachweisen konnten
chen. Bei der dritten internationalen (z. B. Harvey, 1985; Hughes, Lauder &
Vergleichsstudie fr Mathematik und Na- Strathdee, 1996; Marsh, 1989; Rohr &
turwissenschaften (TIMSS) lagen die Leis- Rollett, 1992). Darber hinaus sind viele
tungen der Schlerinnen in der gymnasia- der Befunde, die fr eine positive Wir-
len Oberstufe etwa eine drittel (in der kung der Monoedukation zu sprechen
mathematisch-naturwissenschaftlichen scheinen, streng genommen nicht eindeu-
Grundbildung und in Mathematik) bis ei- tig in diesem Sinne zu interpretieren (vgl.
ne halbe Standardabweichung (in Physik) Mael, 1998; Rost & Pruisken, 2000).
unter denen ihrer mnnlichen Klassenka- Das hat damit zu tun, dass sich die mo-
meraden (Baumert, Bos & Watermann, noedukativen und die koedukativen
1998; Baumert et al., 2000). Verschiedene Schulen hufig auch noch in weiteren
Studien mit jngeren Lernenden deuten Merkmalen (z. B. Trgerschaft, konfes-
darauf hin, dass die geringeren Leistun- sionelle Gebundenheit) voneinander un-
gen der Mdchen im Jugendalter durch terscheiden, so dass unklar bleibt, ob
ein negativeres Selbstkonzept mathema- wirklich die Koedukation fr die berich-
tisch-naturwissenschaftlicher Fhigkeiten teten Effekte verantwortlich ist.
und ein schwcheres Interesse an diesen Monoedukative Schulen sind – zumin-
fachlichen Domnen bereits im Primar- dest in Deutschland – meist private
schulalter angekndigt werden (z. B. Schulen und damit hufig zugleich kon-
Eccles, Barber, Updegraff & O’Brien, fessionell gebunden und/oder durch
1998; Rustemeyer, 1998). Schulgebhren finanziert. Bei einer ver-
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Unabhngig davon, aus welchem genauen Fach Physik kann aber offenbar dazu bei-
Grunde Mdchen sich in den monoedukativen tragen, diese Entwicklung zu verhindern.
Gruppen fr kompetenter gehalten haben, hat
sich diese subjektive Einschtzung in ihrem
Kurswahlverhalten fortgesetzt. Interessanter- Geschlechterspezifischer
weise wurden die zu Beginn der neunten Klasse oder geschlechtergetrennter
erfolgten Kurswahlen der Jugendlichen durch Unterricht?
die Kurseinteilung vonseiten der Lehrkrfte ein
halbes Jahr spter besttigt. Die Einteilung zu Die berichteten Schulversuche weisen fr
Beginn der neunten Klasse beruht auf einer die Leistungsentwicklung der Mdchen
Empfehlung der Lehrkraft, allerdings kçnnen langfristig auf gnstigere Wirkungen
hier die Jugendlichen sowie deren Eltern selbst monoedukativen Unterrichts hin – ver-
die endgltige Entscheidung treffen. Am Schul- mutlich sind sie ber motivationale Me-
halbjahresende der neunten Klasse wird die chanismen (Interessen, Selbstkonzepte)
Gruppenzuordnung neu festgelegt. Diesmal
vermittelt. Dieser Befund scheint nicht
wird die Entscheidung jedoch allein durch die
Lehrkraft getroffen. Es scheint, als Ergebnis
nur fr das deutsche Schulsystem zuzu-
der monoedukativen Unterrichtung trauten treffen. hnliche Vorteile monoedukati-
sich die Mdchen eher zu, den hçheren Anfor- ver Schulen werden auch fr die USA,
derungen des Fortgeschrittenenkurses gerecht Australien, Neuseeland, Großbritannien,
zu werden. Entsprechend entschieden sie sich Hongkong und Belgien berichtet (vgl.
hufiger fr einen solchen Kurs. Aufgrund der Herwartz-Emden et al., 2005). Damit
hçheren Anforderungen erreichten sie dann stellt sich die folgende Frage: Findet in
aber offenbar auch ein hçheres Leistungsni- den Mdchenklassen eine andere Art von
veau als ihre Mitschler und Mitschlerinnen
naturwissenschaftlichem Unterricht statt
in den Grundkursen – anderenfalls wre ihre
oder ist es allein die Andersartigkeit der
Kurswahlentscheidung nicht zum Ende des
Schuljahres durch die Lehrkraft besttigt wor- sozialen Vergleichsprozesse, die den Ef-
den. (Hannover & Kessels, 2002, S. 213) fekt bedingt?
Sollte die erste Annahme zutreffen, so lie-
Die Ergebnisse des Berliner Schulversuchs ßen sich daraus Hinweise auf eine ge-
besttigen die Ausfhrungen zu Motivati- schlechterspezifische Optimierung und
on und Selbstkonzept aus Kapitel 2.4 Adaptivitt von Unterricht ableiten. Die
(vgl. auch Kap. 4.1 zum frhkindlichen vorliegenden Forschungsbefunde sind
beroptimismus). Eine ungnstige Mo- diesbezglich jedoch nicht informativ. Sie
tivationslage und ein negatives physik- erlauben derzeit keine befriedigende Ant-
bezogenes Selbstkonzept sind die Risiko- wort auf die Frage, ob es fr Jungen und
faktoren einer fachbezogenen Leistungs- Mdchen unterschiedlich geeignete Arten
entwicklung – die Leistungsdefizite der des Unterrichtens gibt. Plausibler scheint
Mdchen sind ja hinreichend dokumen- die Annahme, dass eine zeitweise unter-
tiert (Baumert et al., 1998, 2000). Weil richtsorganisatorische Trennung von Jun-
die Schlerinnen in den koedukativen gen und Mdchen (vor allem zu Beginn
Lerngruppen offenbar weniger gut moti- des naturwissenschaftlichen Unterrichts)
viert werden und weil sie sich in der Folge fr die Mdchen die bereits beschriebe-
weniger zutrauen, vermeiden sie die an- nen Vorteile mit sich bringt: gnstigere
spruchsvolleren Kurswahlen – in der soziale Vergleichsprozesse, die mit einer
Konsequenz fallen sie in ihrem Leistungs- positiveren Selbstkonzept- und Interes-
niveau hinter ihre mnnlichen Klassenka- senentwicklung einhergehen.
meraden zurck (Eccles et al., 1998).
Monoedukativer Anfangsunterricht im
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Die besten dieser Programme beinhalteten (a) verbinden in der Regel ein strategisches
das ausfhrliche Vermitteln von wenigen Stra- mit einem metastrategischen Training
tegien, (b) das Anleiten zur berwachung des (Hasselhorn, 1992; Weinert, 1994).
eigenen Lernens, (c) das Unterweisen, wann
und wo eine Strategie anzuwenden ist, um die Motivation. Leistungen und Leistungs-
Generalisierung zu fçrdern, (d) das Unterrich- versagen sind nicht ausschließlich durch
ten von Strategien als integrierter Bestandteil kognitive Fhigkeiten determiniert. Eine
eines laufenden Curriculums und (e) ein hohes erfolgszuversichtliche motivationale Ori-
Ausmaß an berwachten bungsphasen und entierung bedingt und untersttzt das
Feedback. (Swanson et al., 1998, S. 150)
strategische Lernverhalten. Lernende mit
Diese Grundstze entsprechen auch den Schulleistungsproblemen haben in der
wesentlichen Empfehlungen zur Gestal- Regel eine Kette von Misserfolgssituatio-
tung wirksamer kognitiver Trainings nen durchlebt, die sich in nachteiliger
(Hasselhorn & Hager, 2001; Mhler & Weise auf das leistungsbezogene Selbst-
Hasselhorn, 2001; vgl. Kap. 8.1). konzept und auf die motivationale Orien-
Lernstrategien. Erfolgreich Lernende ver- tierung ausgewirkt haben. In Koppelung
fgen ber bereichsspezifische und be- mit den strategischen und metastrategi-
reichsbergreifende Strategien des Lernens schen Fçrdermaßnahmen ist daher stets
und Problemlçsens, die sie flexibel und ge- der Aufbau einer erfolgszuversichtlichen
zielt einsetzen. Unstrittig ist, dass sich De- Orientierung anzustreben (Schober &
fizite im strategischen Bereich ungnstig Ziegler, 2001; vgl. Kap. 8.2).
auf den Erwerb von Kenntnissen und Fer-
tigkeiten auswirken. Die Vermittlung stra- Unterrichtliche Maßnahmen
tegischer und metastrategischer Fertigkei-
Obwohl zu Recht immer wieder gefor-
ten ist deshalb eine nahe liegende Maß-
dert wird, eine theoriebasierte und an-
nahme. Erfolgreiche Strategietrainings be-
wendungsorientierte Interventionsfor-
drfen allerdings bei Lernschwcheren
schung weiter auszubauen (z. B. Levin et
einer besonderen Anleitungskomponente.
al., 2003; Scruggs & Mastropieri, 1994),
Im brigen gelten die von Swanson et al.
gibt es nur wenige erfahrungswissen-
(1998; s.o.) beschriebenen Prinzipien. Stra-
schaftlich begrndbare Empfehlungen
tegietrainings zielen auf die Kompensation
zum unterrichtlichen Umgang mit Lern-
defizitrer Lernvoraussetzungen im Sinne
besonderheiten. Bevor darauf eingegan-
Nebers (1996). Hufig wird jedoch zu-
gen wird, scheint eine Klrung zur »inne-
gleich und zustzlich das Aufholen inhalt-
ren und ußeren Differenzierung« von
licher Lernrckstnde notwendig sein
Unterricht hilfreich und notwendig.
(vgl. Machowiak, 2004).
Innere und ußere Differenzierung. Eine
Metakognition. Metakognitives Wissen mçgliche (und nahe liegende) schul-
ber die Strken und Schwchen des ei- organisatorische Reaktion auf die Un-
genen Lernens und ber die Funktions- gleichheit der Lernenden bzw. deren Lern-
weise des kognitiven Systems sowie meta- voraussetzungen ist die leistungshomoge-
kognitive prozedurale Fertigkeiten zur nisierende Separierung in besondere Leis-
Planung, Steuerung und Kontrolle des ei- tungsgruppen, die getrennt unterrichtet
genen Denkens und Lernens sind not- und beschult werden (ußere Differenzie-
wendige Voraussetzungen fr die Selbst- rung). Bezogen auf die Leistungsschw-
steuerung von Lernen (vgl. Kap. 2.3). cheren fhrt dies am einen Ende des Kon-
Fçrdermaßnahmen, die hier ansetzen, tinuums zur Einweisung in Schulen be-
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Fokus: Hochbegabung
Separieren oder Integrieren? Dass auch Hochbegabte einer besonderen Fçrderung
bedrfen, ist unstrittig. Wie bei den Lernschwachen ist aber unklar, ob dies durch
Maßnahmen innerer oder ußerer Differenzierung geschehen soll (Heller & Hany,
1996; Heller et al., 2001). Die innere, unterrichtliche Differenzierung, kann mit ver-
schiedenen Arten der Ergnzung, Erweiterung und Vertiefung des Stoffangebots ein-
hergehen (Enrichment). Die ußere Differenzierung, z. B. durch Klassenbersprin-
gen oder Spezialschulen (oder auch: »Turboklassen«), entspricht im Ergebnis einer
Beschleunigung der Schullaufbahn (Akzeleration). Beide Vorgehensweisen haben
Vor- und Nachteile.
ßerer Differenzierung (d. h. im Sonder- zung erhalten. Denn die Lehrpersonen sind
schulwesen) zumindest zeitweise eine hç- hufig mehr daran interessiert, Schler an den
here »emotionale Entlastung und [eine regulren Klassenunterricht anzupassen, als da-
ran, den Klassenunterricht an die einzelnen
bessere] soziale Integration« (Ahrbeck et
Schler anzupassen. (Crockett & Kauffman,
al., 1997, S. 759) der Lernschwachen zu
1998, S. 500)
beobachten.
In den USA gibt es seit vielen Jahren eine hnliche Vorbehalte formulieren auch
gesetzliche Regelung zur adaptiven und Gersten, Baker, Pugach, Scanlon und
integrativen Unterrichtung Lernschwa- Chard (2001), ziehen daraus aber den
cher (Individuals with Disabilities Educa- konstruktiven Schluss:
tion Act; IDEA), die Maßnahmen uße- Unser Hauptanliegen betrifft die Qualitt des
rer Differenzierung weit gehend untersagt Unterrichts und nicht die Frage, wo der
(Herr & Bateman, 2003). Die Gesetzes- Unterricht stattfindet. (Gersten et al., 2001,
vorschrift durchzieht in durchaus norma- S. 699)
tiver Weise auch die wissenschaftliche
Debatte und bestimmt damit die Grund-
Besondere Lehrmethoden?
lagen des »wie und wo« der Beschulung
von exzeptionell Lernenden. Alle in Kapitel 6 beschriebenen Metho-
den erfolgreichen Lehrens sind geeignet,
… und die Frage, was denn speziell sei an der
speziellen Beschulung, ist nicht einfach zu be-
den Aufbau von Wissen und Kçnnen bei
antworten. Die besonderen Maßnahmen, die lernschwachen Schlerinnen und Sch-
Lernschwache und Hochbegabte bençtigen, lern zu befçrdern. Gleichwohl durchzieht
kçnnen in administrative Maßnahmen (wo sol- eine bestimmte Empfehlung die einschl-
len sie unterrichtet werden?), curriculare Maß- gigen Arbeiten zur Instruktion bei Lern-
nahmen (was soll gelehrt werden?) und in- schwierigkeiten (z. B. Adams & Carnine,
struktionale Maßnahmen (wie sollen sie 2003; Gersten et al., 2001; Souvignier,
unterrichtet werden?) unterschieden werden. 2003): nmlich die Empfehlung einer
(Keogh & MacMillan, 1996, S. 320)
eher anleitungsorientierten, expositori-
schen, strukturierten und kleinschrittigen
Dabei scheint die Antwort auf die Wo-
Form des Unterrichtens mit vielen
Frage bildungspolitisch bereits vorgege-
bungsphasen, unmittelbaren Rckmel-
ben zu sein: eine mçglichst vollstndige
dungen und einer mçglichst vollstndi-
Integration (Inklusion) anstelle einer leis-
gen Zielerreichung bei jedem Lernschritt.
tungshomogenisierenden Segregation.
Summa summarum sind das die Prinzi-
bereinstimmend kritisch fallen daher
pien der Direkten Instruktion (vgl. Kap.
die Kommentare zu der so verordneten
6.1).
Integrationspraxis aus:
Metaanalysen sttzen diese Empfehlung.
Die Begrndung der vollstndigen Integration So berichtet z. B. White (1988) bei 25 ein-
war primr eher ideologisch als empirisch mo- bezogenen Studien eine mittlere Effekt-
tiviert […], und der Nachweis der Vorteile, die strke von d = 0.82 fr das direkt-in-
fr Schler mit schweren Behinderungen und struktive Vorgehen im Vergleich mit
fr ihre nicht-behinderten Mitschler daraus
(unterschiedlich) anders unterrichteten
erwachsen sind, steht noch aus. (Keogh &
MacMillan, 1996, S. 321)
Kontrollgruppen. Forness, Kavale, Blum
Es gibt durchaus Hinweise, dass die lernschwa- und Lloyd (1997) ermitteln aus einer
chen Schlerinnen und Schler durch die nicht »Mega-Analyse« ber 18 Metaanalysen
sonderpdagogisch ausgebildeten Lehrkrfte einen hnlich hohen Wert (d = 0.84). Fr
blicherweise nicht die notwendige Unterstt- die 180 Studien von Swanson und Hos-
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kyn (1998) liegt die Effektstrke zu pldieren daher fr eine pragmatische
Gunsten der Direkten Instruktion bei d = Synthese der folgenden instruktionalen
0.68. Das aufgrund dieser Metaanalysen Prinzipien:
nahe liegende Pldoyer fr die Prinzipien . kleinschrittiges Vorgehen,
der Direkten Instruktion findet jedoch
. Untergliedern des Lernstoffes in kleine
nicht berall Anklang:
Einheiten,
Stellt solch eine Konzeption nicht das Gegenteil . hufige Wiederholungen, regelmßiges
all dessen dar, was in der zeitgençssischen berprfen des Lernfortschritts, syste-
Fachliteratur unter Stichworten wie ffnung matisches ben,
des Unterrichts, Schlerorientierung, Freiarbeit . Aktivieren der Lernenden durch geziel-
und Handlungsorientierung gefordert wird? tes Fragen,
(Wember, 2000, S. 349) . Variation der Aufgabenschwierigkeiten
und Bereitstellen notwendiger Hilfen,
Zweifellos stellt die Selbststeuerung und . kognitives Modellieren,
Selbstverantwortung von Lernprozessen . strategische Hinweise: zum Strategie-
eine wichtige und notwendige Vorausset-
einsatz auffordern, lautes Denken ein-
zung der unmittelbaren Erfahrungsbil-
fordern, den Nutzen von Strategien de-
dung und des nachhaltigen Lernens dar.
monstrieren.
Jedoch ist zu bedenken, dass das hier ein-
geforderte selbstgesteuerte – wie auch das Zu einem ganz hnlichen Fazit kommt
entdeckende – Lernen das Vorhandensein Swanson (1999) auch nach einer fast 700
jener Fertigkeiten und Kompetenzen vo- Seiten umfassenden »ultimativen« Meta-
raussetzt, deren Fehlen oder deren defizi- analyse, die 265 Studien einschließt und
tre Ausprgung zum Entstehen der damit die Analyse von Swanson und
Lernschwchen mit beigetragen haben Hoskyn (1998) um zustzliche 85 base-
(vgl. dazu Kap. 4.2 und 6.6; Hartke, linekontrollierte Einzelfallstudien mit in-
1999; Weinert, 1996a, c). Mit anderen dividueller Fçrderung ergnzt.
Worten: Die Anwendung von Lernstrate- Zu Recht weisen Gersten et al. (2001) da-
gien, die Selbststeuerung von Lernprozes- rauf hin, dass mit dem Wirksamkeits-
sen, die Planung, berwachung und Kor- nachweis der Direkten Instruktion nicht
rektur des eigenen Lernverhaltens muss automatisch die mangelnde Wirksamkeit
den Lernschwcheren erst beigebracht konstruktivistischer und situierter Anst-
werden. ze fr Lernende mit kognitiven Defiziten
Es ist aufschlussreich, dass die Ergebnisse belegt sei. Auch Hallahan, Kauffman und
der erwhnten Metaanalysen durchaus Lloyd (1999) warnen vor einer solchen
Differenzierungen zulassen, die eine Ver- bergeneralisierung und weisen darauf
knpfung der direkt-instruktionalen mit hin, dass konstruktivistische Interventi-
der Selbststeuerungskomponente nahe le- onsanstze oft zu unspezifisch seien, um
gen. Viel versprechend sind dabei vor al- ihre Wirksamkeit stringent empirisch eva-
lem jene Anstze, die ein Strategietraining luieren zu kçnnen.
ber die Methoden der expliziten In- Souvignier (1999) und Probst (1998) ha-
struktion und des angeleiteten bens im ben gezeigt, dass das kooperative und das
Sinne des »kognitiven Modellierens« rea- entdeckende Lernen auch mit Gruppen
lisieren. Eine so verstandene Strategiever- von Lernbehinderten mçglich ist, ohne
mittlung erzielt nmlich hnlich hohe die Lernschwachen zu berfordern (zu-
Effekte wie die herkçmmliche Direkte In- sammenfassend: Jenkins & O’Connor,
struktion. Swanson und Hoskyn (1998) 2003). Bei Souvignier (1999) wird die
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beitung und sie sind motiviert, sich mit ei- Schreiben« oder »gut Schreiben«. Im Stç-
nem Text auseinander zu setzen (Alexan- rungsbild der Lese-Rechtschreib-Schw-
der, Garner, Sperl & Hare, 1998). Die che (LRS; Kap. 4.2) geht es vor allem um
Fçrderung linguistischer und metalinguis- das Richtigschreiben. Dabei werden die
tischer Kompetenzen erfolgt besonders Stçrungen der schriftsprachlichen Lese-
wirksam bereits im Vorschulalter oder im und Rechtschreibfertigkeiten gemeinsam
Anfangsunterricht (Bus & van Ijzen- betrachtet. In der letzten Dekade sind
doorn, 1999; Roth & Schneider, 2002; neue Verfahren zur erfolgreichen Frh-
Weber, Marx & Schneider, 2002). Die Be- erkennung, Prvention und Behandlung
funde der Trainingsstudien zur phonolo- von LRS entwickelt worden (Klicpera &
gischen Bewusstheit von Einsiedler et al. Gasteiger-Klicpera, 1998; Kspert &
(2002) bei Erstklsslern und von Weber Schneider, 1999; Marx, Jansen, &
et al. (2002) bei Drittklsslern sind fr Skowronek, 2000).
leistungsschwache Kinder ermutigend. Um die produktive Fertigkeit, Texte fls-
Zur Fçrderung von Lesestrategien Lern- sig zu formulieren, geht es dagegen beim
schwacher gibt es viele erfolgreiche An- »guten Schreiben«, der Kompetenz zum
stze – die meisten kombinieren strategi- Verfassen von Texten. Dass Lernschwa-
sche, metastrategische und motivationale che hier von einschlgigen Fçrderpro-
Komponenten (Englert & Mariage, 1991; grammen profitieren kçnnen, zeigten
Pressley et al., 1995; Williams, 2003). z. B. Englert, Raphael, Anderson, Antho-
Fr Leseschwache ist es besonders wich- ny, Steven und Fear (1991) mit dem Pro-
tig, dass neben den »untergeordneten« gramm CSIW (Cognitive Strategies In-
Lesestrategien (wie z. B. »wichtiges Un- struction in Writing). CSIW arbeitet mit
terstreichen«) eine handlungsleitende so genannten »think sheets« (Merkzet-
Routine eingebt wird, die ein systemati- teln), die in standardisierter Form konkre-
sches Herangehen an Texte erlaubt. te Arbeitshilfen zum Planen des Schrei-
Dass die textinhaltsbezogenen Vorkennt- bens, zum Ordnen von Informationen,
nisse Leseschwacher defizitr sind, ist oft zum eigentlichen Schreibprozess sowie
ein Folgeproblem unzureichender Lese- zum berarbeiten und Korrigieren des
strategien. Allzu oft »vergessen« die Geschriebenen geben.
schwachen Leser, bei der Aufnahme neuer In Grahams SRSD-Programm (Self-Regu-
Informationen ihr Vorwissen zu aktivie- lated Strategy Development) zur Fçr-
ren. Deshalb sind Maßnahmen mçglich derung des Aufsatzschreibens wird dem
und hilfreich, die durch gezielte Hinweise Schreibenden ein dreistufiges Metaskript
eine leichtere Aktivierung des textinhalts- der Selbstregulation im Sinne einer Routi-
bezogenen Vorwissens bewirken (Carr & ne an die Hand gegeben: Halt (»Stop«),
Thompson, 1996). Wilder und Williams erst Denken (»Think«), dann erst Schrei-
(2001) konnten fr einen erzhlenden ben. Davon wrde auch manche wissen-
Text zeigen, dass die Vermittlung einer schaftliche Arbeit profitieren!
einfachen Frageroutine (»Welches ist die
Hauptperson? Was hat sie getan? Wie Rechnen. »Alle erfolgreich Lernenden h-
geht die Geschichte aus? Findest du das neln einander; jeder mit Lernschwierig-
gut oder schlecht?«) ein leichteres Erfas- keiten hat aber auf seine eigene Art
sen des Textinhalts ermçglicht. Schwierigkeiten.« So kçnnte man in An-
lehnung an Tolstois ersten Satz der »Anna
Schreiben. Schreiben kann vielerlei be- Karenina« die Verschiedenartigkeit von
deuten: »richtig Schreiben«, »schçn Rechenschwierigkeiten umschreiben (vgl.
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Kap. 4.2). Deshalb kann es auch kein Wenn du merkst, dass dir die Trnen kommen
bergreifendes Fçrderprogramm geben. … hol tief Luft und sage dir: »Ich mache es
Es gibt basale Rechenschwchen im Zah- gut. Alles wird gut«. (Mastropieri et al., 1998,
S. 433)
lenraum bis 20, es gibt strategische Defi-
zite bei den Grundrechnungsarten im
Zahlenraum bis 100, es gibt Schwierig- Und die Erwachsenen?
keiten beim Verstehen von Textaufgaben Nicht selten werden aus lernschwachen
und bei geometrischen Aufgaben oder bei Kindern lernschwache Erwachsene. Auch
der Automatisierung des kleinen Einmal- sie kçnnen von den beschriebenen Fçr-
eins (Geary, 2003; Lorenz, 2004). Inter- dermaßnahmen profitieren, voraus-
ventionsmaßnahmen bei Rechenschwie- gesetzt, sie sind lernmotiviert. Denn das
rigkeiten mssen sich nach der Art der Lernen Erwachsener ist in hohem Maße
Stçrung richten (Fuchs & Fuchs, 2003; selbstgesteuertes Lernen.
Lorenz & Radatz, 1993; Stern, Hase- Das Lernen Erwachsener spielt sich unter
mann & Grnke, 2004). anderen Bedingungen ab als das schu-
Montague (1997) gibt den Lernschwa- lische Lernen – in Hochschulen, am Ar-
chen eine siebenschrittige Arbeitsroutine beitsplatz, in Veranstaltungen der Fort-
an die Hand, um Textaufgaben zu bear- und Weiterbildung. Larkin und Ellis
beiten: (1998) weisen darauf hin, dass dies bei
1. Lies die Aufgabe! der Planung von Interventionsmaßnah-
2. Wiederhole sie in eigenen Worten! men zu bedenken ist. Lernschwache Er-
3. Mach dir ein Bild davon! wachsene werden neben strategischen,
4. Plane die Lçsungsschritte! metastrategischen und motivationalen
5. Schtze das Ergebnis! Defiziten sowie einer unzureichenden in-
6. Rechne! haltlichen Wissensbasis vor allem ein Pro-
7. berprfe das Ergebnis! blem haben: eine lange und unerfreuliche
Lerngeschichte, die ihr leistungsbezoge-
Jeder der sieben Schritte beinhaltet ein nes Selbstkonzept negativ geprgt hat.
automatisiertes selbstinstruktives »Sagen- Ellis und Larkin (1998) haben Grundst-
Fragen-Prfen«-Schema, um die notwen- ze strategischer Instruktionshilfen fr Er-
digen metakognitiven Aktivitten sicher- wachsene mit Lernschwierigkeiten zu-
zustellen (also z. B.: Sage dir: »Lies die sammengestellt, mit Hinweis auf die
Aufgabe«, Frage dich: »Habe ich die Auf- empirischen Arbeiten, die ihre Wirksam-
gabe gelesen und verstanden?«, Prfe keit belegen. Naturgemß funktionieren
nach: »Welche Aufgabe soll ich lçsen?«). die meisten nach dem Prinzip der Selbst-
In der zusammenfassenden bersicht von instruktion. Und fast alle behelfen sich
Mastropieri, Scruggs und Chung (1998) mit Akronymen, um eine strategische
wird auch auf selbstinstruktive Coping- Routine zu automatisieren. Die einfache
strategien hingewiesen, um der weit ver- Routine FLASH (Ellis, 1993) aktiviert die
breiteten Mathematikngstlichkeit zu be- bekannten Lernfunktionen guter Infor-
gegnen. Ein Beispiel: mationsverarbeitung (vgl. Kap. 5.2):
Nicht nervçs werden. Denk daran, deinen
. Focus on a topic,
Plan zu benutzen. Mach es Schritt fr Schritt
– immer nur eine Frage auf einmal. Lass deine . Look for familiar information,
Augen nicht zu den anderen Aufgaben wan- . Activate knowledge and ask questions,
dern. Denke nicht darber nach, was die an- . See what’s connected,
deren machen. Gehe Schritt fr Schritt vor. . Hypothesize.
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Literaturhinweise
Klauer, K. J. (2001b). Handbuch Kognitives Training. Gçttingen: Hogrefe.
Lauth, G. W., Grnke, M. & Brunstein, J. C. (2004). Interventionen bei Lernstç-
rungen. Gçttingen: Hogrefe.
Zusammenfassung
Besonderheiten des Lehrens ergeben sich aus der Unterschiedlichkeit der Lernenden.
Es gibt eine ganze Reihe unterrichtlicher und unterrichtsergnzender Maßnahmen,
die dies bercksichtigen. Kognitive Trainings sind eine besondere Form der indivi-
dualisierten Intervention. Sie zielen auf eine nachhaltige Verbesserung grundlegender
kognitiver Fertigkeiten und Funktionen. Die individuellen Voraussetzungen erfolg-
reichen Lernens (Aufmerksamkeit, Gedchtnis, Lernstrategien) sind die wesentlichen
Inhaltsbereiche kognitiver Trainings. Besonders erfolgreich sind sie dann, wenn eine
Einbindung metakognitiver Komponenten der Selbstkontrolle und Lernregulation
gewhrleistet ist.
Maßnahmen zur Fçrderung von Lernmotivation und Interesse zielen entweder auf
die motivationsfçrderliche Gestaltung von Unterricht oder auf die Vernderung in-
dividueller motivationaler Dispositionen. Sind die motivationalen Dispositionen un-
gnstig (Misserfolgsngstlichkeit), kçnnen Programme zur Steigerung des Selbstver-
ursachungserlebens, zur nderung dysfunktionaler Attributionsmuster und zur
Vernderung von Gtemaßstben durchgefhrt werden.
Ob Mdchen und Jungen von einer gemeinsamen Unterrichtung (Koedukation)
mehr oder weniger profitieren, wird schon seit langem diskutiert – unter sich n-
dernden Vorzeichen. Empirische Studien zum naturwissenschaftlichen Unterricht in
der Mittelstufe deuten darauf hin, dass monoedukativ unterrichtete Mdchen eine
weniger geschlechtsstereotype Interessen- und Selbstkonzeptentwicklung durchlau-
fen als koedukativ unterrichtete. Dafr werden Mechanismen der unterschiedlich
verlaufenden sozialen Vergleichsprozesse verantwortlich gemacht.
Bei Lernschwchen und Leistungsstçrungen steht fr den Unterricht die gesamte Pa-
lette instruktionaler Methoden zur Verfgung. Darber hinaus kommen unterrichts-
ergnzende, individualisierte Fçrdermaßnahmen zur Verbesserung der Lernvoraus-
setzungen in Frage. Es gibt Hinweise darauf, dass die Lernschwcheren einer
anleitungsorientierten, expositorischen, strukturierten und kleinschrittigen Form
des Unterrichtens bedrfen – mit vielen bungsphasen und unmittelbaren Rckmel-
dungen.
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