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Finanzrating
Ann-Kristin Achleitner/Oliver Everling/
Karl A. Niggemann (Hrsg.)
Finanzrating
Gestaltungsmöglichkeiten
zur Verbesserung der Bonität
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-8349-0245-0
Fehler! Kein Text mit angegebener Formatvorlage im Dokument. V
Vorwort
Gibt man das Stichwort „Finanzrating“ in eine Suchmaschine wie Google ein, erhält man nur
rund 500 Suchresultate. Dies steht 361.000 Fundstellen für das Wort „Kreditrating“ oder gar
fast einer Milliarde Seiten gegenüber, auf denen sich das Wort „Rating“ findet. Selbst wenn
die Suche auf deutschsprachige Seiten eingeengt wird, bieten sich dem Internetsurfer immer
noch 16,2 Millionen Seiten zur Lektüre. (Alle Angaben gelten für August 2006.)
Diese Ergebnisse stehen in einem diametralen Gegensatz zur Bedeutung des Finanzratings in
der Bankpraxis. Das Finanzrating als die primär quantitative Seite des Ratings steht auch
heute noch, nach Basel II und der Umsetzung der seit 20. Dezember 2002 gültigen Mindest-
anforderungen an das Kreditgeschäft bzw. an das Risikomanagement, im Mittelpunkt jeder
Bonitätsbeurteilung einer Bank.
Durch die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen sind die Banken dazu angehalten, im Ra-
ting eine möglichst ganzheitliche Betrachtung ihrer Kreditnehmer zu erreichen, also auch
Risiken aufgrund qualitativer Faktoren zu identifizieren. Bankinterne Ratings waren früher
oft nur ein methodisches Hilfsmittel, um quantitative Daten aus dem Jahresabschluss zu
evaluieren. Zwar korrespondierten die Ergebnisse dieser Klassifizierungen auch mit Ausfall-
raten, aber sie wurden nicht mit einer – jetzt nach Basel II geforderten – „PD“ (Probability of
Default) gleichgesetzt. Daher richtete sich in der öffentlichen Diskussion der Blick stark auf
neue qualitative Fragen, die in den Kriterienkatalog des Ratings aufgenommen wurden: Fra-
gen nach der Produkt- und Marktposition, nach der Wertschöpfungskette, der Organisation
und Strategie, dem Management und seiner Qualifikation usw.
Viele der heute in jedem Kreditgespräch gestellten qualitativen Fragen sind jedoch so ge-
nannte „Dummy“-Fragen, die (noch) nicht in das Rating einfließen. In vielen Kreditinstituten
wurde es bis zum Ende des letzten Jahrhunderts versäumt, zum Beispiel für ausgefallene
Kunden (zu denen zwangsläufig die Kundenbeziehung beendet wurde) oder für abgelehnte
Kreditanträge qualitative Daten systematisch zu sammeln und zu dokumentieren. Mithin
müssen die heute im Einsatz befindlichen Ratingsysteme weitgehend auf quantitativen Daten
fußen, die seit den 1970er Jahren auch EDV-mäßig von den Banken im Rahmen maschineller
Bilanzanalysen erfasst werden.
Selbst wer den eingeschränkten Aussagewert von Jahresabschlüssen oder betriebswirtschaft-
licher Auswertungen (BWA) in Bezug auf die Ausfallprognose argumentiert, muss daher als
Faktum konstatieren, dass in der Praxis der Kreditwürdigkeitsprüfung der Banken der ver-
gleichenden Interpretation und der Extrapolation von Trends, die aus Kennzahlen gedeutet
werden können, immer noch überragende Bedeutung zukommt.
VI Vorwort
An die Praxis in mittelständischen Unternehmen richtet sich das vorliegende Buch, das mit
dem Titel „Finanzrating“ eine bemerkenswerte Lücke in der Fachliteratur schließt. Trotz stark
angewachsener Zahl von Titeln zum Thema Rating ist bisher kein Buch allein dem Teil des
Ratings gewidmet, dem meist das höhere Gewicht zukommt: der Jahresabschlussanalyse.
Dabei kann gerade hier auf langjähriges Erfahrungswissen und gesicherte Erkenntnisse zu-
rückgegriffen werden.
Der guten Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass wir den Begriff “Finanzrating” nicht
im Sinne von Standard & Poor’s Insurer Financial Strength Ratings verstehen, einem Rating,
das sich auf die Finanzkraft von Versicherungsgesellschaften bezieht. Als Finanzrating be-
zeichnen beispielsweise die Sparkassenorganisation, aber auch andere Bankengruppen das
Rating der quantitativen Faktoren, die aus der Jahresabschlussanalyse ermittelt werden kön-
nen. Wir fügen uns diesem weiter verbreiteten Sprachgebrauch.
Unser Dank gilt den Autoren, die dieses Buch möglich gemacht haben. Für die Projekt-
betreuung sind wir Frau My Linh Trieu von der RATING EVIDENCE GmbH sowie den
Mitarbeitern des Gabler-Verlags, namentlich dem Lektorat unter der Leitung von Frau Maria
Akhavan-Hezavei, sehr verbunden. Kommentare und Anregungen unserer Leser greifen wir
gerne auf: Bitte zögern Sie nicht, die Herausgeber per E-Mail an info@everling.de zu kontak-
tieren!
Inhalt
Vorwort ....................................................................................................................................V
Ann-Kristin Achleitner / Oliver Everling / Karl A. Niggemann
Teil I
Grundsätzliche Überlegungen zum Finanzrating
Teil II
Ansätze des Finanzratings in der Praxis
Teil III
Rahmenbedingungen und Management des Finanzratings
Anhang
Teil I
Oliver Everling
Literatur
Noch vor wenigen Jahren galt „Rating“ im deutschen Sprachraum als ein Begriff der US-
amerikanischen Kapitalmärkte. Schon 1965 wurde zwar eine deutsche Doktorarbeit veröf-
fentlicht, die das Wort im Titel trug, jedoch ging es hier um „Die Beurteilung des menschli-
chen Verhaltens durch Rating-Skalen“. In der Finanzsprache war der Begriff klar durch die
Leistungen unabhängiger Agenturen besetzt, namentlich durch Moody’s Investors Service
und Standard & Poor’s. John Moody hatte im Jahre 1909 damit begonnen, Anleihen von
Eisenbahngesellschaften anhand von Ratingskalen zu klassifizieren. Dabei orientierte er sich
an der Symbolik, wie sie durch amerikanische Schulnoten vertraut ist: Buchstaben und Buch-
stabenkombinationen. John Moody nahm für sich nicht in Anspruch, „Erfinder“ des Ratings
zu sein, jedoch wurde durch ihn der Ratinggedanke erstmals konsequent auf viele Titel an-
gewandt, die Anfang des letzten Jahrhunderts an den US-amerikanischen Kapitalmärkten
angeboten wurden. Vor John Moody hatte schon der 1788 in Northampton, Massachusetts,
geborene Lewis Tappan einen ersten kommerziellen Kreditratingdienst aufgebaut (Mercantile
Agency). Die Geschichte von Tappan ist unter anderem deshalb relativ gut dokumentiert,
weil er nicht nur die Idee des kommerziellen Ratings lancierte, sondern auch wegen seiner
moralischen Grundwerte und als Gegner der Sklaverei in die US-amerikanische Geschichte
einging. Seine Tapferkeit wird in den USA noch heute gewürdigt.
Kerngedanke des Ratings ist es, die gegenwärtige und zukünftige Zahlungsfähigkeit eines
Schuldners durch Gebrauch einer mehrstufigen Skala einzustufen. John Moody sammelte
Daten über Eisenbahngesellschaften und analysierte diese auf Unterschiede. Elementare
Daten über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, wie sie in Jahresabschlüssen durch die
Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung dokumentiert werden, bildeten dafür die wichtigste
Grundlage. Unterschiedliche Umsatz- und Gewinnentwicklungen wie auch Eigenkapitalaus-
stattungen gaben Anlass, divergierende Anfälligkeiten der beurteilten Emittenten bezüglich
künftiger, möglicherweise widriger Wirtschaftsentwicklungen zu vermuten und diesen Unter-
schieden durch Ratingsymbole Ausdruck zu geben. Zwar spielten bei dieser „Urform“ des
Ratings bereits qualitative Aspekte eine Rolle, jedoch bildeten die „harten Fakten“ der quanti-
tativen Analyse ihre wesentliche Basis.
Das durch ein solches Rating zum Ausdruck gebrachte Urteil soll jedoch nicht nur ein Abbild
der finanziellen Situation schaffen, sondern darüber hinaus eine Aussage über die Zukunfts-
perspektiven des emittierenden Unternehmens liefern. Letztlich zählt allein die Perspektive
des Investors bzw. Gläubigers, der sich von der Qualität der ihm angebotenen Papiere über-
zeugen will. Für denjenigen, der auf eigene oder fremde Rechnung gegen Geld Wertpapiere
erwirbt, ist es für die Bemessung seines möglichen Schadens schließlich unerheblich, aus
Wesen und Bedeutung des Finanzratings 5
welchem Grunde ihm möglicherweise die in Aussicht gestellten Geldzahlungen nicht zuflie-
ßen. Für die Bewertung einer finanziellen Position kommt es auf die Wahrscheinlichkeit an,
dass die von einem Schuldner versprochenen Zahlungen tatsächlich geleistet werden.
Mit dem Rating wird insofern die Wahrscheinlichkeit beurteilt, ob Schuldner ihren Verpflich-
tungen vollständig und rechtzeitig nachkommen werden. Mit einem Rating wird jedoch we-
sentlich mehr als nur „eine“ Wahrscheinlichkeit ausgedrückt. Wäre beispielsweise ein Rating
AAA einfach mit einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 0 Prozent gleichzusetzen, so würde es
sich erübrigen, auf die möglicherweise schwerer verständliche Ratingskala zurückzugreifen.
Man könnte – statt von einem „AAA-gerateten Schuldner“ – gleich von einem „Schuldner
mit 0 Prozent Ausfallwahrscheinlichkeit“ sprechen. Selbst bei AAA-gerateten Schuldnern
trifft es jedoch nicht zu, dass sie über beliebige Zeiträume hinweg gesehen keinem Ausfallri-
siko unterliegen. Schon binnen Jahresfrist kann es zu Herabstufungen in Kategorien kommen,
die ein höheres Ausfallrisiko indizieren. Mithin ist es eine Frage des Zeithorizontes, in dem
die Ausfallwahrscheinlichkeit analysiert wird. Um mit den Worten von John Maynard Keynes
(1883–1946) zu sprechen: „In the long run we are all dead.“
Jedes Rating steht nach der Logik der führenden Agenturen nicht lediglich für „eine“ Aus-
fallwahrscheinlichkeit, sondern gleich für einen ganzen Datenraum, also für Ausfallwahr-
scheinlichkeiten binnen Jahresfrist, binnen zwei Jahren, fünf Jahren usw. Ratingsymbolik und
Ratingskalen lassen sich also nicht durch bloße Angaben von Ausfallwahrscheinlichkeiten
ablösen. Es wäre beispielsweise verfehlt, ein Rating BB einfach mit „2 Prozent Ausfallwahr-
scheinlichkeit“ zu „übersetzen“, obwohl in dieser Kategorie oft eine jährliche Ausfallrate in
dieser Höhe beobachtet werden kann. Entscheidend ist es, sich auch die kumulativen Ausfall-
raten zu vergegenwärtigen, die durch Betrachtung längerer Zeiträume ermittelt werden.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erstaunt es kaum, dass sich fast alle Ratingagentu-
ren weltweit einer Symbolik bedienen, die sie einer ordinalen Skala zuordnen. Von A wie
Argentinien bis Z wie Zypern (dort sind schon seit über zwei Jahrzehnten Ratingagenturen
ansässig) werden Bonitätsurteile mehr oder weniger durch dieselben Symbole ausgedrückt,
deren sich schon John Moody bediente. So steht rund um den Globus das Symbol AAA bzw.
Aaa für eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass der so beurteilte Emittent
langfristig in der Lage sein wird, seinen Zahlungsverpflichtungen stets vollständig und recht-
zeitig nachzukommen. Am anderen Ende der Skala steht das Symbol D für die bereits einge-
tretene Insolvenz bzw. für den bereits festgestellten Zahlungsausfall.
Der Wettbewerb unter den Ratingagenturen wird international also nicht über die Verwen-
dung proprietärer Ratingskalen ausgetragen, sondern über die Treffgenauigkeit und den
Markteinfluss ihrer Urteile. Chinesische Ratingagenturen verwenden ebenso die Symbole AA
oder BBB wie indische oder russische Ratingagenturen. Grundsätzlich verbindet sich mit der
Verwendung dieser internationalen Symbolik der Anspruch, auch die gleichen Aussagen zu
treffen. Indem Ratingurteile mit einheitlichen Symbolen zum Ausdruck gebracht werden,
erleichtern sie die Verständigung an den Finanzmärkten. Durch ein Rating gelingt es, den
Marktteilnehmern mit Hilfe eines einzelnen Symbols eine Fülle von Informationen zu kom-
munizieren. Die Kürze des Ratingsymbols korrespondiert den Erfordernissen des Wertpa-
6 Oliver Everling
pierhandels und des Portfoliomanagements, Bewertungen von Bonds binnen kürzester Frist
vergleichen und Bewertungsdifferenzen durch Arbitrageoperationen (Kauf unterbewerteter
und gleichzeitiger Verkauf überbewerteter Papiere) ausnutzen zu können.
Der Ratinggedanke lässt sich überall dort anwenden, wo von der einen Marktpartei Erwar-
tungen geweckt werden und sich eine andere Marktpartei darüber orientieren muss, wie
wahrscheinlich ist, dass der Vertragspartner seinen Versprechungen tatsächlich nachkommen
wird. Letztlich ließe sich jede Art von „Versprechen“ mit einem Rating versehen: Steht es
völlig außer Zweifel, dass ein gegebenes Versprechen gehalten wird, wird dieses Versprechen
mit AAA klassifiziert. Ist umgekehrt ein Versprechen bereits gebrochen, steht ein D für De-
fault. In der Kategorie C kommt es der Wahrscheinlichkeit eines Münzwurfes nahe, ob ein
gegebenes Versprechen noch gehalten wird. Für die Ratingagenturen zählt beim so genannten
„langfristigen Rating“ ein Zeithorizont von ca. vier bis fünf Jahren, und das Rating wird
anhand der bereits genannten Symbole zum Ausdruck gebracht, während für das „kurzfristige
Rating“ eine verkürzte Ratingskala gilt. Auf kurze Sicht lassen sich Bonitätsnuancen weniger
genau zum Ausdruck bringen. Auf kürzeste Sicht, also etwa binnen Tagesfrist, lässt sich
ohnehin nur „zahlungsfähig“ oder „nicht zahlungsfähig“ unterscheiden. Hier gibt es so wenig
einen „Zwischenzustand“ wie bei der Schwangerschaft: „Halb schwanger“ gibt es nicht.
Im Kern geht es beim Rating um eine Sprachregelung an den Finanzmärkten. Ratingsymbole
dienen der Kommunikation. Ratings sind insofern die im finanziellen Bereich kürzestmögli-
che Form menschlicher Ausdrucksweise: Ein einzelnes Ratingsymbol beschreibt eine Ge-
samtheit von Eigenschaften eines Schuldners. Wie eine lebendige Sprache „lebt“ auch die
Sprache des Ratings und wird laufend weiterentwickelt. Dies zeigt die Evolution der Ra-
tingskala, die von – früher – nur wenigen Kategorien mit Hilfe von Modifikatoren – heute –
feiner ausdifferenziert wurde. Ein Beispiel dafür sind die Ratingkategorien Caa, Ca und C bei
Moody’s, die bis vor kurzem keine Modifikation kannten. Inzwischen wird auch in diesen
Kategorien wie in den übrigen (außer Aaa) mit Hilfe der Modifikatoren 1, 2 und 3 eine feine-
re Nuancierung der Bonität zum Ausdruck gebracht und dem Bedürfnis der Finanzmärkte
entsprochen, Bonitätsunterschiede noch feiner zu differenzieren und bepreisen zu können.
Wissenschaftlich sind Definitionen zwar „frei“, das heißt, für Autoren frei wählbar, solange
sie dann konsequent der gewählten Begriffsbildung folgen. Theoretisch gibt es auch für den
Begriff Rating und im Besonderen für Finanzrating keine „wahre“ oder „falsche“ Definition.
Jedoch gibt die Praxis der Finanzmärkte recht konkret vor, was unter einem Rating zu verste-
hen ist. Es lohnt sich daher, einer Definition zu folgen, die möglichst eng an das explizite
oder implizite Begriffsverständnis der Marktteilnehmer angelehnt ist. Daher der folgende
Versuch einer Definition des Begriffs Rating im Sinne von „credit rating“:
Ein Rating ist die durch Symbole oder die semantische Verkettung von Symbolen ordinaler
Skalen ausgedrückte Meinung einer auf Bonitätsanalysen und Kreditwürdigkeitsuntersuchun-
gen spezialisierten Institution, sei es einer Agentur, einer Bank oder einer Kreditversicherung,
über die wirtschaftliche Fähigkeit, rechtliche Bindung und Willigkeit eines Schuldners, seinen
zwingend fälligen Zahlungsverpflichtungen stets rechtzeitig und vollständig nachzukommen.
Wesen und Bedeutung des Finanzratings 7
Würde sich die Definition des Ratings nur auf wirtschaftliche Fähigkeiten beziehen, würden
solche Fälle nicht erfasst, in denen sich ein Schuldner zwar wirtschaftlicher, insbesondere
auch finanzieller Gesundheit erfreut, aber sich nicht gebunden sieht, einen gegen ihn geltend
gemachten Finanztitel auch juristisch anzuerkennen. Für den Gläubiger sind nicht allein die
finanziellen Möglichkeiten des Schuldners maßgeblich, sondern auch die legalen Absiche-
rungen seines Anspruchs. Ferner sind Fälle zu unterscheiden, in denen der Schuldner sich
zwar wirtschaftlich fähig und rechtlich gebunden, aber nicht willig zeigt, die gegen ihn gel-
tend gemachten Ansprüche zu erfüllen. Je nach „umgebender“ Rechtsordnung kann eine
Forderung gegen einen solchen „gesunden“ Schuldner ebenso wertlos sein wie eine Forde-
rung gegen einen zwar verpflichteten und willigen, aber mittellosen Schuldner.
In obiger Definition ist über den Zeithorizont der Betrachtung nichts ausgesagt, so dass sie
für kurz- wie auch für langfristige Ratings Gültigkeit beanspruchen kann. Ebenso wenig sind
weitere Aspekte des Ratings angesprochen, beispielsweise der Bezug auf einen bestimmten
Finanztitel oder auf die generelle wirtschaftliche Fähigkeit, rechtliche Bindung und Willigkeit
eines Schuldners, seinen Zahlungsverpflichtungen uneingeschränkt nachzukommen. Es liegt
in der eingangs skizzierten, historisch begründeten Tradition der Ratingagenturen, ihre Urtei-
le auf konkrete Marktofferten zu beziehen. Erst Ende der 1980er Jahre wurde darüber hinaus
auch die Vorstellung eines Emittentenratings entwickelt, das sich auf nicht nachrangige, aber
unbesicherte Forderungen bzw. Finanzverbindlichkeiten bezieht. Dem Emittentenrating liegt
quasi ein fiktiver Forderungstitel gegen den beurteilten Schuldner zugrunde, während das
Emissionsrating einen existierenden Titel oder zumindest eine genaue Spezifikation voraus-
setzt, wie sie beispielsweise bei „shelf registrations“ gegeben ist, die bei der Securities and
Exchange Commission (SEC) in den USA vorgenommen werden.
Weitere Betrachtungsdimensionen, etwa die „Freiwilligkeit“ des Ratings oder die von Emit-
tenten oft thematisierte Frage, ob ein Rating „beantragt“ (solicited) oder „nicht beantragt“
(unsolicited) erfolgte, seien hier nur erwähnt, da sie zwar unter anderem in der Diskussion
um die Regulierung der Ratingagenturen bei der International Organization of Securities
Commissions (IOSCO) oder bei dem Committee of European Securities Regulators (CESR)
eine Rolle spielten, in der Abgrenzung des Themas Finanzrating jedoch nicht von Bedeutung
sind.
Das Buch „Finanzrating“ richtet sich primär auf die Betrachtungsdimension der wirtschaftli-
chen Fähigkeit eines Schuldners, seinen zwingend fälligen Zahlungsverpflichtungen voll-
ständig und rechtzeitig nachzukommen. Die wirtschaftliche Fähigkeit ist anhand der Vermö-
gens-, Finanz- und Ertragslage zu beurteilen, insbesondere anhand „harter Fakten“ und
„quantitativer Daten“. Das Finanzrating erscheint in besonderem Maße als „objektiv“. Die
genannten Attribute suggerieren jedoch Dualismen, die in der Praxis des Ratings nicht mit
gewünschter theoretischer Schärfe gefunden werden können.
So sind alle Ratingsysteme von Subjektivitäten geprägt, da die Modellierung von Rating-
systemen stets Konzepten folgen, deren objektive Auswahl nicht ohne ein – eben nicht exi-
stentes – vollständiges Erklärungsmodell unserer Welt erfolgen könnte. Mithin entscheidet
doch das subjektive Empfinden eines klugen Professors oder eines gewieften Consultants
8 Oliver Everling
darüber, welches Modell gelehrt oder „verkauft“ wird. „Quantitativ“ ist somit nicht mit „ob-
jektiv“ zu übersetzen. Quantifizierung sagt lediglich etwas über das gewählte Skalenniveau
(nominal, ordinal, kardinal usw.) aus. Auch gibt es „harte Fakten“, die nicht „quantifizierbar“
sind, beispielsweise der Familienstand oder das Geschlecht des Unternehmers (beides sind
verbreitete Kriterien in bankinternen Ratingsystemen).
Wie schon die vorgestellte Definition des Begriffs „Rating“ soll daher auch für den Begriff
Finanzrating nicht eine eigene, willkürlich gewählte Begriffsbildung maßgeblich sein, son-
dern eine Orientierung an der Praxis des Bankwesens erfolgen. Demnach werden mit dem
Finanzrating solche Tatbestände eines Unternehmens erfasst, die sich auf die Vermögens-,
Finanz- und Ertragslage beziehen. Das Finanzrating stützt sich auf die traditionellen Metho-
den der Bilanzanalyse ebenso wie auf moderne Verfahren, die von der multivariaten Diskri-
minanzanalyse über logistische Regressionsfunktionen bis zu künstlichen neuronalen Netzen
reichen.
In der Diktion der meisten Banken liegt das Finanzrating dem internen Rating zugrunde.
Meist werden Finanzkennzahlen aus Daten der letzten drei bis fünf Jahre gebildet. Bei Unter-
nehmensgründern bilden Planrechnung und Experteneinschätzung die Basis des Ratings. Die
wirtschaftliche Lage wird anhand von Kennzahlen zusammengefasst und oft durch einen
separaten Scorewert ausgedrückt. Bei der Kennzahlenbewertung spielen unter anderem die
Größe des Unternehmens und die Branche eine Rolle. Typisch ist auch die Berücksichtigung
von „kreditwirtschaftlichen Korrekturen“, zum Beispiel für stille Reserven, stille Lasten und
für Verpflichtungen aus Leasinggeschäften.
Wäre es nach den Darstellungen mancher Zeitungsredakteure gegangen, hätten mit der durch
den Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht bei der Bank für Internationalen Zahlungsaus-
gleich gewollten Verknüpfung von Ratings mit den Eigenmittelerfordernissen bei Banken für
viele KMU die Totenglocken geläutet. Gefahren wurden insbesondere für bonitätsmäßig
schwache Unternehmen gesehen, deren vergleichsweise günstige Kreditkonditionen durch
die Erträge bei guten Adressen subventioniert werden. Risikoäquivalente und angemessen
differenzierte Zinssätze lassen sich ohne Rating kaum kalkulieren. Da mit dem Rating klare
Zuordnungen von Ausfallwahrscheinlichkeiten für unterschiedliche Fristen erfolgen, werden
die Spielräume für pauschale Risikokostenzuordnungen argumentativ durch Rating deutlich
verengt.
Das Vorbild der Ratings von führenden Ratingagenturen gab den Ausschlag, dass sich in
Basel die Überzeugung durchsetzte, Ratings seien die geeigneten Anknüpfungspunkte für die
risikoorientierte Gewichtung von Bankaktiva. Trotzdem blieb die Verbreitung der Ratings
anerkannter Agenturen bisher relativ gering. Darüber dürfen auch die Erfolgsmeldungen der
Ratingagenturen nicht hinwegtäuschen, die ihre exorbitanten Wachstumsraten der absolut
niedrigen Ausgangsbasis verdanken.
Der Rückzug von Banken aus traditionellen Kreditgeschäftsfeldern traf insbesondere den
deutschen Mittelstand. Die mehr oder weniger stringente Koppelung von Kreditentscheidun-
gen an bankinterne Ratingsysteme führte dazu, dass für nahezu alle KMU, die sich auch des
Bankkredits zu ihrer Finanzierung bedienen, Ratings relevant geworden sind. In der Vergan-
genheit war das Rating eine rein bankinterne Angelegenheit. Bankinterne Ratings waren
primär Finanzratings, da sie auf maschinellen Bilanzanalysen aufsattelten. Sobald aber die
Konditionengestaltung maßgeblich vom Rating abhängig gemacht wird, erwacht natürlich
das Interesse der Firmenkunden am Rating und seinen Bestimmungsfaktoren.
Mit einem Rating werden die Ausfallwahrscheinlichkeiten klassifiziert, die über verschiedene
Zeithorizonte hinweg mit einem Kreditengagement verbunden sind. Richtig verstanden er-
setzt das Rating in keinem Fall die Kreditentscheidung, sondern ist lediglich ihr unterstützen-
des Element. Der Ratinggedanke löst die einstigen Vorstellungen von „guten“ und „schlech-
ten“ Kunden ab, die an „guten“ oder „schlechten“ Bilanzen zu erkennen wären. Statt
Schwarzweißmalerei ist beim Rating eine differenziertere, reflektierendere Urteilsfähigkeit
gefragt, ohne die die feinstufige Einordnung einer Risikosituation anhand vorgegebener Ska-
len unmöglich erscheint. Das Finanzrating geht über eine bloße Jahresabschlussanalyse hin-
aus. Ratingsysteme führen wesensgemäß zum Aufbrechen dichotomer Entscheidungsbäume,
da sie einer Simplifizierung der Unternehmensrealität durch den Zwang zur Abstufung entge-
gentreten.
Wäre die komplexe Realität der leistungs- und finanzwirtschaftlichen Situation eines Unter-
nehmens mit einer einzigen Ziffer, einer genau bestimmbaren Ausfallwahrscheinlichkeit
beschreibbar, wären Ratings überflüssig. Da aber auch die Schwankungsbreiten der Ausfall-
wahrscheinlichkeiten, ihre Entwicklung über verschiedene Zeithorizonte und weitere Aspekte
interessieren, die die Bonität einer Adresse bestimmen, sind Ratings zur Bonitätsklassifizie-
rung unentbehrlich. Finanzratings liefern dazu eine Komponente.
10 Oliver Everling
Das niedrigere Skalenniveau des Ratings erlaubt es gegenüber der metrisch ausgeprägten
Ausfallwahrscheinlichkeit, für die Interpretation der „Abstände“ zwischen verschiedenen
Ausprägungen offen zu sein. Die Transformation von Bonitätsrisiken gehört neben Fristen-
und Losgrößentransformationen zu den volkswirtschaftlichen Funktionen von Banken. Dieser
Transformationsfunktion würden sie im Falle einer Beschränkung ihrer Geschäftstätigkeit auf
Kunden mit besten Ratings nicht gerecht, zumal die Konkurrenzsituation unter Banken in
dieser Zielgruppe die Ertragsmöglichkeiten sehr beschränkt. Nicht im Rückzug, sondern in
der optimalen Gestaltung des Kreditgeschäfts liegt die gegenwärtige Herausforderung der
Banken. Alternative Kapitalquellen erschließen sich nicht nur für Aktiengesellschaften an
neuen Börsensegmenten, sondern auch für KMU, die die Instrumente des Leasings, Facto-
rings usw. einsetzen.
Das Bewusstsein für die Existenz bankinterner Ratings ist bei KMU in einem rasanten Wan-
del begriffen. Hielten viele Banken früher Auskünfte über das erteilte bankinterne Rating für
vermeidbar, so wird es in Zukunft offen anzusprechen sein. Der Kunde wird es im Konditio-
nenvergleich mit anderen Banken wissen wollen. Auch die Praxis der Offenlegung des bank-
internen Ratings durch einige Kreditinstitute könnte die weniger auskunftsfreudigen Banken
sukzessive in Erklärungsnotstände bringen.
Die Offenlegung des bankinternen Ratings zwingt Banken potenziell in ein Dilemma. Attrak-
tiven Kunden kann ihre gute Bonität nicht länger verborgen bleiben, so dass Gewinnmargen
weiter unter Druck geraten. Gibt die Bank das Rating preis, liefert sie dem Kunden nicht nur
die Preisinformation, mit der er bei anderen Kreditinstituten um günstigere Offerten zu bitten
vermag, sondern erleichtert den Wettbewerbern zugleich die Urteilsbildung. Schlecht klassi-
fizierten Kunden zeigt das Rating möglicherweise Ansatzpunkte für Argumentationen, die die
Konditionenverhandlungen aus Sicht der Bank nicht erleichtern.
Ein hervorragendes Rating wirkt zudem wie ein Aval. Die qualifizierte Bonitätsbeurteilung
der Bank in Form eines Ratings ist für Dritte interessant, die sich sonst Bankbürgschaften
beibringen lassen, um Geschäfte mit KMU zu betreiben. Die Weitergabe des Ratings bewirkt
beim KMU eine Wertschöpfung, für die die Bank bisher kein Entgelt zu fordern in der Lage
ist. Die Besprechung des Ratings wird eine zentrale Rolle im regelmäßigen, bei mittelmäßi-
gen bis schlechten Bonitätsrisiken im laufenden Austausch zwischen Kunde und Betreuer
spielen müssen. Der Kunde erfährt dadurch konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung seiner
Kreditwürdigkeit aus Sicht der Bank und kann durch gezielte Maßnahmen deren Vertrauen in
die unternehmerische Qualifikation und die Führung des Unternehmens stärken.
Wesen und Bedeutung des Finanzratings 11
Die Skandale um Enron 2002 und Parmalat 2004 gaben weltweit Anlass zu Diskussionen
über Rolle und Funktion von Ratingagenturen, so auch unter den Finanzministern und Parla-
mentariern in der EU. Die Europäische Kommission beauftragte daher das CESR zu prüfen,
inwiefern Maßnahmen zur Regulierung von Ratingagenturen sinnvoll seien. Die dazu gebil-
dete Arbeitsgruppe legte am 30. März 2005 die Ergebnisse ihrer Beratungen vor.
Nach dem Prinzip „garbage in, garbage out“ muss jedes Finanzrating fehlleiten, wenn sich
die Betrachtung des Unternehmens auf die vom Schuldner selbst vorgelegten Jahresabschlüs-
se beschränkt. Fehlerhafte Darstellungen in der Bilanz, in der Gewinn- und Verlustrechnung
sowie im Lagebericht und im Anhang müssen sich auf das Finanzrating auswirken, wenn
dieses in starrer Verbindung aus Finanzkennzahlen ermittelt wird, die sich aus den Angaben
der Jahresabschlüsse errechnen lassen.
Seit längerem befasst sich die bereits genannte IOSCO mit der Frage der Regulierung von
Ratingagenturen. Ein wichtiges Datum in diesem Prozess war der 23. Dezember 2004, an
dem der „Code of Conduct Fundamentals for Credit Rating Agencies“ veröffentlicht wurde.
Diese (für die Agenturen unverbindlichen) Prinzipien befassen sich mit der Qualität des Ra-
tingprozesses, der Unabhängigkeit der Agenturen, möglichen Interessenkonflikten, der
Transparenz von Ratingentscheidungen sowie der vertraulichen Behandlung der Daten analy-
sierter Unternehmen.
Auf EU-Ebene votiert die Ausschussmehrheit des CESR dafür, nach Maßgabe der IOSCO-
Vorschläge der Selbstregulierung der Ratingagenturen eine Chance zu geben. Mit gesetzgebe-
rischen Maßnahmen ist somit vorerst nicht zu rechnen. Seitens der Ratingagenturen dürfte es
aufgrund dieses Vorschlags keine Verhaltensänderungen geben, da sie bereits alle an sie zu
stellenden Anforderungen erfüllt sehen. Bleibt als Effekt des aufwändigen Konsultationsver-
fahrens, dass sich die Ratingagenturen über die Eventualität einer Regulierung der Ra-
tingbranche klarer wurden.
Über die Anerkennung unabhängiger Ratingagenturen richtet in den USA die SEC, die nach
Absprache mit gewichtigen Marktteilnehmern in den USA marktakzeptierte Ratingagenturen
in den Status einer Nationally Recognized Statistical Rating Organization (NRSRO) erhebt.
Neben Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch Ratings kam dafür nach Ansicht der US-
Aufsichtsbehörde bisher nur die kanadische Dominion Bond Rating Service (DBRS) in Be-
tracht. Diese Agentur wurde 2003 als bis heute einzige ausländische Adresse anerkannt. Erst
im März 2005 beeilte sich die Division of Market Regulation der SEC, der seit 1899 auf
Finanzkraftanalysen für Versicherungsgesellschaften spezialisierten A. M. Best aus Oldwick,
New Jersey, USA, ebenfalls den Status einer NRSRO für Versicherungsratings zuzubilligen.
Die bekannten Skandalinsolvenzen haben jedoch eine kontroverse Diskussion um die Frage
der Regulierung der Ratingagenturen entbrennen lassen. In den USA gelten die bisherigen
12 Oliver Everling
Da das Erfordernis der Regulierung letztlich auf den rechtlichen Wirkungen beruht, die den
Urteilen von Ratingagenturen in zahlreichen Rechtsverhältnissen zukommen, empfiehlt die
CESR unter anderem folgerichtig, den Gesetzgeber möglichst nicht weiter zur Verwendung
von Ratings zur Regulierung der Geld-, Kredit- und Kapitalmärkte sowie ihrer Marktteil-
nehmer zu ermutigen, sondern Rechtsverhältnisse im Gegenteil möglichst ohne Bezug auf die
von Ratingagenturen geäußerten Meinungen zu regeln.
In umfassenden internationalen Regelwerken wie Basel II sind Ratings unabhängiger Agentu-
ren jedoch selbstverständlicher Anknüpfungspunkt zahlreicher Bestimmungen. Mit der Frage
der Anerkennung von Ratingagenturen als „externen Bonitätsbeurteilungsinstitutionen“ (Ex-
ternal Credit Assessment Institutions, ECAI) verbindet sich die Frage nach der Eigenmittel-
unterlegung im Kreditgeschäft. Auf die ordnungsgemäße Arbeitsweise der Ratingagenturen
kommt es daher an, selbst wenn in Deutschland – anders als in den meisten anderen Staaten –
primär bankinterne Ratings die Funktionen der Risikodifferenzierung übernehmen.
Die Anerkennung einer Ratingagentur kann nicht ohne konkrete Vorstellungen über deren
Arbeitsweise erfolgen. In „CESR’s technical advice to the European Commission on possible
measures concerning credit rating agencies – Feedback Statement“ werden Schwierigkeiten
benannt, denen sich der Gesetzgeber bei einer Regulierung der Ratingbranche stellen müsste:
Der Begriff Ratingagentur ist zu definieren. Würde jede Organisation, die mit dem öffent-
lichen Skalieren von Kreditrisiken befasst ist, als Ratingagentur bezeichnet, wären auch
Auskunfteien Gegenstand der Regulierung.
Die Definition des Begriffs Credit Rating gilt für aufsichtsrechtliche Zwecke als zu vage
und lässt Rechtsunsicherheiten zu.
Die für den Begriff Unsolicited Rating maßgebliche Frage der Auftragserteilung für das
Rating erweist sich in der Ratingpraxis als wenig sinnvolles Unterscheidungskriterium,
um die Güte von Ratingurteilen zu differenzieren.
Die Regulierung von Ratingagenturen ändert zunächst nichts an den Markteintrittsbarrie-
ren, denen sich neue Wettbewerber gegenübersehen.
Die Forderung nach Transparenz der Ratingsysteme steht im Konflikt mit dem Bedürfnis
der Emittenten nach vertraulicher Behandlung weitergegebener Daten und damit mit dem
Anspruch nach treffgenauen Ratingurteilen: Gründen Ratings nur auf öffentlichen Infor-
mationen, tragen sie weniger zur Information der Marktteilnehmer bei.
Überlässt man die Beantwortung von Zweifelsfragen im Ratingkontext dem Richterrecht,
dürften sich viele Gerichte überfordert sehen, Urteile zu sprechen, die den komplexen wirt-
schaftlichen Zusammenhängen gerecht werden. Daher dürfte die Regulierung der Ra-
tingbranche unvermeidbar sein.
Schon wer eine Legaldefinition des Wortes Ratingagentur anstrebt, muss konkrete Vorstel-
lungen von den Aufgaben und Funktionen der Ratingagenturen besitzen. Die Wahrnehmung
dieser Aufgaben und Funktionen bedingen bestimmte aufbau- und ablauforganisatorische
14 Oliver Everling
Literatur
Literatur
Die Begriffe Finanzanalyse und Bilanzanalyse werden in der Literatur und in der Praxis
üblicherweise synonym gebraucht. Diesem Ansatz folgen wir auch in unserem Beitrag.
Gleichwohl soll zunächst auf die enge Fassung des Begriffs Finanzanalyse eingegangen
werden.
Im ursprünglichen Sinn versteht man unter einer Finanzanalyse die Analyse der Liquiditätssi-
tuation eines Wirtschaftssubjektes (hier einer Unternehmung). Dabei kommen zwei Betrach-
tungen vor:
1. Die statische Finanzanalyse setzt sich mit der Höhe der Liquidität und der Struktur
der liquiden Mittel zu einem bestimmten Zeitpunkt auseinander.
2. Die dynamische Finanzanalyse versucht, das Zustandekommen von Liquiditätsverän-
derungen in einem Zeitraum zu analysieren, zu bewerten und gegebenenfalls zu prog-
nostizieren.
Folgt man diesem Gedankengang, so steht im Mittelpunkt jeder Finanzanalyse die nachfol-
gende Grundgleichung:
(1) LM t LM t 1 Et ,t 1 At ,t 1
Danach sind die liquiden Mittel LMt zu einem bestimmten Zeitpunkt t das Ergebnis aus dem
Anfangsbestand an Liquidität LMt–1, den Einnahmen Et,t–1 des Zeitraumes t–1 bis t und den
entsprechenden Ausgaben At,t–1 dieses Zeitraumes. Jede Finanzanalyse führt letztlich zu den
Komponenten dieser intuitiv eingängigen Grundgleichung. Die Probleme der Finanzanalyse
beginnen, sobald man die nachfolgenden, für die Praxis relevanten Fragen stellt:
Welche Datengrundlagen sind für die Finanzanalyse einer Unternehmung heranzuziehen?
Für welchen Zeitraum sollte die Finanzanalyse durchgeführt werden?
Was versteht man unter Liquidität und aus welchen Positionen setzt sich die Liquidität
zusammen?
An welche Adressaten richtet sich die Finanzanalyse?
Welche Ziele werden mit der Finanzanalyse verfolgt?
Ist die Finanzanalyse, wie von uns vertreten, nur eine andere Bezeichnung für eine umfassen-
de Bilanzanalyse, so bieten sich als Datengrundlagen die in Geschäftsberichten jeweils veröf-
Finanzanalyse und Finanzrating 17
fentlichten Informationen an. Abbildung 1 beschreibt, welche Daten auf Basis eines Ge-
schäftsberichtes im Rahmen des Finanzreporting (Financial Reporting) potenziell zur Verfü-
gung stehen. Dieser Bezug auf Bilanzdaten bei der Finanzanalyse ist im Zusammenhang mit
dem Rating besonders sinnvoll, weil Bilanzdaten als „hard facts“ den Kern jedes Unterneh-
mensratings bilden.
Bei Wahl der Bilanz als Datengrundlage gelten alle Positionen der Bilanz mit Zahlungsmit-
telcharakter oder Fast-Zahlungsmittelcharakter wie Bargeld, Bankguthaben oder kurzfristig
ausgerichtete Wertpapierbestände als liquide Mittel. Aus dem Bilanzzusammenhang folgt
dann, dass der Liquiditätsbestand LMt – alternativ zur Gleichung (1) – auch als Restgröße der
übrigen Bilanzpositionen berechnet werden kann. Es gilt:
Nach Gleichung (2) resultiert der Bestand an liquiden Mitteln LMt aus dem Bestand an Ei-
genkapital EKt und dem Bestand an Fremdkapital FKt abzüglich dem Bestand an Anlagever-
mögen AVt und dem Bestand an Netto-Umlaufvermögen NUVt. Die Gleichung (2) ist für die
statische Finanzanalyse von erheblicher Bedeutung. Mit ihrer Hilfe können die Bilanzpositi-
onen perspektivisch nach ihrem Liquiditätscharakter aufbereitet werden. Vermögenspositio-
nen, die sich relativ leicht und ohne Verlust in liquide Mittel transferieren lassen, und Fremd-
kapitalpositionen, die kurzfristig zur Inanspruchnahme von Liquidität führen, können in
einem Liquiditätsstatus zusammengefasst und für Analysezwecke herangezogen werden.
Gleichung (2) führt in Verbindung mit Gleichung (1) zum wichtigsten Instrument der exter-
nen dynamischen Finanzanalyse: zur Kapitalflussrechnung oder – verwendet man den engli-
schen Begriff – zur Cashflow-Analyse. Um die Größen zur Cashflow-Analyse zu berechnen,
wird die Veränderung des Liquiditätsbestandes (der „Cashflow“) aus den Veränderungen der
verbleibenden Bilanzpositionen von Gleichung (2) herangezogen. Diesem Ansatz werden wir
in unserem Beitrag folgen. Wie Abbildung 1 zeigt, besteht für die Finanzanalyse ein alterna-
tiver Weg. Sie könnte sich der veröffentlichten Cashflow-Daten in Form des so genannten
Cashflow-Statements bedienen. Ein solcher Ansatz ist aber sehr speziell und nur auf große,
publizierende Unternehmen anwendbar.
CFS
Die generelle Zielsetzung der Finanzanalyse besteht darin, auf der Basis von Jahresabschlüs-
sen eine verdichtete Informationsvermittlung derart vorzunehmen, dass die verschiedenen
Interessenten ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der wirtschaftlichen
Lage eines Unternehmens, konkret der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage erhalten. Die so
definierte Finanzanalyse erfüllt generell drei Funktionen:
Information. Informationsverdichtung und Transparenz hinsichtlich Wechselwirkungen
und Zusammenhängen von unternehmensrelevanten wirtschaftlichen Vorgängen.
Finanzanalyse und Finanzrating 19
Eugen Schmalenbach hat vor nahezu 90 Jahren mit seiner dynamischen Bilanztheorie die
Zielsetzung einer Bilanz auf die periodengerechte Erfolgsermittlung ausgerichtet. Gemeint ist
damit die Ermittlung des von Periode zu Periode vergleichbaren Erfolges als Maßstab der
Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Die Bilanz (inklusive Gewinn- und Verlustrechnung)
sollte nach Schmalenbachs Vorstellung vorrangig als Instrument der internen Betriebssteue-
rung dienen. Mit seinem Ansatz der dynamischen Bilanz hat Schmalenbach den periodenbe-
zogenen Erfolg als zentrale Steuerungsgröße eines Unternehmens implementiert und die
Erfassung und Steuerung von Einnahmen und Ausgaben in eine nachrangige Position verwie-
sen. Abgesehen von wenigen kleineren Unternehmen ist es kaum möglich, heutige Unter-
nehmen in gedanklich isolierbare Teilprojekte zu gliedern und hinsichtlich ihrer vielfältigen
Produkt-, Markt- und Innovationszyklen über ihre Einnahmen- und Ausgabenwirkungen zu
steuern. Leider löst Schmalenbach mit seiner dynamischen Bilanztheorie nur scheinbar das
betriebswirtschaftliche Problem der „richtigen“ Steuerungsinformationen.
Schmalenbachs Ansatz der dynamischen Bilanztheorie führt bei genauerer Betrachtung zu
folgendem, nicht auflösbarem Antagonismus: Die periodengerechte Erfolgsermittlung ist erst
möglich durch Bewertung eines „Schwebezustandes“ hinsichtlich noch nicht realisierter
20 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Als Fazit für die Finanzanalyse und Finanzsteuerung bleibt deshalb festzuhalten, dass nur ein
komplexer, mehrdimensionaler Analyseansatz brauchbare Näherungslösungen liefern kann.
Sowohl die periodengerechte (aufs Jahr bezogene) Erfolgsermittlung nach Markt- oder Vor-
sichtsgesichtspunkten ist notwendig als auch eine reine Finanzanalyse, die sich über mehrere
Zeitperioden erstreckt und an Investitionszyklen des Unternehmens orientiert.
Lange Zeit haben die Vertreter der empirischen Finanzanalyse suggeriert, durch den Einsatz
komplexer statistischer Verfahren würden sich alle analytischen Probleme wie von selbst
auflösen. Sie argumentieren, dass auch sich widersprechende Teilurteile über eine Unterneh-
mung (zum Beispiel hohe Rentabilität und eine schlechte Liquiditätssituation) zu einem ob-
jektiven Gesamturteil zusammengefasst werden könnten. Die auf dem individuellen Sach-
verstand des Analytikers basierende Finanzanalyse hat nach ihrer Meinung nicht diese Leis-
tungsfähigkeit und führt aufgrund ihrer Subjektivität häufig zu falschen Beurteilungen. Die
empirisch-statistischen Verfahren zeichneten sich dadurch aus, dass alle Informationen einer
Bilanz in Form eines Bilanzbonitätsindikators objektiviert werden könnten. Durch Projektion
dieses Bonitätsindikators auf eine Ratingskala entstehe das objektive und sachgerechte Fi-
nanzrating. Für jede Unternehmung ließe sich mit Hilfe dieser Methode ein Gesamturteil
bilden und schnell und kostengünstig die zugehörige Ausfallwahrscheinlichkeit ermitteln.
Bei der Umsetzung der Basel-II-Richtlinien für den IRB-Ansatz (das so genannte interne
Rating der Banken) hat die deutsche Bankenaufsicht (BaFin) scheinbar die Dominanz der
Statistik über das analytische Urteil festgeschrieben. Durchgehend haben die verschiedenen
Bankensysteme in Deutschland auf statistischer Grundlage ein Rating entwickelt, das vor-
nehmlich Finanzdaten als harte und umfangreich zur Verfügung stehende Informationsgrund-
Finanzanalyse und Finanzrating 21
lagen nutzt. Vor diesem Hintergrund muss man sich natürlich die Frage stellen, welcher Platz
für die Finanzanalyse bleibt. Denn nur in Ausnahmefällen darf nach den mittlerweile formu-
lierten Grundsätzen ordnungsgemäßen Ratings (GoR) das Ratingergebnis durch ein „Overru-
ling“ außer Kraft gesetzt werden. Mit dem englischen Wort Overruling ist gemeint, dass der
standardisierte Ratingvorgang (die Regelklassifizierung) durch eine unsystematische Einzel-
fallentscheidung ersetzt werden kann. Aber gerade auf Einzelfallentscheidungen basiert die
Finanzanalyse. Sie setzt betriebswirtschaftlichen Sachverstand des Untersuchenden voraus
und steht und fällt mit den spezifischen Erfahrungen des Analysten.
Im Folgenden wird gezeigt, dass ein Finanzrating allein – unter Außerachtlassung der be-
triebswirtschaftlichen Kompetenz eines Analysten – durchaus zu Fehlurteilen führen wird.
Deshalb ist es nur vernünftig, die betriebswirtschaftlich orientierte Finanzanalyse und das
statistisch ausgerichtete Finanzrating als einander ergänzende Ansatzpunkte zur Bestimmung
der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens einzusetzen.
Der Glaube, die Finanzanalyse könne aufgrund der Dominanz der statistisch fundierten Ra-
tingsysteme vernachlässigt werden, ist vordergründig und letztlich falsch.
Banken, die sich für ein internes Rating nach Basel II entschieden haben (IRB-Ansatz), müs-
sen alle Kreditnehmer vor Kreditvergabe raten bzw. einem homogenen Pool – mit gegebe-
nenfalls vereinfachten Regeln – zuführen. Die Ergebnisse dieser Risikoklassifizierung sind
bei der Gestaltung der Kreditprozesse, der Gesamtbanksteuerung und vor allem auch bei der
Preisgestaltung am Markt zu berücksichtigen. Diese umfassende Integration der Rating-
methode in die bankbetrieblichen Prozesse und Entscheidungen wird von der Bankenaufsicht
bewusst angestrebt, um die Stabilität des Finanzsystems weiter zu fördern. Rating soll letzt-
lich zu einer veränderten Kreditkultur führen. Dieser Prozess ist in vollem Gang und wird
sowohl den Anbietern von Krediten als auch den Nachfragern durch einen Rückgang des
Kreditgeschäftes auf Seiten der Banken einerseits bzw. verschlechterte Investitionsbedingun-
gen auf Seiten der Unternehmen andererseits zum Teil schmerzlich bewusst.
Die gerade in der Übergangsphase zu beobachtenden Verwerfungen hängen möglicherweise
mit einer Fehlinterpretation des Basel-II-Ratings zusammen. Beim Basel-II-Rating handelt es
sich um ein so genanntes Point-in-Time-Rating: Basis für die Risikobetrachtung ist der heuti-
ge, standardisierbare Informationsumfang (meistens vergangenheitsorientiert und stark auf
Bilanzen bezogen) mit einem Prognosezeitraum von einem Jahr und dem Risikomerkmal
22 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Default (in der Regel 90 Tage Zahlungsverzug). Davon abzugrenzen ist das Through-the-
Cycle-Rating, das von externen Ratingagenturen eingesetzt wird, viel stärker auf Unterneh-
menspotenziale abstellt und zukunftsorientierte, langfristige Auswirkungen von Strategien in
das Ratingurteil einbezieht. Dies bedeutet, dass die Unternehmensbeurteilung über einen
mittelfristigen Zeitraum vor dem Hintergrund erkennbarer Investitions- und Konjunkturzyk-
len von in der Regel zwei bis vier Jahren erfolgt.
Der im jetzigen IRB-Rating fehlende methodische Ansatz zur Einbeziehung von Investitions-
zyklen und langfristigen Entwicklungen könnte durch eine sinnvoll konzipierte Finanzanaly-
se geschlossen werden. Für Banken mit einem IRB-Rating wären dabei drei Einsatzfelder zu
nennen:
Finanzanalyse als Bestandteil eines strategisch ausgerichteten Frühwarnsystems.
IRB-Banken sind zur möglichst frühzeitigen Identifizierung von Risikopotenzialen gehal-
ten, ein Frühwarnsystem einzurichten. Für diese Zwecke haben die Banken auf Basis
quantitativer und qualitativer Risikomerkmale Indikatoren für eine frühzeitige Risikoiden-
tifizierung zu entwickeln. Frühindikatoren für Kreditrisiken sind in ihrer Verfügbarkeit be-
grenzt und nur individuell festlegbar. Es kann deshalb nicht angenommen werden, dass
zugelassene IRB-Verfahren auf Basis ihrer Risikofaktoren auch die Eigenschaft eines
Frühwarnsystems haben. Unmittelbar einleuchtend ist die Notwendigkeit eines Frühwarn-
systems im Investitionsfall des Kreditnehmers, speziell wenn die Investition die strategi-
sche Ausrichtung des Unternehmens am Markt verändert und/oder mit erheblichen Ent-
wicklungsrisiken verbunden ist.
Finanzanalyse als Bestandteil des Kundengesprächs. Rating führt bei richtigem Einsatz
zur Automatisierung von Kreditprozessen. Im Standardgeschäft erbringt ein gutes Rating-
verfahren aufgrund geringer Kosten erhebliche Ertragsverbesserungen. Anders sieht es bei
Individualkunden aus. Ihnen verkauft man erklärungsbedürftige und/oder vertrauensemp-
findliche Produkte. Automatisierte Kreditprozesse dürften in diesem Marktsegment kaum
Vorteile bringen. Individuell ausgerichtete Kundengespräche sind in diesem Umfeld wei-
terhin ein wichtiger Vermarktungsansatz. Auch sollte man nicht unerwähnt lassen, dass ge-
rade mittelständische Unternehmen von ihrer Beraterbank „mehr als Geld und Zinsen“
erwarten. Eine optisch professionell dargestellte Unterlage in Verbindung mit einem quali-
fizierten Auftritt des Kundenberaters dürfte ihre Wirkung nicht verfehlen.
Finanzanalyse und Finanzrating 23
Finanzanalyse als Bestandteil des Ratingprozesses. Basel II sieht vor allem in drei
Fällen eine Ergänzung oder Modifikation des „regelbasierten“ Ratingprozesses vor. Das
Overruling wurde bereits als eine dieser Ausnahmen erwähnt. Die beiden anderen Fälle
sind die eigens zu behandelnden Problemkredite und Engagements, die aufgrund ihres hö-
heren Risikos einer Intensivbetreuung zu unterziehen sind.
Die Mehrzahl der mittelständischen Banken wird kein IRB-Rating durchführen. Beigetragen
dazu haben sicherlich Kostenüberlegungen für die Aufrechterhaltung des Systems und die
Überlegungen der Bankenaufseher, ausschließlich Vor-Ort-Prüfungen bei der beantragenden
Bank durchzuführen. Die Überforderung einer durchschnittlichen Privatbank, Sparkasse oder
Genossenschaftsbank liegt auf der Hand. Deshalb bietet es sich gerade für viele mittelständi-
sche Banken als Absicherungsstrategie an, unter Nutzung der bisher empirisch-statistisch
entwickelten Instrumente eine ergänzende Finanzanalyse möglichst „regelbasiert“ zu instal-
lieren und die Vorteile eines Through-the-Cycle-Ratings zu nutzen. Dies gilt vor allem dann,
wenn man sich als Beraterbank versteht und an einer langfristigen Kundenbeziehung interes-
siert ist. Grundlage dafür sollten betriebswirtschaftliche Indikationen im Kundengespräch
sein, die durch vertiefende Finanzanalysen gewonnen werden können.
Unternehmen und ihre externen Berater wie Wirtschaftsprüfer, Finanz- oder Steuerberater
haben das Problem, dass die Banken ihre Ratingsysteme wie ein Betriebsgeheimnis hüten
und nur zu einer vagen Außendarstellung bereit sind. Die am Markt angebotenen Software-
systeme tragen zwar die Verkaufslabel „Rating“ und „Basel II“, sind aber bestenfalls nur als
Näherungslösungen einsetzbar. Dies gilt schon deshalb, weil sich die Ratingsysteme der
einzelnen Banken hinsichtlich Exposure-Einteilung, Umsetzung der Default-Definition, ver-
wendetem Bilanzmaterial oder statistischer Verfahren im Detail erheblich unterscheiden.
Durch die aufsichtlichen Anforderungen zur ständigen Weiterentwicklung und Verbesserung
der Systeme handelt es sich zudem um ein „bewegliches Ziel“, das man extern schwer fixie-
ren kann. Statt einen fremden Rückspiegel nachzubilden, sollten sich Unternehmen deshalb
stärker zukunftorientiert aufstellen und die Konsolidierung der eigenen Steuerungssysteme
mit den betriebswirtschaftlichen „Kernelementen“ veröffentlichter externer Ratings suchen.
Für diese Zielsetzung lassen sich die Anforderungen wie folgt formulieren:
Die Finanzanalyse sollte die wesentlichen Schwachstellen und Stärken eines Unterneh-
mens sowie Chancen und Risiken der unternehmerischen Tätigkeit transparent machen,
das heißt konkret, sie sollte eine Verknüpfung
mit der Strategiefindung, mit strategischen Analysen und speziell mit der Planung
und Bewertung von Investitionen sowie
24 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Die Aufgabe des Analytikers besteht darin, „belastbare“ Hypothesen für die verschiedenen
Fragestellungen der Adressaten einer Finanzanalyse zu formulieren. Im Kern geht es dabei
um zwei Punkte:
Wie sind die bisherigen Ergebnisse des Unternehmens zustande gekommen?
Wie werden sich die Ergebnisse des Unternehmens in der absehbaren Zukunft entwickeln?
Die Beantwortung dieser Fragen verlangt, dass der Analytiker in der Lage ist festzustellen,
was sich hinter den vorgelegten Bilanzzahlen verbirgt. Nach Abbildung 2 setzt dies beim
Analytiker einmal die fundierte Kenntnis der unternehmerischen Aktivitäten, der Erfolgspo-
tenziale und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen voraus und zum anderen sind solide
Kenntnisse der Eigenheiten der jeweiligen Rechnungslegungssysteme und der damit zusam-
menhängenden bilanzpolitischen Maßnahmen gefragt.
Finanzanalyse und Finanzrating 25
Grundsätze der
Unternehmerische Rechnungslegung
Aktivitäten, Erfolgs- (HGB, EStG, US-
potenziale und wirt- GAAP) und Bi-
schaftliche Rahmen- Finanzre-
lanzpolitik des porting
bedingungen Managements: (Bilanzen)
Bilanzierungsme-
thoden, Bewer-
tungsverhalten
und Sachverhalts-
gestaltungen
Ausgangspunkt jeder Finanzanalyse ist die Bilanz. Auf der Aktivseite befinden sich die Ver-
mögensgegenstände und auf der Passivseite das Eigenkapital und die Schulden. Die wesentli-
chen Aspekte bei der Analyse einer Bilanz sind:
Liquidität. Einblick in die Liquidität liefert die Gliederung der Bilanzpositionen nach
ihrer Liquidierbarkeit. Den höchsten Liquiditätsgrad haben die liquiden Mittel, also Posi-
tionen wie Kasse, Bankguthaben oder handelbare Wertpapiere. Unter Liquiditätsgesichts-
punkten sind Positionen des Anlagevermögens wie Spezialmaschinen oder Betriebs-
grundstücke eher problematisch. Dies gilt auch für immaterielle Vermögensgegenstände
wie Handelsmarken, Entwicklungen, Patente etc., die durchaus einen erheblichen Teil des
Unternehmenswertes ausmachen können. Ein hoher Anteil sehr liquider Vermögensteile an
der Bilanzsumme wirkt sich risikomindernd aus, denn dadurch steigt die Reaktionsfähig-
keit auf zukünftige, unvorhergesehene Ereignisse.
26 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Langfristige Rückstellungen 88 95
Langfristige Bankschulden 325 200
Sonstige Verbindlichkeiten 405 50
Anlagevermögen 1.618 1.699 Langfristiges Fremdkapital 818 345
Kapitalausstattung. Das Eigenkapital verkörpert den Anspruch der Eigentümer auf eine
Restgröße, nämlich auf die Differenz zwischen Vermögen und den finanziellen Verpflich-
tungen des Unternehmens, die als Fremdkapital auszuweisen sind. Ein hohes Eigenkapital
senkt das Risiko, dass ein Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach-
kommen kann. Die Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremdkapital ist aufgrund der zu-
nehmenden Bedeutung von hybriden Finanzierungsformen (Genussscheine, Anteile stiller
Gesellschafter etc.) nicht ganz einfach.
Betriebsbezogenheit. Nicht betriebsnotwendige Vermögensteile oder Anlagen im Bau
rechnen nicht zum produktiv eingesetzten Vermögen und tragen damit kaum zur Erfolgs-
entstehung bei. Deshalb sollten sie bei Rentabilitätsanalysen separat in einer aufzuberei-
tenden Bilanz dargestellt werden.
Bewertung. Die Wertansätze der Bilanz sind Buchwerte im Rahmen des jeweiligen Rech-
nungssystems. Die Unterschiede in der Bewertung zwischen Steuerbilanz, Handelsbilanz
oder Bilanzen nach IFRS bzw. US-GAAP (Generally Accepted Accounting Principles)
sind zum Teil erheblich und müssen im Einzelfall intensiv analysiert werden. Von den
Wertansätzen der Bilanz sind die tatsächlich am Markt erzielbaren Verkaufspreise abzu-
grenzen, die fast immer temporären Schwankungen unterliegen.
Finanzanalyse und Finanzrating 27
Aufgrund ihres Stichtagbezuges ist jede vorgelegte Bilanz, wie Schmalenbach formulierte,
die „Momentaufnahme eines Bewegungsablaufes“. Das heißt: Die isolierte Betrachtung einer
einzelnen Bilanz kann zu erheblichen Fehlbeurteilungen führen, vor allem, wenn durch Be-
wertungen im Vorratsbereich, bei Forderungen, Rückstellungen oder im Anlagevermögen das
dargestellte „Bilanzbild“ gezielt „geschönt“ worden ist. Auf diesen Sachverhalt werden wir
noch näher eingehen, wenn wir den von uns „bilanzpolitisch gestalteten“ Jahresabschluss des
fiktiven Unternehmens „Manipulation“ unter Finanzaspekten eingehender diskutieren. Die
Bilanzzahlen für dieses Beispiel befinden sich in Abbildung 3.
Zum Jahresabschluss einer Unternehmung gehört neben der dargestellten Bilanz zwingend
noch die Erfolgsrechnung (vgl. Beispiel in Abbildung 4). Die Erfolgsrechnung ist keine
Stichtagsrechnung, sondern eine Stromgrößenrechnung. Die Erfolgsrechnung liefert mit dem
Gewinn als Saldo zwischen Ertrag und Aufwand einer Periode die zentrale Größe für die
Unternehmenssteuerung. Durch die zeitlich angemessene Abgrenzung von Einnahmen und
Ausgaben wird die periodengerechte Erfolgsermittlung sichergestellt. Bei der Analyse einer
Erfolgsrechnung spielen folgende Aspekte eine wesentliche Rolle:
28 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
2.2.3 Kennzahlenanalyse
Finanzkennzahlen sind Verhältniszahlen, die Positionen der Bilanz zu Positionen der Erfolgs-
rechnung in Beziehung setzen. Mit ihrer Hilfe wird der Aussagegehalt von Bilanz und Er-
folgsrechnung in verdichteter Form dargestellt. Durch entsprechende Strukturierung und
Gliederung sollen wirtschaftlich relevante Steuerungstatbestände bewusst gemacht werden.
Deshalb spielt die Kennzahlenbildung und die Gliederung der Kennzahlen nach übergeordne-
ten betriebswirtschaftlichen Perspektiven eine erhebliche Rolle. Bis heute gibt es für dieses
Problem weder eine überzeugende theoretische Lösung noch hat die viel beschworene empi-
rische Forschung zu einem entscheidenden Durchbruch verholfen. Statt wissenschaftlicher
Fundierung findet man nach wie vor in Lehrbüchern und in der Praxis die Überfrachtung der
Analysen mit einer Vielzahl von Kennzahlen, den „Kennzahlenfriedhof“. Wir stellen deshalb
in Abbildung 5 nur beispielhaft einige wesentliche Kennzahlen vor, die nach vier betriebs-
wirtschaftlichen Gesichtspunkten gegliedert sind:
Liquidität. Liquiditätskennzahlen stellen Anspannungskoeffizienten dar zwischen der
verfügbaren Liquidität und den kurzfristig anstehenden Zahlungsverpflichtungen gemäß
Bilanz. Im Beispielunternehmen „Manipulation“ wird die Liquiditätssituation mit einer
Kennzahl von über 100 positiv abgebildet. Indirekt kann bei einem Wert über 100 ge-
schlossen werden, dass die Unternehmung fristenkongruent finanziert ist, das heißt nicht
nur alle langfristig gebundenen Vermögensteile sind langfristig finanziert, sondern darüber
hinaus auch noch kurzfristig gebundene Vermögensteile.
Aktivität. Umschlagkennzahlen bilden die Aktivitäten des Managements ab. Durch Um-
rechnung auf Jahresbasis erhält man statt der Umschlaghäufigkeiten Verweildauern, etwa
durchschnittliches Zahlungsziel oder durchschnittliche Lagerdauer. In diesen Aktivitäts-
kennzahlen spiegelt sich im Besonderen die Effizienz der Betriebsorganisation (Prozesse,
Steuerungskonzepte, Innovationsfähigkeit der Mitarbeiter etc.) wider. Umschlagkennzah-
Finanzanalyse und Finanzrating 29
len zeigen auf, wie effektiv das investierte Vermögen eingesetzt worden ist, und sie ver-
weisen auf Kapitalbindungen. Sie liefern deshalb nicht nur Rentabilitäts-, sondern auch
Liquiditätsaussagen. Insgesamt stehen sinkende Umschlagkennzahlen für Verschlechte-
rungen in der Liquidität, für Fehlinvestitionen, für Unwirtschaftlichkeiten in den Prozes-
sen, für schlechte Anpassungen an Marktgegebenheiten oder auch für Bilanzgestaltungen.
Isoliert sagen diese Kennzahlen wenig aus. Notwendig sind Zeit- und Betriebsvergleiche.
In unserem Beispiel signalisieren die im Zeitablauf sinkenden Umschlagkennzahlen bzw.
die umgerechneten Verweildauern eine Verschlechterung der Unternehmenssituation.
Kapitalstruktur. Der Verschuldungsgrad misst die Zusammensetzung des Gesamtkapi-
tals. Eine hohe Ausstattung mit Eigenkapital ist unter Risikogesichtspunkten positiv zu se-
hen. Sie kann auch die langfristig gute Ertragskraft des Unternehmens dokumentieren. Der
im Beispiel dargestellte Wert von 154 Prozent ist, gemessen an der üblichen Kapitalaus-
stattung mittelständischer Unternehmen, überaus positiv. In die gleiche Richtung weist
auch die Zinsdeckung mit einem Deckungsfaktor, der fast das Sechsfache des notwendi-
gen Zinsaufwandes beträgt.
Rentabilität. Die Vielzahl der Rentabilitätskennzahlen kann in Margenkennzahlen und in
Kapitalkennzahlen untergliedert werden. Hohe Margenkennzahlen weisen darauf hin, dass
die Unternehmung entweder zu günstigen Kosten produzieren oder die eigenen Produkte
zu attraktiven Preisen am Markt positionieren kann oder dass Programmverbesserungen
gelungen sind. Die isolierte Analyse von Margenkennzahlen ist wenig aufschlussreich. Für
ihre Analyse sind der Zeitvergleich und/oder der Betriebsvergleich unabdingbar. Die ver-
schiedenen Kennzahlen zur Kapitalrentabilität geben Aufschluss über die Attraktivität des
Investments in die Unternehmung. Die für das Beispiel berechnete Eigenkapitalrentabilität
von fast 15 Prozent ist auf den ersten Blick sehr überzeugend. Nach dem Zeitvergleich
liegt für die Unternehmung Manipulation aber eine erhebliche Verschlechterung vor.
Die hier vorgenommene Kennzahlenanalyse liefert sicherlich wertvolle erste Anhaltspunkte
für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage. Es bleiben aber drei wesentliche Fragen offen:
Wie sollen die verschiedenen positiven und negativen Teilurteile gewichtet und zu einem
Gesamturteil zusammengeführt werden?
Wie vertrauenswürdig sind die vorgelegten Zahlen? Könnten nicht Bilanzgestaltungen
bzw. sogar Bilanzmanipulationen wie in den Fällen Enron oder Worldcom vorgekommen
sein?
Wie ist die Situation der Unternehmung strategisch unter Chancen-Risiko-Gesichtspunk-
ten zu bewerten?
30 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
1. Liquidität
Umlaufvermögen - Vorräte 2.623
= = 106,07%
Kurzfristiges Fremdkapital 2.473 Liquidität 2. Grades
(Vj. 78,62%)
2. Aktivität
Gesamtleistung 8.214
= = 151,33%
Gesamtkapital 5.428 Umschlagshäufigkeit
(Vj. 159,55 %)
Gesamtleistung 8.214
= = 325,56%
Forderungen 2.523 Forderungsumschlag
(Vj. 362,12 %)
360 360
= 296,80% = 121,29
Vorratsumschlag Lagerdauer
(Vj. 110,20)
3. Kapitalstruktur
Gesamtes Fremdkapital 3.291
= = 154,00%
Eigenkapital 2.137 Verschuldungsgrad
(Vj. 206,30 %)
Ordentliches Betriebsergebnis 638
= = 5,55
Zinsaufwand 115 Zinsdeckung
(Vj. 12,96)
4. Rentabilität
Jahresüberschuss 313
= = 14,65%
Eigenkapital 2.137 Eigenkapitalrentabilität
(Vj. 26,9 %)
Ordentliches Betriebsergebnis 638
= = 7,77%
Gesamtleistung 8.214 Marge
(Vj. 9,27%)
Das wohl älteste und bekannteste Kennzahlensystem geht auf die Firma E. I. Du Pont De
Nemours And Company, Wilmington, Delaware zurück. Die Grundidee des bei Du Pont
entwickelten Kennzahlenschemas basiert darauf, die Spitzenkennzahl Kapitalrentabilität in
weitere Unterkennzahlen und sie beeinflussende Bilanzpositionen zu untergliedern. Das
Prinzip der schrittweisen Tiefergliederung im Du-Pont-Schema zeigt Gleichung (3).
Zunächst wird die Gesamtkapitalrentabilität rGK (Gewinn zu Gesamtkapital, gemeint ist hier
der Gewinn vor Zinsen) zerlegt in die Komponenten Gewinnmarge (Gewinn zu Umsatz) und
Umschlaghäufigkeit (Umsatz zu Gesamtkapital). Der nächste Gliederungsschritt führt dazu,
dass der Gewinn in seine Komponenten Deckungsbeitrag und fixe Kosten unterteilt wird.
Danach – auf diese Untergliederung wurde in der Formel (3) verzichtet – könnten beispiels-
weise die fixen Kosten noch weiter aufgeteilt werden in Fertigungsgemeinkosten, Material-
gemeinkosten, Verwaltungsgemeinkosten und Vertriebskosten. Durch diesen pyramidenför-
migen Aufbau des Kennzahlensystems können die Verantwortungen der verschiedenen Ma-
nager für Umsätze, Kosten und Kapitaleinsatz in quantifizierbare Zielvorgaben umgesetzt
werden. Ergeben sich Abweichungen von diesen Zielvorgaben (zum Beispiel Unterschreitung
des Umsatzzieles in einem Profitcenter) kann die Geschäftsleitung die Auswirkungen auf die
Gesamtkapitalrentabilität sofort erkennen und Maßnahmen zur Gegensteuerung einleiten.
32 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Gew Ums GK
( 4) rEK
Ums GK EK
Berechnung der Komponenten zur Eigenkapitalrentabilität für die Firma Manipulation:
Für Planungszwecke können diese Faktoren direkt herangezogen werden. Die Marge steht für
Preis- bzw. Kostenplanungen und gegebenenfalls in Verbindung mit Programmplanungen, die
Umschlaghäufigkeit richtet sich nach den Umsatz- und Investitionsplanungen, und die Kapi-
talstruktur ist das Ergebnis der strategischen Finanzierungsplanung.
Ein berühmtes Beispiel für eine detaillierte Analyse zur Eigenkapitalrentabilität ist der be-
kannte Leverage-Effekt. Um die Auswirkungen der Kapitalstruktur auf die Eigenkapitalren-
tabilität hinsichtlich der Chancen und Risiken zu analysieren, wird der Fremdkapitalzins rFK
explizit in die Berechnung der Eigenkapitalrentabilität aufgenommen, und man erhält Formel
(5). Danach kann durch eine verstärkte Verschuldung (Aufnahme von Fremdkapital) die
Eigenkapitalrentabilität rEK gesteigert werden, wenn die Gesamtkapitalrentabilität rGK größer
ist als der Fremdkapitalzins rFK.
FK
(5) rEK EK rFK FK rGK ( EK FK ) rEK rGK (rGK rFK )
EK
Für das Beispiel Manipulation betrug die Gesamtkapitalrentabilität 2005 7,88 Prozent, ab-
geleitet aus dem Gewinn vor Zinsen 428.000 Euro (= 313.000 Euro plus 115.000 Euro), di-
vidiert durch das Gesamtkapital von 5.428.000 Euro. Bei einem Fremdkapital von insge-
Finanzanalyse und Finanzrating 33
samt 3.291.000 Euro und einem Zinsaufwand von 115.000 Euro beträgt der berechnete
Fremdkapitalzins 3,49 Prozent. Aufgrund der höheren Gesamtkapitalrentabilität von 7,88
Prozent resultiert pro Einheit Fremdkapital ein zusätzlicher Gewinn von 4,39 Prozent (=
7,88 Prozent minus 3,49 Prozent). Im Beispiel führt der Verschuldungsfaktor von 1,54 (Er-
gebnis aus dem Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital = 3.291.000 Euro dividiert
durch 2.137.000 Euro) zu einem Mehrwert oder einer zusätzlichen Wertschaffung aus Ver-
schuldung von 6,76 Prozent (= 1,54 mal 4,39 Prozent).
Rentabilität
rEK 14,64%
Chance 6,76%
rGK > rFK
rGK 7,88%
Verschuldung FK
EK
Der große Vorteil eines empirisch-statistisch abgesicherten Finanzratings besteht darin, dass
die verschiedenen Teilurteile der Finanzanalyse risikoadjustiert zu einem Gesamturteil zu-
sammengefasst werden können. Diese Methode ist sehr effizient für die Bewertung gewerbli-
cher oder industrieller Unternehmen bei homogenem Datenmaterial in einem statischen wirt-
schaftlichen Umfeld. Firmen, deren Wert wesentlich durch ihr Wissenskapital geprägt wird,
die in einem dynamischen Umfeld agieren, die lange Markt- und Technologiezyklen aufwei-
sen, die eine komplexe Gesellschaftsstruktur haben oder auch Firmen, die sich durch kreative
Bilanzierungsmethoden auszeichnen, werden durch ein derartiges Finanzrating tendenziell
falsch bewertet. Gleiches gilt für projekt- oder investitionsgeprägte Firmen oder Firmen, die
von einzelnen Handelsgeschäften abhängen.
Im Mittelpunkt des Finanzratings stehen Kennzahlen, die auf der Grundlage statistischen
Datenmaterials hinsichtlich ihrer Trennfähigkeit zusammengeführt werden. Die Veränderun-
gen im Finanzrating eines Unternehmens zeigen Verbesserungen oder Verschlechterungen in
der wirtschaftlichen Lage dieses Unternehmens an. Im „Normalfall“ liefert das Finanzrating
eine fundierte Risikoeinschätzung.
In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Finanzratings, die auf Basis unterschiedlicher Daten-
grundlagen und mit Hilfe unterschiedlicher Verfahren entstanden sind. Ratingagenturen oder
auch Banken haben mit erheblichem Aufwand ihre Ratingfunktionen entwickelt und hüten
deshalb ihre Kennzahlenfunktionen als Betriebsgeheimnis, so dass eine wissenschaftliche
Überprüfung schwierig ist. Bei bekannten Kennzahlen kann deshalb die Wissenschaft allen-
falls eine Nachbildung liefern. Wir haben Kennzahlen untersucht, die von Moody’s Risk
Management Services für die Kreditrisikoermittlung deutscher Unternehmen verwendet
werden:
K1 = Liabilities Structure = (Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen + Akzepte
+ Bankverbindlichkeiten) / (Fremdkapital – Erhaltene Anzahlungen)
K2 = Net Indebtedness = (Kurzfristiges Fremdkapital – Liquide Mittel) / Gesamtkapital
K3 = Equity Ratio = (Eigenkapital – Immaterielles Vermögen) / (Gesamtkapital – Immate-
rielles Vermögen – Liquide Mittel – Grundstücke und Gebäude)
K4 = EBITD = (Jahresüberschuss + Zinsaufwand + Steuern + Planmäßige Abschreibungen) /
Gesamtkapital
K5 = Profit on Sales = Ordentliches Betriebsergebnis / Umsatz
K6 = Debt Coverage = Ertragswirtschaftlicher Cashflow / (Fremdkapital – Erhaltene An-
zahlungen)
K7 = Trade Creditors = 360 (Akzepte + Verbindlichkeiten aus Lieferungen und
Leistungen) / Umsatz
Finanzanalyse und Finanzrating 35
Jahr Finanzrating
2000 0,5580
2001 0,6360
2002 0,7880
2003 1,2052
Am Beispiel des Sportartikelherstellers Puma wird deutlich, dass die ermittelte Kennzahlen-
funktion sehr gute Ergebnisse liefert. Die auf Basis der Bilanz berechneten Ratingwerte ha-
ben mit einem Vorlauf von einem Jahr die positive Entwicklung von Puma am Aktienmarkt
vorweggenommen und die Ratingwerte in den einzelnen Jahren liegen wesentlich über dem
kritischen Wert von –0,3114.
Ganz anders sehen die Ergebnisse bei dem von uns gezielt „geschönten“ Manipulationsfall
aus. Die Ratingwerte weisen aufgrund der manipulierten Bilanzen in die falsche Richtung:
Für das Jahr 2005 wird die Firma Manipulation mit einem Ratingwert von +0,0904 als
risikofrei klassifiziert.
Da der Vorjahreswert von –0,0575 niedriger ausfällt, wird sogar eine Verbesserung der
wirtschaftlichen Lage im Zeitablauf angezeigt.
Die Grenzen des Finanzratings werden an diesem Beispiel offenkundig. Andererseits zeigt
aber das Beispiel Puma deutlich, welche Vorteile in einem statistisch fundierten Finanzrating
liegen. Ziel der Praxis kann es deshalb nur sein, ergänzende Methoden zu finden, die in Ver-
bindung mit dem statistisch begründeten Finanzrating möglichst optimale Ergebnisse liefern.
Unseres Erachtens gehören die nachstehend diskutierte Finanzanalyse und die Portfoliodar-
stellung im Rahmen einer Chancen-Risiko-Indikation dazu.
Im Unterschied zur Erfolgsrechnung liefert die Finanzrechnung objektive Zahlen, die durch
Bewertungen nicht beeinflusst werden können. Das Problem ist aber die zeitliche Entspre-
chung von Einnahmen und Ausgaben. Dies betrifft vor allem Vorgänge im Investitions- und
Finanzierungsbereich. Bei größeren, mit Vorlauf zu tätigenden Investitionen und langen Le-
benszyklen am Markt bzw. bei Investitionen im Entwicklungsbereich können die Verwerfun-
gen erheblich sein, so dass der aufs Jahr gerechnete Einnahmenüberschuss wenig aussage-
kräftig ist. Ebenso können die unterschiedlichen Finanzierungsmaßnahmen das Liquiditäts-
bild eines Jahres wesentlich verzerren. Diese Überlegungen führen dazu, dass eine Cashflow-
Rechnung in drei Bereiche untergliedert wird (vgl. Abbildung 9):
1. Cashflow aus operativer Tätigkeit. Dieser Zwischensaldo zeigt an, ob sich der lau-
fende Betrieb finanzwirtschaftlich trägt. Im deutschen Sprachraum wird dieser Cash-
flow-Saldo als erfolgswirtschaftlicher Cashflow bezeichnet. In der englischsprachigen
Literatur hat sich hierfür die Abkürzung EBITDA (= Earnings Before Interest and Ta-
xes plus Depreciation and Amortization) eingebürgert.
Finanzanalyse und Finanzrating 37
Die positive Darstellung der Erfolgsseite ist für einen begrenzten Zeitraum durch bilanzpoli-
tische Maßnahmen möglich. Im Beispiel haben wir zur Demonstration willkürlich Forderun-
gen überbewertet, Vorräte nicht abgewertet und für Risiken keine Rückstellungen gebildet,
worauf der hohe „Finanzbedarf“ im Bereich des Netto-Umlaufvermögens gemäß Abbildung
9 verweist. Genau genommen handelt es sich aber bei diesem Finanzbedarf für Investitionen
im Netto-Umlaufvermögen um „Scheingewinne“, die im Ergebnis zu korrigieren sind um
38 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Im praktischen Fall weiß man leider nicht, ob und in welchem Umfang eine vorgelegte Bi-
lanz gestaltet ist. Deshalb ist es gut, sich eines auf empirischer Basis entwickelten Rasters zu
bedienen, sobald man den Eindruck hat, dass die Erfolgs- und Finanzseite bei einem Unter-
nehmen auseinander laufen. Im Besonderen vier Gestaltungsbereiche werden bei der Bilanz-
aufstellung genutzt, um den unternehmerischen Misserfolg zu kaschieren:
Erhöhung des außerordentlichen Ergebnisses (Verzicht oder Auflösung von Rückstellun-
gen, Mobilisierung von weiteren außerordentlichen Erträgen, Liquidation von Vermögens-
gütern)
Veränderungen im Netto-Umlaufvermögen (Erhöhung der Forderungen an verbundene
Unternehmen durch „Verkauf“ sonst unverkäuflicher Produkte an Tochtergesellschaften,
starkes Ansteigen der „teuren“ Lieferantenkredite bzw. der erhaltenen Anzahlungen, keine
Abwertung von Ladenhütern, keine Abschreibung uneinbringlicher Forderungen bzw.
Einbuchung nicht werthaltiger Forderungen)
Gestaltungen im Anlagenbereich (Sale-Leaseback-Aktionen, Ansatz möglichst niedriger
Investitionen, Zuschreibungen, Überbewertung immaterieller Vermögensgegenstände, Ak-
tivierung von Ingangsetzungs- und Erweiterungsaufwendungen)
„Kreative Bilanzierung“ durch juristische Gestaltungen (Verlagerung von Aufwendungen
oder Risiken auf Tochtergesellschaften, Gründung von Zweckgesellschaften, Schaffung
eines juristisch unübersichtlichen Gesellschaftshintergrundes)
„Kreative“ Bilanzierung bzw. Finanzierung
Entscheidend bei der Beurteilung der Bilanzpolitik ist nicht die Bilanzierung im Einzelfall,
sondern das sich ergebende Gesamtbild. Häufen sich die Maßnahmen einer positiven Ergeb-
nisbeeinflussung, so wäre es leichtfertig, vorliegende Bilanzen weiterhin im normalen Ra-
tingprozess zu bearbeiten. Unter Frühwarngesichtspunkten kommen die Erkenntnisse aus
bilanzpolitischen Gestaltungen schon fast zu spät. Deshalb ist es notwendig, wichtige Enga-
gements einer strategischen Analyse zu unterziehen. Das Instrument dazu ist eine strategisch
ausgerichtete Finanzanalyse, die von uns entwickelte Chancen-Risiko-Indikation.
40 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Im ersten Abschnitt unseres Beitrags haben wir deutlich gemacht, dass sowohl die Kapitalge-
ber einerseits als auch die Unternehmensführung andererseits an Frühwarninformationen
interessiert sind, die die Risiken in der nachhaltigen Entwicklung eines Unternehmens auf-
zeigen. Stillschweigend wurde dabei vorausgesetzt, dass die Eigenkapitalgeber und verstärkt
noch die Banken durch eine Strategie größtmöglicher Risikovermeidung gleichzeitig zu
einem Optimum an Chancenwahrnehmung kommen. Leider sieht die ökonomische Realität
anders aus.
Noch niemand ist auf dieser Welt allein durch Risikovermeidung reich geworden. Dies lehrt
uns auch die moderne Kapitalmarkttheorie, wonach eine höhere Rendite mit der Inkaufnahme
eines höheren Risikos verbunden ist. Kompliziert wird diese Erkenntnis dadurch, dass die
Eigen- und Fremdkapitalgeber eine unterschiedliche Chancen-Risiko-Position haben. Die
Eigenkapitalgeber profitieren von der Steigerung des Unternehmenswertes unmittelbar, die
Fremdkapitalgeber (Banken) dagegen nur indirekt, wenn es ihnen gelingt, die mit der Wert-
steigerung des Unternehmens verbundenen Potenziale für ihren Vertrieb von Bankprodukten
zu nutzen. Von unmittelbarem Interesse für den Fremdkapitalgeber ist die Kapitalbedienung.
Entscheidend ist für ihn (normalerweise), einen fest definierten Anspruch am erwirtschafteten
Cashflow vertragsgemäß zu erhalten. Die Eigenkapitalgeber müssen sich dagegen mit dem
zufrieden geben, was nach Bedienung des Fremdkapitals übrig bleibt.
Daraus folgt für den Eigenkapitalgeber: Sein Zeithorizont ist eher langfristig ausgerichtet.
Für die Steigerung des Unternehmenswertes ist er durchaus bereit, investitionsbedingte
Durststrecken in Kauf zu nehmen. Er wird seine erzielte Rendite immer relativ zu anderen
nicht wahrgenommen Chancen mit vergleichbarem Risiko sehen. Zielgröße für ihn ist des-
halb nicht die erzielte Rendite an sich, sondern die risikoadjustierte Rendite.
Für den Fremdkapitalgeber (Bank) folgt aus den vorgenannten Überlegungen: Er möchte für
sein eingesetztes Kapital periodengerecht Zins- und Tilgungszahlungen ohne Zahlungsverzug
erhalten. Investitionsbedingte Schwankungen im freien Cashflow und in der temporär ver-
schlechterten Kapitalstruktur nimmt er als Risiko wahr. Seine Chancen-Risiko-Einschätzung
ist durch Basel II und aufsichtliche Vorgaben (MaK) primär kurzfristig orientiert. Langfristig
ausgerichtete Überlegungen dominieren nur in einzelnen Geschäftssegmenten.
Finanzanalyse und Finanzrating 41
Die Fremdkapitalkosten ergeben sich nach einer ähnlichen Kalkulation. Neben der risikofrei-
en Komponente werden Banken entsprechend ihrem Ratingsystem das Adressausfallrisiko
(Gefahr des Defaults) kalkulieren und zusätzlich noch einen Deckungsbeitrag verlangen. Der
tatsächlich von der Unternehmung gezahlte Fremdkapitalzins muss mit dieser grundsätzli-
chen Kalkulationsbasis nicht übereinstimmen. Sicherheiten, vereinbarte Auflagen, die
Fristigkeit oder die Art des jeweiligen Kredits führen zum Teil zu erheblichen Modifikationen
dieses grundsätzlichen Berechnungsansatzes. Da mit dem Ansatz der Chancen-Risiko-
Indikation vor allem Steuerungs- und Signalwirkungen (Frühwarnung) angestrebt werden,
empfiehlt sich ein pauschalierter Kalkulationsansatz nach folgendem Muster:
Risikoloser Zinssatz (Maßstab risikofreie Staatspapiere) 3,20 Prozent
Typischer Deckungsbeitrag der „Hausbank“ 2,00 Prozent
Risikoprämie gemäß Finanzrating (siehe Abschnitt 2.4) 1,90 Prozent
Eine Unternehmung stellt aus Sicht der Bank immer dann ein Risiko dar, wenn dieser prinzi-
pielle Verzinsungsanspruch nicht mehr gewährleistet ist.
Abbildung 10 zeigt die unterschiedlichen Bezugspunkte für die Bewertung einer Unterneh-
mung aus Chancen-Risiko-Sicht:
Langfristige Rentabilität versus eher kurzfristige Liquiditätssicherung
Eigenkapitalinteressen versus Fremdkapitalinteressen
Marktwertorientierung versus Anschaffungswertorientierung
42 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Maßstab für Kapitalkos- Langfristig am Kapitalmarkt erzielbare Auf Jahresbasis aktueller Bilanzen
ten Rendite kalkuliertes Bonitätsrisiko
Berechnungsgrundlagen Nach Marktwerten aufbereitete Bilan- Nach den Prinzipien Vorsicht und
zen (Überleitung zum Economic Model) Nachhaltigkeit aufbereitete Bilanzen
Entscheidend für den Stellenwert der Chancen-Risiko-Indikation ist der Schritt in Richtung
zukünftiger Entwicklung und der dabei ins Auge zu fassenden Chancen und Risiken. Um
diesen Schritt gehen zu können, ist es notwendig, die Einflussgrößen für die zukünftige
Chancen- und Risikopositionierung möglichst genau zu kennen. Ausgangspunkt dafür ist die
Untergliederung der vorhandenen, vergangenheitsbezogenen Bilanzdaten nach Chancen-
bzw. Risikofeldern. Abbildung 11 liefert dafür die Struktur. Dies wird beispielhaft am bereits
erwähnten Manipulationsfall zunächst für die Vergangenheit aufgezeigt.
Die Mindestverzinsungsansprüche, an denen die Eigenkapitalgeber und Fremdkapitalgeber
ihr Investment in der Unternehmung bewerten, verkörpern das systematische Risiko, das alle
Unternehmen der Branche oder eines Kredit-Exposures gleichermaßen betrifft. Die systema-
tischen Risiken lassen sich aus den Verhältnissen am Kapitalmarkt bzw. aus dem Rating
ableiten. Für die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung des freien Cashflows bzw. des
Ergebnisses aus Geschäftstätigkeit ist es darüber hinaus notwendig, die unsystematischen
Risiken (die unternehmensindividuell zu sehen sind) abzuschätzen.
Aus Abbildung 11 wird deutlich, dass die Portfolio-Positionierung aus Sicht der Eigenkapi-
talgeber und der Fremdkapitalgeber sich zwar einerseits aus unterschiedlichen Betrachtungen
ergibt (wie unter 2.6.1 aufgezeigt), dass aber andererseits erhebliche inhaltliche Gemeinsam-
keiten bestehen. Es sind dies die Perspektiven (Finanzgrößen):
1. Umsatzentwicklung
2. Marge (Kosten)
3. Investitionen
Finanzanalyse und Finanzrating 43
Eigenkapitalgeber Fremdkapitalgeber
2. Lfd. Kosten inkl. betriebl. Erträge –7.071 T€ 2. Lfd. Kosten inkl. betriebl. Erträge –7.071 T€
– – 3c Erweiterungsinvestitionen (D –1.117 T€
Netto-UV)
4. Zinsaufwand –115 T€ – –
Ersatz-Investitionen
Erweiterungs-Investitionen (AV, Netto-UV)
4. Zinsen
5. Steuern
6. Kapitalstruktur
7. Mindestverzinsung
Die Schwierigkeit für den Finanzanalysten besteht jetzt darin, für die Zukunft die spezifi-
schen Chancen und Risiken bezüglich dieser einzelnen Komponenten des freien Cashflows
bzw. des Ergebnisses aus der Geschäftstätigkeit zu diskutieren und näherungsweise zu
bestimmen.
44 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Umsatzentwicklung
Von zentraler Bedeutung ist die Einschätzung der zukünftigen Umsätze, die mit besonderen
Problemen verbunden ist. Gefordert wird eine mehr oder weniger umfangreiche Datenanalyse
und ein grundsätzliches Verständnis dafür, nach welchem Geschäftsmodell die zu analysie-
rende Unternehmung arbeitet.
Zur Datenanalyse eignen sich die Umsatzentwicklungen der Vergangenheit. Fragen dabei
sind vor allem: Welche makroökonomischen Faktoren – wirtschaftliches Wachstum, Quote
der Beschäftigten, Wechselkurse, Zinsniveau oder Rohstoffpreise – haben in welchem Um-
fang die Umsätze beeinflusst und wie sehen die Einschätzungen für die Zukunft aus? Welcher
Anteil der Umsatzveränderungen ist auf die Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit
zurückzuführen? Zur Beantwortung dieser Fragen hat es sich als sehr sinnvoll erwiesen, die
Veränderungen des Umsatzes in die Komponenten Marktanteil und Marktwachstum zu glie-
dern. Hinsichtlich des Marktanteils spielt die Kundenzufriedenheit eine wichtige Rolle. Die
Verbesserung der Kundenzufriedenheit ist wiederum möglich durch eigene Leistungsverbes-
serungen wie höhere Produktqualität, effizientere Prozesse oder freundlichere Mitarbeiter.
Die Kundenzufriedenheit kann aber auch durch das Verhalten der Konkurrenz positiv oder
negativ beeinflusst werden. Das Marktwachstum richtet sich ebenfalls nach mehreren, nicht
immer leicht unterscheidbaren Einflussfaktoren. Beispielsweise kann sich die allgemeine
Wirtschaftslage verbessern und der eigenen Branche Auftrieb geben. Es können aber auch
Bedrohungen durch Substitutionsprodukte auftreten oder sich Wettbewerbsstrukturen verän-
dern.
Starke Schwankungen in der Umsatzentwicklung in Verbindung mit einer schlechten Progno-
sesituation bedeuten ein hohes Risiko. Um zu einer Quantifizierung der mit der Umsatzent-
wicklung verbundenen Marktrisiken zu kommen, eignen sich komplexe quantitative Metho-
den (multivariate statistische Analyseverfahren, stochastische Simulationen, Methoden der
künstlichen Intelligenz usw.) oder auch simple Strukturierungen nach dem allgemeinen Ge-
schäftsrisiko des Unternehmens, zum Beispiel
Versorgung eines Grundbedarfs = geringes Risiko.
Starke Konjunkturabhängigkeit = mittleres Risiko.
Projektgeschäft = hohes Risiko.
Marge (Kosten)
Die Effizienz der Organisation bestimmt die Höhe der Kosten. Durch möglichst fehlerfreie
Prozesse, die optimal auf Kundenwünsche ausgerichtet werden, hoch motivierte und qualifi-
zierte Mitarbeiter sowie ein professionelles Management sind wichtige Voraussetzungen für
langfristig günstige Kostenwerte gegeben. Für die Chancen-Risiko-Indikation kommt es
neben der Organisationsbewertung auf zwei weitere Einschätzungen an:
Finanzanalyse und Finanzrating 45
Wie verändern sich die Preise relativ zu den Kosten, anders ausgedrückt, welchen Rationa-
lisierungsdruck übt der Markt aus?
Wie hoch ist der Anteil der Fixkosten an den Gesamtkosten? Im Fall eines Umsatzrück-
ganges drohen bei hohem Fixkostenanteil erhebliche Ergebniseinbrüche, das heißt das so
genannte Operating Leverage Risk wird schlagend. Andererseits führen Umsatzanstiege
aufgrund der Fixkostendegression zu bedeutenden Ertragschancen.
Investitionen
Jeder dieser Investitionstypen verlangt spezifische Analysen, wie wir am Beispiel der ver-
meintlichen Investitionen der fiktiven Firma Manipulation zeigen konnten. Die ausgewiese-
nen Investitionen in das Netto-Umlaufvermögen waren de facto das Ergebnis bilanzpoliti-
scher Maßnahmen, was ein unkundiger Bilanzleser nicht ohne weiteres gemerkt hätte.
Für eine Risikogliederung empfiehlt es sich weiterhin, Investitionen nach Entwicklungsrisi-
ken, Vermarktungsrisiken und Betreiberrisiken zu unterscheiden. Das höchste Investitionsri-
siko stellt sich bei der Übernahme aller drei Risiken ein, wie es viele Unternehmen der New
Economy gelernt haben. Deshalb sollte bei der Einschätzung von Investitionsrisiken mindes-
tens auf die beiden folgenden Fragen eingegangen werden:
Wird die Investitionssituation beherrscht? Das bedeutet: Die Marktgegebenheiten sind
bekannt, die Entwicklungsprobleme werden beherrscht, hinsichtlich der Umfeldbedingun-
gen gibt es Erfahrungen etc.
Ist das Investitionsmanagement professionell? Das bedeutet: Qualifikation und Motivation
des Projektmanagements und des Projektteams sind gegeben, Zeit-, Kapazitäts- und Fi-
nanzreserven wurden hinreichend eingeplant etc.
Auf der Finanzierungsseite ist zwischen den strategischen und den eher operativen Bedin-
gungen zu trennen. Die Kapitalstruktur, also das Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapi-
tal, ist eine strategische Größe. Zinsvereinbarungen, die Absicherung gegen Wechselkursrisi-
ken oder die Behandlung der Adressausfallrisiken haben einen anderen Charakter, sie sind
dem operativen Risikomanagement zuzurechnen. Im Rahmen einer strategischen Finanzana-
lyse haben diese operativen Finanzierungsrisiken eine geringe Bedeutung. Für ihre detaillier-
te Analyse und Steuerung bieten sich andere Instrumente an.
Das Kapitalstrukturrisiko ist dagegen ein fundamentales strategisches Risiko und im Rahmen
einer strategischen Finanzanalyse gezielt zu untersuchen (siehe Abschnitt 2.3). Der Risikofall
tritt ein, wenn die Gesamtkapitalrentabilität nicht einmal den Fremdkapitalzins abdecken
kann. Umgekehrt ergeben sich erhebliche Chancen für die Steigerung der Eigenkapitalrenta-
bilität durch Erhöhung des Fremdkapitals, wenn die Gesamtkapitalrentabilität größer als der
Fremdkapitalzins ist.
Steuern
Das Thema Steuern sollte ähnlich wie die operativen Finanzrisiken im Rahmen einer strategi-
schen Finanzanalyse nur pauschal berücksichtigt werden. Der Charakter und die Komplexität
steuerlicher Rahmenbedingungen überfordern eine auf Strategiefindung und Frühwarnung
ausgerichtete Finanzanalyse.
Finanzanalyse und Finanzrating 47
Eigentümer
Wertschaffung
B A
Chance Investition
Rendite am
Kapitalmarkt
9,60 % D C
Risiko
Bank
Liquiditätspotenzial
Zins gemäß Rating
Risiko 7,10 % Chance
gespräch können mit diesen Kunden gezielt Gespräche über Vermögensanlagen oder zu-
künftige Investitionsstrategien geführt werden.
Bereich D: Die Investition ist aus Sicht beider Investorengruppen als Fehlschlag einzustu-
fen. Die mangelhafte Kapitalbedienung stellt vielleicht sogar die Existenz der Unterneh-
mung in Frage.
Das Chancen-Risiko-Portfolio ist auch zur strategischen Positionierung von Unternehmen auf
der Basis von Bilanz- und Plandaten geeignet. Die Felder A, B, C und D stehen für folgende
Bewertungen:
Für Unternehmen im Bereich A bieten sich Wachstumsstrategien an, auch solche, die erst
mittel- oder langfristig erfolgreich sind und zu Liquidität führen (Strategien zur Erschlie-
ßung neuer Märkte oder zur Entwicklung neuer Produkte).
Unternehmen im Bereich B weisen Liquiditätsrisiken auf und sollten sich intensiv mit
ihrer Risikosituation auseinander setzen. Aus dieser Position heraus sind eher Konsolidie-
rungsstrategien oder sichere Wachstumsstrategien angeraten (tendenziell Strategien in be-
kannten Märkten und mit bekannten Produkten). Maßnahmen zur Liquiditätsbeschaffung
im Krisenfall sind einzuplanen.
Unternehmen im Bereich C verschlafen möglicherweise Chancen. Sie sind attraktiv für
Übernahmen. Aus Sicht der Eigenkapitalgeber liegt Wertvernichtung vor.
Unternehmen im Bereich D sind im Allgemeinen kritisch zu beurteilen. Sind für diese
Unternehmen auch bei langfristiger Einschätzung keine wesentlichen Änderungen zu er-
warten, besteht die Notwendigkeit für Konsolidierungs- und gegebenenfalls sogar Sanie-
rungsmaßnahmen mit harten Schnitten und gezielten Maßnahmen zur Liquiditätsbeschaf-
fung.
Es liegt nahe, die Erkenntnisse der strategischen Finanzanalyse für das unternehmensinterne
Controlling einzusetzen. Hierfür sei auf zwei Anwendungen verwiesen.
Die Analysen und die Planung der Chancen-Risiko-Indikation konzentrieren sich analog zur
bekannten Balanced Scorecard auf vier inhaltlich vergleichbare Perspektiven (Abbildung 13).
Finanzanalyse und Finanzrating 49
Perspektiven der strategischen Finanzanalyse aus Sicht der Eigen- und Fremdkapitalgeber zur
Erkennung von Chancen und Risiken
Die Beziehungen zwischen der strategischen Finanzanalyse auf der einen Seite und dem
notwendigen Risikomanagement einschließlich der strategischen Frühaufklärung auf der
anderen Seite sind bei richtiger Organisation problemlos herzustellen. Einen Ansatz hierfür
bildet das von uns entwickelte System EPIK als Gliederungsrahmen für ein Risikomanage-
ment- und Risikofrühaufklärungssystem (Abbildung 14).
Jede Bank, die sich nicht als „Kreditfabrik“ versteht und an einer langfristigen Wertentwick-
lung der Kundenbeziehung interessiert ist, kann die hier aufgezeigten Möglichkeiten der
Finanzanalyse in einem Kundengespräch – als Erweiterung des herkömmlichen Bilanzge-
sprächs – nutzen. Auf Basis des Chancen-Risiko-Portfolios könnte ein marktstrategisches
Vorgehen abgeleitet werden. Für Kunden mit erheblichem Liquiditätspotenzial und hoher
Wertschaffung bieten sich beispielsweise intensive Anlagegespräche an. Kunden mit geringer
Wertschaffung und Liquiditätsproblemen bedürfen eher einer betriebswirtschaftlichen Bera-
tung und der Entwicklung von Finanzierungsstrategien, die Krisen vermeiden helfen.
50 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
System der
Risikofrühaufklärung
E P I K
Externe Potenzialorientierte Interne Kennzahlenbasierte
Risiken Frühaufklärung Risiken Frühaufklärung
Finanzierungs- Finanzierungs-
potenziale kennzahlen
Aktuell sind in Deutschland unter Einbezug der international agierenden Unternehmen vier
verschiedene Regelwerke zur Rechnungslegung zu beachten: die Vorschriften zur Steuerbi-
lanz, die Vorschriften zur Handelsbilanz, die IFRS und US-GAAP.
Diese verschiedenen Regelwerke sind abzustimmen auf die eigenen Steuerungssysteme aus
dem Controlling und den gewählten Ansätzen zur kapitalmarktorientierten Berichterstattung,
wie EVA (Economic Value Added) oder CVA (Cashflow Value Added).
Da die betriebswirtschaftlich gleichen Sachverhalte nur anders gegliedert, unterschiedlich
bewertet oder auf andere Zeiträume bezogen werden und die verschiedenen Rechnungssys-
teme einem ständigen Wandel unterliegen, ist es aus Kostengründen geboten, nach einer
Vereinheitlichung, einem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zu streben. Leisten könnte dies
eine betriebswirtschaftlich ausgerichtete Strukturbilanz. Der Weg dahin ist nicht ganz einfach.
Für die Ableitung einer Strukturbilanz wird ein „Spagat“ vorausgesetzt zwischen verschiede-
nen juristisch geprägten Rechnungssystemen einerseits und den an betriebswirtschaftlichen
Steuerungszielen orientierten Analysesystemen andererseits.
Der volle Nutzen einer strategiegeleiteten Finanzanalyse kann nur durch die fundierte Ein-
schätzung zukünftiger Chancen und Risiken erreicht werden. Hierzu bedarf es einer großen
Anstrengung zur Identifikation, Gliederung und erst recht zur Quantifizierung und Verknüp-
fung der verschiedenen Chancen- und Risikokomponenten (zum Beispiel Auswirkungen des
erkannten systematischen und unsystematischen Risikos auf die zukünftige Umsatzentwick-
lung). Durch Verbundeffekte kann ein Aufschaukeln von Chancen und Risiken bewirkt wer-
den. Eine Prinzipiendarstellung für die Verstärkung des Investitionsrisikos liefert Abbildung
15.
52 Günter Weinrich / Jürgen Jacobs
Gesamtrisiko
Fixe Belastungen
durch Fremdkapital
Geschäftsfeldtypische verstärkt
Umsatzvariabilität … durch
Last but not least besteht das Hauptproblem der Finanzanalyse im menschlichen Verhalten
und in lieb gewonnen Gewohnheiten. Menschen denken und handeln gerne in Lösungen. Mit
einem einmal eingeführten Ratingsystem – zumal wenn die Einführung zu erheblichem Auf-
wand geführt hat – möchte man als Praktiker im Grunde alle Analyse- und Steuerungsprob-
leme gelöst haben. Alternativen und Ergänzungen dazu kosten Zeit und Geld. Hinzu kommen
Handlingprobleme, die vor allem in der Einführungsphase noch nicht vollständig ausgereifter
Systeme zu erheblichen Reibungsverlusten führen können. Außerdem ist die Finanzanalyse
ein sehr komplexes Thema, das eine hohe Mitarbeiterqualifikation voraussetzt.
Finanzanalyse und Finanzrating 53
Trotzdem: Die intensive Auseinandersetzung mit der hier vorgestellten Finanzanalyse ist
lohnend. Denn bei alleinigem Einsatz von Messsystemen besteht immer die Gefahr einer
reduzierten Betrachtungsweise. Um dieses zu verhindern, sollte die Finanzanalyse zur Absi-
cherung und Ergänzung eines guten Ratingsystems als Methode zur Verfügung stehen. Unser
vorgelegter Beitrag weist dazu einen möglichen Weg.
Literatur
Bernd Graalmann
1. Einleitung
4. Diskriminanzanalyse
Literatur
1. Einleitung
Abweichend von der traditionellen Kreditwürdigkeitsanalyse wird bei der Anwendung mo-
derner Verfahren der Kreditwürdigkeitsanalyse das Ziel verfolgt, mit einer intersubjektiv
überprüfbaren Vorgehensweise eine Ratinggesamtnote bzw. eine geschätzte Ausfallwahr-
scheinlichkeit (Probability of Default, PD) zu ermitteln.
Das wichtigste Merkmal dieser neueren Verfahren ist die empirisch-induktive Vorgehenswei-
se mit dem Ziel der Schaffung einer größeren Objektivität. Damit verbunden ist eine Steige-
rung der Effizienz, da durch die Quantifizierung und Objektivierung der Kreditwürdigkeits-
analyse eine Automatisierung ermöglicht wird.
Grundsätzlich wird bei den empirisch-induktiven Verfahren der Versuch unternommen, mit
Hilfe einer Gruppe von insolvent gewordenen und einer Vergleichsgruppe von solvent ge-
bliebenen Kreditnehmern Muster einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zu erkennen (patho-
logische Muster einer Insolvenz).2 Im Fokus dieser Untersuchung steht nicht primär die
Prognose der Unternehmenserfolgsentwicklung, sondern vor allem die Prognose der künfti-
gen Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit. Das Vorgehen bei der praktischen Anwendung
Nach dem Abschluss dieses Prozesses kann das System als valide bezeichnet werden und ist
bereit zum Einsatz, das heißt zur Klassifikation neuer Elemente.
Der eigentlichen Analyse und der damit verbundenen Erstellung der Ratingtrennfunktionen
gehen eine Reihe von Vorarbeiten voraus. In einem betriebswirtschaftlichen Konzept ist
hierfür zu beschreiben, wie der zu analysierende Datenpool in Segmente unterteilt werden
soll. Neben der unterschiedlichen aufsichtsrechtlichen Behandlung verschiedener Teilportfo-
lien ist außerdem das Ziel zu verfolgen, möglichst homogene Teilportfolien zu schaffen, da
dies in der statistischen Analyse die Ergebnisqualität verbessert.
Nach der Abgrenzung der Analysebereiche ist für jedes Teilportfolio ein Gesamtkennzahlen-
katalog zu definieren. Ausgangspunkt ist hier, für den Bereich der quantitativen Daten, die
Vorgehensweise aus dem Bereich der traditionellen Jahresabschlussanalyse. Anders als bei
der traditionellen Analyse sind bei den modernen Verfahren allerdings einige Regeln bei der
Bildung der Kennzahlen zu beachten. So ist darauf zu achten, dass der Nenner nicht null oder
negativ werden kann, um Sprungkanten zu vermeiden.3 Weiterhin sollte bei den Kennzahlen
ein möglichst gegenläufiger Zusammenhang zwischen Zähler und Nenner bestehen, um eine
Hebelwirkung zu erreichen. Die traditionelle Kreditwürdigkeitsanalyse dient im Rahmen der
Vorbereitung der Analyse mit modernen Verfahren der Kreditwürdigkeitsprüfung als Basis,
da die hier gebildeten Kennzahlen schon von vornherein einen betriebswirtschaftlichen Sinn
ergeben und damit der logisch-deduktive Zusammenhang zwischen einer Kennzahlenausprä-
gung und dem Ausfallereignis implizit bereits enthalten ist.4 Dieses Vorgehen hat den Vorteil,
dass von vornherein Kennzahlen ausgeschlossen werden können, deren Zusammenhang zum
Ausfallereignis betriebswirtschaftlich nicht zu erklären wäre. Ziel dieser Strategie ist also die
Vermeidung von Scheinkorrelationen aufgrund von Zufällen.5
Zur Definition der relevanten qualitativen Merkmale ist vor allem ausreichende Erfahrung
erforderlich, daher bedient man sich bei der Definition dieser qualitativen Merkmale zumeist
größerer Expertengremien. Hierbei werden vor allem Kreditanalysten mit langjähriger Erfah-
rung im Kreditgeschäft befragt, welche Kriterien in die Fragenkataloge für die weichen Fak-
toren mit aufgenommen werden sollen. Als besonders wichtige und beliebte Fragestellungen
in diesem Bereich haben sich beispielsweise Fragen bezüglich der Qualifikation der Mitarbei-
ter sowie bezüglich der Qualität des Managements herausgestellt.6
Im Anschluss daran erfolgt der Aufbau eines Datenpools als Analysegrundlage. Erfahrungs-
gemäß ist dabei vor allem auf eine ausreichende Qualität bei den weichen Faktoren zu achten,
da hier zum Teil Ermessensspielräume (beispielsweise bei der Beurteilung der Qualität des
Managements) für den Kreditsachbearbeiter vorliegen. Um eine erfolgreiche statistische
Analyse der erhobenen Daten vornehmen zu können, ist vor allem die Anzahl der im Daten-
pool vorhandenen Defaultfälle (ausgefallene Kreditnehmer) relevant. Erst bei einer ausrei-
chenden Anzahl an ausgefallenen Kreditnehmern ist eine stabile Trennfunktion ermittelbar.
Zu beachten ist hierbei, dass für jedes ex ante definierte Teilportfolio eine eigene Datenbasis
zusammengestellt werden muss.
Nachdem die Datenbasis aufgebaut worden ist, erfolgt die Aufteilung der Daten in eine Ent-
wicklungs- und eine Validierungsstichprobe.7 Dies verschärft das Problem der Schaffung
einer ausreichenden Datengrundlage. Zunächst wird auf Basis der Entwicklungs-Stichprobe
gearbeitet. Erst in einem zweiten Schritt erfolgt mit Hilfe der Daten aus der Validie-
rungsstichprobe die Prüfung der Stabilität der Trennfunktion, die auf Basis der Entwicklungs-
Stichprobe entwickelt worden ist.
Nach der erfolgreichen Datenerhebung wird zumeist noch eine Modifikation der Kennzahlen
auf Basis der vorliegenden Echtdaten vorgenommen. Ziele dieses Schrittes sind die Berück-
sichtigung von nichtlinearen Zusammenhängen und unterschiedlichen vorliegenden Skalie-
rungen sowie die Standardisierung der Kennzahlen.
Mit der Berücksichtigung von nichtlinearen Zusammenhängen soll der Tatsache Rechnung
getragen werden, dass der Erklärungswert von Kennzahlenausprägungen häufig nicht über
den gesamten Ausprägungsbereich konstant ist. Abbildung 1 verdeutlicht das Problem am
Beispiel des Jahresüberschusses. Der Zusammenhang ist hier zu Anschauungszwecken stark
überzeichnet dargestellt. Während bei einer Unterschreitung der unteren Grenze ein Ausfall
in diesem Beispiel beinahe sicher ist und bei Überschreitung der oberen Grenze eine weitere
Verringerung geschätzten der Ausfallwahrscheinlichkeit nicht erreicht werden kann, ist vor
allem der mittlere Bereich der Jahresüberschüsse relevant. Solchen vorliegenden Nichtlinea-
ritäten begegnet man beispielsweise mit der Bildung von nichtlinearen aber stetigen Funktio-
nen, in welche die tatsächlichen Kennzahlenausprägungen eingearbeitet werden. Diese Funk-
tionen werden dann im Rahmen der weiteren Analysen anstelle der Kennzahlenausprägungen
selbst verarbeitet.
6 Einen guten Überblick über die von den verschiedenen Institutionen herangezogenen Ratingkriterien und
Gewichte geben Braun/Schüller (2002); Krehl/Knief (2002); Füser/Heidusch (2002b); Füser/Heidusch
(2002a).
7 Bei einer Analyse mit Hilfe Künstlicher Neuronaler Netze (KNN) ist eine Dreiteilung des Datenmaterials
üblich.
60 Bernd Graalmann
PD
100 %
Jahresüberschuss
Relevanter
Einflussbereich
Häufig spielen bei der Beurteilung der Merkmale auch psychologische Faktoren oder einfach
gegebene Anreizstrukturen innerhalb der Bank eine erhebliche Rolle. So besteht auch bei
nichtmetrisch skalierten Merkmalen das Problem, dass der Erklärungsgehalt beispielsweise
einer ordinalskalierten Variable je nach Merkmalsausprägung schwanken kann. Beispielswei-
se wird bei der Beurteilung der Qualität des Managements häufig durch den Kreditsachbear-
beiter versucht, das Ratingurteil dadurch positiv zu beeinflussen, dass er hier tendenziell gute
Noten vergibt. Denkbar ist, dass diese Merkmalsausprägung daher auch keine hohe Trenn-
schärfe aufweist. Anders würde es sich in diesem Beispiel dagegen mit einem als schlecht
beurteilten Management verhalten. Wenn der Kundenberater trotz bestehender umsatzorien-
tierter Anreizstruktur hier eine negative Bewertung abgibt, ist mit einer hohen Trennschärfe
des Merkmals zu rechen.8 Häufig und vor allem im Privatkundenbereich wird solchen Prob-
lemen im Bereich von nichtmetrisch skalierten Merkmalen mit Punktbewertungsverfahren
begegnet, bei denen die Punkte entsprechend des Erklärungswertes der Kennzahl vergeben
8 Unter einer umsatzorientierten Anreizstruktur ist in diesem Zusammenhang eine erfolgsabhängige Vergü-
tung der Kundenberater zu verstehen. Wenn ein Kundenberater beim Abschluss eines Geschäftes Sonder-
vergütungen erhält, wird er tendenziell eher gute Ratingergebnisse anstreben, um den Abschluss des jewei-
ligen Geschäftes rechtfertigen zu können. Wenn also ein „korrekt“ durchgeführtes Rating zu einer Ableh-
nung des Kreditantrags führen würde, besteht für den Kundenberater der Anreiz das Rating positiv zu
beeinflussen.
Verfahren und Prozesse des Finanzratings 61
werden (beispielsweise Management ist gut = +10 Punkte; Management ist schlecht = –150
Punkte).
Bevor eine sinnvolle Analyse des Datenmaterials erfolgen kann, ist zunächst zwischen unter-
schiedlich skalierten Merkmalen zu unterscheiden. Während metrisch skalierte Merkmale in
der Regel keine besonderen Probleme bei der Analyse mit sich bringen, sind bei der Analyse
von nominalskalierten Merkmalen einige Besonderheiten zu beachten. So können beispiels-
weise Informationen über den Familienstand nur indirekt ausgewertet werden, das heißt die
möglichen verschiedenen Merkmalsausprägungen sind zunächst zu ordinalisieren. Hierzu ist
zu prüfen, inwieweit diese nominalskalierten Merkmalsausprägungen mit dem Ausfallereig-
nis korrelieren, um so eine Rangfolge für den Erklärungswert herstellen zu können (bei-
spielsweise verheiratet ist besser als alleinstehend, ist besser als verwitwet etc.). Die ordi-
nalskalierten Merkmale werden dann auf verschiedenartige Weise kodiert und somit auf die
weitere Analyse vorbereitet.9 Mit der Standardisierung bzw. Normierung der Kennzahlen
wird das Ziel verfolgt, die Interpretation der Ergebnisse zu erleichtern sowie eine Vergleich-
barkeit der Variablen zu ermöglichen.10
X kj X j
X kj*
sj
mit:
X*kj = standardisierter Beobachtungswert der Variable j bei Objekt k
X kj = Beobachtungswert der Variable j bei Objekt k
sj = Standardabweichung der Variable j
= Durchschnitt aller Beobachtungswerte der Variablen j über alle Objekte
X j
Entsprechend dieser Vorgehensweise empfiehlt es sich vor allem, die Ausgangsmatrizen für
sich anschließende Korrelations- und Faktoranalysen zu standardisieren.11
Neben der Modifikation der Kennzahlen auf Basis der Echtdaten wird auch eine erste Vorse-
lektion der Kennzahlen vorgenommen, indem ihre Trennschärfe univariat beispielsweise mit
Hilfe der univariaten Diskriminanzanalyse oder mit Hilfe des Gini-Koeffizienten geprüft
wird. Man geht hier also der Frage nach, wie gut mit der entsprechenden Kennzahl auf Basis
der erhobenen Daten ex ante eine Differenzierung zwischen „guten“ und „schlechten“ Kre-
ditnehmern möglich gewesen wäre.
Kennzahlen, welche schon bei dieser ersten Prüfung eine nicht optimale Trennschärfe auf-
weisen, werden nur in solchen Fällen in der weiteren Analyse berücksichtigt, wenn sie eine
9 Einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten und Besonderheiten, welche mit der Verarbeitung
von nichtmetrischen Daten verbunden sind, liefert Tutz (2000).
10 Vgl. Backhaus et al. (2003), S. 271.
11 Vgl. ebenda.
62 Bernd Graalmann
geringe Korrelation zu den weiteren Faktoren aufweisen und damit tendenziell einen Erklä-
rungsmehrwert für das Gesamtmodell mit sich bringen. Um eine ausreichende Trennfähigkeit
und Stabilität der Funktion zu gewährleisten, sollten daher alle herangezogenen Kennzahlen
auf Basis der Entwicklungs-Stichprobe auf ihre Korrelation untereinander hin überprüft wer-
den. Hierbei besteht allerdings ein Zielkonflikt, da zunächst alle Einflussfaktoren, welche
hohe Korrelationen zu den Ausfallereignissen aufweisen, für die Analyse herangezogen wer-
den. Da alle zum Einsatz gebrachten Faktoren eben eine hohe Korrelation zum Ausfallereig-
nis aufweisen, besteht die Gefahr einer hohen Korrelation der Einflussfaktoren auch unter-
einander.
Das Ziel besteht also darin, aus dem gesamten Kennzahlenkatalog eine Gruppe möglichst
unabhängiger Kennzahlen zu identifizieren, welche jede für sich bereits eine gute Prognose-
fähigkeit bezüglich des Ausfallereignisses mit sich bringt. Die weitgehende Unabhängigkeit
der Kennzahlen soll gewährleisten, dass die eingebrachten Kennzahlen möglichst verschie-
dene Einflüsse auf der Schätzwert für die Ausfallwahrscheinlichkeit repräsentieren. Ein gän-
giges Maß für die Beurteilung der Korrelation verschiedener metrisch skalierter Kennzahlen
untereinander stellt der empirische Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson dar:12
K
¦(X
k 1
k1 X1) (X k2 X 2 )
rX 1 , X 2
K K
¦(X
k 1
k1 X1 )2 ¦ ( X k2 X 2 )2
k 1
mit:
Kennzahl 1 1,000
In diesem Beispiel sind die Kennzahlen 1 und 4 mit 0,787 im Vergleich zu den anderen Kenn-
zahlen sehr hoch korreliert. Solche Merkmale werden dann entweder bei den weiteren
Analysen ausgeschlossen oder im Rahmen einer Faktorenanalyse zusammengefasst.13 Hierzu
ist nach der Korrelationsanalyse zu differenzieren, ob eine hohe Korrelation mehrerer Kenn-
zahlen untereinander auf gleiche Inhalte bei der Kennzahlenermittlung zurückzuführen ist
(beispielsweise Eigenkapitalrentabilität und Eigenkapitalanteil bedingen sich aufgrund der in
beiden Kennzahlen enthaltenen Größe Eigenkapital) oder ob eine hinter diesen beiden Vari-
ablen stehende Größe kausal verantwortlich für die hohe Korrelation ist (beispielsweise Ma-
nagementqualität und Qualifikation der Mitarbeiter). Nur im zweiten Fall kann die Faktoren-
analyse zum Einsatz gebracht werden.
Besondere Anforderungen bei der Korrelationsprüfung bestehen grundsätzlich bei der Analy-
se nichtmetrisch skalierter Merkmale. Zu unterscheiden ist hierbei der Fall von zwei Variab-
len mit gleichem Skalenniveau und von zwei Variablen mit unterschiedlichem Skalenniveau.
Bei gleichem Skalenniveau bieten sich für die Prüfung der statistischen Abhängigkeit die
folgenden Methoden an:14
1. Nominalskalierte Merkmale (quadratische Kontingenz oder Kontingenzkoeffizienten).
2. Ordinalskalierte Merkmale (Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman).
Für die Analyse unterschiedlich skalierter Merkmale wird in der Regel eine Senkung des
Skalenniveaus bei den höchstskalierten Merkmalen vorgenommen.
13 Mit der Faktorenanalyse wird das Ziel verfolgt, über die Bündelung einer Vielzahl von Faktoren auf einige
wenige zentrale Faktoren eine Vereinfachung komplexer Zusammenhänge zu erreichen. Siehe Hippmann
(2003), S. 220–224; Backhaus et al. (2003), S. 12, 259–332.
14 Vgl. Hippmann (2003), S. 158–159.
64 Bernd Graalmann
Diskriminanzanalyse
Diskriminanzanalyse
Univariat Multivariat
Univariat Multivariat (MDA
4. Diskriminanzanalyse
Die 1936 von R. Fisher entwickelte Diskriminanzanalyse wurde erstmals von W. Beaver15
und E. Altman16 im Bereich der Insolvenzprognose zum Einsatz gebracht und stellt damit
eines der ältesten statistischen Insolvenzprognosemodelle dar.17 Grundsätzlich handelt es sich
bei der Diskriminanzanalyse um ein mathematisch-statistisches Verfahren, mit dem ermittelt
werden soll, anhand welcher Kriterien sich verschiedene Teilgruppen einer Grundgesamtheit
voneinander unterscheiden lassen.18 Damit gehört die Diskriminanzanalyse zur Gruppe der
strukturprüfenden Verfahren.19 Wie Abbildung 3 zeigt, lässt sich die Diskriminanzanalyse in
fünf Hauptverfahrensarten aufteilen. Die im Rahmen der Insolvenzprognose am häufigsten
genutzten Verfahren sind die univariate Diskriminanzanalyse mit dichotomer Klassifikation
20 Für die anderen Verfahren sei auf die Literatur verwiesen: zur Profilanalyse Weibel (1973); zur vertei-
lungsfreien multivariaten Diskriminanzanalyse Weinrich (1978), Gebhardt (1980) und Hüls (1995); zur
quadratischen Diskriminanzanalyse Sinkey (1975), S. 21–36.
21 Vgl. Oehler/Unser (2001), S. 215–237.
22 Vgl. ebenda, S. 215.
23 Vgl. Dittmar/Steiner (2000), S. 442.
66 Bernd Graalmann
Häufigkeit der
Kennzahlenwerte
tatsächlich tatsächlich
insolvent solvent
gewordene gebliebene
Kreditnehmer Kreditnehmer
Kennzahlenaus-
prägung
ȕ-Fehler: Cut-off-Point D-Fehler:
Fehlklassifikation Fehlklassifikation
tatsächlich solvent geblie- tatsächlich insolvent gewor-
bener Kreditnehmer dener Kreditnehmer
Bei der LMDA wird versucht, die im Rahmen der UDA als besonders trennscharf diagnosti-
zierten Kennzahlen zu einem einzigen Wert zu verdichten. Ziel ist es dabei, die Funktion zu
ermitteln, bei der die Einzelkennzahlen entsprechend ihres individuellen Erklärungsgehaltes
in der Gesamtbeurteilung Berücksichtigung finden. Bei der Formulierung der Diskriminanz-
funktion erfolgt eine Linearkombination von Kennzahlen, die neben ihrer univariaten Trenn-
schärfe vor allem aus sachlogischen Überlegungen herangezogen werden.24
Kennzahl 2
Klassifizierungs- I
funktionen
†
† † †
† †
†
S
†
† †
†
Trenngerade
Kennzahl 1
Diskriminanzachse
Die in Frage kommenden Kennzahlen werden hierbei entweder alle zusammen (complete
selection) oder aber schrittweise (stepwise selection) in die Diskriminanzfunktion einbezo-
gen.25 Eine schrittweise Einbeziehung der Kennzahlen hat den Vorteil, dass nach jeder neuen
Kennzahl zunächst ein Ergebnis ermittelt wird und so geprüft werden kann, ob die neue
Kennzahl einen Erklärungsmehrwert bringt oder nicht. Durch die hier dargestellte Verdich-
tung der Informationen kann die Klassifikation eines Elementes über einen einzigen Diskri-
minanzwert vorgenommen werden.
In Abbildung 5 wird das Vorgehen im Rahmen der LMDA am bivariaten Fall verdeutlicht.
Die Kreuze stellen in diesem Beispiel die tatsächlich insolvent gewordenen Kreditnehmer
und die Kreise die tatsächlich solvent gebliebenen Kreditnehmer dar. Bei der Schätzung der
Diskriminanzfunktion ist nun also die Gerade (im zweidimensionalen Fall) bzw. Fläche oder
auch Hyperebene (im mehrdimensionalen Fall) zu ermitteln, die bestmöglich die beiden zu
unterscheidenden Gruppen voneinander trennt.
Gruppenmittelwerte
Häufigkeiten
Max. Max.
Diskriminanzwerte
Steigende Steigende
Wahrscheinlichkeit für Wahrscheinlichkeit für
Insolvenz Solvenz
Zur Schätzung der Diskriminanzfunktion ist daher zunächst ein Trennkriterium erforderlich,
welches die Unterschiedlichkeit der Gruppen misst.26 Ziel hierbei ist es, bei der Projektion
der Elemente der beiden betrachteten Gruppen auf die Diskriminanzachse eine möglichst
geringe Innergruppenstreuung bei gleichzeitig maximaler Streuung zwischen den Gruppen-
mittelwerten zu erreichen. Unter der Annahme weitgehend gleicher Streuungen innerhalb der
Gruppen bietet sich daher die Maximierung der normierten Mittelwertsdifferenz der Diskri-
minanzwerte beider Gruppen als Trennkriterium an.27
Streuung zwischen den Gruppen
O
Streuung in den Gruppen
Das so festgelegte Trennkriterium lässt sich wie folgt präzisieren:28
¦ I D D
2
g g
g 1
O G Ig
¦ ¦ D Dg
2
gi
g 1 i 1
Dieses Problem ist durch vektorielle Differentiation nach den gesuchten Koeffizienten ein-
deutig lösbar.29 Hiernach erfolgt die Berechnung des absoluten Gliedes E0, das die Entfer-
nung des Nullpunktes der Skala der Diskriminanzachse vom Nullpunkt des Koordinaten-
systems bestimmt.30
Um nach einer Prüfung der Güte des Gesamtmodells eine Aussage über die Wichtigkeit ein-
zelner, in der Diskriminanzfunktion enthaltener Variablen machen zu können, sind die Dis-
kriminanzkoeffizienten zu analysieren. Aufgrund des einfachen Aufbaus der Diskriminanz-
funktion lässt sich bei standardisierten Kennzahlen der Einfluss einzelner Variablen auf das
Gesamtergebnis direkt ableiten. Für die Fälle, bei denen nicht mit standardisierten Kennzah-
len gearbeitet wurde, müssen die Diskriminanzkoeffizienten um Skalierungseffekte bereinigt
werden.31 Die Standardisierung kann nachträglich vorgenommen werden, indem das Kenn-
zahlengewicht bzw. der geschätzte Koeffizient durch die Standardabweichung der Kennzahl
bzw. Merkmalsvariable dividiert wird. Nachdem die Diskriminanzfunktion ermittelt worden
ist, kann in einem zweiten Schritt das Mapping zu einer Masterskala erfolgen.32 Wie in Ab-
bildung 6 deutlich wird, geht man hierbei davon aus, dass mit zunehmendem Abstand eines
Kreditnehmers von der Trenngeraden bzw. der Hyperebene die Wahrscheinlichkeit für Sol-
venz bzw. Insolvenz steigt.33 Durch dieses Vorgehen kann trotz des eigentlich dichotomen
Charakters der LMDA eine Ordinalität der Ergebnisse erreicht werden.
Drei wesentliche Konzepte lassen sich bei der Klassifikation neuer Elemente im Bereich der
Diskriminanzanalyse unterscheiden. Bei den einfachen Klassifizierungsfunktionen, wie sie
von Fisher entwickelt worden sind, werden wie in Abbildung 5 dargestellt, je nach gewünsch-
ter Anzahl der Klassen ausgehend von der Diskriminanzfunktion, entsprechend viele Klassi-
fizierungsfunktionen bestimmt. Diese Klassifizierungsfunktionen entsprechen in Art und
Aufbau weitgehend der zuvor ermittelten Diskriminanzfunktion.
Die zweite Möglichkeit der Zuordnung neuer Elemente zu Ratingklassen besteht in dem so
genannten Distanzkonzept. Ein neues Element wird hierbei eben der Gruppe zugeordnet, bei
dem die Distanz zwischen dem Element und dem Gruppenmittel der entsprechenden Gruppe
minimal wird.34
Das flexibelste Konzept zur Klassifikation neuer Elemente stellt das so genannte Wahrschein-
lichkeitenkonzept dar. Vorteilhaft ist dieses Konzept vor allem daher, weil hier eine Berück-
sichtigung von ungleichen „Fehlklassifikationskosten“ erfolgen kann. Es ist bei diesem Kon-
zept also möglich, die Fehlklassifikationskosten für D-Fehler und ȕ-Fehler differenziert zu
betrachten.35 Zu diesem Zweck bedient man sich der so genannten Bayes-Regel, da diese
unter allen Entscheidungsregeln die kleinste Fehlerrate aufweist. Hierdurch kann eine Zuord-
nung zu eben der Gruppe erfolgen, bei welcher der Erwartungswert der Kosten minimal ist.
Eine wesentliche theoretische Anwendungsvoraussetzung aller drei hier vorgestellten Klassi-
fikationskonzepte ist die notwendige Gleichheit der Streuung in den Gruppen (das heißt
gleiche Kovarianzmatrizen). Mit der LMDA ist der wesentliche Vorteil verbunden, dass hier
eine Verdichtung der Informationsgrundlage zu einer einzigen Entscheidungsgröße erfolgt
und das subjektive Element somit weitgehend ausgeschaltet werden kann.
Die in der Literatur diskutierte Kritik an der LMDA lässt sich in zwei verschiedene Bereiche
einteilen.36 Einerseits werden häufig allgemeine Probleme statistischer Verfahren zur Boni-
tätsanalyse angesprochen, andererseits werden explizit die LMDA betreffenden Probleme
diskutiert. Zu der ersten Gruppe der Probleme gehört das häufig angebrachte Argument, dass
bei statistisch-mathematischen Verfahren der Jahresabschlussanalyse grundsätzlich ange-
nommen wird, die Entwicklungen der Vergangenheit seien in die Zukunft zu übertragen.
Ein weiteres Problem dieser Verfahren liegt in der häufig fehlenden Repräsentativität der
Stichproben. Diese fehlende Repräsentativität liegt vor allem an der Ablehnung von Kreditan-
trägen vor Aufnahme in die Datengrundlage.37 Darüber hinaus werden die ermittelten Trenn-
scores zunächst als im Zeitablauf stabil unterstellt, tatsächlich aber ist eine regelmäßige Kor-
rektur der Trennscores erforderlich.38 Auch ist die fehlende theoretische Fundierung statis-
tisch-mathematischer Verfahren zu bemängeln.39 Dieses Problem wird häufig als Black-Box-
Problem bezeichnet, da die Ausgabewerte betriebswirtschaftlich nicht begründet werden.40
Aber auch einige spezifische Probleme der LMDA werden häufig diskutiert. So besteht zwar
die Möglichkeit der Einbringung komplex aufgebauter Kennzahlen, die durch ihren Aufbau
zu einem nichtlinearen Funktionsverlauf führen, jedoch erfolgt die Optimierung der Diskri-
minanzfunktion weiterhin lediglich im Rahmen der Anpassung der Gewichte der linearen
Diskriminanzgrundfunktion. Weiterhin müssen für die Anwendung der LMDA eine Reihe
von statistischen Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sein, die in der Realität häufig nicht
gegeben sind (beispielsweise die Annahme gleicher Kovarianzmatrizen in den Gruppen).41
Ein ebenso häufig beschriebenes Problem bei der LMDA stellt die Berücksichtigung von
qualitativen Faktoren dar. Für dieses Problem wurde allerdings bereits ein Lösungsansatz
entwickelt.42 Hierbei wird zunächst versucht, die optimale Anzahl an Abstufungen eines
qualitativen Merkmals zu ermitteln. Bei nominalskalierten Merkmalen wird hiernach iterativ
die Rangfolge bestimmt, nach der die möglichen Kennzahlenwertausprägungen (beispiels-
weise verheiratet, geschieden etc.) mit der Ausprägung der Kriteriumsvariablen korrelieren.
Bei ordinalskalierten Merkmalen ist die Rangfolge der Merkmalsausprägung zu prüfen und
unter Umständen umzusortieren (beispielsweise Management ist sehr gut, Management ist
gut etc.). Die Berücksichtigung qualitativer Faktoren ist somit im Rahmen der LMDA zwar
nicht unproblematisch, grundsätzlich aber möglich.
Die zurzeit wichtigste Gruppe statistischer Insolvenzprognoseverfahren stellen die Logit- und
Probit-Modelle dar. Diese sind der multivariaten Diskriminanzanalyse ähnlich. Das Logit-
Modell wird daher teilweise auch als die logistische Diskriminanzanalyse bezeichnet.43
Diese Modelle bieten gegenüber der multivariaten Diskriminanzanalyse vor allem den Vor-
teil, dass kategoriale Risikofaktoren unproblematischer mit einbezogen werden können. Wäh-
rend quantitative metrische Faktoren durch einfache Gewichtung der Kennzahlenwertausprä-
gung berücksichtigt werden können, besteht bei kategorialen Faktoren das Problem der man-
gelnden Quantifizierbarkeit der Merkmalsausprägungen. Um solche Faktoren mit in die
Analyse einbeziehen zu können, bedient man sich im Rahmen der Logit- und Probit-Analyse
so genannter Dummy-Variablen. Über diese können Merkmale beliebiger Skalierung in das
Modell aufgenommen werden.44 Alle kategorialen Faktoren werden hierbei in ein 0-1-
Ausprägung (binär) zerlegt.45 Im Folgenden wird die Vorgehensweise am Beispiel des Logit-
Modells dargestellt.
Der Ursprung der logistischen Regression (Logit) liegt in der linearen Regressionsanalyse.
Bei der linearen Regressionsanalyse hängt die Ausprägung der zu erklärenden Variable zi
(Regressand) von der Summe der gewichteten Ausprägungen der erklärenden Variablen xij
(Regressoren) ab:46
zi ß0 ß1 xi1 ß2 xi 2 ß j xij u i
mit:
zi = Ausprägung der abhängigen Variablen bei Subjekt i (i=1,2,...., I)
xij = Ausprägung der j-ten beobachteten unabhängigen Variablen bei Subjekt i (i=1,2,...,I
und j= 1,2 ..., k)
ßj = Koeffizient der unabhängigen Variablen j (j=1,2,..., k)
ßo = Absolutglied
ui = Störgröße (beinhaltet die Residuen)
Die Störgröße ui ist eine Zufallsvariable und enthält die nicht erklärbaren Einflussgrößen des
klassischen linearen Regressionsmodells.47 Dies sind all jene zufälligen Einflüsse, die neben
dem systematischen Einfluss der Variablen xij auf die abhängige Variable zi wirken.48 Ge-
meint sind hiermit also die Residuen der Gleichung. Diese ergeben sich aus den Abweichun-
gen der empirischen Werte für zi von den durch die Regressionsgleichung vorgegebenen
Werten. Annahmegemäß sind diese Residualgrößen normalverteilt.49 Da die logistische Ver-
teilung der Normalverteilung sehr nahe kommt, wird im Rahmen der logistischen Regression
eine logistische Verteilung der Residuen unterstellt. Der Erwartungswert des Faktors ui wird
annahmegemäß gleich 0 gesetzt, es wird also davon ausgegangen, dass die Einflüsse der
Residuen sich im Mittel gegenseitig ausgleichen.
Bei der Insolvenzprognose besteht das Problem, dass die abhängige Variable (Yi ) nur die
Werte 0 für solvent und 1 für insolvent annehmen kann (dichotomes Modell), wegen dieser
Tatsache ist der lineare regressionsanalytische Ansatz nicht anwendbar, da die endogene
Variable hierbei auch Werte außerhalb dieser Ausprägungen annehmen kann. Dieser der
endogenen Variablen Yi zuzuordnende „Defekt“ der linearen Regressionsanalyse wird im
logistischen Regressionsmodell in drei Schritten behoben:50
1. Es wird nicht die Gruppenzugehörigkeit, sondern die im Intervall [0,1] stetige Wahr-
scheinlichkeit dieser Gruppenzugehörigkeit P(Yi = 1) als abhängige Größe betrachtet.
46 Eine gute Einführung in die Methodik der logistischen Regression geben Backhaus et al. (2003), S. 417–
477.
47 Für eine Diskussion der kritischen Prämissen der klassischen Regressionsmodelle (die Störgrößen haben
einen Erwartungswert von 0, sind homoskedastisch, voneinander unabhängig etc.) siehe Bleymül-
ler/Gehlert/Gülicher (2002), S. 139–179; Backhaus et al. (2003), S. 45–116.
48 Vgl. Backhaus et al. (2003), S. 69.
49 Vgl. ebenda, S. 422.
50 In Anlehnung an Rese/Bierend (2001), S. 235–236.
Verfahren und Prozesse des Finanzratings 73
P( Yi 1 )
Oi
1 P( Yi 1 )
Wenn sich nun die Eintrittswahrscheinlichkeit 1 annähert, entwickelt sich Oi gegen +f.
Umgekehrt führt eine Eintrittswahrscheinlichkeit nahe 0 zu einem Oi nahe 0.
3. In einem weiteren Schritt werden diese Odds nun logarithmiert, um einen beidseitig un-
begrenzten Wertebereich von –f bis +f erreichen zu können. Dieses logarithmierte
Chancenverhältnis wird auch als Logit der Wahrscheinlichkeit für Yi = 1 bezeichnet.51
§ P( Yi 1 ) ·
ln¨¨ ¸¸ ß0 ß1 xi 1 ß2 xi 2 ß j xij
© 1 P( Yi 1 ) ¹
§ P( Yi 1 ) · 1
ln¨¨ ¸¸ zi Ù P(Yi 1)
1 e zi
© 1 P( Yi 1 ) ¹
mit:
zi ß0 ß1 xi1 ß2 xi 2 ß j xij
Die Exponentialform der Gleichung führt dazu, dass der Wahrscheinlichkeitswert für alle
möglichen Werte der Inputparameter (x- und ȕ-Werte) ausschließlich innerhalb des Intervalls
[0,1] liegt. Der Funktionsverlauf der oben beschriebenen Gleichung wird in Abbildung 7
dargestellt.
P(Y=1)
0,875
0,75
0,625
0,5
0,375
0,25
0,125
Prädiktor Z
0
–5 –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 5
Ähnlich wie bei der einfachen multivariaten Diskriminanzanalyse wird mit der logistischen
Regression das Ziel verfolgt, die Gewichtungsfaktoren ßj für die Kennzahlenwertausprägun-
gen xij so zu bestimmen (zu schätzen), dass eine optimale Diskriminierung der beiden zu
trennenden Gruppen erreicht wird.
Zur Schätzung der Gewichtungsfaktoren bedient man sich dabei der Maximum-Likelihood-
Methode. Bei der Lösung des Problems wird ein Maximierungsproblem konstruiert. Zu ma-
ximieren ist dabei das Produkt aus den Wahrscheinlichkeiten der korrekten Zuordnung zur
jeweils richtigen Gruppe [Gruppe der solvent gebliebenen (Yi = 0) oder Gruppe der insolvent
gewordenen (Yi = 1)].
L p (Y
Yi 1
i i 1) (1 pi (Yi
Yi 0
1))
Nach der Aufstellung dieser L-Funktion ist das Maximum der Funktion zu bestimmen. Nach
den Regeln der Differentialrechnung wird diese Funktion durch die partiellen Ableitungen
nach den einzelnen Parametern und anschließendem Nullsetzen der Ableitungen maximiert.52
Verlauf für Z
P(Y=1)
0,875
0,75
0,625
0,5
0,375
0,25
0,125
0 Prädiktor Z
–5 –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 5
z ß ß x ß x ß x
i 0 1 i1 2 i2 j ij
i
LL ln( L) ¦ln( p (Y
Yi 1
i i 1)) ¦ln(1 p (Y
Yi 0
i i 1))
Ein L-Wert nahe 0 führt durch dieses Vorgehen zu sehr großen negativen LogLikelihood-
Werten (LL-Werten).53 Konvergiert nun ein ßj gegen f, so nähert sich der LL-Wert 0 an. In
einem solchen Fall würde der in Abbildung 7 dargestellte Funktionsverlauf eine sehr große
Steigung annehmen, und die Prognosegüte des Systems wäre erwartungsgemäß sehr groß,
das heißt es wäre mit einer sehr guten Trennschärfe des Systems zu rechnen.
Weiterhin wird in Abbildung 8 der wichtigste Wesensunterschied zwischen der linearen
Regression und der multivariaten Diskriminanzanalyse dadurch deutlich, dass nicht die abso-
luten Häufigkeiten der tatsächlich solvent gebliebenen und der insolvent gewordenen darge-
stellt werden, sondern die Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit zu der Gruppe der insolven-
ten Kreditnehmer im Verhältnis zur Ausprägung des linearen Prädiktors zi.
Eine Interpretation der ermittelten Ergebnisse ist im Rahmen der logistischen Regression
aufgrund der Nichtlinearität der logistischen Funktion nicht unproblematisch. Zwar liefern
die Einzelgewichte eine Information über den relativen Einfluss einer Kennzahlenwertaus-
prägung auf die Ausprägung eines linearen Prädiktors, die absolute Höhe des Einflusses einer
Kennzahl auf das Ratingergebnis lässt sich jedoch aufgrund des nichtlinearen Funktionsver-
laufs nicht direkt ableiten. Zur Interpretation der Ergebnisse der Logit-Analyse ist daher nun
zwischen Wirkungsrichtung und Wirkungsstärke der Parameter zu unterscheiden.
Die Wirkungsrichtungen der Parameter der Logit-Analyse sind wegen des logistischen Funk-
tionsverlaufs leicht interpretierbar. Positive ȕ-Werte bedeuten bei steigendem x eine größere
geschätzte Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Insolvenz [für den Fall, dass P(Yi = 1) die
Wahrscheinlichkeit der Gruppenzugehörigkeit zu der Gruppe der insolventen Unternehmen
bezeichnet]. Für negative ȕ-Werte gilt der gegenläufige Zusammenhang.
Aufgrund der logistischen Verteilungsannahme ist allerdings keine direkte Interpretation der
Wirkungsstärke der Koeffizienten aus logistischen Regressionsmodellen möglich.54 Die
korrekte Deutung der Ergebnisse der Logit-Analyse ist mit zwei Problemen verbunden. Zum
einen sind die ȕ-Werte vor allem bei unterschiedlichen Skalierungen der untersuchten Kenn-
zahlen nicht untereinander vergleichbar, zum anderen ist die Wirkung der Kennzahlenwert-
ausprägung nicht über ihre gesamte Bandbreite konstant, da aufgrund des nichtlinearen Ver-
laufs der logistischen Verteilung die Änderung einer Kennzahlenwertausprägung bei einer
Ausprägung des linearen Prädiktors beispielsweise nahe 0 aufgrund der in dem Bereich stär-
keren Steigung der Funktion einen größeren Einfluss auf die geschätzte PD hat als an anderer
Stelle. Für den Fall, dass standardisierte unabhängige Variablen eingesetzt werden, kann über
die Höhe des jeweiligen ßj direkt eine Aussage über den Einfluss und die Güte der
entsprechenden Variable abgeleitet werden.
Um weitere Informationen über die Wirkungsstärke einer unabhängigen Variablen zu erhal-
ten, bedient man sich zumeist so genannter Odd Ratios für jede unabhängige Variable. Diese
beschreiben die Veränderung des Chancenverhältnisses (Odds) bei der Zunahme einer be-
stimmten Kennzahlenwertausprägung um eine empirische Einheit bei ansonsten gleichen
Bedingungen.55 Die Odd Ratio ist somit folgendermaßen definiert:
p xi 1
(1 p xi 1 ) ßj
Odd Ratio e
p xi
(1 p xi )
Odd Ratios zeigen also an, wie sich das Chancenverhältnis von der Chance der Zugehörigkeit
zur Gruppe der Insolventen bzw. der Gegenwahrscheinlichkeit ändert, wenn sich die Merk-
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Verfahren und Prozesse des Finanzratings 79
Rudolf Schüller
5. Betriebswirtschaftliche Auswertung
5.1 Bestandteile der betriebswirtschaftlichen Auswertung
5.2 Erforderliche Anpassungen der betriebswirtschaftlichen Auswertung
5.3 Analyse der betriebswirtschaftlichen Auswertung
Bei der Analyse der Vermögenslage gehen Genossenschaftsinstitute und Sparkassen unter-
schiedliche Wege. Im Ratingverfahren BVR-II wird als Kennzahl der Vermögenslage nicht
nur das klassische bilanzielle Eigenkapital untersucht. Hier werden die Rückstellungen hin-
zugerechnet, da diese nach der im BVR-II-Verfahren verwendeten Systematik den Unter-
nehmen meistens langfristig zur Verfügung stehen und daher durchaus analog dem Eigenka-
pital gewertet werden können. Je höher diese Kennzahl ist, desto besser ist es um die Sub-
stanz des Unternehmens bestellt. Dies hat direkten Einfluss auf das Ratingergebnis.
BVR-II-Kennzahl Vermögenslage = (Bilanzielles Eigenkapital + Rückstellungen) / Ge-
samtkapital
Demgegenüber untersuchen die Sparkassen im Einheitlichen Rating für Gewerbekunden (0,5
bis 2,5 Millionen Euro Umsatz) und Firmenkunden (über 2,5 Millionen Euro Umsatz) eine
Eigenkapitalquote, berechnet aus dem wirtschaftlichen Eigenkapital im Verhältnis zur
Bilanzsumme.
Gezeichnetes Kapital
– Ausstehende Einlagen
+ Rücklagen
+/– Gewinn- bzw. Verlustvortrag
+/– Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag
+ 50 Prozent des Sonderpostens mit Rücklagenanteil
+ Mittel- und langfristige Darlehen nicht haftender Gesellschafter
– Forderungen an Gesellschafter
= Wirtschaftliches Eigenkapital
1.2 Kapitalbindung
Umsatzes in kurzfristigen Verbindlichkeiten gebunden ist und damit faktisch nicht mehr frei
verfügbar ist. Das BVR-II-Rating verzichtet auf eine Kennzahl aus diesem Bereich, im BP-14
wird eine analoge Kennzahl genutzt.
Kapitalbindung = (Kurzfristige Bankverbindlichkeiten + Kurzfristige Verbindlichkeiten aus
Lieferungen und Leistungen + Akzepte + Kurzfristige sonstige Verbindlichkeiten) /
Gesamtleistung
1.3 Fremdkapitalstruktur
Diese Kennziffer berechnet den Teil des Fremdkapitals, der tatsächlich zur Bedienung von
Drittgläubigern abfließen wird. Die erhaltenen Anzahlungen sind hier zu kompensieren, da
sonst Unternehmen aus den Bereichen Anlagenbau und Bau schlechtere Ergebnisse zeigen
würden.
Fremdkapitalstruktur = (Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen + Akzepte +
Bankverbindlichkeiten) / (Fremdkapital – Erhaltene Anzahlungen)
Das BP-14 nutzt eine identische Kennzahl; im BVR-II-Rating wird keine analoge Kennzahl
verwendet.
Die Darstellung der Finanzlage des Unternehmens kann durch eine Vielzahl von bilanzpoliti-
schen Gestaltungsmöglichkeiten beeinflusst werden. Darüber hinaus gibt die statische Bilanz
keine Informationen zur tatsächlichen Liquiditätslage des Unternehmens. Die systematische
Zuordnung von Kennzahlen zur Finanz- bzw. Liquiditätsanalyse wird darüber hinaus durch
eine Vielfalt verwendeter Begriffe und Faktoren erschwert. Daher werden in diesem Ab-
schnitt die Begriffe nicht exakt getrennt. Die Cashflow-Kennzahlen, die in den folgenden
Abschnitten dargestellt sind, konkurrieren in der klassischen Bilanzanalyse mit Finanzfluss-
rechnungsverfahren. Verwendung findet der Cashflow darüber hinaus in der Analyse der
Ertragslage.
86 Rudolf Schüller
2.1 Cashflow-Kennzahlen
Der Begriff des Cashflow wird nicht einheitlich verwendet, sondern je nach dem Zusammen-
hang seiner Betrachtung entsprechend definiert. Im Rahmen der Ratingbetrachtungen kann
der Cashflow als finanzielle „Stromgröße“ angesehen werden, die den in einer zeitlichen
Periode erfolgswirksam erwirtschafteten Zahlungsmittelüberschuss angibt. Daher lässt sich
über den Cashflow erkennen, in welchem Verhältnis ein Unternehmen Finanzmittel aus eige-
ner Tätigkeit erwirtschaftet hat. Der Cashflow ist ebenso ein Indikator dafür, inwieweit sich
ein Unternehmen selbst finanzieren kann. Daher wird auch der Begriff der „Innenfinanzie-
rung“ verwandt. In der Bankpraxis definiert sich der Cashflow als Summe aus Betriebsergeb-
nis und AfA auf Sachanlagen. Im BP-14 wird eine analoge Kennzahl genutzt.
Cashflow-Kennzahl 1 = Cashflow / Kurzfristiges Fremdkapital
Die Cashflow-Kennzahl 1 misst die Fähigkeit von Unternehmen, die kurzfristige Verschul-
dung aus dem erwirtschafteten Überschuss an Zahlungsmitteln zu decken. Damit kommt sie
dem vorgenannten Grundgedanken der Darstellung der Innenfinanzierungskraft nahe.
Cashflow-Kennzahl 2 = (Betriebsergebnis + AfA auf Sachanlagevermögen) / (Fremdkapital
+ Flüssige Mittel)
Hier wird die Fähigkeit des Unternehmens dargestellt, seine kurz- und langfristigen Verbind-
lichkeiten aus dem Cashflow abzudecken. Das Fremdkapital wird dabei um die Liquiditäts-
mittel bereinigt. Grundsätzlich gilt: Je höher der Cashflow, desto besser ist es um die Finan-
zierungskraft des Unternehmens bestellt.
Die vorgenannten Kennzahlen finden im Einheitlichen Rating der Sparkassen Verwendung
und werden dort als Finanzkennzahlen definiert. In das BVR-II-Rating fließt eine Cashflow-
Kennzahl in die Analyse der Ertragslage ein.
2.2 Kreditorenlaufzeit
Das BVR-II-Rating geht im Finanzbereich einen anderen Weg. In der Regel gibt die verwen-
dete Kennzahl den Vom-Hundert-Anteil der Zinsaufwendungen an der Gesamtleistung des
Unternehmens an, da in der Zielgruppe des BVR-II-Ratings Beteiligungserträge eher eine
untergeordnete Rolle spielen. Daher ist diese Kennzahl meistens negativ. Je weniger negativ
der Wert ist, desto besser. Hier wird aus der Höhe der Zinsaufwendungen indirekt auf die
Finanzierungslasten des Unternehmens geschlossen. Dabei ist allerdings die Verlagerung der
Finanzierung durch Inanspruchnahme oder auch Überschreitung von Lieferantenzielen nicht
erfasst.
Finanzkennzahl BVR-II-Rating = Finanzergebnis / Gesamtleistung
Die Untersuchung der Ertragslage ist auch in den Bankratingverfahren von hoher Bedeutung.
Im zweiten Konsultationspapier zur Baseler Eigenmittelvereinbarung war die Fähigkeit des
Unternehmens, nachhaltig Erträge zu erwirtschaften, noch als Untersuchungskriterium aufge-
führt. Die gewählten Ansätze hierzu unterscheiden sich allerdings deutlich. Dies macht die
Darstellung der genutzten Kriterien deutlich.
3.1 Zinsaufwandsquote
Hier wird die Ertragsbelastung durch verzinsliches Fremdkapital in Relation zur Gesamtleis-
tung gemessen. Diese Kennzahl des Einheitlichen Ratings entspricht der im Finanzteil des
BVR-II-Ratings verwendeten. Hier zeigt sich erneut der unterschiedliche systematische An-
satz. Im Übrigen gelten aber die oben gegeben Erläuterungen analog.
88 Rudolf Schüller
3.2 Return-on-Investment
Die Kennzahl Return-on-Investment bzw. ROI gibt an, welchen Ertrag (oder Verlust) das
eingesetzte Kapital (Eigenkapital und Fremdkapital) erwirtschaftet hat.
ROI im Einheitlichen Rating = Betriebsergebnis / Bilanzsumme
ROI im BVR-II-Rating = (Betriebsergebnis vor Steuern + Planmäßige AfA) / Bilanzsumme
Hier wird die um Abschreibungen korrigierte betriebliche Gesamtkapitalrentabilität beurteilt.
Bei dieser Betrachtung wird das Finanzergebnis vollständig als betrieblich bedingt eingestuft.
Je höher dieser Wert ist, desto rentabler wirtschaftet das Unternehmen im Kerngeschäft.
Dieser Wert hat ebenfalls direkten Einfluss auf das Rating.
Beide Verfahren weichen von der in der klassischen Bilanzanalyse genutzten Definition des
ROI ab und nutzen eine einfachere Berechnungsweise, die den Kapitalumschlag nicht ins
Verhältnis zur Umsatzrentabilität setzt. In der klassischen Analyse wird der Return on In-
vestment als Kennzahl betrachtet, die sich aus Ertrags-, Umsatz- und Kapitalkomponenten
zusammensetzt. Der ROI zeigt, welche Veränderungen der Gesamtrentabilität auf die Verän-
derungen der Umsatzrentabilität und/oder der Kapitalumschlagshäufigkeit zurückzuführen
sind. Innerhalb eines Geschäftsjahres sind Konstellationen vorstellbar, unter denen die Um-
satzrentabilität nachlässt, zur gleichen Zeit aber die Kapitalumschlagshäufigkeit ansteigt.
Durch Verwendung der ROI-Kennzahl können entsprechende Tendenzen erkannt werden.
3.3 Rohertragsquote
Dieses Kriterium findet sich im Gewerbekundenrating der Sparkassen und ersetzt dort die bei
den größeren Firmenkunden gewählten ROI-Kennziffern. Im produzierenden Gewerbe ergibt
die Rohertragsquote den wirtschaftlichen Erfolg als Differenz aus Umsätzen und Material-
aufwand. Bei Handelsfirmen ist dies die Handelsspanne. Diese ist sehr trennscharf und wird
daher für diese Unternehmen innerhalb des Ratings höher gewichtet.
Rohertragsquote im einheitlichen Rating = Rohertrag / Gesamtleistung
Instrumente und Kriterien des Finanzratings 89
3.4 Mietaufwandsquote
Diese Kennziffer zeigt auf, ob sich Miet- bzw. Leasingaufwendungen in einer angemessenen
Relation zur Gesamtleistung bewegen. Da Produktionsunternehmen in der Regel Eigentümer
der Firmenimmobilien und Maschinen sind, wird diese Kennzahl überwiegend bei Handels-
und Dienstleistungsunternehmen analysiert.
Mietaufwandsquote im Einheitlichen Rating = Mietaufwand / Gesamtleistung
Denkbar, allerdings in den Standardratingverfahren der Kreditwirtschaft eher nicht genutzt
sind weitere Aufwandsrelationen, beispielsweise der Personalaufwand. Das BP-14 verwendet
die Kennziffer Personalaufwandsquote, verzichtet aber wiederum auf die Analyse anderer
Aufwandsrelationen. In der klassischen Bilanzanalyse werden sowohl Rohertrag als auch
Personalaufwand häufig kombiniert betrachtet, da deren Relationen sich bei Produktions-,
Handels- und Dienstleistungsunternehmen signifikant unterscheiden, aber häufig in der ku-
mulierten Betrachtung (Rohergebnis nach Materialaufwand und Personalkosten) wieder
ähnliche Relationen aufweisen.
Das Finanzrating der Sparkassenorganisation differenziert die Firmenkunden nach vier Sekto-
ren sowie nach fünf Größenklassen. Die Abfrage der Soft Facts (oder, wie sie im Einheitli-
chen Rating des DSGV genannt werden, der „harten qualitativen Faktoren“) wird bei Unter-
nehmen ab 20 Millionen Euro Umsatz um einen weiteren Teil ergänzt.
Die Sektoren sind Produktion, Handel, Dienstleistung sowie – für Unternehmen ohne eindeu-
tigen Schwerpunkt – „Standard“. Die Größenklassen werden wie folgt gegliedert:
90 Rudolf Schüller
Je nachdem, welchem Sektor ein Unternehmen zuzurechnen ist, werden die Kennzahlen im
Finanzrating unterschiedlich gewichtet. Die folgende Tabelle zeigt die Standardgewichtung
für Unternehmen ohne eindeutigen Schwerpunkt.
Da es sich beim Finanzrating um ein standardisiertes Verfahren handelt, kann es nicht alle
Einzelfälle adäquat abbilden. Für Ausnahmen muss es hier die Möglichkeit der Überschrei-
bung geben. Überschreibungsgründe sind beispielsweise:
Investitionsverhalten mit signifikanten Auswirkungen auf die zukünftige Kapitaldienstfä-
higkeit,
aktuelle hohe Forderungsverluste,
erforderliche, nicht vorgenommene Teilwertabschreibungen auf Vorräte,
stille Reserven in wesentlicher Höhe oder
negative Veränderungen, die aus aktuellen unterjährigen Daten durch betriebswirtschaftli-
che Analyse erkennbar werden.
Damit die Überschreibung im angemessenen Umfang erfolgt, wird eine Bilanzauswertung
mit den veränderten Werten simuliert und deren Ergebnis ins Rating eingefügt. Überschrei-
bungen erfordern in jedem Einzelfall ausführliche Begründungen, nicht zuletzt, weil von der
Standardbehandlung abweichende Fälle immer auch dem besonderen Augenmerk von inter-
ner und externer Revision unterliegen. Sofern nur veraltete Bilanzdaten vorliegen, werden
Mali vergeben, das heißt das Ratingergebnis verschlechtert sich um eine oder mehrere Stufen.
5. Betriebswirtschaftliche Auswertung
Die Analyse des Jahresabschlusses ist ein klassisches, wesentliches Instrument zur Bonitäts-
beurteilung des Unternehmens bei Banken und Sparkassen, das auch im Rahmen der genutz-
ten Ratingverfahren seine Bedeutung behalten hat. Obwohl die Jahresabschlussanalyse bei
den Kreditinstituten einen hohen Stellenwert besitzt, ist sie – aufgrund ihres ausschließlich
vergangenheitsorientierten Charakters – im Rahmen der Risikofrüherkennung nur bedingt
einsetzbar. Oft vergehen etliche Monate, bis der Bank oder Sparkasse die Bilanzunterlagen
vom Kreditnehmer eingereicht werden. Gerade wenn die Analyse Risiken aufzeigt, ist zu
bedenken, dass diese durch die aktuelle Entwicklung in der Zwischenzeit wesentlich dramati-
scher sein können, als dies allein aus der Jahresabschlussanalyse erkennbar wird. Ein Kredit-
institut soll sich daher nicht nur auf diese vergangenheitsorientierten Zahlen verlassen, son-
dern auf der Basis möglichst aktueller Zahlen eine Aussage über die zukünftige Entwicklung
treffen.
Um einen frühzeitigen Einblick in die aktuelle Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse
zu erhalten und negative Tendenzen rechtzeitig zu erkennen, sollte auf betriebswirtschaftliche
Auswertungen zurückgegriffen werden. Diese sind vom Unternehmen grundsätzlich zeitnah
nach dem jeweiligen Monatsende vorzulegen. Bei den betriebswirtschaftlichen Auswertungen
(BWA) handelt es sich um unterjährige Zahlen aus der Finanzbuchhaltung. Am häufigsten ist
in der Praxis die Datev-BWA nach dem EDV-System der Datev eG anzutreffen. Aufgrund
dieser weiten Verbreitung wird die Datev-BWA nachfolgend beispielhaft dargestellt.
Die betriebswirtschaftliche Auswertung besteht im Idealfall aus den folgenden fünf Teilberei-
chen:
Die kurzfristige Erfolgsrechnung ist eine unterjährige Gewinn- und Verlustrechnung mit
dem Ziel, ein vorläufiges Ergebnis zu ermitteln. Es werden sowohl die Werte des jeweili-
gen aktuellen Buchungsmonats als auch die kumulierten Jahreswerte (einschließlich des
letzten Buchungsmonats) ausgewiesen. Außerdem werden die Zahlen in Prozentsätzen
aufgeführt.
Die Vergleichs-BWA baut auf der kurzfristigen Erfolgsrechnung auf und vergleicht die
ermittelten Zahlen zusätzlich mit den Vorjahreswerten sowohl auf Basis des aktuellen Mo-
nats als auch auf kumulierter Basis. Damit können erste Aussagen über die Unterneh-
Instrumente und Kriterien des Finanzratings 93
Da die BWA auf den getätigten Buchungen basiert, ergibt sie im Jahresverlauf ein verzerrtes
Bild der Lage des Unternehmens. Dies resultiert aus der fehlenden Periodenabgrenzung be-
stimmter Buchungen, die üblicherweise erst am Jahresende getätigt werden. Beispielsweise
gilt dies für Versicherungsprämien, die häufig im Januar eines Jahres vorausgezahlt werden.
Ebenso ist der Bereich der Abschreibungen, wenn nicht die Möglichkeit der Buchung kalku-
latorischer Abschreibungen genutzt wird, häufig nicht periodengerecht dargestellt. Erhebli-
chen Einfluss kann der Verkauf von Anlagegegenständen haben, wenn die dazugehörige
Restbuchwertkorrektur nicht zeitnah vorgenommen wird.
Ein weiterer erheblicher Einflussfaktor auf die Aussagekraft des Periodenergebnisses sind die
Bestandsveränderungen bei Rohstoffen und Fertigwaren. Werden diese nicht berücksichtigt,
sinkt die Aussagekraft der BWA massiv. Ebenso werden Zinsen erst bei tatsächlicher Belas-
tung auf dem Konto erfasst. Bei der üblichen quartalsweisen Zinsbelastung im Kontokorrent
94 Rudolf Schüller
ergibt sich damit ebenso ein zu gutes Bild wie bei der halbjährlichen oder jährlichen Zinsbe-
lastung aus Darlehen. Dies gilt insbesondere für Darlehen von Gesellschaftern, da deren
Zinsergebnis in aller Regel erst bei der Aufstellung des Jahresabschlusses ermittelt wird.
Daher sind die vorgenannten Kriterien im Rahmen der BWA-Analyse auf jeden Fall zu be-
rücksichtigen.
In der kreditwirtschaftlichen Praxis ist die Auswertung der vom Kunden vorgelegten unter-
jährigen Daten derzeit noch sehr unterschiedlich. Während einige Institute die BWA-Daten
mit Hilfe entsprechender Programme (zum Beispiel BWA-Valid) aufbereiten und analysieren,
beschränken sich andere auf eine kurze manuelle Durchsicht ohne umfangreiche Auswertung.
Sofern eine umfassende Analyse vorgenommen wird, orientiert sich diese an den oben darge-
stellten Kennzahlen des Finanzratings. Darüber hinaus werden hier Zeitreihen untersucht, um
negative Tendenzen in der Engagemententwicklung zeitnah erkennen zu können. Im Zwei-
felsfall werden beim Kunden weitere Erläuterungen oder Daten nachgefordert, um ein mög-
lichst aussagekräftiges Bild der aktuellen Lage zu erhalten.
Direkter Bestandteil der aktuellen Ratingverfahren ist die BWA-Analyse derzeit nicht. Ihre
Ergebnisse fließen allerdings in das Ratingergebnis des Kunden ein und führen im Einzelfall
zu aktuellen Überschreibungen des Ratingwertes.
Literatur
4. Empirisch-statistische Ratingmodelle
4.1 Entwicklung eines Ratingmodells
4.2 Induktive versus deduktive Verfahren
4.3 Lineare Ratingmodelle
4.4 Nichtlineare Ratingmodelle am Beispiel Künstlicher Neuronaler Netze
6. Zusammenfassung
Literatur
Auf die Ratingnote, also das Ergebnis des Ratingprozesses, nehmen zwar sowohl das Kredit-
institut (beim so genannten internen Rating) oder die Ratingagentur (beim so genannten
externen Rating) als auch der Kreditnehmer als Untersuchungsgegenstand Einfluss. Aber die
Ratingnote wird auch wesentlich durch das eingesetzte Ratingsystem determiniert. Im Ein-
zelnen gehören zu den Einflussfaktoren eines Ratingsystems (vgl. Abbildung 1)
die Informationen, die vom (potenziellen) Kreditnehmer zur Verfügung gestellt werden,
die Informationen, die von dem Kreditinstitut oder der Ratingagentur zusätzlich herange-
zogenen werden (zum Beispiel Branchendaten, Branchenvergleiche, volkswirtschaftliche
Daten, persönliche Eindrücke aus den Kreditgesprächen, Informations- und Kommunika-
tionspolitik des Kreditnehmers),
die Bewertung der von dem (potenziellen) Kreditnehmer zur Verfügung gestellten Infor-
mationen durch das Kreditinstitut oder die Ratingagentur und deren Eingabe in das Ra-
tingsystem,
der Aufbau und die Struktur des Ratingsystems, das die Informationen verarbeitet, und
das zugrunde liegende Ratingmodell, das die Zuordnung zu den Ratingklassen auf der
Ratingskala vornimmt.
formationen
onseingabe
Aufbau und
klassenzu-
tionsverar-
tionspolitik
Informati-
Zusatzin-
Informa-
Informa-
Informa-
ordnung
Struktur
beitung
Rating-
tionen
Somit hat das Unternehmen vor der Formulierung seiner Ratingpolitik unter anderem auch
das Ratingsystem und dessen Einfluss auf die Ratingnote zu analysieren, um die vorhandenen
98 Adem Alparslan / Karl-Heinz Bächstädt / Arnd Geldermann
Einflussmöglichkeiten auf das Rating und die Chancen des Unternehmens, eine bestimmte
Ratingnote (mindestens) zu erreichen, beurteilen zu können.
Das Ziel des Beitrags ist, den Einfluss des Ratingsystems, insbesondere eines Ratingmodells
auf das Rating zu illustrieren. Hierzu werden zunächst verschiedene, in Wissenschaft und
Praxis intensiv diskutierte statistische Verfahren zur Bestimmung eines Ratingmodells als
Teil eines Ratingsystems vorgestellt und im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit, die zukünf-
tige Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens zutreffend und stabil zu prognostizieren, bewer-
tet, wobei nicht der Anspruch erhoben wird, eine umfassende Evaluation der Ratingmodelle
und -systeme durchzuführen.
Die Auswahl eines Ratingsystems liegt im Ermessen des jeweiligen Kreditinstituts. Dabei ist
die Frage zu beantworten, welche Vorteile mit dem Einsatz eines bestimmten Ratingsystems
verbunden sind. Diese Frage stellt sich auch für die Banken, deren Entscheidungsspielraum
sich durch das Angebot einer institutsübergreifenden gemeinsamen Lösung ihres jeweiligen
Verbandes für alle angeschlossenen Institute (zum Beispiel Verbandsrating) zunächst einge-
schränkt darstellt.
3.1 Kosten-Nutzen-Überlegungen
Bei der Entscheidung für oder wider ein bestimmtes Ratingsystem stehen zunächst betriebs-
wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Überlegungen im Vordergrund. Im Rahmen einer Investitions-
rechnung sind die Grundlagen für eine Entscheidung über Beschaffung und Einsatz eines
Ratingsystems zusammenzustellen.
Zunächst sind die Gesamtkosten für die in das Entscheidungskalkül einbezogene Rating-
systeme sind zu ermitteln. Hierzu gehören insbesondere Kosten, die aus
der Anschaffung und dem laufenden Betrieb des Ratingsystems,
den notwendigen informationstechnischen Anpassungen (zum Beispiel von Schnittstellen),
der Implementierung des Ratingsystems (Projektkosten) sowie
dem Umfang der zu liefernden Daten, der Anpassung der Daten an die erforderliche Quali-
tät und der Dateneingabe und -pflege
Systeme und Kriterien des Finanzratings 99
resultieren. Die Kosten für ein Ratingsystem sind durch die Erträge zu rechtfertigen, die aus
der Berücksichtigung und Integration des Ratingsystems in die Kalküle von Entscheidungs-
trägern, den Vorteilen des Einsatzes eines qualitativ höherwertigen gegenüber eines einfache-
ren Ratingmodells und der besseren Kundenausrichtung resultieren. Die Maßgröße für die
Verwendung eines Ratingsystems und dessen Einsatz in der bankbetrieblichen Praxis bildet
letztendlich der wirtschaftliche Nutzen.
Der wirtschaftliche Nutzen eines Ratingsystems wird wesentlich durch seine Fähigkeit beein-
flusst, die zukünftige Zahlungsfähigkeit eines Kreditnehmers zutreffend und stabil zu prog-
nostizieren (Trennschärfe). Durch den Einsatz trennscharfer Ratingsysteme kann die Anzahl
der leistungsgestörten Kredite und somit die Menge zukünftiger Forderungsausfälle erheblich
reduziert werden. Ebenso besteht durch den Einsatz trennscharfer Ratingsysteme die Mög-
lichkeit, die Erträge im Kreditgeschäft zu steigern. Auf diesen Aspekt wird weiter unten näher
eingegangen.
Neben diesen primär ökonomischen Kriterien spielt für die Auswahl eines Ratingsystems die
Akzeptanz bei den Mitarbeitern und Führungskräften eines Kreditinstituts eine besondere
Rolle. Bei ihnen können Zweifel an der Zuverlässigkeit des Ratingsystems aufkommen, wenn
sie von den Ergebnissen des Ratingsystems nicht überzeugt sind oder diese Ergebnisse nicht
intersubjektiv nachvollziehen können. Die Einschätzung der Mitarbeiter und Führungskräfte
ist deshalb von hoher Bedeutung, weil sie die Grundzüge des Ratingmodells und dessen
Ergebnisse, also die Ratingnoten, gegenüber den Kreditnehmern überzeugend kommunizie-
ren sollen.
Zwar hat der (potenzielle) Kreditnehmer keinen unmittelbaren Einfluss auf die Auswahl des
eingesetzten Ratingsystems, denn dessen Auswahl obliegt beim internen Rating den Kreditin-
stituten und beim externen Rating den Ratingagenturen. Allerdings stehen dem Kreditnehmer
mehrere Handlungsoptionen zur Verfügung, um auf das eingesetzte Ratingsystem Einfluss zu
nehmen. Ein aus der Perspektive des betroffenen Kreditnehmers geeignetes Ratingsystem ist
dasjenige, das
eine für den Kreditnehmer unter den spezifischen Rahmenbedingungen möglichst gute
Ratingnote erzeugt und
diese Ratingnote im Zeitablauf möglichst stabil hält.
Diese beiden Ziele erleichtern aus unternehmerischer Sicht das Kosten- und das Risikomana-
gement. Zum einen sichert eine gute Ratingnote nicht nur niedrigere Zinsen, sondern erhält
auch den Fremdfinanzierungsspielraum. Zum anderen sorgt eine über den Zeitablauf weitge-
hend stabile Ratingnote für eine belastbare Planungsgrundlage. Denn die Ratingnote und
100 Adem Alparslan / Karl-Heinz Bächstädt / Arnd Geldermann
damit die Einstufung des Kreditnehmers in eine Ratingklasse sind kein einmaliger Vorgang
vor einer Kreditentscheidung im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung, sondern müssen sich
nach Basel II und den Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Bankenaufsicht
nach der Gewährung des Kredits bei den regelmäßigen oder anlassbezogenen Beurteilungen
des Kreditnehmers, aber mindestens einmal jährlich, wiederholen.
Die Handlungsoptionen eines (potenziellen) Kreditnehmers können sich in unterschiedliche
Zielrichtungen bewegen, für deren Einsatz freilich eine fundierte Kenntnis der verschiedenen
Grundlagen der eingesetzten Ratingsysteme erforderlich ist:
Zunächst kann der Kreditnehmer prüfen, ob seine Unternehmenssituation im Ratingsystem
adäquat abgebildet wird. In der Praxis werden Ratingsysteme eingesetzt, die für alle Un-
ternehmen Anwendung findet. Es werden also keine zum Beispiel nach Branchen oder Be-
triebsgrößen unterschiedliche Ratingsysteme eingesetzt. Die Differenzierung erfolgt statt-
dessen innerhalb des Ratingsystems durch verschiedene Kriterien, Fragenkataloge, Bewer-
tungen und Gewichtungen. Die Meinungen darüber, wie sich die Unternehmenssituation in
Fragen und Kennzahlen einfangen lassen, gehen auseinander. Daher ist es nicht verwun-
derlich, dass sich die angeforderten Daten und die gestellten Fragen je nach Kreditgeber
unterscheiden.
Der Kreditnehmer kann zusätzlich ein externes Rating beauftragen, weil er mit dem Er-
gebnis des Ratings durch die Bank unzufrieden ist oder als zusätzliche Meinung eines
neutralen Dritten (Second Opinion). Zwar kann auch dann der Kreditnehmer keinen Ein-
fluss auf das einzusetzende Ratingsystem nehmen, jedoch kann er sich die Ratingagentur
auswählen, von der er glaubt, dass deren Ratingsystem seine Gesamtsituation am zutref-
fendsten darstellt und seinen spezifischen Interessen am nächsten kommt. Auf dieser
Grundlage kann der potenzielle Kreditnehmer später im Rahmen der Verhandlung mit dem
Kreditinstitut über die Kreditkonditionen bei der Diskussion über die Ursachen für die
abweichenden Ratingnoten zusätzlich methodisch argumentieren.
Sowohl aus der Perspektive des Kreditinstituts als auch aus der Perspektive des Kreditneh-
mers ist es somit von essentieller Bedeutung, dass das eingesetzte Ratingsystem die Klassifi-
kation des betroffenen Kreditnehmers korrekt und im Zeitablauf stabil vornimmt, das heißt
eine trennscharfe Klassifikation ermöglicht. Folglich ist sowohl für die Kreditinstitute als
auch für die betroffenen Kreditnehmer die Trennschärfe ein wesentliches Kriterium zur Be-
wertung der Güte eines Ratingsystems.
Die Trennschärfe eines Ratingsystems wird von den exogenen Vorgaben für die systemati-
schen Fehler des zu entwickelnden Ratingmodells bestimmt. Diese Fehler in statistischen
Modellen sind in der Regel unvermeidbar und ergeben sich aus der statistischen Unsicherheit.
Systeme und Kriterien des Finanzratings 101
Sie können aber berechnet und optimiert werden. Bei den systematischen Fehlern ist zwi-
schen Fehlern erster Art (Į-Fehler) und Fehlern zweiter Art (ȕ-Fehler) zu unterscheiden:
Beim Fehler erster Art (Į-Fehler) klassifiziert das Ratingsystem den potenziellen Kredit-
nehmer zu gut, das heißt obwohl der Kreditnehmer tatsächlich insolvenzgefährdet ist, wird
dieser Sachverhalt vom Ratingsystem nicht erkannt.
Beim Fehler zweiter Art (ȕ-Fehler) wird der Kreditnehmer durch das Ratingsystem zu
schlecht bewertet, das heißt er wird als insolvenzgefährdet eingestuft, obwohl er tatsäch-
lich den Kapitaldienst leisten wird.
Aus der Sicht der Kreditinstitute resultieren aus diesen Fehlklassifikationen folgende Konse-
quenzen: Beim Fehler erster Art vergibt das Kreditinstitut einen Kredit, dessen Zinssatz zu
niedrig ist oder den sie gar nicht vergeben hätte. Das Kreditinstitut geht also ein ungewolltes
(zusätzliches) Kreditrisiko ein. Beim Fehler zweiter Art hingegen verweigert das Kreditinsti-
tut einen Kredit, obwohl die Bonität des Kreditnehmers diese Entscheidung nicht rechtfertigt.
Dieser Fehler geht damit zu Lasten des Kreditnehmers. Er ist hinsichtlich des Risikos zu
schlecht eingestuft und erhält schlechtere Konditionen oder gar keinen Kredit.
Daher sind die Kreditinstitute bestrebt, die aus dem Fehler erster Art resultierenden Risiken
zu minimieren, um Kreditausfälle zu vermeiden. Diese Vorgehensweise bedingt aber aus
empirisch-statistischen Gründen in der Regel einen hohen Fehler zweiter Art, der allerdings
für die Kreditinstitute lediglich entgangenes Kreditgeschäft zur Folge hat, also Opportuni-
tätskosten verursacht. Diese Kosten schlagen sich jedoch weder im Jahresabschluss eines
Kreditinstituts nieder noch werden sie in deren internen Rechenwerk erfasst.
Der Umgang mit den systematischen Fehlern bei der Entwicklung der Ratingmodelle des
bankinternen Ratings wird erwartungsgemäß von der risikopolitischen Interessenlage der
Banken geleitet: Die Kreditwirtschaft strebt einen niedrigen Fehler erster Art an, um sich vor
zu hohen systembedingten Kreditrisiken zu schützen. In der Praxis der bankinternen Rating-
systeme bewegen sich der Fehler erster Art in der Größenordnung von ca. 5–10 Prozent und
der Fehler zweiter Art bei rund 30 Prozent. Das bedeutet aus der Sicht der Firmenkunden,
dass sie in fast einem Drittel der Fälle vom Ratingsystem zu schlecht beurteilt werden.
4. Empirisch-statistische Ratingmodelle
Bei der Entwicklung eines Ratingmodells wird mehrstufig vorgegangen. Zunächst wird das
Kundenportfolio in Gruppen eingeteilt. Bei dieser Unterteilung werden möglichst homogene,
also einheitliche Kundensegmente gebildet. Hierfür ist es notwendig, die jeweiligen Gruppen
in der notwendigen Detaillierung und Präzision zu erheben. So ist es zum Beispiel nicht
sinnvoll, bei Kleinunternehmern Daten aus einem Jahresabschluss zu erheben, da diese nur
zu einer Einnahmen-Überschussrechnung verpflichtet sind. Hier wird schon die erste Schwie-
rigkeit deutlich, wie die Gruppen zu strukturieren sind, welche Kennzahlen erhoben und
welche „weichen“ Faktoren erfragt werden sollen. Ein Kreditgeber setzt somit meist mehrere
Ratingmodelle ein, mit dem Ziel, diese möglichst gut auf seine Kundensegmente und deren
tatsächliche Gegebenheiten anpassen zu können.
In einem zweiten Schritt wird eine möglicht repräsentative Menge von Kreditnehmern mit
den jeweiligen Kennzahlenausprägungen betrachtet, deren Gruppenzugehörigkeit (insolvent,
nicht insolvent) bekannt ist. Anschließend wird anhand der vorgegebenen Beispieldaten die
so genannte Klassifikationsfunktion extrahiert, die die Zuordnung des jeweiligen Kreditneh-
mers ermöglicht.
Nach der Validierung der Klassifikationsfunktion wird unter der Prämisse, dass die analysier-
ten Strukturen zeitlich stabil sind, die ermittelte Klassifikationsfunktion bei der Identifikation
potenzieller und der Überprüfung bestehender Kreditnehmer eingesetzt. Dabei werden die
Kennzahlenausprägungen des potenziellen Kreditnehmers ermittelt und dann in die Klassifi-
kationsfunktion eingesetzt, um dadurch die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des
betroffenen Kreditnehmers zu prognostizieren.
Die aufgezeigte Ermittlung der Klassifikationsregel erfolgte empirisch und induktiv: Es wird
von einem vorliegenden speziellen Fall auf die Allgemeinheit geschlossen, so wie einst New-
ton, inspiriert durch einen fallenden Apfel, auf die Existenz der Schwerkraft schloss. Die
Menge der einbezogenen Kennzahlen und die Gewichte der Klassifikationsregeln werden
endogen, also innerhalb des Modells, aus einer bestimmten Menge von Einzelfällen ermittelt.
Ein expliziter Begründungszusammenhang – eingebettet in eine Theorie – wird dabei nicht
angegeben.
Von diesen empirisch-induktiven Verfahren lassen sich die so genannten logisch-deduktiven
Verfahren abgrenzen, bei denen die Menge der einbezogenen Kennzahlen und die Gewichte
der Klassifikationsregeln exogen vorgegeben werden. Dies geschieht in der Regel aufgrund
von „theoretischen Überlegungen“ oder Plausibilitäten. Allerdings bestehen im Falle von
Systeme und Kriterien des Finanzratings 103
Univariate Diskriminanzanalyse
die Kennzahlen ermittelt werden und nach signifikanten Unterschieden in ihrer Ausprägung
gesucht werden.
Mithilfe heuristischer Suchverfahren wird derjenige Trennwert (Cut-off-Point) ermittelt, der
die Gruppe der solventen und die Gruppe der insolventen Kreditnehmer mit der geringsten
Anzahl von Fehlklassifikationen trennt. Die Klassifikation erfolgt anschließend mit der
Kennzahl, die zum besten Trennergebnis führt. Abbildung 2 visualisiert ein Beispiel für die
univariate Diskriminanzanalyse.
Die univariate Diskriminanzanalyse lässt sich leicht anwenden und die Ergebnisse können
aufgrund der geringen Komplexität gut interpretiert werden. Allerdings führt die univariate
Diskriminanzanalyse aufgrund modellimmanenter Mängel meist zu unbefriedigenden Klassi-
fikationsergebnissen:
Erstens wird das Informationspotenzial nicht vollständig ausgenutzt. Durch die isolierte
Betrachtung einzelner Kennzahlen, zum Beispiel der Eigenkapitalquote, werden nur Teil-
aspekte der zur Verfügung stehenden Informationen verwendet. Dadurch bleiben zahlrei-
che Informationen, die für eine Klassifikation prinzipiell herangezogen werden könnten,
unberücksichtigt.
Zweitens werden die Interdependenzen zwischen den einzelnen Kennzahlen nicht gewür-
digt. Die Ursachen für die Insolvenz eines Kreditnehmers sind vielschichtig. Einzelne
Kennzahlen, die isoliert betrachtet für die Klassifikation unbedeutend sind, können sich
gegenseitig verstärken und somit im Zusammenspiel zu besseren Klassifikations-
Systeme und Kriterien des Finanzratings 105
ergebnissen führen. Andererseits kann sich durch die Berücksichtigung mehrerer Kenn-
zahlen aber auch eine Abschwächung der isoliert betrachteten guten Klassifikationsergeb-
nissen einstellen.
Schließlich kann drittens eine univariate Trennung durch den jeweiligen Einsatz einer
anderen Kennzahl zu divergierenden Klassifikationsergebnissen führen. Hierbei entsteht
dann das Problem, diese divergierenden Ergebnisse zu einem tragfähigen Gesamturteil zu-
sammenzufassen.
Diese Mängel führen zu relativ großen Fehlern erster und zweiter Art, da das Werkzeug, das
eingesetzt wird, noch recht grob ist. Durch die Verknüpfung mehrerer Kennzahlen zu einem
einzigen Diskriminanzwert lassen sich diese Mängel reduzieren. Ein solcher Ansatz wird mit
der multivariaten Diskriminanzanalyse verfolgt.
Multivariate Diskriminanzanalyse
Die multivariate Diskriminanzanalyse zählt seit den 1990er Jahren zu den am häufigsten
eingesetzten empirisch-induktiven Verfahren. Ihr Ziel ist eine möglichst gute Trennung einer
abhängigen Variable (zum Beispiel Insolvenztatbestand) mithilfe einer Funktion mit mehre-
ren unabhängigen Variablen (zum Beispiel Jahresabschlusskennzahlen). Die unabhängigen
Variablen können linear, quadratisch oder logarithmisch zu einer Diskriminanzfunktion ver-
knüpft werden. Im Allgemeinen wird die Abhängigkeit in Form einer linearen Diskriminanz-
funktion modelliert:
Jede Kennzahl i mit i = {1, 2, ..., n} wird entsprechend ihrer Bedeutung für die Früherken-
nung von insolventen Kreditnehmern mit dem jeweiligen Gewichtungskoeffizienten bi mit i =
{1, 2, ..., n} multipliziert. Die Summe der gewichteten Kennzahlenausprägungen führt mit
dem absoluten Glied b0 zum Diskriminanzwert D.
Der Diskriminanzwert D signalisiert die Zugehörigkeit eines Kreditnehmers zu einer be-
stimmten Gruppe (insolvenzgefährdet oder nicht insolvenzgefährdet). Der Modellanwender,
zum Beispiel das Kreditinstitut, kann den Cut-off-Point so bestimmen, dass die Diskrimi-
nanzwerte eine gute Klassifikation ermöglichen. Abbildung 3 visualisiert das Prinzip der
linearen multivariaten Diskriminanzanalyse anhand eines Beispiels mit zwei Kennzahlen. Die
optimale Trennlinie stellt eine Linearkombination aus den beiden Kennzahlen x1 und x2 dar.
Sie wurde so bestimmt, dass eine möglichst gute Klassifikation im Sinne der Minimierung
von Fehlklassifikationen zwischen solventen (G) und insolventen (S) Kreditnehmern erreicht
wird.
106 Adem Alparslan / Karl-Heinz Bächstädt / Arnd Geldermann
100%
80%
Ausgabewert
60%
40%
20%
0%
–4,5
-4,5 –3
-3 –1,5
-1,5 0 1,5
1,5 3 4,5
komplexer wird, das heißt die Erklärung für das Zustandekommen der Ratingnote wird auf-
wändiger.
Allerdings weist auch die multivariate Diskriminanzanalyse zahlreiche Mängel auf, denn es
werden statistische Voraussetzungen zur Ermittlung der optimalen Diskriminanzfunktion
gemacht, die so in der Regel nicht erfüllt sind. Beispielsweise fordert die lineare multivariate
Diskriminanzanalyse, dass die berücksichtigten Kennzahlen multivariat normalverteilt sind,
besonders hohe und besonders niedrige Kennzahlenausprägungen kommen also mit einer
geringen Wahrscheinlichkeit vor. Die Annahme einer Normalverteilung ist jedoch für viele
Kennzahlen nicht erfüllt. Allerdings zeigt sich die lineare multivariate Diskriminanzanalyse
robust gegenüber Verletzungen der Normalverteilungsannahme. Ihre Anwendung führt in der
Regel zu gleichen Klassifikationsergebnissen wie Verfahren zur Diskriminanzanalyse, bei
denen keine Normalverteilung der Kennzahlen vorausgesetzt wird.
Die meisten der verwendeten Kennzahlen sind hoch korreliert, weil sie aus gleichen oder
ähnlichen Größen aus dem Jahresabschluss gebildet werden. Die Verwendung von hoch
korrelierten Kennzahlen kann allerdings zu Verzerrungen bei den Klassifikationsergebnissen
und somit zu Fehleinschätzungen führen. Zur Vermeidung dieses nachteiligen Effekts ist es
erforderlich, die Korrelation der berücksichtigen Kennzahlen einzuschränken. Die Identifika-
tion gering korrelierter Kennzahlen kann mithilfe der Korrelationsanalyse oder der Cluster-
analyse erfolgen.
Ausgehend von den Kritikpunkten an den Verfahren der Diskriminanzanalyse hat die logisti-
sche Regression in den letzten Jahren eine zunehmende Verbreitung sowohl in der Wissen-
schaft als auch in der Praxis erfahren. Bei der logistischen Regression wird die Wahrschein-
lichkeit p ermittelt, mit der betrachtete Kreditnehmer zur Gruppe Solvente oder zur Gruppe
Insolvente gehören. Diese Wahrscheinlichkeit wird entsprechend der Linearkombination der
Kennzahlen anhand folgender Klassifikationsfunktion berechnet:
1
p mit D (b 0 b1 x 1 ... b n x n ) .
1 e -D
Durch die Künstlichen Neuronalen Netze wird das menschliche Gehirn sehr stark vereinfacht
simuliert. Ein Überblick über den Aufbau und die Funktionsweise des menschlichen Gehirns
bildet daher die Grundlage für das Verständnis Künstlicher Neuronaler Netze.
Die Nervensysteme höherer Lebewesen bilden die Vorlage für Künstliche Neuronale Netze.
Neben der Speicherung von Informationen, die als Gedächtnis bezeichnet wird, sind Nerven-
systeme in der Lage, sich durch Lernen neues Wissen anzueignen. Damit verbunden ist eine
Anpassungsfähigkeit, die ein Überleben in einer sich ändernden Umwelt sicherstellt. Die
Leistungsfähigkeit dieser biologischen Nervensysteme – nicht zuletzt des menschlichen Ge-
hirns – üben seit jeher eine Faszination aus. Daher seien einige wichtige Leistungsmerkmale
an dieser Stelle erwähnt: Nervensysteme von Tieren besitzen eine unterschiedliche Komple-
xität und Leistungsfähigkeit. Sie setzen sich jedoch aus ähnlichen Bausteinen – den Neuronen
(Nervenzellen) – zusammen. Neuronen unterscheiden sich von anderen Zellen vor allem in
der Zellform, den Membraneigenschaften und der Fähigkeit, über Verdickungen an den Zell-
fortsätzen (Synapsen) mit anderen Zellen in Kontakt zu treten und Nervenimpulse zu über-
mitteln. Die Anzahl dieser Verbindungen zu anderen Nervenzellen kann sehr stark differieren.
Sie reicht von einigen wenigen bis zu 150.000 Synapsen bei den Purkinje-Zellen. Menschli-
che Nervenzellen empfangen meist die Eingangssignale von etwa 2000 bis 10.000 vorge-
schalteten Nervenzellen. Aus der Anzahl der Verbindungen wird deutlich, warum man von
Neuronalen Netzen spricht, denn die einzelnen Verbindungen zwischen den Nervenzellen
stellen ein sehr feines Netz dar.
Bezüglich ihrer Funktionsweise kann man stark vereinfacht festhalten, dass Nervenzellen
kleinste elektrische Ströme weiterleiten und diese wie Schalter verarbeiten, womit gewisse
Systeme und Kriterien des Finanzratings 109
Parallelen zu unseren heutigen Rechnern gegeben sind. Diese Parallelen werden allerdings in
den folgenden Abschnitten sehr stark relativiert.
Wenn man die wesentlichen Leistungen des Nervensystems höherer Lebewesen erklären will,
muss man die gesamte Struktur und ihr Zusammenspiel genauer betrachten. Eine Nervenzelle
ist im Gegensatz zu einem Computer ein sehr langsamer Baustein: Während ein Computer in
einer Sekunde ca. 1 Milliarde Schaltvorgänge durchführen kann, sind es beim menschlichen
Gehirn nur 1000, es ist damit also 1 Million Mal langsamer. Trotzdem ist das menschliche
Gehirn in der Lage, komplexe Probleme schnell zu lösen.
Wie aber kann eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit mit langsamen Nervenzellen erreicht
werden? Die Lösung des Problems liegt in der Art und Weise, wie die Informationen verar-
beitet werden. Während Computer nur sequentiell arbeiten können, also die Verarbeitungs-
schritte nacheinander ausführen, verwenden die biologischen Vorbilder das Prinzip der paral-
lelen Verarbeitung, das heißt hier werden viele Informationen gleichzeitig verarbeitet.
Wie sehr das menschliche Gehirn Informationen parallel verarbeitet, wird an der 100-Schritt-
Regel deutlich. Nach Messungen von Psychologen kann ein Mensch ein Bild einer ihm be-
kannten Person oder eines bekannten Gegenstands innerhalb von 0,1 Sekunden erkennen.
Dies bedeutet, dass der Zeitraum, in der maximal 100 Schaltvorgänge im Gehirn hintereinan-
der ablaufen können, bereits ausreicht. Ein Computer kann dagegen in 100 sequentiellen
Rechenschritten fast nichts bewerkstelligen.
Damit Informationen gespeichert werden können, müssen sie kodiert werden; das Wesentli-
che der Information muss extrahiert und komprimiert werden. Es gibt viele Hinweise darauf,
dass das menschliche Gehirn Informationen mit Hilfe der Vektorkodierung speichert. Ein
Beispiel aus dem Bereich Farbdarstellung zeigt, wie effektiv Informationen kodiert werden
können: Alle Farben lassen sich additiv aus den Komponenten Rot, Grün und Blau mischen.
Bei einer 24-Bit-Codierung, wie sie in Computern vorgenommen wird, ist jede der drei
Grundfarben in 256 (28 = 8 Bit) Abstufungen zwischen hell und dunkel darstellbar. Da jede
Farbe mit den anderen beiden frei kombiniert werden kann, ergeben sich 256 x 256 x 256 =
16.777.216 darstellbare Farben – und das aus nur drei Grundfarben mit je 256 Abstufungen.
Eine Farbe lässt sich damit auf zweierlei Weise beschreiben: zum einen durch einen Namen,
der nur sie bezeichnet (zum Beispiel Purpur), und zum anderen durch eine Kombination von
Zahlen, die den Anteil der Grundfarben festlegen (zum Beispiel Rot 250, Grün 5 und Blau
83). Im ersten Fall spricht man von einer lokalen, im zweiten von einer verteilten Repräsenta-
tion. Die menschliche Sprache ist ein Beispiel für die lokale Repräsentation. Das menschliche
Auge hingegen bedient sich der verteilten Repräsentation.
110 Adem Alparslan / Karl-Heinz Bächstädt / Arnd Geldermann
Lernen
Das Lernen ist der Erwerb von Wissen und die Aneignung von motorischen und sprachlichen
Fertigkeiten. Wie wird aber das Wissen in Neuronalen Netzen gespeichert? Die Speicherung
von Informationen erfolgt an den synaptischen Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen.
Die Information wird durch unterschiedlich starke Erregung oder Hemmung der nachfolgen-
den Zellen kodiert. Durch den Lernprozess werden diese Gewichte verändert.
Man kann sich diesen Mechanismus wie Weichen auf einer Strecke vorstellen, die für einen
Zug gestellt werden. Die Kombination einer bestimmen Stellung der verschiedenen Weichen
lässt diesen Zug zum Beispiel von Berlin nach Hamburg fahren. Die Fahrtstrecke ist durch
die einzelnen Weichen und ihre Stellung definiert. Im vorliegenden Fall sind die Synapsen
die Weichen und die Information ist der Zug. Wird eine neue Strecke gebaut und infolgedes-
sen ein neuer Ort erreichbar, so kann man dorthin nur über eine veränderte Weichenstellung
gelangen. Somit werden neue Informationen abrufbar. Im Folgenden verlassen wir die fast
unbegrenzten Möglichkeiten der biologischen Vorlage und wenden uns den „zum Glück“
stark vereinfachten Modellen zu.
Historie
parallele, lernfähige Systeme handelt, die unter mathematischen oder statistischen Gesichts-
punkten sich gut zur Modellbildung bzw. -findung eignen.
Aufbau
In einem Künstlichen Neuronalen Netz sind die Neuronen als mathematische Modelle (Units)
realisiert, deren formalisiertes Verhalten prinzipiell dem der biologischen Nervenzellen ent-
spricht. Die Informationen, die in einem solchen System verarbeitet werden, kann man als
Muster (Pattern) bezeichnen. Die Informationsverarbeitung selbst geschieht durch Wechsel-
wirkungen zwischen den einzelnen Neuronen, die sich positive oder negative Signale zusen-
den, falls bestimmte Schwellenwerte überschritten werden.
x1 unit uj
b1
... ...
...
... ...
Output
Input netj aj oj
xn
bn
b0
Neuronale Netze können auf unterschiedliche Weise aufgebaut sein. In diesem Beitrag wird
ausschließlich der Netztyp des Multilayerperzeptrons betrachtet, denn dieser Netztyp wird
sehr häufig bei ökonomischen Fragestellungen eingesetzt. Ein Neuronales Netz auf Basis des
Multilayerperzeptrons besteht aus einer Input-Schicht, einer inneren Schicht und einer Out-
put-Schicht. Die Input-Schicht dient der Informationsaufnahme des Neuronalen Netzes (zum
Beispiel Kennzahlenausprägungen). Die aufgenommenen Informationen werden an die nach-
gelagerten Neuronen weitergegeben. Die Neuronen stehen über einzelne Verbindungen mit-
einander in Kontakt. Die Stärke der Verbindung wird über die Gewichte (Weights) definiert.
112 Adem Alparslan / Karl-Heinz Bächstädt / Arnd Geldermann
Die Möglichkeiten der mathematischen Modellierung eines Neuronalen Netzes werden damit
von Art, Anzahl und Verbindung der Neuronen bestimmt. Entsprechend dem biologischen
Vorbild erhält ein Neuron Signale x1 bis xn von anderen Neuronen (siehe Abbildung 5). Die
Veränderung dieser Signale wird durch die Multiplikation der Eingangssignale mit den Ge-
wichten wij simuliert.
Die Netzeingabe netj ergibt sich als gewichtete Summe der Eingabesignale
n
net j ¦b x
i 1
ij i
Als Aktivierungsfunktion lassen sich sowohl lineare als auch nichtlineare Funktionen einset-
zen. Die am häufigsten eingesetzte Aktivierungsfunktion ist die Sigmoid-Funktion. Dabei
wird für jeden Aktivitätszustand ein Ausgabewert im Intervall zwischen 0 und 1 berechnet:
1
aj -net j
1 e
Ein anderer Name für diese Funktion ist „logistische Funktion“. Mit dieser Aktivierungsfunk-
tion lassen sich bestimmte Neuronale Netze, auf die für ökonomische Fragestellungen vor-
zugsweise zurückgegriffen wird, auf die logistische Regression zurückführen:
1
aj -net j
mit netj = b0jx0 + b1jx1 + ... + bnjxn und x0 = 1
1 e
Aus Gründen der Vergleichbarkeit werden dieselben Variablen wie bei den statistischen
Funktionen in den vorhergehenden Abschnitten verwendet: Es wird, anders ausgedrückt,
bewusst von den Variablenbezeichnungen abgewichen, die im Kontext Neuronaler Netze
Verwendung finden.
Daneben werden als Aktivierungsfunktionen alternativ auch die Sinus-Funktion und die
Tangens-Hyperbolicus-Funktion verwendet. Als Ausgabefunktion wird meist die Identität
verwendet, das heißt die Resultate der Aktivierungsfunktion werden nicht mehr verändert.
Nach Durchlauf der inneren Schichten werden die Informationen an das Neuron der Output-
Schicht abgegeben. Diese Informationen stellen das Ergebnis des Neuronalen Netzes dar.
Im Gegensatz zur „einfachen“ logistischen Regression werden beim Multilayerperzeptron
mehrere logistische Regressionsfunktionen verbunden. Zum einen wird dadurch das Rating-
modell verallgemeinert, zum anderen lassen sich hiermit auch nichtlineare Zusammenhänge
in Neuronalen Netzen abbilden.
Systeme und Kriterien des Finanzratings 113
Training
Die Gewichte werden über spezielle Algorithmen datenbezogen verändert. Diesen Vorgang
bezeichnet man als Trainieren, Lernen oder Selbstadaption der Gewichte. Das Verhalten des
Netzes wird damit durch die Veränderung der Gewichte gesteuert. Das „Wissen“ eines Neu-
ronalen Netzes steckt in den Gewichten und ist – wie bei den biologische Vorbildern – über
das ganze Netz verteilt. Ein Neuronales Netz lernt mithilfe von Datensätzen, für die der tat-
sächliche Output bekannt ist. Dabei wird das Neuronale Netz basierend auf den festgestellten
Änderungen (Abweichungen) zwischen der produzierten Klassifikation und dem tatsächli-
chen Output angepasst.
Die am häufigsten verwendete Trainingsmethode bedient sich der Anpassung der Gewichte
zwischen den Neuronen. Im Extremfall wird die Verbindung zwischen zwei Neuronen ge-
löscht, indem das dazugehörige Gewicht auf 0 gesetzt wird. Ein klassischer Lernalgorithmus,
der die Vorgehensweise zur Gewichtsanpassung festlegt, ist der Backpropagation-
Algorithmus. Dabei werden die Gewichte der einzelnen Neuronen ausgehend von der Ausga-
beschicht so lange angepasst, bis die Abweichungen zwischen der produzierten Klassifikation
und dem tatsächlichen Output minimiert werden.
Beim Training eines Neuronalen Netzes ist sehr wichtig, dass ein so genanntes Overfitting
vermieden wird. Dabei erkennt das Neuronale Netz spezielle Strukturen der verwendeten
Datensätze und lernt diese auswendig. Die Konsequenz ist eine sehr hohe Trennfähigkeit bei
den verwendeten Datensätzen, aber eine niedrige Trennfähigkeit bei unbekannten Datensät-
zen. Daher muss bei der Entwicklung eines Neuronalen Netzes der Lernerfolg eines Neurona-
len Netzes mithilfe unbekannter Datensätze validiert werden.
Die Güte eines Ratingsystems wird unter anderem daran gemessen, wie trennscharf ihre
Aussagen über die ermittelten Ausfallwahrscheinlichkeiten im Zeitablauf tatsächlich sind.
Die Trennschärfe wird im Wesentlichen neben der statistischen Unsicherheit sowie dem
Umfang und der Qualität der Ausgangsdaten vor allem durch die Auswahl des Ratingmodells
bestimmt.
114 Adem Alparslan / Karl-Heinz Bächstädt / Arnd Geldermann
Die statistische Unsicherheit beruht auf der geringen Anzahl von Leistungsstörungen in ei-
nem Portfolio, das heißt es muss aus statistischen Gründen eine bestimmte Anzahl von Forde-
rungsausfällen vorliegen, um Klassenunterschiede identifizieren zu können.
Die Qualität der Ausgangsdaten wird wesentlich durch den (potenziellen) Kreditnehmer
selbst bestimmt. Hier stellt sich die Frage, wie sehr die Daten bei dem Kreditnehmer durch
die Bilanzpolitik verzerrt sind, zum Beispiel durch die Ausnutzung von Wahlrechten und
Bewertungsspielräumen. Deren Umfang entzieht sich meist der Kenntnis des Kreditinstituts
und der Entwickler des Ratingmodells. Hieraus resultiert die Anforderung an das Ratingmo-
dell, sehr robust auf solche Verzerrungen zu reagieren. Darüber hinaus greift das Kreditinsti-
tut auf eigene und gegebenenfalls zusätzlich auf fremde Datenbestände zurück. Auch hier
stellt sich die Frage nach der Güte der Daten.
Die Quantität und die Qualität der Ausgangsdaten sind insofern von Bedeutung, da über die
erfassten Größen und Merkmale versucht wird, möglichst viele Aspekte eines (potenziellen)
Kreditnehmers systematisch abzubilden. Wenn die wesentlichen Einflussfaktoren des Kredit-
risikos nicht erfasst und damit auch nicht im historischen Datenbestand geführt werden, dann
bleibt die Leistung des Ratingmodells unter seinen Möglichkeiten.
Fehlklassifikation:
Solvente als Insolvente
Lineares Verfahren
KNN
Solvente
Insolvente
Kennzahl 1
Fehlklassifikation:
Insolvente als Solvente
Tam und Kiang untersuchen die Trennfähigkeit von Neuronalen Netzen im Vergleich zur
logistischen Regression. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Neuronale Netze zu besseren
Klassifikationsergebnissen führen als die logistische Regression.
Allein durch die Auswahl des Ratingmodells lässt sich also ein Gewinn an Genauigkeit errei-
chen. So lassen sich in Abhängigkeit vom eingesetzten Ratingmodell unterschiedlich gute
Klassifikationsergebnisse erzielen.
Die vorgestellten Untersuchungen deuten darauf hin, dass Neuronale Netze sowohl die Dis-
kriminanzanalyse als auch die logistische Regression hinsichtlich der Trennschärfe dominie-
ren. Mit anderen Worten: Durch den Einsatz Neuronaler Netze lassen sich bessere Klassifika-
tionsergebnisse erzielen als durch die beiden anderen empirisch-induktiven Verfahren.
116 Adem Alparslan / Karl-Heinz Bächstädt / Arnd Geldermann
Die Trennschärfe hat nicht nur Auswirkungen auf die Ratingnote, sondern konkrete und teil-
weise weitreichende ökonomische Implikationen. Wenn eine Fehlklassifikation vorliegt und
der Kreditnehmer bei einer korrekten Klassifikation den Kredit nicht erhalten hätte (Fehler
erster Art), resultieren aus der Fehlklassifikation bei Zahlungsstörungen höhere Bearbei-
tungskosten (zum Beispiel Mahnungen und Verwertung von Sicherheiten) und gegebenen-
falls Abschreibungen auf die Kreditforderung. Darüber hinaus können durch die frühere
Identifikation ausfallgefährdeterer Bestandskunden offene Forderungspositionen abgebaut
werden. Zudem kann eine verbesserte Trennfähigkeit, zum Beispiel durch den Einsatz Neu-
ronaler Netze, zur Ertragssteigerung eines Kreditinstituts beitragen: Indem die Anzahl poten-
zieller, fälschlicherweise als insolvenzgefährdet eingestufter Kreditnehmer (Fehler zweiter
Art) verringert wird, kann diesen Kreditnehmern ein Kredit zugesagt werden.
Die exemplarischen Einsatzfelder verdeutlichen die Vorzüge trennscharfer Ratingmodelle,
wenn betriebswirtschaftliche Aktivitäten und Entscheidungen auf der Ratingnote aufbauen.
Die Qualität einer Kreditentscheidung und mithin der Erfolg eines Kreditinstituts wird also
wesentlich durch die Genauigkeit des Ratings beeinflusst.
Das Ratingmodell hat deshalb eine so hohe Bedeutung, weil es der zentrale Baustein inner-
halb des Ratings ist, der den Zusammenhang zwischen den Eingangsdaten und der Ausfall-
wahrscheinlichkeit und damit der Ratingnote herstellt und auf diese Weise das Fundament für
nachfolgende Aktionen und Optionen legt. Das gewählte Ratingmodell bildet somit das Fun-
dament aller von der Ratingnote abhängigen Aktivitäten und Entscheidungen und daher sollte
die Aussage des Ratingsystems, also die Ratingnote, möglichst den tatsächlichen „wahren“
Verhältnissen entsprechen.
Die Differenz der Kosten zwischen den verschiedenen Ratingsystemen zeigt die zusätzlichen
Kosten, denen die erwarteten Differenzen der Erträge aus den mit unterschiedlicher Trenn-
schärfe ausgestatteten Ratingsystemen gegenüberzustellen sind. Bei deren Schätzung und –
soweit möglich – Quantifizierung der Vorteile aufgrund ihrer unterschiedlichen Fehlklassifi-
zierungen (Fehler erster und zweiter Art) kann unter anderem auf die Höhe der Forderungs-
abschreibungen vergangener Perioden zurückgegriffen werden.
Der Mehraufwand für ein trennschärferes Ratingsystem beschränkt sich auf die Modellie-
rungsphase, in der ein trennschärferes Ratingmodell gesucht wird. Da die Modellierung von
Künstlichen Neuronalen Netzen hinsichtlich ihrer Trennschärfe teilautomatisiert werden
kann, ist der Aufwand in dieser Phase nicht höher als bei den anderen empirisch-induktiven
Verfahren. Weiterhin muss der Aufwand für die Erstellung des Ratingmodells in das Verhält-
nis zum Aufwand der Datenerfassung gesetzt werden, der ungleich höher sein kann. Auch an
dieser Stelle wird der Hebel deutlich, der mit einem trennschärferen Ratingmodell möglich
ist. Innerhalb des Entscheidungsprozesses für die Auswahl eines Ratingsystems rücken somit
Systeme und Kriterien des Finanzratings 117
die Aktivitäten in den Fokus der Betrachtung, die kostengünstig eine Verbesserung der Trenn-
schärfe erwarten lassen. Dies könnte zum Beispiel die Auswahl des Ratingmodells sein.
Allerdings bedeuten der Aufbau und die Validierung verschiedener Ratingmodelle einen
erhöhten Aufwand für die Kreditinstitute. Um diesen Aufwand zu begrenzen, kann man die
Modellbildung automatisieren und so eine Vielzahl von Ratingmodellen konstruieren. Jedoch
werden nur die besten Modelle hinsichtlich ihrer Trennschärfe geprüft. Es geht also nicht nur
darum, ein gewähltes Ratingmodell auf eine optimale Trennschärfe zu kalibrieren, sondern
auch um den Aufbau eines optimalen Ratingmodells.
6. Zusammenfassung
In diesem Beitrag wurde am Beispiel ausgewählter Ratingmodelle der Einfluss des Rating-
systems auf die Ratingnote illustriert. Es wurde gezeigt, dass die Ratingergebnisse durch das
eingesetzte Ratingmodell wesentlich beeinflusst werden. In Abhängigkeit davon, welches
Ratingmodell eingesetzt wird, lässt sich die Trennschärfe verbessern. Die Verbesserung der
Trennschärfe führt zur Steigerung der Effektivität des Ratingsystems. Damit sind für die
Kreditinstitute unter anderem folgende ökonomische Implikationen verbunden:
Zum einen führt die Verbesserung der Trennschärfe dazu, dass insolvenzgefährdete Kre-
ditnehmer frühzeitig identifiziert werden. Diesen Kreditnehmern wird dann entweder kein
Kredit angeboten oder prolongiert oder die Konditionen werden dem ermittelten Risiko
angepasst.
Zum anderen bildet eine verbesserte Trennschärfe die Grundlage zur Ertragssteigerung.
Da die Anzahl der potenziellen Kreditnehmer reduziert wird, die fälschlicherweise als in-
solvenzgefährdet ausgewiesen worden wären, besteht die Möglichkeit, auch diesen Kre-
ditnehmern einen Kredit zu bewilligen und dadurch den Ertrag zu steigern.
Obgleich die Trennschärfe ein wesentliches Gütekriterium für ein Ratingsystem darstellt und
damit bei der Auswahl eines Ratingsystems berücksichtigt werden sollte, gibt es weitere
Kriterien, die die Güte und damit die Auswahl eines bestimmten Ratingsystems beeinflussen.
Hierzu zählt unter anderem die Akzeptanz eines Ratingsystems. Damit ist dessen intersubjek-
tive Nachvollziehbarkeit gemeint. Wenn die Mitarbeiter eines Kreditinstituts die wesentlichen
Züge des eingesetzten Ratingmodells und somit des Ratingsystems nicht nachvollziehen
können, können sie eine ablehnende Haltung einnehmen.
Die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Ratingergebnisse wird durch die zunehmende
Komplexität der vorgestellten Ratingmodelle – insbesondere der Neuronalen Netze – er-
schwert. Während bei der Diskriminanzanalyse und der logistischen Regression die Klassifi-
118 Adem Alparslan / Karl-Heinz Bächstädt / Arnd Geldermann
Bei der Bewertung der Eignung und Angemessenheit eines Ratingsystems ist aus Sicht des
Kreditnehmers zu berücksichtigen, dass die von den Kreditinstituten eingesetzten Rating-
systeme die Basis für die Ermittlung ihrer jeweiligen (Mindest-) Eigenkapitalunterlegung für
das Kreditrisiko bilden (Basel II). Das Ziel von Basel II ist unter anderem eine gegenüber
Basel I wesentlich risikoadäquatere Unterlegung der Kredite durch Eigenkapital in seiner
Funktion als Puffer für das Kreditinstitut, um Verluste aus dem Kreditgeschäft abzudecken.
Dieses Ziel soll durch den Einsatz von Ratingsystemen erreicht werden.
Die Durchführung von Ratings im Rahmen von Basel II ist also nicht das primäre Ziel (Beur-
teilung der Zahlungsfähigkeit und -willigkeit eines Schuldners), sondern nur das Mittel (Ra-
ting als Einflussgröße für die Eigenkapitalberechnung des Kreditinstituts) zur Erreichung
eines anderen Ziels (ausreichende Eigenkapitalausstattung des Kreditinstituts in Abhängigkeit
von den von ihm eingegangenen Risiken). Entsprechend dieser Zielhierarchie sind die Vorga-
ben seitens der Bankenaufsicht gestaltet, so dass der Kreditnehmer sich im Rahmen der bank-
aufsichtlich vorgegebenen Bemessung des ihm oder seines Kredites immanenten Risikos nur
beschränkt wiederfinden kann.
Hierzu zählt beispielsweise, dass die Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit nur auf einen
Zeithorizont von einem Jahr ausgerichtet ist. Diese Betrachtung widerspricht dem mittelfris-
tig ausgerichteten Zeithorizont des Kreditnehmers, aber auch der Kapitalbindungsdauer von
Investitionen. Auch bei der Hereinnahme von Kreditsicherheiten ist erst deren Anerkennung
nach Basel II Voraussetzung für eine Risikoreduzierung und damit Verringerung der Eigen-
kapitalunterlegung seitens des Kreditinstituts. Der vom Kreditinstitut individuell beigemesse-
ne Wert der Sicherheit kann erheblich höher liegen.
Systeme und Kriterien des Finanzratings 119
Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, wenn zwischen Kreditinstitut und Kredit-
nehmer Bewertungsdifferenzen hinsichtlich der Bonität auftreten. Je weniger gut sich ein
Kreditnehmer im bankinternen Ratingsystem repräsentiert findet, um so eher stellt sich die
Frage nach Einholung einer „second opinion“, das heißt einem Rating durch einen weiteren
Kreditgeber oder eine andere Ratingagentur.
Literatur
Stanke, K./Scholz, K. (2006): Objektive Gewichte und subjektive Einflüsse beim Rating,
in: Risikomanager 8/2006, S. 1, 4–8.
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bank failure predictions, in: Management Science 38, 7/1992, S. 926–947.
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Applied Artificial Intelligence 4/1990, S. 265–282.
Thießen, F. (2004): Rating im Kreditgeschäft und strategisches Kreditnehmerverhalten,
in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 11/2004, S. 572–575.
Zell, A. (2004): Simulation Neuronaler Netze, Bonn usw. 1994.
Moody’s KMV RiskCalc® 123
Teil II
Christian Thun
1. Einleitung
3. Neue Herausforderungen
4. Zusammenfassung
Literatur
1. Einleitung
Seit im Jahre 1999 die ersten Vorschläge für ein überarbeitetes Konzept zur Eigenkapitalun-
terlegung von Krediten (Basel II) veröffentlicht wurden, steht die Verbesserung der internen
Ratingverfahren an herausragender Stelle der Tagesordnung zahlreicher Finanzdienstleister in
Deutschland, Europa, Asien und Amerika. Viel wurde investiert, um die Verfahren zu verbes-
sern, Kreditrisiken objektiv zu messen und drohende Unternehmenskrisen frühzeitig zu er-
kennen. Für die Beurteilung nicht börsennotierter Unternehmen wird dabei häufig auf eine
Kombination aus quantitativer und qualitativer Analyse gesetzt. Den quantitativen Teil de-
cken in der Regel mathematisch-statistische Verfahren (zum Beispiel ein Bilanzrating) ab,
während für die Beurteilung der qualitativen Faktoren (zum Beispiel Managementqualität)
auf Expertensysteme zurückgegriffen wird. Probleme treten indes stets dann auf, wenn nicht
ausreichend Daten für die Entwicklung eines mathematisch-statistischen Verfahrens vorlie-
gen. Die Moody’s KMV RiskCalc®-Modelle bieten hier eine Alternative. Auf der Basis von
mehr als 11 Millionen Jahresabschlüssen wurde ein Netzwerk von über 25 quantitativen
Kreditrisikomodellen geschaffen, die von den 200 führenden Finanzdienstleistern als quanti-
tative Komponente im Kreditrisikomanagement verwendet werden.
Indes benötigen nicht nur Kreditgeber ein objektives und zuverlässiges Maß zur Bestimmung
des Kreditrisikos nicht börsennotierter Unternehmen, sondern auch Investoren auf der Suche
nach neuen Anlagemöglichkeiten. In einer Periode niedriger Zinsspannen (Spreads) verlieren
Unternehmensanleihen (Corporate Bonds) an Attraktivität und andere Anlageklassen rücken
in den Vordergrund. In Deutschland sind dies seit 2004 vor allem Verbriefungstransaktionen
von Genussscheinen, welche von mittelständischen Unternehmen emittiert wurden. Da diese
Unternehmen indes nur sehr selten über ein anerkanntes externes Rating verfügen, vertrauen
Investoren auf quantitative Finanzratings wie Moody’s KMV RiskCalc® bei der Beurteilung
deren Bonität.
Für beide Gruppen – Kreditgeber und Investoren – ist die Fähigkeit, Kreditrisiken korrekt
einschätzen zu können, ein Schlüsselparameter für den Erfolg im Kreditgeschäft. Für die
Messung von Kreditrisiken und deren Management sind externe Ratings indes ungeeignet.
Ein quantitatives Finanzrating wie Moody’s KMV RiskCalc® liefert hingegen Ausfallwahr-
scheinlichkeiten (so genannte Expected Default Frequencies oder EDFs), die unmittelbar für
die Konditionengestaltung und das Management von Kreditportfolien genutzt werden kön-
nen.
In diesem Aufsatz sollen die Anforderungen an ein quantitatives Finanzrating erläutert und
dargestellt werden, wie ein solches zu entwickeln ist, damit diese Anforderungen erfüllt wer-
den können. Als Beispiel dient dabei die Entwicklung der Moody’s KMV RiskCalc®-
Modelle, die umfassend dokumentiert und allgemein zugänglich ist. Darüber hinaus sollen
aber auch die Grenzen quantitativer Finanzratings angesprochen werden und ein Weg erläu-
tert werden, wie man in der Lage ist, diese Grenzen auszuweiten.
Moody’s KMV RiskCalc® 127
Die aktuellen Entwicklungen in den Kreditmärkten hin zu mehr Transparenz und Liquidität
verlangen nach einem Standardinstrument zur objektiven Messung von Kreditrisiken nicht
börsennotierter Unternehmen. Zu den Anforderungen der Marktteilnehmer zählen dabei:1
1. Es muss validiert sein. Das Instrument muss auf einem möglichst großen und repräsenta-
tiven Datenbestand entwickelt und validiert werden. Mit Hilfe der Validierung wird si-
chergestellt, dass das Instrument nicht nur innerhalb der Entwicklungsumgebung zu ak-
zeptablen Ergebnissen gelangt.
2. Es muss nachvollziehbar sein. Für die Akzeptanz eines Standardinstruments ist entschei-
dend, dass die Ergebnisse und deren Entstehung verständlich sind. Die verwendeten
Kennzahlen müssen betriebswirtschaftlich plausibel und deren Gewichtung offen gelegt
sein.
3. Es muss trennscharf sein. Das Finanzrating muss den Anwender in die Lage versetzen,
zwischen insolvenzgefährdeten und solventen Unternehmen zu unterscheiden. Ein In-
strument, dessen Trennschärfe nicht ausreicht, ist für Kreditentscheidungen unbrauchbar.
4. Es muss Ausfallwahrscheinlichkeiten ermitteln. Ein Instrument, welches nicht auf Aus-
fallwahrscheinlichkeiten kalibriert ist, verwehrt dem Anwender eine exakte Konditions-
gestaltung bei der Vergabe von Krediten oder der Strukturierung von Verbriefungsportfo-
lien.
Um als Standardinstrument bei den Marktteilnehmern akzeptiert zu werden, muss das Finanz-
rating all diese Anforderungen erfüllen. Ansonsten reiht es sich nur in die Vielzahl der Ver-
fahren ein, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden.
Die Entwicklung eines quantitativen Finanzratings wie Moody’s KMV RiskCalc® erfolgt
grundsätzlich in fünf Schritten:
1. Sammlung und Aufbereitung der Daten,
1 Kocagil/Glormann/Escott (2001), S. 3.
128 Christian Thun
Neben der verwendeten Methodik ist die verfügbare Datengrundlage das entscheidende Ele-
ment für die Qualität und Leistungsfähigkeit eines quantitativen Kreditrisikomodells. Jahres-
abschlüsse bieten für die quantitative Bonitätsbeurteilung von Unternehmen die beste Infor-
mationsgrundlage, denn diese werden nach Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung
erstellt und erlauben dem Analysten eine zutreffende Beurteilung der wirtschaftlichen Lage.
Zahlreiche Untersuchungen in der Vergangenheit stützten sich dabei indes nur auf einige
wenige Dutzend bzw. Hundert Beobachtungen.2
Moody’s KMV hat im Rahmen der Entwicklung seiner quantitativen Finanzratings der Moo-
dy’s KMV RiskCalc®-Modelle seit 1999 mehrere Millionen Jahresabschlüsse solventer und
insolventer nicht börsennotierter Unternehmen aus 20 verschiedenen Ländern gesammelt. So
standen zum Beispiel für die Entwicklung des ersten deutschen RiskCalc-Modells mehr als
110.000 Jahresabschlüsse, für das spanische RiskCalc-Modell mehr als 560.000 Jahresab-
schlüsse und für die Entwicklung des französischen RiskCalc-Modells sogar mehr als 1,3
Millionen Jahresabschlüsse zur Verfügung. Diese Daten wurden unter anderem von ca. 50
führenden Kreditinstituten zur Verfügung gestellt, die an der Entwicklung einzelner
RiskCalc-Modelle maßgeblich beteiligt waren.
Indes wurden nicht sämtliche verfügbaren Jahresabschlüsse für die Entwicklung der einzel-
nen RiskCalc-Modelle verwendet. Zahlreiche Jahresabschlüsse und Unternehmen wurden aus
dem Gesamtdatenbestand ausgeschlossen, wenn sie folgende sachliche und formale Anforde-
rungen nicht erfüllten:
1. Die Unternehmen sollten nicht konzernabhängig sein, da Konzernbilanzpolitik bzw. Ver-
rechnungspreispolitik das Insolvenzverhalten eines Unternehmens beeinflussen können.
2. Das Unternehmen sollte nicht hoheitliche Aufgaben erfüllen, da diese Unternehmen (zum
Beispiel öffentlicher Personennahverkehr) in der Regel ein reduziertes bzw. kein Ausfall-
risiko haben.
3. Das Unternehmen sollte keine reine Besitz-, Objekt- oder Projektgesellschaft sein, da
solche Unternehmen Strukturen in ihren Jahresabschlüssen aufweisen, die nicht mit denen
der übrigen mittelständischen Unternehmen vergleichbar sind.
4. Das Unternehmen sollte einen Jahresumsatz von mindestens 500.000 Euro aufweisen, da
bei Unternehmen mit geringeren Umsätzen eine Trennung von Betriebs- und Privatver-
mögen häufig schwer fallen kann.
5. Die Jahresabschlüsse sollten keine Rumpfgeschäftsjahre umfassen und
6. die Jahresabschlüsse müssen plausibel sein, das heißt sie sollten keine nicht erklärbaren
Ausprägungen enthalten (zum Beispiel Umsatz kleiner 0).
Nach diesen Bereinigungen werden aus dem Gesamtdatenbestand die Entwickungs- und
Validierungsstichprobe gezogen, die mit Blick auf Umsatz und Branche repräsentativ für
die jeweilige Volkswirtschaft sind. Die Verwendung einer Validierungsstichprobe mit
einer ausreichenden Zahl von Jahresabschlüssen aus einem Zeitraum von fünf bis 15
Jahren ist notwendig, damit das zu entwickelnde quantitative Finanzrating seine
Leistungsfähigkeit sowohl Out-of-Sample als auch Out-of-Time nachweisen kann.
Abbildung 1 und 2 zeigen beispielhaft die Zusammensetzung der Validierungsstichpro-
ben des deutschen und des französischen RiskCalc-Modells im Hinblick auf die Branche
und die Umsatzgröße.3 Die umfangreichen Datenbestände der einzelnen RiskCalc-
Modelle gewährleisten, dass die erste Anforderung an ein Finanzrating (siehe Abschnitt
2.1) erfüllt ist.
Ein quantitatives Finanzrating basiert auf der Auswertung eines Jahresabschlusses mit Hilfe
von Kennzahlen. Um dabei möglichst sämtliche Informationen zu berücksichtigen, die die
unterschiedlichen Teillagen und Informationsbereiche eines Jahresabschlusses dem Analysten
bieten, wurde bei der Entwicklung der RiskCalc-Modelle mit der Schaffung eines umfangrei-
chen Kennzahlenkataloges begonnen. Er umfasst neben bekannten Kennzahlen aus der be-
triebswirtschaftlichen Literatur, Empfehlungen der beteiligten Kreditinstitute sowie eine
Reihe „intelligenter“ Kennzahlen, mit den Sachverhaltsgestaltungen und Bilanzpolitik kon-
terkariert werden können.
Zunächst wurde für jede Kennzahl eine betriebswirtschaftliche Hypothese aufgestellt, die
besagt, ob die Ausprägung der Kennzahl für insolvenzgefährdete Unternehmen größer bzw.
kleiner ist als für solvente Unternehmen. Am Beispiel der Rentabilität bzw. der Verschuldung
ist dies leicht nachzuvollziehen. Solvente Unternehmen weisen in der Regel eine höhere
Rentabilität auf als insolvenzgefährdete Unternehmen, während bei der Verschuldung dieses
Verhältnis genau entgegen gesetzt ist. Dieses Verhältnis muss dabei nicht nur ein Jahr vor der
Insolvenz des gescheiterten Unternehmens bestehen, sondern auch zwei bzw. drei Jahre vor
der Insolvenz. Korrespondiert eine Kennzahl nicht mit ihrer betriebswirtschaftlichen Hypo-
these, wird sie von der weiteren Modellentwicklung ausgeschlossen.
Weitere Probleme bei der Entwicklung quantitativer Finanzratings sind unterschiedliche
Dimensionen und Wertebereiche vieler Kennzahlen sowie die Tatsache, dass einzelne Kenn-
zahlen zu Extremwerten neigen. Um diese Kennzahlen dennoch vergleichbar zu machen,
werden sie transformiert und normalisiert. Nach der Transformation und Normalisierung
stimmen alle Kennzahlen im arithmetischen Mittel und in der Standardabweichung überein.
Abschließend wird jede Kennzahl auf ihre Trennfähigkeit hin analysiert, das heißt ihre Fä-
higkeit, solvente von insolvenzgefährdeten Unternehmen zu unterscheiden. Im Rahmen die-
ser Analyse wird für jede Kennzahl die Accuracy Ratio4 ermittelt, die diese Trennfähigkeit
misst. Kennzahlen, die keine ausreichende Accuracy Ratio aufweisen, werden von der weite-
ren Modellentwicklung ausgeschlossen.
4 Für die Accuracy Ratio sind auch Ausdrücke wie Gini-Koeffizient oder PowerStat geläufig. Für eine
detaillierte Beschreibung der Accuracy Ratio vgl. Kocagil/Glormann/Escott (2001), S. 16 f., oder Falken-
stein/Boral/Carty (2000), S. 70 f.
Moody’s KMV RiskCalc® 131
Zur Auswahl der optimalen Kennzahlenkombination wurden die Kennzahlen des Kennzah-
lenkataloges zunächst mittels Korrelationsanalysen auf multikollineare Abhängigkeiten hin
untersucht. Kennzahlen, die in hohem Maße korreliert sind, wurden bei den RiskCalc-
Modellen nicht weiter berücksichtigt. Aus den verbliebenen Kennzahlen des Kennzahlenkata-
loges wurden mit Hilfe multivariater Analysen verschiedene Kombinationen gebildet. Als
analystisches Verfahren wurde die logistische Regression verwandt. Die Vorteile der logisti-
schen Regression sind die allgemeine Akzeptanz und Robustheit des Verfahrens. Methodisch
eignet sie sich sehr gut zur Verarbeitung und Analyse dichotomer Variablen (hier: sol-
vent/insolvent), da die logistische Regressionsfunktion Werte zwischen 0 und 1 liefert, wel-
che wiederum in Ausfallwahrscheinlichkeiten überführt werden können. Die Funktion der
logistischen Regression lautet:
Es gilt: Y ist die abhängige Variable, mit einem Wertebereich von 0 bis 1 (das heißt De-
fault/Non-Default). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Werte 0 und 1 den beobachteten
Ausprägungen Non-Default und Default entspricht. X1 bis Xn sind die transformierten und
normalisierten Kennzahlen und Į1–Įn die Gewichte einer jeden Kennzahl. In Abbildung 3 ist
der Verlauf der Funktion dargestellt.5
Ziel der Optimierung der Kennzahlenauswahl ist es schließlich, durch die Änderung der
Kennzahlen und deren Gewichtung den Verlauf der Funktion in der Weise zu verändern,
dass die Abstände įi der einzelnen Beobachtungen minimiert werden. Typischerweise
kann auf diesem Wege die Zahl der im Modell verwendeten Kennzahlen auf acht bis
zehn beschränkt werden. In Abbildung 4 sind beispielhaft die Kennzahlen des französi-
schen RiskCalc-Modells, deren Definition und relativer Beitrag aufgeführt. Die Kenn-
zahlen in den RiskCalc-Modellen und deren Transparenz gewährleisten, dass die zweite
Anforderung an ein Finanzrating (siehe Abschnitt 2.1) erfüllt ist.
Am Ende des Auswahlprozesses steht das fertige quantitative Finanzrating, welches im vier-
ten Schritt auf seine Fähigkeit zur Unterscheidung solventer von später insolventen Unter-
nehmen (Trennfähigkeit) hin getestet wird. Diese Validierung ist zwingend notwendig, um zu
prüfen, ob das fertige quantitative Finanzrating auch außerhalb der Entwicklungsumgebung
zu guten und nachvollziehbaren Ergebnissen gelangt. Entscheidend für die Beurteilung der
Trennfähigkeit ist daher ein ausreichend großer Validierungsdatenbestand.
Moody’s KMV RiskCalc® 133
Die einfachste Methode der Validierung ist der Vergleich der Vorhersage des Finanzratings
(solvent/insolvenzgefährdet) mit den tatsächlichen Beobachtungen (solvent/insolvent) im
Datenbestand. Beurteilt das Finanzrating ein insolventes Unternehmen als solvent, so handelt
es sich um einen Fehler erster Art (Alpha-Fehler). Beurteilt das Finanzrating ein solventes
Unternehmen als insolvenzgefährdet, so handelt es sich um einen Fehler zweiter Art (Beta-
Fehler).6 Allerdings liefert ein quantitatives Verfahren wie die logistische Regression (siehe
Abschnitt 2.2.3) nicht nur zwei mögliche Vorhersagen, sondern kontinuierliche Ausgabewerte
im Intervall 0 bis 1. Eine Beurteilung der Trennfähigkeit anhand des oben genannten Alpha-
Beta-Fehlerkonzepts gelingt bei diesen quantitativen Verfahren nur, wenn ein bestimmter
Trennwert (Cut-off) zwischen den Ausgaben solvent und insolvenzgefährdet (zum Beispiel
0,3) vorgegeben wird. Das Trennwertkonzept ist zudem ungeeignet, zwei Finanzratings aus-
sagekräftig miteinander zu vergleichen.
Wesentlich geeigneter für die Beurteilung der Trennfähigkeit zweier Finanzratings bzw. Mo-
delle sind Accuracy Ratios7. Für deren Ermittlung werden sämtliche Jahresabschlüsse des
Validierungsbestandes nach den Ausgabewerten der Modelle sortiert. Anschließend wird für
unterschiedliche Ausgabewerte der Teil der erkannten Insolvenzfälle aller Insolvenzfälle im
Datenbestand gemessen. Grafisch kann dies als Summenhäufigkeitsfunktion dargestellt wer-
den (so genanntes Cumulative Accuracy Profile oder CAP). Die Accuracy Ratio ergibt sich
als Fläche unter dieser Funktion. Abbildung 5 zeigt beispielhaft den Funktionsverlauf des
belgischen RiskCalc-Modells im Vergleich zum Z-Score nach Altman.8 Auf der x-Achse ist
der Datenbestand aufsteigend nach der Bonität sortiert. Auf der y-Achse ist der Anteil der
erkannten Ausfälle abgetragen. Würde man zum Beispiel das schlechteste Fünftel des Daten-
bestandes ausschließen, so hätte man mit dem Z-Score etwa 50 Prozent der Ausfälle erkannt,
während man mit dem belgischen RiskCalc-Modell nahezu 70 Prozent erkannt hätte. Der
Vergleich der Accuracy Ratios in Abbildung 6 zeigt ebenfalls deutlich die Überlegenheit des
belgischen RiskCalc-Modells gegenüber dem Z-Score auf dem belgischen Validierungsda-
tenbestand.
Z-Score 46,7%
Ein gut entwickeltes Modell muss aber nicht nur auf dem gesamten Datenbestand eine gute
Trennfähigkeit aufweisen, sondern muss auch für unterschiedlichen Unternehmen diese Fä-
higkeit unter Beweis stellen können. Schließlich verfügt nicht jeder Anwender über ein lan-
desweit repräsentatives Kundenportfolio, sondern hat in der Regel einen historisch gewach-
senen Kundenbestand mit besonderen Schwerpunkten, etwa in bestimmten Branchen. In
Abbildung 7 sind beispielhaft die Accuracy Ratios des belgischen RiskCalc-Modells für
verschiedene Branchengruppen angegeben.9 Die umfangreiche Validierung der RiskCalc-
Modelle gewährleistet, dass die dritte Anforderung an ein Finanzrating (siehe Abschnitt 2.1)
erfüllt ist.
Baugewerbe 66,8%
Dienstleistung 61,7%
Handel 66,0%
Nachdem das quantitative Finanzrating bzw. Modell seine Trennfähigkeit an den Validie-
rungsdaten nachgewiesen hat, ist es grundsätzlich geeignet, im Rahmen der Kreditrisikosteu-
erung eingesetzt zu werden. Das Modell generiert Ausgabewerte, die dem Anwender eine
zuverlässige Rangordnung von Unternehmen nach Ihrer Insolvenzgefahr erlauben. Indes ist
es für die Konditionengestaltung oder das Kreditportfoliomanagement vollkommen ungeeig-
net, da es nicht die Frage beantwortet, wie viele Ausfälle der Anwender für bestimmte Aus-
gabewerte erwarten muss. Diese Frage wird durch die Kalibrierung des Modells beantwortet.
Ziel der Kalibrierung ist es, jeden Ausgabewert des Modells in eine entsprechende Ausfall-
wahrscheinlichkeit zu überführen. Dafür werden in einem ersten Schritt die Ausgabewerte
des Modells gruppiert (zum Beispiel Klasse 1 bis 20) und die beobachteten Ausfälle10 inner-
halb jeder Klasse und innerhalb eines bestimmten Zeitraums (zum Beispiel ein Jahr) be-
stimmt. Diese Zahl wird in Verhältnis gesetzt zu sämtlichen Unternehmen in der jeweiligen
Klasse, so dass für jede Klasse Ausfallwahrscheinlichkeiten ermittelt werden können. Stellt
man diese Klassen und deren Ausfallwahrscheinlichkeiten grafisch dar, so ergibt sich eine
typische Verteilung mit hohen Ausfallwahrscheinlichkeiten in den „schlechten“ Klassen und
niedrigen Ausfallwahrscheinlichkeiten in den „guten“ Klassen. Gibt man sich mit solchen
Klassen-Ausfallwahrscheinlichkeiten zufrieden, vernachlässigt man die Bonitätsunterschiede
innerhalb der einzelnen Klassen. Zudem nimmt man in Kauf, dass die Verteilung der Aus-
fallwahrscheinlichkeiten durch den zugrunde liegenden Datenbestand bestimmt wird. Diese
Probleme werden in einem zweiten Schritt gelöst. In diesem wird die Verteilung durch eine
Kalibrierungsfunktion geglättet. Dieses Vorgehen erlaubt es zum einen, jeden Ausgabewert in
eine individuelle Ausfallwahrscheinlichkeit zu überführen und zum anderen kann die ermit-
telte Ausfallwahrscheinlichkeit des Datenbestands der in der Wirklichkeit beobachteten ange-
passt werden.
Wie im Rahmen der Validierung wird in weiteren Tests geprüft, ob die berechneten Ausfall-
wahrscheinlichkeiten nicht nur für den Gesamtdatenbestand, sondern auch für Teilbereiche
(zum Beispiel Grossunternehmen oder Branchen) mit den beobachteten Ausfallraten überein
stimmen. So wurde zum Beispiel im Rahmen der Kalibrierung einiger RiskCalc-Modelle
festgestellt, dass die beobachteten Ausfallraten größerer Unternehmen deutlich niedriger
waren als der Durchschnitt. Für größere Unternehmen wurde daher ein Bonus in der Kalibrie-
rung vergeben. In ähnlicher Weise wurden die berechneten Ausfallwahrscheinlichkeiten
einzelner Branchen mit den dort beobachteten Ausfallraten verglichen und durch Zu- oder
Abschläge an die Wirklichkeit angepasst. Die Kalibrierung auf Ausfallwahrscheinlichkeiten
gewährleistet, dass die RiskCalc-Modelle die vierte Anforderung an ein Finanzrating (siehe
Abschnitt 2.1) erfüllen. Obwohl die Ausfallwahrscheinlichkeiten die entscheidende Informa-
tion eines quantitativen Finanzratings darstellen, wurden diese bei den RiskCalc-Modellen
zur leichteren Handhabung zusätzlich auf die geläufigen Moody’s Ratingklassen abgebildet
10 Ausfälle sind dabei definiert als „drohende Zahlungsunfähigkeit“ oder „Zahlungsverzug von mehr als 90
Tagen“. Vgl. Basler Ausschuss (2003), Nr. 414 f.
136 Christian Thun
(zum Beispiel eine 1-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit zwischen 0,49 Prozent und 0,73 Pro-
zent entspricht einem Baa3.edf).
3. Neue Herausforderungen
In Abschnitt 2 wurde erläutert, welche vier Anforderungen ein Finanzrating erfüllen muss
und welche Schritte notwendig sind, um ein objektives, trennscharfes und zuverlässiges Fi-
nanzrating zu entwickeln. Alle Moody’s KMV RiskCalc®-Modelle erfüllen diese Anforde-
rungen und wurden grundsätzlich in den beschriebenen Schritten entwickelt.
Wie weiterhin erläutert, basieren die Moody’s KMV RiskCalc®-Modelle auf der Auswertung
von Jahresabschlussinformationen. Indes bringt die Verwendung von Jahresabschlüssen als
Informationsgrundlage neben zahlreichen Vorteilen auch den Nachteil mit sich, dass diese
Information nur einmal pro Jahr aktualisiert werden kann. Kreditrisiko ist indes dynamisch
und kann sich binnen kürzester Zeit ändern. Dieser Herausforderung ist Moody’s KMV mit
der neuen Generation der RiskCalc-Modelle begegnet.
In der neuen Generation werden die unternehmensspezifischen Informationen aus Jahresab-
schlüssen mit einem makrokonomischen Faktor zur Beurteilung der Kreditzyklus kombiniert.
Zur Ermittlung dieses Faktors werden Aktienmarktinformationen herangezogen, denn an
Aktienmärkten werden Informationen über Unternehmen ohne größeren Zeitverzug verarbei-
tet und spiegeln sich in den Aktienkursen und deren Volatilitäten wider. Darüber hinaus ist die
Sichtweise der Investoren an den Aktienmärkten vorwärts, das heißt auf künftige Entwick-
lungen, gerichtet und berücksichtigt so frühzeitig mögliche Verbesserungen oder Verschlech-
terungen der wirtschaftlichen Lage. Da indes für nicht börsennotierte Unternehmen in der
Regel keine Marktinformationen verfügbar sind, wurde bei der neuen Generation der
RiskCalc-Modelle auf die Informationen börsennotierter Unternehmen zurückgegriffen.
Diese börsennotierten Unternehmen wurden zu Branchengruppen zusammengefasst und die
durchschnittliche Distance-to-Default ermittelt. Diese repräsentiert die Zahl der Standardab-
weichungen, zwischen dem Wert eines Unternehmens und dessen Verbindlichkeiten11 und ist
seit langem ein geläufiger Ansatz zur Messung des Kreditrisikos börsennotierter Unterneh-
men. Mit der durchschnittlichen Distance-to-Default einzelner Branchengruppen steht ein
leistungsfähiges Maß für die Beurteilung des aktuellen Kreditzyklus dieser Branchengruppen
zur Verfügung. Darüber hinaus kann dieses Maß laufend aktualisiert werden und es spiegelt
Veränderungen des Kreditzyklus wider, bevor sich diese in den Jahreabschlüssen nicht bör-
sennotierter Unternehmen niederschlagen. Nimmt die durchschnittliche Distance-to-Default
zu bzw. ab, das heißt sinkt bzw. steigt das durchschnittliche Kreditrisiko innerhalb der bör-
sennotierten Branchengruppe, wird die auf Basis des Jahresabschlusses ermittelte Ausfall-
wahrscheinlichkeit eines nicht börsennotierten Unternehmens in der gleichen Branchengrup-
pe noch oben bzw. unten korrigiert. Auf diesem Weg können Informationen bei der Bonitäts-
beurteilung berücksichtigt werden, die sich noch nicht auf die Jahresabschlusszahlen ausge-
wirkt haben. In Abbildung 8 werden die um die Marktinformationen adjustierte
Ausfallwahrscheinlichkeit (EDF RiskCalc 3.1) und die jahresabschlussbasierte Ausfallwahr-
scheinlichkeit (Financial Statement Only Mode) für ein Unternehmen verglichen, welches
Anfang 2000 einen Ausfall erlitten hat. Die adjustierte Ausfallwahrscheinlichkeit zeigt bereits
im vierten Quartal 1998 ein deutlich erhöhtes Kreditrisiko an.12
4. Zusammenfassung
Die neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken haben in den letzten Jahren zu deutlichen
Verbesserungen der Verfahren zur Früherkennung drohender Unternehmenskrisen geführt.
Quantitative Finanzratings bilden dabei häufig die Grundlage moderner interner Rating-
systeme. Allerdings bedienen sich nicht nur Kreditgeber, sondern auch vermehrt Investoren
Literatur
Dieter Pape
3. Ausblick
Literatur
durch ein breites Angebot an innovativen Finanzierungsinstrumenten und dessen aktive Ver-
marktung Wege zu mehr Wachstum zeigen.
Entscheidend ist hierbei eine effizientere Zuordnung der Finanzierungsrisiken an die Geldge-
ber, die diese bei einer marktgerechten Preisbildung tatsächlich übernehmen wollen und
können. Das können die Banken sein, zumal mit Basel II eine differenzierte, risikoadjustierte
Preisbildung am Kreditmarkt endgültig Einzug hält. Es können aber auch Dritte sein, die
etwa über Verbriefungslösungen bestimmte Risikotranchen übernehmen. Die Banken müssen
in diesem Sinne vom Risikoträger zum Risikoagenten werden. Sie sollten dazu übergehen,
ihren Kunden bei der Analyse der Risikostrukturen eines zu finanzierenden Projekts zu hel-
fen. Sie müssen den Weg frei machen für flexible Lösungen, bei denen sie dann nicht nur als
Kreditgeber, sondern auch als Anbieter oder Vermittler innovativer Finanzierungsbausteine in
Erscheinung treten. Nur wenn der einheimische Mittelstand Zugang zu den effizientesten
Finanzierungswegen hat, bleibt er international wettbewerbsfähig. Das nutzt am Ende allen,
auch den Banken.
Den wesentlichen Schlüssel für mehr Wachstum haben die Unternehmen aber selbst in der
Hand: Sie müssen bereit sein, Kapitalgebern mehr Einblick als bisher in ihre finanziellen
Verhältnisse zu gewähren und dafür vor allem die Aufbereitung interner Daten deutlich
verbessern. Dies betrifft insbesondere ein am Cashflow orientiertes Berichtssystem, das die
klassische Kostenrechnung als Entscheidungsgrundlage für Finanzierungsfragen mehr und
mehr verdrängt. Mangelnde Datenaufbereitung auf Unternehmensseite ist eines der größten
Hindernisse beim Einsatz moderner Finanzierungstechniken. Wenn Risiken marktgerecht
bepreist werden sollen, um den am besten geeigneten Investor finden zu können, müssen sie
für ihn bzw. seine Agenten nachvollziehbar sein. Die Ratingagenturen spielen hier eine wich-
tige Rolle. Unternehmen, die die Chancen eines professionellen Ratings nicht erkennen,
laufen Gefahr, die gesparten Ratingkosten an anderer Stelle doppelt und dreifach wieder zu
verlieren. Denn wenn Risiken nicht klar quantifizierbar sind, fordert der Markt zum Aus-
gleich Risikozuschläge.
Zu den traditionellen Problemen des deutschen Mittelstands gehört seit Jahrzehnten eine im
internationalen Vergleich sehr niedrige Eigenkapitalquote. Auch hier setzen die neuen Finan-
zierungsinstrumente an, indem mit hybriden Konstruktionen Finanzierungsbausteine kreiert
werden, die klassisches Eigenkapital bis zu einem gewissen Grad ersetzen können. Dies zeigt
augenfällig, dass neue Finanzierungsinstrumente und die klassischen Wege der Fremdfinan-
zierung nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich geradezu ergänzen. Eine bei-
spielsweise durch Mezzaninekomponenten verbesserte, ratingrelevante Eigenkapitalquote
schafft erst die Voraussetzungen dafür, dass anschließend mehr Fremdkapital zu günstigeren
Konditionen aufgenommen werden kann.
Das Problem der Eigenkapitalschwäche in Deutschland ist geschichtlich begründet. Nach
dem Zweiten Weltkrieg war das deutsche Finanzsystem durch den Verlust der Geldvermögen
und die Zerstörung der Betriebe zwangsläufig auf massive Fremdkapitalzuführung angewie-
sen. Dadurch wurde die Fremdfinanzierung gegenüber dem Eigenkapital begünstigt. Die
deutsche Steuergesetzgebung erschwerte zudem in vielerlei Hinsicht den Aufbau von Eigen-
142 Dieter Pape
mitteln. So leidet das Gros des deutschen Mittelstands bis heute unter einer im internationa-
len Vergleich niedrigen Eigenkapitalquote.
Welche Finanzierungsformen werden langfristig das Bild bestimmen? Die Studie „Wege zum
Wachstum“ von Ernst & Young – veröffentlicht im Juli 2005 – belegt, dass sich der deutsche
Mittelstand nicht mehr ausschließlich auf den klassischen Kredit der Hausbank verlässt,
wenn es darum geht, eigenes Wachstum zu finanzieren oder Auslandsmärkte zu erschließen.1
Zwar wird der Kredit auch künftig den Kern der Fremdfinanzierung bilden, allerdings gewin-
nen alternative Ergänzungen immer mehr an Bedeutung.
Bei der Eigenkapitalfinanzierung stellt die Finanzierung aus einbehaltenen Gewinnen oder
durch Abschreibungen und Rücklagen die bevorzugte Quelle des Mittelstands dar. Mindes-
tens 80 Prozent der Unternehmen gaben an, bisher die Finanzierung aus einbehaltenen Ge-
winnen genutzt zu haben. 82 Prozent der Unternehmen wollen diese Form der Finanzierung
auch weiterhin nutzen. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Finanzierung aus Abschreibun-
gen bzw. aus eigenen Rücklagen.
Ein ebenso aufschlussreiches Bild ergibt sich bei der Nutzung von Fremdfinanzierungsmög-
lichkeiten. Zunächst ist festzuhalten, dass die klassischen und etablierten Instrumente hier bei
weitem überwiegen und in Zukunft sogar zulegen werden. So gaben nahezu 62 Prozent der
Unternehmen an, dass die Darlehensfinanzierung über Banken ein wesentlicher Baustein
ihrer bisherigen Finanzplanung sei, wobei 64,7 Prozent aller Befragten angaben, diese Finan-
zierungsform in Zukunft auszubauen. Ein ähnlicher Trend, wenn auch auf etwas geringerem
Niveau, zeigt sich beim Thema Leasing. 52,5 Prozent der befragten Unternehmen nutzen
schon heute diese liquiditätsschonende Finanzierungsform, wobei 55,5 Prozent angaben,
diese Finanzierungsform in Zukunft nutzen zu wollen. Ein starkes Wachstum ist beim Facto-
ring zu beobachten. So möchten die befragten Unternehmen den Forderungsverkauf in Zu-
kunft fast doppelt so häufig nutzen wie in der Vergangenheit.
144 Dieter Pape
Auffallend ist, dass die Finanzierung aus Gesellschaftereinlagen in Zukunft deutlich abneh-
men wird (39,3 Prozent bisher versus 34,6 Prozent zukünftig). Inwieweit hierbei auch die
aktuelle konjunkturelle Situation das Bild beeinflusst, weil manche Gesellschafter eine Aus-
weitung ihres eigenen Risikos im Hinblick auf die unsichere Entwicklung der Gesamtwirt-
schaft in naher Zukunft scheuen, lässt sich nicht abschließend beurteilen.
Die Bereitschaft der Banken, mittelständischen Unternehmen die für ihr Wachstum benötig-
ten Mittel bereitzustellen, nimmt in jüngster Zeit deutlich zu. Neben dem klassischen Bank-
kredit werden Mezzaninekapitalangebote in den Markt gebracht, die zum Ziel haben, das für
das Rating relevante Eigenkapital zu erhöhen und somit die Haftungsbasis des Unternehmens
verbreitern.
Wie die Einführung der Eigenkapitalunterlegungsregeln nach Basel II zur risikoadjustierten
Bepreisung der Bankkredite führt, so hängt das Volumen der Vergabe und die Bemessung der
Verzinsung von Mezzaninekapital von dem Ergebnis des Ratings einer Ratingagentur ab. Das
Credit Rating der URA Unternehmens Ratingagentur wird in diesem sich entwickelnden
Kapitalmarkt für Mezzanine eingesetzt.
Die geläufigste Abgrenzung des Begriffs Mittelstand geht auf das Institut für Mittelstandsfor-
schung in Bonn zurück. Es grenzt Unternehmen nach quantitativen Kriterien – Umsatz und
Mitarbeiterzahl – voneinander ab (vgl. Abbildung 3). Hieraus ergibt sich ein Raster, das eine
hilfreiche Unterteilung in kleine, mittlere und große Unternehmen (KMU) erlaubt.
Unternehmensgröße Kriterien
Abbildung 3: KMU-Kategorien
Credit Rating der URA Unternehmens Ratingagentur 145
Unter einem Credit Rating ist die durch bestimmte Symbole ausgedrückte Bewertung der
Fähigkeit, der rechtlichen Bindung und der Bereitschaft eines Emittenten zu verstehen, die
ihm durch die Herausgabe verzinslicher Wertpapiere entstandenen Zahlungsverpflichtungen
rechtzeitig und im vollen Umfang zu erfüllen.4
Mit Blick auf die am Markt befindlichen Ratingsysteme lassen sich das Credit Rating eines
Emittenten, das Credit Rating eines Finanztitels, das Credit Rating einer Kunden- bzw. Liefe-
rantenbeziehung sowie das Equityrating unterscheiden. Die DVFA-Rating-Standards vom
November 2001, welche zunächst nur für das Credit Rating als Unternehmensrating entwi-
ckelt wurden, fordern Folgendes: Ein Rating umfasst die ganzheitliche Analyse eines Unter-
nehmens unter Einbeziehung aller verfügbaren und als relevant erkannten Informationen mit
dem Ziel, eine Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit gemäß der allgemein gültigen Refe-
renz-Ausfalldefinition vorzunehmen.5
Durch das Rating erfolgt keine genaue Quantifizierung der Ausfallwahrscheinlichkeit eines
Wertpapiers bzw. Titels. Vielmehr ergibt sich durch die Zuordnung der Symbole lediglich
hinsichtlich der Bonität die Stellung eines Wertpapiers bzw. Titels gegenüber anderen benote-
ten Finanztiteln. Aus dem Rating lässt sich also herleiten, ob ein bestimmter Finanztitel siche-
rer ist als andere. Auch die Einordnung in die oberste Kategorie der Ratingskala ist nicht mit
der absoluten Sicherheit der Anlage gleichzusetzen. Die URA Unternehmens Ratingagentur
verwendet die international übliche Ratingskala mit Noten von AAA bis D. Sie unterscheidet
bei ihren Skalen für die idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit zwischen einjährigen und
mehrjährigen (vier bis fünf Jahre) Ausfallwahrscheinlichkeiten. Die URA bezeichnet das
Credit Rating eines Emittenten als „Unternehmensrating“ und das Credit Rating eines Fi-
nanztitels als „Credit Rating“.
2.3 Ratingobjekt
Das Credit Rating der URA bezieht sich beispielsweise auf das Genussrecht eines Unterneh-
mens, also auf einen einzelnen Finanztitel, dessen spezifische Ausstattungsmerkmale bei der
Bewertung berücksichtigt werden. Dem Credit Rating für den Finanztitel liegt das Unter-
nehmensrating zugrunde, das sich generell auf die Bonität des Emittenten bezieht. Da die
Durchsetzbarkeit des Anspruchs des Gläubigers des Finanztitels aber gerade von der Ausges-
taltung der Finanzierungsbedingungen abhängt und diese bei unterschiedlichen Emissionen
desselben Unternehmens divergieren können, kann sich das Credit Rating von dem Unter-
nehmensrating unterscheiden.
2.4 Ratingprozess
Die Einzelheiten des Ratingprozesses der URA sind von der Größe und der Art des Emitten-
ten abhängig. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher überwiegend auf das
typische Ablaufschema, wie es im Falle eines großen mittelständischen Unternehmens zur
Anwendung kommt. Grundsätzlich wird der Ratingprozess durch einen Antrag des Emitten-
ten auf Erstellung eines Ratings initiiert. Der Ratingprozess kann beim ersten Rating bis zu
drei Monate in Anspruch nehmen. Gründe für die Einholung eines Ratings reichen von der
Suche nach risikoadäquaten Finanzierungskosten bis hin zur generellen Ermöglichung der
Platzierung des Finanztitels. Unternehmen mit einem Rating im oberen Bereich der Bewer-
tungsskala bieten dem Investor eine verhältnismäßig sichere Anlage und können somit ihre
Finanztitel mit einer niedrigeren Verzinsung bzw. einem höheren Ausgabekurs auf den Markt
bringen. Andererseits lassen sich ungeratete Finanztitel in der Regel kaum platzieren. Das
Rating kann insbesondere für jüngere und kleinere Unternehmen die Kapitalmarktfähigkeit
erhöhen. Schließlich versprechen sich die Gesellschaften von einem guten Rating einen
Imagegewinn, der auch auf andere Geschäftsbeziehungen, zum Beispiel auf das Kunden- und
Lieferantenverhältnis, positiv ausstrahlen kann.
Am Anfang des Ratingprozesses steht das Zusammenstellen aller zur Analyse des Emittenten
bzw. seiner (geplanten) Emission notwendigen Informationen. Mithilfe hauseigener Biblio-
theken sowie diverser Datenbanken ermittelt das zuständige Analyseteam zunächst das ge-
samte öffentlich verfügbare Material. Darüber hinaus kommt der Kooperation des Emittenten
mit der Ratingagentur größte Bedeutung zu. So wird der Emittent häufig von einem Rating-
advisor begleitet, dessen Aufgabe es in erster Linie ist, die Zurverfügungstellung der Unterla-
gen zu organisieren und für deren Aktualität und Fundiertheit zu sorgen.
In einem ersten Schritt werden die jüngsten drei Jahresabschlüsse einem Insolvenzcheck
unterzogen, das heißt die signifikanten Kennzahlen des Jahresabschlusses werden einer Dis-
kriminanzanalyse mit Insolvenzprognose unterzogen. Im Anschluss daran wird ein Bilanzpo-
litik-Test durchgeführt. So gewinnt das Analyseteam einen ersten Einblick in die Qualität der
Bilanzzahlen des Unternehmens. Informationen zur Branche bezieht die URA aus aktuellen
Berichten von Branchenpublikationen und Verbänden und aus dem einschlägigen Branchen-
rating von FERI Research GmbH, Bad Homburg. Branchenvergleichszahlen werden bei der
Datev eG, Nürnberg, und bei anderen Research-Organisationen abgerufen. Darüber hinaus
werden die aktuellsten Kreditauskünfte angefordert.
Hiernach beginnen die beauftragten Ratinganalysten, in der Regel ein Wirtschaftsprüfer und
ein Branchenexperte, mit der Datenerhebung zu den von ihnen bearbeiteten Ratingbereichen:
148 Dieter Pape
Die Bereiche „Management und Organisation“ sowie „Finanzwirtschaft“ obliegen dem Wirt-
schaftsprüfer, „Personal“, „Produkte und Märkte“, „Produktions- und Informationstechnolo-
gie“ und „Standort und Ökologie“ dem Branchenexperten. Diese Erhebungen geben Auf-
schluss über die Perspektiven des Unternehmens und seine Fähigkeit zur Schuldentilgung. Im
Vordergrund stehen hierbei Fragen wie die Abhängigkeit des Geschäftszweiges von der ge-
samtwirtschaftlichen Entwicklung, Auswirkungen von Wechselkursschwankungen, die Emp-
findlichkeit der Branche gegenüber technischen Erneuerungen und ihre Alleinstellung sowie
die Wahrscheinlichkeit branchenspezifischer wirtschaftspolitischer Maßnahmen.
In einem nächsten Schritt werden die unternehmensbezogenen Aspekte analysiert. Diese
Unternehmensanalyse lässt sich in zwei Teilbereiche gliedern, von denen sich der eine mit
dem Geschäftsrisiko und der andere mit dem finanziellen Risiko befasst. Im Rahmen der
Untersuchung des Geschäftsrisikos wird unter Betrachtung der Bereiche Technologie, Marke-
ting und Effizienz die Wettbewerbsposition des Emittenten gegenüber seinen Konkurrenten
ermittelt. Eine wesentliche Komponente stellt daneben die Einschätzung der Qualität des
Managements dar. Die Überprüfung des finanziellen Risikos basiert überwiegend auf der
Analyse von Finanzierungskennzahlen, die sich aus den vorliegenden Jahresabschlüssen
herleiten. Die künftige Zahlungsfähigkeit wird anhand der Kapitalstruktur ermittelt und es
werden Prognosen über Zahlungsströme und Erträge erstellt. Zu den untersuchten unterneh-
mensspezifischen Gesichtspunkten zählt schließlich die Struktur des Unternehmensverbun-
des, zu welchem der Emittent gehört, und die sich aus dieser ergebenden besonderen Bezie-
hungen beispielsweise in Form von Unterstützungsvereinbarungen wie Patronatserklärungen
und Ergebnisabführungsverträge. Alle diese Erhebungen sind Grundlage für das generelle
Unternehmensrating.
In einem gesonderten Schritt der Analyse werden die jeweiligen Vertrags- und Emissionsbe-
dingungen des Finanztitels geprüft. Während sich das Unternehmensrating in erster Linie mit
der Frage beschäftigt, ob die Gesellschaft ihren finanziellen Verpflichtungen im Rahmen ihrer
Geschäftstätigkeit nachkommen kann, geht es bei der Emissionsanalyse, das heißt dem Credit
Rating, vornehmlich um die Situation des Gläubigers des Finanztitels im Falle von Zahlungs-
schwierigkeiten und Insolvenz. Entscheidend ist hierbei die Ausgestaltung der Besicherung
sowie die Stellung des Gläubigers gegenüber anderen Kreditoren.
Die einzelnen Analyseergebnisse werden von den Analysten zusammen mit dem Leadana-
lysten um einen Bewertungsvorschlag ergänzt. Dieser wird dem URA Ratingausschuss vor-
gestellt, welcher sich zusammensetzt aus einem Senioranalysten, einem Experten der Wissen-
schaft und dem Leadanalysten. Nach eingehender Erörterung aller Aspekte trifft der URA
Ratingausschuss daraufhin die Entscheidung über das Rating. Welchen Kriterien bei der
Entscheidungsfindung Bedeutung zukommt und welches Gewicht diesen beigemessen wird,
hängt dabei vom Wesen des Emittenten ab und wird insbesondere durch das von der URA
eingesetzte Ratingsystem bestimmt. Der URA Ratingausschuss stellt sodann das Unterneh-
mensrating als generelle Bonitätseinstufung fest. In einem zweiten Schritt kommt es zur
Feststellung des Credit Ratings, das unter Berücksichtigung der Bedingungen des Finanztitels
das Investitionsrisiko für die Anleger bestimmt.
Credit Rating der URA Unternehmens Ratingagentur 149
Der Bewertung der Bedingungen des Finanztitels, häufig Covenants genannt, kommt beim
Credit Rating besondere Bedeutung zu. Nachfolgende Kriterien entscheiden darüber, wo der
Finanztitel in der hierarchischen Reihenfolge der im Insolvenzfall bevorrechtigten oder nach-
rangigen Gläubiger zu finden ist. Bereits in einer vorübergehenden Krise des Unternehmens
richtet sich die Bedienung mit Zins nach dieser Rangfolge: Somit ist die individuelle Aus-
fallwahrscheinlichkeit des einzelnen Finanztitels anders als die generelle Bonität des Unter-
nehmens von krisenhaften Veränderungen des Geschäftsgangs unterschiedlich betroffen. Die
Vertragselemente der Covenants haben in unterschiedlicher Intensität Einfluss auf die Risiko-
ausprägung des Finanztitels (vgl. Abbildung 4). Die Ratinganalysten sind angehalten, die
Beurteilung in einer Kriterienmatrix vorzunehmen, um den kumulierten Erfüllungsgrad für
die relative Sicherheit des Finanztitels im Krisenfall einordnen zu können.
Auswirkung Covenants-Element
2. Vergütung
3. Verlustteilnahme
4. Beteiligung am Liquidationserlös
2. Laufzeit
3. Kündigungsabrede
5. Wandelungsrechte
6. Bonuszins
7. Recoverymanager im Krisenfall
2. Rechtsgeltung
2.6 Monitoring
Das Ratingverfahren der URA ist darauf gerichtet, ein über die gesamte Laufzeit des Finanz-
titels gültiges Bonitätsurteil zu ermitteln. Unvorhergesehene Veränderungen der wirtschaftli-
chen und rechtlichen Rahmenbedingungen sowie anderer wesentlicher Faktoren können
jedoch eine Anpassung des Ratings notwendig machen. Diesem Erfordernis trägt die URA
Unternehmens Ratingagentur durch eine laufende Überwachung ihrer Bewertungen – ein so
genanntes Monitoring – Rechnung, das auch ohne Beantragung durch den Emittenten erfolgt.
Hierbei wird jedes Rating mindestens einmal jährlich einer Revision unterzogen, wobei neu
vorliegende Daten analysiert und gegebenenfalls Gespräche mit Firmenvertretern geführt
werden. Daneben wird bei Bekanntwerden von für das Rating relevanten Ereignissen, Ent-
wicklungen wie Restrukturierungs-, Fusions-, Akquisitions- und Übernahmevorhaben ein
besonderes Überprüfungsverfahren eingeleitet. Eine so genannte Watchlist mit regelmäßiger
Veröffentlichung – wie bei börsennotierten Finanztiteln üblich – wird von der URA jedoch
nicht geführt.
2.7 Haftung
Rechtlich ist die Veröffentlichung eines Ratings durch eine Ratingagentur in der Regel als
Wertung bzw. Meinungsäußerung einzustufen. Entsprechend scheiden etwaige Ansprüche
eines Emittenten auf Widerruf oder Richtigstellung gegen eine ihn belastende Bonitätsbewer-
tung grundsätzlich aus. Gleichwohl kommt eine Haftung der Ratingagenturen innerhalb der
deutschen Rechtsordnung sowohl gegenüber Emittenten, als auch gegenüber der Investoren-
schaft in Betracht – und zwar ebenso auf vertraglicher wie auf außervertraglicher Grundlage.
Indes darf die praktische Bedeutung der Dritthaftung von Ratingagenturen, also gegenüber
denjenigen Anlegern, die in keinem Vertragsverhältnis mit ihnen stehen, nicht überschätzt
werden. Fälle, in denen eine Ratingagentur bei Erstellung eines Ratings zu einer unsachge-
mäßen und nicht mehr vertretbaren Wertung gelangt, dürften unter den haftungsrelevanten
Sachverhalten eher die Ausnahme darstellen.
Während in verschiedenen Staaten mehr oder weniger explizit geregelte Anerkennungsver-
fahren für Ratingagenturen bestehen und einige wenige Rechtsordnungen konkrete Regulie-
rungen der Ratingbranche vorsehen, unterliegen die Ratingagenturen in Deutschland keiner-
lei spezifischer Regelung oder Aufsicht. Die URA Unternehmens Ratingagentur und ihre
Analysten haben sich freiwillig verpflichtet, die „Grundsätze für das Unternehmensrating“
des BdRA Bundesverband der Ratinganalysten und Ratingadvisor e.V. wie auch den Code of
Conduct Fundamentals of Credit Rating Agencies der IOSCO International Organisation of
Securities Commissions zu beachten.
Credit Rating der URA Unternehmens Ratingagentur 151
Das Credit Rating der URA wird stets im Auftrag des Emittenten angefertigt. Der Ratingbe-
richt enthält die fachkundigen Beurteilungen der Ratinganalysten zur Qualität des beurteilten
Unternehmens und des zu ratenden Finanztitels. Der Gesamtbericht genießt Urheberschutz.
Er stützt sich auf Informationen und Unterlagen, die einzeln aufgelistet sind. Die Methoden
für die Ermittlung des Ratings werden im Abschnitt „Auftrag und Auftragsdurchführung“ des
Ratingberichts beschrieben. Die Geschäftsführung des Unternehmens erteilt der Ratingagen-
tur eine Vollständigkeitserklärung.
Die Haftung der URA Unternehmens Ratingagentur für Vermögensschäden, die auf etwaige
Berufsversehen (Pflichtverletzungen) bei Auswertung der überlassenen Unterlagen und gege-
benen Informationen zurückzuführen sind, wird vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen,
soweit die Haftung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht und nicht das Ergebnis
einer Verletzung der besonderen wesentlichen Vertragspflichten (Kardinalpflichten) ist. Der
vorstehende Haftungsausschluss gilt nicht für Ansprüche, die wegen arglistigen Verhaltens
entstanden sind, sowie für Schäden auf der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der
Gesundheit. Auf jeden Fall haftet die URA Unternehmens Ratingagentur nicht über die ver-
traglich vereinbarte Haftungshöchstgrenze hinaus.
Der Gesamtbericht über das Rating wird ausschließlich für die Verwendung durch das auf-
traggebende Unternehmen erstellt. Nur das auftraggebende Unternehmen und die URA Un-
ternehmens Ratingagentur können aus dem Ratingbericht gegenseitig Ansprüche geltend
machen. Eine Haftung gegenüber Dritten, ohne dass eine ausdrückliche und schriftliche Zu-
stimmung der URA Unternehmens Ratingagentur zur Weitergabe des Berichts an Dritte er-
folgt ist, ist ausdrücklich ausgeschlossen.
Das geratete Unternehmen verpflichtet sich, die URA Unternehmens Ratingagentur von
jeglicher Haftung gegenüber Personen freizustellen, die von dem Ratingbericht Kenntnis
erlangt haben, es sei denn, die Kenntnisnahme erfolgt aufgrund der schriftlichen Zustimmung
der URA oder durch eine Handlung, die von dieser zu vertreten ist.
3. Ausblick
Deutschland und mit ihm der Mittelstand als Rückgrat der Wirtschaft durchläuft derzeit eine
Phase des gesellschaftlichen und politischen Wandels. Es hat sich mittlerweile folgender
politische Konsens herausgebildet: Die deutsche Volkswirtschaft wird künftig im globalen
Wettbewerb nur dann zur Spitzengruppe zählen, wenn sie sich grundlegend wandelt. Die
Kernfrage hierbei lautet, wie sich Markt- und Gemeinwohl trotz dieses Wandels im Gleich-
gewicht halten lassen. Wie kann es gelingen, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und
des gesamten Standorts mit der Formel vom „Wohlstand für alle“ (Ludwig Erhard) harmo-
152 Dieter Pape
Literatur
Ottmar Schneck
1. Der VDA-Ratingstandard
Literatur
1. Der VDA-Ratingstandard
Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) hat 2004 zusammen mit der Prof. Dr.
Schneck Rating GmbH einen Ratingstandard entwickelt, der nicht nur den Namen Standard
trägt, sondern in der Bewertung von Lieferanten inzwischen allgemein akzeptiert wird. Bei
diesem Standard handelt es sich um eine Ratingsoftware, die auf Basis des marktführenden
Ratingtools R-CockpitTM speziell für den VDA entwickelt wurde und sowohl ein reines Fi-
nanzrating auf Basis von Bilanzdaten als auch ein Vollrating mit qualitativen Kriterien zu-
lässt. Im März 2006 wurde bereits die zweite Edition dieses Standardtools, in der technische
Aktualisierungen der Ratingsoftware vorgenommen wurden, an alle Mitglieder des VDA
ausgeliefert.
Wenn Rating die Bewertung der Zahlungsfähigkeit eines Schuldners ist und Finanzrating
diese Bewertung ausschließlich auf Basis von Jahresabschlussdaten generiert, so ist festzu-
halten, dass nicht nur Banken und Versicherungen aufgrund von Basel II und Solvency II auf
diese Bewertung achten, sondern zunehmend auch Kunden, die die Lieferfähigkeit ihrer
Zulieferer auch von deren Bonität abhängig machen. Haben doch in den letzten Jahren Un-
ternehmensinsolvenzen wie von Peguform als Zulieferer fast aller Automobilunternehmen
oder finanzielle Schieflagen wie bei Delphi als Hauptlieferant von General Motors bei den so
genannten OEM (Original Equipment Manufacturer) die Erkenntnis reifen lassen, dass das
Merkmal Solvenz zur Bewertung von Liefertreue und Produktqualität immer wichtiger wird.
So akzeptieren die großen OEMs der Automobilbranche, zum Beispiel die Porsche AG, nur
noch Lieferantenratings nach dem neuen VDA-Branchenstandard. Bei dessen Einführung
2004 pries der VDA-Präsident Prof. Bernd Gottschalk in einem Interview der Zeitschrift
„Automobil-Industrie“ das Instrument als Hilfe zur strategischen Positionierung, Vorberei-
tung auf Bankengespräche und nicht zuletzt zur pragmatischen Transparenz über die finan-
zielle Situation eines Lieferanten gegenüber seinem Kunden bzw. den OEM. Der Vorteil des
neuen Standards liegt darin, dass der Zulieferer eben nicht vor dem OEM alle Daten wie zum
Beispiel Bilanzen preisgeben muss, sondern diese mit Testat seines Wirtschaftsprüfers in das
Ratingtool eingeben kann und lediglich dessen Ergebnis in Form einer standardisierten Aus-
wertung mit Ratingnotation dem OEM liefert. Dieser ist nach VDA-Standard und
-vereinbarung unter den OEMs mit dem Ergebnis in Form einer Ratingnote bzw. eines spe-
ziellen Auswertungsstandards zufrieden. Eine totale Transparenz über die finanzielle Situati-
on kann damit unterbleiben, und dennoch wird zwischen Lieferant und OEM eine Vertrau-
ensbasis über die Stabilität und damit künftige Lieferfähigkeit geschaffen.
Das neue System ist einfach in der Handhabung, vertrauenswürdig durch das Wirtschaftsprü-
fertestat, aktuell durch automatische Wiederholbarkeit mit jedem neuen Jahresabschluss
Finanzrating am Beispiel der Automobilindustrie 155
sowie begrenzt im administrativen Aufwand. Zahlreiche OEMs rufen bisher die Lieferanten
dazu auf, ihnen die Ergebnisse mindestens einmal jährlich zu geben. Viele Lieferanten nutzen
das Tool inzwischen ihrerseits für die Bewertung ihrer Zulieferer oder erstellen ein so ge-
nanntes Eigenrating, welches als Fortsetzung eines internen Controllinginstruments gewertet
werden kann. Das Bewusstsein, dass betriebliche Entscheidungen sich stets auf die Bonität
bzw. künftige Zahlungsfähigkeit und damit das Rating auswirken, wächst in Unternehmen
kontinuierlich. So wird es künftig zur Normalität werden, neben oder zu einem Controllings-
bzw. Steuerungsinstrumentarium auch ein Ratingtool im eigenen Hause zu nutzen und die
betrieblichen Entscheidungen hinsichtlich der Auswirkung auf das Rating zu hinterfragen.
Ob in ein paar Jahren das Lieferantenratingsystem des VDA zu einer Plattform ausgebaut
wird, in dem die Lieferanten ihre Bonitätsdaten hinterlegen und die OEM diese als qualifi-
zierte Ratingauskunft abfragen können, bleibt dahingestellt. Manche Lieferantenplattformen,
zum Beispiel „supply on“, integrieren bereits dieses VDA-Ratingtool in ihrer Plattform und
damit für Auskünfte an OEMs und andere Lieferanten. Noch soll das Rating nur auf Anforde-
rung der OEMs erfolgen. Durch die Einheitlichkeit der Anforderungen für verschiedene
OEMs sparen sich die Lieferanten aber bereits jetzt erhebliche Verwaltungsaufwendungen.
Ein Lieferantenrating für alle Kunden kann genügen.
Durch die Einschaltung des Analyseprozesses einer unabhängigen Ratingagentur kann zudem
das Eigenrating der Unternehmen qualifiziert bzw. testiert werden. Dabei kann zwischen
einem reinen Finanzrating auf Basis der eingegebenen Bilanzwerte und einem Vollrating mit
allen qualitativen Kriterien eines Ratingprozesses unterschieden werden. Während das Fi-
nanzrating auf Basis des VDA-Tools durchaus vom eigenen Steuerberater oder Wirtschafts-
prüfer testierbar ist, sollte eine externe Analyse der qualitativen Kriterien durch eine qualifi-
zierte Ratingagentur erfolgen, die bei der Bewertung dieser Kriterien erfahren ist und die
Diskretion der Daten gegenüber den OEMs gewährleisten kann.
Ein externes Rating durch eine Ratingagentur kann auch die Spezifika eines Lieferantenra-
tings abbilden. So wird gegenüber einem Kapitalmarkt- oder Bankrating sicher die Kurzfris-
tigkeit in der Betrachtung sowie der Schwerpunkt auf der Liquidität im qualitativen Rating
eine Rolle spielen. Während Banken und Kapitalmarkt auf die nachhaltige Entwicklung eines
Unternehmens setzen, muss der Einkäufer eines OEMs eher die kurzfristige Lieferfähigkeit
durch die Sicherstellung der kurzfristigen Liquidität prüfen. Er ist hinsichtlich der qualitati-
ven Kriterien weniger an Branchenimplikationen oder einer langfristigen Innovationskraft
interessiert, sondern an einer kurzfristigen Bewertung von Managementqualifikationen, Ver-
tretungsregelungen oder dem Nichtvorliegen operationeller Risiken. Dies soll nicht bedeuten,
dass Lieferantenrating stets als Kurzfristanalyse daherkommt und eine nachhaltige Entwick-
lung des Lieferanten außer Acht lässt. Dennoch sollte die spezifische Interessenlage eines
Einkäufers hinsichtlich der Lieferfähigkeit vom Interesse einer Bank bezüglich einer nachhal-
tigen Kapitaldienstfähigkeit unterschieden werden. Bei der Analyse von Lieferanten wird
kein reduziertes Rating nötig sein, aber die spezielle Interpretation der Ergebnisse und Ra-
tingkriterien ist zu beachten.
156 Ottmar Schneck
Weiter Verbände haben sich dem Beispiel des VDA angeschlossen, um innerhalb ihrer Bran-
che nicht nur gegenüber den Banken und Investoren, sondern auch ihren eigenen Mitglieds-
unternehmen und insbesondere den Kunden einen standardisierten Bonitätsausweis zu er-
möglichen. So haben der Verband der Kommunikationsagenturen (GWA), der Verband der
Mineralölwirtschaft (gdbm), der Verband der freien Tankstellen (bft) oder der Verband Elekt-
rizitätswirtschaft (VDEW) einen Branchenstandard im Rating in Zusammenarbeit mit Prof.
Dr. Schneck Rating erstellt. Rating wird dabei häufig im Sinn eines Eigenratings zur Vorbe-
reitung auf Bankgespräche, für die Präzisierung des eigenen Controllings oder einfach zur
Stärken-Schwächen-Analyse genutzt. Der Part Finanzrating ist dabei überwiegend identisch,
da die Analyse der Finanzkennziffern in den Branchen weniger stark differiert, als die Analy-
se der qualitativen Faktoren des Geschäftsmodells.
Rating im Sinne der Kreditwirtschaft ist, wie eingangs dargelegt, die Bewertung der künfti-
gen Zahlungsfähigkeit eines Schuldners. Sowohl Objekt als auch Zielsetzung sind damit klar
definiert. Es geht nicht um ein Ranking, das heißt die Herstellung von Rangfolgen im Sinn
einer Ordinalskala, welche fälschlicherweise häufig ebenfalls als Rating bezeichnet und von
Akkreditierungs- oder Prüfinstitutionen erteilt werden (unter anderem für Hochschulrankings
oder bei Produkttests). Es geht auch nicht um Ratings von Faktoren, die nichts mit der Zah-
lungsfähigkeit von Schuldnern zu tun haben, wie dies zum Beispiel bei Nachhaltigkeitsra-
tings der Fall ist.
Finanzrating ist ein Teil des Ratings im Sinn der Bewertung der Zahlungsfähigkeit eines
Schuldners, in dem so genannte quantitative Kennziffern (zumeist Bilanzkennziffern) analy-
siert und bewertet werden. Sowohl der Prozess wie die Generierung eines Ratingergebnisses
im Sinn einer dokumentierten Meinungsäußerung oder gutachterlichen Stellungnahme sollte
systematisch erfolgen. Systematik kann mit standardisierten oder gar normierten Prozessen
erfolgen, weshalb in dem Konsultationspapier von Basel II betreffend dem Bankenrating oder
den ersten Konsultationspapieren von Solvency II bezüglich der Versicherungsratings auch
Anforderungen im Sinn von Normen an diesen Prozess gestellt werden. Wählt man für das
Finanzrating eine Ratingsoftware, so sind diese Normen und Anforderungen von der Soft-
ware zu erfüllen, wenn sie allgemein akzeptierte Ergebnisse generieren soll oder, wie im
Falle des VDA, gar als Standard einer ganzen Branche dient.
Auch wenn haptische und manuelle Systeme Ratingstandards erfüllen können, so wollen wir
uns hier auf die EDV-System bzw. Ratingsoftware begrenzen, die zu standardisierten Finanz-
ratingergebnissen führen. Bevor der VDA-Ratingstandard als Musterbeispiel für eine derarti-
Finanzrating am Beispiel der Automobilindustrie 157
Neben den regulatorischen Anforderungen sind für das Finanzrating auf Basis von Rating-
software und -systemen auch allgemeine wissenschaftliche Anforderung wie
routinemäßige Durchführbarkeit,
intersubjektive Überprüfbarkeit der Prozesse,
Reliabilität und
Validität
des Systems zu nennen. Die Möglichkeit einer routinemäßigen Durchführung eines Finanzra-
tings erfordert ein „Tool“, das von dem Nutzer (zum Beispiel dem Unternehmen selbst, den
Bankangestellten oder den Analysten) keine überdurchschnittlichen Softwarefähigkeiten
erfordert, sondern selbsterklärend und einfach bzw. leicht anzuwenden ist. Die Verständlich-
keit, intersubjektive Überprüfbarkeit und Widerspruchsfreiheit des Systems setzt vor allem
eindeutig messbare Indikatoren voraus.
Da es sich bei jedem Rating trotz aller Standardisierungsbemühungen letztlich um einen
subjektiven Prozess handelt und das Ergebnis nie in aller Totalität objektiv sein wird, ist das
Vorhandensein messbarer Indikatoren sehr wichtig. Gerade beim Finanzrating auf Basis von
finanzwirtschaftlicher Kenngrößen muss es sich um empirisch beobachtbare, klar und eindeu-
tig abgrenzbare Kennziffern handeln. Die Auswahl der Ausprägung bzw. Skalierung einer
Kennziffer sollte daher eindeutig möglich sein.
Unter der Objektivität einer Ratingsoftware verstehen wir den Grad, in dem die Ergebnisse
eines Ratingprozesses unabhängig von der Person des Untersuchenden sind. Die Ratingana-
lysten dürfen im Idealfall keinerlei Einfluss auf das Ratingurteil haben – was zunächst wider-
sinnig scheint, da diese sachlichen, unabhängigen Urteile doch von Ratinganalysten gefällt
werden müssen.
Die Reliabilität ist der Grad der Genauigkeit, mit dem ein bestimmtes Merkmal gemessen
wird. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob der Test dieses Merkmal zu messen beansprucht.
Ein Rating ist dann reliabel, wenn die mit seiner Hilfe erzielten Ergebnisse das untersuchte
Unternehmen genau, das heißt fehlerfrei beschreiben bzw. auf der jeweiligen Testskala lokali-
sieren. Diese Genauigkeit betrifft lediglich den beobachteten Messwert und nicht seinen
Interpretationswert, also nicht die Frage, ob das gemessen wird, was gemessen werden soll.
Im Unterschied zur Reliabilität gibt die Validität den Grad der Genauigkeit an, mit der das
Ratingsystems tatsächlich die Merkmale misst, die es zu messen vorgibt. In der Tat ist die
Validität bei einem Rating nicht einfach festzustellen, denn gerade sein Hauptzweck – eine
Aussage über die Fähigkeit eines Schuldners, ob dieser seine finanzielle Verpflichtungen
termingerecht und vollständig erfüllen kann – kann mit absoluter Sicherheit erst nach der
Erfüllung bzw. Nichterfüllung dieser Zahlungs- oder Leistungsverpflichtungen gegeben wer-
den.
Neben den regulatorischen und wissenschaftlichen Anforderungskriterien der Objektivität,
Reliabilität und Validität sollte jede „gute“ Ratingsoftware die Anforderungen an eine „gute“
Software erfüllen: Verständlichkeit der Eingabemasken und Einfachheit der Auswertung. Die
Klarheit der Zielsetzung, die Offenheit der Gewichtung der Kriterien, die Übersichtlichkeit
der Auswertung und die Selbsterklärung der Analyse sollten speziell für praxistaugliche Ra-
tingsysteme gelten.
Das bedingt eindeutige Schnittstellen zu anderen Systemen oder Programmen. Gerade im
Finanzrating ist die Anbindung an das Controllingsystem eines Unternehmens oder die Soft-
ware eines Steuerberaters hilfreich, um die Bilanzdaten unverfälscht und direkt in das System
einlesen zu können.
160 Ottmar Schneck
kendiagrammen oder Häufigkeitsverteilungen. Letztlich ist eine nur textliche Auswertung für
ein Scoring- bzw. Ratingsystem wenig hilfreich.
Finanzratings auf Basis von standardisierter Ratingsoftware sind spezielle Ausprägungen von
Ratingsystemen. Sie sollen deren Anwender in die Lage versetzten, standardisiert, transparent
und jederzeit nachvollziehbar zu Bonitätsurteilen von Schuldnern zu gelangen. Während
Banken nach Basel II bei Anwendung des IRB-Ansatzes aufsichtsrechtliche Anforderungen
erfüllen müssen, die auch die Ratingsysteme betreffen, ist bei Anwendung des Standardansat-
zes und damit der Nutzung externer Ratings ein Ratingsystem bzw. eine Ratingsoftware nicht
zwingend erforderlich. Das Ratingmodell wird allerdings ebenfalls von den Aufsichtsbehör-
den geprüft werden, wenn dessen Urteil von Banken für die Eigenmittelunterlegung genutzt
werden soll. Nutzen Ratingagenturen, Ratingadvisor oder Unternehmen eine Ratingsoftware,
so sind allgemeine Anforderungen an eine „gute“ Software zu stellen und funktionale Krite-
rien wie die Anwenderfreundlichkeit zu prüfen. Insbesondere für ein Eigenrating oder ein
Rating von Lieferanten ist der Einsatz von qualifizierter Ratingsoftware sinnvoll, da so Urtei-
le zu den eigenen Stärken und Schwächen oder zur Lieferfähigkeit eines Partners standardi-
siert und vergleichbar erzeugt werden können. Inhaltlich ist auf qualitative und quantitative
Kriterien zu achten, die relevant und trennscharf sind.
Literatur
Teil III
Gestaltungsmöglichkeiten zur
Verbesserung des Finanzratings
1. Bilanzgestaltung
1.1 Bewertungsansätze
1.2 Konserative versus progressive Bilanzpolitik
1.3 „Perversion“ des Realisationsprinzips
1.4 Window Dressing
4. Fazit
Das wirtschaftliche Spiegelbild eines Unternehmens erhellt sich Dritten am Ende eines jeden
Wirtschaftsjahres mit der Aufstellung des Jahresabschlusses. Er reflektiert die gegenwärtige
Situation und liefert die Grundlage zur Feststellung der ökonomischen Fitness. Damit man
aus den umfangreichen Informationen auch zu inhaltlichen, analytischen Aussagen kommt,
ziehen Finanzfachleute, Controller und Manager verdichtete Kennzahlen heran. Dreh- und
Angelpunkt sind dabei die Finanz- und Kapitalstruktur, das heißt die Zusammensetzung der
Finanzierung eines Unternehmens aus den verschiedenen Formen von Fremd- und Eigenka-
pital. Die Zahlungsströme, die sich unmittelbar hieraus ergeben, sind den betrieblichen Leis-
tungsbereichen gegenüberzustellen.
Finanzierung bedeutet „Beschaffung von monetären Größen“ und diese hat ihren – individu-
ellen – Preis. Somit ergibt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit das Unternehmen in der
Lage ist, nachhaltig dem Preis in Form von Zins, Tilgung und Eigenkapitalkosten gerecht zu
werden. Der enge Zusammenhang zwischen Finanz- bzw. Kapitalstruktur und betrieblicher
Performance steht im Fokus. Hinsichtlich der Frage nach der Vergleichbarkeit verschiedener
Unternehmen bedienen sich institutionelle Investoren, Banken und Privatanleger des Instru-
mentariums des (Finanz-) Ratings.
1. Bilanzgestaltung
Im Rahmen des internen und externen Ratings kommt dem Jahresabschluss mit seinen detail-
lierten Informationen eine zentrale Bedeutung zu. Inwieweit das Unternehmen einer kriti-
schen Finanzanalyse zur Feststellung der Kreditwürdigkeit Stand hält, entscheidet insbeson-
dere die Außendarstellung. Sie zeigt sich in der Aufbereitung der Bilanz, der Gewinn- und
Verlustrechnung und im Anhang.
Allgemein gilt, dass das Finanzrating eines Unternehmens umso besser ausfällt, je wirtschaft-
lich stabiler es sich darstellen kann. Dies kommt im Wesentlichen in zwei zentrale Kompo-
nenten – Eigenkapital und Cashflow – zum Ausdruck. Eigenkapital bedeutet zunächst Si-
cherheit für ein Unternehmen. Besonders in Krisenzeiten ist dieser Risikopuffer notwendig,
um die gewöhnliche Geschäftstätigkeit aufrecht zu erhalten. Eine geringe Eigenkapitalquote
geht mit einer hohen Fremdkapitalquote bzw. hohen Verschuldung einher. Ein hoher Ver-
schuldungsgrad bedeutet hohe Kosten und Mittelabfluss. Der Abfluss von liquiden Mitteln
belastet nachhaltig den Cashflow. In einer solchen Situation erhöhen konjunkturelle Einbrü-
che oder Marktänderungen die Insolvenzgefahr und wirken sich negativ auf das Finanzrating
des Unternehmens aus. Die geringe Eigenkapitalsituation und das latente Ausfallrisiko mittel-
ständischer Unternehmen beeinflussen nach wie vor das Kreditvergabeverhalten der Banken.
Aufgrund der engen Bindung an ihre Hausbank sind mittelständische Unternehmen anfälliger
für Änderungen in deren Kreditpolitik. Es besteht also Handlungsbedarf bei diesen Unteneh-
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 169
1.1 Bewertungsansätze
1.1.1 Aktivseite
Bewertungsansätze beziehen sich auf der Aktivseite auf die Ansetzungswahlrechte. Bei einem
höheren Ausweis von Vermögensgegenständen bei gleich bleibender Finanzierungssituation
führt dies zu einer Bilanzverlängerung. Korrespondierend steigt das Eigenkapital und führt
im Rahmen der Jahresabschlusserstellung zu einem höheren Risikopuffer.
Nach den handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften existieren hauptsächlich Akti-
vierungswahlrechte bei den Bilanzierungshilfen, dem derivativen Geschäfts- oder Firmenwert
und in den aktiven Rechnungsabgrenzungsposten. Laut § 269 HGB stellt der Gesetzgeber
Kapitalgesellschaften die Aktivierung von Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erwei-
terung des Geschäftsbetriebs frei. Hierbei handelt es sich um Aufwendungen, die für die
erstmalige Ingangsetzung des Geschäftsbetriebs oder deren Erweiterung in Anrechnung ge-
bracht werden können. Sie stehen im engen Zusammenhang zum Aufbau der Innen- und
Außenorganisation. Es zählen Personalbeschaffungskosten, Gutachten, Marktstudien etc.
dazu. Diese Aufwendungen sind vor dem Anlagevermögen auszuweisen und stellen im Rah-
men des Jahresabschlusses keine Vermögensgegenstände dar. Solche Bilanzpositionen wer-
den in der Regel in der Finanzanalyse mit dem Eigenkapital verrechnet und führen zu einer
Bilanzverkürzung. Das Finanzrating fällt durch die Aktivierung nicht besser aus.
Nach § 255 Absatz IV HGB besteht für den derivativen Geschäfts- oder Firmenwert die
Möglichkeit der Aktivierung unter dem Posten Immaterielle Vermögensgegenstände. Bei dem
Geschäfts- oder Firmenwert handelt es sich um einen Konsolidierungsmehrwert bei einer
Unternehmensübernahme bzw. eines Kaufs. Der Charme dieses Vermögensgegenstandes ist
durch die Spannbreite der Aktivierung gegeben. Er liegt zwischen null, gezahltem Kaufpreis
und dem Zeitwert abzüglich Schulden. Eine Bilanzierung des Geschäftswertes führt zu einer
Verlängerung, die sich positiv auf das Eigenkapital auswirkt.
Ein weiteres Aktivierungswahlrecht befindet sich im Posten der Rechnungsabgrenzung. Ist
der Betrag der Rückzahlung höher als der Betrag zum Ausgabestichtag, so kann in Höhe der
170 Andreas S. Huber / Diethard B. Simmert
1.1.2 Passivseite
Parallel zur Bewertung und zum Ausweis von Vermögensgegenständen der Aktivseite gibt es
Gestaltungsspielräume auf der Passivseite. Je nach Zielsetzung können verschiedene passive
Bilanzpositionen unterschiedliche Werthaltigkeiten aufweisen. Nach § 249 Absatz I HGB
können Rückstellungen für unterlassene Instandhaltungen passiviert werden. Sie sind aber
spätestens drei Monate nach Bilanzstichtag nachzuholen. Handelt es sich im Verhältnis zur
Bilanzsumme um beträchtliche Beträge, so führt der Ausweis dazu, dass sich das Unterneh-
men signifikant „ärmer“ präsentiert, als es ist. Das Ausnutzen solcher Wahlrechte führt in der
Regel zu einem verschlechterten Finanzrating, im Verzichtsfall sind positive Akzente im
Eigenkapital und damit im Finanzrating zu erwarten. Denn Rückstellungen sind Verbindlich-
keiten, die in ihrer konkreten Höhe oder Fälligkeit ungewiss sind. Sie gehören zum Fremdka-
pital und damit zum Gegenpol eines wirtschaftlichen Risikopuffers.
Auch § 249 Absatz II HGB stellt dem Unternehmen frei, so genannte Aufwandsrückstellun-
gen zu bilden. Sie gehen über die Instandhaltungsaufwendungen in Höhe der Dreimonatsfrist
hinaus und subsumieren Großreparaturen und Generalüberholungen von Flugzeugen, Ferti-
gungsanlagen und Ähnliches. Im Rahmen der Altersvorsorge besitzt das Unternehmen das
Wahlrecht, laufende Pensionen oder Anwartschaften zu passivieren, sofern eine unmittelbare
Zusage vor dem 1. Januar 1987 gemacht wurde. Ein weiteres Wahlrecht existiert für mittelba-
re Zusagen. Will das Unternehmen sein Finanzrating positiv beeinflussen, sollte es auf die
Passivierung solcher Fremdkapitalbestandteile verzichten.
Ferner existieren im Steuerrecht Passivierungswahlrechte, die sich auf das Finanzrating posi-
tiv auswirken können. Die so genannten Sonderposten mit Rücklagenanteil greifen auf steu-
erliche Vorschriften im EStG zurück. Hierzu zählen beispielsweise Rücklagen für Ersatzbe-
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 171
schaffungen. Das HGB besitzt eine parallele Ausführung im § 247 Absatz 3 und weist aus-
drücklich auf das Passivierungswahlrecht hin.
Steuerrechtliche Konsequenzen haben bilanzierende Unternehmen nicht zu befürchten, da
trotz des Maßgeblichkeitsprinzips eine Umkehrung existiert. Somit dürfen handelsrechtliche
Bilanzierungswahlrechte bei der steuerrechtlichen Gewinnermittlung nicht herangezogen
werden. Eine Ausnahme ist der § 247 Absatz 3 HGB. Die Umkehrung des Maßgeblichkeits-
prinzips führt im Rahmen des Finanzratings zu positiven Effekten, da nicht ausgewiesene
Fremdkapitalbestandteile nicht zulasten des Eigenkapitals gehen.
Der Cashflow als Finanzkraftindikator ist eine Kennzahl, die Zahlungsströme und die Liqui-
dität abbilden. Hierbei ist im Kontext der Kreditwürdigkeitsprüfung darauf zu achten, inwie-
weit die zukünftige Zahlungsfähigkeit, also die fristgerechte Bedienung von Zins und Tilgung
gesichert ist. Damit das Unternehmen diesen Erfordernissen Rechnung tragen kann, wird es
im Bilanzierungsverhalten darauf achten, dass liquiditätsbezogene Zu- und Abflüsse zum
Jahresende einen positiven Saldo ergeben. In der horizontalen Bilanzanalyse ist dies auch die
Prüfung der fristenkongruenten Finanzierung.
Der Ausweis einer attraktiven Eigenkapitalsituation führt im Bilanzierungsverhalten häufig
zu progressiven Vermögensaktivierungen. Zum einen äußern sich diese in den Ansatzwahl-
rechten, indem kein Vermögensgegenstand ausgespart bleibt, ihn in der Bilanz auszuweisen.
Zum anderen bleiben Passivierungswahlrechte ungenutzt, die zu einem gesteigerten Ausweis
von Fremdkapitalanteilen führen. Im Rahmen der erweiterten horizontalen Bilanzanalyse
stellt man das Anlagevermögen den langfristig gebundenen Kapitalbestandteilen gegenüber.
Dabei soll langfristiges Vermögen langfristig finanziert werden. Je mehr Eigenkapital hierfür
zur Verfügung steht, desto besser kann das Finanzrating ausfallen.
Im Weiteren sind es die Bewertungswahlrechte, die eine Bilanz bei der Anwendung der pro-
gressiven Bilanzpolitik zu einem verbesserten Finanzrating verhelfen können. Je mehr Akti-
vierungen in den Anschaffungs- und Herstellungskosten zum Tragen kommen, desto eher
erstrahlt die Bilanz in einem positiven Licht. Gleiches gilt für die Wahlrechte bei außerplan-
mäßigen Abschreibungen. Man verzichtet bewusst auf die Bildung stiller Reserven, um ein
besseres Finanzrating zu „provozieren“.
Mit dem Imparitäts- und dem Vorsichtsprinzip gilt es unter Beachtung des Realisationsprin-
zips dem Gläubigerschutz Rechnung zu tragen. Denn nicht realisierte Verluste können bzw.
müssen handelsrechtlich ausgewiesen werden, für nicht realisierte Gewinne ist das verboten
(§ 252 Absatz 1 Nr. 4 HGB). Die Unterzeichnung eines Kaufvertrages reicht indes nicht aus,
eine Buchung von Umsatz bzw. Gewinn zu erreichen. Erst wenn der tatsächliche
Gefahrenübergang der Leistung bzw. der Ware stattgefunden hat, ist der Verkäufer
buchhalterisch und damit rechtlich in der Lage, Umsätze bzw. Erträge zu generieren.
In Anbetracht der kritischen Reflexion des Jahresabschlusses gilt es, die unterschiedlichen
Bedeutungen des Realisationsprinzips zu untersuchen. Diesem Vorgehen kommt insbesonde-
re im Finanzrating eine hohe Bedeutung zu. Zum einen führt das Realisationsprinzip im
Finanzrating dazu, dass Rentabilität, Ertragsentwicklung und Aufwandsdarstellung risikoadä-
quat abgebildet werden. Allerdings führt es zum anderen dazu, dass neben Rentabilität und
Eigenkapitalzuwachs der Cashflow in der Jahresabschlussanalyse und damit im Finanzrating
die zweite wichtige Säule bildet.
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 173
Sind Leistungen bzw. Waren an den Käufer erbracht bzw. geliefert, aber die Zahlung steht
noch aus, wird mit dem „klassischen“ Realisationsprinzip dieser Geschäftsvorfall bilanziell
abgebildet. Der Vorgang dokumentiert Erfolg. Entspricht dieser Vorgang auch im Finanzra-
ting vorbehaltlos einem Erfolg? Diese Frage wird in der Analyse „zweideutig“ beantwortet:
In der ertragswirtschaftlichen Analyse wird der Vorgang positiv beantwortet. Er führt unter
Beachtung der Erfolgsrechnung zu einer Verbesserung der Bonitätsaussage und bewirkt
somit einen positiven Effekt im Finanzrating.
In der Zahlungsstromanalyse, also unter Beachtung der Liquidität und Zahlungsfähigkeit,
führt dies nicht zu einem positiven Impuls. Im Gegenteil, wenn Kennzahlen wie Cash-
flow-ROI im Finanzrating eine statistisch große Bedeutung einnehmen, lassen sich gene-
rierte Umsätze nicht eindeutig positiv abbilden. Denn die tatsächliche Zahlung der er-
brachten Leistung ist bis zur endgültigen Zahlung ungewiss. Diesem inhärenten Risiko
trägt im Finanzrating die Cashflow-Analyse adäquat Rechnung.
Sofern generierte Umsätze und tatsächliche Zahlung zeitlich auseinander fallen, führt dieser
Vorgang im Rahmen der Cashflow-Analyse zu kompensatorischen Wirkungen gegenüber der
Ertragsanalyse: Bei konstantem Cashflow und steigender Bilanzsumme sinkt die Kennzahl
Cashflow-ROI. Je nach Gewichtung und getätigtem Umsatz führen Cashflow und Ertrag zu
gegensätzlichen Aussagen, obwohl man dem Realisationsprinzip und dem Gläubigerschutz
im vollem Umfang gerecht geworden ist.
Aber wie lassen sich diese Situationen heilen? Die Antwort ist im Unternehmen selbst zu
suchen. Denn ein internes Risikomanagement, das börsennotierten Unternehmen gesetzlich
vorgeschrieben wird, ist auch im Rahmen der Bonitätsdarstellung bei mittelständischen Un-
ternehmen inzwischen eine betriebswirtschaftliche Pflicht geworden. Durch ein nachhaltiges
Bonitätsprüfungssystem können auch mittelständische Unternehmen ihre eigenen Risikositu-
ationen besser managen. Es ist der erste Schritt zu einem umfassenden Risikomanagement.
Es sind eher die kleinen Unternehmen mit einem Mitarbeiterstamm zwischen 20 und 50
Personen, die immer noch zu wenige externe Informationen zur Bonitätsbeurteilung von
Neukunden heranziehen. Aber auch Bestandskunden werden bei regelmäßigen Bonitätsüber-
wachungen vernachlässigt und häufig noch Forderungsbestände ausgewiesen, die von der
Leistungserstellung weit über ein Jahr abweichen. Sie sind weder wertberichtigt noch abge-
schrieben und bilden in der Bilanzierung einen „werthaltigen“ Vermögensposten.
Kreditinstituten sind diese Probleme bekannt und so lassen sie sich in den alljährlich anste-
henden Kreditgesprächen die offenen Postenlisten aushändigen. Dies führt meist zu doppelt
negativen Effekten im Gesamtrating: Die Kreditanalysten bereinigen erstens den Vermögens-
bestand der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und verrechnen potenziell ausfall-
gefährdete Adressen mit dem Eigenkapital. Die Ertragssituation wird dadurch negativ beein-
flusst. Durch diesen Vorgang bescheinigen die Unternehmen allerdings zweitens nicht nur,
dass sie Risikobestände in ihrer Bilanz als einwandfreie Vermögensgegenstände ausweisen,
sondern auch, dass sie nicht über ein funktionierendes Risikomanagement verfügen. Dies
schlägt sich negativ in dem qualitativen Beurteilungsbereich des Gesamtratings nieder.
174 Andreas S. Huber / Diethard B. Simmert
40,0%
35,1%
35,0%
30,0%
25,0% 21,6%
18,9%
20,0%
13,5%
15,0%
10,0%
5,4%
2,7% 2,7%
5,0%
0,0%
0,0%
100 - 149 150 - 200 201 - 225 226 - 250 251 - 275 276 - 300 301 - 350 351 - 499
70,0%
60,0%
50,0%
40,0%
30,0%
20,0%
10,0%
0,0%
100 - 149 150 - 200 201 - 225 226 - 250 251 - 275 276 - 300 301 - 350 351 - 499
Forderungen in % 13,5% 57,4% 25,2% 2,4% 0,6% 0,2% 0,7% 0,0%
erwartete Ausfälle (%) 5,6% 47,1% 33,0% 4,2% 1,4% 0,7% 8,0% 0,0%
Abbildung 3: Relativer Anteil der Forderungen im Verhältnis zu den Anteilen der kalkula-
torischen Forderungsausfälle nach Risikoklassen
Eine solche Situation lässt sich allerdings durch übersichtliche und transparente Systeme von
modernen Wirtschaftsinformationsdienstleistern heilen. Mithilfe externer Bonitätsbeurtei-
176 Andreas S. Huber / Diethard B. Simmert
Es handelt sich um eine Bilanzpolitik, die meist kurz vor dem Stichtag zur Bilanzerstellung
von Unternehmen praktiziert wird. Es werden – je nach Größe des Unternehmens – deutliche
Transaktionen vorgenommen, um die Liquiditätslage signifikant zu steigern. Man versucht
insbesondere eine günstigere Liquiditätslage dadurch zu erzielen, indem das Unternehmen
bei der Bank kurzfristig Geld aufnimmt, um es dem Kassenbestand zuzuführen.
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 177
Auch Banken praktizieren diese Form der Liquiditätsverbesserung. Hierzu werden häufig
Devisenbestände in Kassenbestände umgeschichtet. Eine weitere beliebte Form besteht darin,
dass Banken Guthaben bei Kreditinstituten in Bundesbankguthaben übertragen.
Fondsmanager nutzen eine besondere Form des Window Dressing zur Kurspflege. Kurz vor
Bilanzstichtag oder kurz vor Jahresberichterstellung werden im größeren Stil „spezielle“
Wertpapiere erworben, um einen Nachfrageimpuls zu initiieren. Dies treibt für diese Wertpa-
piere den Kurs hoch und führt zu einer besseren Bewertung der eigenen Fonds.
Für den klassischen Mittelstand lohnen sich im Rahmen des Finanzratings solche bilanzpoli-
tischen „Spielchen“ nicht. Die fristenkongruente Finanzierung wird dadurch nicht beeinflusst.
Denn kurzfristiges Fremdkapital finanziert im gleichen Umfang kurzfristiges Vermögen. Des
Weiteren führen solche Maßnahmen zu einer Bilanzverlängerung. Bei konstanter Eigenkapi-
talsituation sinkt sogar die Eigenkapitalquote. Je nach statistischem Modell des Finanzratings
führt dies zu negativen Resultaten.
Auch im Rahmen der Cashflow-Analyse sind keine Veränderungen des Finanzratings zu
erwarten, da hier die fristenkongruente Fremdkapitalaufnahme zu einem gleich hohen Mittel-
zufluss führt. Der Cashflow-ROI wird durch diese bilanzpolitische Maßnahme nicht verän-
dert. Denn der Mittelzufluss führt im gleichen Umfang zu einer Bilanzverlängerung, der
Effekt des Zuflusses wird also vollständig kompensiert.
Die Liquiditätsanalyse wird auch nicht durch ein praktiziertes Window Dressing beeinflusst.
Denn hauptsächlich werden zur Bewertung der Liquiditätslage die Liquiditätsgrade 1 bis 3
herangezogen. Die horizontale Bilanzanalyse stellt auch hier auf eine fristenkongruente Fi-
nanzierung ab, so dass der vermeintlich positive (Liquiditäts-) Effekt ausgehebelt wird. Eine
zu hohe Liquiditätslage kann sich in einem Finanzrating sogar kontraproduktiv auswirken,
etwa wenn die Kapitalallokation eklatante Missverhältnisse aufweist. Sie führen zu Rentabili-
tätseinbußen, welche die Ertragssituation belasten.
2.1 Performancemessung
Die Analyse der Ertragssituation ist im Wesentlichen im Finanzrating cashflow- und rendite-
orientiert. Das Finanzrating ist eingebettet im Gesamtrating. Es handelt sich somit um ein
Creditrating, denn es geht der Frage nach, inwieweit das analysierte Unternehmen gegenwär-
178 Andreas S. Huber / Diethard B. Simmert
2.1.1 Shareholdervalue-Konzept
Das Shareholdervalue-Konzept zielt auf eine Unternehmenswertsteigerung ab. Das von An-
teilseignern zur Verfügung gestellte Eigenkapital soll angemessen verzinst werden und nach-
haltig die Kapitaldienstfähigkeit gegenüber dem kreditgebenden Institut sicherstellen. Hierzu
wird ein so genannter Marktwert des Eigenkapitals berechnet. Performance bezeichnet die
nachhaltige Wertentwicklung eines Unternehmens. Im strategischen Fokus des Managements
steht die Steigerung des Marktwertes des Eigentümeranteils. Daran wird die Qualität des
Managements gemessen. Damit wird die kausale Verzahnung zwischen qualitativer Analyse
und Finanzrating hergestellt.
Rappaport geht davon aus, dass allein auf Grundlage des Jahresüberschusses, Gewinn je
Aktie oder Gesamtkapitalrentabilität, keine zielgerichtete Performancemessung möglich ist.1
Denn Eigentümer sind nicht die einzigen Personen, die finanzielle Motive mit dem Unter-
nehmen verbinden. Gläubiger, insbesondere Banken, Arbeitskräfte und andere Stakeholder
stellen dem Unternehmen Kapital und Leistungen zur Verfügung. Sie erwarten dafür Lohn-
und Gehaltszahlungen bzw. Zins- und Tilgungsleistungen. Eine verantwortungsvolle Unter-
nehmensführung verlangt, dass langfristig die Interessen aller Partner des Unternehmens
berücksichtigt und gewahrt bleiben. Das Unternehmen wird als Koalition von verschiedenen
Interessengruppen interpretiert. Eigentümer spielen zwar aufgrund der Eigentumsordnung
eine größere Rolle. Sie stellen jedoch nur eine Interessegruppe dar. Im Finanzrating kommt
dies in der Cashflow-Analyse zum Ausdruck.
Der Shareholder ist bereit, seine Anteile zu halten, sofern er eine angemessene Verzinsung
dafür erhält. Ist dies nicht der Fall, wird er gemäß dem Theorem vom vollkommenen Kapi-
talmarkt sein Portfolio umschichten. Das Shareholdervalue-Konzept zielt jedoch auf eine
langfristige Investition ab. Die Betrachtung auf Jahresbasis, die Entscheidung über Verkaufen
oder Halten erscheint zu kurzfristig. Um eine fundierte Investitionsentscheidung zu treffen,
müssen mittel- bis langfristige Dividendendurchschnitte verfügbar sein. Nur so lassen sich
Investitionen vergleichen.
Die Attraktivität eines Engagements ist um so höher, je nachhaltiger das Management in der
Lage ist, sowohl den Stake- als auch den Shareholder (Residualgröße) mit Cashflows zu
bedienen. Die Performance eines Unternehmens wird an den chancen- bzw. risikoadäquaten
Renditeforderungen der Anteilseigner gemessen. Die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber
Aus dem US-amerikanischen Raum stammt die so genannte DCF-Methode, wobei DCF für
Discounted Cash Flow steht. Das Verfahren basiert auf einer Erfolgskennzahl, die aus den
Jahresabschlüssen – hier insbesondere aus der Analyse der Gewinn- und Verlustrechnung –
des Unternehmens ermittelt wird. Der Cashflow hat sich in Deutschland im Lauf der Zeit zu
einer gebräuchlichen Kennzahl im Rahmen der Jahresabschlussanalyse und damit im Finanz-
rating etabliert. Es handelt sich um eine finanzielle Stromgröße, die je nach Ausgestaltung
mehr oder weniger treffend das Innenfinanzierungspotenzial des Unternehmens beschreibt.
Da der Cashflow bei seiner Ermittlung jedoch korrigiert wird, ist er kein direkter Erfolgsindi-
kator im Sinne der Bilanzanalyse. Er muss als finanzielle Zahlungsstromgröße verstanden
werden und unterliegt nach den handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften weit weniger
Bewertungs- und Manipulationsspielräumen als der Jahresüberschuss oder Bilanzgewinn,
weil Abschreibungen, Rückstellungen und andere Größen seine Höhe bereinigen.
Als Innenfinanzierungsindikator gibt der Cashflow Auskunft über die Zins- und Tilgungsleis-
tungen, die Investitionsfähigkeit und über das vorhandene Ausschüttungspotenzial. Ausge-
hend von den Netto-Umsatzerlösen lässt sich der Cashflow durch Bereinigungen aus dem
Jahresabschluss ermitteln (vgl. Kasten). Die Bereinigungen beziehen sich dabei auf Kriterien,
die keinen Zahlungsströmen unterliegen. Der Wert des Cashflows kann sowohl positiv als
auch negativ sein. Nimmt der Cashflow einen negativen Wert an, müssen die fehlenden Fi-
nanzmittel beschafft werden. Dies führt zu negativen Effekten in der Performancemessung
und damit zu negativen Einflüssen im Finanzrating.
Je nach Zielsetzung wurde das Cashflow-Verfahren weiterentwickelt. Der freie Cashflow
beispielsweise erfasst Zahlungen an die Eigentümer und Gläubiger. Bei diesem auch als
Entity-Methode bezeichneten Konzept sind Zins- und Tilgungsleistungen herauszurechnen.
Hintergrund dieser Darstellung sind die Festbetragsansprüche der Gläubiger und die Restbe-
tragsansprüche der Gesellschafter. Eine andere Form der Cashflow-Bewertung ist, Leistungs-
und Finanzierungsbereich nicht zu trennen und die Zins- und Tilgungsleistungen als Auszah-
lungen zu erfassen. Diese Form der Berechnung ist auch als Equity-Methode bekannt.
Für das Rating sind folgerichtig die freien Cashflows zur Leistungsbewertung des Unterneh-
mens heranzuziehen. Denn der verfügbare Betrag am Ende einer wirtschaftlichen Periode
maximiert den Nutzen der Anteilseigner. Da diese ein höheres betriebswirtschaftliches Risiko
tragen als Gläubiger, fordern sie eine Mindestverzinsung. Diese orientiert sich am risikofreien
Zins einer Bundesanleihe zuzüglich individueller Aufschläge. Je höher dieser Betrag ausfällt,
desto höher ist auch der Betrag, den die Kapitaldienstfähigkeit sicherstellen muss.
Ein Grundproblem der Cashflow-Ermittlung sind die oft unterschiedlichen Methoden der
Ermittlung. Unternehmensübergreifende Cashflow-Analysen werden so erschwert, weil un-
terschiedliche unternehmerische Leistungspotenziale nicht direkt vergleichbar sind. Der Aus-
sagegehalt der Kennzahl differiert je nach Verfahren. Grundsätzlich lassen sich indes die
Cashflows im Rahmen unterschiedlicher Finanzierungsrechnungen ermitteln und mithilfe
methodischer Anpassungen betriebswirtschaftlich vergleichbar gestalten.
Statt die aus dem Rechnungswesen direkt ableitbaren Performancemaße zur Unternehmens-
führung heranzuziehen, plädieren die Verfechter der Langfristbetrachtung für die DCF-
Verfahren. Die kurzfristig ausgelegten Verfahren, beispielsweise ROI oder Eigenkapitalrenta-
bilität führen leicht zu gestaltbaren und damit manipulierbaren Instrumenten des Manage-
ments. Sie können das unternehmerische Potenzial verschleiern. Darüber hinaus werden die
Renditemessungen durch Veränderung der kurzfristig leicht steuerbaren Kosten, wie Instand-
haltungs- und Reparaturaufwendungen, Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen oder
Werbeaufwendungen beeinträchtigt.
Deswegen ist eine risiko- bzw. chancenadäquate Ausrichtung der zukunftswertorientierten
Unternehmensführung basierend auf der Investitionswertmethode vorzunehmen. Dennoch
sind Manipulationen durch das Management nicht auszuschließen. Da der freie Cashflow ex-
post aus dem Rechenwerk des Unternehmens ermittelt wird, lässt sich der prospektive Cha-
rakter des sehr komplexen Verfahrens in Frage stellen. Eindeutige Gestaltungen seitens des
Unternehmens ergeben sich hauptsächlich aus dem internen Rechnungswesen. Sie sind für
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 181
den externen Finanzanalysten und damit im Rahmen des Finanzratings nicht unmittelbar zu
erkennen und damit gestaltbar.
2.1.3 Economic-Value-Modell
Das von dem Beratungsunternehmen Stern, Stewart & Co. entwickelte Economic-Value-
Added-Konzept (EVA) gewinnt gegenwärtig immer mehr Anhänger. Es basiert auf der Über-
gewinnmethode, die bereits 1890 von Alfred Marshall entwickelt und propagiert wurde.
Marshall definierte den Betriebsgewinn als den gesamten Nettoerfolg abzüglich Zinsen auf
dem investierten Kapital. Der EVA-Ansatz wurde wegen seiner Transparenz und Nachvoll-
ziehbarkeit so populär. Insbesondere die Verknüpfung und unmittelbare Ableitung des Market
Value Added (MVA) sorgte mit für seine Verbreitung.
Aufgrund der Ausrichtung auf die Wertschaffung werden nicht nur der erwirtschaftete Erfolg
einer Periode betrachtet, sondern auch die Kosten für das investierte Kapital. EVA geht der
Frage nach, inwieweit es dem Unternehmen gelingt, mit dem betriebswirtschaftlichen Erfolg
nicht nur die betrieblichen Kosten, sondern auch die Kosten für das investierte Kapital zu
überkompensieren.
Dieser Aussage kommt besondere Bedeutung zu. Denn ein positiver EVA lässt für eine perio-
denbezogene Performancemessung die Aussage zu, dass das Management nicht nur Werte für
das Unternehmen geschaffen hat, sondern darüber hinaus die chancenadäquate Verzinsung
des Eigenkapitals überkompensiert hat. Demgegenüber verdeutlicht ein negativer EVA, dass
nicht einmal die risikoadäquate Verzinsung des Eigenkapitals sichergestellt ist. Ein EVA von
0 sagt aus, dass die unternehmerische Performance gerade ausreicht, die Erwartungen der
Eigentümer an die Verzinsung ihres Kapitals zu erfüllen. All diese Ausführungen sind so
geeignet, eine risiko- bzw. chancenadäquate Gegenüberstellung zur Kapitaldienstfähigkeit
vorzunehmen. Sie können Einfluss auf das Finanzrating ausüben, sofern eine statistische
Berücksichtigung stattfindet. EVA ist somit eine modifizierte Buchwertgröße und entspricht
dem Überschuss des bereinigten Betriebsgewinns, dem operativen Gewinn, der im weiteren
Verlauf NOPAT (Netting Operating Profit After Taxes) genannt wird.
Die formale Ableitung des EVA steht in direktem Zusammenhang mit dem Kapitalwert. Das
Residualwertverfahren EVA, das im Anschluss an das handelsrechtliche Ergebnis Korrektu-
ren erhält, soll eine genügende Gesamtkapitalkosten- und Risikodeckung sicherstellen. Das
EVA-Konzept leitet sich aus dem Lücke-Theorem ab. Das Lücke-Theorem zeigt, dass unter
Berücksichtigung bestimmter Prämissen sowohl eine Abzinsung von Cashflows als auch
eines Betriebsergebnisses nach kalkulatorischen Zinsen zu demselben Kapitalwert führen.
Um zum Berechnungsmodell des EVA zu gelangen und eine betriebswirtschaftliche Interpre-
tation zu ermöglichen, sind im Vorfeld Bereinigungen durchzuführen. Stern, Stewart & Co.
erwähnen bei ihren Ausführungen 164 Bereiche aus der Erfolgsrechnung, die für eine Berei-
nigung in Frage kommen. Je nach Qualität der Buchhaltung können mehr oder weniger Be-
182 Andreas S. Huber / Diethard B. Simmert
Investition verstanden, als Vermögensgegenstände aktiviert und linear über einen definier-
ten Zeitraum abgeschrieben. Dies hat den Effekt, dass das Management solche Investitio-
nen nicht aus Kostengründen unterlässt, und motiviert sowohl das Management als auch
die Mitarbeiter des Unternehmens. Somit belasten solche Ausgaben den NOPAT in einem
Geschäftsjahr nicht übermäßig. Stille Rücklagen wie unterbewertete Lagerbestände, über-
proportionale „zweifelhafte Forderungen“ oder Rückstellungen werden dem Vermögen in
einem definierten Bewertungskorridor hinzugerechnet. Dies gilt gleichermaßen für Good-
willabschreibungen.
Die konkreten Gestaltungsmöglichkeiten für das Unternehmen entstehen im Wesentlichen aus
den zur Verfügung gestellten Informationen. Die Quellen sind das interne Rechnungswesen
und das interne Risikomanagement. Auch in diesem Fall existiert eine enge Verzahnung
zwischen qualitativer Analyse und quantitativem Finanzrating.
2.2 Betriebsergebnis
Das eigentliche operative Geschäft eines Unternehmens ist das Herzstück der betrieblichen
Leistungserstellung. Es zeigt die Leistungsbereitschaft und deren Output in Zahlen. Die
Kernkompetenz des Unternehmens kommt somit im Betriebsergebnis zum Ausdruck.
Das Betriebsergebnis ist im Rahmen der Jahresabschlusserstellung durch die handelsrechtli-
che Ergebnisspaltung für das Finanzrating direkt ersichtlich. Häufig wird der Ausdruck Be-
triebsergebnis auch für das interne Rechnungswesen verwandt. Das intern errechnete Ergeb-
nis aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit wird durch weitere kalkulatorische Bestandteile
ergänzt. Dieser Wert ist allerdings nicht mit der ermittelten Größe aus dem handelsrechtlich
erstellten Jahresabschluss vergleichbar. Aus diesem Grund nennt man dann die handelsrecht-
lich ermittelte Größe auch „Betriebliches Ergebnis“. Sie ermittelt sich aus den Posten der
Gewinn- und Verlustrechnung (§ 274 Absatz 1 Nr. 1 bis 8 HGB).
Die überwiegende Mehrheit deutscher Unternehmen bilanziert ihren Jahresabschluss im
Gesamtkostenverfahren. Er ist transparenter, was die Leistungserstellung betrifft und führt
hinsichtlich der Vergleiche zu anderen Unternehmen in Peergroup-Verfahren zu höheren
Nachvollziehbarkeiten.
In statistischen Finanzratings spielt das Betriebsergebnis zur Rentabilitätsermittlungen eine
wichtige Rolle. Durch die Ergebnisspaltung – Betriebsergebnis, Finanzergebnis und außeror-
dentliches Ergebnis – wird hinsichtlich der Bonitätsbeurteilung nicht ausschließlich auf den
Jahresabschluss bzw. -fehlbetrag abgestellt.
Die Gegenüberstellung von Rohergebnis und Betriebsergebnis zeigt durchaus Indizien auf,
welche die betriebliche Leistungserstellung in ein positives oder negatives Licht rückt. Das
bilanzierende Unternehmen sollte darauf achten, dass der Ausweis der betrieblichen Leis-
184 Andreas S. Huber / Diethard B. Simmert
tungserstellung eine gewisse Kontinuität besitzt. Denn die Verhältnisse zwischen diesen
Größen deuten auf betriebswirtschaftliche Schwächen hin. Sie ziehen sogar Ausstrahlungs-
wirkungen auf die qualitativen Ratingfragen nach sich und können in zweierlei Hinsicht
Nachteile in der Bonitätsbeurteilung bedeuten.
Kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften, die nach dem Gesamtkostenverfahren bilanzie-
ren, sollten ruhig von größenabhängigen Erleichterungen Gebrauch machen (§ 276 HGB). Es
lassen sich Schwankungen in Umsatzerlösen, Bestandsveränderungen, aktivierten Eigenleis-
tungen und/oder sonstigen betrieblichen Erträgen untereinander ausgleichen. Sie weisen
durch den „Sammelposten“ Rohergebnis nur eine Größe aus. Schwankungen in Umsatzerlö-
sen lassen sich durch erweiterte Aktivierungen von Eigenleistungen kompensieren. Hierzu
zählen auch die Posten Bestandsveränderungen oder sonstige betriebliche Erträge. Denn all
diese Größen werden durch den Posten Rohergebnis substituiert.
2.3 Finanzergebnis
Neben dem Betriebsergebnis stellt das Finanzergebnis im Rahmen der Ergebnisspaltung die
zweite wichtige Säule zur Rentabilitätsermittlung dar. Das Finanzergebnis ergibt sich aus der
Gewinn- und Verlustrechnung und wird aus mehreren Positionen verdichtet (§ 275 Absatz 1
Nr. 9 bis 13 HGB). Aber das Finanzergebnis setzt sich nicht allein aus diesen Positionen
zusammen, im internen Rechnungswesen gibt es dort eine kausale Verzahnung zu qualitati-
ven Ratingkomponenten. Dadurch ist das Unternehmen gehalten, diese Kausalität auch
dokumentieren zu können. Sie sind Spiegelbild der finanziellen Planung insgesamt.
Ein Finanzplan ist primär für eine strategische Langfristplanung sowie eine operative Kurz-
fristplanung – bis zu einem Jahr – zu erstellen. Demzufolge sind die Soll- und Ist-Situationen
unmittelbar aus dem internen und externen Rechnungswesen vergleichbar. Damit ein gutes
Finanzrating erwartet werden kann, ist sicherzustellen, dass auch die relevanten Positionen
zur Ermittlung des Finanzergebnisses in den einzelnen Positionen in Jahresvergleichen kei-
nen übermäßigen Schwankungen unterliegen.
Manche statistische Finanzratings beziehen sich bei der Rentabilitätsanalyse auf den Jahres-
überschuss bzw. -fehlbetrag. Dies führt für das bilanzierende Unternehmen zu Erleichterun-
gen, wenn einzelne Ergebniskomponenten starken Schwankungen unterliegen. Demzufolge
gleichen sich die einzelnen Ergebnisse aus Betriebsergebnis, Finanzergebnis und außeror-
dentlichem Ergebnis insgesamt aus. Dass das Finanzrating dieser Methodik folgt, ist indes
ungewiss. Es ist eher darauf zu achten, wenn Ergebnisse aus den Finanzkomponenten erzielt
werden, dass sie nicht von einmaliger oder sporadischer Natur sind. Bei nachhaltig starken
Finanzergebnissen gegenüber schwächeren Betriebsergebnissen muss sich das Unternehmen
die Frage gefallen lassen, was denn nun zu seinem originären Geschäft gehört. Eine beantrag-
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 185
Alle Erträge und Aufwendungen, die nicht durch die gewöhnliche Geschäftstätigkeit abgebil-
det werden, sind unter den „Außerordentlichen“ zu erfassen. Die Positionen werden aber im
Rahmen der Jahresabschlussbildung sehr selten benutzt. Denn der Gesetzgeber hat nicht
eindeutig beschrieben, was unter der „Außerordentlichkeit“ zu verstehen ist. Denn alles, was
nicht zur gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zählt, ist unter außerordentlich zu subsumieren.
Aperiodische Aufwendungen und Erträge sind nicht Grund genug, sie als außerordentliche
Erträge und Aufwendungen zu deklarieren. Somit wird schnell deutlich, dass die Posten im
Kontext der Rentabilitätsanalyse und damit im Finanzrating keine wesentliche Rolle spielen
dürfen. Der Ausweis eines außerordentlichen Ertrages führt eher zu einer – negativen – Sig-
nalwirkung als zu einer wesentlich verbesserten Bonitätsdarstellung. Sie sind aufgrund ihrer
Seltenheit von dem Unternehmen klar darzulegen.
Kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften „genießen“ auch hier Erleichterungen (§ 277
Absatz 4 HGB). Sie sind nicht verpflichtet, die ausgewiesenen Werte im Anhang zu erläutern.
Das Unternehmen kann sie unreflektiert in der Gewinn- und Verlustrechnung ansetzen. Im
Finanzrating funktioniert dies selten. Denn die angesetzten Werte provozieren unmittelbar
Fragen, die Ausstrahlungswirkung auf die qualitativen Komponenten haben können. Das
Rating allgemein steht auch hier in einem kausalen Zusammenhang. Somit sollte das außer-
ordentliche Ergebnis keine Rolle im Rahmen des Finanzratings spielen.
186 Andreas S. Huber / Diethard B. Simmert
Häufig wird der Weg der Steuerersparnis als eine der höchsten Prioritäten angesehen und es
wird danach gehandelt. Man versucht sich durch die Anerkennung vieler Betriebsausgaben
„ärmer“ zu rechnen. Die steuerliche Gewinnermittlung sinkt in ihrer Werthaltigkeit und dies
führt – zwangsläufig – bei Anerkennung zu geringeren Steuerbelastungen bzw. Steuerschul-
den. Aber wie reagiert hierauf die Bonitätsdarstellung und damit das Finanzrating? Durch die
höheren Anteile an Betriebsausgaben geht dies sukzessiv zulasten des Eigenkapitals. Das
Eigenkapital muss aber laufende Verluste aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit des Unter-
nehmens ausgleichen und haftet im Ernstfall der Liquidation für Verpflichtungen, die das
Unternehmen gegenüber Dritten eingegangen ist. Es stellt – wie schon ausgeführt – den ei-
gentlichen Risikopuffer dar: Je geringer das Eigenkapital, desto höher die Gefahr einer Un-
terbilanz bzw. Überschuldung.
Das Finanzrating sanktioniert solche Entwicklungen mit schlechten Ratingnoten. Denn die
Schätzung, inwieweit das Unternehmen nicht in der Lage ist, seinen Kapitaldienst zu erfüllen,
wird nachhaltig von solchen Situationen geprägt. Die Steuerersparnis ist sicherlich ein be-
triebswirtschaftlich wichtiger und richtiger Schritt im Unternehmen, Ressourcen zu sparen
und die Kapitalverwendung zu optimieren, aber das Finanzrating weist höhere Ausfallwahr-
scheinlichkeiten für das Unternehmen aus. Sie spielen im Rahmen von Kreditgesprächen eine
sehr wichtige Rolle, um einerseits die zugesagten Limite zu steuern und andererseits bei
Kreditverhandlungen die Risikokostenkalkulation zu unterstützen. Bei anstehenden Kredit-
verhandlungen könnten Steuersparmodelle also über die Festsetzung des Kreditzinses die
Vorteile schnell überkompensieren. Die Kapitalkosten übersteigen dann die Ersparnisse aus
den Steuermodellen. Hier gilt es Maß zu halten.
Das Ad-hoc-Umstellen der Jahresabschlüsse ist sicherlich nicht der richtige Weg. Denn das
Finanzrating reagiert auf Diskontinuitäten sehr sensibel. Steuersparmodelle sollen den ge-
genwärtigen und zukünftigen Kapitalbedarf berücksichtigen und die Gratwanderung zwi-
schen Steuerersparnis und Bonitätsdarstellung in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander
austarieren.
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 187
3.1 Eigenfinanzierung
3.2 Fremdfinanzierung
Im Gegensatz zum Eigenkapital steht das Fremdkapital nur in einem fokussierten zeitlichen
Rahmen den zu finanzierenden Investitionen zur Verfügung. Je nach zeitlicher Ausgestaltung
unterscheidet man kurz-, mittel- und langfristige Fremdfinanzierung. Der konkrete Rückzah-
lungsstrom besteht aus Zins- und Tilgungsleistungen. Sie führen zu einer nachhaltigen
Schwächung des erwirtschafteten Cashflows. Da Zins- und Tilgungsleistungen Mittelabflüsse
bedeuten, beeinflussen sie das Ergebnis eines Finanzratings.
Die Aufnahme von Fremdkapital kompensiert diesen negativen Effekt dann, wenn die
zweckgebundenen Investitionen in der Gesamtkapitalrendite höher ausfallen als die Fremd-
kapitalkosten. Je höher dieser Leverage-Effekt ausfällt, desto stärker wird das Finanzrating
positiv beeinflusst. Die Vorteile der Fremdfinanzierung leiten sich hieraus unmittelbar ab.
Denn sie erhöht allgemein die Liquidität, die Beschaffung ist im Gegensatz zur Eigenfinan-
zierung „relativ“ leicht. Darüber hinaus sind Fremdkapitalzinsen steuerlich Betriebsausgaben
und bewirken Steuerentlastungen.
Die Gegenüberstellung zum Eigenkapital zeigt aber auch eine Reihe von Nachteilen. Fremd-
kapital verursacht Kapitalkosten, die unmittelbar den Cashflow belasten. Kreditinstitute ver-
langen häufig Sicherheiten für das ausgezahlte Darlehen. Seitens des Unternehmens macht
Fremdkapital abhängig und steht nur befristet zur Verfügung. Aufgrund des Vergleichs zwi-
schen Fremd- und Eigenkapital haben sich im Markt Finanzierungsmöglichkeiten entwickelt,
die Mischformen zwischen diesen Extrema (Mezzaninefinanzierung) darstellen.
3.3 Mezzaninefinanzierung
Die Investoren schätzen die strategische Investition ab und kalkulieren ihren ROI präziser.
Denn für den Investor spiegeln die möglichen jährlichen Rückflüsse in Form von Renditen,
Kapital aus realisierten Exits und Equity Kicker die Erfolgschancen wider. Je nach vertragli-
cher Ausgestaltung einer Beteiligung ergeben sich unterschiedliche Erwartungswerte der
Rendite. Sie ist vom Umfang des Verlustrisikos, also vom Haftungs- und Mitsprachegrad im
Unternehmen, und von den Renditen alternativer Anlagemöglichkeiten auf dem Kapitalmarkt
abhängig.
Beteiligungskapital bildet in der Eigenkapitalfinanzierung einen Oberbegriff, der unterschied-
liche juristische Ausgestaltungen kennt. Im Rahmen der Finanzierungskonzeptionen ergeben
sich Abstufungen, welche die durchschnittlichen Renditeerwartungen der Investoren be-
schreiben.
Bei Direktbeteiligungen handelt sich im Grunde um eine reine Eigenkapitalfinanzierung.
Direktbeteiligungen zeichnen sich durch prozentuale Anteile am Nominalkapital aus. Es
muss sich nicht zwingend um eine Kapitalgesellschaft handeln. Direktbeteiligungen um-
fassen Stamm-, Grund-, Kommanditkapital etc. Die beteiligte Gesellschaft besitzt an-
schließend eine vollwertige gesellschaftsrechtliche Position. Der institutionelle Investor
erhält keine laufende fixe Verzinsung, sondern partizipiert am Unternehmenserfolg und am
Wertzuwachs des Unternehmens. Diese Form der Eigenkapitalfinanzierung ist in der Re-
gel von der Laufzeit unabhängig. Bei kommerziellen Beteiligungsgesellschaften befindet
sich dagegen der durchschnittliche Investmenthorizont bei acht Jahren. Ein Ausscheiden
erfolgt meist durch Rückkauf der Minderheitsbeteiligungen einschließlich Wertzuwachs
(Equity Kicker). Die durchschnittliche Renditeerwartung beträgt 25 Prozent pro Jahr und
mehr.
Nachrangdarlehen: Im Fall einer Insolvenz im beteiligten Unternehmen werden die
Kapitalgeber im Gegensatz zu einer typischen langfristigen Kreditfinanzierung nachrangig
bedient. Durch die Nachrangigkeit des eingebrachten Kapitals erhält die Beteiligung einen
dem haftenden Eigenkapital verwandten Charakter. Wegen der Nachrangigkeit erwartet
die Beteiligungsgesellschaft eine fest ausgehandelte Zinszahlung und darüber hinaus einen
Spread für die Kapitalüberlassung. Der Spread errechnet sich aus einer gewinnorientierten
Ausschüttung auf jährlicher Basis. Ein Equity Kicker ist in dieser Finanzierungsform un-
üblich. Bei kommerziellen Beteiligungsgesellschaften wird im allgemeinen von einem
Zeithorizont des Investments zwischen vier bis sieben Jahren und einer Renditeerwartung
zwischen 13 Prozent und 20 Prozent p. a. ausgegangen. Mittelständische Beteiligungsge-
sellschaften (MBG) mit öffentlichem Charakter beteiligen sich an KMUs mit einer durch-
schnittlichen Laufzeit von zehn Jahren. Die fix kalkulierte Verzinsung beträgt durch-
schnittlich 8,5 Prozent zuzüglich einer gewinnabhängigen Komponente in Höhe von 2
Prozent. Ein Equity Kicker wird im Rahmen der Investition nicht vereinbart. Der Rück-
kauf erfolgt entweder zum Nominalkapital, mit einem sukzessiven Austritt oder durch eine
Anschlussfinanzierung. Das Beteiligungsvolumen ist begrenzt auf 1 Million Euro.
Stille Beteiligungen sind Vermögenseinlagen, die nach außen nicht in Erscheinung treten.
Es handelt sich um eine Innengesellschaft. Gesetzlich ist die Form im HGB geregelt. Als
190 Andreas S. Huber / Diethard B. Simmert
Rückfluss seiner Investition erhält der Kapitalgeber eine Gewinnbeteiligung. Den Verlust
trägt die Beteiligungsgesellschaft ausschließlich in Höhe der stillen Beteiligung (§ 230 ff.
HGB). Bei kommerziellen Beteiligungsgesellschaften beträgt der Zeithorizont des Invest-
ments zwischen vier und sieben Jahren. Bei Privatinvestoren ist er teilweise unbegrenzt.
Die Renditeerwartung variiert zwischen 13 Prozent und 20 Prozent p. a. Je nach konzepti-
oneller Ausgestaltung wird im Zuge der Zinssenkung ein Equity Kicker als Kompensati-
onszahlung vereinbart. MBGs finanzieren KMUs in Form von stillen Beteiligungen mit
einer durchschnittlichen Laufzeit von zehn Jahren. Die durchschnittliche Festverzinsung
beträgt zwischen 8,5 Prozent und 10 Prozent. Die gewinnabhängige Komponente variiert
zwischen 1,5 Prozent und 3 Prozent. Ein Equity Kicker ist nicht Gegenstand der Stillen
Beteiligung, der Rückkauf folgt dem gleichen Prozedere wie MBG-Nachrangdarlehen.
Genussscheine sind als Form der Eigenkapitalfinanzierung nur im Aktienrecht geregelt.
Sie umfassen die typischen Vermögensrechte eines Aktionärs, gewähren jedoch kein Mit-
bestimmungsrecht. Handelt es sich um eine langfristige Investition, so hat das investierte
Kapital für die genussscheinausgebende Gesellschaft bilanziell Eigenkapitalcharakter. Be-
teiligungsgesellschaften sind durch die Genussscheine sowohl am Gewinn als auch am
Verlust in Höhe ihrer Einlage beteiligt. Der Investmenthorizont variiert zwischen fünf und
acht Jahren. Die durchschnittliche Renditeerwartung beträgt zwischen 13 Prozent und 18
Prozent p. a. Ein Equity Kicker wird in der Regel nicht vereinbart.
3.4.1 Factoring
Factoring ist ein Absatz-Finanzierungsgeschäft, in dem der Factor (laufend) die Forderungen
ankauft, die beim Kunden aus Lieferung und Leistung entstehen. Darüber hinaus übernimmt
er das Ausfallrisiko der Forderung und alle Verwaltungsfunktionen, die mit der Forderung im
Zusammenhang stehen. Durch den Verkauf entsteht für den Verkäufer ein Mittelzufluss.
Durch Gebühren etc. liegt der Zufluss unter den Nominalwert der Forderung.
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 191
Factoring-
kunde
Zahlung des
Lieferung der Kaufpreises
Ware Verkauf
der Forde-
Information rung
Bonitätsprüfung
Abnehmer Factor
Vorteile Nachteile
Kapitalfreisetzung durch Abbau der Au- Abhängigkeit des Klienten bei umfassendem
ßenstände (einmalig) Factoring
AKTIVA PASSIVA
-
Waren
Langfristiges Fremdkapital
Forderungen +
Bank / Kasse Kurzfristiges Fremdkapital
Wie wirkt sich nun Factoring auf die Bilanz aus und damit auf das Finanzrating? Der Verkauf
führt zu einer Abnahme des Forderungsbestandes und erhöht den Mittelzufluss. Die höhere
Liquidität wirkt dabei positiv auf den Cashflow. In Höhe der Gebühren und Auslagen des
Factors ist der Verkauf (nominell) höher als der Mittelzufluss. Somit führt bilanztechnisch
diese Differenz zu einer Kompensation im Eigenkapital. Dabei ist zu beachten, dass Facto-
ring nur Sinn macht, wenn die freigewordenen Liquiditätszuflüsse reinvestiert werden.
3.4.2 Forfaiting
Forfaiting bedeutet den regresslosen Verkauf einer längerfristigen Forderung durch den Ex-
porteur an eine Finanzierungsinstitution mit Stellung entsprechender Sicherheiten (zum Bei-
spiel Wechsel, Bankgarantie, Akkreditiv). Die Forfaitierung ist dementsprechend als eine auf
Forderungsverkauf beruhende Vermögensliquidation zu verstehen, die Finanzierungs-, Del-
kredere- sowie Inkassofunktionen umfasst (Abbildung 8). Forfaiting und Factoring führen zu
den gleichen Effekten. Das Finanzrating reagiert aufgrund des Liquiditätszuflusses positiv
und kann durch Reinvestitionen zur nachhaltigen Verbesserung der Renditesituation beitra-
gen.
3.4.3 Absatzleasing
Ein Händler bietet seinen Kunden gemeinsam mit dem Investitionsobjekt eine passende Lea-
singfinanzierung an. Für den Kunden hat dies den Vorteil, Investitionsobjekt und Finanzie-
rung aus einer Hand zu erhalten. Der Leasingvertrag wird vom Händler im Rahmen einer
Kooperationsvereinbarung mit einer Leasingfirma jedoch nur angebahnt, der Abschluss des
Vertrages erfolgt zwischen dem Kunden und der Leasingfirma (Abbildung 9).
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 193
AKTIVA PASSIVA
-
Waren
Langfristiges Fremdkapital
Forderungen +
Bank / Kasse Kurzfristiges Fremdkapital
AKTIVA PASSIVA
-
Waren Langfristiges Fremdkapital
Forderungen +
Kurzfristiges Fremdkapital
Bank / Kasse
Der verstärkte Verkauf führt in der Regel zu einer Abnahme des Warenbestandes. Grund ist
die Einbindung mehrerer Finanzierungsmöglichkeiten für den Kunden. Der Mittelzufluss
unterstützt positiv die Cashflow-Analyse. Der Aktivtausch bewirkt eine bessere Liquiditätssi-
tuation. Ein Absatzleasing führt dadurch zu frei gewordenen Mitteln, die für Reinvestitionen
zur Verfügung stehen. Diese Maßnahmen fördern die Rentabilität und setzen positive Effekte
im Finanzrating (verbesserte Kapitalallokation).
3.4.4 ABS-Transaktionen
Aufgrund hoher Werte im Forderungsbereich wäre eine komplette Auslagerung zur Redukti-
on des Ausfallsrisikos denkbar. Außer Factoring gibt es für größere Forderungsvolumina die
Möglichkeit, ganze Forderungsbestände durch Verbriefung aus die Bilanz zu eliminieren.
194 Andreas S. Huber / Diethard B. Simmert
Solche Finanzierungsformen bezeichnet man als Asset-backed Securities (ABS). Sie gehören
zum Finanzierungsbereich Securitization und können auch als forderungsunterlegte Anleihe-
typen bezeichnet werden. Dieser Finanzierungsbereich eröffnet Unternehmen die Option,
Kreditforderungen zu verkaufen, um auf Portfolioeffekte aktiv zu reagieren. Die Verbriefung
erfordert allerdings für die Kapitalmarktplatzierung ein Rating.
Ein wichtiger Aspekt bei ABS-Finanzierungen ist, dass das Rating je nach Gestaltung des
Forderungspools unabhängig von der finanzwirtschaftlichen Situation des Originators aus-
fällt. Für Unternehmen sind damit günstigere Konditionen bei der Refinanzierung verbunden
bzw. zu erwarten. Als Wertpapierart für ABS kommen kurz-, mittel- und langfristige Schuld-
verschreibungen in Frage, zum Beispiel festverzinsliche Anleihe, Floating Rate Notes, Com-
mercial Papers oder Medium Term Notes. Die Zins- und Tilgungsleistungen für die emittier-
ten Wertpapiere zahlt der Schuldner aus dem künftigen Cashflow der Forderungen. Aus die-
sem Grund berechnet sich der Kaufpreis von ABS aus dem diskontierten Wert der
Forderungen.
Investoren in ABS sind vor allem institutionelle Anleger wie Versicherungsunternehmen,
Fondsgesellschaften, Pensionskassen und Banken. Die Subordinationsstruktur, das Begeben
mehrerer Tranchen unterschiedlicher Bonität, kommt dem Originator für strategische Investo-
renansprachen entgegen. Die unterschiedliche Bonität der Tranchen kann mithilfe weiterer
Sicherungsmittel positiv beeinflusst werden. Ratingagenturen verlangen hierbei das vollstän-
dige Offenlegen solcher Sicherungsmittel, um unterschiedliche Ratings vergeben zu können.
Die Zunahme von ABS-Platzierungen sind ein weiteres Indiz für das Bestreben der Unter-
nehmen, ihre Portfoliorisiken zu senken und die damit verbundenen Kosten zu reduzieren.
Auf Einzelgeschäftsebene überträgt das Unternehmen durch den regresslosen Verkauf von
Forderungen das Ausfallrisiko auf den Käufer. Parallel dazu reduziert das Unternehmen sein
Überwachung- und Beitreibungsrisiko, weil die Forderungen aus der Prognose für eingehen-
de Zahlungsströme bzw. Cashflows herausfallen. Ein weiterer positiver Effekt der Veräuße-
rung ist der sofortige Mittelzufluss, der das Liquiditätsrisiko verringert.
Auf Geschäftsebene überträgt die Bank im Rahmen einer ABS-Konstruktion ein Bündel
geeigneter Forderungen an eine eigens gegründete Tochtergesellschaft, das Special Purpose
Vehicle. Diese Gesellschaft geht durch den Kauf von ABS Ausfallrisiken ein, stellt aber selbst
keine Liquidität bereit. Durch die Verbriefung geeigneter Forderungen und die anschließende
Reinvestition des freigesetzten Kapitals, lässt sich auf Geschäftsebene eine Kapitalallokation
zur nachhaltigen Erhöhung der Eigenkapitalrentabilität erreichen.
Der erhebliche Aufwand für Strukturierung, Datenverarbeitung und die damit verbundenen
Fixkosten erfordern allerdings eine Mindestgröße des Forderungsbestandes. ABS ist erst ab
einer Größe von ca. 100 Millionen Euro ökonomisch sinnvoll. Die entstehenden Kosten und
Folgekosten für eine ABS-Finanzierung für Rechtsberatung, Rating, Emission, Kommunika-
tion und Distribution sind klar gegen die wirtschaftlichen Vorteile abzuwägen.
Bei der Umsetzung solcher Finanzierungskonzeptionen müssen Unternehmen umfangreiche
organisatorische Fragen beantworten. Darüber hinaus ist der spezifische Investorenkreis zu
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Finanzratings 195
Aktiva
Sale-Leaseback • Anlagevermögen
Maßnahmen • Umlaufvermögen
zur Bestands- I. Vorräte
reduzierung II. Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände
III. Wertpapiere
Abbau des
Forderungsbe-
sandes
Bilanzsumme Aktiva
= ABS
= Factoring
= Forfaiting
EK
Verbesserung der EK-Quote ( = EK-Quote )
Bilanzsumme
4. Fazit
Die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen durch Basel II und die sich daraus ergebenden
Ratingerfordernisse sind nur Schlagworte für eine veränderte Finanzierungssituation des
Mittelstandes. Die Erwartungen der Kreditinstitute und der anderen Kapitalgeber sind hoch.
Viele Unternehmer haben dies inzwischen bei ihren Gesprächen über Finanzierungsmöglich-
keiten für ihr Unternehmen erfahren. Die Kapitalgeber verlangen qualitativ anspruchsvolle,
vollständige und aussagekräftige Unterlagen. Diese sollen Transparenz schaffen, das Unter-
nehmen präsentieren, glaubhaft sein und den Kapitalbeschaffungsprozess beschleunigen.
Letztlich entscheidet das Ratingergebnis über die Finanzierungskonditionen.
Rating ist damit unabweisbar „Pflichtübung“ für mittelständische Unternehmen geworden.
Sicher: Rating ist nicht alles, aber ohne Rating ist alles nichts! Deswegen müssen sich Unter-
nehmen heute aktiv und intensiv darum kümmern, müssen genauestens ihre Ratingsituation
analysieren und überlegen, wie sie ihre Ratingbenotung verbessern können. Dazu müssen sie
die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung ihres Finanzratings kennen. Ein
Streifzug durch die hier zu Verfügung stehenden Ansätze und Möglichkeiten wurde in diesem
Beitrag präsentiert. Dabei wurde auf die grundsätzliche Relevanz der für das Rating wichti-
gen Einflussfaktoren sowie auf die sich ergebenden Gestaltungsspielräume eingegangen.
Rating ist aber nicht nur „Pflichtübung“, weil die Kapitalgeber es heute ausnahmslos fordern.
Ein qualifizierter Ratingprozess ist auch im wohlverstandenen eigenen Interesse des Unter-
nehmens, denn er hilft, mögliche interne Schwachstellen im Unternehmen aufzudecken, ein
ausgeprägtes Kostenbewusstsein zu entwickeln und damit insgesamt die wirtschaftliche Situ-
ation durch eine ganzheitliche Sichtweise langfristig zu verbessern. Im Ergebnis kann Rating
zum einen dazu führen, die Finanzierungskosten zu senken und neue Finanzierungsquellen zu
erschließen. Zum anderen dient es der Verbesserung der Außendarstellung, denn eine gute
Ratingnote gilt immer mehr als ein prägnantes Gütesiegel für das Unternehmen.
Um aus den vielfältigen Möglichkeiten diejenigen Maßnahmen und Instrumente herauszufil-
tern, die für die spezifische Unternehmenssituation geeignet sind, bedarf es der Einschaltung
von Experten. Diese können in Kenntnis der individuellen Situation und der zukünftigen
Planung einschätzen, welche Schritte sich am ehesten eignen, das gewünschte Ziel – eine
bestmögliche Ratingnote – zu erreichen.
Literatur
Rappaport, A. (1995): Schareholder Value – Wertsteigerung als Maßstab für die Unter-
nehmensführung, Stuttgart 1995.
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 197
Frank Sicking
1. Einleitung
Literatur
1. Einleitung
Beinahe jedes Unternehmen ist schon mit dem Thema Finanzrating in direkter oder indirekter
Form in Berührung gekommen. Das Finanzrating wird als Teil des internen Ratingverfahrens
der Banken an Relevanz weiter zunehmen, da es die Kreditkonditionen unmittelbar beein-
flusst. Somit ist jedes Unternehmen angehalten, sich mit der Funktionsweise und den Aus-
wirkungen näher zu beschäftigen.
Das Finanzrating basiert auf dem Jahresabschluss, der die Bilanz, die Gewinn- und Verlust-
rechnung sowie Anhang und Lagebericht des Unternehmens umfasst. Die aus dem Jahresab-
schluss abgeleiteten quantitativen betriebs- und finanzwirtschaftlichen Kennzahlen werden
mithilfe von objektivierten Ratingmethoden untersucht, die statistische Verfahren zur Klassi-
fikation dieser Kennzahlen einsetzen. Dabei sollen unter anderem die Kennzahlen aus fol-
genden Bereichen analysiert werden:
Vermögens-, Kapital- und Finanzierungsstruktur
Belastung aus Verschuldung
Liquiditätssituation
Rentabilität und Ertragskraft
Zahlungsziele und Umschlagshäufigkeiten
Kapitaldienstfähigkeit
Bei Objektivität der Ratingmethodik müssen bei gleicher Datengrundlage identische Ergeb-
nisse produziert werden. Ein Vorteil bei objektivierten Verfahren besteht durch die klare
Bestimmung des Ergebnisbeitrages der Faktoren und der anteiligen Bewertung der einzelnen
Kriterien. Durch diese Vorgaben sind objektivierte Verfahren allerdings nur bei quantitativen
oder quantifizierbaren, nicht jedoch bei qualitativen Kriterien wie beispielsweise der Qualität
der Unternehmensführung anwendbar.
Es werden univariate und multivariate Verfahren zur Bestimmung der Ausfallwahrscheinlich-
keit unterschieden. Bei univariaten Verfahren wird nur ein Faktor untersucht, während die
multivariaten Verfahren mindestens zwei oder mehr Kennzahlen analysieren.
Die alleinige Betrachtung der aus den Jahresabschlüssen ermittelten Kennzahlen reicht dabei
nicht aus. Vielmehr müssen sie in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden, um Sym-
ptome erkennen zu lassen, die zum Handeln aufrufen. Dies können Diskriminanzanalysen
und Künstliche Neuronale Netze als methodische Grundlagen zur Bewertung von Jahresab-
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 199
schlüssen leisten. Diese Verfahren sollen grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit von Krisen
vorhersagen. Ihre Notwendigkeit resultiert aus den Erfahrungen mit der traditionellen Bilanz-
analyse, die, allein gestützt auf vergangenheitsorientierte Kennzahlen und ohne Herstellung
eines Zusammenhangs zwischen den einzelnen Kennzahlen, die tatsächliche Konkursgefahr
nicht ausreichend signalisieren konnte.
Ein in der Finanzwelt weit verbreitetes mathematisch-statistisches Analyseverfahren, das
diesen Zusammenhang herstellt, ist die Diskriminanzanalyse. Sie stützt sich auf den Jahres-
abschluss und Kennzahlenbildung. Im Unterschied zur traditionellen Jahresabschlussanalyse
versucht die Diskriminanzanalyse mit der Erfassung vieler verschiedener Jahresabschlüsse
empirische Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, die eine objektive Klassifizierung der Unter-
nehmen ermöglichen soll. Sie bestimmt dabei diejenigen Kennzahlen und Kennzahlausprä-
gungen, die einen Rückschluss auf die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit zulassen.
Ein modernes empirisch-statistisches Verfahren ist das der Künstlichen Neuronalen Netze. Es
geht auf die Idee zurück, die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns zu simulieren: Kommu-
nikation der Nervenzellen miteinander durch Aussenden und Empfangen von Signalen. Die
daraus resultierenden Vorteile sollen bei der Lösung schlecht strukturierbarer Entscheidungs-
probleme helfen, beispielsweise der Kreditwürdigkeitsprüfung. Besonders bei Bilanzratings
besitzt die Verwendung der Künstlichen Neuronalen Netze zur Klassifikation von Unterneh-
men einen hohen Stellenwert. Mit Capitalyse-Verfahren, RSW-Verfahren, Expertensystemen,
Regressionsanalysen etc. existiert noch eine Vielzahl an weiteren Verfahren, die zur Analyse
des Jahresabschlusses eingesetzt werden können.
Die Kreditinstitute bereiten sich aktuell auf die Einführung von Basel II vor. Dabei ist Basel
II eine Erweiterung des Vorgängers Basel I. Zurückzuführen ist Basel I als Reaktion auf den
Zusammenbruch der Herstatt-Bank und der Franklin National Bank (USA) im Jahre 1974. Im
selben Jahr wurde von führenden Industrieländern ein in der Schweiz angesiedeltes Gremium
gebildet, dem die Zentralbanken und die Aufsichtsbehörden der G10-Staaten angehören.
Aufgabe des so genannten Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht ist es, das internationale
Finanzsystem stabil zu halten. Um dies zu erreichen, ist seit 1988 die Höhe der Kreditverga-
ben durch eine Regelung zur Eigenkapitalhinterlegung begrenzt (Basel I). Dabei müssen die
Banken ihre Kreditvergaben auf das 12,5-Fache ihres Eigenkapitals beschränken, da seit
Ende 1992 die 8-Prozent-Regel gilt. Abbildung 1 veranschaulicht die Auswirkungen.
Zukünftig soll durch Basel II, die neue Baseler Eigenkapitalvereinbarung, der Prozentsatz,
mit dem die Ausleihungen der Banken durch Eigenkapital hinterlegt werden müssen, von der
200 Frank Sicking
Bonität des Kunden abhängen. Sie ist im Wege eines Ratingverfahrens zu ermitteln. Dies soll
eine risikogerechtere Regelung der Eigenkapitalübereinkunft von 1988 gewährleisten. Das
Bonitätsgewicht ist abhängig von der Bewertung des Kunden durch die Banken und hat somit
großen Einfluss auf die Höhe des zu hinterlegenden Eigenkapitals. Je schlechter ein Unter-
nehmen bewertet wird, desto mehr Eigenkapital muss die Bank für einen Kredit hinterlegen.
Dadurch verteuert sich der Kredit für das Unternehmen. Andererseits kann ein in wirtschaft-
lich guter Verfassung befindliches Unternehmen mit besseren Konditionen bei Inanspruch-
nahme eines Kredites rechnen, da künftig weniger Eigenkapital seitens der Bank gebunden
wird. Der Gesamtumfang des aufsichtsrechtlichen Eigenkapitals soll auch in Zukunft unver-
ändert mindestens 8 Prozent betragen. Folglich ist den Banken die alleinige Kreditvergabe an
Unternehmen mit einwandfreier Bonität untersagt, um ihr Kreditvolumen zu erhöhen und
damit die Eigenkapitalquote unter die zurzeit gültige Mindesteigenkapitalquote von 8 Prozent
zu senken.
Das dritte Konsultationspapier zu Basel II vom April 2003 eröffnete den Banken zur Quanti-
fizierung des jeweiligen Kreditrisikos und des damit verbundenen Eigenkapitalbedarfs zum
einen die Verwendung eines auf externen Ratingergebnissen basierenden Standardansatz,
zum anderen den Einsatz institutseigener interner Ratingverfahren, wobei der Großteil der
Institute interne Ratingverfahren zur Bonitätsermittlung einsetzt bzw. einsetzen wird. Die
neue Eigenkapitalvereinbarung besteht aus drei Säulen, die zusammen zu einem soliden und
sicheren Finanzsystem beitragen sollen.
Säule 1: Mindestkapitalanforderungen
Säule 2: Aufsichtliches Überprüfungsverfahren
Säule 3: Marktdisziplin
Die Ausprägungen der Säule 1 wurden oben beschrieben. Die zweite Säule soll sicherstellen,
dass Banken ihre Eigenkapitalausstattung in Relation zu ihrem Gesamtrisiko beurteilen.
Dabei werden die Banken aufgefordert, diese Beurteilungen zu überprüfen und gegebenen-
falls angemessene Maßnahmen ergreifen. Dies impliziert die Verwendung verbesserter Risi-
komanagementverfahren.
Durch die Entwicklung einer Reihe von Offenlegungspflichten (Säule 3) wird es den Markt-
teilnehmern ermöglicht, wichtige Informationen über das Risikoprofil und die Eigenkapital-
ausstattung eines Kreditinstitutes zu erhalten. Die Offenlegungspflichten sollen die Marktdis-
ziplin fördern und damit die Mindestkapitalanforderungen der Säule 1 und das aufsichtliche
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 201
Überprüfungsverfahren im Rahmen von Säule 2 ergänzen. Falls eine Bank ihren Offenle-
gungspflichten nicht nachkommt, kann die Aufsicht nach Anhörung der Geschäftsleitung der
Bank neben formellen Rügen auch Geldbußen verhängen.
Durch die Einführung von Basel II verändert sich auch die Berechnungsgrundlage in der
Risikokostenkalkulation. Als Teil des internen Ratingverfahrens ist das Finanzrating mit
einem anteiligen Prozentsatz von bis zu 70 Prozent am Ergebnis des Gesamtratings ein we-
sentlicher Faktor in der Preisermittlung für einen Unternehmenskredit. Doch das Finanzrating
hat nicht nur Auswirkungen auf den Zinssatz des einzelnen Kredits: Auch die Refinanzie-
rungskosten werden sich durch das ermittelte Risikopotenzial im Gesamtkreditportfolio der
Bank verändern.
Eine risikoorientierte Preisgestaltung ist bei den Banken schon seit vielen Jahren zu beobach-
ten. Unternehmen mit einer guten Bonität konnten einen Kredit zu günstigeren Konditionen
erlangen als Unternehmen, deren Finanzkennzahlen eher unterdurchschnittlich ausfielen.
Somit verändert Basel II und die damit einhergehende neue Regelung der Eigenmittelunterle-
gung nichts Grundsätzliches an diesem Gegebenheiten. Allerdings verstärkt Basel II diesen
Trend, da die nun risikobasierte Eigenmittelunterlegung großen Einfluss auf die Preisgestal-
tung des einzelnen Kredits und eine Margenspreizung zwischen Unternehmen mit guter und
schlechter Bonität zur Folge hat.
Als prozentual bedeutendster Teil des Gesamtratings ist das Finanzrating also maßgeblich
dafür verantwortlich, ob ein Unternehmen eine hohe Zinsbelastung für einen gewährten Kre-
dit schultern muss oder das Unternehmen mit einer guten Bonität einen höheren Gewinn
ausweisen kann, da dessen Zinsaufwendungen durch Basel II weiter abgenommen haben. Die
risikoorientiertere Bepreisung der Kredite umfasst dabei die Teile des Zinssatzes, die Eigen-
mittelkosten und Standardrisikokosten, die von der Bonität des kreditnachfragenden Unter-
nehmens und den gewährten Sicherheiten abhängig sind.
Stückkosten: Die Stückkosten oder auch Standardstückkosten beinhalten die Leistungen
der Bank, die durch die Bearbeitung des Kreditantrags entstehen. Darunter fallen unter an-
derem die gesamten Personalleistungen, beispielsweise für das Vorgespräch, die Bearbei-
tung des Antrags, Anlegen der Kreditakte etc. Des Weiteren werden die erforderlichen
EDV-Leistungen in den Stückkosten betrachtet sowie die sonstigen Sachmittel-
Leistungen, beispielsweise Antragsformular, Schufa-Meldung etc. berücksichtigt. Stück-
kosten fallen unabhängig von der Bonität des Kreditnehmers an.
202 Frank Sicking
Kundenbonität Eigenmittelkosten
Standardrisikokosten
Sicherheiten
Stückkosten
Einstandssatz Laufzeit
Zinsbindung
(„Einkaufspreis“ der
Bank)
Marktzinsen
Einstandssatz: Dieser entspricht dem Zinssatz, den das Kreditinstitut für die Refinanzie-
rung durch Aufnahme von Mitteln am Geldmarkt zu bezahlen hat. Dieser Zinssatz wird
durch das allgemeine Zinsniveau am Geld- und Kapitalmarkt (Marktzins), die Gesamt-
laufzeit der aufgenommenen Mittel und die Bonität des Kreditinstituts, also dem eigenem
Rating der Bank, beeinflusst. Auch hier ist ein direkter Einfluss der Bonität des einzelnen
Kreditnehmers auf den zu zahlenden Gesamtzins nicht gegeben. Da jedoch die Zusam-
mensetzung des Gesamtportfolios der Bank auf deren Bonität einwirkt und den Marktzins
bestimmt, ist eine indirekte Beeinflussung möglich.
Standardrisikokosten: Sie stellen die durchschnittlich innerhalb eines Jahres erwarteten
Risikokosten (Expected Loss) bzw. Wertberichtigungen durch Ausfall von Kunden und
Gegenparteien dar. Die Standardrisikokosten auf der Einzelkreditnehmerebene bemessen
sich individuell für einen Kredit anhand der Ratingeinstufung, also der Bonität, des Kre-
ditnehmers und der angebotenen Besicherung (Höhe und Qualität) der Kreditsumme durch
den Kreditnehmer. Eine gute Ratingeinstufung des anfragenden Unternehmens führt zu
niedrigeren Standardrisikokosten und somit zu einem niedrigeren Zinssatz, da ein Ausfall
dieser Forderung gegenüber dem Unternehmen nur mit einem sehr geringen Prozentsatz
zu erwarten ist. Zusätzlich senkt eine hohe Besicherung des Kredits durch das Unterneh-
men den Schaden, den die Bank durch einen Ausfall erleiden würde und somit den durch
das Unternehmen zu zahlenden Zins.
Eigenmittelkosten: Auch diese hängen, wie die Standardrisikokosten, unter anderem von
der Ratingeinstufung des Kunden durch die Bank und den gestellten Sicherheiten ab. Die
Eigenmittelkosten sollen einen „unerwarteten Verlust“ abdecken. Dabei gilt nach den neu-
en Regelungen gemäß Basel II: Je schlechter ein Rating ausfällt, desto höher ist der Pro-
zentsatz, den die Bank für diesen Kredit an Eigenmitteln hinterlegen muss. Wird bei-
spielsweise Eigenkapital des Kreditinstituts in Höhe von 80.000 Euro durch einen Kredit
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 203
in Höhe von 1 Million Euro gebunden und eine anvisierte Eigenkapitalrendite von 15 Pro-
zent vorgegeben, so entspricht dies einem Nettoertrag von 12.000 Euro und 1,2 Prozent
auf die gesamte Kreditsumme. Sollte die Bank bei einem sehr guten Unternehmensrating
nur noch 12.000 Euro an Eigenkapital hinterlegen müssen, sinken die Eigenmittelkosten
auf 1800 Euro oder 0,18 Prozent auf die gesamte Kreditsumme. Bei einem schlechten Ra-
ting erhöht sich die Summe, die die Bank hinterlegen muss und verteuert damit gleichzei-
tig den Preis des Kredits.
Wie aufgezeigt, sind die Eigenmittelkosten und die Standardrisikokosten direkt abhängig
vom Gesamtrating des Unternehmens. Durch das erhebliche Gewicht des Finanzratings im
gesamten Ratingverfahren können schlechte bilanzielle Verhältnisse und geringe Renditen
dazu führen, dass erhebliche Mehrkosten in Form von erhöhten Zinsbelastungen auf den
Unternehmer zukommen. Welche Auswirkungen dies bei einer Kreditaufnahme von 1 Million
Euro für eine Erweiterungsinvestition hat, wird in den folgenden Abbildungen veranschau-
licht. In Abbildung 4 sind die jeweiligen Ratingstufen und die dazugehörigen Ausfallwahr-
scheinlichkeiten abgebildet. Es gilt dabei, je geringer die Ausfallwahrscheinlichkeit für ein
Kredit ist, desto besser ist die Bonität des Kreditnehmers und somit seine Ratingeinstufung.
Nach Basel I mussten von den Kreditinstituten für jeden Kredit, unabhängig von der Bonität
des Kreditnehmers, Eigenmittel in Höhe von 8 Prozent der Kreditsumme hinterlegt werden.
Durch die Einführung von Basel II ist die Eigenmittelunterlegung abhängig von der Risiko-
einstufung des Kreditnehmers. Für Unternehmen, die ein gutes Rating erhalten, muss die
Bank weniger Eigenmittel vorhalten. Dies führt zu beträchtlichen Unterschieden in der Ges-
taltung der offerierten Zinssätze durch die Bank. Wie im Beispiel aufgezeigt, erhöht sich die
Eigenmittelunterlegung der Bank bei einem Kreditvolumen von 1 Million Euro im Extremfall
von 16.000 Euro (15 Prozent Bonitätsgewichtung) auf 120.000 Euro (120 Prozent Bonitäts-
gewichtung). Abhängig von dem bankinternen Eigenkapitalrenditeziel erhöhen sich dadurch
die Kosten für den Kreditnehmer bei einer Zielrendite von 15 Prozent um bis zu 15.600 Euro.
Im Gegensatz zu Basel I verbilligt sich der Kredit für das bonitätsmäßig sehr gute Unterneh-
men durch die geringere Unterlegung seitens der Bank. Bei einem Unternehmen mit einer
schlechten Ratingnote verteuert sich dementsprechend der Kredit.
Die andere Position der Kreditzinskalkulation, die direkt vom Rating des Kreditnehmers
beeinflusst wird, sind die Standardrisikokosten, die die Ausfallwahrscheinlichkeit und damit
den erwarteten Verlust des Kreditengagements bemessen. Beide Positionen ergeben zusam-
mengenommen einen hohen Zinsspread, der in unserem Beispiel bei 5,03 Prozent liegt. In
Zahlen ausgedrückt hätte das Unternehmen mit dem schlechten Rating im ersten Jahr eine um
50.300 Euro höhere Zinsbelastung bei einem Kreditvolumen von 1 Million Euro zu bewälti-
gen. Diese erhöhten Zinszahlungen bedeuten für ein Unternehmen mit sowieso gerade noch
ausreichender Bonität eine nicht zu unterschätzende zusätzliche Belastung. Abhängig vom
eingesetzten Verfahren der Bank variieren die Eigenmittelkosten mehr oder minder stark.
204 Frank Sicking
8 D Zahlungsun- > 17 8%
fähig
Im vorgenannten Beispiel wurde mit den Gewichtungen des Standardansatzes gearbeitet. Die
Eigenmittelunterlegung orientierte sich an dem Ergebnis einer externen Bonitätsbeurteilung
einer Ratingagentur. Basel II räumt den Banken jedoch ab 2007 im Basis-IRB-Ansatz und ab
2008 im fortgeschrittenen IRB-Ansatz die Möglichkeit ein, mittels eigener Bonitätsprüfungen
die Eigenkapitalanforderungen für Kreditrisiken zu berechnen. Einer Umfrage der Banken-
aufsicht vom Sommer 2004 zur Folge ist für eine Vielzahl von Banken die Anwendung des
IRBA von Beginn an möglich und wird dementsprechend genutzt. Das Finanzrating als Teil
der Bonitätsbeurteilung des Kreditnehmers ist nicht nur mitentscheidend für die Höhe des zu
zahlenden Kreditzinses, sondern kann darüber hinaus auch als K.o.-Kriterium fungieren, das
heißt darüber entscheiden, ob überhaupt ein Kredit seitens des Kreditinstituts gewährt wird.
Aufgrund der aktuellen Eigenkapitalschwäche des deutschen Mittelstands wird das Finanzra-
ting für einige Unternehmen zu einem abschlägigen Bescheid bezüglich des Kreditantrags
führen, da die Eigenkapitalquote im Bankensektor als eine der wichtigsten Kennzahlen ange-
sehen wird. Dies ist auf ihre hohe Aussagekraft über die Möglichkeit einer Insolvenzabwen-
dung zurückzuführen.
eisenbanken mit ihren über 14.000 Filialen und einer Bilanzsumme von 590,8 Milliarden
Euro eine tragende Funktion bei der Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen
aus.
Um diese Finanzierung sicherzustellen, bewertet ein Kreditinstitut das Unternehmen mit
einem internen Ratingverfahren, mit dem Ziel, Aufschluss über dessen Kreditwürdigkeit bzw.
die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kredites zu erhalten. Im Falle der Volks- und Raiffeisen-
banken ist das hauseigene Verfahren das BVR-II-Rating. Der gesamte Kreditentscheidungs-
prozess wird hierdurch stark standardisiert, was zu einer vereinheitlichten Abwicklung der
Kreditvergabe innerhalb der Bank führt. Der Ablauf lässt sich grob wie in Abbildung 6
skizzieren.
Nach Abgabe des Kreditantrages an den zuständigen Kundenberater werden alle zur Rating-
erstellung notwendigen Informationen vom Kreditnehmer übergeben. Der Kundenberater und
ein Mitarbeiter des Backoffice ermitteln anhand dieser Informationen das Ratingergebnis.
Durch die Einbindung eines zweiten, vom Unternehmen unabhängigen Mitarbeiters wird ein
interner Qualitätssicherungsprozess installiert und das Vier-Augen-Prinzip verwendet. Die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überprüft das Ratingverfahren der
jeweiligen Kreditinstitute. Dabei wird die Messgenauigkeit des eingesetzten Verfahrens und
der eingesetzte Rating- und Kreditentscheidungsprozess überprüft.
Kreditnehmer
(1) (4)
Ratingverfahren
(2)
Kundenberater Backoffice
(3)
Ratingprozess
BaFin
Abbildung 6: Kreditentscheidungsprozess
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 207
Der Aufbau des BVR-II-Ratings gestaltet sich für den Mittelstandsbereich nach einem stan-
dardisierten Muster. Die zu bewertenden Informationen teilen sich in zwei Komponenten.
Der quantitative Teil umfasst die Bewertung der Kennzahlen aus den letzten zwei Jahresab-
schlüssen und zusätzlich die Beurteilung der Faktoren, die sich aus den aktuellen betriebs-
wirtschaftlichen Auswertungen ergeben. Das Ziel ist ein verdichteter Kennzahlenkatalog, der
die wirtschaftliche Situation des Unternehmens darstellt und Aussagen über die mögliche
zukünftige Entwicklung des Unternehmens enthält. Der zweite Teil der Prüfung umfasst die
qualitativen, zukunftsgerichteten Faktoren. Hierzu werden Informationen aus sechs Teilberei-
chen des Unternehmens ausgewertet, die in das Ratingergebnis mit einfließen:
1. Im Bereich Markt wird die Branchenentwicklung, Veränderung der Absatz- und Beschaf-
fungsmärkte und die Wettbewerbsposition des Unternehmens ermittelt und bewertet.
2. Im Bereich Planung richtet sich die Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund der bereits
ermittelten Informationen zum Unternehmen auf den Substanzerhalt und Fragen zu den
zukünftigen Cashflows, da die Volks- und Raiffeisenbanken bestrebt sind, unrealistische
oder geschönte Planungen des Unternehmens aufzudecken und somit die Rückführung
der gewährten Kredite möglichst sicherzustellen.
3. Management bzw. Unternehmensführung unterliegen im qualitativen Teil des Ratings der
Einschätzung durch das BVR-II-Rating, in dem die grundsätzliche Frage geklärt werden
soll, ob dieses die Planungszahlen erreichen kann und umsichtig agiert. Ein betriebswirt-
schaftlich ungebildeter, risikofreudiger und allzu optimistischer Geschäftsführer, der im
Bereich der Unternehmensführung noch dazu unerfahren ist, wird in diesem Fall zum Ri-
sikofaktor für die Rückführung des gewährten Darlehens.
4. Die Kontoführung des Kreditnehmers wird durch die internen Unterlagen der einzelnen
Volks- und Raiffeisenbanken ermittelt. Wurden Kontokorrentlinien unerlaubt überschrit-
ten, gab es Scheckrückgaben etc.?
5. Zusätzlich werden noch nähere Informationen zum Jahresabschluss und den betriebswirt-
schaftlichen Auswertungen erhoben, die beispielsweise Angaben zur Bilanzpolitik bein-
halten.
Alle Fragen im qualitativen Bereich werden in der geschlossenen Form gehalten, so dass
zumeist nur mit Ja- oder Nein-Antworten gearbeitet wird. Dies erleichtert einerseits die Beur-
teilung durch den Kundenberater, ist aber auch dem hohen Standardisierungsgrad des BVR-
II-Ratingverfahrens geschuldet.
Trotz der unzweifelhaften Wichtigkeit dieser sechs Teilbereiche für die Ermittlung der Ra-
tingnote hat die Betrachtung und Bewertung der Kennzahlen aus den Jahresabschlüssen des
Unternehmens im BVR-II-Rating den größten Stellenwert. Das Finanzrating als Teil des
Ratingverfahrens erreicht im Rating der Volks- und Raiffeisenbanken eine Gewichtung von
bis zu 70 Prozent.
Dabei wird grundsätzlich zwischen Ratingverfahren für
1. Mittelstand,
208 Frank Sicking
2. oberer Mittelstand,
3. große Firmenkunden,
4. nicht bilanzierende Gewerbekunden und Freiberufler sowie
5. Existenzgründer
unterschieden. Das Ratingverfahren für den Mittelstand beinhaltet zusätzlich die Offenlegung
der privaten Vermögensverhältnisse nach § 18 KWG. Welches Ratingverfahren bei den ein-
zelnen Unternehmen angewendet wird, hängt im überwiegenden Maße vom jeweiligen Jah-
resumsatz des Unternehmens ab. Das Segment „große Firmenkunden“ umfasst Unternehmen,
die einen Jahresumsatz über 1 Milliarde Euro aufweisen. Die wichtigste Klientel mit Jahres-
umsätzen über 5 Millionen Euro und über 500.000 Euro wird mit den Ratingverfahren „Obe-
rer Mittelstand“ bzw. „Mittelstand“ bewertet. Hinzu kommen noch eigene Verfahren für die
nicht bilanzierenden Gewerbekunden und Freiberufler mit einem Jahresumsatz von über
260.000 Euro und Existenzgründer, die nicht länger als fünf Jahre am Markt tätig sind.
Mustererkennung
Das quantitative Teil des BVR-II-Ratings basiert dabei auf den Daten, die die Volks- und
Raiffeisenbanken in den letzten Jahren während ihres Geschäftsbetriebes sammeln konnten.
Ausgewertet wurden ca. 390.000 Datensätze aus 212 Kreditgenossenschaften.1 Die Entwick-
lung eines Modells zur Bestimmung von Ausfallwahrscheinlichkeiten anhand von Kennzah-
lenkombinationen gliedert sich dabei mit der Einzelanalyse aller Kennzahlen, der Modellspe-
zifikation und der Kalibrierung der Ausfallwahrscheinlichkeiten grob in drei Schritte. Dies
gilt sowohl für das BVR-II-Rating als auch für das Rating der Sparkassen-Finanzgruppe.
Zuerst werden anhand der Bilanzdatenbank über 100 Kennzahlen erfasst. Dabei ist darauf zu
achten, dass die Daten vorher standardisiert wurden, um diese für die Analyse, Modellierung
und Spezifikation vorzubereiten. Es werden nun mittels mathematisch-statistischer Verfahren
die Kennzahlen ermittelt, die eine hohe univariate Trennfähigkeit aufweisen. Die Trennfähig-
keit gibt Auskunft, ob die Ausprägung der jeweiligen Kennzahl signifikant größer oder klei-
ner bei solventen bzw. insolventen Unternehmen ist. Sehr vereinfachend ausgedrückt, ist es
das Ziel herauszufinden, welche Kombination von Kennzahlen besonders gut geeignet ist, die
Insolvenz bzw. Solvenz eines Unternehmens zu prognostizieren.2
Das abschließende Modell der Volks- und Raiffeisenbanken umfasst Kennzahlen zur Ertrags-
lage, Produktivität, Kapitalstruktur und Liquidität, der Vermögensstruktur und weitere dyna-
mische Kennzahlen. Aus dem Jahresabschluss werden im BVR-II-Rating „Mittelstand“ sie-
ben und im BVR-II-Rating „Oberer Mittelstand“ elf Kennzahlen gebildet, die in der Kombi-
nation die Ausfallwahrscheinlichkeit treffend ermitteln sollen.3 Die genaue Gewichtung der
einzelnen Kennzahlen oder deren Kombinationen wird von den Kreditinstituten nicht kom-
muniziert. Dies soll das Verfahren vor Manipulationen schützen und die Validität sicherstel-
len.
Mittelstand
Das Ratingverfahren „Mittelstand“ wird bei Firmenkunden angewendet, die einen Jahresum-
satz von mehr als 5 Millionen Euro haben. Die folgende Auflistung gibt eine Übersicht über
verwendete Kennzahlen im Ratingverfahren sowie Erläuterungen zu den möglichen Ausprä-
gungen. Insgesamt werden sieben Kennzahlen für die verschiedenen Bereiche ermittelt.4
1. Die Ertragslage bildet die Fähigkeit des Unternehmens ab, Gewinne zu erzielen und
damit die künftige Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Die Kennzahl gibt darüber Aus-
kunft, inwieweit das eingesetzte Kapital Renditen erwirtschaftet. Hierbei wird die Ge-
samtkapitalrentabilität um die gewöhnlichen Abschreibungen berichtigt. Je höher der
ausgewiesene Wert ausfällt, desto besser ist die Ertragslage des Unternehmens einzu-
schätzen. Bei einem Wert kleiner 0 weist das Unternehmen im operativen Geschäft einen
Verlust aus.
2. Bei der Überprüfung der Vermögenslage steht das Eigenkapital des Unternehmens im
Mittelpunkt. Dies dient dazu die Substanz eines Unternehmens zu überprüfen. Das bilan-
zielle Eigenkapital wird um die gesamten Rückstellungen erweitert, da diese dem Unter-
nehmen oftmals langfristig zur Verfügung stehen können. Hierbei gilt, dass je höher der
Wert ausfällt, desto besser wird die Substanz des Unternehmens bewertet. Sollte diese
Kennzahl einen Wert kleiner 0 annehmen, ist eine bilanzielle Überschuldung möglich.
3. Die Wertschöpfung als Kennzahl ermittelt den Quotienten der Gesamtleistung (Umsatz-
erlöse plus/minus Bestandsveränderungen) subtrahiert um die Vorleistungen zur Gesamt-
leistung. Ziel ist die Bewertung des durch die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens
entstandenen Mehrwertes. Auch hier gilt, dass ein höherer Wert auf eine bessere Unter-
nehmenssituation hinweist, da eine höhere Wertschöpfung vorliegt.
4. Die Liquiditätslage beschreibt die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens. In der oben
genannten Kennzahl enthält das monetäre Umlaufvermögen im Zähler zusätzlich zu den
liquiden Mitteln noch die Forderungen. Dem wird das kurzfristige Kapital gegenüberge-
stellt. Hier gilt, dass ein höherer Wert grundsätzlich besser zu bewerten ist, da die Zah-
lungsfähigkeit zunimmt.
5. Finanzlage. Da das Finanzergebnis bei den allermeisten Unternehmen negativ ausfällt,
weil die Zinsaufwendungen die Zins- bzw. Beteiligungserträge übersteigen, wird diese
Kennzahl besser bewertet, je geringer das negative Ergebnis ausfällt.
6. Die kurzfristige Verschuldung gibt Auskunft in welchem Zeitraum die kurzfristigen
Verbindlichkeiten theoretisch bedient werden könnten, unter der Prämisse, dass die Um-
satzerlöse ausschließlich zum Abbau der kurzfristigen Verbindlichkeiten verwendet wür-
den. Je kleiner der Quotient ausfällt, desto besser wird dies bewertet, da davon ausgegan-
gen wird, dass die kurzfristigen Verbindlichkeiten leichter bedient werden können.
7. Das Wachstum der Gesamtleistung eines Jahres ergibt sich aus dem Umsatz einer Peri-
ode, dem Saldo von Bestandsveränderungen und den aktivierten Eigenleistungen. Diese
Kennzahl misst die Entwicklung der Leistungen im Vergleich zum Vorjahr. Unter norma-
len Umständen gilt, dass je höher die Zahl ausfällt, desto besser ist die Bewertung. Bei
einem negativen Ergebnis schrumpfte die Gesamtleistung des aktuellen Jahres im Ver-
gleich zum Vorjahr.
Viele Firmenkunden haften aufgrund der gewählten Geschäftsform auch mit ihrem privaten
Vermögen. Aus diesem Grund werden zusätzlich zu den Kennzahlen, die das Unternehmen
an sich betreffen, Kennzahlen zu den privaten Finanzverhältnissen ermittelt. Folgende Berei-
che werden, beispielsweise im Falle einer GbR, in das Rating einbezogen:
Verschuldungsgrad: Private Verbindlichkeiten / Privatvermögen
Netto-Einkommenslage: (Einkommen – Ausgaben) / Privatvermögen
Liquiditätslage: Liquides Privatvermögen / Private Verbindlichkeiten
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 211
Oberer Mittelstand
vermögen bzw. der bereinigten Bilanzsumme. Je höher diese Kennzahl ist, desto höher ist
die Abhängigkeit von den Fixkosten, desto anlageintensiver die Unternehmung. Somit
wird ein Unternehmen besser eingeschätzt, je niedriger dieser Wert ist, weil sich hier-
durch geringere Fixkosten und eine höhere Flexibilität ableiten lassen.
6. Die Kennzahl 2 zur Vermögensstruktur misst die Fristenkongruenz, da sich das Rückzah-
lungsdatum bzw. Verfügungsdauer des Kapitals sich mit dem Rückflusszeitpunkt decken
sollte.
7. Das Kreditorenziel (Lieferantenziel) misst die Anzahl der Tage, welches das Unterneh-
men braucht, um seinen Material- und Warenverbindlichkeiten nachzukommen. Hierbei
werden die Warenverbindlichkeiten (Zähler) und der Materialaufwand (Nenner) gegen-
übergestellt und mit 360 multipliziert. Ein niedriger Wert weist auf eine gute Zahlungs-
moral und -fähigkeit hin. Zudem gilt es als günstig, wenn die Debitorenlaufzeit kürzer ist
als die Kreditorenlaufzeit.
8. Die Umschlaghäufigkeit des Eigenkapitals gibt an, wie oft sich das eingesetzte Eigenka-
pital innerhalb einer Periode umgeschlagen hat. Je höher dieser Wert ist, desto geringer ist
der Kapitalbedarf, was sich positiv auf die Rendite auswirkt. Aus diesem Grund ist ein
hoher Wert auch besser einzuschätzen.
9. Die Kennzahl zur Ertragslage umfasst das Verhältnis von Finanzergebnis und der Gesamt-
leistung des Unternehmens. Hieraus wird die Belastung für das Unternehmen durch die
Verschuldung erfasst.
10. Über die Einbeziehung von dynamischen Kennzahlen erfolgt ein Vergleich der wirtschaft-
lichen Entwicklung im Zeitablauf in Bezug auf die Entwicklung von Verschuldung und
Rendite. Die Kennzahl 1 der dynamischen Kennzahlen überprüft die Veränderung des
Fremdkapitals.
11. Bei der zweiten der dynamischen Kennzahlen wird der liquiditätsmäßige Überschuss in
Relation zur Umsatzleistung gesetzt.
Der zentrale Punkt des Sparkassengesetzes ist der öffentliche Auftrag der Sparkassen, die
flächendeckende Versorgung der Bevölkerung und insbesondere des gewerblichen Mit-
telstands mit Finanzdienstleistungen sicherzustellen. Darum verwundert es nicht, dass die
Sparkassen zusammen mit den Volks- und Raiffeisenbanken die Spitzenpositionen in der
Finanzierung von Handwerkern, kleineren Betrieben und dem gewerblichen Mittelstand
einnehmen. Ein Blick in die Statistischen Beihefte zum Monatsbericht der Deutschen Bun-
desbank mit der Bankenstatistik bestätigt dies. Der Marktanteil der Sparkassen und Landes-
banken am Kreditbestand an Unternehmen und Selbstständigen lag Ende September 2004 mit
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 213
900 Milliarden Euro bei 42,7 Prozent. Bei Krediten an Handwerksunternehmen halten die
Sparkassen und Landesbanken sogar einen Anteil von knapp 67 Prozent. Hieraus ist klar
ersichtlich, dass die Sparkassen und Landesbanken derzeit eine weitaus wichtigere Rolle im
Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen einnehmen als die Großbanken. Deren Anteil
am Kreditbestand für Unternehmen und Selbstständige liegt gerade noch bei 14,6 Prozent
und im Handwerksbereich bei lediglich 6,6 Prozent.
Das neue Ratingverfahren der Sparkassen-Finanzgruppe wird also bei einer Vielzahl der
deutschen Unternehmen Anwendung finden. Es fußt auf vier Säulen.
1. Das Finanzrating als erste Stufe basiert auf dem Jahresabschluss mit der Bilanz, Gewinn-
und Verlustrechnung, dem Anhang sowie dem Lagebericht. Alternativ wird bei freiberuf-
lich Tätigen die Einnahme-Überschuss-Rechnung nach den Vorschriften des Steuerrechts
in die Prüfung miteinbezogen.
2. Beim qualitativen Rating als zweiter Stufe werden die Eigenschaften und Management-
qualitäten der Unternehmensführung bewertet. Weitere Faktoren, die in den Bewertungs-
prozess einfließen, sind Informationen über die Kontoführung, mögliche Nachfolgeprob-
leme und andere Faktoren, die nicht aus der Bilanz erkenntlich sind und den Unterneh-
menserfolg beeinflussen.
3. Die dritte Stufe des Ratingverfahrens überprüft, ob es Warnsignale gibt. Typische Warn-
signale wären beispielsweise die Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbe-
schlusses, nicht bezahlte Darlehensraten oder Scheckrückgaben mangels Kontodeckung.
Solche Warnsignale sind meist Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Unterneh-
menskrise. Sind bei einem Kunden eines oder mehrere dieser Warnsignale zu beobachten,
wird das bereits ermittelte Ratingergebnis abgestuft.
4. Die letzte Stufe berücksichtigt, in welchem Verhältnis sich das Unternehmen zu anderen
Gesellschaften befindet. Ist das Unternehmen Teil eines Unternehmensverbundes, wird
die Verflechtung und die Stellung überprüft. Dabei kann sich dies positiv auswirken,
wenn der Kunde eine starke Muttergesellschaft hinter sich stehen hat, aber auch negativ
ausgelegt werden, falls die Muttergesellschaft beispielsweise selbst eine schwache Ra-
tingnote aufweist.
Wie beim BVR-II-Rating werden die einzelnen Unternehmen in verschiedene Segmente
eingeteilt. Zumeist wird der Jahresumsatz als Kriterium für die Zugehörigkeit der Unterneh-
men zu den einzelnen Segmenten herangezogen. Entsprechend der Einteilung der Segmente
werden unterschiedliche Anforderungen an die einzureichenden Unterlagen, die Datenerhe-
bung und die Auswahl der verschiedenen Bewertungskriterien und deren Gewichtung erho-
ben.
In das Segment der Geschäftskunden fallen die Unternehmen, die einen Jahresumsatz
über 250.000 Euro generieren.
Zum Segment der Gewerbekunden zählen die Unternehmen mit einem Umsatz über 2,5
Millionen Euro.
214 Frank Sicking
In die Segmente kleine bzw. mittlere Firmenkunden fallen die Unternehmen mit einem
Jahresumsatz von über 5 Millionen Euro bzw. über 20 Millionen Euro.
Weitere Einteilungen werden für große Firmenkunden, Existenzgründer, Freiberufler und
„Kleinstkredite“ vorgenommen.
Auch im Ratingverfahren der Sparkassen-Finanzgruppe ist die Analyse der Jahresabschlüsse
bzw. Einnahmen- Überschussrechnungen der wichtigste Bereich. Je größer das Unternehmen
ist, desto stärker wird das Finanzrating gewichtet. Liegt dessen Anteil bei Freiberuflern noch
bei 45 Prozent, beträgt die Gewichtung bei Gewerbekunden ca. 50 Prozent und bei Firmen-
kunden ca. 60 Prozent.
Nach Angaben der Sparkasse Leipzig wurden für die Entwicklung des Finanzratings 300.000
Jahresabschlüsse der Jahre 1988 bis 1999 von etwa 100.000 Unternehmen aus 39 Instituten
aller Regionen ausgewertet. Durch diese große Datenbasis konnten für die einzelnen Seg-
mente die trennschärfsten Kennzahlen herausgefiltert werden, um den unterschiedlichen
Unternehmensgrößen gerecht zu werden. Beispielsweise wurden im Segment der Firmen-
kunden die Validität des Finanzratings anhand von 2000 guten Kreditnehmern und mehr als
1400 schlechten Kreditnehmern überprüft, die sich ein bis vier Jahre vor dem Ausfall vertei-
len. Im Segment der Gewerbekunden wurde das System anhand von 1500 guten und fast
2000 schlechten Jahresabschlüssen überprüft. Insgesamt wurden über 100 Kennzahlen auf
ihre Trennschärfe hin untersucht. Die exakten Gewichtungen sowohl der qualitativen Fakto-
ren als auch der einzelnen Kennzahlen für die einzelnen Segmente werden von der Sparkas-
senorganisation geheim gehalten und selbst den Firmenkundenbetreuern nicht zugänglich
gemacht.
Die folgenden Kennzahlen können in das Finanzrating je nach Einordnung in die verschiede-
nen Segmente mehr oder weniger stark einfließen.
Die Kennzahlen zur Finanzlage sollen in erster Linie ermitteln, ob die Kapitaldienstfähigkeit
aus den Erträgen, die das Unternehmen erwirtschaftet, gegeben ist:
Cashflow / Kurzfristiges Fremdkapital
Diese Kennzahl zeigt auf, in welchem Maße der erwirtschaftete Cashflow das Unternehmen
befähigt das kurzfristige Fremdkapital zu tilgen:
Betriebsergebnis / Kurzfristige Fremdkapital
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 215
Diese Kennzahl zeigt auf, in welchem Maße das Betriebsergebnis das Unternehmen befähigt
das kurzfristige Fremdkapital zu tilgen:
(Betriebsergebnis + Sachabschreibungen) / (Fremdkapital – Flüssige Mittel)
Ähnlich wie die vorgenannte Kennzahl wird hier das Betriebsergebnis dem Kapital gegen-
übergestellt, nur dass im Zähler zusätzlich die Sachabschreibungen einbezogen und durch das
gesamte Fremdkapital abzüglich der flüssigen Mittel dividiert werden.
Die Ertragslage bildet die Fähigkeit des Unternehmens ab, Gewinne zu erzielen und damit
die künftige Leistungsfähigkeit sicherzustellen.
Die Kennzahl 1 zur Ertragslage, das Kreditorenziel (Lieferantenziel) misst die Anzahl der
Tage, die das Unternehmen braucht, um seinen Material- und Warenverbindlichkeiten nach-
zukommen. Hierbei werden die Warenverbindlichkeiten (Zähler) und der Materialaufwand
(Nenner) gegenübergestellt und mit 360 multipliziert. Ein niedriger Wert weist auf eine gute
Zahlungsmoral und -fähigkeit hin. Zudem gilt es als günstig, wenn die Debitorenlaufzeit
kürzer ist als die Kreditorenlaufzeit.
Betriebsergebnis / Bilanzsumme
Die Kennzahl 2 zur Ertragslage zeigt die Verzinsung des Gesamtkapitals und damit die Profi-
tabilität unabhängig von der gewählten Kapitalstruktur. Das Betriebsergebnis entspricht hier-
bei dem EBIT. So wurde auf dem eingesetzten Eigenkapital der Jahresgewinn und auf dem
Fremdkapital der Zinsaufwand verdient. Je höher der errechnete Wert ausfällt, desto besser ist
das Unternehmen einzuschätzen:
Rohertrag / Gesamtleistung
Der Rohertrag ergibt sich aus der Subtraktion der Herstellkosten der verkauften Leistungen
von der Gesamtleistung. Durch das Setzen des Rohertrages in das Verhältnis zur Gesamtleis-
tung, ermittelt man die Rohgewinnspanne. Je höher der Wert ausfällt, desto besser ist das
Unternehmen zu bewerten:
Zinsaufwand / Gesamtleistung
Die Zinsaufwandsquote soll die Zinsbelastung gegenüber der Gesamtleistung veranschauli-
chen. Hohe Zinsaufwandsquoten sind schlecht zu bewerten, da Zinsaufwendungen zu den
Fixkosten zählen und ein hoher Fixkostenblock gerade in Krisenzeiten problematisch ist:
Mietaufwand / Gesamtleistung
Wie bei der Zinsaufwandsquote ist eine hohe Mietaufwandsquote negativ zu bewerten.
216 Frank Sicking
Eine zentrale Größe bei der Ermittlung der Vermögenslage stellt das wirtschaftliche Eigenka-
pital dar. Zur Errechnung des wirtschaftlichen Eigenkapitals werden zusätzlich zu dem haf-
tenden Eigenkapital die Posten mit eigenkapitalähnlichem Charakter erfasst, zum Beispiel
Einlagen stiller Gesellschafter, Pensionsrückstellungen oder Darlehen nicht persönlich haf-
tender Gesellschafter. Die Eigenkapitalquote ermittelt den Anteil des wirtschaftlichen Eigen-
kapitals an der Bilanzsumme und zeigt den Grad der finanziellen Abhängigkeit des Unter-
nehmens an. Je größer das Eigenkapital im Verhältnis zum Fremdkapital ist, desto solider und
krisenfester ist die Finanzierung. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Eigenkapitalquote posi-
tiv zu beeinflussen, beispielsweise durch den Abbau von Vorräten und Forderungen, den
Verkauf von Finanzanlagevermögen oder die Veräußerung nicht betriebsnotwendiger Vermö-
gensgegenstände des Sachanlagevermögens etc.
Flüssige Mittel / Bilanzsumme
Die flüssigen Mittel, die sich aus Kassenbeständen, Bankguthaben sowie sofort liquidierba-
ren Vermögensbeständen wie Wertpapieren zusammensetzen, werden ins Verhältnis zur Bi-
lanzsumme gesetzt. Ein hoher Wert ist für ein Unternehmen vorteilhaft, da dieser auf genü-
gend freie Mittel zur Begleichung von Verbindlichkeiten hindeutet und die Flexibilität erhöht.
Vorräte / Gesamtleistung
Die Lagerkennzahl trifft eine Aussage über die Vorratshaltung und deren Auswirkungen auf
die Liquidität.
Eine weitere Kennzahl betrifft die Lagerdauer. Diese wird durch die Division der Vorräte
durch den Materialaufwand errechnet.
Die weiteren Kennzahlen setzen Verbindlichkeiten zur Gesamtleistung und Fremdleistungen
abzüglich der erhaltenen Anzahlungen zueinander ins Verhältnis.
Die Teilergebnisse aus dem Finanzrating, dem qualitativen Rating und den anderen das Ra-
tingergebnis beeinflussenden Faktoren werden zu einem Gesamturteil verdichtet. Im Falle
des DSGV-Ratings werden die Ratingurteile in insgesamt 18 Klassen eingruppiert. Das Ra-
ting der Volks- und Raiffeisenbanken weist sogar 24 Klassen auf. Jede Klasse ist auf eine
bestimmte Ausfallwahrscheinlichkeit (PD = Probability of Default) kalibriert. Beispielsweise
entspricht die Einstufung mit 3 beim Sparkassenrating einem Sehr gut. In diesem Fall würden
nur 0,17 Prozent aller Unternehmen, die diese Einstufung erhalten haben, ihre Verpflichtun-
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 217
gen gegenüber dem Kreditinstitut innerhalb eines Jahres nicht erfüllen können. Ein Großteil
der Unternehmen weist aktuell eine Ratingeinstufung der Klassen III und IV anhand der IFD-
Skala (Initiative Finanzstandort Deutschland) aus. Diese Skala bildet die unterschiedlichen
Ratingsysteme auf einem einheitlichen Raster ab.
4.4 Fazit
Bei der Entwicklung des Finanzratings als Teil des Ratingverfahrens konnten sowohl die
Volks- und Raiffeisenbanken als auch die Sparkassen-Finanzgruppe auf eine große Datenba-
sis zugreifen. Dies erhöht die Qualität und Validität der entwickelten Ratingverfahren signifi-
kant. Beide Institutsgruppen unterteilen die Kunden in verschiedene Segmente und wenden
darauf abgestimmte Ratingverfahren an, die eine bestmögliche Bonitätsfeststellung der Un-
ternehmen gewährleisten sollen. Die letztendliche Gewichtung und Zusammensetzung der
aus den Jahresabschlüssen ermittelten Finanzkennzahlen werden sowohl bei den Sparkassen
als auch bei den Volks- und Raiffeisenbanken geheim gehalten und sogar intern nur äußerst
sparsam kommuniziert. Ein Ratingurteil durch eine der beiden Institutsgruppen kann ein
Unternehmen aus diesem Grunde nicht abschließend nachvollziehen, da die Verfahren einer
Blackbox gleichen. Sowohl beim BVR-II-Rating als auch beim Rating der Sparkassen-
Finanzgruppe ist das Finanzrating der Teil des Ratings, der mit der höchsten Gewichtung in
das Ergebnis einfließt. Die Spannbreite reicht bei dem Finanzrating der Volks- und Raiffei-
senbanken von 45 Prozent (wenn gleichzeitig die privaten Vermögensverhältnisse mit 15
Prozent in das Ratingergebnis einfließen, ansonsten 60 Prozent) bis zu 70 Prozent für den
Bereich des Oberen Mittelstands.
218 Frank Sicking
Der Markt für Credit Ratings wird derzeit von zwei Unternehmen beherrscht. Die in den
Vereinigten Staaten ansässigen Agenturen Standard & Poor’s und Moody’s sind die unbestrit-
tenen Marktführer. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass zahlreiche Unternehmen beide
Agenturen beauftragen ein Rating zu erstellen. In den USA ist Entsprechendes in bestimmten
Fällen sogar gesetzlich vorgeschrieben.6 Neben den zwei Größten ihrer Branche ist noch
Fitch IBCA als global tätige Ratinggesellschaft mit hoher Reputation zu nennen. Dieses Un-
ternehmen befasst sich vornehmlich mit dem Erstellen von Ratings von Banken und Versi-
cherungen.7
Darüber hinaus existieren Ratingagenturen, die sich in Nischen des Marktes platziert haben.
In Deutschland entstanden in den letzten Jahren nach amerikanischem Vorbild eine Reihe
kleinerer Ratingagenturen, die sich fast ausnahmslos auf das Segment des Ratings von mittel-
ständischen Unternehmen konzentrieren. Dadurch vermeiden sie den direkten Wettbewerb zu
den Marktführern, die in den letzten Jahrzehnten stets an Bedeutung gewonnene Konkurren-
ten aufgekauft haben, um die Bedrohung durch diese national tätigen Unternehmen zu elimi-
nieren.8 Der Vorteil einer kleineren Ratingagentur im Bereich des Mittelstandsratings liegt
vor allem in der Kosten-Nutzen-Relation. Trotz der neu gegründeten, auf lokalen Märkten
auftretenden Ratingagenturen herrscht jenseits des Bereichs des Mittelstandsratings weiterhin
ein Angebotsduopol oder -oligopol durch Standard & Poor’s und Moody’s vor, weil diese
Agenturen als Einzige von den jeweiligen Aufsichtsbehörden der verschiedenen Länder aner-
kannt werden.
Im Gegensatz zum deutschen Mittelstand werden deutsche Konzerne schon lange einem
Rating unterzogen. Dabei hat das Rating in Deutschland einen rasanten Aufschwung erfah-
ren, da durch den benötigten Zugang zu den Kapitalmärkten ein Rating für die jeweiligen
Emissionen und Emittenten ein unverzichtbares Instrument zur Kapitalbeschaffung ist.
Doch auch für den deutschen Mittelstand ist das Rating nicht nur durch Basel II zu einem
großen Thema geworden. Einerseits sehen sich die Unternehmen mit dem internen Rating der
Banken konfrontiert. Andererseits setzt der – mittlerweile auch für den Mittelstand attraktive
– Kapitalmarkt oftmals ein Rating voraus. Diese Ratings können allerdings nur von externen
Ratingagenturen erstellt werden.
Die Vorteile der externen Ratingagenturen gegenüber dem bankinternen Rating sind durch
eine intensivere Betreuung und den vertiefenden Einblick in das Unternehmen gekennzeich-
net. Der Sachbearbeiter einer Bank hat oftmals mehr als 100 Unternehmen zu betreuen und
ist schon zeitlich kaum in der Lage, sich intensiv mit einem zu ratenden Unternehmen ausei-
nanderzusetzen. Hier können externe Agenturen gegenüber dem internen Rating deutlich
punkten, da das Unternehmen in seiner Gesamtheit erfasst wird. Durch Gespräche mit der
Unternehmensführung, Befragung der Mitarbeiter und ausführliche Betriebsbesichtigung
werden detaillierte Informationen gesammelt, um zu einer exakten Bewertung des Unterneh-
mens zu kommen.
Das externe wie das interne Rating zielen auf die Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit
ab. Informationen zum internen Rating werden den bewerteten Unternehmen allerdings nur
sehr beschränkt zugänglich gemacht. Die exakte Gewichtung der einzelnen Teilbereiche im
Ratingverfahren ist selbst den Bankmitarbeitern meist unbekannt. Dies soll dazu beitragen,
Manipulationen im Vorfeld zu vermeiden. An dieser Stelle kann ein externes Rating hilfreich
sein.
Zusätzlich zu einer objektiven, weil neutralen Bewertung erfüllt ein externes Rating andere
Zwecke, die ein internes Rating nicht leisten kann. Der große Vorteil ist die Publikationsfä-
higkeit der eigenen Bewertung. Unternehmen, die mit einer guten Bewertung aufwarten
können, sind so in der Lage, ihre gute Bonität nach außen hin zu signalisieren. Auch bei den
externen Verfahren der Ratingagenturen kann man zwischen dem Finanzrating und der Be-
wertung der qualitativen Faktoren als Teilbereichen des Ratingverfahrens unterscheiden. Wie
bei den Banken ist auch hier bei den eingesetzten Verfahren auf eine hohe Prognosegüte und
Validität zu achten. Dies erreicht man mit dem Einsatz von mathematisch-statistischen Ver-
fahren, die mithilfe eines großen Datenpools entwickelt wurden. Das Finanzrating ist nur ein
Teil des gesamten Ratingverfahrens einer externen Agentur und fließt in der Regel nicht so
stark in das Ratingergebnis mit ein, wie es bei den internen Ratingverfahren der Fall ist. Die
qualitativen Faktoren haben eine höhere Bedeutung und beeinflussen die Ratingnote damit
nachhaltig. Allerdings bieten verschiedene Agenturen auch reine Finanzratings an.
Die folgenden Punkte in Bezug auf die Außenwirkung treffen bei einem reinen Finanzrating
in Teilen genauso zu wie bei einem Vollrating. Aus diesem Grund bezieht sich der folgende
Abschnitt auf den Nutzen eines externen Vollratings.
Mitarbeiter: Arbeitnehmer von Konzernen gelangen relativ leicht an Informationen über
die Bonität ihres Arbeitgebers. Aktuelle Ratingbeurteilungen von Moody’s oder Standard
220 Frank Sicking
& Poor’s geben ihnen eine schnelle Übersicht zur Bestandssicherheit ihres Unternehmens.
Mitarbeiter eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens haben bisweilen kaum
Einsicht in die aktuelle Situation ihres Arbeitgebers. Indikatoren wie beispielsweise die
Auftragslage, Einführung von Kurzarbeit oder Erweiterungsinvestitionen lassen auf eine
Tendenz schließen, sind für den Arbeitnehmer aber kaum aussagekräftig. Zwar konnte
2005 wieder eine rückläufige Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen beobachtet wer-
den. Trotzdem herrscht in den Betrieben noch eine große Unsicherheit bezüglich der eige-
nen Position vor. Der Krankenstand fiel, auch aus Sorge um den eigenen Arbeitsplatz, auf
einen historischen Tiefstand von 3,3 Prozent. Ob dies für das Unternehmen aufgrund der
geringeren Fehlstunden sich rentiert oder der Schaden durch krank zur Arbeit erscheinen-
de Mitarbeiter größer ist, soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Das externe Ra-
ting kann somit für die Geschäftsführer oder Inhaber von kleineren und mittelständischen
Unternehmen ein Instrument sein, ihren Mitarbeitern zu signalisieren, dass sie, nicht zu-
letzt wegen ihrer guten Arbeit, in einem soliden Unternehmen tätig sind. Vorteile für Un-
ternehmen durch den Ausweis ihrer Zukunftsstabilität in Form einer einzigen Note lassen
sich auch bei der Mitarbeitergewinnung erzielen. Der Erfolg eines Unternehmens ist nicht
zuletzt auf die Qualität und Motivation der Mitarbeiter zurückzuführen. Im Wettbewerb
um hoch qualifizierte Mitarbeiter ist das Unternehmen im Vorteil, das dem potenziellen
Arbeitnehmer die günstigeren Zukunftsaussichten bieten kann. Der Kandidat kann für sich
entscheiden, ob er dem Unternehmen den Vorzug gibt, welches seine Bonität nachweist
und sich damit als erfolgreiches und stabiles Unternehmen präsentiert, oder ob er diesen
Informationen wenig Beachtung schenkt und ein Unternehmen präferiert, das sich keinem
externen Rating unterzogen hat oder dieses nicht ausweist.
Öffentlichkeitsarbeit: Das externe Rating kann als Kommunikationsinstrument dienen
und somit als Teil des Public Relations eine günstige öffentliche Meinung schaffen. Ohne
sich der interessierten Öffentlichkeit weit öffnen zu müssen, kann das jeweilige Unter-
nehmen seine wirtschaftliche Stabilität nachweisen und ein Bild eines erfolgreichen Un-
ternehmens vermitteln. Insgesamt kann ein positives Rating im Rahmen der werblichen
Nutzung zur generellen Verbesserung des Unternehmensimages führen.
Lieferanten: Die Forderungsausfälle bei kleinen und mittelständischen Unternehmen
hatten 2004 weiter zugenommen. Dies ergab eine Umfrage des Michaelis-Bundes bei ca.
550 deutschen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 100.000 Euro bis 2 Millionen
Euro. Die befragten Unternehmen gaben an, dass der Forderungsausfall im Durchschnitt
bei 4,71 Prozent der Umsätze lag, wobei das Handwerk und die kleineren Unternehmen
auffallend hoch betroffen waren. Dabei könnten zahlreiche Forderungsverluste bereits im
Vorfeld durch die Einholung von Wirtschaftsauskünften über potenzielle Vertragspartner
vermieden werden. Die Einholung solcher Auskünfte ist im Vergleich zu eintretenden For-
derungsausfällen relativ preiswert und heutzutage per Internet in Sekundenschnelle bei
Auskunfteien und Inkassounternehmen möglich. Trotzdem sind auch diese Auskunfteien
nicht vor Fehlinformation geschützt, wie ein Test der Zeitschrift „Capital“ aus dem Jahr
2000 offenbarte. Bei einem Unternehmen, das sich einem externen Rating unterzogen und
dieses veröffentlicht hat, entfallen die Schritte zur Sammlung von Informationen für den
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 221
Lieferanten. Bei einer guten Ratingnote kann dieser davon ausgehen, dass das Unterneh-
men die wirtschaftliche Fähigkeit hat, die fälligen Forderungen zu begleichen. Unter die-
sen Voraussetzungen ergeben sich für das geratete Unternehmen Möglichkeiten, positiv
auf die Lieferantenkonditionen einzuwirken, da sich dessen Verhandlungsposition weiter
verbessert hat.
Kunden: 2004 meldeten 39.213 Unternehmen (einschließlich Kleingewerbe) Insolvenz
an. Allein in Westdeutschland ist von 1999 bis 2004 ein Anstieg der Insolvenzen von über
30 Prozent zu verzeichnen. 2005 konnte erstmals wieder eine rückläufige Entwicklung be-
obachtet werden. Die Einstellung des Geschäftsbetriebes hat für verschiedene Kunden-
gruppen, seien es Privat- oder Geschäftskunden, ernste Konsequenzen. Vor allem im Be-
reich der Investitionsgüter muss sich der Kunde darauf verlassen können, dass ein Unter-
nehmen innerhalb des Gebrauchszeitraums als Partner zur Verfügung steht, um eventuelle
Reparaturarbeiten oder Unterstützung leisten zu können. Als Beispiel ist hier das Bau-
hauptgewerbe zu nennen, das im Vergleich zu anderen Branchen eine überdurchschnittlich
hohe Insolvenzquote von 4,41 Prozent aufweist. In diesem Bereich werden oftmals extrem
lange Gewährleistungszeiträume eingeräumt. Existiert keine Gewährleistungsbürgschaft,
bei der der Bürge (im Regelfall eine Bank oder eine Versicherungsgesellschaft) finanziell
für diejenigen Verpflichtungen eintritt, die der Bauunternehmer wegen seiner Insolvenz
nicht mehr erfüllen kann, und hat der Bauherr auch keine andere Sicherheitsleistung ver-
einbart, muss er für den Fall der Insolvenz des Bauunternehmers während des Gewährleis-
tungszeitraumes die auftretenden Mängel auf eigene Kosten beseitigen. Eine Gewährleis-
tungsbürgschaft wird allerdings von den Banken oder Versicherungsgesellschaften bei ei-
ner nicht ausreichenden Bonität abgelehnt. Für Kunden ist es also von großer Bedeutung,
die Bonität und somit die zukünftige Leistungsfähigkeit des auftragnehmenden Unterneh-
mens zu kennen, um das Risiko einer zukünftigen Leistungsstörung zu minimieren. Das
externe Rating kann somit zum Kundenbindungsinstrument werden, da es den potenziel-
len Kunden die Solvenz des eigenen Unternehmens in einfacher Form vermittelt. Der
Kunde muss dann prüfen, ob er den Auftrag dem Unternehmen mit einem guten Rating er-
teilt oder ob er das, möglicherweise günstigere, Unternehmen ohne oder mit nicht veröf-
fentlichter Ratingbewertung beauftragt. Gerade bei langfristigen Verträgen und größeren
Volumina möchten die Kunden sichergehen, dass das Unternehmen auch in einem Jahr
noch existiert. Eine ISO-Zertifizierung, mit der ein Unternehmen seit Jahren schon die
Qualität nachweist, bietet in diesem Fall keinen Anhaltspunkt. Das Rating hingegen kann
eine stabile Unternehmenslage dokumentieren.
Partner: Ein veröffentlichtes Rating ist für alle Ratingadressaten, insbesondere auch für
Kooperationspartner, ein das Vertrauen stärkendes Signal. Allein die Tatsache, dass sich
ein Unternehmen bereit erklärt, sich beurteilen zu lassen, wird als Indiz seiner Stärke ge-
wertet. Somit kann das externe Rating speziell für den Mittelstand als wichtiges Instru-
ment zur Pflege von Geschäftsbeziehungen genutzt werden, da keine Interna, beispiels-
weise die Unternehmensstrategie, wettbewerbsrelevante Betriebsgeheimnisse oder interne
Daten, veröffentlicht werden müssen. Das Unternehmen kann allein die Tatsache, dass es
bewertet wurde und unter Umständen das Ergebnis des Ratings bekannt geben.
222 Frank Sicking
Kapitalmarkt: Die Finanzierung über den Kapitalmarkt steckt in Deutschland für kleine
und mittlere Unternehmen noch in den Kinderschuhen. Zurzeit erfolgt die Finanzierung
von Unternehmensinvestitionen in diesem Segment vor allem über Bankkredite und selte-
ner über den Kapitalmarkt. Anders sieht dies beispielsweise in Nordamerika aus, wo sich
die Unternehmensfinanzierung viel stärker auf Eigenkapital stützt. Der deutsche Mit-
telstand konnte in der Vergangenheit hingegen auf vergleichsweise günstige Bankkredite
mit langen Laufzeiten zu Festzinskondition zugreifen. Zusätzlich ist bei der Bankfinanzie-
rung der Beschaffungsaufwand relativ gering, da unter anderem weder Publizitätspflichten
noch Mitentscheidungsrechte Dritter zu beachten sind. Vor allem im Bereich der alternati-
ven Kapitalmarktinstrumente ist der Rückstand Deutschlands gegenüber den angelsächsi-
schen Ländern und bedeutenden europäischen Ländern sehr auffällig. So sind der Private-
Equity-Markt und vor allem der ABS-Markt in Deutschland noch unterentwickelt. Trotz-
dem ist auch hierzulande ein Trend zur stärkeren Marktorientierung des Finanzsystems zu
erkennen. Das lässt auf ein großes Wachstumspotenzial der Unternehmensfinanzierung
über den Kapitalmarkt schließen. Die Unternehmen selber wünschen sich mittlerweile,
nicht zuletzt aufgrund von Basel II, Alternativen zu der klassischen Kreditbeziehung zu ih-
ren Hausbanken. Unter anderem Mezzaninekapital gewinnt bei der Finanzierung von klei-
nen und mittleren Unternehmen rasch an Bedeutung. So existieren mittlerweile spezielle
Mittelstandsfonds, die auch für Kleinst- und Kleinunternehmen Eigenkapital in Form von
stillen Beteiligungen zur Verfügung stellen. Diese Art der Finanzierung ist für den Unter-
nehmer vorteilhaft, da er wirtschaftliches Eigenkapital aufnehmen kann, ohne dass er Teil-
haberschaften abgeben muss und die unternehmerische Freiheit verliert. Da allerdings das
Risiko des Mezzaninekapitalgebers meist höher ist als bei einer reinen Kreditfinanzierung,
sind auch die Kosten für die Bereitstellung des Kapitals meist höher. Um dieses Risiko zu
minimieren, wird oftmals von den Kapitalgebern eine Due-Diligence-Prüfung oder ein Ra-
ting verlangt, bevor eine Finanzierungszusage gegeben wird.
Mitbewerber: Ein externes Rating kann dienlich sein, den aktuellen Leistungsstand eines
Unternehmens im Vergleich zu ebenfalls gerateten Mitbewerbern zu bestimmen. Zusätz-
lich ist eine Standortbestimmung gegenüber der Branche möglich.
Banken: Durch ein positives externes Rating erhöht ein Unternehmen seine Flexibilität.
Es erleichtert ihm, Mittel am Kapitalmarkt aufzunehmen oder Kredite von mehreren Ban-
ken zu erhalten. Die im Ratingbericht enthaltenden Informationen können für den
Firmenkundenberater zu einem besseren Verständnis des zu bewertenden Unternehmens
führen und ihm weitreichende Einsichten in das Unternehmen geben. Damit dient das
externe Rating als „second opinion“ und wirkt unterstützend. Da die internen Ratings
meist ausschließlich für interne Zwecke von dem Kreditinstitut erstellt werden, können sie
die Aufwendungen für die Kreditnehmeranalysen den Zinserträgen aus den Krediten
gegenüberstellen. Für das geratete Unternehmen ergibt sich durch eine externe Bewertung
eine Vergleichsmöglichkeit zum internen Rating. Bei möglichen Unterschieden in der Ra-
tingnote hat der Unternehmer eine verbesserte Verhandlungsposition, da der Berater die
Unterschiede der internen Bewertung zum externen Rating aufzeigen sollte. Der Unter-
Nutzen und Funktionen des Finanzratings 223
nehmer minimiert dadurch sein Informationsdefizit gegenüber der Bank und verhandelt
auf gleicher Augenhöhe.
Der Unternehmer kann mithilfe des externen Ratings seine Zukunftsfähigkeit und damit auch
seine Zuverlässigkeit anhand einer einzelnen Note den interessierten Parteien aufzeigen.
Zusätzlich erhält er den Status quo seines Unternehmens. Bei einem ausführlichen Ratingbe-
richt erhält der Unternehmer zusätzlich Informationen über gute und schwächer bewertete
Bereiche und kann dementsprechend Maßnahmen ergreifen.
Literatur
Jan Lischek
1. Rating im Bankenaufsichtsrecht
1.1 Aufsichtsrechtliche Reformen
1.2 Ratings und Kreditrisikomessung
1.3 Folgen für Kreditnehmer
2. Offenlegungspflichten
2.1 § 18 KWG
2.2 Vertragliche Offenlegungspflichten
3. Risikoadjustierte Vertragsgestaltung
3.1 Auswirkungen von Ratings auf Kreditverträge
3.2 Modelle risikoadjustierter Vertragsgestaltung
3.3 Risikoadjustierte Zinsänderungsklauseln in AGB
4. Haftungsfragen
4.1 Vorbemerkungen
4.2 Haftung für fehlerhaftes Ratingverfahren oder -ergebnis gegenüber dem Beurteilten
4.3 Haftung für fehlerhaftes Ratingverfahren oder -ergebnis gegenüber Dritten
4.4 Haftung für fehlerhaften Umgang mit Ratings
Literatur
1. Rating im Bankenaufsichtsrecht
Die Kreditwirtschaft bereitet sich gegenwärtig auf die durch die vom Baseler Ausschuss für
Bankenaufsicht am 26. Juni 2004 beschlossene Reform der Baseler Eigenkapitalvorschriften
(Basel II) bevorstehenden Veränderungen im Aufsichtsrecht vor. Die Umsetzung in nationales
Recht schreitet voran. Am 29. September 2005 hat das Europäische Parlament die Richtlinien
verabschiedet, mit denen das Basel II-Abkommen umgesetzt werden soll. Das Bundeskabi-
nett hat am 15. Februar 2006 den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung dieser Richtlinien,
der Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie, beschlossen. Dadurch wird insbesondere das
Kreditwesengesetz (KWG) geändert. Details werden Rechtsverordnungen regeln. Zudem
setzen die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) Teile von Basel II um.
Es handelt sich bei den Reformen um die bedeutendste Änderung des Bankenaufsichtsrechts
seit Ende der 1980er Jahre. Basel II ist nicht nur für Kreditinstitute von erheblicher Relevanz.
Die Reform wird das Verhältnis zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern nachhaltig ver-
ändern. Insbesondere sämtliche durch Bankkredite finanzierende Unternehmen werden er-
hebliche Auswirkungen spüren. Ratings werden mit umfassenden Konsequenzen für die
Koordinaten unternehmerischer Tätigkeit zum Dreh- und Angelpunkt im Kreditverhältnis.
Um die Stabilität des Finanzsystems zu erhalten, sieht schon das geltende Aufsichtsrecht vor,
dass Banken für ihre vergebenen Kredite Eigenkapital je nach Kreditnehmergruppe in einer
bestimmten Höhe pauschal vorzuhalten haben. Damit soll insbesondere das Kreditvergabevo-
lumen einer Bank begrenzt und für Kreditausfälle vorgesorgt werden. Basel II entwickelt die
aktuellen Regeln weiter. Knapp zusammengefasst sieht die aktuelle Reform insbesondere vor,
dass sich die notwendige Eigenkapitalunterlegung künftig am konkreten Ausfallrisiko orien-
tieren wird. Dieses kann entweder durch eine standardisierte Messung oder auf der Grundlage
bankinterner Ratings ermittelt werden. Zudem soll neueren Entwicklungen an den Finanz-
märkten und im Risikomanagement der Kreditinstitute Rechnung getragen werden.
1.2.1 Grundlagen
Ratings dienen der Klassifizierung des Kreditrisikos. Der Begriff Rating kann zweierlei be-
deuten: Zum einen bezeichnet er den Prozess einer Bewertung, zum anderen das Ergebnis
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 227
eines Bewertungsprozesses. Letzteres ist – allgemein ausgedrückt – die durch Symbole einer
festgelegten Skala oder durch die Verknüpfung dieser Symbole ausgedrückte Meinung über
die künftige rechtliche Verpflichtung, wirtschaftliche Fähigkeit und Bereitschaft eines
Schuldners, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen termingerecht und vollständig erfüllen zu
können. Ratings sollen die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kreditnehmers oder Kreditenga-
gements zu einem bestimmten Zeitpunkt ermitteln.
Ratings sind keine Erfindung des Bankaufsichtsrechts. Ratings und Ratingverfahren sind
bereits seit geraumer Zeithilfen für Investoren und Kreditgeber, um Risiken zu quantifizieren
und zu klassifizieren. Neu ist, dass sich das kommende Aufsichtsrecht der Funktion von
Ratings zur Messung des Kreditrisikos bei der Bestimmung der Mindestkapitalanforderungen
bedient. Es versteht sich von selbst, dass die Bankaufsicht gewisse Mindestanforderungen an
Ratings und deren Verwendung stellt. Diese öffentlich-rechtlichen Regelungen haben jedoch
nicht den Zweck, zu einer gerechten Risikoquantifizierung im Einzelfall zu führen, sondern
sind vor gesamtwirtschaftlichem Hintergrund auf die Gewährleistung der Sicherheit und
Stabilität des Finanzsystems ausgerichtet. Das Bankaufsichtsrecht schützt das Interesse der
Öffentlichkeit an einem funktionsfähigen Kreditwesen und nicht die Interessen des einzelnen
Bankkunden.
Das vorzuhaltende Mindestkapital richtet sich nach dem jeweiligen Risiko. Das Kreditrisiko
wird im Standardansatz durch Ratingagenturen bestimmt. Die Risikogewichte für Forderun-
gen an Staaten, Banken und Unternehmen hängen im Standardansatz von der Beurteilung
aufsichtlich anerkannter, externer Ratingagenturen ab. Je nach Höhe der externen Bewertung
erhalten Forderungen ein Risikogewicht von 0 Prozent, 20 Prozent, 50 Prozent, 100 Prozent
oder 150 Prozent. Ungeratete Forderungen werden mit 100 Prozent gewichtet. Dabei ist zu
beachten, dass momentan weniger als 100 Unternehmen in Deutschland über eine von einer
Ratingagentur veröffentlichte Einschätzung verfügen. Daher wird für die übergroße Mehrheit
der Kreditnehmer das durch die Bank intern ermittelte Rating maßgeblich sein, sofern die
Bank sich nicht dazu entscheidet, sämtliche ungeratete Forderungen mit 100 Prozent zu ge-
wichten.
Kreditinstituten wird mit Basel II die Möglichkeit eröffnet, die erforderliche Eigenkapitalun-
terlegung für Kreditrisiken mithilfe bankinterner Verfahren zu berechnen. Dafür benötigen sie
eine aufsichtsrechtliche Genehmigung, die nach einem Antrag und auf der Basis einer Vor-
Ort-Prüfung durch die Aufsicht erteilt werden kann. Vermutlich wird eine hohe Anzahl von
Kreditinstituten einen entsprechenden Antrag stellen.
228 Jan Lischek
Im Rahmen der IRB-Ansätze gibt es einen Basisansatz und einen fortgeschrittenen Ansatz.
Diese unterscheiden sich darin, welche der Komponenten bei Berechnung der Risikogewich-
tung bankintern geschätzt und welche durch die Bankaufsicht vorgegeben sind. Die Risiko-
gewichtung von Forderungen hängt bei den IRB-Ansätzen von den folgenden Parametern ab:
Forderungshöhe bei Ausfall, Ausfallwahrscheinlichkeit, Verlustquote bei Ausfall und effekti-
ve Restlaufzeit. Beim fortgeschrittenen Ansatz schätzen die Banken sämtliche Faktoren
selbst. Entscheidet sich eine Bank für den Basisansatz, so schätzt sie lediglich die Ausfall-
wahrscheinlichkeit. Dafür bedient sie sich ihres internen Ratingsystems. Das bankinterne
Rating ist also bei beiden Ansätzen von grundlegender Bedeutung.
Die aufsichtsrechtlichen Regelungen richten sich zunächst an die Aufsichtsbehörden und die
Kreditwirtschaft. Von direkten rechtlichen Verpflichtungen und Konsequenzen sind zunächst
die Kreditinstitute betroffen, nicht jedoch deren Kunden. Die tatsächlichen und wirtschaftli-
chen Folgen für Kreditnehmer werden jedoch erheblich sein. Der risikoadäquate Ansatz von
Basel II wird eine Differenzierung der Kreditkonditionen deshalb zur Folge haben, weil Kre-
ditinstitute die bonitätsbedingt unterschiedlichen Eigenkapital- und Risikokosten als maßgeb-
liches Bestimmungskriterium im Rahmen der Kreditzinskalkulation berücksichtigen werden.
Es ändern sich damit die Rahmenbedingungen für kreditnachfragende Unternehmen.
Es ist hier nicht der Ort, die wirtschaftlichen Auswirkungen umfassend darzustellen. Hier
interessieren mögliche rechtliche Konsequenzen, insbesondere im zivilrechtlichen Verhältnis
zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer. So benötigen Banken zur Durchführung von
Ratingverfahren umfangreiche Daten und Informationen von ihren Kunden. Verträge werden
daher Informations- und Offenlegungspflichten begründen. Zudem werden sich neue Kredit-
vertragsgestaltungen entwickeln, die dem gestiegenen Risikobewusstsein Rechnung tragen
werden. Darüber hinaus wird das Bedürfnis von Bank und Kunde entstehen, an mögliche
Veränderungen bankintern ermittelter Ratings Rechtsfolgen zu knüpfen. Nicht zuletzt stellen
sich Fragen der Haftung für bankinterne Ratings.
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 229
2. Offenlegungspflichten
2.1 § 18 KWG
2.1.1 Regelungsinhalt
Nach § 18 Satz 1 KWG darf ein Kreditinstitut einen Kredit, der insgesamt 750.000 Euro oder
10 Prozent des haftenden Eigenkapitals des Instituts überschreitet, nur gewähren, wenn es
sich von dem Kreditnehmer die wirtschaftlichen Verhältnisse offen legen lässt, insbesondere
durch Vorlage der Jahresabschlüsse. Durch sorgfältige Bonitätsprüfung soll der Kreditgeber
die einzugehenden Risiken abschätzen können, damit er sich sein jeweiliges Kreditrisiko
noch einmal klar verdeutlicht, bevor er das Geschäft abschließt. Die Prüfung der Kreditwür-
digkeit ist ein unverzichtbares Sicherungsinstrument für den Kreditgeber.
Der Gesetzgeber bezweckt mit dieser Regelung, die Kreditinstitute und ihre Gläubiger vor
Vermögensverlusten zu schützen. Zudem soll die Verhandlungsposition der Kreditinstitute
gegenüber ihren Kunden bezüglich der Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse gestärkt
und für einheitliche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Banken gesorgt werden. Die
Vorschrift ist Ausfluss des anerkannten bankkaufmännischen Grundsatzes, Kredite nur nach
umfassender und sorgfältiger Bonitätsprüfung zu gewähren und bei bestehenden Kreditver-
hältnissen die Bonität des Kreditnehmers laufend zu überwachen. Kreditinstitute sollen zu
einem risikobewussten Kreditvergabeverhalten bestimmt werden.
Zur Einschätzung des Kreditrisikos müssen sich die Kreditinstitute vor und während der
Kreditlaufzeit neueste Jahresabschlüsse, Einkommensnachweise, Selbstauskünfte usw. vorle-
gen lassen. Die erforderlichen Unterlagen müssen ausgewertet und das Prüfungsergebnis
aktenkundig gemacht werden. Welche Unterlagen haben die Banken anzufordern und wie
sind diese auszuwerten? Bisher gab es zahlreiche Schreiben, in denen die Bankenaufsicht die
gesetzliche Norm ausgelegt hatte. Dies hatte einen umfangreichen formalistischen Bürokra-
tismus zur Folge. Kam die Bank dem nicht nach, wurde dies als Verstoß gegen die gesetzli-
che Vorschrift gewertet.
Die Bankenaufsicht setzt aktuell auf Deregulierung durch mehr Eigenverantwortung der
Banken bei der Kreditvergabe. Die Aufsicht möchte von einer quantitativen zu einer qualita-
tiven Arbeit übergehen. Mit Schreiben vom 9. Mai 2005 hat die Bundesanstalt für Finanz-
dienstleistungsaufsicht (BaFin) sämtliche bisher zu § 18 KWG veröffentlichten Rundschrei-
ben mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Die BaFin verzichtet nun darauf, den Kreditinstitu-
230 Jan Lischek
ten detailliert vorzuschreiben, wie sie die Anforderungen des § 18 KWG zu erfüllen haben.
Es ist nun Sache der Kreditinstitute selbst, für alle Kredite hinreichende organisatorische
Vorkehrungen zu treffen. Damit sollen flexible Lösungen durch die Kreditinstitute ermöglicht
werden. Jede Bank muss über ein System zur Bonitätsprüfung verfügen, das der Art ihres
Kreditgeschäftes und den damit einhergehenden Risiken entspricht. Die Bankenaufsicht hat
angekündigt, sich von der Qualität der bankinternen Systeme überzeugen zu wollen.
Durch diese überraschende Deregulierung herrscht freilich Unsicherheit bei den Banken
darüber, wie § 18 KWG nun zu erfüllen ist. Die Banken haben nun selbst festzulegen, welche
Unterlagen sie für die Beurteilung ihrer Kreditrisiken einfordern wollen. Es ist jedoch nicht
ausgeschlossen, dass sich einige Kreditinstitute zunächst weiterhin an die abgeschafften
detaillierten Vorgaben halten werden. Vor dem Hintergrund, dass die Analyse der Bonität
wesentliches Element der Risikoklassifizierung durch Ratings und Basis jeder Risikosteue-
rung ist, wird dem Rating eine steigende Bedeutung zukommen. Wenn eine Bank das Rating
ihrer Kreditnehmer vorschriftsmäßig jährlich erneuert, wird § 18 KWG im Grundsatz erfüllt
sein. In der neueren Literatur wird daher vertreten, dass mit der Pflicht zur Risikoklassifizie-
rung allen Anforderungen nach § 18 KWG Genüge getan wird. Andere Stimmen meinen, es
sei von einem umfangreichen materiellen Abrücken der Unterlagenanforderungen durch die
Banken in keinem Fall auszugehen, jedoch sei nun eine im Einzelfall stärker risikoorientierte
Anforderung von Bonitätsunterlagen möglich.
Es wird sich daher erst in der Zukunft zeigen, wie die Kreditinstitute mit ihrer „neuen Frei-
heit“ umgehen werden. Vor dem Hintergrund der nicht zuletzt durch Basel II gesteigerten
Risikosensibilität wird die aktuelle Entwicklung nicht dazu führen, dass sich die Anforderun-
gen an die materielle Offenlegung herabsenken werden. Entlastung gibt es vermutlich im
Wesentlichen bei Formalitäten.
Bankinterne Ratings stehen prinzipiell in keiner Abhängigkeit zur Prüfung nach § 18 KWG.
Sie werden auf nahezu alle Kreditnehmer angewendet. Dabei können interne Ratings als
Ergebnis oder jedenfalls als „Nebenprodukt“ einer umfangreichen, den Anforderungen des §
18 KWG entsprechenden Kreditwürdigkeitsprüfung angesehen werden. Bankinterne Ratings
werden jedoch grundsätzlich auch nach Umsetzung der Baseler Beschlüsse nicht von den
Pflichten des § 18 KWG entbinden. Gleichwohl wird man vor dem Hintergrund der aktuellen
Entwicklungen in der Regel anzunehmen haben, dass mit der Durchführung eines umfassen-
den bankinternen Ratingverfahrens die qualitativen Anforderungen des § 18 KWG erfüllt
sind. Denn in der Praxis werden während des Ratingprozesses die beiden zentralen Systeme
zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit, § 18 KWG und das Rating nach Basel II, eng ineinan-
der greifen. Beide Analysen profitieren voneinander. Denn es lässt sich kein Rating mit einer
hohen Trennschärfe erstellen, wenn nicht zuvor die wirtschaftlichen Daten eingehend geprüft
wurden.
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 231
Dagegen werden externe Ratings der Bank eine umfassende Kreditprüfung nicht ersparen
können. Während man zwar bei internen Ratings dahingehend argumentieren könnte, dass
der Bank das Verfahren, die Art und Gewichtung der einzubeziehenden Kriterien sowie die
Aussagekraft des eigenen Ratingsystems bestens vertraut sind und der Ratingprozess die
Ermittlung und Offenlegung aller für ein qualifiziertes Verfahren benötigten Informationen
gewährleisten würde, verhält es sich bei Ratings externer Agenturen genau umgekehrt. Weder
kennt die Bank die konkreten Methoden der Agentur noch vermag sie das von einem Dritten
getroffene Urteil zu überprüfen oder auf dessen Ratingverfahren Einfluss zu nehmen.
3. Risikoadjustierte Vertragsgestaltung
Mit bankinternen Ratings verfolgen Kreditinstitute zunächst eigene Zwecke. Einerseits erfül-
len Banken damit öffentlich-rechtliche Auflagen durch das Bankaufsichtsrecht, andererseits
entspricht die Einrichtung eines leistungsfähigen Risikomanagementsystems – zu dem ohne
Zweifel auch Ratingverfahren gehören – betriebswirtschaftlicher Vernunft. Bankaufsichts-
rechtlich verpflichtet werden Banken insbesondere dazu, Risikoklassifizierungssysteme ein-
zuführen und anzuwenden. So sehen die Mindestanforderungen an das Risikomanagement
vor, dass abhängig vom Risikogehalt der Kreditgeschäfte sowohl im Rahmen der Kreditent-
scheidung als auch bei turnusmäßigen oder anlassbezogenen Beurteilungen die Risiken eines
Engagements mithilfe eines Risikoklassifizierungssystem durch die Bank zu bewerten ist.
Ebenso soll zwischen der Einstufung im Risikoklassifizierungsverfahren und der Konditio-
nengestaltung ein sachlich nachvollziehbarer Zusammenhang bestehen.1 Der Hintergedanke
von Basel II ist, die Banken dazu zu zwingen, risikoadäquate Konditionen im Kreditgeschäft
durchzusetzen. Das bedeutet für den Kreditnehmer: Das Rating bildet die Grundlage für die
Kreditentscheidung und die Ausgestaltung der Vertragskonditionen.
Ratings haben die Funktion, das Bonitätsrisiko transparent zu machen und zu quantifizieren.
An das Ratingergebnis können Maßnahmen des vertragsrechtlichen Risikomanagements
geknüpft werden. Ratingänderungen manifestieren das Bonitätsänderungsrisiko. Das Rating
als solches beeinflusst die Willensbildung der Bank in Bezug auf die Kreditwürdigkeit des
Kunden als einer für die Vertragserfüllung wesentlichen Eigenschaft. Grundsätzlich ist das
Rating daher ein Datum, das rechtlich außerhalb des Vertrags steht. Es ist lediglich ein vor-
und außervertragliches Motiv und Beweggrund. Die Änderung des Ratings dagegen gibt
Anlass, den Vertrag wegen der gewandelten Umstände zu modifizieren. Es besteht ein Be-
dürfnis, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung an die veränderte ökonomische Risi-
kobewertung anzupassen. Insoweit dient das Rating als Ableitungspunkt für Eigenkapital-
und Risikokosten.
Besonders bedeutsam ist die Möglichkeit der Veränderung des Ratings. In diesem Fall möch-
te eine der Vertragsparteien den Vertrag an die veränderte Bewertungssituation anpassen. Wie
ist das Problem der Ratingänderung rechtlich zu bewältigen? Grundsätzlich gilt: Pacta sunt
servanda. Geschlossene Verträge sind einzuhalten. Die Vertragstreue bindet die Parteien an
den Vertrag. Jedoch gilt dies nicht absolut. Risiken können Interessenlagen solchermaßen
verändern, dass eine Ausnahme vom Grundsatz der Vertragstreue zu machen ist. Dies gilt
umso mehr bei langfristigen Vertragsverhältnissen.
Es stellt sich daher die Frage, ob die Bedingungen eines Kreditvertrages allein deswegen
anzupassen sind, weil sich das Rating des Kreditnehmers ändert. Die Antwort richtet sich
234 Jan Lischek
nach der gesetzlichen Risikoverteilung bei Darlehensverträgen. Es gilt: Nach dem Gesetz hat
der Darlehensgeber das Bonitätsrisiko zu tragen. Ihm ist demgemäß auch das Risiko der
Verschlechterung dieses Risikos zugeordnet. Bei einem Vertrag, der keinerlei risikoadjustierte
Änderungsmöglichkeit vorsieht, wird lediglich die gesetzliche Verteilung des Bonitätsände-
rungsrisikos bestätigt. Durch die Vereinbarung eines Festzinses einerseits oder eines variab-
len Zinssatzes andererseits, der jedoch keine Anpassung aufgrund veränderter Risikosituation
vorsieht, übernimmt die Bank das Risiko einer Bonitätsverschlechterung. Dagegen hat der
Kunde das Risiko zu tragen, an einem Vertrag festgehalten zu werden, der sich für ihn im
Lauf der Zeit deshalb als nachteilig herausstellt, weil aufgrund eines verbesserten Ratings
nunmehr günstigere Konditionen zu erreichen wären. Sofern die gewählte Vertragsgestaltung
keine auf das Rating bezogene Risikoadjustierung vorsieht, haben Ratingänderungen weder
eine automatische Vertragsanpassung noch eine Verpflichtung der Vertragsparteien zu Neu-
verhandlungen zur Folge.
Bankkunden, die von ihr Bank geratet wurden, interessieren sich für das Ergebnis des Ra-
tingverfahrens. Haben sie einen allgemeinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Kreditinsti-
tut auf Offenlegung des Ratings?
Allein die Tatsache, dass eine Bank intern Ratings ihrer Kunden erstellt, begründet noch
keinen Auskunftsanspruch des Beurteilten. Auf der Grundlage von Gewohnheitsrecht gilt
zwar allgemein eine aus § 242 BGB entwickelte Auskunftspflicht, wenn die zwischen den
Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in ent-
schuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der
Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben
kann. Jedoch gehört das Rating grundsätzlich zu den Interna der Bank. Soweit nicht weitere
Umstände hinzutreten, die das Rating aus dem internen Meinungsbildungsbereich der Bank
heraustreten lassen, kann der Kunde keine Ungewissheit über das Bestehen oder den Umfang
eines Rechts haben. Eine allgemeine Auskunftspflicht hinsichtlich des Ratings besteht dem-
nach nicht. Jedoch kann unter besonderen Umständen zwischen Bank und Kunde ein Aus-
kunftsvertrag (auch stillschweigend) geschlossen werden, der die Bank dann zur Mitteilung
des Ratingergebnisses verpflichtet.
Anders ist die Situation jedoch, wenn ein Vertrag zwischen Kreditinstitut und Kunde Rege-
lung enthält, die Rechtsfolgen an Ratingveränderungen knüpfen. Dies kann zum Beispiel der
Fall sein, wenn aufgrund vertraglicher Vereinbarung bei Ratingänderungen ein Nachbesiche-
rungs- bzw. Sicherheitenfreigabeanspruch oder Zinsanpassungsrechte oder -ansprüche entste-
hen. In diesen Fällen wird man unter Zugrundelegung der dargestellten Rechtsgrundsätze
einen allgemeinen Auskunftsanspruch nach § 242 BGB anzunehmen haben.
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 235
Ratingänderungen ziehen das wirtschaftliche Bedürfnis eines der beiden Vertragspartner nach
sich, das Vertragsverhältnis an die veränderte Bonitätsbewertung anzupassen. Um dieses Ziel
zu erreichen, sind unterschiedliche Wege und rechtliche Gestaltungen denkbar.
Um das Risiko der Veränderung des Ratings zu berücksichtigen, könnte die Laufzeit von
Darlehensverträgen entsprechend kurz vereinbart werden. Ratingänderungen könnten so nach
relativ kurzer Zeit bei erneuten Vertragsverhandlungen einfließen. Dies ist jedoch mit erheb-
lichen Nachteilen verbunden. Insbesondere ist weder für Bank noch Kunde sichergestellt,
dass sich bei neuen Verhandlungen die sich für die eine oder andere Seite ergebenden Vorteile
auch in günstigeren Konditionen durchsetzen lassen. Zudem sind kurzfristige Verträge mit
vergleichsweise hohen Transaktionskosten verbunden. Verlässliche Planungsgrundlagen
lassen sich durch kurze Vertragslaufzeiten nicht herstellen. Daneben könnte die Bank bereits
bei Vertragsabschluss einen Risikoaufschlag kalkulieren, um von Anfang an mögliche Ra-
tingverschlechterungen abzumildern. Dies ist jedoch auch mit Nachteilen für beide Seiten
verbunden. Die der Kalkulation des Risikoaufschlages zugrunde liegende Prognose kann sich
für Bank und Kunde als fehlerhaft erweisen. Die kalkulierten Kosten könnten für den Kunden
einerseits zu teuer, der Erlös für das Kreditinstitut andererseits zu niedrig sein. Auch kann
durch die Geltendmachung des AGB-rechtlichen Nachbesicherungsanspruches bei einer
erheblichen Ratingverschlechterung die ursprüngliche Kalkulation der Bank nicht „gerettet“
werden, sofern die neuen Sicherheiten nicht aufsichtsrechtlich anrechnungsfähig sind. Für
den Kreditnehmer ist diese Variante evident von Nachteil: Graduelle Verbesserungen seiner
Bonität können sich für ihn nicht günstig auswirken. Darüber hinaus besteht die Alternative,
eine Verpflichtung zur Neuverhandlung des Vertrages im Fall von Ratingänderungen zu ver-
einbaren. Auch hier ist keineswegs sichergestellt, dass sich die für eine der beiden Parteien
günstige Entwicklung in einem modifizierten Vertrag auch niederschlägt. Zudem sind Neu-
verhandlungen mit Unsicherheit und Kosten verbunden.
Des Weiteren können Vertragszusätze vereinbart werden, die im Fall der Ratingverschlechte-
rung eigenständige Zahlungspflichten des Kreditnehmers auslösen: Garantieklauseln und
Aufwendungsersatzklauseln. Bei der Garantieklausel wäre ein fester Zinssatz zu vereinbaren.
Zusätzlich garantiert der Bankkunde seine aktuelle Kreditwürdigkeit. Bei Verschlechterung
seiner Bonität wäre von ihm Schadensersatz zu leisten. Eine Aufwendungsersatzklausel be-
rechtigt die Bank, neben einem festen Zinssatz Aufwendungen, die ihr durch eine Rating-
verschlechterung des Kreditnehmers entstehen, an diesen weiterzureichen. Beide Varianten
sind indessen problematisch, denn sie berücksichtigen nicht das berechtigte Interesse des
Darlehensnehmers nach einer Verringerung des Zinssatzes bei Verbesserungen des Ratings.
Zudem sind bei der Bestimmung der Schadens- und Aufwendungshöhe Konflikte program-
miert.
Welche Möglichkeiten gibt es, den Zinssatz direkt bei Ratingänderungen anzupassen? Zu-
nächst ist eine Änderungskündigung durch die Bank denkbar. Sie stellen den Darlehensneh-
236 Jan Lischek
mer vor die Wahl, die Änderung des Zinssatzes unter Abschluss eines neuen Darlehensvertra-
ges zu akzeptieren oder die sofortige Fälligkeit des gesamten alten Darlehens hinnehmen zu
müssen. Die Grundlage für eine Änderungskündigung ist das in Kreditverträgen enthaltene
ordentliche Kündigungsrecht. Teile der juristischen Fachliteratur meinen, Bonitätsänderungen
könnten nur durch Änderungskündigungen berücksichtigt werden, da die Kreditwürdigkeits-
prüfung eine individuelle Angelegenheit sei. Dies ist jedoch abzulehnen. Eine Zinsanpas-
sungsklausel wird den Interessen der Parteien besser gerecht. Insbesondere Kreditnehmer
könnten vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt werden, wenn sie mit einer Kündigung des
Kredites konfrontiert werden würden. Zudem könnte die Bank in diesem Zusammenhang
weitere Vertragsbedingungen zur Disposition stellen. Für Kreditinstitute wäre eine Ände-
rungskündigung zudem mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden. Auch scheidet eine
Zinsgleitklausel aus, die den Zinssatz an bestimmte objektive Bezugsgrößen anpassen. Das
Rating ist keine objektive Bezugsgröße, sondern eine in der Regel von der Bank vorgenom-
mene Beurteilung. Alles in allem wird eine Zinsänderungsklausel den Interessen der Kredit-
institute und ihrer Kunden am besten gerecht. Sie gibt der begünstigen Partei, in der Regel
der Darlehensgeber, das Recht, durch Gestaltungserklärung den Zinssatz zu ändern. Bei einer
risikoadjustierte Zinsänderungsklausel hat die Bank zunächst das Recht, das Rating festzule-
gen. Bei einer Änderung des Ratings hat sie im Fall der Verbesserung die Pflicht zur Zinssen-
kung, im Fall der Verschlechterung das Recht zur Zinserhöhung.
3.3.1 Vorbemerkung
In der noch nicht abgeschlossenen Rechtsentwicklung wurden von Rechtsprechung und Lite-
ratur AGB-rechtliche Wirksamkeitsanforderungen an refinanzierungsorientierte Zinsände-
rungsklauseln aufgestellt. Bei diesen Klauseln bildet die Veränderung der für die Refinanzie-
rung bedeutsamen Kapitalmarktzinsen Anlass und Umfang der Zinsanpassung. Diese Anfor-
238 Jan Lischek
erhält wirtschaftliche Vorteile aus einer solchen Flexibilisierung und eine Chance auf sinken-
de Kreditzinsen im Fall der Verbesserung des Ratings. Zudem sind Ratingänderungen für die
Bank bei Vertragsabschluss nicht konkret absehbar. Der Kreditnehmer übernimmt durch das
Bonitätsänderungsrisiko prinzipiell nichts anderes als sein eigenes Unternehmensrisiko. Die-
ses ist aber stets seiner Risikosphäre zuzurechnen und unterliegt grundsätzlich dessen Be-
herrschbarkeit. Ebenso ist das Interesse des Klauselverwenders an einer einseitigen Ände-
rungskompetenz hinsichtlich der Eigenkapital- und Risikokosten anzuerkennen, da dieser
nicht im Einzelnen absehen kann, ob und inwiefern sich das Rating des Kreditnehmers als
entscheidender Faktor zur Berechnung der Eigenkapital- und Risikokosten in der Zukunft
verändern wird. Es besteht daher ein Bedürfnis der Banken, den vertraglichen Zinssatz den
wechselnden und bei Vertragsschluss nicht überschaubaren künftigen Risikoklassifizierungen
anzupassen.
Zinsklauseln in AGB können jedoch nur dann einer Inhaltskontrolle standhalten, wenn sie
durch ihre Ausgestaltung einen angemessenen Ausgleich der beiderseitigen Interessen ge-
währleisten. Damit eine risikoadjustierte Zinsklausel einem angemessenen Interessenaus-
gleich prinzipiell entspricht, sind folgende Leitlinien zu befolgen. Zunächst ist das Gebot der
Anpassungssymmetrie einzuhalten: Eine risikoadjustierte Zinsänderungsklausel darf den
Kreditgeber nicht einseitig begünstigen. Die Symmetrie der Regelung muss sich auf die Vor-
aussetzungen, den Zeitpunkt und den Umfang der Zinsänderung beziehen. Es reicht aus,
wenn die Klausel dem Verwender ein Recht zur Zinserhöhung einräumt, das er jedoch nach
seinem Entschließungsermessen nicht wahrzunehmen braucht. Dagegen muss die Klausel
eine Pflicht zur Senkung des Zinssatzes bei Verbesserung des Ratings enthalten. Des Weite-
ren muss das Gebot der Wahrung des Äquivalenzverhältnisses beachtet werden. Zudem ist
das Transparenz- und Bestimmtheitsgebot ein zentraler Aspekt für die Gewährleistung eines
angemessenen Interessenausgleichs, wobei sich aus dem Regelungsgegenstand auch Grenzen
der Konkretisierbarkeit ergeben können.
Die Bewertung einer in AGB eingeräumten einseitigen Bestimmungsbefugnis der Bank hin-
sichtlich des Ratings ist unter dem Blickwinkel des Verbotes einer unangemessenen Benach-
teiligung nach § 307 Absatz 1 BGB vorzunehmen. Dabei ist die Verwendung des bankinter-
nen Ratings unter bestimmten Voraussetzungen AGB-rechtlich angemessen.
Zunächst ist das einseitige Bestimmungsrecht als solches hinsichtlich des Ratings sachlich
gerechtfertigt. Das Rating gibt die Ausfallwahrscheinlichkeit an und muss daher im Einzel-
nen an die nicht vorhersehbare Entwicklung des Unternehmens angepasst werden. Es ist als
einseitiges Leistungsbestimmungsrecht geeignet, eine solche Anpassung an nicht vorherseh-
bare, unsichere Entwicklungen zu gewährleisten. Die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens
ist einer objektiven Indexierung nicht zugänglich. Die einseitige Bestimmung des Ratings
durch die Bank ist wegen des Massencharakters von Ratings, die mit der Umsetzung von
240 Jan Lischek
Die Angemessenheit der Ausgestaltung des Umfangs der Zinsänderung ist im Wesentlichen
eine Frage des Bestimmtheits- und Transparenzgebotes. Danach dürfen dem Verwender keine
ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume eröffnet werden. Die Bestimmung muss für den
Vertragspartner weitgehend vorhersehbar und unmittelbar nachprüfbar sein. Die Richtlinien
und Grenzen der Ausübung des Bestimmungsrechts hinsichtlich der Eigenkapital- und Risi-
kokosten sind möglichst konkret anzugeben. Eine risikoadjustierte Zinsänderungsklausel
muss darüber Klarheit schaffen, welche Kostenveränderungen anlässlich der Veränderung des
Ratings bei der Modifikation des Zinssatzes berücksichtigt werden können, damit der Kunde
eine Zinsanpassung nachvollziehen und kontrollieren kann. Bei der Bestimmung des Umfan-
ges können nur solche Kosten berücksichtigt werden, deren Veränderung auf die Änderung
des Ratings zurückzuführen ist. Dies ist in einer Zinsklausel entsprechend klarzustellen.
Veränderte Kosten, deren Berücksichtigung gegen den Grundsatz der Wahrung des Äquiva-
lenzverhältnisses verstoßen würde, können nur über das Neugeschäft in die Konditionsgestal-
tung Eingang finden. Nicht berücksichtigt werden können Änderungen der Eigenkapitalkos-
ten aufgrund einer Neufestlegung der Eigenkapitalrendite, Änderungen der Risikokosten bei
Veränderungen der Ausfallraten und Änderungen der Refinanzierungskosten bei verändertem
Rating der Bank, da dies jeweils eine Änderung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses
zur Folge hätte.
AGB-rechtlich empfiehlt sich für die Ausgestaltung des Umfangs des Rechts zur Bestim-
mung der Eigenkapitalkosten und der Risikoprämie bei verändertem Rating die Aufnahme
einer Matrix in den Vertrag, aus der sich zum Beispiel durch prozentuale Angabe der Ände-
rungsumfang pro Ratingklasse ergibt. Der Kreditnehmer übernimmt dann ein der Höhe nach
klar definiertes Änderungsrisiko, weil dieses bei Vertragsschluss bereits festgelegt wurde. Es
besteht dann nur noch ein Entschließungsermessen; ein Auswahlermessen scheidet aus. Vor-
zugswürdig ist eine solche Lösung auch deshalb, weil sich bereits der Tatbestand der Zinsän-
derungsklausel nur bedingt konkretisieren lässt und diese Unbestimmtheit durch eine be-
stimmte Festlegung der Rechtsfolge in gewisser Weise kompensiert werden kann.
242 Jan Lischek
4. Haftungsfragen
4.1 Vorbemerkungen
Eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss (§§ 280 Absatz 1, 241 Absatz 2, 311 Ab-
satz 2 BGB) ist nur in besonderen Fällen denkbar. Dem Kreditnehmer obliegt es selbst, seine
Leistungsfähigkeit einzuschätzen. Wenn die Bank eine Kreditwürdigkeitsprüfung durchführt,
dann erfolgt dies regelmäßig nur im eigenen Interesse. Unterlaufen der Bank dabei Fehler, so
kann der Kreditnehmer die Bank deswegen nicht in Anspruch nehmen. Diese Grundsätze sind
auch auf bankinterne Ratings übertragbar. Daher kann nicht jede Verwendung des bankinter-
244 Jan Lischek
nen Ratings gegenüber dem Kunden eine Haftung begründen. Wird das Rating von der Bank
bei Vertragsverhandlungen offen gelegt bzw. mit dem Ratingergebnis argumentiert, so ist in
der Regel lediglich der vorvertragliche Bereich betroffen, in dem jeder Teil seine eigenen
Interessen wahrzunehmen hat. Denn die Parteien versuchen, die Äquivalenz hinsichtlich des
von der Bank zu übernehmenden Bonitätsrisikos zu bestimmen. Allein die fahrlässig fehler-
hafte Erstellung des Ratings – unabhängig davon, ob die Fehlerhaftigkeit auf dem Ergebnis
oder dem Verfahren beruht – wird in der Regel nicht zu einer Haftung führen. Die Bank hat
die Risiken aus der Anwendung eines Ratingsystems zu tragen. Der Kunde ist dafür verant-
wortlich, seine Kreditwürdigkeit angemessen zu kommunizieren. Anders sieht dies freilich
aus, wenn die Bank vorsätzlich ein fehlerhaftes Rating erstellt und damit dem Kunden ge-
genüber argumentiert.
Eine haftungsbegründende Pflichtverletzung nach § 280 Absatz 1 BGB bei der Erstellung
bankinterner Ratings erfordert bei einer Haftung aus Vertrag, dass die Erstellung oder Ver-
wendung des Ratings zu einer Vertragspflicht geworden ist. Das bankinterne Rating muss
also Bestandteil des vertraglichen Verhältnisses zwischen Bank und Kunde geworden sein.
Die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten sind durch Auslegung zu ermitteln, sofern sie
– was vermutlich regelmäßig der Fall sein wird – nicht ausdrücklich vereinbart wurden (§§
133, 157 BGB).
Wann wir die Schwelle des Außervertraglichen überschritten und das Rating von vertragli-
chen Pflichten erfasst? Dies wird in der Regel dann der Fall sein, wenn an eine Veränderung
des Ratings Rechtsfolgen gebunden werden. So wird bei einer risikoadjustierten Zinsände-
rungsklausel auf das Rating bezogen. Auch kann theoretisch an das Rating ein Nachbesiche-
rungsanspruch gekoppelt werden. Wählen die Kreditvertragsparteien das Ergebnis des bank-
internen Ratingverfahrens für die Bestimmung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses,
dann muss dieses Ratingergebnis in gewisser Weise in den Vertrag einbezogen werden. Inhalt
dieser Abrede ist dann die Einigung der Vertragsparteien darüber, dass zur Bestimmung des
Anlasses einer risikoadjustierten Zinsänderung das von der Bank erstellte Rating maßgeblich
sein soll. Die Pflichten aus einer solchen Vereinbarung sind dann durch Auslegung der Ein-
räumung des einseitigen Bestimmungsrechts nach § 315 BGB zu bestimmen.
Mögliche Pflichtverletzungen
Eine Pflichtverletzung als Voraussetzung für eine Schadensersatzhaftung der Bank bedeutet,
dass das Kreditinstitut objektiv hinter dem Pflichtenprogramm des Schuldverhältnisses zu-
rückgeblieben ist. Es stellt sich daher die Frage, wie sich die Pflichten der Bank bei der Er-
stellung und Verwendung von bankinternen Ratings bestimmen lassen. Gewöhnlich werden
die Vertragspartner die entsprechenden Pflichten nicht ausdrücklich, jedenfalls nicht umfas-
send und konkret geregelt haben. Allein die generalklauselartige Beschreibung, das Rating sei
ordnungsgemäß oder gewissenhaft zu erstellen, reicht vor dem Hintergrund der oben be-
schriebenen Schwierigkeit, einem Rating Fehlerhaftigkeit zu bescheinigen, nicht aus, um
festzustellen, ob eine Pflicht verletzt wurde.
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 245
Bislang sind keine veröffentlichten Gerichtsentscheidungen zu den Pflichten bei der Erstel-
lung und Verwendung von Ratings bekannt. Aufsichtsrechtliche Regelungen zu bankinternen
Ratingsystemen können nicht unmittelbar zur Konkretisierung des hier fraglichen Pflichten-
programms übernommen werden. Sie verfolgen öffentliche Zwecke. Gleichwohl kann man
sich bei der Bestimmung möglicher Sorgfaltsmaßstäbe nach den aufsichtsrechtlichen Vorga-
ben richten. Aufsichtsrechtliche Vorschriften können mittelbar bedeutsam werden, und zwar
als Auslegungshilfe zur Konkretisierung der nicht näher bezeichneten Pflichten der Bank aus
dem Vertragsverhältnis.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lassen sich die objektiven Pflichten der Bank bei der Erstel-
lung von Ratings nur ansatzweise beschreiben. Im Folgenden soll daher lediglich auf einige
denkbare relevante Punkte möglicher Pflichtverletzungen durch Banken hingewiesen werden.
Die grundlegenden Überlegungen, die zu externen Ratings entwickelt wurden, können dabei
auf die Haftung für interne Ratings übertragen werden.
Grundsätzlich kann nach
Pflichten bei der Ausgestaltung,
Pflichten bei der Verwendung bankinterner Ratingsysteme und
Pflichten bei der Organisation des Wissensmanagements
differenziert werden.
Es entspricht dem Willen der Parteien regelmäßig, dass das von der Bank entwickelte Ra-
tingverfahren grundsätzlich für eine angemessene Risikoklassifizierung sachlich geeignet
sein und darüber hinaus auch sachgerecht verwendet werden muss. Dies ist jedenfalls dann
der Fall, wenn System und Verfahren anerkannten „Grundsätzen ordnungsgemäßen Ratings“
entsprechen, wie sie von wirtschaftswissenschaftlicher Theorie und bankaufsichtsrechtlicher
Praxis entwickelt werden. Kriterien hierfür sind Neutralität, Objektivität, Transparenz, Nach-
vollziehbarkeit, Einheitlichkeit und Sachkunde.
Sachlich geeignet ist ein bankinternes Rating für den Zweck der angemessenen Risikoklassi-
fizierung grundsätzlich dann, wenn es durch die Bankenaufsicht zertifiziert wurde. Das Kre-
ditinstitut hat jedoch aus zivilrechtlicher Perspektive einen weiten Ermessensspielraum hin-
sichtlich der Ausgestaltung seines Ratingsystems, einschließlich der Methodenwahl. Aber
auch dann, wenn der Aspekt der Meinungsäußerung gegenüber demjenigen der Tatsachenbe-
hauptung im Vordergrund steht, treffen den sich Äußernden gewisse Sorgfaltspflichten bei
der Meinungsäußerung. Dies gilt insbesondere dann, wenn solche Äußerungen die Interessen
des Betroffenen in erheblichem Maße nachteilig beeinflussen können. Eine Pflichtverletzung
muss daher nicht schon darin bestehen, dass die Bank ein aufsichtsrechtlich (noch) nicht
zertifiziertes Ratingsystem einsetzt, soweit und solange es dennoch sachlich für eine ange-
246 Jan Lischek
Pflichtwidrig kann die fahrlässig oder vorsätzlich fehlerhafte Umsetzung und Anwendung des
selbst entwickelten Ratingsystems sein. In Betracht kommen Übertragungsfehler bei der
Datenverarbeitung, Rechenfehler, Verarbeitung veralteter Informationen, Unterlassen not-
wendiger Korrekturen aufgrund neuerer zugänglicher Informationen, Nichteinforderung oder
Nichtabfrage relevanter Informationen vom Kunden oder Einsatz nicht hinreichend qualifi-
zierter Mitarbeiter. Eine Pflichtverletzung liegt zudem vor, wenn die Bank es unterlässt,
intern die Anwendung des Ratingsystems durch ihre Mitarbeiter zu überwachen oder Unre-
gelmäßigkeiten nachzugehen. Daneben sind vorsätzliche Pflichtverletzungen denkbar. Mitar-
beiter der Bank können bei der Anwendung des Ratingsystems bewusst nicht mehr vertretba-
re Teilbewertungen vornehmen oder falsche Informationen verwenden. Anderes gilt dagegen,
wenn die Begutachtung falscher Tatsachen deswegen erfolgte, weil der Kunde seiner Ver-
pflichtung, aktuelle, vollständige und zutreffende Daten zu liefern, nicht oder nicht richtig
nachgekommen ist. Falls ein Kunde die vereinbarten erforderlichen Informationen nicht
liefert, ist das Rating nicht fehlerhaft, wenn die Bank deswegen bewusst konservative Schät-
zungen vornimmt, sofern dies die Richtlinien des Ratingsystems so vorsehen. In diesem Fall
ist es erforderlich, dass die Bank hinreichend transparent dem Kunden die möglichen Konse-
quenzen von Nichtbeachtung vertraglicher Pflichten verdeutlicht.
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 247
Der Einsatz eines Ratingsystems erfordert die Verarbeitung einer großen Menge von Daten,
die der Kunde der Bank zur Verfügung stellen muss. Die Bank hat ganz allgemein die Pflicht,
das aus ihrer arbeitsteiligen Wirtschaftsweise für den Rechtsverkehr erwachsene Risiko der
Wissensaufspaltung durch eine ordnungsgemäße Organisation der bankinternen Kommunika-
tion zu beherrschen. Die Bank verletzt ihre Pflichten, wenn sie ihr Wissensmanagement nicht
organisiert. Allgemein hat die Rechtsprechung für die Wissenszurechnung Grundsätze aufge-
stellt. Ausgangspunkt ist die „Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikati-
on“, die aus § 166 Absatz 1 BGB entspringt. Einerseits müssen Kenntnisse weitergegeben
werden, soweit sie für andere Personen innerhalb der „Organisation“ erkennbar relevant sind
(Informationsweiterleitungspflicht), andererseits muss nach erkennbar vorhandenen, für den
eigenen Bereich relevanten Informationen gefragt werden (Informationsabfragepflicht).
Durch Basel II wird die Zusammenführung von Kreditinformationen in bestimmten Fällen
noch verstärkt. Pflichtwidrig ist das fehlerhafte Verhalten der Bank bei der Wissensorganisa-
tion und bei der Umsetzung ihres tatsächlichen Wissenstandes in der Verdichtung zu einem
Rating.
Vertretenmüssen
Der Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Absatz 1 Satz 1 BGB ist nach § 280 Absatz 1
Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn das Kreditinstitut die Pflichtverletzung nicht zu vertreten
hat. Die Beweislast für diese Ausnahme trägt somit die Bank. Sie muss sich entlasten und
nachweisen, dass sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten habe.
Haftungsumfang
Verletzt die Bank eine Pflicht in zu vertretender Weise, hat sie den dem Beurteilten hierdurch
entstehenden Schaden zu ersetzen (§ 280 Absatz 1 BGB). Dabei ist ein Kausalzusammenhang
zwischen objektiver Pflichtverletzung und Schaden erforderlich. In der Praxis wird es
schwierig sein, diesen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Zwar kann ein höherer
Zinssatz als Folge einer risikoadjustierten Zinsänderung durchaus einen Schaden darstellen.
Der besagte Kausalzusammenhang setzt aber voraus, dass sich das Rating durch die Pflicht-
widrigkeit im Ergebnis aus Sicht des Beurteilten verschlechtert, jedenfalls deswegen nicht
verbessert hat. Ob eine einzelne Pflichtverletzung im Ratingverfahren das Ratingergebnis
negativ beeinflusst hat, ist nicht nur aufgrund der Beurteilungs- und Bewertungsspielräume
bei der Ratingerstellung schwierig festzustellen. Sollte die Pflichtwidrigkeit im Bereich des
Finanzratings als Teil eines Ratingsystems liegen, dann kann die Feststellung eines Kausalzu-
248 Jan Lischek
sammenhangs noch schwieriger ausfallen. Grundsätzlich liegt die Darlegungs- und Beweis-
last beim Beurteilten, der Ansprüche auf Schadensersatz geltend macht.
Deliktische Ansprüche wegen fehlerhafter Ratings werden in aller Regel schwer zu begrün-
den sein. In außergewöhnlichen Situationen kommen Schadensersatzansprüche wegen vor-
sätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB oder andere deliktische Ansprüchen in
Betracht, zum Beispiel aus § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit Schutzgesetzen wie § 263
StGB oder § 823 Absatz 1 BGB durch einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb als einem „sonstigen Recht“.
Schadensersatzansprüche aus § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit aufsichtsrechtlichen
Normen, die das Kreditinstitut im Zusammenhang mit der Durchführung interner Ratings
beachten muss, kommen nicht in Betracht. Die Vorschriften des Bankenaufsichtsrechts haben
grundsätzlich keinen drittschützenden Charakter, da sie allein das öffentliche Interesse an der
Funktionsfähigkeit und Stabilität des Finanzsystems zu sichern bezwecken.
Es stellt sich zudem die Frage, ob die Bank für ihr internes Rating auch Dritten gegenüber
haften kann, wenn das Ratingverfahren oder das Ergebnis fehlerhaft ist. Grundsätzlich kann
man insoweit festhalten: Es kommt darauf an, ob aus dem internen ein externes Rating wird.
Eine Bank kann das Rating als weiteres Geschäftsfeld erschließen und damit wie eine Rating-
agentur im Geschäftsverkehr auftreten, sozusagen das bankinterne Rating „verkaufen“. Dazu
wird sie natürlich einer Einwilligung der Beurteilten bedürfen, soweit es sich bei diesen um
ihre eigene Kunden handelt. Ebenso könnte die Bank das eigentlich interne Rating im Einzel-
fall zum Beispiel gegen eine Gebühr dem Kunden in der Weise bekannt machen, dass er das
Rating nicht nur für eigene Zwecke (zum Beispiel zur Verbesserung seines Ratings), sondern
auch Dritten gegenüber zur glaubhaften Darstellung seiner Kreditwürdigkeit verwenden darf.
In diesen Fällen liegt es nahe, Haftungsfragen des intern ermittelten und extern verwendeten
Ratings entsprechend den rechtlichen Überlegungen für die Haftung für Ratings von Ratin-
gagenturen zu lösen.
Wenn die Bank ihrem Kunden das Rating offen legt, dann besteht die Möglichkeit, dass die-
ser das Rating ohne Wissen der Bank Dritten gegenüber zur Kommunikation seiner Bonität
verwendet. Es stellt sich dann die Frage, ob Dritte, wenn ihr Vertrauen auf das Rating der
Bank enttäuscht wurde, diese dafür haftbar machen können. Eine vertragliche Haftung wird
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 249
grundsätzlich abzulehnen sein, da Dritte hinsichtlich des Ratings nicht in den Schutzbereich
des Vertrages zwischen Bank und Kunde einbezogen sind. Denn die Bank hat bereits keine
Kenntnis darüber, dass das Rating einem Dritten zugänglich gemacht wird. Sofern die Bank
das Rating zur Risikoklassifizierung bei der Eigenmittelunterlegung, zur bonitätsabhängigen
Zinseinstufung oder risikoadjustierten Zinsänderung verwendet und in diesem Zusammen-
hang dem Kunden gegenüber offen legt, wirken die oben genannten Pflichten – sofern solche
überhaupt entstanden sind – nicht zugunsten Dritter. Anders wird dies zu beurteilen sein,
wenn sich die Bank willentlich der Erkenntnis verschließt, dass der Kunde das interne Rating
ohne Rücksprache Dritten gegenüber verwendet. Kreditinstitute werden in der Praxis gut
beraten sein, bei der Bekanntgabe des Ratings schriftlich klarzustellen, dass dieses nur für
eigene Zwecke des Beurteilten offen gelegt wird und der Kunde ohne Einwilligung der Bank
nicht zur Weitergabe an Dritte befugt ist.
Wenn die Bank dem Kreditnehmer das interne Rating offen legt, kommt regelmäßig ein still-
schweigend geschlossener Auskunftsvertrag zustande. Die Auskunft ist in der Regel für den
Kreditnehmer erkennbar von erheblicher Bedeutung und Grundlage wesentlicher Vermö-
gensverfügungen. Die Bank ist dann verpflichtet, zutreffend über das vergebene Rating zu
informieren. Eine Haftung nach § 280 Absatz 1 BGB kommt in Betracht, wenn das Kreditin-
stitut diese Pflicht verletzt.
Auch ist ein vertraglicher Schadensersatzanspruch eines Dritten nach § 280 Absatz 1 BGB
denkbar. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Bank im Einzelfall – nach Einwilli-
gung des beurteilten Kunden – mit einem Dritten einen Auskunftsvertrag über die Mitteilung
des Ratings geschlossen hat und dem Vertragspartner ein falsches Rating mitteilt. Es ist eine
Frage der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB, ob ein solcher Auskunftsvertrag zustande ge-
kommen ist. Wie dargestellt, haftet die Bank nach ständiger Rechtsprechung für falsche Aus-
kunft, wenn die Auskunft für den Anfragenden erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und
er sie zur Grundlage wesentlicher Vermögensverfügungen machen will. Gleiches gilt, wenn
die Auskunft einem Dritten erteilt worden ist, der nicht Bankkunde ist.
250 Jan Lischek
Darf die Bank überhaupt und wenn ja unter welchen Umständen das interne Rating ihres
Kunden Dritten gegenüber offen legen? Welche Rechtsfolgen entstehen, wenn dies unberech-
tigt geschieht?
Grundsätzlich gilt: Die Bank ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Dies erwächst der vertrag-
lichen Beziehung zwischen Bank und Kunde. Der Bankvertrag verpflichtet zur Wahrung des
Bankgeheimnisses. Dies kommt seit 1993 in den AGB Banken in Nr. 2 Absatz 1 zum Aus-
druck. Danach ist die Bank zur Verschwiegenheit über alle kundenbezogenen Tatsachen und
Wertungen verpflichtet, von denen sie aufgrund, aus Anlass bzw. im Rahmen der Geschäfts-
verbindung zum Kunden Kenntnis erlangt (Bankgeheimnis). Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes (zuletzt BGH WM 2006, 380, 384 f.) ist das Verhältnis von Kreditinsti-
tuten zu ihren Kunden durch eine besondere Vertrauensbeziehung geprägt, die Interessenwah-
rungs-, Schutz- und Loyalitätspflichten begründet. Die Verpflichtung zur Wahrung des Bank-
geheimnisses ist insoweit lediglich eine besondere Ausprägung der allgemeinen Pflicht der
Bank, die Vermögensinteressen des Vertragspartners zu schützen und nicht zu beeinträchti-
gen. Die Verpflichtung beinhaltet nach höchstrichterlicher Ansicht unter anderem, die Kre-
ditwürdigkeit des Darlehensnehmers weder durch Tatsachenbehauptungen, auch wenn sie
wahr sind, noch durch Werturteile oder Meinungsäußerungen zu gefährden. Informationen
darf die Bank laut AGB nur weitergeben, wenn gesetzliche Bestimmungen dies gebieten oder
der Kunde eingewilligt hat oder die Bank zur Erteilung einer Bankauskunft befugt ist. Das
bankinterne Rating wird voll vom Bankgeheimnis umfasst, denn dieses erstreckt sich auch
auf Wertungen. Wertungen enthalten auf der Basis von Tatsachen subjektiv gefärbte, nicht
objektiv nachprüfbare Schlussfolgerungen oder Meinungsäußerungen wie Bonitätsurteile, zu
denen auch Ratings gehören. Verletzt die Bank ihre vertragliche Pflicht zur Wahrung des
Bankgeheimnisses als Ausprägung ihrer darlehensvertraglichen Interessenwahrungs-, Schutz-
und Loyalitätspflicht, so steht dem Darlehensnehmer gemäß § 280 Absatz 1 BGB ein An-
spruch aus positiver Vertragsverletzung auf Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens zu,
wenn sie diese Pflichtverletzung zu vertreten hat.
Die Bank darf das interne Rating Dritten gegenüber offen legen, wenn der beurteilte Kunde
hierzu seine Einwilligung erteilt hat. Denn der Kunde kann das Kreditinstitut von der Ver-
pflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses im Einzelfall oder in einem bestimmten Um-
fang entbinden. Daneben wäre eine Offenlegung bei einer entsprechenden gesetzlichen Ver-
pflichtung möglich. Des Weiteren darf die Bank nach Nr. 2 Absatz 1 Satz 2 a. E. der AGB-
Banken Informationen über den Kunden weitergeben, wenn sie zur Erteilung einer Bankaus-
kunft befugt ist. Jedoch ist die Bank nicht berechtigt, im Rahmen einer Bankauskunft das
bankinterne Rating mitzuteilen. Die generelle Einwilligung des Kunden zur Erteilung von
Bankauskünften nach den AGB der Banken ist im Hinblick auf den Grundsatz zur Geheim-
haltungspflicht restriktiv auszulegen und bezieht sich daher nicht auf das bankinterne Rating.
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 251
Unabhängig vom Bestehen einer Aufklärungspflicht macht sich die Bank schadensersatz-
pflichtig, wenn sie den Kunden schuldhaft falsch informiert und dieser dadurch wirtschaftli-
che Nachteile erleidet. Klärt das Kreditinstitut den Kunden über das Ratingverfahren auf oder
berät sie ihn, dann muss sie dabei die nötige Sorgfalt walten lassen. Die Bank darf nicht zu
etwas raten, das nur ihr nutzt und dem Kunden schadet. Insofern gelten also die allgemeinen
Grundsätze nach §§ 280 Absatz 1, 241 Absatz 2 BGB über vertragliche Schutzpflichten zur
Information ein.
5.1 Grundlagen
5.1.1 Regulierungsziele
Die steigende Komplexität der Lebensverhältnisse in einer Gesellschaft geht einher mit zu-
nehmender staatlicher Regulierung. Dies gilt auch für Ratings und Ratingagenturen. So kön-
nen diese auf unterschiedliche Weise – direkt oder indirekt – Gegenstand staatlicher Regulie-
rung sein. Einerseits kann sich der Gesetzgeber Ratings bedienen und diese als Anknüp-
fungspunkt für Regelungen verwenden, die einen über das Rating hinausgehenden Zweck
verfolgen. Schwerpunkt und primäres Ziel der Regulierung ist dann nicht das Rating als
solches, sondern ein anderer Gegenstand. Dies schließt nicht aus, dass rechtliche Anforde-
rungen an Ratings gestellt werden, damit ein anderes Regulierungsziel erreicht werden kann.
Insofern kann von einer indirekten Regulierung gesprochen werden. Andererseits kann sich
staatliche Regulierung auch direkt auf das Rating und auf die Arbeit von Ratingagenturen als
solches beziehen. Dann kann man von einer direkten Regulierung sprechen.
5.1.2 Regulierungsarten
Aufgrund der erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung von Ratings und dem damit verbunde-
nen Einfluss von Ratingagenturen wird die Notwendigkeit der Regulierung des Ratingwesens
kontrovers diskutiert. Ausgangspunkt ist häufig die Erkenntnis, dass das Haftungsrecht die
Arbeit von Ratingagenturen nur mäßig diszipliniert und der Wettbewerb durch Oligopole
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 253
geprägt ist. Nach aktueller Rechtslage benötigen Ratingagenturen in Deutschland zur Auf-
nahme ihrer Geschäfte keine aufsichtsrechtliche Erlaubnis. Es bestehen weder besondere
Zulassungsverfahren noch staatliche Beaufsichtigung. Dies gilt ebenso für die Ebene des
europäischen Rechts. Zwar wurden vom technischen Ausschuss der Internationalen Organisa-
tionen der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) Grundsätze zur Optimierung des Rating-
wesens formuliert und diese durch „Code of Conduct Fundamentals“ hinsichtlich ihrer prak-
tischen Umsetzung ergänzt. Jedoch sind die IOSCO-Empfehlungen rechtlich unverbindlich
und hauptsächlich von politischer Relevanz, da die IOSCO über keinerlei Rechtsetzungs-
kompetenz verfügt. Wegen der deutlich höheren praktischen und rechtlichen Bedeutung soll
daher im Folgenden der Fokus auf die Regulierung durch Basel II gerichtet werden.
Wie bereits ausgeführt, können Ratingagenturen auch indirekt reguliert werden. Dies ist
insbesondere bei den Neuerungen durch Basel II der Fall. Kreditinstitute können sich bei der
Bestimmung der Risikogewichte auf die Ratings externer Ratingagenturen beziehen. Dies
setzt jedoch die grundsätzliche Anerkennung externer Ratings durch alle am Markt beteilig-
ten Akteure voraus. Daher wird ein entsprechendes Anerkennungsverfahren erforderlich
werden. Wollen Ratingagenturen von der Aufsicht anerkannt werden, müssen sie die jeweili-
gen Anerkennungskriterien erfüllen. Insoweit erfolgt eine indirekte Regulierung der Arbeit
von externen Bonitätsbeurteilungsinstitutionen. Jedoch ist diese Regulierung nicht umfas-
send. Denn Ratingagenturen können auch in Zukunft ihre Arbeit fortsetzen, wenn sie sich
nicht einem Anerkennungsverfahren unterziehen. Sie müssen dann damit leben können, dass
ihren Ratings keine Bedeutung in Aufsichtsrecht und -praxis nach Basel II zukommt.
Im Rahmen des Standardansatzes werden die Risikogewichte der Forderungen bei der Be-
messung der Mindesteigenkapitalanforderungen an Banken auf Grund aufsichtsrechtlich
anerkannter Bonitätsbeurteilungen von externen Ratingagenturen zugeordnet. Es leuchtet ein,
dass Ratingagenturen und deren Urteile gewisse Anforderungen erfüllen müssen, um nach
den Vorgaben von Basel II eingesetzt zu werden. Die Regelungen von Basel II werden inso-
weit im Rahmen der Solvabilitätsverordnung (SolvV) umgesetzt. In den §§ 55–57 des Ent-
wurfs der SolvV vom 17. Mai 2005 sind die Anerkennungsvoraussetzungen genannt. Der
Antrag einer Ratingagentur auf Anerkennung für Risikogewichtungszwecke muss danach von
einem Spitzenverband der Kreditwirtschaft oder einem Institut eingereicht werden. Die nati-
onale Aufsichtsinstanz entscheidet über die Anerkennung als ECAI (= External Credit As-
sessment Institution).
254 Jan Lischek
Die Kriterien für die Anerkennung als ECAI sind naturgemäß technisch geprägt. Im Folgen-
den sollen lediglich die wichtigsten Regelungen skizziert werden. Detaillierte und verbindli-
che Angaben können erst dann gemacht werden, wenn die neuen Spielregeln der Bankauf-
sicht in geltendes, nationales Recht umgesetzt worden sind.
Eine Ratingagentur wird für den Zweck der Bestimmung des Risikogewichts einer Forderung
anerkannt, wenn die zuständige Behörde zur Auffassung kommt, dass die von der Agentur
verwendete Ratingmethode gewissen Maßstäben entspricht und darüber hinaus die vergebe-
nen Einzelratings einer Ratingagentur im Markt als glaubwürdig und verlässlich anerkannt
sind. Die Bankaufsichtsbehörde wird Informationen über die Anerkennungsverfahren veröf-
fentlichen und eine Liste der anerkannten Ratingagenturen veröffentlichen. Es handelt sich
dabei um folgende Kriterien zur Anerkennung als ECAI:
Anforderungen an die Methodik:
Objektivität
Unabhängigkeit
Kontinuierliche Überprüfung des Ratings
Transparenz und Offenlegung
Anforderungen an die einzelnen Bonitätseinschätzungen:
Glaubwürdigkeit und Marktakzeptanz
Transparenz und Offenlegung von Einzelratings
Die Ratingmethode muss zunächst weitgehend objektiv sein. Das bedeutet, dass die Metho-
dik streng, systematisch und beständig ist sowie einer Überprüfung unterzogen wird, die auf
historischen Daten beruht. Alle vorhandenen Daten sollen in einer fundierten Ratingmethode
einbezogen werden. Die Agenturen haben die Funktionalität ihrer Arbeitsweisen nachzuwei-
sen.
Des Weiteren ist Unabhängigkeit der Methodik einer Ratingagentur erforderlich. Unabhängig
ist die Methodik, wenn sie frei von äußerem politischen Einfluss oder Zwang und frei von
wirtschaftlichem Druck ist, der sich auf die Ratingvergabe auswirken kann. Kriterien dafür
sind neben der Eigentums- und Organisationsstruktur finanzielle Ressourcen, personelle
Ausstattung, Sachkenntnis und Corporate Governance.
Die Anerkennungsbehörden haben zu überprüfen, ob die Bonitätseinschätzungen der ECAIs
einer kontinuierlichen Überprüfung unterliegen und auf Änderungen der wirtschaftlichen
Verhältnisse reagieren. Die Aussagefähigkeit von Ratings hängt eng mit deren Aktualität
zusammen. Daher müssen die einmal vergebenen Ratings von der Ratingagentur ständig
überprüft und bei Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Mindes-
tens einmal im Jahr muss ein Rating überprüft werden, wobei bei besonderen Ereignissen
Rechtliche Aspekte des Finanzratings 255
auch eine unterjährige Überprüfung zu erfolgen hat. Die Aufsichtsbehörde hat zu überprüfen,
ob sich die Ratingmethode für jedes Marktsegment sich nach bestimmten Standards richtet.
Dies setzt insbesondere voraus, dass das so genannte Backtesting seit mindestens einem Jahr
aufgebaut ist. Ändern Ratingagenturen ihre Methodik substantiell, haben sie die Aufsichtsbe-
hörde davon unverzüglich zu informieren.
Zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an Transparenz haben die Agenturen die Grundsätze
der angewendeten Bonitätsbeurteilungsmethode öffentlich zugänglich zu machen. Wer ein
Ratingurteil verwendet, muss sich über die zugrunde liegende Methodik vergewissern kön-
nen. Es bestehen jedoch Unterschiede hinsichtlich des Umfangs der jeweils offen zu legenden
Informationen gegenüber der Behörde und der Öffentlichkeit, damit die berechtigten Interes-
sen der Agenturen an der Sicherung ihres Geschäftsbetriebes gewahrt werden können und die
Innovationsfähigkeit sowie der Wettbewerb zwischen den Agenturen gefördert wird.
Schließlich müssen die Einzelratings der Agenturen im Markt als glaubwürdig und verläss-
lich anerkannt sein. Dies überprüft die Aufsicht durch die Anwendung folgender Faktoren:
Marktanteil, Einkommen und die finanziellen Verhältnisse sowie Nutzung des Ratings zur
Preisbestimmung durch mindestens zwei Banken bei der Herausgabe von Schuldverschrei-
bungen oder zur Bewertung von Kreditrisiken.
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Rechtliche Aspekte des Finanzratings 257
Anhang
Die Herausgeber 261
Die Herausgeber
Die Autoren
Abkürzungsverzeichnis
a. E. alter Entwurf
a. F. alte Fassung
AfA Absetzungen für Abnutzungen
ABS Asset-backed Securities
AG Aktiengesellschaft
AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen
BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BB Betriebs-Berater. Zeitschrift für Recht und Wirtschaft
BCBS Basel Committee on Banking Supervision (Baseler Ausschuss für Ban-
kenaufsicht)
BdRA Bundesverband der Ratinganalysten und Ratingadvisor
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGH Bundesgerichtshof
BKR Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht
BuW Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift)
BWA Betriebswirtschaftliche Auswertung
bzw. beziehungsweise
ca. zirka
CEBS Committee of European Banking Supervisors (Ausschuss europäischer
Bankaufsichtsbehörden)
CESR Committee of European Securities Regulators (Ausschuss der europäi-
schen Wertpapierregulierungsbehörden)
DAX Deutscher Aktien-Index
DB Der Betrieb (Zeitschrift)
Stichwortverzeichnis
F H
Fehlerhaftigkeit 243 Haftung der Bank 241
~ von Ratingergebnis und -verfahren 247
Haftungskonstellationen 241
Fehler erster Art siehe Alpha-Fehler
Haftungsquellen 241
Fehler zweiter Art siehe Beta-Fehler
Haftungsumfang 246
Fehlklassifikation 99, 115
Finanzanalyse 14
I
Finanzflussrechnungsverfahren 83
Informationsabfragepflicht 246
Finanzierung 138
Informationsrechte 229
Finanzlage 83
Informationsspeicherung 108
Finanzrating 18, 32, 80, 154
Informationsverarbeitung 108
Quantitatives ~ 130, 134
Informationsweiterleitungspflicht 245
Fortgeschrittener Ansatz 226
Inhaltskontrolle 235
Fremdkapitalstruktur 83
Insolvenzprognose 62
Frühwarnsystem 20
Interessen der Vertragsparteien 231
Funktionsweise 109
Interessenabwägung 236
Interessenausgleich, Gebot eines angemes-
G
senen 236
Garantieklauseln 234
Interessenlage 232
Geheimhaltungspflicht 249
International Organization of Securities
Gewerbebetrieb, eingerichteter und ausgeüb- Commissions 5, 143
ter 250
Intransparenz 239
Gewerbekunden, Einheitliches Rating für
Investitionsrisiken 50
81
IRB-Ansatz 18, 155, 226
Gewerbekundenrating der Sparkassen 86
Gini-Koeffizient 155
J
Größenklassen 87
Jahresabschluss 132 f.
Grundsatz der Wahrung des Äquivalenzver-
hältnis 240
Grundsätze ordnungsgemäßen Ratings 239, K
244
Kalibrierung 131, 139
272 Stichwortverzeichnis
Kennzahlen M
Betriebswirtschaftliche ~ 80
Mali 89
Cashflow-~ 83
Gewichtung 88 Marktdisziplin 198 f.
-analyse 26
Maßnahmen, bilanzpolitische 82
-auswahl 136
Maximum-Likelihood-Methode 72
Korrelationsmatrix 60 f.
Mehrfaktorenkennziffern 82
Kosten-Nutzen-Überlegungen 96
Meinungsäußerung 244, 249
Kreditentscheidungsprozess 204
Methodenfreiheit 156
Kreditnehmer, Handlungsoptionen 97 f.
Mietaufwandsquote 87
Kreditorenlaufzeit 84
Mindestanforderungen an das Risikomana-
Kreditprüfung 229
gement 230
Kreditwürdigkeit 55, 227
Mindestkapitalanforderungen 198 f., 225
Kreditzinskalkulation 226
Mittelherkunft 91
Künstliche Neuronale Netze 107
Mittelstand 142
Aufbau von ~ 110
Mittelverwendung 91
Modellierung 111, 115
L
Modell-Overfitting 75
Länderrating 89
Monitoring 148
Leistungsbestimmungsrecht 238
Moody’s KMV RiskCalc 130, 140
Lernen 109
Multivariate Diskriminanzanalyse 104
Leverage-Effekt 31
Lieferantenrating 153
N
Likelihood-Funktion 73
Nachbesicherung 233
Lineare Ratingmodelle 102
Nationally Recognized Statistical Rating
Liquidität, statische 91
Organization 9
Lineare multivariate Diskriminanzanalyse
Neuverhandlungen 232
65–69
Nichtlineare Ratingmodelle 107
Logistische Regression 106
Logit- und Probit-Modelle 69–76
O
Objektivität 158
Stichwortverzeichnis 273
S
U
Salden, unterjährige 91
Überprüfungsverfahren, aufsichtliches 198 f.
Sale-Leaseback 82
Überschreibung 89
Schadensersatz 242
Unsicherheit, statistische 113
Securities and Exchange Commission 5
Unsolicited 5, 11
Sektoren 87
Unterjährige Salden 91
Self-Fullfilling-Effekt 156
Sicherheitenfreigabeanspruch 233
V
Sittenwidrige Schädigung 246
Validierung 131, 137, 155
Skalenniveau 6, 8, 61
~sstichprobe 133
Solicited 5
Validität 157
Solvabilitätsverordnung 252
VDA-Ratingstandard 152, 159
Solvency II 152
Stichwortverzeichnis 275
W
Werturteile 249
Wissensmanagement 245
Z
Zinsänderungsklauseln 235
Zinsanpassung 236
Zinsanpassungsklauseln 235
Zinsanpassungsrechte 233
Zinsaufwandsquote 85