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Nationale und Kapodistrische Universität Athen


Philosophische Fakultät
Fachbereich für deutsche Sprache und Literatur

Weiblichkeit und Tod


im Werk von
Karoline von Günderrode, Maria Polydouri,
Inge Müller und Katerina Gogou

Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades doctor
philosophiae am Fachbereich Germanistik

vorgelegt von Virginia Agape Spyratou

Gutachterinnen
1. Prof. Dr. Katerina Mitralexi
2. Prof. Dr. Anastasia Antonopoulou
3. Prof. Dr. Olga Laskaridou
-2-

« ’

’ .»
Sylvia Plath

„Worte können töten.“


Heinrich Böll
-3-

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung… 5

1.Einleitung… 7
1.1. Die Untersuchung… 7
1.2. Weiblichkeit und Todesproblematik in der Literatur von Frauen… 11
1.2.1. Weiblichkeitsentwürfe… 11
1.2.1.1. Die imaginierte Weiblichkeit in der Literatur von Männern… 11
1.2.1.2. Konzeptionen des Weiblichen in Werken von Frauen… 14
1.2.2. Der kulturelle Ort des Weiblichen… 20
1.2.3. Frau und Tod… 25
1.2.3.1. Die Verbindung von Frau und Tod im Patriarchat... 25
1.2.3.2. Tod und weibliche Ästhetik… 28
1.3. Textauswahl und eigenes Vorgehen… 34
1.3.1. Lyrik von Frauen… 34
1.3.2. Textauswahl… 41
1.3.3. Aufbau und Methode… 43
1.4. Überschreitung der nationalen und zeitlichen Grenzen… 47

2. Vorstellung der Dichterinnen… 50


2.1. Biographie, Werk, Rezeption… 50
2.2. Stand der Forschung… 66

3. Karoline von Günderrode (1780-1806)… 71


3.1. Das Motiv des weiblichen Heldentodes… 74
Die Figur der Prophetin… 77
Die Figur der männlichen Heldin… 80
3.2. Das Motiv des Liebestodes… 90
Bräute des Todes. „Die Malabarischen Witwen“ … 91
Die Verlassene. „Zilia an Edgar“ … 95
Die sich Aufopfernde. „Die Bande der Liebe“ … 99
Die Betrogene. „Ariadne auf Naxos“ … 105
3.3. Das tödliche Schreiben einer ‚nicht existierenden’ Frau… 109

4. Maria Polydouri (1902-1930)… 112


4.1. Die Darstellung weiblicher Kunstobjekte… 116
Das weibliche Objekt des Blickes. « ’ » … 117
Die schöne Moribunde. « ’ » … 126
4.2. Das Motiv der Frau beim Totentanz… 130
Madame La Mort. « » … 131
4.3. Die Darstellung der Frau zwischen Leben und Tod… 134
Die Trauernde. « …» … 135
Das weibliche Sexualobjekt. « » … 141
4.4. Literarisches Überleben um den Preis der Selbstzensur… 146

Übergang… 149
-4-

5. Inge Müller (1925-1966)… 152


5.1. Der Tod als Weg zur weiblichen Identität… 156
Die Frau ohne Gesicht. „Meine Mutter wollt mich nicht haben…“ … 156
5.2. Kritik an der herrschenden Hierarchie… 162
Die Vergaste. „Europa“ … 162
5.3. Die Figur der Mörderin aus Pflicht… 166
Die Tochter von Preußen. „Potsdam 45“ … 166
5.4. Figuren von Soldatinnen… 169
Der weibliche Soldat. „Einberufung“ … 169
Die Frau ohne Spiegelbild. „Brief einer Wehrmachthelferin“ … 171
Die deutsche Frau. „Feuerprobe“ … 175
5.5. Tödlicher Angriff auf die Blindheit… 180

6. Katerina Gogou (1940-1993)… 183


6.1. Das weibliche Ich begegnet dem Tod… 186
Die lebendige Tote. « » … 186
6.2. Neue Dimensionen alter Frauenbilder… 190
Die Prostituierte. « …» … 190
Die schöne Tote. « » … 195
Die Mutter. « » … 200
6.3. Die Destruktionskraft in weiblichen Händen… 204
Die Mörderin. « » …205
Die Furie. « …» … 209
6.4. Die zornige Stimme gegen die patriarchalische Gewalt… 213

7. Vergleichende Schlussbetrachtung… 215

8. Anhang: Wirkungsgeschichte… 220

9. Literaturverzeichnis… 224
9.1.Texte und Dokumente… 224
9.2.Weitere Primärliteratur… 225
9.3. Sekundärliteratur… 225
9.3.1. Zu Karoline von Günderrode… 225
9.3.2. Zu Maria Polydouri… 226
9.3.3. Zu Inge Müller… 228
9.3.4. Zu Katerina Gogou… 229
9.3.5. Sonstige Sekundärliteratur… 230
-5-

Vorbemerkung

Diese Arbeit hätte ohne den Beitrag von wichtigen Personen weder angefangen noch
abgeschlossen werden können.

Besonders danken möchte ich Frau Prof. Dr. Katerina Mitralexi (Universität
Athen), die mir die Möglichkeit für die Verfassung der Dissertation gegeben hat, und
deren wissenschaftliche Betreuung, ihre Anregungen und Herausforderungen äußerst
produktiv waren. Mein Dank für ihre Beratung und Unterstützung während meiner
Arbeit gilt auch Frau Prof. Dr. Anastasia Antonopoulou, die mir den einzigen Artikel
über die Dichtung von Katerina Gogou gereicht hat, wie auch Frau Prof. Dr. Olga
Laskaridou (Universität Athen).

Gefördert wurde diese Arbeit mit einem Forschungsstipendium des Deutschen


Akademischen Austauschdienstes, das mir einen dreimonatigen Aufenthalt (Juni-
August 2002) in Berlin erlaubte. Während dieser Zeit war die Gesamtheit der
Primärliteratur von Inge Müller und Karoline von Günderrode wie auch eine große
Menge der Sekundärliteratur erworben worden. Außerdem hatte ich die Erlaubnis das
Inge-Müller-Archiv in der Akademie der Künste zu untersuchen. Das war eine
einzigartige Möglichkeit, die Manuskripte und die Notizen von Inge Müller zu
untersuchen: Noch nicht veröffentlichte Verse und Entwürfe wie auch die Vorstufen
von den Gedichten, die schon veröffentlicht worden sind. Außerdem wurde ich durch
ein Stipendium des japanischen Instituts Sasakaua unterstützt. Für beide Förderungen
bin ich äußerst dankbar.

Nicht aus Pflicht, sondern aus Freude, weil so viele Leute Lust am Beitragen,
Suchen und Diskutieren hatten, danke ich außerdem herzlichst Herrn Prof. Dr. Rolf-
Peter Janz (Freie-Universität, Berlin), Frau Prof. Dr. Marlies Janz (Freie-Universität,
Berlin), Frau Dr. Maren Horn (Akademie der Künste, Berlin), Frau Prof. Dr. Maria
Gasouka (Ägäis Universität), Herrn Prof. Dr. James C. Kaufman (California State
University San Bernardino), Herrn Kostas Ferris (Athen), Herrn Lakis Fourouklas
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(Zypern), Herrn Dimitris Alexiou (Athen), Herrn Nikolas Leontopoulos (Athen), Frau
Penny Fassouli (Athen), Frau Despina Chatzaki (Korfu). Mein Dank gilt auch den
Bibliothekaren der Universitätsbibliothek der FU in Berlin und den Redaktionen der
Zeitschriften „Das Argument“, „Ästhetik und Kommunikation“ und „Die Neue
Gesellschaft. Frankfurter Hefte“. Besonders herzlich danke ich Herrn Dr. Ioannis
Deligiannis für seinen wissenschaftlichen und persönlichen Beitrag, für die
unzähligen, langen Gespräche und für seine ununterbrochene Ermutigung.

Die Arbeit widme ich meinen Eltern.

Athen, Juli 2007


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1. Einleitung

1.1. Die Untersuchung

Im Zentrum dieser Arbeit stehen die Lyrik von vier Dichterinnen und ihre Analyse
unter der Perspektive der feministischen Literaturwissenschaft. Analysiert werden
Gedichte von Karoline von Günderrode (1780-1806) und Inge Müller (1925-1966)
aus Deutschland, Maria Polydouri (1902-1930) und Katerina Gogou (1940-1993) aus
Griechenland. Folgende Arbeitshypothesen dienen uns als Ausgangspunkt:

o Schreibende Frauen entwerfen Imaginationen des Weiblichen und drücken


sich literarisch innerhalb der androzentrischen Ordnung in verschiedenen
Weisen aus.

o Eine dieser Weisen hängt mit der Verbindung der Weiblichkeit mit dem Tod
zusammen.

o Der Lyrik wird wegen der Dynamik der lyrischen Sprache eine besondere
Bedeutung beigemessen, da sie viele Möglichkeiten der Konstruktion und
Dekonstruktion erlaubt.

Wir gehen von der These aus, dass die Weiblichkeitsentwürfe der Frauen nicht
unabhängig von den patriarchalischen Imaginationen des Weiblichen existieren
(Bovenschen 1979). In der patriarchalischen Kultur hat nämlich die Frau nicht die
Position des Subjekts, sondern wird mit Bezug auf den Mann bestimmt, was sie von
ihrem Geschlecht entfremdet. Wenn Frauen aus dem Schweigen heraustreten, haben
sie schon die männliche Optik verinnerlicht und sehen sich selbst unter dieser
Perspektive. Ihre Imaginationen sind daher oft ambivalent, was ihren Werken unter
Umständen eine besonders aufständische und innovative Dynamik verleihen kann
(Lenk 1976). Diese Untersuchung befasst sich genau mit den Widersprüchen und der
Dynamik der von den vier Autorinnen geschaffenen Frauenbilder.
-8-

Die literarische Produktion schreibender Frauen kann unter Umständen als


literarischer Befreiungsversuch erkannt werden, die fremden Zurichtungsmuster zu
überwinden. In dieser Arbeit werden solche Werke von Frauen unter die Lupe
genommen, die die patriarchalischen Weiblichkeitsimaginationen literarisch
durchqueren, was die Frauen zum Geschlechtsbewusstsein und zur Identitätsfindung
führen kann. Besonders für die Autorinnen nach der Mitte des 20. Jahrhunderts ist der
‚schielende Blick’ zu erkennen, nämlich die bewusste Überwindung der
patriarchalischen Weiblichkeitsimaginationen und die gleichzeitige Verbindung mit
gesellschaftlicher Thematik (Weigel 1984).

Die Verbindung zwischen Tod und Weiblichkeit in den Werken von Frauen wird
nicht nur als Zeichen für einen verinnerlichten Opferstatus, sondern auch als Schritt in
die Richtung der Identitätsfindung analysiert. Denn die von Frauen benutzten
Vernichtungsmotive bewegen sich zwischen Komplizenschaft mit der Kultur und
Kritik an ihr, wodurch eventuell der kulturelle Ort der Frau entsteht. Das Motiv der
Verbindung des Weiblichen mit dem Tod ist äußerst wichtig für die androzentrische
Ordnung, denn dadurch wird die Identifikation der Frau mit dem Tod, also mit dem
Anderen gefestigt. Tod und Weiblichkeit gehören zum gleichen Paradigma, dem der
Andersheit; darüber hinaus sichert das Bild der toten Frau die gesellschaftliche
Ordnung. Gleichzeitig ermöglicht die Zurschaustellung des toten Körpers die
Inbesitznahme des ‚Anderen’. Deswegen wird dieses Motiv im Patriarchat so oft
benutzt und deswegen ist jede Kritik an der männlichen Ordnung durch dieses Motiv
seitens der Frauen sehr bedeutend (Bronfen 1992).

Der Zusammenhang zwischen Frauenbildern und den Todesmotiven (Keller


2000), der im Werk der vier Autorinnen auftaucht, aufzuzeigen und zu analysieren, ist
ein Untersuchungsziel dieser Arbeit. Dabei muss vermerkt werden, dass die lyrische
Sprache viele Möglichkeiten der Dekonstruktion anbietet (Lorde 2002, Douka-
Kabitoglou 1998), was die Formulierung des Schwankens zwischen Bejahung und
Ablehnung erlaubt. Die Bedeutungsvermehrung als Element der lyrischen Sprache
macht die Lyrik eine utopisch-subjektive Alternative zur ideologisch-objektiven
Sprache der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Adorno, 1981 [1965]), woraus Töne und
Motive entwickelt werden, die zu einem individuellen Selbstausdruck der Frauen
führen können (Calder/Goodman 1996).
-9-

Festzustellen ist die Art und Weise, auf die Autorinnen den Tod und die Bilder des
Weiblichen in ihrer Dichtung einschreiben: Ob und inwieweit die Zuschreibung der
Weiblichkeitsbilder in Verbindung mit Todesmotiven im Einklang mit dem
herrschenden Diskurs (Bronfen 1992, Guthke 1997, Kaiser 1995) steht oder aber sich
ihm widersetzt.

Aus dieser Zielsetzung ergeben sich Fragen in Bezug auf das Werk der vier
Dichterinnen, die zu beantworten sind und die als grundlegende Problematik der
Untersuchung gelten:

o Welche besonderen Weisen literarischen Ausdrucks stellt man in ihren


Gedichten fest?

o Welche Muster und Motive weiblicher Vernichtung bzw. Verbindung der Frau
mit dem Tod sind in ihrer Lyrik zu finden?

o Welches ist das Verhältnis des weiblichen lyrischen Ich zum Tod?

o Inwieweit sind die Weiblichkeitsimaginationen der Dichterinnen in Einklang


mit dem ideologischen Rahmen des Patriarchats und somit Spiegelungen der
Frauenbilder der androzentrischen Kultur?

o Weist ihre Lyrik eine zweite Ebene auf, auf der männliche Muster unterlaufen
werden?

Bestimmung theoretischer Begriffe im Rahmen der Arbeit

Weiblichkeit steht im Rahmen dieser Arbeit in Verbindung mit gender, also mit
dem sozial und kulturell erworbenen und geprägten Geschlecht, das vom biologischen
Geschlecht (sex) zu unterscheiden ist.1 Sie ist also ein Produkt von Ideologie und
sozialen Vereinbarungen und wird als solcher von den jeweiligen Erwartungen, die
die Gesellschaft von Frauen hat, bestimmt. Weiblichkeit ist die Projektion von

1
Vgl. Jutta Osinski: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft. Berlin: Erich Schmidt
1998, S. 105 ff.
- 10 -

Normen, die Aussehen, Verhalten, Fähigkeiten, Bedürfnisse, Rechte und Funktionen


in der Gesellschaft betreffen.

Unter einem Frauenbild ist eine Ideologieproduktion, eine Projektion männlicher


Phantasie zu verstehen, eine Imagination nämlich von in der historischen Realität so
nicht existierender Weiblichkeit. Frauenbilder sind Produkte der patriarchalischen
Kultur und als solche sowohl von männlichen als auch von weiblichen Autoren
benutzt. Sie sind informativ, nicht was die Existenz realer Frauen angeht, sondern im
Sinne der Aufdeckung der ideologischen Konstruktion von Weiblichkeit. Der Inhalt
der Frauenbilder ist nicht in allen Epochen derselbe, denn ihre Funktion wird
soziokulturell bestimmt.

Mit falschem Bewusstsein ist im Allgemeinen ein von verschiedenartigen


Faktoren bestimmtes Bild von Realität gemeint, das nicht als Abbild der Wirklichkeit
gelten kann. Wenn wir in dieser Arbeit auf das falsche Bewusstsein der Frauen
hinweisen, dann meinen wir damit die Weiblichkeitsimaginationen, die von den
Frauen nach der Nachahmung der herrschenden Ideologie des Patriarchats entwickelt
werden (Gilbert/Gubar 1979, Gabel 1977).

Mit Strategien weiblichen Schreibens sind nach Weigel die Strukturen weiblicher
Ausdrucksmöglichkeiten in einer patriarchalischen Kultur gemeint, die
widersprüchlich, oft unbewusst und in verschiedenen Epochen unterschiedlich waren,
die aber Frauen erlaubten nicht nur sich literarisch auszudrücken, sondern auch oft
aus der Rolle zu fallen. Das Wort „Strategie“ soll in diesem Rahmen nicht
zwangsweise als Ausdruck von polemischer oder kritischer Literatur interpretiert
werden, da Weigel zum Begriff der Strategie u.a. auch partielle Anpassung,
Unterwerfung und Pseudonyme zählt.2

Die Identitätsfindung der Frauen wird als ein Emanzipationsversuch verstanden:


Die weiblichen Autoren versuchen durch ihr Werk, die patriarchalischen Stereotype
von Weiblichkeit zu enthüllen und von ihnen befreit zu werden. Dieser Prozess hilft
ihnen ihre Identität zu finden, die im Rahmen des literarischen Ausdrucks keine
unveränderliche Größe ist, sondern als eine Bewegung zwischen den Frauenbildern
verstanden wird.

2
Vgl. Sigrid Weigel: Der schielende Blick. Thesen zur Geschichte weiblicher Schreibpraxis. In:
Stephan, Inge/ Sigrid Weigel: Die verborgene Frau. Argument-Sonderband 96, Hamburg 1984, S. 89 f.
- 11 -

Als Vernichtungsmotive gelten allerlei Todesmetaphern, Erlösungsphantasien und


Selbstzerstörungsäußerungen in Werken von Autorinnen, die im Zusammenhang mit
einem imaginierten Bild von Weiblichkeit stehen, und Gründe oder Ergebnisse der
Bestimmungsversuche vom weiblichen Ich sind.

1.2. Weiblichkeit und Todesproblematik in der Literatur von Frauen

1.2.1. Weiblichkeitsentwürfe

1.2.1.1. Die imaginierte Weiblichkeit in der Literatur von Männern

Obwohl unsere Arbeit zur Kategorie von „gynocritics“ und nicht zu der von „feminist
critique“3 gehört, ist der Umweg über die männlich geprägten Frauenbilder4 und die
theoretische Auseinandersetzung mit patriarchalischen Weiblichkeitsimaginationen
notwendig, damit die Weiblichkeitsentwürfe von Frauen verstanden und kritisiert
werden. Die Frauenliteratur wurde nämlich innerhalb der androzentrischen Kultur
entwickelt und direkt oder indirekt von ihr beeinflusst. In diesem Rahmen ist Silvia
Bovenschens Buch „Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu
kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen“ (1979)
von Bedeutung.5

3
Die Begriffe stammen von Showalter, die meinte, dass solange die feministische Literatur-
wissenschaft sich an androzentrischen Vorstellungen orientiere, der Gewinn für die Findung einer
weiblichen Identität gering bleibe. Sie schlägt deswegen vor, dass das Fachgebiet, das sich nur mit der
von Frauen verfassten Literatur befasst, ‚gynocritics’, während die Kritik an der kanonisierten Literatur
des Patriarchats ‚feminist critique’ genannt wird. Auf diese Weise wurde der feministischen
Literaturkritik eine eigene theoretische Grundlage gegeben, die über die androzentrische Literatur
hinausging. (Vgl. Elaine Showalter: Feminist Criticism in the Wilderness. In: Elisabeth Abel (Hg.):
Writing and sexual Difference. Chicago: The University Chicago Press 1982 (1980), S. 12, 14.)
4
Unter dem Begriff „Frauenbilder“ sind in der feministischen Literaturwissenschaft die Projektionen
des Weiblichen in kanonisierten Werken männlicher Autoren zu verstehen.
5
Bovenschens Buch gehört zu einer Reihe von Untersuchungen über Frauenbilder und –imaginationen
in literarischen Werken von Männern, unter denen die Arbeiten von Simone de Beauvoir (
[Le Deuxiéme Sexe]. Athen: Glaros Verlag 1979), Kate Millet (Sexual Politics. New York 1969)
und Judith Fetterley (The Resisting Reader. A Feminist Approach to American Ficition. Bloomington
1978) zu finden sind.
- 12 -

Bovenschens Ansatz6, dessen theoretische Grundlage die Werke von Adorno und
Horkheimer sind7, untersucht die Produktion von Frauenbildern als eine Form von
Ideologieproduktion, die über die wahren Machtverhältnisse in der Gesellschaft
hinwegtäuscht. Die Analyse der ideologischen Zusammenhänge, die mit der
Konstruktion des Weiblichen im Patriarchat in Verbindung steht, führt zur Enthüllung
des falschen Bewusstseins der Frauen8 und somit zu einer Klärung der Bedingungen
von Teilnahme der Frauen an der Kultur, der ambivalenten weiblichen
Literaturproduktion und zu einem Vorschlag, männliche Weiblichkeitsprojektionen
zu hinterfragen.

Bovenschen versucht den Ort der Frauen in der Kultur zu erklären, indem sie die
Struktur kultureller und ideologischer Grundmuster, in denen Vorstellungen vom
Weiblichen organisiert werden, untersucht. Sie geht vom Zusammenhang zwischen
der Fülle von Weiblichkeitsbildern in der Literatur und dem Fehlen von Frauen als
Kulturträgerinnen aus, denn „einem großen und breiten Panoptikum imaginierter
Frauenfiguren stehen nur wenige imaginierende Frauen gegenüber“9, wobei sie ein
Grundverständnis von Weiblichkeit feststellt, bei dem die Frau als Verkörperung der

6
Inge Stephan stellt die vier Forschungsansätze zur Untersuchung von Frauenbildern in männlicher
Literatur dar: den psychoanalytischen (vgl. Christa Rohde-Dachser: Expedition in den dunklen
Kontinent. Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse. Berlin, Heidelberg 1991), den
matriarchalischen (stellvertretend dabei sind die Studien von Heide Göttner-Abendroth „Die Göttin und
ihr Heros“. München: Frauenoffensive 1997 (1980), dies. „Die tanzende Göttin. Prinzipien einer
matriarchalen Ästhetik“. München: Frauenoffensive 2001 (1982)), den sozialgeschichtlichen (Stephan
erwähnt kein bestimmtes Beispiel eines solchen Ansatzes, allerdings ist uns eins aus der griechischen
Literaturwissenschaft bekannt: Es handelt sich um das Buch von Maria Gasouka: «
» [Die soziale Stellung der Frauen im Werk von
Papadiamandis]. Athen: Filippoti Verlag 1998) und den ideologiekritischen (Silvia Bovenschen: Die
imaginierte Weiblichkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003 (1979). (Vgl. Inge Stephan: „Bilder und
immer wieder Bilder...“. Überlegungen zur Untersuchung von Frauenbildern in männlicher Literatur.
In: Stephan, Inge/ Sigrid Weigel: Die verborgene Frau. 3. Aufl. Das Argument: Argument-Sonderband
96, Hamburg, 1984, S. 15-34).
7
Th. W. Adorno: Ästhetische Theorien, in: Th. W. Adorno: Gesammelte Schriften, Frankfurt/ 1970,
Ders.: Drei Studien zu Hegel, Frankfurt/ 1963, Ders.: Prismen, München 1963, M. Horkheimer/Th.
W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1947.
8
Literarische Texte, auch solche, die objektive Thesen jenseits von Machtsystemen zu vertreten
versuchen, bleiben Träger von Ideologien, da sie nicht im ideologischen Vakuum produziert worden
sind. (Vgl. Terry Eagleton: [Marxismus und die
Literaturkritik]. Athen: Ypsilon 1981, S. 39). Jede Ideologie ist Produkt der gesellschaftlichen
Verhältnisse und verursacht bestimmte soziale und politische Ergebnisse, was die
Wirklichkeitsprägung betrifft; das Patriarchat, wie jede herrschende Ideologie, sichert seine Existenz
wie auch die Zustimmung der Beherrschten ab, indem es ein falsches Bewusstsein schafft. Das falsche
Bewusstsein betrifft die sozialen Bedingungen der weiblichen Existenz innerhalb der patriarchalischen
Gesellschaft und entsteht dadurch, dass der soziale Charakter der Entstehung von Geschlechterrollen
verborgen bleibt und auf ‚natürliche Gesetze’ zurückgeführt wird. Das patriarchalische Machtsystem
hat bestimmt, welche Rolle die Frau in der männlichen Welt zu spielen hat und hat erreicht, dass seine
Ideologie durch die Kultur für selbstverständlich und natürlich gehalten wird.
9
Vgl. Silvia Bovenschen : Die imaginierte Weiblichkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 12.
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Natur erscheint: „So wird die Frau mit dem metaphysisch verklärten Prinzip Natur in
eins gesetzt; sie wird zugleich erhoben und erniedrigt, und zwar so hoch und so tief,
daß sie in den gesellschaftlichen Lebenszusammenhängen keinen Platz mehr
findet.“10 Die Vorstellungen vom ‚Naturwesen’ Frau hätten zum Ausschluss der Frau
aus der Kultur geführt, da die Sphären Kultur und Natur im zivilisatorischen Prozess
unvereinbar wären.

Die Begriffe ‚Frau’ und ‚Weiblichkeit’ hätten nach Bovenschen nur in den Bildern
männlicher Projektionen existiert; diese imaginierte Weiblichkeit sei also das
‚Andere’, das aus der Geschichte und der Kultur ausgeschlossen sei. Das Weibliche
wurde in männlichen Werken durch widersprüchliche Imagines repräsentiert wie das
der Hexe, der Unschuldigen, der Verführerin, der Mörderin, der Mutter oder der
Geliebten, wobei diese Bilder die einzigen geschichtlichen Manifestationen des
Weiblichen seien. Die Frauen hätten keine Identität außerhalb ihres Mythos, denn
gerade ihre Identifikation mit dem Ausgegrenzten habe sie daran gehindert, eine
eigene Identität und Geschichte auszubilden. Ganz im Gegenteil materialisierte sich
die mythologisierte und idealisierte Weiblichkeit in den Beziehungen der
Geschlechter und im Verhältnis der Frauen zu sich selbst, das eigentlich aus diesem
fremden Stoff gewonnen worden sei. Dabei seien die Grenzen zwischen
Fremddefinition und eigener Interpretation nicht mehr auszumachen. Die realen
Frauen schwiegen und selbst ihre Stummheit sei Teil ihrer Mythologisierung und von
einer stellvertretenden Rede über das Weibliche zugedeckt.

Bovenschen macht eine wichtige Bemerkung über die Frauenliteratur, indem sie
betont, dass die literarische Produktion von Frauen nicht ohne weiteres für Material
authentischer Weiblichkeit gehalten werden sollte. Viele schreibende Frauen hätten
sich an männliche Kunstformen und –inhalte angepasst und sich „vielmehr an den
normativen poetischen und poetologischen Vorgaben ihres jeweiligen männlich
geprägten kulturellen Umfeldes“11 orientiert. Die Imaginationen der Autorinnen vom
Weiblichen seien selber eine Spiegelung des vom Patriarchat strukturierten
Weiblichen, eine Spiegelung also der männlichen Projektionen: „Denn das Bild der
Frau von der Frau besteht keineswegs unabhängig von jener gigantischen,
jahrhundertelang angereicherten Bildergalerie des Weiblichen, die mit den

10
Ebd., S. 31 f.
11
Ebd., S. 42.
- 14 -

ästhetischen Objektivationen und den Trivialmythen bestückt ist.“12 Den realen


Frauen würde keine Ausdruckserlaubnis erteilt, es sei denn, sie reproduzierten die
männlichen Projektionen und folgten den männlichen Regeln.13

Als die einzige Möglichkeit der weiblichen Darstellung, sieht Bovenschen die
Imitation patriarchalischer Weiblichkeitsbilder seitens der Frauen, insofern sie von
ihnen bewusst gebraucht und nicht für rein weibliche Authentizität gehalten werde.
Frank Wedekinds Doppeldrama „Erdgeist“ (1895) und „Die Büchse der Pandora“
(1902) dient ihr als Beispiel, da die Lulu-Figur als Objekt im Besitz von häufig
wechselnden Männern eine Selbsterkenntnis und eine gewisse Freiheit nur über die
Adaption und die nachfolgende Negation der männlichen Ergänzungsbestimmungen
gewinne.14 Statt sich mit einem Bild zu identifizieren, spiele Lulu bewusst und
freiwillig mit den zugeschriebenen Rollen, um den patriarchalischen Zuweisungen zu
entkommen; deswegen könne diese von einem Mann konstruierte Figur zum Symbol
weiblicher Befreiung von den Rollenzwängen werden und zur Inspiration für die
Autorinnen und Wissenschaftlerinnen.

1.2.1.2. Konzeptionen des Weiblichen in Werken von Frauen

Unter Berücksichtigung dieser Punkte kann man in der Literatur von Frauen die
Produktion von Imaginationen ihres Geschlechts erklären und den Prozess der
weiblichen Identitätsfindung durch die produzierten Frauenbilder nachvollziehen.
Bovenschen war nicht die erste Wissenschaftlerin, die bemerkte, dass die

12
Ebd.
13
Das Weibliche lasse sich also von den Frauen aufgrund ihrer Stummheit und ihrer Manipulierung auf
eine verfremdete Weise ausdrücken. Ihre Argumente bekräftigt Bovenschen mithilfe von zwei
Zuschreibungs-Typen des 18. Jahrhunderts: Den der Gelehrten, der zur Zeit der deutschen
Frühaufklärung herrschte, und den der Empfindsamen, der ab Mitte des 18. Jahrhunderts als Kritik an
dem ersten Typus konzipiert wurde. Auf der Grundlage des Entwurfs der Gelehrten, die nach
Gottsched Tugend und Wissen, Vernunft, Moral und Frömmigkeit kombinierten, sollten auch die
wirklichen Frauen sprechen und denken können, so dass sie dem Ideal der Gelehrsamkeit entsprechen.
Sie dürften sich aber von diesem Entwurf nicht entfernen (vgl. ebd., S. 134). Im Falle der
Empfindsamen war die weibliche Kreativität geschlechtsspezifisch und wurde bewusst auf der Ebene
des Häuslich-Privaten mit einem rein unterhaltsamen Charakter gehalten (Brief, Roman, Tagebuch),
wobei die literarischen Schwächen als Qualität einer ‚natürlichen’ Schreibweise angesehen wurden, die
das Niveau männlicher Kunstproduktion nie erreichen könnte (Vgl. ebd., S. 163).
14
Bovenschen sieht in diesen Dramen eine patriarchalische Inszenierung des Weiblichen: Die Lulu-
Figur sei eine Figur und zugleich Figurenträgerin, sie verkörpert viele Weiblichkeitsbilder und
wechselt ihre Rollen je nach den Männern, die ihr diese Rollen antragen. Einerseits wird sie zum
Mythos männlicher Projektionen, andererseits zerstört sie diese Projektionen, indem sie das eine Bild
wie eine Maske abwirft, um ein neues anzunehmen. Vgl. ebd., S.48 ff.
- 15 -

Imaginationen des Weiblichen in der Frauenliteratur eine Spiegelung der männlichen


Projektionen waren. Elisabeth Lenk, auf die sich auch Bovenschen bezieht15, hat sich
in ihrem Artikel „Die sich selbst verdoppelnde Frau“ (1976), mit dem Verhältnis der
Frau zu sich selbst im Patriarchat beschäftigt und ist zu folgender Schlussfolgerung
gekommen:

Das Verhältnis der Frau zu sich läßt sich zeigen am Spiegel. Der Spiegel, das sind die
Blicke der Anderen, die vorweggenommenen Blicke der Anderen. Und von Alters her
befragt ihn die Frau mit der bangen Frage der Stiefmutter im Märchen: ‚Spieglein,
Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?’ Und auch wenn an die
Stelle der vielen Anderen der eine Andere tritt, der Mann, der Geliebte, hört die bange
Frage nicht auf. Es kommen die Schreckensmomente, wo die Frau sich im Spiegel sucht
und nicht mehr findet. Das Spiegelbild ist irgendwohin verschwunden, der Blick des
Mannes gibt es ihr nicht zurück.16

Die Befreiung der Frauen finde statt, wenn der Spiegel nicht mehr des Mannes,
sondern einer anderen Frau ist. Lenks Ausgangspunkt ist, dass der Objekt-Status der
Frauen in der Kunst erst verschwinden kann, wenn die Frau sich nicht mehr als das
männliche Imaginäre versteht, sondern eben als das weibliche. Das sei durch das
Verständnis der Weiblichkeit als eine Bewegung, ein unterirdischer Prozess, der
bewusst werden müsse, machbar. Diese Bewegung richte sich gegen die Idole, an
denen sie sich gebildet und ausgerichtet habe, und die ihr Selbstwertgefühl bestimmt
haben.

Lenk erwähnt in ihrem Text Gertrude Stein, Breton und Fourier und beruft sich
auf Theodor Adorno, Gisela Dischner, und Luce Irigaray.17 Die letzte hatte sich zwei
Jahre früher der Spiegelmetaphorik bedient: In ihrer Habilitationsschrift „Speculum.
Der weibliche Diskurs. Spiegel des anderen Geschlechts“ (1974) versucht sie einen
weiblichen Diskurs zu thematisieren und zu praktizieren. Der kulturelle Ausschluss
des Weiblichen aus der Geschichte wird damit begründet, dass der
„phallogozentrische“ Diskurs von Platon bis Freud stets einer ‚Logik des Selben’
verhaftet gewesen sei. Dieser Diskurs beruhe nach Irigaray auf Kategorien wie
Identität, Subjektivität und Autonomie, die nur vom Gesetz des Phallus abgeleitet
15
Vgl. ebd., S. 42.
16
Ebd., S. 87.
17
Theodor Adornos „Ästhetische Theorien“ (1970), Gisela Dischners „Sozialisationstheorie und
materialistische Ästhetik“ (in: Das Unvermögen der Realität. Berlin 1975), und Luce Irigarays
„Speculum. Der weibliche Diskurs. Spiegel des anderen Geschlechts“ (Frankfurt am Main 1980,
Französisch: „Speculum de l’ autre femme“. Paris 1974). Vgl. Elisabeth Lenk: Die sich selbst
verdoppelnde Frau. In: Ästhetik und Kommunikation 25, 1976, S. 84-87, hier S. 84 ff.
- 16 -

seien; deswegen gibt es unter diesem Gesetz keinen Ort für das Sprechen der Frau, da
die männliche Subjektivität und Sexualität verabsolutiert werden.18

Irigaray verwendet für ihre Theorie das Lacansche Spiegelstadium, nach dem die
Konstitution des Subjekts im Imaginären „auf einer primären Verkennung des Selbst
im Spiegel des anderen, der dem Ich dessen eigenes Bild zurückwirft, mit dem es sich
fortan (fehl)identifiziert“19 beruht. Männliche Subjekte entwerfen sich und werden in
Frauen, die als Spiegel fungieren, repräsentiert. Das hat nach Irigaray folgendes als
Folge: Frauen seien anwesend, denn das Spiegelstadium sei notwendig für die
männliche Subjektwerdung; daher seien Frauen in ihrer Idealisierung als ‚Natur’ oder
‚Unbewusstes’ der ursprüngliche Ort aller Spekulationen. Zugleich seien Frauen aber
auch abwesend, denn sie fungieren als Leerstelle, Loch, als Negation des Ichs, das
sich spiegelverkehrt erfahre. Im Gegensatz zu Lacan wertet das Denkmodell von
Irigaray die geschlechtsneutrale Subjektkonstitution in geschlechtsspezifische um.
Anders als Lacan und Derrida weist sie darauf hin, dass ihre Weiblichkeitskonzeption
für reale Frauen gelte; ihr Ziel sei jede Festlegung des Begriffs ‘Frau’ auf eine Idee
oder eine Konfiguration zu vermeiden.

Aus dieser Spiegelökonomie könnten die Frauen nur dann befreit werden, wenn
sie nach Irigaray ihre Funktion bewusst übernehmen und ein Mimesis-Modell
entwerfen: Indem sie nach Brüchen und ‚blinden Flecken’ im männlichen Diskurs
suchen und die männliche diskursive Ordnung bewusst kopieren, verschieben und
travestieren, werden sie sie durchqueren.20 Durch diese Bewegung innerhalb des
patriarchalischen ‚Symbolischen’ auf ein Ziel außerhalb dieses ‚Symbolischen’ will
Irigaray einen eigenen Ort für die Frauen gewinnen, auf den sie ihre Identität gründen;
auf diese Weise wird die ‚Leerstelle’, die im Patriarchat als Ort des Weiblichen
festgestellt ist, neu besetzt und die weibliche Erfahrung als andersartig thematisiert.21

Das ist der Punkt in ihrem Werk, der eine besondere Sicht auf die Literatur von
Frauen ermöglicht, obwohl Irigaray sich nicht gezielt mit literarischen Texten von
Frauen beschäftigte. Das steht im Gegensatz zu Kristevas Ansicht, nach der Frauen
18
Während das Männliche als das Eine und Ursprüngliche (Form, Geist, Gott) vorkommt, wird das
Andere (Körper, Natur, Tod) zum Nichtidentischen, Abgeleiteten erklärt und mit dem Weiblichen
identifiziert. Vgl. Lena Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie. Stuttgart: Metzler
1995, S. 131.
19
Jutta Osinski: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft. Berlin: Erich Schmidt 1998, S.
156.
20
Vgl. ebd., S. 157.
21
Vgl. Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 133, 137.
- 17 -

keine eigene Identität fordern dürfen; ihr Ort sei das ‚Semiotische’ als ein kollektives
Verdrängen und nicht als ein spezifisch Weibliches. Aber auch zu Cixous’ These,
dass Frauen nicht versuchen sollen, schreibend ihre Subjektivität zu bestimmen,
sondern Texte zu produzieren haben, in denen es ein Sich-Entäußern an Anderes gibt.
Cixous’ ‚écriture feminine’ ist geschlechtsneutral, deswegen spricht sie von einer
männlichen und einer weiblichen Ökonomie: Bei der männlichen geht es um
Begehren als Wille zur Aneignung, zum Einverleiben und Besitzen des Anderen, bei
der weiblichen um Erkenntnis des Anderen als Anderen, um eine ‘unendliche
Zirkulation des Begehrens’.22

Während Kristeva und Cixous männliche Avantgardeautoren als Sprecher des


‚parler femme’ erscheinen lassen, ist Irigaray die einzige feministische Theoretikerin,
die sich an der Konstitution einer weiblichen Subjektivität orientiert. Sie macht die
sexuelle Differenz zur Basis einer neuen sozialen Ordnung, innerhalb der nicht mehr
ein männliches/menschliches Subjekt existieren wird, sondern zwei, voneinander
verschiedene Subjekte. Ihre Thesen werden jedoch innerhalb der feministischen
Literaturtheorie kontrovers diskutiert, denn ihre theoretischen Grundannahmen
werden als Ontologisierung der Geschlechterdifferenz interpretiert und abgelehnt: Die
traditionelle Geschlechteropposition wird nämlich umgekehrt bewahrt, was zur
Forderung nach einer neuen weiblichen Religion führte; die weibliche Gottheit wird
nämlich analog zu Lacans symbolischem Vater konzipiert.23

Weibliche Helden und Frauenidentität

Heuser ist davon überzeugt, dass Frauen, die bisher als ‚imaginierte Weiblichkeit’
überwiegend Objekte der Literatur gewesen sind, in die Position des Subjekts rücken
können, das als ‚imaginierende Weiblichkeit’ eigene Imaginationen entwirft.24 Durch
die Auseinandersetzung mit widersprüchlichen und ambivalenten Frauenbildern und
durch deren kritische Untersuchung könnten die Frauen vieles über ihre eigene
Weiblichkeit und die Weisen, auf die sie konstruiert ist, verstehen; sie könnten
nämlich die ideologischen und geschlechtsspezifischen Zusammenhänge begreifen,

22
Vgl. ebd., S. 119, 122 f., 128.
23
Vgl. ebd., S. 131, 133, 135 f.
24
Vgl. Magdalene Heuser: Literatur von Frauen/Frauen in der Literatur. Feministische Ansätze in der
Literaturwissenschaft, in: Luise F. Pusch (Hg): Feminismus. Inspektion der Herrenkultur. Ein
Handbuch. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1983, S. 117-148, hier S. 122.
- 18 -

die zu ihrer Weiblichkeitsprägung beitragen. Die Frage lautet: Welchen


Zusammenhang gibt es in Frauenschriften zwischen dem Versuch eine Identität zu
gewinnen und der Konstruktion von weiblichen Helden?

Dabei sind die Studien von Elaine Showalter, Sandra M. Gilbert und Susan Gubar
von Bedeutung25: In ihrem Aufsatz „Feminist Criticism in the Wilderness“ (1980)
vertrat Showalter die Ansicht, dass die Frauen zu einer Gruppe gehörten, deren
Selbstwahrnehmung stets unter männlicher Kontrolle stünde, deswegen sei der
weibliche Diskurs ein ‚zweistimmiger Diskurs’, der gleichzeitig zu zwei Traditionen
gehöre: zur männlichen und zur weiblichen.26 Unter einem ähnlichen Gesichtspunkt
untersuchten Gilbert und Gubar in ihrem Buch „The Madwoman in the Attic“
(1979)27 die Autorschaft von Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts (Austen,
Schelley, Eliot, Brontë, Barrett Browning, Rossetti, Dickinson) und formulierten ihre
Theorie über das weibliche Schreiben und die weibliche Ästhetik. Sie gingen davon
aus, dass Autorschaft kulturgeschichtlich männlich konnotiert ist; darüber hinaus
existiere für schreibende Frauen keine bestimmte Tradition und ihr Schreiben sei
daher ein Anschreiben gegen die verinnerlichte ‚Autor-ität’ der patriarchalischen
Gesellschaft.

Die Galerie, aus der die Schriftstellerinnen ihre Heldinnen nahmen, sei ebenfalls
eine männliche, was sie zur Wiederholung von Stereotypen und zum Gebrauch von
weiblichen Figuren führe, die sich zwischen dem absoluten Guten (‚angel’) und dem
absoluten Bösen (‚monster’) bewegen. Auf diese Weise sei ihre authentische Realität
literarisch unfassbar, denn sie sprechen mit einer fremden Stimme über entfremdete
Erfahrungen. Gilbert und Gubar sehen einen Ausweg aus dieser Situation in einer
Textstrategie, durch die Frauen das falsche Bewusstsein zugleich akzeptieren und
ablehnen. Auf einer ersten Ebene bestätigen sie durch ihre Werke patriarchalische
Weiblichkeitsprojektionen und Ausdrucksweisen; auf der zweiten Ebene jedoch
werden männliche Muster unterlaufen.28

25
Vgl. Osinski: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S. 46 ff. und Lindhoff:
Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 39 ff.
26
Vgl. Showalter: Feminist Criticism in the Wilderness, S. 27 ff.
27
Sandra Gilbert / Susan Gubar: The Madwoman in the Attic. The Woman Writer and the Nineteenth-
Century Literary Imagination. London: New Haven 1979.
28
Diese Textstrategie, die als weibliche Ästhetik verstanden wird, verursacht sowohl bei
Schriftellerinnen als auch bei ihren Heldinnen eine geistige und emotionale Zerrissenheit, die der
Schizophrenie ähnelt. Sie wird aber nicht nur als Krankheit verstanden, sondern erhält die Dimension
eines revolutionären Aktes, der die zementierten Formen der Weiblichkeit ablehnt. Interessant ist in
- 19 -

Der problematische Punkt dabei ist, dass Gilbert und Gubar sich auf eine
‚authentische Weiblichkeit’, auf eine Authentizität biologischer Frauen beziehen, die
schwer feststellbar ist. Denn wie Bovenschen29 gezeigt hat, besteht die Geschichte der
Frauen zu ihrem größten Teil aus Bildern, Zuschreibungen und Projektionen der
androzentrischen Kultur, zumal die Frauen nicht außerhalb des herrschenden
kulturellen Topos definiert werden können.30 Problematisch ist auch die Behauptung
einer einheitlichen weiblichen Tradition, zumal sie in der Studie von Gilbert und
Gubar auf eine Normativität zurückgeführt wird, die andere Schreibweisen ausgrenzt.
Die unterschiedlichen Ebenen des Geschlechtsbewusstseins bei Frauen haben aber als
Folge keine einheitliche Frauenliteraturgeschichte, sondern unterschiedliche
literarische Praxisformen und unterschiedliche Traditionen, die gleich wichtig sind.31

Trotzdem sind ihre Argumentationen Ausgangspunkt für Überlegungen, nach


denen die Schriften einiger Frauen weibliche Stereotype gegen die Quelle ihrer
Herstellung, nämlich das Patriarchat, benutzen. Die Parameter dieser Benutzung
hängen von der Ebene des Geschlechtsbewusstseins der Frauen sowie von der
Verinnerlichung oder Nicht-Verinnerlichung von männlich geprägten Frauenbildern
ab. Die Ebene des Selbstbewusstseins der schreibenden Frau ist daher aus der
Erhaltung oder Ablehnung von formalen und inhaltlichen Stereotypen im Werk und
aus der möglichen Tendenz nach Anzweiflung und Kritik der herrschenden Normen
zu erkennen.32 Es gilt weiterhin zu besprechen, inwieweit die Bewegung zwischen
den Imaginationen zur Schaffung eines ‚kulturellen Ortes weiblicher Subjektivität’
führt. Der Begriff dieses kulturellen Ortes stammt von Sigrid Weigel; unter einem

diesem Fall, dass die Schizophrenie in der Psychiatrie als eine persönliche Form des falschen
Bewusstseins gilt (vgl. Josef Gabel: [Das falsche Bewusstsein]. Athen: Akmon
1977, S. 75 ff.)
29
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 264 f.
30
Vgl. Teresa de Lauretis: Alice Doesn’t. Feminism, Semiotics, Cinema. Bloomington: Indiana
University Press 1984, zitiert nach: Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 577.
31
Gewiss bildet die Frauenliteratur keinen homogenen Textbestand. Ein Ausgangspunkt der
Zugehörigkeit eines Werks zur Frauenliteratur wäre das biologische Geschlecht des Autors. Die
Extreme dieser Kategorie bestehen aber aus Schriftstellerinnen mit einem völlig anderen Bewusstsein,
was ihr Geschlecht angeht. Viele Frauen bleiben in der Ideologieästhetik eines männlichen
Gestaltungsprinzips gefangen (z.B. Eliot, Sand), wobei diese Feststellung nicht unbedingt auf ihre
Diskriminierung zielt. Sie leisteten oft Außerordentliches und gehören zur Vorgeschichte der
eigentlichen Frauenliteratur. Auf der anderen Seite publizierten viele Autorinnen (z.B. Bachmann,
Reinig) Werke, in denen ein ausgeprägtes geschlechtsspezifisches Bewusstsein zum Vorschein kommt
und durch die das patriarchalische kulturelle Umfeld in Frage gestellt wurde.
32
Obwohl Anzweiflung und Kritik der herrschenden Normen selbstverständlich auch im Werk
männlicher Schriftsteller vorkommt, beschränken wir hier die Aussage nur auf das Selbstbewusstsein
der schreibenden Frauen, die die patriarchalische Kultur und ihre Normen in Frage stellen, da unsere
Arbeit die literarische Produktion von Frauen untersucht.
- 20 -

„kulturellen Ort weiblicher Subjektivität“ versteht Weigel eine Sprechweise der


Frauen, in der sie ihre Wünsche und Erfahrungen angemessen ausdrücken können,
was im nächsten Kapitel dieser Arbeit dargestellt wird.33

1.2.2. Der kulturelle Ort des Weiblichen

Um die Problematik des letzten Kapitels weiterzuführen, beziehen wir uns auf eine
Feststellung Juliet Mitchells, nach der jede Schriftstellerin in gewisser Weise eine
Hysterikerin sei; ihre Stimme sei die männliche Sprache einer Frau, die von
weiblicher Erfahrung spreche.34 Diese Feststellung hat mit der Erkenntnis des
Ausschlusses der Frau aus der kulturellen Ordnung, der Forderung nach einer
Modifizierung dieser Ordnung, aber auch mit der weiblichen Identitätsfindung zu tun.
Die kulturelle Konstruktion der Weiblichkeit ist in diesem Rahmen nicht irrelevant,
denn sie zwingt die Frau Rollen zu übernehmen, die sie von sich selbst entfremden,
was die Ichlosigkeit oder eine gespaltene Subjektivität zu Folge hat.

Bei der Analyse der Literatur von Frauen als Ausdruck ihres sozialen Geschlechts
(gender) sollte man also zugleich die soziokulturelle Überformung der
Geschlechtsidentität im Patriarchat mitdenken. Frauen stehen einer Männerwelt
gegenüber, in der die Kunst auf einem ästhetischen Normenkanon beruht, der von
Männern errichtet wurde.35 Unter diesen Umständen und trotz der meistens
geschlechtspezifischen Bewertung ihrer Werke, erzielen die Frauen durch die
literarische Tätigkeit die Bestimmung ihrer Identität. Deswegen wird oft das
weibliche Schreiben als eine Überlebensstrategie verstanden, durch die Frauen beim
Akt des Schreibens die Grenzen ihrer Existenz wahrnehmen, erweitern und
überschreiten: Weibliches Schreiben „als Bruch mit der vorgegebenen Ordnung, als

33
Vgl. Sigrid Weigel: Der schielende Blick. Thesen zur Geschichte weiblicher Schreibpraxis. In:
Stephan, Inge/ Sigrid Weigel: Die verborgene Frau. Argument-Sonderband 96, Hamburg 1984, S. 83-
137.
34
Vgl. Juliet Mitchell: Woman: The Longest Revolution. Essays in Feminism, Literature and
Psychoanalysis. London: Virago 1984, zitiert nach; Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 579.
35
Vgl. Renate Möhrmann: Feministische Ansätze in der Germanistik seit 1945. In: Heuser, Magdalene
(Hg.): Frauen – Sprache – Literatur. Pdeborn; München; Wien; Zürich: Schöningh 1982, S. 91-115,
hier S. 92 f.
- 21 -

Schauplatz, an dem Sprache, Körper und Unbewußtes eine neue Verbindung eingehen
können“36.

Das Problem, auf das wir auch in früheren Kapiteln Bezug nahmen, ist die
Schwierigkeit, den Ort des Weiblichen in der Literatur zu definieren, nämlich den Ort
anzugeben, „von dem aus die Artikulation einer weiblichen Perspektive ausgehen
soll“37. Das Weibliche im Sinne von genuin weiblicher Erfahrung scheint außerhalb
der männlich geprägten Frauenimaginationen keinen Raum zu haben, aus dem Grund,
dass es stets als das Andere zur männlichen Tradition und Sprache definiert wurde.38
Irigaray erklärt:

Die gesellschaftliche Unterlegenheit der Frau verstärkt und kompliziert sich aufgrund
der Tatsache, daß die Frau keinen Zugang zur Sprache hat, außer durch Rekurs auf
<männliche> Repräsentationssysteme, die sie ihrer Beziehung zu sich selbst und zu
anderen Frauen enteignen. Das <Weibliche> bestimmt sich niemals anders als durch
und für das Männliche.39

Zwei unterschiedliche theoretische Bewegungen versuchten eine überzeugende


Antwort auf die Frage nach dieser ‚Ortlosigkeit’ zu geben.40 Die erste Bewegung
folgte einer aus Frankreich stammenden feministischen Theorie, die eine spezifisch
weibliche Körpererfahrung als Ausgangspunkt nahm, um zu einer ‚écriture féminine’
zu gelangen. (Irigaray, Cixous, Kristeva)41. Die zweite Bewegung, auf die wir uns
beziehen, untersucht die Durchquerung der weiblichen Bilder von schreibenden

36
Rita Morrien: Weibliches Textbegehren bei Ingeborg Bachmann, Marlen Haushofer und Unica Zürn.
Würzburg: Königshausen und Neumann 1996, S. 1.
37
Walter Erhart / Britta Herrmann: Feministische Zugänge – ‚Gender studies’. In: Heinz Ludwig
Arnold / Heinrich Detering (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. München: dtv 1996, S. 498-
515, hier S. 509.
38
Hier muss man bemerken, dass nicht nur Frauen über eine „weibliche“ Schreibeweise verfügen,
sondern auch männliche Künstler, wie z.B. F. Kafka oder J. Joyce. Denn dabei geht es um eine bei
beiden Geschlechtern mögliche Subversion der „männlichen“ Sprachordnung. Kristeva erwähnt dazu
Formen der Moderne, wie Fragmentarisierung der Textformen oder Zerstörung des linearen Erzählens.
Vgl. Heinz Ludwig Arnold / Heinrich Detering (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft, S. 703.
39
Luce Irigaray: Waren, Körper, Sprache. Der ver-rückte Diskurs der Frauen. Berlin 1976, S.40, zitiert
nach: Brigitte Wartmann: Schreiben als Angriff auf das Patriarchat. In: Literaturmagazin 11. Reinbeck
bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1979, S. 108-132, hier S. 118.
40
Vgl. Erhart / Herrmann: Feministische Zugänge – ‚Gender studies’, S. 508 ff.
41
Die drei Wissenschaftlerinnen umspielen in ihren Modellen eine vorausgesetzte Opposition von
symbolischer und imaginärer Ordnung. Cixous (Körper-Schreiben) spricht von avantgardistischen
Schreibweisen, die von beiden Geschlechtern praktiziert werden können. Im Zentrum von Irigarays
Modell (Frau-Sprechen) steht eine a-logische Sprache, die die symbolische Ordnung durchkreuzt und
die biologisch-morphologisch vom sexuellen Körper der Frau abhängt. Bei Kristeva handelt es sich um
poetisches Schreiben und Sprechen. Vgl. Osinski: Einführung in die feministische
Literaturwissenschaft, S. 151.
- 22 -

Frauen, die sich im doppelten Status des Subjekts und des Objekts, innerhalb und
außerhalb des Symbolischen, befanden (Gilbert, Gubar, Weigel).

Sigrid Weigel hat darauf aufmerksam gemacht, dass weibliche Subjektivität sich
durch Durchquerung der Bilder der imaginierten Frau und im Wechsel des Orts der
Zuschreibungen konstituiert. Indem die Konstruiertheit der Bildzuweisung enthüllt
wird, ist es möglich, dass sie auch bewusst gemacht wird, was eigentlich zur
Befreiung von den Normen führen kann. Diese Grenzüberschreitung könnte die
Frauen zum Geschlechtsbewusstsein und zur Identitätsfindung führen. Weigel hat sich
in ihrem Artikel „Der schielende Blick. Thesen zur Geschichte weiblicher
Schreibpraxis.“ (1984) mit diesen Positionen befasst.42 Sie geht, wie Lenk, von der
These aus, dass die Frau in der männlichen Ordnung zugleich beteiligt und
ausgegrenzt ist, was ihr Selbstverständnis beeinflusst. Die Frau sehe sich selbst
infolgedessen durch die Brille des Mannes, was eigentlich bedeutet, dass sie, um ihr
eigenes Bild finden zu können, den Spiegel von männlich konstruierten Frauenbildern
zerbrechen müsse.

Ein wichtiger Punkt von Weigels Überlegungen ist der Begriff des ‚Umwegs’
schreibender Frauen, der genau mit dem Problem der Perspektive von
Wahrnehmungs- und Erzählweise der Autorin zusammenhängt. Das weiblich
geprägte Frauenbild im Text soll als „Ausdruck einer jeweils eingenommenen und
gestalteten Beziehung zur männlichen Vorstellung von ‚Weiblichkeit’“43 betrachtet
werden. Frauenliteratur kann folglich nur unter Berücksichtigung dieses Umwegs
verstanden werden. Weigel erwähnt eine Reihe von Strategien weiblicher
Autorschaft44 in der Geschichte weiblicher Schreibpraxis, bei denen Inhalte,

42
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 83-130.
43
Ebd., S. 87.
44
Aus der Palette dieser Strategien wurden einige Beispiele gewählt: a) Das Verfassen von Briefen von
Caroline Schlegel-Schelling und Rahel Levin (Varnhagen). b) Das Verbergen der Schriftstellerin hinter
einer männlichen Maske in Sophie Mereaus Roman „Blütenalter der Empfindung“ (1794 c) Die
Identifikation mit einer anderen Person und die Aneignung der Männerrolle als Strategien in den
Werken von Bettina Brentano und Karoline von Günderrrode. d) Die Emanzipation als Entzauberung,
Destruktion und ‚Ent-Spiegelung’ des Frauenbildes und als Geburt der neuen Heldin in Louise Astons
Romanen („Aus dem Leben einer Frau“ 1847, „Lydia“ 1848, „Revolution und Conterrevolution“
1849). e) Die Begrenzung von Fanny Lewald („Clementine“ 1843) in märchenhaften, phantastischen
Tagträumen, die Ort der unterdrückten weiblichen Sehnsüchte waren. f) Die erweiterte Form der
Autobiographie in Inga Buhmanns Buch „Ich habe mir eine Geschichte geschrieben“ (1976), das aus
authentischen Dokumenten (Tagebucheintragungen, Briefe, Flugblätter, Zeitungen) besteht. g) Die
Krankenberichte von Frauen, z.B. Maria Erlenbergers „Der Hunger nach Wahnsinn“ (1977) und
Caroline Muhrs „Depressionen“ (1978). h) Die Hinderungen des weiblichen Ich im Leben aber auch in
der Literatur, die dazu führen, dass die Frauen keine Überlebensmöglichkeiten haben, so wie sie in
Ingeborg Bachmanns „Malina“ (1971) thematisiert wird.
- 23 -

Erzählformen, Bilder als Bewegungsversuche innerhalb der männlichen Kultur


verstanden werden, als Befreiungsstrategien, wobei die literarische Tradition von
Frauen als eine schrittweise Emanzipation45 des weiblichen Schreibens angesehen
wird.46

Weigel bemerkt eine engere Beziehung zwischen Frauenbildern und weiblichem


Selbstverständnis nach der Mitte des 20. Jahrhunderts, die sie mit dem Begriff des
„schielenden Blickes“ zu erklären versucht:

Werden die Projektionen, die Bilder, vom Spiegel weggewischt, ist er zunächst leer,
das Glas kann mit neuen Vorstellungen bemalt werden, aber auch das sind Bilder, und
auch die Zerschlagung des Spiegels führt ins Nichts. Wie die befreite Frau aussehen
wird, das ist heute mit Sicherheit und Vollkommenheit nicht vorstellbar, lebbar schon
gar nicht. Um in diesem Zwischenraum, im ‚nicht mehr’ und im ‚noch nicht’ zu
überleben, ohne verrückt oder toll zu werden, muß die Frau den schielenden Blick
erlernen, d.h. die Widersprüche zum Sprechen bringen, sie sehen, begreifen und in
ihnen, mit ihnen leben – und Kraft schöpfen aus der Rebellion gegen das Gestern und
aus der Antizipation des Morgen.47

Der „schielende Blick“ der Autorinnen verrät die intensive, eventuell bewusste
Widersprüchlichkeit zwischen herrschenden Bildern und Befreiungsversuchen, und
zeigt zugleich den kulturellen Ort der weiblichen Subjektivität: die schreibende
Durchquerung der männlich geprägten Bilder.48 Es wird auf diese Weise großer Wert
auf die Dekonstruktion der Frauenbilder in den Werken von Frauen und auf die
Benutzung gesellschaftlicher Thematik gelegt.

Der Prozess der Dekonstruktion und der Bewegung, der als der eigentliche
kulturelle Ort weiblicher Subjektivität angesehen wird, wo Frauen eine Sprache für
eigenes Begehren und Wünschen erarbeiten, kann das Geschlechtsbewusstsein der
Frauen verstärken. Durch eine solche ideologiekritische Betrachtungsweise nämlich
kann die Literatur (und die Literaturwissenschaft) die Dimension des Lernens

45
Elisabeth Bronfen vertritt die Ansicht, dass Frauen in der Postmoderne aus der Negation ihrer
Stimme herausschreiben, da sie ein theoretisches und gesellschaftliches Bewusstsein haben, im
Gegensatz zu früheren Texten, die sich darin beschränkten, die Frau als Abwesenheit zu enthüllen. Vgl.
Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 580.
46
Weigel schlägt eine Annäherung vor, die die Frauenliteratur als eine ‚fremde Kultur’ untersucht,
unter Berücksichtigung also der Beziehung zwischen Kolonisator und Kolonisiertem. Es ist wahr, dass
die Frauen, im Unterschied zu den Kolonisierten, keine eigene, vorpatriarchalische Kultur haben, um
sie im Rahmen ihres Widerstandes zu benutzen. Andererseits aber hat die patriarchalische Ordnung wie
ein Kolonisator die ‚andere’ Kultur verändert, zerstört, kontrolliert und assimiliert. Vgl. Weigel: Der
schielende Blick, S. 89.
47
Ebd., S. 105.
48
Vgl. ebd., S. 105.
- 24 -

erhalten, indem sie als ein Ort angesehen wird, an dem die politische Relevanz
subjektiver Erfahrungen exemplarisch verdeutlicht werden kann.49

Vor dem Übergang zum zweiten Teil der Thematik unserer Arbeit, nämlich zur
Verbindung von Weiblichkeit und Tod, möchten wir kurz die wichtigen Positionen
der feministischen Literaturtheorie wiederholen, auf denen der Hauptteil der
Dissertation basiert. Geht man von der Annahme aus, dass die Frauenimaginationen
der Autorinnen selber Spiegelung der männlichen Projektionen sind (Bovenschen
1979), da es unter dem Gesetz des Phallus keinen Ort für das Sprechen der Frau, die
als Leerstelle fungiert, gibt (Irigaray 1974), könnte das Schreiben von Frauen dazu
beitragen, dass diese Leerstelle besetzt wird. Die Distanzierung der Frauen von den
männlichen Normen wäre dann möglich, wenn man die Weiblichkeit in der Schrift als
eine „unterirdische Bewegung“50 gegen die Idole, an denen sie sich gebildet hat,
verstehen würde (Lenk 1976).

Hält man den weiblichen Diskurs für einen zweistimmigen Diskurs (Showalter
1980), dann kann man nach Strategien (im Sinne Weigels) in Werken der Frauen
suchen, durch die die Autorinnen weibliche Stereotype gegen die Quelle ihrer
Herstellung, nämlich das Patriarchat, benutzen (Gilbert/Gubart 1979). Untersucht
werden also die Strategien der Autorinnen (z.B. Pseudonym, Ironie, Dekonstruktion
der patriarchalischen Frauenbilder), durch die sie Widersprüche zwischen Bejahung
und Ablehnung der herrschenden Formen, Inhalte und Bilder zum Sprechen bringen,
und ihr ‚schielender Blick’ (Weigel 1984), der nach der Mitte des zwanzigsten
Jahrhunderts intensive Befreiungsversuche innerhalb der männlichen Kultur erlaubt.
Dies ist das Anliegen dieser Arbeit.

49
Die Diskussion über die Existenz einer spezifisch weiblichen Schreibweise will Weigel nicht
weiterführen; sie akzeptiert die empirische Beobachtung, dass Frauen anders als Männer schreiben,
weil sie andere Erfahrungen haben und konzentriert sich auf die Frage, „ob Frauen dadurch, daß sie
anders schreiben als Männer, ihren eigenen kulturellen Ort finden, ob sie in ihren Wünschen und
Erfahrungen angemessene Sprechweise entwickeln oder aber den Zwängen und Verführungen des
männlichen Frauenbildes erliegen.“(Ebd., S. 88). Auch Bovenschen lehnt die weibliche Ästhetik als
Gegenpol zur männlichen ab: „Gibt es eine weibliche Ästhetik? Ganz gewiß, wenn die Frage das
ästhetische Sensorium und die Formen des sinnlichen Erkennens [im Text hervorgehoben] betrifft;
sicher nicht, wenn darunter eine aparte Variante der Kunstproduktion oder eine ausgeklügelte
Kunsttheorie verstanden wird.“ (Silvia Bovenschen: Über die Frage: Gibt es eine weibliche Ästhetik?
In: Gabriele Dietze (Hg): Die Überwindung der Sprachlosigkeit. Texte aus der neuen Frauenbewegung.
Frankfurt a.M.: Sammlung Luchterhand 1979, S. 82-115, hier S. 112). Weibliche Ästhetik wird eher als
Beschreibung der kulturellen Ausdrucksweisen und Strategien der Frauen betrachtet, die sich im
doppelten Status des Objekts und des Subjekts bewegen. Die Perspektive der Frauen aus dieser
Position führt sie zu einer verschiedenen Weise der Rezeption und Produktion von Kunst.
50
Lenk: Die sich selbst verdoppelnde Frau, S. 84
- 25 -

1.2.3. Frau und Tod

1.2.3.1. Die Verbindung von Frau und Tod im Patriarchat

Wie im Kapitel 1.2.1.1. dieser Arbeit, ist auch hier ein Umweg über die
patriarchalischen Vorstellungen notwendig, was den Zusammenhang zwischen
Weiblichkeit und Tod angeht. Auf diese Weise wird erstens der herrschende Diskurs,
auf den wir uns in der Arbeit beziehen, klar und zweitens der kulturelle Rahmen,
innerhalb dessen die schreibenden Frauen gewirkt haben, abgesteckt. Im Bereich der
Todesmotive in der androzentrischen Kunst dienen uns als Grundlage die Bücher von
Philippe Ariès „Geschichte des Todes“ (1996) und «
» [Essays über den Tod im Westen] (1988), Hans Jürgen Badens „Literatur und
Selbstmord. Cesare Pavese, Klaus Mann, Ernest Hemingway“ (1965), Chr. L. Hart-
Nibbrigs „Ästhetik der letzten Dinge“ (1989), Karl Siegfried Guthkes „Ist der Tod
eine Frau? Geschlecht und Tod in Kunst und Literatur“ (1997), Gert Kaisers „Der Tod
und die schönen Frauen. Ein elementares Motiv der europäischen Kultur“ (1995).51

Vor allem in den Studien von Guthke und Kaiser kann man mit Klarheit mehrere
Tod-und-Frau-Motive in Werken der Weltliteratur und Malerei finden. Guthke
untersucht historisch und international die Darstellung des Todes als Frau und stellt
fest, dass der Kampf der Geschlechter in Darstellungen von sowohl männlichen als
auch weiblichen Todesbildern ausgetragen wurde.52 Kaiser meint, dass da, wo die
Gewalt des Todes sexuell grundiert ist, die Todesgestalt zugleich eine große Allegorie
von Sexualität und Gewalt ist. Entweder wird diese Gewalt auf den Frauen geübt,
oder die Frauen werden so dargestellt, dass sie diese Gewalt verkörpern: der Tod als
eine gefährliche und unwiderstehliche Verführerin im Reiz der Sexualität.53

Was die feministische Dimension angeht, sind für unsere Arbeit die Thesen von
Elisabeth Bronfen in ihrer Habilitationsschrift „Nur über ihre Leiche. Tod,

51
Philippe Ariès: Geschichte des Todes. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, Ders.:
[Essays über den Tod im Westen]. Athen: Glaros 1988, Hans Jürgen
Baden: Literatur und Selbstmord. Cesare Pavese, Klaus Mann, Ernest Hemingway. Stuttgart: Ernst
Klett Verlag 1965, Karl Siegfried Guthke: Ist der Tod eine Frau? Geschlecht und Tod in Kunst und
Literatur. München: Beck 1997, Chr. L. Hart Nibbrig: Ästhetik der letzten Dinge. Frankfurt a.M.:
Suhrkamp 1989, Gert Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen. Ein elementares Motiv der
europäischen Kultur. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 1995.
52
Vgl. Guthke: Ist der Tod eine Frau?, S. 250.
53
Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen, S. 126.
- 26 -

Weiblichkeit und Ästhetik“ (1992)54 von Bedeutung, denn sie demonstriert, wie die
Kunst im Patriarchat mit der Tötung der Frau verbunden wird, gerade weil der Tod im
patriarchalischen Weiblichkeitsmythos als das ‚Andere’ des Subjekts dargestellt und
mit dem ‚Weiblichen’ identifiziert wird.55 Bronfens wissenschaftliche Grundlage
umfasst Bereiche wie Philosophie, Psychoanalyse, Feminismus und
Literaturwissenschaft; sie verwendet in ihrer Analyse u.a. Werke von Roland Barthes,
Walter Benjamin, Hélène Cixous, Jacques Derrida, Michel Foucault, Sigmund Freud,
Luce Irigaray, Melanie Klein, Julia Kristeva, Jacques Lacan, Juliet Mitchell. Das
Buch geht von der Überlegung aus, dass literarische und bildliche Darstellungen von
Tod und Frau sich als Symptome der patriarchalischen Kultur deuten lassen.

Bronfens Ausgangspunkt ist, dass die Todesphantasien nicht individuell und


vereinzelt, sondern ein fester, allerdings verschwiegener Parameter unserer Kultur
sind. Sie untersucht daher Filme, Märchen, Texte aus dem Bereich der Psychologie
und zahlreiche Werke der Literatur und der Malerei, die die Gleichsetzung der Frau
mit dem Tod auf verschiedenen Ebenen gefestigt haben. Bilder von Gabriel von Max,
Ferdinand Hodler, Dante Gabriel Rossetti, Gustave Gourbet, Werke von Poe,
Rousseau, Dickens, Stowe, Richardson, Hawthorne, Shelley, Tennyson, Flaubert,
Hardy, Mérimée, Wahrton, Schnitzler, Browning, Stoker, Nabokov, u.a.

Tod und Weiblichkeit dienen nach Bronfens Analyse als zwei der zentralen Rätsel
des westlichen Diskurses dazu, das Unaussprechliche, Unerforschliche, Unlenkbare
und Schreckliche zu repräsentieren, dasjenige, was nicht direkt angesehen werden
darf, sondern durch die Gesetze der Gesellschaft und durch die Kunst kontrolliert
werden muss. Tod und Weiblichkeit fungieren als privilegierte Rätsel, die es zu lösen
gilt und die sich dennoch, in anderem Sinn, der Enträtselung widersetzen; sie dürfen
nicht gelöst werden, müssen offen, unentschieden, unbestimmt bleiben und markieren
54
Vgl. Elisabeth Bronfen: Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik. Würzburg:
Königshausen und Neumann 2004 (deutsch. Übersetzung 1994) [Bronfen, Elisabeth: Over her dead
body. Death, Feminity and the Aesthetic. Manchester University Press/ Routledge 1992].
55
Darauf bezieht sich auch Lindhoff in ihrem Kapitel „Mörderische Kunst“, wo sie über die Kunst im
Patriarchat als ‚Mordschauplatz’ (Bachmann) argumentiert. Vgl. Lindhoff: Einführung in die
feministische Literaturtheorie, S. 26 f. Rohde-Dachser legt dar, inwiefern es sich bei den
Weiblichkeitsbildern um eine Strategie der Verdrängung und der Angstbewältigung handelt: „Der
phallische Monismus ist in letzter Konsequenz deshalb eine Strategie der Todesverdrängung und in
Verbindung mit der Vateridentifizierung die zentrale Unsterblichkeitsphantasie der Freudschen
Psychoanalyse. Der Weiblichkeitsentwurf der „kastrierten Frau“ kann dementsprechend als eine
(männliche) Phantasie verstanden werden, mit der der Mann seine Todesangst zu bändigen sucht,
indem er den Tod – wie auch schon die Kastration – der Frau zuweist.“ Christa Rohde-Dachser:
Expedition in den dunklen Kontinent: Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse. Berlin Heidelberg
1991, S. 60, zitiert nach: Morrien: Weibliches Textbegehren, S. 13 f.
- 27 -

die Grenze, die sich ein System setzt.56 Bronfen verbindet den Tod der Heldinnen in
Werken des männlichen Kanons mit der Sicherung der androzentrischen Ordnung und
der Bestätigung kultureller Normen und Werte:

Während die Diskurse der westlichen Kultur das Selbst als männlich konstruieren,
schreiben sie der Weiblichkeit eine Position der Andersheit zu. Als Andere dient die
Frau dazu, das Selbst zu definieren, und der in der Anderen lokalisierte Mangel oder
Exzeß fungiert als Veräußerlichung des Selbst, hinsichtlich Geschlecht und Tod. Die
Frau repräsentiert schließlich die Grenzen, Ränder oder Extreme der Norm – das
extrem Gute, Reine und Hilflose oder das extrem Gefährliche, Chaotische und
Verführerische.[...] Als Außenstehende per se kann die Frau auch für eine komplette
Negation der herrschenden Norm einstehen, für jenes Element, das die Bindungen
normaler Konventionen sprengt und für den Vorgang, durch den diese Gefährdung der
Norm sich artikuliert.57

Deswegen gibt es häufig in Werken des herrschenden Diskurses eine


Gleichsetzung der Frau mit der Natur: Der weibliche Körper ist eine Allegorie für die
Gefährlichkeit sexueller Lust, unkontrollierbarer Leidenschaft und Spontaneität. Weil
Tod und Weiblichkeit zum gleichen Paradigma, nämlich dem der Andersheit gehören,
sichert die weibliche Leiche die gesellschaftliche Ordnung, wobei die
Zurschaustellung des toten Körpers, die Inbesitznahme des ‚Anderen’ ermöglicht.
Das Bild der toten Frau wird zum Inbegriff der Schönheit selbst, zum Kunstwerk, das
den Tod im Dienst der Ästhetik stellt. Durch ihr Sterben ist die Frau ein Motiv für die
Schaffung eines Kunstwerks und gleichzeitig ein Gegenstand dieser Darstellung.
Dabei wird die Frau zum Objekt und dient als Medium zwischen dem Künstler und
dem Absoluten, im Sinne in diesem Fall vom allmächtigen Tod.58

Bronfen beschränkt sich jedoch in ihren Analysen nicht nur auf Werke des
herrschenden Diskurses, sondern untersucht auch im Schlusskapitel des Buches
revisionistische Texte feministischer Autorinnen seit den 80er Jahren. Durch diese
Texte präsentiert sie – wie wir im folgenden Kapitel zeigen werden – die Art und
Weise, auf die Autorinnen selbst Widerstand gegen die Identifikation mit den
zugewiesenen Frauenbildern leisten und diese zu ihren Zwecken benutzen.

56
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 365.
57
Ebd., S. 263.
58
Vgl. ebd., S. 75, 107.
- 28 -

1.2.3.2. Tod und weibliche Ästhetik

Im Rahmen der verschiedenen Schreibweisen der Frauen hat Sigrid Weigel auch die
Vernichtung des weiblichen Ich erwähnt: Die Todesfaszination kann bei vielen
Künstlerinnen getroffen werden. Wenn – nach Edgar Allan Poe – der Tod einer Frau
das poetischste Thema der Welt ist59, dann haben Schriftstellerinnen wie Sylvia Plath,
Anne Sexton, Sarah Kane oder Fay Weldon sich durch ihren Selbstmord und ihr Werk
zum poetischsten Thema der Welt gemacht: Diese Autorinnen sind einige unter
vielen, die in ihrem Werk den Topos der toten Frau als Muse aufgreifen und die sich
mit dieser Muse identifizieren. Darum geht es im Buch “’Nun breche ich in Stücke...’.
Leben/ Schreiben/ Suizid“ (2000), das von Ursula Keller herausgegeben worden ist.

Keller hat Texte über das Leben, das Werk und den Suizid der Schriftstellerinnen
Sylvia Plath, Virginia Woolf, Marina Zwetajewa, Anne Sexton, Unica Zürn und Inge
Müller gesammelt, die den Zusammenhang zwischen Kunst und Sterben bei den sechs
Autorinnen zu erklären versuchen, und die die These bekräftigen, dass der Tod schon
lange in ihren Texten war, bevor er aus dem Text ins Leben herausfiel: Die Dichtung
geht dem Tode voraus. Sie spricht in ihrem Vorwort60 von einer Sprache weiblicher
Suizidalität, von verrätselten oder ausgestellten Muster und Motiven weiblichen
Suizids, die sich oft wie ein roter Faden durch die Texte ziehen und zu dekodieren
sind.

Indem die Frauen ihr eigenes Unbewusstes laut werden lassen, lassen sie in ihren
Texten verstreute Botschaften und Zeichen erscheinen, die von einer ungeklärten
weiblichen Identität zeugen.61 Unter einer Sprache weiblicher Suizidalität sind
Todesmetaphern, Spannungen, Konflikte, Wunden, Gefühle von Abgrund, Vakuum,
falschem Geschlecht, Selbstverlust, Erlösungsphantasien, Suizidalität zu verstehen.
Alle diese Muster verweisen in diesen Fällen auf die Suche nach einer weiblichen

59
Vgl. Edgar Allan Poe: – – [Gedichte – Kritik – Briefe]. Hg. von
Stefanos Bekatoros. 1. Band. Athen: Plethron 1991, S. 172.
60
Vgl. Ursula Keller: “’Nun breche ich in Stücke...’. Leben/ Schreiben/ Suizid“. Berlin: Verlag
Vorwerk 8 2000, S. 7-17.
61
Vgl. ebd., S. 8. Bei Marina Zwetajewa findet man die Topographie eines Konfliktes zwischen
hochaufgeladenem Ideal und verfehlter Realität der Frau. Bei Unica Zürn die Angleichung des Lebens
an die Kunst: sie nahm ihren Tod in ihrem Werk vorweg. Außerdem stellt man bei ihr die tödliche
Kunst der Frau als die Kehrseite einer männlichen Ästhetik (ihres Partners, Hans Belmer) fest, nach der
die Kunst und der tote weibliche Körper gleich werden. Bei Sylvia Plath bemerkt man das schreckhafte
Sprechen und die unnahbaren Bilder. Bei Virginia Woolf die Figur der toten Dichterin als Muse (Judith
Shakespeare). Bei Anne Sexton die radikal ehrliche Weise, auf die sie über Selbstmord, Mutterschaft,
Abtreibung, und über die weibliche Erfahrung schrieb.
- 29 -

Identität, auf eine konfliktreiche Auseinandersetzung mit dem imaginierten Bild von
Weiblichkeit, die mit Selbstmord beendet wird. Diese von Frauen entwickelten
Todesmotive thematisieren die Erfahrungen von Frauen, die sich mit dem Tod in
verschiedenen Formen auseinandersetzen.

Da in diesem Buch alle Autorinnen außer Virginia Woolf Lyrikerinnen sind, wird
die Diskussion, die Elisabeth Bronfen im letzten Kapitel des Buches „Nur über ihre
Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik“ (1992) angefangen hat, in Richtung der
Lyrik weitergeführt. Denn Bronfen, die zu Kellers Buch mit zwei Artikeln über
Virginia Woolf und Anne Sexton beigetragen hat, untersuchte in ihrer Habilitation vor
allem die Prosa von Frauen.62 Im letzten Kapitel ihres Buches beschäftigt sie sich mit
dem Topus und Tropus weiblichen Todes aus der Sicht von Autorinnen und versucht
die Vorgehensweise zu zeigen, durch die sie auf das herrschende Bilderrepertoire
zurückgreifen, damit sie es eigentlich kritisieren und neu gestalten.

Bronfen geht – wie wir im letzten Kapitel erklärt haben - davon aus, dass die
westliche Kultur durch die Verbindung von Tod und Weiblichkeit die Erhaltung der
Sozialordnung sichert. Diese zwei Begriffe, Tod und Weiblichkeit, werden für
identisch gehalten, da beide die Furcht vor Kontrollverlust, vor Erweiterung der
Grenzen zwischen dem Selbst und der Anderen, vor der Zerstörung der Weltordnung
verursachen. Deswegen bedeutet die Furcht vor dem Tod eine Furcht vor der Frau, die
für den Mann der Tod ist. Tod und Weiblichkeit repräsentieren das, was durch die
Gesetze der Gesellschaft und die Kunst unter Kontrolle gebracht werden muss.63

Bronfen bezieht sich auf Lacan, was die Funktion des Anderen für das Subjekt
angeht, die darin besteht, die Stabilität der eigenen Position in der Welt zu sichern und
zu garantierten. Der begehrte Andere wird als Mittel zur Selbst-Definition benutzt, er
ist „Teil einer Kette von Objekten, die das ursprünglich verlorene Objekt ersetzt, eine
endlos wiederholte Reihe, weil die ersehnte Befriedigung niemals in einem Surrogat
zu finden ist.“64 Lacan behauptet, dass das erwachsene Subjekt ein männliches
Subjekt ist, dessen Bezeichnung der ‘Phallus’ ist, der als konventionell akzeptiertes
Symbol für das paternale Gesetzt fungiert. Zum anderen Geschlecht hat das
gespaltene Subjekt die imaginäre Beziehung zu Objekten des Begehrens (objet a), die

62
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 569-625. Bronfen untersucht die Dichtung von May Sarton,
Sylvia Plath und Anne Sexton.
63
Vgl. ebd., S. 265, 294 und 365.
64
Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 44.
- 30 -

im ‘weiblichen’ Feld positioniert sind. Weiblichkeit fungiert also als Umweg zu


einem Anderssein, das zurück zum Gleichen führt.65 Die Gleichsetzung von
Weiblichkeit mit dem Tod steht mit der Tatsache in Verbindung, dass die Frau als
begehrtes Objekt (objet a) des Mannes auf Seiten des Todes steht: Einerseits
wiederholt sich in ihr die verlorene primäre Mutter, andererseits dient sie als ‘tote’
Figur einer nicht-reziproken Phantasieprojektion, da die männliche Erkenntnis in der
sexuellen Beziehung auf Phantasie hinausläuft.66

Folgt man der Grundannahme von Bovenschen, dass die realen Frauen in der
patriarchalischen Kultur keinen Platz haben, sondern schlicht als widersprüchliche
Imaginationen des Weiblichen anwesend sind67, dann versteht man, dass die Frauen
unter diesen Umständen in der patriarchalischen Kultur als Autorinnen eine Rolle zu
übernehmen versuchen, die für sie gar nicht vorgesehen war; denn die Frau ist nicht
Zentrum eines Repräsentationssystems, sondern erhält die Position des
Zwischenraums zwischen verschiedenen Vorstellungen; ihr ist nicht die Stelle der
Produzentin, sondern der Muse oder der Konsumentin von Kunst erteilt68. Christa
Wolf meinte dazu, dass „jede Frau, die sich in diesem Jahrhundert und in unserem
Kulturkreis in die vom männlichen Selbstverständnis geprägten Institutionen gewagt
hat – ‚die Literatur’, ‚die Ästhetik’ sind solche Institutionen -, den Selbst-
vernichtungswunsch kennenlernen“69 musste.

Die Schriftstellerinnen gehen demzufolge von einer Position der Nicht-Existenz in


der Kultur aus, wobei die Autorschaft ein Schreiben aus dem sozialen Tod heraus und
oft in den realen hinein bedeutet. Ihre Rede ist immer mit dem Tod verbunden: Der
Tod in der Form des Schweigens, der Anonymität, des Versteckens hinter einem
männlichen Pseudonym, oder aber indem die Frauen als Medien oder Musen dienen.
Die mit dem Tod verbundene Rede kann man auch im Prozess der Selbstzensur von
Frauen bemerken, die Schriftstellerinnen beschränkt und entfremdet.70

65
Ebd., S. 307.
66
Ebd., S. 95.
67
Vgl. Kapitel 1.2.1.1. dieser Arbeit.
68
Vgl. Lenk: Die sich selbst verdoppelnde Frau, S. 87.
69
Christa Wolf: Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra. Darmstadt/Neuwied 1983, S. 149, zitiert
nach: Barbara Lersch: ‚Kassandra’ und die Utopie des weiblichen Subjekts. Zu Christa Wolfs Poetik.
In: Fischer, Karin/ Eveline Kilian/ Jutta Schönberg (Hg.): Bildersturm im Elfebeinturm. Ansätze
feministischer Literaturwissenschaft. Tübingen: Attempto Verlag 1992, S. 134-160, hier S. 138.
70
Die Überwindung der Selbstzensur sah Virginia Woolf als eine Voraussetzung für die Autorschaft
von Frauen, was sie in ihrem Essay „Berufe für Frauen“ (1931) am Beispiel des ‚Engels des Hauses’
verdeutlicht hat. Dieser Engel war Sinnbild des patriarchalischen Weiblichkeitsideals und ermahnte die
- 31 -

Deswegen könne ein solches Schreiben nicht vermeiden, dass weibliche


Selbstartikulation und Tod verbunden werden: „es kann niemals weiblichen Tod in
einen heimlichen Tropus außerhalb verwandeln, um so dieses kulturelle Erbe zu
verleugnen und mit dessen Zwängen aufzuräumen“71 schreibt Bronfen. Sie meint
damit, dass die reale Schriftstellerin nicht außerhalb der kulturellen
Weiblichkeitsimaginationen funktionieren kann. Das Schreiben der Autorin an sich
bejahe den Tod, indem sie die diskursive Bildung, die ihr Ausgangspunkt und Feind
sei, zugleich wiederhole und ihr widerstehe. Damit sie sprechen könne, müsse die
Autorin nicht nur die männliche Position einnehmen, sondern auch die Position der
Abwesenheit vorführen, die die Rhetorik des Todes sei.

Mit anderen Worten: Während im männlichen Diskurs der Tod einer Frau als
Zeichen für die Abwesenheit des Todes oder für den Sieg des Lebens (des
schreibenden männlichen Subjekts) über den Tod dient, handelt es sich im Fall einer
Autorin nicht um den Tod der Anderen oder den Tod als Anderen: Der Tod steht nicht
außerhalb der Ordnung, sondern er bleibt innerhalb des Repräsentationssystems: „Die
weibliche Subjektposition des Schreibens aus dem Tod stellt sich als eine Position des
Oszillierens ohne definierten oder festgelegten Platz dar, sie ist irgendwie im
Innern.“72 Bei der Wechselwirkung zwischen Autorin und Text, könne dann die Frau
als tote Muse oder die tote Frau als Muse für die Dichterin auftreten.

Als Beispiel für den ersten Fall erwähnt Bronfen Judith Shakespeare: In der
polemischen feministischen Schrift „Ein Zimmer für sich allein“ (1929) von Virginia
Woolf ist die bekannte Anekdote über die verhinderte und verlorene poetische Gabe
von Frauen zu finden, nämlich die Selbstmordgeschichte um die imaginierte
Schwester Shakespeares, Judith. Obwohl diese Frau über dieselben Fähigkeiten wie
ihr Bruder verfügt, wird ihr die Möglichkeit versagt, eine entsprechende Karriere zu
machen, was zu ihrem Selbstmord führte. Trotzdem und trotz der Tatsache, dass sie

Autorin alle ‚Tricks’ des weiblichen Geschlechts zu benutzen, so dass niemand je versteht, dass sie
selbständig denken kann. Woolf verstand folglich als Teil des Berufs jeder Autorin die Ermordung
dieses weiblichen Engels, denn nur so werde die Neubestimmung der weiblichen Identität verwirklicht.
Aus dieser Geschichte kommt aber auch folgendes hervor: Der Engel, den die Frau töten muss, um
schreiben zu können, ist eigentlich Teil des weiblichen Ich, da Frauen seit Jahrhunderten
patriarchalische Weiblichkeitsideale verinnerlicht haben. Der Mord am Engel wird also zum
‚Selbstmord’, der durch die Sprache, den Text begangen wird. (Vgl. Virginia Woolf: [Essays].
Athen: Scripta 1999, S. 44 ff.)
71
Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 578.
72
Ebd., S. 570.
- 32 -

nie ein Wort schrieb, lebt sie in andauernder Präsenz in allen Frauen, die sie
inspiriert.73

Als Beispiel für den zweiten Fall erwähnt Bronfen das Gedicht „Lady Lazarus“
(1962) von Sylvia Plath und das Gedicht „Sylvias Tod“ (1966) von Anne Sexton. Sie
meint, dass beide Dichterinnen den Tod der Frau nach patriarchalischen Mustern und
Imaginationen zitieren74, mit dem Ziel diese so zu dekodieren, dass der Tod als ein
Akt autonomen Selbstentwurfs erscheine. Ihr Hauptthema sei weiblicher Tod als
kreative Auferstehung der dargestellten Frau und ihr eigener Tod bilde die
Inspirationsquelle ihrer Dichtung. Bronfen zitiert Anne Sexton, die meinte, dass wenn
der Tod einen nimmt, dann ist er ein Mann, wenn er aber hervorgerufen wird, dann ist
er eine Frau.75 In diesem Fall der Verweiblichung des Todes, wenn also der Tod, ihr
eigenes Geschlecht trage, nehmen die Dichterinnen selbst die Doppelfunktion von
Bezugsobjekt und Adressatin der dichterischen Sprache an. In diesem Akt der
Autopoesis – so Bronfen – verschmelzen Muse und Schöpferin, so dass die
Schriftstellerin von ihrer Funktion befreit sei, Vermittlung, Material oder Spiegel für
die Schöpfung eines anderen zu sein.

Aus dem für den herrschenden Diskurs Paradoxon, dass das schreibende Subjekt
weiblich ist und gleichzeitig über den Tod schreibt, der mit Weiblichkeit verbunden
wird, ergibt sich Folgendes: Die von Frauen benutzten Todes- bzw.
Vernichtungsmotive bewegen sich zwischen Komplizenschaft mit der Kultur und
Kritik, sie bleiben „häufig unheimlich zwischen Leugnung und Bestätigung des
herrschenden Bilderrepertoires gefangen“76. Einerseits bedeutet die Komplizenschaft
eine doppelte Kastration für die Frau, denn sie ist unter der Sprache und der Tatsache
ihrer mangelhaften Position in der Gesellschaft unterworfen. Daher werden Motive
des Todes auch als Zeichen dieser Kastration benutzt.77 Andererseits aber „wandelt
sich das Schreiben der Frau zum Akt der kritischen Deutung kultureller Texte (in

73
Diese Tote sei nach Bronfen auch eine Muse, allerdings nicht im Sinne der Musen von z.B. Poe oder
Novalis, sondern im Sinne einer Inspiration für lebende, schreibende Frauen, die ihre poetische Gabe
hervorbringe.
74
Vgl. Kapitel 1.2.3.1. dieser Arbeit.
75
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 569.
76
Ebd.
77
Vgl. ebd., S. 581 f.
- 33 -

diesem Fall der Konjunktion von Weiblichkeit, Tod und Textualität) um so den
implizierten Widerspruch zu inszenieren.“78

Bronfen sieht in der Bewegung der Autorinnen zwischen Bejahung und


Ablehnung der herrschenden Verbindung von Tod und Weiblichkeit eine Möglichkeit
für sie, sich zugleich als Objekt und Subjekt ihrer Repräsentation als Frauen zu
zeigen. In diesem Rahmen könne das Gemeinsame unter Schriftstellerinnen, die den
Tod als Motiv benutzten, ein gemeinsamer kultureller Ort sein, der durch eine Art
Sprache jenseits des Persönlichen gegründet werden könnte.79 Denn was in Frage
gestellt wird, ist die soziale Konstruktion des weiblichen Selbst, die Verortung der
Frau durch ihr Geschlecht und ihre ‚Andersheit’.

Das Oszillieren zwischen Komplizenschaft und Widerstand könne deswegen die


effektivste Kritik an den herrschenden kulturellen Normen sein: Das hysterische
Schreiben – im Sinne Mitchells – folge Konventionen, wie dem männlichen Blick
oder der Vernichtung des weiblichen Körpers, nur damit es sie entkräfte. Die
Schriftstellerinnen spielen mit den Konventionen der Todes-Motiven, treiben sie ins
Extrem, ins Übermaß, nur damit sie das Makabre und das Groteske in ihnen
auszudrücken und die soziale Konstruktion des weiblichen Selbst zu bestätigen und
zugleich zu ironisieren.80

Schlussfolgernd lässt sich bemerken, dass die Vernichtungsmotive in Werken von


Frauen verschiedene Ausgangspunkte und Ziele haben und unter verschiedenen
Kodierungen im Text erscheinen können, deren Entzifferung vieles über die
Konstitution weiblicher Subjektivität in der Literatur verraten könnte. Tod könnte das
Ergebnis einer konfliktreichen Auseinandersetzung mit dem imaginierten Bild von
Weiblichkeit sein. Selbstmorde oder Vernichtungsphantasien weiblicher Helden

78
Ebd., S. 577 f.
79
Vgl. ebd., S. 575.
80
Das beweist Bronfen, indem sie Texte von Sylvia Plath (The Bell Jar, 1963), Fay Weldon (The Life
and Loves of a She-Devil, 1983), Margaret Atwood (Lady Oracle, 1976), Angela Carter (The Infernal
Desire Machines of Doctor Hoffmann, 1972) und Ingeborg Bachmann (Der Fall Franza, 1978)
untersucht, die zeigen, wie die Autorinnen „auf ihr Erbe kulturellen Bilderrepertoires zurückgreifen,
um die doppeldeutige Geste von Nachahmen und Entlarven, von Nachgeben und Widerstehen zu
wiederholen, umzukehren und neu zu erfinden.“ (Ebd., S. 582). Plaths Strategie ist die Untergrabung
der Todesklischees durch ihre Hervorhebung. Weldon dekonstruiert die Weiblichkeitsklischees und
lässt dadurch ihre Heldin sozial und somatisch sterben. Atwood bewegt sich zwischen Materialität und
Textualität und kritisiert die kulturellen Bilder von Weiblichkeit als Tod. Carter deutet die Klischees
der toten Geliebten als Muse feministisch um. Bachmann untersucht die psychischen Arten des Tötens,
denen Frauen ausgesetzt sind. Bei diesen Texten werden also konventionelle Motive des Todes in
Zusammenhang mit der Weiblichkeit behandelt und die Frau wird als Zeichen, das von Geschlecht und
Tod bestimmt wird, dargestellt.
- 34 -

könnten verdeutlichen, wie Frauen, indem sie ihr eigenes Soma töten, die kulturelle
Konstruktion des Weiblichen als totes, von anderen beherrschtes und vergewaltigtes
Bild zerstören.

Die Suche nach weiblicher Selbstidentifikation könnte als Selbstzerstörung


ausgedrückt worden sein, wenn die Frau, um die ausweglose Alternative zwischen
Täter und Opfer abzulehnen, sich selbst zum Opfer macht, statt zum Opfer gemacht
zu werden. Todesphantasien könnten auch als Ausdruck der Tötung des falschen
Selbst angesehen werden, wobei der Aspekt suizidalen Erlebens von Frauen, in Form
einer komplexen weiblichen Identitätsproblematik und –störung, die auch mit der
Geschlechtsidentität verbunden wird, zentral ist.

1.3. Textauswahl und eigenes Vorgehen

1.3.1. Lyrik von Frauen

„They shut me up in Prose –


As when a little Girl
They put me in the Closet –
Because they liked me “still” –“
Emily Dickinson81

Dieses Kapitel ist – wie schon im Titel angedeutet - speziell der Lyrik von Frauen
gewidmet: Im Folgenden werden wir versuchen, sowohl die Stelle der Lyrikerinnen in
der patriarchalischen Kultur, als auch den Stellenwert der Lyrik für die Frauen selbst
zu durchleuchten. Anschließend werden wir die Konzentration auf die Lyrik von
Frauen in unserer Arbeit und die Textauswahl aus dem Werk der vier Dichterinnen,
die uns als Corpus dient, erklären.

Die Verse von Emily Dickinson am Anfang des Kapitels drücken das aus, worauf
sich viele Wissenschaftlerinnen einigen: Dass Frauen Lyrik produzieren und in ihren
Versen ihr weibliches Ich verwirklichen, wurde im patriarchalischen Diskurs

81
Thomas Johnson (Hg.): The Complete Poems of Emily Dickinson. Boston: Little Brown 1960, zitiert
nach: Sandra M. Gilbert/ Susan Gubar: Shakespeare’s Sisters. In: Mary Eagleton (Hg.): Feminist
Literary Theory. A Reader. Oxford & Cambridge: Basil Blackwell 1986, S. 106-112, hier S.107.
- 35 -

irgendwie für arrogant, unweiblich, unangebracht gehalten. Pamela Di Pesa hat darauf
hingewiesen, dass eine männliche Muse als Symbol für poetische Inspiration der
Frauen schwieriger vorstellbar ist, als eine weibliche Muse als entsprechendes
Symbol für Männer.82 Diese Schwierigkeit bedeutet aber nach di Pesa, dass es nicht
einfach für die Frau ist, sich selbst als Lyrikerin vorzustellen:

The significance of the female muse, which was generally positive for male poets, must
have been generally negative for female poets. Rather than functioning as a symbol of
inspiration, the muse must have acted as a continual reminder to women of the
prohibitions and prejudices of the literary tradition itself.83

Die Schwierigkeit der Lyrikerinnen steht in Verbindung mit der – bis vor einigen
Jahrzehnten verbreiteten – Ansicht des herrschenden Diskurses, dass die ‚Natur der
Lyrik’ unvereinbar mit der ‚Natur der Frau’ ist.84 Auch wenn das Unbeweisbare
solcher Meinungen ihre absolute Durchsetzung unter den heutigen Umständen
verbietet, ist ein Zusammenhang zwischen Genre und Gender in der Frauenliteratur
festzustellen. Man kann nämlich die Tatsache nicht leugnen, dass Lyrikerinnen sich
eines Genres bedienen, das von Männern auf ihre Kosten (wegen ihrer Muse-Rolle)
gefestigt wurde, und an dem sie wegen des Mangels an weiblicher Tradition als
minderwertig teilnehmen. Christa Reinig schrieb dazu:

Literatur ist ein hartes Männergeschäft von dreitausend Jahren her. Das muß jede Autorin
erfahren, wenn sie das Wort ‚Ich’ gebraucht. Von da aus geht es plötzlich nicht recht
weiter. Die Formen und Formeln der Dichtersprache sind nicht geschaffen, daß ein
weibliches Ich sich darin artikulieren kann. Es gibt die Möglichkeit der Resignation. Das
‚Ich’ der Erzählerin ist männlich. Sie spiegelt vor, daß die Geschichte, die sie unter ihrem
Verfassernamen erzählt, von einem Mann erlebt wurde. Es gibt den Kampf. Die Droste-
Hülshoff hat ihn gekämpft. In einem auto-biographischen Gedicht läßt sie sich mit ‚Herr’
anreden. Sie hat ihr Leben aufgebraucht, ehe es ihr gelang, ihr weibliches Ich im Gedicht
zu verwirklichen. In der Prosa allerdings blieb sie auf der männlichen Seite, wie ihr
lobend bestätigt wurde.85

Die Schwierigkeiten und Hemmungen der Lyrikerinnen haben als Folge, dass ihre
Zahl im Vergleich zu Prosaautorinnen beschränkt geblieben ist. Es wurde – die
Gründe für diese Entwicklung weitersuchend – verschiedenartig argumentiert.

82
Vgl. Pamela di Pesa: The Imperious Muse: Some Observations on Women, Nature, and the Poetic
Tradition. In: Cheryl Brown, Karen Olson (Hg.): Feminist Criticism. Essays on Theory, Poetry and
Prose. London: The Scarecrow Press 1978, S. 59-68, hier S.60.
83
Ebd.
84
Vgl. Gilbert / Gubar: Shakespeare’s Sisters, S. 107.
85
Christa Reinig: Das weibliche Ich. In: Alternative. Zeitschrift für Literatur und Diskussion 108/109,
19. Jahrgang, Berlin: Alternative Verlag 1976, S. 119-120, hier S. 119.
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Virginia Woolf meinte, dass erzählende Literatur für eine Frau am leichtesten zu
schreiben war, denn ein Roman könnte leichter in Angriff genommen werden als ein
Drama oder ein Gedicht. Da sie von bestimmten Formen der Erfahrung
ausgeschlossen blieb, wurde die Frau – so Woolf – zur Romanautorin herangebildet
und nicht zur Dichterin.86

In demselben Sinne erklärt Bovenschen, dass die Lyrik wie auch das Drama
wegen der erheblichen Tradition, die hohe formale Maßstäbe voraussetzte, männliche
Festungen waren, die weitgehend inkompatibel mit den psychisch-geistigen
Konditionierungen und den faktischen Lebensverhältnissen der Frauen blieben.87 Die
begrenzte Zahl der Lyrikerinnen ist auch durch die Veröffentlichungsschwierigkeiten
zu erklären, wie Calder und Goodman betonen: Keine Lyrikerin wurde vor der
Romantik kanonisiert, wobei es auch im 20. Jahrhundert viel einfacher für die Männer
war, ihre Lyrik zu veröffentlichen, da dieses Genre von lebenden und vor kurzem
gestorbenen männlichen Autoren dominiert wurde.88

Nichtsdestoweniger scheint es, wie Mary Eagleton in ihrem Artikel „Genre and
Gender“89 erwähnt, dass die Literaturkritik des 19. Jahrhunderts die weibliche Lyrik
akzeptierte, allerdings auf eine Weise, die im Rahmen der patriarchalischen Ideologie
war: Die weibliche Stimme sollte auf das Persönliche begrenzt werden und
Ausdrucksweisen finden, die ‚weibliche’ Werte, wie Sensibilität und Zärtlichkeit,
zum Vorschein bringen. Falls die Verse von Frauen fordernd, selbstbewusst oder
kritisch wurden, dann wurden sie als ‚unweiblich’ charakterisiert und missbilligt.
Darüber hinaus sollte die Entscheidung für oder gegen bestimmte Inhalte und Formen
unter dem literarischen Kanon jeder Epoche auch als ein Akt des Widerstands
verstanden werden. Tatsächlich war das Element, das in der Lyrik von Frauen immer
gelobt wurde, die ‚Weiblichkeit’ der Verse. Die androzentrische literarische Kritik
setzte willkürlich voraus, dass eine Frau wegen ihrer Sentimentalität zur Lyrikerin

86
Vgl. Virginia Woolf: Frauen und Literatur. Essays. Hg. von Klaus Reichert. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main, 1989, S. 11 f. Gilbert und Gubar erwähnen, dass die Lyrik eine eher aristokratische
Ausbildung voraussetzte, was für die Frauen nicht immer selbstverständlich war. Vgl. Gilbert/Gubar:
Shakespeare’s Sisters, S. 110.
87
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 217.
88
Vgl. Angus Calder / Lizbeth Goodman: Gender and Poetry. In: Lizbeth Goodman (Hg.): Literature
and Gender. London: Routledge, The Open University 1996, S. 41-70, hier S. 46 f.
89
Vgl. Mary Eagleton: Genre and Gender. In: David Duff (Hg.): Modern Genre Theory. Essex:
Pearson Education Limited 2000, S. 250-262, hier S. 251 f.
- 37 -

wurde und dass ihre Lyrik entweder als Reaktion auf eine tatsächliche
Liebesgeschichte, oder aber als Ersatz für eine fehlende zu interpretieren war.90

Folgt die Lyrikerin nicht diesen Richtlinien, dann muss sie feststellen, dass ihre
Position in der patriarchalischen Kultur die eines Monstrums ist:

Struggling against the role of passivity assigned to her by tradition, in claiming the right
to be ‚author’ of a life and a text, the woman writer – and the poet in particular – has been
treated as a double ‚monster’ On the one hand is the monstrosity of giving birth to a book
instead of a baby, […]. On the other hand is the woman’s internalised experience of
monstrosity […] which makes the woman/poet a contradiction in terms.91

Einerseits ist sie, indem sie dichtet, in einem ‚männlichen’ Bereich produktiv; das
macht sie ein Monstrum in den Augen der patriarchalischen Gesellschaft.92
Andererseits muss sie, um trotz der Schwierigkeiten produktiv zu bleiben, den ‚Engel
des Hauses’ töten; das macht sie ein Monstrum in ihren eigenen Augen. Nach
Kabitoglou-Douka wird ihre Tätigkeit für unnatürlich und ihre Kunst für monströs
gehalten:

If the fact that creativity in women was for centuries considered „unnatural“ has
eclipsed the female artist as a monstrosity, then it is no surprise that what she brings to
life is a „monstrous“ creature, particularly in the most satanically seductive, daring and
therefore precarious of literary genres for women – lyric poetry.93

Als ein nicht zu unterschätzender Faktor, der die Schwierigkeiten der Lyrikerinnen
erklären mag, gilt schließlich, dass die Lyrik ein starkes „Ich“ fordert. Während die
Autorin eines Romans sich selbst auch von außen betrachten kann, sieht eine
Lyrikerin ihr “Ich” ständig „from the inside, as a subject, a speaker: she must be, that
is, assertive, authoritative, radiant with powerful feelings while at the same time

90
Vgl. Gilbert/Gubar: Shakespeare’s Sisters, S. 107 ff. Diese Ansicht ist dominant, wie z.B. die
traditionelle patriarchalische Kritik an Polydouri und Günderrode zeigt.
91
Ekaterini Douka-Kabitoglou: Beauty and the Beast: Re-membering the Woman/Poet. In:
/ . [Frauen/Lyrik in Griechenland und Britanien.
Symbosium]. Thessaloniki: University Studio Press 1998, S. 11-48, hier S. 18.
92
Vgl. Sandra M. Gilbert / Susan Gubar: The Madwoman in the Attic. In: Mary Eagleton (Hg.):
Feminist Literary Theory. A Reader. Oxford & Cambridge: Basil Blackwell 1986, S. 67 f. und di Pesa:
The Imperious Muse, S. 59.
93
Kabitoglou-Douka: Beauty and the Beast, S. 19.
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absorbed in her own consciousness.”94 Und in diesem Punkt sehen Gilbert und Gubar
den Grund für die häufige Suizidalität der Lyrikerinnen95:

[…] while the woman novelist, safety shut in prose, may fantasize about freedom with
a certain impunity (since she constructs purely fictional alternatives to the difficult
reality she inhabits), it appears that the woman poet must in some sense become her
own heroine, and that in enacting the diabolical role of witch or wise woman she
literally or figuratively risks a melodramatic death at the crossroads of tradition and
genre, society and art.96
For the woman poet […] the contradictions between her vocation and her gender might
well become insupportable, impelling her to deny one or the other, even […] driving
her to suicide.97

Trotz dem oft tödlichen Ausgang hat die Dichtung für die Frauen einen
besonderen Stellenwert und bekommt oft die Funktion einer Überlebensstrategie.
Deswegen schrieb die amerikanische Dichterin Anne Sexton, dass Gedichte und nur
Gedichte ihr Leben gerettet haben.98 Gemeint ist Folgendes: Ihre Identität suchend,
die Weiblichkeitsimaginationen des Patriarchats ablehnend und in ihrem Versuch sich
selbst nicht als das Andere zu definieren, sucht die Frau nach Ausdrucksweisen, die
ihr diese gefährliche Reise in ihr Selbst ermöglichen. Gefährlich ist diese Reise, weil

94
Gilbert/Gubar: Shakespeare’s Sisters, S. 111. Hervorhebung im Original.
95
Dr. James Kaufman, Psychologieprofessor an der San Bernardino Universität in Kalifornien verglich
in seinem Artikel „The cost of the muse: poets die young“ (2003) die Lebensdauer von 1.987
weiblichen und männlichen Dichtern und Schriftstellern der Weltliteratur, wie auch die Häufigkeit der
psychischen Krankheiten unter ihnen, und stellte folgendes fest: Dichterinnen leiden häufiger an
psychischen Krankheiten als Prosa-Schriftstellerinnen und als alle männlichen Schriftsteller. Das
verbindet er mit der Tatsache, dass beide weibliche und männliche Dichter die kürzeste Lebensdauer
von allen Schriftstellern haben. Der Grund dafür liegt nach Kaufman an Wesen der Dichtung selbst:
Sie sei emotionaler und introspektiver als andere Gattungen und der Bereich der übermäßigen
Emotionalität und Subjektivität werde mit geistiger Instabilität assoziiert, genau wie das beharrliche
Nachdenken, das vielleicht der Anlass für Dichtung sei, auf verschiedenen Ebenen mit Depression
assoziiert werde. Es sei bemerkenswert, dass während andere Gattungen die Bearbeitung von
psychischen Traumata ermöglichen können, Dichtung in diesem Bereich nicht hilfreich ist. Im Artikel
„I bask in dreams of suicide: Mental Illness, Poetry and Women“ (2002), den Kaufman zusammen mit
John Baer verfasste, wird speziell die Häufigkeit psychischer Krankheiten bei Dichterinnen untersucht.
Kaufman betont, dass ein wichtiger Faktor, der die Dichterinnen beeinflusst, die extremen
Schwierigkeiten bei der Anerkennung ihres Werks sind. Er stützt sich auf die Ergebnisse einer
Untersuchung von 80 erfolgreichen weiblichen Schriftstellerinnen und formuliert die These, dass der
Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen der Rolle als Frau und der als Schriftstellerin zu
der psychischen Instabilität der Autorinnen beigetragen hat. (Vgl. J.C. Kaufman: The Cost of the Muse:
Poets die young. In: Death Studies, 27, 2003, S. 813-821 und Kaufman, J.C. / J. Baer: I Bask in
Dreams of Suicide: Mental Illness, Poetry and Women. In: Review of General Psychology, 6 (3), 2002,
S. 271-286).
96
Gilbert/Gubar: Shakespeare’s Sisters, S. 109 f.
97
Ebd., S. 111. Die Dichterin, die am meisten erwähnt wird, wenn es darum geht, das ‚double bind’,
den Versuch einer Autorin die Frau nicht zugunsten der Lyrikerin zu verlieren, ist Sylvia Plath.
Susanne Juhasz schreibt über den Konflikt zwischen Frau und Lyrikerin in ihrem Werk und Leben:
„her life and her art embody her attempts to find a solution. She never finds one.“ Suzanne Juhasz:
“The Blood Jet”: The Poetry of Sylvia Plath. In: Cheryl Brown, Karen Olson (Hg.): Feminist Criticism.
Essays on Theory, Poetry and Prose. London: The Scarecrow Press 1978, S. 111-130, hier S. 111.
98
Vgl. Keller: “Nun breche ich in Stücke…”, S. 7.
- 39 -

die Frau die ihr bekannten Formen, Bilder und Ausdrücke des weiblichen Ich
anzweifeln, kritisieren oder sogar ändern muss, um ihre Identität hinter dem Spiegel
zu finden. Das besondere Merkmal der Lyrik, das sie geeignet für diesen Versuch
macht, erklärt Andrienne Rich folgenderweise: „Poetry is too much rooted in the
unconscious; it presses too close against the barriers of repression.“99 Lyrik melkt das
Unbewusste, wie Anne Sexton es ausgedrückt hat.100

In Lyrik gebären also die Frauen ihr eigenes ‚ ’, nämlich sich selber, was
durch die poetische Sprache möglich wird.101 Für Audre Lorde102 ist die Lyrik für die
Frauen kein überflüssiger Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit, denn auf ihr
basieren ihre Hoffnungen und ihre Träume von Veränderung; diese werden zunächst
Sprache, dann Idee und schließlich Tat. Durch diesen Prozess werden auch die
extremen Ideen verdichtet, die notwendig für die Schaffung einer weiblichen
Subjektivität sind. Da, wo die Sprache, die weibliche Gefühle ausdrücken kann, noch
nicht existiert, trägt die Lyrik zu ihrer Schaffung bei, denn sie erlaubt, dass die
Sprache so ‚gebeugt’ wird, dass sie sich der geistigen Vision des Subjekts anpasst.103

Derselben Ansicht sind auch Calder und Goodman, die die lyrische Sprache als
spielerisch charakterisieren, im Sinne dass sie viele Möglichkeiten der Konstruktion
und Dekonstruktion anbietet. Sie betonen auch, dass vor allem der freie Vers es den
Frauen erlaubt hat, neue Töne und Motive zu entwickeln, die zu einem individuellen
Selbstausdruck geführt haben.104 Auch Juhasz ist fest davon überzeugt, dass die Lyrik
das Leben der Frauen ändern kann, indem sie ihnen ihre Unterdrückung und ihre
Identität bewusst macht: „reshaping words into forms that can give us lives and
life“105.

99
Andrienne Rich: On Lies, Secrets and Silence: Selected Prose, 1966-1978. New York: Norton 1979,
S. 39. Zitiert von Kabitoglou-Douka: Beauty and the Beast, S. 19.
100
Vgl. ebd.
101
Vgl. ebd., S. 22.
102
Vgl. Audre Lorde: . [Die Dichtung ist kein Luxus]. In: -
Barbie [Die Forderung von Barbie]. Athen: ochlias Verlag 2002, S. 205-210.
103
Vgl. Nancy Walker: .
Dickinson, James Woolf . [Weiter als der Himmel. Öffentliche Präsenz und privates Selbst
bei Dickinson, James und Woolf]. In: - Barbie [Die Forderung von Barbie]. Athen:
ochlias Verlag 2002, S. 212-263, S. 214.
104
Vgl. Calder/Goodman: Gender and Poetry, S. 58, 65.
105
Suzanne Juhasz: The Feminist Poet: Alta and Andrienne Rich. In: Cheryl Brown, Karen Olson
(Hg.): Feminist Criticism. Essays on Theory, Poetry and Prose. London: The Scarecrow Press 1978, S.
160-187, hier S. 184.
- 40 -

Um die Ansicht von Lorde, Calder und Goodman über die besonderen Merkmale
der poetischen Sprache, zu bekräftigen, möchten wir folgendes erwähnen: Das
Element der Lyrik, das in der Prosa nicht vorhanden ist, ist die Versgrenze, die eine
sichtbare und hörbare Einheit bildet. Auf der Bildung solcher Einheiten beruht die
Fähigkeit des Verses, die Bedeutung der Wörter, die ihn zusammenstellen, zu
vermehren. Denn die produzierten Pausen (die Verssegmentierung) verstärken den
Sinn der Wörter. Aber auch grammatische Abweichungen, die Stellung der Wörter
oder ihre metrische Organisation können die Bedeutung der Wörter verändern. Auf
diese Weise hängt die Wahrnehmung von Bedeutungen nicht nur von den
Informationen, sondern auch von der Form ab.106 Die Bedeutungsvermehrung gibt der
Sprache der Lyrik eine besondere Dynamik und darüber hinaus erscheint sie nach
Adorno als eine utopisch-subjektive Alternative zur ideologisch-objektiven Sprache
der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Deswegen enthält das Gedicht als Reaktionsform
auf die gegebene Situation die Möglichkeit gesellschaftlicher Wirkung; denn es
spricht „den Traum einer Welt aus, in der es anders wäre.“107

Wenn es um die poetische Sprache geht, sollte man Julia Kristevas Buch „Die
Revolution der poetischen Sprache“ (1974) berücksichtigen, obwohl ihre Theorie sich
nicht auf das Schreiben von Frauen bezieht. Kristeva sieht die Sprache als einen
komplexen Prozess der Sinnbildung, in den das Subjekt verwickelt ist. Dieser
Sinngebungsprozess, durch den Sprache sich konstituiert, ist durch das Symbolische
und das Semiotische strukturiert. In der symbolischen Ordnung sind den Dingen
vermeintlich klare Zeichen zugeordnet, in der semiotischen kommt es zu der
Bedeutungszuweisung, wobei Kristeva dem Semiotischen, in dem „das Sprachzeichen
noch nicht die Stelle des abwesenden Objekts einnimmt und noch nicht als
Unterscheidung von Realem und Symbolischem artikuliert wird“108 entscheidende
Bedeutung zuweist.

Sie sieht poetische Texte nicht als Abbilder einer außenliterarischen,


nachzuahmenden Wirklichkeit, sondern eher als Erzeugung einer eigenen textuellen
Wirklichkeit. Was sie interessiert, ist das Zusammentreffen der Sprache als System
106
Vgl. Dieter Lamping: Das lyrische Gedicht. Definitionen zu Theorie und Geschichte der Gattung. 3.
Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000 (1989), S. 39 ff. und Rudolf Brandmeyer: Die
Gedichte des jungen Goethe. Eine gattungsgeschichtliche Einführung. Göttingen (UTB; 2062) 1998, S.
198 ff.
107
Theodor W. Adorno: Rede über Lyrik und Gesellschaft. In: ders: Noten zur Literatur. Frankfurt/M:
Suhrkamp 1981 (1965), S. 52.
108
Julia Kristeva: Die Revolution der poetischen Sprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1978, S. 37.
- 41 -

und der gesprochenen Sprache des Individuums, und gerade auf diesen Punkt
konzentriert sich auch unser Interesse: Nach Kristeva passen sich die Sprecher
bewusst der vorgegebenen symbolischen Ordnung der Sprache als System an, wobei
sie sie unbewusst untergraben.109 Die Funktion der poetischen Sprache sei

in und durch das Symbolische einzuführen, was eben dieses Symbolische bearbeitet,
durchkreuzt und bedroht. Das, wonach die Theorie des Unbewussten sucht, wird von der
poetischen Sprache in der gesellschaftlichen Ordnung und gegen sie praktiziert: letztes
Mittel, sie zu verändern oder zu unterlaufen – Bedingung ihres Fortbestehens oder ihrer
Umwandlung.110

Die Arbeit am Sprachmaterial, bei der das Semiotische im Symbolischen wirkt,


hat nach Kristeva politisch-emanzipatorische Bedeutung, im Sinne, dass sie eine
vorgegebene Realität von Zeichen umwandeln und in die Geschichte eingreifen
kann.111 Im Kontext der feministischen Literaturwissenschaft wurde auf den
problematischen Charakter ihrer Weiblichkeitstheorie hingewiesen (obwohl dieser
Charakter oft übersehen wird), da das Weibliche nicht in Verbindung mit den realen
Frauen gebracht, sondern als das Unbestimmbare definiert wird. Auf diese Weise
wird die eigene Identität für die Frauen kein zentrales Thema, da ihr Bereich das
Semiotische bleibt; die Frau steht für Kristeva außerhalb jeder Wahrheit der
symbolischen Ordnung. Weiblichkeit grenzt sich von Feminismus ab, wobei es unklar
bleibt, wie die Textpraxis für weibliche Subjekte aussehen würde.112

1.3.2. Textauswahl

Die Lyrik als Ausdrucksweise von Frauen ist im doppelten Sinne von Bedeutung.
Erstens weil die Frauen dadurch an einem kulturellen Bereich teilnehmen, dessen
Zugang den meisten von ihnen nur in den letzten Jahrhunderten (seit dem 18.
Jahrhundert) erlaubt wurde. Folglich schaffen sie auch auf diesem Gebiet die

109
Vgl. Osinski: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S. 160.
110
Kristeva: Die Revolution der poetischen Sprache, S. 90.
111
Vgl. Osinski: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S.160.
112
Vgl. Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 119 f., Sigrid Weigel: Die
Stimme der Medusa. Schreibweisen in der Gegenwartsliteratur von Frauen. Dülmen-Hiddingsel: tende
1987, S. 204; Sabine Grosch: Revision statt Verabschiedung. Probleme der französischen
feministischen Theorie. In: Die Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte. Bd. 11 1996, S. 1013 – 1016.
- 42 -

erwünschte Tradition, die sie schon in Gattungen wie der Roman oder das Tagebuch
erreicht haben, und deren Mangel sie in einer Position der Minderwertigkeit im
Vergleich zu männlichen Dichtern gezwungen hat.113

Zweitens bietet die poetische Form und Ausdrucksweise die Möglichkeit sich
einer Sprache zu bedienen, die ihnen eine Macht über die gegebenen Bedeutungen
erteilt, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die einen direkten Zusammenhang mit
dem weiblichen Unbewussten haben. Da wo die Frauen die androzentrische Sprache
einschränkend für den Ausdruck ihrer Erfahrungen und ihrer Wirklichkeit finden,
weil in dieser Sprache patriarchalische Mächte kodiert worden sind, können sie mit
einem neuen Schreiben experimentieren, das ihre unbewusste Welt am besten
ausdrückt, wobei das Unbewusste unmittelbar mit dem Tod verbunden wird.114

Das ist wichtig für unsere Arbeit, denn sie bringt das Thema der Verbindung
zwischen der Lyrikerin und dem Tod zum Vorschein, das unser Ausgangspunkt ist.
Die Suizidalität und der Vernichtungswunsch der Dichterinnen sind Punkte, die wir
nicht außer Acht lassen dürfen, zumal zwei aus den vier von uns ausgewählten
Dichterinnen Selbstmord begangen haben (Karoline von Günderrode, Inge Müller),
eine nicht gegen ihre tödliche Krankheit kämpfte (Maria Polydouri) und eine an
Überdosis von Alkohol und Drogen starb (Katerina Gogou). Daher ist es wichtig die
Art und Weise zu untersuchen, auf die die Dichterinnen in ihren Werken den Tod mit
der weiblichen Erfahrung in Verbindung gebracht haben und die Strategien (im Sinne
Weigels) festzustellen, nach denen sie die Spaltung zwischen der Frau und der
Autorin überwunden haben oder nicht.

Zu unseren Intentionen gehört auch die Erprobung der theoretischen Vorgaben, so


wie sie in den letzten Kapiteln der Einleitung erörtert worden sind, am dichterischen
Werk der vier Schriftstellerinnen. Die Mehrheit der Untersuchungen konzentrierte
sich nicht auf lyrische Texte. Sigrid Weigel (1984) untersuchte die Strategien des
weiblichen Schreibens nur in Prosa-Texten und Elisabeth Bronfen (1992) bezog sich
nur auf drei Dichterinnen (Plath, Sexton, Sarton); die Texte in Kellers Sammlung
(2000) sind jedoch in ihrer Mehrheit Lyrikerinnen gewidmet (Sylvia Plath, Marina
Zwetajewa, Anne Sexton, Unica Zürn, Inge Müller und der Romanautorin Virginia

113
s. S. 35 dieser Arbeit
114
Vgl. Nicole Ward-Jouve: No One’s Mother: Can the Mother Write Poetry? In: /
. [Frauen/Lyrik in Griechenland und Britanien. Symbosium].
Thessaloniki: University Studio Press 1998, S. 193-218, hier S. 199.
- 43 -

Woolf). Weil aber die Aufsätze der Sammlung von verschiedenen Autorinnen und
Autoren verfasst wurden, die verschiedene Zielsetzungen hatten, ist keine einheitliche
Theorie verwendet worden.

Die vier Schriftstellerinnen wurden in unserer Arbeit als exemplarisch für die
Dichtung von Frauen ausgewählt, aufgrund einiger gemeinsamen inhaltlichen Punkte
in ihrem Werk:

a) Die weibliche Erfahrung wird in ihren Texten thematisiert. Wünsche, Hoffnungen,


Enttäuschungen, Begehren, Tätigkeiten, Identitätssuche, die das weibliche Geschlecht
betreffen, werden in ihrer Dichtung zum Ausdruck gebracht.

b) Die von ihnen geschaffenen Frauenbilder werden so dargestellt, dass verschiedene


Perspektiven zum Vorschein kommen, wie z.B. Aspekte des sozial-politischen
Rahmens der Stellung der Frau, der Selbst- oder Hetero-Bestimmung, der
unterdrückten oder nicht ausgedrückten Sexualität. Daher wird das Untersuchungsfeld
breiter.

c) Die Imaginationen des Weiblichen jeder Dichterin innerhalb des je einzelnen


Werks sind nicht einheitlich, sondern widersprechen sich oft. Diese Tatsache
ermöglicht die Untersuchung der Widersprüche in ihrem Werk und die mögliche
Dekonstruktion von Weiblichkeitsbildern.

d) So verschieden die Ästhetik ihrer Gedichte auch sein mag, so beinhalten ihre Texte
Todesmetaphern und Selbstzerstörungsmotive, die in Verbindung mit der weiblichen
Subjektkonstitution analysiert und bewertet werden sollten. Die zu untersuchenden
Gedichte setzen folglich die weibliche Erfahrung, die Frauenbilder und deren
Verbindung mit Todesmotiven voraus.

1.3.3. Aufbau und Methode

Vorliegende Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Nach diesem einleitenden Kapitel, in dem
die Ziele, der Ansatz und die theoretische Grundlage erläutert wurden, folgt das
zweite Kapitel, in dem eine kurze Biographie der vier Dichterinnen wie auch der
Stand der Forschung dargestellt werden. In den vier nächsten Kapiteln werden die
Werke der Dichterinnen nach den gestellten Arbeitshypothesen untersucht. Jedes
- 44 -

Kapitel ist der Lyrik einer Dichterin115 gewidmet: Einzeluntersuchungen sind


notwendig, aus dem Grund, dass ihre Gedichte trotz Parallelen hinsichtlich der
Todesmotive, sehr unterschiedlich sind und nicht miteinander gleichgesetzt werden
können.

Es wird chronologisch mit der frühesten Epoche angefangen, nämlich mit dem
Werk von Karoline von Günderrode. Auf diese Weise wird der Weg der Frauen zu
sich selbst besser beschrieben, da am Anfang des 19. Jahrhunderts die mutigen ersten
Schritte in Richtung der weiblichen Unabhängigkeit in der Literatur stattfanden. Im
siebten Kapitel findet eine vergleichende Schlussbetrachtung statt und die Ergebnisse
der Untersuchung werden erwähnt. Es wird überprüft, inwieweit die
Arbeitshypothesen stimmen oder welche Abweichungen festzustellen sind. Es folgen
ein Anhang mit der Wirkungsgeschichte der Dichterinnen und die im Rahmen der
Arbeit benutzte Primär- und Sekundärliteratur.

Eigentlich diente die ganze Einleitung bis jetzt dazu, unser Vorgehen und den
methodischen Rahmen zu erklären. Denn dieser Überblick über die Theorien der
feministischen Literaturwissenschaft hinsichtlich der künstlerischen Produktivität der
Frauen bildet den Hintergrund für unsere Untersuchungsschwerpunkte. Ein Ziel der
Analyse der Gedichte besteht darin, die Art und Weise festzustellen, auf die Tod und
Weiblichkeit im Werk der Autorinnen eingeschrieben werden. Gesucht wird nach
Mustern und Motiven weiblicher Vernichtung bzw. Vernichtung durch die Frau, die
die Verbindung des weiblichen Subjekts mit dem Tod demonstrieren (Keller 2000).

Die Untersuchung der mit dem Tod verbundenen Weiblichkeitsimaginationen


sollte auf eine solche Weise durchgeführt werden, dass sowohl ihre Ähnlichkeit als
auch ihr Unterschied mit dem herrschenden Diskurs116 gezeigt werden kann (Bronfen
1992). Auf diese Weise soll festgestellt werden, inwiefern diese Imaginationen
unkritische Spiegelungen der androzentrischen Kultur sind, oder aber die
Weiblichkeit als eine unterirdische Bewegung gegen die Idole, an denen sie sich
gebildet hat, darstellen und somit zur Befreiung der Frauen aus den männlichen
Normen zielen (Bovenschen 1979, Lenk 1976).

115
Aus zeitlichen Gründen war es unmöglich, die von uns benutzten Gedichte der zwei griechischen
Dichterinnen ins Deutsche zu übersetzen.
116
Was den im Rahmen dieser Untersuchung bestimmten herrschenden Diskurs angeht, siehe Kapitel
1.2.3.1. der vorliegenden Arbeit. Speziell für jede Epoche werden kanonisierte Werke der Primär- und
Sekundärliteratur verwendet, die den jeweils herrschenden Diskurs als Folie erkennbar machen, so dass
Abweichungen und / oder Übereinstimmungen im Werk der Dichterinnen benannt werden können.
- 45 -

Damit die Freiheit gewährleistet wird, die eine unterschiedliche Perspektive


erlauben würde, wird eine Kategorisierung bevorzugt, die nicht a priori
Polarisierungen wie z.B. Natur-Geist, Gut-Böse zum Vorschein bringt, wie es oft bei
den Analysen von Frauenbildern in männlichen Werken der Fall ist. Solche
Kategorisierungen implizieren oft ein Wertesystem, nach dem einige Frauenbilder
positiv (z.B. Jungfrau), andere aber negativ (z.B. Hure) bewertet werden. Im Fall der
in dieser Arbeit vorgestellten Werke lässt sich bemerken, dass dieselben Frauenbilder
von den Dichterinnen nach verschiedenen Wertesystemen benutzt worden sind, wobei
uns gerade die Widersprüche der Bilder und die Überwindung der Bewertungen
interessieren.

Damit der Vorteil der Lyrik der vier Dichterinnen, nämlich die verschiedenen
dargestellten Perspektiven der Weiblichkeit, nicht zu einem Nachteil wird, im Sinne,
dass man sich in einem Labyrinth von Frauenimaginationen verliert, und unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass wir nach Todes- und Vernichtungsmotiven
suchen, gehen wir bei der Untersuchung der Frauenbilder folgenderweise vor: Bei der
Hervorhebung der Frauenbilder und deren Zusammenhang mit Todesmotiven dienen
bestimmte Kategorien als Orientierung; Frauen, die sich selbst oder andere töten (z.B.
Mörderin, Selbstmörderin, Kämpferin, die Frau als Charon), die gestorben, oder
getötet sind (z.B. Hexe, Kriegsopfer, aus Liebe gestorbene, vergessene, getötete,
begrabene, im Sarg liegende Frau) und die an der Grenze vom Leben und Tod sind
(z.B. Gespenst, Schattenexistenz, Moribunde, Scheintote, lebendige Tote). Es ist
jedoch zu erwarten, dass nicht alle Kategorien bei jeder Dichterin zu finden sind.

Die Darstellung der Frauenimaginationen innerhalb dieser Kategorien und der


Vergleich mit dem herrschenden Diskurs nach dem Kriterium, ob sie diesem Diskurs
folgen, ihn unterstützen und bereichern, oder aber ihn kritisieren und untergraben
bildet den Hintergrund für den zweiten Untersuchungsschwerpunkt: Es handelt sich
um den Versuch, am Beispiel der vier Lyrikerinnen auf Gedichte einzugehen, die den
doppelten Ort der Frauen innerhalb und außerhalb des Symbolischen zum Ausdruck
bringen.117

117
Vgl. Weigel: Die Stimme der Medusa, S. 9. Weigel erwähnt paradigmatisch doppelte Perspektiven,
Anwendung bestehender Genremuster und ihre gleichzeitige Zerstörung, Beschreibungen von innen
und außen zugleich.
- 46 -

Das Ziel ist also zu prüfen, ob ihre Lyrik durch die Todesmotive eine zweite
Ebene aufweist, auf der männliche Muster unterlaufen werden, oder nicht. In diesem
Rahmen interessieren uns die Entwürfe von weiblicher Schreibpraxis und überhaupt
von Ausdrucksweisen der Autorinnen in der patriarchalischen Kultur. Diese Entwürfe
werden unter dem Gesichtspunkt der Verbindung von Weiblichkeit und Tod
untersucht, zumal Bronfen gezeigt hat, inwiefern die von Frauen benutzten
Vernichtungsmotive, sich zwischen Komplizenschaft mit der Kultur und Kritik
bewegend, zur kulturellen Ort der Weiblichkeit werden. (Weigel 1984, Bronfen
1992, Calder/Goodman 1996).

Das weibliche Imaginäre, das Ungedachte Unerhörte also ist die Chance, die die Frau
als das ganz Andere, das Nicht-Definierte hat. Ihr Mangel, ihr Defizit, ihre Nicht-
Existenz an den Rändern des männlichen Spiegels ist ihre Chance. Immer blickt sie,
der blinde Fleck der Menschheitsgeschichte, von außen auf das Gegebene,
Herrschende; bringt sich in Gegensatz zu ihm, wenn sie sich als Subjekt setzt. Bringt
sich in Gegensatz zu ihm, wenn sie spricht. [...] Ihr Diskurs ver-rückt mit der Sprache
des Patriarchats zugleich auch dessen Wahrnehmungsstrukturen. Ihre Rede ist eine ver-
rückte Art zu denken und zu sprechen.118

Das schrieb Friederike Hassauer. Da die Frau innerhalb der androzentrischen


Ordnung keinen Ort für künstlerische Produktivität hat, ist sie gezwungen
„Zwischenräume“119 zu gestalten, in denen ihre Stimme ausgedrückt werden kann.
Ihre Vorgehensweisen zur Gestaltung des im Fall der vier Dichterinnen tödlichen
Zwischenraumes, bilden das Spezifische und Innovative des weiblichen Schreibens.
Gleichzeitig erhalten die Frauen eine Subjektposition, die dadurch bestimmt wird,
dass das weibliche Subjekt die Kraft hat, die Grenze zwischen Leben und Tod nicht
nur für die anderen sondern auch für sich selbst zu verwalten: Indem die Frau ihren
eigenen Tod schreibt, widersteht sie dem Absterben in der Kultur. Dieser Widerstand
– mehr oder weniger intensiv – ist Teil der weiblichen Kulturtradition, erleichtert die
individuelle Suche nach dem verlorenen Selbst-Bewusstsein und schafft ein
gemeinsames Kultur-Schicksal.120

118
Friederike Hassauer: Der ver-rückte Diskurs der Sprachlosen. Gibt es eine weibliche Ästhetik? In:
Hassauer, Friederike / Peter Roos (Hg.): VerRückte Rede – Gibt es eine weibliche Ästhetik? Notizbuch
2, Medusa Verlag Wölk + Schmid, Berlin 1980, S. 48-65, hier S. 57.
119
Vgl. Morrien: Weibliches Textbegehren, S. 12.
120
Vgl. Wartmann: Schreiben als Angriff auf das Patriarchat, S. 109.
- 47 -

1.4. Überschreitung der nationalen und zeitlichen Grenzen

Was in dieser Arbeit über die zeitlichen Grenzen und die Grenzen der
Nationalliteratur hinweg verglichen wird, ist die Art und Weise des Widerstands, der
in der Literatur von Frauen stattfindet. Damit sind Schreibweisen gemeint, durch die
die Frauen sich literarisch ausdrücken, und die sich gegen den herrschenden
männlichen Diskurs und die ‚phallogozentrische’ Sprache richten, gegen eine
Kulturschranke, „die sie im Gestus vielfach variierter Rollenzuweisungen als immer
stummes Gegenbild männlicher Macht auf naturgleiche Schönheit und
Rätselhaftigkeit, christliche Tugend oder bürgerliche Sittlichkeit reduziert hat“121.

Diese taktischen Bewegungen, auch wenn verschiedenartig, ist das Gemeinsame,


nach dem hier gesucht wird, was eigentlich den weiblichen Diskurs konstituiert, nicht
im Sinne einer eigenen Fremdsprache als einer neuen Fremdsprache, sondern um eine
neue Verwendung des vorgegebenen Sprachmaterials seitens der schreibenden Frauen
zum Zweck der Identitätsfindung und Bestimmung des weiblichen Ich. Innerhalb
dieses Diskurses hat die Sprache und das Denken der Frau eine ver-rückte
Perspektive122, die zu ihrer Kraft wird. Geht man von den Arbeitshypothesen aus, so
wie sie im letzten Kapitel erläutert worden sind, dann ist Folgendes zu erwarten: Der
Prozess, in dem Frauen die männlich diskursive Ordnung durchqueren, wird unter
verschiedenen Umständen und in verschiedenen Epochen wiederholt.

Was vorweggenommen wird, ist dass die Differenzierung von vielen nationalen,
sozialen und kulturellen Faktoren abhängt. Diese beeinflussen - außer der
literarischen Form - die Dynamik und die Dimensionen der Durchquerung des
Weiblichkeitsbildes, ihren Anklang bei der Kultur, ihren Erfolg was die
Unabhängigkeit von männlichen Vorbildern angeht. Konkret ausgedrückt: Bei
Lyrikerinnen, die die deutsche Romantik, den Zwischenkrieg in Griechenland, die
DDR-Kultur und den griechischen Regierungswechsel der 70er Jahre erlebt haben,
sind viele Unterschiede zu erwarten, die einerseits mit ihrem Geschlechtsbewusstsein
und ihrer Frauenidentität und andererseits mit den ihnen zur Verfügung stehenden
Ausdrucksmitteln in Verbindung stehen.

121
Ebd., S. 108.
122
Vgl. Hassauer: Der ver-rückte Diskurs der Sprachlosen, S. 48-65.
- 48 -

Müller durfte mit dem freien Vers experimentieren, Günderrode musste sich selbst
innerhalb strengerer Formen ausdrücken. Gogou benutzte eine vulgäre Sprache, um
ihrer Aggressivität Ausweg zu geben, die Wut von Polydouri wurde durch
konventionelle Verse zum Ausdruck gebracht. Es ist außerdem zu erwarten, dass nach
der ersten Frauenbewegung und vor allem nach der Mitte des zwanzigsten
Jahrhunderts, die Frauenimaginationen bewusst zerstört werden, was auch den
Zusammenhang zwischen Literatur und Gesellschaft deutlich macht. Aus diesem
Grund wird die gesellschaftliche und politische Kritik bei Müller und Gogou
wahrscheinlich offener laut gerufen als impliziert und die Weiblichkeitsimaginationen
werden heftiger kritisiert und abgelehnt.

Zu erwarten ist auch, dass die Lyrikerinnen, die nicht immer offen und direkt den
herrschenden Diskurs anzweifeln, einfacher vom literarischen Kanon akzeptiert
werden, auch wenn ihre Werke nur auf eine geschlechtsspezifische Weise untersucht
und bewertet werden. Forscher loben ‚weibliche Eigenschaften’ wie Anmut, Grazie,
Sensibilität in ihrer Dichtung und interpretieren die ‘weibliche Schreiblust’ als
Ersatzbefriedigung und Kompensationsbetätigung für den fehlenden Mann; diese
Stereotype erlauben allerdings den Autorinnen, eine Stelle im literarischen Kanon zu
gewinnen. Im Gegensatz dazu werden die Dichterinnen, die sich subversiv mit dem
herrschenden Diskurs auseinandersetzen, nur schwer kanonisiert, was eigentlich zeigt,
wie sehr der literarische Kanon willkürlich benutzt worden ist.123

Eine weitere Antizipation ist, dass beide, das Genre der Lyrik und die mit dem
Tod verbundenen Bilder, nicht nur die Lage der Autorinnen (das Ausmaß des
Schweigens, der Innovation, des Selbstbewusstseins), sondern auch das Ausmaß der
Unabhängigkeit von der androzentrischen Sprache zeigen. Autorinnen, aus vier
Literaturepochen und aus zwei Nationalliteraturen, die das Werk der anderen nicht
kannten, hatten sich desselben Genre und einer ähnlichen Todesthematik bedient, um
sich als Künstlerinnen auszudrücken, wobei alle vier durch ihre literarische Tätigkeit
in Konflikt mit ihrer Umgebung geraten waren.

Selbstverständlich ist ihre Thematik in diesem Rahmen von ihrer psychischen


Lage sowie von herrschenden kulturellen Motiven beeinflusst. Es ist jedoch möglich,
dass hinter dem persönlichen Los, als gemeinsames Element die Ablehnung der
phallogozentrischen Sprache durch die Mimesis und die Umkehrung von
123
Vgl. Renate Möhrmann: Feministische Ansätze in der Germanistik seit 1945, S. 92 f.
- 49 -

Todesmotiven und Frauenbildern zum Vorschein kommt. Die Heldinnen erhalten


nämlich durch ihre Auseinadersetzung mit dem eigenen oder fremden Tod eine eigene
Stimme und eine eigene Macht, auch in diesen Fällen, wo es keine große Abweichung
von ihren traditionellen Rollen im Leben gibt.

Dabei muss betont werden, dass nicht immer die Textintention wichtig ist, sondern
die Symptomatik, die darin ungewollt zum Ausdruck kommt. Die Form nämlich des
(Nicht-)Sehens und Denkens der Differenz,124 die die Gedichte zu Mitteln des
Geschlechtsbewusstseins macht. Denn nicht nur die Abweichung von der Norm,
sondern auch ihre Bejahung ist von Interesse. Wie Bovenschen schreibt, stellt sich
weibliche Kunstproduktion „in einem komplizierten Prozeß von Neu- und
Zurückeroberung, Aneignung und Aufarbeitung sowie Vergessen und Subversion
dar.“125

124
Vgl. Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 140.
125
Silvia Bovenschen: Über die Frage: Gibt es eine weibliche Ästhetik?, S. 110.
- 50 -

2. Vorstellung der Dichterinnen

Im Kapitel 2.1. werden kurz die biographischen Daten und das Werk der vier
Dichterinnen dargestellt; ein Überblick über die Rezeption ihres Werks findet
ebenfalls in diesem Kapitel statt. Der Forschungsstand wie auch die bisherige
feministische Kritik ihrer Werke sind die Themen des Kapitels 2.2.126

2.1. Biographie, Werk, Rezeption

Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode wurde am 11. Februar 1780 in Karlsruhe geboren und war
die Älteste von sechs Geschwistern. Ihr Vater, Hektor Wilhelm von Günderrode starb
sechs Jahre nach ihrer Geburt. Da die Familie nun der Schicht des verarmenden Adels
angehörte und Karoline ein Mädchen ohne Mitgift war, wurde sie mit siebzehn Jahren
in das von Cronstetten-Hynspergische Adelige Damenstift am Rossmarkt in Frankfurt
aufgenommen. Die Eingeschränktheit ihres Lebens, diese Ketten, die man anständig
tragen lernen muss127, überwindet sie durch geistige Arbeit und Bildung, zu denen
auch der praktische Beistand von ausgebildeten Freunden und Freundinnen
beigetragen hatte: Sophie La Roche, Bettine, Gunda und Clemens Brentano, Christian
Nees von Esenbeck, Friedrich Carl von Savigny, Friedrich Creuzer128.

Karoline entschließt sich 1804 als Dichterin hervorzutreten und gibt ihren ersten
Gedichtband „Gedichte und Phantasien“ unter dem männlichen Pseudonym ‚Tian‘
aus eigenem Antrieb und ohne männliche Vermittlung heraus. 1805 veröffentlicht sie

126
Die Werke der Dichterinnen werden folgenderweise zitiert: Bei Günderrode (G) steht die Nummer
der entsprechenden Seite neben der Quelle (Morgenthaler: G-Mo, Wolf: G-Wo), z.B. G-Wo, 32. Alle
Werke von Maria Polydouri (P) sind aus dem von Mendrakos herausgegebenen Buch mit den
gesammelten Werken der Dichterin zitiert. Die Nummer weist ebenfalls auf die entsprechende Seite
hin (z.B. P, 89). Alle Werke von Inge Müller (M) sind aus dem von Sonja Hilzinger herausgegebenen
Buch zitiert (z.B. M, 37). Bei Katerina Gogou (Go) steht vor der Nummer der Seite das Jahr der ersten
Veröffentlichung des Buches (z.B. Go, 02, 52 f.). S. auch das Literaturverzeichnis.
127
Vgl. Birgit Weißenborn (Hg.): „Ich sende Dir ein zärtliches Pfand“. Die Briefe der Karoline von
Günderrode. Frankfurt a.M u Leipzig: Insel Verlag 1991, S. 48.
128
Vgl. Markus Hille: Karoline von Günderrode. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag
1999, S. 26.
- 51 -

unter demselben Pseudonym ihr zweites Buch „Poetische Fragmente“. Die


Veröffentlichung von Werken mit literarischem Anspruch, außer von Tagebüchern
und Briefen, wurde von ihren Zeitgenossen als Provokation empfunden,129 zumal
viele ihrer Heldinnen – vor allem in ihren Dramen und Dramoletten („Timur“,
„Mora“, „Hildgund“, „Scandinavische Weissagungen“) – aktive, kämpferische
Persönlichkeiten waren.

Günderrodes eigene Wünsche waren widersprüchlich und spiegelten die


ambivalenten Vorstellungen der schreibenden, philosophierenden Frauen: Die Frauen
der Romantik waren die erste Generation, die versuchte ihre eigenen Lebensentwürfe
durchzusetzen.130 1799 hat sie den Marburger Rechtsgelehrten und späteren
Justizminister Friedrich Carl von Savigny kennen gelernt, ihre Liebe zu ihm blieb
jedoch unerwidert. 1804 verliebte sie sich in den neun Jahre älteren
Altertumswissenschaftler Friedrich Creuzer aus Heidelberg. In der Folgezeit
entwickelte sich eine intime Beziehung zwischen ihnen, die von dem verheirateten
Professor beendet wurde. Unmittelbar nach dem Ende ihrer Beziehung im Jahr 1806
endete Günderrode ihr Leben, indem sie sich den Dolch, den sie immer bei sich trug,
ins Herz gestoßen hat.

Diese Liebesgeschichte war auch der Grund, warum Günderrodes drittes Buch
„Melete“, nach der Muse der Aufmerksamkeit und Übung genannt, bis 1906
verschollen war.131 1806 hatte sie Creuzer ihr Manuskript geschickt; er sollte es unter
dem ursprünglichen Titel „Mnemosyne“ herausgeben, sie wollte dazu das Pseudonym
‚Jon‘ benutzen. Doch nach ihrem Freitod ließ er die bereits begonnene Drucklegung
abbrechen und schon gedruckte Exemplare vernichten. Das Buch ist eine
Liebeserklärung an ihn und er wollte sich vor möglichen Folgen und wahrscheinlich
vor dem schlechten Ruf, den es hervorrufen könnte, schützen. Seine Tat ist ein
treffendes Beispiel für das erzwungene Schweigen, dem schreibende Frauen

129
Charakteristisch für die damaligen Normen ist, dass sie, nach der ersten Veröffentlichung, von
Clemens Brentano gefragt wurde, wie sie auf diese Idee gekommen sei: „Überhaupt bin ich sehr
begierig, von Ihnen selbst zu hören, warum Sie sich entschlossen haben, Ihre Lieder drucken zu lassen
[...].“ Zitiert nach: Weißenborn: „Ich sende Dir ein zärtliches Pfand“, S. 143.
130
Vgl. Hannelore Scholz: Der romantische Salon in Deutschland. In: Gnüg, H./Möhrmann, R. (Hg):
Frauen Literatur Geschichte. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler 1999, S. 72-80, hier S. 76.
131
Vgl. Christa Wolf (Hg.): Karoline von Günderrode. Der Schatten eines Traumes. Gedichte, Prosa,
Briefe, Zeugnisse von Zeitgenossen. Hamburg/Zürich: Luchterhand Literaturverlag 1981, S. 49.
- 52 -

ausgesetzt worden waren. Ein einziges Exemplar wurde trotzdem aufbewahrt und
1906 zum ersten Mal ungekürzt in nur 400 Exemplaren veröffentlicht.132

Christa Wolf schrieb in ihrem Essay „Der Schatten eines Traumes“ über die
Dichterin: “Eh einer schreiben kann, muss er leben, das ist banal und betrifft beide
Geschlechter. Die Frauen lebten lange, ohne zu schreiben; dann schrieben sie – wenn
die Wendung erlaubt ist – mit ihrem Leben und um ihr Leben.“133 Man könnte
vielleicht auch sagen, dass Karoline von Günderrode wegen ihres Lebens dichtete.
„Gedichte sind Balsam auf unfüllbares Leben“134 meinte sie. Sie hielt sie für einen
Widerstandsakt gegen den Mangel an einem nicht gestatteten Universitätsstudium,
gegen die auf ihrem Geschlecht beruhenden Vorurteile, gegen die Langeweile und
die gesellschaftliche Isolation. Getrieben vom ständigen Gefühl der Unzufriedenheit
und von innerer Unruhe suchte Günderrode nach ihren Grenzen, nach einem Ausweg
aus der quälenden Selbstentfremdung. Im April 1804 schrieb sie an Claudine Piautaz:

Es ist sonderbar, dass die Phantasie am meisten hervorbringt, wenn sie keine äußern
Gegenstände findet, sie erschafft sich dann selbst Gegenstände und bildet sie um so
sorgfältiger, da es keine fremden Stoffe, sondern ihre eignen Kinder sind. [...] Ich
kehre in mich selbst zurück und erschaffe mir eine andre Welt;135.

Von den Frühromantikern, die eine Bereitschaft zur Abweichung von dem zeigten,
was allgemein verbindliche Norm war, wurde Günderrode beeinflusst. Sie selbst
attackierte den bürgerlichen Rationalismus im Denken und Empfinden und
sympathisierte mit der rebellischen Auflehnung der Frühromantiker gegen die
kapitalistisch gewordenen Bürgerkreise.136 Ihre Generation, die die Französische
Revolution erlebt hatte, brachte neue Lebensmuster hervor, das Denken wurde
radikalisiert, die Leute hofften auf bessere Zeiten. Doch die Enttäuschung über die

132
In unserer Arbeit benutzen wir folgende Ausgaben: a)Leopold Hirschberg (Hg.): Gesammelte
Werke der Karoline von Günderode. 3 Bde. Berlin: Bibliophiler Verlag D. Goldschmidt-Gabrielli
1920-22. Nachdruck Bern: Lang 1970, b)Walter Morgenthaler (Hg.): Karoline von Günderrode.
Sämtliche Werke und ausgewählte Studien. 3 Bde, Bd I: Texte; Bd II: Varianten und ausgewählte
Studien; Bd III: Kommentar, Basel; Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1990/1991, c)Christa Wolf
(Hg.): Karoline von Günderrode. Der Schatten eines Traumes. Gedichte, Prosa, Briefe, Zeugnisse von
Zeitgenossen. Hamburg/Zürich: Luchterhand Literaturverlag 1981.
133
Wolf: Karoline von Günderrode, S. 5.
134
zitiert nach: Uta Treder: Das verschüttete Erbe. Lyrikerinnen im 19. Jahrhundert. In: Deutsche
Literatur von Frauen. Zweiter Band. 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Gisela Brinker Gabler. München:
Verlag C.H. Beck 1988, S. 27-41, hier S. 33.
135
zitiert nach: Weißenborn: „Ich sende Dir ein zärtliches Pfand“, S. 125 f.
136
Vgl. Hille: Karoline von Günderrode, S. 58.
- 53 -

Entwicklung der Restauration und über die geschlechtsspezifischen Eingrenzungen


ließen diese Hoffnungen nicht wahr werden.
Treder schreibt dazu: „Schon die 21-jährige erträumt den Ausgleich zwischen
frustrierten Hoffnungen und dem ‚pigmäischen Zeitalter’ im Heldentod. Aber die Zeit
ist unheroisch, und sie ist eine Frau.“137 Nach Licher strebte Günderrode in ihrem
Werk und Leben nach aktiver und Spuren hinterlassender Mitarbeit an der
Geschichte. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die politischen Entwicklungen
ihrer Zeit eine bedeutsame Problemkonstellation in ihrem Werk waren138. Günderrode
verstand ihren Zustand nicht nur als eine rein persönliche sondern auch als eine
gesellschaftliche Plage.

Denn – wie Licher139 erwähnt - waren Zerrissenheit und Zwiespalt als Muster im
Lebensgefühl der Individuen charakteristisch für die Schwelle vom 18. ins 19.
Jahrhundert wie auch für die Generation der Romantiker. Daher versuchte
Günderrode in Anlehnung an die philosophischen Strömungen ihrer Zeit eine
persönliche Weltanschauung zu entwickeln, die ihr als eine Antwort auf ihre
existenzielle Krise dienen könnte und die die unvereinbaren Seiten ihrer
Persönlichkeit ausgleichen würde: Leben (Natur) und Schreiben (Kunst) müssen
vereinigt werden.140

Trotz der Affinität zur Romantik ist es nicht einfach, die Werke Günderrodes –
diese Synthese aus Philosophie, Mythologie und Poesie141 in nur einer Kategorie
einzuordnen. Neben ihren lyrischen Prosatexten stehen nämlich ihre heldenhaften
Dramen, neben der zärtlichen Liebe die kaltblütige Ermordung. Selbst ihre Interpreten
sind sich nicht darüber einig, ob sie eine klassische oder eben eine romantische
Dichterin war. Reich-Ranicki142 und Koeppen143 sehen sie als Angehörige der

137
Treder: Das verschüttete Erbe, S. 33.
138
Vgl. Lucia Maria Licher: „Der Völker Schicksal ruht in meinem Busen“. Karoline von Günderrode
als Dichterin der Revolution. in: Helga Brandes (Hg): „Der Menschheit Hälfte blieb noch ihne Recht“:
Frauen und die Französische Revolution, Wiesbaden 1991, S. 113-132, hier S. 116.
139
Vgl. Lucia Maria Licher: „Siehe! Glaube! Thue!“ Die poetische Konfession der Karoline von
Günderrode (1780-1806). Oldenburg: Bibliotheks- und Informationssystem der Univ., 1998, S. 17.
140
Treder: Das verschüttete Erbe, S. 44.
141
Vgl. Ingeborg H. Solbrig: Die orientalische Muse Meletes. Zu den Mohammed-Dichtungen
Karoline von Günderrodes. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 1989, S. 299-322, hier S.
321.
142
Vgl. Marcel Reich-Ranicki (Hg.): 1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen 3. Bd. Von
Friedrich von Schiller bis Joseph von Eichendorf. Frankfurt am Main/Leipzig: Insel 1995, S. 200.
143
Vgl. Wolfgang Koeppen: Karoline von Günderrode: Der Luftschiffer. In: Reich-Ranicki (Hg): 1000
Deutsche Gedichte, S. 199-202, hier S. 201.
- 54 -

Generation der Frühromantiker, Peter144 und Pigenot145 auf der anderen Seite sind der
Ansicht, dass Günderrodes Dichtungen wegen ihrer Vorliebe für antike Mythen
klassisch sind. Peter hebt jedoch hervor, dass das Werk von Günderrode sich
zwischen dem klassischen und dem romantischen Pol bewegte: „Dichtung und Leben,
das klassische und romantische Element sind von der Naturphilosophie
zusammengehalten, die auch Klassik und Romantik mit der Antike verkettet.“146

Wichtig ist, dass das 18. Jahrhundert eine Epoche intensiver Zuwendung zum
eigenen Ich war, was den Autorinnen einen Zugewinn an individueller Bewusstheit
erlaubte; die Dichtung wurde ihnen zum Medium, um ihre Gefühle und Gedanken
kennen zu lernen und auszudrücken.147 Die Problematik vieler Gedichte von
Günderrode kreist um die Sehnsucht nach Liebe und um das Todesbegehren, was
auch die Eintragungen in ihrem Studienbuch verraten. Ihre Dichtung wird von der
Vision der idealisierten, sich ins Unendliche erfüllenden Liebe geprägt, der man sich
bedingungslos hingibt, und von der Sehnsucht nach Freiheit und
Schrankenlosigkeit.148

Das Glücksstreben, der Wunsch nach Selbstverwirklichung in der und durch die
Liebe, der Kampf die Existenzgrenzen zu finden und zu überwinden, das Empfinden
eines ständigen Scheiterns der Bemühungen, all dies ist vom Todesmotiv
durchdrungen. Egal ob heroisch oder aus Liebe motiviert, bestimmt der Tod das ganze
Werk von Günderrode, wobei diese Stilisierung des Daseins in Melancholie in
Einklang mit der Philosophie und den Todesgedanken in der Literatur ihrer Zeit steht.

144
Vgl. Maria Peter: Zwischen Klassik und Romantik. Karoline von Günderrode. In: Das Goldene Tor.
Monatsschrift für Literatur und Kunst, hg von Alfred Döblin 4. Jahrgang, Verlag von Moritz
Schauenbung in Lahr (Schwarzwald) 1949, S. 465-473, hier S. 467.
145
Vgl. Ludwig P. Pigenot (Hg): Karoline von Günderrode: Dichtungen. München: Hugo Bruckmann
Verlag 1922, S. 17 ff.
146
Peter: Zwischen Klassik und Romantik, S. 466.
147
Vgl. Ursula A.J. Becher: Weibliches Selbstverständnis in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts. In:
Becher, Ursula A.J./ Jörn Rüsen (Hg): Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und
Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988, S.
217-233, hier S. 219.
148
Vgl. Gudrun Gründken: Karoline von Günderrode. In: Marit Rullmann: Philosophinnen. 2. Band.
Von der Romantik bis zur Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 25-31, hier S. 28 f.
- 55 -

Maria Polydouri

Die am 1. April 1902 in Kalamata geborene Polydouri hatte vier Geschwister und
wurde in einer liberalen Familie erwachsen. Nach dem Schulabschluss arbeitete sie
seit 1918 als Beamte in Kalamata und 1922 wurde sie nach Athen versetzt. Sie war
eine der wenigsten Frauen, die damals an der Universität studierten; leider schloss sie
das Jura-Studium nie ab. Sie hatte auch die Nationale Dramatische Schule und später
die Drama-Schule von Kounelakis besucht, es ist aber nicht bekannt, ob sie ihr
Studium an diesen Schulen abgeschlossen hatte. In den 20er Jahren reiste sie nach
Paris. Da bekam sie ein Schneiderindiplom von Ecole Pigier, lernte viele griechische
und französische Literaten kennen und führte ein wildes und leidenschaftliches Leben,
das ihre finanzielle aber auch ihre gesundheitliche Lage erschwerte.

In Paris hatte sie die ersten Symptome der Tuberkulose und wurde im
Krankenhaus „Charité“ behandelt. Nach ihrer Rückkehr blieb sie zwei Jahre lang im
Krankenhaus „Sotiria“ in Athen. Dort schrieb sie die meisten der Gedichte, die mit
der finanziellen Unterstützung von Freunden in ihren zwei Büchern veröffentlicht
worden sind: « » [Die verhallenden Triller, 1928] und «
» [ cho im Chaos, 1929].149 Sie starb am 29. April 1930. Diese Gedichte
waren an den Tagen ihrer Krankheit ein Trost, denn sie hatte den Wunsch etwas zu
hinterlassen, ihre Spuren im Leben deutlich zu machen.

Maria Polydouri hatte während ihres Lebens nur wenig am literarischen Leben
teilgenommen. Einige ihrer Gedichte waren in literarischen Zeitschriften150
veröffentlicht, vor allem aber wurde ihr Werk kurz vor und viel mehr nach ihrem Tod
gelesen und untersucht. In der Sammlung von Mendrakos (1989) sind die Gedichte
von Polydouri aus den zwei zu ihren Lebzeiten veröffentlichten Büchern, viele
unveröffentlichte Gedichte, einige Übersetzungen, ihr Roman151 und Seiten aus ihrem

149
In unserem Arbeit benutzen wir folgende Ausgabe: Maria Polydouri: . [Gesammelte
Werke]. Einführung u. Kommentar v. Takis Mendrakos. 2. Aufl. Athen: Astarti Verlag 1989. Alle
Werke von Maria Polydouri (P) sind aus dem von Mendrakos herausgegebenen Buch mit den
gesammelten Werken der Dichterin zitiert. Die Nummer weist auf die entsprechende Seite hin (z.B. P,
89).
150
[Hesperos], [Paidiki Chara], [Eva], [Pnoe],
[Helliniki Epitheorisis].
151
Der fragmentarische und zu ihren Lebzeiten unveröffentlichte Roman von Polydouri (P, 353-485)
war möglicherweise 1926 verfasst worden und hat keinen Titel. Das Thema des Romans sind die
Liebesbeziehungen von jungen Leuten in Griechenland in den 20er Jahren.
- 56 -

Tagebuch152 zu finden. Zwei unveröffentlichte Gedichte wurden 1988 zum ersten Mal
von Savidis153 präsentiert, wobei bis heute viele ihrer Übersetzungen von Charles
Baudelaire unveröffentlicht bleiben.

Über die ‚Maria des Zwischenkriegs’, ihre Krankheit, ihre Liebesbeziehungen,


ihren Tod im Alter von 28, wurde ein Mythos geschaffen. Eigentlich hat das
krankhafte Vergnügen einer ermüdeten Epoche, dem sie selbst in ihrem Werk
Ausdruck verliehen hat, aus ihr eine Legende gemacht, die fast bis heute Geltung hat.
Besonders ihre Beziehung mit dem Selbstmörder Karyotakis hatte in den Zeitungen
und Zeitschriften der Zeit die Ausmaße eines Volksromans erhalten.154 Ihr Werk
wurde folglich für lange Zeit im Rahmen des allgemeinen Klimas des
„Karyotakismus“ untersucht. Die Lyrik von Polydouri bewegt sich im neo-
romantischen Rahmen der Dekadenz (Dadinakis nennt sie eine spät-romantische
Dichterin155); daher gilt sie als eine wahre Vertreterin der Dichtung des
Zwischenkriegs.

Das Wort, das viele Vertreter dieser Generation charakterisiert und fast
automatisch auf sie verweist, ist das Adjektiv « » [den Tod liebend].
Diese Generation befand sich zwischen dem deprimierenden Gestern des Ersten
Weltkriegs und dem Heute, das noch keine neuen Ideale hatte; deswegen blieb sie
passiv und, sich in einen abgelegenen sozialen Raum zurückziehend, verzichtete sie
auf fast jede Initiative und jeden Kampf. Es war die Zeit des völlig egoistischen
Individualismus, wie Mario Vitti schreibt, eine Zeit ohne Ideale, in der hoffnungslose,
dekadente Lyriker Gedichte produzierten, die vor allem dem Ausbruch ihres
psychischen Unwillens dienten.156

152
Polydouris Tagebuch wurde zu ihren Lebzeiten nicht veröffentlicht. Es besteht aus Eintragungen,
die sie in einem kurzen Zeitraum ihres Lebens gemacht hatte: Er umfasst die Jahre 1922 und 1923; dort
ist auch ein Text aus dem Jahr 1925 zu finden.
153
Vgl. G.P. Savidis: [Auf den Spuren von Karyotakis]. Athen: Nefeli
1989, S. 174 f.
154
Vgl. Kleon Paraschos: .
[Das Lebensdrama zweier Dichter. Das tragische Idyll von Karyotakis und Polydouri].
In: Panathinaia, 1. Teil 08.01.1933, S. 49, 2. Teil 01.03.1933, S. 103.
155
Vgl. Kostas Dadinakis: : 100 [Maria Polydouri: 100
Jahre aus ihrer Geburt]. In: Odos Panos. Heft No 116, April-Juni 2002, S. 2-30, hier S. 3.
156
Vgl. Mario Vitti: . [Geschichte der neugriechischen
Literatur]. Athen: Odysseus Verlag 1994, S. 353 f., 365 und Linos Politis:
. [Geschichte der neugriechischen Literatur]. Athen: Morfotiko Idryma Ethnikis Trapezas
1978, S. 249.
- 57 -

Wie bei vielen Vertretern der Neo-romantischen Schule der Fall war, bestand der
Rohstoff der Gedichte auch für Polydouri aus ihren Erlebnissen, wobei sie die
sprachlichen Mittel ihrer Zeit benutzte, die voll von Idealisierungen, Übertreibungen
und Klischees waren. Die leidenschaftlichen Gefühle und die Beschränkung auf das
Ich, die Naturmetaphern sind ihre romantischen Formen, der Schmerz, die Krankheit,
der Liebestod und überhaupt die Auseinandersetzung mit dem Ende des Lebens sind
häufig der Inhalt ihrer Lyrik. Die technische Bearbeitung von vielen Gedichten ist
hervorragend und die poetische Umwandlung von Gefühlen, Phantasien und
Erlebnissen gelang ihr oft auf eine einzigartige Weise.

Was die Kritik des herrschenden Diskurses an ihrem Werk angeht, stellt man fest,
dass ihr Werk aufgrund ihres Geschlechts in einigen Fällen mit Nachgiebigkeit, als
Verkörperung der als natürlich gegebenen weiblichen Eigenschaften, und auf der
Basis einiger angeblichen Charakteristika der ‚Frauendichtung’ beurteilt wurde.
Paraschos157 meint, dass einige ihrer Gedichte zu den meisterhaftesten weiblichen
Liedern, die je geschrieben worden sind, gehören und Stergiopoulos158 zählt sie zu der
echtesten weiblichen Stimmen der neugriechischen Lyrik. Der Überfluss an Gefühlen
und die exzessive Sentimentalität wurde Polydouri tatsächlich zuerkannt und als
Grund für die diachrone Wirkung ihrer Dichtung erwähnt. Sehr oft wurden in der
Sekundärliteratur die Lebens- und Liebesleidenschaft aber auch der unerträgliche
menschliche Schmerz als die Triebkräfte ihrer Verse dargestellt. Darüber hinaus
wurden ihre Einzigartigkeit, Spontaneität und Zärtlichkeit gepriesen.

Sehr oft war aber die Kritik hart: Panagiotounis159 erkennt in ihrem Werk kein
universales Element, spricht von ‚egoistischer Dichtung’ und meint, dass die
ausschließliche Beschäftigung mit dem Ich die Folge ihrer Krankheit sein dürfte.
Paraschos spricht von einer authentischen Leidenschaft, aber von einem unreifen
künstlerischen Bewusstsein160 und erwähnt auch die Klischees, die dichterische
Ungepflegtheit und die übereilten Improvisationen als die Schwächen ihres Werks161.

157
Vgl. Kleon Paraschos: « – ». In: Nea Estia. Bd.7, Heft 78.
Athen 15.3.1930, S. 331-333.
158
Vgl. Kostas Stergiopoulos: [ohne Titel]. In: Takis Mendrakos:
. [Einführung in den gesammelten Werken von Maria Polydouri]. 2. Aufl.
Athen: Astarti Verlag 1989, S. 267-271.
159
Vgl. Panos Panagiotounis: , – [Zwei
hervorragende Dichterinnen, Maria Polydouri-Tilla Bali]. Athen 1958, S. 16.
160
Vgl. Kleon Paraschos: [Einführung in die moderne
griechische Lyrik]. Athen 1940, S. 32.
161
Vgl. Kleon Paraschos: [Griechische Dichter]. Athen 1953, S.219-223.
- 58 -

Ihre Poetik stützt sich nach Stergiopoulos auf die Ausdruckskraft der Verse, die
jedoch zusammenhang- und oft sinnlos und sprachlich arm sind.162 Tellos Agras
erkennt in ihrer Dichtung die moralische und geistige Katharsis: «[…] , ,
,
[…]»163; er bemerkt jedoch auch eine angstvolle
Asymmetrie zwischen dem Ausdruck und der Form.

Inge Müller

Am 13. März 1925 war Ingeborg Meyer im Osten Berlins geboren. Sie war 1945 zur
Wehrmacht einberufen, hatte eine Ausbildung als Kraftfahrerin und wurde als
Luftwaffen- und Nachrichtenhelferin eingezogen. Im April 1945 versuchte sie zu
desertieren und wurde zur ‚Flak’ strafversetzt. Ihr Leben und ihr Werk waren von
einem tragischen Erlebnis geprägt: Am Anfang Mai 1945, als sie 20 Jahre alt war, lag
sie, nach den Bombenangriffen auf Berlin, drei Tage lang unter einem Haus; einige
Tage später brachte sie ihre Eltern tot aus den Ruinen. 1948 trat sie in die SED ein
und ab 1953 arbeitete sie als Journalistin und freischaffende Schriftstellerin. Im
Schriftstellerverband lernte sie 1953 Heiner Müller kennen und 1955 heirateten sie.

Inge Müller war schwer alkoholkrank und litt an körperlichen Schmerzen und
manisch-depressiven Ausbrüchen, wegen denen sie suizidgefährdet war. Weder
innerhalb der Familie fehlte es an Problemen (Liebesbeziehung mit Heiner Müllers
Bruder, Distanzierung von Heiner), noch in der DDR-Gesellschaft (finanzielle
Schwierigkeiten, gesellschaftliche und berufliche Isolierung). Nach mehreren
Klinikaufenthalten, psychotherapeutischer Behandlung wie auch zahlreichen
Selbstmordversuchen, brachte sie sich am 1.6.1966 mit einer Überdosis
Schlaftabletten und mit Gas um. Der DDR-Staat tat sich schwer mit ihrem
Selbstmord, denn in der DDR-Wirklichkeit erhielt der Freitod einer
‚Kulturschaffenden’ die Dimension des Protestes gegen den Status quo. Verlorenheit

162
Vgl. Kostas Stergiopoulos: . [Polydouris Leidenschaft
im Zwischenkrieg]. In: Durchlesen: von Kalvos bis Papatsonis. [ :
]. Athen: Kedros 1982, S. 160-161.
163
Vgl. Tellos Agras: [Ein paar Worte]. In: Pnoe. Heft 18, 2.Jahrg., Mai 1930, 1930, S.
67.
- 59 -

und Aussichtslosigkeit gehörten ja nicht zum Wesen sozialistischer Dichter. Ihr Tod
wurde in den Todesanzeigen verschwiegen und in einem Stasi-Bericht ist erwähnt
worden, dass Inge Müller das Mitgehen „in der Entwicklung des Sozialismus“164 nicht
bewältigen konnte.

1957 erschienen zum ersten Mal Gedichte von Inge Müller; es handelte sich um
Kinderreime, die im zweiten Heft der Zeitschrift „neue deutsche literatur“
veröffentlicht worden waren. Seitdem erschien ein Teil ihrer Lyrik in verschiedenen
Anthologien.165 Bekannt wurde sie vor allem jedoch durch den 1985 aus dem
Nachlass veröffentlichten und von Richard Pietraß im Aufbau-Verlag in Berlin
herausgegebenen Lyrik-Band „Wenn ich schon sterben muß“ und das 1996 von Ines
Geipel herausgegebene Buch „Irgendwo; noch einmal möcht ich sehn“, das außer den
Gedichten auch Fotos, biographische Informationen und Beiträge zu ihrem Werk
enthält. Sechs Jahre später wurde aus demselben Verlag von Sonja Hilzinger das
Buch „Daß ich nicht ersticke am Leiseisein: gesammelte Texte“ herausgegeben.166

Inge Müller hatte außer ihren Gedichten viele Theaterstücke und Prosa-Texte
geschrieben. Zusammen mit Heiner arbeitete sie 1956 am Stück „Der Lohndrücker“,
1957 am Stück „10 Tage, die die Welt erschütterten“ nach dem Buch von Jon Reed,
1958 am Hörspiel und Theaterstück „Die Korrektur“ und am Stück „Klettwitzer
Bericht“. 1959 erhielten sie den Heinrich-Mann-Preis der Deutschen Akademie der
Künste für die Stücke „Der Lohndrücker“ und „Die Korrektur“. 1960 arbeitete sie am
Hörspiel „Die Weiberbrigade“, für das sie 1961 den Vaterländischen Verdienstorden
in Bronze erhielt. 1961 arbeiteten Inge und Heiner Müller zusammen an der
Inszenierung des Stückes „Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande“. 1964
arbeitete sie an der Neufassung des Stückes „Unterwegs“ von Viktor Rosow. Als
164
Zitiert nach: Adolf Endler: In Memoriam Inge Müller. In: Inge Müller: Irgendwo; noch einmal
möcht ich sehn. Lyrik, Prosa, Tagebücher. Mit Beiträgen zu ihrem Werk. Hg. v. Ines Geipel. Berlin:
Aufbau-Verlag 1996, S. 297-299, hier S. 299. Hauptmann Offenhaus von der Berliner Hauptabteilung
XX nahm am 31. Oktober 1966 in seinem Bericht an: „dass der Selbstmord von Inge Müller als Protest
zu werten ist, der gegen die Kulturpolitik der Partei gerichtet sein soll, unter der das Ehepaar seit der
UMSIEDLERIN und LOHNDRÜCKER gelitten hat. [...] Möglicherweise habe sie wieder eine Arbeit
fertiggehabt, die erneut abgelehnt wurde.“ In: Ines Geipel: Dann fiel auf einmal der Himmel um: Inge
Müller, Die Biographie. Berlin: Henschel 2002, S. 233.
165
1966, in ihrem Todesjahr, erschienen einige Gedichte in drei Anthologien: „Neue Texte 66“, „In
diesem besseren Land“ und „Auswahl 66“. Joachim Schreck, Herausgeber und Lektor des Aufbau-
Verlages in Berlin, hatte kurz nach ihrem Tod ihren ersten Gedicht-Band mit dem Titel „Du vor du
hinter mir“ vorbereitet. Wegen politischer Auseinandersetzungen musste er aber 1968 den Verlag
verlassen und das Buch wurde nicht veröffentlicht. 1976 veröffentlichte der Herausgeber Bernd
Jentzsch 37 Gedichte von Inge Müller im Heft „Poesiealbum 105“ des Verlags Neues Leben in Berlin.
166
In unserem Arbeit benutzen wir diese Ausgabe: Inge Müller: Daß ich nicht ersticke am Leiseisein:
gesammelte Texte. Hrsg. Von Sonja Hilzinger. Berlin: Aufbau-Verlag 2002.
- 60 -

Kinderbuchautorin veröffentlichte sie im Kinderbuchverlag, in der Pionierzeitung der


FDJ, in der Wochenzeitung „Sonntag“, sie schrieb auch Texte für Kinderfilme,
Kurzerzählungen und den fragmentarischen Roman „Jona“.167

Ihre Vorbilder und Lehrer waren Günter Kunert, Heinz Kahlau, Karl Mickel,
Volker Braun, Rainer Kirsch, Bertolt Brecht, Joachim Ringelnatz, Kuba, Heiner
Müller. Ihre Themen waren durch das Kriegstrauma existentiell bedingt: Die
Kindheit, die Geschichte, vor allem die persönliche Moral daran und die
undistanzierte Haltung zu den geschichtlichen Fakten, das Trauma des
Verschüttetseins und der Kriegserfahrungen, der Tod vor allem und der Wunsch nach
Ich-Auflösung, nach Überwältigung des Subjekts.168 Der dichterischen Abrechnung
mit einem System, das sein ursprüngliches idealistisches Menschenbild an einen
gesichtslosen Bürokratismus verraten hat, stehen in Müllers Liebeslyrik Demut und
der Wunsch nach Ich-Auflösung gegenüber. Ihr geht es um die Möglichkeit von
Dichtung angesichts der Schrecken der Wirklichkeit; sie betont die gesellschaftliche
Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen und plädiert gleichzeitig für das individuelle
menschliche Recht auf ein freies, lustbetontes Dasein.

Naaijkens schrieb, dass wenn man von einer Tradition der DDR-Lyrik spricht, sie
mit Inge Müller beginnt.169 Ihre Sprache ist direkt, unmetaphorisch und ohne Distanz
zum Ereignis, der Ton unverblümt, nervös, wild, die Strukturen destruktiv. Das
Präsens ihrer Reime ist beängstigend zeitlos, ihre Bilder kommen ohne Abstraktionen
aus, ihre Verse bleiben stets faszinierend kühl und klar. Inge Müllers Art der
Authentizität entsteht aus der Kunstlosigkeit der Sprache und gelegentlichen
Anklängen ans Banale.170 Sie machte den Staccato-Stil des Protokolls zum Rhythmus

167
Nach ihrem Tod ging ihr Nachlass in den Besitz ihres Mannes über, er war aber als Sammlung nicht
von Heiner Müllers Arbeitsmaterialien getrennt. Durch die jahrelange gemeinsame Arbeit beider
Autoren und die ungeordnete Aufbewahrung war eine untrennbare Mischung entstanden. Erst 2002, als
der Nachlass Heiner Müllers (und der darin eingeschlossene Nachlass Inge Müllers) in die Stiftung
Archiv der Akademie der Künste in Berlin gelangt war, konnten die Archivarin Maren Horn und die
Literaturwissenschaftlerin Julia Bernhardt das Material zum ersten Mal trennen.
168
Vgl. Herta Müller: Die Nacht sie hat Pantoffeln an. Über Inge Müllers Gedichte. In: Inge Müller:
Irgendwo; noch einmal möcht ich sehn, S. 271-276, hier S. 273 ff. und Elisabeth Grotz: Müller, Inge.
In: Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. v. Walther Killy. 8.Bd.
Gütersloh/München: Bertelsmann Lexikon Verlag 1990, S. 272 f.
169
Vgl. Ton Naaijkens: Härte, Herz und Auge. Zur Lyrik der Gegenwart. In: Deutsche Literatur von
Frauen. Zweiter Band. 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Gisela Brinker Gabler. München: Verlag C.H.
Beck 1988, S. 481 f.
170
Vgl. Ursula Heukenkamp: Lyrisches Subjekt und weibliche Perspektive. Lyrikerinnen aus der DDR.
In: Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. v. Hiltrud
Gnüg und Renate Möhrmann. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler 1999, S. 327-339, hier S. 329 und
- 61 -

für ihre Gedichte und Erzählungen und fand eine Sprache, die sich direkt am
tatsächlichen Ablauf maß. Diese Sprache erinnert oft an die nicht versöhnende,
direkte Sprache der Kinder, die weitgehend ohne verbale Abstraktionen auskommt;
sie ist durch Strenge, Einfachheit und Unmittelbarkeit geprägt. Eine konkrete Sprache
ohne jegliche Verkleidung, die bildhaft, ungewohnt und grausam ist.

Die Gedichte sind auf den ersten Blick einfach geschrieben, die Aussage und die
Frage dominieren. Müller setzt Sprichwörter und Redensarten ein, zitiert Literatur.
Immer wieder tauchen Kindervers, Abzählreim und Sprichwörter auf und die
traditionelle Struktur der Texte (Ich-Aussage, sparsame Metaphorik, Subjekt-Objekt-
Relation, Suggestion) zielt auf einen kathartischen Effekt. In seinem bekannten
Artikel „Fragt mich nicht wie. Zur Lyrik Inge Müllers“ hebt Adolf Endler171 die
Tatsache hervor, dass Müller zu häufig das ‚historische Präsens’ benutzt, was ihr die
lebhaft vergegenwärtigte Vergangenheit ermöglicht. Die besondere Vergegen-
wärtigungskraft ihrer Poesie verstärkt den Eindruck, dass es sich ums Jetzt dreht und
nicht mehr ums Damals; deswegen sieht Endler ihre Dichtung als eine lyrische
Zeitmaschine an. Bei der poetischen Methode Müllers geht es nach Endler um eine
eigenartige Modifizierung der ‚gestischen Schreibweise’172; es handelt sich nämlich
um heftig, oft hektisch gegeneinander arbeitender Gesten, um eine bestimmte
Mechanik. Es gibt das Kunstmittel des ‚permanenten Stilbruchs’, der alle ihre
Gedichte miteinander verbindet, weshalb Endler ihre Dichtung eine Poesie an der
äußersten Grenze, eine Poesie knapp vor dem Absturz nennt.

Der Tod ist stets präsent in ihrer Lyrik, die Zerstörung der Stadt Berlin, die Frauen
im Krieg, die Unmenschlichkeit der Leute, aber auch die Trauerarbeit und die
Hoffnungen, die mit der Nachkriegszeit und dem Aufbau verbunden waren. Nach
Heydrich war Inge Müller die erste DDR-Autorin, „die die Polarität von
Identitätsverlust und –suche als zentrale Problemstellung poetisch ausspannte.“173 und
Woflgang Emmerich schreibt:

Peter Böthig: Subjektivität aus Notwehr. Inge Müller. ,Wenn ich schon sterben muß’. In: Sinn und
Form 38, Heft 4 1986, S.878-886, hier S. 882.
171
Vgl. Adolf Endler: Fragt mich nicht wie. Zur Lyrik Inge Müllers. In: Sinn u Form, Heft 1, 1979, S.
152-161, hier S.153 ff.
172
Brecht hat den Gestus der Sprache, der vom Akt des Sprechens ausgeht, für die Verwendung auf der
Bühne genauer bestimmt, indem er lehrte, dass die Sprache dem Gestus der sprechenden Personen
folgen sollte.
173
Harald Heydrich: Inge Müller: Wenn ich schon sterben muß. Gedichte. In: Weimarer Beiträge 33,
Heft 5, 1987, S. 815-825, hier S. 818.
- 62 -

Ohne jede didaktische Absicht […] hat Inge Müller von der Wirklichkeit der
nazistischen Kriegsvergangenheit und ihren verheerenden Folgen bis in die DDR-
Gegenwart hineingeschrieben, als dies – lange vor Fühmanns, H. Müllers, C. Wolfs
späteren Selbstanalysen – keiner sonst tat, ja: vielleicht sonst keiner für möglich hielt.
Der Freitod Inge Müllers […] war der Preis für ihre verzweifelte Isolation.174

Folgende gelten als die Gründe175 für die verspätete Rezeption vor allem von Inge
Müllers lyrischen Werken: Einerseits war sie selbst nicht bereit, ihre Lyrik zu
veröffentlichen. Heiner Müllers Arbeitsschwierigkeiten in der DDR hatten
andererseits gewiss dazu beigetragen. Ein weiterer Grund liegt an Inge Müllers
Texten selbst. Sie waren mit der Kulturpolitik und mit der Philosophie des DDR-
Staates nicht in Einklang; die Thematik des Verlustes, des Tödlichen, aber auch die
atemlose, verstörte poetische Sprache Müllers mit dem kalten Ton, dem
unregelmäßigen Rhythmus und dem Staccato-Stil wurden vom System nicht
akzeptiert.

Katerina Gogou

Die Dichterin und Schauspielerin176 Katerina Gogou hatte die wichtigsten Ereignisse
der neueren griechischen Geschichte erlebt und war von diesen tief beeinflusst.
Geboren war sie im Juni 1940177 in Athen, im Jahr also der deutschen Besatzung
Griechenlands im zweiten Weltkrieg. Sie hatte den griechischen Bürgerkrieg (1947-
1949), die rebellische Ablehnung der kleinbürgerlichen Gesellschaft, das provokative
Verhalten der jüngeren Generation und die sexuelle Befreiung in den 60er Jahren, die

174
Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag
2000, S. 236.
175
Vgl. Ines Geipel: Nachwort. Vom Werden einer ungeschriebenen Sinfonie. In: Inge Müller:
Irgendwo; noch einmal möcht ich sehn, S. 336-353, hier S. 350.
176
Ihre Karriere als Schauspielerin hat sehr früh angefangen. Seit sie 5 Jahre alt war, arbeitete sie in
Kinder-Ensembles. Sie besuchte die Drama-Schule von Takis Mousenidis und die Tanzschulen von
Pratsikas, Souroudis, Varoutis und hatte im Theater von Karolos Koun und im Ensemble von Elli
Lambeti mitgearbeitet. Im Kino nahm sie bis in den 60er Jahren an vielen Filmen von ‚Finos-Film’ teil,
wobei später eher sozialpolitischen Filmen folgten, wie « ;» (Regie:
Dinos Katsouridis, 1971), und « » (1980) von P. Tassios, mit dem sie verheiratet war. 1977
spielte sie im Film « » von P. Tassios und gewann den Darstellungspreis im Festival
von Thessaloniki, und 1984 im Film ‚ « – » (Regie: A. Thomopoulos,
1984), für den sie auch neben Thomopoulos am Schreiben des Drehbuchs teilnahm; dafür erhielten sie
den Drehbuchpreis, Gogou erhielt auch den Darstellungspreis.
177
« .1 » (Go, 88, 47), wie sie in einem Gedicht schreibt.
- 63 -

Diktatur (1967-1973), die Jahre der Demokratie nach 1974 und die Massenkultur der
80er Jahre erlebt. Im Jahr 1993 starb sie an einer Überdosis von Alkohol und Drogen.

Als Dichterin erschien Gogou 1978, als sie ihren ersten Gedichtband mit dem Titel
« » [Drei Klick links] veröffentlichte; das Buch wurde von Jack
Hirchmann ins Englische übersetzt und in San Francisco vom Night Horn Books
Verlag veröffentlicht. Es folgen die Bücher « » [Idionymo178 ,1980], «
» [Der hölzerne Mantel, 1982], « » [Die Abwesenden, 1986], «
» [Der Monat der gefrorenen Trauben, 1988],
« » [Rückkehr in die Heimat, 1990]. Postum wurde auch 2002 das Buch «
» [Ich heiße Odyssee] mit Gedichten, Texten und Ausschnitten aus
ihrem Tagebuch veröffentlicht.179 Chronologisch gehörte sie also zu der Generation
der 70er und 80er Jahre, ihr Werk weist jedoch große Unterschiede zu dieser aus.180

Katerina Gogou wird in Texten der kanonisierten Literaturgeschichte nicht


erwähnt. D. Alexiou z.B. hat sie in seiner Anthologie « ’70» [Die Generation
181
der 70er Jahre) nicht miteinbezogen, obwohl er in einem Gespräch mit uns meinte,
dass sie eigentlich neben den anderen Dichtern und Dichterinnen dieser Generation
erwähnt werden sollte. Sie wird auch in diesen Anthologien nicht erwähnt, die sich
ausschließlich mit weiblichen Dichterinnen beschäftigen, wie in der kleinen
Anthologie von G.P. Savidis und E.Tsatsanoglou in „Nea Estia“ mit dem Titel
178
« » heißt die Charakterisierung einer Sache oder einer Person durch den eigenen Namen.
Der Titel verweist auf das Gesetz 410/1976 mit dem Titel «
, » vom
Minister Stefanakis. Dieses Gesetz von 1976 wurde von der Opposition « » genannt, da es auf
das Gesetz 4229/1929 von El. Venizelos verwies, das die Verfolgung wegen politischer
Überzeugungen legalisierte.
179
In unserer Arbeit benutzen wir diese Erstausgaben. Alle ihre Bücher wurden von Kastaniotis Verlag
veröffentlicht, außer dem Buch « » (Livanis Verlag). Bei Katerina Gogou (Go) steht vor der
Nummer der Seite das Jahr der ersten Veröffentlichung des Buches (z.B. Go, 02, 52 f.). Die Nummer
weist auf die entsprechende Seite hin. S. auch das Literaturverzeichnis.
180
Die Schriftsteller, die im Jahrzehnt des zweiten Weltkriegs oder einige Jahre danach geboren waren,
gehören nach Vitti zu der Generation der Anzweiflung, die traditionelle Werte kritisierte (Vgl. Mario
Vitti: . [Die Geschichte der neugriechischen Literatur). Athen:
Odysseus Verlag 1994, S. 446 ff.) Aleksis Siras zählt auch die Dichter und Dichterinnen, die in den
80er Jahren wirkten, zur Generation der 70er Jahre, und spricht von einem anfänglichen Gruppengeist,
was die Thematik, die Sprache und die Ausdrucksmittel dieser Dichtergeneration betrifft. Im Bereich
der Sprache folgt man unharmonischen, anti-lyrischen Modellen, die die Moderne der Nachkriegszeit
ablehnen. Die verschiedenen Richtungen sind von der Karyotakischen Negation, von Surrealismus,
vom Baudelaireschen Spleen, von der Denkweise von Seferis beeinflusst. Die humanistische Dichtung
ist präsent, ohne jedoch das Element des Kollektivs und ohne politische Erwartungen. (Vgl. Aleksis
Siras: . ’70 [Von
der Sprache des Zorns zur verletzenden Sprache. Dichter und Poetik nach `70]. In: Alexiou, Dimitris
(Hg.): ’70 [Die Generation der 70erJahre]. Athen: Omvros 2001, S. 9-25).
181
In der Anthologie sind 45 Dichter und 13 Dichterinnen miteinbezogen. Vgl. Dimitris Alexiou
(Hg.): ’70 [Die Generation der 70er Jahre]. Athen: Omvros 2001.
- 64 -

« » [Kleine Anthologie der Dichtung von


Griechinnen). 1982 schrieben sie im Prolog zu dieser Anthologie, dass in ihrer
Sammlung eher Gedichte bevorzugt wurden, die biologisch und gesellschaftlich
direkter das neugriechische weibliche Bewusstsein ausdrücken: «[…]
, ,
».182 Die Verfasser erklären nicht, was sie unter
diesem Bewusstsein verstehen und wie man es biologisch direkt ausdrückt; es scheint
jedoch, dass den schreibenden Frauen andere Eigenschaften als die der Sensibilität,
Anmut, Fürsorge oder Zärtlichkeit verweigert wurden. Fragopoulos spricht sogar in
seinem Artikel in demselben Heft von traditionellen Geschlechtsarchetypen, die den
Frauen ermöglichen in diesem Sinne besser als die Männer dichten zu können.183

Gogou passte zu den Geschlechtsstereotypen über weibliche Dichter nicht, was


schon an der Thematik ihrer Lyrik zu erkennen ist. Ihre Gedichte kreisen um die
Themen der existenziellen Angst, der Liebe, der Einsamkeit und Verzweiflung, aber
auch um Revolution, verlorene Ideale, Selbstzerstörung und Tod. Sie versuchte immer
durch ihre Dichtung authentisch zu bleiben und ihre größte Angst war, sich selbst
unter dem leeren Titel der Dichterin zu verlieren: « /
‘ ’. / [...] /
./ /
. / [...]» (Go, 80, 44)184.

Auch im Fall der auf das Ich bezogenen Lyrik in ihren letzten Gedichtbänden, ist
dieses Ich durchaus politisch im weiteren Sinne: Es versteht alle Dimensionen des
Lebens als Politik und weigert sich seinen Zorn aufzugeben und Kompromisse zu
schließen. Vor allem in den ersten Gedichten bis 1986, die Mehrheit von denen rein
politisch sind, wird das klar. Gogou war in der anarchistischen Szene politisch aktiv
und kritisierte heftig den Kapitalismus und jeden Machtausdruck. Die
Selbstzerstörung steht in ihrem Fall im direkten Zusammenhang mit der schweren
finanziellen Situation, die zur Verelendung und Einsamkeit führt, mit der

182
G.P. Savidis / Eleni Tsatsanoglou: [Kleine Anthologie der
Dichtung von Griechinnen]. In: Nea Estia: [Der Beitrag der
Frau zur Kultur], 112. Bd., Heft 1331. Athen: Weihnachten 1982, S. 11.
183
Vgl. Th.D. Fragopoulos: [Die Frau und ihre Welt]. In: Nea Estia:
[Der Beitrag der Frau zur Kultur], 112. Bd., Heft 1331. Athen:
Weihnachten 1982, S. 2-10, hier S. 7.
184
Bei Katerina Gogou (Go) steht vor der Nummer der Seite das Jahr der ersten Veröffentlichung des
Buches (z.B. Go, 02, 52 f.). S. auch das Literaturverzeichnis.
- 65 -

Unterdrückung durch Sexismus, Konsum und Kapitalismus, mit der Feststellung der
‚verratenen Revolution’.

Gogous Vorbilder sind Nietzsche, Artaud, Rimbaud und Dostojewski. Ihre


Dichtung weist aber auch Ähnlichkeiten mit dem Werk von Dylan Thomas und
Charles Bukowski. Die Sprache ihrer Dichtung ist weder akademisch noch
intellektuell, im Sinne einer snobistischen Autorität, sondern unmittelbar, alltäglich,
von tiefer Sensibilität. Durch die Wortwahl und Wortkombination aber auch durch
einen Kamera-Blick gelingt es ihr, intensive Gefühle zu provozieren und Bilder
lebendig zu machen, die realistisch und vertraut sind. Scheinbar harmlose Wörter und
Beschreibungen erhalten oft durch die Hinzufügung eines Adjektivs oder eines
Attributs grausame Dimensionen. Der Hauptpunkt der lyrischen Versuche ist eine
innere, quälende Notwendigkeit die Wahrheit auszuschreien, was sie mit Inge Müller
verbindet.

Die ungerechtfertigte Herabsetzung von Gogou als Dichterin steht unserer


Meinung nach mit ihrer Sprache in Verbindung, sowohl was die sprachlichen Mittel
als auch was deren Sinn angeht. Ihre Sprache widersetzte sich der herrschenden
Rhetorik sowohl der Künstler ihrer Generation als auch der stereotypen
„Frauenliteratur“. Unversöhnlich und hart wie sie ist, erlaubte sie der Dichterin die
gesellschaftlichen, politischen und zwischenmenschlichen Probleme der Zeit zum
Ausdruck zu bringen. Indem Gogou durch ihre poetische Sprache die Heuchelei der
herrschenden Kultur zeigte, wurde sie von dieser Kultur ausgeschlossen. Ihre
Ideologie störte die herrschende Ideologie und ihre Sprache als Träger der nicht
akzeptierten und darüber hinaus nicht erlaubten Meinung verletzte die akzeptablen
sprachlichen Ausdrücke.

Roland Barthes hat in „Mythologies“ die Methode enthüllt, nach der bestimmte,
die Macht besitzende Gruppen einer Reihe von Begriffen ökumenische Dimension
geben und sie folglich unbestreitbar machen.185 Durch eine ähnliche Methode werden
Sprachmittel akzeptiert oder abgelehnt. Die ‚Heiligkeit’ der Sprache (im Sinne von
akzeptablen sprachlichen Ausdrücken) korrespondiert mit einer gewissen sozialen
Ordnung, die nicht zu bestreiten ist. Verletzt man die Sprache durch Missachtung der

185
Vgl. R. Barthes: Mythologies, Paladin 1972, zitiert nach: Dick Hebdige: - :
. (Subkulturen: Die Bedeutung des Stils]. Athen: Gnosi Verlag ( ) 1988 (Subculture:
The Meaning of Style, 1979), S. 21.
- 66 -

herrschenden Regeln oder durch Anwendung nicht akzeptabler Sprachmittel, bedroht


man auch die soziale Welt, die durch diese Sprache organisiert und erlebt wird.

Wie die Anthropologin Mary Douglas in ihrem Buch „Purity and Danger“ (1967)
erwähnt, wird diese Provokation als ein Gegenpol zur ‚Heiligkeit’ der Sprache
empfunden. Hinter der Bedrohung durch die Verletzung der sprachlichen Regeln steht
die Angst vor der Abschaffung aller Regeln und der damit verbundenen Rückkehr zur
Wildheit. Die Angst vor der Eliminierung der moralischen Sicherheit der Gesellschaft
(im Gegensatz zu primitiven Völkern) provoziert den Konflikt zwischen dem
„normalen-legitimen“ und dem „anormalen-verbotenen“ Gebrauch der Sprache.186 Da
aber die Moral jeder Gesellschaft von den herrschenden sozialen Gruppen konstruiert
und bestimmt wird, dient diese Angst letzten Endes nur zur Erhaltung der
herrschenden Ordnung. Wenn also die Sprache von Gogou stört, muss man sich
fragen, ob es eigentlich die Ausdrücke sind, die als unangenehm und obszön
empfunden werden, oder aber ihre politische Bedeutung und ihr Einfluss auf die
Menschen.

2.2. Stand der Forschung

o Nationalliteratur

Im Kontext der jeweiligen Nationalliteratur sind die vier Dichterinnen bekannt,


allerdings nicht immer von intellektuellen und akademischen Kreisen anerkannt.

Karoline von Günderrode wurde seit Jahren vergessen und ist erst nach den
Untersuchungen von Christa Wolf in den 70er Jahren neu ‚entdeckt’ wobei 1986 die
Arbeit von Margarete Lazarowicz187 die historische Subjektivität der Schriftstellerin
in literarischer wie biographischer Hinsicht portraitierte und eine Neubewertung der
Leistung Günderrodes erreichte. In den letzten Jahren ist ein wachsendes Interesse an

186
Vgl. Hebdige: - , S. 125. Levi-Strauss bemerkte, dass in einigen primitiven Mythen
der falsche Gebrauch der Sprache zusammen mit dem Inzest zu den furchtbarsten sozialen
Abweichungen zählte. Vgl. C. Levi-Strauss: The Elementary Structures of Kinship. Eyre &
Spottiswood, 1969, zitiert nach: Hebdige: - , S. 125.
187
Margarete Lazarowicz: Karoline von Günderrode, Portrait einer Fremden. Frankfurt am Main; Bern;
New York: Verlag Peter Lang 1986
- 67 -

ihrem Werk zu verzeichnen, wie anhand der Veröffentlichung zahlreicher


Dissertationen zu erkennen ist. Folgende sind die letzten (uns bekannten) Arbeiten
über ihr Werk und Leben: 1998 veröffentlichte Lucia Maria Licher ihre
Untersuchung188 und 1999 Markus Hille eine Biographie von Günderrode189. Die
Dichterin wird in ihrem Land oft geehrt190, ihre Gedichte treten in Schulbüchern,
Sammlungen und Lexika auf, ihre Dramen und Dramoleten sind jedoch nie aufgeführt
worden.

Inge Müller, „der erste wichtige weibliche Autor lyrischer Texte in der DDR“191, war
als Dichterin - trotz Auszeichnungen und trotz ihres großen Einflusses auf das Theater
ihrer Zeit - erst nach ihrem Freitod bekannt.192 Ihre Gedichte wurden erst Mitte der
achtziger Jahre einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, ihre Biographie
wurde 2002 von Ines Geipel herausgegeben193 und im Jahr 2000 haben wir die letzte
uns bekannte Untersuchung über ihre Dichtung194.

Die letzte Ausgabe der gesammelten Werke von Maria Polydouri stammt aus dem
Jahre 1992195, die letzte Veröffentlichung über ihr Werk aus dem Jahre 2002196. Trotz
ihres kurzen Lebens und ihrer beschränkten und nicht immer gelobten literarischen
Produktion erwarb Maria Polydouri einen wichtigen Platz in der Literaturgeschichte
Griechenlands und ist eine der bekanntesten Dichterinnen, deren Dichtung in den
griechischen Schulen gelehrt wird.197

188
Lucia Maria Licher: „Siehe! Glaube! Thue!“ Die poetische Konfession der Karoline von
Günderrode (1780-1806). Oldenburg: Bibliotheks- und Informationssystem der Univ., 1998.
189
Markus Hille: Karoline von Günderrode. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag
1999.
190
Der Tagungsraum 1 im neuen Congress Park des Parlaments in Hanau wurde im Sommer 2003 nach
Karoline von Günderrode benannt. Mindestens eine Schule wird der Dichterin zu Ehren nach ihr
benannt: Die Grundschule-Günderrodeschule in Frankfurt am Main. Das Gymnasium der Stadt
Meschede hat im Rahmen eines Romantik-Projekts eine Internet-Seite für Günderrode gestaltet.
191
Adolf Endler: Fragt mich nicht wie. Zur Lyrik Inge Müllers. In: Sinn u Form, Heft 1, 1979, S. 153.
192
Ihr Name ist nicht auf den Teilnehmerlisten der Leseabende der Jahre 1963/64 zu finden, als eine
Lyrikwelle schwappte, die Tausende in große Säle Berlins, Leipzigs und Dresdens strömen ließ. Erst
im Jahr vor ihrem Tod findet sich im Almanach des Aufbau-Verlags eine größere Gruppe ihrer
Gedichte.
193
Ines Geipel (Hg.): Dann fiel auf einmal der Himmel um: Inge Müller, Die Biographie. Berlin:
Henschel 2002.
194
Jürgen Verdofsky: Der Tod ist: nicht gefragt zu werden. Inge Müller tritt als Dichterin aus dem
Schatten Heiner Müllers. In: Keller, Ursula: “Nun breche ich in Stücke...“. Berlin: Verlag Vorwerk 8
2000, S. 187-199.
195
Maria Polydouri: Gesammelte Werke [ , : ]. Athen: Aurora Verlag 1992.
196
Kostas Dadinakis: : 100 [Maria Polydouri: 100 Jahre
aus ihrer Geburt). In: Odos Panos. Heft No 116, April-Juni 2002, S. 2-30.
197
Straßen nach ihr sind in Chalandri, Cholargos, Acharnes und Ag. Stefanos benannt worden. 2004
wurde in Kalamata das Buch « » [Die Frau Lyrik Maria
- 68 -

Über die Dichterin Katerina Gogou gibt es keine wissenschaftliche Arbeit. Im


Wintersemester 2004-2005 hielt aber die Professorin Christina Dounia an der
Universität Kreta die Vorlesung mit dem Titel «
: , , , ,
, » [Weibliche Stimmen in der neugrichischen Lyrik:
Maria Polydouri, Melpo Axioti, Matsi Chatzilazarou, Zoi Karelli, Kiki Demoula,
Katerina Gogou). Frau Dounia informierte uns, dass sie sich wegen bestimmter
Programmbedürfnisse nicht mit der Dichterin Katerina Gogou beschäftigen konnte,
obwohl das ihre anfängliche Absicht war. Das Werk von Gogou wird vom
Lesepublikum immer noch geschätzt. 198

o Übersetzungen, vergleichende Arbeiten

Bis zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Dissertation hatten wir keine
Informationen darüber, dass die Dichterinnen aus Deutschland (Günderrode, Müller)
in Griechenland (durch z.B. Übersetzungen ihrer Werke) bekannt sind. Ebenso sind
die Deutschen mit dem Werk von Gogou nicht vertraut. Einige Gedichte von
Polydouri sind von Eugenie Emmanuel199 und Evangelos Konstantinou200 ins
Deutsche übersetzt worden. Vergleichende Arbeiten, entweder national oder
international, sind bis heute nicht vorhanden und auf diese Weise wird durch diese
Arbeit Neuland betreten.

Polydouri] veröffentlicht. Die Veröffentlichung verwirklichten die Schulbibliotheken des Gymnasiums


in Kardamili und des 6. Lyzeums in Kalamata. Beim Verlag Metaichmio in Athen ist der Kalender
2005 erschienen, der Maria Polydouri gewidmet ist. Die Einleitung hat die Professorin Christina
Dounia verfasst.
198
Am 26.10.93, kurz nach ihrem Tod, wurde im Programm des Fernsehsenders Antenna die Sendung
„Made in Greece“ von Semina Digeni gesendet, die Katerina Gogou gewidmet war. Über die Dichterin
sprechen u.a. A. Kafetzopoulos, O. Lazaridou, G. Chronas, N. Koundouros und ihre Tochter Myrto
Tassiou. Am 10.10.95 fand an der Technischen Hochschule von Kavala eine Veranstaltung über K.
Gogou statt.
199
Eugenie Emmanuel: Zwanzig Jahrzehnte Neugriechische Dichtung. Auswahl 1780-1980.
Unveröffentlichte Arbeit 1990, S. 415-417.
200
Evangelos Konstantinou: Und ewig ruft Kassandra... Eine zweisprachige Anthologie Griechischer
und Deutscher Lyrik des 20. Jahrhunderts. Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S.65 f.
- 69 -

o Die feministische Dimension

Unter einer feministischen Perspektive wird das Werk von Karoline von Günderrode
in einigen Arbeiten behandelt. Christa Wolf201 untersucht den Zusammenhang
zwischen den Zeitumständen und dem Vergeblichkeitsgefühl der Generation von
Günderrode an ihrem Beispiel und versucht dadurch die Dichterin an ihren Platz in
der deutschen Literaturgeschichte zu stellen. Den Konflikt von Männlichkeit und
Weiblichkeit im Leben und im Werk von Günderrode behandelt Roswitha Burwick in
ihrem Artikel202. Lucia Maria Licher203 sieht Günderrode als Dichterin der
Revolution, wobei das Thema von Geschichte und Geschlecht behandelt wird.
Gudrun Gründken204 zählt Günderrode zu den Philosophinnen der Romantik und
konzentriert sich in ihrem kurzen Artikel auf die Verflechtung von Leben und Werk
der Dichterin. Zu erwähnen ist auch das Buch von Margarete Lazarowicz205, das nicht
unter einer feministischen Perspektive geschrieben worden ist, allerdings die
vollständigste Arbeit über das Werk der Dichterin darstellt.

In ihrer Diplomarbeit beschäftigt sich Annett Gröschner206 neben ihrer


Hauptproblematik, die die Authentizität im Werk Inge Müllers ist, mit den
Verletzungen des weiblichen Bewusstseins durch den Mann, die in die Gedichte mit
eingeschrieben werden. Der Eintritt der Frau in die männliche Geschichte als Thema
der Lyrik Inge Müllers wird von Anthonya Visser in ihrem Essay207 und auch kurz
von Ursula Heukenkamp208 thematisiert.

Im Fall von Maria Polydouri beschränken sich die Arbeiten auf eine stereotype Weise
auf ihr tragisches Los und nehmen wenig Bezug auf die Interpretation ihres Werks,
201
Christa Wolf: Der Schatten eines Traumes. Karoline von Günderrode – ein Entwurf. In: Dies:
Karoline von Günderrode, S. 5-52.
202
Roswitha Burwick,: Liebe und Tod in Leben und Werk der Günderrode. In: German studies review
3, 1980, S. 207-223.
203
Lucia Maria Licher: ”Mein Leben in einer bleibenden Form aussprechen“. Umrisse einer Ästhetik
im Werk Karoline von Günderrodes (1780-1806), Heidelberg: Universitätsverlag 1996.
204
Gudrun Gründken: Karoline von Günderrode. In: Marit Rullmann: Philosophinnen. 2. Band. Von
der Romantik bis zur Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 25-31.
205
Margarete Lazarowicz: Karoline von Günderrode, Portrait einer Fremden. Frankfurt am Main; Bern;
New York: Verlag Peter Lang 1986.
206
Annett Gröschner: Authentizität mit tödlichem Ausgang. Inge Müller. Diplomarbeit. Humboldt
Universität, Berlin 1988.
207
,Anthonya Visser: „Keine Worte mehr“. Der 2. Weltkrieg in Gedichten von Frauen aus der DDR am
Beispiel Inge Müller. In: 1945-1955: Fünfzig Jahre deutschsprachige Literatur in Aspekten. Knapp,
Gerhard P./Gerd Labroisse (Hg.) Amsterdam-Atlanta, 1995 (Amsterdamer Beiträge zur neueren
Germanistik Bd 38/39, S. 65-88).
208
Ursula Heukenkamp: Lyrisches Subjekt und weibliche Perspektive. Lyrikerinnen aus der DDR. In:
Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. v. Hiltrud
Gnüg und Renate Möhrmann. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler 1999, S. 327-339.
- 70 -

die sowieso nicht auf eine ‚feministische’ Weise stattfand. Die einzige solche
Annäherung von Lili Zografou209 hat so viele Nachteile (Fehler, Mangel an
Objektivität, Empathie der Verfasserin gegenüber K. Karyotakis), dass sie uns kaum
als Basis dienen kann. Sowohl Sakelariadis210 als auch die Schwägerin der
Dichterin211 bezeugen den schlechten Umgang von Lili Zografou mit dem ihr zur
Verfügung stehenden authentischen Material.

Wie schon erwähnt, gibt es im Falle von Katerina Gogou kaum wissenschaftliche
Untersuchungen zu ihrem Werk212.

Nach der Darstellung der wissenschaftlichen Arbeiten, die sich unter feministischer
Perspektive mit dem Werk der Dichterinnen befassen, lassen sich folgende
Bemerkungen machen:

a) Das Werk der vier Dichterinnen wird in keiner Untersuchung verglichen.

b) Es gibt keine überzeugende feministische Annäherung über das Werk von


Polydouri und überhaupt keine wissenschaftliche Arbeit über die Dichtung von
Gogou.

c) Es gibt keine umfassende Arbeit, die im Zentrum der Analyse die Gesamtheit der
Weiblichkeitsbilder im Werk dieser Dichterinnen stellt.

d) Es gibt ebenfalls keine umfassende Arbeit, die diese Weiblichkeitsbilder im


Zusammenhang mit der Subjektkonstitution und dem Todesbegehren untersucht.

Die bis jetzt veröffentlichten Arbeiten bewegen sich nicht in die Richtung unserer
Zielsetzung und beantworten nicht unsere Fragen, was die Originalität unserer
Untersuchung sichert.

209
Lili Zografou,: , [Kostas
Karyotakis, Maria Polydouri und der Anfang der Anzweiflung]. Athen: Papazisis 1977.
210
Ch.G Sakelariadis: [Die wirkliche
Polydouri und die Ausgabe ihrer gesammelten Werke]. Athen 1969 und in: Ellinika, Heft 18,
Thessaloniki 1964, S. 250-260.
211
Vgl. Dadinakis: : 100 , S. 26 f.
212
Den einzigen Artikel über ihre Dichtung hat uns Frau Prof. Dr. Anastasia Antonopoulou gereicht. Es
handelt sich um den Artikel von Nikos Fokas: « » [Die
„unerträgliche“ Spannung in der politischen Lyrik]. In: Nikos Fokas: Argumente für die Sprache für
die Literatur [ ]. Athen: Estia Buchhandlung 1982, S.
141-149.
- 71 -

3. Karoline von Günderrode (1780-1806)

In ihrem Artikel „Der schielende Blick“ erwähnt Weigel, dass die schreibenden
Frauen vor der Mitte des 20. Jahrhunderts verschiedene Strategien entwickelt hatten,
um aus der ungenügenden Frauenrolle herauszukommen. Eine solche Strategie ist das
Verstecken der Schriftstellerin hinter einem männlichen Pseudonym oder eine
Abkürzung ihres Vornamens, um nicht als Frau erkannt zu werden. Das Pseudonym
wurde nach Bronfen von Frauen benutzt, um die Aporie zwischen ihrer Nicht-
Existenz und ihrer Autorschaft zu umgehen.213 Tatsächlich benutzte Günderrode zwei
Pseudonyme (Tian und Jon), um in eine männliche Domäne zu kommen.214

Mit Bezug auf Karoline von Günderrode nennt Weigel auch das Schlüpfen in die
Männerrolle als Versuch den erlebten Widerspruch zu lösen. Dazu gehören die
Nacheiferung von männlichen Vorbildern in der Dichtung und die Unterwerfung
unter strenge ästhetische Formgesetze.215 Lazarowicz bemerkt, dass diese
Orientierung ihrer literarischen Arbeit auf absolute literarische Maßstäbe und auf
ästhetische Normen der literarischen Öffentlichkeit um 1800 sowohl ihre Fähigkeit
wie ihre Fessel war.216 Denn der strenge Formalismus führte zu einer inneren
Zensur.217 Die Anpassung an die männliche literarische Ordnung und die
Verwirklichung als schreibende Frau ließen sich schwer vereinbaren, zumal auch in
213
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche…, S. 580. Köpke erklärt dadurch die Beobachtung, dass es im
18. Jahrhundert keine wirklich große Frauenliteratur gibt. Vgl. Wulf Köpke: Die emanzipierte Frau in
der Goethezeit und ihre Darstellung in der Literatur. In: Wolfgang Paulsen (Hrsg.): Die Frau als Heldin
und Autorin. Neue kritische Ansätze zur deutschen Literatur. Bern und München: Francke Verlag
1979, S. 96-100, hier S. 99.
214
Vgl. Margarete Lazarowicz: Karoline von Günderrode, Portrait einer Fremden. Frankfurt am Main;
Bern; New York: Verlag Peter Lang 1986, S. 30.
215
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 96 f.
216
Als 1804 ihre Identität entdeckt wurde, wurde ihre Arbeit in aller Öffentlichkeit lächerlich gemacht
und scheinbar gute Freunde (wie Clemens Brentano) verleumdeten sie. Lazarowicz interpretiert die
Tatsache, dass Günderrode trotzdem dasselbe Pseudonym auch für die zweite Veröffentlichung wählte
als ein offenes Bekenntnis zu ihrer Schriftstellerei. Vgl. Lazarowicz: Karoline, S. 17, 139. Besonders
für ihre Ossianische Dichtung bemerkt Lazarowicz,: „Indem Günderrode diese Nachdichtungen der
Öffentlichkeit vorstellt, unterstreicht sie ihren gelehrten Anspruch, sich in der Nachfolge des Sturm und
Drang als Schülerin der Ossian-Apologeten zu behaupten, stellt sie sich in eine Reihe mit Ossian-
Übersetzern, zu denen so berühmten Namen wie Herder, Goethe, Denis, deren Beschäftigung mit
Ossian den Zeitgeschmack entschieden prägen, zählen. Günderrode unterwirft so ihr Sprachgefühl, ihr
Wissen um Rhythmus und Metrik einer öffentlichen Überprüfungsmöglichkeit und versucht zugleich,
beim zeitgenössischen Rezipienten durch den Appell an die seit den Sturm und Drang vorhandene
Begeisterung für Ossian das Interesse an der Beschäftigung mit ihrer Dichtung zu wecken,“ Ebd., S.
79.
217
Vgl. Treder: Das verschüttete Erbe, S. 27.
- 72 -

der frühromantischen Bewegung den Frauen kein dramatisches Talent zuerkannt


wurde, wobei ihre Lyrik nur eine ‚weibliche’ Thematik haben konnte218. Das mag
vielleicht den Widerspruch erklären, der ihr Werk charakterisiert.

Günderrode wirkte in der Zeit, in der nach Bovenschen der Kulturtypus der
Empfindsamen präsentiert wurde (nach der Mitte des 18. Jahrhunderts), der besagt,
dass die Frauen, der Stimme der Herzens folgend, nicht die großen
geschichtsmächtigen und kulturprägenden Gegensätze ihrer Zeit aufnehmen, sondern
ihrem Erfahrungshorizont angemessene Themen mit leisen Tönen und kleinen
Formen behandeln sollen.219 Dieser romantische Typus der Frau „als kultivierte
Leserin, als Förderin und Vermittlerin zwischen dem kreativen Genie des
schreibenden Mannes und der Gesellschaft“220 stilisierte die Frauen als das „andere
Geschlecht“, als die notwendige Ergänzung des kreativen Mannes.

Bärbel Becker-Cantarino beschreibt die Funktion der romantischen Frau als


„Etappe in der Bildungsreise der männlichen Seele, die nach Vereinigung mit dem
Weiblichen verlangte, um zu einem höheren Menschentum zu gelangen“221.
Günderrode beharrt jedoch auf Egalitätsvorstellungen und in ihrem Werk weist sie
Züge des früheren Kulturtypus der Gelehrten (Beginn des 18. Jahrhunderts) auf, nach
dem die Frau zu dem werden sollte, was der Mann schon ist.222 Daher war auch das
Motiv des Rollentausches bei ihr so verbreitet. Von ihren Zeitgenossen wird genau
dieser Wunsch kritisiert.223

Christian Nees von Esenbeck schrieb 1807: „Caroline von Günderrode wollte
dichten als Weib im männlichen Geiste“224. Deswegen wurde ihr literarischer
Entwicklungsweg als widersprüchlich charakterisiert. Da sie sich zugleich eine

218
Vgl. Gilbert / Gubar: Shakespeare’s Sisters, S. 107 ff.
219
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 189.
220
Marit Rullmann: Philosophinnen. Von der Romantik bis zur Moderne. (2.Bd.) Frankfurt am Main:
Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1998, S. 15.
221
Barbara Becker-Cantarino: Priesterin und Lichtbringerin. Zur Ideologie des weiblichen Charakters
in der Frühromantik. In: Wolfgang Paulsen (Hg.): Die Frau als Heldin und Autorin. Neue kritische
Ansätze zur deutschen Literatur. Bern und München: Francke Verlag 1979, S. 111-124, hier S. 122.
222
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 81, 102.
223
Friedrich Carl von Savigny schreibt am 07.07.1800 an Leonhard Creuzer über ein Mädchen mit
starkem männlichen Geist; Clemens Brentano schreibt am 02.06.1804 an Günderrode, dass der einzige
Nachteil des Buches „Gedichte und Phantasien“ das Schweben zwischen dem Männlichen und
Weiblichen und ein gelehrter Anstrich ist; Friedrich Creuzer schreibt ihr am 13.09.1805, dass Daub
glaubt, sie erscheint in ihrer Poesie etwas zu kühn und männlich. Vgl. Birgit Weißenborn (Hg.): „Ich
sende Dir ein zärtliches Pfand“. Die Briefe der Karoline von Günderrode. Frankfurt a.M u Leipzig:
Insel Verlag 1991, S. 70, 144, 235.
224
Zitiert nach: Hille: Karoline von Günderrode, S. 148.
- 73 -

Existenz als Frau und Schriftstellerin wünschte, vermischte sie Leben und Dichtung,
und wurde selbst zu einer Gestalt ihrer Dichtung;225 sie nahm nämlich ihren Tod
durch den Liebestod ihrer Heldinnen in ihrem Werk vorweg. Sie drückte sich in allen
Formen aus, die ihr erlauben würden, ihre Vorstellungen und Gefühle darzustellen,
aber auch als Autorin innerhalb der literarischen Kreise ihrer Epoche anerkannt zu
werden: Gedichte, Dramen, Fragmente, Prosa, Verserzählungen, Briefe.

Dass sich damals die Frauen schreibend verwirklichen wollten, bedeutete einen
ständigen Kampf, den Günderrode – wie gesagt - in einigen Fällen durch innere
Zensur, Anlehnung an männliche Vorbilder (Novalis, Tieck, Brentano, Hölderlin),
strenge Formen und gegliederte Organisation zu gewinnen versuchte.226 Der Wunsch
nach männlichem Ideal aber auch nach männlichem Leben, der vor allem in ihren
Briefen und lyrischen Dramen zu bemerken ist, ist Ausdruck ihrer Selbstentfremdung
und des Widerspruchs zwischen dem männlichen und dem weiblichen Prinzip in sich
selbst. Deshalb vermied sie in ihren Dramen die alltäglichen Themen und wandte sich
großen Taten und gewaltigen Stoffen zu.

Das Werk von Günderrode wird von Lazarowicz in drei Phasen unterteilt. Zu der
Frühphase (1799-1801) gehören ossianische Gesänge, ironisch-satirische literarische
Entwürfe, Parodien, literarische Objektivierungsversuche zeitgeschichtlicher
Ereignisse, Entsagungsliteratur. Zur Zeit der Reifung (1800-1805) gehören die
„Gedichte und Phantasien von Tian“ (1804) und die „Poetische[n] Fragmente von
Tian“ (1805). Zur letzten Phase zählt die Forscherin das Buch „Melete von Jon“
(1806, postum 1906), das einerseits wegen des männlichen Pseudonyms und
andererseits weil Creuzer es nach ihrem Tod einstampfen ließ, beinahe dem
Vergessen ausgesetzt war.227

225
Vgl. Becher: Weibliches Selbstverständnis, S. 230 f. und Margarete Susman: Frauen der Romantik.
Frankfurt am Main & Leipzig: Insel Verlag 1996, S. 171.
226
Vgl. Pigenot: Karoline von Günderrode, S. 11. Zu erkennen ist in einigen Gedichten die
petrarkistische Lyrik und Liebesoptik, allerdings nicht regelgerecht, sondern mit gewissen
Abweichungen: Von der Form des Gedichts her kann man ein Sonett oder einen Zyklus erkennen, der
Sprecher ist allerdings nicht immer ein Mann, wie im Petrarkismus. Darüber hinaus gehört die
Auflistung weiblicher Körperteile nicht zu den festen Motiven, obwohl das Thema der Unerfülltheit
der Liebe und das Motiv der Vergänglichkeit oft vorkommen. Am wichtigsten sind aber nicht die
formalen Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeit, dass die Darstellung der Liebe vor allem als
Instrument der Autorin dient, um sich selbst Ausdruck zu verschaffen und ihre Gefühle, Ängste und
Wünsche in Worte zu kleiden. Zur Reproduktion der männlichen Formen und Inhalte seitens der
Frauen vgl. auch Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 42.
227
Vgl. Lazarowicz: Karoline, 45ff. Sie zählt zu den Dramen von Günderrode die Werke „Udohla“
(1804-05), „Magie und Schicksal“ (1805), „Nikator“ (1806), „Pompejus und Cäsar“ (unveröffentlicht),
- 74 -

Der Todesgedanke ist das Zentralmotiv ihrer Dichtungen, was in Einklang mit der
Philosophie und den Todesgedanken in der Literatur der Zeit steht. Was ihr Verhältnis
zum Tode angeht, weist Kohlschmidt darauf hin, dass es, wie bei vielen Romantikern,
die langfristig sich anzeigende Kehrseite, die Nachsommer-Seite ihrer ästhetischen
Existenz war.228 Die naturphilosophische Einsicht Schellings über die Mysterien des
All-Eins und die mystische Vereinigung im Unendlichen waren Günderrode
tatsächlich bekannt wie auch die Lehre von Herder und die von Fichte über die
Unendlichkeit des Ich.229 Auf der anderen Seite verweisen die Motive der Verbindung
des weiblichen Subjekts mit dem Tod in einigen Fällen auf eine bemerkenswerte
Auseinandersetzung mit dem normativen Bild der Weiblichkeit.

Es ist ein Unterschied zwischen der Frühphase und den anderen Phasen ihres
Werks zu vermerken.230 Die Frauenfiguren der ersten Phase stehen gleichwertig
neben dem Manne und sind kämpfende Heldinnen, die als Gegenentwurf zum
Frauenideal der tüchtigen Hausfrau, das am Ende des 18. Jahrhunderts geltend war,
konzipiert wurden. Später ist das Motiv des Liebes- und nicht des Heldentodes
dominant, was die weiblichen Helden angeht; die Frauenfiguren verbergen sich nicht
hinter einer männlichen Maske. Der Tod wird eher mit der Vision der idealisierten,
sich ins Unendliche erfüllenden Liebe verbunden Da aber das Motiv des
Rollentausches nicht mehr vorhanden ist, wird auch ihre Selbstbestimmung schwerer.

3.1. Das Motiv des weiblichen Heldentodes

Zauberinnen und Machtweiber findet man seit dem Sturm und Drang in der Literatur
des herrschenden Diskurses stets in Verbindung mit dem Unheimlichen, wobei
dynamische Frauen als Entwicklungsstufe des Mannes vorkamen.231 Weigel erwähnt,

„Pedro-Entwurf“ (einige Bruchstücke sind vorhanden). Alle anderen Werke gelten als lyrische
Dramen. Vgl. ebd., S. 165.
228
Vgl. Werner Kohlschmidt: Ästhetische Existenz und Leidenschaft. Mythos und Wirklichkeit der
Karoline von Günderrode. In: Zeitwende. Hg. von Wolfgang Böhne, 51. Jahrgang, Karlsruhe:
Zeitwenden Verlagsgesellschaft mbH 1980, S. 205-216, hier S. 209.
229
Von diesen Gedanken sind das „Apokalyptische Fragment“ und die „Eusebio-Briefe“ beeinflusst.
230
Vgl. Lazarowicz: Karoline, S.77 und Roswitha Burwick: Liebe und Tod in Leben und Werk der
Günderrode. In: German studies review 3, 1980. S. 207-223, hier S. 208 f.
231
Zum Beispiel bei Goethes Adelheid in „Götz von Berlichingen“, bei Lessings Gräfin Orsina in
„Emilia Galotti“ oder bei Schillers Lady Milford in „Kabale und Liebe“. Vgl. Köpke: Die emanzipierte
Frau, S. 102 f.
- 75 -

dass es seit dem 18. Jahrhundert Werke gibt, bei denen die Frauen, „entgegen ihrer
sozialen Unterordnung im Leben, in der Kunst eine hervorragende Rolle spielen“232,
aber diese imaginierten Frauen überleben selten das Ende der literarischen Handlung.
Sie leisten Großes und bezahlen das mit ihrem Tod, wobei genau in ihrem Tod ihre
heroische Tat liegt. Der Tod der Frau in der Literatur sichert den Ausschluss der Frau
aus der kulturellen Ordnung und ist Symbol ihrer Rolle als Aufopfernde.

Günderrode gehört zu den Frauen der Romantik um 1800, die ihre


Lebensentwürfe durchzusetzen versuchten. In diesem Versuch benutzt sie den
Heldentod der Frau, aber auch die mystische Verbindung der Frau mit Todesmächten,
um ihren Heldinnen eine gewisse Autonomie zu erlauben.233 Die symbolische
Ordnung durchzubrechen und die Verankerung im Gesetz des Vaters zu vermeiden
war jedoch schwer, da in den Schriften der Frauen die Anpassung an männliche
Weiblichkeitsmuster der Preis für die Verletzung des Schweigens durch die
Publikationen war. Günderrode musste ein männliches Pseudonym und eine
männliche Sprache, die Ausdruck männlicher Lebenswelt ist, benutzen, um ihren
Wunsch nach individueller Autonomie als Frau auszusprechen. Ihre Identifikation mit
‚Männlichem’234 drückt sie am 29.08.1801 in dem oft zitierten Brief an Gunda
Brentano aus:

der alte Wunsch, einen Heldentod zu sterben, ergriff mich mit großer Heftigkeit;
unleidlich war es mir, noch zu leben, unleidlicher, ruhig und gemein zu sterben. Schon
oft hatte ich den unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu
werfen, zu sterben – warum ward ich kein Mann! Ich habe keinen Sinn für weibliche
Tugenden, für Weiberglückseligkeit. Nur das Wilde, Große, Glänzende gefällt mir. Es
ist ein unseliges, aber unverbesseriliches Mißverhältnis in meiner Seele; und es wird
und muß so bleiben, denn ich bin ein Weib und habe Begierden wie ein Mann, ohne
Männerkraft. Darum bin ich so wechselnd und so uneins mit mir. (G-Wei, 78 f.)

Ihre weiblichen Figuren dieser Phase sind eingebunden in historische Kontexte


und beanspruchen einen autonomen Platz in der Gemeinschaft235; indem sie aber

232
Sigrid Weigel: Die geopferte Heldin und das Opfer als Heldin. Zum Entwurf weiblicher Helden in
der Literatur von Männern und Frauen. In: Stephan, Inge/ Sigrid Weigel: Die verborgene Frau. 3. Aufl.
Das Argument: Argument-Sonderband 96, Hamburg, 1984, S. 138-152, hier S. 140.
233
Vgl. Keller: Nun breche ich in Stücke, S. 15.
234
Lisette Mettingh und Bettine Brentano erprobten in Rollenspielen mit Karoline von Günderrode
alternative Gemeinschaftsformen, in denen Karoline die männliche Rolle übernahm, weshalb Bettine
sie scherzhaft ‚Günter’ nannte. Vgl. Hille: Karoline, S. 25.
235
Vgl. Lucia Maria Licher: „Der Völker Schicksal ruht in meinem Busen“. Karoline von Günderrode
als Dichterin der Revolution. in: Helga Brandes (Hg): „Der Menschheit Hälfte blieb noch ihne Recht“:
Frauen und die Französische Revolution, Wiesbaden 1991, S. 115.
- 76 -

außerhalb der Gesellschaft leben oder früh sterben, garantieren sie den Bestand der
androzentrischen Ordnung. Dass ihre Heldinnen nicht aus der Geschichte verdrängt
werden, versucht Günderrode zu sichern, indem sie den Geschlechterunterschied
durch das Androgynitätskonzept zu mildern versucht, nämlich durch die Relativierung
des Geschlechterunterschieds oder sogar durch die Überwindung des Geschlechts. In
ihrem Studienbuch hat sie notiert, dass Männlichkeit und Weiblichkeit Hindernisse
der Menschlichkeit sind, die man zu mildern versuchen sollte, damit man die Grenzen
verbreitet, innerhalb deren man sich bewegt.236

Zum selben Zweck wählt sie ihren Stoff aus Mythen. Aus ihrem Studienbuch geht
hervor, dass sie schon 1799 intensiv nordische Heldenepik und ossiansche Gesänge
las; deswegen spielen einige ihrer frühesten Versuche in nordischer Umgebung:
Ossians Dichtung stellt eine Welt dar, in der der ruhmreiche Tod der tragischen
Helden Würdigung und Ehrung hervorruft. Aber auch andere Kulturräume dienen ihr
als Materialquelle, zudem sie von griechischen, altpersischen, altindischen und
mongolischen Mythen Gebrauch macht.237 Die Anwendung von Mythen erlaubte ihr
der Geschichtslosigkeit des weiblichen Kulturschicksals zu entkommen.238
Der „Entwurf großer Utopien eines anderen (Frauen-) Lebens“239, den Licher als
Befreiungsversuch aus der gesellschaftlichen Randexistenz feststellt, bedroht jedoch
nicht die androzentrische Ordnung, denn die Frauenfiguren verkörpern entweder die
Mutter-Natur (Prophetinnen) oder eine Idee (männliche Heldinnen). Das sind aber
einige der Weisen im Patriarchat, mit denen Weiblichkeit kontrolliert wird.240 Indem
Günderrode „das Weibliche in seiner Begrenztheit definiert und den weiblichen
Bereich als einen Todes- bzw. Schattenbereich deklariert“241, weicht sie nicht von der
Idee der Weiblichkeit als das Andere und Übernatürliche, das mit dem Tod
gleichzusetzen ist, ab und befreit sich nicht von den Idolen, an denen sie sich gebildet

236
Vgl. Hille: Karoline, S. 27 f.
237
Vgl. Wolfgang Westphal: Karoline von Günderrode und „Naturdenken um 1800“. Essen: Verlag
Die Blaue Eule, 1993, S. 16.
238
Vgl. Ingeborg H. Solbrig: Die orientalische Muse Meletes. Zu den Mohammed-Dichtungen
Karoline von Günderrodes, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 1989, S. 301. Nach der
Ansicht von Treder liegt der Belebung dieser Mythen die Überzeugung zugrunde, „der Weg in die
‚Vorwelt’, der Weg in den ‚Mutterschoos’ könne die verlorene Einheit mit der Natur wiederherstellen,
der Blick in die Vergangenheit, die Vision der Zukunft freilegen“. Vgl. Treder: Das verschüttete Erbe,
S. 33.
239
Licher: Der Völker, S. 117.
240
Vgl. Wartmann: Schreiben als Angriff auf das Patriarchat, S. 109.
241
Maria Lucia Licher: ”Mein Leben in einer bleibenden Form aussprechen“. Umrisse einer Ästhetik
im Werk Karoline von Günderrodes (1780-1806), Heidelberg: Universitätsverlag 1996, S. 126.
- 77 -

hat.242 Außerdem wird die Formulierung vom weiblichen Selbstverständnis in


männlicher Sprache als Ausdruck für Selbstverlorenheit und als Zeichen der
Entfremdung und des falschen Bewusstseins angesehen.243

Die Figur der Prophetin

Prophetinnen erscheinen in „Timur“ („Gedichten und Phantasien“, 1804), in den


„Scandinavische[n] Weissagungen“ („Melete“, postum 1906) und im „Edda-
Fragment“ (aus dem Nachlass).

In „Timur“, dem Werk, das wahrscheinlich 1802 verfasst wurde, wird


Günderrodes Vorliebe „für metaphysisch verbrämte, geheimnisvolle Frauenfiguren –
die als ‚Seherinnen’ die Vollzugsorgane des Schicksals sind“244 deutlich. Lazarowicz
betont, dass die Kraft der Seherin auf ihrer Fähigkeit basiert, die Vielsichtigkeit der
menschlichen Psyche zu durchschauen und das Schicksal zu erkennen, da sie über
dem normalen Menschenleben als Auserwählte steht.245 In diesem Werk wird die
Rache des Königssohns Timur an dem Usurpator Ermar, dem Vater von Thia
geschildert. Seitdem Ermar Timurs Vater, den König Paribor, und seine ganze Familie
ermordet und Timur gefangen genommen hatte, herrscht er als Tyrann über das Volk
des Inselstaates. Wichtig ist, dass der Wendepunkt nicht durch den Widerstand der
Unterdrückten, sondern durch die metaphysischen Kräfte der Prophetin geschieht. Sie
hat nicht unmittelbar mit dem Tod der Helden zu tun, aber ihre Worte führen zu ihrem
Tode:

Keiner von allen Freunden des gestürzten Königshauses wußte, wo Timur sei, und ob
er lebe? Nur die Prophetin wußte es, die verschwiegne Seherin, die in einer Höhle am
Eingang der Erde wohnte, sie sah die kommenden Schicksale, die Tiefen der
menschlichen Brust, und des unglücklichen Timurs Ketten. Einsam lebte die Prophetin
und verrichtete geheimnisvolle Werke […]. Einst sprach die Prophetin zu der Tochter
von Ermar: »Mädchen! fürchte das Geschick deines Vaters, seine Untat hat den Geist
der Rache erweckt; sieh hierher!« Und sie zeigte dem erschrocknen Mädchen in einem
Spiegel ein tiefes Gefängnis der Burg, und in dem Gefängnis lag auf moderndem Stroh,

242
Vgl. Lenk: Die sich selbst verdoppelnde Frau…, S. 85 und Bovenschen: Die imaginierte
Weiblichkeit, S. 42.
243
Vgl. Ursula Becher: Weibliches Selbstverständnis in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts. In:
Becher, Ursula A.J./ Jörn Rüsen (Hg): Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und
Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1988,
S. 220 f.
244
Lazarowicz: Karoline, S. 81.
245
Vgl. ebd.
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ein Jüngling mit brennenden Augen, und dichten braunen Locken; [...] »Dies ist der
König dieses Landes, er schmachtet in Ketten, und dein Vater trägt die Krone, die ihm
gebührt. [...]« (G-Mo, 18)246

Die Seherin wiegelt Thia gegen ihren Vater auf, gegen die männliche Macht, aber
ein anderer Mann, Timur, bestimmt ihre Taten. Thia verliebt sich in ihn und
entschließt sich ihm zur Freiheit zu verhelfen, indem sie ihren Vater auf die
unheimliche Macht der Seherin aufmerksam macht: »Fürchte«, sprach Thia, »die
Zukunft und der Seherin untrügliche Worte;[...]“ (G-Mo, 19). Ermar, der tyrannische
Vater, soll Angst vor der weiblichen Macht haben, vor den Worten der Seherin und
den Taten seiner Tochter. Die Furcht vor der dämonischen Kraft der Prophetin beugt
Ermars Weigerung Timur freizulassen und wird somit zum Auslöser der Katastrophe:
Ermar wird von Timur ermordet, Thia tötet am Ende ihren Geliebten Timur und sich
selbst. Die Künderin von Unheilvisionen ist also mitverantwortlich für die
vorausgesehene Tragödie. Trotz der Liebe der Prophetin für Thia, trägt sie durch ihre
Prophezeiungen zum Vatermord und zu ihrem Freitod bei.

Dasselbe Motiv der übernatürlichen Macht der Prophetin wird im „Edda“


wiederholt, bei dem es sich um die Schilderung einer Eifersuchtsgeschichte zwischen
Baldur, einem schönen, freundlichen Gott, und Lohe, dem Repräsentanten des Todes
und des Bösen handelt. Da das Werk fragmentarisch geblieben ist, kann man darin die
Schilderung der Prophetin-Figur nicht erkennen. Nur am Anfang wird von ihr
gesprochen, als der Meister ihre magischen Kräfte anerkennt. Deutlicher wird es in
den „Scandinavischen Weissagungen“247 dargestellt, die wie das „Edda-Fragment“
von der skandinavisch-nordischen Mythologie beeinflusst sind und dasselbe Thema
behandeln.

In diesem Werk konzentriert sich Günderrode auf die mythologisch


hochinteressante Figur der Wolle.248 Odins Weib Frigga erkündigt sich bei der

246
Bei Günderrode (G) steht die Nummer der entsprechenden Seite neben der Quelle (Walter
Morgenthaler (Hg.): Karoline von Günderrode. Sämtliche Werke und ausgewählte Studien. 3 Bde, Bd
I: Texte; Bd II: Varianten und ausgewählte Studien; Bd III: Kommentar, Basel; Frankfurt a.M.:
Stroemfeld/Roter Stern 1990/199, S. 18.)
247
In diesem Werk werden insgesamt fünf weibliche Figuren erwähnt (Frigga, Odins Weib, Notta, die
Göttin der Nacht, Hela, Herrscherin der Unterwelt, Wolle, die Prophetin, Fulla, Friggas Gespielin);
drei von ihnen sind auch im Verzeichnis von Hauptfiguren des Werks erwähnt (Frigga, Notta, Hela),
die Worte von drei liest man im Text (Wolle, Frigga, Fulla).
248
Vgl. Lazarowicz: Karoline, S. 225 f. Licher erwähnt, dass in diesen von der Mythologie geprägten
Texten der Kampf zwischen Licht und Dunkelheit als Urzwist der Natur- und Menschengeschichte
dargestellt wird, „der dazu geführt hat, daß die Trennung sowohl zur Struktur des irdischen Lebens
wird, als auch zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit herrscht.“ Licher: Mein Leben, S. 123.
- 79 -

Weissagerin Wolle danach, ob ihr Sohn Baldur sterben wird. Der Prophetin wird von
Anfang an eine besondere Stellung über Menschen und Götter zuerkannt. Wolle wird
als alt und furchtbar dargestellt und wohnt im Eingang der Erde, was ihren großen
Wert zeigt. Weiter im Text wird erwähnt, dass sie da wohnt, wo es immer Winter ist,
im Abgrund, in der Unterwelt, wo die Schatten und die Toten herrschen, in einem
„Schauspiel der Schatten“ (G-Mo, 341). Ihre Höhle ist dunkel wie die Nacht,
umgeben von Nebel und Regen. Diese Symbolik der Katastrophe und des Todes
betont die Verbindung der Seherin mit den Mächten der Unterwelt:

FRIGGA. Höre mich alte / Seherin! Wole! /Mitternachts Tochter! / Mutter der
Zeiten! /Du, die mit Armen / Reichet zum Himmel! / Du, deren Fußtritt / Nilfheim
erbebet! /Sage was dräuet / Baldur dem Schönen? / Sage was wollen / Ängstliche
Träume /Warnend verkünden? (G-Mo, 344)

Die Worte, die Frigga wählt, um die Seherin zu benennen sind charakteristisch:
Sie ist die Mutter der Zeiten, die Urmutter, mit der Schrecken und dunkle Mächte
verbunden werden, sie ist die Tochter der Mitternacht, des Unheiligen. Ihre
unendliche Macht wird damit bewiesen, dass ihr Fußtritt Nilfheim erbeben lässt und
dass sie selbst von Göttern nicht kontrolliert werden kann: „Es können nicht Götter /
Bezwingen im Busen / Das feste uralte / Beständige Herz mir.“ (G-Mo, 347). Auf
Friggas Frage antwortet die Wole, dass Baldur von Loke bedroht wird. Auch in
diesem Fall sagt die Seherin das Unheil voraus und prophezeit den Untergang des
Reiches der Götter:

DIE WOLE. Die Klage verspare / Dem grösseren Weh noch./ Es nahet die Stunde, /
Ich sehe sie kommen, [...] /Das siegende Dunkel / Verdränget den Mittag. [...]/ Und
Loke gesellet / Sich Feinden der Götter; / Es sprenget die Ketten / Der schreckliche
Wolf auch; / Es kommen die Riesen / Der Berge gezogen./ Da Odin erkennet / Die
Stunde des Falles /In ahndender Seele. / Dem Wolfe erlieget / Der herrliche König. /
Der Himmel erbebet / Es berstet die Erde; / Der hungrige Abgrund /Eröffnet die
Lippen, / Verschlinget die irren / Vermischeten Räume, / Verschlinget das Feuer / Und
Dunkel und Kälte, / Gedanken und Zeiten / Und Himmel und Götter / In daurender
Dämm’rung. (G-Mo, 348 f.)

Günderrode schildert ihre Prophetinnen im Einklang mit der herrschenden


Mythologie, sie benutzt die Weiblichkeitsbilder des Patriarchats, die Projektionen
männlicher Subjekte und Träger des Ausgegrenzten sind, denn die Macht dieser
Weiber macht im Bewusstsein der Bevölkerung das Dämonische unheilbar.
Bovenschen erklärt, dass den Frauen eine Identität außerhalb des Mythos versagt
wird, denn die Identifikation mit dem Ausgegrenzten hindert ihre Eingliederung in die
- 80 -

Geschichte. Nur zwei Erscheinungsformen werden dem Weiblichen erlaubt: die einer
idealisierten (Engel, Heilige, Mutter) und die einer dämonischen Gestalt (Dämon,
Hure, Weissagerin).249 Indem Günderrode die zweite benutzt und die Frau unmittelbar
mit dem Tod verbindet, werden ihr Respekt und eine besondere Stelle erteilt, auch
wenn nicht in, sondern außerhalb der Gesellschaft.

Günderrode benutzt im Fall der Prophetinnen die Position der Weiblichkeit als das
Außergewöhnliche, das Andere.250 Die Seherinnen existieren außerhalb der
Gesellschaft, sie erregen Furcht, verkörpern das extrem Gefährliche und Chaotische,
auf das die Angst vor dem Tod projiziert wird. Sie genießen keine gleichberechtigte
Existenz mit den Männern und obwohl sie nicht körperlich vernichtet werden, gleicht
ihre Situation einem sozialen Tod, da sie von der Gemeinschaft ausgeschlossen sind.
Was aber Günderrode besonders interessiert, ist ihre Möglichkeit wegen ihrer Lage,
eine autonome, von der männlichen Ordnung unkontrollierbare Existenz zu haben. In
diesem Punkt wird ein Widerspruch nicht aus Zufall benutzt:251 Auch wenn die
Formen und Weisen der Darstellung konventionell sind, erlaubt diesen Frauenfiguren
ihre Position an der Grenze der Norm eine Bewegungsfreiheit (die Prophetin in den
„Scandinavischen Weissagungen“ sagt, als sie nicht mehr prophezeien will: „Es
können nicht Götter/ Bezwingen im Busen/ Das feste uralte/ Beständige Herz mir“
(G-Mo, 347)) und eine Kritik an den Ungerechtigkeiten der Gesellschaft (Kritik der
Prophetin an Thias Vater wegen seiner Untat), die für die anderen Heldinnen
undenkbar ist.

Die Figur der männlichen Heldin

Die Gestalt der männlichen Heldin begegnet man in den Werken „Timur“, „Mora“,
„Darthula nach Ossian“ (aus „Gedichte und Phantasien“, 1804) und „Hildgund“ (aus
„Poetische Fragmente“, 1805). Im folgenden Text von Günderrode lässt sich ihre
Überzeugung erkennen, dass die männlichen Züge nicht geschlechtsgebunden sind.

249
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 31 f.
250
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 365.
251
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 102 f.
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Diese weiblichen Figuren252 stehen zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit, können


zugleich erotisch und stark sein und gehören nicht zum Typus der Frau-Kind, den die
romantische Philosophie und Literatur verbreitete. Als eigenmächtige und
eigensinnige Frauen sind sie aber negative Figuren der Warnung.253 In ihrem kurzen
Essay „Jede Blüthe der Natur…“ schreibt die Dichterin:

Dem Manne ruft der Streit, dem Weib die Liebe so wie Mann u Weib getrennt beide
nur Räpresentanten einer Kraft des Weltalls u jedes einzel nur eine halbe Erscheinung
der Menschheit ausdrükken, so stellen beide vereint ein Ganzes im Leben wie in der
Kunst dar – alle Künstler sind gewissermaßen Mittelnaturen schwanken zwischen
Mann und Weib ihr Jnnres pflegt stillen Geburthen u bedarf heiliger/verschlossner
Ruhe. Pallas mit der Lanze u dem Helm, geht schon mehr in die Männlichkeit hinüber,
Bachus, Juno u Apoll, haben alle keinen reinen Geschlechts Karakter sondern sie sind
von jenen wundersammen Gebilden wo Mann u Weib in einander verschmelzen ohne
daß eines dem andern Eintrag thut. Sie fassen beide Geschlechter u erinnern an ein
Ganzes – an den Gipfel der Kunst. In der Poesie stehn die Töchter großer Helden die
heroischen Frauen Elektre, Antighone, Dejanaira in dieselbe Ordnung in ihnen liegt
eine Mischung von Männlicher Kraft u Weiblicher Grazie u so sind sie der Gipfel der
Kunst u die Bewunderung der Welt; sie wissen zart zu leben wie Frauen u kühn zu
sterben wie Männer. (G-Mo, 469)

Thia

In „Timur“ wird die Heldin Thia als eine dynamische und entschlossene Frau
dargestellt, die ihren Geliebten gegen den väterlichen Willen befreien will, aber auch
die innere Kraft hat, sich ihm zu versagen, als er ihren Vater ermordet. Sie verkörpert
das Gute am Anfang der Handlung, als sie Timur in seinem Gefängnis als ein Engel
schien, und das Böse am Ende, als sie ihn zum Tode führt. Da verwandelt sie sich in
einen Todesengel; in beiden Fällen wird sie mit dem Übernatürlichen verbunden. Thia
sieht sich selbst von Anfang an als Verhandlungsobjekt zwischen zwei Männern,
zwischen ihrem Vater und Timur und nimmt das Ende vorweg, indem sie auf den
ersten Seiten ihrem Vater verspricht, dass sie Timur im Fall von Untreue selbst
vernichten wird: „[…] und ihm schwur, den Geliebten zu seinem treuen Sohne und

252
Ursprüngliches Motiv dieser Figuren könnten die Amazonen der griechischen Mythologie sein, aber
auch Kampfmaiden der germanischen Sage, wie Brünhild, Lathgertha, Olof. Vor allem aber die
Kriegerinnen, die zum liebenden Typus gehören, wie Swawa-Sigrun aus den Helgiliedern der „Edda“,
Heidreks Tochter Hervor aus dem „Hunnenschlachtlied“, die Gudrun der „Atlamal“ und die
Königstochter Bride aus dem Legendenepos „Orendel“. Vgl. Frenzel, Elisabeth: Motive der
Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Stuttgart: Kröner 1992, S. 11-15.
253
Vgl. Marlis Gerhardt: Über Macht und Ohnmacht. In: Claudia Opitz (Hg.): Weiblichkeit oder
Feminismus? Beiträge zur interdisziplinären Frauentagung, Konstanz 1983. Weingarten: Drumlin
Verlag 1984, S. 123-136, hier S. 126.
- 82 -

Freund zu machen, oder ihn zu verraten, wenn er undankbar sei, und ihm den Dolch
mitten in seinen Umarmungen in die Brust zu stoßen.“ (G-Mo, 18)

Als Timur den Vater von Thia ermordet, wird er von ihr verlassen. Als König geht
er in den Krieg, genießt Ruhm, Lust und Liebe, bis auf einmal eine Geliebte zu ihm
kommt, die nur die Nacht bei ihm verbringt und am Morgen schnell weggeht. Timur
kann sie nicht erkennen, und bittet sie, als sie zu ihm zum vierten Mal kam, sich zu
entdecken und seine Frau zu werden. Sie verschiebt ihre Entdeckung bis zur nächsten
Nacht und schickt ihm dann ein schwarzes Ross, das ihn durch Klüfte und Wälder zu
einem prächtigen Palast bringt. Da ist er von schönen Mädchen umgeben, erkennt
aber die Geliebte der Nacht nicht sofort:

Da er aber die Augen aufschlug, sah er eine Gestalt an der Ecke des Saals ihm
gegenüber, an eine Säule gelehnt stehen, sie war ganz schwarz und dicht verhüllt, und
blieb immer unbeweglich. Timur betrachtete sie lange und oft, eine tiefe Sehnsucht zog
ihn zu ihr; (G-Mo, 22)

Die Gestalt, die eigentlich Thia ist, bleibt verhüllt bis zum Moment des Todes; da
wird sie demaskiert, denn nur der Tod erlaubt, dass ihr Gesicht ohne Schleier, also
ihre eigentliche Identität gezeigt wird.254 Durch das Sterben gewinnt sie ihre
Subjektivität zurück, wobei die Geliebten nur im Tod vereint werden können:

Die schwarze Gestalt nahte sich ihm, und sprach: »Folge mir!« Er gehorchte; und sie
führte ihn durch seltsame unterirdische Gänge, auf einen Fels. Der Mond glänzte eben
im vollen Lichte, und Timur erkannte schaudernd den Fels und das Meer, in welches er
Ermar hinabgeschleudert hatte. Seine Führerin schlug den Schleier zurück. Es war
Thia. »Geist meines Vaters!« rief sie, »laß dich dieses Opfer entsühnen.« Sie schlang
ihren Arm um den König, und stürzte sich mit ihm die Felsen hinunter, daß ihr Blut
sich mischte, und hinab rauschte zur wogenden See. (G-Mo, 23)

Thia weigert sich ihr Los (Vatermord, gescheiterte Liebe) passiv zu akzeptieren,
sieht allerdings die Ermordung des Geliebten aus ihrer eigenen Hand und ihren
Selbstmord als den einzigen Weg, um sich zu rächen und die Ordnung
wiederherzustellen. Thia, als Wesen der Nacht und der Schatten, verkörpert die
weibliche Sexualität, die mit dem Unheimlichen und den dämonischen Mächten der
Nacht verbunden ist, wobei das Ross, das Timur zu ihr bringt, ebenfalls Sexualität
und Tod (weil in vielen Darstellungen von Charon geritten wird) symbolisiert. Die
unterirdischen Gänge weisen außerdem auf das Reich von Orkus hin.

254
Vgl. Keller: Nun breche ich in Stücke, S. 12 f.
- 83 -

In ihrer schwarzen und verhüllten Gestalt verkörpert Thia die Frau als Charos: Sie
befiehlt, der Mann muss ihr folgen und seinem Schicksal gehorchen. Durch den Mord
rächt sie ihren Vater: „An der selbst- und fremdverschuldeten Tragik des Vatermords
scheitert Thias Liebe, die sich erst im selbstgewählten Freitod, der zugleich Mord am
Geliebten ist, verwirklichen kann.“255 schreibt Lazarowicz. Bemerkenswert ist die in
diesem Werk herrschende Sexualität und erotische Stimmung, die allerdings zum Tod
führt; es handelt sich dabei um das Motiv der Verbindung der sexuellen Erregung mit
dem Tod. Die Mörderin Thia ist, ganz im Einklang mit der männlichen Phantasie256,
eine dunkle, schwarze Gestalt, die ihre verführerische, ‚weibliche’ Kraft benutzt, um
Timur zum Tod zu führen.

Sie inszeniert das Werk des Todes, wobei ihr Körper als eine Allegorie für die
Gefährlichkeit sexueller Lust und unkontrollierbarer Leidenschaft fungiert.257 Ihr
Selbstmord nach ihrer grausamen Tat wäre also innerhalb des männlichen Diskurses
unerlässlich, damit die symbolische Ordnung nicht gefährdet wird: Die Frau als das
Andere steht in der androzentrischen Kultur außerhalb der Norm, sie steht vielmehr
für eine Negation der herrschenden Norm ein. Damit die herrschende Ordnung nicht
gefährdet wird, muss sie in der Kultur mit dem Tod gleichgesetzt und vernichtet
werden.

Eine Vernichtung kann aber nicht nur körperlich sein, sondern kann auch die
Dimension der Verharmlosung haben, im Sinne dass der Frau ihrer Autonomie
verweigert wird: Die Tat von Thia in Günderrodes „Timur“ macht die Heldin nicht
zum Subjekt und auch wenn sie sich nicht für den Freitod entscheiden würde, wäre
ihre Selbstbestimmung nicht sicher: Sie bleibt immer noch Objekt einer männlichen
Macht, nämlich des Vaters, nur diesmal ein Objekt, das auf Rache zielt. Nun steht sie
zwischen den zwei Männern als Objekt, nur diesmal nicht als Objekt der Liebe,
sondern des Todes, denn nicht die Liebe verbindet die Männer, sondern der Tod, für
den sie verantwortlich ist. Auf diese Weise überwindet sie nicht die Rolle der Frau in
der androzentrischen Ordnung als Vermittlerin zwischen den Männern.

255
Lazarowicz: Karoline, S. 85.
256
Vgl. Gert Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen. Ein elementares Motiv der europäischen Kultur.
Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 1995, S. 54 ff, und Karl Siegfried Guthke: Ist der Tod eine
Frau? Geschlecht und Tod in Kunst und Literatur. Beck München, 1997, S. 146 ff.
257
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 100. Bronfen bezieht sich auf den Tod der Frau als das
„poetischste“ aller Themen in der Literatur von Männern und sieht das Urmotiv der
Weiblichkeitstypen, die als Allegorie für das Böse, die Sünde, die gefährliche Sexualität dienen, in der
Gestalt der Versucherin Eva.
- 84 -

Mora - Darthula

Die männlichen Züge der weiblichen Heldenfigur sind auch im Werk „Mora“, das zu
Günderrodes ossianschen Nachdichtungen gehört, zu finden. Hier ist die einzige
weibliche Figur die Geliebte des Königs, die durch eine Maskerade ganz wie ein
männlicher Held im Kampf fällt und gleichzeitig als Seherin vorkommt, denn sie
warnt Frothal vor einem schlechten Traum. Der Krieger Karmor fordert den König
Frothal zum Zweikampf heraus, weil er sich ebenfalls in die schöne Mora verliebt ist,
sie aber nicht besitzen kann: Mora hat sich nämlich für Frothal entschieden. Voll von
Kampflust verstellt sich Mora, nimmt am Zweikampf an der Stelle des Königs teil,
ohne dass Karmor etwas davon merkt und stirbt durch seine Hand:

KARMOR. Du bist Frothal, dies ist sein Schwerd, dies der Schild der Könige, komm
zum Kampfe um Torlats | langlockigte Tochter. Oder fürchtest du das Schwert von
Karmor, wie’s dein Zögern verräth, kämpfst du nicht für das Mädchen deiner Liebe!
MORA. Komm, mich dürstet nach Kampf, mein Muth jauchzt der Gefahr entgegen,
komm! (G-Mo, 58)

Moras Lust am Kampf und an der Gefahr ist typisch für Günderrodes
Frauenfiguren, meint Lazarowicz, die betont, dass das angebliche Objekt, um das
gekämpft werden sollte, als Subjekt um sich und den Geliebten kämpft. Das erlaubt
ihr, sich der zur Passivität verdammenden Frauenrolle als Objekt männlicher
Verfügungsgewalt zu entziehen.258 Moras männliches Auftreten bedeutet automatisch,
dass Frothal verweiblicht wird. Indem die weibliche Heldin an Frothals Stelle kämpft,
entmachtet sie ihn, weil sie ihn in einem der traditionell wichtigsten und
ausschließlichen Domänen der Männlichkeit, nämlich im Zweikampf, ersetzt.

Obwohl sie Objekt der Verhandlung zwischen zwei Männern bleibt und das
eigentliche Kampffeld ihr weiblicher Körper ist, gewinnt sie kurz eine Subjekt-Rolle,
allerdings nicht als Frau, sondern als männliche Figur. Auch in diesem Fall (wie in
„Timur“ oder in „Darthula’-Epos“) trägt die Heldin wegen ihrer Rüstung eine
Maske259, die ihre wahre Identität verheimlicht und ihr in diesem Fall eine männliche

258
Vgl. Lazarowicz: Karoline, S. 112.
259
Die wesentliche Funktion einer Maske (vgl. Genevieve Allard / Pierre Leffort: [Die
Maske]. Athen: Chatzinikoli 1989, S. 13, 37, 85) ist die Illusion; man nimmt eine Figur, passt sie an ein
Verhalten an und gibt den Eindruck, dass man das Andere ist. Vielmehr möchte man das Andere
kennen lernen, die Maske selbst wird zum Anderen. Im Prozess der Metamorphose wird die
Subjektivität abgeschafft. Diese war die Macht der Heldinnen von Günderrode: Ihre Maskierung
verhüllte ihre Identität, erteilte ihnen Tapferkeit und Mut, erzeugte Respekt und Furcht - das
altgriechische ‚Thamvos’, gleichzeitig aber isolierte sie in der Position des Nicht-Ich, des Anderen.
- 85 -

gibt: Sie ist eine Frau, aber im Moment des Kampfes ist sie es nicht. Die
Selbstbestimmungsfreiheit, die dadurch gewonnen wurde, dauert aber wenig und
endet mit dem Tod des Weibs, wie es im Rahmen der androzentrischen Ordnung zu
erwarten ist. Nachdem die männliche Maske gefallen worden ist, wurde ihre Tat als
weibliche Aufopferung erkannt, durch die sie die Unsterblichkeit gewinnt:
„FROTHAL: Singet ihr Barden, das Lob der schönen Tochter von Torlat! singet den
Ruhm des Mädchens, daß unsterblich blühe die leicht verwelkliche Schönheit.“ (G-
Mo, 59).

Diese Worte Frothals bringen Moras Schönheit in den Vordergrund. Die


Verbindung von Tod und Schönheit ist nicht selten in der androzentrischen Kultur,
wobei die Schönheit nur oberflächlich die Antithese des Todes ist. Barbara Johnson
erklärt, dass die Schönheit nichts anderes ist, als das „Bild dessen, was sie verdecken
und ausschließen soll, nämlich des Todes, der Kastration und Verdrängung“260. Die
männliche Ordnung wird bestätigt, denn die kämpfende Person kommt in der Gestalt
eines Mannes vor, die tote Leiche gehört aber einer Frau, wobei ihre Schönheit das
Weib als tote Figur sichert: Die Schönheit umfasst die Einschrift des Todes, da die
Schönheit einen belebten Körper in ein unbelebtes Bild umwandelt.261

Genauso wie Mora findet auch Darthula den Tod im Krieg und im offenen Kampf.
Den drei weiblichen Figuren, Thia, Mora und Darthula, ist gemeinsam, dass „ihr
soldatisches Auftreten gekoppelt ist mit der Verteidigung des Geliebten.“262 In der
Ballade „Darthula“ benutzt Günderrode die tragische ossiansche Geschichte einer
Frau, die vergebens um die Verwirklichung ihrer Liebe mit Nathos und um ein
selbstbestimmtes Leben kämpft, um schließlich auf dem Schlachtfeld zu fallen. Ihr
Tod sichert sie vor der Jagd des ungeliebten Verfolgers Caibar. Zwei Punkte sind in
dieser Ballade wichtig: Erstens, dass Darthula den realen Tod wählt, um den sozialen
zu vermeiden, nämlich „in der Absicht, nichts vom Leben zu verschenken für ein
müdes, ungelebtes, hoffnungsloses Vegetieren bis zur Grab“263. Zweitens, dass sie
wie Mora als die personifizierte Schönheit dargestellt wird: „Denn sie schläft, der
Frauen Erste! nimmer / Kehret sie in ihrer Schönheit mehr.“ (G-Mo, 17)

260
Barbara Johnson: The Critical Difference. Baltimore: Johns Hopkins University Press, S. 48, zitiert
nach Elisabeth Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 93.
261
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 97.
262
Licher: Mein Leben, S. 122.
263
Lazarowicz: Karoline, S. 80.
- 86 -

Hildgund

Wahrscheinlich ist die Frauenfigur in „Hildgund“ die kaltblütigste Heldin von


Günderrode, eine selbstbewusste Frau, die wie ein ‚kühner Kämpfer’ fungiert.264 Sie
verkörpert die idealisierte Existenz der Frau als aktives Mitglied der Gesellschaft,
Beeinflussungsfaktor der Geschichte und Verursacher, also Subjekt der Handlung.
Günderrode benutzt den historischen Hintergrund, um ihrem am klarsten dargestellten
Frauenbild eine unheimliche Dynamik zu erschaffen, die sich außerhalb der
traditionellen weiblichen Grenzen ausdehnt.

Der Gedanke, dass sich das Weib nicht zum Objekt des Geschehens degradieren
lässt, ist unmittelbar mit der Entreißung aus der privaten Sphäre verbunden, in der die
weibliche Person eingeschränkt wird. Die Übernahme gesellschaftlicher
Verantwortung gewährleistet der Heldin in diesem Fall einen größeren
Handlungsspielraum und berechtigte Anerkennung. Dadurch wird gegen das, was
Bovenschen als Geschichtslosigkeit des weiblichen Kulturschicksals bezeichnet265,
agiert, denn die Frau wird nicht als eine Figur außerhalb der Geschichte geschildert.
Licher betont, dass die Thematik des weiblichen Menschen und seiner Würde als ein
Aspekt der allgemein-menschlichen historischen Problematik betrachtet und mit der
allgemeinen Hoffnung auf Entwicklung der Menschheit verbunden wird.266

In diesem Werk aus dem Jahr 1805 erzählt die Tochter des Burgunderfürsten
Herrich, Hildgund, von ihrem Kampf und ihrer Gefangenschaft am Hofe Attilas.

264
Regen erwähnt, dass keine Attila-Schrift von der ältesten Zeit bis heute die Walthari-Sage mit dem
Leben Attilas so verkettet, wie Günderrode es schafft. Vgl. Erich Regen: Die Dramen Karolines von
Günderode. Berlin: Verlag von Emil Ebering, 1910, Berliner Beiträge zur germanischen und
romanischen Philologie, 39; Germanische Abteilung No 26, S. 12-28. Der Waltharius ist ein
lateinisches Versepos des 10. Jahrhunderts, der in 1455 Hexametern die germanische Walther-Sage
gestaltet. Die Sage von "Walther und Hildegunde" spielt am Wasigenstein im Wasgenwald nahe der
französisch-deutschen Grenze: Walther von Aquitanien kämpft mit den zwölf Recken des Königs
Gunther von Franken. Walther, der in der Schlacht eine Hand verliert, tötet alle Angreifer bis auf zwei:
Gunther, dem er das rechte Bein abschlägt, und Hagen, welcher sechs Zähne und ein Auge verliert.
Trotz dieser Grausamkeit kommt es am Ende zur Versöhnung, die Kämpfer ziehen zurück in ihre
Heimatländer und Hildegunde begleitet ihren Bräutigam Walther.
265
Vgl. Solbrig: Die orientalische Muse, S. 301.
266
„Die autonome handelnde Figur entspricht in ihrer Konzeption dem Emanzipationsbegriff
progressiver Menschen des 18. Jahrhunderts in Deutschland, der – im Sinne der Aufklärungsbewegung
– Befreiung der Frauen als Befreiung von der Unmündigkeit und der Vorherrschaft des Vaters, die bei
der Heirat auf den Ehemann übertragen würde, meint. Günderrode verbindet das Motiv der
erzwungenen Heirat mit dem des Tyrannenmordes. Dementsprechend geht sie über den sich derzeit
artikulierenden Anspruch der bürgerlichen Frau auf Liebes- statt Konvenienzehe noch hinaus.“ Licher:
Mein Leben, S. 120. In diesem Kontext kann man Goethes Drama „Iphigenie auf Tauris“ (1787)
erwähnen, in dem die Befreiung des Menschen aus seiner Abhängigkeit vom Schicksal und der Glaube
an die Möglichkeit menschlicher Autonomie thematisiert werden, auch wenn das durch verbale
Überzeugung und nicht durch Heldentaten geschieht.
- 87 -

Hildgund war zwar mit Attila und seiner Frau befreundet, konnte aber seine
tyrannische Herrschaft nicht dulden; deswegen floh sie mit ihrem Verlobten Walther,
der auch gefangen war, zurück in die Heimat, wo die ersehnte Ruhe und Ordnung
herrscht:

Mein Blick der Waffen müd’, und des Getümmels /Weilt in der Heimath stillen Hallen
gern./Mein Ohr, gewöhnt an rauhe Männertritt’ und Waffenklirre,/ Vernimmt der Liebe
süße Stimme nun, /Nur wo mir Gatte, Vater winket, und mein Erbe./Wo Sitte herrschet
und nicht rohe Macht./Nur hier ist Glück, und Fried’, und süße Ruhe.(G-Mo, 87)

Attila leidet unter Hildgunds Flucht und hat die Absicht, sie zu heiraten. Da ihre
Verweigerung das Staatswohl aufs Spiel setzen würde, entscheidet sich Hildgund für
die Heirat mit Attila, allerdings nicht aus weiblicher Entscheidungsschwäche, wie ihr
Walther vorwirft, sondern weil sie eine heldenmutige Tat vollbringen will: Den
Tyrannen zu ermorden. „In meines Herzens tiefsten Gründen reifet / Die größte That,
die je ein Weib gethan“ (G–Mo, 97) sagt sie Walther, der ihre Haltung nicht versteht
und bereit ist, mit seinem schwachen Heer gegen Attila zu kämpfen und sein Volk um
seiner Liebe willen in Gefahr zu bringen. Hildgund lässt sich nicht überzeugen und
besteht auf ihre Selbstbestimmung und eigenständige Handlung, die frei von
gesellschaftlichen Schranken bleibt. Beneidenswert findet sie die Freiheit, die die
Männer in den schon existierenden Normen genießen:

Wie herrlich ist der Mann, sein Schicksal bildet er, /Nur eigener Kräfte Maas ist sein
Gesetz am Ziele,/Des Weibes Schicksal, ach! ruht nicht in eigner Hand!/Bald folget sie
der Noth, bald strenger Sitte Wille,/Kann man sich dem entziehn, was Uebermacht
befiehlt? (G-Mo, 98)

Ihr Wille, sich nicht - als passives Objekt der Handlung - der männlichen Macht
zu unterwerfen, sondern durch ihr kämpferisches Handeln ihre Subjektivität zu
beschützen, gipfelt in Hildgunds Plan den Tyrannen zu heiraten, um ihn dann zu
ermorden:

Mord! Ha der Name nur entsetzet, / Die That ist recht, und kühn und groß,/Der Völker
Schicksal ruht in meinem Busen,/Ich werde sie, ich werde mich befrein./Verbannt sey
Furcht und kindisch Zagen,/Ein kühner Kämpfer nur ersiegt ein großes Ziel.(G-Mo,
99)
- 88 -

Das Private verbindet sich mit dem Öffentlichen, das persönliche Schicksal
erweitert sich und wird Los des ganzen Volkes267, indem die mutige Kämpferin, die
sich allerdings als eine schwache Frau bezeichnet, nicht nur sich selbst, sondern auch
die Untertanen Attilas, ja sogar das ganze Land Italien befreien will:

Schon zuckt mein Dolch, bald wird das große Opfer bluten, /Das, Herrscher einer Welt,
ein schwaches Weib besiegt./Die starke Kette reißt, die Millionen bindet,/Die mächtige
Feder springt, die einen Erdball drückt;/Italien zage nicht! ich werde dich befreien,/Der
Völker Geisel fällt durch Hildergundens Hand.(G-Mo, 101)

Günderrodes Werk bleibt fragmentarisch, weshalb der Leser nichts über die
Vollendung von Hildgunds Plan erfährt. Was aber wichtig ist, ist die paradigmatische
Charakterisierung einer selbstbewussten Frauenfigur, wie Lazarowicz es ausdrückt,
die sich nicht von Gott oder Mann beeinflussen lässt, sondern ihre individuelle
Subjektivität zum Vorschein bringt.268 Lazarowicz meint, dass die Aktualisierung der
historischen Hildgund-Figur dazu dient, dass Günderrode ihre Vorstellung von der
Frau als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft und als egalitärer Partner des
Mannes ausdrückt. Dadurch werden die zeitgenössischen Grenzen der aufs Private
beschränkten weiblichen Subjektivität gesprengt. Die Dichterin unternimmt also
nichts Geringeres als „eine Ehrenrettung weiblicher Subjektivität“269 und kritisiert die
Objektrolle der Frau in einer männlich orientierten Gesellschaft.

Zu bemerken ist auch, dass die Walther-Figur im Werk entmachtet wird, indem er
so handelt, wie im Patriarchat von einer Frau erwartet wird: Seine privaten Wünsche
und die Bewahrung seiner Liebe sind ihm wichtiger, als das Glück des Volkes. Die
weibliche Figur dagegen, hat eine universelle Vision und zeigt sich entschlossener,
ihre Handlung an das allgemeine Wohl zu orientieren. Die männliche Figur setzt
unmittelbar eine weibliche Figur mit männlichen Zügen voraus und umgekehrt. Die
Gleichberechtigung und die partnerschaftliche Beziehung wären also nach
Günderrode nur dann möglich, wenn die Geschlechter auf einige ihrer Züge
verzichten, oder besser ausgedrückt, sie untereinander austauschen würden.270

267
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 105. In diesem Sinne hat diese Figur u.E. Ähnlichkeiten mit
Johanna von Orleans oder Judith.
268
Vgl. Lazarowicz: Karoline, S. 141.
269
Ebd., S. 144.
270
Vgl. Hort S. und Ingrid G. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur. Ein Handbuch.
Tübingen; Basel: Franke 1995, S. 38 ff.
- 89 -

Günderrodes Entwurf bewegt sich im Rahmen des großen Liebes- und


Androgynitätsentwurfs271 der Romantiker, wie er in Friedrich Schlegels Roman
„Lucinde“ (1799) dargestellt worden war, und ist von Platons „Symposion“
(Gastmahl) beeinflusst.272 Allerdings schafft sie eine weibliche Figur ohne die
Schwäche ihrer Vorbilder. Marlis Gerhardt notiert, dass es im philosophischen
Entwurf der Frühromantik „um die narzißtische Vollkommenheit des Mannes und
kaum um Parteinahme für die Frau“273 ging. Bei Günderrode ist die androgyne
Vollkommenheit kein männliches Privileg, sondern sie stellt eine Vermännlichung
parallel zu einer Verweiblichung dar. Auf diese Weise wird das Androgyne nicht als
eine weibliche Hingabe zu den Zielen des männlichen Anderen praktiziert, was eine
Unterwerfung als Folge hätte.274

In diesem Text geht Günderrode nicht in die Falle der Androgyniekonzepte, die
anstatt von Harmonisierung der Geschlechter nur auf die männliche Vollkommenheit
zielten. Denn die Heldin ist kein Medium zwischen dem Mann und seinem Ziel,
sondern hat eine eigene Bedeutung, sie ist ihr eigenes Medium. Obwohl Günderrode
die Frau als gleichberechtigt und unabhängig schildert, müssen ihre Heldinnen
sterben, damit die androzentrische Ordnung erhalten wird; hier liegt der Widerspruch,
den die Dichterin nicht lösen konnte.

271
Vgl. Gründken: Karoline von Günderrode, S. 28 f. und Becker-Cantarino: Priesterin und
Lichtbringerin, S. 111 ff. Bettine von Arnim schrieb der Frau Rath Goethe, dass ihr Schneider ihr ein
Paar Hosen anfertigte. Varnhagen von Ense sagte seiner Frau Rahel, sie sei ein großer Mann und er das
erste der Weiber, Schleiermacher sprach gern davon, er wäre gern eine Frau. Novalis sagte, der Mann
ist gewissermaßen auch Weib, sowie das Weib Mann. Vgl. Richard Exner: Die Heldin als Held und der
Held als Heldin. Androgynie als Umgehung oder Lösung eines Konfliktes, in: Paulsen, Wolfgang (Hg):
Die Frau als Heldin und Autorin. Neue kritische Ansätze zur deutschen Literatur. Bern und München:
Francke Verlag 1979, S. 26
272
Aristophanes spricht da über das dritte Geschlecht der Menschen. Die ganze Gestalt eines jeden
Menschen war rund, jeder hatte vier Hände, zwei Angesichter, einen gemeinschaftlichen Kopf für
beide einander gegenüberstehende Gesichter und auch zweifache Schamteile. Da diese Urmenschen an
Kraft und Stärke gewaltig waren und auch große Gedanken hatten, wollten sie sich einen Zugang zum
Himmel bahnen, um die Götter anzugreifen. Zeus also und die anderen Götter haben sich entschlossen,
jeden von ihnen in zwei Hälften zu zerschneiden, damit sie schwächer werden. Von diesem Zeitpunkt
an sucht jedes Teil nach seiner anderen Hälfte, damit aus den zwei Teilen wieder eins wird.
273
Gerhardt: Über Macht und Ohnmacht, S. 129.
274
Vgl. Karin Petersen: „Essen vom Baum der Erkenntnis“ – Weibliche Kreativität? In: Dietze,
Gabriele (Hg): Die Überwindung der Sprachlosigkeit. Texte aus der neuen Frauenbewegung.
Sammlung Luchterhand, Frankfurt a.M., 1979, S. 70-81, hier S. 75.
- 90 -

3.2. Das Motiv des Liebestodes

Obwohl in den Gedichten dieser Kategorie der Tod aus Liebe oft eine heroische Tat
einschließt, steht nicht diese Tat im Vordergrund, sondern die Todessehnsucht als
Auflösung des Bewusstseins, Befreiung aus den Fesseln der Individualität und
Rückgang zu dem Urgrund allen Lebens. Günderrode bewegt sich im Rahmen der
massiven Erotisierung des Todes, die mit der deutschen Romantik einsetzt und bei der
– wie Ariès erklärt – die Todesangst mit der Angst vor der Sexualität gleichgestellt
wurde.275 Trennungsangst, Vereinigung im Tod, Todesfolge, unsterbliche Geliebten
sind häufige Motive der Zeit, von denen Günderrode Gebrauch macht.

Hart-Nibbrig bezieht sich auf Günderrode, wenn er über die morbide Kunst der
Romantik schreibt und verbindet ihren Sinn für den Tod mit ihren gescheiterten
Liebesbeziehungen mit Savigny und Creuzer, die sie in ein Subjekt und ein Objekt
des Begehrens aufspalteten und ihre Liebesfähigkeit abtöteten.276 Licher auf der
anderen Seite erklärt die Beschäftigung mit dem Tod nicht durch eine
privatpsychologische Interpretation, sondern verknüpft sie mit der zur Zeit der
Wirkung von Günderrode nachdrücklichen „Tendenz zur Individualisierung der
Liebe, der Aufhebung der traditionellen Zweiteilung von Liebe und Ehe“277, die von
den Romantikerinnen als Bürgerrecht verstanden wurde.

Von Bedeutung ist, dass die Frauenfiguren der Gedichte dieser Kategorie eine
solche Opferbereitschaft zeigen, die ihnen erlaubt, gleichzeitig Opfer und Heldinnen
zu werden. Weigel erklärt, dass die Synthese von Opfer und Held in der Figur der
Märtyrerin dem Opfer einen eigentümlichen Zauber verleiht, so dass die
Opferwilligen durch ihren Objektstatus zu Hauptfiguren werden. In diesem Sinne
könnte man ihre Todessehnsucht auch als einen Versuch der Identitätsbestimmung
interpretieren.278 In den folgenden vier Gedichten werden wir untersuchen, inwieweit
dieses Vorgehensmodell zu Zwecken der Kritik an den herrschenden
androzentrischen Normen benutzt wird oder aber als eine affirmative Haltung

275
Vgl. Philippe Aries: [Essays über den Tod im Westen]. Athen:
Glaros 1988, S. 35.
276
Vgl. Chr.L. Hart Nibbrig: Ästhetik der letzten Dinge. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, S. 242-246.
277
Licher: Mein Leben, S. 349.
278
Vgl. Keller: Nun breche ich in Stücke, S. 12 f. und Weigel: Die geopferte Heldin, S. 140. Weigel
erwähnt Sophie von La Roches „Fräulein von Sternheim“ (1771), Wilhelmine Karoline Wobesers
„Elise oder das Weib, wie es seyn sollte“ (1795) und Luise Mühlbachs „Die Künstlerin“ (1839).
- 91 -

gegenüber dem damaligen literarischen Rahmen (Frühromantik, Sturm und Drang)


interpretiert werden kann.

Bräute des Todes. „Die Malabarischen Witwen“

Zum Flammentode gehn an Indusstranden


Mit dem Gemahl, in Jugendherrlichkeit,
Die Frauen, ohne Zagen, ohne Leid,
Geschmücket festlich, wie in Brautgewanden.

Die Sitte hat der Liebe Sinn verstanden,


Sie von der Trennung harter Schmach befreit
Zu ihrem Priester selbst den Tod geweiht,
Unsterblichkeit gegeben ihren Banden.

Nicht Trennung ferner solchem Bunde droht,


Denn die vorhin entzweiten Liebesflammen
In einer schlagen brünstig sie zusammen.

Zur süßen Liebesfeyer wird der Tod,


Vereinet die getrennten Elemente,
Zum Lebensgipfel wird des Daseins Ende. (G-Wo, 88)279

Das Sonett „Die Malabarischen Witwen“ (aus „Melete“ postum 1906) hat eine
objektive lyrische Perspektive280 und besteht aus vier Strophen: Die zwei ersten haben
vier Verse mit umarmendem Reim (abba), die zwei letzten drei Verse mit einer
Version von Terzinenreim (abb-acc). Das Gedicht spielt in Indien und thematisiert die
Sitte der Verbrennung der Frau eines Gestorbenen zusammen mit seiner Leiche.281
Die Wiederholungen der Wörter Tod, Liebe, Flammen, Trennung, Vereinigung wie
auch anderer sinnverwandten Wörter bestimmen die Atmosphäre des Gedichts, in
dem zwei Teile zu erkennen sind. Der erste besteht aus der ersten Strophe, in der die
Sitte beschrieben wird. Der zweite besteht aus den nächsten drei Strophen, in der die

279
Bei Günderrode (G) steht die Nummer der entsprechenden Seite neben der Quelle (Christa Wolf
(Hg.): Karoline von Günderrode. Der Schatten eines Traumes. Gedichte, Prosa, Briefe, Zeugnisse von
Zeitgenossen. Hamburg/Zürich: Luchterhand Literaturverlag 1981, S. 88).
280
Vgl. Jürgen Link: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe. München: Fink 1993 (1974), S. 344.
281
Westphal erwähnt, dass Günderrode von Creuzer über diese Sitte erfahren haben konnte, durch
Goethes Gedicht „Der Gott und die Bajadere“ (1798) oder durch den dritten Teil von Herders „Ideen“
(1787). Indirekte Quellen wären auch vielleicht das Werk von Gerhard Anton von Halem „Blüthen aus
Trümmern“ (1799), Sonnerats „Reise nach Ostindien und China“ oder J.B. Teverniers Bericht über
„Reisen zu den Reichtümern Indiens“ (1681).Vgl. Westphal: Karoline, S. 131 ff.
- 92 -

Dichterin ihre Interpretation dieser Sitte darstellt, nämlich die Einswerdung der vorher
getrennten Liebenden.282

Der Flammentod der indischen Frauen, die mit ihren gestorbenen Männern
verbrannt werden, wird in der ersten Strophe beschrieben. Diese Frauen folgen der
Tradition ohne Zagen oder Leid. Im Gegenteil wird auf ihren jugendlichen Stolz
hingewiesen und auf die Tatsache, dass sie wie Bräute geschmückt und gekleidet sind.
Dadurch hat der Leser das erste Indiz der Verwandlung des Todesfests in ein
Liebesfest. In diesem Fall wird das Todesbett zum Hochzeitsbett, der Tod wird zur
Ehe. Das Fest ist nicht melancholisch, der Tod wird von Anfang an nicht mit
Melancholie verbunden. In der nächsten Strophe verwandelt Günderrode eine
grausame patriarchalische Sitte in ein Mittel zur Unsterblichkeit für die Liebenden.
Die Sitte wird romantisiert und erhält wegen der Liebe einen besonderen Sinn. Die
Frauen werden vom Schmerz der Trennung befreit und der Tod wird zum Priester der
Liebe, der die Geliebten wie bei einer Trauung vereint.

Fest steht es in der dritten Strophe: Die Geliebten werden nie getrennt, denn die
zwei Flammen der Liebe, die zwei Personen, die früher getrennt waren, werden nun
durch das Feuer vereinigt. So wird der ewige Bund versichert, indem die
Todesflammen zu Liebesflammen werden. Der Bund fürs Leben ist nun ein Bund
auch für den Tod. So geht es auch in der vierten Strophe weiter: Wegen dieser
Vereinigung wird der Tod zur Liebesfeier und das Ende der Existenz wird zum Gipfel
des Lebens, dessen wichtigstes Element die Liebe ist. Der Tod erscheint als die Kraft
der Vereinigung, die die Liebenden zusammenbringt. Die Todessehnsucht ist mit der
Liebe verschmolzen, der Tod wird als Höhepunkt des Lebens erfahren.

Das Gedicht gehört zu denjenigen von Günderrode, in denen nicht nur die Trauer
liegt, dass „eine Erfüllung verwehrt sei, sondern mehr noch die Hoffnung, sie könne
im Tode sich ereignen“283. Die Dichterin verwendet ein sehr verbreitetes romantisches
Motiv: Der Tod ist als Liebesvereinigung gedacht, er wird mit Liebe, mit Brautnacht
wesenseinig. Hart-Nibbrig bezieht sich in seinem Buch „Ästhetik der letzten Dinge“

282
Auch im Gedicht “Adonis Tod“ (G-Wo, 84) aus „Melete“ (postum 1906) wird beschrieben, wie eine
Frau dem Mann nachstirbt. Im Gegenteil dazu entscheidet sich der Mann im Gedicht „Der Trauernde
und die Elfen“ (G-Mo, 66) aus „Gedichte und Phantasien“ (1804) dafür, seine Geliebte sofort zu
vergessen und weiter zu leben.
283
Doris Hopp /Max Preitz: Karoline von Günderrodes Studienbuch. In: Jahrbuch des Freien
Deutschen Hochstifts. Hg von Detlev Lüders. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1975, S. 223-323, hier
S. 238.
- 93 -

gerade auf dieses Gedicht und nennt es als ein Beispiel für das Motiv, dass die Liebe
im Tode am süßesten ist, dass der Tod für den Liebenden zu einer Brautnacht wird.284
Er behauptet, dass dieses Gedicht die Hoffnung, die Günderrode selbst auf den Tod
gesetzt hatte, ausdrückt. Westphal spricht auch von dem Verbrennungsakt als
Ausdruck einer innigsten Liebe, die über den Tod hinaus Gültigkeit besitzt.285

Kaiser zählt verschiedene Motive, wie der gemeinsame Liebestod, das


Verschmelzen von Liebesrausch und Todesekstase, das einander nachsterbende
Liebespaar zu einer Art erotischem Heroismus, der die Liebe so mächtig und ewig
wie der Tod macht.286 Auch Guthke spricht vom literarischen Motiv der
Verwechslung und des Rollentausches von Cupido und Thanatos und erwähnt, dass in
der Phantasie der zwei Generationen um 1800 der Tod als Bräutigam dargestellt
wurde, wobei die Braut in dieser Hochzeit mit dem Tod die Frau war.287 Deswegen
ist, wie Kohlschmidt erwähnt, „nicht das Auftreten des Todesmotivs überhaupt, das
bei einer Novalis-Jüngerin keineswegs zu verwundern braucht, sondern dessen
Akkumulation, die für die Günderrode charakteristisch ist.“288

Lazarowicz meint, dass Günderrode sich des exotisch-mythischen Stoffes auf eine
projizierende Weise bedient, ohne sich um den kulturhistorischen Hindergrund zu
bekümmern: „Der indische Brauch wird auf dem Hintergrund eines europäisch-
bürgerlichen Liebesverständnisses umgedeutet“289. Für diese Idealisierung gibt sie
eine Erklärung, die auf Persönliches hinweist, nämlich auf Günderrodes eigenes
Schicksal seit der Begegnung mit Creuzer. Sie behauptet, dass Günderrode die
Witwen auf eine erzwungene Trennung (durch Tod oder gesellschaftliche Schranken)
dadurch reagieren ließ, dass sie bereit zu sterben waren, damit die Trennung im Tod
aufgehoben wird. Zu dieser Reaktionsweise sei auch die Dichterin selbst bereit, falls
sie ein liebloses Leben führen würde, obwohl hinter diesem Tod um der Liebe willen,
eine enttäuschte Sehnsucht nach Lebensglück verborgen war.290

284
Vgl. Hart Nibbrig: Ästhetik der letzten Dinge, S. 244.
284
Licher: Mein Leben, S. 349.
285
Vgl. Westphal: Karoline, S. 130.
286
Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen, S. 16.
287
Vgl. Guthke: Ist der Tod eine Frau?, S. 110, 168.
288
Kohlschmidt: Ästhetische Existenz, S. 212.
289
Lazarowicz: Karoline, S. 214.
290
Vgl. ebd., S. 215 und Kohlschmidt: Ästhetische Existenz, S. 212.
- 94 -

Dazu sollte man bemerken, dass die Todesphantasien weder individuell noch
vereinzelt sind, sondern Bestandteile der herrschenden Kultur291, die in diesem Fall
von Günderrode imitiert wurden. Auch in Goethes „Der Gott und die Bajadere“
(1797)292, lässt sich feststellen, dass nicht die Sitte kritisiert, sondern die zu lobende
Verwandlung einer Sünderin in eine hingegebene Gattin betont wird. Denn die
Bajadere hatte von Anfang an die für eine Gattin notwendige Eigenschaften: Sie war
heiter, gehorsam und unterworfen wie eine Sklavin. Beide Frauenbilder sind
Stereotype sowohl für die indische Literatur als auch für die europäische orientalische
Literatur und ihr Tod überrascht niemanden. Günderrode vermeidet das Thema der
Sünderin, nicht aber die stereotype Auseinandersetzung mit dem weiblichen Tod.

Die Idealisierung und Romantisierung der Sitte wird im Gedicht von Günderrode
nicht im Zusammenhang mit den historischen Tatsachen betrachtet, denn die
Aufopferung geschieht in der Wirklichkeit aus Gründen der Pflicht und nicht der
individuellen Liebe, wie in diesem Fall angedeutet.293 Im Gedicht ist keine Intention
spürbar, aufgrund des Opfers der unschuldigen Frauen auf die Gesellschaft und ihre
Gesetze Kritik zu üben. Das Klischee der Vereinigung in den Himmel nach dem Tod
und der opferwilligen Bräute, die in diesem Gedicht benutzt werden, leistet nichts
Geringeres als zu beweisen, dass in der männlichen Kultur der Tod des Weiblichen
den Status des Männlichen als Subjekt sichert. Die Witwen tragen durch ihre Tat zur
Sicherung der androzentrischen Ordnung bei und ihre Leichen fungieren – in der
literarischen Bearbeitung der Sitte - als Sündenböcke, sie sind Projektionen des Todes

291
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 517.
292
In Goethes Gedicht ist die Rede nicht von der Gattin des Verstorbenen, sondern von einer indischen
Bajadere, einer Tempeltänzerin. Sie will Sati eines Mannes werden, der starb, nachdem er mit ihr eine
Nacht verbrachte, und springt in die Flammen, auch wenn sie nicht die eigentliche Gattin ist. Der
Mann, der eigentlich Mahadöh, der Herr der Erde war, macht die reuige Sünderin unsterblich und
nimmt sie zu sich in den Himmel.
293
Die Witwenverbrennung ist nicht nur in Indien sondern auch in China verbreitet und noch bis in die
Gegenwart zu beobachten. Die Sitte der Witwenfolge (aber auch die des Mitgiftmordes) erinnert an den
Akt der Hexenverbrennung und ist genau wie dieser in einen sozialen Kontext gebettet, nach dem die
Frau nur dann einen guten Ruf hat, wenn sie ihrem Vater, Mann oder Sohn gehorcht. Dazu gehört auch
das Begehen von Sati (Witwenfolge), das die Frau und ihre Familie ehrenvoll machte und das
Kastensystem, innerhalb dessen Hochzeiten von der Familie arrangiert wurden, sichert. Im anderen Fall
werden die Frauen gesellschaftlich verstoßen. Die Frauen sind gesellschaftliche Mitglieder, die einen
Objektstatus haben; durch ihren Tod werden sie von der symbolischen und tatsächlichen Gemeinschaft
ausgeschlossen, die auf diese Weise ihre Einheit konstituiert und bestätigt. Es handelt sich um eine
androzentrische Gemeinschaft, deren patriarchalische Sitte die Frau zum Objekt, zum Eigentum des
Verstorbenen macht. Die indische Sitte der Witwenverbrennung, die Bestandteil des Brahmanischen
Religionssystems war, garantierte tatsächlich das Überleben der Familie und darüber hinaus der
Gemeinde.
- 95 -

in seiner unvermeidlichen und tragischen Dimension.294 In diesem Sinne schafft


Günderrode eine Heldin, die eine Spiegelung des vom Patriarchat strukturierten
Weiblichen ist.295

Die Verlassene. „Zilia an Edgar“

O Edgar komm! ich wein auf Islands Küste,


Mein müder Blick durchirrt das weite Meer,
Doch, er durchspäht umsonst die Wasserwüste!
Mein Edgar kehret nimmer nimmer mehr.

Ich weine einsam am verlaß'nen Strande


Vom rauhen Nordwind stürmisch nur umsaust;
Und Nebel sinken zum beeisten Lande
Das schäumend wild die hohe See umbraußt.

Nur Tannen wiegen sich im hohlen Winde,


Der Wiederhall seufzt mit am Meeresstrand
Und lange Nacht umringt, wie Grabesschlünde,
Mit dunkeln Trauerschatten Meer und Land.

So muß ich Alles mit mir trauern sehen,


Mein Leben gießt in allen Schmerz sich hin,
In Aller Trauer werd' ich mit vergehen
Wie sich im Meer die Tropfen Thau verziehn.

Drum komm! ich fühle meine Kraft entfliehen,


In Träumen lös't sich mein Bewußtseyn auf.
Der bleiche Lebensfunke wird verglühen,
In tiefen Schmerzen hört mein Daseyn auf. (G-Mo, 17)

Das Gedicht aus der Sammlung „Gedichte und Phantasien“ von 1804 ist eine
nordische Ballade, in der die Liebende dem Geliebten nachstirbt.296 Die Trennung der
Liebenden und konkreter der Liebestod werden hier behandelt.297 Lazarowicz erkennt

294
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 517. Bronfen bezieht sich hier auf die Ikonographie
opferwilliger Bräute und erwähnt dabei auch das Beispiel von Karoline von Günderrodes Selbstmord.
295
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 42.
296
Die Verbindung von Liebe und Tod wird auf eine meisterhafte Weise im Gedicht „Hochroth“ (G-
Wo, 54) aus dem Nachlass behandelt. Im Gedicht „Wo erfrag ich den Freund“ (G-Mo, 402) ebenfalls
aus dem Nachlass nimmt die Natur in hohem Grad am Leiden der Personen teil.
297
Westphal erwähnt, dass es zwischen 1800 und 1803 entstanden ist und bemerkt, dass es ein
ähnliches Naturbild wie Mora und Darthula vermittelt, die Naturschilderungen, die als typisch
ossianisch bezeichnet sind, werden nämlich erneut thematisiert und vertieft. Hinsichtlich der
Quellenfrage bezweifelt Westphal die Meinung Naumanns, die auf Herders „Volkslieder“ hinweist
und die Ansicht vertritt, dass Günderrode den Namen Zilias möglicherweise den von Herder aus dem
Englischen übersetzten Romanzen „Alcanzor an Zaida“ entnommen habe. Westphal sieht eine eher
thematische Parallele zu Herders Gedicht „Das Mädchen am Ufer“. Vgl. Westphal: Karoline, S. 23, 26.
- 96 -

in diesem Gedicht (wie auch in „Liebe“ und „Ariadne auf Naxos“) die subjektive
Authentizität von Günderrode. Nach ihr entspricht das Gedicht der seelischen
Verfassung von Günderrode in einer Zeit, wo ihre Erwartungen von Savigny als
vergeblich und künstlich erwiesen wurden. Deswegen war sie fest davon überzeugt,
dass ein Leben ohne Liebe, dem Leben selbst versagt wird.

Lazarowicz vertritt die Ansicht, dass sich in den beiden letzten Strophen
Günderrodes persönliches Leid um Savigny ausspricht. Sie versuchte nämlich in der
literarischen Fiktion ihre subjektive Erfahrung des Verlassenwerdens literarisch zu
objektivieren.298 Aber auch ihre poetische Aussagekraft ist zu erkennen: Die
Naturbeschreibungen korrespondieren mit der jeweiligen seelischen Befindlichkeit
der Verlassenen, wobei die suggestive Schilderung der Natur ganz vom Schleier der
Trauer umhüllt ist, was ein typisches Merkmal der Dichtung von Günderrode ist.
„Diese gefühlsgefärbte anthropomorphisierende Naturwahrnehmung wird in der
folgenden Strophe auf den Schmerz Zilias bezogen, deren Trauer ihr Leben
verzehrt.“299

Das Gedicht besteht aus fünf Strophen, jede von denen vier Verse mit Kreuzreim
hat. Der Raum steht fest (Islands Küste), nicht aber die Zeit. Die Perspektive ist
subjektiv: Das weibliche lyrische Ich, Zilia, spricht in der ersten Person Singular und
wendet sich an einen Mann, Edgar, der der Adressat des Gedichts ist. Die Absicht des
lyrischen Ich ist Edgar zu überzeugen, wieder zu ihr zu kommen. Mit dieser Bitte
beginnt und endet das Gedicht, da sie zweimal im Imperativ ausgedrückt wird: In der
ersten „O Edgar, komm“ und in der letzten Strophe „Drum komm!“. Andere
Wiederholungen bestimmen die Atmosphäre des Gedichts: Das Verb weinen in der
ersten und zweiten Strophe, die Wörter „Trauerschatten“ in der dritten, „trauern“ und
„Trauer“ in der vierten Strophe, Motive des Vergehens und der Dunkelheit.

In der ersten Strophe wird die Szene dargestellt: Eine Frau, Zilia, sitzt an der
Küste von Island. Sie ist von ihrem Geliebten, Edgar, verlassen und wartet auf ihn.
Auf der einen Seite sucht sie ihn in der Hoffnung, dass er wieder kommt, auf der
anderen Seite ist sie überzeugt davon, dass ihr Warten vergeblich ist. Die Tatsache,
dass die Szene im kalten Norden und vor allem auf einer Insel spielt, wie auch das
Wort „Wasserwüste“ tragen dazu bei, dass die Einsamkeit der Heldin zum Vorschein

298
Vgl. Lazarowicz: Karoline, S. 129.
299
Vgl. ebd., S. 128.
- 97 -

kommt. Die Natur wird nicht nur hier, sondern auch in weiteren Strophen als
Projektion der Situation von Zilia dargestellt; vielmehr macht Zilia die sie umgebende
Natur zu einem Gegenüber, einem Adressaten ihrer Klage, da Edgar nicht anwesend
ist.300

Das Motiv wird in der zweiten Strophe wiederholt und die Einsamkeit wird klar
zum Ausdruck gebracht: Die Frau weint allein verlassen am Strand. Diese
unfreiwillige Isolation zeigt einerseits, dass ihr Dasein von unkontrollierbaren
Mächten gelenkt wird301 aber macht andererseits Zilia und nicht Edgar zur
Hauptperson des Gedichts. Das Bild wird durch Naturphänomene, wie der Nordwind,
der Nebel, das Eis, der Sturm verstärkt, die zeigen, dass die Natur an ihrer Trauer
Anteil nimmt. Die Intensität dieser Phänomene provoziert aber auch Gefühle der
Härte und der Erbarmungslosigkeit; besonders der Nebel weist auf die Unfähigkeit
hin, das Schicksal zu meistern, und lässt schreckliche Ereignisse erwarten.302

In der dritten Strophe kommen Todesmotive vor: Die Tannen wiegen sich in der
Nacht, die wie Grabesschlünde mit Trauerschatten das Meer und das Land umringt.
Der Widerhall weist auf den Mythos von Echo hin, die von Adonis beleidigt wurde
und in eine Höhle kroch, in der sie von nun an lebte. Die unerwiderte Liebe
verschmolz sie, ihre Knochen wurden zum Stein und am Ende blieb sie nur eine
Stimme. Westphal interpretiert das Echo der vereinsamten Natur als die Stimme, die
für das Verlassensein des Menschen spricht. Die Frau leidet an dem verloren
gegangenen Objekt der Liebe, die Natur leidet wegen dem Nebel und der Nacht an
ihrem verloren gegangenen Objekt der Liebe, dem sonnigen fröhlichen Tag.303

Durch die Intensität der Beschreibung und die Erwähnung der Nacht und der
Schatten wird impliziert, dass Zilia allmählich ins Reich der Schatten, des Todes geht
und das Leben verlässt. Zilia befindet sich eigentlich dieser Beschreibung nach schon
in einem Grab, das unendlich tief ist. Die Vernichtung Zilias wird in der vierten
Strophe bestätigt. Alles trauert mit ihr, ihr Leben vergeht in Schmerz. Die Natur wird
als Projektion ihrer Katastrophe benutzt: Sie wird vernichtet, wie sich die Tautropfen
ins Meer verziehen.

300
Vgl. ebd., S. 23.
301
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive, S. 115.
302
Vgl. ebd., S. 239.
303
Vgl. Westphal: Karoline, S. 24.
- 98 -

Die fünfte Strophe korrespondiert mit der ersten, indem Edgar noch einmal
gebeten wird zu kommen. Der Abwesenheit von Edgar folgt auch die von Zilia, da sie
nach dem vergeblichen Warten auf den Geliebten keine Lebenskraft mehr hat. Ihr
Bewusstsein, ihr Ich kann die Qual der Wirklichkeit nicht ertragen und löst sich im
Traum auf, der aber die Grenze ihrer Existenz bildet. Sie hat das Leben mit Träumen
ersetzt, die einen Schritt vor dem Tod sind und ihr Dasein hört aufgrund einer
unerfüllt gebliebenen Liebe in Schmerzen auf.

Die Nähe von Traum und Tod fängt bei Hesiod an, in dessen „Theogonie“ die
mütterliche Gestalt einer Urnacht - Nyx - zwei Kinder unter ihrem dunklen Mantel
hält, den Schlaf und den Tod. Daher ist auch die Verbindung von Nacht und Tod im
Gedicht zu erklären, zumal die Nacht die Zeit und der Ort der Toten ist. Hopp und
Preitz meinen, dass Günderrode in diesem Gedicht den Tod als Freund erscheinen
lässt, der Erlösung vom Leiden bringt: „Allmählich setzt sich dann die Hoffnung
durch, der Tod brauche nicht notwendigerweise ein Ende bedeuten sondern könne
auch der Übergang zu einer anderen Form der Existenz sein.“304

Was Günderrode eigentlich in diesem Gedicht in Bezug auf die weibliche Figur
benutzt, ist das Klischee der Vernichtung der Frau nach einer gescheiterten
Liebesromanze. Insofern bewegt sie sich im Rahmen des herrschenden Diskurses. Die
weibliche Figur reagiert passiv, lässt ihr Leben von der Abwesenheit des Mannes
bestimmt werden und verschmilzt quasi mit der Natur. Gerade diese Gleichsetzung
der Frau mit der Natur wurde von Simone de Beauvoir305 und dann von Silvia
Bovenschen306 als der Grund für den Ausschluss der Frau aus der Kultur geführt, da
die Sphären Kultur und Natur im zivilisatorischen Prozess unvereinbar sind.

Bei der Figur von Zilia kann also keine Umkehrung des herrschenden Diskurses
dargestellt werden, da die Todesvorstellung der Frau kein Moment der Macht,
sondern Gipfel ihrer Entmachtung ist. Günderrode folgte in diesem Gedicht der
männlichen Optik: Ihre Heldin ist die Spiegelung der tradierten
Weiblichkeitsimaginationen der patriarchalischen Kultur, nach denen die Frau als das
Vorindividuelle und Undifferenzierte erscheint307, sie lebt im engen Rahmen der

304
Hopp/Preitz: Karoline von Günderrodes Studienbuch, S. 239.
305
Vgl. De Beauvoir: . [Le Deuxiéme Sexe], S. 159 f.
306
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 31 f.
307
Vgl. Lenk: Die sich selbst verdoppelnde Frau, S. 87 und Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit,
S. 42 f.
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androzentrischen Ordnung, ist durch Natur- und Gattungsgesetze bestimmt und stirbt
passiv und unheroisch.

Die sich Aufopfernde. „Die Bande der Liebe“

Ach! Mein Geliebter ist tot! er wandelt im Lande der Schatten


Sterne leuchten ihm nicht, ihm erglänzet kein Tag
Und ihm schweigt die Geschichte; das Schicksal der Zeiten
Alles starb ihm mit ihm, mir ist er doch nicht gestorben
Denn ein ewiges Band eint mir noch immer den Freund.
Liebe heißet dies Band, das an den Tag mir geknüpft
Hat die erebische Nacht, Tod mit dem Leben vereint.
Ja ich kenne ein Land, wo Tode zu Lebenden reden
Wo sie, dem Orkus entflohn, wieder sich freuen des Lichts,
Wo von Erinn’rung erweckt, sie auferstehn von den Todten
Wo ein irdisches Licht glühet im Leichengewand.
Seliges Land der Träume! wo, mit Lebendigen, Todte
Wandeln, im Dämmerschein, freuen des Daseyns sich noch.
Dort, in dem glücklichen Land, begegnet mir wieder der Theure,
Freuet, der Liebe, sich meiner Umarmungen noch;
Und ich hauche die Kraft der Jugend dann in den Schatten,
Daß ein lebendig Roth wieder die Wange ihm färbt,
Daß die erstarreten Pulse vom warmen Hauche sich regen,
Und der Liebe Gefühl wieder den Busen ihm hebt.
Darum fraget nicht, Gespielen! was ich so bebe?
Warum das rosige Roth lösht ein ertödtendes Blaß?
Theil ich mein Leben doch mit unterirdischen Schatten,
Meiner Jugend Kraft schlürfen sie gierig mir aus. (G-Wo, 76)

Die Vereinigung mit dem toten Geliebten wird im Gedicht „Die Bande der Liebe“
(aus „Gedichte und Phantasien“, 1804) thematisiert.308 Das Gedicht hat keine
Strophen, sondern besteht aus 23 Versen ohne Reim.309 Die Perspektive ist subjektiv:
Eine Frau spricht über sich selbst und ihren Geliebten aus Anlass seines Todes.310 Ein

308
Die Liebe in Ober- und Unterwelt wird auch im Gedicht „Überall Liebe“ (G-Wo, 92) aus „Melete“
(postum 1906) behandelt. Aus derselben Sammlung stammen auch die „Briefe zweier Freunde“. Im
ersten Brief „An Eusebio“ liest man: „[…] laß mich gemeinsam mit dir in den Orkus gehen und mit dir
zu den unsterblichen Göttern, denn nicht möcht’ ich leben ohne dich, der du meiner Gedanken und
Empfindungen liebster Inhalt bist, um den sich alle Formen und Blüthen meines Seyns herumwinden,
wie das labyrinthische Geäder um das Herz, das sie all’ erfüllt und durchglüht.“ (G-Wo, 122).
309
Ihre formalen Vorbilder dafür sind möglicherweise Novalis mit seinen freien rhythmischen
Gesängen und Hölderlin mit den zu freien Rhythmen übergehenden Hymnen und Elegien. Vgl.
Wolfgang Beutin (Hg.): Deutsche Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 5.
überarbt. Aufl. Stuttgart; Weimar: Metzler 1994, S. 178, 192.
310
Die Problematik des Nachsterbens ist sowohl im Gedicht „Die Malabarischen Witwen“ (G-Wo, 88),
als auch in folgendem Brief von Günderrode zu begegnen. Sie schrieb am 25.04.1805 an Friedrich
Creuzer: „Werde ich gewaltsam meines Lebens Faden zerreißen, wenn Du stirbst? Werde ich geduldig
- 100 -

Adressat, die Gespielen, die die Funktion des antiken Chorus haben, kommt erst in
Zeile 20 vor. Das Gedicht spielt in drei Räumen: Im Land der Lebenden, der Schatten
und der Träume, durch die sich das weibliche lyrische Ich bewegt. Obwohl die
Zeitproblematik im Sinne der Ewigkeit von Bedeutung ist, ist eine bestimmte Zeit im
Gedicht nicht festgestellt. Folgende inhaltliche Teilung ist im Gedicht festzustellen: 1.
Teil (Zeile 1-3), 2. Teil (Zeile 4-7), 3.Teil (Zeile 8-13), 4. Teil (Zeile 14-19), 5. Teil
(Zeile 20-23).

Im ersten Teil (Zeile 1-3) übernimmt das weibliche lyrische Ich die Position des
Überlebenden und Betrachters, die kulturell als männlich konstruiert wird311, und
beweint den Geliebten, der tot ist und nun im Lande der Schatten lebt. Weder scheint
die Sonne in diesem Land, noch leuchten die Sterne, sondern es herrscht die absolute
Finsternis. Der Geliebte existiert dort außerhalb der Gesetze von Geschichte und
Zeiten. Erst auf Zeile 9 wird ein Name für diesen Ort genannt: Es handelt sich um das
Reich von Orkus, auf griechisch Hades. In diesem Gedicht wird auf den dritten
göttlichen Bruder hingewiesen312, den Herrscher der Unterwelt. So sind die Schatten
und der Mangel an Sterne zu erklären, da diese Unterwelt von ewigem Nebel und
unbeweglichen Wolken bedeckt ist. Der Mangel an Sterne korrespondiert auch mit
einem Mangel an Hoffnung, Trost und Sicherheit, so dass die Nacht zu einer
feindlichen Macht wird.313

Das Unwiderrufbare des Todes wird allerdings im zweiten Teil (Zeile 5-7)
bezweifelt. Auch wenn der Geliebte für alle gestorben ist, bleibt er für das lyrische Ich
noch am Leben, verbunden mit der Frau durch den ewigen Bund der Liebe. Mit dem
Tod wird also kein ausweglos erscheinendes Ende gesetzt, da allein die Liebe über
den Tod hinaus die Trennung der Liebenden aufzuheben vermag.314 Durch eine
Lichtmetaphorik kommt dieser Gedanke deutlicher zum Ausdruck. Die Liebe vereint

und zaghaft genug sein, ein freuden- und bedeutungsloses Leben zu ertragen.“ zitiert nach
Weißenborn: „Ich sende Dir ein zärtliches Pfand“, S. 217.
311
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 179.
312
Im Gedicht „Ariadne auf Naxos“ (vgl. diese Arbeit, S. 101) nehmen an der Handlung Zeus, der
Herrscher des Himmels und Poseidon, der Herrscher des Meeres teil. Interessant ist, dass im Gedicht
der Name Orkus (Hades) und nicht Pluto verwendet worden ist. Der anfängliche Gott Hades war eine
dunkle und furchtbare Figur, die alle terrorisierte; deswegen wurde er selten mit seinem Namen
benannt. Mit der Zeit änderte sich diese Figur und wurde zu Pluto, der ein eher wohltätiger Gott war;
von ihm hing die Fruchtbarkeit der Erde ab und er schenkte den Menschen ihren Reichtum.
Günderrode wählt den ursprünglichen gewalttätigen Gott, damit der Unterschied zwischen den
Lebenden und den Toten nicht gemildert, sondern grausamer wird.
313
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur, S. 234 f.
314
Vgl. Westphal: Karoline, S. 28.
- 101 -

den Tag mit der Nacht, das Leben mit dem Tod, die lebende Frau mit dem
gestorbenen Mann. Es muss bemerkt werden, dass in der griechischen Mythologie
Hades über die Dunkelheit der Unterwelt herrscht, im Gegensatz zu Zeus, der Macht
über das Licht der Welt der Lebenden hat.

Der Ort, wo diese Vereinigung stattfindet, wird im dritten Teil (Zeile 8-13)
beschrieben. Im Land der Träume315 gehen die Lebenden neben den Toten und alle
genießen diese neue Form der Existenz. Westphal bemerkt, dass der Traum eine
transzendierende Qualität hat, die Vergangenheit und Zukunft an eine andere Realität
bindet. In dieser Realität sind die Antinomien des Tages in der idealen Sphäre der
grenzüberschreitenden Nacht aufgehoben.316 Die Lichtmetaphorik wird auch hier
benutzt: Die Toten entfliehen durch ihre Auferstehung dem Hades und kommen
zurück auf die Erde, zum Licht, das für das Leben steht,317 wo sie im Dämmerschein
mit den Lebenden kommunizieren. Was sie erweckt hat, ist die Erinnerung
derjenigen, die sie geliebt hatten und immer noch lieben. Besonders wichtig ist, dass
die Toten mit den Lebenden sprechen; da das Reich von Orkus stumm ist, zeigt das
Gespräch den Übergang zu einer neuen Situation, zu einem neuen Ort.

Der Übergang vom Reich der Toten zum Reich der Träume wird mit Hilfe der
Liebe eventuell durch die Schatten verwirklicht, die im Allgemeinen als literarische
Darstellung des Unbewussten dienten. Hille erwähnt, dass Günderrode mit dem
Traum meistens mythische Räume, wie das Innere der Erde oder den Orkus, wo die
Handlung dieses Gedichtes spielt, verband.318 Außerdem zeigten die Romantiger

315
Eine ähnliche Funktion hat der Traum auch in den Gedichten „Liebe“ (G-Wo, 54) aus „Gedichte
und Phantasien“ (1804) und „Der Kuß im Träume“ (G-Wo, 68) aus „Poetische Fragmente“ (1805).
316
Vgl. Westphal: Karoline, S. 28.
317
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur, S. 212 ff.
318
Vgl. Hille: Karoline, S. 50. Günderrode schrieb im April 1804 an Claudine Piautaz: „Ich kehre in
mich selbst zurück und erschaffe mir eine andere Welt; leicht Träume umschweben mich, mein
Bewußtsein verliert sich in der Betrachtung. So mag es einem Sterbenden sein, das Bewußtsein wird
immer schwächer und unterbrochner; Träume umhüllen es immer dichter und vermählen sich mit den
Gestalten der Wirklichkeit, bis diese ganz schwinden und der Träumer zum Traum wird. Das helle
Bewusstsein ist drückend, es ist immer mit tausend Schmerzen verbunden, es kann die Zeit nicht
vergessen und knüpft mit unseligen Banden an die Erde und die Zeitlichkeit, darum weiß das
Bewusstsein von keiner Ewigkeit. Aber in Träumen ist die Ewigkeit, da gelten nicht die Berechnungen
der Zeit, im Traum ist Seligkeit, und alle Seligkeit ist nur erträumt – die Ewigkeit ist das Land der
Träume.“ zitiert nach Weißenborn: „Ich sende Dir ein zärtliches Pfand“, S. 126. Die Verbindung des
Traumes mit dem Tod, die äußerst wichtig für das Verständnis ihrer Denkweise ist, erfolgte im
„Eusebio-Brief“ aus „Melete“ (postum, 1906): „[...] ich habe auf dem Scheidepunkt gestanden
zwischen Leben und Tod. Was sträubt sich doch der Mensch: sagte ich in jenen Augenblicken zu mir
selbst, vor dem Sterben? Ich freue mich auf jede Nacht, indem ich das Unbewußtseyn und dunkele
Träumen dem hellen Leben vorziehe, warum grauet mir doch vor der langen Nacht und dem tiefen
- 102 -

reges Interesse an Traumdeutungen, Tagträumen und Möglichkeiten der Erweiterung


des Wahrnehmungsvermögens und des Bewusstseins.319

Der Traum ist im Gedicht als Treffpunkt der Liebenden in der Ewigkeit
geschildert. In diesem seligen und glücklichen Land findet die Frau im Gedicht ihren
Geliebten wieder, der ihre Liebe und Umarmungen genießt. Das erhält eine besondere
Bedeutung, wenn man daran denkt, dass jeder in der Unterwelt akzeptiert wurde, aber
niemand zurückkehren konnte.320 Die Begegnung der Liebenden findet im vierten
Teil (Zeile 14-19) statt. Da beschreibt die Frau, wie sie durch die Kraft ihrer Jugend
dem Mann wieder Leben und Gesundheit gibt. Das Blut färbt seine Wange, Pulse
regen sich, er empfindet das Gefühl der Liebe. Der Tote lebt nicht nur in der
Erinnerung der trauernden Geliebten weiter, sondern bleibt mit ihr ewig verbunden
und erhält durch sie seine Existenz.

Im letzten Teil des Gedichts (Zeile 20-23) wendet sich das lyrische ich an die
Lebenden, die sich darüber wundern, warum sie allmählich ihre Kraft verliert.
Günderrode bedient sich folgender Farbmetaphorik: Was die Assoziationen über den
toten Mann angeht, denkt man zuerst an das Weiße des Leichengewands und dann an
das Rote, das seine Wange färbt. Nun wird in diesem Teil klar, dass es für die lebende
Frau das Gegenteil gilt; das rosige Rot des Lebens wird zur Totenblässe. Günderrode
spielt hier mit den Farben: Rot erscheint im Zusammenhang mit der Liebeserfahrung
aber auch mit der Vitalität, weiß symbolisiert die Schönheit, aber oft auch den
Schrecken und den Tod.321 Dadurch wird ihre Erklärung gegeben: Sie steht zwischen
Leben und Tod, teilt sich selbst mit unterirdischen Schatten, die ihre Kraft, ihr Leben
einsaugen. Der Tote fängt an zu leben, denn die Lebende fängt an zu sterben.

Westphal meint, dass die Klage um den verstorbenen Geliebten sich in eine
Entscheidung seitens der Frau entwickelt, ihr Leben mit dem Tod umzutauschen, was
die über den Tod hinausreichende Macht der Liebe bedeute. Das kalkulierte und
intendierte Nachsterben der Frau wird als Moment höchster Liebesempfindung

Schlummer? [...] Eine Notwendigkeit gebiert uns alle in die Persönlichkeit, eine gemeinsame Nacht
verschlinget uns alle.“(G-Wo, 115)
319
Zum Thema Traum wurde Günderrode von den Einstellungen von Novalis und Jean Paul
beeinflusst. Vgl. Maria Peter: Zwischen Klassik und Romantik. Karoline von Günderrode. In: Das
Goldene Tor. Monatsschrift für Literatur und Kunst, hg von Alfred Döblin 4. Jahrgang, Verlag von
Moritz Schauenbung in Lahr (Schwarzwald) 1949, S. 467.
320
Nur Herakles, Orfeus, Theseus, Peirithus und Odysseus besuchten Hades und kamen wieder in die
Welt der Lebenden zurück. Hades selbst verließ selten sein Reich.
321
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive, S. 133.
- 103 -

verstanden, die der ersehnten Vereinigung der Liebenden im Traum folge.322 Im Falle
der Liebe nach der romantischen Totalitätsidee bildet der Tod keinen Gegensatz,
sondern eine Bedingung: Keine Trennung vom geliebten Anderen erfolgt wegen der
Endlichkeit menschlichen Lebens, denn der Tod garantiert die ewige Vereinigung der
Geliebten in der unendlichen Gegenwart. Nach Licher ist für die Günderrode der Tod
ein Ort, wo ihr der geliebte Andere zur Poesie, zum unverlierbaren Unsterblichen
wird.323

Hinter dieser Erklärung ist aber ein anderes Motiv zu finden: Gemeint ist das
Vampir-Motiv, das seit Anfang des 18. Jahrhunderts in eine gesamteuropäische
Vampirhysterie und –mode entwickelt hat.324 Selbst Clemens Brentano hatte im April
1802 in einem Brief an Günderrode Folgendes geschrieben: „Ich trinke Deine
Gesundheit mit jedem Blick, den ich dem Frühling tue, und jeder meiner Gedanken an
Dich ist eine Gesundheit, die ich dem Frühling zutrinke.“325 Das Motiv, das
Vereinigung und Tod, Ewigkeit und Ineinanderfließen beinhaltet und einen erotisch-
makabren Reiz hervorruft hat in der Welt der Literatur floriert. In diesem
Zusammenhang ist der Tod ein Eingang zur Unsterblichkeit und der Traum, also ein
Zustand, in dem die Person nach der Begegnung mit dem Vampir fast unbewusst
wird, ist der Ort zwischen dem Leben und der Vernichtung, wo die ersehnte
Vereinigung mit dem Objekt der Sehnsucht verwirklicht wird.326

Die Liebe als Doppelgänger des Todes scheint im Gedicht die Frau nicht glücklich
zu machen. Nirgendwo im Gedicht steht, dass die Frau sich für die Aufopferung ihres
Lebens bewusst und ohne Zögern entscheidet, wie der Fall im Gedicht „Die
Malabarischen Witwen“ ist. Nur die Toten freuen sich des Lichtes (Zeile 9) und der

322
Vgl. Westphal: Karoline, S. 29.
323
Vgl. Licher: Mein Leben, 1998, S. 28f. In ihrem Dramolet „Immortalita“ (‚Gedichte und
Phantasien’, 1804) gibt es das Motiv der grenzenlosen Unsterblichkeit in Liebe, die auch zur
Selbsterkenntnis führt.
324
Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen, S. 54 ff., 86. Kaiser erwähnt, dass vor allem deutsche
Universitäten dieser Zeit sich in aufklärerischem Ernst dieses Phänomens annehmen und ihm so eine
Bedeutung diesseits des Aberglaubens verschaffen. Er erwähnt auch das Standardwerk des
Vampirismus, die „Dissertation sur les apparitions des anges, des démons et des esprits, et sur les
revenants et vampires de Hongrie, de Boheme, de Moravie et de Silésie“ des Benediktinermönches
Dom Calmet aus dem Jahre 1746. Die Ballade von Gottfried August Bürger „ Lenore“ (1773), Goethes
„Braut von Korinth“ (1797), Heinrich Heines „ Die Jungfrau schläft in der Kammer“ (1826), natürlich
Bram Stokers „Dracula“ (1897) gehören zu den Standardwerken der literarischen Vampir-Mode, die
unter anderem auch von Lord Byron gefördert wurde.
325
Clemens Brentano, zitiert nach Weißenborn. „Ich sende Dir ein zärtliches Pfand“, S. 88.
326
Eine solche Aufopferung geschieht nur seitens der Frau. Im Gedicht „Der Trauernde und die Elfen“
(aus „Gedichte und Phantasien“ 1804, G-Mo, 66) vergisst der am Anfang untröstliche Mann seine tote
Geliebte sofort nachdem sich die Schönste der Elfen ihm nähert und tanzt auf dem Grab der Frau.
- 104 -

geliebte Tote ihrer Liebe (Zeile 15). Im Gegenteil verrät ihre Antwort auf den Chorus
eher ein passives Gelassen-Werden, eine Entmachtung („Meiner Jugend Kraft
schlürfen sie gierig mir aus“, Zeile 23). Diese Antwort beleuchtet die Gefühle der
Frau und kehrt die Bedeutung des Gedichts um. Wäre die Frau nach dem Tod des
Geliebten im Vordergrund, in einer quasi Subjekt-Position wegen ihrer Rolle als
Trauernde327, rutschte sie durch ihre Vernichtung sofort in ihren vorherigen
Objektstatus zurück, nachdem der Geliebte wieder belebt wurde.

Auf diese Weise ist es Günderrode möglich, aus einer traditionellen Geschichte
weiblicher Aufopferung eigentlich die Position der Frau in der androzentrischen
Ordnung zu thematisieren. Die Pluralform auf Zeile 23 weist daher auf eine weitere
Gruppe als den eigenen Geliebten hin, auf eine Gesellschaft von Vampir, die die Frau
entkräften. Tatsächlich ist das Vampir-Thema ein zentraler Tropus westlicher
Einstellung zum Tod. Bronfen ordnet Vampirgeschichten in den hysterischen Diskurs
ein, denn das Opfer des Vampirs erkennt wie die Hysterikerin eine Leere in der
symbolischen Ordnung und ist ihrer Nicht-Existenz bewusst, wobei ihre fließende
Position sie außerhalb der symbolischen Ordnung stellt.328

Die Frau im Gedicht als Vampir-Opfer akzeptiert wie die Hysterikerin ihre
Spaltung und bewahrt sich eine fließende Grenze zum Unbewussten, zum Traum. Da
es um ein Gedicht geht, kann die Handlung nicht weiter entwickelt werden; die
weibliche Person stellt jedoch ihren Körper vor dem Chorus dar als Mahnmal der
Entmachtung, die die Aufopferung hervorruft und gleichzeitig als Symbol der
notwendigen Tötung der Frau zwecks des Überlebens (und Belebens) der
herrschenden Ordnung. Günderrode reproduziert dabei die männlichen Projektionen
des Weiblichen329 als eine sich für den Geliebten aufopfernden Frau, schafft aber
gleichzeitig einen Riss auf diesem Bild, der Spuren der Anzweiflung erlaubt.

327
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 98. Bronfen meint, dass wenn die patriarchalische Kultur den
Tod der weiblichen Position zuordnet, dann begreift sie zwangsläufig das Überleben als „männlich“. In
diesem Sinne ist der Augenblick des Überlebens ein Augenblick der Macht des Subjekts.
328
Vgl. ebd., S. 451 ff.
329
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 42.
- 105 -

Die Betrogene. „Ariadne auf Naxos“

Auf Naxos Felsen weint verlassen Minos Tochter.


Der Schönheit heisses Flehn erreicht der Götter Ohr.
Von seinem Thron herab senkt, Kronos Sohn, die Blitze,
Sie zur Unsterblichkeit in Wettern aufzuziehen.

Poseidon, Lieb entbrannt, eröffnet schon die Arme,


Umschlingen will er sie, mit seiner Fluthen Nacht.
Soll zur Unsterblichkeit nun Minos Tochter steigen?
Soll sie, den Schatten gleich zum dunklen Orkus gehn?

Ariadne zögert nicht, sie stürzt sich in die Fluthen:


Betrogner Liebe Schmerz soll nicht unsterblich seyn!
Zum Götterloos hinauf mag sich der Gram nicht drängen,
Des Herzens Wunde hüllt sich gern in Gräbernacht. (G-Wo, 56 f.)

Die enge Verflechtung von Tod bzw. Selbstmord und Liebe wird auch im Gedicht
„Ariadne auf Naxos“330 (aus „Gedichte und Phantasien“, 1804) thematisiert.331 Das
Gedicht wurde vermutlich im Sommer 1801 geschrieben332 und besteht aus drei
Strophen ohne Reim, die alle vier Verse haben. Die Perspektive ist objektiv, es wird
die Geschichte von Ariadne, der Tochter von König Minos, erzählt. Somit sind auch
der Raum und die Zeit bestimmt: Ariadne befindet sich auf Naxos, nachdem sie dort
von Theseus verlassen wurde.

Günderrode bezieht sich auf den Mythos von dem Minotaurus, dem zufolge Athen
dem König Minos auf Kreta jedes Jahr Kinder schickte, die dem Minotaurus zum
Fraß vorgeworfen wurden. Theseus fuhr auch nach Kreta unter den Kindern, damit er
das Ungeheuer im Labyrinth tötet und Athen von der makabren Pflicht befreit.
Ariadne half ihm mit einem Wollknäuel den Weg aus dem Labyrinth zurück zu
finden, er entführt sie und verlässt sie dann auf der Insel Naxos.333 Nach diesem
Zeitpunkt hat der Mythos zwei Versionen: Nach der ersten findet Dionysos die
verlassene Ariadne und vermählt sich mit ihr. Nach der zweiten, stürzt sich Ariadne

330
Denselben Titel (Ariadne auf Naxos) hat auch die mythologische Kantate von Gerstenberg (1765)
und später die Oper von H. v. Hofmannsthal (1912) mit der Musik von R. Strauss und das Drama von
P. Ernst (1913). Vgl. Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher
Längsschnitte. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 8. Aufl. 1992, S. 56 ff.
331
Das Motiv des Sturzes in den Tod und der Vernichtung im Meer findet man auch im
„Apokalyptischen Fragment“ aus „Gedichten und Phantasien“ (1804): „Ich wollt mich hinstürzen in
das Morgenroth, oder mich tauchen in die Schatten der Nacht, um mit in ihre Eile gezogen zu werden,
und nicht so langsam zu leben; […] Aber es war ein dunkles Gefühl in mir, als habe ich geruht im
Schoose dieses Meeres“ (G-Wo, 107).
332
Vgl. Lazarowicz: Karoline, S. 130.
333
Vgl. Frenzel: Stoffe der Weltliteratur, S. 56 ff.
- 106 -

ins Meer und ertrinkt. Günderrode gestaltet den antiken Mythos frei, indem beide
Zeus und Poseidon Ariadne begehren, wobei am Ende die mythische Figur sich keine
neue Liebe, sondern den Freitod wünscht.

In der ersten Strophe hört Zeus, Kronos Sohn, wie Ariadne, von Theseus
verlassen, auf den Felsen von Naxos weint und fleht. Günderrode bezieht sich hier auf
verschiedene Mythen, nach denen Zeus von vielen schönen Frauen verlockt wurde:
Nicht nur der Schmerz und das Gebet von Ariadne bewegen ihn ihr zu helfen und sie
von ihrer Qual zu befreien, sondern auch ihre Schönheit. Zeus hat nämlich die
Absicht, ihr die Unsterblichkeit zu verschenken. Deswegen senkt er seine Blitze,
damit sie auf den Olymp steigt und als Unsterbliche bei ihm lebt.

Auf der anderen Seite steht Poseidon der sie auch liebt und leidenschaftlich
begehrt. Sein Begehren würde aber für Ariadne nicht die Unsterblichkeit sondern den
Tod bedeuten. Seine Absicht, die in der zweiten Strophe beschrieben wird, ist, sie mit
seinen Fluten zu umschlingen und wie einen Schatten in die Nacht zu bringen, also
zum Tod. So wird der Selbstmord mit dem Liebesakt auf einen gemeinsamen Nenner
gebracht. Ariadne ist in diesem Zeitpunkt mit drei Männern konfrontiert, aus denen
der eine (Theseus) sie verlassen hat, der andere (Zeus) ihr die Unsterblichkeit bietet
und der dritte (Neptun) den dunklen Orkus schenkt. Die zwei letzten Verse dieser
Strophen stellen in Form von Fragen das Dilemma dar, in dem sich Ariadne befindet.

Die Antwort wird in der letzten Strophe des Gedichts gegeben. Poseidon hat sie
gewonnen: Die mythische weibliche Figur trifft ohne zu zögern die Entscheidung zu
sterben und stürzt sich in die Fluten des Meeres. Die Hochzeit mit dem Nichts wird
dadurch vollzogen. Die Wahl des Todes im Wasser hat eine interessante Kodierung:
Das Wasser hat – wie die Weiblichkeit – ambivalente Bedeutungen. Einerseits wird es
wegen seiner Formlosigkeit oft dem Chaos gleichgestellt und andererseits ist es auch
Sinnbild für Leben und Wiedergeburt nach der Reinigung von den Sünden. Man
findet hier dieselbe Wirkung wie bei der Weiblichkeit in der herrschenden Kultur,
nämlich sowohl die lebensspendende wie auch die zerstörende Kraft. Indem Ariadne
sich ins Meer stürzt, vereinigt sie diese zwei Mächte.

Im zweiten Vers wird auch die Erklärung für ihre Tat gegeben. Der Schmerz einer
betrogenen Liebe soll nicht unsterblich sein, im Gegenteil der Tod kann die Heilung
für die Wunde des Herzens sein. Ariadne bestimmt ihren Tod und sieht ihn als
- 107 -

Erlösung aus dem Martyrium des Verlassens. Von dieser Idee überzeugt schreibt
Günderrode vier Jahre nach der Entstehung des Gedichts, im Oktober 1805, an Carl
Daub: „viel schlimmer ist es leben als sterben“334. Lazarowicz bemerkt, dass
Günderrode in Aktualisierung des antiken Mythos den Freitod der Ariadne als
allgemeingültiges Paradigma für die Reaktion einer enttäuschten Liebenden
gestaltete. Sie ist auch der Meinung, dass das Gedicht in den letzten drei Zeilen
authentisch Erfahrenes ausspreche. Es sei ein Versuch, mittels literarischer
Objektivierung die eigenen schmerzvollen Erfahrungen, die mit der problematischen
Beziehung zu Savigny in Verbindung standen, zu bewältigen. Die Dichterin nehme in
diesem Fall die antike Sage nur zur Vorlage für eigene Ausdrucks- und
Gestaltungsbedürfnisse.335

Was bemerkenswert ist, ist der Mangel an Zögern, was Ariadnes Entschluss für
ihren Selbstmord bezeichnet, der mit den der Frauen im Gedicht „Die Malabarischen
Witwen“ vergleichbar ist. Der Todeswunsch fungiert als eisiger Trost des Nichts, der
Tod ist vielmehr ein Heiler der Liebeswunden. Das Motiv des Selbstmords wird hier
im Sinne einer freien Entscheidung verwendet, auch wenn der Grund der
Selbstvernichtung die Verzweiflung ist. Der Frei-tod be-freit aus einer ausweglosen
Situation, wobei die Frau ihr Schicksal im Augenblick der Selbstzerstörung
meistert.336 Nach Peter spiegelt sich das Vom-Tode-Umwittertsein am deutlichsten in
diesem gewandelten Mythos: „I h r Gott ist ein Tremendium, ein erebischer, ein
Gewaltiger, Poseidon, durch dessen Epiphanie sie sich dem Orkus vermählt.“ 337

In diesem Fall setzt Ariadne durch ihren Freitod ein Zeichen, denn sie erhält die
Rolle des selbstbestimmenden Subjekts und nicht die des fremdbestimmten Objekts.
Ihre Selbstvernichtung ist ein Moment von Kontrolle, weil die Selbst-Auflösung
ebenfalls ein Akt der Selbst-Konstruktion ist.338 Hätte sie den Vorschlag von Zeus
akzeptiert, würde sie ein Leben als unsterbliche, jedoch stets betrogene Geliebte von
Zeus in seinem Schatten führen. Würde sie ewig auf Theseus warten, wäre ihr Leben
immer von seiner Abwesenheit bestimmt, wie im Falle von Zilia. Der Selbstmord
antwortet mit Gewalt auf die Gewalt der männlichen Ordnung, wobei die Vermählung
mit dem Tod unter diesen Umständen als ein Akt der Selbstbehauptung scheint, den
334
zitiert nach Weißenborn: „Ich sende Dir ein zärtliches Pfand“, S. 255.
335
Vgl. Lazarowicz: Karoline, S. 130.
336
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive, S. 281.
337
Vgl. Peter: Zwischen Klassik und Romantik, S. 469.
338
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 208.
- 108 -

Günderrode für ihre Heldin auf dem Umweg der stereotypen Selbstvernichtung
gewinnt.339

Den offenbaren Widerspruch dieses Gedankens versucht Bronfen zu erklären,


indem sie den Selbstmord der weiblichen Figur der Produktion eines
autobiographischen Textes gleichstellt:

Die Entscheidung für den Tod erscheint als weibliche Strategie, innerhalb derer das
Schreiben mit dem eigenen Körper ein Mittel ist, die mit dem weiblichen Körper
verbundene Unterdrückung abzuschütteln. Das Inszenieren von Entkörperung als einer
Flucht aus persönlichen und sozialen Zwängen dient dazu, die kulturellen
Einstellungen zu kritisieren, die den weiblichen Körper auf eine Position von
Abhängigkeit und Passivität, auf ein verletzliches Objekt sexueller Übergriffe
reduzieren. Weiblicher Suizid kann, so sehr er als Niederlage erscheinen mag, als
Tropus für eine weibliche Strategie des Schreibens innerhalb der Zwänge patriarchaler
Kultur fungieren. 340

Die Tötung des eigenen weiblichen Körpers wird als Kritik an der kulturellen
Konstruktion des Weiblichen als totes, von anderen beherrschtes Bild empfunden und
als Formung eines autonomen Selbstbildes. Weil die Position der Frau in der
symbolischen oder kulturellen Ordnung die des weiblichen Körpers ist, kann die
Vernichtung ihres Körpers von der Frau selbst als die Zerstörung der Möglichkeit
verstanden werden, dass er zum Ort des Begehrens gemacht wird. Daher wird auch
ihre von den Gesetzen der Kultur vorgeschriebene unterlegene Position nicht mehr
wirksam. Indem die Frau ihren Körper selbst vernichtet, vernichtet sie auch die
Geschlechter-Konstruktion.341

Durch diese Entkörperung bleiben die Frauen in einer ambivalenten Haltung


zwischen Subjektivität und Wiederholung äußerer Bezeichnung und Stilisierung. Die
Frau bezeichnet sich selbst, indem sie die Weise wiederholt, in der sie von anderen
bezeichnet wird, aber die Frau als Subjekt ist ihr eigenes Objekt. Bronfen gibt jedoch
zu, dass es offen bleibt, ob in diesem Zusammenhang die Tötung des weiblichen
Körpers von der Frau selbst ein Moment realer Subjektivität oder der Gipfel sozialer
Viktimisierung ist.342

339
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 102 f. und Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 42 f.
340
Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 210.
341
Vgl. ebd., S. 211 f.
342
Vgl. ebd., S. 385.
- 109 -

3.3. Das tödliche Schreiben einer ‚nicht existierenden’ Frau.

Die These Bronfens, dass die Schriftstellerinnen von einer Position der Nicht-
Existenz in der Kultur ausgehen (Bronfen 1992), kann man am Beispiel von Karoline
von Günderrode gut beweisen.343 Ihr Name wurde zu ihren Lebzeiten auf ihr Werk
nicht gedruckt: Sie benutzte die männlichen Pseudonyme Tian und Jon um zu
sprechen. Da führt sie die Position der Abwesenheit, die Bronfen als die Rhetorik des
Todes bezeichnet. Als Autorin ihres letzten Buches „Melete von Jon“ (1806, postum
1906) wäre sie auch beinahe ganz verschwunden, weil Creuzer es nach ihrem Tod
vernichten ließ.

Ihre Rede ist außerdem wegen der inneren Zensur mit dem Tod verbunden: Die
Frau, die schreibt, ist hinter der Maske eines männlichen Literaten verborgen. Auf der
einen Seite verwendet sie die männliche Optik, also die Viktimisierung der Frau, auf
der anderen Seite fordert sie ihre Vermännlichung, was eine Rückkehr zum
männlichen Denken und zur männlichen Macht bedeutet. In beiden Fällen wird die
männliche Subjektivität verabsolutiert, was beweist, dass es unter dem Gesetz des
Phallus keinen Ort für das Sprechen der Frau gibt (Irigaray 1974).

Ihr Schreiben ist gleichzeitig eine Überlebensstrategie, durch die sie eine Art
weiblicher Utopie gründet und die Grenzen ihrer Existenz überschreitet (Morrien
1996); deswegen ist dieses Schreiben trotzdem ein Bruch mit der vorgegebenen
Ordnung, wie wir im Folgenden erklären werden. Tragischerweise bedeutet die
Autorschaft für sie ein Schreiben aus dem sozialen Tod hinaus und durch ihren
Selbstmord in den realen hinein (Bronfen 1992). Die Verwirklichung als schreibende
Frau innerhalb der männlichen literarischen Ordnung scheiterte und was blieb ist ihr
Werk, in dem Leben und Dichtung so vermischt wurden, dass ihr Tod darin
vorweggenommen war (Keller 2000).

Die Erotisierung des Todes und die Viktimisierung der Frau in den Gedichten
„Die Malabarischen Witwen“ und „Zilia an Edgar“ folgt den Weiblichkeitsbildern des
Patriarchats.344 Im ersten Gedicht wird der verinnerlichte Opferstatus der Frau
gepriesen, was besagt, dass die Grenzen zwischen Fremddefinition und eigener
Interpretation nicht mehr auszumachen sind (Bovenschen 1979). Im zweiten stirbt die

343
Man kann das auch am Beispiel von Inge Müller beweisen, wie wir im Kapitel 5 erklären werden.
344
Eine Anpassung an androzentrische Frauenbilder erkennt man auch bei Maria Polydouri (Kapitel 4).
- 110 -

Frau wegen unerwiderter Liebe passiv und unheroisch. In beiden Fällen erkennt man
keinen Widerspruch mit der herrschenden Ordnung; die Dichterin spricht mit fremder
Stimme über entfremdete Erfahrungen (Gilbert/Gubar 1979) und schafft Frauen-
bilder, die Spiegelungen der patriarchalischen Weiblichkeitsimaginationen sind (Lenk
1976).

In den anderen hier besprochenen Gedichten sind allerdings die Disharmonien in


einigen starken traditionellen Motiven als eine Bewegung des weiblichen Schreibens
innerhalb der männlichen Ordnung zu interpretieren. Da lassen sich Bilder und Inhalte
als Bewegungsversuche innerhalb der männlichen Kultur verstehen (Weigel 1984).
Die Sprache weiblicher Suizidalität im Sinne von Erlösungsphantasien,
Selbstvernichtung oder Tötung des weiblichen Ichs verweisen auf einen Bruch mit der
vorgegebenen Ordnung und auf einen Versuch die traditionellen Frauenimaginationen
zu überwinden (Keller 2000). Im Gedicht „Die Bande der Liebe“ wird durch das
Vampir-Motiv die männliche Projektion des Weiblichen reproduziert (Bovenschen
1979), gleichzeitig wird aber ein Riss auf diesem Bild erkannt, der Spuren der
Anzweiflung erlaubt. In „Ariadne“ auf Naxos“ wird die Frau als Objekt des
Begehrens dargestellt, gleichzeitig aber macht sie ihre Selbstvernichtung zu einem
Moment der Kontrolle (Bronfen 1992).

Dass der weibliche Diskurs ein zweistimmiger ist (Showalter 1980), wie auch dass
die Todesmotive sich zwischen Komplizenschaft mit der Kultur und Kritik bewegen
(Bronfen 1992) erkennt man am besten in den Heldentod-Werken der Dichterin. Denn
der Todesgedanke, der Zentralmotiv ihrer Dichtungen und in Einklang mit der
Philosophie und den Todesgedanken in der Literatur der Zeit ist, verweist in einigen
Fällen auf eine nicht totale, jedoch bemerkenswerte Auseinandersetzung mit dem
normativen Bild der Weiblichkeit. In den Heldentod-Werken benutzt die Dichterin
eine männliche Sprache und männliche Phantasien, die Ausdruck männlicher
Lebenswelt sind, um ihren Wunsch nach individueller Autonomie als Frau
auszusprechen.

Dieser Widerspruch zeigt inwieweit die Frau in männlicher Ordnung zugleich


beteiligt und ausgegrenzt ist, was ihr Selbstverständnis beeinflusst (Weigel 1984).
Ihre Prophetinnen werden unmittelbar mit dem Tod, mit dem Anderen verbunden
(Bronfen 1992) und der Gewinn dabei ist, dass der Frau Respekt, Autonomie und
- 111 -

Macht zugeschrieben werden. Ihre kampflustigen männlichen Heldinnen345 werden


momentan zu Subjekten, bestimmen die Geschichte und sind aktive Mitglieder der
Gesellschaft, wobei dadurch die Objekt-Rolle der Frau in der männlich orientierten
Gesellschaft kritisiert wird. Bei Günderrode ist die androgyne Vollkommenheit kein
männliches Privileg, sondern sie stellt eine Vermännlichung parallel zu einer
Verweiblichung dar.

In diesen Werken deklariert Günderrode den weiblichen Bereich als einen Toten-
und Schattenbereich, wobei ihre Frauenfiguren entweder die Mutter-Natur
(Prophetinnen) oder eine Idee (männliche Heldinnen) verkörpern. Das sind aber
einige der Weisen im Patriarchat, mit denen Weiblichkeit kontrolliert wird.
Günderrode weicht nicht von der Idee der Weiblichkeit als das Andere und
Übernatürliche, das mit dem Tod gleichzusetzen ist, ab und befreit sich nicht von den
Idolen, an denen sie sich gebildet hat, denn Frauen haben keine Identität außerhalb
ihres Mythos vom Patriarchat und identifizieren sich mit dem Ausgegrenzten.
(Bovenschen 1979). Indem ihre Figuren außerhalb der Gesellschaft leben oder früh
sterben, garantieren sie den Bestand der androzentrischen Ordnung (Bronfen 1992).

Allerdings sind die hier beschriebenen Brüche mit der Tradition als
emanzipatorische Momente in ihrer Dichtung zu bewerten. Der Verdienst ihres Werks
für die feministische Literaturwissenschaft, das Neue, das hervorgebracht worden ist,
ist der Schritt aus einer strengen männlichen Tradition heraus, innerhalb der
Lyrikerinnen und Dramatikerinnen einen geringen und von männlichen Literaten
bestimmten Platz hatten. Auch wenn dieser Schritt nicht absolut bewusst oder
vollständig war, auch wenn das Persönliche nicht gezielt zum Politischen wurde,
verliert ihr Werk aus feministischer Optik nicht an Bedeutung: Der Riss fängt da an,
wo eine ‚nicht existierende’ Frau ihren sozialen Tod überwindet und Schriften
produziert, in denen Motive von Tod und Weiblichkeit nicht unbedingt als Fesseln für
das Weibliche existieren, sondern eventuell einen Befreiungsweg andeuten.

345
Eine kampflustige Frau wird auch von Katerina Gogou im Gedicht « » [Sie ist
gefährlich] beschrieben (Kapitel 6).
- 112 -

4. Maria Polydouri (1902-1930)

Über hundert Jahre nach dem Tod von Karoline von Günderrode veröffentlicht Maria
Polydouri ihren ersten Gedichtband. Zu erkennen ist auch bei ihr eine innere Zensur,
was ihre literarische Produktion angeht, was mit nur wenigen Ausnahmen in ihrem
Werk zur Bejahung der herrschenden Normen führte, wie auch der Eigenschaften, die
die ‚Frauenlyrik’ aufweisen sollte. Bei Polydouri ist nicht die Übernahme der
Männerrolle das besondere Merkmal ihrer Autorschaft wie bei Günderrode, sondern
eher die übertriebene Bejahung der patriarchalischen Weiblichkeitsimaginationen:
Das Schwanken des Frauenbildes zwischen dem absoluten Guten und dem absoluten
Bösen, die Aufopferung und Passivität der Frau, deren Vernichtung ihr Leben
rechtfertigt.

Maria Polydouri machte in ihren ersten Gedichten vom Motiv des frühen Todes
und der Gewissheit einer Katastrophe, die die Menschen bedroht, Gebrauch, was im
Zusammenhang mit dem allgemeinen Klima der Literatur des Zwischenkriegs,
nämlich mit dem damals herrschenden Nihilismus steht.346 Ihre Todesvorstellungen
gehören zur neo-romantischen Schilderung des hoffnungslosen Endes als eine traurige
Bedrohung, mit der man allerdings gern spielt, wie in der Dichtung der Tuberkulose-
Kranken und der Moribunden der Fall ist.347 Bei der Lyrik von Polydouri ist inhaltlich
im Allgemeinen ein sich wiederholendes, stereotypes Schema zu erkennen, nach dem
der Unschuld als sexuelle Reinheit die Hoffnung und der Glaube an Glück und Traum
folgen, wobei den Gefühlen von Bedrohung und Verzweiflung der Tod folgt.

Die Verbindung von Tod und Weiblichkeit im Sinne einer Vernichtungsgewalt


wird in den für diese Arbeit ausgewählten Gedichten vielseitig ausgedrückt. Sie
erscheint im Zusammenhang mit der Figur der femme fragile, der geopferten Heldin,
die den Objektstatus verinnerlicht hat und sich nach dem Tod des Mannes auflöst oder
sie verwandelt die Frau in ein Kunstobjekt (Kapitel 4.1.). Die Gewalt wird auch durch
eine femme fatale, eine Gesandte von Charon, auf Männer ausgeübt (Kapitel 4.2.).
Schließlich verweilt die Frau im Zwischenreich zwischen Leben und Tod und reagiert

346
Vgl. Kapitel 2.
347
Vgl. Michael Peranthis: . .
[Anthologie griechischer Lyrik. Vom 11. Jahrhundert bis zur Gegenwart]. 4. Bd.:
1920-1940 [Der Zwischenkrieg 1920-1940]. Athen: Verlag Ellinika grammata 1979, S. 306.
- 113 -

da auf die Gewalt des Todes entweder als passives Opfer oder aber als Verbitterte
(Kapitel 4.3.). Bei ihr – wie bei Günderrode - werden Todesmotive und
Erlösungsphantasien zum Ausdruck eines Bedürfnisses nach Selbstdarstellung und
öffentlicher Anerkennung benutzt, dass nach Keller die Sprache weiblicher
Suizidalität charakterisiert.348

Mendrakos betont in seiner Einleitung zu den gesammelten Werken der Dichterin


den Abstand zwischen ihrem Leben und ihren Gedichten. Seiner Ansicht nach gibt es
einen Widerspruch zwischen dem freien sozialen Verhalten und fortschrittlichen
Ideen der Dichterin und ihrer dekadenten, voll von Untergangsstimmung Dichtung.
Wir teilen seine Meinung, die nicht nur aus Zeugenaussagen, sondern auch anhand
ihres Tagebuches bewiesen werden kann. Dort werden der Konservatismus und die
Hinterlist der damaligen Gesellschaft kritisiert und die minderwertige Stellung der
Frauen betont.349

Ihre fortschrittlichen Ansichten haben aber in ihrer Lyrik kaum Platz. Zum Teil ist
dieser Widerspruch durch einen anderen Widerspruch der soziokulturellen Ordnung
der Zeit zu erklären. Die neue soziale Ordnung nach dem Flüchtlingsstrom von 1922
verursachte nämlich eine große Differenzierung im Vergleich zu früheren Epochen,
was die Rolle der Frau betrifft: Sie nahm nun aktiv an der Produktion und am
gesellschaftlichen Leben und Alltag teil. Ihr vom herrschenden Diskurs geprägtes
literarisches Motiv folgte nicht ganz dieser Änderung. Einerseits erhielt die

348
Vgl. Keller: Nun breche ich in Stücke, S. 16 f.
349
Dass Polydouri von der feministischen Lehre der Zeit beeinflusst war, ist gewiss. Die Entscheidung
für ein Jura-Studium, statt für die ursprünglich geplante Philologie, war nach Meinung ihrer
Biographen nicht zufällig: Sie wollte sich für die weltweit unterdrückten Frauen engagieren. Schon im
Alter von 16 hatte Polydouri schriftlich einem liberalen Abgeordneten gratuliert, der im Parlament das
Stimmrecht der Frauen vorschlug. Einige Jahre später schrieb sie in ihrem Tagebuch, wie sie die
Stellung der Frau in Griechenland verstand. Ihre Ansicht zeigt die Ausweglosigkeit der Frauen, die
nach ihrer Persönlichkeitsentwicklung streben, und stellt das ganze Thema auf die Basis des
Klassenkampfes: « – -, . . .
’ . ’
. ,
, ’
. . , ,
, » (P, 335). Sie verstand allerdings, dass der Feminismus – mindestens in seiner
damaligen Form - die tägliche Praxis der Frauen in Griechenland nicht umwandeln konnte. Das Bild
der Weiblichkeit hatte bei den Männern immer noch die althergebrachten, für die Frauen
beschränkenden Konnotationen: «
,
. ,
. .»(P, 337)
- 114 -

Bearbeitung des Motivs ‚Frau’ sinnlichere Dimensionen350, andererseits wurde oft das
frühere idealisierte Frauenbild erhalten. Darüber hinaus wurde in der Literatur des
Kanons die Darstellung der Frau als Heilige oder Hure immer öfter getroffen.351

Polydouri sehnte sich nach Anerkennung ihrer literarischen Tätigkeit und drückte
sich deshalb auf eine solche Weise aus, die zur Befriedigung der Normen des
herrschenden Kanons zielte.352 Die leidenschaftliche Lyrik von Polydouri bewegt sich
im neu-romantischen Rahmen der Dekadenz; in ihr sind keine liberalen oder
revolutionären Züge zu finden, nichts von der radikalen, kühnen Lebenshaltung von
Polydouri innerhalb einer konservativen Gesellschaft.353 Wenn man besonders diese
Gedichte berücksichtigt, die ‚gendered’354 sind, in denen nämlich eine weibliche Figur
dargestellt wird, erkennt man in ihrer Mehrheit eine Anpassung an männliche
Vorbilder. Das Stichwort, das der Frau zugeordnet wurde, ist auch für sie das
herkömmliche der romantischen Philosophie: Natur (im Sinne eines Naturrechts des
Gefühls jenseits der gesellschaftlichen Einrichtungen) und Kindlichkeit (im Sinne der
Abhängigkeit vom starken Mann). Die patriarchalischen Weiblichkeitsbilder werden
in ihrer Gesamtheit nicht in Frage gestellt: Die Frau bleibt auf passive, idyllische
Natur verwiesen, ist nicht autonom, sondern Komplement des Mannes.355

Bei Berücksichtigung der literarischen Kritik an Polydouri, erkennt man eine


Entsprechung mit dem Bild der empfindsamen Künstlerin, so wie es von Bovenschen
dargestellt worden ist356: Man spricht auch im Fall von Polydouri von der Stimme des
Herzens, von bei Frauen besonders ausgeprägt vermuteten Gefühlswerten und von
einem ‚natürlichen’ Talent. Selbst die poetischen Schwächen werden als Qualität
einer ‚natürlichen’ Schreibweise angesehen.357 Die Thematik ihrer Gedichte
widerspricht ebenfalls nicht dem Bild der Empfindsamen, das besagt, dass die Frauen
nicht die großen geschichtsmächtigen und kulturprägenden Gegensätze ihrer Zeit

350
Vgl. Peranthis: Anthologie griechischer Lyrik, S. 317.
351
Das beste Beispiel dafür ist die Lyrik von Kostas Karyotakis.
352
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 41.
353
Vgl. Mendrakos: , S. 14. Über das Leben von
Polydouri s. auch Kapitel 2 (S. 47 ff.).
354
Agnus Calder and Lizbeth Goodman charakterisieren als „gendered“ die Gedichte, in denen das
lyrische Ich „gender-specific“ ist. Vgl. Angus Calder / Lizbeth Goodman: Gender and Poetry. In:
Lizbeth Goodman (Hg.): Literature and Gender. London: Routledge, The Open University 1996, S. 46.
355
Vgl. Gerhardt: Über Macht und Ohnmacht, S. 126 ff.
356
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 150 ff., 190 ff.
357
Vgl. Kapitel 2.
- 115 -

aufnehmen, sondern ihrem Erfahrungshorizont angemessene Themen mit leisen


Tönen und kleinen Formen behandeln sollen.358

Auch was die Darstellung der Weiblichkeit angeht, fällt die Dichterin nicht aus
dem Rahmen der Empfindsamen. Für die Konstruktion der weiblichen Figuren (in den
Gedichten « ’ » [Weil du mich geliebt hast], das als das
repräsentativste für die Lyrik der Dichterin gilt, wie auch in « » (Alles
ist schön] und « » [Alles wird vergehen], das ebenfalls von der
literarischen Kritik beachtet wurde, ist Polydouri auf einen vorgegebenen
Bezugsrahmen verwiesen; nach dem ist der Zweck der weiblichen Natur die
Unterstützung und Ergänzung des männlichen Geschlechts; Attribute wie geduldig,
sanftmütig, untätig, weich, werden mit der Frau assoziiert, im Gegensatz zu positiven
Eigenschaftsbezeichnungen, wie Kraft oder Stärke, wobei die erotische
359
Anziehungskraft der Frau als ihr besonderes Merkmal gilt. Was diese imaginierten
Frauenfiguren betrifft, tritt Polydouri nicht über die gegebenen Grenzen ihres
Geschlechts hinaus.

Tatsächlich sind in einigen Gedichten von Polydouri aggressive Züge (wie im


Gedicht « » [Feier]) und Verfremdungen wie Ironie (im Gedicht «
» [Abend in Zappeio]) zu finden, die inkompatibel mit dem Bild der
Empfindsamen ist. Im ersten Gedicht verwendet sie die männlich geprägte
Phantasieprojektion der todbringenden femme fatale, ein stereotypes Frauenbild. Das
zweite Gedicht zeigt deutlicher den Bewegungsversuch der Frauen innerhalb der
patriarchalischen Kultur. Ohne ihr Geschlechtsrollenverständnis vollkommen
abzulehnen oder die Grenzen ihrer Geschlechtsbestimmungen aktiv zu überschreiten,
gelingt ihr eine Auseinandersetzung mit dem weiblichen ‚Geschlechtscharakter’, den
ihre Dichtung haben sollte, was ein nicht zu unterschätzender Faktor ist. Das
weibliche lyrische Ich ist zornig, reagiert wütend auf die Fremdbestimmung durch die
Männer und akzeptiert nicht kritiklos die gesellschaftlichen Normen.

Man sollte vermerken, erstens dass das Gedicht « » [Abend in


Zappeio] zu ihren Lebzeiten unveröffentlicht war, und zweitens dass in den meisten

358
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S.189.
359
Bovenschen bezieht sich auf Rousseau (Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S.178),
Herder (ebd., S.185) und Kant (ebd., S.228). In Griechenland herrscht die Tradition von u.a. Kostas
Ouranis, Romos Filyras, Napoleon Lapathiotis, Takis Papatsonis, I. Raftopoulos, Telos Agras, Kostas
Karyotakis.
- 116 -

Gedichten, wo der Zorn und die heftige Kritik an der Gesellschaft zum Ausdruck
kommen, das Geschlecht nicht erwähnt ist.360 Die Dichterin bringt nicht den Mut auf,
eine weibliche Figur gegen die herrschende Ordnung protestieren zu lassen und
verbirgt die Wut hinter der Geschlechtslosigkeit des lyrischen Ich. Wo ein Frauenbild
im Gedicht realisiert wird, bleibt es „Ausdruck einer jeweils eingenommenen und
gestalteten Beziehung zur männlichen Vorstellung von Weiblichkeit’“361. Anpassung
wurde im Falle von Polydouri als Strategie im Sinne Weigels benutzt, die die
Anerkennung von den literarischen Kreisen des herrschenden Diskurses gewährleisten
würde.

4.1. Die Darstellung weiblicher Kunstobjekte

Wie Weigel bemerkt hat, haben Frauen, die als Schreibende das Schweigen
durchbrachen, zunächst beim Entwurf weiblicher Hauptfiguren die männlichen
Frauenbilder weitgehend nachgeahmt.362 Die Unterwerfung unter männliche
Weiblichkeitsmuster führte sie zu ‚uneigentlichen’ Selbstäußerungen „im doppelten
Sinne des Wortes: Äußerungen des uneigentlichen, anderen Geschlechts und un-
eigentliche, d.h. nicht wirklich eigene Äußerungen.“363 Aus der Galerie der
Frauenbilder wurde das Bild der geopferten Heldin im Sinne einer passiven
Sterbenden benutzt, von dem Polydouri in den Gedichten « » [Weil
du mich geliebt hast] und « » [Alles ist schön] Gebrauch macht.

Weigel meint, dass wenn man an das Gegensatzpaar Held-Opfer im herrschenden


Diskurs denkt, dann macht man wahrscheinlich folgende Dichotomie: Der Held ist im
Patriarchat vor allem männlich und das Opfer weiblich. Da es aber für das Opfer

360
Nicht erwähnt ist das Geschlecht in den Gedichten: « » [Flut] aus «
» [Verhallende Triller] 1928, S. 56, « …» [Leben, wie hast du mich
ausgeliefert…] aus « » [Echo im Chaos] 1929, S. 123, « » [Die
Lebensleidenschaft] unveröffentlicht 1923, S. 211, « » [Verrat] unveröffentlicht 1928, S. 226-
227. Erwähnt ist das Geschlecht im Gedicht « » [Leidenschaft] aus « »
[Verhallende Triller] 1928, S. 84-85 und « …» [Und jetzt schließen sie…] aus «
» [Echo im Chaos] 1929, S. 199-200.
361
Weigel: Der schielende Blick, S. 87.
362
Vgl. Weigel: Die geopferte Heldin und das Opfer als Heldin, S. 144.
363
Weigel: Der schielende Blick. S. 87.
- 117 -

keine Entsprechung zum Helden im Sinne von Hauptfigur gibt, wird es zu einem
Helden, sobald es in den Mittelpunkt tritt. Das ist ein möglicher Weg für Opfer, trotz
ihrer Position als Objekte exponiert zu werden; das ist aber auch eine Möglichkeit
dazu, dass die weiblichen Figuren von Autorinnen eine höhere Bedeutung erhalten.
Trotzdem müssen sich diese Figuren in den gestellten Grenzen bewegen, damit sie die
Anerkennung der männlichen Gesetze für die Frau erreichen.364

Das erste Gedicht ist ein gutes Beispiel, dass die Schülerin ihren Meister übertrifft,
was das verinnerlichte Frauenbild angeht365; denn nie kann die Unterwerfung und die
Abhängigkeit von männlicher Existenz grandioser sein, als wenn die Unterworfene
selbst so anschaulich für sie plädiert. Im zweiten Gedicht wird – männlichen
Vorbildern nach - die Sterbende als Kunstwerk und als Objekt des Begehrens benutzt.

Das weibliche Objekt des Blickes. « » [Weil du mich


geliebt hast]


.
, ,
, ,
’ .

,

’ ,
.

,
.

,
, ,
,


- ,
,

364
Vgl. Weigel: Die geopferte Heldin und das Opfer als Heldin, S. 139 ff.
365
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 41 f.
- 118 -

,
’ .
’ ,
.
, .

’ ,
’ .

.
’ .

,
.


,
,

’ . (P, 89-91)366

Dieses Gedicht ist das bekannteste von Polydouri; es wurde 1928 in der Sammlung
« » [Verhallende Triller] veröffentlicht. Vermutlich wegen
des traditionellen Inhalts, der im Einklang mit der herrschenden Kultur war367, wurde
das Gedicht am meisten berücksichtigt und interpretiert.368 Was die Thematik betrifft,

366
Alle Werke von Maria Polydouri (P) sind aus dem von Mendrakos herausgegebenen Buch mit den
gesammelten Werken der Dichterin zitiert (Maria Polydouri: . [Gesammelte Werke].
Einführung u. Kommentar v. Takis Mendrakos. 2. Aufl. Athen: Astarti Verlag 1989). Die Nummer
weist auf die entsprechende Seite hin (z.B. P, 89-91).
367
Vgl. Kapitel 4.1.
368
Das Gedicht wurde auch am meisten kommentiert:
Der Dichter Angelos Sikelianos schreibt: « , ’
,
, ‘ ’ ’ ,

’ ’ , ’
’ .» (Angelos Sikelianos: [ohne Titel]. In: Mendrakos:
, S. 271-274, hier S. 272). Tarsouli findet dieses Gedicht «
[…].
[…].»(Athina Tarsouli:
(1857-1940). [Griechische Dichterinnen], Athen 1951, S. 154). «
, ’ ’
. , ,
, .» (G. Themelis: . [Neugriechische
Lyriker]. In: Grundbibliothek 29. Athen: Aetos 1954, S. 364). «…
– –
,
. , ,
, –
– ’
…» (Kleon Paraschos: « – » [‚Verhallende Triller’ -
- 119 -

handelt es sich um ein romantisches Motiv: Eine Frau (« ») entwirft ein


Liebesideal und bestimmt ihre Existenz durch die vergangene Liebe eines jetzt
gestorbenen Mannes.369 Sie hat für ihn gelebt, existierte, solange er am Leben war und
stirbt, wenn er stirbt. Aus dem Kontext ist auch der Adressat zu erschließen, er ist ihr
toter Geliebter, den sie in allen Strophen direkt anspricht. Die Perspektive des
Gedichts ist subjektiv; es handelt sich um eine Selbstdefinierung; das lyrische Ich
versucht seine Existenz zu rechtfertigen und sich selbst durch den Mann zu
bestimmen.

Was sofort auffällt, ist das innige Miteinander von Liebe und Tod, das als eine
Variation zum abendländischen Musterfall der Vereinigung der Liebenden im Tod
gehört; die europäische Romantik machte auf eine lustvollere Weise Erotik und Tod
zum Paar. In diesem Fall wird der Tod der Frau zur Brautnacht, weil er sie mit dem
gestorbenen Geliebten vereinigt. Die Liebeswollust verfließt so in Todeswollust.370
Durch diese Verwechselbarkeit von Liebe und Tod, wirkt der letzte nicht
beängstigend, sondern als „der ewigen Liebe Meisterstück“.371

Die neun Strophen des Gedichts bestehen sowohl aus Kreuzreim als auch aus
umarmendem Reim: Es hat Verswiederholungen am Anfang und Ende jeder Strophe
(Kyklos), die die Aussage bekräftigen und das Gefühl verstärken. Solche
Wiederholungen sind oft in Kirchenlieder zu finden, ein Zeichen, dass das Gedicht
auf die christliche Tradition zurückgreift (im Folgenden werden auch andere Motive
dieser Tradition wie die Lilie und die Lichtsymbolik analysiert). Leitmotive des
Gedichts sind die Wörter « »/« », « », « », « », « ’
». Es ist eine innere Gliederung vorhanden und zwei Teile sind zu
unterscheiden.

,Echo im Chaos’]. In: Mendrakos: , S. 257-265, hier S. 261). « ,


, , ,
, ’ .» (Kleon Paraschos:
. [Das Lebensdrama zweier
Dichter. Das tragische Idyll von Karyotakis und Polydouri]. In: Panathinaia, 1. Teil 08.01.1933, S. 49).
369
Paraschos behauptet, dass die Quelle des Lieds von Polydouri der geliebte Tote ist: Er ist überall, er
ruft sie zu ihm in dem Tod und schiebt sie zurück ins Leben. So zieht er einen Vergleich zwischen
Polydouri und Antigone. (Vgl. Kleon Paraschos: « – ». In:
Mendrakos: , S. 259).
Der Tote ist das Thema in vielen Gedichten, wie z.B. in « …» [Eine Stimme
lud mich ein…] P, 151 f., « …» [Mein Lieber…] P, 159, « …» [Alles wird
vergehen…] P, 174 ff. von der Sammlung von 1929 « » [Echo im Chaos].
370
Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen, S. 16.
371
Guthke: Ist der Tod eine Frau?, S. 201.
- 120 -

Der erste Teil besteht aus den ersten acht Strophen, in denen die Situation in der
Vergangenheit geschildert wird, im Gegensatz zur Gegenwart des Gedichts, und der
zweite Teil besteht aus der letzten Strophe. Die Tatsache, dass die meisten Strophen
in der Vergangenheit spielen, bedeutet eine Erinnerung: Vergangenes wird
vergegenwärtigt. Die Stimmung des Gedichts erwächst aus der Diskrepanz zwischen
dem Einst und Jetzt, die schmerzlich empfunden wird und aus dem Gegensatz
zwischen der glücklichen Vergangenheit und der bedrückenden Gegenwart. Da das
Vergangene nicht zurück gewonnen werden kann, klingt die Erinnerung elegisch.
Inhalt dieser Todeselegie (Kostas Stergiopoulos spricht von « »372) ist
das Innewerden eines Verlustes im Bewusstsein, dass das Verlorene
unwiederbringlich ist.

Die erste Strophe des Gedichts fängt mit der gegenwärtigen Situation an. Das
lyrische Ich singt, dichtet und es wird auch der Grund erwähnt: Es handelt sich um die
Liebe des Adressaten in den vergangenen Jahren, die auf eine romantische Weise in
Verbindung mit der Natur gebracht wird. Die Entwicklung der Liebe folgt der
Entwicklung der Natur, was uns ein Bild der Regelmäßigkeit und der Normalität
vermittelt: Der Wechsel der Naturphänomene mit dem Gegensatz zwischen Sonne-
Sommer und Regen-Schnee, der notwendigerweise zu erwarten ist, impliziert
vielleicht die notwendigen Entwicklungsphasen einer Liebesbeziehung mit dem
Gegensatz ihrer positiven und negativen Erfahrungen.

Das weibliche lyrische Ich sieht sich selbst in der zweiten Strophe schön wie eine
ganz geöffnete, also geblühte Lilie, aber nur – das Wort « » wird dreimal am
Anfang dreier Versen erwähnt - weil der Geliebte es in seinen Händen gehalten und
es auf den Mund geküsst hat. Das hat es stark beeinflusst, hat in seiner Psyche einen
Schauder hervorgerufen, der immer noch dauert. Ein Gegensatz verstärkt diesen
Eindruck: Die Farbe der Blüte ist weiß, auf Griechisch gibt es auch das Wort
« », (lilienweiß), eine Farbe die sowohl die Reinheit und Schönheit, als
auch den Schrecken und den Tod kennzeichnet.373 Die Nacht jedoch, in der das
lyrische Ich vom Geliebten geküsst wurde, ist schwarz, was eine dunkle Vorahnung
erlaubt. Die zahlreichen erotischen Motive (Kuss, Umarmung, geöffnete Lilie,
Schauder) werden also mit Todesmotiven verwickelt.

372
Kostas Stergiopoulos: [ohne Titel]. In: Mendrakos: , S. 267.
373
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur, S. 133.
- 121 -

So geht es in der dritten Strophe weiter: Die Augen des Geliebten haben sich die
Frau angesehen und wegen seines Blicks wurde sie ihrer Existenz bewusst und darauf
stolz. Denn ihre Existenz ist mit der Krone eines Königs verglichen, die Symbol der
Macht ist. In dieser Strophe kann man das Gefühl von Erfüllung spüren, das man in
der Zeit von psychischer Verstärkung und absolutem Selbstbewusstsein empfindet.
Dieses Gefühl ist mit dem männlichen Blick verbunden, der erst jetzt als Bestätigung
der Existenz eingeführt wird. Die Frau sieht also sich selbst durch den Spiegel des
männlichen Blicks. Auf diesen Punkt werden wir am Ende unserer Interpretation
zurückkommen.

Die vierte, fünfte und sechste Strophe sind inhaltlich, aber auch was die Form
betrifft, (durch Kommas) verbunden. In allen drei Strophen werden die Gründe
erwähnt, warum das Vorbeigehen des lyrischen Ich schön geblieben ist. Dabei muss
vermerkt werden, dass das Vorbeigehen das Zuschauen des weiblichen lyrischen Ich
erlaubt: das Subjekt (der Mann) betrachtet das Objekt (die Frau). In der vierten
Strophe wird erwähnt, dass das weibliche lyrische Ich sein Leben und seine Schönheit
im männlichen Blick gespiegelt sah. Es hat in seinem Blick wie in einem Traum sich
selbst als eleganten, spielenden und leidenden Schatten gesehen. Es muss jedoch
bemerkt werden, dass der Schatten der literarischen Darstellung des Unbewussten
dient, und damit sind Vorstellungen der Persönlichkeitsstörung und des Ausbrechens
verdrängter Triebe und Wünsche verknüpft. Ein Schatten existiert, wenn der Mensch
dem Licht ausgesetzt wird, wir haben also noch einmal den Gegensatz
Licht/Dunkelheit, Tag/Nacht, die mit Leben/Tod assoziiert wird.374

Das Bild, das das lyrische Ich von sich selbst macht, ist das einer eleganten Figur,
voll von Leben und Unschuld, die aber gleichzeitig leidet. In dieser Strophe haben wir
viele wichtige Punkte, die wir zum Schluss analysieren werden: Die Schönheit als
Eigenschaft einer Frau, die sie mit einem Kunstobjekt gleichsetzt, indem man sie
betrachtet; die Motive des Traums und des Schattens, die auf eine Scheinexistenz
verweisen, da was die Frau gespiegelt sieht, nicht sie, sondern ihre Imagination ist;
die Motive des Spielens und Leidens, die stereotypen Bilder der Frau als Kind und als
Märtyrerin wieder geben. In der fünften Strophe wird beschrieben, wie der Geliebte
das lyrische Ich fast zögernd gerufen und nach ihm die Hände ausgestreckt hat, wobei

374
Vgl. ebd.
- 122 -

seine Augen geblendet waren und in ihnen eine absolute Liebe gesehen werden
konnte.

Schließlich wird in der sechsten Strophe erwähnt, dass das Vorbeigehen des
lyrischen Ich nur deswegen schön geblieben ist, weil es dem Geliebten gefiel. Es war,
als hätte er ihm überallhin gefolgt, als wäre er in der Nähe von ihm vorbeigegangen.
Dieses Vorbeigehen, das so wichtig ist, dass ihm drei Strophen gewidmet sind,
symbolisiert auch das Vorbeigehen durch das Leben. Es bleibt schön, auch wenn die
Person nicht mehr da ist, es bleibt in der Erinnerung deren, die diese Person geliebt
und bewundert haben. Wahrscheinlich ist dieser postume Ruf die Sicherheit, dass das
Leben nicht umsonst gelebt worden ist, dass seine Schönheit nicht vergessen und
überhaupt nicht unbeachtet sein wird. In den Strophen 2-6 sind narzisstische Züge
erkennbar. Das lyrische Ich drückt Selbstliebe und Stolz aus, auch wenn diese
Vorstellung auf Grund des Geliebten stattfinden. Vanitas und Memento mori sind also
eher die leitenden Motive hier.

Dieser Gedanke wird auch in der siebten Strophe behandelt, wo die Verbindung
der eigenen Existenz mit der Liebe des Geliebten bekräftigt wird. Für das lyrische Ich
steht es fest: Es ist geboren, nur weil der Geliebte es geliebt hat, nur deswegen wurde
sein Leben erfüllt. In dieser Strophe wird das Nomen ‚Leben’ dreimal wiederholt, ein
Zeichen des großen Werts, der ihm beigemessen wird. Im zweiten Vers hat das Wort
die Bedeutung von Vitalität. Im dritten die Bedeutung von den alltäglichen
Handlungen in ihrer Gesamtheit, im vierten die Bedeutung von Existenz, vom Ziel.
Die Liebe des anderen ist der Grund, warum das lyrische Ich existiert. In einem
reizlosen und unglücklichen Leben, das nicht in Erfüllung geht, schafft es die
Erfüllung seines Lebens, indem es geliebt wird. In diesem Sinne bedeutet die Liebe
die absolute Lebensbejahung. Der Mann im Gedicht hat ein wesentliches Element im
Prozess der Selbstverwirklichung und der Persönlichkeitsentfaltung der Frau gebildet.

Der erste Teil endet mit der achten Strophe, die bildreich ist. Der Tagesanbruch ist
mit der hoffnungsvollen Erwartung der Zukunft und einer Neuorientierung des
Daseins verbunden. Diesmal tritt aber auch eine andere Farbe auf: Die personifizierte
Morgenröte schenkte dem lyrischen Ich Rosen, nur der auserwählten Liebe des
Geliebten zuliebe. Auch die ebenfalls personifizierte Nacht hat ihm die Augen mit
Sternen gefüllt, damit es nur für einen Moment dem Weg des Geliebten leuchten
kann. Wichtig ist, dass das Licht in der Nacht, z.B. durch Sterne, ein Gefühl der
- 123 -

Hoffnung und des Vertrauens vermittelt und die negative Vorstellung, die mit dem
Motiv der Nacht verbunden sind, beseitigt.375 Denn nach der Lichtsymbolik in der
christlichen Tradition übernahm die Nacht die Rolle der feindlichen Macht.

Doch die Sterne sind Sinnträger einer festen Ordnung des Universums und
verleihen somit Hoffnung, Trost und Sicherheit. Sowohl die Rosen in den Händen als
auch die Sterne in den Augen sind Sinnbilder der erotischen Leidenschaft. Da aber die
ersten mit dem Tag verbunden sind, erhalten sie das Element der Unschuld, was nicht
bei den mit der Nacht verbundenen zweiten der Fall ist: Es handelt sich um eine eher
erotische Leidenschaft. Die unschuldige und die erotische Frau werden in einer
Frauenimagination versöhnt, die dem Mann zuliebe erhalten worden ist.

Die neunte Strophe bildet das Ende des Gedichts und gleichzeitig das Ende des
Lebens. Das lyrische Ich gibt zu, dass es nur wegen der Liebe gelebt hat, um die
Träume seines Partners zu vermehren. Nun aber ist der schöne Geliebte tot, seine
schöne Liebe existiert nicht mehr (wir haben Wiederholung von “schön”, er ist der
Schöne, er liebt schön). Die Liebesgefühle bestimmten nicht nur das Leben, sondern
auch den Tod des lyrischen Ich. Der Tod erweckt keine Angst, man hat nicht den
Eindruck, dass er zerstörerisch ins Leben eingreift. Es gibt keine Klage, keine Reue.
Die Tatsache des Todes ist schon akzeptiert worden, weil das Leben seine Erfüllung
gefunden hat, die die Verehrung des Geliebten ist.

Da in diesem Gedicht offensichtlich die Liebe mit der Vernichtung der Frau
verflochten wird, fragt man sich warum Liebe die Gestalt von Unterwerfungs- bzw.
Herrschaftsliebe hat. Das Bild der Frau ist eins von weiblicher Schwäche im
Gegensatz zu einer männlichen Stärke, die trotz der Abwesenheit des Mannes im
Gedicht dominant ist. Marlis Gerhardt erkennt eine Entsprechung zwischen solchen
Bildern weiblicher Unterwerfung, die von Frauen selbst produziert worden sind, und
Masochismus, und betont, dass diese masochistischen Phantasien eine Lust an der
Schwäche zeigen.376 Besonders problematisch ist die Unterwerfung, denn sie ist mit

375
Vgl. ebd., S. 213.
376
Vgl. Marlis Gerhardt: Der weiße Fleck auf der feministischen Landkarte. In: Gabriele Dietze (Hg.):
Die Überwindung der Sprachlosigkeit. Texte aus der neuen Frauenbewegung. Frankfurt a.M.:
Luchterhand 1979, S. 29. Jessica Benjamin spricht in „Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse,
Feminismus und das Problem der Macht“ (Basel, Frankfurt a.M. 1990) von einem speziellen
‚weiblichen Masochismus’, wobei sie nicht von einer ‚natürlichen’ Veranlassung, sondern von einem
Zusammenwirken kultureller und psychischer Prozesse ausgeht. (Vgl. Morrien: Weibliches
Textbegehren, S. 17).
- 124 -

der Konstruktion des weiblichen Selbst nach männlichem Muster und mit dessen
Auflösung377, nachdem der Mann als Betrachter nicht mehr existiert, verbunden.

Zur besseren Erklärung des Gesagten beziehen wir uns auf die Ansicht
Bovenschens, dass in vielen Texten von Frauen, die Grenzen zwischen
Fremddefinition und eigener Interpretation nicht mehr auszumachen sind.378 Die Frau
in diesem Gedicht von Polydouri identifiziert sich auf zweifacher Hinsicht mit den
vom männlichen Blick geprägten ästhetischen Objektivationen der Weiblichkeit:
Einerseits über den Umweg der Identifikation mit der männlichen Sicht und
andererseits der masochistisch/narzisstischen Identifikation mit dem Objekt der
Darstellung.379 Sie sieht sich selbst, wie der Mann sie sieht, und empfindet Freude aus
ihrer Rolle des Anblicks von Schönheit. Folglich akzeptiert sie den Zustand der
Passivität und die Fetischisierung ihres Körpers.

Indem die Frau im Gedicht ihre Schönheit betont, sie mit der Natur vergleicht und
sie in Bezug auf die Kritik des Mannes schätzt, handelt sie völlig im Sinne von
Rousseaus Ansicht über die Aufgaben der Frau: Sie soll dem Mann dienen und
gefallen, nämlich seine Muse sein. Die zwei Konstitutionsmerkmale für das
supplementäre Weibliche sind nach Rousseau die Ansicht der Natur und das Urteil
der Männer.380 Was daraus folgt, und im Gedicht bestätigt ist, ist, dass das Weibliche
Substanz gewinnt, erst nachdem es zum Spiegel der männlichen Sehnsucht und zum
Objekt seiner Beherrschung gemacht wird. Gäbe es nicht den Mann, der die Normen
für die weibliche Existenz formuliert, wäre die Frau kein autarkes Wesen.381
Deswegen muss die Frau vernichtet werden, nachdem der ‚Gesetzgeber’ des Gedichts
stirbt. Die Schönheit umfasst sowieso nach Bronfen die Einschrift des Todes, denn sie
erfordert, dass ein unvollkommener belebter Körper in ein vollkommenes unbelebtes
Bild wird, nämlich in eine tote Figur.382

Um die Abhängigkeit der Frau vom männlichen Blick und ihre Repräsentation als
zu betrachtendes Objekt, als Ort visueller Lust zu untersuchen, gehen wir von Links
Spiegelmetaphorik aus: „Das Verhältnis der Frau zu sich selbst läßt sich zeigen am

377
Vgl. Petersen: „Essen vom Baum der Erkenntnis“, S. 75.
378
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 41.
379
Vgl. Silvia Bovenschen: Über die Frage: Gibt es eine weibliche Ästhetik?, S. 100.
380
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 26 und 163.
381
Vgl. ebd. S. 242.
382
Vgl. Elisabeth Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 97.
- 125 -

Spiegel. Der Spiegel, das sind die Blicke der Anderen“383. Die Frauen werden in der
männlichen Ordnung stets in Bezug auf die Männer definiert und betrachten sich
selbst als unvollkommen. Da die Frau an dieser Ordnung teilnimmt und zugleich
ausgegrenzt ist, betrachtet sie sich, „indem sie sieht, daß und wie sie betrachtet wird;
d.h. ihre Augen sehen durch die Brille des Mannes.“384 Der Blick des männlichen
Anderen im Gedicht von Polydouri schafft eigentlich aus dem Bild des Weiblichen,
mit dem die Frau sich identifiziert eine Utopie für sich. Er betrachtet die Frau (deren
Wesen auch durch ihren Gang ersetzt werden kann), besitzt sie in seinen Augen und
macht aus ihr ein Objekt seines Begehrens. John Berger schreibt:

Männer handeln, und Frauen treten in Erscheinung. Männer sehen Frauen an. Frauen
sehen sich, wie sie angesehen werden. Der sich selbst Betrachtende in der Frau ist
männlichen Geschlechts: die Betrachtete ist weiblich. So verwandelt sie sich in ein
Objekt – und besonders in ein Objekt des Blickes: einen Anblick… Der ‚ideale’
Zuschauer wird immer als männlich angenommen, und das Bild der Frau soll ihm
schmeicheln.385

Das Selbstsein der Frau ist dadurch entzweigespalten, denn sie hat die
Beobachtung so sehr verinnerlicht, dass sie beinahe immer „vom eigenen Bild ihrer
Selbst begleitet ist“386. Das hat das weibliche lyrische Ich im Gedicht gemacht, was
aber voraussetzte, dass der Blick des Anderen präsent ist. Der Auftritt der Frau mit
dem Ziel, von Männern angeschaut werden zu können, könnte ihr die Möglichkeit
geben, dessen Blick und folglich ihre Existenz zu kontrollieren. Ist der Betrachtende
tot, verschwindet automatisch das weibliche Objekt seiner Betrachtung.387 Deswegen
muss die Frau im Gedicht kurz nach dem Tod des Geliebten und nachdem sie ihn in
ihrem Gedicht geehrt und ihm für ihre Existenz gedankt hat, auch sterben. Entweder
existiert sie durch ihn als Objekt oder aber gar nicht.

383
Lenk: Die sich selbst verdoppelnde Frau, S. 87.
384
Weigel: Der schielende Blick, S. 85.
385
John Berger: Ways of Seeing. Harmondsworth: Penguin (1972). (Das Leben der Bilder oder die
Kunst des Sehens. Berlin 1982, S. 47 und 64), zitiert nach Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 179.
386
Ebd. S. 46 f., zitiert nach Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 403.
387
Vgl. das Gedicht « …» [Alles wird vergehen…] im Kapitel 4.3. dieser Arbeit.
- 126 -

Die schöne Moribunde. « ’ » [Alles ist schön]

·

.

.
.

,
.
’ .

’ .

.
’ ’

, ,
.
.
- ,
.

’ ,
.
· ’ .

·

.

. (P, 132 f.)

Das Gedicht wurde 1929 in der Sammlung « » [Echo im Chaos]


veröffentlicht und besteht aus sieben sechszeiligen Strophen. Die Perspektive des
Gedichts ist subjektiv und es hat ein besonderes Reimschema mit Waisen (axbxab).
- 127 -

Am Anfang und am Ende des Gedichts wird die gleiche Strophe wiederholt, es gibt
nämlich einen Kyklos.388 Innerhalb dieser Strophe findet eine Umkehrung statt, denn
der anfängliche Optimismus verwandelt sich in Tod. Ein Adressat ist nicht zu
erkennen, außer in der vierten und fünften Strophe; sein Geschlecht ist eigentlich
nicht erwähnt, man kann aber von folgender Annahme ausgehen: Das weibliche
lyrische Ich (« ») spricht im ganzen Gedicht von Liebe und
Leidenschaft, die von der anderen Person verlangt werden (4. und 5. Strophen). Da
nirgendwo im Werk von Polydouri Andeutungen über Homosexualität haben, kann
man vermuten, dass das weibliche lyrische Ich wahrscheinlich an einen Mann wendet.

Das herrschende Motiv ist die sterbende Frau, die gerade wegen ihres Todes schön
wird. Es handelt sich um eine romantische Beschreibung, da die Lage des lyrischen
Ich auf die Natur projiziert wird. Das Gedicht hat einen erfreulichen Rhythmus,
obwohl sein Inhalt der vorzeitige Tod ist. Dieser Rhythmus wie auch der Gegensatz
zwischen diesem trübseligen Thema und der Wortwahl (« », « », « »)
lassen jedoch Spüren von Bitterkeit erscheinen. Denselben Zweck haben auch die
Oxymora (« » – « » / «
»/« »), die die Idealisierung des Bildes der toten Frau und
das passive Akzeptieren des Schicksals tragischer machen.389

Die erste Strophe fängt mit dem Ausdruck der Überzeugung, dass alles schön ist.
Alles ist Liebe und wird mit Leidenschaft verbunden. Die drei ersten Verse könnten
zu einem Liebesgedicht gehören. Der Schönheit folgt das Sterben und die
Vernichtung, alles stirbt schweigend, geführt zum Tod vom Schicksal, und wird
dadurch schön (« / / »). Hier
gilt das Gegenteil von omnem in homine venustatem mors abolet (alle menschliche
Schönheit endet der Tod), denn der Tod kommt sanft und verschönert alles. Schönheit
ist paradoxerweise, wie Barbara Johnson sagt, nichts anderes als das „Bild dessen,
was sie verdecken und ausschließen soll, nämlich des Todes, der Kastration und
Verdrängung“390.

388
Vgl. Link: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe, S. 116.
389
Tarsouli schrieb: « ,
». Tarsouli: , S. 160.
390
Barbara Johnson: The Critical Difference. Baltimore: Johns Hopkins University Press, S. 48, zitiert
nach Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 93.
- 128 -

Wofür das ‚alles’ der ersten Strophe steht, wird im Gedicht nicht erwähnt. Da in
den Strophen zwei bis sechs das weibliche lyrische Ich über sich selbst spricht und
wieder das Motiv des verschönernden Todes verwendet, lässt sich vielleicht folgendes
vermuten: In der ersten und letzten Strophe sieht das lyrische Ich in seiner Umwelt, in
der Natur eben seine Situation multipliziert. Worauf es sein Blick richtet, projiziert es
die Züge seines Zustands. Durch den Kyklos werden Anfang und Ende der
beschriebenen Situation gleich, so dass der Leser den Eindruck hat, dass das lyrische
Ich von Tod und Schönheit umgeben ist. Die Verflechtung zwischen den beiden ist
sehr interessant. Freud meinte, dass den Tod durch sein Gegenteil, nämlich durch
Schönheit zu ersetzen, einer höchst ambivalenten Form der Wunscherfüllung dient.
Die Wahl steht an der Stelle von Notwendigkeit und so überwindet der Mensch den
Tod, den er eigentlich anerkannt hat.391

Der Zustand des lyrischen Ich, so wie er in der zweiten Strophe beschrieben wird,
ist besonders bedrückend. Im jungen Alter muss es leiden und vergehen. Dazu wird
eine typisch romantische Blumenmetaphorik benutzt: Es verwelket wie die Blumen,
die trotz ihrer Blüte verblühen. Trotzdem sieht die Frau sich selbst voller Anmut und
Charme, was eigentlich im Gegensatz zum Bild der verwelkten Blume stehen sollte.
In der nächsten Strophe wird eine Erklärung dafür gegeben. Die Frau wird schön,
gerade weil sie stirbt. Sie wird zur Liebe personifiziert, zu einem Objekt der Begierde.
Noch einmal wird die Blumenmetaphorik benutzt, indem die das lyrische Ich
umgebenden Blumen verkümmern. In der herrschenden Kultur wurde die Frau mit
ihrer Schönheit, Sinnlichkeit und Sittlichkeit in Opposition zur geistigen und
körperlichen Arbeit des Mannes mit der Natur gleichgesetzt. Die männliche
Sehnsucht nach Versöhnung mit der Natur richtet sich auf ein Objekt der Begierde,
dem keine selbständigen Bedürfnisse zugestanden werden, und das wie die Natur
beherrscht werden soll.392

Das Schlüsselwort der vierten Strophe ist der Schmerz: Auch er ist wunderschön,
weil er Tränen hervorruft und Anlass zum Nachdenken wird. An diesem Punkt wird
das Motiv der Sühne eingeführt, indem einerseits der Schmerz als Ausgangspunkt
dazu dient, dass die Bilanz aus dem Leben gezogen wird und andererseits die
Krankheit und der Tod als Strafen für ein sündiges Leben empfunden werden. Der

391
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 94.
392
Vgl. Wartmann: Schreiben als Angriff auf das Patriarchat, S. 111.
- 129 -

Wunsch nach Sühne steht in Verbindung mit der Wiederholung des Motivs von
Schönheit, wenn man bedenkt, dass das Schöne (z.B. bei Kant) als symbolische
Repräsentanz des Guten gesehen werden kann.393 Wie die Sühne empfunden wird,
kommt in den nächsten zwei Strophen zum Ausdruck.

Die fünfte Strophe ist aus interpretatorischer Sicht kompliziert, allerdings kann
man darin eine sexuelle Anspielung erkennen. Die Flamme, von der die Rede ist,
impliziert die sexuelle Wohllust. Es scheint, dass die Frau ihre Leidenschaft nicht
ausdrücken will. Sie verbindet in den zwei letzten Versen das Zügeln ihrer Gefühle
und ihres Pathos mit dem Schicksal, den eigentlich zu danken ist, weil es ihr die
Möglichkeit gibt, das Begehren zu kontrollieren. Hier sollte man bemerken, dass im
herrschenden Diskurs die literarischen Phantasien über die Frau im Zustand der
Krankheit zum Tode, sie zu einem Inbild tugendhafter Weiblichkeit machten.394 Die
Undeutlichkeit dieser Verse wird eigentlich in der nächsten Strophe erklärt. Da wird
erwähnt, dass das Schicksal des weiblichen lyrischen Ich, nämlich sein Verfall und
Tod, der Grund für seine Schönheit ist; in demselben Sinne wird die Flamme der
Leidenschaft zur Flamme der Sühne.

Weil die einzige Sünde, die im Text konnotiert ist, die Sünde des Fleisches ist
(Liebe, Flamme, Herz), könnte man den Schluss ziehen, dass der Tod als Strafe für
die Sexualität empfunden wird. Das Motiv des Todes wird jetzt, gegen Ende des
Gedichts, stärker. Der Befehl des lyrischen Ich, man soll es nicht berühren, bedeutet
einerseits die Ablehnung der Sexualität, anderseits aber verweist er auf das ‚noli me
tangere’ der christlichen Tradition. Die Frau ist geweiht und lässt das Erotische hinter
sich. Bronfen bemerkt, dass in solchen literarischen Szenen des herrschenden
Diskurses die Frau gemäß der Konvention eines christlichen ‚guten Todes’ in den
Himmel versetzt wird, bevor sie zu sehr durch die Welt hätte verdorben werden
können. Auf diese Weise verhindert der Tod ihre sexuelle Verunreinigung; dadurch
wird das Todesbett zum Hochzeitsbett.395

In derselben Strophe gibt es noch einen Verweis auf die christliche Tradition. So
nah dem Tode, der ewigen Trennung steht die Frau, dass sie schon das Salböl trägt,
mit dem Christus vor der Beerdigung gewaschen wurde. Es ist also eine säkulare

393
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 230
394
Vgl. Bram Dijksta: Idols of Perversity. Fantasies of Feminine Evil in Fin-de-Siècle Culture. Oxford:
Oxford University Press, 1986, S. 24, zitiert nach: Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 89.
395
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 137.
- 130 -

Ersetzung des Körpers Christi durch den einer unschuldigen Jungfrau zu vermerken,
die, wie Bronfen schreibt, die gleiche Doppelbedeutung wie die Kreuzes-Szene in der
christlichen Ikonographie erfüllt: Es handelt sich um einen grandiosen Sieg über die
Schuld und den Tod, verbunden mit dem tragischen Schauspiel des Leidens.396 Das
Gedicht endet mit der Wiederholung der ersten Strophe, in der noch einmal das Motiv
der Schönheit aufgrund des Todes betont wird.

Polydouri schreibt in diesem Gedicht Frauenbilder und weibliche


Todesdarstellungen nicht um. Rollenzuweisungen, die die Frau auf naturgleiche
Schönheit und Rätselhaftigkeit, christliche Tugend oder bürgerliche Sittlichkeit
reduziert haben, werden nicht in Frage gestellt.397 Im Gegenteil, sie folgt der
patriarchalischen Gleichsetzung der Frau mit der Natur und benutzt die weibliche
Leiche als Kunstwerk und als Objekt des Begehrens, ohne die kulturellen Stereotype
in Frage zu stellen.

4.2. Das Motiv der Frau beim Totentanz

Im folgenden Gedicht übernimmt Polydouri die ‚männliche’ Ratio398, was die


Gleichsetzung der Weiblichkeit mit Destruktionskräften angeht und verwendet die
männlich geprägte Phantasieprojektion der todbringenden femme fatale. Da sie sich
an den normativen Vorgaben des herrschenden kulturellen Umfeldes orientiert, ist
ihre Frauenimagination Spiegelung der männlichen Projektionen der Weiblichkeit und
Reproduktion von entsprechenden Trivialmythen.399 Doch der Dichterin gelingt ein
kleiner Bruch mit der vorgegebenen Ordnung, denn in diesem Fall lässt sich die
Stimme der Frau hinter der Spiegelung hören.

396
Vgl. ebd., S. 134.
397
Vgl. Wartmann: Schreiben als Angriff auf das Patriarchat, S. 108.
398
Vgl. Petersen: „Essen vom Baum der Erkenntnis“, S. 72.
399
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 42 f.
- 131 -

Madame La Mort. « » [Feier]

’ .
’ . !

.
,
.

’ .

,

. (P, 111)

Die makabre Spaltung des lyrischen Ich zeigt dieses Gedicht, das 1928 in der
Sammlung « » [Verhallende Triller] veröffentlicht worden
war. Es besteht aus vier Strophen, mit vier Versen pro Strophe und Kreuzreim bei
dem zweiten und vierten Vers jeder Strophe. Die Zeit des Gedichts ist die Zukunft,
was ihm die Funktion einer Prophezeiung gibt. Verstärkt wird diese Funktion durch
die subjektive Perspektive wie auch aus der Absicht des lyrischen Ich, seine Pläne zu
erwähnen. Der Ort des Gedichts steht ebenfalls fest: Es handelt sich um eine Feier.

Das lyrische Ich ist deutlich weiblich (« »), die anderen


Personen im Gedicht männlich (« »). Dieses Wort hat auf Griechisch
sowohl die Bedeutung von ‚Freund’, ‚Kamerad’ als auch die von ‚Partner’. Deswegen
wird schon in der ersten Strophe, in der die Situation, in der sich das weibliche
lyrische Ich befindet, beschrieben wird, eine erste sexuelle Anspielung eingeführt: Die
Frau wurde von ihren Freunden oder Partnern zu einem Fest eingeladen; die
Einladung wurde akzeptiert und die Frau stellt sich die Szene auf dem Fest vor. Die
zweite sexuelle Anspielung wird durch das rote Kleid eingeführt, da diese Farbe die
Leidenschaft und die sexuelle Lust symbolisiert.400 Gleichzeitig kommt aber auch ein
Indiz für die Spaltung des lyrischen Ich vor: Die Frau wird auf ihre eigene Schönheit

400
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive, S. 133.
- 132 -

neidisch sein. Es ist, als ob diese Schönheit einem anderen Ich gehört, oder ein
idealisiertes Bild der wirklichen Frau sei.

Wofür eigentlich dieses wunderschöne Ich steht, wird in der zweiten Strophe
erklärt: Innerhalb der Frau existiert ein Toter. Es ist sehr interessant, dass diese tote
Person nicht weiblich, sondern männlich ist (« », « »). Diese
Person ist nämlich die Personifizierung von Charon, der in der griechischen
Mythologie als Mann dargestellt ist. Es zeigt aber auch die Kontrolle, die eine
männliche Macht auf die Frau ausübt. Somit erhält die Spaltung eine neue Dimension,
denn die Frau im Gedicht lebt und hat den Tod in sich.401 Zur Verstärkung der
Spaltung wird auch der Gegensatz « » – « » benutzt. Das
Gleichgewicht zwischen Frau und Charon ist sehr brüchig, aber gleichzeitig sehr
wichtig für die Existenz des lyrischen Ich: Die Frau kümmert sich um den Tod und ist
auch stolz auf ihn.

Näher wird dieses Motiv in der dritten Strophe beschrieben. Die Männer werden
Moribunden genannt, die von einem Fluch bedroht worden sind. Die melancholische
Gesandte von Charon ist tragischerweise wegen ihrer Schönheit über jeden Verdacht
erhaben. Der Gegensatz « »–« » betont, dass die leidenschaftliche, Rot
tragende Frau eine femme fatale ist, die durch ihre Sexualität die Männer bedroht;
Eros, Tod und Verführung sind Bestandteile dieser Figur. Eine dunkle Vorahnung
ihrer Kraft haben die Männer durch das Lied des lyrischen Ich, die auf die mythischen
Sirenen verweist, denn statt erfreut zu werden, werden sie vor der Wahrheit dieses
Liedes stumm.

In diesem Gedicht wird ein sehr verbreitetes Motiv des herrschenden Diskurses
benutzt: Aus der Schönheit und der Leidenschaft kommt der Tod in der Figur einer
Frau. Es handelt sich also um die schöne Frau als Todesgesandte, um eine Variation
des Totentanzes. Die Frau ist eine Todesgesandte, sie trägt den Tod in sich, die
anwesenden Männer sind Moribunden, die von ihrem Fluch gefährdet sind. Das rote
Kleid der Frau, das wie eine Kraft fungiert, die die Männer verlockt und vernichtet, ist
eine Maskierung des Todes. Kaiser betont, dass die Literatur- und die Alltagssprache,

401
Ähnliche Thematik gibt es auch im Gedicht « …» [Ich bin die Blume…] P, 36,
aus der Sammlung von 1928 « » [Verhallende Triller]: «[…]
/ , […]». Ebenfalls im Gedicht
« …» [Ein kalter Hauch…] P, 127 f. von der Sammlung von 1929 « »
Echo im Chaos. «[…] / ! […]»
- 133 -

aber auch die zuständigen Wissenschaften sich angewöhnt haben, für die Begegnung
der Frau mit dem Tod das Wort ‚Totentanz’ zu verwenden. Dieses Motiv ist so
elementar und intensiv, dass die Wortbildung ‚Totentanz’ in der Kunst oft in einem
sehr weiten Sinne gebraucht wurde: Die Symbolisierung war in vielen Werken
offensichtlich, auch wenn weder vom Tanz noch von der Todesgestalt die Rede
war.402

In den Totentänzen im 14. und 15. Jahrhundert findet man die Allegorie der ‚Frau
Welt’, einer imposanten Frauenfigur, deren Vorderseite schön und verlockend und
deren Rückseite im Zustand der Verfaulung ist. Es handelt sich um eine
Personifikation weltlicher Sinnenfreude, in der Verführungskraft und Vergänglichkeit
symbolisiert werden. Das Motiv erscheint oft auch in Werken nach dem 18.
Jahrhundert.403 Hart-Nibbrig404 bemerkt eine Analogie zwischen der Todesangst und
der Angst vor der Sexualität seit dem 18. Jahrhundert und Guthke405 betont, dass vor
allem in der intensiv misogynen oder gynophoben Atmosphäre der Jahrhundertwende
der Tod (im Rahmen von Ästhetizismus, Symbolismus, Dekadenz) als Frau
verkörpert wurde. Der Tod erscheint nun als Verführerin: „Der Tod als Frau,
changierend zwischen Liebreiz der Ingenue und dem routinierten Charme der Hure ist
eine ‚irresistible gouge’“406 schreibt er.

Angesichts der Frauenemanzipation und der doppelten Moral der Gesellschaft


wurde die Definition des Weiblichen fast einhellig in einem negativen Urteil
zusammengefasst: Die Frau wurde im Urteil der Männer zur Inkarnation der
todbringenden Natur, sie ‚war’ der Tod selbst.407 Der Tod als Verführerin, als magere
Kokette oder alte Prostituierte war Klischee408 und in diesem Rahmen wurde die
dekadente Erotik als Bürgerschreck verwendet. Das Faszinosum der Frau als lustvoll-
zerstörerische femme fatale, als Inbegriff der Sünde, war zugleich das Horrendum.
402
Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen, S. 8. Kaiser gibt dafür einige Beispiele: Thomas
Manns „Zauberberg“, Strindbergs „Totentanz“, Schnitzlers „Reigen“, Richard Strauss’ „Salome“.
403
Vgl. ebd. S. 106.
404
Chr.L. Hart Nibbrig: Ästhetik der letzten Dinge. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, S. 238.
405
Vgl. Guthke: Ist der Tod eine Frau?, S. 211 ff.
406
Ebd. S. 211.
407
Guthke erwähnt die Ansicht von Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ (1947):
Die Frau wurde mit dem Elementaren, mit der ‚Natur’ verbunden. Die Furcht vor dem Weiblichen und
seine Unterdrückung war ein Aspekt des Projekts Aufklärung, um die Natur zu beherrschen als das
Unberechenbare. Die Kehrseite solcher Unterdrückung des Weiblichen durch die rationale Kultur ist,
dass die Frau wiederkehrt als schreckeneinflössender Revenant, die, die sie reduzierten, mit dem Tod
bedrohend. Vgl. ebd., S. 191.
408
Einige Beispiele: S.T. Coleridges „Rime of the Ancient Mariner“, Theophile Gautiers „La Comedie
de la Mort“, Baudelaires „Fleurs du mal“. Vgl. ebd., S. 217.
- 134 -

Dieses Frauenbild wird von Polydouri einerseits nicht in Frage gestellt,


andererseits aber auf eine solche Weise verwendet, dass es auf die Besonderheit der
Frauenfigur aufmerksam macht. Denn im Gedicht liegt das Hauptgewicht nicht auf
der Vernichtung der Männer, sondern eher auf der tragischen Situation der Frau, das
Leben und den Tod in sich zu tragen. Was dadurch beschrieben sein könnte, ist die
soziale Position der Frau, die Tatsache ihres verinnerlichten Todes, trotz des
lebendigen Körpers. Am Ende des Gedichts verhält sich die Frau nicht wie erwartet,
nämlich als Objekt der Freude, sondern lässt hinter der Imagination ihre ‚Wahrheit’
verlaufen. Diese Wahrheit wird durch das ‚wahre’ Lied ausgedrückt, das an der Stelle
eines verführerischen Liedes, das erwartet wurde, auftritt. So wird das lustvolle und
erschreckende Weibliche zum tragischen.

Die Weiblichkeitsimagination wird also für die Artikulation einer eigenen Stimme
der Frau verwendet. Dass die Identität der Frau nicht direkt, sondern hinter der Maske
einer Imagination auftritt, zeigt inwieweit diese Stimme der Frau – Stimme der
Verzweiflung oder der Bitterkeit – leiser im Vergleich zu der lauten männlichen des
herrschenden Diskurses wirkt. Was Polydouri erreicht, ist der Anfang einer
Auseinandersetzung noch nicht mit den Sprachformen und den Formen, sondern mit
den Zeichensystemen, den Bildwelten und Symbolen der androzentrischen Ordnung,
was Bovenschen für wichtig für die weibliche Kreativität hält.409

4.3. Die Darstellung der Frau zwischen Leben und Tod

« …» [Alles wird vergehen…] ist der Titel des Gedichts, in dem


Polydouri ihre Version der Trauernden in ihrer Auseinandersetzung mit dem Tod des
Geliebten wiedergibt. Die Frau ist fast abwesend von der Welt und tot als soziale
Person und steht in einem Zwischenreich zwischen Leben und Tod. Auch in diesem
Gedicht ist die Anpassung an männliche Vorbilder stark und die weibliche Figur wird
nicht von ihrer Opferrolle befreit. Ihr sind zwei Möglichkeiten vorhanden: Entweder
der biologische Tod oder der soziale Tod, der an Verrücktheit grenzt.

409
Bovenschen: Über die Frage, S. 96.
- 135 -

Auf der anderen Seite ist der Zwischenraum zwischen Leben und Tod im Gedicht
« » [Abend in Zappeio] als ein Anlass verwendet, die soziale
Konstruktion des weiblichen Selbst zugleich zu bestätigen und zu ironisieren. Es ist
das einzige Gedicht, in dem der Tod der Frau mit Klarheit zum Anlass für den
Ausdruck von Bitterkeit oder Wut der männlichen Gesellschaft gegenüber wird. In
diesem Sinne wird der Tod als eine Macht angesehen, die die menschliche
Selbsterkenntnis ermöglicht. Polydouri gelingt es durch Ironie Klischees zu
untergraben und das traditionelle Frauenbild (wenn auch schwach) in Frage zu stellen.
Dadurch erreicht sie, dass der zum Tode geweihten Heldin eine eigene Stimme und
eine eigene Macht zugeschrieben wird, auch wenn ihr innerhalb der Grenzen des
Gedichts keine Überlebensmöglichkeit sichergestellt wird.410

Die Trauernde. « …» [Alles wird vergehen…]

’ ,

,
.

,
.
.

’ ;

,
.

’ ,

,
.

’ , ,
,
,
.

410
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. XIV und Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit…, S. 48
f.
- 136 -

’ ’ .
.

’ , , ;
.
,
.

; ;
;
, ’
.

! . ,
, .
’ , ,
.

! , ,
.
’ , . ,
, .

’ .
, , ,
.

, ,‘ ,
, ;
, ,
; ’ ,

,
.

,
.

. (P, 174-178)

Das Gedicht aus der Sammlung « » [Echo im Chaos] aus dem Jahr 1929
besteht aus fünfzehn Strophen mit Kreuzreim. Es wurde von der Sekundärliteratur
beachtet411, allerdings – wahrscheinlich wegen seiner Länge - nicht in seiner Ganzheit

411
Kleon Paraschos schrieb: «
, , ,
- ,
.
.
, ’ , ’
- 137 -

interpretiert. Genau aber als längeres Gedicht, behandelt es die Variation des Themas
‚der Tod und das Mädchen’412 besser. Die Perspektive des Gedichts ist subjektiv: Das
weibliche lyrische Ich trauert um den toten Geliebten, der der Adressat des Gedichts
ist (« ’ , ») und schwankt selbst
zwischen Leben und Tod. Es sind drei Teile zu unterscheiden: Der erste Teil besteht
aus den Strophen eins bis fünf, der zweite aus den Strophen sechs bis vierzehn und
der dritte Teil besteht aus der letzten Strophe des Gedichts.

Im ersten Teil herrschen Todesmotive, die auf dem gestorbenen Geliebten


verweisen: Schon am Anfang werden das Vergehen, die Nacht und ein lebloses Bild
(ein Foto des Gestorbenen) miteinander verflochten. Der Ort steht fest: Ein Zimmer,
in dem das Schweigen und die Hoffnungslosigkeit herrschen. Als der Tag vergeht,
sehen sich die Personen in diesem Zimmer, doch ihr Blick ist leer, wie das der Toten.
In der zweiten Strophe stellt das weibliche lyrische Ich ihre monotonen und traurigen
Nächte dar (« ’ »): Sie wird phantasieren, über den Geliebten weinen und sein
Foto küssen. Am Morgen werden beide Tote sein, die ins Leben zurückgekommen
sind: Der Tote, weil er in der Erinnerung der Frau immer noch lebt, und die Lebende,
weil sie sich selbst zu den Toten zählt. Das könnte entweder eine Vorwegnahme für
die Suizid der Frau sein, oder ein Indiz ihres sozialen Todes im Sinne der
erwünschten Isolierung und Widmung der Erinnerung des Toten.

. , ,
.» Kleon Paraschos: « – »
[‚Verhallende Triller’ - ,Echo im Chaos’]. In: Mendrakos: , S. 259. «
, ,
, , . […]
. […]
;
». G. Chatzinis:
[Das Leben und die Dichtung von MP]. In: Mendrakos: , S. 282-289, hier S. 286, 289.
«
. Tarsouli: , S.157.
«

». Kleon Paraschos: [Griechische Dichter].


Athen 1953, S. 221. Viele verbinden dieses Gedicht mit dem Tod von Kostas Karyotakis, wie Michael
Peranthis: . . [Anthologie
griechischer Lyrik. Vom 11. Jahrhundert bis zur Gegenwart]. 4.Bd.: 1920-1940 [Der
Zwischenkrieg 1920-1940]. Athen: Verlag Ellinika grammata 1979, S. 344 und Philippas Tsetsekos:

80 , 20.12.1982 [Vortrag gehalten am


20.12.1982 während der Veranstaltung über die Dichterin M.P. aus Kalamata anläßlich der Vollendung
von 80 Jahren nach ihrem Geburt.]. Athen: Verband “Kalamata” 1983, S. 23.
412
Vgl. Guthke: Ist der Tod eine Frau?, S. 147.
- 138 -

Die dritte und vierte Strophe bilden eine Einheit, weil sie mit einem Komma
verbunden sind. Der Geliebte soll mit Angst das Vergebliche und Unnötige an den
Tagen des lyrischen Ich sehen. Sein Blick beeinflusst das lyrische Ich, das dem
Frühling, als Metapher für das Leben, den Rücken kehrt und das leblose Bild des
Verstorbenen bevorzugt. Dieses Bild des Verstorbenen existiert vielleicht nur in der
Phantasie des lyrischen Ich oder es handelt sich um ein tatsächliches Bild, dem die
Blumen des Mandelbaums im Zimmer der Frau ein weißes Diadem bilden. Der erste
Teil endet mit der fünften Strophe. Hier wird die Hoffnung des lyrischen Ich
ausgedrückt, dass der Geliebte mit der Zeit zurückkommen wird. Das Vergebliche
dieser Hoffnung wird vom Salböl verstärkt, das man neben seinem Foto riechen kann;
in der orthodoxen Tradition werden nämlich die Fotos der Toten beräuchert.

Die Bestätigung des Verdachts, dass der Geliebte tot ist, kommt eigentlich erst in
der sechsten Strophe (der ersten Strophe des zweiten Teils) zum Ausdruck: «
’ , ». Das lyrische Ich konzentriert sich eher
auf sich selbst und betont ihre nicht gestillte Leidenschaft und ihre Wünsche, die nicht
in Erfüllung gingen. Bei der Frau herrscht das Gefühl der Unzufriedenheit («
»), wobei die Vergangenheit kein genügender Trost sein kann
(« »). Die Frau, die jetzt als Trauernde, als Witwe
vorgestellt wird, bezieht sich auf den Einfluss, den der Tod des Geliebten auf sie hat,
der an der Verrücktheit grenzt (« », «
»). Die Trauer erhält in der sechsten und siebten Strophe die Dimension einer
unerfüllten erotischen Leidenschaft, da bestimmter Wortschatz benutzt wird. («
», « »,
« ’ »).

Die Augen und der Blick des Geliebten sind oft benutzt: Sie sehen einander in der
ersten Strophe; in der dritten Strophe sieht der Tote sie; in der vierten Strophe sieht
die Frau ihn. Sie beobachtet ihn, der sie als Lebender in der Vergangenheit beobachtet
hatte und der sie immer noch sieht. Das Motiv des Bildes, das die Kraft hat, die
Personen zu sehen, wird von Sarah Kofman folgenderweise erläutert: Sie vergleicht
das gute Porträt mit dem unheimlichen Doppelgänger, nämlich einem in der
Übergangszone verweilenden Geist, der weder tot noch lebendig, weder abwesend
noch gegenwärtig ist. Er ist ein Zeichen für Abwesenheit und zugleich für eine
- 139 -

unerreichbare andere Szene, für ein Jenseits.413 So kann der Leser den Vers «
/ » im Gedicht von Polydouri
verstehen.

In den drei nächsten Strophen (8., 9. und 10.) spricht das weibliche lyrische Ich
weiterhin aus Anlass des Geliebten über sich selbst. Das Warten hatte früher, als der
Geliebte noch am Leben war, einen Sinn, deswegen könnte die Frau eine Ewigkeit
lang auf ihn warten (8. Strophe), jetzt ist es aber sinnlos. In der neunten Strophe
drückt die Frau eine Beschwerde aus, die ihre persönliche Lage und ihren sozialen
Tod verrät: Es könnte nicht wahr sein, dass sie ein ganzes Leben lang für den
Geliebten gelebt hat, und dass sie nach diesem vergeblichen Warten verloren geht.
Der Tod des Geliebten ist also auch wegen der Folgen für das lyrische Ich tragisch.
Die Frau ist sozial tot und die leeren Augen der ersten Strophe gehören einerseits zum
Bild eines Toten und andererseits zu einer sozial Toten. Der Frühling, der in den
zehnten Strophe beschrieben wird, und der für das Leben steht, macht die
Abwesenheit des Geliebten intensiver und zeigt das Unwiderrufbare des Todes, das
der Frau allmählich klar wird. Allerdings wird auch hier eher auf die Frau bezogen,
die das gemeinsame Leben mit dem Mann nicht genossen hatte.

In der elften und zwölften Strophe werden die Liebesworte des Geliebten zum
Vorschein gebracht. Sein Versprechen (wahrscheinlich der Liebesvereinigung) ist
weder vergessen worden noch hat es seinen Effekt verloren, obwohl oder gerade weil
es nie verwirklicht worden ist. In seinen Worten, die nicht mehr ausgesprochen
werden können, existiert immer noch die Liebe des Verstorbenen, deswegen sind sie
für die Schwankung der Frau zwischen Leben und Tod verantwortlich. Dieses
Schwanken wird in den folgenden zwei Strophen erklärt, die eine Einheit bilden, da
sie mit einem Komma verbunden werden: Das lyrische Ich glaubt nicht an eine
Wiedervereinigung nach dem Tod (« »). Es handelt sich also in
diesem Gedicht nicht um das Motiv des Todes als Liebesvereinigung414, noch
erscheint der Liebestod als Übergang zur erwünschten Unsterblichkeit, wie bei
Karoline von Günderrode. Die Verwechslung oder der Rollentausch von amor und
mors, von Cupido und Thanatos, sind nicht dominant sondern der erste wird vom
zweiten verhindert.

413
Vgl. Sarah Kofman: The Enigma of Woman in Freud’s Writings. Ithaca: Cornell University Press,
1985. Zitiert nach: Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 171.
414
Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen, S. 16.
- 140 -

Mit der vierzehnten Strophe endet der zweite Teil des Gedichts. Es folgt die letzte
Strophe, die den dritten Teil bildet; in der sich die Frau nicht mehr an den Geliebten,
sondern eher an sich selbst wendet. Die Hauptidee dabei ist, dass es weder im Leben
noch im Tod Hoffnung gibt. Das lyrische Ich befindet sich in einem Zustand zwischen
Leben und Tod und die Liebe ist als der Zwischenraum, der Leben und Tod verbindet,
verstanden. Allerdings verfließt der Wunsch nach Liebe nicht in Wunsch nach Tod,
im Gegenteil ist das Leben die Voraussetzung für die Liebe des Verstorbenen, denn
die Frau wird ihn auf diese Weise nicht vergessen.

Der Frühling der vorletzten Strophe verweist auf ihre Liebe, sie ist die Krönung
ihrer ewigen Leidenschaft. Der Frühling steht aber auch für das Leben und somit wird
aus dem Lebensende ein Anfang impliziert. Der Gegensatz zwischen Tod und Leben
wird versöhnt, denn erst die Vergänglichkeit macht das Unvergängliche möglich. Die
Ewigkeit bricht erst mit dem Tod an; erst das Vergangene kann unvergessen sein und
nur das Tote kann in der Dauer des Gedenkens leben. Das Vergangene ist unverloren,
sofern die Überlebenden daran erinnern und es würdigen.415

Die Dichterin benutzt in diesem Gedicht das traditionelle Motiv der Trauernden
um den toten Geliebten. An zwei Punkten scheint dem Leser, dass eine Überwindung
des Motivs vorhanden ist. Erstens als sie die Rolle nicht des betrachtenden Objekts,
sondern der Betrachterin übernimmt, die das Bild des Geliebten betrachtet. Zweitens
als der romantische Topos, nämlich das Nachsterben, das Sterben nach der geliebten
Person, aufgegeben wird. Was beispielsweise bei Novalis nicht als Flucht, sondern als
Beweis der Gefühle für das Höchste und als echte Aufopferung auftritt416, wird hier
als sinnlos abgelehnt: Der Todesschlaf wird nicht zum geistigen Beischlaf
romantisiert.

Eigentlich handelt es sich aber um keinen Abbruch mit der traditionellen Ordnung:
Der Blick des Mannes kontrolliert und bestimmt sie auch nach seinem Tod. Die Frau
steht zwischen Leben und Tod nicht als Subjekt, sondern als Objekt, das gewonnen
wird. Auch nach dem Tod des Mannes, wird die Frau nicht Subjekt der Handlung,
denn höhere Mächte wie das Leben oder der Tod entscheiden für sie. Außerdem
gleicht in diesem Fall das Leben einem sozialen Tod, der der Verrücktheit nah ist. Die
Frau hat also den Charakter der Opfernden. Eine Frage, die sich im Zusammenhang

415
Vgl. Guthke: Ist der Tod eine Frau?, S. 251 f.
416
Vgl. Chr.L.Hart Nibbrig,: Ästhetik der letzten Dinge. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, S. 240 f.
- 141 -

mit diesem Bild der Opfernden ergibt, wurde folgenderweise von Marlis Gerhardt
gestellt: Warum hält sich die weibliche Phantasie, statt sich an Utopien zu wagen, so
gern an der Klagemauer auf und begnügt sich so bereitwillig mit einem depressiven
Blick? Warum stellen sich Frauen als fragmentierte, kaputte Puppen dar?417

In diesem Fall wird das der männlichen Phantasie entstammende Frauenbild der
Gebenden imitiert, die als Opfernde überlebt.418 Was hier geopfert wird, ist nicht nur
das Leben der Frau, falls sie stirbt, sondern auch ihre Kraft eine Entscheidung für ihr
Leben zu treffen. Dieses Frauenbild ist der Preis, den die Dichterin für die
Anerkennung ihres Gedichts bezahlen musste. Wie Weigel betont, garantiert die
Aufopferung der Frau den Bestand männlicher Kultur und sichert den Ausschluss der
Frau bei der Konstituierung der kulturellen Ordnung. Sie ist Bestandteil dieser
Ordnung, genau wegen ihrer Rolle als Gebende.419 Auf der anderen Seite erlaubt ihr
diese Anpassung an männlichen Vorbildern, wie z.B. die Frau, die sich ganz ihrem
Mann oder ihrem Gott hingibt und unterwirft, eine zentralere Rolle zu übernehmen
und sich indirekt zur Heldin, zur Hauptfigur des Gedichts zu machen, auch wenn sie
dadurch nicht unabhängiger wird.

Das weibliche Sexualobjekt. « » [Abend in Zappeio]


.


.

.
( ;)
,
.

417
Vgl. Marlis Gerhardt: Der weiße Fleck auf der feministischen Landkarte. In: Gabriele Dietze (Hg):
Die Überwindung der Sprachlosigkeit. Texte aus der neuen Frauenbewegung. Sammlung Luchterhand,
Frankfurt a.M., 1979, S. 22.
418
Vgl. Weigel: Die geopferte Heldin, S.140.
419
Vgl. ebd., S. 144.
- 142 -


,

...

.(
).

’ .

, ,

! (P, 231 f.)

Unveröffentlicht zu ihren Lebzeiten blieb dieses Gedicht, das 1929 verfasst worden
ist, wie in der Sammlung von Mendrakos vermerkt wird. Es besteht aus sechs
Strophen, in denen nicht immer ein Reim benutzt worden ist (« » –
« », « »–« », « »–« », « »–« »,
« » – « »). Wo er allerdings verwendet wird, handelt es sich um
Kreuzreim. Im Gedicht stellt man zweimal eine Anapher fest (« », « »);
420
durch die zweite Anapher wird die Umkehrung der gegebenen Situation erreicht,
wie im Folgenden erklärt wird. Der Adressat bleibt unbestimmt und die Perspektive
im Gedicht ist subjektiv; vielmehr ist sie eine doppelte, denn das lyrische Ich sieht
sich selbst durch seine Augen aber auch durch die Augen der anderen.421

Im Gedicht werden die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft des
weiblichen lyrischen Ich verflochten. In den ersten drei Strophen wird die Situation
des lyrischen Ich in der Gegenwart dargestellt. In der vierten und fünften Strophe sagt
das lyrische Ich voraus, was in Zukunft geschehen wird, mit der Ausnahme des
letzten Verses der fünften Strophe, bei dem auf seine Kindheit, also auf die
Vergangenheit verwiesen wird. In der Vergangenheit spielt auch die sechste Strophe,
die die Situation vor dem heutigen Zustand des lyrischen Ich beschreibt.

Durch diesen Wechsel der Tempora werden im Gedicht die kausalen Verhältnisse
deutlich: Die Gegenwart ist ein direktes Ergebnis der Vergangenheit, deren Einfluss
auf die Zukunft bestimmend ist. Die Absicht des lyrischen Ich ist sich zu beschweren
und zu kritisieren: Das Gedicht ist sozialkritisch und zielt auf die Enthüllung der
gesellschaftlichen Heuchelei. In ihm wird impliziert, dass das Leben das weibliche
420
Vgl. Link: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe, S. 116.
421
Die doppelte Perspektive wird von Weigel für eine häufige Strategie weiblicher Schreibweise. Vgl.
Weigel: Die Stimme der Medusa, S. 9.
- 143 -

lyrische Ich täuscht, was im Moment des Todes begriffen wird. Trotzdem ist die
Dichterin aus den Stereotypen der weiblichen Bilder nicht völlig befreit worden, wie
wir im Folgenden erklären werden.

Schon in den zwei ersten Sätzen der ersten Strophe erwähnt das lyrische Ich, dass
es nun ohne Verbindung zum Leben, eigentlich zwischen Leben und Tod existiert.422
Trotzdem fühlt es keine Traurigkeit; es scheint, dass das Abschneiden vom Leben, das
gleichzeitig eine Annäherung an den Tod bedeutet, als ein Schritt in die Richtung des
Selbstbewusstseins empfunden worden ist. Denn in den zwei folgenden Versen
vergleicht es sich selbst mit einem leeren Kasten ohne Inhalt, das inmitten der
lärmenden Leute gelassen wurde.

Der leere Kasten ist eine Metonymie für das weibliche Geschlechtsorgan: Dieses
Bild hat einen psychoanalytischen Parameter, da Kasten oder Gefäße häufig als
Sinnbilder für das weibliche Geschlechtsorgan benutzt worden sind. Durch dieses
starke Bild wird also das weibliche Geschlecht des lyrischen Ich impliziert, wobei die
Bestätigung, dass es in diesem Gedicht ‚gendered’ ist, in der fünften Strophe kommt
(« », « »). Als leerer Kasten inmitten von Lärm, hat die Frau keinen Ton,
sondern fungiert als Echo423 der anderen, erhält ihre Stimme durch ihre Stimmen. Der
verlassene Kasten verstärkt die Passivität der weiblichen Figur, die als Objekt
transportiert und gestellt wird.

In der zweiten Strophe wird das Verhalten der Gesellschaft der Männer ihr
gegenüber dargestellt: Die Pluralform (« », « », « ») verweist auf
das männliche Geschlecht. Einige versprechen ihr den Himmel, und andere zeigen ihr
ein verführendes Bild der Hölle. Der Unterschied zwischen Himmel und Hölle wird
auf die Frau selbst übertragen, im Sinne dass sie von einigen Männern zum Göttlichen

422
Die Frau als Nicht-Existenz erscheint auch in den Gedichten « » P, 102 f. «[…]
/ ’ .», « » P,
104 ff. «[…] ,/ /
. […] / / , ,
;» aus der Sammlung von 1928 [Verhallende Triller]. Ebenfalls im
Gedicht « …» [Ein kalter Hauch…] P, 127 f. «[…] /
. […]» und im Gedicht «… ’ …» […Und
zwischen euch…] «… ’ , / . […]» P, 157,
von der Sammlung von 1929 « » Echo im Chaos.
423
Die mythische Nymphe Echo war zugleich an- und abwesend, sie existierte, war aber unsichtbar
und nur die Stimme blieb lebendig in ihr. Echo war eine Stimme, die keine eigene Sprache artikulierte,
die in Unsichtbarkeit und Versteinerung verurteilt worden war. Der Titel der zweiten Sammlung der
Dichterin „Echo im Chaos“ gibt dieses Bild der mimetischen Sprache in einem unfreundlichen Ort
wieder.
- 144 -

erhöht und von anderen zu einer dämonischen Frau degradiert wird, wobei es
dazwischen keinen Platz für die eigentliche weibliche Person gibt.424 Die Ambivalenz
zwischen diesen zwei Frauenfiguren wurde in Texten des herrschenden Diskurses oft
in Anlehnung auf die christliche Tradition verwendet. Die Rolle Evas als Verführerin
zur Sünde wird durch die Gegenüberstellung mit der Rolle Marias profiliert. Tod,
Sünde, fleischliche Lust und Eva rückten damit aufs engste zusammen bis zur
gegenseitigen allegorischen Stellvertretung.425

Was in diesem Gedicht thematisiert ist, ist die „vom biblischen Gegensatz
zwischen Eva und Maria ausgehende Aufteilung der Weiblichkeit in eine die Norm
übersteigende Idealisierung einerseits und in eine die Norm erreichende monströse
Perversion andererseits“.426 Diese von Bronfen beschriebene Aufteilung des
herrschenden Diskurses in eine gute, reine, unschuldige und in die gefährliche,
chaotische und verführerische Gestalt wurde auch von Autorinnen benutzt: „[…] das
Ungenügen des Mannes an dem von ihm selbst geschaffenen Bild der Frau, das die
Dialektik des gespaltenen Frauenbildes in Ehefrau und Geliebte, […] hervorbringt, ist
implizit als Thema in vielen Texten von Frauen erhalten.“427

Die Frau wird sich also der Tatsache bewusst, dass auf ihr zwei entgegen gesetzte
Bilder projiziert werden, und dass sie dadurch vergöttert und herabgesetzt wird.
Sexuelle Andeutungen kommen durch das Spiel dieser Symbole zum Vorschein und
festigen das Frauenbild zu einem Objekt sexueller Verhandlung. Das Vertrauen des
lyrischen Ich auf den Menschen ist deswegen verloren, wie es in der dritten Strophe
erwähnt wird: Die sentimentalen Worte der Menschen sind nicht wahr, sondern Lügen
und Täuschungen. In diesen beiden Strophen wird die Ironie der Dichterin deutlich:
Der Blick der Menschen ist ein Versprechen für den Himmel, die Hölle wird in einem
hellen Rahmen gezeigt, auch die Frage der Dichterin („ ;»)
hat einen ironischen Effekt, da die Dichterin an ihre Gefühle zweifelt.

In der vierten Strophe wird ausgedrückt, dass das weibliche lyrische Ich sich selbst
als eine Abbildung versteht. Die Frau ist ein Bild ohne Inhalt, sie ähnelt einem
wirklichen Menschen, ist aber nur eine Oberfläche. Die Ironie geht mit dem Wort
« » weiter: Die Frau als Projektion der männlichen Phantasien und Wünsche

424
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S .243.
425
Vgl. Guthke: Ist der Tod eine Frau?, S. 72.
426
Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. V.
427
Weigel: Die geopferte Heldin, S. 147.
- 145 -

soll ‚sicherlich’ eine komische Geschichte haben. Durch diese Verse wird ein
Stereotyp zum Ausdruck gebracht: Das weibliche Sexualobjekt, das, wie im Gedicht
erwähnt, nur wenig mit der realen Frau zu tun hat, ist in der Welt der Männer mit
einer merkwürdigen, oft traurigen Geschichte verbunden.428 Doch in diesem Gedicht
scheint das weibliche lyrische Ich von dieser Geschichte als Grund ihres Loses als
Frau in der Gesellschaft nicht überzeugt zu sein. Ihre Frage (wahrscheinlich in Bezug
auf diesen Grund) ist nicht beantwortet worden.

Die Frau im Gedicht scheint von der Welt isoliert zu sein, sie steht dieser Welt
gegenüber: Alle außer ihr wissen über sie Bescheid, auch wenn dieses Wissen nicht
ihr wahres Selbst sondern eben ihre Abbildung betrifft. Die Einsamkeit der Frau, die
hier ausgedrückt wird, fungiert als eine Stufe auf dem Weg zu ihrer Selbsterkenntnis.
Was aber in dieser fünften und in der nächsten Strophe am interessantesten ist, sind
die zwei Sachen, über die von der Gesellschaft nicht berichtet worden ist: Nämlich
über die Dämonen, die das lyrische Ich von Kindheit an beeinflussen und über ihr
Herz, das von den Männern gekauft wurde. Diese zwei Punkte werden im Folgenden
erklärt, denn sie sind für das Selbstbewusstsein des weiblichen lyrischen Ich von
Bedeutung.

Die Frau sieht sich selbst unter der Kraft von Dämonen, die ihre Handlungen
kontrollieren und ihr Schicksal bestimmen. In diesem Fall enthält der Grund für ihre
Situation metaphysische Dimensionen, da übernatürliche Kräfte beschuldigt werden.
Das ist verständlich, wenn man an das starke religiöse Gefühl der Dichterin denkt.
Die Tatsache, dass das weibliche lyrische Ich für sich selbst das Bild der dämonischen
Frau – wenn auch als Opfer dämonischer Kräfte – wählt, kann bedeuten, dass die Frau
trotz ihrer Reaktion auf die gegebene Situation vom weiblichen lyrischen Ich als
Personifikation des Dämonischen und fast als Allegorie für das Böse verinnerlicht
worden ist.429

Das lyrische Ich erkennt aber auch einen weiteren, pragmatischeren Grund für ihre
schlimme Lage: Den ständigen (« ») Betrug der Männer, die mit ihr gespielt
haben. Sie haben für ihr Herz mit angeblich wahrem Gold bezahlt und haben ihr dann
gesagt, dass es wertlos war. Die erste Bemerkung dabei ist, dass hier das Bild der für

428
Ein typisches Motiv ist die Figur der Hure, einer Frau nämlich, die kein Glück im Leben hatte, oft
von einem Mann missbraucht wurde und wegen einer unglücklichen Liebe oder finanzieller
Schwierigkeiten ihren Körper verkauft.
429
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 100 f.
- 146 -

ihre Liebe bezahlten Frau, geschildert wird. Dass es sich um eine Frau mit den
Charakteristika einer Prostituierten handelt, wird auch aus dem Bild verstärkt, dass
Männer vorbei gehen und ihr etwas sagen (zweite und dritte Strophe). In diesem Fall
steht das Wort ‚Herz’ für den sexuellen Akt, wofür die Frau bezahlt wird.

Die zweite Bemerkung ist, dass in diesem Gedicht die Männer wegen ihrer
Heuchelei für schuldig an der Situation der Frau erklärt werden. Ihr Verhalten schuf
und bewahrt immer noch die Abbildung der Frau. Diese Abbildung als toter Körper
wird schließlich zu einem Emblem der verbotenen weiblichen Sexualität und somit
des Objektstatus der Frauen. Besonders wichtig in diesem Gedicht ist die Tatsache,
dass der Tod der Frau nicht nur im Rahmen des herkömmlichen Motivs in seiner
Verbindung mit Weiblichkeit verwendet wurde, sondern auch im Sinne Bronfens430
als Mittel zum Selbstbewusstsein der Frau. Eine intensivere Anwendung des Todes
mit dem Ziel der weiblichen Identitätsfindung ist freilich in den zwei neueren
Dichterinnen zu erkennen.

4.4. Literarisches Überleben um den Preis der Selbstzensur

Im Titel dieser Einheit wird das Überleben im Gegensatz zur Selbstzensur gestellt,
weil die letzte für die Frau eine Rede bedeutet, die mit dem Tod verbunden ist
(Bronfen 1992). Für Maria Polydouri gilt diese Verbindung auch für die
Vorwegnahme ihres eigenen Todes und die Schilderung ihrer Sterbeszene in ihrem
Werk (Keller 2000). Ihre Literatur kann nicht für Material authentischer Weiblichkeit
gehalten werden, da sie sich an den normativen Frauenbildern ihres männlich
geprägten kulturellen Umfelds orientiert; daher sind ihre Imaginationen Spiegelungen
der männlichen Imaginationen (Bovenschen 1979). Im Gegensatz zu ihren
fortschrittlichen Ideen, auch was die Frauenemanzipation angeht, drückte sie sich in
ihrem literarischen Werk auf eine solche Weise aus, die zur Befriedigung der Normen
des herrschenden Kanons und zu ihrer Anerkennung als Autorin zielte. Dass ist oft bei
Frauen, die als Schreibende das Schweigen durchbrachen, zu bemerken; diese

430
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 622 f.
- 147 -

Autorinnen verwendeten die Bilder, Ausdrucksweise und Inhalte des anderen


Geschlechts (Weigel 1984).

In Polydouris Bild der geopferten Heldin im Gedicht « ’ » [Weil


du mich gelebt hast] wird klar, dass sich das „Weibliche“ durch und für das
„Männliche“ bestimmt, da Autorinnen keinen Zugang zur Sprache außer durch
Rekurs auf männliche Repräsentationssysteme haben (Irigaray 1976). Die
Abhängigkeit des weiblichen lyrischen Ich vom männlichen Blick bestätigt Lenks
Spiegelmetaphorik (Lenk 1976) und Weigels These vom Sehen durch die Brille des
Mannes (Weigel 1984), wobei sein Tod die Sicherung der androzentrischen Ordnung
garantiert (Bronfen 1992). Ähnlicherweise folgt die Dichterin im Gedicht «
» [Alles ist schön] der patriarchalischen Gleichsetzung der Frau mit der Natur
(Bovenschen 1979) und benutzt die weibliche Leiche als Kunstwerk und als Objekt
des Begehrens (Bronfen 1992), ohne die kulturellen Stereotype in Frage zu stellen.

Polydouris Frauenbilder in den Gedichten « » [Feier] und «


» [Alles wird vergehen] sollen ebenfalls als Ausdruck einer gestalteten
Beziehung zur männlichen Vorstellung von Weiblichkeit betrachtet werden (Weigel
1984). Im ersten Gedicht wird die Frau als femme fatale beim Totentanz geschildert,
im zweiten hat sie die Rolle der Trauernden, die vom Blick des toten Geliebten
kontrolliert und bestimmt wird. Obwohl beide Motive als literarische Darstellungen
von Tod und Frau in Einklang mit dem herrschenden Diskurs sind und sich als
Symptome der patriarchalischen Kultur deuten lassen (Bronfen 1992), ist es möglich
Bewegungsversuche innerhalb der männlichen Kultur zu erkennen (Weigel 1984). Im
ersten Fall wird die Weiblichkeitsimagination als Mittel für die Artikulation einer
eigenen ‚wahren’ Stimme der gespaltenen Frau verwendet. Im zweiten Fall hat die
Objekt-Frau zwei Momente einer beschränkten Macht: Als sie die Rolle nicht des
betrachtenden Objekts, sondern der Betrachterin übernimmt, die das Bild des
Geliebten erblickt und als der romantische Topos, nämlich das Nachsterben, das
Sterben nach der geliebten Person, aufgegeben wird.431

Dass Autorinnen zwischen Leugnung und Bestätigung der herrschenden Bilder


gefangen bleiben (Bronfen 1992) wird im Gedicht « » [Abend in
Zappeio] deutlich. Die Sprache weiblicher Suizidalität in Form von Konflikten und
Wunden verweist in diesem Fall auf die Suche nach einer weiblichen Identität und auf
431
Im Gegensatz zu Günderrodes Motive.
- 148 -

eine Auseinandersetzung mit dem imaginierten Bild von Weiblichkeit (Keller 2000).
Die soziale Konstruktion des weiblichen Selbst wird aber nicht nur ironisiert und
kritisiert, sonder auch bestätigt: Die Dichterin benutzt Klischees, wie den biblischen
Gegensatz zwischen Eva und Maria (Bronfen 1992) und verbindet das weibliche
lyrische Ich mit dem Dämonischen (Bovenschen 1979); da die Galerie der Heldinnen
männlich ist, sind Stereotype zu wiederholen und die Figuren bewegen sich zwischen
Engel und Monster (Gilbert/Gubar 1979).

Der mit dem Weiblichen verbundene Tod erlaubt auch einer Dichterin, die sehr oft
männliche Phantasieprojektionen benutzte und deswegen als Autorin ‚kastriert’ wurde
(Bronfen 1992), eine Auseinandersetzung mit dem weiblichen ‚Geschlechts-
charakter’, den ihre Dichtung haben sollte, auch wenn ihr Geschlechts-
rollenverständnis nicht vollkommen abgelehnt wird und die Grenzen ihrer
Geschlechtsbestimmungen nicht aktiv überschritten werden. Aber auch diese
Bewegung zeigt, dass die Sprache der Frauen nichts Gegebenes oder zu
Konstruierendes ist, sondern aus einem ständigen Perspektivenwechsel charakterisiert
wird (Weigel 1987).

Von besonderer Bedeutung ist die Feststellung, dass vor allem in den zwei aus den
drei letzten Gedichten, die hier erwähnt sind (« » [Feier], « »
[Abend in Zappeio]), sich die ersten Schritte der Erkenntnis des weiblichen Subjekts
bemerken lassen. Obwohl das weibliche Ich nicht mit Klarheit bestimmt und von
seiner männlichen Imagination nicht distanziert wird, wird die ironisch-kritische
Stimme von Polydouri hörbar, die den Gedichten eine feministische Optik verleiht.
Den Riss in der männlich geprägten literarischen Tradition der Frauen, den
Günderrodes Utopien verursacht haben, machen die Ironie und die Kritik von
Polydouri größer, was eine Weiterentwicklung der Frauenliteratur kennzeichnet.
Deswegen ist auch ihr Beitrag zum emanzipatorischen Schreiben von Frauen als
positiv zu bewerten.
- 149 -

Übergang

Karoline von Günderrode und Maria Polydouri verletzten durch die Veröffentlichung
ihrer Werke das Schweigegebot, sie haben aber oft ihre Emanzipation mit dem
Verzicht auf die Emanzipation ihrer Heldinnen bezahlt.432 Sie mussten sich an
männliche Weiblichkeitsmuster anpassen und nahmen daher die Heldinnen in ihren
Werken als Spiegelungen männlicher Projektionen wahr, so dass sie sich in den
traditionellen Grenzen des herkömmlichen Diskurses bewegten. Das liegt daran, dass
Frauen in ihren Epochen keine Tradition hatten, die ihnen eigen war, wie Simone de
Beauvoir es ausgedrückt hat.433 Trotzdem sind Befreiungsversuche festzustellen:
Momente in ihrer Autorschaft, in denen auf einer zweiten Ebene männliche
Imaginationen nicht kritiklos akzeptiert werden.434 Diese Risse setzen einen
gemeinsamen Tropus des weiblichen Schreibens fest und bilden eine literarische
Tradition von Autorinnen, deren Schreiben schrittweise emanzipiert wird.

Wenn man davon ausgeht, dass Günderrode und Polydouri durch ihre Gedichte
den woolfschen Engel des Hauses verletzten, dann stellt man fest, dass es Inge Müller
und Katerina Gogou durch deutliche Kritik an den herrschenden Weiblichkeitsbildern
ihn zu lähmen, wenn nicht zu vernichten gelang. Es handelt sich bei ihnen nicht um
Mimesis, sondern um Überwindung der patriarchalischen Imaginationen. Die
Dichterinnen verwerten die Tradition schreibender Frauen der Vergangenheit, für die
die Bejahung der männlichen Optik der Preis für die Befreiung vom Schweigen war,
und unter dem Einfluss der politischen und sozialen Änderungen nach der Mitte des
zwanzigsten Jahrhunderts (‚Trümmerfrauen’ und Demokratischer Frauenbund
Deutschland in der DDR; die zweite Welle der Frauenbewegung, die in Griechenland
der 70er Jahre verspätet vorkam) drückten sie eine kritische Stimme aus.

432
Vgl. Weigel: Die geopferte Heldin, S. 144, 146.
433
Vgl. De Beauvoir: . [Le Deuxiéme Sexe], S. 155.
434
Bovenschen schrieb zu den Abweichungen von Klischees: „Die Identifikation seitens der Frauen
mit den ästhetischen Objektivationen der Weiblichkeit war vielfach verstellt: nur dort, wo die
künstlichen Trägerinnen des femininen Prinzips sich den traditionellen Darstellungsmustern
entgegensetzten, wo weibliche Figuren entstanden, die von den Weiblichkeitsklischees abwichen,
konnte sie partiell gelingen. Andernfalls verdankte sie sich einem komplizierten und problematischen
Übersetzungsverfahren: entweder über den geschlechts-verräterischen Umweg der Identifikation mit
der männlichen Sicht oder der masochistisch/narzißtischen Identifikation mit dem Objekt der
Darstellung im Zustand der akzeptierten Passivität.“ Bovenschen: Über die Frage, S. 100.
- 150 -

In ihren Gedichten erkennt man den Versuch, nicht nur die männlichen Erlebnisse
als universell und nicht nur das männliche Subjekt als menschlich gelten zu lassen:
Die weibliche Erfahrung innerhalb einer androzentrischen Welt verlangt in diesen
Gedichten nach Platz, die kulturell, gesellschaftlich und historisch bedingten
Identitätskonzepte, die dem Weiblichen zugeschrieben sind, werden thematisiert. Die
zwei Dichterinnen überwinden die Grenzen der weiblichen Stimme als Ausdruck
einer individuellen Kleinwelt. In diesem Punkt liegt der Unterschied zwischen ihnen
und den zwei ersten, den wir mit den Worten von Magdalene Heuser ausdrücken:

Die fetischistischen Betrachtungen ihres Erscheinungsbilds und damit der


Objektcharakter der Kunst gingen verloren, weil Frauen aufhörten, dieses betrachtete
und entfremdete Ich zu sein, und statt dessen anfingen, zu sich selbst und zu anderen
Frauen in ein Verhältnis zu treten.435

Das Persönliche wird politisch und Literatur zum Ort, „an dem die politische
Relevanz subjektiver Erfahrungen exemplarisch verdeutlicht werden kann“436. Die
Weiblichkeitsbilder werden durch den ‚schielenden Blick’ der Dichterinnen
betrachtet; Herrschaftsstrukturen, die von Klasse, Geschlecht oder Rasse determiniert
werden und aus denen das falsche Bewusstsein der Frauen entstanden worden ist,
werden thematisiert und in Frage gestellt. Denn dieses falsche Bewusstsein ist dafür
verantwortlich, dass Frauen keine klare Ansicht über ihre Rolle und ihre
Möglichkeiten haben. Bei beiden, Müller und Gogou, kann man den schielenden
Blick erkennen: Sie bearbeiten gesellschaftliche Themen und gleichzeitig
konzentrieren sie sich auf Frauenbilder und weibliches Selbstverständnis innerhalb
der gesellschaftlichen Verhältnisse.437

Es wird zwischen der patriarchalischen Weiblichkeit und dem Frauendasein


unterschieden, es wird betont, dass Geschlecht und Sexualität soziale Konstruktionen
sind. Ihre Dichtung kann als subversiv begriffen werden, weil sie den Versuch
unternehmen, die Selbstentfremdung der Frau ans Licht zu bringen. Ihre Dichtung
bewegt sich sowieso gegen die Normen ihrer Zeit: Inge Müller spricht vom
weiblichen Ich und Unmittelbarkeit in einer Epoche, in der der Ausdruck der

435
Heuser: Literatur von Frauen/Frauen in der Literatur, S. 139.
436
Richter-Schröder, Karin: Frauenliteratur und weibliche Identität. Theoretische Ansätze zu einer
weiblichen Ästhetik und zur Entwicklung der neuen deutschen Literatur. Frankfurt a.M.: Verlag Anton
Hain 1986, S. 55 f.
437
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 104.
- 151 -

Subjektivität nicht toleriert wurde. Katerina Gogou fordert kollektiven Geist in einer
Zeit, in der die Dichterinnen und Dichter sich in ihre persönliche Sphäre
zurückziehen.

Außerdem gelingt es den Dichterinnen die Ausbürgerung des Weiblichen aus der
Realität, die Bovenschen für den Fluch der Literaturgeschichte hält438, zu überwinden.
Die schonungslose Betrachtung der Wirklichkeit von Frauen, die beide Müller und
Gogou praktizieren, korrespondiert mit der Programmatik, die Alicia Ostriker bei
vielen Dichterinnen bemerkt: „To tell the truth and tell it straight has become the
program of most women poets.“439 Diese ‚Wahrheit’ hat damit zu tun, dass
Weiblichkeit und Männlichkeit im kulturellen Diskurs von anderen Differenzen
bestimmt werden, die mit Rasse und Klasse in Verbindung stehen.440 Bei Müller wird
sie von der faschistischen Ideologie, bei Gogou von der Klassengesellschaft bestimmt.
Ihr Werk schafft das, was Sigrid Weigel für Voraussetzung einer subversiven
Frauenliteratur hält:

Frauenliteratur, die weibliche Erfahrungen aus der Gewalt patriarchalischer Normen


befreien will, die bemüht ist, den Blick der Frauen von der männlichen Brille zu erlösen,
die versucht, eine weibliche Perspektive zu gestalten und Wahrnehmungsweisen zu
entwickeln, die Frauen nicht in Abhängigkeit vom Mann definieren – das kann nur eine
Literatur der nicht heroischen Utopien sein, eine Literatur, die irritiert, provoziert und
sich das Recht eigener Wertungen nimmt, oder auch eine nachdenkliche Literatur, die
den eigenen Anteil von Frauen an ihrer Opferrolle, die Verinnerlichung der Gebenden,
erforscht.441

438
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 264.
439
Alicia Ostriker: Writing like a woman. In: Ann Abror: The University of Michigan Press 1983, S.
14, zitiert nach: Douka-Kabitoglou: Beauty and the Beast, S. 41.
440
Cora Kaplan: Die Büchse der Pandora. Klasse, Gesellschaft und Subjektivität. In: Argument 169.
Heft 3 1988, S. 340-354, hier S. 340.
441
Weigel: Die geopferte Heldin, S. 150.
- 152 -

5. Inge Müller (1925-1966)

Das poetische Programm von Inge Müller ist mit der Hoffnung auf neues Leben nach
dem Krieg auf der Basis der Enthüllung der nationalsozialistischen Dogmen, und des
damit verbundenen Kampfes gegen die soziale und persönliche Blindheit, verbunden.
Diesem Credo nach sollten Werke entstehen, die wirklicher, intensiver und
authentischer als die Wirklichkeit selbst sind und die durch Unmittelbarkeit,
Genauigkeit und Intensität der Sprache erschüttern. Damit ist gemeint, dass die Werke
die reale Situation in der DDR nach dem zweiten Weltkrieg darstellen würden und
nichts (z.B. die Angst, die Unmenschlichkeit, die Flakhelferinnen) vergessen werden
ließen. Die poetische Sprache führt sie dazu, das Weibliche ihres Selbst zu suchen:

Bei Gertrude Stein, deren Stil, deren Art zu denken, die wirklich weiblichste Art zu
denken ist, die ich als Frau, als Frau, die schreibt, als wirklich empfinde und damit
mich wirklich empfinde, lässt mich im Grunde suchen, was an Weiblichem in mir zu
finden ist, zu wählen und zu sein, was ich bin: wenn ich bin, wenn ich schreibe.442

Das notierte die Dichterin am 27.9.1962 in ihrem Tagebuch. Müller wollte eine
neue Weise finden, um dem Schweigen, das für sie die Maske des Todes ist, zu
entgehen. Der Tod als Motiv hilft ihr hinter den normativen Imaginationen, nach einer
ihrem Credo nach wahren weiblichen Identität zu suchen.443 Ihre Texte sind subversiv
im Sinne Cixous, sie heben „vulkanartig die alte, immobile Kruste empor.“444

Der Krieg und die generelle Entwertung des Glückanspruchs bilden das
Grundinventar ihrer lyrischen Welt.445 Das Jahr 1945 bleibt stets der Drehpunkt, es
steht für eine historische und biographische Diskontinuität, zugleich für den
Zusammenbruch und die Stunde Null, also für den Aufbruch.446 Deswegen werden
die Grenzen der Zeitebenen sprachlich aufgehoben: Es ist vielleicht nicht zufällig,
442
Inge Müller: Daß ich nicht ersticke am Leisesein: gesammelte Texte. Hg. von Sonja Hilzinger.
Berlin: Aufbau-Verlag 2002, S. 627.
443
Vgl. Keller: Nun breche ich in Stücke, S. 16.
444
Hélene Cixous: Schreiben, Feminität, Veränderung. In: Alternative. Zeitschrift für Literatur und
Diskussion 108/109, 19. Jahrgang, Berlin: Alternative Verlag 1976, S. 134-147,hier S. 147.
445
Vgl. Ursula Heukenkamp: Lyrisches Subjekt und weibliche Perspektive. Lyrikerinnen aus der DDR.
In: Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. v. Hiltrud
Gnüg und Renate Möhrmann. Stuttgart/Weimar:Verlag J.B. Metzler 1999, S. 328.
446
Vgl. Gernot Böhme: Reime. Zu Inge Müllers Dichtung. In: Inge Müller: Irgendwo; noch einmal
möcht ich sehn. Lyrik, Prosa, Tagebücher. Mit Beiträgen zu ihrem Werk. Hg. v. Ines Geipel. Berlin:
Aufbau-Verlag 1996, S. 277-288, hier S. 279.
- 153 -

dass die meisten ihrer Gedichte undatiert sind: Das Datum ist unbrauchbar, denn alles
was in der Gegenwart geschieht, sind Wiederholungen desselben Traumas, das 1945
passierte, nämlich des durch den Krieg verursachten Brandmals.

Dieses poetische Programm stand allerdings nicht in Einklang mit der damaligen
Kulturpolitik der DDR, die Bücher forderte, die entweder einen Abstand von den
Ereignissen hatten, oder das Thema Kriegstrauma durchaus verdrängten. Müller hat
sich im Gegenteil auf ihre Weise mit der Geschichte beschäftigt und nach Dorothea
von Törne wie keine Lyrikerin der historischen Wahrheit nicht von außen, sondern als
Betroffene gestellt.447 Vor allem war das Schicksal von Frauen und Mädchen im
Krieg in der DDR-Lyrik kein Thema gewesen.448 Heukenkamp schrieb:

Einberufene Frauen sind in der gesamten Kriegsliteratur, wenn überhaupt erwähnt,


dann nut mit dem Ausdruck der Verachtung behandelt worden. Die Situation der zum
Mittun gezwungenen Opfern, Flakhelferinnen, Soldatenbräuten, Blitzmädchen in
Uniform unter den toten Männern, wird daher zum Gleichnis für die
Instrumentalisierung von Frauen, das über sie hinaus weist auf den erzwungenen
Eintritt in eine Geschichte, die von andern „erdacht“ wurde.449

Das Los der Soldatenbraut, die Einberufung von Mädchen in Hitlers Armee, die
äußerliche Vernichtung ihrer Weiblichkeit, ihr sinnloses Opfer bei der Feuerprobe
sind Themen von Müllers Gedichten, die als Zeugnisse eines spezifisch weiblichen
Gedächtnisses gelten. Dadurch gelingt der Dichterin das, was nach Wartmann sehr
wichtig für die Texte der Frauen ist: Aus den einzelnen Erfahrungen wird ein
gemeinsames Kultur-Schicksal gemacht.450

Müllers Werk beschränkt sich nicht nur auf das Thema Nationalsozialismus.451
Das Besondere ihrer Leistung, was diese thematische Kategorie angeht, ist jedoch,
dass sie das Los der Frauen im Krieg der Männer poetisch ans Licht gebracht hat und
dass sie die doppelte Unterdrückung der Frauen als Objekte der Objekte aufzeigte. In
diesem Punkt muss erwähnt werden, dass man vor allem in den Gedichten mit dieser
Thematik eine klare Verbindung zwischen einem weiblichen lyrischen Ich und dem
Tod erkennt. Deswegen konzentrieren wir uns bewusst auf Gedichten mit Krieg-
447
Vgl. Dorothea von Törne: Zertrümmern von Sprachhülsen. Inge Müller: ‚Wenn ich schon sterben
muß’. In: Neue deutsche Literatur 9 (1986), S. 132-139, hier S. 132, 138.
448
Vgl. ebd. S.139 und Annett Gröschner: Authentizität mit tödlichem Ausgang. Inge Müller.
Unveröffentlichte Diplomarbeit. Humboldt Universität, Berlin 1988, S. 51.
449
Heukenkamp: Lyrisches Subjekt, S. 328.
450
Vgl. Wartmann: Schreiben als Angriff auf das Patriarchat, S. 109 und Weigel: Der schielende
Blick, S. 104 f.
451
Siehe dazu S. 58-62 dieser Arbeit.
- 154 -

Thematik, die die Rolle der Frau in der androzentrischen Gesellschaft hervorheben,
obwohl selbstverständlich die Wunde des Krieges beide Geschlechter betreffen.

Damit man dem Schweigen entgeht, muss man – so Blanchot - den Tod
anschauen, den Tod hinter sich ansehen.452 Das hat Inge Müller gemacht: Die
Todespräsenz ist eine Obsession der Dichterin, der Tod mit seinen Attributen
(verlieren, sterben, verschwinden…) existiert in den meisten Gedichten. „In ihrer
Dichtung erscheint das Leitwort Tod in der von seinem Echo erfüllten Landschaft“453
schreibt Jirgl. Selbst die weibliche Identität wird erst im Tod gefunden (Kapitel 5.1.).
Die Frauen in ihren Gedichten werden vernichtet, so wie sie in einem großen Teil des
patriarchalischen Diskurses vernichtet werden, was daran liegen könnte, dass die
schreibenden Frauen die von männlicher Phantasie gemachte Verbindung zwischen
Frau und Tod verinnerlicht haben.

Trotzdem gibt es im Fall von Müller eine bestimmte Zielsetzung, die gerade diese
Vernichtung scharf angreift. Heukenkamp meint, dass der Tod für das Innewerden der
großen Gleichgültigkeit steht, die in der Geschichte von Männern produziert wird, da
Mann und Geschichte in ihrer Dichtung identifiziert werden.454 Auch von Törne
bemerkt, dass es in den Gedichten den Vorwurf gibt, dass der Krieg eine männliche
Angelegenheit ist.455 „Männer brauchen Krieg? [...] Der Kopf stirbt unterm Muß.“
(M, 158), „In den Gaskammern / erdacht von Männern…“ (M, 196)456, „…O
Deutsch- / Land der Männer / Europa gräbt sich ein…“ (M, 287) schrieb Müller.

452
Vgl. Maurice Blanchot: . : futura 2003, S. 52.
Blanchot spricht hier über die Sprache, die er als Leben versteht, das den Tod in sich trägt. Daher fange
auch die Literatur mit dem Ende an; das Ende, also der Tod, helfe uns begreifen und nachfühlen, was
die Voraussetzung des Sprechens sei.
453
Vgl. Reinhard Jirgl: Das verlängerte Echo. Der Horizont des Todes in Gedichten von Inge Müller.
In: Inge Müller: Irgendwo, S. 300-313, hier S. 302.
454
Vgl. Heukenkamp Lyrisches Subjekt, S. 329.
455
Vgl. Törne: Zertrümmern von Sprachhülsen, S. 139. Vgl. auch Heukenkamp: Lyrisches Subjekt, S.
28 und Sonja Hilzinger: Wann wird was wir wolln gewollt? Zur Lyrik Inge Müllers. In: Deutsche
Viertelsjahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 67, 1993, S. 173-188, hier S. 174.
Nach Haug (Frigga Haug: Eintritt der Frauen in den Krieg. In: Das Argument. Heft 3. Mai/Juni 1991.
S. 349-371, hier S. 350) wird im Krieg männlich gesprochen, gelebt und gehandelt; seine Logik und
seine Symbole, wie die Waffen, die Technik, die Schlachtpläne, die Kampfhandlung gehören zum
Männlichen.
456
Alle Werke von Inge Müller (M) sind aus dem von Sonja Hilzinger herausgegebenen Buch zitiert
(Inge Müller: Daß ich nicht ersticke am Leisesein: gesammelte Texte. Hrsg. Von Sonja Hilzinger.
Berlin: Aufbau-Verlag 2002). Die Nummer verweist auf die Seite in diesem Buch (z.B. M, 37).
- 155 -

Was in den sechs Gedichten457 dieses Kapitels thematisiert ist, ist das Los der
Frauen im Krieg, die Imaginationen, die auf ihre Kosten produziert werden und die
als Folge ihren Tod haben. Die Widersprüche, die die Dichterin zum Sprechen bringt,
beziehen sich auf die Frauen im Krieg der Männer unter verschiedenen Perspektiven:
Aus der Sicht der weiblichen Opfer (Kapitel 5.2.1.), der weiblichen Täter (Kapitel
5.2.2.), aber auch der besonderen Kategorie der Frauen, die beide Rollen hatten
(Kapitel 5.2.3.). Denn auch, wenn die Frauen im Krieg selbst töten, wird das als noch
ein Beweis ihrer Funktionalisierung interpretiert.458 Die Verletzungen des weiblichen
Bewusstseins durch den Mann werden in diese Gedichte mit eingeschrieben, wobei
die Sicht des lyrischen Ich die einer Frau ist, die unter bestimmten historischen
Umständen mit teils noch traditionellen patriarchalischen Strukturen lebt.459

Gegenstand der Auseinandersetzung ist das imaginierte und in diesem Fall das
aufgezwungene Bild der Weiblichkeit, so wie es die patriarchalische und vor allem
die Nazi-Kultur geprägt hat. Darüber hinaus wird gegen die symbolische Ordnung als
Staat, Nazi-Regierung oder Armee gekämpft. Müller gelingt es durch die
Verwendung und Ablehnung von patriarchalischen Frauenimaginationen die
Kulturschranken zu zerstören, die Frauen durch verschiedene Rollenzuweisungen zu
stummen Gegenbildern männlicher Macht machen und auf einen Objekt-Status
reduzieren.460

Zum Schluss möchten wir eine Bemerkung über den Reim in Müllers Dichtung
machen. In der Mehrheit ihrer Gedichte, wie wir in den folgenden Kapiteln gezeigt
wird, spielt der Reim als nackte, isolierte Worte, die die pure Ich-Auflösung
artikulieren, eine große Rolle. Nach Böhme hangelt Müller „von Reim zu Reim am

457
Keins dieser Gedichte war zu Lebzeiten der Dichterin veröffentlicht. Wie wir im zweiten Kapitel
dieser Arbeit (S. 47 ff.) vermerkt haben, ist der Nachlass der Dichterin noch nicht völlig bearbeitet.
Dazu kommt, dass die meisten ihrer Gedichte undatiert sind. Deswegen kann man ihr Werk nicht
chronologisch in Phasen trennen oder die Stellung dieser sechs Gedichte in ihrer gesamten Arbeit
feststellen. Alle Gedichte sind aus Hilzingers Buch (Inge Müller: Daß ich nicht ersticke am Leisesein:
gesammelte Texte. Hrsg. Von Sonja Hilzinger. Berlin: Aufbau-Verlag 2002) zitiert. In Anmerkungen
zu jedem Gedicht erwähnen wir seine anderen Veröffentlichungen, so wie sie im von Sonja Hilzinger
herausgegebenen Buch dargestellt worden sind (2002, S. 631-633). Dort steht aber nicht der Inhalt von
zwei Ausgaben („Inge Müller Poesiealbum“. Auswahl: Bernd Jentzsch. Berlin: Neues Leben 1976 und
„Inge Müller: Wenn ich schon sterben muß“. Gedichte. Hg. von Richard Pietraß. Berlin, Weimar:
Aufbau 1985) die uns nicht zur Verfügung stehen. Deshalb ist uns nicht bekannt, ob diese sechs
Gedichte auch 1976 und 1985 veröffentlicht worden sind.
458
Hier ist zu bemerken, dass die Funktionalisierung selbstverständlich auch für die Männer gilt. Das
Besondere, das Inge Müller durch ihre Dichtung hervorhebt, ist die Position der Frau als Objekt der
Objekte im Krieg. Vgl. dazu Heukenkamp: Lyrisches Subjekt, S. 328.
459
Vgl. Gröschner: Authentizität mit tödlichem Ausgang, S. 62.
460
Vgl. Wartmann: Schreiben als Angriff auf das Patriarchat, S. 108.
- 156 -

Abgrund sich entziehender Sprache“.461 Trotzdem verwendet sie in den Gedichten,


die in diesem Kapitel bearbeitet werden – mit der Ausnahme von „Europa“ - eine eher
konservative Form: den Kreuzreim oder den umarmenden Reim. Der Bruch mir einer
strengen väterlichen Ordnung beschränkt sich vor allem auf die Satzzeichen. Sie
verzichtet darauf und so bleibt das Schwebende deutlich, das keine Gewissheit außer
der der Vergänglichkeit und des Todes erlaubt.462

Unserer Meinung nach war das eine bewusste Wahl: Die Form des Gedichts
entspricht der ‚Form’ der bezeichneten Frau: Auf der ersten Ebene handelt es sich um
ein durchaus angepasstes Bild des Weiblichen, um ein Wesen, das nach Ordnung und
Pflicht handelt. Diese Beschreibung verstärkt jedoch das andere Bild, das schließlich
aus dem Gedicht heraustritt, und das weder fromm noch folgsam sein sollte; auf
dieselbe Weise macht die formale Schönheit des Gedichts den unharmonischen und
grausamen Inhalt kräftiger. Die väterliche Sprache und die väterliche
Weiblichkeitsimagination werden beide zum Zweck einer harten Kritik benutzt, die
erste als ungeeignetes Medium und die zweite als ungeeignete Haltung.

5.1. Der Tod als Weg zur weiblichen Identität

Die Frau ohne Gesicht. „Meine Mutter wollt mich nicht haben…“

Meine Mutter wollt mich nicht haben


Sie wollte einen Sohn
Und da kam ich schon
Und mein Bruder war noch nicht begraben

Deutschland, alte Mutter


Wollte einen Sohn
Und da kamen Kanon –
Immer wieder Kanonen statt Butter

Fritz und Krupp und Karl der Starke


Geheiligte Nation
Ja wir wissen schon
Das ist unsre Welt Weltmarke

461
Böhme: Reime. Zu Inge Müllers Dichtung, S. 288.
462
Vgl. Törne: Zertrümmern von Sprachhülsen, S. 136.
- 157 -

Und die Welt ging in Scherben


Deutschland eine Scherbe davon
Die Scherbe der Nation
Favorit beim großen Sterben.

Unsre Denker und Dichter


Mußten immer gehn
Die Mutter blieb am Grabstein stehn
In Nürnberg am Trichter.

Meine Mutter wollt mich nicht haben


Ich wollt die Mutter nicht
Drum hab ich kein Gesicht
Bis sie mich begraben. (M, 17)

Das Gedicht463 besteht aus sechs Strophen mit je vier Versen. Der Reim ist in allen
Strophen umarmend, und in einigen Fällen unrein (Sohn-schon, Nation-schon, Stärke-
Marke). Der Raum im Gedicht steht fest (Deutschland, Nürnberg, ein Volk der
Denker und Dichter); was die Zeit angeht, ist die Rede von einem Krieg, der
angefangen hat („Und da kamen Kanon“) und beendet ist („Deutschland eine Scherbe
davon“). Dass es um den 2. Weltkrieg geht, erkennt man aus der Phrase „Das ist
unsre Welt“, die aus einem Songtext der Zeit zitiert ist464 und aus der Erwähnung der
historischen Tatsache, dass zahlreiche Künstler und Intellektuelle Deutschland nach
1933 verlassen hatten und sich in der Emigration befanden („Unsre Denker und
Dichter / mussten immer gehn“).

Dieses Gedicht nimmt Geschichte als persönliche Last an sich465: Das geschieht,
indem das Persönliche mit dem Historischen verbunden wird, wodurch die Geschichte
die Persönlichkeit der Einzelnen demütigen oder zerstören kann. Die erste und die
letzte Strophe beziehen sich auf persönliche Ereignisse, die mittleren vier auf
historische. Das lyrische Ich des Gedichts ist weiblich („Meine Mutter wollt mich
nicht haben / Sie wollte einen Sohn / Und da kam ich schon“) und fängt seine lyrische
Erzählung mit der Ablehnung aus geschlechtlichen Gründen seitens seiner Mutter: Sie
hätte lieber einen Sohn, der im Krieg kämpfen könnte, wie der schon gefallene Bruder
des lyrischen Ich, den es aufgrund seines Geschlechts nicht ersetzen kann.
463
Das Gedicht wurde veröffentlicht in: „Selbstbildnis um zwei Uhr nachts. Eine Anthologie“. Hg. von
Helga Pankoke und Wolfgang Trampe. Berlin, Weimar: Aufbau 1989, S. 160, in: „Die Kinder dieser
Welt. Gedichte aus zwei Jahrhunderten. Hg. von Jana Halamiková. Frankfurt/M.: Fischer 1990, S. 149.
und in: Geipel (Hg.): Inge Müller: Irgendwo, S. 19.
464
Vgl. Törne: Zertrümmern von Sprachhülsen, S. 135.
465
Vgl. Herta Müller: In der Falle. Göttingen: Wallstein Verlag 1996, S. 42. Ähnliche Problematik
findet man in den Gedichten „Lebenslauf“ (M, 16) und „33 war ich ein gläubiges Kind…“ (M, 21).
- 158 -

Bemerkenswert ist hier, dass die Figur der Mutter im Einklang mit dem
faschistischen Bild des Weiblichen ist, bei dem die Hochschätzung der Natur der Frau
als Mutter deutlich wird. Die faschistische Mutter soll gefühlskalt, als Natur agieren
und gleichzeitig ohne selbstbestimmte und subjektive Bedürfnisse; sie soll die Rolle
der Urmutter der Rasse übernehmen, deren höheres Ziel die ‚Produktion’ von ‚reinen’
Söhnen ist.466 Dasselbe Motiv des ungewollten Kindes467 wird in der zweiten Strophe
aus einer anderen Perspektive wiederholt: Durch die Verbindung der Mutter-Figur mit
der Heimat Deutschland468 wird das Gefühl der Heimatlosigkeit und des Verraten-
Werdens sowohl vom Land als auch von der Mutter thematisiert, denn als Frau fühlte
sich das Ich von beiden ausgeschlossen und unerwünscht.469 Das Einzelschicksal wird
zum exemplarischen Fall, wie Visser erklärt:

466
Vgl. Brigitte Wartmann: Verdrängungen der Weiblichkeit aus der Geschichte. Bemerkungen zu
einer „anderen“ Produktivität der Frau. In: Brigitte Wartmann (Hg.): Weiblich – Männlich.
Kulturgeschichtliche Spuren einer verdrängten Weiblichkeit. Berlin: Ästhetik und Kommunikation
Verlag 1980, S. 7-28, hier S. 15.
467
Vgl. das Gedicht „ “ [Ich werde geboren sein] von Gogou (S. 179). In beiden Fällen wird
thematisiert, dass die Ablehnung des Mädchens von früh an in seinem Leben angefangen hatte,
468
Auch im Gedicht „Deutschland“ wird das Land mit der Mutter identifiziert, die aber zu einer Hure
gemacht wurde. Das Ich empfindet im Gedicht „Vom bösen Kind“ Gefühle der Rache der Mutter
gegenüber: „Es wurde ein Kind geboren / Das sollt nicht geboren sein. / [...] Das Kind trank Blut und
Tränen / Die Milch war hartes Brot. / Da lernt es die Zähne gebrauchen / Und biß die Mutter tot. / [...].“
(M, 109). Klar zum Ausdruck kommt hier die Schuld, die Mutter nicht geliebt zu haben, wie auch das
eigene Land, obwohl sie von beiden geprägt und beeinflusst worden ist.
469
Zu demselben Thema vgl. auch Wolf Biermanns „Ballade vom wiederholten Abtreiben oder Ich leb
mein Leben“, die von Eva-Maria Hagen gesungen wurde (LP: „Das mit den Männern und den Frau’n“
1988). Die 7. Strophe fügte Wolf Biermann 1999 zum 10-jährigen Jubiläum des Mauerfalls hinzu:
„Als ich saß in meiner Mutter dunklem Bauch / Sprang sie mit mir Treppen runter, schluckte auch /
Rattengift, den Sud von Kippen, presste sich / In den Leib die elend lange Wurzel. Ich / Kreischte, und
mich hörte keiner. / Zittrig mit der Fahrradspeiche / Hat sie nach mir rumgestochert / Immer rein! Ins
Dunkle, Weiche. / Doch ich lebe / noch, ich lebe / und so war das eben / is nicht traurig, is ja Wahrheit
/ Und ich leb mein Leben /
Aus dem Dorf in Polen habn wir weggekonnt / Mutter schleppte mich im Schneematsch durch die
Front / Westwärts in den Osten gings nach Neuruppin / Russen nahmen alles, gaben alles hin / Schweiß
und Fusel für die Weiber / Für uns Kinder Speck und Brote / Manche Weiber machtens gerne / Manche
wehrten sich zu Tode / Doch ich lebe noch, ich lebe ... /
Vor dem Brandenburger Tor war ein Gekreisch / Panzer machten da aus Menschen Menschenfleisch /
Ach, was wussten schon die roten Fahnen groß / Von dem Rot in meinem Hemde! Ich war bloß / Jung
und gierig nach dem Leben / Als die Panzerketten kreischten / Als sie meinen allerschönsten / Tag im
Juni mir zerfleischten / Doch ich lebe noch, ich lebe ... /
Ja, ich war 'n hübsches Ding und wusste das / Und das Bonzenleben machte auch mal Spaß / Wenn ich
mit den Schweinen auch im Bette lag / War ich darum lange noch kein Schwein. Ich frag / Frag mich
bloß, wo kommt das her / Dass das Korn fault, eh es reift / Dass das Leben fast vorbei ist eh man was
begreift / Doch ich lebe noch, ich lebe ... /
Doch als ich das Maul aufriss, gleich war fini! / Spitzel Ratten Walkie Talkie Hysterie / Und mein
Mund ward zugenäht mit Stacheldraht / Nix von wegen Arbeiter- und Bauernstaat! / Und so wurd ich
abgetrieben / Meine Landesväter schmissen / Mich und andern Menschenabfall / Ihren Feinden vor die
Füße / Doch ich lebe noch, ich lebe ... /
Schön ist Hamburg auch im Regen und ich mag / Nicht zurück woher ich kam, nicht einen Tag /
Langsam seh ich durch und sehe was hier läuft: / Dass man Kätzchen, die zu viel sind, auch ersäuft /
Gute Leute gibt es drüben / hier hab ich sie auch gefunden. / Und ansonsten: Nirgendwo / Mangelt es
- 159 -

Kausalität innerhalb gesellschaftlicher Prozesse erscheint als ein Komplex aus privaten
und allgemeiner geltenden historischen Entwicklungen. Die an Brecht angelehnte Zeile
„Deutschland alte Mutter“ kombiniert, indem die leibliche Mutter der ersten Zeilen zur
Metapher für Deutschland wird, beide Stränge. Derart abstrahiert bezeichnen
Verwandtschaftsgrade keineswegs lediglich das Individuelle, sondern sie markieren
zugleich auf einer höheren Ebene sozial-politische Zusammenhänge.470

Auf dieser Ebene bleiben die folgenden drei Strophen. Die im Gedicht fehlende
Vaterfigur wird in der dritten Strophe durch auf Männer bezogenen Eigennamen
ersetzt, die wahrscheinlich nicht für Einzelpersonen stehen, sondern auf politische
Kräfte deuten.471 Aus den Versen wird klar, dass die - ironisch genannte - geheiligte
Nation, eine Nation der Männer ist. Die Anspielung auf die Nazi-Propaganda ist hier
deutlich und es ist diese Propaganda, die in der nächsten Strophe enthüllt wird: Die
geheiligte Nation ist am Ende eine Scherbe unter vielen und ein Favorit beim Tod.
Die Scherben werden in diesem Kontext wortwörtlich aber auch metaphorisch
benutzt, um den Verfall der nationalsozialistischen Ideologie und die Vergänglichkeit
der Soldaten zu betonen.

Zur Nation gehören auch die Denker und Dichter, die in der fünften Strophe
erwähnt werden.472 Dass die männliche Form gewählt wurde (nicht also Denkerinnen
oder Dichterinnen) verstärkt das Bild der Nation der Männer. Indem die Assoziation
auf ‚die Deutschen’ als ein Volk der Dichter und Denker erweitert wird, wird hier die
Spaltung im Volk thematisiert zwischen denen die im Land blieben und denen die
gingen. Diese Spaltung wird im Gedicht als eine zwischen Männern und Frauen
beschrieben: Die geistigen Väter der Nation gingen weg, um zu leben, die Mutter
dagegen blieb am Grabstein, wo der Tod herrschte. Von Schuldlosigkeit der Mutter ist
aber nicht die Rede, da sie sich Söhne für den Krieg gewünscht hatte. Den letzten
Vers „In Nürnberg am Trichter“ interpretiert Gröschner als eine Metapher, die das

an Schweinehunden / Doch ich lebe noch, ich lebe / und so i s t das eben / is nicht traurig, is ja
Wahrheit / Und ich lieb' mein Leben /
Ich hätt nie geglaubt, dass je die Mauer fällt / Noch bevor ich sterbe tja, so ist die Welt / Plötzlich warn
die Herrn der Macht so herrlich schwach / Plötzlich boten Bauern einem König Schach! / Plötzlich
schießt kein Grenzsoldat / Und kein Flüchtling stirbt im Draht / Krenz und Mielke waren pleite / Als
das Volk sich selbst befreite / Und ich lebe noch, ich lebe / Und so ist es eben: / Lustig bin ich, traurig
bin ich / Immer in der Wahrheit / lebe ich mein Leben“
470
Anthonya Visser: „Keine Worte mehr“. Der 2. Weltkrieg in Gedichten von Frauen aus der DDR am
Beispiel Inge Müller. In: 1945-1955: Fünfzig Jahre deutschsprachige Literatur in Aspekten. Knapp,
Gerhard P./Gerd Labroisse (Hg.) Amsterdam-Atlanta, 1995 (Amsterdamer Beiträge zur neueren
Germanistik Bd 38/39), S. 77.
471
Vgl. ebd.
472
Müller bezieht sich auf Madame de Staël, die die Deutschen am Anfang des 19. Jahrhunderts als ein
Volk der Dichter und Denker charakterisierte. Vgl. Beutin: Deutsche Literaturgeschichte, S. 201.
- 160 -

Preußentum und den Faschismus verbindet. Der Nürnberger Trichter sei stehender
Begriff und Sinnbild für Lerndrill ohne Bewusstsein des Lernenden, wobei Nürnberg
auf die nachfolgenden Nürnberger Prozesse gegen die Kriegsverbrecher und der
Trichter auf Bomben-Trichter hinweisen.473

In der Schlussstrophe ändert sich die Perspektive noch einmal vom


Sozialpolitischen zum Persönlichen. Die Ablehnung seitens der Mutter (und
metaphorisch der Heimat) wird wiederholt und gefolgt in diesem Fall von der
Ablehnung seitens der Tochter. Wegen dieser Situation hat das weibliche lyrische Ich
kein Gesicht, also keine Identität. Das erinnert nach Gröschner an das Märchen vom
eigensinnigen Kind, das keine Ruhe finden kann, weil es nicht der Mutter folgte.474
Weil die Tochter sich von beiden, der Mutter und der Heimat, wegen ihres
Geschlechts ungewünscht und ungebraucht fühlte, konnte sie keine Identität bilden
und blieb fremdbestimmt.

Das Bild der ‚bösen Mutterimago’ von Melanie Klein taucht in diesem Kontext
auf, das die allmächtige ‚phallische Mutter’ als Hindernis zur Ausbildung einer
eigenen Identität darstellt.475 Der Tod erscheint hier als eine Macht, die die
menschliche Selbsterkenntnis erlaubt, da er ihr die Möglichkeit zu einer Identität
gibt: Einerseits wird das Gleichgewicht zwischen ihr als Frau und der Gesellschaft als
Schauplatz der Männer unterbrochen und andererseits wird ihre Identität auf dem
Grabstein festgeschrieben.

Charakteristisch für dieses Gedicht sind die vielen Gegensatzpaare: a) Die Mutter
wollte das Mädchen nicht – Sie wollte den Sohn, b) Das Mädchen kam – Der Sohn
starb, c) Die Mutter-Deutschland gab den Söhnen Kanonen – Sie gab ihnen keine
Butter (sie tötete sie, statt sie groß zu ziehen), d) Deutschland als geheiligte Nation –
Deutschland als die Scherbe der Nation, e) Deutschland als Weltmarke – Deutschland
als Favorit beim Tod, f) Die Dichter und Denker gingen – Die Mutter blieb, g) Das
lyrische Ich hat im Leben kein Gesicht – Wenn es begraben wird bekommt es eins.
Alle diese Gegensätze rahmen die zentrale Thematik des Gedichts ein, nämlich „die
Erfahrung der Fremdheit und Einsamkeit der weiblichen Existenz in einer Geschichte

473
Vgl. Gröschner: Authentizität mit tödlichem Ausgang, S. 46.
474
Vgl. ebd., S. 47.
475
Vgl. Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 68 f.
- 161 -

und Gesellschaft, in der die Herrschaft des Menschen über den Menschen verheerende
Spuren hinterlässt.“476

Die ausgesetzte Tochter der leiblichen Mutter und die Außenseiterin im eigenen
Land gehören zu demselben Paradigma. Wie Hilzinger schreibt, wird nicht nur die
bestimmte Mutter angeklagt, sondern auch das patriarchalisch geprägte Bewusstsein
aller Mütter, die sich Söhne für den Krieg wünschen. Es handelt sich um eine
verdoppelte Blindheit: Einerseits gegenüber der menschenverachtenden
nationalsozialistischen Ideologie und andererseits gegenüber der patriarchalischen
Ideologie, in der der weibliche Mensch keinen Wert hat.477

Müller benutzt zu diesem Zweck das in der herrschenden Kultur stereotypische


Motiv der Mutter als Tod.478 Es handelt sich um den Mutterarchetyp in der Form der
zerstörenden, verschlingenden Mutter, die für das Finstere, den Abgrund, die
Totenwelt steht. Es ist interessant, dass auch das eigene Land und das Grab als
Erscheinungsformen dieses Archetyps gelten. Die Verbindung zwischen der Frau,
dem Tod, dem Schoß und dem Grab basiert auf der Ansicht, dass die Mutter nicht nur
das Leben, sondern auch den Tod schenken kann. Der Schoss als Metapher für die
Mutterfigur entspricht dem Tod im Sinne der Rückkehr zur leblosen Stasis, die
derjenigen im Grab ähnlich ist.479 Die direkte, unmittelbare Verbindung des
mütterlichen Schosses mit dem Grab wird deutlicher in unserem Fall in der ersten
Fassung des Gedichts, das ursprünglich „Magie in Feldgrau“ hieß. In dieser Fassung
lauten die zwei letzten Verse der ersten Strophe: „Und da fiel ich schon / Aus ihrem
Schoß in den Graben.“480

476
Hilzinger: Wann wird was wir wolln gewollt?, S. 174.
477
Vgl. ebd., S. 177.
478
Vgl. Karl Siegfried Guthke: Ist der Tod eine Frau?, S. 238.
479
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 101.
480
Vgl. Gröschner: Authentizität mit tödlichem Ausgang, S. 45.
- 162 -

5.2. Kritik an der herrschenden Hierarchie

Die Vergaste. „Europa“

In den Gaskammern
Erdacht von Männern
Die alte Hierarchie
Am Boden Kinder
Die Frauen drauf
Und oben sie
Die starken Männer
Freiheit und democracy.
Ein Blick von einer Macht zur andren Macht.
Von einer Nacht in die andre Nacht
Und dazwischen: vide! (Ich sehe)
Da nehm ich mir lieber einen Fetzen Blau
Vom Himmel
Daß er schwarz dahinter ist weiß ich
(Aber nur weils geschrieben war)
Ich seh ihn, wenn ich weine
Und dann weiß ich nicht wie er war. (M, 196)

In diesem bekannten 17-Zeiler481 von Inge Müller ist der Reim frei und das Gedicht
hat zwei Perspektiven, was die Zeit und den Ort angeht: Bis Zeile sieben handelt es
sich um Vernichtungslager und Gaskammern der Zeit der Nazi-Regime. Bei der
achten Zeile geht es um eine zynische Kritik des lyrischen Ich, die sowohl die
Vergangenheit als auch die Gegenwart betrifft und von Zeile 9 bis Zeile 17 haben wir
einen Wechsel zu Ort und Zeit des lyrischen Ich. Diese sind nicht festgelegt, jedoch
machen nach Visser Inhalt und Kontext des Gedichts deutlich, dass es sich auf die
Nachkriegszeit bezieht.482 Das lyrische Ich erzählt am Anfang von Vergangenem und
dann erklärt es die Situation in seiner Gegenwart, wo Finsternis herrscht. Was erzählt
wird, könnte eine aus den unzählbaren Geschichten über die Opfer des Holocausts
sein, in denen das Bild der Frau als Opfer der Nazis herrscht.

Das Thema ist oft in der Literatur benutzt, weil es eine Kombination des Abscheus
vor der Menschenvernichtung in den Konzentrationslagern und von Tod der Frauen
bietet. Wie Kaiser schreibt, ist der Moment, in dem die Frauen und der Tod einander

481
Das Gedicht wurde veröffentlicht in: „Wenn wir den Königen schreiben. Lyrikerinnen aus der
DDR“. Hg. von Jutta Rosenkranz unter Mitwirkung von Hanne Castein. Darmstadt: Luchterhand
Literaturverlag 1988, S. 9, in: Geipel (Hg.): Inge Müller: Irgendwo, S. 31.
482
Vgl. Visser: „Keine Worte mehr“, S. 84.
- 163 -

begegnen, eine kulturelle Extremsituation.483 Müller gelingt es aber eine andere


Dimension hervorzubringen, nämlich die der Kritik an Patriarchat, der Enthüllung der
neuen „alten“ Hierarchie, die die Frauen als Opfer der Opfer zeigt und der Betonung
der Hoffnungslosigkeit. Denn das eigentliche Thema des Gedichts, das Bild, auf das
sich der schielende Blick konzentriert, sind die Herrschaftsstrukturen zwischen
Frauen und Männern.484 Bei diesem Motiv gilt was Bronfen festgestellt hat, dass
nämlich in einigen Fällen die Repräsentationen so vertraut sind, dass die Leser
kulturell blind für sie sind.485

Im Gedicht wird thematisiert, wie die patriarchalische Struktur der Gesellschaft


ihre grausame Anwendung im Vernichtungslager findet. Der Krieg ist nach Müller
eine männliche Angelegenheit, da die Gaskammern von Männern (nicht von Nazis

483
Kaiser meint, dass solche Motive dauerhaft und stark sind, denn sie beziehen sich auf elementare
Empfindungen, nämlich auf Triebe, Wünsche und Ängste. Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen
Frauen, S. 7.
484
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S.104 f. und Visser: „Keine Worte mehr“, S. 83. Solche
Thematik erkennt man auch in den Gedichten „Höher…“ (M, 136), „Hexenverbrennung“ (M, 213) und
„Ich habe mein Leben gelebt, sagt Konfutse…“ (M, 224). Das Gedicht „Europa hat Frieden Europa hat
Ruh…“ (M, 226) kritisiert ebenfalls die Umstände in der Nachkriegszeit.
Im Gedicht „Höher…“ („Höher / Als Gagarin, Titow und die anderen / Ihresgleichen und nicht
ihresgleichen / Hat sich erhoben Valentina Tereschkowa: / Zweihundert Kilometer / Über den
Herdrauch. / Nach den Sternen greifen die Tochter / Der Revolution, die begonnen hat / Mit dem
Kampf um die Suppe.“ M, 136) behandelt sie das Thema der Frauenemanzipation in der DDR
anlässlich der sowjetischen Kosmonautin Valentina Tereschkowa, die am 16. Juni 1963 in den
Weltraum flog, da zwei Tage, 22 Stunden und 50 Minuten blieb, und 48 Drehungen um die Erde
machte, mehr als alle amerikanischen Männer bis zu diesem Zeitpunkt. Eigentlich wurde die
Emanzipation der Frau in der DDR nicht an sich untersucht, sondern ausschließlich im Rahmen der
sozialistischen Ideologie nach dem Motto der SED „Ohne Sozialismus – keine Emanzipation“.
Zwischen propagierter und teilweise realisierter Gleichberechtigung auf der einen Seite und
tatsächlicher, individueller Lebenswirklichkeit auf der anderen, bestand also eine Kluft. In Müllers
Gedicht wird diese Kluft aufgezeichnet, da es scheint, dass die Gleichberechtigung in der DDR
erreichbarer im Weltall als auf der Erde ist. Außerdem erkennt man eine Analogie zwischen die
Tochter von Preußen (s. S. 166 dieser Arbeit) und die Tochter der Revolution. Pflicht der Letzten ist
nicht für das ‚deutsche’, sondern für das sozialistische Volk zu arbeiten, nicht für den Sieg der
‚Nation’, sondern für den der Revolution. Die Aufopferung, die Unterdrückung, die Unterwerfung
einer harten Macht, einer strengen Kontrolle und einem oft unbegründeten Muss blieben allerdings
dieselben.
Im Gedicht „In den Märchen…“ („In den Märchen / Liest man warn Frauen und Mädchen / Aufgaben
gestellt: Unmögliches möglich zu machen / Mit Findigkeit und List. / So gelang es ihnen aus Stroh
Gold zu spinnen / Sich freikaufend“ M, 223) bezieht sich Müller auf die Rolle der Frau in den
Märchen und verbindet ihre Findigkeit mit der Möglichkeit ihrer Befreiung. Wenn man an die
Lebensgeschichte Müllers denkt, dann könnte man zur Verbindung der im Gedicht erwähnten
Aufgaben mit den Aufgaben des Aufbaus in der DDR, die Frauen gestellt wurden, gelangen. Durch die
Realisierung des Unmöglichen (des Aufbaus von Berlin nach dem Krieg) hofften Frauen auf die
Verbesserung ihrer Lage in der Gesellschaft, was aber nie verwirklicht wurde. Es ist nicht zufällig, dass
in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945 - 1949) sich die Frauengesellschaft in der DDR aufgrund
fehlender sozialer Institutionen und der großen Not der breiten Bevölkerung durch Selbst- und
Nachbarschaftshilfe am Leben hielt. Die sich daraus herausbildeten Frauenorganisationen wurden dann
in die zentralisierte Organisation Demokratischen Frauenbund Deutschland gelenkt, so dass sie von der
patriarchalischen DDR-Regierung einfacher kontrolliert wurden.
485
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 13.
- 164 -

oder von irgendwelcher anderen Kategorie, sondern vom männlichen Geschlecht,


vom Patriarchat) erfunden sind. Sie sind nämlich wie die Gesellschaft strukturiert,
dort gelten dieselben Regeln. In ihnen sind es die starken Männer, die auf Kosten der
schwächeren, vergeblich um mehr Luft gekämpft hatten. Die alte Hierarchie des
Patriarchats wurde auch im grausamen Bild der Pyramide bestätigt, bei der im
Überlebenskampf die Kinder am Boden, die (metaphorisch und wortwörtlich)
schwachen Frauen drauf und die Männer am Gipfel liegen. Die vergaste Frau
symbolisiert in diesem Kontext, die Chancenlosigkeit der Frauen in der Geschichte,
ihre Diskriminierung und ihr Unterordnen auch unter den Opfern.

Der Ausdruck „Freiheit und democracy“ der achten Zeile wird zum zweiten Mal
in Müllers Dichtung erwähnt („…Und fuhren fort sich aufzufressen: / Freiheit und
democracy: / Es lernt sich schwer: unsere Interessen“ M, 230) und ist von Brecht
zitiert. Brechts 1948 erstveröffentlichtes Gedicht hatte später den Doppeltitel ‚“Der
anachronistische Zug oder Freiheit und democracy“. Es handelt sich dabei um die
Entlarvung der Restauration in den Westzonen als US-Import, in denen freie Wahlen
eigentlich bedeuten, dass die Menschen, wieder das in neuem Gewand auftretende
schlechte Alte wählen. Das Gedicht von Brecht ist prophetisch für das Ende der
Geschichte, weil die Etablierung des alten Neuen die absolute Katastrophe für die
Nachgeborenen bedeuten wird.486

Was Brecht in der Westzone bemerkt hatte, sah auch Inge Müller487,
möglicherweise was die Umstände in der DDR anging. Zusätzlich erhält die Brecht-
Zeile die Dimension einer Kritik am Patriarchat: Es gibt keine Freiheit und keine
Demokratie weder im Leben noch im Tod, da die Konnotation, die sich mit den
Worten ‚starke Männer’ verbindet, vielmehr auf diktatorische Machtverhältnisse
anspielt.488 Aus dem Gedicht geht hervor, dass die alten Verhaltensmuster nicht
einfach überwunden werden, was nicht nur für Deutschland, sondern auch für den
ganzen europäischen Raum gilt, wenn man an den Titel „Europa“ denkt, der auf die
Wiederherstellung alter Ordnungen in vielen Ländern Europas hinweist.

486
Bertolt Brecht: „Der anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy.“ In: Elisabeth Hauptmann
und Rosemarie Hill (Hg.): Bertolt Brecht. Gesammelte Werke. Bd. 4. Frankfurt: Suhrkamp 1967, S.
943-949.
487
Vgl. Hilzinger: Wann wird was wir wolln gewollt?, S. 179.
488
Vgl. Visser: „Keine Worte mehr“, S. 84.
- 165 -

Der zweite Teil des Gedichts (Zeile 9-17) ist komplizierter. Die Schlusszeilen
vermitteln das Bild einer finsteren Welt, wo das Ich sich einen Fetzen Blau vom
Himmel nimmt, dessen Grundfarbe schwarz ist. Der Gegensatz zwischen den Farben
schwarz (Nacht) und blau (Himmel) verstärkt die betonte Polarstruktur und dadurch
die Verzweiflung des Ich. Das Hauptgewicht liegt jedoch eher auf den Versen „Ein
Blick von einer Macht zur andren Macht. / Von einer Nacht in die andre Nacht“. Es
handelt sich um einen Blick zwischen zwei Mächten (darunter sind möglicherweise
einerseits der Nazi-, andererseits der DDR-Staat zu verstehen) in einem Ort, wo die
Nacht herrscht. Mit Nacht könnte die für die Schwächeren bedrohliche Situation
gemeint sein, die Gefahr nämlich, die zu neuen Gaskammern führen würde, da die
Finsternis in der Zeitmetaphorik Perioden historischen Verfalls kennzeichnet.489

Der Punkt dazwischen wäre dann die kurze Zeit der Hoffnung auf Neues,
eventuell im sozialistischen Staat der DDR. Dazwischen steht aber auch das lyrische
Ich, dem, vielleicht von einer inneren Stimme, befohlen wird zu sehen („vide!“490). Es
sieht, aber die Frage ist natürlich, was sieht es? Eine Antwort könnte vielleicht mit
Hilfe einer Bemerkung von Wolf Biermann, dessen Vater in Vernichtungslager
getötet wurde, gegeben werden:

Die Kinder zuunterst. Das Zyklon B war schwerer als die Luft, ich verstehe. So weit
oben in der Gaskammer hatte ich meinen Vater nie gesehn. Und das hat mit ihrem
Singen die Inge Müller getan. Und dann obendrauf untendrunter das ironische Zitat aus
dem biederen Brecht-Gedicht ‚Freiheit und Democracy’.491

Biermann sieht die Dichterin als eine Loreley der Nachkriegszeit, die durch die
„wudersame / gewaltige Melodei“492 ihrer Dichtung die unbegreifliche Erfahrung
kristallklar macht und die alte Hierarchie enthüllt. Das Gedicht entschleiert somit ein
stereotypes Motiv, nämlich dass in den Konzentrationslager Männer und Frauen
gleich dem Tod gegenüber waren und fungiert dabei als „eye-opener“493: Die Frauen
sind in der Geschichte Objekte der Objekte und doppelt unterdrückt.

489
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur, S. 234.
490
Vielleicht verweist das Verb auf Latein auf Julius Caesars Zitat „veni vidi vici“ [ich kam, ich sah,
ich siegte], das er in einem Brief an seinen Freund Amintus nach seinem schnellen Sieg bei Zela über
Pharnakes von Pontus (47 v. Chr.) benutzte.
491
Wolf Biermann: Brief. In: Inge Müller: Irgendwo, S. 334 f.
492
Heinrich Heine: „Die Loreley“. In: Sämtliche Gedichte. Frankfurt am Main & Leipzig: Insel Verlag
1993, S. 164. Ebd.: „…Und das hat mit ihrem Singen / die Lore-Ley getan.“
493
Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. XXIV.
- 166 -

5.3. Die Figur der Mörderin aus Pflicht

Die Tochter von Preußen. „Potsdam 45“

Da steh ich, Tochter von Preußen


Hab die Eltern nicht gekannt
Wer hat mich aufgezogen
Findling im Märkischen Sand?

Eure Farben feldgrau trag ich


Und das Blut ist noch immer rot
Und fließt unter Rauch und Eisen
Auf euch und gegen den Tod.

Das Schloß und die redliche Kirche


Aller Ruhm in den Galerien
Ein Museum vom Rhein bis zur Elbe
Berlin stirbt: laßt die Wache aufziehn!

Da steh ich Tochter, von Preußen


Auf Knochenbergen und Staub
Gerettet dem Erbe der Väter
Angeklagt wegen Mord und Raub. (M, 195)

Das Gedicht494 besteht aus vier Strophen mit je vier Versen mit unreinem Kreuzreim.
Ort und Zeit stehen schon im Titel fest (Potsdam, 1945); im Gedicht gibt es weitere
Zeichen, die den Ort bestimmen (Märkischer Sand495, Berlin, Preußen, von Rhein bis
zur Elbe), wobei, was die Zeit angeht, klar wird, dass das weibliche lyrische Ich im
Jahr 1945 seine Biographie vorstellt. Schon in der ersten Strophe bestimmt das
lyrische Ich sich selbst als Tochter von Preußen, als Findling und Waisenkind, dem
eine preußische Erziehung gegeben wurde. Von Wichtigkeit ist in diesem
Zusammenhang, dass das lyrische Ich sich nicht als Mitglied einer Familie, sondern
als Mitglied des Vater-Landes definiert, also durch den symbolischen Vater. Das
Zurücktreten der Familie zugunsten des Staates ähnelt dem Nazi-Credo, dass die
Kinder nicht zu ihren Eltern, sondern zum deutschen Staat gehören.496

494
Das Gedicht wurde veröffentlicht in: Geipel (Hg.): Inge Müller: Irgendwo, S. 10. Eine ähnliche
Problematik haben auch die Gedichte „Brief einer Wehrmachtshelferin“ (M, 177), „Feuerprobe“ (M,
178) und auch „Ruinen 45“ (M, 193).
495
Mit Märkischem Sand ist Brandenburg gemeint. In der 1923 von Gustav Büchsenschütz verfassten
Brandenburg-Hymne steht: „Märkische Heide, Märkischer Sand,/ Sind des Märkers Freude, Sind sein
Heimatland.“
496
“Die körperliche Ertüchtigung ist daher im völkischen Staat nicht eine Sache des einzelnen, auch
nicht eine Angelegenheit, die in erster Linie die Eltern angeht, […] sondern eine Forderung der
Selbsterhaltung, des durch den Staat vertretenen und geschützten Volkstums.“ Adolf Hitler: Mein
- 167 -

Die Individualität, die sonst durch die verwandtschaftlichen Beziehungen


gewährleistet wird, wird durch das Motto ‚Du bist nichts, dein Volk ist alles’ ersetzt,
so dass der Einzelne – hier die Einzelne - sich selbst wie eine Maschine im Dienste
des Staates sieht. In diesem Fall ist die Anspielung auf das Patriarchat deutlicher,
denn Preußen war ein Land, wo Frauen sich ihren Männern unterzuordnen,
hinzugeben und geringe finanzielle Rechte hatten. Als ideale Frau in Preußen galt
diejenige, die sich ihrer geistigen Minderwertigkeit bewusst ausschließlich mit Küche,
Kinderstube, Krankenstube und Kirche begnügte und keinerlei Einmischung in
politische Fragen hatte. Da die Soldaten in Preußen eine wichtige Rolle spielten,
definierte sich außerdem die preußische Frau oft als Soldatenweib.

Dieses Bild der Tochter von Preußen stimmt allerdings mit dem Bild in den
nächsten Strophen nicht überein. In der zweiten Strophe tritt die sonst nur mit dem
Haushalt beschäftigte Frau von Preußen in die Geschichte ein, und sogar in eine ihrer
grausamsten Phasen, nämlich in den Krieg („Rauch und Eisen“). Das wird allerdings
nicht als Emanzipation interpretiert, sondern als eine Radikalisierung von
Fremdbestimmung und Funktionalisierung. Mann und Geschichte werden
identifiziert, was das duale Trennungssystem erlaubt, nach dem der Mann als
Subjekt/Ich und die Frau als Objekt/Es angesehen werden.497 Das wird im Gedicht
durch das Possessivpronomen „eure“ zum Ausdruck gebracht: Mit der feldgrauen
Farbe der Soldatenuniform will sich die Frau nicht identifizieren: Es ist nicht ihr
Krieg, es ist nicht ihre Geschichte. Ihre Aggression wird durch eine andere Farbe
gezeigt, nämlich durch das Rot des Blutes,498 das auf die Männer als Schuldige, die
den Tod gebracht haben, fließt. Das rote Blut der Gefallenen und Getöteten trägt dazu
bei, dass das Bild der Tochter von Preußen sich zu ändern anfängt.

Dasselbe Motiv wird auch in der dritten Strophe wiederholt. Deutschland wird
zum Schauplatz des Todes und der Vernichtung, zu einem Museum, wo nichts lebt,
sondern nur eine Vergangenheit voll von Ruhm vorgestellt wird. Was aber letzten
Endes mit dem Beitrag der preußischen Frau als Soldat zugrunde geht, das Schloss
und die Kirche, gehören zum Patriarchat, im Sinne von politischer und religiöser
Macht, aber auch im Sinne der patriarchalischen Kultur. Das Innovatorische in diesem

Kampf, S. 453 zitiert nach: Christian Zentner: Adolf Hitlers ‚Mein Kampf’. Eine kommentierte
Auswahl. München/Leipzig: List 1998, S. 104.
497
Vgl. Morrien: Weibliches Textbegehren, S. 14.
498
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur, S. 133.
- 168 -

Gedicht liegt nach Gröschner499 darin, dass Müller als Frau den Krieg beschreibt. Der
Krieg war bisher Angelegenheit der Männer und erlaubte es ihnen in der Geschichte
einzugehen; jetzt bezieht er auch Frauen aktiv mit ein, deren Eintritt in die Geschichte
der Männer500 ein unfreiwilliger ist. Die Gleichberechtigung beginnt da, wo die Frau
als Zerstörende gebraucht wird, nämlich als Soldat – im Gegensatz zu ihrer
traditionellen Rolle als Leben Erhaltende. Letztes wird in der Schlussstrophe klar.

Die Struktur des Gedichts ist symmetrisch. Die erste und letzte Strophe fangen mit
fast demselben Vers an: „Da steh ich, Tochter von Preußen“, „ Da steh ich Tochter,
von Preußen“. Der einzige Unterschied ist die Stelle des Kommas, die die
Transformation des Frauenbilds kennzeichnet, die von der ersten und durch die zweite
und dritte Strophe stattgefunden hat. Das Komma betont die weibliche Identität in
ihrer Auseinandersetzung mit der Macht; Nachdruck wird der Tochter verliehen, die
sich selbst von Preußen differenziert. Diese Wiederholung des Bildes zeigt seine
Wichtigkeit und seine zentrale Bedeutung für das Gedicht, denn es macht die Tochter
von Preußen zu einem Bezugspunkt für jede Frau, die die Geschichte Deutschlands
auf eine ähnliche Weise erlebt hat. Von Bedeutung ist die Tatsache, dass die Frau in
der ersten und der letzten Strophe allein ist, ohne irgendeine Verbindung zu
Menschen; sie wird außerhalb der Männergesellschaft platziert.

Inmitten von Trümmern steht das lyrische Ich in der Schlussstrophe als eine
andere Tochter Preußens, die dem Erbe der Väter (und nicht der Mütter) gerettet
wurde. Sie wurde ihretwillen zu Mörderin und Räuberin und steht jetzt auf Ruinen,
existiert im Tod; sie scheint vielmehr die Personifizierung des Todes zu sein, den sie
erlebt und hervorgebracht hat. Die Tochter von Preußen wird so dargestellt, dass die
in patriarchalischer Kultur oft verwendete Austauschbarkeit vom Tod und weiblichem
Körper bildhaft gemacht wurde.501 Sie ähnelt den Keren, den Hades’ blutrünstigen
Dienerinnen, die als todbringende Dämonen in der Ilias mörderisch auf dem
Schlachtfeld wüten und die Toten davon schleifen.502 Die Strophen geben der

499
Vgl. Gröschner: Authentizität mit tödlichem Ausgang, S. 50.
500
Dass die Geschichte nicht nur von Männern dominiert wird, sondern auch in der Tat ihre Geschichte
ist, zeigen die Feministinnen durch ein Wortspiel, nämlich durch das englische Wort ‚his-story’, im
Gegensatz zu ‚her-story’. Vgl. Evelyne Keitel: Die gesellschaftlichen Funktionen feministischer
Textproduktion. In: Claudia Opitz (Hg.): Weiblichkeit oder Feminismus? Beiträge zur
interdisziplinären Frauentagung, Konstanz 1983. Weingarten: Drumlin Verlag 1984, S. 239-256, hier
S. 249.
501
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 105 und Weigel: Der schielende Blick, S. 112.
502
Vgl. Guthke: Ist der Tod eine Frau?, S. 46.
- 169 -

Dichterin durch ihre Distanzlosigkeit und Unmittelbarkeit die Möglichkeit das


Klischee aufzuzeigen und zu überwinden, das Bild der Tochter von Preußen
umzukehren und für ihre Zwecke, nämlich für die Kritik am Patriarchat und dem von
ihm geführten Krieg, zu benutzen. Interessant ist dabei, dass die Frau aus der einen
Imagination (Tochter von Preußen) zu einer zweiten (Mörderin) gelangt, wobei beide
ihr Gefängnis waren, die ihr nicht erlaubten sich selbst zu bestimmen.503 Indem aber
die Entwicklung von einem zum anderen Bild gekennzeichnet wurde, war es möglich,
die Funktionalisierung der weiblichen Person zur Sprache zu bringen.

5.4. Figuren von Soldatinnen

Der weibliche Soldat. „Einberufung“

12-Zeilen-Befehl; Staccato in Phrasen


Ein Stempel: Mädchen, du bist Soldat
Weg mit den Locken, den Kleidern. Den Rasen
Ob grün oder weiß, zahlt der Staat. (M, 176).

Das Kurzgedicht504 ist stark autobiographisch, zumal Müller im Frühjahr 1945 als
Luftwaffenhelferin zur Wehrmacht eingezogen wurde. Die Situation von weiblichen
Opfern, Flakhelferinnen, Blitzmädchen in Uniform wird hier thematisiert und zum
Gleichnis für die Instrumentalisierung von Frauen gemacht. Angeklagt wird in diesem
Vierzeiler mit Kreuzreim noch einmal einerseits die nationalsozialistische,
andererseits aber die patriarchalische Ideologie, in der der weibliche Mensch
überhaupt keinen Wert hat. Hilzinger schreibt:

Die Erfahrung der aufgezwungenen, den faschistischen Kriegsinteressen dienenden


‚Gleichberechtigung’ der Frauen kommt einer Auslieferung an den Tod gleich. In vier
lakonischen Zeilen spricht das Gedicht von diesem Verhängnis, den Eintritt in die
Geschichte der Männer mit dem Leben bezahlen zu müssen.505

503
Vgl. das Gedicht « » [Trübung] von Katerina Gogou (S. 203).
504
Das Gedicht wurde veröffentlicht in: Geipel (Hg.): Inge Müller: Irgendwo, S. 8.
505
Hilzinger: Wann wird was wir wolln gewollt?, S. 177.
- 170 -

Der Krieg kommt durch zwölf Zeilen, durch eine kurze Notiz ins Leben des
Mädchens herein, das sich als Todgeweihte erkennt: Der Ausdruck „Staccato in
Phrasen“ ermöglicht dem Leser fast die Schritte der Soldaten zu hören und wandelt
den Krieg in Wörter um. Mit dem Stempel, der als ein anderes Wort für den Staat
benutzt wird, wird auch das Leben des Mädchens gestempelt. Damit lässt sich auch
die Macht der Staaten auf Frauen deutlich machen: Das Leben gehört dem Mädchen
nicht. Das Sterben ebenso wenig. Der Staat bestimmt, was sie sind, wie sie sind, wann
sie sterben, wobei ein Stempel genügt, damit die Wörter Wirklichkeit werden.
Zwischen den beiden letzten Zeilen steht die Konsequenz, die das amtliche Papier
verschweigt, nämlich der Tod für ‚Volk und Führer’.506 Er kommt durch eine
Metapher zum Ausdruck, durch den Sommer- oder Wintergras auf dem Grab, für das
der Staat bezahlt, und wird besonders durch die weiße Farbe, die den Schrecken und
die Vernichtung symbolisiert507 hervorgehoben.

Im Gedicht dominiert ein Gegensatz zwischen den Locken und den Kleidern
einerseits und den Substantiven Soldat (und nicht Soldatin), Staccato, Befehl
andererseits. Dieser Gegensatz weist auf eine Polarisierung der Geschlechterrollen
hin, nämlich auf die verschiedenen Domänen der Frauen- und Männerwelt. Als
Grundlage dient der Dichterin dabei das von den Nationalsozialisten entworfene
Frauenbild: Die Frauen sollten möglichst auf den Haushalt oder Sozialberufe
beschränkt bleiben und unter die Herrschaft des Mannes gestellt werden. Das Ideal
des Nationalsozialismus war der nordische, germanische, blind gehorchende Mann,
der seiner Heimat treu bleibt und kampfbereit ist. Innerhalb dieser Männergesellschaft
waren Frauen ohne politisches Gewicht, sie hatten die Rolle der Gebärerinnen
künftiger Männer („Das Ziel der weiblichen Erziehung hat unverrückbar die
kommende Mutter zu sein“508), die ihnen ein liebevolles Zuhause bieten.509

Diese Unterscheidung der Geschlechter wird von Müller bewusst benutzt: Indem
sie die patriarchalische Teilung wiederholt und gleichzeitig die fast automatische
Umwandlung der Frau in einen Kämpfer darstellt, gelingt es ihr zu zeigen, wie der
Staat die Frauen je nach seinen Bedürfnissen und Interessen zu verschiedenen, auch
entgegengesetzten Imaginationen zwingt („Weg mit den Locken, den Kleidern“),

506
Vgl. Herta Müller: In der Falle, S. 44.
507
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur, S. 133.
508
Adolf Hitler: Mein Kampf, S. 459, zitiert nach: Zentner: Adolf Hitlers ‚Mein Kampf’ S. 106.
509
Vgl. Thomas Berger: Der Nationalsozialismus. Berlin: Cornelsen 1986, S. 45.
- 171 -

wobei sie dabei nur als Empfänger der staatlichen Macht angesehen werden
(„Mädchen, du bist Soldat“).510

In diesem Fall ergibt sich nicht nur die Vernichtung des weiblichen Körpers,
sondern auch die der weiblichen Persönlichkeit, was eine besondere Form der Gewalt
ist. Denn der Frau kommt keine eigene Bedeutung zu, sondern sie hat eine Bedeutung
nur für die anderen, die Vertreter der patriarchalischen Macht sind. Deswegen meint
Teresa de Lauretis, dass die Darstellung der Gewalt nicht vom Begriff der
Geschlechtszugehörigkeit getrennt werden kann; die Bedeutung, die eine konkrete
Gewaltdarstellung gewinnt, hängt vom Geschlecht des Objekts ab, dem Gewalt
zugefügt wird.511

Die Frau ohne Spiegelbild. „Brief einer Wehrmachthelferin“

Gestern saßen wir vor der toten Stadt


Du und ich dir zu Füßen
Heute bin ich Soldat
Soll alles vergessen und schießen.

Mein Kleid bringt die Post zurück


Ich komme vielleicht nicht wieder
Pflicht und Soldatenglück
Ich hasse Soldatenlieder.

Die Uniform auf mir und ein Gewehr


Eine Gasmaske und zwei Decken
Ich seh mich im Spiegel nicht mehr
Vorm Tod kann man sich nicht verstecken.

Jetzt weiß ich mehr von dir


Weiß wie uns die Männer verlassen
Blind vom Sieg oder blind vom Bier
Tot unterm Befehl: Hassen.

Ich lerne wie du im Gleichschritt gehn


Kann man Hassen lernen?
Soldaten sah ich an Laternen stehn
Soldaten hingen an Laternen. (M, 177)

510
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 112.
511
Vgl. Teresa de Lauretis: Technologies of Gender. Essays on Theory, Film and Fiction,
Bloomington: Indiana University Press, S. 42. zitiert nach: Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 76.
- 172 -

Die Frau als Gefangene in der Welt, in diesem Fall im Krieg der Männer, ist das
Thema auch dieses Gedichts512, das wieder von Gegensätzen charakterisiert ist; die
Gegensatzpaare helfen der Dichterin das Klischee zu entblößen. Obwohl es von der
Form her um ein Gedicht geht (es besteht aus fünf Strophen mit vier Versen pro
Strophe und Kreuzreim), bezeichnet der Titel die eigentliche Textsorte: Inhaltlich
entspricht der Text der Sorte eines Briefes. Es gibt einen Adressaten, an den die
Absenderin (das lyrische Ich) den Brief schickt, in dem sie sich an Vergangenes
erinnert, ihre augenblickliche Situation schildert und Fragen stellt. Dem Leser wird
klar, dass das weibliche lyrische Ich wegen seiner Einberufung von dem Angeredeten
getrennt ist, deshalb bleibt ihm nur der Brief als Kommunikationsmöglichkeit. Das
kann bedeuten, dass, da Sender und Empfänger zeitlich voneinander getrennt sind,
dieser Brief den Empfänger nicht erreicht hat, weil der schon gefallen ist, oder der
Brief unterwegs verloren geht.513

Schon in der ersten Strophe gibt es Gegensätze. Zunächst der zeitliche zwischen
dem Heute und dem Gestern des lyrischen Ich, der für ein Leben ohne Liebe im ersten
Fall und mit Liebe im zweiten steht. Darüber hinaus wird der Unterschied zwischen
der Erinnerung und dem Vergessen („Soll alles vergessen“) hervorgehoben. Am
wichtigsten aber sind die zwei entgegengesetzten Frauenbilder, die dargestellt
werden. Gröschner meint, dass wenn man aus den ersten zwei Zeilen das ‚tote’
streiche, dann man die Idylle eines Wochenendausflugs habe.514 Tatsächlich wäre
dann die Stadt in der Ferne ein Motiv der Sicherheit und des Schutzes.515

Das Paar im Gedicht macht einen durchaus traditionellen Eindruck: Der Mann ist
der dominierende Part, was die Pause hinter dem Du der letzten Zeile formal
unterstreicht, die Frau ist ihm zu Füßen, also ihm untergeordnet. Diese
patriarchalische Idylle wird aber nicht nur durch das Attribut ‚tot’, sondern auch
durch die zwei letzten Verse der Strophe zerstört. Die Frau ist Soldat und tötet
Menschen, genau wie der Mann, das traditionelle Gleichgewicht wird durch eine
Gleichberechtigung im negativen Sinne ersetzt, denn sie wird in der Welt der
Katastrophe, des Hasses und der Menschenverachtung verwirklicht und erweist sich
deshalb als eine Gleichheit im Sterben.

512
Das Gedicht wurde veröffentlicht in: Geipel (Hg.): Inge Müller: Irgendwo, S. 11.
513
Vgl. Gröschner: Authentizität mit tödlichem Ausgang, S. 56.
514
Vgl. ebd., S. 57.
515
Vgl. Frenzel: Motive der Weltliteratur, S. 667 ff.
- 173 -

Das kommt in der zweiten Strophe zum Ausdruck, in dem sich das lyrische Ich
über die Wahrscheinlichkeit seines Todes äußert. Das Kleid steht in diesem
Zusammenhang für den weiblichen Körper, der vernichtet wird, aber auch für die
Weiblichkeit des lyrischen Ich, auf die in dem Krieg verzichtet werden muss. Die
zwei Substantive „Pflicht und Soldatenglück“ sind Begriffe aus der Sprache der
Soldaten und werden mit der patriarchalischen Betrachtung der Welt verbunden.
Gröschner bemerkt, dass diese zwei Substantive, durch das Fehlen eines Verbs nicht
abgeschwächt werden; im Gegenteil, sie werden durch das Versmaß noch betont, so
dass diese Zeile etwas Statisches, Fremdes in diesem Gedicht bekommt.516

Den Substantiven widersetzt sich das weibliche lyrische Ich im nächsten Vers,
indem es ihnen seinen Hass entgegensetzt: „Ich hasse Soldatenlieder“. Wenn die
Lieder (also die Kultur) die Welt der Soldaten, die eine patriarchalische ist, erhalten
und bestätigen, dann zieht die Frau eine Trennlinie zwischen dieser Welt und ihrer
Existenz, identifiziert sich nicht mit der Gesellschaft der Männer. Hartstock macht auf
den Zusammenhang zwischen Mannhaftigkeit und militärischer Tapferkeit
aufmerksam und betont, dass im Patriarchat ein Mann zu sein, ein Soldat zu sein
bedeutet; die Rolle des Kriegers sei eine dem Mann vorbehaltene Rolle, wobei das
Heldentum die Antwort der Männer sei, die die Gesellschaft kontrolliert haben.517

Die Situation aus der Sicht des weiblichen lyrischen Ich wird in der dritten
Strophe näher betrachtet. Die Uniform, die ihr nicht gehört, sondern auf ihr ist, das
Gewehr, die Gasmaske und die Decken bestimmen jetzt die Frau, als ob sie sich
verkleidet hätte. Was aber unter der Verkleidung existiert, weiß sie selbst nicht; sie
war gezwungen ihre Identität aufzugeben und erkennt sich im Spiegel nicht mehr:
„Ich seh mich im Spiegel nicht mehr“. Die Selbstreflexion ist ein Element des
Aufbaus der Identität und darüber hinaus eine Bestätigung von Existenz; diese wird
der Frau im Gedicht verweigert. Automatisch denkt man dabei an Lenks Satz: „Es
kommen die Schreckensmomente, wo die Frau sich im Spiegel sucht und nicht mehr
findet.“ 518

Die Frau ist hinter der durch Männer geprägten Imagination des weiblichen
Soldaten versteckt und hat selbst die Funktion des Spiegels übernommen, in dem und

516
Gröschner: Authentizität mit tödlichem Ausgang, S. 58.
517
Nancy C.M. Hartsock: Nullsummenspiel der Ehre. In: Das Argument. Heft 3. Mai / Juni 1991, S.
335-348, hier S. 335 ff.
518
Lenk: Die sich selbst verdoppelnde Frau, S. 87.
- 174 -

durch den „sich männliche Subjekte selbst entwerfen und repräsentieren“519, wie
Irigaray erklärt hat. Erst im Tod wird sie ihre Identität wieder finden: „Vorm Tod
kann man sich nicht verstecken.“ Es ist auch möglich, dass die Frau sich selbst als
Soldat nicht sehen will, dass sie nämlich ihre mit Mord und Hassen verbundene
Tätigkeit zu verdrängen versucht. Auch wenn ihr das vor dem Spiegel gelingt, kann
sie den Tod nicht täuschen, denn das Unwiderrufliche, das, was nicht wieder
gutzumachen ist, gilt sowohl für Opfer als auch für Täter.

Das lyrische Ich ist also in die ihr fremde Rolle des Soldaten gekommen und gibt
in der vierten Strophe zu, dass es deswegen die Männer besser verstanden hat. Die
Frau macht selbst die Erfahrung, dass man im Krieg zuerst blind und dann tot ist.
Damit man bis zum Sieg weitermacht, muss man nicht die Wahrheit sehen, und
hassen lernen. In der Schlussstrophe wird aber klar, dass sie die förmliche Seite wie
die Männer lernt („im Gleichschritt gehn“), nicht aber das Wesentliche, nämlich das
Hassen; dadurch bezweifelt sie das Konzept des Krieges. Diese Strophe vollendet
520
durch die Umkehrung des romantischen Liedes „Lili Marleen“ den Verfall der
Liebesidylle am Anfang des Gedichts und macht aus dem Liebes- ein Todesmotiv. Es
sind wieder zwei Substantive, die Soldaten und die Laternen, die auf das Lied und
somit auf die Nazipropaganda hinweisen.

Im Lied ist Lili die große Verführerin, die vor der Laterne auf den Soldaten wartet.
Doch hier singt sich das Lied andersherum, was im Gedicht aus einer parallelen
Satzkonstruktion, aber mit verschiedenen Verben (stehen – hängen) in den zwei
letzten Versen, nämlich am Schluss des Gedichts, zu erkennen ist. Die Soldatenbraut
verliert ihre alte Rolle, ist nicht zu Hause und tröstet den zerbrochenen
Heimgekehrten nicht mehr als intakte Ikone. Sie ist selbst auf dem Kriegsfeld,
verlernt die Liebe und zerbricht wie er.521 Die verführende Lili ist in die einberufene
Lili umgewandelt und der Laternenmast als Ort des Wiedersehens in ein Galgen für
diejenigen, die nicht hassen lernen wollen, in ein Symbol des Todes. Herta Müller
schrieb: „So filigran und persönlich hat in der deutschen Sprache kaum jemand klar

519
Vgl. Osinksi: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S. 156.
520
„Vor der Kaserne,/Vor dem großen Tor,/Stand eine Laterne/Und steht sie noch davor./So woll'n wir
uns da wiederseh'n,/Bei der Laterne woll'n wir steh'n,/Wie einst, Lili Marleen.
Aus dem stillen Raume,/ Aus der Erde Grund,/Hebt mich wie im Träume/Dein verliebter Mund./Wenn
sich die späten Nebel dreh'n,/Werd' ich bei der Laterne steh'n/Wie einst, Lili Marleen.“ (Erste und
letzte Strophe aus „Lili Marleen“, Musik: Norbert Schultze, Text: Hans Leip, 1939).
521
Vgl. Herta Müller: In der Falle, S. 47
- 175 -

gemacht, dass nicht nur die Kriegsbegeisterten und Naziverblendeten, sondern auch
die Mitgezerrten für Hitlers Wahn bezahlten.“522

Inge Müller unterstreicht in diesem Gedicht den Abstand der Frauen zu den
Männern, indem sie durch Substantive, die in der patriarchalischen Kultur zu
verschiedenen Paradigmen gehören, eine Polarisierung der Geschlechter schafft: Sieg,
Soldat, Soldatenglück, Soldatenlieder, Gleichschritt, Bier, Uniform, Gewehr weisen
auf die Männerwelt hin, und nur ein Substantiv, das Kleid, auf die Frauenwelt. Dieses
Gleichgewicht wird aber vom Gedicht selbst durchgekreuzt, da die Frau zur
Männerwelt gedrungen ist. Müller verwendet dabei zwei stereotypische Frauenbilder,
nur um sie zu ändern und für ihren Zweck zu benutzen: Die Objekt-Rolle der Frau in
der Geschichte und den Verlust ihrer Identität hinter patriarchalischen Imaginationen
zu zeigen; beide werden mit dem Tod der Frau verbunden. Sie fängt ihr Gedicht mit
einer dem Mann untergeordneten Frau an, ganz im Sinne der romantischen
Vorstellungen des Patriarchats, und macht aus der Soldatenbraut einen weiblichen
Soldat, der dem Mann im Tod gleichberechtigt ist. Mit demselben Ziel wird auf das
Lied von Lili Marleen hingewiesen, allerdings auf so eine Weise, die das Tröstende
zur Wehrmachtshelferin macht.523

Die deutsche Frau. „Feuerprobe“

Führerbefehl: Die deutsche Frau raucht nicht.


(Die Rote Armee stand in Danzig.)
In der Zeitung stand: weibliche Ehrenpflicht
Einberufen: Jahrgang 25.

Der Propagandaminister spie


Sechzehn Zeilen den Mädchen zum Lobe.
Vor Berlin im Rauch einer Flakbatterie
Fielen bei der Feuerprobe:

Hanna Preuße, 20, Soldatenfrau.


Sie hatte ihren Soldaten vier Wochen.
Dem Stahlhelm vorm Altar in Feldgrau
Hat sie Treue bis zum Tode versprochen.

522
Herta Müller: Die Nacht sie hat Pantoffeln an. Der Todesfleck in den Gedichten von Inge Müller.
In: Keller: “Nun breche ich in Stücke...“, S. 177. Zur Darstellung der Frau als Objekte der Objekte
siehe auch S. 58-62 & 153 dieser Arbeit.
523
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 112.
- 176 -

Elvira, Geschützwart, einziges Kind


Des Kohlengroßhändlers Krause.
Achtzehn schrieb sie, als sie heimlich zur Musterung ging.
Siebzehn Jahre steht auf dem Denkstein zu Hause.

Anna Simon, die vorm Sterben schrie:


Wer hat uns verraten?
Ich wollte keine Flakbatterie
Ich wollt nicht unter die Soldaten.

Vier tote Mädchen eins ohne Gesicht


Legten Sanitäter dazu.
Und einer nahm als Erinnrung mit
Den blutigen Frauenschuh. (M, 178)

Das aus sechs Strophen mit je vier Versen und Kreuzreim bestehende Gedicht524
beschreibt mit der Sachlichkeit eines Protokolls525 das Schicksal von vier jungen
Frauen in Deutschland, die als Flakhelferinnen einen sinnlosen Tod starben.
Interessant ist, dass das lyrische Ich die Fakten objektiv erwähnt, wobei ihm durch die
nackte Darstellung der Tatsachen die Kritik an dem patriarchalischen
Herrschaftsinteresse als Bestandteil der jeweiligen Politik gelingt. Das Gedicht
thematisiert die Erfahrung direkt und ohne Distanz zum Ereignis und der politische
Impetus ist dabei unverkennbar: Die Entlarvung faschistischer Ideologie.526

Die Basis des Gedichts bilden wahre Ereignisse: Für den Expansionskrieg wurde
immer mehr ‚Personal’ von der Reichsführung benötigt. Dies forderte den verstärkten
Rückgriff auf Frauen. Zu Kriegsbeginn war der Dienst der Frau auf
Verwaltungsaufgaben, Sanitätsdienst und den Funkbetrieb beschränkt, im weiteren
Verlauf erweiterte man aber die Aufgaben der Frauen auch auf den militärischen
Dienst. 1943 wurden Frauen als Flakhelferinnen verpflichtet, im Sommer 1944
forderte das Regime auch von den Frauen den ‚totalen Kriegseinsatz’ und die Zahl der
Wehrmachtshelferinnen wurde angehoben. 1945 organisierten Mädchen und Frauen
die Luftschutzmaßnahmen und wurden zur Verteidigung der zerbombten Städte
eingesetzt.527 Müller, die auch in die Armee einberufen war, bezieht sich auf eine

524
Das Gedicht wurde veröffentlicht in: Die eigene Stimme, Lyrik der DDR. Hg. von Ursula
Heukenkamp, Heinz Kahlau, Wulf Kirsten. Berlin, Weimar: Aufbau, S. 157, in: Geipel (Hg.): Inge
Müller: Irgendwo, S. 9.
525
Vgl. Herta Müller: In der Falle, S. 45.
526
Vgl. Ton Naaijkens: Härte, Herz und Auge. Zur Lyrik der Gegenwart. In: Deutsche Literatur von
Frauen. Zweiter Band. 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Gisela Brinker Gabler. München: Verlag C.H.
Beck 1988, S. 481 und Harald Heydrich: Inge Müller: Wenn ich schon sterben muß. Gedichte. In:
Weimarer Beiträge 33, Heft 5, 1987, S. 818.
527
Vgl. Gröschner: Authentizität mit tödlichem Ausgang, S.51.
- 177 -

Feuerprobe, die erste Tätigkeit an einer Flakbatterie, bei der vier junge Frauen
umgekommen sind.

In der ersten Strophe kommt die Heuchelei der Nationalsozialisten zum Ausdruck.
Die Frauen werden als Puppen behandelt, die je nach Ideologie (Nationalsozialismus)
oder historische Notwendigkeit („Die Rote Armee stand in Danzig“) verschiedene
Rollen übernehmen müssen. Nach dem traditionellen patriarchalischen Bild der Frau,
sollte sie nicht rauchen, da das für Zeichen von Selbständigkeit und Emanzipation
gehalten wurde. Der Befehl des Führers aber, der das Verhalten der deutschen Frau
kontrolliert, ändert sich, die Propaganda bekommt eine neue Dimension: Die
Ehrenpflicht der Frauen. Diese Lüge versteckt sich hinter leeren Worten wie Ehre und
Pflicht und verursacht den gezwungenen Eintritt der Frauen in die Geschichte der
Männer.

Das widersprüchliche Bild der Frau in Uniform ist die andere Seite der von Nazis
propagierten Mütterlichkeit und steht natürlich im Gegensatz zu Hitlers Erklärung,
dass er sich schämen würde, ein deutscher Mann zu sein, wenn jemals auch nur eine
Frau an die Front gehen müsste.528 Dass sich die Kritik an die Propaganda-
mechanismen richtet, wird auch in der zweiten Strophe klar. Aufgabe des
Propagandaministers ist es, Frauenbilder zu machen. Dieselbe Frau, die nicht raucht,
soll „im Rauch einer Flakbatterie“ sterben. Das Rauchen von Zigaretten ist für die
imaginierte deutsche Frau unanständig, der Rauch der Flakbatterie dagegen
notwendig. Der Minister hat die Macht, die Frauen zu tadeln oder zu loben und
dadurch Ideologie zu schaffen. In diesem Fall spie er sein Lob für die toten Frauen,
das auch zur Propaganda gehört, so wie man Gift und Galle speit: Seine Worte waren
eine Beleidigung für sie, die an Ehre und Pflicht geglaubt und ihre Persönlichkeiten
entsprechend geändert hatten. Und trotzdem hatten sie aus NS-Sicht die
Bewährungsprüfung nicht bestanden.529

Dem 16-Zeilen-Lob des Propagandaministers stellt Müller ihre 16-Zeilen (die vier
letzten Strophen) ihres lyrischen Nekrologs entgegen. Das Nennen der Namen trägt
nach Blanchot gleichzeitig ihren Todesgesang, so dass der Name die Funktion des
Grabsteins erfüllt.530 Im Falle der Mädchen folgt das Nennen den Grabsteinen: Indem

528
Vgl. ebd.
529
Vgl. Visser: „Keine Worte mehr“, S. 81.
530
Vgl. Blanchot: , S. 40.
- 178 -

die Namen der Flakhelferinnen genannt werden, bekommt das Gedicht den Charakter
eines Mahnmals oder Epitaphs. Herta Müller spricht von einem Totenappell. Denn
das vierte Mädchen hat kein Gesicht, keinen Namen, seine Identität ist eliminiert:

Ein Appell der Toten, als ginge es im Halbkreis darum, jeder Aufgerufenen den
Sargnagel zu zeigen. Namen abzuhaken, weil sie demnächst keine Menschen mehr
sind, sondern enge Buchstaben auf Grabgebinden. Die Namenzeilen ist Befehlston, die
danach kommenden Worte geduckt und still. Die letzte Strophe steigt aus dem Appell
aus. Sie blickt von außen auf das Geschehen.531

Hanna Preuße, der die dritte Strophe gewidmet ist, trägt in ihrem Namen das
Patriarchat. Von der Position der Soldatenfrau kam sie zu der der Witwe. Das erkennt
man aus den Symbolen im Gedicht, die auf Heirat verweisen: Sie hat vor dem Altar
Treue bis zum Tode versprochen. Allerdings ist der Bräutigam tot (sie hat nur seinen
Stahlhelm) und sie, als Braut, trägt nicht Weiß, sondern Feldgrau.

Der Wunsch, mit ihm für ewig vereinigt zu sein, erhält eine andere Dimension,
indem sie die Stelle des Toten nimmt und selbst in den Krieg geht. So versichert ihr
Tod dann ihre Vereinigung. Diese Strophe verweist auf das abendländische Muster
für das innige Miteinander von Liebe und Tod, nach dem der Tod den Liebenden zur
Brautnacht wird, weil er sie miteinander vereinigt.532 Die Entschlossenheit, mit der
Hanna in den Krieg und also in den Tod geht, erinnert auch an ein anderes Motiv des
herrschenden Diskurses, nämlich an die Begegnung des Mädchens mit dem Tod.533

Die Elvira der vierten Strophe wurde auch von der Propaganda beeinflusst und
entwickelte ein falsches Bewusstsein. Sie verließ ihr bequemes Leben als Einzelkind
einer großbürgerlichen Familie und fälschte ihr Alter, damit sie in der Flakbatterie
akzeptiert wird. Nach Heydrich folgt Müller in dieser Strophe durchaus Brechts
Methode, „illusioniertes Bewußtsein durch Freilegen wirklicher Sachverhalte ad
absurdum zu führen.“534 Die einzige, die kurz vor ihrem Tod die Verlogenheit der
Propaganda begriffen hat, ist Anna Simon, die zugibt, dass ihr Wunsch eigentlich
nicht das Soldatenglück war.

531
Herta Müller: In der Falle, S. 45 f.
532
Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen, S. 11 ff.
533
Charakteristisch dafür sind zwei Gemälde von Edvard Munch: „Das Mädchen und der Tod“ (1894)
und der „Todeskuß“ (1899). In beiden werden die Umarmung und der Kuss als reale Liebes-
vereinigung dargestellt, wobei gezeigt wird, wie die Frau die Initiative dafür ergreift.
534
Heydrich: Inge Müller: Wenn ich schon sterben muß, S. 818.
- 179 -

Den Gipfel des Totenappells bildet die sechste Strophe, in der das tote Mädchen
ohne Gesicht für die Unbekannte Flakhelferin (in Analogie zu dem Unbekannten
Soldaten) steht. Auch wenn die kommenden Generationen ihr kein wirkliches
Mahnmal bauen, wird in Müllers Gedicht an sie erinnert. Das verlorene Gesicht des
toten Mädchens symbolisiert wegen der Grausamkeit der Gewalt an den
Mitemenschen zugleich das verlorene Gesicht der Menschheit535 und den Verlust der
Frauenidentität hinter erzwungenen Frauenrollen. Die Frauen sterben im Krieg der
Männer, ihre toten Körper werden von Männern getragen und es sind die Männer, die
als Erinnerung einen Schuh mitnehmen.

Dieser Punkt stellt wegen des Motivs des blutigen Frauenschuhs die entscheidende
Innovation im Gedicht dar; das Motiv unterstreicht die Unrechtmäßigkeit der
Einberufung und „ist aus dem Märchen Aschenputtel extrahiert und in einem
konkreten historischen Kontext eingepflanzt worden. Sein Kern – das Vortäuschen
einer Rolle, die den jungen Frauen nicht zukam – wird auf die grausame Realität des
Hitlerkriegs bezogen.“536 Müller verwendet hier eine patriarchalische Imagination,
nach der die Frau fromm und gütig sein muss, um den Beistand Gottes, des
allmächtigen Vaters des Patriarchats, zu haben. Trotz des Todes ihrer Mutter, der
Heirat ihres Vaters, der Bosheit der Stiefmutter und ihrer Töchter blieb Aschenputtel
sanft und barmherzig.537 Wegen dieser Eigenschaften wurde sie mit einer guten Heirat
belohnt, da in dieser Welt der Prinz seine Gemahlin nach der Schuhgröße wählt. Die
herzlose Stiefschwester wird im Gegenteil dazu bestraft, da ihr Fuß im engen Schuh
verletzt wird.

Im Unterschied zum Märchen wird der Frau im Gedicht das glückliche Leben
verweigert; nicht die böse Schwester, sondern das fromme, pflichtbewusste Mädchen
hat Blut im Schuh. Das viel versprechende patriarchalische Modell der folgsamen,
frommen Frau erwies sich in der Wirklichkeit des Gedichts nicht als ein Weg zum
persönlichen Glück, sondern als lebensgefährlich. Die Rettung und Ehrung der Frau,
die den patriarchalischen Normen folgt, sind eine heuchlerische Konstruktion der
androzentrischen Kultur. Nach Visser hat das Motiv auch für den Soldaten, der den

535
Vgl. Törne: Zertrümmern von Sprachhülsen, S. 139.
536
Heydrich: Inge Müller: Wenn ich schon sterben muß, S .818.
537
Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Aschenputtel. Köln: Könemann 2001.
- 180 -

Schuh als Erinnerung mitnahm, die Funktion einer Todesmahnung, anders als dem
Märchenprinzen, der dadurch einen sicheren Weg zu seinem Glück fand.538

Zweimal wird ein Frauenbild des herrschenden Diskurses benutzt und umgekehrt.
Im ersten Fall haben wir die Entlarvung der zwei mit einander unvereinbaren
weiblichen Imaginationen der Nationalsozialisten: Die deutsche Mutter, die nicht
rauchen darf, weil sie dadurch ihre Weiblichkeit und Frömmigkeit verliert auf der
einen Seite, und die Frau, die in Uniform im Rauch der Flakbatterie stirbt auf der
anderen. Im zweiten Fall wird auf das Märchen von Aschenputtel in einer negativen
Version hingewiesen, die die Heuchelei der patriarchalischen Gesellschaft ans Licht
bringt. Interessant ist, dass der Schuh – psychoanalytisch interpretiert - für das
weibliche Genitale und im weiteren Sinne für die Weiblichkeit steht; im Gedicht hat
er die Funktion des Fetischs, der versichert, dass trotz des Schreckens des Krieges der
Kampf gegen das Andere (die Frau und den Tod) gewonnen wird.539 Denn am Ende
besitzt der Soldat – also ein Mann - den blutigen Schuh und darüber hinaus die tote
Frau, deren toter weiblicher Körper noch einmal als Objekt vorkommt. Nur in diesem
Fall lässt das Gedicht eine deutliche Kritik an dem Tod der Frau und an der
Fetischisierung ihres Körpers erkennen.

5.5. Tödlicher Angriff auf die Blindheit

Sigrid Weigel bemerkte, dass die literarische Tradition der Frauen als eine
schrittweise Emanzipation des weiblichen Schreibens angesehen werden kann
(Weigel 1984). In unserer Arbeit fängt die exemplarische Darstellung dieser
Emanzipation mit Inge Müller an und geht ins nächste Kapitel mit Katerina Gogou
weiter. Inge Müller befand sich wie Günderrode in einer Situation der Nicht-Existenz
in der Kultur (Bronfen 1992) aus dem Grund, dass sie zu ihren Lebzeiten nur eine
beschränkte Zahl von Gedichten veröffentlichen ließ. Ihre Rede ist nicht nur wegen
dieser Anonymität mit dem Tod verbunden, sondern auch weil ihr Schreiben über den

538
Vgl. Visser: „Keine Worte mehr“, S. 82.
539
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 182 f.
- 181 -

Tod, der die Frauen umgibt, zur Kritik an Verbindung von Weiblichkeit und Tod
wird.

Müller durchquert die männlich geprägten Bilder mit dem Ziel sie anzugreifen,
indem sie mithilfe eines schielenden Blickes das weibliche Selbstverständnis mit
gesellschaftlichen Themen verbindet (Weigel 1984). Das Gedicht „Europa“ ist das
beste Beispiel eines Schreibens, das als ‚eye-opener’ fungiert (Bronfen 1992): Aus
einem Thema, das meistens nicht geschlechtsspezifisch behandelt wird, macht sie eine
Kritik an den Herrschaftsstrukturen der Geschlechter und an der Rolle der Frauen in
der Geschichte als Objekte der Objekte. Müller enthüllt die nationalsozialistischen
Frauenbilder und kämpft dabei gegen die soziale und persönliche Blindheit: Der
Krieg war eine männliche Angelegenheit und die Weiblichkeitsimaginationen, die auf
Kosten der Frauen produziert wurden, hatten als Folge ihren Tod. In „Einberufung“
wird genau diese These thematisiert und gezeigt, wie der Staat die Frauen je nach
seinen Bedürfnissen und Interessen zu entgegengesetzten Imaginationen zwingt.

Noch intensiver wird dies im Gedicht „Brief einer Wehrmachthelferin“ behandelt,


denn da kommt auch der Verlust der Frauenidentität zum Ausdruck: Die Frau ist als
Objekt hinter der durch Männer geprägten Imagination des weiblichen Soldaten
versteckt und verliert dabei ihr Spiegelbild (Lenk 1976); ihre Identität findet sie erst
im Tod (Bronfen 1992). Ebenso in „Meine Mutter wollt mich nicht haben…“: Nur der
Tod gibt dem Mädchen eine Identität, die ihr die faschistische Mutter und die
nationalsozialistische Ideologie verweigert haben (Keller 2000). Die Existenz der
Frau fängt da an, wo die Macht des patriarchalischen Staates über sie aufhört. Müllers
Heldin erhält eine kritische Stimme und findet ihre Identität - im Gegensatz zu den
Heldinnen von Günderrode und Polydouri, obgleich der Preis dafür ihr eigener Tod ist
(Bronfen 1992).

Die ‚Tödlichkeit’ in der Schrift manifestiert sich auch im Bild der Frau, deren
Eintritt in die Geschichte der Männer die Tötung anderer bedeutet. Es handelt sich
aber in diesem Fall nicht um eine Form der Emanzipation – wie Günderrode es
dargestellt hat – sondern um einer Radikalisierung von Fremdbestimmung und
Funktionalisierung. Die Tochter von Preußen im Gedicht „Potsdam 45“ jubelt nicht
über ihre angebliche Gleichstellung mit dem Mann als Kämpfer, sondern erkennt und
brandmarkt ihre Objekt-Rolle. Diese Bewegung gegen die Idole, an denen sie sich
gebildet hat (Lenk 1976) führt sie zu einer eigenen und eigenständigen Betrachtung
- 182 -

ihrer Selbst und der Gesellschaft (Weigel 1984). In demselben Sinne führt die
Enthüllung der Konstruiertheit der Bildzuweisung in „Feuerprobe“ dazu, dass diese
Konstruiertheit auch bewusst und abgelehnt wird (Weigel 1984).

Die Todespräsenz ist eine Obsession von Inge Müller; in den Gedichten, in denen
sie diese Obsession mit der Frau und ihre Rolle in der Geschichte verbindet, macht sie
das aus ihrem Wunsch, den Blick hinter das imaginierte und in diesem Fall das
aufgezwungene Bild der Weiblichkeit zu ermöglichen. Das Verb ‚sehen’ kommt sehr
oft in ihren Gedichten vor: Sehen bedeutet für sie enthüllen, ans Licht bringen, nicht
vergessen, in diesem Fall die Finsternis der symbolischen Ordnung als Staat, Nazi-
Regierung oder Armee durchbrechen, so dass die Frauen in den Gedichten hinter ihre
Funktionalisierung ihr Selbst zu erkennen anfangen.
- 183 -

6. Katerina Gogou (1940-1993)

Wie Inge Müller, übt Katerina Gogou mit ihrem Werk scharfe Kritik an den
gesellschaftlichen Verhältnissen; beide erfinden dabei keine neue Sprache, sondern
machen einen anderen Gebrauch von ihr.540 Im zweiten Kapitel dieser Arbeit haben
wir versucht die politisch-anarchische Dimension ihres Werks kurz zu schildern. In
diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit sechs Gedichten, in denen die
gesellschaftskritischen Parameter mit Weiblichkeitsimaginationen und Todesmotiven
in Verbindung gebracht werden. In der Gesamtheit des Werks von Gogou herrschen
Todesmotive in Szenen von Vernichtung oder Selbstzerstörung vor, die als eine
Sprache weiblicher Suizidalität interpretiert werden können, im Sinne dass alle diese
Muster auf eine Auseinandersetzung mit der herrschenden androzentrischen Norm
verweisen.541

Die sechs Gedichte von Katerina Gogou, die in diesem Kapitel untersucht
werden542, erfüllen die Kriterien, die im ersten Kapitel der Arbeit gestellt worden
sind: In diesen Gedichten werden Frauenimaginationen dargestellt, die einen
Zusammenhang mit dem Tod aufweisen. Die geschilderten Frauen kommen in ihrer
Verbindung mit Todesmotiven entweder als Opfer oder als Täter vor, wobei in allen
diesen Gedichten das Patriarchat und die Gewalt thematisiert werden.

Tod und Dichtung

Die Verbindung zwischen der dichterischen Kunst und dem Tod als Motiv ist im
Werk von Katerina Gogou mit der väterlichen Figur verwickelt, wobei die
Auseinandersetzung nicht nur mit dem realen, sondern auch mit dem symbolischen
Vater stattfindet, nämlich mit der symbolischen Ordnung als Autorität oder Gesetz.
Damit sind die Institutionen der patriarchalischen Gesellschaft und Familie, des
540
Vgl. Johanna Wördermann: Schreiben um zu überleben oder Schreiben als Arbeit. In: Alternative.
Zeitschrift für Literatur und Diskussion 108/109, 19. Jahrgang, Berlin: Alternative Verlag 1976, S.115-
118, hier S. 117.
541
Vgl. Keller: Nun breche ich in Stücke, S. 7-17 und Weigel: Der schielende Blick, S. 104 f.
542
Mangelnde Informationen über die Rezeption der Gedichte sind darauf zurückzuführen, dass das
Werk der Dichterin in seinem größten Teil vom literarischen Kanon ignoriert worden ist. Deswegen
sind keine Stellungnahmen zu den sechs Gedichten, oder eben Reaktionen darauf vorhanden.
- 184 -

Staates und auch des sprachlichen Systems gemeint. Obwohl das Gesetz apersonal,
also geschlechtsneutral ist, kann es, so Lacan, ausschließlich von einer männlichen
Gestalt repräsentiert werden, wie der Gott oder der reale Vater.543

Die Dichterin setzt tatsächlich die väterliche Macht der patriarchalischen Macht
der Gesellschaft gleich: « . . ,
.» (Go, 02, 109)544 schreibt die Dichterin in einem
Text, der die Form eines Briefes an ihren damals verstorbenen Vater hat. Die
Ablehnung von der Gesellschaft folgte der Ablehnung vom Vater in ihrer frühen
Kindheit. Der Vater steht eigentlich in ihrer Dichtung für den Tod «[...]
/ / [...]» (Go, 90, 89)
und ist mit Gewalt und Verrat verbunden: In vielen ihrer Gedichte übt der Vater als
Elternteil Gewalt auf seine Tochter und als Gesetz auf die Frau aus: Der Staat
unterdrückt die Bürgerin, die Partei die Genossin, das Patriarchat den weiblichen
Menschen.

Und trotzdem liebt sie diesen Vater-Tod, sie sucht und ruft ihn in ihren Gedichten
durch die Todesmotive. Die Dichtung war von Anfang an ein Vermittler zwischen der
Welt der Lebenden und der der Toten, auf eine makabre Weise, die zurück zum Vater
führt, denn wie Morrien schreibt, ist der Vater als Repräsentant der symbolischen
Ordnung die Instanz, von der die Macht zu schreiben hergeleitet wird545:

, . . .
, , , .
, , . .
. [...] ,
. (Go, 02, 104
f.)

Frauenimaginationen

Dass Gogou Bilder des Weiblichen mit klaren Linien schaffen kann, ist
möglicherweise darauf zurückzuführen, dass sie als Schauspielerin die Frauen-
imaginationen der androzentrischen Kultur sehr gut kannte: In den 60er Jahren
florierten in Griechenland die Volksfilme der griechischen Filmindustrie, die den

543
Vgl. Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 80 ff.
544
Bei Katerina Gogou (Go) steht vor der Nummer der Seite das Jahr der ersten Veröffentlichung des
Buches (z.B. Go, 02, 52 f.). S. auch das Literaturverzeichnis.
545
Vgl. Morrien: Weibliches Textbegehren, S. 3.
- 185 -

Menschen massenhaft geschaffene und nur in diesen Filmen oder in der Werbung
existierende Fraubilder vorstellten. Es handelte sich um eine künstliche Welt, die die
Verkörperung des kapitalistischen Ideals in einer Konsumgesellschaft war, in der die
positiven Helden die Ordnung innerhalb der traditionellen Familie und im weiteren
Sinne innerhalb des patriarchalischen Staates unterstützten.

Innerhalb dieser Welt war die Frau auf bestimmte Typen beschränkt: Die
traditionelle Hausfrau und Mutter, deren Moral nie in Frage gestellt werden musste,
die amoralische junge Dame, die verheiratete Männer verführte, manchmal auch die
berufstätige Frau, die aber ihre Emanzipation zugunsten einer guten (also reichen)
Ehe aufgab, das leichtsinnige Frau-Kind, dessen Interessen sich auf Partys, moderne
Tänze und Rockmusik beschränkten. Gogou verkörperte hauptsächlich diesen letzten
Frauentypus, bei dem die Rebellion, wenn überhaupt vorhanden, als Charakteristikum
des jungen Alters erklärt wurde und nur im Rahmen der gesellschaftlichen Strukturen
stattfand, ohne sie anzuzweifeln und ohne politische Dimensionen.

Gogou war fest davon überzeugt, dass die Kultur im Dienste der jeweiligen Macht
stand: « . / / /
/ / …» (Go, 80, 17
f.). Was sie versuchte, war diese Kultur, diese Worte zu ihren Gunsten zu benutzen:
«… …» (Go, 80, 17 f.).
Deswegen brachte sie als Dichterin die Erbarmungslosigkeit und die Härte der
Gesellschaft zum Vorschein. Thematisiert sind in ihren Gedichten die Grausamkeit
der Unterdrückung durch die unpersönliche Staatsmaschine, der Erniedrigung des
Menschen, der Verweigerung einer anständigen, autonomen Lebensweise für die
Frauen, die durch Sexismus zur Verrücktheit und Selbstzerstörung geführt werden.

Gogou gelingt das, indem sie viele Frauenbilder des herrschenden Diskurses
verwendet, nur um sie umzukehren, zu enthüllen, zu zerstören und auf diese Weise für
die Zwecke ihrer Kritik zu benutzen.546 In ihrem Fall werden weibliche Stereotype
mit großer Intensität und in einer stets provokativen Sprache gegen die Quelle ihrer
Herstellung, nämlich gegen die androzentrische Kultur, zum Ausdruck gebracht.547
Obwohl Gogou sich nie als eine feministische Dichterin bezeichnete, schafft ihre

546
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 83-137.
547
Vgl. die Untersuchung von Gilbert und Gubar „The Madwoman in the Attic“ (1979), und Lindhoff:
Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 39 ff.
- 186 -

Dichtung die Voraussetzung für die Enthüllung der Frauenunterdrückung; sie


ermöglicht nämlich was Suzanne Juhasz „Consciousness of oppression; consciousness
of identity“548 nannte. Gogou folgt in ihrer Lyrik Formen, die von Risiko,
Entgrenzung und Überschreitung bestimmt sind, und die dadurch einen subversiven
Blick erlauben. Nach Renate Lachmann ist diese Vermeidung von Verbürgerlichung
am nächsten zu Cixous’ Verlangen nach avantgardistischen Texten.549

6.1. Das weibliche Ich begegnet dem Tod

Im folgenden Gedicht wird gezeigt, in welcher Weise das weibliche lyrische Ich, der
Tod und die Lyrik verwickelt werden, so dass die Frau im Patriarchat eine Existenz
zwischen Leben und Tod hat, wobei die Sprache als Waffe gegen die bedrohliche
Vernichtung und das Gedicht als ein Anschreiben gegen die verinnerlichte Gewalt der
patriarchalischen Gesellschaft verwendet werden.

Die lebendige Tote. « » [Ich werde geboren sein]

1940. . .
, ’

« ». . .
.

.

548
Suzanne Juhasz: The Feminist Poet: Alta and Andrienne Rich. In: Cheryl Brown, Karen Olson
(Hg.): Feminist Criticism. Essays on Theory, Poetry and Prose. London: The Scarecrow Press 1978, S.
161.
549
Vgl. Renate Lachmann: Thesen zu einer weiblichen Ästhetik. In: Claudia Opitz (Hg.): Weiblichkeit
oder Feminismus? Beiträge zur interdisziplinären Frauentagung, Konstanz 1983. Weingarten: Drumlin
Verlag 1984, S. 181-194, hier S. 193.
- 187 -

!
.........................................

,

;
, , , ; (Go, 02, 20f.)

Das dritte Gedicht der Sammlung « » [Ich heiße Odyssee]550, die


2002, nach dem Tod der Dichterin, veröffentlicht wurde, gehört zu den letzten
Gedichten der Dichterin und manifestiert die Erfahrung des lyrischen Ich als Frau und
Dichterin. Das lyrische Ich bezieht sich auf sich selbst, indem es zurück in die
Vergangenheit geht, hinter dem Ausgangspunkt seiner Existenz. Es beobachtet die
ersten Tage seines Lebens und versucht durch diesen Rückblick seine jetzige Stellung
zu begreifen.551 Es gibt einen langen ersten Teil («1940... »), einen separaten
Satz (« !») und eine kurze Strophe, die einer Pause folgt und
die den zweiten Teil des Gedichts ausmacht. Das lyrische Ich bestimmt in diesem
Gedicht die Zeit («1940», « »), den Ort552 (« »,
« », « ») und sein Geschlecht (« », « »,
« ») und konzentriert sich auf die zwei ihm wichtigsten Personen.

Beschrieben wird zuerst der Vater, was seine Wichtigkeit zeigt. Dieser Teil fängt
mit dem Satz « »; dieses ‚noch mal’ ist vielleicht ein Indiz, dass sie
hinter jeder Ausweglosigkeit, hinter jedem Versuch sich von der Einsamkeit und der
Verzweiflung zu befreien, den Vater, seine Ablehnung und seinen Versuch ein
neugeborenes Baby mit dem Wasserschlauch zu ertränken findet. Denn der Mangel an
väterlicher Liebe und Anerkennung beeinflusst die Subjektkonstitution auf eine

550
Katerina Gogou: [Ich heiße Odyssee]. Athen: Kastaniotis Verlag 2002.
551
Der Einfluss der Kindheit auf das spätere Leben des Individuums wird auch im Gedicht «
’ !» [Niemand wohnt in dieser Stadt!…], deutlich: «[...]
/ / /
[...]» (Go, 86, 38).
552
Der Ort der Handlung ist das Zentrum Athens, die armen Gegenden, die immer wieder in Gogous
Gedichten auftauchen. Auf die Erinnerungen ihrer Kindheit, die mit ihrer Nachbarschaft und die harten
Jahren nach 1940 zu tun haben, bezieht sich auch der Text « ’44,
» [Dezember 44, Ecke Lambrou Katsoni und Boukouvala], der in derselben
Sammlung veröffentlicht ist (Go, 02, 51 f.).
- 188 -

negative Weise, da der Vater in der patriarchalischen Kultur Subjektivität, Begehren


und Individuation repräsentiert.553 Auch von der Mutter wurde sie früh entfernt, da
diese nicht mehr stillen konnte. Das weibliche lyrische Ich des Gedichts überlebt, aber
wächst in Einsamkeit auf, die zu ihrer Muse wird; das ist das Gefühl, das ihre ersten
Erinnerungen begleitet, die bitter wie das Chinin sind.

Da der folgende Vers « !» mit einem kleinen Buchstaben


anfängt, kann man ihn zum ersten Teil zählen. Die Pause betont in diesem Fall den
Übergang von der Erzählung zu der Wunschäußerung, die zugleich als ein
Kommentar interpretiert werden könnte. Wenn Zeit und Ort unveränderlich wären,
wäre das eine erwünschte Erleichterung. In diesem « » würde sie gern schlafen, da
wollte sie bis zu ihrem Tod existieren, obwohl sie so sehr für die Erhaltung ihres
Lebens gekämpft hat und noch immer kämpft. Zeit und Ort sind immer noch 1940 in
Votanikos. Der Unterschied zwischen „da“ in der Vergangenheit und „hier“ in der
Gegenwart betont, dass die Verbindung zwischen den beiden die Situation zwischen
Leben und Tod ist. Da wollte sie schlafen, also nicht leben und nicht sterben (der
Hypnos war in der Mythologie der Bruder von Thanatos). Hier ist sie eine tote
Lebende. Sie lebte weiter aus Selbsterhaltungstrieb und gehörte zu den Toten, so wie
der reale Vater sie wollte und so wie der symbolische Vater alle Frauen will: ohne
Existenz.

Die Frau im Gedicht wurde stets von einer Mischung aus Leben, Tod,
Existenzkampf, Einsamkeit und Lyrik begleitet. Zur Lyrik gelangt das lyrische Ich,
nach dem Rückblick und die Lyrik sieht sie als Waffe im Kampf gegen Einsamkeit.554
Der Logos funktioniert als eine Stütze gegen die Grausamkeit des Todes, dessen
Präsenz das Mädchen im Gedicht seit Anfang seines Lebens spürte. Nach Michel
Foucault sei die Rede das einzige Mittel, damit der Unausweichlichkeit des Todes
getrotzt wird, auch wenn das sich schließlich als eine Illusion erweist.555 Das
Überleben des lyrischen Ich wird mit dem Körper durch die Unterbrechung des
Stillens und durch das Ertrinken verbunden, die Gewalt auf ihn ausüben. Es scheint,
dass die mütterliche Figur nicht so hart kritisiert wird: Das Chinin wurde früher oft
553
Vgl. Morrien: Weibliches Textbegehren, S. 19.
554
Die Einsamkeit wird im Gedicht « ’ …» [Ist es wohl Samstag…] mit dem Gefühl
verbunden, ein alleingelassenes Kind zu sein, ein Kind, das nie erwachsen wurde: «[...]

[...]» (Go, 82, 17).


555
Vgl. Michel Foucault: Das unendliche Sprechen. In: ders: Schriften zur Literatur. Frankfurt a.M.
1988, S. 90-103, zitiert nach: Morrien: Weibliches Textbegehren, S. 14.
- 189 -

benutzt, damit die Mütter nicht mehr stillen, im Falle einer Krankheit oder einer
zweiten Schwangerschaft. Die Tat des Vaters scheint aber grausam, zumal er sich
bemüht hat, das Baby zu töten. Auf eine ironische Weise wird sein Mordversuch
gerechtfertigt und verallgemeinert « », weil das Baby ein Mädchen war,
also nach den patriarchalischen Regeln fast unbrauchbar.

Da die Begegnung mit dem Tod so früh wie die Begegnung mit dem Leben
passiert, findet das Bewusstwerden der geschlechtlichen Identität durch
Todeserfahrungen statt. Im Blick des Anderen sieht die Frau ihr eigenes Totsein, sie
identifiziert sich also mit ihrem Bild als Tote oder als eine für tot Erklärte. Der
weibliche Körper wird durch den Zustand der lebenden Toten zu einem Ort des
Widerstands gegen das patriarchalische Diktat der Weiblichkeit. Denn die väterliche
Gewalt auf diesen Körper zeigt offen, dass die Männer Eigentümer des weiblichen
Körpers sind, also Besitzrechte auf Frauen haben, und unterstreicht dadurch die
Objektstelle, die in dieser Gesellschaft für Frauen bestimmt wird. Selbst die Tatsache
der Erhaltung dieses Körpers von einem lyrischen Ich, das jahrelang versucht, seine
Existenz zu bewahren, wäre also in diesem Kontext, eine Beschränkung der
patriarchalischen Macht.

Durch den Gebrauch von Lyrik als Überlebensmittel wird ein Zusammenhang
zwischen Körper, Sprache und Gewalt geschaffen. Der Sprechakt gleicht der
Subjektwerdung des weiblichen Individuums, das unter dem Gesetz des Phallus gegen
den Objektstatus und das ihm erzwungene Schweigen kämpft. Das korrespondiert mit
der These von Juhasz, dass die Lyrik als Umformung gegebener Worte und Inhalte es
für die Frauen möglich macht, ihre Befreiung auf der Sprache zu gründen.556 Der
stummen Vernichtungsgewalt des Mannes (da der Vater im Gedicht keine Worte sagt,
sondern seine Taten sprechen lässt) wird ein Existenzkampf der Frau gegenüber
gestellt, dessen Mittel eine harte, nichts verschonende Sprache ist. Diese aggressive
Sprache der mit Klarheit ausgedrückten Wünsche557 und Anklagen bestätigt die
Existenz des lyrischen Ich und unterstützt ihre Befreiungsversuche aus der Gewalt des
Gesetzes. Die Antwort auf diese Gewalt ist die Gewalt der lyrischen Sprache, die die
weibliche Stimme ausdrückt.

556
Vgl. Juhasz: The Feminist Poet, S. 184.
557
Vgl. Manos Loukakis: Einleitung in Gogous Buch: [Ich heiße Odyssee]. Athen:
Kastaniotis Verlag 2002, S. 7-10, hier S .9.
- 190 -

6.2. Neue Dimensionen alter Frauenbilder

In diesem Kapitel wird die Todesproblematik mit bestimmten Frauenbildern


verbunden. In diesem Fall spricht das lyrische Ich nicht über sich selbst, sondern
beschreibt andere Frauen. Indem es das macht, folgt es Lenks Credo, dass der Objekt-
Status der Frau in der Kunst verschwinden wird, wenn die Frau sich nicht mit den
männlichen Imaginationen identifiziert, sondern sich gegen die Idole richtet, an denen
sie sich gebildet hat, und die ihr Selbstwertgefühl bestimmt haben. Die Zerstörung
dieser Idole wird als ein Schritt in die Richtung der Befreiung aus dem männlichen
Blick angesehen.558

Die drei Frauenbilder, die in diesem Teil vorgestellt werden (die Prostituierte, die
tote Frau, die Mutter), werden in den entsprechenden Gedichten als Opfer dargestellt
und gehören zu den Frauenfiguren, die gestorben, oder getötet sind. Aus der
Bearbeitung des Zusammenhangs zwischen dem Weiblichen als patriarchalische
Imagination und dem Tod in diesen Gedichten wird allerdings klar, dass die
Frauenbilder nicht unkritisch benutzt werden; im Gegenteil werden sie enthüllt und
erhalten eine neue Dimension, die den schielenden Blick im Sinne Weigels erlaubt:
Sie zerbrechen nämlich durch den Umweg der androzentrischen Kultur den Spiegel
von männlich konstruierten Frauenimaginationen.559

Die Prostituierte. « …» [Ölspeisen im


Plastikbehälter…]

40 4 .


.

558
Vgl. Lenk: Die sich selbst verdoppelnde Frau, S. 87.
559
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 87.
- 191 -


-

.
.


– ‘ ’ .

. .
.
.
. .
.

- .
. .

’ .
40
. (Go, 82, 20f)

Auch in diesem Gedicht, das neunte der Sammlung « » [Der


hölzerne Mantel]560, bedient sich Gogou der von ihr öfters benutzten provokativen
Sprache, die als Ausdrucksmittel der ‚underground’-Kunst auch von einigen Dichtern
der 70er Jahre in Griechenland verwendet wurde.561 Sie bezieht sich dabei auf ein
bekanntes, im herrschenden Diskurs stereotypes Frauenbild, mit dem Ziel den
Archetyp der Frau als todbringendes sexuelles Objekt hinter dieser Imagination zu
enthüllen.562 Die Verbindung von Sexualität, Krankheit und Tod ist ein Topos in der

560
Katerina Gogou: . [Der hölzerne Mantel]. Athen: Kastaniotis Verlag 1982.
561
Einige davon sind Vasilis Steriadis, Kostas Gouliamos, Elias Kefalas. Vgl. Aleksis Siras :
. ’70 [Von der Sprache des
Zorns zur verletzenden Sprache. Dichter und Poetik nach `70]. In: Dimitris Alexiou (Hg.):
’70 [Die Generation der 70erJahre]. Athen: Omvros 2001, S. 21. Vgl. auch Dick Hebdige: -
: . [Subkulturen: Die Bedeutung des Stils]. Athen: Gnosi Verlag 1988
(Subculture: The Meaning of Style, 1979).
562
Dieses Motiv taucht ebenfalls in den Gedichten « …» [Gerüchten zufolge…] (Go, 82,
10) und « ’ …» [Ist es wohl Samstag…] (Go, 82, 16), « …» [Manchmal…]
(Go, 86, 34) derselben Sammlung auf, ohne allerdings ihre zentrale Thematik zu sein.
- 192 -

patriarchalischen Kultur. Man denkt an Madame Lamort in Rilkes fünfter Duineser


Elegie, aber auch an andere Motive, bei denen der Körper der verbotenen weiblichen
Sexualität ein Emblem für Tod ist. Anlässlich des Gedichts « » von Maria
Polydouri haben wir schon auf Seite 130 dieser Arbeit die Analogie zwischen der
Todesangst und der Angst vor der Sexualität in der patriarchalischen Gesellschaft seit
dem 18. Jahrhundert und das damit verbundene künstlerische Klischee der Frau als
Prostituierte erwähnt.

In demselben Rahmen sollte man folgendes betonen: Mors syphilitica war eine
Benennung für den Tod in Frauengestalt, die aus der Furcht des Mannes vor der
tödlichen Geschlechtskrankheit hervorging. Mit der Angst vor der weiblichen
Sexualität wurden ebenfalls die Hexen verbunden, zumal ihre Kräfte der Macht, der
Gewalt und der Kontrolle der androzentrischen Gesellschaft entgegenstanden.563 Da
weibliche Sexualität die gesellschaftlichen Normen überwindet, wird sie als
bedrohlich empfunden und muss deshalb gezüchtigt werden, wobei die entsprechende
Bestrafung oft sadistische Züge aufweist.564 Alle diese Motive findet man in Gogous
Gedicht wieder.

Die Wörter im Slang (z.B. « », « », « »), die


aggressiven Ausdrücke, wie auch die Tatsache, dass das Ende der Sätze oft nicht mit
dem Ende der Verse zusammenfällt, tragen zum Gefühl der Unruhe und der
Bedrohung bei, das das Gedicht charakterisiert. Die Prostituierten werden hart, fast
grausam beschrieben und außerhalb des sozialen Rahmens gestellt: Sie werden vom
Patriarchat als Maulwürfe angesehen, sie leben also nicht nur außerhalb der
Gesellschaft, sondern auch sogar unter ihr. Sie sind Krüppel, Gejagte, ohne innere
Geschlechtsorgane (die Unfähigkeit Kinder zu gebären ist noch ein Grund des
Ausschlusses aus der patriarchalischen Gesellschaft). Dadurch wird die weibliche
Sexualität verurteilt, da sie mit Verelendung, Krankheit (« »), Gewalt
(« »), Magie (« ») und Parodie (« »,
« ») verbunden wird. Schon am Anfang des Gedichts wird der Tod mit
Sexualität verbunden, durch den Vergleich der Beine der Prostituierten mit toten
Muscheln und durch die Erwähnung von Krebs-Krankheiten.

563
Solche magische Kräfte hatten traditionell fast immer die Frauen. Vgl. Philippe Aries:
, S. 108.
564
Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen, S.50.
- 193 -

Ebenso klar werden die Macht und die Gewalt des Patriarchats beschrieben. Der
Ort im Gedicht wird deutlich erwähnt: Es handelt sich um die Straßen in der Gegend
von Metaksourgeio, wo die Prostituierten wie Objekte ausgestellt sind, ungeschützt
und den Blicken der Männer ausgesetzt. Bestimmte Elemente verweisen direkt auf die
Wirklichkeit von Athen (« », « ») und von Griechenland
(« », « »). Dieser Ort ist aber gleichzeitig als der Ort
des Patriarchats bestimmt, dessen Vertreter bekannt sind: Kunden, ‚Beschützer’,
Ärzte der Polizei, ‚verärgerte’ Bürger, Mitglieder der Kirche sind Träger der Gewalt,
die nach dem Motto « . .» handeln.

Das Hauptgewicht des Gedichts liegt auf diesem Vers, dessen Schonungslosigkeit
die wahren Verhältnisse im Patriarchat zeigt. Die Vernichtung des Körpers steht für
die Vernichtung der Sexualität und die wird mit der Vernichtung des Verstands
(« ») verbunden. Die Gewalt des Patriarchats wird durch das
Verb « » verstärkt. In diesem Kontext hat es die Bedeutung von verraten
und verweist auf die Kreuzigung der christlichen Tradition. In einer phallischen
Dimension wird die Penetration, im Sinne der Ausübung von Gewalt auf den Frauen,
impliziert.565

Die Strategie der Dichterin ist also die Imaginationen der Männer noch grausamer
zu machen, die Angst vor der mit Sexualität verbundenen Verelendung und Krankheit
zu verstärken und auf die Gewalt mit mehr Gewalt zu antworten. Sie gibt die
stereotypen Frauenimaginationen wieder, aber indem sie das macht, übertreibt sie.
Die Beschreibung der Prostituierten erinnert an die dekadenten Huren von Otto
Dix566, denn die Dichterin – sich einer harten Sprache bedienend - zeigt die Wunde
und konzentriert sich auf die Verelendung. Die Prostituierten bilden ein Tableau
vivant des Todes: Sie sind sowohl Bilder als auch Körper, sie sind schon sozial tot
und sie werden bald auch physisch vernichtet.

Durch die Übertreibung und durch diese Art der Ästhetisierung des ekelhaften
Inhalts, gelingt ihr einerseits die Aufmerksamkeit des Lesers auch auf die Träger der
Gewalt zu richten und andererseits die patriarchalische Imagination der Hure zu

565
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 451.
566
„Mädchen vor dem Spiegel“ (1921), „Venus des kapitalistischen Zeitalters“ (1923), „Drei Dirnen
auf der Straße“ (1925) und „Drei Weiber“ (1926). (Aus: „Von der Dada-Messe zum Bildersturm.
Dix+Berlin“ . Berlin: Pädagogischer Dienst der staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz 1992, S.
13, 50, 53, 54).
- 194 -

entmystifizieren. Das Bild der Prostituierten, die ihren Beruf freiwillig ausübt oder
der Verführerin, die unbegrenzte Lust daran empfindet, wird nach dieser
Beschreibung zerstört. Die Verse beschreiben eigentlich das primäre vom Mann
entworfene und ihm gehörende Objekt, das Sexualobjekt. Die Prostitution wird als ein
Beweis der Macht über eine andere Person angesehen: Sie setzt die Objektivierung
und folglich die Vermarktung des weiblichen Körpers voraus, nach einer
patriarchalischen Regel, nach der die Frauen als manipulierbare und entfremdete
Wesen zur Verfügung der Männer gestellt werden.

Man bemerkt, dass sich die Perspektive des Gedichts ändert: Der erste Teil
(« ... ») stellt die Situation in der dritten Person
Singular vor, während im zweiten (« ... ») die
erste Person Plural benutzt wird, da sich das lyrische Ich direkt an die Prostituierten
wendet. Außerdem gibt es Motive von Licht und Mittag («40 4
», « », «40 », « »), die im
Allgemeinen in der Literatur mit der Enthüllung von Wahrheit verbunden werden.567
So wird der Leser auf eine Umkehrung vorbereitet: Das Fremde an den Bildern der
Prostituierten erweist sich zum Schluss als vertraut.

Das gelingt der Dichterin durch unvollständige Sätze, die den Effekt einer Kamera
haben, die auf den hervorzuhebenden Objekten zoomt, wie die im Öl gekochten
Speisen oder die Fäden der Stickerei. Die Prostituierten befinden sich also dem Bild
der ‚alltäglichen’ Frau überraschend nah: Sie fasten, sie haben Schulden, sie sticken.
Obwohl der Ort des Gedichts mehrmals bestimmt wird, implizieren die Verse «
/ ’ » die Verallgemeinerung
des Phänomens. Das « » im Gedicht drückt genau das aus, den
Zusammenhang nämlich zwischen den Frauen, das gleiche Los des gesamten
weiblichen Geschlechts.

Es wird also impliziert, dass die Prostitution die grausame Erweiterung und die
Folge der Frauenrolle im Patriarchat ist. Es ist nicht die andere, sondern die gleiche
Seite der Medaille der sexuellen Unerdrückung, der weiblichen Unterwerfung und der
Geschlechtsstereotype.568 In beiden Fällen sind die männlichen Bilder über die

567
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur, S. 212 ff.
568
Vgl. Tasia Chatzi: . [Hure. Dreizehn Jahre später]. Athen: Odysseas
1993, S. 132.
- 195 -

Weiblichkeit, die befriedigt werden sollen; die Frau soll nur eine Rolle spielen, ihre
Sexualität verdrängen und ihr Ich verweigern.

Die schöne Tote. « » [Sonja]

– –
...

... (Go, 86, 26)

Auch in diesem Gedicht, dem dreizehnten der Sammlung « » [Abwesende],569


benutzt Gogou ein stereotypes Motiv des herrschenden Diskurses: Das Bild des
weiblichen Todes in der Kunst erscheint sehr oft in der Literatur- und
Kulturgeschichte der letzten 200 Jahre. Die Frau, der weibliche Körper, ist synonym
für das Chaos, das Andere, das Unheimliche. Die Zurschaustellung des toten
weiblichen Körpers ermöglicht die gefahrlose Inbesitznahme des ‚Anderen’, wie im
Fall von Schneewittchen im gläsernen Sarg.

In dem bekannten Grimm-Märchen ließen die Zwerge nach Schneewittchens Tod


einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, so dass man ihren Körper von allen
Seiten sehen konnte und stellten den Sarg auf einen Berg. Der Prinz, der
Schneewittchen im gläsernen Sarg sieht, sagt, er wolle sie sehen, als das wertvollste

569
Katerina Gogou: . [Abwesende]. Athen: Kastaniotis Verlag 1986.
- 196 -

Ding, das er besitzen könne. Die Frau wird also zu einem Objekt, zu einem Ding,
dessen Funktion es ist, da zu sein, damit der Mann sie sehen kann. Weiterhin wird
ihre Passivität durch die Tatsache des Besitzes verstärkt. Die Frau tut nichts, sie liegt
in ihrem Sarg, sie lässt sich ansehen, ist durch ihre Funktion als Objekt, als Projektion
der männlichen Phantasie, als Bild begehrenswert. Und schließlich gerät
Schneewittchen, als totes Objekt, zur Apotheose einer der zentralen Positionen, die
der Frau in der westlichen Kultur zugeschrieben werden: Nämlich, dass der
betrachtete weibliche Körper die Macht des männlichen Blicks bestätigen soll.570

Im Gedicht findet man das Bild des toten weiblichen Körpers im Sarg: Die Tote
trägt ein Brautkleid mit Spitzen und hält in ihren Händen ein Bund Lilien. Man findet
auch den Wechsel zwischen Unschuld und Sexualität, die durch die Weiß-Rot-
Metaphorik im Märchen von Schneewittchen deutlich wird: Ihren Namen erhielt
Schneewittchen, weil sie weiße Haut und rote Wangen wie Blut hatte.
Psychoanalytisch interpretiert ist ihr Name eine Kombination der asexuellen und der
leidenschaftlichen Seite des Mädchens. Der rote Apfel, der das Mittel ihrer Tötung
war, bildet eine Gemeinsamkeit zwischen Schneewittchen und ihrer Stiefmutter: Ihre
sexuellen Triebe.

Auch im Symbol des Apfels ist die Farbenmetaphorik zu finden: Der weiße Teil,
den die Stiefmutter gegessen hat, war nicht vergiftet, der rote Teil, der für
Schneewittchen bestimmt war, war voll von Gift. Die Sexualität wird unbewusst als
eine bedrohliche, böse Kraft dargestellt, wobei der weiße Teil unschuldig bleibt.
Sobald aber das Mädchen in den roten Apfel beißt, wird ihre Unschuld, wie die von
der biblischen Eva, beendet.571 Im Gedicht lässt sich die Weiß-Rot-Metaphorik
folgenderweise darstellen: Auf der einen Seite das weiße Brautkleid, der Tüll, die
Spitzen, die Lilien und auf der anderen Seite die rote Lippen und die roten Messer.

Gogou geht aber eigentlich über diese Motive hinweg, denn der tote weibliche
Körper gehört einem Mann (dem biologischen Geschlecht nach), einem
Transvestiten.572 Es ist nämlich aus der Sekundärliteratur bekannt, dass die Sonja des
Gedichts ein Transvestit in Athen war und dass die Geschichte auf einem wahren

570
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 150 f.
571
Vgl. ebd.
572
Das Motiv des Transvestiten oder des Homosexuellen kann man auch in folgenden Gedichten
finden: « 2.11.75» [Autopsiebericht 2.11.75] (Go, 82, 15), « …»
[Gerüchten zufolge…] (Go, 82, 10).
- 197 -

Ereignis basiert.573 Im Gedicht wird das nicht erwähnt: Die Dichterin benutzt nämlich
alle Pronomina und Adjektive im Femininum. Die Darstellung der Todesstunde ist
zärtlich, fast romantisch wiedergegeben: Sonja hat ihren blassen Kopf mit einem
Schluchzer geneigt, ist ruhig für immer entschlafen und wie eine unverheiratete Frau
begraben worden. Es gibt aber bestimmte Motive, die dieses Bild umkehren, wie der
Himmel, der als fruchtlos und gebirgig beschrieben wird als Symbol der
Männlichkeit.574

Außerdem wird das stereotype Bild des toten weiblichen Körpers als perfekte und
makellose Form, da er zu einem Kunstobjekt erstarrt wird575, durch die Einzelheit des
roten Lippenstifts, mit dem der Mund der Toten beschmiert war, ins Groteske
getrieben. Einerseits wird dadurch die weibliche Sexualität unter den gegebenen
Umständen ungewöhnlicherweise betont, andererseits wird in dieser Weise Sonjas
Stellung in der Gesellschaft impliziert: Der Lippenstift ist nicht richtig gestellt, und so
war auch die Existenz der Toten. Sie war nach patriarchalischen Ansichten nicht
richtig in die Gesellschaft ‚gestellt’, sondern eine Außenseiterin, die zwischen ihrem
männlichen biologischen Geschlecht und der grotesken Imitation der Frau lebte.

Denselben Zweck hat auch der Gegensatz zwischen der roten Farbe ihrer Lippen
und der weißen ihres Brautkleids und der Lilien: Diese Symbole einer Jungfrau, der
sexuellen Unschuld korrespondieren nicht mit der Wirklichkeit der Toten, allerdings
sind die Gegensätze zwischen Sexualität und Unschuld im Gedicht versöhnt. Zum
Grotesken gehört auch das Benehmen der Freundinnen, die auch übertrieben
geschminkt sind und die sich trotz der Traurigkeit theatralisch verhalten, als ob sie in
einem Film spielen würden. Dass sie eine Rolle interpretieren, verweist auf das
Künstliche des Bildes.

Das einzige Wort im Gedicht, das auf eine Person männlichen Geschlechts
verweist, ist das Wort « » im letzten Vers, zu denen Gogou auch
die Tote zählt. Es gibt einen Bund, der durch die rote Farbe gezeigt wird. Zwischen
dem roten Mund der Toten und den roten Messern gibt es ein Verhältnis von Grund
573
Vgl. Dimitris Gionis: « ’ ;»
« » [„Wohnt niemand mehr in dieser Stadt?“ Katerina Gogou ist anwesend mit den
„Abwesenden“]. In: Elevtherotypia, 19.11.1986. n diesem Interview sagte Gogou, dass sie sich in
dieser Sammlung mit den lebenden Abwesenden beschäftigt, auch wenn ihre Gedichte über
Tsoutsouvis, Venardos oder den Transvestiten Sonja sprechen.
574
Ludwig Tick verwendete in seinen Texten das Motiv der Berge als Symbol der bürgerlichen-
patriarchalischen Ordnung. Vgl. Beutin: Deutsche Literaturgeschichte, S. 178.
575
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 15.
- 198 -

und Ergebnis: Sonja ist verloren, weil sie wegen ihrer Sexualität verschieden war. In
diesem Gedicht ist eine Erweiterung der Gender-Problematik zu bemerken: Was mit
Sonjas Tod kontrolliert wird, ist das Anderssein, wenn dieses die Sicherheit des
Ähnlichen und der stabilen Identitäten zerstört,576 die im Patriarchat für unentbehrlich
gehalten werden. Die gesellschaftliche Kontrolle wird durch Stereotype, Meinungen,
Haltungen oder Beschränkungen erreicht, die jede ‚Unordnung’ im Sinne von
sexueller Abweichung unterdrücken. Wie Foucault meinte, steht die Sexualität seit
dem 18. Jahrhundert mit der öffentlichen Macht in Verbindung und aus diesem Grund
sind Prozesse notwendig, die sie verwalten und regeln können.577

Ihr Tod ist der Beweis für die Intoleranz der Gesellschaft und wird von Gogou als
ein Urteil gegen die Heuchelei der kleinbürgerlichen Moral verwendet. Barthes
charakterisierte den Kleinbürger als eine Person, die unfähig ist, sich das
Verschiedene vorzustellen. Das Verschiedene ist ein Skandal, das seine Existenz
bedroht, deswegen entwickelt er zwei Verteidigungsmechanismen: Entweder wird das
Verschiedene unwichtig, gemacht, es wird ‚gezähmt’, so dass der Unterschied am
Ende gar nicht existiert. Oder das Verschiedene wird zu einem exotischen, sinnlosen
Objekt umgeformt, zu einer Show, einem Clown, so dass sich der Unterschied jenseits
der Analyse befindet.578 Diese Show wird im Gedicht enthüllt.

Darüber hinaus wird die Leere der patriarchalischen Imaginationen, ihre


Entfernung von der Wahrheit gezeigt. Es geht hier um ein tatsächliches Bild der
Weiblichkeit, da das Subjekt vom sozialen Geschlecht her weiblich, aber vom
biologischen männlich ist. Die Elemente der Parodie und der grotesken Abbildung
wie auch die Kritik an der Intoleranz der Gesellschaft zerstören die ursprüngliche
Frauenimagination und bringen die Problematik der künstlichen und ‚natürlichen’
Weiblichkeit – im Sinne Judith Butlers – zur Sprache. Denn gerade in diesem Gedicht
kann man „den Körper als Schauplatz gesellschaftlich vorgegebener
Geschlechtsstereotypen und die Geschlechtsidentität als Ausdruck diskursiv
hervorgebrachter Körperinszenierungen“579 betrachten. Das Geschlecht ist für Butler
keine natürliche Gegebenheit, sondern muss als ein gesellschaftliches Fundament
einer gespaltenen und ungerechten Welt untersucht werden. Wie Foucault, sieht sie
576
Vgl. ebd., S. 275.
577
Vgl. Michel Foucault: . .1. . [Geschichte der
Sexualität. Bd.1.: Der Durst nach Kenntnis]. Athen: Rappa Verlag, 1982, S. 36 f.
578
Vgl. Dick Hebdige: - , S. 132.
579
Morrien: Weibliches Textbegehren, S. 21.
- 199 -

die Heterosexualität als eine Voraussetzung für die Funktion der patriarchalischen
Normalität und für die Erhaltung der Stabilität des sozialen Geschlechts.580 Ihr
Grundgedanke besteht in der Ablehnung jedes biologischen Determinismus und in der
Untersuchung der Geschlechtsidentität als eine „performative Aneignung von
Zuschreibungen“581.

Fokas meinte, dass die Forderung von Gogou die Menschenwürde ist.582 Das
erkennt man im Gedicht sofort, weil die Dichterin die Wahl des Transvestiten, sich als
eine Frau vorzustellen, respektiert. Weiterhin werden Motive benutzt, die auf ein
Versprechen der Dichterin der Toten gegenüber verweisen. Erwähnt werden ein Ring,
ein Kinderlied und ein Ehrenwort, durch die der Rückgang zur Unschuld und
Kindheit stattfindet, an einen sicheren Ort nämlich, wo alles klar und einfach war.

Wenn man den Ring, der im Allgemeinen für Verpflichtung steht, das Kinderlied,
das während eines Spiels gesungen wird, in dem ein Ring weitergegeben wird und
den Ausdruck « », der im Text groß geschrieben ist, kommt man zu dem
Schluss, dass es hier um ein Versprechen der Dichterin an die Tote geht: die
Erinnerung, die Persönlichkeit, die Geschichte von Sonja, (« »)
werden nicht vergessen, sondern respektiert und geben vielleicht das Maß ab, an dem
die Toleranz der Gesellschaft gemessen wird. Die nächsten Generationen
( ) werden zur Unabhängigkeit, zum Stolz und zur Freiheit erzogen. Der
Respekt der Verschiedenheit ist also der Wert, den das Gedicht durch die Umkehrung
eines stereotypischen Frauenbilds zum Ausdruck bringt.583

580
Vgl. Mary Evans: . Geschlecht und soziale Theorie. Athen: Metaihmio
Verlag, 2003, S. 35.
581
Osinksi: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S. 113.
582
Nikos Fokas: « » [Die „unerträgliche“ Spannung in der
politischen Lyrik]. In: Nikos Fokas: Argumente für die Sprache für die Literatur [
]. Athen: Estia Buchhandlung 1982, S. 148.
583
Vgl. Weigel: Der schielende Blick, S. 112.
- 200 -

Die Mutter. « » [Die traurigen


Mütter in den Supermärkten]

(Go, 86, 12 f.)

Das Gedicht ist das vierte der Sammlung « » [Abwesende].584 In seinen


Versen werden Motive entfaltet, die um die Figur der Mutter in Verbindung mit ihrem
sozialen Tod kreisen. Gogou verneint die künstlich verehrte Figur der Mutter im
Patriarchat und zeigt mit Härte aber zugleich mit zärtlichem Blick ihre Verelendung
und ihren sozialen Tod.585

584
Katerina Gogou: . [Abwesende]. Athen: Kastaniotis Verlag 1986.
585
Vgl. die Darstellung der faschistischen Mutter bei Inge Müller (S. 152 f.).
- 201 -

Die Mütter586 im Gedicht bekommen eine überirdische Dimension, indem sie als
ruhige Gespenster dargestellt werden (« »,
« », « »). Das korrespondiert mit
dem kulturellen Topos im Patriarchat, dass der Mutter überirdische Kräfte
zugeschrieben werden, die mit Menstruation und Geburtsfähigkeit in Verbindung
stehen; die Macht, die sie wegen dieser somatischen Funktionen haben soll, gibt ihr
angeblich eine Macht über Tod. Deswegen verkörpert sie oft nicht nur das Leben,
sondern auch die Vernichtung.587 Bronfen schreibt dazu: „Die Verbindung zwischen
Frau-Tod-Schoß-Grab läuft auf die Ambivalenz hinaus, daß das Lebensgeschenk der
Mutter zugleich auch Gabe des Todes ist […].“588 Der mütterliche Körper ist Quelle
des Lebens, entspricht aber gleichzeitig dem Tod im Sinne einer Rückkehr zur
leblosen Stasis, zum Grab.589 Deswegen fungiert die Mutter als Allegorie für die
Sterblichkeit des Mannes.

Das erste Indiz der Verbindung der Mutter mit dem Tod in diesem Gedicht ist ihre
Verbindung mit der bedrohlichen Natur.590 Die Mütter werden mit Bäumen
verglichen, die den Tod zeigen. Gemeint sind möglicherweise die den Tod und die
Trauer symbolisierenden Zypressen. Die Verbindung zwischen dem Baum und der
doppelten Funktion der Mutter als Leben- und zugleich Todbringende kann
folgenderweise erklärt werden: In Literatur und bildender Kunst wird der Baum als
ein Symbol sowohl des Lebens als auch des Todes. Einerseits verwendet man das Bild
vom Baum des Lebens oder vom Familienbaum, andererseits jedoch vom Baum der
Erkenntnis, durch den laut Bibel der Tod in die Welt kam. In der europäischen Kultur
ist oft der Grabesbaum eine Art pflanzliche Gestalt des Verstorbenen und ein Zeichen
dauernder Trauer und Fürsorge der Lebenden für die Toten. Bäume stellen eine
Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten dar, genau wie die Mutter im
Gedicht. Der Baum (im Falle dieses Gedichts als Metapher für die Mutter) erscheint
wie eine Art Projektionsort von Angst- und Wunscherfüllung, ein Ort, wo sich sowohl
das Heilige als auch das Todbringende existieren.
586
Im Gedicht « …» [Wie schön bist du…] (G, 78, 19 f.) behandelt Gogou auf eine
ähnliche Weise das Motiv der verrückten Mutter. ‚Böse’ Mütter treten auch in den Gedichten « 9»
[9 Jahre alt] (Go, 78, 18), « …» [Mein Leben…] (Go, 88, 53) und « » [Schweigen]
(Go, 82, 35 f.) auf.
587
Vgl. Guthke, Ist der Tod eine Frau?, S. 238.
588
Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 101.
589
Vgl. ebd.
590
Die Verbindung der Frau mit der Natur erklärt die Unterdrückung des Weiblichen durch die
herrschende Kultur. Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 31 f.
- 202 -

Die Dichterin verstärkt nach dieser Metapher die Verbindung zwischen Mutter
und Tod, indem sie die Mütter im Gedicht vom Tod umgeben darstellt: Die
Erwähnung ihrer toten Verwandten und Kinder trägt dazu bei, wie auch die Dekadenz
ihres Lebens, in dem der Verfall deutlich gezeigt wird. Die Frauen im Gedicht
scheinen den Tod verinnerlicht zu haben (ein Schimmer von Leben ist nur der
Ausbruch ihrer Sexualität). Da diese Beschreibung im Präsens stattfindet, schafft die
Dichterin den Eindruck der ständigen Wiederholung dieser Szene als etwas
Gegebenes, Gefestigtes und Unveränderliches. Die Tatsache, dass stets die Pluralform
(die Mütter) benutzt wird, macht klar, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt.
Als poetischer Ort wird das absolute Symbol des Kapitalismus, der Supermarkt,
gewählt.

Das Gedicht besteht aus zwei Teilen. Im ersten (« ...


.») werden die Objekte der Beobachtung dargestellt, nämlich diese Frauen,
die den zweiten Weltkrieg überlebt haben und die nun in den 80er Jahren in der Mitte
einer Kette zwischen ihren Müttern und ihren Töchtern stehen. Diese Vorstellung der
Frauen stimmt mit den Erkenntnissen der psychoanalytischen Literatur zur
Weiblichkeit überein, dass nämlich Frauen den eigenen Körper wie einen Anteil des
mütterlichen Körpers erfahren und das eigene Kind wie eine vervollkommnende
Ergänzung dieses mit der Mutter verbundenen Körpers erleben.

Diese mittlere Generation ist ruhig und besiegt. Sie tragen die Erinnerungen an
ihre toten Verwandten in den Krankenhäusern und an ihre toten Kinder während des
Kriegs (« ») mit sich und deswegen tragen sie
auch den Tod mit sich. Das gibt ihnen die Züge eines Gespensts, der zwischen
Lebensmitteln und Bücher (nämlich zwischen tatsächliche und geistige Ernährung,
die sie konsumieren, aber nicht schaffen) ihre Einkaufswagen wie ihr Leben schieben:
ruhig, bedeutungslos und ohne etwas zu verlangen. Die Wiederholung der Begriffe
von Ruhe (« », « »,
« ») und Bedeutungslosigkeit (« », «
») in dem Gedicht, zeigt, dass diese die Haupteigenschaften dieser
Frauen sind.

Es ist, als ob sie nichts Eigenes hätten, keine Erkennungsmarke. Sie tragen die
Schuhe ihrer Tochter, die bringen sie aber nicht weiter, weil sie keine Füße haben;
deswegen können sie nicht entkommen. Sie werden mit Schiffen verglichen, die
- 203 -

jedoch zu keiner Reise fähig sind, sie laufen nie aus dem Hafen aus, sondern sinken
an der Stelle. Ihr Kleid ist das ihrer Mutter, gemustert mit einem kitschigen Motiv von
hellblauen Blumen, das aber Motten mit sich bringt; sie tragen also die
Vergangenheit, nicht aber in der Form eines lebendigen Erbes, die ihnen in ihrem
jetzigen Leben hilft, sondern eines alten Fetzens, das die Erinnerung in Trauer
vergegenwärtigt und nichts Neues bringen kann: Die Motten stellen ihre Eier in
Blumen aus Plastik, aus ihnen wird also kein neues Leben kommen.

Die Mütter stehen im Supermarkt zwischen der Zukunft, der sie nicht folgen und
der Vergangenheit, die sie nicht bewältigen können, in einer Gegenwart, die ihnen
Angst einjagt. Sie haben Angst davor, dass jemand ihre Gedanken hört, denn sie
trauen sich selbst nicht. Ihr Terror ist möglicherweise mit der von ihnen erlebten
Gewalt und dem Tod verbunden oder vielleicht auch mit dem Ausdruck ihres Selbst.
Das wird klar, als der erste Teil des Gedichts mit der Berührung eines
Haarwaschmittels oder eines Parfüms endet und der zweite beginnt (« ...
.»).

Der Punkt, an dem ihre ziellose Bewegung, ihr bewusstloses Gehen endet und die
Bewegungslosigkeit folgt, ist die Sexualität. Es ist genau dieser Gegensatz zwischen
Bewegung und Bewegungslosigkeit, die die große Bedeutung ihrer unterdrückten
Sexualität betont. Die Kosmetikartikel, ein Haarwaschmittel oder ein Parfüm,
schockieren sie; sie sind ein Indiz von Weiblichkeit, die sie nicht erleben; stattdessen
erfahren sie Kummer und Verfall ihres weiblichen Selbst. Die Sehnsucht nach ihrer
verlorenen Sexualität wird aus der Bewegung klar, Damenbinden zu stehlen, die sie
nicht mehr brauchen, da sie wahrscheinlich in der Menopause sind. Sie kaufen die
Damenbinden nicht, sondern klauen sie sie, als ob sie ein Stück Weiblichkeit klauen
würden, die ihnen nicht gehört. Dabei empfinden sie eine vergessene Sinnlichkeit, die
in ihrem traurigen Leben nicht gestattet wird.

Es ist, als ob sie ihr Ich als Frauen, die sexuelles Leben haben können, und die ihre
Gebärfähigkeit nicht verloren haben, wieder erleben möchten. Denn in ihrem jetzigen
Zustand sind sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen, sie sind unbrauchbar, weil sie
ihre Pflicht als Weiber und Mütter erfüllt haben, und können nun keine andere Rolle
als Mitglieder dieser Welt finden. Die Frauen haben eine zweideutige Beziehung mit
der Konsumgesellschaft: Sie konsumieren und werden auch konsumiert (als
Sexualobjekte und biologische Reproduktionsmaschinen), sie sind nicht nur
- 204 -

Konsumenten, sondern auch Konsumartikel. Da ihre Existenz an andere verkauft


worden ist, sind die Frauen eben nicht in der Lage diese Existenz zu bestimmen.
Diese Frauen sind also Mütter und Töchter, sie werden stets in Bezug auf die anderen
bestimmt, konsumieren ohne zu produzieren, sind ruhig, bedeutungslos, in ihrer
Wirklichkeit ohne Ausweg gefangen, gehorsam, ängstlich, still.

Gogou gelingt durch ihr Gedicht das, was Nancy Chodorow psychoanalytisch und
soziologisch zu beweisen versucht: Die Funktion der Frau erschöpft sich nicht
natürlicherweise in der biologischen Reproduktion; die ‚Mutter’ ist ein
soziokulturelles Konstrukt, das auf Reproduzierung des patriarchalischen Systems
zielt und das die Frau nur in Bezug auf ihre Gebärfähigkeit als eigenwertige
Persönlichkeit anerkennt.591 Indem Gogou den Schritten der Mütter in einem
Supermarkt folgt, macht sie aus ihr eine Muse der Verelendung, ein gebrauchtes
schweigendes Objekt, dessen sozialen Tod beschrieben wird.

6.3. Die Destruktionskraft in weiblichen Händen

Bei den Frauenbildern in diesem Kapitel handelt es sich um Frauen, die andere töten.
Die Tatsache, dass sie ihre Macht gegen andere, und ganz bestimmt gegen Männer
benutzen, bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sie sich aus den Zwängen ihrer
benachteiligten Stellung als Frauen in einer Männergesellschaft befreien. Das mag der
Fall im zweiten Gedicht sein, wo die Frau als Furie die Normen bedroht, im ersten
Gedicht aber findet die Mörderin für ihre Ausweglosigkeit und für das Gefängnis der
ihr erzwungenen Rollen keine Lösung.

591
Vgl. Nancy Chodorow: Das Erbe der Mütter. Psychoanalyse und Soziologie der Geschlechter.
München 1990, S. 15, zitiert nach: Morrien: Weibliches Textbegehren, S. 15.
- 205 -

Die Mörderin. « » [Trübung]

.
:
’ .

.
.

« » «
».

.

:
.

.
:
«…
’ »
:

: .
100
. (Go, 78, 28 f.)

Dieses Gedicht hat die Nummer achtzehn in der ersten Sammlung der Dichterin mit
dem Titel « » [Drei Klick links] 592, der 1978 veröffentlicht worden
war; es ist hauptsächlich in der dritten Person Singular geschrieben, so dass es den
Eindruck einer verfilmten Szene gibt. Zweimal wird die erste Person Singular benutzt
(« », « »), was auch dazu beiträgt,
dass der Leser als Zuschauer gedacht wird. Ein wichtiger Punkt ist der Ort, wo die
Szene spielt: Vor allem im Haus und außerdem im Gemüseladen, beim Friseur und im
Kosmetikgeschäft, also in den gesellschaftlich bestimmten Tätigkeitsorten der Frau.

592
Katerina Gogou: . [Drei Klick links]. Athen: Kastaniotis Verlag 2000 (1978).
- 206 -

Diese setzen die Grenze der weiblichen Welt und bestimmen die Persönlichkeit der
Frauen.

Folgende Weiblichkeitsbilder werden im Gedicht dargestellt: Die gute Hausfrau,


die das Verhalten und den Charakter einer Dienerin hat, die fürsorgliche Mutter, eine
intelligente und im Rahmen ihrer Kleinwelt gut informierte kleinbürgerliche Frau, die
der Überlegenheit ihrer Klasse im Vergleich zu den niedrigen (Friseurin) bewusst ist,
eine Frau, die nicht von ihr entworfene Schönheitsvorbilder zu imitieren versucht, und
folglich während dieses Versuchs ihre Identität verliert, ein nachgiebiges
Sexuellobjekt, schließlich die Mörderin ihres Gatten. Das Bild der Frau nach
männlichen Vorstellungen, die imaginierte Weiblichkeit, ist also genau beschrieben;
diese Beschreibung erklärt zugleich die ideologischen Zusammenhänge, die mit der
Konstruktion von Frauenbildern im Patriarchat in Verbindung stehen und die auf
Machtverhältnisse basieren.593

Die von dem Patriarchat gestellten Rollen werden von weiblichen Ich des
Gedichts gehorsam gespielt. Auch die Erwähnung des feministischen Buches oder der
Zigarette zerstören die Imagination nicht, denn zu dieser Kultur gehören auch die
Frauen, die für Emanzipation innerhalb des Patriarchats plädieren. Deswegen hat die
herrschende Kultur auch ihre Stimmen verinnerlicht und dadurch eliminiert. Gogou
zählt daher auch diese Ansichten zur herrschenden Kultur.

Die Identität der Frau ist innerhalb einer Einengung von weiblichen Bildern
verloren gegangen, sie sieht sich im metaphorischen Spiegel nicht mehr594, ihr
Geschlecht bedeutet für sie Verpflichtung und Gefangenschaft. Sie versucht in einer
patriarchalisch strukturierten Gesellschaft zu überleben und versteht es als ihre
Pflicht, den Alltag nach der Rolle zu organisieren, mit der sie traditionell beauftragt
war: sich um den Haushalt und die Kinder zu sorgen, ihr Aussehen zu pflegen und
ihren Ehemann zu befriedigen. Außerdem versucht sie sozial und politisch informiert
zu sein und feministisches Bewusstsein zu entwickeln. Unter dem äußeren Anschein
der Normalität und einem aus Werbungen geschaffenen Bild der Superfrau, die in der
Welt der Marktforscher und Werbeleute lebt, befindet sich eine psychisch krankhafte
Persönlichkeit, ein unterdrückter weiblicher Mensch; der Ausbruch ihrer
existenziellen Krise, der verheerend ist, scheint als der einzig mögliche Weg. Das

593
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 48.
594
Vgl. Lenk: Die sich selbst verdoppelnde Frau, S. 87.
- 207 -

Triptychon der schönen, intelligenten und selbstbewussten Mutter und Ehefrau, die
gezwungen wird, zufrieden mit sich selbst und mit ihrem Leben zu sein, wird am
Ende durch den kaltblütigen Mord ihres Ehemanns widerlegt.

Mit keinem der stereotypen Bilder wird die Frau identifiziert, ihr Selbst gibt es
hinter keiner Imagination, sie verschwindet hinter ihnen.595 Keine hat sich selbst
geschafft, alle sind männliche Projektionen596, die aus den androzentrischen
Vorstellungen geliehen wurden; selbst ihre Sexualität wird aus der Werbung imitiert.
Am Ende dieser Bilder wartet der Tod, die Frau wird zur Frau-Tod, indem sie oder
weil sie diese Bilder imitiert. Die Umkehrung, in diesem Fall die Entlarvung der von
den patriarchalischen Normen geschaffenen Weiblichkeit, wird durch die Tat des
Mordes an dem Mann verwirklicht, und sogar mittels eines Objektes aus dem
‚weiblichen’ Raum des Haushalts, nämlich mit dem Grillkabel, das als Waffe gegen
den symbolischen Verursacher dieser Wirklichkeit benutzt wird.

Auch als Mörderin gelingt dem lyrischen Ich nicht, den Spiegel, nämlich den
Blick des Anderen, der sie gefangen hält, zu zerbrechen, denn auch dieses Bild befreit
sie nicht. Es ist nicht zufällig, dass sie nach dem Mord ihre Rolle weiterspielt, indem
sie ihr Horoskop in einem Frauenmagazin liest. Aus dem Gefängnis der Bilder, des
Blickes der Anderen kann sie nicht entkommen; sie lebt in einer ununterbrochenen
Trübung, da sie weder ihre Identität noch die Quelle ihrer Ausweglosigkeit erkennen
kann.597 Das Motiv der Trübung ist sowieso mit Enttäuschung, mit der Unfähigkeit
des Menschen sein Schicksal zu kontrollieren, wie auch mit der vergeblichen Suche
nach dem richtigen Weg verbunden, und lässt furchtbare Taten erwarten.598 Das Wort
als Titel des Gedichts bereitet den Leser auf eine solche Situation der
Ausweglosigkeit vor, die dann in den Versen bestimmte Form erhält und mit einem
Mord endet.

Nicht nur männliche sondern auch kleinbürgerlich-feministische Muster werden


im Gedicht in Frage gestellt: Ihre Tat versteht die Frau als eine Antwort auf die Frage

595
Im Gedicht « …» [Schweigen…] bleibt ebenfalls das weibliche lyrische Ich ohne Spiegelbild:
«[...] / . [...]» (G, 82,
35). Das korrespondiert mit der These Links, dass in Schreckensmomente die Frau als die Andere sich
im Spiegel sucht und nicht mehr findet. Vgl. Lenk: Die sich selbst verdoppelnde Frau, S. 87.
596
Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 32.
597
Ähnliche Motive der Ausweglosigkeit der Frauen findet man in den Gedichten « …»
[Sie weint…] (Go, 90, 83) und « …» [Meine Freunde sind…] (Go, 78, 7).
598
Vgl. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur, S. 239.
- 208 -

der feministischen Bewegung.599 Der Satz «


;» wird groß geschrieben, was ihre zentrale
Bedeutung betont: Es handelt sich um die Frage, die die Heldin aus ihrer Passivität
herausnimmt und die Änderung in ihrem Leben kennzeichnet. Die Frau im Gedicht
hat energisch ihre Rechte gefordert, wie es im feministischen Buch steht, denn sie
hoffte auf Änderung. Die einzige Änderung, die sie zu erwarten hat, ist jedoch die
Verschlechterung ihrer Lage nach ihrer Festnahme. Keine Aufklärung fand statt. Ihr
Verbrechen hat ihre Stellung nicht verbessert und sie nicht aus ihrer Rolle befreit.

Impliziert wird, dass die Frauenbewegung ihr keine Hilfe leisten kann. Die
Bewegung selbst, in ihrer konventionellen Form, kann den Frauen keine Lösungen
und keine Waffen geben, um ihre Selbständigkeit zu gewinnen, wenn sie für eine
Verbesserung der Stellung der Frau innerhalb der patriarchalischen Gesellschaft
kämpften.600 Außerdem werden keine kollektiven Verhältnisse angeboten, durch die
die Frauen eine Art Schutzbund entwickeln können, damit sie richtig und effektiv für
ihre Rechte kämpfen. Die Frau im Gedicht ist in ihrem Haus und in ihrer
Nachbarschaft isoliert (zweimal « »).

Gogou bedient sich hier - wie in vielen ihrer Werke - der Satire, um Kritik an der
Gesellschaft auszuüben und die Umkehrung zu erreichen. Durch die Satire erkennt
man das Künstliche an den Frauenbildern, das zu gesellschaftskritischen
Überlegungen führt. Denn gegenüber anderen literarischen Texten ist die Satire durch
eine besondere Abhängigkeit zwischen Text und außertextuellem Kontext
gekennzeichnet. Die Sprache wird also in Gogous Dichtung Element der Opposition
zur herrschenden Bedeutung bzw. Bedeutung der Herrschenden,601 wobei als

599
Bei dem von der Frau gelesenen Buch handelt es sich um das Werk: „Women’s Consciousness,
Man’ s World“ von Sheila Rowbotham [ ], Athen:
Kytaro Verlag o.J.).
600
Die Entlarvung des kleinbürgerlichen Feminismus gelingt Gogou im Gedicht «
» [Bewegung Demokratischer Frauen]
« ./– /
./– / ./– ./
/ . / , . .» (Go, 80,
28).
601
Vgl. Christiane Rasper: Lust-Mörderinnen in der Sprache. Satirische Texte von Frauen und ihr
kämpferisches Potential. In: Helga Grubitzsch, /Maria Kublitz/Dorothea Mey/Ingeborg/Singendong-
Heublin (Hg): Frauen-Literatur-Revolution, Pfaffenweiler: Centaurus Verlag, 1992, S. 291-300, hier S.
291. Wenige Autorinnen haben diese literarische Haltung verwendet, diese Angriffsstrategie auf
verbaler Ebene. Offener Angriff, Regelverstoß und Negativität bilden in der Frauen-Literatur die
Ausnahme (Christa Reinig, Gisela Elsner, Jutta Heinrich, Elfriede Jelinek). So ist die „weibliche“
Satire bisher nicht zum Gegenstand theoretischer Überlegungen innerhalb der Satire-Forschung oder
der feministischen Literaturwissenschaft gemacht worden.
- 209 -

satirische Strategie ihr Rede- und Gedankenfiguren, die sprachliche Strukturen


überformen oder verzerren, wie Ironie (« »,
« »), Groteske (« 100 /
») oder Parodie («
’ / : ») dienen.

Die Furie. « …» [Sie ist gefährlich…]

[sic]

’ .

.
:
:
:
:
:
:
.
. . . .

... (Go, 80, 43)

Die Gleichsetzung der Frau mit der Natur, die die Frau zu einer Allegorie für die
Gefährlichkeit sexueller Lust, unkontrollierbarer Leidenschaft und Spontaneität
macht602, und aus der das grundlegende patriarchalische Motiv der Frau-Tod ergibt,
wird auch in diesem Gedicht verwendet, das am Ende der zweiten Sammlung mit dem

602
Vgl. Bronfen: Nur über ihre Leiche, S. 100, 317. Der weibliche Körper wird daher als die dem
Mann gefährliche Andere, als ein Monstrum gesehen.
- 210 -

Titel « » [Idionymo] erscheint603. Im herrschenden Diskurs werden oft zur


Darstellung der Frau-Tod mythologische Archetypen verwendet: Die Atropos, die
Furie (sehr selten mit Flügeln, immer mit entblößter Brust und flatterndem Haar wie
der triumphierende Tod), die Harpyie (Sturmgöttin).604 Das Motiv der todbringenden
Frau bekommt aber in diesem politischen Gedicht eine revolutionäre Dimension. Die
Muse der Dichterin ist DIE Frau, die als bewaffnete soziale Kämpferin offen den
symbolischen Vater angreift.

Interessant ist, dass in diesem Gedicht sowohl das Geschlecht als auch die sozial-
politische Tätigkeit des Subjekts von Bedeutung sind. Cora Kaplan, die den
Zusammenhang von Gesellschaft, Macht und Geschlecht transparent macht, schreibt:
„Literatur widersteht der Vorstellung einer geschlechtsneutralen Klassensubjektivität
und einer Reduzierung von Klassenbedeutung und Klassenidentität auf die
Produktivkräfte.“605 Gemeint ist, dass in Werken mit politischer Dimension das
Klassenbewusstsein nicht von der Geschlechtsbewusstsein zu trennen ist. In diesem
Sinne sind soziale Kämpfer weder geschlechtslose Wesen, die nur auf Grund ihrer
gemeinsamen Klasse als Massen fungieren, noch Angehörige ausschließlich des
männlichen Geschlechtes. Das Gedicht von Gogou ist ein gutes Beispiel dafür, dass
zur Identitätsbildung sowohl die Klasse als auch das Geschlecht determinativ sind.
Ein solches Frauenbild – wie im Gedicht dargestellt wird - ist nicht gewöhnlich. Im
Vergleich zu literarischen Texten, die den Heldinnen eines Kriegs oder des
Widerstands gegen eine Diktatur gewidmet sind, gibt es nur wenige, die die
revolutionäre oder antikonformistische Tätigkeit von Frauen in der Zeit des Friedens
thematisieren.

Das Gedicht hat die Form und die Sprache einer polizeilichen Bekanntmachung:
Es ist groß geschrieben und in einer fast offiziell-bürokratischen Sprache. Dadurch ist
es Gogou gelungen, die Sprache des herrschenden Diskurses aufzubrechen und ihre
Vokabeln den Frauen nutzbar zu machen. Die Zeit und der Ort sind nicht bestimmt,
was dem Inhalt allgemeine und diachronale Kraft verleiht. Der aggressive Inhalt der
Verse hat eine besondere Bedeutung für die Dichtung der Frauen, wie Andrienne Rich
betont, denn er wurde verwendet, „when woman rejects the patriarchal definition of
603
Katerina Gogou: . [Idionymo]. Athen: Kastaniotis Verlag 1980.
604
Vgl. Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen, S. 90. Der Begriff „Furie“ wurde auch von Bärbel
Becker in dem von ihr herausgegebenen Buch „Wild women. Furien, Flittchen, Flintenweiber“ (Berlin
1992) verwendet, das radikalen Frauen wie z.B. Ulrike Meinhof gewidmet ist.
605
Kaplan: Die Büchse der Pandora, S. 348.
- 211 -

herself as the ‘other’ of man and acknowledge her anger and rage at the internalised
images of self-hatred and self-sacrifice that have been imposed to her.”606 Die
schonungslose Rede, die in grossen Buchstaben ausgedrückt wird, könnte als die
Antwort auf das erzwungene Schweigen der Frauen erklärt werden und darüber
hinaus als ein Schritt in die Richtung des Artikulierens eines weniger
androzentrischen Logos.

Das Gedicht besteht aus drei Teilen, die optisch voneinander durch eine leere
Zeile getrennt werden. Der erste Teil (« .... »)
fängt mit dem Hinweis auf die Gefährlichkeit dieser Frau schon im ersten Vers. Ganz
bewusst wird auch das Motiv der Gleichsetzung der Frau mit der Natur benutzt: Es
folgt die Beschreibung einer Szene, an der man glauben könnte, dass es um ein wildes
Tier geht: Beim schlechten Wetter, verlässt es die Rolle, für die es trainiert wurde, die
des gezähmten Tiers und kehrt zurück in die Natur. Da die Beschreibung unmittelbar
nach einem Strich ist (der eventuell die Bedeutung des Doppelpunkts hat), versteht
man, dass genau dieses Verhalten die Frau gefährlich macht, ihre Weigerung im Käfig
zu bleiben. Das Motiv der Sintflut wird hier als eine intensive Erfahrung benutzt,
durch die die Frau ihre Situation begreift, aber auch damit das Bild des
beängstigenden Tiers verstärkt wird. Ein weiteres Element, das der baren Füße,
verbindet sie mit der Freiheit der Tiere in der Natur, deren Teil sie wird.

Der zweite Teil (« ... . ») ähnelt


einer Bekanntmachung aus dem Funkgerät der Polizei. Gesucht wird eine gefährliche
Frau, die Angst weder vor der Macht der Natur, noch vor der der Männer oder der
Polizei hat. Ihre Festnahme erwies sich als besonders schwer, denn sie war an drei
verschiedenen Orten gesehen worden. Die Polizei hat durch sichere Informationen
festgestellt, dass sie eine Brücke in Manhattan gesprengt hat, anarchisch-
kommunistische Bewegungen mit Waffen versorgte und staatliche, streng geheime
Informationen gestohlen hat. Ihre Tätigkeit ist also international und vielseitig.

Sie trägt einen militärischen Pullover, der entweder schwarz oder rot ist (Farben,
die auf Anarchismus und Kommunismus verweisen), kindliche Haarklammer mit
Perlen und einen geliehenen Mantel. Hier haben wir also eine Kombination von Mann

606
Andrienne Rich: On Lies, Secrets and Silence: Selected Prose, 1966-1978. New York: Norton 1979,
S. 43 f. Zitiert von Ekaterini Douka-Kabitoglou: Beauty and the Beast: Re-membering the
Woman/Poet. In: / . [Frauen/Lyrik in
Griechenland und Britanien. Symbosium). Thessaloniki: University Studio Press 1998, S. 18.
- 212 -

und Kind in der Person einer Frau.607 Eigentlich sind aber keine Grundinformationen
über sie, die man in einem Ausweis finden kann, bekannt: Unbekannt ist ihr
Geburtsdatum und –ort, ihr Beruf, ihre Augenfarbe und auch ihre Familie
(« : / : / :
/ […] : »). ur was ihre Religion
angeht, weiß man, dass sie eine Atheistin ist. Die Tatsache, dass gerade diese
Information als einzige Eigenschaft bekannt ist, gibt ihr eine besondere Wichtigkeit.
Da das Gesetz nach Lacan ausschließlich von einer männlichen Gestalt repräsentiert
wird, wie eben vom Gott608, steht die Ablehnung Gottes für die Ablehnung des
symbolischen Vaters, des Patriarchats.

Die vielen unbekannten Informationen implizieren, dass die Mittel des Staates die
Bürger zu kontrollieren und zu kategorisieren (durch z.B. den Ausweis) im Grunde
erfolglos bleiben. Da das Gedicht einen politischen Ausgangspunkt hat, wird
hervorgehoben, dass die Substanz der menschlichen Existenz die staatlichen
Dokumente überwindet; die Personen sind viel mehr als einige Informationen auf
einem Blatt Papier.609 Deswegen hat auch diese Frau nicht nur einen, sondern viele
Namen: Jede Frau ist diese Frau, oder könnte diese Frau sein. Einen Familiennamen
hat sie aber nicht: Sie gehört niemandem, nicht ihrem Vater und nicht ihrem Mann.

Vorsicht wird von den Polizisten geboten, denn diese Frau ist gefährlich und trägt
Waffen. Der Unsinn der vermittelten Informationen grenzt an Ironie, wobei die
Unkenntnis von wichtigen persönlichen Daten und die Erwähnung vieler Namen den
Eindruck der exemplarischen Funktion dieser Figur verstärken. Die Frau, die keine
Herrschaft und keinen Staat respektiert, der gesellschaftlichen Ordnung droht,
niemandem außer sich selbst gehört, ist ein Symbol; sie ist DIE Frau und Gogou stellt
sie sich in den zwei letzten Versen, die den dritten Teil des Gedichts sind, als die
absolute Schönheit vor. Die Wiederholung des Adjektivs „schön“ ist nicht zufällig:
Die Schönheit befindet sich in der Freiheit, in der Befreiung des emanzipierten

607
Im Gegensatz zu diesem Gedicht, in dem sich die Frau ihrer Identität durch die Namen bewusst ist
(« : »), führt die
Fremdbestimmung im Gedicht « !...» [Das bin ich!...] aus derselben Sammlung dazu bei, dass
die Existenz der verzweifelten Frau ohne Geschlecht und ohne Eigenschaften bleibt: «[...]
/ / [...]» (G, 80, 10).
608
Vgl. Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 80 ff.
609
Hier wird die Frauen- mit der Gesellschaftsthematik verbunden. Vgl. Weigel: Der schielende Blick,
S. 104.
- 213 -

weiblichen Subjekts610 aus den Normen, in der Ablehnung der stereotypischen Rollen
der patriarchalischen Gesellschaft und des symbolischen Vaters in Form von Gott,
Staat, Polizei oder Elternteil.

6.4. Die zornige Stimme gegen die patriarchalische Gewalt

Katerina Gogous Nicht-Existenz in der Kultur (Bronfen 1992) ist daran zu erkennen,
dass sie nicht kanonisiert und als Dichterin, die in den 70er Jahren gewirkt hat, selten
erwähnt wird. Wie im Falle von Müller ist ihre Rede wegen dieser Anonymität mit
dem Tod verbunden und ihr Schreiben in den hier erwähnten Gedichten wird zur
Kritik an Verbindung von Weiblichkeit und Tod (Bronfen 1992). Gogou profitiert
mehr als Müller611 vom freien Vers: Die Auseinandersetzung mit dem imaginierten
Bild der Weiblichkeit wird bei Gogou in einer provokativen Sprache voll von
Spannungen, Konflikten, Gewalt, Selbstzerstörung, Opfern und Henkern ausgedrückt
(Keller 2000), die wegen ihrer Freiheit der Verssegmentierung einen intensiveren
Effekt auf den Leser hat.

Sie benutzt Formen, durch die die Gewalt und die Entfremdung, die mit den
weiblichen Menschen in Verbindung stehen, ausgedrückt werden, und die folglich
einen subversiven Blick erlauben. Im Gedicht « » [Ich werde geboren
sein] wird die Sprache als Waffe gegen die bedrohliche Vernichtung vom Vater
verwendet, wobei der Sprechakt der Subjektwerdung des weiblichen Individuums
gleicht (Morrien 1996), das unter dem Gesetz des Phallus gegen den Objektstatus
kämpft (Irigaray 1974).

Gogou interessiert sich am meisten für die Enthüllung der Konstruiertheit der
Weiblichkeitsimaginationen, denn sie geht davon aus, dass die Kultur im Dienste der
jeweiligen Macht stand, die die Frauen nicht respektiert. Deswegen richtet sie einen
schielenden Blick auf die Wirklichkeit: Sie bringt die gesellschaftskritischen

610
Vgl. Weigel: Die Stimme der Medusa, S. 95.
611
Nur im Gedicht „Europa“ verwendet Inge Müller den freien Vers. Zu einer Erklärung dazu, s.
Kapitel 5 (S. 148 f.).
- 214 -

Parameter mit Weiblichkeitsimaginationen und Todesmotiven in Verbindung und


entblößt die gesellschaftlichen Schranken, die zum Mangel am Geschlechts-
bewusstsein bei den Frauen führen können (Weigel 1984). Aus diesem Grund hat sie
unserer Meinung nach zu der literarischen Tradition der Frauen mit einem
emanzipierten weiblichen Schreiben (Weigel 1984) beigetragen.

In zwei Gedichten kritisiert sie heftig mithilfe von den Figuren der Prostituierten
und der halbverrückten Mütter die Gewalt des Patriarchats auf Frauen, wobei ein
einem Transvestiten gewidmetes Gedicht die Geschlechtsalternative thematisiert und
die Genderproblematik erweitert: In « » [Sonja] ist das Andere des Mannes vom
weiblichen Geschlecht nicht im biologischen, sondern im sozialen Sinne repräsentiert
(Bronfen 1992). In « …» [Ölspeisen im Plastikbehälter] wird
das vom Mann entworfene und ihm gehörende Objekt, in diesem Fall das
Sexualobjekt, auf eine solche Weise beschrieben, dass die patriarchalische
Imagination der Hure entmystifiziert und das Patriarchat als Träger von Gewalt
angeklagt wird. Ebenso sind die Mütter im Gedicht «
» [Die traurigen Mütter in den Supermärkten] Musen der Verelendung
innerhalb der androzentrischen Ordnung und schweigende Objekte, die den Tod
verinnerlicht haben.

Gogou erprobt ein Verständnis der Frau nicht als das männliche, sondern als das
weibliche Imaginäre (Lenk 1976) in den Gedichten « » [Trübung] und
« …» [Sie ist gefährlich…]. Im ersten jedoch geht die Identität
der Frau innerhalb einer Einengung von weiblichen Bildern und Projektionen verloren
(Lenk 1976, Bovenschen 1979), wobei die Vorschläge der konventionellen
feministischen Bewegung ihr Ziel verfehlen. Im zweiten erhält die Frau eine klare
politische und revolutionäre Dimension, was sowohl die Klasse als auch das
Geschlecht zu Determinanten der Identitätsbildung macht. Die nicht verschonende
Rede, die in großen Buchstaben ausgedrückt wird, drückt das Gegenteil des
weiblichen Schweigens aus, nämlich den Anfang des Artikulierens eines weniger
androzentrischen Logos.
- 215 -

7. Vergleichende Schlussbetrachtung

In dieser Arbeit sind wir von den Hypothesen ausgegangen, dass Frauen verschiedene
Weisen verwenden, damit sie sich literarisch innerhalb der androzentrischen Ordnung
ausdrücken, und dass es oft in ihrer Lyrik einen Zusammenhang von Weiblichkeit und
Tod gibt, der eigentlich als eins der bedeutsamsten Motive in der androzentrischen
Kultur gilt. Die Wichtigkeit des Motivs macht seine Verwendung seitens der Frauen
aufschlussreich, denn sie kann nicht nur als eine verinnerlichte kulturelle Praxis
interpretiert werden, sondern auch als ein Artikulationsversuch der Frauen auf der
Suche nach ihrer Geschlechtsidentität. Zu diesem Zweck haben wir die Anwendung
der theoretischen Ansätze des ersten Teils auf die ausgewählten lyrischen Texte
probiert.

Am Beispiel von Karoline von Günderrode und Maria Polydouri haben wir
gezeigt, dass die Frau-Tod-Motive oft in Einklang mit der herrschenden Kultur sind,
was die Weiblichkeitsimaginationen angeht. Aber auch in diesen Fällen ist es
zuweilen möglich Widersprüche zu bemerken, die als Befreiungsversuche von der
Norm oder als Kritik an ihr zu interpretieren sind. Am Beispiel von Inge Müller und
Katerina Gogou haben wir dann bewiesen, wie die Frau-Tod-Motive in ihren Fällen
gegen die Quelle ihrer Herstellung, nämlich mit dem Ziel der intensiven Kritik an
patriarchalischen normativen Weiblichkeitsimaginationen, benutzt worden sind. Dass
die Befreiungsversuche nach der Mitte des 20. Jahrhunderts intensiver werden, kann
mit dem Ausbruch der emanzipatorischen Frauenbewegungen erklärt werden.

Diese bewusste oder unbewusste Auseinandersetzung der vier Autorinnen mit dem
Kanon weiblicher Todesdarstellungen erlaubt ihnen, ihren Heldinnen eine eigene
Macht zuzuschreiben, egal ob sie dem Tod geweiht sind, sich in einem todesähnlichen
Zustand befinden oder den Tod selbst verkörpern. Die Umschreibung des
androzentrischen Bilderrepertoires, was die Verbindung von Weiblichkeit und Tod
angeht, gibt den Frauenfiguren in den Gedichten eine eigene Stimme, die eventuell für
einen gemeinsamen Versuch der Frauen steht, ihre eigenen Imaginationen des
Weiblichen zu entwickeln. In diesem Sinne schaffen die Gedichte, in denen
Befreiungsversuche von der Norm aufzufinden sind, ein kulturelles Paradigma für den
- 216 -

widersprüchlichen Ort der Frau in der androzentrischen Kultur: innerhalb und


außerhalb des Repräsentationssystems.

Weiterhin werden wir auf die am Anfang dieser Arbeit gestellten Fragen
antworten. Was ihre Autorschaft betrifft, steht folgendes fest: Karoline von
Günderrode drückte den Helden- oder Liebestod ihrer Frauenfiguren durch ein
männliches Pseudonym und männliche Vorbilder aus; Maria Polydouris Werk
charakterisiert die Bejahung der patriarchalischen Weiblichkeitsimaginationen und
die damit verbundene Anwendung des Motivs des frühen Todes des weiblichen
Objekts. Inge Müller beharrte in diesen Gedichten auf den Krieg und der damit
verbundenen Vernichtung aus weiblicher Sicht und setzte sich mit dem imaginierten
und aufgezwungenen Bild der Weiblichkeit, so wie es die patriarchalische und vor
allem die Nazi-Kultur geprägt hat, auseinander. Katerina Gogou gelang die
Auseinandersetzung mit der herrschenden androzentrischen Norm und den
Kapitalismus durch eine harte, vulgäre Sprache und einen schonungslosen Blick.

Was das Verhältnis des weiblichen lyrischen Ich mit dem Tod angeht, haben wir
im Werk von allen vier Dichterinnen nicht nur weibliche Figuren, die zur sozialen
oder realen Vernichtung verurteilt sind oder die Selbstmord begehen, festgestellt,
sondern auch solche, die den Tod verkörpern, nämlich andere töten. Festgestellt sind
auch Heldinnen, die sich in einem Zustand zwischen Leben und Tod befinden. Bei
Inge Müller und Katerina Gogou kam auch vor, dass sich das weibliche lyrische Ich
durch seinen Tod definierte. Bei den Motiven der Verbindung des Weiblichen mit
dem Tod sind folgende Bemerkungen zu machen:

o Die Verbindung der Frau mit überirdischen Kräften thematisiert Günderrode in


den Figuren der Prophetinnen; Nuancen des Motivs findet man bei Gogou im
Gedicht « » [Die traurigen Mütter in den
Supermärkten].
o Männliche Heldinnen erkennt man im Werk von Günderrode. Frauen im Krieg
sind ebenfalls das Thema von Müller („Potsdam 45“, „Einberufung“, „Brief einer
Wehrmachthelferin“, „Feuerprobe“), obwohl sie das Motiv aus einer ganz anderen
Perspektive behandelt. Als Kämpferin wird auch die Frau in Gogous Gedicht
« …» [Sie ist gefährlich…] dargestellt; auch in ihrem Fall
ist die Perspektive unkonventionell.
- 217 -

o Aus Liebe sterben die Frauen in Günderrodes Gedichten „Die Malabarischen


Witwen“, „Zilia an Edgar“, „Die Bande der Liebe“, „Ariadne auf Naxos“.
Ähnliche Motive benutzt Polydouri in « ’ » [Weil du mich geliebt
hast] und in « …» [Alles wird vergehen…]. Der Liebestod als
Motiv existiert nicht im Werk von Inge Müller und Katerina Gogou.
o Die Frau als femme fatale stellt Polydouri in « » [Fest] und Gogou in einer
groben Dimension in « …» [Ölspeisen im Plastikbehälter…]
dar.
o Als Kunstobjekte werden sterbende oder tote Frauen in Polydouris « ’
» [Alles ist schön] und in Müllers „Feuerprobe“ geschildert. Eine
sozialkritische Parodie des Motivs findet man in Gogous « » [Sonia].
o Der Zustand der Frau zwischen Leben und Tod wird in Polydouris «
…»[Alles wird vergehen…] und als eine Auseinandersetzung mit der
Gesellschaft in « » [Abend in Zappeio] dargestellt. Polemischer
wird die Auseinandersetzung in den Gedichten „Meine Mutter wollt mich nicht
haben…“ von Inge Müller und « » [Ich werde geboren sein] von
Katerina Gogou, in denen das weibliche lyrische Ich sich durch seinen Tod
definiert.
o Direkt vom Patriarchat vernichtet sind die Frauen in Müllers „Europa“ und in
Gogous « …» [Ölspeisen im Plastikbehälter…], in « »
[Sonia] und in « » [Die traurigen Mütter
in den Supermärkten].
o Die weibliche Figur in Gogous « » [Trübung] ist die einzige Frau in allen
Gedichten, die aufgrund ihrer Entfremdung und Unterdrückung einen Mann
ermordet.

Wie erwartet waren die Weiblichkeitsimaginationen der Dichterinnen vor der


Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts eher in Einklang mit dem ideologischen Rahmen
des Patriarchats. Heldenhafte Taten, das Androgynitätskonzept sowie die Erotisierung
des Todes und der weiblichen Aufopferung bestimmen den Rahmen der
Frauenfiguren von Günderrode. Die stereotypen Frauenimaginationen der femme
fatale und der femme fragile und deren Kombination mit dem Makabren bezeugen
auch Polydouris Anpassung an männliche Vorbilder. Trotzdem ist es in einigen Fällen
möglich eine ‚untergründige’ Bewegung in ihrer Lyrik festzustellen, die zugleich
- 218 -

Kritik an der androzentrischen Ordnung und Schaffung eines eigenen kulturellen


Ortes ist.

Die Gedichte, in denen eine Anpassung an der Norm festgestellt war, sind
Günderrodes „Die Malabarischen Witwen“ und „Zilia an Edgar“ und Polydouris
« ’ » [Weil du mich geliebt hast], « ’ » [Alles ist schön]
und « …» [Alles wird vergehen…]. Man stellt aber auch andere fest,
in denen der Widerstand, die Klage, die Utopie ausgedrückt werden, die ein wichtiger
Teil der kulturellen Tradition der Frauen ist, was die Frauenimaginationen angeht. In
den Gedichten „Die Bande der Liebe“ und „Ariadne auf Naxos“ von Günderrode und
« » [Abend in Zappeio] und « » [Fest] von Polydouri wird die
traditionelle Verbindung des Weiblichen mit dem Tod zum Vorteil der weiblichen
Heldinnen verwendet.

Der Bruch mit der Tradition ist das emanzipatorische Moment in ihrer Dichtung
und zugleich der Verdienst für weibliche Autorschaft: Die ersten Versuche der Kritik
an der männlichen Ordnung, die ersten Schritte der Erkenntnis des weiblichen
Subjekts, das Schreiben als Überlebenschance gegen den sozialen Tod. Auch wenn
das weibliche Ich in ihren Werken nicht immer mit Klarheit bestimmt wird und die
imaginierte Weiblichkeit oft ironisiert und kritisiert, aber nicht völlig abgelehnt wird,
ist eine feministische Optik festzustellen, die Autorinnen in den kommenden Jahren
aus der gleichen Perspektive der Verbindung von Tod und Weiblichkeit weiter
entwickelt haben.

Bei Müller und Gogou sind die Ablehnung der Frauenbilder offen und die Kritik
direkter. Die Ablehnung von patriarchalischen Frauenimaginationen benutzt Müller
mit dem Ziel der Zerstörung der Kulturschranke, die Frauen durch verschiedene
Rollenzuweisungen im Patriarchat auf einen Objekt-Status reduzieren. Ebenfalls
gelingt Gogou die Kritik an der androzentrischen und kapitalistischen Norm durch das
provokative, manchmal auch Furcht erregende Exponieren der Frauenbilder des
herrschenden Diskurses. Im Werk der zwei Dichterinnen gelten nicht nur die
männlichen Erlebnisse als universell, nicht nur das männliche Subjekt als menschlich.
Im Gegenteil: Die kulturell, gesellschaftlich und historisch bedingten
Identitätskonzepte, die dem Weiblichen zugeschrieben sind, werden darin
thematisiert.
- 219 -

In den Gedichten von Müller und Gogou ist die weibliche Stimme nicht als
Ausdruck einer individuellen Kleinwelt zu erkennen, sondern das Persönliche wird
bei ihnen politisch. Die Weiblichkeitsbilder werden durch den ‚schielenden Blick’ der
Dichterinnen betrachtet, indem gesellschaftliche Themen bearbeitet werden und es auf
Frauenbilder und weibliches Selbstverständnis innerhalb der gesellschaftlichen
Verhältnisse konzentriert wird. Von großer Bedeutung für weibliche Autorschaft ist
die Tatsache, dass sie in ihrer Lyrik den Unterschied zwischen der patriarchalischen
Weiblichkeit und dem Frauendasein hervorheben. Sie weisen literarisch darauf hin,
dass Geschlecht und Sexualität soziale Konstruktionen sind.

Was unsere Untersuchung an den Beispielen der vier Dichterinnen zeigt, ist dass
der Zusammenhang von Weiblichkeit und Tod für die Autorinnen ein gemeinsamer
Nenner sein kann, der ihnen erlaubt, die kulturellen Stereotype zu ihren Zwecken zu
benutzen. Darüber hinaus ist es möglich unter bestimmen Umständen, eine eigene
Stimme innerhalb eines Logos zu gewinnen, der ihnen diese Möglichkeit verweigert.
Diese Gedichte vermitteln innerhalb des Repräsentationssystems, in dem sie
geschrieben wurden, das Wissen, dass sich die Frau nicht total unabhängig von den
Parametern der androzentrischen Kultur definieren kann und gleichzeitig, dass sie
Widerstand gegen diese Parameter leisten kann.

Die Lyrikerinnen, deren literarische Tätigkeit im Sinne von männlichem


Pseudonym, Selbstzensur, Anonymität oder Ausschluss aus dem Kanon, mit dem Tod
verbunden ist, machten den Tod nicht einfach zu einem Thema unter vielen ihrer
Lyrik, sondern zu einem Vorgehensmodell, das imaginierte Weibliche zu befragen,
seine Grenze zu sprengen und schließlich es zu durchqueren, nach dem eigentlichen
Weiblichen zu suchen und eine literarische Tradition emanzipierten weiblichen
Schreibens weiterzuentwickeln. Aufgrund dieser Tradition ist es möglich, dass
schreibende Frauen allmählich in die Position des Subjekts rücken, die Identifikation
mit dem zugewiesenen Bilderrepertoire verweigern und ihre eigenen Imaginationen
entwerfen.
- 220 -

8. Anhang: Wirkungsgeschichte

Nicht nur der Autor oder das Werk selbst sind für die Literaturwissenschaft wichtig, sondern auch die
Reaktion des Lesers auf dieses Werk. Literarische Texte besitzen einerseits ein historisches Substrat,
andererseits werden sie aber durch die Lektüre aktualisiert. Das Produkt der Interaktion von Text und
Leser wird bedeutsamer, wenn der Leser selbst Künstler ist und vom Gelesenen inspiriert wird. Wenn
er nämlich seinen Eindruck von einem bestimmte Werk in seiner Gegenwart künstlerisch bearbeitet.

Karoline von Günderrode


Ihr Werk hat viele Dichter und Dichterinnen der darauf folgenden Generationen beeinflusst und wurde
ihnen zur Inspirationsquelle.
i. Mattheis612 erwähnt, dass im April und November 1807 Bettine von Arnim nach Weimar kam
und Goethe von ihrer Freundin erzählte. Weil Goethe dann in der darauf folgenden Zeit an
den ‚Wahlverwandtschaften’ schrieb, so nimmt man an, dass die Persönlichkeit der
Günderrode ein Vorbild für die Ottiliengestalt sein könnte, zumal das in Goethes Stück
dargestellte Ehe- und Liebesproblem Parallelen zur Geschichte der Günderrode hat. Auch
Markus Hille613 erwähnt diese Vermutung.
ii. Bettine von Arnim veröffentlichte 1840 ihren Briefroman mit dem Titel „Die Günderrode“,
der der erste gedruckte Briefwechsel zwischen zwei Frauen in der deutschen Literatur ist.614
Darin versuchte sie ein Porträt von Günderrode zu zeichnen, indem sie Briefe von der
Dichterin, von Clemens Brentano und von sich selbst literarisch bearbeitete: Eigentlich war
sie ihrem authentischen Material nicht treu und hat vieles verfälscht oder erfunden.
iii. Zwei Gedichte von Günderrode wurden 1902 („Kann ich im Busen heiße Wünsche tragen“)
und 1908 („Ist alles stumm und leer“) von Alphons Diepenbrock vertont.
iv. 1906 schrieb Leopold Hirschberg, der später der Herausgeber der Werke von Günderrode
wurde, „Das Märchen von der schönen Günderode. Zu ihrem 100. Todestag“.
v. 1907 widmete ihr Stefan George im „Siebenten Ring“ das Gedicht „Winkel: Grab der
Guenderode.“615
vi. Am 16.2.1914 erschien in „Der Türmer“ die Novelle von Hero Max „Die Günderode“ .616
vii. Alexander von Bernus schrieb 1920 die „Hymnen an die Günderode“.
viii. Herman Hesse war einer der besten Kenner ihres Werks und sein Buch „Siddharta“ (1922)
weist einige Ähnlichkeiten mit der „Geschichte eines Braminen“ von Günderrode auf.
ix. 1954 schrieb Albert Steffen das Theaterstück „Karoline von Günderrode. Tragödie in fünf
Akten“.
x. 1956 verfasste Johannes Bobrowski das Gedicht „Die Günderode“. Es wurde 1961 im
Gedichtband „Sarmatische Zeit“ unter anderen Gedichten veröffentlicht, die Bobrowski an
vergangene oder aktuelle Gestalten gerichtet hat.617
xi. Christa Wolf verfasste 1977 eine Erzählung über eine fiktive Begegnung zwischen den zwei
Selbstmördern Günderrode und Heinrich von Kleist mit dem Titel „Kein Ort. Nirgends“ und
gab 1979 einige Werke und Briefe der Dichterin heraus, zusammen mit ihrem Essay „Der
Schatten eines Traumes“.
xii. Der Krimi-Autor Friedrich Ani schrieb 1996 das Werk „Das geliebte süße Liebe“, dessen
Titel sich auf ein Gedicht der Günderrode („Einstens lebt ich süßes Leben“) bezieht. Bei
seinem Buch geht es um eine alte Frau, die in einem Monolog dem Leser ihr Leben erzählt.

612
Vgl. Margarete Mattheis: Die Günderrode – Gestalt, Leben und Wirkung, Berlin: Junker und
Dünnhaupt Verlag 1934, S. 86.
613
Vgl. Hille: Karoline von Günderrode, S. 137 ff.
614
Bettina von Arnim: Die Günderode. Hg. von Elisabeth Bronfen. München: btb 1998.
615
Stefan George: Der Siebente Ring. Godesberg: H. Küpper Vormals Georg Bondi 1949, S. 202.
616
Max Hero: Die Günderrode. In: Der Türmer 16.2.1914, S. 21-32.
617
Vgl. Alfred Kelletat: ‚Die Gestalt der männlichen Göttin’. Bobrowskis Widmung an Karoline von
Günderrode. In: Zeitwende. Hg. von Wolfgang Böhne, 51. Jahrgang. Karlsruhe: Zeitwende
Verlagsgesellschaft mbH 1980, S. 218.
- 221 -

xiii. 1999 drehte Sybil Wagener den Film „Die Wirklichkeit tötet den Traum“ über das Leben der
Dichterin, der vom Bayerischen-Rundfunk ausgestrahlt wurde.
xiv. Stefanie Theis interpretierte im Mai 2000 in Braunschweig u.a. Briefe von Günderrode im
Rahmen einer literarisch-musikalischen Inszenierung.
xv. Am 11.08.2000 wurde im Salzburger Festival das Werk „Das Rot“ vorgeführt: Fünf Gedichte
der Karoline von Günderrode für Gesang und Klavier.
xvi. Am 21.11.2001 fand im Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf eine ‚literarische Collage’ aus
dem Leben und der Lyrik Günderrodes statt. Die Veranstaltung leitete Annegret Arndt.

Maria Polydouri
Noch zu ihren Lebzeiten, aber auch nach ihrem Tod wurden viele Werke direkt oder indirekt von Maria
Polydouri inspiriert618:
i. Kostas Karyotakis hatte 1924 für die Dichterin das Gedicht « » [Ein Häuschen]
geschrieben, das 1927 in seinem Buch « » [Elegien und Satiren]
veröffentlicht wurde.619 Nach Depounti620 ist auch sein Gedicht « » [Ein
dürres Lorbeerblatt, 1927] aus derselben Sammlung für Polydouri geschrieben621
ii. 1929 schrieb M. Sotou das Gedicht „Maria Polydouri“ und Pavlos Krinaios veröffentlichte in
der Zeitschrift « » [gelber Kater] das Gedicht « »
[Frühlingsvorahnung]. G. Chondrogiannis schrieb das Gedicht « » [Bewusstsein].
iii. 1930, im Todesjahr der Dichterin, wurden viele an ihr gewidmete Gedichte veröffentlicht:
« » [Wehklage] von G. Theodoridi und « » [Der Polydouri] von Lili
Iakovidi in der Zeitschrift „Helliniki Epitheorisis“. Maria Makri schrieb für die Zeitung „Ta
Nea“ einige Verse über die tote Dichterin. Im letzten Heft der Zeitschrift „Pnoe“ wurde ein
Gedicht von Pavlos Krinaios mit dem Titel « » [Antike Elegische
Ode] veröffentlicht, das Polydouri gewidmet war.622 In demselben Heft wurde ebenfalls ein
Gedicht von Myrtiotissa, das nach dem Tod von Polydouri geschrieben und der Dichterin
gewidmet worden war. Das Gedicht hat den Titel « » [Appell an
unsere Toten] und wurde auch 1954 von Vassiliki Bobou in der Zeitschrift „Elliniki
Demiourgia“ übernommen.623
iv. G. Kotzioula schrieb 1932 das Gedicht „Maria Polydouri“ und N. Antira veröffentlichte in
der Zeitung Piräikon Vima das Gedicht „An die Dichterin M.P.“.
v. 1940 schrieb Tilla Bali das Gedicht „Maria Polydouri“, das von dem tragischen Tod der
Dichterin handelt.624
vi. 1945 wurde in „Orisontes“ ein Gedicht von Aggelos Sikelianos
veröffentlicht, das der Dichter für Polydouri geschrieben hat, als sie sich bei ihm über seinen
verspäteten Besuch im Krankenhaus beschwert hatte.
vii. Wahrscheinlich im Jahre 1969 hatte G.Spanos das Gedicht « »
[Ach, lasset dieses Licht erlöschen] vertont; das Lied wurde von Popi Asteriadi gesungen.
viii. Der Schriftsteller Andreas Angelakis verfasste 1989 das Buch «
» [Der lange Monolog von Maria Polydouri]. Im Buch, das die Form einer
Erzählung in Versen hat, wird die imaginäre Begegnung des Schriftstellers mit Maria

618
Für die Werke bis 1932 vgl. Iro Korbeti / Vasilis Laourdas:
1) [Bibliographie der neugriechischen Literatur 1)MP). In: Zeitschrift
Rhytmus, Heft 2, Peraius Okt-Nov 1932 S. 77-78 und Heft.3, Peraius Dez.1932, S. 113-116.
619
Kostas Karyotakis: ‘ [Gesammelte Werke]. g. v. Theof. Papadopoulos. Athen:
Almopas/Pella, o.J., S. 67.
620
Vgl. Gratsia Spyrou Depounti: . In: . [Zwölf griechische
Dichter). Athen: Drymos Verlag 1985, S. 284.
621
Karyotakis: ‘ [Gesammelte Werke]..., S.68.
622
Pavlos Krinaios: [Antike elegische Ode].In: Pnoe. Heft 15, 2.Jahrg., Februar
1930, S. 72.
623
Vassiliki Bobou: [Maria Polydouri]. In: Elliniki Demiourgia. Heft 13, 1954, S.
622.
624
Tilla Bali: [Maria Polydouri]. In: Philologigi Protochronia, Bd.11 1954, S. 199.
- 222 -

Polydouri im Krankenhaus „Sotiria“ beschrieben, während der die Dichterin sich an


Vergangenes erinnert.625
ix. 1990 vertonte Nena Venetsanou das Gedicht „ “ [Das Fest].
x. Das Gedicht « ’ » [Weil du mich geliebt hast] wurde 1997 von D.
Papadimitriou vertont und von der Sängerin Eleftheria Arvanitaki gesungen.
xi. 1998 fand in Volos eine moderne Theateraufführung mit dem Titel „Echo im Chaos“ statt, die
von Barbara Mavromati inszeniert wurde: Es handelte sich um einen Dialog zwischen der
Dichterin und Kostas Karyotakis, die von den Schauspielern Olia Lasaridou und
Konstantinos V. dargestellt wurde.
xii. In demselben Jahr wird vom Athener Verlag Agyra das Buch von Eleni Gika «
» [Wenn Karyotakis Polydouri geheiratet hätte]
veröffentlicht.626 Es handelt sich um eine Sammlung von ‚nicht zugestellten Briefen’ an die
Leser, im Sinne von Feuilletons, die das moderne Leben und die neuen Formen der
Beziehungen thematisieren.
xiii. Im Jahre 2000 vertonte der Komponist Savvas Savvas die Gedichte « »
[Nehmen Sie das Licht weg] und « » [Und es war eine schöne
Nacht], die in der letzten CD von Lia Vissy enthalten sind.627
xiv. Der Reporter Lakis Fourouklas, der auch für Ausgaben ihrer Dichtung auf Zypern
verantwortlich war, stellte eine Internet-Seite über Polydouri her. Außer ihrer Biographie,
Auszüge aus der Sekundärliteratur und einige ihrer Gedichte hat er auch einen erfundenen
Brief von Polydouri verfasst. Es geht um einen angeblich nicht zugestellten Brief der
Dichterin, der aus Teilen ihres Tagebuchs besteht.
xv. 2002 veröffentlichte der Schriftsteller Kostis Gimosoulis das Buch « » [Es regnet
Licht].628 Im Buch versucht er das Leben von Polydouri als eine Frau darzustellen, die
außerhalb der engen Grenzen ihres Geschlechts zu leben wollte, den Männern Angst verjagte,
auf die die Frauen neidisch waren, die in jeder Epoche ein Kuriosum bleibt.

Inge Müller
Den Einfluss des Werks und Lebens von Inge Müller kann man in folgenden Texten feststellen629:
i. Inge Müller ist sie als das weibliche Todesgespenst in vielen Stücken von Heiner Müller
präsent („Todesanzeige“ 1975, „Hamletmaschine“ 1977, „Leben Gundlings Friedrich von
Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei“ 1977, „Der Auftrag“, 1979).
ii. Katja Lange-Müller hatte 1986 in ihrem Buch „Wehleid – wie im Leben“ einen Text an Inge
Müller gewidmet. Anlass dazu war das Gedicht ‚Stufen’ der ostdeutschen Lyrikerin.
iii. Kerstin Hensel schrieb 1988 das Gedicht „Für Inge Müller“, das in ihrem Buch „Stilleben mit
Zukunft, Gedichte“ erschien.630 Sie verfasste auch 1986 den Text „Ich wollte, wir wären nicht
so. Lesart zu Inge Müllers Gedichten“, der in „Temperamente. Blätter für junge Literatur“
veröffentlicht worden war.631
iv. Annett Gröschner und Maja Wiens veröffentlichten 1991 im Buch von Anna Mudry „Gute
Nacht, du Schöne“ den Text „Eine Kiste voll Souvenirs“, der u.a. von Inge Müller inspiriert
wurde.632

625
Andreas Angelakis: [Der lange Monolog von Maria
Polydouri]. Athen: Kastaniotis 1989.
626
Eleni Gika: [Wenn Karyotakis Polydouri
geheiratet hätte]. Athen: Agyra 1998.
627
Vgl. Kostas Dadinakis: : 100 [Maria Polydouri: 100
Jahre aus ihrer Geburt]. In: Odos Panos. Heft No 116, April-Juni 2002, S. 3 (ebenfalls viii, ix und x).
628
Kostis Gimosoulis: [Es regnet Licht]. 3. Ausgabe. Athen: Kedros 2002.
629
Ausführliche Bibliographie und Katalogisierung der Beiträge zu Inge Müllers Werk in: Inge Müller:
Daß ich nicht ersticke am Leiseisein: gesammelte Texte. Hrsg. Von Sonja Hilzinger. Berlin: Aufbau-
Verlag 2002.
630
Vgl. Sonja Hilzinger: Wann wird was wir wolln gewollt?, S. 188.
631
Kerstin Hensel: Ich wollte, wir wären nicht so. Lesart zu Inge Müllers Gedichten. In:
Temperamente. Blätter für junge Literatur 3, 1986. S.32-34.
632
Annett Gröschner / Maja Wiens: Eine Kiste voll Souvenirs. In: Anna Mudry (Hg.): Gute Nacht, du
Schöne. Frankfurt am Main: Sammlung Luchterhand 1991. S. 86-115.
- 223 -

v. 1992 verfasste Blance Kommerell den Text „Der Tod ist eine Frau“, die eine Montage aus
Werken von Inge und Heiner Müller ist.633
vi. Im Buch „Inge Müller: Irgendwo; noch einmal möcht ich sehn. Lyrik, Prosa, Tagebücher. Mit
Beiträgen zu ihrem Werk“, das 1996 von Ines Geipel herausgegeben worden war, sollte Wolf
Biermanns Langgedicht „Legende vom Selbstmord der Inge Müller im Jahre `66“
veröffentlicht werden. Doch Brigitte Mayer, die letzte Frau Heiner Müllers, die mit dem Sohn
von Inge Müller auch Rechtsinhaberin an ihrem Werk ist, sah in Biermanns Gedicht das
Andenken ihres Mannes und der Lyrikerin verletzt und verbot seine Veröffentlichung in
diesem Buch. Die Biermann-Ballade entstand erst 1996 und er hat den Text erstmals am 11.
Juni in der „taz“ drucken lassen. 1999 wurde auch in seinem Buch „Paradies uff Erden. Ein
Berliner Bilderbogen“ mit einbezogen.634
vii. 1997 wurde das Hörspiel „Ach du lieber Augustin wie fröhlich ich bin“ von Ines Geipel und
Heike Tauch verfasst. Es handelt sich dabei um die Lyrik und das Leben Inge Müllers. Die
Text-Collage wurde an Orten aufgenommen, die eine Verbindung mit dem Leben der
Dichterin haben.
viii. Vom 13.01 bis zum 01.02.2003 wurde im Theater Drachengasse in Wien die szenische
Montage von Marc Pommerening aufgeführt, durch die eine Annäherung an Werk und
Person von Inge Müller versucht wurde. Zentrale Themen des Abends waren die
Widersprüche einer Sozialisation in der Nazi- und der DDR-Zeit, die Liebes- und
Arbeitsbeziehung, die Anwesenheit der toten Frau im Werk Heiner Müllers.

Katerina Gogou
Es ist außerordentlich schwer Material über die Wirkungsgeschichte der Dichterin zu finden. Es gibt
keine literaturwissenschaftliche Arbeit über ihr Werk, keine Katalogisierung der Filme, in denen sie
spielte, und nur wenige Informationen sind nur übers Internet und von einigen Zeitungen zu erhalten.
i. 1997 wurde im Theater „Antitheater“ von Maria Ksenoudaki die theatralisierte poetische
Montage „Requiem Katerina Gogou“ (Regie: Milas) vorgeführt, die auf ihrer Dichtung
basierte. Dasselbe Stück wurde 1995 im Theater „Knossos“ vorgeführt.
ii. 1998 wurde ein Gedicht aus dem ersten Buch der Dichterin von der griechischen Rock-
Gruppe „Magic De Spell“ vertont. Das Lied und der Titel des Musikalbums sind aus diesem
Gedicht: « ». An Gogous ist auch das Lied
« - » der Musikgruppe « » gewidmet.
iii. Der letzte Text mit dem Titel « » aus dem Buch « »635 [Die
Generation von Hepatitis] (2002) von Nikos Paizis ist Katerina Gogou gewidmet.
iv. Im Theater „Koryvandes“ wurde 2004 das Stück « » [Ein
langer weißer Verband] vorgeführt, die auf Texten aus der Bibel und auf Dichtung von Sylvia
Plath, Michalis Katsaros und Katerina Gogou basierte. (Poetische Montage und Vorführung:
Andreas Theoxaris).

633
Blanche Kommerell: Der Tod ist eine Frau. In: Müller, Inge: Ich bin eh ich war. Gedichte. Blanche
Kommerell im Gespräch mit Heiner Müller. Versuch einer Annäherung. Gießen: Edition Literarischer
Salon 1992, S. 53 ff.
634
Wolf Biermann: Legende vom Selbstmord der Inge Müller im Jahre '66. In: taz, 11.06.1996, S. 17.
635
Nikos Paizis: [Die Generation von Hepatitis]. Athen: Vivliopelagos 2002.
- 224 -

9. Literaturverzeichnis

9.1. Texte und Dokumente

Karoline von Günderrode


Görtz, Franz Josef (Hg.): Die Liebe der Günderrode. Ein Roman in Briefen, München: Piper 1991.
Hirschberg, Leopold (Hg.): Gesammelte Werke der Karoline von Günderode. 3 Bde. Berlin:
Bibliophiler Verlag D. Goldschmidt-Gabrielli 1920-22. Nachdruck Bern: Lang 1970.
Morgenthaler, Walter (Hg.): Karoline von Günderrode. Sämtliche Werke und ausgewählte Studien. 3
Bde, Bd I: Texte; Bd II: Varianten und ausgewählte Studien; Bd III: Kommentar, Basel;
Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1990/1991.
Rohde, Erwin (Hg): Friedrich Creuzer und Karoline von Günderrode.. Briefe und Dichtungen.
Heidelberg: Karl Winter’s Universitätsbuchhandlung 1896.
Weißenborn, Birgit (Hg.): „Ich sende Dir ein zärtliches Pfand“. Die Briefe der Karoline von
Günderrode. Frankfurt a.M u Leipzig: Insel Verlag 1991.
Wolf, Christa (Hg.): Karoline von Günderrode. Der Schatten eines Traumes. Gedichte, Prosa, Briefe,
Zeugnisse von Zeitgenossen. Hamburg/Zürich: Luchterhand Literaturverlag 1981.

Maria Polydouri
Polydouri, Maria: .[Gesammelte Werke]. Einführung u. Kommentar v. Takis Mendrakos. 2.
Aufl. Athen: Astarti Verlag 1989.
_____ : [zwei unveröffentlichte Gedichte]. In: Savidis, G. P.:
[Auf den Spuren von Karyotakis]. Athen: Nefeli 1989.

Inge Müller
Müller, Inge: Daß ich nicht ersticke am Leiseisein: gesammelte Texte. Hg. v. Sonja Hilzinger. Berlin:
Aufbau-Verlag 2002.
_____ : Ich bin eh ich war. Gedichte. Blanche Kommerell im Gespräch mit Heiner Müller. Versuch
einer Annäherung. Gießen: Edition Literarischer Salon 1992.
_____ : Irgendwo; noch einmal möcht ich sehn. Lyrik, Prosa, Tagebücher. Mit Beiträgen zu ihrem
Werk. Hg. v. Ines Geipel. Berlin: Aufbau-Verlag 1996.
_____ : Wenn ich schon sterben muß. Gedichte. Hg. v. Richard Pietraß. Berlin und Weimar: Aufbau-
Verlag 1985.

Katerina Gogou
Gogou, Katerina: . [Abwesende]. Athen: Kastaniotis Verlag 1986.
_____ : . [Idionymo ]. Athen: Kastaniotis Verlag 1980.
_____ : [Ich heiße Odyssee]. Athen: Kastaniotis Verlag 2002.
_____ : [Rückkehr in die Heimat]. Athen: Nea Synora Livani Verlag 1990.
_____ : . [Der Monat der gefrorenen Trauben]. Athen: Kastaniotis
Verlag 1998 (1988).
_____ : . [Der hölzerne Mantel]. Athen: Kastaniotis Verlag 1982.
_____ : . [Drei Klick links]. Athen: Kastaniotis Verlag 2000 (1978).
- 225 -

9.2. Weitere Primärliteratur

Angelakis, Andreas: [Der lange Monolog von Maria


Polydouri]. Athen: Kastaniotis 1989
Arnim, Bettina von: Die Günderode. Hg. v. Elisabeth Bronfen. München: btb 1998.
Biermann, Wolf: Legende vom Selbstmord der Inge Müller im Jahre '66. In: taz, 11.06.1996, S. 17.
George, Stefan: Der Siebente Ring. Godesberg: (Erschienen bei Helmut Küpper Vormals Georg
Bondi), 1949.
Gika, Eleni: [Wenn Karyotakis Polydouri geheiratet
hätte]. Athen: Agyra 1998.
Gimosoulis, Kostis: [Es regnet Licht]. 3. Ausgabe. Athen: Kedros 2002.
Grimm, Jacob und Wilhelm: Aschenputtel. Köln: Könemann 2001.
Gröschner, Annett / Maja Wiens: Eine Kiste voll Souvenirs. In: Anna Mudry (Hg.): Gute Nacht, du
Schöne. Frankfurt am Main: Sammlung Luchterhand 1991. S. 86-115.
Heine, Heinrich: Sämtliche Gedichte. Frankfurt am Main & Leipzig: Insel Verlag 1993.
Hensel, Kerstin: Ich wollte, wir wären nicht so. Lesart zu Inge Müllers Gedichten. In: Temperamente.
Blätter für junge Literatur 3, 1986. S. 32-34.
Kane, Sarah: 4.48 [4.48 Psychose]. Athen: Koan 2001.
Karyotakis, Kostas: ‘ [Gesammelte Werke]. g. v. Theof. Papadopoulos. Athen: Almopas/Pella
o.J.
Krinaios, Pavlos: [Antike elegische Ode].In: Pnoe. Heft 15, 2.Jahrg., Februar
1930, S. 72.
Lange-Müller, Katja: An Inge Müller. In: Wehleid – wie im Leben. Erzählungen. Fischer: Frankfurt
a.M., 1986, S. 57 f.
Paizis, Nikos: [Die Generation von Hepatitis]. Athen: Vivliopelagos 2002.
Platon: . [Gastmahl oder Über den Eros]. Athen: Mari Verlag 1954.
Poe, Edgar Allan: – – [Gedichte – Kritik – Briefe]. Hg. v. Stefanos
Bekatoros. 1. Band. Athen: Plethron 1991.

9.3. Sekundärliteratur
9.3.1. Zu Karoline von Günderrode

Braunbeck, Helga G. : Das weibliche Schreibmuster der Doppelbiographie. Bettine von Arnims und
Christa Wolfs Günderrode Biographik. In: Helga Grubitzsch/ Maria Kublitz/ Dorothea Mey/
Ingeborg Singendong-Heublin (Hg): Frauen-Literatur-Revolution, Pfaffenweiler: Centaurus
Verlag, 1992, S. 231-244.
Burwick, Roswitha: Liebe und Tod in Leben und Werk der Günderrode. In: German studies review 3,
1980, S. 207-223.
Fleckenstein, Adolf: Die Günderrode. In Hochland 37, 1939/40, S. 93-104.
Fussenegger, Katrin: Und tragen Menschenzüge. In: Marcel Reich-Ranicki (Hg): 1000 Deutsche
Gedichte und ihre Interpretationen, 3.Bd. Von Friedrich von Schiller bis Joseph von
Eichendorff. Insel Verlag Frankfurt a.M un Leipzig, 1995, S. 203-205.
Görtz, Franz Josef: Liebeslied an den Tod. In: Marcel Reich-Ranicki (Hg): 1000 Deutsche Gedichte
und ihre Interpretationen, 3.Bd. Von Friedrich von Schiller bis Joseph von Eichendorff. Insel
Verlag Frankfurt a.M un Leipzig, 1995, S. 196-198.
Gründken, Gudrun: Karoline von Günderrode. In: Marit Rullmann: Philosophinnen. 2. Band. Von der
Romantik bis zur Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 25-31.
Hero, Max: Die Günderrode. In: Der Türmer 16.2.1914, S. 21-32.
Hetmann, Frederik: Das kurze Leben der Karoline von Günderrode. In: Ders.: Drei Frauen zum
Beispiel. Die Lebensgeschichte der Simone Weil, Isabel Burton und Karoline von Günderrode.
Weinheim u Basel 1980, S. 111-167.
Hille, Markus: Karoline von Günderrode. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1999
- 226 -

Hopp, Doris/Max Preitz: Karoline von Günderrodes Studienbuch. In: Jahrbuch des Freien Deutschen
Hochstifts. Hg. v. Detlev Lüders. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1975, S. 223-323.
Kelletat, Alfred: ‚Die Gestalt der männlichen Göttin’. Bobrowskis Widmung an Karoline von
Günderrode. In: Zeitwende. Hg. v. Wolfgang Böhne, 51. Jahrgang. Karlsruhe: Zeitwende
Verlagsgesellschaft mbH 1980, S. 217-227.
Kern, Hans: Karoline von Günderrode.. In: Vom Genius der Liebe. Frauenschicksale der Romantik. 2.
Auflage. Leipzig: Verlag Philipp Reclam 1940. S. 77-104.
Koeppen, Wolfgang: Karoline von Günderrode: Der Luftschiffer. In: Marcel Reich-Ranicki (Hg.):
Frankfurter Anthologie. 5. Band. Gedichte und Interpretationen. Frankufrt am Main 1980, S. 69-
72, auch in: Marcel Reich-Ranicki (Hg): 1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen,
3.Bd. Von Friedrich von Schiller bis Joseph von Eichendorff. Insel Verlag Frankfurt a.M un
Leipzig, 1995, S. 199-202.
Kohlschmidt, Werner: Ästhetische Existenz und Leidenschaft. Mythos und Wirklichkeit der Karoline
von Günderrode. In: Zeitwende. Hg. v. Wolfgang Böhne, 51. Jarhgang, Karlsruhe: Zeitwenden
Verlagsgesellschaft mbH 1980, S. 205-216.
Lazarowicz, Margarete: Karoline von Günderrode, Portrait einer Fremden. Frankfurt am Main; Bern;
New York: Verlag Peter Lang 1986.
Lersch, Barbara: ‚Kassandra’ und die Utopie des weiblichen Subjekts. Zu Christa Wolfs Poetik. In:
Fischer, Karin/ Eveline Kilian/ Jutta Schönberg (Hg.): Bildersturm im Elfebeinturm. Ansätze
feministischer Literaturwissenschaft. Tübingen: Attempto Verlag 1992, S. 134-160.
Licher, Lucia Maria: „Der Völker Schicksal ruht in meinem Busen“. Karoline von Günderrode als
Dichterin der Revolution. in: Helga Brandes (Hg): „Der Menschheit Hälfte blieb noch ihne
Recht“: Frauen und die Französische Revolution, Wiesbaden 1991, S. 113-132.
_____ : ”Mein Leben in einer bleibenden Form aussprechen“. Umrisse einer Ästhetik im Werk
Karoline von Günderrodes (1780-1806), Heidelberg: Universitätsverlag 1996.
_____ : „Siehe! Glaube! Thue!“ Die poetische Konfession der Karoline von Günderrode (1780-
1806). Oldenburg: Bibliotheks- und Informationssystem der Univ., 1998.
Mattheis, Margarete: Die Günderrode – Gestalt, Leben und Wirkung, Berlin: Junker und Dünnhaupt
Verlag 1934.
Peter, Maria: Zwischen Klassik und Romantik. Karoline von Günderrode. In: Das Goldene Tor.
Monatsschrift für Literatur und Kunst, Hg. v. Alfred Döblin 4. Jahrgang, Verlag von Moritz
Schauenbung in Lahr (Schwarzwald) 1949, S. 465-473.
Pigenot, Ludwig P.(Hg): Karoline von Günderrode: Dichtungen. München: Hugo Bruckmann Verlag
1922.
Regen, Erich: Die Dramen Karolines von Günderode. Berliner Beiträge zur germanischen und
romanischen Philologie, veröffentlicht v. Dr. Emil Ebering, 39, Germanische Abteilung No 26,
Berlin: Verlag von Emil Ebering, 1910.
Schwarz, Karl: Geschichte der Familie von Günderrode. Abgedruckt aus der „Allgemeinen
Enzyklopädie von Ersch und Gruber“. Leipzig: Brockhaus 1878.
Solbrig, Ingeborg H.: Die orientalische Muse Meletes. Zu den Mohammed-Dichtungen Karoline von
Günderrodes, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 1989, XXXIII, S. 299-322.
Westphal, Wolfgang: Karoline von Günderrode und „Naturdenken um 1800“. Essen: Verlag Die
Blaue Eule, 1993.
Wolf, Christa: Der Schatten eines Traumes. Karoline von Günderrode – ein Entwurf. In: Karoline von
Günderrode: Der Schatten eines Traumes. Gedichte, Prosa, Briefe, Zeugnisse von Zeitgenossen.
Hg. und mit einem Essay v. Christa Wolf. Hamburg und Zürich: Luchterhand Literaturverlag
1981, S. 5-52.

9.3.2. Zu Maria Polydouri

Agras, Tellos: [Ein paar Worte]. In: Pnoe. Heft 18, 2.Jahrg., Mai 1930, S. 67.
_____ : . [Polydouri Maria]. In: Megalh Ellhnikh Engyklopaidia, Bd.20, S. 484.
Anonym: [Der Wahrheit willen]. In: Pnoe. Heft 18, 2.Jahrg., Mai 1930, S. 80.
Anonym: . [Dem Tod von Polydouri]. In: Pnoe. Heft 18, 2.Jahrg., Mai 1930,
S. 80.
- 227 -

Bali, Tilla: [Maria Polydouri]. In: Philologigi Protochronia, Bd.11, 1954, S. 199-
200.
Bobou, Vassiliki: [Maria Polydouri]. In: Elliniki Demiourgia. Heft 13, 1954. 617-
624.
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gehalten am 20.12.1982 während der Veranstaltung über die Dichterin M.P. aus Kalamata
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9.3.3. Zu Inge Müller

Biermann, Wolf: Brief. In: Inge Müller: Irgendwo; noch einmal möcht ich sehn. Lyrik, Prosa,
Tagebücher. Mit Beiträgen zu ihrem Werk. Hg. v. Ines Geipel. Berlin: Aufbau-Verlag 1996, S.
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Böhme, Gernot: Reime. Zu Inge Müllers Dichtung. In: Inge Müller: Irgendwo; noch einmal möcht ich
sehn. Lyrik, Prosa, Tagebücher. Mit Beiträgen zu ihrem Werk. Hg. v. Ines Geipel. Berlin:
Aufbau-Verlag 1996, S. 277-288.
Böthig, Peter: Subjektivität aus Notwehr. Inge Müller.,Wenn ich schon sterben muß’. In: Sinn und
Form 38, Heft 4 (1986), S. 878-886.
Endler, Adolf: Fragt mich nicht wie. Zur Lyrik Inge Müllers. In: Sinn u Form, Heft 1, 1979, S. 152-161
_____ : In Memoriam Inge Müller. In: Inge Müller: Irgendwo; noch einmal möcht ich sehn. Lyrik,
Prosa, Tagebücher. Mit Beiträgen zu ihrem Werk. Hg. v. Ines Geipel. Berlin: Aufbau-Verlag
1996, S. 297-299.
Geipel, Ines (Hg.): Dann fiel auf einmal der Himmel um: Inge Müller, Die Biographie. Berlin:
Henschel 2002.
_____ : Die Welt ist eine Schachtel. Vier Autorinnen in der frühen DDR. Berlin: Transit 1999.
- 229 -

_____ : „Direkte Zusammenhänge bestehen nie...“ Ingeborg Bachmann und Inge Müller, zwei
Dichterinnen in Berlin. In: Die Philosophin. Heft 18. Oktober 1998. Tübingen: edition diskord
1998, S. 82-94.
_____ : Nachwort. Vom Werden einer ungeschriebenen Sinfonie. In: Inge Müller: Irgendwo; noch
einmal möcht ich sehn. Lyrik, Prosa, Tagebücher. Mit Beiträgen zu ihrem Werk. Hg. v. Ines
Geipel. Berlin: Aufbau-Verlag 1996, S. 336-353.
Gröschner, Annett: Authentizität mit tödlichem Ausgang. Inge Müller. Diplomarbeit. Humboldt
Universität, Berlin 1988.
_____ : Du vor du hinter mir. Korrespondenzen zwischen den Arbeiten Inge und Heiner Müllers. In:
Inge Müller: Irgendwo; noch einmal möcht ich sehn. Lyrik, Prosa, Tagebücher. Mit Beiträgen
zu ihrem Werk. Hg. v. Ines Geipel. Berlin: Aufbau-Verlag 1996, S. 318-324.
Herminghouse, Patricia: Schreiben in gewendeten Verhältnissen: Ostdeutsche Autorinnen in
hisstorischer Sicht. In: Gnüg, H./Möhrmann, R. (Hg): Frauen Literatur Geschichte.
Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler 1999.
Heukenkamp, Ursula : Lyrisches Subjekt und weibliche Perspektive. Lyrikerinnen aus der DDR. In:
Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. v.
Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann. Stuttgart/Weimar:Verlag J.B. Metzler 1999, S. 327-339.
Heydrich, Harald: Inge Müller: Wenn ich schon sterben muß. Gedichte. In: Weimarer Beiträge 33, Heft
5, 1987, S. 815-825.
Hilzinger, Sonja: Wann wird was wir wolln gewollt? Zur Lyrik Inge Müllers. In: Deutsche
Viertelsjahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 67, 1993, S. 173-188.
Jirgl, Reinhard: Das verlängerte Echo. Der Horizont des Todes in Gedichten von Inge Müller. In: Inge
Müller: Irgendwo; noch einmal möcht ich sehn. Lyrik, Prosa, Tagebücher. Mit Beiträgen zu
ihrem Werk. Hg. v. Ines Geipel. Berlin: Aufbau-Verlag 1996, S. 300-313.
Kommerell, Blanche: Inge Müllers Gedichte – Eine Annäherung. Heiner Müller spricht mit Blance
Kommerell über Inge Müller. In: Müller, Inge: Ich bin eh ich war. Gedichte. Blanche
Kommerell im Gespräch mit Heiner Müller. Versuch einer Annäherung. Gießen: Edition
Literarischer Salon 1992.
Müller, Herta: Die Nacht sie hat Pantoffeln an. Der Todesfleck in den Gedichten von Inge Müller. In:
Keller, Ursula: “Nun breche ich in Stücke...“. Berlin: Verlag Vorwerk 8 2000, S. 171-182.
_____ : Die Nacht sie hat Pantoffeln an. Über Inge Müllers Gedichte. In: Inge Müller: Irgendwo; noch
einmal möcht ich sehn. Lyrik, Prosa, Tagebücher. Mit Beiträgen zu ihrem Werk. Hg. v. Ines
Geipel. Berlin: Aufbau-Verlag 1996, S. 271-276.
_____ : In der Falle. Göttingen: Wallstein Verlag 1996.
Pietraß, Richard (Hg.): Nachbemerkung. In: Inge Müller: Wenn ich schon sterben muß. Gedichte.
Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag 1985.
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Schatten Heiner Müllers. In: Keller, Ursula: “Nun breche ich in Stücke...“. Berlin: Verlag
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zur neueren Germanistik Bd 38/39, S. 65-88).

9.3.4. Zu Katerina Gogou

Anonym: [Für Katerina]. In: Elevtherotypia, 09.10.1993.


Anonym: ; [Findest du Tinte und Papier?] In: Elevtherotypia, 19.10.1993.
Anonym: [Gogous Sprache auf der Bühne]. In: Elevtherotypia ,
01.03.1995.
Anonym: . « » [Die
Freunde für Katerina. Katerina Gogou, die uns neulich verlassen hat]. In: Elevtherotypia,
26.10.1993.
Anonym: « , . ’ . ’ » [„Mein Gott, wenn ich nur nicht
erwachte. Ich hab’s gesagt. Aber er hat micht nicht gehört“]. In: ?
- 230 -

Apostolakis, Sakis: ‘ [Aus einem unwichtigen Anlass]. In: Elevtherotypia,


19.08.1991.
Chronas, Giorgos: . [Ein Rock ‚n Roll Selbstmord]. In: Odos Panos, r 83-
84, Jan./Feb. 1996, S. 31-32.
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politischen Lyrik]. In: Nikos Fokas: .
[Argumente für die Sprache für die Literatur]. Athen: Estia Buchhandlung 1982, S. 141-149.
Gionis, Dimitris: « ’ ;» « »
[„Wohnt niemand mehr in dieser Stadt?“ Katerina Gogou ist anwesend mit den
„Abwesenden“]. In: Elevtherotypia, 19.11.1986.
_____ : . . [Katerina Gogou wieder auf
der Bühne. Katerina liebt die Rosen] In: Elevtherotypia, 08.06.1991.
____ : « ». «
» [„Ich habe das Leben leidenschaftlich provoziert“. Das neue Gesicht
von Katerina Gogou mit dem „Monat der gefrorenen Tauben“]. In: Elevtherotypia, 24.05.1988.
____ : [Ohne Titel]. In: Elevtherotypia, 09.10.1993.
Gogou, Katerina: [Sie haben Petropoulos vergessen]. In: Elevtherotypia,
18.03.1991.
Kagios, Pavlos: « …» [„Unbegrenzte Einsamkeit...“
Katerina Gogou ist gestorben]. In: Ta Nea, 07.10.1993.
Kappos, Thanasis: … [Pause von der Alltags-Parade]. In:
Elevtherotypia, 18.08.1998.
Koufopoulou, Penelope: . . .
[Die Straßen der Einsamkeit. Katerina Gogou. Ein Jahr nach seinem Tod] In: Elevtherotypia,
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der Traum-Straße]. In: Elevtherotypia, 03.07.2000.
Milas: [Requiem Katerina Gogou]. In: Odos Panos. r 83-84, Jan./Feb. 1996,
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. . – R.: … [Die letzten Rosen... Auf Wiedersehen
Katerina Gogou]. In: Elevtherotypia, 08.10.1993.
Skiadopoulos, Aris [Katerina Gogou]. In: Tachydromos, Heft 37. Athen 11.09.1991,
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dass sie mich für schuldig wegen Solidarität befunden haben“]. In: Elevtherotypia, 14.12.1995.

9.3.5. Sonstige Sekundärliteratur

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