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Von Christina Pausackl

Aktualisiert am 11. Juli 2022, 11:45 Uhr



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ARTIKEL HÖREN

Es ist nicht immer ganz einfach, Harald Grabenhofer zu folgen, besonders, wenn er auf seinem E-Bike sitzt. "Schauen Sie da mal! Hier
rüber!", ruft er dem Fahrtwind entgegen: "Hier auf der rechten Seite sieht man ..." – dann verstummt seine Stimme in der Ferne, weil er
plötzlich auf einen Schotterweg abgebogen ist. Das kommt öfter vor. Als er später eine lange Gerade entlangfährt, zeigt er nach links und
sagt: "Schau, da ist der Kirchsee. Im Winter war ich da als Kind immer eislaufen." Ein See? Links neben der Straße sieht man weit und
breit nur: Gras. Aber Grabenhofer ist schon wieder weitergefahren.

Der 49-Jährige leitet die Forschungsabteilung des Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel im Burgenland. Er ist Ornithologe, befasst
sich vor allem mit Vögeln und deren Lebensräumen, doch er klingt nicht wie ein typischer Wissenschaftler. Grabenhofer spricht in tiefem
burgenländischem Dialekt und duzt auch fremde Leute sofort – das passiert ihm einfach. Wenn er zum Beispiel von gefährdeten
Gewässern erzählt, dann sagt er nicht Sätze wie: "Diese drohen auszutrocknen." Sondern: "Die gehen sterben." Und Grabenhofer fürchtet,
dass im Seewinkel, in dieser traditionell milden, sumpfigen Region östlich des Neusiedler Sees, bald einiges sterben gehen wird.

Nirgendwo sonst in Österreich gibt es über das Jahr so viele Sonnenstunden wie hier. "Die sonnigste Region Österreichs" – früher konnte
man mit diesem Slogan Touristen anlocken. Heute klingt er fast wie eine Warnung. Mittlerweile gibt es Leute, die deswegen den
Sommerurlaub am Neusiedler See stornieren, der inzwischen so seicht ist, dass Segelboote und Schiffsschrauben im Schlamm stecken
bleiben.

Das Zentrum des Nationalparks befindet sich in Illmitz, eine Gemeinde am See mit 2400 Einwohnern und einem gut ausgebauten
Radwegenetz. Grabenhofer fährt täglich mit dem E-Bike zur Arbeit. Er kennt in Illmitz jeden Steinhaufen, jeden Baum, jeden Sumpf. Er ist
hier aufgewachsen.

Nach einer zehnminütigen Tour durch den Nationalpark stellt er das Rad am Straßenrand ab. Er trägt ein
schwarzes T-Shirt, khakifarbene Hosen, an den Füßen Sandalen und im Gesicht einen langen Bart. Er sagt: "Das
ist der Illmitzer Zicksee." Vor ihm liegt eine weitläufige Fläche, die mit grünbraunen Gräsern und Sträuchern
bewachsen ist. Grabenhofer sieht keine Fata Morgana; auch er sieht hier kein Wasser. "Jo, das ist derzeit eine
ziemlich trockene G’schicht", sagt er. "Eigentlich eine ganz trockene."
Dieser Artikel stammt aus der
ZEIT Nr. 28/2022. Hier Der Illmitzer Zicksee und der Kirchsee, auf dem Grabenhofer vor 40 Jahren mit Schlittschuhen lief, sind
können Sie die gesamte
sogenannte Salzlacken, die eigentlich die meiste Zeit über mit Regenwasser gefüllt sein sollten. In der Regel sind
Ausgabe lesen.
sie nicht besonders tief, höchstens 70 Zentimeter, und stehen aus gutem Grund unter Naturschutz: In und um
[https://premium.zeit.de/abo/
diezeit/2022/28]
sie wachsen und leben Mikroorganismen sowie seltene Pflanzen- und Tierarten. Der Säbelschnäbler oder die
Großtrappe zum Beispiel. Oder die russische Tarantel. 2007 wurde hier erstmals wieder ein Goldschakal
gesichtet, der bis dahin in der Region als ausgerottet galt.

Vor allem im Wiener Becken fehlen die Niederschläge: Die


Grundwasserpegel erreichen dort historische Tiefstände © Vincent
Forstenlechner für DIE ZEIT

Gebiete wie der Seewinkel gibt es in Europa nur vereinzelt. Grabenhofer nennt sie "eine Tankstelle auf der Vogelautobahn". Viele
Zugvögel, die aus Sibirien nach Afrika ziehen, machen am Neusiedler See halt und fressen sich Fettreserven für die Weiterreise an.
Verschwinden die Salzlacken, verlieren die Vögel einen weiteren der wenigen Lebensräume, die ihnen geblieben sind.

Grabenhofer beugt sich hinunter zum Zickseeboden, der weich sein sollte, aber steinhart ist, und will etwas erklären. Doch stattdessen
stößt er nur ein langes "Pffffff " aus. Er wischt sich mit seinem T-Shirt dicke Schweißtropfen von der Stirn und sagt: "Bist du deppert, ist
das heiß."

Es ist Freitag, der 1. Juli um kurz vor 13 Uhr. Die Wetter-App auf dem Smartphone zeigt 33 Grad Celsius im Schatten an, doch Schatten
gibt es hier weit und breit nicht. Die Mittagssonne brennt auf die Wiesen und Weiden, auf den Schotter, das Schilf, die Sümpfe, die
Salzlacken. Der neue Monat beginnt so, wie der letzte geendet hat: extrem heiß.

Der Juni 2022 war in Österreich der viertwärmste, den die Meteorologen je gemessen haben, in den Hochlagen sogar der drittwärmste. In
einigen Regionen des Landes war es in den vergangenen Monaten aber nicht nur überdurchschnittlich warm, sondern auch extrem
trocken. Das ist jetzt immer öfter so.

Immer mehr Gewässer drohen völlig zu verschwinden


Dass Salzlacken ab und an für ein paar Wochen lang austrocknen, ist nichts Ungewöhnliches. Doch im Seewinkel drohen immer mehr
Gewässer völlig zu verschwinden. Viele sind schon weg. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in der Region rund 140 Salz- lacken, heute
sind es vielleicht noch 30. Und mit jeder Lacke, die verschwand, gingen auch Arten.
"Ich habe früher immer gesagt, die letzten Lacken werden – wenn nichts passiert – mit mir in Pension gehen", sagt Grabenhofer. Das wäre
in 15 Jahren. Doch jetzt falle seine Prognose pessimistischer aus: "Die allermeisten werden wahrscheinlich noch vor mir gehen."

Es ist vor allem der Osten Österreichs, der unter immer längeren Dürreperioden leidet. Man sieht es jetzt schon überall. Im
Nordburgenland an den Salzlacken, in den Wiener Wäldern, wo der Borkenkäfer die trockenen Fichten befällt und wo es jetzt häufiger
brennt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten habe es in den ersten Monaten des Jahres fünf bis zehn Waldbrände gegeben, sagt der
Wiener Forstdirektor Andreas Januskovecz. "Heuer haben wir bis Ende Mai 45 gehabt."

Man sieht es im niederösterreichischen Waldviertel und Weinviertel, wo die Landwirte jedes Jahr um ihre Ernte bangen, oder im Wiener
Becken, wo man in den Badeseen nicht mal mehr planschen kann und wo regelmäßig historisch niedrige Grundwasserpegel gemessen
werden.

Im Nordburgenland und im Wiener Becken, warnte kürzlich Helmut Herlicska vom Wasserleitungsverband Burgenland, habe es derart
wenig geregnet, dass "uns in fünf Jahren ein gesamter mittlerer Jahresniederschlag fehlt". Es werde regionale Engpässe beim
Grundwasser geben, man müsse rechtzeitig reagieren.

Das Wald- und das Weinviertel in Niederösterreich müssen künftig von


anderen Regionen mit Wasser beliefert werden, weil es dort zu wenig gibt.
© Vincent Forstenlechner für DIE ZEIT

Prognosen des Landwirtschaftsministeriums sagen eine ähnliche Entwicklung voraus. Bis 2050 könnten die Grundwasservorräte um 23
Prozent von 5,1 Milliarden auf 3,9 Milliarden Kubikmeter zurückgehen, in manchen Regionen um mehr als 30 Prozent, heißt es in der
Studie Wasserschatz Österreichs aus dem Herbst 2021. Was besonders ungünstig ist: Die Studienautoren rechnen damit, dass der jährliche
Wasserbedarf, der derzeit bei rund 1200 Millionen Kubikmetern liegt, bis 2050 um etwa 15 Prozent steigen wird, in manchen Gemeinden
um bis zu 50 Prozent. Das habe vor allem mit dem erwarteten Bevölkerungswachstum und den Klimaveränderungen zu tun.
Meteorologen und Klimaforscher gehen derzeit nämlich davon aus, dass es im Jahresmittel künftig gar nicht viel weniger Niederschlag
geben wird, vielleicht sogar etwas mehr. Er verteilt sich nur anders. Längere Trockenphasen werden sich mit extremen Regenfällen
abwechseln. "Doch der Boden kann in so kurzer Zeit nicht so große Wassermengen aufnehmen", sagt Martin Angelmaier, der die
Abteilung Wasserwirtschaft des Landes Niederösterreich leitet. Das sehe man auch in Kärnten, wo es in der Vorwoche so stark geregnet
hat, dass es zu schweren Hochwassern und Murenabgängen kam.

Das Land Niederösterreich hat sich gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) angesehen, wie sich
seine Wasserressourcen bis 2050 entwickeln werden. Das Ergebnis: "Wir werden landesweit noch ausreichend Wasser haben, aber es
wird regional sehr unterschiedlich verteilt sein", sagt Angelmaier. Im Südwesten, im Bereich der Kalkalpen etwa, werde es in Zukunft viel
mehr Wasser geben, als benötigt wird. Im Weinviertel wiederum sieht die Lage ganz anders aus, dort werde es richtig knapp. "Unsere
Strategie ist, dass wir in einen überregionalen Ausgleich investieren." Das heißt: Wasser wird innerhalb des Landes umgeleitet. Das
passiert jetzt schon. Das nördliche Weinviertel etwa säße ohne Zuleitung aus dem Tullnerfeld und Marchfeld längst auf dem Trockenen.
Und gerade wird eine weitere große Transportleitung aus dem Donauraum bei Krems ins Waldviertel gebaut. "Fest steht: Wir müssen alle
sorgsam mit der Ressource Wasser umgehen", sagt Angelmaier. "Es wird etwas knapper." Grund zur Panik gebe es für die nächsten Jahre
trotzdem nicht.

Die Anrainer des Anemonensees oder des Föhrensees sehen das anders. Die sogenannten Schotterteiche im Raum Wiener Neustadt
werden ihrem Namen derzeit mehr als gerecht: Die ehemals türkis-grünen Gewässer und beliebten Badeorte sehen jetzt aus wie
Steinwüsten.

Wo früher Moor war, sind jetzt Weingärten


Den Badeorten in Niederösterreich geht das Wasser aus: Das hermalbad in
Bad Fischau wird seit Jahrhunderten von drei Quellen versorgt. Jetzt sind
zwei versiegt. © Vincent Forstenlechner für DIE ZEIT

Auch im Thermalbad in Bad Fischau, einer 3500-Einwohner-Gemeinde wenige Autominuten von Wiener Neustadt entfernt, werden
nicht mehr alle Becken voll. "Es ist eine Tragödie", sagt Reinhard Knobloch, während er an einem heißen Sommertag das Tor zum Bad
aufsperrt. Knobloch, 61, ist seit 15 Jahren ÖVP-Bürgermeister im Ort, aber so etwas wie heuer, sagt er, habe er noch nie erlebt. Auch seine
Amtsvorgänger nicht. Jahrhundertelang versorgten drei Thermalquellen das Fischauer Bad, jetzt sind zwei davon versiegt. Und auch die
dritte führt viel weniger Wasser als üblich.

Wer das Thermalbad betritt, dem weht noch ein Hauch Kaiserzeit entgegen, der sieht mintfarbenes Gusseisengeländer und Holzkabinen,
gestrichen in sattem Gelb und Grün, dazwischen akkurat geschnittene Wiesen. Die Anlage steht unter Denkmalschutz. Bis die Gemeinde
sie im Jahr 1992 übernahm, war sie im Besitz der Familie Habsburg. Während Knobloch den Weg zwischen den beiden Becken
entlangführt, grüßt er jeden vorbeigehenden Badegast: "Servus, hallo, hallo." In dem Becken rechts schwimmen ein paar Leute im Wasser,
links stehen zwei Liegestühle am Boden. Das Becken ist leer. Der Bürgermeister zeigt auf ein Loch in einer Steinwand und sagt: "Da ist
früher das Wasser nur so herausgesprudelt, da hat es dir die Badehose fast runtergerissen." Jetzt tropft es da nur.

Knobloch hat ein geologisches Gutachten in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wo genau das Problem liegt. Sonst könne er nur
abwarten – bis der Regen kommt und das Wasser wieder fließt. "Und das Beste draus machen", sagt er. Seit Jahren finden im Fischauer
Thermalbad jeden Montag im Sommer Veranstaltungen mit Musik und Lesungen statt, der Blue Monday. Jetzt gibt es auch ein Kulturevent
am Freitag. Sie nennen es: Dry Friday.

Auch andere Regionen im Osten Österreichs leiden unter den längeren


Trockenperioden, besonders der Seewinkel im Burgenland. © Vincent
Forstenlechner für DIE ZEIT

Das Fischauer Bad ist von den Quellen abhängig, die Salzlacken im Seewinkel sind auf das Grundwasser angewiesen. "Das System ist ein
bissl komplizierter", sagt Harald Grabenhofer vom Nationalpark. Vereinfacht läuft das so: Man muss sich die Lacken als eine Art Wannen
vorstellen. Darunter liegt ein sogenannter salzführender Bodenhorizont. Wenn das Grundwasser hoch genug ist, drückt es gegen die
Wannenwand und presst Salze an die Oberfläche. Im Sommer, wenn die meisten Lacken austrocknen, blühen Salze an der Oberfläche aus
und bilden einen Salzboden. Der sorgt dafür, dass sich Regenwasser länger hält. Doch das funktioniert seit Jahren nicht mehr richtig, das
Grundwasser ist meistens zu niedrig.

Das liegt nicht nur am Regen. Seit dem 19. Jahrhundert umgibt den Neusiedler See ein Kanalsystem, das die Region bis heute entwässert.
"Zwischen 40 und 100 Prozent des jährlich gebildeten Grundwassers wird abgeleitet", sagt Grabenhofer. "Wir müssen dringend
Stauwerke bauen" – um das Wasser im Gebiet zu halten. Laut dem Land Burgenland sei das bereits geplant. Man arbeite an der
Umsetzung.

Aber es gibt noch einen anderen Interessenkonflikt, der das Problem verschärft: Wo früher Moor war, sind jetzt Weingärten und
Gemüseäcker. Und die Landwirte im Seewinkel müssen ihre Pflanzen gießen, damit sie wachsen. Dafür verwenden sie vor allem
Grundwasser, das dann den Salzlacken fehlt.

Das Problem wird in Zukunft größer werden. Die Landwirtschaft verbraucht derzeit zwar nur rund zwei Prozent des Grundwassers, doch
bis 2050 wird sich der Bedarf laut Berechnungen des Landwirtschaftsministeriums verdoppeln. Dazu kommt: 90 Prozent der
bewässerten Flächen liegen ausgerechnet dort, wo die Grundwasserspiegel sinken und die Niederschläge ausbleiben: im Marchfeld, im
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