Sie sind auf Seite 1von 401

Frank Bertagnolli

Lean
Management
Einführung und Vertiefung in die
japanische Management-Philosophie
Lean Management
Frank Bertagnolli

Lean Management
Einführung und Vertiefung in die
­japanische Management-Philosophie
Frank Bertagnolli
Hochschule Pforzheim
Pforzheim, Deutschland

ISBN 978-3-658-13123-4 ISBN 978-3-658-13124-1 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail-
lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer Gabler
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht
ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt
auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-
und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden
dürften.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in
diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch
die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des
Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und
Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

Springer Gabler ist Teil von Springer Nature


Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort

„Ist Lean überhaupt noch aktuell?“, wurde ich bereits häufiger gefragt und die Antwort
lautet: „Natürlich!“ In einer Zeit der Beschleunigung, Digitalisierung und auch weiterhin
steigenden Wettbewerbsfähigkeit geht es immer um wirtschaftliche Prozesse mit Perfek-
tion. Genau dies sind die Themen des Lean-Gedankens. Dass Lean in der Praxis viele
Vorteile und auch für Unternehmen und den Einzelnen Erfolg bringt, zeigt sich in vielen
gelungenen Beispielen.
Warum dieses Buch? Bücher gibt es zu diesem Themenfeld bereits einige. Ich habe
aber kein praxisnahes Lehrbuch finden können, welches die Kombination von Fach-
wissen, einer begleitenden Firmengeschichte und Praxisbeispielen liefert. Das Buch
beschäftigt sich neben dem theoretischen Inhalt für den Einsatz in der Lehre auch mit
praxisrelevanten Themen. Es ist ein Buch aus der Praxis und somit auch für die Praxis.
Das Themenfeld Lean ist in meinen Augen nicht theoretisch behandelbar. Lean ist eine
Denkhaltung und Lean ist Praxis. Das Buch lebt durch den interessierten Leser und kann
aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und eingesetzt werden: Als Lehrbuch, als
Arbeitsbuch für die Praxis und als Nachschlagewerk.
Inspiriert durch Wirtschaftsromane wurde in diesem Buch die Geschichte einer fik-
tiven Firma eingewoben. Die Firma und Charaktere sind frei erfunden, die situativen
Inhalte haben sich alle in der Realität an unterschiedlichen Stellen ereignet. Dies soll
dem Leser die schrittweise Vorgehensweise einer Lean-Einführung aufzeigen und veran-
schaulichen. Die Didaktik gehört für mich zum besseren Verständnis der Praxis und dem
Verankern der Themen für die Lehre dazu.
Lean ist eine Fachdisziplin, welche auf Erkenntnissen basiert. Daher arbeitet dieses
Buch mit vielen unterschiedlichen Fragen. Als ich Lean erlernte, hatte ich verschie-
dene Erkenntnisse und am Schluss ein persönliches Gesamtbild von der Thematik. Ich
wünsche den Lesern genau die gleichen Erkenntnisse und hoffe, dass dieses Buch eine
Unterstützung dabei ist, ein persönliches zusammenhängendes Lean-Verständnis zu
entwickeln. Dazu wurden Fragestellungen zu jedem Themenfeld entwickelt, mit denen
die Prozesse zu hinterfragen sind. Diese können der Selbstreflexion, genauso wie dem
Benchmarking-Prozess dienen.

V
VI Vorwort

Ohne die folgenden Personen wäre dieses Buchprojekt nicht möglich gewesen. Mein
Dank geht an meinen Kollegen Prof. Dr. Mario Schmidt für die Idee, die Empfehlung
und den Kontakt zum Springer Gabler Verlag sowie an den Verlag für das Vertrauen,
die Idee in sein Programm aufzunehmen und redaktionell zu unterstützen. Ein weiterer
Dank geht an Janis Mall, der mich bei der Erstellung sehr unterstützt hat. Ob Grafiken,
Zusammenfassungen oder Fragen, er nahm die Lesersicht ein und ergänzte dieses Buch.
Dankbarkeit geht auch an meine Frau und meine Kinder, die mich in meiner Berufung
unterstützen und mir den Rücken freigehalten haben. Widmen möchte ich dieses Buch
meinen Eltern.
Die Chance, in diesem Buch Fehler zu finden, steigt mit jedem Leser. Für Rückmel-
dungen zu Fehlern und Anmerkungen bin ich dankbar. Ebenso sind Lob oder konstrukti-
ver Tadel im Sinne einer Lernkultur willkommen. Über Unterstützung, Rückmeldungen
oder auch Diskussionen freue ich mich, dienen sie schließlich der Weiterentwicklung
und dem „Kaizen“. Ich bin unter der Mailadresse frank.bertagnolli@hs-pforzheim.de
erreichbar.
In diesem Buch werden sowohl männliche als auch weibliche Formen genutzt. Sofern
nur eine Form genannt ist, schließt diese sinngemäß die andere mit ein.
Im Japanischen wird bei Namen zuerst der Familienname genannt und dann der Vor-
name. In diesem Buch wird zuerst der Vorname und dann der Familienname genannt,
wie es sich in westlichen Veröffentlichungen durchgesetzt hat. Dies soll nicht als Unhöf-
lichkeit verstanden werden.
Viel Spaß mit dem Thema Lean in seiner Breite und Tiefe.

Frank Bertagnolli
Inhaltsverzeichnis

Teil I Grundlagen Lean Production


1 Einführung Lean Production. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.1 Lean Production. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Ist Lean aktuell?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.3 Lean im Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.4 Der Lean-Production-Fahrplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.5 Die Expertenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.6 Vorstellung der Knalsch GmbH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2 Herausforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.1 Trends und Herausforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.2 Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.3 Betriebswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.4 Kunde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.5 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
3 Verschwendung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3.1 Prozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.2 Wertschöpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.3 Sicherheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.4 Die sieben Arten der Verschwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.5 Die achte Verschwendungsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3.6 Einteilung der Tätigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
3.7 Prozessanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3.8 Optimierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.9 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

VII
VIII Inhaltsverzeichnis

3.10 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
4 Stabilisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
4.1 Verlustfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
4.2 Die 3 Mu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
4.3 Bestände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4.4 Durchlaufzeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
4.5 Nivellierung und Glättung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.6 Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.7 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.8 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
5 Fluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
5.1 Losgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
5.2 Anordnung und Layout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
5.3 Produktion im Fluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
5.4 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
5.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
6 Takt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
6.1 Engpass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
6.2 Kundentakt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
6.3 Austaktung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
6.4 Visualisierung der Austaktung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
6.5 Besonderheiten und Taktzeitberechnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
6.6 Umgang mit Arbeitsplatzreduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
6.7 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
6.8 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
7 Pull. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
7.1 Just-in-Time. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
7.2 Kanban. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
7.3 Kanban-Umfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
7.4 Ein-Stück-Fluss in Kundensequenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
7.5 Schrittmacherprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
7.6 Konfigurationen von Flusssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
7.7 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
7.8 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Inhaltsverzeichnis IX

8 Wertstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
8.1 Wertstromanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
8.2 Wertstromsymbole und Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
8.3 Wertstromerstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
8.4 Kennzahlen im Wertstrom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
8.5 Gestaltungsprinzipien für den Soll-Wertstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
8.6 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
8.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
9 Perfektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
9.1 Qualitätsverständnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
9.2 Das Jidoka-Prinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
9.3 Poka Yoke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
9.4 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
9.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
10 Standardisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
10.1 Standards. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
10.2 Die Methodik 5S bzw. 6S . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
10.3 Visualisierung und Standardbeschreibung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
10.4 Beispiele für Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
10.5 Rolle der Führung bei Standards. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
10.6 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
10.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
11 Kontinuierliche Verbesserung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
11.1 Kaizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
11.2 Kaikaku . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
11.3 PDCA-Zyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
11.4 Verbesserungs-Kata. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
11.5 Nachhaltige Verbesserung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
11.6 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
11.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
12 Produktionsbereich Montage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
12.1 Manuelle Tätigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
12.2 Ergonomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
12.3 Flexibles Mitarbeitermontagesystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
12.4 Flexibler Mitarbeitereinsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
X Inhaltsverzeichnis

12.5 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174


12.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
13 Produktionsbereich Fertigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
13.1 Automatisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
13.2 Gesamtanlageneffektivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
13.3 Total Productive Maintenance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
13.4 Schnelles Rüsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
13.5 Industrie 4.0. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
13.6 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
13.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
14 Lean und Produktionssysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
14.1 Massenproduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
14.2 Historie Toyota-Produktionssystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
14.3 Lean und Produktionssysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
14.4 Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
14.5 Vision und Kennzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
14.6 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
14.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Teil II Vertiefung: Lean Management


15 Einführung Lean Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
15.1 Lean Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
15.2 Der Lean-Management-Netzplan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
16 Administration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
16.1 Indirekte Bereiche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
16.2 Verschwendung im indirekten Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
16.3 Analysemethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
16.4 Prozessvisualisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
16.5 Lean im indirekten Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
16.6 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
16.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
17 Produktdesign. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
17.1 Optimierung der wertschöpfenden Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
17.2 Design for Manufacturing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
17.3 Design for X. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Inhaltsverzeichnis XI

17.4 Messung der Produktgestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248


17.5 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
17.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
18 Produktentwicklungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
18.1 Situation der Produktentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
18.2 Lean Development. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
18.3 Lean-Methoden in der Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
18.4 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
18.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
19 Produktionsplanung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
19.1 Lean Engineering. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
19.2 Planungsprinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
19.3 Cardboard-Engineering. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
19.4 Fabrikplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
19.5 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
19.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
20 Einfachautomatisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
20.1 Karakuri. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
20.2 Low Cost Intelligent Automation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
20.3 Umsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
20.4 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
20.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
21 Lieferkette. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
21.1 Line Back. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
21.2 Abgriffsoptimierte Materialbereitstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
21.3 Belieferung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
21.4 Minomi. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
21.5 Kommissionierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
21.6 Supply Chain Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
21.7 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
21.8 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
22 Nachhaltigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
22.1 Lean und Green. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
22.2 Ressourceneffizienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
XII Inhaltsverzeichnis

22.3 Energieeffizienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301


22.4 Zerlegung und Recycling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
22.5 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
22.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
23 Kennzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
23.1 Kennzahlenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
23.2 Benchmarking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
23.3 Sehen lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
23.4 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
23.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
24 Ganzheitlicher Zielableitungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
24.1 Hoshin Kanri. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
24.2 Nordstern und Blue Sky. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
24.3 Zielableitungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
24.4 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
24.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
25 Führung am Ort der Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
25.1 Shopfloor Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
25.2 Visuelles Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
25.3 Kommunikationsstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
25.4 Problemlöseprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
25.5 Standardbasierte Prozesskontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
25.6 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
25.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
26 Führung und Kultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
26.1 Lean Leadership. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
26.2 Fehlerkultur – Lernkultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
26.3 Lernende Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
26.4 Lean-Transformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
26.5 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
26.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
27 Der Mensch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
27.1 Lean und der Mensch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
27.2 Der Mensch im Mittelpunkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
Inhaltsverzeichnis XIII

27.3 Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371


27.4 Nachhaltige Wertschöpfung durch Wertschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
27.5 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
27.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
28 Unterstützungsorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
28.1 Untere Führungsebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
28.2 Kaizen-Team und Lean-Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
28.3 Kaizen-Werkstatt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
28.4 OMCD und Trainingsbereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
28.5 Expertenfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
28.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

Teil III Anhang


29 Glossar japanischer Lean-Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
30 Lösungen zu Übungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
30.1 Kap. 6: Takt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
30.2 Kap. 7: Pull . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
30.3 Kap. 8: Wertstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
30.4 Kap. 9: Perfektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
30.5 Kap. 13: Produktionsbereich Fertigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
Abkürzungsverzeichnis

3 Mu Muda, Muri, Mura


3D dreidimensional
3R Reuse, Reduce, Recycle
4B Behälter, Bereitstellung, Belieferung, Bedarfsmeldung
4K Kozo Kaikaku (Strukturplan, Konstruktionszeichnungen)
5A Aussortieren, Aufräumen, Arbeitsplatz sauber halten, Anordnung als Regel,
Alle Schritte wiederholen
5M Mensch, Maschine, Material, Methode, Mitwelt
5R Das richtige Produkt, zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge, in der richti-
gen Qualität, am richtigen Ort
5S Seiri, Seiton, Seiso, Seiketsu, Shitsuke
5W Fünfmal warum?
6R Das richtige Produkt, zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge, in der richti-
gen Qualität, am richtigen Ort, zum richtigen Preis
6S Seiri, Seiton, Seiso, Seiketsu, Shitsuke, Shukan
8D Acht Disziplinen (Prozessschritte im Problemlösungsdokument)
8M Mensch, Maschine, Material, Methode, Mitwelt, Messung, Management,
Money
A3 Papierformat DIN A3; Fahrzeugmodell der Marke Audi
ABB Asea Brown Boveri
ABS Antiblockiersystem
AG Aktiengesellschaft
AGV Automated Guided Vehicle
ARD Alle reden durcheinander; Alle reden darüber; Annehmen, Raten,
­Debattieren
ASB Arbeitsschritteblatt
BMW Bayrische Motorenwerke
BPS Bosch Production System; Bosch-Produktionssystem
BWL Betriebswirtschaftslehre
C180 Fahrzeugmodell und -typ der Marke Mercedes-Benz

XV
XVI Abkürzungsverzeichnis

CAD Computer-Aided Design


CC Carbon Copy
CIM Computer-integrated Manufacturing
CIP Continuous Improvement Process
CO2 Kohlenstoffdioxid
DCPS DaimlerChrysler Production System; DaimlerChysler-Produktionssystem
DfM Design for Manufacturing
DfX Design for X
DIN Deutsches Institut für Normung e. V.
DLZ Durchlaufzeit
eHPV Engineered Hours per Vehicle
EKUV Eleminieren, Kombinieren, Umstellen, Vereinfachen
EOM End of Mail
EPED Every Part Every Day
EPEI Every Part Every Interval
ESP Elektronisches Stabilitätsprogramm
EVA Economic Value Added
FIFO First-In-First-Out
FMS Flexibles Mitarbeitermontagesystem; Flexible Manpower System
FSM Future State Map
FTF Fahrerloses Transportfahrzeug
FTR First Time Right
FTS Fahrerloses Transportsystem
FTT First Time Through
FTY First Pass Yield
GAB Ganzheitliche Anlagenbetreuung
GAE Gesamtanlageneffektivität
GLT Großladungsträger
GM General Motors
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GÜT Gruppenübersichtstafel
GuV Gewinn- und Verlustrechnung
h Stunde(n)
HPU Hours per Unit
HPV Hours per Vehicle
IBM International Business Machines
IG Industriegewerkschaft
IT Informationstechnik
JIS Just-in-Sequence
JIT Just-in-Time
KLT Kleinladungsträger
KPI Key Performance Indicator
Abkürzungsverzeichnis XVII

KVP Kontinuierlicher Verbesserungsprozess


KYT Kiken Yochi Training
LCIA Low Cost Intelligent Automation
LH Fahrzeugmodell der Marke Chrysler
LIFO Last-In-First-Out
Lkw Lastkraftwagen
LPA Layered Process Audit
min Minute(n)
MIT Massachusetts Institute of Technology
MPS Mercedes-Benz Production System; Mercedes-Benz-Produktionssystem
MTBF Mean Time between Failures
MTM Methods-Time Measurement
MTTR Mean Time to Repair
NLK Neues Logistikkonzept
NOPAT Net Operating Profit after Taxes
NPW Nissan Production Way
NUMMI New United Motor Manufacturing Incorporated
OEE Overall Equipment Effectiveness
OEM Original Equipment Manufacturer
OMCD Operational Management Consulting Division
PDC Plan, Do, Check
PDCA Plan, Do, Check, Act
Pkw Personenkraftwagen
PPG Produktionsgerechte Produktgestaltung
ppm Parts per million
PSA Peugeot Société Anonyme
PTCA Planen, Tun, Checken, Agieren
PUL Problem, Ursache, Lösung
RONA Return on Net Assets
ROS Return on Sales
s Sekunde(n)
SAB Standardarbeitsblatt
SAKT Standard-Arbeitskombinationstabelle
SCM Supply Chain Management
SFM Shopfloor Management
SFTPP Stabilisierung, Fluss, Takt, Pull, Perfektion; Stabilize, Flow, Tact, Pull Perfection
SIM Subscriber Identity Module
SLT Sonderladungsträger
SMED Single Minute Exchange of Die
SMS Short Message System
SOP Start of Production
SOS Sicherheit, Ordnung, Sauberkeit
XVIII Abkürzungsverzeichnis

SQAKM Sicherheit, Qualität, Ausbringung, Kosten, Mitarbeiter


SQDCM Safety, Quality, Delivery, Cost, Moral
StVO Straßenverkehrsordnung
SUV Sport Utility Vehicle
t Tonne(n)
TIP Tactical Implementation Plan; Taktischer Implementierungsplan
TPM Total Productive Maintenance
TPS Toyota Production System; Toyota-Produktionssystem
TSA Tätigkeitsstrukturanalyse
TSSC Toyota Supplier Support Center
US United States
USA United States of America
USB Universal Serial Bus
VDA Verband der Automobilindustrie e. V.
VDI Verein Deutscher Ingenieure e. V.
VSM Value Stream Map
VW Volkswagen
VW120 Baureihenbezeichnung für ein Fahrzeug der Marke Volkswagen: Typ „VW up!“
WSA Wertstromanalyse
ZDF Zahlen, Daten, Fakten
Teil I
Grundlagen Lean Production

Unzufriedenheit ist die Mutter der Verbesserung.


Shigeo Shingo

Um Studierenden einen guten Einstieg in Praktika und Beruf zu geben, ist


die Einführung in Lean Production für Bachelorstudierende genauso wie für
Masterstudierende oder in der Weiterbildung vorgesehen. Das Gesamtverständnis über
alle Themen und Zusammenhänge ist zu empfehlen und wird sich lohnen.
Der erste Teil des Buches enthält die Grundlagenkapitel zum Themenfeld der
schlanken Produktion – Lean Production. Der Fokus richtet sich hier bewusst auf die
Themenfelder der Produktion. Hier wurde der Ursprung der Prozessdenke nach dem
Lean-Gedanken gelegt. Dieser Teil ermöglicht vor allem Einsteigern in das Thema einen
umfassenden Überblick. Er dient vor allem dem Kennenlernen der Grundlagen und
eignet sich mit seinen Inhalten besonders für Studierende in den Bachelorstudiengängen.
Einführung Lean Production
1

Das Wichtigste ist, dass man nicht aufhört zu fragen.


Albert Einstein

Zusammenfassung
Bei Lean Production geht es um verschwendungsfreie Prozesse und um einige
Aspekte mehr. Der Begriff ist nach wie vor aktuell und elementar für eine gute Pro-
zessgestaltung. Expertenfragen und ein Firmenbeispiel werden in diesem Kapitel als
begleitende Basis für die Praxisnähe eingeführt.

Richtige Fragen
Als junger Lean-Berater bekam ich eine Rückmeldung und Einschätzung von mei-
nem damaligen Vorgesetzten. Er gab mir eine Empfehlung für die Stelle als Lean-
Trainer für die Ausbildung von Führungskräften und Lean-Beratern. Dabei meinte
er, ich würde „die richtigen Fragen stellen“. Doch was hatte er damit gemeint? Was
sind „richtige Fragen“? Der Volksmund sagt: „Es gibt keine blöden Fragen, nur
blöde Antworten.“ Wie können Fragen dann nicht „richtig“ und somit „falsch“ sein?
Heute weiß ich, was „richtige Fragen“ sind. Als systemischer Berater und
Coach frage ich professionell nach, um Denkanstöße zu setzen. Dabei werden
Hypothesen gebildet, deren Prüfung dem Gegenüber überlassen wird. Die Hypo-
thesen werden durch Modelle, Zusammenhänge und Erfahrungen gebildet.
Beim Themenfeld Lean spricht man von Prinzipien und Wirkzusammenhängen,
also von einem System. Wenn ein Prozess unter Lean-Gesichtspunkten betrachtet
wird, werden Hypothesen aufgestellt und durch die (richtigen) Fragen bei der Füh-
rungskraft, dem Eigner oder dem Betreiber des Prozesses entsprechende Denkan-
stöße ausgelöst. Lösungen werden nicht vorgeben.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 3


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_1
4 1 Einführung Lean Production

1.1 Lean Production

Woher der Begriff Lean kommt, wird am Ende des ersten Teils dieses Buches beschrie-
ben (Abschn. 14.3). Um zu verstehen, was Lean ist, beginnt man sinnvollerweise dort,
wo es entstanden ist: in der Produktion.

 Lean Production Verschwendungsfreie Prozesse in der Produktion und die Organi-


sation der Abläufe nach den Prinzipien Stabilisierung, Fluss, Takt, Pull und Perfektion.
Ziele sind eine gute Qualität, kurze Belieferungszeiten und geringe Kosten. Der Kunde
steht dabei im Fokus. Der Ursprung von Lean Production findet sich in Japan und der
Firma Toyota.

Wird von Verschwendungsfreiheit gesprochen, so ist der Begriff Ressourceneffizienz


ebenso zu erwähnen. Dabei geht es um den sparsamen bzw. zielgerichteten Einsatz von
Ressourcen, wie z. B. Material, Zeit und Fläche. Der effiziente Einsatz von Ressourcen
sollte das Ziel jedes Unternehmens sein.
Von der schlanken Produktion, Lean Production, leitet sich der Begriff Lean ab. Er
wird universell eingesetzt.

 Lean Vereint Methoden, um Prozesse zu optimieren bzw. zu verbessern. Lean-


Prinzipien fassen passende Methoden dafür zusammen. Lean ist aber mehr als nur eine
Ansammlung von Methoden und Prinzipien. Lean hat hauptsächlich mit der Strategie
und Kultur eines Unternehmens zu tun.

Ohne eine Strategie werden die Prinzipien nicht zielgerichtet eingesetzt und ohne eine
adäquate Kultur gibt es keine Verbesserung. Dabei spielen vor allem die Lern- und Füh-
rungskultur eine entscheidende Rolle. Die Lean-Prinzipien, wie Stabilisierung, Fluss,
Takt, Pull und Perfektion, werden mit den dazugehörigen Methoden im ersten Teil dieses
Buches beschrieben. Weitere Methoden sind im zweiten Teil zu finden.
Lean ist aufgrund seiner Herkunft durch die japanische Kultur geprägt. Vieles lässt
sich in diesem Fachgebiet besser verstehen, wenn die japanische Urbedeutung der
Methode klar ist. So sind hier japanische Bezeichnungen und zum Teil auch Schriftzei-
chen zu finden. Ein Wörterverzeichnis mit den wichtigsten japanischen Lean-Fachbegrif-
fen und den deutschen Erklärungen sowie die Bedeutung im Lean-Kontext finden sich
im dritten Teil des Buches.
Das Buch „Das ist Lean“ (Modig und Ahlström 2015) gibt eine einfache Definition
von Lean mit einer Orientierung und Erklärung anhand der Durchlaufzeit.
1.3 Lean im Beruf 5

1.2 Ist Lean aktuell?

Ist Lean noch aktuell oder schon „out“? Heute geht es in der Produktion und Verwaltung
doch um Agilität, Industrie 4.0, Innovationen usw. Die Antwort muss lauten: Ja, Lean ist
aktuell und sogar aktueller denn je. Schließlich wurden die neuen Methoden, wie agile
Programmierung mit Scrum, aus den Lean-Methoden entwickelt und es stellt sich die
Frage, wie etwas digitalisiert werden soll, das „analog“ noch nicht optimal läuft? Als
Philosophie ist Lean heute nicht mehr wegzudenken. Wer Lean einsetzt, hat klare Wett-
bewerbsvorteile. Vielleicht sollte man den Satz umdrehen und feststellen: Wer die Lean-
Prinzipien nicht nutzt, der hat einen Wettbewerbsnachteil. Lean ist die Basisarbeit, um
Abläufe, Verfahren und Prozesse ideal und verschwendungsfrei zu gestalten.
So ist Lean nach über 25 Jahren aus den Kinderschuhen herausgewachsen und in
vielen Unternehmen angekommen. Neben dem Einsatz von Lean-Methoden im Ver-
waltungsbereich gibt es das Kanban-Prinzip in Fast-Food-Restaurants, Shopfloor
Management in Banken, „Obeya“ im Warenhandel, schnelles Rüsten auf Baustellen,
Wertstromanalysen in Zoos, Cardboard-Engineering in Krankenhäusern und dergleichen
mehr. Dabei ist an dieser Stelle bereits festzustellen: Bei Lean geht es um den richtigen
Einsatz von Lösungen für bestehende Probleme im entsprechenden Kontext. Es geht um
das Verstehen und nicht um das blinde Kopieren von Lösungen, um dann mit Überzeu-
gung die Auffassung zu vertreten, man sei „Lean“ (Rumpelt 2005).
Lean setzt seinen Siegeszug in weiteren neuen Themenbereichen und Unternehmen
fort. Sei es bei der Softwareprogrammierung, der Entwicklung von Produkten, auch auf
der Baustelle oder in der Anwaltskanzlei. Lean ist aktuell. Lean ist „in“.

1.3 Lean im Beruf

Inzwischen ist das Thema Lean allgegenwärtig, sei es in der Produktion oder der Ver-
waltung. Ebenso werden die Lean-Führungselemente in vielen Bereichen vermehrt ein-
gesetzt, selbst in Banken und auf Baustellen. Wer heute agil nach Scrum programmiert,
arbeitet nach der Lean-Methodik.
So sind es nicht mehr nur die Berufe der Produktion, die den Lean-Gedanken benö-
tigen. Lean ist längst in allen Ebenen und Bereichen eines Unternehmens angekommen.
Von Lean betroffen sind: Führungskräfte, Planer, Entwickler, Betriebsingenieure und
auch unternehmensinterne oder externe Berater. Eines eint alle: Um Lean anwenden zu
können, bedarf es einer bestimmten Berufserfahrung. Möchte man Lean selbst einset-
zen oder beratend anwenden, kommt man nicht umhin, die Prozesse selbst in der Praxis
durchzuführen und daraus zu lernen.
Wer sich also im Berufsfeld intensiver mit Lean auseinandersetzen möchte, der benö-
tigt einen geordneten Vorlauf im Prozessverständnis. Idealerweise startet man damit im
Studium. Eine fundierte Grundausbildung mit Theorie, Praxis und Abschlussarbeit ist
6 1 Einführung Lean Production

empfehlenswert und bietet sich an. Aber auch außerhalb der Hochschulen gibt es vie-
lerlei Aus- und Weiterbildungen zu verschiedenen Lean-Themenfeldern. In Projek-
ten mitzuarbeiten und aus der Praxis zu lernen ist unerlässlich, da durch die praktische
Anwendung der Methoden und dem eigenen Erleben der Wirkung auf Prozesse, Kultu-
ren und Menschen neue Erfahrungen gewonnen werden können. Diese Erkenntnisse sind
für Lean essenziell wichtig. Letztendlich handelt es sich, wie bei Toyota, um einen fort-
währenden und kontinuierlichen Lernprozess.
Noch ein Hinweis zum Thema Berater: Wenn Lean richtig umgesetzt wird, ist es das
Ziel, keine Berater zu benötigen, sondern Lean durch die Führungskräfte zu leben.

1.4 Der Lean-Production-Fahrplan

Der Gesamtfahrplan für den ersten Teil dieses Buches ist iterativ aufgebaut und geht
Schritt für Schritt vor (Abb. 1.1). Das Schema folgt damit dem einer einzelnen Linie mit
einer Start- und Endstation. Jede Station wird dabei angefahren. Genauso sollte auch
Lean eingeführt und umgesetzt werden. Hier wird dem Hauptschema nach „SFTPP“
gefolgt. Die Buchstaben stehen für die Begriffe: Stabilisierung (Stabilize), Fluss (Flow),
Takt (Tact), Pull (Pull) und Perfektion (Perfection). Neben diesen Haltepunkten wird an
einigen Stellen mittels Zwischenstopps vertieft und Lean mit seinen Methoden, Prinzi-
pien sowie seiner Kultur vorgestellt.

Abb. 1.1  Der Fahrplan durch Lean Production


1.6 Vorstellung der Knalsch GmbH 7

1.5 Die Expertenfragen

Der Coaching-Ansatz beruht darauf, intensiv nachzufragen. Dadurch werden Denkpro-


zesse und Handlungen ausgelöst. Eine Umsetzung erfolgt aufgrund der eigenen Über-
zeugung und nicht, weil jemand die Lösung verraten hat. Die Lösung kann jeder selbst
erarbeiten.
Das Buch soll keine direkten Antworten geben. Vielmehr sollen Fragen gestellt wer-
den, welche der Leser beantworten kann, denn der Coaching-Ansatz sollte inhaltsfrei
sein. Die Fragen implizieren eine Antwort. Sie sollen Reaktionen auslösen und zum
Nachdenken anregen. Hierdurch kann ein eigener Coaching-Ansatz erfolgen, welcher zu
einer richtigen Handlungsweise führt. Anstatt einen Berater zu konsultieren, kann sich
der Leser mit den vorliegenden Fragen selbst zum Nachdenken motivieren. Da es sich
um einen inneren Dialog handelt, ist diese Vorgehensweise auch die ehrlichste, die den
Anwender bei einer Umsetzung weiterbringt. Coaching verändert Verhaltensmuster und
setzt beim Verständnis und Bewusstsein, dem sogenannten „Mindset“, an. Dieses Buch
soll den inneren Dialog des Lesers anregen und damit wie ein Mentor agieren.
Die Expertenfragen in jedem Kapitel können für unterschiedliche Anwendungs-
gebiete genutzt und eingesetzt werden. Sie dienen dem Selbstcoaching, um im Stre-
ben nach Verbesserungen voranzukommen, und dem Berater als Nachschlagewerk für
geeignete Fragen in der Anwendung. Führungskräfte werden bei ihrer täglichen Arbeit
unterstützt. Durch die Fragen belassen sie ihre Mitarbeiter in der Verantwortung. Weitere
Einsatzmöglichkeiten ergeben sich für Audits und das Benchmarking (Abschn. 23.2), um
eigene Bereiche und Unternehmen beurteilen und einschätzen zu können.
Die Expertenfragen greifen in den Kapiteln die jeweilige Thematik in Form von Fra-
gestellungen auf. Bei geschlossenen Fragen bedeutet eine Antwort mit „Ja“ eine gute
Lösung. Handlungsbedarf besteht bei einer negativen Antwort.

1.6 Vorstellung der Knalsch GmbH

Zur Veranschaulichung von Lean in der Praxis soll ein Firmenbeispiel als Szenario dienen
(Goldratt und Cox 2013; Ballé und Ballé 2005). Die Firma und die handelnden Personen
sind fiktiv. Namensgleichheiten mit realen Personen sind Zufall. Die Probleme sind rea-
listisch und teilweise in dieser Form in unterschiedlichen Unternehmen aufgetreten.
Die Geschichte der Knalsch GmbH begleitet den Leser durch dieses Buch und zeigt
mögliche Probleme eines produzierenden Unternehmens. Schritt für Schritt wird darge-
stellt, was geschieht und wie die Lean-Prinzipien und Methoden in die Unternehmens-
prozesse eingreifen.
Bei der Knalsch GmbH handelt es sich um ein eigentümergeführtes Familienunter-
nehmen auf der schwäbischen Alb. Das mittelständische Unternehmen arbeitet in der
Metallindustrie und ist Lieferant für mehrere Systemhersteller. Die Firma hat eine Beleg-
schaft von 62 Mitarbeitern und verzeichnete im Vorjahr einen Jahresumsatz in Höhe von
80 Mio. EUR.
8 1 Einführung Lean Production

Dr. Karl-Norbert
Alsch
Geschäftsleitung

Claudia
Beck
Assistenz

Karsten
Horch
Controlling

Kai Claus Susanne Jörg Christina


Lupfer Maß Moos Escher Maier
Produktion Logistik Planung Entwicklung Verwaltung

Abb. 1.2  Organigramm der Knalsch GmbH

Der Geschäftsführer der Knalsch GmbH ist Dr. Karl-Norbert Alsch. Der Firmenname
Knalsch leitet sich aus den Anfangsbuchstaben seiner beiden Vornamen und dem Nach-
namen ab. Herr Dr. Alsch hat im Themenfeld der Chemie studiert und promoviert. Das
Organigramm ist aus Abb. 1.2 ersichtlich.
Die Hauptprodukte sind das Großprodukt „Knalsch 3000“ und der „Knalschi 100“. Es
handelt sich um mechanische Komponenten, welche bei Kunden als Halbzeuge in deren
Fertigung verbaut werden. Die Produkte sind unterschiedlich komplex und in verschie-
denen Varianten erhältlich. Zusätzlich werden für die Produkte auch Ersatzteile gefertigt.

Literatur

Ballé F, Ballé M (2005) The Goldmine – a novel of lean turnaround. Lean Enterprise Institute,
Brookline
Goldratt EM, Cox J (2013) Das Ziel – Ein Roman über Prozessoptimierung. Campus, Frankfurt
Modig N, Ahlström P (2015) Das ist Lean – Die Auflösung des Effizienzparadoxons. Rheologica,
Stockholm
Rumpelt T (2005) Nicht kopieren, Kapieren! Automobil-Prod 7:18–22
Herausforderungen
2

Nichts ist unmöglich.


Werbeslogan Toyota

Zusammenfassung
Das Kapitel beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Trends und Herausforderungen
für Unternehmen. Es verdeutlicht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der
Betrachtung von Lean im Vergleich zur Betriebswirtschaftslehre. Die Begriffe Effek-
tivität und Effizienz werden geklärt. Es wird außerdem dargelegt, dass Krisen zu einer
Optimierung dazugehören und immer eine Chance für die Weiterentwicklung sind. Zu
Beginn der Lean-Vorgehensweise steht der Kunde im Fokus. Es ist notwendig, sich an
ihm zu orientieren.

Knalsch GmbH: Neue Herausforderung


Eine Gruppe von Studierenden besucht die Firma Knalsch GmbH im Rahmen
einer Exkursion. Dabei erfahren sie, dass die Firma expandieren möchte. Ein neuer
Großauftrag steht an. Die Firma wirbt mit Stellen für Praktika, Abschlussarbeiten
und für den Jobeinstieg. Es sollen neue studentische Mitarbeiter eingestellt wer-
den. Herr Alsch ist sehr an den Studieninhalten der besuchenden Studierenden
interessiert, da ihn die Themen der Betriebswirtschaftslehre, des Ressourceneffi-
zienz-Managements und der schlanken Produktion sehr faszinieren. Diese interes-
santen Fächer gab es während seines Studiums nicht.
Nach der Verabschiedung der Besuchergruppe geht Karl-Norbert Alsch zurück
in sein Büro und lässt sich seufzend von seinem ledernen Bürosessel auffangen.
Hinter einem großen Schreibtisch, auf dem viele Unterlagen liegen, sitzt er und

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 9


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_2
10 2 Herausforderungen

blickt auf den Monitor seines Computers. Eine E-Mail ist von der Bank eingetrof-
fen. Das beantragte Darlehen wird von der Bank nicht bewilligt. Die Umsätze und
der Cashflow seien zu gering, um eine weitere Finanzierung in der geforderten Grö-
ßenordnung zu gewähren. Zudem sei der Bank ein neuer Großauftrag zu unsicher.
„Typisch Banker“, denkt Alsch. „Keine Ahnung von der Praxis!“ Wie soll denn
eine Expansion gelingen? Statt Mitarbeiter einzustellen, soll er sparen und entlas-
sen? Das kann doch nicht wahr sein.
„Nun stecken wir wohl in einer existenziellen Krise!“, sagt er, als er die Cog-
nacflasche zusammen mit einem Glas aus dem Wandschrank holt und öffnet.

2.1 Trends und Herausforderungen

Für produzierende Unternehmen, aber auch für die Dienstleistungsbranche, ergeben sich
durch die verschiedenen Megatrends aktuelle Herausforderungen. Die Globalisierung ist
eine Herausforderung und bietet verschiedene Chancen und Möglichkeiten. Durch die
weltweite Vernetzung und günstigere Transportkosten können neue Märkte erschlossen
und Materialien aus der ganzen Welt bezogen werden. Auch für den Wettbewerb besteht
diese Möglichkeit, der seine Produkte zunehmend in fremden Märkten platziert. Eine
Medaille mit zwei Seiten. Die weltweite Vergleichbarkeit, auch seitens der Preise, erhöht
den Kostendruck auf die produzierenden Unternehmen. Möglichkeiten ergeben sich
dabei, indem Produktionsstätten in Billiglohnländern aufgebaut werden, um von dort aus
in die ganze Welt zu liefern. Da diese Möglichkeiten allen zur Verfügung stehen, geht es
um die Wettbewerbsfähigkeit.
Hierbei spielen die Begriffe „Effektivität“ und „Effizienz“ eine große Rolle.

 Effektivität Die Fähigkeit des Managements, die richtige Diskussion zu führen, das
Richtige zu entscheiden und entsprechend auch für die Umsetzung zu sorgen. Nach
Drucker (1963): „Doing the right things“ – die richtigen Dinge tun. Im Fokus steht die
Zielerreichung durch die Einbeziehung von Zielbildungsprozessen. Gemeint ist das
Generieren neuer Alternativen und Entwickeln neuer Produkte bzw. neuen Wissens (Ver-
änderung der Produktionsfunktion).

Neben der Zielerreichung, der Effektivität, geht es beim Effizienz-Begriff um den Weg
zum Ziel.

 Effizienz Die Fähigkeit des Managements, Ziele möglichst wirksam umzusetzen. Dies
entspricht dem ökonomischen Prinzip. Nach Drucker (1963): „Doing the things right“ –
die Dinge richtig tun. Im Fokus steht die Ressourcennutzung im Sinne einer Knappheits-
bewältigung. Gemeint ist die Optimierung einer fest definierten Produktionsfunktion (als
technischer Effizienzbegriff) als Relation zwischen Input- und Output-Größen.
2.1 Trends und Herausforderungen 11

In Unternehmensprozessen geht es um die Verbindung von Effektivität und Effizienz


(Abb. 2.1). Dabei ist der Unterschied wichtig. Denn Unternehmen können hocheffizient
ineffektiv sein oder mit großer Ineffizienz ihr Ziel erreichen. Lean bedeutet, gleichzeitig
effizient und effektiv zu sein.
Mit Blick auf die Produkte ist es eine große Herausforderung, dass der Individualisie-
rungsgrad vonseiten der Kunden gestiegen ist. Die Erfindung des Automobils begann mit
einer einzigen Version. Henry Ford bot seinen Kunden jede Autofarbe an, solange diese
schwarz sei. Heute ist man nicht nur im Automobilbereich bei einer unzählbaren Anzahl
von Varianten angekommen. Sie haben sich potenziert (Abb. 2.2). So kommen im Auto-
mobilbereich zu den Variationen in Farbe und Ausstattung zusätzlich viele unterschiedli-
che Typen und Modelle hinzu.
Die sich ergebende Komplexität und Produktvarianz ist für die Wertschöpfungskette
eine Herausforderung. Je Verdoppelung der Variantenanzahl kann mit einer Kostenstei-
gerung von 20 bis 35 % innerhalb der Produktion und mit steigenden Beständen gerech-
net werden (Wildemann 2011, S. 33). Lösbar ist dies nur mit einer hohen Flexibilität.
Wie diese Flexibilität ideal gelöst werden kann, ist im Weiteren zu klären. Dem Problem
mit höheren Beständen und mehr Lagerstufen entgegenzuwirken, kann nicht die richtige
Lösung sein.
Effizienz

Ziel Ziel

Start Start

Ziel Ziel

Start Start

Effektivität

Abb. 2.1  Grafische Darstellung der Kombinationen von Effizienz und Effektivität


12 2 Herausforderungen

Digitalkameras Computer Automobil


neue Produkte Anzahl Modelle Modelle und Derivate

2,4 149 18 3.200 109 109

63
180 1
2000 2005 1990 1998 1903 2005

Abb. 2.2  Beispiele für die Steigerung der Produktvarianz

Zu den Varianten kommen Innovationen, welche Komplexität in die Produkte bringen


und somit auch einen hohen Anspruch an die Herstellungsprozesse stellen.
Zusätzlich ergibt sich eine Beschleunigung. Die Produktlebenszyklen und die Nut-
zungsdauer werden kürzer. Dies bedeutet, dass sich Produktionsbereiche schneller
verändern und zusätzlich auch während der laufenden Produktion mehr Änderungen
einfließen. Das Ziel, stabile und fehlerfreie Prozesse zu erreichen, ist anspruchsvoller
geworden.

2.2 Krise

Der Anspruch, etwas zu ändern, entsteht meist aus einer Not. Steckt ein Unternehmen
in Schwierigkeiten oder es entsteht eine Wirtschaftskrise und es geht um das Überleben,
kommt die Notwendigkeit für das Handeln auf.
Bei näherer Betrachtung der japanischen Schriftzeichen für das Wort „Krise“, d. h.
„Kiki“, ergeben sich trotz gleichem Laut zwei verschiedene Schriftzeichen (Abb. 2.3).
Bei einer Übersetzung der beiden Schriftzeichen unabhängig voneinander ergeben sich
die Worte „Katastrophe“ und „Chance“. Eine Krise hat also im japanischen Sinn zweier-
lei Bedeutung.
Max Frisch schreibt man folgende Aussage zu (Bickhoff und Eilenberger 2004):
„Krise kann ein produktiver Zustand sein. Man muss ihr nur den Beigeschmack der
Katastrophe nehmen.“ Dieser Spruch passt auf die japanischen Schriftzeichen. Häufig ist
ein gewisser Leidensdruck nötig, damit Unternehmen die Chance zum Wandel ergreifen.
Bei Toyota ergab sich das Streben nach Effizienz durch die Rohstoffkrise nach dem
zweiten Weltkrieg. Einer Krise folgen in der Regel Veränderungen und Verbesserun-
gen. Daraus entstand die Basis für das Toyota-Produktionssystem (TPS). Taiichi Ohno
(1912–1990) sagt über das Toyota-Produktionssystem, dass dieses aus einer Notwendig-
keit heraus entstanden ist (Ohno 2013, S. 48). In der Ölkrise 1973 wies die Toyota Motor
Company nachweislich weniger Einbußen aus, als andere Unternehmungen. Das Toyota-
Produktionssystem half aus der Krise und federte stärkere Verluste erfolgreich ab (Ohno
2013, S. 34).
2.2 Krise 13

Abb. 2.3 Japanische


Schriftzeichen für das Wort
„Kiki“ (Krise)
༴ ᶵ
Katastrophe Gelegenheit

Beispiel
Die Firma Porsche benötigte 1992 eine Krise für die Initialzündung eines Produkti-
onssystems. Der damalige Unternehmensleiter Wendelin Wiedeking holte einen japa-
nischen Berater zu Porsche. Er schickte seine Führungskräfte auf eine Lernreise nach
Japan. Lagerregale wurden inszeniert auf die halbe Größe zersägt, um die Bestände
zu reduzieren. Wendelin Wiedeking nahm an jedem Workshop teil (Freitag 2004).
Seine Vorgehensweise zeigte sich als sehr erfolgreich und brachte Porsche in relativ
kurzer Zeit in die Gewinnzone. Dies machte Wiedeking in dieser Zeit zu einem der
erfolgreichsten Unternehmensführer.

Daraus resultiert, dass Krisen im Zusammenhang mit Veränderungen und Verbesserun-


gen wichtig sind:

• Eine Krise erzeugt Handlungsdruck. Es entsteht Veränderungsdruck. Ohne Verände-


rungsdruck gibt es keine Veränderung.
• Eine Krise erzeugt das Bild einer „Burning Platform“. So sind alle gezwungen mitzu-
machen, im Sinne von: „Wir sitzen alle in einem Boot“.
• Eine Krise ist notwendig, um in einen instabilen Zustand zu kommen. Instabile
Zustände ermöglichen und führen zur Veränderung und somit auch zur Lösung von
Problemen.
• Eine Krise ist die Chance für Veränderungen. Dies ermöglicht eine Weiterentwick-
lung.

Bei der Frage, was Sie selbst aus einer kleinen Krise, wie Persönlichkeitskrise, Berufs-
krise, finanzielle Krise usw. gelernt haben, wird erkennbar, dass jeder aus diesen Situ-
ationen lernt. Es ergibt sich die Erkenntnis, dass man das Thema beim nächsten Mal
verändert angehen wird. Aus dieser Sicht ist die Krise ein produktiver Zustand, mit dem
eine Weiterentwicklung stattfinden kann. Existenzielle Krisen erfordern einen fundamen-
talen Wandel.
Darwin stellte die Frage nach dem Überleben der Spezies. Er führte aus, dass es ist
nicht die stärkste Spezies sei, die überlebt, und auch nicht die intelligenteste. Sondern
es sei diejenige, welche sich am besten an die Veränderungen in ihrem Umfeld anpassen
kann (Megginson 1963, S. 4; Forschelen 2017, S. 30).
14 2 Herausforderungen

Wichtig ist nicht nur ein Überleben in schlechten Zeiten, wie in Krisen, sondern
ebenso das Überleben in guten Zeiten. Auch wenn alles gut läuft, ist stets ein noch bes-
serer Zustand anzustreben. Toyota generiert bewusst Krisen und verknappt die Ressour-
cen. Unternehmen, die sich in guten Zeiten ausruhen und sich nicht weiter verbessern,
machen einen Rückschritt.

Beispiel
Ein Beispiel dafür ist die doppeldeutige „Oh-No-Methode“ von Taiichi Ohno (Ballé
und Ballé 2005, S. 55). So hat die Bezeichnung der Methode nicht nur Vergleichbar-
keit mit dem Nachnamen von Ohno, sondern auch mit dem Ausruf der Mitarbeiter,
„Oh No!“, wenn er trotz gut laufender Prozesse eine Verknappung einleitete. Es wur-
den 10 % der Ressourcen aus der Linie entnommen. Diese Verknappung löste eine
künstliche Krise aus, welche weitere Optimierungen erforderte. Das Unternehmen
lernte daraus und verbesserte sich.

Eine Krise mit Unterbeschäftigung kann ideal für Optimierungen und Verbesserungen
genutzt werden. In dieser Zeit kann die nicht genutzte Kapazität für Mitarbeiterqualifi-
zierungen und die Umsetzung von Optimierungen an den Prozessen verwendet werden.
Bei idealer Auslastung wäre dies nicht möglich. Eine Herzoperation würde man auch
nicht während des Joggens durchführen.

2.3 Betriebswirtschaft

Lean bedeutet, erfolgreich und gut zu wirtschaften. Somit ist es ein Teil der Betriebs-
wirtschaftslehre (BWL). Die Themen Lean und Betriebswirtschaftslehre stehen nicht in
Konkurrenz zueinander. Jedoch betrachtet Lean einige Themenstellungen der Betriebs-
wirtschaft aus einer anderen Perspektive.
In der klassischen Betriebswirtschaftslehre geht es um Gewinnmaximierung. Der
Gewinn setzt sich aus dem Erlös (Gl. 2.2) abzüglich der angefallenen Kosten zusammen
(Gl. 2.1):

Gewinn = Erlös − Kosten (2.1)

Erlös = Preis · Menge (2.2)


Während die Betriebswirtschaftslehre die Gewinnmaximierung über einen höheren Preis
oder eine höhere Absatzmenge steigert oder die direkten Kostenfaktoren, wie z. B. die
Personalkosten, senkt, nutzt Lean eine andere Vorgehensweise. Lean nähert sich der
Rechnung von der anderen Seite, über die Kostenreduzierung. Preis und Menge sind
durch die Wettbewerbssituation und die Sensibilität der Kunden fixiert. Der Markt regelt
Angebot und Nachfrage.
2.3 Betriebswirtschaft 15

Beobachtet man die Preisentwicklung von Produkten, so wirkt diese, als würden
die Preise steigen. Sieht man sich den Produktwert an, so entsteht ein anderes Bild
(Abb. 2.4). Die Preise bleiben inflationsbereinigt stabil.

Beispiel
Es wird aufgezeigt, dass Pkw, wie beispielsweise ein BMW 740, ein Mercedes-Benz
C180 und ein VW Golf, zwischen den Jahren 1990 bis 2004 nur minimale Preisver-
änderungen aufweisen (Becker 2007, S. 31). Und dies bei gleichzeitiger Integration
von neuer innovativer Serienausstattung. Zum Beispiel sind zwischenzeitlich ehema-
lige Sonderausstattungen in die Serienprodukte übergegangen: Servolenkung, Radio,
Klimaanlage, elektrische Fensterheber, Antiblockiersystem (ABS) und Elektronisches
Stabilitätsprogramm (ESP).

Über die Zeit kamen weitere Ausstattungen hinzu, welche für den Kunden einen Mehr-
wert bei gleichem Preis aufweisen. Für die Hersteller steigen bei gleichem Preis die Kos-
ten für die Serienausstattung. Zwar senken sich hier die Kosten durch die Aufhebung der
Komplexität in der Produktion und Logistik durch die weggefallene Varianz zwischen
Serienausstattung und Sonderwunsch, aber die Mehrkosten für die technische Umset-
zung sind nicht durch einen höheren Erlös abgedeckt. Die Kunden waren und sind nicht
bereit, mehr für ein Produkt zu bezahlen. Da der Wettbewerb ebenso gleichhohe Preise
auf dem Markt anbietet, bleibt der Preis stabil.

Euro

70.000

60.000
BMW 740

50.000

40.000

30.000
Mercedes-Benz
C180
20.000

VW Golf
10.000

1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004

Abb. 2.4  Fahrzeugpreisentwicklung. (Nach Becker 2007, S. 82)


16 2 Herausforderungen

Eine Gewinnmaximierung erfolgt über die nachhaltige Reduzierung der Kostenseite.


Den Fokus auf die Kosten zu legen bedeutet nichts Neues. Bei steigendem Innovations-
druck ergibt sich ein Druck auf die Arbeitsproduktivität. Vor allem Kostensenkungspro-
gramme sind an der Tagesordnung. Bei der Lean-Perspektive geht es aber nicht um das
Was, sondern um das Wie. Um gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben, betrachtet man
sich mithilfe der Lean-Aspekte die Aufwendungen in Prozessen mit einer anderen Her-
angehensweise. Dabei geht es nicht um das simple Reduzieren der Kosten durch Abbau
von Personal, Schließung von Standorten, Streichen von Dienstreisen usw. Lean legt den
Fokus auf die Eliminierung von nicht wertschöpfenden Prozessanteilen (Kap. 3) und
senkt somit die Kosten nachhaltig und wettbewerbsorientiert.
Ein anderer betriebswirtschaftlicher Aspekt ist die Gewinnsteigerung durch die Erhö-
hung der Menge. Mehr Absatz erzeugt höhere Erlöse (Gl. 2.2). Doch Vorsicht, Absatz
meint „mehr verkaufen“ und nicht nur „mehr produzieren“. In der Theorie mag die
Formel aufgehen, in der Praxis wäre aber eine Mehrproduktion ohne Verkauf eine Ver-
schwendung in Form von Überproduktion. Die Produkte müssen gelagert werden, altern,
sind schließlich technisch überholt und müssen dann nicht selten teuer verschrottet wer-
den. Statt Erlöse zu erwirtschaften, erhöhen sich die Kosten.
Was so banal und einleuchtend klingt, kommt bei jeder Anlagenplanung vor. Bei der
Planung und Beschaffung von Anlagen geht es immer um die Höhe der Anschaffungs-
kosten und letztendlich um die Umrechnung auf einen Teilepreis (Gl. 2.3).
Anschaffungskosten
Teilepreis = + variable Kosten (2.3)
geplante Stückzahl
Auch diese Rechnung schürt die Kostenseite, wenn die Stückzahl nicht vom Kunden
abverlangt wird wie geplant. Und es sind nicht diese Kennzahlen, die in Bezug auf die
Wirtschaftlichkeit einer Anschaffung im Fokus der Entscheidungen stehen. Rückrech-
nungen, bei denen es darum geht, wie viel Stück produziert werden müssen, damit die
Anschaffung wirtschaftlich ist, ohne den Kundenbedarf einzubeziehen, werden hier nicht
weiter vertieft. Sicher ist, dass hier bereits eine fehlerhafte betriebswirtschaftliche Pla-
nung beginnt.
Ein Themenfeld der Betriebswirtschaft ist auch die Bildung von Losgrößen
(Abschn. 5.1). Je mehr vom selben Teil produziert wird, umso günstiger sind die Her-
stellungskosten, weil sich dann die Umrüstzeit auf mehr Teile umlegen lässt. Hier besteht
das Risiko des Denkfehlers bei der einseitigen Fokussierung auf die Menge. Dass im
Themenfeld Lean Production ein großes Potenzial in den Umrüstzeiten und Lagerkosten
steckt, wird im Folgenden noch detaillierter aufgezeigt (Abschn. 13.3).
Ein weiteres Beispiel zeigt: Anschaffungsinvestitionen werden über ihre Laufzeit
abgeschrieben. Dabei wird der Quotient der Investition zur Laufzeit gebildet. Ist z. B.
eine Anlage oder Maschine abgeschrieben, so können durch längere Laufzeiten Erlöse
erwirtschaftet werden. Manche Unternehmen beschaffen eine neue Produktionsanlage,
um die Abschreibungen und Steuerersparnisse erneut durchführen zu können. Die Neu-
inbetriebnahme beinhaltet auch Anlaufkosten und Anlaufprobleme. Im Lean-Umfeld gibt
2.4 Kunde 17

es Firmen, welche ganz bewusst mit alten, gut gepflegten Anlagen und Maschinen sehr
gute Erlöse erwirtschaften, denn mit den abgeschriebenen Anlagen werden Erlöse produ-
ziert.
Zusammenfassend: Bei Lean geht es nicht nur um rein betriebswirtschaftliche Sicht-
weisen, sondern auch um das Hinterfragen der betriebswirtschaftlichen Vorgehensweise
durch einen anderen Blickwinkel mit Fokussierung auf die unterschiedlichen Zusam-
menhänge.

2.4 Kunde

Mahatma Gandhi sagte zum Thema Kunde: „A customer is the most important visitor on
our premises. He is not dependent on us. We are dependent on him. He is not an inter-
ruption of our work. He is the purpose of it. He is not an outsider of our business. He is
part of it. We are not doing him a favor by serving him. He is doing us a favor by giving
us the opportunity to do so“ (Forschelen 2017, S. 242).
Durch Kenneth B. Elliott wurden fünf wichtige Prinzipien bezüglich der Kunden
getroffen (Erbes 1941, S. 83):

1. The customer is not dependent upon us – we are dependent upon him.


2. The customer is not an interruption of our work – he is the purpose of it.
3. The customer is not a rank outsider to our business – he is a part of it.
4. The customer is not a statistic – he is a flesh-and-blood human being completely
equipped with biases, prejudices, emotions, pulse, blood chemistry and possibly a
deficiency of certain vitamins.
5. The customer is not someone to argue with or match wits against – he is a person
who brings us his wants. If we have sufficient imagination we will endeavor to handle
them profitably to him and to ourselves.

 Kunde Der Auftraggeber und Empfänger für ein Produkt oder eine Leistung. Kunden
müssen die Möglichkeit erhalten, eine Leistung zu bewerten, die Rechnung zu bezah-
len und „Nein“ sagen zu können. Wenn alle drei Faktoren möglich und übereinstimmend
sind, handelt es sich um einen wirklichen Kunden.

Die Kundin oder der Kunde ist der Grund, warum Produkte und Dienstleistungen gene-
riert werden. Ohne einen Kunden ist jegliche Produktion unnötig und eine Verschwen-
dung der Arbeitskraft, von Material, Energie und weiteren Ressourcen. Bei jedem
Kunden stellt sich die wichtige Frage, was der Kunde als Produkt oder Leistung wirklich
möchte und was er dafür bereit ist zu bezahlen.
Der Wert eines Produktes ist immer aus Kundensicht zu definieren (Womack et al.
1996, S. 40 ff.). Ein im Bereich Marketing vielfach genannter Satz lautet in Anlehnung
18 2 Herausforderungen

an Theodore Levitt (Levitt 2004): „Menschen kaufen keine Produkte. Sie kaufen Vorteile
(Benefits).“ Daraus abgeleitet kann die folgende Gleichung (Gl. 2.4) aufgestellt werden.
Qualität · Service Vorteile
Kundenwert = = (2.4)
Kosten · Zeit Total Cost of Ownership
Der Faktor Qualität umfasst die Funktionalität, die Leistung und die technischen Spezi-
fikationen. Der Faktor Service steht für die Verfügbarkeit und den angebotenen Service
sowie Support. Die Kosten beinhalten auch den Preis und die Lebenszykluskosten. Der
Faktor Zeit entspricht der benötigen Zeit, bis auf die Kundenanfrage reagiert wird.
Aus Unternehmersicht befindet sich der Kunde am Ende, nach dem letzten Prozess.
Aus Lean-Sicht ist dieser jedoch im Zentrum eines Unternehmens zu sehen und so ist
beim Kunden und seinem Wunsch zu beginnen. Dieser Kundenwunsch bezieht sich
neben dem Produkt und seiner Funktion oder einer Dienstleistung auch auf die Qualität
sowie die Zeit bis zur Auslieferung und den Preis für das Produkt.
Die Kundenanforderungen bilden Anforderungen an das Unternehmen ab (Tab. 2.1).
Die Kunden fordern individuelle Produkte. Dies hat Einfluss auf die Produktvarianz.
Außerdem sind eine gute Qualität, eine schnelle Verfügbarkeit (Belieferung, Lieferbe-
reitschaft, Termintreue) und möglichst geringe Kosten die relevanten Aspekte. Seit eini-
gen Jahren ist auch der Nachhaltigkeitsaspekt vermehrt kundengetrieben und -gefordert.
Dabei rücken die Nutzungsdauer, der Energieverbrauch und die Recyclingfähigkeit in
den Fokus (Kap. 22). Vor dem Kauf hat der Kunde einen hohen Informationsbedarf.
Kunden sind zufriedenzustellen. Das bedeutet, dass die Mindestanforderungen an ein
Produkt oder einen Service erfüllt sein müssen. Das Kano-Modell (Kano 1984) des Japa-
ners Noriaki Kano zeigt die Möglichkeiten zwischen den Qualitätseigenschaften und der
Kundenzufriedenheit auf (Abb. 2.5).
So gibt es in Anlehnung an einen Cartoon (Baeuchle 2005) scheinbar immer noch
Unterschiede zwischen dem, was der Kunde beschrieb, der Verkäufer versprach, der Her-
steller verstand, die Entwicklung entwickelte, die Produktion produzierte und der Kunde
wirklich gebraucht hätte.

Tab. 2.1  Anforderungen der Kunden und zugehörige Anforderungen an die Unternehmen


Kundenanforderungen Anforderungen an Unternehmen
Sofortige Verfügbarkeit am Kundenort Kurze Lieferzeiten, kurze Produktionszeit
Frische Ware Schnelle Durchlaufzeit, First-In-First-Out
Neue und besondere Produkte Schnelle Produktentwicklung und Verfügbarkeit
Günstige Produkte Reduzierung der Kosten
Hohe Qualität Null Fehler, gute Materialien
Individualisiertes Produkt Große Produktvielfalt, flexible Produktion
Umweltgerechtes Produkt Nachhaltige Produktion und Ressourceneffizienz
2.5 Expertenfragen 19

Zufriedenheit

Leistungsanforderung

Begeisterungsanforderung

Erfüllung der
Kundenanforderung
Verfehlung der
Kundenanforderung
Basisanforderung

Unzufriedenheit

Abb. 2.5  Kano-Modell der Kundenzufriedenheit. (Nach Kano 1984)

Wenn von Kunden gesprochen wird, dann sollte sich ein Unternehmen immer am
Endkunden orientieren. Diese Ausrichtung gilt für jeden einzelnen Bereich. Die Legi-
timation eines jeden Einzelnen im Unternehmen dient dem Kunden. Das klingt in der
Theorie banal, ist es in der Praxis aber bei weitem nicht. Allein die nächste Station als
sogenannten „internen Kunden“ zu verstehen ist für viele heutzutage immer noch ein
großer Schritt.
Das Fazit ist einfach erkannt, aber manchmal nur schwer umgesetzt: Produziere nur
das, was benötigt wird. Nicht mehr und nicht weniger. Der Kunde ist zufriedenzustellen,
denn er bezahlt das Produkt und damit das Unternehmen und dessen Zukunft.
Typische Ziele von Lean sind also nicht Einsparprogramme oder das Entlassen von
Mitarbeitern, sondern die Erreichung von 100 % Kundenzufriedenheit bei geringen Kos-
ten.

2.5 Expertenfragen

Die Expertenfragen drehen sich in diesem Kapitel um die Thematik der Krise, der
Betriebswirtschaft und der Kunden.
20 2 Herausforderungen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Krise relevant


• Wie ist die unternehmerische Reaktion auf Krisen?
• Was wird in Krisensituationen anders gemacht als sonst?
• Was wurde aus bisherigen Krisen gelernt und für die Zukunft angepasst?

Fragen zur Betriebswirtschaft


• Was kostet die Leistungserstellung?
• Wie alt ist die älteste Anlage oder Maschine?
• Wie werden Losgrößen festgelegt?
• Orientiert sich das Unternehmen an der nachhaltigen Optimierung der Kosten?

Folgende Fragen sind mit Fokus auf den Kunden relevant


• Ist bekannt, wer die Endkunden sind?
• Ist bekannt, für wen die Tätigkeit durchgeführt wird (interner und externer Kunde)?
• Wer sind die Kunden?
• Was benötigen die Kunden?
• Wird genau das an die Kunden geliefert, was bestellt wurde?
• Wofür bezahlt der Kunde?
• Erhalten die Kunden das, was sie erwarten?
• Gibt es Rückmeldungen von den Kunden (z. B. zur Qualität)?
• Wie werden Rückmeldungen von Kunden genutzt?
• Wie werden Kunden motiviert und begeistert?

2.6 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Herausforderungen


• Effektivität bedeutet, die richtigen Dinge zu tun. Der Fokus liegt auf der Zielerrei-
chung.
• Effizienz bedeutet, die Dinge richtig zu tun. Der Fokus liegt auf der Knappheitsbe-
wältigung und der Ressourcennutzung.
• Krisen sind Chancen, aus denen gelernt wird, um sich weiterzuentwickeln.
• Nicht nur in Krisen sind Veränderungen voranzutreiben. Auch wenn alles gut läuft,
ist ein besserer Zustand anzustreben. Toyota generiert bewusst Krisen und ver-
knappt Ressourcen, um sich weiterzuentwickeln.
• Lean bedeutet, erfolgreich und gut zu wirtschaften. Lean und die Betriebswirt-
schaftslehre stehen nicht in Konkurrenz.
• Die Betriebswirtschaftslehre erzeugt eine Gewinnmaximierung über höhere
Absatzmengen oder höhere Preise.
• Lean verfolgt eine Gewinnmaximierung durch Senkung der Kosten.
• Lean legt den Fokus auf die Eliminierung von nicht wertschöpfenden Prozessantei-
len und senkt somit die Kosten nachhaltig und wettbewerbsorientiert.
Literatur 21

• Der Kunde steht im Fokus. Nur mit Kundenorientierung ist ein Unternehmen lang-
fristig erfolgreich.
• Das Ziel von Lean ist die Erreichung von 100 % Kundenzufriedenheit bei mög-
lichst geringen Kosten.

Fragen
• An welchen Stellen hat die Lean-Denkweise einen anderen Blick als die klassische
Betriebswirtschaftslehre?
• Welche Auswirkungen haben die veränderten Kundenpräferenzen hin zu einem
immer größeren Variantenangebot auf die Produktion?
• Warum sind Krisen auch positiv?
• Welche Bestandteile umfasst der Faktor Qualität?

Literatur

Baeuchle C (2005) Kreativität effizient nutzen. Automob Ind 5:24–28


Ballé F, Ballé M (2005) The Goldmine – a novel of lean turnaround. Lean Enterprise Institute,
Brookline
Becker H (2007) Auf Crashkurs – Automobilindustrie im globalen Verdrängungswettbewerb,
2. Aufl. Springer, Berlin
Bickhoff N, Eilenberger G (2004) Einleitung. In: Bickhoff N, Blatz M, Eilenberger G, Haghani S,
Kraus KJ (Hrsg) Die Unternehmenskrise als Chance – Innovative Ansätze zur Sanierung und
Restrukturierung. Springer, Berlin, S 3–12
Drucker PF (1963) Managing for business effectiveness. Harvard Bus Rev 3:53–60
Erbes (1941) Complaints as an asset. J Advert 195:17–83
Forschelen B (2017) Kompendium der Zitate für Unternehmer und Führungskräfte. Springer Gabler,
Wiesbaden
Freitag M (2004) Formel Toyota. Manager Magazin 12:72–83
Kano N (1984) Attractive quality and must-be quality. J Jpn Soc Qual Control 14(2):39–48
(Hinshitsu)
Levit T (2004) Marketing myopia. Harvard Bus Rev 7:138–149
Megginson LC (1963) Lessons from Europe for American business. Southwest Soc Sci Q 44(1):3–13
Ohno T (2013) Das Toyota-Produktionssystem, 3. Aufl. Campus, Frankfurt
Wildemann H (2011) Variantenmanagement – Leitfaden zur Komplexitätsreduzierung, -beherrschung
und -vermeidung in Produkt und Prozess, 19. Aufl. TCW, München
Womack JP, Jones DT, Roos D (1996) Auf dem Weg zum perfekten Unternehmen – Lean Thinking,
3. Aufl. Heyne, München
Verschwendung
3

Für kein Tier auf der Welt wird so viel gearbeitet, wie für die Katz.
Marie Furukawa-Caspary

Zusammenfassung
Die Definitionen der Verschwendungsarten und deren Abgrenzung zur wertschöpfen-
den Arbeit sind ein zentrales Thema einer Optimierung. Ziel ist es, die Verschwen-
dungsarten zu sehen, zu erkennen und einteilen zu können.

Knalsch GmbH: Ineffizienz


Herr Alsch ist sich sicher, wenn er die Knalsch GmbH aus seiner Sicht betrach-
tet, dann sind ausreichend Mitarbeiter an Bord und dennoch kann nicht immer der
gewünschte Output in der Produktion erreicht werden. Seiner Meinung nach läuft
es einfach nicht rund. Zudem müssen hin und wieder zusätzliche Samstagsschich-
ten eingeplant werden, damit die notwendigen Stückzahlen überhaupt ausgeliefert
werden können.
So entstand bei ihm auch die Idee, zu expandieren und neue Mitarbeiter einzu-
stellen. Aber eigentlich müsste die geforderte Stückzahl mit den vorhandenen Mit-
arbeitern produziert werden können. Dies hat die Planung ergeben. Aber warum
funktioniert das nicht?
Bei einem Produktionsdurchgang sieht der Geschäftsführer mehrere Werker an
den Fertigungsmaschinen für die Komponenten stehen. Diese warten auf fehlendes
Material für ihre Produktion und können nicht weiterarbeiten.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 23


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_3
24 3 Verschwendung

3.1 Prozesse

In der Lean-Philosophie ist der Fokus auf die Prozesse elementar.

 Prozess Ein Ablauf, der sich aus mehreren Teilen (Teilprozesse, Aktivitäten) zusam-
mensetzt und ein Ergebnis (Output) produziert. Typischerweise ist ein Prozess standar-
disiert und wiederholbar. Prozessgrenzen ergeben sich in der Produktion dort, wo das
Material wartet, ohne dass daran eine Veränderung stattfindet. Prozesse haben einen defi-
nierten Input von Lieferanten und einen Output für Kunden.

Es sei der Unterschied zur betriebswirtschaftlichen Denkweise kurz und einfach aufge-
zeigt. Da die betriebswirtschaftliche Sicht auf ein Unternehmen durch das Controlling
getrieben ist, steht das Ergebnis im Fokus. Dieses zu erreichen ist das Ziel mittels der
gegebenen Prozesse. Eine einfache Rechendarstellung wäre Gl. 3.1 mit dem Fokus auf
das Ergebnis (Ergebnisfokus):
x+y =9 (3.1)
Wie ist diese Aufgabe zu lösen? Sie lässt trotz Ergebnisvorgabe unendlich viele Mög-
lichkeiten in der Kombination der Faktoren zu, denkt man z. B. auch an nicht ganzzah-
lige Kombinationsmöglichkeiten, Brüche und negative Zahlen. So vielfältig sind die
einzelnen Prozesse auch in der Realität. Es gibt sehr viele Einflüsse auf das Ergebnis.
Lean setzt bei den Prozessen an und nimmt diese in den Fokus. Sind die einzelnen
Faktoren der Prozesse bekannt, so steht auch das Ergebnis fest. Den Prozessfokus stellt
die folgende vereinfachte Gl. 3.2 beispielhaft dar:

3+6=z (3.2)
Im Weiteren wird auf die Prozesse und deren Einflussgrößen fokussiert, mit dem Ziel,
ein gutes Ergebnis zu erreichen.

3.2 Wertschöpfung

Bei der Wertschöpfung wird das Produkt aus der Kundensicht betrachtet. Welche Pro-
zesse und Arbeitsschritte bilden für den Kunden einen Mehrwert? Der Begriff des Mehr-
wertes ergibt sich, wenn der Output eines Prozesses größer ist als der Input. So entstand
auch der Begriff der Mehrwertsteuer, da es sich um einen Differenzbetrag zwischen Ein-
und Verkauf handelt, obwohl dies in der Realität die sogenannte Umsatzsteuer ist.

 Wertschöpfung Die Differenz zwischen dem Wert der vom Unternehmen erstellten
und der von ihm bezogenen Leistungen. Zwischen dem Prozessinput und dem Prozes-
soutput findet eine Transformation statt. Als wertschöpfend bezeichnet man die Prozess-
schritte, in denen ein Nutzen für den Kunden generiert wird. Für diesen Wert ist der
3.3 Sicherheit 25

Kunde bereit, etwas zu bezahlen. Finanziell definiert sich die Wertschöpfung aus dem
Umsatz abzüglich der Vorleistung.

Die Wertschöpfung wird aus Kundensicht als Nutzleistung bezeichnet. Die Erhöhung der
Wertschöpfung wird durch eine Verbesserung der Prozesse erreicht, indem nicht wert-
schöpfende Tätigkeiten eliminiert und durch wertschöpfende ersetzt werden.
Diese Vorgehensweise beherrschen die Japaner bei Toyota sehr gut. Der israelische
Satiriker Ephraim Kishon sagte zu diesem Thema (Forschelen 2017, S. 648): „Was die
Japaner machen, ist unlauterer Wettbewerb. Die arbeiten doch tatsächlich während der
Arbeitszeit.“

3.3 Sicherheit

Bevor Prozesse genauer angesehen und analysiert werden, gilt: „Sicherheit zuerst“ (engl.
safety first). Denn Sicherheit geht vor Schnelligkeit. Die Gesundheit des Menschen ist
das höchste Gut. Kranke und ausgefallene Mitarbeiter sind eine der teuersten Aufwen-
dungen. Bleiben die Mitarbeiter gesund, so ist bereits ein großer Ausgabenfaktor stark
reduziert.
Auch Gefährdungen sind für das Thema Sicherheit relevant. Jeder Beinahe-Unfall
und jede Gefährdung, welche erkannt und eliminiert wird, hilft bei der Vermeidung von
Arbeitsunfällen. Die Gefährdungsanalyse zeigt, je mehr Gefährdungen, umso höher ist
die Wahrscheinlichkeit für Unfälle (Abb. 3.1).
Das Thema Sicherheit ist bei Toyota in der Unternehmensethik und dem Policy
Deployment (Strategieentwicklung des Unternehmens) fest verankert. Sicherheit ist das
wichtigste Thema und steht vor allen anderen Themen. Dies liegt sicher auch daran, dass

1
tödlicher
Unfall

100 Unfälle mit


Verletzung/Arbeitsausfall dokumentiert
undokumentiert
1.000 Unfälle ohne Verletzung

10.000 Beinahe-Unfälle

100.000 riskante Situationen, Handlungen, Bedingungen

Abb. 3.1  Gefährdungsanalyse nach „Heinrich’s Law“. (Nach Heinrich 1931)


26 3 Verschwendung

eine fehlende Sicherheit einen direkten Einfluss auf alle anderen Lean-Kennzahlen hat.
Die Qualität kann nicht garantiert werden, wenn es Defizite in der Sicherheit oder Ergo-
nomie gibt. Die Liefertreue kann nicht eingehalten werden, wenn unfallbedingt Mitarbei-
ter ausfallen und die Kapazität darunter leidet. Krankheitskosten und Ausfälle treiben die
Kosten unnötig in die Höhe.

Beispiel
Das bei Toyota in allen Werken regelmäßig stattfindende „Kiken Yochi Training“
(KYT) ist eine Gruppenaktivität in der Produktion zur Reduzierung von Risiken und
Gefahren. Da es die Unternehmensstrategie unterstützt, wird es ebenso regelmäßig
angewendet wie die Optimierungsaktivitäten (Abschn. 11.1).

Sowohl die Reduzierung von Risiken und Gefahren in Prozessen als auch die Prozessop-
timierungen greifen dabei ineinander. Sicherheit schließt die Ergonomie (Abschn. 12.2)
mit ein. Dabei sind Sicherheit, Ergonomie und Lean kein Widerspruch, sondern gleich-
zusetzen. Sichere Tätigkeiten sind immer mit weniger Bewegungen und damit mit weni-
ger Verschwendung verbunden.

3.4 Die sieben Arten der Verschwendung

Das Sparen ist eine schwäbische Tugend. Die Vermeidung von Verschwendung ist eine
japanische Analogie für optimierte und wertschöpfende Prozesse. Die Japaner nennen
dies Muda. Furukawa-Caspary (2016) nennt es „für die Katz“ arbeiten.

 Muda Der japanische Begriff steht für „sich abmühen“ oder „sinnloser Aufwand“.
Muda wurde aufgrund der englischen Übersetzung „waste“ in der deutschen Sprache
mit „Verschwendung“ übersetzt. Muda bzw. Verschwendung bezeichnet alle Tätigkei-
ten, welche nicht unmittelbar der Wertschöpfung dienen, also jede Aktivität, die Res-
sourcen verbraucht (Kosten verursacht), aber keinen Mehrwert erzeugt. Muda gilt es zu
vermeiden.

Die tatsächliche Bedeutung aus dem Japanischen, „sich abmühen“ und „sinnlo-
ser Aufwand“, bringt die nutzlosen Tätigkeiten besser auf den Punkt als die bekannte
Bezeichnung „Verschwendung“. Werden Prozesse hinsichtlich der Verschwendung aus
unternehmerischer Sicht analysiert und geht man mit der wahren japanischen Bedeutung
heran, so wird sicherlich mehr sichtbar. Im Folgenden wird der übliche Begriff „Ver-
schwendung“ genutzt. Der Gedanke des sinnlosen Aufwandes und des menschlichen
Abmühens soll jedoch eingeschlossen sein.
Taiichi Ohno definierte vermutlich zusammen mit dem Japaner Shigeo Shingo
(1909–1990) die sieben Arten von Muda. Verschiedene Quellen benennen jeweils einen
der beiden als Erfinder (Ohno 2013, S. 54). Shingo war Weggefährte von Ohno und galt
3.4 Die sieben Arten der Verschwendung 27

als Qualitätsguru (Zollondz 2013, S. 172). Die sieben Arten der Verschwendung (Muda)
sind:

• Überproduktion
• Überflüssige Bewegung
• Wartezeit
• Transport
• Prozessübererfüllung
• Bestände
• Fehler, Ausschuss und Nacharbeit

Begonnen wird hierbei bewusst mit der schlimmsten Verschwendungsart, der Über-
produktion, welche alle weiteren Verschwendungsarten nach sich zieht. Es gibt einen
Unterschied zwischen der Betriebswirtschaftslehre und der Lean-Lehre. So gilt in der
Betriebswirtschaftslehre mit ihrer Fixkostendegression die Berechnung, dass bei hoher
Stückzahlausbringung die Stückkosten (Kosten je Stück) sinken. Vom Grundsatz her ist
dies korrekt. Dies ist aber nur dann realistisch, wenn es einen Abnehmer für die produ-
zierte Menge gibt. Häufig wird aus Kostengründen vorerst für das Lager nach dem Push-
Prinzip produziert (Abschn. 5.1) und nicht für den Kunden. Das gleiche Problem ergibt
sich beim Einkauf von Material. Wird mehr abgenommen, sinkt der Stückpreis beim
Einkauf. Aber für diese Menge muss auch ein Verwendungsbedarf bestehen. Es entste-
hen Transporte und Bestände, also weitere Verschwendungsarten. Im unglücklichsten
Fall muss die Ware schließlich verschrottet werden, und es bleiben der Schrottwert des
Materials oder die Kosten für die Entsorgung.
Übersetzt man die klassischen sieben Begriffe ins Englische und sortiert diese neu,
kann der Name „Tim Wood“ als Merkwort erzeugt werden:

• Transport (Transport)
• Inventory (Bestände)
• Movement/Motion (Überflüssige Bewegung)
• Waiting (Wartezeit)
• Overproduction (Überproduktion)
• Overprocessing (Prozessübererfüllung)
• Defects (Fehler, Ausschuss und Nacharbeit)

In manchen Unternehmen sind die Anzahl und Definitionen der Verschwendungsarten


unterschiedlich. Zu den üblichen sieben bzw. acht (Abschn. 3.5) kommen weitere Defini-
tionen hinzu, mit dem Ziel, die Mitarbeiter für wichtige Themen, beispielsweise Ergono-
mie, zu sensibilisieren. Bei näherer Betrachtung lassen sich diese alle im weiteren Sinne
den ursprünglichen sieben Verschwendungsarten zuordnen. Beispiele hierfür sind: Ener-
gie (Überproduktion/Prozessübererfüllung), Ergonomie (unnötige Bewegung), Fläche
(Bestände) oder Suchen (Wartezeit/Fehler).
28 3 Verschwendung

An den unterschiedlichen Tätigkeiten von Unternehmen ist erkennbar, dass auch


die Verschwendungsarten mit unterschiedlichem Fokus zu betrachten sind: Verschwen-
dung von Material, Verschwendung von Ressourcen (Maschinen, Rohstoffe, Zeit, Ener-
gie), Verschwendung von Informationen (im administrativen Bereich, Abschn. 16.2),
Verschwendung der menschlichen Arbeitskraft oder Verschwendung von Flächen und
Gebäuden.
Es folgt eine Detaillierung der sieben Verschwendungsarten.

Überproduktion
Verschwendung durch Überproduktion ergibt sich durch die Herstellung von Produk-
ten, für die keine Bestellung vorliegt. Dies ist sichtbar in einer Produktion von größeren
Stückzahlen, als notwendig wären, oder in einer Produktion auf Vorrat. Produkte werden
früher, schneller und in größeren Mengen produziert, als diese bestellt werden. Es findet
ein Vorarbeiten und eine Überbelieferung statt.
Ursachen sind eine Produktionssteuerung nach dem Push-Prinzip, Losgrößenbildung,
fehlender Kundenfokus, schlechte Mitarbeiterauslastung und operative Hektik, aufgrund
verdeckter Unterauslastung.
Die Folge ist im Extremfall die Verschrottung von Ware. Überproduktion erzeugt
unnötigen Transport, unnötiges Handling und Lagerbestände, welche Fläche und Energie
benötigen.
Überproduktion verhindert eine Produktion im Fluss, verursacht Kosten, lenkt vom
Kunden ab, baut Bestände auf, verbraucht Ressourcen ohne Bedarf und belegt Flächen.

Beispiel
Ein Beispiel aus dem Alltag wäre, wenn viel mehr Nudeln gekocht als verzehrt wer-
den. Es bleibt ein Rest übrig.

Überflüssige Bewegung
Verschwendung durch überflüssige Bewegung tritt auf, wenn sich Personen mehr bewe-
gen, als notwendig wäre, um den Arbeitsprozess durchzuführen. Bewegungen ergeben
sich durch lange Laufwege und Umwege. Unnötige Bewegungen und eine schlechte
Ergonomie führen zu schlechten Bewegungsabläufen, wie Bücken, Strecken oder Dre-
hungen. Bei Anlagen kann sich diese Verschwendungsart in Form von unnötigen
Maschinenbewegungen finden, wie beispielsweise bei ausschweifenden Roboterbewe-
gungen oder einem langen Weg des Werkzeuges bis zum Werkstück.
Ursachen sind fehlende Standards, eine schlechte Planung der Arbeitsabläufe,
schlechte Stationsgestaltung und Layouts sowie fehlendes Training.
Die Folgen sind unnötige Mehrkosten, nicht ergonomische Bewegungen und Mehrbe-
lastung der Mitarbeiter.
Überflüssige Bewegungen unterbrechen den Produktionsfluss und erhöhen die Pro-
duktionszeit. Außerdem können Verletzungen verursacht werden.
3.4 Die sieben Arten der Verschwendung 29

Beisipel
Ein Beispiel aus dem Alltag wäre, wenn die zum Kochen benötigten Küchenutensilien
nicht am richtigen Platz lagern und immer erst über eine größere Distanz geholt wer-
den müssen.

Wartezeit
Warten ist Verschwendung. Ob das Warten auf einen Prozess, auf Material oder einen
Kollegen, es handelt sich nicht um Wertschöpfung. Hierin einzusortieren sind Rüstzeiten,
Ausfallzeiten und Störungen an Maschinen, ein niedriger Auslastungsgrad, Behinderun-
gen, nicht synchronisierte Prozesse und das Suchen nach Material oder Informationen.
Ursachen sind eine schlechte Austaktung (Abschn. 6.3), Engpässe und Maschinenaus-
fälle sowie Lieferverzug. Weitere Auslöser können eine fehlerhafte Produktionsplanung
und Steuerung sowie Mängel in der Produktqualität und der Produktentwicklung sein.
Eine fehlende Flexibilität ist ein weiterer Grund für Wartezeiten.
Wartezeiten behindern den Produktionsfluss, denn dieser kommt ins Stocken. Eine
kontinuierliche Produktion ist nicht mehr möglich. Es ergeben sich lange Durchlaufzei-
ten und Liefertermine können nicht eingehalten werden. Es entstehen Personalkosten,
obwohl in der Zeit keine Wertschöpfung stattfindet.

Beispiel
Im Alltag ergibt sich das Beispiel, wenn an einer Kasse gewartet werden muss. Auch
auf Prozesse muss gewartet werden. Beispiele sind das Warten auf die Pizza vor dem
Backofen oder auf die fertige Wäsche vor der laufenden Waschmaschine. Das Suchen
nach Werkzeugen oder Putzutensilien verursacht Verzögerungen.

Eine Ausnahme davon ist, wenn Sicherheitsfunktionen wahrgenommen werden. Das


Warten der Feuerwehr auf einen Einsatz ist nicht als Verschwendung anzusehen, sondern
deren Hauptaufgabe, welche als notwendig einzuordnen ist. Interessant wird es, wenn
die Wartezeit wertschöpfend genutzt wird, nämlich für Tätigkeiten der Weiterbildung,
Reinigung oder Instandsetzung.

Transport
Das Bewegen von Gütern beschreibt einen Standortwechsel, dabei findet aber kein Wert-
zuwachs statt. Transporte zählen somit zu Verschwendungen. Transporte ergeben sich
aufgrund von getrennten Prozessen. Der Transport in und von einem Lager ist nicht
wertschöpfend, ebenso wie Leerfahrten ohne Material oder ohne Leergut.
Ursachen sind komplizierte Layouts und schlechte Anordnungen des Materialflusses
ohne Beachtung des Fluss-Gedankens. Auch unnötige Materialtransporte und schlecht
verknüpfte Prozesse verursachen Transporte. Ein weiterer Grund kann sich durch die
Nutzung einer Maschine oder eines Werkzeuges durch mehrere Prozessabläufe ergeben.
Alle Ströme müssen zu dieser Anlage hin und zurück transportiert werden. Vorrichtun-
gen und Werkzeuge müssen zur Fertigung gebracht und zurücktransportiert werden.
30 3 Verschwendung

Die Folgen sind eine unnötige Belegung von Transportmitteln, verschwendete Flä-
chen und die Gefahr, Produkte auf dem Transportweg zu beschädigen. Transporte erhö-
hen die Durchlaufzeit in der Produktion und verbrauchen Ressourcen.

Beispiel
Im Alltag erkennt man den Transport z. B. beim Holen von Getränken aus dem Keller
in die Wohnung.

Prozessübererfüllung
In einem Prozess mehr zu tun, als für die Einhaltung der Kundenspezifikationen not-
wendig ist, bezeichnet man als Prozessübererfüllung. Beispiele sind: tiefere Boh-
rungen als erforderlich, mehrfache Verpackung, die Aufbringung von mehr Lack
als notwendig, Mehrfachhandling oder auch unnötiger Mehrverbrauch an Material,
Arbeitskraft und Energie. Unnötig eingeplante Arbeitsschritte, wie Prüfvorgänge
oder Nacharbeiten, fallen ebenso in diese Kategorie. Zum Teil haben die betroffenen
Arbeitsgänge ihren Ursprung durch die Komplexität im Produktdesign oder durch Vor-
gaben der Prozessplanung. Die Folgen sind Einstelltätigkeiten oder eine aufwendige
Materialbereitstellung.
Die Ursachen liegen in falschen oder veralteten Arbeitsstandards oder der Einstellung,
dass dies schon immer so gemacht wurde. Auch ein fehlendes Prozessverständnis, feh-
lende Standards oder eine mangelhafte Umsetzung von Verbesserungen und Innovatio-
nen zählen zu den Ursachen für eine Prozessübererfüllung.
Eine Übererfüllung im Prozess verbraucht Zeit und Ressourcen, ohne einen Gegen-
wert vonseiten des Kunden zu erhalten. In ungünstigen Fällen kann sich das „zu viel“
auch negativ auf die Qualität auswirken und den Lebenszyklus des Produktes verkürzen.

Beispiel
Im Alltag findet eine Prozessübererfüllung beispielsweise beim Putzen und Staubsau-
gen statt. Wird unmittelbar mehrfach an der gleichen Stelle gereinigt, wird das Sau-
berkeitsergebnis nicht weiter verbessert. Ein Paket, welches mit mehr Klebeband als
notwendig verpackt wird, fällt in diese Verschwendungsart. Auch kochendes Wasser
weiter zu erwärmen, erzeugt eher eine Verdampfung als ein „heißeres“ Wasser. Wer
seinen Kaffee oder Tee eine lange Zeit umrührt, wird das Mischverhältnis von Milch
und Zucker irgendwann nicht mehr weiter verbessern.

Bestände
Materialien, die vorgehalten und vor, zwischen oder nach Prozessen gelagert werden,
werden Bestände genannt. Bestände sind Rohmaterialien, Halbzeuge, unfertige Pro-
dukte, fertige Ware und Hilfsmaterialien. Es handelt sich um eingekauftes, aber nicht
verkauftes Material, an dem nicht wertschöpfend gearbeitet wird. Bestände befinden sich
zwischen den Prozessen und in Lagern. Sie belegen Flächen und benötigen in Gebäuden
Energie (Heizung, Lüftung, Licht).
3.4 Die sieben Arten der Verschwendung 31

Die Ursachen sind in übertriebenen Sicherheitsgedanken und verdeckten Problemen zu


finden. Bestände werden dadurch verursacht, dass die Produktion nicht an den Kundenbe-
darf angepasst ist, ungenaue Prognosen genutzt werden oder lange Ausfallzeiten sowie lange
Rüstzeiten vorliegen. Große Losgrößen führen unweigerlich zu Beständen vor und nach Pro-
zessen. Unzuverlässige Lieferanten lösen durch ihr Verhalten höhere Bestandsmengen aus.
Bestände lösen weitere Verschwendungen aus, wie Transporte, Lager, zusätzliche Flä-
chenbelegungen, Energieaufwand, Qualitätsprobleme durch Lagerung und Transport und
gegebenenfalls Ausschuss durch Alterung. Lager und Bestände müssen verwaltet wer-
den. All dies verursacht zusätzliche Kosten und bindet Kapital.

Beispiel
Im Alltag findet man Bestände dort, wo Angebotspreise oder Sparpacks genutzt wer-
den. So ergibt sich z. B. ein Vorrat an verschiedenen Shampoo-Flaschen im Bad. In
Küchenschubladen sind manchmal ebenso hohe Bestände zu finden (Abb. 3.2).

Zu diesem wichtigen Thema rund um die Bestände gibt es weitere Erklärungen im


Abschn. 4.3.

Fehler, Ausschuss und Nacharbeit


Fehler in Prozessen erzeugen eine schlechte Produktqualität. Fehlerhafte Produkte gene-
rieren unzufriedene Kunden und werden weder akzeptiert, noch bezahlt. Durch schlechte
Qualität gehen Kunden verloren. Fehlentwicklungen oder fehlerhafte Produktionen
erfordern Zusatzprüfungen sowie Nacharbeiten und generieren Ausschuss.

Abb. 3.2  Beispiel: Bestand an Behältern in einer Küchenschublade


32 3 Verschwendung

Fehler entstehen bei Abweichungen oder durch variable und nicht standardisierte Pro-
zesse. In Maschinen sind Abweichungen durch schlechte Werkzeuge meist eine wesent-
liche Fehlerursache. Bei manuellen Prozessen sind fehlerhafte oder fehlende Standards
das Problem. Und das Fehlen der richtigen Fähigkeiten sowie mangelndes Training bei
den Mitarbeitern sind vielfach der Auslöser für Prozessabweichungen. Ursachen können
auch in einem schlechten Produktdesign oder einer ungenügenden Produktentwicklung
begründet sein.
Dadurch entstehen Folgekosten oder im Fall von Ausschuss der Verlust des Materi-
als und der eingebrachten Ressourcen und Arbeitskraft. Bei einer nochmaligen Nach-
bearbeitung unterbricht die erneute Bearbeitung den regulären Produktionsfluss und
kostet einen weiteren Bearbeitungszyklus. Bei Nacharbeiten werden zusätzlich weitere
Ressourcen verbraucht und der Verwaltungsaufwand steigt analog. Ebenso verlängert
sich die Durchlaufzeit. Das Vertrauen der Kunden in das Produkt, die Marke und in die
Firma nehmen ab.
Die Lösung ist die Fehlervermeidung innerhalb des Prozesses. Der Schlüssel zum
Erfolg ist immer eine fehlerfreie Produktion (first time right).

Beispiel
Im Alltag begegnen uns Fehler z. B. in der Küche, wenn man sich nicht an das vorge-
sehene Rezept gehalten hat und der Geschmack nicht die Erwartung erfüllt. Die Ver-
wechslung von Salz mit Zucker führt zur Ungenießbarkeit von Speisen. Ein stumpfes
Messer erzeugt beim Tomatenschneiden sicherlich mehr Ausschuss in Form von
unförmigen oder gematschten Tomatenscheiben.

3.5 Die achte Verschwendungsart

Zu den vorgestellten sieben Arten der Verschwendung (Abschn. 3.4) wurde eine achte
hinzugefügt. Es handelt sich um das nicht genutzte Mitarbeiterwissen. Werden die Ideen
von Mitarbeitern nicht genutzt oder nicht abgefragt, so geht dieses Wissenspotenzial ver-
loren. Dies kann demotivierend wirken.
Diese Verschwendungsart begründet sich im Verlust von Ideen, nicht genutzten, aber
vorhandenen Fähigkeiten, Erfahrungen und Wissen von Mitarbeitern. Damit verbunden
ist ein für das Unternehmen nicht genutztes Verbesserungspotenzial. Diese Verschwen-
dungsart tritt beispielsweise auf, wenn Beteiligte nicht in Prozesse eingebunden werden
oder Führungskräfte nicht nachfragen und nicht bereit sind zuzuhören. Ideen gehen hier-
durch verloren und werden nicht genutzt. Mangelt es an Führung und Coaching der Mit-
arbeiter, so zählt dies auch zu dieser Verschwendungsart.
Das nicht genutzte Mitarbeiterwissen ist aus Unternehmenssicht eine große Vergeudung,
da die Menschen im Unternehmen das größte Kapital sind. Man sollte das Beste aus ihnen
herausholen und sie fördern. Kritisch betrachtet ist die achte Verschwendungsart vielleicht
die wichtigste, denn der Mensch im Unternehmen sollte nicht vernachlässigt werden.
3.6 Einteilung der Tätigkeiten 33

Beispiel
Zu Hause würde eine solche Verschwendung vorliegen, wenn keiner verrät, wo der
Putzeimer steht und man ständig auf der Suche danach ist.

Das Merkwort Tim Wood wird um ein „s“ zu Tim Woods ergänzt. Das „s“ steht für den
englischen Begriff „Skills“. Somit hat das Merkwort auch für acht Verschwendungsarten
Gültigkeit.

3.6 Einteilung der Tätigkeiten

Alle Tätigkeiten werden in drei Kategorien eingeteilt (Tab. 3.1). Es geht um die wert-
schöpfenden Tätigkeiten, welche der Nutzleistung entsprechen und in der Regel eine
grüne Farbe bei einer Visualisierung erhalten. Die Verschwendungen sind eine Blindleis-
tung und rot visualisiert. Mit dem gelben Bereich existiert noch eine weitere Tätigkeits-
art zwischen Wertschöpfung und Verschwendung: die Scheinleistung. Diese Tätigkeiten
werden als notwendig beschrieben, haben jedoch keinen wertschöpfenden Charakter.
Eine Aufteilung in die drei verschiedenen Tätigkeitsarten ist in Abb. 3.3 zu sehen. Die
in der Abbildung dargestellte Verteilung entspricht einer üblichen Aufteilung eines nicht
optimierten Prozesses.

Beispiel
An einem einfachen Beispiel kann verdeutlicht werden, wie eine Einteilung erfolgen
kann. Das Verbinden von zwei Teilen mit einer Schraube:

• Holen der Schraube: Blindleistung – Verschwendung,


• Ansetzen der Schraube: Scheinleistung – notwendig aber nicht wertschöpfend,
• Schraubvorgang: Scheinleistung – notwendig aber nicht wertschöpfend,
• Festziehen mit der letzten Schraubwindung: Nutzleistung – wertschöpfende Tätigkeit,
• Weglegen des Schraubers: Blindleistung – Verschwendung.

Tab. 3.1  Einteilung der Tätigkeiten in drei Kategorien und deren Definition


Leistung Farbe Erklärung
Nutzleistung Grün Wertschöpfende Tätigkeiten: z. B. Fügen, Bearbeiten, Montage in einem
Greifumfeld von etwa 80 cm, Dienstleistung
Scheinleistung Gelb Unterstützende Tätigkeiten, welche unerlässlich für die Wertschöpfung
sind: z. B. Werkstück in Vorrichtung legen, Material nehmen, Werkzeug
nehmen, Maschineneinrichtung, Qualitätsprüfung, Daten erheben, Mate-
rialbereitstellung, Prüfen
Blindleistung Rot Verschwendung (keine Kundenbedürfnisse): z. B. Teile suchen, Warten,
Doppelarbeit, Sortieren, Umpacken, Nacharbeiten
34 3 Verschwendung

Wertschöpfend (grün)
Ändert die Funktion oder Form
eines Produktes oder wird vom
Kunden als Dienstleistung
Verschwendung (rot) wahrgenommen
Für die Durchführung der
Arbeit nicht notwendig
Nicht wertschöpfend,
aber notwendig (gelb)
Keine Wertsteigerung,
muss aber unter den
gegebenen Umständen
getan werden

Abb. 3.3  Kreissegmentdarstellung einer Tätigkeitseinteilung

An diesem eigentlich einfach erscheinenden Beispiel ist gut zu erkennen, wie schwierig
es sein kann, im Detail eine Einteilung vorzunehmen bzw. bei Diskussionen über Verbes-
serungen zu argumentieren. Produktionsplaner oder Entwickler wollen diese Realität der
hohen Verschwendung meistens nicht wahrhaben. So ist ein ordentlicher Vergleich mög-
lich, und es werden Lösungen zur Verschwendungsreduzierung gefunden: Schrauben
in Gürteltaschen mitführen, Suchspitzen an Schrauben zum leichteren Einführen, Klips
anstatt Schrauben mit vielen Windungen einsetzen. Hierbei ist erkennbar, dass bereits
das Produktdesign einen erheblichen Einfluss auf die Wertschöpfung des Herstellungs-
prozesses hat. Weitere Ausführungen zum produktionsgerechten Produkt folgen in einem
späteren Abschnitt (Abschn. 17.1).
Die wertschöpfende Nutzleistung kann bei Optimierungen weiter verdichtet werden.
Die Scheinleistung ist so gut wie möglich zu minimieren und auf lange Sicht zu vermei-
den. Verschwendung im Sinne von Blindleistung ist sofort zu eliminieren.
Takeda (2012, S. 139 f.) betrachtet in diesem Zusammenhang eine weitere Art der Ver-
schwendung, nämlich die der Überdimensionierung (z. B. von Maschinenkapazitäten).

3.7 Prozessanalyse

Nach dem Motto von Wilhelm Busch „Wer zusieht, sieht mehr, als wer mitspielt“ ist das
beste Werkzeug, um Verschwendungen zu sehen, das Auge. Analysemethoden setzen
beim Beobachten von Prozessen an. So kommt es zu Bezeichnungen wie dem „Waste
Walk“ oder der „Muda-Safari“. Hierbei werden die Prozesse am Ort der Wertschöpfung
regelmäßig und über mehrere Zyklen beobachtet, um Verschwendungen und Prozessab-
weichungen zu erkennen. Die Beobachtung vor Ort kann durch keine Befragung oder
Ideenfindung am Schreibtisch ersetzt werden.
Der Klassiker der Verschwendungserkennung ist die Methode des „Kreidekreises“. So
wurden und werden vor allem Prozessoptimierer und Führungskräfte in einen mit Kreide
3.7 Prozessanalyse 35

auf dem Boden gezogenen Kreis gestellt (oft auch nur als gedachter virtueller Kreis).
Aus diesem sollen sie sich nicht mehr fortbewegen und einen Prozess über mehrere Zyk-
len genau beobachten. Nach diesen Beobachtungszyklen werden Verschwendungen ent-
sprechend erkannt, analysiert und können eliminiert werden.
Unterstützende Elemente sind Checklisten, welche auf Themenfelder wie Montage,
Logistik, Anlagen usw. zugeschnitten sind. Zur Unterstützung werden entsprechende
Fragestellungen und Kategorisierungen vorgeschlagen.
Ein besonderes Formular ist ein vorbereitetes Blatt mit dem Layout der Station oder
des Bereiches. Bei der Beobachtung des Prozesses wird mit einem Stift der Weg des täti-
gen Mitarbeiters auf dem Layout verfolgt. Dies geschieht über mehrere Prozesszyklen
und zeigt die nicht wertschöpfenden Laufwege auf. Gemäß dem Ergebnis auf dem Blatt
trägt diese Analysemethode den Namen „Spaghetti-Diagramm“ (Abb. 3.4). Hierdurch
lässt sich die Verschwendungsart der unnötigen Laufwege erfassen und eliminieren.
Eine weitere Methode zur Identifikation von Verschwendungen ist die Momentauf-
nahme, bei der in festen, kurzzyklischen Zeitabschnitten (passend zum Prozess, z. B.
zehn Sekunden oder eine Minute) Beobachtungen von Tätigkeiten in Kategorien einge-
teilt werden. Dies wird in der jeweiligen Kategorie mit einem Zählstrich vermerkt. Ein-
satz findet diese Analyse bei vielerlei Tätigkeiten, z. B. bei einem Logistikprozess mit
einem Stapler. Die Verteilung von Vollgutfahrten, Leergutfahrten, Leerfahrten, Handling,
Administration, Pause und Sonstigem können identifiziert werden. Daraus ergeben sich
Optimierungsansätze.
Diese Analysetools sind nicht nur in den direkten Produktionsprozessen, sondern ana-
log ebenso in indirekten und administrativen Tätigkeiten mit gleichem Erfolg einsetzbar.
Wer im Lean-Umfeld diese einfache Analysemöglichkeiten nicht nutzt, dem sei der
Spruch des französischen Philosophen und Schriftstellers Jean-Paul Sartre (1905–1980)
genannt (Kostka 2016, S. 32): „Wenn Ihr Eure Augen nicht gebraucht, um zu sehen, wer-
det Ihr sie brauchen, um zu weinen.“

Werkzeug

Palette Ladungsträger

Ladungsträger

Presse

Abb. 3.4  Beispiel für ein Spaghetti-Diagramm


36 3 Verschwendung

3.8 Optimierung

Die Identifikation und Eliminierung von Verschwendung führt zu einer schnellen Pro-
zessoptimierung und Steigerung der Wertschöpfung. So werden in der Produktion immer
wieder unnötige Prozesse erkannt und eingespart. Ein schwäbischer Sportwagenherstel-
ler ging z. B. intensiv auf die Suche nach unnötigen Wegen und wandelte mehrere Kilo-
meter Wegstrecke eines Mitarbeiters in wertschöpfende Tätigkeiten um (Krogh 2015).
Es geht um das Ersetzen der Verschwendung mit wertschöpfenden Tätigkeiten. Aber
nicht nur das, auch das Verdichten von Wertschöpfung ist gewollt. Ob mit dem Schrau-
benzieher von Hand oder dem Akkuschrauber in vielfacher Geschwindigkeit, beides
schöpft Wert, aber unterschiedlich schnell. Bei näherer Betrachtung ist auch der Einfluss
des Produktdesigns nicht unerheblich (Kap. 17).
Wichtig ist, dass Verschwendung ersetzt wird oder Tätigkeiten verbessert werden und
nicht neue, zusätzliche Tätigkeiten auf die schon bestehenden gepackt werden. Dies würde
zu einer Überlastung durch Leistungsverdichtung führen. Die Erhöhung der Wertschöp-
fung muss viel mehr durch eine Verbesserung der Prozesse erfolgen, indem nicht wert-
schöpfende Tätigkeiten eliminiert und durch wertschöpfende ersetzt werden (Abb. 3.5).
Verschwendungen sind zu eliminieren, bevor andere Methoden zur Optimierung ein-
gesetzt werden. Ein häufig gemachter Fehler ist, einen Prozess neu zu planen oder zu
automatisieren und dabei erneut die bestehende Verschwendung einzuplanen oder zu
automatisieren. Solange Prozesse mit Verschwendungen laufen, ist es nicht sinnvoll,
diese zu digitalisieren oder ein Kanban-System aufzusetzen. Die Verschwendung bleibt
bestehen und wird institutionalisiert oder in die Automatisierung integriert.

Leistungsverdichtung: Zusätzliche Wertschöpfung

Verbesserung: Tausch von Verschwendung mit Wertschöpfung

W W W

V V W V

W = Wertschöpfung
V = Verschwendung

Abb. 3.5  Unterschied zwischen Leistungsverdichtung und Verbesserung


3.8 Optimierung 37

Die Vermeidung und Eliminierung von Verschwendung in den Prozessen wirkt sich
positiv auf die Durchlaufzeit aus. Zusätzlich reduzieren sich Bestände einschließlich der
hierfür notwendigen Flächen.
Die Methoden in Tab. 3.2, welche in den folgenden Kapiteln noch weiter ausgeführt
werden, können das Vermeiden von Verschwendung unterstützen und Abhilfe schaffen.
Das Ziel, Verschwendungen zu eliminieren, ist dann gelöst, wenn der Ressourcen-
einsatz nicht über die Kundenbedürfnisse hinausgeht. Der Fokus auf einen hohen Wert-
schöpfungsanteil und eine kurze Durchlaufzeit ermöglicht dieses Ziel.

Tab. 3.2  Auswahl an Lean-Methoden, welche die Vermeidung der Verschwendungsarten unter-


stützen
Verschwendungsart Methodik zur Vermeidung
Überproduktion • Nivellierung, Heijunka
• Pull-Prinzip, Kanban
• Schrittmacher
• Schnelles Rüsten
Transport • Wertstromanalyse
• Layout im Fluss
• Engpass-Identifikation
• Line-Back-Ansatz
Unnütze Bewegungen • Prozessbeobachtung, Kreidekreis
• 5S
• Materialversorgung
• Losgrößenreduzierung
Bestände • Flussprinzip
• Austaktung
• Pull-Prinzip, Kanban, Just-in-Time
• Schnelles Rüsten
Prozessübererfüllung • Poka Yoke, Jidoka
• Standardisierung
• Kaizen
• Produktionsgerechtes Produktdesign
Fehler, Ausschuss, Nacharbeit • Poka Yoke, Jidoka
• Standardisierung
• Problemlöseprozess
• TPM an Maschinen
Wartezeit • Standardisierung
• Flussprinzip
• Austaktung
• Engpass-Identifikation
38 3 Verschwendung

3.9 Expertenfragen

Die Expertenfragen drehen sich in diesem Kapitel um die Thematik der Sicherheit und
der Verschwendung.

Folgende Fragen sind im Themenfeld Sicherheit relevant


• Geht Sicherheit vor Ausbringung, Qualität und Kosten?
• Wie viele Arbeitsunfälle gab es im letzten Jahr?
• Wie entwickelt sich die Kennzahl Arbeitsunfälle?
• Gibt es ein Ziel für die Menge an Arbeitsunfällen? Wenn ja, welches?
• Wie werden Arbeitsunfälle dokumentiert und visualisiert?
• Werden bei Unfällen Maßnahmen abgeleitet? Welche Maßnahmen werden eingeleitet?
• Werden auch bei Gefährdungen und Beinahe-Unfällen Maßnahmen eingeleitet?

Folgende Fragen beziehen sich auf das Themenfeld Verschwendungen


• Werden Kundenerwartungen mit vertretbarem Aufwand erreicht?
• Warten Mitarbeiter an Maschinen?
• Welche Zeit wird verschwendet aufgrund unnötigen Wartens, Rückfragen, Suchens,
Plausibilisierens, Korrigierens usw.?
• Sind die Prozesse möglichst frei von Verschwendung?
• Wie kann die Arbeitszeit der Mitarbeiter besser genutzt werden?
• Wieso wird die Tätigkeit so durchgeführt? Warum wird dieser Prozessschritt so
durchgeführt?
• Was ist die Ursache für diese Tätigkeit und wer ist der Kunde dafür?
• Wird im jeweiligen Prozess die Tätigkeit so ausgeführt, dass die Arbeit im nachgela-
gerten Prozess vereinfacht wird (Bauteilausrichtung, Vorbereitungen, Sortierungen)?
• Werden bei Verbesserungen die Mitarbeiter befragt und deren Ideen genutzt?
• Wie können die Mitarbeiter besser in Veränderungsprozesse eingebunden werden?

3.10 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Verschwendungen


• Wichtig ist der Fokus auf die wertschöpfenden Prozesse. Wertschöpfung ist
Umsatz abzüglich Vorleistungen.
• Muda (Verschwendung) beschreibt alle Tätigkeiten, die nicht unmittelbar der Wert-
schöpfung dienen.
• Um effizient zu arbeiten, sind Verschwendungen zu vermeiden.
• Es existieren verschiedene Rubriken von Tätigkeiten: Wertschöpfende (Nutzleis-
tung, möglichst weiter verdichten), nicht wertschöpfende (Blindleistungen, sofort
eliminieren) und nicht wertschöpfende, aber notwendige Tätigkeiten (Scheinleis-
tungen, so gut wie möglich minimieren und auf lange Sicht vermeiden).
Literatur 39

• Lean bietet Analysemöglichkeiten zur Identifikation von nicht wertschöpfen-


den Tätigkeiten. Diese werden eliminiert bzw. durch wertschöpfende Tätigkeiten
ersetzt.
• Sicherheit, Ergonomie und Lean stehen nicht im Widerspruch. Sichere Tätigkeiten sind
immer mit weniger Bewegungen und damit mit wenig Verschwendung verbunden.
• Mit dem Synonym „Tim Wood(s)“ können die sieben bzw. acht Arten der Ver-
schwendung hergeleitet werden.
• Verschwendungen und Ineffizienzen werden durch das Beobachten von Prozes-
sen identifiziert (z. B. Kreidekreis, Muda-Safari, Waste Walk). Keine Ideenfindung
oder Befragung erzielt ähnliche Ergebnisse.
• Das Ziel, Verschwendungen zu eliminieren, ist dann gelöst, wenn der Ressourcen-
einsatz nicht über die Kundenbedürfnisse hinausgeht. Es ist auf einen hohen Wert-
schöpfungsanteil und eine kurze Durchlaufzeit zu fokussieren.
• Bevor Prozesse digitalisiert werden oder ein Kanban-System eingeführt wird, sind
Verschwendungen in Prozessen zu eliminieren.

Fragen
• Welches ist das wichtigste Thema im Bereich Lean?
• Welche Arten der Verschwendung gibt es? Was sind typische Beispiele?
• Was ist die schlimmste Verschwendungsart und warum?
• Warum ist die „achte Verschwendungsart“ wichtig?
• Wie können Verschwendungen identifiziert werden?

Literatur

Forschelen B (2017) Kompendium der Zitate für Unternehmer und Führungskräfte. Springer Gab-
ler, Wiesbaden
Furukawa-Caspary M (2016) Lean auf gut Deutsch – Band 1 Einführung und Bestandaufnahme.
BoD Books on Demand, Norderstedt
Heinrich HW (1931) Industrial accident prevention: a scientific approach. McGraw-Hill, New York
Kostka C (2016) Change Management – Das Praxisbuch für Führungskräfte. Hanser, München
Krogh H (2015) Porsche stockt Personal stark auf. Automobilwoche 19:6
Ohno T (2013) Das Toyota-Produktionssystem, 3. Aufl. Campus, Frankfurt
Takeda H (2012) Das synchrone Produktionssystem – Just-in-time für das ganze Unternehmen,
7. Aufl. Vahlen, München
Zollondz HD (2013) Grundlagen Lean Management – Einführung in Geschichte, Begriffe, Sys-
teme, Techniken sowie Gestaltungs- und Implementierungsansätze eines modernen Manage-
mentparadigmas. Oldenbourg, München
Stabilisierung
4

Die Stabilität eines Flusses ergibt sich aus dem ununterbrochenen


Strom des Wassers.
Taiichi Ohno

Zusammenfassung
Stabile Prozesse sind eine wichtige Voraussetzung für gute Prozesse. Die Verlustfak-
toren hemmen die Stabilität und sind daher zu vermeiden. Zwischen hohen Beständen
und einer langen Durchlaufzeit durch eine Prozesskette gibt es einen direkten Zusam-
menhang. Die Auflösung von Beständen wirkt sich positiv auf die Bilanz, die Durch-
laufzeit, die Lieferzeit und die Kundenzufriedenheit aus.

Knalsch GmbH: Wartende Kunden


Die Kunden der Knalsch GmbH beschweren sich häufig über lange Lieferzeiten.
Das ist für Herrn Alsch nicht nachvollziehbar. Das Lager ist gefüllt und von den
Lieferanten wurden große Mengen an Material eingekauft. Es ist ausreichend Ware
im Lager.
Es ist kurz vor Weihnachten. Geschäftsführer Alsch macht mit seinem früheren
Kommilitonen Nick Peters, der in Norddeutschland bei einem Logistikunterneh-
men tätig ist, einen Rundgang durch die Produktion. Alsch zeigt stolz die auto-
matisierte Fertigungslinie des Knalsch 3000. Als sie an einer großen Anzahl von
Kisten mit großen Schrauben vorbeikommen, nimmt Peters zwei Schrauben aus
einer der Kisten und drückt sie Alsch in die Hand. Dabei sagt er lächelnd: „Hier,
Dein Weihnachtsgeschenk und die vielen anderen sind wahrscheinlich für Deine
Belegschaft, oder?“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 41


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_4
42 4 Stabilisierung

Alsch ist irritiert und fragt: „Was willst Du damit sagen?“


Nick Peters: „Du hast hier einen sehr hohen Bestand an Schrauben, der beim
Lieferanten längst bezahlt wurde. Du wirst noch lange brauchen, bis Du ihn in
Deiner Produktion verbaut hast, an den Kunden auslieferst und dieser ihn Dir
bezahlt. Das ist langfristig gebundenes Kapital. In diesem Fall in Form von diesen
zahllosen Schrauben. Dies wirkt sich negativ auf Deinen Cashflow aus. Die Zin-
sen des hier liegenden Geldbetrages hättest Du auch an Deine Beschäftigten als
Weihnachtsbonus verteilen können, dann wäre es sinnvoller und besser angelegt
gewesen.“
Diese Kritik macht Karl-Norbert Alsch sehr nachdenklich.

4.1 Verlustfaktoren

Die Verschwendung (Kap. 3) ist einer der drei Verlustfaktoren in Prozessen. Hinzu kom-
men die zwei weiteren Faktoren Inflexibilität und Variabilität. Bei den drei genannten
Verlustfaktoren handelt es sich um sogenannte Leistungshemmnisse.
Die Inflexibilität zeigt sich in der fehlenden Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen,
wie beispielsweise eine geänderte oder unerwartete Kundenbestellung. Inflexibilität
verhindert eine schnelle Anpassungsfähigkeit bei der Ablieferung von Produkten. Sie
wird in Fertigungsstätten durch eine statische Verkettung und durch große, inflexible
Maschinen bzw. eine komplexe Technik geprägt. Sichtbar wird die Inflexibilität durch
Komplexität in der Fabrik und durch eine bis zu hundertprozentige Flächenbelegung mit
undurchschaubaren Materialbewegungen und Materialströmen. In Tab. 4.1 sind Einfluss-
faktoren für Inflexibilität aus unterschiedlichen Bereichen dargestellt.

Tab. 4.1  Einflussfaktoren für Inflexibilität


Mensch • Örtliche Bindung, organisatorisch
• Qualifizierung
• Persönliche Interessen
Methode • Anwendungsgebiet
• Spezifikationsgrenzen
• Prozessbefähigung
Material • Eigenschaften
• Einsatzanforderungen
• Bearbeitungsfähigkeit
Maschine • Großanlagen (Zykluszeiten, Rüsten, Instandhaltung)
• Layout
• Förderertechnik
4.1 Verlustfaktoren 43

Um die Inflexibilität reduzieren zu können, benötigt man die Fähigkeit, auf veränderte
Kundenanforderungen reagieren zu können. Dies betrifft die Bereiche Layout und För-
dertechnik, die Maschinen und Anlagen, die Ausstattung und Systeme sowie die Organi-
sation und das Personal.
Die Variabilität entsteht in Prozessen durch Abweichungen vom Standard und
Ungleichmäßigkeiten in den Arbeitsabläufen. Unterschiedliche Prozessabläufe, wie
wechselnde Bearbeitungszeiten bei manuellen oder automatisierten Tätigkeiten, führen
zu Schwankungen und damit zu Verschwendungen durch Überlastung oder Wartezeiten.
Nichtzyklische Tätigkeiten behindern die Arbeitsabläufe. Auch kleinere Veränderungen
führen zu einer Variabilität.

Beispiel
Der Austausch eines leeren Ladungsträgers ist eine störende Unterbrechung des regu-
lären Arbeitsprozesses. Eine Variabilität ergibt sich ebenso durch einen sich mehr und
mehr leerenden Ladungsträger. Der Füllstand sinkt und es dauert bei jedem Zyklus
ein wenig länger, um ein Teil aus dem Ladungsträger zu entnehmen.

Variabilität zeigt sich durch nicht vorhandene oder nicht befolgte Standards sowie unter-
schiedliche Prozessreihenfolgen, Suchen, azyklischen Spitzen, willkürlichen Varianten-
einplanungen und unterschiedliche Auslastungsgrade in Stationen, z. B. durch Varianten.
In Tab. 4.2 sind Einflussfaktoren aus verschiedenen Bereichen dargestellt.
Bei der Reduzierung der Variabilität müssen jegliche Abweichungen von Standard-
bedingungen vermieden werden. Dies sind vor allem die Variabilität der eingehenden
Materialien und ungleichmäßige Durchlaufzeiten. Durch eine Erhöhung der Fabrik-,
Anlagen- und Systemverfügbarkeiten sowie einer besseren Prozessfähigkeit wird dies
erreicht. Ebenso ist die Definition von Standards und deren flächige Einführung und
Weiterentwicklung notwendig.

Tab. 4.2  Einflussfaktoren für Mensch • Leistungsgrad


Variabilität • Qualifizierung
• Einstellung
Methode • Zeitliche Abfolgen
• Prozessfähigkeit
• Spezifikationen
Material • Güte/Beschaffenheit
• Abmessungen
• Umwelteinwirkungen
Maschine • Verfügbarkeit
• Leistungsgrad
• Fähigkeit
44 4 Stabilisierung

4.2 Die 3 Mu

Die „3 Mu“ stehen für drei Wörter, welche mit „Mu“ beginnen.

 3 Mu Sammelbezeichnung für die drei japanischen Wörter „Muda“ (Verschwendung),


„Muri“ (Überlast) und „Mura“ (Unausgeglichenheit, Schwankungen). Überall wo min-
destens eines der drei Mu auftaucht, besteht Verbesserungsbedarf.

Das erste „Mu“ steht für „Muda“, also für Verschwendung. Die sieben bzw. acht Arten
der Verschwendung wurden im Abschn. 3.4 und 3.5 erklärt.
Der zweite Begriff „Muri“ fokussiert die Überlastung von Prozessen, Menschen,
Maschinen oder Organisationen.

 Muri Überlastung bzw. eine nicht ergonomische Tätigkeit. Längerfristige Überlastung


führt zu einem Ausfall oder Burn-out. Dies kann Menschen, Anlagen, Organisationen
oder die Lieferkette betreffen.

Das dritte „Mu“ steht für den Begriff „Mura“, welcher mit „Unausgeglichenheit“ über-
setzt wird.

 Mura Schwankungen im Prozess, Unausgeglichenheit. Andere Beschreibungen wären


Ungleichgewicht oder Variabilität. Nicht zyklische Tätigkeiten können Nebentätigkei-
ten sein, die den Arbeitszyklus unterbrechen, wie z. B. das Austauschen eines leeren
Behälters durch einen vollen Behälter. Auch das wiederholte Beschleunigen und wieder
Abbremsen fällt unter den Begriff Mura.

In Abb. 4.1 sind die 3 Mu zusammenfassend bildhaft dargestellt.


Muda, Muri und Mura beeinflussen sich gegenseitig. So führt z. B. mehr Arbeit, als
Menschen und Maschinen bewältigen können (Muri), an einer anderen Stelle gegebe-
nenfalls zu einer Nichtauslastung von Menschen und Maschinen. Dies ist Muda. Sofern
dies abwechselnd schwankt, würde noch Mura für die falsche Auslastung von Prozessen
hinzukommen. Mura zeigt sich im Wechselspiel zwischen den beiden Phasen Überlast
und Verschwendung.
Mit dem Blickwinkel auf die 3 Mu sollten nach Imai (2001, S. 345) verschiedene
Themen geprüft werden: Mitarbeiter, Technik, Methode, Zeit, Möglichkeit, Vorrich-
tungen und Werkzeuge, Material, Produktionsvolumen, Umlauf, Platz und die Art zu
denken.
4.3 Bestände 45

Muda: Verschwendung

1t 1t 1t 1t 1t 1t

Muri: Überlastung

1t 1t 1t
1t 1t 1t

Mura: Schwankungen, Unausgeglichenheit

1t
1t 1t 1t 1t 1t

Kein Muda, Muri und Mura

1t 1t 1t 1t 1t 1t

Abb. 4.1  Bildhafte Darstellung der 3 Mu

4.3 Bestände

Bevor aus Rohmaterial etwas produziert werden kann, muss es beschafft werden. Es
werden Einkaufsmengen verhandelt und es gilt die betriebswirtschaftliche Grundregel:
Der Preis sinkt, wenn die Menge steigt. So sieht man es auch im Film „Pappa ante Por-
tas“ von Loriot, als Loriot Unmengen an Büromaterial und später auch Senf einkauft,
um pro Stück Geld einzusparen. Wer mehr einkauft bekommt einen günstigeren Stück-
preis. Und so gilt es scheinbar auch, dass Rüstkosten pro Teil sinken, wenn in größeren
Losgrößen produziert wird (Abschn. 5.1). Doch diese betriebswirtschaftlichen Mythen
gelten nicht, wenn die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet wird. Jeder Bestand an
Rohmaterial und unfertigen Produkten zwischen den Prozessschritten ist mit einer Kapi-
talbindung verbunden.
Ein Bestand ist eine der Verschwendungsarten (Abschn. 3.4). Warum bevorraten viele
Unternehmen Waren vor und zwischen den Prozessen? Zum einen liegt das an der stei-
genden Individualisierung. Durch die Variantensteigerung ergeben sich auch mehr Vari-
anten an Zulieferteilen. Schließlich soll jedes Produkt immer ausreichend verfügbar sein,
um die Kunden schnell beliefern zu können (hohe Liefertreue). Ein Produktionsstillstand
mangels Material ist der teure Albtraum jedes Produzenten. Ein hoher Materialbestand
erfüllt die Funktion eines „Ruhekissens“, denn mit Beständen werden noch andere Prob-
leme ausgeglichen.
46 4 Stabilisierung

Beispiel
Wird der Bestand hinterfragt, erhält man viele Aussagen: Lieferfähigkeit zum Kun-
den sicherstellen, Ausgleichen von Lieferengpässen vom Lieferanten, Abfangen von
Verkehrsstörungen, wie z. B. Staus, Unfällen oder schlechtem Wetter, Überdauern von
Anlagenausfällen, schlechte Verfügbarkeiten von Fertigungs- und Transportmitteln,
fehlerhafte Teile und schlechte Qualität, mögliche Streiksituationen oder auch Mitar-
beiterausfälle durch Krankheit. Die vorgenannten Risiken sollen durch die Bestände
aufgefangen und minimiert werden.

Auch Lieferanten bauen entsprechende Bestände auf, um bei Problemen schnell reagie-
ren zu können. Die Furcht, für einen Produktionsstillstand beim Kunden in Regress
genommen zu werden, rechtfertigt die Entscheidung. Gerade in der Automobilindustrie
kann ein stillstehendes Montageband beim OEM für den schuldhaft verursachenden Lie-
feranten sehr schnell sehr teuer werden.

Beispiel
In vielen Firmen scheint die Erkenntnis angekommen zu sein, dass Bestände nichts
Gutes sind. Um dies zu rechtfertigen und wie bisher weiterzumachen, werden die
Bestände mit Tarnnamen versehen. Verdeckte Bestände erhalten in der Praxis in Fab-
riken, Layouts und Dokumenten beispielsweise folgende Begriffe: Übervorrat, Puffer,
Zwischenlager oder Nutzwerterhöhungsmodul.

Nicht als Verschwendung kategorisiert ist ein Sicherheitsbestand. Korrekt berechnet ist
dieser neben dem Standardumlaufbestand der einzige Bestand, der keine Verschwendung
darstellt. Wenngleich auch dieser Begriff artfremd als Tarnname missbraucht wird.
Bestände sind sehr problematisch. Beispielsweise kann in der Regel die Reihenfolge
der Teile nicht eingehalten werden. Es finden Überholvorgänge statt. In einem Lager, in
dem immer von der gleichen Seite ein- und ausgelagert wird, ist das als erstes einge-
lagerte Teil immer das älteste (Last-In-First-Out, LIFO). Bei verderblichen Waren, wie
Lebensmitteln oder chemischen Produkten, wie Klebstoff und Lacken, kann die Qualität
stark schwanken. Eine solche Schwankung in den Materialeigenschaften ist eine Variabi-
lität im Prozess und bringt eventuell neue Probleme und Abweichungen im Prozess mit
sich.
Bestände werden bei längerer Lagerdauer teilweise verschmutzt und müssen gerei-
nigt werden. In Summe nimmt die Qualität von Lagerwaren durch das Ein- und Ausla-
gern sowie das Transportieren ab. Ein weiteres Problem ergibt sich bei schwankenden
Materialwerten, wie bei Rohstoffen. Sinkt z. B. der Materialwert, so nimmt der Wert der
Bestände ab und das Unternehmen erleidet einen Verlust. Natürlich gilt dies auch umge-
kehrt. Bei vielen Rohstoffen lohnt es sich aufgrund der steigenden Materialpreise diese
günstig einzukaufen und zwischenzulagern. So die weitläufige Meinung. Berücksichtigt
man an dieser Stelle aber auch die Lagerhaltungskosten für die Fläche, das Gebäude,
4.3 Bestände 47

die Einrichtungen, die Flurfördermittel, das Lagerpersonal, die Verwaltung, die Lager-
systeme und die Software, die Versicherung und die Energie, welche für die Lagerung
benötigt werden, ergibt die Kalkulation ein anderes Bild.

Beispiel
Manche Materialien, wie Klebstoffe, müssen in einer warmen Umgebung gelagert
werden, andere Produkte, wie z. B. Schokolade, benötigen Energie für die Kühlung
im Sommer und Erwärmung im Winter.

Hohe Bestände in einer Prozesskette sind kritisch, wenn Qualitätsprobleme auftre-


ten. Fällt ein Produktfehler des Lieferanten erst beim Verbau beim Kunden auf, so sind
bei hohen Beständen weit mehr Teile in der Fertigungs- und Lieferkette betroffen. Bei
geringeren oder keinen Beständen können festgestellte Fehler schneller zurückgemeldet
und behoben werden. Anderenfalls ergibt sich eine große Menge an Nacharbeit und im
schlimmsten Fall kostspieliger Ausschuss.

Beispiel
Bei Beständen mit elektronischen Komponenten und einem Softwarestand kommt
zudem die Aktualität der Produkte hinzu. Bei jeder Softwareänderung müssen die
Teile in allen Puffern und Lagern auf den neuen Stand gebracht werden. Bei unsor-
tierten Beständen werden auch noch nach längerer Zeit alte Teile mit alten Versions-
und Konstruktionsständen gefunden.

„Bestände sind böse.“ Sie verdecken Probleme, verursachen neue Verschwendungen


und kosten Zeit und Geld. Im gleichnamigen Buch wird auf nicht ganz erstgemeinte
Weise der Formelbeweis geführt (Hartmann 2008, S. 119). Dabei wird abgeleitet, dass
Bestände Zeit und Geld kosten (Gl. 4.1) und Zeit Geld ist (Gl. 4.2). Die letzte Formel
wird in die erste eingesetzt und ergibt Gl. 4.3.

Bestände = Zeit · Geld (4.1)

Zeit = Geld (4.2)

Bestände = Geld2 (4.3)


Weiter folgt die Aussage, dass „Geld die Wurzel alles Bösen“ sei (Gl. 4.4). Und so wird
Gl. 4.4 in Gl. 4.3 eingesetzt und es ergibt sich Gl. 4.5. Der Beweis ist erbracht: Bestände
sind böse.

Geld = Böse (4.4)

√ 2
Bestände = Böse = Böse (4.5)
48 4 Stabilisierung

Feststellung: Wo Bestände sind, da sind Probleme, denn mit Beständen werden Probleme
verdeckt. Hier lässt sich die Analogie mit dem Meeresspiegel und einem Schiff verwen-
den (Abb. 4.2): das Schiff als laufende Produktion und der Wasserstand als Indikator
für die Bestandsmenge. Lässt man das Wasser ab (die Bestände werden reduziert), so
stößt das Schiff auf Untergrundspitzen. Das sind die ungelösten Probleme. Löst man die
verdeckten Probleme nachhaltig, so steht der freien Fahrt mit niedrigerem Wasserstand
(weniger Bestände bzw. Sicherheitsabstand) nichts im Wege.
Wo immer zusätzliche Bestände auftauchen, gibt es Probleme, welche gelöst werden
müssen. So sollten z. B. Ausfälle vermieden werden. Bei Anlagen ist dies durch Instand-
haltung und Wartung möglich (Abschn. 13.3), bei Menschen durch Gefährdungsvermei-
dung und Gesundheitsprogramme. Auch Frühwarnsysteme zur Fehlererkennung oder
Fehlervermeidung (Kap. 9) unterstützen eine Problemreduzierung. Bei jedem Problem
ist ein nachhaltiger Problemlöseprozess (Abschn. 25.4) zu durchlaufen. Die Bestände
bleiben klein und die Produktion verbessert sich Schritt für Schritt.

Beispiel
Sollte man künftig mehr Joghurt kaufen, nur weil ein Joghurt einmal nicht in Ordnung
war? Die Antwort lautet: Nein! Besser sollte die Ursache für das Problem identifiziert
und dieses gelöst werden (Abschn. 25.4). Z. B. die künftige Überprüfung des Mindest-
haltbarkeitsdatums vor dem Kauf oder eine Reparatur des defekten Kühlschrankes.

Für eine letzte Unsicherheit bleibt ein auf ein Minimum reduzierter Sicherheitsbestand
bzw. Mindestbestand.
Eines muss bei der Bestandsreduzierung klar sein: Es wird für die Produktion nicht
einfacher, sondern anspruchsvoller. Die Prozesse müssen bei kleinen Beständen sehr
zuverlässig und äußerst robust laufen. Es geht um stabile Prozesse und um das nachhal-
tige Lösen und Abstellen von Problemen.

Bestände und
Überkapazitäten

Schlechte Qualität Maschinenausfälle


Lieferverzögerungen Ungenaue Prognose

Traditionelle Herangehensweise Lean

Abb. 4.2  Analogie für Produktion mit viel und wenig Beständen: Schiff mit unterschiedlicher
Meerestiefe
4.4 Durchlaufzeit 49

4.4 Durchlaufzeit

Die Durchlaufzeit ist eine der wichtigsten Kennzahlen, wenn es um die Optimierung von
Prozessketten bzw. Wertströmen im Kontext einer Lean-Umsetzung geht (Abschn. 8.4
und 23.1). Sie wird im direkten Bereich angewendet und funktioniert ebenso in administ-
rativen Prozessen, wie in der Verwaltung.

 Durchlaufzeit (DLZ) Zeitspanne, welche ein Objekt (Produkt oder Information)


benötigt, um eine komplette Prozesskette bzw. einen Wertstrom zu durchlaufen (engl.
Throughput Time). Sie ist damit ein Indikator für die Reaktionsfähigkeit von Pro-
zessen. Die Messung erfolgt vom Auftragseingang bis zur Auslieferung an den End-
kunden (End-to-End bzw. Dock-to-Dock). Berechnet wird die Durchlaufzeit aus der
Summe der Prozesszykluszeiten plus den Zeiten, welche sich durch die Bestände vor,
zwischen und nach den Prozessen ergeben. Die Durchlaufzeit ist als Kennzahl für jeden
­Unternehmensprozess anwendbar (z. B. Produktion, Entwicklung, Angebotserstellung,
Personalbeschaffung).

Die Durchlaufzeit schließt nicht nur die Prozesszeit mit ein, sondern auch alle Verspä-
tungen, Verwaltungsprozesse, Störungen an Anlagen und Wegezeiten. Ob man selbst als
Kunde durch einen Serviceprozess geht oder das Kundenprodukt durch die Produktion –
letztlich wartet ein Kunde auf die Leistung und die sollte möglichst schnell erfolgen.

Beispiel
Im Buch „Das ist Lean“ dreht sich alles um die Durchlaufzeit am Beispiel einer Pati-
entin und ihrem Weg durch das Krankenhaus (Modig und Ahlström 2015, S. 1 ff.).
Aus eigenen Erfahrungen weiß man, wie es sich anfühlt, wenn man selbst durch Pro-
zessketten hindurchgeht und die Durchlaufzeiten unterschiedlich lang sind. Sei es das
Wartezimmer beim Arzt oder die Warteschlange beim Imbiss, auf dem Amt oder an
der Supermarktkasse.

Eine hohe Liefertreue mit kurzer Durchlaufzeit erhöht die Kundenzufriedenheit. Sind die
Kunden lange Lieferzeiten gewohnt, so können hieraus auch neue Probleme entstehen,
wie das nachfolgende Beispiel zeigt.

Beispiel
Ein Unternehmen hatte eine so lange Durchlaufzeit, dass sich die Endkunden bereits
lange vor Auslieferung ihre Produkte willkürlich vorbestellten, damit sie in die Pro-
duktionsplanung schon einmal aufgenommen wurden, um später nicht zu lange auf
das Produkt warten zu müssen. Vor Auslieferung wurden die Varianten von den Kun-
den geändert und final angepasst. Ein Impuls, welcher die Bestellungen beim Produ-
zenten massiv durcheinanderbrachte und die Durchlaufzeit aufgrund von Sortierungen
50 4 Stabilisierung

und Variantenbeständen zusätzlich erhöhte. Als die Firma auf eine schlanke Produk-
tion mit schnellerer Durchlaufzeit umstellte, waren die Kunden irritiert, denn sie
rechneten weder mit einer so schnellen Auslieferung, noch mit dem Produkt, welches
noch nicht genauer spezifiziert war und eigentlich nur als „Platzhalter“ bestellt wurde.
In diesem Fall änderten sich die Kundengewohnheiten.

Mit einer schnellen Durchlaufzeit nahe an der Prozesszeit können genau spezifizierte
Auslieferungszeiträume an die Kunden gegeben werden. Der Kunde kann damit besser
planen und ist letztendlich zufriedener. Er erhält bei der Bestellung das festgelegte Aus-
lieferungsdatum mitgeteilt. Eine schnelle Durchlaufzeit ist heute bei Onlineversandhäu-
sern das Maß für die Kundenorientierung, das verglichen wird. An dieser Kennzahl wird
ständig weiter optimiert, denn sie ist für den Wettbewerb wichtig und relevant.
In Prozessabläufen kann die Durchlaufzeit berechnet und gemessen werden. Dies
dauert lange und führt zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Aus den Daten eines
Wertstroms wird die Durchlaufzeit wie folgt berechnet (Gl. 4.6) (Abschn. 8.4):
n m
Durchlaufzeit =
i=1
Zykluszeiti + Kundentakt ·
j=1
Beständej (4.6)

Die Berechnung des Kundentakts folgt im Kapitel „Takt“ (Abschn. 6.2, Gl. 6.1). Je klei-
ner die Bestände, umso mehr nähert sich die Durchlaufzeit der Summe der Prozesszyk-
luszeiten. Ideal ist, wenn die Durchlaufzeit der Gesamtprozesszeit entspricht und diese
keine Verschwendung mehr enthält.

Beispiel
Sind die Organisation und der Prozess in einer Arztpraxis z. B. sehr gut, dann benötigt
die Praxis kein Wartezimmer. Patienten werden rechtzeitig per SMS-Kurzmitteilung
auf das Handy informiert, dass sie in Kürze an der Reihe sind. Es gibt keine Wartezei-
ten und keine Bestände an wartenden Patienten.

Die Durchlaufzeit stellt einen Wettbewerbsfaktor dar (Abschn. 23.1).

Beispiel
Ein Beispiel aus der Modebranche ist die Firma Inditex mit ihrer Modekette Zara.
Die Zeit, die vergeht, bis ein neues Produkt auf den Markt kommt (Time-to-Market),
beträgt nur drei bis sechs Wochen. Danach ist die Firma in der Lage, ihre Geschäfte
in Europa von Spanien aus über Nacht zu beliefern (Ferdows et al. 2005). Damit
ist sie schneller als ihre Wettbewerber und schneller beim Kunden. Zwar entstehen
höhere Kosten aufgrund von volumenreicher Luftfracht, denn die Kleidung ist nicht
zusammengelegt, sondern wird auf Kleiderbügeln hängend befördert. Aber gerade
diese Vorbereitungen, wie eine fertige Etikettierung und knitterfrei Ware, sind es, wel-
che beim Einräumen im Ladengeschäft einen zusätzlichen Zeitaufwand vermeiden.
Gleichzeitig wird Fläche für die Aufbereitung und Lagerung in den Ladengeschäften
4.4 Durchlaufzeit 51

eingespart. Das Prinzip erinnert an das Minomi-Prinzip (Abschn. 21.1), die Ware wird
aufgehängt und an Stangen weitergeschoben.

Durchlaufzeiten können durch eine Optimierung der Prozesszeit verkürzt werden. Ein
Beispiel ist die Parallelisierung von Kundenströmen, indem eine Kasse zwei Kundenli-
nien abwechselnd bedient. Verschwendungen durch das Warten, bis der Kunde mit seiner
Ware weg ist und der nächste Kunde vorgerückt ist, sind somit überbrückbar, wenn in
der Zwischenzeit an der anderen Kundenlinie kassiert wird (Abb. 4.3).

Beispiel
Das identische Verfahren der Parallelisierung nutzt eine Fast-Food-Kette bei ihrem Drive-
In, indem die Fahrzeuge an zwei parallel betriebenen Sprechstationen bestellen. Der
Mitarbeiter an der Bestellannahme kann so zwischen den beiden Sprechstationen abwech-
selnd eine neue Bestellung aufnehmen, während die Fahrzeuge weiterfahren, der nächste
zur Bestellsäule kommt und der Mitarbeiter dadurch nicht warten muss (Abb. 4.4).

Beide Fälle steigern den Durchsatz an Kunden und reduzieren dessen Wartezeit. Dies
verbessert die Durchlaufzeit und die Produktivität der jeweiligen Mitarbeiter an der
Kasse und an der Bestellannahme. Noch besser wäre es, wenn die Kunden generell nicht
mehr anhalten müssten.
Der Zusammenhang von Verschwendungsvermeidung, Prozessoptimierung und
Durchlaufzeit ist in einem Vergleich von Supermarkkassen zu erkennen. Discounter sind

Eine Kasse Eine Kasse


mit einer Warteschlange mit zwei Warteschlangen

Kasse Kasse
Menge
Menge

Zeit Zeit

Abb. 4.3  Vergleich unterschiedlicher Warteschlangenkonzepte an einer Kasse


52 4 Stabilisierung

Neu: Zweite Spur


Hier bestellen!

Hier bestellen!

Noch schneller durchstarten.

Der zweispurige Drive-in für


doppelt schnellen Service.

Abb. 4.4  Fahrspuren eines Drive-in

Durchschnittliche Dauer eines Kassiervorgangs


Sekunden

57 60
51
42

Discounter A Discounter B Supermarkt C Supermarkt D

Abb. 4.5  Kennzahlenvergleich unterschiedlicher Supermarktkassen. (Nach Schlautmann 2009)

bei der durchschnittlichen Dauer des Kassiervorgangs schneller und damit beim Kunden-
durchsatz besser als andere Supermärkte (Abb. 4.5).

Beispiel
Das Geheimnis schneller Kassiervorgänge ist an vielen Stellen im Prozess erkennbar
und vermeidet unnötige Prozesszeiten. So gibt es lange Produktauflagebänder vor der
Kasse, damit die Kunden die Produkte vorbereitet ablegen können. Nach der Kasse
4.4 Durchlaufzeit 53

existiert nur ein kurzer Bereich, um ein schnelles Abräumen der Waren sicherzustel-
len. Barcodes sind rund um das Produkt platziert, damit diese schnell und fehlerfrei
gescannt werden können. Während des Scannens druckt der Drucker die Artikel unmit-
telbar auf den Kassenbon. Im Kassenbereich ist eine Waage integriert. Kein Kunde hat
bei dieser Konstellation das Wiegen der Ware vergessen oder falsch etikettiert und hält
damit den Prozess an der Kasse unnötig auf. Während des Scannens wird der Kunde
nach der Bezahlart (Bar oder Karte) gefragt. Den letzten Artikel legt die Kassiererin
oder der Kassierer in den Wagen, damit sich der Kunde auf das Bezahlen konzentrieren
kann. Der Bezahlvorgang wird beschleunigt, indem bei Barzahlung das passende Wech-
selgeld vorabgezählt bereitgehalten wird. Das vorherige Abfragen der Bezahlart und
schnelle Onlinebezahlvorgänge beschleunigen den Ablauf. Das Gerät für die Kartenzah-
lung steht beim Kunden, die Karte muss nicht durch den Kassierer eingelesen werden.
Die Einkaufswagen haben keinen Stauraum unterhalb des Korbes, sodass der Kassierer
nicht aufstehen muss, um zu prüfen, ob alle Waren auf das Kassenband gelegt wurden.
Andere Supermärkte haben beim Bezahlprozess unnötige administrative Prozesse,
wie beispielsweise das Scannen von Kundenkarten, das Scannen von Coupons und
das Ausgeben von Sammelstickern, welche auf dem Bon handschriftlich vermerkt
werden. Weitere Prozesse dieser Art sind das Durchstreichen der Bons nach der
Pfandeinlösung, das Erfassen der Einkaufswagennummer mit gleichzeitiger visueller
Prüfung des Faches unter dem Einkaufswagen oder das Erfragen der Postleitzahl für
statistische Zwecke. Mehrere Ausdrucke für Kassenbon und separaten Beleg bei Kar-
tenzahlung sowie zusätzliche Coupons sind mit Wartezeiten für Druck und Administ-
ration verbunden. Die Sitzposition ist bei Discountern ergonomischer und um 90 Grad
zur Ware und zum Kunden gedreht (Abb. 4.6).

Beispiel
Ein Beispiel zur Durchlaufzeit ist das Thema Montagsauto. Kein Neuwagenkunde
wünscht sich ein sogenanntes „Montagsauto“. Dieser Begriff bezeichnet ein Fahrzeug,
welches an einem Montag produziert wurde. Gleichgesetzt wird dies mit einem quali-
tativ nicht zufriedenstellenden Produkt, da davon ausgegangen wird, dass Mitarbeiter

1 Touchscreen (hängend)
2 7 8 2 Barcodescanner von vorn
6
3 Waage mit integriertem
3
Barcodescanner von unten
Warentransportband 4 Gewichtanzeige für Kunde
5 5 Kassenschublade
6 Drucker für Kassenbon
Ware 7 Kundenanzeige
Stuhl 8 Kartenlesegerät

Abb. 4.6  Arbeitsbereich einer Supermarktkasse bei einem Discounter


54 4 Stabilisierung

am Montag erst mal wieder in ihre Routine kommen müssen, um die erwartete Quali-
tät produzieren zu können. Unabhängig davon, dass die Automobilhersteller die Quali-
tät durch Standards an jedem Tag und zu jeder Zeit der Woche absichern, hinkt dieser
Vergleich meist deshalb, weil die Durchlaufzeiten eines Fahrzeuges durch die gesamte
Produktion immer noch bei einer Woche oder mehr liegen. Somit ist eigentlich jedes
Fahrzeug ein Montagsauto, da einige Arbeitsvorgänge bei einer einwöchigen Durch-
laufzeit immer auch an einem Montag durchgeführt werden.

4.5 Nivellierung und Glättung

Der Kundenbedarf muss, bevor er an die Produktion weitergeleitet wird, geglättet wer-
den. Mit starken Stückzahlschwankungen sollte eine Produktion nicht belastet werden.
Marktabsatzschwankungen, wie saisonale Veränderungen, Bestellungen aufgrund von
Aktionen oder Großbestellungen, verändern den eingehenden Kundenbedarf. Somit tref-
fen unterschiedliche Bestellmengen bei der Disposition ein. Auch auf ansteigenden oder
fallenden Bedarf muss reagiert werden. Dies tritt bei der Markteinführung oder dem Pro-
duktionsauslauf eines Produktes auf.
Es gilt diese Schwankungen zu nivellieren bzw. zu glätten, sodass eine kontinuier-
liche und gleichmäßige Produktion möglich ist (Abb. 4.7). Es wird ein gleitender
Stück/Tag

300

200

100

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Zeit in Tagen
Nachfrage
Geglättete Produktion

Abb. 4.7  Schwankende Nachfrage und geglättete Produktion


4.5 Nivellierung und Glättung 55

Durchschnittwert genutzt und über unterschiedliche Schichtbelegungen oder flexible


Arbeitszeitmodelle ausgeglichen.
Eine Möglichkeit, unterschiedliche Auftragsbestände zu nivellieren, ist die Methode
mit dem sogenannten Heijunka-Board (engl. pitch board). Das ist eine Schautafel, an
der die Nachfrage für die Produktion nivelliert wird. Vergleichbar ist diese mit einem
Steckkartenbrett, an dem Kapazitäten und Aufträge einander zugeordnet werden. Bei
ausreichenden Aufträgen für ein Produkt wird diese Variante eingeplant. Dabei kann es
auf dem Board nicht mehr Fächer geben, als verfügbare Kapazität zur Verfügung steht.
Experten nutzen diese Methode für die eigene Zeiteinteilung: Wann wird was erledigt
und wie viele Aufträge können angenommen werden, wenn bereits andere Aufgaben vor-
liegen.
Beim Blick in die Produktion ist das kontinuierliche Abarbeiten von Bestellungen zu
glätten. Instabile Prozesse oder die Variabilität führen intern zu einem ungleichmäßi-
gen Produktionsdurchlauf. Es geht um die interne Störungsfreiheit und eine angepasste
Materialversorgung.

Beispiel
Das Thema Glättung beschreibt Taiichi Ohno (2013, S. 102 f.) mit einer Tieranalo-
gie. Während sich schlechtere Produktionen wie Hasen verhalten, nämlich sprunghaft,
schnell sprintend und wieder abwartend, so verhält sich eine gute Produktion eher wie
eine Schildkröte (Abb. 4.8). Sie bewegt sich langsam, bedächtig und gleichmäßig. So
erreicht sie laut Ohno ihr Ziel in Summe schneller und entspannter als der Hase.
Produktionsaufträge

Zeit

Abb. 4.8  Tieranalogie zur Reaktion auf Bedarfsschwankungen


56 4 Stabilisierung

Damit eine Produktion ausgeglichen und gleichmäßig belastet wird, ist bei der Produkti-
onsglättung auch die Varianz der Produkte zu betrachten, sofern diese einen Einfluss auf
die Austaktung hat (Abschn. 6.3). Die Eigenschaften für die Einplanung der Produkte in
einer gleichmäßigen Reihenfolge sind zu beachten: Produkte mit Maximalspezifikatio-
nen, Produkte mit Minimalspezifikationen sowie gegebenenfalls Restriktionen der Liefe-
ranten und der Logistik.

4.6 Flexibilität

Um Kundenwünsche zu erfüllen, ist eine Anpassungsfähigkeit notwendig. Diese wird


Flexibilität genannt und betrifft die Belegschaft, die Anlagen, die Prozesse und die Orga-
nisation, welche sich entsprechend den Einflüssen anzupassen haben. Das Gesamtsystem
soll skalierbar sein, ohne Einbußen in der Produktivität zu erhalten. Ein mögliches flexi-
bles Montagesystem wird in einem späteren Kapitel beschrieben (Abschn. 12.3).
Das Zuschalten und Wieder-Ruhenlassen von Produktionsbereichen oder Inseln
gehört hierzu, ebenso wie die Materialversorgung, je nach Nachfrage. Diese Flexibilität
ist aber nur möglich, wenn die Anlagen und die Bereiche nicht für zu hohe Stückzahlen
ausgelegt wurden und sich nur bei Vollauslastung rentieren.
Die Begrifflichkeit „Wandelbarkeit“ wird an dieser Stelle vom Begriff „Flexibilität“
entkoppelt. Eine Wandelbarkeit ist viel mehr als lediglich eine ausreichende Flexibilität.
Die Komplexität der Veränderung ist beim Wandel größer. Es geht hier um Produktwech-
sel oder die Veränderung ganzer Märkte. Vergleichbar ist das Thema mit einem Innovati-
onssprung (Abschn. 11.2).

Beispiel
Die Firma Festool ist nach ihrer Krise eine der Vorzeigeproduktionen geworden, wenn
es um Flexibilität geht (Regber und Zimmermann 2007, S. 331). Flexible Arbeits-
zeitmodelle mit atmenden Stundenkonten und einfachen Montagezellen, welche nur
betrieben werden, wenn ein Kundenbedarf besteht, steuern den Output nach Kunden-
bedarf und ohne Produktivitätsverlust.

4.7 Expertenfragen

Die Expertenfragen drehen sich in diesem Kapitel um die Thematik der Verluste, der
Bestände und der Durchlaufzeit sowie der Flexibilität.

Folgende Fragen sind im Themenfeld Verluste interessant


• Sind Auslastung und Austaktung auch bei Varianten gleichmäßig?
• Gibt es keine komplexe Technik, welche Inflexibilität mit sich bringt?
4.8 Zusammenfassung 57

Folgende Fragen sind im Themenfeld Bestände und Durchlaufzeit relevant


• Sind Durchlaufzeiten nahe an der Prozesszeit?
• Sind Bestände auf ein notwendiges Minimum (Standardumlaufbestand) reduziert?
• Gibt es eine definierte Reichweite für den Materialbestand?

Folgende Fragen betreffen das Themenfeld Flexibilität


• Sind die Prozesse im Hinblick auf Stückzahländerungen, Produktwechsel und Varian-
tenanteilsveränderungen flexibel?
• Welche Instrumente werden zur Erreichung einer guten Flexibilität eingesetzt?
• Sind die Prozesse so flexibel, dass auf Unvorhersehbares ohne Verluste reagiert wer-
den kann?
• Sind physische Prozesse und Informationsprozesse (IT) flexibel, um Prozessverände-
rungen (Optimierungen, Umtaktungen) schnell umzustellen?

4.8 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Stabilisierung


• Verlustfaktoren und Leistungshemmnisse sind die Verschwendungen, die Inflexibi-
lität (fehlende Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen) und die Variabilität (Abwei-
chungen vom Standard).
• Die 3 Mu stehen für Muda (Verschwendungsarten), Muri (Überlastung von Prozes-
sen, Menschen, Maschinen oder Organisationen) und Mura (Unausgeglichenheit,
Schwankungen, Variabilität).
• Bestände sind sehr problematisch:
– Reihenfolgen können nicht eingehalten werden (Überholvorgänge)
– LIFO bei verderblichen oder chemischen Waren, Ein- und Auslagern, Ver-
schmutzen durch Liegen (Qualitätsverluste)
– Schwankende Materialwerte (Risiko)
– Lagerhaltungskosten werden unterschätzt (Fläche, Einrichtung, Fördermittel,
Personal, Verwaltung, Systeme, Versicherungen und Energie).
– Prozesse müssen bei kleinen Beständen zuverlässig und robust gestaltet sein.
Dies erhöht den Anspruch an die Produktion.
– Die Durchlaufzeit entspricht der Summe der Prozesszykluszeiten plus den Zei-
ten, die sich durch die Bestände vor, zwischen und nach den Prozessen ergeben.
Enthalten sind nicht nur Prozesszeit, sondern auch Verspätungen, Verwaltungs-
prozesse, Störungen an Anlagen und Wegezeiten.
– Hohe Liefertreue mit kurzer Durchlaufzeit erhöht die Kundenzufriedenheit. Der
Kunde wartet auf die Leistung, diese sollte daher schnell erfolgen.
– Je kleiner die Bestände, umso mehr nähert sich die Durchlaufzeit der Summe
der Prozesszykluszeiten. Das Ideal ist, dass die Durchlaufzeit der Gesamtpro-
zesszeit entspricht.
58 4 Stabilisierung

– Die Durchlaufzeit kann durch Optimierung der Prozesszeit verkürzt werden.


Dies reduziert die Wartezeit für die Kunden.
– Schwankungen gilt es zu vermeiden, um eine kontinuierliche und gleichmäßige
Produktion zu ermöglichen. Dies ergibt sich z. B. durch eine interne Störungs-
freiheit und eine angepasste Materialversorgung.
– Flexibilität bedeutet Anpassungsfähigkeit, z. B. von Mitarbeitern, Anlagen, Pro-
zessen und der Organisation.

Fragen
• Wie lauten die Einflussfaktoren für die Inflexibilität und wie für die Variabilität?
• Wie beeinflussen sich die 3 Mu gegenseitig?
• Welcher Bestand ist im Lean-Kontext keine Verschwendung?
• Wie wird die Durchlaufzeit ermittelt?
• Wie hängen Bestände mit der Durchlaufzeit zusammen?
• Wie werden Auftragsbestände nivelliert? Welche Möglichkeiten zur Nivellierung
von Auftragsbeständen gibt es?

Literatur

Ferdows K, Lewis MA, Machuca JAD (2005) Über Nacht zum Kunden. Harvard Business Mana-
ger 2:80–89
Hartmann T (2008) Bestände sind böse: Produktion als strategische Waffe – Ein Arbeitsbuch für
Unternehmer, 2. Aufl. Unternehmer Medien, Bonn
Imai M (2001) Kaizen: Der Schlüssel zum Erfolg im Wettbewerb, 1. Aufl. Econ Ullstein, München
Modig N, Ahlström P (2015) Das ist Lean – Die Auflösung des Effizienzparadoxons. Rheologica,
Stockholm
Ohno T (2013) Das Toyota-Produktionssystem, 3. Aufl. Campus, Frankfurt
Regber H, Zimmermann K (2013) Change Management in der Produktion – Prozesse effizient ver-
bessern im Team, 2. Aufl. mi, Landsberg
Schlautmann C (2009) Aldi hält Wettbewerber deutlich auf Abstand. Handelsblatt, 20. Apr, S 12
Fluss
5

Halte alles in Bewegung. Bringe die Arbeit zum Mitarbeiter, nicht


den Mitarbeiter zur Arbeit.
Henry Ford

Zusammenfassung
Das Thema Fluss hat mit dem Prozesslayout und der Losgröße zu tun. Letztere ist ein
Problem für eine schlanke Produktion, denn nur mit kleiner Losgröße kann ein Fluss
gestaltet werden. Das tiefe Verständnis der Unterschiede zwischen einer Produktion
nach Losgröße und einer Produktion nach dem Prinzip des Ein-Stück-Flusses ist die
Grundlage für eine Verbesserung von Qualität, Zeit und- Kosten.

Knalsch GmbH: Unübersichtlichkeit


Da die Bestände reduziert wurden, läuft es inzwischen schon etwas besser. Aber
es gibt noch zu viele und zu lange Transportwege. Dr. Alsch versucht mit seiner
Assistentin Claudia Beck, die Wege nachzuvollziehen. Aber die Fabrik ist sehr
unübersichtlich und die Wege sind lang. Das Material des Knalschi 100 wird für
den Waschprozess bis an das gegenüberliegende Hallenende gefahren und danach
wieder zurück. Das lohne sich nur, wenn die Box mit mindestens sechs Stück
gefüllt ist, sagt die Gabelstaplerfahrerin Isabell.
„Das kann doch nicht wertschöpfend sein“, sagt Alsch. „Und schon gar nicht
transparent“, ergänzt Claudia Beck. Sie merkt an, dass ihr das mit dem Gabel-
staplertransport so vorkomme, wie beim letzten Skiausflug der Firma: „Da gab es
die Seilbahn mit der großen Gondel, und wir mussten lange warten, und oben im
Skigebiet gab es dann den Sessellift, der die Menschen kontinuierlich mit weniger

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 59


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_5
60 5 Fluss

Wartezeit abtransportiert hat.“ Isabell mit dem Gabelstapler und den großen Boxen
komme ihr vor wie die große Seilbahn.
Alsch denkt laut nach: „Wer versteht eigentlich diese Fabrik und wie konnte das
so werden, wie es heute ist?“

5.1 Losgröße

Mehrere Teile, welche gebündelt transportiert und bearbeitet werden, nennt man ein Los.

 Losgröße Mehrere Bauteile derselben Variante werden gemeinsam nacheinander


gefertigt und erst danach zum nächsten Prozessschritt weitergegeben. Klassisch findet
man Losgrößen in der Fertigung und bei Umformen von Teilen in Pressen. Mehrere glei-
che Teile werden produziert, bevor ein Werkzeugwechsel erfolgt und eine neue, andere
Variante hergestellt wird. Die jeweilige Herstellmenge entspricht der Losgröße.

Wenn Produkte traditionell nach Losgrößen produziert werden, dann erfolgt dies nach
dem sogenannten Push-Prinzip. Bei einer Losgrößenproduktion werden die Produkte
nicht nach Kundenwunsch produziert, sondern nach einer festen Einplanung. Die produ-
zierten Mengen werden gelagert, bis ein Kunde diese bestellt und aus dem Lager abruft.

 Push-Prinzip Eine traditionelle bzw. klassische Fertigung, welche auf der Basis einer
zentralen Produktionsplanung und Steuerung erfolgt. Das Material wird mehr oder weni-
ger pünktlich auf der Basis von Fertigungsaufträgen von einem vorgelagerten Prozess
erhalten und nach der Bearbeitung zu einem nachgelagerten Prozess weitertransportiert.
Dies geschieht unabhängig davon, ob der Folgeprozess dieses Material unmittelbar benö-
tigt oder nicht. Dieses Prinzip führt vor den Prozessen zu hohen Beständen und damit
verbundenen langen Durchlaufzeiten. Das Gegenteil ist das Pull-Prinzip (Abschn. 7.1).

Eine Produktionsplanung nach dem Push-Prinzip steuert die Fertigung in Losgrößen.


Dabei wird auch das mitproduziert, was der Kunde nicht bestellt hat. Es entsteht somit
unmittelbar die Verschwendungsart der Überproduktion, mit der Folge von Beständen,
die Lagerflächen benötigen. Die Produktion ist unübersichtlich, Flächen sind mit Mate-
rial belegt, welches eingekauft wurde und an dem bereits eine Wertschöpfung stattge-
funden hat (Halbzeuge). Diese Produkte wurden noch nicht verkauft und haben somit
keinen Umsatz generiert. Außerdem muss mit einem größeren Aufwand für das Aufsu-
chen und die Materialbewegungen gerechnet werden. Diese Produktionsform wird Werk-
stattfertigung oder Produktion nach dem Verrichtungsprinzip genannt.
Ein zusätzliches Problem der Losgrößenproduktion ist die Qualitätsverschleppung.
Bei Fehlern im laufenden Prozess entstehen diese meist an der ganzen Losgröße. Durch
große Stückzahlen kann es vorkommen, dass die Produktionsfehler erst zu einem späteren
5.1 Losgröße 61

Zeitpunkt in einem Folgeprozess oder am Prozessende festgestellt werden. In diesem Fall,


müssen alle Produktionsteile im Lager oder in einem Prozess nachgearbeitet werden. Ver-
mischen sich in der Produktion oder im Materiallager Gutteile mit Schlechtteilen und ist
eine Nachvollziehbarkeit nicht mehr möglich, entsteht ein zusätzlicher Sortieraufwand. Im
Extremfall sind die Teile als Ausschuss zu entsorgen.
Traditionell arbeitet eine Losgrößen-Produktion nicht nach dem realen Kundenbedarf,
sondern auf der Basis einer Vorschau (engl. forecast). Aufgrund von langen Durchlauf-
zeiten ist die Produktion nicht in der Lage, den realen Kundenbedarf in den laufenden
Prozess einzusteuern und es erfolgt ein Verkauf der Fertigware ab Lager. Die Produkte
wurden in vielen Varianten vorproduziert und eingelagert. Waren mit einem Verfalls-
datum sind problematisch, denn wenn diese nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt ver-
kauft werden, sind sie wertlos. Aktionen zum Verkauf solcher „Lagerware“ haben kaum
Gewinnmargen, besonders nicht unter Berücksichtigung des Vollkostensatzes einschließ-
lich Lagerfläche sowie weitere Faktoren. Daraus stellt sich erneut die Frage vom Anfang
dieses Buches: Wie werden die Kosten in der Herstellung gesenkt? (Abschn. 2.3).
Die Betriebswirtschaft lehrt, dass Stückkosten sinken, wenn Stückzahlen steigen.
Teure Maschinen lohnen sich erst, wenn entsprechend hohe Stückzahlen hergestellt wer-
den. Daraus folgt die betriebswirtschaftliche Logik: „Nur wenn die Anlage läuft und
viele Teile produziert werden, ist sie rentabel.“ Jedoch wird Geld erst verdient, wenn der
Kunde das Produkt bezahlt hat.
Eine Berechnung der Losgröße kann über die Andler’sche Formel (Gl. 5.1) erfolgen
(nach Andler 1929).

2 · Jahresbedarf · Bestellkostenfix
Bestellmengeoptimal = (5.1)
Lagerkostensatz

Der Lean-Ansatz setzt bei den Bestellkosten an und reduziert diese durch kürzere Rüst-
zeiten. Hierdurch verbessert sich das Ergebnis für die Losgrößenberechnung (vergl.
Abschn. 13.4). Betriebswirtschaftlich lohnt sich eine Losgröße nur, wenn die Kunden-
menge produziert wird, die der Maschinenkapazität entspricht. Es stellt sich die Frage:
Wann ergibt sich in der Realität eine Übereinstimmung bei dieser Berechnungsart?
Viele Beispiele und Versuche zeigen, dass es sich in der in Produktion, der Administ-
ration oder dem Haushalt nicht lohnt, Arbeitsschritte in Losgrößen durchzuführen.

Beispiel
Es geht um das Fertigstellen versandfähiger Briefe, beginnend mit dem Falten von
Briefpapier, dem Kuvertieren, dem Zukleben, dem Adressieren und schließlich dem
Abstempeln. Die Abarbeitung erfolgt schrittweise für die Losgröße zehn. Durch das
permanente Greifen und Ablegen ergibt sich eine Verschwendung. Wird Brief für
Brief über den Gesamtprozess abgearbeitet, ist der Prozessablauf schneller. Jeder
einzelne Brief ist früher fertiggestellt. Dieses Beispiel zeigt, wie die Losgröße mit
62 5 Fluss

Verschwendung, Durchlaufzeit und einer schnelleren Kundenauslieferung zusammen-


hängt. Auch Fehler haben eine stärkere Auswirkung bei einer Losgrößenproduktion.
Bei der Einzelbearbeitung fallen erste Faltfehler bereits beim ersten Kuvertieren auf.
Bei einer Abarbeitung nach Losgröße ist der Fehler erst erkennbar, wenn alle zehn
Briefe falsch gefaltet sind und nicht in die Briefumschläge passen. Die notwendige
Nacharbeit ergibt sich bei der Losgröße zehn Mal.

In der Betrachtung von Dienstleistungen und vor allem wenn Menschen an einem Pro-
zess beteiligt sind, ist der Unterschied zwischen einer Abarbeitung nach Losgrößen
erkennbar.

Beispiel
Es geht um einen Besuch beim Hausarzt. Wie würden die wartenden Patienten reagie-
ren, wenn sie alle zur gleichen Zeit zur Anmeldung müssten? Danach warten alle auf
ihre Blutabgabe, die Proben werden ausgewertet und letztendlich warten wieder alle
gleichzeitig auf ihren Besprechungstermin beim Arzt. Im Anschluss daran werden für
alle Patienten Folgetermine vereinbart. Der Arzt hat seine Besprechungen zusammen-
gefasst und wartet den Rest des Tages. Die Patienten waren den ganzen Tag in der
Praxis, hatten aber einen hohen Anteil an Wartezeit.

Die Auswirkungen auf die Durchlaufzeit sind eindeutig erkennbar. Wie sich die Bestände
an Patienten in einem solchen System fühlen, ist nachvollziehbar.

Beispiel
Einen guten Vergleich bietet die Situation in Wintersportgebieten: große Gondeln in
Losgröße mit langer Wartezeit im Vergleich zu Sesselliften mit einem kontinuierli-
chen Fluss.

Entscheidend ist die Optimierung des Produktflusses und nicht des Einzelprozesses.
Einen Vergleich beider Vorgehensweisen in der Produktion zeigt Abb. 5.1.
Im Optimum spricht man von der „Losgröße 1“. Takeda (2012, S. 43 ff.) nennt dies
„Ein-Stück-Fluss“ (engl. One-Piece-Flow) (Abschn. 7.4). Notwendig und Grundvorausset-
zung dafür sind stabile Prozesse, wie sie im vorherigen Kapitel vorgestellt wurden (Kap. 4).

Verteilte Losgrößenproduktion Flussproduktion

1 2 3 1 2 3

Abb. 5.1  Vergleich verteilte Losgrößenproduktion und Flussproduktion


5.3 Produktion im Fluss 63

Es ist erkennbar, dass Losgrößen in Bestände münden und instabile Prozesse sowie Prob-
leme verdecken. Die Folgen sind hoher Aufwand, Verschwendung und Kosten.
Nicht immer lohnen sich kleine Losgrößen. In einem Presswerk wäre es sicherlich
unsinnig, nach jedem einzelnen Teil die Presswerkzeuge zu wechseln und neu einzurich-
ten. Dadurch kämen nur wenige Teile aus der Maschine. Eine stehende Anlage, welche
nicht produziert, wäre Verschwendung. Es geht um das wirtschaftliche Maß, kurze Still-
standzeiten und möglichst kleine Losgrößen. Ideal wäre ein Rüsten im Takt. Zum The-
menfeld Rüsten folgen Ausführungen im Abschn. 13.3.

5.2 Anordnung und Layout

Wenn über das Thema Fluss gesprochen wird, geht es nicht nur um das Defizit der Los-
größe, die Bestände erzeugt, sondern auch um die Anordnung und das Layout eines Pro-
zesses. Bei der Anordnung von Prozessen spielt das Layout eine entscheidende Rolle. Es
geht dabei nicht nur um eine bessere Prozesstransparenz und Übersichtlichkeit, sondern
auch um kürzere Wege und weniger Verschwendung durch Transporte.
Eine über Jahre gewachsene Fabrik verfügt häufig nicht über einen klar erkennbaren
Materialfluss. Die Anordnung einer Produktion in Linie während einer Planung und des
Aufbaus vermeidet unnötiges Handling sowie unnötige Transporte zwischen den einzel-
nen Prozessen.
Die Anordnung einer Produktion im Fluss muss nicht „gerade“ sein. Auch kreisför-
mige Anordnungen oder ein Layout in Form eines „U“ sind praktikabel. Moderne Fab-
riken zeigen hier vielfältige Lösungen für passende Layouts im Fluss. Beispiele sind das
smart-Werk in Hambach in Form eines Plus oder die auf Wandel ausgelegte BMW-Fabrik
in Leipzig.

5.3 Produktion im Fluss

In einem optimalen Layout, in dem die Produkte einzeln fließen, ergeben sich Vorteile
bei der Materialversorgung. Es ist eindeutig erkennbar, an welche Station das Mate-
rial gebracht werden muss. Prozesse, bei denen jeder auf jedes Material zugreifen
muss, bestehen nicht mehr. Am Fließband, welches durch Henry Ford in die Automo-
bilproduktion gebracht wurde, ist das Material der Station zugeordnet. Ford hat mit der
River-Rouge-Fabrik alle Prozesse in einen Fluss gebracht. Vom Rohmaterial bis zum
Endprodukt fließen die Materialien durch die Fabrik und fügen sich zu einem Fahrzeug
zusammen.

Beispiel
Inspiriert vom Automobilbau bewegt die Firma Trumpf ihre Werkzeugmaschinen auf
Luftkissen durch die Produktion. Das Material und die Informationen fließen durch
64 5 Fluss

die Produktion und reduzieren damit alle Verschwendungsarten der bisherigen Werk-
stattfertigung bzw. Standplatzfertigung. Spezialisten übernehmen mit ihren Werkzeu-
gen und dem Material an der jeweiligen Station den entsprechenden Montageumfang.
Dies erfolgt auch bei Zeitspreizungen durch unterschiedliche Varianten.
Der Flugzeughersteller Airbus schiebt die von Kunden bestellten Flugzeuge jeden
Tag um eine Station weiter. Airbus hat die Vorteile einer Flussproduktion erkannt und
eingesetzt.

Vor- und Nachteile der beiden unterschiedlichen Produktionsmethoden sind der Tab. 5.1
zu entnehmen.
Bei der Fließmontage verkürzt sich die Durchlaufzeit. Es gibt keine Überholvorgänge
und die Kunden erhalten ihr bestelltes Produkt zum vereinbarten Liefertermin. Jeder
Kunde bekommt sein Produkt schneller und muss nicht auf die Abarbeitung eines ganzen
Loses zusammen mit anderen Kunden warten.

Beispiel
Zwei Holzfäller haben Brennholzscheite gespalten und wollen diese einsammeln und
aufhäufen. Die Scheite einzeln einzusammeln und ordentlich abzulegen läuft willkür-
lich ab. Scheite fallen herunter und manchmal gibt es auch Wartezeiten, weil der eine
gerade aufhäuft und der andere dahinter warten muss. Sie stellen ihre Arbeit auf das
Flussprinzip im Ein-Stück-Fluss um. Der eine sammelt jeweils ein Holzscheit auf und
wirft es dem anderen zum Aufhäufen zu. Der Ablauf erfolgt im Takt und ohne Ver-
schwendung durch Wege oder andere Hemmnisse. Der Prozess läuft schneller, ein-
facher, runder und ergonomischer ab. Das Prinzip ist analog einer Eimerkette für den
Transport von Wasser oder das Bewegen von Sandsäcken zum Dammschutz.

Ein weiteres Beispiel, welches oft für Missstimmung sorgt, ist die sogenannte Blockab-
fertigung an Tunneln. Auch dies ist eine Themenstellung, welche sich mit dem Fluss und
der Losgröße beschreiben lässt.

Tab. 5.1  Vergleich der Vor- und Nachteile der Standplatzmontage mit und der Fließmontage
Vergleich Standplatzmontage Fließmontage
Vorteile • Kein Stillstand bei Maschinenausfällen • Hohe Transparenz über Material- und
Informationsfluss
• Bauteile müssen nur an eine spezifische
Station gebracht werden.
• Hohe Auslastung der Mitarbeiter
Nachteile • Hohe Rüstzeiten • Bandstillstände bei Maschinenausfällen
• Niedrige Auslastung der Mitarbeiter
• Alle Bauteile müssen an die einzelnen
Arbeitsstationen gebracht werden
5.3 Produktion im Fluss 65

Beispiel
Zuerst wird die komplette Tunnelstrecke von einer Richtung aus befahren. Danach
erfolgt die Nutzung der Gesamtkapazität aus der anderen Richtung. Dies erscheint
sinnvoll, wenn unterschiedliche Mengen aus den verschiedenen Richtungen kom-
men und die Kapazitäten dem Zulauf angepasst werden sollen. Übersetzt auf eine
Losgrößenfertigung in die Produktion und unter Berücksichtigung der Kriterien des
Ein-Stück-Flusses wird erkannt, dass durch die Wartezeit, bis der Tunnel aus einer
Richtung leer gefahren ist, um die andere Seite durchzulassen, die meiste Zeit verlo-
ren geht.

Richtig ist die Blockabfertigung aus der Lean-Perspektive weder in der Produktion, noch
im Straßenverkehr. Ideal wäre, wenn das Produkt kontinuierlich, ohne anzuhalten, flie-
ßen kann. Dies wäre das Prinzip, ähnlich einer Durchlaufwaschanlage, bei der Fahrzeuge
analog einem Förderband durch die Anlage gezogen werden und gleichzeitig, im Vorbei-
fahren, gewaschen und gereinigt werden. Ähnlich funktionieren die Lackieranlagen in
der Automobilproduktion. Dies stellt den Ein-Stück-Fluss in Perfektion dar und wurde
auch bei der Automobilmontage realisiert: Auf einem Förderband befinden sich Fahr-
zeugkarossen, an denen im Vorbeifahren gearbeitet wird.
Eine Produktion nach dem Flussprinzip zeichnet sich durch minimale Durchlaufzei-
ten, geringe Bestände, kleine Weitergabemengen, geringe Wartezeiten und einen transpa-
renten Materialfluss aus (Abb. 5.2).
Bei der Fließfertigung wird der Fokus, statt auf den Einzelprozess, auf den Gesamt-
prozess gelegt. Neben dem Produkt sollen die Mitarbeiter und die Informationen fließen
(Rother und Harris 2006, S. 9).

Losgrößenproduktion Ein-Stück-Fluss

1 min 1 min 1 min 1 min 1 min 1 min


100 Stück 100 Stück 100 Stück 1 Stück 1 Stück 1 Stück
100 min 100 min 100 min 1 min 1 min 1 min
Zykluszeit der Stationen: 1 min Zykluszeit der Stationen: 1 min
Prozesszeit: 3 min Prozesszeit: 3 min
Losgröße: 100 Stück Losgröße: 1 Stück
Durchlaufzeit: 303 min Durchlaufzeit: 6 min

Abb. 5.2  Durchlaufzeitberechnung im Vergleich: Losgrößenproduktion und Ein-Stück-Fluss


66 5 Fluss

5.4 Expertenfragen

Diese Expertenfragen beschäftigen sich mit den Themen Fluss und Losgröße.

Folgende Fragen sind im Themenfeld Fluss relevant


• Sind die Prozesse im Fluss?
• Fließt das Produkt kontinuierlich?
• Ist das Layout der Produktion am Produktprozess orientiert?
• Fließen die richtigen Informationen zur richtigen Zeit an die richtigen Stellen?

Fragen zum Thema Losgröße


• Sind Losgrößen notwendig?
• Sind notwendige Losgrößen so klein wie möglich definiert?
• Gibt es Aufwand durch Suchen und Sortieren?
• Gab es bisher keine Aktionen aufgrund von fehlerhaften Teilen über die Prozesskette
hinweg?

5.5 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Fluss


• Ein Los sind mehrere identische Bauteile, welche gebündelt transportiert und bear-
beitet werden. Die Herstellmenge entspricht der Losgröße.
• Die klassische Losgrößenberechnung erfolgt über die Andler’sche Formel.
• Lose werden nach dem Push-Prinzip gefertigt. Die Fertigung erfolgt in das Lager
auf der Basis einer Vorschau. Es ergeben sich steigende Bestände und Durchlauf-
zeiten.
• Qualitätsverschleppung bedeutet, dass bei auftretenden Fehlern meist das kom-
plette Los betroffen ist.
• Die optimale Losgröße im Lean-Kontext ist eins. Daraus ergibt sich der Ein-Stück-
Fluss (engl. „One-Piece-Flow“). Dies ist nicht immer praktikabel, z. B. in einem
Presswerk mit aufwendigem Werkzeugwechsel.
• Das Layout spielt bei der Anordnung von Prozessen eine entscheidende Rolle.
Eine Anordnung „im Fluss“ ergibt Prozesstransparenz, Übersichtlichkeit, kürzere
Wege und weniger Transporte.
• Eine Produktion nach dem Flussprinzip hat minimale Durchlaufzeiten, geringe
Bestände, kleine Weitergabemengen, geringe Wartezeiten und einen transparenten
Materialfluss.
• Der Fokus bei Fließfertigung liegt auf dem Gesamtprozess und nicht auf Einzel-
prozessen. Die Produkte, Informationen und Mitarbeiter sollen „fließen“.
Literatur 67

• Welche Probleme können bei einer Produktion nach dem Push-Prinzip entstehen?
• Was ist die Grundvoraussetzung für eine Produktion im Ein-Stück-Fluss?
• Worin bestehen die Vorteile einer Produktion im Fluss?
• Welche Vor- bzw. Nachteile bieten die Standplatzmontage und die Fließmontage?

Literatur

Andler K (1929) Rationalisierung der Fabrikation und optimale Losgröße. Oldenbourg, München
Rother M, Harris R (2006) Kontinuierliche Fließfertigung organisieren – Praxisleitfaden zur Ein-
zelstück-Fließfertigung für Manager, Ingenieure und Meister in der Produktion, Version 1.1.
Lean Management Institut, Aachen
Takeda H (2012) Das synchrone Produktionssystem – Just-in-time für das ganze Unternehmen,
7. Aufl. Vahlen, München
Takt
6

Herzschlag ist der Takt.


Musiktitel der Gruppe Münchener Freiheit

Zusammenfassung
Wer gibt den Takt einer Prozesskette vor und wie werden die einzelnen Prozesse auf-
einander abgestimmt? Diesen Fragen widmet sich das Thema Takt mit der Definition
des Kundentaktes und der Austaktung verschiedener Prozesse. Visualisierungen und
Berechnungen unterstützen den Ausgleich verschiedener Prozesse. Das Kernproblem
einer Prozesskette ist der Engpass.

Knalsch GmbH: Engpassstation


Es gibt ein neues Thema: Denn nun werden auf einmal Probleme sichtbar, welche
bisher nicht aufgefallen waren. Die Montagestation der Zahnräder schafft es vor
allem beim Knalsch 3000 nicht, die geplante Menge an Produkten zu bearbeiten.
Am Morgen war noch alles in Ordnung. Es hatte Probleme in der vorgelagerten
Fertigung mit der Anlage gegeben (auch noch so ein Problem).
Nun stapeln sich die Teile vor der Montagestation. An den anderen Stationen
herrscht scheinbar Langeweile durch fehlende Teile. Dies ist merklich durch das
laute Schwätzen der Mitarbeiter miteinander.
Wenn nicht schon der beste Mitarbeiter, Alfons Häberle, an der überlasteten Sta-
tion im Einsatz wäre, könnte man meinen, es läge an der Mitarbeiterqualifizierung.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 69


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_6
70 6 Takt

6.1 Engpass

Wo Prozessketten ins Stocken geraten und Teile sich anhäufen, befindet sich der Eng-
pass. Er wird auch als Flaschenhals (engl. bottleneck) bezeichnet.

 Engpass Der langsamste Prozess in einer Prozesskette. Er bestimmt die Ausbringung


und Produktivität.

Goldratt beschreibt in seinem Roman „Das Ziel“, wie auf einer Pfadfinderwanderung
der Engpass optimiert wurde (Goldratt und Cox 2013, S. 144 ff.). Herbie, der langsamste
Junge, wurde vom Ballast des Rucksackes befreit und als Erster an die Spitze der Wan-
dergruppe gesetzt. Er gab das Tempo vor und die Gruppe zog sich nicht mehr auseinan-
der. Dieses Auseinanderdriften kann bei Anlagen, die nicht aufeinander abgestimmt sind,
beobachtet werden.
Schwankende Stückzahlausbringungen erzeugen Bestände. Engpasssituationen kom-
men sowohl an Maschinen als auch an Mitarbeiterstationen vor. Während an Fließbän-
dern Engpässe frühzeitig durch Driften oder Anhalten des Produktionsbandes sichtbar
werden, sind bei autonomen Einzelanlagen die Probleme verdeckt und nicht einfach
erkennbar. Ursachen für die Engpässe können durch eine zu lange Taktzeit oder durch
instabile Maschinen und Prozessschwankungen entstehen. Die Schwankungen können in
den Zykluszeiten der Maschine, in Qualitätsproblemen oder Störungen und Maschinen-
ausfällen ihre Ursache haben.

Beispiel
Ein Engpass ist mit einem Stausee in einem Fluss vergleichbar. Das Wasser wird auf-
gestaut, bis es reguliert abfließen kann. Ist der Abfluss geschlossen, so füllt sich der
See weiter. Nach dem Wiederöffnen mit begrenztem Ablauf des Wassers, kann der
Zulauf nicht mehr kompensiert werden. Der Stausee hat einen höheren Wasserstand.
Eine Regulierung des Wasserstandes auf das ursprüngliche, niedrigere Niveau, findet
erst statt, wenn der Zulauf reduziert wird. In vergleichbarer Weise verhalten sich die
Bestände zwischen den Prozessen in einer Produktion. Sie erhöhen sich, wenn die
Maschine nach dem Bestand ausfällt und reduzieren sich, wenn die Maschine vor
dem Bestand ausfällt.

Es geht darum, den Engpass zu optimieren oder zu entlasten. Andere Verbesserungen


an anderen Produktionsprozessen sind nicht zielführend, solange der Engpass bestehen
bleibt. Den Engpass zu identifizieren und zu eliminieren ist die Herausforderung einer
Analyse und im Weiteren der Optimierung.
6.2 Kundentakt 71

6.2 Kundentakt

Wer gibt den Takt für eine Produktion vor? Die Antwort muss lauten: der Kunde.

 Kundentakt Zyklische Zeit pro Produkt, nach der es die Produktion verlässt. Er wird
aus dem Quotient der verfügbaren Produktionszeit durch die Kundenauftragsmenge
berechnet.

Der Kundentakt gibt den Rhythmus der Produktion vor, wie ein Herzschlag oder ein
Metronom. Die verfügbare Produktionszeit wird durch die nivellierte Kundenauftrags-
menge geteilt und ergibt den Kundentakt (Gl. 6.1). Durch die Division der Produktions-
zeit durch den Bedarf ergibt sich die Zeit pro Teil.
Produktionszeit
Kundentakt = (6.1)
Kundenauftragsmenge

Beispiel
In der Produktionszeit (Nettoarbeitszeit) von 400 min sollen 300 Teile hergestellt wer-
den (Gl. 6.2).
400 min 24.000 s s
Kundentakt = = = 80 (6.2)
300 Stück 300 Stück Stück
Der Kundentakt ist die Zeit, welche jeder Prozess maximal benötigen darf. Liegt die
Zeit darüber, so handelt es sich um einen Engpass. Liegt die Zeit darunter, entsteht eine
Wartezeit. Bei Nutzung dieser Wartezeit für eine Weiterproduktion von Teilen ergibt sich
eine Überproduktion, da am geforderten Bedarf vorbeiproduziert wird. In der Praxis
werden einige Abschläge für eventuelle Störungen, Ausfälle und andere Probleme einge-
rechnet. Der Produktionstakt wird als sogenannter Vorlauf etwas beschleunigt.
Die Herausforderungen bei der Produktion im Kundentakt sind eine schnelle Reak-
tion auf Probleme, die Beseitigung der Ursachen für ungeplante Stillstände und das
Erreichen von niedrigen Umrüstzeiten.

Beispiel
Im Wartezimmer eines Arztes oder auch in der Warteschlange einer Kasse nutzen
manche Menschen ganz intuitiv den Kundentakt. Sie schätzen, wie lange es noch dau-
ern wird, bis sie an der Reihe sind, über die durchschnittliche Zeit, nach der ein Pati-
ent aufgerufen wird oder der Vorgang an der Kasse abgeschlossen ist (Kundentakt).
Diesen multiplizieren sie mit der Anzahl der Wartenden davor. Es ergibt sich eine
Durchlaufzeit, also die Wartezeit, bis sie an der Reihe sind.

Der Kehrwert des Kundentaktes als die Anzahl Teile pro Zeiteinheit ist die Produktions-
rate (Gl. 6.3):
72 6 Takt

Gefertigte Teile
Produktionsrate = (6.3)
Beobachtungszeitraum

Die Produktionsrate wird weniger häufig betrachtet als der Kundentakt.

6.3 Austaktung

Um einzelne, zusammenhängende Prozesse synchron im gleichen Takt ablaufen zu las-


sen, ist eine Austaktung notwendig. Dabei sollen alle Prozesse am Kundenbedarf und
somit am Kundentakt ausgerichtet sein. Ziel ist, dass alle Prozesse zeitlich möglichst nah
am Kundentakt ausgerichtet sind, keinesfalls darüber, und wenn irgendwie möglich so
flexibel, dass sie sich auch auf andere Kundentakte einstellen lassen.
Bei der Betrachtung von Prozesszeiten wird immer die Zykluszeit gemessen. Also
die Zeit für einen kompletten Ablauf. Gemessen wird die Zeit von einem Startpunkt aus,
bis derselbe Punkt des Folgeprozesses (Startpunkt) wieder erreicht wird. Ein häufiger
Fehler ist, die Zeit von Anfang bis Ende aufzunehmen, jedoch das Zurückbewegen von
Werkzeugen oder auch die menschliche Bewegung zurück zum Ausgangspunkt nicht zu
berücksichtigen. Die Zykluszeit ist demnach immer ein vollständiger Durchlauf.
Sowohl Maschinen als auch Menschen arbeiten in Zyklen. Während bei Maschinen
in der Regel problemlos Zeiten gemessen werden können, bedarf es bei Menschen der
Zustimmung des Beobachteten und auch eine Einbindung der Arbeitnehmervertretung.
Normalerweise sind bereits im Vorfeld entsprechende Vereinbarungen getroffen worden.
Bei der Zeitmessung zur Optimierung geht es nicht um eine Messung zur Lohnermitt-
lung (vergl. Akkordlohn). Um bei verschiedenen Mitarbeitern nicht auf unterschiedliche
Arbeitszeiten zu kommen, wurden Verfahren zur Analyse von Arbeitsabläufen ein-
geführt, welche für verschiedene Bewegungen und Handgriffe Zeiten vorgeben. Diese
werden in entsprechenden Zeittabellen zur Verfügung gestellt. Bekannt sind die vorbe-
stimmten Zeiten nach MTM (Methods-Time Measurement). MTM wird als Arbeitsab-
lauf-Zeitanalyse bezeichnet.
Wenn Prozesse systematisiert und ausgetaktet werden, müssen Verschwendungen
zuvor aus dem Prozess eliminiert werden, da sonst die unnötigen und nicht wertschöp-
fenden Abläufe ebenso systematisiert und eingeplant werden.
Das Eliminieren von unnötigen Verschwendungen ist der erste Schritt. Danach wer-
den die Prozesse beginnend mit dem ersten Prozessschritt mit Tätigkeiten aufgefüllt,
bis der Kundentakt erreicht ist (Takeda 2012, S. 102). Dabei ist der Vorranggraph des
Produktes zu beachten, d. h. es darf kein Tätigkeitsschritt vor einen anderen gezogen
werden, der den vorherigen bedingt. Der Vorranggraph eines Produktes kann bei einer
Zerlegung des Produktes, also einer Montage in umgekehrter Reihenfolge, ermittelt
­werden (VDA 2015, S. 10 ff.).
6.3 Austaktung 73

Beispiel
Erst muss eine Platine im Gehäuse befestigt werden, bevor das Gehäuse durch Ver-
schrauben verschlossen wird. Umgekehrt ist eine Montage nicht möglich.

Danach wird die Austaktung mit dem nächsten Prozessschritt fortgesetzt. Dies wird wie-
derholt, bis alle Tätigkeiten durchlaufen sind. Die Prozessschritte der Austaktung sind in
Abb. 6.1 ersichtlich.
Bei einer Umtaktung, d. h. bei Anpassungen aufgrund einer Veränderung des Kunden-
taktes, wird analog vorgegangen. Dabei ändert sich die Prozessanzahl. Diese Mindestan-
zahl an Mitarbeitern, Prozessen oder Prozessstationen kann aus dem Kundentakt und der
Gesamtprozesszeit errechnet werden (Gl. 6.4). Die in der Formel vorkommende obere
Gaußklammer steht für ein ganzzahliges Aufrunden.
 
Gesamtprozesszeit
Prozessstationen = (6.4)
Kundentakt

Beispiel
Als Rechenbeispiel dient ein Montageprozess, welcher in Summe eine Gesamtpro-
zesszeit von 25,5 min benötigt. Der Kundentakt beträgt wie im Beispiel zuvor 80 s.
So folgt die Berechnung (Gl. 6.5):
   
25,5 min 1530 s
Prozessstationen = = = ⌈19,125⌉ = 20 (6.5)
80 s 80 s
Es werden folglich mindestens 20 Prozessstationen bzw. Takte benötigt, um das Pro-
dukt herzustellen.

Das Ergebnis kann weiter nach oben abweichen, da nicht davon auszugehen ist, dass die
einzelnen Prozesse immer genau zum Kundentakt beendet sind. Weitere Zeiten werden
in die Folgeprozesse verschoben.

1. Eliminieren der 2. Durchführung 3. Ergebnis der


Verschwendungen der Austaktung Austaktung

Abb. 6.1  Prozessschritte der Austaktung


74 6 Takt

Beim Austakten oder Umtakten ist der letzte Prozess häufig nicht mehr vollständig
bis zum Kundentakt gefüllt. Es entsteht eine nicht genutzte Wartezeit bis zum Ende des
Prozesszyklus. Dies ist an dieser Prozessstation akzeptabel. Sobald sich weitere Optimie-
rungen finden, werden an dieser Stelle die Tätigkeiten weiter abgesenkt, bis dieser Pro-
zess nicht mehr benötigt wird. Prozesse werden so nah wie möglich an den Kundentakt
aufgefüllt, sodass keine Wartezeit oder Prozesspausen entstehen (Abb. 6.2).
Arbeitsinhalte werden also nicht gleichmäßig aufgeteilt, da sonst an allen Stationen
Verschwendung in Form von Wartezeit existiert. Die Gefahr der Überproduktion ist in
diesem Fall unausweichlich. Die letzte Station kann eventuell zusätzliche Aufgaben im
Umfeld übernehmen, sodass die Wartezeit weiter reduziert wird, bis sich eine Lösung
ergibt. Sind manuelle Stationen betroffen, so wird hier häufig ein sehr flexibler Mitarbei-
ter positioniert. In Japan nennt man diesen Shojinka (vergl. Oeltjenbruns 2000, S. 51).
Die Verschwendung ist bei diesem Mitarbeiter zusammengefasst. Die Verbesserungsak-
tivitäten konzentrieren sich auf die Tätigkeiten an dieser Station. Der flexible Mitarbeiter
kann bei Eliminierung der Station an anderen Stellen eingesetzt werden.
Wie bereits im Kapitel zum Thema Fluss erwähnt (Abschn. 5.1), ist das Thema Rüs-
ten im Takt für eine schlanke Produktion unerlässlich. Bei der Austaktung ist die Wich-
tigkeit dieser Eigenschaft erkennbar. So ist es möglich, jede Variante in jedem Takt zu
produzieren, ohne dass sich der Takt verlängert oder die Produktion zum Umrüsten
unterbrochen werden muss.

Bei oberflächlicher Betrachtungsweise scheint eine Arbeit im Takt für Mitarbeiter


anstrengend und stressig zu sein. Dies trifft bei einer guten Austaktung (ohne Verdich-
tung der Tätigkeiten) und bei verschwendungsfreien Prozessen nicht zu. Bei einer Tätig-
keit ist es viel stressiger, wenn wiederholt alte und neue Probleme auftauchen, nichts
Wertschöpfendes geleistet werden kann oder sich Losgrößen vor dem Prozess aufhäufen
und sich der Werker selbst als Engpass fühlt.
Nachvollziehbar ist z. B., dass es angenehmer ist, Mails direkt nach dem Empfang
anzunehmen und zu bearbeiten, als eine große Menge zu sammeln, abarbeiten zu müssen
und durch fehlende Informationen diese zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu öffnen,
um sie final zu beantworten. Dies ist mit Stress verbunden. Eine gute Austaktung hat also
nichts mit einem sogenannten Hamsterrad zu tun, sondern mit einem runden, guten und

1 2 3 4 1 2 3 4

Abb. 6.2  Taktzeitdarstellungen: nicht ausgetaktete Stationen und korrekte Austaktung


6.4 Visualisierung der Austaktung 75

ergonomischen Arbeitsablauf. Was dabei sicherlich steigen kann, ist die Anforderung an
die Konzentrationsfähigkeit.
Neue oder schwächere Mitarbeiter werden bei einer Prozesskette in den mittleren Sta-
tionen eingesetzt. So können die erfahrenen Prozessnachbarn vor und nach der Station
helfen, ähnlich wie bei der Unterstützung eines Geschwächten oder Verletzten.
Um Verschwendung für die nächste Optimierung sichtbar zu machen und um den Eng-
pass zu erkennen, nutzte Taiichi Ohno die Methodik, dass alle Mitarbeiter, welche ihren
Arbeitszyklus beendet haben, die Hände nach oben heben, bis der nächste Zyklus begann.
Somit wurde die Verschwendung transparent und es konnte erneut optimiert werden.

6.4 Visualisierung der Austaktung

Austaktungen werden idealerweise grafisch dargestellt. Es bietet sich ein farbiges Sta-
peldiagramm an. Die Farben sind analog der Tätigkeitsart zu wählen: Wertschöpfung (w)
in grüner Farbe, die notwendigen, aber nicht wertschöpfenden Tätigkeiten (n) in gelber
und Verschwendung (v) in roter Farbe. Die Darstellungsform wird Gruppenübersichts-
tafel (GÜT) genannt, da diese die Zeiten für alle Stationen in der Produktion transparent
visualisiert (Abb. 6.3). Im Japanischen heißt die Übersicht „Yamazumi“. In diesem Wort
steckt das Wort „Yama“ für Berg. „Zumi“ bedeutet aufhäufen.
Alle manuellen Tätigkeiten werden auf der Gruppenübersichtstafel in einem Stapel
zeitgetreu eingetragen. Bei der Erstellung des Stapeldiagramms wird der aktuelle Stand,
also der vorläufig beste Ablauf, beschrieben. Durch diese Visualisierung wird der Opti-
mierungsprozess in Gang gesetzt. Die Ermittlung der Zeiten kann bei bestehenden oder
bekannten Prozessen mittels Zeitaufnahmen gemessen oder mit dem MTM-Verfahren
analysiert werden. Bei neuen Prozessen bzw. der Neuplanung bietet sich die Auslegung
mittels einer Zeitanalysemethodik an. Der Kundentakt wird mit einer waagerechten Linie
an der entsprechenden Zeit dargestellt.

100 n
ww w w w w w v v w n w
n n w
n w w n
v w
w w
w v
w n n w n
50 w v v
w v w
v n v w
v n
n
n w
w w
w
v v n n n
v v w v w v w v
0
w = wertschöpfend, n = notwendig, v = Verschwendung

Abb. 6.3  Yamazumi-Board – Gruppenübersichtstafel


76 6 Takt

Um weitere Optimierungen vornehmen und aktiv an der Tafel arbeiten zu können,


eignen sich z. B. farbige Magnetbänder. Sie werden in der entsprechenden Länge analog
der Zeit zerschnitten und mit der Tätigkeit beschriftet. So können sie schnell verschoben
und angepasst werden.
In der Abbildung einer Gruppenübersichtstafel (Abb. 6.3) sind weitere Varianten der
Austaktung dargestellt. An der dritten und vierten Station sind Produktvarianten erkenn-
bar, bei denen entweder die eine oder die andere Option produziert wird. An der letzten
Station ist erkennbar, wenn eine Option nur in manchen Varianten vorkommt. In die-
sem Fall überschreitet die Variante sogar den möglichen Kundentakt. Nur durch einen
guten Wechsel mit anderen Varianten, welche unterhalb der Zykluszeit bleiben, ist eine
Produktion im durchschnittlichen Kundentakt möglich. Der Mitarbeiter in einer sol-
chen Montagestation driftet dann aus dem Takt heraus und holt dies später wieder auf.
Dadurch ergibt sich eine Variabilität im Prozess, welche, sofern möglich, vermieden wer-
den sollte. Bei Losgrößen oder gleichen Varianten über dem Takt würde an dieser Stelle
ein Engpass entstehen und die Produktion ins Stocken geraten.
Für die Gruppenübersichtstafel sind digitale Lösungen möglich. In Programmen für
die Tabellenkalkulation kann die Höhe der Zeile analog der Dauer eingestellt werden.
Für einen Workshop können diese als Papierstreifen ausgedruckt und in der Gruppen-
übersichtstafel über- und nebeneinander angeordnet werden.

6.5 Besonderheiten und Taktzeitberechnungen

Eine Besonderheit ergibt sich, wenn ein Arbeitsvorgang nicht im Kundentakt fertig-
gestellt werden kann, da die Tätigkeit nicht weiter in kleinere Schritte aufgeteilt wer-
den kann. In einem solchen Fall wird von einem „Mehrtakter“ gesprochen. Die Station
bekommt ein Vielfaches des Taktes zugeordnet und es wird eine mehrfache Menge an
Arbeitskräften eingesetzt.

Beispiel
Benötigt ein Prozess z. B. die doppelte Taktzeit, so wird der Prozess als „Zweitakter“
eingeplant und mit zwei Personen doppelt belegt. Der erste Mitarbeiter bearbeitet nur
jedes zweite Produkt. Das dazwischen liegende Produkt übernimmt der zweite Mitar-
beiter. Wechselseitig wird dadurch nach jedem zweiten Takt ein Teil aus den beiden
Prozessen produziert. Somit steht an der Folgestation, welche wieder im Kundentakt
arbeitet, wieder je Takt ein Teil zur Verfügung.

Wenn mehr als zwei Takte benötigt werden, erhöhen sich die Stationsanzahl, Arbeits-
kräfte und Standardumlaufbestände analog. Mehr als die doppelte Taktzeit (Zweitakter)
sollte jedoch nicht eingesetzt werden. Prozesse mit Mehrtaktern sind stets unflexibel
und hemmen eine Optimierung. Die Gründe für einen Mehrtakter sollten untersucht und
6.5 Besonderheiten und Taktzeitberechnungen 77

schnellstmöglichst gelöst werden. Meistens liegt das Problem in einem komplexen Pro-
duktdesign (vergl. Kap. 17).
Wie beim Thema Gruppenübersichtstafel bereits anhand von Varianten gezeigt, beste-
hen beim Austakten weitere Besonderheiten (Abschn. 6.4). So ist bei Produktvarianten,
welche einen unterschiedlichen Zeitaufwand erfordern, auch die Auftrittswahrscheinlich-
keit zu beachten.
Die einfachste Möglichkeit ist, die Variante auszutakten, welche in Summe die längste
Zykluszeit aufweist. Die Folgen sind Wartezeiten bei anderen Varianten. Bei einer hohen
Variantenvielfalt wäre durch die Wartezeiten mehr Verschwendung im Prozess vorhan-
den. Mit zunehmenden Varianten, welche sich aufaddieren lassen, also mehrere durch
den Kunden bestellbare Optionen, wird das System unproduktiv.
Eine Durchschnittslösung ist zu finden. Dies funktioniert, wenn eine Station im Mit-
tel auf den Kundentakt ausgetaktet ist und die Wartezeit bei keiner Option durch die
Arbeitszeit beim Auftreten einer Option wieder ausgeglichen wird. Der Mitarbeiter drif-
tet zeitlich aus dem Kundentakt heraus, kann dies jedoch mit dem nächsten Auftrag, der
die Option nicht verlangt, ausgleichen.
Varianten werden in der Produktionssteuerung gesammelt und so aufgeteilt, dass eine
Bündelung von mehreren zeitlich aufwendigen Aufträgen in der Produktion möglichst
nicht auftritt. Die Produktionssteuerung der Aufträge in einer nivellierten Reihenfolge ist
essenziell, um das System nicht zu überfordern.
Erfahrungswerte aus der Vergangenheit oder Berechnungen des Vertriebs bilden die
Basis zur Ermittlung der Variantenverteilungen. Die Anteile bzw. die Quoten müssen
möglichst nahe an die reale Auftragsverteilung herankommen, da bei einem falschen
Verhältnis die Gefahr besteht, dass die Zykluszeiten in der Produktion nicht ausreichen.
Dies würde zu Störungen in der Produktion führen. Die Verbauquote des Auftretens der
Option wird in der Taktzeitberechnung berücksichtigt (Gl. 6.6).
ProzesszeitOption = ProduktionszeitOption · VerbauquoteOption (6.6)
Die durchschnittliche Zykluszeit für den Prozess ergibt sich aus der Prozesszeit für den
Standardablauf und der Prozesszeit für die Option unter Berücksichtigung der Verbau-
quote (Gl. 6.7).
ZykluszeitDurchschnitt = ProzesszeitStandard + ProzesszeitOption (6.7)

Beispiel
Der Kundentakt beträgt 80 s und die Zykluszeit für eine Montagetätigkeit an jedem
Produkt liegt bei 60 s. Es kommt noch eine zusätzliche Option mit einer Produktions-
zeit mit 45 s dazu. Die Option wird in 40 % der Aufträge eingebaut. Die Verbauquote
der Option beträgt somit 0,4. Für diese Option können an der Station die noch übrigen
20 s genutzt werden. Es ist zu prüfen, ob dies im Mittel funktioniert. Die 45 s Pro-
duktionszeit sind mit der Auftrittswahrscheinlichkeit von 40 % (Verbauquote = 0,4)
zu multiplizieren (Gl. 6.8).
78 6 Takt

ProzesszeitOption = 45 s · 0,4 = 18 s (6.8)

Das Ergebnis für die einzuplanende Prozesszeit beträgt für diese Option 18 s. Da dies
unter den verfügbaren 20 s liegt, kann der Arbeitsinhalt in die Station integriert wer-
den. Ändert sich die Verbauquote, ist die Austaktung anzupassen und es ist zu prüfen,
ob das System nicht über dem Kundentakt liegt.
Im vorliegenden Beispiel ergibt sich für die durchschnittliche Zykluszeit (Gl. 6.9)
das folgende Ergebnis:
ZykluszeitDurchschnitt = 60 s + 18 s = 78 s (6.9)
Für die Berechnungen folgen weitere Formeln mit verschiedenen Variablen: Berechnung
der maximal möglichen Produktionszeit für die Option, wenn die verfügbare Prozesszeit
im Prozessablauf und die Verbauquote bekannt sind (Gl. 6.10) und die Ermittlung der
maximal möglichen Verbauquote bei Vorliegen der Prozesszeit und die der Produktions-
zeit (Gl. 6.11).
Prozesszeitverfügbar
Produktionszeitmax = (6.10)
VerbauquoteOption

Prozesszeitverfügbar
Verbauquotemax = (6.11)
ProduktionszeitOption

Beispiel
Für die Berechnungen werden die bereits bekannten Werte verwendet.
20 s
Produktionsszeitmax = = 50 s (6.12)
0,4
Eine Option könnte mit einer Produktionsdauer von bis zu 50 s eingeplant werden
(Gl. 6.12)
20 s
Verbauquotemax = ≈ 0,444 = 44,4 % (6.13)
45 s
Die Option darf in maximal 44,4 % der Fälle auftreten (Gl. 6.13).

Ein weiteres Prinzip der schlanken Produktion ist, die Variante möglichst spät in den
Prozess einzusteuern. Dadurch können gleiche Teile am Anfang produziert werden und
eine mögliche Prozessvariabilität kommt erst in einem späteren Prozessschritt zustande.
Dies hilft, den Fluss stabil zu halten. Leider ist es bei der heutigen Komplexität von Pro-
dukten kaum möglich, die Variante erst zum Schluss zu erzeugen. Möglich ist dies zum
6.6 Umgang mit Arbeitsplatzreduzierung 79

Teil durch eine Individualisierung, bei der lediglich das Aufspielen von unterschiedlicher
Software erfolgt. Dennoch gilt, dass das Prinzip der späten Variantenbildung stets zu
verfolgen ist. Selbst wenn eine Varianz in einer frühen Produktionsphase besteht, sollte
diese so klein wie möglich gehalten werden.

Beispiel
Im Automobilbau wird versucht, die Rohbauvarianten so klein wie möglich zu halten.
Durch verschiedene Varianten, wie Rechtslenker oder Linkslenker und drei Dachva-
rianten (ohne Schiebedach, mit Schiebedach oder Panoramadach) könnte die Varian-
tenanzahl auf sechs Möglichkeiten begrenzt werden. In der Lackierung werden diese
sechs Möglichkeiten mit den Lackfarben kombiniert und multipliziert. Erst in der
Fahrzeugmontage erfolgt der spezifische Kundenauftrag und mit ihm die kundenindi-
viduelle Varianz.

Ein weiteres Themenfeld der speziellen Austaktung ist das Einplanen von Tätigkeiten
im Umfeld der Arbeitsstation. Der Vollständigkeit halber sollen diese hier angesprochen
werden. Die sogenannten Umfeldtätigkeiten sind Arbeitsschritte, die in einem Prozesszy-
klus anteilig mit eingeplant werden, aber nach mehreren Takten nur einmal vorkommen.

Beispiel
Es werden für 20 Zyklen je fünf Sekunden mehr eingeplant, damit alle 20 Zyklen
einmal ein längerer Prozess durchgeführt werden kann. Dies kann ein Ladungsträger-
tausch, das Auffüllen von Material oder das Entsorgen von Abfall sein. Bei 20 Zyklen
mit je fünf zusätzlichen Sekunden dürfte dies maximal 100 s dauern.

Solche Prozesse sollten aber möglichst vermieden werden, denn sie bringen Variabilität
in den Ablauf. Dies führt zu weiteren Problemen sowie Abweichungen vom Standard.

6.6 Umgang mit Arbeitsplatzreduzierung

Was ist zu unternehmen, wenn nach der Austaktung oder Umtaktung weniger Mitarbeiter
benötigt werden? Es ist festzustellen, dass die Planung der Produktion nicht optimal war.
Unabhängig davon ergibt sich durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess eine
weitere Reduzierung von Prozessschritten.
Wichtig ist, bereits vor der Optimierung zu kommunizieren, was mit den frei wer-
denden Mitarbeitern geschehen wird. In der Unternehmenskultur eines werteorientierten
Unternehmens ist eine Denkweise verankert, in der kein Mitarbeiter Angst vor einem
Arbeitsplatzverlust haben muss. Denn wenn diesbezüglich Unklarheit besteht, werden
die Betroffenen keine Ideen für den Optimierungsprozess einbringen und sich nicht
beteiligen. Ein mitarbeitergetragener Optimierungsprozess wäre infrage gestellt, nach-
haltig gestört und letztendlich nicht mehr existent.
80 6 Takt

Im Sinne der achten Verschwendungsart sind Personalabbauprogramme mit Kündi-


gungen oder Abfindungen nicht nachhaltig. Nachhaltige Prozesse sind aber das Ziel einer
Lean-Umsetzung. Bei Abfindungsprogrammen verlassen zuerst die guten Mitarbeiter,
welche auf dem Arbeitsmarkt eine neue Stelle angeboten bekommen, das Unternehmen.
Meistens sind das die Personen, deren Wissen und Erfahrung in anderen Unternehmen
gesucht und benötigt werden.
„Däumchen drehen“ sollen frei gewordene Mitarbeiter im eigenen Unternehmen
natürlich auch nicht. Daher sind tragfähige und nachhaltige Lösungen gefragt. Möglich-
keiten für einen Einsatz zeigt die nachfolgende Aufzählung:

• Bei entsprechender Auftragslage: höhere Stückzahlen produzieren


• Neue Produkte, neue Technologien entwickeln und produzieren
• Insourcing von wertschöpfenden Tätigkeiten und Verbesserung der Wertschöpfungstiefe
• Flexibilitätssteigerung
• Schichtzeitreduzierung
• Übernahme von Logistikinhalten, z. B. Kommissionierung und Bereitstellung
• Einsatz in Problemlöseprozessen zur Lösungsgenerierung
• Aufbau bzw. Einsatz als Hancho (engl. Team Leader) auf der untersten Führungs-
ebene (Abschn. 28.1)
• Lean-Team (Unterstützungsfunktionen): TPM-Team, Rüst-Team
• Verbesserer im Sinne der Verbesserungs-Kata (Abschn. 11.4)
• Einsatz als Verbesserungsmanager, Aufbau eines Kaizen-Teams für den Verbesse-
rungsprozess (Abschn. 28.2)
• Aufbau bzw. Einsatz in einer Kaizen-Werkstatt (Abschn. 28.3) für LCIA-Lösungen
(Abschn. 20.2)
• Einsatz in dezentralen Funktionen in der Ausbildung, einer internen Beratung oder als
Werkführer

Der richtige Ansatz mittels Lean zerstört keine Arbeitsplätze (Abschn. 27.2). Toyota hat
in der Vergangenheit noch niemand entlassen (Köhler 2005). Auch bedeutet Lean nicht,
schneller arbeiten zu müssen. Lean ermöglicht Wachstum und Verbesserung der Wirt-
schaftlichkeit eines Unternehmens (Abschn. 23.1). Es geht um reibungsloseres Arbeiten
und eine Sicherung von Arbeitsplätzen. Mit dieser Denkweise, welche den Menschen als
zentrales Element eines Produktionssystems sieht, befasst sich ein separates Kapitel im
zweiten Teil dieses Buches (Kap. 27).

6.7 Expertenfragen

Diese Expertenfragen stellen sich zum Thema Takt


• Sind Austaktungen visualisiert?
• Gibt der Kunde die Bestellung vor?
6.8 Zusammenfassung 81

• Sind die Prozesse gleichmäßig und synchron ausgetaktet?


• Ist der Engpass bekannt?
• Wo sind die Engpässe und um welche handelt es sich?

Folgende Expertenfragen betreffen das Thema Arbeitsplätze


• Ist in der Unternehmenskultur verankert, dass es durch Optimierungen keinen
Arbeitsplatzabbau gibt?
• Gibt es Pläne für den Einsatz von frei gewordenen Mitarbeitern?
• Werden Maßnahmen für Wachstum der Unternehmen umgesetzt (Stückzahlsteige-
rung, Insourcing)?

6.8 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Takt


• Der Engpass (auch Flaschenhals oder Bottleneck) ist der langsamste Prozess in
einer Prozesskette. Er bestimmt die Ausbringung sowie Produktivität einer Pro-
zesskette. In der Regel ist er langsamer als der Kundentakt.
• Ziel ist es, den Engpass zu optimieren und somit zu entlasten.
• Der Kundentakt ist die Produktionszeit geteilt durch die Kundenauftragsmenge.
Der Kundentakt wird in Zeit pro Teil angegeben.
• Austaktung bedeutet, die Prozesse am Kundentakt auszurichten. Ziel ist es, mög-
lichst nahe am Kundentakt zu sein und keinesfalls darüber, da sonst ein Engpass
entsteht.
• Für eine Zeitaufnahme bei Mitarbeitern sind die Zustimmung der Betroffenen und
die Einbindung der Arbeitnehmervertretung notwendig.
• Vor dem Austakten sind Verschwendungen zu eliminieren. Beim Austakten werden
die Prozesse der Reihe nach aufgefüllt, bis der Kundentakt erreicht ist. Hierbei ist
der Vorranggraph zu berücksichtigen.
• Prozesse mit Mehrtaktern sind unflexibel und behindern die Optimierung. Mehr als
die doppelte Taktzeit (Zweitakter) sollte nicht eingeplant werden.
• Beim Austakten mit Varianten müssen Produktionszeit und Verbauquote berück-
sichtigt werden.
• Die Einsteuerung der Varianten sollte möglichst spät in der Prozesskette erfolgen.
• Vor der Optimierung ist zu kommunizieren, was mit frei werdenden Mitarbeitern
geschehen wird. Ansonsten werden sich die Mitarbeiter nicht einbringen.
• Kündigungen sind keine nachhaltige Optimierungsmaßnahme.
• Lean ist kein Sparprogramm, sondern ein Wachstumsprogramm.

Fragen
• Was sind die Ursachen für die Entstehung von Engpässen?
• Welche Herausforderungen ergeben sich bei einer Produktion im Kundentakt?
82 6 Takt


Wer gibt in einer Produktion den Takt vor und warum?

Wie wird der Kundentakt berechnet?

Wie wird mit dem von einer Umtaktung betroffenen Personal umgegangen?

Wie wird bei einer Austaktung vorgegangen, wenn Produktvarianten eine unter-
schiedlich lange Prozesszeit haben?
• Rechenaufgabe: Für jede Produktvariante des Knalsch 3000 ist der Kundentakt zu
berechnen.
– Produktvariante A – Bedarf pro Tag: 6 Teile, Arbeitszeit pro Tag: 6 h
– Produktvariante B – Bedarf pro Tag: 522 Teile, Schichtzeit pro Tag: 8 h inkl.
45 min Pause
– Produktvariante C – Bedarf pro Tag: 25 Teile der Variante „gelb“ und 35 Teile
der Variante „blau“, Arbeitszeit pro Tag: 7 h, abzüglich Umrüstzeiten (2 mal
30 min je Tag)
– Produktvariante D – Bedarf pro Tag: 1200 Stück, Arbeitszeit pro Tag: 14 h
Die Lösungen zur Rechenaufgabe finden sich am Ende des Buches (Abschn. 30.1).

Literatur

Goldratt EM, Cox J (2013) Das Ziel – Ein Roman über Prozessoptimierung. Campus, Frankfurt
Köhler A (2005) Wir entlassen niemanden. Wirtschaftswoche 15:98
Oeltjenbruns H (2000) Organisation der Produktion nach dem Vorbild Toyotas – Analyse, Vorteile
und detaillierte Voraussetzungen sowie die Vorgehensweise zur erfolgreichen Einführung am
Beispiel eines globalen Automobilkonzerns. In: Bracht U (Hrsg) Innovationen der Fabrikpla-
nung und -organisation, Bd. 3. Shaker, Aachen
Takeda H (2012) Das synchrone Produktionssystem – Just-in-time für das ganze Unternehmen,
7. Aufl. Vahlen, München
VDA (2015) VDA 4812: Einheitliche eHPV-Bewertung in der Fahrzeugzerlegung (Empfehlung).
Arbeitskreis Digitale Fabrik, Verband der Automobilindustrie (Hrsg), Berlin
Pull
7

Wer zu spät kommt, den bestraft der Kunde.


Abwandlung nach Michail Gorbatschow

Zusammenfassung
Nachdem die Produktion im Fluss arbeitet und eine gleichmäßige Auslastung durch
den Kundentakt erreicht ist, folgt eine genauere Betrachtung der Logistik und die
Steuerung der Materialströme zwischen den Prozessen. Der Einsatz von Kanban ist
der Schlüssel für eine Produktion nach dem Pull-Prinzip, welches eine Push-Pro-
duktion ablöst. Die Verknüpfung von Materialfluss und Informationsfluss schafft die
Basis für einen optimierten Wertstrom.

Knalsch GmbH: Fehlendes Material


Es läuft so gut, dass Isabell und ihr Kollege das Material mit den Gabelstaplern
nicht mehr rechtzeitig anliefern können. Während an manchen Stationen zu viel
Material steht, fehlt es an anderen Stellen. Da die Produktion dank Austaktung und
besserem Layout sehr gut läuft, muss es offensichtlich an der Materialversorgung
liegen.
Claus Maß, der Logistikleiter, nimmt sich zusammen mit Alsch des Problems
an.
„Claus, kannst Du das Material nicht auch im Fluss anliefern, wie die Prozess-
schritte es machen? Am besten so, dass das Material genau im richtigen Moment
da ist, wenn man es benötigt“, sagt Dr. Alsch.
Claus Maß: „Ja schon, aber das ist leichter gesagt, als getan. Wir können doch
nicht überall gleichzeitig präsent sein und anliefern.“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 83


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_7
84 7 Pull

7.1 Just-in-Time

Bei näherer Betrachtung des Toyota-Produktionssystems stellt man fest, dass es aus
zwei Hauptelementen bzw. Säulen besteht: dem Jidoka–Prinzip (Abschn. 9.2) und dem
Just-in-Time-Prinzip. In diesem Abschnitt geht es um die Säule Just-in-Time des Pro-
duktionssystems mit dem Fokus auf die Logistik und die Verbindung des Materialflus-
ses mit dem Informationsfluss. Die Idee, die Philosophie von Just-in-Time zu verfolgen,
kam von Kiichiro Toyoda, dem Sohn von Sakichi Toyoda (Toyota 1995, S. 179). Der
Gedanke zu Just-in-Time kam Kiichiro, nachdem er auf einer Reise in London einen
pünktlichen Zug um eine Minute verpasst hatte. Diese Geschichte nutzte er auch zur Ein-
führung von Just-in-Time bei den Mitarbeitern in der Fabrik (Sato 2008, S. 66).
Durch eine Optimierung der Logistikabläufe werden verschiedene Verschwendungen
vermieden. Die Bestände sind zu reduzieren, bei gleichzeitiger Steigerung der Varianz.
Bei mehr Varianten in einem Herstellungsprozess steigen auch die Bestände, einschließ-
lich der Varianten, die nur selten abgerufen werden. Daraus ergibt sich die Idee, nur das
zu produzieren oder zu liefern, was auch bestellt wurde. Der Grundgedanke ist, Produkte
nur dann herzustellen bzw. bereitzustellen, wenn diese benötigt werden, wann diese
benötigt werden und wo diese benötigt werden und das in der exakt benötigten Menge.

 Just-in-Time (JIT) Prinzip, welches sich auf die Anforderungen von Prozessen bezieht,
bei denen exakte Zeitvorgaben einzuhalten sind. In der Beschaffungslogistik gilt: Die
beschaffte Ware soll zur richtigen Zeit in der richtigen Menge in der richtigen Quali-
tät am richtigen Ort sein. JIT-Anträge werden vom Kunden festgelegt, somit handelt es
sich dabei um das Pull-Prinzip. Die Idee ist, schnell auf Marktbedürfnisse reagieren zu
können. Im Toyota-Produktionssystem ist Just-in-Time eine der beiden Hauptsäulen des
Systems.

Aus der Definition von Just-in-Time ergeben sich die „5R“: Das richtige Produkt, bzw.
die richtige Leistung zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge, in der richtigen Quali-
tät, am richtigen Ort. Manchmal wird auch von „6R“ gesprochen, mit dem Zusatz „zum
richtigen Preis“. Das bedeutet, dass die Thematik der zu reduzierenden Kosten mitbe-
trachtet wird.
Das Prinzip agiert direkt am und mit dem Kunden und nach seinen Bedürfnissen.
Just-in-Time folgt damit nicht der betriebswirtschaftlichen Regel, welche davon ausgeht,
dass eine Anlage so viele Produkte wie möglich produzieren soll, um Stückkosten und
andere Mengendegressionen zu erfüllen. Dies führt unnötigerweise zu der Verschwen-
dungsart Überproduktion.
Das Prinzip hinter Just-in-Time ist eine Verbrauchssteuerung. Immer wenn etwas ver-
braucht wird, wird es wieder aufgefüllt. Dies ist die Idee des Pull-Prinzips. Taiichi Ohno
brachte den Gedanken aus den USA zu Toyota, nachdem er dort Supermärkte betrachtet
und dort alles vorgefunden hatte, was benötigt wurde. Gleichzeitig wurde das Entnommene
7.1 Just-in-Time 85

wieder in gleicher Menge nachgefüllt. Der Warenausgang entsprach dem Wareneingang.


Der Vergleich zu einem gut geführten Warenlager war nicht fern. Aus dieser Idee entstand
das Kanban-Konzept (Abschn. 7.2) nach dem Pull-Prinzip, welches auch „Supermarkt-
Prinzip“ genannt wird.

 Pull-Prinzip Gegensatz zur Produktion nach dem Push-Prinzip (Abschn. 5.1). Es wer-
den nur dann Produkte hergestellt oder transportiert, wenn der Kunde diese Produkte am
Ende der Prozesskette abnimmt. Es gilt: Produziere nur, was der Kunde will. Das Ent-
nehmen am Ende der Prozesskette löst einen Impuls aus. Durch das Entnehmen bzw.
„Ziehen“ (nach hinten) des Produktes wird die Information an die Prozesskette (nach
vorne) weitergegeben. Es wird nur das nachproduziert, was wirklich verbraucht wurde.
Gibt es keinen Bedarf, so steht die Prozesskette. Eine Überproduktion findet nicht statt.
Für Pull wird in diesem Zusammenhang auch das Wort „Sog“ verwendet.

Das Pull-Prinzip kann anhand einer Kette aufgezeigt werden. Drücken, also Push,
funktioniert nicht, da sich die Kettenglieder (wie Bestände) zusammenschieben. Zieht
man hingegen an der Kette, so wird immer ein Kettenglied nach dem anderen über die
gesamte Kettenlänge weitergezogen (Abb. 7.1).

Abb. 7.1  Kette nach den Prinzipien Push (links) und Pull (rechts)
86 7 Pull

7.2 Kanban

Der japanische Begriff Kanban steht für den Informationsfluss im Pull-Prinzip. Der
Begriff wird teilweise auch als Kamban verwendet.

 Kanban Japanisches Wort für Karte (Abb. 7.2). Es dient als Informationselement zur
Signalisierung und als Kommunikationsinstrument für die Koordination der Produktion
und des Teiletransports zwischen den Prozessen. Durch die Information in Form einer
Karte wird ein Bestellprozess zur Wiederauffüllung aus einem Warenlager (Supermarkt)
ausgelöst. Der Kreislauf wird sowohl firmenintern als auch extern zusammen mit Liefe-
ranten eingesetzt. Informations- und Materialfluss werden durch kleine, sich selbst steu-
ernde Kreisläufe verbunden.

Kanban ist ein visuelles Werkzeug und ein Standard:

• Zu jedem Behälter gehört ein Kanban.


• Die Materialmenge je Behälter und somit je Kanban ist fest definiert.
• Nur die Materialmenge auf der Kanban-Karte wird produziert bzw. entnommen.
• Der nachgelagerte Prozess holt sich die Teile beim vorgelagerten Prozess.
• Nur Gutteile werden weitergeben.
• Mehrere Karten dürfen in einem Prozess nicht angesammelt werden.
• Die Kanban-Anzahl im System muss regelmäßig überprüft werden.

Bei der Kanban-Methode werden neben Karten auch andere Signalisierungsmöglichkei-


ten eingesetzt. Es haben sich für viele Prozesse unterschiedliche Formen etabliert:

• Sicht-Kanban (freie Fläche, Fahne, Golfball),


• Behälter-Kanban (Ladungsträger),
• E-Kanban (elektronisch, Knopfabruf),

KNALSCH GmbH KANBAN

Lager A17-2 Verbrauchsort:

Bauteil Zahnrad 42 mm, 40 Z. Halle 1

Teile-Nummer 2734 4 Anlage 2

Menge 50 Regal 10

Behältertyp KLT A Karte 2 von 4

Abb. 7.2 Beispiel für ein Kanban (Karte)


7.2 Kanban 87

• Logistik-Kanban,
• Transport-Kanban,
• Einmal-Kanban (gedruckt),
• Lieferanten-Kanban.

Beispiel
Im Haushalt ist eine Tube Zahnpasta zu besorgen. Sofern die Tube der Zahnpasta
eine zusätzliche Umverpackung aus Karton hat, wird beim Anbrechen einer neuen
Packung die Kartonlasche der Verpackung abgerissen und zur Einkaufsliste gelegt.
Beim nächsten Einkauf wird die verbrauchte Zahnpasta anhand der Kartonlasche
nachgekauft und als Vorrat zu Hause gelagert. Ist die Tube, welche im Gebrauch ist,
leer, beginnt der Prozess erneut.

Tab. 7.1 gibt einen Überblick über die Vor- und Nachteile von Kanban.

 Supermarkt Ein Lager mit einem geregelten Bestand. Der maximale Bestand ist defi-
niert. Der englische Begriff lautet „Store“. In einem Materialfluss dient der Supermarkt
in Kombination mit Kanban der selbstständigen Steuerung und Nachlieferung nach dem
Pull-Prinzip.

Die Auftragsauslösung erfolgt durch den Kundenbedarf entgegen der Materialflussrich-


tung. Die Information wandert zur Ware im Supermarkt und die Ware wird ausgeliefert.
Auch der Supermarkt bestellt beim Herstellprozess wieder per Pull-Prinzip und Kanban
seine Ware nach und löst so die Nachproduktion aus.
Es wird zwischen zwei Arten unterschieden: Entnahmekanban (engl. Withdrawal
Kanban) und Produktionskanban (engl. Production Kanban) (Abb. 7.3). Das Entnah-
mekanban löst nach Verbrauch eine Entnahme im Supermarkt aus (1). Die entnom-
mene Ware wird an den Verbraucher ausgeliefert (2). Das Produktionskanban stößt
die Nachproduktion beim vorgelagerten Prozess an (3), um den Supermarkt wieder
aufzufüllen (4).

Tab. 7.1  Vorteile und Nachteile von Kanban


Vorteile Nachteile
• Transparenz im Prozess • Störungen im vorgelagerten Prozess wirken
• Verkürzen der Material- und Informations- sich auf die gesamte, nachgelagerte Prozess-
durchlaufzeit kette aus.
• Harmonisierung des Materialflusses Bestands- • Nicht einsetzbar bei stark schwankender
und Lagerflächenreduzierung Nachfrage oder Produktionszeit
• Hohe Lieferbereitschaft • Erfordert große Disziplin
• Reduzierung der Ladungsträgermenge
• Verkürzung der Reaktionszeit
88 7 Pull

Produktionskanban Entnahmekanban

3
Kanban
4 Supermarkt 1

2
Lieferant Transporteur Fabrik
Materialfluss
Informationsfluss

Abb. 7.3  Kanban-Kreisläufe: Entnahme und Produktion

Beispiel
Den Ablauf kann man sich folgendermaßen vorstellen: Das Material eines Behäl-
ters im Regal einer Montagestation wird verbraucht. Der leere Behälter wird auf den
oberen Regalboden, die Rückführung für das Leergut, gestellt. Im Regalfach gleitet
ein neuer Behälter mit einer Karte (Entnahmekanban) nach. Die Karte wird in eine
Schiene an der Seite des Regals gelegt und rutscht zur Logistikseite herunter. Wenn
die Logistik auf einer Ausliefertour mit einem Routenzug vorbeikommt, nimmt sie
das Leergut und die Karte mit. Im Supermarkt wird das Leergut entladen und der
Routenzug mit dem Material bestückt, welches über die eingesammelten Karten
angefordert wurde. Die Ware wird zusammen mit der Karte bei der nächsten Auslie-
fertour mit dem Routenzug im Regal am Arbeitsplatz bereitgestellt. Bei dieser Tour
wird wieder neues Leergut mit den dazugehörigen Karten eingesammelt. Das im
Supermarkt fehlende Material wird mit Karten (Produktionskanban) beim Lieferanten
nachbestellt. Das Material wird nachproduziert und mit den Karten (Produktionskan-
ban) an den Supermarkt zur Wiederauffüllung geliefert.

Ist im Produktionsprozess eine Mindestanzahl an Teilen für eine Nachproduktion not-


wendig und die Produktion losgrößenorientiert, werden die Karten an einem Heijunka-
Board (Abschn. 4.5) gesammelt und übereinander in farbig markierte Bereiche gesteckt
(Abb. 7.4). Der grüne Bereich ist unkritisch. Werden Karten in den nachfolgenden gel-
ben Bereich gesteckt, so muss die Reaktionszeit starten, um den Produktionsauftrag vor-
zubereiten (Rüstzeit). Ist eine bestimmte Anzahl an Karten im gelben Bereich vorhanden
(Markierung der kritischen Menge), wird mit der Produktion der Teile begonnen. Wenn
die Karten in den roten Bereich gelangen, ist die Lieferkette nicht mehr ordentlich ver-
sorgt und der Sicherheitsbestand wird unterschritten. Eine sofortige Reaktion mit Son-
dermaßnahmen ist notwendig.
7.2 Kanban 89

Abb. 7.4 Beispiel für


ein Heijunka-Board mit
Steckkarten und Farbcodierung
zur Produktionseinplanung

Beispiel
Eine Auslieferung nach dem Supermarkt-Prinzip betreiben die meisten Fast-Food-
Restaurants. Ein Regal zwischen Küche und Bedienungsbereich fungiert als Super-
markt (Abb. 7.5). Werden Burger aus dem Regal entnommen und verkauft, so werden
in der Küche neue Burger in passenden Losgrößen nachproduziert und wieder in
die Theke gelegt. Im Regal wird dem FIFO-Prinzip gefolgt. Da es sich um warme
Lebensmittel handelt, ist definiert, nach welcher Zeit die Produkte nicht mehr ver-
käuflich sind. Dies ist ein Nachteil des Pull-Systems. Zwar ist die Ware sofort ver-
fügbar, aber es liegt an der Kalkulation und Systemauslegung, ob es einen Engpass
entsteht oder nicht verkaufte Ware am Ende weggeworfen werden muss. Da die Pro-
dukte fertig vorliegen und die Auslieferungszeit an den Kunden im Fokus liegt, ist die
Auslieferung sofort möglich.
Dies inspirierte einen Anbieter, mit seinen Kunden Wetten abzuschließen, dass die
Bestellung innerhalb von eineinhalb Minuten abgeschlossen sein würde. Nur bei Son-
derbestellungen und Waren, welche nicht im Supermarkt vorrätig waren, konnten die
Kunden einen Gutschein für ein Getränk gewinnen.
90 7 Pull

„Supermarkt“
Küche Bedientheke
Durchlaufregal

Herstellung Belieferung Entnahme Auslieferung Kunden

Abb. 7.5  Durchlaufregal als Supermarkt zwischen Küche und Bedienungsbereich in einem Fast-
Food-Restaurant

Zwischenzeitlich wird auch in Fast-Food-Restaurants auf das Prinzip des Ein-


Stück-Flusses umgestellt. Die Produkte werden in kurzer Durchlaufzeit kundenindi-
viduell erst dann zubereitet, wenn sie bestellt wurden. Der Supermarkt verschwindet
und mit ihm der Nachteil des teilweise notwendigen Wegwerfens von zu lange lagern-
den Produkten.

Es ergeben sich zwei wesentliche Anforderungen an den Kanban-Prozess. Erstens: Die


Lieferung und die Nachproduktion müssen in kurzen Lieferzeiten erfolgen. Zweitens:
Die Variantenzahl sollte begrenzt sein, damit der Lagerbereich im Supermarkt nicht zu
groß wird.
Für diese Prozesse ist die Kenntnis der Wiederbeschaffungszeit essenziell wichtig, da
das Kanban-System ansonsten nicht ordnungsgemäß berechnet werden kann.
Zur Berechnung der Anzahl an Karten in einem einzelnen Kanban-Kreislauf (Versor-
gung oder Produktion) dient Gl. 7.1
 
Verbrauch · Wiederbeschaffungszeit
Kartenanzahl = · Sicherheitsfaktor (7.1)
TeileLadungsträger

Die Kartenanzahl entspricht dem aufgerundeten Ergebnis für die notwendige Menge an
Karten im Umlauf. Der Verbrauch entspricht dem maximalen Verbrauch pro Zeiteinheit
innerhalb des betrachteten Zeitraums oder dem Durchschnittsverbrauch plus der Stan-
dardabweichung, um Schwankungen zu berücksichtigen. Die Wiederbeschaffungszeit
ist die Gesamtzeit, die von der Abgabe der Karte bis zur Wiederbelieferung und Bereit-
stellung am Verbrauchsort (Supermarkt oder Produktionsort) vergangen ist. Die Variable
„Teile“ mit dem Index „Ladungsträger“ entspricht der Teileanzahl je Kanban-Behälter.
Der Sicherheitsfaktor wird hinzugerechnet, um eine mögliche Versorgungslücke durch
eine Prozessvariabilität auszugleichen. Er wird individuell festgelegt und fällt je nach
Prozess unterschiedlich aus. Der Sicherheitsfaktor kann als Faktor oder Prozentzahl auf-
geschlagen werden. Möglich sind auch eine absolute Mengenangabe in Stück (Gl. 7.2)
oder eine Behälteranzahl (Gl. 7.3). Diese sind aufzuaddieren.
7.3 Kanban-Umfeld 91

 
Verbrauch · Wiederbeschaffungszeit Sicherheitsbestand (7.2)
Kartenanzahl = +
TeileLadungsträger TeileLadungsträger
 
Verbrauch · Wiederbeschaffungszeit
Kartenanzahl = + LadungsträgerSicherheit (7.3)
TeileLadungsträger

Da Bestände auch in einer Reichweite als Zeit angegeben werden können, kann der
Sicherheitsbestand als Zeitangabe für die Bestandsreichweite angegeben sein. Diese wird
über den Verbrauch pro Zeit in eine entsprechende Behälteranzahl umgerechnet. Der
Wert wird in Gl. 7.3 eingesetzt.
Beispielhafte Rechenaufgaben zum Thema Kanban befinden sich in der Zusammen-
fassung am Ende dieses Kapitels (Abschn. 7.8).
Aus den Faktoren kann der maximale Teilebestand, welcher im Umlauf ist, berechnet
werden (Gl. 7.4, Gl. 7.5 und Gl. 7.6):

Bestandmax = Verbrauch · Wiederbeschaffungszeit · Sicherheitsbestand (7.4)

Bestandmax = Verbrauch · Wiederbeschaffungszeit + Sicherheitsbestand (7.5)

Bestandmax = Verbrauch · Wiederbeschaffungszeit


(7.6)
+ LadungsträgerSicherheit · TeileLadungsträger

Für die Festlegung des Sicherheitsfaktors gibt es verschiedene Verfahren. Sie hängen von
den Prozessen, deren Stabilität und Qualität ab (Dickmann 2015, S. 212 ff.). Gienke und
Kämpf (2007, S. 1004) geben neben der Originalformel des Toyota-Produktionssystems
auch an, dass Toyota einen Behälter nie mit mehr als 10 % des täglichen Bedarfs füllt.

7.3 Kanban-Umfeld

Ein Kanban-System einzuführen, bedarf einer Grundlage. Kanban ist ein Hilfsmittel
für einen Materialfluss nach dem Pull-Prinzip. Das Pull-Prinzip ist nicht das Ziel eines
schlanken Materialflusses, sondern lediglich eine Zwischenstufe auf dem Weg zum Ein-
Stück-Fluss (Abschn. 7.4).
Hauptgrundlage für die Einführung von Kanban sind verschwendungsfreie und stabile
Prozesse. Einen Prozess nach dem Pull-Prinzip auszurichten, ohne dass ein stabiler Pro-
zess nach den Kriterien der Stabilisierung, des Flusses und der Austaktung vorliegt, führt
nicht zum Ziel.
Die erfolgreiche Einführung von Kanban ist von den folgenden Rahmenbedingungen
abhängig, welche als Multiplikatoren wirken:
92 7 Pull

• Geglättete Produktion mit Minimierung von Schwankungen in Bezug auf Mengen


und Varianten
• Verkürzung und Vereinheitlichung der Transportzyklen und Integration des Transpor-
tes in den Materialfluss
• Konsequentes Management der Behälter bzw. der Verpackungsform mit möglichst
kleinen Behältern
• Definition und Einhaltung von Standards
• Kontinuierliche Produktion und kontinuierlicher Fluss
• Verkleinerung der Losgrößen und Reduzierung der Rüstzeiten
• Klare Ortsbestimmung für die Belieferung und die Lagerung

Die Anzahl an Karten für ein Teil ist festgelegt und die Karten sind entsprechend num-
meriert (Kartennummer von Gesamtanzahl Karten im Umlauf). Die Kreisläufe sind
genau berechnet und die Bestände niedrig. Eine verlorene Karte wirkt sich in der Regel
durch einen Materialengpass bzw. durch fehlendes Material aus. Deshalb werden die im
Umlauf befindlichen Karten regelmäßig auf Vollständigkeit überprüft. Verlorene Karten
werden nachgedruckt und wieder in den Kreislauf eingesteuert.

Beispiel
In einem Montagewerk gingen die Karten vor allem in der Winterzeit verloren, da
damit die Scheiben der Flurförderfahrzeuge vom Eis befreit wurden. Der Austausch
mit Karten in runder Form löste dieses und ein weiteres Problem. Während die vier-
eckigen Karten in den Schienen an den Regalen teilweise hängen blieben, rollten die
runden Karten in den Kanban-Schienen problemlos.

Damit keine Karten verloren gehen, ist neben einem stabilen Prozess Disziplin notwen-
dig. Das Verständnis bei den Mitarbeitern, dass jede Karte genau den Wert hat, wie das
darauf vermerkte Material, ist sehr wichtig. Die Visualisierung des realen Geldbetrages
auf der Karte unterstützt den sorgsamen Umgang mit der Karte. Verschwundene Karten
sind nur in den Unternehmen ein Problem, in denen die Einhaltung und Überprüfung von
Standards nicht gelebt wird (Abschn. 25.5).
Manchmal wird ein Kanban-System kopiert, weil es andere auch machen. Doch ein
Kanban–System wird nicht eingeführt, weil es gut aussieht. Ebenso wenig dient es dem
verbrauchenden Bereich, also der Produktion. Denn schließlich ist das Kartenhandling
für die Produktion keine Wertschöpfung, sondern eine Tätigkeit aus der Kategorie Ver-
schwendung. Kanban hat seinen Nutzen in der Lieferkette und Logistik. So empfiehlt
Ohno (2013, S. 64 ff.) den Einsatz von Kanban nur bei entsprechender Sinnhaftigkeit
und Verständnis sowie unter gewissen Regeln.

Beispiel
Ein Kanban-System wird in Verwaltungsbereichen für Büromaterial eingesetzt (Rumpelt
2005). Bei Unterschreitung des Mindestbestandes erfolgt eine Bedarfsauslösung mittels
7.4 Ein-Stück-Fluss in Kundensequenz 93

Kanban. Die Nutzer und Verbraucher haben keinen Nutzen von den kleinen Kärtchen
zur Wiederbestellung von verbrauchtem Material (Abb. 7.6), das Sekretariat, welches
eine Nachbestellung übernimmt, sehr wohl. In regelmäßigen Abständen wird bestellt,
spontane Bestellungen aufgrund von fehlendem Material kommen nicht vor. Der Min-
destbestellwert für eine Bestellung beim Büromateriallieferanten wird erreicht. Das Sor-
timent ist standardisiert und unnötiges Material, für das es keinen Bedarf gibt, belegt
keine Schrankfläche.

7.4 Ein-Stück-Fluss in Kundensequenz

Die hohe Kunst der Produktion ist der sogenannte Ein-Stück-Fluss (engl. One-Piece-
Flow) (Takeda 2012, S. 44 ff.). Ist die Individualisierung der Produkte so hoch, dass die
Varianz nicht mehr in einem Supermarkt abgebildet werden kann, die Teile sehr volumi-
nös sind (z. B. Flugzeuge) oder teuer, so ist das Pull-Prinzip nicht mehr praktikabel.

Beispiel
Die Stoßfänger eines Automobils bestehen aus verschiedenen Form- und Farbvarian-
ten. Zu den Farben kommen je zwei Möglichkeiten für die Form (Normal oder Sport),
die Chromapplikationen (mit oder ohne), die Kennzeichenblendengröße (länglich für
Europa oder quadratisch für USA und Asien) und die Löcher für Parksensoren (mit
oder ohne). Es ergeben sich 16 verschiedene Formvarianten, welche mit der Anzahl

Abb. 7.6 Beispiel: Kanban


Kanban
für Büromaterial
(Artikelfoto)

Artikelbezeichnung Beschreibung des Artikels


Farbe, Format (Abmessungen)

Beschreibung Nähere Beschreibung, weitere


Informationen, z. B. Preis

Bestellnummer Zugehörige Bestellnummer

Lagerort Lagerort der Büromaterialien,


Schrank, Zimmer Nr.

Bestellmenge Mindestbestand
X X

Mindestbestand erreicht!
Kanban bitte in Briefkasten einwerfen
94 7 Pull

der Farben zu multiplizieren ist. Bei angenommenen acht möglichen Außenlackie-


rungen sind 128 verschiedene Varianten für Stoßfänger möglich. Bei dieser Menge
und Dimension des Bauteils wäre ein Supermarkt erforderlich, der von jeder Variante
mehrere vorrätig halten müsste. Dies entspräche einem sehr hohen Bestand auf einer
Fläche größer als ein Flussballfeld. Eine Sequenzierung bietet sich somit an.

Die Lösung liegt in einer kundenorientierten Auftragsproduktion. Diese wird in einer


Sequenz durch die Produktion befördert. Dabei gibt es keine Überholvorgänge.

 First-In-First-Out (FIFO) Ein Organisationsprinzip für ein Lager. Eine Bearbeitung fin-
det in Reihenfolge des Eingangs statt. Teile, welche zuerst bereitgestellt werden, werden
als erstes wieder entnommen. Dies entspricht dem Prinzip eines Durchschubregals, bei
dem die Teile in der Reihenfolge, in der sie eingelagert wurden, auch wieder entnommen
werden. Das gegenteilige Prinzip wäre LIFO. Es bedeutet umgekehrt Last-In-First-Out
und entspricht dem Ablauf eines Stapels.

Stabile und perfekt ausgetaktete Prozesse arbeiten weder nach dem Push- noch nach dem
Pull-Prinzip. Sie steuern sich mit einer hohen Prozessverantwortung selbst. Wird ein Pro-
dukt abgegeben, liegt das nächste Produkt zur Bearbeitung bereit. Es entsteht die per-
fekte Produktion im „Ein-Stück-Fluss“.

 Ein-Stück-Fluss Beschreibt die Produktion mit Losgröße 1 (engl. One-Piece-Flow).


Jedes Werkstück wird nach seiner Bearbeitung direkt an den nächsten Prozess weiter-
geleitet. Auch zwischen den Prozessen liegt maximal ein Werkstück (Standardumlauf-
bestand). Stoppt ein Prozess, müssen auch die Prozesse davor stoppen. Es findet keine
Überproduktion statt.

Der Ein-Stück-Fluss in Kundensequenz ist die höchste Form der Produktion, da er nur
mit einer hohen Perfektion, klaren, eingehaltenen Standards und abgestimmten Prozes-
sen funktionieren kann. Hinzu kommt eine hohe Eigenverantwortung in allen Prozess-
schritten. Dies betrifft den Materialfluss und die Qualität. Die Abläufe sind rund und es
gibt weder Push noch Pull, denn alle Prozesse greifen Hand in Hand.

 Just-in-Sequence (JIS) Eine Belieferungsstrategie, welche den Ansatz Just-in-Time


(JIT) mit der Sequenzierung von Varianten in Kundenreihenfolge kombiniert. Der Her-
stellungsprozess wird bei der Bestellung gleichzeitig über die Lieferreihenfolge infor-
miert. Komponenten und Teile werden an der Produktionslinie zum richtigen Zeitpunkt
in der richtigen Reihenfolge an der Produktionslinie angeliefert, kurz bevor diese verbaut
werden.

Bei Just-in-Sequence werden alle Teile in der richtigen Reihenfolge zusammen einem
bestimmten Auftrag zugeführt (Abb. 7.7). Die gesamte Logistik richtet sich nach der
7.5 Schrittmacherprozess 95

Abb. 7.7  Schematische Darstellung einer Produktion in Sequenz, Zuführung der Teile in Form
von Fischgräten

Produktion der Kundenaufträge aus. Die Reihenfolge wird auch „Perlenkette“ genannt.
Die Einhaltung bzw. Abweichung von der Sequenz wird mit der Kennzahl der Reihenfol-
gegüte der Perlenkette erfasst (Weyer 2002, S. 173 ff.).
Der Ein-Stück-Fluss wird immer in einem flexiblen Mitarbeitermontagesystem (FMS)
(Abschn. 12.3) eingesetzt (Rother und Harris 2006, S. 101).

7.5 Schrittmacherprozess

Beim Pull-Prinzip oder dem Ein-Stück-Fluss in Sequenz wird die Produktion durch vor-
liegende Kundenaufträge gesteuert. Die Einsteuerung der Aufträge erfolgt im Kunden-
takt am Schrittmacherprozess. Dies geschieht beim Push-Prinzip (Abschn. 5.1) nicht.

 Schrittmacherprozess Die Position in einer Prozesskette, an der die Kundenauf-


träge durch eine Information in die Produktion eingesteuert werden (Abb. 7.8). Damit
gibt der Schrittmacher die Sequenz vor. Die Einsteuerung erfolgt im Kundentakt. Pro-
zesse vor dem Schrittmacherprozess (stromaufwärts in Richtung Lieferant) arbeiten nach
dem Pull–Prinzip. Prozesse nach dem Schrittmacherprozess (stromabwärts in Richtung
Kunde) arbeiten nach dem FIFO-Prinzip in Kundensequenz.

Eine Grundregel in der schlanken Prozesskette lautet: Die Varianz ist so spät wie mög-
lich in den Prozess einzubringen. Die Prozesskette vor der Varianzeinsteuerung kann
standardisiert werden. Die Bestände reduzieren sich gleichzeitig. Nach der Varianten-
einsteuerung ergeben sich variantenbedingte Zeitspreizungen. Die Prozesskette wird
flexibler. Innerhalb eines Prozesses wird zu Beginn mit dem Abarbeiten des Stan-
dards begonnen, bevor je nach Variante unterschiedliche Arbeitsinhalte hinzukommen
(Abschn. 6.5).
96 7 Pull

Kundenbestellung

OXOX

Prozess 1 Prozess 2 Prozess 3


Pull
FIFO Kunde

Schrittmacherprozess

Abb. 7.8 Schrittmacherprozess mit Eisteuerung der Kundensequenz (Wertstromdarstellung)

Kundenbestellung

OXOX

Prozess 1 Prozess 2 Prozess 3 Prozess 4


Pull Pull Pull
Kunde

Fluss

Abb. 7.9  Schrittmacherprozess am Ende der Produktion, davor Pull-Prinzip

Beim Pull-Prinzip wird die Kundenbestellung als Information entgegen dem Mate-
rialfluss weitergeleitet. Dies erfolgt mittels Kanban. Wenn die Variantenvielfalt,
vor allem am Anfang einer Prozesskette, gering ist, wird das Pull-Prinzip eingesetzt
(Abb. 7.9).

Beispiel
Schokoladentafeln haben aufgrund der überschaubaren Varianz den Schrittmacherpro-
zess am Prozessende.

Komplexe und variantenreiche Produkte haben den Schrittmacherprozess am Anfang der


Prozesskette (Abb. 7.10).

Beispiel
Bei einer Flugzeugproduktion werden die Teile für einen Auftrag fertiggestellt und
sehr früh kundenindividuell hergestellt. Hier befindet sich der Schrittmacherprozess
am Anfang der Prozesskette.
7.6 Konfigurationen von Flusssystemen 97

Kundenbestellung

OXOX

Prozess 1 Prozess 2 Prozess 3 Prozess 4


Pull
FIFO FIFO Kunde

Fluss

Abb. 7.10  Schrittmacherprozess am Anfang der Produktion, danach Ein-Stück-Fluss in Kunden-


sequenz (FIFO)

7.6 Konfigurationen von Flusssystemen

Die unterschiedlichen Flussprinzipien lassen sich in einer Gegenüberstellung vergleichen


(Abb. 7.11). Die Darstellung folgt der Symbolik des Wertstromes (Abschn. 8.2).

• Die erste Stufe entspricht dem Push-Prinzip mit der Produktion aufgrund einer Prog-
nose: Make-to-Forecast.
• In der zweiten Stufe ist das Kanban-System mit Supermärkten integriert. Der Schritt-
macher steuert vom letzten Prozess aus mittels Kanban nach dem Pull-Prinzip: Make-
to-Stock.
• In der dritten Stufe wird die Bestellung am Anfang in die Prozesskette eingesteuert,
um eine notwendige Varianz zu produzieren. Jeder Kunde erhält seine Bestellung
nach der Durchlaufzeit: Make-to-Order.
• In der letzten Stufe wird die Prozesskette nach dem Flussprinzip mit einem zusam-
menhängenden Layout und kurzzyklischer Materialversorgung in Sequenz aus-
gerichtet. Der Materialfluss erfolgt in Sequenz des Kunden im Ein-Stück-Fluss:
One-Piece-Flow in Kundensequenz.

Prozesse mit unterschiedlichen Flussprinzipien und Schrittmacherprozessen, welche die


Durchlaufzeit beeinflussen, können am Beispiel verschiedener Restauranttypen aufge-
zeigt werden. Ein Vergleich von einem Restaurant, einer Pizzeria und einem Fast-Food-
Restaurant zeigt den Zusammenhang von Flussprinzip, Varianz, Schrittmacherprozess
und Durchlaufzeit (Tab. 7.2).

Beispiel
Das Restaurant benötigt am längsten für die Bedienung der Kunden. Es steuert die
Bestellung zu Beginn in den Prozess ein und bereitet das Essen im Ein-Stück-Fluss
individuell und frisch zu.
98 7 Pull

Push-System: Make-to-Forecast
Prognose Prognose Prognose Nachfrage
Woche
Lieferant Fertigung Montage

Pull-System: Make-to-Stock (Kanban)


Nachfrage
Tag
Lieferant Fertigung Montage

Make-to-Order
Nachfrage
Schicht
FIFO Lieferant Fertigung FIFO Montage

One-Piece-Flow in Kundensequenz
Nachfrage
2h
Lieferant Fertigung Montage

Abb. 7.11  Stufen verschiedener Flussprinzipien

Tab. 7.2  Durchlaufzeiten in unterschiedlichen Restaurants aufgrund verschiedener Flussprin-


zipien
Restaurantart Wartezeit des Gastes (min) Produktionssteuerungssystem
Restaurant Lang, ca. 30 Individuelle Einzelfertigung
Pizzeria Mittel, ca. 15 Vorfertigung Teig, Auftragsfertigung mit Belag
Fast-Food Kurz, ca. 2 Lagerfertigung

Die Pizzeria reduziert die Produkte auf Nudelgerichte und Pizza. Nudeln, Soßen
und Pizzateig sind vorbereitet und werden je nach Kundenwunsch kombiniert oder
belegt. Die Varianz erfolgt in der Mitte des Herstellungsprozesses. Die Durchlaufzeit
verkürzt sich auf die Zeit zum Anrichten bzw. die Backzeit im Ofen.
Das Fast-Food-Restaurant verfügt über die kürzeste Durchlaufzeit, da es mit dem
Pull-Prinzip aus einem Supermarkt arbeitet. Der Schrittmacher befindet sich am Ende
des Prozesses, nämlich an der Bedienungstheke.

Die ideale Vorstellung von Herstellern, Logistikern und Restaurantbetreiber ist sicherlich
die Produktion und Lieferung, bevor der Kunde seine Bestellung abgibt. Die Anlieferung
erfolgt in dem Moment, wenn der Kunde darüber nachdenkt, eine Bestellung aufzuge-
ben. Diese hellseherische Methodik fällt unter die Kategorie „Make-before-Order“. In
Onlineshops gibt es erste Ansätze, die Bestellung vorzubereiten, während der Kunde auf
7.8 Zusammenfassung 99

der Internetseite seine Bestellung zusammenstellt. Der Auftrag wird vorkommissioniert,


während der Kunde sich noch informiert und die Ware in den virtuellen Warenkorb legt,
ohne die Bestellung abgeschlossen zu haben.

7.7 Expertenfragen

Folgende Expertenfragen drehen sich um das Thema Pull-Prinzip


• Erhalten die Kunden ihre Produkte dann, wann sie diese erwarten?
• Sind Bestände auf den notwendigen Standardumlaufbestand reduziert?
• Werden die notwendigen Varianten im Prozessablauf so spät wie möglich gebildet?
• Werden die realen Kundenaufträge am Schrittmacherprozess eingesteuert?
• Wird die Prozesskette vor dem Schrittmacherprozess nach dem Pull-Prinzip
gesteuert?
• Wird das FIFO-Prinzip nach dem Schrittmacherprozess eingehalten?

7.8 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Pull


• Bei einer Pull-Fertigung wird nur das produziert, was vom Kunden bestellt wurde.
• Just-in-Time (JIT) ist eine von zwei Hauptsäulen im Toyota-Produktionssystem.
Ziel ist, die richtige Ware zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge, in der richti-
gen Qualität an den richtigen Ort zu liefern (5R) und dies zum richtigen Preis (6R).
• Just-in-Sequenz (JIS) ist eine Belieferungsstrategie, welche den Ansatz von Just-
in-Time mit der Sequenzierung von Varianten in Kundenreihenfolge kombiniert.
• Kanban (jap. Karte) steht für den Informationsfluss beim Pull-Prinzip. Kanban
dient als Informationselement für den Teiletransport zwischen den Prozessen.
• Es werden zwei Arten von Kanban unterschieden: Entnahmekanban und Produkti-
onskanban.
• Anforderungen an den Kanban-Prozess:
– Lieferung und Nachproduktion müssen in kurzen Lieferzeiten erfolgen.
– Variantenzahl sollte begrenzt sein, damit der Lagerbereich für den Supermarkt
nicht zu groß wird.
In die Berechnung der Kanban-Anzahl fließen der Verbrauch, die Wiederbe-
schaffungszeit, die Teileanzahl je Kanban-Behälter und ein Sicherheitsfaktor ein.
Eine verlorene Karte wirkt sich in der Regel durch einen Materialengpass bzw.
durch fehlendes Material aus. Daher ist ein regelmäßiges Überprüfen der Karten
auf Vollständigkeit wichtig.
Eine Sequenzierung bietet sich an, wenn durch zu viele verschiedene Varianten
sehr hohe Bestände entstehen würden.
100 7 Pull

Stabile und perfekt ausgetaktete Prozesse arbeiten weder nach dem Push- noch
nach dem Pull-Prinzip, sondern nach dem Ein-Stück-Fluss. Dabei wird selbst-
ständig mit einer sehr hohen Prozessverantwortung gesteuert.
Der Ein-Stück-Fluss in Kundensequenz benötigt klare, eingehaltene Standards
und abgestimmte Prozesse.
Der Schrittmacherprozess ist die Position in einer Prozesskette, an welcher die
Information über die Kundenaufträge in die Produktion eingesteuert wird.
Prozesse vor dem Schrittmacherprozess (stromaufwärts in Richtung Liefe-
rant) arbeiten nach dem Pull-Prinzip. Prozesse nach dem Schrittmacherprozess
(stromabwärts in Richtung Kunde), arbeiten nach dem FIFO-Prinzip in Kun-
densequenz.

Fragen
• Wofür steht der Begriff Kanban?
• Was ist das Ziel von Kanban?
• Welche Vor- und Nachteile hat die Kanban-Methode?
• Von welchen Rahmenbedingungen ist eine erfolgreiche Kanban-Einführung
abhängig?
• Welche Formen von Signalisierungsmöglichkeiten werden für Kanban verwendet?
• Welche Nachteile hat ein Pull-System?
• Was ist der Schrittmacherprozess?
• Nach welchem Flussprinzip erfolgt der Materialfluss vor dem Schrittmacherprozess?
• Nach welchem Flussprinzip erfolgt der Materialfluss nach dem Schrittmacherprozess?
• Welche zwei unterschiedlichen Arten von Kanban-Kreisläufen gibt es?
• Auf welchem Prinzip beruht das Kanban-System: Push, Call, Pull oder Stock?
• Rechenaufgabe: Für jedes Zulieferteil des Knalschi 100 ist die Anzahl Karten im
Kanban-Kreislauf zu berechnen.
– Teil A: 40 Teile/Behälter, Schichtzeit: 480 min inkl. 60 min Pause, Verbrauch/
Schicht: 400 Stück, Wiederbeschaffungszeit: 3,5 h, Sicherheitsfaktor: 1,25
– Teil B: 20 Teile/Behälter, 3-Schichtbetrieb mit 150 min Pause pro Tag, Ver-
brauch/Tag: 1300 Stück, Wiederbeschaffungszeit: 2 h, Sicherheit: 1 h
– Teil C: 25 Teile/Behälter, Verbrauch: 45 bis maximal 55 Stück/h, Wiederbe-
schaffungszeit: 5 h, Sicherheit: 50 %
– Die Lösungen zur Multiple-Choice- und Rechenaufgabe finden sich am Ende
des Buches (Abschn. 30.2).

Literatur

Dickmann P (Hrsg) (2015) Schlanker Materialfluss mit Lean Production, Kanban und Innovatio-
nen, 3. Aufl. Springer Vieweg, Berlin
Gienke H, Kämpf R (2007) Handbuch Produktion – Innovatives Produktionsmanagement: Organi-
sation, Konzepte, Controlling. Hanser, München
Literatur 101

Ohno T (2013) Das Toyota-Produktionssystem, 3. Aufl. Campus, Frankfurt


Rother M, Harris R (2006) Kontinuierliche Fließfertigung organisieren – Praxisleitfaden zur Ein-
zelstück–Fließfertigung für Manager, Ingenieure und Meister in der Produktion, Version 1.1.
Lean Management Institut, Aachen
Rumpelt T (2005) Nicht kopieren, Kapieren! Automobil-Prod 7:18–22
Sato M (2008) The toyota leaders: an executive guide, 1. Aufl. Vertical, New York
Takeda H (2012) Das synchrone Produktionssystem – Just-in-time für das ganze Unternehmen,
7. Aufl. Vahlen, München
Toyota (1995) Total guide to the toyota commemorative museum of industry and technology. The
Toyota Commemorative Museum of Industry and Technology, Toyota, Nagoya
Weyer M (2002) Das Produktionssteuerungskonzept Perlenkette und dessen Kennzahlensystem.
Helmes, Karlsruhe
Wertstrom
8

Wo immer es ein Produkt gibt, da gibt es auch einen Wertstrom. Die


Kunst ist, ihn zu sehen.
Mike Rother

Zusammenfassung
Die Wertstromanalyse ist eine visuelle Methode, um Prozesse grafisch darzustellen.
Die Ist-Analyse und die Schritte zum Soll-Wertstrom sind die Elemente, welche zu
verbesserten Prozessketten führen. Dabei spielen bekannte Kennzahlen eine wichtige
Rolle. Anhand von Gestaltungsprinzipien können grundlegende Anforderungen an die
System-, Prozess- und Informationsgestaltung abgeleitet werden.

Knalsch GmbH: Zusammenhänge


Karl-Norbert Alsch ist zufrieden: „Wir müssen die gegangenen Schritte nur noch
in eine sinnvolle Reihenfolge bringen und eine Transparenz über unsere Prozesse
bekommen. Gibt es dafür auch eine Methode? Ideal wäre eine visuelle Darstellung
der Prozesse, bei der wir unsere Probleme in Summe über die ganze Fabrik erken-
nen könnten, ohne Berücksichtigung der Bereichsgrenzen. Wenn wir dies hätten,
könnten wir den aktuellen Zustand als Startpunkt für unsere Verbesserung zum
Zielzustand nutzen.“
„Das gibt es! So etwas habe ich schon mal gesehen“, sagt Claudia Beck.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 103


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_8
104 8 Wertstrom

8.1 Wertstromanalyse

Die Wertstromanalyse zeigt mittels Symbolen den Ist-Zustand einer Prozesskette. Der
Soll-Zustand entsteht als Wertstromdesign mit gleicher Symbolik. Im Wertstrom sind
drei wichtige Prozesskennzahlen integriert: Kundentakt, Prozesszeit und Durchlaufzeit
(Abschn. 8.4).

 Wertstromanalyse (WSA) Eine Analysemethode, um die Prozesskette als Wert-


strom (engl. Value Stream Map, VSM) ganzheitlich aufzunehmen. Durch die grafische
Darstellung ergibt sich ein Gesamtüberblick über alle Prozessschritte ohne Bereichs-,
Gebäude- oder Kostenstellengrenzen. Die Systemgrenzen sind von Rampe zu Rampe:
vom Rohmaterial der Lieferanten bis zur Auslieferung an den Kunden. Der Wertstrom
zeigt mit seiner Darstellung die Zusammenhänge zwischen dem Materialfluss und dem
Informationsfluss.

Ein Wertstrom enthält alle Aktionen, wertschöpfende und nicht wertschöpfende, welche
durchgeführt werden, um ein Produkt herzustellen. Die Wertstromdarstellung beginnt
mit der Anlieferung des Rohmaterials und endet mit dem Transport der Ware zum Kun-
den. Der Fokus liegt auf der Produktion. Für administrative Prozesse und Dienstleistun-
gen existiert ein ähnlicher Ansatz mit dem sogenannten Makigami (Abschn. 16.4).
Während Verbesserungsaktivitäten meistens isolierte Erfolge bringen, ist der Wertstro-
mansatz eine systematische Optimierung des Gesamtprozesses. Das Denken in Prozes-
sen und die Transparenz über Abteilungsgrenzen hinweg werden zusammengeführt. Der
Wertstrom durchbricht das Silodenken, die Kostenstellenorientierung und das Bereichs-
denken, wie es beispielsweise zwischen einer Montage und einer Logistik besteht. Anstatt
Bereiche abzuteilen und lokale Optima zu erreichen, wird der Gesamtprozess ohne
Schnittstellen betrachtet. Hierdurch ergibt sich die Chance für eine ganzheitliche und
übergreifende Optimierung. Dies führt zu einem Gesamtoptimum. Diese übergreifende
Sichtweise auf die Prozesse ist wichtig für eine weitere Optimierung. Durch den Wert-
strom werden nicht nur Verschwendungen identifiziert, sondern auch deren Ursachen und
Quellen. Hierdurch zeigt sich, dass die Wertstromanalyse, als ideale Form der Prozessauf-
nahme, ein zwingender Schritt in der Analysephase eines Optimierungsprojektes ist.
Durch die Visualisierung des Gesamtprozesses wird die Sichtweise auf den Fluss von
Material und Informationen transparent. Der Materialfluss zeigt den Fluss der Rohstoffe,
der Teile und Komponenten sowie der Produkte auf. Das absolute Ziel ist der kontinu-
ierliche Ein-Stück-Fluss (Abschn. 7.4). Der Informationsfluss visualisiert den Durchfluss
von Aufträgen und die Informationen zur Lagerbestandssteuerung. Das Ziel hierzu ist die
Erreichung eines klaren Informationsflusses, sodass ein Prozess nur das erzeugt, was der
nächste Prozess anfordert.
Die Sicht auf die Gesamtzusammenhänge ermöglicht eine Optimierung des Systems,
wie es beim System-Kaizen angedacht ist (Abschn. 11.2). Der Wertstrom verbindet die
Zielableitung und Kennzahlenebene mit der Prozessebene.
8.2 Wertstromsymbole und Darstellung 105

8.2 Wertstromsymbole und Darstellung

Für die visuelle Darstellung eines Wertstroms werden Symbole verwendet. Sie dienen als
einheitliche Sprache, wenn es um Prozesse geht, da diese in der Lean-Welt bekannt sind.
Unterschieden wird in drei Symbolgruppen: Materialfluss, Informationsfluss und sons-
tige Symbole. Die wichtigsten Symbole werden im Folgenden vorgestellt. Ausführlich
beschäftigen sich Rother und Shook (1998, 2000) sowie Erlach (2010, 2013) mit dem
Thema Wertstrom (engl. Value Stream Map). Dort werden zusätzliche Symbole für spe-
zielle Anwendungen gezeigt.
Um im Materialfluss einen Prozess darzustellen, wird das Wertstromsymbol einer Box
bzw. eines Kastens mit dem Prozessnamen verwendet. Der Prozesskasten des Herstel-
lungsprozesses steht für einen Fertigungsabschnitt, in dem das Material mehr oder weni-
ger fließt. Prozesskästen werden mit dem Prozessnamen als Überschrift versehen. Dieser
Kasten wird auch für Abteilungen genutzt, wie z. B. die Produktionsplanung. Eine Ergän-
zung der Prozesse erfolgt mit einem Datenfeld bzw. einer Daten-Box, in der die dazu-
gehörigen Prozesskennzahlen eingetragen werden (Abb. 8.1). Informationen über den
Herstellungsprozess, die Abteilung, den Kunden usw. werden darin aufgezeichnet.
Externe Lieferanten und Kunden sind mit einem Fabriksymbol dargestellt. Dies wird
für Kunden, Zulieferer und externe Herstellungsprozesse verwendet. Transporte sind
mit einem Symbol analog dem genutzten Verkehrsträger einzuzeichnen. Meist ist dies
ein Lkw oder Lieferwagen. Genauso können Grafiken für Schienenfahrzeuge oder Flug-
zeuge eingesetzt werden. Die Daten über die Lieferhäufigkeit und Frequenz werden in
dem Symbol dokumentiert (Abb. 8.2).
Der externe Materialfluss mit Rohmaterialien vom Lieferanten und fertigen Waren zum
Kunden wird mit einem größeren, nicht gefüllten Pfeil dargestellt. Ein interner Material-
fluss nach dem Push-Prinzip in Losgrößen wird mit einem schwarz-weiß gestreiften Pfeil
gekennzeichnet (Abb. 8.3). Eine Entfernungsangabe kann ergänzt werden. Das Symbol

Abb. 8.1 Wertstromsymbole MONTAGE Zykluszeit = 60 s


für einen Prozess und ein
Datenfeld Rüstzeit = 25 min

2 Schichten

3 % Ausschuss

Abb. 8.2 Wertstromsymbole


für externe Firmen und einen
Transport Unternehmen 1x je Woche
Knalsch GmbH Donnerstag
106 8 Wertstrom

Abb. 8.3  Wertstromsymbole für den externen Transport und den internen Transport nach dem
Push-Prinzip

Abb. 8.4 Wertstromsymbole


für ungeregelte Bestände und
eine FIFO-Bahn max. 15 Stück

FIFO
1.000 Stück
2 Tage

Abb. 8.5 Wertstromsymbole


für einen Supermarkt und für
die Entnahme nach dem Pull-
Prinzip

wird verwendet, wenn das produzierte Material weiterbewegt wird, bevor der nächste Pro-
zess dieses eigentlich benötigt. Dies geschieht, wenn sich der Prozess nach einem vorge-
gebenen Produktionsplan steuert und nicht nach dem Bedarf des Folgeprozesses.
Ungeregelte Bestände sind mit einem Dreieck und dem Buchstaben „I“ für „Inven-
tory“ (engl. für Bestand) zu kennzeichnen. Die Menge bzw. die Zeit der Bestandsreich-
weite wird darunter eingetragen. Die direkte Verkettung von zwei Prozessen, z. B. mit
einem Förderband oder Ähnlichem, wird mit dem Symbol der FIFO-Bahn eingezeich-
net (Abb. 8.4). Es kennzeichnet den sequenzierten Transfer von festgelegten Material-
mengen zwischen zwei Prozessen nach dem Fluss- und FIFO-Prinzip. Eine FIFO-Bahn
zeichnet sich durch eine maximale Bestandsbegrenzung aus. Die maximale Menge wird
oberhalb des Symbols notiert.
Ein kontrollierter Bestand von Teilen, dem ein vorgelagerter Prozess zur Produktions-
steuerung dient, wird mit dem Symbol des Supermarktes zwischen den Prozessen ein-
gezeichnet. Das Symbol erinnert an ein umgedrehtes „E“. Die maximale Menge wird
unter dem Symbol eingetragen. Die Entnahme (engl. withdrawal) wird mit einem kreis-
förmigen Pfeil erklärt (Abb. 8.5). Er visualisiert das Ziehen von Material nach dem Pull-
Prinzip, z. B. aus einem Supermarkt.
Für die Informationsflüsse gibt es weitere Symbole. Gerade Pfeile werden für manu-
elle Informationsflüsse, wie z. B. einen Produktionsplan oder Lieferplan, verwendet. Mit
blitzförmigen Pfeilen werden elektronische Informationsflüsse, wie es Datenübertragun-
gen sein können, dargestellt (Abb. 8.6).
8.2 Wertstromsymbole und Darstellung 107

Abb. 8.6  Wertstromsymbole für manuelle und elektronische Informationsflüsse

Abb. 8.7 Wertstromsymbole


10
für Produktionskanban und
Entnahmekanban

OXOX

Abb. 8.8  Wertstromsymbole für ein Kanban-Bündel und einen Produktmix

Informationsflüsse in Form von Kanban-Prozessen werden mit Symbolen von Karten und
einem gestrichelten Pfeil eingetragen. Ein Produktionskanban wird durch eine weiße Karte
repräsentiert. Es stößt die Nachproduktion von verbrauchten Teilen an. Das Entnahmekanban
wird genauso, aber mit einer schraffierten Karte dargestellt (Abb. 8.7). Das Symbol steht für
eine Karte oder Vorrichtung, die den Materialversorger anweist und erlaubt, Teile zu entneh-
men und zu transferieren, z. B. von einem Supermarkt zu einem Verbrauchspunkt.
Ein gebündelter Kanban-Stapel wird mit dem Symbol von hintereinanderliegenden
Karten dargestellt. Das Symbol mit der Beschriftung „OXOX“ stellt einen nivellierten
Produktmix dar (Abb. 8.8). Das Produktionsvolumen bzw. die Varianten werden über
einen bestimmten Zeitraum ausgeglichen. Die Einplanung erfolgt nivelliert, beispiels-
weise gemäß dem Heijunka-Prinzip.
Für die Beschreibung der Informationsflüsse werden Datenfelder verwendet. Sie sind
am betreffenden Informationsfluss positioniert und mit der Information beschriftet. Die
Brille steht für eine Produktionssteuerung nach dem „Go and See“-Prinzip (Abb. 8.9).
Dabei wird der Prozess autark gesteuert, wie bei einer Werkstattsteuerung. Die Produk-
tion wird auf Basis der Bestandsmenge, ohne abgestimmte Planung, selbstständig ange-
passt. Das Symbol tritt in der Regel bei Materialflüssen nach dem Push-Prinzip auf. Die
Brille steht für eine schlechte Steuerung und unterscheidet sich von dem Gedanken des
Vorortgehens und des Sehens (Go to Genba), wie es bei Prozessanalysen (Abschn. 3.7)
und dem Shopfloor Management (Abschn. 25.1) angedacht ist.
Abschließend folgt eine Darstellung von drei allgemeinen Wertstromsymbolen.

1. Ein Puffer bzw. Sicherheitsbestand in Form eines geschlossenen Supermarktes. Ob es


sich um einen Puffer oder einen Sicherheitsbestand handelt, ist am Symbol zu ver-
merken.
2. Ein Mitarbeiter wird mit dem Symbol „Kopf und Arme“ aus der Draufsicht eingetra-
gen. So können die manuellen Prozesse und die Logistiker zwischen den Prozessen
visualisiert werden.
108 8 Wertstrom

Tagesplan

Abb. 8.9  Wertstromsymbole für Informationen und die Produktionssteuerung nach dem Prinzip
„Go and See“

Abb. 8.10 Allgemeine


Wertstromsymbole für einen
Puffer/Sicherheitsbestand,
einen Mitarbeiter und den
Kaizen-Blitz

3. Alle Ideen und Erkenntnisse in Form von Verschwendung und Schwachstellen werden
in einem wolkenförmigen Blitz eingetragen (Abb. 8.10). Durch die Positionierung
im Wertstrom wird die entsprechende Stelle markiert. Dieses Symbol wird Kaizen-
Blitz genannt und dessen Umrandung in der Regel in roter Farbe gezeichnet. Im
Kaizen-Blitz werden spezifische Auffälligkeiten als Textbeschreibung oder Stichwort
festgehalten. Dies dient der späteren Optimierung, die notwendig ist, um den Soll-
Wertstrom zu realisieren. Diese Themen können auch für Kaizen-Workshops einge-
plant werden.

Neben dem Zeichnen des Wertstroms auf ein Blatt Papier hat sich der Einsatz von Haft-
notizen auf Stellwänden für eine größere Visualisierung bewährt. Die Firma Airbus nutzt
ganze Wände in Räumen, um ihre Wertströme produktionsnah darzustellen. Für den digi-
talen Einsatz sind die Symbole in gängiger Software zur Prozessvisualisierung zu finden.

8.3 Wertstromerstellung

Die Wertstromerstellung ist eine Aufnahme des Ist-Zustandes in Form eines Ist-Wert-
stroms (engl. Current Value Stream Map). Der Wertstrom wird während der Ist-Auf-
nahme der Informationen vor Ort in der Produktion erstellt. Rother und Shook (2000)
nennen diese Vorgehensweise „Sehen lernen“. Durch das selbstständige Erstellen findet
das Prozessverständnis statt, welches die Basis für das Erkennen von Verschwendung ist.
Verbesserungsmöglichkeiten werden identifiziert. Der Wertstrom ist die Erweiterung der
Prozessanalysemethode Kreidekreis (Abschn. 3.7) auf den gesamten Prozess. Der Ist-
Wertstrom liefert die Basis und die notwendigen Informationen für den nachfolgenden
Soll-Wertstrom (engl. Future State Map, FSM).
Vor der Aufnahme sind die betroffenen Mitarbeiter, die Führungskräfte sowie der
Betriebsrat zu informieren (Wagner und Linder 2013, S. 15). Das selbstständige Vorortgehen,
8.3 Wertstromerstellung 109

das Sehen und das Verstehen fördern die Sicht auf die Verschwendung, die Variabilität und
die Inflexibilität in der Prozesskette. Alle Daten werden vor Ort gesammelt und aufgenom-
men. Aktuelle Informationen werden gesammelt. Historische Daten aus Systemen oder von
der Planung werden nicht übernommen. Es wird nur das erfasst und aufgenommen, was ver-
standen wurde.
Neben dem Sehen geht es auch um das Hineinhören in eine Produktion. Wo Lärm
besteht, gibt es Probleme oder Mitarbeiter sind aufgrund von Wartezeiten nicht ausge-
lastet. In diesem Fall spricht man von einer Produktion, die sich wie ein Basar anhört,
nämlich laut, ungleichmäßig, spontan und unkoordiniert. Das Gegenteil ist ein Geräusch-
pegel wie in einem summenden Bienenstock, kontinuierlich, emsig und gleichmäßig.
Hinweise aus der Produktion, dass die Situation nur heute so wäre, sollten ignoriert
werden. Die Wertstromanalyse ist bewusst ein Blitzlicht. In der Regel spiegelt sie den
aktuellen Stand der täglichen Produktionsbedingungen mit allen Problemen sehr gut und
verlässlich wider.
Die Erstellung erfolgt auf einem Blatt Papier im Querformat. Es empfiehlt sich der Ein-
satz eines Klemmbrettes. Geschrieben wird idealerweise mit einem Bleistift, um Ände-
rungen unter Nutzung eines Radiergummis vornehmen zu können. Die Nutzung einer
Stoppuhr ist zweckmäßig, um Zykluszeiten aufzunehmen. Es gilt, dass dies bei Maschinen
kein Problem darstellt, aber an manuellen Stationen die vereinbarten Regelungen, auch
mit dem Betriebsrat, zur Zeitaufnahme zu beachten sind. Auf Standardzeiten, wie sie die
Arbeitsvorbereitung vorgesehen hat, sollte man sich nicht verlassen. Zwischen Planung
und Realität gibt es die häufigsten Unterschiede und damit auch Optimierungspotenziale.
Der Detaillierungsgrad ist entsprechend dem beobachteten Prozess zu wählen. Der
Prozess kann eine Fertigung, eine Halle, ein Werk oder eine Lieferkette sein. Je nach
Umfang wird die Prozesssicht passend skaliert. Durch grobe Wertströme mit Überblick-
charakter (Makroebene) können Detailwertströme (Mikroebene) miteinander verbun-
den werden. Erweiterungen der Prozessaufnahme in Richtung Lieferant und Kunde sind
ebenso möglich (Jones und Womack 2011).
Die Wertstromerstellung erfolgt in acht Schritten. Sie führt zu einer grafischen Dar-
stellung des Wertstroms (Abb. 8.11).

Schritt 1: Festlegen der Teilefamilie


Bevor die eigentliche Wertstromaufnahme beginnt, ist das zu beobachtende Produkt zu
identifizieren. Meistens ist dies klar, doch bei sehr unterschiedlichen Varianten, welche
über unterschiedliche Prozesse laufen oder Prozesse überspringen, ist das Hauptprodukt
bzw. die Teilefamilie zu identifizieren. Diese Identifikation wird mit der Produkt-Pro-
zess-Matrix durchgeführt (Abb. 8.12). Dabei werden die Produktvarianten den Prozessen
zugeordnet. Durch die Bildung von Gruppen werden Teilefamilien bestimmt. Mit einer
Pareto-Analyse werden zusätzlich die Mengen berücksichtigt und das Hauptprodukt
identifiziert. Nach Auswahl der zu beobachtenden Teilefamilie werden der Prozessab-
lauf und der Weg durch die Produktion zur Wertstromaufnahme definiert (Klevers 2007,
S. 60 ff.).
110 8 Wertstrom

Kundentakt: 0,5 min


Prozesszeit: 12 min
Durchlaufzeit: 171,9 h
Wochenplan Wochenplan
Produktionsplanung
Lieferant Lieferant
2.000 Teile/Tag 2.000 Teile/Tag
2 Varianten akt. Bedarf SAP tägl. Bedarf 4 Varianten

Wochenplan
Tag Schicht

Drehen Fräsen Bohren Honen Schleifen Reinigen Montage


I FIFO I I I I I I
4.500 DATEN 300 DATEN 1.500 DATEN 2.000 DATEN 800 DATEN 1.000 DATEN 7.500 DATEN 3.000

37,5 h 2,5 h 12,5 h 16,7 h 6,7 h 8,3 h 62,5 h 25 h


1,5 min 1 min 2 min 2,2 min 1 min 1,5 min 2,8 min

Abb. 8.11  Wertstromdarstellung

Prozesse
1 2 3 4 5 6 7 8
A X X X X
B X X X X X X
C X X X X X
Produkte

D X X X X X X
E X X X X X
F X X X
G X X X

Abb. 8.12  Produkt-Prozess-Matrix

Beispiel
Die Einteilung von Produkten in Familien kann am Beispiel verschiedener Schokola-
densorten erklärt werden. So können Schokoladentafelsorten in drei verschiedene Pro-
duktfamilien eingeteilt werden. Die erste Produktfamilie beschreibt die Tafeln, welche
massiv aus Schokolade bestehen und über den Herstellungsprozess zum Schokoladen-
guss gehen. Diese Sorten sind: Vollmilch, Bitterschokolade und weiße Schokolade. Eine
weitere Produktfamilie ergibt sich durch das Zumischen von Zutaten, bevor die Tafel
gegossen wird. Es ergeben sich Sorten mit verschiedenen Nüssen, Rosinen oder Corn-
flakes. Die letzte Produktfamilie besteht aus Sorten, welche zwischen dem Schokola-
denboden und dem Deckel eine Füllmasse enthalten. Diese Sorten durchlaufen einen
eigenen Prozess: die Oberseitenerstellung, die Masseerstellung, die Masseeinbringung,
8.3 Wertstromerstellung 111

die Bodenerstellung und die Bodenaufbringung. Sorten, welche zu dieser Produktfami-


lie gehören, sind: Marzipan, Joghurt, Pfefferminze oder Keks.

Schritt 2: Produktionsplanung, Lieferant und Kundenanforderungen


In diesem Schritt wird der obere Bereich des Wertstroms gezeichnet. Es werden der Kunde
rechts oben und der Hauptlieferant oder die Lieferanten links oben jeweils mit dem Fabrik-
symbol gezeichnet. In die Fabriksymbole werden Firmenname, hergestellte Mengen und
Varianten sowie alle weiteren Informationen, die bekannt sind, eingetragen. Zwischen den
beiden Firmensymbolen wird die firmeninterne Produktionsplanung als Kasten eingezeich-
net, gegebenenfalls mit weiteren relevanten Abteilungen ergänzt. Bestehende Informations-
flüsse zwischen den Parteien und Systemen werden mit Informationsflusssymbolen vermerkt.
Eventuell fallen bereits jetzt die ersten Schwachstellen auf. Probleme können in einer
Bestellung, auf Basis einer Vorschau oder in fehlenden bzw. zu vielen Informationsflüs-
sen erkennbar werden. Auch wenn mehr Teile vom Lieferanten angeliefert als an den
Kunden ausgeliefert werden und diese sich nicht in einem Zusammenbau wiederfinden,
sollte dies in einem Kaizen-Blitz vermerkt werden.

Schritt 3: Prozesse
Im dritten Schritt werden die Prozesse aufgenommen. Hierzu wird in der Produktion mit
einem schnellen Überblick über die Prozesskette von Rampe zu Rampe, also vom Rohma-
terial bis zum Endprodukt, gestartet. Danach beginnt die Analyse vom Warenausgang oder
Versand rückwärts bis zur Warenannahme. Das Material fließt entgegen der Begehung.
Die Prozessschritte werden identifiziert. Eine Abteilung oder Kostenstelle wird nicht
als ein Prozess aufgenommen. Ein Prozess ist immer dadurch gekennzeichnet, dass vor
und nach einer Aktivität das Material stagniert oder transportiert wird, wenn auch nur
kurz, z. B. über ein Förderband. Die Prozesse werden als Prozessbox im unteren Bereich
aufgezeichnet und mit einem eindeutigen Namen zur Identifikation versehen.
Parallele Prozesse werden übereinander skizziert. Wenn die parallelen Prozesse
zusätzlich gleich sind, wie es bei identischen Maschinen vorkommt, können diese auch
hintereinander in Form eines Schattens in der vorhandenen Anzahl gezeichnet werden
(Abb. 8.13).

Abb. 8.13 Darstellung von Schweißen


parallelen Prozessen in einem
Wertstrom
DATEN
Bohren

Kleben DATEN

DATEN
112 8 Wertstrom

Schritt 4: Prozessdaten
Alle Daten, welche zu einem Prozess gesammelt werden, sind in die Daten-Box des Pro-
zesses einzutragen. Die Zykluszeit der Maschine oder des manuellen Arbeitsplatzes ist
immer zu notieren (Abschn. 6.3). Weitere Kennzahlen können je nach Prozess hinzuge-
fügt werden.
Mögliche Kennzahlen sind:

• Schichtdauer
• Anzahl der Schichten
• Pausenzeiten
• Rüstzeiten
• Losgrößen
• Ausschussquoten
• Qualität
• Ausfallzeiten
• Durchschnittliche Zeit bis zu einem Maschinenausfall (MTBF, engl. Mean Time bet-
ween Failures)
• Durchschnittliche Zeit bis eine Maschine nach einem Ausfall wieder anläuft (MTTR,
engl. Mean Time to Repair)

In den Daten-Boxen sollte zusätzlich vermerkt werden, wenn es sich um Prozesse han-
delt, die auch von anderen Materialströmen genutzt werden.

Schritt 5: Bestände
Die Bestände zwischen den Prozessen werden eingezeichnet. Dies können ungeregelte
Bestände (Bestandsdreiecke) oder definierte bzw. kontrollierte Bestände (FIFO-Bahn,
Supermärkte) sein. Unterhalb des jeweiligen Symbols werden die Mengen aufgenom-
men. Bei abzählbaren Gütern wird die Menge erfasst. Bei nicht abzählbaren Gütern
werden Mengenangaben in Maßeinheiten (z. B. Liter) genutzt. Über den Verbrauch pro
Zeiteinheit wird der Bestand in einer Bestandszeit umgerechnet. Die Angabe „Bestands-
reichweite in Zeiteinheiten“ ist immer möglich.

Schritt 6: Externe Materialflüsse


Die Verbindung zwischen dem oberen Teil des Wertstroms und den Prozessen im unte-
ren Teil, erfolgt mit einem Pfeil für den externen Materialfluss. Sowohl vom Lieferanten
(links) zum ersten Prozess als auch vom letzten Prozess (rechts) zum Kunden.
Neben die Pfeile werden Transportmittel als Symbol gezeichnet und vorhandene
Daten darin vermerkt, wie z. B. Liefertage und Lieferfrequenz. Die Ladungsträgergröße
kann hinzugefügt werden.
Es können sich, wenn der Verkehr vom Lieferanten und der Verkehr zum Kunden
verglichen werden, aufschlussreiche Erkenntnisse ergeben. Gibt es z. B. auch Leertrans-
porte, welche Ware mitnehmen könnten, oder es ergeben sich Unterschiede zwischen der
Häufigkeit der An- und Ablieferung?
8.4 Kennzahlen im Wertstrom 113

Schritt 7: Interne Materialflüsse und Informationsflüsse


Die internen Material- und Informationsflüsse werden so eingezeichnet, wie die Pro-
zesse miteinander verbunden sind (Push, Pull, FIFO-Bahn, Staplertransporte etc.). Hinzu
kommen die internen Informationsflüsse zwischen der Produktionsplanung und den Pro-
zessen in der jeweiligen Darstellungsform (physisch oder elektronisch), ergänzt um rele-
vante Daten. Steuern sich Prozesse selbst, ist die „Go-and-See-Brille“ einzusetzen.

Schritt 8: Kennzahlen
Abschließend werden die Kennzahlen ermittelt und vermerkt. Die Zykluszeiten der
Prozesse und die Bestandszeiten werden im unteren Bereich des Wertstromes auf einer
bei Prozessen abfallenden und bei Beständen aufsteigenden Linie übertragen. Die stu-
fige Linienform folgt der Kontur der Symbolik darüber. Die Prozesszykluszeiten werden
unterhalb der Prozesse übertragen, die Bestandszeiten werden auf die Linien zwischen
den Prozessen eingetragen. Um Bestandsmengen in eine Zeit umzurechnen, werden die
Mengen mit dem Kundentakt multipliziert (Gl. 8.1). Es wird davon ausgegangen, dass
für jedes Teil, welches zwischen den Prozessen liegt, mindestens einmal der Kundentakt
vergehen muss. Die Begründung ergibt sich analog zur Beschreibung der Durchlaufzei-
ten beim Thema Kundentakt, mit der Analogie der Warteschlange (Abschn. 6.2).

Bestandszeit = Bestandsmenge · Kundentakt (8.1)

Im Falle von parallelen Prozessen und parallelen Materialflussströmen wird die


Durchlaufzeit für den zeitlich längsten Strang berechnet und genutzt.
Die drei wichtigen Kennzahlen eines Wertstromes, Kundentakt, Prozesszeit und
Durchlaufzeit, werden ermittelt. Diese Kennzahlen ermöglichen, den Gesamtpro-
zess zu messen und zu vergleichen. Zur Berechnung der Durchlaufzeit ist die Ermitt-
lung des Kundentaktes und der Prozesszeit notwendig. Die Berechnungen folgen in
Abschn. 8.4.

8.4 Kennzahlen im Wertstrom

Die wichtigste Kennzahl in einem Wertstrom ist die Durchlaufzeit (Abschn. 4.4 und
23.1). Sie zeigt Optionen zur Optimierung des Wertstromes im Bereich der Liefertreue.
Vor allem sind Bestände, Verschwendungen und Rüstzeiten enthalten. Zur Berechnung
sind der Kundentakt und die Prozesszeit erforderlich.
Als erstes wird der Kundentakt ermittelt. Die Berechnung (Gl. 8.2) ist aus dem Kapi-
tel zum Thema Takt bekannt (Abschn. 6.2).
Produktionszeit
Kundentakt = (8.2)
Kundenauftragsmenge
114 8 Wertstrom

Die Produktionszeit und die Kundenauftragsmenge werden aus den Produktionsdaten


übernommen. Austaktungsprobleme, Engpässe und Zykluszeiten, die über dem Kunden-
takt liegen, können ermittelt werden und münden in Kaizen-Blitze.
Die Prozesszeit ist die Summe der Zykluszeiten aller Prozesse (Gl. 8.3). Diese Werte
sind auf der unteren Linie unterhalb der Prozesse aufgeführt.
n
Prozesszeit =
i=1
Zykluszeiti (8.3)

Die Durchlaufzeit ist die Zeit, die ein Produkt vom Anfang bis zum Ende der Prozess-
kette benötigt. Die Gl. 8.4 wurde im Kapitel Durchlaufzeit aufgezeigt (Abschn. 4.4). Die
Kennzahl wird aus der Summe der Bestandszeiten (Summe der Werte auf der oberen
Linie zwischen den Prozessen) plus der Prozesszeit berechnet (Gl. 8.5).
n m
Durchlaufzeit =
i=1
Zykluszeiti + Kundentakt ·
j=1
Beständej (8.4)

m
Durchlaufzeit = Prozesszeit + Bestandszeitj (8.5)
j=1

Der ermittelte Wert muss in der Regel in eine höhere Einheit umgerechnet werden, da
bei den meisten Wertströmen die Durchlaufzeit im Verhältnis zu den Zykluszeiten sehr
groß wird. Wenn Stunden nicht mehr praktikabel sind, kann in Tage umgerechnet wer-
den. Dabei sollten als Basis für einen Tag nicht 24 h angenommen werden, sondern die
Produktionszeit in Stunden pro Arbeitstag. Somit wird das Ergebnis realistisch in der
Einheit „Produktionstage“ ausgedrückt.
In einem idealen System nach dem Ein-Stück-Fluss wäre die ideale Durchlaufzeit
gleich der Prozesszeit, da die Bestände aufgrund des Flussprinzips gegen Null gehen. So
hat sich die Idee, das Verhältnis von Durchlaufzeit und Prozesszeit bzw. den Quotienten
zu ermitteln (Gl. 8.6), durchgesetzt. Das Ergebnis ist eine Prozentzahl, welche den Grad
des Flusses beziffert. Diese wird Flussgrad genannt.
Prozesszeit
Flussgrad = (8.6)
Durchlaufzeit
Wird der Standardumlaufbestand, mit mindestens einem Teil zwischen jedem Prozess,
berücksichtigt, ergibt sich eine doppelt so große Durchlaufzeit als die Prozesszeit und
ein optimaler Flussgrad von 0,5. Viele Lean-Berater nutzen diese Kennzahl, um Betrof-
fenheit zu erzeugen. Bei üblichen Fertigungen nach dem Push-Prinzip ergibt sich in der
Regel eine mehrtägige Durchlaufzeit, welche mit der Prozesszeit (in Höhe von Minuten
oder Stunden) ins Verhältnis gesetzt wird. Der Flussgrad wird dadurch eine erschreckend
kleine Zahl von häufig unter 1 %.
Der Kehrwert, die Durchlaufzeit durch die Prozesszeit, ergibt den Flussfaktor
(Gl. 8.7). Er kann nicht kleiner als eins werden. Ein guter Flussfaktor liegt beim Wert
zwei. Der Flussfaktor gibt das Vielfache der Durchlaufzeit auf Basis der Prozesszeit an.
8.5 Gestaltungsprinzipien für den Soll-Wertstrom 115

Durchlaufzeit
Flussfaktor =
Prozesszeit (8.7)

Beispiel
Berechnung der Flussgrade und Flussfaktoren aus den beiden Linien der Abb. 5.2.
Die Losgrößenproduktion hat eine Durchlaufzeit von 303 min (Gl. 8.8 und Gl. 8.10),
die Flussproduktion eine Durchlaufzeit von 6 min (Gl. 8.9 und Gl. 8.11). In beiden
Fällen beträgt die Prozesszeit 3 min.
3 min
FlussgradLosgrößenproduktion = = 0,99 % (8.8)
303 min

3 min
FlussgradFlussproduktion = = 50 % (8.9)
6 min

303 min
FlussfaktorLosgrößenproduktion = = 101 (8.10)
3 min

6 min
FlussfaktorFlussproduktion = =2 (8.11)
3 min

8.5 Gestaltungsprinzipien für den Soll-Wertstrom

Nach der Aufnahme des aktuellen Ist-Zustandes in einem Ist-Wertstrom folgt die Erstellung
des Soll-Zustandes in Form eines zweiten Wertstromes, dem Soll-Wertstrom (engl. Future
State Map). Die Wertstromanalyse (Ist) gibt die Darstellung des aktuellen Status wieder. Hier-
durch und mittels der enthaltenen Kaizen-Blitze werden Verschwendungen und deren Ursa-
chen aufgedeckt. Der Soll-Wertstrom ist die Darstellung des zukünftigen Zielbildes und somit
die Basis dafür, wie die schlanke Produktion künftig aussehen und funktionieren wird. Wenn
beide Wertströme (Ist und Soll) vorliegen, können Maßnahmenpläne abgeleitet werden. Die
Umsetzung zum neuen Soll-Zustand kann erfolgen. Um sich kontinuierlich zu verbessern, ist
immer ein Zielbild notwendig. Es gibt die nötige Orientierung für eine Umsetzung vor.
Die ersten Ideen für den Soll-Wertstrom entstehen in der Regel sehr häufig bereits
während der Aufnahme des Ist-Wertstroms. Der erste Entwurf sollte innerhalb weniger
Tage vorliegen. Eine weitere Detaillierung erfolgt während der Umsetzung.
Die Erstellung des Soll-Wertstromes erfolgt durch die Vermeidung von Verschwen-
dung, Variabilität und Inflexibilität. Die Vorgehensweise, um das System zu optimieren,
wird mit fünf Schritten implementiert, welche durch die vorherigen Kapitel bekannt sind:

• Stabilisierung: Nivellierung der Produktion und des Produktionsvolumens


• Fluss: Entwicklung eines kontinuierlichen Flusses, Losgrößenreduzierung, Bestands-
reduzierung, Anpassung des Layouts analog dem Prozessfluss
116 8 Wertstrom

• Takt: Produktionsprozesse im Kundentakt, Austaktung aller Prozesse, Engpassoptimierung


• Pull: Kontinuierlicher Materialfluss soweit möglich, Kanban-Prinzip zur Produktions-
steuerung, Einsatz von Supermärkten
• Schrittmacher: Identifikation des Prozesses zur Einsteuerung (Schrittmacherprozess),
Variantenbildung so spät wie möglich

Zur Realisierung des Soll-Zustandes können die folgenden Schlüsselfragen zum Einsatz
kommen:

• Wie ist die Taktzeit?


• Wird für den Versand oder für den Fertigwarensupermarkt produziert?
• Wo kann ein kontinuierlicher Fluss realisiert werden?
• Wo werden Supermärkte nach dem Pull-Prinzip benötigt?
• Wo setzt die Produktionsplanung mit der Kundenbestellung (Schrittmacherprozess) ein?
• Wie soll der Produktionsmix am Schrittmacherprozess ausgeglichen werden?
• Welche Produktionseinheiten (Losgrößen) werden vom Schrittmacher weitergegeben?
• Welche Prozessverbesserungen sind notwendig, damit der Sollentwurf für den Wert-
strom realisierbar ist?

Aus dem Soll-Wertstrom wird ein Implementierungsplan mit Maßnahmenschritten abge-


leitet. Durch die Verschriftlichung des neuen Soll-Zustandes und den Vergleich mit dem
Ist-Wertstrom (einschließlich der Kennzahlen) werden Optimierungspotenziale quanti-
fizierbar. Die Daten können als Entscheidungsvorlage für das Management und für die
Potenzialberechnungen dienen.

8.6 Expertenfragen

Die Expertenfragen fokussieren sich auf den Wertstrom


• Wie ist die Geräuschkulisse in der Produktion: Eher wie auf einem Bazar oder eher
wie in einem Bienenstock?
• Gibt es statt einem Bereichsdenken eine gemeinsame Orientierung im Sinne des Wert-
stroms?
• Ist der Soll-Wertstrom so gestaltet, dass alle Prozessschritte synchron im Takt arbeiten?
• Entspricht der Takt dem Kundentakt?
• Wird der Kundenbedarf nur an einer, nämlich der richtigen Stelle eingesteuert?
• Werden die Varianten so spät wie möglich in den Prozess eingesteuert?
• Ist für jeden Prozessschritt die kleinstmögliche Losgröße definiert?
• Sind die notwendigen Prozessentkopplungen richtig positioniert und dimensioniert?
• Sind alle Prozesse so einfach wie möglich ausgelegt?
• Ist eine hohe Qualität und Verfügbarkeit der Prozesse gewährleistet?
8.7 Zusammenfassung 117

8.7 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Wertstrom


• Der Wertstrom ist die Erweiterung der Prozessanalysemethode auf den gesamten
Prozess.
• Der Wertstrom ist eine Prozessvisualisierung und dient dem gemeinsamen Ver-
ständnis.
• Für die Prozessanalyse wird der Ist-Wertstrom eingesetzt. Der Soll-Wertstrom ist
das Zielbild für die künftige Prozesskette.
• Die Wertstromanalyse zeigt mittels Symbolen den Ist-Zustand einer Prozesskette.
• Der Soll-Zustand entsteht als Wertstromdesign mit der gleichen Symbolik. Die
Symbole visualisieren den Materialfluss, den Informationsfluss und weitere
Erkenntnisse. Kaizen-Blitze werden für die Identifizierung von Verschwendung
und ersten Optimierungsideen eingesetzt.
• Neben dem Zeichnen des Wertstroms auf ein Blatt Papier hat sich der Einsatz von
Haftnotizen auf Stellwänden für eine größere Visualisierung bewährt.
• Vor der Aufnahme sind die betroffenen Mitarbeiter, die Führungskräfte sowie der
Betriebsrat zu informieren.
• Alle Daten werden vor Ort gesammelt und aufgenommen (keine historischen Sys-
tem- oder Planungsdaten, auch keine Standardzeiten). So wird nur erfasst, was ver-
standen wurde.
• Aus der Wertstromanalyse werden die Zusammenhänge zwischen dem Material-
fluss und dem Informationsfluss ersichtlich.
• Der Materialfluss zeigt den Fluss der Rohstoffe, der Teile und Komponenten sowie
der Produkte. Ziel ist die Erreichung eines kontinuierlichen Ein-Stück-Flusses.
• Der Informationsfluss visualisiert den Durchfluss von Aufträgen und die Informationen
zur Lagerbestandssteuerung. Ziel ist die Erreichung eines klaren Informationsflusses,
sodass ein Prozess nur das erzeugt, was der nächste Prozess anfordert.
• Der Wertstromansatz bringt keine isolierten Erfolge, sondern ist eine systematische
Optimierung des Gesamtprozesses. Durch den Wertstrom werden nicht nur Ver-
schwendungen identifiziert, sondern auch deren Ursachen und Quellen.
• Der Soll-Wertstrom ist die Darstellung des zukünftigen Zielbildes und somit die
Basis dafür, wie die schlanke Produktion künftig aussehen und funktionieren wird.
Die Erstellung des Soll-Wertstromes erfolgt durch die Vermeidung von Verschwen-
dung, Variabilität und Inflexibilität. Die Vorgehensweise zur Erstellung erfolgt in
fünf Schritten: Stabilisierung, Fluss, Takt, Pull und Schrittmacher.
• Durch die Verschriftlichung des neuen Soll-Zustandes und den Vergleich mit dem
Ist-Wertstrom, einschließlich der Kennzahlen, werden Optimierungspotenziale
quantifizierbar. Aus dem Ist- und Soll-Wertstrom werden Maßnahmenpläne abge-
leitet.
118 8 Wertstrom

Fragen
• In welchen Schritten erfolgt die Wertstromerstellung?
• Welche wichtigen Prozesskennzahlen sind in einem Wertstrom integriert?
• Wie wird der Kundentakt berechnet?
• Wie wird die Prozesszeit in einem Wertstrom berechnet?
• Wie wird die Durchlaufzeit in einem Wertstrom berechnet?
• Rechenaufgabe: In der Knalsch GmbH werden pro Stunde 20 Produkte des Knal-
schi 100 hergestellt.
Der erste Bearbeitungsprozess hat eine Zykluszeit von 2 min, der zweite Bearbei-
tungsprozess hat eine Zykluszeit von 3 min. Der dritte Prozess benötigt pro Teil
3,5 min und der letzte Prozess ist ein Montageprozess mit drei Stationen und einer
Zykluszeit von 5 min je Station.
Zwischen dem ersten und zweiten Prozess liegen 2 h Bestand. Zwischen dem
zweiten und dritten Prozess liegen 15 Teile. Vor dem vierten Prozess befindet sich
eine Förderstrecke, auf welche maximal 8 Teile passen.
– Es ist der Kundentakt zu berechnen.
– Es ist die Prozesszeit zu berechnen.
– Es ist die Durchlaufzeit zu berechnen.
– Es ist der Flussgrad zu berechnen.
– Es ist der Flussfaktor zu berechnen.
Die Lösungen zur Rechenaufgabe finden sich am Ende des Buches (Abschn. 30.3).

Literatur

Erlach K (2010) Wertstromdesign – Der Weg zur schlanken Fabrik, 2. Aufl. Springer, Berlin
Erlach K (2013) Value stream design – the way towards a lean factory. Springer, Berlin
Jones D, Womack J (2011) Seeing the whole value stream, 2. Aufl. Lean Enterprise Institute,
Cambridge
Klevers T (2007) Wertstrom-Mapping und Wertstrom-Design. mi, Redline & FinanzBuch, Mün-
chen
Rother M, Shook J (1998) Learning to See – Value Stream Mapping to Add Value and Eliminate
Muda. Lean Enterprise Institute, Cambridge
Rother M, Shook J (2000) Sehen Lernen – Mit Wertstromdesign die Wertschöpfung erhöhen und
Verschwendung beseitigen. LOG_X, Stuttgart
Wagner KW, Linder AM (2013) WPM – Wertstromorientiertes Prozessmanagement – Effizienz
steigern, Verschwendung reduzieren, Abläufe optimieren. Hanser, München
Perfektion
9

Wer einen Fehler macht und diesen nicht korrigiert, begeht einen
zweiten!
Konfuzius

Zusammenfassung
Eine Produktion in Perfektion bedeutet, keine Fehler zu produzieren oder weiterzuge-
ben. Das Null-Fehler-Ziel ohne Nacharbeit wird nicht durch Prüfen und Verbessern,
sondern durch das fehlerfreie Produzieren erreicht. Das Jidoka-Prinzip ermöglicht
die Entkopplung von Mensch und Maschine bei gleichzeitigem Anlagenstopp, sobald
Fehler auftreten. Es ist damit ein Prinzip, welches die perfekte Produktion ohne Feh-
ler prägt.

Knalsch GmbH: Qualitätsprobleme


Endlich fließt die Produktion. Doch im Nacharbeitsbereich häufen sich plötzlich
viele fehlerhafte Teile und es gibt neue Kundenreklamationen.
Alsch lässt seine Assistentin Claudia Beck die Zahlen zusammentragen. Sie
erklärt ihm, dass sie aus dem Studium gelernt habe, dass auch die „wenigen“ Kun-
denreklamationen im Vergleich zu einem Top-Prozess ein Problem darstellen wür-
den. Die Fehlerrückmeldequote von den Kunden sei größer als die Verlustrate von
Gepäck auf internationalen Flughäfen. „Wir sollen schlechter als die Kofferverlust-
quote am Flughafen sein?“, entfährt es Herrn Alsch. „Das gefällt mir gar nicht!“
In der Produktion beobachtet er, wie neue Gehäuseteile des Produktes
„Knalsch 3000“ einfach auf den schmutzigen Boden abgestellt werden. Dort ste-
hen sie, ungeschützt, in auf den Boden gefallenen Metallspänen. Dies verursacht
Kratzer an den für die Kunden qualitätsrelevanten Gehäuseaußenseiten.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 119


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_9
120 9 Perfektion

Im Nacharbeitsbereich spricht Alsch mit der Meisterin Laura Schmidt. Von ihr
erfährt er, dass es immer unterschiedliche Fehler sind, die auftreten und und mit
denen Produkte in der Nacharbeit eintreffen.

9.1 Qualitätsverständnis

Umgangssprachlich zeugt es von Qualität, wenn der Kunde und nicht die Ware zurück-
kommt. Kunden sind nur zufrieden, wenn die Qualität der Produkte und die Servicequa-
lität seinen Ansprüchen genügen und die Produkte keine Fehler aufweisen.

 Qualität Alle kaufentscheidenden Kriterien, die den Kunden veranlassen, für eine
Leistung Geld zu bezahlen. Der Kern für die Qualität liegt im Kundennutzen. Die Quali-
tät wird durch den Markt bestimmt.

Treten Fehler auf, so wird es sehr schnell teuer. Es gilt die 10er-Regel: Wird der Feh-
ler noch während der Herstellung im Prozess entdeckt, so belaufen sich, so eine Dau-
menregel, die Kosten auf einen Euro. Wird der Fehler in der Linie erkannt, verursacht
das fehlerhafte Produkt zehn Euro Folgekosten. Bei einer Fehlerbeseitigung im Nach-
arbeitsbereich summieren sich die Aufwendungen auf 100 EUR. Wird der Fehler erst
durch den Kunden festgestellt und muss dieser, z. B. mit seinem fehlerhaften Fahrzeug,
in die Werkstatt kommen, belaufen sich die Kosten, inklusive eines Ersatzfahrzeugs, auf
etwa 1000 EUR (Abb. 9.1). Darin sind ein möglicher Ärger und ein Imageschaden nicht
berücksichtigt.
Die Qualität durch eine Endkontrolle vor der Auslieferung zu „erprüfen“ und im
Nacharbeitsbereich zu korrigieren, ist ein verschwenderischer und sehr teurer Prozess.
Keine dieser Tätigkeiten kann der Wertschöpfung zugerechnet werden. Im schlechtes-
ten Fall entsteht Ausschuss, der zu entsorgen ist, und Ressourcen werden unnötig ver-
schwendet.
Sehr gute, perfekte Prozesse sind schlank, stabil, robust und fehlerfrei. Diese Pro-
zesse sind auf einem so hohen Qualitätsniveau, dass sie in einem Wertebereich von nur
wenigen Fehlern liegt (3,4 ppm, vergl. Six Sigma, Abschn. 25.4). In der Elektronikbran-
che sind minimalste Fehlerzahlen essenziell wichtig. Durch die Kombination von vielen
Bauteilen in einem Gerät steigt die Ausfallhäufigkeit durch nur ein fehlerhaftes Bauteil
potenziell an.
Um das Null-Fehler-Ziel zu erreichen, muss die Qualität nicht „erprüft“, sondern
innerhalb des wertschöpfenden Prozesses produziert werden. Damit dies gewährleistet
ist, müssen die Prozesse und die Produkte genau abgestimmt sein. Fehler dürfen entwe-
der nicht entstehen oder, wenn sie dennoch entstanden sind, nicht an den nächsten Pro-
zess weitergegeben werden.
9.1 Qualitätsverständnis 121

1.000
Kosten in Euro

700

600

500

400

300

200

100
100

0 1 10
kein im in der in der beim
Fehler Prozess Linie Nacharbeit Kunden

Abb. 9.1  Kostenaufwand für Fehler bei Behebung an unterschiedlichen Stellen im Prozess

Methodisch sind für qualitätsorientierte Prozesse die folgenden Voraussetzungen


essenziell:

• Fehlervermeidung vor Fehlerentdeckung


• Schnelle und wirksame Fehlerentdeckung
• Keine Weitergabe von fehlerhaften Teilen
• Schnelle und strukturierte Reaktion nach einer Fehlerentdeckung
• Schnelle und strukturierte Eskalation, sofern erforderlich

Die Qualität wird mit unterschiedlichen Kennzahlen gemessen. Im Lean-Umfeld sind


dies: FTT (First Time Through), FTR (First Time Right) und FTY (First Pass Yield). Alle
Kennzahlen verfolgen den gleichen Anspruch, „beim ersten Mal richtig“ zu produzie-
ren. Im deutschen Sprachgebrauch nennt man dies den „Geradeauslauf“ der Produktion.
Jeder weitere Durchlauf von fehlerhaften Teilen durch die Produktion oder das Abzwei-
gen in den Nacharbeitsbereich erhöht die Kosten und die Herstellungszeit. Beides ver-
schlechtert die Produktivität. Die Kennzahlen werden als Verhältniszahl von fehlerfreien
Teilen zur Gesamtproduktion berechnet (Gl. 9.1). Ein Ergebnis von 100 % entspricht
einer fehlerfreien Produktion.
fehlerfreieTeile
Geradeauslauf = (9.1)
produzierteTeile
122 9 Perfektion

Zu einem guten Prozess- und Qualitätsverständnis gehört, dass die Qualität an drei Pro-
zesspunkten betrachtet wird: Es werden keine Fehler vom vorherigen Prozess akzeptiert,
der Prozess verursacht keine Fehler und es werden keine Fehler an den Folgeprozess
weitergegeben.

9.2 Das Jidoka-Prinzip

Sakichi Toyoda baute 1890 einen Webstuhl, der sich sehr effizient mit nur einer Hand
bedienen ließ. Im Jahre 1896 entwickelte er den ersten maschinell angetriebenen Web-
stuhl in Japan. Er optimierte diesen weiter und stellte 1924 zusammen mit seinem Sohn
einen Hochgeschwindigkeitswebstuhl her, der ohne Unterbrechung Stoff weben konnte
(Toyota 1995, S. 35). Allerdings ergaben sich durch das Reißen von Fäden Webfehler im
Stoff. Der Webstuhl „Modell G“ hatte eine Besonderheit: Riss einer der Kettfäden, so fiel
ein Metallplättchen in den Bewegungsprozess und stoppte den Webstuhl. Ein Stoff mit
Webfehlern wurde nicht weiterproduziert. Das Besondere an diesem Prinzip war, dass
der Webstuhl nicht permanent beaufsichtigt werden musste und selbstständig stoppte,
wenn ein Problem auftrat. Das System entkoppelte den Menschen von der Maschine und
produzierte keine Fehler. Ein Mitarbeiter konnte so 30 Webstühle gleichzeitig überwa-
chen und betreuen.
Das Prinzip, einen automatischen Prozess anzuhalten, wenn eine Anomalie auftrat,
nannte Sakichi Toyoda „Jidoka“. Es wird mit dem Kunstwort „Autonomation“ übersetzt.
Das ursprüngliche japanische Zeichen „Do“ in der Mitte des Wortes steht für „Bewe-
gung“ und somit das Wort „Jidoka“ für „Automatisierung“. Durch das Ersetzen des japa-
nischen Zeichens für „Bewegung“ durch ein variiertes „Do“ wurde der „Mensch“ in das
Wort integriert. Den menschlichen Geist in die Automatisierung einzubringen, formte
das Wort neu (Abb. 9.2). Wörtlich übersetzt bedeutet es „Automatisierung mit mensch-
lichem Verstand“.

 Jidoka Japanisches Wort für „Autonomation“ und ein Prinzip, welches zur Vermei-
dung von Fehlern führt. Es werden keine Fehler an den Kunden weitergegeben, indem
bei Problemen ein automatischer Maschinenstopp stattfindet und eine Meldung ausgege-
ben wird. Somit werden Mensch und Maschine voneinander getrennt, da die Maschine
nicht mehr überwacht werden muss und autonom agiert. Im Toyota-Produktionssystem
ist Jidoka neben Just-in-Time (Abschn. 7.1) die erste der beiden Hauptsäulen des Pro-
duktionssystems.

Abb. 9.2 Japanische


Schriftzeichen für Jidoka
9.2 Das Jidoka-Prinzip 123

Sakichi Toyoda hat mit Jidoka ein Qualitätsprinzip für die Produktion geschaffen.
Maschinen halten automatisch an, wenn eine Abweichung erkannt wird oder das Auf-
tragsende erreicht wurde. Fehler und Ausschuss werden vermieden. Der Maschinenfüh-
rer hat die Möglichkeit, viele Maschinen gleichzeitig zu überwachen. Damit verfolgt das
Jidoka-Prinzip zwei Hauptziele, die Qualität zu sichern und die Produktivität zu steigern.
Qualität wird von Anfang an und in jedem Prozess produziert. Die Trennung der mensch-
lichen Arbeit von der Maschine erhöht die Arbeitsproduktivität.
Die Grundsätze von Jidoka können für jeden Prozess angewendet werden. Dies gilt
für Prozesse mit Maschinen und Anlagen und reicht bis zu vollständig manuellen Prozes-
sen. Anlagen melden über Sensoren, wenn Störungen und Fehler auftreten (z. B. Bruch
eines Werkzeuges). In manuellen Arbeitsprozessen, wie einer Montage, können die Mit-
arbeiter den Flussprozess durch einen Qualitätsalarm und Qualitätsstopp anhalten. Durch
Stationsmarkierungen ist für den Mitarbeiter erkennbar, ob er noch innerhalb des Taktes
und innerhalb seiner Station arbeitet oder ob es ein Problem mit einer Verzögerung gibt.
Unabhängig davon, ob es sich um einen automatisierten oder manuellen Prozess han-
delt, wird die Mitteilung, dass ein Problem vorliegt, visuell durch Lampen oder Töne
signalisiert. Im Japanischen spricht man von „Andon“ (Toyota 1995, S. 180). Durch
diese Alarmierung wird ein Unterstützer informiert und angefordert.

 Andon Japanisch für Laterne oder Funzel. Im Umfeld von Jidoka handelt es sich um
ein Signalisierungselement, welches Abweichungen anzeigt. Es signalisiert, an welchem
Prozess Unterstützer und Führungskräfte zur Unterstützung benötigt werden.

Durch dieses einfache visuelle Element werden Informationen weitergegeben und somit
eine Unterstützung an Montageplätze oder an Anlagen angefordert. Die Anordnung von
Lampen ist dabei so gewählt, dass sie gut sichtbar und mit einem Blick erkennbar sind,
z. B. auf großen Übersichtstafeln oder entlang der Hallenstraße, in der Flucht der Anlagen.

 Andon-Board Der Zusammenschluss von mehreren Informationslampen an einem


zentralen Ort. Dies dient der Übersicht, der Steuerung und der Transparenz einer Produk-
tion im Sinne des Shopfloor Managements. Weitere Kennzahlen, wie die Ist- und Soll-
stückzahl sowie die sich daraus ergebende Differenz, werden aktuell angezeigt.

Beim Ablauf des Jidoka-Prinzips greifen unterschiedliche Prozessabläufe ineinander.

Beispiel
Es folgt ein Prozessablauf beim Auftreten eines Problems in einer Montage
(Abb. 9.3):
An einem Prozess entsteht ein Problem, wie beispielsweise Qualitätsfehler, feh-
lende Teile, Ausfälle von Werkzeugen oder Maschinen (1). Dies ist eine Abwei-
chung vom Standard. Im Folgenden erkennt ein Mitarbeiter diese Abweichung
und löst das Signal für den Qualitätsalarm bzw. den Qualitätsstopp aus. Er zieht an
124 9 Perfektion

1 2 3

Soll 250 Ist 225 Delta -1


02
Bandgeschwindigkeit 3,3 m/min

Q 01 02 03 04 05 06 07 08 09
S 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Abb. 9.3  Ablauf des Jidoka-Prinzips am Beispiel einer Montagestation

einer sogenannten Reißleine oder betätigt einen Alarmknopf an der Station (2). Eine
Anlage würde das Problem durch Sensoren erkennen und selbstständig auslösen.
Der Prozess läuft zu Ende, hält aber spätestens nach dem Zyklus an. Unmittelbar
nach Auslösung des Alarms wird über eine visuelle Anzeige (Andon) angezeigt, an
welchem Prozess ein Problem vorliegt (3). Gegebenenfalls wird dies durch einen
akustischen Ton unterstützt. Der dem Bereich zugeordnete Unterstützer kann am
Andon-Board ablesen, an welcher Station das Problem vorliegt, und kommt zur
Unterstützung und Problemlösung dorthin (4). Nach Behebung der Ursache kann
mit dem nächsten Prozess fortgefahren werden.

Die Unterstützungsfunktion wird von den Linienführungskräften wahrgenommen.


In Japan nennt man diese Hancho (engl. Team Leader) (Abschn. 28.1). Sie reagieren
unmittelbar mit Sofortmaßnahmen und starten die Problemanalyse und den Problemlö-
seprozess (Abschn. 25.4). Der Problemlöseprozess wird ähnlich wie eine Optimierung
durchgeführt und abgesichert. Dadurch wird sichergestellt, dass das Problem künftig
nicht erneut entsteht.
Wird der Qualitätsalarm nicht nach einer festgelegten Zeit quittiert, so wird automa-
tisch der Qualitätsstopp ausgelöst. Die Produktionslinie hält an (Beutel und Baust 2002).
Bleibt die Linie länger stehen, da es sich um ein größeres Problem handelt, wird über die
Führungsebenen eskaliert. Je länger die Linie steht, umso mehr qualifizierte Führungs-
kräfte kommen zur Problemlösung hinzu. Durch die Entkopplungen von Schichten ergibt
sich eine hohe Flexibilität und es bleibt ausreichend Zeit, um die Problemlösung durch-
zuführen und das Tagesziel der geplanten Stückzahl zu erreichen. Die Mehrarbeitszeit
wird vergütet und die firmeninterne Kinderbetreuung sowie die Pendlerbusse warten bis
zum Arbeitsende.
An diesem Beispiel ist erkennbar, wie mehrere Prinzipien und die Organisation inei-
nandergreifen. Die Unterstützungsfunktion muss vorhanden sein. Ein reines Kopieren
eines Qualitätsalarms mit einem Andon-Board ohne die nötige Unterstützungsfunktion
9.3 Poka Yoke 125

ist nicht zweckmäßig, kommt aber in Firmen vor. Bei Auslösung des Qualitätsalarms
ergeben sich irritierende Situationen.
Die Strategie und die Ziele eines Unternehmens sind bei einem Jidoka-System auf
das Null-Fehler-Ziel ausgerichtet. Die Qualität ist ein zentrales Ziel. In Unternehmen mit
einer anderen Strategie, welche die Ausbringung mit dem Ziel einer hohen Stückzahl im
Fokus haben und nicht in einem entkoppelten Drei-Schicht-Betrieb produzieren, funkti-
oniert das Prinzip nicht. Wird aufgrund eines Fehlers die Produktion angehalten, ist die
vorgegebene Stückzahl in Gefahr und die Führungskräfte werden alles daran setzen, dass
niemand die Linie stoppt, auch nicht bei einer schlechten Qualität. Firmen, welche das
Jidoka-Prinzip mit Qualitätsstopp und Andon-Board kopiert haben, um „Lean“ zu sein,
keine Unterstützerfunktion eingeführt und keine Anpassung des Zielsystems vorgenom-
men haben, betreiben Lean nur als Alibi. Dies ist der Grund für Schwierigkeiten, wenn
jemand die Produktion in gutem Glauben anhält, um einen Fehler zu melden und anstatt
der Unterstützung den Ärger der Führungskräfte zu spüren bekommt, da das Stückzahl-
ziel nicht mehr erreicht werden kann.

9.3 Poka Yoke

„Poka Yoke“ ist ein dem Jidoka-Prinzip untergeordnetes Prinzip. Das japanische „Poka“
steht für einen unachtsamen bzw. zufälligen Fehler und „Yoke“ bedeutet „verhindern“
oder „vermeiden“.

 Poka Yoke Das Prinzip wird als Fehlervermeidung oder Fehlerverhinderung beschrie-
ben. Die Absicherung ist im Prozessablauf integriert. Der Erfinder ist Shigeo Shingo.
Das Prinzip wurde von ihm in der Ursprungsfassung „Baka Yoke“ (jap. idiotensicher)
genannt. Eine Mitarbeiterin beschwerte sich bei Taiichi Ohno, dass sie den Begriff ent-
würdigend finde, denn sie sei keine Idiotin (Zollondz 2013, S. 173). So entstand der
Begriff Poka Yoke (jap. fehlersicher).

Zwischen den Begriffen Fehlervermeidung und Fehlerverhinderung gibt es eine Unter-


scheidung. Die Fehlervermeidung ist der weiche Eingriff in einen Prozess, denn der Fall
des Fehlereintritts ist bereits geschehen. Er wird nicht an den nächsten Prozess weiterge-
geben. Die Fehlerverhinderung ist die harte Vorgehensweise, bei welcher der Fehler gar
nicht erst entstehen kann.
Es soll ausgeschlossen werden, dass ein Prozess falsch oder unvollständig ausgeführt
wird. Hierzu werden Zwangsabläufe abgebildet. Dadurch können Fehler im Prozessfluss
erkannt werden und führen zu einem Prozessstopp. Die fehlerhaften Teile werden nicht
weitergegeben.
Poka Yoke wird in drei Gruppen eingeteilt: das Kontaktprinzip, das Festwertprinzip
und das Prozessschrittprinzip.
126 9 Perfektion

Das Kontaktprinzip nutzt die Form und Abmessungen von Teilen. Diese werden durch
physikalische Charakteristika identifiziert. Mit dieser Vorgehensweise werden Formen
sortiert, wie beispielsweise bei Münzautomaten oder Kinderspielzeug (Abb. 9.4). Feh-
lerhafte Teile können so aussortiert werden, wenn Charakteristika fehlen oder ein Werk-
stück falsch in eine Vorrichtung eingelegt wurde. Es wird nicht weiterbefördert.

Beispiel
Bekannt sind verschiedene Stecker und Buchsen am Computer, wie USB, oder die
SIM-Karte im Mobiltelefon. Diese können nur in einer fest definierten Orientierung
gesteckt bzw. eingelegt werden. Auch an der Zapfsäule passt die Tankpistole für Die-
selkraftstoff nicht in den Tankeinfüllstutzen eines Benzintanks. Umgekehrt versagt
dieses System, die Betankung eines Dieselfahrzeuges mit Benzin ist möglich.

Das Festwertprinzip überwacht Parameter und erkennt Abweichungen von definier-


ten Werten. Diese können Parameter, das Gewicht oder die gezählte Menge sein. In der
Kommissionierung von Teilen ist es möglich, das Gewicht zu überprüfen, und so sind
Mengenabweichungen über oder unter der geforderten Menge zu erkennen.
Das Prozessschrittprinzip folgt der Reihenfolge in einem Prozessfluss oder von Pro-
grammschritten. Ein Folgeprozess kann nicht vor dem vorangehenden Prozess erfolgen.
So werden Abweichungen vom Prozessstandard erkannt. Wird die Schrittfolge in einer
Montage nicht eingehalten und ein Werkzeug nicht genutzt, erfolgt kein Weitertransport
des Werkstückes an die nächste Station.

Beispiel
Eine Werkzeugnutzung kann bei automatisierten Werkzeugen durch die erfolgte Betä-
tigung des Funktionsschalters registriert werden. Bei manuellen Werkzeugen kann ein
Schalter in einem Halter, in dem sich das Werkzeug befindet, einen Impuls auslösen.

Abb. 9.4 Kontaktprinzip nach


Form
9.5 Zusammenfassung 127

Auch ein sogenanntes Pick-to-Light-System, bei dem Kommissionierungsvorgänge


anhand von Leuchtanzeigen an Fächern erfolgen, wird durch Sensoren erfasst. Diese
prüfen, ob die Teile aus den Fächern entnommen worden sind. Bevor dies nicht ord-
nungsgemäß erfolgt ist, wird der nächste Kommissionierungsprozess nicht gestartet.

9.4 Expertenfragen

Diese Expertenfragen hinterfragen das Thema Qualität


• Wie wird die erwartete Qualität der Produkte und Leistungen erbracht? Welcher Auf-
wand steht dahinter?
• Laufen alle Prozesse stabil und zuverlässig?
• Wird Qualität produziert und nicht lediglich „erprüft“?
• Sind die Prozesse einfach, stabil und robust?
• Sind der Prozess und das Produkt so gestaltet, dass eine Fehlerentstehung verhindert
wird?
• Sind für bekannte Top-Fehler Erkennungs- und Absicherungsmechanismen in den
Prozess (am Ort der Entstehung) integriert?
• Werden Fehler nachhaltig abgestellt?
• Ist die Prozessfähigkeit aller kritischen Merkmale sichergestellt?
• Können Fehler durch Verwechslungen vermieden werden?
• Werden Fehler, welche in vorgelagerten Prozessen entstanden sind, nicht angenom-
men und die weitere Bearbeitung verhindert?
• Werden Prozesse angehalten, wenn Fehler entstehen?
• Werden Fehler nicht weitergegeben?
• Treten Fehler maximal einmal auf und werden dann nachhaltig gelöst?
• Gibt es Andon-Tafeln und orientieren sich Unterstützer und Führungskräfte an diesen?
• Gibt es eine Unterstützungsfunktion, wenn eine Andon-Lampe angeht?
• Ist das Zielsystem auf die definierte Qualität ausgerichtet und nicht auf die Erbrin-
gung von Stückzahlen?
• Sind Arbeitszeiten so entkoppelt, dass Ausfälle und Problemlöseprozesse abgearbeitet
werden können?

9.5 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Perfektion


• Der Kern für die Qualität liegt im Kundennutzen.
• Je später im Herstellungsprozess ein Fehler identifiziert wird, desto teurer wird es,
diesen zu beheben.
128 9 Perfektion

• Qualität ist nicht am Ende zu „erprüfen“, sondern im Prozess zu produzieren. Nur


fehlerfreie Teile sollen in den nächsten Prozess weitergeben werden.
• Die Qualitätskennzahlen im Lean-Umfeld haben den Anspruch, „beim ersten Mal
richtig“ zu produzieren. Die Kennzahl Geradeauslauf ist eine Verhältniskennzahl
zwischen fehlerfreien und produzierten Teilen. Ziel ist es, 100 % fehlerfreie Teile
zu generieren.
• Das Jidoka-Prinzip ist die Automatisierung mit menschlichem Verstand (wörtlich
übersetzt). Ziel ist die Vermeidung von Fehlern mit einem automatischen Maschi-
nenstopp beim Auftreten von Fehlern.
• Die Trennung der menschlichen Arbeit von der Maschine erhöht die Arbeitspro-
duktivität.
• Die Signalisierung, dass ein Problem vorliegt, erfolgt visuell durch Lampen und
Töne. Ein Beispiel dafür ist das Andon-Board.
• Der Prozessablauf beim Auftreten eines Fehlers ist festgelegt: 1) Fehler wird
erkannt, 2) Qualitätsalarm wird ausgelöst (z. B. durch Reißleine), 3) der Fehler-
ort wird auf dem Andon-Board angezeigt (ggfs. akustische Unterstützung), 4) ein
Unterstützer (meistens eine Führungskraft, jap. Hancho) übernimmt die Problem-
lösung.
• Der Problemlöseprozess wird ähnlich wie bei einer Optimierung durchgeführt und
abgesichert. Das Problem soll künftig nicht mehr auftreten.
• Poka Yoke (jap. unachtsame, zufällige Fehler verhindern, vermeiden) verhindert
Fehler durch Absicherung. Beispiele aus dem Alltag sind USB-Stecker, die nur in
die entsprechenden Anschlüsse passen, oder SIM-Karten, welche nur in einer Ori-
entierung eingelegt werden können.

Fragen
• Welche Kennzahl ist keine Qualitätskennzahl im Lean-Umfeld: First Time
Through, First Time Left, First Time Right, First Pass Yield?
• Welche zwei Hauptziele verfolgt das Jidoka-Prinzip?
• Wie funktioniert der Ablauf bei Auftritt eines Fehlers nach dem Jidoka-Prinzip?
• Ist es möglich, ein Andon-Board mit Sofortmaßnahmen bzw. einem Problemlöse-
prozess in jedes beliebige Unternehmen zu implementieren? Gibt es notwendige
Anforderungen bezüglich Arbeitszeit, Organisation und Zielvereinbarungen?
• In welche drei Arten von Prinzipien ist Poka Yoke unterteilt?

Die Lösung zur Multiple-Choice-Aufgabe findet sich am Ende des Buches (Abschn. 30.4).
Literatur 129

Literatur

Beutel T, Baust H (2002) „Stückzahl oder Qualität?“ – Zur Einführung des Qualitätsstopps in der
Montage der A-Klasse bei DaimlerChrysler Rastatt. In: Institut für angewandte Arbeitswissen-
schaft e. V. (Hrsg) Ganzheitliche Produktionssysteme – Gestaltungsprinzipien und deren Ver-
knüpfung. Wirtschaftsverlag Bachem, Köln, S 54–64
Toyota (1995) Total guide to the toyota commemorative museum of industry and technology. The
Toyota Commemorative Museum of Industry and Technology, Toyota, Nagoya
Zollondz HD (2013) Grundlagen Lean Management – Einführung in Geschichte, Begriffe, Sys-
teme Techniken sowie Gestaltungs- und Implementierungsansätze eines modernen Manage-
mentparadigmas. Oldenbourg, München
Standardisierung
10

Ordnung ist das halbe Leben.


Volksmund

Zusammenfassung
Um eine Produktion stabil zu betreiben, sind Ordnung und Sauberkeit zentrale Grund-
voraussetzungen. Die 5S-Vorgehensweise führt eine nachhaltige Ordnung ein. Stan-
dards sichern den aktuell besten Ablauf ab und bilden die Basis für Qualifizierung,
Qualität, Problemlösung und Prozessoptimierung.

Knalsch GmbH: Unordnung


Die Einführung des Jidoka-Prinzips hat in der Montage einiges gebracht. Die Pro-
duktion stabilisiert sich weiter. Zwar sind die Mitarbeiter in ihren Stationen mehr
gefordert, auf die Qualität zu achten, und auch die Linie hält immer wieder an,
weil es immer noch Fehler gibt. Aber der Produktionsleiter Kai Lupfer hat die
Thematik verstanden und unterstützt den neuen Prozess. Die Nacharbeit hat sich
merklich reduziert. Die Mitarbeiter der Nacharbeit unterstützen direkt in der Pro-
duktionslinie bei der Fehlerbehebung.
Die meisten identifizierten Qualitätsprobleme ergeben sich durch Unordnung.
Außerdem wurden falsche oder defekte Werkzeuge eingesetzt. Schmutzige Teile
und verdreckte Anlagen sind weitere Ursachen. Eine Vermischung von unfertigen
und fertigen Materialien bringt weitere Probleme mit sich. Hinzu kommt, dass
viele Tätigkeiten ganz unterschiedlich ausgeführt werden. Die Belehrungen haben
nichts gebracht. Dauernd darauf hinzuweisen, dass korrekt zu arbeiten ist, hat nicht
geholfen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 131


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_10
132 10 Standardisierung

„Das ist menschlich“, meint Claudia Beck. Sie ist der Meinung, dass bloße
Ansagen nicht ausreichen.
„Sollen wir Konsequenzen ziehen und abmahnen?“, fragt Alsch.
„Nein, wir sollten Klarheit schaffen, statt anzuordnen“, meint seine Assistentin.
Alsch: „Klarheit? Ist hier etwa irgendetwas nicht klar? Nun ja, wenn ich die
Fabrik so sehe, wäre es schon mal wieder an der Zeit, so richtig aufzuräumen.
Aber wie schaffen wir das nachhaltig? Und wie arbeiten auch die Mitarbeiter
genau nach Vorschrift?“
„Wir brauchen keine Vorschriften. Wir brauchen Standards“, sagt Claudia Beck.
„Da haben Sie wohl recht, Frau Beck“, antwortet Dr. Alsch. „Aber sollten wir
dann nicht bei uns selbst anfangen? Im Sekretariat und auf unseren Schreibtischen
finden wir doch aktuell auch nichts mehr, vor lauter Papierstapel.“

10.1 Standards

Standards stammen ursprünglich aus der Schlachtindustrie. Da es zu wenige gelernte


Metzger gab, wurde ungelerntes, nicht qualifiziertes Personal mit dem Zerteilen von Rin-
dern beauftragt. Damit dies richtig und auch ohne Arbeitsunfälle vonstattenging, wur-
den die Abläufe standardisiert und die Mitarbeiter eingelernt. Die Standardbeschreibung
basierte auf den erfolgreichen Methodenbeschreibungen des US-Militärs. Henry Ford
setzte Standards für sich wiederholende Tätigkeiten erstmals in der Automobilproduk-
tion ein. Bei Toyota wurden Standards durch Taiichi Ohno in den 1950er Jahren einge-
führt. Die Standardisierung bildet das Grundfundament des Toyota-Produktionssystems.
Im Allgemeinen gibt es verschiedene Definitionen für Standards:

• Eine breit akzeptierte und angewandte Norm oder Regel


• Eine Aufforderung, Anleitung bzw. Anweisung zur Ausführung von Tätigkeiten unter
definierten Bedingungen mit einem bestimmten Ziel
• Eine Konvention bzw. Übereinkunft, an die sich jeder nach allgemeiner Auffassung hält
• Eine Vorschrift für das soziale Verhalten (Verhaltensnorm), wie z. B. Verhaltensregeln
oder Verkehrsregeln
• Eine Maxime bzw. Richtschnur für das eigene Verhalten
• Ein regelmäßiges und gleichförmiges Wiederholen von Vorgängen

 Standard Im Lean-Verständnis die zum derzeitigen Zeitpunkt einzige, sicherste und


effizienteste Art und Weise, eine Tätigkeit auszuführen. Das Ziel sind stabile Prozesse.
Daneben werden auch die dazugehörigen Hilfsmittel wie Werkzeuge und Sicherheitsaus-
rüstungen definiert. Standards sind dynamisch, das heißt, dass sie durch weitere Verbes-
serungen immer wieder angepasst werden.
10.1 Standards 133

Die kontinuierliche Verbesserung von Prozessen mündet immer in neue Standards.


Damit ist der Standard von einer Norm eindeutig abzugrenzen. Die Norm legt Themen
längerfristig und vorerst unveränderlich fest. Dies ist, im Sinne einer kontinuierlichen
Verbesserung, nicht die Intention für schlanke Prozesse. Was Standards aus Lean-Sicht
sind und was nicht, zeigt Tab. 10.1.
Die Zielsetzung der Standardisierung ist es, Prozessergebnisse von Personen unab-
hängig zu machen und damit stabile Prozesse zu erreichen. Dadurch verbessern sich die
Zusammenarbeit mit anderen Prozessen bzw. die Schnittstellen zu anderen Organisati-
onseinheiten. Standards bilden ein einheitliches Verständnis von Prozessabweichungen,
Fehlern und Problemen. Sie schaffen die Basis zur systematischen Problemlösung und
für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Des Weiteren unterstützen Standards den
Gedanken zur Reduzierung von Komplexität.
Standards werden nach Verbesserungen angepasst und sichern den durch die Opti-
mierung erreichten Stand ab. Abb. 10.1 zeigt eine bekannte Darstellung, bei welcher der
Standard als Keil dargestellt ist.
Standards münden in verschiedene Merkmale:

• Arbeitsvorgehensweisen, Arbeitsschritte, Reihenfolgen


• Umlaufbestände
• Materialien
• Materialversorgungen und Materialbereitstellungen
• Betriebsmittel, Medien
• Maschineneinstellungen
• Schichtübergaben
• Qualifizierungen
• Besprechungen
• Prüfungen und Reinigen.

Standards dienen bei der Austaktung von Arbeitsstationen (Abschn. 6.3) als Basis und
Ergebnis. Voraussetzung sind zyklische Tätigkeiten. Bedenken ergeben sich, genauso

Tab. 10.1  Standards aus Lean-Sicht


Standards sind Standards sind nicht
• Erkennbar und beobachtbar • Verborgen
• Verbesserungsfähig • Statisch bzw. in „Stein gemeißelt“
• Wiederholbar • Nur ein Stück Papier
• Trainierbar • Interpretierbar
• Überprüfbar und messbar • Vorgabe einer Führungskraft
• Eine Basis für die Wissenssicherung • Ergebnis eines Planers
• Eine Basis zur Fehlererkennung • Produkt eines Meisters
• Eine Absicherung • Unnötig
• Eine Unterstützung der Nivellierung der Arbeitslast
134 10 Standardisierung

Leistung

Kaizen

Standards

Zeit

Abb. 10.1  Standards sichern den Erfolg und die kontinuierliche Verbesserung ab. (In Anlehnung
an DaimlerChrysler 2000, S. 7; Erlach 2010, S. 12)

wie bei dem Thema der Verschwendungsvermeidung und Austaktung, dass Standards die
Arbeit stressiger machen. Dies ist die Außensicht. Im Prozess führt ein Standard zu ruhi-
geren und runderen Abläufen. Er gibt den Mitarbeitern Sicherheit.
Standards sichern das vorhandene Wissen und bilden die Grundlage für Trainings
und die Auditierung. Bei japanischen Firmen, die nach dem Lean-Gedanken arbeiten,
wird die Belegschaft zu den standardisierten Arbeitsabläufen in Trainingsbereichen
(jap. Dojo) ausführlich trainiert. Ein routinierter Ablauf ergibt sich durch Übung und
Gewöhnung.
Fehler und Probleme ergeben sich, wenn nicht nach dem Standard gearbeitet wird.
Ein klassisches Beispiel ist, wenn ein Arbeitszyklus nicht zu Ende geführt wurde. Die
Abläufe sind nicht abgeschlossen. Beim nächsten Prozessbeginn muss entweder auf-
wendig überprüft werden, bis zu welchem Ablaufschritt bereits gearbeitet worden ist
(Verschwendung). Oder es wird mit dem Folgeteil weitergearbeitet, ohne dass die Tätig-
keiten am vorhergehenden Produkt abgeschlossen sind. Es ergeben sich Nacharbeit und
Ausschuss. Solche Konstellationen treten nach Pausen oder beim Schichtwechsel an
Montagestationen auf. Eine Schichtübergabe nach klarem Ablauf ist ein Standard. Die
Nichteinhaltung von Standards führt immer zu neuen Problemen: Wird zu wenig Altöl
abgelassen, läuft das neue Öl über, werden Ladungsträger nicht ordentlich nacheinander
abgearbeitet, findet der Lieferant seine eigenen Produkte im angelieferten Leergut wie-
der (umgangssprachlich „Vollgut im Leergut“).

Beispiel
Die Firma Toyota ist bis ins Detail standardisiert. Es wird bei neuen Fabriken sogar
das Wasser für die Lackierung aus Japan mit ins Ausland genommen, um Abweichun-
gen im Anlauf zu vermeiden.
10.2 Die Methodik 5S bzw. 6S 135

Die Frage, warum Toyota Rückrufaktionen in großem Ausmaß hatte, ist einfach:
Wenn alles präzise standardisiert ist, bestehen auch mögliche Qualitätsprobleme
standardisiert bei allen Modellen. Bei amerikanischen und europäischen Herstellern
entsteht der Eindruck, dass mehr Fahrzeuge zurückgerufen werden, als betroffen
sind – da nicht nach Standard gearbeitet wurde und geprüft werden muss, welche
Modelle tatsächlich betroffen sind.

10.2 Die Methodik 5S bzw. 6S

Der Hauptfokus von „5S“ liegt auf den Themen Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit.
Diese drei zusammenhängenden Themen werden mit „SOS“ abgekürzt. So finden SOS-
Rundgänge statt, um die Sicherheit und eine ordentliche Arbeitsumgebung zu gewähr-
leisten. Dazu, den Status einer ordentlichen Arbeitsumgebung herzustellen, dient die 5S
Methodik, die in 5S-Workshops angewendet wird.

 5S-Methode Eine systematische Vorgehensweise, welche fünf Stufen zur Schaffung


eines nachhaltig ordentlichen und sauberen Arbeitsplatzes durchläuft. An Arbeitsplätzen
sollte gewährleistet sein, zuverlässig und verschwendungsfrei nach Standards zu arbei-
ten und damit eine gute Qualität herzustellen. Die fünf Stufen werden mit Begriffen
beschrieben, welche jeweils mit einem „S“ beginnen.

Die Arbeitsplätze werden mitarbeiterfreundlich, ergonomisch und sicher gestaltet. Dies


erlaubt eine sichere Arbeit und ermöglicht, Verschwendungen bei Mitarbeitern, Maschi-
nen und Material zu eliminieren. 5S wurde bei Toyota entwickelt.
Die Methode 5S verfolgt klare Ziele, welche mit Standards, Qualität und Verschwen-
dungsvermeidung verknüpft sind:

• Steigerung der Arbeitseffizienz durch Standards und prozessorientierte Anordnung


aller Gegenstände
• Sofortige Sichtbarkeit von Abweichungen mittels Markierungen (Minimum/Maxi-
mum, Soll/Ist)
• Verbesserte Flächennutzung durch eine effiziente Anordnung von Gegenständen und
Maschinen und die Beseitigung von unnötigen Dingen
• Stärkung des Teamgeists und der Arbeitsmoral durch die Einbindung der Mitarbeiter
als Team
• Bessere Qualität durch höhere Genauigkeit durch regelmäßiges Reinigen

5S steht für fünf japanische Begriffe. Diese wurden ins Englische und Deutsche mit
Wörtern übersetzt, welche ebenso mit einem „S“ beginnen. Im deutschen Sprachraum
haben sich auch Begriffe, welche mit einem „A“ beginnen, durchgesetzt. In diesem
Sprachraum existiert das Synonym „5A“ (Tab. 10.2). Die fünf Stufen werden nacheinan-
der und regelmäßig durchlaufen.
136 10 Standardisierung

Tab. 10.2  Begriffe für 5 S bzw. 5 A in unterschiedlichen Sprachen


Stufe Japanisch Englisch Deutsch Deutsche Variante 5 A
1 Seiri Sort Sortieren/Selektieren Aussortieren
2 Seiton Set in order Systematisieren/Stelle hin Aufräumen
3 Seiso Shine/Sweeping Säubern Arbeitsplatz sauber halten
4 Seiketsu Standardize Sauberkeit bewahren Anordnung als Regel
5 Shitsuke Sustain Selbstdisziplin üben Alle Schritte wiederholen

Stufe 1: Seiri – Sortieren/Selektieren


Zu Beginn wird aufgeräumt. Um den Workshop zu dokumentieren sollte nicht verges-
sen werden, Fotos vom Ursprungszustand zu machen. Damit kann später der Vorher- und
Nachher-Zustand verglichen werden.
Wichtiges wird von Unwichtigem getrennt. Das Sortieren und Selektieren ist in grö-
ßeren Bereichen eine Teamaktion. Auffälligkeiten und nicht mehr benötigte Materialien
werden markiert, z. B. mit einer Haftnotiz oder einem roten Klebepunkt. Diese Aktion
ist deshalb auch unter dem Begriff „Rote-Punkte-Aktion“ bekannt. Gemeinsam werden
Auffälligkeiten geklärt und unnötige Dinge ausgesondert. Folgende Dinge werden ent-
sorgt: unnötige Werkzeuge, alte Ersatzteile, sonstige Hilfsmittel, Ausschuss, unnötige
Kopien, veraltete Dokumente, beschädigtes und unnötiges Büromaterial.
Sofern nicht sofort geklärt ist, ob etwas noch einmal benötigt wird oder wer zuständig
ist, wird es an einem speziellen Ort gesammelt. Eine Art Flohmarkt ist ebenso sinnvoll,
dort können überflüssige Werkzeuge oder Büromaterial getauscht werden und dort zum
Einsatz kommen, wo diese benötigt werden. Material, für welches kein Bedarf besteht,
wird entsorgt.
Eine solche Aktion ist wiederholt ein- bis zweimal im Jahr durchzuführen, da sich
immer wieder Neues ansammelt.
Mit der ersten Stufe werden folgende Ergebnisse erreicht:

• Schaffung von Fläche (Abstellfläche, Schränke usw.)


• Verringerung der Unfallgefahr
• Verringerung von Beständen und somit Kosten
• Verbesserung des optischen Außenbildes
• Verbesserte Kundenwirkung

Stufe 2: Seiton – Systematisieren/Stelle hin


In der zweiten Stufe geht es um das Systematisieren bzw. Anordnen. Hierbei werden die
notwendigen Dinge dort gelagert oder hingestellt, wo sie benötigt werden. Die Anord-
nung soll gemäß der Anwendungsfrequenz und nach der Reihenfolge des Gebrauchs
erfolgen. Gegenstände, die zusammen benutzt werden, sollen auch zusammen bereitge-
stellt werden. Häufig oder von Mehreren benutzte Dinge werden zentral bereitgestellt.
10.2 Die Methodik 5S bzw. 6S 137

Beispiel
Das Hinstellen eines Telefons macht für Rechtshänder beispielsweise auf der linken
Seite des Arbeitsplatzes Sinn, um während dem Telefonat die Computermaus bedie-
nen oder schreiben zu können. Für Linkshänder entsprechend umgekehrt.

Alle Werkzeuge werden an gekennzeichneten und leicht erreichbaren Orten platziert.


Um Vollständigkeiten zu erkennen, werden sogenannte „Shadow-Boards“ genutzt. Dies
sind Schattenbilder unter den Werkzeugen oder den Büromaterialen, sodass Fehlendes
einfach erkannt wird. Gleichzeitig sind die Dinge wieder am richtigen Platz, wenn sie
zurückgebracht werden. Eindeutige Beschriftungen unterstützen diesen Prozess und ver-
meiden das Suchen.

Beispiel
Mit Bodenmarkierungen werden Stellplätze für Paletten und Kisten gekennzeichnet.
Füllstände können mit Minimal- und Maximalmarkierung visualisiert werden. Der
Einsatz von Farben ist hilfreich. Informationen können an zentral positionierten und
gut sichtbaren Tafeln übersichtlich und aktuell bereitgestellt werden.

Mit der Durchführung der zweiten Stufe werden folgende Ergebnisse erreicht:

• Erzeugung von Übersichtlichkeit


• Vermeidung von Handling und unnötigen Transporten
• Vermeidung von Verzögerungen durch Suchen
• Verwendung von funktionsgerechtem Werkzeug
• Vermeidung von Fehlern

Stufe 3: Seiso – Säubern


Stufe 3 umfasst das Säubern und Putzen. Hierzu sind beim Workshop entsprechende Putz­
utensilien und Reinigungsmittel bereitzustellen. Das Reinigen schließt Werkzeuge und
Maschinen mit ein. Es verfolgt mehrere Ziele: Sicherheit zu gewährleisten, Qualität zu erhö-
hen, zuverlässige Prozesse zu realisieren und ein ordentliches Erscheinungsbild zu haben.
Durch das Säubern werden in der dritten Stufe folgende Effekte erzielt:

• Gewährleistung eines sicheren und sauberen Arbeitsplatzes


• Funktionstüchtigkeit der Einrichtung (z. B. Feuerlöscher, Telefone, Toiletten, techni-
sche Einrichtungen, Lüftung, Klimaanlage)
• Entsorgung von Abfall (Papierkörbe, Mülltrennung, Dokumentenvernichtung, Aschen-
becher)
• Erhöhung der Produktqualität durch die Verringerung von Produktionsfehlern und
Fremdkörpern
• Professionalisierung des Erscheinungsbilds und der Atmosphäre (z. B. keine verdorr-
ten Pflanzen)
138 10 Standardisierung

Stufe 4: Seiketsu – Sauberkeit bewahren


Stufe 4 sorgt für die Standardisierung der Ergebnisse aus den drei vorhergehenden
Schritten. Die erreichten Zustände werden zur Regel. Die Standardisierung durch Fotos
zeigt Abweichungen auf. Verantwortliche Personen übernehmen die Patenschaft für Pro-
zesse, Themen und Bereiche. Reinigungspläne und Intervalle für die Durchführung wer-
den festgelegt. Arbeitsplätze, an denen verschiedene Mitarbeiter arbeiten, werden nach
der Nutzung aufgeräumt und gereinigt, z. B. bei einer Schichtübergabe.
Die Stufe 4 führt zu den folgenden Ergebnissen:

• Systematisierung von Ordnung und Sauberkeit


• Verfügbarkeit von Regeln und Erfahrungen, welche kommuniziert werden können
• Minimierung des Aufwands und von Doppelarbeit durch Festlegung von Intervallen
und Routinen
• Entwicklung einer Grundeinstellung bei den einzelnen Mitarbeitern zur Sicherheit,
Ordnung und Sauberkeit sowie eines entsprechenden Verhaltens
• Erkennung von Abweichungen an sauberen Arbeitsplätzen (z. B. Leckage, lose
Schrauben, Teile am Boden, Verschleiß)
• Verminderung von Störungen an Werkzeugen und Maschinen

Stufe 5: Shitsuke – Selbstdisziplin üben


In der letzten Stufe wird die Selbstdisziplin geübt, im Sinne von Disziplin bewahren. Da
es sich um einen kulturellen Aspekt handelt, ist dies meist der schwierigste Schritt. Die
Initiative der und durch die Führungskräfte ist dabei unabdingbar. Die Wichtigkeit von
Ordnung und Sauberkeit wird durch eine permanente Bewertung des aktuellen Zustandes
verdeutlicht und kommuniziert. Alle Mitarbeiter nehmen sich gegenseitig in die Pflicht.
Durch die wiederholte Überprüfung des aktuellen Zustandes im Vergleich zum Standard
werden Abweichungen schnell sichtbar. Sie werden adressiert und in Maßnahmen festge-
halten und abgearbeitet.
Ergebnisse werden in Form von neuen Standards, Checklisten, Fotos und Kennzahlen
visualisiert. Die nachhaltige Verbesserung der Kennzahlen „Arbeitsunfälle“ und „Quali-
tät“ folgt.
Ergebnisse der Stufe 5 sind:

• Weniger Arbeitsunfälle
• Gestärktes Bewusstsein für Ordnung und Sauberkeit
• Höhere Arbeitsmoral und Motivation durch Lob und Auszeichnung für das verbes-
serte Arbeitsumfeld

Das sechste „S“: Shukan – sich gewöhnen


Manchmal tritt die Methode auch als „6S“ in Erscheinung. Es wurde ein weiteres „S“ an
die 5S angehängt. Im nicht-japanischen Sprachraum steht dieses sechste „S“ für das eng-
lische „Safety“ und nimmt die Sicherheitsthemen in den Fokus.
10.2 Die Methodik 5S bzw. 6S 139

Im Japanischen steht das sechste „S“ für „Shukan“. Shukan steht für „sich daran
gewöhnen“ und beschreibt die nachhaltige Disziplin der 5S-Vorgehensweise als verin-
nerlichten Brauch (Takeda 2012, S. 27). Bei nachhaltiger Disziplin gehen Ordnung und
Sauberkeit in Fleisch und Blut über. Aktionen sind nicht mehr erforderlich, da die Rou-
tine permanent durchlaufen wird.

Beispiel
Eine japanische Firma hat in ihrer Fertigung an vielen Stellen kleine rote Behälter
aufgestellt. Jeder, der ein Teil findet, welches nicht in seinen Bereich gehört, auf dem
Boden liegt oder defekt ist, legt dieses in die roten Behälter. Die Qualitätssicherung
sammelt den Inhalt regelmäßig ein und kümmert sich um die Verwertung. Durch die
Behälter entstehen Transparenz und ein klarer, gelebter Prozess mit Qualitätsdenken
und Prozessverständnis. Die roten Behälter sind Teil der Unternehmenskultur und
erinnern ständig an den 5S-Gedanken.

Anwendung der 5S
Die Methodik 5S wird häufig als eine der ersten Methoden bei einer Lean-Einführung
angewendet. Sie ist schnell durchgeführt, zeigt erste Erfolge und greift an den Punk-
ten Verschwendung und Qualität an. Durch sichtbare Erfolge wird eine Veränderungs-
bereitschaft bei den Mitarbeitern erzeugt. Durch die Skalierbarkeit ist 5S für einzelne
Arbeitsplätze, für ganze Bereiche und Werke anwendbar. 5S kann auch durch Einzelper-
son durchgeführt werden. Z. B. stellt sich die Frage, wie der eigene Schreibtisch und die
Schubladen aussehen. Würde sich eine andere Person hier problemlos zurechtfinden? Ein
Beispiel aus einem Büro zeigt die Situation eines Schrankes (Abb. 10.2) vor und nach
einem 5S-Workshop.
Auch wenn die 5S-Methode manchmal belächelt wird, so ist sie eine sehr bedeu-
tungsvolle Methode, welche häufig unterschätzt wird. Wichtig ist es, alle fünf oder sechs
Stufen zu durchlaufen und nicht nur die ersten zwei oder drei. Erst im weiteren Verlauf
der restlichen Stufen werden die Standards nachhaltig eingehalten.
Und 5S ist auch ein Managementwerkzeug, denn es bedeutet, Entscheidungen zu tref-
fen und Verantwortung zu übernehmen.
5S kann in ganz unterschiedlichen Bereichen eingesetzt werden. Es geht klassisch
um die Arbeitsplatzsituation in der Produktion und im Büro. Daten, Lieferanten, Portfo-
lios mit Produkten, Märkte und Kunden oder auch Mitarbeiter können mit der Methodik
betrachtet werden. Der Sinn ist zu entscheiden, welche Produkte noch benötigt werden.
Bei Mitarbeitern ist zu entscheiden, wer mit welchen Fähigkeiten an passender Stelle
eingesetzt werden kann.

Beispiel
Ein fernsehbekannter Restauranttester unterstützt die Lokalitäten bei der Optimierung
der Abläufe. Die Hauptmethodik ist 5S. Aufgeräumt wird in der Küche, in der Vorrats-
kammer, im Gastraum und auch auf der Speisekarte. Ziele sind die Kundenorientierung,
140 10 Standardisierung

Abb. 10.2  Schrank vor (links) und nach (rechts) einem 5S-Workshop

ein guter Service und Nachhaltigkeit für den Betrieb. Das alles geht nur, wenn die Füh-
rungskraft des Restaurants ihre Rolle entsprechend wahrnimmt und Entscheidungen
trifft.

Mit 5S als Methode eine Lean-Umsetzung zu starten, birgt auch Risiken. Denn zuerst
sollten Schritte zur Problemlösung und Optimierung durchlaufen werden, da 5S andern-
falls von den eigentlichen Hauptproblemen ablenkt (Bicheno und Holweg 2009, S. 78).

10.3 Visualisierung und Standardbeschreibung

Standards können ganz unterschiedlich dargestellt werden. Hieraus ergibt sich eine
Hierarchie mit einer Ausprägung über fünf Stufen. Je höher die Stufe, umso höher die
Verbindlichkeit. In Tab. 10.3 sind die Arten von Standards einer Beschreibung der Ver-
bindlichkeitsstufen zugeordnet. Es wird jeweils ein Beispiel mit der Analogie eines
Bahnübergangs erklärt.
10.3 Visualisierung und Standardbeschreibung 141

Tab. 10.3  Hierarchie der Ausprägungsstufen von Standardbeschreibungen


Stufe und Art Beschreibung Beispiel
Verbindlichkeit Bahnübergang
1 – niedrig Verbal Informell vereinbart, aber nicht beschrieben Mündliche
Information
2 Erklärend Beschriebene Prozessdokumentation Schild
3 – mittel Visualisiert Farbmarkierungen, Symbole Ampel
4 Klar Überprüfung gegenüber Abweichungen Schranke
5 – hoch Abgesichert Keine Abweichungen zulassen (Poka Yoke) Unterführung/
Brücke

Beispiel
Im Straßenverkehr finden sich viele Standards und Visualisierungen in Form von
farbigen Radwegen, Pfeilen, Ampelfarben, Schildern, Linien, Markierungen oder
definierten Abständen. Die Dokumentation dieser Standards befindet sich in der Stra-
ßenverkehrs-Ordnung (StVO). Erlernt werden die Standards in der Fahrschule. Bei
Nichtbeachtung kommt es zu Unfällen und Strafen.

Auch die im vorherigen Kapitel angesprochenen Shadow-Boards in Form von Markie-


rungen sind eine Form der Visualisierung eines Standards (Abschn. 10.2). Checklisten
sind Teil einer Standardisierung.
Die Verschriftlichung eines Standards für Prozesse ergibt sich in Standardbeschrei-
bungen. In der Produktion haben sich Formblätter zur Beschreibung der Prozesse
bewährt. Im Standardarbeitsblatt (SAB) und dem detaillierteren Arbeitsschritteblatt
(ASB) wird die Arbeitsausführung so detailliert beschrieben, dass die Arbeitssicherheit,
die geforderte Qualität und geforderte Effizienz reproduzierbar und somit dauerhaft,
bis zur nächsten Verbesserung, gewährleistet sind. Für Prozess-Checks, Verbesserungen
und Problemlösungen sind das Standardarbeitsblatt und das Arbeitsschritteblatt an den
Arbeitsstationen erkennbar ausgehängt.

 Standardarbeitsblatt (SAB) Visuelles Mittel, um Arbeitsabläufe abzubilden und mög-


liche Probleme zu identifizieren. Das SAB ist eine Blaupause des Ablaufs inklusive der
Zykluszeiten. Es sollte möglichst genaue Beschreibungen enthalten, um gute Anhalts-
punkte für Verbesserungen zu liefern.

Das Standardarbeitsblatt bietet eine visuelle Unterstützung bei Problemerkennung und


ermöglicht die Identifikation von Abweichungen im Ablauf. Es dient den Mitarbeitern
als Anleitung und zeigt qualitäts- und sicherheitsrelevante Prozesse an. Wie alle Stan-
dardbeschreibungen dient es als Grundlage für weitere Verbesserungen.
142 10 Standardisierung

 Arbeitsschritteblatt (ASB) Zeigt die für den Prozess erforderlichen Abläufe des SAB
im Detail und bietet eine einheitliche Schulungsmethode für die Mitarbeiterqualifizie-
rung. Es beschreibt einzelne Arbeitsschritte aus dem SAB detailliert mit Bewegungsab-
läufen, zum Teil auch mit Fotos.

Das Arbeitsschritteblatt zeigt detaillierter auf, wie der Standardarbeitsablauf ausgeführt


wird. Es erfasst Schlüsselqualifikationen, welche zur Ausführung der Standardarbeits-
schritte notwendig sind. Die besondere Darstellung identifiziert spezielle Handgriffe
sowie spezielle Qualitäts- und Sicherheitsaspekte. Das ASB hat durch den höheren
Detaillierungsgrad die Funktion eines Schulungsdokumentes und führt zu einem kollek-
tiven Verständnis der Abläufe innerhalb einer Arbeitsgruppe.
Ein weiteres Dokument für den speziellen Einsatz in einem flexiblen Mitarbeiter-
montagesystem (FMS) (Abschn. 12.3) zeigt die Standard-Arbeitskombinationstabelle
(SAKT). Hier werden unter anderem menschliche Tätigkeiten in Kombination mit
Maschinen betrachtet und grafisch aufgezeigt.
Ein weiteres System, welches vermehrt zum Einsatz kommt, ist ein Videosystem mit
passender Zeitanalysesoftware. Es werden Arbeitsabläufe als Standard aufgezeichnet und
für Schulungen genutzt. Der Aufwand hierfür ist jedoch sehr hoch. Jede Änderung durch
Verbesserungen oder Umtaktung muss erneut aufgenommen werden. Genauso ist der Pro-
zesscheck ohne das Video nicht einfach in der Prozessstation durchführbar. Ein solches
System kann also nur ein zusätzliches, unterstützendes Mittel sein (z. B. für Schulungen).

10.4 Beispiele für Standards

Beispiele für Standards gibt es viele und an den unterschiedlichsten Stellen. Gefragt sind
Standards vor allem da, wo es um Genauigkeiten und um Leib und Leben geht.

Beispiele
Die Flugzeugindustrie steht beim Thema Standards sowohl beim Flugzeugbau als
auch bei der Inspektion ganz vorne. Im Betrieb muss sich der Pilot an viele Standards
halten. Da die Tätigkeiten im Cockpit sehr komplex sind, kommen bei Standardabläu-
fen immer Checklisten zum Einsatz.
In den Krankenhäusern geht es um Menschen. Doch Standards ziehen hier in der
Regel erst nach Fehlern ein. Die häufigsten Fehler sind die Verwechslung von Patien-
ten und die Verwechslung der linken und rechten Körperhälfte. Hier werden visuelle
Lösungen eingesetzt, wie Patientenarmbänder und Markierungen auf dem Körper an
der Operationsstelle.

Das Fast-Food-Unternehmen McDonalds ist eines der Unternehmen mit einer sehr hohen
Standardisierung. Dies ist an vielen Stellen sichtbar, besonders in der Darstellung von
Standardabläufen in der Küche und beim Reinigen.
10.4 Beispiele für Standards 143

Beispiel
Die Lieferkette von McDonalds wird mittels Standards überwacht und sogar die Bröt-
chen werden mit einer Schablone mit rot-grüner Skala auf die korrekte Abmessung
überprüft.
Selbst der Verkaufsstandard ist hochgradig vorgegeben. Der Verkäufer oder die
Verkäuferin an der Kasse leiten exakt durch den Bestellprozess, welcher in der Kasse
hinterlegt ist. So wird bei einem Menü immer gefragt, ob es mit Pommes frites und
Cola sein soll, da zwei Drittel der Kunden dies in der Regel so bestellen. Auch wird
nach Ketchup oder Mayo gefragt. In der Standardanweisung wird der Grund erklärt,
denn genauso viele Kunden wählen Ketchup wie Mayonnaise zu den Pommes frites.
Die Bestellung gleicht damit einem Ablaufplan, ähnlich einem Computerprogramm
oder dem Prozessschrittprinzip (Abschn. 9.3).
Das Salzstreuen über die Pommes wird in der Standardanweisung mit dem Sinn
und dem Kundenfokus erklärt: „Denn die Kunden lieben gut gesalzene Pommes von
McDonalds.“ Der Standard für den Salzstreuer wurde mit der visuellen, runden Form
des Unternehmenslogos „M“ erklärt. Exakt in dieser Form wurde der Salzstreuer über
die Pommes geführt, um weltweit die richtige Menge Salz zu streuen. Wer heutzutage
in die Restaurants blickt, sieht dies nicht mehr. Es fand eine Verbesserung des alten
Salzstreuers statt. Der neue gibt genau die richtige Menge ab und verteilt diese wie
bei einem Regenschirm gleichmäßig in alle Richtungen.

Buchstaben, Linien, Farben und Symbole sind Möglichkeiten, mit denen Standards
gut dargestellt werden können. Ein Prüf- oder Montageablauf, bei dem mehrere Merk-
male überprüft oder Kleinteile montiert werden müssen, ist einfacher, wenn diese fik-
tiv durchnummeriert sind und in einer festgelegten Form, wie einem Kreis oder einem
Buchstaben, abgearbeitet werden. Gibt es diesen klar definierten Ablauf nicht, so entste-
hen unterschiedliche und nicht mehr nachvollziehbare Wege, welche die Gefahr mit sich
bringen, dass ein Merkmal oder Teil vergessen wird.

Beispiel
Während deutsche Automobilhersteller mit dreistelligen Zahlencodes für die Son-
derwunschoptionen arbeiten und diese in einer Liste wiedergeben, bei der überprüft
werden muss, ob die gesuchte Zahl dabei ist, nutzt Toyota Symbole auf den Begleit-
karten. Die gesuchte Zahl ist in einer Tabelle an einer festgelegten Stelle eingetra-
gen. Sie ist schneller zu finden und zu identifizieren. Zudem haben die Symbole einen
Zusammenhang zum Thema, z. B. ein Schneemann für die Klimaanlage. Das Symbol
findet sich genauso am Bereitstellungsregal wieder. Der Standard eliminiert die Ver-
schwendung für das Suchen oder ein falsches Abgreifen. Fehler werden reduziert.

Auch in indirekten Bereichen kann Vieles standardisiert werden.


144 10 Standardisierung

Beispiel
Ein standardisierter Rollcontainer an jedem Schreibtisch des Studentenbüros senkte
den Materialverbrauch für Tacker und Locher in einem Forschungszentrum. Wäh-
rend der Verbrauch vorher bei einem Tacker und einem Locher je neuem Mitarbeiter
lag, sank der Verbrauch nun gegen null und alle Mittel wurden wiederverwendet. Der
Rollcontainer wurde am ersten Tag voll übergeben und am letzten Tag wieder voll
zurück übernommen. Lediglich das Verbrauchsmaterial wurde aufgefüllt.
Ein weiteres Problem bestand bei der Spülmaschine in der Teeküche, welche aus-
schließlich Kaffeetassen spülte. Aus Unwissenheit lief die Maschine manchmal unnö-
tigerweise zweieinhalb Stunden im Spülprogramm für Töpfe. Niemand kam während
dieser Dauer an die Kaffeetassen. Das Abkleben der nicht notwendigen Programmta-
sten und die Markierung der richtigen Kurzspülprogrammtaste mit einer „1“ und der
Markierung des Startknopfes mit einer „2“ löste das Problem nachhaltig.
Ein Mülleimer, der in der Nähe einer Brandschutztür stand und bei falscher Posi-
tionierung die automatische Schließung im Brandfall verhinderte, stand nach einer
Markierung auf dem Boden nicht mehr falsch.

Doch Vorsicht, man kann es auch übertreiben. Beim Einzeichnen von Linien am Boden
mit der Markierung des Standortes des Kopierers, muss die Frage gestellt werden, wer
diesen verschiebt oder mitnimmt, sodass für das Gerät der Standort wieder gefunden
werden muss. Dies wäre kein Standard, sondern eine Verschwendung.
Im Alltag finden sich Standards in Parkhäusern durch die Markierung von freien Park-
plätzen und auf dem Bahnsteig zum Einsteigen in den japanischen Schnellzug Shinkansen.

Beispiele
Es gibt immer mehr Parkhäuser, die freie Parkplätze mit einem grünen Licht an der
Decke markieren, sodass sofort erkennbar ist, wo ein freier Platz verfügbar ist. Sen-
soren erkennen das parkende Fahrzeug und schalten auf Rot. Dies erinnert an Pro-
duktionsstraßen und Andon-Lichter, die so in einer Flucht angebracht sind, dass die
gesamte Produktionsstraße mit einem Blick überwacht werden kann.
Der Schnellzug Shinkansen in Japan, hält in jedem Bahnhof so exakt an, dass
die Türen mit den auf dem Bahnsteigboden markierten Stellen übereinstimmen. Die
Passagiere können sich darauf verlassen, dass der Waggon an der gekennzeichneten
Stelle hält und so schnell ihren reservierten Platz finden. Dadurch hat der Zug nicht
nur keine Verspätungen, sondern er verfügt auch über sehr kurze Haltezeiten.

Überall finden sich weitere Beispiele für Standards. So auch ein japanisches Internet-
video, in dem gezeigt wird, wie in nur drei Sekunden ein T-Shirt nach Standard zusam-
mengelegt werden kann.
10.5 Rolle der Führung bei Standards 145

10.5 Rolle der Führung bei Standards

Die Führung übernimmt im Rahmen der standardbasierten Prozesskontrolle eine sehr


wichtige Rolle. Standards sind abzusichern und auf Abweichungen zu überprüfen.
Abweichungen (Abb. 10.3) entstehen durch drei Möglichkeiten: Der Standard ist nicht
bekannt oder geübt, der Standard wird nicht diszipliniert durchgeführt, weil die Füh-
rungskräfte dies nicht verfolgen, oder es gibt eine Abweichung, da der neue Ablauf
weniger Aufwand erzeugt und eine Verbesserung zu einem neuen Standard führt. Im ers-
ten Fall ist Bewusstsein für den Standard notwendig und ein entsprechendes Training.
Im letzten Fall ist die Abweichung positiv, denn ein neuer, verbesserter Standard kann
erzeugt werden. Der Fall, dass die Mitarbeiter die Standards nicht diszipliniert einhalten,
ist ein Spiegelbild der Führungsdisziplin und der Führungskultur. Wenn bereits die Basis
eines Produktionssystems (die standardisierte Arbeit) nicht gelebt wird, werden auch alle
weiteren Prinzipien nicht funktionieren.

Beispiel
Ein Beispiel für Abweichungen vom Standard sind unterschiedliche Anlagenein-
stellungen je nach Bediener oder Schicht. Die beste Lösung sollte gemeinsam und
schichtübergreifend erarbeitet werden. Von Nachteil ist, wenn verschiedene Gruppen
gegeneinander arbeiten und ihre eigenen Standards voreinander verheimlichen. Anla-
geneinstellungen werden vor dem Schichtwechsel bewusst verändert und Vorteile
nicht weitegeben.

Abb. 10.3  Abweichung vom Standard: Behälter stehen nicht am visualisierten Ort


146 10 Standardisierung

Dies ist ein Thema der Führung und Kultur. Ein integrierter Führungsansatz bedingt
einen Managementprozess bei der Abweichung vom Standard.
Führungskräfte müssen am Ort der Wertschöpfung präsent sein und agieren (vergl.
Shopfloor Management, Kap. 25). Nur sie sind in der Lage, den Prozess aus der Außen-
sicht (vergl. Kreidekreis, Abschn. 3.7) zu beobachten. Eine regelmäßige Überprüfung
von Standards kann in einem „Layered Process Audit“ (LPA) durch die Führungskräfte
durchgeführt werden. Die regelmäßige standardbasierte Prozesskontrolle wird meist mit
einem Five-Cycle-Check durchgeführt (Abschn. 25.5).
Drei Fragen, welche sich Führungskräfte bei der Abweichung von einem Standard
stellen sollten, müssen lauten: Was sollte eigentlich nach Standard passieren? Was pas-
siert tatsächlich? Was ist das Problem? Führung bedeutet, Standards einzufordern und
auf Abweichungen zu reagieren. Aus Sicht der Führung haben Standards unterschiedli-
che Ansatzpunkte für die tägliche Arbeit und die Zielerreichung (Tab. 10.4).
Ein Fallstrick ist, Mitarbeiter nur zu belehren, etwas besser zu tun. Es ist der Prozess
oder Standard, der nicht stimmt, und nicht die Mitarbeiter. Eine allseits beliebte Maß-
nahme, welche in den Unternehmen immer auf den Listen steht, ist: „Mitarbeiter infor-
mieren“. Die Mitarbeiter sollen dies oder das tun bzw. nicht mehr tun. Dies ähnelt den
Vorsätzen, welche an Silvester genannt werden. Skeptiker wissen, diese halten ebenso
lange, wie die Belehrung von Mitarbeitern. Alles bleibt wie gehabt „beim Alten“ und die
Führung wundert und ärgert sich, dass keiner tut, was angeordnet wurde. Die Maßnahme
„Mitarbeiter unterweisen, belehren bzw. informieren“ ist nicht nachhaltig. Sie stellt
keine Änderung am Prozess und keine Verbesserung des Standards dar. Die Problemur-
sache wurde nicht gefunden, nicht bearbeitet und nicht gelöst. Es wurde sich in der Rea-
lität keine Mühe gegeben. Die Mitarbeiter machen Dienst nach Vorschrift. Die Lösung
ist, die Prozesse nach der Ursache von Abweichungen zu hinterfragen, die Ursachen zu
ermitteln und mit einem neuen Standard abzustellen.
Die Einhaltung von Standards sollte von der Führung belohnt werden, um Vorbildcha-
rakter zu erzeugen und andere Mitarbeiter zu einer Nachahmung zu ermutigen. Firmen
setzen hier z. B. Wanderpokale ein, wie einen 5S-Award.

Tab. 10.4  Einsatz von Standards aus Sicht der Führung


Unterstützung Ergebniserreichung Notwendigkeit
Überblick behalten Qualitätsverbesserung Einhaltung
Orientierung haben Produktivitätssteigerung Weiterentwicklung
Entscheidungen treffen Prozessoptimierungen Aktualisierung
10.7 Zusammenfassung 147

10.6 Expertenfragen

Die folgenden Fragen dienen der Hinterfragung standardisierter Arbeit


• Gibt es Standards?
• Ist der Standard aktuell?
• Ist der Standard die aktuell beste bekannte Vorgehensweise?
• Kennen die Mitarbeiter den Standard?
• Wird nach Standard gearbeitet?
• Sind Prozessabläufe beschrieben?
• Werden Standards geschult?
• Werden vereinbarte Standards eingehalten?
• Werden Standards regelmäßig überprüft?
• Was passiert bei Abweichung vom Standard?
• Werden Standards weiterentwickelt und optimiert?
• Wo beginnt und endet ein Arbeitsgang?
• Ist der Arbeitsgang visualisiert und den Beteiligten und Führungskräften bekannt?
• Was muss am Ende des Arbeitsganges herauskommen?
• Was brauche ich zur Durchführung eines Standards (Informationen, Werkzeuge, Vor-
richtungen)? Von wem bekomme ich diese und in welchem Zustand?
• Was kann ich tun, wenn die Bedingungen für schnelles und sauberes Arbeiten nicht
vollständig zur Verfügung stehen?
• Wie kann ich, sollten die Bedingungen einmal nicht in Ordnung sein, selbst aktiv wer-
den, um so schnell wie möglich die Bedingungen wieder herzustellen? Was ist mit
wem im Vorfeld abzusprechen und zu klären?
• Welche Fragen zur Arbeit oder zu erhaltenen Arbeitsanweisungen bzw. Aufgaben sind
unklar?

10.7 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Standardisierung


• Im Lean-Verständnis sind Standards die zum derzeitigen Zeitpunkt einzige,
sicherste und effizienteste Art und Weise, eine Tätigkeit auszuführen. Standards
sind die Basis für gute Prozesse und gleichbleibende Qualität.
• Standards sind dynamisch und können jederzeit weiter optimiert und angepasst
werden. Sie sind nichts Festes und somit nicht als Norm zu verstehen.
• Voraussetzung sind zyklische, sich wiederholende Tätigkeiten.
• Zielsetzung der Standardisierung ist, Prozessergebnisse von Personen unabhängig
zu machen und damit stabile Prozesse zu erreichen.
148 10 Standardisierung

• Standards sichern das vorhandene Wissen und bilden die Grundlage für Trainings
sowie die Auditierung. Gleichzeitig sind Standards die Basis für das Trainieren,
Überwachen und die Fehlererkennung.
• Hauptfokus von 5S liegt auf den Themen Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit
(SOS). 5S stehen für die japanischen Begriffe Seiri, Seiton, Seiso, Seiketsu, Shit-
suke. In Deutschland werden die 5S auch als 5A bezeichnet: Aussortieren, Aufräu-
men, Arbeitsplatz sauber halten, Anordnung als Regel, alle Schritte wiederholen.
• Durch die Skalierbarkeit ist 5S für einzelne Arbeitsplätze oder für ganze Bereich
und Werke anwendbar.
• Ergänzung eines sechsten „S“ für „Shukan“, welches die nachhaltige Disziplin
bzw. Verinnerlichung ergänzt.
• Standards sind in Stufen bzw. Hierarchien eingeteilt. Je höher die Stufe, desto ver-
bindlicher ist diese.
• Beispielhafte Formen der Visualisierung von Standards sind Shadow-Boards,
Checklisten, Standardbeschreibungen, Formblätter, Standardarbeitsblätter und
Arbeitsschritteblätter.
• Standards finden sich z. B. in der Flugzeugindustrie, in Krankenhäusern, in
Schnellrestaurants und in der Automobilindustrie. Essenziell sind Standards, wenn
es auf Genauigkeit sowie auf die Gefahr für Leib und Leben ankommt.
• Führung bedeutet, Standards einzufordern und auf Abweichungen zu reagieren. Es
müssen die folgenden Fragen gestellt werden: Was sollte eigentlich nach Standard
passieren? Was passiert tatsächlich? Was ist das Problem?

Fragen
• Warum sind Standards wichtig?
• Wofür sind Standards die Basis?
• Wie unterscheiden sich die Begriffe Norm und Standard?
• Was versteht man unter dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess? Welche Sym-
bolik übernimmt hier ein Standard?
• Welche Merkmale weisen Standards auf?
• Welche klaren Ziele, die mit Standards, Qualität und Verschwendungsvermeidung
verknüpft sind, verfolgt die 5S-Methodik?
• Welche Ergebnisse bzw. Effekte werden bei der Umsetzung der 5S-Methodik in
den jeweiligen Stufen erreicht?
• Wie unterscheiden sich das Standardarbeitsblatt (SAB) und das Arbeitsschritteblatt
(ASB) voneinander?

Literatur

Bicheno J, Matthias H (2009) The lean toolbox – the essential guide to lean transformation,
4. Aufl. PICSIE, Buckingham
Literatur 149

DaimlerChrysler (2000) Mercedes-Benz Produktionssystem (MPS) – Systembeschreibung,


2. überarb. Aufl., 17.01.2000, DaimlerChrysler AG, Stuttgart. http://engp-download.daimler.
com/docmaster/en/doc/MPS_-_SYSTEMBESCHREIBUNG.2000-01-17.DE.pdf. Zugegriffen:
1. Okt. 2017
Erlach K (2010) Wertstromdesign – Der Weg zur schlanken Fabrik, 2. Aufl. Springer, Berlin
Takeda H (2012) Das synchrone Produktionssystem – Just-in-time für das ganze Unternehmen,
7. Aufl. Vahlen, München
Kontinuierliche Verbesserung
11

Das Bessere ist der Feind des Guten.


Abwandlung von Wer aufgehört hat, besser zu werden, hat
aufgehört, gut zu sein!
Philip Rosenthal

Zusammenfassung
Der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) basiert auf der japanischen Philoso-
phie „Kaizen“. Optimierungen finden permanent in Zyklen statt. Ein durchgängiger
Ablauf ist der PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act).

Knalsch GmbH: Und nun?


Produktionsleiter Kai Lupfer und Claudia Beck kommen zusammen in das Büro
von Herrn Alsch.
Alsch: „Jetzt läuft doch alles super, oder?“
„Nun ja“, sagt Kai Lupfer. „Das ist schon alles schön und gut. Aber irgendwie
bleiben wir stehen.“
„Noch schlimmer“, sagt Claudia Beck. „Wir fallen wieder zurück, trotz Standards“.
Alsch verneint: „Das kann nicht sein. Wo ist das Problem?“
Kai Lupfer erklärt es: „Seit die Standards eingeführt worden sind, stabilisiert
sich in der Tat die Produktion, aber so wirklich voran geht es nach den ersten
Erfolgen nicht mehr.“ Und wenn Kai Lupfer seine Meister fragt, hört er immer
häufiger: „Wir sind gut beschäftigt. Es läuft. Wir sind dran.“
Claudia Beck meint, das höre sich an wie: „Wir sägen und sägen, haben aber
keine Zeit, die Säge zu schärfen.“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 151


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_11
152 11 Kontinuierliche Verbesserung

Alsch fragt nach, wie sie das meine. Doch Lupfer antwortet stattdessen: „Tja,
das stimmt allerdings. Wir sind so eingespannt, dass wir gar nicht mehr wissen, wo
wir stehen, ob die Standards passen und ob wir nicht etwas besser machen können“.
Und Claudia Beck ergänzt: „Was uns fehlt ist ein Verbesserungsprozess, und
zwar ein gesteuerter. Das macht bei den Japanern Kaizen.“
Lupfer: „Die Japaner machen ‚koi Senn‘?“ (schwäbischer Dialekt für „kein
Sinn“)
Claudia Beck: „Nein, Kaizen. Das ist japanisch und nicht schwäbisch. Auch
wenn die Schwaben das Sparen ebenso in ihrer Kultur verinnerlicht haben, bei den
Japanern ist es das Verbessern.“
Alsch: „Dieses Kaizen müssen Sie uns mal genauer erklären, Frau Beck.“

11.1 Kaizen

Kaizen setzt sich aus den beiden japanischen Begriffen „Kai“ für Veränderung und
„Zen“ für „zum Guten“ oder „zum Besseren“ zusammen (Abb. 11.1).

 Kaizen Im Kern geht es um ein in der Kultur verankertes permanentes Verbessern


von Prozessen, Leistungen und Produkten in kleinen Schritten. Dies findet immer unter
Einbeziehung der Mitarbeiter statt. Kaizen ist eine Philosophie bzw. Denkweise, welche
durch die Mitarbeiter tagtäglich selbstständig getragen wird.

Kaizen hat in der deutschen Sprache die Begrifflichkeit „Kontinuierlicher Verbesse-


rungsprozess“ (KVP) gefunden. Vermutlich kommt dies aus dem Englischen, wo es
„Continuous Improvement Process“ (CIP) genannt wird. Es geht um die systematische
Optimierung von Prozessen. Mitarbeiter sollen nicht nur Verbesserungsvorschläge ein-
reichen. Es geht vielmehr um die selbstverständlichen, täglichen Verbesserungen des
persönlichen Arbeitsgeschäftes als Philosophie. Japaner sollen angeblich 75 min pro
Woche in die Optimierung ihres Sozial- und Privatlebens sowie Berufes aufwenden. Der
philosophische Ansatz hat sich in der Welt leider nur als „Prozess“ übertragen, was den
Gedanken von Kaizen nicht vollumfänglich transportiert.
Verbesserungsvorschläge sind sofort zu beurteilen, vor Ort auszuprobieren und kon-
sequent umzusetzen. Sobald ein Prozess für ein Vorschlagswesen entsteht, ob als realer

Abb. 11.1 Japanische


Schriftzeichen für Kaizen

Veränderung zum Guten


11.1 Kaizen 153

oder virtueller Briefkasten, versickert die Idee und wird vielleicht niemals realisiert. Ein
Synonym lautet in machen Unternehmen „Ideen-Vernichter“ und zerstört gleichzeitig die
Motivation des Teilnehmens. Möglichst schnell realisieren, statt Papier zu generieren,
ist das Ziel. Wer könnte eine Idee besser einschätzen und umsetzen als die Menschen,
welche im Prozess eingebunden sind? Bei der Umsetzung gilt: „Just do it“ – realisiere
es sofort und selbst. Ein Benchmark für Optimierungsideen in Deutschland liegt bei 70
Ideen pro Mitarbeiter und Jahr. In Japan beträgt die Anzahl ein Vielfaches davon. Simon
(1993) zeigt einen Vergleich zwischen den Unterschieden bei Verbesserungsvorschlägen
in Deutschland und Japan (Tab. 11.1).
Was die Japaner in vielerlei Hinsicht auszeichnet, ist das Kopieren, das anschlie-
ßende Vereinfachen, das Weiterentwickeln und das im unterschiedlichsten Kontext. Es ist
erkennbar, dass sie etwas Gutes aufnehmen und stetig weiter verbessern. Dies ist in ihrer
Kultur verankert. Eberhard C. Stotko schrieb hierzu im Vorwort von Taiichi Ohnos Buch
„Das Toyota Produktionssystem“, dass es neben der Konsistenz auch um Kontinuität und
die ständige Verbesserung (Kaizen) geht. Dazu helfe ein in der japanischen Kultur ausge-
prägtes zeremonielles Streben nach Vollkommenheit (Ohno 2013, S. 12).
Für Kaizen steht eine entsprechende Zeit zur Verfügung. Viele kennen den Spruch,
dass man keine Zeit hat, die Säge zu schärfen, da zu viel zu sägen ist. Kaizen bzw.
KVP erfordert Zeit. Nur dadurch kann etwas besser werden. Dabei gilt, dass eine Ver-
besserung nicht zu einem Mehraufwand an Arbeitskraft, Platz oder Geld führen darf.
Dies wäre keine Optimierung im Sinne von Kaizen. Eine Einsparung muss hier im Ver-
gleich zum Aufwand gesehen werden. Auch der Mensch wird dabei genau betrachtet
(Abschn. 27.1). Es ist keine korrekte Optimierung, wenn Mitarbeiter nach der Optimie-
rung mehr Stress haben, sich eine Leistungsverdichtung ergibt oder ein Mehraufwand
entstanden ist. Bessere Prozesse entlasten den Mitarbeiter und eliminieren die Ver-
schwendung, welche mit wertschöpfender Tätigkeit ausgeglichen wird.

Tab. 11.1  Vergleich der Verbesserungsvorschläge in Deutschland und Japan. (Nach Simon 1993)
Kennzahl Deutschland Japan Verhältnis Japan zu Deutschland
Vorschläge pro Mitarbeiter und Jahr 0,14 32,35 231
Durchschnittsprämie pro Vorschlag 440 EUR 2 EUR 0,005
Gesamtprämie pro Mitarbeiter 62 EUR 66 EUR 1,06
Umsetzungsquote 39 % 87 % 2,23
Umgesetzte Vorschläge pro 0,06 28,15 469
Mitarbeiter
Netto-Ersparnis pro umgesetztem 1939 EUR 107 EUR 0,06
Vorschlag
Netto-Ersparnis pro Mitarbeiter 107 EUR 3007 EUR 28
Produktivitätssteigerung 0,2 % 5,9 % 30
154 11 Kontinuierliche Verbesserung

Verbesserungen sind immer möglich, werden aber meist kleiner, wenn die ersten gro-
ßen Verschwendungen beseitigt sind. Als Vergleich stelle man sich ein leeres Glas vor,
welches mit Steinen gefüllt wird und voll zu sein scheint. Doch es passen immer noch
kleinere Steine in die Lücken. Sind auch diese gefüllt passt Sand in das Glas und danach
sogar noch Wasser. Optimierungen sind nie abgeschlossen, genauso wie das Glas nach
jedem weiteren Schritt noch nicht voll ist.
Im Falle der Optimierung von Arbeitsstationen wird vom sogenannten Point-Kaizen
gesprochen, der Optimierung an einer Prozessstation, mit dem Fokus auf Verschwen-
dungen und Ressourcen. Hier werden die Mitarbeiter selbst tätig. Daher auch der Name
„mitarbeitergetragener KVP“. Dazu gehört auch das Vorschlagswesen bzw. Ideenmana-
gement. Die eingesetzten Methoden können 5S, Standardisierung, Poka Yoke, schnelles
Rüsten und Maschinenoptimierungen sein.
Werden Optimierungen am System vorgenommen, so handelt es sich um einen Sys-
tem-Kaizen. Im Vergleich zum Point-Kaizen mit der Optimierung an einem konkreten
Prozess, wird der Systemzusammenhang im Sinne der Wertstromoptimierung verfolgt
und die gesamte Prozesskette betrachtet. Der Wertstrom dient dabei als Basis für die Sys-
temzusammenhänge. Die Durchführung erfolgt geplant und durch Experten. Daher auch
der Name „expertengetriebener KVP“. Durch das System-Kaizen ergeben sich sprung-
hafte Verbesserungen im Gesamtprozess mittels eines systematischen und ganzheitlichen
Verbesserungsansatzes. Die Durchführung findet projekthaft in Phasen statt: Analyse,
Umsetzung, Stabilisierung. Die Methoden entsprechen denen des Wertstromdesigns:
Fluss, Takt, Pull, Kanban, Schrittmacher, Ein-Stück-Fluss.

11.2 Kaikaku

Kaikaku ist im Vergleich zu Kaizen (Abschn. 11.1) der radikale Wandel. Auch bei
Kaikaku wird die Verschwendung beseitigt und ein optimierter Zustand erreicht.

 Kaikaku Wandel im Sinne einer Innovation. Das Vorgehen ist als radikale Verbesse-
rung oder Reform zu bezeichnen.

Kaizen (kontinuierliche Verbesserung) ist von Kaikaku (Innovationen) abzugrenzen. Bei


Kaikaku wird Bestehendes nicht optimiert, sondern grundlegend infrage gestellt. Als
Ergebnis werden Prozesse neu gestaltet. Der Unterschied kann am Beispiel des Hoch-
sprunges erklärt werden.

Beispiel
Während früher der „Straddle“ die übliche Hochsprungvariante war und diese durch
die Spitzensportler immer weiter verfeinert, also optimiert wurde, kam mit dem Fos-
bury-Flop eine Innovation, welche einen großen Sprung zu einer neuen Methodik
vollzog. Auf diesem neuen und höheren Niveau wurde weiter aufgebaut und optimiert.
11.2 Kaikaku 155

Tab. 11.2  Gegenüberstellung von Kaizen und Kaikaku (Innovation)


Thematik Kaizen Kaikaku (Innovation)
Prozess Stabilisieren und Optimieren Fundamentale Neugestaltung
Vorgehensweise Systematisch, handlungsorientiert Kreativ, innovativ
Verhaltensroutine In der Spur bleiben Neue Wege gehen
Dauer Langfristiger und kontinuierlicher Lange Planungsdauer, Umstel-
Ansatz mit schneller Umsetzung lungsunterbrechung
Geschwindigkeit Langsam, viele kleine Schritte Schnell, ein großer Schritt
Investition und Risiko Gering, Fehler reversibel Hoch
Zuständigkeit/Beteiligung Alle Mitarbeiter Vereinzelte Experten
Wissen Berücksichtigung von Erfah- Speziallisten, kein Erfahrungs-
rungswerten, Bereicherung durch wissen
Lernen
Erfolgsfaktor Mensch Technik
Systematik Simpel, Low Cost Komplex, High Tech

Kaizen Kaikaku
Verbesserung

Verbesserung

Zeit Zeit

Abb. 11.2  Prozessdarstellung von Kaizen und Kaikaku. (In Anlehnung an Imai 2001, S. 59 f.)

Es besteht ein Unterschied zwischen Kaizen, wodurch Prozesse optimiert werden


(Abschn. 11.1), und Kaikaku, bei dem Prozesse grundlegend neu gestaltet werden. Beide
Veränderungsarten haben unterschiedliche Ansätze (Tab. 11.2). Kaizen ist der Gegenent-
wurf des klassischen, ingenieurmäßigen Verständnisses von Innovation.
Während Kaizen kontinuierlich mit vielen kleinen Verbesserungsschritten voran-
geht, ergeben sich durch Innovationen radikale und größere Sprünge (Abb. 11.2). Aller-
dings ergibt sich keine Weiterentwicklung zwischen den Innovationssprüngen. Teilweise
kommt es sogar zu einem langsamen Rückschritt aufgrund eines schwindenden Vorteils.
Da bei Kaizen keine Weiterentwicklung stattfindet, bleiben die Prozesse stehen oder
fallen zurück. Erfolg stellt sich dann ein, wenn beides, Kaikaku und Kaizen, sich wech-
selseitig voranbringen und sich dabei die Innovationssprünge mit den Verbesserungs-
schritten abwechseln (Abb. 11.3).
156 11 Kontinuierliche Verbesserung

Abb. 11.3 Kombination von Kaizen + Kaikaku


Kaikaku und Kaizen-Zyklen.

Verbesserung
(In Anlehnung an Imai 2001,
S. 61)

Zeit

11.3 PDCA-Zyklus

„PDCA“ steht für die Abkürzung der Begriffe Plan, Do, Check und Act (deutsch PTCA:
Planen, Tun, Checken, Agieren).

 PDCA-Zyklus Beschreibt den iterativen vierstufigen Zyklus zur kontinuierlichen


Verbesserung bzw. den permanenten Lernprozess. Der Erfinder war William Edwards
Deming (1900–1993). Der Zyklus wird daher auch Deming-Kreis oder Deming-Rad
genannt.

Statt mit einem unkoordinierten „Fire Fighting“ (Feueraustreten) setzt der Deming-Kreis
bzw. PDCA-Zyklus mit einer strukturierten Vorgehensweise für Optimierungen und die
Problemlösung an. Durch das ordnungsgemäße Durchlaufen der vier Schritte wird eine
nachhaltige Verbesserung erreicht. Gleichzeitig dient der Kreis auch als visuelles Ele-
ment, indem die einzelnen Viertel durchlaufend markiert werden, um den Prozesstand zu
erkennen (Abb. 11.4). Ordnungsgemäß durchlaufen ist der PDCA-Zyklus erst, wenn der
Prozess nachhaltig wirkt. Dieser Nachweis dauert in der Regel länger und erst dann kann
der vierte Schritt abgeschlossen werden.
Zum Thema Visualisierung bestehen viele Missverständnisse. So wird der Kreislauf
auch gerne als Prozessstatus im Sinne von „geplant, begonnen, Halbzeit, abgeschlossen“
interpretiert. Teilweise wird der eigentlich wichtigste vierte Schritt auch ganz wegge-
lassen. Es existieren in der Praxis auch Kreise mit einer Dreiteilung. Dies entstand aus
der Idee, die Darstellung dem Markenzeichen eines Automobilherstellers nachzuemp-
finden. Die Schritte wurden auf drei reduziert: „Angefangen“, „Mitte der Umsetzung“
und „Thema abgeschlossen“. Dabei ergibt sich aber keine Nachhaltigkeit in der Verbes-
serung. Die Methode wurde nicht korrekt durchgeführt und so bleibt es beim täglichen
Problemlösen und Feueraustreten.
Korrekt angewendet unterstützt der PDCA-Zyklus die Prozessoptimierung, die Prob-
lemlösung und die Maßnahmenabarbeitung. Problemlösungen sind auch Prozessverbes-
serungen und können gleichgesetzt werden. Mittels des PDCA-Zyklus werden Themen
11.3 PDCA-Zyklus 157

Abb. 11.4 PDCA-Zyklus

Act Plan

Check Do

konsequent und nachhaltig umgesetzt. Es wird analysiert, dokumentiert, Umsetzungen


werden überprüft und Standards erzeugt.
Der Inhalt und Ablauf der vier Schritte wird im Folgenden beschrieben.

Plan – Planen
Im ersten Schritt „Plan“ findet eine detaillierte Analyse der Ausgangssituation statt.
Dabei wird das zu erreichende Ziel festgelegt. Eine sehr detaillierte Planung wird durch-
geführt, auch wenn diese mit hoher Wahrscheinlichkeit während der Umsetzung korri-
giert werden muss. Dieser Plan dient als gute Vorbereitung für den darauffolgenden
Versuch. Das Vorgehen kann als Experiment bezeichnet werden. Eine Hypothese wird
aufgestellt, die das Thema verbessern oder das Problem lösen soll. In diesem Schritt
finden die Suche, Bewertung und Auswahl von geeigneten Lösungsmöglichkeiten statt.
Damit ist dieser Prozess an eine wissenschaftliche Methodik angelehnt.
Bei bestehenden Prozessen mit verfügbaren Standards kann der erste Schritt auch
„Standardisieren“ genannt werden (Zollondz 2013, S. 47).

Do – Tun
Im zweiten Prozessschritt „Do“, also dem Tun, geht es um die Umsetzung der Ideen
aus dem vorherigen Plan bzw. die Ausführung des Standards. Geplante Verbesserungs-
maßnahmen werden umgesetzt. Wie beim wissenschaftlichen Experimentieren werden
Versuche durchgeführt oder ein neuer Prozess implementiert. Während der Umsetzung
werden Kennzahlen durch Messungen aufgenommen und der Fortschritt sowie auftre-
tende Abweichungen dokumentiert.
In diesem Schritt werden bei Problemen kurzfristige, korrigierende Gegenmaßnah-
men sofort implementiert.

Check – Checken
Im Schritt drei, dem „Check“, werden die durchgeführten Maßnahmen überprüft. Die
Auswirkungen der Maßnahmen werden bestimmt. Mit der Bewertung der gesammelten
Daten wird das Endergebnis geprüft. Es wird gecheckt, ob das Ergebnis die geplante
Zielsetzung erfüllt. Hierzu werden die Zielvorgaben mit den tatsächlichen Ergebnissen
verglichen, wie bei einem Soll-Ist-Vergleich.
In diesem Schritt wird die vorherige Hypothese validiert. Ist die Hypothese falsch,
findet eine Korrektur statt und der Zyklus beginnt wieder mit dem Schritt „Plan“. Wenn
die Hypothese erfolgreich bestätigt wird, folgt der nächste Schritt „Act“.
158 11 Kontinuierliche Verbesserung

Wie bereits erwähnt, wird an dieser Stelle, selbst bei erfolgreicher Lösung, der Zyklus
manchmal bereits vorzeitig beendet. Die Disziplin, welche für den PDCA notwendig ist,
führt erst im letzten Schritt zu einer Nachhaltigkeit. Ohne die folgende Absicherung dre-
hen sich erfolglose Verbesserer lediglich im kleineren „PDC-Kreis“, ohne den erwarteten
Erfolg.

Act – Agieren
Als letztes folgt der eigentliche Hauptschritt des PDCA-Zyklus, der auch als „Aktion“
oder „Anpassung“ bezeichnet wird. Ohne diesen vierten und letzten Schritt sind alle bis-
herigen Tätigkeiten umsonst und Verschwendung.
Die bisherige Vorgehensweise wird um die neuen Ergebnisse ergänzt und mittels
neuer Standards und Prozessvorgaben abgesichert. Wenn die Darstellung der Stan-
dards in Form eines Keils nochmals in Erinnerung geholt wird (siehe Abb. 10.1 in
Abschn. 10.1), so wird dieser Keil dem sich drehenden PDCA-Zyklus zur Absicherung
untergeschoben. Im Schritt „Act“ ist die wie ein Anker, der aus dem „Act“ heraus den
Keil hinterher zieht.
Dies löst weitere Maßnahmen aus. Schulungsbedarfe müssen identifiziert werden
und die Betroffenen in der verbesserten Vorgehensweise geschult werden. Auch der
Austausch mit anderen Bereichen findet hier statt. Eine erkenntnisreiche Lösung, wel-
che auch an anderen Punkten wirkt, wird als ein gutes Beispiel geteilt. In einer ame-
rikanischen Firma werden beispielsweise nach allen Verbesserungen Vorher- und
Nachher-Aufnahmen erstellt. Videos der guten Lösung werden in der Morgenrunde
gezeigt und ebenso öffentlich im Internet publiziert (Akers 2016, S. 55 ff.).
Dieser Schritt dauert länger als gedacht, da es eine gewisse Zeit benötigt, die Wir-
kung zu erkennen. Erst nach mehreren neuen Durchläufen des Prozesses wird klar, ob
der neue Standard wirkt und Probleme nicht erneut auftreten. Es geht um die nachhaltige
Überwachung der Veränderungen. Ist die Nachhaltigkeit erwiesen, ist der Zyklus effektiv
und erfolgreich durchlaufen und beendet.
Abschließend wird das noch bestehende Verbesserungspotenzial analysiert und ent-
schieden, ob dieses in eine neue Planung überführt wird. Mit der Identifizierung neuer
Verbesserungspotenziale startet der PDCA-Zyklus wieder von neuem.

11.4 Verbesserungs-Kata

Den PDCA-Zyklus (Abschn. 11.3) mit einer Routine zu verknüpfen und dies auch als
Führungsinstrument einzusetzen, wurde durch Rother (2009, 2013) im Buch „Die Kata
des Weltmarksführers“ aufgegriffen. Er beschreibt darin die Routine, welche bei Toyota
zum Führungsalltag gehört und durch konsequentes Fragen, statt der Vorgabe von Lösun-
gen, den PDCA-Zyklus wiederkehrend durchläuft. Die Routine ist einfach und sehr
erfolgreich, jedoch erfordert die Umsetzung Disziplin. Viele weitere Publikationen neh-
men sich des Themas der Kata an (Schwarz und Lindner 2016).
11.4 Verbesserungs-Kata 159

 Kata Begriff aus dem japanischen Kampfsport. Kata steht für einen festgelegten
Ablauf, eine Routine. Im Lean-Umfeld wird der Begriff für eine festgelegte Routine
zur Prozessverbesserung eingesetzt. Der zyklische Durchlauf durch den PDCA-Zyklus,
anhand von Fragestellungen und dem Gedanken des Experimentierens, führt zu Verbes-
serungen und neuen Erkenntnissen. Damit werden eine Führungsroutine und eine Ver-
besserungsroutine implementiert.

Die Verbesserungsroutine hinter der Kata wird durch die Rollen von Coach und Coa-
chee beschrieben. Der Coach gibt keine Lösungsideen vor, sondern hinterfragt lediglich
mit festgelegten Fragen den Ablauf im letzten Prozessschritt der Optimierung. Damit
wird der Prozesseigner zum Experimentieren und Weiterdenken angeregt. Nach Rother
(2013, S. 28) ist der Weg vom Ist zum Soll nie gerade und ebenso nicht von Anfang an
zu durchschauen (Abb. 11.5). Nur Schritt für Schritt nähert man sich dem Zielzustand
und erkennt neue Wege sowie die zu verwerfenden Lösungen.
Die Kata beinhaltet im Wesentlichen, Hypothesen zu bilden, diese in einem Versuch
bzw. Experiment auszuprobieren und aus dem Ergebnis zu lernen. Nach dem Test wer-
den die Fragen aus der Frageroutine gestellt. Daraus ergibt sich die nächste Optimie-
rungsschleife.
Die Frageroutine nach jedem Versuch wird aus den folgenden fünf festgelegten Fra-
gen gebildet:

1. Was ist der Ziel-Zustand des Prozesses?


2. Was ist der aktuelle Ist-Zustand des Prozesses?
3. Welche Hindernisse halten uns aktuell davon ab, den Ziel-Zustand zu erreichen? Und
welches dieser Hindernisse wird als nächstes angegangen?
4. Was ist deshalb der nächste Schritt und was wird aus diesem erwartet zu lernen?
5. Bis wann kann das Ergebnis und das Gelernte angesehen bzw. besprochen werden?

Diese Vorgehensweise realisiert das Denken mit einem wissenschaftlichen und experi-
mentellen Ansatz und erlaubt gleichzeitig das „Learning by Doing“. Der fragenstellende
Coach lernt bei diesem Prozess mit. Die letzte Frage schafft eine entsprechende Verbind-
lichkeit für die nächsten Schritte bzw. den nächsten Zyklus.

unklares Gebiet
Ist-Zustand: Soll-Zustand:
Wir sind Hier wollen
aktuell hier wir hin

Abb. 11.5  Der Weg vom Ist-Zustand zum Soll-Zustand führt durch unbekanntes Terrain. (Nach
Rother 2013, S. 28)
160 11 Kontinuierliche Verbesserung

Durch diese Frageroutine wird ein Nachdenken und Reflektieren über das Muster und
Vorgehen angeregt. Andere Führungsstile stellen nur das Ziel in den Mittelpunkt und ent-
scheiden ohne Kenntnis der Lösung nach vorne, anstatt den Weg durch ein Experimen-
tieren zu beschreiten. Durch die Kata rücken neben dem Ziel auch die Vorgehensweise
und die Optimierung in Richtung des Zieles in den Fokus. Die Kata stärkt auch die Kom-
munikation und Zusammenarbeit auf der Ebene der Führungskultur.
Die Verbesserungs–Kata fokussiert auf das Lernen und damit auch auf die Mitarbei-
terentwicklung. Allein diese Art der Führung und Mitarbeiterentwicklung führt bereits zu
einer Verbesserung im Tagesgeschäft.
Die Methode der Verbesserungs-Kata hat in vielen Unternehmen Einzug gehalten.
BMW und Daimler Trucks in Wörth haben diese Ansätze genutzt und damit erfolgreich
Potenziale in der Personalentwicklung und Prozessverbesserung realisiert.

11.5 Nachhaltige Verbesserung

Optimierungsschritte nachhaltig aufrechtzuerhalten ist ein zentrales Thema in der Praxis.


Häufig fallen Bereiche und Lösungen wieder in alte Zustände und Gewohnheiten zurück.
Wichtigstes Element sind die Standards. Diese sind durch die Führungskräfte einzu-
fordern (Abschn. 10.5). Die Durchführung nicht aller Schritte des PDCA-Zyklus ist ein
oft auftretendes Problem (Abschn. 11.3). Um weiter voranzukommen, müssen Point-
Kaizen und System-Kaizen gleichermaßen durchgeführt werden (Abschn. 11.1).
Probleme entstehen, wenn sich Mitarbeiter nicht am Verbesserungsprozess beteiligen.
Das konsequente Aufzeigen der Vorteile ist eine Lösung. Bedenken zur Stückzahlerhö-
hung und Leistungsverdichtung dürfen nicht erzeugt werden. Vielmehr geht es um eine
Vermeidung von Verschwendung. Niemand wird sich beteiligen, wenn die Neuerungen
zu mehr Arbeit führen, aber sehr wohl, wenn die Tätigkeit künftig leichter zu bewälti-
gen ist. Die Arbeitszeit wird bezahlt. Es geht um den Anteil an Wertschöpfung innerhalb
dieser Zeit. Bei der Umsetzung wird es problematisch, wenn Lean als Alibi für eine Leis-
tungserhöhung missbraucht wird. Der Mensch steht bei der Optimierung im Mittelpunkt
(Abschn. 27.2).
Ein weiteres und weit verbreitetes Problem ist, „KVP“ als Kennzahl zu nutzen. Nach-
dem Kaizen als Philosophie eingesetzt werden muss und diese über den KVP zu einem
Prozess gewandelt wurde, verschärft eine KVP-Kennzahl die Problematik. Zielwerte,
wie ein jährlicher KVP von z. B. 5 %, hebeln die Optimierung aus. Gleiches gilt für
eine Vorgabe an die Menge an Verbesserungsideen pro Mitarbeiter. Was geschieht, wenn
mehr erreicht werden könnte oder wird, als durch einen Zielwert vorgegeben wurde?
Dann wird das Potenzial für das Folgejahr aufgehoben, damit eine Zielerreichung wie-
der problemlos möglich ist. Was ist, wenn ein Vorzeigewerk bereits sehr viele Verbes-
serungen umgesetzt hat? Ein solches Werk wird bestraft, da es im Vergleich zu anderen
11.6 Expertenfragen 161

Werken keine Chance hat, das Ziel zu erreichen, obwohl es Benchmark ist. KVP oder
Kaizen muss dort durchgeführt werden, wo es erforderlich ist. Verbesserungen greifen in
das Kennzahlenwerk eines Unternehmens ein. Die Kosten sinken durch die Maßnahmen
und ein Erfolg stellt sich ein (Abschn. 23.1). Dies wirkt sich im Wettbewerb aus.
Bei der nachhaltigen Verbesserung geht es um die gemeinsame Optimierung von
Prozessen. Die Durchführung von Verbesserungsprozessen und Problemlösungen sind
wie ein Fitnesstraining. Die Mitarbeiter müssen üben dürfen, damit sie diese Prozesse
beherrschen. Prozessabläufe erfordern stringente Methoden, wie z. B. den PDCA-Zyk-
lus und extreme Disziplin. Um den Vorsprung vor dem Wettbewerb zu wahren, muss die
Anwendung und Durchführung von Verbesserungen kontinuierlich stattfinden, gleich-
wohl in der Fabrik wie auch im Sport.

11.6 Expertenfragen

Die folgenden Expertenfragen befassen sich mit der kontinuierlichen Verbesserung


• Welche Tätigkeiten sind zur Erfüllung der Aufgaben aus Kundensicht tatsächlich
wertschöpfend und zielführend?
• Welcher Prozess ist die Ursache für regelmäßigen Ärger, weil er einfacher funktionie-
ren bzw. ablaufen könnte?
• Wie können die Arbeit bzw. bestimmte Arbeitsinhalte erleichtert und die Möglichkeit
von Fehlern reduziert werden?
• Werden Prozesse regelmäßig auf beinhaltete Verschwendungen überprüft?
• Wird an der Reduzierung der Verschwendungsarten in den Prozessen gearbeitet?
• Ist die PDCA-Vorgehensweise in die täglichen Prozesse implementiert?
• Wird beim PDCA im Schritt „Act“ Wissen geteilt?
• Wird beim PDCA im Schritt „Act“ der Lernerfolg dokumentiert und kommuniziert?
• Wird beim PDCA im Schritt „Act“ die nachhaltige Prozessabsicherung gemessen?
Taucht das Problem nicht mehr auf?
• Findet Prozessoptimierung kontinuierlich und selbst getrieben statt?
• Werden gute Ideen offen ausgetauscht?
• Werden gute Ideen wertschätzend gewürdigt?
• Werden gute Ideen aus anderen Bereichen übernommen?
• Gibt es ein Streben nach Perfektion (Streben zum Besseren)?
• Gibt es anspruchsvolle, lösbare Ziele?
• Wird eine experimentierende bzw. hypothesengetriebene Problemlösung gefördert?
• Wird optimiert, statt kritisiert?
• Wie wird der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) gelebt?
• Kommt die Verbesserungs-Kata zum Einsatz?
• Wird die Verbesserungs-Kata für die Personalentwicklung eingesetzt?
• Wird die Verbesserungs-Kata routiniert und regelmäßig durchlaufen?
162 11 Kontinuierliche Verbesserung

11.7 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema kontinuierliche Verbesserung


• Kaizen steht für die permanente Veränderung zum Besseren. Dies ist bekannt als
der kontinuierliche Verbesserungsprozess. Darunter ist eine systematische Opti-
mierung von Prozessen zu verstehen und nicht nur ein Vorschlagswesen.
• Es geht um die selbstverständliche, tägliche Verbesserung des persönlichen
Arbeitsgeschäftes als Philosophie. Das Ziel ist die möglichst schnelle Realisierung
von Verbesserungsideen.
• Verbesserungen dürfen zu keinem Mehraufwand an Arbeitskraft, Platz oder Geld
führen.
• Verbesserungen gibt es immer. Sie werden aber meist kleiner, wenn die ersten gro-
ßen Verschwendungen beseitigt sind.
• Kaikaku steht für Innovation und ist im Vergleich zu Kaizen der radikale Wandel.
Dabei wird Bestehendes nicht optimiert, sondern grundlegend infrage gestellt.
• Kaizen ist der Gegenentwurf des klassischen, ingenieurmäßigen Verständnisses
von Innovation.
• Point-Kaizen hat kleine Optimierungen im Fokus. System-Kaizen optimiert ganz-
heitlich. Dies erfolgt stufenhaft.
• PDCA steht für die Abkürzung der Begriffe Plan, Do, Check und Act (deutsch
PTCA: Planen, Tun, Checken, Agieren). Es ist eine Standardvorgehensweise zur
Prozessoptimierung und darf nicht unterschätzt oder zu leicht genommen werden.
• Ordnungsgemäß durchlaufen ist der PDCA-Zyklus erst dann, wenn der neue Pro-
zess nachhaltig wirkt. Dabei wird analysiert, dokumentiert, die Umsetzungen über-
prüft und ein Standard erzeugt.
• Kata steht für einen festgelegten Ablauf. Im Lean-Umfeld steht Kata für eine fest-
gelegte Routine zur Prozessverbesserung. Der Ablauf der Kata folgt den Schritten
„Hypothesen bilden“, „Ausprobieren“ und „Lernen“. Aus der anschließenden Fra-
geroutine ergibt sich die nächste Optimierungsschleife. Durch die Fragen wird das
Nachdenken und Reflektieren über das Muster und Vorgehen angeregt. Der Fokus
liegt auf dem Lernen und der Mitarbeiterentwicklung.
• Methoden, um Lösungsansätze nachhaltig zu implementieren, sind Standards,
PDCA und Kaizen.

Fragen
• Wie viele Ideen pro Mitarbeiter und Jahr gelten in Deutschland als Benchmark?
• Welche Arten von Kaizen müssen unterschieden werden?
• Wie können Kaizen und Kaikaku bezüglich der Thematiken Prozess, Vorgehens-
weise, Dauer, Erfolgsfaktor und Systematik abgegrenzt werden?
• In welchen Fällen unterstützt der Deming-Kreis?
• Worin bestehen Inhalt und Ablauf der vier Schritte des PDCA-Zyklus?
• Welche Rollen gibt es bei der Verbesserungs-Kata und was sind deren Aufgaben?
Literatur 163

• Wie lauten die fünf festgelegten Fragen der Frageroutine im Rahmen der Verbesse-
rungs-Kata?
• Wie können Optimierungsschritte nachhaltig implementiert werden bzw. der
Zustand nachhaltig verbessert werden?

Literatur

Akers PA (2016) 2 second lean: how to grow people and build a fun lean culture at home & at
work, 3. Aufl. FastCap Press, Ferndale
Imai M (2001) Kaizen: Der Schlüssel zum Erfolg im Wettbewerb, 1. Aufl. Econ Ullstein, München
Ohno T (2013) Das Toyota-Produktionssystem, 3. Aufl. Campus, Frankfurt
Rother M (2009) Toyota kata: managing people for improvement, adaptiveness and superior
results. McGraw-Hill, New York
Rother M (2013) Die KATA des Weltmarktführers, 2. Aufl. Campus, Frankfurt
Schwarz T, Lindner AM (2016) Kata – Verbesserung zur Routine machen. In: Kamiske GF (Hrsg)
Hanser, München
Simon H (1993) Stein der Weisen – Lean Management: Vergleich Japan Deutschland. Manager
Magazin 2:134
Zollondz HD (2013) Grundlagen Lean Management – Einführung in Geschichte, Begriffe, Sys-
teme, Techniken sowie Gestaltungs- und Implementierungsansätze eines modernen Manage-
mentparadigmas. Oldenbourg, München
Produktionsbereich Montage
12

Be hard to process and soft to people. – Sei streng mit dem Prozess
und sanft zu den Menschen.
Spruch bei Toyota

Zusammenfassung
Bei der Optimierung von manuellen Montageprozessen unter den Gesichtspunkten
der schlanken Produktion ist das Thema Ergonomie an die erste Stelle zu setzen. Was
ergonomisch ist, ist auch optimal. Durch flexible Mitarbeitermontagesysteme wird auf
unterschiedliche Marktschwankungen flexibel reagiert. Die Produktivität der Mitar-
beiter wird auf gleich hohem Niveau gehalten.

Knalsch GmbH: Inflexibilität an den Montagestationen


„Perfekt, es schnurrt!“ Alsch lehnt sich zufrieden in seinen Schreibtischstuhl
zurück. „Ging eigentlich ganz einfach. Nur die Prozesse optimieren und schon
haben wir keine Probleme mehr.“
Aber: Die starren, inflexiblen Montagelinien machen der Knalsch GmbH bei
kurzfristigen Stückzahlschwankungen sehr zu schaffen. Die Linien sind für die
durch die Kunden geforderte schnelle Reaktionszeit zu unflexibel und damit nicht
rentabel. Die Investitionen für die Planung und die Fördertechnik waren in der
Vergangenheit sehr hoch. Das System scheint in die Jahre gekommen zu sein und
bezüglich der zunehmenden Marktschwankungen ist es zu inflexibel.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 165


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_12
166 12 Produktionsbereich Montage

„Wie können wir ein flexibleres System schaffen, welches zugleich kostengüns-
tiger wird? Außerdem sollten wir den Personalbedarf steuern können. Seit wir auf
die Vermeidung von Überproduktion achten, entstehen oft Wartezeiten bei den
Mitarbeitern. Diese Zeit müsste doch irgendwie sinnvoller genutzt werden kön-
nen“, sind seine Gedanken.

12.1 Manuelle Tätigkeiten

Manuelle Tätigkeiten sind verschwendungsfrei zu planen. Dabei können kleine Ideen


eine große Wirkung auf die Erhöhung der Wertschöpfung erzielen.
Der Ansatz heißt bei Toyota „One-Touch-Assembly“. Das Prinzip hat seine Wur-
zeln im Produktdesign (Kap. 17). Produkte und Prozesse sind so ausgelegt, dass mit nur
einem Handgriff das Produkt montiert werden kann. Etwas wiederholt am selben Teil
vorzunehmen, soll nicht vorkommen. Die Teile werden so ausgelegt, dass ein nachträgli-
ches Justieren, Einstellen oder Prüfen nicht mehr erforderlich ist.
Häufig ist das parallele Arbeiten mit beiden Händen nicht berücksichtigt. Müssen
zwei Montagetätigkeiten parallel durchgeführt werden, kann dies gleichzeitig erfolgen.
Wertschöpfende Zeiten werden parallelisiert. Die Wertschöpfung findet gleich zwei Mal
in derselben Zeit statt. Viele Methoden und Analysen berücksichtigen dies nicht und pla-
nen die Tätigkeiten seriell hintereinander.

Beispiel
Beispiele für das Parallelisieren von Tätigkeiten sind das Eindrehen von zwei Glüh-
birnen in die Innenbeleuchtung eines Fahrzeuges oder das Eindrücken von mehreren
Klips, von denen immer zwei gleichzeitig mit je einer Hand gefügt werden.

Ein weiteres wichtiges Prinzip ist das „Montagedreieck“ beim Montieren von Teilen an
einem Fließband. Nicht wertschöpfend, aber notwendig sind hierbei das Abgreifen von
Material an einem Regal und das Gehen zum Produkt. Damit die nicht wertschöpfen-
den Wege möglichst gering in die Zeit eingehen, wird der Weg analog einem Dreieck
geplant. Die Dreieckspitze ist die Position des Regals zum Materialabgriff, die beiden
Seiten entsprechen den Wegen vom und zum Regal. Die lange Seite des Dreiecks ist die
wertschöpfende Tätigkeit am Produkt (Abb. 12.1). Die Richtung in der sich der Werker
bewegt, ist am Produkt „von vorne nach hinten“, sodass das Produkt dem Monteur entge-
genkommt. Diese Laufrichtung reduziert unnötige Wege, im Vergleich zu dem Mitlaufen
in gleicher Richtung, in die das Produkt fließt.
12.2 Ergonomie 167

1. Materialabgriff 2. Montage 3. Rückkehr


am Regal der Teile zum Regal

Regal Regal Regal

Abb. 12.1  Montagedreieck

Beispiel
Um Wegezeiten zu reduzieren, werden Werkzeuge und Kleinteile vom Werker mit-
genommen. Hierzu haben sich offene Werkzeugkisten mit Fächern für Material und
Werkzeug bewährt. Diese lassen sich mit dem benötigten Material bestücken.
Die Optimierung zielt auf die Nutzung von Gürteltaschen, welche das Werkzeug
wie einen Revolver und die Kleinteile in kleinen Taschen aufnehmen. Der Vorteil ist
erkennbar. Die Hände sind frei für andere Teile und für das wertschöpfende Montie-
ren, statt für das notwendige, aber nicht wertschöpfende Herumtragen von Werkzeug-
kisten.

Es existieren viele kleine Lösungen für eine Optimierung in der Montage. Letztendlich
muss die Arbeitsstation immer situativ betrachtet werden. Optimierungsideen sind zu
adaptieren oder passend zu entwickeln. Die Analysemethoden der Prozessbeobachtung,
wie die Kreidekreismethode (Abschn. 3.7), bieten sich hierzu an.

12.2 Ergonomie

Das ergonomische Arbeiten ist eng mit dem Thema der Sicherheit und der Vermeidung
von Verschwendung verknüpft (Abschn. 3.3). Durch die demografische Entwicklung
spielt die Ergonomie im Bereich der manuellen Produktion eine immer wichtigere Rolle.

 Ergonomie Aus dem Griechischen: ergon (Arbeit) und nomos (Regel oder Gesetz).
Der Fokus liegt auf der Reduzierung von Belastungen und Überlastungen durch sich
wiederholende Prozessschritte bei manuellen Tätigkeiten. Dabei wird verstärkt, aber
nicht ausschließlich, auf ältere Mitarbeiter geachtet.

Manuelle Prozesse sind immer ergonomisch zu gestalten. Erzeugt eine ergonomische


Lösung hohe Kosten oder Verschwendung im Prozess, so ist etwas nicht ordnungsgemäß
abgelaufen, denn ergonomische Lösungen dürfen nicht teuer sein. Was ergonomisch ist,
168 12 Produktionsbereich Montage

ist auch Lean. Was Lean ist, ist auch ergonomisch. Werden Arbeitsplätze ergonomisch
richtig gestaltet, so sind sie zwangsläufig auch verschwendungsfrei und Lean. Jede unnö-
tige Bewegung ist nicht nur eine Verschwendung, sondern auch nicht ergonomisch.
In nach Lean-Prinzipien arbeitenden Unternehmen ist eine standardisierte Arbeit
die Basis für ergonomische Arbeitsplätze. Die Sicherheit der Mitarbeiter steht an erster
Stelle. Eine Bewertung der Ergonomie findet sehr detailliert statt. Das Thema Ergonomie
ist immer auch Bestandteil des Verbesserungsprozesses mit der Einbindung der betroffe-
nen Mitarbeiter.

Beispiel
Bei Toyota kann dies an den Falten, die ein Hemd wirft, erkannt werden. Die Mus-
keln unter dem Hemdstoff verhalten sich identisch zum Stoff darüber. Spannt es oder
wird es knittrig, so ist die Haltung nicht ergonomisch. Im extremsten Fall werden
Augenbewegungen und das Fokussieren von Schrift als nicht ergonomisch identi-
fiziert – stets mit dem Ziel, eine Verbesserung zu erreichen, welche ergonomischer,
verschwendungsfreier und Lean ist. Toyota geht aufgrund der hohen Standardisierung
sogar so weit, jede Bewegung mit einem entsprechenden Punktesystem zu bewerten,
um kritische Arbeitsstationen zu identifizieren. Die Zielwerte werden stetig gesteigert,
wie bei einer Krise, um sich ständig weiter zu verbessern.

Bewegung ist gesund und gut. Die Reduzierung von Laufwegen um 50 % (von z. B. vier
Kilometern pro Schicht auf zwei Kilometer pro Schicht) verringert aber eine erhebliche
Belastung und Verschwendung. Dies ist also kein Argument, auch wenn es gerne heran-
gezogen wird.
Arbeitsplätze mit schlechter Ergonomie sollten immer analysiert und verbessert wer-
den. Wenn die Durchführung einer Verbesserungsmaßnahme sich als schwierig erweist,
bietet sich die Möglichkeit einer Rotation über mehrere Arbeitsplätze an, um einen ent-
sprechenden Ausgleich zu schaffen. Primär sollte für derartige Prozesse immer nach
einer langfristigen ergonomischen Lösung gesucht werden.

Beispiel
Das Einsteigen zur Montage in ein Fahrzeug und die Tätigkeiten am Dachhimmel
sind meist ergonomisch schwierige Arbeitsvorgänge. Die Mitarbeiter von Toyota
haben im Rahmen von Kaizen selbst eine Lösung entwickelt. Das Ergebnis ist ein
Schwingsitz, mit dem sich der Monteur in das Fahrzeug hineinschwingen kann. Ein
einfaches Zurücklehnen mit Unterstützung des Rückens ist im Fahrzeug möglich,
sodass Arbeiten für den Schiebedacheinbau einfacher, schneller und ergonomischer
durchgeführt werden können. Das erforderliche Material befindet sich rechts und links
vom Sitz. Der Sitz nennt sich „Raku Raku“ und sieht sehr einfach aus (Abb. 12.2).
„Raku“ ist ein japanisches Wort und steht für gemütlich, bequem oder Erleichterung.
Erst als andere Unternehmen diesen Sitz für ihre Produktion nachgebaut haben, wurde
erkannt, welche Tüftelei und Raffinesse in dieser Optimierung steckt.
12.3 Flexibles Mitarbeitermontagesystem 169

Abb. 12.2  Darstellung eines Raku-Raku-Sitzes in einem Fabrikmodell von Toyota

Beispiel
Audi optimierte zwischen den Jahren 2007 und 2009 die Montage des Audi A3 in
Ingolstadt. Dabei wurden im Rahmen eines Optimierungsprozesses die Laufwege um
insgesamt 22.000 km, summiert über alle Montagemitarbeiter, reduziert. Ergonomi-
sche Lösungen wurden eingesetzt, wie ein speziell entwickelter ergonomischer Mon-
tagesitz (Raku Raku) für die Montage des Kopfairbags im Fahrzeuginnenraum. Dafür
erhielt Audi den Automotive Lean Production Award 2009 (Rumpelt 2009a, b).

12.3 Flexibles Mitarbeitermontagesystem

Die Problematik der Inflexibilität besteht bei ausgetakteten Montagelinien im schwan-


kenden Kundenbedarf. Bei einer Auslegung auf die maximale Nachfrage wird die ins-
tallierte Kapazität nur selten genutzt. Unsicher ist, ob die erwarteten Nachfragen auch
tatsächlich eintreten. Eine Lösung dafür ist die Kapazitätserweiterung durch flexible
Kapazitätsanpassung. Dies geschieht durch Arbeitszeitflexibilisierung, Überstunden oder
Sonderschichten. Weitere Alternativen sind Insourcing und Zeitarbeit oder Outsourcing
als verlängerte Werkbank.
Die Lean-Lösung ist das flexible Mitarbeitermontagesystem (FMS). Dadurch sind
Reaktionen auf verschiedene Nachfrageniveaus möglich und teure Investitionen für
eine Installation werden vermieden. Ein verringertes Investitionsrisiko ergibt sich durch
170 12 Produktionsbereich Montage

geringe Kosten für Maschinen und Anlagen sowie für freie Flächen und geringere
Bestände. Durch die Anpassung an schwankende Stückzahlen ergibt sich eine stückzahl-
proportionale Investition. Der Zellengedanke und die geringeren Investitionen ermögli-
chen Kapazitätssprünge durch den Aufbau weiterer Zellen.

 Flexibles Mitarbeitermontagesystem (FMS) Eine Produktionszelle, die in Form einer


U-Zelle aufgebaut ist. In einem FMS ist die Produktivität immer gleich, unabhängig
davon, wie viele Mitarbeiter im Einsatz sind. Dadurch ergibt sich eine Flexibilität bezüg-
lich der Ausbringung. Ein flexibles Mitarbeitermontagesystem kann an verschiedene
Nachfrageniveaus angepasst werden, um in jeder Nachfragesituation mit optimaler Mit-
arbeiterproduktivität produzieren zu können. Die Bezeichnung im englischen lautet „Fle-
xible Manpower System“ und im japanischen „Chaku Chaku“ (jap. für „laden, laden“).

Das FMS eignet sich für Teile mit einer Größe und einem Gewicht, die in der Regel
durch die Mitarbeiter noch selbst gehandhabt werden können bzw. über eine Vorrichtung
weitergeschoben werden können. Durch den Materialfluss in Form eines „U“ befinden
sich der Anfang und das Ende der Prozesskette jeweils am selben Punkt. Wird ein Teil
fertiggestellt, so wird ein neues Teil eingeschleust. Innerhalb der Linie wechseln die
Teile im Takt die Arbeitsstationen. Der Standardumlaufbestand an Teilen bleibt in der
Zelle gleich, und es findet ohne Push und Pull ein Ein-Stück-Fluss statt (Tab. 12.1).
Die Skalierbarkeit einer solchen Zelle ergibt sich durch verschiedene Möglichkeiten
(Abb. 12.3). Wie bei jeder Produktion kann eine Flexibilität durch andere Arbeitszeitmo-
delle erzeugt werden. Das FMS kann auch einfach multipliziert werden, da die einfachen
U-Zellen ohne große Investitionen mit verhältnismäßig wenig Platzaufwand realisiert
werden können. Die interessanteste Skalierbarkeit erfolgt bei einem FMS über die
Anzahl der eingesetzten Mitarbeiter. So kann das FMS von einem einzelnen Mitarbei-
ter betrieben werden, der den gesamten Ablauf mit einem Produkt komplett durchläuft.
Oder es ist bis zur maximalen Ausbringung jede Station besetzt, um den maximalen Out-
put zu erreichen.
Das System ist an der Mitarbeiterproduktivität ausgerichtet. Diese bleibt immer gleich.
Denn ob ein Mitarbeiter ein Produkt fertigt oder vier Mitarbeiter in der gleichen Zeit vier
Stück fertigen, die Produktivität verändert sich nicht (Abb. 12.4). Ein Unterschied ergibt

Tab. 12.1  Vorteile und Wirkungen eines flexiblen Mitarbeitermontagesystems


Vorteile Wirkungen
Vermeidung von Überproduktion Weniger Umlaufbestände, weniger Fläche, weniger Handling
Geglättete Produktion Bessere Kapazitätsausnutzung
Geglätteter Materialfluss Definierte Durchlaufzeit
Standardvorgehensweise Basis für Verbesserungen
Flexibler Einsatz Reaktion auf schwankenden Kundenbedarf
12.3 Flexibles Mitarbeitermontagesystem 171

Stück/Tag 1 Mitarbeiter 2 Mitarbeiter 4 Mitarbeiter

6.000
5.040
5.000

3.840
4.000
3.360

3.000
2.520
1.680 1.920 1.680 1.920
2.000
1.260
840 960 840 960
1.000 480
420

0
eine Schicht eine Schicht zwei Schichten zwei Schichten drei Schichten
und eine Stunde und eine Stunde

Abb. 12.3  Möglichkeiten zur Steuerung der Kapazität

1 1 2 1 2 3 1 2 3 4

Taktzeit: Taktzeit: Taktzeit: Taktzeit:


60 Sekunden, 30 Sekunden, 20 Sekunden, 15 Sekunden,
ein Mitarbeiter zwei Mitarbeiter drei Mitarbeiter vier Mitarbeiter

60 Stück je 60 Stück je 60 Stück je 60 Stück je


Mitarbeiter/Stunde Mitarbeiter/Stunde Mitarbeiter/Stunde Mitarbeiter/Stunde

Abb. 12.4  Flexibilität durch unterschiedlichen Mitarbeitereinsatz bei gleicher Produktivität

sich im Umfang der Tätigkeit. Ein einzelner Mitarbeiter bearbeitet den gesamten Monta-
geumfang selbstständig. Bei mehreren Mitarbeitern werden die Arbeitsschritte auf- und
eingeteilt. In der Vollbelegung ist an jeder Station eine Person tätig.
Der Ablauf kann der sogenannten „Hasenjagd“ folgen, bei der alle Mitarbeiter in der
Zelle hintereinander herlaufen und jeder ein eigenes Produkt fertigt. Da aber Laufwege
Verschwendung sind, wird die Tätigkeit bei mehreren Mitarbeitern aufgeteilt. Es gibt
Übergabepunkte, wie bei einem Staffellauf. Bei diesem Ablaufprinzip finden weniger
172 12 Produktionsbereich Montage

Laufwege statt und die Produktqualität wird nach dem Mehraugenprinzip sichergestellt.
Der Ablauf erfolgt in der Regel gegen den Uhrzeigersinn, damit Rechtshänder das Pro-
dukt mit der rechten Hand weiterschieben können.
Der Ansatz des FMS wird auch für die Arbeit an Anlagen genutzt. Statt einzelne Ein-
leger an verteilten Maschinen oder Förderbänder zwischen den Anlagen einzusetzen,
belädt und transportiert der Mitarbeiter die Teile in der U-Zelle. Daher auch der japani-
sche Begriff „Chaku Chaku“ für „laden, laden“. Nach dem Einlegen startet der Mitarbei-
ter die Maschine und nimmt das fertige Teil zur nächsten Maschine mit. Er legt dieses
dort ein. Danach erfolgt das Starten der Bearbeitung. Diese Schritte setzen sich wieder-
holend fort. Die Besonderheit liegt im Umdenken beim Mitarbeitereinsatz. Während
klassische Maschinen mit möglichst wenig Stillstandzeit laufen sollen und der Mitarbei-
ter davor wartet (Verschwendung) wird dieses Prinzip getauscht, denn im FMS wartet
die Maschine mit dem beendeten Prozess auf den Menschen.
Die Austaktung eines FMS mit unterschiedlichen Mitarbeiterzahlen und die Berück-
sichtigung der Trennung von Mensch und Maschine lassen sich in der Standard-
Arbeitskombinationstabelle (SAKT) planen (Abb. 12.5). Die englische Bezeichnung
lautet „Standard Operations Routine Sheet“. Takeda (2012, S. 132) nennt es Arbeits-
verteilungsblatt. Die Standard-Arbeitskombinationstabelle bringt die Stationen und den
zeitlichen Ablauf in eine Tabellenform. Wegezeiten sind beim Wechsel von Station zu
Station (Zeile zu Zeile) berücksichtigt. Maschinenzeiten sind ersichtlich, wenn die Zyk-
luszeit der Maschine nach Verlassen der Station fortgeschrieben wird. So kann in der
Planung auch überprüft werden, ob die Maschine den Arbeitsschritt beendet hat, bevor
der Mitarbeiter wieder an die Station kommt.
Weitere manuelle Tätigkeiten, wie Sichtprüfungen oder das Fügen von Teilen, sind
ebenso integrierbar und zum Teil auch auf dem Weg zur nächsten Station möglich. Der
als Verschwendung angesehene Weg und der Transport werden somit zur wertschöpfen-
den Zeit.

Vorgangszeit
Nr. Arbeitsvorgang man. auto. Weg 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
1 Arbeitsvorgang 1 6 4
2 Arbeitsvorgang 2 8 60 2
3 Arbeitsvorgang 3 6 50 4
4 Arbeitsvorgang 4 8 2
5 Arbeitsvorgang 5 16 40 4
6 Arbeitsvorgang 6 7 3
7 Arbeitsvorgang 7 5 5

Abb. 12.5  Beispiel für eine Standard-Arbeitskombinationstabelle (SAKT)


12.4 Flexibler Mitarbeitereinsatz 173

Routenzug

Materialnachlieferung
Supermarkt
von außen

Milkrun Kanban

Abb. 12.6  Layout eines flexiblen Mitarbeitermontagesystems mit Logistikversorgung. (Nach


Hartmann 2008, S. 58)

Die Materialversorgung übernimmt ein Logistiker. Man benennt ihn nach dem japani-
schen Taumelkäfer „Mizusumashi“. Der Taumelkäfer repräsentiert die Eigenschaften des
Logistikers, denn der Käfer läuft auf der Wasseroberfläche und bewegt sich dabei schnell
kreisend mit einem hohen Wirkungsgrad. Das bedeutet, dass die Materialzuführung von
außen, um die Zelle herum, nach innen erfolgt. Dadurch sind Produktfluss- und Materi-
alflusslogistik voneinander getrennt. Die Versorgung funktioniert nach dem Pull-Prinzip
und durch einen nahe gelegenen Supermarkt (Abb. 12.6) (Hartmann 2008, S. 56 ff.).
Für die Planung eines FMS gibt es neben der SAKT weitere Planungs- und Gestal-
tungsprinzipien. Diese sind:

• Standardisierter Umlaufbestand
• Schmale und tiefe Anlagen
• Fokus auf Ergonomie
• Materialversorgung von außen
• Maschine wartet auf Mensch
• Vorderseiten der Maschinen in einer Flucht
• Eigenbauten und geringe Investitionen.

Eine ausführlichere Beschreibung dieser Gestaltungsprinzipien in der Planung folgt


in einem späteren Kapitel im Rahmen von Lean Engineering (Abschn. 19.1). Für eine
schlanke Planungsvorgehensweise eignet sich bei einem FMS die Methodik Cardboard-
Engineering (Abschn. 19.3).

12.4 Flexibler Mitarbeitereinsatz

Das FMS und jede flexible Montage hängen vom jeweiligen Arbeitszeitmodell ab. Der
Einsatz unterschiedlicher Schichtmodelle, Zeitkonten für Mehr- und Minderarbeit sowie
passende Lohnsysteme sind die Voraussetzung für den flexiblen Mitarbeitereinsatz.
174 12 Produktionsbereich Montage

Ein passendes Arbeitszeitmodell ist nur eine Grundlage. Bei der Einführung von
FMS steigen die Anforderungen an die Mitarbeiter. Wichtig sind hierfür die Ausbildung
und Fähigkeiten der Mitarbeiter. Sie müssen in verschiedenen Zellen, also für verschie-
dene Produkte, arbeiten können. Im Falle einer niedrigen Auslastung muss der gesamte
Arbeitsumfang eines Produktes von der Einzelstation bis zum kompletten Produktum-
fang im Takt beherrscht werden. In einer optimierten Fabrik beherrscht idealerweise
jeder Mitarbeiter jedes Produkt an jeder Station.
Die Anforderungen an die Mitarbeiter sind hoch. Eine entsprechende Qualifizierung
mit Qualifizierungsplanung und der Dokumentation von Fähigkeiten sind hierfür not-
wendig. Unternehmen benötigen flexible Möglichkeiten bei der Personalsteuerung. Dies
bedingt auch die Verfügbarkeit von Mitarbeitern auf Abruf, wie es beispielsweise der
Elektrowerkzeughersteller Festool praktiziert (Regber und Zimmermann 2007, S. 331).

12.5 Expertenfragen

Die folgenden Fragen sind im Themenfeld manuelle Tätigkeiten und Ergonomie


relevant
• Sind Maßnahmen zur Steigerung der Ergonomie verschwendungsneutral umgesetzt?
• Sind Arbeitsplätze und Prozesse für alle Mitarbeiter nutzbar?
• Gibt es Arbeitsplätze, die für unterschiedliche Einsatzeinschränkungen nutzbar sind?
• Sind alle Prozesse frei von Belastungen für Mitarbeiter und Umwelt?
• Sind Arbeitshöhen passend?
• Sind Tätigkeiten so gestaltet, dass diese nicht monoton, wiederholt oder ermüdend sind?
• Sind Werkzeuge, Schalter, Griffe usw. leicht erreichbar?
• Liegen Hauptarbeitsschritte außerhalb einer Reichweite von 60 oder 90 cm?
• Sind nur leichte Lasten zu heben?

Folgende Fragen sind im Themenfeld flexibles Mitarbeitermontagesystem zu beant-


worten
• Sind die Montagearbeitsplätze flexibel, um mit Schwankungen umgehen zu können?
• Können Montagezellen schnell gedoppelt werden?
• Sind starre Verkettungen, wie beispielsweise Förderbänder, welche die Ware zu
Arbeitsstationen bringen, vermieden?

12.6 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Produktionsbereich Montage


• Manuelle Tätigkeiten sind verschwendungsfrei und ergonomisch zu planen.
Arbeitsplätze sollten so ausgelegt sein, dass Teile mit einem Handgriff montiert
werden können.
12.6 Zusammenfassung 175

• Montagetätigkeiten können parallel mit beiden Händen durchgeführt werden.


Wertschöpfung findet so zwei Mal in derselben Zeit statt. Die Nutzung von Gür-
teltaschen, welche Werkzeuge und Kleinteile aufnehmen, ermöglichen freie Hände
für das wertschöpfende Montieren.
• Die Ergonomie legt den Fokus auf die Reduzierung von Belastungen und Überlas-
tungen durch sich wiederholende, manuelle Tätigkeiten. Die Absicherung erfolgt
durch die Standardisierung. Dies schafft Sicherheit.
• Toyota bewertet Bewegungen mit einem Punktesystem um kritische Arbeitsplätze
zu identifizieren. Falls Arbeitsplätze mit einer schlechten Ergonomie nicht ver-
meidbar sind, bietet sich die Möglichkeit der Rotation an.
• Beim flexiblen Mitarbeitermontagesystem ist die Produktivität immer gleich,
unabhängig davon, wie viele Mitarbeiter in der Produktionszelle arbeiten. Die Ska-
lierbarkeit ergibt sich durch Arbeitszeitmodelle und die Anzahl der eingesetzten
Mitarbeiter. Flexible Mitarbeitermontagesysteme unterstützen den Lean-Gedan-
ken und können auf Schwankungen flexibel reagieren. Das Grundprinzip ist die
U-Zelle.
• Bei der Nutzung einer flexiblen Mitarbeitermontagezelle mit einem Mitarbeiter
durchläuft dieser die komplette Prozesskette in der Zelle mit allen Tätigkeiten. Bei
der Nutzung mit mehreren Mitarbeitern sind die Übergabepunkte definiert. Dies
spart Wege und somit Verschwendungen.
• Die Standard-Arbeitskombinationstabelle bringt die Stationen und den zeitlichen
Ablauf in eine Tabellenform.
• Die Aufgabe der Logistik ist die Materialzuführung von außerhalb der Zelle nach
innen.
• Planungs- und Gestaltungsprinzipien für ein flexibles Mitarbeitermontagesystem
sind die Standard-Arbeitskombinationstabelle, der standardisierte Umlaufbestand,
schmale und tiefe Anlagen, der Fokus auf Ergonomie, die Materialversorgung von
außen, das Warten der Maschine auf den Menschen, die Vorderseiten der Maschi-
nen in einer Flucht auszurichten sowie Eigenbauten mit geringen Investitionen.
• Bei der Einführung von flexiblen Mitarbeitermontagesystemen steigen die Anfor-
derungen an die Mitarbeiter. Sie müssen in verschiedenen Zellen mit verschie-
denen Produkten arbeiten können und den gesamten Arbeitsumfang, von der
Einzelstation, bis zum kompletten Produktumfang, im Takt beherrschen.

Fragen
• Wie läuft das Montieren nach dem One-Touch-Assembly-Prinzip ab?
• Was versteht man unter dem Montagedreieck?
• Können Ergonomie und Lean gleichgesetzt werden?
• Welche Lösungen können genutzt werden, um flexible Kapazitätsanpassungen zu
ermöglichen?
176 12 Produktionsbereich Montage

• Was sind die Vorteile eines flexiblen Mitarbeitermontagesystems und dessen Wir-
kung?
• Wie kann der Ansatz des FMS auf die Anlagennutzung übertragen werden?
• Wie lautet die Voraussetzung für den flexiblen Mitarbeitereinsatz?

Literatur

Hartmann T (2008) Bestände sind böse: Produktion als strategische Waffe – Ein Arbeitsbuch für
Unternehmer, 2. Aufl. Unternehmer Medien, Bonn
Regber H, Zimmermann K (2007) Change Management in der Produktion – Prozesse effizient ver-
bessern im Team, 2. Aufl. mi, Landsberg
Rumpelt T (2009a) Gewappnet für ungewisse Zeiten. Automobil-Prod 10:26–28
Rumpelt T (2009b) „Lean“ besser durch die Krise? Automobil-Prod 12:20–21
Takeda H (2012) Das synchrone Produktionssystem – Just-in-time für das ganze Unternehmen,
7. Aufl. Vahlen, München
Produktionsbereich Fertigung
13

Reinigen ist Prüfen.


Hitoshi Takeda

Zusammenfassung
In automatisierten Fertigungsbereichen spielt die Gesamtanlageneffektivität (OEE)
eine zentrale Rolle, um Verluste und Verschwendungen zu identifizieren. Schnelles
Rüsten ist ein Stellhebel, um Losgrößen zu reduzieren oder die Stückzahlausbringung
zu erhöhen. Für das neue Thema Industrie 4.0 ist Lean die Basis. Verschwendungen
sind zu eliminieren, bevor Prozesse automatisiert und digitalisiert werden.

Knalsch GmbH: Anlagen


„Schön und gut ist das mit der Losgrößenreduzierung“, sagt Herr Alsch. „Aber
unser Meister an den Pressenanlagen, Hubert Erhard, sagt, das geht nicht, denn
dann müssten wir viel häufiger die Maschinen umrüsten und das dauert zu lange.
Dann kommen letztendlich keine Teile mehr aus dem Pressenbereich heraus.“
Susanne Moos, die Leiterin der Planung, sagt: „Und außerdem bringen die Fer-
tigungsanlagen gar nicht den Output, wie wir ihn damals beim Hersteller definiert
haben. Der Anlagenhersteller erklärt, es sei alles in Ordnung, ihn würde keine
Schuld treffen. Die Dimensionierung stimme mit den Anforderungen überein.“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 177


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_13
178 13 Produktionsbereich Fertigung

13.1 Automatisierung

Die Automatisierung von Prozessabläufen wird bei monotoner und schwieriger Arbeit
eingesetzt. Auch wenn Genauigkeit gefordert wird, unterstützen Maschinen und Anla-
gen den Menschen. Eine Automatisierung von Tätigkeiten bietet sich bei geringer Pro-
duktvarianz und geringen Mengenschwankungen an. Eine hohe Varianz am Produkt führt
zu Variabilität und vielen Rüstvorgängen an den Maschinen und Anlagen. Bei größeren
Stückzahlschwankungen durch den Kunden sind Maschinen nicht ausgelastet oder die
maximal mögliche Ausbringung wird überschritten.
Verschiedene Organisationen und Bereiche verfolgen unterschiedliche Interessen
beim Kauf einer Maschine (Tab. 13.1). Je größer die Organisation, umso diffuser wird
die notwendige Klarheit für die eigentliche Produktionsaufgabe.
Maschinen sind unflexibel und teuer, auch wenn mit ihnen Personalkosten eingespart
werden können. Hinzu kommt das Problem der reduzierten Verfügbarkeit bei Störungen
für Wartung und Instandhaltung. Für das Rüsten werden speziell ausgebildete Experten
benötigt. Die Problematik liegt im Wesentlichen in der Komplexität, welche Maschinen
mit sich bringen, um einfache Aufgaben abzuarbeiten. Der Mensch ist flexibel und für
anspruchsvolle, schwierige und komplexe Aufgaben eine bessere Lösung.
Tab. 13.2 zeigt ein Stufenmodell in Anlehnung an die Denkweise von Takeda (2006),
um manuelle Tätigkeiten auf automatisierte Abläufe umzustellen. Der sogenannte „große
Graben“ liegt zwischen den Stufen drei und vier (Rother und Harris 2006, S. 38 ff.). Das
System wechselt von einem manuellen zu einem teureren automatisierten Arbeitssystem.
Bei Maschinen und Anlagen sind Verschwendungen, Variabilität und Inflexibilität zu
vermeiden. Bevor ein Prozess automatisiert wird, ist die Verschwendung zu eliminieren.
Ansonsten werden die Verschwendungen mitautomatisiert.
Ein Engpass (Abschn. 6.1) zeigt sich bei der Automatisierung als ein Problem. Eng-
pässe sind bei Maschinen nur mit einem sehr hohen Aufwand zu eliminieren. Eine Pro-
duktion im Fluss ist in der Planungsphase sehr genau zu spezifizieren.
Ein verlorener Takt ist nicht wieder aufholbar. Ein Prozesstakt für ein einzelnes Teil,
das vor oder durch einen Engpass verloren geht, kann nicht mehr aufgeholt werden.

Tab. 13.1  Unterschiedliche Interessenlage beim Maschinenkauf


Organisationen bzw. Bereiche Interessen
Anlagenhersteller Viele Komponenten verkaufen, Profit erzielen
Finanzen Minimale Kosten bei Anschaffung und Betrieb
Controlling Budgeteinhaltung (keine Überschreitung, keine Unterschreitung)
Einkauf Favorisierter Zulieferer, Nachlass
Planung Technologie, Komplexität
Produktion Zuverlässigkeit (Verfügbarkeit, Qualität)
Instandhaltung Einfach zu reparieren und zu warten
13.1 Automatisierung 179

Tab. 13.2  Stufen der Umstellung von manueller Tätigkeit auf Automatisierung. (Nach Rother
und Harris 2006, S. 38)
Stufe Beladen Betreiben Entladen Werkstücktransfer
1 Manuell Manuell Manuell Manuell
2 Manuell Automatisch Manuell Manuell
3 Manuell Automatisch Automatisch Manuell
4 Automatisch Automatisch Automatisch Manuell
5 Automatisch Automatisch Automatisch Automatisch

Auch, wenn andere Maschinen vor dem Prozess mehr Teile produzieren, so ist die Zeit
nach dem Engpass bereits unaufholbar verloren gegangen. Das Gleiche gilt für Produkte,
welche noch ein zweites Mal durch den Prozess geschleust werden müssen. Die Teile
müssen erneut den Prozess durchlaufen und ein anderes Teil hat dafür zu warten. Die
Prozesse nach dem Engpass müssen ebenso auf das Teil warten. Die Folge ist, dass Kun-
denaufträge mit der gleichen Verzögerungszeit später fertig gestellt werden, wie die Zeit,
die am Engpass für die verlorenen Prozesstakte benötigt wurde. Das Ausbringungspro-
blem des Engpasses entspricht dem der gesamten Linie.

Beispiel
Die Komplexität von Anlagensystemen sowie Unwissenheit bei der Maschinenaus-
taktung und dem fehlenden Flussgedanken in der Anlagenplanung zeigt das folgende
Engpass-Phänomen. Es ist eine Falle, in die immer wieder hineingetreten wird.
Die Konstellation wird beschrieben durch eine Maschine, welche die Teile im
Kundentakt ausbringt. Die auf den Prozess folgende Maschine arbeitet nach dem
Transferprinzip, indem sie mehrere Teile über mehrere Stationen weiterfördert. Das
besondere an einer solchen Anlage ist, dass der Takt immer zu einem festgelegten
Zeitpunkt beginnt und nicht dann, wenn ein Teil auf der Zulieferstrecke bereitliegt
und wartet. Beide Maschinen sind mit einem Förderband verbunden, doch dies spielt
nicht zwingend eine Rolle.
Kommt in dieser Konstellation hinzu, dass die zweite Maschine schneller läuft als
der Linientakt, so wird diese trotz höherer Geschwindigkeit zum Engpass. Die ver-
breitete Meinung ist, dass eine schnellere Maschine im Prozess bei Störungen Teile
schneller abarbeiten oder Teile schneller durchschleusen kann. Dies ergibt sich in der
Planung und der Optimierung, denn ein schnellerer Takt sei von Vorteil, so die weit-
läufige Meinung.
Unabhängig davon, dass die Maschine die Teile zum nächsten Prozess pusht, liegt
das Problem bei der Materialaufnahme in dem Maschinenprozess. Dadurch, dass die
Anlage etwas schneller läuft als die Teile, die bei ihr ankommen, und der Takt bereits
begonnen hat, bevor das Teil an der Maschine angekommen ist, geht ein Takt ohne
ein Teil (Leertakt) durch die gesamte Anlage. Das Teil kommt aufgrund der höheren
180 13 Produktionsbereich Fertigung

Geschwindigkeit zu spät an, um noch rechtzeitig bearbeitet zu werden. Es wartet auf


den nächsten Takt. Der kleine Stau wird durch die beschleunigte Maschine nach einer
Weile wieder eingeholt und abgearbeitet, bis der Bereich wieder frei ist. Dann ent-
steht das Problem erneut, wenn ein neues Teil im Vergleich zum schnellen Takt an der
Maschine zu spät ankommt. Wieder geht ein Takt verloren.
Das Einbremsen der Maschine auf den Linientakt, auch wenn dies paradox klin-
gen mag, kann das Problem lösen. Wenn ein Busfahrer vor der Abfahrtszeit abfährt,
wird der pünktliche Fahrgast nicht mehr mitgenommen. Sein Platz bleibt frei und er
nimmt den Platz eines anderen im nächsten Bus, den ein anderer Fahrgast nicht neh-
men kann. Das ganze verschiebt sich solange, bis wieder ein pünktlicher Bus fährt.

Diese Konstellationen können nur durch lange Prozessanalysen oder Simulationen


erkannt und berücksichtigt werden. Problemlos sind Prozessketten, welche nach der Vor-
gehensweise des Flussprinzips und der Austaktung geplant und betrieben werden.
Bei der Fördertechnik zwischen Maschinen ist auf die Automatisierung zu achten.
Der Materialtransport ist, wie bekannt, eine Verschwendung. Der Einsatz von Förder-
bändern oder Robotern ist eine teure und statische Installation unnötiger Transportarbeit.
Nach Umsetzung des Flussprinzips und eines Layouts mit kurzen Wegen (Abschn. 5.2)
ist eine Prozessanpassung sinnvoll. Statt einer Umsetzung mit Automatisierungstechnik
ist über Low-Cost-Lösungen nachzudenken (Kap. 20). Rutschen nach dem Schwerkraft-
prinzip sind in der Anschaffung günstiger und benötigen im Vergleich zu Förderbändern
weder Energie noch Wartung.

Beispiel
Automatisierungslösungen ergeben sich in der Unterstützung des Menschen bei der
Kommissionierung. Um Fehler bei Menge oder Produkt zu vermeiden, werden Sys-
teme nach dem Prinzip Pick-to-Light eingesetzt. Dadurch wird die Menge am Regal
angezeigt und die Entnahme wird automatisch oder manuell quittiert. Ein fehlerhaf-
tes Abgreifen wird durch diese Poka-Yoke-Lösung ausgeschlossen. Solche Systeme
haben aber ihren Preis.

13.2 Gesamtanlageneffektivität

Die vielen Einflussfaktoren einer Anlage auf ihre Produktivität werden unter dem Über-
begriff der Gesamtanlageneffektivität zusammengefasst.

 Produktivität Verhältnisgröße, die sich am ökonomischen Prinzip und an der Zeit-


messung orientiert. Es wird die Produktivität der Arbeit betrachtet. Produktivität ist das
Verhältnis zwischen Effizienz und Effektivität, dies bedeutet einen Output ohne Verluste
und Verschwendungen.
13.2 Gesamtanlageneffektivität 181

Die Produktivität an Anlagen wird durch die bekannten Verschwendungen (Abschn. 3.4)
und Verluste gehemmt. In die Kategorie der Verluste gehört die reduzierte Anlagennut-
zung und die reduzierte Anlageneffektivität. Zur Erhöhung der Produktivität sind die
Stellhebel zu identifizieren und zu verbessern.
Zur Messung der Gesamtanlageneffektivität wird die Kennzahl OEE eingesetzt. Theo-
retisch ist die OEE auch als Kennzahl bei Montagelinien einsetzbar.

 Overall Equipment Effectiveness (OEE) Kennzahl, welche die Gesamtanlageneffekti-


vität (GAE) beschreibt. Mit der OEE können Maschinen und Anlagen auf ihre Produkti-
vität hin gemessen und analysiert werden.

Bei der OEE wird ausschließlich die Anzahl an Gutteilen (Geradeausläufern,


Abschn. 9.1) im Verhältnis zur möglichen Kapazität in der geplanten Arbeitszeit betrach-
tet. Sämtliche Effektivitätsverluste werden transparent und bieten Ansatzpunkte für Ver-
besserungen. Es werden vier Arten von Effektivitätsverlusten unterschieden, wovon drei
in die Kennzahl OEE eingehen: Nutzungsverluste, Verfügbarkeitsverluste, Leistungsver-
luste und Qualitätsverluste.
Nutzungsverluste gehen nicht in die OEE ein. Ein Verlust der Nutzungszeit sind die
geplanten Stillstandzeiten einer Anlage, in der keine Produktion vorgesehen ist. Dies
ist der Fall, wenn die Anlage nicht belegt ist, sowie bei Pausen, Betriebsversammlun-
gen oder Streik. Auch geplante Wartungen und Instandhaltungen gehören dazu. Nut-
zungsverluste werden über den Nutzungsfaktor berechnet, dem Verhältnis der möglichen
Betriebszeit zur Maximalzeit von 24 h je Tag (Gl. 13.1). Die Berechnung ist anstatt mit
der Zeit ebenso mit der Menge an Teilen während der entsprechenden Zeit möglich.

Betriebszeit
Nutzungsfaktor = (13.1)
24 h
Die Verfügbarkeit einer Anlage hängt von Stillständen ab. Der Verfügbarkeitsfaktor
identifiziert Themen, in denen die Anlage aus technischen Gründen nicht zur Verfügung
steht. Dies können z. B. Zeiten für Einstellarbeiten, Werkzeugwechsel und Rüsten sein
sowie für Ausfälle und Störungen (Bicheno und Holweg 2009, S. 90). Die Berechnung
erfolgt durch das Verhältnis der Produktionszeit zur möglichen Betriebszeit (Gl. 13.2).
Produktionszeit
Verfügbarkeitsfaktor = (13.2)
Betriebszeit
Leistungsverluste ergeben sich durch die Nichtnutzung einer verfügbaren Anlage. Diese
können durch Kurzstillstände, Leerlauf, Anfahren, Auslauf oder einen Produktion mit
reduzierter Geschwindigkeit entstehen. Die erbrachte Leistung in Form der erreichten
Produktionsmenge während der Produktionszeit (Produzierte Teile) wird der in der Pro-
duktionszeit möglichen Menge (Soll-Leistung) gegenübergestellt und ergibt den Leis-
tungsfaktor (Gl. 13.3).
182 13 Produktionsbereich Fertigung

Produzierte Teile Genutzte Produktionszeit


Leistungsfaktor = = (13.3)
Soll-Leistung in der Produktionszeit Produktionszeit

Als drittes folgen die Qualitätsverluste, welche mit dem Verhältnis der fehlerfreien Gut-
stückzahl zur Gesamtausbringung (Ist-Leistung) berechnet werden. Dabei werden die
fehlerhaft produzierten Teile berücksichtigt, welche Ausschuss sind oder in die Nachar-
beit gehen. Dies wird als Qualitätsfaktor berechnet (Gl. 13.4).
Gutstückzahl
Qualitätsfaktor = (13.4)
Produzierte Teile
Die OEE wird durch die Multiplikation der Faktoren für die Verfügbarkeit, Leistung und
Qualität berechnet (Gl. 13.5).
OEE = Verfügbarkeitsfaktor · Leistungsktor · Qualitätsfaktor (13.5)
Alternativ führt eine Berechnung über den Quotienten aus Gutstückzahl und der in der
Betriebszeit möglichen Teile zum Ziel (Gl. 13.6).

Gutstückzahl
OEE = 
(13.6)

Betriebszeit
Zykluszeit

Beispiel
Durch die Multiplikation der drei Faktoren fällt die OEE auf einen niedrigen Effek-
tivitätswert. Z. B. ergibt sich bei einem Verfügbarkeitsfaktor von 90 %, einem Leis-
tungsfaktor von 95 % und einem Qualitätsfaktor von 97 % eine OEE von weniger als
83 % (Gl. 13.7).
OEE = 0,9 · 0,95 · 0,97 ≈ 0,829 = 82,9% (13.7)
Sehr gute Werte für die OEE liegen bei 85 % und darüber. Der durchschnittliche Wert
für die OEE liegt bei nicht optimierten Maschinen bei 60 %.
Eine ausführliche Rechenaufgabe zur OEE ist in der Zusammenfassung dieses
Kapitels zu finden (Abschn. 13.7).

Um die erforderlichen Stückzahlen zu erreichen, wird mit einer längeren Betriebszeit


gearbeitet oder es werden weitere ineffiziente Kapazitäten in Form von weiteren bereit-
gestellten Maschinen genutzt. An der OEE ändert dies jedoch nichts.
Die OEE kann durch Optimierungsmaßnahmen erhöht werden. Alle drei Faktoren
sind hierbei mögliche Stellhebel mit unterschiedlichen Maßnahmen. Verfügbarkeitsver-
luste können durch eine gute Instandhaltung sowie Maschinenbetreuung verbessert wer-
den (Abschn. 13.3), da weniger ungeplante Störungen auftreten. Ebenso wirkt sich das
schnelle Rüsten (Abschn. 13.4) sehr positiv aus. Die Verbesserung des Leistungsfaktors
kann durch organisatorische Maßnahmen, wie die Materialbelieferung oder schnelle
Reaktion auf Abweichungen, erfolgen. Bei Qualitätsverlusten können Maßnahmen aus
13.3 Total Productive Maintenance 183

dem Themenfeld Jidoka (Abschn. 9.2) und Poka Yoke (Abschn. 9.3) wirken. Eine ganz-
heitliche Anlagenbetreuung (Abschn. 13.3) führt zu einer besseren Qualität.

Beispiel
Eine mögliche Maßnahme zur Stückzahlsteigerung abseits der OEE ist der Gedanke,
Anlagen während der Pausen nicht abzustellen, sondern durchlaufen zu lassen. Muss
ein Bediener in der Nähe sein, wenn die Anlage sowieso bei einer Störung anhalten
würde? Es ist eine Frage der Gewohnheit und Organisation. Genauso wie die Über-
legung, ob alle Anlagenbediener gleichzeitig in die Pause gehen müssen oder immer
jemand vor Ort ist.

13.3 Total Productive Maintenance

Viele Probleme und Störungen an Maschinen und Anlagen lassen sich durch eine vor-
beugende Wartung und Instandhaltung nach Standard lösen. Wie bei einem Fahrzeug
auch, geht es um notwendige Wartungszyklen und Inspektionen, um es funktionstüchtig
zu halten. Und zwischen den Inspektionen sind ebenso kleinere Reinigungen und Pfle-
getätigkeiten notwendig. Werden alle Maßnahmen vernachlässigt, gibt es Störungen und
Ausfälle.

 Total Productive Maintenance (TPM) Der ganzheitliche Ansatz zur Vermeidung von
Verschwendung und Verlusten an Anlagen. Es hat sich aus der vorbeugenden Instandhal-
tung als Basis entwickelt. Unterschiedliche Stufen der Umsetzung können erreicht wer-
den. Der deutsche Begriff lautet Ganzheitliche Anlagenbetreuung (GAB).

Die Ziele von TPM verfolgen eine hohe Qualität und Produktivität bei Anlagen und wer-
den im Folgenden aufgezählt:

• Mitarbeitermotivation durch Identifikation und zugeordnete Verantwortlichkeiten


• Reduzierung der Verlustzeiten
• Präventivmaßnahmen statt Störfallbeseitigung
• Steigerung der Lieferantenqualität
• Steigerung der Laufzeiten
• Steigerung der Qualität
• Steigerung der Produktivität

Die Implementierung von TPM folgt einem Stufenmodell, das die notwendigen
Schritte durchläuft (Abb. 13.1). Begonnen wird mit dem strukturierten Aufräumen nach
der 5 S-Methodik (Abschn. 10.2) und anschließend steigert sich das Vorgehen in der
Verbesserung bis zu organisatorischen und kulturellen Maßnahmen. Die ehrliche und
184 13 Produktionsbereich Fertigung

Stufe 7 Autonome Planung des Instandhaltungsprogramms

Autonome Erfassung zeitaufwendige und


Stufe 6
spezielle Instandhaltungsmaßnahmen
Selbstständige Inspektion und Wartung
Stufe 5
durch Mitarbeiter
Trainieren der Mitarbeiter zur selbstständigen
Stufe 4
Inspektion und Wartung
Wartungs-, Schmier-, Inspektionspläne,
Stufe 3
Erstinspektion, Vereinheitlichen der Schmiermittel
Verschmutzungen verhindern,
Stufe 2
Zugang zu Reinigung und Wartung verbessern
Stufe Grundreinigung, Reinigungspläne,
1b Beseitigung von Mängeln
Stufe
5S: Sicherheit = Ordnung + Sauberkeit
1a

Abb. 13.1  Implementierungsstufen bei der Umsetzung von TPM

nachhaltige Erreichung der jeweiligen Stufen ist mit einer größeren Zeitaufwand und
entsprechender Disziplin verbunden.

Beispiel
Maschinen und Anlagen in der Fertigung von Toyota sind interessanterweise nicht
neu. Viele Anlagen sind über 30 Jahre alt, aber in einem äußerst gepflegten Zustand.
Sie sind einfach zu warten und durch wenig Elektronik können Reparaturen selbst
durchgeführt werden. Einfache Ersatzteile werden im Unternehmen selbst hergestellt.
Dadurch wird die Komplexität erheblich reduziert und die Verfügbarkeit erhöht (Ohno
2013, S. 104).

Zur Erreichung der TPM-Stufen haben sich fünf Schlüsselelemente herausgebildet, wel-
che bei Toyota, aber auch bei anderen Firmen beobachtet werden können: Autonome
Anlagenbetreuung, geplante Instandhaltung, Qualifizierung und Training, Design for
Maintenance und OEE-Optimierung.

1. Autonome Anlagenbetreuung
Die autonome Anlagenbetreuung befähigt und ermächtigt Produktionsmitarbeiter dazu,
Maschinen und Anlagen zu betreuen. Als Anlagenbetreuer führen sie Inspektionstätig-
keiten und Wartungen selbstständig an den Anlagen durch. Durch die Verbindung von
Betreiben und Inspizieren entfällt die Verantwortungsschnittstelle zwischen Produk-
tion und Instandhaltung. Kleinere Probleme können sofort, ohne Wartezeit durch die
Instandhaltung, gelöst werden. Die Verantwortung des Mitarbeiters an der Anlage steigt.
13.3 Total Productive Maintenance 185

Das ist ähnlich wie bei einem Fahrzeug, wenn die Reinigung und kleinere Reparatur-
und Auffüllarbeiten selbst übernommen werden. Eine aufwendige Fahrt in die Werkstatt
entfällt.
Reinigungen werden nicht nur wegen des Aussehens der Maschine durchgeführt,
denn rein kosmetische Reinigungen haben nur eine geringe Wertschöpfung. Das Reini-
gen ist primär in kritischen Bereichen durchzuführen, denn die Prioritäten für das Säu-
bern sind: 1) Sicherheit, 2) Qualität, 3) Zuverlässigkeit und 4) Aussehen.
Durch das Reinigen der Anlage entsteht ein Funktionsverständnis. Bei Störungen kön-
nen die Ursachen schnell identifiziert und benannt werden. Das Reinigen gleicht dem
Inspizieren und dem damit verbundenen Prüfen der Anlage. Dieses findet mit allen Sin-
nen, wie Sehen, Hören, Riechen und Abtasten, statt. Das Reinigen muss fachgerecht
erlernt werden und folgt einem klar definierten und beschriebenen Standard in dem auch
die Reinigungsmaterialien festgelegt sind. So können Verschleiß, Leckagen oder Defekte
vor einem Ausfall häufig erkannt und rechtzeitig behoben werden.
Die Standards helfen, den Zeitaufwand für das Inspizieren festzulegen, einzuplanen
und einzuhalten. Eine Strategie bei der das Prüfen und Inspizieren wie ein Produkt durch
die Linie fließt, ist möglich, wenn zwischen den Anlagen kleinere Puffer verfügbar sind.
Während die letzten Maschinen noch laufen, beginnt an der ersten Maschine die Ins-
pektion. Die Inspektion fließt als eine Abschaltung der Einzelanlage über mehrere Takte
durch die Prozesskette. Bei der Inspektion des letzten Abschnitts werden an den fertig
inspizierten Maschinen bereits wieder Teile produziert. Die Zeit der Taktanzahl, welche
die jeweilige Maschine nicht produziert, geht über die Gesamtlinie verloren und nicht die
Summe der Zeiten (Gesamtzeit), wenn alle Maschinen auf einmal abgeschaltet werden
würden. Eine solche Gesamtabschaltung würde nur dann Sinn machen, wenn an jeder
Anlage gleichzeitig die Inspektion durchgeführt wird.

2. Geplante Instandhaltung
Eine Instandhaltungsstrategie sieht die Einplanung regelmäßiger Wartungsintervalle
für sämtliche Instandhaltungstätigkeiten vor. Die Instandhaltung wird in festen Zyklen
durchgeführt. Es werden erkannte Probleme und markierte Teile aus der autonomen
Anlagenbetreuung aufgenommen und gelöst. Notwendige Bestellungen von Ersatzteilen
können rechtzeitig geplant und frühzeitig durchgeführt werden.
Dadurch ergibt sich eine ausgewogene Arbeitsauslastung für die Instandhaltungsberei-
che, da von reaktiver Problemlösung bei einer Havarie auf präventive Instandhaltung umge-
stellt werden kann. Dieses Vorgehen wirkt als Schutz vor einem möglichen Totalausfall.

3. Qualifizierung und Training


Zu TPM gehört eine Qualifizierung für die Instandhaltung und die Anlagenbediener.
Themen, zu denen Schulungen erfolgen und Trainings an den Anlagen durchgeführt wer-
den, sind: Anlagenbetreuung, OEE-Optimierung, geplante Instandhaltung und Informati-
onen zu neuen Anlagen.
186 13 Produktionsbereich Fertigung

Die Trainings sind wichtig für die Einhaltung von Standards und die Übernahme der
Verantwortung.

4. Design for Maintenance


Die Wartung im laufenden Betrieb und die geplante Instandhaltung sind nicht ausrei-
chend. Bereits bei der Planung neuer Anlagen ist auf eine vertretbare und relativ einfache
Wartung und Instandhaltung zu achten. Eine Anlage ist so zu planen und herzustellen,
dass sie einfach zu warten ist (Design for Maintenance). Eine Maschine muss ebenso mit
geringem Aufwand zu reparieren sein. Einfach zu erreichende Stellen, schnell abnehm-
bare Anlagengehäuseteile und durchsichtige Anlagenteile, durch die der technische
Zustand an wichtigen Stellen erkennbar ist, sind entsprechende Vorgaben.

5. OEE Optimierung
Die OEE-Optimierung nimmt die OEE und ihre Stellhebel ins Visier. Die OEE für die
Anlage zu berechnen und transparent zu visualisieren ist die Basis für eine Optimie-
rung. Durch die Ist-Analyse der Verschwendungen und Verluste werden diese analog den
Methoden des Verbesserungsprozesses (Kap. 11) optimiert.
Um die Grenzen der Möglichkeiten einer Maschine, Anlage oder Fertigungslinie her-
auszufinden, werden Leistungstests durchgeführt. An einem Tag (Challenge Day) wird
die Produktion so perfekt, wie möglich durchgeführt. Störungen werden durch Instand-
haltungsteams sofort beseitigt, das Rüsten findet schnell und organisiert statt. Es werden
Teams eingesetzt, die an den Anlagen bereitstehen. Mit den Erkenntnissen werden die
maximal mögliche Produktion und die maximale Qualität unter realistischen Vorausset-
zungen an einem Tag ermittelt. Die These lautet: Wenn es einmal erreicht wurde, ist es
wiederholbar. Die Erkenntnisse des Tages gehen in die Planung des kontinuierlichen Ver-
besserungsprozesses ein.
Ist ein Engpassprozess identifiziert, wird ein Fokusboard eingesetzt. Dieses Board
kann ein Flipchart sein und steht an der betroffenen Maschine. Jedes Problem und jede
Störung werden genau mit Zeit und Stückzahl sowie der Ursache dokumentiert. Im
Anschluss kann eine Störungsanalyse durchgeführt werden und eine Problemlösung fin-
det statt. Die Maßnahmen werden abgearbeitet. Sind die Probleme gelöst, wandert das
Fokusboard an eine neue Stelle, an der neue Probleme oder ein Engpass bestehen.

13.4 Schnelles Rüsten

In Abschn. 5.1 wurde die Andler‘sche Formel zur Losgrößenberechnung erwähnt.


Beschrieben wurde, dass unter Lean-Gesichtspunkten die optimale Losgröße möglichst
klein sein sollte. Nur so können die Produkte fließen und Verschwendung in Form von
Beständen reduziert werden.
Die Dauer, bis jede Variante einmal produziert wurde, ist oft deshalb so lang, da
die Losgrößen groß sind. Dies liegt an dem Ziel, die Aufträge möglichst lange auf der
13.4 Schnelles Rüsten 187

Maschine zu belassen, weil zwischen den Aufträgen lange Stillstandzeiten durch lang-
wieriges Umrüsten entstehen. Diese Stillstandzeit nennt man Rüstzeit.

 Rüstzeit Zeit, vom letzten Teil eines Loses bis zum ersten Gutteil des nächsten Loses
zur festgelegten Produktionsgeschwindigkeit an einer Maschine (Abb. 13.2).

Wichtigster Einflussfaktor für die Reduzierung von Losgrößen bei Maschinen nach dem
Prinzip der Losfertigung (z. B. Pressen) ist ein schnelles Rüsten. Je schneller der Rüst-
prozess abgeschlossen ist, umso kürzer ist die Rüstzeit. Durch die Reduzierung der Para-
meter Rüstzeit und Rüstkosten optimieren sich die Gesamtkosten und die Losgröße senkt
sich weiter ab. Die Kurve (Abb. 13.3) wird verschoben (Rommel et al. 1993, S. 170).
Ziel ist es bei vielen Varianten, jede Variante jeden Tag (Every Part Every Day, EPED)
herzustellen (Abb. 13.4). Damit reduzieren sich die Bestände und die Durchlaufzeit.
Die Kennzahl „Every Part Every Interval“ (EPEI) gibt an, welcher Zeitraum erforder-
lich ist, bis das komplette Produktspektrum mit allen Varianten und der Rüstfolge einmal
hergestellt wurde. Die Kennzahl EPEI berechnet sich aus der Summe der Bearbeitungs-
zeit für alle Produktvarianten in den jeweils vorgegebenen Losgrößen zuzüglich der
notwendigen Rüstzeiten sowie geplanter und ungeplanter Stillstände (Gl. 13.8) (Erlach
2010, S. 72 ff.).
N
 N
 
EPEI = Bearbeitungsszeiti + Rüstzeiti + Stillstandszeiten (13.8)
i=1 i=1

Es kommt vor, dass in einer ganzen Schicht ausschließlich nur das Rüsten an einer
Maschine durchgeführt wird. In dieser Zeit werden keine Teile produziert. Rüstwelt-
meister aus Japan, rüsten in einem Presswerk für Automobilkarosserieteile schon seit
den 1990ern in weniger als fünf Minuten 1000-Tonnen-Großstufenpressen um (Rommel
et al. 1993, S. 170 f.). Das ist Benchmark und nennt sich SMED.

Rüstzeit
Maschinengeschwindigkeit

Zeit

Abb. 13.2  Rüstzeit in einem Ausbringungsdiagramm


188 13 Produktionsbereich Fertigung

Kosten

Optimum

Ermittelte optimale Losgröße

Optimum Losgröße

Abb. 13.3  Weitere Optimierung der Kosten durch schnelles Rüsten und Rüstzeitoptimierung. (In
Anlehnung an Rommel et al. 1993, S. 171)

Abb. 13.4 Vergleich nicht Nicht nivellierte Produktion Nivellierte Produktion


nivellierte und nivellierte Einheiten pro Tag Einheiten pro Tag
Produktion nach dem Prinzip
„Every Part Every Day“
(EPED)

____________________ ____________________
Mo Di Mi Do Fr Mo Mo Di Mi Do Fr Mo

 SMED (Singe Minute Exchange of Die) Das Umrüsten einer Maschine mit einer zeit-
lichen Dauer im einstelligen Minutenbereich. Gemessen wird die Zeit vom letzten guten
Teil des alten Loses bis zum ersten guten Teil des neuen Loses in der vorgegebenen Zyk-
luszeit.
13.4 Schnelles Rüsten 189

Der Unterschied für verschieden lange Rüstzeiten liegt in den Abläufen. Dabei ist bei
kurzen Rüstzeiten soweit möglich alles perfekt und standardisiert vorbereitet, denn die
Stillstandzeit ist so kurz wie möglich zu halten. Einstellarbeiten müssen nicht vorge-
nommen werden und die vorherigen Presswerkzeuge werden über Schiebetische durch
das Hineinschieben der nachfolgenden Werkzeuge ausgewechselt. Die Reduzierung der
Rüstzeit hat positive Effekte auf die Flexibilität, die Produktivität und die Losgröße und
Bestände (Tab. 13.3).

Beispiel
Der Ablauf eines schnellen Rüstens erinnert an die Unterschiede zwischen einem Rei-
fenwechsel am eigenen Auto von Sommer- auf Winterbereifung und dem Ablauf im
Motorsport. In der Formel 1 wurden Zeiten von unter dreieinhalb Sekunden für den
reinen Reifenwechsel aller vier Räder erreicht.

Beim Reifenwechsel in der Formel 1 sind mehr Menschen beteiligt, als am eigenen
Auto, aber dennoch, der Prozess hat optimierte Merkmale. Die Besonderheiten sind,
dass jedem die Rollen der Akteure bekannt sind. Es findet ein gleichzeitiges Anheben
des Rennwagens statt. Die Arbeit wird simultan an allen vier Rädern gleichzeitig durch-
geführt. Werkzeuge und Materialien sind am richtigen Platz vorbereitet und zugeordnet.
Dazu kommt die perfekte Beherrschung des Vorganges durch permanentes Training und
Übung, eine genaue Dokumentation und eine transparente Zeitmessung. Außer in Japan
sind Zeitanzeigen, welche den Stillstand der Anlage beim Rüsten messen, kaum üblich.

Beispiel
Schnelles Rüsten findet auch bei der Flugbetankung in der Luft statt, anstelle einer
Betankung am Boden. Der Flug wird nicht unterbrochen und es gibt keine Ver-
schwendungen, wie einen Landeplatz suchen, den Landeanflug, die Landung, das
Warten auf das Betanken, das Warten während des Tankvorganges, das Starten, den
Abflug und den Steigflug.

Tab. 13.3  Ergebnisse der Rüstzeitreduzierung


Erhöhung der Flexibilität Erhöhung der Produktivität Reduzierung der Losgröße
Schnelle Reaktion auf Reduzierung der geplanten Reduzierte Bestände
Auftragsveränderung Stillstände
Reduzierte Lieferzeit Steigerung der Kapazität oder Reduzierte Durchlaufzeit
reduzierte Produktionszeit
Qualitätssteigerung Verbesserung der Anlagenverfüg- Reduzierte Fläche und
barkeit Lagerkosten
Erhöhte Sicherheit durch Reduzierte Rüstkosten Reduzierte Kapitalbindung
Standardisierung
190 13 Produktionsbereich Fertigung

Alle Beispiele haben gemein, dass versucht wird, die jeweilige Maschine nur so kurz wie
nötig anzuhalten. Eine Maschine anzuhalten und erst danach das Werkzeug zu suchen,
wäre eine große Verschwendung. Man unterscheidet daher in externes und internes Rüs-
ten. Beim externen Rüsten werden alle Vorbereitungen getroffen, bevor die Maschine
angehalten wird. Dazu gehört auch das Aufräumen der Betriebsmittel, nachdem die
Maschine wieder läuft. Das interne Rüsten bezeichnet alle Tätigkeiten, welche nur bei
stillstehender Maschine durchgeführt werden können. Im Beispiel Formel 1 sind alle
Vor- und Nachbereitungen externes Rüsten, da der Rennfahrer währenddessen noch auf
der Rennstrecke fährt.

 Externes Rüsten Tätigkeiten, die während des Betriebs der Maschine durchgeführt
werden können.

Das Gegenteil zum externen Rüsten ist das interne Rüsten. Der Stillstand des Rennwa-
gens an der Box ist internes Rüsten. Es wird versucht, diese so gering wie möglich zu
halten.

 Internes Rüsten Umfasst alle Operationen, welche nur bei Maschinenstillstand durch-
führbar sind.

Bei der Umsetzung von schnellem Rüsten gibt es verschiedene Möglichkeiten vorzuge-
hen (z. B. Takeda 2012, S. 72). Die folgende Vorgehensweise der Rüstzeitreduzierung
erfolgt in sieben Schritten:

1. Analyse und detaillierte Dokumentation der aktuellen Gesamtrüstzeit


2. Unterscheidung zwischen internem und externem Rüsten und Festlegung der Zuord-
nung der Arbeitsgänge zu den beiden Kategorien
3. Verschiebung der Arbeitsinhalte und Umwandlung der internen Arbeitsgänge in
externe sowie Auslagerung der externen Arbeitsgänge aus dem Rüstvorgang, sofern
möglich
4. Beschleunigung der internen Arbeitsgänge
5. Verbesserung der externen Arbeitsgänge
6. Umsetzungsplan implementieren und Maßnahmen umsetzen, Validierung des neuen
Prozesses
7. Entwicklung eines neuen Rüststandards

Zum Einsatz kommt in den Schritten drei bis fünf die EKUV-Methodik. Die Buchstaben
stehen für die Anfangsbuchstaben von möglichen Maßnahmen zur Optimierung eines
Rüstvorganges: Eliminieren, Kombinieren (z. B. paralleles Arbeiten), Umstellen bzw.
Umverteilen und Vereinfachen. Diese Methodik kommt vorrangig bei der Rüstzeitopti-
mierung zum Einsatz, sie eignet sich auch für die Verbesserung anderer Prozesse.
13.4 Schnelles Rüsten 191

Beispiel
Optimierungen sind auch im Alltag vorhanden: Schuhe mit Schnürsenkel oder mit
Klettverschluss, oder der Radwechsel am Fahrrad, bei dem eine Schraube oder alter-
nativ ein Schnellspanner zum Einsatz kommt (Abb. 13.5). Bei einem Schnellspanner
ist das Werkzeug integriert und ein zusätzliches ist daher nicht erforderlich. So kön-
nen auch Anlagen mit Spannern und integrierten Werkzeugen optimiert werden.

Durch schnelles Rüsten wird der ursprüngliche Prozessablauf optimiert (Abb. 13.6). Das
Potenzial des schnellen Rüstens ist ein eingespartes Zeitpotenzial. Die gewonnene Zeit
kann auf zwei Arten eingesetzt werden. An einer Engpassmaschine oder bei Stückzahl-
steigerungen kann die frei gewordene Rüstzeit zur Produktion von Werkstücken und
damit zu einer Ausbringungssteigerung eingesetzt werden (Abb. 13.7). Bleibt die Stück-
zahlausbringung gleich, so wird die Zeit für ein häufigeres Rüsten eingesetzt (vergl.
EPEI). Im Beispiel wirkt sich die Halbierung der Rüstzeit auf eine Halbierung der Los-
größe und eine doppelt so hohe Rüstfrequenz aus (Abb. 13.8). Hierdurch reduzieren sich
die Bestände, die Lagerfläche und die Durchlaufzeit.

Abb. 13.5  Vergleich Schraube und Schnellspannhebel an einem Fahrrad

Vor Optimierung
Bisherige Rüstzeit = 1,0 h
1,0 h

A B C A B C

3,0 h 6 mal pro 24 Stunden


Rüstzeit pro Tag: 6h
Verfügbare Produktionszeit: 18 h

Abb. 13.6  Prozessablauf vor der Rüstzeitoptimierung mit großen Losgrößen und langer Rüstzeit
192 13 Produktionsbereich Fertigung

Nach Optimierung: Nutzung als Produktionszeit


Neue Rüstzeit = 0,5 h
0,5 h

A B C A B C

3,5 h 6 mal pro 24 Stunden


Rüstzeit pro Tag: 3h
Verfügbare Produktionszeit: 21 h

Abb. 13.7  Kapazitätserhöhung durch Nutzung der Zeit zur Produktion

Nach Optimierung: Nutzung für kleinere Losgrößen und mehr Flexibilität


Neue Rüstzeit = 0,5 h
0,5 h

A B C A B C A B C A B C

1,5 h 12 mal pro 24 Stunden


Rüstzeit pro Tag: 6h
Verfügbare Produktionszeit: 18 h

Abb. 13.8  Steigerung der Flexibilität (EPEI) durch häufigeres Rüsten

Das höchste Ziel ist eine Produktion ohne Rüstzeit, welche die Varianten herstellt, die
vom Kunden gewünscht werden. Dies erfordert ein „Rüsten im Takt“. Neben den Begriff
„Rüsten im Takt“ gehört dann auch der Begriff der „Losgröße 1“.

13.5 Industrie 4.0

Die Thematik Industrie 4.0 darf bei der Automatisierung aktuell nicht fehlen. Nach den
drei vorhergehenden industriellen Revolutionen der Mechanisierung, Industrialisierung
und CIM (Computer-integrated Manufacturing) steht die vierte industrielle Revolution
an. Industrie 4.0 wird dabei mit den Begrifflichkeiten Digitalisierung, Vernetzung, Inter-
net of Things oder cyberphysische SYSTEME operationalisiert.
Die Vernetzung von Maschinen und Anlagen ist durch den CIM-Ansatz bekannt. Die
durch Industrie 4.0 ausgerufene intelligente Fabrik (Smart Factory) vernetzt zusätzlich die
Produkte miteinander, um sie intelligenter und in der Vision die Materialflusssteuerung
13.5 Industrie 4.0 193

dieser Produkte selbstständiger und flexibler zu gestalten. Das Motto lautet: Das Produkt
sucht sich die passende, freie Maschine selbstständig. Die Vernetzungsdichte wird hier-
durch steigen und störanfälliger werden, das Risiko für Instabilität nimmt zu.
Die Vorgehensweise der autonomen Produkte entspricht nicht dem Fluss-Gedanken
nach der Lean-Philosophie und erinnert an die frühere Werkstatt- und Boxenfertigung.
Diese Prozesssteuerung ohne Verkettung der Prozesse macht vor allem bei einer sehr
hohen Produktvarianz Sinn.
Neue Technologien alleine lösen nicht die vorhandenen Probleme. Es geht nicht um
eine Realisierung des technisch Machbaren, sondern um „smarte“ Lösungen an den Stel-
len, wo Probleme bestehen. Die Lösungen sollen schnell und einfach umsetzbar sein und
die Fabrik nicht auf den Kopf stellen (Zühlke 2016). Standardisierung ist dabei unum-
gänglich (Abschn. 10.1). Nur wenn im Anschluss an die Umsetzung einer Smart Fac-
tory weniger Kapital, weniger Verschwendungen und weniger Ressourcen zum Einsatz
kommen, ist sie wirtschaftlich und schlank umgesetzt. Werden durch die Digitalisierung
Maschinenstillstände analog dem Jidoka-Prinzip schneller erkannt (Abschn. 9.2) oder
der Informationsfluss für einen Kanban-Kreislauf beschleunigt (Abschn. 7.2), ist der
Einsatz sinnvoll. Der Low-Cost-Ansatz ist dabei dem Ansatz „keep it simple“ vorzu-
ziehen. Dass Industrie 4.0 seine Vorteile vor allem aus schlanken Prozessen ziehen soll,
ist aus der Abschätzung von Nutzenpotenzialen bei der Einführung von Industrie 4.0 zu
erkennen (Tab. 13.4). Die genannten Themen stammen ursprünglich aus dem Umfeld
von Lean Production. Die Potenziale können demnach nur realisiert werden, wenn zuvor
keine Lean-Einführung stattgefunden hat.
Voraussetzung für eine Digitalisierung von Prozessen ist als erster Schritt, die Ver-
schwendung zu eliminieren und diese nicht in der neuen Technologie zu konzentrie-
ren. Der Merksatz gilt immer: Zuerst die Verschwendung raus, dann Automatisieren.

Tab. 13.4  Abschätzung der Nutzenpotenziale bei der Einführung von Industrie 4.0. (Nach
Bauernhansl et al. 2014, S. 31)
Kosten Effekte Potenziale (%)
Bestände • Reduzierung Bestände 30 bis 40
• Vermeidung Schwankungen
Fertigung • OEE-Verbesserung 10 bis 20
• Prozessregelkreise
• Verbesserung Personalflexibilität
Logistik • Erhöhung Automatisierungsgrad 10 bis 20
Komplexität • Erweiterung Leistungsspannen 60 bis 70
• Problemreduktion
Qualität • Qualitätsregelkreise in Echtzeit 10 bis 20
Instandhaltung • Optimierung der Lagerbestände von Ersatzteilen 20 bis 30
• Zustandsoptimierte Wartung
• Dynamische Priorisierung
194 13 Produktionsbereich Fertigung

Die Technologie muss, wie auch Lean, den Zweck haben, der Unterstützung des Men-
schen zu dienen. Lean und Industrie 4.0 sind beides Ansätze zur Verbesserung von
Unternehmensprozessen, denn mit beiden Ansätzen versuchen Unternehmen durch
Methoden, die Prozesse zu verbessen. Lean ist die Grundlage für verschwendungsfreie
und fließende Prozesse. Daraus folgt, dass Lean die Basis für Industrie 4.0 ist. Ohne
schlanke Prozesse scheitert der technologische Ansatz. Der passende Spruch hierzu:
„Renne nicht, bevor Du gehen kannst!“
Ansätze und Ergänzungen von Industrie 4.0 können sich in schlanken Fabriken durch
eine Smart-Production, die Thematik Losgröße 1, autarke Logistiksysteme (z. B. FTS),
unterstützende Roboter (Mensch-Maschine), mobile Enggeräte und additive Verfahren
(z. B. 3D-Druck) ergeben.
Industrie 4.0 kann bei ihrer Einführung von Lean lernen, denn es wird idealerweise
gleichartig vorgegangen. Bei der Einführung von Lean ist nicht nur das Methodenver-
ständnis wichtig, sondern auch das Verständnis der Wirkzusammenhänge. Lean führt
nicht zum Erfolg, wenn es kopiert wird, sondern nur, wenn die Lösungen an der richti-
gen Stelle für die passenden Probleme eingesetzt werden. Genau so ist auch bei Indust-
rie 4.0 zu verfahren.

13.6 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Automatisierung, OEE und TPM zu beant-


worten
• Arbeiten die Maschinen in konstanter und angepasster Geschwindigkeit (nicht zu
schnell und nicht zu langsam)?
• Gibt es im vorgelagerten und nachgelagerten Prozess Wartezeiten?
• Gibt es prozessbedingte Wartezeiten?
• Ist die OEE visualisiert?
• Ist die OEE-Kennzahl im Benchmark-Bereich?
• Wird TPM in allen Schritten durchgeführt?
• Wird die Prozesstechnologie beherrscht?
• Welches sind die hauptsächlichen Ursachen für Verfügbarkeitsverluste an den Anlagen?
• Was wird getan, um die Maschinenverfügbarkeit zu erhöhen?

Die folgenden Fragen sind im Themenfeld schnelles Rüsten relevant


• Sind Rüstprozesse im Fokus der Optimierung?
• Liegen Rüstzeiten im einstelligen Minutenbereich?
• Sind Rüstzeiten visualisiert?

Bezüglich Industrie 4.0 sind folgende Fragen zu beantworten


• Sind Prozesse vor der Automatisierung verschwendungsfrei?
• Werden neue Technologien zur Unterstützung schlanker Prozesse eingesetzt?
13.7 Zusammenfassung 195

• Sind nach der Umsetzung der Digitalisierung die Kosten gesunken und Ressourcen
sowie Verschwendungen eliminiert?
• Sind Prozesse einfacher geworden, statt komplexer?
• Werden die neuen Technologien beobachtet und auf Eignung für den passenden Ein-
satz überprüft?

13.7 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Produktionsbereich Fertigung


• Die Automatisierung von Prozessabläufen wird bei monotoner und schwieriger
Arbeit eingesetzt. Der Mensch ist flexibel und für anspruchsvolle, schwierige und
komplexe Aufgaben die bessere Lösung.
• Engpässe sind bei Maschinen nur mit sehr viel Aufwand zu eliminieren. Eine redu-
zierte Ausbringung am Engpass ergibt ein Problem für die gesamte Prozesskette.
• Maschinen sollten auf den Linientakt eingebremst werden, sofern sie zu schnell
sind. Die Vorgehensweise entspricht der des Flussprinzips und der Austaktung.
• Der Einsatz von Förderbändern oder Robotern ist eine teure und statische Installa-
tion unnötiger Transportarbeit, denn Transporte sind Verschwendungen. Statt einer
Umsetzung mit Automatisierungstechnik sind Low-Cost-Lösungen vorzuziehen.
• Produktivität ist das Verhältnis zwischen Effizienz und Effektivität und somit der
Output ohne Verluste und Verschwendungen.
• Bei der Gesamtanlageneffektivität OEE wird ausschließlich die Anzahl an Guttei-
len im Verhältnis zur möglichen Kapazität in der geplanten Arbeitszeit betrachtet.
• Der Verfügbarkeitsfaktor ist die Produktionszeit geteilt durch die Betriebszeit. Er
beziffert die Zeitspanne, in der die Anlage aus technischen Gründen nicht zur Ver-
fügung steht, und kann durch eine gute Instandhaltung und Maschinenbetreuung
sowie durch schnelles Rüsten verbessert werden.
• Der Leistungsfaktor ist die genutzte Produktionszeit durch die Produktionszeit.
Leistungsverluste ergeben sich durch die Nichtnutzung einer verfügbaren Anlage.
Der Leistungsfaktor kann durch organisatorische Maßnahmen, wie die Materialbe-
lieferung oder schnelle Reaktion auf Abweichungen, verbessert werden.
• Der Qualitätsfaktor ist die Gutstückzahl im Verhältnis zu den produzierten Teilen.
Es werden fehlerhaft produzierte Teile, welche Ausschuss sind oder in die Nachar-
beit gehen, berücksichtigt. Der Qualitätsfaktor kann durch eine ganzheitliche Anla-
genbetreuung sowie durch die Prinzipien Jidoka und Poka Yoke verbessert werden.
• Die OEE berechnet sich aus dem Produkt des Verfügbarkeitsfaktors, des Leis-
tungsfaktors und des Qualitätsfaktors. Gute Werte liegen über 85 %, der durch-
schnittliche Wert liegt bei 60 %.
• Viele Probleme und Störungen an Maschinen und Anlagen lassen sich durch eine
vorbeugende Wartung und Instandhaltung nach Standard lösen. Total Productive
196 13 Produktionsbereich Fertigung

Maintenance (TPM) ist der ganzheitliche Ansatz zur Vermeidung von Verschwen-
dung und Verlusten an Anlagen.
• Zur Erreichung der TPM-Stufen haben sich fünf Schlüsselelemente herausgebildet,
welche bei Toyota und anderen Firmen existieren: Autonome Anlagenbetreuung,
geplante Instandhaltung, Training, Design for Maintenance und OEE-Optimierung.
• Die Rüstzeit ist die Zeit vom letzten Teil eines Loses bis zum ersten Gutteil des
nächsten Loses in der festgelegten Produktionsgeschwindigkeit.
Wichtigster Einflussfaktor für die Reduzierung von Losgrößen bei Maschi-
nen nach dem Prinzip der Losfertigung (z. B. Pressen) ist das schnelle Rüsten.
Durch die Reduzierung der Parameter Rüstzeit und Rüstkosten optimieren sich die
Gesamtkosten und die Losgröße senkt sich ab. Das Ziel ist, bei vielen Varianten
jede Variante jeden Tag herzustellen (Every Part Every Day, EPED). Die Bestände
und die Durchlaufzeit werden hierdurch reduziert.
• Benchmark beim schnellen Rüsten ist SMED (Singe Minute Exchange of Die), das
Umrüsten im einstelligen Minutenbereich. Dies erfolgt durch perfekt abgestimmte
und standardisierte Abläufe. Alles ist so vorbereitet, dass die Stillstandzeit minimal
ist. Einstellarbeiten sind bereits erledigt. Die vorherigen Presswerkzeuge werden
über Schiebetische durch das Hineinschieben der nachfolgenden Werkzeuge ausge-
wechselt.
• Paradebeispiele für schnelles Rüsten sind der Boxenstopp im Rennsport oder das
Betanken von Flugzeugen in der Luft. Die Maschine wird so kurz wie nötig an-
bzw. aufgehalten.
• Die EKUV-Methode gibt Möglichkeiten zur Optimierung von Rüstprozessen.
EKUV steht für Eliminieren, Kombinieren, Umstellen und Vereinfachen.
• Industrie 4.0 wird mit folgenden Themen operationalisiert: Digitalisierung, Ver-
netzung, Internet of Things und cyberphysische Systeme. Die intelligente Fabrik
(Smart Factory) vernetzt zusätzlich zu den Anlagen und Maschinen, die Produkte
miteinander. Das Produkt sucht sich eine passende und freie Maschine selbstständig.
• Ein wichtiger Merksatz bei der Automatisierung ist: Zuerst die Verschwendung eli-
minieren, bevor Prozesse automatisiert werden.

Fragen
• Welche Eigenschaften sollte ein Prozess besitzen, damit eine Automatisierung aus
der Lean-Perspektive Sinn ergibt?
• Welche Verfügbarkeitsverluste fließen in den Verfügbarkeitsfaktor ein?
• Welche Leistungsverluste fließen in den Leistungsfaktor ein?
• Welche Qualitätsverluste fließen in den Qualitätsfaktor ein?
• Rechenaufgabe: Im Betrieb der Knalsch GmbH ist eine Maschine für 100 h in der
Woche ausgelegt. Produziert wird in einer 5-Tage Woche.
In einer Arbeitswoche sind für Werkzeugwechsel und Rüstvorgänge 12 h einge-
plant. Störungen treten durchschnittlich 7 h pro Woche auf.
Literatur 197

Leider kommt es durch fehlendes Material immer wieder zu Engpässen, sodass


für die Maschine eine Stunde kein Material zum Produzieren zur Verfügung steht.
Die Maschine erreicht im Durchschnitt 95 % der eingestellten Geschwindigkeit.
Trotz optimaler Prozesse produziert die Maschine 1 % Ausschuss, der nachge-
arbeitet werden muss.
– Wie hoch ist der Verfügbarkeitsfaktor?
– Wie hoch ist der Leistungsfaktor?
– Wie hoch ist der Qualitätsfaktor?
– Wie hoch ist die OEE der Maschine?
• Wie können die geforderten Stückzahlen trotz einer schlechten OEE erreicht werden?
• Wie lauten die Ziele von TPM?
• Was sagt die Kennzahl EPEI (Every Part Every Interval) aus und wie wird sie
berechnet?
• Wie ist der Ablauf für ein schnelles Rüsten?
• Welche Auswirkungen haben die Ergebnisse der Rüstzeitreduzierung bei der Erhö-
hung der Flexibilität, der Erhöhung der Produktivität und der Reduzierung der
Losgröße?
• Wie unterscheiden sich das interne und das externe Rüsten?
• Welche Nutzenpotenziale ergeben sich bei der Einführung von Industrie 4.0?

Die Lösungen zur Rechenaufgabe finden sich am Ende des Buches (Abschn. 30.5).

Literatur

Bauernhansl T, Hompelten M, Vogel-Heuser B (Hrsg) (2014) Industrie 4.0 in Produktion, Auto-


matisierung und Logistik – Anwendung, Technologien, Migration. Fraunhofer-Institut für
Materialfluss und Logistik IML, Springer Fachmedien, Wiesbaden
Bicheno J, Matthias H (2009) The lean toolbox – the essential guide to lean transformation,
4. Aufl. PICSIE, Buckingham
Erlach K (2010) Wertstromdesign – Der Weg zur schlanken Fabrik, 2. Aufl. Springer, Berlin
Ohno T (2013) Das Toyota-Produktionssystem, 3. Aufl. Campus, Frankfurt
Rommel G, Brück F, Diederichs R, Kempis RD, Kluge J (1993) Einfach Überlegen: das Unterneh-
menskonzept, das die Schlanken schlank und die Schnellen schnell macht. Schäffer-Poeschel,
Stuttgart
Rother M, Harris R (2006) Kontinuierliche Fließfertigung organisieren – Praxisleitfaden zur Ein-
zelstück-Fließfertigung für Manager, Ingenieure und Meister in der Produktion, Version 1.1.
Lean Management Institut, Aachen
Takeda H (2006) LCIA – low cost intelligent automation: Produktivitätsvorteile durch Einfachau-
tomatisierung, 2. Aufl. mi, Landsberg
Takeda H (2012) Das synchrone Produktionssystem – Just-in-time für das ganze Unternehmen,
7. Aufl. Vahlen, München
Zühlke D (2016) Perfektionismus bremst Industrie 4.0 aus. VDI-Nachrichten 40:4–5
Lean und Produktionssysteme
14

Ein Haufen Steine ist noch kein Haus, …


Carl Gustav Jochmann

Zusammenfassung
Das Flussprinzip ist während der Massenproduktion entstanden. Die Massenproduk-
tion ist nicht in der Lage, eine hohe Kundenvarianz ohne hohe Bestände abzubilden.
Lean ermöglicht eine Kundenindividualisierung mit geringen Beständen. Der Begriff
Lean stammt aus einer amerikanischen Studie, welche die japanische Automobilproduk-
tion genauer analysiert hat. Die Methoden einer schlanken Produktion sind im Toyota-
Produktionssystem vereint. Das Toyota-Produktionssystem ist aus der Notwendigkeit
entstanden und vereint den Gedanken der Qualitätserzeugung (Jidoka) mit dem einer
idealen Belieferung (Just-in-Time). Produktionssysteme sind heute in vielen Unterneh-
men mit unterschiedlicher Symbolik vorhanden und verfolgen eine klare Vision.

Knalsch GmbH: Top Finanzen!


Die Sektkorken knallen. Dr. Alsch lüftet das neue Firmenlogo. Er hat den Fir-
mennamen rückwärts geschrieben (fast jedenfalls) und zum bestehenden Namen
hinzugefügt: Knalsch GmbH, wir sind die SCHLANK GmbH. Wenn man unsere
Prozesse von hinten her, also aus Kundensicht betrachtet, muss man auch unseren
Firmennamen von hinten betrachten. Aus Knalsch wird somit Schlank, erklärt der
zufriedene Firmenchef seiner ebenso zufriedenen Belegschaft.
Heute hat Dr. Alsch der Bank abgesagt. Er hat einige Kredite durch die
Bestandsreduzierungen zurückbezahlt und finanziert das Firmenwachstum nun

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 199


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_14
200 14 Lean und Produktionssysteme

selbst. Die Kennzahlen stimmen und mit den frei gewordenen Mitarbeitern schafft
er den neuen Großauftrag „mit links“. Später möchte Alsch mit seinem Controller
Karsten Horch noch die Zahlen in der Bilanz des letzten Jahres anschauen.
Das Erreichte soll in die Unternehmenskultur eingehen. Dazu werden alle The-
men, Methoden und Schritte zusammengefasst. „Wir wollen eine Produktion mit
System sein“, sagt Dr. Alsch.
Ein Auftrag ist noch offen. Die Lean-Methoden und Prinzipien sollen zusam-
mengefasst und für eine gute Firmenkommunikation nach innen und außen darge-
stellt werden. Das wäre doch ein Thema für die Studierenden von der damaligen
Exkursion.
„Frau Beck, laden Sie bitte die Studierenden von der Exkursion noch mal ein.
Denen zeigen wir, was wir geschafft haben, und bieten ihnen Praktika, Werkstu-
dententätigkeiten oder auch Abschlussarbeiten an. Natürlich zu Lean-Themen“,
entscheidet Herr Alsch.
„Geht klar, Chef“, antwortet Claudia Beck sofort.
„Wir bleiben dran, denn wer sich ausruht, der wird überholt!“, sagt Alsch.

Das Toyota-Produktionssystem ist die Darstellung der Denkweise von Lean. Warum wird
auf den Ursprung von Lean bei Toyota erst im letzten Kapitel dieses Teils eingegangen?
Lean muss als Weg gesehen werden, der gegangen werden muss. Es ist nicht sinnvoll, ein
System zu übernehmen und dieses einer Fabrik überzustülpen. Es ist wichtig, über das
Verständnis zu verfügen, welches sich hinter den Themen und den Methoden verbirgt.
Somit ist es an der Zeit, das bis hier Beschriebene zu einem System zusammenzufassen.
Die Geschichte von Lean wird erklärt und wie es zu dem Produktionssystem kam, das
die Basis für Lean darstellt.

14.1 Massenproduktion

Elemente der Lean-Historie finden sich nicht nur in Japan, sondern auch zum Zeitpunkt
der Industrialisierung in den Vereinigten Staaten von Amerika. Im Jahre 1903 wird die
Ford Motor Company gegründet und mehrere Hersteller produzierten bereits Fahrzeuge.
Der Unterschied: Henry Ford (1863–1947) nutzte das Förderband für den Fluss von Tei-
len durch die Fabrik, wie es in Textilunternehmen und bei Dosenherstellen verwendet
wurde. Er brachte die Arbeit zu den Menschen. Die Tätigkeiten wurden in kleine wie-
derholbare, effiziente Arbeitsschritte unterteilt. Zeitaufnahmen der Tätigkeiten wurden
durchgeführt.
1913 begann die Massenproduktion durch Henry Ford. Er schuf ein Gesamtsystem,
das in geringer Varianz kontinuierlich fließend vom Rohmaterial bis zum Endprodukt
große Mengen verarbeitete. 1918 entstand das Ford-Werk River Rouge in Dearborn,
Michigan. Die Fabrik produzierte alle Teile, sowie auch Stahl, Kohle für den Schmelz-
prozess, Glas und Reifen, für ein Auto selbst. Die Herstellung war in einem perfekten
14.2 Historie Toyota-Produktionssystem 201

Fluss organisiert. Alle Förderbänder waren zusammengezählt über 48 km lang. Die


Durchlaufzeit, um ein Fahrzeug herzustellen, betrug nur 28 h und die Prozesszeit sechs
Stunden. Die Produktion war nach dem Push-Prinzip gestaltet.
Die Fahrzeuge hatten eine geringe Varianz. Berühmt ist das Zitat, welches von Henry
Ford stammen soll: „Ein Kunde kann jede Autofarbe bekommen, solange diese Schwarz
ist.“ Das System funktionierte nur, weil das Produktionsvolumen groß genug war, aus
gleichen Teilen bestand und über viele Jahre produziert werden konnte. Daraus entwi-
ckelte sich eine Arbeitsteilung mit dem Ziel der Automatisierung von wiederholenden
Tätigkeiten, die im Verrichtungsprinzip endete. Mit dem „Modell T“ realisierte Ford
sein Ziel, das kostengünstigste Auto herzustellen. Die Fahrzeuge wurden immer billiger.
1914 wurden 267.000 Autos gebaut. 1916 betrug der Preis für ein Fahrzeug 360 US$ und
Henry Ford sagte: „Ein Tag ein Dollar, ein Jahr ein Auto.“ Im Jahr 1926 lag der Preis bei
290 US$ je Fahrzeug.
Die Folge war die Suboptimierung von Teilbereichen, welche die Effizienz der
Gesamtprozesskette weitgehend unberücksichtigt ließ und somit zu hohem Steuerungs-
aufwand, zu hohen Beständen und zu langen Durchlaufzeiten führte.

14.2 Historie Toyota-Produktionssystem

Im Jahre 1902 wurde durch Sakichi Toyoda (1867–1930) ein automatisierter Webstuhl
mit dem Prinzip „Jidoka“ (Autonomation) entwickelt (Abschn. 9.2). Zusammen mit sei-
nem Sohn Kiichiro Toyoda (1894–1952) wurde die Produktion von Webstühlen in einer
Massenproduktion nach dem Flussprinzip organisiert.
Durch Reisen von Kiichiro im Jahre 1929 durch Europa und Nordamerika und die
Begeisterung für Automobile, begann er, Motoren und Fahrzeuge zu entwickeln. Vater
Sakichi und Sohn Kiichiro Toyoda gründeten ein neues Unternehmen und stellten 1933
von automatischen Webstühlen auf Fahrzeuge um. Im Jahr 1935 war das erste Auto, das
„Model A1“, fertiggestellt (Toyota 1995, S. 57). Wenig später folgte das erste Fahrzeug
für den Massenmarkt. Kiichiro Toyoda optimierte seine Produktion und brachte die
Ideen des Just-in-Time-Prinzips ein (Abschn. 7.1).
Abweichend zum Familiennamen Toyoda (mit einem „d“) wurden die Firma und ihre
Produkte ab dann Toyota mit „t“ genannt. Die japanische Schreibweise des Firmenna-
mens benötigt im Vergleich zum Familiennamen nur acht Striche für das Wort. Die Acht
steht in Japan für Glück und ist eine Assoziation für weiteres Wachstum.
Die Firma Toyota wurden 1945 nach dem zweiten Weltkrieg mit dem kleinen und
sehr vielfältigen japanischen Fahrzeugmarkt konfrontiert. Es gab wenige Fertigungsmit-
tel und nur geringes Kapital. Eine Krisensituation entstand. So war es wichtiger denn je,
Fahrzeuge effizient zu produzieren. Kiichiro Toyoda zog sich 1947 zurück und übergab
das Unternehmen an seinen vertrauten Cousin Eiji Toyoda (1913–2013), mit dem Ziel,
die produzierten Stückzahlen der amerikanischen Automobilindustrie innerhalb von drei
Jahren einzuholen. Dies, obwohl die amerikanischen Firmen über eine um den Faktor
Acht bessere Produktivität verfügten.
202 14 Lean und Produktionssysteme

Eiji Toyota holte sich Taiichi Ohno (1912–1990), der für eine effizientere Produk-
tion sorgte. Die Wertschöpfung wurde konsequent gesteigert, dabei wurden die Prinzi-
pien Jidoka, Vermeidung von Verschwendung und Just-in-Time konsequent angewendet.
Ohno systematisierte das JIT-Prinzip durch Kanban (Abschn. 7.2). Doch die Mitarbeiter
in der Produktion lehnten das neue System ab und arbeiteten einfach wie gewohnt wei-
ter. Ohno übernahm die Initiative und ging direkt in die Produktion zu den Menschen
und zeigt selbst, wie das System angewendet wird. Eiji unterstützte ihn dabei vor Ort
vonseiten des Managements.
Im Jahre 1950 entwickelte Taiichi Ohno das Toyota-Produktionssystem (TPS), indem
er Just-in-Time, Jidoka (Autonomation), Pull und Kaizen, die kontinuierliche Verbesse-
rung, in einem System zusammenfasste. Ohno gilt damit als der Architekt des Toyota-
Produktionssystems (Ohno 2013). Das System lebt. Es gab über eine lange Zeit keine
Darstellung des Systems in Form von Grafiken. Durch das Produktionssystem erzielte
die Toyota Motor Company eine Massenproduktionsleistung bei niedrigem Volumen und
hoher Variantenvielfalt. In den 1960er-Jahren wurden auch die Lieferanten von Toyota
einbezogen und nach dem System partnerschaftlich weiterentwickelt.
Als 1973 durch die Ölkrise eine weltweite Wirtschaftskrise eintrat, reduzierte sich das
Produktionsvolumen. Nach der Krise gelang es Toyota, sich schneller als alle anderen
Automobilhersteller zu erholen. Das Produktionssystem unterstützte die Resilienz des
Unternehmens. Dies blieb der Automobilwelt nicht verborgen. 1984 folgte ein Joint Ven-
ture von Toyota mit General Motors (GM) für die Produktion von kleinen Fahrzeugen in
Nordamerika (Sato 2008, S. 249). Die „New United Motor Manufacturing Incorporated“
(NUMMI) in Kalifornien setzte das Just-in-Time-Prinzip das erste Mal in den Vereinig-
ten Staaten ein. Von den Mitarbeitern wurde das Produktionssystem sehr gut angenom-
men und erfolgreich eine sehr gute Qualität produziert. Die Fabrik wurde als die beste
Fabrik in den USA bezeichnet.
Heute betreibt der Automobilhersteller Toyota Fabriken und beteiligt sich an Lie-
feranten in vielen verschiedenen Ländern, auch in Europa (Großbritannien und Frank-
reich). Der Gedanke von „Transplants“ orientiert sich am japanischen Mutterwerk und
dupliziert den Erfolg in viele Länder. Auch ein Designzentrum in Frankreich und ein
Entwicklungszentrum in Belgien gehören inzwischen Toyota (Köhler 2006; Becker
2006, S. 424).
Toyota ist nicht nur mit Automobilen, sondern auch mit verschiedenen anderen Pro-
dukten (z. B. Fertighäuser, Gabelstapler) erfolgreich. Dies nicht nur wegen der Produkte,
sondern auch wegen der guten Prozesse. Die Kompetenz der Toyota-Gruppe besteht in
der Gestaltung von Fertigungs- und Montageprozessen. Daraus werden Fähigkeiten, wie
Logistikkonzepte und eine hohe Prozessqualität, entwickelt, welche die Montageressour-
cen effizienter machen. Die Effizienz äußert sich in überdurchschnittlicher Produktivität.
Diese verschafft Toyota Kostenvorteile gegenüber seinen Wettbewerbern und macht es zu
einem der profitabelsten Unternehmen und einem erfolgreichen Automobilhersteller.
Das Toyota-Produktionssystem wird auch als JIT-Produktionssystem bezeichnet. Die
Besonderheit ist, dass der Mensch in diesem System eine zentrale Rolle spielt (Mensch
14.3 Lean und Produktionssysteme 203

Abb. 14.1  Darstellung des Toyota-Produktionssystems (TPS) in Form eines Hauses

im Mittelpunkt des Systems) (Kap. 27). Es hat seinen Ursprung in der Produktion, aber
es wird unabhängig davon auch in anderen Bereichen eingesetzt. Als Darstellungsform
für das in Japan „TPS“ genannte System wird meistens ein Haus oder ein Tempel mit
den beiden Hauptsäulen Jidoka und Just-in-Time gewählt (Abb. 14.1). Standards bilden
die Basis des Systems als Fundament.
Das TPS wird als Managementsystem eingesetzt und ist mehr als nur der Versuch,
die Methoden in einer Grafik darzustellen. Es ist eine Philosophie, die täglich von allen
Mitarbeitern gelebt wird. Dies schließt die Führungskräfte mit ein und wird damit zur
Denkweise und Handlungsroutine.
In dieser Philosophie des Toyota-Wegs gibt es fünf Kernwerte: Genchi Gembutsu
(„gehe an den Ort der Wertschöpfung“) (Abschn. 25.1), Kaizen, Herausforderung,
Teamarbeit und Respekt. Themen, welche sich im zweiten Teil dieses Buches wieder-
finden. Weitere Managementprinzipien von Toyota wurden von Jeffrey K. Liker in sei-
nen Büchern „Toyota Weg“ (Liker 2013) und dem dazugehörigen Praxisbuch (Liker und
Meier 2013) vorgestellt.

14.3 Lean und Produktionssysteme

Die TPS-Prinzipien sind in der Welt bekannt unter dem Begriff „Lean“. Durch das Joint
Venture NUMMI mit Toyota in den USA (Abschn. 14.2) wurden amerikanische Forscher
des MIT (Massachusetts Institute of Technology) auf die Methoden aufmerksam und
verfassten eine Studie über die Besonderheiten. Im Jahr 1990 wurde die Studie als Buch
204 14 Lean und Produktionssysteme

mit dem Titel „The Machine That Changed The World: The Story of Lean Production –
Toyota’s Secret Weapon in the Global Car Wars That is Revolutionizing World Industry“
durch James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Roos (Womack et al. 1990) veröf-
fentlicht. Das Buch wurde ein Bestseller. Der deutsche Titel lautet „Die zweite Revo-
lution in der Automobilindustrie“ (Womack et al. 1991). Die Haupterkenntnis dieser
MIT-Studie war, dass Toyota mit Abstand der führende Benchmark bezüglich effizienter
Produktion ist (Abb. 14.2). So erreichte Toyota im Vergleich zu den westlichen Automo-
bilwerken, mit der Hälfte an Mitarbeitern, eine dreimal höhere Produktivität mit viermal
kürzeren Lieferzeiten (Zollondz 2013, S. 6).
Die Forscher des MIT benutzen den Begriff Lean Production und Lean Manu-
facturing, um das Toyota-Produktionssystem zu beschreiben, und leiteten damit die
Übernahme von Lean weltweit ein. Lean ist ein systematischer Ansatz, der durch konti-
nuierliche Verbesserung Verschwendungen identifiziert und beseitigt. Ziel ist es, Waren
entsprechend der Kundennachfrage in einem Prozessfluss zu produzieren.
Lean besteht meist aus verschiedenen Methoden:

• Kunden- und bedarfsorientierte Produktion


• Lagerung am Verbrauchsort
• Schnelles Rüsten
• Ein-Stück-Fluss und Losgrößenreduzierung
• Austaktung
• Standardisierte Arbeit
• Arbeitsplatzorganisation
• Visuelle Kontrolle und Transparenz
• Effektive Layouts
• Qualität von Anfang an
• Arbeitsorganisation

Allein die Methodik macht noch kein Unternehmen schlank. Lean ist mehr. Was Lean ist
und was nicht, soll Tab. 14.1 als einfache Definition von Lean darstellen. Akers (2016,
S. 25) sagt: Lean bedeutet, alles das zu beseitigen, was einen stört. So wird Verschwen-
dung eliminiert. Oder ganz kurz: „Lean ist alles, was gut ist, und alles, was gut ist, ist
Lean“ (Modig und Ahlström 2015, S. 107).
Ausgehend von den japanischen Ursprüngen, der Anwendung der Systematik in den
USA und der veröffentlichten Studie, kam das Produktionssystem 1990 erstmalig nach
Europa. Nach der deutschen Wende wurde es im Opel-Werk in Eisenach erfolgreich
eingesetzt. Ab 1995 erprobten auch andere Automobilhersteller und deren Zulieferer
Produktionssysteme. So begannen Daimler-Benz, Chrysler, Ford, Skoda und Audi mit
ihren ersten Gehversuchen zu Lean Production. Um die Jahre 1999 und 2000 wurden,
rund 50 Jahre nach dem Entwurf des TPS und 10 Jahre nach der Studie des MIT, bei den
Automobil-OEMs ganzheitliche Produktionssysteme nach dem Vorbild von Toyota einge-
setzt (Oeltjenbruns 2000). Ganzheitlich bedeutet durchgängig und umfassend, sodass alle
14.3 Lean und Produktionssysteme 205

Produktion
Produktivität Lagerbestand
36,2 2,9
HPV 25,1 2,0
21,2

Tage
16,8 1,6

0,2
1 2 3 4 1 2 3 4
Größe des
Qualität
Nacharbeitsbereichs

Produktionsfläche
97 14,4

Prozentanteil der
100 Fahrzeuge

82 12,9
65
Fehler je

60

4,1 4,9

1 2 3 4 1 2 3 4
Mitarbeiter
Organisation Ausbildung
in Teams neuer Mitarbeiter
69,3 71,3 380 370
h je Mitarbeiter
Prozent

173
17,3
46
0,6
1 2 3 4 1 2 3 4
Verbesserungs-
Abwesenheit
vorschläge
61,6 11,7 12,1
je Mitarbeiter
und Jahr

Prozent

1,4
5,0 4,8
0,4 0,4

1 2 3 4 1 2 3 4
Durchschnittswerte für Montagewerke je Region:

1 Japanische Werke in Japan 3 Amerikanische Werke in den USA

2 Japanische Werke in den USA 4 Europäische Werke in Europa

Abb. 14.2  Vergleich der Werkskennzahlen von Großserienherstellern 1989 in unterschiedlichen


Regionen. (Nach Womack et al. 1991, S. 97)
206 14 Lean und Produktionssysteme

Tab. 14.1  Einfache Definition von Lean


Lean ist nicht Lean ist
• Neu • Ein integriertes System von Prinzipien, wel-
• Japanisch ches die Verfolgung der perfekten Kunden-
• Akademische Theorie wertschöpfung verfolgt
• Nur eine Sache mit Relevanz für die • Es wird kontinuierlich an der Verbesserung
Produktion in der Produktionshalle der Qualität und Effizienz gearbeitet
• Limitiert auf repetitive Produktionsprozesse • 100 Jahre alt und bewährt
• Ein Einsparungsprogramm • Aus der Notwendigkeit entstanden
• Lediglich eine Sammlung von Methoden und • Notwendig für Wirtschaftlichkeit
Werkzeugen • Global

Aspekte berücksichtigt werden. Dies schließt die Kundensicht mit ein und ebenso den
Kulturwandel hin zu einer kontinuierlichen Verbesserungsmentalität (VDI 2012, S. 2).
Zwischen OEMs und Lieferanten wurde in der Erstellung von Produktionssystemen
zusammengearbeitet. Ähnlichkeiten eines DCPS (DaimlerChrysler-Produktionssystem)
mit dem BPS (Bosch-Produktionssystem) sind kein Zufall. Die Produktionssysteme ent-
standen von den OEMs aus nach und nach auch bei den Lieferanten, wie aus der Entste-
hung ausgewählter Produktionssysteme auf der Zeitachse in Abb. 14.3 ersichtlich wird.
Eine Erklärung verschiedener Produktionssysteme ist der Publikation des Instituts für
angewandte Arbeitswissenschaft (2000, S. 40 ff.) zu entnehmen.
Die Produktionssysteme werden mit unterschiedlichen Symbolen und Formen visu-
ell dargestellt (Abb. 14.4). Nicht nur die Darstellung als Haus, wie beim Toyota-Pro-
duktionssystem, wurde genutzt. Im Überblick über alle Produktionssysteme sind immer
wieder die beiden Elemente Jidoka und Just-in-Time präsent und im Zentrum der Dar-
stellungen.
Das vom DCPS abgeleitete Mercedes-Benz Produktionssystem (MPS) hat beide The-
men, „Qualität und robuste Prozesse und Produkte“ sowie „Just-in-Time“, zentral in
der Mitte dargestellt (DaimlerChrysler 2000). Eine ausführliche Beschreibung des MPS
in seiner ab 2000 gültigen ersten Version findet sich in Clarke (2005, S. 127 ff.). Spath
(2003, S. 122 ff.) gibt einen Überblick über das Mercedes-Benz Produktionssystem und
die Erklärung zu weiteren Produktionssystemen von unterschiedlichen Unternehmen.
Ein Produktionssystem wird gestaltet mit einem Paradigma als Denkmuster mit Krite-
rien und Logik, einer Philosophie und einer Unternehmenskultur mit Prinzipien, Metho-
den und Werkzeugen. Es ist aufgebaut wie ein Haus aus Steinen. Aber eine Sammlung
der obigen Elemente ist noch kein Produktionssystem, so wenig, wie ein Steinhaufen
ein Haus ist. Von der reinen Methodensammlung wird das Produktionssystem vielerorts
mehr und mehr zu einem System mit Prinzipien, welches die Methoden zielgerichtet
anwendet (Abb. 14.5). Das Lean nicht nur Methoden sind, sondern ein Systemgedanke,
wurde von den MIT-Professoren Womack und Jones mit der Veröffentlichung des
Buches „Lean-Thinking“ berücksichtigt (Womack und Jones 2013).
14.3 Lean und Produktionssysteme 207

TRW
Faurecia
ZF Heidelberg
Bosch B/S/H
Magna Steyr Meteor

Leoni Schmitz Cargobull
Siemens Knorr-Bremse Bahlsen
Johnson Controls Airbus Fehrer
FAG Kugelfischer Bosch Rexroth
Suspa Hella Behr Brose Sennheiser
Festool Trumpf Hans Grohe Pfleiderer Oeka Metall
SEW Eurodrive Hilti Mann und Hummel Saargummi
BMW Eaton MAN Voith Miele Zeiss
Chrysler Ford LUK GM VDO Festo GF
Valeo Nissan Audi Renault Claas Volvo Continental
Toyota Opel Porsche DaimlerChrysler VW Harting

1950 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012

Abb. 14.3  Zeitliche Einführung ausgewählter Produktionssysteme. (In Anlehnung an Winnes


2002; Keßler und Droste 2009, S. 47; Dombrowski und Mielke 2015, S. 22)

Porsche VW Audi Opel

Ford DaimlerChrysler

Abb. 14.4  Visuelle Darstellungsformen von Produktionssystemen (schematisch)

Die Lean-Reise geht weiter. Viele Unternehmen überarbeiten ihre Produktionssys-


teme. Auf der Zeitschiene gesehen, sind die Produktionssysteme in der Pubertät ange-
kommen. Es fehlt meist das ganzheitliche Managementsystem. Das Fehlende wird
nachgeholt. Dies kann aber nur funktionieren, wenn sich der Mensch und die Kultur im
Unternehmen in der Umsetzungsvision und Strategie sowie im Managementsystem wie-
derfinden und ernst genommen werden. Dabei spielt das Change Management auf dem
Shopfloor eine zentrale und entscheidende Rolle.
208 14 Lean und Produktionssysteme

Abb. 14.5 Stufen in einem


Produktionssystem
Gesamt-
system

Prinzipien und
Wirkzusammenhänge

Methoden und Elemente


des Produktionssystems

Beispiel
Die Ganzheitlichkeit im Sinne von Prozessoptimierung, Change Management und
dem Menschen zeigt das Beispiel der Firma fischer Befestigungssysteme (Möller
et al. 2016). Das System wird „fischer ProzessSystem“ genannt und zeigt damit die
Einsatzmöglichkeit nicht nur für die Produktion auf. Gleichzeitig wird der Mensch
als wichtigstes Element im Leitbild des Unternehmens betitelt (Abschn. 27.2) und
Change-Management-Methoden werden bei der Prozessoptimierung konsequent
angewendet.

Die Idee hinter den Produktionssystemen ist die Idee von Toyota. Es hat nicht den reinen
Bezug zu einer Produktion, sondern den unternehmensweiten Bezug als Management-
system (engl. Operation System).

14.4 Implementierung

Eine schlanke Produktion gemäß Lean-Prinzipien ist der traditionellen Produktion vorzu-
ziehen. Eine zusammenfassende Übersicht mit der Gegenüberstellung unterschiedlicher
Themen zeigt Tab. 14.2.
Veränderungen in dieser Form benötigen Zeit und laufen in kleinen Schritten ab. Es
sollte nicht alles gleichzeitig umgesetzt werden, denn dies führt zu Instabilität statt Sta-
bilität sowie zu einer Überforderung der Mitarbeiter. Auf die Frage „Wie isst man einen
Elefanten?“ sollte man die Antwort wissen: „In kleinen Bissen.“ Viele Unternehmen star-
teten mit einer einzigen Methode, wie z. B. 5S (Abschn. 10.2), und arbeiteten sich dann
weiter voran. Unternehmen, welche versuchten, alle Methoden komplett und überall ein-
zuführen, scheiterten am Einsatz von unnötigen Methoden für nicht existente Probleme.
Dies ist auch Verschwendung. Die Wirkzusammenhänge von Gestaltungsprinzipien als
ganzheitliches System müssen bei der Einführung eines Produktionssystems verstanden
sein (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft 2002).
14.4 Implementierung 209

Tab. 14.2  Gegenüberstellung der traditionellen mit der schlanken Produktion


Merkmal Traditionelle Produktion Schlanke Produktion
Einplanung Vorschau, Push Kundenbestellung, Pull
Produktion In das Lager Gemäß Kundenauftrag
Losgröße Groß, Lose und Bestände Klein, kontinuierlicher Fluss
Durchlaufzeit Lang Kurz
Qualitätskontrolle Stichprobe, durch Qualitätsbereich 100 %, im Prozess, durch
Werker
Layout Funktional Im Produktfluss
Lagerumschlag Wenig Hoch
Flexibilität Gering Hoch
Produktionskosten Hoch und steigend Gering und fallend
Selbstverantwortung Gering Hoch

Tab. 14.3  SFTPP-Vorgehensweise
Abkürzung Prinzip Methoden und Prinzipien
S Stabilisierung Nivellierung, Standards
F Fluss Losgrößenreduzierung, Kopplung der Prozesse, Layout
T Takt Kundentakt, Harmonisierung, gleiche Geschwindigkeit
P Pull Pull-Prinzip, Just-in-Time, Just-in-Sequence
P Perfektion Standardisierung, Qualitätsalarm/Qualitätsstopp, KVP, Problemlö-
sung, Shopfloor Management

Für eine ganzheitliche Einführung und Umsetzung von Lean ist nach Vorgehensweise
„SFTPP“ zu verfahren. Die Abkürzung steht für die schrittweise Vorgehensweise der
Prinzipien Stabilisierung, Fluss, Takt, Pull und Perfektion und deren Anfangsbuchstaben.
Bei der stufenweisen Durchführung wird so kein Schritt vergessen (Tab. 14.3). Die
­Reihenfolge ist auch in der Kapitelstruktur des ersten Teils dieses Buches zu erkennen.
Für die einzelnen Verbesserungsschritte sollte zuerst eine Analyse durchgeführt wer-
den. Danach folgt eine Phase der Umsetzung. Abgeschlossen ist die Umsetzung nach
einer Stabilisierungsphase und der Verankerung der Optimierung im Alltag durch einen
Standard (Abschn. 10.1).
Es stellt sich die Frage: Wie ist der Unterschied zwischen Industrienationen und
Billiglohnländern? Auch wenn Lean in einem Hochlohnland wie Japan entstanden ist,
kann es in allen Ländern eingesetzt werden. Auch in Billiglohnländern ist auf die Ver-
meidung von Verschwendung zu achten. Eine Verbesserung gegenüber einem Wett-
bewerber ergibt sich nicht durch eine Verlagerung in ein Billiglohnland. Denn dies
210 14 Lean und Produktionssysteme

könnte die Konkurrenz ebenso. Die Lean-Prinzipien umzusetzen, ist an jedem Standort
erforderlich. Bei geringer Automatisierung ist Lean umzusetzen. Aufgrund des hohen
Umfangs an manuellen Tätigkeiten ist das Thema Ergonomie von besonderer Bedeu-
tung (Abschn. 12.2). Durch den Einsatz der Lean-Prinzipien kann es durchaus möglich
sein, in einem Hochlohnland konkurrenzfähig zu produzieren und nicht abwandern zu
müssen. So sehen es auch die Arbeitnehmervertreter, welche Lean als eine wichtige
Methode ansehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze zu sichern.
Der kulturelle Aspekt einer Lean-Einführung ist ebenso zu betrachten. Dieses Thema
wird separat in einem späteren Abschnitt behandelt (Abschn. 26.4).

14.5 Vision und Kennzahlen

Wird das gesamte Unternehmen unter den Gesichtspunkten von Lean betrachtet und
ist das Ziel, ein Unternehmen ganzheitlich verschwendungsfrei zu machen, so spricht
man oft von einem sogenannten „Lean Enterprise“ (Abschn. 26.4). Die Ansätze der
Verschwendungsfreiheit und der Unterstützung von Hauptprozessen zur Produkterstel-
lung oder für Dienstleistungen ziehen sich durch das ganze Unternehmen. Alles richtet
sich nach dem Kunden. Dies schließt die Betrachtung der Unternehmenskultur mit ein.
Unternehmen haben eine übergeordnete Vision. Es wird der sogenannte „Nordstern“
(engl. True North) mit den folgenden Lean-Zielen herangezogen (nach Rother 2013,
S. 59):

• Qualität: Null Fehler


• Kosten: 100 % Wertschöpfung (Null Verschwendung)
• Zeit: Ein-Stück-Fluss (kurze Durchlaufzeit)
• Mitarbeiter: Sicherheit für Menschen

Das Ziel ist eine absolute Kundenzufriedenheit.


Eine Vision ist wichtig, um sich in die richtige Richtung zu bewegen. Was am Ende
dabei erreicht wurde (vergleiche Prozessfokus, Abschn. 3.1), mündet in die Betrachtung
von Ergebniskennzahlen. Bei Toyota hat sich die Kennzahlenlogik „SQDCM“ bewährt
(deutsche Variante SQAKM) (Abschn. 23.1). Die Buchstaben stehen für Kennzahlen zu
den Themen Sicherheit (Safety), Qualität (Quality), Ausbringung/Belieferung (Delivery),
Kosten (Cost) und Mitarbeiter/Moral (Moral). Im Feld der Ressourceneffizienz findet
sich teilweise der Buchstabe „E“ für Environment (Umwelt) als Erweiterung.
Das Controlling und die Bilanzierungsabteilung müssen in einem Lean-Unternehmen
umdenken (Abschn. 23.1). Ist alles richtig durchgeführt, ergibt sich ein gutes Unterneh-
mensergebnis. Viele Firmen haben dies unter Beweis gestellt. In der Unternehmensbilanz
wirken sich reduzierte Bestände in weniger gebundenem Kapital aus. Weniger Bestände
und ein gutes Layout im Fluss benötigen weniger Fläche. Dies reduziert Mietkosten,
erlaubt Fläche zu vermieten oder es muss keine zusätzliche Fläche angemietet oder
14.7 Zusammenfassung 211

erworben werden. Dies spart Kosten oder führt zu Einnahmen. Schnellere Durchlauf-
zeiten reduzieren durch den schnelleren Geldzufluss von Kundenseite die Höhe der Ver-
bindlichkeiten zwischen Einkauf und Verkauf. Eine weitere Beschleunigung im Ablauf
ergibt sich durch eine prozesseffiziente Administration (Kap. 16). Je schneller die Rech-
nungen von der Buchhaltung über einen standardisierten Prozess mit wenig Durchlauf-
zeit gestellt sind, umso schneller fließt das Geld für die verkaufte Ware zurück in das
Unternehmen. Statt neuer und teurer sowie komplexer Anlagen gibt es Low-Cost-Lösun-
gen und einfache, abgeschriebene Maschinen, welche selbst gewartet werden (Kap. 20).
Dies spart Anschaffungskosten und Betriebskosten. Auch ein flexibles Mitarbeitermon-
tagesystem (Abschn. 12.3) ist eine günstige Alternative zu den teuren inflexiblen Ferti-
gungsstraßen. Viele dieser Maßnahmen erhöhen den Cash-Flow und erlauben damit die
Absenkung von Verbindlichkeiten gegenüber den Fremdkapitalgebern. Die vermiedenen
Zinsausgaben sind ein direkter Gewinn.

14.6 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Lean und Produktionssysteme zu beantworten


• Kennen die Unternehmensführung und das Controlling die Wirkung von Lean auf die
Unternehmenskennzahlen?
• Wird der Fokus bei Optimierungen auf Qualität und Zeit anstatt auf Kosten gelegt?
• Ist ein ganzheitliches Produktionssystem vorhanden, visualisiert, kommuniziert?
• Wird das Produktionssystem gelebt?
• Ist der Mensch im Produktionssystem berücksichtigt?
• Existiert eine Lean-Vision?
• Ist die Vision langfristig angelegt?
• Gibt es ein Produktionssystem?
• Wurde das Produktionssystem selbstständig und passend erarbeitet, anstatt kopiert?

14.7 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Lean und Produktionssysteme


• Lean stammt ursprünglich aus der Automobilindustrie und basiert auf dem Toyota-
Produktionssystem. Das System repräsentiert die Denkweise von Lean.
• Für Toyota war es in der Krisensituation 1945, als es nur wenige Fertigungsmit-
tel und knappes Kapital gab, sehr wichtig, Fahrzeuge effizient zu produzieren. Im
Jahre 1950 entwickelte Taiichi Ohno das Toyota-Produktionssystem (TPS), indem
er Just-in-Time (Pull, Kanban), Jidoka (Autonomation) und Kaizen (kontinuierli-
che Verbesserung) in einem System zusammenfasste.
212 14 Lean und Produktionssysteme

• Von der Ölkrise 1973 erholt sich Toyota im Vergleich zu den anderen Automobil-
herstellern am schnellsten. Mit General Motors ergab sich ein Joint Venture in den
USA. Dadurch wurden Forscher des MIT auf das Produktionssystem aufmerksam.
• Die Kompetenz der Toyota-Gruppe besteht in der Gestaltung von Fertigungs- und
Montageprozessen.
• Als Darstellungsform für das TPS findet sich häufig ein Haus mit zwei Haupt-
säulen (Jidoka und Just-in-Time). Standards bilden die Basis des Systems. Der
Mensch steht im Mittelpunkt.
• Das Toyota-Produktionssystem ist eine Philosophie, die täglich von allen Mitarbei-
tern gelebt und geteilt wird. Dies schließt die Führungskräfte mit ein. Damit wird
es zur Denkweise und Handlungsroutine des Unternehmens.
• Die MIT-Forscher benutzen die Begriffe Lean Production und Lean Manufacturing,
um das Toyota-Produktionssystem zu beschreiben und leiteten damit die Über-
nahme von „Lean“ weltweit ein. Lean ist ein systematischer Ansatz, der durch kon-
tinuierliche Verbesserung Verschwendungen identifiziert und beseitigt. Ziel ist es,
Waren entsprechend der Kundennachfrage in einem Prozessfluss zu produzieren.
• Um die Jahrtausendwende starteten auch andere Automobilhersteller ihre ers-
ten Gehversuche zu Lean. Viele Unternehmen überarbeiten ihre Produktionssys-
teme, denn es fehlt meist das ganzheitliche Managementsystem. Dies kann aber
nur funktionieren, wenn sich der Mensch und die Kultur im Unternehmen in der
Umsetzungsvision und Strategie sowie im Managementsystem wiederfinden. Das
System muss ernst genommen und gelebt werden. Zentraler Faktor ist hierbei das
Change Management auf dem Shopfloor.
• Für eine ganzheitliche Einführung und Umsetzung von Lean ist nach der Vorge-
hensweise „SFTPP“ (Stabilisierung, Fluss, Takt, Pull, Perfektion) zu verfahren.
Die Einführung und Umsetzung erfolgt schrittweise und nicht gleichzeitig.
• Lean Enterprise steht dafür, ein Unternehmen ganzheitlich verschwendungsfrei
zu organisieren. Die Vision lautet: Null Fehler, 100 % Wertschöpfung, Ein-Stück-
Fluss, Sicherheit für Menschen und absolute Kundenzufriedenheit.
• Lean wirkt sich auf die Leistung des Unternehmens durch die erhöhte Produkti-
vität, die reduzierten Bestände, die Reduzierung von Ausschuss und eine bessere
Kapitalnutzung aus. Gleichzeitig wird ein flexibler Betrieb geschaffen, der auf die
Marktbedingungen reagieren kann. Der Fokus auf Qualität und Zeit wirkt sich im
Ergebnis durch niedrige Kosten aus.

Fragen
• Wie lassen sich die Lean-Methoden und Lean-Prinzipien der Knalsch GmbH in ein
Produktionssystem zusammenfassen?
• Welche grafische Darstellungsform kann dem Produktionssystem der Knalsch
GmbH gegeben werden?
• Welcher passende Name kann dem Produktionssystem der Knalsch GmbH gege-
ben werden?
Literatur 213

• Wie lauten die fünf Kernwerte der Philosophie von Toyota?


• Aus welchen Prinzipien besteht Lean?
• Wie unterscheiden sich die traditionelle Produktion und die schlanke Produktion
hinsichtlich der Merkmale: Einplanung, Losgröße, Durchlaufzeit, Qualitätskont-
rolle, Flexibilität und Selbstverantwortung?
• Für welche Methoden und Prinzipien steht SFTPP?
• Wofür steht die Kennzahlenlogik SQDCM bzw. SQAKM?

Literatur

Akers PA (2016) 2 second lean: how to grow people and build a fun lean culture at home & at
work, 3. Aufl. FastCap Press, Ferndale
Becker H (2006) Phänomen Toyota – Erfolgsfaktor Ethik. Springer, Berlin
Clarke C (2005) Automotive production systems and standardisation – from Ford to the case of
Mercedes-Benz. Physika, Heidelberg
DaimlerChrysler (2000) Mercedes-Benz Produktionssystem (MPS) – Systembeschreibung. 2. überarb.
Aufl., 17.01.2000, DaimlerChrysler AG, Stuttgart. http://engp-download.daimler.com/docmaster/
en/doc/MPS_-_SYSTEMBESCHREIBUNG.2000-01-17.DE.pdf. Zugegriffen: 1. Okt. 2017
Dombrowski U, Mielke T (2015) Ganzheitliche Produktionssysteme: Aktueller Stand und zukünf-
tige Entwicklungen. Springer, Berlin
Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (Hrsg) (2000) Arbeitsorganisation in der Automobilin-
dustrie – Stand und Ausblick. Wirtschaftsverlag, Köln
Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (Hrsg) (2002) Ganzheitliche Produktionssysteme –
Gestaltungsprinzipien und deren Verknüpfung. Wirtschaftsverlag, Köln
Keßler S, Droste M (2009) Ganzheitliche Produktionssysteme für Logistikdienstleister – Ent-
wicklung eines Managementinstrumentariums für Logistikdienstleister zur Leistungsop-
timierung auf Basis der Prinzipien ganzheitlicher Produktionssysteme. Dortmund. https://
eldorado.tu-dortmund.de/bitstream/2003/26441/1/Schlussbericht%20-%20GPS%20
f%c3%bcr%20LDL%20%28Eldorado%29.pdf. Zugegriffen: 1. Okt. 2017
Köhler A (2006) Fliegende Autos. Wirtschaftswoche 1-2:36–42
Liker JK (2013) Der Toyota Weg – 14 Managementprinzipien des weltweit erfolgreichsten Auto-
mobilkonzerns, 8. Aufl. Finanzbuch, München
Liker JK, Meier DP (2013) Der Toyota Weg Praxisbuch – Für jedes Unternehmen, 6. Aufl. Finanz-
buch, München
Modig N, Ahlström P (2015) Das ist Lean – Die Auflösung des Effizienzparadoxons. Rheologica,
Stockholm
Möller K, Gabel J, Bertagnolli F (2016) Fischer fixing systems: moving forward with the workforce –
change communication at the global distribution center. J Inf Technol Educ: Discuss Cases 5:1–24
Oeltjenbruns H (2000) Organisation der Produktion nach dem Vorbild Toyotas – Analyse, Vorteile
und detaillierte Voraussetzungen sowie die Vorgehensweise zur erfolgreichen Einführung am
Beispiel eines globalen Automobilkonzerns. In: Bracht U (Hrsg) Innovationen der Fabrikpla-
nung und -organisation, Bd. 3. Shaker, Aachen
Ohno T (2013) Das Toyota-Produktionssystem, 3. Aufl. Campus, Frankfurt
Rother M (2013) Die KATA des Weltmarktführers, 2. Aufl. Campus, Frankfurt
214 14 Lean und Produktionssysteme

Sato M (2008) The toyota leaders: an executive guide, 1. Aufl. Vertical, New York
Spath D (Hrsg) (2003) Ganzheitlich produzieren – Innovative Organisation und Führung. LOG_X,
Stuttgart
Toyota (1995) Total guide to the toyota commemorative museum of industry and technology. The
Toyota Commemorative Museum of Industry and Technology. Toyota, Nagoya
VDI (2012) VDI-Richtlinie 2870 Blatt 1, Ganzheitliche Produktionssysteme – Grundlagen, Ein-
führung und Bewertung. Verein Deutscher Ingenieure (Hrsg), Beuth, Berlin
Winnes R (Hrsg) (2002) Die Einführung industrieller Produktionssysteme als Herausforderung für
Organisation und Führung. Seminar, Technische Hochschule Karlsruhe, Karlsruhe
Womack JP, Jones DT (2013) Lean Thinking – Ballast abwerfen, Unternehmensgewinne steigern,
3. Aufl. Campus, Frankfurt
Womack JP, Jones DT, Roos D (1990) The machine that changed the world: the story of lean pro-
duction – toyota’s secret weapon in the global car wars that is revolutionizing world industry.
Free Press, New York
Womack JP, Jones DT, Roos D (1991) Die zweite Revolution in der Autoindustrie – Konsequen-
zen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technology, 3. Aufl. Campus,
Frankfurt
Zollondz HD (2013) Grundlagen Lean Management – Einführung in Geschichte, Begriffe, Sys-
teme, Techniken sowie Gestaltungs- und Implementierungsansätze eines modernen Manage-
mentparadigmas. Oldenbourg, München
Teil II
Vertiefung: Lean Management

Der Shopfloor ist ein Spiegelbild des Managements.


Mike Rother und Rick Harris

Der zweite Teil dieses Buches behandelt das Themenfeld „Lean Management“. Es
werden spezielle Themen aus dem Lean-Umfeld detailliert behandelt und vertieft.
Dies unterstützt Praxisanwender und Mitarbeiter in Unternehmen sowie Experten
und Berater aus der Praxis und eignet sich besonders für Masterstudierende. Es werden
neuere Lean-Themen dargestellt und mit Beispielen hinterlegt. Dies soll der Inspiration
dienen und Verbesserungsprozesse, mit den jeweils nach Themenstellung passenden
Fragestellungen, begleiten.
Einführung Lean Management
15

Das Auge des Bauern macht die Kühe fett.


Buchtitel von Herbert Henzler

Zusammenfassung
Lean Management ist der ganzheitliche Ansatz von Lean-Methoden, der strategischen
Umsetzung und der Berücksichtigung und Einbindung der kulturellen Ebene. Das
Thema Führung ist mit Lean zu verbinden, um nicht nur auf der methodischen Ebene
Optimierungen zu erreichen, sondern Lean als Unternehmensphilosophie umzusetzen.
Lean findet außerhalb der Produktion in Verwaltung, Entwicklung und Planung seine
Anwendung. In anderen Branchen, wie z. B. in Dienstleistungsprozessen, ist Lean
ebenso im Einsatz.

15.1 Lean Management

Der Begriff Lean Management wird in Literatur und Praxis sehr unterschiedlich defi-
niert und eingesetzt. Zur Orientierung folgt eine Definition, die das Thema so beschreibt,
dass Raum für Weiterentwicklungen besteht. Die Begrifflichkeit wird im Kern klarer
beschrieben, statt eine Abgrenzung am Rand vorzunehmen.

 Lean Management Umfasst alle Themenstellungen von Lean in einem ganzheitlichen


Ansatz in verschiedenen Anwendungsbereichen. Dabei werden zusätzlich der Mensch,
der Führungsaspekt sowie das Denken und Handeln einbezogen. Statt Methoden stehen
Denkweisen im Vordergrund (Lean Thinking).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 217


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_15
218 15 Einführung Lean Management

In einer bildhaften Beschreibung wurde Lean Production mit dem Rudern auf einem
ruhigen Fluss verglichen. Durch die Stabilität des ruhigen Flusses gelingt der Mann-
schaft auf dem Fluss mit Takt und Pull die Perfektion. Ist die Mannschaft nicht mehr auf
dem Fluss, sondern auf dem Land, müssen die Methoden angepasst werden. Wenn das
Wasser des Flusses wilder wird, werden die Menschen und die Führung wichtiger. In
einem Wildwasser hilft nur noch ein reaktives Rafting. Das Managen geht dann in das
Lean Leadership (Abschn. 26.1) über.
Lean Management entwickelt sich aus der Notwendigkeit heraus, nicht aus einem
Selbstzweck. Auslöser ist meist eine Krise (Abschn. 2.2) oder die Notwendigkeit bzw.
Strategie zur Optimierung. Die Vision und das Ziel sind definiert und kommuniziert.
Interne Komplexität soll reduziert und die Veränderungsgeschwindigkeit erhöht werden.
Der notwendige KVP wird durch den gezielten Methodeneinsatz erreicht. Die Teamfüh-
rung erfolgt selbstständig anhand der abgeleiteten Ziele. Auch in anderen Bereichen und
Themen bleibt das Ziel bestehen, den Wert des Prozesses aus der Sicht des Kunden zu
erkennen und dabei Verschwendung zu vermeiden.
Lean Management ist eine Reise, welche einer Schnitzeljagd zu gleichen scheint. Wie
auch immer der Weg aussieht, er ist selbst zu finden und zu gehen. Jedes Unternehmen
geht den Weg anders und nicht alle gehen ihn bis zum Schluss, manche geben vorzei-
tig auf. Es gibt kein Lean-Rezept, also auch keine Wegbeschreibung. Als Philosophie ist
Lean ein Kompass, der die Richtung zeigt. Wie der Weg verläuft und was einen erwartet,
wird man sehen, wenn die Reise begonnen wurde.

15.2 Der Lean-Management-Netzplan

Der Plan durch den folgenden zweiten Teil des Buches mit dem Thema Lean Manage-
ment ist nicht linear und iterativ. Das Schema folgt nicht dem einer einzelnen Linie mit
einer Start- und Endstation. Die Themenzusammenhänge werden im folgenden Netzplan
dargestellt und verknüpft (Abb. 15.1).
Im Vergleich zur Reihenfolge im ersten Teil des Buches ist ein Einstieg an jeder
Stelle möglich. Die Reise durch die folgenden Themen bestimmt der Leser selbst. Die
Start- und Endpunkte sowie die Wege durch die Themen werden damit individuell. Ide-
alerweise wird auf der Lernreise durch das Thema Lean ein eigenes Verständnis und ein
persönlicher Netzplan generiert. Dies gelingt durch das Verknüpfen der Themen und
erkannte Zusammenhänge.
Die Geschichten der Knalsch GmbH begleiten die einzelnen Kapitel und sind vor-
angestellt. Um ein Springen in den folgenden Kapiteln zu ermöglichen, folgen die
dazugehörigen Kurzgeschichten, im Unterschied zu den vorherigen Kapiteln, keiner auf-
einander aufbauenden Reihenfolge.
15.2 Der Lean-Management-Netzplan 219

Einfachautomatisierung Nachhaltigkeit

Abb. 15.1  Der Netzplan für die Themen zu Lean Management


Administration
16

In der Produktion suchen wir bei der Optimierung die Cents, in der
Administration aber liegen die Euros herum.
Bodo Wiegand und Katja Nutz in Anlehnung an einen großen
deutschen Manager

Zusammenfassung
Sich am Kunden auszurichten und in Prozessen zu denken, ist in administrativen
Bereichen elementar. Die Verschwendungsarten aus dem direkten Bereich werden für
den indirekten Bereich abgeleitet und angepasst. Statt Material stehen die Informa-
tionen im Mittelpunkt. Das Pendant zur Wertstromanalyse ist für Informationsflüsse
das Makigami. Weitere Analysemethoden, speziell für die administrativen Bereiche,
ergänzen die Verschwendungserkennung als Basis für die Optimierung der Abläufe.

Knalsch GmbH: Chaos in der Verwaltung


Aus dem Sekretariat wird ein Anruf durchgestellt. Der Geschäftsführer eines mit-
telgroßen Kunden ist am Telefon. Aufgebracht beschwert er sich bei Herrn Alsch.
Ein Auftrag sei nicht geliefert und bei einer Rückfrage nicht bearbeitet worden.
Alsch entschuldigt sich und verspricht, sich umgehend darum zu kümmern.
In der Auftragsverwaltung angekommen, fragt er die zuständige Leiterin Chris-
tina Maier. Diese sucht in Excel-Listen, Ordnern und im überfüllten Eingangsver-
zeichnis des Mailprogramms – vergebens – und gelobt Besserung.
Sauer besinnt sich Alsch zurück auf das Thema 5S: Funktioniert das nicht auch
im indirekten Bereich? Aber wo anfangen? Vielleicht mal die Prozesse mit einem

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 221


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_16
222 16 Administration

Wertstrom durchleuchten? Geht das überhaupt im indirekten Bereich? Nötig wäre


es dringend.
Claudia Beck meldet sich auf dem Handy: „Chef, die Besprechung startet, wo
sind Sie und Frau Maier? Und noch was: Der Beamer im Besprechungsraum funk-
tioniert mal wieder nicht.“

16.1 Indirekte Bereiche

Abseits der Produktion gibt es administrative Unternehmensbereiche und Dienstleis-


tungsorganisationen mit administrativen Geschäftsprozessen. Diese Bereiche sind in der
Regel: Verwaltung, Entwicklung, Planung und Auftragsabwicklung. Sie werden als indi-
rekte Bereiche bezeichnet, analog zur Produktion als direktem Bereich.

 Indirekter Bereich Bezeichnung für alle Bereiche eines Unternehmens, welche unter-
stützende Leistungen für den direkten Bereich (Produktion) erbringen. Sie nehmen aktiv
nicht direkt an der Herstellung eines Produktes teil. Es handelt sich z. B. um Entwick-
lung, Planung, Einkauf, Vertrieb, Personal, IT oder Controlling.

Indirekte Bereiche begründen ihre Existenz in der Vorbereitung, Zuarbeit sowie Unter-
stützung für die direkten Bereiche und sind bei richtigem Einsatz mit dem Kundennut-
zen verknüpft. Unternehmen, die ausschließlich klassische Dienstleistungen anbieten,
fallen unter den Begriff der administrativen Tätigkeit. Dazu gehören: Krankenkassen,
Weiterbildungen, Hotels, Krankenhäuser oder Versicherungen. Eine gute Aufteilung der
Tätigkeiten ist, wenn 80 % der Tätigkeiten in einem Unternehmen der direkten Produk-
tion oder der Dienstleistung für den Kunden nutzen. Maximal 12 % sollten für Themen
und Kommunikation an Schnittstellen (z. B. Einkauf, Auftragsannahme, Vertrieb) auf-
gewendet werden. Die restlichen maximal 8 % sollten für Verwaltungstätigkeiten (z. B.
Planung, Administration, Personalwesen) eingesetzt werden. Diese Zahlenregel kann
für einzelne Arbeitsplätze bis zur Einplanung der Mitarbeiter innerhalb der Organisation
angewendet werden.
Was die Produkte im Produktionsbereich sind, sind die Informationen sowie Dienst-
leistungen im indirekten Bereich. Die vier wichtigsten Wettbewerbsfaktoren sind
Verfügbarkeit (jederzeit abrufbar), Qualität (Fehlerfreiheit), Individualisierung (Modu-
larisierung, Flexibilisierung) und Kosten (geringe Aufwände). Prozesse mit mehreren
verschiedenen Tätigkeiten und längere Bearbeitungszyklen bilden einen weiteren Unter-
schied zur Produktion. Eine vergleichende Gegenüberstellung zwischen direkten und
indirekten Bereichen ist in Tab. 16.1 zu sehen.
16.1 Indirekte Bereiche 223

Tab. 16.1  Vergleich Prozesse in direkten und indirekten Bereichen


Aspekt Direkter Bereich/Produktion Indirekter Bereich/Administration
Arbeitsplatz Produktion/Fertigung Büro
Prozesse Produktionsprozess Geschäftsprozesse/Geschäftsvorfälle
Medium Materialien und Produkte Immaterielle Information/Leistung (schwer
(sichtbar/verfolgbar) sichtbar/verfolgbar)
Wege Transportwege Medien und Schnittstellen
Arbeitsinhalte Standardisiert Schwankungen (Umfang und Qualität)
Takt Getaktete Sequenz Variation
Bestände Materialbestände (finanziell Administrative Bestände (finanziell schlecht
bewertbar) bewertbar)
Fluss Pull-Prinzip Kein Pull, da Informationen nicht bereitstehen
Mitarbeiter Ausführende Rolle Eigenverantwortliches Arbeiten und Entschei-
dungsfreiheit
Arbeitsweise Sicherstellen der Produktion, Flexibles Handeln, Schaffung kreativer Prob-
Abarbeiten von Aufträgen lemlösungen, Treffen von Entscheidungen
Kaizen Seit langem gelebt Ungewohnt (Mindset)
Problematik Ergebnisorientierung Organisationsorientierung

Aus der Zusammenfassung einer Studie (Schneider et al. 2011) und weiteren Beurtei-
lungen ergeben sich Erkenntnisse für die Tätigkeiten in administrativen Bereichen:

• 70 % der Ursachen für Kundenreklamationen entstehen in administrativen Prozessen.


• Ein Drittel der Büroarbeitszeit wird für das Ablegen und Suchen verwendet.
• Bei 95 % der Mitarbeiter ist die Informationsflut durch die Mail-Kommunikation
gestiegen.
• Nur jede dritte E-Mail ist für die eigene Arbeit relevant.
• Für die Bearbeitung von E-Mails werden im Durchschnitt 72 min pro Tag benötigt.
• 30 % der Arbeitszeit wird in Sitzungen verbracht, bei denen nur wenige mit der Effi-
zienz zufrieden sind.
• Nur wenige Mitarbeiter können den Gesamtprozess beschreiben, dem sie zuarbeiten.
• Hohe Fehlerquoten von oft über 25 % werden durch fehlende Standards und man-
gelnde Abstimmung zwischen Abteilungen verursacht.
• Trotz gestiegener IT-Unterstützung ist die Produktivität in der Verwaltung in den letz-
ten Jahren unverändert.

Je nach Tätigkeit gibt es Unterschiede, denn der Tagesablauf unterscheidet sich je nach
Aufgabe.
Viele verschiedene Probleme in den indirekten Bereichen haben ihre Ursache in
Unklarheiten und in nicht standardisierter Arbeit. Die folgenden Themen haben ihren
Ursprung in der nicht standardisierten Arbeit und sind die Ursachen für Ineffizienz:
224 16 Administration

• Fehlender Überblick
• Keine Transparenz
• Suchen von Informationen
• Informationsmangel
• Unklarheiten
• Unklare Ansprechpartner
• Unklare Verantwortlichkeiten
• Unklare Schnittstellen
• Abstimmungsprobleme
• Schwierige oder keine Auftragsverfolgung
• Verzögerungen
• Mangelnde Flexibilität
• Ungleiche Auslastung
• Zu späte Fehlererkennung

Hinzu kommt, dass im Vergleich zu den Werkzeugen in der Produktion eine Komplexi-
tät in den administrativen Werkzeugen vorhanden ist. Die Werkzeuge der Administration
sind Softwareprogramme, welche mit unterschiedlicher Erfahrung und verschiedenen
Vorgehensweisen bedient werden.

16.2 Verschwendung im indirekten Bereich

In den Prozessabläufen der Verwaltung und in Büros gibt es, ebenso wie in der Produk-
tion, verschiedene Probleme sowie Bestände und somit Verschwendungen. Im direkten
Bereich hat eine Person meist eine Aufgabe. Im indirekten Bereich kommt es häufig vor,
dass eine Person mehr als eine Aufgabe gleichzeitig hat. Durch die meist nicht so kurz-
zyklischen Abläufe sind Verschwendungen nicht einfach zu sehen. Im indirekten Bereich
müssen die Verschwendungen ebenso durch das „Sehen-Lernen“ erkannt werden. Die
Hauptfrage ist: Was ist im indirekten Bereich Wertschöpfung und was nicht?
Die bekannten acht Arten der Verschwendung werden auf das neue Umfeld mit dem
Fokus auf Informationen transferiert (Tab. 16.2). Sichtbar werden diese durch Bürokratie.
Die Verschwendungen führen zu Intransparenz, Nachfragen und einer Erhöhung der
Durchlaufzeit. Wie beim Wertstrom (Kap. 8), ist auch im indirekten Bereich eine kurze
Durchlaufzeit der entscheidende Faktor für einen guten Prozessablauf.
Bei einem geregelten Informationsfluss gibt es Schnittstellen, welche ineffizient sein
können. Medienbrüche, bei denen etwas abgetippt, ausgedruckt, per Telefax versendet
oder wieder eingegeben werden muss, sind keine wertschöpfende Arbeit und zudem
anfällig für Übertragungsfehler.
Ein zusätzliches Faktum bei Informationsflüssen ist, dass Informationen im Gegensatz
zu einem Werkstück an ganz unterschiedlichen Orten gleichzeitig sein können. So z. B.
eine Mehrfachablage als Ausdruck in einem Ordner und als Datei auf einem Server, letz-
tere eventuell mehrfach und in unterschiedlichen Ständen. Werden Informationen nicht
16.3 Analysemethoden 225

Tab. 16.2  Die acht Verschwendungsarten im indirekten Bereich mit Beispielen


Verschwendungsarten Beispiele
Überinformation und Überpro- • Leistungen ohne Abnehmer
duktion • Mehr Informationen als gefordert
• Unsinnige Aufgaben, Doppelarbeit, Berichtswesen
• Mehrfachablage, Archiv
Bestände, Arbeitsrückstände • Nicht bearbeitete Aufträge
• Posteingang (Fach und Mail)
• Speicherplatz, Ablageflächen, Ordner
• Abarbeitung in Losen
Überflüssige Bewegung • Lange Wege im Büro, z. B. zu Bürogeräten, Akten
• Schlechtes Bürolayout, räumliche Trennung
• Wege zu Besprechungen/Sekretariat
• Reisezeiten
Informationstransfer • Komplizierte Wege
• Schnittstellen und Medienbrüche
• Lange Besprechungen
• Hoher Mailverkehr
Wartezeit und Suchen • Warten auf Aufträge, Freigaben oder Informationen
• Suche nach Dokumenten und Informationen
• Rechner- und Programmstart, Geräteverfügbarkeit
• Unpünktlichkeit
Fehler und Nacharbeit • Fehlende, unvollständige, falsche Informationen
• Veraltete und unterschiedliche Informationen
• Unklarheiten, Rückfragen
• Schleifen
Komplizierte Arbeitsabläufe • Doppelbeauftragung, Redundanzen
• Prüfen, schlechte Abstimmungen
• Unterschiedliche Prioritäten
• Komplexe IT/Software
Ungenutztes Mitarbeiterpotenzial • Ungeeigneter Mitarbeitereinsatz, Unter-/Überforderung
und ungenutzte Informationen • Unberücksichtigte Informationen
• Kein Wissensaustausch, internes Konkurrenzdenken
• Mangelnde Einarbeitung

geteilt, so existiert auch hier die achte Verschwendungsart in Form von nicht bekanntem
oder nicht genutztem Wissen.

16.3 Analysemethoden

Um Verschwendungen in einzelnen Prozessen zu identifizieren und zu eliminieren, sowie


Arbeitsplätze zu verbessern gibt es verschiedene Methoden.
Die Tätigkeitsstrukturanalyse (TSA) ist eine ähnliche Methodik wie die Momentauf-
nahme in der Produktion (Abschn. 3.7). Sie liefert im Vergleich zu anderen Methoden
ohne Mehraufwand gute Ergebnisse. Ein Selbstaufschrieb erfolgt über einen Zeitraum
226 16 Administration

von mindestens zwei Wochen. Hierbei werden in festgelegten Zyklen (beispielsweise


alle 5 min) die Tätigkeitsarten (z. B. Besprechung, Auftragsbearbeitung, Telefonat,
Bearbeitung Mails, Terminabstimmung usw.) notiert und zugeordnet. Die Schwer-
punkte der Arbeit werden identifiziert, welche auf Verschwendung hinweisen. Ziel ist es,
mit der Tätigkeitsstruktur die Tätigkeitsanteile einer Organisationseinheit zu erfassen,
Verschwendungen und Ineffizienzen zu erkennen und eine Transparenz über die Wert-
schöpfungsstruktur zu erhalten. Die Auswertung ist Basis für die Bewertung von Effi-
zienzsteigerungspotenzialen und zur Ableitung von Verbesserungen. Der Nutzen der
Methodik liegt in der anschließenden Erhöhung der Wertschöpfung durch Konzentration
auf Kerntätigkeiten. Aufgabenverteilung und Zuständigkeiten können geklärt werden.
Auch das Spaghetti-Diagramm findet im Büroumfeld seinen Einsatz. Das Wegediagramm
(Abschn. 3.7) gibt Aufschluss über Wege zu Druckern, Büromaschinen und Akten sowie
zu den Ansprechpartnern und Besprechungen. Über die Standorte von Schreibtischen oder
Büromaschinen kann nachgedacht werden. Nutzungshäufigkeiten und Gerätemengen sind zu
berücksichtigen. Unnötige Wege werden erkannt und nach der Optimierung vermieden.
Weitere Analysemöglichkeiten ergeben sich aus den Kalendern der Mitarbeiter. Sind
im Tagesablauf nicht verplante Zeiten vorhanden, um wertschöpfend tätig zu werden?
Welche Termine sind unnötig, doppelt vorhanden oder zu lang? Eine Visualisierung der
Termine über den gesamten Bereich zeigt mögliche Häufungen und Probleme auf.
Außerdem gibt es die Besprechungsanalyse. Störfaktoren einer Besprechung werden
in Bezug auf die Häufigkeit einer Störung während einer Besprechung festgehalten. Es
wird mittels einer Checkliste die Effizienz von Besprechungen analysiert. Dabei werden
folgende Themen aufgenommen und notiert:

• Abwesenheiten
• Verspätungen der Teilnehmer
• Verspätung des Moderators
• Verzögerungen
• Keine Agenda oder kein Zeitplan
• Agenda bzw. Zeitplan nicht eingehalten
• Unterschiedlicher Wissensstand
• Streitigkeiten
• Nebengespräche
• Diskussionen, welche nicht zum Thema gehören
• Technische Probleme
• Fehlendes Material
• Störungen durch Dritte
• Ungeplante Unterbrechungen bzw. Pausen
• Störungen durch Anrufe oder Nachrichten
• Überziehungen

Durch eine Auswertung der verschiedenen Zeitblöcke (Abb. 16.1) kann erkannt werden, wel-
ches die größten Störfaktoren sind. Lösungsmöglichkeiten können hieraus erarbeitet werden.
16.4 Prozessvisualisierung 227

25
Anteil in Prozent

75 2 3 7
13
14

6
30
Gesamt
Zeitplan-Überschreitung

Inhaltliche Diskussion
Ungeplante
Keine Agenda,

Nebengespräche

Technische Probleme

Unterbrechungen
kein Zeitplan
Verspätungen

Unterschiedlicher
Wissensstand

Abb. 16.1  Beispiel für eine Auswertung aus einer Besprechungsanalyse

Weitere Analysemethoden existieren für unterschiedliche Kriterien, wie z. B. die Rei-


fegradanalyse oder das „Sounding Board“. Beide betrachten die kulturellen Aspekte in
der Zusammenarbeit. Die Reifegradanalyse befragt Mitarbeiter zu den Themenfeldern:

• Gesundheit: Sicherheit am Arbeitsplatz


• Qualität: ganzheitliche Kundenorientierung
• Auslieferung: kundenorientierter Pull-Prozess
• Moral: Kulturwandel, Kommunikation und Werte

Die vorgestellten Methoden reichen für den Einstieg in die Thematik und die ersten
Optimierungsansätze aus.

16.4 Prozessvisualisierung

Prozesse lassen sich in administrativen Bereichen häufig nur schwer beobachten, da über-
wiegend Informationen erstellt und kommuniziert werden. Da an der Erstellung von Infor-
mationen und Dienstleistungen in einem Prozess häufig mehrere Spezialisten beteiligt
sind, wird von vielen Beteiligten oft nur ein Teil des Gesamtprozesses wahrgenommen.
Neben Methoden, um einzelne Prozesse zu optimieren, sind Schnittstellen und Interakti-
onen bei einer prozessübergreifendes Sichtweise und Analyse möglich. Das Gesamtsystem
228 16 Administration

wird mit einer bereichsübergreifenden Analyse der Abläufe erreicht. Durch die gemeinsame
Visualisierung des Gesamtprozesses in einer einfachen Art und Weise, kann bei allen Pro-
zesspartnern ein einheitliches Prozessverständnis erzeugt werden.
Die Wertstromanalyse für den direkten Bereich (Abschn. 8.1) ist nicht für die indi-
rekten Bereiche geeignet. Es hat sich ein besseres Werkzeug zur Visualisierung und
Beschreibung dieser Prozesse bewährt. Zum Einsatz kommt eine lange Papierbahn bzw.
Rolle, japanisch „Makigami“ (Wagner und Linder 2013, S. 59 f.), welche horizontal
in verschiedene Zeilen (Schwimmbahnen) eingeteilt wird. Es haben sich verschiedene
Namen gefunden, welche parallel für das gleiche Werkzeug verwendet werden: Andere
Bezeichnungen sind Process Map oder Swim Lanes (Schwimmbahnen). Im Folgenden
wird der japanische Begriff Makigami verwendet.

 Makigami Eine Analysemethode für die Visualisierung von Informationsflüssen und


Geschäftsprozessen in indirekten Bereichen. Es werden die einzelnen Funktionen und
Rollen als Bahnen dargestellt. Die Methode ist die Prozessvisualisierung für den indirek-
ten Bereich, analog der Wertstromanalyse.

Die Analysemethode Makigami wird für Geschäftsprozesse mit Verbesserungspotenzial


der Informationsflüsse eingesetzt. Die logische Darstellung gibt eine gute Übersicht und
verbindet die Aufbau- und Ablauforganisation. Dabei werden Verschwendungen und
Probleme hinsichtlich der Qualität, den Schnittstellen sowie den eingesetzten Medien
aufgedeckt. Unterschiedliche Auslastungen und Probleme, welche zu einer längeren
Durchlaufzeit führen, werden ersichtlich und können eliminiert werden.
Der Nutzen dieser Analysemethode für administrative Prozesse ist:

• Transparenz über den aktuellen Prozessablauf


• Verständnis für den Gesamtprozess sowie für die vor- und nachgelagerten Prozesse
• Erkenntnis über mögliche Prozessprobleme: Doppelarbeit, Schleifen, Medienbrüche
• Generierung von Verbesserungsideen zur Vermeidung von Verschwendung

Die Erstellung eines Makigami folgt einer strukturierten Vorgehensweise (siehe auch
Chiarini 2013, S. 148 ff.). Die Erstellung wird im Rahmen eines Workshops mit den pro-
zessbeteiligten Mitarbeitern gemeinsam durchgeführt. Für den Erfolg des Workshops ist
entscheidend, dass im Vorfeld mit dem Auftraggeber Ziel und Zweck des Workshops und
die zu betrachtenden Prozessgrenzen festgelegt werden.
Zur Erstellung werden eine lange Papierrolle oder mehrere große Plakate genutzt,
welche nebeneinander gehängt werden. Die gleiche Vorgehensweise kann mit Feldern
einer Software für Tabellenkalkulation erfolgen. Dabei geht jedoch der gemeinsame
Charakter eines Workshops verloren. Das Papier wird in mehrere gleich hohe Zeilen
eingeteilt. Die weitere Anzahl der Zeilen entspricht den Prozessbeteiligten bzw. den
Bereichen. Am unteren Ende des Papiers sollte für weitere Beteiligte Platz vorgehalten
werden.
16.4 Prozessvisualisierung 229

Die Arbeitsabläufe werden als zeitliche Folgebeziehungen unter Zuordnung in die


betreffenden Organisationseinheiten dargestellt. Als einfaches Hilfsmittel für die far-
bige Visualisierung der Prozesse bieten sich Haftnotizen an. Von links nach rechts
wird der Gesamtablauf mittels Haftnotizen in der jeweiligen Zeile des bearbeiten-
den Bereichs dargestellt. Auf den Haftnotizen werden die Tätigkeit und die Dauer
vermerkt, sowie das Medium und die Informationen, welche benötigt werden. Gibt
es Rücksprachen mit anderen Bereichen, so werden diese mit einer Linie informa-
tiv verbunden. Wechselt der Prozess den Bereich, so wechselt die Prozessbearbei-
tung (Haftnotiz) in eine andere Linie. Entscheidungen (eine andersfarbige Notiz um
45 Grad gedreht) und Schleifen (Rückverbindungen) werden ebenso eingetragen.
Über die Prozesszeiten kann die kürzeste Durchlaufzeit für den besten Fall und die
längste Durchlaufzeit für den schlechtesten Fall berechnet werden. Verschwendun-
gen, Medienbrüche und Schleifen werden mit einem Kaizen-Blitz versehen. Durch
die Transparenz des Prozesses im Beisein der Beteiligten ergeben sich Erkenntnisse
und die ersten Ideen zur Verbesserung. Nachteil der Methode ist, dass die Komplexi-
tät und der Platzbedarf mit der Anzahl der Ablaufelemente und der Funktionsbereiche
ansteigen.
Aus dem visualisierten Ist-Prozess (Abb. 16.2) wird, wie bei dem Wertstromdesign
(Abschn. 8.5), ein neuer Soll-Prozess mit weniger Verschwendung erstellt. Offensicht-
liche Verschwendungen werden beseitigt, verdeckte Verschwendungen werden reduziert.
Ein möglichst geradliniger Informationsfluss mit wenigen Schnittstellen wird abgebil-
det. Durch simultanes Arbeiten, die Eliminierung von unnötigen Prozessschritten, das
Zusammenfassen von Tätigkeiten und das Beschleunigen von Abläufen wird die Durch-
laufzeit verkürzt. Ziel des Soll-Prozesses ist, den betrachteten Prozess effizienter zu
gestalten. Das Ziel ist genau das, mit so wenig Ressourceneinsatz wie nötig, zu erstellen,
was der Kunde benötigt.
Um vom Ist- zum Soll-Zustand zu gelangen, wird eine Maßnahmenliste erstellt. Auf
dieser Grundlage wird der Prozess optimiert. Es entsteht ein neuer Standard für den Pro-
zessablauf, in dem alle Vereinbarungen festgeschrieben werden.
Optimierungen können durch verschiedene Maßnahmen im Prozessfluss erreicht wer-
den. Die üblichen Prozessoptimierungen sind:

Vorgesetzter

Rechnungsabteilung

Finanzen

Controlling

Abb. 16.2  Schematisches Beispiel für ein Makigami (Ausschnitt)


230 16 Administration

• Eliminieren, Entfallen lassen


• Beschleunigen
• Zusammenfassen, Zusammenlegen, Integrieren
• Auslagern, Verlagern
• Synchonisieren, Parallelisieren
• Umstellen der Reihenfolge
• Harmonisieren
• Hinzufügen (Prozesstiefe)
• Automatisieren

16.5 Lean im indirekten Bereich

Lean im indirekten Bereich ist ein weites Themenfeld und zwischenzeitlich zu einer eigenen
Lean-Disziplin geworden. Es wird als „Lean Administration“ oder „Lean Office“ bezeichnet
und steht für Lean in Verwaltungsbereichen und Büros. Die Begriffe sind eine Abwandlung
von „Lean Production“, das für Lean in den direkten Bereichen steht. Die grundsätzliche
Vorgehensweise ist die gleiche wie in der Produktion. Der Unterschied zur Produktion liegt
darin, dass viele Prozesse zunächst nicht offensichtlich und die Wiederholungszyklen einer
Tätigkeit länger sind. Teilweise werden Prozesse in indirekten Bereichen nicht wiederholt.
Bei wiederkehrenden Tätigkeiten existieren größere Optimierungsmöglichkeiten.
Nachfolgend werden einige Aspekte betrachtet. Die Vorgehensweise und Methodik
gleicht der Vorgehensweise wie bei der Umsetzung in der schlanken Produktion. Umfas-
sendes Wissen über Lean Administration ist als eigenständige Literatur vorhanden, z. B.
mit einem zweiteiligen Workbook von Wiegand und Franck (2011) sowie Wiegand und
Nutz (2007). Trautim (2014) verknüpft Lean mit dem indirekten Bereich.
Für Büroarbeitsplätze und indirekte Bereiche wird die klassischen 5S-Methodik,
wie im direkten Bereich, angewendet (Abschn. 10.2). Im indirekten Bereich finden sich
ebenso unnötiges Material, wie Teile zu alten Computern und ausrangierte Büroma-
schinen, unnötiges Büromaterial sowie alte Akten und Unterlagen. Es handelt sich um
Gegenstände, die aufgehoben wurden, weil sie vielleicht einmal benötigt werden könn-
ten. Standardisierte gemeinsame Arbeitsbereiche (Besprechungsräume, Bereiche für
Drucker/Kopierer oder Kaffeeküchen) und Arbeitsplätze ermöglichen ein effizienteres
Arbeiten und bessere Vertretungsregelungen bei Abwesenheiten. Der Schreibtisch als
Arbeitsplatz wird genauso eingerichtet wie ein Arbeitsplatz in der Produktion: ergono-
misch, ohne unnötiges Material und die wichtigen Werkzeuge im direktem Zugriff. So ist
die Positionierung des Materials auf dem Schreibtisch, wie z. B. des Telefons, zu über-
prüfen. Materialbestände wie Büromaterial oder Aufträge werden reduziert (Abb. 16.3).
Klare Hinweise zu Funktionen von Geräten, wie Kopierer, Drucker oder Scanner
unterstützen den Bedienprozess und helfen bei auftretenden Störungen. Hinweise, wel-
che direkt an den Geräten angebracht sind, vermeiden Fehlbedienungen und damit Feh-
ler, Ausfälle sowie Rückfragen bei Kollegen.
16.5 Lean im indirekten Bereich 231

Abb. 16.3  Schreibtisch vor (oben) und nach (unten) einem 5S-Workshop

Ein weiteres großes Thema sind die E-Mails. Durch die Vereinbarung von Regeln und
die Nutzung von Vorlagen wird die Belastung innerhalb der Abteilungen reduziert. Rege-
lungen für den Umgang sollten vereinbart werden.

Beispiel
Regelungen für die Verwendung von E-Mails können beispielsweise Kennzeichen in
der Betreffzeile sein, um Informationen „(i)“, Fragen „(?)“ und Terminanfragen „(T)“
zu erkennen und zu sortieren. Auch kurze Mitteilungen, welche nur im Betreff ste-
hen und mit „(EOM)“ für „End of Mail“ (Ende der Nachricht) enden, beschleunigen
die Kommunikation. Mit Links zu arbeiten, anstatt mit Anhängen und Verteiler neu
zu definieren, sind hilfreiche Vorgehensweisen zur Vermeidung von Verschwendung.
Ebenso ist der Umgang mit dem Feld „in Kopie“ (CC) zu vereinbaren.

Besprechungen sind in Verwaltungsbereichen ein „besonderes“ Thema. Vor allem in


den Entwicklungs- und Planungsabteilungen. Besprechungen sollten entweder 25 oder
50 min dauern und immer zur vollen Stunde beginnen. Die vorgegebenen Zeiten syn-
chronisieren die Kalender und geben ausreichend Zeit, um nachfolgende Termine
pünktlich wahrzunehmen. Eine Agenda muss vorliegen und den Eingeladenen ist deren
Aufgabe für die Besprechung mitzuteilen, mit den notwendigen Informationen, welche
Unterlagen vorbereitet und mitgebracht werden sollen. Dies stellt sicher, dass jedem
Teilnehmer bewusst ist, warum er an der Besprechung teilnimmt und was seine Aufgabe
232 16 Administration

sein wird. Eine Zeitplanung, Agenda und zusätzliche Regeln für die Besprechung redu-
zieren Verschwendungen bei allen Teilnehmern. Konsequent ist, wenn die Teilnahme an
Besprechungen abgelehnt werden darf, weil es keine Agenda gibt oder die Begründung
für die Teilnahme nicht vorliegt.
Visuelle Standards auf physischen und virtuellen Ordnern vereinfachen das Arbei-
ten und Wiederauffinden von Informationen. Eine Nummerierung von Dateiordnern auf
gemeinsamen Laufwerken erlaubt das Arbeiten mit Zahlen vor den Ordnernamen.

Beispiel
Eine drei oder vier Stellen lange Nummerierung wird, je nach Tiefe der Ordnerstruk-
tur einer Dateiablage, um die nächste Ziffer ergänzt. Die erste Ziffer repräsentiert
die erste Verzeichnisebene, Ziffer zwei die Zweite und Ziffer drei die Dritte. Auf der
oberen Ebene befinden sich die Ordner 000, 100, 200, 300 usw. Im Ordner 100 befin-
den sich die Ordner mit den Nummern 110, 120, 130 bis 190 und darunter die dritte
Ebene. Z. B. im Ordner 130 mit den Ordnernummern 131 bis 139. Auch vierstellige
Nummern mit einer Ebene mehr sind analog möglich. Es ergibt sich eine Beschrän-
kung in der Verzeichnistiefe aus drei bis vier Ebenen und eine Verzeichnisbreite auf
maximal neun Ordner. Durch die Struktur und Codierung werden Dateien schneller
gefunden und Doppelablagen reduziert. Die Kommunikation kann sehr einfach durch
die Zahlencodes erfolgen, z. B. die Formulare liegen im Ordner mit der Nummer 125.
Physische Ordner bekommen die gleiche Nummernlogik wie Verzeichnisse auf
dem Laufwerk und sind somit verknüpft. Durch einen diagonalen farbigen Streifen
quer über alle Ordnerrücken wird die Sortierung eingehalten. Der visuelle Standard
hilft, Vertauschungen und fehlende Ordner sofort zu erkennen.

Die Beschriftung von Schränken und das Anbringen einer Information zum Inhalt von
außen machen das Suchen und mehrfache unnötige Öffnen der Schränke überflüssig.
Werden Gegenstände entnommen oder ausgeliehen, hinterlässt der Mitarbeiter eine
Namenskarte oder Visitenkarte.
Auch der Kunde steht bei Lean Administration im Fokus und mit ihm der Kundentakt.

Beispiel
Die Firma Trumpf führte in der Krise 2009 ein akustisches Signal im Vertrieb ein.
Da die Aufträge plötzlich ausblieben und die Vertriebsmitarbeiter einerseits motiviert
werden sollten und andererseits der Kundenbedarf für alle erkennbar gemacht werden
sollte, wurde eine Schiffsglocke aufgehängt. Wer einen Kundenauftrag erhielt, ging
zu der Glocke und klingelte. Dies hat sich in der Kultur des Unternehmens so fest ver-
ankert, dass die Glocke weiterhin Bestand hat und bis heute benutzt wird.

Durch viele einfache Maßnahmen und Hilfsmittel kann die Arbeit und Zusammenarbeit
im indirekten Bereich erleichtert und verbessert werden.
16.7 Zusammenfassung 233

16.6 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Lean Administration zu beantworten


• Kennen die Mitarbeiter in den indirekten Bereichen ihre Kunden?
• Ist gewährleistet, dass alle Mitarbeiter über aktuelle Informationen verfügen?
• Wird prozessorientiert an Abläufen gearbeitet und bereichsorientiert abgegrenzt?
• Sind alle Tätigkeiten zur Erfüllung der Aufgaben aus Kundensicht wertschöpfend und
zielführend?
• Sind verschwendete Prozesszeiten wie unnötiges Warten, Rückfragen, Suchen, Plausi-
bilisieren, Korrigieren usw. eliminiert?
• Sind weniger als 20 % der Belegschaft mit Schnittstellenthemen und verwaltenden
Tätigkeiten beschäftigt?
• Ist Qualität ein wichtiges Merkmal in den Prozessen?
• Wird die Qualität zurückgemeldet und findet bei Fehlern ein Problemlösungsprozess
statt?

Fragen zur Reflexion der Prozesse


• Worüber habe ich mich heute geärgert, weil es einfacher funktionieren bzw. ablaufen
könnte?
• Wie könnte ich mir die Arbeit bzw. bestimmte Arbeitsinhalte erleichtern und die
Möglichkeiten von Fehlern reduzieren?
• Welche Fragen zu meiner Arbeit oder zu erhaltenen Aufgaben sind ungeklärt?
• Wie viele Dokumentationen werden mehrfach geführt?
• Wie oft wird auf Informationen gewartet?
• Wie viele Vorgänge kommen in Schleifen mehrfach an Prozessen vorbei?

16.7 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Administration


• Die Bezeichnung „indirekte Bereiche“ steht für alle Abteilungen eines Unterneh-
mens, welche unterstützende Leistungen für den direkten Bereich, also die Pro-
duktion, erbringen. Das Produkt des indirekten Bereichs sind Informationen und
Informationsflüsse.
• Die vier wichtigsten Wettbewerbsfaktoren sind: Verfügbarkeit, Qualität, Individua-
lisierung und Kosten.
• Viele Probleme in den indirekten Bereichen haben ihre Ursache in Unklarheiten
und fehlenden Standards.
• Im direkten Bereich hat eine Person meist eine Aufgabe, im indirekten Bereich
häufig parallel mehrere Aufgaben.
234 16 Administration

• Die acht Verschwendungsarten im indirekten Bereich sind Überinformation und


Überproduktion, Bestände, Arbeitsrückstände, überflüssige Bewegung, Informati-
onstransfer, Wartezeit und Suchen, Fehler und Nacharbeit, komplizierte Arbeitsab-
läufe sowie ungenutztes Mitarbeiterpotenzial und ungenutzte Informationen.
• Die schlimmste Verschwendung im indirekten Bereich sind die Über- und Unterin-
formation.
• Verschwendungen führen zu Intransparenz, Nachfragen und einer Erhöhung der
Durchlaufzeit. Analog dem direkten Bereich ist eine kurze Durchlaufzeit der ent-
scheidende Faktor für einen guten Prozessablauf.
• Um Verschwendungen in einzelnen Prozessen zu identifizieren und zu eliminieren
sowie Arbeitsplätze zu verbessern, gibt es verschiedene Methoden: Tätigkeitsstruk-
turanalyse (TSA), Spaghetti-Diagramm, Kalenderanalyse und Besprechungsana-
lyse. Weitere Analysemethoden existieren für unterschiedliche Kriterien, z. B. die
Reifegradanalyse oder das Sounding Board.
• Die Wertstromanalyse ist nicht für den indirekten Bereich geeignet. Das passende
Analysewerkzeug ist das Makigami. Dieses wird auch Process Map oder Swim
Lanes genannt. Das Makigami ist eine Analysemethode für die Visualisierung von
Informationsflüssen und Geschäftsprozessen in indirekten Bereichen. Es werden
Verschwendungen und Probleme hinsichtlich der Qualität, der Schnittstellen sowie
der eingesetzten Medien aufgedeckt.
• Indirekte Bereiche sind schwieriger zu optimieren, da Informationsflüsse nicht ein-
fach zu sehen sind. Informationen können parallel laufen und die Prozesse wieder-
holen sich nicht kurzzyklisch.
• Die Erstellung des Makigami wird im Rahmen eines Workshops zusammen mit
den prozessbeteiligten Mitarbeitern durchgeführt. Der Soll-Prozess zeichnet sich
durch einen möglichst geradlinigen Informationsfluss mit wenigen Schnittstellen
aus. Um vom Ist zum Soll zu gelangen, wird eine Maßnahmenliste geführt.
• Lean im indirekten Bereich trägt die Bezeichnungen Lean Administration und
Lean Office
• Der Schreibtisch wird als Arbeitsplatz in der gleichen Weise eingerichtet, wie ein
Arbeitsplatz in der Produktion. Die Anordnungen sollen ergonomisch sein und die
wichtigen Werkzeuge sind in direktem Zugriff angeordnet. Unnötiges Material ist
beseitigt.

Fragen
• Wie sollte die prozentuale Aufteilung eines Unternehmens in direkte und indirekte
Tätigkeiten umgesetzt sein?
• Wie unterscheidet sich der direkte Bereich vom indirekten Bereich bezüglich der
Aspekte Arbeitsplatz, Wege, Arbeitsinhalte, Fluss, Takt, Mitarbeiter, Arbeitsweise
und Kaizen?
• Wie kann der Inhalt einer Studie (Schneider et al. 2011) bezüglich der Erkennt-
nisse für die Tätigkeiten im administrativen Bereich zusammengefasst werden?
Literatur 235

• Wie lauten die Beispiele für die acht Verschwendungsarten im indirekten Bereich?
• Wie ist der Nutzen der Analysemethode Makigami definiert?
• Was sind typische Prozessoptimierungen im indirekten Bereich?
• Welche Ideen zur Optimierung des indirekten Bereichs können hinsichtlich
E-Mails, Besprechungen und visuellen Standards umgesetzt werden?

Literatur

Chiarini A (2013) Lean organization: from the tools of the toyota production system to lean office.
Springer, Milan
Schneider R, Schöllhammer O, Meizer F, Lingitz L (2011) Lean Office 2010 – Wie schlank sind
Unternehmen in der Administration wirklich? In: Westkämper E, Sihn W (Hrsg) Fraunhofer-
Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Fraunhofer, Stuttgart
Tautrim J (2014) Lean Administration Taschenbuch/Beraterleitfaden – Wesentliche Konzepte für
mehr Effizienz in der Verwaltung. Epubli, Berlin
Wagner KW, Lindner AM (2013) Wertstromorientiertes Prozessmanagement – Effizienz steigern,
Verschwendung reduzieren, Abläufe optimieren. Hanser, München
Wiegand B, Franck P (2011) Lean Administration I – So werden Geschäftsprozesse transparent:
Schritt 1: Die Analyse. Workbook, 4. Aufl. Lean Management Institut, Aachen
Wiegand B, Nutz K (2007) Lean Administration II – So managen Sie Geschäftsprozesse richtig:
Schritt 2: Die Optimierung. Workbook. Lean Management Institut, Aachen
Produktdesign
17

Wir arbeiten durch tägliche Verbesserung an immer besseren


Produkten.
Kiichiro Toyoda

Zusammenfassung
Die Produktentwicklung hat einen großen Einfluss auf die wertschöpfenden Prozesse
in der Produktion. Das Design des Produktes beeinflusst die Tätigkeiten in der Pro-
duktion direkt. Maßnahmen im Produktdesign unterstützen eine folgende optimale
Produktion. Durch Kennzahlen und Sensoren werden Handlungsfelder für das Pro-
duktdesign erkannt und verbessert. Die Betrachtung des Produktdesigns erfolgt nicht
nur für eine gute Produktion, sondern hat auch einen Einfluss auf den gesamten Pro-
duktlebenszyklus.

Knalsch GmbH: Neues Produktdesign für den Knalschi 300


Jörg Escher ist der Leiter der Produktentwicklung bei der Knalsch GmbH. Er ist
mit seinen Entwicklern dabei, das neue Produkt Knalschi 300 zu entwickeln.
In der Sitzung mit der Geschäftsleitung eskaliert die Diskussion und es wird
laut zwischen Escher und der Planungsleiterin Susanne Moos. Sie reduziert gerade
die Verschwendung in der Planung der neuen Produktion für den Knalschi 300 und
Escher versucht, den von ihm verantworteten Anteil an wertschöpfender Arbeit am
Produkt zu verdichten und zu reduzieren, damit das Produkt in möglichst kurzer
Prozesszeit montiert werden kann.
„Leute, Leute“, schlichtet Alsch. „Lasst uns an unsere Kunden denken und an
die Reduzierung von Verschwendung! Ihr habt ja Recht, aber irgendwie passen
Eure Kennzahlen nicht zueinander. Susanne misst in Zeit und Du, Jörg, den Anteil?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 237


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_17
238 17 Produktdesign

Lasst uns doch lieber in absoluter Zeit rechnen. Möglichst keine Verschwendung
und die wertschöpfende Zeit ebenso gering halten. Dann geht es doch!“
„OK, einverstanden, das geht natürlich auch“, sagt Escher, „dann passen wir
unsere Kennzahlen von Anteilen auf absolute Werte an. Aber ich brauche immer
noch gute Ideen, damit sich unsere Produkte gut zusammenbauen lassen.“
„Und auch gut reparieren, falls notwendig“, fügt Alsch hinzu. „Das ist mir für
unsere Kunden ebenso wichtig.“
Escher: „OK, und die schwierigen Teile kaufen wir von einem Lieferanten,
dann soll der sich damit herumschlagen und wir haben das Problem vom Tisch.“
Alsch: „Von wegen! Das stellt er uns doch alles in Rechnung. Ein gutes Design
hört nicht bei uns auf. Das wird so entwickelt, dass auch der Lieferant es problem-
los herstellen könnte. Aber ich denke, das bekommen wir auch selbst hin.“

17.1 Optimierung der wertschöpfenden Zeit

In der MIT-Studie von 1990 (Womack et al. 1991, S. 101) wurde die Produktionsfreund-
lichkeit von Fahrzeugen in den Montagewerken durch die Hersteller gegenseitig einge-
stuft. Das Ergebnis zeigte deutliche Unterschiede (Abb. 17.1).

Prozent
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0

Abb. 17.1  Einstufung der durchschnittlichen Produktionsfreundlichkeit bei der Fahrzeugmontage


in Prozent mit Streuung des Wertebereichs. (Datenquelle Womack et al. 1991, S. 101)
17.1 Optimierung der wertschöpfenden Zeit 239

Die laufende Produktion und die Produktionsplanung kann Verschwendung nur bis
zu einem gewissen Grad eliminieren. An Grenzen stoßen die Bereiche, wenn das Pro-
duktdesign, welches die Entwicklung verantwortet, die Tätigkeit vorgibt. Passen Teile
nicht perfekt ineinander, so ist Zeit für das Ausrichten eigentlich unnötig und allein
durch das Design beeinflusst. Sind mehrere Teile zu fügen, so bedarf es mehrfach Greif-
zeiten und Zeiten für das Zusammenfügen von mehreren Teilen. Sollten die Teile mit
einer Schutzhülle verpackt sein, damit diese nicht zerkratzt werden, so ist das Entfer-
nen der Schutzhülle und die Zeit hierzu durch das Design bestimmt. Muss ein Teil mit
vier Schrauben montiert werden, so erfordert es viermal mehr Zeit, als käme es mit einer
Schraube aus. Diese und viele weitere Beispiele zeigen, dass die Entwicklung den Pro-
zessablauf und die notwendige Zeit in der Produktion bestimmt.
Der Entwicklungsbereich verantwortet somit einen wesentlichen Teil der wertschöp-
fenden und nicht wertschöpfenden Tätigkeiten in der Produktion. Der wertschöpfende
Zeitanteil kann durch die Entwicklung beschleunigt bzw. verdichtet werden. Das bedeu-
tet, die wertschöpfende Zeit wird weiter komprimiert.
Ein Problem sind die Einkaufspreise der Teile. Findet eine Kostenoptimierung für
Kleinteile statt, so werden lieber günstige Teile gekauft, statt speziellere Lösungen, die
für den Prozess besser wären. Oft sind die Teile etwas teurer. In einer Gesamtkostenbe-
trachtung, bei der die Fertigungszeit mit eingerechnet wird, verändert sich die Kalku-
lation, denn die Produktionszeit multipliziert mit der Anzahl an Teilen rechtfertigt eine
produktionsoptimierte Lösung.

Beispiel
Ein Beispiel ist der Einsatz von weniger Verschraubungen oder das Klipsen statt des
Verschraubens. Bei gleicher Wirkung der Verbindung sparen die methodischen Unter-
schiede Montagezeit.
Schrauben mit einer Suchspitze sind teurer, lassen sich aber viel leichter ver-
schrauben, wenn sie nicht verkanten. Demgegenüber gibt es Schrauben, welche
günstiger sind, aber dafür mehr Montagezeit brauchen, da sie über drei bis vier
Gewindegänge mehr verfügen als erforderlich. Oder geringfügig teurere Kabelhalte-
rungen, bei denen nach der Montage kein Kabelbinderrest aufwendig abgezwickt und
entsorgt werden muss.

Die Produktentwicklung hat nicht nur auf die Herstellungszeit einen Einfluss, sondern
auch auf die Qualität. Je nach durchdachtem Fertigungsablauf ergibt sich ein Unter-
schied in der Ausführung und damit dem Qualitätsergebnis. Durch die Berücksichtigung
von Poka Yoke mit entsprechenden Passungen im Design werden die Aufwendungen
für das Einstellen, für das Prüfen und für die Nacharbeit reduziert. Die Produktionskos-
ten werden durch die vorgegebenen Werkzeuge und Investitionen für Produktionsmittel
bestimmt.
Die Entwicklung hat mit dem Produktdesign einen großen Einfluss auf die Produktion.
Die Fertigungsverfahren werden festgelegt, ebenso die Materialien, die Fertigungszeit,
240 17 Produktdesign

die Qualität und die Herstellungskosten. Die Lean-Gedanken einer schlanken Produktion
sollten bereits bei der Produktentstehung berücksichtigt werden. Dies unterstützt die Idee
von „One-Touch-Assembly“, dem Montieren mit nur einem Handgriff und dem Produzie-
ren von Qualität ohne Nachprüfen, Einstellen oder Justieren.

Beispiel
Ein Beispiel zur Veranschaulichung ist die Transportbefestigung eines Kabelsatzes.
Traditionell erfolgt die Bündelung mit einem Kabelbinder. Dieser muss zerschnitten
und entsorgt werden. Problem ist dabei die Gefahr der Verletzung des Kabelsatzes
beim Schneiden. Nach dem Verbau sind die zerschnittenen Kabelbinder zu entsorgen,
was Unordnung beim Herabfallen, zusätzliche Wege zur Entsorgung und Abfall verur-
sacht. Der Sicherheitsaspekt mit möglicher Verletzungsgefahr beim Schneiden kommt
zusätzlich als Gefährdung hinzu.
Lösungen könnten wieder zu öffnende Kabelbinder, Klettbänder oder Gummis
sein. In der Fahrzeugmontage kommen für größere Kabelsätze Transporttaschen mit
einem Reisverschluss zum Einsatz, welche gleichzeitig der besseren Sortierung und
Durchführung durch Öffnungen dient. Diese Lösung verursacht einen Kreislauf zur
Rückführung der Taschen zum Lieferant. Wie löst der Benchmark das Problem? Toy-
ota nutzt weiße Kunststoffklebebänder an schwarzen Kabeln mit Sollbruchstellen. Die
Klebebänder werden beim Hineinlegen der Kabel in das Fahrzeug mit einer Hand-
bewegung auseinandergerissen. Die Klebebandreste bleiben am Kabel hängen. Dies
stört nicht, denn die Kabel mit dem Klebebandrest sind unter den Teppichen nach der
Montage nicht mehr zu sehen. Das Ergebnis: keine Gefährdung, kein Abfall, keine
Rücklaufverpackung und keine Verschwendung im Prozess.

17.2 Design for Manufacturing

Der Unterschied zur Massenproduktion ist ein unaufhaltbarer Trend der Kunden zur
Individualisierung von Produkten. Die Variantenvielfalt nimmt zu. Bei BMW beispiels-
weise hat ein einzelnes Fahrzeugmodell inzwischen mehr als zehn hoch 17 Kombinati-
onsmöglichkeiten in der Ausstattung.
Individuelle Produkte erhöhen die Varianz in der Fertigungszeit. Jede Verdoppe-
lung der Varianten verteuert die Produktionskosten um 20 bis 35 % (Wildemann 2011,
S. 33). Die Varianten werden zu einem Kostentreiber, denn die Vorteile der Massenpro-
duktion sind nicht mehr nutzbar. Zusätzlich ergeben sich negative Auswirkungen auf die
Bestandshöhe. In der Logistikkette und der Steuerung der Ausfaltung steigt die Kom-
plexität. Aus einzelnen Varianten, wie Farben, Ländervarianten, Applikationen usw.
ergibt sich für jedes Produkt eine hohe Anzahl an verschiedenen Teilen. Besonders, wo
ein Kunde mit dem Produkt unmittelbar in Kontakt kommt, wie bei einem Türgriff oder
dem Lenkrad, soll er die Individualität auch erkennen. Wenn in jedes Produkt der glei-
che Umfang eingebaut wird, ist dies über eine Sequenzierung lösbar (vergl. Just-in-Time,
17.2 Design for Manufacturing 241

Abschn. 7.4). Schwieriger wird es bei Optionen, die einen zeitintensiveren Bestell- und
Fertigungsprozess auslösen, wie beispielsweise den Sitzen in einer Passagiermaschine
im Vergleich zu einem Frachtflugzeug.
Viele Produktthemen, welche die spätere Produktion bestimmen, können nur während
der Design- und Entwicklungsphase beeinflusst werden. 70 bis 90 % der späteren Pro-
duktionskosten werden durch das Produktdesign festgelegt und sind zu einem späteren
Zeitpunkt nicht mehr optimierbar. „Design for Manufacturing“ setzt in der Produktent-
wicklungsphase an, um Themen der späteren Produktion im Produktdesign zu berück-
sichtigen.

 Design for Manufacturing (DfM) Die Optimierung des Produktdesigns, welches die
effiziente Produktion eines Produktes berücksichtigt. Es handelt sich um die produkti-
onsgerechte Produktgestaltung (PPG) mit dem Ziel einer einfachen, schnellen und feh-
lerfreien Fertigung bzw. Montage.

Design for Manufacturing verfolgt die folgenden Ziele der späteren Produktion:

• Reduzierung von Varianten in der Produktion


• Reduzierung der Prozesszeiten
• Steigerung der Prozessqualität
• Verwechslungssicherheit
• Standardisierte Bauteile
• Verbesserung der Arbeitssicherheit und Ergonomie

Die Ziele wirken auf eine effiziente Produktion mit geringen Kosten. Dies kann durch
eine Optimierung der Fertigungszeit erfolgen und ebenso durch die Absicherung von
möglichen Fehlern in der Produktion.
Fokussiert werden die Gesamtkosten (Total Cost). Ein begründeter Mehraufwand für
den Materialeinsatz, wie beispielsweise spezielle Schrauben mit „Suchspitze“, damit
diese beim Eindrehen nicht verkanten, kann in der Produktion mit besserer Qualität und
weniger Zeitüberschreitung ausgeglichen werden. In der Produktion wird hierdurch spä-
ter weniger Verschwendung erzeugt: keine beschädigten Teile und keine längere Prozess-
zeit, wenn die Schraube schief eingedreht ist. Die Gesamtkosten reduzieren sich, trotz
der höheren Teilekosten aus Sicht der Entwicklung.
Aus den vorgegebenen Zielen werden Anforderungen an das Produkt abgeleitet
(Chang et al. 1997, S. 596 ff.; Anderson 2004, S. 257 ff.). Diese Anforderungen werden
als Vorgaben und Regeln in Form von Standards durch die Entwicklung beim Produktde-
sign umgesetzt. Es wurden verschiedene allgemeingültige Konstruktionsregeln festge-
legt, welche eine positive Auswirkung auf die Kenngrößen einer Produktion haben (VDA
2015, S. 25 ff.). Eine Auswahl der Regeln lautet:
242 17 Produktdesign

• Berücksichtigung der Sicherheit, keine Verletzungsmöglichkeiten


• Teileanzahl so gering wie möglich, integrierte Bauweise
• Lineare Fügerichtung, netzparallele Flächen, Fügen senkrecht von oben
• Große Fügefreiräume, allseitige Zugänglichkeit, keine verdeckten Bereiche oder Hin-
terschnitte
• Gute Greifmöglichkeiten
• Fügehilfen, Einführhilfen, Einrastungen, Vorfixierung, Positionierungshilfen
• One-Touch-Assembly, selbstfindende Verbindungen (z. B. Magnetstecker)
• Keine separaten Verbindungselemente (z. B. mit Schnappverbindungen, Klipsen statt
Schrauben)
• Keine biegeschlaffen Teile, wie Schläuche oder Kabel
• Ordnungsmöglichkeiten
• Vormontierbare Baugruppen, Module
• Verwechslungssicherheit, Poka Yoke, hörbare oder spürbare Befestigungen (Einrasten)
• Prozesssicher, kein Justieren, kein Einstellen, kein Prüfen
• Toleranzen sind nur so genau wie notwendig eingeplant und nicht mehr
• Gleichteile, Standardkleinteile
• Tätigkeiten innerhalb eines Taktes und durch eine Person ausführbar
• Teile gut zu transportieren, nicht zu schwer und passend für Ladungsträger
• Unsensible Oberflächen gegen Verschmutzung und Verkratzen, keine zusätzliche Ver-
packung
• Einheitliche Werkstückaufnahme und Spann- sowie Fixierpunkte
• Konstruktion berücksichtigt die aktuellen Produktionstechnologien
• Einsatz einheitlicher Werkzeuge mit genormten Systemen, keine Spezialwerkzeuge

Der letzte Punkt bezüglich einheitlicher Werkzeuge ist für das gesamte Produkt sinnvoll,
damit in der Produktion kein Werkzeugwechsel erfolgen muss. Genauso ist dies für die
Reparatur über mehrere Baureihen hinweg und über einen längeren Zeitraum relevant, da
ansonsten der Servicebereich bei Wartungen und Reparatur wieder verschiedene Werk-
zeuge benötigt.
Die Vereinheitlichung von kleinen Teilen ist potenzialträchtig. Oft gibt es Teile mit
identischen Funktionen, jedoch mit unterschiedlichen Farben. Dies macht beispielsweise
bei Dichtungen keinen Sinn. Eine Vereinheitlichung bietet sich an. Gleiches gilt für
Schrauben mit unterschiedlichen Schraubköpfen.

Beispiel
Bei einem Vergleich der Anzahl an unterschiedlichen Arten von Schrauben einer Mer-
cedes-Benz-C-Klasse mit einem Toyota Camry wurde festgestellt, dass der Toyota mit
62 Schraubvarianten nur etwa die Hälfte der Sorten benötigte. Die C-Klasse verfügte
über 126 verschiedenen Schraubenarten.
17.3 Design for X 243

Ein produktionsgerechtes Produktdesign hört bei der eigenen Produktion nicht auf.
Macht es sich eine Entwicklung einfach und wird das Produkt durch einen Lieferanten
produziert, werden die Themen meistens nicht realisiert. Manche Unternehmen gehen
bewusst in der Strategie dazu über, Teile fremd zu vergeben, um Kosten zu sparen.
Die Ideen für eine optimale Produktion werden nicht mehr beachtet, stattdessen wird
nur auf den Teilepreis geachtet. Dieser wird bei den Verhandlungen mit den Lieferan-
ten so niedrig wie möglich festgelegt. Der Lieferant muss sehen, wie er das Teil zu dem
vereinbarten Preis herstellen kann. Es wäre nicht vertretbar, in diesem Fall kein pro-
duktionsgerechtes Produktdesign zu berücksichtigen. Die Folge wäre, dass die Produk-
tionskosten auch beim Lieferanten ansteigen, wenn das Produkt nicht mehr einfach zu
produzieren ist bzw. komplexe Strukturen aufweist. Diese Kosten werden vom Lieferan-
ten sicherlich an den Besteller weitergegeben. Spätestens bei Reparaturen und verschie-
denen Verschraubungen an den Bauteilen werden die Kostenaufwendungen zusätzlich
unnötig steigen. Eine produktionsgerechte Produktgestaltung endet deshalb nicht im
eigenen Unternehmen. Es betrifft die ganze Prozesskette.

17.3 Design for X

„Design for X“ steht für einen ganzheitlichen Produktentwicklungsansatz, der alle Pha-
sen des Produktlebenszyklus berücksichtigt.

 Design for X (DfX) Optimierung des Produktdesigns, das alle Phasen der Produktent-
stehung, Nutzung und Verwertung eines Produktes berücksichtigen soll. Das „X“ steht
für verschiedene Bereiche, welche ihre Anforderungen an das Produkt adressieren.

Neben dem Manufacturing steht das „X“ in DfX als Variable für verschiedene weitere
Bereiche, welche im Produktdesign zu berücksichtigen sind und unterschiedliche Anfor-
derungen an das Produkt haben. Das „X“ kann mit den folgenden Themen ersetzt werden:

• Manufacturing/Assembly
• Testability
• Logistics
• Service/Repair
• Environment

Mehrere DfX-Aspekte wirken sich auf die gesamte Prozesskette von der Produktion über
die Nutzung bis zur Verwertung aus.

Variantenreduzierung
Eine höhere Variantenanzahl verursacht höhere Kosten in der Prozesskette und muss im
Vergleich zum möglichen Verkaufsumsatz betrachtet werden.
244 17 Produktdesign

Beispielsweise kann die Anzahl verfügbarer Farben reduziert werden. Alternativ sind
auch Kleinteile, wie Schrauben, andere Verbindungselemente oder Dichtungen usw. auf
deren Funktion zu vergleichen und zu reduzieren.

Beispiel
Die Firma Procter & Gamble hat ihr Shampoo „Head & Shoulders“ im Jahr 1998 von
22 auf 15 Sorten reduziert. Seitdem ist die Anzahl der Sorten kaum wieder angestie-
gen (Stand 2017: 17 Sorten).

Kann auf Varianten nicht verzichtet werden, so ist eine mögliche Lösung, die Optionen
in Paketen zu bündeln (z. B. leistungsstarker Computer mit mehr Festplattenkapazität
oder Innenausstattungspaket bei einem Pkw). Optionen können auch als Serienausstat-
tung aufgenommen werden, z. B. sind Radio und Klimaanlage immer enthalten. Eine
andere Lösung ist die Vereinheitlichung des Produktes.

Beispiel
Die Ländervarianten aufgrund unterschiedlicher Stromspannung von Geräten wurden
eingespart, indem das Netzteil sowohl mit 110 V als auch mit 230 V betrieben wer-
den kann. Gleichzeitig ergibt sich ein Vorteil für den Kunden, der sein Gerät auch in
anderen Ländern nutzen kann. Er hat einen zusätzlichen Mehrwert. In der Produktion
und bei der Reparatur der Geräte ergeben sich eine Teilereduzierung und eine Verein-
fachung im Prozess.

Späte Variantenbildung
Eine im Produktionsprozess zu einem späteren Zeitpunkt stattfindende Anpassung an
einem Standardprodukt an die Kundenvariante reduziert Komplexität und Lagerstu-
fen in einer Prozesskette (Ehrlenspiel et al. 2014, S. 311). Der Schrittmacherprozess
(Abschn. 7.5) kann später eingesteuert werden und die Durchlaufzeit wird reduziert. Die
Steuerung im Ein-Stück-Fluss nach der Variantenbildung wird erleichtert und die Teile
können in Sequenz geliefert werden.
Durch Veränderungen am Produkt und im Prozess werden Potenziale möglich.

Beispiele
Ein Beispiel ist die Vorgehensweise von Benetton (Abb. 17.2). Klassisch werden
Garne gefärbt und anschließend wird der Stoff aus dem gefärbten Garn gestrickt.
Benetton dreht den Prozess um. Der Stoff wird zuerst gestrickt und dann gefärbt. Es
ergibt sich zwischen den beiden Prozessen nur eine einzelne Variante in weißer Farbe.
Die späte Bildung der Varianten im Herstellungsprozess kann bei einer deutlichen
Erhöhung der Varianten in einer Größenordnung von 150 auf 250 eine Kostenerhö-
hung vermeiden. Am Beispiel von Haushaltsgeräten werden die variablen Fertigungs-
kosten um etwa 5 % reduziert (Rommel et al. 1993, S. 37 f.).
17.3 Design for X 245

Klassischer Prozess Späte Variantenbildung

Färben Stricken Stricken Färben

Abb. 17.2  Vergleich der Variantenbildung am Beispiel „Garn färben und Stoff stricken“

Beispiel
Eine späte Variante, welche in der Produktion keinen zeitlichen Unterschied erzeugt,
jedoch in der Kundenwahrnehmung sehr auffällt, ist der Kühlergrill der Mercedes-
Benz-C-Klasse aus dem Jahr 2007 bis 2015 (Baureihe 204). Bei dieser Baureihe
wurde neben dem regulären Kühlergrill erstmals eine zusätzliche sportliche Vari-
ante mit einem zentral platzierten Mercedes-Stern eingeführt. Durch den Verbau
des sportlicheren Kühlergrills für die Sportvariante bekam das Fahrzeug ein anderes
Erscheinungsbild. Gleichzeitig wurde die Sport-Variante „Avantgarde“ mit einem
Preisaufschlag angeboten. Die Kunden interessierten sich sehr für das Ersatzteil, nicht
nur wegen etwaiger Unfälle an der Front, sondern weil der Austausch vom regulären
Kühlergrill zum sportlichen Kühlergrill sehr einfach möglich war. Und zwar genauso
einfach wie in der Produktion. Rodatz (2007) erklärte in einem Artikel den Austausch
in nur neun Schritten inklusive der notwendigen Teile mit Teilenummern.
Es gibt Gerüchte, dass der sportliche Kühlergrill erst sehr spät im Produktentste-
hungsprozess auf Wunsch des Vorstandes eingeplant worden wäre. Dies erfolgte so
spät, dass die Karosserie bereits feststand. Wäre die Entscheidung früher getroffen
worden, so hätte es eventuell eine Variante mehr für die umliegenden Karosserieteile
bzw. Stoßfänger gegeben. Bei der nachfolgenden Baureihe kann der Kühlergrill nicht
mehr einfach ausgetauscht werden.

Gleichteile und Wiederverwendung


Eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung ist, wenn gleiche Teile für unterschiedliche Pro-
dukte eingesetzt werden. Was in der Nahrungsmittelherstellung vielfach vorkommt
(gleiches Produkt mit anderer Umverpackung), ist auch für andere Produkte ideal. Glei-
che Motoren und Komponenten für unterschiedliche Fahrzeugmodelle und Marken.
Durch hohe Stückzahlen an Gleichteilen verbessern sich in vielerlei Hinsicht die Logis-
tik, die Prozesskette und der Service. Im Bereich der Fahrzeugherstellung verbergen sich
246 17 Produktdesign

gleiche Plattformen unter vielen Modellen und Fahrzeugbaureihen. Diesen wird jeweils
eine andere Karosserie übergestülpt. Dadurch erhöht sich die Flexibilität bei veränderten
Kundenbedarfen.

Beispiel
Ein bekanntes Beispiel sind Nikoläuse und Osterhasen aus Schokolade. Die Verpa-
ckung ist individuell, der Schokoladenkörper darin ist identisch (Ehrlenspiel et al.
2014, S. 311).
Ein Beispiel aus dem Pkw-Segment waren der Chrylser LH und der Dodge Intre-
pid. Beide Fahrzeuge wurden unter verschiedenen Markennamen mit leicht unter-
schiedlichem Karosseriedesign auf derselben Plattform verkauft. Bei der Karosserie,
im Fahrzeuginneren und im Bereich des Antriebes gibt es jedoch einen Gleichteilean-
teil von 60 bis 100 %. Nur das Cockpit mit der Instrumententafel und die angebrach-
ten Markenzeichen unterscheiden sich und sind individuell.

Plattform- und Modulstrategien sind nicht immer einfach vorzuplanen. Sie sind jedoch
ein wichtiges Thema für aktuelle und künftige Produkte, damit die Vorteile genutzt und
übernommen werden können. Dabei spielen auch Partner, mit denen eine Kooperation
stattfinden kann, eine Rolle.
Die Wiederverwendung von Komponenten aus einer vorherigen Produktserie lohnt
sich meistens. Beispielsweise wird ein sehr gut entwickelter Sitz bei Toyota in die
nächste Baureihe übernommen. Die Erfahrungen liegen vor. Verbesserungen können
auf der vorhandenen Basis vorgenommen werden, die Teile und die Lieferanten sind
bekannt. Toyota liegt bei einer Gleichteilerate von 60 bis 70 % zwischen vergleichbaren
Modellen (z. B. Toyota Camry und Lexus ES in 2003). Vergleichbare Hersteller liegen
bei 30 bis 40 %.

Logistikoptimierung
Zulieferteile müssen in die Produktion transportiert werden. Um die Transportkosten
gering zu halten, ist das Transportvolumen entscheidend. Eine logistikgerechte Produktge-
staltung muss daher die Abmessungen und Formen der Teile berücksichtigen. Teile dürfen
nicht sperrig und sollten gut zu stapeln sein. Im Falle des Transportes in einem Ladungs-
träger muss das Teil in einen Standardladungsträger hineinpassen, der möglichst kleine
Abmessungen haben sollte. Die Teile müssen sich einfach transportieren lassen. Eine
zusätzliche Verpackung um die Teile, welche ein Auspacken bedingt, ist zu vermeiden.
Oberflächen sollten nicht empfindlich sein, andernfalls müssen diese geschützt werden.
Das Gewicht der Teile sollte so sein, dass diese die gesetzlichen Vorschriften erfül-
len und leicht zu transportieren sind. Die Notwendigkeit eines Gabelstaplers aufgrund
des Gewichts ist zu vermeiden. Die Teile sollten in Ladungsträgern transportierbar sein,
welche mit Routenzügen transportiert oder mittels Transportrollen bewegt werden kön-
nen. Einzelteile sollten so leicht sein, dass diese problemlos in einer Montage von Hand
getragen und in einer Fertigung gut weitergeschoben werden können.
17.3 Design for X 247

Das fertige Produkt sollte so verpackt sein, dass es problemlos abtransportiert werden
kann. Eine passende Umverpackung ist zu entwerfen. Das bedeutet, dass diese einem
Bruchteil der größeren Verpackungs- oder Ladeeinheitsgröße (z. B. einer Palette) ent-
sprechen sollte, um eine optimale Packungsdichte zu erreichen. Dies ist beispielsweise
an der Verpackung von Selbstbaumöbeln zu erkennen. Dies gilt auch für die Anordnung
der Teile innerhalb der Verpackungskartons.

Testen, Wartbarkeit und Reparaturfähigkeit


Das Prüfen von Modulen muss bereits in der Station erfolgen können und nicht erst
am Ende der Produktion. Hierzu ist bei Elektronikkomponenten das Einstecken unter
Spannung notwendig, damit sofort erkennbar ist, ob die Komponente funktioniert. Die
Möglichkeit, das Produkt jederzeit während der Produktion und im späteren Betrieb zu
prüfen, hilft bei der reibungslosen Produktion wie auch im späteren Lebenszyklus des
Produktes.
Produkte müssen leicht zu warten und zu reparieren sein. Hierzu müssen Verschleiß-
teile ohne Probleme getauscht werden können, um die Reparatur und Stillstandzeiten so
gering wie möglich zu halten. Die zu reparierenden Teile müssen gut zugänglich sein.
Kleinere Reparaturen können sinnvollerweise durch den Anwender selbst durchgeführt
werden.

Negativbeispiel
Ein Sportwagen war so konstruiert worden, dass zum Wechseln der Zündkerzen der
komplette Motor ausgebaut werden musste.

Was gut produziert werden kann, sollte auch gut repariert werden können. Hierbei sind
eine gute Erreichbarkeit, Gleichteile bei den Ersatzteilen und gleiche Werkzeuge für ver-
schiedene Reparaturen eine Anforderung an die Entwicklung.

Rücknahme und Recycling


Alte und gebrauchte Produkte können zurückgenommen und aufbereitet, wiederverwertet
oder fachgerecht entsorgt werden. Durch eine einfache Montage ergibt sich in der Regel
auch eine einfache Demontage. Die Komponenten sind markiert, um sie nach Materialien
zu trennen. Eine Rückführung und Wiedernutzung von Rohstoffen wird hierdurch mög-
lich. Materialien werden so in den Kreislauf als Sekundärrohstoff zurückgeführt.
Die durch die Entwicklung vorgegebene Produktverpackung kann aus umweltscho-
nenden Materialien festgelegt und später zurückgenommen werden (z. B. Kartonage statt
Styropor oder Plastikfolie). Durch die Digitalisierung können Anleitungen und Informa-
tionen in allen Sprachen online zur Verfügung gestellt werden, anstatt auf Papier ausge-
druckt werden zu müssen.
248 17 Produktdesign

17.4 Messung der Produktgestaltung

Planer und Betreiber einer Produktion sollten die sie betreffenden Themen der Produk-
tentstehung über entsprechende Kennzahlen verfolgen. Die Umsetzung von DfM-Maß-
nahmen ist als Kennzahl darzustellen.
Die Kennzahl eHPV (engineered Hours per Vehicle) wird in der Fahrzeugentwicklung
genutzt, um den zeitlichen Anteil einer Konstruktion in der Produktion zu erfassen. Die
konstruktiv bedingten Arbeitsinhalte in der Fahrzeugmontage werden erfasst. Arbeits-
inhalte setzen sich aus den Tätigkeiten für den Verbau aller Bauteile des Fahrzeuges
zusammen (VDA 2015, S. 8). Durch die Messung und Optimierung des Produktdesigns
wird der Einfluss auf die spätere Prozesszeit ermittelt und transparent.

Beispiel
Die Firma Siemens hat eine Messzahl eingeführt, welche die beiden relevanten Pro-
zessthemen in der Produktion der Steuerelektronik aufnimmt. Die beiden Variablen
sind die Anzahl der Prozessschritte und die Komplexität der einzelnen Produktions-
schritte. Je mehr Prozessschritte (jeweils 30 Punkte Abzug) und je komplexer die
Produktion (Abzug von Punkten je nach Prozesskomplexität: Sicherheit, Qualität,
Durchlaufzeit, Risiko), umso kleiner und schlechter wird die Ausgangspunktezahl
in Höhe von 1000 Punkten. Entwicklungen werden über die Entwicklungsphasen
gemessen. Die neuen Baugruppen werden mit den Vorgängermodellen verglichen.
Durch diesen Fokus werden die Produktionsprozesse weniger komplex und sicherer.

Die Güte des Produktdesigns kann an verschiedenen Kennwerten und Eigenschaften


gemessen werden. Diese werden DfX-Sensoren genannt. Folgende DfX-Sensoren geben
eine Rückmeldung über ein geeignetes Produktdesign und initiieren neue Umsetzungs-
ideen für ein verbessertes Produktdesign:

• Erkenntnisse aus der Serienproduktion des Vorgängerprodukts


• Analyse des Produkts
• CAD-Daten, digitaler Zusammenbau (Digital Mock-up)
• Prototypenteile
• Produktzerlegung und Zusammenbau (Eigen- und Fremdprodukte)
• Vergleich mit vergleichbaren eigenen Produkten vergleichbarer Varianten
• Vergleich mit vergleichbaren Wettbewerbsprodukten, Benchmark
• Qualitätsrückmeldungen aus der Produktion zu Fehlern, Nacharbeit und Ausschuss
• Ergebnisse aus den Problemlöseprozessen
• Qualitätsrückmeldungen der Kunden oder anderer externer Institutionen
• Prozessbeobachtung, Verschwendungsanalyse, Kreidekreis (Abschn. 3.7)
• Wertstromanalyse (Kap. 8)
• Auswertungen zur Arbeitssicherheit, Verletzungen, Ergonomie
17.6 Zusammenfassung 249

17.5 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Produktdesign zu beantworten


• Ist der Reifegrad des Produkts hinreichend für einen verschwendungsfreien und stabi-
len Prozess?
• Bedingt die Produktkonstruktion keine zusätzliche Prozesszeit?
• Ist das Produkt produktionsgerecht gestaltet?
• Existieren Richtlinien für eine produktionsgerechte Produktgestaltung? Werden diese
angewendet?
• Sind der Entwicklung die Auswirkungen von konstruktiven Merkmalen in der späte-
ren Produktion bekannt?
• Wurde die Wertschöpfung in der Entwicklungsphase betrachtet und so weit wie mög-
lich verdichtet?
• Hat das Produkt passende Spann- und Fixierpunkte für die spätere Produktion?
• Wurden die Regeln für eine gute Fertigung und Produktion bei der Produktentwick-
lung berücksichtigt?
• Sind Produkte so konstruiert, dass sie fehlerfrei gefertigt werden können?
• Kann das Produkt im Rahmen der Qualitätsregelkreise auch während der Produktion
auf Qualitätsprobleme geprüft werden, ohne komplettiert zu sein (z. B. Zwischentests
von elektronischen Baugruppen)?
• Sind Toleranzen so genau wie notwendig definiert?
• Werden bei der Entwicklung die Prämissen der Produktion und Logistik berücksich-
tigt?
• Gibt es weitere Optimierungen am Produktdesign nach dem Produktionsstart?
• Sind neben der eigenen Produktion auch die Anforderungen der Lieferkette und der
Lieferanten beim Produktdesign berücksichtigt worden?
• Ist eine Instandhaltung gut durchführbar? Ist das Produkt problemlos zu reparieren?
• Werden regelmäßig Produktbenchmarks (intern und extern) durchgeführt?

17.6 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Produktdesign


• Der Unterschied zur Massenproduktion ist ein unaufhaltbarer Trend der Kunden
zur Individualisierung von Produkten.
• Das Produktdesign beeinflusst maßgeblich die Produktion. Es ist somit ein zent-
raler Stellhebel für eine schlanke Produktionsplanung, zuverlässige Produktion
sowie Reparatur und Verwertung.
• Der Entwicklungsbereich verantwortet einen Teil der wertschöpfenden und nicht
wertschöpfenden Tätigkeiten in der Produktion.
• Durch die Berücksichtigung von Poka Yoke und Passungen im Design werden die
Aufwendungen für Einstellen, Prüfen und Nacharbeit reduziert oder eliminiert.
250 17 Produktdesign

• Die Lean-Gedanken einer schlanken Produktion lohnen sich schon bei der Produk-
tentstehung. 70 bis 90 % der späteren Produktionskosten werden durch das Pro-
duktdesign festgelegt und sind später nicht mehr optimierbar.
• Design for Manufacturing bedeutet die Optimierung des Produktdesigns, welches
die effiziente Herstellung eines Produktes berücksichtigt. Hierbei wird auf die
Gesamtkosten und nicht die Teilekosten fokussiert.
• Anforderungen an das Produkt werden als Vorgaben und Regeln in Form von Stan-
dards durch die Entwicklung beim Produktdesign umgesetzt.
• Ein produktionsgerechtes Produktdesign hört bei der eigenen Produktion nicht auf,
denn die Produktionskosten steigen beim Lieferanten, wenn das Produkt nicht ein-
fach zu produzieren ist oder Komplexitäten aufweist.
• Design for X (DfX) optimiert das Produktdesign, sodass alle Phasen der Produk-
tentstehung, Nutzung und Verwertung eines Produktes berücksichtigt werden. Das
„X“ steht als Variable für die folgenden Themen: Manufacturing, Assembly, Testa-
bility, Logistics, Service, Repair und Environment.
• Höhere Variantenanzahlen verursachen höhere Kosten in der Prozesskette und
müssen im Vergleich zum geplanten Verkaufsumsatz betrachtet werden. Die Redu-
zierung von Varianten ist eine Maßnahme zur Kostensenkung. Vor allem, wenn die
Reduzierung nicht durch den Kunden bedingt ist.
• Eine späte Variantenbildung optimiert die Prozesskette. Die im Produktionsprozess
spätere Anpassung eines Standardproduktes an die Kundenvariante reduziert die
Komplexität und Lagerstufen in einer Prozesskette. Der Schrittmacherprozess liegt
in der Prozesskette näher beim Kunden und steuert erst dort die Varianten ein.
• Einheitliche Teile durch den Einsatz von Gleichteilen und die Wiederverwendung
in unterschiedlichen Produkten reduzieren die Teilevielfalt.
• Um die Transportkosten gering zu halten, ist das Transportvolumen entscheidend,
eine logistikgerechte Produktgestaltung sollte daher die Abmessungen und Form
der Teile berücksichtigen.
• Das Prüfen von Modulen sollte bereits in der Station erfolgen können und nicht
erst am Ende der Produktion. Produkte müssen leicht zu warten und zu reparieren
sein.
• Im Produktdesign sind die Rücknahme und das Recycling zu berücksichtigen.
Durch eine gute Montage ergibt sich in der Regel auch eine gute Demontage. Alte
Produkte können zurückgenommen, aufbereitet, wiederverwertet oder fachgerecht
entsorgt werden.
• Die Güte des Produktdesigns kann an verschiedenen Kennwerten und Eigenschaf-
ten gemessen werden, diese werden DfX-Sensoren genannt.

Fragen
• Wie kann der Entwicklungsbereich den wertschöpfenden Zeitanteil in der Produk-
tion beschleunigen bzw. verdichten?
• Welche Ziele der späteren Produktion verfolgt das Design for Manufacturing?
Literatur 251

• Es haben sich verschiedene allgemeingültige Konstruktionsregeln gefunden, wel-


che eine positive Auswirkung auf die Kenngrößen einer Produktion haben. Wie
lauten diese Regeln?
• Wie lauten Beispiele für DfX-Aspekte bezüglich Variantenreduzierung, später
Variantenbildung, Gleichteile und Wiederverwendung, Logistikoptimierung, Tes-
ten, Wartbarkeit und Reparaturfähigkeit sowie Rücknahme und Recycling?
• Was sagt die Kennzahl eHPV aus?
• Welche Kennwerte und Eigenschaften geben Rückmeldung über ein geeignetes
Produktdesign?

Literatur

Anderson DM (2004) Design for manufacturability & concurrent engineering: how to design for
low cost, design in high quality, design for lean manufacture, and design quickly for fast pro-
duction. CMI Press, Cambria
Chang TC, Wysk RA, Wang HP (1997) Computer-aided manufacturing, 2. Aufl. Prentice-Hall,
Upper Saddle River
Ehrlenspiel K, Kiewert A, Lindemann U, Mörtl M (2014) Kostengünstig Entwickeln und K ­ onstruieren:
Kostenmanagement bei der integrierten Produktentwicklung, 7. Aufl. Springer Vieweg, Berlin
Rodatz D (2007) Kaufberatung Mercedes C-Klasse – Welcher Stern strahlt am hellsten? Auto Bild
25:32–39
Rommel G, Brück F, Diederichs R, Kempis RD, Kluge J (1993) Einfach Überlegen: das Unterneh-
menskonzept, das die Schlanken schlank und die Schnellen schnell macht. Schäffer-Poeschel,
Stuttgart
VDA (2015) VDA 4812: Einheitliche eHPV-Bewertung in der Fahrzeugzerlegung (Empfehlung).
Arbeitskreis Digitale Fabrik, Verband der Automobilindustrie (Hrsg), Berlin
Wildemann H (2011) Variantenmanagement – Leitfaden zur Komplexitätsreduzierung, -beherrschung
und -vermeidung in Produkt und Prozess, 19. Aufl. TCW, München
Womack JP, Jones DT, Roos D (1991) Die zweite Revolution in der Autoindustrie-Konsequenzen
aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technology, 3. Aufl. Campus,
Frankfurt
Produktentwicklungsprozess
18

Production is god!
Nick Bowley

Zusammenfassung
Lean-Prinzipien verbessern den Weg zu einem Produkt während der Entwicklung.
Durch den Einsatz verschiedener Lean-Prinzipien wird die Produktentwicklung
optimiert und in ihrer Durchlaufzeit beschleunigt. Das Resultat ist eine verkürzte
Entwicklungszeit mit dem Ziel, das Produkt schneller am Markt zu haben. Diese
Methodik nennt sich Lean Development.

Knalsch GmbH: Die Entwicklung steht am Anfang


Jörg Escher, der Entwicklungsleiter der Knalsch GmbH, möchte seinen Bereich
auch gerne schlank in den Abläufen gestalten. Vor allem ärgert es ihn, wenn sie an
der neuen Produktgeneration, dem Knalschi 300, arbeiten und die Produktionspla-
nung immer noch Rückfragen und Änderungswünsche für den in der Produktion
neu gestarteten Knalschi 200 hat.
„Der ist fertig und interessiert mich nicht mehr! Das hält uns nur von der wich-
tigen Neuentwicklung für unsere Kunden ab“, verteidigt sich Escher.
Schlanke Prozesse müssen doch zu einer Entlastung und nicht zu mehr Belas-
tung führen?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 253


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_18
254 18 Produktentwicklungsprozess

18.1 Situation der Produktentwicklung

Genauso, wie sich die Produktion von einer Massenproduktion zu einer Produktion im
Ein-Stück-Fluss für individuelle Produkte gewandelt hat, hat sich die Produktentwick-
lung verändert. Durch Veränderungen im Markt, kürzere Produktlebenszyklen und Kun-
denforderungen nach individuellen Produkten leiten sich neue Anforderungen an den
Entwicklungsprozess ab (Tab. 18.1).
Schnellere Produktentwicklungszyklen, höhere Komplexität durch innovativere Pro-
dukte und ein hoher Anspannungsgrad in den Entwicklungskosten leiten sich aus der
Situation ab. All dies prägt das heutige Umfeld einer Produktentwicklung.
Vergleicht man die Anforderungen an ein Produkt aus Sicht der Entwicklung mit der
Perspektive der Produktion und Planung, so müssen sehr unterschiedliche Produktanfor-
derungen umgesetzt und berücksichtigt werden (Tab. 18.2). Die Themen sind ergänzend

Tab. 18.1  Marktsituation am Beispiel der Premium-Pkw-Branche


Kriterium 1980 2017
Markt Geringe Konkurrenz Harter Wettbewerb
Produktkomplexität Wenig Modelle, kaum Sonderaus- Viele Modellvarianten, große
stattungen Auswahl an Sonderausstattungen
Produktqualität Hohe Produktreife und Qualität Strategische Ziele sind „Null-
durch lange Entwicklungszeit Fehler“ und Kundenzufriedenheit
Technologien Hoher Innovationsgrad Weiter steigender Innovationsgrad
Time-to-Market 7 Jahre und mehr 4 Jahre und weniger
Arbeitsorganisation Überschaubar mit wenig Beteiligten Eng vernetzte Matrixstruktur mit
vielen Beteiligten
Kosten Geringer Anspannungsgrad Hoher Anspannungsgrad

Tab. 18.2  Anforderungen an Produkte von unterschiedlichen Beteiligten


Produktanforderungen der Entwicklung Produktanforderungen der Planung und der
Produktion
• Produktpreis • Investitionen
• Kundennutzen, Komfort • Flächenbedarf, Layout
• Design • Stabile Prozesse, Qualität
• Innovation • Niedrige Anzahl von Varianten
• Sicherheit • Standards bei Werkzeugen und Maschinen
• Qualität • Standards bei Ladungsträgern und Transport
• Kundenzufriedenheit • Produktionszeit
• Lebensdauer • Teileanzahl
• Gewicht • Automatisierungsgrad und Flexibilität
• Energieeffizient • Qualität
• Dokumentation • Ergonomie und Sicherheit
18.1 Situation der Produktentwicklung 255

zu sehen, denn es existieren keine Widersprüche. Es ergeben sich vielseitige Anforderun-


gen, die umzusetzen sind. Wichtig ist es, Transparenz über alle Anforderungen zu haben.
In der klassischen Prozessdenke entwickelt sich ein Produkt von der Vertriebsanfor-
derung des Kunden über das Design zur Entwicklung und Produktionsplanung bis hin
zur Produktion, die das Produkt herstellt. Diese lineare Kette führt dazu, dass die Anfor-
derungen einer Planung und Entwicklung (vergl. Tab. 18.2) in der frühen Phase des
Designs und der Entwicklung kaum Berücksichtigung finden. Durch den iterativen Pro-
zess sind Änderungen nahezu unmöglich. Die Zeit und die Kapazität der Entwicklung
werden durch die Planung erneut beansprucht, obwohl keine Ressourcen mehr in den
Vorprozessen der Entwicklung zur Verfügung stehen. Die Entwicklung arbeitet in der
Regel bereits an einem neuen Projekt, dem Folgeprodukt.
Im Entwicklungsprozess sollten zwischen dem Zeitpunkt der Finalisierung des Pro-
dukts (Design-Freeze) und dem Produktionsstart (Start of Production) möglichst keine
Änderungen mehr auftreten. Dennoch kommen diese Änderungen regelmäßig vor, zum
Teil auch noch nach dem Produktionsanlauf. Die Änderungen sollten sich reduzieren
und sich bei Erreichen des Produktionsstarts auf minimaler Höhe bzw. bei null befinden
(vergl. Abb. 18.1). In einem Großteil der Projekte werden die Entwicklungsziele nicht in
der geplanten Zeit erreicht.

Beispiel
Womack und Jones (1994) geben an, dass in den 1990er Jahren Mercedes-Benz für
ein Fahrzeug im Luxussegment die dreifache Stundenzahl aufwenden musste, wie
Toyota für ein vergleichbares Fahrzeug. Der Unterschied lag in den deutschen funkti-
onsübergreifenden Strukturen und der nicht stattfindenden Kommunikation zwischen
den Bereichen. Es ergaben sich zu viele Entwicklungsschleifen und die Abstimmung
mit der Produktionsplanung fehlte.
Änderungsaufwand

Zeit

Abb. 18.1  Änderungsaufwand in einem Entwicklungsprojekt. (Nach Romberg 2010, S. 107)


256 18 Produktentwicklungsprozess

18.2 Lean Development

Lean Development nutz Lean-Methoden in der Produktentwicklung, um diese genauso


wie eine Produktion nach den Prinzipien Fluss, Takt und Pull zu organisieren. Ziel ist es,
die Entwicklungszeit eines Produktes zu reduzieren und Schleifen aufgrund von Prob-
lemen zu eliminieren. Romberg (2010) beschäftigt sich intensiv mit dem der schlanken
Produktentwicklung.

 Lean Development Ansatz zur Optimierung von Produktenwicklungsprozessen nach


den Lean-Prinzipien. Der Entstehungsprozess wird als Prozesskette verstanden und Ver-
schwendungen werden vermieden.

Die Umsetzung zwischen Planungsbereich und Entwicklung ist vergleichbar mit der
Situation der Produktion mit der Logistik. In der Produktion tauchen Probleme auf,
wenn die Logistik nicht wie erwartet funktioniert. In der Produktionsplanung tauchen die
Probleme auf, die in der Entwicklungsphase nicht oder zu spät gelöst worden sind.
Lean Development versteht sich als ein prozessübergreifender Ansatz, der eine
Zusammenarbeit aller beteiligten Bereiche von Design über Entwicklung und Planung
bis zur Produktion verfolgt. Dabei wird die Arbeit parallelisiert und eine frühzeitige
Zusammenarbeit forciert. Vergleichbar mit dem Wertstrom geht es dabei um den Pro-
zessablauf und nicht um Abteilungen. Einen Ansatz für einen Wertstrom für Entwick-
lungsprozesse liefert Locher (2008).
Wie bei der Berücksichtigung von Produktionsregeln beim Produktdesign (vergl.
Kap. 17) ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit während der Entwicklungsphase
notwendig. Das Herstellungskonzept muss parallel zur Entwicklung definiert werden,
um auf das Produktdesign reagieren zu können. Anforderungen an das Produkt müssen
gestellt und kommuniziert werden. Dabei ergibt sich eine Umsetzungsmatrix (Abb. 18.2)
für die Vorgehensweisen zwischen Entwicklung und Planung. Sind Themen schwer
umzusetzen und haben diese ein geringes Potenzial, so werden diese nicht mehr weiter-
verfolgt und somit nicht umgesetzt. Der Gegenpol sind hohe Potenziale, welche leicht
umzusetzen sind. Diese sind sicherlich, sobald bekannt, schnell umgesetzt, falls nicht
bereits geschehen. Der Fokus der Matrix liegt auf den anderen beiden Feldern: hohes
Potenzial und schwer umzusetzen sowie leicht umzusetzen mit geringem Potenzial. Das
Letztere sollte der Entwicklung mitgeteilt und dann umgesetzt werden. Bei einem hohen
Potenzial, das schwer umzusetzen ist, geht es im Wesentlichen um eine aktive Kommuni-
kation zwischen den Bereichen und der Auseinandersetzung mit dem Thema.
Eine Funktion, welche im Sinne einer klaren Verantwortung mit entsprechendem
Expertenwissen ausgestattet ist, ist der sogenannte Chief-Engineer. Er vereint die unter-
nehmerische Führung und das technische Expertenwissen miteinander und nimmt im
Entwicklungsprozess eine entscheidende Rolle und Funktion ein. Der Chief-Engineer
verfügt über mindestens 20 Jahre Entwicklungserfahrung in verschiedenen Bereichen.
Als Lean-Ingenieur verantwortet er einen erweiterten Aufgabenbereich und verhandelt
18.2 Lean Development 257

Potenzial in der
Produktionsplanung

Hohes Potenzial

Aktive Kommunikation Sofortige Umsetzung

Fokus
Geringes Potenzial

Keine Umsetzung Realisieren

Fokus Umsetzung
in der
Schwer umzusetzen Leicht umzusetzen Entwicklung

Abb. 18.2  DfX-Umsetzungsmatrix

mit den betroffenen Managern die Ressourcen und Zeitpläne. Er steht in direktem Kon-
takt mit den Designern und Entwicklungsingenieuren. Parallel zum Marketing führt er
Marktanalysen durch und steht somit in direktem Kontakt mit dem Kunden. Gleichzeitig
ist er das Bindeglied zur Produktion und zum Vertrieb.
Das Entwicklungsteam ist mit Mitarbeitern besetzt, die längerfristig als stabiles Team
arbeiten. Ein Entwicklungsingenieur durchläuft mehrere Produktzyklen und baut so sein
Expertenwissen auf. Die Manager auf Funktionsebene besitzen breites technisches Fach-
wissen und fungieren als Coaches für die Mitarbeiter. Im Entwicklungsprozess erfolgt
die Dokumentation über Best Practices und Design Guidelines.
Alle Rollen, Kommunikationen und Methoden fokussieren sich auf klare Themenfel-
der. Nach der Produktentwicklung muss ein Konzept für die Produktion vorliegen. Der
Anlauf des Produktes muss begleitet und überwacht werden. Falls erforderlich, ist Unter-
stützung bereitzustellen. Die Gesamtkosten, welche die Investitionen der Planung und
die laufenden Kosten der Produktion mit einschließen, müssen betrachtet werden. Und
zuletzt muss der Produktion, im Sinne von Sicherheit, Qualität, Ausbringung und Kosten,
ermöglicht werden, das Produkt ab Produktionsstart reibungslos herstellen zu können.
Gemeinsame Ziele sind die Reduzierung der Produktentwicklungszeit und der Kosten. Als
Ergebnis muss ein Qualitätsprodukt mit Vorteilen gegenüber dem Wettbewerb vorliegen.
258 18 Produktentwicklungsprozess

18.3 Lean-Methoden in der Produktentwicklung

Um eine Produktentwicklung ohne Verschwendung durchführen zu können, bedarf es


des Einsatzes verschiedener Methoden. Dabei handelt es sich zum Teil um adaptierte und
auf die Entwicklung angepasste Lean-Methoden. Sie können unter dem Begriff eines
Lean-Development-Methodensets zusammengefasst werden. Es folgen verschiedene
Methoden mit jeweils einer kurzen Erklärung.

Transparenz
Die Transparenz über die Prozesse, Stände, Entscheidungen und Kennzahlen unterstützt,
genauso wie in der Produktion, die Arbeitsprozesse in der Entwicklung. Analog zu den
indirekten Bereichen geht es hier vor allem um den Fluss der Informationen und den
Austausch durch Kommunikation.
Der Obeya (japanisch für „großer Raum“ bzw. „Projektraum“, engl. War Room) dient
als Zentrale für die Visualisierung von Kennzahlen und Projektfortschritten. Gleichzeitig
finden dort Projektgespräche an den zu entwickelnden Bauteilen statt. In diesem Raum
werden auch die Elemente des Shopfloor Managements angewendet (Kap. 25). So wer-
den z. B. Änderungsaufträge transparent gemacht und die dafür notwendigen Kapazitä-
ten geplant und priorisiert.
Das Verständnis des gesamten Prozesses unterstützt die Nachvollziehbarkeit und das
Treffen von richtigen Entscheidungen im Sinne der Entwicklung und der folgenden Pro-
zesskette mit der Planung und der Produktion. Durch klare Verantwortlichkeiten und
Rollen sind Ansprechpartner eindeutig definiert, Entscheidungen schneller getroffen und
Themen, wenn notwendig, eskaliert.
Zur Transparenz gehört bei komplexen Entwicklungsprojektstrukturen, wie beispiels-
weise bei der Automobilentwicklung, die „Design Structure Matrix“. Sie zeigt Ver-
knüpfungen und Beziehungen zwischen Bereichen und Komponenten auf. Gegenseitige
Einflüsse werden transparent und können geklärt werden.

Lernende Organisation
Die Entwicklung muss als lernende Organisation agieren. Das Wissen aus der Entwick-
lung von Vorgängerprodukten und die daraus resultierenden Erfahrungen sind wertvoll
für Folgeprodukte und Projekte. Sie dienen als Basis für die nächste Ebene, analog
einem Standard, der weiter verbessert wird. Dadurch wird sichergestellt, dass sich Fehler
nicht wiederholen.
In „Experience Books“ sind die Erkenntnisse der Produktprojekte festzuhalten. Dies
erfordert eine hohe Disziplin und Zeit. Das Erfahrungspotenzial nimmt zu und personi-
fiziertes Wissen steht dem Unternehmen zur Verfügung. Ein entsprechendes Wissensma-
nagement wird aufgebaut.
18.3 Lean-Methoden in der Produktentwicklung 259

Frontloading
„Frontloading“ soll kritische Themen in einer frühen Phase klären, bevor sie später
zu Problemen führen. Häufig werden die Produkte erst im fertigen Zustand an externe
Bereiche oder die Produktionsplanung übergeben. Für die Lösung von auftretenden
Schwierigkeiten und erforderlichen Änderungen am Produkt ist es dann zu spät. Finden
die Klärungen mit künftigen Lieferanten und der Produktionsplanung noch vor der Pro-
totypenphase statt, z. B. an einem virtuellen Modell, können Themen besprochen und
geklärt werden. Eine Lösung ist der Einsatz einer Art des Jidoka-Prinzips für den Ent-
wicklungsprozess (Abschn. 9.2). Noch im Entwicklungsprozess wird bei Abweichungen
ein Qualitätsalarm ausgelöst. Rechtzeitig können dann Änderungen veranlasst werden.
So muss ein fertiges Produkt nicht in die „Nacharbeit“ der Entwicklung. Sind teure Pro-
dukttests bereits durchgeführt worden (z. B. Crashtest), sind Änderungen mit hohen Kos-
ten und einem erheblichen Zeitverlust verbunden. Frontloading lohnt sich, ist aber eine
andere Arbeitsweise für alle Beteiligten (vergl. Abschn. 19.1).

Simultane Entwicklung
Klare Projektpläne für die Produktentwicklung ermöglichen durch regelmäßige Abstim-
mungen eine parallele Entwicklung von Komponenten anstelle einer sequenziellen
Vorgehensweise. Diese werden an klar abgegrenzten Schnittstellen zu festgelegten Zeit-
punkten zusammengebracht. Eine Parallelisierung benötigt ungefähr dieselbe Entwick-
lungskapazität, bei gleichzeitiger Verkürzung der Entwicklungsdurchlaufzeit.
Mit dem Set-Based Concurrent Engineering werden verschiedene Versionen und
Lösungen eines Produktes parallel entwickelt. Verschiedene Ideen werden weiterverfolgt
und Alternativen entwickelt. Es stehen verschiedene Alternativen und Ersatzlösungen zur
Verfügung.

Standards
Standardisierte Produkte können einfacher entwickelt werden. Die Nutzung von gleichen
Modulen für verschiedene Produktvarianten oder Typen vereinfacht die Entwicklung und
die Umsetzung in eine Produktion. Durchdachte Modul- und Plattformstrategien ermög-
lichen die Verwendung von einmal entwickelten Einheiten (z. B. Steuergeräte oder Fahr-
werke) für verschiedene kundenrelevante Varianten. Die Verwendung der Gleichteile
führt neben dem Entwicklungsaufwand auch zu Einsparpotenzialen im Einkauf, in der
Produktion und dem After-Sales-Bereich.
Aus einem Technologiesupermarkt können standardisierte Technologiekomponenten
entnommen werden. Neben dem Gleichteilevorteil ist die Technologie immer auf dem
neuesten Stand.
Ein standardisierter Teilekatalog für häufig verwendete Teile und Kleinteile reduziert
die Variantenanzahl und fokussiert auf einen gemeinsamen Standard. Die Konstruktion
und der Bedarf von speziellen Teilen entfallen größtenteils.
260 18 Produktentwicklungsprozess

Projektmanagement
Zu einem Entwicklungsprozess gehört eine optimale Planung der Abläufe und Überga-
bepunkte. Ein Projektmanagement, mit passenden Checkpunkten und Qualitygates, wird
aufgesetzt. Projektpläne mit Freigabepunkten, der Kenntnis des kritischen Pfades und
vereinbarten Abstimmungen erleichtern die Durchführung von Entwicklungsprojekten
und geben die notwendige Transparenz über den Fortschritt. Bei Problemen wird recht-
zeitig mit passenden Maßnahmen unterstützt. Es erfordert eine lernende und transparente
Organisation. Dadurch werden Qualitygates ehrlich durchschritten und bei Abweichun-
gen Problemlöseprozesse durchgeführt.

18.4 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Produktentwicklungsprozess zu beantworten


• Gibt es einen Austausch zu Problemlösungen zwischen Produktions-, Planungs- und
Entwicklungsbereichen?
• Gibt es einen gemeinsamen Prozess zur Produkt-, Produktions- und Prozessgestaltung?
• Werden absehbare Produkt- und Prozessveränderungen bereits in der laufenden Serie
vorgezogen eingeführt, statt erst zum Produktionsstart eines neuen Produktes bzw.
Nachfolgeprodukts?
• Werden Produktentwicklungen über Kennzahlen gesteuert?
• Gibt es einen klaren und realistischen Projektplan für die Produktentwicklung? Ist der
kritische Pfad bekannt?
• Werden Qualitygates nur bei Zielerreichung durchschritten? Werden Abweichungen
transparent gemacht, besprochen und mittels Maßnahmen unterstützt oder Problemlö-
seprozesse ausgelöst?
• Existiert ein gemeinsamer Raum (Obeya) mit Kennzahlenvisualisierung zur Diskus-
sion von Produktständen?
• Sind Regelkommunikationen zwischen allen Bereichen inklusive der Produktionspla-
nung vorhanden?

18.5 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Produktentwicklungsprozess


• Die Herausforderungen für die Produktentwicklung liegen in schnelleren Pro-
duktentwicklungszyklen, höherer Komplexität durch innovativere Produkte und
einem hohen Anspannungsgrad in den Entwicklungskosten.
• Bei der klassischen Prozessdenke durchläuft ein Produkt die Entwicklung in
Sequenz. Der Prozess startet mit der Vertriebsanforderung des Kunden zum
Design. Danach folgen die Entwicklung und die Produktionsplanung. Am Ende
Literatur 261

steht die Produktion, welche das Produkt herstellt. Anforderungen einer Planung
und Produktion finden hierdurch in der frühen Phase des Designs und der Entwick-
lung kaum Berücksichtigung.
• Im Entwicklungsprozess sollten zwischen dem Zeitpunkt der Finalisierung des
Produkts (Design-Freeze) und dem Produktionsstart (Start of Production) mög-
lichst keine Änderungen mehr auftreten.
• Lean Development nutzt die Lean-Methoden in der Produktentwicklung. Ziel ist,
die Entwicklungszeit eines Produktes zu reduzieren und Schleifen aufgrund von
Problemen zu eliminieren.
• In der Produktionsplanung tauchen Probleme auf, die in der Entwicklungsphase
nicht ordentlich oder zu spät gelöst worden sind. Die Lösung ist ein prozessüber-
greifender Ansatz mit allen beteiligten Bereichen. Die Arbeit wird parallelisiert
und eine frühzeitige Zusammenarbeit forciert.
• Lean Development nutzt ein Methodenset. Transparenz legt den Fokus auf den
Fluss von Informationen und den Austausch durch Kommunikation. Weitere
Methoden sind ein Agieren als lernende Organisation und das Frontloading, um
kritische Themen in einer frühen Phase zu klären. Die simultane Entwicklung und
Standardisierung unterstützen den Gedanken einer einfacheren Entwicklung. Die
Standardisierung unterstützt die Produktentwicklung durch die Wiederverwendung
von einmal entwickelten Einheiten für den Einsatz in verschiedenen Varianten. Ein
strukturiertes Projektmanagement ermöglicht eine optimale Planung der Abläufe
und Übergabepunkte mittels Qualitygates.

Fragen
• Wie haben sich die Anforderungen an die Entwicklungsprozesse über die Jahre
von 1980 bis 2017 verändert?
• Wie lassen sich die Produktanforderungen der Entwicklung und die der Planung
und Produktion abgrenzen?
• Was wird unter einem Chief-Engineer verstanden und was sind seine Aufgaben?
• Wie kann das Methodenset von Lean Development beschrieben werden?
• Was zeigt die „Design Structure Matrix“ auf?

Literatur

Locher DA (2008) Value stream mapping for lean development: a how-to guide for streamlining
time to market. Productivity Press, New York
Romberg A (2010) Schnell entwickeln, schnell am Markt – Wettbewerbsvorteile durch Lean Deve-
lopment. LOG_X, Stuttgart
Womack JP, Jones DT (1994) From lean production to the lean enterprise. Harvard Bus Rev 2:93–103
Produktionsplanung
19

Design statt Re-Design!


Weisheit im Lean-Umfeld

Zusammenfassung
Eine Produktionsplanung erreicht unter Beachtung definierter Planungsprinzipien
eine schlanke Produktion. Unter Berücksichtigung der Verschwendungsvermeidung in
der Planung ergibt sich eine optimierte Produktion. Der Stellhebel ist in der Planungs-
phase größer als bei einer späteren Optimierung im laufenden Betrieb. Im Rahmen
der Planungsdurchführung unterstützen einfache Methoden, wie beispielsweise das
Cardboard-Engineering, als eine kostengünstige und zielorientiertere Planungsvorge-
hensweise mit einem realistischen Ergebnis.

Knalsch GmbH: Schlanke Planung beim schwäbischen Mittagessen


Karl-Norbert Alsch trifft sich mit Susanne Moos, der „Planungschefin“ bei der
Knalsch GmbH, zum Mittagessen in der Betriebskantine.
„Ich wollte mit Dir noch Deinen Antrag für die neue virtuelle Planungssoftware
besprechen. Ich möchte da eigentlich kein Geld investieren“, sagt Alsch zu Susanne
Moos. „Ich denke, es wäre doch an der Zeit, auch die Planung ‚Lean‘ zu machen“,
frotzelt er, während beide in der Warteschlange bei der Essensausgabe stehen.
„Was meinst Du damit, Karl? Einen schlanken Planungsprozess oder ein
schlankes Planungsergebnis?“, kontert Susanne forsch.
Alsch ist an der Essensausgabe angekommen. Noch ins Gespräch vertieft,
bekommt er die Frage des Koches nach seinem Essenswunsch nicht mit: „Linsen
mit Spätzle und Saiten oder lieber Maultaschen, Herr Dr. Alsch?“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 263


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_19
264 19 Produktionsplanung

Alsch gibt in diesem Moment an Susanne Moos zurück: „Ich nehme sehr gerne
beides!“
„Wirklich?“, antworten Susanne Moos und der Koch gleichzeitig zurück und
alle müssen lachen.
Nach dem schwäbischen Mittagessen kommt Alsch noch mal auf den Punkt:
„Susanne, ich denke da sehr schwäbisch und glaube, dass ein schlanker Prozess ein
schlankes Ergebnis bringen kann. Und ich habe da etwas auf einer Firmenbesich-
tigung gesehen, was uns helfen könnte. Wir brauchen Platz und einige Kartons aus
der Versandabteilung.“

19.1 Lean Engineering

Die Verbesserung der laufenden Produktion ist bei Umstellungen ein sogenanntes „Re-
Design“. Dies ist meist sehr aufwendig, da bestehende Einrichtungen und Maschinen
durch die Verbesserung verändert werden müssen. Umstellungsaufwendungen sind die
Folge. Besser ist es, die Verschwendung von Beginn an nicht einzuplanen. Ideal ist, für
ein gutes Design der Produktion von Anfang an zu sorgen und gegebenenfalls die Flexi-
bilität für weitere Verbesserungen zu berücksichtigen. In der schlanken Planung werden
die Lean-Prinzipien Stabilisierung, Fluss, Takt, Pull und Perfektion im geplanten Soll-
Wertstrom (Abschn. 8.5) berücksichtigt.

 Lean Engineering Ansatz zur schlanken Produktionsplanung von Produktionsprozes-


sen unter Anwendung der Lean-Prinzipien.

Lean Engineering beginnt mit dem zu produzierenden Produkt. Das Produktdesign


bestimmt die Möglichkeiten der Planung und die Form einer Produktion. Um Probleme
am Produkt aus Sicht der Planung frühzeitig zu erkennen, ist es erforderlich, in der Kon-
zeptphase mit der Entwicklung Kontakt aufzunehmen. Dies findet in der Regel nicht
statt, da die Planung mit aktuellen Problemen im Anlauf beschäftigt ist und keine Zeit
aufwendet, um Klärungen herbeizuführen. Meist ist in dieser Phase noch unklar, welche
Zuständigkeiten sich in der Planungsabteilung für das kommende Produkt ergeben. So
nimmt sich niemand des Themas an und freie Kapazitäten sind aufgrund der Anlaufpro-
blematik nicht vorhanden. Die Lösung liegt in einer wenig aufwendigen und frühzeiti-
gen Abstimmung der Probleme sowie Themen in einem Austausch mit der Entwicklung.
Dieser als Mehraufwand empfundene Ansatz zahlt sich mehrfach in einer wesentlich ein-
facheren Anlaufphase und mit weniger Problemen aus (Abb. 19.1).
Eine sorgfältige Vorbereitung des Produktionsanlaufs ist wichtig. Hierzu sind ein
interdisziplinäres Team einzusetzen und der aktuelle Stand zu visualisieren. Die Produk-
tionsplanung stimmt sich mit allen beteiligten Bereichen, wie Entwicklung, Produktion,
19.2 Planungsprinzipien 265

Planungsaufwand
ohne Abstimmung

mit Abstimmung

Zeit
Produktkonzept Planung Beschaffung Produktionsstart

Abb. 19.1  Planungsaufwand ohne und mit Abstimmung mit der Entwicklung

Qualität, Logistik, Lean-Experte, Hallenplanung, Lieferant und weiteren wichtigen Part-


nern ab. Durch eine regelmäßige Kommunikation und eine Maßnahmenverfolgung können
auftretende Schwierigkeiten frühzeitig und schnell mit allen Beteiligten gelöst werden.
Ein Prototyp unterstützt bei der Austaktung. Die bei der Austaktung erwähnte Pro-
duktzerlegung (Abschn. 6.3) ist eine Möglichkeit, um in der Planungsphase eine Aus-
taktung zu erstellen oder zu verifizieren. Durch die Gruppierung der vom Produkt
demontierten Teile kann sogleich die Logistikplanung inklusive einer Regalbelegung mit
den Ladungsträgern erstellt werden.

19.2 Planungsprinzipien

Die Planung hat einen großen Einfluss auf die optimale Gestaltung der Arbeitsplätze in
der Produktion. Mehrere Gestaltungsprinzipien müssen beachtet werden. Rother und
Harris (2006, S. 43 ff.) beschreiben viele Richtlinien für ein gutes Montagezellenlayout.
Es folgen einige Prinzipien für die optimale Gestaltung eines flexiblen Mitarbeiter-
montagesystems (Abschn. 12.3). Die einzelnen Elemente sind analog für jegliche Form
von Arbeitsplätzen anzuwenden. Weitere Ausführungen zur Einführungsreihenfolge
beschreibt Yagyu (2007, S. 81 ff.).

Arbeitsplatzgestaltung
Nicht ergonomische Körperhaltungen und wechselnde Arbeitshöhen sind zu vermeiden.
Daraus leitet sich eine Planung mit einer konstanten und ergonomischen Arbeitshöhe für das
durchgängige und flüssige Arbeiten ab. Der horizontale Materialtransport erfolgt fließend.
266 19 Produktionsplanung

Alle Einrichtungen und Elemente werden so angeordnet, dass sie optimal bedient werden
können. Die Arbeitsschritte sollen so eingeplant werden, dass die Mitarbeiter mit beiden
Händen gleichzeitig arbeiten können.
Teile sind so nahe wie möglich am Montageplatz, also in unmittelbarer Nähe des Mit-
arbeiters bereitzustellen. Die richtige Positionierung ist durch Arbeitsplatzsimulationen
überprüfbar (vergl. Cardboard-Engineering, Abschn. 19.3) und, wenn erforderlich, anzu-
passen. Der Arbeitsbereich, in dem alles angeordnet sein sollte (Best-Point-Bereich),
liegt in einem Greifradius von etwa 80 cm. Dies erlaubt ein schnelles Entnehmen und
Platzieren (pick and place) mit wenig Verschwendung. Die Materialbereitstellung ist
abgriffsoptimiert auszulegen, das bedeutet, dass die Teile immer an derselben Stelle, in
gleicher Positionierung und Orientierung bereitliegen (vergl. Abschn. 21.1). Dies kann
durch eine Bereitstellung der Teile in Magazinen oder als Aufreihung erfolgen. Soweit
möglich, erfolgt die Materialzulieferung von vorne auf den Mitarbeiter zu. Dies vermei-
det nicht ergonomische Drehbewegungen oder Schritte, welche eine Verschwendung dar-
stellen. Die Materialversorgung ist von der Montage getrennt und liefert die Teile von
außen in die Linie hinein.
Die gleiche Vorgabe gilt für die Anordnung von Werkzeugen. Diese sollen sich nicht im
Sichtfeld befinden und werden in der Regel von oben über Federzüge bereitgestellt. Hier-
durch werden diese automatisch wieder nach oben zurückgeführt. Eine Medienversorgung
kann störungsfrei von oben erfolgen. Werkzeuge und Maschinen sollen ohne Rüstzeiten
(oder, falls erforderlich, rüstzeitoptimal) ausgelegt sein. Durch Einrichtungen nach dem
Paternosterprinzip können Werkzeuge schnell vorgehalten und gewechselt werden.

Maschinendesign
Um Laufwege kurz zu halten, sind keine breiten Anlagen, sondern schmale und tiefe
Maschinen einzusetzen. Die Vorderseiten werden in einer Flucht angeordnet (Abb. 19.2).
Dies reduziert den Platzbedarf deutlich und so auch die Wege bei jedem Arbeitszyklus.
Dies führt zu einem besseren Verhältnis der wertschöpfenden Arbeitszeit im Vergleich
zu nicht wertschöpfenden Wegezeiten. Schmälere Maschinen ergeben bei Optimierungen
mehr Gestaltungsmöglichkeiten.
Maschine 1

Maschine 2

Maschine 3

Maschine 2
Maschine 1 Maschine 3

Abb. 19.2  Vergleich der Maschinenanordnung: lange Wege (links) und schmale, tiefe Maschinen
(rechts)
19.2 Planungsprinzipien 267

Ein-Stück-Fluss
Das Layout einer Zelle oder Linie ist immer im Fluss zu planen. Durch die Anordnung
ergeben sich kürzere Durchlaufzeiten und Transportwege. Lagerbestände zwischen den
Stationen entfallen. Die Flexibilität steigt, da Mitarbeiter nicht an Maschinen gebunden
sind und das Prinzip des flexiblen Mitarbeitermontagesystems verfolgt werden kann
(Abschn. 12.3).
Anstatt einer autarken, voneinander unabhängigen Produktionsweise sind die Mitar-
beiter in einem Flusslayout nicht an eine Maschine gebunden und können im Fluss meh-
rere Maschinen mit Teilen versorgen und bedienen. Zwischen den Prozessen existiert ein
minimaler Standardumlaufbestand.
Teile und Sicherheitslichtschranken dürfen kein Hindernis auf der Wegstrecke für den
Mitarbeiter und das Produkt sein. Es muss nach kreativen Lösungen gesucht werden,
z. B. ein Drehen der Lichtschranken um 90 Grad, sodass die Abfrage von oben und unten
erfolgt und dem Materialfluss nicht im Wege steht.

Mensch und Maschine


Statt nach dem traditionellen Ansatz an jeder Maschine einen Menschen zu platzieren,
sollte ein Mitarbeiter mehrere Maschinen bedienen. Der Mitarbeiter wartet nicht auf die
Maschine, sondern die Maschine auf den Menschen. Der Mensch wird von der Maschine
entkoppelt. Die Verschwendung liegt nicht mehr in der menschlichen Tätigkeit. Maschi-
nenstillstände werden in Kauf genommen, außer es handelt sich um einen Engpass
(Abschn. 6.1).
Die Trennung von Mensch und Maschine wird mit einer Standard-Arbeitskombinati-
onstabelle (Abschn. 12.3) geplant. So sind die Zykluszeiten und die Laufwege des Mitar-
beiters berücksichtigt und können aufeinander abgestimmt werden.
Zwischen den Stationen und Maschinen wird ein Standardumlaufbestand eingeplant.
Dieser unterstützt gleichzeitig den standardisierten Prozessfluss. Die Arbeitsabfolge
erfolgt rhythmisch und reibungslos. Sie startet und endet am gleichen Übergabepunkt.

Materialbereitstellung
Wie bei der Arbeitsplatzgestaltung erwähnt, ist das Material optimal bereitzustellen. Die
Versorgung und Bereitstellung erfolgt von außerhalb des Arbeitsbereichs, sodass es keine
Störungen bei der Arbeitsabfolge in der Station gibt. Über Rutschen, Schienen, Rollbän-
der, Trichter und Ähnliches werden die Teile in den Prozess gebracht. Leere Behälter
werden zum Logistiker nach außen befördert. Die Materialbelieferung erfolgt mindes-
tens einmal pro Stunde.
Die Teile werden mittels Kanban-Prinzip von einem Logistiker bereitgestellt. Dieser
versorgt die Produktionszellen aus einem Supermarkt. Der Bestand an den Prozessstati-
onen sollte für etwa zwei Stunden ausreichen. Die Behälter sind so klein wie möglich zu
wählen.
268 19 Produktionsplanung

19.3 Cardboard-Engineering

Eine schnelle und kostengünstige Planungsmethode ist das Ausprobieren und der Auf-
bau einer künftigen Produktion im Maßstab 1:1 aus Kartonagen. Der Ansatz nennt sich
Cardboard-Engineering und ist im Vergleich zu einer Computersimulation realistischer
und kostengünstiger (vergl. Gorecki und Pautsch 2013, S. 164 ff.).

 Cardboard-Engineering Planungsmethode zum modellhaften Aufbau eines Pla-


nungsstandes im Originalmaßstab aus Kartonagen und anderen Hilfsmitteln. Der Aufbau
erfolgt so genau wie nötig. Andere Begriffe für Cardboard-Engineering sind „Mock-up“
oder „Papp-Simulation“.

Durch eine realistische Abbildung der geplanten Produktion aus Kartonagen können
Arbeitsversuche in realer Größe durchgeführt werden. Überprüft werden Arbeitsab-
läufe, die Ergonomie, der Flächenverbrauch, die Logistik, die Bereitstellung von Medien,
Maschinen- und Arbeitsplatzdesign. Erkenntnisse und mögliche Problemlösungen gehen
in die Planung ein. Abmessungen können festgestellt und festgelegt werden. Die Abläufe
können getestet und die Veränderungen in der Planung umgesetzt werden. Ebenso lassen
sich Alternativen darstellen.
Neben vielen Kartonagen sind für den Aufbau Werkzeuge notwendig: Cutter-Messer,
Heißklebepistole, Klebebänder, Stichsäge, Stifte und Maßbänder (Abb. 19.3).
Im ersten Schritt sollte das Layout in Papierform zweidimensional in einem verklei-
nerten Maßstab geplant werden. Danach wird das Layout im realen Maßstab aufgebaut.
Die Arbeitsplätze werden in entsprechender Arbeitshöhe mit der notwendigen Fläche

Abb. 19.3  Werkzeug und Material für Cardboard-Engineering


19.4 Fabrikplanung 269

Abb. 19.4  Beispiel für einer Montagezelle (FMS) im Planungsstand

und den Arbeitsinhalten und Werkzeugen nachgebildet. Die Materialbereitstellung mit


Anzahl und Art der Ladungsträger wird ebenso dargestellt. Scholz (2016, S. 36) zeigt
den Einsatz von Cardboard-Engineering für die Planung des zentralen Empfangstresens
in einem Krankenhaus. Ein anderes Ergebnis für einen Montageprozess in Form einer
U-Zelle ist in Abb. 19.4 dargestellt.
Arbeitsversuche können mit echten Teilen, Prototypenteilen oder Modellen aus Kar-
tonage durchgeführt werden. Im Fokus stehen neben der Fertigungszeit und Austaktung
der Standardumlaufbestand, die Durchlaufzeit und der Flächenverbrauch. Die Produkti-
vität kann direkt verbessert werden. Durch die Simulation von Anlagen wird das notwen-
dige Investment überprüft und optimiert.
Greifbewegungen können mit Fäden dargestellt werden. Laufwege werden auf
dem Boden eingezeichnet. Dies gleicht der Visualisierung von Tanzschritten auf dem
Boden. Die Abläufe werden ausgetaktet und z. B. mittels eines Standardarbeitsblattes
(Abschn. 10.3) oder einer Standard-Arbeitskombinationstabelle (SAKT) (Abschn. 12.3)
dokumentiert.

19.4 Fabrikplanung

Nicht nur Prozesse, auch das Layout einer Fabrik ist optimal zu gestalten. Wie in verket-
teten Prozessen sind auf der Ebene einer Gesamtfabrik der Fluss und das Layout optimal
auszurichten. Eine ordentliche Fabrikplanung plant die Gebäude nach dem Prozessfluss
und nicht umgekehrt. Ein Prozessfluss in Form eines „T“ mit der Andockung eines Lie-
feranten gegenüber ergab zusammen das Layout der Smart-Fabrik im französischen
Hambach in der Form eines „+“ (Plus).
Der häufigste Fehler ist die Umkehrung dieser Regel, also die Halle zuerst zu
errichten, um danach den Prozess innerhalb der Halle abbilden zu wollen. Zwar sind
270 19 Produktionsplanung

quadratische Hallen in der Erstellung günstiger, aber die fehlende Prozessorientierung


erzeugt Verschwendungen, welche im Nachgang nur noch schwer zu beseitigen sind.
Ein kleines Presswerk, bei dem die Anlagen an einer Wand stehen, ermöglicht keinen
Austausch der Werkzeuge über beide Anlagenseiten, in dem diese von der einen Seite
herausgezogen und gleichzeitig von der anderen Seite hineingeschoben werden kön-
nen. Sie müssen über eine Seite aufwendig ausgetauscht werden.
Die Flexibilität bei der Erweiterung der Bereiche, welche im Nachgang noch weiter
wachsen können, entsteht durch Maßnahmen, wie die Möglichkeit Linien zu kürzen oder
zu erweitern. Dies wurde bei Volkswagen in Bratislava umgesetzt. Auch in der flexiblen
BMW-Fabrik in Leipzig sind diese Möglichkeiten vorgesehen.
Die Ausrichtung von Fabriken erfolgt am gerichteten Materialfluss. Die Teile fließen
auf eine Hauptlinie zu, wie bei einer Fischgräte (Abschn. 7.4), und werden dann zusam-
mengesetzt. Die Konfigurationen von Fabriken beschreibt Schonberger (1982, S. 103 ff.).
Die aufgeführten Themen und Ideen gehen von einer „Grüne-Wiese-Planung“ („green
field“) aus. Sobald eine bestehende Fabrik als „brown field“ existiert, entstehen Ein-
schränkungen und Kompromisse. Diese gibt es aber immer. Selbst bei einer Neuplanung
auf der grünen Wiese gibt es Einschränkungen. Dies können Sumpfböden auf Meeres-
höhe sein (Thailand), ein Gelände, das nicht eben ist (Brasilien), oder das Auffinden von
altertümlichen Grabstätten (Ungarn). Bei der Fabrikplanung ist nichts unmöglich. Die
erste Einschränkung ist in der Regel das Grundstückslayout. Hierfür eignen sich ebenso
einfache Planungsmethoden, bei denen die Fabrikeinheiten maßstabsgetreu auf Papier im
ebenso maßstabsgetreu abgebildeten Grundstück geplant und verschoben werden.

19.5 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Produktionsplanung zu beantworten


• Erfolgt die Variantenbildung am Produkt so spät wie möglich?
• Wird der Planungsprozess so einfach wie möglich durchgeführt?
• Werden Simulationen mit einfachen, kostengünstigen Mitteln, z. B. mittels Card-
board-Engineering, durchgeführt?
• Sind Cardboard-Engineering-Aufbauten nur so genau wie nötig gestaltet?
• Sind beim Cardboard-Engineering wichtige Details, wie Schalter oder Taster original-
getreu gestaltet?
• Existiert ein Soll-Wertstrom anhand von Lean-Kriterien für die Planung?
• Wird die Komplexität in Prozessen so weit wie möglich reduziert?
• Ist die Produktionsplanung bereits in der Konzeptphase einer Produktentwicklung
involviert und bringt sie die notwendigen Anforderungen ein?
• Sind für Produktvarianten die Kostentreiber und Aufwendungen in der späteren Pro-
duktion bekannt?
19.6 Zusammenfassung 271

• Werden modulare Elemente (Prozesse, Produkte usw.) wiederverwendet (Re-Use)?


• Werden komplexe Elemente als Modul ausgelegt?
• Gibt es so viele Lösungen wie nötig und so wenige wie möglich für komplexe Prob-
lemstellungen?

19.6 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Produktionsplanung


• Lean Engineering ist der Ansatz zur schlanken Produktionsplanung von Produkti-
onsprozessen unter Anwendung der Lean-Prinzipien.
• Die Verbesserung der Produktion wird bei der Umstellung im laufenden Betrieb
Re-Design genannt, welches meist aufwendig in der Umsetzung ist. Ideal ist es,
Verschwendungen von Anfang an zu vermeiden und für ein gutes Design der Pro-
duktion zu sorgen.
• Die Lösung einer schlanken Planung liegt in einer frühzeitigen Abstimmung der
Probleme und Themen in einem Austausch mit der Produktentwicklung.
• Die Planung hat großen Einfluss auf die optimale Gestaltung der Arbeitsplätze in
der Produktion.
• Mehrere Gestaltungsprinzipien müssen beachtet werden. Die Arbeitsplätze sind so
zu gestalten, dass nicht ergonomische Körperhaltungen und wechselnde Arbeits-
höhen vermieden werden. Das Maschinenlayout ist so anzuordnen, dass die Lauf-
wege kurz gehalten werden. Dies ist möglich durch den Einsatz von schmalen
Maschinen. Das Layout einer Zelle ist im Fluss zu planen. Eine Mehrmaschinen-
bedienung muss eingeplant werden. Die Materialbereitstellung erfolgt von außer-
halb in die Linie.
• Nicht nur Prozesse, sondern auch das Layout einer ganzen Fabrik ist optimal zu
gestalten. Dies bedeutet, dass Gebäude nach dem Prozessfluss geplant werden und
die Ausrichtung von Fabriken am gerichteten Materialfluss erfolgt.

Fragen
• Warum ist eine gute Vorbereitung des Produktionsablaufs wichtig und wie wird
diese gewährleistet?
• Welche Vorgaben sind bei einer Arbeitsplatzgestaltung zu berücksichtigen?
• Was versteht man unter dem Begriff „Cardboard-Engineering“?
• Warum wird diese Methode eingesetzt bzw. was sind die Vorteile von Cardboard-
Engineering gegenüber einer digitalen Planung?
• Worauf fokussiert das Cardboard-Engineering?
• Was ist der häufigste Fehler, der in der Fabrikplanung begangen wird?
272 19 Produktionsplanung

Literatur

Gorecki P, Pautsch P (2013) Praxisbuch Lean Management – Der Weg zur operativen Excellence.
Hanser, München
Rother M, Harris R (2006) Kontinuierliche Fließfertigung organisieren – Praxisleitfaden zur Ein-
zelstück-Fließfertigung für Manager, Ingenieure und Meister in der Produktion, Version 1.1.
Lean Management Institut, Aachen
Scholz A (2016) Die Lean-Methode im Krankenhaus – Die eigenen Reserven erkennen und heben,
2. Aufl. Springer Gabler, Wiesbaden
Schonberger RJ (1982) Japanese manufacturing techniques: nine hidden lessons in simplicity. Free
Press, New York
Yagyu S (2007) Das synchrone Managementsystem – Wegweiser zur Neugestaltung der Produktion
auf Grundlage des synchronen Produktionssystems. Mi, Landsberg
Einfachautomatisierung
20

Vollkommenheit entsteht nicht dann, wenn man nichts mehr


hinzufügen kann, sondern, wenn man nichts mehr wegnehmen
kann.
Antoine de Saint-Exupéry

Zusammenfassung
Das japanische Wort Karakuri steht für Einfachautomatisierung. Statt komplexer Sys-
teme werden einfache Mechanisierungen genutzt, um Prozessabläufe zu gestalten.
Low Cost Intelligent Automation ist die Nutzung der Karakuri-Methode, um intelli-
gente Lösungen mit einfachen Mitteln umzusetzen. Durch die Reduzierung der Kom-
plexität steigt die Verfügbarkeit der Prozesse. Die Reparatur und Weiterentwicklung
im Sinne einer Optimierung sind durch die Firma selbst möglich.

Knalsch GmbH: Teurer Roboter


Susanne Moos, die Leiterin der Planung, und Kai Lupfer, der Produktionsleiter,
sind sich in der Planungssitzung einig. Das kommt nicht immer vor.
„Wenn wir mehr Varianz haben und in die Digitalisierung einsteigen, brauchen
wir zwischen der Fertigungslinie und der Montagezelle des neuen Knalschi 200
einen Industrieroboter“, sagt Lupfer und Moos ergänzt: „Er kann die Sortierungen
und den Transport der Teile vornehmen. Außerdem wird er nicht krank und die
Wartung wird vom Hersteller übernommen. Null Verschwendung, das ist perfekt“.
Claudia Beck, die die laufende Sitzung gerade an ihrem Laptop protokolliert,
zieht die Augenbrauen hoch und schaut ihren Chef Dr. Alsch an. Der reagiert
prompt: „Ihr glaubt wohl, nur weil der Mensch nicht mehr die Verschwendung

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 273


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_20
274 20 Einfachautomatisierung

durchführt, sondern der Roboter, haben wir was geschafft? Ich sehe eine Ver-
schwendung, und zwar die Geldverschwendung.“
„Aber der Roboterhersteller hat uns ein sehr gutes Angebot gemacht. Wir müssen
entscheiden, sonst läuft es ab“, sagt die Leiterin der Verwaltung, Christina Maier.
„Wir machen das dieses Mal anders“, sagt Alsch und spricht weiter: „Ich
möchte, dass Ihr mal schaut, wie das andere Firmen auch ohne einen solchen
Roboter hinbekommen. Ich möchte eine Lösung haben, welche maximal 25 % der
Roboteranschaffung kosten würde, dasselbe kann und nicht so komplex ist wie ein
Roboter. Ein Mensch soll es aber auch nicht durchführen.“
„Klar“, sagt Controller Karsten Horch. „Der wäre ja schließlich noch teurer.“
„Genau!“, sagt Alsch. Mit den Worten „Eine Woche, dann möchte ich die
Lösung sehen“, beendet er die Sitzung und verlässt das Besprechungszimmer, in
dem Susanne Moos und Kai Lupfer ratlos zurückbleiben.
Claudia Beck grinst. Sie klappt den Laptop zu und folgt ihrem Chef aus dem
Raum. Im Vorbeigehen an Moos und Lupfer sagt sie: „Ich würde mal bei japani-
schen Firmen nachschauen.“

20.1 Karakuri

Der Ansatz der Einfachautomatisierung (Low-Cost-Automation) hat seinen Ursprung


in Karakuri-Puppen. Die Idee ist, mithilfe von mechanischen Grundprinzipien einfache
Automatisierungslösungen zu kreieren.

 Karakuri Japanischer Begriff für eine Einfachautomatisierung bzw. für „Mechani-


sierung mit Weisheit“. Der Begriff selbst bedeutet „Mechanismus“, „Trick“ oder „Täu-
schung“ (Wißnet 2007, S. 19). Die japanische Art des „Tüftelns“ hat seinen traditionellen
Ursprung in den sich selbstständig bewegenden mechanischen Puppen (jap. Ningyo),
welche menschenähnliche Bewegungen nachahmen. Karakuri-Lösungen sind günstig
und selbst hergestellt. Sie verfügen über einen ausgetüftelten Bewegungsmechanismus.

Karakuri beschreibt einfache Antriebsarten und deren Verwendung. Es ist ein Teil der
Grundprinzipien von Low Cost Intelligent Automation (LCIA) (Abschn. 20.2). Karakuri
nutzt vor allem vorhandene Energie oder Kraft und wandelt diese auf einfache Art in
Bewegung um. Durch die Kombination von Energien und Kräften sowie Transfer und
Übersetzung ergeben sich vielfältige Lösungen.
Die folgenden physikalischen Kräfte sind Beispiele, welche sich Karakuri zunutze macht:

• Gravitation
• Magnetismus
20.1 Karakuri 275

• Federkraft
• Pneumatik
• Vorhandene Bewegungen
• Vakuum

Hinzu kommen Hebel, Übersetzungen und Kombinationen dieser Kräfte. Mit Ideenreich-
tum ergeben sich vielfältige Möglichkeiten zur Lösung von Prozessvorgängen.

Beispiel
Magnetismus hilft beim Vereinzeln von Schrauben. Kleine Magnete an flexiblen
Drähten werden in einer Montage jeden Zyklus in die kleinen Ladungsträger mit
Schrauben gedippt. Nach dem Wiederanheben kann im Vorbeigreifen an den Magne-
ten die richtige Anzahl an Schrauben abgegriffen werden. Diese Lösung ist auch auf
Mitfahrwagen in der Fahrzeugmontage eingesetzt (Abb. 20.1).
Weitere Beispiele dafür, wie sich Magnetismus nutzen lässt, sind Magnete an
Werkzeugen, Akkuschraubern, Armbändern oder Handschuhen. Hier werden magne-
tische Teile befestigt, wie z. B. Schrauben. Somit bleiben beide Hände frei für das
Ansetzen einer Schraube und die Nutzung des Werkzeuges. Magnete helfen auch
beim Andocken an die Fördertechnik. Ein Mitfahrwagen wird somit auf Werkstück-
höhe mitgezogen und kann nach Abschluss der Tätigkeiten entkoppelt und zum
nächsten Werkstück gebracht werden. Dabei wird auch die Nutzung vorhandener
Bewegungen, in diesem Fall die des Förderbandes, genutzt. Die Vereinzelung von
Schrauben und ähnlichen Kleinteilen erfolgt über einen Magneten hinter einer rotie-
renden Scheibe mit Mitnehmern. Die Schrauben werden befördert, sensorisch abge-
zählt und zur Entnahme bereitgestellt.

Abb. 20.1  Magnete vereinzeln Schrauben aus Ladungsträgern durch hineindippen (Modell)


276 20 Einfachautomatisierung

Die Gravitation lässt Einzelteile von einem Prozess zu einem anderen rutschen, ohne
dass eine elektrische Fördertechnik notwendig wäre. Sogar manuelle Sortiereinrichtun-
gen lassen sich in den Weg integrieren. Ausgetüftelte Lösungen sortieren die fehlerhaften
Teile, durch das taktile Erkennen von Merkmalen, aus (vergl. Poka Yoke, Abschn. 9.3).

Beispiel
Die Kombination von Gravitation mit der Rotation erlaubt kleine Stangen bis hin zu
Metallstiften zu vereinzeln und bereitzustellen. Eine Lochung auf einer drehenden
Walze nimmt beim Herausdrehen immer exakt ein Bauteil mit und gibt es auf der
anderen Seite der Walze vereinzelt aus.

Bevor neue Aktoren zum Einsatz kommen, muss immer überprüft werden, welche vor-
handenen Bewegungen bereits existieren und genutzt werden können. Neben der Nut-
zung der Fortbewegung eines Förderbandes zum Anhängen oder Mitschieben von
Materialien sind auch Maschinenvibrationen zusammen mit der Gravitation eine Mög-
lichkeit, Teile auf Rutschen weiterzubefördern.
Mit Wasserkraft und Schwerkraft funktioniert die japanische „Wildscheuche“ (jap.
Shishi Odoshi). Hauptbestandteil ist bei dieser eine um eine Drehachse gelagerte Bam-
busröhre. Diese füllt sich langsam mit Wasser und fällt um, sobald sie voll ist und der
Schwerpunkt hierdurch über der Drehachse liegt. Das Wasser entleert sich und das Rohr
schwenkt zurück in die Ausgangsposition für die erneute Befüllung. Dabei klappert das
Rohr an den Anschlag zurück und gibt ein klackendes Geräusch von sich. Das Rohr
agiert wie ein zyklisch ausgelöster Hebel.
Für Karakuri ist die Funktion der Wildscheuche mit der zyklischen Ansammlung
einer definierten Menge an Material oder Teilen interessant. Diese Funktionsweise kann
in der Produktion für die Teilevereinzelung oder das Abzählen von Teilen eingesetzt
werden.

Beispiel
Ein Vakuum ist nützlich, um Papierstapel oder Kunststofftüten durch ein Ansaugen zu
vereinzeln.

Für die Übersetzung von Bewegungen und den Transfer in verschiedene Bewegungs-
arten eignen sich die Methoden der technischen Mechanik. In ihr werden verschiedene
Möglichkeiten aufgezeigt. So kann eine Matrix erstellt werden, welche jede der folgend
aufgezählten Bewegungsarten in jeweils eine andere umsetzen kann. Mögliche Bewe-
gungsarten und deren Kombination sind: rotierende, lineare, pendelnde und oszillierende
Bewegungen. Diese sind die Basis für die Nutzung von Bewegungsarten für ein breites
Einsatzfeld.
Karakuri ist ein weiteres Element des Nissan Lean Systems unter dem Namen „Nis-
san Production Way“ (NPW). Nissan nennt seine Lean-Vorgehensweise und -Philosophie
„Douki Seisan“.
20.2 Low Cost Intelligent Automation 277

20.2 Low Cost Intelligent Automation

Low Cost Intelligent Automation reduziert die Anlagenkosten und vereinfacht Abläufe
mit weniger Aufwand und Verschwendung. Intelligente, ausgetüftelte Lösungen kommen
zum Einsatz (vergl. Takeda 2006). Schlanke Unternehmen sind stolz auf ihre eigenen
intelligenten Lösungen. Andere Unternehmen präsentieren selbstbewusst die hochtech-
nologische und modernste Anlage, welche mit hohen Kosten in Anschaffung und Betrieb
verbunden ist.

 Low Cost Intelligent Automation (LCIA) Eine intelligente Automatisierung mit gerin-
gen Kosten. Grundlage für LCIA ist Karakuri. Das Motto lautet: Einsatz von Kreativi-
tät statt Geld. LCIA-Lösungen gibt es nicht zu kaufen. Sie werden unternehmensintern,
selbst und individuell entwickelt.

Das Ziel von Low Cost Intelligent Automation ist, die Investitionen zu senken. Gleich-
zeitig wird die Verschwendung im Prozess reduziert und die Produktivität gesteigert. Das
Motto lautet: „Keep it simple.“
Anlagen sind, je komplexer sie werden, nicht nur teurer in der Anschaffung, sondern
auch im Betrieb. Neben den offensichtlichen Kosten für Energie, Material und War-
tung fallen verdeckte, nicht sofort erkennbare Kostentreiber an, wie Störanfälligkeit und
Instandhaltungskosten.
Low Cost Intelligent Automation ist mit wesentlich geringeren Investitionskosten
verbunden als eine Anschaffung von Maschinen mit gleichen Funktionen. Bei Automa-
tionsformen, welche mit einem hohen Investitionsbedarf behaftet sind, können bei der
Investition Einsparungen in Höhe von 80 bis 90 % erzielt werden. Denn die in Unterneh-
men konstruierten und gebauten LCIA-Lösungen liegen bei den Investitionskosten ledig-
lich in Höhe von zehn bis 20 % ähnlich leistungsfähiger Automatisierungen (Dickmann
2015, S. 47).
Die Fähigkeit, LCIA-Lösungen selbst zu entwickeln und zu realisieren, ist ein gra-
vierender Wettbewerbsvorteil für die produzierenden Unternehmen. Die entwickelte
Technologie gehört zu den Kernkompetenzen und dem Schlüssel-Know-how eines
Unternehmens. Am Markt erhältliche Maschinen können auch vom Wettbewerb erwor-
ben werden, das entwickelte spezielle Fachwissen und die Erfahrungen jedoch nicht. So
trägt LCIA mit dem Streben nach Originalität und Kreativität zur Sicherung der Wettbe-
werbsfähigkeit bei.
Eine kostengünstige Eigenherstellung von Lösungen sollte bei einer Amortisations-
dauer von einem Jahr liegen. Die Vorgehensweise erlaubt die Realisierung von normaler-
weise nicht lohnenswerten Umsetzungen, wie beispielsweise für Kleinserien.
Sollte die Notwendigkeit einer hochtechnologischen Maschine oder Anlage unum-
gänglich sein, ist der Grund hierfür zu untersuchen und zu klären sowie das Produktde-
sign zu überprüfen (vergl. Abschn. 17.2).
278 20 Einfachautomatisierung

20.3 Umsetzung

Intelligente Low-Cost-Automatisierungslösungen für Logistik, Fertigungsprozesse und


Montage können nicht gekauft werden. Sie können nur selbst im Unternehmen herge-
stellt werden. Es bietet sich die Installation einer Kaizen-Werkstatt (Abschn. 28.3) mit
Einrichtungen, Materialien und internen Speziallisten an.
Die Realisierung von LCIA-Lösungen folgt verschiedenen Grundprinzipien bei der
Planung und Umsetzung:

• Am Anfang stehen eine Ideensammlung und die Einbindung der Mitarbeiter.


• Vor der Automatisierung ist die Verschwendung zu eliminieren.
• Die Realisierung muss zweckgerecht und schnell umsetzbar sein.
• Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen sind einzuhalten, die Ergonomie ist zu
berücksichtigen.
• Qualitätskriterien und die Fehlervermeidung sind zu berücksichtigen. Poka Yoke und
Jidoka bilden die Grundlage für eine prozesssichere Einrichtung.
• Einsatz von einfachen, günstigen und handelsüblichen Materialen sowie die Wieder-
verwendung von vorhandenen Materialien.
• Die Umsetzung findet mit einfachen Antriebsarten gemäß dem Karakuri-Prinzip und
einfacher Technik statt.
• Die Grundgedanken des schnellen Rüstens fließen in das Umrüsten, die Wartung und
die Reparatur ein.
• Für die Wartung und Instandhaltung sollten keine Werkzeuge notwendig sein.
• Die Lösung muss flexibel sein, sodass diese entsprechend leicht umgebaut, angepasst
sowie weiter verbessert und umfunktioniert werden kann.

Die Umsetzung einer Idee sollte einfach und schnell erfolgen. Es bietet sich an, mit
einem Prototyp zu starten und anschließend Arbeitsversuche durchzuführen. Für den
Einsatz in Europa sind die Maschinenrichtlinie und die Zertifizierung entsprechen-
der Einrichtungen sowie die Durchführung der Gefährdungsanalyse zu beachten. Dies
kann sehr teuer durch einen externen Auditor durchgeführt werden oder kostengünstiger
durch die Aneignung des Wissens innerhalb der Firma. Bringt die Firma Produkte auf
den Markt, so ist das Fachwissen für eine Zertifizierung in der Regel bereits im Haus
und Analysen können an den selbst entwickelten LCIA-Lösungen analog durchgeführt
werden.
Der Einsatz von LCIA-Einrichtungen erzeugt Erfahrung und ein spezielles
Wissen für das Unternehmen. Dies ermöglicht die einzigartige Herstellung von
Bearbeitungs-, Montage- und Logistikvorrichtungen. Die Vorrichtungen sind ent-
sprechend den speziellen Anforderungen der Produkte angepasst (nach Dickmann
2015, S. 50).
20.5 Zusammenfassung 279

Beispiel
Ein vielerorts gesehenes Beispiel für Low Cost Intelligent Automation sind fahrerlose
Transportfahrzeuge (engl. Automated Guided Vehicle, AGV). Diese Transportieren als
fahrerloses Transportsystem (FTS) Materialien in Routen von Supermärkten zu den
Verbrauchsorten. Sie arbeiten häufig mit einfachen Methoden, wie dem Nachfahren
einer farbigen Linie oder eines Magnetstreifens.
Kreative Mitarbeiter haben einen Wischbesen vor das Fahrzeug gespannt, damit
mögliche Störungen durch Verschmutzungen oder eventuelle Gegenstände auf dem
Weg beseitigt werden. Ausgetüftelt sind auch automatische An- und Abkopplungen
von Anhängern oder dem Ladungsträgeraustausch an Regalen im Vorbeifahren, ohne
dass angehalten werden muss. Das Low-Cost-Fahrzeug fährt meist in einem Kreislauf.
In einer Umsetzung werden durch Liker und Trachilis (2015, S. 215) die Kosten
zwischen einer Anschaffung und dem Selbstbau mit Programmierung genannt. Wäh-
rend die Anschaffung pro Fahrzeug 25.000 US$ kostete, betrugen die Kosten für den
Eigenbau lediglich 4000 US$.

20.4 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Einfachautomatisierung zu beantworten


• Ist eine Werkstatt für den Bau von LCIA-Lösungen verfügbar?
• Sind Mitarbeiter für den Bau und die Wartung von Einrichtung im Sinne der Low
Cost Intelligent Automation eingesetzt?
• Werden Prozesse vor Anschaffung von Maschinen und Anlagen auf Low-Cost-Lösun-
gen überprüft?
• Wird vor einer Anschaffung von komplexen Maschinen das Produktdesign auf gute
Herstellbarkeit überprüft?
• Werden Verschwendungen vor einer Automatisierung eliminiert?
• Werden fahrerlose Transportfahrzeuge selbst konstruiert und hergestellt?
• Ist die Kompetenz für die Durchführung von Gefährdungsanalysen im Unternehmen
vorhanden?
• Wird vor einer Anschaffung von komplexen Maschinen das Produktdesign auf gute
Herstellbarkeit überprüft?

20.5 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Einfachautomatisierung


• „Keep it simple!“
• Die Einfachautomatisierung (Low Cost Automation bzw. Karakuri) verfolgt die
Idee, mithilfe von mechanischen Grundprinzipien einfache Automatisierungslö-
sungen zu kreieren.
280 20 Einfachautomatisierung

• Karakuri nutzt besonders bereits vorhandene Energie oder Kräfte und wandelt
diese auf eine einfache Art in Bewegungen um.
• Physikalische Kräfte, die Karakuri sich zunutze macht, sind die Gravitation, der
Magnetismus, die Federkraft, die Pneumatik, das Vakuum und vorhandene Bewe-
gungen. Eingesetzt werden Hebel, Übersetzungen und Kombinationen dieser
Kräfte.
• Low Cost Intelligent Automation (LCIA) reduziert die Anlagenkosten und verein-
facht Abläufe mit weniger Aufwand und Verschwendung.
• LCIA-Lösungen für Logistik, Fertigungsprozesse und Montage können nicht
gekauft werden. Sie sind im Unternehmen selbst herzustellen. Selbst entwickelte
Technologien gehören zu den Kernkompetenzen und dem Schlüssel-Know-
how eines Unternehmens. Wettbewerber können am Markt erhältliche Maschi-
nen erwerben, das aufgebaute Spezialwissen und die Erfahrungen jedoch nicht.
Schlanke Unternehmen sind stolz auf ihre selbst entwickelten intelligenten
Lösungen.
• Bekannte Beispiele sind fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) und fahrerlose
Transportsysteme (FTS). Der Eigenbau ist bei diesem Beispiel, im Vergleich zu
einer externen Anschaffung, um den Faktor sechs geringer.

Fragen
• Was sind Beispiele für die Anwendung der physikalischen Kräfte, die sich Kara-
kuri zunutze macht?
• Welche Bewegungsarten aus der technischen Mechanik sind bei der Übersetzung
von Bewegungen zu berücksichtigen?
• Was sind die Vorteile einer Lösung im Sinne der Low Cost Intelligent Automation
im Vergleich zu einer modernen Anlage?
• Nach welcher Zeit sollte sich die Investition in eine kostengünstige Eigenherstel-
lung amortisieren?
• Welchen Grundprinzipien bei der Planung und Umsetzung folgt die Realisierung
von LCIA-Lösungen?

Literatur

Dickmann P (Hrsg) (2015) Schlanker Materialfluss mit Lean Production, Kanban und Innovatio-
nen, 3. Aufl. Springer Vieweg, Berlin
Liker JK, Trachilis G (2015) Lean Leader auf allen Management-Ebenen entwickeln – Ein prakti-
scher Leitfaden, 1. Aufl. Lean Leadership Institute, Winnipeg
Takeda H (2006) LCIA – Low Cost Intelligent Automation: Produktivitätsvorteile durch Einfach-
automatisierung, 2. Aufl. mi, Landsberg
Wißnet A (2007) Roboter in Japan – Ursachen und Hintergründe eines Phänomens. Iudicium,
München
Lieferkette
21

Immer genug vorrätig, ohne etwas übrig zu haben.


In Anlehung an Dick Hunter

Zusammenfassung
Lean hat eine direkte Auswirkung auf die Logistik und die Lieferkette. Verschwen-
dungen werden vom Ort der Wertschöpfung sukzessive nach außen „gedrückt“. So
werden diese letztendlich eliminiert. Die Logistik braucht schlaue Lösungen, um
der Produktion das Material ideal bereitzustellen und gleichzeitig möglichst wenige
Lagerstufen zwischen den Lieferanten und der Produktion zu betreiben.

Knalsch GmbH: Montage und Logistik – Schnittstelle oder Nahtstelle?


Claus Maß taucht mit Kai Lupfer ohne anzuklopfen im Büro des Geschäftsführers
auf.
Maß ist stinkesauer: „Wie soll sich die Logistik verbessern, wenn Lupfer immer
mehr Tätigkeiten optimiert und diese in die Logistik verschiebt? Statt besser zu
werden, wird die Logistik hierdurch immer schlechter und damit das Sammelbe-
cken der ganzen Verschwendung. Ich dachte, dass auch wir in der Logistik besser
werden, wenn die Produktion Logistikumfänge übernimmt, doch die verweisen auf
die Reduzierung von Verschwendung.“
Alsch schlichtet: „Das Problem muss doch lösbar sein, wir sind doch nicht die
einzigen mit dieser Schnittstelle.“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 281


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_21
282 21 Lieferkette

21.1 Line Back

Optimierungen beginnen am Ort der Wertschöpfung. Material ist so vorzubereiten und


bereitzustellen, dass in der Produktion und vor allem der Montage alles optimal und ver-
schwendungsfrei abgegriffen werden kann. Danach wird die Art der Bereitstellung opti-
miert. Die Verschwendung wird vom Ort der Wertschöpfung nach außen in die Richtung
der Lieferquelle verschoben.

 Line Back Beschreibt das Prinzip zur Optimierung der Logistikkette, beginnend
am Ort der Wertschöpfung, also der Produktion, hin zum Lieferanten nach außen
(Abb. 21.1). Mit diesem übergreifenden Ansatz wird das Optimierungsproblem zwischen
der Montage und der Logistik gelöst.

Um Materialien ideal bereitzustellen, sind vier Bereiche zu definieren. Da alle Bereiche


mit einem „B“ beginnen, spricht man von den „4B“: Behälter, Bereitstellung, Beliefe-
rung, Bedarfsmeldung.
Zur Klärung des Behälters gehört es, den Ladungsträger zu bestimmen und die
Frage, ob dieser benötigt wird. Sobald ein Ladungsträger benötigt wird, ist der ideale
Ladungsträger zu bestimmen. Die Größe eines Ladungsträgers hängt von der idealen Tei-
lereichweite, der Größe der Teile und dem Gesamtgewicht des Behälters ab, der aus ergo-
nomischen Gründen nicht zu schwer sein darf. Gängige Werte liegen hier zwischen zehn
und fünfzehn Kilogramm. Wird der Behälter zu schwer, ist der Füllgrad nicht optimal.
Gegebenenfalls eignet sich in diesem Fall ein kleinerer Behälter. Wenn möglich, ist ein
Kleinladungsträger (KLT) einem Großladungsträger (GLT) immer vorzuziehen. KLT las-
sen sich leichter handhaben und werden kurzzyklisch über eine Route angeliefert. Haben
die Teile ein großes Volumen, gibt es meist keine Alternative zu einem GLT. In speziellen

Lieferant

Externe Logistik

Standortlogistik

Supermarkt

Linienversorgung

Bereitstellung

Montage

Abb. 21.1  Line-Back-Prinzip
21.2 Abgriffsoptimierte Materialbereitstellung 283

Logistikseite Regal Montageseite

Leergutrückführung

Belieferung Belieferung oben Abgriff


Belieferung mittig

Belieferung unten

Abb. 21.2  Regal mit Belieferungsebenen

Fällen sind Sonderladungsträger (SLT) herzustellen, damit Teile gut und beschädigungs-
frei transportierbar sind. Sonderladungsträger sind sehr teuer, da sie nicht dem Standard
entsprechen. Aus diesem Grunde muss bereits in der Produktentwicklungsphase auf eine
passende und logistikgerechte Produktform geachtet werden (Abschn. 17.3).
Die Bereitstellung klärt die Positionierungsart am Bereitstellungsort. Die genaue Flä-
che zur Bereitstellung sowie die Orientierung und Reihenfolge der Ladungsträger oder
der Teile werden so definiert, dass die Produktion verschwendungsfrei arbeiten kann.
Hierzu gehören auch die Regale und deren Bestückung. Ideal sind Durchlaufregale
mit leicht schiefen Ebenen von der Logistikseite hin zur Montageseite, an welcher der
Abgriff für die Montage erfolgt. Leere Behälter werden auf der oberen Regalebene zur
Logistikseite zurückgeführt. Da leere Behälter leichter sind, ist das Heben des Ladungs-
trägers nach oben leichter, als eine Bestückung der oberen Regalebene durch die Logis-
tik (Abb. 21.2). Schnelldrehende Teile befinden sich in der Mitte des Regals am besten
abzugreifenden Punkt, an den der Werker bequem ohne Strecken oder Bücken gelangt.
Die Belieferung definiert die Art der Versorgung. Diese kann manuell, mit Fahr-
zeugen oder automatisch erfolgen. Bei einer Versorgung mit Fahrzeugen geht es in der
Regel um den Einsatz von Staplern und Routenzügen. Das Verfahren zur Auslieferung
wird festgelegt.
Die Bedarfsmeldung klärt, wie der Bedarf der Teile an die Logistik kommuniziert
wird. Möglichkeiten sind die Meldung über einen definierten Verbrauch, per elektroni-
scher Signalisierung oder durch ein Pull-Prinzip mittels Kanban oder Behälter.

21.2 Abgriffsoptimierte Materialbereitstellung

In einer Montage wird jede Greifbewegung optimiert. Die Bereitstellung des Materials
erfolgt am besten Punkt innerhalb des optimalen Greifraumes des Werkers, in einer Ent-
fernung von maximal 80 cm (Best-Point). Der „Best-Point“ bezeichnet den idealen Ort
der Bereitstellung für die Montage durch die Logistik.
284 21 Lieferkette

 Logistik Das Steuern von Material- und Informationsflüssen zwischen einem Aufnah-
mepunkt und einem Ablieferpunkt. Logistik schließt die Tätigkeiten Informationsverar-
beitung, Transport, Lagerung, Materialumschlag, Verpackung und Sicherung ein.

Eine ideale Materialbereitstellung erfolgt immer am selben Punkt, ohne dass ein auf-
wendiger Tausch von Ladungsträgern notwendig wird. Der Bestand an einem Produk-
tionsprozess sollte zwei Stunden nicht überschreiten. Durch das Zwei-Behälter-Prinzip
sind an jedem Bereitstellungsort immer zwei Behälter vorgesehen, um auf den zweiten
Behälter umzustellen, wenn der erste leer ist. Binnen einer Stunde wird der leere Behäl-
ter durch einen vollen getauscht.
Es besteht die Möglichkeit, eine Kombination aus mehreren verschiedenen Teilen
anzuliefern, die einem Endprodukt zugeordnet sind. Diese Möglichkeit nennt sich bei
kleinen Teilen „Set“ und bei größeren Teilen „Warenkorb“. Set und Warenkorb eignen
sich bei hoher Teilevarianz und stellen Teile speziell für ein Endprodukt bereit. Im Auto-
mobilbau werden die Warenkörbe in einem Supermarkt kommissioniert und bestückt,
mit einem FTS an den Verbauort gebracht und dort am optimalen Abgriffspunkt (Best-
Point) bereitgestellt.

Beispiel
Der Unterschied zwischen einem einfachen Massenprodukt und einem variantenrei-
chen kundenindividuellen Produkt sowie die logistischen Lösungen werden im Volks-
wagen-Werk Bratislava ersichtlich.
Der Kleinstwagen „VW up!“ (Baureihe VW120) wird in wenigen Varianten nach
dem Abverkauf nachproduziert. Die Bestellung des Fahrzeuges und die Versorgung
der Produktionslinie erfolgt nach Verbrauch im Pull-Prinzip. Die Linienversorgung
wird durch einen externen Logistikdienstleister neben der Produktionslinie aus einem
Supermarkt durchgeführt.
Im Nachbarbereich wird der variantenreiche SUV „VW Touareg“ montiert. Durch
eine hohe Kombinationsmöglichkeit der möglichen Ausstattungsoptionen bestellen
die Kunden individuell und die Aufträge werden in einer Produktionssequenz einge-
plant. Die Teile für den Inneneinbau werden als Warenkorb aus einem Supermarkt
vorkommissioniert, durch ein FTS an die Montagelinie transportiert und parallel zum
Fahrzeug bereitgestellt. Die Warenkorb-Bereitstellungswagen werden mit den Teilen
zwischen den Fahrzeugen positioniert. Dies spart verschwenderische Laufwege bei
der Montagetätigkeit. Statt vieler Ladungsträger befindet sich in der Bereitstellungs-
zone neben dem Produktionsband eine geringe Anzahl von Ladungsträgern mit Stan-
dardteilen.
21.3 Belieferung 285

21.3 Belieferung

Zur Vorbereitung und Bereitstellung von Teilen existieren viele Vorgehensweisen und
Verfahren. Diejenigen, die im Sinne des Lean-Gedanken aufgebaut sind, eint das Ziel
einer kurzzyklischen Belieferung in kleinen Mengen und über so wenige Lager und
Umschlagspunkte wie möglich. Somit wird die Logistik verschwendungsfrei und bringt
die Waren in den Fluss.
Wird vom Austausch von Behältern ausgegangen, indem leere Behälter durch volle
ersetzt werden, existieren verschieden Möglichkeiten der Belieferung. In der schlanken
Logistik gilt die Vision der staplerfreien Fabrik. Nach dem Entladen von Verkehrsträ-
gern, wie Lkw oder Zug, sollen die Waren ab dem Wareneingang ohne Stapler in die
Produktion angeliefert werden. Manchmal scheitert dies an zu schweren Teilen oder zu
großen Ladungsträgern. Große Behälter (GLT) sollen selbstständig rollfähig sein und
somit mit einem Routenzug transportiert werden können. Kleinere Behälter (KLT) wer-
den auf einem Routenzugwagen transportiert. Für Gabelstapler gilt ein anderer Ansatz,
welcher mit Verschwendungen behaftet ist. Es besteht eine größere Unfallgefahr. Stapler
behindern immer wieder Fahrwege durch Rangieren und Gegenverkehr. Müssen andere
warten, entsteht Verschwendung.
Im Ablauf verbergen sich potenzielle Verschwendungen. Dies betrifft vor allem
Gabelstapler. Im Folgenden wird eine Materialanlieferung über drei Wege mit einer
über zwei Wege verglichen. Drei Wege ergeben sich, wenn Leergut aus der Produktion
zum Supermarkt gefahren wird (erster Weg), dort getauscht wird und das Vollgut wie-
der an den Platz des Leergutes gebracht wird (zweiter Weg). Danach erfolgt die Suche
und Fahrt zum nächsten Leergut (dritter Weg). Beim letzten Weg handelt es sich um ein
Suchen und eine Fahrt ohne einen Ladungsträger, weder mit Voll-, noch mit Leergut.
Dies ist Verschwendung. Sinnvoller ist das Verfahren über zwei Wege: Vollgut im Super-
markt abholen und in der Produktion mit dem Leergutbehälter tauschen (erster Weg) und
das Leergut in den Supermarkt zurückbringen (zweiter Weg). Danach beginnt das Aus-
fahren des nächsten bereitgestellten Behälters von neuem. Die Komplexität liegt ledig-
lich im Tausch des Vollgutes mit dem Leergut, was ein Rangieren erfordern kann. Dies
steht im Vergleich zur aufgewendeten Zeit für einen dritten Fahrweg, wie im Beispiel
zuvor, in keiner Relation.
Die Vorgehensweise funktioniert bei Routenzügen auch mit mehreren Ladungsträ-
gern, indem immer das Leergut durch Vollgut ersetzt wird. Der Fachbegriff dafür lautet
Milk-Run (Gorecki und Pautsch 2013, S. 236 ff.). Das Prinzip ist vom englischen Milch-
mann übernommen worden, welcher täglich die leeren Milchflaschen vor den Haustüren
durch volle ersetzt. Dies führt er in einer Tour durch. Er startet mit einem Wagen mit
vollen Milchflaschen und endet mit einem vollgefüllten Wagen mit leeren Milchflaschen.
Die Tour entspricht seiner Route entlang der Kundenhäuser. Dies ist ein Verteilverkehr.
Das Gleiche ist auch als Sammelverkehr möglich, bei dem ein leerer Tanklastwagen die
Bauern abfährt und deren Milch einsammelt. Angekommen in der Milchfabrik ist der
Tanklastwagen mit Milch vollgefüllt. Der Transportträger ist immer hoch ausgelastet und
die Transportkosten sind gering.
286 21 Lieferkette

Der Milk-Run funktioniert in einer Fabrik als Routenzug und ebenso außerhalb einer
Fabrik in der Lieferkette. Hier werden bei verschiedenen Lieferanten Teile eingesammelt
und zu einer Produktionsfabrik oder einem Lager gebracht. Eine mehrstufige Route ist
möglich, bei der beispielsweise das Leergut aus verschiedenen Supermärkten in einem
Werk eingesammelt wird.
Vergleicht man Routenzüge mit Gabelstaplern, kann dies anhand der Analogie „Taxi
und Bus“ durchgeführt werden (Tab. 21.1).
Routenzüge können neben den Kleinladungsträgern auch rollfähige Großladungsträ-
ger transportieren. Eine Mischroute mit Wagen für Kleinladungsträger und angehäng-
ten Großladungsträgern ist bis zu einer vorgegebenen, zulässigen und beherrschbaren
Zuglänge möglich. Wo Gabelstapler unvermeidbar sind, ist die Bildung eines Stapler-
pools mit bedarfsauslösendem Abrufsystem eine Lösung zur Verschwendungsvermei-
dung.
Die Supermärkte, aus denen sich die Routenzüge bedienen, sind bezüglich der Mate-
rialbereitstellung spiegelverkehrt zur Linie organisiert. Im Supermarkt angekommen
wird zuerst das eingesammelte Leergut abgeladen. Danach werden die Materialien zuerst
auf den Wagen gestellt, die später bei der Auslieferung zuletzt abgeladen werden. Beim
Ausliefern steht das Material somit in der richtigen Reihenfolge. Es muss nicht gesucht
oder sortiert werden und es gibt keine Behinderungen durch Material, welches zu einem
späteren Zeitpunkt benötigt wird.
Eine weitere Anliefervariante ist das Top-up. Bei überschaubarer Varianz von mittel-
großen bis großen Teilen werden die Varianten direkt beim Verbrauchsprozess gelagert.
Dort entsteht die Sequenz gemäß den vorliegenden Produktaufträgen. Zur Auffüllung
verbrauchter Teile fährt ein regelmäßig anliefernder Routenzug die nachzuliefernden
Teile in Großladungsträgern an und füllt verbrauchte Teile am Verbrauchsort wieder auf.
Es wird nur der Verbrauch aufgefüllt. Sind die bereitzustellenden Teile aufgefüllt, wer-
den nicht notwendige Mengen in den Behältern auf dem Routenzug wieder zurück in
den Supermarkt genommen und dort erneut zwischengelagert.

Tab. 21.1  Vergleich zwischen Gabelstapler und Routenzug


Gabelstapler (Taxi) Routenzug (Bus)
• Feste Mengen • Variable Mengen
• Variable Termine • Getaktete feste Termine
• Auf Zuruf • Nach Fahrplan
• Nicht standardisiert • Standardisiert mit Uhrzeit und Haltestelle
• Leerfahrten unvermeidbar • Gleichmäßige Auslastung
• Erhöhung der Auslastung führt zu • Optimierung der Routen und Auslastung führt
Kundenunzufriedenheit nicht zu Kundenunzufriedenheit
• Behinderungen • Klare Verkehrsrichtung, keine Behinderungen
• Unfallgefahr • Höhere Sicherheit
• Kosten je Fahrt • Kostenaufteilung der Route auf mehrere
Ladungsträger
21.4 Minomi 287

Beispiel
Bei Paketdiensten in den USA hat sich das Prinzip erfolgreich durchgesetzt, mit dem
Auslieferwagen an Kreuzungen nur nach rechts abzubiegen. Das Navigationssystem
plant die Route so, dass ein Abbiegen nach links soweit möglich vermieden wird.
Dies spart die Zeit für das Warten auf das Abbiegen, was zwangsläufig für Linksab-
bieger anfällt. Das Prinzip spart Treibstoff, Energie und senkt die Unfallgefahr.

Dieses Beispiel sollte bei der Planung von Routen durch die Produktion berücksichtigt
werden. Einbahnstraßen können entsprechend eingerichtet und der Verkehr an Abbie-
gungen oder Kreuzungen besser geplant werden. Dies führt zu einer schnelleren und
sichereren Auslieferung. Gegenseitige Behinderungen und Verschwendungen werden
vermieden.

21.4 Minomi

Die aus Lean-Sicht interessanteste Bereitstellungsart vermeidet Ladungsträger und Ver-


packungen. Der japanische Name ist „Minomi“ und bedeutet „Teil ohne Verpackung“,
also „behälterlos“ (Convis 2006; Liker und Meier 2013, S. 409 f.; Liker und Trachilis
2015, S. 209).

 Minomi Japanisches Wort für „Inhalt nur“. Steht für „Teil ohne Verpackung“ als
Belieferungsprinzip, welches die Schwerkraft nutzt (vergl. Karakuri, Abschn. 20.1).
Über eine schiefe Ebene rutschen die Teile von der einen Lagerstufe zur nächsten. Dies
erfolgt auf Rollen, anhand von Aufhängungen oder Schienen (Abb. 21.3).

Abb. 21.3  Beispiel Minomi-Wagen mit Rohrleitungen (Lieferant von Toyota)


288 21 Lieferkette

Ob sequenziert oder sortenrein, ob kleine oder große Teile, Minomi ist in vielerlei Hin-
sicht einsetzbar. Der sinnvolle Einsatz bedarf immer einer Prüfung und basiert in der
Regel auf dem Vorliegen eines Platzproblems oder einer Problematik durch nicht konti-
nuierliche Anliefermöglichkeiten, wodurch ein Engpass in der Belieferung entsteht und
es zu Fehlteilen kommt. Bei steigender Varianz, großen Teilen und wenig Bereitstel-
lungsfläche am Verbauort in der Produktion lohnt sich Minomi mit einer sequenzierten
Bereitstellung. Ladungsträger können ebenso in dieser Form sehr einfach weitertranspor-
tiert werden, obwohl das Prinzip regulär keine Behälter vorsieht.
Die Kommissionierung und Bereitstellung der Teile erfolgt in einem Regal. Ein Rou-
tenzugwagen dockt an das Regal an, führt gegebenenfalls leere Haken oder Befesti-
gungen für die Teile zurück und lässt neue Teile in der entsprechenden Menge und in
Sequenz auf den Wagen rutschen. Der Wagen transportiert die Teile zum Verbrauchsort.
Dort dockt der Wagen wieder an ein Regal vor Ort an. Wieder findet der Teileaustausch
statt. Am Verbrauchsort wird das Material für einen perfekten Abgriff bereitgestellt
(Abb. 21.4). Ein Austausch der Ladungsträger ist nicht notwendig. Die Bedarfsmeldung
findet über den Verbrauch im Ein-Stück-Fluss statt.
Minomi-Systeme sind Lösungen nach dem LCIA-Ansatz und werden individuell
entwickelt und selbst angefertigt (Abschn. 20.2). Das Durchlaufprinzip erfordert ein
exaktes Anfahren der Übergabestationen und eine genaue Positionierung des Minomi-
Wagens in Bezug zu den Regalen. Das Andocken an Regale und die Positionierung kön-
nen über eine Einfahrschiene am Regal oder durch eine Einfahrschiene am Boden für
das Mittelrad des Routenzuges erfolgen. Durch Schienen und Mulden ist der Haltepunkt
genau festgelegt. Die Be- und Entladung kann fernausgelöst werden, sodass der Routen-
zugfahrer nicht absteigen muss. Bei einem definierten Kreislauf wäre der Einsatz eines
fahrerlosen Transportfahrzeugs (FTF) eine weitere Lösung für den Transport. Sollte ein
Routenzug das Regal nicht direkt anfahren und daran ankoppeln können, so wird als
Zwischenlösung alternativ das Regal auf Rollen zum Routenzug gezogen und angedockt.
Die Einführung von Minomi bringt in Summe viele Vorteile für die beteiligten Pro-
zesse der Montage und Logistik (Tab. 21.2).

Wareneingang Minomi-Wagen Montage


Rücklauf
Rücklauf 99 9 9
9999
99 9 9 99 9 9 9
Zulauf
9 9 9
Zulauf

Regal Regal
(Bestückung) (Bereitstellung)

Abb. 21.4  Minomi-System
21.5 Kommissionierung 289

Tab. 21.2  Vorteile eines Minomi-Systems für Montage und Logistik


Vorteile für die Montage Vorteile für die Logistik
• Optimierter Materialabgriff immer an • Bedarfsgerechter Bestand auf notwendiges
derselben Stelle (Best-Point) Minimum reduziert
• Flächenersparnis in der Produktion • Kontinuierlicher Verbrauch und Abruf
• Kein Behältertausch notwendig • Materialversorgung per Routenzug
• Geringere Verwechslungsgefahr von Teilen • In bestehende Routen integrierbar
• Höherer Wertschöpfungsanteil • Mehrere Varianten möglich
• Reduzierung der Laufwege • Schnelle und ergonomische Belieferung
• Steigender Ladefaktor je Fahrt bei besserer
Anordnung der Teile
• Gewährleistung der Einhaltung von FIFO

Ein Nachteil von Minomi ist der größere Flächenbedarf für die zu transportierenden
Teile. Die Packungsdichte beim Transport ist in der Regel nicht immer optimal ausge-
nutzt. Dem stehen die Vorteile beim Handling in der Lieferkette gegenüber. Durch die
überwiegenden Vorteile ist der Gesamtprozess wirtschaftlich.
In Liker und Trachilis (2015, S. 209 ff.) sind Beispiele und eine Einführung sowie
Umsetzung eines Minomi-Systems beschrieben. Vor allem konnten Gabelstapler ein-
gespart werden, nachdem die Minomi-Lösungen durch fahrerlose Transportfahrzeuge
(FTF) realisiert wurden.

21.5 Kommissionierung

Damit das Material für den Abgriff optimiert bereitsteht, muss es entsprechend vorberei-
tet und kommissioniert werden.

 Kommissionierung Das Umpacken, Zusammenstellen, Beladen und Vereinzeln von


Waren. Auch das Sequenzieren von verschiedenen Teilen gehört zur Kommissionierung.
Ziel ist das auftragsbezogene Zusammenstellen mehrerer Teile für die weiteren Produkti-
onsprozesse.

Bereitstellungsformen können sortenrein oder in einer Sequenz sein. Bei der Sequenz
sind die Teile gemäß der Auftragsreihenfolge zu sortieren und in die richtige Reihenfolge
zu bringen.

 Sequenzierung Teile werden sortiert und in eine Reihenfolge gebracht. Danach wer-
den sie weitergegeben.

Im idealen Fall werden die Teile von den Lieferanten so geliefert, wie sie am Verbrauchsort
benötigt werden. Die Anlieferung und Bereitstellung erfolgt in kleinen Mengen ohne
290 21 Lieferkette

Ladungsträger oder in passenden Ladungsträgern und bei hoher Produktvarianz in entspre-


chender Sequenz. Eine Sequenzierung macht Sinn, wenn Produkte eine hohe Varianz auf-
weisen und am Verbrauchsort wenig Fläche für die Lagerung von Varianten zur Verfügung
steht. Lieferanten sollten in der Lage sein, ihre Produkte im Kundentakt in Sequenz zu pro-
duzieren und anzuliefern.
Die Kommissionierung erfolgt beim Lieferanten und die Verschwendung ist weder
beim Verbau, noch in der Lieferkette präsent. Qualifizierte Lieferanten stellen die Teile
in Sequenz her oder vereinzeln diese bei der Entnahme aus ihrer Herstellung. Es macht
demnach keinen Sinn, diese in einem Großladungsträger zu lagern und zu transportieren,
um sie im Supermarkt oder beim Verbau wieder zu vereinzeln.
Bei Optimierungen kann es vorkommen, dass Zwischenschritte wie Auspacken, Sor-
tieren, Umpacken, Etikettieren und Kommissionieren zwischen dem Lieferant und dem
Verbrauchsort durchgeführt werden müssen. Dies sollte weiter optimiert und letztendlich
in Kooperation mit dem Lieferanten eliminiert werden. Statt Kostendruck auf Lieferan-
ten auszuüben, ist eine Kooperation anzustreben, um gemeinsam prozessübergreifende
Optimierungen zu implementieren. Die Frage eines OEM an seinen Lieferanten, wie viel
Mehrkosten entstehen, wenn der bisherige Ladungsträger auf einen kleineren umgestellt
wird, ist der falsche Ansatz. Ein bereits ideal aufgestellter Lieferant, der zuvor den klei-
nen Ladungsträger in einen großen Ladungsträger umfüllte, ist sicherlich sehr erfreut,
wenn er beim Wegfall eines Prozesses (das Umfüllen in einen großen Ladungsträger)
vom OEM gefragt wird, ob dafür Mehrkosten zu entrichten sind. Ziel einer schlanken
Logistik ist es, die Prozesse gemeinsam zu optimieren und die Vorteile der Potenziale
gemeinsam zu nutzen.
Die Vorbereitung von Sets und Warenkörben (s. Abschn. 21.1) sowie das Umpacken
von Ladungsträgern gehört zur Kommissionierung. Durch die Optimierung von Prozes-
sen ist es manchmal erforderlich, Behälter umzupacken, z. B. für den Einsatz als Minomi
oder für den Einsatz von kleineren Ladungsträgern. Ein Umpacken von Teilen sollte mit
der Qualitätssicherung besprochen und abgestimmt werden, damit keine unerwarteten
Qualitätsprobleme entstehen. Das Umpacken sollte nur temporär als Übergangslösung
zum Einsatz kommen. Wirtschaftlicher ist es, die Ware von Anfang an in den entspre-
chend geeigneten Behältern oder Systemen anliefern zu lassen.
Für Kommissioniervorgänge existieren verschiedene Systeme. Es wird zwischen
„Mann zu Ware“ und „Ware zu Mann“ unterschieden (vergl. Möller et al. 2016). Je nach
Umfeld ist das Einsatzgebiet zu wählen. Verschiedene Systeme unterstützen das richtige
„Picken“ der Teile aus den Fächern. Z. B. signalisiert eine Lampe am Fach den Abgriff
und, wenn erforderlich, auch die zu entnehmende Menge. Diese Methodik nennt man
„Pick-by-Light“. Der Abgriff wird durch Sensoren, wie beispielsweise Hebel, überwacht
und bei der Entnahme quittiert. Somit folgt die Methode der Fehlervermeidung und Feh-
lerverhinderung nach dem Poka-Yoke-Prinzip (Abschn. 9.3).
21.6 Supply Chain Management 291

21.6 Supply Chain Management

Das Themenfeld Supply Chain Management ist sehr umfassend. Hier sollen einige Aus-
schnitte im Kontext von Lean Management dargestellt werden.
Wie bei der Betrachtung einer gesamten Prozesskette wird auch die gesamte Liefer-
kette über alle Transport- und Lagerstufen hinweg betrachtet.

 Supply Chain Management (SCM) SCM beschreibt das Management der Angebots-
und Lieferkette. Dabei werden alle Prozesse beginnend vom Einkauf über die Leistungs-
erstellung bis zum Kundennutzen betrachtet. Der Supply-Chain-Ansatz entspricht dem
der Wertschöpfungskette.

Supply Chain Management verfolgt die folgenden Ziele (Dillerup und Stoi 2016, S. 330):

• Verkürzung von Durchlauf- und Lieferzeiten sowie Erhöhung der Termintreue


• Kosteneinsparungen z. B. durch Abbau von Lagerbeständen, Senkung von Transakti-
onskosten oder bessere Kapazitätsauslastung
• Steigerung der Anpassungsfähigkeit der Wertschöpfungskette an veränderte Marktbe-
dingungen und Beschleunigung von Innovationen
• Erhöhung der Prognose- und Planungsgenauigkeit und Reduzierung von Marktrisiken
• Vermeidung von Produktionsverzögerungen, zwischenbetrieblichen Liegezeiten,
Nachbesserungen und Reklamationen

Die Lieferströme werden mittels des Pull-Prinzips oder des Ein-Stück-Flusses geglättet.
Probleme und Effekte (z. B. Peitscheneffekt durch Prognosen) werden beseitigt. Supply
Chain Management greift zu unterschiedlichen Strategien, je nach Art des Produktes und
der Belieferungsart. Die Produkteigenschaften (verfallbare Produkte, temperatursensible
Produkte, Produktgröße usw.) sind zu berücksichtigen. Entsprechend entscheidet sich, ob
beispielsweise ein Lager vor Ort beim Kunden eingerichtet wird. In der Summe betrach-
tet Supply Chain Management die Gesamtkosten über die gesamte Lieferkette und findet
somit das Optimum zwischen Handlings-, Lager- und Transportkosten.
Daraus ist zu sehen, warum es bei Toyota mehrere wesentliche Elemente gibt, die eine
schlanke Lieferkette fördern:

• Toyota ist an den meisten Lieferanten beteiligt.


• Lieferanten haben ihre Werke in unmittelbarer Nähe zum Werk und damit kurze Wege
(Toyota City).
• Toyota gibt dem Lieferanten nach Sichtung des Betriebes einen anspruchsvollen Ein-
kaufspreis vor, unterstützt ihn aber gleichzeitig bei der Lean-Implementierung und
damit der Erreichung des Ziels.
• Vereinbarungen existieren nicht in Schriftform, die Zusammenarbeit beruht auf Ver-
trauen.
292 21 Lieferkette

Beispiel
Der Sportwagenhersteller Porsche führte verschiedene Maßnahmen über die gesamte
Lieferkette der Montageteile für sein Werk in Leipzig ein. Durch den Volkswagenkon-
zern wurde 2009 die NLK-Methodik (Neues Logistikkonzept) eingeführt und an das
Produktionssystem angedockt. Darin sind Methoden der schlanken Lieferkette ver-
sammelt und Logistikstandards festgelegt. Sie fokussieren auf die interne wie externe
Logistik mit dem Ziel der Gesamtkostenreduzierung.
Ein Erfolgskriterium ist die Konsolidierung des eingehenden Materials der Liefe-
ranten über einen zweistufigen Hub. Die eingehenden Teile werden ohne Buchung,
Bestandsmanagement oder Etikettierung in Sequenz vorbereitet und zu festen Zeiten
mit einem Lkw, als zusammengestellte Ladung aus verschiedenen Lieferantenteilen,
Just-in-Time in das Werk angeliefert (Abb. 21.5). Die Teile gehen mit einem Routen-
zug direkt an die Montagelinie.
Durch das Eliminieren von Verschwendung und das Integrieren des Flussprinzips
konnten im Konzern erhebliche Potenziale ausgeschöpft werden. Bei Porsche wurden
durch dieses Konzept für das Werk in Leipzig drei der sieben Handlingschritte ein-
gespart, die beiden internen Lagerstufen komplett abgeschafft, die Bestandreichweite
um 25 % von 1,6 auf 1,2 Tage reduziert und damit 19 % der Logistikkosten je Fahr-
zeug eingespart.

Ein Phänomen sind zusammenlegbare Ladungsträger, wie Gitterboxen (Abb. 21.6).


Bei diesen Großladungsträgern können die Seitenteile zusammengeklappt und auf der
Bodenplatte aufgelegt werden. Der Ladungsträger wird auf ein schmales und flacheres
Volumen reduziert. Das Ziel dabei ist, Volumen zu sparen – und gerade bei einer Über-
seefracht sowie beim Mitnehmen von anderen Waren bietet diese Bauweise die Möglich-
keit, mit geringem Volumen das Leergut zu transportieren und Frachtkosten einzusparen.
Doch in den allermeisten Fällen handelt es sich bei der Verwendung einer zusammen-
legbaren Gitterbox um eine große Verschwendung. Das Auftreten von Verschwendung

Direkte Belieferung Indirekte Belieferung


Konsolidierung

OEM Hub OEM


7
14
21

Abb. 21.5  Direktbelieferung im Vergleich zur indirekten Belieferung mit Konsolidierung über


Hub
21.6 Supply Chain Management 293

Abb. 21.6  Zwei zusammengeklappte und übereinander gestapelte Gitterboxen

bei zusammenklappbaren Ladungsträgern wird anhand des folgenden Beispiels veran-


schaulicht.

Beispiel
Wenn aufgeklappte Ladungsträger mit Inhalt angeliefert werden, so benötigen diese
das volle Volumen. In einem Beispiel liefert ein Lkw pro Tag dreimal jeweils sechs
dieser Ladungsträger an. Dies sind in der Summe 18 Ladungsträger. Das Leergut
wird durch einen Logistikmitarbeiter zusammengelegt. Die 18 zusammengeleg-
ten Ladungsträger passen auf einen Lkw, welcher auf einer Tour die Ladungsträger
zurück zum Lieferanten bringt. Bei den beiden anderen Fahrten fährt der Lkw leer
zurück (Abb. 21.7).

Abb. 21.7  Prozessablauf und Lkw-Auslastung bei zusammenklappbaren Ladungsträgern


294 21 Lieferkette

Erfolgen die Leerfahrten direkt oder indirekt wieder zum Lieferanten, so ist dies bereits
die erste ungenutzte Verschwendung. Zu dieser Praxis führen die folgenden Überlegun-
gen, dass es nicht von Bedeutung ist, dass alle drei Lkw auf dem Rückweg mit Leergut
fahren oder nur einer der Lkw. Bei näherer Betrachtung liegt das Detail im Prozess des
Zusammenlegens der Ladungsträger. Dieser Prozess ist unnötig und über die gesamte
Lieferkette betrachtet gibt es beim Lieferanten wieder einen Mitarbeiter, der die Boxen
aufklappen muss. Dies stellt eine unnötige Verschwendung dar. Wirtschaftlicher ist der
Prozess, wenn bei der Direktbelieferung das Leergut im Tausch mit dem Vollgut erfolgt.
Dies vermeidet Leerfahrten, Ladungsträgerhandling, Schwankungen bei der Anzahl der
notwendigen Ladungsträger und besonders Arbeitszeit für das Zusammenklappen der
Ladungsträger beim Empfänger und dem Wieder-Aufstellen beim Lieferanten.

21.7 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Lieferkette zu beantworten


• Ist Material ideal bereitgestellt (Best-Point)?
• Werden vorwiegend Kleinladungsträger zur Bereitstellung von Material verwendet?
• Sind maximal zwei Stunden Bestand in der Produktion?
• Gibt es Umpackprozesse?
• Ist die Fabrikhalle frei von Staplern?
• Wird Vollgut gegen Leergut getauscht, ohne dass Zwischenwege durchgeführt werden?
• Wird die Verschwendung konsequent vom Ort der Wertschöpfung nach außen in
Richtung Lieferanten gedrückt (Line-Back)?
• Werden Sets und Warenkorbsysteme dort eingesetzt, wo die Varianz dies erfordert?
• Wurden Minomi-Lösungen sinnvoll mit entsprechendem Potenzial eingesetzt (z. B.
bei Varianten und Platzproblemen)?
• Sind angelieferte Teile passend konsolidiert?
• Sind Warenanlieferungen an das Werk getaktet und Just-in-Time?
• Werden klappbare Ladungsträger nach dem Entleeren nicht überflüssigerweise
zusammengeklappt?
• Verlassen Verkehrsträger, welche Vollgut in wiederverwendbaren Ladungsträgern
angeliefert haben, das Werk ohne leere Ladungsträger?

21.8 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Lieferkette


• Line-Back beschreibt das Prinzip zur Optimierung der Logistikkette, beginnend
vom Ort der Wertschöpfung, also der Produktion, nach außen, hin zum Lieferan-
ten. Die Verschwendung wird vom Ort der Wertschöpfung nach außen verschoben.
21.8 Zusammenfassung 295

• Ein Logistikprozess wird mithilfe der „4B“ beschrieben: Behälter, Bereitstellung,


Belieferung und Bedarfsmeldung.
• Eine ideale Materialbereitstellung erfolgt immer am selben Punkt, ohne dass ein
aufwendiger Tausch von Ladungsträgern notwendig wird. Dies wird unterstützt
durch das Zwei-Behälter-Prinzip oder eine Set- bzw. Warenkorbbildung.
• Bereitstellung im Sinne des Lean-Gedanken ist die kurzzyklische Belieferung in
kleinen Mengen und über so wenige Lager und Umschlagpunkte, wie möglich.
• Die Komplexität liegt im Tausch des Vollgutes mit dem Leergut. Die Vorgehens-
weise bei Routenzügen erfolgt indem Leergut durch Vollgut getauscht wird. Der
Routenzug arbeitet nach dem Milk-Run-Prinzip.
• Der Gabelstapler kann mit den Eigenschaften eines Taxis und der Routenzug mit
den Eigenschaften eines Buses verglichen werden.
• Supermärkte, aus denen sich die Routenzüge bedienen, sind von der Materialbe-
reitstellung spiegelverkehrt zur Linie aufgebaut. So werden die Materialien zuerst
auf den Wagen gestellt, welche zuletzt abgeladen werden.
• Minomi steht für „Teil ohne Verpackung“. Es ist ein Belieferungsprinzip, welches
sich die Schwerkraft zunutze macht. Durch eine schiefe Ebene rutschen die Teile
von der einen Lagerstufe zur anderen. Minomi-Systeme sind Lösungen nach dem
LCIA-Ansatz.
• Minomi ist aus Lean-Sicht die interessanteste Bereitstellungsart, da Ladungsträger
und Verpackungen gänzlich vermieden werden. Der sinnvolle Einsatz von Minomi
ist zu prüfen und begründet sich in der Regel auf einem Flächenproblem oder einer
Problematik durch eine nicht kontinuierliche Anliefermöglichkeit.
• Damit das Material für den Abgriff optimiert bereitsteht, ist es entsprechend vorzu-
bereiten und zu kommissionieren. Hierzu gehören das Umpacken, das Zusammen-
stellen sowie das Beladen und Vereinzeln der Ware.
• Wie bei der Betrachtung einer gesamten Prozesskette wird auch die gesamte
Lieferkette über alle Transport- und Lagerstufen betrachtet. Supply Chain
Management (SCM) beschreibt das Management der Angebots- und Lieferkette.
Letztendlich betrachtet Supply Chain Management die Gesamtkosten über die
ganze Lieferkette und findet somit das Optimum zwischen Handlings-, Lager- und
Transportkosten.

Fragen
• Wovon hängt die Größe eines Ladungsträgers ab?
• Wofür steht der Begriff Best-Point in Bezug auf die abgriffsoptimierte Materialbe-
reitstellung?
• Was versteht man unter einer staplerfreien Fabrik? Wo stößt diese Vision an ihre
Grenzen?
• Kann der Milk-Run nur innerhalb einer Fabrik angewendet werden?
• Wie lassen sich der Gabelstapler und der Routenzug anhand ihrer Anwendungsbe-
reiche unterscheiden?
296 21 Lieferkette

• Warum biegen Paketdienste in den USA in der Regel nur nach rechts ab?
• Welches Kraftprinzip nutzt ein Minomi-System?
• Welche Vor- und Nachteile lassen sich durch die Nutzung von Minomi–Systemen
in der Montage und in der Logistik identifizieren?
• Wie unterscheidet sich die sortenreine von der sequenziellen Bereitstellung?
• Welche Ziele verfolgt das Supply Chain Management?

Literatur

Convis G (2006) Toyota’s globalization takes shape through the camry. Speech, The Auto Channel.
https://www.theautochannel.com/news/2006/08/10/018019.html. Zugegriffen: 1. Okt. 2017
Dillerup R, Stoi R (2016) Unternehmensführung – Management & Leadership: Strategien –
Werkezeuge – Praxis, 5. Aufl. Vahlen, München
Gorecki P, Pautsch P (2013) Praxisbuch Lean Management – Der Weg zur operativen Excellence.
Hanser, München
Liker JK, Meier DP (2013) Der Toyota Weg Praxisbuch – Für jedes Unternehmen, 6. Aufl. Finanz-
Buch, München
Liker JK, Trachilis G (2015) Lean Leader auf allen Management-Ebenen entwickeln – Ein prakti-
scher Leitfaden, 1. Aufl. Lean Leadership Institute, Winnipeg
Möller K, Gabel J, Bertagnolli F (2016) Fischer fixing systems: moving forward with the workforce –
change communication at the global distribution center. J Inf Technol Educ: Discuss Cases 5:1–24
Nachhaltigkeit
22

Mehr mit weniger


Grundphilosophie der Effizienz

Zusammenfassung
Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz sind mit Lean eng verknüpft. Alle Themen
haben gemeinsam die Vermeidung von Verschwendung im Fokus. Mit Energieeffizi-
enz können im industriellen Umfeld die Produktionskosten gesenkt werden.

Knalsch GmbH: Versteckte Kosten


Karsten Horch, der Controller, bespricht mit Jörg Escher, dem Entwicklungsleiter,
die Produktkosten für den neuen Knalschi 300, der im kommenden Jahr auf den
Markt kommen soll.
Die Lösung mit dem neuen Aluminiumgehäuse hat viele Vorteile, doch laut
Horch steigen die Kosten pro Teil erheblich im Vergleich zum vorherigen Produkt.
„Ja, ich weiß, Aluminium ist teurer, aber das haben wir doch berücksichtigt“,
antwortet Escher.
Horch zeigt die Tabelle: „Hinzu kommen aber noch die nicht zu unterschätzen-
den Energiekosten pro Teil.“
Escher: „Energiekosten pro Teil? Das fällt doch nicht ins Gewicht und so viel
kann das doch gar nicht sein.“
„Doch, doch“, so Horch. „Wir müssen alle Energiekosten auf das Produkt
umrechnen, um die Kosten genau beziffern zu können. Der Strom kommt viel-
leicht aus der Steckdose, aber bezahlen müssen wir ihn trotzdem. Genauso wie

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 297


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_22
298 22 Nachhaltigkeit

die Druckluft. Das ist einer der höchsten Posten bei unseren Energiekosten. Der
Chef hat mich übrigens beauftragt den CO2-Fussabdruck unserer neuen Produkte
zu ermitteln und da sieht es mit dem Knalschi 300 gar nicht gut aus.“
Escher: „Nun mal langsam, das ist unser zukunftsträchtigstes Produkt.“
Karsten Horch: „Na, dann sollte es erst recht nachhaltig und ressourcenscho-
nend werden.“

22.1 Lean und Green

Lean und Nachhaltigkeit gehören zusammen und sind kein Widerspruch. Allerdings wird
der bisherige Wertstrom weiter gefasst und auch die Material- und Energieeffizienz ein-
bezogen. Zusätzlich werden die Materialströme auch nach dem Produktlebenszyklus
betrachtet. Die Sichtweise auf das Produktrecycling und die gegebenenfalls stattfindende
Wiederverwertung im Produktionskreislauf kommt hinzu. Kunden verlangen „grüne“
Produkte. Dabei spielt der CO2-Verbrauch eine wesentliche Rolle. Wie viel CO2 erzeugt
die Produktion und welchen CO2-Fußabdruck hat das gekaufte Produkt bei der Herstel-
lung und in der Anwendung?
Viele dieser Überlegungen haben mit den Themen Produktdesign und Produktion zu
tun. Aber auch das von Lieferanten bezogene Material hat einen erheblichen Einfluss auf
die Bilanz.

Beispiel
Das Volkswagenwerk in Bratislava, das Werk der fischer Befestigungssysteme in Wal-
dachtal und einige weitere Hersteller stellen ihre ressourceneffiziente Produktion in
den Produktionshallen mit ausgesuchten Beispielen unter dem Begriff „Blau“ dar.
Die Firma fischer verbindet ihr „fischer ProzessSystem“, in dem die Lean-Denk-
weise steckt, mit dem Nachhaltigkeitsgedanken und der Ressourceneffizienz. Darin
sind die „3R“ zur ökologischen Optimierung der Produktion enthalten: „Reuse“,
„Reduce“ und „Recycle“.

In manchen Unternehmen wird die Kennzahlenlogik von Lean „SQDCM“ bzw.


„SQAKM“ (Abschn. 23.1) um ein „E“ für „Environment“ bzw. ein „U“ für „Umwelt“
ergänzt. Dabei werden die Umweltaspekte und die dazugehörigen Kennzahlen verfolgt.
Kennzahlensets mit dem Fokus auf Umwelt und Nachhaltigkeit werden in einem Leit-
faden für betriebliche Umweltkennzahlen beschrieben (Bundesumweltministerium und
Umweltbundesamt 1997).
22.2 Ressourceneffizienz 299

22.2 Ressourceneffizienz

Ressourceneffizienz bedeutet, den Einsatz an natürlichen Ressourcen bei der Herstellung


von Produkten zu reduzieren.

 Ressourceneffizienz Die VDI-Richtlinie 4800 Blatt 1 (VDI 2016) definiert Ressour-


ceneffizienz als das Verhältnis eines bestimmten Nutzens oder Ergebnisses zum dafür
nötigen Ressourceneinsatz. Die Steigerung der Effizienz als Quotient aus Output zu
Input kann dann durch einen geringeren Faktoreneinsatz (Minimalprinzip) oder durch die
Steigerung des Ertrags bei gleichem Faktoreneinsatz (Maximalprinzip) erreicht werden.

Lean und Ressourceneffizienz-Management verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz der


Effizienzsteigerung. Beide Vorgehensweisen fokussieren konkret auf die Reduzierung
von Kosten. Lean Management betrachtet dabei den Menschen in seinem Arbeitspro-
zess, während das Ressourceneffizienz-Management das zusätzliche Ziel der Redu-
zierung negativer Umweltwirkungen verfolgt. Während das Thema Lean auch bei der
Produktentwicklung und der Produktgestaltung eingesetzt wird, fasst das Ressourcenef-
fizienz-Management die Prozesse weiter, über die gesamte Prozesskette von der Roh-
stoffgewinnung bis zum Recycling. Erwähnenswert ist die unterschiedliche Verwendung
des Begriffs Ressource in beiden Konzepten. Im Lean-Kontext umfasst der Begriff neben
den Material- und Informationsflüssen auch die Kapazitäten in Form von Maschinen,
Rohstoffen, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie die Zeit und die Tätigkeiten der im Prozess
befindlichen Menschen (Bertagnolli et al. 2017).
In Abschn. 12.2 wurde erklärt, dass Prozesse mit einer guten Ergonomie zu ver-
schwendungsfreien Prozessen führen. Dieser Vergleich ist auch für die Ressourceneffi­
zienz gültig. Ressourceneffizient gestaltete Prozesse sind ebenso frei von Verschwendung.
Verschiedene Lean-Methoden unterstützen das Thema Ressourceneffizienz und
reduzieren damit den Material- und Energiebedarf in den Prozessen einer Produktion.
Tab. 22.1 zeigt, wie sich die Methoden positiv auf die Prozesse auswirken.
Lean wirkt sich in den drei Säulen der Nachhaltigkeit positiv aus. In der Ökonomie
ergibt sich eine kürzere Amortisationsdauer und der Energiebedarf je hergestelltem
Produkt sinkt. In der Ökologie wirken die Wiederverwendung von Materialien, weni-
ger Materialausschuss oder eine Energierückgewinnung. Möglich ist etwa die Nutzung
von Recyclingmaterial, beispielsweise bei Kunststoffherstellern, für die Herstellung von
Ladungsträgern aus Kunststoff.
Im sozialen Bereich sind alle Themen im Zusammenhang mit Ergonomie relevant.
Heber und Höhenverstellungen erlauben ein verschwendungsfreies und ergonomisches
Arbeiten und erhalten die Arbeitskraft.
Die Prinzipien zur Erreichung von Nachhaltigkeit können Lean und Ressourceneffi-
zienz miteinander verknüpfen (Tab. 22.2).
300 22 Nachhaltigkeit

Tab. 22.1  Lean-Methoden zur Unterstützung der Ressourceneffizienz


Themen Lean-Methoden Beispiele
Produktdesign • DfX • Einheitliche Kleinteile
• Design for Logistics • Einheitliches Werkzeug
• Design for Repair • Materialauswahl und Materialeinsparung
• Design for Recycling • Wiederverwendung
• Optimierung der Lebenszyklusdauer
• Einfache Demontage
• Bessere Transportfähigkeit
• Leichtbau
• Materialsubstitution
Automation • Karakuri • Weniger Energie durch Transportrutschen
• Low Cost Intelligent • Einfache Maschinen und Anlagen
Automation • Wiederverwendung von Maschinen
Anlagen • Schnelles Rüsten • Bestandsreduzierung
• Ein-Stück-Fluss • Reduzierung von Lager und Fläche
U-Zellen • FMS • Abschalten von Zellen, wenn kein Bedarf
• Kleine Maschinen • Flexible Nutzung der Montagezellen
• Abschalten ganzer Zellen, ohne Standby
• Weniger Fläche und Raum
Qualität • Jidoka • Reduzierung von Ausschuss und Nacharbeit
• Poka Yoke • Keine Verschwendung von Material
• Automatischer Anlagenstopp
• Keine Produktion von Schlechtteilen
Logistik • Just-in-Time • Späte Variantenbildung
• Pull-Prinzip • Bestandsreduzierung und Flächenreduzierung
• Variantenreduzierung • Weniger Transport
• Die Nutzung des Pull-Prinzips auch für
Ressourcen: nur bekommen, was man braucht
Prozesse • Stabilisierung • Ausgleich von Schwankungen
• Standards • Gleichmäßige Auslastung von Maschinen
• Beseitigung von Niveauspitzen sparen maximale
Ressourcenbereitstellung
Energie • Visualisierung • Energieströme, Materialflusskostenanalyse
• Transparenz • Nutzung der Abwärme
• Kennzahlenverfolgung und Optimierung
Mensch • Ergonomie • Weniger Bewegungen
• Sicherer Arbeitsplatz

Materialeffizienz ergibt sich durch eine Reduzierung von Ausschuss und Materialver-
schnitt. Die Erhöhung der Produktqualität wirkt sich auf einen höheren Ertrag aus. Neue
Ideen vermeiden Verschwendung und Material in Prozessen.
22.3 Energieeffizienz 301

Tab. 22.2  Beitrag von Lean zur Erreichung von Nachhaltigkeit


Prinzipien Verknüpfung der Themen
Effizienz • Prozessoptimierung
• Verschwendungsfreie Prozesse
Konsistenz • Durchgängiger Informations- und Materialfluss
• Berücksichtigung der Produktion in der Entwicklung
Suffizienz • Verknüpfung von Energieeffizienz, Materialeffizienz und Prozesseffizienz
• Einsparung in verschiedenen Feldern durch Bestandsreduzierung
Resilienz • Qualitätssystematik
• Flexibilität in Bezug auf Einwirkungen von außen
Managementregeln • Sicherheit zuerst
• Lean Leadership und Hoshin Kanri

Beispiel
Die Firma fischer hat, statt der Umwicklung der Packstücke mit Stretch-Folie, Heiß-
kleberraupen auf die Pakete geklebt und somit beim Stapeln einen Antirutscheffekt
realisiert. Eingespart wurden Investitionen, Zeit, Energie, Material und 177 Tonnen
CO2-Äquivalente (Heinz 2016, S. 29).
Viele Praxisbeispiele für Ressourceneffizienz in der Industrie sind in Schmidt et al.
(2017) zu finden.

22.3 Energieeffizienz

Energieeffizienz ist ein Wettbewerbsvorteil, da in den Herstellungskosten je Teil ein


Energiekostenanteil enthalten ist. Der Kauf von notwendigen CO2-Zertifikaten erhöht die
Kosten. Die Energieeffizienz ist somit ein Thema der schlanken Produktion und dient zur
Vermeidung höherer Kosten.

 Energieeffizienz Mit dem gleichem Energieeinsatz mehr produzieren oder mit weni-
ger Energieeinsatz dieselbe Menge produzieren.

Die bekannten acht Arten der Verschwendung können auf den Verbrauch von Energie
transferiert werden (Tab. 22.3).
Durch Begehungen können Energieverschwendungen identifiziert und eliminiert wer-
den. Das Hören von entweichender Druckluft kann Leckagen identifizieren. Mittels einer
Wärmebildkamera können schlechte Isolierungen erkannt und verbessert werden. Geöff-
nete Fenster bei gleichzeitiger Heizung und Beleuchtung in nicht genutzten Bereichen
sind weitere Verschwendungen, die erkannt und behoben werden können. Der Einsatz
von Energiesparlampen und Bewegungsmelden ist eine Maßnahme zur Verbesserung.
302 22 Nachhaltigkeit

Tab. 22.3  Die acht Verschwendungsarten am Beispiel Energie


Verschwendungsarten Beispiele
Überproduktion • Mehr Energie verfügbar als notwendig
• Eingeschaltete Maschinen ohne Produktion
• Beheizung ohne Nutzung
Bestände • Heizen oder Kühlen von Lagerware
• Wiederaufwärmen nach Abkühlung
• Transport von Beständen
Ineffizienz • Verbrauch durch einen schlechten Wirkungsbereich
• Falsche Übersetzungen
• Fehlende Wärmedämmung bzw. Isolierung
Transport • Ungenutztes Druckluftnetzwerk
• Druckluftleitungen mit verschiedenen Drücken
• Energietransport mit Verlusten
Wartezeit • Laufende Förderbänder ohne Materialtransport
• Energieverbrauch in produktionsfreien Zeiten und Pausen
• Anlauf und Auslauf von Anlagen
Fehler, Ausschuss und Nacharbeit • Erneute Energienutzung für Prozesswiederholung
• Energieaufwand für Reparaturen
• Abtransport von Abfall und Ausschuss
Prozessübererfüllung • Mehr Energieverbrauch, als notwendig
• Schlechter Wirkungsgrad
• Lüftung, Heizung, Beleuchtung an nicht genutzten Orten
Ungenutztes Mitarbeiterpotenzial • Fehlendes Verständnis und Bewusstsein in der Belegschaft
und ungenutzte Informationen • Vermeidung von erkannter Energieverschwendung
• Nutzung von Abwärme für Prozessen mit Bedarf

Interessant sind zudem das Auffinden von Leckagen an Versorgungs- und Entsorgungs-
leitungen sowie überdimensionierte Maschinen, Anlagen und Lüftungen.

Beispiel
Druckluft ist eine der teuersten Energieformen. Bei der Erzeugung gehen 90 % der
Energie verloren. Das Volumen von 1000 m3 kostet 10 bis 15 EUR. Druckluft ver-
ursacht in der Industrie zwischen 5 und 25 % der gesamten Energiekosten (Heinzel
2013, S. 327). Durch das Entweichen von Druckluft entstehen zusätzlich ein hoher
Verlust und eine schlechte Energieeffizienz.

Aus der Sicht von Lean Production und der Produktionsplanung muss geprüft werden,
ob der Einsatz von Druckluftwerkzeugen notwendig ist oder elektrisch angetriebene
Werkzeuge wirtschaftlicher sind. Dies auch unter dem Aspekt, dass ein akkubetriebenes
Werkzeug örtlich flexibler ist.
Zur Optimierung der Energieeffizienz sind unterschiedliche Methoden im Einsatz:
22.5 Expertenfragen 303

• Visualisierung von Energieströmen mittel Wertstrommethodik und Sankey-Diagrammen


• Checklisten und Begehungen zur Suche von Ineffizienzen
• Identifizierung von Leckagen und Verlusten innerhalb von Leitungsnetzen
• Messungen und Analyse des Energieverbrauchs über die Betriebszeit
• Identifizierung von hohen Energieverbrauchern
• Vergleich von Ist-Verbrauch und Soll-Verbrauch gemäß Spezifizierungen
• Messung von Energie und Druckluftverbrauch bei Stillständen (Standby-Verbrauch)
• Abgleich von Kapazitäten mit Bedarfen und Nivellierung von Verbrauchsspitzen
• Detaillierte Maschinenanalyse bei unterschiedlichen Parametern und Blindstromauf-
nahme
• Überprüfung des Energieverbrauchs für die Lagerhaltung
• Energierückgewinnung und Weiterverwendung (z. B. Nutzung von Abwärme)

22.4 Zerlegung und Recycling

Das Themenfeld der Zerlegung und des Recyclings wird durch das Produktdesign mitbe-
stimmt (siehe auch Abschn. 17.3). In der Produktentwicklungsphase wird nicht nur der
Grundstein für eine gute Produktion, sondern auch für das Ende des Produktlebenszyklus
gelegt. Die Fragen sind: Wie gut sind Produkte wieder zerlegbar und Wertstoffe trenn-
bar? Produkte, die gut zusammenzubauen sind, sind in der Regel auch in der umgekehr-
ten Reihenfolge zerlegbar und trennbar.
Im Rahmen des Recyclings ist eine Wiedernutzung von Komponenten, welche eine
längere Lebensdauer aufweisen, wie beispielsweise Motorspulen, Getriebeteile oder
Metallgehäuse, möglich. Die Refabrikation (engl. Remanufacturing) von Produkten ist
verständlicherweise mit erheblich weniger Materialaufwand verbunden als eine Materi-
alneubeschaffung.
Die sortenreine Materialtrennung ermöglicht es, Materialien als Sekundärrohstoff
wieder in den Kreislauf einzubringen. Der Teil der Lieferkette mit den Prozessen von der
Gewinnung, der Förderung und Aufbereitung bis zum Transport des Materials zur Wei-
terverarbeitung entfällt.
Die Lean-Methodik hört nicht bei der Produktion eines Produktes auf. Auch die Pro-
zesse zur Zerlegung und zum Recycling können durch eine Prozessanalyse und Verbes-
serung optimiert werden.

22.5 Expertenfragen

Diese Fragen analysieren das Themenfeld Nachhaltigkeit


• Wie sehr wird die Umwelt durch die Produktion belastet?
• Wird der CO2-Ausstoß der Fabrik erfasst?
• Wird der CO2-Fußabdruck der Produkte bestimmt?
304 22 Nachhaltigkeit

• Ist der CO2-Verbrauch als Kennzahl im Fokus und durch Optimierungen reduziert?
• Werden Materialien der Produkte nach der Nutzungsdauer zurückgenommen und wie-
derverwertet?

Diese Fragen vertiefen das Themenfeld Energieeffizienz


• Werden Energieeffizienzmaßnahmen durchgeführt?
• Ist die Beleuchtung bereichszugeordnet schaltbar?
• Sind nur notwendige Beleuchtungen in Betrieb?
• Ist die Beleuchtungsstärke an den Arbeitsbereich angepasst?
• Kann Beleuchtung durch Tageslicht ersetzt werden?
• Gibt es in automatisierten Bereichen nur eine Grundbeleuchtung mit Zuschaltung bei
Instandhaltungstätigkeiten?
• Wird die Beleuchtung, Heizung und Lüftung in Büros und Hallen ausgeschaltet, wenn
keine Arbeiten durchgeführt werden (in den Pausen, in der Nacht, am Wochenende)?
• Wird das Medium Druckluft kritisch betrachtet und nur dort eingesetzt, wo es Sinn
ergibt?
• Werden Druckluftleitungen und Druckluftwerkzeuge regelmäßig auf Leckagen über-
prüft?
• Gibt es, sofern ein Druckluftnetz betrieben wird, nur einen spezifischen Druck und
nicht mehrere Druckluftleitungen mit unterschiedlichem Druck?
• Können druckluftbetriebene Werkzeuge auch mit niedrigerem Luftdruck betrieben
werden?
• Wird Druckluft nicht ungeplant verbraucht (z. B. Reinigung, Lüftung)?
• Ist eine Umstellung von druckluftbetriebenen Werkzeugen auf elektrischen Betrieb
möglich?
• Wird die Druckluft bei Nichtnutzung abgeschaltet?
• Können die Energie und die Medien für einzelne Zellen bei Nichtnutzung abgestellt
werden?
• Gibt es einen parallelen Betrieb von Heizung, Lüftung oder Kühlung?
• Tropfen Wasserhähne nicht?
• Sind alle Medienleitungen frei von Leckagen?
• Sind Isolierungen unbeschädigt?
• Sind Tore und Fenster geschlossen?
• Ist die gesamte Belegschaft für das Thema Energieverbrauch sensibilisiert?
• Sind Geräte (z. B. Bürogeräte, Kaffeemaschine) bei Nichtbenutzung ausgeschaltet
und nicht im Standby-Modus?
• Sind alle Endverbraucher über Nacht, an Wochenenden und in Betriebsferien ausge-
schaltet?
22.6 Zusammenfassung 305

22.6 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Nachhaltigkeit


• Lean und Nachhaltigkeit gehören zusammen und sind kein Widerspruch. Der
Wertstrom wird um die Material- und Energieeffizienz ergänzt.
• Die „3R“ stehen für die ökologische Optimierung der Produktion: „Reuse“,
„Reduce“ und „Recycle“.
• Ressourceneffizienz ist das Verhältnis eines bestimmten Nutzens oder Ergebnisses
zum dafür nötigen Ressourceneinsatz. Ziel ist es, den Einsatz natürlicher Ressour-
cen zu reduzieren.
• Ressourceneffizienz-Management verfolgt das Ziel der Reduzierung negativer
Umweltwirkungen. Betrachtungsumfang sind alle Prozesse über die gesamte Pro-
zesskette von der Rohstoffgewinnung bis zum Recycling.
• Lean wirkt sich in den drei Säulen der Nachhaltigkeit positiv aus.
• Ökonomie: Kürzere Amortisationszeiten, der Energiebedarf je hergestelltem Pro-
dukt sinkt.
• Ökologie: Wiederverwendung von Materialien, weniger Materialausschuss oder
eine Energierückgewinnung, Materialeffizienz durch die Reduzierung von Aus-
schuss und Materialverschnitt.
• Energieeffizienz: Mit dem gleichem Energieeinsatz mehr produzieren oder mit
weniger Energieeinsatz die gleiche Menge produzieren.
• Durch Begehungen können Energieverschwendungen identifiziert und eliminiert
werden.
• Entweichende Druckluft ist hörbar. Druckluft ist eine der teuersten Energieformen.
Bei der Erzeugung gehen 90 % der Energie verloren.
• Schlechte Isolierungen können mittels einer Wärmebildkamera identifiziert werden.
• Energieverschwendung entsteht durch geöffnete Fenster bei gleichzeitiger Heizung
oder unnötiger Beleuchtung.
• In der Produktentwicklungsphase wird nicht nur der Grundstein für eine gute Pro-
duktion, sondern auch für das Ende des Produktlebenszyklus gelegt. Im Rahmen
des Recycling ist eine Wiedernutzung von Komponenten möglich.

Fragen
• Worin besteht die unterschiedliche Verwendung des Begriffs „Ressource“?
• Welche Lean-Methoden und Beispiele unterstützen die Ressourceneffizienz?
• Warum wird bei der Energieeffizienz von einem Wettbewerbsvorteil gesprochen?
• Was sind Beispiele für die acht Verschwendungsarten zum Thema Energie?
• Was wäre eine Alternative zu den mit Druckluft angetriebenen Werkzeugen?
• Welche Methoden zur Optimierung der Energieeffizienz sind im Einsatz?
306 22 Nachhaltigkeit

Literatur

Bertagnolli F, Lang-Koetz C, Schmidt M (2017) Zusammenhänge zwischen den Ansätzen Lean


Management und Ressourceneffizienz Management. In: Biedermann H, Vorbach S, Posch W
(Hrsg) Transformationen – Neue Wege zu industrieller Nachhaltigkeit. Sustainability Manage-
ment for Industries 7. Rainer Hampp, Augsburg München, S 61–72
Bundesumweltministerium, Umweltbundesamt (Hrsg) (1997) Leitfaden Betriebliche Umweltkenn-
zahlen. Druckhaus Deutsch, München
Heinz A (2016) Das fischer ProzessSystem – Durch kontinuierliche Verbesserung zum nachhalti-
gen Wirtschaften. Vortrag 23.06.2016, Ringvorlesung Hochschule Pforzheim
Heinzel P (2013) Effiziente Produktionsprozesse: Bedeutung der Effizienz von Technologien für
Ressourceneffizienz und Prozessmanagement. In: Schneider M (Hrsg) Prozessmanagement
und Ressourceneffizienz – Der Weg zur nachhaltigen Wertschöpfung. Lean media, Landshut,
S 321–349
Schmidt M, Spieth H, Bauer J, Haubach C (2017) 100 Betriebe für Ressourceneffizienz. Praxisbei-
spiele aus der produzierenden Wirtschaft, Bd. 1. Springer Spektrum, Berlin
VDI (2016) VDI-Richtlinie 4800 Blatt 1, Ressourceneffizienz – Methodische Grundlagen, Prinzi-
pien und Strategien. Verein Deutscher Ingenieure (Hrsg), Beuth, Berlin
Kennzahlen
23

You can only manage what you can measure.


Peter F. Drucker

Zusammenfassung
Der aktuelle Zustand von Prozessen wird mit Kennzahlen erfasst. Lean nutzt das
Kennzahlenset aus den Kategorien Sicherheit, Qualität, Ausbringung, Kosten und
Moral. Innerhalb dieser Kategorien werden weitere Details untergeordnet. Über Kenn-
zahlen kann der Status erfasst und die Nachhaltigkeit von Maßnahmen überprüft wer-
den. Benchmarking erlaubt den Vergleich mit anderen Bereichen und Unternehmen.

Knalsch GmbH: Die Löwenjagd


Da Karl-Norbert Alsch die Lean-Thematik versteht, hat er eine Lean-Konferenz in
München besucht und geht bald auf eine Benchmark-Reise nach Japan zu den Bes-
ten der Besten. Dort will er hocheffiziente Firmen besuchen, von diesen lernen und
weitere Erkenntnisse zur Verbesserung seiner Firma gewinnen. Damit möchte er
sich vom Wettbewerb absetzen. Dabei fällt ihm die Geschichte ein, die ein Hoch-
schulprofessor auf der Lean-Konferenz erzählt hat:
Zwei Jäger sind auf Löwenjagd in einem Jeep unterwegs. Gleich früh mor-
gens treffen sie auf einen prächtigen Löwen, der durch die Savanne schleicht. Die
Jäger folgen dem Löwen und schießen blindlings auf ihn, sobald er in Schussweite
gerät. Während der langen Verfolgung gelingt es dem Löwen, von den Jägern nicht
getroffen zu werden. Nach einigen Stunden bemerkt der müde und gereizte Löwe,
dass die Schießerei aufgehört hat und die Jäger offenbar aufgeregt d­ iskutieren.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 307


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_23
308 23 Kennzahlen

Misstrauisch nähert sich der Löwe dem Jeep. Die Jäger haben doppeltes Pech,
denn die Munition ist verschossen und der Benzintank des Jeeps ist leer.
Der erste Jäger sieht den Löwen näher kommen, gerät in Panik und schreit:
„Der Löwe kommt, wir müssen etwas tun!“
Der zweite Jäger bleibt ruhig sitzen und zieht sich seine Turnschuhe an.
Der erste Jäger sagt: „Was tust du? Du kannst doch sowieso nicht schneller lau-
fen als der Löwe.“
Der zweite Jäger antwortet: „Ich brauche auch nicht schneller zu sein als der
Löwe, ich muss nur schneller laufen als Du!“

23.1 Kennzahlenlogik

Um sich stetig verbessern zu können, ist es wichtig zu wissen, wo man steht. Kennzahlen
erlauben die Erfassung des Status. Bei Änderungen, Optimierungen oder Problemlöseprozes-
sen ist die Nachhaltigkeit der Umsetzung über Kennzahlen zu erfassen und zu messen. Trans-
parenz über die Kennzahlen ist eine Basis für das Shopfloor Management (Abschn. 25.2).

Kennzahlenset SQAKM
Die Sicherheit steht an oberster Stelle und so sind die Kennzahlen um die Sicherheit
(engl. Safety) auch das erste Themenfeld. Es folgen die Themen der Qualität (engl.
Quality) und der Ausbringung (engl. Delivery) mit Fokus auf die Durchlaufzeit. Dies
entspricht den beiden Hauptsäulen des Toyota-Produktionssystems mit den Prinzipien
Jidoka und Just-in-Time (Abschn. 14.2). Erst dann folgen die Kosten (engl. Cost). Kul-
turelle Themen werden unter dem Themenfeld Moral oder Mensch (engl. Moral) zusam-
mengefasst. Es ergeben sich die folgenden Buchstabenfolgen für die Abkürzungen der
Kennzahlen und der Reihenfolge: SQAKM (engl. SQDCM).
Innerhalb der Kennzahlenkategorien kommen, je nach Bereich, passende Prozess-
kennzahlen zum Einsatz (Tab. 23.1). Kennzahlen können aus zwei Perspektiven betrach-
tet und entsprechend eingesetzt werden. Negativ klingende Einheiten können umgekehrt
positiv eingesetzt werden. Beispiele sind: anstatt eines Fehleraufkommens die Gutstück-
zahl oder statt eines Krankenstandes die Gesundheitsquote.
Alle Prozesse und Tätigkeiten können nach diesen Kennzahlenkategorien gemessen
werden. So können beispielsweise Studierende das Studium und Professoren die Lehrtä-
tigkeit über Kennzahlen erfassen und messen (Tab. 23.2).

Magisches Dreieck
Zwischen drei der Kennzahlen gibt es ein Spannungsfeld. Die Qualität, die Zeit und
die Kosten bilden das magische bzw. eiserne Dreieck. Die Kennzahlen bedingen sich
­gegenseitig. Nehmen wir an, dass sich ein Unternehmen ein Kostensenkungsprogramm
vornimmt. Werden Kosten eingespart, so hat dies in der Regel eine schlechte Auswirkung
23.1 Kennzahlenlogik 309

Tab. 23.1  Beispiele zu den Kennzahlenkategorien


Kategorie Beispiel für Kennzahlen
Sicherheit Arbeitsunfälle, Gesundheit, Ergonomie, Sicherheitsunterweisung, Umwelt
Qualität Fehler, Ausschuss, Nacharbeit, Geradeauslauf, Kundenzufriedenheit, Retouren
Ausbringung Stückzahlen, Durchlaufzeit, Liefertermine, Liefertreue Produktivität, Flexibilität
Kosten Budget, Werkzeuge, Material, Teile, Transport, Bestände, Schichten, Personal
Moral Mitarbeiter, Führung, Kultur, Erfolge, Qualifizierung, Feedback, Verbesserungen

Tab. 23.2  Beispiele für die Kennzahlenerfassung an einer Hochschule


Kategorie Studierende Professoren
Sicherheit Unfälle, Gefährdungen, Ausgleich Arbeitsunfälle, Gefährdungen, Ergonomie
Qualität Ergebnisse und Noten Veranstaltungsevaluierung, Feedback
Ausbringung Semester, Credits, Prüfungen Stundenplan, Studierende, Thesis
Kosten Kosten des Studiums, Materialien Eingeworbene Mittel, Ausgaben
Moral Kommilitonen, Lerngruppe, Partys Kollegium, Netzwerk, Kultur, Strategie

auf die Qualität und ebenso auf die Belieferungszeit. Die Produktqualität kann durch
Materialkostensenkung oder reduzierte Prüfungen nicht gehalten werden. Die Prozess-
zeit wird schlechter. Mit weniger Mitarbeitern sinken die Kapazität, die Verfügbarkeit
und die Problemlösekompetenz. Eine Optimierung findet ebenso wenig statt. Der Kunde
wartet länger auf sein Produkt. Der Fokus auf die Kosten ist die Regel und dies mit allen
beschriebenen Folgen.

Beispiel
Toyota nimmt sich mit dem Verständnis, dass die Eliminierung von Verschwendung
die Kosten senkt, aller drei Faktoren an. So setzt das Unternehmen auf „das Prinzip
der drei Bedingungen: Höchstqualität, Niedrigkosten und absolutes Zeitmanagement“
(Köhler 2006).

Wird das Dreieck auf den Kopf gestellt, ergibt sich ein anderes Bild. Es werden primär
die beiden Säulen des Toyota-Produktionssystems in den Fokus genommen. Mit Quali-
tät (Jidoka) und Zeit (Just-in-Time) steht die Kundenorientierung im Mittelpunkt. Star-
tet das Unternehmen eine Qualitätsoffensive oder eine Durchlaufzeitoptimierung, wirkt
sich beides positiv auf die Kosten aus. Verbessert sich die Qualität, sinken die Nachar-
beit sowie der Ausschuss. Damit reduzieren sich die Kosten bei gleichzeitig zufriede-
nen Kunden. Werden bei einer Optimierung der Zeit, die Belieferung und Durchlaufzeit
verbessert, sinken Bestände. Die Verschwendung wird eliminiert und der Kunde erhält
sein Produkt schneller. Beide Maßnahmen führen zu einer besseren Kundenzufriedenheit
310 23 Kennzahlen

Kosten Qualität Zeit

Qualität Zeit Kosten

Abb. 23.1  Kennzahlenlogik mit Fokussierung auf Kostensenkung gegenüber der Optimierung


von Qualität und Zeit

und einer Reduzierung der Kosten (Abb. 23.1). Es geht um die unterschiedlichen Pers-
pektiven zwischen dem Fokus auf das Ergebnis oder dem Fokus auf den Prozess (vergl.
Abschn. 3.1).

Produktivität und Leistung


Die Kombination von Ausbringung und Einsatz ergibt die Produktivität. Produktivi-
tätskennzahlen ermöglichen einen Vergleich. Durch den Quotienten von Stückzahl pro
eingesetzter Ressource oder Mitarbeitern ergibt sich eine Produktivitätskennzahl der
produzierten Stückzahl in Relation zur ausgewählten Ressourceneinheit. Ein Beispiel ist
die Anzahl produzierter Produkte pro Mitarbeiter (Gl. 23.1). Auch der Kehrwert ist als
Leistungskennzahl möglich. Eine Leistung ist die Menge an eingesetzter Ressourcen pro
Stück, wie beispielsweise die Summe der eingesetzten Arbeitszeit pro Produkteinheit als
Stunden pro Einheit (engl. Hours per Unit, HPU) (Gl. 23.2).


produzierte Produkte
Mitarbeiterproduktivit ät =  (23.1)
Mitarbeiter


Arbeitsstunden
HPU =  (23.2)
produzierte Produkte

In der Automobilproduktion wird die Leistungskennzahl HPV (Hours per Vehicle) als
Vergleichskennzahl eingesetzt. In die Berechnung gehen die bezahlten Anwesenheits-
stunden aller Mitarbeiter (direkte und indirekte Arbeitskräfte sowie Angestellte) ein und
nicht nur die Arbeitsstunden der Mitarbeiter in der Produktion (Hartmann et al. 2008).
Mittels dieser Kennzahl vergleichen seit 1981 Automobilhersteller intern und im vertrau-
lichen „Harbour Report“ extern die Leistung und Effizienz miteinander. Einen großen
Einfluss auf diese Kennzahl haben die Komplexität des Produkts und der Anspruch an
die Ausstattung zwischen Kleinwagen und Premiumfahrzeugen.
23.1 Kennzahlenlogik 311

Beispiel
In den USA lag Toyota im Report zuletzt an der Spitze, mit 30 h, dicht gefolgt von
den fünf anderen großen amerikanischen Herstellern. In Europa ist der Abstand zwi-
schen dem besten Hersteller mit 20 h und dem schlechtesten mit 60 h größer (Knauer
2015).

Kennzahlen unter Einbringung von Mitarbeitern oder deren Arbeitszeit, wie die Pro-
duktivität, dürfen nicht alleine betrachtet werden. Wird versucht, die Produktivität zu
verbessern, so existieren nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist die Produktion einer
höheren Stückzahl möglich. Diese hängt jedoch vom Markt ab. Eine Überproduktion
wäre zwar für die Produktivität gut, nicht jedoch für die Kostenaufwendungen. Oder
es wird sich für eine Absenkung des Personals entschieden. Dies ist keine nachhal-
tige Lösung. Auf dem Bilanzierungskonto der Personalkosten senkt diese Maßnahme
zwar die Kosten, aber bei einer dann gegenläufigen Investition in Automatisierung und
Anlagentechnik steigt der Kostenblock. Die Energiekosten steigen, die Flexibilität
sinkt und für die Wartung und den Betrieb dieser komplexen Technik wird ausgebilde-
tes Personal benötigt. Das richtige Verhältnis zwischen manueller und automatisierter
Tätigkeit muss gefunden werden. Menschen sind in jedem Fall flexibler als Maschinen
(Rührmair 2015).

Durchlaufzeit
Die Durchlaufzeit kann als einer der wichtigsten Indikatoren für die Messung einer Pro-
duktion oder anderen Prozesskette angewendet werden. Viele der Faktoren für einen
schlanken Prozess bündeln sich in dieser Kennzahl. Eine kurze Durchlaufzeit vereint die
folgenden Aspekte und wirkt sich positiv auf die Unternehmenskennzahlen aus:

• Geringe Bestände: Geringe Kapitalbindung, besserer Cash-Flow, erhöhte Kapitalren-


tabilität
• Flächenreduzierung: Wenige Lagerflächen, weniger Produktschäden, geringere Flä-
chenkosten
• Kurze Lieferzeit: Hohe Lieferfähigkeit, hohe Kundenzufriedenheit, höherer Absatz
• Gute Liefertreue: Geringe Bestände, keine Sonderprozesse/Transporte, weniger
Administration, geringere Kosten
• Kurze Prozesszeiten: Produktive Prozesse mit wenig Verschwendungen, geringere
Kosten, höhere Stückzahlen
• Hohe Flexibilität: Schnelle Reaktion auf Änderungen, weniger Koordinationsauf-
wand, kurze Rüstzeiten, höhere Stückzahlen, weniger Lagerfläche, geringere Kosten
• Bessere Qualität: Weniger Fehler, weniger Wiederholungsschleifen, reduzierter Aus-
schuss, keine Nacharbeit, weniger Fläche, höhere Stückzahlen geringere Kosten
• Keine Engpässe: Gewährleistete Ausbringung, keine Verzögerungen, keine Bestände
• Stabile Prozesse: Gute Auslastung, geglättete Produktion, kontinuierlicher Material-
fluss und Transport, geringere Transportkosten
312 23 Kennzahlen

Einfluss auf Unternehmenskennzahlen


Am Jahresende zählen in wirtschaftlich orientierten Unternehmen die Ergebnisse in der
Unternehmensbilanz. Die Einflüsse von Lean sind in der Bilanz meist nicht sofort und
schnell erkennbar, dafür aber nachhaltig. Die Lean-Prinzipien wirken sich positiv auf die
Unternehmenskennzahlen in der Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV)
aus. Die Kapitalverzinsung „Return on Net Assets“ (RONA) und die Umsatzrendite
„Return on Sales“ (ROS) verbessern sich.

 Return on Net Assets (RONA) Messung der in einem Geschäftsjahr erwirtschaf-


teten Rendite als prozentualem Anteil der Aktiva eines Unternehmens (Gl. 23.3). Es
zeigt an, um wie viel % sich das in einer bestimmten Periode eingesetzte Kapital ver-
zinst hat.

Operating Profit
RONA = (23.3)
Net Assets

Die Net Assets umfassen das Anlagevermögen, die Vorräte und die Forderungen (23.4).

Net Assets = Anlagevermögen + Vorr äte + Forderungen (23.4)

 Return on Sales (ROS) Ermittlung des Verhältnisses des Gewinns eines Unternehmens
zum Umsatz. Die Berechnung erfolgt durch die Division des Gewinns (Operating Profit)
durch die Umsatzerlöse (Gl. 23.5). Das Ergebnis wird in % angegeben.

Operating Profit
ROS = (23.5)
Umsatzerlöse

Die Lean-Prinzipien und deren Einflüsse auf die Kosten wirken sich auf die Rentabilität
eines Unternehmens positiv aus. Die Zusammenhänge zeigt Abb. 23.2.
Charifzadeh et al. (2013) zeigen, wie Lean-Umsetzungen ein Werttreiber für die
Unternehmenskennzahlen sind und den Geschäftswertbeitrag Economic Value Added
(EVA) erhöhen. EVA berechnet sich aus den Kapitalerlösen als operativer Gewinn nach
Steuern (NOPAT, engl. Net Operating Profit after Taxes) abzüglich der Gesamtkapital-
kosten (Gl. 23.6).

EVA = NOPAT − Gesamtkapitalkosten (23.6)


23.2 Benchmarking 313

Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) Bilanz

Umsatz- Variable Anlage-


Forderungen Vorräte
erlöse Kosten vermögen
– +

Deckungs- Zahlungs-
Fixkosten Net Assets
beitrag mittel
– +
=
+
ROS Operating RONA
Umsatzrendite Profit Net Assets Eigen- Fremd-

kapital kapital

Zinsen +
Net Profit =
Steuern

Abb. 23.2  Einflüsse von Lean auf RONA und ROS (schematisch)

23.2 Benchmarking

Benchmarking stammt ursprünglich aus der Computerindustrie und zählt zu den Verfah-
ren, um Organisationen gezielt miteinander vergleichen zu können. Es dient dem inter-
nen und externen Vergleich der Prozesse, denn „nur wer seinen Gegner kennt, kann sich
auch verteidigen.“

 Benchmarking Ein zielgerichteter, kontinuierlicher Prozess, bei dem Vergleichs-


objekte möglichst branchenunabhängig verglichen werden. Hierzu sind Unterschiede,
Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten zu ermitteln. Der Vergleich kann sich auf
verschiedene Bereiche, wie Strategie, Prozess, Kultur oder das Management, beziehen.
Die Organisation, mit der ein Benchmarking durchgeführt wird, kann eine interne oder
externe sein. Die Branche kann dieselbe oder eine andere sein.

Ziel ist das Herausfinden von Wettbewerbsvorteilen. Leistungslücken gegenüber Kon-


kurrenten sollen reduziert oder geschlossen werden. Leistungsvorsprünge werden weiter
ausgebaut, um Spitzenleistungen zu etablieren. Somit wird eine wettbewerbsfähige Posi-
tion erreicht.
Ablauf eines Benchmark-Prozesses:
1. Auswahl des zu betrachtenden Prozesses: Ablauf, Vorgehensweise, Strategie, Kultur
2. Auswahl des zu betrachtenden Benchmarks (intern/extern)
3. Festlegung der Fragestellungen und der Vorgehensweise
4. Datensammlung vor der Betrachtung
5. Datengewinnung während der Betrachtung
314 23 Kennzahlen

6. Dokumentation und Auswertung der Ergebnisse


7. Vergleich der Leistungsfähigkeit, Ermittlung Stärken und Schwächen
8. Ermittlung von Lücken, Abweichungen und Schwächen
9. Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen
10. Entwicklung eines verbesserten Zustandes

Goodson (2002) zeigt in seinem Artikel „Eine Fabrik unter die Lupe nehmen“ sehr deut-
lich wie eine Vorgehensweise für ein effektives Benchmarking bei einem Vorortbesuch
ablaufen kann. Zudem werden in dem Artikel Kategorien vorgegeben und Hinweise für
die Erfassung von Zuständen gegeben. Kulturelle Aspekte, wie Teamarbeit und Motiva-
tion, werden erfasst. Ein Fragenkatalog gibt Orientierung für eine zielgerichtete Erfas-
sung der wichtigsten Punkte.
Die Einschätzung von Fabriken und Zuständen kann durch Messungen und Messme-
thoden standardisiert werden. Das Messen ermöglicht die Vergleichbarkeit. Es eignen
sich Kennzahlen, eine Reifegradeinschätzung, Fragekataloge mit Kategorien und grafi-
sche Darstellungen wie die Spinnennetzgrafik.
Bei der Erfassung und Nachfrage nach Kennzahlen sind vorgegebene Richtlinien
und Regelungen zu beachten, da ein Austausch von Kennzahlen auch kartellrechtliche
Probleme mit sich bringen kann. Darauf ist bei einem Austausch mit Wettbewerbern zu
­achten.
Ebenso ist ein interner Vergleich mit einer Selbsteinschätzung möglich. Die Bewer-
tung erfolgt durch eine Selbstreflexion der Führungskräfte. Dafür benötigt es eine Kul-
tur der Offenheit und des Vertrauens, ohne Wettbewerb. Die Bewertung ermöglicht eine
Transparenz und den Vergleich des Umsetzungsstatus. Es entstehen ein Austausch und
eine gemeinsame Verbesserung. Würde die Kennzahl für die persönliche Zielvereinba-
rung der Führungskräfte relevant sein, fände der offene Austausch und die Transparenz
sicherlich nicht mehr statt. In diesem Fall ist eine Verbesserungskultur im Sinne von Kai-
zen nicht gelebt und möglich (Abschn. 11.1).
Ein Benchmarking kann auch zum Fallstrick werden. Prozesse und Verfahren müs-
sen verstanden werden. Nur wenn klar ist, warum ein Unternehmen eine bestimmte
Vorgehensweise gewählt hat, kann abgewogen werden, ob die vorgefundene Situation
auch eine Lösung für eigene Prozesse ist. Andernfalls wäre es ein „Kopieren“ anstatt
eines „Kapierens“ (Rumpelt 2005). Dies würde zu einer Imitation führen und nicht zum
gewünschten Übertreffen der Konkurrenten. Außerdem könnte sich eine Inkompatibilität
der neueren Prozesse mit der eigenen Unternehmenskultur ergeben. Innovationen könn-
ten verhindert werden, wenn Schlechtes mit Schlechtem verglichen würde, dieses aber
für gut befunden wird.
Benchmarking kann ein Aufholen und Gleichziehen mit dem Wettbewerb unterstüt-
zen. Für ein Überholen des Wettbewerbers braucht es aber mehr. „Nicht die Großen
übertreffen die Kleinen, sondern die Schnellen siegen über die Langsamen.“ Und alleine
schnell zu sein ist nicht hilfreich, denn nur gemeinsam kommt man ans Ziel.
23.3 Sehen lernen 315

23.3 Sehen lernen

Das Erkennen von Zuständen und Kennzahlen in eigenen Prozessen oder beim Bench-
marking in anderen Fabriken muss erlernt werden. Nicht nur das Sehen ist wichtig, auch
das „Hineinhören“ in die Prozessabläufe der Produktion und Administration gibt Hin-
weise über den Zustand und die Fitness eines Unternehmens.
Die folgende Auflistung gibt einen Überblick über Themen, die genauer in den Fokus
genommen werden sollten. Damit können weitere Informationen gesammelt werden.

• Wo gibt es Bestände und wie hoch sind diese?


Wo Bestände sind, werden Probleme verdeckt. Wo sich Material staut, existieren Eng-
pässe.
• Wie laut ist es?
Die Lautstärke in einem Bereich ist ein Indikator für die Auslastung und vorhandene
Probleme.
• Sind Standards und Vorgehensweisen durchgängig?
(Erkenntnis über die Führung und die durchgängige Umsetzung der Philosophie.)
• Wie gehen Führungskräfte mit Mitarbeitern um? Wie wird miteinander k­ ommuniziert?
(Indiz für die Führungskultur und den Umgang miteinander.)
• Existieren Tafeln für die Durchführung von Shopfloor Management? Sind diese in
einer ähnlichen Logik aufgebaut und nachvollziehbar?
(Wenn Tafeln in vielen Bereichen über verschiedene Führungsebenen vorhanden und
miteinander verknüpft sind, so ist eine durchgängige Philosophie der Führung am Ort
der Wertschöpfung verinnerlicht.)
• Gibt es aktuelle Aushänge und wie aktuell sind die Kennzahlen?
(Shopfloor Management muss permanent gelebt und ernst genommen werden. Nur
wenn die Kennzahlen aktuell sind, wird das Shopfloor Management aktiv und kurzzyk-
lisch durchgeführt.)
• Welche Kennzahlen sind erkennbar? Mit welchen Kennzahlen werden die Prozesse
gesteuert?
(Bei der Prozesssteuerung sollte der Fokus auf den Kundenkennzahlen für Qualität
und Zeit liegen. Im Bereich der Mitarbeiter sind Arbeitssicherheit und Ergonomie die
relevanten Steuerungsgrößen.)
• Wie ist die Arbeitsorganisation aufgebaut und gibt es eine Verbesserungsorganisation?
(Die Unterstützungsfunktion bei auftretenden Problemen im Prozess ist wichtig.
Experten analysieren und optimieren das Gesamtsystem in Richtung einer Unterneh-
mensvision.)
• Sind Arbeitszeitmodelle angepasst und flexibel?
(Durch flexible Zeitmodelle ist das Unternehmen in der Lage, auf größere Markt-
schwankungen zu reagieren. Kleinere Schwankungen oder Probleme sind durch die
Entkoppelung von Schichten lösbar.)
316 23 Kennzahlen

• Sind Low-Cost-Lösungen und schlaue Ideen umgesetzt?


(Sinnvolle und auf Probleme passende Lösungen, welche selbst entwickelt wurden,
und selbst gebaute Einrichtungen zeigen eine lernende Organisation mit hohem Wett-
bewerbsvorteil.)
• Wie sieht der Wertstrom aus?
(Sind die Kriterien eines Soll-Wertstroms vorhanden (stabile Prozesse, fließende Pro-
dukte, Austaktung, System nach dem Pull-Prinzip oder Ein-Stück-Fluss), ergeben sich
Potenziale aus dem Gesamtprozess.)
• Wie lange ist die Durchlaufzeit im Vergleich zur Prozesszeit?
(Je näher die Durchlaufzeit an der Prozesszeit ist, umso verschwendungsfreier sind
die Prozesse. Auf Kundenanfragen kann schnell reagiert werden.)
• Wie lange dauern Rüstzeiten? Wie oft wird gerüstet?
(Wenn bei kurzer Rüstzeit häufig umgerüstet wird, ist der Prozess flexibel und die
Bestände gering. Wenn jede Variante an jedem Tag hergestellt wird (EPED), sind die
Prozesse optimal.)
• Wie schnell drehen sich die Lager?
(Der Lagerumschlag ist ein Indiz für die Fitness der Prozesse und die Lagerauslas-
tung. Bei zu langsam drehenden Lagerbeständen ist das Lager vermutlich nicht richtig
dimensioniert.)

23.4 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Kennzahlen zu beantworten


• Wie werden Erfolge gemessen?
• Was machen der Benchmark und der Wettbewerb anders und warum?

Detailfragen zu spezifischen Kennzahlen lauten


• Definitionen: Wie heißen die Kennzahlen und wie sind diese definiert?
• Messpunkte: Wo und wann werden die Kennzahlen ermittelt?
• Häufigkeiten: Wie oft werden die Kennzahlen ermittelt?
• Methodik: Womit und wie werden die Kennzahlen ermittelt?
• Zuständigkeiten: Wer ist für die Ermittlung der Kennzahlen verantwortlich?
• Darstellungen: Wie erfolgt die Visualisierung der Kennzahlen?
• Eskalationen: Welche Schritte erfolgen bei Abweichungen der Kennzahlen?

Bei den Fragestellungen aus dem vorherigen Kapitel „Sehen lernen“ (Abschn. 23.3)
­handelt es sich um Fragen, die als Expertenfragen genutzt werden können.
23.5 Zusammenfassung 317

23.5 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Kennzahlen


• Für eine stetige Verbesserung ist der Überblick über den aktuellen Ist-Zustand
erforderlich. Kennzahlen erlauben die Erfassung des aktuellen Status.
• Bestände, Durchlaufzeit und Prozesszeiten sind wichtige Lean-Kennzahlen für
Prozesse.
• Transparenz über die Kennzahlen ist eine Basis von Shopfloor Management.
• Die Kennzahlen können positiv benannt werden. Statt dem Krankenstand kann die
Gesundheitsquote erfasst werden.
• Das Lean-Kennzahlenset ist SQAKM. Es steht für „Sicherheit“, „Qualität“, „Aus-
bringung“, „Kosten“ und „Moral“.
• Das magische Dreieck setzt sich aus den Aspekten „Qualität“, „Zeit“ und „Kosten“
zusammen. Diese beeinflussen sich gegenseitig.
• Die Produktivität wird durch den Quotienten von Output durch eingesetzte Res-
sourcen (Input) ermittelt. Die Leistung ist der Kehrwert.
• Die Durchlaufzeit ermittelt, wie lange ein Produkt benötigt, um das gesamte Sys-
tem zu durchlaufen.
• Die Einflüsse von Lean auf die Unternehmenskennzahlen sind meist nicht sofort
und unmittelbar erkennbar. Dafür sind diese aber nachhaltig.
• Die Lean-Kennzahlen erscheinen nicht direkt in den Unternehmenskennzahlen.
Die Lean-Prinzipien wirken sich positiv auf die Unternehmenskennzahlen aus:
Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Kapitalverzinsung „Return on Net Assets“
und Umsatzrendite „Return on Sales“.
• Benchmarking ist ein zielgerichteter, kontinuierlicher Prozess, bei dem Vergleichs-
objekte möglichst branchenunabhängig verglichen werden. Ziel ist das Herausfin-
den von Wettbewerbsvorteilen und Leistungslücken.
• Die Einschätzung von Fabriken und Zuständen kann durch Messungen und Mess-
methoden standardisiert werden. Dies ermöglicht eine Vergleichbarkeit.
• Bei der Nachfrage von Kennzahlen ist Vorsicht geboten. Es sind vorgegebene
Richtlinien und Regelungen zu beachten, da ein Austausch von Kennzahlen auch
kartellrechtlich zu Problemen führen kann.
• Wird dem Benchmark nachgeeifert, kann nur aufgeholt, aber nicht überholt werden.
• Zustände und Kennzahlen zu erkennen, muss erlernt werden. Unterschiedliche
Blickwinkel auf ein Unternehmen eröffnen unterschiedliche Informationen und
Erkenntnisse.

Fragen
• Welche Kennzahlen können für den Alltag genutzt werden? Wie sind diese in das
Kennzahlenset einzuordnen?
• Was sind Beispiele für die jeweiligen Kategorien des SQAKM-Kennzahlensets?
318 23 Kennzahlen

• Wovon geht das magische Dreieck aus, wenn die Kosten für eine Komponente
reduziert werden?
• Was passiert, wenn das magische Dreieck auf den Kopf gestellt wird?
• Mit welcher Kennzahl vergleichen Automobilhersteller die Leistung und Effizienz
miteinander?
• Welche Aspekte vereinigt die Kennzahl Durchlaufzeit?
• Wie wirkt sich die Durchlaufzeit auf die Unternehmenskennzahlen aus?
• Wie werden die Kennzahlen RONA, ROS und EVA berechnet und was sagen diese
jeweils aus?
• Wie läuft der Benchmark-Prozess ab?
• Welche Themen sollten genauer in den Fokus genommen werden, um beim Bench-
marking weitere Informationen zu erhalten?

Literatur

Charifzadeh M, Taschner A, Bettache A (2013) Werttreiber Lean Production. Controlling &


Management Review 2:48–57
Goodson RE (2002) Eine Fabrik unter die Lupe nehmen – schnell und effizient. Harvard Business
Manager 6:69–81
Hartmann P, Frey C, Steen J (2008) Optimierung der Wertschöpfung am Beispiel der Montagepla-
nung der Mercedes-Benz Cars. ATZ Produktion 1:64–68
Knauer M (2015) Mit der Stoppuhr zu mehr Effizienz. Automobilwoche 4:4–5
Köhler A (2006) Fliegende Autos. Wirtschaftswoche 1-2:36–42
Rührmair C (2015) Menschen machen flexibel. Automobilwoche 22:16
Rumpelt T (2005) Nicht kopieren, Kapieren! Automobil-Prod 7:18–22
Ganzheitlicher Zielableitungsprozess
24

Ohne Ziel ist jeder Schuss ein Treffer.


In Anlehnung an Gotthold Ephraim Lessing

Zusammenfassung
Ein Unternehmen kann nur dann ein gemeinsames Ziel verfolgen, wenn dieses über die
gesamte Organisation vereinbart und bekannt ist. Hoshin Kanri ist die Methode, um den
Zielableitungsprozess zwischen allen Bereichen horizontal und vertikal durchzuführen.

Knalsch GmbH: Jeder was er will


„Was ist denn hier los?“, fragt Alsch laut, als er den Besprechungsraum zur Jah-
resabschlussbesprechung der Bereichsleiter betritt. Claudia Beck hat die Ergeb-
nisse der Bereichsleiter bereits auf die Leinwand projiziert. Sie sagt zu ihrem Chef:
„Jeder macht, was er will, keiner was er soll, aber alle machen mit.“
Der Controller Karsten Horch erhebt das Wort: „Herr Alsch, so geht das nicht. Wir
sind durch Lean besser geworden, ja, aber keiner von uns hat seine Zielvereinbarung
erreichen können. Jeder hat andere Ziele und die stehen zum Teil anderen entgegen.“
Alsch setzt sich und sagt: „Nun, an den Zielvereinbarungen haben wir seit Jah-
ren nicht viel geändert. Nun sieht man, was die neue Transparenz Gutes mit sich
bringt. Das erste Mal reden wir gemeinsam darüber und schon sehen wir, dass es
eigentlich nicht funktionieren kann.“
Im Raum tritt langsam Ruhe ein. Alsch schlägt vor: „Lassen Sie uns lieber
nach vorne sehen. Und statt Transparenz in die Vergangenheit, Transparenz in die
Zukunft bringen. Wir haben die Chance, uns neu an der gemeinsamen Unterneh-
mensvision auszurichten.“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 319


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_24
320 24 Ganzheitlicher Zielableitungsprozess

24.1 Hoshin Kanri

Ein unternehmensweiter Zielableitungsprozess ist die Basis für eine gemeinsame Aus-
richtung auf die Vision eines Unternehmens. Hoshin Kanri bringt den Lean-Gedanken
der Prozessorientierung in die Unternehmensstrategie und unterstützt dessen Umsetzung.

 Hoshin Kanri Japanische Bezeichnung für einen ganzheitlichen Zielableitungsprozess


(engl. Policy Deployment). Durch die vertikale und horizontale Abstimmung, sowohl
top-down als auch bottom-up, wird eine gemeinsame und klare Zielausrichtung erreicht.
„Hoshi“ steht für „Stern“ bzw. „Kompassnadel“, „Hoshin“ für „Strategie“ und „Kanri“
für „Management“.

Die Mitarbeiterentwicklung und das Erreichen der Prozessergebnisse stehen bei Hoshin
Kanri im Fokus. Die Vorgehensweise ist somit konträr zum traditionellen Führen mit
Zielen (engl. Management by Objectives) (Liker und Trachilis 2015, S. 256). Hoshin
Kanri verbindet klare Führung mit selbstbestimmter Arbeit.
Bei Hoshin Kanri findet ein systematischer Kaskadierungsprozess über alle Bereiche
des Unternehmens statt. Eingerichtet sind vertikale und horizontale Abstimmungen der
Ziele. Alle Mitarbeiter und Führungskräfte sind durch einen Prozess, der top-down und
bottom-up durchgeführt wird, eingebunden. Es wird sichergestellt, dass getroffene Ver-
einbarungen gemeinsam getragen werden und sich alle Bereiche mit ihrem Bereichsziel
nach der gemeinsamen Vision ausrichten. Dies stellt eine Orientierung und Fokussierung
auf den Unternehmenserfolg sicher.
Hoshin Kanri wird durch eine andersartige Vorgehensweise charakterisiert:

• Langfristige Ausrichtung eines Unternehmens an der Vision


• Richtungsbestimmung durch das Management top-down mittels Vision
• Informationsfluss und Beteiligung der Mitarbeiter bottom-up über Rückkopplungs-
schleifen
• Vereinbarung vertikal und lateral über alle Ebenen, ohne Brüche zwischen den Hier-
archieebenen
• Schwerpunkt auf der Entwicklung der Mitarbeiter anstatt der Bewertung einer Leis-
tung
• Fokussierung auf Ergebnisse und Prozesse
• Vorgehensweise analog Kaizen und PDCA
• Partizipation: Einbindung der Mitarbeiter als Teilnehmer und Team
• Führungsleitlinien: Verantwortung statt Autorität
24.2 Nordstern und Blue Sky 321

24.2 Nordstern und Blue Sky

Die Vision oder Utopie eines Unternehmens ist das hochgesteckte und häufig nicht
erreichbare Ziel für eine zukünftige Unternehmensausrichtung. Der Zeithorizont beträgt
mehr als fünf Jahre. Die Vision kann sich über die Zeit verändern. Daraus abgeleitet wer-
den die strategischen Vorgaben.
Der „Nordstern“ (engl. True North) ist, ähnlich der Vision, ein Fixpunkt in der
Zukunft. Als Wegweiser gibt er eine Richtung vor. Der Lean-Nordstern gibt beispiels-
weise das Ziel „null Fehler, 100 % Wertschöpfung, kurze Durchlaufzeit und Sicherheit
für die Menschen“ vor.

 Nordstern Es handelt sich um eine unternehmerische Metapher für die Vision. Der
Nordstern ist ein entfernter, nicht erreichbarer, allgemein gültiger Orientierungspunkt.
Somit dient er als Richtungsgeber, gibt Orientierung und unterstützt eine gemeinsame
Ausrichtung.

Der erste Zwischenschritt vom Ist-Zustand in Richtung des Nordsterns ist ein neuer Soll-
Zustand, welcher sich am Nordstern orientiert.
Der „Blue Sky“ ist die Übersetzung der Vision bzw. des Nordsterns in eine konkrete
textuelle und grafische Darstellung. Er ist das Bindeglied zwischen der Unternehmens-
vision und der Unternehmensstrategie mit der Umsetzung auf der operativen Ebene. Der
Blue Sky erreicht damit Konsistenz zwischen organisationaler Strategie und taktischer
Veränderung auf der operativen Ebene.

 Blue Sky Beschreibung der strategischen Ziele des Nordsterns für einen Bereich
mit einem mittelfristigen Zeithorizont von etwa zwei Jahren. Der Blue Sky wird bild-
lich als Wolke, Cartoon, mit Symbolen oder in einer anderen Form illustriert und zeigt
Zielzustände auf. Dies soll als Leitbild dienen und die Absicht der Zielerreichung klar
zum Ausdruck bringen. Als Struktureinteilung eignet sich die SQAKM-Kennzahlenlogik
(Abschn. 23.1).

Der Blue Sky wird in Bereichsworkshops gemeinsam mit den Mitarbeitern erarbeitet.
Dadurch wird erreicht, dass er von allen Beteiligten mitgetragen wird. Als Ergebnis des
Prozesses entsteht üblicherweise eine bildhafte Darstellung in Kombination mit Texten.
Die Nutzung einer Einteilung nach den Kategorien von SQAKM gibt dem Dokument
eine Struktur und berücksichtigt alle relevanten Themenfelder. Der Blue Sky erreicht
eine weitaus höhere Umsetzungskraft, da er gemeinsam erarbeitet wird und damit die
Hindernisse einer klassischen Vorgehensweise überwunden werden (Tab. 24.1).
Auf der Grundlage der mit den Mitarbeitern gemeinsam erarbeiteten Überlegungen
werden die weiteren Umsetzungsschritte vereinbart.
322 24 Ganzheitlicher Zielableitungsprozess

Tab. 24.1  Unterschiede bei der Vorgehensweise mit Blue Sky


Traditioneller Prozess Blue Sky
Die Vision wird vom Vorstand top-down vor- Die Vision ist der gemeinsame „Konsens“ des
gegeben und diktiert höheren Managements
Die Vision wird nur in Worten geschrieben Die Vision ist in Worten und mit Bildern
beschrieben
Die Vision ist nur in Unternehmensberichten Die Vision ist allgegenwärtig
oder im Internet zu sehen
Die Entwicklung der Strategien und deren Die Entwicklung von Plänen geschieht
Umsetzung geschehen funktionsspezifisch ­funktionsübergreifend
Taktische Umsetzungspläne sind nicht immer Pläne sind immer dokumentiert und durchge-
dokumentiert oder detailliert hend detailliert

24.3 Zielableitungsprozess

Durch die Unternehmensvision und die Strategie werden übergeordnete Ziele festgelegt.
Durch das weitere Herunterbrechen der Ziele und die Ableitung eines Blue Sky für alle
Bereiche werden die Vision und die Strategie des Unternehmens in das Unternehmen
hineingetragen. Die Ableitung wird über mehrere Ebenen top-down und in die Breite
durchgeführt. Dies wird Zielentfaltung genannt.
Die Kommunikation erfolgt nicht nur in die eine Richtung von oben nach unten
(top-down). Eine Rückkopplungsschleife (bottom-up) sieht einen Austausch und einen
Abstimmungsprozess vor. Die Abstimmungsprozesse bei der Zielvereinbarung basieren
auf dem Catchball-Prozess.

 Catchball Ein japanisches Spiel, bei dem Kinder in einem Kreis einen Baseball hin
und her werfen. Im Zielableitungsprozess steht Catchball für die Möglichkeit, dass jeder
seine Ideen einbringt und diese bildlich „hin und her geworfen“ werden. Ziele werden
zwischen den Parteien in lebhaften Diskussionen verhandelt, um einen Konsens zu fin-
den. Inhalte sind Vorgaben, Kennzahlen, Rollen, Verantwortlichkeiten sowie die Ressour-
cenverteilung (Kudernatsch 2013, S. 55).

Für die Rückkopplung sind Überprüfungs- und Rückkopplungsschleife zwischen den


Bereichen vorgesehen. Die Ziele und die Strategie werden quer durch die gesamte
Managementebene auf und ab geworfen und dabei gegenseitig validiert. Ziele werden
nach dem Catchball-Prozess vertikal und lateral abgestimmt und in Vereinbarungen fest
verankert.
Der Zielableitungsprozess von der Vision bis zur Umsetzung auf der operativen Ebene
erfolgt über mehrere Schritte mit verschiedenen Dokumenten. Über einen Kaskadie-
rungsprozess werden die einzelnen Dokumente je Bereich abgeleitet und auf der operati-
ven Ebene umgesetzt (Abb. 24.1).
24.3 Zielableitungsprozess 323

Unternehmensvision

Unternehmens-
strategie

Blue Sky

Ziele und Kennzahlen

Implementierungsplan
mit Maßnahmen

Tägliche Steuerung
Überprüfungs- und Rückkopplungsschleife über Shopfloor
Management

Abb. 24.1  Kaskadierungsprozess. (In Anlehnung an Asdonk und Diesch 2013 und andere)

Unternehmensvision und Unternehmensstrategie


Die Unternehmensvision bildet den Ausgangspunkt für den Kaskadierungsprozess von
Hoshin Kanri. Aus der Vision wird die Unternehmensstrategie abgeleitet. Die Strategie
beschreibt die Unternehmensausrichtung für die nächsten fünf Jahre. Berücksichtigung
finden strategische Vorgaben.

Blue Sky
Die Unternehmensvision und Unternehmensstrategie bilden die Basis für den Blue Sky.
Der Blue Sky leitet sich aus den vorgenannten Inhalten und der Situation des Bereiches
ab. Es werden Strategie-, Prozess- und Kulturthemen aufgegriffen.
In einem Workshop wird der Blue Sky gemeinsam mit den Mitarbeitern erarbeitet,
abgestimmt und dargestellt. Die Beschreibungsart entspricht der Form von Zielzustän-
den. Die Darstellung erfolgt bildhaft in der Kennzahlenstruktur nach SQAKM. Durch
die gemeinsame Festlegung von messbaren und erlebbaren Zielzuständen ergibt sich eine
Operationalisierung der Vision und Strategie. Enthalten sind Messgrößen und Initiativen
durch die Führungskräfte des Bereichs.

Ziele und Kennzahlen


Aus dem Blue Sky werden in diesem Schritt konkrete Ziele für den Bereich abgeleitet.
Genutzt werden die Schwerpunktthemen, welche der Umsetzung der Unternehmens-
vision dienen. Die Ziele ergeben sich aufgrund von Abweichungen zum Zielbild oder
324 24 Ganzheitlicher Zielableitungsprozess

durch strategische Überlegungen. Auch die Handlungsfelder bezüglich der Kultur und
der Zusammenarbeit sind als Ziele aufzunehmen.
Zu jedem Ziel werden messbare Kennzahlen hinterlegt. Dabei ist der Fokus auf
Steuerungskennzahlen zu legen. Durch die Kaskadierung sind die Kennzahlen auf die
Bereiche herunterzubrechen. Die aktuellen Werte und die Zielwerte der jeweiligen Kenn-
zahlen werden festgehalten.

Implementierungsplan mit Maßnahmen


Für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen wird ein Maßnahmenplan als takti-
scher Implementierungsplan (TIP) erstellt. Er bricht die Ziele in konkrete Maßnahmen
in einem Zeitplan herunter, mit Kennzahlen, Verantwortlichkeiten und Kapazitäten. Pla-
nungszeithorizont ist ein Jahr.
Die Maßnahmen zu den Zielen sind vollständig und überschneidungsfrei zu planen.
Dies führt dazu, dass das dazugehörende übergeordnete Ziel erreicht ist, sobald alle
Maßnahmen erfüllt sind.
Der taktische Implementierungsplan ist wie ein Projektplan aufgebaut (Abb. 24.2).
Inhalte sind: Ziele und Stellhebel, detaillierte Maßnahmen, grafische Pfade auf einer
Zeitleiste, Kapazitäten und Verantwortlichkeiten sowie Zuständigkeiten und Beteiligte.
Für das tägliche oder wöchentliche Umsetzungsmanagement sind vier Felder im Sinne
des PDCA vorgesehen. Der Plan wird in Papierform gleichzeitig als Werkzeug für das
Überprüfen des Status von Maßnahmen und Zielen verwendet.
In höheren Bereichsebenen gibt es in der Regel einen Hauptplan, den „Master-TIP“.
Daraus leiten sich weitere taktische Implementierungspläne für die untergeordneten
Bereiche ab. Durch seinen Aufbau ist der taktische Implementierungsplan auch über eine
Kaskade einfach skalierbar.
Eine weitere individuellere Form ist das „A3“ (in Anlehnung an das Papierformat
„DIN A3“) (Jackson 2006, S. 8). Mithilfe einer größeren Papierform werden das Ziel
und die Stellhebel genauer beschrieben und zusammengefasst. Enthalten sind die Maß-
nahmen mit den beeinflussten Kennzahlen auf einem Blatt. Der Ausgangspunkt (Ist) und
der Zielzustand (Soll) sind integriert. Die Beschreibung ist detaillierter, wie in einem
Projektsteckbrief.

Tägliche Steuerung über Shopfloor Management


Die Maßnahmen aus dem Implementierungsplan werden im Tagesgeschäft umgesetzt
und regelmäßig (täglicher bis wöchentlicher Rhythmus) anhand des TIP überprüft.
Ein regelmäßiger Überprüfungsprozess (engl. Review) ist für die Zielerreichung ent-
scheidend.
Die Verfolgung der Maßnahmen erfolgt durch die Visualisierung im Rahmen von
Shopfloor Management (Kap. 25). Die Rückmeldungen der Umsetzung werden abge-
fragt und erfolgen bottom-up. Es ergibt sich ein Dialog mit kurzfristiger Steuerung der
Ressourcen und Kapazitäten. Der Umsetzungsstand und weitere Handlungsfelder wer-
den identifiziert. Abweichungen werden frühzeitig erkannt und visuell markiert. Falls
24.3

Ansprech- Ansprech- Ansprech-


Abt. Abt. Abt.
Taktischer Implementierungsplan (TIP) partner partner partner
Dr. Alsch GL Escher E Schmidt E

Druck 15.12.17 Knalsch GmbH Beck GL Moos PL Müller PL

Beginn 08.01.18 Produktentwicklung Knalschi 300 Horch GL Lupfer P Meyer P


Zielableitungsprozess

10-Wochenplan

Status
ToDos
PDCA
(Tage)

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

parameter
Leistungs-
Koordinator

Projekfokus
Maßnahmen
Projektteam-
Teilprojektteam

Kapazitätsbedarf
Verantwortlicher,

Projektzielsetzung
Q Bauteilgeometrie 10
Lastenheft A Anlagenparameter 2
Moos

Escher

K Lastenheft 3
K Auftragsvergabe 14.02. 1
Anlagen-
A Inbetriebnahme 10
Moos

bestellung

Anlagentechnik
Escher

Q Abnahme 2
K Kleinteileoptimierung 3
Produkt- K Protoypenerstellung 8
entwicklung A Montageversuche 15
Lupfer

Escher

Q Optimierungsschleife 6
A Cardboard Engineering 20
Montage- S Ergonomiebewertung

Produktionsgerechtes Design
5

Produzierbarkeit
planung Q+A Produktionsvorbereitung 10
Lupfer

Escher

Q+A Produktionshochlauf 12.03. 15

Abb. 24.2  Beispiel für einen taktischen Implementierungsplan (TIP) (Ausschnitt)


325
326 24 Ganzheitlicher Zielableitungsprozess

erforderlich, ist eine schnelle Reaktion und Eskalation durch die Führungskraft sicherge-
stellt. Bei Abweichungen werden Problemlöseprozesse ausgelöst (Abschn. 25.4).

24.4 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld ganzheitlicher Zielableitungsprozess zu


beantworten
• Existiert ein definierter Zielzustand?
• Hat der Zielzustand eine langfristig nachhaltige Ausrichtung?
• Ist der Zielzustand in der Organisation durchgängig kommuniziert?
• Sind die einzelnen Ziele aus dem Zielzustand abgeleitet?
• Existiert ein mit den Mitarbeitern gemeinsam ausgearbeiteter Blue Sky?
• Orientieren sich Verbesserungsmaßnahmen an einem bereichsübergreifenden gemein-
samen Optimum?
• Existiert eine Strategie, um vom Ist-Zustand zum Zielzustand (Soll) zu gelangen?

24.5 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema ganzheitlicher Zielableitungsprozess


• Ein unternehmensweiter Zielableitungsprozess ist die Basis für eine gemeinsame
Ausrichtung auf die Vision eines Unternehmens.
• Hoshin Kanri steht für den ganzheitlicher Zielableitungsprozess. Durch vertikale
und horizontale Abstimmung sowohl top-down als auch bottom-up wird eine
gemeinsame und klare Zielausrichtung erreicht.
• Es wird auf die Mitarbeiterentwicklung fokussiert. Das Erreichen der Prozesser-
gebnisse steht bei Hoshin Kanri im Fokus. Dies ist im Vergleich zur traditionellen
Vorgehensweise und dem Führen mit Zielen ein konträrer Ansatz.
• Alle Mitarbeiter und Führungskräfte sind eingebunden. Dies stellt sicher, dass
getroffene Vereinbarungen gemeinsam getragen werden.
• Der Nordstern ist die unternehmerische Metapher für die Vision. Der Nordstern ist
ein entfernter, nicht erreichbarer und allgemein gültiger Orientierungspunkt.
• Blue Sky ist die Übersetzung der Vision bzw. des Nordsterns in eine konkrete
textuelle und grafische Darstellung. Der Blue Sky wird in Bereichsworkshops
gemeinsam mit den Mitarbeitern erarbeitet. Als Ergebnis des Prozesses entsteht
üblicherweise eine bildhafte Darstellung in Kombination mit Texten.
• Der Zielableitungsprozess von der Vision bis zur Umsetzung auf der operativen
Ebene erfolgt über mehrere Schritte mit verschiedenen Dokumenten.
• Ziele werden nach dem Catchball-Prozess vertikal und lateral abgestimmt und in
Vereinbarungen verankert.
Literatur 327

• Der Kaskadierungsprozess erfolgt über mehrere Schritte: Unternehmensvision,


Unternehmensstrategie, Blue Sky, Ziele und Kennzahlen, Implementierungsplan
mit Maßnahmen und tägliche Steuerung über Shopfloor Management.
• Der Ansatz von Hoshin Kanri gehört zu einer Einführung und Umsetzung von
Lean Management.

Fragen
• Wie ist die Vorgehensweise von Hoshin Kanri charakterisiert?
• Was wird unter dem Lean-Nordstern verstanden?
• Wie können die Vorgehensweisen von Blue Sky und des traditionellen Zielablei-
tungsprozesses verglichen werden?
• Wie funktioniert der Catchball-Prozess?
• Wie wird der Zielableitungsprozess definiert?
• Wie ist ein taktischer Implementierungsplan aufgebaut?

Literatur

Asdonk M, Diesch R (2013) Mit Hoshin Kanri zur ganzheitlichen Ausrichtung der Lean-Konzern-
entwicklung bei der Siemens AG. In: Kudernatsch D (Hrsg) Hoshin Kanri – Unternehmensweite
Strategieumsetzung mit Lean-Management-Tools. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, S 211–233
Jackson TL (2006) Hoshin Kanri for the lean enterprise: developing competitive capabilities and
managing profit. Productivity Press, New York
Kudernatsch D (Hrsg) (2013) Hoshin Kanri – Unternehmensweite Strategieumsetzung mit Lean-
Management-Tools. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
Liker JK, Trachilis G (2015) Lean Leader auf allen Management-Ebenen entwickeln – Ein prakti-
scher Leitfaden, 1. Aufl. Lean Leadership Institute, Winnipeg
Führung am Ort der Wertschöpfung
25

Was die Augen sehen, glaubt das Herz.


Karl Simrock

Zusammenfassung
Shopfloor Management steht für ein Führungsinstrument, welches das Führen am Ort
der Wertschöpfung verfolgt. Die Elemente von Shopfloor Management sind neben
einer produktionsnahen Führung die Kommunikation, die Visualisierung von Kenn-
zahlen, der Problemlöseprozess und die standardbasierte Prozesskontrolle. Trans-
parenz in der Führung und in den Prozessen unterstützt den Gedanken von Kaizen.
Durch strukturierte Problemlösemethoden werden Problemursachen schnell erkannt
und nachhaltig abgestellt.

Knalsch GmbH: ARD und die Flop-Show


Alsch ist bei Meisterin Laura Schmidt im Nacharbeitsbereich. Da mischt sich Fritz
Schuster, der Mitarbeiter aus der Nacharbeit, ein: „Ich weiß schon, was man hier
besser machen könnte, aber mich fragt ja keiner.“
„Oh je, das scheint ein größeres Problem zu sein“, denkt Alsch. „Wie können
unsere Fehler nachhaltig vermieden werden?“ Und so sagt er zu den beiden: „Ich
werde gleich unserem Produktionsleiter Kai Lupfer sagen, dass er umgehend alle
Mitarbeiter informiert, dass sie ab sofort besser aufpassen sollen und keine Fehler
mehr machen dürfen.“
„Das haben wir schon oft genug gemacht, das bringt nichts!“, entgegnet ihm
Laura Schmidt. „In der wöchentlichen Produktionsbesprechung werden diese
Dinge immer angesprochen.“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 329


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_25
330 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

Schuster: „Ja, da halte ich mich schön zurück, denn das ist doch ein Flop-Show-
Management. Alle Kennzahlen sind grün, obwohl es genug Probleme gibt. Und
man kommt nicht zu Wort, denn da ist ARD statt ZDF.“
Alsch: „ARD statt ZDF? Schauen Sie da etwa fern, Frau Schmidt?“
Fritz Schuster: „Nein, ARD steht für ‚Alle reden durcheinander‘ oder ‚Anneh-
men, Raten, Debattieren‘. So geht es da zu.“
Alsch: „Und was wäre Ihrer Meinung nach eine gute Lösung?“
Fritz Schuster: „Na habe ich doch gesagt, ZDF: Zahlen, Daten, Fakten. Und die
dann aber bitte ernsthaft. Dann bringe ich mich auch gerne ein.“
Laura Schmidt: „Ich würde das auch sehr gerne anders machen und mal was
Neues ausprobieren. Darf ich, Herr Alsch?“
„Natürlich!“, sagt Alsch. „Gute Ideen sind immer gefragt.“

25.1 Shopfloor Management

Das japanische „Genchi Gemutsu“ bedeutet, zur Quelle des Geschehens zu gehen, um
die Fakten an konkreten Dingen am Prozessort zu recherchieren. Shopfloor Manage-
ment ist die Übersetzung dieser Vorgehensweise in die Fabriken und Büros. Shopfloor
Management ist ein Führungsinstrument mit verschiedenen Elementen. Ziele sind die
Absicherung von Verbesserungen und ein schneller und zielgerichteter Informationsfluss.

 Shopfloor Management (SFM) Durchführung der Führung am Ort der Wertschöp-


fung. Shopfloor Management beschreibt den unterstützenden Umgang zwischen Füh-
rungskräften und Mitarbeitern. Der Wertschöpfungsprozess wird in den Mittelpunkt
gestellt und der Informationsaustausch beschleunigt. Zeitnahe Besprechungen und die
Analyse von Problemen finden am Ort des Geschehens, d. h. am Shopfloor, statt.

Shopfloor Management hat seinen Ursprung und das Haupteinsatzfeld in der Produk-
tion. Es ist auch im indirekten Bereich, also dem Büro, im Einsatz. Deshalb wird es dort
manchmal „Officefloor Management“ genannt.
Shopfloor Management zentriert sich am „Genba“ (jap. Tatort), dem Ort des Gesche-
hens. Das bedeutet, raus aus den Büros und rein in die Produktion. Die Begründung
liegt an dem in der Produktion stattfinden Wertzuwachs. An diesem Ort finden sich die
Ansatzpunkte für Verbesserungen. Die indirekten Bereiche sind als Dienstleister der Pro-
duktion anzusehen.
Beim Shopfloor Management zeigt sich eine starke Prozessunterstützung. Alles arbei-
tet auf die Messung und Verbesserung der Prozessabläufe hin. Führungskräfte steuern
die Prozesse nicht mehr durch Ansagen, sondern unterstützen dort, wo es Probleme oder
Möglichkeiten zur Verbesserung gibt. Shopfloor Management versteht alle hierarchi-
schen Stufen als Prozessunterstützer für die Produktion. Das umgedrehte Dreieck zeigt,
25.1 Shopfloor Management 331

wie die Hierarchie den Prozess unterstützt, um ein optimales Kundenergebnis zu errei-
chen (Abb. 25.1).
Vergleichbar mit dem Pull-Prinzip, ziehen die Produktionsmitarbeiter bei Problemen
die nächste Führungsebene zur Unterstützung heran. Die Kommunikation im Rahmen
von Shopfloor Management und die Prozessunterstützung finden am Ort der Wertschöp-
fung statt, also direkt an den Prozessen in der Produktion. Wenn eine Führungskraft keine
Späne an den Schuhsolen hat, im Sommer das Hemd nicht verschwitzt ist oder wie bei
Porsche die Fertigungsleiter keine abgelaufenen Sohlen haben, können sie nicht perma-
nent in der Produktion gewesen sein, um Mitarbeiter zu beobachten und Fehler aufzuspü-
ren (Freitag 2004). So sollte es nämlich im Sinne von Lean und Shopfloor Management
sein. Die Führungskräfte sitzen nicht in ihrem Büro, sondern sind in der Produktionshalle
und führen vor Ort. Sie beobachten Prozesse und lösen auftretende Probleme.
Die Denk- und Vorgehensweise von Shopfloor Management unterscheidet sich von
einer traditionellen Führungsvorgehensweise abseits und neben der Produktion. Eine
Gegenüberstellung gibt Denkanstöße für die veränderte Führungsart bei einer Führung
am Ort der Wertschöpfung (Tab. 25.1).
Shopfloor Management basiert auf vier methodischen Elementen:

• Visuelles Management (Abschn. 25.2)


• Kommunikationsstruktur (Abschn. 25.3)
• Problemlöseprozess (Abschn. 25.4)
• Standardbasierte Prozesskontrolle (Abschn. 25.5)

Die Inhalte der Elemente werden in den nachfolgenden Kapiteln vertieft. Erst die zusam-
menhängende Anwendung und das Ineinandergreifen der vier Elemente machen Shopf-
loor Management zu einer effektiven Führungsmethode.
Shopfloor Management vereint die vier genannten Elemente zu einem Instrument und
bringt die Führungskräfte an den Ort der Wertschöpfung. Der Zusammenhang wird an
einem Produktionsbeispiel erklärt.
Kunden erwarten eine gute Produktqualität und stellen damit verschiedene Anforde-
rung an die Produktionsprozesse. Damit die Prozesse entsprechend optimal ablaufen,
gehört hierzu eine klar definierte Vorgehensweise, unterstützt durch Standards.

Abb. 25.1 Unterstützung der Shopfloor


Prozesse „am Shopfloor“ Kunde

Management
332 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

Tab. 25.1  Gegenüberstellung von traditioneller Führung und Shopfloor Management


Traditionelle Führung Shopfloor Management
Fernab Vor Ort
Meetings und Mails Go and See
30 Minuten Präsentation Drei Minuten Management
Intransparenz und „stille Post“ Klarheit und Verbindlichkeit
Leseberechtigung und Informationsflut Transparenz und Fokussierung
Hierarchiegehabe Vorbildfunktion
Ausflippen oder Schulterzucken Zuhören und Hilfe anbieten
Vorgabe und Kontrolle Coaching und Unterstützung
Laissez-faire Disziplin
Suche nach Schuldigen Suche nach Lösungen
Fire Fighting Problemlösung und Regeleskalation
Ausreden suchen Verantwortung übernehmen, zu Fehlern stehen
Schwankende Prozesse Nachhaltiges Senken des Fehlerverlaufs
IT-System Folienstift
Aktion bei Audit und Kundenbesuchen Integrierte Abläufe im Alltag
Holschuld Bringschuld
„Flop Show“ Management Shopfloor Management

Um den Kundenanforderungen gerecht zu werden und die Transparenz über die


Produktion und die Prozesse zu gewährleisten, werden Prozesskennzahlen erfasst und
visualisiert. Die richtigen Kennzahlen und deren Visualisierung beinhalten das Element
„visuelles Management“.
Die Besprechung der Kennzahlen und die Klärung von Abweichungen werden über
alle Hierarchiestufen im Rahmen von regelmäßigen Besprechungen in der Produktion
durchgeführt. Diese Besprechungen und deren Strukturierung beinhalten das Element
„Kommunikationsprozess“.
Weichen Kennzahlen vom erwünschten Zielwert ab, ist zu reagieren. Entspricht bei-
spielsweise die Qualität nicht den Kundenanforderungen, wird ein Prozess zur Problem-
analyse und Lösung veranlasst. Mögliche Problemlösungsmethoden umfassen das dritte
Element „Problemlöseprozess“. Die Problemlösungen können in die Anpassung von
Standards münden.
Damit die Wirksamkeit von Standards regelmäßig überprüft wird, führt die Führungs-
kraft Prozessbeobachtungen in der Produktion durch. Dabei wird die Einhaltung von
Standards überprüft und bei Abweichungen reagiert. Dieses Element ist die „standardba-
sierte Prozesskontrolle“.
25.2 Visuelles Management 333

25.2 Visuelles Management

Im Element „visuelles Management“ wird festgelegt, wie und wo welche Informatio-


nen visualisiert werden. Das visuelle Management umfasst ein Shopfloor-Board, an dem
Kennzahlen und Maßnahmen transparent visualisiert werden.

 Shopfloor-Board Eine Informationstafel, an der Kennzahlen und Themen einfach und


schnell visualisiert werden. Das Shopfloor-Board ist das zentrale Instrument von Shopf-
loor Management. Es dient der Visualisierung von Kennzahlen und der Maßnahmenver-
folgung. Durch die Transparenz werden die Führung und Steuerung von Prozessen sowie
getroffene Entscheidungen nachvollziehbar.

Das Shopfloor-Board befindet sich an einem zentralen Ort. Durch die Positionierung des
Boards in der Produktion wird der Ort der Besprechung festgelegt. In indirekten Berei-
chen ist das Shopfloor Management ebenso mit einem Board bzw. einer Tafel als zentra-
ler Treffpunkt im Einsatz.
Die Struktur des Boards bildet die Themen der Besprechung und deren Reihenfolge
ab. Bewährt hat sich die Strukturierung nach Kommunikationsthemen, Kennzahlen,
Maßnahmen und Prozesskontrolle. Das Board muss zugänglich und die Anordnung und
Inhalte müssen verständlich und zielgerichtet sein.
Der Bereich der Kennzahlen wird mit entsprechenden Prozesskennzahlen, welche im
Einflussbereich liegen, nach der SQAKM-Logik (Abschn. 23.1) strukturiert. Es werden
die Kennzahlen eingesetzt, welche für den Bereich sinnvoll, im Fokus und entscheidend
sind (Tab. 25.2). In der Regel haben diese einen starken Bezug zu Zielsystemen und
aktuellen Themenstellungen. Auch beim Shopfloor-Board gilt: Weniger ist mehr. Wenn
eine Kennzahl nicht mehr im Fokus ist, muss sie nicht mehr weiterverfolgt werden. Dies
wäre eine unnötige Überinformation. Auch 5S ist auf dem Shopfloor-Board von Zeit zu
Zeit angebracht. Die Kennzahlen werden kurzzyklisch aufgenommen und verfolgt.

Tab. 25.2  Mögliche Kennzahlen unterhalb der SQAKM-Kennzahlenlogik auf einem Shopfloor-


Board
Sicherheit Qualität Auslieferung Kosten Moral
• Unterweisung • Nacharbeit • Lieferzeit • Werkzeuge • Qualifizierung
• Arbeitsunfälle • Fehler • Durchlaufzeit • Wartung • Anwesenheit
• Krankheit • Ausschuss • Produktivität • Energie • Fehlstand
• Gesundheit • Retouren • Prozessdauer • Material • Belegung
• Ergonomie • Kunden • Stückzahl • Bestände • Zeitkonten
• Prävention • Reklamation • Schichtplan • Ausschuss • Vorschläge
• Ordnung • Ergebnisse • Fertigung • Einnahmen • Erfolge
• Sauberkeit • Fehlbuchung • Termine • Kostenreport • Feedback
• Audit • Projektplan • Aktuelles
334 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

Durch die Visualisierung von Themen und Kennzahlen werden Prozesse, die Führung
und Entscheidungen transparent und eindeutig. Jeder kann den Status der Prozesse auf
einen Blick erkennen. Mitarbeiter werden hierdurch eingeladen mitzuarbeiten, mitzuden-
ken und sich selbst einzubringen.
Die hohe Transparenz unterstützt die Umsetzung von Lean und Verbesserungen.
Durch Transparenz können Abweichungen schneller erkannt werden und Problemursa-
chen werden leichter identifiziert. Beispielsweise fehlt in Abb. 25.2 auf der linken Seite
ein Punkt. Welcher Punkt fehlt? Bei welcher der beiden Darstellungen in Abb. 25.2 fällt
die Antwort schneller auf und warum?
Der Betrieb eines Shopfloor-Management-Boards erfolgt mit einfachen Mitteln. Es
werden farbige Markierungen, Magnete und abwischbare Stifte verwendet. Einfachheit ist
gefragt und so erfolgen viele Kennzeichnungen und Notizen handschriftlich. Dies ermög-
licht eine schnellere Erfassung, es wird keine IT am Shopfloor benötigt und es müssen
keine Ausdrucke erstellt werden. Für viele Erfassungen reichen einfache Strichlisten.
Die Abbildung eines Tachometers mit einstellbarer Nadel unterstützt den visuellen
Charakter und die Vergleichbarkeit. Einsatz finden solche Darstellungen für Qualität,
Auslastungen und Parameter. Abweichungen werden sofort erkannt, Entscheidungen
können daraus unmittelbar getroffen werden.

Beispiel
Die Firma fischer visualisiert die Qualitätskosten durch die Abbildung von Fahrzeu-
gen. Je nach Höhe der Kosten wird am Shopfloor-Management-Board das Bild eines
Fahrzeuges visualisiert. Die Fahrzeuge reichen vom Rasenmäher über Kleinwagen bis
zur Luxuskarosse. Diese Art der Darstellung schärft das Verständnis und das Gefühl
bei den Mitarbeitern und Führungskräften für den Wert der aufgewendeten Kosten.

Die Transparenz erzeugt Verbindlichkeit. Themen sind klar adressiert, Kennzahlen ein-
heitlich verständlich. Im Rahmen des Shopfloor Managements werden Maßnahmen aus
den Themen abgeleitet und Zuständigkeiten sind vereinbart und ersichtlich. Missver-
ständnisse, wie sie in einer nicht direkten Kommunikation oder in Besprechungen statt-
finden, werden reduziert.

Abb. 25.2  Unterschied zwischen Unklarheit (links) und Transparenz (rechts)


25.3 Kommunikationsstruktur 335

Allein dass eine Führungskraft ein Thema für wichtig erachtet und über das Shopfloor-
Management-Board adressiert, wirkt sich in der Regel positiv auf die Kennzahl aus. Stehen
Sicherheit, Ordnung oder Arbeitszeitüberschreitungen auf dem Board, wird die Wichtigkeit
dieser Themen adressiert.
Es empfiehlt sich, mit einer Farblogik zu arbeiten. Abweichungen werden auf einen
Blick sichtbar. Kennzahlen, die außerhalb eines geplanten Bereiches liegen, können mit
einer Ampellogik und den Farben rot und grün markiert werden. Von der Farbe Gelb
sollte abgesehen werden, da die Abgrenzung nicht eindeutig ist. Bei Abweichungen
durch Über- oder Unterschreiten von Zielwerten ist zu handeln und gegebenenfalls zu
eskalieren. Dies erfordert eine Problemlösungskultur anstatt einer Fehlerkultur. Ein roter
Status ist nichts Schlechtes, denn er ermöglicht eine Verbesserung. Harmoniebedürftig-
keit zeigen grüne Ampeln an. Dies führt zu keiner Optimierung und keiner Verbesserung
der Kennzahlen, sondern zu einer Stagnation. Rote Ampeln erzeugen zwar Konflikte,
führen aber letztendlich zu einer Verbesserung der Prozesse und der Kennzahlen.
Es kommt vor, dass Abteilungen alle Themenfelder im grünen Bereich haben. Sofern
dies nicht in einer bewussten Beschönigung oder absichtlichen Verschleierung begründet
ist, können die Zielwerte auf ein besseres Niveau angepasst werden. So ergibt sich ein
neuer anzustrebender Zielzustand. Ist dauerhaft alles im grünen Bereich, ist dies nicht
förderlich. Der Rennfahrer Sir Sterling Moss machte hierzu eine passende Aussage: „If
everything is under control, you are just not driving fast enough.“
Doch nicht nur kritische Themen, Fehler und Probleme sind beim Shopfloor Manage-
ment zu visualisieren. Auch Erfolge können beispielsweise mit Haftnotizen für alle sicht-
bar kundgetan werden. Dieses positive Element dient gleichzeitig der Motivation und ist
genauso wichtig, wie über Probleme zu sprechen.

25.3 Kommunikationsstruktur

Das zentrale Element von Shopfloor Management ist die Kommunikation innerhalb
der Bereiche und zwischen den Hierarchieebenen. Eine einheitliche, standardisierte
Struktur mit abgestimmten und synchronisierten Zeitfenstern ist für einen effizienten
Tagesablauf unerlässlich. Durch die Parallelisierung der Zeitpläne und kurzzyklischen
Besprechungen wird unnötige Besprechungszeit eingespart. Durch feste Zeitfenster
und einen standardisierten Tagesablauf werden die Abläufe verlässlich. Zeiträume für
die Besprechungsvorbereitung und das Eintragen der Kennzahlen auf den Shopfloor-
Management-Boards stehen zur Verfügung. Eine Entkopplung von Besprechungen
erlaubt eine gute Vor- und Nachbereitung sowie Zeit für Wege zwischen den Bespre-
chungen.
Der Mensch steht bei Lean im Mittelpunkt der Tätigkeiten. So sind der Informati-
onsfluss und der Dialog in beide Richtungen wichtig und wertschätzend. Die Informa-
tionen fließen bottom-up und top-down. In den ersten Besprechungen eines Tages im
Rahmen von Shopfloor-Management werden Informationen vom Management bis zum
336 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

Shopfloor weitergetragen. In einer zeitlich späteren Besprechung werden die Kennzah-


len und Informationen vom Shopfloor über die Kaskade nach oben aggregiert und an
das Management weitergeleitet. Somit gehen die Informationen und Daten immer wie-
der kurzzyklisch hin und her. Über die Hierarchie werden die Informationen aggregiert
und zusammengefasst. Themen können priorisiert und eskaliert werden (Abb. 25.3). Der
ganze Tag folgt einem strukturierten und abgestimmten Ablauf (Peters 2009, S. 84).
Die Shopfloor-Management-Besprechungen finden direkt an den Boards statt. Die
Teilnehmer sind funktionsübergreifend zusammengestellt, sodass bei auftretenden Pro-
blemen alle wichtigen Bereiche, wie Produktion, Logistik, Qualität und Instandhaltung,
vertreten sind. Je nach Bereich nehmen auch Vertrieb, Planung und andere beteiligte
Abteilungen teil. Je nach Organisation kann in der Besprechung auch die Schichtüber-
gabe stattfinden. Dadurch werden Informationen schichtübergreifend kommuniziert.
Im Vergleich zur klassischen Besprechung findet das Treffen mit einem kürzeren Zeit-
ansatz und im Stehen statt. Die Agenda ist fix und die Beteiligung und Rollen der Teil-
nehmer sind klar definiert. Maßnahmen werden in Listen am Board festgehalten. Das
Protokoll ist somit direkt am Shopfloor-Management-Board sichtbar. Ein Moderator, der
durch die Besprechungen führt, ist sinnvoll, damit sich alle Teilnehmer auf ihre Themen
konzentrieren können. Eine Uhr mit einer farblichen Zeiteinteilung analog den vorzustel-
lenden Themen unterstützt die Einhaltung des Zeitplanes in visueller Form.
Die direkte Kommunikation, anstatt per E-Mail oder Telefon zu kommunizieren,
beschleunigt die Lösung von Abweichungen und Problemen. Der Austausch und die
Themen werden verbindlicher. Die Aufgaben wechseln von einer „Holschuld“ seitens
der Führungskraft zu einer „Bringschuld“ durch die Beteiligten.
Letztendlich kann ein Shopfloor-Meeting nicht kopiert werden, es entwickelt sich
und wird in der Kultur verankert. Für eine Rückmeldung über den Verlauf der stattge-
fundenen Besprechung können eine Daumenabfrage oder eine Kennzahl genutzt werden.
Durch den Austausch des Feedbacks und der Rückfragen bei Abweichungen wird auch

Werkleitung KPI

...

Manager KPI KPI

Meister KPI KPI KPI ... ...

Abb. 25.3  Shopfloor-Management-Kaskade
25.4 Problemlöseprozess 337

das Shopfloor Management weiter verbessert. Jede Firma und auch jeder Bereich kann
hierzu seinen eigenen Weg finden. Das kontinuierliche Leben von Shopfloor Manage-
ment erzeugt Nachhaltigkeit in den Prozessen und der Kultur.

Beispiel
Bei der Durchführung von Shopfloor Management bei der Firma LEGO wird die
langfristige Unfallfreiheit der Produktion täglich mit einem gemeinsamen und lauten
„Hey“ gefeiert.

25.4 Problemlöseprozess

Von einem nicht bekannten Verfasser gibt es den folgenden Spruch: „Kennzeichen eines
Champions ist es nicht, keine Fehler zu machen. Das Markenzeichen eines Profis ist,
mehr Fehler konstruktiv verarbeiten zu können, als andere.“
Der Problemlöseprozess gleicht in der Vorgehensweise dem Verbesserungsprozess. Es
findet eine Analyse des aktuellen Zustandes statt. Ein Sollabgleich wird durchgeführt, um
herauszufinden, wie der eigentliche Zustand sein sollte. Der Problemlöseprozess unter-
stützt, genauso wie eine Verbesserung, den Weg zum Sollzustand mit einer Maßnahme.
Shopfloor Management dient primär dem Erkennen von auftauchenden Problemen
durch Kennzahlen. Der Problemlöseprozess ist unter Beteiligung aller Führungskräfte
und Mitarbeiter in das Shopfloor Management integriert. Der Problemlöseprozess wird
am Ort des Geschehens durchgeführt.
Treten Fehler und Probleme in Prozessen auf, so wird über das Jidoka-Prinzip ein
Qualitätsalarm ausgelöst. Ein Andon leuchtet und ein Unterstützer hilft (Abschn. 9.2).
Eine Sofortmaßnahme wird eingeleitet, um weiteren Schaden und Fehler zu vermeiden
und um den weiteren Prozessablauf aufrechtzuerhalten. Das Auftreten des Fehlers wird
kurzzyklisch im Rahmen von Shopfloor Management erkannt und spiegelt sich in den
Kennzahlen am Shopfloor-Board wieder. Eine schnelle Problemerkennung und Reaktion
sind wichtig. Der Problemlöseprozess wird ausgelöst.
Für eine gute Problemlösekompetenz sind der Problemlöseprozess und die Eskala-
tion zu beherrschen. Im Problemlöseprozess ist die tiefere Analyse der Problemursache
enthalten. Wird der Problemlöseprozess richtig durchlaufen und die wirkliche Ursache
gefunden und beseitigt, verbessert sich der Prozess durch eine nachhaltige Fehlerbeseiti-
gung. Manche Japaner sind bei der Vorgehensweise so qualifiziert, dass einmal gemachte
Fehler nicht mehr auftreten. In Europa kommt es statt der Ursachenanalyse häufig zu
einem Aktionismus und „Fire Fighting“.
Albert Einstein sagte einmal: „Wenn man mir eine Stunde Zeit geben würde, um
ein Problem zu lösen, würde ich 55 min für die Analyse des Problems und fünf Minu-
ten für seine Lösung verwenden.“ Bei der Problemlösung ist es elementar, die wirkliche
Ursache für ein Problem herauszufinden. Nur dann ist eine nachhaltige Problemlösung
möglich. Werden lediglich Symptome behandelt, anstatt die Ursache für ein Problem zu
338 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

beheben, wird es immer wieder auftreten oder die Maßnahme zu einer teuren Dauerauf-
gabe. Viele getroffene Maßnahmen sind als Sofortmaßnahme durchaus sinnvoll und teil-
weise zwingend erforderlich, (z. B. bei sicherheitsrelevanten Aspekten), beseitigen aber
die tatsächlichen Problemquellen nicht.

Beispiel
Es existieren viele Beispiele für eine nicht gründliche und nachhaltige Ursachenlö-
sung. Eine offensichtliche Symptombekämpfung wäre der Eimer unter einer tropfen-
den Decke, sodass es keine Pfütze mehr gibt.
Ein reales Beispiel ist eine Straßenkehrmaschine, welche den ganzen Tag durch ein
Produktionswerk fährt, um die Straße von einer Erdverschmutzung zu reinigen. Diese
Verschmutzung kommt durch mit Erde verschmutze Lkw zustande, welche Abraum
aus einer Baugrube über die Straße abfahren. Keine 100 m weiter gibt es eine andere
Baustelle mit ebenso schmutzigen Baufahrzeugen. Doch die öffentliche Straße ist dort
nicht verschmutzt. Es ist eine mobile Reinigungsanlage für die Lkw aufgebaut worden,
welche die Fahrwerke reinigt, bevor die Lkw auf die Straße fahren. Die Ursache für die
Verschmutzung wird eliminiert, anstatt die Verschmutzung aufwendig von der Straße
zu beseitigen. Solche Reifenwaschanlagen sind im Baubetrieb üblich (Abb. 25.4).

Eine ebenso wenig effektive aber regelmäßig stattfindende Problemlösung soll die Maß-
nahme der Belehrung oder Unterweisung von Mitarbeitern sein. Mitarbeiter sollen durch
Informationen z. B. keine Fehler mehr machen oder sich sicherer verhalten. Die Symp-
tombekämpfung ist so vielfältig wie die auftretenden Probleme. Die Kommunikation und
Unterweisung ist jedoch nicht nachhaltig und nur von kurzer Dauer. Der Prozess ist so
abzusichern, dass jeder Mitarbeiter ohne Unterweisung seiner Tätigkeit nachgehen kann.

Abb. 25.4  Stationäre Lkw-Reifenwaschanlage


25.4 Problemlöseprozess 339

Beispiel
PUL-Listen ermöglichen im Vergleich zu Maßnahmenlisten das Angehen der Ursa-
chensuche. Die Darstellung entspricht einer Tabelle mit drei Spalten. „PUL“ steht für
die Überschriften der Tabelle: Problem, Ursache und Lösung. Die Liste geht den Zwi-
schenschritt über die Ursachenfindung, bevor vorschnell falsche und nicht wirksame
Lösungen umgesetzt werden.

Je nach Schwierigkeit der Problematik muss die Ursache über unterschiedliche Mög-
lichkeiten identifiziert werden. Für das Erkennen der Ursache einfacherer Probleme
wird mit der 5W-Methode, dem fünfmalige Fragen nach dem Warum, gestartet. Stößt
diese Methode an ihre Grenzen, wird der strukturierte Problemlöseprozess durchgeführt.
Mit dieser Methode können die meisten Probleme gelöst werden. Komplexe Themati-
ken, welche mit Messwerten, Einstellungen an Maschinen, elektronischen Bauteilen und
Ähnlichem zu tun haben, werden mit statistischen Werkzeugen analysiert. Diese Vorge-
hensweise nennt man Six Sigma.
Ist unklar, wie und mit welcher Methode anzufangen ist, so wird mit der einfachsten
Methode begonnen und nach und nach über die Problemlöseprozesse weiter gearbeitet.
Die drei Methoden werden im Folgenden genauer vorgestellt.
Ausführlich beschäftigt sich Kostka (2016, S. 129 ff.) mit den Methoden der Prob-
lemlösung.

5W – fünfmal Warum?
Für einfache Probleme eignet sich die 5W-Methode.

 5W-Methode Die Abkürzung steht für „fünfmal Warum?“ (engl. five times why?).
Durch mehrfaches Fragen nach dem „Warum“ wird die tiefer liegende Ursache für ein
Problem identifiziert.

Bei der 5W-Methode geht es nicht um die mehrfache Frage, wer für einen Fehler oder
ein Problem die Schuld trägt, wie es in Firmen mit wenig ausgeprägter Fehlerkultur
(Abschn. 26.2) vorkommt.
Die Anzahl fünf steht als Symbol für ein mehrfaches, anstatt ein nur ein- oder zwei-
maliges, Hinterfragen. Oft ist auch bei fünfmaligem Nachfragen die eigentliche Ursa-
che noch nicht gefunden oder es wird noch auf der Ursachenebene bei den Mitarbeitern
gesucht. Das Ergebnis wäre eine Maßnahme, welche sich, wie bereits erwähnt, als Mitar-
beiterbelehrung beschreiben lässt. Es ist so lange nachzufragen, bis der wirkliche Sach-
grund für die Ursache gefunden ist.

Beispiel
Eine Maschine läuft nicht mehr. Der Ursache wird mit der 5W-Methodik auf den
Grund gegangen (Ohno 2013, S. 51):
340 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

• Warum hat die Maschine angehalten? Weil die Sicherung wegen Überlastung
durchgebrannt ist.
• Warum war die Maschine überlastet? Weil die Lager nicht geschmiert waren.
• Warum waren die Lager nicht ausreichend geschmiert? Weil die Ölpumpe nicht
gepumpt hat.
• Warum hat die Ölpumpe nicht gepumpt? Weil die Welle ausgeschlagen ist.
• Warum ist die Welle ausgeschlagen? Weil es kein Sieb gab und Metallspäne so in
die Maschine geraten sind.

Die Ursache kann beseitigt werden. Die Alternative wäre, die Sicherung immer wie-
der auszutauschen. Doch dies wäre keine nachhaltige Bekämpfung der Ursache.
Ein Problem in der Produktion: Der Lack eines Produktes ist immer wieder zer-
kratzt.

• Warum ist der Lack zerkratzt? Weil das Werkzeug von der Schraube abgerutscht ist.
• Warum rutschte das Werkzeug von der Schraube ab? Weil es die falsche Größe
hatte.
• Warum hatte es die falsche Größe? Weil es verwechselt wurde.
• Warum wurde es verwechselt? Weil zwei Werkzeuge gleich aussehen.

Die Ursache ist gefunden, die Maßnahme ist, für eine klare Unterscheidung der Werk-
zeuge zu sorgen. Dies kann z. B. mit einer farblichen Markierung erfolgen. Das fal-
sche Werkzeug kann auch aus dem Arbeitsbereich entfernt werden, wenn es dort nicht
benötigt wird.
Die Alternative, den Mitarbeiter zu belehren, dass er künftig besser aufpassen
sollte, sodass er nicht abrutscht oder ihn anzuweisen, künftig das richtige Werkzeug
zu benutzen, wäre keine realistische Fehlervermeidung im Sinne eines Problemlöse-
prozesses.

Strukturierter Problemlöseprozess
Bei schwierigeren Problemen, bei denen die Ursache nicht mit der 5W-Methode gefun-
den werden kann, hilft das Ursache-Wirkungsdiagramm.

 Ursache-Wirkungsdiagramm Es trägt auch die Bezeichnung Ishikawa, nach dem


Namen seines Erfinders Kaoru Ishikawa (1915–1989). Es gehört zu den sieben Qualitäts-
werkzeugen. Das Ursache-Wirkungsdiagramm bzw. Ishikawa erinnert an die Form einer
Fischgräte und geht mehreren verschiedenen Ursachen für ein Problem auf den Grund
(Abb. 25.5).

Das Ursache-Wirkungsdiagramm ist die Visualisierung einer Ursachenanalyse innerhalb


eines Problemlöseprozesses. Ausgangspunkt ist ein horizontaler Pfeil nach rechts, an
dessen Spitze das möglichst prägnant formulierte Problem steht. Auf diesen Pfeil zielen
25.4 Problemlöseprozess 341

Einflussgröße Einflussgröße Einflussgröße

Problem

Einflussursache

Einzelursache

Einflussgröße Einflussgröße

Ursache Wirkung

Abb. 25.5  Ursache-Wirkungsdiagramm (Ishikawa)

von oben und unten schräge Einflussgrößen als mögliche Hauptursachen. Diese Einfluss-
größen werden in der Regel mit den Grundkategorien der „5M“ bezeichnet. Auf diese
Hauptpfeile zielen wiederum weitere Pfeile, an denen die gefundenen Einflussursachen
eingetragen werden. Es kann nach immer tieferen Einzelursachen geforscht werden.
Die Vorgehensweise zur Befüllung des Ursache-Wirkungsdiagramms ist ein Brainstor-
ming. Die Darstellung erinnert an ein Mindmap, bei dem analog der 5W-Methodik die
verschiedenen Einzelursachen solange hinterfragt werden, bis die eigentliche Wurzel des
Problems gefunden ist.
Für eine umfassende Ursachenanalyse werden die fünf Hauptpfeile jeweils mit einer
Kategorie der „5M“ beschriftet.

 5M Sie decken verschiedene Felder ab, um den Raum für mögliche Ursachen zu öff-
nen. Die 5M stehen für „Mensch“, „Maschine“, „Material“, „Methode“ und „Mitwelt“
oder „Milieu“ (im Sinne von „Umwelt“).

Beispiele für Themen mit Bezug zu den fünf Einflussgrößen sind:

• Mensch: arbeitsplatzbezogene Schulung und Unterweisung, Einhalten von Standards


und Arbeitsanweisungen, Motivationsförderung
• Maschine: geeignete Werkzeuge, Maschinen und Anlagen mit regelmäßiger Pflege
und Wartung
• Material: nur fehlerfreies und sauberes Material verarbeiten, sorgfältiger Umgang mit
Material, richtig gekennzeichnetes Material
342 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

• Mitwelt/Milieu: geeignete Arbeitsbedingungen in Bezug auf Verschmutzung, Licht,


Ergonomie, Lärm
• Methode: Werker-Selbstprüfung, konsequentes Anwenden der Qualitätsregelkreise,
einfache Einrichtungen zur Vermeidung unbeabsichtigter Fehler, Fehleranzeigen,
Audits

Mit einem sechsten „M“ wird teilweise die Kategorie „Messung“ oder die Kategorie
„Management“ ergänzt. Werden alle diese Kategorien genutzt und zusätzlich „Money“
im Sinne von „Geld“ ergänzt, werden hieraus sogar „8M“.
In Abb. 25.6 wird das Problem „Auto startet nicht“ beispielhaft mit einem Ursache-
Wirkungsdiagramm und den 5M analysiert.
Komplexe Fehler oder Probleme sind oft schwer zu durchdringen. Der Weg zur
Lösung liegt daher in einer strukturierten Betrachtung und Vorgehensweise. Zur Lösung
komplexer und ständig wiederkehrender Probleme existiert der standardisierte Problem-
löseprozess.
Das Ursache-Wirkungsdiagramm bzw. Ishikawa ist ein Teil des 8D-Reports. Der
8D-Report durchläuft acht Prozessschritte (acht Disziplinen) und dokumentiert diese auf
einem Formblatt im Format DIN A3 in strukturierter Form (Abb. 25.7). Dieses Formblatt
wird auch „A3–Problemlöseblatt“ genannt.

Mitwelt Mensch Maschine


Führerschein
Sicherung

durch Musik

wenig Wasser
Ablenkung
Auto nicht in
defekt

Garage

kein

defekte
alt

Isolierung
Startvorgang
Garagentor
nicht korrekt Batterie leer
defekt
zu geringe Falscher Schlüssel Zündkabel lose
Außentemperatur Auto
startet
Automatikgetriebe: nicht
Anlasser nicht in Ordnung
nicht auf „P“ oder „N“
kein Benzin
Fehler in
Betriebsanleitung
defekte Tankuhr
Tanken vergessen
kein Geld

Material Methode

Abb. 25.6  Beispiel für ein Ursache-Wirkungsdiagramm (Ishikawa)


25.4

Problemerkennung Auftraggeber Verantwortlicher Vorgesetzter Nr.


Datum

Ursachenanalyse
5x Warum
Detaillierte Problembeschreibung Nr. Wie geprüft? Ergebnis Warum?
Problemlöseprozess

Antwort:
Warum?
Antwort:
Warum?
Problemgebiet/Ort Antwort:
Warum?
Antwort:
Warum?
Antwort:
Sofortmaßnahmen Direkte Ursache Tatsächliche Ursache
Was Wer Wann Status Wirksamkeit

Gegenmaßnahmen
Was Wer Wann Status Wirksamkeit

Ursache-Wirkungsdiagramm

Nachverfolgung und Wissenstransfer

Abb. 25.7  A3-Problemlöseblatt
343
344 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

Das A3–Problemlöseblatt enthält eine strukturierte Abfolge von Fragestellungen.


Diese unterstützen eine systematische Problembearbeitung und somit die Identifikation
der tatsächlichen Problemursache:

1. Problemerkennung: eindeutige Beschreibung der Problemwahrnehmung und der


damit verbundenen Folgen
2. Detaillierte Problembeschreibung: Abklärung und Verdeutlichung des Problems,
Sammlung aller relevanten Informationen, detaillierte Beschreibung des Problems,
Definition der Problemgrenzen, Ziel ist ein gemeinsames Problemverständnis
3. Problemgebiet/-ort: Identifizierung des Ortes des Problemauftritts, möglichst präzise
und detaillierte Beschreibung des Ortes, an dem die Auswirkung des Fehlers oder des
Problems festgestellt wird
4. Sofortmaßnahmen: Vermeidung der Ausbreitung des akuten Problems durch kurzfris-
tige Maßnahmen
5. Ursache-Wirkungsdiagramm: Identifizierung der möglichen Ursachen
6. Ursachenanalyse: Überprüfung der identifizierten Ursachen und Ermittlung der tat-
sächlichen Ursache
7. Gegenmaßnahmen: Eliminierung der tatsächlichen Ursache durch konkrete Maßnah-
men, Dokumentation in der Maßnahmenliste
8. Nachverfolgung und Wissenstransfer: Durchführung der Folgeaktivitäten, Umsetzen
der festgestellten Maßnahmen, Verfolgung der Wirksamkeit

Das A3–Problemlöseblatt dokumentiert die schrittweise Bearbeitung des Problems als


Wissensspeicher. Es wird am Shopfloor-Management-Board visualisiert und geführt. Die
Kriterien für die Auslösung und Anwendung eines A3–Problemlöseblattes sind festge-
legt. Die Bearbeitung erfolgt mit verschiedenen Prozessbeteiligten vor Ort am Shopfloor.
Eine andere Darstellung, vertiefende Erklärungen und ein Beispiel zeigen Liker und
Meier (2013, S. 479 ff.).

Six Sigma
Für komplexe und schwierige Probleme, in die meist mehrere Einflussgrößen eingehen
und für die entsprechende Daten vorliegen, wird die Methodik von Six Sigma genutzt.

 Six Sigma Methodisch steht hinter Six Sigma das Bestreben, Qualität mithilfe von
Kennzahlen zu messen. Mathematisch repräsentiert der griechische Buchstabe „Sigma“
die Standardabweichung einer Grundgesamtheit. Sigma ist ein Indikator für die Abwei-
chungen vom Mittelwert.

Beispiel
Eine Qualität von 99 % entspricht „nur“ ±2,8 Sigma.
25.4 Problemlöseprozess 345

• ±1 Sigma enthalten 68,26 % und entsprechen 691.462 ppm


• ±2 Sigma enthalten 95,46 % und entsprechen 308.537 ppm
• ±3 Sigma enthalten 99,73 % und entsprechen 66.807 ppm
• ±4 Sigma enthalten 99,9937 % und entsprechen 6210 ppm
• ±5 Sigma enthalten 99,999943 % und entsprechen 233 ppm
• ±6 Sigma enthalten 99,9999998 % und entsprechen 3,4 ppm

Anders ausgedrückt: Bei 3,4 ppm wird eine Gewichtsabweichung von 3,4 g bei einem
Gesamtgewicht von einer Tonne erkannt.

Besonders bei geringen Toleranzen, wie bei Prozessen der chemischen Industrie oder
Elektronikbauteilen, sind geringe Fehlerraten wichtig. Bei Abläufen mit hoher Sicher-
heitsrelevanz handelt es sich um Prozesse im Bereich von Six Sigma (Abb. 25.8). Auf dem
Weg zu einer Produktion mit dem Null-Fehler-Ziel geht kein Weg an Six Sigma vorbei.

Beispiel
Wenn ein Smartphone aus 100 Komponenten zusammengebaut wird und jede dieser
Komponenten ist nach einem Six-Sigma-Prozess mit einer Fehlerrate von 3,4 ppm
produziert worden, ergibt sich ein Problem. Die Fehlerrate für das Smartphone
beträgt 100 mal 3,4 ppm. Dies ergibt 340 ppm und bedeutet ein defektes Gerät pro

100.000
Ärztliche Rezepte Restaurantrechnungen

Lohn- und Gehaltsverarbeitung


10.000
Flughafengepäckverwaltung
parts per million

1.000

100

Flüge allgemein
10

Inlandsflüge

1 2 3 4 5 6
Sigma-Prozess-Skala

Abb. 25.8  Vergleich von Prozessen auf einer Sigma-Prozess-Skala


346 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

2940 Smartphones. Dieser Wert entspricht keiner Qualität im Sinne von Six Sigma.
Um bei einem produzierten Smartphone auf eine Qualität auf Six-Sigma-Niveau zu
kommen, darf jeder Komponentenlieferant eine Fehlerrate von nur einem Hundertstel
von 3,4 ppm aufweisen, dies wären 0,034 ppm für die Komponenten.
Große Firmen in der Elektronikbranche nutzen die Six-Sigma-Methodik bereits
seit längerem zur Qualitätsoptimierung. Hierzu gehören z. B. Motorola, Texas Instru-
ments, IBM, ABB, Ericsson, General Electric und Siemens.

Das Themenfeld zu Six Sigma ist sehr umfangreich. Daher sei an dieser Stelle auf die
einschlägige Literatur zu Six Sigma und Lean Six Sigma verwiesen.

25.5 Standardbasierte Prozesskontrolle

Um stabile Prozesse zu erreichen, werden Standards bei einem Rundgang durch die Pro-
duktion überprüft. Diese Rundgänge dienen der standardbasierten Prozesskontrolle und
werden „Genba Walk“ genannt. Dies ist eine Aufgabe aller Führungskräfte, denn nur
„das Auge des Bauern macht die Kühe fett“ (Henzler 2005). Eine Grundcharakteristik
der Prozesskontrolle ist, diese regelmäßig und in hoher Frequenz durchzuführen, um
eine Kontinuität zu gewährleisten.
Bei der standardbasierten Prozesskontrolle werden die Standards regelmäßig beob-
achtet und auf Einhaltung bzw. Abweichungen überprüft. Die Standards werden durch
„Cycle-Checks“ überprüft. Dabei findet eine visuelle Kontrolle durch den Abgleich des
Prozesses mit dem Standardarbeitsblatt vor Ort statt. Die Vorgehensweise erinnert bei
zyklischen Prozessen an die Analyse mit der Kreidekreismethode (Abschn. 3.7). Die
Grundfrage bei der Herangehensweise lautet: Wie können die Abläufe optimiert werden?

 Cycle-Check Es werden mehre Zyklen eines Prozesses hintereinander beobachtet.


Beim „Five-Cycle-Check“ werden fünf Prozesszyklen hintereinander betrachtet und mit
dem aktuell vorliegenden Standard verglichen. Abweichungen werden analysiert und
besprochen. Sofern notwendig, werden Maßnahmen abgeleitet.

Die Prozesskontrolle dient einerseits der Einhaltung von Standards, aber auch der Reak-
tion bei Abweichungen. Abweichungen vom Standard werden hinterfragt. Verschwen-
dungen, Probleme, Fehler und Ergonomiethemen werden identifiziert. Maßnahmen
werden abgeleitet.
Die Durchführung dient gleichzeitig der Problemprävention. Abweichungen von
Standards werden hinterfragt, da es in der Regel einen Grund hierfür gibt. Bei Abwei-
chungen können notwendige Veränderungen im Standard und gegebenenfalls neue Ver-
besserungen identifiziert werden. Somit wird durch die Prozesskontrolle der Kaizen und
der weitere kontinuierliche Verbesserungsprozess angeregt.
25.6 Expertenfragen 347

Die standardbasierte Prozesskontrolle ist der ideale Moment für Führungskräfte, Pro-
zesse zu verstehen, ihr Engagement zu demonstrieren, das Produktionssystem zu promo-
ten sowie für richtiges und erwünschtes Verhalten Anerkennungen auszusprechen. Die
Erwartung an die Einhaltung von Standards kann eingefordert werden.
Wird die standardbasierte Prozesskontrolle über alle Hierarchiestufen hinweg kaska-
diert durchgeführt, wird dies „Layered Process Audit“ (LPA) genannt. Dabei checkt die
jeweilige Führungskraft den Prozess ihrer Mitarbeiter. Dies erfolgt über die gesamte Hie-
rarchie hinweg, vom Mitarbeiter über den Meister zum Team und zur Abteilung. Durch
diesen Auditprozess sind die Standards und deren Beobachtung im gesamten Unterneh-
men sichergestellt. Bei Abweichungen ist zu reagieren (Abschn. 10.5).
Ein unterstützender Standard zur Durchführung von regelmäßigen Routinen ist das
Kamishibai, welches eher als „T-Card“ bekannt ist. Eine Steckkarte in Form eines „T“
gibt den durchzuführenden Standard vor. Die Karte steckt so in einem Kartenhalter einer
Plantafel, dass nur der Querkopf der Karte sichtbar ist (vergleiche Abb. 7.4). Auf der
einen Seite der Karte wird die offene Tätigkeit oder Prozesskontrolle gezeigt. Diese Seite
trägt eine rote Markierung. Nach der Durchführung wird die Karte gedreht und die grüne
Rückseite wird in die Kartenhalter der Plantafel gesteckt. Es ist sofort erkennbar, wel-
che Tätigkeiten durchgeführt wurden und welche noch offen sind. Das Durchführen aller
notwendigen Tätigkeiten wird abgesichert. Gleichzeitig wird ein unnötiges, mehrfaches
Durchführen einer Tätigkeit vermieden, sofern diese bereits durchgeführt wurde.

25.6 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Führung am Ort der Wertschöpfung zu


beantworten
• Sind alle Führungskräfte jeden Tag vor Ort am „Shopfloor“?
• Unterstützen Führungskräfte die Mitarbeiter im Tagesgeschäft bei der Problemlö-
sung?
• Sind Aufgaben und Rollen in der Besprechung am Shopfloor definiert und bekannt?
• Sind die richtigen Teilnehmer in der Shopfloor-Management-Besprechung involviert?
• Wie wird kommuniziert? Wie fließen Informationen schnell zu den Mitarbeitern und
zurück?
• Existiert ein abgestimmter und strukturierter Besprechungsplan?
• Sind synchronisierte Zeitfenster für die kaskadierten Besprechungen vorhanden?
• Dauert die Besprechung nicht länger als 25 min?
• Finden regelmäßig kurze Besprechungen am Shopfloor statt?
• Findet Shopfloor Management in der Produktion täglich und in der Administration
wöchentlich statt?
• Werden Informationen aggregiert und zeitnah ausgetauscht?
• Werden operative Themen und Problemlösungen nur am Shopfloor besprochen?
348 25 Führung am Ort der Wertschöpfung

• Sind andere Besprechungen abseits der Produktion bzw. abseits wertschöpfender Pro-
zesse auf ein Minimum reduziert?
• Sind die Kennzahlen auf dem Shopfloor-Management-Board aktuell und gepflegt?
• Sind die richtigen Prozesskennzahlen eingesetzt?
• Sind der Auslösegrund und der Weg für Eskalationen definiert und bekannt?
• Was wird unternommen, wenn alle Kennzahlen länger im „grünen Bereich“ bzw. „auf
Ziel“ sind?
• Wird die standardbasierte Prozesskontrolle regelmäßig durch die Führungskräfte
durchgeführt?

Folgende Fragen gehen detaillierter auf das Thema Problemlöseprozess ein


• Wird bei der Problemlösung nach der tatsächlichen Ursache gesucht?
• Gibt es beim Auftreten von Problemen Sofortmaßnahmen?
• Gibt es eine langfristige Problemlösung, die über eine Sofortmaßnahme hinausgeht?
• Werden Maßnahmen nach dem Motto „Mitarbeiter wurden informiert, unterwiesen
oder belehrt“ vermieden?
• Unterstützen Führungskräfte bei der Ursachensuche durch Fragetechniken?

25.7 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Führung am Ort der Wertschöpfung


• Shopfloor Management (Genchi Gemutsu) heißt und bedeutet „Führung vor Ort“.
Es soll zur Quelle des Geschehens gegangen werden, um Fakten am Prozessort zu
recherchieren. Shopfloor Management steht für das Verständnis von Führungskräf-
ten, die Wertschöpfung entlang der Produktionsprozesse nachhaltig und konse-
quent zu verbessern, indem sie selbst die Probleme vor Ort durchdringen.
• Ziele sind die Absicherung von Verbesserungen und ein schneller und zielgerichte-
ter Informationsfluss. Dazu visualisieren die Führungskräfte ihre Handlungsfelder,
Prioritäten und Umsetzungsfortschritte mittels Kennzahlen vor Ort. Sie sind aktive
Teilnehmer im Verbesserungsprozess und fördern die Qualität und Stabilisierung
der Prozesse durch optimierte Standards.
• Shopfloor Management basiert auf vier methodischen Elementen.
• Das visuelle Management definiert, wie und wo welche Informationen visualisiert
werden.
• Die Kommunikationsstruktur legt die Rahmenbedingungen für eine Kommunika-
tion innerhalb der Bereiche und zwischen den Hierarchieebenen fest.
• Der Problemlöseprozess dient dem Erkennen von auftauchenden Problemen und
deren Lösung.
• Im Rahmen der standardbasierten Prozesskontrolle werden Standards regelmäßig
beobachtet und deren Einhaltung überprüft.
Literatur 349

• Das Shopfloor-Management-Board ist das zentrale Instrument von Shopfloor


Management. Es ist strukturiert und enthält Kommunikationsthemen, Kennzahlen,
Maßnahmen und die Prozesskontrolle. Shopfloor Management besteht aber nicht
nur aus den Shopfloor-Management-Boards.
• Je nach Problem werden unterschiedliche Problemlösemethoden eingesetzt. Mög-
lich sind die 5W-Methode, das Ursache-Wirkungsdiagramm und der strukturierte
Problemlöseprozess sowie die Six-Sigma-Methodik. Ziel ist es, die genauen Prob-
lemursachen zu finden und zu lösen.

Fragen
• Was sind typische Beispiele, in denen Maßnahmen getroffen werden, die sich nur
auf die Fehlersymptome und nicht auf die tatsächlichen Ursachen beziehen?
• Wie steht Genba im Zusammenhang mit Shopfloor Management?
• Wie unterscheidet sich die Führungsart Shopfloor Management von der traditionel-
len Führung?
• Wie können die vier methodischen Elemente von Shopfloor Management beschrie-
ben werden?
• Wie ist das Shopfloor-Management-Board charakterisiert?
• Wie läuft eine Shopfloor-Management-Besprechung ab?
• Welche Methoden zur Problemlösung werden unterschieden?
• Wie lauten die Fragestellungen beim Ausfüllen des A3–Problemlöseblatt zur Iden-
tifikation der tatsächlichen Problemursache?
• Für welche Abweichungen ist Six Sigma ein Indikator?

Literatur

Freitag M (2004) Formel Toyota. Manager Magazin 12:72–83


Henzler KA (2005) Das Auge des Bauern macht die Kühe fett: Ein Plädoyer für Verantwortung
und echtes Unternehmertum. Hanser, München
Kostka C (2016) Change Management – Das Praxisbuch für Führungskräfte. Hanser, München
Liker JK, Meier DP (2013) Der Toyota Weg Praxisbuch – Für jedes Unternehmen, 6. Aufl. Finanz-
buch, München
Ohno T (2013) Das Toyota-Produktionssystem, 3. Aufl. Campus, Frankfurt
Peters R (2009) Shopfloor Management – Führen am Ort der Wertschöpfung. LOG_X, Stuttgart
Führung und Kultur
26

Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.


Afrikanisches Sprichwort

Zusammenfassung
Lean und Führung sind eng miteinander verzahnt. Beide Themen wirken sich auf die
Kultur aus. Lean wirkt richtig angewendet als Organisationsentwicklung, welche mit
Fehlern positiv umgehen kann und lernende Organisationen fördert. Um ein Unter-
nehmen ganzheitlich im Sinne von Lean aufzustellen, bedarf es einer umfassenden
Transformation.

Knalsch GmbH: Fünfmal „Wer ist schuld?“


In der Produktion ist ein Fehler passiert. Kai Lupfer ist mit Meisterin Laura
Schmidt unterwegs. Sie haben einen Problemlöseprozess gestartet und kommen in
den Bereich der Pressen zu Meister Erhard.
Nachdem Schmidt ihrem Kollegen das Problem erklärt hat, sagt dieser: „Da
werde ich gleich mal fragen, wer das war.“
Schmidt: „Nein, nicht wer, sondern warum ist die Frage. Es geht nicht darum,
wer es war, sondern was die Ursache ist. Hierzu nutzt man die Methode 5W.“
Hubert Erhard: „Sage ich doch, ich frage fünfmal wer es war und dann haben
wir den, der den Fehler gemacht hat… Nein, das war natürlich nicht ernst gemeint.
Natürlich schauen wir mit Fünfmal-Warum nach der Ursache des Problems. Wir
wollen doch aus den Fehlern lernen.“
Kai Lupfer ergänzt: „Genau, wir leben die Fehlerkultur.“
Laura Schmidt lacht: „Oder positiv bezeichnet eine Lernkultur.“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 351


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_26
352 26 Führung und Kultur

26.1 Lean Leadership

Die Lean-Philosophie vereint die sichtbare Prozessexzellenz mit der unsichtbaren Füh-
rungsexzellenz. Die Art der Menschenführung ist ein zentrales Element bei der gemein-
samen Umsetzung von Lean. Der Fokus auf die Kaizen-Philosophie (Abschn. 11.1) ist
eine Maßnahme gegen politische Aktionen in Unternehmen.
Während Lean Production der Analogie des Ruderns im Achter folgt und nur die Füh-
rungskraft das Ziel im Auge hat und den Takt für den Pull im stillen Fluss vorgibt, sind
die Gewässer heute agiler und wilder. Hier ist der Leadership-Gedanke gefragt, der den
Menschen und seine Kompetenzen in den Mittelpunkt stellt. Wie beim Rafting sind in
einem schnellen und agilen Umfeld alle für die Zielerreichung mitverantwortlich. Damit
wechselt der Fokus von den Themen und Aufgaben, wie es beim Begriff Management
der Fall ist, hin zum Thema Leadership (Tab. 26.1).
Leadership meint Wertschätzung und Wertsteigerung. Die zentralen Begriffe sind
„Menschen“, „Sinn“, „Leistung“ und „Entwicklung“ (Best und Hurtz 2014, S. 75). Füh-
rungskräfte übergeben im Rahmen von Lean Leadership Verantwortung an die Mitarbei-
ter. Sie sind eingebunden und können, dürfen und sollen die Prozesse gestalten. Anstelle
der Vorgabe von Lösungen oder Antworten wird durch Fragen geführt, im Sinne von
Coaching. Mit der Verbesserungs-Kata (Abschn. 11.4) sind die richtigen Experimente für
eine kontinuierliche Verbesserung zu starten.
Die Zusammenarbeit der Führungskraft mit den Mitarbeitern wird vor Ort am Shopf-
loor vollzogen und entspricht der einer Mentor-Mentee-Beziehung. In der Zusammenar-
beit kritisiert und führt der Mentor den direkt unterstellten Mentee und assistiert ihm bei
den Kaizen-Prozessen. Die Vorgehensweise erinnert an das Learning-by-Doing. Hierzu
ist eine erfahrene und lenkende Führungskraft notwendig. Der Vorgesetzte ist der Sen-
sei, der Meister bzw. der Lehrer. Der Mentor gibt keine Lösungen vor. Die Lösungssu-
che ist Aufgabe des Mentees. Durch das selbstständige Sammeln von Erfahrungen findet
der Lernprozess statt. Durch geschicktes, sokratisches Fragen wird die Lösungssuche
gelenkt. Der Mentee ist verantwortlich für die Planung und Durchführung der Lösungs-
suche, für die Ergebnisse zeichnet sich der Mentor verantwortlich. Die Aufteilung in
Verantwortung für die Durchführung und die Ergebnisse erzeugt eine starke Verbindung
beider Personen.

Tab. 26.1  Vergleich traditioneller Führung mit Lean Leadership


Traditionelle Führung Lean Leadership
Kommandieren, Kontrollieren, Koordinieren Fördern, Fordern, Feedback geben
Anweisen und Belehren Coachen und Befähigen
Rudern Rafting
Menschen sind „fertig“ Aufgaben sind fertig
26.1 Lean Leadership 353

Durch das Mentoring fokussiert die Führungskraft indirekt auf die Verbesserung und
Problemlösung der Prozesse. Im Umgang mit den Mitarbeitern heißt Führen im Sinne
von Lean Leadership, die Mitarbeiter zu fördern und zu fordern. Hierzu gehört auch ein
permanentes und gegenseitiges Feedback.
Liker und Trachilis (2015, S. 135) haben den Lean-Leadership-Diamanten mit vier
Dimensionen dargestellt (Abb. 26.1). Die vier Dimensionen zeigen die ganzheitli-
che Aufgabe von der Selbstentwicklung bis zu den Visionen und Zielen. Innerhalb der
Dimensionen finden sich die bekannten Themenfelder von Lean wieder (Tab. 26.2).
Neben der Kundenorientierung zählt die Mitarbeiterorientierung, da die Mitarbeiter
näher am Kunden sind als die Führungskräfte. Im Kern muss sich jeder darüber im Kla-
ren sein, dass er oder sie immer besser werden kann und sich diesen besseren Zustand als
Vision vorstellen muss.
In der VDI-Richtlinie 2870 Blatt 1 über ganzhaltige Produktionssysteme zeichnet sich
die Ganzheitlichkeit durch einen Kulturwandel bei Mitarbeitern auf allen Ebenen aus
(VDI 2012, S. 2 f.). Es geht um die Einstellung, die Haltung und das Verhalten.
Die Gewohnheiten und das Verhalten der Belegschaft liegen am Management und
an der Führung. Notwendig ist viel Empathie, sodass Veränderungen nicht als Zwang
empfunden werden. Werte, welche in der Toyota-Organisation verwurzelt sind, zählen
Shibata und Kaneda (2015, S. 32) auf:

1. Selbstständiges (Mit-)Denken
2. Die Ideen der Menschen sind grenzenlos.
3. Nichts ist unmöglich.

Die Führungskräfte dürfen sich nicht herausnehmen und auch nicht über andere stellen.
Alle sind auf einer Ebene. So hat auch der Vorgesetzte mitzumachen, dies führt zu Akzep-
tanz. Führungskräfte müssen in einem Lean Enterprise als Vorbild agieren (Weiß et al.
2015, S. 269). Das Denken, Handeln und Agieren als Lean-Führungskraft hat mit der eige-
nen Einstellung und Haltung zu den Menschen (Kap. 27) und dem Thema Lean zu tun.

1. Verpflichtung zur Selbstentwicklung

Werte
Mensch
4. Visionen und Ziele Herausforderung 2. Coachen und entwickeln
Respekt
Team

3. Täglicher KVP

Abb. 26.1  Lean-Leadership-Diamant. (In Anlehnung an Liker und Trachilis 2015, S. 135)


354 26 Führung und Kultur

Tab. 26.2  Zuordnung von Lean–Themen zu den vier Dimensionen des Lean-Leadership-Diamanten


Verpflichtung zur Coachen und entwickeln Täglicher KVP Visionen und
Selbstentwicklung Ziele
• Respekt • PDCA • Verbesserungs-Kata • Vision
• Führungskraft • Mentor-Mentee • Agiles Management • Nordstern
• Lernen im PDCA • Coaching • Transparenz • Hoshin Kanri
• Meister werden • Führen durch Fragen • Shopfloor Management • Krise
• Lernende Organisation • Coaching-Kata • Standardisierte Arbeit • Organisation
• Lean Leader werden • Führung am Shopfloor • Kennzahlen • Kultur
• Kommunikation • Problemlösung • Philosophie
• Betroffene zu Beteilig- • Change
ten machen Management

Haltung und Einstellung zum Produktionssystem kommen im Wesentlichen durch eine


intrinsische Motivation. Diese wird unter anderem durch das Umfeld geprägt, welches die
Unternehmenskultur verkörpert. Die positive Einstellung zu einem Produktionssystem und
das Leben seiner Inhalte durch Führungskräfte und Mitarbeiter sind die Basis für ein gut
funktionierendes Produktionssystem auf den Ebenen Strategie, Prozess und Kultur.
Die Kultur bei Toyota lebt die Werte Respekt, Partnerschaft, gegenseitiges Vertrauen
sowie kontinuierliche Verbesserung (Liker und Hoseus 2016, S. 89 f.). Lean ist eine
ganzheitliche Aufgabe für die Führungskräfte: „Leaders must learn to see deeply“ (Zitat
Toyota).
Dass Lean Leadership nicht das Ende der Führungsstufen ist, wird in Abschn. 27.4
gezeigt.

26.2 Fehlerkultur – Lernkultur

Curt Goetz (Bad Ditzenbach 1976, S. 3): „Leute, die viel arbeiten, machen Fehler. Leute,
die weniger arbeiten, machen weniger Fehler. Es soll Leute geben, die gar keine Feh-
ler machen…“ Und Hartmann (2008, S. 84) stellt eine goldene Regel auf: „90 % sind
Managementfehler und nur 10 % sind menschliche Fehler!“
Fehler passieren. Es sind Maßnahmen zur nachhaltigen Problemlösung durchzuführen
(Abschn. 25.4). Wenn in Prozessen gedacht wird, so werden Fehler als Chancen zur Ver-
besserung gesehen. Wenn Mitarbeiter behaupten, es würde keine Probleme geben, lautet
ein bekannter Spruch von Toyota-Managern: „Keine Probleme sind ein Problem“.
Eine positive Fehlerkultur bedeutet, Lösungen statt Schuldige zu suchen. Diese
Denkweise sucht die Schuld im Prozess, bei den Standards, Visualisierungen oder Qua-
lifizierungen. Toyota z. B. unterstützt seine Lieferanten bei Problemen sofort technisch
und finanziell. Es wird nicht der Schuldige gesucht, sondern immer nach einer Lösung
(Köhler 2006).
26.2 Fehlerkultur – Lernkultur 355

Die passende Unternehmenskultur wird meistens als „Fehlerkultur“ bezeichnet. Der


Begriff kann irritieren, daher ist die „positive Fehlerkultur“ eine bessere Bezeichnung.
Fehler werden positiv gesehen und als Chance zur weiteren Verbesserung gewertet. Das
erstmalige Auftreten eines Fehlers wird als Irrtum gewertet. Erst wenn derselbe Fehler
wiederholt auftritt, ist es wirklich ein Fehler. Dies ist zu vermeiden. Aus einmal aufge-
tretenen Irrtümern kann gelernt werden. So entsteht eigentlich der Begriff der Lernkultur.
Ohne Verständnis der Lernkultur ist ein Veränderung zum Besseren (Kaizen) und
somit eine Verbesserung unmöglich. Die Reflexion über Fehler und ebenso sich selbst,
ist die Grundvoraussetzung für das Lernen und Weiterentwickeln. Die Japaner nennen
dies „Hansei“.

 Hansei Japanischer Begriff für eine Selbstreflexion. Dies beinhaltet das Nachden-
ken über sich selbst, die Selbstprüfung und die Selbstkritik (Gorecki und Pautsch 2013,
S. 75). Durch Hansei wird Verantwortung übernommen und unternehmensweites Lernen
möglich.

Hansei ist die Basis, um zu lernen und Voraussetzung für Kaizen. Hansei geht soweit,
dass die eigenen Schwächen schonungslos anerkannt werden (Liker 2013, S. 349 ff.).
Werden Fehler auf andere abgeschoben oder verleugnet, besteht keine Chance für eine
Verbesserung. Ziel ist das Optimieren anstelle des Kritisierens. Wichtig ist das Vertrauen
in die Mitarbeiter und auch, das Lernen zu imitieren, indem die Führungskräfte die
Mitarbeiter bewusst Fehler machen lassen. In diesem Zusammenhang sollten Fehler in
„Erkenntnisse eines Experiments“ umbenannt werden. Probleme sind Schätze, aus denen
man reich an Wissen werden kann. Das experimentelle Lernen bringt Erkenntnisse und
macht Spaß. Nachhaltigkeit wird beim Lernen durch Vorbilder, ein abgesichertes Umfeld
und Spaß erreicht.
Die Ergebnisse unterschiedlicher Reaktionen auf Fehler, in unterschiedlichen Kultu-
ren der Fehlerwahrnehmung, zeigt Hagen (2013, S 189) am Beispiel von Piloten. Die
Reaktionen des Verursachers auf einen Fehler sind Erschrecken, Verlegenheit, Angst
und Scham. Daraus folgt entweder ein Leugnen oder ein schuldhaftes Bekennen. Die
Wahrnehmung und Beurteilung bei der Führungskraft zeigt sich durch Ärger und Zorn.
Dies führt zu Vorwürfen, Sanktionen oder Schweigen und stillem Groll. In einer Kultur
der Fehleranerkennung wird der Fehler von dem Mitarbeiter zugegeben oder der Füh-
rungskraft angesprochen. Die Analyse der Ursache und die Bearbeitung ergeben einen
Erkenntnisgewinn. Es entsteht kein schlechtes Gefühl, sondern die Zuversicht, dass der
Fehler künftig vermieden wird.

Beispiel
Ein negatives Beispiel anhand des falschen Einsatzes eines Werkzeuges: Statt zum
Eindrücken von Befestigungsklammern wurde das Werkzeug, welches eigentlich
zum Eindrücken der Klammern gedacht war, als Hammer zum Einschlagen verwen-
det. Die Montage ging schneller und kraftsparender. Diese Vorgehensweise wich vom
356 26 Führung und Kultur

Standard ab. Die Klammern wurden durch die Wucht des Werkzeuges verbogen und
waren bei der weiteren Montage nicht mehr funktionstüchtig. Der Mitarbeiter wurde
belehrt. Bei Checks durch die Führungskraft wurde das Werkzeug wie vorgegeben
verwendet. Beim Weggehen der Führungskraft von der Station, konnte das häm-
mernde Geräusch des Einschlagens wieder gehört werden. Das Fehleraufkommen in
der Nacharbeit blieb.

Osten (2006) hat das Thema in seinem Buch, mit dem Titel „Die Kunst Fehler zu
machen“, auch aus asiatischer Sicht beleuchtet und verarbeitet.

26.3 Lernende Organisation

Je nach Ausrichtung der Organisationsstruktur und der Führungsweise wird das Experi-
mentieren, Lernen und Optimieren unterstützt. Eine horizontale Organisation im Sinne
der Ablauforganisation ist prozessorientiert und damit eine gute Voraussetzung für eine
Weiterentwicklung der Organisation im Sinne von Lean. Eine hierarchisch geprägte
Aufbauorganisation hat eine vertikale Ausrichtung. Diese ist für eine Prozessdenkweise
nicht förderlich und fokussiert nur auf die lokalen Optimierungen in einzelnen Abteilun-
gen. Der Unterscheid zwischen vertikaler und horizontaler Organisation hat einen Ein-
fluss auf die Realisierung einer lernenden Organisation. Im einen Fall ist die Umsetzung
gehemmt, während im anderen Fall die Weiterentwicklung ermöglicht wird (Tab. 26.3).
Die lernende Organisation soll im Sinne einer Ausbildung, Weiterbildung und des
Sammelns von Erfahrungen verstanden werden. Der folgende aus dem Englischen über-
setzte Satz stammt angeblich von Taiichi Ohno (Miller 2006): „Ausbildung ist Lehren,

Tab. 26.3  Vergleich einer vertikalen mit einer horizontalen Organisation. (Erweiterung auf Basis
von Liker und Trachilis 2015, S. 28)
Vertikale Organisation Horizontale Organisation
Fokus auf Produktion und Leistungserstellung Fokus auf Prozesse
Budgets und Produktionsstarts Zweck
Zahlen erreichen Probleme sichtbar machen
Führungskräfte abseits der Arbeit Führungskräfte konzentrieren sich auf die
Arbeit
Management per „Fernbedienung“ Shopfloor Management
Einfallsreichtum der Mitarbeiter wird genutzt, Einfallsreichtum der Mitarbeiter wird genutzt,
um das System zu schlagen um das das System zu verbessern
Vorgesetzte steuern Mitarbeiter Vorgesetzte arbeiten mit ihren Mitarbeitern, um
anfallende Probleme zu lösen
Hierarchie, Abschottung, Konkurrenzdenken Interdisziplinarität und Lernen
26.4 Lean-Transformation 357

was man nicht weiß und Training ist wiederholtes praktisches Üben von dem, was man
weiß. Wir brauchen nicht nur Bildung, sondern brauchen auch Training.“
Durch permanentes Lernen entwickelt sich das Unternehmen weiter. Wenn Kaizen als
Basis funktioniert und die Veränderungsbereitschaft weiter steigt, besteht die Möglich-
keit für eine lernende Organisation. Diese kontinuierliche Weiterentwicklung der Erfah-
rung und die damit verbundene Verbesserung (Kaizen) ist als Unternehmenskultur ein
zentraler Wettbewerbsvorteil.
Lernen bedeutet, aus der Komfortzone herauszukommen und sich in die „Lernzone“
zu begeben. Die Aufgabe, nicht zu unter- oder überfordern, ist vom Mentor bzw. der
Führungskraft zu übernehmen. Die Coaching-Kata (Rother 2013) verfolgt diesen Ansatz
und stellt gleichzeitig die Befähigung des Coaches bzw. Mentors sicher.
In einer lernenden Organisation sind Fehler erlaubt (Abschn. 26.2). Die Philosophie
des Experimentierens und der Vorgehensweise nach „Try and Error“ ist zu leben. Das
Erfolgserlebnis beim Experimentieren, der sogenannte „Aha-Effekt“, ist notwendig für
ein Lernen. Dieser Effekt sorgt für die notwendige Begeisterung, welche zu dem Effekt
führt, dass die Mitarbeiter Lust auf mehr davon bekommen. Durch die Betroffenheit der
Mitarbeiter und der Organisation von Problemstellungen steigt die intrinsische Motiva-
tion der Problemlösung und der Weiterentwicklung. Erfolge werden transferiert, indem
die Vorteile auch anderen Bereichen vorgestellt werden. Durch die Anwendung von
Lösungen in anderen Bereichen werden diese durch das ganze Unternehmen weiterge-
tragen.
Lernen muss erlernt werden. Dabei kommt den Führungskräften eine entscheidende
Rolle zu, denn sie müssen das Lernen unterstützen. Dies ist vergleichbar mit der Unter-
stützung im Shopfloor Management (Abb. 25.1 und Kap. 25). Die Führungskräfte sind
die Lehrer, der Betrieb wird zum Klassenzimmer. Am Ort der Wertschöpfung findet das
Erfahrungslernen genau dann statt, wenn es notwendig ist. Vergleichbar ist dies mit dem
Just-in-time-Prinzip. Es entsteht ein Kreislauf des Lernens. Die Führungskraft stößt den
Lernprozess beim Mitarbeiter durch sokratisches Fragen an. Der Mitarbeiter lernt dabei
und die Führungskraft lernt mit ihm und hinterfragt erneut. Dies erfolgt im gesamten
Unternehmen, sodass sich die Organisation weiterentwickelt.
Der Wissensaufbau ist ein Wettbewerbsvorteil. Gelingt es, permanent und schneller
zu lernen als der Wettbewerb, übernimmt die Organisation die Führungsrolle. Katsuaki
Watanabe sagte 2007 als Präsident der Toyota Motor Coorporation, dass der Lernprozess
in Bezug auf den Toyota-Weg nie vollendet sei (Steward und Raman 2007).

26.4 Lean-Transformation

Die meisten unternehmerischen Probleme entstehen aufgrund der Unfähigkeit, einen


Veränderungsprozess zu konzipieren bzw. zu leiten. Implementierungsbarrieren und
Hindernisse bei der Einführung von Lean sind (ergänzt nach von Eckardstein und Seidl
1999, S. 453 ff.):
358 26 Führung und Kultur

• Kultur
– Extrem veränderungsresistente Unternehmenskultur
• Top-Management
– Mangelnde Unterstützung
– Ungenügendes Verständnis
– Fehlende klare Vision
– Mangelhafte Kenntnisse und eingeschränktes Verständnis von Lean
– Störungen in der Beziehung zum Arbeitnehmer
• Mittleres Management
– Starke Opposition und „Neinsager“
– Fehlende Bereitschaft, Teams zu befähigen
– Rollenprobleme
• Mitarbeiter
– Fehlende Entwicklung einer kritischen Masse an Menschen mit Lean-Fertigkeiten
und Lean-Fähigkeiten
– Mangelnde Teamfähigkeit
– Beschränktes Verständnis und Problembewusstsein für die Erfolgsfaktoren Pro-
zessdenken, Kundennähe und Qualität
– Das Lernen verlernt
• Einführung
– Fehlen einer guten Einführungsorganisation
– Schablonenhafte Konzeptgestaltung
– Zu hohe Geschwindigkeit
– Unwissenheit darüber, wo angefangen werden soll
• Organisation
– Bereichsübergreifende Probleme aufgrund der Inflexibilität großer Organisationen
– Traditionelle Denk- und Arbeitsstrukturen
– Instabile Prozesse
– Aktuelle Zielvereinbarungen, Systeme und Kennzahlen (z. B. Arbeitseffizienz)
behindern den Fortschritt
– Fehlende Ressourcen und Infrastruktur

Trotz klarer Vorteile und des Willens, Lean einzuführen, kommen Unternehmen auf dem
Weg durch Unwägbarkeiten und aufkommende Schwierigkeiten nicht voran. Die Imple-
mentierungsbarrieren sind bei jeder Einführung bzw. jedem Veränderungsprozess ähnlich
und bedürfen eines Change Managements (vgl. Kostka 2016).
Kleine Schritte bringen den gewünschten Erfolg. Dabei sind Disziplin und Kon-
sequenz von entscheidender Wichtigkeit. Fokussiert die Führungsebene nicht auf das
permanente Streben nach Verbesserung, wird es keine Bewegung geben. Lean ist kein
Programm zur Befähigung von Methoden, sondern eine unternehmensweite Notwen-
digkeit. Ein Schulungsprogramm, für das ein Vorstand den Auftrag erteilt hat und selbst
unbeteiligt ist, wird scheitern.
26.4 Lean-Transformation 359

Die Einführung und Implementierung von Lean kann nur durch eine Umsetzung top-
down und bottom-up erfolgen. Durch die Umsetzung von Maßnahmen in beide Richtun-
gen kann die „harte Nuss“ wie bei einer Zangenbewegung geknackt werden (Abb. 26.2).
Fehlt eine der Ebenen, kann keine Umsetzungskraft realisiert werden. Verschiedene The-
men und Aktivitäten greifen die Themen der Lean-Transformation an und realisieren die
Potenziale.
Eine Lösung für die vertikale Einführung geht über die Ebenen stufenweise voran,
von der Einzelperson bis zum Gesamtunternehmen. Lean fängt immer bei der eigenen
Person an. Nach der Selbstorganisation mit 5S, der Eliminierung von Verschwendung in
Prozesszeiten und Verbesserung der Ergonomie folgt im zweiten Schritt die Zusammen-
arbeit über Teams hinweg. Dies wird mittels Standardisierung und der Einführung von
Regeln durchgeführt. Dies führt zu einer verbesserten Qualität und Kundenorientierung.
Der dritte Schritt ist die Prozessoptimierung mittels des Wertstroms und des Problem-
löseprozesses. Dadurch werden Kosten und Durchlaufzeiten gesenkt. Im letzten Schritt
geht es um das Steuern mit Kennzahlen und dem Shopfloor Management, was eine
Eigenverantwortung und Prozessdenke entwickelt.
Die globale Lean-Transformation startet in einem Hauptwerk (Leuchtturm) und ver-
breitet sich weiter an internationale Standorte. Eine Differenzierung bezüglich der Adap-
tion findet hier aufgrund der unterschiedlichen Prozessniveaus statt. Die Kultur, Führung
und Kommunikation bestimmen die Anpassungen. Die Vision und das Ziel sollten welt-
weit einheitlich sein.

Verständnis beim
Aufbau einer Verbesserungsorganisation
Management
Krise (erzeugen) Hoshin Kanri
Sollzustand
entwickeln Shopfloor Management

Management

harte Nuss

Shopfloor

Trainings KPIs Verbesserungsaktivitäten


hintereinanderschalten
Team &
Problemlösungsprozess
Hancho
5S und standardisierte Arbeit

Abb. 26.2  Lean-Einführung als Zangenbewegung top-down und bottom-up. (In Anlehnung an


Weiß et al. 2015, S. 371)
360 26 Führung und Kultur

Die Strategie, die Kultur und das Umfeld müssen für die Einführung von Lean und
die Transformation passend ausgerichtet sein. Sind gewisse Voraussetzungen nicht
geschaffen, verläuft die Umsetzung nicht ideal oder wird scheitern (Tab. 26.4). Weitere
Stellhebel werden durch Weiß et al. (2015, S. 367 ff.) aufgezeigt.
Das realisierbare Potenzial ist das mögliche Potenzial multipliziert mit den Fähigkei-
ten einer Organisation (Gl. 26.1).
Potenzialrealisierbar = Potenzialmöglich · FähigkeitenOrganisation (26.1)
Ist das Unternehmen nicht zur Transformation fähig und verfügt es nicht über die not-
wendigen Voraussetzungen, so wird bei einem noch so hohen Potenzial das realisierbare
Potenzial „Null“.
Neben der Nutzung von Change Management benötigt es für die Einführung eine
strukturierte Vorgehensweise. Die Vorgehensweise ist vorzuleben und in Pilotbereichen
anzuwenden. Danach folgt der Transfer in andere Bereiche durch ein breites Ausrollen.
Die Pilotbereiche wirken als Leuchttürme für andere Bereiche. Lean bedeutet eine Kul-
turveränderung und kontinuierliche Verbesserung im Alltag.

Tab. 26.4  Voraussetzungen für die Lean-Einführung bzw. die Lean-Transformation


Voraussetzungen Umsetzung
Offenes und ehrliches • Probleme annehmen, keine Schuldzuweisungen
Management • Transparenz und in Zahlen, Daten, Fakten sprechen
• Klare, offene, regelmäßige Kommunikation
• Vorbilder, Rückendeckung
Fruchtbarer Boden und • Bereitwilligkeit und Motivation, Fähigkeiten und Fertigkeiten
Einführungsdruck • Verfügbare Ressourcen
• Dringlichkeit, Krise, Notwendigkeit
• Erfolge
Verständnis und Bewusstsein • Befähigung, Training kaskadiert, top-down und bottom-up
• Lean Zusammenhänge und Wirkung
• Organisatorisches lernen
• Leistungsmanagement
Change Management • Management, Führungskräfte und Sponsoren
• Klarer Startpunkt (Ist) sowie Zielpunkt bzw. Vision (Soll)
• Implementierungsplan
• Weg aufzeigen und kommunizieren
Konstituierter, ganzheitlicher • Vision entwickeln und gemeinsam tragen
Ansatz • Mit Pilotbereich beginnen und weiter ausbauen
• Systeme entwickeln, statt Werkzeuge und Methoden anwenden
• Kulturelle Veränderung anstreben
26.5 Expertenfragen 361

Beispiel
Akers (2016) zeigt das breite Ausrollen von Ideen mit seinem Gedanken von
„2 Second Lean“: Jeder Mitarbeiter soll jeden Tag seinen Prozess um zwei Sekunden
verbessern. Das ist machbar und bringt durch die Anzahl an Mitarbeitern und Tagen
im Jahr eine große Einsparung. Die guten Beispiele werden jeden Morgen in einer
Frühbesprechung vorgestellt (Akers 2016, S. 55 ff.).

Ernsthaftes Ziel ist das „Lean Enterprise“ als ein ganzheitlich nach Lean ausgerichte-
tes Unternehmen. Lean startet in der Regel in der Produktion und setzt sich von dort in
die indirekten Bereiche fort. Der Einsatz der Methoden erfolgt weiter über das gesamte
Unternehmen in alle Bereiche. Die Umsetzung erfolgt auf den Ebenen der Hardware und
Prozesse, der Software und Strategie sowie der Humanware und Kultur (Tab. 26.5).
Die Lean-Transformation entwickelt sich schrittweise analog einer Evolution mit dem
Ziel einer operationalen Exzellenz und dem Lean Enterprise. Der Ablauf kann in vier
Schritte eingeteilt werden (Tab. 26.6).
Von der Lean-Einführung und Umsetzung profitieren verschiedene Parteien
(Tab. 26.7).
Auf einen Punkt zusammengefasst bedeutet Lean: Ein einfaches, sicheres und bes-
seres Produkt sowie eine zufriedene und engagierte Belegschaft. Lean ist simpel, nicht
kompliziert. Bei der Umsetzung sollte nicht alles auf einmal angefangen, sondern Schritt
für Schritt vorgegangen werden. Lean muss einfach begonnen und sehr diszipliniert wei-
terverfolgt werden.

26.5 Expertenfragen

Folgende Fragen gehen auf das Themenfeld Führung und Kultur ein
• Agiert das Unternehmen als lernende Organisation?
• Ist die Reaktion auf Fehler positiv?
• Ist eine Problemlösungskultur vorhanden?
• Fördern Führungskräfte das Lernen?
• Wie wird aus den Aktivitäten gelernt?
• Wie findet der Wissensaustausch statt?
• Wie wird die Lean-Kultur gestaltet?
• Wird die Lean-Philosophie vorgelebt?
• Agieren alle Führungskräfte als Vorbild?
• Agieren die Führungskräfte als Mentoren für lernende Mentees?
• Ist Lean nur ein Alibi oder ist Lean im Denken und Handeln als Haltung verankert?
• Sind Führung und Prozessverständnis miteinander verbunden?
• Sind die richtigen Kompetenzen für die Tätigkeit vorhanden?
• Sind die Zielzustände klar und an die Mitarbeiter kommuniziert?
362

Tab. 26.5  Die drei Elemente einer ganzheitlichen Lean-Transformation. (Ergänzt auf Basis von Drew et al. 2005, S. 38)
Hardware Software Humanware
Prozess Strategie Kultur
Technisches System Managementinfrastruktur Einstellung und Verhalten
Sichtbar Teilweise sichtbar Unsichtbar
Anlagen und Ressourcen, um die Wertschöp- Organisation, Prozesse und Systeme zur Beein- Denk und Handlungsweisen auf allen Unter-
fung bei nur minimalen Verlusten zu erbringen flussung des technischen Systems nehmensebenen, mit denen die Systeme und
Strukturen unterstützt werden
Die Art und Weise, wie Unternehmenswerte und Die formalen Strukturen, Prozesse und Systeme, Die Art, wie Menschen denken, fühlen und sich
Ressourcen konfiguriert und optimiert werden, mit denen das betriebliche System gesteuert an ihrem Arbeitsplatz verhalten, sei es individu-
um Werte zu schaffen und Verluste zu minimie- wird, um die Unternehmensziele zu erreichen ell oder als Gruppe
ren
• Prinzipien und Methoden • Organisationsstruktur mit Teamgrößen und • Lean Thinking
• Wertstrom Rollen • Verständnis und Bewusstsein
• Fluss, Takt, Pull-Prinzip • Kennzahlen • Einstellung und Verhalten
• Flexibilität • Kontinuierliche Verbesserung • Führungskräfterolle
• Standardisierte Abläufe • Qualifikation • Respekt und Disziplin
• Kleine Regelkreise • Fehlerkultur/Lernkultur
• Präsenz Vorort
• Lean in allen Bereichen im Einsatz • Ganzheitlicher Zielableitungsprozess • Lean Philosophie gelebt
• Ganzheitliches Denken in Prozessen und • Gemeinsames Ziel ist die Nachhaltigkeit des • Führung gemäß Lean Leadership
Wertströmen Unternehmens • Qualifizierung und Befähigung
• Verschwendung eliminieren • Der Kunde steht im Mittelpunkt • Voraussetzungen für Beförderung und Perso-
nalentwicklung
26 Führung und Kultur
26.6 Zusammenfassung 363

Tab. 26.6  Vier Schritte im Transformationsprozess


Stadium Ansatz Fokus Treiber
Kind Point-Kaizen, Workshops Methoden Externer Berater
Teenager Audit, Best-Practice, Training Produktionssystem Top Management Push
Erwachsener Shopfloor Management Implementierung Top Management Pull
Meister (Sensei) Lernende Organisation Toyota Way Organisation Pull

Tab. 26.7  Profiteure einer Lean-Einführung


Kunden Unternehmen Mitarbeiter
• Flexible Anpassung an • Erarbeitung nachhaltiger Wettbe- • Verbesserte Arbeitsbedingungen
Kundenanforderungen werbsvorteile • Übernahme von Verantwortung
(JIT, schwankende • Flexible Reaktion auf sich • Langfristige Sicherung von
Nachfrage, etc.) ändernde Rahmenbedingungen Arbeitsplätzen durch Wettbe-
• Produktqualität • Kontinuierliche Implementie- werbsfähigkeit
rung neuer Produktionskonzepte

• Lösen Zielzustände keine „Angstzustände“ aus?


• Werden die Mitarbeiter zur Prozessoptimierung gecoacht, ohne dass Lösungen vorge-
geben werden?
• Ist die Kultur offen für eine Weiterentwicklung und den Wandel?
• Haben das Top-Management und die Führungskräfte genügend Lean-Verständnis und
Bewusstsein?
• Steht das Management hinter der Lean-Einführung?
• Ist Lean als Philosophie und nicht als Projekt eingeführt?

26.6 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Führung und Kultur


• Die Art der Menschenführung ist ein zentrales Element bei der gemeinsamen
Umsetzung von Lean. Lean-Methoden funktionieren nicht ohne einen Lean-Ansatz
in der Führung und Kultur.
• Gewohnheiten und Verhalten der Belegschaft liegen am Management und an der
Führung. Um alle zu erreichen, ist viel Empathie notwendig, sodass Veränderun-
gen nicht als Zwang empfunden werden.
• Leadership meint Wertschätzung und Wertsteigerung. Zentrale Begriffe sind „Men-
schen“, „Sinn“, „Leistung“ und „Entwicklung“.
• Die Verantwortung wird an die Mitarbeiter übergeben. Anstelle der Vorgabe von
Lösungen oder Antworten wird durch Fragen geführt, im Sinne des Coachings.
364 26 Führung und Kultur

• Die Zusammenarbeit der Führungskraft mit den Mitarbeitern wird vor Ort am
Shopfloor vollzogen.
• Gearbeitet wird in einer Mentor-Mentee-Beziehung. Durch das Mentoring fokus-
siert die Führungskraft indirekt auf die Verbesserung der Prozesse und die Prob-
lemlösung. Mitarbeiter werden gefördert und gefordert.
• Der Lean-Leadership-Diamant zeigt die Elemente mit vier Dimensionen auf: Ver-
pflichtung zur Selbstentwicklung, Coachen und entwickeln, täglicher KVP sowie
Visionen und Ziele.
• Eine positive Fehlerkultur bedeutet, Lösungen statt Schuldige zu suchen. Die
Schuld ist im Prozess bei den Standards, den Visualisierungen oder der Qualifizie-
rung zu suchen.
• Erst wenn der gleiche Fehler wiederholt auftritt, spricht man von einem Fehler.
Das erstmalige Auftreten wird als Irrtum gewertet.
• Eine horizontale Organisation im Sinne der Ablauforganisation ist prozessorien-
tiert und damit eine gute Voraussetzung für eine Weiterentwicklung der Organisa-
tion im Sinne von Lean.
• Durch permanentes Lernen entwickelt sich das Unternehmen weiter.
• Die Philosophie des Experimentierens mit der Vorgehensweise nach „Try and
Error“ ist zu leben.
• Erfolge werden transferiert, indem die Vorteile in anderen Bereichen dargestellt
werden.
• Die Führungskraft stößt den Lernprozess beim Mitarbeiter durch sokratisches Fra-
gen an. Der Mitarbeiter lernt dabei und die Führungskraft lernt mit ihm und hinter-
fragt erneut. Es ergibt sich ein Kreislauf des gemeinsamen Lernens.
• Die Einführung und Implementierung von Lean kann nur durch eine Umsetzung
top-down und bottom-up erfolgen. Dies entspricht einer Zangenbewegung, wie bei
einem „Nussknacker“.
• Ernsthaftes Ziel für ein ganzheitlich nach Lean ausgerichtetes Unternehmen ist das
„Lean Enterprise“.
• Die drei Elemente einer ganzheitlichen Lean-Transformation sind die Hardware,
die Software und die Humanware.

Fragen
• Wie können Lean Leadership und die traditionelle Führung verglichen werden?
• Wie kann die Vorgehensweise der Mentor-Mentee-Zusammenarbeit beschrieben
werden?
• Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Hansei“?
• Wie können eine vertikale und eine horizontale Organisation unterschieden werden?
• Welche Umstände begünstigen das Auftreten von Problemen in den Themenbe-
reichen Kultur, Top-Management, mittleres Management, Mitarbeiter, Einführung
und Organisation?
Literatur 365

• In welcher Schrittabfolge lässt sich Lean implementieren?


• Welche Voraussetzungen müssen für die Umsetzung von Lean erfüllt sein?
• Der Ablauf der Lean-Transformation kann in vier Schritte eingeteilt werden. Wie
lauten Fokus, Ansatz und Treiber für diese vier Stadien?

Literatur

Akers PA (2016) 2 second lean: how to grow people and build a fun lean culture at home & at
work, 3. Aufl. FastCap Press, Ferndale
Bad Ditzenbach (1976) Mitteilungsblatt Gemeinde Bad Ditzenbach vom 29.04.1976, 2. Jg. Nr. 17.
Uhingen
Best D, Hurtz A (2014) Raus aus der Lean-Falle – Lean erfolgreich zur Gewohnheit machen,
1. Aufl. BusinessVillage, Göttingen
Drew J, McCallum B, Roggenhofer S (2005) Unternehmen Lean – Schritte zu einer neuen Organi-
sation. Campus, Frankfurt
Eckardstein D von, Seidl M (1999) Lean Management. In: Eckstein D von, Kasper H, Mayrhofer W
(Hrsg) Management: Theorien, Führung, Veränderung. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, S 431–459
Gorecki P, Pautsch P (2013) Praxisbuch Lean Management – Der Weg zur operativen Excellence.
Hanser, München
Hagen JU (2013) Fatale Fehler – Oder warum Organisationen ein Fehlermanagement brauchen.
Springer Gabler, Berlin
Hartmann T (2008) Bestände sind böse: Produktion als strategische Waffe – Ein Arbeitsbuch für
Unternehmer, 2. Aufl. Unternehmer Medien, Bonn
Köhler A (2006) Fliegende Autos. Wirtschaftswoche 1-2:36–42
Kostka C (2016) Change Management – Das Praxisbuch für Führungskräfte. Hanser, München
Liker JK (2013) Der Toyota Weg – 14 Managementprinzipien des weltweit erfolgreichsten Auto-
mobilkonzerns, 8. Aufl. Finanzbuch, München
Liker JK, Hoseus M (2016) Die Toyota Kultur – Das Herz und die Seele von „Der Toyota Weg“,
2. Aufl. Finanzbuch, München
Liker JK, Trachilis G (2015) Lean Leader auf allen Management-Ebenen entwickeln – Ein prakti-
scher Leitfaden, 1. Aufl. Lean Leadership Institute, Winnipeg
Miller J (2006) Words of Taiichi Ohno sensei, part 3: the top 8 pearls of wisdom on kaizen. Blogbei-
trag 13.07.2006. https://blog.gembaacademy.com/2006/07/13/words_of_taiichi_ohno_sensei_p_2/.
Zugegriffen: 1. Nov. 2017
Osten M (2006) Die Kunst, Fehler zu machen, 2. Aufl. Shurkamp, Berlin
Rother M (2013) Die KATA des Weltmarktführers, 2. Aufl. Campus, Frankfurt
Shibata M, Kaneda H (2015) In: Mittelhäußer W (Hrsg) Das beste Management oder managen
wie Toyota – DNA zur steten Unternehmenserneuerung – Das Toyota-System, 1. Aufl. Adept-
Media, Bedburg
Steward TA, Raman AP (2007) Lessons from toyota’s long drive. Harvard Bus Rev 7:74–83
VDI (2012) VDI-Richtlinie 2870 Blatt 1, Ganzheitliche Produktionssysteme – Grundlagen, Ein-
führung und Bewertung. Verein Deutscher Ingenieure (Hrsg), Beuth, Berlin
Weiß E, Strubl C, Goschy W (2015) Lean Management – Grundlagen der Führung und Organisa-
tion lernender Unternehmen, 3. Aufl. Schmidt, Berlin
Der Mensch
27

Das einzige, mit dem man verschwenderisch umgehen darf, ist


Wertschätzung.
In Anlehnung an Mario Schmidt

Zusammenfassung
Die gesamte Lean-Thematik dreht sich um den Menschen. Die Menschen sind das
zentrale Element jedes Produktionssystems. Nachhaltige Wertschöpfung findet durch
Wertschätzung statt. Lean ist Wertschätzung an den Mitarbeitern. Wird Personalent-
wicklung mit Lean gekoppelt, ergeben sich Stellhebel und weitere Potenziale.

Knalsch GmbH: Menschen einstellen


„Chef, Entschuldigung?“, Claudia Beck und Kai Lupfer kommen durch die ange-
lehnte Bürotür. „Wir haben ein Problem“, sagt Assistentin Claudia Beck.
„Na, dann lösen wir es mit der Problemlösetechnik“, sagt Alsch.
„So einfach ist das nicht“, mischt sich Lupfer ein. „Die Mitarbeiter haben ver-
standen, was die Firma vorhat, aber manche Meister machen einfach nicht mit.
Und Kai Lupfer hat mitbekommen, wie ein Meister aus dem Nachbarbereich in der
Spätschicht zu einem Mitarbeiter, der eine Idee hatte, sagte: Sie werden hier nicht
fürs Denken bezahlt, sondern fürs Arbeiten.“
Alsch: „Oh, das riecht wirklich nach einem größeren Thema. Warum finden die
Meister die neuen Prozesse nicht auch besser?“
Henry Fischer der Betriebsrat der Alsch GmbH kommt durch die offene Büro-
tür herein: „Herr Dr. Alsch, Entschuldigung, dass ich so reinplatze, aber offene Tür
heißt offene Tür. Und da der Lupfer auch gerade da ist, passt das ja wunderbar.“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 367


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_27
368 27 Der Mensch

Alsch: „Ja, natürlich, Herr Fischer, was gibt es denn?“


Fischer: „Dieses neue Thema, das jetzt überall bei uns auftaucht, lässt mir keine
Ruhe: Der Mensch im Mittelpunkt. Soll das etwa heißen, der Mensch steht alleine
umringt von Anlagen, rotiert und schafft sich ab? Oder ist es nur so: Der Mensch
ist Mittel – Punkt. Er ist nur ein Werkzeug und Basta.“
Alsch: „Herr Fischer, ich bitte Sie. Für mich sind die Menschen wichtig. Jede
Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter bei der Knalsch GmbH steht im Mittelpunkt.
Das eint unsere Meinung und da sind wir ganz beieinander. Wir passen die Pro-
zesse an den Menschen an, nicht umgekehrt.“
Fischer: „Na dann los, denn unsere Meister sind nicht so begeistert von dem
ganzen schlanken Zeug.“
Alsch: „Ja, die sträuben sich irgendwie, davon habe ich auch gerade gehört.“

27.1 Lean und der Mensch

Unternehmen, welche sich mit dem Thema der Optimierung beschäftigen, messen ihre
Umsetzungserfolge mit unterschiedlichsten Kennzahlen. Wie messen Unternehmen den
Umsetzungserfolg ihrer Verbesserungen? Die folgende Kennzahlenhierarchie kann zur
Erkennung des Lean-Reifegrades herangezogen werden:

• (noch) nicht
• über monetäre Einsparungen
• über Qualitätskennzahlen
• über die Kundenzufriedenheit
• über die Mitarbeiterzufriedenheit

Je mehr ein Unternehmen seine Erfolge anhand der Mitarbeiterzufriedenheit misst, umso
mehr Verständnis ist für die Lean-Handlungen und die Lean-Denkweise im Unterneh-
men vorhanden.
Der Unternehmenswert kann, anstatt durch betriebswirtschaftliche Rechnungen,
über die folgende Gleichung mit Fokus auf die Mitarbeiter berechnet werden (Gl. 27.1).
Innerhalb der Motivation geht es bei den Mitarbeitern um das Dürfen, das Können und
das Wollen. Ist ein Faktor klein oder gleich Null, reduziert sich analog der Unterneh-
menswert.
Unternehmenswert = Mitarbeiteranzahl · Fähigkeiten · Motivation (27.1)
Das zentrale Motto von Toyota lautet: „Wir entwickeln nicht nur Autos, wir entwickeln
Menschen“ (Becker 2006, S. 217; Liker und Meier 2013, S. 27). Dies ist auch unter den
27.1 Lean und der Mensch 369

japanischen Begrifflichkeiten „Monozukuri wa Hitozukuri“ – „Dinge machen bedeu-


tet Menschen bilden“, bekannt (Furukawa-Caspary 2016, S. 43). Für Toyota sind die
Mitarbeiter das wertvollste Gut und Kapital in seinem Unternehmen. Dies erklärt auch
den Sicherheitsgedanken, der an erster Stelle steht (Abschn. 3.3). Das Entwickeln von
Menschen bringt die Philosophie und Vision von Toyota (2017) in der „Toyota Global
Vision“ zum Ausdruck: „Engaging the talent and passion of people. The power of our
organization comes from the skill and diversity of our team members and business part-
ners (…) solving problems and creating new ideas.“ Die Organisation gedeiht, wenn
die Aktivität der Menschen und deren Einfallsreichtum genutzt werden (Abschn. 26.3).
Fujio Cho, der Chairman von Toyota im Jahr 2007, schrieb (Toyota 2007, S. 7): „We
believe that ‚making thinks‘ is about developing people. So we have taken a long-term
approach that aims to cultivate employees.“
Lean-Umsetzungen sind kein Personalfreisetzungsprogramm. Dies wurde bereits im
Themenfeld der Austaktung behandelt (Abschn. 6.6). Wer Personal entlässt, hat Lean
missbraucht und zerstört den Begriff im gesamten Unternehmen für immer. Alle Lean-
Methoden wurden für den Menschen gemacht und nicht gegen ihn. Die Vermeidung von
Muda, im japanischen Sinne von „sich abmühen“, nimmt Mühe vom Menschen und eli-
miniert ihn nicht. Die Geschichte, dass aus Baka Yoke (idiotensicher) Poka Yoke (feh-
lersicher) wurde (Abschn. 9.3), zeigt die Umsicht und die Wichtigkeit des Menschen im
Produktionssystem. Ein Lean-System ist weniger monoton, mit weniger Stress verbun-
den und erzeugt keine Überforderung. Alle Mitarbeiter werden eingebunden und können
ihren Arbeitsplatz mitgestalten und verbessern. Mit der vorhandenen Kreativität findet
die Optimierung im Unternehmen statt.
Toyota stellt den Menschen in die Mitte von Technik, Management und Philosophie.
Er bildet durch seine erlernten Fähigkeiten einen langfristigen Unternehmenswert. Wäh-
rend Maschinen abgeschrieben werden und einen Wertverlust haben, lernen Menschen
hinzu und erzeugen einen Wertzuwachs (Liker 2013, S. 254). Der Mensch steht auch
im Toyota-Produktionssystem im Zentrum (Liker und Trachilis 2015, S. 18). In ande-
ren Darstellungen von Toyota wird das „TPS“ zusätzlich als „Thinking People System“
beschrieben.
Die Achtung des Menschen mit den Werten Respekt und Teamwork sind zentrale
Elemente des Toyota-Wegs (Toyota 2010, S. 4 f.). Diese Elemente gehören zum soge-
nannten Toyota-Humansystem-Modell (Liker und Hoseus 2016, S. 76 ff.). Es zielt dar-
auf ab, dass Mitarbeiter gewonnen werden, entwickelt werden und sich engagieren sowie
inspirieren. In dieser Sichtweise kann Lean mit der folgenden Formel erklärt werden
(Gl. 27.2).
Lean = Kaizen + Respekt (27.2)
370 27 Der Mensch

27.2 Der Mensch im Mittelpunkt

„Der Mensch im Mittelpunkt“ ist der aktuelle Satz, um den Mitarbeitern die Wichtigkeit
zukommen zu lassen, welche notwendig ist. Im Umfeld von Industrie 4.0 (Abschn. 13.5)
mit der Automatisierung und Digitalisierung von Prozessen darf der Mensch nicht in den
Hintergrund gelangen. Die Mitarbeiter sind keine Ressource, die Mitarbeiter sind Men-
schen und als solche nicht jeglicher anderen materiellen Ressource gleichzusetzen.

Beispiel
Gottlieb Duttweiler prägte den Leitsatz „Der Mensch im Mittelpunkt und nicht das
Kapital.“
In einer Gewerkschaftszeitung wurde „der Mensch als Mittelpunkt“ in Form eines
rotierenden und von lediglich Maschinen umgebenen Mitarbeiters dargestellt (IG
Metall Vorstand 2011, S. 7; IG Metall Stuttgart 2015, S. 1).
Oswald Neuberger, Professor für Organisationspsychologie, zeigte die Diskrepanz
auf und titelte: „Der Mensch als Mittel. Punkt“ (Neuberger 1990).

Auch wenn sich beim Thema Mensch alle einig zu sein scheinen, gibt es offensichtlich
Diskrepanzen und Reibungspunkte.
Der Betriebsrat nimmt als Arbeitnehmervertretung gerne eine Gegenposition zu Lean
ein. Dies liegt meist an der Interpretation des Begriffs durch die Unternehmensführung. Im
Grundzug sind Betriebsräte im Gleichklang mit der Lean-Thematik. Im Verständnis der
Wettbewerbsfähigkeit ist Lean unabdingbar und sichert Arbeitsplätze (IG Metall Vorstand
2011, S. 41 ff.). Lean ist ein langfristiges Zukunftsthema. Wichtig ist, die Arbeitnehmerver-
treter von Beginn an in die strategischen Schritte einzubeziehen. So schwierig dies erschei-
nen mag, so ist es die beste Entscheidung. Eine frühzeitige Klärung schafft Klarheit für
alle. Themen zu verdecken führt für beide Seiten zu Schwierigkeiten, einem Vertrauens-
verlust und letztendlich zu einer Ablehnung. Lean ist kein Problemthema, sondern ein Wei-
terentwicklungsschritt einschließlich einer Weiterbildung und Weiterentwicklung für die
Belegschaft. Richtig verstanden argumentiert die Lean-Denkweise in Richtung der Beleg-
schaft eines Unternehmens und somit auch im Sinne einer Arbeitnehmervertretung.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Lean ist in Howaldt und Minssen
(1993) sowie Hans-Böckler-Stiftung und Industriegewerkschaft Metall (1992) nachzule-
sen. Regber und Zimmermann (2007) zeigen, dass auch der Betriebsrat Teil des Unter-
nehmens ist. Gibt es aufgrund einer Krise das Unternehmen nicht mehr, braucht es auch
den Betriebsrat nicht mehr.
Die Umsetzung von Optimierungen bedeutet immer, nach einer Lösung zu suchen,
welche den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das bedeutet auch, rechtzeitig zu infor-
mieren, was mit den frei werdenden Mitarbeitern geschehen wird. Unklarheiten bringen
Widerstand und Stillstand in eine Verbesserung. Voran geht es mit einer Sensibilisierung
der Mitarbeiter und mit Transparenz.
27.3 Personalentwicklung 371

Glauser (2005, S. 16) zeigt mittels der „Deming’schen Kettenreaktion“ auf, dass
Lean neue Arbeitsplätze schafft. Eine Qualitätsverbesserung erzeugt eine Kostensen-
kung (s. auch Abschn. 23.1). Ressourcen werden besser genutzt und es gibt weniger
Verschwendung. Die Kostenreduktion bringt eine Produktivitätssteigerung. Mit einem
besseren Preis und besseren Kosten werden neue Märkte erschlossen und ein höhe-
rer Absatz generiert. Die damit einhergehende Existenzsicherung für das Unternehmen
sichert Arbeitsplätze und eine Steigerung des Absatzes schafft Arbeitsplätze.

Beispiel
Die Firma fischer bringt ihre Mitarbeiterorientierung in einem gelebten Leitbild zu Aus-
druck: „Das größte Kapital und der wichtigste Erfolgsfaktor in unserem Unternehmen
sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nicht Anlagen und Gebäude!“ (Fischer 2017).

Essenziell ist es, sich der Mitarbeiter anzunehmen und sich um sie zu kümmern. In den
Jahren 1924 bis 1932 wurden in der Hawthrone-Fabrik der Western Electric Company in
Chicago verschiedene Studien durchgeführt (Parsons 1974). Eine sollte zeigen, dass ver-
besserte Lichtverhältnisse zu einer höheren Arbeitsproduktivität führen. Im ersten Schritt
trat das vermutete Ergebnis ein. Doch in einer Vergleichsgruppe ohne Lichtveränderung
stieg die Produktivität ebenso. Als das Licht dunkler geschaltet wurde, stieg die Arbeits-
produktivität weiter. Selbst bei Mondlicht stieg die Leistung weiter an. Dieser Effekt ist
bekannt als der Hawthrone-Effekt. Er zeigte, dass die Leistung durch die Aufmerksam-
keit der Wissenschaftler erheblich stieg und nicht nur durch veränderte Lichtverhältnisse
(Gorecki und Pautsch 2013, S. 73; Kostka 2016, S. 10). Viele Beteiligungsformen und
Führungsstile haben ihren Ursprung aus diesen Erkenntnissen heraus.

27.3 Personalentwicklung

Die Personalentwicklung der Mitarbeiter hat einen sehr hohen Stellenwert. Bevor ein
Mitarbeiter fest eingestellt wird, durchläuft er ein Grundlagentraining für Grundfertig-
keiten und grundlegende Fähigkeiten. Viele Stunden Übung werden gefordert, bevor
ein Mitarbeiter in die Montage an das Fahrzeug darf. Gibt es bei der Grundausbildung
Schwierigkeiten, trennt man sich von dem Mitarbeiter wieder. Denn das Grundlagentrai-
ning ist gleichzeitig der Einstellungstest.
Lean sollte als integraler Bestandteil einer Personalentwicklung gesehen werden. Und
eine Mitarbeiterbeförderung und Mitarbeiterentwicklung sollte Lean als Voraussetzung
berücksichtigen. Dies vereint Kultur, Prozessdenke und den Führungsgedanken eines
Unternehmens.

Beispiel
Daimler Trucks in Wörth nutzt die Toyota-Kata (Abschn. 11.4) in Verbindung mit der
Personalentwicklung. Potenzialträger, welche für die Ebene als Meister vorgesehen sind,
werden in die Rolle eines Verbesserungsmanagers gebracht. Je Meisterei unterstützen sie
372 27 Der Mensch

den Meister und sind mit der Kata-Methodik im Bereich für die täglichen Verbesserun-
gen und Problemlösungen verantwortlich. Die Meisterei kommt voran, die Talente wer-
den gefördert und lernen das künftige Arbeitsumfeld kennen, Erfahrung wird gesammelt
und es gibt klare Verantwortlichkeiten für die Optimierung.

Die Aufgabe einer Führungskraft beschränkt sich nicht nur auf die Ergebnisse. Bei Toy-
ota wird eine Führungskraft auch an ihrer Vertrauenswürdigkeit, dem „Jinbo“, gemessen.
Es wird gemessen, wie viel Vertrauen eine Führungskraft durch die eigenen Mitarbei-
ter genießt (OJT Solutions 2017, S. 58 ff.). Bringt eine Führungskraft ihre Mitarbeiter
voran, so nutzt dies auch ihr selbst.
Ein nicht zu unterschätzendes Element ist die Vorbildfunktion. Die Möglichkeit, sich
an guten Führungskräften orientieren zu können, ist wichtig. Die Lean-Methodik der
Transparenz und Visualisierung (Abschn. 25.2) hilft hierbei. Es sollte klar sein, wer als
Vorbild gilt und an wem sich Mitarbeiter orientieren können. Funktionen wie Unterstützer,
Logistiker und Instandhaltungsmitarbeiter sowie vom Werker bis Werkleiter sind an farb-
lichen Markierungen von Hemden, Mützen oder Armbinden erkennbar. Dies muss auch
in den Bereich der Potenzialträger gebracht werden, denn eine unklare und intransparente
Personalentwicklung schürt Wettbewerb, stört die Orientierung und führt zum Aus für
eine Weiterentwicklung im Sinne des hier erklärten Konzeptes der Menschenentwicklung.

Beispiel
In einem produzierenden Unternehmen sind die Mitarbeiter mit einheitlichen Polo-
Shirts ausgestattet. Neben dem Namen befindet sich auch ein Hinweis auf dem
Shirt, in welchen Talentpool (Führung, Fachfunktion oder Lean-Produktionssystem)
der Mitarbeiter zugeordnet ist. Die Karrierepfade sind transparent und für jeden ist
ersichtlich, wer als Vorbild dienen kann und wie und warum jemand Entscheidungen
trifft oder agiert.
Die Personalentwicklung und Beförderungsentscheidungen werden für jeden trans-
parent. Dies dient einer Orientierung. Die ausgewählten Mitarbeiter können mit Stolz
ihre Ernennung zeigen und müssen gleichzeitig die erforderliche Verantwortung für
ihr Handeln tragen und vorleben. Auch für die Führungskräfte, welche die Entschei-
dungen einer Zuordnung treffen, stellt dies eine große Verantwortung dar.

27.4 Nachhaltige Wertschöpfung durch Wertschätzung

Lean einzuführen und umzusetzen bedarf vieler passender Randfaktoren. Dem komple-
xen Themenfeld der Führung von Mitarbeitern kommt eine entscheidende Rolle zu. Es
ist wichtig, die Gründe zu kennen, warum Mitarbeiter für ein Unternehmen arbeiten.
Mitarbeiter wollen natürlich eine Entlohnung, aber auch Sicherheit und Herausforderun-
gen. Hinzu kommt meistens der Wunsch nach einer Tätigkeit mit Eigenverantwortung,
Entscheidungsfreiraum und für Kunden etwas zu leisten. Die Verantwortung und die Ent-
scheidungen auf der Arbeitsebene sind durch die Mitarbeiterführung geprägt:
27.4 Nachhaltige Wertschöpfung durch Wertschätzung 373

• Mitarbeiter durch Verantwortung beteiligen, ermächtigen und motivieren


• Fähigkeiten der Mitarbeiter auf allen Ebenen fördern und entwickeln
• Ressourcen der Mitarbeiter zielgerichtet und wirksam einsetzen
• Nutzung der Kapazität und des Wissens zur Verbesserung der Organisation

In der Regel ist in Unternehmen ein unterschiedliches Umfeld vorzufinden. Den Status
beschreibt das folgende Dreistufenmodell (Tab. 27.1). Dabei ist die Tragfähigkeit der
jeweils vorherigen Stufe die Basis für die danach folgende. Je besser die Ausprägungen
und das Umfeld sind, je besser ist auch die gelebte Lean-Umsetzung. Die dritte Stufe ist
das Ideal.

Tab. 27.1  Dreistufenmodell der Lean-Umsetzung nach Bertagnolli. (Quelle: Erweiterung auf der
Basis von Bertagnolli et al. 2017)
Kriterium Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3
Führungsphilosophie Management Leadership Empowerment,
Fellowship
Führungsgrundsatz Führen Fördern Coachen
Mitarbeiterverantwor- Vorgabe (linear) Unterstützung Eigenverantwortung
tung (zirkulär) (integrativ)
Logistiksteuerung Push Pull Ein-Stück-Fluss
Erfolgsstrategie und Macht, Stärke Recht, Ordnung, Menschlichkeit,
Kompetenzen Erfolg, Zielerreichung Integration, Netzwerk
Denkweise zu Lean Toleranz Akzeptanz Identifikation
in der Unternehmens-
führung
Lean-Ausmaß Lean Werkzeuge und Lean Management Lean Enterprise mit
Methoden Fokus auf Mensch
Einsatz der Methoden Kopieren Kapieren Kooperieren,
Kollaborieren
Zielerreichung Routinierte Fertigung Evolutionäres Lernen Revolutionäre
Entwicklungen
Veränderungsprozess Re-Strukturierung Re-Orientierung Re-Modellierung,
Re-Vitalisierung
Personalmanagement Personalfreisetzung Insourcing Be-Förderung
Mitarbeitereinbindung Betroffen Befähigt Beteiligt und
begeistert
Umsetzungsstrategie Frederick W. Taylor, Peter F. Drucker, William Ouchi,
ca. 1911 ca. 1940 ca. 1981 (Theorie Z)
Lean-Umsetzung Lean Alibi Lean Strategie Lean Philosophie
Verankerung Auf dem Papier Als Bereich in der In den Köpfen
Organisation
374 27 Der Mensch

Empowerment und Mitarbeiterbeteiligung als Führungsphilosophie bedeuten eine


gut moderierte und moderate Mitarbeiterführung. Mitarbeiter werden dabei zum selbst-
ständigen Denken und Handeln ermächtigt. Diese Ermächtigung überträgt auch die Ver-
antwortlichkeit und motiviert intrinsisch. Zu beachten ist, dass durch die Ermächtigung
nicht automatisch eine Befähigung erfolgt.
In diesem Gesamtzusammenhang sind gelebte Unternehmenswerte fundamental und
wichtig. Sie haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung oder die Stagnation einer
Organisationsentwicklung. Werte können nicht angeordnet werden. Es bedarf des tägli-
chen Vorlebens.

27.5 Expertenfragen

Folgende Fragen sind im Themenfeld Mensch zu beantworten


• Führen Führungskräfte ihren Dialog mit Mitarbeitern auf Augenhöhe?
• Ist der Umgang zwischen Führungskräften und Mitarbeitern respektvoll und von
gegenseitiger Achtung geprägt?
• Ist die Zusammenarbeit im Unternehmen geprägt von Vertrauen?
• Wird für die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter gesorgt?
• Fördern und fordern Führungskräfte ihre Mitarbeiter?
• Werden Mitarbeiter wertschätzend und verantwortlich geführt und gefördert?
• Werden Prozesse regelmäßig vor Ort überprüft?
• Wird das Wissen der Mitarbeiter systematisch genutzt, beispielsweise für die Opti-
mierung und Problemlösung?
• Werden Mitarbeiter statt durch Lösungsvorgaben durch Fragestellungen geführt?
• Werden durch Zielbeschreibungen Lösungsräume ermöglicht?
• Werden Ziele anstatt von Lösungen vorgegeben?
• Ist in Verbesserungsprojekten bereits beim Kick-off festgelegt, was mit frei werden-
den Ressourcen passiert?
• Ist die Lean-Philosophie im Denken und Handeln der Belegschaft verankert?
• Sind Schulungen mit anschließenden konkreten Umsetzungsmaßnahmen verknüpft?
• Wird das Personal entwickelt, um die Prozesse zu optimieren und weiterzuentwickeln?
• Ist transparent, an wem sich Mitarbeiter orientieren können?
• Sind Potenzialträger in entsprechenden Rollen und Aufgaben eingesetzt?
• Ist der Personalentwicklungsprozess an Lean gekoppelt?
• Sind Potenzialträger als solche erkennbar und ist der Auswahlprozess transparent?
• Mit welcher Kennzahl werden Umsetzungen gemessen? Erfolgt dies über die Mitar-
beiterzufriedenheit?
• Ist das Unternehmen auf der Stufe einer Führungsphilosophie im Sinne von „Lean
Empowerment“?
Literatur 375

27.6 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Mensch


• Der Unternehmenswert kann anstatt durch betriebswirtschaftliche Rechnungen
über die Gleichung „Unternehmenswert ist Mitarbeiteranzahl mal Fähigkeit mal
Motivation“ gerechnet werden. Der Fokus liegt auf den Mitarbeitern. Ist ein Faktor
klein oder gegen Null, reduziert sich analog der Unternehmenswert.
• Lean ist kein Personalfreisetzungsprogramm. Alle Lean-Methoden wurden für den
Menschen gemacht und nicht gegen ihn. Die Achtung des Menschen mit den Wer-
ten Respekt und Teamwork sind zentrale Elemente des Toyota-Humansystems.
• Mitarbeiter sind Menschen und als solche nicht anderen materiellen Ressourcen
gleichzusetzen. Die Umsetzung von Optimierungen bedeutet immer, nach einer
Lösung zu suchen, welche den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Dies impliziert,
rechtzeitig zu informieren, was mit frei werdenden Mitarbeitern passieren wird.
• Der Hawthrone-Effekt zeigt, dass die Leistung der Mitarbeiter durch Aufmerksam-
keit erheblich steigt.
• Mitarbeiter wollen natürlich eine Entlohnung, aber auch Sicherheit und Herausfor-
derungen.
• Die Personalentwicklung der Mitarbeiter hat bei Toyota einen sehr hohen Stellen-
wert. Es werden viele Stunden an Übung gefordert, bevor die eigentliche Arbeit
beginnt.
• Wichtiges Element ist die Vorbildfunktion. Es besteht die Möglichkeit, sich an
guten Führungskräften zu orientieren. Die Lean-Methodik der Transparenz und
Visualisierung hilft hierbei.
• Das einzige, mit dem auch in schlanken Unternehmen verschwenderisch umgegan-
gen werden darf, ist die Wertschätzung.

Fragen
• Warum steht bei Toyota der Sicherheitsgedanke an erster Stelle?
• Warum nimmt die Arbeitnehmervertretung gerne eine Gegenposition zu Lean ein?
• Wie erfolgt die Argumentationskette, dass Lean Arbeitsplätze schafft?
• Wie kann allgemein die Akzeptanz von Lean im Unternehmen gesteigert werden?
• Wie kann das Dreistufenmodell der Lean-Umsetzung beschrieben werden?

Literatur

Becker H (2006) Phänomen Toyota – Erfolgsfaktor Ethik. Springer, Berlin


Bertagnolli F, Lang-Koetz C, Schmidt M (2017) Zusammenhänge zwischen den Ansätzen Lean
Management und Ressourceneffizienz Management. In: Biedermann H, Vorbach S, Posch W
(Hrsg) Transformationen – Neue Wege zu industrieller Nachhaltigkeit. Sustainability Manage-
ment for Industries 7. Hampp, Augsburg, S 61–72
376 27 Der Mensch

Fischer (2017) Gute Gründe für fischer: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – unser wichtigstes
Kapital. https://www.fischer.group/de-de/karriere/arbeiten-bei-fischer/gute-gruende-fuer-fischer.
Zugegriffen: 1. Okt. 2017
Furukawa-Caspary M (2016) Lean auf gut Deutsch – Bd 1 Einführung und Bestandaufnahme.
BoD Books on Demand, Norderstedt
Glauser EC (2005) Das Toyota Phänomen. The Swiss Deming Institute, Zumikon
Gorecki P, Pautsch P (2013) Praxisbuch Lean Management – Der Weg zur operativen Excellence.
Hanser, München
Hans-Böckler-Stiftung, Industriegewerkschaft Metall (Hrsg) (1992) Lean Produktion: Kern einer
neuen Unternehmenskultur und einer innovativen und sozialen Arbeitsorganisation? 1. Aufl.
Nomos, Baden-Baden
Howaldt J, Minssen H (Hrsg) (1993) Lean, leaner …? Die Veränderung des Arbeitsmanagements
zwischen Humanisierung und Rationalisierung. Montania, Dortmund
IG Metall Stuttgart (Hrsg) (2015) Scheibenwischer Zentrale. Nr. 96, Mai/Juni, Stuttgart
IG Metall Vorstand (Hrsg) (2011) Ganzheitliche Produktionssysteme menschengerecht gestalten:
Risiken erkennen – Chance nutzen. 31.03.2011. IG Metall, Frankfurt a. M.
Kostka C (2016) Change Management – Das Praxisbuch für Führungskräfte. Hanser, München
Liker JK (2013) Der Toyota Weg – 14 Managementprinzipien des weltweit erfolgreichsten Auto-
mobilkonzerns, 8. Aufl. Finanzbuch, München
Liker JK, Hoseus M (2016) Die Toyota Kultur – Das Herz und die Seele von „Der Toyota Weg“,
2. Aufl. Finanzbuch, München
Liker JK, Meier DP (2013) Toyota Talent – Erfolgsfaktor Mitarbeiter – wie man das Potenzial sei-
ner Angestellten entdeckt und fördert, 2. Aufl. Finanzbuch, München
Liker JK, Trachilis G (2015) Lean Leader auf allen Management-Ebenen entwickeln – Ein prakti-
scher Leitfaden, 1. Aufl. Lean Leadership Institute, Winnipeg
Neuberger O (1990) Der Mensch ist Mittelpunkt. Der Mensch ist Mittel. Punkt. Acht Thesen zum
Personalwesen. Personalführung 1:3–10
OJT Solutions Inc. (Hrsg) (2017) Toyotas Geheimrezepte für die Mitarbeiterentwicklung. CETPM,
Herrieden
Parsons HM (1974) What happened at Hawthorne? Science 183(4128):922–932
Regber H, Zimmermann K (2007) Change Management in der Produktion – Prozesse effizient
verbessern im Team, 2. Aufl. mi, Landsberg
Toyota (2007) Anual report 2007 – building a platform for growth. Toyota Motor Corporation,
Japan
Toyota (2010) Das Toyota Produktionssystem und seine Bedeutung für das Geschäft. Broschüre,
Toyota Material Handling. http://www.pdf.toyota-forklifts-info.de/Broschuere_TPS.pdf. Zuge-
griffen: 1. Okt. 2017
Toyota (2017) Toyota global vision. Toyota Motor Corporation. http://www.toyota-global.com/
company/vision_philosophy/toyota_global_vision_2020.html. Zugegriffen: 1. Okt. 2017
Unterstützungsorganisation
28

Das Problem ist nicht, dass sie nicht wissen würden, was sie
machen sollen, sondern dass sie nicht machen, was sie wissen.
In Anlehnung an Walter Zimmermann

Zusammenfassung
Die Unterstützungsfunktion auf der unteren Führungsebene ist für eine Lean-Organi-
sation sehr wichtig. Die Unterstützer sind nicht nur für die Problemlösung zuständig,
sondern auch verantwortlich für die permanente Optimierung der Prozesse. Die Füh-
rungsspanne ist verhältnismäßig klein und damit überschaubar. Weitere Funktionen
in Form von Experten, einer Kaizen-Werkstatt und dem zentralen Trainingsbereich
unterstützen die Optimierung in Unternehmen.

Knalsch GmbH: Halb voll oder halb leer?


Alsch sitzt an seinem Schreibtisch. Claudia Beck sitzt ihm gegenüber. Alsch denkt
laut vor sich hin: „Wer kann sich um all die Themen kümmern? Benötigen wir ein
Lean-Team oder einen externen Berater? Alleine schaffe ich das nicht, denn eigent-
lich muss das Wissen bei allen Mitarbeitern ankommen. Ein Erkenntnisproblem
haben wir nicht, aber ein Umsetzungsproblem. Ich bin da hin- und hergerissen.“
Claudia Beck: „Wohl so wie mit dem Glas: halb voll oder halb leer.“
Alsch: „Meinen Sie, ob ich ein Optimist oder ein Pessimist bezüglich der Lean-
Umsetzung bin?“
Claudia Beck: „Nun ja, es ist bekannt, dass der Optimist halb voll und der Pes-
simist halb leer sagt. Aber was sagt der Realist, also der Lean-Experte?“
Alsch: „Ich weiß nicht, was sagt er?“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 377


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_28
378 28 Unterstützungsorganisation

Claudia Beck: „Er fragt, warum das Glas doppelt so groß ist, als es sein müsste.“
Alsch lacht und sagt: „Das ist gut! Und das bringt mich auf die Lösung: Wir
brauchen die Funktionen, die nötig sind, wie eine Werkstatt und die Unterstüt-
zungsfunktion. Damit starten wir und alles andere lassen wir erst mal weg. Wir
sollten die Organisation nicht überdimensionieren.“
Claudia Beck: „Gut, Chef. Ich glaube auch, dass es ein Lean-Ziel ist, keinen
Lean-Bereich zu benötigen, wenn alle den Lean-Gedanken verinnerlicht haben und
leben.“

28.1 Untere Führungsebene

Die erste Führungsebene auf dem Shopfloor repräsentieren bei Toyota die Gruppenführer
mit der Bezeichnung „Hancho“. Sie haben eine verhältnismäßig kleine Führungsspanne
und verantworten die Prozesse und deren Optimierung. Erfahrungsgemäß sind kleine
Führungsspannen besser zu steuern, zu überblicken und zu verwalten.

 Hancho Japanischer Begriff für den Gruppenführer (engl. Team Leader) als unterste
Führungsebene auf der operativen Ebene in der Produktion. Die Führungsspanne beträgt
üblicherweise fünf bis sieben, im Ausnahmefall maximal zehn Mitarbeiter. Er ist von der
Produktionstätigkeit freigestellt und unterstützt bei Abweichungen. Er ist für die konti-
nuierliche Verbesserung, Schulung und Problemlösung verantwortlich und arbeitet direkt
an der Optimierung des Systems.

Der Hancho ist Vorgesetzter der Gruppe und unterstützt diese. Er hat am Shopfloor eine
Schlüsselrolle, da er viele Themenfelder vereint. Sein primäres Ziel ist die Optimierung
der Prozesse. Hierzu beobachtet er ständig seinen Bereich und die Prozesse sehr genau.
Er ist in der Lage, alle Arbeitsinhalte seines Bereichs durchzuführen und zu schulen. Als
Unterstützer ist er bei einem Qualitätsalarm als erster vor Ort, um zu helfen und die Pro-
blemlösung einzuleiten und durchzuführen.
Zu den Aufgaben und Pflichten des Hancho gehören die folgenden Themen:

• Verantwortung für eine Gruppe und einen Linienabschnitt


• Erstellung von standardisierten Arbeitsabläufen zusammen mit den Mitarbeitern
• Qualifizierung der Mitarbeiter zu den Prozessabläufen
• Steuerung der Produktion und Auslösung von Kanban für das Produkt
• Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle
• Überprüfung der Einhaltung von Standards und Taktzeiten
• Beobachtung der Prozesse, um Verbesserungen und Problemlösung voranzutreiben
• Verantwortung für Kaizen und Durchführung von Verbesserungen
28.2 Kaizen-Team und Lean-Experten 379

• Unterstützung bei Auslösung des Qualitätsalarms mit Gegenmaßnahmen und Stö-


rungsbeseitigung
• Durchführung des Problemlöseprozesses beim Auftreten von Problemen
• Durchführung von Shopfloor Management mit Kennzahlenverfolgung
• Beherrschung aller Tätigkeiten der Gruppe
• Vertreter bei Mitarbeiterabwesenheit

Diese Funktion ist mit der Grund, warum Kaizen bei Toyota funktioniert und mehr Ver-
besserungsideen generiert werden (vergl. Abschn. 11.1) als in anderen vergleichbaren
Unternehmen ohne die Funktion des Hancho.

28.2 Kaizen-Team und Lean-Experten

Durch den Hancho (Abschn. 28.1) und seine Führungskräfte benötigt Toyota keine wei-
teren Lean-Teams oder Experten im Unternehmen. Die Produktionslinien und Funktio-
nen haben eine Selbstverantwortung für die Optimierung und Weiterentwicklung. Zudem
ist jeder Mitarbeiter mit seinen Vorschlägen gefragt, Kaizen durchzuführen und seinen
Beitrag zu leisten (Abschn. 11.1). Einzig das zentrale OMCD (Abschn. 28.4) ist eine
Lean-Einheit, von der zentral Methoden verbreitet und Trainings durchgeführt werden.
Lean-Experten haben in Unternehmen ganz unterschiedliche Bezeichnungen. Oft
wird dieser Experten-Bezeichnung noch die Abkürzung des Produktionssystems voran-
gestellt. Verschiedene Stufen zeigen den Erfahrungsstatus auf (Tab. 28.1).
Auch wenn es Kaizen-Teams und Lean-Experten in den Organisationen gibt, muss
das Ziel sein, diese nicht mehr zu benötigen. Wichtigste Aufgabe ist die Hilfe zur Selbst-
hilfe auf der Ebene eines System-Kaizen. In diesem Sinne sind Verbesserungsmanager in
den Unternehmen unterwegs (z. B. Effizienzfahnder bei Porsche), welche Kaizen-Work-
shops durchführen.
Lean-Experten haben in der Regel eine entsprechende Ausbildung, welche unterneh-
mensintern, unternehmensextern oder in einer internen und externen Mischung durchge-
führt wird. Meistens ist die Ausbildung mit Praxisworkshops oder Umsetzungsprojekten
gekoppelt. Das Ausbildungskonzept, wie es beispielsweise bei der Daimler AG durch-
geführt wurde, beschreibt Springer (2009) ausführlicher. Das neuere Konzept der Daim-
ler AG wird durch Follmann et al. (2012) aufgezeigt.
Meistens sind entsprechende Lean-Funktionen den Werken oder Bereichen zugeord-
net. Sind Experten in von den Bereichen abgesetzten Organisationen, beispielsweise
zentralisiert, aufgestellt, hat dies den Vorteil der Unabhängigkeit bei Umsetzungen. Die
Gefahren einer solchen abgesetzten Einheit sind die Einnahme von falschen Rollen. Es
kann passieren, dass nicht mehr der Bereich für die Veränderung steht, sondern diese
Rolle vom Experten übernommen wird. Auch die Funktion des Treibers und der Füh-
rung wird dem Bereich abgenommen. Es kann vorkommen, dass der Bereich die externe
Expertise als verlängerte Werkbank nutzt und Aufgaben abgibt. Am schlimmsten ist bei
380 28 Unterstützungsorganisation

Tab. 28.1  Beispiele für Bezeichnungen der Lean-Experten in unterschiedlichen Erfahrungsstufen


Erste Stufe Zweite Stufe Dritte Stufe
Verbesserungsmanager Experte Trainer
Junior Senior Partner
Green Belt Black Belt Master Black Belt
Advisor Consultant Master
Koordinator Navigator Coach
Operator Multiplikator Sensei

einer Betreuung von einer externen Instanz, dass die Experten zu Gegnern werden. Sie
werden mangels Integration als Fremdkörper wahrgenommen. Es entstehen Widerstände
gegen die Personen, die Funktion und die Verbesserungen.
Idealerweise sind die Teams und Experten den Bereichen zugeordnet oder die Funk-
tionen sind in den Bereichen durch klare Verantwortliche und Führungskräfte abgedeckt.

28.3 Kaizen-Werkstatt

Eine Werkstatt, welche die Denkweise von Kaizen umsetzt, ist ein Wettbewerbsvorteil.
Hier entstehen Innovationen und die Umsetzung von Optimierungen. Umgesetzt werden
Karakuri-Lösungen (Abschn. 20.1) und Entwicklungen im Sinne von Low Cost Intelli-
gent Automation (Abschn. 20.2).
Hauptziel einer Kaizen-Werkstatt ist das selbstständige Bauen und das Instandsetzen
von schlauen Lösungen. Hierzu wird flexibles Material eingesetzt, wie z. B. Rohre und
Verbindungselemente.
In einer solchen Werkstatt sind Experten mit entsprechenden Kompetenzen für Kaizen
und handwerklichem Geschick angesiedelt.

28.4 OMCD und Trainingsbereich

Die zentrale Lean-Organisation und das Trainingscenter sind bei Toyota in der OMCD
(Operations Management Consulting Division) zusammengefasst. Die OMCD wurde
von Taiichi Ohno gegründet. Die Einheit führt Schulungen durch und unterstützt Berei-
che und Lieferanten bei der Umsetzung des Toyota-Produktionssystems. Führende TPS-
Berater und Führungskräfte werden hier ausgebildet. Ebenso die TSSC-Berater (Toyota
Supplier Support Center), welche die Lieferanten unterstützen.
Aus der OMCD werden Standardisierungen für das ganze Unternehmen ausge-
rollt. Besetzt ist die OMCD durch sehr erfahrene Mitarbeiter. Die Tätigkeit in der
OMCD ist ein Personalentwicklungsprozess für Führungskräfte mit viel Erfahrung, wie
28.5 Expertenfragen 381

b­ eispielsweise ehemalige Werkleiter. Die Abteilung steuert Verbesserungsaktivitäten und


entsendet erfahrene Spezialisten als Lehrmeister in die Werke weltweit (Freitag 2004).
Zur Befähigung von Mitarbeitern existieren Lernfabriken und Lerninseln. Grundfä-
higkeiten und Grundfertigkeiten werden standardisiert trainiert. Die Volkswagen AG
betreibt in Wolfsburg und an neuen Produktionsstandorten eine Akademie mit einer
Lernfabrik zum Thema Lean. Das Mercedes-Benz-Produktionssystem hat den Ansatz,
weltweit standardisierte Module zu Lean auszurollen (Block et al. 2011).

Beispiel
Lean-Trainingsmodule einer Lernfabrik sind:

• Grundlagen Lean Production mit Fluss, Takt, Pull, Wertstromanalyse und Shopf-
loor Management
• Ergonomie und Motion Economy
• Flexibles Mitarbeitermontagesystem in Kombination mit Anlagen
• Ideale Montage: Montagelinie und Materialbereitstellung
• Ideale Logistik: Materialanlieferung, Warenkorb, Kommissionierung, Supermarkt,
Hallenlogistik
• Lean Logistics: Supply Chain vom Lieferanten bis an die Montagelinie
• Anlagentechnik: TPM und schnelles Rüsten
• Low Cost Intelligent Automation und Karakuri
• Energieeffizienz
• Cardboard-Engineering
• Lean Administration
• Lean Development

Die Lernfabrik ist neben der Schulung des Managements, der neu ernannten Führungs-
kräfte, der Produktionsplaner sowie der Ausbildung von Verbesserungsmanagern und
Lean-Experten, ein elementarer Bestandteil der Lean-Transformation des Unternehmens
(Follmann et al. 2012).

28.5 Expertenfragen

Die folgenden Expertenfragen betreffen das Thema Unterstützungsorganisation


• Gibt es eine installierte Unterstützungsorganisation?
• Ist die Funktion des Hancho mit geringer Führungsspanne eingerichtet?
• Sind die Führungsspannen bis auf die operative Ebene hinunter klein und ­überschaubar?
• Sind alle Rollen, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten klar beschrieben?
• Sind Lean-Experten bedarfsgerecht ausgebildet?
• Gibt es eine Kaizen-Werkstatt?
• Existiert ein Lean-Ausbildungskonzept?
382 28 Unterstützungsorganisation

• Schulen Führungskräfte als Trainer die Mitarbeiter zu Lean?


• Existiert eine Lernfabrik, in der anhand von echten Produkten und realen Wertströ-
men geschult wird?

28.6 Zusammenfassung

Zusammenfassung zum Thema Unterstützungsorganisation


• Die unterste Führungsebene hat eine verhältnismäßig kleine Führungsspanne und
verantwortet die Prozesse und deren Optimierung.
• Durch den Hancho und seine weiteren Führungskräfte hat Toyota keine weiteren
Lean-Teams oder Experten im Unternehmen im Einsatz.
• Die Produktionslinien und Funktionen haben eine Selbstverantwortung für die
Optimierung und Weiterentwicklung.
• Wenn es Kaizen-Teams und Lean-Experten in den Organisationen gibt, muss es
das Ziel sein, diese nicht mehr zu benötigen.
• Lean-Experten haben in der Regel eine entsprechende Ausbildung.
• Idealerweise sind die Teams und Experten den Bereichen zugeordnet oder die
Funktionen sind in den Bereichen durch klare Verantwortliche und Führungskräfte
abgedeckt.
• Eine Kaizen-Werkstatt, welche die Denkweise von Kaizen umsetzt, ist ein Wettbe-
werbsvorteil.
• Die zentrale Lean-Organisation und das Trainingscenter sind bei Toyota in der
OMCD (Operations Management Consulting Division) zusammengefasst. Durch
die OMCD werden Standardisierungen für das ganze Unternehmen ausgerollt.

Fragen
• Wofür steht der Begriff Hancho?
• Welche Aufgaben und Pflichten hat ein Hancho?
• Welchen Vorteil und welche Gefahren bringt die zentrale Aufstellung von Experten
mit sich?
• Worin besteht das Hauptziel einer Kaizen-Werkstatt?

Literatur

Block M, Bertagnolli F, Herrmann K (2011) Lernplattform – Eine neue Dimension des Lernens
von schlanken Abläufen. Prod Manag 4:52–55
Follmann J, Laack S, Schütt H, Uhl A (2012) Case study: Lean transformation at Mercedes-Benz.
360°. The Bus Transform J 3:38–45
Freitag M (2004) Formel Toyota. Manager Magazin 12:72–83
Springer R (2009) Survival of the Fittest – So verbessern Spitzenunternehmen mit Lean Manage-
ment gleichzeitig ihre Prozesse und ihre Führungskultur. Finanzbuch, München
Teil III
Anhang
Glossar japanischer Lean-Begriffe
29

Jede neue Sprache ist wie ein offenes Fenster, das uns eine neue
Sicht auf die Welt zeigt…
Frank Harris

Zusammenfassung
Lean wurde durch das Toyota-Produktionssystem in Japan geprägt und so ist auch
die Lean-Thematik durch japanische Begrifflichkeiten geprägt. Einige japanische
Begriffe, die im Kontext zu Lean aktuell Verwendung finden, sollten in ihrer Origi-
nalform verstanden werden. Vieles kann in der Originalbedeutung besser interpretiert
und verstanden werden.

Es folgen japanische Begriffe, die im Lean-Umfeld international verwendet werden. Das


Glossar kann als Nachschlagewerk und Wörterbuch genutzt werden. Durch die Erklä-
rung vieler japanischer Begrifflichkeiten eignet sich dieses Kapitel als eine Art Sprach-
führer durch die Lean-Welt. Falsche Begriffe, eine nicht korrekte Sprache und vor allem
ein fehlendes gemeinsames Verständnis führen dazu, dass bei Lean die Themen manch-
mal falsch angewendet werden.
Im Glossar werden die japanischen Begriffe übersetzt. Bei manchen Begriffen werden
zusätzlich die Bedeutung für und der Zusammenhang mit Lean erklärt. Bei Begriffen aus
mehreren Worten wurden auch die Einzelbegriffe und deren Bedeutung aufgenommen.
Für ein besseres Verständnis lohnt sich das weitere Nachschlagen der einzelnen Wortbe-
standteile.
Nicht alle hier aufgeführten Begriffe wurden im Buch verwendet. Das Lesen der
Begriffe von Anfang bis Ende liefert zusätzlich neue Erkenntnisse und Zusammenhänge,
die das Buch abrunden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 385


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_29
386 29 Glossar japanischer Lean-Begriffe

Die folgenden Übersetzungen stammen aus unterschiedlichen Recherchen. Sie erga-


ben sich durch Gespräche mit Experten, aus den Erfahrungen einer Japan-Reise, aus
Zollondz (2013, S. 356 f.) und aus einem Japanisch-Deutsch-Wörterbuch (Langenscheidt
2003).

#
5S
Seiri, Seiton, Seiso, Seiketsu, Shitsuke; Bedeutung: Methodik eines Aufräumworkshops
mit dem Prinzip der anschließenden nachhaltigen Standardisierung

A
Amakudari
vom Himmel herabsteigen; Bedeutung: Rekrutierung hoher Amtsträger kurz vor ihrem
Ruhestand, um an öffentliche Aufträge zu gelangen
Andon
Laterne, Papierlaterne, Funzel, Lampe; Bedeutung: visuelle Informationsanzeige, z. B.
für die Visualisierung des Fortschritts oder Signalisierung für Unterstützer. Zentrale
Anzeigetafel mit farbigen Lampen als visuelles Management, um Förderbänder, Statio-
nen oder Maschinen anzuzeigen, welche ein Problem haben bzw. stillstehen, bei Anlagen
oder Fertigungslinien auch als visuelles Zustandsmanagement, auch in Kombination mit
akustischem Signal möglich
Aru Beki Sugata
so wie wir sein wollen bzw. wie die Dinge sein sollen; engl. True North; Bedeutung:
Nordstern im Sinne eines übergeordneten Ziels
Asaichi
Morgenmarkt; Bedeutung: Erstes Meeting am Morgen bzw. Shopfloor Meeting, bei dem
die aufgetretenen Qualitätsprobleme angesprochen werden
Ato Hoju
Lagerauffüllsystem
Atokotei Hikitori
Rückwärtsverkettung; Bedeutung: ziehendes System nach dem Pull-Prinzip

B
Ba
Ort
Baka
dumm, idiotisch
Baka Yoke
narrensicheres System; auch Haka Yoke

C
Chaku
einsetzen, laden, s. Chaku Chaku
29 Glossar japanischer Lean-Begriffe 387

Chaku Chaku
laden, laden; Bedeutung: Form einer flexiblen Mitarbeitermontagezelle in Kombination
mit Maschinen mit hohem Wertschöpfungsanteil, Maschinen werden nur noch beladen,
der Auswurf der Teile erfolgt automatisch

D
Dandori
Plan; Bedeutung: Linienunterstützer mit zyklischen (geplanten) Aufgaben
Dantotsu
der Beste, Benchmark
Datsu
entnehmen
Dekansho
periodische und unregelmäßige Arbeit aufgrund von Teilemangel, nach dem Lied
Dekansho, welches vom Winterschlaf erzählt
Do
Bewegung
Dojo
Ort des Weges; Bedeutung: Trainingsraum
Douki
synchron, simultan, Sequenz

G
Gemba
s. Genba
Gembutsu
s. Genbutsu
Gen
gegenwärtig, tatsächlich, sich zeigen
Gen
Grund, Ur-
Genba
realer Ort, eigentlicher Ort, Ort des Geschehens, Tatort, Einsatzort; auch Gemba; engl.
Shop Floor; Bedeutung: Ort, an dem etwas stattfindet, produziert bzw. gearbeitet wird,
Prozessort, Arbeitsplätze, Produktion, Werkstatt
Genbutsu
realer Gegenstand, tatsächlicher Gegenstand; auch Gembutsu
Genchi
tatsächlicher Ort
Genchi Gembutsu
zur Quelle des Geschehens gehen, um Fakten an konkreten Dingen am Prozessort zu
recherchieren; engl. go and see; Bedeutung: am Ort des Geschehens, z. B. der Produk-
tion, den Themen nachgehen, wie Probleme an Produktionsteilen direkt nachvollziehen
388 29 Glossar japanischer Lean-Begriffe

Genjitsu
Fakt
Genri
Prinzip
Gensoku
Regel
Ginokai
Anlernling, Mitarbeiter
Go Gen Shugi
Philosophie der 5 Konkrete; neuere Bezeichnung für die Bedeutung von Genchi
­Gembutsu

H
Haka Yoke
narrensicheres System, auch Baka Yoke
Han
kleine Gruppe mit dichter Betreuung
Hancho
Teamleiter, Gruppenführer; engl. Team Leader; Bedeutung: unterste Führungsebene für
Gruppen in der Produktion mit fünf bis zehn Mitarbeitern, greift bei Prozessabweichun-
gen ein und betreibt den Verbesserungs- und Problemlöseprozess
Hanedashi
Einrichtung zum automatischen Abnehmen von Teilen an Maschinen
Hansei
Reflexion, Selbstreflexion, Selbstkritik
Hataraki
arbeiten
Heijunka
Glättung, Nivellierung; Bedeutung: Produktionsglättung, Produktionsvolumen so kons-
tant wie möglich halten
Hitori
Person
Hitozukuri
Menschen bilden, Menschen entwickeln
Ho
Richtung
Hoh Kou
berichten
Hoh Ren Soh
regelmäßig Berichterstattung verlangen; aus den jap. Worten „Hoh Koku“, „Ren Raku“
und „Soh Dan“
29 Glossar japanischer Lean-Begriffe 389

Hoshi
Stern, Kompassnadel
Hoshin
Prinzipien, Strategie
Hoshin Kanri
Zielentwicklungsprozess, Zielentfaltung; Bedeutung: ganzheitliches Ausrichten der
Organisation nach einer einheitlichen Vision und Zielkaskade bis zu jedem Mitarbeiter

I
Ikko Nagashi
Ein-Stück-Fluss; engl. One-Piece-Flow; Bedeutung: Ein-Stück-Produktion und Weiter-
gabe ohne Losgrößenbildung im Prinzip First-In-First-Out
Ishikawa
Ursache-Wirkungsdiagramm, Fehler-Einfluss-Diagramm; benannt nach dem Erfinder
Kaoru Ishikawa (1915–1989); Bedeutung: Diagramm zur Kausalitätsbeziehung bei Pro-
blemen

J
Jidoka
autonome Automation mit menschlicher Intelligenz, autonome Fehlererkennung, Auto-
nomatisierung; auch Ninben No Aru Jidoka; auch Ninben No Tsuita Jidoka; Erfindung
eines Prinzips von Sakichi Toyoda (1867–1930) als Qualitätsstopp bei automatischen
Webstühlen; Bedeutung: Entkopplung von Mensch und Maschine zur selbstständigen
Fehlererkennung
Jinbo
Ansehen, populär, vertrauenswürdig, integer
Jishuken
autonomer Workshop
Junjo Biki
Materialentnahme in Sequenz

K
Kai
Veränderung, Wandel
Kaikaku
radikale Verbesserung einer Aktivität zur Beseitigung von Verschwendung, Reform
Kaisha
Unternehmen, Firma
Kaizen
Veränderung zum Besseren, Änderung zum Vorteil, Verbesserung; Bedeutung: Methode
und Konzept für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP), selbstverständliche
tägliche Verbesserung des persönlichen Arbeitsgeschäftes, in kleinen Schritten
390 29 Glossar japanischer Lean-Begriffe

Kaizen Teian
Verbesserungsvorschlag; Bedeutung: durch Mitarbeiter eingebrachte Verbesserungsvorschläge
Kakushin
Erneuerung, Innovation
Kamban
s. Kanban (korrekte phonematische Umschrift von Kanban)
Kamishibai
Mittel zur Unterstützung wiederkehrender Aufgaben, z. B. T-Karte
Kanban
Karte, Schild, Schildchen mit Produktinformationen; auch Kamban; Bedeutung: Produk-
tionssteuerung nach dem Pull-Prinzip mit Entnahmekanban und Produktionskanban
Kanri
Planung, Management, Ausführung; engl. Deployment
Karakuri
Trick, Täuschung, Mechanismus, Mechanisierung mit Weisheit, einfache Automatisie-
rung; Bedeutung: selbst gebaute Einfachautomatisierung unter Zuhilfenahme einfacher
mechanischer Verfahren
Karakuri Ningyo
mechanische Puppe; Bedeutung: japanische Tradition mechanischer, federbetriebener
Puppen, die menschliche Bewegungsabläufe nachahmen
Karoshi
Tod durch Überarbeitung
Kata
eingeübter Ablauf, Routine, festgelegte Form, z. B. im Kampfsport; Bedeutung: wieder-
holendes Üben und Vorgehensweise der Lean-Umsetzung vom Ist-Zustand zum Soll-
Zustand in Form von Coachingfragen
Keiki
Messgerät; Lage
Keiretsu
Unternehmensverbund mit ringförmiger Kapitalverflechtung, Lieferantenentwicklung,
Kapitalmehrheit bei einem Lieferanten durch den Kunden (OEM)
Kentou
Zeichnung einer Studie im Produktentstehungsprozess, Konzeptphase
Kentouzu
Erstellung vieler Zeichnungen, im Entwicklungsprozess
Kigyo Kumiai
Betriebsgewerkschaften
Kihon
Grundlagentraining für die Kampfkunst
Kiken Yochi
Erkennung von körperlichen Risiken und Gefahren, Aufnahme und Verbesserung von
Risiken und Gefährdungen
29 Glossar japanischer Lean-Begriffe 391

Kiki
Krise, wörtlich „Katastrophe und Gelegenheit“ (im Sinne von Chance)
Kinohbetsu Kanri
funktionales Management
Koan
kurze Anekdote oder Sentenz zur Darstellung einer Aussage eines Zen-Meisters
Kocho
erfahrener Gruppenleiter; engl. Chief Leader
Komicho
Gruppenleiter
Kozo Kaikaku
Strukturplan, Konstruktionszeichnungen, auch „4K“ genannt (nach der Anzahl der „K“
in dem Begriff)
Kumi
Arbeitsgruppen
Kumicho
Vorarbeiter, Gruppenleiter
Kumite
freier Kampf im Kampfsport
Kyosei
Zusammenarbeit zwischen Unternehmen

M
Makigami
Papierrolle; engl. Process Map, Swim Lanes; Bedeutung: strukturierte Methodik zur
Visualisierung administrativer Prozesse
Minomi
Körper nur, Inhalt nur, Teil ohne Verpackung, Teil ohne Behälter; Bedeutung: Methode,
um Teile an Aufhängungen oder über Rutschen per Schwerkraft zu befördern bzw. zu
bewegen, dies ermöglicht eine verschwendungsfreie Bereitstellung von Material am Ort
der Wertschöpfung
Mizusumashi
jap. Taumelkäfer, Gyrinus japonicus (kann auf der Wasseroberfläche laufen und bewegt
sich schnell kreisend mit hohem Wirkungsgrad); Bedeutung: Linienversorger, Logistiker
für die Linien- oder Zellenversorger, z. B. für flexible Mitarbeitersysteme
Mono
Dinge
Monozukuri
Dinge herstellen
Muda
sich abmühen, sinnloser Aufwand, Verschwendung, vergeblich, Stillstand, fruchtlos;
auch Rhoi; Begriff der 3 Mu mit Mura und Muri; Bedeutung: alle Tätigkeiten, die nicht
der Wertschöpfung eines Produktes dienen
392 29 Glossar japanischer Lean-Begriffe

Mura
Abweichung, Variabilität, Unregelmäßigkeit, Schwankung, nicht zyklisch; Begriff der
3 Mu mit Muda und Muri
Muri
Überlastung, Unvernunft, nicht ergonomisch, auf Biegen und Brechen; Begriff der 3 Mu
mit Muda und Mura

N
Nagara
Gleichzeitigkeit von Anläufen; Bedeutung: Auslösen von mehreren Arbeitsschritten mit
nur einem Handgriff
Nagareka
kontinuierlicher Fließprozess mit Losgröße 1
Nemawashi
Herumgehen um eine Pflanze und Ausgraben der Wurzeln zum Verpflanzen; Bedeutung:
informelle Gespräche im Rahmen eines Entscheidungsfindungsprozesses führen
Ninben No Aru Jidoka
s. Jidoka
Ninben No Tsuita Jidoka
s. Jidoka
Ningen
Mensch
Ningyo
Puppe
Ninjutsu
die Kunst, sich unsichtbar zu machen; Bedeutung: sich überflüssig machen im Zusam-
menhang mit dem Training von Managementfähigkeiten

O
Obeya
großer Raum, Projektraum; engl. War Room; Bedeutung: Form des gemeinsamen Pro-
jektmanagements

P
Poka
Unachtsamer Fehler, zufälliger Fehler
Poka Yoke
Fehlervermeidung im System; Bedeutung: menschliche Fehler sind nicht mehr möglich

R
Raku
gemütlich, bequem, wohnlich, Erleichterung; Bedeutung: Begriff für Ergonomie
29 Glossar japanischer Lean-Begriffe 393

Raku Raku
ergonomischer runder Sitz; Bedeutung: Schwingsitz, mit dem man sich in ein Fahrzeug
zur Montage hineinschwingen kann
Ren Raku
regelmäßig den aktuellen Stand der Dinge weitergeben
Ringi
Umlauf durch das Top Management
Ringi Sho
Prozess zur Entscheidungsfindung in japanischen Unternehmen und Behörden; auch
Ringo Seido
Ringo Seido
Prozess zur Entscheidungsfindung in japanischen Unternehmen und Behörden; auch Ringi Sho
Rohi
Verschwendung; s. Muda

S
Seiketsu
Sauberkeit, Reinheit, reinlich; viertes „S“ der 5S; Bedeutung: Sauberkeit bewahren; ste-
tiges Aufräumen verhindert, dass neue Gegenstände ungeplanten Zugang zum Arbeits-
platz finden
Seiri
sortieren, sanieren, selektieren; erstes „S“ der 5S; Bedeutung: alles aussortieren, was für
die Arbeit an diesem Platz nicht benötigt wird
Seisan
Produktion
Seisancho Sashitsu
Produktionsunterstützungsbüro, Leitung und Unterstützung von Kaizen-Aktivitäten
Seiso
Reinigung, sauber machen; drittes „S“ der 5S; Bedeutung: säubern; Arbeitsplatz wird
von Grund auf gereinigt
Seiton
Ordnung, Ordnungsliebe, Aufräumen, Arrangement; zweites „S“ der 5S; Bedeutung:
stelle ordentlich hin; was tatsächlich gebraucht wird, bekommt einen unter ergonomi-
schen Gesichtspunkten ausgesuchten, definierten und gekennzeichneten festen Platz
Sensei
früher geboren; Bedeutung: respektabler Meister, Lehrer, Mentor
Shainin
statistische Methoden zur Problemlösung und Verbesserung der Qualität; benannt nach
Dorian Shainin (1914–2000), dem Begründer der Shainin
Shikake
Stellgrößen in der Produktionsorganisation, welche technische und soziale Elemente eng
miteinander verbinden
394 29 Glossar japanischer Lean-Begriffe

Shikumi
Abläufe, Regelwerk, Schema, Schemata, Mechanismus, Vorkehrungen; Bedeutung:
Wertstrom auf aggregierter Ebene, Darstellung der Lieferkette mit Lieferanten
Shin
Zeiger
Shingo
Name für Prinzipien, Methoden, Trainings und Workshops bezüglich der Vermeidung
von Verschwendung und Qualitätsverbesserung; auch Name für einen Preis für exzel-
lente Produktion; Namensgeber ist der Ingenieur und Qualitätsexperte Shigeo Shingo
(1909–1990)
Shinkansen
Schnellzug in Japan
Shishi Odoshi
Tier-Drohung; japanische Wildscheuche, welche durch einen Wasserfluss, ein volllaufen-
des Gefäß und dessen regelmäßige spontane Entleerung ein kontinuierliches Geräusch
abgibt; Bedeutung: Umsetzung einer zyklischen Hebelbewegung aus einem kontinuierli-
chen Fluss, kann für Einfachautomatisierungen eingesetzt werden
Shitsuke
Erziehung, Disziplin, Training; fünftes „S“ der 5S; Bedeutung: Selbstdisziplin üben;
damit Ordnung und Sauberkeit aufrechterhalten werden, ist Disziplin erforderlich, d. h.
ist eine Stellfläche für ein Werkzeug definiert, gehört es immer dorthin
Shojinka
sparsamer Personaleinsatz, Reduzierung der Arbeitskraft; Bedeutung: flexibler Perso-
naleinsatz, Mitarbeiter mit hohem Flexibilitätsgrad
Shokucho
Vizemeister
Shoninka
Prozessoptimierung an Maschinen
Shoryokuka
Arbeitszeitreduzierung, Arbeitszeitverkürzung in der Produktion; Bedeutung: Mechani-
sierung von Arbeitsabläufen
Shukan
Gewohnheit, Gewöhnung, Brauch, Sitte; durch Hinzufügen von Shukan zu den 5S ent-
stehen die 6S; Bedeutung: sich daran gewöhnen; bei nachhaltiger Disziplin gehen Ord-
nung und Sauberkeit schließlich in Fleisch und Blut über
Shunin
Meister
Shusa
Chef; Bedeutung: Projektleiter, Chief-Engineer in der Produktentwicklung
Soikufu
kreatives Denken, originelle Ideen, Nutzung der Mitarbeiterkreativität
29 Glossar japanischer Lean-Begriffe 395

Sou Dan
jemanden um Rat fragen, jemanden beraten
Sushin Koyo
lebenslanges Arbeiten

T
Takto
Takt, Taktzeit
Te I In Se I
notwendige Mindestmenge an Mitarbeitern
Teian
Vorschlag
Ten Tai
Verbreitung, Entfaltung, Ausbreitung
Toyoda
üppiges Reisfeld; Familienname der Gründerfamilie der Firma Toyota
Toyota
Firmenname des multinationalen Unternehmens der japanischen Familie Toyoda, Auto-
mobilhersteller, Automarke, Ortsname in Japan; die japanische Schreibweise des Fir-
mennamens Toyota benötigt im Vergleich zum Familiennamen Toyoda nur acht Striche
für das Wort; die Acht steht in Japan für Glück und die Assoziation mit weiterem Wachs-
tum
Toyota Hoshiki
Toyota-System
Toyota Seisan Hoshiki
Toyota-Produktionssystem (TPS)
Toyota Shiki Kigyokakushin No Hohoron
Toyota-Unternehmensentwicklungsprogramm, Toyota-System

U
Ugoki
bewegen

W
Warusa Kagen
kritische und realistische Bestandsaufnahme einer Situation mit der Frage: Wie schlecht
ist die Situation wirklich?

Y
Yama
Berg
396 29 Glossar japanischer Lean-Begriffe

Yamazumi
Taktzeitdiagramm; Bedeutung: Balkendiagrammdarstellung für die Visualisierung und
Austaktung von Zykluszeiten
Yappari
Gefühlsausdruck für „wie erwartet“ bzw. Eintritt des bereits Gedachten
Yen
japanische Währung
Yo I Don
bereit machen, fertig, los
Yoke
verhindern, vermeiden; s. Yokeru
Yokeru
Verhinderung, Vermeidung; s. Yoke
Yoko
horizontal, lateral, Breite
Yokoten
auf das danebenliegende übertragen, horizontale Übertragung; Bedeutung: Weitergabe
von guten Ideen an andere Bereiche
Yoshi
zentrale Punkte; gut!
Yuka
Boden; Bedeutung: im Rahmen der 5S nichts auf den Boden stellen

Z
Zaibatsu
Holdingunternehmen im Familienbesetz
Zen
gut
Zumi
aufhäufen

Literatur

Langenscheidt (Hrsg) (2003) Universal-Wörterbuch Japanisch. Langenscheidt, Berlin


Zollondz HD (2013) Grundlagen Lean Management – Einführung in Geschichte, Begriffe, Systeme,
Techniken sowie Gestaltungs- und Implementierungsansätze eines modernen Managementpara-
digmas. Oldenbourg, München
Lösungen zu Übungsaufgaben
30

Das Problem kennen ist wichtiger, als die Lösung zu finden,


denn die genaue Darstellung des Problems führt automatisch zur
richtigen Lösung.
Albert Einstein

Zusammenfassung
Die Lösungen zu den Multiple-Choice-Fragen sowie den Rechenaufgaben, welche in
einigen Kapitelzusammenfassungen gestellt worden sind, werden vorgestellt. Die Bei-
spiele helfen dem Verständnis.

30.1 Kap. 6: Takt

Lösungen zu den Aufgaben des Kap. 6: Takt (Abschn. 6.8).

Rechenaufgabe
Für jede Produktvariante des Knalsch 3000 ist der Kundentakt zu berechnen.

Produktionszeit
Kundentakt = (30.1)
Kundenauftragsmenge

Produktvariante A – Bedarf pro Tag: 6 Teile, Arbeitszeit pro Tag: 6 h


6h h
Kundentakt = =1 (30.2)
6 Teile Teil
Der Kundentakt für die Produktvariante A beträgt 1 h.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 397


F. Bertagnolli, Lean Management,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13124-1_30
398 30 Lösungen zu Übungsaufgaben

Produktvariante B – Bedarf pro Tag: 522 Teile, Schichtzeit pro Tag: 8 h inkl. 45 min
Pause

8 h − 45 min 435 min 26.100 s s


Kundentakt = = = = 50 (30.3)
522 Teile 522 Teile 522 Teile Teil
Der Kundentakt für Produktvariante B beträgt 50 s.
Produktvariante C – Bedarf pro Tag: 25 Teile der Variante „gelb“ und 35 Teile der
Variante „blau“, Arbeitszeit pro Tag: 7 h, abzüglich Umrüstzeiten (2 mal 30 min je Tag)
7h − 2 · 30 min 6h h min
Kundentakt = = = 0, 1 =6 (30.4)
25 Teile + 35 Teile 60 Teile Teil Teil
Der Kundentakt für Produktvariante C beträgt 6 min.
Produktvariante D – Bedarf pro Tag: 1200 Stück, Arbeitszeit pro Tag: 14 h
14 h 840 min min s
Kundentakt = = = 0, 7 = 42 (30.5)
1200 Stück 1200 Stück Stück Stück
Der Kundentakt für Produktvariante D beträgt 42 s.

30.2 Kap. 7: Pull

Lösungen zu den Aufgaben des Kap. 7: Pull (Abschn. 7.8).

Multiple-Choice
Auf welchem Prinzip beruht das Kanban-System? Antwort: Das Kanban-System beruht
auf dem Pull-Prinzip (Abschn. 7.2).

Rechenaufgabe
Für jedes Zulieferteil des Knalschi 100 ist die Anzahl Karten im Kanban-Kreislauf zu
berechnen.
Teil A: 40 Teile/Behälter, Schichtzeit: 480 min inkl. 60 min Pause, Verbrauch/Schicht:
400 Stück, Wiederbeschaffungszeit: 3,5 h, Sicherheitsfaktor: 1,25

Produktionszeit = 480 min − 60 min = 420 min = 7 h (30.6)

400 Teile Teile


Verbrauch = ≈ 57 (30.7)
7h h
 
Verbrauch · Wiederbeschaffungszeit
Kartenanzahl = · Sicherheitsfaktor (30.8)
TeileLadungsträger
30.2 Kap. 7: Pull 399

 
57 Teile
h · 3, 5 h
Kartenanzahl = · 1, 25 ≈ ⌈6, 23 Behälter⌉ = 7 Behälter (30.9)
Teile
40 Behälter

Der Kanban-Kreislauf für das Teil A benötigt 7 Karten.


Teil B: 20 Teile/Behälter, 3-Schichtbetrieb mit 150 min Pause pro Tag, Verbrauch/
Tag: 1300 Stück, Wiederbeschaffungszeit: 2 h, Sicherheit: 1 h
Produktionszeit = 24 h − 150 min = 24h − 2, 5 h = 21, 5 h (30.10)

1300 Teile Teile


Verbrauch = ≈ 60,5 (30.11)
21,5 h h

1 h · 60,5 Teile
h
LadungsträgerSicherheit = Teile
≈ 3 Behälter (30.12)
20 Behälter

 
Verbrauch · Wiederbeschaffungszeit
Kartenanzahl = + LadungsträgerSicherheit (30.13)
TeileLadungsträger

60, 5 Teile
 
h · 2h
Kartenanzahl = Teile
+ 3 Behälter ≈ ⌈9, 05 Behälter⌉ = 10 Behälter (30.14)
20 Behälter

Der Kanban-Kreislauf für das Teil B benötigt 10 Karten.


Teil C: 25 Teile/Behälter, Verbrauch: 45 bis maximal 55 Stück/Stunde, Wiederbe-
schaffungszeit: 5 h, Sicherheit: 50 %
Teile
Verbrauch = Verbrauchmax = 55 (30.15)
h

Sicherheitsfaktor = 1 + 50 % = 1,5 (30.16)


 
Verbrauch · Wiederbeschaffungszeit
Kartenanzahl = · Sicherheitsfaktor (30.17)
TeileLadungsträger

 
55 Teile
h ·5h
Kartenanzahl = Teile
· 1,5 = ⌈16,5 Behälter⌉ = 17 Behälter (30.18)
25 Behälter

Der Kanban–Kreislauf für das Teil C benötigt 17 Karten.


400 30 Lösungen zu Übungsaufgaben

30.3 Kap. 8: Wertstrom

Lösungen zu den Aufgaben des Kap. 8: Wertstrom (Abschn. 8.7).

Rechenaufgabe
In der Knalsch GmbH werden pro Stunde 20 Produkte des Knalschi 100 hergestellt.
Der erste Bearbeitungsprozess hat eine Zykluszeit von 2 min, der zweite Bearbei-
tungsprozess hat eine Zykluszeit von 3 min. Der dritte Prozess benötigt pro Teil 3,5 min
und der letzte Prozess ist ein Montageprozess mit drei Stationen und einer Zykluszeit
von 5 min je Station.
Zwischen dem ersten und zweiten Prozess liegen 2 h Bestand. Zwischen dem zweiten
und dritten Prozess liegen 15 Teile. Vor dem vierten Prozess befindet sich eine Förder-
strecke, auf welche maximal 8 Teile passen.
Es ist der Kundentakt zu berechnen.
Produktionszeit
Kundentakt = (30.19)
Kundenauftragsmenge

1h 60 min min
Kundentakt = = =3 (30.20)
20 Produkte 20 Produkte Produkt
Der Kundentakt beträgt 3 min.
Es ist die Prozesszeit zu berechnen.
n
Prozesszeit =
i=1
Zykluszeiteni (30.21)

Prozesszeit = 2 min + 3 min + 3, 5 min + 3, 5 min = 8, 5 min + 15 min = 23, 5 min (30.22)

Die Prozesszeit beträgt 23,5 min.


Es ist die Durchlaufzeit zu berechnen.
m m
Durchlaufzeit = Prozesszeit + Bestandszeitj + Kundentakt · Beständej (30.23)
j=1 j=1

Durchlaufzeit = 23,5 min + 2 h + 3 min · (15 Teile + 8 Teile) (30.24)

Durchlaufzeit = 143,5min + 69min = 212,5 min. (30.25)


Die Durchlaufzeit beträgt 212,5 min.
Es ist der Flussgrad zu berechnen.
Prozesszeit
Flussgrad = (30.26)
Durchlaufzeit
30.5 Kap. 13: Produktionsbereich Fertigung 401

23,5 min
Flussgrad = ≈ 0,11 = 11 % (30.27)
212, 5min

Der Flussgrad beträgt 11 %.


Es ist der Flussfaktor zu berechnen.
Durchlaufzeit
Flussfaktor = (30.28)
Prozesszeit

212,5 min
Flussfaktor = ≈ 9,04 (30.29)
23,5 min
Der Flussfaktor beträgt 9,04.

30.4 Kap. 9: Perfektion

Lösung zu der Aufgabe des Kap. 9: Perfektion (Abschn. 9.5).

Multiple–Choice
Welche Kennzahl ist keine Qualitätskennzahl im Lean Umfeld? Antwort: Die Kennzahl
„First Time Left“ existiert nicht. Die anderen Kennzahlen werden in der Praxis angewen-
det (Abschn. 9.1).

30.5 Kap. 13: Produktionsbereich Fertigung

Lösungen zu den Aufgaben des Kap. 13: Produktionsbereich Fertigung (Abschn. 13.7).

Rechenaufgabe
Im Betrieb der Knalsch GmbH ist eine Maschine für 100 h in der Woche ausgelegt. Pro-
duziert wird in einer 5-Tage Woche.
In einer Arbeitswoche sind für Werkzeugwechsel und Rüstvorgänge 12 h eingeplant.
Störungen treten durchschnittlich 7 h pro Woche auf.
Leider kommt es durch fehlendes Material immer wieder zu Engpässen, sodass für
die Maschine eine Stunde kein Material zum Produzieren zur Verfügung steht. Die
Maschine erreicht im Durchschnitt 95 % der eingestellten Geschwindigkeit.
Trotz optimaler Prozesse produziert die Maschine 1 % Ausschuss, der nachgearbeitet
werden muss.
Wie hoch ist der Verfügbarkeitsfaktor?
Produktionszeit
Verfügbarkeitsfaktor = (30.30)
Betriebszeit
402 30 Lösungen zu Übungsaufgaben

100 h − 12 h − 7 h 81 h
Verfügbarkeitsfaktor = = = 0,81 = 81 % (30.31)
100 h 100 h

Wie hoch ist der Leistungsfaktor?


GenutzteProduktionszeit
Leistungsfaktor = (30.32)
Produktionszeit

(81 h − 1 h) · 0,95 76 h
Leistungsfaktor = = = 0,9383 = 93,83 % (30.33)
81 h 81 h
Wie hoch ist der Qualitätsfaktor?
Gutstückzahl
Qualitätsfaktor = (30.34)
Produzierte Teile

100 % − 1 % 99 %
Qualitätsfaktor = = = 99 % (30.35)
100 % 100 %
Wie hoch ist die OEE der Maschine?
OEE = Verfügbarkeitsfaktor · Leistungsfaktor · Qualitätsfaktor (30.36)

OEE = 81 % · 93,83 % · 99 % = 75,24 % (30.37)

Das könnte Ihnen auch gefallen