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Strategisch Behaviorale Therapie (SBT)

Gernot Hauke

Strategisch
Behaviorale Therapie
(SBT)
Emotionale Überlebensstrategien – Werte – Embodiment

Mit 23 Abbildungen und 24 Tabellen


Gernot Hauke
Centrum für Integrative Psychotherapie
Bayerische Akademie für Psychotherapie
Coaching Akademie CIP
Nymphenburger Str. 185
80634 München

ISBN-13 978-3-642-29729-8
ISBN 978-3-642-29730-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-29730-4

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Planung: Monika Radecki, Heidelberg


Projektmanagement: Sigrid Janke, Heidelberg
Lektorat: Bettina Arndt, Gorxheimertal
Projektkoordination: Cécile Schütze-Gaukel, Heidelberg
Umschlaggestaltung: deblik Berlin
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Satz: Fotosatz Detzner, Speyer

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V

Meinen Eltern und Gita


in Dankbarkeit und Liebe
VII

Vorwort
Ich freue mich sehr darüber, liebe Leserinnen und liebe Leser, Ihnen in diesem Buch eine
innovative Form der Verhaltenstherapie präsentieren zu dürfen.

Wünschen Sie sich einen verhaltenstherapeutischen Ansatz,


4 der Ihre Erfahrungen würdigt und Sie ganz besonders in Ihrer Kreativität abholt?
4 der Sie dazu einlädt, Ihre Erfahrungen aus einer ungewohnten Perspektive zu betrachten
und zu vertiefen?
4 für den die psychotherapeutische Situation mehr ist als Gespräch?
4 der die Aufmerksamkeit auch auf vorsprachliche Elemente lenkt und somit vieles offen-
bar werden lassen kann, das sich in der Sprache noch gar nicht auszudrücken vermag?
4 der nicht nur Ihre Patienten aktiviert, sondern auch Sie selbst?
4 der den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Grundlagenforschung repräsentiert?
4 der Ihnen schließlich eine Fallkonzeption aus einem Guss und ein schlüssiges Therapie-
konzept vermittelt?

Interessiert? Dann werden Sie in diesem Buch fündig werden!

In den letzten Jahren hat sich aufgrund von Impulsen, kommend aus dem angloamerika-
nischen Raum, die verhaltenstherapeutische Landschaft stark verändert. Dieser Wandlungs-
prozess wird mit dem Titel »die dritte Welle der Verhaltenstherapie« umschrieben. Die Stra-
tegisch Behaviorale Therapie (SBT) sieht sich als eine Vertreterin dieser Bewegung. Zahl-
reiche Impulse und Befunde der dritten Welle decken sich mit den Grundannahmen von
SBT, die in einer inzwischen mehr als 17-jährigen Geschichte weiterentwickelt und in ihrer
Wirksamkeit vor kurzem auch empirisch überprüft wurde. Somit darf ich Ihnen einen eigen-
ständigen verhaltenstherapeutischen Ansatz aus dem deutschen Sprachraum präsentieren.

Ende der 1990er-Jahre bin ich mit der Strategischen Kurzzeittherapie von Sulz (1994) in Be-
rührung gekommen. Damals war ich schon zwölf Jahre als Verhaltenstherapeut in eigener
Praxis tätig und mit dem Stand der damals üblichen verhaltenstherapeutischen Fallkonzep-
tion sehr unzufrieden. Das von Sulz beschriebene Konzept der Überlebensstrategie sprach
mich sofort an. Sie ermöglichte etwas, was ich oft vermisst hatte und das mir als sehr wichtig
erschien: Den Blick hinter das Symptom. Neben einem umfassenden Verständnis des Pati-
enten ergaben sich daraus auch in schlüssiger Weise Therapieziele und Therapiepläne. Seit
diesem Moment war ich zu einem Fan dieses Ansatzes geworden. Ich fand mich nun in einer
Konzeption beheimatet, die auf solidem Fundament gemeinsam mit engagierten Kollegen
die Analyse zahlreicher Fallbeispiele unterschiedlichster diagnostischer Gruppen sowie ein
intensives Studium therapeutischer Verläufe ermöglichte. Im Lauf der Jahre ergaben sich mir
immer wieder Anlässe, vorhandene Konzeptionen zu überdenken und theoretisch zu erwei-
tern. Weiterhin wurde dabei eine eigenständige Interventionsmethodik entwickelt. Sie ist
sowohl dem bedingungsanalytischen Denken als auch dem Prinzip der Erlebnisaktivierung
verpflichtet und wurde in sieben Interventionsmodule zusammengefasst.
VIII Vorwort

Bei dieser Entwicklungsarbeit war der Austausch mit den Praktikern stets von allergrößter
Bedeutung. Im Rahmen zahlreicher Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen sowie anläss-
lich von Vorträgen kam immer wieder die Frage auf, wo man die vorgestellten Inhalte nach-
lesen könne. Ganz besonderes Interesse galt den Übungsanleitungen für die therapeutische
Praxis. Nicht nur Verhaltenstherapeuten zeigen großes Interesse an der für SBT typischen,
erlebnisaktivierenden Arbeitsweise, sondern auch die tiefenpsychologisch geprägten Kolle-
ginnen und Kollegen.

Gebrauchsanweisung für dieses Buch


Es gibt verschiedene Möglichkeiten in das Thema einzusteigen. In jedem Fall sollten Sie zu-
nächst 7 Kap. 1 lesen. Es vermittelt Ihnen einen Überblick über die Denk- und Vorgehens-
weise sowie über die Interventionsmethodik von SBT. Hier wird weitgehend auf Theorie ver-
zichtet. Der intensivere Einstieg in die psychologischen Grundlagen passiert in den Kap. 2–5.
Hier wird auch die tiefere Begründung für Arbeitsweise und Fallkonzeption, die für SBT ty-
pisch sind, deutlich. Wenn Sie weniger Lust verspüren, in die Theorie einzusteigen, so reicht
es, die Unterkapitel »Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutischen Praxis I–IV«
zu lesen. Hier werden einige Schlussfolgerungen aus der Darstellung der psychologischen
Grundlagen in Form von Handlungsanweisungen für die Praxis benannt. Diese werden in
den Übungsbeschreibungen des 7 Kap. 7 vertieft. Ich möchte Sie aber auch dazu ermutigen,
beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses oder beim ersten Durchblättern des Buches Ihren »so-
matischen Markern« zu vertrauen.

Dank
Bei diesem Unternehmen spielte Prof. Dr. Dr. Serge Sulz eine besondere Rolle. Ihm möchte
ich dafür danken, dass er mich damals mit der Strategischen Kurzzeittherapie vertraut ge-
macht hat. Für die Weiterentwicklung seines Ansatzes – gemeinsam wurde er später in die
Strategisch Behaviorale Therapie (SBT) umbenannt – hat er den Rahmen eines großen Aus-
bildungsinstitutes zur Verfügung gestellt. Hier konnte ich als Dozent, Lehrtherapeut, Thera-
peut und Supervisor Ideen erproben, notwendiges Feedback entgegennehmen, damit Kon-
zepte und Vorgehensweisen noch besser den Anforderungen unseres therapeutischen Alltags
gerecht wurden. Weiterhin hat er die Durchführung einer aufwändigen Studie unterstützt.
Sie wurde von Dr. Miriam Hebing geleitet und konnte die Wirksamkeit von SBT eindrucks-
voll belegen.

Der Kontakt zur wissenschaftlichen Psychologie ist mir immer sehr wichtig gewesen. Bei al-
ler Faszination ist es jedoch nicht immer ganz einfach, grundlegende Befunde und Konzepte
der verschiedenen psychologischen Fachdisziplinen für klinische Zwecke in ein anwendungs-
bezogenes Format zu bringen. Hier war ich immer wieder auf Unterstützung angewiesen.
Mein besonderer Dank gilt dabei Prof. Dr. Dr. Norbert Bischof, Universität München, der
sich mit großer Bereitwilligkeit auf einen nun schon mehrere Jahre andauernden Dialog ein-
gelassen hat. Seine Arbeiten üben bis zum heutigen Zeitpunkt einen ganz besonders großen
Einfluss auf mich aus. Prof. Dr. Manfred Holodynski, Universität Münster, hat mir bei Frage-
stellungen zur Emotionspsychologie sehr geholfen. Ich möchte ihm an dieser Stelle ganz
herzlich für seine Freigebigkeit und sein Interesse an meinen Themen danken. Ein anspruchs-
IX
Vorwort

volles, praxisorientiertes Konzept in der aktuellen SBT-Konzeption ist der sog. referenzielle
Prozess. Hier erhielt ich wertvolle Hinweise und Ermutigung von Prof. Dr. Oliver Schult-
heiss, Universität Erlangen, sowie von Frau Prof. Dr. Wilma Bucci, New York. Die Arbeiten
dieser beiden Autoren sind aus meiner Sicht bahnbrechend für sämtliche psychotherapeu-
tische Schulen.

Ein jüngeres Element in SBT ist das Thema Embodiment. Damit ergab sich für mich endlich
ein konzeptueller Rahmen, in dem die Arbeitsweise, die wir seit vielen Jahren in SBT prakti-
zieren, nicht nur fundierter begründet werden konnte. Darüber hinaus fand ich in diesem
Bereich auch wichtige Anregungen für weitere Entwicklungsschritte. Hier profitierte ich ganz
besonders von Dr. Maja Storch, Universität Zürich. Sie hat nicht nur das Thema Embodiment
im deutschen Sprachraum für die Psychotherapie erschlossen. Sie hat außerdem in absolut
origineller Weise das Thema der ressourcenorientierten Arbeit neu begründet. Ihre Denk-
und Arbeitsweise haben mich sehr stark beeinflusst.

Mit der ressourcenorientierten Arbeit eng verknüpft ist in SBT das Thema der persönlichen
Werte. Hier wird intensiv Bezug genommen auf die Theorie, die von Prof. Dr. Shalom H.
Schwartz, Hebrew University, Jerusalem, entwickelt wurde. Ihm verdanke ich eine Vielzahl
wertvoller Hinweise. Bei dem Versuch, Werte im Sinne der Construal-Level-Theorie als abs-
trakte Standards bei der Selbstregulation zu verstehen, hat mich Prof. Dr. Yaacov Trope, New
York University, intensiv ermutigt. Die emotionale Arbeit in SBT profitiert sehr stark von den
Arbeiten der Neuropsychologin Prof. Dr. Susana Bloch, Santiago, Chile. Das von ihr ent-
wickelte Verfahren, das es ermöglicht, mit Hilfe des Körpers willkürlich Emotionen herzu-
stellen, verkörpert die Embodimentperspektive in Reinkultur. Ich verdanke ihr die praktische
Einführung in das Verfahren.

Dieses Unternehmen wäre nicht zu verwirklichen gewesen, wenn ich mich nicht des Vertrau-
ens und der Freundschaft der Kolleginnen und Kollegen Celia Avila, Mirta Dall’Occhio,
Dr. Gudrun Eder-Sommer, Ellen Flies, Patricia Gubbay de Hanono, Jan Spreemann und
Dr. Lars Theßen hätte erfreuen können. Ohne ihre Mitwirkung wären diese Chilereise, sowie
die intensive Auswertung des Erlebten und Gelernten nicht möglich gewesen.

An dieser Stelle möchte ich auch den Einfluss psychodramatischer Arbeitsweise auf mein
psychotherapeutisches Handeln betonen. Er geht auf den mehrjährigen Kontakt mit Dr.
Joachim Gneist zurück. Es fällt mir schwer, mit Worten auszudrücken, wie sehr mich seine
Arbeitsweise berührt hat und welch kreatives Potenzial mir dadurch erschlossen wurde.
Durch das Beispiel von Prof. Steve Hayes, University of Reno, Nevada, lernte ich dann die
Vereinbarkeit strengen wissenschaftlichen Denkens mit erlebnisorientierter Arbeit kennen.
Seine Arbeitsweise hat mich sowohl in meinem konzeptionellen Denken als auch in meiner
praktischen Herangehensweise enorm bestärkt. Den Impuls, in der verhaltenstherapeu-
tischen Praxis immer auch über den Tellerrand zu schauen, verdanke ich von Anfang an
meiner Ausbildung bei Dr. Rita deMuynck. In ihrer Rolle als exzellente Lehrerin hat sie mich
stark durch ihr Beispiel geprägt. Ohne ihre besondere Ermutigung und Unterstützung hätte
ich mich vielleicht nicht so intensiv auf die Verhaltenstherapie einlassen können.
X Vorwort

Ein Ansatz bleibt qualitativ unterentwickelt, wenn nicht ausgiebig Erfahrungen damit gesam-
melt und ausgewertet werden. Zu großem Dank bin ich den zahlreichen Patienten verpflich-
tet, die dabei mitgewirkt haben. Mein Respekt und meine Hochachtung gelten ganz beson-
ders den Kolleginnen und Kollegen, die mit ihren enormen therapeutischen Fähigkeiten
Material erarbeitet haben, das sie im Rahmen von Fallbesprechungen, Supervisionen und
Intervisionen zur Verfügung stellten. Dies hat sich für die konzeptionelle Weiterentwicklung
und Überprüfung des Ansatzes als absolut unverzichtbar erwiesen. Es handelt sich dabei, in
alphabetischer Reihenfolge, um die Ärztinnen und Ärzte, Diplom-Psychologinnen und
Diplom-Psychologen:

Dr. Lars Auszra, Nadia Barucchieri, Florian Bauer, Melanie Baumann, Andrea Geyer, Daniel
Hahn, Esther Haidle, Dr. Alexander von Hammerstein, Kyra Hauenschild, Dr. Miriam
Hebing, Evelin Henneke, Dr. Imke Herrmann, Dr. Annette Hoenes, Petra Jaensch, Laura
Janke, Ulrike Jetter, Alexandra Kendler, Dr. Sabine Kunz-Ebrecht, Frank Mutert, Annette
Richter, Kerstin Schlesinger, Loredana Spaan, Jan Spreemann, Dr. Gérard Tchitchekian.

Besondere fachliche und freundschaftliche Unterstützung erhielt ich von PD Dr. Bernd Birg-
meier, Dr. Claudia Drossel, PD Dr. Martin Fegg, Dipl.-Psych. Andreas Schnebel, Dr. Tom
Waltz. Den Kolleginnen der CoachingAcademy, der Diplom-Kauffrau Bärbel Kress und der
Diplom-Psychologin Carolin Graf verdanke ich kompetente Unterstützung bei der Umset-
zung verschiedener Konzepte in den außertherapeutischen Bereich. In technischer Hinsicht
half mir Kathrin Jungwirth mit Umsicht und großer Kreativität.

Den betreuenden Damen vom Springer-Verlag, Frau Monika Radecki und Frau Sigrid Janke,
sowie der Lektorin Frau Bettina Arndt bin ich zu großem Dank verpflichtet für ihre kompe-
tente, ebenso freigebige wie geduldige Anleitung und Unterstützung.

Ihnen allen mein herzliches Dankeschön.

München, im Frühjahr 2012


Dr. Gernot Hauke
XI

Kurzvita
Dr. Gernot Hauke
Approbierter psychologischer Psychotherapeut (VT), Kassenpraxis seit 1986.
Seit mehr als 10 Jahren Lehrtherapeut, Dozent, Selbsterfahrungsleiter und
Supervisor, als solcher bei der Landesärztekammer akkreditiert. Zuvor 10
Jahre an der TU München im Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie,
daraus leitet sich auch ein weiterer Schwerpunkt der momentanen Tätigkeit ab:
Managementcoaching.

Dr. Gernot Hauke


Psychologischer Psychotherapeut
Lehrtherapeut, Supervisor, Dozent, Managementcoach
Landshuter Allee 45
80637 München
XIII

Inhaltsverzeichnis
1 Strategisch Behaviorale Therapie (SBT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Erster Überblick: Konzeptuelle Grundlagen und Fallverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Von der Fallkonzeption zur Strategie der Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.3 Kognition, Embodiment und Interventionsmethodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2 Wie werden Ziele erreicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15


2.1 Elementarer Baustein der Selbstregulation: Feedbackschleife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.2 Identität und Berührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.3 Verführung misslingt und Selbstbild wackelt:
Zieldiskrepanz und Selbstaufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.4 Gebote und Verbote: Überlebensstrategie und Selbstregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.5 Von versklavter Aufmerksamkeit zu mehr Achtsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.6 Achtsamkeit unterstützt einen günstigen Selbstfokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.7 Bedeutung von Emotionen für die Selbstregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.8 Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg …? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.9 Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

3 Emotionale Überlebensstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.1 Motivationspsychologische Grundlagen I: Bedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3.2 Zugang zu den Bedürfnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3.3 Motivationspsychologische Grundlagen II: Duales Motivationssystem . . . . . . . . . . . . . 36
3.3.1 Implizite und explizite Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.3.2 Psychisches Wohlergehen: Harmonisierung impliziter und expliziter Motive . . . . . . . . . . . . 38
3.4 Emotionspsychologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.4.1 Was ist eine Emotion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.4.2 Emotionsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.4.3 Emotionsentwicklung, primäre und sekundäre Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
3.4.4 Gefühle, die schwer zu benennen sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
3.5 Überlebensstrategie: Kognitiv-affektives Schema zur Bedürfnisbefriedigung . . . . . . . 55
3.5.1 Von der Bindungserfahrung zur Überlebensstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
3.5.2 Wie entsteht gefühlte Sicherheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
3.6 Strategien der Sicherheitsregulation und Typen von Überlebensstrategien . . . . . . . . . 63
3.6.1 Typen von Überlebensstrategien und Persönlichkeitsakzentuierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.6.2 Sexualität, Autonomie und Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.6.3 Sekundäre Bindungen und Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3.7 Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

4 Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.1 Was sind Werte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4.2 Werte und Entwicklung: Vom Sollen zum Wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
4.3 Werte und emotionales Überleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.4 Werte und Selbstregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
4.4.1 Werthaltungen einnehmen: Den Wald vor lauter Bäumen wieder sehen . . . . . . . . . . . . . . . . 88
4.4.2 Werte und Commitment für Handlungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
XIV Inhaltsverzeichnis

4.5 Werte als Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90


4.5.1 Neurobiologische Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.5.2 Fokus auf Werthaltung senkt Stress und stärkt Annäherungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
4.6 Wertetypologie von Schwartz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
4.6.1 Welche Werte gibt es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
4.6.2 Wertedomänen definieren motivbezogene Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
4.6.3 Wertestruktur: Synergisten und Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
4.6.4 Wertestruktur und psychologische Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
4.7 Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis III . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

5 Embodiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
5.1 Denken, Fühlen, Handeln: Sicht der aktuellen Kognitionswissenschaften . . . . . . . . . . . 108
5.2 Körperbezogenes Handeln, Kognition und Emotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
5.2.1 Am Anfang war der Körper: Seine Bedeutung bei der kognitiven Entwicklung . . . . . . . . . . 109
5.2.2 Aktivität mit dem Körper beeinflusst psychische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
5.3 Kognition und Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
5.3.1 Neue Sicht: Die modale Architektur von Kognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
5.3.2 Die kalte Schulter: Modalität und Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
5.3.3 Neurale Simulation und Emotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
5.3.4 Kognition und Emotion in der kognitiven Verhaltenstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
5.3.5 Imagination und Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
5.4 Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

6 Problemklärung und Wege der Verhaltensänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131


6.1 Psychotherapeutische Aktion: Problemaufstellung im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
6.2 Klärungsphase: Vorbereitung des Veränderungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
6.3 Rubikonmodell der Veränderung: Änderungs- und Akzeptanzphase . . . . . . . . . . . . . . . 135
6.4 Logik der Reaktionskette – Weg der Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

7 Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess . . . . . . . . . . . 141


7.1 Achtsamkeit, Etablieren des Körperfokus und Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
7.1.1 Achtsamkeitsübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
7.1.2 Etablieren des Körperfokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
7.1.3 Akzeptanzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
7.2 Erarbeiten der Überlebensstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
7.2.1 Überlebensstrategie und Problemsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
7.2.2 Präzisieren der Überlebensstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
7.2.3 Überlebensstrategie und Lerngeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
7.3 Symptomtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
7.3.1 Umgang mit den Befindlichkeitssymptomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
7.3.2 Umgang mit den Verhaltenssymptomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
7.4 Ressourcenaktivierung durch persönliche Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
7.4.1 Erstellen eines Wertepools . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
7.4.2 Werteaffirmation und Werthaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
7.4.3 Werte als Ressourcen und Haltungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
7.4.4 Mit Werthaltungen Stress senken und Überblick behalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
7.4.5 Wertkorridor: Stärken der Verbindung zwischen Haltungs- und Handlungszielen . . . . . . . 165
XV
Inhaltsverzeichnis

7.4.6 Kursbestimmung für die Entwicklung und das Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166


7.4.7 Balance: Wertedomänen besetzen und Antagonisten zu Synergisten machen . . . . . . . . . . . 167
7.5 Arbeit mit Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
7.5.1 Vom präkognitiven Niveau des affektgetönten Körperempfindens
zum kognitiven Niveau der Emotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
7.5.2 Prototypische emotionale Episoden und Kernthemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
7.5.3 Emotionsexposition mit Ermittlung der Regulationsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
7.5.4 Erzeugen prototypischer Emotionen durch Einstellen von Atemrhythmus, Mimik
und Körperhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
7.5.5 Psychoedukation einmal anders: Emotionen erleben, Emotionsausdruck finden,
Emotionsanlässe erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
7.5.6 Emotionen mit dem Körper regulieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
7.5.7 Primäre und sekundäre Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
7.6 Therapeutische Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
7.6.1 Therapeutische Beziehung wird zum Arbeitsinstrument und Arbeitsfeld erklärt . . . . . . . . . 184
7.6.2 Überlebensstrategie in der therapeutischen Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
7.6.3 Kellergeister: »Verbotene« Impulse und Gefühle in der therapeutischen Beziehung . . . . . 188
7.6.4 Qualität der therapeutischen Beziehung sichtbar machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
7.6.5 Auf den Punkt gebracht! Ein Schema der Selbstreflexion für Therapeuten . . . . . . . . . . . . . . . 192
7.6.6 Psychologisches Alter, Entwicklung von Selbstbild und Identität
in der therapeutischen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
7.7 Behaviorale Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
7.7.1 Patienten sollen lernen, ihrer Erfahrung zu vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
7.7.2 Von der Überlebensstrategie zur Lebensstrategie und den Zielbereichen . . . . . . . . . . . . . . . 197
7.7.3 Wirksame Handlungsziele entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
7.7.4 Haltung entwickeln, Abschied nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
7.7.5 Zielrealisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
7.7.6 Gemeinsame Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

8 Beispiele: Fallkonzeption und therapeutischer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207


8.1 Agoraphobie und Panik: Jede Angsttherapie ist auch Wuttherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
8.2 Borderlinesyndrom: Strategien des Selbstschutzes – Therapie durch Beziehung . . . . 213

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
1 1

Strategisch Behaviorale
Therapie (SBT)
Eine Verhaltenstherapie der »dritten Welle«

1.1 Erster Überblick: Konzeptuelle Grundlagen


und Fallverständnis – 2

1.2 Von der Fallkonzeption zur Strategie der Therapie – 5

1.3 Kognition, Embodiment und Interventionsmethodik – 11

G. Hauke, Strategisch Behaviorale Therapie (SBT),


DOI 10.1007/978-3-642-29730-4_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
2 Kapitel 1 · Strategisch Behaviorale Therapie (SBT)

Verhalten ist darauf ausgerichtet, Homöostase zu 1.1 Erster Überblick:


1 erreichen und aufrechtzuerhalten. Die Befriedi- Konzeptuelle Grundlagen
gung von Bedürfnissen spielt dabei eine besonders und Fallverständnis
zentrale Rolle. Die dazu notwendigen psychischen
Prozesse werden von der autonomen und der will- SBT versteht sich als eine Verhaltenstherapie, die
kürlichen Psyche erbracht. Lernprozesse führen die Befriedigung psychologischer Grundbedürf-
zur Internalisierung bestimmter Regeln, Gebote nisse als zentral ansieht. Darüber hinaus wird die
und Verbote, die eingehalten werden müssen, da- nachgewiesene Effektivität verhaltenstherapeuti-
mit wenigstens minimale Bedürfnisbefriedigung scher Behandlungen mit den entwicklungs- und
möglich ist und die Homöostase einigermaßen er- persönlichkeitspsychologischen Erkenntnissen ver-
halten bleibt. Solche Verhaltensanweisungen wer- bunden (Sulz, 1994; Sulz & Hauke, 2009; 2010;
den als Überlebensstrategien bezeichnet. Es han- Hauke, 2006d; Hauke & Sulz, 2006; Hauke, 2010).
delt sich dabei um automatisierte, nicht bewusst- Dabei entsteht eine neuartige Herangehensweise in
seinspflichtige Schemata, die der autonomen Psy- Hinblick auf Fallkonzeption und Therapiedurch-
che zuzurechnen sind. führung. Die hier dargestellte Form der SBT basiert
Es können Situationen eintreten, in denen diese auf wesentlichen Grundannahmen, die Sulz (1994)
Schemata massiv dysfunktional werden. Selbst er- in seinem Werk formuliert hat. Wegen ihrer Bedeu-
höhte Anstrengungen, danach zu handeln, können tung für das Verständnis von SBT sollen diese hier
dann scheitern und zum Energiebankrott führen. als Erstes dargestellt werden.
Die Ausbildung von Symptomen hat dann die
Funktion, das bisherige homöostatische Gleichge- Menschen suchen inneres Gleichgewicht »Ideale
wicht mit den entsprechenden vertrauten Soll- Homöostasezustände sind der wertvollste Besitz
Werten aufrecht zu erhalten. Möglichst bald wird eines Lebewesens ...« (Damasio, 2011). Um Ho-
die nicht bewusste Überlebensstrategie erarbeitet. möostase zu erreichen und zu bewahren, müssen
Sie liefert nämlich die Strategie der Therapie, in komplexe Situationen gemeistert und die Steue-
dem Patienten dabei unterstützt werden, systema- rung des eigenen Lebens möglichst optimiert wer-
tisch dagegen zu verstoßen, um neue Erfahrungen den. Verhalten ist darauf ausgerichtet, ein psycho-
zu generieren und mehr Flexibilität zu gewinnen. physiologisches Milieu zu erreichen und aufrecht
Dies wird mit Hilfe von sieben Interventionsmodu- zu erhalten, damit maximales Wohlergehen mög-
len unterstützt. Dabei werden kognitive Inhalte lich ist. Das dazu erforderliche Verhalten wird von
zwar registriert, sie stehen aber nicht im Vorder- zwei Funktionsweisen der Psyche generiert. Sie
grund. Stattdessen liegt der Fokus mehr auf dem sind gekoppelt an das, was Sulz (1994) als »autono-
Prozess und der Generierung neuer Erfahrungen, me« und »willkürliche Psyche« beschreibt. Diese
die dann ein Umdenken zur Folge haben können. entsprechen dem Experiential- und Rationalsystem
Mit dieser Arbeitsweise folge ich insbesondere Epsteins (1993); Grawe (1998) wiederum spricht
den Bemühungen der Embodimentforschung, den von einem impliziten und einem expliziten System.
Kognitionsbegriff zu erweitern, wonach intelligente Ein komplexes System wie der Mensch könnte
Kognition ohne den Körper nicht machbar ist. Die kaum funktionieren, wenn er bewusst über jedes
Therapie aktiviert Patienten und ihre Therapeuten. Verhalten im Dienste der Homöostase nachdenken
Es wird nicht nur miteinander gesprochen. Der müsste. Automatisierte, nicht bewusste Prozesse
therapeutische Dialog in SBT ist weitaus mehr als sorgen für geschmeidige und zuverlässige Abläufe.
der verbale Austausch. Von den ersten Stunden an Sie werden von der autonomen Psyche besorgt.
beziehen wir den gesamten Körper mit ein: Mimik Ganz analog zum autonomen Nervensystem,
und Gestik, Körperhaltung, Bewegung, Stimme das die Körperfunktionen des Menschen ohne sein
und Atem. Dabei wird stets Ressourcen aktivierend bewusstes Zutun steuert, ist auch die Regulations-
gearbeitet. Ausgangspunkt für diese Arbeit sind die funktion der autonomen Psyche zu sehen. Sie steu-
persönlichen Werte der Patienten. ert automatisch den größten Teil unseres Erlebens
und Verhaltens, so dass nach Möglichkeit Homöo-
1.1 · Erster Überblick: Konzeptuelle Grundlagen und Fallverständnis
3 1
stase erreicht bzw. erhalten wird. In Abgrenzung dabei bestimmte Erfahrungen nicht mehr assimi-
dazu wird das bewusste Wahrnehmen, Fühlen, lieren lassen, dann sind plötzlich auch bisher selbst-
Denken und Handeln mit dem Begriff der willkür- verständliche Grundannahmen über das Funktio-
lichen Psyche umschrieben. So brauchen wir z. B. nieren des Selbst und der Welt infrage gestellt. Das
bewusste Aufmerksamkeit, um mit auftauchenden Individuum befindet sich in einem innerpsy-
Hindernissen umzugehen, uns zu verändern oder chischen Konflikt, der nur dann wirklich gelöst
neue Wege zu gehen. Auch in solchen Situationen werden kann, wenn Weiterentwicklung, Sulz (1994)
wird die Aufrechterhaltung der Homöostase an- postuliert dafür ein Stufenmodell, passieren kann.
gestrebt. Autonome und willkürliche Psyche müs- Der Übergang zu neuen Formen der Beziehung
sen zusammenwirken, damit Homöostase realisiert und des Handelns erfordert jedoch ein Handeln
wird. entgegen der bisherigen Überlebensstrategie und
riskiert damit »den Untergang des alten Selbst und
Lerngeschichte und Überlebensstrategie Dieses der alten Welt« (Sulz, 1994, S. 171–172). Da sich
Gleichgewicht ist hergestellt, wenn wesentliche dabei jedoch das gefühlte Sicherheitsniveau massiv
Sollwerte wie z. B. zentrale Bedürfnisse befriedigt absenkt, wird unter Umständen doch lieber die ge-
sind. Nach dem Homöostaseprinzip orientiert sich genwärtige Komfortzone mit ihren Begrenzungen
die Lebensgestaltung eines Kindes hierbei zunächst einer solchen Veränderung vorgezogen, da ein
an der Herstellung eines »somatopsychischen« Scheitern unbedingt vermieden werden muss: »Die
Gleichgewichts, bei dem in erster Linie die Regula- Kindheit zu überleben geht vor Entwicklung« (Sulz,
tion des somatischen, dann auch des psychischen 2009b, S. 27). Wird diese Entwicklungs-Stagnation
Überlebens im Vordergrund steht. Das mittelfristi- auch im Erwachsenenalter nicht aufgehoben, kann
ge Ziel der autonomen Psyche in der Kindheit lau- es in Krisensituationen zur Symptombildung kom-
tet: »Ich muss einigermaßen heil durch meine men.
Kindheit kommen« (Sulz, 2009, S. 24). Dabei wer-
den geeignete Annäherungs- und Vermeidungs- Grenzen der Überlebensstrategie und Bildung des
strategien erprobt und schließlich etabliert, damit Symptoms Lebensgestaltung folgt weitgehend dem
zumindest die grundlegendsten Bedürfnisse be- Konstruktionsplan der autonomen Psyche (Sulz,
friedigt, sowie das Ausmaß frustrierender Erfah- 2009b). Das Regelsystem wird dabei durch die
rungen minimiert und Ängste vermieden werden. Überlebensstrategie vorgegeben. Ihre Einhaltung
Innerhalb einer bestimmten Schwankungsbreite – wird im Interesse der Homöostase von der auto-
dem homöostatischen Bereich – ist das Stressni- nomen Psyche besorgt. Frustrierende und trauma-
veau des Kindes minimiert und das emotionale tisierende Kindheitsbedingungen führen zu ange-
Überleben gesichert. Entsprechende Lernprozesse spannten Bewältigungsversuchen, die zwar die
sind anfangs auf spezifische Situationen bezogen, Aufrechterhaltung der psychosozialen Homöostase
generalisieren aber im Laufe der Zeit. in der Kindheit gewährleistet haben, als starre
Die Quintessenz dieser Lernprozesse findet sich Überlebensstrategie im Erwachsenenalter oft aber
in der sog. emotionalen Überlebensstrategie wie- nicht mehr angemessen und tauglich ist für ziel-
der. Die Überlebensstrategie steuert in automati- führende Problemlösungsversuche. Durch ihren
sierter Weise das Verhalten und ist implizit, d. h., Mangel an Flexibilität produziert sie Konflikte und
sie ist normalerweise nicht bewusst. Sie enthält spe- kann auf Dauer zur Ausbildung dysfunktionaler
zifische Anweisungen darüber, welche Handlungen Persönlichkeitszüge führen. Das Symptom ist dann
unter bestimmten Bedingungen aktiviert und wel- das Ergebnis einer pathogenen Lebens- und Bezie-
che vermieden werden müssen, um von der sozi- hungsgestaltung und einer spezifischen Auslöse-
alen Umwelt die zum emotionalen Überleben und situation. Diesen wichtigen Punkt wollen wir mit
zur Stärkung der Identität sowie des Selbstwertes Hilfe des Beispiels verdeutlichen.
benötigten Reaktionen zu erhalten. Angesichts ver-
schiedenster Entwicklungsaufgaben kann das emo-
tionale Gleichgewicht gefährdet sein. Wenn sich
4 Kapitel 1 · Strategisch Behaviorale Therapie (SBT)

Fallbeispiel dungsreaktion auslösen. Dabei gilt: Je ähnlicher


1 Eine 39-jährige Ärztin hatte vor zwei Jahren ihre eige- der neue Stimulus dem konditionierten Reiz,
ne Praxis eröffnet. Die Praxis war sehr gut angelaufen, umso stärker wird die Vermeidungsreaktion
sie hatte für jeden ein gutes Wort. Mitarbeiter und Pa- ausfallen. Im Laufe der Zeit wirken auch nur
tienten fühlten sich gleichermaßen wohl mit ihr. Ihr entfernt ähnliche Situationen, z. B. ärgerliche
Wohlwollen war geradezu eisern; es brach auch an- Verkäufer, schon alarmierend und aktivieren
gesichts von immer wiederkehrenden Fehlern und bereits im Vorfeld Vermeidungsstrategien, da-
Versäumnissen, von Unpünktlichkeit und mangeln- mit das Befürchtete auf keinen Fall eintritt.
der Arbeitsmotivation ihrer Mitarbeiter nicht ein.
Stattdessen brach ihre eigene Stimmung ein. Damit entsteht eine Zone des Schreckens, die nach
Durch vermehrten Arbeitseinsatz versuchte sie Möglichkeit nie wieder betreten werden soll, weil
selbst, alle Unzulänglichkeiten zu kompensieren und die Patientin diese schlimme, existenziell bedroh-
fand sich nun in einer massiven Erschöpfung mit Pa- liche Erfahrung nicht wieder erleben will. Je nach
nikanfällen, zunehmender Agoraphobie und begin- Geschick der betreffenden Person kann dies lange
nender Depression wieder. Alleine in ihrer Wohnung gut gehen. Das Vermeidungsverhalten konserviert
führt sie dann stundenlange Streitgespräche mit vir- jedoch das Erleben der damals 8-Jährigen. In dieser
tuellen Mitarbeitern und kommt nicht mehr zur Ruhe. Zone ist die jetzt erwachsene Patientin das Kind ge-
Sie sei nicht in der Lage, den realen Mitarbeitern ge- blieben, das sie damals war. Somit verhindert das
genüber ihren Ärger zu äußern. Dies sei für sie völlig Vermeidungsverhalten eine Neueinschätzung und
undenkbar, da sie fürchtet, massiven Ärger bei denen Relativierung durch die Erwachsene, die inzwi-
auszulösen, danach ganz alleine dazustehen und schen in vielen Bereichen kompetent ist, für sich
letztlich die Pleite ihrer Praxis hinnehmen zu müssen. sorgen und auch Unterstützung annehmen kann.
Aufgewühlt und weinend berichtet sie dann, mit Die Quintessenz dieser Lernprozesse verdichtet
welch massiver Wut ihre allein erziehende Mutter sich in der folgenden emotionalen Überlebensstra-
immer schon auf Ansätze von Ärger oder Frustration tegie:
der kleinen Tochter reagiert hatte. Nur durch pflege-
leichtes Verhalten, Perfektion und Leistung hätte die
Patientin den Umgang mit der Mutter einigermaßen Emotionale Überlebensstrategie
reibungslos gestalten können. Immer hätte sie Angst 4 Nur wenn ich immer aufmerksam auf die
ausgestanden, der Mutter zu viel zu sein und auch Bedürfnisse anderer eingehe, pflegeleicht,
noch von ihr verlassen zu werden. stets fleißig und perfekt bin…
4 und niemals Konflikte eingehe, Ärger und
Das Beispiel zeigt uns, wie eine intelligente junge Frustration zeige,
Frau von ihrer Lerngeschichte eingeholt werden 4 dann bewahre ich mir Halt und Schutz
kann. Obwohl sie schon lange nicht mehr bei ihrer durch wichtige Personen
Mutter lebt und inzwischen viel erreicht hat. Die 4 und verhindere verlassen zu werden und
Verhaltenstherapie erklärt dies folgendermaßen: unterzugehen.
4 Vermeidung: Ihre Angst vor solchen Situatio-
nen, in der sie sich darin bedroht sah, sämt-
lichen Halt, alle notwendige Sicherheit zu ver- Die Rigidität der Überlebensstrategie erlaubt keine
lieren, wollte sie nie wieder erleben. Mit Hilfe Anpassung der Patientin an situationsspezifische
ihres emotionalen Radarsystems und ausge- Herausforderungen. In der Kindheit meist funktio-
prägtem sozialen Geschick gelang es im Laufe nal, sorgt sie aber bei der Erwachsenen für eine
der Zeit immer zuverlässiger, solche Situatio- Vulnerabilität, die aufgrund spezifischer Umwelt-
nen zu vermeiden und damit vermeintlich Si- bedingungen, z. B. Selbstständigenstatus, die neue
cherheit zurückzugewinnen. Rolle als Vorgesetzte usw., die berufliche Konstella-
4 Generalisierung: Dieser Mechanismus sorgt tion zur symptomauslösenden Situation werden
dafür, dass ähnliche Reize die gleiche Vermei- lässt. Unerwartet findet sich die Patientin in der
1.2 · Von der Fallkonzeption zur Strategie der Therapie
5 1
Zone des Schreckens wieder. Hier entscheidet nun für ihr biopsychosoziales System erforderlichen
nicht der objektive Schwierigkeitsgrad der Situa- Konsequenzen zu erreichen.
tion, sondern lediglich das aus der Kindheit mitge- Genau diese funktionale Fragestellung ist z. B.
brachte Verhaltensrepertoire. Um nun doch irgend- einer der Hauptunterschiede zum schematheore-
wie klar zu kommen, werden die Bemühungen tischen Ansatz. Hier steht sie im Mittelpunkt. Dort
noch weiter verstärkt, um der Überlebensstrategie ist sie impliziert, wird aber nicht vorrangig expli-
vielleicht doch noch besser gerecht werden zu kön- ziert. In diesem Sinne kann der Begriff »Strate-
nen. Sie hat ja bisher zuverlässig für die Bedürfnis- gisch« in SBT synonym für funktional gesetzt wer-
befriedigung gesorgt! Irgendwann funktioniert den. Das Menschenbild und das Störungsverständ-
auch das nicht mehr. nis sind funktional, deshalb bestimmt die Frage
An dieser Stelle wird nach Sulz (1994) das nach dem Zweck eines Verhaltens und die Suche
Symptom als »Ausweg« geschaffen (z. B. Angst- nach Antworten das therapeutische Denken. Die
symptome, depressive Symptomatik). Es soll das Überlebensstrategie ist einerseits ein affektiv-ko-
bisherige homöostatische Gleichgewicht aufrecht gnitives Schema als Quintessenz kindlicher Erfah-
erhalten. Betrachten wir die Überlebensstrategie rungen in den familiären Beziehungen. Sie ist aber
der Patientin, so zeigt sich, dass diese genau die Art zugleich die Formel des dysfunktionalen Selbst-
der Lösung verbietet (z. B. Grenzen setzen, Ärger regulationssystems, das maladaptive Verhaltens-
zeigen), die zur Meisterung der symptomauslösen- weisen befiehlt und adaptives Verhalten untersagt.
den Situation erforderlich wäre. Das Symptom ver- Die Therapie führt zur Veränderung dieses Sche-
hindert an dieser Stelle ein Handeln entgegen der mas und dadurch zur Befreiung der Patientin und
aus der Kindheit mitgebrachten Überlebensstrate- zur Bereicherung ihrer Wahlmöglichkeiten. Damit
gie und damit eine bedrohliche Destabilisierung ist ein weiterer Aspekt des Begriffs »Strategisch«
des bisherigen individuellen Selbst- und Weltbildes. berührt, der nämlich die Konzeption der Therapie
Gleichzeitig verhindert es aber auch eine Verände- betrifft: Die Strategie der Therapie resultiert unmit-
rung bzw. Weiterentwicklung des Selbst und eine telbar aus der Überlebensstrategie.
notwendige Umgestaltung des psychosozialen Sys- Sulz (1999a, b) hat ein Fragebogensystem ent-
tems (Sulz, 2009). wickelt, mit dessen Hilfe eine Fallkonzeption von
der Diagnose bis hin zur Überlebensstrategie struk-
turiert und systematisch erarbeitet werden kann.
1.2 Von der Fallkonzeption Verhaltenstherapeutische Interventionen lassen
zur Strategie der Therapie sich dann mühelos integrieren.
Die in diesem Buch dargestellte Methodik ist
SBT versteht sich als ein strategisches Herangehen anders ausgerichtet (Hauke, 2008, 2009a, b; 2010a,
an verhaltenstherapeutisches Arbeiten, so wie es b). Sie ist einer erlebnisaktivierenden Arbeitsweise
sich traditionell längst etabliert und bewährt hat verpflichtet, die dem Prinzip der Problemaktuali-
(Kanfer et al., 2006). Nicht konkrete inhaltliche In- sierung nach Grawe (1998) entspricht und ebenso
terventionen (z. B. kognitive Umstrukturierung, einen wesentlichen Zug der Verhaltenstherapien
Stressimpfung) bestimmen die Methodologie, son- der dritten Welle repräsentiert (vgl. McCullough,
dern, das Zoom etwas zurückdrehend, der Gesamt- 2010). Die Philosophie dieser Arbeitsweise und die
überblick, das Fallverständnis und die Fallkonzep- dazugehörigen methodischen Arbeitsmodule sol-
tion auf Makroebene. Dazu gehört die Fokussie- len im Folgenden dargestellt werden.
rung auf die Organismus-Variable und dabei insbe- Wenn das Handeln nach der Überlebensstrate-
sondere auf die Überlebensstrategie. Wesentlich ist gie dem Leben auf der »Scheibe« entspricht, so soll
die ausführliche Funktionsanalyse auf Makroebe- die Therapie die Perspektive zur Kugel erweitern.
ne, also welche Lebensereignisse oder -umstände Dies ist freilich mit Angst verbunden, denn man
insbesondere in den letzten sechs Monaten auf die muss zunächst an den Rand der Scheibe treten, um
Patientin einwirkten, welche instrumentelle Funk- dann festzustellen, dass der Weg gar nicht abrupt
tion das Symptom also nun erfüllen muss, um die endet und der Absturz nicht passiert. Es gibt eben
6 Kapitel 1 · Strategisch Behaviorale Therapie (SBT)

doch eine Welt hinter dem Horizont. Diese Erfah- ckern. Nun konnte die Patientin darin unterstützt
1 rung wird systematisch durch die Strategie der The- werden, sich mehr Raum und Flexibilität – diese
rapie vermittelt: Unsere Patientin wird darin unter- Expansionsbewegung wurde wieder durch körper-
stützt, gegen ihre Überlebensstrategie, die sich als nahes Handeln begreiflich – zu erlauben und eine
Quintessenz ihrer schmerzlichen, lerngeschichtli- Lebensstrategie zu formulieren:
chen Bindungserfahrungen ergeben haben, schritt-
weise zu verstoßen. In einem erlebnisaktivierenden
Prozess lernt sie, sich mehr und mehr Raum zu ge- Lebensstrategie
währen und dabei den »Griff« ihrer Überlebens- 4 Ich erlaube mir öfter meine eigenen Be-
strategie etwas zu lockern (Hauke, 2009a, b). Dies dürfnisse zu spüren, unbequem für andere
führt schließlich zur Ausformulierung einer »Le- zu sein, auch mal zu faulenzen und Fehler
bensstrategie«, die den bisherigen Erfahrungsraum zu machen
erheblich aufweitet. Sie bildet einen thematischen 4 und werde häufiger auf Grenzüberschrei-
Korridor für konkretere Lernziele (z. B. Grenzen tungen reagieren, Ärger und Frustration
setzen, Ärger zeigen, Arbeitsergebnisse einfordern zeigen,
etc.). Diese werden von uns als Handlungsziele be- 4 und dabei riskieren, dass ich wenig Har-
zeichnet. monie und Schutz verspüre,
Handlungsziele werden mit Hilfe der in . Abb. 4 und ich möchte lernen, meine Angst,
1.1 dargestellten Module erarbeitet. Sie haben stets verlassen zu werden und unterzugehen,
die jeweilige Überlebensstrategie im Fokus. bewusst auszuhalten und abzuwarten,
was passiert.
jErarbeiten der Überlebensstrategie
Schon während der diagnostischen Sitzungen wird
ein Entwurf für die Überlebensstrategie erstellt. Das Erleben dieser Expansionsbewegung lässt die
Schilderungen problematischer Situationen und Patientin spüren, wie es ist, wenn sie sich angesichts
Interaktionsverhalten während der Sitzungen bie- der auferlegten Restriktionen mehr Verhaltens-
ten dafür wichtige Anhaltspunkte. Weiter gibt die spielräume gewährt (Hauke, 2008). Es ist erkenn-
Lerngeschichte Aufschluss über die Bindungsge- bar, dass die »Lebensregel« den Erfahrungsraum
schichte (Hauke, 2010). Entsprechende Bindungs- erheblich aufweitet. Sie bildet einen thematischen
muster erhellen die motivationalen Grundlagen Korridor für konkretere Lernziele (z. B. eigene Be-
der Überlebensstrategien und lassen erkennen, auf dürfnisse spüren, Grenzen setzen etc.), lassen aber
welche Weise unsere Patientin in ihren zwischen- genügend Raum für Anpassungsreaktionen auf
menschlichen Beziehungen navigiert, um ihre zen- sich plötzlich verändernde Situationen (Hauke,
tralen Bedürfnisse nach Halt und Schutz zu befrie- 2006). Da die Aufweichung der Überlebensstrate-
digen. Später werden Problemsituationen mit Hilfe gie Angst auslöst, kann die neue Erfahrung schritt-
von Embodimenttechniken erlebnisaktivierend be- weise so gesucht werden, dass die aufsteigende
arbeitet, um zu einer präziseren Form der Überle- Angst noch gut ausgehalten werden kann. Dieser
bensstrategie zu gelangen. Grundlegende Themen Therapieprozess wird dann durch die folgenden
wie Macht und Ohnmacht, Nähe und Distanz wer- sechs, oft nebeneinander eingesetzten, Arbeitsmo-
den dabei mit Positionierung des Körpers im Raum dule unterstützt (. Abb. 1.1):
effizient auf den Punkt gebracht und vertieft. Nach-
dem die oben beschriebene Überlebensstrategie Achtsamkeit, Akzeptanz, Etablieren des Körperfo-
erarbeitet ist, erfährt unsere Patientin im Rahmen kus Nach der Entscheidung für eine Therapie, erler-
angeleiteter, systematischer Selbstbeobachtung nen Patienten Fertigkeiten der systematischen
nochmals sehr eindrucksvoll – jetzt freilich sehr Selbstbeobachtung und der Aufmerksamkeitslen-
viel bewusster – die damit verbundenen Restriktio- kung durch Achtsamkeit (Hauke, 2006b, c). Schu-
nen und Anstrengungen. Damit ist der Boden be- lung der Achtsamkeit den Gedanken und Gefühlen
reitet, um den Griff der Überlebensstrategie zu lo- gegenüber ist kennzeichnend für Verhaltensthera-
1.2 · Von der Fallkonzeption zur Strategie der Therapie
7 1

Achtsamkeit, Akzeptanz
Etablieren des Körperfokus

Symptomtherapie
Therapie mit
Emotionen

Überlebensstrategie

Behaviorale
Therapie
Therapeutische Beziehung

Persönliche Werte als


Ressourcen

. Abb. 1.1 Arbeitsmodule der Strategisch Behavioralen Therapie (SBT). Mit freundlicher Genehmigung von CIP-Medien

pien der dritten Welle. Im Vordergrund steht hier keitsübungen – ungewohnt und anfangs schwierig
nicht so sehr die Veränderung gedanklicher Inhalte – werden täglich für 5–10 Minuten durchgeführt.
(z. B. Linehan, 1994; Teasdale, 1999; Hayes et al., Aufsteigende Gedanken und Gefühle werden ge-
1999). Stattdessen werden Patienten darin unter- lassen registriert. Die Aufmerksamkeit wird dann
stützt, mit für sie schwierigen Situationen in emoti- wieder auf den Atem gerichtet.
onalen Kontakt zu treten und auftauchende Ge- Gut praktizierte Achtsamkeit führt mehr und
danken und Gefühle zu beobachten, nicht zu be- mehr zur Akzeptanz unangenehmer Gedanken
werten, den darin enthaltenen Impulsen nicht und Gefühle. SBT arbeitet aber noch expliziter mit
nachzugeben und sich dafür nicht zu schelten. Akzeptanzstrategien. So erlebte sich unsere Patien-
Wenn es gelingt, eine achtsame Haltung gegenüber tin angesichts ihrer Ängste oft klein und hilflos, fast
schwierigem Erleben einzunehmen, dann leitet das so wie das achtjährige Kind in der Zone des Schre-
schon eine Verhaltensänderung ein: Der bisherige ckens, das wie erstarrt die Wut der Mutter über sich
Auslöser wird mit einem qualitativ neuen Verhal- ergehen lassen musste. »Ich hasse mich, wenn ich
ten gekoppelt. Dies wird mit dem Ziel verbunden, mich so fühle!« An dieser Stelle waren die Acht-
dass Patienten zunächst einmal mit der Symptoma- samkeitsübungen zu ergänzen. Die Patientin inten-
tik leben lernen, um sie mit Hilfe von Achtsamkeit siv darin zu unterstützen, diese abgelehnte Seite
phänomenologisch zu studieren. Deshalb stellt die ihrer Person lebendig werden zu lassen, sie kennen
achtsame Grundhaltung für eine erfolgreiche und schließlich immer besser akzeptieren zu ler-
Durchführung des Moduls »Symptombehandlung« nen (Hauke, 2006a). Neben diesen Strategien ist
eine wesentliche Voraussetzung dar. Die Achtsam- auch das Akzeptieren der Lerngeschichte von gro-
8 Kapitel 1 · Strategisch Behaviorale Therapie (SBT)

ßer Bedeutung (Sulz, 2001). Achtsamkeit stellt un- Emotionstherapie Wie unser Beispiel zeigt, lernte
1 merklich einen intensiven Körperbezug her, der die Patientin im Laufe ihrer Entwicklung nach
sehr wertvoll ist. Der Fokus auf den Atem oder der Möglichkeit Gefühle von Ärger und Wut zu ver-
Body-Scan sorgen nach einiger Zeit für eine diffe- meiden. Sie befürchtete, wichtige Bindungsper-
renziertere Wahrnehmung interozeptiver und pro- sonen zu verlieren, dadurch in die Zone des Schre-
priozeptiver Signale. Häufig können Patienten ckens zu geraten und mit nicht zu bewältigenden
Emotionen weder klar benennen noch diskrimi- Anforderungen konfrontiert zu sein. Folge war die
nieren. Oft richten sich Gefühle auch nicht klar auf Einschränkung ihres aktiven Gefühlsrepertoires.
Situationen und Objekte, sondern sind lediglich Es sollte ja nur das pflegeleichte Verhalten aktiv
mehr oder weniger diffuse Körpersensationen. In sein, das ihr beim emotionalen Überleben immer
dieser Weise bot sich z. B. der Ärger der Patientin geholfen hatte. Die Mikroanalyse einer arbeitsbe-
manchmal dar. Durch Etablieren eines achtsamen zogenen Situation der Patientin macht dies noch-
Körperfokus wurden solche Sensationen eingefan- mals deutlich (. Abb. 1.2).
gen und zu einem Thema verdichtet. So konnte das In . Abb. 1.2 erkennt man: Die primäre Emoti-
Kernthema der Emotion geklärt und die Auslöser- on ist die unmittelbare, zuerst auftretende hilfreiche
seite identifiziert werden. Emotion nach Unpünktlichkeit und schlampiger
Arbeit seitens der Mitarbeiter. Sie ist in vielen Fäl-
Symptomtherapie Wie schon ausgeführt, versteht len nicht bewusst. Sekundäre Emotionen sind meist
SBT die Symptombildung als die momentan einzig gelernte Reaktionen, die häufig dazu dienen, eine
verfügbare oder »erlaubte« Form der jeweiligen primäre Emotion, im Beispiel sind das Ärger und
Konflikt- bzw. Problemlösung. Wir legen Wert dar- Wut, zu verdecken (Sulz & Hauke, 2010). Betrach-
auf, dass Patienten solche Zusammenhänge auch tungen zur Reaktionskette obiger Patientin machen
konkret erfassen und z. B. die Funktion des Symp- deutlich, dass ihre Angstsymptomatik, Angst ist
toms durch Konzeption von Reaktionsketten ver- hier das sekundäre Gefühl, wesentlich eine Stop-
stehen lernen (Sulz & Hauke, 2010). Systematische perfunktion für ihre primären Gefühle von Frus-
Selbstbeobachtung lässt Patienten bald erkennen, tration, Ärger und Wut innehat. Der ausschließ-
dass sich die Symptomatik auch intensiviert, wenn liche Angstabbau, also die Symptomtherapie, wür-
die Überlebensstrategie strapaziert oder nicht per- de der Patientin sicherlich schon weiterhelfen. Al-
fekt eingehalten werden kann, z. B. bei Vorhal- lein damit hat sie aber noch nicht gelernt, mit jenen
tungen der Eltern, Ärger mit dem Partner usw. Die primären Gefühlen umzugehen, die mit der Angst
an dieser Stelle schon eingeübte achtsame Grund- funktionell verknüpft sind (Hauke, 2008). Solche
haltung steht hier vor ihrer ersten Bewährungspro- Gefühle handhaben, steuern und modulieren zu
be. Relevante Beobachtungen werden aufgegriffen, können, stellt aber im psychosozialen Kontext eine
um entsprechende Hypothesen zu formulieren. So ganz besonders wichtige Kompetenz dar.
formulierte unsere Patientin: »Immer wenn ich im In der Emotionstherapie lernen Patienten ver-
Kontakt zu meinen Angestellten eigentlich ärgerlich miedene Gefühle kennen und schließlich damit
erregt bin, dann entsteht plötzlich ganz viel Angst. umzugehen. Dabei verlässt sich SBT nicht auf das
Diese Angst hält mich offenbar davon ab, meinen Nachdenken über oder Erinnern an solche Gefühle.
Ärger richtig stark werden zu lassen und der faulen Mittels neuartiger Embodimenttechniken werden
Bande zu präsentieren!« In einem nächsten Schritt sie graduiert »hergestellt«. In dieser Form der Ex-
werden solche Hypothesen durch Verhaltensexpe- position lernen Patienten das jeweilige Gefühl ken-
rimente überprüft. Dabei geht es um das bewusste nen – im vorliegenden Beispiel geht es um Ärger als
Provozieren, Aushalten und Erleben der Sympto- primäres Gefühl – und auszuhalten. Nun kann es
matik. Bei der Symptomtherapie werden darüber studiert werden. Dabei lässt sich auch sehr gut die
hinaus diejenigen symptomspezifischen Interventi- Wirkungsweise des sekundären Gefühls erleben.
onen eingesetzt, die den State of the Art der Verhal- Und schließlich: Wie kann sie ihren Ärger als sozi-
tenstherapie darstellen, wie z. B. bei Angst, Zwang, ales Signal gestalten, so dass ihre Grenzen und be-
Depression, Alkoholsucht usw. (vgl. Sulz, 2001). ruflichen Zielsetzungen unterstützt werden? Dies
1.2 · Von der Fallkonzeption zur Strategie der Therapie
9 1

auslösende Situation: Konfrontation mit Unpünktlichkeit und schlampiger Arbeit der Angestellten

primäre Emotion: Ärger, Wut

primärer (verbotener) Impuls: Anschreien, Angestellte entlassen

Antizipation der Folgen: Allein dastehen, untergehen, Insolvenz

sekundäres gegensteuerndes Gefühl: Angst, Panik

beobachtbares Verhalten: Contenance und freundliche Haltung bewahren

Symptombildung: Angst, Depression


G. Hauke CIP 2011

. Abb. 1.2 Reaktionskette eines Angstsymptoms mit primären und sekundären Emotionen

wird im nächsten Schritt der Emotionstherapie, der Therapeutische Beziehung Therapeuten sollten
Modulationsphase, erarbeitet. Damit wird ihre Fä- über Merkmale guter, schutzspendender Bezugs-
higkeit zur Emotionsregulation erweitert. Die Pa- personen verfügen und sie sollten ihren Patienten
tientin soll dann in einem geleiteten Explorations- ausreichend Gelegenheit geben, dies zu erproben
prozess ein Verhalten entstehen lassen, das dem und zu überprüfen. Die beste Compliance wird er-
Gefühl entspricht und den Rahmenbedingungen reicht, wenn ein partnerschaftlicher und partizipa-
der Arbeitssituation in ihrer Praxis gerecht wird. tiver Arbeitsstil erreicht ist. Er ist gekennzeichnet
Dieser graduierte Shapingprozess wird in SBT durch akzeptierende, wertschätzende und respekt-
durch ein experimentierendes Lernen am Erfolg volle Grundhaltung, sowie durch gleichberech-
unterstützt. Inhalte unseres strukturierten Vorge- tigten und transparenten Umgang miteinander.
hens fokussieren auf primäre Gefühle, Kernthemen Eine Expertendominanz des Therapeuten ist dabei
und Gedanken in Zusammenhang mit Gefühlen, selbstverständlich unangebracht. Das Einlassen auf
Körperausdruck und Kommunikation von Gefüh- eine therapeutische Beziehung aktiviert – wie in
len und Handlungsimpulsen, die sich unmittelbar jeder anderen Beziehung auch – die jeweilige
aus dem primären Gefühl entwickeln wollen. Oft Überlebensstrategie. Patienten haben dabei mit
tauchen Gefühle nur als relative ungerichtete Kör- unterschiedlichen Ängsten zu kämpfen und Über-
perempfindungen auf. In solchen Fällen werden lebensstrategien erfüllen wesentlich Schutzfunk-
diese Körperempfindungen aufgegriffen. Diese Ar- tionen in den Beziehungen (Hauke, 2010). Da-
beitsweise stützt sich auf eine bildhafte Art des her war auch im Kontakt zur Patientin deren
Sprechens und Formulierens, die dabei hilft, das zentrales Bedürfnis nach Halt und Schutz komple-
emotionale Kernthema zu fassen. mentär zu beantworten, sodass sie ihre Überle-
10 Kapitel 1 · Strategisch Behaviorale Therapie (SBT)

bensstrategie zunächst bequem einhalten und an- sich gerne auf diese Arbeit ein. Schließlich sind
1 docken kann. Werte nicht nur kognitiv positiv konnotiert, son-
Interaktionelle Besonderheiten, wie z. B. dern auch mit positiver Emotionalität verknüpft
Machtspiele oder Fluchtbewegungen werden von (Hauke, 2006b). Darüber hinaus wirken sie im
SBT-Therapeuten systematisch vor dem Hinter- Sinne eines Stresspuffers und eignen sich ganz be-
grund des Überlebensaktivismus interpretiert und sonders für die Erarbeitung der Zielrealisierung
durch leibnahes Handeln und Positionieren im (Hauke, 2010b). SBT unterstützt Patienten darin,
Raum transparent gemacht. Metaphorisch gesehen den Griff ihrer Überlebensstrategie zu lockern, in-
spielen dabei oft »oben« und »unten« sowie »nah« dem sie sich emotional mit einer Lebensstrategie
und »fern« eine Rolle. Solche Merkmale bieten für verbinden, die im Extremfall das genaue Gegenteil
die therapeutische Beziehung auch einen Experi- der Überlebensstrategie sein kann. Dies nimmt die
mentierrahmen, in dem die Patientin z. B. durch Patientin in unserem Beispiel trotz ihrer Ängste auf
entsprechende Positionierungen im Raum erken- sich; das ist es ihr wert. Die Patientin soll dabei vor
nen kann, wie sie im Kontakt mit ihrem Sicher- allem spüren, dass sie mit ihrem Veränderungspro-
heitsbedarf umgeht. Weiterhin kann sie in der Be- zess etwas verwirklicht, das sie als »gut«, »wahr«,
ziehung zum Therapeuten mit Alternativen experi- »stimmig«, »lohnenswert«, »lebendig«, eben als für
mentieren und erkennen, wie sich das unmittelbar sie selbst wertvoll erlebt.
auswirkt. Welches ist ihr Wert? Sie kann den Wert zuerst
Wenn sich Patienten in fortgeschrittener Phase nicht mit einem Wort umschreiben. Als Symbol
der Therapie mehr und mehr auf ein günstiges Si- wählt sie dafür einen Pinguin: »Er wirkt einerseits
cherheitsniveau verlassen und die Beziehung auch possierlich, ist ein eleganter Schwimmer, bewegt
als ausreichend vertrauensvoll und wertschätzend sich aber auch auf dem Land. Er ist zäh und über-
erlebt wird, dann kann gelegentlich auch einmal lebt sogar in der Polarregion. So würde ich mich
das zentrale Bedürfnis in milder Weise durch den auch sehen!« Sie umschreibt das mit dem Motto
Therapeuten frustriert werden. Mit besonderer Be- »Ausdauernd und lebendig sein«. Ein Blick auf ihre
achtung der primären Gefühle von Frustration und Überlebensstrategie zeigt, dass sie mit dieser Hal-
Ärger, die sich oft nur in einem Gefühlscocktail aus tung sozusagen die Krücke zum Zepter gemacht
Angst, Scham und Verlegenheit zeigen, wird die hat. Es passiert nicht selten, dass Patienten in dieser
Überlebensstrategie erneut im Hier und Jetzt der Weise die Ressource, die in ihrer Überlebensstrate-
Therapiesitzung thematisiert. Flexiblere Alterna- gie steckt, begreifen und für ihre Weiterentwick-
tiven dazu werden entwickelt und verstärkt, das lung nutzen. Diese Werthaltung wird nun veran-
weitere Experimentieren damit wird ermutigt. Ziel kert, damit sie jederzeit aktivierbar ist. Werthaltung
ist dabei z. B. das Zeigen von Ärger gegenüber dem wird wörtlich genommen und deshalb mit einer
Therapeuten zu ermöglichen und zu validieren. Ei- geeigneten Körperhaltung dargestellt. Weiterhin
ne solche »zielkorrigierende Partnerschaft« lässt helfen passende Musik und Kleidung, Bilder, Far-
eine Atmosphäre entstehen, in der Diskrepanzen ben, Gerüche, Symbole usw. (Storch & Krause,
willkommen sind und die mit gegenseitiger Wert- 2002).
schätzung und Fairness ausgetragen werden kön- Der Ressourcenpool wird schon zu Beginn der
nen. Schließlich werden dazu passende Erfah- Therapie gefüllt. Hierzu wählen wir einen erlebnis-
rungen der Patientin aus anderen Lebensbereichen orientierten Zugang, z. B. durch Aufbau einer Wer-
damit verglichen und entsprechende Zielsetzungen telandschaft mit Hilfe von Gegenständen, durch
für ihren Alltag formuliert. Anfertigen einer Selbstbildkollage etc. Dabei ge-
schieht eine Versprachlichung dessen, was Pati-
Persönliche Werte – Haltung und Ressourcen Es gibt enten als wertvoll bzw. wichtig in ihrem Leben
kaum einen Arbeitsschritt in SBT, der nicht von ei- empfinden und es kristallisiert sich in der Regel ei-
ner Ressourcenaktivierung begleitet wäre. Aus- ne Sammlung von ca. 5–8 Werten heraus. Nun
gangspunkt der Ressourcenaktivierung sind in SBT kann ein Wert, z. B. Kreativität, Freundschaft oder
die persönlichen Werte der Patienten. Sie lassen Kampf, ausgewählt werden. Die Auswahl richtet
1.3 · Kognition, Embodiment und Interventionsmethodik
11 1
sich danach, welche Orientierung und Haltung Pa- ziele zu formulieren, die sie in einem Maße bean-
tienten durch eine bestimmte Problemsituation, spruchten, dass sie die Angst noch in achtsamem
etwa die anstehende Klärung der Partnersituation, Gewahrsein halten konnte.
leiten soll. Dieser »Leitstern« definiert bezüglich Jede Veränderung ist wie eine Reise. Die Ent-
bestimmter Inhalte einer Lebensregel, z. B. öfter et- scheidung zum Aufbruch wird durch ein Ritual
was alleine zu unternehmen, einen Korridor mög- eingeleitet, das dabei hilft, sich aus den Rahmenbe-
licher, aber nicht beliebiger Verhaltensoptionen. Er dingungen des Ist-Zustandes zu lösen. Der Reise-
wirft die folgenden Fragen auf: »Auf was will ich proviant wird in Form einer geeigneten, stärken-
mich einlassen, welches Verhalten passt bei einer den, wertbezogenen Ressource vorbereitet. Er in-
Zielverwirklichung nicht zu meiner Wertorientie- tensiviert die Aufbruchstimmung und vermittelt
rung, auf was will ich mich demnach nicht einlas- Orientierung während der u. U. beschwerlichen
sen? Wie kann ich mich vor absichtsfernen Ten- Reise. Darüber hinaus ist eine Reise nur gut vorbe-
denzen schützen?« Eine Werteaffirmation stärkt für reitet, wenn ein tauglicher Reiseplan zur Verfügung
den Einstieg in jede Therapiestunde bzw. für das steht. Diese Metapher steht für einen Verhaltens-
Anpacken belastender Themen. plan der Zielrealisierung (wann, wo, wie, mit wem).
Unsere Patientin benötigte zusätzlich noch ein
Behaviorale Therapie Wirkliche Verhaltensände- Skillstraining aus dem Bereich selbstsicherer Ver-
rung wird nur durch die Möglichkeit neuer Erfah- haltensweisen, z. B. angemessene Gesprächsfüh-
rungen gebahnt. Deshalb bezieht sich dieser Bau- rung im Arbeitskontext, Wünsche äußern, Grenzen
stein des Therapieprozesses auf die Entwicklung setzen usw. Eine Reisende ist nur dann wirklich gut
und Erprobung von Handlungsplänen. Diese rich- vorbereitet, wenn der Reiseplan auch mögliche
ten sich inhaltlich an der Überlebensstrategie aus, Zwischenfälle und Fehlschläge mit einbezieht. Not-
d. h., Patienten sollen Handlungspläne entwickeln, wendigkeit und Verbindlichkeit einer realitäts-
mit deren Hilfe sie – zunächst in kleinen Schritten nahen Vorbereitung werden dadurch noch stärker
– gegen die Überlebensstrategie verstoßen bzw. ge- in den Vordergrund gerückt. Schließlich führen
mäß ihrer Lebensregel handeln (Hauke, 2010). Schwelgen oder Grübeln unabhängig von den
Auch wenn dabei häufig fehlerhafte Überzeu- realen Erfolgschancen zu nur mäßig verbindlichen
gungen und Glaubenssätze zur Sprache kommen, Zielen (Oettingen & Gollwitzer, 2010). Der Lern-
so steht die Veränderung solcher kognitiven Inhalte erfolg innerhalb solcher Projekte wird noch gestei-
nicht so sehr im Vordergrund. SBT folgt damit ver- gert, wenn das Ergebnis gemeinsam ausgewertet
schiedenen Ansätzen der dritten Welle Verhaltens- und gewürdigt wird. Hier wird nochmals der er-
therapie (z. B. Teasdale, 1999; Hayes, 2004; Kohlen- lebte Zugriff der Überlebensstrategie eingeschätzt
berg, 2004). Statt einer Veränderung kognitiver und daraufhin eventuell erneut die Vorbereitung
Inhalte wird eher auf eine achtsame Haltung gegen- für ein weiteres Experiment optimiert.
über diesen Inhalten gesetzt. Konkretes Handeln
vermittelt neue Erfahrungen, das dadurch nach
und nach zu einer Neueinschätzung der Überle- 1.3 Kognition, Embodiment
bensstrategie führt. Dies sagt in hohem Maß den und Interventionsmethodik
Therapieerfolg voraus (Hebing, 2011). Um neue Er-
fahrungen zu ermöglichen müssen zunächst hand- Klassisches Setting in den meisten Therapien ist,
lungswirksame Ziele ausformuliert werden, die dass man sich einander gegenüber sitzt und mitein-
Lebensstrategie gibt dazu thematische Korridore ander spricht. SBT erweitert diesen Rahmen. Pati-
vor. Die Umsetzung dieser Ziele geschieht inner- ent und Therapeut erheben sich auch öfters aus
halb gemeinsam konstruierter Veränderungspro- dem Sessel, suchen gemeinsam Darstellungen im
jekte. So benannte die Patientin als erstes Projekt Raum und körperliche Ausdrucksformen nicht nur
die Äußerung von Unzufriedenheit und Ärger im für problematische Situationen, sondern auch für
Rahmen von Mitarbeitergesprächen. Angesichts Zielrealisationen. Ebenso kann ein bislang vages
ihrer massiven Ängste waren zunächst Zwischen- oder unklares Verstehen eines Befindens durch Po-
12 Kapitel 1 · Strategisch Behaviorale Therapie (SBT)

sitionieren und Bewegen des Körpers im Raum ge- schen Wahrnehmung und Handeln, also auch zwi-
1 klärt und erfasst werden. Unsere Patientin wechsel- schen sensomotorischen und kognitiven Prozessen,
te z. B. zwischen den beiden Positionen »Stehen auf aufgehoben werden muss (Svensson et al., 2007).
dem Stuhl« und »Stehen vor dem Stuhl« langsam Denken, Verstehen und Fühlen greifen offenbar auf
hin und her. Dies brachte ihre Verfassung sofort auf Gehirnregionen zurück, die auch beim entspre-
den Punkt: »Ich mache mich ständig klein, so dass chenden Handeln in einer konkreten Situation ak-
andere irgendwie immer größer sind!« Gleichzeitig tiv sind. Wird mir die Aufgabe gestellt, das Ergrei-
erkannte sie, dass eine Vorgesetzte – metaphorisch fen eines Glases vorzustellen, so werden dabei jene
gesprochen – meist »größer« als ihre Angestellten neuralen Strukturen aktiviert, die auch beim kon-
sein muss. Mit Hilfe von Instruktionen zur Einstel- kreten Handeln, also beim Ausstrecken von Arm
lung von Mimik, Gestik und Atem können Andeu- und Hand sowie dem Berühren und Umfassen des
tungen vielleicht bislang vermiedener, spezifischer Glases, aktiv werden. Das Gleiche passiert auch,
Emotionen intensiviert und erlebbar gemacht wer- wenn dieser Vorgang von mir lediglich beobachtet
den. Bei der Patientin ging es um die Emotion Är- wird (Gallese & Lakoff, 2005).
ger bzw. Wut. Wesentliche Aussage der Forschergemeinde der
Wertvolle Impulse für ein erlebnisorientiertes »embodied cognition« ist, dass während des Ver-
Vorgehen kamen schon immer von den sog. huma- stehens kognitiver Konzepte, z. B. jenes der Emo-
nistischen Therapieformen wie z. B. Gestalttherapie tion Ärger, der Konzepte von Autorität, von Nähe
(z. B. Zinker, 2005), Psychodrama (Ameln et al., usw., eine mentale Simulation stattfindet. Also
2009) und auch von verschiedenen Formen der Wiederherstellung der Erfahrung mit Hilfe senso-
Körpertherapien (Marlock & Weiss, 2006). SBT ist motorischer Assoziationsbereiche, wenn ich ver-
eine Verhaltenstherapie. Nicht nur die Fallkonzep- suche, etwas zu begreifen oder klar zu machen?
tionen, sondern auch die Durchführung erlebniso- Nach Barsalou (2008), einem führenden Simulati-
rientierter Übungen werden durchgehend geleitet onstheoretiker, trifft dies zu. Er sieht Simulation als
durch bedingungs- und funktionsanalytisches eine Wiederherstellung perzeptiver, motorischer
Denken. Hiermit ähneln sie anderen Verfahren der und introspektiver Zustände, die während der kör-
dritten Welle Verhaltenstherapie (z. B. Hayes & perlichen Anwesenheit in konkreten Situationen
Strohsal, 2004; Hauke & Sulz, 2010). SBT versteht bereits erworben wurden. Diese Konzeption unter-
sich dezidiert nicht als eine Form der Körperthera- scheidet sich erheblich von der klassischen Vorstel-
pie. Als kognitiv behaviorale Therapieform will sie lung, die den Verstehensprozess quasi mit dem Zu-
aber den inzwischen vom klassischen Paradigma griff zu einem abstrakten – amodalen – mentalen
abweichenden Vorstellungen von Kognition ge- Lexikon verbindet. Stattdessen erfolgt das Verste-
recht werden. hen gegenwärtiger oder vergangener Erfahrungen
Intelligente Kognition ist ohne den Körper mit Hilfe von Simulationsprozessen, wobei also auf
nicht vorstellbar (Storch, 2004; Tschacher, 2004). neuralem Wege unser sensomotorisches System ge-
Ein ständig anwachsender Korpus empirischer Be- nutzt, d. h., unser gesamter Körper einbezogen
funde belegt inzwischen, dass »körperfreie«, amo- wird. Die Interventionsmethodik in SBT soll diesen
dale Vorstellungen zu kognitiven Prozessen nicht Simulationsprozess unterstützen. Ein großer Teil
mehr haltbar sind (Überblick z. B. bei Barsalou, der praktischen Therapiearbeit findet deshalb nicht
2009; Glenberg, 2009). Die klassische Konzeption im Sitzen und auch nicht nur durch Reden statt,
von Kognition bedient sich der Computermeta- sondern bezieht den gesamten Körper, Bewegungen
pher, die das Denken als regelbasierte Manipulati- im Raum, Tasten, Mimik, Gestik, Körperhaltung,
on von abstrakten Symbolen beschreibt. Auch vor Stimme und Atem ein. Dabei sind sowohl eine
dem Hintergrund moderner bildgebender Verfah- bildhafte Sprache als auch innere Bilder – auf ihre
ren ergaben sich in letzter Zeit zunehmend be- Bedeutung habe ich vorhin bereits hingewiesen –
trächtliche theoretische und praktische Probleme wichtige Katalysatoren für diesen Simulationspro-
mit dieser Vorstellung. Wesentlich war u. a. die Er- zess. Patienten werden deshalb auch häufig zum
kenntnis, dass die traditionell starke Trennung zwi- Malen oder Darstellen angeregt und gelangen auf
1.3 · Kognition, Embodiment und Interventionsmethodik
13 1
diesem Wege zu einer rascheren Versprachlichung reduziert hat. Obwohl es keine signifikanten Unter-
des Erlebten. schiede zwischen den Gruppen gab, deuten die Ef-
fektstärken im kleinen bis mittleren Bereich darauf
jErgebnisse der empirischen Untersuchung hin, dass die vollständig remittierten Patienten zum
zur Wirksamkeit von SBT (Hebing, 2011) Zeitpunkt der Abschlussmessung tendenziell die
Im Vergleich zu einer unbehandelten Wartegruppe größten Veränderungen bezüglich der Rigidität der
wies die Therapiegruppe zur Zwischenmessung so- Überlebensstrategie im Vergleich zu den anderen
wohl eine Reduktion der allgemeinen und diagno- Gruppen aufweisen. Dieser Befund weist darauf
sespezifischen psychischen Belastung im Selbst- hin, dass eine Abschwächung der Überlebensstra-
und Fremdurteil auf als auch deutlich positive Ef- tegie mit einer Abnahme der Symptombelastung
fekte in Bezug auf die von den Patienten subjektiv einhergeht und betont, wie wichtig die Arbeit an
empfundene Veränderung des Erlebens und Ver- der Überlebensstrategie für einen positiven Thera-
haltens und die Anzahl an Krankschreibungen auf- pieverlauf ist. Dieses Ergebnis wird von anderen
grund psychischer Beschwerden. Studien gestützt, die untersucht haben, welchen
Die Effektstärken lagen dabei im hohen bis sehr Einfluss die Änderung von kognitiv-affektiven
hohen Bereich. Die gefundenen Effektgrößen sind Mustern – ähnlich der Überlebensstrategie – auf
vergleichbar mit Effektstärken aus Metaanalysen, den Therapieerfolg haben. Beispielsweise sagen
welche die Wirksamkeit ambulanter psychothera- Studien zur Rolle von »pathogenic beliefs« (z. B.
peutischer Interventionen im Vergleich zu unbe- Curtis et al., 1994; Silberschatz et al., 1993) aus,
handelten Kontrollgruppen am Ende einer Thera- dass Therapieerfolg in erster Linie auf einer Verän-
pie beurteilt haben (Lambert & Ogles, 2004). Diese derung von dysfunktionalen Gedanken beruht.
geben ebenfalls Effektstärken im mittleren bis sehr Studien, die sich mit der von Grawe (1998) ent-
hohen Bereich an. wickelten Konsistenztheorie und der Rolle von
Es konnte ebenfalls gezeigt werden, dass die Vermeidungsschemata in Bezug auf Therapieerfolg
SBT auch zum Therapieabschluss eine hohe Wirk- befasst haben, zeigen, wie wichtig die Abschwä-
samkeit bei der vorliegenden heterogenen Patien- chung dysfunktionaler Schemata für den Erfolg ei-
tenstichprobe aufweist und im Vergleich zur Zwi- ner Verhaltenstherapie ist. So konnten beispiels-
schenmessung sogar noch weitere Verbesserungen weise Berking et al. (2003) zeigen, dass es bei er-
erzielt werden konnten (z. B. entsprechend BSI, folgreichem Therapieabschluss zu einer Normali-
VEV) mit Effektstärken im kleinen bis hohen Be- sierung bzw. Entpathologisierung des FAMOS-
reich (g=0.27 bis g=1.00). Wie in der Literatur be- Profils (Fragebogen zur Analyse Motivationaler
schrieben (Kopta et al., 1994), weisen die Ergeb- Schemata) kommt.
nisse darauf hin, dass in den ersten Therapiesit-
zungen in der SBT verglichen mit späteren Sit-
zungen ein höherer Anteil an Verbesserung erreicht
wird. Die Ergebnisse zur Katamnesemessung sind
stabil oder es gibt sogar noch leichte Verbesse-
rungen.
Patienten stufen die einzelnen Aspekte der
Überlebensstrategie sowohl nach Abschluss der
Therapie als auch zum Katamnesezeitpunkt als si-
gnifikant (p<.001) weniger rigide ein. Die SBT ist
demnach im wesentlichen Therapieziel – der Ab-
schwächung von Rigidität der Überlebensstrategie
– höchst erfolgreich verlaufen.
Weiterhin wurde gezeigt, dass sich in der Grup-
pe der »klinisch bedeutsam verbesserten« Patienten
die Rigidität der Überlebensstrategie am stärksten
15 2

Wie werden Ziele erreicht?


Selbstregulation, Achtsamkeit
und ein wenig Kybernetik

2.1 Elementarer Baustein der Selbstregulation:


Feedbackschleife – 16

2.2 Identität und Berührung – 17

2.3 Verführung misslingt und Selbstbild wackelt:


Zieldiskrepanz und Selbstaufmerksamkeit – 20

2.4 Gebote und Verbote: Überlebensstrategie


und Selbstregulation – 21

2.5 Von versklavter Aufmerksamkeit zu mehr Achtsamkeit – 22

2.6 Achtsamkeit unterstützt einen günstigen Selbstfokus – 24

2.7 Bedeutung von Emotionen für die Selbstregulation – 25

2.8 Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg …? – 26

2.9 Ertrag: Grundlegende Strategien


für die therapeutische Praxis I – 27

G. Hauke, Strategisch Behaviorale Therapie (SBT),


DOI 10.1007/978-3-642-29730-4_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
16 Kapitel 2 · Wie werden Ziele erreicht?

Die Strategisch Behaviorale Therapie (SBT) be- terstützende Funktion des Willens ist das Realisie-
schreibt das Handeln, das zur Bedürfnisbefriedi- ren von Zielen in der Therapie nicht möglich. Des-
gung führen soll, als einen Prozess der Selbstregu- halb wird das Setzen von Zielen deutlich abgegrenzt
2 lation. Sie hilft bei der Zielverfolgung entspre- gegen das Umsetzen von Zielen.
chende Gedanken und Gefühle, Impulse und Fer-
tigkeiten so aufeinander abzustimmen, dass Be-
dürfnisse nach Möglichkeit wenigstens minimal 2.1 Elementarer Baustein
befriedigt werden können. In diesem Kapitel wer- der Selbstregulation:
den dazu einige grundlegende Konzepte eingeführt, Feedbackschleife
die auch für das praktische Arbeiten mit SBT we-
sentlich sind. Ihre Vertiefung und Ausdifferenzie- Es lohnt sich, psychologische Prozesse im Rahmen
rung ist dann den nachfolgenden Kapiteln vorbe- einer theorie- und schulenübergreifenden Sicht-
halten. Sie erklären, wie das Handeln aufgebaut ist, weise, die ihre Wurzeln in der Kybernetik hat, zu
und wie Ziele realisiert werden. Dabei wird die für beschreiben. Auf der Basis der grundlegenden Ar-
uns wichtige Unterscheidung zwischen Haltungs- beiten des Neurophysiologen Powers (1973) haben
zielen und Handlungszielen zu treffen sein. Bei Charles Carver und Michael Scheier (1990, 1998)
Haltungszielen kann es sich um persönliche Werte eine Theorie der Selbstregulation entworfen, die
handeln, Handlungsziele beziehen sich auf die Be- sich verschiedensten Fragestellungen psycholo-
friedigung von Bedürfnissen. gischer Spezialdisziplinen und dabei insbesondere
Erweisen sich entsprechende Verhaltensweisen auch der klinischen Psychologie anzunehmen ver-
längerfristig für die Bedürfnisbefriedigung als er- mag. Die Darstellung dieses Ansatzes beginnt mit
folgreich, so verläuft deren Regulation irgendwann der Grundannahme, dass jegliches menschliche
automatisch. Ganz im Interesse einer Energieer- Verhalten zielorientiert ist und damit auch der Be-
sparnis, ist die Aktivierung von bewusster Auf- friedigung basaler Bedürfnisse oder Motive dient.
merksamkeit dann meist nicht mehr erforderlich. Hier kommt die Feedbackschleife ins Spiel. Sie re-
Gleichzeitig stellt die Mühelosigkeit solcher auto- präsentiert die kleinste Einheit des Selbstregulati-
matisierten Abläufe eine der größten Herausforde- onsprozesses.
rungen in der Therapie dar, wenn es um die Verän- Ständig sind Menschen damit beschäftigt, et-
derung problematischer Verhaltensweisen geht. So was zu tun. Wir planen irgendwelche Vorhaben,
setzt das Erreichen von Therapiezielen die Aktivie- lösen Probleme und erledigen Aufgaben. Dabei
rung von Aufmerksamkeit voraus: Das neue Ver- müssen wir aber wissen, wo wir hinwollen, ansons-
halten muss ausprobiert und aufmerksam umge- ten kommen wir nicht zum Ziel. Nur wenn eine
setzt werden, dabei darf sich die Person nicht den klare Zielsetzung besteht, dann können Verhalten
bisherigen Tendenzen und Versuchungen überlas- und Energien derart eingesetzt werden, dass am
sen. Ende unsere Bemühungen erfolgreich sind. Der
Hier wird dem Konzept der Aufmerksamkeit Ansatzpunkt für diese Bemühungen, sozusagen der
eine zentrale Rolle zugewiesen. Insbesondere die Start, wird als Ist-Wert, das Ziel wird als Soll-Wert
Lenkung der Aufmerksamkeit durch Achtsamkeit bezeichnet. Während des Prozesses der Zielannä-
kann die Selbstregulation auf dem neuen Weg in herung lassen sich aufgrund verschiedener Merk-
entscheidender Weise unterstützen. Weiterhin male, Hinweise und Signale, Schlüsse daraus ablei-
kann es in manchen Fällen erforderlich sein, auch ten, wie es um die Zielrealisierung bestellt ist.
auf einen Abgleich mit dem Selbstbild und den per- Dieses Feedback dient der Kontrolle eines Hand-
sönlichen Werten zu achten, damit man sich mit lungsverlaufes und wird deshalb auch als Feed-
seinem Handeln gut fühlt. Jeder Mensch verfügt backkontrolle bezeichnet.
über seine besondere Art und Weise, sich wieder Die besondere psychologische Qualität dieser
ins innere Gleichgewicht zu bringen bzw. sich darin Feedbackschleife wird deutlicher, wenn wir den
zu halten. Emotionen dienen dabei als Melder und höchst subjektiven Aspekt der Wahrnehmung in
als Handlungsaktivierungssysteme. Ohne die un- unsere Überlegungen mit einbeziehen. Ein Ist-Wert
2.2 · Identität und Berührung
17 2
muss zunächst in Bezug auf unterschiedlichste nicht so sehr aufgrund isolierter Einzelziele, son-
Qualitäten gespürt, gefühlt, gesehen, empfunden, dern mit Hilfe von Zielhierarchien zu beschreiben.
d. h. in Bezug auf unterschiedliche Merkmale Damit stehen auch mehrere Feedbackschleifen in
wahrgenommen werden. Dabei kommt es natür- hierarchischer Beziehung zueinander. Dies soll mit
lich auch vor, dass bestimmte Aspekte systematisch Hilfe von . Abb. 2.1 erklärt werden.
nicht wahrgenommen oder gar ignoriert werden. Ihre Betrachtung ist aufschlussreich und ver-
Dieser Wahrnehmungsprozess hängt eben auch mittelt uns das Gefühl, das beschriebene Verhalten
von den spezifischen Eigenarten der Person ab, der Frau noch besser zu verstehen, denn das Ziel,
z. B. ihren Vorlieben und Abneigungen. Nähe herzustellen, wird in diesem Netzwerk auch
Im Endeffekt dient diese subjektive Wahrneh- noch von weiteren Zielen beeinflusst. Weiterhin
mung jedenfalls als Ist-Wert, der mit einem Refe- zeigt . Abb. 2.1 unterschiedliche Soll-Werte, die
renzwert, dem Soll-Wert, verglichen wird. Falls hierarchisch organisiert sind, wobei der Abstrakti-
notwendig, wird Verhalten ausgelöst, das den Ist- onsgrad dieser Ziele zum Haupt der Hierarchie hin
Wert in Richtung auf den Soll-Wert beeinflussen zunimmt. Wir wollen diese Zielqualitäten genauer
soll, so dass im Ergebnis erkennbar und spürbar untersuchen. In der Zielhierarchie sind die unteren
der Zustand entsteht, den die Person anstrebt. Die Ebenen eher konkret ausgerichtet, z. B. »anfassen,
Funktion der Feedbackschleife soll durch ein Bei- berühren«, »den Körper öffnen« und dabei die
spiel verdeutlicht werden. Stimme warm und verführerisch modulieren. Kon-
kret bedeutet hier, dass ein Ziel sichtbar und greif-
Fallbeispiel bar präsent ist und im Hier und Jetzt realisiert wird.
Eine 44-jährige Frau sehnt sich nach Nähe zu ihrem Die Aufmerksamkeit ist dabei auf die sensorischen
Partner. Dieser Zustand repräsentiert ihren Ist-Wert. Details der intimen Handlung fokussiert. Auf die-
Ihr Soll-Wert besteht in einem vitalisierenden Gefühl ser Ebene wird nicht über den Sinn des Lebens phi-
der Intimität und des Gesehenwerdens, das sich im- losophiert, das Denken ist hier eher eng und linear
mer dann einstellt, wenn er ihr auch körperlich nahe und bezieht sich auf einfache Zusammenhänge, wie
ist. Diese gefühlte Diskrepanz zwischen Soll- und Ist- »jetzt würde ein Glas Champagner passen!«
Wert löst bei ihr Verhalten aus und veranlasst sie Diese Fokussierung im Hier und Jetzt auf sen-
schließlich, ihn in der Arbeit anzurufen. Während des sorische Details findet sich z. B. auch bei jeman-
Telefonats spürt sie schon, dass sich alles in die ge- dem, der gänzlich darin vertieft ist, ein Werkzeug
wünschte Richtung entwickelt. Sie stellt ihm einen zu handhaben, ein Videospiel zu spielen, bewusst
hocherotischen Dämmerschoppen in Aussicht, wenn zu atmen oder zu kauen. Hier steht das »Wie« im
er sein Training sausen lässt und stattdessen gleich Zentrum der Aufmerksamkeit. Wenden wir uns
nach Hause kommt. Begeistert stimmt er zu und so- nun den oberen Bereichen der Zielhierarchie zu.
fort fühlt sie sich wieder innerlich ausgeglichen. Die Hier sind abstraktere Soll-Werte, wie z. B. »ero-
Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Wert ist nun zu- tische, anziehende Frau« oder »Weiblichkeit« ge-
nächst einmal ausgeglichen. nannt. Abstrakt bedeutet hier, dass hier eine be-
schreibende Klasse bzw. ein Konzept gemeint ist
und dass die Details des konkreten Einzelfalls, des
2.2 Identität und Berührung unmittelbaren, sinnlich Wahrnehmbaren, hier
nicht relevant sind. Eine »erotische, anziehende
Obwohl mit der eben beschriebenen Feedback- Frau« sein bezeichnet ein Selbstbild, eine Identität,
schleife schon wichtige psychologische Aspekte ab- legt aber weder genaue Merkmale noch Details be-
gebildet werden, lässt sich unser Beispiel aber auch stimmter Handlungen oder Ausführungsweisen
noch differenzierter betrachten. Meist werden fest. Das geschieht eben erst, wenn man sich in
Menschen gleichzeitig durch mehrere Ziele gesteu- . Abb. 2.1 nach unten bewegt. Anders als bei den
ert. Eine einzige Feedbackschleife allein wird der konkreten Details einer Handlung beziehen sich
Komplexität menschlichen Handelns kaum ge- Denkprozesse in Zusammenhang mit abstrakten
recht. Es hat sich daher eingebürgert, das Verhalten Soll-Werten auf breitere Implikationen des Han-
18 Kapitel 2 · Wie werden Ziele erreicht?

Erotische,
anziehende
Frau

2
erotische
Sexualität Weiblichkeit
Neugier

Bedürfnisse Nähe
sich Grenzen
zeigen herstellen verführen
präsentieren testen

anschauen Körper Stimme anfassen tiefer Blick


zuwenden öffnen modulieren berühren atmen ausrichten

. Abb. 2.1 Eine Zielhierarchie

delns. Welche Bedeutung hat z. B. mein Selbstbild Selbstbild, gesehen wird. Dabei werden Ereignisse
als erotische und anziehende Frau für mich und und Erfahrungen miteinander vernetzt und mit
meine Umgebung und – noch breiter gedacht – für den Soll-Werten, über die sich das Selbst definiert,
die Bewegung emanzipierter Frauen? Hier spielt in Beziehung gesetzt.
nicht so sehr das »Wie«, sondern eher das »Wa- Dieser Konstruktionsprozess dient auch der
rum« einer Handlung die wesentliche Rolle. Sinnstiftung (Schmitz & Hauke, 1993, 1994, 1999;
Ein Selbstbild ist auch das Ergebnis einer Lern- Heine et al., 2006). Dementsprechend ist das Den-
geschichte, gleichzeitig bezieht es sich darauf, wie ken hier eher »vernetzt« und nicht linear. Die Pfeil-
sich jemand die Zukunft vorstellt. Somit werden richtungen in . Abb. 2.1 suggerieren eine Wirkung
auf der Ebene abstrakter Soll-Werte vergangene, von oben nach unten. Der abstrakteste Soll-Wert
gegenwärtige und zukünftige Aspekte miteinander wird durch das ideale Selbstbild, eine »erotische,
in Beziehung gesetzt. Damit ist das konkrete Ereig- anziehende Frau« sein zu wollen, repräsentiert. Der
nis der erotischen Begegnung in einen breiten Kon- Output für die nächste Ebene ist dann deren Soll-
text eingebettet, auch wenn dies in dem Moment Wert: sich eben so zu orientieren, dass sie dem
der vitalisierenden sinnlichen Begegnung norma- idealen Selbstbild entspricht. Dies kann durch ent-
lerweise nicht bewusst reflektiert wird. So ergibt sprechende Wertorientierungen realisiert werden,
sich die genauere Bedeutung einer mit den Fingern wie z. B. Weiblichkeit, Sexualität und erotische
ausgeführten Berührung im vorliegenden Beispiel Neugier. Damit ist wieder der Output für die dar-
etwa aus dem Selbstbild. Das konkrete Handeln unter liegende Ebene definiert, nämlich so zu han-
dient der Stärkung und Bestätigung des Selbstbil- deln, dass man den bevorzugten Einstellungen und
des. Damit wird deutlich, dass ein bestimmtes be- Werten entsprechen kann, z. B. »Bedürfnisse zei-
obachtbares Verhalten nur angemessen gewürdigt gen«, »Nähe herstellen«, »verführen« usw. Schließ-
werden kann, wenn seine Einbindung auch in den lich müssen auf der zuunterst dargestellten Ebene
Kontext abstrakter Konzeptionen, wie z. B. dem diese Vorhaben mit Hilfe von Verhaltenssequenzen,
2.2 · Identität und Berührung
19 2
ausgeführt werden, z. B. »Körper öffnen«, »Stimme bare Handlung auf unterschiedlichen Abstrakti-
modulieren«, »anfassen, berühren« usw. Dabei fin- onsebenen definiert werden kann: Sie definiert, wer
det die Feedbackkontrolle simultan auf allen Ebe- ich in einem bestimmten Moment bin, welchen
nen statt. Werten ich dabei Ausdruck verleihen will, welchen
Die Darstellung von vier Hierarchieebenen in Plan ich zu diesem Zweck auswähle und wie ich ihn
. Abb. 2.1 ist nicht zufällig. Sie wurden von Carver umsetze. Abstraktere Ziele werden von Carver &
& Scheier (1998) eingeführt und stehen für wich- Scheier (1981) als »Be-Goals« beschrieben, sie
tige psychologische Konzeptionen: kennzeichnen die Wünschbarkeit, eine Haltung,
1. Systemkonzepte: Sie definieren das »Gesamt- fokussieren auf persönlich Wesentliches und Wert-
system« und bilden deshalb das Haupt der volles (eine erotische, anziehende Frau sein, weib-
Hierarchie, z. B. das Selbstbild oder die Identi- lich sein). Sie werden genannt, wenn man Men-
tät einer Person wie z. B. »eine erotische, anzie- schen fragt »Warum tust du das?« Wir wollen sie
hende Frau«. für unsere Zwecke in deutscher Sprache als Hal-
2. Prinzipien: Sie werden durch Soll-Werte defi- tungsziele bezeichnen. »Do-Goals« spezifizieren
niert, die festlegen, auf welche Weise man das konkrete Verhaltensschritte, Details, konkretes Tun
Idealselbst sein will, z. B. »erotisch neugierig«. (verführen, Körper öffnen) und fokussieren eher
Diese Ziele spezifizieren Eigenschaften im auf die Frage «Wie tust du das?« Solche Ziele be-
Sinne eines Metaskripts. Solche leitenden Prin- zeichnen wir als Handlungsziele. Die konkrete
zipien werden etwa durch persönliche Werte Handlungsausführung ist wiederum über Feed-
vorgegeben. backschleifen mit den übergeordneten, abstrakte-
3. Programme: Sie legen einen allgemeinen ren Soll-Werten verbunden. Ein bestimmter Kör-
Handlungsverlauf fest, z. B. »Nähe herstellen«. perzustand (Haltung, Bewegung, Mimik, Gestik
Details bleiben auf dieser Ebene noch unspezi- etc.) wirkt auf alle darüber liegenden Ebenen zu-
fiziert. Dies lässt Raum für Entscheidungen und rück. Könnte man also durch willkürliche Einstel-
die Anpassung an situationsspezifische Um- lung solcher körperbezogenen Parameter, diese
stände. Aufwärtsrichtung wird als Bottom-up-Aktivierung
4. Sequenzen: Auf dieser Steuerungsebene ist be- bezeichnet, das momentane Selbstkonzept beein-
reits ein Handlungsverlauf spezifiziert und flussen? Diese therapeutisch wesentliche Option
durch Ziele der sensomotorischen Kontrolle berührt den Themenkreis des Embodiment und
festgelegt, z. B. den Körper öffnen, die Stimme wird ausführlich in 7 Kap. 5 vertieft.
modulieren. Schematisch ist dies in . Abb. 2.2 Fortschritte in Bezug auf die übergeordneten
dargestellt; verwendet wurde dabei die Sprache Ziele kann an den Fortschritten in den nachgeord-
der Verhaltenstherapie (Hauke, 2010b). neten Ebenen beurteilt werden. Das Einbinden
möglichst vieler einzelner Ziele in Zielhierarchien
Solche Zielhierarchien sind inzwischen in unter- sorgt auch – wenn die Organisation gut ist – für
schiedlichen psychologischen Forschungsdiszipli- Flexibilität, weil ein übergeordnetes Ziel dann über
nen fest etabliert (Carver & Scheier, 1981; Vallacher mehrere alternative Stränge realisiert werden kann.
& Wegner, 1987; Cropanzano et al., 1993; Baumeis- Solche alternativen Stränge existieren nur, wenn je-
ter, 1999; Schmitz & Hauke,1993; Trope & Liber- mand genügend Erfahrungen, z. B. mit der Herstel-
man, 2003; DeShon & Gillespie, 2005; Hauke 2006a; lung erotischer Nähe, sammeln konnte. Ein für die
Storch, 2009). Manche Konzeptionen unterschei- Selbstdefinition wichtiges, abstrakteres Ziel ist so-
den sich etwas in Anzahl und Benennung der Hier- mit sicherer realisierbar. Es gibt dann nämlich
archieebenen. Der gemeinsame Nenner besteht je- mehrere Wege, um es zu verwirklichen. Das kon-
doch darin, dass der Abstraktionsgrad der Ziele kret beobachtbare Verhalten erzeugt schließlich ein
vom Haupt der Hierarchie bis zu den unteren Ebe- Feedback, das im günstigen Falle neben den Hand-
nen hin abnimmt. lungszielen auch die Haltungsziele stärkt und be-
Das Bedeutsame an einer solchen Handlungs- stätigt.
konzeption ist, dass offensichtlich jede beobacht-
20 Kapitel 2 · Wie werden Ziele erreicht?

Identität: Wer bin ich,


wer will ich sein?
2 Haltungsziele
Werthaltung: Was ist mir
dabei wichtig?

Verhaltenspläne: Wie kann ich die


gewünschten Ergebnisse erzielen? Handlungsziele

Verhaltenssequenzen: Welche Schritte sind


dafür notwendig?

. Abb. 2.2 Eine alternative Darstellung der Zielhierarchie. Haltungsziele wirken auf Handlungsziele ein

2.3 Verführung misslingt keit bezeichnete Prozess richtet sich dann auf die-
und Selbstbild wackelt: jenige Kontrollebene, auf der hinsichtlich der Pas-
Zieldiskrepanz sung besondere Probleme auftreten, z. B. auf ein
und Selbstaufmerksamkeit vielleicht zu rasches Herstellen von Nähe. Ein ent-
sprechendes Verhalten, z. B. Reduzierung der kör-
Sobald es der Frau in unserem Beispiel gelingt, in perlichen und psychischen Annäherung, kann als
Übereinstimmung mit ihrem Selbstkonzept als an- ein Mittel betrachtet werden, Diskrepanzen zwi-
ziehende, erotische Person eine Haltung der ero- schen Soll- und Ist-Wert zu beseitigen und doch
tischen Neugier einzunehmen, dabei Nähe herstellt noch Passung mit Soll-Werten der verschiedenen
und dies z. B. mit zärtlichen Blicken und sanften Ebenen zu erzeugen, auf den konkretesten Ebenen,
Berührungen realisiert, kann sie aufgrund ihrer z. B. durch Ausprobieren alternativer Strategien, fes-
Wirkung auf den Partner registrieren, inwieweit ih- terer oder sanfterer Berührungen. Bleibt das Hin-
re Soll-Werte dabei bedient werden. Stößt sie mit dernis trotz solcher Bewältigungsversuche beste-
ihren Bemühungen jedoch auf ein Hindernis, z. B. hen, so entsteht zunehmend Stress. Die Erfahrung,
wenn der Partner keine Anzeichen von Erregung dem Einfluss der Stressoren nicht erfolgreich be-
zeigt, so ist der Verhaltensstrom erst einmal blo- gegnen zu können, lässt nun ein problematisch er-
ckiert. Eine Diskrepanz zwischen Soll- und Ist- höhtes Niveau an Selbstaufmerksamkeit entstehen.
Wert hat sich aufgetan; die Zielerreichung ist plötz- Warum erschwert dieser etwas bohrende Selbst-
lich schwierig geworden. Sollte ein ernsthaftes Hin- fokus ein funktionales Verhalten? Es findet dabei
dernis nun tatsächlich die Zielerreichung gefähr- eine verstärkte Wahrnehmung von Diskrepanzen
den, so wird dies durch Gefühle von Verunsiche- auf der Ebene bedeutungshaltiger, abstrakterer
rung, Frustration oder Angst signalisiert (Carver & Soll-Werte statt, z. B. zwischen dem Selbst-Ideal ei-
Scheier, 1990). Diese negativen Gefühle sorgen für ner anziehenden Frau und dem wahrgenommenen
eine Verschiebung der Aufmerksamkeit auf das Real-Selbst. Ist diese Diskrepanz negativ, so ent-
Selbst (Green et al., 2003; Mor & Winquist, 2002). steht zunehmend negativer Affekt verbunden mit
Diese Wendung zum Selbst kann zunächst einer massiven Tendenz zur internalen Attribution
funktional sein: »Was ist los? Ich wirke hier wohl (Hamilton et al., 1993). Zunächst kann dies im In-
nicht erotisch und anziehend.« Sie hilft der Person teresse einer Zielrealisierung durchaus günstig sein,
dabei, sich des eigenen Zustandes und ihrer Motive da die Verfügbarkeit selbstrelevanter Informatio-
gewahr zu werden. Dieser als Selbstaufmerksam- nen, sowie die Genauigkeit der eigenen Selbstwahr-
2.4 · Gebote und Verbote: Überlebensstrategie und Selbstregulation
21 2
nehmung erhöht werden (Hamilton et al., 1993). Es viele weitere Haltungs- und Handlungsziele. Damit
kann aber auch passieren, dass die Person diesen ist sie in der Lage, sich auf verschiedenste Situati-
Zustand selbstfokussierter Aufmerksamkeit nicht onen mit unterschiedlichster erotischer Tönung
mehr verlassen kann. Ihre Aufmerksamkeit bleibt einzulassen. Grundsätzlich kann mit Hilfe einer
sozusagen an der wahrgenommenen Diskrepanz differenzierten Zielpyramide ein bestimmter Soll-
kleben. Sie kann nicht mehr aufhören über das ent- Wert über viele verschiedene Stränge verwirklicht
sprechende Problem nachzudenken. Grübeleien werden.
und Gedankenspiralen sind die Folge. Psychische Probleme hängen sehr oft mit einem
Diese ungute Form der Selbstaufmerksamkeit begrenzten oder einseitigen Verhaltensrepertoire
kann Vermeidungsmotive und bei manchen Per- zusammen, was sich in der Zielhierarchie in einer
sonen auch dysfunktionale Versuche zur Kontrolle drastischen Verringerung der Anzahl möglicher
der eigenen Kognitionen, z. B. Gedankenunterdrü- Verhaltensstränge ausdrückt. Wenn z. B. die Frau
ckung, auslösen, die jedoch leicht fehlschlagen und in unserem Beispiel keine klare Haltung zu ihrer
noch mehr Selbstaufmerksamkeit hervorrufen Weiblichkeit hat, ihr ihre Weiblichkeit nicht als ge-
können (Wells & Matthews, 1994; Wegner, 1994). fühlter Wert präsent ist, dann entsteht ein ganz an-
Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer deres Bild der erotischen Annäherung. Grundsätz-
dysfunktionalen Form der Selbstaufmerksamkeit. lich erlaubt eine »ausgedünnte« Zielpyramide nur
Sie ist nicht nur typisch für Depressionen und ge- eine minimierte Bedürfnisbefriedigung. In solchen
neralisierte Angststörungen, sondern auch für eine Fällen taugen dann auch nur relativ wenige Situati-
ganze Reihe weiterer psychischer Probleme (Hoyer, onen zur Bedürfnisbefriedigung, viele andere müs-
2000). sen gemieden werden. Menschen, die ihre Grund-
Im Gegensatz dazu zeichnet sich die funktio- bedürfnisse nicht ausreichend befriedigen können,
nale Selbstaufmerksamkeit dadurch aus, dass man sind für psychische Erkrankungen anfälliger. Um
den selbstfokussierten Zustand wieder verlassen wenigstens einigermaßen im inneren Gleichge-
kann. Dadurch entsteht Flexibilität. Wenn die Per- wicht zu bleiben, entwickeln sie ein Verhaltens-
son, ihren bisherigen Soll-Wert verändern oder schema, dass wir schon in 7 Kap. 1 eingeführt und
loslassen kann, weil sie vielleicht erkannte, dass er dort als Überlebensstrategie bezeichnet haben.
grundsätzlich unrealistisch ist oder aber in dieser Selbstregulation orientiert sich dann an den Gebo-
speziellen Situation einfach nicht angemessen ist, ten und Verboten der Überlebensstrategie. Sie ist in
so ist u. U. schon das Tor zu einem erfolgverspre- der Regulationshierarchie auf der Programmebene
chenderen Lösungsweg aufgestoßen. So könnte es angesiedelt und verbindet Soll-Werte, die durch die
funktionaler und auf jeden Fall selbstwertschüt- Bedürfnisse vorgegeben werden, mit den motiva-
zender sein, wenn die Frau in unserem Beispiel et- tionalen Schemata der Annäherung oder der Ver-
wa in der Lage ist, in dieser speziellen Situation von meidung.
der Realisierung des Soll-Wertes der anziehenden, Die Menge an möglichen alternativen Verhal-
erotischen Frau vorerst abzurücken. tenssträngen wird durch die Überlebensstrategie
deutlich eingeschränkt. Ihre Gebote und Verbote
legen fest, welche Stränge überhaupt in Frage kom-
2.4 Gebote und Verbote: men. Sie wirkt innerhalb der Regulationshierarchie
Überlebensstrategie als eine Art Filter: Nur solche Verhaltensweisen, die
und Selbstregulation sich im Verlaufe der Lerngeschichte auch unter
schwierigen Bedingungen bei der Bedürfnisbefrie-
Weiter oben hatten wir schon darauf hingewiesen, digung bewährt haben, sind im Verhaltensreper-
dass eine differenzierte Zielhierarchie mit vielen toire enthalten und kommen zur Anwendung. Das
Einzelzielen für Flexibilität sorgt. . Abb. 2.1 reprä- kann auf diese Weise lange gut gehen. Probleme
sentiert nur eine mögliche Realisierung des Selbst- entstehen aber dadurch, dass z. B. mit zuneh-
konzeptes »erotische, anziehende Frau«. Eine mit mendem Alter ein immer größeres Spektrum an
ihrer Sexualität gut verbundene Frau verfügt über Situationen mit einer wachsenden Zahl von Rol-
22 Kapitel 2 · Wie werden Ziele erreicht?

lenanforderungen bewältigt werden wollen. Was kognitiven Organisation des Wissens über sich
tun, wenn die geringe Zahl an (erlaubten) Verhal- selbst. Die Person fühlt sich dadurch gut, kompe-
tenssträngen in der Zielpyramide immer weniger tent und wertvoll. Tiefergehende Diskrepanzen in
2 aktive Reaktionsmöglichkeiten zulässt? Im günsti- Bezug auf abstraktere Soll-Werte, z. B. Selbstbilder,
gen Falle werden vielleicht doch neue Verhaltens- sollen dadurch vermieden werden. Diese Art der
weisen ausprobiert. Das Verhaltensrepertoire wird Wissensorganisation wurde von Greenwald (1980)
auf diese Weise den sich verändernden Bedin- mit einem totalitären Regime verglichen. Herrscher
gungen angepasst. in diesem Reich ist unser Ego. Aufgrund seiner
Manchmal gelingt dies nicht, weil dabei zu viel speziellen Art des Umganges mit Informationen
Unsicherheit entsteht. Das Meidungsverhalten wei- wird es von Greenwald als »totalitäres Ego« be-
tet sich aus, getrieben von Angst und Stress. zeichnet. Damit beschreibt er eine Wissensorgani-
Schließlich produziert die Psyche als bestmögliche sation, die – ähnlich der Praxis in totalitären Ge-
und kreative Lösung das Krankheitssymptom. Da- sellschaften – persönliche Erfahrungen beobachtet
durch bleibt vor allem das Regulationssystem mit und aufzeichnet und schließlich mittels kognitiver
seinen bisherigen Soll-Werten unangetastet. Somit Verzerrungen eine eigene Geschichte fabriziert und
kann es in der oben beschriebenen Weise auch im- revidiert, um bestimmte Schwächen und Fehlbar-
mer wieder das bisherige Selbstbild und die damit keiten zu eliminieren. Kein Wunder, dass wir nach
verbundenen Soll-Werte bestätigen. Welche Wege Möglichkeit auch in unserem Alltag Erfahrungen
gibt es, um sich dem »Griff« des Regulationssys- vermeiden, die uns unsere Brüchigkeit, Fehlbarkeit,
tems und insbesondere den Forderungen der Über- Verletzbarkeit und nicht zuletzt auch unsere Sterb-
lebensstrategie zu entziehen? Die Macht dieser Au- lichkeit nahe legen. Wer die Gegenwart unter sei-
tomatismen lässt sich brechen durch das bewusste ner Kontrolle wähnt, erlebt auch eher ein Kontroll-
Lenken von Aufmerksamkeit. gefühl in Bezug auf die Vergangenheit und ganz
besonders hinsichtlich seiner Zukunft (Greenwald,
1980).
2.5 Von versklavter Aufmerksamkeit Wir tun viel dafür, die Art und Häufigkeit von
zu mehr Achtsamkeit Erfahrungen, auf die wir keine Antwort haben, die
schmerzlich sind und die uns hilflos machen, zu
Unsere Selbstregulation läuft weitgehend in auto- vermeiden oder herunterzuspielen. Diese Erfah-
matisierter Weise ab. Sie ist darauf ausgerichtet rungen können uns z. B. über Körperempfin-
Wahrnehmungen herzustellen, die mit den Soll- dungen, Gefühle, Gedanken und Erinnerungen im
Werten unserer Zielpyramiden übereinstimmen, Innersten berühren und lösen reflexhaft massive
um diese zu bestätigen. Dies bewahrt und stärkt Vermeidungstendenzen aus, wobei sofort Lernpro-
auch den Selbstwert der Person. Damit dies nach zesse greifen, die dabei unterstützen, nach Mög-
Möglichkeit immer gelingt, kommen verschiedene lichkeit schon die körperlichen Marker solcher Er-
Strategien der Informationsverarbeitung zur An- fahrungen antizipativ zu meiden. Hayes (2004)
wendung (Greenwald, 1980): spricht in diesem Zusammenhang von Erlebnisver-
4 Das Selbst ist egozentrisch, es sieht sich als der meidung und belegt ihre Dysfunktionalität bei ei-
Mittelpunkt von Ereignissen. ner Vielzahl psychopathologischer Symptombe-
4 Das Selbst hat die beschönigende Tendenz, sich reiche. Solche Automatismen werden in ihrer Wir-
selbst Erfolge zuzuschreiben, jedoch die Ver- kung nur ausgehebelt, wenn Bewusstsein dafür
antwortung für Fehlschläge abzulehnen. entsteht. Diskrepanzen müssen nicht ständig elimi-
4 Das Selbst ist konservativ; es zeigt Widerstand niert werden, sondern sollten als solche aufmerk-
gegen intrapsychischen Wandel und Verände- sam wahrgenommen werden. Sie liefern wichtige
rungen. Hinweise über die Realität, mit der wir uns im In-
teresse unserer Gesundheit zu befassen haben.
Solche in der Regel nicht bewussten Mechanismen Achtsamkeit unterläuft diese Tendenz zur Er-
dienen der Aufrechterhaltung einer wirksamen lebnisvermeidung. Sie bedeutet ein fortwährendes
2.5 · Von versklavter Aufmerksamkeit zu mehr Achtsamkeit
23 2
Gewahrsein von körperlichen Empfindungen, Außerdem zeigt ein erhöhtes Niveau an Selbstauf-
Wahrnehmungen, Affektzuständen, Gedanken und merksamkeit immer einen erhöhten Bedarf für
Vorstellungen, ohne diese zu bewerten, Vergleiche Maßnahmen zur Selbstregulation an und motiviert
anzustellen oder darüber nachzudenken (Gross- zum Handeln in Richtung auf Diskrepanzbeseiti-
mann, 2004; Kabat-Zinn, 2004). Die uns vertraute gung. Achtsamkeit hingegen wahrt Distanz in der
Lenkung von Aufmerksamkeit, so auch die schon Beobachterperspektive, hält die Handlungsimpulse
diskutierte Selbstaufmerksamkeit, hingegen ist aus, gibt ihnen nicht nach. Damit wird im Prinzip
nicht frei. Stattdessen wird sie von den eben be- schon das bisherige durch neues Verhalten ersetzt.
schriebenen verzerrenden Mechanismen der Infor- Anstatt den Geboten und Verboten der Überle-
mationsverarbeitung als auch von unseren kogni- bensstrategie automatisch und gewohnheitsmäßig
tiv-affektiven Konstrukten und nicht zuletzt zur zu folgen, wird mit Achtsamkeit Innehalten und
Stärkung und Bestätigung unserer Soll-Werte, un- Beobachten implementiert.
seres Selbstkonzeptes und unserer Identität verein- Aufmerksamkeit und insbesondere Selbstauf-
nahmt und in Dienst gestellt. Dies mag in manchen merksamkeit fördert ein bestehendes Regulations-
Situationen notwendig und hilfreich sein. Unter system. Wird die Aufmerksamkeit bewusst im Sin-
bestimmten Bedingungen, die z. B. mehr Flexibili- ne von Achtsamkeit eingesetzt, dann eröffnet sich
tät erfordern, kann dies jedoch fatale Konsequenzen ein hilfreicher Weg, dieses System zu verlassen.
haben.
Dieser zu Grunde liegende Automatismus der
Aufmerksamkeitsprozesse lässt sich nicht ohne Definition
weiteres verändern, aber die Person kann sich in Achtsamkeit ist
bestimmter Weise dazu positionieren! Dies ist am 4 das direkte In-Kontakt-Sein mit der Erfah-
besten zu verstehen, wenn man Achtsamkeit als ei- rung, ohne sich mit seinen Gedanken und
ne Art natürlicher Beobachtung, wobei sämtliche Gefühlen zu identifizieren,
Sinneswahrnehmungen eingeschlossen sind, be- 4 eine akzeptierende, nicht-urteilende Hal-
schreibt. Die achtsame Person beobachtet Gedan- tung, auch angesichts eigener Schwierig-
ken, Gefühle und Bilder, die in ihr aufsteigen, un- keiten und Fehler, Geduld und Offenheit in
terdrückt dieses Aufsteigen nicht, bleibt gelassen Bezug auf sich selbst und die Mitmen-
und bewertet diese Phänomene nicht. Der Strom schen,
der Gedanken, Gefühle und Bilder wird wach und 4 das Annehmen von Erfahrungen, das Sich-
aufmerksam registriert, bei freundlicher und ge- Nicht-Wehren gegen schmerzhafte und
währender Haltung sich selbst gegenüber, aber un- unangenehme Gefühle und das In-Kon-
ter Aussetzen von Bewertungen und emotionaler takt-Bleiben mit diesen Erfahrungen,
Reaktivität. Beim Abdriften, das häufig genug auch 4 die direkte Erkenntnis des ständigen Wan-
von geübten Personen erlebt wird, wird wieder die dels von Gedanken, Gefühlen und Empfin-
Position des aufmerksamen Beobachters einge- dungen, der Vergänglichkeit aller Erfah-
nommen, wiederum verständnisvoll und freund- rungen (nach Walach et al., 2004).
schaftlich sich selbst gegenüber, auch trotz des Ab-
driftens. Indem sie registriert, dass sie bestimmte
Gedanken verfolgt oder bestimmte innere Bilder Neben den schon diskutierten Merkmalen wird in
ausmalt, ist sie schon achtsam. der Definition auch nochmals die freundliche Hal-
Ähnlich wie bei der Selbstaufmerksamkeit kann tung sich selbst gegenüber, offenes, rezeptives Ge-
bei achtsamer Haltung die Aufmerksamkeit, im wahrsein und die Wichtigkeit einer guten Fehler-
Sinne eines beobachtenden Blickes, auf das Selbst kultur beim Umgang mit sich selbst und den wahr-
gelenkt sein. Dies geschieht jedoch eher aufgrund genommenen Diskrepanzen betont.
einer willkürlichen Entscheidung, während der Wie gelangt man in den Modus der Achtsam-
Selbstaufmerksamkeitsprozess automatisch auf- keit? Am besten lenkt man die Aufmerksamkeit auf
grund wahrgenommener Diskrepanzen entsteht. ganz konkrete Merkmale, wie z. B. dem Heben und
24 Kapitel 2 · Wie werden Ziele erreicht?

Senken der Brust beim Atmen, auf Kaubewegungen Fehlern und Missgeschicken sowie negatives Selbst-
beim Essen, das Aufsetzen der Füße beim Gehen. schema sind typische Merkmale depressiver Stö-
Dies entspricht genau den Merkmalen jener un- rungen. In der Tat bleiben Depressive an den wahr-
2 teren Ebenen der Zielhierarchie, die mit dem genommenen Diskrepanzen »kleben« mit der Kon-
»Wie«, also den Handlungszielen, befasst sind. Sie sequenz, dass die Selbstregulation perseveriert: Sie
sind ganz »konkret« ausgerichtet, wobei konkret halten ein besonders hohes Maß an Selbstaufmerk-
hier bedeutet, dass ein Ziel sichtbar, greifbar, spür- samkeit aufrecht, halten beharrlich an selbstregula-
bar präsent ist und im Hier und Jetzt realisiert wird. torischen Anstrengungen fest und das angesichts
Das ist das Aufgehen im Tun. Findet man sich unüberwindlicher Hindernisse, persönlicher Ver-
plötzlich wieder beim Nachdenken über sich selbst, luste oder unkorrigierbarer Fehler.
über ein Ärgernis, seine Werte, die Vergangenheit Achtsamkeit kann die depressive Tendenz un-
oder die Zukunft, dann schilt man sich nicht dafür, terlaufen, die wahrgenommene Diskrepanz unter
sondern kehrt wieder zurück und dockt mit der allen Umständen schließen zu müssen. Dies bedeu-
Aufmerksamkeit einfach wieder bei den jeweils tet Anspannung auszuhalten, Gefühle wie Frustra-
konkreten Details, z. B. bei den Atembewegungen, tion, Wut und Angst zuzulassen und zu beobach-
an. ten, ohne den in diesen Gefühlen enthaltenen Im-
pulsen nachzugeben. Das bisherige Verhalten führt
ja nicht zur Diskrepanzbeseitigung. Nur unter sol-
2.6 Achtsamkeit unterstützt chen Bedingungen können Ziele vorerst losgelas-
einen günstigen Selbstfokus sen oder revidiert werden. Die achtsame Haltung
hilft dabei, wahrzunehmen, was ist. Die Person
Im Zusammenhang mit psychischen Problemen stellt sich damit auch mehr und mehr der Aufgabe,
nimmt die Versklavung der Aufmerksamkeitssteu- sich selbst mit allen Fehlschlägen und Defiziten an-
erung in vielen Fällen drastische Formen an. Einer- zunehmen. Diese Aufgabe, die zunächst wie eine
seits kann die Selbstaufmerksamkeit beharrlich Bürde wirken kann, berührt aber wesentlich die
und unabweisbar auf bestimmte Diskrepanzen fi- Beziehung der Person zu sich selbst. Härte oder
xiert sein, sie perseveriert. Problematisch ist auch massive Vernachlässigung der eigenen Person sich
das Gegenteil, d. h. die Selbstaufmerksamkeit wird selbst gegenüber, sowie schlechte Selbstfürsorge
nach Möglichkeit vermieden. Hauke (2006a) hat sind Begleiter fast aller psychischen Störungen.
typische Muster zusammengestellt. Ihre Bezüge
zum Achtsamkeitskonzept, in dem ja die Aufmerk- jVermeiden von Selbstaufmerksamkeit
samkeitslenkung die zentrale Rolle spielt, sollen Ständiges Nachdenken über sich selbst, die Werte,
helfen, die Kontur dieses Konzeptes und seinen Be- das Selbstbild etc. behindert Handeln und Erleben.
zug zur Selbstregulation noch etwas deutlicher Damit unser Tun jedoch auf Dauer befriedigend
werden zu lassen. und sinnerfüllend ausfällt, sollte es geleitet sein
durch ein Bewusstsein dessen, wer man sein will
jExzessive Selbstaufmerksamkeit und welche Werte man dabei verwirklichen will.
Sind die wahrgenommenen Diskrepanzen zwi- Andererseits wird dieser Selbstfokus nicht unbe-
schen Soll- und Ist-Werten sehr groß, und erweisen dingt als lustvoll erlebt und deshalb in der Regel
sich Hindernisse im Verlaufe der Bewältigungsbe- vermieden. Wie kann es dazu kommen? In moder-
mühungen als unüberwindbar, so wird nicht nur nen westlichen Gesellschaften ist Identitätsentwick-
der Selbstfokus, sondern die gesamte Selbstregula- lung zu einer beachtlichen Herausforderung ge-
tion mehr und mehr aversiv besetzt. Gesunde Men- worden. Jugendliche kämpfen mit Problemen der
schen sind in der Lage, diesen Zyklus relativ schnell Berufswahl, der sexuellen Orientierung, der Grup-
zu verlassen. Dies verhindert, dass die ungünstige penzugehörigkeit, des Überganges ins Erwachse-
Erfahrung Teil des Selbstschemas mit allen affek- nenleben usw. Erwachsene müssen verschiedene
tiven und selbstwertrelevanten Konsequenzen Rollenbündel balancieren, Karriereentscheidungen
wird. Negativer Affekt, internale Attribution von treffen, sich auf langfristige Ziele festlegen, sich mit
2.7 · Bedeutung von Emotionen für die Selbstregulation
25 2
Tod und Sterben auseinandersetzen usw. Hier ist geübte Achtsamkeit registriert dieses Erleben eben-
Integrationsfähigkeit gefordert: Verschiedenste As- so, wie die Tendenz, aus Gründen der Vermeidung
pekte des Selbst müssen zu einem relativ kohä- an der Ebene konkreter Handlungsziele andocken
renten und akzeptablen Selbstgefühl zusammenge- zu wollen. Achtsamkeit akzeptiert die Bürde des
führt werden. Dies bereitet bisweilen erheblichen Selbst, als wesentliche Voraussetzung für einen ver-
Stress, so dass nicht nur in Zusammenhang mit antwortungsbewussten Veränderungsprozess. Sie
psychischen Erkrankungen von Identitäts-Distress unterläuft Vermeidungsbewegungen und schafft
gesprochen werden muss (Berman et al., 2004). somit Flexibilität im Dienste einer Weiterentwick-
Je mehr wir in unser Selbst investieren, umso lung abstrakterer Soll-Werte bzw. einer Erarbeitung
mehr haben wir zu verlieren. Oft sind es die Erfolg- geeigneter Identitätsziele. Das Klären der persön-
reichen und die nach außen hin Perfekten, deren lichen Werte, das Planen beruflicher und privater
anspruchsvolle Soll-Werte größere Verletzbarkeit Zukunft, kann durch das Üben von Achtsamkeit
und folglich größeren Stress produzieren. Baumeis- auf jeden Fall gefördert werden. Achtsamkeit kann
ter (1991) spricht dabei von der »Bürde des Selbst«, aber diese wichtigen Prozesse nicht ersetzen.
die in bestimmten Situationen in eine »Flucht vor
dem Selbst« einmündet. Alkoholismus, Essstörun-
gen und andere selbstschädigende Verhaltenswei- 2.7 Bedeutung von Emotionen
sen werden als Strategien angesehen, sich dieser für die Selbstregulation
Bürde zu entziehen. Das Wegfallen von Wertungen
in Bezug auf Selbstkonzeptanteile, persönliche Wer- Verhalten ist darauf ausgerichtet, mögliche Diskre-
te usw. führt auch zu einer Minderung und Aufhe- panzen innerhalb der Zielhierarchie zu beseitigen.
bung von Hemmungen und zur Schwächung der Den Emotionen kommt dabei nach Carver &
Impulskontrolle (Tice et al., 2001; Baumeister, Scheier (1998) eine wichtige Funktion zu. Sie erge-
1997). ben sich aus der Geschwindigkeit der Zielannähe-
Achtsamkeit zu üben bedeutet gerade, die Auf- rung. Plausibler als ein Zusammenhang zwischen
merksamkeit von den Haltungszielen abzuziehen Emotionen und der aktuellen Ist-Soll-Wert-Dis-
und am konkreten, unmittelbaren Erleben, das mit krepanz ist danach ein Zusammenhang zum wahr-
den Handlungszielen verknüpft ist, anzudocken. genommenen Fortschritt bezüglich dem Erreichen
Kann Achtsamkeit somit auch zu einer Fluchtbe- wichtiger Ziele. Falls die wahrgenommene Diskre-
wegung beitragen? Wohlverstandene Achtsamkeit panz zwischen Soll- und Ist-Wert durch ein be-
nicht, wohl aber die ständige und ausschließliche stimmtes Verhalten nicht im erwarteten Tempo
Beschäftigung mit konkreten Handlungszielen. ausgeglichen werden kann, resultiert negativer Af-
Baumeister (1991) beschreibt spirituelle Praktiken, fekt. Schafft es die Person hingegen schneller als
die auch missbräuchlich eingesetzt werden. Ver- erwartet, dann entsteht positiver Affekt.
suche, Meditation als Allheilmittel zu betrachten Die Qualität des Gefühls hängt davon ab, wie
und persönliche Schwierigkeiten einfach wegmedi- stark man sich der (erwarteten) Kriteriumsge-
tieren zu wollen, sind seriösen Meditationskreisen schwindigkeit mit seinen Bemühungen anzunäh-
wohlbekannt. Wohlverstandene Achtsamkeit ist je- ern vermag. Schafft man es im vorgesehenen Tem-
doch anders motiviert. Achtsamkeit ist eine wert- po, so stellt sich Zufriedenheit ein, übersteigt man
volle und hilfreiche Grundhaltung, ersetzt aber diese Erwartung, so ist man glücklich usw. Umge-
nicht die Auswahl eines mit den Grenzen und Mög- kehrt stellt sich Frustration ein, wenn man das Kri-
lichkeiten der Person stimmigen Lebensentwurfes terium knapp verfehlt, und Ärger, wenn man es
und das Bekenntnis zu bestimmten Werten als Na- deutlicher verfehlt. Gleichzeitig motivieren solche
vigationsgrundlage. Gefühle aber auch weitere Versuche der Zielannä-
Das Erarbeiten einer stimmigen Identität und herung. Diese Motivationsstärke ist allerdings ge-
eines dazu passenden Lebensentwurfes führt oft ringer, je langsamer die Zielannäherung in Bezug
durch Phasen des Kampfes, tiefer Zweifel und auf die Kriteriumsgeschwindigkeit ausgefallen ist
Ängste, des Schmerzes und der Zerrissenheit. Gut (Carver, 2004). Eine Person, bei der sich die Zielan-
26 Kapitel 2 · Wie werden Ziele erreicht?

näherungsgeschwindigkeit nahe Null bewegt, ist stand können Engpässe, Hindernisse und Barrieren
nach dieser Vorstellung traurig und in dieser Situa- auftauchen. Vielleicht können sich auch verführe-
tion kaum motiviert, Engagement in diskrepanzre- rische, aber im Endeffekt nicht zielführende, Sei-
2 duzierende Verhaltensweisen zu investieren. Damit tenwege auftun. Patienten müssen darauf vorberei-
wird die Rolle von Emotionen bei der Handlungs- tet werden, sich dazu zu positionieren.
regulation deutlich: Sie zeigen den Stand der Dis- Wenn im Therapieverlauf Ziele erarbeitet wur-
krepanzreduktion an und wirken dabei mehr oder den, dann ist schon Wichtiges geschehen. Prozesse,
weniger motivierend. die mit dem Setzen von Zielen aufgrund deren
Holodynski et al. (2011) übertragen die von Wünschbarkeit und Realisierbarkeit zu tun haben,
Carver & Scheier (1998) beschriebene Feedback- werden dem Bereich der »Motivation« zugeordnet.
schleife der Selbstregulation und verwenden dabei Wenn es aber um das Umsetzen von Zielen bzw.
die in der Emotionspsychologie gängigen Begriff- Soll-Werten geht, dann kommt der Wille ins Spiel.
lichkeiten. So wird der Soll-Wert durch das akti- Die entsprechenden Prozesse, die mit der kon-
vierte Bedürfnis spezifiziert und die Inputfunktion kreten Realisierung von Zielen durch Handeln zu
durch die wahrgenommenen bedürfnisrelevanten tun haben, werden als Willens- bzw. volitionale
Aspekte der Situation. Der Komparator, mit dessen Prozesse bezeichnet (Achtziger & Gollwitzer, 2006).
Hilfe der Soll-Ist-Wert-Vergleich durchgeführt Volitionale Prozesse beziehen sich auf das Vorbe-
wird, wird durch die emotionsspezifische Bewer- reiten und Planen, auf die Durchführung, also das
tung und die zugehörige Handlungsbereitschaft eigentliche Handeln, und auf das Bewerten der
gebildet. Die dadurch getriggerte Handlung (Out- Handlungsergebnisse. Auf diese Phasen der Um-
put) soll das vorliegende Bedürfnis befriedigen. So- setzung von Zielen wollen wir kurz eingehen.
bald sich dies günstig entwickelt, lässt die entspre- In der Therapie erarbeitete Zielsetzungen re-
chende Emotion nach. Emotionen regulieren die präsentieren ja in gewisser Weise einen erwünschten
Handlungen von Individuen und ihren Interakti- Zustand in der Zukunft. Damit die Person starten
onspartnern. Gleichzeitig werden Emotionen durch kann, muss sie sich zunächst darauf vorbereiten,
diesen sich vollziehenden Wandel in der entspre- den gegenwärtigen Zustand, den Ist-Zustand, zu
chenden Situation ebenfalls reguliert. Diese Zu- verlassen. Auf diese Weise wird ein Bewusstsein für
sammenhänge werden später ausführlicher noch den notwendigen Abschied geschaffen, der wesent-
dargestellt werden. liche Voraussetzung für einen tatsächlichen Auf-
bruch ist. So möchte etwa jemand in der Zukunft
seine Anliegen selbstbewusster vertreten und Nein
2.8 Wo ein Wille ist, sagen können. Sie entwickelt dieses Ziel z. B. als
ist auch ein Weg …? eine Person, die gegenwärtig ausschließlich nach
Harmonie und Anlehnung strebt. Das ist ihr Ist-
Den meisten Lesern wird dieser markige Spruch Wert, mit dem sie startet. Volitionale Aktivitäten
bekannt vorkommen, mit dem ein Zusammenhang helfen den psychologischen Raum, um den mo-
zwischen dem Willen und der Existenz eines zu be- mentanen Ist-Zustand, der ein enger Käfig sein
schreitenden Weges postuliert wird. Er enthält ein kann, zu erweitern. Die Person muss darin unter-
gutes Quäntchen Wahrheit. Schließlich reicht es stützt werden, den Ist-Zustand zu verlassen, d. h.
nicht aus, nur zu wissen, wo ich hinwill. Ich benöti- sich aus den Rahmenbedingungen der bisherigen
ge auch einen Weg, um vom Ist-Wert zum Soll- Rolle zu lösen und am besten gleichzeitig die Mög-
Wert zu gelangen. Hier geht es um Bewegung in der lichkeit des erwünschten Ziel-Zustandes spürbar
Therapie. Wenn Therapie Bewegung und Verände- präsent zu haben.
rung bedeutet, dann sollte in der Therapie also auch Holodynski et al. (2011) machen darauf auf-
das Wollen unterstützt werden (Yalom, 1989). Die- merksam, dass dieser Bezugsrahmenwechsel mit
se Unterstützung kann Therapie leisten, indem sie einer Form der psychologischen Distanzierung
dabei hilft, einen machbaren Weg zu gestalten. Auf verbunden ist. Die Autoren verweisen auch auf An-
dieser Reise vom Ausgangszustand zum Zielzu- sätze der frühen Entwicklungspsychologie, die eine
2.9 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis I
27 2
solche distanzierende Fähigkeit als eine wesentliche wartungen verglichen, weiterhin werden die Kon-
volitionale Fähigkeit benannt hatte. Eine Person, sequenzen des erzielten Ergebnisses beurteilt. Dies
die den Weg in Richtung von mehr Eigenständig- liefert gegebenenfalls wertvolle Informationen für
keit geht, wird ihre Sehnsucht nach Nähe und Har- eine Neujustierung der Zielsetzung oder auch für
monie immer wieder sehr stark spüren. Hier hilft eine alternative Gestaltung des Weges zum Ziel.
– als wesentliche volitionale Strategie – Achtsam-
keit weiter. Sie unterstützt dabei diese emotionale
Erfahrung zuzulassen, ohne den damit verbunde- 2.9 Ertrag: Grundlegende Strategien
nen Handlungsimpulsen nachzugeben. Geht die für die therapeutische Praxis I
Person achtsam mit diesem Erleben um, dann lässt
sie sich nicht vereinnahmen, sondern realisiert be- Die Person und ihre Ziele Ziele sollten nicht nur iso-
reits eine innere Distanz. Nur aufgrund jener Dis- liert betrachtet, sondern in Bezug gesetzt werden
tanzierungsfähigkeit kann die Person den Hand- zu anderen Soll-Werten der Zielpyramide. Mit dem
lungskurs auf das angestrebte Ziel weiter verfolgen Verfolgen ihrer Ziele befriedigen Menschen schließ-
und diese Bestrebungen von zielinkongruenten lich nicht nur wichtige Grundbedürfnisse, sondern
Impulsen, z. B. in Bezug auf Nähe und Harmonie, stärken und bestätigen auch ihre Identität.
im passenden Moment abschirmen. Dabei kann es Von außen vorgegebene Ziele entfalten nur
gleichzeitig wichtig sein, einem bislang unterle- dann eine Wirkung, wenn sie zu einem Bestandteil
genen Impuls, z. B. einmal die eigene Meinung zu der subjektiven Zielhierarchie werden können.
vertreten, zu stärken. Ausschließlich durch Wirkung von Verstärkungs-
Interessant ist dabei der Hinweis auf die Fähig- mechanismen kann kein Verhalten entstehen. Dies
keit zur mentalen Zeitreise (Bischof-Köhler, 2000). ist nur möglich, wenn ein entsprechendes Ziel in
Sowie es die Person geschafft hat, die Ausgangssitu- irgendeiner Weise innerhalb der Zielhierarchie
ation mit ihrem sie definierenden Bezugsrahmen präsent ist.
hinter sich zu lassen, benötigt sie die Fähigkeit, sich
in ihrer Vorstellung zwischen Vergangenheit und Haltungsziele Über den konkreten Handlungszie-
Zukunft hin- und herbewegen zu können. Dies er- len werden oft die Haltungsziele in der Verhaltens-
möglicht ihr im Rahmen einer zeitlichen Planung therapie vergessen. Dabei ist es nicht egal, in wel-
auch die Entwicklung von Zwischenzielen. Empi- cher Haltung ein konkretes Ziel verfolgt wird. Im
rische Untersuchungen zeigen weiterhin, dass so- Gegenteil: Haltungsziele können zur Ressource
wohl die Antizipation von Barrieren, die während ausgebaut werden.
der Zielrealisierung auftauchen könnten, als auch 4 Psychotherapie sollte dabei unterstützen, eige-
das Entwickeln eines Handlungsplans, im Sinne ne insbesondere auch abstrakte Soll-Werte
von »Wenn Situation X eintritt, dann werde ich Y (z. B. Identität, Werte) zu entwickeln. Sie ver-
tun«, eine größere Zielverbindlichkeit und auch mitteln Selbstachtung, Verbindlichkeit für das
bessere Umsetzungsergebnisse zur Folge hat (Goll- eigene Tun und Freude. Was für eine Person
witzer & Oettingen, 2010). möchte Ihr Patient sein, welche Werte sind ihm
Vorsätze sind also nur dann wirklich gut, wenn dabei wichtig? Jedes sichtbare Verhalten ist in
sie stets mit einem individualisierten Plan verbun- eine Zielhierarchie eingebettet. Fragen Sie sich
den werden. Ist dies sichergestellt, so taugen sie daher stets, welchen übergeordneten Zielen
auch nicht mehr als Pflastermaterial für den Weg in dieses Verhalten wohl dient.
die Hölle. Wer seinen Weg gehen will, der nimmt 4 Haltungsziele sind meist sinnstiftend. Worin
das, was er tut, nicht nur ernst, sondern schätzt sieht Ihr Patient den Sinn seines Lebens? Was
irgendwie auch seine Bemühungen. Diese Wert- versteht er unter einem gelingenden Leben?
schätzung für das umsetzende Tun wird noch ge- Welchen Wert hat für ihn ein Leben, das mit
fördert durch die Bewertung der Zielrealisierung. dem Tod endet? Warum will er sich verändern?
Dabei wird möglichst sachlich und präzise das tat- Wofür möchte er sich anstrengen? Was will er
sächlich erreichte Handlungsergebnis mit den Er- investieren?
28 Kapitel 2 · Wie werden Ziele erreicht?

Handlungsziele In einer Verhaltenstherapie sind für therapeutische Zwecke nicht um die Vermitt-
die auf der konkreten Verhaltensebene zu beschrei- lung religiöser Inhalte. Andererseits inspirieren sol-
benden Handlungsziele ganz besonders wichtig. che Traditionen zu geeigneten Übungsformaten.
2 4 Auch wenn Sie genau wissen, welches Ziel bei 4 Klären Sie Ihre Patienten dementsprechend auf.
einer gegebenen Störung unverzichtbar verfolgt Sie vermeiden dadurch bei einigen Irritationen,
werden sollte, so stellen Sie sicher, dass Ihr Pa- bei anderen die Bildung falscher Erwartungen.
tient dieses Ziel für sich selbst auch realisieren Problematische Verhaltensweisen und ihr Kon-
will. Oft handelt es sich um Ängste, die mit sei- text müssen bewusst werden, sonst kann keine
ner Störung zu tun haben, oder um Versagens- Veränderung passieren. Dabei hilft achtsames
ängste usw., die ihn davon abhalten wollen, sich Beobachten. Das Lenken der Aufmerksamkeit
auf ein Ziel einzulassen. Lassen Sie ein Hand- ist anfangs anstrengend und muss wie ein Mus-
lungsziel im Licht der Erreichbarkeit erschei- kel trainiert werden. Tägliche Achtsamkeits-
nen. Sorgen Sie für Zwischenziele. Winzige übungen sind unerlässlich. Das gilt auch für
Schritte sind auch als Fortschritte zu sehen. Therapeuten.
4 Entwickeln Sie gemeinsam einen Plan für die 4 Beginnen Sie jede Stunde mit einer kurzen, ca.
Zielverwirklichung. Planung soll unbedingt fünfminütigen Achtsamkeitsübung. Achtsam-
auch ausreichend Flexibilität ermöglichen. Da- keitsübungen sollen am besten durch systema-
bei reicht positives Denken allein nicht aus. Be- tische Selbstbeobachtungen ergänzt werden,
rücksichtigen Sie gemeinsam möglicherweise damit konkretes Material für eine gemeinsame
auftauchende Schwierigkeiten, damit er sich Auswertung zur Verfügung steht.
angemessen vorbereiten kann. So konkret die 4 Achtsamkeit erhöht den Selbstfokus. Damit tre-
Kriterien für eine Zielerreichung auch sein mö- ten möglicherweise schmerzliche, angstbesetz-
gen, sehen Sie das Ganze aber nicht zu eng. Am te oder sehr ungeliebte Bestandteile des Erle-
bedeutsamsten ist, dass die Richtung stimmt. bens anfangs ganz besonders intensiv ins Be-
Dafür verdient Ihr Patient Lob und Anerken- wusstsein. Patienten sollten dies protokollieren,
nung. ebenso typische Bewertungen und Emotionen.
4 Achten Sie darauf, wie Ihr Patient dabei mit Eine nachträgliche Bearbeitung solcher Episo-
Soll-Ist-Wert-Diskrepanzen umgeht. Bemüht den in der Stunde erhöht ganz wesentlich deren
er sich erneut? Empfindet er sie als Niederlage? Akzeptierbarkeit. Patienten sind nicht immer
Zielverfolgung ist immer auch mit Fehlschlä- in der Lage, wenn sie mit sich alleine sind, alle
gen verbunden. Sie können die Selbstaufmerk- schwierigen Aspekte ihres Lebens achtsam zu
samkeit in quälender Weise verstärken. Sorgen beobachten.
Sie deshalb für eine günstige Fehlerkultur bei 4 Bei einer Zielrealisierung heben manche Pati-
Ihren Patienten. Fehler und Umwege sind nicht enten ab, andere bleiben an Diskrepanzen und
nur nützlich, sondern geradezu notwendig, um Fehlern hängen. Hier sollte geprüft werden, wie
zu einer wirklich passenden Zielannäherung zu der Achtsamkeitsprozess verläuft. Verschiedene
kommen. Formen der Erlebnisvermeidung sind hier
denkbar.
Aufmerksamkeitslenkung durch Achtsamkeit Der
gerichteten Aufmerksamkeit kommt in der Thera- Patienten und ihr Körper Die Handlungsregulation
pie eine sehr große Bedeutung zu. Jeder Verände- erfordert nicht nur mentale Prozesse. Der Körper
rungsschritt fordert Aufmerksamkeit: Bisherige Ver- spielt dabei in zweifacher Hinsicht eine wichtige
haltenstendenzen müssen registriert werden, neue Rolle. Einerseits wird er für die Handlungsausfüh-
Verhaltensweisen müssen u. U. vorsichtig umge- rung gebraucht. Andererseits vermittelt er über pe-
setzt werden. Aufmerksamkeitslenkung kann im riphere Feedbackprozesse wichtige Informationen
Rahmen von Achtsamkeitsübungen trainiert wer- für die mentalen Prozesse. Ohne diese Feedback-
den. Auch wenn sie aus dem buddhistisch-spiritu- prozesse sind keine anspruchsvollen psychischen
ellen Kontext stammen, geht es bei den Übungen Prozesse denkbar.
2.9 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis I
29 2
4 Setzen Sie also den Körper in der Therapie ein.
4 Schaffen Sie Möglichkeiten lustvoller körper-
licher Anspannung bzw. Entspannung. Atmen
und Entspannung beeinflussen mentale Pro-
zesse und insbesondere das emotionale Erle-
ben.
4 Leiten Sie ihn zu Experimenten mit Körperhal-
tung, Mimik, Gestik und Bewegungen an, um
ein Thema gedanklich und emotional deut-
licher werden zu lassen.
4 Bearbeiten Sie Themen, z. B. Nähe und Distanz,
mit einfachen leibbezogenen Handlungen im
Raum.
4 Fragen Sie stets nach den Körperempfin-
dungen.

Der Wille Wille oder Volition bezeichnet den Pro-


zess der Bildung, Aufrechterhaltung und Realisie-
rung von Absichten. Wille ist der verantwortliche
Beweger.
4 Schwierigkeiten und Barrieren bei der Zielrea-
lisierung, also Soll-Ist-Wert-Diskrepanzen, las-
sen Aufmerksamkeit entstehen. Günstig ist,
wenn es sich dabei um ein achtsames Beobach-
ten handelt.
4 Es nützt beim besten Willen nicht viel, wenn
sich Patienten dauernd unter Druck setzen.
Untersuchen Sie daher die Beziehung, die Pati-
enten sich selbst gegenüber pflegen. Klären Sie
die Funktion der inneren Antreiber. Eine zu in-
tensive Willensorientierung kann verkramp-
fend wirken und einen Tunnelblick entstehen
lassen. Solche Menschen vergessen dann manch-
mal, was sie im Innersten verletzlich sein lässt.
4 Unterstützen Sie eine reife Form der Volition.
Damit ist eine demokratische Führung seiner
selbst gemeint. Demokratisch deswegen, weil
Patienten auch andere, vielleicht sogar absichts-
widrige Tendenzen in ihrem Innern ernst neh-
men sollen. Vielleicht müssen solche Tendenzen
erst einmal aufgeschoben werden; später brau-
chen sie jedoch Beachtung. Vielleicht müssen
andere Tendenzen aber auch unmittelbar mit-
berücksichtigt werden, damit das Endergebnis
langfristig günstig ausfällt.
4 Unterstützen Sie das Imaginieren der erwünsch-
ten Vorstellung als auch einen bewussten Ab-
schied vom gegenwärtigen Ist-Wert. Beides för-
dert den Volitionsprozess.
31 3

Emotionale
Überlebensstrategien

3.1 Motivationspsychologische Grundlagen I:


Bedürfnisse – 32

3.2 Zugang zu den Bedürfnissen – 35

3.3 Motivationspsychologische Grundlagen II:


Duales Motivationssystem – 36
3.3.1 Implizite und explizite Motive – 38
3.3.2 Psychisches Wohlergehen: Harmonisierung impliziter
und expliziter Motive – 38

3.4 Emotionspsychologische Grundlagen – 41


3.4.1 Was ist eine Emotion? – 41
3.4.2 Emotionsmodelle – 42
3.4.3 Emotionsentwicklung, primäre und sekundäre Emotionen – 48
3.4.4 Gefühle, die schwer zu benennen sind – 51

3.5 Überlebensstrategie: Kognitiv-affektives Schema


zur Bedürfnisbefriedigung – 55
3.5.1 Von der Bindungserfahrung zur Überlebensstrategie – 56
3.5.2 Wie entsteht gefühlte Sicherheit? – 59

3.6 Strategien der Sicherheitsregulation und Typen


von Überlebensstrategien – 63
3.6.1 Typen von Überlebensstrategien und Persönlichkeits-
akzentuierungen – 69
3.6.2 Sexualität, Autonomie und Bindung – 69
3.6.3 Sekundäre Bindungen und Partnerschaft – 72

3.7 Ertrag: Grundlegende Strategien


für die therapeutische Praxis II – 75

G. Hauke, Strategisch Behaviorale Therapie (SBT),


DOI 10.1007/978-3-642-29730-4_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
32 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Emotionale Überlebensstrategien bilden das Zen- Dabei müssen wir aber auch darauf vorbereitet
trum von Strategisch Behavioraler Therapie (SBT) sein, dass Patienten ihre Emotionen nicht ohne
und sind nicht nur für das Fallverständnis, sondern weiteres klar benennen können. Abschließend wird
auch für die Therapieplanung richtungsweisend. noch das Thema »Sexualität« eingeführt und es
Deshalb wird den psychologischen Grundlagen wird gezeigt, in welcher Weise Überlebensstrate-
hier breiterer Raum gewidmet. SBT geht davon aus, gien der Partner ineinandergreifen und dadurch
3 dass jegliches Verhalten darauf ausgerichtet ist, eine erotische Brücke behindern können.
wichtige Grundbedürfnisse (z. B. nach Geborgen-
heit, Selbstbestimmung, Sexualität usw.) zu befrie-
digen, um gesund zu bleiben und zufrieden leben 3.1 Motivationspsychologische
zu können. Dabei sind Menschen mit psychischen Grundlagen I: Bedürfnisse
Problemen in ihrer Selbstregulation mehr oder we-
niger eingeschränkt. Die Selbstregulation wird von Bedürfniskonzepte Nach Bischof (2008) bezeichnet
ihrer Überlebensstrategie gesteuert, die ihnen mit ein Bedürfnis das, was ein Lebewesen zu seiner Er-
ihren Geboten und Verboten verhältnismäßig enge haltung und Entfaltung braucht. Umgangssprach-
Verhaltenspfade vorschreibt, um ihre Bedürfnisse lich sprechen wir davon, dass eine Person etwas
zu befriedigen. Sie wird als ein kognitiv-affektives braucht, wenn sie ein Bedürfnis hat. Bedürfnisse
Schema dargestellt, das lerngeschichtlich in der lassen sich deshalb am besten als Diskrepanz zwi-
Bindung an wichtige Bezugspersonen erworben schen einem situativen Ist-Wert und einem an-
wurde. Verschiedene Bindungsstile ergeben dabei gestrebten Soll-Wert beschreiben. Diese Diskre-
unterschiedliche Typen von Überlebensstrategien. panz motiviert Verhalten. Die Stärke eines Bedürf-
Hier lassen sich auch verschiedene Arten der Sicher- nisses ist im Sinne einer Persönlichkeitseigenschaft
heitsregulation herausarbeiten, die von Therapeu- zu verstehen und definiert den Soll-Wert (Asendor-
ten verstanden werden müssen, um problematische pf, 2004). Jedem Bedürfnis entspricht eine be-
Verhaltensweisen, die z. B. auch in der therapeuti- stimmte Inhaltsklasse von Verhaltenszielen, z. B.
schen Beziehung auftreten, einordnen zu können. Sicherheit, Leistung usw. Dafür sind im Laufe der
Überlebensstrategien sind nicht bewusst und Zeit etliche Bedürfnis-Listen entwickelt worden,
werden unter bestimmten inneren und äußeren die nicht abschließend begründet werden können.
Bedingungen aktiviert und wirksam. Damit eine Sie können quasi beliebig weit differenziert werden
Überlebensstrategie erarbeitet werden kann, muss (Bischof, 2008).
erkannt werden, für welche Bedürfnisse sie Hand- Diese Differenzierung ist im Rahmen des the-
lungsanweisungen zur Verfügung stellt. Bedürf- rapeutischen Settings jedoch notwendig. Sie be-
nisse sind aber als sog. implizite Motive anzusehen reitet eine zielführende Kommunikation mit den
und als solche vorsprachlich repräsentiert. Damit Patienten über deren Bedürfnisse vor. In der Praxis
sie in der Therapie möglichst genau benannt wer- zeigt sich oft, dass es zunächst hilfreich sein kann,
den können, müssen sie ins explizite System, das für verschiedene Inhaltsklassen von Verhaltenszie-
sprachlich repräsentiert ist, überführt werden. Der len über ausformulierte Formate zu verfügen. De-
referenzielle Prozess fördert eine Verbindung zwi- ren inhaltliche Validierung muss dann ohnehin im
schen explizitem und implizitem System, z. B. Rahmen einer erlebnisorientierten Arbeitsweise
durch die Arbeit mit Bildern. passieren. Sulz (1994) liefert hierzu eine Vorlage.
Affekte und Emotionen spielen bei der selbstre- Wertvoll ist dabei, dass in seiner Bedürfnisliste
gulativen Wirkung von Überlebensstrategien eine auch gleichzeitig die klinische Bedeutung einer
zentrale Rolle. Sie müssen nicht nur in ihrer Bewer- Frustration entsprechender Bedürfnisse enthalten
tungsfunktion, sondern auch in ihrer handlungs- ist (. Tab. 3.1).
vorbereitenden und sozialen Funktion gesehen Die Benennungen der Bedürfnisse verweisen
werden. Wesentlich sind in SBT die Konzepte pri- auf den therapeutischen Kontext; in Bezug auf die
märer und sekundärer Emotionen. Sie helfen dabei, motivationale Ausrichtung sind sie mit anderen
aussagekräftige Reaktionsketten zu formulieren. Bedürfnislisten kompatibel.
3.1 · Motivationspsychologische Grundlagen I: Bedürfnisse
33 3

. Tab. 3.1 Auswahl kindlicher Bedürfnisse und ihrer Frustration durch die Eltern aus der Bedürfnisliste von Sulz
(1994). Mit freundlicher Genehmigung von CIP-Medien

Zugehörigkeits- Frustrierendes Emotionale Reaktion Spätere Verhaltens-


bedürfnis Elternverhalten des Kindes tendenzen

Willkommensein, Das Kind zwar wahrnehmen, Angst vor Ablehnung und Eher schizoid (beziehungs-
dazugehören aber keine positive Reaktion Feindschaft, Existenzangst, meidend, misstrauisch,
auf sein Kommen oder sich ausgeschlossen fühlen rational)
Dasein haben oder zeigen

Geborgenheit, Dem Kind fast nie warmher- Angst vor Alleinsein, Eher dependent (Nähe und
Wärme zige Nähe zum Auftanken Verlustangst, sich ungebor- Geborgenheit suchend,
von emotionaler Wärme gen fühlen unterordnend)
anbieten

Schutz, Nicht da sein, wenn das Kind Angst, äußeren Gefahren Sich der Verfügbarkeit von
Sicherheit, Schutz sucht; dem Kind nicht allein ausgesetzt zu sein; Menschen versichern – nicht
Zuverlässigkeit zutrauen, dass es sich allein Angst vor Unzuverlässigkeit allein sein können
außer Sichtweite sicher
bewegen kann

Selbst machen, Dem Kind etwas, das es noch Insuffizienzgefühl Unselbstständigkeit


selbst können nicht so gut kann, aus der
Hand nehmen und selbst
machen

Selbst- Das Kind keine eigenen Gefühl der Unfreiheit und Passiv-aggressiv (sich fügen,
bestimmung Entscheidungen treffen Fremdbestimmtheit, Angst aber mit großem Sträuben)
lassen vor Kontrollverlust und oder zwanghaft (Wut durch
Schaden anzurichten Zwanghaftigkeit neutralisie-
ren)

Grenzen gesetzt Dem Kind alles durchgehen Tyrannische Einsamkeit In Beziehungen unglücklich
und Normen lassen, keine Pflichten einsam
vermittelt auferlegen, ihm diese nicht
bekommen begründen

Zwei gleichstarke Ein Elternteil ist dem anderen Fühlt sich vom Schwachen im Selbstunsicherheit, evtl.
Bezugspersonen völlig unterlegen, so dass das Stich gelassen, dem Starken Dependenz
haben Kind dem überlegenen voll ausgeliefert, braucht dessen
ausgeliefert ist Liebe

Schuldfreiheit Eltern machen dem Kind Schuldgefühle, Strafangst, Zwanghaftigkeit, Selbst-


ständig Schuldgefühle Schuldangst, schlechtes unsicherheit
Gewissen

Missbrauchs- Emotionaler Missbrauch: Angst vor Missbrauch, Beziehungsphobie


freiheit Ausnützen des Kindes für Misstrauen
eigene Bedürfnisse

Dennoch stellt sich grundsätzlich die Frage, ob niskonzept arbeiten, daraufhin geprüft. Aufgrund
sich innerhalb zahlreicher Bedürfnisqualitäten ihrer anspruchsvollen Analyse kommen sie zu ins-
übergeordnete Kategorien ausmachen lassen. Pitt- gesamt drei großen Bedürfnisgruppen. Es handelt
man & Zeigler (2006) haben sechs verschiedene, sich dabei um:
einflussreiche Theorieansätze, die mit dem Bedürf-
34 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

1. Physiologische Bedürfnisse wie z. B. Hunger, Wert des Erregungssystems wird mit Unterneh-
Durst usw. mungslust bezeichnet. Damit wird laufend das
2. Auf das Selbst bezogene Bedürfnisse wie z. B. aktuelle Erregungsgefühl verglichen. Im Falle einer
Selbstwert, Selbsterweiterung usw. Diskrepanz entsteht wieder Verhalten. Wird zu we-
3. Bedürfnisse, die mit sozialen Beziehungen zu nig Erregung erlebt, so entsteht Erregungsappetenz.
tun haben, z. B. Zugehörigkeit, Fürsorge usw. Die Person ist neugierig und nähert sich an und be-
3 ginnt zu explorieren. Erregungsaversion entsteht,
Bischof (1985, 1993) hat für das Problem mit den wenn zu viel Erregung vorhanden ist. Dann resul-
im Prinzip immer weiter differenzierbaren Bedürf- tiert Angst und es setzt Meidungsverhalten ein. Der
nislisten mit seinem Zürcher Modell der sozialen Soll-Wert muss sich nicht nur auf soziale Kontakte
Motivation eine überzeugende Lösung gefunden. beziehen. Unternehmungslust umfasst grundsätz-
Im Vergleich zu anderen Konzeptionen fällt auf, lich auch den Wunsch nach Abwechslung, ebenso
dass jedes Motivsystem mit zwei motivationalen wie Risikobereitschaft und Umgang mit Komple-
Tendenzen, nämlich der Appetenz und der Aver- xität.
sion, ausgestattet ist (. Tab. 3.2).
Mit der Beschreibung der Motivsysteme er- Das Autonomiesystem Es reguliert soziale Interak-
schließt sich das Modell noch besser: tionen in Hinblick auf Rangordnung und Domi-
nanz. Dieser Regelkreis ist mit einem Erfolgsdetek-
Das Sicherheitssystem Es regelt die Nähe zu ver- tor ausgestattet. Bekommt man in verschiedensten
trauten, sicherheitsspendenden Personen. Je be- Situationen, was man möchte, so erlebt man sich
deutsamer, je vertrauter und je näher eine solche als erfolgreich. Dies wird vom Erfolgsdetektor re-
Person ist, umso mehr vermag sie Sicherheit zu gistriert und führt zum Autonomiegefühl. Dieser
vermitteln. Der Soll-Wert des Sicherheitssystems Ist-Wert wird mit dem Soll-Wert, dem sog. Auto-
wird Abhängigkeit genannt. Dieser Wert bestimmt nomieanspruch, verglichen. Erlebt man zu wenig
das Ausmaß des Bedürfnisses nach Sicherheit, Ge- Autonomie, so entsteht Autonomieappetenz. Die
borgenheit, Wärme oder einfach nur nach Zusam- Folge sind assertive Verhaltensweisen, d. h. die Per-
mensein mit anderen Menschen. In einer gege- son tritt auftrumpfend, fordernd, drohend oder so-
benen Situation wird der Soll-Wert, die Abhängig- gar aggressiv auf. Bekommt man zu viel Autonomie
keit, mit dem Ist-Wert, der gefühlten Sicherheit, zugestanden, dann zeigt sich Autonomieaversion
verglichen. Wird eine Diskrepanz festgestellt, so mit submissiven Verhaltensweisen. Die Person
löst dies Verhalten aus. Im Falle einer Sicherheits- macht sich klein, zeigt sich unterwürfig, wirkt ver-
appetenz, wenn man also gerade zu wenig Sicher- legen und demütig. Der Soll-Wert dieses Subsys-
heit vermittelt bekommt, entsteht ein Bindungs- tems ist keine einheitliche Größe, sondern setzt
wunsch und man sucht Nähe. Wird zu viel Sicher- sich aus drei verschiedenen Motiven zusammen. Es
heit gefühlt, so passiert das Gegenteil. Es entsteht sind die folgenden drei Komponenten, die Bischof
Überdruss. Die Person zeigt Meidungsverhalten (1993) hier verankert sieht:
und vergrößert den Abstand. 4 Macht/Dominanz: Der Erfolgsdetektor zeigt
Unterwürfigkeit von Sozialpartnern an.
Das Erregungssystem Tauchen fremde Personen 4 Geltungsbedürfnis: Der Erfolgsdetektor zeigt
auf, so wird das Verhalten durch das Erregungssys- Geltung und Applaus an.
tem gesteuert. Die Fremdheit einer Person wird am 4 Leistungsmotivation: Der Erfolgsdetektor zeigt
besten durch die Neuartigkeit der Reize bzw. durch Resultate eigener Kompetenz und Wertschöp-
die Diskrepanz zu bestimmten Erwartungen be- fung an.
schrieben. Weiterhin spielen ihre Nähe und die Re-
levanz eine Rolle, wobei letzteres soviel wie »Artge- Wichtig ist noch, dass mit dem Autonomiesystem
nossenhaftigkeit« und »Ranghöhe« meint. Eine das Sexualitätssystem eng verknüpft ist. Wir kom-
fremde, ranghohe Person in unmittelbarer Nähe men später ausführlicher darauf zurück.
erzeugt also besonders viel Erregung. Der Soll-
3.2 · Zugang zu den Bedürfnissen
35 3
Das Besondere am Zürcher Modell besteht nun
darin, dass die drei Motivsysteme auch noch funk- . Tab. 3.2 Motivsysteme des Zürcher Modells mit
tional miteinander verschaltet sind, indem der Soll- jeweils zwei motivationalen Tendenzen. Adaptiert
nach Bischof (1985, 1993)
Wert des Autonomiesystems die beiden anderen
Soll-Werte, Abhängigkeit und Unternehmungslust,
Motivsystem Appetenz Aversion
kontrolliert: Je größer der Autonomieanspruch,
umso größer ist die Unternehmungslust und umso Sicherheitssystem Bindung Überdruss
geringer ist die Abhängigkeit. Insgesamt entsteht
Erregungssystem Neugier Furcht
damit eine überlegene Systematik, die, wie wir spä-
ter noch sehen werden, unschätzbare Dienste für Autonomiesystem Assertion Submission
grundlegende therapeutische Fragestellungen leis-
tet.
Einerseits hatte sich ja gezeigt, dass eine quali- therapeutische Orientierung vermitteln. Wie vor-
tative Differenzierung der Bedürfnisse als Grund- hin erwähnt, fanden Pittman & Zeigler (2006) bei
lage für eine Versprachlichung wichtig ist. Für das ihrer Analyse prominenter Bedürfnismodelle eben-
Verständnis motivationaler Tendenzen und ihrem falls die Bedürfnisgruppen Autonomie und Bin-
Zusammenhang mit der Psychopathologie ist es dung, wenn wir von den dort angesprochenen phy-
aber auch notwendig, mit basalen Kategorien argu- siologischen Bedürfnissen in diesem Zusammen-
mentieren zu können, damit auch vergleichende hang einmal absehen. Das Modell von Bischof the-
Betrachtungen möglich sind. Dies ist schwierig auf matisiert ebenfalls diese beiden großen Bedürfnis-
der Basis langer Listen. So kann es etwa interessant gruppen. Erregung werden wir im Zusammenhang
sein, zwei Patienten mit derselben Symptomatik, mit der Sicherheitsregulation als abhängige Variab-
z. B. Agoraphobie, zu vergleichen. Auslösendes Er- le wiederfinden. Wir wollen deshalb Autonomie-
eignis bei einer Patientin war der Umstand, dass orientierung und Bindungsorientierung als ori-
sich der Partner von ihr trennen wollte. Im Falle entierende Kenngrößen für den Umgang mit Be-
des anderen Patienten, wünschte die Partnerin ein dürfnisprofilen verstehen. Diese können bei Bedarf
Zusammenlegen der Wohnungen mit der Perspek- selbstverständlich wieder qualitativ ausdifferenziert
tive, bald zu heiraten. Eine Analyse beider Fälle, werden.
genauer kommen wir weiter unten darauf zurück,
ergab einen wesentlichen Unterschied in der Be-
dürfnisstruktur beider Patienten. Bei der Patientin, 3.2 Zugang zu den Bedürfnissen
deren Partner sie verlassen wollte, zeigte sich im
Sinne des Zürcher Modells ein hohes Maß an Ab- Bedürfnisse zeigen Diskrepanzen zwischen situa-
hängigkeit. Basis ihrer Angstsymptomatik war also tiven Ist-Werten und angestrebten Soll-Werten an.
Trennungsangst bei sehr starker Bindungsorientie- Kuhl (2006) bezeichnet Bedürfnisse als subkogni-
rung. Der Patient, der sich nachdrücklich in den tive Melder. Sie werden als subkognitiv bezeichnet,
Hafen der Ehe gelotst fühlte, war weniger bin- da sie schon vor dem Entstehen einer kognitiven
dungsorientiert. Er verbrachte nicht so viel Freizeit Zielrepräsentation vorhanden sind, weil sie phylo-
mit seiner Freundin. Einerseits war sie ihm wichtig, genetisch, ontogenetisch und auch hirnanatomisch
andererseits brauchte er auch immer wieder Ab- unterhalb jener Strukturen anzuordnen sind, die
stand. Er ging mehreren Sportarten nach, z. B. Fall- kognitive Repräsentationen vermitteln. Im Laufe
schirmspringen, arbeitete sehr engagiert usw. Er der Lerngeschichte ergeben sich jedoch unzählige
zeigte viele Merkmale hohen Autonomieanspruchs, Episoden der Bedürftigkeit und der Bedürfnisbe-
der nun schrumpfen sollte. Diese Gefahr stresste friedigung, wobei unter einer Vielzahl von Aus-
ihn im Übermaß und er entwickelte im Zuge des- gangsbedingungen verschiedenste Verhaltensvari-
sen Angst. anten ausprobiert werden, die zu mehr oder weni-
Somit kann der Blick auf die grundsätzliche ger befriedigenden Erfahrungen führen. Solche
motivationale Ausrichtung schon eine wesentliche Erfahrungen werden – so Kuhls Annahme – vom
36 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

sog. Extensionsgedächtnis aufbewahrt. Es ist zu ronale Komponenten sowohl kortikale als auch
verstehen als ein ausgedehntes Netzwerk von subkortikale Hirnregionen umfassen, als soma-
Handlungsoptionen, selbst erlebten Episoden und tische Marker bezeichnet. Die beschriebenen Pro-
den damit verbundenen Gefühlen. Dieses Erfah- zesse bezeichnet Kuhl als eine intelligente Form der
rungssystem liefert einen Überblick über sämtliche Intuition. Bedürfnisbefriedigung ist dann das Er-
Lebenserfahrungen. Wegen seines immensen Um- gebnis einer intuitiven Verhaltenssteuerung.
3 fanges ist es freilich nicht möglich, dass gleichzeitig Für Therapeuten ist nun entscheidend: Der Zu-
alle Erfahrungen vollständig bewusst werden. Der gang zum Extensionsgedächtnis und zur intuitiven
Teil des Extensionsgedächtnisses, der sich auf die Verhaltenssteuerung wird entscheidend durch po-
Person mit ihren bisherigen Erfahrungen, ihren sitiven Affekt gefördert. Fühlt man sich gut und si-
Vorlieben, Ängsten und ihrem Spektrum an Be- cher, so Kuhl (2001) in seiner ersten Modulations-
dürfnissen bezieht, wird als Selbst bezeichnet. Be- annahme, dann ist auch das Handeln eher leichter
dürfnisse werden also mit einem umfassenden unbeschwerter, unmittelbar und spontan. Natür-
Netzwerk an Erfahrungswissen verknüpft, das für lich kann es beim Umgang mit den eigenen Bedürf-
eine Vielzahl von Situationen kontextangemessene nissen zu Unstimmigkeiten oder gar Gefahren
Handlungsmöglichkeiten anbietet. kommen. Negativer Affekt aktiviert dann das sog.
Als Beispiel betrachten wir eine Form der Bin- Objekterkennungssystem. Es lenkt die Aufmerk-
dungsmotivation. Dieses Motiv besteht aus einem samkeit auf Details, löst sie sozusagen aus dem
gefühlten Bedürfnis nach Nähe. Kennzeichnend Kontext der Erfahrungen heraus. In solch einem
für ein Motiv ist darüber hinaus also das Erfah- Moment stehen Aspekte im Vordergrund, die ir-
rungswissen, das den Weg zu einer Befriedigung gendwie stören und unpassend sind; sie können
der Nähesuche weist. Hier kann sich z. B. als erfolg- durch positive Einzelheiten oder Erfahrungen je-
versprechender Weg herausgestellt haben, sich in- doch nicht relativiert werden. Negativer Affekt, so
tensiv der Anliegen des Gegenübers, dessen Nähe die zweite Modulationsannahme, behindert den
gesucht wird, anzunehmen. Als hochintelligentes Zugang zum Extensionsgedächtnis und vereitelt
System ist das Extensionsgedächtnis nun in der La- damit eine Relativierung ungünstiger Aspekte. Ein
ge, einen geeigneten Erfahrungshorizont zu mar- reduzierter Zugriff auf das Extensionsgedächtnis
kieren. Es lenkt die Aufmerksamkeit wie einen behindert den Zugang zu bedürfnisrelevantem
Scheinwerferkegel auf weite Bereiche potenziell re- Wissen. Die damit verbundene Bedürfnisfrustrati-
levanter Erfahrungen. Kuhl umschreibt diese Form on erklärt z. B. ein hohes Maß psychosomatischer
der frei schwebenden Aufmerksamkeit als Vigilanz. Symptome, die bei Patienten mit dem SCL-90 be-
Sie spricht in der vorhandenen Situation auf alles stimmt wurden (Baumann & Quirin, 2006). Ge-
an, was in irgendeiner Weise bedürfnisrelevant sein lingt es jedoch, das Ausmaß negativer Gefühle ir-
könnte. In diesem Zustand der frei schwebenden gendwie zu senken, dann ist der Zugang wieder
Aufmerksamkeit, die nicht auf Einzelheiten fixiert möglich, man spürt sich wieder besser und ist
ist, ist man nicht in der Lage all dies auch bewusst buchstäblich wieder selbstbewusster.
zu erleben. Stattdessen, so Kuhl, kann man die un-
zähligen Aspekte, die in eine Entscheidung einflie-
ßen eigentlich nur fühlen und lediglich in einem 3.3 Motivationspsychologische
geringen Ausmaß versprachlichen. Das Wort »Füh- Grundlagen II: Duales
len« passt insofern auch gut zur Eigenart des Ex- Motivationssystem
tensionsgedächtnisses, weil alle erlebten Hand-
lungsoptionen aufgrund von Konditionierungspro- Meistens sind Bedürfnisse nicht bewusst. Sie wer-
zessen emotional markiert sind, so dass sich eine den deshalb auch als implizite Motive bezeichnet.
bestimmte Handlungsoption etwa durch ein gutes Oft zeigt sich, dass Patienten Probleme haben, Zu-
Bauchgefühl hervorhebt. gang zu ihren Bedürfnissen zu bekommen. Eben
Damasio (1994) hat jene emotionalen und so- haben wir erfahren, dass negativer Affekt dabei
matosensorischen Navigationshilfen, dessen neu- eine ausschlaggebende Rolle spielen kann. Selbst
3.3 · Motivationspsychologische Grundlagen II: Duales Motivationssystem
37 3
wenn Patienten ihre Bedürfnisse benennen kön-
nen, so spiegeln die sprachlichen Inhalte anstelle . Tab. 3.3 Wichtige Bedürfnisse im Therapieprozess
ihrer »unverfälschten« Bedürfnisse in vielen Fällen gruppiert nach Motivationsrichtung

doch eher noch das Ergebnis ihrer oftmals schmerz-


Bindung Autonomie
lichen Sozialisation wider. Damit ist das Span-
nungsfeld zwischen impliziten und expliziten Mo- Zugehörigkeit Einfluss, Führen wollen
tiven gekennzeichnet. Wie wir noch sehen werden,
Wärme Leistung
ist diese Unterscheidung wesentlich für die prak-
tische Arbeit mit der Überlebensstrategie. Sie erfor- Willkommen sein Sich Profilieren
dert eine Arbeitsmethodik, die insbesondere einen
Harmonie Konkurrieren
Zugang zu den impliziten Motiven erlaubt. Was ist
mit diesen beiden Motivtypen gemeint? Geborgenheit Selbstbehauptung
Unser Handeln wird durch ein duales Motivati- Zuverlässigkeit Freiraum
onssystem gesteuert: Einem automatischen, nicht-
verbalen, lustorientierten impliziten Motivations- Gesehen werden Selbst machen

system und einem eher aufwendigen, sprachba- Empathie erfahren Neugier


sierten, sozial orientierten expliziten Zielverfol-
Wertschätzung Eigene Wege gehen
gungssystem (Schultheiss, 2006).
An die objektiv gegebenen situativen Bedin- Lob bekommen Experimentierbereitschaft
gungen werden Bedürfnisse, Motive, Werte und
Ziele durch die individuelle Person herangetragen,
das was sie möchte, wünscht und anstrebt. Auf die- . Tab. 3.4 Gegenüberstellung impliziter und
se Weise passiert eine Energetisierung des Han- expliziter Motive. Adaptiert nach Hauke (2010).
delns, das wiederum das Wohlergehen der Person Mit freundlicher Genehmigung von CIP-Medien
sichern soll. Entsprechende Standards will die Per-
son für sich erreichen, aufrechterhalten und bei Implizite Motive Explizite Motive
Verlust wiedergewinnen. Welche Motive kommen Sind nicht bewusst, Sind bewusst, durch
für relevante Situationen in Frage? . Tab. 3.3 zeigt müssen erlebnisaktivie- Selbstbericht zu ermitteln,
einige häufige, in unseren Therapien erarbeitete rend erarbeitet werden Selbstzuschreibung
Motive.
Sagen spontanes Sagen überlegtes
In der Tabelle haben wir häufige Motive nach Verhalten in offenen Verhalten in strukturierten
ihren Wirkrichtungen gruppiert. Wenn sie sich auf Situationen vorher Situationen vorher
Sicherheit vornehmlich durch Zugehörigkeit und
Sagen langfristige Sagen eher kurzfristiges
Bindung beziehen lassen, dann haben wir sie der Verhaltenstrends Verhalten vorher
Kategorie Bindung/Sicherheit zugeordnet. Sind die vorher
Motive thematisch auf Selbsterweiterung ausge-
Sind in früher Kindheit Sind im sozialen Kontext
richtet, d. h. der Erweiterung, Stärkung und Bestä-
erworben, vorsprach- erworben, beeinflusst
tigung des Selbst, dann ordnen wir sie der Katego- lich durch Erwartungen
rie Autonomie zu. Die in . Tab. 3.4 ausformulierten
Motive können impliziten oder expliziten Charak- Neuronal-affektive Kognitive Grundlage
Grundlage
ters sein. Implizite Motive sind meist nicht bewusst
und abgrenzbar von den sog. expliziten Motiven, Umsetzung passiert Umsetzung erfordert
die grundsätzlich eher bewusst sind. Beide Motiv- automatisiert, keine Selbstreflexion und
bewusste Kontrolle des Planung, bewusste
typen werden in . Tab. 3.4 charakterisiert und ein-
Verhaltens erforderlich Kontrolle des Verhaltens
ander gegenübergestellt.
Sind spontan, Erscheinen als Pflichten
ausdrucksstark, und Zielsetzungen
lustorientiert
38 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

3.3.1 Implizite und explizite Motive Ausdruck impliziter Motive in verschiedenen Kon-
texten kanalisieren und moderieren und zweitens
Implizite Motive Bezeichnen unsere »Grundbedürf- sind sie in der Lage, sogar implizite motivationale
nisse«, z. B. Bindung, deren Befriedigung das bio- Impulse vorerst auszubremsen.
logische Überleben des Organismus sichert. Sie Ein Beispiel verdeutlicht dies: Ein guter Vorge-
sind angeboren und nicht bewusstseinspflichtig. setzter, sein explizites Motiv, drückt sich in seinem
3 Diese primär biologischen »Motivkerne« werden Wunsch aus, eine vorbildliche Führungskraft sein
dann durch frühe Lernprozesse weiter ausgeformt zu wollen, überlässt sich nicht impulsiv seinem Är-
und entwickelt. Lerngeschichtliche Erfahrungen ger (implizites Motiv) und hält diesen erst einmal
bestimmen über die individuelle Stärke des jewei- aus. Im Verlaufe des Mitarbeitergesprächs findet er
ligen Motivs. Es wird angenommen, dass diese bio- zu einer Dosierung für den Ausdruck seiner Ver-
grafischen Erfahrungen zeitlich in der vorsprach- stimmung, auf die sich der Mitarbeiter besser ein-
lichen Entwicklungsphase anzusiedeln sind (Brun- lassen kann. Die daraus resultierende Klärung hilft
stein, 2006). Deshalb sind implizite Motive nicht zukünftig beiden Gesprächspartnern. Bis zu einem
sprachlich repräsentiert und auch durch »kogni- gewissen Grad können explizite Motive also dabei
tives« Gespräch in der Therapie nicht zu erfassen. helfen, psychologische Flexibilität zu erhalten. An-
Insbesondere führen sie ein unbewusstes Eigenle- dererseits lässt dieses Beispiel auch schon Problem-
ben, wirken eher spontan und impulsiv. Es ist kei- zonen erkennen, insbesondere dann, wenn immer
nerlei bewusste kognitive Kontrolle oder Verhal- nur derselbe Gesprächspartner die Rolle des Ein-
tenssteuerung erforderlich, damit sie Handeln ge- fühlsamen und Verständnisvollen übernehmen
nerieren, sie sind unmittelbar handlungswirksam. muss, damit – möglichst unter Wahrung des Frie-
dens – das Bedürfnismanagement auch funktionie-
Explizite Motive Sind hingegen Teil unseres verbal ren kann. In ungünstigen Fällen gibt es entweder
repräsentierten Wissens über uns selbst. Sie spie- keine Überschneidung zwischen expliziten und im-
geln Selbstbilder, Werte und Ziele wider, die sich pliziten Zielen oder die Interaktion folgt überwie-
eine Person selbst zuschreibt und mit denen sie gend expliziten Ziele, was für die Lebendigkeit ei-
sich identifiziert. Sie zeigen, welche Vorstellung ner Beziehung auf Dauer sicherlich fatal ist. Beide
eine Person von ihren handlungsleitenden Motiven Motivarten sind verschieden, können sich aber
hat (Brunstein, 2006). Somit repräsentieren explizi- grundsätzlich gut ergänzen: Implizite Motive lie-
te Motive wichtige bewusste Soll-Werte und Hand- fern die motivationale Energie, die von expliziten
lungsstandards einer Person. Interessanterweise Motiven derart kanalisiert und reguliert werden,
korrelieren die expliziten Motive, erfasst z. B. durch dass in komplexeren Situationen zielgerichtetes
Selbstaussagen, kaum mit den impliziten Motiven Verhalten möglich bleibt (Schultheiss & Brunstein,
einer Person, indirekt erfasst etwa durch projektive 2005).
Tests. Anders ausgedrückt: Motive, die sich eine
Person gerne zuschreibt, müssen nicht den inneren
Bewegern ihres Handelns, den impliziten Motiven, 3.3.2 Psychisches Wohlergehen:
entsprechen (Brunstein, 2006). Dennoch lassen Harmonisierung impliziter
sich expliziten Motiven wichtige Funktionen zu- und expliziter Motive
ordnen (McClelland et al., 1989). Die Einbindung
in soziale Gefüge verlangen uns erhebliche Anpas- Menschen, die ihre impliziten Motive in ihrem
sungsleistungen ab. Oft können wir nicht einfach Leben nicht irgendwie berücksichtigen, sondern
unseren »ungeschminkten« Grundbedürfnissen ständig Vorgaben und Ziele verfolgen, die nicht zu
folgen, ohne dabei beträchtliche Störungen zu er- ihren impliziten Motiven passen, geraten unter
zeugen, welche wiederum die längerfristige Befrie- permanenten Stress. Wer ständige Bedürfnisfrus-
digung anderer Grundbedürfnisse vereiteln wür- tration in Kauf nimmt, erhöht seinen Stresspegel
den. Explizite Motive können bei dieser »Sozialisie- massiv und reagiert mit psychosomatischen Symp-
rungsanforderung« helfen. Erstens können sie den tomen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass
3.3 · Motivationspsychologische Grundlagen II: Duales Motivationssystem
39 3
der Organismus zur Aufrechterhaltung sowohl der schiedenen Codes verarbeitet und in unterschied-
psychischen als auch der physischen Gesundheit in lichen Gedächtnissystemen gespeichert werden.
der Lage sein muss, durch geeignetes Handeln auch Mit seiner Dual-Code-Theorie postulierte er, dass
seine impliziten Motive zu befriedigen (McClelland insbesondere visuelle und verbale Informationen
et al., 1989; Baumann et al., 2005; Baumann & Qui- in unterschiedlichen Systemen des Langzeitge-
rin, 2006; Michalak et al., 2006). Im Rahmen ent- dächtnisses gespeichert werden. Er konnte zeigen,
sprechender Untersuchungen stellte sich immer dass referenzielle Verarbeitung einen Informati-
wieder heraus, dass die erwähnte Passung, das onsaustausch zwischen verbalen und nichtverbalen
günstige Zusammenspiel, d. h. die Kongruenz im- Verarbeitungssystemen ermöglichen würde. Die
pliziter und expliziter Motive, meist zu lustvoller Kommunikation zwischen den Systemen würde
Bedürfnisbefriedigung, einer fast schon genuss- aber zusätzliche Anstrengung und Verarbeitungs-
reichen Aufgabenerfüllung, zu besserer mentaler zeit (z. B. bei einer Übersetzung von Worten in Bil-
Gesundheit, zu erhöhtem persönlichen Erfolg usw. dern) bedeuten, verglichen mit Prozessen inner-
führt. Im günstigen Falle hat uns unsere biogra- halb der jeweiligen Systeme, in denen ja das refe-
fische Entwicklung also Schemata vermittelt, die renzielle Format konstant bleibt.
eine solche funktionale Bedürfnisbefriedigung er- Wie wir gesehen haben, unterscheiden sich die
möglichen (Hauke, 2006b, 2008). Systeme impliziter und expliziter Motivation stark
In der Therapie werden wir oft feststellen, dass voneinander, nicht zuletzt zeigen entsprechende
die meisten Ziele, die sich Patienten setzen, anfangs Messungen kaum Korrelationen derjenigen Maße,
eher explizit motiviert sind. Sie lösen oftmals kei- die typisch für die jeweiligen Systeme sind. Im
nerlei Begeisterung aus. Man hat zwar für sich ein- Sinne von Paivio handelt es sich also auch um un-
gesehen, dass ein bestimmtes Ziel unbedingt ange- terschiedliche Systeme. Gibt es auch eine Form der
packt werden sollte, ist aber bestenfalls in der Lage, Kommunikation zwischen diesen unterschied-
eine Art von »Pflichthaltung« dafür aufzubringen. lichen Systemen impliziter und expliziter Motiva-
Veränderung ist manchmal schwierig. Wenn es da- tion?
bei gelänge, irgendwie an das Profil impliziter Mo- Dieser Fragestellung gingen Schultheiss &
tive anzudocken, dann könnte vielleicht auch mehr Brunstein (1999, 2002) nach. Sie wollten prüfen, ob
Leichtigkeit und Freude in diesem Prozess entste- eine referenzielle Verarbeitung eine Verbindung
hen. In . Tab. 3.4 erkennen wir, dass es im Falle im- zwischen den beiden Systemen stärkt. Dazu wurde
pliziter Motivation um das Erleben des motivatio- eine verbale Zielvorgabe präsentiert. Die eine Hälf-
nalen Agens geht, um Prozessorientierung, nicht so te ihrer Probanden musste sich den Prozess der
sehr um das Endziel. Dafür sorgt wiederum ein Zielverfolgung und -erreichung im Rahmen einer
entsprechendes explizites Motiv. In gewisser Weise Imagination möglichst lebendig vorstellen. Die an-
repräsentiert jeder Motivationstyp eine andere dere Hälfte der Versuchsteilnehmer wurde mit
Welt. Soll also – wie im Falle zweier verschiedener einer neutralen Aufgabe beschäftigt, die mit einer
Kulturen – Kommunikation miteinander stattfin- Übersetzung dieses verbal formatierten Ziels in ein
den, dann ist eine Übersetzungshilfe vonnöten. Wie Bild jedenfalls nichts zu tun hatte. Die Aktivitäten
könnte eine Übersetzungshilfe beschaffen sein, die und Anstrengungen zur Zielerreichung konnten
zwischen den unbewussten, nichtverbal formatier- dann durch die vorher ermittelten impliziten Mo-
ten impliziten Motiven und den bewussten, sprach- tive vorhergesagt werden, wenn Probanden vorher
lich formatierten expliziten Motiven vermittelt? eine Zielimagination durchgeführt hatten. Dies war
bei der Kontrollgruppe nicht möglich. Solche in-
jDer referenzielle Prozess zwischen häufig replizierten Befunde legen die Ver-
In der Kognitionspsychologie werden solche Über- mutung nahe, dass referenzielle Verarbeitung eine
setzungsprozesse diskutiert. Sie wurden von Paivio Verbindung zwischen diesen Systemen herzustel-
(1986) als referenzieller Prozess bezeichnet. Paivio len vermag und insbesondere ein Andocken impli-
war ein früher Vertreter der heutzutage allgemein ziter Motivation an explizite Zielvorgaben ermög-
geteilten Auffassung, dass Informationen in ver- licht.
40 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Solche Befunde sind für therapeutische Zwecke Farbwörtern (= hohes Maß an referenzieller Verar-
äußerst interessant. Demnach sollte es hier nicht beitung), von jenen, die für das Benennen mehr
bei verbalem Austausch über Ziele und Zielerrei- Zeit brauchten, klar unterschieden. Bei der Be-
chung bleiben. Genauso, wie dies in den Experi- schreibung einer interessanten persönlichen Erfah-
menten durchgeführt wurde, lassen sich auch in rung zeigten jene, die nonverbale Reize schneller
der Stunde geeignete Ziele imaginieren. Der refe- benennen konnten, einen spontaneren Sprachstil
3 renzielle Prozess wird dann durch Instruktion und mit sehr konkreten und spezifischen Angaben,
eine entsprechende Imagination angestoßen. Dies während die zweite Personengruppe einen distan-
gestattet ein Andocken an das implizite motivatio- zierteren Sprachstil mit allgemeineren Angaben
nale System, das seine besonderen Qualitäten der und abstrakteren Formulierungen bei der Beschrei-
Energetisierung und Mühelosigkeit sowie der Intu- bung ihrer Erfahrungen verwendete.
ition zur Verfolgung expliziter Zielsetzungen zur In späteren Arbeiten konnte sie zeigen, dass di-
Verfügung stellt. ese Erzählstilmerkmale der referenziellen Verarbei-
Sind einige Menschen besser dazu in der Lage tung in der Sprache mit dem Erfolg von Psychothe-
als andere, die Verbindung zu ihren impliziten Mo- rapiesitzungen korreliert (Bucci, 1995; 1997). Dabei
tiven herzustellen? Gibt es also – im Sinne einer waren Episoden, die in einer konkreten, bildhaften
Persönlichkeitseigenschaft – eine stabile Fähigkeit, »Bauchsprache« (hohe referenzielle Verarbeitung)
etwa der referenziellen Kompetenz, die es manchen vorgetragen wurden, auch mit insgesamt größerer
Menschen erlaubt, sich besser mit ihren impliziten emotionaler Einsicht und Problemlösefähigkeit
Motiven zu verbinden als anderen? Schultheiss verbunden, als solche, die durch eine eher abstrakte
(2001, 2008) definiert referenzielle Kompetenz in Sprache zu charakterisieren waren (= geringes Maß
diesem Zusammenhang ebenfalls als die Fähigkeit an referenzielle Verarbeitung). Folgendes kann
der Übersetzung zwischen dem verbalen und dem man sich im therapeutischen Kontext unter bild-
nonverbalen impliziten System: In der einen Rich- hafter Bauchsprache vorstellen: »Es fährt mir wie
tung werden nonverbale Repräsentationen durch eine kalte Hand in meine Eingeweide« oder »In
Versprachlichen in verbale Repräsentationen über- meiner Brust fühlt es sich an, wie ein Gummiball
führt. In der entgegengesetzten Richtung werden mit Stacheln, der sich immer weiter ausdehnt«.
verbale Repräsentationen mittels mentaler Bilder Diese Arbeiten von Wilma Bucci machen ins-
in nonverbale Repräsentationen überführt. Jene besondere deutlich, dass nicht nur unser explizites
Person verfügt z. B. über die bessere referenzielle Zielverfolgungssystem vom referenziellen Prozes-
Kompetenz, die im Vergleich zu ihrer Lesege- sieren profitiert. Der gesamte therapeutische Pro-
schwindigkeit nichtverbale Stimuli schnell benen- zess scheint aufgrund der Fähigkeit, nonverbale
nen kann. Darüber hinaus vertritt er die Auffas- Erfahrungen verbalisieren zu können, einen güns-
sung, dass referenzielle Kompetenz die Passung tigeren Verlauf zu nehmen. Das implizite Motivati-
zwischen impliziten und expliziten Motiven vor- onssystem wird am ehesten durch nichtverbale Sti-
herzusagen vermag (Schultheiss et al. 2011). Je bes- muli angeregt, z. B. durch Bilder, Gesten, Mimik
ser eine Person dazu in der Lage ist, nonverbale etc. Sind mentale Bilder – ähnlich wie reale Bilder
Erfahrungen zu versprachlichen, umso mehr Pas- – in der Lage, das implizite System anzuregen? Dies
sung besteht zwischen ihren impliziten und expli- konnte durch die eben erwähnten Untersuchungen
ziten Motiven. von Schultheiss & Brunstein (1999, 2002) belegt
Die berichteten Untersuchungen zur referen- werden: Ziele, die zunächst sprachlich formatiert
ziellen Kompetenz bedienten sich einer Untersu- waren, wurden durch die Versuchsanordnung in
chungsmethodik, die schon früher von der Psycho- das quasi-perzeptive Format mentaler Bilder über-
analytikerin Bucci (1984) verwendet worden war. setzt. Dies gestattet ein Andocken an das implizite
Ihre Untersuchung hat unmittelbare Relevanz für motivationale System (mühelos, schnell, intuitiv,
das therapeutische Gespräch. Sie konnte zeigen, energetisierend).
dass sich Probanden, die beim Benennen von Far- Weshalb docken mentale Bilder am impliziten
ben genauso schnell waren wie beim Lesen von System an? Mentale Bilder sind äquivalent zu re-
3.4 · Emotionspsychologische Grundlagen
41 3
alen Bildern (Schultheiss & Brunstein, 1999; 2002). lation der Zielverfolgung und -verwirklichung er-
Kognitive Neurowissenschaften konnten belegen, reicht werden (Bucci, 1997; Schultheiss & Brun-
dass bei der Produktion mentaler Bilder dieselben stein, 1999). Das Anstreben motivkongruenter
Hirnregionen aktiviert sind wie bei der Wahrneh- Ziele wird aufgrund der Verbindung mit impliziten
mung realer Bilder. Allerdings muss hierfür das ex- Motiven als affektiv »heißer« Modus der Zielverfol-
plizite Motiv in ein Format überführt werden, an gung angesehen, der nicht nur von einer Steigerung
das die impliziten Motive andocken können. Bilder des allgemeinen Wohlbefindens und von positiven
sind der Schlüssel für diesen verbindenden Prozess. Gefühlen, sondern auch von der Abnahme depres-
Welche Qualitäten sind es, die den Bildern die Brü- siver Symptome begleitet ist (Schultheiss, Jones et
ckenfunktion zuweisen? Nach Bucci (1997, 2002) al., 2008).
zählen sowohl Bilder als auch mentale Vorstellun-
gen zu den symbolischen Informationen, sind dar-
über hinaus aber noch multimodal kodiert, d. h. 3.4 Emotionspsychologische
über verschiedene Sinneseindrücke geprägt. Auch Grundlagen
Worte sind Symbole, d. h. sie weisen über sich hin-
aus, sie stehen für etwas anderes. Sie sind aber nicht Überlebensstrategien sind ganz besonders mit dem
multimodal kodiert. Implizite Informationen ent- Erleben und Verarbeiten von Emotionen verbun-
stammen einer anderen Welt. Bei ihrer Beschrei- den. Dieser Zusammenhang ist so eng, dass wir
bung fühlt man sich an das Kuhlsche Extensions- deshalb auch von emotionalen Überlebensstrate-
gedächtnis, das Fühlgedächtnis, erinnert. gien sprechen. Emotionspsychologie beschäftigt
Bucci zählt Körperempfindungen ebenso dazu, sich oft mit isolierten, gut charakterisierbaren Ge-
wie Intuitionen. Man weiß etwas ganz sicher, kann fühlen. Auch wenn dies natürlich seine Berechti-
es aber nicht verbalisieren. Man tut etwas mit gung hat, so müssen wir in der klinischen Praxis
traumwandlerischer Sicherheit, ist sich aber gar jedoch mit weitaus komplizierteren Verhältnissen
nicht darüber im Klaren. Weiterhin gehören Eigen- rechnen. Oftmals wollen Patienten bestimmte
schaften der Sprache wie Sprachmelodien, Akzente, Emotionen vermeiden oder man hat es mit mehre-
Töne usw. dazu. Auf all diese sog. subsymbolischen ren Emotionen gleichzeitig zu tun, wobei eine
Informationen reagieren wir. Subsymbolische In- Emotion die jeweils andere verdecken kann. Oft
formationen sind – ebenso wie Bilder – multimo- sind Patienten auch gar nicht in der Lage, ihre
dal kodiert. Damit besteht eine Verbindung zwi- Emotionen zu identifizieren oder zu unterscheiden,
schen subsymbolischen Informationen und Bil- geschweige denn, sie klar zu benennen. Solche
dern. Andererseits stehen Bilder aufgrund ihrer komplexen Sachverhalte lassen sich nicht in einem
diskreten und symbolischen Eigenschaften den einzigen Modell abbilden.
Worten nahe. Bildersprache hat also die Funktion,
die wenig bewussten körperbezogenen Prozesse,
motorisch, somatisch, sensorisch sowie entspre- 3.4.1 Was ist eine Emotion?
chende Körpersignale, körpernahen Affekte und
impliziten Motive für den Prozess der Versprachli- Wenn in der wissenschaftlichen Psychologie von
chung zu formatieren. Storch (2009) hat sich inten- Emotionen die Rede ist, dann ist damit ein Vorgang
siv mit der praktischen Umsetzung solcher Befunde gemeint, der sich zeitlich entwickelt: Sie kommen
befasst und beschreibt diese Mittlerfunktion sehr und gehen, werden stärker oder schwächer oder
treffend: »An jedem Wort hängt ein Bild und an je- verwandeln sich in andere Emotionen. In der The-
dem Bild hängt ein Gefühl– (S. 196). Bilder stellen rapie sprechen wir ja oft über »Gefühle«, also das
eine Verbindung her zwischen dem bewussten subjektive Erleben unserer Patienten. Tatsächlich
Sprachcode und den unbewusst verarbeiteten Kör- ist dieses subjektive Erleben aber lediglich eine
pergefühlen sowie grundlegenden Affekten. Prak- Komponente des wissenschaftlichen Emotionsver-
tisch kann diese Verbindung mit Hilfe einer Ziel- ständnisses (Zentner & Scherer, 2000). Hinzu
imagination, einer wahrnehmungsanalogen Simu- kommt noch der Körperzustand, beschrieben z. B.
42 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

durch Blutdruck, Hautwiderstand, Atemrhythmus, So wird die Emotion Stolz erlebt, wenn eine
sowie der motorische Ausdruck, der sich etwa im entsprechende Bewertung ergibt, dass das eigene
Gesichtsausdruck und der Körperhaltung zeigt. Tun einen bestimmten Wertmaßstab erfüllt. Dabei
Subjektives Gefühl, Körperzustand und Körperaus- werden Handlungen motiviert, die das Stolzerleben
druck bilden die sog. Reaktionstrias. andauern lassen. Es entsteht eine aufgerichtete
Der Begriff »Affekt« wird im englischen Sprach- Körperhaltung und auch ein Impuls, sich zu prä-
3 raum meist als Oberbegriff gesehen. Er ist hier die sentieren, was gleichzeitig eine kommunikative
Klammer für alle valenzierten, z. B. positiven oder Wirkung in Bezug auf mögliche Sozialpartner ha-
negativen, Zustände also für Emotionen und Stim- ben kann.
mungen (Rottenberg & Gross, 2007). Wenn man Im sozialen Bereich können dem emotionalen
im Deutschen von Affekt spricht, dann sind damit Ausdrucksverhalten vier wichtige Kommunikati-
jedoch kurze und intensive emotionale Zustände onsfunktionen zugeordnet werden (Scherer &
mit starken Handlungsimpulsen gemeint (Soko- Wallbott, 1990):
lowski, 2002). Emotionen sind im Vergleich zu 1. Signalisieren von Zustand und Reaktion
Stimmungen zeitlich relativ kurze Reaktionen. 2. Signalisieren der Verhaltensintention
Stimmungen hingegen dauern länger an, verändern 3. Soziale Repräsentation
sich langsamer und sind auch weniger auf spezi- 4. Signalisieren von Beziehungsqualitäten
fische Objekte bzw. kaum an eine bestimmte auslö-
sende Situation gebunden. Emotionale Reaktionen
kann man sich als Stürme und Stimmungen eher 3.4.2 Emotionsmodelle
wie saisonale Klimaschwankungen vorstellen.
Emotionen haben wichtige Funktionen für den Wie hat man sich die Arbeitsweise eines solchen
Handelnden: psychischen Systems vorzustellen? Seitdem sich die
4 Emotionen haben eine Bewertungsfunktion wissenschaftliche Psychologie mit dem Thema der
4 Emotionen dienen der Handlungsvorbereitung Emotionen befasst, werden sie als eine Verbindung
und der Motivation körperlicher und mentaler Vorgänge konzipiert.
4 Emotionen haben eine kommunikative Funk- Allerdings gibt es seit jeher Diskussionen über die
tion Wirkreihenfolge dieser beiden Vorgänge: Sind es
die körperlichen Veränderungen, die eine Emotion
Nach Bischof (2008) sind Emotionen Signale, wo- entstehen lassen, oder sind es kognitive Prozesse,
durch dem Coping-System die Thematik anstehen- die aufgrund bestimmter Bewertungen Emotionen
der, aber vorerst noch nicht erfüllbarer Bedürfnisse mit entsprechenden körperlichen Veränderungen
qualitativ erfahrbar wird. Emotionen teilen dem erzeugen?
Coping-System mit, welche Ziele es erreichen soll Im Laufe der Zeit wurden hierzu verschiedene
und wann seine Bemühungen erfolgreich waren. Konzepte entwickelt. Um die Rolle verschiedener
Holodynski (2004, S. 4) gibt zusammenfassend Prozesskomponenten zu verstehen bzw. verglei-
die folgende Definition: chen zu können, sollen hier kurz einige Denkfigu-
ren vorgestellt werden.
» Präziser gefasst ist eine Emotion ein sich selbst
organisierendes psychisches System, das interne jModerne Varianten der James-Lange-Theorie
bzw. externe kontextgebundene Anlässe in ihrer
Das Alltagsverständnis sieht Emotionen als eine
Bedeutung für die eigene Motivbefriedigung
schlichte Kausalkette: Man nimmt einen Stimulus
einschätzt, adaptive Ausdrucks- und Körperreak-
wahr, z. B. einen Bären, woraufhin wir eine ent-
tionen auslöst, die über das Körperfeedback als
sprechende Emotion erleben, z. B. Angst. Die Emo-
Gefühl subjektiv wahrgenommen und mit dem
tion ihrerseits verursacht wiederum verschiedene
Emotionsanlass in Zusammenhang gebracht
körperliche Reaktionen, wie z. B. Zittern und Herz-
werden, so dass motivdienliche Handlungen
rasen. Der amerikanische Psychologe James und,
ausgelöst werden können, sei es bei der Person
von ihm unabhängig, der dänische Arzt Carl Lange
selbst oder beim Interaktionspartner. «
3.4 · Emotionspsychologische Grundlagen
43 3
hatten diese Reihenfolge umgekehrt und damit ei- grenzten Möglichkeiten der Messtechnik. Wesent-
ne kontraintuitive Konzeption vorgeschlagen lich war hier aber insbesondere die bislang unzu-
(Wehr & Bräutigam, 1999). Danach ergeben sich längliche Charakterisierung entsprechender soma-
Emotionen aus der Wahrnehmung körperlicher tischer Zustände gewesen. Man war sich nicht si-
Veränderungen. Man fühlt Angst, weil der Körper cher, was alles erfasst werden muss. Erst durch die
mit Zittern, Schwitzen und Herzrasen reagiert. Hinzunahme kardiorespirativer Maße konnte hier
Diese Körperreaktionen werden hier also nicht als ein gewisser Durchbruch erzielt werden (Rainville
Symptome der Angst, sondern als deren Ursache et al., 2006). Dieser Arbeitsgruppe um Damasio ge-
gesehen. Als Körperempfindungen galten haupt- lang es, bestimmte jeweils charakteristische physio-
sächlich viszerale Empfindungen, d. h. Empfin- logische Muster für die Emotionen Angst, Ärger,
dungen die über die Organe der großen Körper- Traurigkeit und Freude zu ermitteln. Ob sich nun
höhlen (z. B. dem Magen, dem Herzen) vermittelt alle Emotionen mit Hilfe physiologischer Parame-
werden, sowie über die Haut und auch die peri- ter unterscheidbar charakterisieren lassen oder ob
phere Muskulatur. Heute werden weitere körper- dies nur für gewisse Basisemotionen möglich ist,
liche Reaktionen einbezogen (Holodynski, 2006). kann momentan nicht beantwortet werden. Bis
Neben dem Ausdrucksverhalten, wie Körperhal- heute haben die Überlegungen von James und Lan-
tung, Körperbewegung, Mimik, Gestik, vokaler ge jedenfalls erheblichen Einfluss (Dalgleish, 2004).
Klang der Stimme und Blickbewegung werden Vielleicht liegt es daran, dass sie dem Körper im
auch endokrinologische Prozesse, z. B. die Corti- Emotionsprozess eine so große Rolle zuweisen.
solausschüttung, hinzugenommen. Tatsächlich entspricht diese Bottom-up-Konzep-
Externe Stimuli können freilich nicht direkt tion der Emotionsentstehung dem Embodiment-
über die inneren Organe wahrgenommen werden. paradigma. In 7 Kap. 6 werden wir dies weiterver-
Neuere Varianten der Theorie von James und Lan- folgen.
ge berücksichtigen, dass entsprechende Informa-
tionen zunächst phylogenetisch ältere Strukturen jBewertungstheorien
des Gehirns passieren, wie etwa das limbische Sys- Kognitive Bewertungstheorien versuchen das Ent-
tem. Hier werden sehr schnell lebenswichtige, stehen von Emotionen mit Hilfe einzelner Bewer-
grundlegende Verhaltensprogramme und autono- tungsschritte zu rekonstruieren. Unterschiedliche
me Funktionen ausgelöst. Die dadurch verursach- Ergebnisse bei diesen Bewertungsschritten führen
ten körperlichen Veränderungen werden wieder- zu unterscheidbaren Bewertungsmustern. Hier
um, im Zuge einer langsameren Verarbeitung wird postuliert, dass je nach Bewertungsmuster ei-
durch den Neocortex, einer stammesgeschichtlich ne spezifische Emotion entsteht, die wiederum be-
jüngeren Struktur, bewertet. Diese Bewertung ist stimmte körperliche Reaktionen auslöst. Kritiker
nun bewusst und wurde von Zajonc (1984) als we- dieses Ansatzes sprechen von kognitivem Reduk-
sentlich kognitiv gesehen. Aus seiner Sicht sind die tionismus, da eben grundlegende physiologische
ersten, unmittelbaren Reaktionen emotionaler Na- Prozesse und unbewusste Bewertungen zu sehr
tur, ohne dass ihnen eine kognitive Bewertung vor- vernachlässigt würden. Dennoch bieten solche An-
ausgehen würde. Emotionen sind seiner Meinung sätze ein wertvolles Rüstzeug für die kognitive Ver-
nach also primär und Kognitionen sekundär. haltenstherapie und sollen deshalb hier kurz be-
Diese scharfe Trennung zwischen Kognition schrieben werden.
und Emotion gilt heute als überwunden (Scherer,
2001). Offensichtlich müsste es aus Sicht der James- Bewertungstheorie nach Lazarus Beginnen wir mit
Lange-Theorie für die Wahrnehmung unterscheid- einem Beispiel:
bare Erregungsmuster geben, damit wir auch ver-
schiedene Emotionen erleben können. Die Mög- Fallbeispiel
lichkeit, unterscheidbare physiologische Muster Ein 36-jähriger Patient, der sich intern intensiv um
auffinden zu können, wurde aber lange bezweifelt. einen neuen Job bemühte, reagierte mit Angst, als
Ursache dafür waren wohl nicht zuletzt die be- plötzlich ein Konkurrent auftauchte, der sich bei den
44 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Vorgesetzten besonders wirkungsvoll in Szene zu set- Im Rahmen der Therapie erreichte der Patient
zen vermochte. Er erlebte dies als schlecht – genauer: mehr Vertrauen in seine Kompetenzen und Fähig-
als bedrohlich – für seine Ziele und fühlte sich dem keiten und erlebte sich mehr auf Augenhöhe mit
Mitbewerber zunächst unterlegen. Erarbeitung und seinem Konkurrenten, in manchen Aspekten er-
Analyse solcher Bewertungen gehören zum Stan- lebte er sich sogar als überlegen. Dabei wechselte
dardrepertoire der kognitiven Verhaltenstherapie. So die Emotion zu Ärger mit der Bereitschaft zu kämp-
3 wurde aus einer fast automatisierten Bewertung – in fen. Im Alltag kann eine solche Neubewertung oft
diesem Fall war sie durch entsprechende lebensge- schon nach sehr kurzer Zeit erfolgen, so dass an-
schichtliche Erfahrungen vorbereitet – eine bewuss- fängliche Ängstlichkeit aufgrund eines neubewer-
te, reflektierte Erfahrung. An dieser Stelle konnte sich teten Details schnell in Ärger und Selbstbehaup-
der Patient nun positionieren. Er entschied sich, ge- tung umschlagen kann. Eine schnelle erste Bewer-
gen den Kontrahenten anzutreten. Dabei gelang es tung kann für den Moment durchaus zutreffend
ihm nach einiger Zeit, sich von seinem Ärger unter- sein; eine angeleitete »tiefere« Verarbeitung der Be-
stützen zu lassen. Zuvor war es jedoch erforderlich zu wertungsdetails kann jedoch zu einer anderen
erarbeiten, wie es zu realisieren sei, dass er sich als Emotion mit gänzlich unterschiedlicher Hand-
»gleich stark« und in vielleicht mancherlei Hinsicht lungstendenz führen. Selbstverständlich mussten
sogar als überlegen fühlen könnte. in der Therapie wenig bewusste Einschätzungen
bewusst gemacht werden, um dann geeignete In-
Damit eine emotionale Reaktion passiert, muss die terventionen platzieren zu können. Die Konzeption
auslösende Situation offensichtlich relevant für die von Lazarus lieferte dazu eine sehr brauchbare
Person sein, sie muss sich davon betroffen fühlen. Heuristik.
Sie entwickelt dabei einen Eindruck darüber, was
mit den ihr wichtigen Anliegen wohl passieren Bewertungstheorie nach Scherer Scherer (2001)
könnte. Sind sie bedroht oder ist die Situation dafür weist darauf hin, dass Bewertungsschritte meist
eher förderlich? Lazarus (1991) hat dies als primäre sehr schnell, automatisch und unbewusst verlaufen.
Einschätzung bezeichnet, die dann noch mit einer In seinem Komponenten-Prozess-Modell der Emo-
weiteren Bewertung, der sekundären Einschätzung, tion (KPM) hat er den Zusammenhang zwischen
kombiniert wird: »Was kann passieren und werde verschiedenen Ereignisbewertungsprozessen und
ich in der Lage sein, dies zu bewältigen?« Im obigen den hierdurch gesteuerten Reaktionsverläufen
Beispiel bestand die Einschätzung des Patienten in noch ausdifferenziert. Das KPM postuliert eine
der Erwartung eines Schadens für seine Karriere- Reihe von Kriterien und Bewertungsschritten (Sti-
ziele (primär) verbunden mit massivem Zweifel mulus Evaluation Checks, SECs), die dem Emoti-
daran, über ausreichend Fähigkeiten und Standfes- onsprozess zugrunde liegen. Sie lassen sich in vier
tigkeit zu verfügen, diesen Schaden abwenden zu zentrale Bewertungsziele gruppieren:
können (sekundär). Ob in einer Situation Gutes 1. Relevanz: Betrifft mich dieses Ereignis über-
oder Schlechtes erwartet wird, hängt davon ab, wel- haupt? Ist es mir irgendwie vertraut? Ist es an-
ches Ergebnis die Kombination aus primärem und genehm oder unangenehm?
sekundärem Appraisal liefert. Die Bedingungs- 2. Implikationen: Was bringt dieses Ereignis mit
konstellation »Situation ist bedrohlich – habe nicht sich und wie wirkt es auf mein Wohlbefinden?
ausreichend Ressourcen, um die Bedrohung abzu- Was ist die Ursache dafür?
wenden« ist eine typische Bewertungskonstellation, 3. Bewältigungspotenzial: Bin ich in der Lage, die
die Angst auslöst. Lazarus (1991, 1999) bezeichnet Konsequenzen zu bewältigen oder mich ihnen
solche spezifischen Bewertungsmuster als Kernthe- vielleicht anzupassen?
men und ordnet ihnen diskrete Emotionen zu. Da- 4. Normative Signifikanz: Wie wird dabei mein
bei ist es auch sehr instruktiv, die Regulationsfunk- Handeln von den anderen wahrgenommen?
tionen der Emotionen (. Tab. 3.5) in Bezug auf die Kann ich meinen eigenen Ansprüchen an mich
eigene Person und die soziale Umgebung zu be- selbst, meinen Idealen gerecht werden?
rücksichtigen (Holodynski, 2004).
3.4 · Emotionspsychologische Grundlagen
45 3

. Tab. 3.5 Neben den Kernthemen der Emotion sind noch regulativen Funktionen aufgeführt. Adaptiert nach Lazarus,
1991; Bloch et al., 1991; Holodynski, 2004

Emotion Kernthema, Emotionsanlass, Regulationsfunktion Regulationsfunktion


Auslöser für das Selbst für die Beziehung

Angst Wahrnehmung von Bedrohung Identifiziert Bedrohung; fördert Signalisiert Unterwerfung;


Flucht- oder Angriffstendenzen wehrt Angriff ab

Ärger Person/Institution blockiert Bewirkt die Beseitigung von Warnt vor einem möglichen
Bedürfnisbefriedigung Barrieren und Quellen der drohenden Angriff; Aggression
Zielfrustration

Trauer Verlust eines wertvollen Geringe Intensität fördert Löst Pflege- und Schutzten-
Objekts; Mangel an Wirksam- Empathie; hohe Intensität, denzen sowie Unterstützung
keit Handlungsunfähigkeit und Empathie aus

Ekel Zu große Nähe zu aversiven Abweisen, Herstellen von Signalisiert Fehlen von
Objekten, Individuen und Distanz zu aversiven Objekten, Aufnahmefähigkeit bzw.
Substanzen Individuen und Substanzen Ablehnung

Freude Vitalität, Wohlbefinden, Signalisiert dem Selbst, die Fördert soziale Bindung durch
genussvolle Situation, gute momentanen Aktivitäten Übertragung von positiven
Fortschritte bei Zielrealisierung fortzuführen, entlastend, Gefühlen
befreiend

Scham Eigene Unzulänglichkeit bzgl. Signalisiert Gefahr des sozialen Führt zu Unterwürfigkeit, um
eines Wertmaßstabs im Ausschlusses, führt zu sozialen Ausschluss zu
Angesicht anderer Vermeidungsverhalten verhindern

Schuld Erkenntnis falschen Handelns Fördert Versuche zur Führt zu unterwürfiger


und das Gefühl, nicht Wiedergutmachung Körperhaltung, damit Senkung
entkommen zu können der Wahrscheinlichkeit eines
Angriffs

Stolz Eigene Kompetenz bzgl. eines Steigerung des eigenen Führt zur Selbsterhöhung als
Wertmaßstabs im Angesicht Selbstwertgefühls Zeichen, dass man »groß« ist,
anderer und als Appell zur Bewunde-
rung

Zuneigung/ Person(en), die wichtig sind Öffnet sich für das Gegenüber, Signalisiert Sympathie,
Bindung und denen man nahe sein will: stärkt Annäherungstendenz Zuneigung und Wunsch nach
Partner, Freunde, Kinder, größerer Nähe
Familienmitglieder

Sexualität/ Erregende Details einer Fokussiert auf Geschlecht des Signalisiert Wunsch nach
Erotik Situation Gegenübers körperlicher Vereinigung

Die grundlegende Architektur des Bewertungspro- Ergebnisse der jeweils vorgeordneten Bewertungs-
zesses nach Lazarus wird hiermit noch deutlich er- schritte vorliegen, so wird z. B. ein Bewältigungs-
weitert. Hat der Relevanzdetektor, er fungiert quasi potenzial (Stufe 3) erst bestimmt, wenn Ergebnisse
als Selektionsfilter, die Bedeutung eines Ereignisses zu Relevanz (Stufe 1) und Implikationen (Stufe 2)
für die Person erst einmal festgestellt, dann sind in vorliegen. Die Ausprägungen jeder Stufe bestim-
der Folge unterschiedliche Verarbeitungstiefen men dann insgesamt die entstehende Emotion und
denkbar. Für spätere Checks im KPM-Modell von deren Ausdruck.
Scherer gilt eine Sequenzannahme: Stets müssen
46 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Welche Ausprägungen haben die Bewertungs- brecherqualität. Nach Vorstellungen Mandlers


stufen im Falle der Emotion Stolz? (1) Der Rele- (1975), führt die Unterbrechung von Handlungs-
vanzdetektor zeigt hier einen hohen Stellenwert des verläufen, z. B. dem Lösen einer schwierigen Auf-
Ereignisses für die Befriedigung zentraler Bedürf- gabe, zu einer Aktivierung des autonomen Nerven-
nisse an, wobei es nicht darauf ankommt, ob die systems. Das Ausmaß der Aktivierung bestimmt
Stimulusqualität positiv oder negativ erlebt wird. die Intensität der Emotion. Welche Emotion jedoch
3 (2) Bei den Implikationen wird das Selbst als Ursa- dabei entsteht, hängt davon ab, wie die Unterbre-
che für das Ereignis wahrgenommen, das ihm mit chung kognitiv bewertet wird. Das Entdecken einer
sehr großer Wahrscheinlichkeit positive Konse- Lösung unterbricht den Handlungsfaden und führt
quenzen bringen wird. Insbesondere wird das Er- zu einer Aktivierung. Die Bewertung der Unterbre-
eignis als sehr unterstützend für wichtige Zielset- chung führt zur Emotion Freude. Wird eine Aufga-
zungen erlebt. (3) Das Bewältigungspotenzial wird be als leicht empfunden, so führt die Lösung in
als günstig erlebt, insbesondere die Fähigkeit mit diesem Sinne nicht zu einer Unterbrechung. Es ent-
dem Ereignis zu leben und sich ihm anzupassen. steht keine Aktivierung und somit auch keine Emo-
(4) Die Bewertung der normativen Signifikanz er- tion. Im Falle von Angst führt ebenfalls eine Unter-
gibt hier nicht nur ein sehr hohes Maß an Überein- brechung des Handlungsablaufs zu einer Aktivie-
stimmung mit internen Standards, dem Ideal- rung. Die Bewertung könnte die Bedrohung eines
Selbst, sondern auch mit den Ansprüchen und Wer- wichtigen Identitätsziels, wie z. B. die erfolgreiche
ten einer Referenzgruppe. Damit wird eine spezi- berufliche Positionierung, feststellen. Es lohnt sich,
fische Emotion mit einem Netzwerk von Rahmen- noch eine weitere Unterbrecherqualität der Emo-
bedingungen verknüpft, woraus sich eine Bedin- tionen zu berücksichtigen.
gungsanalyse mit hilfreichen therapeutischen Fra- Emotionen lenken die Aufmerksamkeit und
gestellungen entwickeln lässt. Einerseits sind hier ändern die Handlungsbereitschaft, z. B. wenn mich
durch die verschiedenen Ausprägungsmöglichkei- im Verlaufe eines Gesprächs die Äußerung meines
ten der Bewertungskomponenten auch Emotionen Gegenübers plötzlich zu ärgern anfängt. Diese
denkbar, die von einigen Forschern als Mischemo- Emotion dient in diesem Moment dazu, meine ur-
tionen angesehen werden. Andererseits sind mit eigenen Bedürfnisse und Anliegen sicherzustellen,
den hier als prototypisch bezeichneten Emotionen z. B. indem mir mein Ärger eine Grenzverletzung
Schemata benannt, die grundlegende Bedeutung signalisiert und mein ruhiges Zuhören in eine Be-
für den psychischen Apparat haben, aber nicht reitschaft verändert, meine Grenzen zu schützen.
mehr als Elementarteilchen, also als Basisemotio- In diesem Zusammenhang leuchtet es ein, dass
nen für komplexere Emotionen, benötigt werden. Frijda (1988) Emotionen auch als Interessenreali-
Sie werden als prototypisch bezeichnet, da sie mit sierungssystem bezeichnet. Menschen müssen ein
häufig wiederkehrenden, universell anzutreffenden hohes Maß an Umweltreizen verarbeiten und dann
Bewertungsprozessen zu tun haben, z. B. Traurig- auch noch aus einer Palette an Reaktionsalterna-
keit angesichts eines Verlustes oder Ärger angesichts tiven die passende Handlungsweise auswählen. Da-
einer Bewertung von Zielbehinderung (Smith, bei haben Emotionen die Funktion, Reiz und Reak-
1989; Smith & Lazarus, 1993; Scherer, 1994). tion voneinander zu entkoppeln, eine Latenzperio-
de zwischen der Bewertung des Reizes und einer
Bewertungstheorie nach Mandler Welchen Zweck Reaktion zu schaffen (Brosch & Scherer, 2009).
hat eine bestimmte Emotion im Handlungsverlauf, Dies schafft mehr Flexibilität und hilft eine ange-
weshalb taucht sie gerade jetzt auf und warum ist es messene Reaktion auszuwählen, die dann u. U.
gerade diese Emotion und keine andere? Diese schnell ausgeführt werden kann. Im obigen Beispiel
funktionalistische Sichtweise gibt unseren Emotio- resultiert nicht unbedingt ein sofortiges Zuschla-
nen nicht nur einen zentralen Stellenwert bei der gen als Reaktion auf die Grenzverletzung, sondern
Handlungsregulation, sondern auch beim Nach- unter Berücksichtigung des Kontextes nach einer
vollziehen der Schwierigkeiten und Probleme un- Weile vielleicht ein kräftiger verbaler Appell. Der
serer Patienten. Emotionen haben eine Art Unter- gewonnene zeitliche Puffer verhilft möglicherweise
3.4 · Emotionspsychologische Grundlagen
47 3
nicht nur zu einer gründlicheren Analyse der Situ- passenden Emotionsanlass, einer Auslösesituation,
ation, sondern führt auch zu einer Neubewertung, in Zusammenhang gebracht werden, damit ein Ge-
einem sog. Re-Appraisal, der Umstände. Eine sol- fühl bewusst erlebt wird. Das nun bewusste Gefühl
che Neubewertung kann z. B. durch die Erinnerung lässt im Zusammenwirken mit Körper- und Aus-
an eine besonders liebenswerte Geste meines Ge- drucksreaktionen bedürfnisbefriedigende Hand-
genübers erfolgen, was wiederum eine alternative lungen entstehen. Die Handlung wirkt auf die
Reaktionsauswahl zur Folge haben kann. Emotio- ursprüngliche Situation ein und wird erneut be-
nen erfahren durch Bewertungsprozesse also auch wertet.
eine Differenzierung. Im Bild der vorher besprochenen Modelle lässt
sich die Appraisalkomponente am besten mit einer
jIntegrativ: Das Internalisierungsmodell schnellen Bewertung vergleichen. Die Zuordnung
Alle bisher dargestellten Zusammenhänge sind für der Auslösesituation setzt eine Bewertung der
ein psychologisches Emotionsverständnis wichtig. Feedbackempfindung durch kortikale Strukturen
Das folgende Modell integriert diese Konzeptionen voraus. Die Komplexität dieser kognitiven Aktivität
in eleganter Weise und fügt auch noch eine Ent- ist freilich vom Entwicklungsstand des Organismus
wicklungsperspektive hinzu (Holodynski, 2004; abhängig. Im Idealfall kann sie versprachlicht wer-
2006; 2009). Die Annahme, dass das emotionale den.
Erleben einer Entwicklung unterliegt, macht es . Abb. 3.1 legt nahe, dass sich eine Emotion
notwendig, zunächst einen Ausgangszustand von auch von der Reaktionsseite her erzeugen lässt,
einem entwickelten Zustand zu unterscheiden. Auf wenn sie als System, d. h. als Schema, erst einmal
diese Weise wird deutlich, in welcher Weise Ent- etabliert ist. Werden z. B. Körperregulation und
wicklung wirksam wird. Körperausdruck willkürlich beeinflusst und damit
Im Ausgangszustand wird das Gefühl als in- interozeptive und propriozeptive Empfindungen
ternes Feedback der Ausdrucks- und Körperreak- erzeugt, so sollte auch ein Gefühl entstehen. Dabei
tionen konzipiert, worin wir die Position der James- müsste es aber auch eine Zuordnung zu einem An-
Lange-Theorie wiedererkennen. Holodynski be- lass geben, z. B. aufgrund aufsteigender Gedanken
zieht sich darüber hinaus noch auf die Theorie der oder Bilder, damit man von einem wirklichen Ge-
somatischen Marker von Damasio (1994). Der fühl sprechen kann. In 7 Kap. 6 über Embodiment
Emotionsprozess wird durch . Abb. 3.1 veran- wird beschrieben, wie z. B. mit Einstellung be-
schaulicht. stimmter Atemmuster, Körperhaltung und Mimik
Menschen tragen ihre Bedürfnisse und Erwar- bestimmte Emotionen erzeugt werden.
tungen an bestimmte Situationen heran, was ihre Nun zur Beschreibung des entwickelten Zu-
Wahrnehmung und ihre Appraisalkomponente standes. Wie könnten also spätere Phasen der indi-
sensibilisiert und wodurch auch der Möglichkeits- viduellen Emotionsentwicklung aussehen? In An-
raum an Emotionen eingeschränkt ist. Der Wahr- lehnung an Damasio (1994) wird hier eine wesent-
nehmungsinput setzt eine Bewertung durch die liche Zusatzannahme gemacht. Dabei geht es um
Appraisalkomponente in Gang, wodurch unmittel- die Existenz sog. körperloser Emotionen. Es han-
bar Körper- und Ausdrucksreaktionen ausgelöst delt sich dabei um Emotionen, bei denen keine
werden. Die damit verbundenen autonomen Kör- oder nur noch geringe Körper- und Ausdrucks-
perprozesse nimmt die Person über interozeptive reaktionen gemessen werden können. Dennoch
Empfindungen (IF) wahr, sie werden als Körper- behaupten solche Personen, z. B. querschnittsge-
empfindungen bezeichnet. Der motorischen Aus- lähmte Probanden, die über keine interozeptiven
drucks- und Handlungsimpulse wird sie sich auf- Körperempfindungen mehr verfügen, ein Gefühl
grund propriozeptiver Empfindungen (PF) – sie zu erleben. Nun sind aber Ausdrucks- und Körper-
werden als Ausdrucksempfindungen bezeichnet – reaktionen im Feedbackmodell notwendige Vor-
gewahr. Körper- und Ausdrucksempfindungen aussetzung für das Erleben eines Gefühls. Die we-
stellen die sinnliche Substanz des subjektiven Ge- sentliche Entwicklungsannahme besteht nun darin,
fühls dar. Sie muss aber gleichzeitig noch mit einem dass von einer Internalisierung von Ausdrucks-
48 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Person Evaluation als


bewusste Reflexion
über das Gefühl

3 Gefühl als
Bedürfnisse Emotion bewusste
Emotion
Ziele
Erwartungen Gefühl als
Appraisal
Feedback -
Situation Wahrnehmung empfindung Umsetzung
Handlung
IF PF in Handlung

Körper- Ausdruck
regulation

. Abb. 3.1 Internalisierungsmodell der Emotionsentwicklung. Adaptiert nach Holodynski (2006). Der Endzustand wird
durch den gestrichelten Pfeil verdeutlicht

und Körperreaktionen im Verlaufe der Ontogenese Entwicklung wird durch Piaget und seine Nachfol-
ausgegangen wird. Ausdrucks- und Körperempfin- ger als Stufenmodell konzipiert (Piaget & Inhelder,
dungen werden also nicht mehr zwingend benötigt, 1981). Versuche, dies auf klinische Fragestellungen
um ein Gefühl erleben zu können. Emotionsspezi- zu übertragen, vermitteln wertvolle Einsichten
fische Körperempfindungen werden immer wieder (Kegan, 1984; Sulz, 1994). Kognitive Strukturen
anlässlich bestimmter Situationen erfahren und als stehen dabei aber stets im Vordergrund, die emo-
mentale Repräsentationen gespeichert. In . Abb. tionale Entwicklung kommt zu kurz. Möglicher-
3.1 wird dies durch den kleinen gestrichelten Pfeil weise folgt sie einer eigenen Entwicklungslogik.
verdeutlicht, der das Appraisalsystem direkt mit Heute wird die Annahme vertreten, dass die Viel-
den Ausdrucks- und Körperempfindungen verbin- falt emotionalen Erlebens eine Folge von Differen-
det, wobei diese jetzt mental repräsentiert wären. zierungsprozessen ist. Die zugrunde liegende An-
Die mentalen Repräsentationen können jetzt ohne nahme dabei wäre, dass das differenziertere emo-
die »Körperschleife« aktiviert werden. Solche kör- tionale Erleben des Erwachsenen Produkt einer
perlosen Gefühle dürften jedoch erst bei Jugend- ontogenetischen Entwicklung sein müsste, in der es
lichen und Erwachsenen anzutreffen sein (Holo- sich aus vergleichsweise einfacheren Strukturen des
dynski, 2006, S. 48). Kleinkindes entwickelt haben sollte (Holodynski,
2004). Der Autor berichtet, dass Neugeborene fähig
sind, auf fünf abgrenzbare Klassen von Anlässen
3.4.3 Emotionsentwicklung, primäre mit fünf unterscheidbaren Ausdrucksmustern zu
und sekundäre Emotionen reagieren:
1. Distress, ausgedrückt durch Schreien, signali-
jEmotionsentwicklung siert einen dringenden Bedarf an Nahrung,
Mit dem Internalisierungsmodell haben wir schon Wärme oder Körperkontakt, der von den Be-
das Entwicklungsthema berührt. Die kognitive zugspersonen befriedigt werden soll.
3.4 · Emotionspsychologische Grundlagen
49 3
2. Interesse wird durch die Fokussierung von mit den Bezugspersonen bei der Emotionsentwick-
Aufmerksamkeit ausgedrückt und signalisiert lung eine Schlüsselstellung zu. Es sind die emotio-
die Neuartigkeit externer Stimulation. nalen Ausdruckszeichen, mit denen die Beteiligten
3. Endogenes Wohlbehagen, ausgedrückt durch ihre Emotionen kommunizieren. Ausdruckszei-
Lächeln, das den Abschluss eines Spannungs- chen werden als bedürfnisrelevante Bewertungen
Entspannungs-Zyklus signalisiert. Er wird zu- betrachtet. Bei der Gelegenheit kommt es auch zu
nächst durch subkortikale Stimulation ausge- einem Einfluss der jeweiligen Kultur: Danach kön-
löst und in den ersten Lebenswochen zuneh- nen kulturspezifische Emotionen entstehen, in dem
mend dann, wenn der Säugling Kontingenzen das Kind von den Bindungspersonen kulturell ge-
zwischen Reizen wiedererkennt, z. B. das Ge- prägte Ausdruckszeichen mit kulturspezifischer
sicht seiner Bezugsperson. Die Funktion des Bedeutung übernehmen. Holodynski spricht von
Spannungs-Entspannungs-Zyklus mit dem Lä- einem eigenständigen mimetischen Symbolsystem
cheln als Abschluss besteht darin, das erfolg- und vermutet hierin eine Möglichkeit der Weiter-
reiche Etablieren einer psychischen Repräsen- gabe kulturspezifischer Emotionen ohne Notwen-
tation mit einem positiven emotionalen Marker digkeit der Sprache.
zu versehen, der auch für die Bezugsperson
wahrnehmbar ist. Versucht die Bezugsperson, jPrimäre Emotionen
den Säugling zum Lächeln oder Lachen zu Primäre oder Basisemotionen werden psycholo-
bringen, führt sie ihn intuitiv in Situationen, in gisch insofern als grundlegend gesehen, da sie
denen er psychische Repräsentationen von selbst nicht auf noch fundamentalere Emotionen
wahrgenommenen Umweltkontingenzen auf- reduzierbar seien und biologisch als grundlegend,
bauen kann. da sie auf psychischen Mechanismen beruhen wür-
4. Erschrecken/Furcht wird ausgedrückt durch den, die im Verlaufe der Evolution durch natürliche
weit aufgerissene Augen und Körperanspan- Selektion entstanden seien (Reisenzein, 2000).
nung. Dadurch wird bedrohliche Überstimula- Emotionsforscher sind sich aber nicht einig bzgl.
tion signalisiert durch eine plötzliche und in- der Anzahl solcher primärer Emotionen. Ebenso
tensive Reizerregung, wie z. B. dem Verlust des wenig besteht Einigkeit in Bezug auf die Kriterien,
Körpergleichgewichts. die eine Emotion als »primär« kennzeichnen
5. Ekel wird durch ein Rümpfen der Nase und könnten. So wird die Auffassung vertreten, dass
Vorstrecken der Zunge ausgedrückt mit dem den Basisemotionen neuronal fest verbundene
Ziel Ungenießbares auszuspucken. (»hardwired«) Handlungsprogramme entsprechen
(z. B. Panksepp, 1998). Weiterhin werden für die
Diese Emotionen werden von Sroufe (1996) als Bedürfnisbefriedigung grundlegende Handlungs-
Vorläuferemotionen bezeichnet, da sie noch stark tendenzen und Bewertungsmuster – Beispiele da-
an Reflexe erinnern: Sie werden durch die physika- für finden sich in . Tab. 3.3 – als Kriterien angese-
lischen Eigenschaften der Stimuli ausgelöst und hen (Lazarus, 1991; Frijda, 1986). So werden Emo-
noch nicht aufgrund von Bedeutungszuschrei- tionen wie Angst, Wut, Freude, Traurigkeit, Ekel
bungen. Weiterhin sind Ausdrucks- und Körper- und Scham als grundlegend bezeichnet. Von Shaver
reaktionen noch nicht sehr präzise auf den Anlass et al. (1996) wird Liebe als Basisemotion diskutiert,
abgestimmt. Für Außenstehende ist deshalb der dies im Sinne einer überlebenswichtigen Bindungs-
Emotionsanlass nicht immer leicht zu identifizie- emotion, die auch noch mit den Verhaltenssyste-
ren. Dennoch spielen diese Vorläuferemotionen men für Sexualität und Pflege verbunden sei. Bloch
eine große Rolle für die Steuerung der Interaktion. et al. (1991) sowie Kalawski (2010) zählen noch
Bezugspersonen erhalten dadurch Appelle, damit Zärtlichkeit (»tenderness«) dazu. Sexuelle Erre-
sie Bedürfnisse befriedigen. Nach Holodynski gung/Erotik wird zusätzlich von Bloch et al. (1991)
(2004) markieren diese Emotionsmuster den biolo- genannt. Solchen Emotionen wird eine besondere
gischen Ausgangspunkt für die weitere Emotions- adaptive Funktion sowie Handlungstendenzen als
entwicklung. Er weist den kindlichen Interaktionen relativ fest umschriebene Reaktionssyndrome mit
50 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

emotionsspezifischem Ausdruck, Körperreaktio- nach dem ersten Lebensjahr möglich. Es setzt vor-
nen und subjektivem Gefühl zugeschrieben. Diese aus, dass das Kind eine Ich-Andere-Unterschei-
Heraushebung von bestimmten Emotionen aus der dung vollziehen kann (Lewis, 1992). Zu diesem
Vielfalt anzutreffender Emotionen ist sicher nicht Zeitpunkt ist es in der Lage, sich selbst im Spiegel
verkehrt (s. unten). Dies stellt auch eine Naviga- wiederzuerkennen. Im Falle von sekundären Emo-
tionshilfe für Psychotherapeuten dar, z. B. über tionen wird nämlich der Emotionsanlass auf das
3 welche grundlegenden Emotionen Patienten über- Selbst der Person bezogen. Dazu gehören etwa
haupt verfügen, in welchem Ausmaß und in wel- Stolz, Scham, Neid, Mitgefühl usw.
cher Weise sie diese überhaupt funktional einsetzen
können. jAktualgenese: Primäre und sekundäre
Diese grundlegenden Emotionen sollten aber Gefühle in der Reaktionskette
nicht so verstanden werden, dass die übrigen Emo- Sulz (1994) verwendet die Begriffe »Primär« und
tionen Mischzustände dieser »Grundfarben« seien. »Sekundär« in aktualgenetischer Hinsicht. Mit den
Dies wird von Bischof (2008) als eine zu schlichte Begriffen ist die Reihenfolge gemeint und da sich
Denkweise kritisiert. Er begründet, dass sich im dieses Verständnis inzwischen eingebürgert hat,
Verlauf der Ontogenese eher das Prinzip der Diffe- sollen sie hier auch beibehalten werden. Die Folge
renzierung denn der Addition ausgewirkt haben von primären und sekundären Emotionen findet
sollte, so dass das Denken in Farbpaletten und sich bei SBT in den jeweiligen Reaktionsketten wie-
Mischfarben zurückzuweisen sei. Im KPM-Ansatz der. Sie ist die verhaltensdiagnostische Alternative
von Scherer wird diese Problematik elegant ent- zur multimodalen Definition der Reaktionsvariab-
schärft. Einerseits sind hier durch die verschie- len nach Arnold Lazarus (1978). Statt dem Konzept
denen Ausprägungsmöglichkeiten der Bewertungs- der nur wenig korrelierenden synchronen Parallel-
komponenten auch Emotionen denkbar, die von stränge des Verhaltens (Kognition, Emotion, Phy-
einigen Forschern als Mischemotionen angesehen siologie, Motorik) zu folgen, geht Sulz (1994) von
werden würden. Andererseits sind mit den hier als aufeinander folgenden Verhaltenselementen aus,
prototypisch bezeichneten Emotionen Schemata die eine Reaktionskette bilden:
benannt, die grundlegende Bedeutung für den psy- 4 Primäre Emotion, die reflexhaft durch die Situ-
chischen Apparat haben, aber nicht mehr als Ele- ation ausgelöst wird (z. B. Wut)
mentarteilchen, also als Basisemotionen für kom- 4 Primärer Handlungsimpuls, der Bestandteil
plexere Emotionen, benötigt werden. Sie werden dieses Reflexes ist (z. B. Angriff )
als prototypisch bezeichnet, da sie mit häufig wie- 4 Antizipation möglicher (meist intendierter bzw.
derkehrenden, universell anzutreffenden Bewer- gelernter) Folgen der intendierten Handlung
tungsprozessen zu tun haben, z. B. Traurigkeit an- (z. B. abgelehnt zu werden)
gesichts eines Verlustes oder Ärger angesichts einer 4 Sekundäres Gefühl, das dem Impuls entgegen-
Bewertung von Zielbehinderung (Scherer, 2001). gerichtet ist (z. B. Angst, Scham, Schuld) und
hilft, ihn zu unterlassen
jOntogenese
Primäre Emotionen lassen sich also zunächst am Innerhalb dieser Reaktionsketten ist die primäre
besten aus der ontogenetischen Perspektive verste- für die jeweilige Situation eine prototypische Emo-
hen. Sie sind schon mit der Geburt angelegt und tion mit emotionsspezifischen physiologischen und
nach dem ersten Lebensjahr ausgereift. Sie stehen behavioralen Komponenten sowie einem pas-
nun für wichtige Regulationserfordernisse zur Ver- senden Kernthema. So ist es beispielsweise nach-
fügung. Wird einer gefühlten Bewertung der Um- vollziehbar, dass eine Person mit Ärger reagiert,
welt deutlich, dass das Zeigen einer bestimmten wenn sie von jemandem ungerecht behandelt wird.
primären Emotion, z. B. Wut, nicht zielführend, Ob diese Ärgerreaktion in einer bestimmten Situa-
vielleicht sogar bedrohlich, ist. Dann kann stattdes- tion auch adaptiv ist, hängt von mehreren Bedin-
sen eine sekundäre Emotion, z. B. Angst, entstehen. gungen ab. Löse ich damit massive Gegenaggressi-
Das Auftreten sekundärer Emotionen ist aber erst onen aus oder besteht die Gefahr, von einer wich-
3.4 · Emotionspsychologische Grundlagen
51 3
tigen Bezugsperson verlassen zu werden, so hat die zarus – das emotionale Kernthema nicht erfasst
Person ein Problem, ganz besonders dann, wenn werden kann. Einerseits kann es lerngeschichtlich
diese Person ein Kind ist. Daher kann es gesche- begründbare Verbote geben, diesen Anlass zu be-
hen, dass ein biologisch adaptives Gefühl sozial nennen. Andererseits kann auch Angst davor be-
nicht mehr funktional ist. Um die schlimmen Kon- stehen, einem Gefühl nicht gewachsen zu sein,
sequenzen zu verhindern und das emotionale wenn es erst einmal erkannt und benannt ist. Ein
Überleben zu gewährleisten, muss das primäre Ge- weiterer Grund kann darin bestehen, dass Personen
fühl gestoppt werden. Wirksame gegensteuernde keine Übung bzw. keine Fertigkeiten besitzen,
Gefühle sind z. B. Angst, Scham und Schuld. Sol- Emotionen zu diskriminieren. Auch können alle
che Lernprozesse führen dazu, dass der Umgang Gründe zusammen eine Rolle spielen. Eine Mo-
mit dem primären Gefühl, im Beispiel war das Wut, dellvorstellung, die uns Therapeuten an dieser Stel-
nicht mehr geübt wird und diese meist auch nicht le meines Erachtens sehr schön abholt, ist jene von
funktional eingesetzt werden kann. Im Prinzip Russel und Feldman-Barrett (Feldman-Barrett &
kommt jede prototypische als primäre Emotion in Russel, 1999; Russell, 2009; Feldman-Barrett, 2010).
Frage. So kann jemand aufgrund eines Verlustes Sie beginnen ihre Ausführungen damit, dass die
primär schmerzliche Trauer erleben. Aus lernge- Grundlage jeden emotionalen Erlebens zunächst
schichtlichen Gründen darf die Person aber die ein Befinden zwischen angenehm bzw. unange-
daraus resultierende Handlungsunfähigkeit nicht nehm und energetisiert bzw. gedrückt ist. Damit
zulassen und reagiert stattdessen ärgerlich. Beim wird das Erleben
Ärger handelt es sich dann um das sekundäre Ge- 1. mit der entsprechenden Valenz beschrieben,
fühl. Auch hier ist die Wirkung des ersten an sich die sich auf die hedonische Qualität der Erfah-
adaptiven Gefühls gebrochen oder sogar aufge- rung bezieht und die auf einer Skala zwischen
hoben. angenehm und unangenehm variiert und zu-
In diesem Beispiel könnte das sekundäre Ge- sätzlich,
fühl durchaus auch Angst sein, so, wenn sich ein 2. mit dem Maß der Erregung gekennzeichnet,
Patient plötzlich verschließt. Der Therapeut hat in das eine gefühlte Energiemobilisierung be-
so einem Falle möglicherweise eine alte Wunde be- schreibt und zwischen aktiviert und deaktiviert
rührt. . Tab. 3.6 zeigt einige Beispiele. oder anschaulicher zwischen wachsam und
schläfrig variiert (. Abb. 3.2).

3.4.4 Gefühle, die schwer Diese zweidimensionale Struktur wurde aufgrund


zu benennen sind der Skalierung von Gesichtsausdrücken, emotio-
nalen Episoden, Emotionswörtern usw. gefunden
Die Emotionspsychologie beschäftigt sich oft mit und ergibt eine häufig replizierte zweidimensionale
unterscheidbaren und benennbaren Emotionen, Struktur, die sich auch als kulturübergreifend
z. B. Angst, Freude, Ekel. Oft genug kommt es aber erweist.
in der Therapie vor, dass unsere Patienten ihr Das so beschriebene Erleben wird als Kernaf-
gefühlsmäßiges Erleben gar nicht oder nur sehr un- fekt bezeichnet. »Kernaffekt« ist als bewusstseinsfä-
genau benennen können. Stattdessen können sie higer, konstanter Strom einer gefühlten Wertigkeit
vielleicht bestenfalls Auskunft geben über ein va- und eines Arousals sozusagen ein neurophysiolo-
ges, ungerichtetes Körperempfinden: »Ich habe ein gisches »Barometer«, das die Beziehung der Person
komisches Gefühl in der Magengegend« oder »Ich zur Umwelt darstellt. Das Barometer informiert
habe so einen massiven Druck auf der Brust« usw. darüber, ob ein Objekt oder eine Situation unter-
Im Modell von Holodynski sind das die Körper- stützend oder schädlich, belohnend oder bedroh-
und Ausdrucksempfindungen, die aufgrund des lich ist und infolgedessen annäherndes bzw. ver-
Appraisals entstehen (. Abb. 3.1). Es liegt nahe, an- meidendes Verhalten nahelegt. Man kann sich vor-
zunehmen, dass die Zuordnung zum Emotionsan- stellen, dass das Erleben des Kernaffekts der Spiegel
lass nicht gelingt, so dass – in der Sprache von La- eines ständig sich wandelnden neurophysiolo-
52 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

. Tab. 3.6 Beispiele primärer und sekundärer Emotionen in einer Reaktionskette

Auslösende Primäres Primäre (oft Antizipation der Sekundäres Beobachtbares


Situation Gefühl verbotene) Folgen (gegen- Verhalten
Handlungstendenz steuerndes)
Gefühl
3
Vorgesetzter Ärger Auf den Tisch Werde nicht mehr Angst Geht wie immer
verweigert schlagen und für solche Aufgaben seinen Pflichten
ständig anschreien eingesetzt nach
Anerkennung

Gespräch über Sexualität, Sehnsüchte Irritation über Scham Erotische Stimuli


sexuelle Lust detailliert »abweichende« im Internet
Bedürfnisse offenlegen Bedürfnisse suchen

Abschied vom Trauer Fassung verlieren, Kontroll- und Wut Ein neues Projekt
Arbeitsleben hemmungslos Steuerungsmöglich- beginnen
weinen keiten verlieren

Nörgelei der Wut Ins Pflegeheim Sich deshalb ewig Schuld Besonders
pflegebedürf- bringen Vorwürfe machen leckeres Essen für
tigen Eltern müssen die Eltern kochen

Endlich einmal Stolz Angeben Hinweise auf Scham, Hält sich bedeckt
Erfolg erleben früheres Versagen, Angst
Entwertung

gischen Zustandes ist, der die unmittelbare Bezie- der erste Quadrant (höhere Aktivierung/Ange-
hung des Organismus zum Fluss der sich wandeln- nehm) emotionale Verfassungen beschreibt, die als
den Ereignisse repräsentiert. Die Bezeichnung »begeistert«, »hochmotiviert« und »tatkräftig« be-
»Kern« soll sich dabei auf die elementare Qualität zeichnet werden können.
dieses Erlebens wie »gut für mich« bzw. »schlecht Der nicht weiter spezifizierte Kernaffekt, der
für mich« oder »angenehm« bzw. »unangenehm« durch einen momentanen Aktivierungszustand
beziehen. Dies zu erleben sei allen Menschen mög- und eine hedonische Qualität beschreibbar ist,
lich und ist ihnen bereits mit der Geburt gegeben. kann nun objektbezogen werden und Ausgangs-
Die zweite Dimension, die Erregung, beschreibt punkt für eine Emotion sein. Dabei sind folgende
Erfahrungen wie »sich aktiviert fühlen«, »wach- Vorgänge bedeutsam:
sam«, »aufgedreht« sein, bzw. »ruhig«, »still«, 4 Kann die Person eine Veränderung dieses so
»schläfrig«. Dieser Kernaffekt ist an sich objektfrei, beschreibbaren Zustandes wahrnehmen, z. B.
d. h. er muss nicht in direkter Beziehung zu einem aufgrund eines Ereignisses oder einer in ihrem
Auslöser stehen. Er ist allgegenwärtig und ent- Innern auftauchenden Vorstellung, und
spricht in dieser Form dem, was man üblicherweise 4 ist sie in der Lage, diese Veränderung mit dem
als »Stimmung« bezeichnet. Momentaufnahmen auslösenden Ereignis zu verknüpfen, (die Attri-
der emotionalen Verfassung lassen sich gewinnen, bution geschieht so, dass das Ganze sozial funk-
indem man Personen beispielsweise über einen Pa- tional ist),
ger bittet, das momentane Erleben einzuschätzen. dann entsteht daraus ein attribuiertes Gefühl – die
So zeigte sich beispielsweise, dass negative und po- Erfahrung, dass ein bestimmtes Objekt (eine Per-
sitive Aktivierung in der Arbeit sehr viel ausge- son, eine Nachricht) dafür verantwortlich ist, wie
prägter sind als in der Freizeit (Schallberger, 2006). ich mich fühle. Dieser »Zuordnungsschritt« war
Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, dass auch im Modell von Holodynski (2006) für das
3.4 · Emotionspsychologische Grundlagen
53 3

. Abb. 3.2 Das Circumplex-Modell der Emotionen. Adaptiert nach Feldmann-Barrett & Russel, 1999

Entstehen einer Emotion wesentlich (. Abb. 3.1). Dabei wendet die Person in einem gegebenen Mo-
Sowie die Person diese Veränderungen an sich fest- ment ihr Wissen, z. B. über den Auslöser und situ-
stellt, ordnet sie sich selbst eine Emotion zu, wobei ative Bedingungen, an, um den Kernaffekt zu kate-
die Zuordnung anhand von mentalen Prototypen gorisieren. Wenn z. B. eine Person negativen Affekt
erfolgt. Im zweidimensionalen Raum Valenz/Akti- erlebt und eine Schlange sieht, so wird sie ihren af-
vierung würde z. B. die affektive Qualität (sehr un- fektiven Zustand als »Angst« kategorisieren. Dass
angenehm/leichte Deaktivierung) nach Attribution Emotionen häufig undifferenziert und eher katego-
des Stimulus die prototypische Bezeichnung »Trau- rial erscheinen, liegt an dem begrenzten sprach-
rig« bekommen. Man ist immer in einem Zustand lichen Repertoire, mit denen sie benannt werden,
des »Kernaffekts«. Ursache dafür ist nämlich der und die nur eine grobe, kategoriale Zuordnung er-
jeweils aktuelle neurophysiologische Zustand, der lauben (Russell & Feldman-Barrett, 1999). Es lohnt
die Beziehung des Organismus zum Strom der sich sich also, diese Qualitäten im Rahmen emotionaler
wandelnden äußeren Ereignisse repräsentiert. Er Arbeit genauer zu erspüren, um tatsächlich zu ei-
ist gewissermaßen ein primitiver Bestandteil eines ner präziseren, stimmigeren Einschätzung zu ge-
jeden emotionalen Phänomens. langen, die durch Etiketten, wie traurig oder ängst-
Diskrete Emotionen wiederum entstehen im lich, nur sehr unvollständig abgebildet würden.
Rahmen eines konzeptuellen Aktes, einer Kategori- Dieser Ansatz legt auch nahe, dass einer vor-
sierung des Kernaffekts (Feldman-Barrett, 2006). schnellen Versprachlichung u. U. misstraut werden
54 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

muss. Später werden wir sehen, dass der Weg über 1997). Solche maladaptiven Regulationsstrategien
eine Art der Bildsprache sehr hilfreich sein kann. stellen eine Art Notlösung dar. Da kein Zugang zu
den Emotionen besteht, können die darin enthal-
jDifferenzieren von Emotionen tenen Informationen auch nicht genutzt werden,
Einige Menschen unterscheiden ihre emotionalen um für schwierige Situationen geeignete Lösungs-
Erfahrungen auf hohem Differenzierungsniveau. alternativen zu entwickeln. So muss z. B. Ärger tat-
3 Mit großer Genauigkeit identifizieren und be- sächlich wahrgenommen und als solcher identifi-
schreiben sie viele Nuancen ihrer emotionalen Er- ziert werden, damit ein emotionales Kernthema
fahrungen. Andere wiederum sind gerade einmal erschlossen werden kann, welches wiederum
in der Lage, ihre emotionalen Erfahrungen mit Handlungsanweisungen für den Umgang damit
Qualitäten wie »mir geht es gut« bzw. »mir geht es enthält. Stattdessen kommt es zu notfallmäßigen
schlecht« zu umschreiben. Menschen, die nicht gut Regulationsstrategien wie z. B. Fressattacken, Alko-
darin sind ihre emotionalen Erfahrungen präziser holmissbrauch usw.
zu unterscheiden, sind freilich auch nicht in der La-
ge, Emotionen als Quellen zahlreicher handlungs- jGemischte Gefühle?
relevanter Informationen zu nutzen. Anders als Ergeben primäre und sekundäre Gefühle in der Re-
Menschen, die in der Lage sind ihre Emotionen aktionssequenz ein Gefühlsgemisch? Empfindet
sehr gut zu differenzieren, geraten Menschen mit also die Person im obigen Beispiel am Ende ein Ge-
schlechtem Differenzierungsvermögen auch leich- misch aus Wut und Angst oder steht zum Schluss
ter in Gefahr, physiologische Empfindungen, die nur noch die Angst, das sekundäre Gefühl, im Vor-
die emotionale Erregung begleiten, eben nur aus- dergrund? Unsere therapeutische Erfahrung zeigt,
zuhalten, falsch zu interpretieren oder gar zu ver- dass Mischformen aus primärem und sekundärem
stärken. Sie schwimmen sozusagen im Meer des Gefühl, also eine Mischung aus beispielsweise Wut
Kernaffekts. Der emotionale Prozess ist nicht abge- und Angst, möglich sind. In manchen Fällen gibt es
schlossen, da die Auslösebedingungen nicht zuge- aber auch einen Wechsel. Ein Beispiel:
ordnet wurden. Menschen hingegen, die ihre Emo-
tionen gut differenzieren können, empfinden in der Fallbeispiel
Regel negative Gefühle auch als wesentlich besser Eine Panikpatientin hatte am Wochenende einen
handhabbar. Sie verfügen auch über eine breitere Streit mit ihrem Partner; es ging dabei um den Um-
Palette an Regulationsstrategien und sind letztlich gang mit dem Haushaltsgeld. Nach einer Weile ent-
auch wesentlich erfolgreicher mit ihren Bemü- wickelte sie massive Panikanfälle, die sich nicht mehr
hungen mit negativen Gefühlen umzugehen (Bar- besserten. Sie überlegte sogar, in der folgenden Wo-
rett et al., 2001; Kang & Shaver, 2004). che erneut in eine Klinik zu gehen. Später stellte sich
Solche Befunde unterstützen die Annahme, heraus, dass es einen Moment extremer Empörung
dass gut ausgeprägte Fähigkeiten der Emotions- ihrerseits in der Auseinandersetzung gab, der es ihr
identifikation ganz allgemein die psychologische unmöglich erschienen ließ, weiter mit diesem Mann
Flexibilität erhöhen und insbesondere eine günsti- zusammenzuleben. Mit der aufsteigenden Panik war
ge Selbstregulation fördern. Im Zusammenhang dieses Thema erst einmal vom Tisch.
mit hohen Stressmaßen und intensiven negativen
Emotionen sollte ein besonders großer Bedarf für Im Circumplex liegen Ärger und Angst im vierten
eine effiziente Regulation der Emotionen bestehen Quadranten – dem Distress-Quadranten – dicht
(Barrett et al., 2001; Gohm, 2003). Wer Schwierig- beieinander (. Abb. 3.2). Das Körperempfinden
keiten damit hat, emotionale Zustände zu identifi- dieser beiden Emotionen ist sehr ähnlich. Feld-
zieren und differenzierter zu beschreiben, neigt mann-Barrett würde so argumentieren, dass ange-
u. U. auch dazu, sich eher ungünstiger Strategien sichts des sehr ähnlichen Körperempfindens jene
zum Herabregulieren negativer Emotionen, wie Emotion zugeordnet wird, die im Moment sozial
z. B. Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen, auch funktional ist. Die sekundäre Emotion Angst
Heißhungerattacken etc., zu bedienen (Taylor et al., der Patientin bremst sie ein, lässt sie wieder klein
3.5 · Überlebensstrategie: Kognitiv-affektives Schema zur Bedürfnisbefriedigung
55 3
und hilflos fühlen. Sie glaubte bis zu diesem Mo- Merkmale vor. Diese Merkmale kennzeichnen
ment auch nicht daran, dass sie imstande sei, allei- Klassen von Situationen, die für Bedürfnisbefriedi-
ne zurechtzukommen, geschweige denn, alleine zu gungen erfahrungsgemäß geeignet sind. Filterpro-
überleben. In der therapeutischen Arbeit ist es da- zesse überprüfen entsprechende Situationen zu-
her wichtig, einerseits im Rahmen von Psychoedu- nächst danach, ob Indikatoren darauf hindeuten,
kation das »Normale« und die Funktionalität als dass die Situation zum gefühlten Bedürfnis passt
schwierig geltender Gefühle zu verdeutlichen. An- oder nicht: Was für eine Person ist mein Gegen-
dererseits kann eine gewährende Atmosphäre da- über? Hat sie das, was ich brauche? Bin ich hier in
bei helfen, während der erlebnisaktivierenden Ar- der Lage, mir das zu holen, was ich brauche? Ist die
beit die Aufmerksamkeit zu schärfen und ein ehe- Situation im Sinne der Bedürfnisbefriedigung als
mals dysfunktionales Gefühl im Meer des Kern- passend erkannt, so kann nach den Vorgaben der
affekts wieder zu finden. Überlebensstrategie ein entsprechendes Verhalten
Dabei kann es auch passieren, dass man sich aktiviert werden. Grundlegende Affekte liefern
gleichzeitig freudig und traurig fühlt (Larsen & dann eine schnelle Bewertung im Sinne von »Gut
McGraw, 2001). Im Circumplex sind diese Gefühle für mich – annähern« bzw. »Schlecht für mich –
als deutliche Gegensätze dargestellt. Dies entspricht vermeiden«.
auch der Alltagserfahrung. »Mit einem lachenden Diese Bewertungen sind durch körperliche
und einem weinenden Auge« – so beschreiben Mitreaktionen begleitet, den somatischen Markern,
Menschen oft ihre Erfahrungen. Löst man sich aus oder auch von den eben besprochenen Kernaffek-
einer Beziehung, so verliert man etwas. Gleichzei- ten. Solche Marker, verbunden z. B. mit einem be-
tig steht aber ein Aufbruch, ein Neuanfang an, der stimmten Bauchgefühl oder mit einem gefühlten
Freude und Unternehmungslust aufkommen lässt. Gedrücktsein, vermitteln schnell Klarheit über den
Stand auf dem Weg zur Bedürfnisbefriedigung.
Körper- und Ausdrucksempfindungen, Gefühle
3.5 Überlebensstrategie: und automatische Gedanken sind Bestandteile
Kognitiv-affektives Schema eines Schemas. Schemata sind meist relativ abstrakt
zur Bedürfnisbefriedigung gestaltet und nicht auf jede der unzähligen, mög-
lichen Situationen ausgerichtet. Die Passung einer
In den verschiedenen Situationen ihres Alltags Überlebensstrategie wird daher »über den Dau-
müssen Menschen unzählige Sinneseindrücke der men« bestimmt. Dementsprechend werden Infor-
Außenwelt und zusätzlich Wahrnehmungen ihres mationslücken kurzerhand vervollständigt und
Innern, insbesondere ihres Körpers, verarbeiten. Mehrdeutigkeiten getilgt. Nur sehr große Unter-
Schemata sorgen dafür, dass sie sich in diesem In- schiede werden dann beim Umgang mit der Reali-
formationsdschungel zurechtfinden, passende Ent- tät wahrgenommen und selbst diese können bei
scheidungen treffen und zielführendes Verhalten besonders starkem Bedürfnisdruck weginterpre-
aktivieren. Die Mühelosigkeit und Geschwindig- tiert oder gar ignoriert werden. Diese Prozesse sind
keit dieser Navigationsleistung ist nur deshalb an ein neurobiologisches Substrat gebunden. Es
möglich, weil die zu Grunde liegenden Prozesse au- wird angenommen, dass solche Schemata aufgrund
tomatisiert sind und unbewusst ablaufen. Schwie- der synchronen Aktivierung zugehöriger Nerven-
rigere Diskrepanzen und Hindernisse unterbrechen zellverbände wirksam sind (Grawe, 2004).
die handlungsleitende Funktion des Schemas. Statt- Wollen wir das Entstehen solcher Schemata
dessen entsteht dann ein bewusster Modus, mit verstehen, so werfen wir am besten einen Blick in
dessen Hilfe die Handlung gesteuert wird. Unsere die Lerngeschichte. Bedürfnisbefriedigung ge-
Überlebensstrategien sind solche Schemata. Sie schieht in Beziehungen zu den signifikanten Be-
sind in unserem impliziten Erfahrungsgedächtnis zugspersonen. Versuch und Irrtum, Erfolg und
beheimatet und werden in die jeweilige Situation Misserfolg sowie Frustration, Angst, Wut, Wohlbe-
»mitgebracht«. So geben Überlebensstrategien als hagen und Freude kennzeichnen diesen kognitiv-
Schemata der Bedürfnisbefriedigung spezifische affektiven Lernprozess.
56 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

3.5.1 Von der Bindungserfahrung Von ebenso grundlegender Bedeutung ist der
zur Überlebensstrategie emotionale Austausch zwischen den Bindungsper-
sonen und dem Kind. Bindungsperson und Kind
Die Geschichte der Bedürfnisbefriedigung beginnt agieren dabei als koreguliertes System (Holodyn-
mit unserer Geburt. Bald wird die Welt eingeteilt in ski, 2004): Das Kind zeigt mit Hilfe der vorhin
nah und fern, in dazugehörig und fremd, wobei zu schon erwähnten Vorläuferemotionen und den
3 viel Fremdheit mit dem Erleben von Distress ver- damit verbundenen motorischen Aktivitäten seine
bunden ist. Die Qualität des Kontaktes zu Bezugs- Bedürfnisse bzw. den Stand seiner Bedürfnisbefrie-
personen entscheidet darüber, ob der Prozess der digung an. Die bedürfnisbefriedigende Bindungs-
Bedürfnisbefriedigung zu einer eher günstigen person muss nun die noch ungerichteten Aus-
Entwicklung führt oder nicht. Entsteht dabei zu drucks- und Körperreaktionen des Kindes ange-
viel Stress, so können wichtige Entwicklungspha- messen deuten und diese dann in ihrer eigenen
sen nicht in Ruhe ausdifferenzieren. Der psychische Weise in Form prägnanter Ausdruckssymbole spie-
Organismus ist zwar auch in der Lage, in einem geln. In Verbindung mit einer unmittelbaren Be-
eher toxischen Milieu zu überleben, jedoch kostet dürfnisbefriedigung vervollständigt die Bindungs-
ihn das ein hohes Maß an Flexibilität. Dieser Man- person die kindlichen Vorläuferemotionen mehr
gel an Flexibilität, der auch eine Art von Rigidität und mehr zu funktionsfähigen Emotionen, die im-
sein kann, kommt in den späteren Überlebensstra- mer effizienter in den Dienst der Bedürfnisbefrie-
tegien zum Ausdruck. Es bietet sich an, diese Lern- digung gestellt werden können.
prozesse als Bindungsgeschehen zu beschreiben, Bedürfnisbefriedigung verläuft nicht immer
wobei wir auf wissenschaftlich gut gesicherte Kon- unproblematisch. Verschiedenste Aspekte der Ko-
zepte zurückgreifen können (Hauke, 2010a). regulation können suboptimal verlaufen, vielleicht
Das kleine Kind ist vollständig abhängig von sogar massiv beeinträchtigt sein. Die dabei not-
seiner Bezugsperson. Es verfügt über ein phyloge- wendige Nähe zwischen Bindungsperson und Kind
netisch erworbenes Bindungssystem, welches akti- kann diesen Prozess massiv beeinträchtigen, z. B.
viert wird, sobald es von äußeren oder inneren Ge- dann, wenn die Bindungsperson depressiv, zwang-
fahren bedroht ist (Bowlby, 1961). Es braucht einen haft usw. ist. Das kleine Kind steht damit vor mäch-
Schutzspender, eine Bindungsperson, die nicht nur tigen Herausforderungen. Der Aufbau von Bin-
die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse si- dungsbeziehungen ist ein früher Bestandteil der
cherstellt. Sein Bindungsverhalten zeigt sich insbe- Kompetenzentwicklung (Sroufe,1989). Diese Kom-
sondere im Suchen nach Nähe zur Bindungsper- petenzen verfeinern und bewähren sich schließlich,
son, im Hinterherlaufen und Festklammern, aber wenn das Kind mit zunehmendem Alter auf alters-
auch durch Protest, Ärger, Verzweiflung und Trau- spezifische Entwicklungsthemen stößt, wie z. B.
er und wenn dies alles nichts nützt, im emotionalen Aufbau von Autonomie, von freundschaftlichen
Rückzug und schließlich in der Resignation, wenn Beziehungen, Entwicklung von Impulskontrolle
es sich endgültig verlassen fühlt. Die Qualität des und sozialer Kompetenz (Zimmermann, 2002).
Bindungsgeschehens ist vom Entwicklungsstadium Die früh entstandene Bindungsqualität wird als
abhängig. Anfangs ist es noch fast ausschließlich solche nicht als stabile Persönlichkeitseigenschaft
körperlich, später kommen noch psychologische gesehen. Sie ist aber Basis für den weiteren Kompe-
Erlebnisqualitäten hinzu. Diese Kommunikation tenzaufbau (Zimmermann, 2002). Wir wollen die-
über die Körperoberflächen passiert beim Gehal- sen Prozess nun mit den besonderen Aspekten der
tenwerden mit Körper- und Brustkontakt, beim Überlebensstrategie verbinden. Das Ergebnis dieses
Streicheln, Küssen, Wärmen, beim Windeln, beim Prozesses ist in . Abb. 3.3 dargestellt.
Waschen, Cremen usw. Diese »physische« Bin- Anfangs werden Bedürfnisse ausschließlich in
dungserfahrung stellt nicht nur die Basis für spä- Beziehungen befriedigt. Diese interaktiven Pro-
tere körperliche Intimität und Empathie, sondern zesse sind prägende Bestandteile unserer biogra-
ist zunächst auch Ausgangspunkt für das Erlernen fischen Erfahrungen. Die vitale Kraft der organis-
elementarer sozial-emotionaler Interaktionspro- mischen lustvollen Grundbedürfnisse löst bei den
zesse (Schore, 2003).
3.5 · Überlebensstrategie: Kognitiv-affektives Schema zur Bedürfnisbefriedigung
57 3

Disposition
Selbst- & Weltbild Problematische Gestaltung Auslösende
Implizite & explizite von Beziehungen, Privatleben, Arbeit,
Motive
Situation
Freizeit

Primäre
Emotion

Primärer
(oft verbotener)
Überlebensstrategie Impuls
nur wenn ich immer …
und wenn ich niemals …
dann bewahre ich mir … Antizipation
und verhindere …
der Folgen

Sekundäre
(gegensteuernde)
Emotion

Reaktionen Beobachtbares
der Umwelt wirkt auf Umwelt ein
Verhalten

. Abb. 3.3 Steuerungsfunktion der Überlebensstrategie. Sie schreibt eine Weichenstellung vor, die die sozial nicht mehr
funktionale, primäre Emotion und ihren Impuls in der Reaktionskette ausbremst

Bezugspersonen – je nach deren Verfassung – ganz Empathische Bezugspersonen können auf


unterschiedliche Reaktionen aus. So kann die ur- dieses Ausdrucksgeschehen in angemessener Wei-
sprünglich mühelose Befriedigung der Bedürfnisse se reagieren und für die Beseitigung der Barriere
bzw. der impliziten Motive im Verlaufe der biogra- sorgen. Sind aber die Bezugspersonen selbst extrem
fischen Entwicklung auf eine Barriere stoßen. Da- bedürftig oder aus irgendeinem Grunde sehr ge-
bei wird sofort eine unmittelbare affektive, biolo- stresst, dann sind sie vermutlich gerade nicht in der
gisch adaptive Bewertung, eine primäre Emotion, Lage, auf die Nöte des Kindes in einer guten Weise
z. B. Ärger, ausgelöst. Sie bedeutet eine Zielfrustra- einzugehen. Möglicherweise reagieren sie entwer-
tion und hat die Funktion, verschiedene Regulati- tend, ärgerlich, greifen an oder gehen körperlich
onsaktivitäten auszulösen in Bezug auf die eigene und emotional vollständig auf Distanz. Die Barrie-
Person und in Bezug auf Interaktionspartner (Ma- re bleibt also zunächst bestehen, die Bedürfnisbe-
gai & Mc Fadden, 1995; Holodynski, 2004). Einer- friedigung bleibt weiterhin aus. Die primäre Emoti-
seits wird das Selbst aktiviert und darauf ausgerich- on erweist sich immer weniger als funktional. Bleibt
tet, die Barrieren und Quellen der Zielfrustration fortgesetztes Bemühen ohne Effekt, so entsteht
zu beseitigen. Andererseits soll der dazugehörige Angst, die der Person die Existenz einer Bedrohung
Emotionsausdruck die Interaktionspartner beein- spürbar macht und den mächtigeren Interaktions-
drucken und gegebenenfalls warnen. Im biolo- partnern Unterwerfung signalisiert. Kann dieses
gischen Sinne stellen diese primären Impulse einen Verhalten die wahrgenommene Bedrohung auch
funktionalen Umgang dar, der unmittelbar akti- nicht abmildern, so wird das Bindungsverhalten
viert wird. deaktiviert. Dann greifen Mechanismen der Selbst-
58 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

erhaltung mit Erstarrung, Kampf oder Flucht. Die Die beiden gegensinnigen Pfeile in . Abb. 3.3
Deaktivierung des Bindungssystems stellt eine be- unterstreichen die besondere Funktion unserer
sonders schwerwiegende Notfallreaktion im Rah- Überlebensstrategie: Primäres Gefühl und primärer
men der Bedürfnisbefriedigung dar. Bei der The- Impuls werden durch ein gegensteuerndes sekun-
matisierung von Bindungsstilen und typischen däres Gefühl ersetzt oder zumindest soweit ausge-
Überlebensstrategien kommen wir darauf noch bremst, dass das resultierende Gefühlsgemisch die
3 ausführlicher zurück. ersehnte Bedürfnisbefriedigung durch die Interak-
In Abhängigkeit vom Entwicklungsstand, ste- tionspartner nicht weiter gefährdet. Jetzt allerdings
hen noch andere Emotionen, die den primären Im- um den Preis der Spontaneität und Lebendigkeit.
puls ausbremsen, zur Verfügung. Als Stopperge- Wir haben unsere Darstellung auf das primäre Ge-
fühle wirken z. B. auch Scham und Schuld. Scham fühl der Wut bzw. des Ärgers bezogen. In . Tab. 3.6
signalisiert dem Selbst die Gefahr des sozialen Aus- haben wir weitere Paarungen primärer und sekun-
schlusses, dem Interaktionspartner Unterwerfung, därer Emotionen dargestellt. Die zu Grunde liegen-
Schuld aktiviert Versuche der Wiedergutmachung, de Konstellation ist jedoch immer ähnlich: das pri-
dem Interaktionspartner wird insbesondere durch märe Gefühl ist in der jeweiligen sozialen Situation
die Körperhaltung Unterwerfungsbereitschaft sig- nicht funktional und wird durch das sekundäre Ge-
nalisiert, was die Gefahr eines weiteren aggressiven fühl ersetzt. Dieses erweist sich jeweils als funktio-
Aktes reduzieren soll. Die sekundäre Emotion hat naler, da es am ehesten noch eine – wenn auch mi-
eine Unterbrecherqualität. Die bisherige Hand- nimale – Bedürfnisbefriedigung ermöglicht.
lungsregulation wird gestoppt, womit auch der pri- Reaktionen der mächtigen Bezugspersonen
märe lustvolle oder aggressive Impuls ausgebremst sind ausschlaggebend dafür, was mit dem »Rohma-
ist. Erfährt die Person jetzt erneut immer wieder terial« spontaner, lustvoller, autonomer Impulse
die begehrte Bedürfnisbefriedigung, dann wird auf passiert. Entweder werden sie gänzlich vor ihnen
einer schemabasierten Verarbeitungsebene die Be- verborgen oder in eine sozial akzeptable Form ge-
ziehung zwischen den Interaktionspartnern in Be- gossen, die im Extremfalle nur ein Zerrbild oder
zug auf die Bedürfnisbefriedigung neu bewertet eine Karikatur der ursprünglichen Lebendigkeit
und mit den – möglicherweise per Versuch und darstellt. Leventhal & Scherer (1987) gehen davon
Irrtum erlernten – spürbar erfolgreichen Hand- aus, dass diese schemabasierte Verarbeitungsebene
lungspfaden verbunden (Leventhal & Scherer, durch eine weitere ergänzt wird, die konzeptbasiert
1987). und sprachvermittelt ist. Sie umfasst propositional
Dieser kognitiv-affektive Prozess unterliegt nun organisierte Wissensstrukturen über Emotionen,
Prozessen der Gewohnheitsbildung, die wir als deren Wirkung und darüber, wie man sie beeinflus-
Schematisierung begreifen. Die entstandene Über- sen und regulieren kann. Im günstigen Fall führt
lebensstrategie wirkt vorstrukturierend, hilft nun dies zu mehr psychologischer Flexibilität und im
dabei, in verschiedensten Situationen mögliche besten Sinne zu »sozial-emotionaler Intelligenz«.
Barrieren der dringend notwendigen Bedürfnisbe- Im ungünstigen Falle werden Teile des Schemas auf
friedigung rechtzeitig zu erkennen, Affekte zu steu- dieser Verarbeitungsstufe in ein rational fassbares
ern und adaptive Verhaltensweisen zu organisieren. Konzept verwandelt, das sich stimmig oder weni-
Die schmerzliche Erfahrung der Konsequenzen, ger rigide in das Selbst- und Weltbild integriert. Im
die sich ergeben, wenn sich die Person einfach ih- Extremfall werden die impliziten Motive gar nicht
rem primären Gefühl und dem damit verbunde- mehr gefühlt.
nen primären Impuls überlässt, ist nun gewisser- Die zentrale Angst vor der Entgleisung des
maßen als Antizipation der Folgen im neuen Sche- grundlegenden affektiven Dialogs mit den mäch-
ma mit »aufgehoben«. Im Interesse der Bedürfnis- tigen Bezugspersonen führt dazu, dass der Heran-
befriedigung wird dabei ein vielleicht ansatzweise wachsende sein ganzes soziales Geschick einsetzt,
spürbarer primärer Impuls – etwa Lust oder Wut – um eine solche Situation möglichst perfekt zu ver-
zum verbotenen Impuls. meiden. Die zusätzlichen Lernprozesse der zeit-
lichen Generalisierung und der Generalisierung
3.5 · Überlebensstrategie: Kognitiv-affektives Schema zur Bedürfnisbefriedigung
59 3
entlang eines Ähnlichkeitsgradienten machen das 3.5.2 Wie entsteht gefühlte
Ganze mehr und mehr wasserdicht und erzielen Sicherheit?
einen antizipatorischen Effekt. Bereits das Vorfeld
ähnlicher Situationen löst Angst aus und mobili- Bei Herausforderungen des sozialen Lebens, wie
siert das gesamte Arsenal verfügbarer Vermei- etwa beim Umgang mit Verlusten, anlässlich von
dungsstrategien, so dass es während der weiteren Ärgernissen, Angst vor Fehlern oder vor Beschä-
Entwicklung auch im Leben eines ansonsten durch- mung usw., wird der gewohnte Verhaltensstrom
aus kompetenten Erwachsenen nicht zu einer kor- unterbrochen und die organismische Homöostase
rigierenden Erfahrung kommen kann. Kuhl (2001) ist gestört. Ist die Person nicht in der Lage, Bedro-
führt aus, dass negativer Affekt den Zugang zum hung, Verlust oder Schädigung mit den ihr zur Ver-
Selbstsystem mit seinen impliziten Motiven hemmt, fügung stehenden Verhaltensweisen abzuwenden,
so dass diese auch weiterhin kaum wahrgenommen so entsteht im Sinne einer Regulationsstörung
werden können. Stress mit allen Begleiterscheinungen wie Wut,
Diese in einem Schema zusammengefassten Angst, Übererregung, Hemmung usw. (Schwarzer,
grundlegenden Erfahrungen müssen für therapeu- 2000). Die Befriedigung zentraler Bedürfnisse ist
tische Zwecke auf den »Punkt« gebracht werden. somit erst einmal ungewiss geworden. An diesem
Für die Erarbeitung der dysfunktionalen kognitiv- Punkt reagieren manche Menschen mit Vermei-
affektiven Überlebensstrategie empfiehlt Sulz dung, in der Hoffnung die Lage nicht noch weiter
(1994) deshalb eine Syntax, die die diskutierten zu komplizieren. Anderen ist es eher ein Bedürfnis,
Aspekte und insbesondere entsprechende syste- die Situation genauer zu erforschen, um eine Lö-
matische Wahrnehmungsverzerrungen berück- sung zu finden und ihr vielleicht doch auch etwas
sichtigen: abzugewinnen. Der Kampf um das innere Gleich-
gewicht steht und fällt mit der Befriedigung der
zentralen Bedürfnisse, was letztlich das subjektive
Syntax der Überlebensstrategie Gefühl von Sicherheit wieder herstellen soll (Hau-
4 Nur wenn ich immer… (oft explizite Mo- ke, 2008). Dieser nicht ganz offensichtliche Zusam-
tive in dysfunktionalen Verhaltensstereo- menhang wird durch Bischofs (1996, 2008) Zürcher
typien) Modell der sozialen Motivation sehr schön ver-
4 und wenn ich niemals… (»verbotene« deutlicht. Es zeigt u. a., wie die beiden Bedürfnis-
Affekte und Impulse) gruppen »Bindung« und »Autonomie« (. Tab. 3.3)
4 dann bewahre ich mir… (zentrale Bedürf- jenes fundamentale Sicherheitsbedürfnis bedienen
nisse) (. Abb. 3.4).
4 und verhindere… (zentrale Angst) Wir beginnen mit der Betrachtung eines Si-
cherheitsreservoirs. Jeder Mensch verfügt über sei-
nen subjektiven Sicherheitssollwert, mit dem er
Während Beck & Wright (1986) das Selbst- und das sich gut fühlt. Zu wenig Sicherheit führt zu Unge-
Weltbild zu einer Grundannahme über das Funkti- wissheit und Angst, zu viel davon zu Langeweile.
onieren der Welt im Sinne einer Wenn-Dann-Aus- Wichtig ist also, dass das Reservoir möglichst nie
sage logisch verknüpfen und Grawe & Caspar gänzlich entleert, aber auch nicht überfüllt ist. Was
(1984) mit dem Oberplan den aus dieser Schluss- sind nun die Quellen zum Auffüllen des Sicher-
folgerung resultierenden Imperativ formulieren, heitsreservoirs? Welche Rolle spielen dabei Auto-
verbindet die Überlebensstrategie beides zu einer nomie- und Bindungssuche? Prinzipiell gibt es zwei
Verhaltensregel im Sinne von O’Donohue et al. Möglichkeiten, Sicherheit zu beziehen:
(2003). Die Überlebensstrategie enthält – je nach 4 Von außen durch die Nähe vertrauter Personen
Person – in unterschiedlichem Mischungsverhält- und Institutionen, welche Schutz und Gebor-
nis vermeidende und kompensatorische Anteile, genheit vermitteln.
die von Young et al. (2005) jeweils als unterschied- 4 Von innen (1.) durch die vom Autonomiean-
liche Schemamodi betrachtet werden. spruch gestützte Selbstsicherheit und (2.) durch
60 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Bindung

3 Langeweile

Neutral

Angst
Sicherheit
Panik

Autonomie
Selbstsicherheit
Positive Beziehungserfahrungen
Urvertrauen
. Abb. 3.4 Sicherheitsregulation nach dem Zürcher Modell der sozialen Motivation. Adaptiert nach Bischof (1996, 2008)

internalisierte gute Erfahrungen von externem cherheitspegel ähnlich dem Autonomieanspruch


Schutz, Sicherheit und Geborgenheit. Bischof von innen heraus gegen Schwankungen situativer
spricht an dieser Stelle von Urvertrauen. Wir Außeneinflüsse ab.
sprechen allgemeiner von positiven Bezie- Größtmögliche Flexibilität besteht, wenn der
hungserfahrungen. Internalisierte Repräsenta- Sicherheitsbedarf aus sämtlichen Quellen bedient
tionen können insbesondere auch durch aktuell werden kann. Die Person kann sich bei Bedarf an
unterstützende Personen oder Instanzen, wie bestimmte Schutzspender wenden oder aber sich
z. B. Partnern oder Schutzspendern aus dem gänzlich auf sich selbst verlassen. Manchmal muss
religiös-spirituellen Bereich, gebildet werden, auch flexibel dosiert werden, je nachdem welche
so dass quasi eine symbolische Nähe zu solchen Bedingungen man in einer Situation vorfindet.
repräsentierten Schutzspendern möglich wird Viele Patienten sind dazu nicht in der Lage, da ih-
(Mikulincer & Shaver, 2004). nen ihre Überlebensstrategie nur ganz bestimmte
Verhaltenspfade erlaubt. Typischerweise unter-
Warum ist ein Autonomieanspruch auch gleichzei- scheiden sich Patienten nicht nur durch die Höhe
tig eine Sicherheitsquelle? Hoher Autonomiean- ihres Sicherheitsanspruchs, sondern vor allem in
spruch macht von innen heraus selbstsicherer. der Art, ihr Sicherheitsreservoir zu füllen bzw. die
Schutz muss nicht mehr so sehr bei vertrauten Mit- verschiedenen Quellen zu dosieren (Hauke, 2008).
menschen gesucht werden, denn hoher Autono- Demnach unterscheiden wir in unseren Therapien
mieanspruch drosselt die Abhängigkeit und stärkt idealtypisch zwei Extremvarianten der Sicher-
die Unternehmungslust. Positive Beziehungserfah- heitsregulation (Hauke, 2008):
rungen und Urvertrauen repräsentieren frühe Ler-
nerfahrungen, die uns stärken. Sie puffern den Si-
3.5 · Überlebensstrategie: Kognitiv-affektives Schema zur Bedürfnisbefriedigung
61 3
jExtremvarianten der Sicherheitsregulation ganz kleines bisschen Verstimmung darüber geäu-
Zwei Patienten mit ähnlicher Angstsymptomatik ßert, dass er meinem Kinderwunsch immer noch kri-
illustrieren Autonomie – bzw. Bindungsorientie- tisch gegenübersteht. Seitdem wird mir in der Öffent-
rung. lichkeit immer ganz schwindlig und wackelig. Ich
kann nur unter allergrößten Schwierigkeiten mit öf-
Fallbeispiel 1 fentlichen Verkehrsmitteln in die Arbeit gelangen,
Patient (36 Jahre): »Ich bin bisher immer ganz gut klar das Einkaufen in der Stadt fällt mir extrem schwer. In
gekommen, hatte alles immer gut im Griff und bin der Arbeit fühle ich mich oft verunsichert; ein Ange-
absolut verunsichert durch meinen Stimmungsein- bot auf Beförderung habe ich vorsichtshalber erst
bruch. Seit einiger Zeit verspüre ich Ängste auf öf- einmal abgelehnt. Es war doch vorher alles gut! Ich
fentlichen Plätzen und wenn ich allein bin, schießt verstehe mich selbst nicht, zumal mein Freund mir
Angst in mir hoch; ich befürchte dann, ich könnte jetzt gerade vieles abnimmt, was mir schwer fällt.«
sterben. Seit einiger Zeit fange ich auch an, meinen
Herd, das Bügeleisen und Türschloss zig Mal zu kont- jSicherheitsregulation
rollieren, wenn ich das Haus verlassen will. Manchmal durch Autonomieorientierung
kehre ich deswegen nochmals um, weil ich mir nicht Eine solche Person fühlt am ehesten Sicherheit,
sicher bin, und komme deshalb zu spät in die Arbeit. wenn sie auf sich allein gestellt ist. Sie vermeidet
Ich kenne mich so nicht. Das ist erst so, seitdem ich verbindliche Nähe und tiefe Intimität. Zu viel Nähe
mich dazu durchgerungen habe, dem Drängen mei- kann durch Rückzug, abweisende und entwertende
ner Freundin nach Heirat und gemeinsamem Haus- Verhaltensweisen beantwortet werden.
halt nachzugeben. Ich hätte das nicht gebraucht, 4 Sie lässt tiefere Bedürfnisse nach Geborgenheit,
aber sie denkt, ich liebe sie nicht so sehr, wenn ich Behaglichkeit und Unterstützung nach Mög-
mich nicht zu ihr bekenne. Sie ist etwas geschockt, lichkeit nicht aufkommen;
mich so zu erleben, und fast schon gekränkt. Mir ist 4 Erinnerungen über Verletzbarkeit und Zurück-
meine Arbeit, in der ich alles selbst bestimmen und weisung durch Bindungsfiguren in der Kind-
unabhängig sein kann, sehr wichtig. Ich genieße es heit werden unterdrückt;
hier mit schwierigen Situationen umzugehen, mich 4 die Wichtigkeit von Bindung und Nähe wird
durchsetzungsfähig zu erleben; Leistung ist mir ex- stark relativiert, echte Intimität ist schwierig,
trem wichtig. Leider kann ich den Stress hiermit in- Sexualität dient weniger der Vertiefung einer
zwischen auch nicht mehr kompensieren. Im Gegen- Beziehung und bleibt oft eher selbstbezogen;
teil, ich merke, dass ich immer mehr Fehler mache. 4 Autonomie wird überbetont; solche Patienten
Deshalb muss ich jetzt etwas unternehmen.« füllen ihr Sicherheitsreservoir durch übermä-
ßig hohen Autonomieanspruch.
Fallbeispiel 2
Patientin (32 Jahre): »Die Beziehung zu meinem Part- Das Suchen von Nähe ist von Stress begleitet: Bin-
ner ist mir wahnsinnig wichtig und ich investiere fast dungsbedürfnisse werden deshalb durch verschie-
meine ganze Freizeit dafür. Ich mag es, uns ein ge- dene Strategien deaktiviert (Mikulincer & Shaver,
meinsames Nest zu bereiten; er soll sich mit mir rund- 2003). Der Bezugsperson wirklich zu vertrauen, ist
um wohlfühlen; ich gebe meine ganze Liebe ins Ko- schwierig. Sie kann sich nicht fallen lassen, verlässt
chen und Backen und verwöhne ihn auch immer mal sich am besten möglichst ausschließlich auf sich
mit einer erotischen Überraschung. Ich brauche Men- selbst. Bindungsbedürfnisse werden vermieden, in-
schen. Wenn er mal nicht zu Hause ist, dann telefo- dem man sich möglichst oft auf Aktivitäten zurück-
niere ich viel mit Kolleginnen oder Verwandten oder zieht, die deutlich spürbar die Unabhängigkeit ver-
halte meine Freundinnen auf dem Laufenden, an- größern, wie z. B. übermäßige Konzentration auf
sonsten habe ich wenig Zeit für andere Beziehungen. berufliche, bestimmte sportliche Aktivitäten, häu-
Im Moment fühle ich mich aber gar nicht so gut. Wir figeres Fremdgehen usw. In Therapien begegnet
hatten ein unangenehmes Gespräch, in dem mein uns dieser Typus vornehmlich als »Einzelkämpfer«
Freund geradezu ausgerastet ist. Ich habe ja nur ein und »Lonely Wolf«. Er zeigt gerade in belastenden
62 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Situationen wenig partnerschaftliche »Teamfähig- ner. Entsprechende Copingstrategien sind darauf


keit«, wenig Gespür für Beziehungsthemen und ausgerichtet, die Barriere, die einen Abgleich des
neigt zu »Entscheidungsautismus«. Wenn er sich in aktuellen Sicherheitsgefühls mit dem Sicherheits-
schwierigen Situationen nicht sowieso gänzlich zu- anspruch behindert, zu beseitigen. Am häufigsten
rückzieht und sich auf sein eigenes Handeln kon- wird unterwürfiges, pflegeleichtes Verhalten akti-
zentriert, wirkt sein Interaktionsstil häufig eher viert, um die Barriere, die den Zugang zu den Si-
3 selbstbezogen und direktiv. Der 36-jährige Patient cherheitsspendern behindert, zu beeinflussen. Oft
(7 Fallbeispiel 1) passt recht gut in dieses Bild. wird auch versucht, die Bindungsstärke durch hek-
tischen Aktivismus und vermehrtes Kontrollieren
Sicherheitsregulation durch Bindungsorientierung der Beziehung zu erhöhen. Personen dieses Typs
Dieser Typus braucht ständig andere Menschen, suchen viel Nähe und Vertrautheit zu ihren Part-
Nähe sowie Schutz und versucht dies durch klam- nern. Notwendige Klärungsprozesse bezüglich
mernde und besitzergreifende Verhaltensweisen Diskrepanzen, die im Raum stehen, werden ver-
sicherzustellen. Eine solche Person ist stark auf ihr schleppt, Verantwortlichkeiten stillschweigend de-
Gegenüber ausgerichtet, soweit die Qualitäten eines legiert. Oft besteht grundsätzlicher Zweifel darüber,
geeigneten Schutzspenders wahrgenommen wer- dass Partnerinnen bzw. Partner zu der Beziehung
den. auch wirklich stehen. Dieser Zweifel wird in erster
4 Sie zeigt sich appellierend, klammernd und de- Linie dadurch genährt, dass solche Personen an ih-
pendent. Sexualität wird eingesetzt, um Nähe rem geringen Selbstwert leiden. Sie können sich oft
zu erzeugen, den Partner bzw. Schutzspender nicht vorstellen, dass sie für andere Menschen at-
für sich einzunehmen und an sich zu binden. traktiv genug sind und interpretieren oft genug ihre
4 Sie zeigt große Selbstzweifel und ist sich nicht Wahrnehmungen auch in diese Richtung. Um eine
sicher, ob sie wirklich attraktiv genug für ihren vermeintlich fragile Beziehung nicht weiter zu ge-
Schutzspender ist. Umgekehrt wird auch der fährden, vermeiden sie es, kritisches Feedback zu
Bereitschaft von Bindungsfiguren, die als geben, Ärger zu äußern, Grenzen zu setzen. Lieber
Schutzspender gesucht werden, misstraut. werden durch Eigenaktivität Fehler oder Versäum-
Ebenso wird der eigenen Durchsetzungsfähig- nisse des anderen kompensiert, was schnell zum
keit nicht vertraut. Energiebankrott führen kann. Die 32-jährige Frau
4 Es besteht eine nur eingeschränkte Fähigkeit, in obigem Beispiel (7 Fallbeispiel 2) gehört in diese
unangenehme Erfahrungen mit Bindungsfigu- Kategorie.
ren der Kindheit und Jugend zu verarbeiten. Auch wenn die Symptomatik nach außen ein
Das führt zu lebenslanger Verstrickung und oft ähnliches Bild zeigt, unterscheiden sich die Überle-
tief sitzendem Ärger mit Eltern und aktuellen bensstrategien erheblich. Sie sind beispielhaft in
Bezugspersonen. . Tab. 3.7 dargestellt.
4 Emotionale Abhängigkeit wird überbetont. Natürlich finden sich in der Praxis auch Über-
Dieser Typus füllt sein Sicherheitsreservoir lebensstrategien mit variierender Dosierung von
durch das Herstellen übermäßiger äußerer Ge- Autonomie bzw. Bindung. Sie liegen also »zwi-
borgenheit. schen« diesen beiden Extrema. Solche Überlebens-
strategien können lange funktional sein, wenn sich
Das Herstellen von Nähe ist hier prinzipiell mög- die inneren und äußeren Lebensbedingungen mög-
lich. Dazu werden hyperaktivierende Strategien lichst wenig ändern. Die beiden Fallbeispiele zeigen
eingesetzt (Mikulincer & Shaver, 2003). Sie sollen jedoch, dass typische Veränderungen in einem Er-
einer erreichbaren, aber nicht responsiven oder wachsenenleben bereits zu einer erheblichen Her-
nicht aufmerksamen Bindungsfigur eine gefühlte ausforderung werden können. Offensichtlich ge-
Gefahr deutlich machen, um sie zu bewegen, Schutz lingt es nicht ohne weiteres, den erlebten Stress und
und Geborgenheit zu spenden. Dies schließt die die damit verbundene Bedrohung abzuwenden.
Übertreibung von Belastungen ebenso ein, wie die Verhaltensstränge, die von der Überlebensstrategie
ängstliche Überwachung des Verhaltens der Part- festgelegt werden, sind dazu u. U. nicht mehr wirk-
3.6 · Strategien der Sicherheitsregulation und Typen von Überlebensstrategien
63 3

. Tab. 3.7 Strategien der Sicherheitsregulation und Syntax der dysfunktionalen Überlebensstrategie am Beispiel des
»autonomieorientierten« Patienten und der überwiegend »bindungsorientierten« Patientin

Autonomieorientierung Bindungsorientierung

Nur wenn ich immer… Nur wenn ich immer…

auf Unabhängigkeit und Überlegenheit achte aktiv die Zuwendung anderer erreiche

und wenn ich niemals… und wenn ich niemals…


zu viel Nähe erlaube, bedürftig bin, Schwächen zeige Konflikte, Ärger und eigene Bedürfnisse zeige

dann bewahre ich mir… dann bewahre ich mir…


Stärke und Kontrolle Schutz, Geborgenheit und Harmonie

und verhindere… und verhindere…


Herabsetzung, Enttäuschung, Zurückweisung und Verletzungen verlassen zu werden

lich geeignet. Die Überlebensstrategie gestattet zu gert, das eine noch weitergehende Beschreibung
wenig Handlungsspielraum, um etwas Neues aus- erlaubt (Bartholomew & Horowitz, 1991; Brennan
zuprobieren. Somit ist sie dysfunktional geworden. et al., 1998; Rholes & Simpson, 2004; Meyer & Pil-
Da ihre orientierende und steuernde Funktion bis konis, 2008). Die Art und Weise unserer Bedürfnis-
dahin weitgehend den Stil der Bedürfnisbefriedi- befriedigung verrät etwas darüber, wie wir uns da-
gung bestimmt hat, werden zunächst die Anstren- bei selbst und wie wir das jeweilige Gegenüber seh-
gungen verstärkt, die problematische Situation ir- en. In . Abb. 3.3 wurde dies bereits als »Selbst- und
gendwie doch noch mit Hilfe des vertrauten Sche- Weltbild« berücksichtigt. Dieses Koordinatensys-
mas zu bewältigen. Die Wahrscheinlichkeit, Inter- tem – es wird als Bindungsraum bezeichnet – wird
aktionspartner dabei offen wahrzunehmen, mit ih- uns dabei helfen, verschiedene Typen von Überle-
nen eventuell neuartige, günstige Erfahrungen zu bensstrategien zu unterscheiden (. Abb. 3.5).
machen und sich selbst schließlich einmal anders Wir wollen daher die beiden Dimensionen
zu erleben, ist gering. Schließlich will das Selbstre- dieses Bindungsraumes näher betrachten.
gulationssystem die vertrauten Wahrnehmungen
wieder herstellen. Angst Erwachsene mit einer geringen Ausprägung
auf dieser Dimension haben ein positives Selbstbild
und halten sich selbst für wertvoll genug, um Für-
3.6 Strategien der Sicherheits- sorge und Zuneigung von anderen zu bekommen.
regulation und Typen Personen mit hoher Ängstlichkeit bezweifeln dies
von Überlebensstrategien gerade. Sie sind besorgt über die Verfügbarkeit und
Empfänglichkeit von Bezugspersonen. Dies liegt
jBindungstyp und Überlebensstrategie daran, dass sie große Zweifel hegen, überhaupt lie-
Sicherheit lässt sich durch möglichst innige Bin- benswert genug zu sein. Dementsprechend ist ihr
dung an andere oder durch völlige Unabhängigkeit Selbstbild eher negativ ausgeprägt.
von ihnen herstellen. Das Modell der Sicherheits-
regulation ermöglicht aber eine kontinuierliche Vermeidung Erwachsene mit geringer Ausprägung
Dosierung der verschiedenen Sicherheitsquellen auf der Vermeidungsdimension haben eher ein po-
(. Abb. 3.4). Auf diese Weise ergeben sich neben sitives Bild von anderen Menschen. Sie sind in der
den bisher betrachteten beiden Idealtypen weitere Lage, anderen zu vertrauen. Sie sind sich sicher,
Überlebensstrategien. Im Forschungsbereich der dass sie Unterstützung und Fürsorge von ihnen er-
Erwachsenenbindung hat sich ein empirisch gut warten können. Personen mit hohen Werten sind
gesichertes zweidimensionales Modell eingebür- dabei eher skeptisch anderen gegenüber. Sie gehen
64 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Annäherung
positives Bild vom
Gegenüber

3
verstrickt/
sicher
ambivalent

wenig Angst viel Angst


positives Selbstbild negatives Selbstbild

abweisend/ ängstlich-
vermeidend vermeidend

Vermeidung
negatives Bild vom
Gegenüber

. Abb. 3.5 Der Bindungsraum

davon aus, dass sie zurückgewiesen und vielleicht strategien führen. Dabei wird mit empirisch gut
sogar entwertet werden, wenn sie jemanden brau- begründeten Bindungsstrategien argumentiert, die
chen. Sie zeigen Unbehagen mit psychologischer von der Arbeitsgruppe um Mikulincer und Shaver
Intimität, distanzieren sich lieber und wahren in dargestellt werden (Shaver & Mikulincer, 2002;
ihren Beziehungen größtmögliche psychische Un- Mikulincer et al., 2003; Mikulincer & Shaver, 2003;
abhängigkeit. 2004).
Die Darstellung zeigt zwei orthogonale Achsen, Wird zu wenig Sicherheit erlebt, so stellt sich
auf denen jeweils verschiedenste Werte für »Angst« bei Erwachsenen und Kindern nach und nach ein
und »Vermeidung« eingetragen werden können. Gefühl der Bedrohung ein. Auslösend können z. B.
Zur Veranschaulichung des Bindungsraumes und Beziehungsabbrüche, Grenzüberschreitungen oder
zur besseren Orientierung darin wurden dort vier auch körperliche Erkrankungen sein. Normaler-
relevante Bindungstypen eingefügt, die sich aus der weise aktiviert ein solches Erleben unser Bindungs-
Kombination der Bindungsdimensionen ergeben system und die damit verbundenen Bindungsstra-
(z. B. »ängstlich-vermeidend« aus viel Angst und tegien. Damit will man sich realen oder auch nur
Vermeidung bzw. negatives Selbstbild und nega- vorgestellten Bezugspersonen äußerlich und inner-
tives Bild vom Gegenüber). lich nahen fühlen, um von ihnen Trost oder Zu-
Hauke (2010a) hat gezeigt, dass die unterschied- wendung zu erhalten. Im günstigen Falle verfügen
lichen affektiv-motivationalen Prozesse der Bin- die meisten Erwachsenen über interne Repräsen-
dungserfahrung zu entsprechenden Überlebens- tationen guter Bindungserfahrungen und Schutz-
3.6 · Strategien der Sicherheitsregulation und Typen von Überlebensstrategien
65 3
spendepersonen, zu denen eine symbolische oder und am besten gar nicht mehr gespürt. Das Bin-
tatsächliche Nähe hergestellt oder aufrecht erhalten dungssystem wird dementsprechend nicht akti-
werden kann. Dies wird als primäre Bindungsstra- viert. Dies läuft hinaus auf eine Maximierung ko-
tegie bezeichnet. gnitiver, emotionaler und eventuell auch physischer
Symbolische Repräsentanzen von Schutzspen- Distanz zu relevanten Bezugspersonen. Dadurch
dern spielen im Verlaufe der Entwicklung eine im- wird auch für den Erhalt eines positiven Selbstbil-
mer größere Rolle. Wie aufgeladene Akkus vermit- des gesorgt: Wenn jemand nicht zu nahe kommt,
teln sie in schwierigen Situationen Trost und Beru- kann man auch nicht so tief verletzt werden.
higung. Schon Bowlby (1969) vermutete, dass wir Im Bindungsraum bekommen solche Personen
uns nie völlig davon frei machen können, anderen hohe Vermeidungswerte und geringe Angstwerte
wenigstens bis zu einem gewissen Grade zu ver- zugeordnet. Es besteht eine starke Tendenz, Ge-
trauen. Wenn gute Beziehungserfahrungen in einer fühle zu unterdrücken, daher wird eben auch Angst
Lerngeschichte rar sind, sondern viel häufiger Zu- kaum gefühlt. Angst steht demnach als Steuerungs-
rückweisung, Bestrafung beim Nähesuchen, oder signal kaum zur Verfügung. Weiterhin werden
gar Traumatisierung erlebt wurden, dann werden nicht nur Gefühle der Verletzbarkeit unterdrückt,
auf Dauer die Bedürfnisse nach Bindung unter- sondern auch stressbehaftete Gedanken und Erin-
drückt. Bedürftigkeit wird nicht mehr signalisiert nerungen. Insbesondere um das positive Selbstbild

Überlebensstrategie Typ Abweisend/Vermeidend. Adaptiert nach Hauke (2010a).


Mit freundlicher Genehmigung von CIP-Medien
4 Positives Selbstbild/Negatives Weltbild und nimmt selbst primär Ekel im Gesichtsaus-
4 Sicherheitsregulation: durch chronisch ho- druck anderer wahr. Es werden schnell Kon-
hen Autonomieanspruch, dadurch geht das flikte antizipiert. Solche Menschen werden
Bindungsbedürfnis zurück, Bindungsaversion. von ihren Gegenübern oft als feindselig wahr-
Es existiert ein nur sehr geringes Urvertrauen genommen (Magai et al., 2000)
bzw. negative interne Repräsentation von 4 Typische Aussage:
Schutzspendern. 4 Nur wenn ich immer auf Unabhängigkeit
4 Verhaltensmuster: Die Person spielt die Be- und Überlegenheit achte
deutsamkeit enger Beziehungen herunter 4 und niemals bedürftig bin, zu viel Nähe
und betont ihre Unabhängigkeit von anderen und Gefühle zulasse, niemals Schwächen
sowie ihr Vertrauen auf sich selbst. Unpersön- zeige,
liche Quellen der Selbstwertsteigerung wie 4 dann bewahre ich mir Kontrolle, ein po-
Leistung und Erfolg werden bevorzugt. Bei sitives Selbstbild und
der Zusammenarbeit ist sie eher aufgabenori- 4 verhindere, ausgelöscht und vernichtet
entiert. Sie zeigt sich äußerlich wenig berührt zu werden
bei hohem inneren Stress und demonstriert 4 Lerngeschichte: Die Versuche, Nähe herzu-
globale Verleugnung eigener Bedürftigkeit stellen, wurden aversiv behandelt bzw. be-
beim Umgang mit interaktiven Problemen. straft. Häufig gab es konsistente Zurückwei-
Sie ist unsensibel für bedrohliche Signale bei sung bis hin zur Feindseligkeit. Klimatisch
verleugneter Verletzbarkeit und neigt dazu, standen emotionale Kälte sowie Verbote, Be-
Risiken zu unterschätzen. dürfnisse zu zeigen, im Vordergrund. Das Kind
4 Emotionen: Das Gefühlsleben ist einge- war früh auf sich selbst gestellt. Der spätere
schränkt und überreguliert, negative Emotio- Erwachsene neigt dazu, die Elternbeziehung
nen werden unterdrückt und positive dürfen zu idealisieren oder zu verteufeln.
nicht zu stark werden. Sie verleugnet Angst
66 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

zu bewahren sowie dessen Beschädigung und Ver- auf andere verlassen kann und wenn andere sich
letzungen zu vermeiden, wählt die Person Distanz auf mich verlassen. Ich mache mir keine Gedanken
und will alleine klarkommen. Ihr Autonomiean- darüber, dass ich allein sein könnte oder dass ande-
spruch ist deshalb durchgehend hoch und kann re mich nicht akzeptieren könnten.«
kaum situativ angepasst oder akklimatisiert wer-
den, wie Bischof (2008) sagen würde. Aufgrund der
3 damit verbundenen Bindungsaversion wird dieser Überlebensstrategie Typ Sicher. Adaptiert
Stil als Abweisend/Vermeidend bezeichnet. Men- nach Hauke (2010a). Mit freundlicher
schen mit diesem Bindungsstil stimmen der fol- Genehmigung von CIP-Medien
genden Aussage zu (Bartholomew, 1990): »Es geht 4 Positives Selbstbild/Positives Weltbild
mir auch ohne enge gefühlsmäßige Bindung gut. Es 4 Sicherheitsregulation: Je nach Erfordernis-
ist sehr wichtig für mich, mich unabhängig und sen der Situation ist ein geschmeidiger
selbstständig zu fühlen, und ich ziehe es vor, wenn Wechsel zwischen Bindung und Autono-
ich nicht von anderen und andere nicht von mir mie möglich. Die Person ist in der Lage,
abhängig sind.« Tendenziell kann unser 36-jähriger ihren Autonomieanspruch zu senken, um
Patient (▶ Fallbeispiel 1) dieser Positionierung zu- Bedürftigkeit zu zeigen und Unterstützung
gerechnet werden. anzunehmen. Sie zeigt Bindungsappetenz
Ist die Person jedoch in der Lage, ihre Bin- mit bindungsaktivierenden Strategien, ver-
dungsbedürfnisse zu spüren und zuzulassen, dann fügt über gutes Urvertrauen und positive
können primäre Bindungsstrategien ausgelöst wer- interne Repräsentationen von Schutzspen-
den. Die Nähe zu einer realen oder symbolischen dern.
Bezugsperson kann hergestellt und zugelassen wer- 4 Verhaltensmuster: Sie hält enge Bezie-
den, so dass Schutz und Unterstützung in einer hungen für wertvoll, kann diese pflegen,
sicheren Bindung erlebt werden. Hier kann über ohne ihre Autonomie zu verlieren. Sie zeigt
körperliche Nähe hinausgehend auch emotionale weder zu viel noch zu wenig Reagibilität
Nähe entstehen: Unterstützende Maßnahmen der bzgl. bedrohlicher Signale.
Bindungsperson, ihre Empathie und schließlich die 4 Emotionen: Sie zeigt einen flexiblen, offe-
Selbsterweiterung (Aron et al., 2005) um deren nen Stil der Emotionsregulation. Damit
spezielle Perspektiven, Ressourcen, bis hin zu er- kann eine breite Gefühlspalette erlebt und
lebter Intimität stellen eine Form der gemeinsamen ausgedrückt werden. Es besteht guter Zu-
Stressregulation – der Koregulation – dar, die gang zu positiven wie zu negativen Gefüh-
schließlich wieder eine günstigere Selbstregulation len (Magai et al., 2000).
fördert. Hat die Person ausreichend Sicherheit ge- 4 Typische Aussage: variabel, mit punktu-
tankt, so kann sie sich aus dieser Koregulation auf eller, nicht globaler, Wirkung
Zeit wieder lösen und sich erneut wieder den Her- 4 Lerngeschichte: Hier dominiert die Erfah-
ausforderungen ihres Lebens stellen. Der zeitweise rung hoher Verfügbarkeit von Schutzspen-
herabgesetzte Autonomieanspruch kann nun wie- dern, die empathisch und responsiv waren.
der hochgeregelt werden, die Person setzt jetzt z. B. Die Erziehungspraxis bediente sich nicht
wieder explorative Verhaltensweisen ein. des Liebesentzugs. Die Person bekam auf
Die grundsätzlich vorhandene Bindungsappe- gute Weise Grenzen gesetzt und wurde an-
tenz sowie die Fähigkeit, den Autonomieanspruch gemessen gefordert und gefördert.
situativ bedingt zu senken, um bei Bedarf Unter-
stützung annehmen zu können, charakterisieren
den Bindungsstil, der als Sicher bezeichnet wird. Was passiert, wenn sich erwachsene Menschen mit
Menschen mit diesem Bindungsstil stimmen der einer Bedrohung konfrontiert sehen und dabei
folgenden Aussage zu (Bartholomew, 1990): »Ich nicht auf die unterstützende und beruhigende emo-
finde, dass es ziemlich leicht ist, anderen gefühls- tionale Nähe zu einer äußeren oder symbolisierten
mäßig nahe zu sein. Es geht mir gut, wenn ich mich inneren Bezugsperson bauen können? Sie sind ver-
3.6 · Strategien der Sicherheitsregulation und Typen von Überlebensstrategien
67 3
letzbarer, der Sicherheitspegel ist bedrohlich abge- Bezugsperson als verfügbar erlebt und vorläufig
senkt und es entstehen Stress und Angst. Die dro- ausreichend Sicherheit gefühlt wird. Diese Bemü-
hende Entleerung des Sicherheitsreservoirs forciert hungen, möglichst viel Nähe, Intimität und Ver-
hier die mehr oder weniger reflexhafte Auswahl schmelzung herzustellen, kommen sehr forciert
eines Verhaltenspfades. Die resultierenden Verhal- daher. Dies führt kurzfristig zu einer wahrgenom-
tensweisen werden von den Bindungsforschern als menen Entschärfung der Bedrohungssituation.
sekundäre Bindungsstrategien bezeichnet, wobei Solche Personen sind im Bindungsraum repräsen-
hyperaktivierende und deaktivierende Strategien in tiert durch hohe Angstwerte und stärkere Annähe-
Betracht kommen. Im ersten Falle werden die An- rungstendenz. Ihre typische Aussage wäre (Bartho-
näherungsbemühungen massiv verstärkt, im zwei- lomew, 1990): »Ich möchte anderen gefühlsmäßig
ten Falle werden sie quasi eingefroren. sehr nahe sein, aber ich merke oft, dass andere Wi-
Betrachten wir zunächst den Fall der hyperak- derstände dagegen errichten, mir so nahe zu sein,
tivierenden Strategien. Sie sind durch starke Bin- wie ich ihnen nahe sein möchte. Es geht mir nicht
dungsappetenz und Annäherungstendenz gekenn- gut, wenn ich ohne enge Beziehung bin, aber ich
zeichnet. Treiber sind hier erlebte Hilflosigkeit und denke manchmal, dass andere mich nicht so schät-
die Angst davor, allein zu bleiben. Sie erfordern zen wie ich sie.«
ständige Wachsamkeit und Anstrengungen, bis die

Überlebensstrategie Typ Verstrickt/Ambivalent. Adaptiert nach Hauke (2010a). Mit freund-


licher Genehmigung von CIP-Medien
4 Negatives Selbstbild/Positives Weltbild 4 Emotionen: Sie sind meist unterreguliert und
4 Sicherheitsregulation: durch Bindungsorien- erleben oft Frustration und Ärger aufgrund
tierung, dabei werden immer hyperaktivie- häufig unerfüllter Sehnsüchte nach Nähe und
rende Strategien gezeigt. Ein gelegentlich er- Verbindung. Sie zeigen Ekel, wenn sich Frus-
höhter Autonomieanspruch wird schnell trationserlebnisse ständig wiederholen (Ma-
nach unten reguliert, wenn die Bezugsperson gai et al., 2000).
geeignete Merkmale eines Schutzspenders 4 Typische Aussage:
zeigt. Es bestehen Zweifel und Misstrauen als 4 Nur wenn ich mich immer aktiv um die
innere Barriere, wodurch anhaltendes Akti- Zuwendung des anderen bemühe und
viertsein besteht. Es besteht nur fragiles Ur- 4 niemals Konflikte und eigene Bedürfnisse
vertrauen und interne Repräsentation von in den Vordergrund stelle,
inkonsistenten, nicht zuverlässig verfügbaren 4 dann bewahre ich mir Schutz, Geborgen-
Schutzspendern. heit und Harmonie und
4 Verhaltensmuster: Die Person ist übermäßig 4 verhindere, hilflos zu sein und verlassen
mit Beziehungen beschäftigt. Sie zeigt die zu werden.
Tendenz, schnell enge Bindungsbeziehungen 4 Lerngeschichte: Es gab einen Wechsel zwi-
herstellen zu wollen, und neigt dazu, dabei schen warm-liebevoller und sich kalt-entzie-
auch den starken inneren Konflikt zu überge- hender Erziehungspraxis. Häufig finden sich
hen. Sie sieht Aktivitäten, auch die berufliche auch impulsive Überversorgung und emotio-
Arbeit, als Mittel, das Wohlwollen anderer nale Einvernahme durch Schutzspender. Bin-
Personen zu gewinnen, und ist leicht verletz- dungspersonen zeigten sich eher eindrin-
lich aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit gend, grenzüberschreitend und den Autono-
und Beachtung. Sie schätzt Teamarbeit und mieanspruch beschneidend. Hier finden sich
sie ist eher beziehungsorientiert als aufga- oft Traumatisierungen durch Trennungserleb-
benorientiert. nisse.
68 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Hyperaktivierende Strategien erreichen schnell ergehen wird von der Nähe zum Bindungspartner
eine kontrollierende und klammernde Qualität. In abhängig gemacht. Ganz anders sind deaktivie-
Verbindung mit erlebter Hilflosigkeit sind sie das rende Strategien motiviert. Zu große Nähe wird
Musterbeispiel für eine eher dependente Bezie- damit nach Möglichkeit vermieden. Dabei werden
hungsgestaltung. Der Preis für den Einsatz dieser Bindungsbedürfnisse eher unterdrückt oder in
Strategien ist jedoch nicht gering. Bei ihren Bemü- Schach gehalten, um von vornherein Frustrationen
3 hungen geraten sie schnell immer wieder an und Stress mit Bezugspersonen zu vermeiden. Die
schmerzliche Gefühle, die mit Bindungspartnern Absenkung der Bindungsappetenz zeigt sich in der
ihrer Lerngeschichte entstanden sind. Dabei ent- Vermeidung von Nähe, Intimität und Abhängigkeit
stehen immer wieder tiefe innere Zweifel über sich in Beziehungen. Gemieden werden nach Möglich-
selbst und ihren Wert für den Bindungspartner, der keit auch wenig vertraute Situationen, berufliche
ihnen ja vielleicht doch nicht nahe sein möchte. Herausforderungen und zu viele neue Informa-
Die hyperaktivierende Strategie in Verbindung mit tionen. Alles Neue kann ja auch Bedrohliches ent-
dem emotionalen Erleben kennzeichnet diesen halten.
Bindungsstil als Verstrickt/Ambivalent. Das Fernhalten gefahr- und bindungsrelevanter
Im Falle der hyperaktivierenden Strategien Reize gelingt nicht immer perfekt. Der etablierte
wird alles auf eine Karte gesetzt. Das gesamte Wohl- Sicherheitsabstand zu anderen kann entweder

Überlebensstrategie Typ Ängstlich/Vermeidend. Adaptiert nach Hauke (2010a).


Mit freundlicher Genehmigung von CIP-Medien
4 Negatives Selbstbild/Negatives Weltbild 4 Emotionen: Angst und Scham stehen im Vor-
4 Sicherheitsregulation: Erfolgt durch deakti- dergrund, fast schon im Sinne eines Persön-
vierende Strategien. Angesichts eines un- lichkeitsmerkmals. Sie nimmt selbst im Sinne
günstigen Selbstbildes und geringem Auto- eines Bias sehr häufig Ärger im Gesichtsaus-
nomieanspruch bleibt meist nur die Herstel- druck des Gegenübers wahr, zeigt Misstrauen
lung eines Sicherheitsabstandes übrig. Es gegenüber anderen und ist scheu sowie
besteht ein geringes Urvertrauen sowie inne- schüchtern aufgrund geringen Selbstvertrau-
re Repräsentation von mächtigen, entwer- ens (Magai et al., 2000).
tenden »Schutzspendern«. 4 Typische Aussage:
4 Verhaltensmuster: Die Person ist hochsensi- 4 Nur wenn ich immer die 100% gute und
bel für bedrohliche Signale und überemp- wohlwollende Beziehung vorfinde, im-
findlich für Kritik. Sie ist getrieben von per- mer sehr aufmerksam bin und sorgfältig
manenter Unruhe, Besorgtheit und Anspan- auf Abstand achte
nung mit Befürchtungen, abgelehnt oder 4 und niemals vollständig vertraue und Be-
lächerlich gemacht zu werden. Sie zeigt oft dürftigkeit eingestehe,
Tendenzen, soziale Beziehungen und beruf- 4 dann bewahre ich mir ausreichend
liche Aufgaben zu meiden, bei denen sie Schutz und Vorhersagbarkeit
nicht absolut sicher ist, nicht verletzt zu wer- 4 und verhindere, verletzt und entwertet
den oder erfolgreich zu sein. Ständige Selbst- zu werden.
zweifel plagen sie. Partner müssen oft jahre- 4 Lerngeschichte: Hier gab es häufige Zurück-
lange »Prüfungen« durchlaufen, um wirklich weisungen, physische Bestrafung, Erfahrun-
intim zugelassen zu werden, nahe Bezie- gen von massiver Entwertung und Demü-
hungen sind daher selten, oft konfliktbela- tigung sowie massiven Liebesentzug. Oft
den. Sie provozieren Beziehungszusammen- finden sich hier auch traumatisierende Er-
brüche und damit eine Wiederholung schlim- fahrungen bei Versuchen, Nähe herzustellen.
mer Erlebnisse.
3.6 · Strategien der Sicherheitsregulation und Typen von Überlebensstrategien
69 3
durch Interaktionspartner oder durch die Person keitsstörungen bzw. Persönlichkeitsakzentuierun-
selber überschritten werden, die ihre Bindungsbe- gen. Dabei gelten interaktive Probleme heutzutage
dürfnisse doch nicht mehr so recht in Schach hal- geradezu als definierende Merkmale. Folgerichtig
ten kann. Gegebenenfalls können emotionaler lassen sich bindungstheoretische Betrachtungen
Schmerz und Angst das Selbst überschwemmen, so anstellen, um hier adaptive bzw. maladaptive Wege
dass deaktivierende Strategien sich dahingehend der Bedürfnisbefriedigung zu verstehen (z. B.
erweitern, dass die Person sich auch vom eigenen Meyer & Pilkonis, 2008; Lyddon & Sherry, 2001;
Selbst distanziert, quasi dissoziiert. Auslöser kön- Sherry et al., 2007).
nen dabei momentane Beziehungserfahrungen Bartholomew et al. (2001) weisen darauf hin,
oder auch Hinweisreize sein, die an besonders dass angesichts der Multidimensionalität sowohl
schmerzliche Beziehungserfahrungen erinnern. der Bindungsstile als auch der Persönlichkeitsstö-
Dieses charakterisiert den Bindungsstil, der als rungen ein nicht notwendig einfacher Zusammen-
Ängstlich/Vermeidend bezeichnet wird. Menschen hang besteht. Sherry et al. (2007) haben mit dem
mit diesem Bindungsstil stimmen der folgenden Blick der Praktiker sehr gut fundierte Überle-
Aussage zu: »Ich finde es manchmal ziemlich unan- gungen – konzeptuell stehen diese den Überlebens-
genehm, anderen nahe zu sein. Ich möchte zwar strategien sehr nahe – dazu angestellt, aufgrund
Beziehungen, in denen ich anderen nahe bin, aber welcher lebensgeschichtlicher Entwicklung be-
ich finde es schwierig, ihnen vollständig zu vertrau- stimmte Persönlichkeitszüge und Bindungsstile
en oder von ihnen abhängig zu sein. Ich fürchte entstanden sein könnten (. Tab. 3.8).
manchmal, dass ich verletzt werde, wenn ich mir Es lohnt sich die jeweiligen Zuordnungen mit
erlaube, anderen zu nahe zu kommen.« (Bartholo- Hilfe unserer Darstellung »Bindungsstil« nachzu-
mew, 1990). Dies lässt sich auch mittels . Abb. 3.5 vollziehen. Für Leser, die mit entsprechenden Pati-
sehr gut nachvollziehen. Dieser Bindungstyp zeigt enten zu tun haben, ergibt sich daraus ein erhel-
hohe Angst- und Vermeidungswerte. Hier wird lender Einblick in deren Motiv- und Beziehungs-
auch sein Dilemma sehr deutlich: Er hat sowohl ein dynamik. Weiterhin lassen sich wichtige Rahmen-
negatives Bild von sich selbst als auch von der Um- bedingungen, z. B. Annäherungs- oder Vermei-
welt, in der er lebt. Ohnehin schon in ihrem Selbst- dungsmotivation bei zwischenmenschlichen Kon-
wert erschüttert, muss diese Person am besten Si- takten, zur Einschätzung von Überlebensstrategien
cherheitsabstände etablieren und einhalten, um erkennen.
sich zu schützen. Empirische Arbeiten zur Überprüfung solcher
Zusammenhänge liefern je nach Methodik und
Stichprobe nicht immer konvergente Resultate. Im
3.6.1 Typen von Überlebensstrategien Großen und Ganzen lässt sich die Darstellung in
und Persönlichkeits- . Tab. 3.8 jedoch verifizieren (vgl. Meyer & Pilko-
akzentuierungen nis, 2008).

Die in der Therapie ausformulierten Überlebens-


strategien lassen sich nun – eventuell in Kombina- 3.6.2 Sexualität, Autonomie
tion mit weiteren Verhaltensdaten – recht zuverläs- und Bindung
sig in den Bindungsraum einordnen (. Abb. 3.5).
Damit lassen sich verschiedene Formen motivatio- Weiter oben hatten wir ausgeführt, dass wir es im
naler Orientierung bei der Sicherheitsregulation Prinzip lediglich mit den zwei großen Bedürfnis-
klarer erkennen. Diese Perspektive liefert neben und Motivklassen »Bindung« und »Autonomie« zu
der diagnostischen Einordnung entscheidende In- tun haben. Wie fügt sich das Thema Sexualität in
formationen für therapeutische Zielsetzungen, z. B. unsere bisherigen Betrachtungen ein? Dies soll mit
für die Gestaltung der therapeutischen Beziehung. Hilfe von . Abb. 3.6 erklärt werden.
Ganz besonders wichtig erscheint uns dieser As- Im Verlaufe der Entwicklung werden diese Mo-
pekt für Diagnostik und Therapie von Persönlich- tivsysteme und die mit ihnen verbundenen Affekte
70 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Die Darstellung in . Abb. 3.6 verdeutlicht, dass


. Tab. 3.8 Typen von Überlebensstrategien und die drei Motivthemen aufeinander aufbauen. Qua-
Persönlichkeitsakzentuierungen. Adaptiert nach litäten einer sicheren Bindung sind grundlegende
Lyddon & Sherry, 2001, und Sherry et al., 2007
Voraussetzung, um Neugier und insbesondere se-
xuelle Neugier auf Andere entwickeln zu können.
Typ Überlebensstrategie Persönlichkeit
Zunächst wird Bindung sehr stark über den Kör-
3 Verstrickt/Ambivalent Dependent perkontakt vermittelt. Diese überwiegend phy-
Zwanghaft sische Bindungserfahrung ist Basis für die spätere
Histrionisch körperliche Intimität. Entstehen dabei ambivalente
Verstrickt/Ambivalent Ängstlich- oder bedrohliche Erfahrungen, so ist die Vertrau-
Ängstlich/Vermeidend Vermeidend ensbasis für eine wirklich erfüllte Erwachsenenin-
timtät äußerst fragil. Das Ergebnis dieser Entwick-
Ängstlich/Vermeidend Paranoid
lung variiert zwischen sicherer und unsicherer
Ängstlich/Vermeidend Antisozial Bindung. Unsichere Bindung umfasst dabei die
Abweisend/Vermeidend Narzisstisch
besprochenen Typen »Abweisend/Vermeidend«,
Schizotyp
»Verstrickt/Ambivalent« und »Ängstlich/Vermei-
Abweisend/Vermeidend Schizoid dend«. Im Zuge der Entwicklung wird das Ausmaß
der Abhängigkeit mehr und mehr zu Gunsten einer
Zunahme an Selbstständigkeit und Unabhängigkeit
rahmenhaft festgelegt und aktiviert. Krause (1998) reduziert. Damit kommt das Autonomiesystem
spricht von »Motivthemata«, die in der Transaktion verstärkt ins Spiel. Jetzt ist es möglich, neben der
mit der Umwelt während bestimmter Entwick- Bindung an Schutzspender, die erforderliche Si-
lungsperioden entfaltet werden, und beschreibt sie cherheit durch Erhöhung des Autonomieanspruchs
folgendermaßen: herzustellen, also Sicherheit durch Selbstsicherheit
1. Die Funktion des ersten Motivationsauftrages zu erzeugen (vgl. auch . Abb. 3.4). Explorations-
ist es, gute, zärtliche, fürsorgliche und freund- drang und Neugier sorgen dafür, dass sich die er-
schaftliche Beziehungen zu den Mitmenschen fahrbare Welt vergrößert. Dabei erweitert und dif-
herzustellen. ferenziert sich das innere Erleben; Kompetenz und
2. Im zweiten Motivationsauftrag tritt die innere Effizienz können sich im Zuge der Welteroberung
Forderung nach Eigenständigkeit, Autonomie, immer mehr betätigen und verbessern. Aron &
Individuation und Selbstbehauptung in den Aron (2006) bezeichnen diesen Prozess, der sich in
Vordergrund. sämtlichen Lebensaltern auswirken kann, treffend
3. Mit dem dritten Motivationsauftrag werden als Selbsterweiterung.
spezifische sexuelle Bedürfnisse spürbar und Aus der Abbildung wird deutlich, dass sich die
Objekte bekommen erregende und sinnliche Selbsterweiterung thematisch zwischen zwei ver-
Qualitäten. schiedenen Polen abspielen kann. Einerseits kann
die Person ihre Selbsterweiterung durch Vergröße-
Die Aufzählung dieser Motivthemen ist nicht so rung ihres persönlichen Handlungsspielraumes,
gemeint, dass sie nacheinander entfaltet werden ihrer Macht und ihres Einflusses sowie durch suk-
würden. So können beispielsweise sexuelle Reakti- zessive Verbesserung und Expertise im Leistungs-
onen schon bei Säuglingen auftreten. Darüber hin- bereich betreiben. Dieser Pol wird als »selbstbezo-
aus zeigen sie Verhaltensweisen, die sich als sexuell gen« bezeichnet, da es hier primär um die Stärkung
bezeichnen lassen, insbesondere in Form mastur- des Selbst geht. Andererseits kann sie sich selbst er-
bationsähnlicher Handlungen, auch orgasmusähn- weitern, indem sie sich für Beziehungen, insbeson-
liche Äußerungen sind beobachtet worden (Janssen dere für intime Beziehungen, öffnet. Hier erweitert
& Bancroft, 2007). Es ist wohl eher so, dass Rei- sich die Innenwelt um die Welt des anderen und um
fungs- und Entwicklungsprozesse diese Themen das gemeinsame Erleben. Der andere ist Teil des
parallel aktivieren und miteinander verflechten. Selbst geworden, das Erleben wird facettenreicher.
3.6 · Strategien der Sicherheitsregulation und Typen von Überlebensstrategien
71 3
Erotischer Selbstfokus Erotischer Beziehungsfokus
Begehren des eigenen Begehrens Begehren des anderen beantworten
Hedonismus Intimität und Nähe
eigenen Selbstwert stärken Selbstwert des anderen stärken
Abbau eigener negativer Gefühle Sexualität Gute Stimmung vermitteln
Stress bewältigen Harmonie erhalten

Selbstbezogen Selbsttranszendent
Ausüben Geben von
von Einfluss Wärme
Dominanz Versorgung
Kontrolle Autonomie Zuneigung
Macht Liebe

Sichere Bindung Unsichere Bindung


hohe Öffnungsbereitschaft geringe Öffnungsbereitschaft
gutes Selbstbild schlechtes Selbstbild
fürsorglich
Bindung abweisend
kooperativ bedürftig

. Abb. 3.6 Entwicklung der Motivsysteme. Randseitig sind Ausprägungen der jeweiligen Motivationen ausformuliert
(Aus: Hauke, 2009b). Mit freundlicher Genehmigung von CIP-Medien

Diese mehr auf andere Menschen bezogene Va- chen anschieben kann. Die Gleichsinnigkeit von
riante der Selbsterweiterung wird als »selbsttrans- Autonomie und Sexualität führt auch zu einer ähn-
zendent« bezeichnet. Im Idealfalle kann sich die lichen Benennung der Pole. Der Pol »erotischer
Person zwischen beiden Polen flexibel hin und her Selbstfokus« beschreibt daher die ausschließlich
bewegen. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn jemand das eigene Selbst fördernde und stützende Wirkung
über ein hinreichendes Fundament sicherer Bin- der Sexualität: Stressabbau, Lust am eigenen Be-
dungserfahrung verfügt. Ist diese Basis nicht gege- gehren, Selbstbestätigung usw. (Cooper et al., 2006;
ben, so wird der Versuch, über das Beziehungsle- Meston & Buss, 2007). Wie die Bezeichnung schon
ben eine Selbsterweiterung zu erreichen, auf mehr andeutet, zielt der erotische Beziehungsfokus auf
oder weniger große Schwierigkeiten stoßen oder eine Intensivierung der Beziehung ab. Hiermit
gar scheitern. Vielleicht gelingt der Person dann die kann Sexualität erlebt werden zu Gunsten der Ver-
Selbsterweiterung eher über den Modus von Macht tiefung und Erweiterung von Intimität und Nähe
und Einfluss. Es ist fraglich, inwieweit dieser erwei- zwischen den Partnern.
terte Raum dann auch menschlich warm ist. Es be- Wir ahnen bereits, dass sich entsprechende
steht die Gefahr, dass Angst und Verschlossenheit Weichenstellungen natürlich auch auf die Qualität
sie auf Dauer innerlich verkümmern und verein- der jeweiligen Sexualität auswirken. Hat die Person
samen lässt. in ihren primären Bindungen hinreichend Sicher-
Nach dem Zürcher Modell sind Sexualität und heit erlebt, dann ist sie ausreichend flexibel und
Autonomie gleichsinnig. Das bedeutet, dass Sexu- vermag sich zwischen den beiden Polen hin und
alität in Richtung Selbsterweiterung wirkt. Selbst- her zu bewegen. Sie kann sich auf jeden Fall eini-
erweiterung in verschiedensten Lebensbereichen germaßen konfliktfrei für Partner öffnen und dabei
kann auch zunehmende Sexualität zur Folge haben. Sexualität als einen Aspekt der Selbsterweiterung
Umgekehrt gilt, dass ein erhöhtes Maß an Sexuali- leben, der für die Beziehung noch intensivierend
tät auch die Selbsterweiterung in anderen Berei- und vertiefend wirkt.
72 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Fallbeispiel bensstrategie. Selbsterweiterung in Beziehungen


Ein 42-jähriger, elegant gekleideter, attraktiver Pati- würde nur funktionieren, wenn er sich öffnen und
ent, erfolgreicher Wirtschaftsanwalt, kommt in die erlauben könnte, dass ihm wirklich jemand nahe
Therapie. kommt. Die Gefahr, dass er dann als ein »Nichts« ge-
Er ist in einer Professorenfamilie aufgewachsen. Hier sehen und entwertet werden würde, ist aber zu groß.
wurde in erster Linie nach Leistung beurteilt, es gab Sexualität: Sie gehört zum Motivationsthema »Auto-
3 drakonische Strafen, wie z. B. körperliche Züchti- nomie« und steht deshalb auch ganz im Dienste der
gungen, wochenlange Nichtbeachtung usw. Emotio- selbstbezogenen Selbsterweiterung. »Es gibt mir ein
nale Nähe bekam er nur selten und wenn, dann nur unsagbar gutes Gefühl, dass viele schöne Frauen Sex
heimlich von der Mutter, die sich dem Vater nicht of- mit mir haben wollen!« Neben der Stärkung des
fen zu widersetzen wagte. Er liebe es, mit wirklich Selbstwertgefühls geht es auch um den Abbau von
schönen Frauen zusammen zu sein und viel Sex zu Stress, der im Rahmen seiner anspruchsvollen beruf-
haben, wobei es natürlich nicht um Feld-Wald-und- lichen Tätigkeit entsteht. Die intensive Ausübung von
Wiesen-Sexualität gehe. Er würde auch sehr oft zu S/M-Praktiken, bei denen er den dominanten Part
Prostituierten gehen. Eine Frau hätte jetzt von ihm übernimmt, ist nochmals eine Variante seines Kon-
ein Kind bekommen und er wolle sie heiraten; es sei troll- und Machtbedürfnisses. Diese Fixierung auf den
ja vernünftig, eine Familie zu haben. Man würde das erotischen Selbstfokus kann nicht aufgeweicht bzw.
von ihm auch so erwarten. Er wisse aber nicht, wie er ergänzt werden. Die Ergänzung um den erotischen
die vielen Nebenbeziehungen beenden solle. Irgend- Beziehungsfokus würde die Fähigkeit zu Nähe und
wie würde er das alleine nicht schaffen und deshalb echter Intimität voraussetzen. Dieses wird jedoch von
komme er in die Therapie. der Vernichtungsangst verhindert.
Seine Überlebensstrategie, abweisend-vermeidender
Typ, lautet:
4 Nur wenn ich immer Spitzenleistungen bringe, 3.6.3 Sekundäre Bindungen
auf Unabhängigkeit und Überlegenheit achte und Partnerschaft
4 und niemals Bedürftigkeit und Schwächen zeige
und zum Durchschnitt gehöre, Beziehungen sind ein wesentliches Vehikel für die
4 dann bewahre ich mir Aufmerksamkeit für meine Befriedigung von Bedürfnissen. Deshalb sind in ei-
Einmaligkeit sowie auch Kontrolle ner Therapie direkt oder indirekt auch die Partner-
4 und verhindere, zu einem Nichts zu werden beziehungen immer präsent. Selbst wenn ein Pati-
ent noch nie in einer Partnerbeziehung war, so ste-
Bindung/Sicherheit: Die Weichenstellung beginnt hen Themen wie erotische Anziehung, Sexualität
mit der Lerngeschichte, die zu einem unsicheren und Paarbeziehung erst recht im Raum. SBT bietet
Bindungsstil führt. Für die Sicherheitsregulation einen Rahmen, innerhalb dessen diese wichtigen
kennzeichnend ist ein chronisch hoher Autonomie- Aspekte mit den bereits beschriebenen Grundlagen
anspruch bei geringer Bindungsappetenz. für eine Fallkonzeption verstanden und eingeord-
Autonomie: Der Patient hat einen hohen Autonomie- net werden können (Hauke, 2009b). Der Weg zu
anspruch (Soll-Wert). Seine Selbsterweiterung be- unseren ersten Partnererfahrungen ist durch unse-
treibt er in erster Linie im selbstbezogenen Modus: Es re Lerngeschichte festgelegt. Das, was wir später als
besteht hoher Geltungsdrang mit der Notwendigkeit Liebe bezeichnen, ist durch die Erfahrung der pri-
positiver Außenwirkung. Er erbringt exzellente Leis- mären Bindung zu den versorgenden Bezugsper-
tungen, steuert alles so, dass er in allem »Spitze« sein sonen wesentlich beeinflusst (Bowlby, 1973). Pri-
kann, und er ist dabei bestrebt, sich in einem »Top- märe Bindungen sind Ausgangspunkt für die Er-
umfeld« zu bewegen. Da er andere Menschen nicht weiterung des sozialen Erfahrungsraumes, wobei
wirklich an sich heranlassen kann, ist er kaum in der dann emotional wichtige Bezugspersonen außer-
Lage, seine Selbsterweiterung in Richtung auf den halb der Familie immer wichtiger werden.
selbsttranszendenten Pol, also beziehungsorientiert, In der Bindung zwischen Erwachsenen entwi-
zu ergänzen. Das verbietet ihm gerade seine Überle- ckelt sich dieser Austausch stärker in Richtung auf
3.6 · Strategien der Sicherheitsregulation und Typen von Überlebensstrategien
73 3
eine reziproke Beziehung hin, wobei jeder dem an- Das Wasser fließt von oben nach unten, d. h., der
deren Schutz und Nähe geben kann. Die Erfahrung Transfer funktioniert nur, wenn die gebende Per-
von Geborgenheit und Sicherheit muss sich bei son im jeweiligen Moment einen höheren Autono-
kleineren Kindern immer wieder ereignen und be- mieanspruch hat, als die empfangende Person.
stätigen durch den unmittelbaren, auch physisch Später werden wir in 7 Kap. 5 (Embodiment)
nahen Kontakt zu den Bindungspersonen. Für ge- erfahren, dass das kognitiv-affektive Konstrukt des
sunde Erwachsene hingegen muss diese Erfahrung jeweiligen Ranges in einer Beziehung tatsächlich
nicht ständig physisch vollzogen werden. Sie wird auch mit dem räumlich gemeinten »oben« bzw.
im Verlaufe der Entwicklung internalisiert und »unten« konstruiert wird. »Oben« oder »unten«
kann auch bei Abwesenheit des Partners gefühlt muss in einer Beziehung nicht unbedingt fest einer
werden (Hazan & Shaver, 1994). Diese Entwicklung Person zugeordnet sein, obwohl auch dies häufig
verbindet offensichtlich die Erfahrung primärer vorkommt. Im Idealfalle kommt es immer wieder
Bindung mit der Erfahrung von Sicherheit und Ge- zu einem Rollenwechsel, so dass sich der jeweils ge-
borgenheit in Partnerschaften, die deshalb auch als rade schwächere an den stärkeren Partner anlehnen
sekundäre Bindungen bezeichnet werden (Bischof, kann. Neben der Erfahrung von ausreichender Si-
2008). Sekundäre Bindungen sind sehr stark ge- cherheit im Rahmen einer entsprechend günstigen
prägt durch die erfahrenen primären Bindungen Bindungserfahrung, ist also insbesondere auch für
(Hazan & Zeifman, 1999; Mikulincer, 2006). Dies die Fähigkeit, Fürsorge zu geben, eine gelungene
merkt man an Autonomieentwicklung von größter Bedeutung.
4 der Bedeutung von intimem Körperkontakt, Wie bereits ausgeführt, kovariiert der Autonomie-
4 der intensiven Trauer bei Trennung, anspruch mit der sexuellen Motivation und mischt
4 ihrer Bedeutung für die seelische und körper- dem Autonomiezuwachs eine ganz eigene Qualität
liche Gesundheit. bei. Dabei geht es um spezifische sexuelle Bedürf-
nisse, die erregende und sinnliche Qualitäten in
Manche Patienten schaffen es nicht, die primären einer Beziehung entstehen lassen.
Beziehungserfahrungen zu erweitern und übertra-
gen diese Muster dann auf ihre Erwachsenenbezie- jDie erotische Brücke
hungen. Unter bestimmten Bedingungen kann dies Soll eine Liebesbeziehung eine Bereicherung sein
sogar eine Weile ohne größere Probleme funktio- und der gegenseitigen Bedürfnisbefriedigung die-
nieren. Oft ist damit jedoch ein Scheitern vorpro- nen, so sind am besten alle drei diskutierten moti-
grammiert. Im Idealfalle können Partner jedoch vationalen Basisthemen (. Abb. 3.6) einigermaßen
die Erfahrungen mit ihren primären Bezugsper- entwickelt. Bildlich lässt sich die Entfaltung dieser
sonen ausbauen, um weitergehende Erfahrungen drei Motivthemen mit dem Wachstum eines Bau-
gewinnen zu können, nicht zuletzt um zu einer er- mes vergleichen. Verläuft die Entwicklung günstig,
wachsenen Bedeutung von Verschmelzung und In- so wird ein gesunder, starker Baum, der tief im Erd-
timität zu gelangen. Dazu muss man sich jedoch in reich verwurzelt ist, entstehen. Dann lässt sich das
sich selbst und mit dem anderen ausreichend sicher Baumaterial ernten, das für eine »Verbrückung«
fühlen. Außerdem ist die Bildung einer solchen mit einem anderen Menschen geeignet ist.
Dyade nicht möglich, wenn man dabei dem ande- Welches sind die Komponenten der Brücke und
ren nicht auch Sicherheit vermittelt. Weiterhin in welcher Beziehung stehen sie zu den drei Motiv-
kann jeder dem anderen nur Pflege und Fürsorge themen? In Anlehnung an die »Dreieckstheorie der
geben, wenn auch jeder über genügend Standver- Liebe« nach Sternberg (1986) ermittelt Hauke
mögen verfügt. Genauer: Wenn die Fürsorge ge- (2009b) vier Komponenten, die für die Stabilität
bende Person im passenden Moment über ausrei- von Partnerbrücken wichtig sein können.
chend Ressourcen und innere Stärke verfügt. Diese
Fähigkeit wird erst im reproduktiven Alter funktio- Entscheidung Sich für einen Partner zu entschei-
nell und korreliert mit dem Autonomieanspruch, den setzt offenbar die Fähigkeit voraus, sich über-
der Unabhängigkeit und der Unternehmungslust. haupt binden zu können. Jemand der sich bindet,
74 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

muss sich dabei aber in ausreichender Weise sicher tät zum Motivthema »Autonomie«. Es lässt sich
fühlen können. Dieser Entscheidungsprozess ge- erkennen, dass insbesondere für eine erfüllte Sexu-
hört zum Motivthema »Bindung und Sicherheit«. alität am besten ein Hin- und Herpendeln zwischen
den beiden Polen möglich sein sollte. Einerseits
Körperliche und emotionale Nähe Diese Merkmale sollten Partner grundsätzlich gerne in ihrem eige-
beziehen sich auf die Intimität zwischen den Part- nen Körpern erregt sein wollen und dies auch ge-
3 nern. Um diese »doppelte« Nähe herstellen zu kön- nießen können (erotischer Selbstfokus). Braucht
nen, müssen sich die Partner in Gegenwart des an- ein Partner jedoch ständig Sex für den Stressabbau
deren wiederum sicher fühlen können. Die Verbin- und zur Minimierung negativer Gefühle, ohne
dung der Körper von Fleisch zu Fleisch und die auch Intimität und Nähe damit vertiefen und seine
gegenseitige Öffnung der Innenwelten berührt Liebe zeigen zu wollen, dann kommt es im Partner-
ebenfalls in ganz fundamentaler Weise das Motiv- system schnell zu einer Schieflage.
thema »Bindung und Sicherheit«. Schon Bowlby Idealerweise sind alle vier Komponenten in ei-
(1973) erkannte, dass frühe intensive Bindungen ner Partnerschaft präsent. In der Realität ist dies
zwischen Eltern und Kind sozusagen den Prototyp nicht immer der Fall. Bedauerlicherweise fehlt oft
der Vorstellungen, Empfindungen und Verhaltens- die vierte Komponente, was nicht bedeuten muss,
weisen der späteren leidenschaftlichen Partnerliebe dass diese Brücke im Alltag nicht auch tragen wür-
bildet. Aufgrund von unsicheren Bindungsstilen de. Nicht jede Partnerbrücke ist auch gleichzeitig
und entsprechenden Überlebensstrategien sind da- eine erotische Brücke.
bei eventuell nur sehr schmale Pfade begehbar.
jErotische Brücke und Überlebensstrategien
Autonomie Eine Brücke ist nur denkbar, wenn es der Partner
zwei hinreichend stabile Pfeiler gibt. In jeder Part- Die Interaktion der Partner lässt sich sehr gut ver-
nerbeziehung sollte jeder, vom anderen unabhän- stehen, wenn man die jeweiligen Überlebensstrate-
gig, stehen können. Dies entspricht vollkommen gien ausformuliert (. Tab. 3.9).
dem Motivationsauftrag »Eigenständigkeit, Indivi-
duation und Selbstbehauptung«. In unseren Se- Entscheidung Beide Partner wollen die Beziehung
xualtherapien vertreten wir die Auffassung, dass fortsetzen. Zufriedenheit besteht bzgl. des Fami-
für eine erfüllte Sexualität eine Portion gesunder lienmanagements. Die Familienbindung wird als
Egoismus ebenso wichtig ist, wie die Fähigkeit zum wertvoll angesehen.
empathischen Miteinander. Probleme entstehen
dann, wenn Personen ihr Verhalten überwiegend Körperliche und emotionale Nähe Betrachten wir
an einem der . Abb. 3.6 dargestellten Pole orientie- die erste Zeile in . Tab. 3.9. Je mehr die Partnerin
ren. Autonom sein heißt nicht nur, Neugier zu ent- um Zuwendung kämpft, desto mehr fühlt sich ihr
falten für unbekannte, erregende Situationen, son- Partner in seinem Bedürfnis nach Distanz und Au-
dern auch Zugang zu aggressiven Impulsen zu ha- tonomie bedroht. Nonverbal und/oder verbal sen-
ben. Dies kann für eine wirklich erfüllte Sexualität det er Botschaften, die sie in ihrem Bedürfnis nach
notwendig sein, um bisherige Grenzen, z. B. Scham- Geborgenheit und Nähe frustrieren. Nun fühlt sie
grenzen, aufzuweiten. sich auch nicht mehr so sehr geliebt und – genera-
lisierend – nicht mehr attraktiv für ihn.
Erregung und Erotisierung Hier werden sexuelle
Verhaltensweisen und Leidenschaften entfesselt. Autonomie Der Partner ist bestrebt, gefühlte Si-
Partner müssen in der Lage sein, Erregung zu ent- cherheit durch Unabhängigkeit, Stärke und Kon-
wickeln und Begehren für den anderen zu entfal- trolle zu erhöhen. Tendenziell bedient er dabei eher
ten. Dies ist an die Präsentation, das Erkennen und den selbstbezogenen Pol der Selbsterweiterung. Zu
Wahrnehmen diverser Stimuli gebunden. Dieses viel Nähe ist gefährlich! Die Partnerin macht sich
Motivthema haben wir oben kurz mit Sexualität klein und sucht Sicherheit durch Abhängigkeit,
bezeichnet. Wie bereits ausgeführt, gehört Sexuali- wodurch ihr Autonomieanspruch stark herabge-
3.7 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis II
75 3

. Tab. 3.9 Strategien der Sicherheitsregulation und Syntax der dysfunktionalen Überlebensstrategien am Beispiel des
»autonomieorientierten« Partners und der überwiegend »bindungsorientierten« Partnerin

Syntax Partnerin Partner

Nur wenn ich immer… aktiv seine Zuwendung erreiche, ihn in auf Unabhängigkeit und Überlegenheit
seinen erotischen Bedürfnissen bediene achte und

und wenn ich niemals… eigene, mich erregende Fantasien und meine Erregung zu stark werden lasse und
Bedürfnisse sowie Konflikte und Ärger zu viel Bedürftigkeit erlaube
zeige

dann bewahre ich mir… Schutz, Geborgenheit und Harmonie etwas Genuss, Kontrolle, Stärke

und verhindere… verlassen zu werden Zurückweisungen und Verletzungen

setzt ist. Zu Beginn der Partnerschaft hatte sie sich ausgehalten wird. Besonders in langjährigen Bezie-
immer den starken Mann gewünscht. Sie könnte hungen ist es notwendig, dass jeder Partner seine
auch gut ein Stück mehr Selbstbezogenheit gebrau- individuelle Entwicklung nicht vernachlässigt. Ge-
chen. genseitige Gewöhnungseffekte sind durchaus wich-
tig und können die Basis für Schutz und Sicherheit
Erregung und Erotisierung Die Basis ist eigentlich sein. Im Übermaß eingesetzt, ebnen sie jedoch viele
nicht schlecht. Beide Partner mögen sich auch kör- anregende und erregende Unterschiede ein und
perlich, aber der Appetit hat stark nachgelassen. verhindern geradezu eine prickelnde, abwechs-
Die Partnerin bringt ihre eigenen sexuellen Bedürf- lungsreiche Seite der Partnerschaft.
nisse nicht ein. Sie ist fast ausschließlich am selbst-
transzendenten Pol orientiert: Die Bedürfnisse des
Partners sind ihr wichtiger als die eigenen. Der 3.7 Ertrag: Grundlegende Strategien
Partner muss das Ausmaß seiner Erregung in für die therapeutische Praxis II
Schach halten, um sich selbst das für ihn notwen-
dige Kontrollgefühl und einen gewissen Sicher- jErster Zugang zum Bedürfnisthema
heitsabstand zu bewahren. Der gemeinsame Sex Erster Eindruck Versuchen Sie sich zunächst einen
verkommt zu einer Art Rehabilitationsmaßnahme Eindruck zu verschaffen, ob Ihr Patient eher auto-
zum Stressabbau. Dadurch fühlt sich die Partnerin nomie- oder bindungsorientiert ist oder ob ein Mi-
noch unattraktiver, streckenweise auch entwertet, schungsverhältnis beider Orientierungen vorliegt.
wütend und verletzt. Ihre Überlebensstrategie ver- Hinweise dafür gewinnen Sie aufgrund seines Auf-
bietet ihr jedoch dazuzustehen und ihre Gefühle zu tretens und Verhaltens Ihnen gegenüber, aus einer
zeigen. Inzwischen hat sie einen Scheidenkrampf Lerngeschichte, aus der Schilderung aktueller Le-
entwickelt. Der Partner fühlt sich zurückgewiesen bensumstände, der Hobbys, der beruflichen Tätig-
und frustriert, zieht sich zurück und vermittelt sei- keit, eventuell auch durch Fremdanamnese.
ner Frau noch weniger von dem, was sie sich sehn-
lichst wünscht. Damit resultiert ein Partnertanz der Differenzierung des Motivprofils In einem nächsten
erotischen Frustration. Bewusst oder öfter noch Schritt sollte die grundlegende motivationale Ori-
unbewusst macht jeder der Beteiligten einen entierung ausdifferenziert werden.
Schritt, der vom jeweils anderen entsprechend be- 4 Versetzen Sie Ihren Patienten in eine leichte
antwortet wird, so dass sich die Fronten mehr und Entspannung. Lesen Sie ihm z. B. die Liste der
mehr verhärten. . Tab. 3.1 langsam vor. Geben Sie ihm die An-
Bindung und Autonomie stehen in einem Span- weisung, dass er dabei auch auf sein Bauchge-
nungsverhältnis, das von vielen Partnern schlecht fühl achten soll. Treten spürbare somatische
76 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

Marker auf, so soll er einen Finger heben, damit trierte neue Thema vorerst einmal aufgehoben
Sie das gerade vorgelesene Bedürfnis notieren wird. Kehren Sie dann gemeinsam zum Aus-
können. gangsthema zurück.
4 Stellen Sie danach gemeinsam fest, welches Be-
dürfnis für Ihren Patienten momentan beson- Unterstützen des referenziellen Prozesses Helfen
ders wichtig ist. Wenn es im Rahmen einer klei- Sie Ihren Patienten dabei, implizite Inhalte und
3 nen Lebensrückschau auch immer wieder auf- nicht-verbales Erleben zu verbalisieren.
taucht, so ist es wahrscheinlich situationsüber- 4 Achten Sie auf bildhafte Ausdrucksweise in sei-
greifend immer wichtig. Es handelt sich dann ner Sprache, z. B. »Ich fühle mich ausge-
um ein zentrales Bedürfnis. quetscht«, »Ich hänge wie ein Schluck Wasser
in der Kurve«, »Ich könnte kotzen« usw.
jVertieftender Zugang zum Bedürfnisthema 4 Greifen Sie das auf und bitten Sie Ihren Pati-
Bedürfnisse sind implizit, d. h. verbale Umschrei- enten, das Bild genauer zu beschreiben. Der
bungen spiegeln selten die tatsächliche Bedürfnis- Einstieg ins bildliche Sprechen ist mit Hilfe sol-
qualität wider. Wählen Sie eine Arbeitsweise, die cher recht üblichen Bilder meist vollzogen und
den Zugang zum Extensionsgedächtnis erleichtert. es entstehen weitere, u. U. sehr persönliche und
ganz ursprüngliche Bilder.
Einstieg Nichts ist wichtiger als eine gute Atmo- 4 Fordern Sie Ihren Patienten direkt auf: »Wenn
sphäre in der Therapie. Sie ein Bild dazu malen sollten, was wäre darauf
4 Sorgen Sie für positive Emotionalität. Dabei ist zu sehen?«
es günstig, wenn im Moment keine Spannungen 4 Haben Patienten damit Schwierigkeiten, so bie-
in der therapeutischen Beziehung bestehen. ten Sie ihnen Bildvorlagen zur Auswahl an. Ei-
4 Induzieren Sie positive Stimmung, indem Sie ne Sammlung von Postkarten mit einer Fülle
vorher ein kurzes Gespräch über positive Er- von Motiven und Stimmungen erweisen sich
fahrungen, Ressourcen oder Werte anregen. immer als hilfreich.
Manchmal ist auch der Austausch über beson- 4 Lassen Sie Ihren Patienten das Erleben mit Hil-
ders gute Witze oder Cartoons hilfreich. fe von Wachsmalkreiden oder mit Knetmasse
4 Gehen Sie anfangs nicht zu sehr in situative De- gestalten. Die Produkte werden dann gemein-
tails. Dies fördert u. U. wieder das Entstehen sam versprachlicht und auf die aktuelle Situa-
negativer Emotionalität. tion bezogen.
4 Vollziehen Sie ein häufiges Hin- und Herwech-
Gestaltung der Arbeit mit problematischen Situa- seln zwischen nonverbalem Erleben (z. B. Kör-
tionen Häufig werden schwierige, schmerzliche pergefühlen), Bildern und sprachlicher Formu-
oder enttäuschende Situationen in der Therapie an- lierung.
gesprochen. Dabei geht es im Wesentlichen immer
um die Frustration von Grundbedürfnissen. Bei jZiele in der Therapie
Beachtung weniger Details können eine Fülle von Zielvereinbarungen in der Therapie sind sprachlich
Informationen über die Bedürfnisse bzw. die impli- formatiert. Deshalb handelt es sich um explizite In-
ziten Motive Ihres Patienten erhoben werden: halte. Will man eine Energetisierung dieser explizi-
4 Vereinbaren Sie für die Arbeit explizit Kontroll- ten Motivation durch implizite Motive erreichen,
möglichkeiten für Ihren Patienten, z. B. Signali- dann ist auf Folgendes zu achten:
sieren eines Abbruchwunsches, großer bzw. 4 Arbeiten Sie erlebnisorientiert, mit Bildern, er-
kleiner räumlicher Abstand zwischen Thera- mutigen Sie zu bildhafter Sprache.
peut und Patient usw. 4 Lassen Sie Ihren Patienten den Prozess der
4 Möglicherweise taucht noch ein umfang- Zielverfolgung und den Zustand der Zielerrei-
reicheres oder ganz anderes Thema während chung imaginieren. Hilfreich ist es, wenn er
der Arbeit auf. Validieren Sie dies und verein- dies im Sinne einer Hausaufgabe für sich selbst
baren Sie nach Möglichkeit, dass das nun regis- außerhalb der Therapie auch tut.
3.7 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis II
77 3
4 Explizite Ziele verführen oft dazu, Kriterien der 4 Beachten Sie auch emotionales Erleben, das un-
Zielerreichung in den Vordergrund zu stellen. gerichtet wirkt, nur vage benannt werden kann
Patienten und Therapeuten neigen dann dazu, und sich überwiegend als Körpersensation
den Fortschritt in der Zielerreichung und ins- zeigt. Mit Hilfe eines solchen Kernaffekts meist
besondere das Ergebnis zu fokussieren. Implizi- vermiedene Themen erfasst werden.
te Motive lassen sich besser aktivieren, wenn 4 Nehmen Sie eine Benennung der erlebten Emo-
die Ergebnisorientierung nicht im Vordergrund tion durch den Patienten zunächst zur Kennt-
steht. Stattdessen sollte der Fokus auf dem Pro- nis. Manchmal sind diese Benennungen aber
zess liegen. In diesem Sinne prüft man gemein- ungenau oder zu kategorial (z. B. Angst, Ärger).
sam, ob die eingeschlagene Richtung der Ver- Wesentliche Aspekte und Feinheiten gehen da-
haltensänderung (noch) stimmt. durch eventuell verloren. Etablieren Sie einen
Körperfokus und erarbeiten Sie mit Hilfe des
jArbeit mit Emotionen Kernaffekts das emotionale Thema.
Therapeutische Einstimmung Emotionen gelten 4 Erarbeiten Sie die Bewertungsaspekte, die im
den meisten Patienten in der einen oder anderen emotionalen Erleben stecken. Fragen Sie: Wel-
Weise als schwieriges Metier. Die Hinführung zu che Relevanz hat das Erleben für den Patienten?
diesem wichtigen Thema kann folgendermaßen Was ist das emotionsauslösende Ereignis? Was
unterstützt werden: ist das Kernthema der Emotion? Wie wirkt sich
4 Vermitteln Sie in der Therapiesituation den die Emotion auf den Patienten, wie auf die Um-
Eindruck, dass selbst absurd wirkende Gefühle welt aus? Wie stellt sich dadurch der Bezug zur
wichtig sind und verstanden werden wollen. Es Umwelt mit dort gängigen Normen und Wer-
soll die Botschaft vermittelt werden, dass alle ten dar? Welche Bedeutung hat die Unterbre-
Emotionen innerhalb der therapeutischen Situ- chung, für die das Auftauchen der Emotion
ation funktional sind. sorgt? Was ist das psychologische Alter des Pa-
4 Therapeuten sollten dabei Halt gebend und tienten? Fühlt er sich in der emotionalen Episo-
ermunternd wirken, d. h. sie sollten selbst um- de psychologisch größer oder kleiner als sein
fangreiche Erfahrungen auch mit höchst inten- Gegenüber? Welches Bewältigungspotenzial
siven Emotionen in unterschiedlichsten sozi- zeigt die Emotion an?
alen Situationen haben.
4 Klären Sie Patienten über Art, Wirkungsweise Die Diskrimination von Emotionen verbessern Emo-
und Funktion von Emotionen auf. Gehen Sie tionen stellen ein Bewertungs- und Aktivierungs-
auf häufige Missverständnisse bezüglich der system dar. Damit jede Emotion ihre besondere
Natur von Emotionen ein (z. B. Emotionen sind Wirkung im Rahmen einer Handlungsregulation
irrational usw.). Übertreiben Sie es nicht mit entfalten kann, müssen Patienten das entspre-
einer kognitiv orientierten Edukation. Sorgen chende Signal erkennen, also mit dem subjektiven
Sie lieber für Möglichkeiten in der Stunde, Gefühl vertraut sein, und lernen, dem Kernthema
Emotionen zu erleben, und erläutern Sie daran entsprechend zu reagieren.
deren Bedeutung. 4 Schaffen Sie zunächst Raum für das Wahrneh-
4 Emotionale Erfahrungen können über den men von Körper- und Ausdrucksempfindun-
Körper hergestellt werden. Ihre Aktivierung gen. Erklären Sie, weshalb der Körperfokus in
durch Nacherleben problematischer Situatio- der Therapie wichtig ist. Führen Sie den Body-
nen ist nicht immer notwendig. Scan ein und arbeiten Sie mit Achtsamkeits-
übungen. Fragen Sie beim Sprechen über Situa-
Emotionale Themen aufbereiten tionen, die eine unterschiedliche emotionale
4 Wählen Sie stets einen erlebnisaktivierenden Tönung aufweisen danach, wie sich das im Kör-
Zugang zu bestimmten emotionalen Episoden. per anfühlt und was der Körper spontan tun
Bei schwerer gestörten Patienten sollte zunächst will.
ein kognitiverer Gesprächsrahmen gewählt
werden.
78 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

4 Erzeugen Sie spezifische Emotionen, z. B. mit kennen, dass diese Botschaft verstanden wur-
imaginativer Unterstützung, und studieren Sie de.
gemeinsam die körperlichen Phänomene. Ar- 4 Ausprobieren unterschiedlicher Grade der Ak-
beiten Sie an der Ausdrucksreaktion wie Stim- tivierung: Wie beeinflusst das die Zielerrei-
me, Körperhaltung, Mimik, Gestik und At- chung? Welche Dosis ist optimal? Welches Si-
mung. gnal bräuchte der Patient von seinem Gegen-
3 4 Experimentieren Sie mit der Handlungsten- über, so dass er mit dem Prozess der Zielannä-
denz, die vom Kernthema vorgegeben wird. Ar- herung zufrieden sein kann.
beiten Sie mit verschiedenen Intensitätsgraden 4 Entwickeln Sie gemeinsam einen kleinen Akti-
des Ausdrucks. Variieren Sie die Stärke der An- onsplan, der auch ein wenig den Umgang mit
näherungs- und Vermeidungsreaktion, den unerwarteten Geschehnissen berücksichtigt.
Krafteinsatz und das Tempo, die Stimmlage,
Lautstärke und Betonung. Der Einsatz des Kör- Primäre und sekundäre Emotionen Emotionen, die
pers soll zwischen den Extrema »Minimal« und der Patient zu zeigen vermag, verdecken u. U. eine
»Maximal« ausprobiert werden. Dabei auftre- primäre Emotion.
tende unangenehme Gefühle werden wohlwol- 4 Primäre Emotionen sind, lerngeschichtlich be-
lend registriert. Stellen Sie diese erst einmal dingt, meist verbotene oder wenig akzeptierte
beiseite. Verabreden Sie, die damit verbunde- Emotionen. Patienten haben in der Regel
nen Themen später aufzugreifen. Schwierigkeiten, mit solchen Emotionen funk-
4 Führen Sie solche Übungen für mehrere ver- tional umzugehen. Sie müssen dies oft erst in
schiedene Emotionen durch. Stellen Sie die Un- kleinen Schritten lernen.
terschiede in den Kernthemen fest. Reflektieren 4 Sekundäre Emotionen sind meist eher erlaubte
Sie die Unterschiede in den Körper- und Aus- Emotionen. Oftmals sind es Stopperemotionen,
drucksempfindungen. Lassen Sie anschließend die bestimmte autonome Schritte des Patienten
den Unterschied auch fühlen. einbremsen. Oftmals müssen Patienten lernen,
4 Wählen Sie gemeinsam drei Emotionen aus. diese Emotionen auszuhalten, ohne dem Hand-
Lassen Sie diese nacheinander kurz darstellen. lungsimpuls, der von ihnen vermittelt wird,
Durch Zuruf kann dann ein Wechsel zwischen nachzugeben.
den verschiedenen Emotionen initiiert werden. 4 Prinzipiell können alle Emotionen primärer
Das Tempo dieses Wechsels sollte variiert wer- bzw. sekundärer Art sein. Lassen Sie diese Zu-
den. sammenhänge erleben: Induzieren Sie eine pri-
märe Emotion und studieren Sie gemeinsam,
Modulieren der emotionale Aktivierung Wenn Pati- wie die sekundäre Emotion entsteht, wie sich
enten vertrauter mit den Körper- und Ausdrucks- dabei der Körperausdruck und auch das Den-
empfindungen sind, dann können sie sich leichter ken verändert. Erstellen Sie gemeinsam Reakti-
der Aktivierung bzw. Deaktivierung, die mit der onsketten mit primären und sekundären Emo-
jeweiligen Emotion verbunden ist, überlassen. Die- tionen.
se Hingabefähigkeit an die körperliche Seite der
Emotion ist wiederum wichtig, damit eine Feinab- jEmotionale Überlebensstrategien
stimmung der Aktivierung bzw. der Deaktivierung Einstimmung
auf die Zielverfolgung möglich wird. Dabei soll 4 Führen Sie das Konzept der emotionalen Über-
auch die Ausdruckswirkung der Emotion betrach- lebensstrategie ein.
tet werden: 4 Erklären Sie, dass der Automatismus vieler Ver-
4 Bestimmen Sie gemeinsam den Emotionsan- haltensweisen oft nützlich, im Falle problema-
lass, das Kernthema und das Ziel, das der Pati- tischer Verhaltensweisen jedoch fatal ist.
ent mit Hilfe der in der Emotion steckenden 4 Machen Sie darauf aufmerksam, dass die Über-
Handlungstendenz erreichen will. Welche lebensstrategie ganz besonders in stressigen Si-
Botschaft will er vermitteln? Woran kann er er- tuationen ihre Wirkung entfaltet. Führen Sie
3.7 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis II
79 3
daher das Instrumentarium zur systematischen einmal Entschleunigung angesagt, damit das
Selbstbeobachtung und zur Aufmerksamkeits- mitgebrachte Thema gewissenhaft untersucht
lenkung durch Achtsamkeit ein. werden kann, um dann zu sehen, was daraus
folgen soll.
Skizze der Überlebensstrategie Das zentrale Be-
dürfnis des Patienten kennen Sie schon (s. o.). Struktur der Überlebensstrategie Möglichst schnell
4 Beobachten Sie ihn daraufhin, wie er dieses ty- sollte dazu übergegangen werden, das Gespür für
pischerweise auch in der therapeutischen Be- die Wirkung der Überlebensstrategie beim Pati-
ziehung befriedigen will. enten zu sensibilisieren. Dies kann sehr konkret
4 Ergänzen Sie nun für sich selbst, gewisserma- unterstützt werden:
ßen probatorisch, die vier Zeilen der Syntax. 4 Starten Sie mit einer kurzen Achtsamkeits-
4 Versuchen Sie seine Überlebensstrategie durch übung. Lassen Sie dann die Situation nochmals
Beobachtung weiter zu validieren. imaginieren oder stellen Sie diese gemeinsam
szenisch nach. Versuchen Sie zu klären, wie der
Überlebensstrategie und therapeutische Beziehung Patient sich selbst und wie er andere Beteiligte
Patienten entfalten ihre Überlebensstrategie auch sieht.
in der therapeutischen Beziehung. Lassen Sie ihn 4 Tönungen des Selbst- und Weltbildes ergeben
die Beziehung zu Ihnen so gestalten, wie es seiner einen Hinweis auf seinen Bindungsstil und da-
Überlebensstrategie entspricht. mit auf die Struktur der Überlebensstrategie,
4 Verhalten Sie sich komplementär und befriedi- z. B. negatives Selbstbild und negatives Weltbild
gen Sie sein zentrales Bedürfnis. Stellen Sie ge- ergeben den Hinweis auf einen ängstlich-ver-
meinsam den Zusammenhang zwischen der meidenden Bindungsstil. Die grobe Struktur
Überlebensstrategie und seinem Verhalten in der Überlebensstrategie ist damit eventuell
der Therapie her. schon definiert.
4 Manche dysfunktionale Verhaltensweisen in 4 Führen Sie die vier Zeilen, die Syntax der Über-
der Therapie lassen sich als Formen der Sicher- lebensstrategie, ein. Ergänzen Sie gemeinsam
heitsregulation verstehen. Der Patient schützt und vergleichen Sie diese mit dem angegebenen
sich, wenn der Intensitätsgrad der Behandlung Typus der Überlebensstrategie.
zu bedrohlich wird, wenn er sich in seiner Au- 4 Fertigen Sie gemeinsam Reaktionsketten an, so
tonomie beschnitten fühlt usw. Erklären Sie das dass deutlich wird, in welcher Weise die Über-
Thema der Sicherheitsregulation mit Hilfe des lebensstrategie den primären Handlungsimpuls
Modells in . Abb. 3.4. Greifen Sie bei der Ana- einbremst.
lyse von Interaktionen immer wieder darauf
zurück. Sicherheitsregulation Ein besonderer Aspekt der
4 Nutzen Sie die therapeutische Beziehung als Überlebensstrategie ist die Funktion der Sicher-
Arbeitsinstrument. Ihre eigene Überlebensstra- heitsregulation im interaktiven Geschehen. Selbst
tegie und die Ihres Patienten helfen oft dabei, bizarre Verhaltensweisen lassen sich meist mit ih-
schwierige Situationen als »Tanz der gegensei- rer regulativen Funktion erklären. Sie können sich
tigen Bedürfnisfrustration« zu identifizieren. dabei an der Charakterisierung der Überlebens-
Genau dies passiert oft im Alltag des Patienten. strategien mit Hilfe des Bindungstyps orientieren.
Diese Zusammenhänge sind für das Verständnis
Problemsituationen sensibilisieren für die Überle- und die Gestaltung der therapeutischen Beziehung
bensstrategie von größtem Interesse.
4 Erlauben Sie nicht, dass problematische Situa- 4 Wer zu wenig Sicherheit fühlt, erlebt Angst.
tionen in Endlosschleifen einfach nur erzählt Sprechen Sie über seine Ängste in konkreten
werden. Interaktionssituationen. Verdeutlichen Sie auch
4 Stellen Sie eine Werkstattatmosphäre her: Der den Signalcharakter, die diese Regulationsstra-
Patient bringt etwas sehr Wichtiges. Jetzt ist erst tegien in Hinblick auf seine Sozialpartner ha-
80 Kapitel 3 · Emotionale Überlebensstrategien

ben können. Stellen Sie dieses System im Raum, jSexualität


z. B. im Sinne eines Soziogramms, nach. Dieses Thema sollte in jeder Therapie auf der Agen-
4 Untersuchen Sie gemeinsam, was diese Signale da stehen. Die Art des Umganges mit sexuellen Be-
auslösen und inwieweit das den Absichten des dürfnissen und erotischen Gefühlen liefert ein
Patienten entspricht. Validieren Sie seinen Si- wichtiges ergänzendes Bild in Hinblick darauf, wo
cherheitsbedarf und versuchen Sie – im Sinne Patienten mit ihrer Autonomieentwicklung wirk-
3 einer vorläufigen Maßnahme – gemeinsam eine lich stehen.
günstigere, eventuell eine sozial funktionalere 4 Erstellen Sie gemeinsam die »erotische« Über-
Form zu finden. lebensstrategie. Welche Schutzfunktionen sind
erkennbar? Inwieweit lässt die Strategie der Si-
Umgang mit Persönlichkeitsakzentuierungen Jedes cherheitsregulation Körperkontakt und emoti-
Verhalten hat eine Funktion. Dies gilt erst recht für onale Nähe zu?
stereotype Verhaltensweisen, die sehr häufig bzw. 4 Inwieweit ermöglichen, begrenzen oder ver-
chronisch auftreten und dadurch eine Persönlich- hindern die Überlebensstrategien der Partner
keitsakzentuierung oder gar eine Persönlichkeits- eine erfüllte Sexualität?
störung charakterisieren. Oft ist die erste Zeile der 4 Formulieren Sie miteinander einige Reaktions-
Überlebensstrategie ein Hinweis auf charakteristi- ketten und prüfen Sie, inwieweit die sexuelle
sche, zeitlich überdauernde Verhaltensstereotypien. Erregung primäre oder sekundäre Emotion ist.
Kombinieren Sie dies mit dem Selbst- und Weltbild Welche Funktion haben Sexualität und Erre-
der Person. Werfen Sie zwecks Zuordnung einen gung für den Patienten? Für sich allein und in
Blick auf . Tab. 3.6. Kombinieren Sie nun Ihr Bild einer Beziehung?
mit weiteren Verhaltensdaten. Bestimmen Sie als 4 Welchen Bezug hat er zu den Körper- und Aus-
nächstes, welches Verhalten speziell der Sicher- drucksempfindungen seiner Erregung? Für sich
heitsregulation dient. allein und im Kontakt mit Sexualpartnern?
4 Der Beziehungsaufbau in der Therapie folgt der 4 Ist er in der Lage, über seine Fantasien zu spre-
Überlebensstrategie, dabei ganz besonders ih- chen oder zu schreiben? Klären Sie ihn über
rer Schutzfunktion. Vermitteln Sie Vorherseh- Wirkung und Funktion von Fantasien auf. Be-
barkeit, Halt und Struktur im Arbeitsablauf. seitigen Sie Missverständnisse.
4 Versuchen Sie dabei ein Gefühl für das psycho- 4 Überlegen Sie, inwieweit eine Weiterentwick-
logische Alter Ihres Patienten zu bekommen. lung im Bereich Sexualität genutzt werden
Wie sollte Ihre psychologische Größe als Inter- kann, um insgesamt eine Persönlichkeitsent-
aktionspartner, d. h. Ihr Autonomieanspruch wicklung anzuschieben.
als Therapeut, sein, damit sich Ihr Patient nicht
bedroht fühlt? Bei welchen Gelegenheiten müs-
sen Sie für ihn kleiner, bei welchen Gelegen-
heiten größer sein, damit er in der Therapie
optimal andockt? Welche Verhaltensweisen
sollten Sie dabei jeweils zeigen?
4 Solche Patienten sollen ihre Überlebensstrate-
gien zunächst gar nicht verändern. Stattdessen
sollen sie lernen, diese selektiv einzusetzen, da-
mit sie ganz bewusst das damit assoziierte
Schutzempfinden realisieren. Erst danach kön-
nen sie auf dem nun gefestigten Boden selbst
prüfen, inwieweit in diversen Situationen der
Schutzbedarf vielleicht doch variiert. Erst dann
sollten größere Veränderungsprozesse geplant
werden.
81 4

Werte

4.1 Was sind Werte? – 82

4.2 Werte und Entwicklung: Vom Sollen zum Wollen – 84

4.3 Werte und emotionales Überleben – 85

4.4 Werte und Selbstregulation – 88


4.4.1 Werthaltungen einnehmen:
Den Wald vor lauter Bäumen wieder sehen – 88
4.4.2 Werte und Commitment für Handlungsziele – 89

4.5 Werte als Ressourcen – 90


4.5.1 Neurobiologische Sicht – 90
4.5.2 Fokus auf Werthaltung senkt Stress und stärkt
Annäherungsverhalten – 91

4.6 Wertetypologie von Schwartz – 92


4.6.1 Welche Werte gibt es? – 93
4.6.2 Wertedomänen definieren motivbezogene Themen – 93
4.6.3 Wertestruktur: Synergisten und Antagonisten – 100
4.6.4 Wertestruktur und psychologische Flexibilität – 101

4.7 Ertrag: Grundlegende Strategien


für die therapeutische Praxis III – 102

G. Hauke, Strategisch Behaviorale Therapie (SBT),


DOI 10.1007/978-3-642-29730-4_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
82 Kapitel 4 · Werte

In jedem Menschen steckt ein König. wir von einer universellen Wertestruktur sprechen
Sprich zu dem König, und er wird herauskommen. können. Mit ihrer Hilfe können wertbezogene Äu-
(Deutsches Sprichwort) ßerungen von Patienten eingeordnet und in ihrer
Motivationsrichtung eingeschätzt werden. Manche
Wenn Menschen darüber sprechen oder nachden- Werte passen zueinander, weil sie ähnliche Verhal-
ken, was ihnen in ihrem Leben wichtig ist, dann tensziele benennen. Andere passen nicht zueinan-
beziehen sie sich auf ihre Werte. Sie dienen als der, so dass Wertekonflikte entstehen können. Wer-
orientierende Leitlinien in ihrem Leben, sie sind tekonflikte können innerhalb der Wertestruktur
4 immer positiv und stehen für das, was sie sich wün- zuverlässig benannt werden. Sie bieten oftmals eine
schen. Bestimmte Aspekte der Lerngeschichte be- Entwicklungschance. Anstelle des im Konflikt er-
einflussen, an welche Werte sich Menschen binden. starrten Entweder-oder lässt sich ein Weg des So-
Dabei ist es auch lohnenswert, den Unterschied wohl-als-auch entwickeln. Dies sorgt für Flexibili-
zwischen übernommenen und erarbeiteten Werten tät und bewahrt die Handlungsfähigkeit.
zu bedenken. Ist einem Menschen wirklich etwas
wichtig, dann muss er manchmal dazu in der Lage
sein, Energien dafür zu investieren und im Interes- 4.1 Was sind Werte?
se eines bestimmten Zieles negative Gefühle, z. B.
Ängste, auszuhalten und inkompatiblen Impulsen Menschen beziehen sich oft auf ihre Werte, wenn
zu widerstehen. Ein gefühlter Wert hilft dabei, sie begründen, warum sie sich für oder gegen etwas
dieses anstrengende Unternehmen zu begründen; entschieden haben, warum sie sich in einer be-
man spürt dann besser, warum man alle Mühen auf stimmten Weise und nicht anders verhalten haben.
sich nimmt. Ebenso bezieht man sich auf Unterschiede in den
Persönliche Werte sind Ressourcen und des- Wertvorstellungen, um sich gegen Personen oder
halb im Therapieprozess von Strategisch Behavio- Gruppen abzugrenzen. Dabei drückt sich die Wich-
raler Therapie (SBT) ständig präsent. Damit dieses tigkeit eines Wertes durch seine Position in einer
Potenzial in der Therapie wirksam entfaltet werden Wertehierarchie aus. So kann etwa bei einer Part-
kann, müssen die besonderen kognitiven, emotio- nerwahl das Vermögen wichtiger sein als das Aus-
nalen und motivationalen Merkmale von Werten sehen. In diesem Sinne haben Werte auch eine mo-
nachvollzogen werden. Bei der Selbstregulation ha- tivierende Wirkung. Sie zeigen an, was uns wichtig
ben Werte eine zentrale Funktion. Sie vermitteln ist und welche Ziele wir vorrangig verwirklichen
eine Haltung, mit der wichtige Therapieziele kraft- wollen (Rohan, 2000). Warme Zustimmung, Em-
voll und verbindlich in Angriff genommen werden pörung oder Abscheu beispielsweise angesichts be-
können. Damit erweitert SBT die in den Verhal- stimmter tagespolitischer Ereignisse bringen das
tenstherapien üblichen Zielsetzungsverfahren. Es Thema Emotion mit ins Spiel. Unter Emotionspsy-
wird deutlich, dass jegliches zielorientierte Han- chologen besteht Konsens darüber, dass Gefühlsre-
deln erheblich davon profitiert, wenn es in einer aktionen die Wertbezogenheit eines Ereignisses für
bestimmten, zuvor aktivierten Werthaltung vollzo- eine Person signalisieren (Ulich et al., 1999). Sie re-
gen wird. Das Bewusstsein für persönliche Werte präsentieren individuelle gefühlsrelevante Werte-
stärkt das Selbstbewusstsein, senkt den Stress, er- präferenzen im Sinne von »Wichtigkeitsindizes«,
höht die Bereitschaft sich zu öffnen und schwierige vom Ausmaß der persönlichen Involviertheit und
Ziele anzupacken. Betroffenheit. Die Autoren sprechen dabei von
Vermutlich lassen sich unendlich viele Wert- »emotionalen Wertbindungen«.
haltungen benennen. Dennoch ist die Anzahl der
zugrunde liegenden motivationalen Kernthemen
begrenzt. Auf empirischem Wege konnten zehn
solcher motivationalen Rahmenthemen bestimmt
werden. Sie haben sich auch in kulturverglei-
chenden Studien immer wieder bestätigt, sodass
4.1 · Was sind Werte?
83 4
um das Verhalten von sich selbst und anderen zu
Merkmale persönlicher Werte beurteilen. Werte haben ihren Ursprung in grund-
4 Werte repräsentieren Überzeugungen, legenden menschlichen Bedürfnissen (z. B. nach
die immer mit Emotionen verbunden sind Stimulation, nach Autonomie) und sozialen Anfor-
4 Werte sind Motivationsquellen, steuern derungen (z. B. erfolgreiche Interaktionen, Stabili-
Aufmerksamkeit und Wahrnehmung tät von Gruppen).
4 Werte sind handlungs- und situationsüber- Sind also grundlegende menschliche Bedürf-
greifend, auf Zukunft ausgerichtet nisse tatsächlich als persönliche Werte präsent?
4 Werte sind zeitlich stabil und immer positiv Dies konnte belegt werden. Offenbar werden Man-
besetzt gel- und Wachstumsbedürfnisse, wie sie etwa durch
4 Wertaktivierung verursacht entsprechen- die Maslow-Bedürfnispyramide definiert werden,
des Verhalten auch mit entsprechenden Werthaltungen zusam-
4 Werte sind Leitlinien des Handelns, sie menhängen. Werthaltungen implizieren Motive
helfen die »Spreu vom Weizen« zu trennen und Motive Verhaltensdispositionen. Bilsky &
4 Werte verweisen auf Identität Schwartz (1994) konnten auf empirischem Wege
die Hypothese bestätigen, dass Verhaltensdisposi-
Adaptiert nach Hauke, 2006b; Bardi & tionen, die z. B. auf einem Wachstumsbedürfnis
Schwartz, 2003; Verplanken & Holland, 2002; beruhen, positiv mit entsprechenden Werthal-
Schwartz et al., 2000. tungen korrelieren (z. B. Neugier mit Wertschät-
zung von Neuheit), und dass Verhaltensdisposi-
tionen, die etwa auf einem Mangelbedürfnis beru-
In der Therapie wird oft die Frage aufgeworfen, wie hen, mit Werthaltungen positiv korrelieren, die
sich jemand in neuen und wenig überschaubaren eine Befriedigung des zugehörigen Bedürfnisses
Situationen verhalten will. Persönliche Werte ver- signalisieren, z. B. Ängstlichkeit mit hoher Wert-
mitteln dabei eine Orientierung und helfen, so zu schätzung von Sicherheit.
handeln, dass man mit sich selbst im Einklang Damit wird eine besonders wichtige Funktion
bleibt (Hauke, 2000, 2001). Diese besondere Quali- unseres Wertesystems deutlich: Es steht nicht nur
tät als Navigationshilfe rührt daher, dass Werte in unmittelbarem Zusammenhang mit grundlegen-
über die Zeit und über verschiedene Situationen den Bedürfnissen unseres individuellen Mensch-
hinweg als relativ stabil angesehen werden können. seins, sondern sorgt auch aufgrund seiner überge-
Damit entsteht eine konzeptuelle Nähe zu den Per- ordneten Position für die Steuerung unseres Ver-
sönlichkeitseigenschaften, die als überdauernde haltens, das letztlich zur Erfüllung dieser Bedürf-
Dispositionen angesehen werden (Roccas et al., nisse führen kann. Wichtig ist noch, dass Werte
2002). Sie beschreiben, wie Menschen sind. Werte immer positiv konnotiert sind, während Bedürf-
zeigen an, was Menschen für wichtig halten. Werte nisse weder positiv noch negativ sind. Bedürftigkeit
variieren also in ihrer Wichtigkeit als Leitprin- zieht aber oft eine Bewertung nach sich, auch wenn
zipien. dies letztlich nur implizit oder automatisch pas-
Persönlichkeitseigenschaften sind gekennzeich- siert. Weiterhin ist der Umstand wichtig, dass Wer-
net durch Häufigkeit und Intensität ihres Auftre- te auch dann präsent sein können, wenn entspre-
tens. Menschen halten ihre Werte für wünschens- chende Bedürfnisse gesättigt sind und im Moment
wert, wohingegen Persönlichkeitseigenschaften nicht befriedigt werden wollen. So sind Werte also
positiv oder negativ sein können. Sie können na- auch Konstrukte, die wie ein Fixstern über die Ge-
türlich ihr Verhalten mit dem Hinweis auf Eigen- genwart hinaus in die Zukunft weisen.
schaften oder Werte erklären. Sie beziehen sich
aber dezidiert auf ihre Werte, wenn sie ihre Wahl
oder ihre Handlungen als legitim oder wertvoll
rechtfertigen wollen. Auch dienen Werte – nicht
aber Persönlichkeitseigenschaften – als Standards,
84 Kapitel 4 · Werte

4.2 Werte und Entwicklung: lebenslänglich in einem Wertegefüge bleiben, wel-


Vom Sollen zum Wollen ches ihnen die elterliche Erziehung vermittelt hat.
Der zunehmende Autonomieanspruch setzt ja
Tue ich etwas, weil ich es tun will oder weil ich es schon bei Jugendlichen ein bisweilen beachtliches
tun soll? Bin ich der Autor und Schöpfer meines Potenzial frei, eigenständig Entwicklungsziele zu
Lebens oder lediglich der Vollstrecker bestimmter setzen und diese auch auf eigene Faust zu verfol-
von außen vorgegebener Lebensprinzipien? Han- gen.
dele ich nach Werten, die ich bewusst als für mich Der Entwicklungspsychologe James Marcia un-
4 gültig bestimmt habe oder von denen ich gar nicht terscheidet bei der Identitäts- und Wertentwick-
so genau sagen kann, weshalb sie mir Maßstab lung mehrere Phasen (. Tab. 4.1).
sind? Nach Marcia verläuft die Entwicklung von den
In unserer Kindheit werden Entwicklungsziele übernommenen Werten über die diffuse Orientie-
hauptsächlich durch die Eltern vorgegeben. Insbe- rung und das Moratorium zu den sog. erarbeiteten
sondere sind es die praktizierten Erziehungsstile, Werten. Einerseits können diese Phasen notwen-
die uns Erfahrungen mit der Befriedigung von Be- dige Zwischenstationen auf dem Weg zu erarbeite-
dürfnissen vermitteln und in uns ein Gespür dafür ter Identität und dazu passenden Werten sein. An-
entstehen lassen, was uns wichtig und wertvoll ist. dererseits kann es sein, dass Jugendliche und Er-
Sind Entwicklungsbedingungen so ausgerichtet, wachsene in einem Zwischenstadium »hängen«
dass sie z. B. die kindlichen Bedürfnisse nach Auto- bleiben. So ist etwa ein dauerhaftes Stadium dif-
nomie und Nähe unterstützen, dann könnte man fuser Identität und Werte psychopathologisch rele-
vermuten, dass im Erwachsenenalter auch solche vant. Herausfordernde Lebensereignisse und Kri-
Werte präferiert werden, da sie eben genau diese sen zwingen zum Nachdenken und geben Anstöße
Bedürfnisse repräsentieren. Wenn hingegen solche für Veränderungen. Dabei kann es zu Unsicher-
Bedürfnisse nicht unterstützt, sondern eher blo- heiten und Einbrüchen kommen. Dies kann aber
ckiert oder frustriert werden, dann sind Menschen auch ein sehr produktiver Anlass sein, um sich in-
möglicherweise stärker mit Aspekten des Schutzes tensiver mit seinen Werten zu beschäftigen. Dabei
und der Sicherheit beschäftigt. kann mehr Klarheit darüber entstehen, auf welche
Solche Themen untersuchten Kasser et al. Weise Wertvorstellungen lenkend sein sollen und
(2002) im Rahmen einer 26 Lebensjahre umfas- welche Konsequenzen dies hat. Es hängt aber da-
senden prospektiven Langzeitstudie. Dabei wurden von ab, wie sich Menschen auf solche Herausforde-
archivierte Daten zum elterlichen Erziehungsstil, rungen einlassen. Wenn sie hier Engagement zei-
zum sozioökonomischen Status usw. sorgfältig aus- gen und dazu in der Lage sind, sich zu involvieren
gewertet. Diese Daten wurden zum ersten Mal und zu ernsthaft Suchenden zu werden, dann ge-
erhoben, als die Probanden 5 Jahre alt waren. Im langen sie zu »erarbeiteten Werten«. Solche Werte
Alter von 31 Jahren wurden ihre Werthaltungen »gehören« dann der Person auch und können eine
erhoben. Dabei zeigte sich signifikant, dass mit der ganz besonders starke Ressource bilden.
Ausprägung des restriktiven Erziehungsstils die Es gibt aber auch noch eine weitere Vorausset-
Präferenz für Konformitätswerte (z. B. Gehorsam, zung dafür, damit einem ein Wert im Sinne eines
Höflichkeit) zunimmt und für Selbstverwirkli- erarbeiteten Wertes auch tatsächlich gehört (Hauke,
chungswerte (z. B. Offenheit, Unabhängigkeit) ab- 2001, 2004a). Jeder Wert benennt ein bestimmtes
nimmt. Gleichzeitig zeigte sich noch: Je niedriger motivationales Rahmenthema, wie z. B. Hilfsbereit-
der sozioökonomische Status, umso restriktiver der schaft. Der Wert Hilfsbereitschaft ist einer Person
Erziehungsstil. Je stärker ausgeprägt ein elterlich nur dann verfügbar, wenn sie über entsprechende
warmer Erziehungsstil war, umso geringer war bei kognitiv-affektive Voraussetzungen verfügt, die es
den Erwachsenen die Präferenz für Werte, die ver- ihr ermöglicht, diesen Wert zu denken, zu fühlen
schiedene Aspekte von Sicherheit thematisieren, und auch danach zu handeln. Hilfsbereitschaft hat
z. B. Sicherheit für die Familie, innere Harmonie, etwas zu tun mit Beziehungsfähigkeit. Diese ist
Disziplin usw. Es ist nicht gesagt, dass Menschen dann vorhanden, wenn die gebende Person selbst
4.3 · Werte und emotionales Überleben
85 4
nicht mehr ständig einen Schutzspender braucht,
eigene Bedürfnisse aufschieben kann und sich selbst . Tab. 4.1 Phasen der Identitäts- und Werteentwick-
auch als Teil einer Beziehung zu empfinden vermag. lung. Adaptiert nach Marcia (1993)

Dieser Entwicklungsstand wird von Kegan (1986)


Phasen der Merkmale der Identitäts-
als »zwischenmenschliche Stufe« beschrieben. Hier
Identitäts- und Werteentwicklung
ist die zuvor notwendige sog. souveräne Stufe, in entwicklung
der noch Egozentrik überwiegt, bereits überwun-
den. Die Errungenschaften der zwischenmensch- Übernom- Personen sind eher brav und
lichen Stufe ermöglichen nun Empathie und proso- mene Werte angepasst, Werte und Entschei-
dungen stammen von anderen,
ziales Verhalten. Solche kognitiv-affektiven Struk-
keine Exploration, der kognitive Stil
turen lenken Wahrnehmung und Aufmerksamkeit ist wenig komplex
und bilden damit den Horizont der Welt, die wir
Diffuse Werte Personen legen sich nicht fest, keine
uns erschließen können. Beziehungsfähigkeit muss
Exploration, kaum Gedanken an die
unter diesem Horizont aufscheinen, damit eine Zukunft, sind zurückgezogen,
Werthaltung wie Hilfsbereitschaft im Sinne eines fühlen sich oft unverstanden, sind
erarbeiteten Wertes möglich ist. sehr beeinflussbar
Insgesamt beschreibt Kegan (1986) sechs Ent- Moratorium Starke Auseinandersetzung mit
wicklungsstufen, wobei sich von Stufe zu Stufe neue Wertefragen, Übergangsphase mit
Formen der Interaktion zwischen der Person und offenem Ausgang, intensives
ihrer Umwelt – Kegan bezeichnet sie als einbin- Experimentieren, komplexerer
dende Kultur – ergeben. Von Stufe zu Stufe entwi- kognitiver Stil, gute Beziehungs-
fähigkeit
ckelt sie einen größeren und differenzierteren
Blickwinkel. Die jeweils vorherige Stufe wird dabei Erarbeitete Personen haben sich auf bestimmte
integriert. Er bezeichnet dies als Entwicklung von Werte Werte, mit denen sie sich stark
auseinandersetzen, festgelegt;
affektiv-kognitiver Bedeutung: Die innere Welt
wägen ab, worauf sie sich einlassen
wird reicher und die Wahrscheinlichkeit wächst, wollen, steuern sich selber,
dass auf höheren Stufen ein komplexeres Verständ- ausgeprägte kognitive Komplexität,
nis von Gedanken, Gefühlen und Handlungen an- sehr beziehungsfähig, können sich
derer Menschen sowie auch deren Widersprüchen für andere engagieren
möglich ist. Diese Überlegungen lassen sich für
verschiedenste Werte, wie z. B. Macht, Selbstver-
wirklichung usw., fortsetzen (Hauke, 2001; 2004a).
Einerseits lassen sich diesen Entwicklungsstu- 4.3 Werte und emotionales
fen auch Altersstufen zuordnen, andererseits haben Überleben
wir es in Psychotherapien häufig mit erwachsenen
Menschen zu tun, die in Bezug auf bestimmte Le- Die Überlebensstrategie ist ein Ergebnis des ständi-
bensbereiche auf einer der ersten drei Stufen (im- gen Bemühens um wenigstens minimale Bedürf-
pulsiv, souverän, zwischenmenschlich) zu lokali- nisbefriedigung. Sie steht im Dienste eines an-
sieren sind (vgl. Sulz & Theßen, 1999) und infolge- gestrebten inneren Gleichgewichts mit möglichst
dessen Einseitigkeiten in ihrer Werteorientierung wenig Angst und Stress, insofern sprechen wir auch
zeigen: Sie brauchen z. B. zu viel Sicherheit in Be- vom emotionalen Überleben. Die Strategie der
ziehungen, zu viel materielle Sicherheit, zu viel Therapie ergibt sich aus der Überlebensstrategie.
Gruppenbindung, zu viel Orientierung an Vorga- Um ihre Wirksamkeit zu entkräften, müssen Pa-
ben usw. Das Entstehen der notwendigen kognitiv- tienten den Verstoß dagegen wagen. Wie können
affektiven Strukturen ist vermutlich behindert oder dabei die persönlichen Werte helfen? Dies soll an
vereitelt worden. Möglicherweise haben sie keine einem Beispiel verdeutlicht werden.
günstigen Erfahrungen mit entsprechenden Be-
dürfnisbefriedigungen sammeln können.
86 Kapitel 4 · Werte

Fallbeispiel hochgearbeitet, war das einzige Mitglied einer


Ein Patient, Herr F., dessen Überlebensstrategie unten Flüchtlingsfamilie, das Abitur gemacht und studiert
dargestellt ist, steht in der Therapie vor einer Ent- hatte. Von seiner Familie hatte er weder Verständnis
scheidung, die für seine berufliche Entwicklung von noch Unterstützung für seine Bemühungen bekom-
zentraler Bedeutung sein könnte. men. Trotz vieler Zweifel hatte er sich alles selber er-
Beispiel einer Überlebensstrategie: kämpft. Plötzlich spürte Herr F. eine Brücke über dem
4 Nur wenn ich immer darauf achte, alles richtig zu Mahlstrom seiner Angst. Sein tief empfundener per-
machen, sönlicher Wert ist »Entwicklung durch Kampf«, der
4 4 und niemals etwas Falsches sage, eigene Wün- wie ein erarbeiteter Wert wirkt. Obwohl die Angst
sche äußere oder Unmut provoziere, weiter brodelt und die Brücke wegzureißen droht,
4 dann bewahre ich mir Schutz und Sicherheit entscheidet er sich dafür, die Angst auszuhalten und
4 und verhindere Ablehnung und Entwertung trotzdem zu handeln, d. h. sein akuter Sicherheits-
bedarf wird kurzfristig nicht befriedigt (. Abb. 4.1).
Sein Vorgesetzter gehört einem Leitungsgremium an
und hat mehrere Personen dieses Gremiums zu Dieses »… und trotzdem« zeichnet das wertorien-
einem außerordentlichen Treffen bewogen. Herr F. tierte Handeln aus. Das Beispiel verdeutlicht noch-
soll sich hier mit einer Präsentation für eine neue mals, dass Werte Konstrukte sind, die über die Ge-
Position bewerben. Er ist sich relativ sicher, dass er für genwart hinaus in die Zukunft weisen, hier in den
die neue Aufgabe alles mitbringt. Das Problem: Er hat Bereich beruflicher Weiterentwicklung. Sie geben
große Angst vor der Präsentation: »Mit meinem Vor- der Person damit eine Richtung und ermöglichen
trag würde ich mich aus der Deckung wagen und Navigation. Dies kann z. B. für planerisches Han-
mich zeigen, mit dem Risiko für immer unter den Kol- deln sehr wichtig sein.
legen stigmatisiert zu sein, falls ich scheitere!« Im- Charlotte Bühler (1976) spricht von »konstruk-
mense Vorbereitung und zahlreiches Feedback durch tiver Intention« als wesentlicher Eigenschaft per-
Kollegen vermitteln ihm nicht das Gefühl, das Thema sönlicher Werte. Sie ist eine aktive Ausrichtung auf
perfekt genug behandeln zu können. Er fühlt sich die Schaffung der günstigsten Zukunft, d. h. etwas
nicht sicher. Auch möchte er seinen Chef nicht ent- zustande zu bringen, etwas aufzubauen, etwas zu
täuschen und schon gar nicht den Unmut des Gremi- verwirklichen, was man unter »gut« oder »wahr«
ums auf sich ziehen. Seine Überlebensstrategie gibt versteht. Dafür kann es sich lohnen, eine defizitäre
darüber Auskunft, dass er von seiner Angst vor Ab- Bedürfnislage für eine Weile u. U. auszuhalten und
lehnung und Entwertung in Schach gehalten wird. nicht den entsprechenden Impulsen, die auf kurz-
Wer jedoch Angst hat, der hat zu wenig Sicherheit. fristige Befriedigung dieser Bedürfnisse ausgerich-
Der Ist-Wert an Sicherheit lässt sich mit der bishe- tet sind, nachzugeben (Hauke, 2004b, d).
rigen Strategie nicht mehr erhöhen. Somit lässt sich Psychologisch gesehen handelt es sich dabei
das Sicherheitsbedürfnis nicht vollständig befriedi- um den Konflikt zwischen dem Erhalt kleinerer,
gen. Es bleibt ein schmerzlicher Sicherheitsbedarf sofortiger Belohnungen, z. B. Befriedigung des Si-
bestehen, der kurzfristig nur durch Ablehnung des cherheitsbedarfs versus zeitlich verzögerter, größe-
Angebots bzw. Vermeidung des Vortrages zu errei- rer Belohnungen (Mischel & Ayduk, 2004). Wert-
chen wäre (. Abb. 4.1). orientiertes Handeln setzt demnach die selbstregu-
Es wäre so einfach gewesen, sich an dieser Stelle dem lative Fähigkeit zum Belohnungsaufschub voraus.
Hunger nach mehr Sicherheit zu überlassen; der Sog Je nach Bedürfnislage können die Barrieren dabei
dorthin war immens. Die Überlebensstrategie hätte beträchtlich sein. Herr F. kann nur in Richtung auf
zuverlässig den Weg zur Befriedigung dieses Bedürf- seine von ihm gewünschte Zukunft gehen, wenn es
nisses gewiesen. Das Thematisieren und achtsame ihm gelingt, seine Absicht aufrecht zu erhalten und
Beobachten dieser Angst schaffte nun einerseits Be- zu realisieren. Dies gelingt nur, wenn er auch in der
wusstheit, andererseits Raum zur Reflexion. Welches Lage ist, absichtswidrigen Tendenzen zu wider-
Leitseil konnte er ergreifen, um diesem Sog zu wider- stehen.
stehen? Herr F. hatte sich aus kleinen Verhältnissen
4.3 · Werte und emotionales Überleben
87 4

Soll-Wert

Sicherheitsbedarf
Ist-Wert
Sicherheit

Sicherheitsquellen: noch perfektere Vorbereitung oder sogar


Vermeidung des Vortrags
. Abb. 4.1 Und trotzdem: Wertorientierung kann dabei helfen, den drängenden Sicherheitsbedarf auszuhalten

Solche selbstregulativen Prozesse hatten wir Überleben außerordentlich zugespitzt ist. Wie kann
mit dem Begriff der Volition umschrieben. Sie grei- ein Mensch, der aufgrund einer tödlichen Erkran-
fen im Falle von Realisierungsschwierigkeiten und kung mitten aus dem Leben gerissen wurde und
sorgen durch ihre Koordinierungsfunktion auf nun bald streben wird, noch über Lebensqualität
sämtlichen Funktionsebenen der Persönlichkeit verfügen? Wie kann man ihm dabei helfen, die ver-
dafür, dass das Beibehalten und Erreichen eines bleibenden Tage und Wochen so zu verbringen,
aktuellen Ziels möglichst optimiert wird (Kuhl & dass das Leben als sinnvoll erlebt wird?
Koole, 2004). So muss Herr F. die notwendige Aus- Dieser anspruchsvollen Fragestellung hat sich
richtung auf das Ziel auch beibehalten, z. B. durch die Arbeitsgruppe um Martin Fegg am Interdiszip-
Aushalten des drängenden Sicherheitsbedarfs, linären Zentrum für Palliativmedizin der Universi-
durch Zeiteinteilung und Dosierung seiner Bemü- tät München angenommen. Grundtenor ihrer Be-
hungen zur Vorbereitung. Gleichzeitig muss er sich funde ist die für Außenstehende vielleicht verblüf-
immer wieder selbst motivieren und dabei mit sei- fende Feststellung, dass es nicht die körperlichen
ner ängstlichen Stimmung umgehen. Bei seinem Leiden und Schmerzen sind, die etwa den Wunsch
wertorientierten Handeln muss Herr F. also seinen nach aktiver Sterbehilfe wecken. Vielmehr ist es der
Willen einsetzen. Damit es sich lohnt, muss die empfundene Verlust des Lebenssinns, der diesen
»langfristige Belohnung« natürlich beachtlich sein. Wunsch aufkommen lässt. An dieser Stelle empfin-
Die berufliche Zukunft muss Herrn F. sehr wichtig den Helfende selbst meist große Hilflosigkeit. Die
sein, d. h., es handelt sich dabei am besten um einen Untersuchungen zeigen aber, dass die Aktivierung
»starken« Wert. Wünschbarkeit ist nämlich neben persönlicher Werte offenbar sinnstiftend wirken.
der wahrgenommenen Realisierbarkeit zentraler Diese Wertorientierung kann Ausgangspunkt für
Bestandteil für die sog. Volitionsstärke, die Stärke kleine, noch machbare Projekte sein. Dies kann die
des Wollens. Wer also nichts hat, was ihm wirklich Sinnerfülltheit solcher Patienten und damit ihre
wünschbar und wichtig ist, wer also keine Werte Lebensqualität noch stark ansteigen lassen (Fegg et
hat, verfügt auch nicht wirklich über einen Ansatz- al., 2005; 2010; Fegg, 2009).
punkt für sein Wollen.
Bisher ging es um emotionales Überleben. Es
gibt jedoch auch noch einen besonders herausfor-
dernden Arbeitskontext für Psychotherapeuten,
innerhalb dessen die Frage nach dem emotionalen
88 Kapitel 4 · Werte

4.4 Werte und Selbstregulation spezifiziert werden, z. B. Auftreten und Kleidung,


Ablauf der Präsentation, Einsetzen von Körper-
4.4.1 Werthaltungen einnehmen: sprache und Lautstärke usw. Darüber hinaus wird
Den Wald vor lauter Bäumen die Bedeutung dieser verschiedenen Zieltypen für
wieder sehen das Handeln von Vertretern der Construal Level
Theory (CLT) noch differenzierter gesehen (z. B.
Der Termin für den Vortrag vor dem Leitungsgre- Trope & Liberman, 2003). Sie belegen, dass abs-
mium warf sofort eine Reihe von Detailfragen auf, traktere Konstrukte mit globalerer Bedeutung (z. B.
4 die Herrn F. massiv unter Druck setzten: Wie steige Haltungen) die erfolgreiche Selbstregulation be-
ich in das Gespräch ein? Was passiert, wenn ich günstigen, während Konstrukte mit ausschließlich
kein Wort rausbringe, mich verhaspele, wenn mir konkreterer Bedeutung (z. B. ein konkreter Verhal-
keine Antwort auf bestimmte Fragen einfällt oder tensplan) eher zu Misserfolgen der Selbstregulation
wenn ich plötzlich in spöttisch lächelnde Gesichter führen können (Fujita, 2008).
blicke? Muss ich nicht irgendwie die fachlichen Die Menge an Angst auslösenden Detailproble-
Vorlieben der Anwesenden integrieren? Wie soll men in der Vortragssituation, denen sich Herr F.
ich mich kleiden? Oh Gott, ich habe kein gutes Ja- plötzlich gegenübersieht, und der daraus resultie-
ckett! Therapeuten kennen solche Reaktionen. Es rende, ihn bedrängende Sicherheitsbedarf veran-
ist das Nachdenken über schwierige Situationen auf schaulichen dies sehr deutlich. In der Sprache un-
der Ebene der konkreten Handlungsziele. Viele De- serer Regulationshierarchie bedeutet dies, dass die
tails intensivieren die ohnehin vorhandenen nega- Aktivierung von Haltungszielen, sie entsprechen
tiven Gefühle und aktivieren entsprechende defen- einem hohen Abstraktionsgrad, geradezu notwen-
sive Verhaltensschemata (vgl. Kross, Ayduk & Mi- dig ist, um den Erfolg der Selbstregulation sicher-
schel, 2005). An dieser Stelle läuft Herr F. Gefahr, zustellen (Hauke, 2010b). Anders ausgedrückt
den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. könnte man sagen, dass Selbstregulation dann
Wie kann man in der Therapie damit umgehen? günstig beeinflusst wird, wenn der Wahrneh-
Praktisch sehr gut umsetzbare Lösungen ergeben mungsapparat den Zoom so einstellt, dass Details
sich aus faszinierenden allgemeinpsychologischen auch einmal aus dem Blickfeld geraten, wie z B. das
Befunden, die die folgende Schlussfolgerung nahe- genaue Vorgehen beim Referieren, und das Ganze
legen: Anstatt Herrn F. sofort in seiner Unruhe und wieder sichtbar wird, z. B. der Wert, den Herr F. da-
Besorgnis zu folgen und sich gleich in den Details mit eigentlich verwirklichen will.
der schwierigen Situation zu verlieren, können Diese Gegenüberstellung von detailreichem
Therapeuten alternativ die Aufmerksamkeit auf die Handeln versus Werthaltung kann einerseits mit
Ebene der abstrakteren Haltungsziele bzw. der per- dem Bild vieler einzelner Bäume und andererseits
sönlichen Werte (vgl. Abb. 2.2) lenken. Wie lässt mit Kontur und Gestalt eines Waldes verglichen
sich diese Strategie begründen? werden. Bleibt der Fokus immer nur bei den De-
Wir erkannten in 7 Kap. 2, dass sich in der Ziel- tails der anstehenden Handlung, so kann es passie-
hierarchie die Ziele auf den verschiedenen Ebenen ren, dass man bald den Wald vor lauter Bäumen
in ihrem Abstraktionsgrad unterscheiden. Demzu- nicht mehr sieht und den Faden verliert. Dieser
folge können Ziele auch auf unterschiedlich abs- Schwierigkeit kann man durch das Aktivieren von
trakten Konstruktionsniveaus mental repräsentiert Haltungszielen wirksam begegnen. Hierzu einige
sein. In Bezug auf die Vortragssituation von empirisch belegte Aussagen:
Herrn F. würde ein abstraktes Ziel dem Haltungs- 4 Personen zeigen deutlich mehr Selbstkontrolle,
ziel »Entwicklung durch Kampf« entsprechen. Es können akuten Versuchungen wesentlich bes-
ist deswegen abstrakt, weil es noch nicht die situa- ser widerstehen und absichtsferne Neigungen
tiven Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen blockieren, wenn sie vorher ihre Haltung bzw.
benennt und festlegt. Im Gegensatz dazu ist ein ihre Wertorientierung einnehmen, d. h. wenn
konkretes Ziel dadurch gekennzeichnet, dass hier sie klären, warum sie etwas tun wollen (Fujita,
Vorgehensweisen und Rahmenbedingungen genau Trope, Liberman, & Levin-Sagi, 2006).
4.4 · Werte und Selbstregulation
89 4
4 Durch den Fokus auf das abstrakte Ziel (z. B. Repräsentationen bedient werden, die überge-
Entwicklung durch Kampf) wird nicht nur die ordnete und definierende Elemente betonen.
Kapazität gestärkt, Versuchungen zu widerste-
hen. Es entsteht offenbar auch eine negative Das bewusste Einnehmen einer Werteorientierung
Einstellung gegenüber den ablenkenden Reizen bzw. eines abstrakteren Haltungsziels kommt in
(Fujita & Han, 2009). ihrer Wirkung anscheinend einer Distanzierung
4 Die abstraktere Perspektive kann auch eine dis- gleich. Details, die u. U. Stress auslösen, und Ne-
tanziertere Perspektive zum eigenen Selbst er- bensächlichkeiten werden ausgeblendet. Anspan-
zeugen. Werden nämlich Personen dazu ange- nung und empfundene Belastung sinken dabei ab.
regt, sich auf einer eher abstrakten, d. h. wenig Die Art und Weise der Informationsverarbeitung
detaillierten, Ebene zu beschreiben, dann wer- wird dadurch günstig beeinflusst: Es wird für
den sie sich für den Moment möglicher innerer Herrn F. wieder deutlich, was ihm über verschie-
Widersprüche und Konflikte nicht bewusst, dene Situationen und Kontexte hinweg wichtig und
weshalb sie ein deutliches Gespür von größerer wertvoll ist und bleiben soll. Dies geht über die Ein-
Klarheit in sich selbst berichten (Wakslak & zelheiten einer gegebenen Situation, z. B. der Vor-
Trope, 2009). Dies ist natürlich eine günstige tragssituation, hinaus und fokussiert auf überge-
Ausgangslage, wenn Menschen sich bestimm- ordnete, identitätsstiftende Anliegen: »Wer bist du
ten Herausforderungen stellen wollen. Für den hier, warum tust du dies?« Diese Distanzierung
Moment mit Stimmigkeit und Klarheit an den darf nicht mit emotionaler Vermeidung gleichge-
Start zu gehen ist sicherlich günstiger, als wenn setzt werden, da sich Personen dabei ja durchaus
der Handlungsverlauf von vornherein durch mit den aversiven Gefühlen einer unangenehmen
Unklarheiten und nagenden Zweifeln unter- Situation auseinandersetzen können (Kross et al.,
miniert wird. 2005; Fujita, 2008). Diese werden in einem erträg-
4 Eine abstraktere Konstruktionsebene scheint lichen Ausmaße erlebt, gleichzeitig aber nicht ver-
auch den Umgang mit neuen Erfahrungen zu mieden.
erleichtern. Dabei müssen ja neue Informa- Wie im Falle von Vermeidungsstrategien wird
tionen in bestehende Wissensstrukturen inte- die emotionale Reaktivität durch Distanzierung
griert werden, um verstanden zu werden. Die- herabgesetzt. Gleichzeitig wird die Person aber
ser Prozess kann durch eine eher abstrakte und durch das Einnehmen einer breiteren Perspektive,
global orientierte Verarbeitung unterstützt wer- sie macht flexibler, in die Lage versetzt, sich mit ne-
den (Förster, 2009). gativen Gefühlen besser auseinanderzusetzen. Dies
4 Das Reflektieren zentraler persönlicher Werte ist jedoch wiederum charakteristisch für eine funk-
verändert die Perspektive in Richtung auf das tionale emotionale Annäherungsstrategie. Die Au-
Gesamtbild. Die Teilnehmer einer Studie (in toren kennzeichnen diese Art der Verarbeitung als
der Kontrollgruppe sollte über die am wenigs- eine »Abkühlung« des heißen Modus. Sie machen
ten wichtigen Werte reflektiert werden) be- einen Unterschied zwischen jenem abgekühlten
schrieben Aktivitäten pointierter in ihrer Wir- und einem eher vermeidenden kalten Modus. Der
kung auf übergeordnete Ziele und waren besser kalte Modus würde überwiegend abstrakt und ana-
in der Lage, visuellen Input zu einem Ganzen lytisch bei gleichzeitig unterdrückten Gefühlen ab-
zusammenzufügen (Wakslak & Trope, 2009). laufen (Kross et al., 2005).
Das Nachdenken über wichtige Werte, also abs-
trakte Prinzipien, mit denen etwas Wesentliches
akzentuiert und herausgestellt wird, lässt uns 4.4.2 Werte und Commitment
offenbar die Perspektive erweitern und das Ge- für Handlungsziele
samtbild ins Auge fassen: Das ganze Mosaik
wird sichtbar, nicht nur einzelne verschieden- Der Begriff Commitment bezeichnet die Stärke,
farbige Steine. Die Wahrnehmung stellt sich mit der sich eine Person einem bestimmten Ziel
dann offenbar so ein, dass eher Schemata und verpflichtet fühlt und bereit ist, auch trotz auftau-
90 Kapitel 4 · Werte

chender Barrieren daran festzuhalten und es wei- und geben wichtige Anhaltspunkte für das, was ei-
terzuverfolgen (Locke & Latham, 2002). Im Rah- ne Person für sich als gut und stimmig erlebt. Aus
men von Psychotherapie ist es natürlich interessant, neurobiologischer Sicht sind persönliche Werte
zu verstehen, wie ein Ziel das Potenzial entfalten sogar schon in unserer biologischen »Blaupause«
kann, für eine Person bindend zu sein. Hierzu gibt angelegt. Ebenso vermitteln sie uns die Fähigkeit,
es interessante Aussagen der Handlungsforschung. schwierige Zielsetzungen anzupacken, indem sie
Dient etwa ein bestimmtes Ziel der Verwirklichung den dabei auftretenden Stress abpuffern.
eines übergeordneten Zieles und besteht zu diesem
4 übergeordneten Ziel ein Commitment, dann be-
steht auch eine innere Verpflichtung zum nach- 4.5.1 Neurobiologische Sicht
geordneten Ziel. Die innere Verpflichtung für ein
abstrakteres, übergeordnetes Ziel überträgt sich Der Neurowissenschaftler Damasio (2005) vertritt
also auch auf Zwischen- und Unterziele der Ziel- ganz dezidiert die Auffassung, dass die Entwick-
hierarchie (vgl. Abb. 2.2). Interessant ist, dass diese lung persönlicher Werte nicht erst aufgrund von
Wirkrichtung durch Misserfolge und Schwierig- Erlebnissen oder durch die Beobachtung mensch-
keiten nicht beeinträchtigt wird (Brunstein & Goll- licher Interaktionen geschieht. Nach seiner Auffas-
witzer, 1996). Im Gegenteil: Sie werden als Indika- sung sind Werte bereits in gewissen biologischen
toren dafür genommen, dass der bisherige Einsatz Strukturen verankert und zwar schon lange bevor
nicht ausreicht, um notwendige Zwischenziele zu Menschen überhaupt dazu in der Lage waren, so
erreichen. Daraufhin werden die Anstrengungen etwas zu reflektieren und adaptiv zu handhaben.
noch weiter gesteigert, um im Dienste des überge- Ausgangspunkt seiner Argumentation ist der Soll-
ordneten Ziels auch die notwendigen Zwischen- Wert der organismischen Homöostase. Danach de-
ziele zu erreichen. finieren Mechanismen, die dieser Homöostase die-
Was bedeutet dies für unseren Zusammenhang? nen, die biologische Grundlage für unsere mensch-
Wenn eine Person in der Lage ist, sich einem Hal- lichen Werte. Die Bedeutung der biologischen
tungsziel verpflichten zu können, dann ist damit Blaupause menschlicher Werte ergibt sich für ihn
unmittelbar ein Commitment mit dem untergeord- aus der Betrachtung dieses Steuerungsprozesses.
neten Handlungsziel verbunden. Durch die feste Danach ist die Steuerung des organismischen Le-
Bindung an seine Werthaltung (übergeordnetes bens alles andere als ein neutraler Prozess. Es ist ein
Ziel) bindet sich Herr F. nicht nur an sein Hand- durch und durch aktiver, zielorientierter Prozess,
lungsziel. Er ist dadurch auch in der Lage, die für der stets die optimalen Parameter für die Aufrecht-
die Realisierung seines Vortrages notwendige An- erhaltung des Lebens anstrebt. Dies impliziert Prä-
strengungsbereitschaft aufzubringen. Seine mit der ferenzen und eine entsprechende Handlungsaus-
Lerngeschichte so stark verbundene Werthaltung wahl, wobei solche Prozesse durchaus auch auto-
kann im Sinne eines Identitätszieles verstanden matisiert ablaufen können.
werden. Über das Handlungsziel wird die Person Dieses Regulationssystem ist darauf ausgerich-
dann versuchen, ihr Identitätsziel zu stärken und tet, wichtige Ziele zu erreichen, z. B. die Aufrecht-
zu bestätigen. erhaltung der Gesundheit, die Vorbeugung von
Umständen, die zum Tode führen können, sowie
die Herstellung von Zuständen, die nicht nur ein
4.5 Werte als Ressourcen quasi defizientes oder bestenfalls neutrales Funkti-
onieren ermöglichen, sondern tatsächlich ein opti-
Ressourcen können wir uns als Kraftquellen vor- males Funktionsniveau anstreben. Dieser Soll-Wert
stellen, die uns bei der Zielerreichung voranbrin- kann kurz und bündig als Homöostase bezeichnet
gen. Dabei sollten sich am besten Kompetenzer- werden. Nach Damasio ist diese Homöostase bei
fahrungen und im weitesten Sinne, psychisches jedem Menschen mit seinen persönlichen Werten
Wohlergehen und innere Homöostase ergeben. verknüpft. Deren Funktion ist dabei, dass sie für
Persönliche Werte sind immer positiv konnotiert den Regulationsprozess Arbeitsbedingungen präfe-
4.5 · Werte als Ressourcen
91 4
rieren, die zum Überleben unter optimalen Bedin- 4.5.2 Fokus auf Werthaltung
gungen beitragen und gewisse Bedingungen mei- senkt Stress und stärkt
den bzw. zurückweisen, die zu Krankheit oder Tod Annäherungsverhalten
führen.
Homöostase hat klare Präferenzen, Vorlieben Starke Bedürftigkeit bringt uns aus dem Gleichge-
und Abneigungen. Die Stellschrauben der Homö- wicht und erzeugt Stress. Sind gesündere Wege der
ostase sind klar definiert durch das Spektrum, an Bedürfnisbefriedigung in der Therapie noch nicht
dessen einem Ende Schmerz und Bestrafung und ausreichend etabliert, so besteht durchaus die Ge-
an dessen anderem Pol Freude und Belohnung zu fahr, dass das langfristig Angestrebte zu Gunsten
verorten sind. Das, was wir als Schmerz und Freude einer schnellen Befriedigung aufgegeben wird. So
bezeichnen, ist im Endeffekt die Erfahrung be- kann es z. B. wichtig sein, im Interesse einer lang-
stimmter Konfigurationen physiologischer Zustän- fristig guten Partnerbeziehung auf einen Seiten-
de, die sich durch chemische Parameter des inter- sprung während einer Geschäftsreise zu verzichten.
nen Milieus, durch geschmeidigen Muskeltonus Ebenso kann ein Meidungsverhalten kurzfristig
der inneren Organe, durch bestimmte Verhaltens- zwar Erleichterung schaffen, langfristig ist damit
weisen, die vom muskuloskelettalen System ausge- aber ein angstfreies Leben gefährdet. Die Fähigkeit,
führt werden, und durch die Verteilung von Neuro- auf kleine, aber unmittelbare Belohnungen zu
modulatoren im neuralen Gewebe. Werden Zu- Gunsten einer größeren zu verzichten, die aber erst
stände von Schmerz und Bestrafung zu lange ohne in fernerer Zukunft zu haben ist, wird als Goldstan-
Gegensteuerung aufrecht erhalten, dann führt dies dard effektiver Selbstkontrolle angesehen (Hauke,
zu Krankheit und Tod. Zustände von Freude und 2006a, b, d). Wie kann man sich vor einer Versu-
Belohnung hingegen führen zu Gesundheit und chung, die einen anspringt, wappnen? Oder anders
Wohlergehen. gefragt: Wie kann man seine Bereitschaft zum Be-
Kategorien wie »Gut« und »Böse« sind gemäß lohnungsaufschub stärken? Zahlreiche Studien be-
Damasio in diesem Sinne mit Handlungen ver- legen, dass die Lenkung der Aufmerksamkeit dabei
knüpft, die zur Stabilisierung bzw. Gefährdung ho- entscheidend ist (Mischel & Ayduk, 2004). Gelingt
möostatischer Regulation führt. Die gleiche Argu- es, die Aufmerksamkeit von der unmittelbaren
mentationslinie lässt sich anwenden auf unsere Fä- »kleinen« Befriedigung fort und auf die Maximie-
higkeit, Objekte und Situationen als schön oder rung des Gewinns in der Langzeitperspektive zu
hässlich zu klassifizieren. Ein effizienter Regulati- lenken, dann scheint diese Strategie effizient zu
onszustand ist dabei jener, bei dem die Regulati- sein. Welche Prozesse spielen dabei eine Rolle?
onsleistung nicht nur adäquat, sondern auch zeit- Nach Metcalfe & Mischel (1999) wird das Aus-
gerecht passiert, bei minimalem Energieverbrauch, maß der Selbstkontrolle durch das Zusammenwir-
minimaler Hemmnis, Leichtigkeit und Geschmei- ken eines heißen und eines kalten Modus der Ziel-
digkeit. Der Begriff der Harmonie beschreibt am verfolgung bestimmt. Das heiße System arbeitet
besten solche Regulationszustände. Der ineffizi- mit sehr hoher Geschwindigkeit, ist affektgesteuert
entere Teil des regulatorischen Spektrums ist hin- und wird automatisch durch belohnungsrelevante
gegen dadurch charakterisierbar, dass alles weniger Stimuli getriggert. Im Gegensatz dazu haben wir es
rund bzw. geschmeidig läuft; dadurch ist auch der beim kalten System mit einem Modul zu tun, dass
Energieverbrauch höher. In dieser Perspektive spe- Informationen differenzierter prozessiert und mit
zifizieren menschliche Werte entsprechende Ver- einem Netzwerk bestehenden Wissens abgleicht,
haltensklassen, die einer organismischen Homöo- dafür aber sehr viel langsamer arbeitet. Nun hängt
stase dienlich sind und dadurch zu innerem Gleich- es vom Zusammenspiel dieser beiden Systeme ab,
gewicht, Gesundheit und Wohlergehen beitragen. ob ein Belohnungsaufschub unterstützt wird, oder
Dadurch qualifizieren sich Werte sozusagen in ganz ob nicht doch die schnelle, kurzfristige Belohnung
körpernaher Weise als Ressourcen. präferiert wird. Das heiße System springt sofort an,
wenn die Aufmerksamkeit auf die kurzfristige Be-
lohnung fokussiert ist, wenn begünstigende situa-
92 Kapitel 4 · Werte

tive Faktoren hinzukommen und wenn das Begehr- Verletzungen (Sherman & Cohen, 2006). Sollten
te direkt wahrnehmbar ist (. Tab. 4.2). Teile des Selbstbildes bedroht oder beschädigt wer-
Entsprechende Repräsentationen werden als den, dann wird der Selbstwert wiederhergestellt,
»heiße Flecken« und »kalte Knoten« bezeichnet. indem die Person etwas tut, um sich selbst ihres
Beide sind über ein parallel verarbeitendes neuro- Wertes zu vergewissern. Dabei kann es sich um das
nales Netzwerk eng miteinander verbunden und Verfolgen eines Zieles handeln, dass Ausdruck und
beeinflussen sich gegenseitig. Somit können z. B. Bestätigung einer Werthaltung ist. Der angepeilte
heiße Flecken durch die Aktivierung korrespondie- Selbstwert ist insofern plastisch, dass nicht unbe-
4 render kalter Knoten hervorgerufen werden. Auf- dingt der bedrohte Teil des Selbst wiederhergestellt
grund dieser engen Verbindung können aber auch werden oder bestätigt werden muss. Die Wieder-
heiße Repräsentationen mit Hilfe entsprechender herstellung des Selbstwertgefühls ist auch durch
kalter Knoten in ihrer Wirkung geschwächt, gewis- Bestätigung eines anderen (nicht bedrohten) Selbst-
sermaßen also »abgekühlt« werden. aspektes möglich (Steele, 1988). Verfügt eine Per-
Im Bild unserer Regulationshierarchie: Die Ar- son etwa über zwei Wertebereiche, z. B. Leistung
beitsweise übergeordneter Steuerungsebenen ver- und soziales Engagement, so kann ein deutlicher
eitelt damit ein zu starkes Übergewicht unterer, Misserfolg in einem Bereich durch erfolgreiche Ak-
affektiv aufgeheizter Ebenen bei der Arbeit des Re- tivität im jeweils anderen Bereich in Bezug auf den
gulationssystems. Die Person ist nicht mehr ihren Selbstwert abgepuffert werden. Damit wird noch-
Impulsen ausgeliefert, wenn es gelingt, in dem be- mals deutlich, welch mächtige Ressource persön-
schriebenen Wechselspiel durch Zugang zu kalten liche Werte sein können. Sie fördern nicht nur das
Knoten eine zu starke Überhitzung, d. h. inten- Anpacken entsprechender Veränderungsprojekte,
sivere Aktivierung des heißen Systems zu vereiteln. sondern senken auch wirksam den dabei auftre-
Die Balance beider Systeme hängt jedoch vom mo- tenden Stress.
mentanen Stressniveau der Person ab. Hohe Stress-
maße, z. B. verursacht durch starke Bedürftigkeit,
aktivieren das heiße System und verringern die Ak- 4.6 Wertetypologie von Schwartz
tivierung des kalten Systems (Metcalfe & Mischel,
1999). Offenbar findet in solchen Fällen ein strate- Menschen stellen fest, was ihnen wertvoll und
gischer Prioritätenwechsel statt, der die Lockerung wichtig ist, grenzen ab, worauf sie sich einlassen
der Impulskontrolle in den Dienst der Stressregula- wollen und worauf nicht. Solche Positionsbestim-
tion stellt (Tice et al., 2001). mungen bieten die Chance, in das Wertethema ein-
Emotional belastete Menschen geben ihren Im- zusteigen. Dabei gibt es wahrscheinlich unzählige
pulsen nach, weil sie damit kurzfristig ihre Stim- Möglichkeiten, persönliche Werthaltungen sprach-
mung heben und ihren Stress mindern können. lich zum Ausdruck zu bringen. Wie können sich
Werden jedoch übergeordnete Ziele, z. B. Hal- Psychotherapeuten in diesem semantischen Uni-
tungsziele, bewusst gemacht und aktiviert, so wirkt versum orientieren? An dieser Stelle hilft ein pro-
dies im Sinne einer Impfung, die eindrucksvoll den minenter wissenschaftlicher Ansatz weiter, der seit
Stress senkt. Creswell et al. (2005) konnten zeigen, mehr als 20 Jahren von dem israelischen Sozialpsy-
dass Stressreaktionen auf eine belastende Aufgabe chologen Shalom H. Schwartz (1992, 1996) verfolgt
erheblich abgeschwächt werden, wenn Versuchs- wird. Danach lässt sich dieses Universum auf wis-
personen zuvor über ihre wichtigsten persönlichen senschaftlichem Wege durch verschiedene inhalt-
Werte reflektierten. Diese Versuchspersonen, die lich umschriebene Wertebereiche wie Leistung,
vorher über ihre wichtigsten Werte nachgedacht Hedonismus, Wohltätigkeit etc. – oder griffiger
hatten, schütteten signifikant weniger Cortisol aus, ausgedrückt – mit Hilfe verschiedener Wertedomä-
als die Personen der Kontrollgruppe. nen kartographieren.
Werthaltungen sind als persönliche Ressourcen
mit Identität und Selbstbild verbunden und dienen
in günstiger Weise dem Schutz vor emotionalen
4.6 · Wertetypologie von Schwartz
93 4

. Tab. 4.2 Das duale Prozessmodell. Adaptiert nach Metcalfe & Mischel (1999)

Das kalte System Das heiße System

Ist ein affektiv neutrales Wissenssystem, an dem Ermöglicht eine schnelle affektive Bewertung des Inputs
Hippocampus und Stirnlappen beteiligt sind. Es ist eher durch somatische Marker. Durch Beteiligung der Amygdala
reflexiv ausgerichtet und arbeitet entsprechend werden schnelle Kampf-, Flucht oder appetetive Annähe -
langsam und generiert rationales und strategisches rungsreaktionen ermöglicht. Diese sind den unteren
Verhalten. Hier sind die höheren Steuerungsebenen der Steuerungsebenen der Regulationshierarchie zuzuordnen.
Regulationshierarchie beteiligt. Damit sind Werte und Somit gehören Bedürfnisse und Überlebensstrategien ins
Identität eher dem kalten System zuzuordnen heiße System

4.6.1 Welche Werte gibt es? 4.6.2 Wertedomänen definieren


motivbezogene Themen
Bei der Suche nach einer möglichst umfassenden
Systematik menschlicher Werte fand Schwartz auf jMacht
empirischem Wege eine zweidimensionale Werte- Zentrales Ziel der Machtdomäne ist die Aufrecht-
struktur, deren Gültigkeit inzwischen für 67 Natio- erhaltung von sozialem Status und Prestige sowie
nen belegt ist (Schwartz, 2005). Hier lassen sich Kontrolle und Dominanz über Menschen und Res-
zehn verschiedene Arten von Werten (statistisch, sourcen. Ressourcen können ökonomische und
aber auch inhaltlich) voneinander abgrenzen und psychologische Belohnungen sein, aber auch die
unterscheiden: Dadurch entstehen Segmente mit Kontrolle über Informationen, Expertenwissen und
unterschiedlichen Namen (. Abb. 4.2). Jedes dieser -fähigkeiten. Eine Machtthematik wird deutlich,
zehn Segmente enthält zueinander passende mo- wenn kraftvolle, unterstützende, andere Personen
tivationale Ziele, z. B. »eigene Ziele auswählen«, kontrollierende Verhaltensweisen geschildert wer-
»unabhängiges Denken«, »Kreativität« usw., die den und wenn dabei stärkere Emotionen freigesetzt
mit der Kategorie »Selbstverwirklichung« um- werden. Ebenso, wenn sich jemand mit seiner Re-
schrieben werden. Das Segment mit der Bezeich- putation und Statusposition beschäftigt. Hohe Po-
nung »Macht« steht z. B. für »Position«, »Status«, sitionen hängen oft mit Ansehen, hohem Einkom-
»Autorität«, »Einfluss« usw. men und guter sozialer Vernetzung zusammen,
Die von Schwartz publizierte inhaltliche Be- sowie mit persönlicher Anziehungs- und Überzeu-
schreibung der Wertedomänen ist hauptsächlich gungsfähigkeit. Prägnant formuliert zeigen Macht-
sozialpsychologisch orientiert und darüber hinaus motivierte das Bestreben, andere Menschen dazu
sehr knapp geraten. Es kann jedoch die psychothe- zu veranlassen, etwas zu tun oder zu fühlen, was
rapeutische Arbeit sehr bereichern, wenn man die diese ohne die Einflussnahme nicht getan oder ge-
Eigenart dieser motivationalen Ziele genauer kennt fühlt hätten (Heckhausens, 1989).
und ihre Bedeutung für die Identität und das Han- Machtmotiviertes, wirksames Handeln steht
deln einschätzen kann. Deshalb werden im Fol- und fällt mit der Aktivierung zielgerichteten Ver-
genden die Schwartzschen Definitionen der Werte- haltens, verbunden mit dem Zugang zu positiven
domänen durch zusätzliche psychologische Inhalte Emotionen, wie Freude und Stolz. Damit kommt
vertieft. Die psychotherapeutische Relevanz der je- das Thema Selbstbehauptung ins Spiel. Selbstbe-
weiligen Wertethemen soll dadurch auch deutlicher hauptung ist wichtig, damit das machttypische Be-
hervortreten. streben, eigene Bedürfnisse und Ziele durchzuset-
zen, auch und gerade bei vorhandenem Widerstand
anderer erfolgreich sein kann. Wesentlich ist dabei
das Erleben von Kontrolle, d. h. zu erleben, dass
das eingesetzte Verhalten auch tatsächlich den be-
94 Kapitel 4 · Werte

Abb. W 3

. Abb. 4.2 Die Wertestruktur von Schwartz. (Aus: Sulz & Hauke, 2009). Mit freundlicher Genehmigung von CIP-Medien

absichtigten Einfluss bewirkt. Das soziale Auftreten Ihre enorme Bedeutung in der Therapie resultiert
Machtmotivierter ist durch eine eher niedrige si- vor allem aus gesellschaftlichen Veränderungen,
cherheitsorientierte Bindungsmotivation gekenn- wobei Aufstiegs- und Entfaltungsmöglichkeiten
zeichnet (Bischof, 1998). Eine solche Person bezieht zunehmend nach Tüchtigkeit und Leistungsfähig-
ihre Sicherheit aus hohem Autonomieanspruch keit und weniger nach der Abstammung oder Pri-
und Selbstsicherheit. Wenn erfolgreiche Machtmo- vilegien verteilt werden. Diese Wertedomäne be-
tivierte einer Bedrohung oder Herausforderung tont die Wichtigkeit des persönlichen Erfolges im
begegnen, dann können sie meist in einem durch- Vergleich zu bestimmten Gütemaßstäben oder so-
setzungsorientierten Sinne relativ selbstsicher ihr zialen Standards. Diese Standards werden durch
gesamtes bisheriges Erfahrungswissen, ihre Exper- verschiedene soziale Gruppen definiert, wie z. B.
tise einbringen. Dabei lassen sie sich während des Familien, berufliche und weltanschauliche Grup-
Handelns kaum von irgendwelchen wunsch- oder pen usw. Personen, die sich Leistungswerte zu-
erwartungswidrigen Wahrnehmungen beeindru- schreiben, wollen zeigen, was sie können, Fähig-
cken, assertive Aggressivität und Kampfbereitschaft keiten unter Beweis stellen und innerhalb der je-
spielen dabei eine entscheidende Rolle. Dies kann weiligen sozialen Gruppe überzeugen.
sich u. U. auch auf ethische oder moralische As- Das Verhalten der Leistungsmotivierten ist
pekte beziehen. kennzeichnend (vgl. Schneider & Schmalt, 2000):
Etwas schnell und so gut wie möglich machen,
jLeistung Hindernisse überwinden, Anstrengung investieren,
Ebenso wie Machtwerte zeichnen sich Leistungs- hohe Standards erreichen, Anerkennung bekom-
werte durch einen hohen Autonomieanspruch aus. men wollen, sich profilieren, mit anderen konkur-
4.6 · Wertetypologie von Schwartz
95 4
rieren und sie zu übertreffen versuchen, durch ge- stimmter Bewegungen, die Beachtung anderer auf
schickten Einsatz eigener Begabungen den Eigen- sich ziehen usw. Die Intensität der hedonischen Er-
nutz erhöhen. Der Fokus ist dabei auf ein explizit fahrung wird einerseits von den Stimulusquali-
angestrebtes Ziel ausgerichtet. Nur dadurch wird täten, z. B. der Menge an Nahrung, und anderer-
auch soziale Vergleichbarkeit möglich. Eine solche seits vom Niveau der vorhandenen Energetisierung
Messlatte lässt unmittelbar erkennen, wer der Bes- bestimmt, z. B. dem Grad des Hungers (Higgins,
sere ist, wer Erfolg und wer Misserfolg hat. Insofern 2006). Hedonisches Erleben ist daher das Resultat
schließt diese Orientierung auch eine latente Angst- der Befriedigung von Bedürfnissen, dem Auftreten
komponente mit ein (Kuhl, 2001). Deshalb ist Leis- appetitiver Empfindungen, dem Nachlassen von
tungsangst typischerweise Angst vor sozialer Be- Schadensempfindungen.
wertung und vor Abwertung der eigenen Person im Diese Dynamik kann modellhaft anhand der
Falle eines Misserfolgs. Es ist aber nicht zwingend, Wirkung des Witzes erklärt werden: Im Witz mani-
dass diese Angst manifest wird. Bleibt sie in be- festiert sich zunächst eine Phase der Unsicherheit
stimmten Grenzen, dann vermag sie sogar eine ak- (Erregungsanstieg), darauf folgt eine Phase der
tive Auseinandersetzung mit sozial verankerten Klarheit und Sicherheit (Erregungsabfall). Insbe-
Gütemaßstäben, z. B. bei Wettbewerben, auszu- sondere Freude tritt dann auf, wenn sich Bedürf-
lösen. Leistungsmotivierte neigen dazu, ihre Er- nispegel und Empfindungen rasch verändern. In
folge der eigenen Kompetenz und Misserfolge Abgrenzung dazu würden sich Zufriedenheit und
mangelnder Anstrengung zuzuschreiben. Leis- Glück eher auf ausgeglichene Bedürfnispegel, we-
tungsmotivierte sind in der Lage, mit negativen Af- niger auf deren plötzliche Veränderung beziehen.
fekten, die z. B. mit dem Misserfolgsrisiko zusam- Sie werden von Schwartz dieser Motivdomäne aus-
menhängen, aktiv umzugehen (Kuhl, 2001). Auf drücklich nicht zugeordnet. Lust und Unlust sind
eine gewissenhafte, spezifische Weise sondieren sie im biologischen Bauplan von uns Menschen fest
leistungsrelevante Problemfelder und sind imstan- verankert. Von der Geburt bis zum Lebensende
de, zwischen Problemlösen und Handeln zu wech- sind sie das wichtigste Feedback zur Ausbildung
seln. Sie bringen aber auch den Mut zum kreativen umweltangepassten Verhaltens. Die ausschließliche
Problemlösen auf. Dies und die Bereitschaft zu Befriedigung von Bedürfnissen kann lustvoll sein,
Ausdauer und Anstrengung befähigt sie zur Lösung muss es aber nicht. So kann z. B. die Ausrichtung
auch schwieriger Aufgaben. an einer ethischen Maxime eine größere Befriedi-
gung verschaffen, als der unmittelbare Lustgewinn
jHedonismus aufgrund der Befriedigung des »verbotenen« Be-
Diese Motivationsziele sind auf das Erleben von dürfnisses. Trotz dieser scheinbaren Einschrän-
Lust und Freude insbesondere auf das Erleben von kung des Lustprinzips bzw. der Ergänzung dieses
Genuss, Vergnügen und Schwelgen gerichtet. Es Prinzips durch das Realitätsprinzip ist völlig klar,
kann sich dabei um körperliche und geistige Lust dass Lust und Unlust die großen Lehrmeister sind:
handeln. »Menschen streben danach, eine mög- Menschen wiederholen solche Verhaltensweisen,
lichst positive Lust-Unlust-Bilanz zu erzielen. Es deren unmittelbare oder langfristige Konsequenzen
handelt sich hier um Freuds Lustprinzip: Lustge- als lustvoll erlebt werden, und sie unterlassen eher
winn und Unlustvermeidung« (Grawe, S. 393). He- diejenigen Verhaltensweisen, deren Konsequenzen
donische Erfahrung ist eng mit der Aktivität des mit Unlust verbunden sind.
Belohnungszentrums verbunden, wobei der orbi-
tofrontale Kortex eine vermittelnde Funktion hat jAnregung
(Kringelbach, 2005). Die Bandbreite möglicher Ak- Motivationsziele dieser Domäne richten sich auf
tivitäten, die dies leisten können, ist enorm: Gut das Erleben von Neuartigkeit, Begeisterung, Span-
essen und trinken, guten Sex haben, das Erreichen nung und bestimmten Herausforderungen, z. B.
anspruchsvoller Leistungsziele, das Lösen ver- etwas Packendes, Mitreißendes erleben, neue und
zwickter Probleme, das Hören bestimmter Musik- andere Dinge tun, Erneuerung und Abwechslung
stücke, das Erleben von Natur, das Empfinden be- in der täglichen Routine erleben, sich an neuen be-
96 Kapitel 4 · Werte

ruflichen Aufgaben erproben, wenig vertraute Zu- ben und aus einem breiteren Spektrum möglicher
sammenhänge untersuchen, reisen, neue Menschen Operationen schöpfen.
treffen, sich in verschiedene oder gar ungewohnte
Rollen begeben, für neue Trends aufgeschlossen jSelbstverwirklichung
sein usw. Dabei ist die Aufrechterhaltung eines op- Diese Wertedomäne bezieht sich auf ein selbstbe-
timalen, nicht bedrohlichen Niveaus psychischer stimmtes, autonomes Leben. Ihre Beschreibung
Aktivierung im Sinne eines homöostatischen Soll- lautet: Unabhängiges Denken und Handeln, Schaf-
Wertes von Bedeutung. Die Suche nach Anregung fen und Erforschen, verbunden mit Kreativität,
4 ist mit Verhaltensweisen des Neugiermotivs ver- Wissbegierde und der Freiheit, eigene Ziele auszu-
knüpft. Bestimmte Außenreize oder sich verän- wählen. Diese Bedeutung legt die intensivere Aus-
dernde Bedingungen treffen auf eine entsprechend einandersetzung mit Zielen des Autonomiestrebens
ausgebildete Neugiertendenz und mobilisieren und dialektischen Lernens sowie Formen der in-
Energien für exploratives Verhalten. Das Wahrneh- trinsischen Motivation nahe (Kuhl, 2001). Autono-
mungssystem arbeitet dabei zunächst »großzü- mie steht mit Unabhängigkeit, Selbstständigkeit,
giger« bzw. »impressionistischer«: Reize werden Individuation und persönlicher Kontrolle in Zu-
auch dann noch als akzeptabel erkannt, wenn sie sammenhang. Bischof (1998) definiert den Auto-
mit dem bisher Vertrauten nicht übereinstimmen nomieanspruch als einen Soll-Wert, bei dem es
(Kuhl, 2001). darum geht, sein Leben in eigener Regie zu führen,
Diversive Neugier entsteht aufgrund von Reiz- selbst die Maßstäbe zu setzen, sinnstiftenden Ein-
armut und Langeweile. Irgendwie soll Erregung fluss auf das Geschehen in der persönlichen Um-
entstehen, z. B. beim Zappen durch das Fernseh- welt zu haben. Gleichzeitig sei damit auch ein Stre-
programm. Personen suchen dabei nicht Informa- ben nach Ranghöhe verbunden, was gleichzeitig
tionen über einen konkreten Sachverhalt, sondern mit einer Reduktion fremder Autonomieansprüche
Zerstreuung und Stimulation. Spezifische Neugier verknüpft ist. Hoher Autonomieanspruch drosselt
hingegen wird ausgelöst durch konkrete Sachver- die Dependenz und verstärkt die Unternehmungs-
halte, z. B. die originelle Lösung eines Problems, lust. Er macht unabhängig vom Gefühl der Sicher-
und richtet sich auf die Untersuchung eines Ob- heit, lässt Überdruss an zu viel Gewöhnung und
jekts. Sie wird ausgelöst durch Neuheit, Komple- Verwöhnung empfinden und drängt in das faszi-
xität, Mehrdeutigkeit, die objektive Unsicherheit nierende Abenteuer der Begegnung mit dem Frem-
oder Unvorhersagbarkeit einer räumlichen oder den. Hier geht es nicht so sehr um das Erreichen
zeitlichen Folge von Ereignissen, die perzeptive Zu- konkreter Ergebnisse und der damit verbundenen
wendung, Zugehen, Manipulation und Fragen aus- Bewältigung latenter Misserfolgsfurcht. Stattdessen
lösen (Schneider & Schmalt, 2000). Gerade mit der geht es um den Prozess des Erwerbs und der Fort-
deutlich gerichteten spezifischen Neugier können entwicklung neuer Fähigkeiten, mit dem Nebenef-
Objekte unter Ausblenden der weiteren Umgebung fekt, dass immer neue Herausforderungen gemeis-
und irrelevanter Stimuli gründlicher auf ihre Qua- tert werden können.
litäten, insbesondere auch auf ein Gefahrenpoten- Diese Werthaltung ermöglicht auch eine güns-
zial hin untersucht und eingeschätzt werden. Di- tige Sicht auf Misserfolge. Negative Gefühle werden
versive Neugier wird eher ausgelöst durch Tempe- nicht ignoriert, sondern dadurch bewältigt, dass
rament, Impulsivität oder dem Grad der Extraver- das Selbstwertbedrohliche als Herausforderung
sion einer Person. Je weniger Gefahrensignale in umdefiniert wird. Schwierigkeiten und Probleme,
einer bestimmten Situation wahrgenommen wer- die auftauchen, werden als Gelegenheiten gesehen,
den, je geringer das subjektive Gefahrenrisiko und zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Kuhl (2001)
je höher also die erlebte Sicherheit ist, umso ausge- analysiert dies aus Sicht seines handlungspsycholo-
prägter kann die diversive Neugier sein: Das Ver- gischen Persönlichkeitsmodells und benennt die
halten muss sich ja nicht auf zu kontrollierende Fähigkeit zum Hin- und Herpendeln zwischen
problematische, vielleicht sogar angsteinflößende positiven und negativen Affektlagen – zur sog.
Objekte zentrieren. Es kann offen ausgerichtet blei- emotionalen Dialektik – als zentrales Merkmal von
4.6 · Wertetypologie von Schwartz
97 4
Selbstverwirklichung. Das »Pendeln« hin zum ne- rischer Kommunikation auf. Man begegnet sich auf
gativen Affekt setzt die Bereitschaft voraus, negati- gleicher Augenhöhe. Die Dialoge sind ohne Domi-
ve Gefühle auch zuzulassen und auszuhalten. Nur nanzgehabe, d. h., derart Motivierte verhalten sich
dann können die darin enthaltenen wichtigen In- nicht direktiv. Es werden positive Gefühle zum
formationen auch wahrgenommen und verarbeitet Ausdruck gebracht, Personen öffnen sich, sprechen
werden. Umgekehrt bedeutet dies: Das Aushalten von sich selbst und ihrem Erleben, bringen sich
der Hemmung positiver Gefühle – Frustrationsto- umgekehrt auch empathisch ein. Sie suchen sich
leranz – ist damit Voraussetzung für die Fortent- ihre Kontaktpartner genauer aus, achten dabei eher
wicklung erweiterter, effizienterer Problemlösungs- auf Details. Eine weitere Form der Anschlussmoti-
und Planungsstrukturen. Solche Personen sind fä- vation ist durch das Bestreben gekennzeichnet,
hig, konstruktiv mit dem Stress umzugehen, den auch zu bislang unbekannten Menschen freund-
kritische Ereignisse und Veränderungsprozesse mit liche Kontakte herzustellen. Dabei geht es mehr um
sich bringen können. Diese Werthaltung ermög- Geselligkeit, Interesse und Unterhaltung als um
licht, das Positive im Negativen zu sehen. persönliche Begegnung und Selbstöffnung. Diese
Art von Austausch und Handeln innerhalb sozialer
jWohlwollen Gruppen ist besonders anregend für eher Extraver-
Werthaltungen dieser Domäne wollen das Wohler- tierte, denn es geht dabei in erster Linie um Spaß
gehen jener bewahren und stärken, mit denen häu- und Unterhaltung und nicht so sehr um eine tiefere
figer Kontakt besteht. Ursprünglich wurde diese menschliche Begegnung.
Domäne von Schwartz & Bilsky (1987) als »Proso-
ziales Verhalten« bezeichnet. Ihre Befunde legten jUniversalismus
jedoch eine engere Bedeutung nahe, die mit dem Werthaltungen dieser Motivdomäne gehen über
Begriff »Wohlwollen« umschrieben wurde. Proso- die sekundären Bezugsgruppen hinaus und lenken
ziale Orientierung beziehe sich – so die Autoren – die Wahrnehmung auf größere Zusammenhänge:
auf das Wohlergehen aller Menschen in allen mög- »Verständnis, Dankbarkeit, Toleranz und Schutz
lichen Settings, wohingegen sich Wohlwollen spe- für das Wohlergehen aller Menschen und der Na-
zifischer auf das Wohlergehen nahestehender Per- tur«, so die Definition von Schwartz (1992, S. 6).
sonen in alltäglichen Interaktionen beziehen solle. Waren im Falle der Wertedomäne »Wohlwollen«
Diese Konzeption umschreibt verschiedene koope- vielleicht noch Unterschiede, Gegensätze, Abgren-
rative und sozial unterstützende Formen der Inter- zung oder Gleichgültigkeit gegenüber weniger ver-
aktion. Diese haben die besondere Funktion, den trauten Bezugsgruppen denkbar, so werden hier
Bestand und das reibungslose Funktionieren jener vielmehr die Gemeinsamkeiten aller Individuen
sozialen Gruppen zu fördern und zu unterstützen, und Gruppen betont. Motive richten sich auf The-
in denen sich die Person bewegt. Treibende Kraft men wie Gleichheit, Freiheit, soziale Gerechtigkeit
dafür ist freilich das elementare Grundbedürfnis und Frieden. Schranken- und grenzübergreifendes
nach Anschluss und Bindung an andere. Dies kann Denken setzt ein bestimmtes Entwicklungsstadium
in täglichem Umgang mit primären Gruppen wie voraus. Wahrnehmungshorizont und Beziehungs-
der Familie und mit sekundären Gruppen wie z. B. verständnis müssen sich nicht aus dem Kraftfeld
Arbeitsteams, Freundeskreis, Interessengruppen der primären und sekundären Gruppe lösen. Eben-
usw. geschehen. Solche Werte können unterschied- so muss ein Bewusstsein für die Kostbarkeit natür-
lich operationalisiert werden, da ihnen unter- licher Ressourcen entstehen. Weiterhin gehören
schiedliche Motivziele zugrunde liegen können. Verständnis und Einfühlung in fremde Kulturen,
Das hier zugrunde liegende Anschlussmotiv kann Gruppen, Interessen und Bräuche hierher.
noch differenziert werden (vgl. Kuhl, 2001). Diese akzeptierende Haltung denen gegenüber,
Eine Form des Anschlussmotivs ist auf persön- die ganz anders sind, führt zu mehr Gerechtigkeit.
liche Begegnung ausgerichtet und besitzt einen po- Mehr Gerechtigkeit schützt wiederum vor kriege-
sitiven Affektkern in Zusammenhang mit Neugier rischen Auseinandersetzungen und der Zerstörung
und Interesse. Sie tritt in Verbindung mit symmet- natürlicher Ressourcen. Ein anderer Aspekt ist hier
98 Kapitel 4 · Werte

die Dankbarkeit und Wertschätzung für alles, was rung für die Zukunft bieten. Sie stärken dabei nicht
existiert. Das schließt die Verbundenheit mit der nur Zusammenhalt und Identität der Gruppe. Da-
Natur und ein Engagement für deren Schutz mit mit wird auch den Einzelnen ein Fundament für
ein. Nicht alle Motivationsziele, die im Gewand des ihr Selbstverständnis und ihre persönliche Identität
Universalismus daherkommen, sind auch so moti- geboten. Der Preis dafür ist Unterordnung unter
viert. Die direkte Nachbarschaft dieser Domäne zu bestimmte Vorgaben der Religion, kulturell be-
jener der Selbstverwirklichung ist plausibel. Echter dingte Moden und Werte, z. B. bestimmte Höflich-
Universalismus ist demnach wohl mit einem gewis- keitsformen, Vermeidung bestimmter Themen,
4 sen Maß an menschlicher Reife, ja vielleicht sogar passende Kleidung zum entsprechenden Anlass
mit Weisheit verbunden. Man könnte vermuten, usw. Der Einzelne, der Bestandteil einer bestimm-
dass auch »Spiritualität« in diese Domäne gehört. ten Gruppe werden will, signalisiert seine Unter-
In einer früheren Version seiner Wertetheorie hatte ordnungsbereitschaft durch das Teilnehmen an
Schwartz (1992) diese Möglichkeit noch erwähnt. Zeremonien und Ritualen, durch das Zeigen be-
Wenn Spiritualität durch Überwindung des Alltags stimmter Symbole. In der Regel sind solche Stan-
Sinn, Kohärenz und innere Harmonie herstellen dards in der jeweiligen Kultur festgelegt. Gemeint
will, so sind damit auch sehr umfassende – eben sind aber auch Subkulturen, wie z. B. Peergroups.
universalistische – Perspektiven angesprochen. In der Arbeitswelt kann es sich z. B. um Unterneh-
Empirisch konnte jedoch keine über alle Kulturen men, Teams und Arbeitsgruppen handeln. Im Frei-
gültige Bedeutung von Spiritualität gefunden wer- zeitbereich gibt es Interessengruppen, Vereine etc.,
den. die dem Einzelnen Zugehörigkeit vermitteln, wenn
er sich auf entsprechenden Verhaltenserwartungen
jTradition einlässt. Hier gibt es Ein- und Ausstandsrituale, re-
Werte dieser Domäne favorisieren Respekt, Ver- gelmäßige Zeremonien, bei denen jemand für seine
pflichtung und Akzeptanz von Bräuchen und Ge- Dienste im Interesse der Gruppe ausgezeichnet
dankengut, die von der jeweiligen Kultur oder der wird, Zitiergewohnheiten. Aber auch bestimmte
Religion als wichtig angesehen werden. Entspre- Konferenzrituale, Besäufniszeremonien, gemein-
chende soziale Gruppen generieren im Laufe der same Frühstücke, Outdoorveranstaltungen, weih-
Zeit Praktiken, Symbole, besonderes Gedankengut nachtliche Dankesreden gehören dazu. Wichtig
und spezifische Überzeugungen, die in irgendeiner sind auch Symbole wie Logos, Details bei der Klei-
Weise ihre Erfahrungen und ihre Geschichte reprä- dung oder auch firmeneigene Fahrzeuge und Han-
sentieren. Dies alles symbolisiert die Solidarität dys etc.
innerhalb der Gruppe, bringt deren Einmaligkeit Warum sollte der Einzelne eine solche Werthal-
zum Ausdruck und trägt so zu ihrem Überleben tung für sich in Anspruch nehmen? Betrachten wir
bei. Bewähren sich bestimmte Gewohnheiten in zwei Extremfälle: Eine individualistische Persön-
Bezug auf diese soziale Funktion, dann werden sie lichkeit würde solche traditionellen Werte eher mit
tradiert. Entsprechende Verhaltensnormen orien- der Forderung nach Unterwerfung verbinden. Sie
tieren sich am erwarteten Respekt vor der Tradition bezieht ihre Identität überwiegend aus Kontrast
(z. B. Demut, Ergebenheit, Bescheidenheit). Grund- und Abgrenzung. Eine kollektivistisch orientierte
sätzlich geht es darum, dass man sich den aufer- Persönlichkeit würde freilich eher positive Aspekte
legten Erwartungen auch unterordnet. Die Traditi- von Traditionen betonen, z. B. gemeinschaftliches
onsdomäne bezieht sich dabei auch auf die Unter- Erleben und Handeln, wobei sie auch einen klar
ordnung gegenüber abstrakteren Objekten wie z. B. zuordenbaren Platz in der Gruppe für sich in An-
religiösen und kulturellen Bräuchen sowie Vorstel- spruch nehmen kann. Sie bezieht ihre Identität
lungen. überwiegend aus der Gruppe, partizipiert an ihrer
Traditionswerte fordern Empfänglichkeit für Stärke und Potenz. Die meisten Menschen werden
unveränderbare Erwartungen, die schon in der zwischen beiden Polen hin- und herpendeln. So ist
Vergangenheit entwickelt wurden. Sie sollen in der es für viele notwendig, gelegentlich aus der Gruppe
Gegenwart gestaltend wirken und eine Orientie- aufzutauchen, sich selbst zu spüren, die eigenen
4.6 · Wertetypologie von Schwartz
99 4
Standards zu klären, eine relative Unabhängigkeit kennt die Erwartungen. Wenn sich die Beteiligten
zu erleben. Andererseits kann es auch für Men- unterordnen wollen, dann können auch Kämpfe
schen mit starker »Einzelidentität« ausgesprochen und Streitereien im Interesse wichtiger Ziele ver-
entspannend und unterstützend sein, hin und wie- mieden werden. Zur Stärkung und Erweiterung der
der in der Gruppe unterzutauchen und sich von der eigenen Identität, zur Wahrung und zum Schutz
Identität des Kollektivs einmal wieder mittragen zu des eigenen Status wird die Qualität der Beziehung
lassen. Dieses kann ihm eine Anpassung an be- zum Mächtigen wichtig: Wird dieser als Experte
stimmte Traditionen immer mal wieder wert sein. mit Glaubwürdigkeit und Legitimität wahrgenom-
men, so zeigen Rangniedrigere ihm gegenüber
jKonformität Konformität.
Konformität und Tradition beziehen sich auf das-
selbe motivationale Ziel: Unterordnung eigener jSicherheit
Interessen zugunsten sozialer Erwartungen. Auf- Diese Werte stehen für Gefahrlosigkeit, Geborgen-
grund dieser Gemeinsamkeit teilen sich die beiden heit, Harmonie und Stabilität und zwar in Bezug
Wertegruppen ein »Tortenstück« in . Abb. 4.2. Sie auf Gesellschaften, Beziehungen und das Selbst.
haben die Funktion der Erhaltung von Ordnung Diese Wertedomäne enthält zwei Klassen von Mo-
und Harmonie und damit der Stabilisierung sozi- tivationszielen. Solche, die primär den individu-
aler Gruppen. Dennoch sind beide Ziele klar trenn- ellen Interessen dienen (z. B. sauber, ehrlich und
bar. Konformitätswerte fordern eine Unterordnung fair handeln, über eine missbrauchsfreie Umge-
unter Personen, mit denen man in häufiger Inter- bung verfügen), und solche, die sich im weitesten
aktion steht, z. B. Eltern, Lehrer, Vorgesetzte. Tradi- Sinne auf umfassende Gruppeninteressen beziehen
tionswerte hingegen erwarten Unterordnung ge- (z. B. nationale Sicherheit). Warum aber sollte eine
genüber abstrakten Objekten, wie z. B. kulturelle Person den Bestand eines sozialen Gebildes hoch
und religiöse Bräuche sowie Überzeugungen, die bewerten? Doch nur deswegen, weil ihr von einem
auch schon eine Geschichte haben. stabilen sozialen Gebilde Sicherheit vermittelt wird.
Konformität bezieht sich explizit auf den rei- Hier fühlt sie sich mit ihren Bedürfnissen und An-
bungslosen Ablauf von Interaktionen. Dabei geht liegen gut aufgehoben, vielleicht sogar geborgen.
es um das Zurückhalten von Impulsen, Neigungen Diese beiden Qualitäten kommen in Werthal-
und Handlungen, die andere Menschen, soziale Er- tungen wie sozialer Ordnung, Geborgenheit in der
wartungen oder Normen verletzen können. Kon- Familie sowie der Interaktionssicherheit im Sinne
formitätswerte halten zur Unterordnung unter Ein- von Anstand, Austausch und Erwiderung von Ge-
zelnen oder auch in Gruppen an. Gerade im Inter- fälligkeiten, zum Ausdruck. Weitere Sicherheits-
esse von Gruppen- oder Teamzielen muss der Ein- ziele sind etwa materielle Sicherheit, einen sicheren
zelne Verhaltenstendenzen zügeln, die die Interak- Arbeitsplatz haben, geschützt sein gegen Einkom-
tionen stören bzw. zielführende Gruppenprozesse mensverluste sowie Bewahren der Gesundheit, z. B.
behindern könnten. Die Definition impliziert auch gegen Folgen von Krankheit und Arbeitsunfähig-
die gänzliche oder teilweise Rücknahme eines Au- keit geschützt sein.
tonomieanspruchs. Soziale Gruppen entwickeln zu Eine wichtige Form von Sicherheit kann als
diesem Zweck Rangordnungen. Rangordnungen Prozess-Sicherheit bezeichnet werden: Dinge sau-
bestimmen darüber, wer den Vortritt bei einer ge- ber und in Ordnung halten, Berechenbarkeit, Plan-
meinsamen begehrten Ressource hat (Bischof, barkeit und Organisierbarkeit, Risikobegrenzung,
1998). Diese können formell oder informell festge- Nebenwirkungen einer Entscheidung vorhersehbar
legt sein, durch Rituale und Symbole spürbar und machen. Menschen brauchen in unterschiedlichem
sichtbar werden. In dieser Domäne wird die Bezie- Ausmaß das »Gut Sicherheit«. Wir haben das Zür-
hung zum mächtigen Einzelnen und/oder zur cher Modell von Bischof (1998) im vorigen Kapitel
mächtigen Gruppe thematisiert. Rangordnung zu schon beschrieben. In unserem Wertespektrum
akzeptieren und das zugehörige konforme Verhal- stehen die mit Autonomie assoziierten Wertedo-
ten zu zeigen, kann auch entlastend sein. Jeder mänen »Selbstverwirklichung« und »Anregung«
100 Kapitel 4 · Werte

den mit »Sicherheit« assoziierten Domänen gegen- Die Verwandtschaft von Traditions- und Kon-
über, was einen Wertekonflikt markiert: Personen formitätswerten hatten wir schon besprochen. In
mit hohem Autonomieanspruch reagieren bald beiden Fällen geht es um Unterordnung zu Guns-
überdrüssig und mit Langeweile auf das für sie zu ten sozial auferlegter Erwartungen. Den Domänen
hohe Maß an Sicherheit und vermeiden diese ent- Tradition und Sicherheit geht es beide um das Be-
sprechend. Das Modell weist aber darauf hin, dass wahren bestehender sozialer Vereinbarungen, die
das Gefäß nicht leer sein darf, d. h., auch für Per- im Leben für Gewissheit sorgen. Sowohl den Kon-
sonen mit hohem Autonomieanspruch ist Sicher- formitäts- als auch den Sicherheitswerten geht es
4 heit ein Thema, wenn auch kein so explizites: Sie um den Schutz der bestehenden Ordnung und der
brauchen Sicherheit nicht so dringend von außen, Harmonie in Beziehungen. Ganz besonders inter-
weil sie als »innere« Form der Sicherheit, Selbstsi- essant ist die nachbarschaftliche Verbundenheit der
cherheit, darüber verfügen. Dieser Aspekt ist hier Wertedomänen Macht und Sicherheit. Die Ge-
nicht gemeint, er gehört eher in die autonomiebe- meinsamkeit bezieht sich auf das Bewältigen von
zogenen Domänen wie Leistung, Macht, Neugier Gefahren durch die Kontrolle von Beziehungen
und Selbstverwirklichung. und Ressourcen sowie das Überwinden von Unge-
wissheit, die wie ein Stachel massiven Stress verur-
sachen kann (Sicherheit z. B. durch sichere Bezie-
4.6.3 Wertestruktur: Synergisten hungen, Harmonie, soziale Ordnung; Macht durch
und Antagonisten Steuern, Ausüben von Kontrolle etc.).
Damit ist der Kreis geschlossen und die Konti-
Auch wenn Schwartz in seiner Theorie zehn Werte- nuität des Motivspektrums begründet. Räumliche
domänen unterscheidet, geht er davon aus, dass die Nähe in der zirkulären Struktur entspricht deshalb
Werte ein Kontinuum miteinander verbundener auch einer stärkeren Ähnlichkeit in Bezug auf die
Motivationen bildet (Schwartz, 2005). Dadurch zugrunde liegende Motivation. Umgekehrt gilt: Je
entsteht die zirkuläre Struktur in . Abb. 4.2. Dies weiter aber Motive auseinander liegen, umso weni-
soll kurz verdeutlicht werden. Einander ähnliche ger kongruent sind sie in Bezug auf ihre Zielrich-
Wertebereiche, wie z. B. Leistung und Macht, liegen tung, wie z. B. Sicherheit und Selbstverwirklichung
nebeneinander: Beiden gemeinsam ist das Streben (. Abb. 4.2). Diese beiden Segmente liegen einan-
nach sozialer Überlegenheit und sozialem Anse- der gegenüber und bilden demnach einen Werte-
hen. Leistung und Hedonismus teilen die motiva- konflikt.
tionale Ausrichtung nach selbstbezogener Befriedi- Weiterführende Untersuchungen ergaben, dass
gung. Den benachbarten Domänen Hedonismus sich die zehn Wertebereiche nochmals zu zwei po-
und Stimulation ist das Begehren nach gefühlsmä- lar angelegten Dimensionen höherer Ordnung zu-
ßig angenehmer Erregung gemein. Neugier und sammenfassen lassen (Schwartz, 1992, 1996). Die-
Selbstverwirklichung teilen die intrinsische Moti- ser Sachverhalt ist bereits in . Abb. 4.2 dargestellt:
vation für Neues und für Kontrolle. Die Verbin- 1. Offenheit für Veränderungen (Selbstverwirk-
dung von Selbstverwirklichung und Universalis- lichung, Anregung) versus Erhalten (Tradition,
mus besteht im Vertrauen auf das eigene Urteil und Konformität, Sicherheit). Diese erste Dimensi-
der Freude über die Vielfalt des Lebens. Universa- on benennt den Konflikt zwischen Werten, die
lismus und Wohlwollen sind sich einig in Bezug auf einerseits die Unabhängigkeit des Denkens,
den auf andere gerichteten Fokus und die Über- Handelns, Fühlens, der Bereitschaft für Verän-
windung selbstbezogener Interessen. Das gemein- derungen betonen und andererseits solchen
same Motiv von Wohlwollen und Tradition besteht Werten, die Selbstbeschränkung, Bewahren der
in der Ergebenheit gegenüber der eigenen Gruppe. Vergangenheit und Widerstand gegen Verän-
Die inhaltliche Nähe von Wohlwollen und Konfor- derungen fordern.
mität besteht darin, dass beide Werthaltungen Ver- 2. Die zweite polare Dimension lautet: Selbst-
haltensweisen präferieren, die nähere Beziehungen bezogenheit (Macht, Leistung, Hedonismus)
ermöglichen und stabilisieren. versus Selbsttranszendenz (Universalismus,
4.6 · Wertetypologie von Schwartz
101 4
Wohlwollen). Sie benennt den Gegensatz zwi- bei dieser Firma geblieben. Hier hat er sein vertrautes
schen Werten, die einerseits die Stärkung und soziales Netzwerk und er kennt die Abläufe. Anderer-
Erweiterung des Selbst sowie auch eigener In- seits würde ihn ein Neuanfang reizen. Es wäre ihm
teressen betreffen, andererseits die Stärkung wichtig, die Anker zu lichten und einen Neuanfang zu
des Wohlergehens und der Interessen anderer. wagen. Mit dieser Absicht thematisiert er einen Anta-
Bestimmte Wertorientierungen passen auf An- gonisten von Sicherheit: Motivationale Ziele der Wer-
hieb zusammen, weil ihre Ziele in die gleiche tedomäne »Selbstverwirklichung«. Seine Überlebens-
Richtung tendieren; wir bezeichnen sie als Sy- strategie erklärt, weshalb der Aufbruch schwierig für
nergisten (z. B. Leistung und Macht). Andere ihn ist. Wie kann ein Aufbruch initiiert werden? Auf-
Wertorientierungen stehen sich aufgrund ihrer grund der besonderen Wichtigkeit muss sein Sicher-
gegensätzlichen Zielsetzungen scheinbar un- heitswert sehr ernst genommen werden, selbst wenn
vereinbar gegenüber; wir bezeichnen sie als er eine berufliche Veränderung erschwert bzw. blo-
Antagonisten (z. B. Macht und Universalis- ckiert. Die Erstarrung beruht jedoch darauf, dass der
mus). Patient in einer Dichotomie gefangen ist: »Entweder
Sicherheit oder Selbstverwirklichung!« Beide Werte-
domänen sind aber wichtig, deshalb lautet die Strate-
4.6.4 Wertestruktur gie: Vom Entweder-oder zum Sowohl-als-auch. Balan-
und psychologische Flexibilität ce kann allmählich entstehen, wenn zunächst etwas
weniger Sicherheit und ein wenig mehr Selbstver-
Zueinander passende Werte, also Synergisten, zu wirklichung realisiert werden. Die Erstarrung konnte
leben kann zu Werteinseitigkeiten führen, wodurch durch Ausprobieren erster Schritte aufgelöst werden:
kurzfristig auch erfreuliche Konsequenzen entste- 4 Sowohl Sicherheit…
hen. Mittel- oder längerfristig können die Personen 4 als auch Selbstverwirklichung…
und ihr System aber darunter leiden. »Mein Ziel, mich beruflich zu verändern, will ich da-
durch verwirklichen, indem ich sowohl meine ge-
Fallbeispiel wohnte Tätigkeit nur in Teilzeit arbeite als auch die so
Antagonisten und Überlebensstrategie: Ein 41-jäh- gewonnene Zeit einer Konzepterarbeitung für das
riger Patient möchte sich selbstständig machen. Im neue berufliche Standbein widme.« »Dies werde ich
Verlaufe mehrerer Jahre hat er im Rahmen zahl- in kleinen Schritten vollziehen, um meiner Angst vor
reicher Projekte sehr viel Expertise in seinem beruf- Veränderung nicht zu erliegen.«
lichen Bereich gesammelt und wickelt die jeweiligen
Anforderungen sehr gewissenhaft und versiert ab. Er Die Beispielsituation ähnelt einer Wippe mit den
fühlt sich aber in dieser Routine gefangen und lang- beiden Polen Sicherheit und Selbstverwirklichung.
weilt sich immer öfter. Eine berufliche Weiterentwick- Der Sicherheitspol ist anfangs so schwer, dass er
lung in der Firma ist aber nur dann für ihn möglich, nach unten weist und dort fixiert ist. Hier wird
wenn er Führungsverantwortung übernehmen wür- weitgehend Werteinseitigkeit gelebt. Durch das
de. Dies kommt für ihn jedoch nicht in Frage und er Hinzudosieren von selbstverwirklichenden Verhal-
überlegt, sich selbstständig zu machen. Seine Über- tensweisen entsteht Bewegung und schließlich
lebensstrategie lautet: mehr und mehr Balance. Der Alltag mit den Her-
4 Nur wenn ich immer perfekte Leistungen erbrin- ausforderungen verschiedenster schwieriger Situa-
ge und in allem für Gewissheit sorge tionen kann nicht von Menschen auf Dauer effizi-
4 und wenn ich niemals meine eigenen Interessen ent bewältigt werden, denen das Gespür für die
zu sehr in den Vordergrund stelle und zu große Notwendigkeit aller vier Pole der Wertestruktur ab-
Risiken eingehe, geht. Das Beispiel zeigt, wie Psychotherapie dabei
4 dann bewahre ich mir Kontrolle und Sicherheit helfen kann, vermiedene Konflikte zwischen Anta-
4 und verhindere Chaos und Untergang gonisten aufzuspüren und eine Balance zwischen
Er gibt an, dass Sicherheit einen für ihn wichtigen den sich anscheinend gegenseitig ausschließenden
Wert darstellen würde. Deshalb sei er auch so lange Wertedomänen herzustellen. Aus Entweder-oder
102 Kapitel 4 · Werte

wird Sowohl-als-auch, und dies löst Wertekonflikte zeugen. Alle vier Bereiche sind offenbar wichtig für
konstruktiv auf. Wir wollen dies noch etwas vertie- Personen wie für kleinere und größere soziale Sys-
fen (vgl. Hauke, 2006d). teme. Jedoch lassen sich die jeweils entgegengesetz-
Sowohl Erhalten als auch Offenheit für Verän- ten Bereiche gerade in Stresssituationen nicht ohne
derungen: Offenheit für Veränderungen schützt weiteres in das Handeln integrieren. Damit ist eine
das Erhaltenswerte. Häufig wird Veränderung von weitere Aufgabe der Arbeit in der SBT definiert:
außen oder durch Leidensdruck geradezu erzwun- Entschärfung von Wertekonflikten, Erarbeiten und
gen. Wer sich hier in allen Bereichen verweigert, Unterstützen des Sowohl-als-auch antagonistischer
4 verursacht empfindliche Schäden im System, schei- Wertedomänen (Hauke, 2004a, b; 2006b). Unsere
tert, wird erst richtig krank oder zerbricht, so dass richtungweisende Kompassnadel hat also wie bei
letztlich gar nichts mehr bleibt. Wer aber für Verän- einem realen Kompass auch zwei »Hälften«. Die ei-
derungen offenbleibt, kann Bedingungen schaffen, ne Hälfte zeigt nach Norden oder nach Westen, die
die das Erhaltenswerte in die veränderte Situation andere nach Süden bzw. nach Osten. Diese Mehr-
mit hinübernimmt. Wandel bringt Turbulenzen poligkeit sorgt für Flexibilität: Im Falle von auftau-
und Ungewissheiten mit sich. Wer sein Leben er- chenden Hindernissen kann wieder ein Stück in
folgreich verändern will, braucht einen Bestand, die alte, vertraute Richtung gegangen werden, bis
auf den er sich in solch belastenden Zeiten zurück- eine Gelegenheit kommt oder genügend Kraft zur
ziehen kann. Hier sind die Abläufe wohltuend be- Verfügung steht, um wieder in die neue Richtung
kannt, hier ist vieles vorhersehbar. Hier ist die Per- zu wechseln. Dabei wird auch deutlich, dass die alte
son im Auge des Sturms, findet sich auf vertrautem Richtung eine Ressource ist, die nur dann ungüns-
Boden wieder, kann auftanken für weitere anstren- tig wirkt, wenn sie übermäßig dosiert wird.
gende Veränderungsprozesse. Die prinzipiell in uns angelegte Möglichkeit,
Ähnliches gilt für die beiden anderen Pole – Gegebenheiten von zwei entgegengesetzten Seiten
sowohl Selbstbezogenheit als auch Selbsttranszen- im Sinne eines »Sowohl-als-auch« zu betrachten,
denz: Selbsttranszendente Ziele fördern selbstbezo- wird von Patienten kaum genutzt. Dieses Fähigkeit
gene Zielsetzungen. Indem Patienten die Perspek- zum dualen Denken und Handeln fördert aber das
tive erweitern, betten sie selbstbezogene Ziele in Meistern schwieriger und neuartiger Situationen
größere Zusammenhänge ein, sorgen so für Reali- (Hauke, 2004c). Die Wertestruktur von Schwartz
tätskontrolle. Am besten machen sie sich auch stark hilft nicht nur, motivationale Ziele einzuordnen,
für die Interessen aller Beteiligten und erhöhen so sondern klärt auch deren Beziehung zueinander,
die Wahrscheinlichkeit für den eigenen Erfolg. Öff- darüber hinaus ergeben sich aus ihrer antagonisti-
ne ich mich für die Interessen anderer Menschen schen Struktur funktional stimmige Interventions-
und zeige für ihre Anliegen Verständnis und Sym- richtungen.
pathie, so werde ich bei ihnen am ehesten Bereit-
schaft oder Sympathie für meine, selbstbezogenen,
Ziele auslösen, deren Verwirklichung sie dann be- 4.7 Ertrag: Grundlegende Strategien
reitwilliger unterstützen. Blockadehaltungen kön- für die therapeutische Praxis III
nen somit aufgelöst werden, soziale Unterstützung
wird wahrscheinlicher. Die ausschließlich selbst- Einstieg in das Wertethema Werte bezeichnen, was
transzendente Person läuft jedoch Gefahr, sich für einen Menschen wertvoll und wichtig ist. Sie
selbst zu verlieren und die Achtung der anderen zu sind immer mit positiven Erfahrungen und posi-
verspielen. Sie vermeidet es, sich zu zeigen und sich tiver Emotionalität verbunden.
zu profilieren. Ihr ständiger Fokus auf andere bringt 4 Interessieren Sie sich gleich zu Beginn der The-
die Gefahr dependenter Beziehungsgestaltung mit rapie für die persönlichen Werte Ihres Pati-
sich. enten. Dies reduziert von vornherein das Ge-
Anhand dieser Betrachtung wird deutlich, dass fühl der Defizitorientierung und dient als
Wertorientierungen, die zueinander in Konflikt Grundlage einer ressourcenorientierten Ar-
stehen, sich geradezu brauchen und Synergien er- beitsweise. Sprechen Sie mit Ihrem Patienten
4.7 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis III
103 4
über Vorbilder, Helden der Kindheit, Bot- 4 Die Bindung an einen persönlichen Wert ver-
schaften der Lieblingsbücher und -filme. Versu- setzt die Person in die Lage, Bedürfnisbefriedi-
chen Sie gemeinsam zu klären, inwieweit solche gung für eine Weile aufzuschieben. Helfen Sie
Vorlagen Keimzellen für wichtige persönliche Ihrem Patienten dabei, sich bewusst zu werden,
Werte sind und waren. Verfügt Ihr Patient über um welches Bedürfnis es sich handelt und wie
ein Bild seiner Zukunft, so lassen sich auch lange er es realistisch aufschieben kann.
daraus Werte extrahieren. Machen Sie Werte 4 Diese innere Verpflichtung zu einer Werthal-
erlebbar, z. B. mit Hilfe einer szenischen Imagi- tung kann dadurch gestärkt werden, dass ein
nation. Wert ausgewählt wird, der zu dem bevorste-
4 Ziehen Sie die Lerngeschichte hinzu: Welche henden Weg emotional passt. Die Werthaltung
Ereignisse waren für die Ausprägung persön- gibt eine Richtung vor. Unterstützen Sie Ihren
licher Werte wichtig. Ermitteln Sie die Qualität Patienten darin, genauer zu bestimmen, welche
dieser Werte. Handelt es sich um übernom- Verhaltensweisen dazu passen und welche
mene oder erarbeitete Werte oder kann sich der nicht.
Patient auf gar keine Werte festlegen. Stellen Sie
gemeinsam heraus, in welchen Situationen per- Werte helfen den Stress zu senken Stress ist meist
sönliche Werte eine tragende Funktion hatten. das Ergebnis großer Bedürftigkeit. In Verbindung
4 Bedenken Sie: In jedem Un-Wert steckt ein mit negativer Emotionalität entsteht ein Fokus, der
Wert. Er ist degeneriert, so etwa, wenn aus sich auf Details einer Situation richtet. Die Person
Sorgfalt Zwanghaftigkeit geworden ist. Den- verzettelt sich leicht und verliert den roten Faden.
noch ist der Wertekern vorhanden. Sensibilisie- Durch Entdecken von Diskrepanzen wird dann der
ren Sie Ihren Patienten für dieses Licht im Stress noch weiter erhöht. Durch die Arbeit mit
Dunkeln. Werten entsteht eine übergeordnete Perspektive,
die das Handeln in ruhigeres Fahrwasser steuern
Werte sind ressourcenreiche Haltungsziele Für den lässt. Regelmäßiger Umgang und Beschäftigung
Erfolg einer Zielrealisierung ist es keineswegs egal, mit persönlichen Werten senkt nicht nur den Stress,
in welcher Haltung diese vollzogen wird, denn Ver- sondern stärkt das Selbst und hilft dabei, für
änderungen sind z. T. mit großen Ängsten und an- problematische Inhalte offen zu bleiben.
deren schwierigen Gefühlen verbunden. 4 Ermutigen Sie Ihren Patienten zu einem Pool
4 Wertorientiertes Handeln hat etwas mit per- persönlicher Werte. Lassen Sie ihn dafür sor-
sönlichem Mut und Selbstachtung zu tun. Sie gen, dass Sie ihm stets durch Bilder, Symbole,
können also durch Erarbeitung einer Werthal- Gegenstände, Musik usw. vergegenwärtigbar
tung Ihren Patienten darin unterstützen, eine sind.
bessere Beziehung zu sich selbst zu gewinnen. 4 Ermuntern Sie ihn dazu, tägliche »Wertminu-
4 Ein Wert kann eine Antwort liefern auf die Fra- ten« einzulegen. Er soll sich dabei so lange wie
ge, »warum« die Person etwas tun sollte. Wert- möglich in irgendeiner Weise mit seinen Wer-
orientierte Arbeit stärkt dadurch den Bezug auf ten beschäftigen, z. B. etwas dazu lesen oder
Säulen des Selbstbildes und damit den Selbst- schreiben, ein inneres Bild einer Werterfahrung
wert. Somit werden emotionale Erfahrungen entstehen lassen usw. Dabei wird auch der
von Freude, Sinnerfüllung und Stolz ermög- Stress gesenkt.
licht. 4 Eröffnen Sie ein schwieriges oder belastendes
4 Wertorientiertes Handeln motiviert dazu, etwas Gespräch mit einem Wertethema oder einer
zu tun, obwohl Ängste und Schwierigkeiten er- Aktivität, die seine Werte vergegenwärtigen
lebt werden. Die Größe der Veränderungs- hilft. Diese den Selbstwert stärkende und stress-
schritte ist nicht so entscheidend. Wirklich senkende Übung hilft dabei, sich für schwierige
wichtig ist dabei die Bindung an den Wert und Themen zu öffnen.
damit die Treue zu sich selbst.
104 Kapitel 4 · Werte

Die Werthaltung bietet einen entlastenden Perspek- 4 Schaffen Sie Gelegenheiten, damit Ihr Patient
tivenwechsel Das Einnehmen einer Werthaltung in kleinen Schritten Erfahrungen mit einer
und das Beschäftigen mit dem Wert, der gerade nicht besetzten Wertedomäne machen kann.
wegweisend sein soll, verändert den Zoom. Details Auch wenn dabei positive Emotionalität ent-
schwieriger Situationen geraten aus dem Blickwin- scheidend ist, so können dabei doch auch Angst
kel; es entsteht eine gewisse Distanz. Man kann den und weitere negative Gefühle entstehen.
Wald vor lauter Bäumen wieder sehen und sich 4 Validieren Sie diese Gefühle ausdrücklich, stel-
selbst wieder ordnen. len Sie aber eine Bearbeitung entsprechender
4 4 Lassen Sie ihn einen geeigneten Wert für einen Auslöser zurück. Unterstützen Sie die achtsame
bestimmten, herausfordernden Änderungspro- Beobachterrolle.
zess auswählen. Fordern Sie ihn in der Stunde 4 Ziel dieser Arbeit ist, dass das Erleben positiver
auf, diese Haltung zu verkörpern. Welche Kör- Emotionalität beim Realisieren von Werten der
perhaltung, welches Motto passt dazu? Bitten jeweiligen Wertedomäne immer häufiger auf-
Sie ihn, aus dieser Haltung die in Frage stehen- tritt.
de problematische Situation anzuschauen. Wie
beurteilt er die Lage jetzt? Wie schätzt er die Die Chance der Wertekonflikte Manchmal ist es
Barriere dabei ein? notwendig, mehrere motivationale Ziele gleichzei-
4 Wahrscheinlich wird er nun wieder in proble- tig zu verwirklichen, z. B. eigene Leistungen zu prä-
matische Details der Situation hineingeraten sentieren und Führung zu übernehmen. Von der
und erneut Stress erleben. Lassen Sie ihn nun Ausrichtung und damit auch vom Rollenverständ-
die Distanzierung spüren, wenn er durch Sie nis her handelt es sich um ähnliche Ziele. Probleme
veranlasst wird, erneut ganz bewusst seine entstehen dann, wenn einander entgegengesetzte
Werthaltung einzunehmen. Ziele verwirklicht werden sollen, z. B. wenn jemand
4 Lassen Sie ihn nun mehrmals hin- und her- ein hohes Maß an Sicherheit für sich beansprucht,
wechseln und den Unterschied spüren. Zwecks sich aber gleichzeitig beruflich ganz neu orientie-
Deutlichkeit können Sie das auch räumlich ver- ren will. Solche Domänen liegen auf der Werte-
ankern. Etablieren Sie nun das Ganze auch als scheibe einander gegenüber.
situative Bewältigungsstrategie. 4 Das Konfliktszenario stellen Sie am besten an-
schaulich mit dem Bild einer Wippe oder einer
Psychologische Flexibilität, Wertedomänen und Balkenwaage dar. Die antagonistischen Werte-
motivationale Ziele Patienten kommen mit ihrem domänen sind auf die jeweiligen Seiten verteilt.
Leben oder auch mit bestimmten Veränderungs- Bestimmen Sie nun, welche Erfahrungen es
schritten nicht zurecht, weil sie bestimmte motiva- schon gibt, und verteilen Sie diese auf entspre-
tionale Ziele, die durch Werte repräsentiert werden, chende Domänen, wobei auch negative Erfah-
noch nicht kennen oder schlicht vermeiden, wie rungen zählen. Entscheidend ist, dass eine be-
z. B. Macht, Genuss usw. Im Idealfalle verfügen stimmte Wertedomäne schon einmal »betre-
Menschen über Erfahrungen und Ziele, die mehr ten« wurde.
oder weniger jede Domänen der Wertescheibe 4 Klären Sie miteinander, dass es hier nicht um
repräsentieren. Dabei gilt: je mehr verschiedene ein Entweder-oder, sondern vielmehr um ein
Motivationsrichtungen, umso flexibler kann die Sowohl-als-auch gehen muss. Die Wippe bzw.
Person reagieren. die Balkenwaage muss im Gleichgewicht sein,
4 Betrachten Sie daraufhin den Wertepool Ihres also horizontal stehen. Bilanzieren Sie nun, in
Patienten. Versuchen Sie gemeinsam zu klären, welchen Bereichen demzufolge noch Erfah-
welche motivationalen Richtungen ausreichend rungen gesucht bzw. gestärkt werden müssen.
vertreten sind und welche ausgespart wurden. Möglicherweise müssen manche motivationale
Erarbeiten Sie miteinander, welche Werthal- Ausrichtungen auch etwas abgeschwächt wer-
tungen für bestimmte Veränderungsprojekte den, z. B. weniger Sicherheit im obigen Bei-
unabdingbar notwendig sind, und klären Sie, spiel.
weshalb sie im gegenwärtigen Pool fehlen.
4.7 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis III
105 4
4 Ziehen Sie die emotionale Überlebensstrategie
des Patienten heran und finden Sie gemeinsam
heraus, weshalb es meist zu einem Entweder-
oder kommt. Benennen Sie nun gemeinsam
Felder, auf denen der Patient erste kleine Erfah-
rungen machen kann. Hilfreich ist dabei auch
ein schriftliches Bilanzieren. Es sollte dann klar
sein, was getan werden muss, damit die Wippe
horizontal stehen, also ein Gleichgewicht ent-
stehen kann.
107 5

Embodiment

5.1 Denken, Fühlen, Handeln:


Sicht der aktuellen Kognitionswissenschaften – 108

5.2 Körperbezogenes Handeln, Kognition und Emotion – 109


5.2.1 Am Anfang war der Körper: Seine Bedeutung
bei der kognitiven Entwicklung – 109
5.2.2 Aktivität mit dem Körper beeinflusst psychische Funktionen – 110

5.3 Kognition und Simulation – 115


5.3.1 Neue Sicht: Die modale Architektur von Kognition – 115
5.3.2 Die kalte Schulter: Modalität und Metaphern – 117
5.3.3 Neurale Simulation und Emotion – 122
5.3.4 Kognition und Emotion in der kognitiven Verhaltenstherapie – 122
5.3.5 Imagination und Simulation – 123

5.4 Ertrag: Grundlegende Strategien


für die therapeutische Praxis IV – 124

G. Hauke, Strategisch Behaviorale Therapie (SBT),


DOI 10.1007/978-3-642-29730-4_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
108 Kapitel 5 · Embodiment

Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, 5.1 Denken, Fühlen, Handeln:
steht ein mächtiger Gebieter, ein unbekannter Weiser Sicht der aktuellen
– der heißt Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Kognitionswissenschaften
Leib ist er. (Friedrich Nietzsche)
Viele Jahrzehnte folgte die kognitive Psychologie
Strategisch Behaviorale Therapie (SBT) bezeichnet ausschließlich einer Sichtweise, die sich stark an
sich als eine kognitive Verhaltenstherapie. Kogni- der sog. Computermetapher orientierte. Nach die-
tive Verhaltenstherapie kann heutzutage auf eine ser Vorstellung werden kognitive Funktionen ganz
erweiterte Sicht von Kognition zurückgreifen. Da- analog zur Arbeitsweise eines Computers konzi-
nach sind kognitive Funktionen wie z. B. das Den- piert, der mit Hilfe bestimmter Rechenvorschriften
ken, Erkennen, Interpretieren und Bewerten stark abstrakte Symbole manipuliert. Wissenschaftler,
5 auf den Körper angewiesen. Diese Bedeutung des die der Denkweise des Embodiment verpflichtet
Körpers hat man lange unterschätzt. So zeigen z. B. sind, beklagen, dass diese klassische Sicht mentale
Haltungen und Bewegungen schon einen deut- Funktionen größtenteils von der Arbeitsweise des
lichen Einfluss auf psychische Funktionen. Un- Körpers abkoppelt. Der Körper würde hier ledig-
scheinbare körperliche Aktivitäten versetzen die lich zu einer Art von Ausgabe-Einheit für Hand-
Psyche offenbar schon in einen Zustand, der sich lungsanleitungen degradiert werden, die durch
deutlich in Messungen motivationaler und emotio- Verrechnung abstrakter Symbole in der zentralen
naler Variablen niederschlägt. Solche Befunde sind Verrechnungseinheit entstanden sei.
für verhaltensaktivierende Maßnahmen in der The- Theoretiker des Embodiment hingegen setzen
rapie, wie z. B. Selbstsicherheitsübungen und Rol- stärker auf die Bedeutung des Körpers, um kogni-
lenspiele, von größter Bedeutung. Mit Hilfe des tive Prozesse zu erklären. Wissenschaftler, die sich
Körpers lassen sich sogar spezifische Emotionen, mit künstlicher Intelligenz und Robotik befassen,
wie z. B. Trauer und Wut auslösen. Man muss sich sind mit der klassischen Sichtweise offenbar schon
dazu nicht einmal in eine entsprechende Vorstel- seit den 1980-iger Jahren an die Grenzen eines
lung hineinversetzen. Das willkürliche Herstellen sinnvoll begründbaren Rechenaufwandes gesto-
von Atemmustern, Mimik und Körperhaltung ßen. Ein wesentliches Ziel der Forschungen zur
reicht zu diesem Zweck schon aus. künstlichen Intelligenz ist es, menschliche Intelli-
Das Verstehen von Gefühlen und anderen Zu- genz sozusagen durch »Nachbauen« besser zu ver-
sammenhängen ist eng mit der Sensomotorik ver- stehen. Dabei wurde immer deutlicher, dass Men-
bunden. Dies lässt sich auch auf den verbalen Aus- schen keine informationsverarbeitenden Maschi-
tausch beziehen, der ja in der Psychotherapie eine nen sind und dass Intelligenz nicht auf bestimmte
große Rolle spielt. Zahlreiche Befunde der Embo- Algorithmen und Symbolverarbeitungsprozesse re-
dimentforschung legen nahe, dass das Verstehen duziert werden kann. Stattdessen braucht Intelli-
von Sprache aufgrund einer mentalen Simulation genz einen Körper (Pfeifer & Bongard, 2007). So
des Gehörten passiert. Bildgebende Verfahren be- argumentiert auch der Psychotherapieforscher
legen, dass dabei sensomotorische Areale im Ge- Tschacher (2006). Er kennzeichnet Embodiment
hirn aktiviert werden. Es sind die gleichen Bereiche, ebenfalls als Voraussetzung von »intelligenter Kog-
die beim Handeln oder beim unmittelbaren Erle- nition«, wonach Kognition durch Körperzustände
ben aktiviert werden. Bemerkenswert ist, dass of- und Gefühle embodied sowie durch die Umwelt si-
fenbar auch abstrakte Konzepte, wie z. B. soziale tuiert sind. Embodied bedeute dabei, dass Kogni-
Wärme oder Moral, mit Hilfe der sensomotorischen tion in ständiger Wechselwirkung mit dem Zustand
Programme verarbeitet werden. Dabei konnte ge- des Körpers (Körperausdruck, -haltung, -span-
zeigt werden, dass einfache körpernahe Handlun- nung, Affekte sind ebenfalls wesentlich Körper-
gen, wie z. B. eine bestimmte Bewegung, solche zustände) stehen. Sie sind darin eingebettet. Die
Verstehensprozesse unterstützen können. Solche Sichtweise einer »eingekörperten« (= embodied)
Belege ermutigen dazu, den Körper gezielter in der Kognition wird inzwischen auch von anderen Wis-
verhaltenstherapeutischen Praxis einzubinden. senschaftsdisziplinen vertreten, z. B. Linguistik,
5.2 · Körperbezogenes Handeln, Kognition und Emotion
109 5
kognitive Neurowissenschaften, Philosophie usw. dierten schon früh dafür, dass man neben den
Überall wird deutlich, dass der Körper für die Er- Kognitionen auch die Bedeutung des Körpers für
klärung kognitiver Aktivitäten aufgewertet wird. Prozesse der Selbstregulation studieren solle. Ris-
Wie wird der Beitrag des Körpers in der psy- kind und Gotay (1982) vertraten die damals unge-
chologisch akzentuierten Forschung konzipiert? wöhnliche Sicht, dass z. B. die Haltung des eigenen
Wenn wir vom Beitrag des Körpers sprechen, so Körpers ein wesentlicher Stimulus sei, der neben
muss zunächst geklärt werden, was mit »Körper« in anderen das emotionale Erleben beeinflusst.
der Embodimentforschung gemeint sein soll. Die
Auffassung, dass der Körper für das mentale Leben Repräsentation mit Hilfe körperbezogener Codes
entscheidend ist, wird etwas trivial, wenn man das Um die Bedeutung eines Konzeptes wie z. B. »Er-
Gehirn hier hinzuzählt. Einfach deswegen, weil das greifen« zu verstehen, muss man in der Lage sein,
Gehirn Sitz der meisten, wenn nicht aller mentalen sich vorzustellen, wie man selbst oder jemand an-
Ereignisse ist. Deshalb definieren Goldman & Vig- ders ein Objekt ergreift. Neurowissenschaftler
nemont (2009) den Einflussfaktor Körper in der konnten zeigen, dass z. B. das Ergreifen eines Glases
Embodimentforschung als gesamter Körper minus genau die gleichen funktionellen Bereiche im Ge-
Gehirn. Wie lassen sich die verschiedenen Beiträge hirn aktiviert, wie bei einer Person die sich diesen
des Körpers verstehen? Vorgang nur vorstellt (Gallese & Lakoff, 2005). Sich
Goldman & Vignemont (2009) thematisieren etwas vorzustellen ist wie das Durchführen einer
drei Bereiche: (1) die Anatomie des Körpers, (2) die Simulation mit Hilfe des Körpers: Visuelle Aspekte
Aktivität des Körpers und (3) Repräsentationen der Vorstellung bedienen sich zum Teil des gleichen
mit Hilfe körperbezogener Codes. neuralen Substrates wie beim Sehen. Motorische
Aspekte der Vorstellung aktivieren Teile des glei-
Anatomie des Körpers Die Ausstattung und Gestalt chen neuralen Substrates, das für eine motorische
unseres Körpers legt die Art und Weise unserer Er- Handlung benötigt wird usw. Visueller und moto-
fahrungen fest. Dies leuchtet sofort ein, wenn wir rischer Modus sind Beispiele für körperbezogene
uns vorstellen, wir würden anstelle unserer Augen Codes bzw. Modi. Weitere Beispiele sind affektive,
über das Echolotsystem der Fledermaus verfügen. somatosensorische und interozeptive Codes.
Wir würden die Welt völlig anders wahrnehmen als
durch unsere Augen. Wie würde unsere Welt aus-
sehen, wenn wir in die Gestalt eines Frosches 5.2 Körperbezogenes Handeln,
schlüpfen könnten? Allein der Körper – unabhän- Kognition und Emotion
gig vom Gehirn gedacht – beeinflusst die Art un-
serer Wahrnehmungen. Zwar lohnt es sich, solche Schon als Säuglinge beginnen wir uns aktiv die
Zusammenhänge nicht zu vergessen, dennoch Welt zu erschließen. Dabei ist der Körper Sensor
würden Vertreter des klassischen Kognitivismus und Vehikel. Dies scheint der natürliche Ausgangs-
damit noch nicht in Widerspruch zu ihrer Sicht- punkt zu sein für den Grundgedanken, der die For-
weise geraten. Dieser Aspekt soll hier deshalb nicht schung zur »embodied cognition« kennzeichnet:
weiter verfolgt werden. Intelligente Kognition ist ohne den Körper nicht
denkbar. Darüber hinaus zeigt der Körper bedeut-
Aktivität des Körpers Hiermit ist gemeint, dass Ak- same Einflüsse auf die Selbstregulation.
tivitäten die mit dem Körper ausgeführt werden,
z. B. eine Körperhaltung einnehmen, einen Ge-
sichtsausdruck einstellen, eine wichtige Rolle bei 5.2.1 Am Anfang war der Körper:
kognitiven Prozessen spielt. Ein prominentes Bei- Seine Bedeutung
spiel hierzu ist das sog. Gesichtsfeedback (Strack et bei der kognitiven Entwicklung
al., 1988). Danach beeinflusst die Aktivität der Ge-
sichtsmuskulatur die Stimmung bzw. die erlebte Aktivitäten, die mit dem Körper ausgeführt wer-
Emotion. Pioniere dieser Forschungsrichtung plä- den, spielen eine wichtige Rolle bei kognitiven Pro-
110 Kapitel 5 · Embodiment

zessen. Diese Embodimentperspektive ist in der 5.2.2 Aktivität mit dem Körper
Entwicklungspsychologie von jeher wesentlich. beeinflusst psychische
Wahrnehmung und Bewegung, Kognition und Funktionen
Handeln bilden auch schon beim Neugeborenen
eine Einheit (Rauh, 2002). Der junge Organismus Annäherungs- und Vermeidungsbewegungen Vom
nimmt seine Umgebung mittels seiner Körperbe- Beginn unserer Entwicklung an spielt der Einsatz
wegungen wahr. Augen-, Kopf- und Rumpfbewe- des Körpers eine wesentliche Rolle, um die Umge-
gungen aber ebenso Hände, Füße und Finger die- bung zu erkunden und kognitive Konzepte zu ent-
nen dabei als Sensoren. Dabei werden auch moto- wickeln. Dieser Konstruktionsprozess braucht den
rische Handlungen verfeinert. Neue Fertigkeiten, Körper. Buchstäblich vermittelt der Körper das Er-
wie z. B. das Sitzen, lösen auch eine Vielzahl neuer fassen und Begreifen. Spielt er auch eine dezidierte
5 kognitiver Erfahrungen aus. Allmählich muss er Rolle bei Motivation und Emotion. Muss man
lernen, seine Bewegungen zu steuern sowie ein- neben den zentralnervösen kognitiven Prozessen
fache Handlungen auszuführen und er entwickelt auch das periphere Feedback, das z. B. durch Kör-
dabei ein Verständnis für die eigenen motorischen perhaltungen erzeugt wird, mitberücksichtigen,
und perzeptiven Fähigkeiten. um etwa Prozesse motivationaler und emotionaler
Handlungen mit dem Körper helfen dem klei- Art vollständig zu verstehen?
nen Kind nicht nur, die eigene Wirkung, sondern Schon früh in unserer Entwicklung lehnen wir
auch die Umwelt immer besser zu erfassen. Diese uns nach vorne, wenn wir etwas begehren, wenn
Vorgänge konnten genauer untersucht werden mit wir etwas haben wollen. Ist das umgekehrt auch
Babys, die drei Wochen alt waren (Thelen & Smith, möglich? Erzeugen wir in uns Begehren, wenn wir
1994). Ihre Entwicklung wurde über ein Jahr lang uns nach vorne lehnen? Vermag also allein diese
beobachtet. Jedes der Kinder musste in ganz eige- Körperbewegung neurale Strukturen zu aktivieren,
ner Weise mit seinen Energien und dem Körperge- die mit Verlangen und Begehren in Zusammen-
wicht umgehen und ganz unterschiedliche Strate- hang stehen? Sich nach vorne zu lehnen ist sinnfäl-
gien entwickeln, um z. B. die Armbewegungen zu liger Ausdruck einer Form der Annäherungsmoti-
kontrollieren, damit es ein bestimmtes Spielzeug vation. Annäherungsmotivation energetisiert und
ergreifen konnte. Die Kinder werden dabei als ak- richtet das Verhalten auf positiv empfundene Sti-
tive Löser von Bewegungsproblemen beschrieben. muli aus und sollte deshalb eine stärkere Aktivie-
Aus dieser Sicht kann die Entwicklung motorischer rung des linken frontalen Kortex auslösen (Har-
Fertigkeiten als Abfolge von Problemlöseprozessen mon-Jones et al., 2011). Ein Teil der Versuchsper-
angesehen werden. Diese Strategien unterschieden sonen musste sich zurücklehnen und betrachtete
sich aber auch je nach Hindernis, mit dem sie um- dargebotene Bilder von appetitlichen Desserts und
zugehen hatten. neutralen Objekten, wie z. B. Steinen. Desserts und
Die Autorinnen gehen davon aus, dass von neutrale Objekte unterschieden sich dabei nicht in
vornherein kein Greifprogramm existiert. Für den ihrer Wirkung als aktivierende Stimuli. Versuchs-
Embodimentgedanken ist die Schlussfolgerung personen, die sich jedoch nach vorne lehnten,
wichtig, dass die jeweiligen Lösungen durch Ein- zeigten eine deutlich erhöhte Aktivierung bei Dar-
satz des Körpers in unmittelbarem Kontakt zur bietung der leckeren Desserts, nicht jedoch ange-
vorliegenden Situation entwickelt werden mussten. sichts der neutralen Objekte. Körperhaltungen
Sie kommen zu dem Schluss, dass das Denken aus können also so manipuliert werden, dass die Annä-
dem Handeln mit dem Körper entsteht. Das Stu- herungsmotivation von vornherein erhöht oder
dium der Greifentwicklung ist exemplarisch und erniedrigt ist.
dient als Modell kognitiver Entwicklung (Rauh, Die schon erwähnte Untersuchung von Riskind
2002). Schon für Piaget verlief diese Entwicklung und Gotay (1982), in der Versuchspersonen eine
»vom Greifen zum Begreifen« (Piaget, 1989). gekrümmte Haltung einzunehmen hatten und dar-
aufhin mehr hilfloses Verhalten zeigten, passt zu
5.2 · Körperbezogenes Handeln, Kognition und Emotion
111 5
diesem Befund. Das Beugen der Arme ist meist kelgruppen kann Einstellungen, Vorlieben und Ab-
stärker verbunden mit dem Haben-Wollen oder neigungen beeinflussen. In ähnlicher Weise wurde
Konsumieren irgendeines begehrten Gutes. Da die der Einfluss der Motorik auf die Bewertung der
Bewegung auf den eigenen Körper hin gerichtet ist, FDP untersucht (Förster & Werth, 2001). Während
ist sie ebenfalls mit einer Annäherungsmotivation der Betrachtung einer fünfminütigen Sequenz aus
verbunden. Hand- oder Armbewegungen, die vom einer politischen Fernsehdokumentation über die
eigenen Körper wegführen, z. B. führt eine Stoßbe- FDP sollten die Teilnehmer entweder den Arm von
wegung zur Vergrößerung der Distanz, können als sich strecken (= Vermeidungstendenz), ihn beugen
Vermeidungsverhalten interpretiert werden (Neu- (= Annäherungstendenz) oder ihn in den Schoß
mann & Strack, 2000). Will man dies genauer un- legen (Kontrollgruppe). Die Auswirkung dieser
tersuchen, dann muss sichergestellt werden, dass motorischen Handlungen auf die Urteile erwies
tatsächlich nur die entsprechende Körperbewegung sich als eindrucksvoll. Die Ergebnisse zeigen, dass
als unabhängige Variable wirksam wird. Dazu wer- Teilnehmer unter solchermaßen induziertem An-
den einfache verhaltensbezogene Aufgaben konzi- näherungsverhalten (Armbeugung) die FDP als
piert, um eine annäherungs- bzw. vermeidungsbe- sympathischer beurteilen und sie für kompetenter
zogene Körperbewegung zu initiieren. Werden die halten als Teilnehmer, die auf motorischem Wege
Hände auf der Tischplatte positioniert, so aktiviert Vermeidungsverhalten bei sich induzierten
dies den Streckmuskel, was einer Vermeidungsin- (Armstreckung). Darüber hinaus gaben Probanden
tention entspricht. Drückt man hingegen unter die mit Annäherungsverhalten eine höhere Wahl-
Tischplatte, so wird der Beugemuskel aktiviert, was prognose für die FDP ab als solche mit Vermei-
eine Annäherungsmotivation verkörpert. dungsverhalten.
Weiterhin werden Hebel auf den Körper zu- Förster hat Befunde dieser Art mit seinen Un-
bzw. von ihm wegbewegt. Auch die Bewegung des tersuchungen noch erweitert (Förster, 2004). Er
ganzen Körpers wurde als Annäherungs- bzw. Ver- konnte zeigen, dass auch Einschätzungen unge-
meidungsvariable eingesetzt. Dabei müssen aber wöhnlicher Einstellungsobjekte durch entspre-
Selbstwahrnehmungen und entsprechende Schluss- chende Armbewegungen beeinflusst werden. Hier
folgerungen ausgeschlossen werden, wie z. B. »Ich wurden Stimuli präsentiert, die von vornherein bei
fühle mich gut, beuge daher meinen Arm, muss al- den meisten Urteilern positive bzw. negative Emp-
so das Objekt mögen«. Damit das Denken der Ver- findungen auslösen. In diesem Sinne dienten Rin-
suchspersonen gar nicht erst in eine entsprechende derlunge und unattraktive Fremde dabei als negati-
Richtung geht, werden sie mit geeigneten Cover- ve Stimuli, Schokoriegel und attraktive Fremde als
stories in den Versuchsaufbau eingeführt. So wurde positive Stimuli. Unter dieser Bedingung wurde ein
das Einnehmen bestimmter Körperhaltungen mit interessanter, differenzieller Effekt sichtbar. Damit
der Überprüfung ergonomischer Tauglichkeit von die Armhaltungen einen nachweisbaren Effekt zei-
Sitzgelegenheiten, Kopfbewegungen mit dem Tes- gen, müssen sie mit der Valenz, also der empfunde-
ten des Tragekomforts von Kopfhörern, mehr bzw. nen Positivität oder Negativität des Zielobjekts,
weniger aufgerichtete Körperhaltung mit der Über- kongruent sein. Das heißt, die Armbeugebewegung
prüfung der Güte von Messdaten begründet etc. (= Annäherung) bewirkt eine günstigere Bewer-
In dieser Weise zeigten Cacioppo et al. (1993) tung des positiven Stimulus. In ähnlicher Weise
dass das Armbeugen (= Annäherungstendenz) und wirkte sich das Armstrecken (= Vermeidung) aus:
das Armstrecken (= Vermeidungstendenz) unter- Negativ besetzte Objekte werden negativer beur-
schiedliche Effekte auf Einstellungen und Bewer- teilt. Diese Passung zwischen der Valenz eines zu
tungen einer kognitiven Aufgabe hatten. So wurden bewertenden Objektes und der Annäherungs- bzw.
z. B. chinesische Schriftzeichen in ihrer Wirkung Vermeidungsbewegung wird als Kongruenzprinzip
unter der Bedingung des Armbeugens positiver be- bezeichnet. Dies konnte auch in einer etwas anders
urteilt als unter der Bedingung des Armstreckens. angelegten Versuchsanordnung belegt werden.
Das ausschließliche Bewegen entsprechender Mus- Armbeuger und Armstrecker wurden gebeten, ei-
112 Kapitel 5 · Embodiment

nen frisch gepressten Orangensaft zu trinken. Er- denz) (Wells & Petty, 1980). Diese Modi der Kopf-
wartungsgemäß konsumierten die Armbeuger ein bewegung wurden auch in einem Experiment ver-
größeres Maß an schmackhaftem Orangensaft als wendet, indem es um die Akzeptanz strenger Vor-
die Armstrecker. Bot man jedoch beiden Gruppen schriften ging. Vertikale Kopfbewegungen führten
lediglich neutrales Wasser an, so zeigte sich keiner- zu größerer Akzeptanz solcher Vorschriften als ho-
lei Effekt. rizontale Bewegungen (Brinol & Petty, 2003).
Vermeidungs- bzw. Annäherungsbewegungen
mit dem Körper haben offenbar auch eine Auswir- jHaltungen des Körpers
kung auf den kognitiven Stil. Versuchspersonen Ein ebenso interessanter Bereich ist das Studium
mit Vermeidungsmotorik machten bei Problem- der Körperhaltungen. Die Bedeutung der Körper-
löseaufgaben deutlich mehr Fehler als jene mit An- haltung für unsere Psyche spiegelt sich schon in
5 näherungsmotorik oder neutraler Haltung (Riis & unserer Alltagssprache wider, so etwa wenn wir da-
Schwarz, 2003). Schon früher konnte belegt wer- von sprechen, »geknickt« zu sein, einen »Stand-
den, dass die Vermeidungsmotorik den Modus der punkt« zu vertreten oder eine »Haltung« zu zeigen.
analytischen Verarbeitung fördert, wobei die Auf- Der Körper wird im Raum positioniert, ist oft auch
merksamkeit auf Details gelenkt wird. Dabei be- für andere sichtbar und dient als soziales Signal.
steht die Gefahr, dass sich Probanden leicht in Ne- Dieser Aspekt soll hier nicht besprochen werden.
bensächlichkeiten verlieren und mit den Rahmen- Stattdessen interessiert hier die Frage, wie sich die
bedingungen der Aufgabenstellung in Konflikt ge- Körperhaltung auf die Person, die sie selbst ein-
raten. Annäherungsmotorik fördert hingegen eine nimmt, auswirkt. Führt also z. B. eine körperliche
großzügigere, »skizzenhafte«, fast schon kreative Darstellung von Autorität und Macht tatsächlich
Arbeitsweise, die nicht so detailorientiert ist, aber dazu, dass sich eine Person auch »mächtiger« fühlt?
eher das Ganze im Auge behält. Hier wurden ver- Ist also eine entsprechende Motorik tatsächlich da-
gleichsweise nicht so viele Fehler registriert. Ne- zu in der Lage, dass psychophysiologische System
benbei wird damit auch gezeigt, dass eine solche so zu beeinflussen, dass eine Person in der Lage ist,
Arbeitsweise einer detailfreudigeren nicht immer sich dann von innen heraus mächtiger zu fühlen?
unterlegen sein muss (Friedman & Förster, 2000). Dieser spannenden Frage gingen Carney et al.
Andererseits kann eine Vermeidungsmotorik ange- (2010) nach. Wenn also die Motorik dies tatsäch-
sichts psychisch sehr aversiver Bedingungen auch lich leisten kann, dann müssten bekannte empi-
unterstützend sein. Es konnte gezeigt werden, dass rische Indikatoren von Macht dies belegen können.
in solchen Fällen das Ausführen einer vermei- Personen in der machtorientierten Körperhaltung
denden Körperbewegung (z. B. Arme strecken) de- sollten demnach also ein deutliches Gefühl von
finitiv kognitive Ressourcen zu mobilisieren ver- Macht verspüren und messbare Ausprägungen von
mag (Koch et al., 2008). Risikobereitschaft zeigen. Auf der neuroendokri-
Wenn wir lächeln, sind wir eher dazu in der La- nologischen Ebene sollte sich dies durch einen An-
ge, Glücksgefühle zu entwickeln, als wenn unser stieg des Testosteronspiegels und einer Absenkung
Gesicht erstarrt ist. Wenn wir etwa mit unserem des Cortisolspiegels zeigen. Ein erhöhtes Testoste-
Kopf Nickbewegungen ausführen, dann tendieren ronniveau steht für Selbstbehauptung und stärkt
wir dazu, Dinge positiver zu beurteilen, als wenn Dominanz. Das Niveau steigt z. B. bei Siegern eines
wir den Kopf schütteln. In einer ebenfalls schon Wettbewerbs an und sinkt nach einer Niederlage.
klassischen Studie wurden Versuchspersonen dazu Das Hormon Cortisol ist ebenfalls mit dem Macht-
veranlasst, Nickbewegungen mit dem Kopf auszu- thema verbunden. Personen, die sich mächtig füh-
führen (= Annäherungstendenz), während sie ei- len, zeigen von vornherein ein niedriges Cortisol-
ner Nachricht mit großer Überzeugungskraft niveau, das sich bei Stress auch nur langsam erhöht
zuhörten. Sie äußerten eine deutlich günstigere und sich schließlich rasch absenkt, wenn die
Einstellung gegenüber den Vorschlägen, als dieje- Machtbilanz nach einer Herausforderung wieder
nigen Versuchspersonen, die dazu veranlasst wa- als stimmig empfunden wird. Dagegen zeigen Per-
ren, den Kopf zu schütteln (= Vermeidungsten- sonen, die sich eher machtlos fühlen, meist einen
5.2 · Körperbezogenes Handeln, Kognition und Emotion
113 5
chronisch erhöhten Cortisolspiegel. Die Körper-
haltungen wurden aufgrund von Befunden im Be-
reich nonverbaler Kommunikation ausgewählt. Ein
Versuchsleiter unterstützte dabei, die Körperhal-
tungen einzustellen (. Abb. 5.1).
Natürlich durften die Versuchspersonen nicht
ahnen, worum es bei dem Experiment wirklich
geht, das zunächst als eine rein messtechnische Un-
tersuchung dargestellt wurde. So wurden zunächst
EKG-Anschlüsse an zwei verschiedenen Stellen des
Körpers platziert. Als Untersuchungsanlass wurde
angegeben, dass man an der Messgenauigkeit in
Abhängigkeit von der Stellung des Körpers interes-
siert sei. Jede Haltung wurde für eine Minute reali-
siert. Danach wurde die Risikobereitschaft mit Hil-
fe eines Glücksspiels gemessen. Das subjektive
Machtgefühl wurde anhand einer Skala bestimmt.
Die Ergebnisse waren überzeugend. Personen,
die die machtassoziierten Körperhaltungen einge-
nommen hatten, zeigten – im Gegensatz zu der we-
nig machtassoziierten Gruppe – das vorhergesagte
Profil: Erhöhung des Dominanzhormons Testoste- . Abb. 5.1 Beispiel für eine machtvolle Haltung: raumgrei-
ron, Reduktion des Stresshormons Cortisol und fend mit offenen Extremitäten
Zunahme der Risikobereitschaft sowie des subjek-
tiven Gefühls von Macht. Dieses Ergebnis ist übri- auf die eigenen Überzeugungen aus und stärkt das
gens für beide Geschlechter gültig. Das einfache Selbstwertgefühl. Überraschend war, dass es dabei
Einnehmen einer Körperhaltung kann also eine keine Rolle spielte, ob die eigenen Gedanken posi-
Kaskade an psychophysiologischen Veränderungen tiv oder negativ waren.
herbeiführen und Personen relativ schnell in einen
Zustand bringen, der z. B. das Anpacken eines Ver- jKönnen mit Hilfe des Körpers Emotionen
änderungsprojekts motiviert und einen günstige- hergestellt werden?
ren Umgang mit Stress vermittelt. Wenn wir im Wald einen Bären auf uns zukommen
Ein weiteres Experiment verdeutlicht den Ein- sehen, dann bekommen wir Angst, unser Herz rast,
fluss der Körperhaltung auf die Informationsverar- wir zittern und laufen davon. Dies beschreibt die
beitung. So konnten Stepper & Strack (1993) zei- übliche Alltagsauffassung: Unser Herz rast, wir zit-
gen, dass das Einnehmen einer aufrechten Körper- tern und laufen davon, weil wir Angst haben. Wil-
haltung wesentlich das Gefühl persönlichen Stolzes liam James kehrte diese Beziehung um und be-
erhöht, wenn Versuchspersonen positives Feedback hauptete, dass die körperlichen Veränderungen den
entgegennehmen. Andererseits wirkt das positive Emotionen vorangehen: Wir haben Angst, weil un-
Feedback nicht so positiv, wenn dies in gekrümmter ser Herz schlägt, wir zittern und laufen davon. Aus
Haltung entgegengenommen wird. Vor diesem dieser Perspektive entstehen Emotionen durch das
Hintergrund sind auch die Befunde von Brinol et Wahrnehmen viszeraler Prozesse und durch das
al. (2009) gut nachvollziehbar. Hier stellte sich her- Empfinden spezifischer physiologischer Erregungs-
aus, dass aufrecht sitzende Personen auch den eige- muster in der Peripherie: Die Wahrnehmung des
nen Behauptungen und Werturteilen mehr Glau- Bären führt zu Veränderungen in peripheren Or-
ben schenken, als wenn sie gekrümmt dasitzen. ganen und in Teilen des autonomen Nervensys-
Offenbar wirkt sich die Haltung beim Sitzen auf die tems. Diese Veränderungen werden an das Gehirn
Einstellung sich selbst gegenüber und überhaupt zurückgemeldet. Die Wahrnehmung dieser Rück-
114 Kapitel 5 · Embodiment

meldung führt zur Empfindung einer bestimmten gekraft wurde diese Studie inzwischen schon mehr-
Emotion (nach Wehr & Bräutigam, 1999). fach repliziert (z. B. Soussignan, 2002).
Eine neuere Version der James-Lange-Theorie Bisher sprachen wir lediglich von einem Ein-
geht davon aus, dass das Herstellen einer passenden fluss auf das emotionale Erleben durch Manipula-
Mimik auch zum Erleben des entsprechenden Ge- tion der Gesichtsmuskulatur. Ließe sich vielleicht
fühls führt. Emotionsspezifische Gesichtsausdrü- das volle emotionale Schema auslösen, wenn man
cke sind intensiv untersucht worden und die Ver- zusätzliche Parameter integriert? In den 1970er
mutung lag nahe, dass eine Manipulation des Ge- Jahren gab es intensive Bemühungen, verschiedene
sichtsausdrucks auch das entsprechende Gefühl Emotionen mit Hilfe von physiologischen Reak-
erleben lässt (Ekman et al., 1983). Leitet man also tionsmustern zu klassifizieren. Der Arbeitsgruppe
eine Person an, zu lächeln, indem man sie die um Susana Bloch gelang es damals, sechs grundle-
5 Mundwinkel heben und die Augenlidmuskeln gende Emotionen mit Hilfe von Atemmustern,
leicht anregen lässt, dann sollte sie Freude empfin- Körperhaltung und Gesichtsausdruck zu charak-
den. Diese inzwischen auch popularisierte Vorstel- terisieren: Freude-Lachen, Traurigkeit-Weinen,
lung ist wohl zu einfach, aber man kann zumindest Furcht-Angst, Ärger, erotische Liebe und Zärtlich-
von einer Beeinflussung einer entstehenden Emo- keit (Bloch & Santibanez, 1972; Santibanez &
tion sprechen. Wehr und Bräutigam (1999) berich- Bloch, 1986). Die Autoren zeichneten die Atembe-
ten über Metaanalysen, in denen von der Gesamt- wegungen, Muskelaktivität, Puls, Blutdruck, Kör-
varianz lediglich 12% auf die Vermittlung durch perausdruck und subjektives Erleben auf. Zuvor
den Gesichtsausdruck entfallen. Insgesamt scheint wurde eine Gruppe von Versuchspersonen in Hyp-
es deshalb günstiger von einer Modulationshypo- nose versetzt und in das Erleben intensiver emotio-
these auszugehen. Die Bedeutung der Gesichts- naler Situationen geführt. Eine weitere Versuchs-
muskulatur konnte in der bereits klassischen Studie gruppe bestand aus Schauspielschülern, die gebeten
von Strack et al. (1988) deutlicher herausgearbeitet wurden, sich in erlebte, emotional aufgeladene, Le-
werden, wobei Versuchspersonen nicht selbst ihre bensereignisse hineinzuversetzen. Aus den aufge-
Gesichtsmuskulatur einstellen, sondern wo dies zeichneten komplexen viszero-muskulären Reak-
von außen manipuliert wird. So mussten sie einen tionen, wurde jene ausgewählt, die sich besonders
Stift mit den Lippen halten, wodurch die zum klar durch die Veränderungen von Atembewe-
Lächeln benötigten Muskelgruppen gehemmt gungen, Gesichtsausdruck und Körperhaltung her-
werden. Wird der Stift aber mit den Zähnen gehal- ausheben. Die resultierenden prototypischen Kon-
ten, so wird ein Lächeln stimuliert. Selbstverständ- figurationen dieser drei Merkmale, die ja prinzipiell
lich wurde der Versuch wieder mit einer guten auch unter willkürlicher Kontrolle stehen, werden
Coverstory eingeleitet, sodass niemand die tatsäch- als emotionale Effektormuster bezeichnet.
lichen Untersuchungsabsichten durchschauen Nun war die Möglichkeit geboren, durch präzi-
konnte. se Ausführung körperlicher Handlungen, also
Wenn also das Feedback der Gesichtsmuskula- durch Einstellen des Atemrhythmus und der Kör-
tur wirklich das emotionale Erleben beeinflusst, so perhaltung, sowie durch Herstellen des Gesichts-
sollten präsentierte Cartoons unter den »Lippenbe- ausdrucks, eine bestimmte Zielemotion zu erzeu-
dingungen« als weniger lustig empfunden werden gen (Bloch et al., 1987; Bloch, 1989). Offenbar spielt
als unter den »Zahnbedingungen«. Dies konnte tat- der Atem eine führende Rolle bei der Aktivierung
sächlich bestätigt werden. In einem ergänzenden des emotionalen Schemas. Die Plausibilität dieser
Experiment ergab sich sogar ein entsprechender Annahme ergibt sich schon aus der Alltagserfah-
Effekt ohne Vorlage des Stimulusmaterials. Die Au- rung. Jeder der in Angst, Wut, sexuelle Erregung
toren folgerten daraus, dass allein schon die Wahr- oder Weinen gerät, kann nicht nur eine deutliche
nehmung einer körperlichen Veränderung zu einer Veränderung seines Atemmusters erleben, sondern
Veränderung im emotionalen Erleben führt, womit darüber hinaus auch noch weitere unterscheidende
sie ganz auf der Linie der Sichtweise von James lie- Merkmale darin feststellen. Deshalb erhoffte man
gen. Wegen ihrer enormen Bedeutung und Aussa- sich noch klarere Einsichten durch eine Quantifi-
5.3 · Kognition und Simulation
115 5
zierung der jeweiligen Atemparameter (Bloch et al., beginnt dort mit der Reizaufnahme, die sich im
1991). Hier konnten emotionsspezifisch wichtige Gehirn als modale Zustände des visuellen, audito-
Unterschiede erfasst werden. Die Auswertung der rischen, motorischen, somatosensorischen, moti-
Daten zeigte darüber hinaus stets eine zeitliche vationalen und affektiven usw. Systems abbildet,
Entwicklung, die mit einer mechanischen, fast ro- d. h., es werden messbare neuronale Erregungs-
boterhaften Phase beginnt. Nach einiger Zeit ist je- muster erzeugt. Diese Zustände repräsentieren sen-
doch das vollständige Effektormuster zu sehen und somotorische Informationen über wahrgenom-
das subjektive Gefühl wird immer deutlicher erlebt. mene Vertreter einer bestimmten Kategorie, wobei
In dieser Phase ist dann das vollständige emotio- ein Teil dieser Informationen zu einer bewussten
nale Schema aktiviert. Erfahrung führt (z. B. ein Braunbär im Zoo ist ein
Susana Bloch hat die Anleitungen zur Emo- bestimmter Vertreter der Kategorie Bär). Wenn für
tionsinduktion systematisiert, didaktisch aufberei- die Kategorie (hier Bär) Zustände in allen rele-
tet, und ein Trainingsprogramm entwickelt, dass vanten modalen Systemen vorliegen, werden nach
unter dem Titel »AlbaEmoting« insbesondere der klassischen Vorstellung in anderen Bereichen
Schauspielern die Arbeit mit authentischen Emoti- des Gehirns amodale Symbole, die für den konzep-
onen nahe bringen soll (Bloch, 2006). In der wis- tuellen Inhalt dieser Zustände stehen, übermittelt,
senschaftlichen Psychologie gibt es keinen ver- um das Wissen über die Kategorie zu repräsentie-
gleichbar ausgearbeiteten Ansatz. Vielmehr scheint ren (braun, Tatzen, brüllen usw.).
der Versuch, insbesondere mit Hilfe des Atems Oft stehen Worte oder wortähnliche sublingu-
Emotionen zu induzieren, mehr oder weniger zum istische Zeichen für die übermittelten amodalen
Stillstand gekommen zu sein (vgl. Boiten et al., Symbole, z. B. Tatzen (Barsalou, 2005). Damit ist
1994; Philippot et al., 2002). Ausführlicher werden der Input gewissermaßen seiner modularen, d. h.
wir diese Methodik im Interventionsteil (▶ Kap. 7) akustischen, visuellen, taktilen, propriozeptiven
beschreiben. Spezifika entkleidet, funktional von seinem senso-
rischen Ursprung abgetrennt und in eine abstrakte
»Sprache des Denkens« übersetzt, die nun freilich
5.3 Kognition und Simulation amodal ist. Kognitive Konzepte sind abstrakte Ab-
bilder einer Erfahrung und nun symbolisch reprä-
Die klassische Sicht von Kognition orientierte sich sentiert. Denkprozesse konnten somit auf das Ver-
sehr stark an der Vorstellung, dass die menschliche rechnen von Symbolen reduziert werden. Die jetzt
Informationsverarbeitung mit der Arbeitsweise etablierten amodalen Symbole repräsentieren nun
eines Computers vergleichbar sei. Spuren davon das Wissen, das für weitere kognitive Aufgaben be-
finden sich auch in den kognitiven Ansätzen der nötigt wird, wie z. B. Entscheiden, Problemlösen
Verhaltenstherapie, die z. B. davon ausgeht, dass usw. Prozesse dieses kognitiven Systems werden,
dysfunktionale Kognitionen kurzerhand durch ad- ganz im Sinne einer Computermetapher, als Mani-
äquatere Kognitionen ausgetauscht werden kön- pulation abstrakter Symbole mit Hilfe formaler
nen. Dabei handelt es sich um eine zu schlichte syntaktischer Verarbeitungsregeln konzipiert (Fo-
Machbarkeitsannahme. dor, 1981). In der beschriebenen Abfolge sind die
modalen Zustände nun irrelevant geworden. Kog-
nitive Prozesse spielen sich im Reich der amodalen
5.3.1 Neue Sicht: Die modale Symbole ab, die somatosensorische Basis der Er-
Architektur von Kognition fahrung ist damit verlassen und entkoppelt. In die-
sem Zusammenhang wurde oft die Computerme-
Die neue Sicht von Kognition ist nicht nur eine er- tapher mit ihrer Hard- und Software bemüht.
weiterte. Schließlich verbindet sie das Denken mit Diese Sichtweise muss neueren Erkenntnissen
dem Körper. Um das Besondere der neuen Kon- zufolge, die stark durch neurobiologische Befunde
zeption zu verstehen, beginnen wir mit einer kurzen beeinflusst sind, radikal verändert werden. Danach
Rekapitulation des klassischen Ansatzes. Kognition ist konzeptionelles Wissen »eingekörpert« bzw.
116 Kapitel 5 · Embodiment

»embodied«. Es wird mit Hilfe unseres sensomoto- momentanen Situation ausgerichtet und welche
rischen Systems entwickelt und abgebildet. Unser Information für die Person gerade relevant ist.
konzeptuelles System ist in unserem perzeptiven Demnach ist Kognition nicht nur »embodied«,
und motorischen System verankert, nutzt dieses sondern auch »situiert« (Barsalou, 1999, 2009). Das
auf neuralem Wege und wird in entscheidender Konzept »Bär« besteht aus vielen verschiedenen
Weise von ihm geformt. Jedes Verstehen, das wir Erfahrungen mit dem Bären: Der Bär, den man bei
über die Welt, uns und andere entwickeln können, einem Zoobesuch während eines Sommertages mit
kann somit nur in Konzepten gerinnen, die durch der Familie erlebt, ist ein anderer, als jener beim
unsere Körper geformt werden. Wie kann man sich Zoobesuch mit einer Freundin im Winter. Dies al-
dies vorstellen? Die Reizvorlage wird ebenfalls mo- les unterscheidet sich auch von dem Bären in einer
dalitätsspezifisch abgebildet, aber eben nicht – wie Jagdgeschichte oder in einem Film, den man zu-
5 vom klassischen Ansatz postuliert – amodal umge- sammen mit der Familie anschaut usw. Dies alles
wandelt (Clark,1996; Glenberg, 1997; Smith & Se- sind Konzeptualisierungen des Bären. Bei all die-
min, 2004). Stattdessen kommt es zu einer multi- sen verschiedenen Gelegenheiten erfassen und
modalen Darstellung der Erfahrung durch assozia- speichern Assoziationsareale im Gehirn Aktivie-
tive Aktivierungsmuster. Diese sind über ausge- rungsmuster aus verschiedenen sensomotorischen
dehnte neuronale Netzwerke verteilt, d. h. die Sin- Arealen. Alle Modalitäten, visuell, akustisch, hap-
neserfahrung bleibt teilweise präsent. tisch, interozeptiv etc. bleiben dabei erhalten. Da-
Derart perzeptiv verankertes Wissen, durch ein bei handelt es sich aber nicht um eine Sammlung
multimodales Netzwerk repräsentiert, steht nun holistischer Bilder wie von einer Kamera, einem
für nachfolgende kognitive Verarbeitungsprozesse Videorecorder oder Fotoapparat. Wird nun die
zur Verfügung. Das neuronale Netzwerk jener mul- gleiche oder eine ähnliche Situation erlebt, dann
timodalen Repräsentation der Erfahrung ist noch werden diese Assoziationsareale wieder aktiv und
mit den einzelnen modalen Zuständen der ur- stellen die entsprechend aktivierten Modalitäten
sprünglichen Erfahrung vernetzt. Höre ich z. B. le- wieder zur Verfügung. Der körperbezogene Code
diglich das Wort Bär oder denke ich nur darüber dieser Erfahrung wird also reaktiviert.
nach, so werden die modalen Zustände reaktiviert, Dies wird als situierte Konzeptualisierung be-
die für diese Kategorie erfahren wurden (Nie- zeichnet. In situierten Konzeptualisierungen wer-
denthal, 2007; Winkielman et al., 2008). Diese den vier grundlegende Komponenten simuliert:
neurale Reaktivierung simuliert die modalen Zu- (1) Wahrnehmungen bzgl. relevanter Personen und
stände so, als wenn man tatsächlich einem Vertre- Objekte, (2) die Handlung (3) Gedanken und Ge-
ter der Kategorie »Bär« begegnen würde. fühle und (4) passende Umgebungsbedingungen.
Aus dieser Perspektive braucht die konzeptuelle Dabei entsteht eine lebendige Erfahrung, die dies
Leistung einen physikalisch mit der Umwelt inter- alles vergegenwärtigt (Barsalou, 2005). Begegnet
agierenden Körper, der die notwendige sensorische man einem vertrauten Beispiel wieder, dann wird
und motorische Verarbeitung bereits vollzogen hat eine damit assoziierte und bereits etablierte situier-
und diese gewissermaßen als körperbezogenen te Konzeptualisierung aktiviert bzw. simuliert. Die
Code für die weitere Verarbeitung bereit hält. Die Passung mit der aktuellen Situation kann dabei
Wiederherstellung der Erfahrung wird sinniger- u. U. lückenhaft sein, so dass im Zuge einer Mus-
weise als »Simulation« bezeichnet, da die entspre- tervervollständigung Schlussfolgerungen ausgelöst
chende Hirnaktivität die vormalige Erfahrung werden. Diese Schlussfolgerungen können über die
tatsächlich simuliert. Entscheidend ist nun, dass vorliegende Simulation hinausgehen und dabei
die Reaktivierung bruchstückhaft und skizzenhaft auch Verhaltensweisen und Gefühle auslösen (Bar-
bleiben und gewissermaßen »online« der aktuellen salou, 2005).
Situation modalitätsspezifische Informationen ent- Ein interessantes Beispiel dazu ist eine Priming-
nehmen kann (z. B. beim Erzählen einer Episode). Studie von Bargh et al. (1996). Hier mussten Ver-
Der genaue Inhalt des reaktivierten Materials hängt suchspersonen Items zum Altersstereotyp bzw. ein
davon ab, wie die selektive Aufmerksamkeit in der neutrales Thema bearbeiten. Diejenigen, die zuvor
5.3 · Kognition und Simulation
117 5
auf das Altersstereotyp geprimt worden waren, etc. Gleichzeitig wäre dies ein Beleg für den moda-
benötigten signifikant mehr Zeit, um nach angeb- len Charakter des Konzeptes »soziale Wärme«. Die
licher Beendigung des Experiments einen be- Bedeutung dieser Modalität ist insofern nicht über-
stimmten Weg vom Versuchsraum zu einem ande- raschend, da kleine Kinder die soziale Wärme als
ren Ort zurückzulegen. Die situierte Konzeptuali- buchstäbliche (physikalische) Wärme des Mutter-
sierung älterer Menschen führt zu einer Simulation körpers erfahren haben.
langsamer Bewegungen, die auch tatsächlich aus- in einer Studie mussten Versuchspersonen für
geführt wird. eine Weile einen Becher mit heißem, andere einen
Becher mit Eiskaffee in der Hand halten. Dann soll-
ten sie die Beschreibung einer Person lesen und
5.3.2 Die kalte Schulter: Modalität diese auf verschiedenen Dimensionen einschätzen,
und Metaphern wobei sich einige dieser Merkmale auf soziale Wär-
me bezogen. Wie erwartet zeigten diejenigen, die
Wie erklärt die Embodimentperspektive das Ver- den heißen Kaffee gehalten hatten, signifikant er-
stehen von Konzepten wie Moral oder Bedeutung? höhte Beurteilungen auf den Dimensionen der
Solchen abstrakten Konzepten fehlt doch in der Re- sozialen Wärme, nicht aber auf den anderen
gel die unmittelbare sensorische und motorische Dimensionen. Wenn Versuchspersonen einen war-
Erfahrbarkeit. Was also bringt Menschen dazu, ihre men Gegenstand halten, so wählen 54% von ihnen
zwischenmenschlichen Beziehungen mit Begriffen für einen Freund ein Geschenk aus, wohingegen
wie »Eng« und »Warm« oder »Kalt« und »Distan- dies nur 25% der Versuchspersonen tun, die zuvor
ziert« zu beschreiben? Weshalb sprechen Menschen einen kalten Gegenstand gehalten haben. Die ex-
von einem »gewichtigen Argument«? Warum be- perimentelle Herstellung sozialer Isolation erbrach-
zeichnen sie manche Verhaltensweisen in Zusam- te Ähnliches: Entsprechende Versuchspersonen
menhang mit moralischen Verfehlungen als schätzten die Raumtemperatur signifikant nied-
»schmutzig«? riger ein oder bestellten häufiger heißen Kaffee und
Die Linguisten Lakoff und Johnson (1999) sind heiße Suppen (Zhong & Leonardelli, 2008). Me-
der Auffassung, dass auch abstrakte Konzepte auf taphorische Umschreibungen solcher Situationen
der Basis konkreter körperbezogener Erfahrungen als kühle Atmosphäre bzw. warme Atmosphäre
entwickelt und verstanden werden. Kann das bis- haben also eine sensomotorische Erfahrungs-
her vertretene modalitätsspezifische Embodiment- grundlage.
paradigma also auch für abstraktere Konzepte, wie
z. B. soziale Wärme, Moral usw., empirisch belegt Physikalische Distanz = Emotionale Distanz Ver-
werden? Wenn das zutrifft, dann müsste es einen suchspersonen mussten im Rahmen einer Priming-
Zusammenhang geben zwischen den über ver- prozedur Punktepaare größerer Nähe bzw. größe-
schiedene Modalitäten perzipierten physikalischen rer Distanz in ein kartesisches Koordinatenkreuz
Qualitäten, wie z. B. Abstand, Temperatur, Ge- eintragen (physikalische Distanz). Das Distanzpri-
wicht, Sauberkeit usw. ming erzeugte (1) größere Schadenfreude ange-
sichts eines beschämenden Berichts in einem Me-
Physikalische Wärme = soziale Wärme? Die Embo- dium, (2) weniger emotionalen Stress angesichts
dimentthese in der Sozialpsychologie benennt kör- eines Berichts über gewalttätige Ereignisse, (3) Be-
perliche Zustände als wesentliche Einflussfaktoren richte über schwächere emotionale Bindungen an
für unser Interagieren mit anderen Menschen. den Heimatort und an die Familienmitglieder so-
Beindruckende Studien (Williams & Bargh, 2008; wie (4) eine geringere Einschätzung der Kalorien-
IJzerman & Semin, 2009) demonstrierten dies in menge bei ungesunden Nahrungsmitteln (= Re-
überzeugender Weise. Die Autoren testeten die Hy- duktion der Sensitivität für affektgeladene Aspekte
pothese, dass physikalische Wärme metaphorisch des Stimulus). Auch wird hier der modale Charak-
ausgedehnt werden kann auf Merkmale sozialer ter von Abstand deutlich. Insbesondere wird deut-
Wärme, wie z. B. Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft lich, dass die simulierte Erfahrung physikalischen
118 Kapitel 5 · Embodiment

Abstandes dem Empfinden psychologischer Dis- diese zu beschreiben. Anschließend wählten sie als
tanz zugrunde liegt (Williams & Bargh, 2008). Belohnung eher ein antiseptisches Tuch anstelle
eines Stiftes. Schuld wird in der Alltagssprache me-
Haptische Eindrücke formen soziale Urteile Phy- taphorisch mit »Beschmutzen« oder »Beflecken« in
sische Berührung kann grundlegend sein für das Zusammenhang gebracht (z. B. »eine reine Weste
Anstoßen intrapersonellen und interpersonellen haben«). Abstrakte Gedanken über Moral sind in
konzeptuellen und metaphorischen Wissens als konkreten Erfahrungen physischer Reinheit veran-
auch Quelle für die Anwendung dieses Wissens kert. Die Alltagssprache verfügt über entsprechende
sein. So lässt das Halten schwerer Objekte die Be- Metaphern in Hinblick auf den Körperteil, der bei
werber für einen Job bedeutsamer erscheinen, raue einem unmoralischen Akt beteiligt ist (z. B. schmut-
Objekte ließen bestimmte soziale Interaktionen ziger Mund, schmutzige Hand). Damit ist gewisser-
5 schwieriger erscheinen, harte Objekte vergrößerten maßen das abstrakte Konzept Moral »verkörpert«.
die Rigidität bei Verhandlungen. Somit konnte ge- Diese Modalität konnte in einer Untersuchung
zeigt werden, dass grundlegende taktile Eindrücke bestätigt werden (Lee & Schwarz, 2010). Versuchs-
anspruchsvollere sozialkognitive Verarbeitungs- personen, die eine Lüge auf dem Anrufbeantworter
prozesse in dimensionsspezifischer aber auch me- hinterlassen hatten, zeigten danach einen stärkeren
taphernspezifischer Weise beeinflusst (Ackerman Wunsch nach Mundreinigung, jedoch nicht nach
et al., 2010). Metaphern von sanft und hart werden Reinigung der Hände. Wurde die gleiche Lüge per
oft verwendet, um weibliche bzw. männliche Kate- E-Mail übermittelt, so steigerte dies das Bedürfnis
gorien darzustellen. Propriozeptive Informationen, nach Reinigung, jedoch nicht nach Reinigung des
die durch das Anfassen eines weichen bzw. harten Mundes. Die Wirkung einer »Waschung« ist be-
Balls vermittelt wurden, zeigten einen deutlichen achtlich. Nachdem Versuchspersonen sich an einen
Effekt. Geschlechtlich nicht eindeutige Gesichter Verstoß gegen die Moral erinnert hatten, bekamen
waren als weiblich bzw. männlich zu kategorisie- sie die Gelegenheit, ihre Hände zu reinigen. Es
ren, wobei der jeweilige Ball klar die Zuordnungs- konnte gezeigt werden, dass dieser Akt der Reini-
tendenz zum weiblichen (= Halten des weichen gung nicht nur moralbezogene Emotionen wie
Balls) bzw. zum männlichen Stereotyp (= Halten Schuld oder Bedauern reduziert, sondern auch
des harten Balls) erhöhte (Slepian et al., 2011). deutlich die Bereitschaft zu prosozialem Verhalten,
z. B. ehrenamtlichen Leistungen, herabsetzt (Zhong
Physikalisches Gewicht = Wichtigkeit? Wir bezeich- & Liljenquist, 2006).
nen bedeutsame Angelegenheiten und komplizierte Die Farben Schwarz und Weiß werden alltags-
Themen als »schwerwiegend«. Dies zeigte sich sprachlich als Metaphern für Verwerflichkeit bzw.
buchstäblich in einer Studie, in der Freiwillige mit moralische Reinheit verwendet (z. B. »schwarze
einem schwereren Klemmbrett bestimmten Mei- Schafe«). In einem Stroop-Test reagierten Ver-
nungen und einer ausländischen Währung mehr suchspersonen schneller auf Worte in schwarzen
Wert beimaßen als jene Versuchspersonen, die ein Buchstaben, wenn sie mit amoralischem Inhalt as-
leichtes Klemmbrett für die Aufzeichnung verwen- soziiert waren (z. B. Gier), als wenn sie mit mora-
deten (Jostmann, Lakens, & Schubert, 2009). lischem Inhalt assoziiert waren (z. B. rechtschaf-
fen). Eine nachfolgende Studie zeigte auch, dass je-
Sauberkeit und die Farbe der Moral Unser Selbst- ne Teilnehmer, die den moralischen Stroop-Effekt
bild kann erschüttert werden, wenn wir dazu ver- gezeigt hatten, auch stärker Reinigungs- und Des-
anlasst werden, bewusst über eine moralische Ver- infektionsprodukte (z. B. Lysol) gegenüber solchen
fehlung in unserer Vergangenheit nachzudenken. Produkten bevorzugten, die nichts mit Reinigung
Entwickeln Menschen daraufhin das sprichwört- zu tun haben (z. B. Notizblöcke) (Sherman & Clo-
liche Bedürfnis, sich wieder »reinzuwaschen«? Die- re, 2009). Ähnliche Effekte fand man für positive
se Hypothese konnte bestätigt werden (Zhong & (weiß) und negative Worte (schwarz) (Meier, Ro-
Liljenquist, 2006). Versuchspersonen wurden gebe- binson & Clore, 2004). Die Umkehrung traf auch
ten, sich an eine unmoralische Tat zu erinnern und zu: Wenn negative Worte in weißen Buchstaben
5.3 · Kognition und Simulation
119 5
präsentiert wurden, dann wurden sie weniger Erfahrungen mittels des sensomotorischen Systems
schnell erkannt, als wenn sie – von der perzeptiven simuliert. Bildet sich eine mentale Zeitreise auch
Symbolik her erwartungsgemäß stimmig – in irgendwie über Bewegungen unserer Körper ab? In
schwarzen Buchstaben präsentiert wurden. In en- einer Studie wurden Versuchspersonen mit einem
ger Verbindung mit dem Thema Moral stehen die Bewegungssensor verbunden. Es stellte sich heraus,
perzeptiven Symbole hell und dunkel. So zeigte dass das Nachdenken über persönliche Episoden
sich, dass eine gute, helle Beleuchtung die beste der Vergangenheit die Probanden nach rückwärts
Polizei ist. So erhöhte geringere Ausleuchtung eines einschwenken lassen und das Nachdenken über die
Raumes betrügerische und besonders eigennützige Zukunft zu vorwärts gerichteten Bewegungen im
Tendenzen (Zhong, Bohns & Gino, 2010). Raum führte (Miles et al., 2010).

Vorwärts und rückwärts Wir wertschätzen voraus- Oben und unten Wenn jemand über Macht verfügt,
schauende Denker oder wir sprechen auch von Vi- dann ist er »oben«, zu einer Person, die man be-
sionären, die ihrer Zeit voraus sind. Sie sind uns wundert, schaut man auf. Diese räumliche Meta-
deshalb voraus, weil sie Grenzen und Tabus bre- pher in Bezug auf oben und unten kann automa-
chen, weil sie mutiger sind. Dies ist eine räumliche tisch Prozesse der räumlichen Wahrnehmung akti-
Metapher: Vorausschauende Menschen sind weiter vieren und wird tatsächlich mit Hilfe dieses Modus
vorn, der Rest der Menschheit weiter hinten. Ist es simuliert. So ordnen Versuchspersonen jenen Men-
immer schlecht, hinten zu sein? Wir bewegen uns schen mehr Status und Macht zu, wenn sie räum-
nur nach vorne – auch im übertragenen Sinne –, lich erhöht präsentiert werden. Ebenso werden
wenn wir uns ausreichend sicher fühlen. Schon ein auch Gruppen mit mehr Status als solche schneller
geringer Gefahrenhinweis lässt uns inne halten und erkannt, wenn sie höher positioniert waren (Schu-
uns zurückbewegen. bert, 2005).
Das kann durchaus vernünftig sein. Während
der Evolution wurden solche Vorwärts- und Rück- Konzeptuelle Metaphern und Sprachbilder Die an-
wärtsbewegungen mit entsprechenden Emotionen geführten Beispiele machen deutlich, wie sehr sich
gekoppelt. Heute geht man davon aus, dass Körper- Menschen auf ihre körperbezogenen Erfahrungen
bewegungen, die direkteste und valideste Form des stützen, um ihre Realität zu konstruieren und zu
Annäherungs- und Vermeidungsverhaltens reprä- verstehen. Metaphern sind ein integraler Teil des
sentieren (Koch et al., 2008). In der Tätigkeit des konzeptuellen Systems, das Menschen nutzen, um
Rückwärtsgehens steckt offenbar ein tiefer psycho- abstrakte Konzepte wie Liebe, Macht oder Morali-
logischer Sinn. Die Arbeitsgruppe um Severine tät zu verstehen und zum Ausdruck zu bringen.
Koch von der Universität Nijmegen konnte mit »Ich bin ganz down!« ist ein solches typisches
Hilfe von Stroop-Tests zeigen, dass Rückwärtsbe- Sprachbild. Solche Metaphern werden oft verwen-
wegungen mit dem ganzen Körper einen beeindru- det, um die alltägliche Kommunikation schnell auf
ckenden Gewinn an kognitiver Kapazität vermit- den Punkt zu bringen und zu erleichtern (Gibbs,
teln im Vergleich zu Vorwärts- oder Seitwärtsbe- 2006). Lakoff & Johnson (1999) sprechen sogar von
wegungen (Koch et al., 2009). Es scheint also, dass einer metaphorischen Repräsentationsperspektive.
wir durch unsere Gehirne belohnt werden, wenn Da wir zwei Beine haben und aufrecht in einem
wir in schwierigen Situationen erst einmal einen Gravitationsfeld stehen, erfahren wir Vertikalität
Schritt zurückgehen, um vielleicht darüber erst und insbesondere eine Oben- und Unten-Orientie-
einmal nachzudenken. rung. Da bestimmte Qualitäten (z. B. Rauigkeit,
Schärfe, Weichheit, Kühle, Bewegtheit etc.) konti-
Reise durch die Zeit Das Beispiel der vorwärtsge- nuierlich in ihrer Intensität variieren, gibt es einen
richteten Visionäre deutete schon den Zusammen- Skalarvektor in unserer Welt. Wir sind Ansatz-
hang zwischen zeitlichen und räumlichen Meta- punkt für Kräfte, die uns bewegen, unseren körper-
phern an (Zukunft = vorne, Vergangenheit = hin- lichen Zustand verändern, unsere Handlungen ein-
ten). Gemäß Embodimentthese werden unsere schränken.
120 Kapitel 5 · Embodiment

Diese Sicht ist Ausgangspunkt, um zu verste- Wahrnehmungen und Verhalten des Körpers
hen, wie es zum Begreifen abstrakter Konzepte im Raum verbinden uns mit unserer Umwelt. Da-
kommt. Wichtige Qualitäten erfahren wir über un- bei entstehen häufig wiederkehrende Erfahrungs-
sere Sinne, z. B. dass Schnee kalt und feucht ist. muster (z. B. sich nach hinten bewegen, Rauigkeit
Konzeptuelle Metaphern ermöglichen es uns nun, ertasten), deren Gesamtheit wir als Quelldomänen
mit komplexen Situationen umzugehen und dabei bezeichnet hatten. Sie sind in der Sprache der Si-
Wissen von relativ konkreten (Quellen-)Domänen mulationstheorie als gut etablierte situierte Kon-
(z. B. Temperatur) zu nutzen und dabei davon ver- zeptualisierungen anzusehen, die freilich simuliert
schiedene, gewöhnlich abstraktere (Ziel-)Konzepte werden können und damit die Basis bilden für das
(z. B. positive Atmosphäre, Willkommensein) zu Verständnis eines abstrakten Konzepts wie z. B.
verstehen. Quellenkonzepte repräsentieren grund- Macht.
5 legende körperbasierte Interaktionen mit der phy- Der Zugang zum Erleben eines solchen Kon-
sikalischen und sozialen Umwelt, z. B. etwas abtas- zepts passiert selten wirklich wirkungsvoll, indem
ten, sich nach vorne, hinten oder oben und unten man nur darüber spricht. Das Thema kann jedoch
bewegen. vom semantischen in den physikalischen Raum
Im Gegensatz dazu bezeichnen Zielkonzepte transferiert werden. Ein Stuhl kann in einer be-
abstraktere Inhalte, die wesentlich schwieriger zu stimmten Situation einen vertikalen Abstand her-
greifen sind. Die sehr konkreten und greifbaren stellen helfen. Der Patient steht vor dem Stuhl oder
Quellkonzepte helfen dabei, das Abstraktum einzu- auf dem Stuhl, begreift und erlebt mit eindrucks-
fangen und in einem Sprachbild darzustellen. Er- voller Intensität die Statusunterschiede. Dieses
fahrungen einfacher kausaler Beziehungen und Vorgehen greift das Sprachbild von Macht auf
Zusammenhänge können integriert werden. Je- (oben/unten), stellt die psychologische Bedeutung
mand, der für eine Person mächtig und attraktiv ist, physikalisch nach und unterstützt auf diese Weise
ist »oben«. Dies impliziert unmittelbar eine Bezie- die Simulation des abstrakten Konzepts Macht. Es
hung zwischen oben und unten. Das Wasser fließt sind nicht nur die Positionierungen des Körpers,
auch von oben nach unten. Der Schutzspender die das Verstehen einer konzeptuellen Metapher
(oben, groß) gewährt Geborgenheit und Schutz, fördern.
die unten empfangen wird (klein). Solche einfachen Es sind auch passende Bewegungen, die regel-
Vorgänge vermitteln eine veränderte Aufmerksam- recht das Erleben eines Konzeptes induzieren und
keitslenkung und damit eine greifbarere und kon- damit sein Verstehen fördern können. Das Verste-
kreter erlebbare Vorstellung abstrakter Konzepte. hen von Metaphern wird tatsächlich durch pas-
Auf das Beispiel bezogen könnte es sich dabei um sende Bewegungen des Körpers gefördert (Wil-
Konzepte wie Abhängigkeit und Unterordnung son & Gibbs, 2007). So konnten Versuchsteilneh-
handeln. mer, die vorher entsprechende Körperbewegungen
Machen Sie ein Experiment. Wenn Sie mit ei- (z. B. Mund öffnen, Kinn heben, dann Mund schlie-
ner Patientin über deren Beziehung zu einer Kolle- ßen und schlucken, wobei der Kopf zurückbewegt
gin sprechen, so können Sie sie folgendermaßen wird) durchgeführt hatten, anschließend schneller
instruieren: »Malen Sie zwei vertikale Striche, ei- bestimmte metaphorische Ausdrücke verstehen,
nen für sich selbst und einen für Ihre Kollegin. Wie wie z. B. die Metapher »den Stolz herunterschlu-
groß empfinden Sie sich in der Situation?« Auf die- cken« (Wilson & Gibbs, 2007). Verglichen wurde
se Weise werden Zielkonzepte (z. B. Macht, Ohn- dabei mit Erkennungsleistungen von Versuchsper-
macht, Unterordnung) in den physikalischen Raum sonen, die vorher überhaupt keine oder eine mit
transferiert und damit schnell begreifbar und inter- der Metapher unverträgliche Bewegung (z. B. Kau-
pretierbar. Für die Therapie hilfreiche Quell- und bewegungen) ausgeführt hatten. Ein weiteres Be-
Zielkonzepte sind in . Abb. 5.2 und . Tab. 5.1 dar- wegungsspiel ist das Ausstrecken eines Armes mit
gestellt. Beides wurde unter Zuhilfenahme eines nach oben geöffneter Hand, wobei die Finger wie
Überblicksartikels von Landau et al. (2010) er- beim Greifen in der Luft bewegt werden. Proban-
stellt. den, die diese Bewegung vorher schon einmal
5.3 · Kognition und Simulation
121 5
Machtvoll, psychisch groß
große Attraktivität
Oben: Göttlichkeit, Heiligkeit
positive Stimmung
hohe Qualität
Gutes
hohe Moral

Position
Patient

Hinten:
Machtlos, psychisch klein Vergangenheit
geringe Attraktivität
Unwürdiges
Unten: negative Stimmung Vorne:
geringe Qualität Zukunft
Schlechtes
niedrige Moral

geringer Abstand, nahe: Erfolg, positive Erinnerungen, Intimität


großer Abstand, entfernt: Misserfolg, negative Erinnerungen, emotionale Distanz
Große Ausdehnung in alle Richtungen, Expansion: mehr Selbstverwirklichung, mehr Selbstausdruck
Geringe Ausdehnung in alle Richtungen, Schrumpfung: geringere Selbstverwirklichung bis hin zu
unsichtbar

. Abb. 5.2 Physikalische Raumpositionen und ihre psychologische Bedeutung. Adaptiert nach Landau et al. (2010)

. Tab. 5.1 Sinnlich wahrnehmbare physikalische Qualitäten und ihre psychologische Bedeutung. Adaptiert nach
Landau et al. (2010)

Sinnlich wahrnehmbare physikalische Qualitäten Psychologische Bedeutung

Temperatur Warm: Positive Atmosphäre, freundlich, willkommen sein


Kalt: Negative Atmosphäre, unfreundlich, sozialer Ausschluss

Gewicht Leicht: geringe soziale Bedeutung, schwaches Argument


Schwer: hohe soziale Bedeutung, starkes Argument

Materialbeschaffenheit Eben: leichtgängig, unkompliziert


Rau: widerspenstig, konflikthaft, sperrig
Weich: plastisch, weiblich
Hart: rigide, männlich

Farbe Hell: positive affektive Bewertung, hohe Moral


Dunkel: negative affektive Bewertung, geringe Moral

Ordnung, Schmutz Sauber: hohe Moral


Unsauber: geringe Moral
122 Kapitel 5 · Embodiment

praktiziert hatten, erkannten das Konzept »eine ursächlich dafür verantwortlich, dass solche Kon-
Idee erfassen« auch wieder schneller als jene, die zepte erkannt und verstanden werden (Niedenthal
gar keine oder eine nicht geeignete Bewegung (z. B. et al. 2009).
eine Stoßbewegung) ausgeführt hatten. Es ist phy- Auch der Umgang mit emotionaler Mehrdeu-
sikalisch unmöglich, eine Idee zu erfassen oder zu tigkeit, z. B. im Falle eines schwer zu entschlüsseln-
greifen. Dennoch machen diese metaphorischen den Gesichtsausdrucks, setzt offenbar Simulations-
Sätze gerade deswegen Sinn, weil Menschen in die- tätigkeit in Gang, im Bemühen ein zugrunde lie-
ser körperbezogenen Weise denken und besseren gendes emotionales Geschehen irgendwie doch zu
Zugang bekommen zu abstrakten Konzepten. In- begreifen (Niedenthal, 2007). Barsalou et al. (2003)
teressant ist, dass das Imaginieren solcher Bewe- gehen davon aus, dass die Simulation eines emotio-
gungen auch schon eine deutliche Verbesserung nalen Konzepts auch das gesamte zugehörige Ver-
5 der Leistungen erbrachte. Wie ist das zu erklären? haltensmuster, z. B. Körperhaltung, subjektives Ge-
Wir kommen in 7 Abschn. 5.3.5 darauf zurück. fühl und Physiologie auslösen sollte. Aktiviert man
z. B. Konzepte der Emotionen Stolz und Enttäu-
schung, so sollte sich dies auch in der Körperhal-
5.3.3 Neurale Simulation und Emotion tung zeigen, d. h., in der Vertikalen sollte die Simu-
lation von Stolz zu einer Aufrichtung und die Si-
Wenn sich Patient und Therapeut gegenübersitzen, mulation von Enttäuschung zu einem Schrumpfen
dann ist die Sprache in der Regel das wesentliche führen. Außerdem sollten entsprechende subjek-
Medium der Verständigung. Das gegenseitige Ver- tive Gefühlsqualitäten feststellbar sein. Dies konnte
stehen ist ohne Beteiligung des Körpers nicht denk- im Rahmen einer Wortgenerierungsaufgabe tat-
bar – so die zentrale These des Embodimentpara- sächlich bestätigt werden (Oosterwijk et al., 2009).
digmas. Grundsätzlich wird angenommen, dass Solche Zusammenhänge finden vermehrt Eingang
das Verstehen von Sprache dadurch möglich wird, in die klinische Psychologie. So haben Michalak et
dass unser Erfahrungswissen simuliert wird und al. (2011) eine Bewegungstaxonomie erprobt. Da-
dass solche Simulationen unser sensomotorisches mit konnte präzise gezeigt werden, dass nicht nur
System braucht (Barsalou, 2007; Gallese, 2007). Ein die Körperhaltung, sondern auch Charakteristika
erfolgreicher Bedeutungstransfer zwischen Spre- des Ganges depressive von nicht-depressiven Pa-
cher und Zuhörer macht eine mentale Simulation tienten unterscheiden.
zu den angesprochenen Inhalten notwendig. Dabei
wird das sensomotorische System aktiviert, d. h.
Sprecher und Zuhörer kommen in gewisser Weise 5.3.4 Kognition und Emotion
in Bewegung, um sich die Welt des jeweils anderen in der kognitiven
zu erschließen. Das Benutzen eines emotionalen Verhaltenstherapie
Konzeptes, z. B. Ärger, als auch das Wahrnehmen
besonderer emotionaler Hinweisreize, z. B. im Ge- Nach wie vor gilt der Ansatz von Aaron Beck (1976)
sicht des Gegenüber, veranlasst eine Simulation der in Ausbildung und Praxis als wesentliches Instru-
entsprechenden Emotion mit Hilfe des Körpers. So ment der kognitiven Verhaltenstherapie. Danach
konnte klar belegt werden, dass die Rate korrekter ergibt sich die Befindlichkeit eines Menschen aus
Einschätzung emotionaler Begriffe deutlich sinkt, seinem Selbst- und seinem Weltbild, sowie seiner
wenn z. B. entsprechende Gesichtsmuskeln, die ja daraus resultierenden Zukunftsprognose. Diese
gemäß Simulationshypothese beteiligt sein sollten, sog. kognitive Triade konstituiert im Verlaufe der
selektiv blockiert werden (Niedenthal, 2006). Jene Entwicklung Schemata. Sie nehmen Einfluss auf
Emotionen, bei denen die zugehörigen Gesichts- die Informationsverarbeitung, insbesondere Selek-
muskeln nicht blockiert waren, wurden hingegen tion, Enkodierung, Kategorisierung und Bewer-
wieder deutlich besser erkannt. Simulation emotio- tung von Stimuli. Er postuliert kognitive Verzer-
naler Konzepte ist also nicht einfach ein Nebenpro- rungen, die zu einer fehlerhaften Informations-
dukt solcher Einschätzungsaufgaben, sondern ist verarbeitung mit systematischen Fehlern führt,
5.3 · Kognition und Simulation
123 5
z. B. Alles-oder-Nichts-Denken, Übergeneralisa- rie entsteht. Teasdale spricht ebenfalls von holisti-
tion usw. Dabei können sehr rigide und dysfunk- schen Repräsentationen im Zusammenhang mit
tionale Überzeugungen resultieren. emotionalen Erfahrungen. Wenn neben den Ge-
Die kognitive Wende in der Verhaltenstherapie danken aber auch andere, wie z. B. sensorische,
hat dem Beck‘schen Ansatz sehr viel zu verdanken Merkmale eine Rolle spielen, dann wird eine in-
und er repräsentiert nach wie vor ein wichtiges haltliche Korrektur der Gedanken bzw. Überzeu-
Denkmodell in der Verhaltenstherapie. Dennoch gungen kaum ausreichend sein, da sie ja nur Epi-
haben sich im Laufe der letzten Jahre vermehrt kri- phänomen sind. Sie werden u. U. im Modus der
tische Stimmen zu Wort gemeldet und alternative Selbstorganisation immer wieder hergestellt, wenn
Herangehens- und Sichtweisen vorgeschlagen. Ei- nicht gleichzeitig auch alle anderen Elemente der
nerseits gibt es Vertreter der dritten Welle der Ver- Erfahrung beseitigt werden.
haltenstherapie, die eine Rückkehr zum radikalen Dies ist aus der Perspektive der Simulationsthe-
Behaviorismus vorschlagen und auch erfolgreich orie unmittelbar nachvollziehbar. Danach wird ja
praktizieren (Hayes, 2004; Kohlenberg & Tsai, Kognition grundlegend erst mit Hilfe sensomoto-
1991). Andererseits gibt es Kritik, die das Kind rischer Erfahrung aufgebaut. Eine inhaltliche Ver-
nicht gleich mit dem Bade ausschütten will, son- änderung der Kognition würde diese Erfahrungs-
dern sich inhaltlich präziser positioniert und Er- basis aber nicht beeinträchtigen. Sie würde weiter
weiterungen vorschlägt. Es handelt sich dabei um bestehen bleiben und eventuell die Grundlage für
die Stellungnahme von John Teasdale (Teasdale & eine Wiederherstellung entsprechender Kogniti-
Barnard, 1993; Teasdale, 1999). So fand er Hinwei- onen bilden. Im Rahmen seiner Modellvorstellung
se, dass dysfunktionale Einstellungen in Phasen der schlägt Teasdale (1999) vor, den Fokus gerade nicht
Erholung von einer depressiven Erkrankung ver- auf die Veränderung von Inhalten depressionsbe-
schwinden. Deshalb vertritt er die Ansicht, dass zogener Gedanken zu richten. Stattdessen plädiert
dysfunktionale Schemata eher die Folge einer De- er für eine Strategie, in deren Fokus eine Verände-
pression sind, während Beck diese Schemata ur- rung der Haltung gegenüber der inneren Erfahrung
sächlich für Depression verantwortlich machte. steht. Hier, wie auch in anderen Verfahren der drit-
Außerdem lasse sich beobachten, dass rationale Ar- ten Welle der Verhaltenstherapie, geschieht dies
gumente trotz Einsicht des Patienten uneffektiv mit Hilfe von Achtsamkeitsübungen.
bleiben. Weiterhin wird behauptet, dass Depressive
in Bezug auf die Bewältigung von Aufgaben oft so-
gar eine stimmigere Selbsteinschätzung haben als 5.3.5 Imagination und Simulation
Nicht-Depressive, womit die durchgehende Dys-
funktionalität ihrer Schemata fraglich ist. Ein in der Psychotherapie häufig angewendetes
Im traditionellen Modell nach Beck sind es au- Verfahren ist die szenische Imagination. Dabei stel-
tomatische Gedanken und Bilder, die unmittelbar len sich Patienten nach Möglichkeit bei geschlos-
Emotionen auslösen. Im Modell von Teasdale ha- senen Augen z. B. eine problematische Szene, einen
ben solche Gedanken und Bilder einen untergeord- Zustand der Zielverwirklichung oder eine sie ent-
neten Stellenwert. Sie sind hier Begleiterschei- spannende Szene vor. Psychologisch ähnelt dies der
nungen der Wirkungsweise eines komplexeren Erfahrung einer Wahrnehmung, ereignet sich aber
übergeordneten Schemas, des sog. Implicational in Abwesenheit eines dazu passenden externen Sti-
Code. Dieser hat die Fähigkeit, unmittelbar Emoti- mulus (Kosslyn et al., 2006). Löst so etwas auch
onen auszulösen. Implicational Codes sind durch schon die vorher besprochenen Simulationspro-
Lernerfahrung erworbene spezifische Schemata, zesse aus? Sind also szenische Imaginationen in der
die die prototypischen Merkmale emotionsauslö- Lage, entsprechende sensomotorische Areale im
sender Situationen speichern. Zu diesen Merkma- Gehirn zu aktivieren? Am Ende des 7 Abschn. 5.3.2
len zählen auch Körperempfindungen, akustische hatten wir ein Experiment erwähnt, mit dem ge-
und visuelle Merkmale, womit ein wesentlicher Be- zeigt werden konnte, dass geeignete Körperbewe-
rührungspunkt zur vorgestellten Simulationstheo- gungen dazu in der Lage sind, das Begreifen von
124 Kapitel 5 · Embodiment

Metaphern zu unterstützen. Dort erfuhren wir, dass 5.4 Ertrag: Grundlegende Strategien
schon das vorherige Imaginieren von Schluckbe- für die therapeutische Praxis IV
wegungen, das Begreifen solcher Metaphern wie
»den Stolz herunterschlucken« beschleunigt. Koss- Über neurale Assoziationsbereiche kommt es zu
lyn (1977) vertrat schon sehr früh die Auffassung, einer multimodalen Darstellung (visuell, auditiv,
dass die damalige, amodal ausgerichtete proposi- taktil, propriozeptiv, affektiv etc.) unserer Erfah-
tionale Theorie das Imaginationsphänomen nicht rungen. In dieser Repräsentation ist die unmittel-
angemessen zu beschreiben vermag. Anscheinend bare Erfahrung noch aufgehoben. Im therapeu-
ist die Computermetapher der Kognition auch in tischen Gespräch werden diese Assoziationsbe-
Zusammenhang mit dem Imaginationsphänomen reiche aktiviert. Eine solche Simulation benötigt
nicht mehr haltbar. Vielmehr scheint einiges dafür das gesamte sensomotorische und affektive System
5 zu sprechen, dass auch bei Imaginationsleistungen zur Wiederbelebung der jeweiligen Erfahrung. Sie
der Körper mit einbezogen ist. Imaginiert man z. B. ist gegebenenfalls Basis für anspruchsvollere men-
ein Objekt, die Strichzeichnung einer Hand, so ist tale Prozesse, z. B. das Verstehen abstrakter Kon-
es möglich, diese schematische Darstellung in der zepte. Zugang zum Erleben und zum Verstehen der
Vorstellung hin- und herzudrehen. Soll die »men- Erfahrungen wird gefördert, wenn solche Simulati-
tale Rotation« in der Vorstellung aber entgegen der onsprozesse unterstützt werden. Dies geschieht am
natürlichen Gelenkbewegung passieren, dann be- besten, indem man das sensomotorische System
reitet dies offenbar mehr Schwierigkeiten und die unmittelbar anregt. Wie kann diese Anregung am
Versuchsperson benötigt mehr Zeit dafür. Pati- besten passieren? Durch Einsatz möglichst vieler
enten mit schmerzhaften Armverletzungen sind Modalitäten, Haltungen und Bewegungen des Kör-
bei dieser imaginativen Operation auch langsamer, pers und weitere Aktivitäten des Körpers.
wenn sie die gezeichnete Hand, die der verletzten Anhand einiger Beispiele soll nun eine Einfüh-
Armseite entspricht, drehen sollen (Parsons, 2003; rung vermittelt werden, die verdeutlicht, wie man
Schwoebel et al., 2001). mit Hilfe des Embodiment arbeiten kann. Sie sind
Imagination ist demnach kein Vorgang, der in als Ausgangspunkt für die Entwicklung eigener
Isolation vom Körper passiert. Die meisten For- Ideen gedacht. Eine Vertiefung wird in 7 Kap. 7
scher stimmen heute darin überein, dass die über Interventionen geboten. Erste Schritte, mit
neuralen Prozesse, die den multimodalen Wahr- Embodiment zu arbeiten, sind in . Tab. 5.2 darge-
nehmungen zugrunde liegen, auch bei der Imagi- stellt. Sie werden im Folgenden näher erläutert.
nation aktiviert werden (Kosslyn et al., 2006). Ima-
ginationsleistungen bedienen sich nicht nur des jNehmen Sie es körperlich –
motorischen Systems, sondern beziehen – genauso unterstützen Sie Simulationsprozesse
wie dies bei Wahrnehmungsprozessen passiert – Das Erfassen problematischer Inhalte, das Erspü-
den ganzen Körper mit ein. Es gibt jedoch einen ren von impliziten Inhalten, Kognitionen und
wesentlichen Unterschied zu Wahrnehmungen. Emotionen können durch den Einsatz des Körpers
Personen, Gegenstände und Ereignisse können zielführend unterstützt werden. Aktionen des Kör-
während der Imagination in fast beliebiger Weise pers setzen eine neurobiochemische Kaskade in
verändert oder neu angeordnet werden. Dabei kön- Gang, die wiederum einen entsprechenden inneren
nen wiederum völlig neue Einsichten und Gefühle Zustand entstehen lässt. Eine geeignete Motorik
entstehen. Die Imagination nimmt daher eine unterstützt also die Herstellung eines kognitiv-
Schlüsselstellung innerhalb vieler Formen mentaler affektiven Zustandes bzw. steigert dessen Intensität.
Simulation ein (Barsalou, 2008; Moulton & Koss- Auf schnellem Wege stellen Sie bottom-up – ohne
lyn, 2009). viel zu reden – ein intensives Erleben her bzw. Sie
steigern ein bestehendes Erleben, z. B. zum bes-
seren Herausarbeiten bestimmter Zusammenhän-
ge.
5.4 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis IV
125 5

. Tab. 5.2 Eine Schrittfolge für erste Erfahrungen mit Embodiment

Erleben Experimentieren Entscheiden

Interaktionssituation auswählen Mit Nähe und Distanz Für ein funktionales Handeln
Interaktionspartner wird imaginiert Mit oben und unten Mimik, Gestik, Bewegung, Haltung und
Spontane Körperposition, -bewegung Mit Körperhaltungen Position des Körpers und passende Emotion
und Körperhaltung werden registriert Annäherung, Vermeidung Ausprobieren, bis es sich richtig anfühlt und
Mit diversen Modalitäten die Signalwirkung passt

4 Der therapeutische Kontakt besteht deshalb Interaktion und Raum Die Embodimentperspektive
nicht nur aus Gespräch, sondern auch aus Ak- betont die Bedeutung des Raumes. Dabei wird z. B.
tion. Taucht etwas auf, das ganz bewusst, das psychische Nähe oder Entfernung durch eine ent-
intensiver gespürt werden soll, so wird dies als sprechende räumliche Distanz und Autonomiean-
Figur oder Szene im Raum dargestellt. spruch durch einen Höhenunterschied – jemand ist
4 Therapeuten erheben sich aus dem Stuhl und über mir oder unter mir – evoziert. Die Erzeugung
bitten dabei ihren Patienten ebenfalls aufzuste- und Differenzierung kognitiv-affektiver Phäno-
hen. Machen Sie deutlich, dass Sie das gerade mene kann auf diese Weise sehr schön gesteuert
Erzählte als sehr wichtig empfinden und es des- werden. Es wird dabei nicht so sehr über abstrakte
halb auf eine bestimmte Art und Weise nach- Konzepte wie z. B. Nähe gesprochen. Diese wird
vollziehen wollen, um es genauer zu verstehen. direkt, erlebnisnah hergestellt, somit für den Pati-
Vielleicht reagiert Ihr Patient etwas irritiert. enten kontrollierbar variiert und transparent ge-
Validieren Sie das, aber gehen Sie trotzdem in macht.
Aktion. 4 Lassen Sie den differenziellen Effekt von Nähe
und Distanz erleben! Sie können bei Bedarf ein
Aufbau der Szene Patienten sind einerseits in der intensives Geschehen auslösen, indem Sie Ih-
Rolle der Betroffenen und gleichzeitig Gestalter der ren Patienten vor eine horizontale Fläche posi-
relevanten Szene im Raum. Lassen Sie Ihren Pati- tionieren, auf die er eine (oder mehrere) Per-
enten einen geeigneten Bereich im Raum auswäh- sonen projiziert. Lassen Sie ihn einen Abstand
len. Personen oder wichtige Attribute einer Situati- dazu einstellen, der zunächst noch nicht unan-
on werden mit Gegenständen markiert, sodass de- genehm ist. Lassen Sie ihn nun die Situation
ren Bezug bzw. deren Nähe oder Distanz zueinander und das Geschehen beschreiben.
deutlich wird. 4 Lenken Sie dann die Aufmerksamkeit auf die
4 Die Position des Patienten im Raum wird eben- Person des Patienten. Lassen Sie ihn beschrei-
falls markiert. Hier ist er Betroffener. Er kann ben, wie er sich in seiner Rolle fühlt. Beobach-
aus dieser Rolle heraustreten, um gemeinsam ten Sie seinen Körperausdruck und fragen Sie
mit Ihnen über die Szene zu sprechen. Sie sind ihn, wie er sich in seinem Körper fühlt. Lenken
dann beide Außenstehende und nehmen eine Sie eventuell seine Aufmerksamkeit: »Wie fühlt
Metaperspektive ein. sich das in Ihren Schultern an? Was fällt Ihnen
4 Sind in der Szene der Patient und eine weitere noch an Ihrem Körper auf? Wie würden Sie Ih-
Person beteiligt, so kann das Gegenüber auf ei- re Körperhaltung beschreiben?« usw.
ne Wand oder eine Tür projiziert werden. Der 4 Lassen Sie ihn ein Bild für dieses Erleben fin-
Patient stellt sich nun vor, dass diese Person den? Dies gelingt meist, indem man ihn die
dort steht und beschreibt sie möglichst leben- Haltung übertreiben lässt. Jetzt wird das Erle-
dig. ben besprochen: Was ist das Thema? Worum
geht es? Was ist das Gefühl? Was ist der Hand-
lungsimpuls?
126 Kapitel 5 · Embodiment

Experimentieren mit Nähe und Distanz Im nächsten Erleben von oben und unten Neben der Nähe bzw.
Schritt wird die Möglichkeit geboten, zu erfahren, Distanz spielen Unterschiede im sozialen Rang im
wie sich ein größerer oder kleinerer Abstand zur Verlaufe von Interaktionssituationen eine große
Bezugsperson anfühlt. Dies ist notwendig, um die Rolle. Unterschiedlichste Fragestellungen können
Fixierung auf die bisherige Herangehensweise zu bedeutsam sein (. Abb. 5.3): Ist der andere mäch-
lockern. Es werden plötzlich Alternativen spürbar tiger, stärker, attraktiver, kompetenter oder mora-
und dadurch entsteht Flexibilität. Was löst größere lisch besser? Oder umgekehrt. Zunächst aber soll
räumliche Nähe, die ja psychologische Nähe ist, Ihr Patient spontan die für ihn passende Position
aus? Durch das einfache Variieren dieses Parame- einnehmen.
ters können schnell emotional aufgeladene Themen 4 Das Lenken des Blickes in die jeweilige Rich-
deutlicher werden. Entsteht Sehnsucht in den Arm tung zeigt meist schon Wirkung. Gehen Sie
5 genommen zu werden? Steigen Angstgefühle auf? noch einen Schritt weiter und bitten Sie Ihren
Vergrößern sich vorhandene Ärgergefühle. Patienten, diesen Höhenunterschied im Raum
Schwächt größere Distanz dies alles ab oder werden darzustellen, z. B. mit Stuhl, Hocker, Tisch bzw.
ganz andere Gefühle spürbar? Stehen, Knien usw. (. Abb. 5.3). Welche Kör-
4 Lassen Sie in langsamem Tempo den Abstand perhaltung stellt sich nun ein, welches Gefühl
verringern, sodass der Patient das innere Ge- ergibt sich?
schehen gut verfolgen kann. Wie verändern 4 Lassen Sie nun das Erlebte verbalisieren. Wel-
sich Körperempfinden, Anspannung und che Rolle nimmt Ihr Patient ein, welche sein
Atem? Wie verändern sich Gedanken und Gegenüber? Wünscht der Patient diese Rolle?
Handlungsimpulse? Darf sich der Patient Nähe Was sind die Konsequenzen dieser Rollenüber-
bzw. Abstand überhaupt erlauben? nahme? Eine Übertreibung macht das Thema
4 Überwiegen dabei körperliche Annäherungs- noch deutlicher, z. B. kann eine gebeugte Kör-
oder Vermeidungstendenzen? Beziehen Sie perhaltung noch stärker gebeugt werden, zu-
jetzt Arm- und Handhaltung, z. B. graduelle sätzlich kann der Blick vom Gegenüber weg
Abstufungen einer öffnenden Hand-Arm-Hal- zum Boden gelenkt werden usw.
tung, in die Arbeit mit ein. Dadurch werden
noch zusätzlich Intensivierung und Differen- Experimentieren mit oben und unten In der Experi-
zierung angeregt. mentalphase geht es ebenso wie vorher darum, die
4 Experimentieren Sie nun mit langsam zuneh- Fixierung auf eine Rolle und ein bestimmtes Hand-
mendem Abstand. Ziehen Sie auch die Überle- lungsmuster zu lockern und den Horizont aufzu-
bensstrategie des Patienten heran. Vereinbaren weiten. Nehmen Sie das ruhig buchstäblich und
Sie die Möglichkeit, jederzeit das Experiment fordern Sie den Patienten auf, zunächst seinen Blick
unterbrechen zu können. schweifen zu lassen.
4 Lassen Sie nun nacheinander verschiedene Po-
Entscheiden für eine Aktion Es sollte nun deutlich sitionen besetzen. Manche Patienten erleben
geworden sein, ob sich der Patient mehr oder weni- Angst, z. B. vor Gegenaggressionen, andere Tri-
ger räumlichen Abstand nehmen möchte. Was be- umph und Stolz, wieder andere Rachsucht,
deutet das für sein Verhalten in der problema- wenn Sie sich erlauben, in einer vorgestellten
tischen Situation? Was muss er tun, um z. B. mehr Interaktion die obere Position zu besetzen. Die
von der erwünschten emotionalen Distanz zu be- untere Position kann mit Hoffnung, Sehnsucht,
kommen. Was entspräche der Lebensstrategie? Bedürftigkeit, Traurigkeit, aber auch mit hilf-
Welche Signale muss er dementsprechend an sein loser Wut assoziiert sein.
Gegenüber senden? Wie kann ein Plan für einen 4 Ziehen Sie gemeinsam Bilanz. Setzen Sie das
erwünschten Verlauf aussehen (Probehandeln, Rol- Erlebte mit der Überlebensstrategie in Bezie-
lenspiel, Videoaufzeichnung)? hung. Lässt sich klären, weshalb er sich be-
stimmte Rollen nicht erlaubt?
5.4 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis IV
127 5
Entscheidung für eine Handlung Der Patient fragt
sich, was er in der Interaktion erreichen will, was ist
sein Ziel? Gemeinsam wird geprüft, welche Posi-
tion, welche Rolle mit welchem Verhalten wohl zu
diesem Ziel am besten passt.
4 Die Überlebensstrategie gibt dabei wieder Hin-
weise, für die Richtung der Veränderung. Was
ist die Beschreibung seiner Rolle, die er einneh-
men will? Welche Signale mittels Körperhal-
tung und -bewegung, Stimme etc. muss er sei-
nem Gegenüber also senden?
4 Erstellen Sie gemeinsam einen Plan für den er-
wünschten Verlauf. Bereiten Sie sich auch auf
zunächst unerwartete Verläufe vor (Probehan-
deln, Rollenspiel, Videoaufzeichnung).

Modalitätsspezifische Konzepte In . Tab. 5.2 sind


verschiedene physikalische Parameter und ihre
psychologischen Äquivalente aufgeführt. Halten
Sie entsprechende Materialien bereit, um das äqui-
valente Erleben zu aktivieren bzw. das Erleben zu
intensivieren. Hier einige Beispiele:
4 Wärme/Kälte: Halten Sie eine warme Decke . Abb. 5.3 Aktivierung des Autoritätskonzeptes – ent-
bzw. ein warmes Getränk bereit, um für eine spricht diese Position dem gefühlten Machtunterschied?
Szene psychische Wärme bzw. Willkommen-
sein zu induzieren. Kühle Tücher aus dem rühren eines weichen Stoffes ein moderateres
Kühlschrank, kalte Materialien, kalte Getränke Eingehen auf ein konfliktreiches Thema indu-
für die Induktion frostiger Atmosphäre, eines ziert werden. Wie kann er diese neue Erfahrung
Gefühls des Ausgeschlossenseins usw. Dies für sich verwerten? Das Kneten eines starren
kann noch gesteigert werden durch entspre- Gummiballs kann während der Diskussion
chende räumliche Nähe bzw. Distanz. eines Themas mehr Festigkeit und Kontur in
4 Gewicht: Eine metallene Krone, Ketten aus der Haltung eines Patienten erzeugen. Was be-
Chrom, ein schwerer Pelzmantel dienen z. B. deutet diese Erfahrung für ihn?
der Erhöhung des sozialen »Gewichts«. Mütze, 4 Farbe: Halten Sie schwarze und weiße Tücher
leichtes Hemd usw. im Vergleich dazu als sozial und Gegenstände bereit. Symbolisieren Sie z. B.
weniger bedeutend. Besonders effizient ist es, die akzeptierte, gute Seite einer Person mit
wenn das mit größerer, aufrechter, erhöhter einem weißen Tuch, die wenig akzeptierte
bzw. kollabierterer, erniedrigter Körperhaltung schlechte Seite mit einem schwarzen Tuch. Der
kombiniert wird. Patient kann sich auch auf die Tücher stellen
4 Materialbeschaffenheit: Es ist äußerst hilf- und eine entsprechende Haltung einnehmen.
reich, Materialien zur Hand zu haben, die ver- Wie ist sein Gefühl? Weshalb gibt es das schwar-
schiedene haptische Erfahrungen ermöglichen. ze Tuch, d. h. die dunkle Seite seiner Person
Lassen Sie Ihren Patienten beim Umgang mit überhaupt? Ziehen Sie nun die Überlebensstra-
bestimmten Themen verschiedene Materialien tegie hinzu. In welcher Beziehung steht sie zur
in der Hand halten und mit den Fingern betas- hellen und dunklen Seite? Was passiert, wenn
ten. Je nach Bedarf können dadurch bestimmte helles und dunkles Tuch direkt aneinander ge-
Einstellungen, Stereotype oder Haltungen evo- legt werden? Was ist das Gute im Dunklen, was
ziert werden. So kann z. B. das Halten und Be- ist das Schlechte im Hellen? Weiterhin kann
128 Kapitel 5 · Embodiment

eine positive Zukunft mit einem hellen Tuch tionen begleitet. Dies bietet eine gute Chance,
symbolisiert werden usw. Andersfarbige Tücher Emotionen direkt zu thematisieren. Meist haben
und Gegenstände sollten nach Möglichkeit Patienten in einer Situation entweder zu viel oder
auch zur Verfügung stehen. zu wenig Emotionen. Oft haben sie auch noch kei-
4 Raum schaffen für sich selbst: Die Überle- nen Weg gefunden, diese funktional einzusetzen.
bensstrategie ist restriktiv und steht im Prinzip Wahrnehmen und Erkennen von Emotionen:
für einen Mangel an Flexibilität. Eine Aufwei- Die Arbeit mit Emotionen lässt sich sehr gut in die
tung des Handlungsspielraumes ist in der Sicht oben beschriebenen Abläufe integrieren. Für Sie als
des Embodiment ebenfalls räumlich kodiert. Beobachter gibt es mehrere bedeutsame Hinweise,
Lassen Sie Ihren Patienten den momentanen die Sie nutzen können: Die Anspannung des Kör-
Handlungsspielraum räumlich darstellen, in pers, die Körperhaltung, die Bewegungsrichtung
5 dem dieser mit einem Seil umschlossen wird, von Gliedern und des gesamten Körpers, die Mi-
oder indem Tücher ausgelegt werden. Nun soll mik und Gestik, die Stimmlage und die Lautstärke.
er sich dort hineinsetzen. Bitten Sie ihn, darü- 4 Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit zunächst auf
ber zu sprechen, wie es ihm geht in seinem Le- die erkennbare Annäherungs- und Vermei-
ben mit seiner Überlebensstrategie. Weisen Sie dungstendenz sowie die Körperanspannung.
dann auf die Möglichkeit hin, dass er sich ja 4 Fragen Sie nach dem subjektiven Gefühl, aber
mehr Raum nehmen könne. Lassen Sie ihn das verlassen Sie sich nicht ausschließlich auf diese
Areal vergrößern und sich wieder hineinsetzen. Angabe. In vielen Fällen liegt die genannte Ka-
Wie ist es, sich mehr Raum zu geben? Kann er tegorie gar nicht vor, sondern mehr oder weni-
sich die Erlaubnis dazu geben? Welche Gefühle ger ein Emotionsgemisch, so z. B. im Falle von
und Bilder entstehen dabei? Was bedeutet das »unerlaubten« primären Gefühlen und sekun-
für sein Leben, sein Arbeiten, sein Lieben? Was dären Stoppergefühlen. Mimik, Körperaus-
bedeutet das für seine Überlebensstrategie? druck und -bewegung erlauben meist wichtige
Diese sehr berührende Erfahrung kann auf alle Schlussfolgerungen.
Themen angewendet werden, die mit Selbster-
weiterung, Selbstverwirklichung, allgemein mit Emotionen funktional einsetzen: Die raumbezo-
Autonomiezuwachs zu tun haben. Dies kann gene Positionierung des Körpers löst in der Regel
mit einer Schrumpfung des Raums und ent- schon Emotionen aus: Nimmt jemand angesichts
sprechenden psychologischen Qualitäten kon- eines virtuellen Gegenübers eine Oben-Position, so
terkariert werden. können Stolz, Zufriedenheit usw. entstehen. Wel-
4 Grenzen wahren: Wo endet der Raum für mich che Gefühle entstehen, ist abhängig vom Kontext.
selbst? Das ist die Frage nach den Grenzen. Bin So entwickelte ein Patient in der Oben-Position
ich auch in der Lage, meine Grenzen zu schüt- Traurigkeit. Er war zum Chef des Teams befördert
zen? Oder nehme ich meine Grenzen lieber worden, dem er als gleichberechtigtes Mitglied län-
wieder zurück und begnüge mich mit weniger? gere Zeit angehört hatte. Als Vorgesetzter konnte er
Was sagt in diesem Falle die Überlebensstrate- die gewohnten sozialen Bande nicht mehr für sich
gie voraus? Bitten Sie Ihren Patienten, seine nutzen. Er gehörte nicht mehr dazu, fühlte sich nun
Grenzen im Raum zu markieren. Wie will er sehr allein und das stimmte ihn traurig. In diesem
reagieren? Wie kann eine assertive Haltung auf- Kontext ist die Emotion Traurigkeit funktional. Mit
gebaut werden, die diese Grenzen überzeugend Hilfe der oben geschilderten Distanzierungsübung
zu schützen vermag? Hier können Körperhal- kann nun die Trauerarbeit vollzogen werden. Die
tung, Gestik, Stimme Emotionsinduktion usw. selbst gestellte Aufgabe bestand darin, die eigenen
eingesetzt werden. Grenzen zu schützen und dies auch zu signalisie-
ren. Diese Aufgabe setzt die Aktivierung eines ge-
Arbeit mit Emotionen Die bisherigen Anregungen wissen Maßes an Aggression voraus, was auch mit
für körpernahes Handeln und leibbezogene Aktivi- einer Vorwärtsbewegung assoziiert ist, denn inten-
täten im Raum sind meist von z. T. heftigen Emo- tional handelt es sich dabei um einen Angriff.
5.4 · Ertrag: Grundlegende Strategien für die therapeutische Praxis IV
129 5
Dosieren von Emotionen: Im obigen Beispiel
kann das neue Verhalten sukzessive aufgebaut wer-
den, indem die funktionale körperliche Aktivität
(Annäherungsbewegung, Anspannung, Blickkon-
takt, Lautstärke der Stimme usw.) zunehmend in-
tensiviert wird. Ist das Schema erst einmal aufge-
baut, so lernt der Patient als nächstes, den Emoti-
onsausdruck in Hinblick auf das gewünschte Ziel
zu dosieren. Emotionen können willkürlich durch
Einstellen des Atems, der Körperhaltung und der
Mimik hergestellt werden. Wie dies geschieht und
auf welche Weise man damit therapeutisch arbeiten
kann, wird in den SBT-Interventionen (▶ Kap. 7)
ausführlich beschrieben. Hier wollen wir lediglich
auf die regulierende Wirkung der Atemtätigkeit
und der Körperanspannung hinweisen. Angenom-
men, Sie bauen wehrhaftes Verhalten auf, so sollte
Ihr Patient zunächst eine passende Körperhaltung
einstellen. Meist dreht sich die Arbeit um die Inter-
aktion mit einem konkreten Gegenüber, so dass
schon Ansätze einer bestimmten Emotion erlebt
werden.
4 Prüfen Sie zunächst, ob Körperausdruck und
-anspannung kompatibel sind mit der Emotion.
Eine entspannte Körperhaltung und ein Blick,
der auf den Boden gerichtet ist, passen z. B.
nicht zur Emotion Ärger!
4 Lenken Sie nun die Aufmerksamkeit des Pati-
enten auf den Atem und bitten Sie ihn, das At-
men einen Moment zu beobachten, um ein Ge-
fühl für den Rhythmus zu bekommen.
4 Fordern Sie ihn nun auf, diesen Rhythmus stär-
ker auszuführen und im Falle von Ärger auch
die Körperanspannung etwas zu erhöhen.
4 Erfragen Sie nach einer Weile die Wirkung, ins-
besondere nach der Stärke des Impulses, den er
in seinem Körper spürt. Was will der Körper
tun und wie stark will er es tun? Nun kann ex-
perimentiert werden mit Graden der Entspan-
nung und Entspannung der Körperhaltung, der
Bewegung der Mimik, des Atems. Auf diese
Weise können wichtige Kontrollerfahrungen
gemacht werden. Die Bilanz, dass der Umgang
mit Emotionen, ihre Intensität und Dosierung,
auch Aspekte körperbezogenen Trainings hat,
ist für viele Patienten erleichternd und schafft
besseren Zugang zu noch differenzierteren
emotionalen Phänomenen.
131 6

Problemklärung und Wege


der Verhaltensänderung

6.1 Psychotherapeutische Aktion:


Problemaufstellung im Raum – 132

6.2 Klärungsphase: Vorbereitung


des Veränderungsprozesses – 135

6.3 Rubikonmodell der Veränderung:


Änderungs- und Akzeptanzphase – 135

6.4 Logik der Reaktionskette – Weg der Therapie – 136

G. Hauke, Strategisch Behaviorale Therapie (SBT),


DOI 10.1007/978-3-642-29730-4_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
132 Kapitel 6 · Problemklärung und Wege der Verhaltensänderung

Man entdeckt keine neuen Weltteile, ohne den Mut Sitzungen mehr als Sprechen und Reflektieren. Sie
zu haben, alle Küsten aus den Augen zu verlieren. ist am besten als psychotherapeutische Aktion zu
(Andre Gide) beschreiben. Psychotherapeutische Aktion bettet
das gemeinsame Fragen, Nachdenken, Klären und
Die Praxis der therapeutischen Arbeit in Strate- Zielsetzen in verschiedene Formen körperbezo-
gisch Behavioraler Therapie (SBT) erfordert neben genen Handelns ein. Wie kann das praktisch umge-
dem Sprechen auch aktives Handeln, insbesondere setzt werden? Patienten kommen mit Problemen.
Aufmerksamkeit für die Aktivität des Körpers, für Psychotherapeutische Aktion ist und soll deshalb
Vermeidungs- bzw. Annäherungsbewegungen, für Problemlösen sein. Hat die Psychologie des Prob-
Mimik, Körperhaltung, Stimme usw. Durch das lemlösens für Therapeuten etwas Brauchbares zu
Einbeziehen solcher vorsprachlichen Aspekte wird bieten? Ein interessanter Hinweis ergibt sich auf-
manches schneller auf den Punkt gebracht. Vieles grund der Definitionsmerkmale eines Problems.
wird offenbar, was beim üblichen Gegenübersitzen Klix (1971) nennt folgende Bestandteile eines Prob-
6 und Sprechen möglicherweise unter den Tisch fällt. lems:
Welcher Rahmen vermag für diese Art des Arbei- 4 einen Anfangszustand, den sog. Ist-Zustand,
tens eine zielführende Struktur zu bieten? Hier hilft 4 einen Zielzustand, den sog. Soll-Zustand,
die Denkweise des Embodimentansatzes weiter. 4 sowie eine Barriere, die die Überführung des
Die problematische Situation wird mit der sog. Ist-Werts in den Soll-Wert behindert oder so-
Problemaufstellung in den Raum gebracht. gar vereitelt.
Die Überwindung des Problems wird ebenfalls
räumlich erprobt. Die räumliche Transformation Diese Gliederung bringt die therapeutische Situati-
hilft gut zu diskriminieren. Jeder Zustand wird on auf den Punkt und bietet für das Wahrnehmen
im Sinne des Embodimentansatzes nicht nur räum- und das Tun eine hilfreiche Struktur. Weiter führt
lich unterschieden, sondern jeweils auch verkör- Funke (2003, S. 25) aus: »Problemlösendes Denken
pert. Der Körper darf sich bewegen und zeigen, wie erfolgt, um Lücken in einem Handlungsplan zu
er sich in einer bestimmten problematischen Situ- füllen, der nicht routinemäßig eingesetzt werden
ation – im Ist-Zustand – fühlt. Schließlich darf er kann.«
auch demonstrieren, wie er sich, am Ziel angekom- Patienten kommen in die Therapie, da sie mit
men, fühlen will und Verhaltensvarianten von z. B. ihren bisherigen Verfahrensweisen und Routinen
Stolz und Kraft erproben. Dabei unterscheidet SBT an ein Ende gekommen sind. Sie können ihr Ver-
drei Phasen des Therapieprozesses: die Klärungs- haltensinventar nicht mehr nutzen, um eine Barri-
phase, die Akzeptanzphase und die Änderungs- ere zu überwinden. Sie sind nicht ohne weiteres in
phase. In dieser Reihenfolge sollten die Phasen der Lage, den erwünschten Zielzustand zu errei-
durchgearbeitet werden. Stagnation in der Ände- chen. Es muss eine neue Herangehensweise gefun-
rungsphase zeigt oftmals die Notwendigkeit einer den werden, die den Weg vom Ist-Zustand zum
Rückkehr in die Akzeptanzphase an. Dabei wird erwünschten Soll-Zustand überbrückt. Diese Zu-
immer an konkreten Problemsituationen gearbei- sammenhänge bringen jegliches Problem in ein
tet, für die stets Reaktionsketten formuliert werden. überschaubares Format. In . Abb. 6.1 ist darge-
Dadurch entsteht eine Sammlung von Themen. Sie stellt, wie diese Perspektive genutzt werden kann,
werden mit Hilfe von Interventionen bearbeitet, um Probleme von Patienten im Raum übersichtlich
die sich in den sieben Therapiemodulen finden. zu gliedern.
Problembezogene Gespräche münden dann in
die Bitte, mit Hilfe von Gegenständen den momen-
6.1 Psychotherapeutische Aktion: tan gefühlten problematischen Ist-Zustand sowie
Problemaufstellung im Raum den in der Zukunft liegenden gewünschten Ziel-
Zustand zu symbolisieren. Weiterhin wird der Pati-
Nach den bisherigen Ausführungen ist die Metho- ent aufgefordert, eine Barriere aufzustellen, die den
de der Wahl während der psychotherapeutischen Weg vom Ist-Zustand zum Ziel blockiert. Dieses
6.1 · Psychotherapeutische Aktion: Problemaufstellung im Raum
133 6

. Abb. 6.1 Ein Patient hat im Raum Ist-, Soll-Zustand und Barriere aufgebaut. Seine Körperhaltung im Ist-Zustand zeigt
seine Verfassung

einfache räumliche Arrangement ist im Sinne der »Zukunft« und Rückwärtsbewegung mit dem Kon-
Embodimentperspektive als eine konzeptuelle Me- zept der »Vergangenheit« assoziiert. Wenn wir den
tapher zu verstehen. Sie ermöglicht es, mit recht Patienten bitten, sich auf den Ist-Zustand zu stellen
komplexen Sachverhalten umzugehen, indem man und sich von dort auf den Soll-Zustand hinzubewe-
sie in einfache körpernahe Handlungen umsetzt. gen, so entspricht dies gleichzeitig einem Herstel-
Wir sahen, dass dabei das Wissen über konkrete len von Zukunft. Diese konkreten und greifbaren
Quelldomänen (z. B. der Startpunkt eines Weges, Quellkonzepte sowie die dadurch vermittelte Span-
hier der Ist-Zustand) genutzt werden kann, um da- nung zwischen Ist- und Soll-Zustand helfen
von ausgehend komplexere Konzepte, wie z. B. den 1. deutlicher zu erfahren, wie der psychische Aus-
Anfangszustand eines interaktiven Problems, bei gangszustand beschaffen ist und wie er sich
dem es etwa um eine Bedürfnisfrustration geht, zu vom erwünschten Zielzustand unterscheidet,
realisieren. Quellkonzepte repräsentieren einfache 2. und zu entscheiden, was in einer Situation nicht
körperbezogene Interaktionen mit der physika- mehr geduldet und was die Person nicht mehr
lischen und sozialen Umwelt, z. B. die Bewegung sein will, bzw. was sie in der Zukunft sein will
nach vorne zum Soll-Zustand, von dort die Rück- und was sie hier erleben will.
wärtsbewegung zum Ist-Zustand.
Wir sahen darüber hinaus, dass diese Bewe- Die sehr konkreten und greifbaren Quellkonzepte
gungen auch eine zeitliche Bedeutung verkörpern. von Ist- und Soll-Zustand helfen dabei, abstrakte
Vorwärtsbewegungen sind mit dem Konzept der emotionale und kognitive Konzepte, wie sie sich in
134 Kapitel 6 · Problemklärung und Wege der Verhaltensänderung

den Zustandsbeschreibungen der problematischen eine geeignete Körperhaltung, Mimik und Gestik
Ausgangslage und des Zielzustandes finden, einzu- finden. In diesem Zustand entstehen spontan posi-
fangen, in einfacheren Sprachbildern darzustellen tive Emotionen, insbesondere aber Aufbruchsstim-
und einfaches körpernahes Tun anzuregen, sich al- mung. Der Soll-Zustand ermöglicht eine kurzfristi-
so z. B. vom Ist- zum Soll-Zustand zu bewegen. So ge Befreiung von der Bürde negativer Erfahrungen,
wird also z. B. das Sprechen über die Absicht, sich von Misserfolgserwartungen und Befürchtungen.
von einer Person zu distanzieren, ergänzt durch Auf diese Weise kann sich eine verheißungsvollere
unmittelbares Tun im Raum. Die Person wird ge- Zukunft auftun. Dies ist eine Folge der im Soll-Zu-
beten, dies mit Hilfe von Körperbewegungen, Mi- stand hergestellten positiven Emotionalität. Posi-
mik und Gestik auch darzustellen. Der Unterschied tive Emotionen verbessern den Zugang zum Exten-
zum rein verbalen Austausch ist verblüffend. Durch sionsgedächtnis und damit auch zu unseren Res-
Betätigung der Sensomotorik, durch einfache sourcen.
Handlungen, durch körpernahes Tun werden Si- Mehrfaches Hin- und Herwechseln zwischen
6 mulationsprozesse gefördert, die das Begreifen und beiden Zuständen hilft dabei, den gefühlten Unter-
Entwickeln von abstrakten Konzepten ermöglichen schied zwischen beiden Positionen sehr klar her-
und den schnellen Zugang zu einem breiten Ver- auszuarbeiten. Dieser wichtige Vorgang dient einer
haltensrepertoire unterstützen. Entmischung beider Zustände. Anfangs werden
Jegliches problemorientiertes Gespräch wird Zweifel oder Sorgen in den Soll-Zustand mitge-
lebendiger und fruchtbarer, wenn es in die Struktur nommen. Dies zeigt sich deutlich daran, dass die
der Problemaufstellung transformiert wird. Positionierung im Zielzustand noch gedämpft und
verhalten wirkt. Dies wird gemeinsam beschrieben
Ist-Zustand Er beschreibt den Patienten mit seiner und löst einen Wechsel zurück in den Ist-Zustand
Lerngeschichte, mit seiner aktuellen Lebenssituati- aus. Hier beschreibt sich der Patient erneut in sei-
on, mit seiner Überlebensstrategie und im engeren ner problematischen Ausgangslage mit passender
Sinne während des Problemgesprächs mit seinen Körperhaltung usw. Danach findet wieder ein
schwierigen Gedanken und Gefühlen, sowie sei- Wechsel in den Zielzustand statt, mit entspre-
nem Körper- und Ausdrucksempfinden. Nach chender Körperhaltung, Mimik, Gestik, Stimme
einer Vergegenwärtigung der problematischen usw. Dieser Wechsel wird solange vollzogen, bis
Situation soll er sich im Raum vor der Barriere sich beide Zustände deutlich voneinander unter-
positionieren (. Abb. 6.1). Hier schildert er noch- scheiden. Ein Soll-Zustand, der in dieser Weise ge-
mals seine Verfassung in der jeweiligen Problem- klärt ist, wirkt als Ressource. Aus dieser Position
situation, erspürt seine körperliche Anspannung wendet sich der Patient nun der Barriere zu und
und soll dies dann in einer dazu passenden Körper- befasst sich mit Aspekten der Zielrealisierung.
haltung, Mimik, Gestik usw. zum Ausdruck brin-
gen. Die negative Emotionalität und eine entspre- Barriere Dieses Element der Problemaufstellung
chende Stimmlage stellen sich dabei meist von al- steht für Hindernisse auf dem Weg zur Zielrealisie-
leine ein. Die Beschreibung ist nun viel reicher und rung. Werden die bisher gewohnten Wege verlas-
differenzierter. sen, so können etliche Gefahren auftreten, die mit
verschiedenen Ängsten verbunden sein können
Soll-Zustand Hier beschreibt sich der Patient als die und die auch in den Überlebensstrategien erfasst
Person, die er sein will und die das gesetzte Ziel be- werden.
reits erreicht hat. Er soll während dieser Beschrei- Damit sind oft auch fehlende Fertigkeiten und
bung so tun, als sei die Barriere nicht da. Weiterhin mangelnde Kompetenzen verknüpft. Die Barriere
hat er entschieden, welche Haltung ihn bei der wird als Messlatte benötigt; ihre Gesamthöhe re-
Zielverwirklichung am besten unterstützen kann. präsentiert 100% der jeweiligen Angst. Zwischen-
Mit Hilfe seines Wertepools wird ein stärkendes ziele werden so benannt, dass die entstehende
Haltungsziel verankert. Er soll beschreiben, wie er Angst noch ausgehalten werden kann bzw. in acht-
sich als dieser Mensch fühlt und soll dafür auch samem Gewahrsein gehalten werden kann.
6.3 · Rubikonmodell der Veränderung: Änderungs- und Akzeptanzphase
135 6
Entwurf dafür zu erstellen. Systematische Selbstbe-
Verschiedene Angstqualitäten in SBT obachtung hilft dabei, diesen Entwurf zu überprü-
(Adaptiert nach Sulz, 1995) fen und zu präzisieren. Für problematische Situa-
4 Angst, sich aufzulösen, nicht mehr zu sein tionen werden Reaktionsketten erstellt. Dabei wer-
4 Angst, wichtige Menschen zu verlieren den die Konzepte primärer und sekundärer Emo-
4 Angst, die Kontrolle über sich oder eine tionen eingeführt.
Situation zu verlieren Das Verständnis für problematische Situatio-
4 Angst vor Ablehnung und Kritik nen wird noch weiter vertieft, wenn nun deutlich
4 Angst vor Hingabe und starken Gefühlen wird, in welcher Weise die Überlebensstrategie den
4 Angst, Aggressionen gegen sich selbst primären Impuls verwandelt. Überlebensstrategien
auszulösen entfalten ihre Wirkung natürlich auch zwischen
Therapeut und Patient. Das Verständnis dieser
Strategie ermöglicht somit auch die Nutzung der
therapeutischen Beziehung als wirksames Thera-
pieinstrument. Durch die lebendige Erfahrung von
6.2 Klärungsphase: Vorbereitung Zielzuständen im Rahmen von Problemaufstellun-
des Veränderungsprozesses gen, wird schon früh der Zugang zu wesentlichen
Ressourcen des Patienten gebahnt. Möglichst früh
Die Problemaufstellung vermittelt ebenfalls ein wird dies ergänzt durch Erstellen eines Wertepools.
Bild für verschiedene Phasen im Therapieprozess. Er ist Basis für die Entwicklung von Werthaltungen,
Wenn der Patient in die Therapie kommt, dann be- wodurch die ressourcenorientierte Arbeit Kontur
findet er sich in der Sprache der Problemaufstel- und Verbindlichkeit bekommt. Diese Ressourcen-
lung im Anfangszustand. Hier werden nicht nur orientierung ist allgegenwärtig und unterstützt das
Fragen nach der genauen Qualität seines Leidens Behandeln schwieriger Themen als auch das Anpa-
aufgeworfen, sondern auch nach den Bedingungen, cken von Veränderungsprojekten.
die dieses leidvolle Erleben auslösen und die sie
aufrechterhalten. Diese Phase bezeichnen wir als
Klärungsphase. Im Zielzustand ist dieses Wissen 6.3 Rubikonmodell
bereits umgesetzt, um Ziele zu finden und einen der Veränderung: Änderungs-
Weg zu planen, wie diese Ziele erreicht werden und Akzeptanzphase
können. Er entspricht der Änderungsphase. Hier
wird auch die Umsetzung des Plans begleitet. Wir Im Anschluss an die Klärungsphase geht es um die
wollen uns aber zunächst der Klärungsphase zu- Verwirklichung von Zielen.
wenden. Die Strategie der nun folgenden Änderungs-
Die Klärungsphase umfasst das Erstgespräch, phase wird von der jeweiligen Überlebensstrategie
Erhebung des psychopathologischen Befundes und bzw. – proaktiv umformuliert – der korrespon-
der Lerngeschichte. Sobald die Entscheidung für dierenden Lebensstrategie festgelegt. Dadurch wird
eine Therapie gefallen ist, werden Achtsamkeits- der Suchraum der Problemlösung eingegrenzt. Die
übungen sowie der Körperfokus etabliert und die Lebensstrategie legt Zielkorridore fest, die auf die
systematische Selbstbeobachtung in Bezug auf das individuelle Problematik des Patienten punktgenau
problematische Verhalten angeregt. Oft kann schon abgestimmt sind. Je nach Schwerpunkt werden sie
in der dritten Stunde das Problemgespräch in die innerhalb der Module »Behaviorale Therapie« und
Struktur der Problemaufstellung transferiert wer- »Symptomtherapie« näher bestimmt. Hier werden
den. Das Gespräch wird ab diesem Moment immer Zielsetzungen so ausformuliert, dass sie handlungs-
ergänzt durch leibnahes Handeln im Raum. Das wirksam sind. Sie sollen nicht nur ein bestimmtes
Erspüren der Spannung zwischen Ist- und Soll-Zu- Annäherungsverhalten kennzeichnen, sondern
stand ist der Ausgangspunkt, um das Konzept der obendrein auch noch motivierend sein. Im nächs-
Überlebensstrategie einzuführen und einen ersten ten Schritt wird gefragt, in welcher Haltung die
136 Kapitel 6 · Problemklärung und Wege der Verhaltensänderung

Zielrealisierung angepackt werden soll, d. h. hier Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt eine Ände-
werden Werthaltungen als Ressourcen verankert. rung möglich ist. Er bezieht sich dabei ausdrück-
Ist das Reisegepäck in dieser Weise geschnürt, lich auf Ausführungen von Vertretern der neueren
dann wird Abschied genommen: Ganz bewusst löst Verhaltenstherapien der dritten Welle wie Linehan
sich der Patient aus dem Bedingungsgefüge des Ist- (1996), Hayes (2004) sowie Jacobson und Christen-
Zustandes. Er verfügt bereits über einen Hand- sen (1996), die in diesem Zusammenhang den Be-
lungsplan, der auch den Umgang mit Ungewissheit griff der »radikalen Akzeptanz« geprägt haben.
und Fehlschlägen berücksichtigt. Schließlich muss Nicht zu Unrecht weist Sulz (2001) darauf hin, dass
der Patient ins Handeln kommen. All diese Vorbe- die meisten Psychotherapeuten nicht daran ge-
reitungen berücksichtigen Erkenntnisse und wöhnt sind, sich an einer strikten Unterscheidung
Schlussfolgerungen des sog. Rubikonmodells von von Klärungsphase, Akzeptanz- und Änderungs-
Heckhausen & Gollwitzer (1987), das hier aber in phase zu orientieren.
der für Psychotherapeuten praktikableren Variante In dieser Form legt das Modell nun nahe, darauf
6 von Storch & Krause (2002), die sich wiederum an zu achten, ob Patienten während eines Änderungs-
den Ausführungen von Grawe (1998) orientiert, schrittes etwa in einen Zustand der Nicht-Akzep-
kurz dargestellt werden soll. Nach ihrer Variante tanz geraten und damit ihren Fortschritt riskieren.
des Rubikonprozesses sind die folgenden fünf Pha- Sollte das geschehen, so müssen alle Änderungs-
sen am Entstehen einer Handlung beteiligt: bemühungen gestoppt werden und die Aufmerk-
1. Bedürfnis: Ein oft unbewusster Wunsch oder samkeit muss nun zurück auf die Akzeptanzphase,
ein vages Unbehagen mit der aktuellen Situa- vielleicht sogar noch weiter zurück auf die Klä-
tion. »Irgendetwas spüre ich, ich kann es nicht rungsphase gelenkt werden. Immer wieder zeigt
so recht greifen.« sich, dass Patienten und auch gelegentlich ihre The-
2. Motiv: Ein sprachlich gefasster Wunsch, der rapeuten zu schnell in die Änderungsphase vorsto-
aber noch nicht handlungswirksam ist. »Ich ßen wollen. In dieser Hinsicht sind Stagnationen in
wünsche mir, dass…« der Therapie ein wichtiges Signal. Sich länger auf
3. Intention: Ein handlungswirksames Ziel. »Ich dem linken Ufer aufzuhalten macht also Sinn.
will!« . Tab. 6.1 spiegelt dies ein wenig wider: Links sind
4. Präaktionale Vorbereitung: Sich selbst in die mehr Module notiert als rechts. Aufgrund der be-
Lage versetzen, zielorientiert zu handeln. »Ich sonderen Bedeutung der Akzeptanzarbeit, wurde
will handeln und ich bin für eine Umsetzung im Interventionsteil eigens ein Modul »Akzeptanz-
gerüstet!« strategien« beschrieben.
5. Handlung: So handeln, dass das anvisierte Ziel
realisiert wird. »Ich ziehe es durch.«
6.4 Logik der Reaktionskette –
Der Schritt vom Motiv zur Intention wird als Schritt Weg der Therapie
über den Rubikon bezeichnet. Das Überlegen und
Abwägen ist hier zu Ende und ein klares Ziel steht Die Einteilung des therapeutischen Prozesses er-
vor Augen und wird angestrebt. In . Tab. 6.1 wur- möglicht eine Art der Vogelperspektive: »Wo befin-
den den beiden Ufern des Rubikons, hier als Klä- den wir uns in der Therapie? Sind wir schon soweit,
rungsphase bzw. als Änderungsphase bezeichnet, dass wir in die nächste Phase eintreten können?
die Arbeitsschwerpunkte der SBT-Module zuge- Müssen wir zunächst noch die Akzeptanzarbeit
ordnet. vertiefen?« usw. Diese Perspektive fordert Entschei-
Die Einführung der Akzeptanzphase in das Ru- dungen, die getroffen werden sollten, damit die Ar-
bikonmodell stammt von Sulz (2001). Die Akzep- beit innerhalb der jeweiligen Phasen ihre Wirkung
tanzphase verbindet die Klärungsphase mit der entfalten und zielorientiert bleiben kann.
Änderungsphase. In dieser Form berücksichtigt Wie sieht das Vorgehen innerhalb der beschrie-
das Modell jetzt die wesentliche Einsicht, dass das benen Phasen aus?
Akzeptieren problematischer Verhaltensbereiche
6.4 · Logik der Reaktionskette – Weg der Therapie
137 6
Klärungsphase Hier soll verstanden werden, was in
einer konkreten Situation eigentlich passiert, so . Tab. 6.1 Interventionsmodule und Phasen des
dass sie als problematisch erlebt wird. Der Patient Therapieprozesses. Adaptiert nach Sulz (2001)

befindet sich also im Ist-Zustand. Ziel dieser Ana-


Klärungsphase Akzeptanz- Änderungs-
lyse ist das gemeinsame Formulieren einer Reak-
phase phase
tionskette, die das Erleben einer problematischen
Situation verdeutlicht (. Tab. 6.2). Achtsamkeit, Spezielle Behaviorale
In einem ersten Schritt wird mit dem Patienten Körperfokus Akzeptanz- Therapie
über die Problemsituationen, die er mitbringt, ge- Überlebensstrategie strategien Symptom-
sprochen. Das Bedürfnis, darüber zu sprechen, wird Therapie mit Achtsamkeit therapie
sehr ernst genommen. Dabei wird die Aufmerk- Emotionen
samkeit immer wieder auf Details des inneren Erle- Therapeutische
bens und der äußeren Umstände gelenkt. Damit Beziehung
soll ihm deutlich werden, dass es viele wichtige As- Werte als Ressourcen
pekte gibt, die zu dem berichteten Erleben beitra-
gen und dass entsprechende Signale gut beobachtet
werden müssen. Deshalb werden Achtsamkeit und . Tab. 6.2 Inhalte der Reaktionskette einer
Körper fokus mit dem Ziel einer systematischen problematischen Situation
Selbstbeobachtung eingeführt. Für problembezo-
gene Gespräche wird stets eine Struktur angeboten, Reaktionskette Themen
die in die Tiefe führen soll und nicht in die Breite.
Problemsituation Worum geht es, wer ist
Dabei wird verdeutlicht, dass man sich für den Mo-
(= Verhaltens- beteiligt, was passiert wo und
ment auf die vorliegende Situation beschränken angebot zur wie? Was geschieht mit mir?
sollte, um ein genaueres Verstehen zu ermöglichen. Bedürfnis- Welche Frustration, welche
Hier wird zunächst geklärt, dass in den meisten befriedigung) Verletzung erlebe ich?
Situationen die Befriedigung bzw. die Frustration Primäre Emotion Was ist das erste Gefühl, das
eigener Bedürfnisse eine zentrale Rolle spielt. aufblitzt? Was ist es, wenn ich
Um diesen Zusammenhängen auf den Grund es mir jetzt erlaube, zu
zu gehen, wird eine Imagination oder eine Darstel- empfinden?
lung der Problemsituation im Raum vorgeschlagen. Primärer Impuls Welcher Impuls entsteht,
Ergebnis dieser Arbeit ist die Überlebensstrategie wenn ich dieses erste Gefühl
des Patienten. Im Sinne einer Hausaufgabe soll er zulassen würde? Was möchte
sich mit Blick auf seine Überlebensstrategie in der ich am liebsten tun?
therapiefreien Zeit selbst beobachten. In einem Antizipation der Was sind die Folgen für mich
nächsten Schritt bekommt die Situationsanalyse ei- Folgen und die Beziehungen in der
nen deutlich emotionaleren Fokus. Es geht um die Situation, wenn ich diesen
Impuls zulassen würde?
Klärung sekundärer und primärer Emotionen. Die
gleiche Problemsituation wird erneut imaginiert Sekundäre Emotion Welches Gefühl entsteht dann
oder im Raum aufgestellt. Zur Aufklärung dieser (gegensteuerndes tatsächlich und wie wirkt es
Zusammenhänge kommen Module der »Therapie Gefühl) sich auf mich aus?
mit Emotionen« zur Anwendung. Als nächstes Beobachtbares Welches Verhalten zeige ich
wird geprüft, wie Reaktionskette und Überlebens- Verhalten nach außen? Welches Signal
strategie zusammenpassen. Dabei wird deutlich, sende ich damit an die
Beteiligten?
dass die Überlebensstrategie mit ihren Geboten
und Verboten oft schon im Vorfeld den primären Symptombildung Welche Symptome zeigen
Impuls wirksam auszubremsen vermag. Nun ist es sich bei mir? Welche Wirkung
an der Zeit, persönliche Werte als Ressourcen zu haben sie auf mich und meine
Umgebung?
etablieren. Außerdem bietet es sich an, die Gestal-
138 Kapitel 6 · Problemklärung und Wege der Verhaltensänderung

tung der therapeutischen Beziehung deutlicher die Arbeit in der Änderungsphase, dann sollte man
an der Überlebensstrategie des Patienten auszu- möglichst schnell in die Akzeptanzphase zurück-
richten und sie explizit zum Arbeitsinstrument zu kehren. Diese Arbeit bezieht sich auf den Ist-Zu-
deklarieren. stand der Problemaufstellung.

Akzeptanzphase Meistens wollen die Patienten Änderungsphase Wenn die Akzeptanzphase erfolg-
schnell wieder funktionieren, möglichst so, wie vor reich durchschritten wurde, dann ist der Weg in
ihrer Erkrankung. Oft werten sie sich für ihre »Un- Richtung auf eine Veränderung frei. Die versteck-
fähigkeit« massiv ab und machen sich dafür herun- ten Meidungstendenzen sind offen gelegt und kön-
ter. Hier liefert die Beschäftigung mit der Über- nen nun zumindest einkalkuliert und benannt wer-
lebensstrategie eine neue Perspektive und erlaubt den. Ziel der Änderungsphase ist das Realisieren
einen tieferen Einblick in die Motivation ihres der eigentlichen Therapieziele, so wie sie sich strin-
Handelns. Die Erkenntnis, dass sie es sich in ihrem gent aus der Lebensstrategie – dem proaktiven
6 Leben in Wirklichkeit nicht leicht gemacht haben, Äquivalent der Überlebensstrategie – ergeben. Die-
sondern ganz im Gegenteil, einen oftmals anstren- se Arbeit in der Änderungsphase beginnt nun dort,
genden Kampf um die Befriedigung ihrer Grund- wo die Klärungsphase endete: Bei der mikroanaly-
bedürfnisse führen, lässt meist schon mehr Bereit- tischen Reaktionskette. Die Reaktionskette des Er-
schaft für ein tieferes Verständnis entstehen. Ak- lebens jener problematischen Situation ergibt
zeptanzthemen beziehen sich auf Merkmale, die gleichzeitig eine nachvollziehbare Struktur für not-
der Patient nicht an sich mag, die er nicht haben wendige Interventionen (. Tab. 6.3).
will, weil sie ihn z. B. ängstlich, hilflos und be- Inhalte der Änderungsphase sind die Module
schämt sein lassen. Damit ein solches Erleben erst »Behaviorale Therapie« und »Symptomtherapie«.
gar nicht aufkommt, müssen entsprechende As- Tendenziell wird möglichst früh mit der Symptom-
pekte von Situationen gemieden werden. So darf therapie begonnen. Im Falle schwerer gestörter Pa-
jemand vielleicht nicht wirklich seinen Erfolg zur tienten steht zunächst die Arbeit mit der therapeu-
Schau stellen, da er befürchtet, dann entwertet und tischen Beziehung im Vordergrund, damit ausrei-
beschämt zu werden. Dieses Verbot generiert wie- chend Sicherheit erlebt wird, bevor Symptome ab-
der Vermeidungsstrategien und lenkt in subtiler gebaut werden. In der behavioralen Therapie wer-
Weise die Aufmerksamkeit. den die Voraussetzungen geschaffen, dass die erar-
In der Akzeptanzphase lernen Patienten weni- beiteten Ziele im Alltag umgesetzt werden können
ger selbstkritisch und bewertend, als auch wohl- und die Bedürfnisbefriedigung dabei in funktio-
wollender den Seiten der eigenen Person gegenüber nalerer Weise sichergestellt ist. Damit sich für
zu sein, die sie nicht spüren bzw. die sie nicht sein dieses Unternehmen Aufbruchstimmung einstellt,
wollen. Dieses Zulassende und Gewährende schafft muss zweierlei passieren.
Bedingungen für mehr psychologische Flexibilität. Erstens muss im Interesse einer ressourcenori-
Achtsamkeit und spezifische Akzeptanzstrate- entierten Arbeitsweise ein persönlicher Wert als
gien erweitern die Perspektive: Der Blick ist nun Haltungsziel verankert werden: »In welcher Hal-
frei für die gesamte Landkarte möglicher alternati- tung und unter welchem Motto möchte ich mich
ver Verhaltensweisen. Statt Wegschauen können auf den neuen Weg machen?« Zweitens muss der
nun Realitätsprüfung und aktives Problemlösen bisherige Pfad der Bedürfnisbefriedigung bewusst
passieren. Dieses In-Kontakt-Gehen mit vermie- verlassen und verabschiedet werden. Damit soll
denem Erleben leitet allein schon eine Verhaltens- sich der Patient bewusst aus dem bisherigen Bedin-
änderung ein. Der bisherige – aversive – Auslöser gungsgefüge seines Verhaltens lösen, weiterhin soll
wird mit einem qualitativ neuen Verhalten gekop- damit auch besonders deutlich der Wille als Bewe-
pelt: Wahrnehmen, Erkennen, Hinschauen, Aus- ger ins Spiel gebracht werden. Erst dann soll die
halten und Beschreiben. Solange dies nicht gewähr- genauere Architektur einer neuen, zielführenden
leistet ist, sollte der Schritt in die Änderungsphase Handlung überlegt werden.
noch nicht vollzogen werden. Ebenso gilt: Stagniert
6.4 · Logik der Reaktionskette – Weg der Therapie
139 6
Die Reaktionskette in . Tab. 6.3 liefert hierzu
. Tab. 6.3 Die Reaktionskette der problematischen
einen Leitfaden. Man erkennt, dass beim Aufbau Situation vermittelt eine Themensammlung für den
und Erproben notwendiger Skills wieder Inhalte Einsatz verschiedener Interventionen
sämtlicher SBT-Module zum Einsatz kommen. Ins-
gesamt bezieht sich die behaviorale Therapie auf Reaktionskette Interventionen
den Soll-Zustand in der Problemaufstellung. Das
Problemsituation Achtsames Beobachten,
häufige Hin- und Herwechseln zwischen den bei-
(= Verhaltens- Körperfokus, Erfassen innerer
den Zuständen hat dabei einen wichtigen kontras- angebot zur und äußerer Signale beim
tierenden Effekt: »Was möchte ich und was möchte Bedürfnis- Erleben, Stärkung durch
ich nicht mehr? Wer will ich sein und wer will ich befriedigung) Ressourcen und Haltungsziele,
nicht mehr sein?« Dies unterstützt auch sehr stark Verstoßen gegen die
Überlebensstrategie, Handeln
die Aufbruchstimmung. Es ist viel erreicht, wenn
gemäß Lebensstrategie
die Bearbeitung einer Problemsituation alle drei
Phasen des Prozesses durchlaufen hat. Primäre Emotion Wahrnehmen, spüren,
diskriminieren, anerkennen
Als nächstes wird die in der Schwierigkeits-
und wertschätzen, aushalten
hierarchie nachfolgende Situation angepackt. Das und dosieren lernen
Durchgehen dieser Phasen macht Patienten zuver-
sichtlicher, kompetenter und fokussierter, was den Primärer Impuls Selbstregulation: »Was macht
die primäre Emotion mit mir?«
Umgang mit ihren Problemen angeht. Darüber
Kernthema der primären
hinaus verbessert sich auch die Beziehung, die sie Emotion erfassen. Kraft
zu sich selbst haben. Deutlich wird dies an der dosieren lernen
günstigeren Fehlerkultur, die sich nach und nach
Antizipation der Signalwirkung der primären
einstellt, aber auch an der Bereitschaft, sich häu- Folgen Emotion kennen und erleben.
figer für ihre Erfolge zu belohnen. Soziale Regulation erproben:
»Welche Botschaft will ich
nun meinem Gegenüber
vermitteln? Wie will ich mich
dabei fühlen?«

Sekundäre Emotion Achtsames Beobachten


(gegensteuerndes sekundärer Gefühle: »Wozu
Gefühl) brauche ich das Gefühl?«
Exposition, Aushalten und
dementsprechend Handlungs-
impuls nicht nachgeben

Beobachtbares Körperhaltung, Mimik, Gestik,


Verhalten Sprache funktional ausrichten,
damit die Bedürfnisbefriedi-
gung erreichbar wird.
Das primäre Gefühl wird nicht
vermieden, sondern für die
Zielerreichung funktional
eingesetzt

Symptombildung Symptomtherapie
141 7

Interventionsmodule
für einen zielgerichteten
Therapieprozess
Move your body

7.1 Achtsamkeit, Etablieren des Körperfokus


und Akzeptanz – 142
7.1.1 Achtsamkeitsübungen – 142
7.1.2 Etablieren des Körperfokus – 145
7.1.3 Akzeptanzarbeit – 148

7.2 Erarbeiten der Überlebensstrategie – 152


7.2.1 Überlebensstrategie und Problemsituationen – 152
7.2.2 Präzisieren der Überlebensstrategie – 156
7.2.3 Überlebensstrategie und Lerngeschichte – 157

7.3 Symptomtherapie – 159


7.3.1 Umgang mit den Befindlichkeitssymptomen – 159
7.3.2 Umgang mit den Verhaltenssymptomen – 160

7.4 Ressourcenaktivierung durch persönliche Werte – 160


7.4.1 Erstellen eines Wertepools – 160
7.4.2 Werteaffirmation und Werthaltung – 161
7.4.3 Werte als Ressourcen und Haltungsziel – 164
7.4.4 Mit Werthaltungen Stress senken und Überblick behalten – 164
7.4.5 Wertkorridor: Stärken der Verbindung zwischen Haltungs-
und Handlungszielen – 165
7.4.6 Kursbestimmung für die Entwicklung und das Leben – 166
7.4.7 Balance: Wertedomänen besetzen und Antagonisten
zu Synergisten machen – 167

G. Hauke, Strategisch Behaviorale Therapie (SBT),


DOI 10.1007/978-3-642-29730-4_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
7.5 Arbeit mit Emotionen – 169
7.5.1 Vom präkognitiven Niveau des affektgetönten Körperempfindens
zum kognitiven Niveau der Emotion – 169
7.5.2 Prototypische emotionale Episoden und Kernthemen – 170
7.5.3 Emotionsexposition mit Ermittlung der Regulationsfunktionen – 171
7.5.4 Erzeugen prototypischer Emotionen durch Einstellen von
Atemrhythmus, Mimik und Körperhaltung – 174
7.5.5 Psychoedukation einmal anders: Emotionen erleben,
Emotionsausdruck finden, Emotionsanlässe erkennen – 177
7.5.6 Emotionen mit dem Körper regulieren – 178
7.5.7 Primäre und sekundäre Emotionen – 181

7.6 Therapeutische Beziehung – 184


7.6.1 Therapeutische Beziehung wird zum Arbeitsinstrument
und Arbeitsfeld erklärt – 184
7.6.2 Überlebensstrategie in der therapeutischen Beziehung – 186
7.6.3 Kellergeister: »Verbotene« Impulse und Gefühle
in der therapeutischen Beziehung – 188
7.6.4 Qualität der therapeutischen Beziehung sichtbar machen – 191
7.6.5 Auf den Punkt gebracht! Ein Schema der Selbstreflexion
für Therapeuten – 192
7.6.6 Psychologisches Alter, Entwicklung von Selbstbild und Identität
in der therapeutischen Zusammenarbeit – 194

7.7 Behaviorale Therapie – 196


7.7.1 Patienten sollen lernen, ihrer Erfahrung zu vertrauen – 196
7.7.2 Von der Überlebensstrategie zur Lebensstrategie und den
Zielbereichen – 197
7.7.3 Wirksame Handlungsziele entwickeln – 199
7.7.4 Haltung entwickeln, Abschied nehmen – 201
7.7.5 Zielrealisierung – 202
7.7.6 Gemeinsame Bewertung – 204
7.1 · Achtsamkeit, Etablieren des Körperfokus und Akzeptanz
143 7
In diesem Kapitel wird der Werkzeugkoffer von mit dem Atem, der sozusagen als Vehikel benutzt
Strategisch Behavioraler Therapie (SBT) dargestellt. wird, um Achtsamkeit zu entwickeln.
Art und Arbeitsweise der Interventionen leiten sich Nachdem Patienten eine Entscheidung für die
aus den theoretischen Kapiteln her und sind eine Therapie getroffen haben, wird in das Thema Acht-
Erweiterung und Konkretisierung der Strategieka- samkeit als eine Form der Aufmerksamkeitslen-
pitel. Die Arbeit bezieht sich immer auf konkrete, kung eingeführt. Dabei wird sogleich darauf hinge-
vom Patienten erlebte Problemsituationen. Die wiesen, dass dies beim Umgang mit schwierigen
Wirkung der Übungen ist stets erlebnisaktivierend: Situationen hilfreich sein kann.
Das Erleben in der Problemsituation wird wieder
hergestellt und gefühlt. Das spart Zeit und zielt auf jÜbung zur Aufmerksamkeitslenkung
das Wesentliche. Nur so kann auch implizites Ma- Vorbereitung
terial erfasst werden. Das therapeutische Gespräch 4 »Damit Sie gut vorbereitet sind für anstehende
wird deshalb ergänzt durch einfache leibbezogene Veränderungsschritte, brauchen wir etwas
Handlungen im Raum. Auf diese Weise werden Si- Handwerkszeug.
mulationsprozesse mit Hilfe der Sensomotorik un- 4 Um das zu verdeutlichen, möchte ich Sie zu
terstützt. Sie sind die Basis anspruchsvoller kogni- einem kleinen Experiment einladen.«
tiver Prozesse und beziehen entsprechende Areale
des Gehirns mit ein. Die Reihenfolge der hier dar- Durchführung
gestellten Module spiegelt auch in etwa die Abfolge 4 »Zunächst möchte ich Sie fragen, ob es in letz-
für den Einsatz der Interventionen wider, z. B. ter Zeit ein für Sie etwas unangenehmes Ereig-
Achtsamkeit vor Erarbeitung der Überlebensstrate- nis gegeben hat, weshalb Sie erregt oder besorgt
gie usw. waren (Schlüssel vergessen, Wechselgeld nicht
Der Einstieg in die Therapie folgt der Reaktions- nachgezählt, jemand drängelte sich vor usw.)?
kette zu einer ausgewählten Problemsituation. Den Lassen Sie uns ein Ereignis auswählen! Jetzt bit-
Gliedern der Reaktionskette können systematisch te ich Sie um Folgendes:
Interventionen zugeordnet werden (vgl. . Tab. 6.2). 4 Sitzen Sie einfach eine Weile und denken
Absichtlich sind die Anleitungen zu den Übungen Sie über das ausgewählte Ereignis nach,
in wörtlicher Rede verfasst worden. Nach und nach befassen Sie sich mit allen Erinnerungen
können diese Empfehlungen durch eigene Wort- (1 Minute).
wahl und Sprechpraxis ersetzt werden. 4 Beobachten Sie jetzt Ihr Ein- und Aus-
atmen. Dabei richten Sie Ihre Aufmerk-
samkeit nur auf das Ein- und Ausströmen
7.1 Achtsamkeit, Etablieren des Atems. Wenn Sie merken, dass Ihre
des Körperfokus Aufmerksamkeit nicht mehr bei Ihrem
und Akzeptanz Atem ist, dann lenken Sie Ihre Aufmerk-
samkeit dorthin zurück (1 Minute).
7.1.1 Achtsamkeitsübungen
Auswertung
In der Zen-Meditation, so wie sie der Autor gelernt 4 »Was ist der Unterschied zwischen beiden Er-
hat, wird die Aufmerksamkeit hilfsweise auf den fahrungen? Was passierte mit Ihrer Aufmerk-
Atem gerichtet oder genauer: Das Einatmen und samkeit? (Patienten berichten in der Regel, dass
das Ausatmen werden beobachtet (Enomiya-Las- sich im Falle des unangenehmen Ereignisses
salle,1968; Arokiasamy, 1991). Dies ist der erste die Aufmerksamkeit von Reiz zu Reiz, von Bild
Schritt in die Meditation und soll darin schulen, zu Bild, von Gedanke zu Gedanke bewegen
Aufmerksamkeit zu fokussieren. Zen-Meditation würde, Unruhe und unangenehme Gefühle
und Psychotherapie sind verschiedene Dinge und seien wieder voll dagewesen, sie hätten ange-
sollten auf keinen Fall miteinander vermischt wer- fangen, sich erneut mit dem Ereignis auseinan-
den. Nützlich ist aber die Art und Weise des Übens derzusetzen, das wiederum hätte genervt usw.
144 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

4 Durch die Lenkung der Aufmerksamkeit auf wird auch deutlicher, wenn man liegend mit
den Atem, komme es mehr und mehr zu einer einem dickeren Buch, das sich auf Brust oder
gewissen Beruhigung, manchmal sogar zu Ent- Bauch befindet, atmet.
spannungsgefühlen, allerdings würde die Auf- 2. Das Zurückholen der Aufmerksamkeit kann
merksamkeit immer wieder abschweifen).« durch einen externen Signalgeber anfangs un-
terstützt werden (Metronom, eigene Stimme
Instruktion auf CD aufnehmen und etwa alle 10–15 Sekun-
4 »Das, was Sie erlebt haben, ist völlig normal. den »Jetzt« oder »Atem« etc. sagen lassen).
Ebenso natürlich ist es, wenn im zweiten Teil
der Übung die Aufmerksamkeit abschweift. Diese erste Übung hat lediglich die Funktion den
Das aber lässt sich durch Übung nach und nach Unterschied zu spüren zwischen dem automatisier-
verbessern. Es ist allein schon wertvoll, wenn ten Schweifen der Aufmerksamkeit und seiner be-
Sie merken, dass Sie abschweifen. wussten Lenkung. Im zweiten Schritt wird bereits
4 Dieses ›Bemerken‹ bezeichnet man als Acht- ein Übungsformat vermittelt, das täglich eingesetzt
samkeit. Anfangs werden Sie ständig feststellen, wird. Patienten sollen dabei lernen, eine innere Ins-
7 dass Ihre Aufmerksamkeit nicht mehr beim tanz zu etablieren, die man als inneren Beobachter
Atem ist, Sie denken dann vielleicht an Ihre Ar- bezeichnen kann. Dieser innere Beobachter regis-
beit, ans Essen oder Sie sind sogar kurz einge- triert, was mit ihm passiert, ohne dass ihn seine
schlafen usw. Gedanken und Gefühle dazu treiben können, etwas
4 Wichtig ist nun, dass Sie nicht ungeduldig mit daran zu verändern.
sich werden, wenn Sie feststellen, dass Ihre Auf- Diese Fähigkeit von einem unangenehmen Zu-
merksamkeit schon wieder woanders ist. Wie stand zurücktreten zu können und inneren Abstand
gesagt, wenn Sie es merken, dann sind Sie schon zu bewahren, ist ganz besonders wichtig für den
achtsam. Umgang mit sich selbst in schwierigen Situationen.
4 Schelten Sie sich nicht, sondern gehen Sie mit Sie ist eine grundlegende Fähigkeit, die auch später
Ihrer Aufmerksamkeit einfach wieder zurück. dabei hilft, sich dem Griff der Überlebensstrategie
4 Lassen Sie uns das Ganze noch einmal auspro- zu entziehen. Das Beobachten von Gedanken und
bieren.« Gefühlen, ohne den Impulsen nachzugeben, hilft,
den Druck automatischer Verhaltenstendenzen aus-
Hausaufgabe zuhebeln. Dies eröffnet nicht nur Wahlmöglich-
4 »Wählen Sie sich ca. 5 Zeitpunkte in Ihrem Ta- keiten, sondern kann der Person die entscheidende
gesablauf aus. Benutzen Sie geeignete Marker Erfahrung vermitteln, selbst Wählende zu sein.
(z. B. Handywecker, Aufkleber etc.), die Sie dar- Ausführlichere Anleitung für die systematische
an erinnern. Achtsamkeitsübung
4 Wechseln Sie dann für 1 Minute in den Zustand
der Achtsamkeit, indem Sie wie eben die Auf- Vorbereitung
merksamkeit auf den Atem lenken. 4 »Wir wollen die Erfahrungen vom letzten Mal
4 Kehren Sie dorthin zurück, sobald Sie merken, noch etwas vertiefen. Ich möchte Ihnen heute
dass Sie abgeschweift sind. die Grundlage für ein tägliches Üben vermit-
4 Notieren Sie bitte am Ende jeden Tages, wie es teln.«
Ihnen ergangen ist.«
Durchführung
Ergänzung 4 »Setzen Sie sich auf einen Stuhl mit gerader
1. Für das Andocken der Aufmerksamkeit sind Lehne und stellen Sie die Füße auf den Boden.
die Bewegungen von Brust oder Bauch sehr Sie können einen Knopf lösen, die Brille abset-
hilfreich. Patienten, die damit Schwierigkeiten zen etc. Ideal ist es, wenn Sie den Rücken gera-
haben, können anfangs eine Hand auf Brust de halten könnten, Sie können sich aber auch
oder Bauch legen. Das Gefühl für diesen Fokus anlehnen.
7.1 · Achtsamkeit, Etablieren des Körperfokus und Akzeptanz
145 7
4 Richten Sie Ihren Blick auf einen Punkt unge- Hausaufgabe
fähr einen Meter vor Ihren Füßen auf den Bo- 4 »Es ist erforderlich, dass Sie sich für diese
den, Sie können die Augen aber auch schließen. Übung an einem ruhigen Ort, wo Sie also eini-
4 Atmen Sie einige Male tief durch und lassen Sie germaßen ungestört sind, täglich 2-mal 5 Mi-
sich dann atmen, wie es Ihr Körper will. Ist Ihr nuten Zeit nehmen.«
Atem unregelmäßig, dann lassen Sie ihn, wie er
ist. Forcieren Sie nichts. Im Rahmen der ambulanten Therapie wird der
4 Beobachten Sie nun Ihren Atem. Patient dazu angehalten, zunächst mit kleinen
4 Hilfsweise können Sie das Auf und Ab Ihrer Übungseinheiten zu beginnen. Die Betonung liegt
Brust (oder Ihres Bauches) beobachten oder dabei mehr auf regelmäßiger und zuverlässiger
beim Einatmen und beim Ausatmen langsam Übung kleinerer Einheiten. Das unregelmäßige
mitzählen (z. B. jeweils bis 3). Üben größerer Einheiten ist nicht so effektiv.
4 Wahrscheinlich steigen Gedanken, Gefühle Mit etwas Übung wächst spürbar die Fähigkeit,
und Bilder auf. Lassen Sie alles kommen. Las- Aufmerksamkeit zu fokussieren. Dies kann – be-
sen Sie es da sein, auch wenn es noch so unan- sonders bei größeren Konzentrationsschwierig-
genehm oder erschreckend für Sie ist. keiten – auch unterstützt werden durch Zählen des
4 Wenn Sie merken, dass Sie damit beschäftigt Einatmens und des Ausatmens. Es dauert einige
sind, vielleicht sogar mit diesen Inhalten kämp- Wochen, bis es einigermaßen zuverlässig gelingt,
fen, dann registrieren Sie das einfach nur und sich aus Abschweifungen in Gedanken, Bildern,
richten Sie dann Ihre Aufmerksamkeit wieder aufsteigenden Gefühlen oder auch von äußeren Sti-
auf den Atem und versuchen Sie, dabei zu blei- muli zu lösen und wieder zum Atmen zurückzu-
ben. kehren. Zu Beginn jeder Stunde sollte gemeinsam
4 Schelten Sie sich nicht! geübt und diese Übungen dann auch kurz bespro-
4 Ein Gedanke steigt auf: Registrieren Sie ihn und chen werden. In aller Ruhe sollte der Übende im-
kommen Sie zurück zu Ihrem Atem. Eine Kör- mer wieder auf die Grundhaltung hingewiesen
perempfindung taucht auf: Wahrnehmen und werden. Was immer im Kegel des Gewahrseins pas-
zurückkehren. Wir hören ein Geräusch: Hören siert, er soll es wahrnehmen und loslassen. Ein Ge-
und zurückkehren.« danke steigt auf: Wir registrieren ihn und gehen
zurück auf den Atem. Eine Körperempfindung
Anmerkungen taucht auf: Wahrnehmen und zurückkehren. Wir
1. »Alles, was da ist, z. B. die Geräusche hier in- hören ein Geräusch: Hören und zurückkehren.
nerhalb des Raumes, außerhalb des Raumes, Falls man nichts Besseres zu tun hat, kann man
Ihre momentane Stimmung, Sorgen oder auch diese Übung überall und bei jeder sich bietenden
Freuden, Müdigkeit, Hunger usw. – alles gehört Gelegenheit durchführen. In der Regel werden
zur Übung. Alles ist Inhalt der Übung. Es geht Übende dazu angehalten, ohne spezifischen
also darum, das, was gerade da ist, wahrzuneh- Übungsrahmen auch im Alltag achtsam zu han-
men.« deln, d. h., das was man gerade tut, achtsam zu tun:
2. Später: »Zu den Vorgängen, die Sie in Ihrem In- Achtsam zu kauen, achtsam zu essen und zu trin-
nern beobachten, wie Gedanken, Gefühlen und ken, achtsam zu gehen usw.
Bilder, werden Sie mit zunehmender Beobach- Ganz besonders strapaziert wird die achtsame
tungspraxis eine veränderte Beziehung bekom- Haltung in Situationen, in denen sich Anspannung
men. Sie werden irgendwann merken, dass Sie und Stress schnell aufbauen. Wenn sich Patienten
sich mit ihnen nicht mehr so stark identifizie- mit derartigen Herausforderungen befassen, in vi-
ren. Sie werden mehr Distanz dazu haben: Ich vo oder in sensu, dann kann eine kurze achtsame
habe Angst, aber ich bin nicht diese Angst; ich Unterbrechung vollzogen werden durch Lenkung
habe das Gefühl versagt zu haben; aber ich bin der Aufmerksamkeit auf den Atem.
kein Versager (passende Beispiele wählen) usw.
Merken Sie den Unterschied?«
146 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

jAchtsame Unterbrechung in emotional ken und Gefühle aufdrängen, dann gehen Sie
überfordernden Situationen wieder zurück auf den Atem.
Vorbereitung 4 Gehen Sie jetzt wieder in die Situation hinein.
4 »Sie konnten ja schon viel Erfahrung mit der Verstärken Sie dabei wieder parallel zur Inten-
Lenkung Ihrer Aufmerksamkeit, mit Achtsam- sität Ihres Erlebens den Druck auf die Finger-
keit, sammeln. Kürzlich haben Sie von einer kuppen.
Situation berichtet (Situationsbeschreibung 4 Lockern Sie den Druck auf die Fingerkuppen,
wiederholen), die mit so viel Stress verbunden atmen Sie dabei tief ein. Docken Sie mit Ihrer
war, dass Sie sich dem Griff Ihrer Überlebens- Aufmerksamkeit beim Atem an und beobach-
strategie nicht mehr entziehen konnten. Das ten Sie achtsam.«
bedeutet ja, Sie sind gewissermaßen aus der Be-
obachterrolle herausgefallen. Sie hatten keine Auswertung
Distanz mehr. 4 »Wie ist es Ihnen gegangen? Ja, das hat etwas
4 Das ist eine sehr wichtige Erfahrung für unsere vom Umschalten, vom Unterbrechen. Sie kön-
gemeinsame Arbeit. Sie macht uns hier auf et- nen dies in beliebigen Situationen, in denen Sie
7 was Wichtiges aufmerksam. Für uns heißt das, sich real aufhalten, üben.«
dass Sie für solche Fälle eine Unterstützung be-
nötigen. Hausaufgabe
4 Ich möchte Ihnen heute etwas zeigen, das sich 4 »Wählen Sie sich 3–4 Situationen aus, in denen
bei solchen Gelegenheiten sehr gut bewährt Sie das üben wollen. Bitte notieren Sie sich Ihre
hat.« Erfahrungen.«

Durchführung Ergänzung
4 »Lassen Sie uns die stressige Situation imagi- 1. Anstelle des Drucks auf drei Fingerkuppen lässt
nieren, über die wir gerade sprachen. sich auch die Faust ballen. Für manche soziale
4 Führen Sie dabei Daumen, Zeigefinger und Situationen ist dies jedoch nicht geeignet. Der
Mittelfinger (der rechten oder der linken Hand) Fantasie zum Erzeugen solcher Sensationen ist
zusammen, so dass sich die drei Fingerkuppen keine Grenze gesetzt. Wesentlich ist, dass ein
fest berühren. Richten Sie Ihre Aufmerksam- gradueller Auf- bzw. Abbau des Drucks mög-
keit kurz auf den Kontakt der beiden Finger. lich ist.
Spüren Sie die Qualität dieses Kontaktes? 2. Das Lockern des Drucks sollte mit der Ge-
4 Schließen Sie nun die Augen und berichten Sie schwindigkeit des Einatmens möglichst genau
mir, was Sie sehen. Spüren Sie noch den Druck synchronisiert werden. Diese Synchronisations-
der Fingerkuppen? bemühung unterstützt die Aufmerksamkeits-
4 Kommen Sie nun zu dem Moment, in dem der lenkung.
Stress für Sie besonders groß war. Erhöhen Sie
dabei entsprechend den Druck der Fingerkup- 7.1.2 Etablieren des Körperfokus
pen! Spüren Sie dabei die Anspannung, die sich
im Unterarm aufbaut? Aufbauend auf den Achtsamkeitsübungen wird die
4 Wenn Sie merken, dass Ihnen der Kontakt mit Sensibilität für Körperempfindungen in verschie-
der Situation zu viel wird, dann tun Sie Fol- densten Körperbereichen unterstützt. Diese Sensi-
gendes: Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf bilität ist notwendig für die Arbeit mit Emotionen,
die drei Fingerkuppen und lockern Sie langsam aber auch für eine verbesserte Wahrnehmung von
den Druck. Atmen Sie dabei tief ein. Lassen Sie Überforderungssignalen. Hierfür eignet sich ganz
die Fingerkuppen dabei locker aufeinander lie- besonders eine bekannte Form des Body-Scans
gen. Docken Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit (Kabat-Zinn, 1999):
beim Atmen an. Bleiben Sie einen Moment da- Aufmerksamkeitslenkung auf verschiedene
bei. Spüren Sie Ihren Atem. Wenn sich Gedan- Körperbereiche durch Body-Scan
7.1 · Achtsamkeit, Etablieren des Körperfokus und Akzeptanz
147 7
Vorbereitung Hausaufgabe
4 »Bisher haben wir die Aufmerksamkeit auf die 4 »Bitte führen Sie diese Übung zusätzlich zu Ih-
Atembewegungen Ihres Körpers gelenkt. Wir rer Achtsamkeitsübung an 3 Tagen der Woche
wollen dieses Vorgehen nun noch etwas aus- durch. Es ist durchaus möglich, dies auch wäh-
weiten, indem wir mit der Aufmerksamkeit an rend der Zugfahrt, beim Warten auf einen Ter-
viele verschiedene Bereiche des Körpers »ando- min oder ähnlichen Gelegenheiten zu tun.«
cken«. Unser Körper vermittelt uns viele Infor-
mationen über unser Befinden, denken Sie z. B. Ergänzung
an das sog. Bauchgefühl. Ihre Fähigkeit, solche 1. Bei dieser Übung kann der Patient auch liegen.
Informationen schnell und zuverlässig aufzu- 2. Anfangs ist es notwendig, dass der Therapeut
spüren, wird uns dabei helfen, Ihr Befinden in mit seiner Stimme auch jedes Detail anleitet.
einer problematischen Situation genauer zu Manche Patienten sind darin überfordert, die
verstehen. Diese Fähigkeit kann mit dieser Aufmerksamkeit z. B. vom rechten Fuß zur
Wahrnehmungsübung gestärkt werden. Leiste hin alleine zu lenken. Nennen Sie weitere
4 Bitte setzen Sie sich einigermaßen gerade hin Ankerpunkte, wie z. B. Fußknöchel, Wade,
und stellen Sie die Beine auf den Boden. Lassen Knie usw.
Sie sich eine Weile atmen, atmen Sie tief in den 3. Später ist eine weniger detaillierte Variante aus-
Bauch hinein und spüren Sie, wie sich mit je- reichend.
dem Atemzug die Bauchdecke leicht hebt und
senkt. Lassen Sie sich etwas Zeit. Achtsamkeitsübungen sensibilisieren – nicht zu-
4 Nun lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit in den letzt aufgrund der großen Bedeutung des Ein- und
linken Fuß. Stellen Sie sich vor, dass Sie bis in Ausatmens – sehr stark für Körpersignale. Unsere
die Zehen ›hineinatmen‹. Spüren Sie den groß- Embodimentperspektive lädt dazu ein, den Körper
en Zeh, den kleinen, die Zehen dazwischen? als wesentliche Informationsquelle bei der Arbeit
Registrieren Sie alle Empfindungen und Span- mit der Überlebensstrategie zu nutzen. So sahen
nungen: Sind Ihre Zehen warm oder kalt, oder wir, dass gemäß Multiple-Code-Theorie das
beginnen sie plötzlich zu kribbeln… Wenn Sie menschliche informationsverarbeitende System
nichts spüren, dann eben nicht. Welche Emp- zwei Subsysteme umfasst, nämlich das System sub-
findungen auch immer auftauchen – sie werden symbolischer und das System symbolischer Infor-
einfach nur wahrgenommen. Dann stellen Sie mationen. Subsymbolische Prozesse stellen sich in
sich vor, dass Sie mit dem Ausatmen alle Ge- allen Sinnesmodalitäten dar, in motorischer und
fühle und Spannungen loslassen. viszeraler Form. Sie sind an einer Fülle von Prozes-
4 Auf diese Weise lenken Sie Ihre Aufmerksam- sen beteiligt, wie z. B. an den schnellen impliziten
keit nach und nach auf Fußsohle, Fußrücken, Prozessen, die dazu führen, Entscheidungen über
Sprunggelenk, Unterschenkel, Knie, Ober- ein Vermeidungsmanöver zu treffen. Wir sahen,
schenkel, Leiste. dass bei solchen Prozessen die sog. somatischen
4 Tasten Sie so Ihren ganzen Körper ab: rechter Marker eine wesentliche Rolle spielen. Um den
Fuß bis Leiste, Unterleib, Gesäß und Becken, Griff der Überlebensstrategie in bestimmten Situa-
die Wirbelsäule von unten nach oben, Finger tionen mit Hilfe somatischer Marker deutlicher zu
der linken Hand bis zur Schulter, Finger der spüren, benötigen wir die Fähigkeit einer präzisen
rechten Hand bis zur Schulter, Nacken, Hals, und verfeinerten Wahrnehmung über den Körper.
Gesicht, Kopf bis zum höchsten Punkt. Achtsamkeit bereitet dies vor. Weiterhin haben wir
4 Am Ende der Übung – sie dauert etwa 20 Mi- es bei unserer Arbeit sehr häufig mit nicht klar um-
nuten – spüren Sie noch einmal Ihre Atmung schreibbaren Emotionen, sondern eher mit Vorläu-
und kommen in Ihrem Tempo in die Gegen- fergefühlen, die sich als vage Körperempfindungen
wart zurück.« darstellen, zu tun.
Damit diese Marker genutzt werden können,
um das damit verbundene emotionale Geschehen
148 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

zu klären, müssen sie präzise wahrgenommen und Umrahmen des Empfindens


im referenziellen Prozess versprachlicht werden. 4 »Schauen Sie mal nach, ob sich dort dieses Ge-
Das beschriebene Vorgehen wurde inspiriert von fühl auf einen engeren Bereich Ihres Körpers
der Methode des Focusing nach Gendlin (1985). konzentriert oder ob es weiter verteilt ist! Stel-
len Sie sich nun vor, Sie rahmen das Gefühl mit
jKörperfokus und referenzieller Prozess einer Linie ein… Wie groß ist der eingerahmte
Vorbereitung Bereich? Wenn Sie jetzt der Ausdehnung des
4 »Lassen Sie uns einen Moment innehalten, wir Gefühls nach Innen, ins Innere Ihres Körpers,
sollten das sehr ernst nehmen, was Sie berich- nachspüren… Was stellen Sie fest?
ten. Wie reagiert Ihr Körper dabei? Was spüren 4 Wenn Sie merken, Ihre Aufmerksamkeit will
Sie dabei an Ihrem Körper? abschweifen, dann kommen Sie wieder zurück.
4 Ich möchte Ihnen nun eine Möglichkeit vor- Bleiben Sie ganz bei diesem Körpergefühl. Er-
schlagen, wie wir dieses Körperempfinden noch forschen Sie es in diesem Bereich.«
besser nutzen können. Wir sprachen ja schon
darüber, dass unser Körper in bestimmten Situ- Justierung
7 ationen viele Informationen zu unserem Befin- 4 »Wie verändert es sich von der Mitte zu den
den bereit hält. Natürlich müssen wir diese In- Rändern hin? Was ist Ihr Eindruck? Vielleicht
formationen sammeln und auswerten. Wie Sie müssen Sie den Rahmen weiter oder enger ma-
sehen werden, hat das sehr viel mit Achtsam- chen?«
keit zu tun. Lassen Sie uns beginnen.«
Bild entstehen lassen
Einrichten des Körperfokus 4 »Lassen Sie diesen Bereich nun auf sich wirken.
4 »Zur Unterstützung Ihrer Konzentration schlie- Seien Sie dabei ein achtsamer Beobachter und
ßen Sie bitte die Augen. Sie können aber auch schauen Sie mal, ob Sie ein Bild dazu entstehen
einfach nur nach unten in Richtung auf Ihre lassen können. Welches Bild könnte dazu pas-
Schuhspitzen schauen, wenn Sie Ihre Augen sen? Darauf können konkrete Gegenstände,
nicht ganz schließen wollen. Lassen Sie sich Symbole und Vorgänge (Bewegungen) zu sehen
atmen... sein, die dieses Gefühl »machen« (Patient
4 Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit zuerst auf könnte z. B. sagen, dass eine schwere Stahlplatte
den Atem, seien Sie achtsam, beobachten Sie auf die Brust drückt, Stachel von innen gegen
nur. Vielleicht ergibt sich etwas, vielleicht aber die Bauchdecke stechen usw.) ...
auch nicht. 4 Egal, was Sie sehen, lassen Sie es einfach da
4 Lenken Sie nun Ihre Aufmerksamkeit sanft auf sein. Bleiben Sie achtsam. Schauen Sie mal
den Körper, vielleicht auf den Kopf, die Brust, nach, ob das Bild noch passt? Es könnte auch
den Bauch. Alles darf da sein. Lassen Sie es ein- sein, dass es sich noch verändert. Warten Sie
fach, wie es ist. Was findet Ihre Aufmerksam- noch etwas ab ...
keit? Bewerten Sie nicht, seien Sie nur neugierig 4 Wenn Sie ein Bild von dem Gefühl in Ihrem
und interessiert.« Körper malen sollten: Was würde darauf zu
sehen sein; wie würde sich dieses Gefühl darauf
Lokalisieren des Empfindens zeigen? Bitte beschreiben Sie das Bild! Was für
4 »Richten Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf den eine Überschrift (was für ein Motto) passt zu
Bereich des Körpers, in dem Sie am stärksten dem Bild?«
das Körperempfinden wahrnehmen… Wo ge-
nau ist das?« Abgleich mit der angesprochenen Situation
4 »Wie stellt sich für Sie nun die von Ihnen ein-
gangs angesprochene Situation dar? Was ge-
schah dort wohl mit Ihnen? Wie ist Ihr Gegen-
7.1 · Achtsamkeit, Etablieren des Körperfokus und Akzeptanz
149 7
über mit Ihnen umgegangen, wie sind Sie mit
sich selbst umgegangen? In Höhe und Entfer- Herstellen grundlegender Akzeptanz für
nung ausgedrückt: Gab es jemanden der größer Überlebensstrategie und Lerngeschichte
oder kleiner war, waren Sie sich näher oder nach Sulz (2001)
nicht so nahe?« 4 Durch Empathie für das damalige Kind
und seine Not
Diese Übung kann auch im Sinne einer Entschleu- 4 Durch Verstehen der Notwendigkeit,
nigung eingesetzt werden, insbesondere auch, genauso zu werden
wenn Patienten zu viel reden und zu wenig spü- 4 Durch Erkennen des Überlebenskampfes
ren. der Eltern
4 Durch Unterscheidung zwischen Verursa-
chung und Schuld
7.1.3 Akzeptanzarbeit 4 Durch Loslassen des Bemühens um Repa-
ratur der Kindheit
Das Üben von Achtsamkeit schult die Beobachter- 4 Durch Zulassen der Begrenzungen meiner
position, eine gewährende Grundhaltung, die nicht Geschichte
bewertet und nicht scheltet für das, was im Strom 4 Durch Annehmen der Begrenzungen mei-
des Erlebens wahrgenommen wird. Dies schult ner Gegenwart
langfristig sicherlich die Akzeptanz für die eigene
Person und die mit ihr verbundenen Geschehnisse.
Im ambulanten Setting kann dies mit Hilfe akzep- Auch wenn Patienten Bedingungen und Ergebnisse
tanzbasierter Strategien noch deutlich gefördert ihres Überlebenskampfes nicht schön finden müs-
werden, insbesondere dann, wenn die Therapie sen, so bringt aber ein zähneknirschendes Hinneh-
stagniert. Die meisten Patienten machen sich men auch nichts. In diesem Falle ist eine echte in-
schwere Vorwürfe, dass sie nicht mehr so funktio- nere Bereitschaft zum Weitergehen noch nicht vor-
nieren wie vor ihrer Erkrankung. Oft werten sie handen. Akzeptanz beruht auf Freiwilligkeit. Zu-
sich dafür massiv ab und machen sich herunter. sammengefasst kann man sagen, Akzeptanz steht
Hier liefert die Beschäftigung mit der Überle- im Gegensatz zum passiven Dulden, drückt ein zu-
bensstrategie eine neue Perspektive und erlaubt ei- stimmendes Werturteil aus und bildet demnach
nen tieferen Einblick in die Motivation ihres Han- einen Gegensatz zur Ablehnung. Diese Herleitung
delns. Die Erkenntnis, dass sie es sich in ihrem Le- des Akzeptanzbegriffes beschreibt sehr schön ein
ben in Wirklichkeit nicht leicht gemacht haben, notwendiges Stadium, das Patienten im psychothe-
sondern ganz im Gegenteil, einen oftmals anstren- rapeutischen Prozess unbedingt erreichen sollten,
genden Kampf um die Befriedigung ihrer Grund- bevor überhaupt an Veränderung gedacht werden
bedürfnisse führen, lässt Bereitschaft für mehr Ver- kann (Hayes, 1994).
ständnis entstehen. Wenn dann noch mit Hilfe der Dieser Aspekt ist freilich nicht neu in der Psy-
Lerngeschichte die innere Not des Kindes, das sie chotherapie. Er wurde schon immer von verschie-
einst waren, deutlich wird, dann ist meist auch die denen Therapieformen der humanistischen Tradi-
emotionale Brücke zu einer mehr wertschätzenden tion betont (vgl. Greenberg, 1994) und erlebt mit
Haltung sich selbst gegenüber gebaut. Im besten dem Erstarken der sog. dritten Welle der Verhal-
Falle führt diese Anerkennung zu einer sich all- tenstherapie erneut Wertschätzung und Beachtung
mählich eröffnenden Sicht des Annehmens und (Hayes, 2004, Heidenreich & Michalak, 2006).
der Einwilligung. Sulz (2001, S. 83) fasst hierzu Streng behavioral formuliert liegt Akzeptanz dann
wichtige Themen zusammen. vor, wenn sich operante und klassische Konditio-
nierung in Reinform entfalten können und wenn
die Person in vollen Kontakt mit den automatischen
oder unmittelbaren Stimulusfunktionen des Ereig-
nisses geht, ohne diese irgendwie zu manipulieren
150 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

oder zu reduzieren (Hayes, 1994). Dies in der The- dingungen für mehr psychologische Flexibilität zu
rapie umzusetzen erfordert große Aufmerksamkeit schaffen. Erst durch eine akzeptierende Haltung
seitens Patienten und Therapeuten. kann das gesamte Feld vermiedener Stimuli erfasst
werden. Der Blick ist nun frei für die gesamte Land-
jSituationsbezogene Akzeptanzarbeit karte möglicher alternativer Verhaltensweisen. Statt
Vorbereitung Damit die Aufmerksamkeit des Pati- wegschauen können nun Realitätsprüfung und ak-
enten gezielt gelenkt werden kann, wählt man am tives Problemlösen passieren. Dieses In-Kontakt-
besten gemeinsam eine konkrete Problemsituation Gehen mit vermiedenem Erleben leitet allein schon
aus und imaginiert diese im Sinne einer Expositi- eine Verhaltensänderung ein. Der bisherige – aver-
on. Im Rahmen unserer Problemaufstellung befin- sive – Auslöser wird mit einem qualitativ neuen
den wir uns damit im Ist-Zustand. Ist die Situation Verhalten gekoppelt: Wahrnehmen, Erkennen,
spürbar lebendig geworden, so wird die Aufmerk- Hinschauen, Aushalten und Beschreiben.
samkeit des Patienten detailliert auf problematische
Aspekte gelenkt. jSituationsbezogene Akzeptanzarbeit
Vorbereitung
7 4 »Wir haben jetzt schon eine ganze Menge wich-
Akzeptanzthemen tiger Arbeit geleistet (kurzes Ansprechen von
in einer Problemsituation Überlebensstrategie, Lebensregel und Zielen).
4 In emotionalen Kontakt gehen (erlauben, Damit dies zu der von Ihnen gewünschten Ver-
umarmen, tolerieren, erfahren) mit der änderung führt, müssen wir noch eine wichtige
Situation Vorbereitung treffen.
4 Beobachten eigener Gedanken, Gefühle 4 Wir haben es dabei mit einem scheinbaren Pa-
und innerer Bilder radoxon zu tun: Wir müssen uns nämlich so,
4 Wahrnehmen drängender Bedürfnisse und wie wir uns in einer für uns problematischen
Impulse (was brauche ich, was würde ich Situation erleben, erst einmal annehmen, bevor
am liebsten tun?) wir uns erfolgreich verändern können. Wir
4 Was genau löst hier Stress und Vermeidung müssen uns also akzeptieren mit allen schmerz-
aus? lichen Erfahrungen, Ängsten, unangenehmen
4 Welche unangenehmen Gefühle sind Empfindungen und Unvollkommenheiten; al-
beteiligt (z. B. Angst, Scham, Schuld, Ekel, les, was wir in diesem Moment nicht an uns
Aggression)? mögen, muss da sein dürfen. Wenn wir uns
4 Welche abstoßenden Merkmale des aber dagegen wehren, verlieren wir den Kon-
Charakters werden wahrgenommen? takt zu der Situation und können die notwen-
4 Welche abstoßenden Merkmale des digen Dinge nicht tun, die zu einer Verände-
Körpers werden wahrgenommen? rung führen.
4 Veränderung ist nur möglich, wenn Sie sich
nochmals in vollen Kontakt mit Ihrem Erleben
Akzeptanzthemen beziehen sich auf typische Merk- in der Problemsituation bringen.«
male, die gerne vermieden werden, und es lohnt
sich stets, sie alle durchzugehen, verbunden mit der Erneute Beschreibung der Problemsituation durch
Aufforderung, diese in einer gewährenden Weise den Patienten
stehen zu lassen, wie sie sind, sich nicht abzuwen- 4 »Bitte beschreiben Sie nochmals die problema-
den und sich nicht dafür zu schelten. Wenn man tische Situation, mit der wir uns schon in Zu-
dies einmal durchspielt, so erschließt sich die Es- sammenhang mit der Überlebensstrategie be-
senz von Akzeptanz unmittelbar im Erleben: Weni- schäftigt haben.
ger selbstkritisch und bewertend zu sein und wohl- 4 Wie ist der Verlauf, was passiert mit Ihnen, was
wollender den Seiten der eigenen Person gegenüber macht Sie so unzufrieden?«
zu sein, die man nicht haben will, und dadurch Be-
7.1 · Achtsamkeit, Etablieren des Körperfokus und Akzeptanz
151 7
Positionieren von Gegenständen im Raum, um da- Versprachlichung
mit Ist- und Soll-Zustand zu markieren 4 »Lassen Sie dieses Gefühl in sich da sein. Spü-
4 »Um ein Gefühl für die Richtung der Arbeit zu ren Sie eine Weile hin. Was ist es? Wenn es eine
bekommen, wollen wir die gegenwärtige pro- Stimme hätte, was würde es sagen?«
blematische Situation als Ist-Zustand und die
Zukunft, in der Sie Ihr Ziel erreicht haben, als Patient wechselt immer wieder Position zwischen
Soll-Zustand bezeichnen. unmittelbarem Erleben der Situation und Beobach-
4 Wählen Sie irgendeinen Gegenstand, legen Sie terperspektive mit dem Therapeuten
ihn auf den Boden als Ist-Zustand und einen 4 »Verlassen Sie nun kurz den Ist-Zustand und
weiteren Gegenstand in angemessener Entfer- stellen Sie sich hier neben mich.
nung vom ersten, um den Soll-Zustand zu 4 Lassen Sie uns nun gemeinsam Ihr Erleben im
kennzeichnen.« Ist-Zustand betrachten. Wer sind Sie da; wie
würden Sie diesen Menschen beschreiben? Was
Anleiten einer Imagination der Problemsituation im ist unangenehm, was möchten Sie nicht wahr-
Ist-Zustand nehmen, was möchten Sie nicht sein, wofür
4 »Stellen Sie sich nun hierher, auf den Ist-Zu- schämen Sie sich, was macht Ihnen Angst, was
stand. ist Ihnen unangenehm, was möchten Sie ver-
4 Schließen Sie Ihre Augen und gehen Sie in die meiden?
Problemsituation, schildern Sie nochmals ge- 4 Treten Sie noch mal in den Ist-Zustand, holen
nau den Ablauf. Versetzen Sie sich dabei in die Sie sich das Gefühl her, erlauben Sie es sich,
Rolle eines Regisseurs, der das Wesentliche für ganz davon durchströmt zu werden. Nun kom-
die Kameraführung beschreibt (Zeit, Ort, An- men Sie wieder zu mir in die Beobachterper-
wesende, Handlung usw.).« spektive usw.«

Herstellen des Körperfokus, Aktivieren achtsamer Zusammenfassung


Grundhaltung 4 »Beschreiben Sie nochmals die Seite an Ihnen,
4 »Richten Sie nun die Aufmerksamkeit auf sich die Sie am liebsten nicht sehen wollen, Sie müs-
selbst; beobachten Sie achtsam das innere Ge- sen sie nicht unbedingt mögen. Es ist aber
schehen. Erlauben Sie sich auch unangenehme wichtig, dass sie während der Zielverfolgung
Gedanken und Gefühle.« auftauchen darf und Sie sich nicht dagegen
wehren.
Beschreiben des körperlichen Erlebens und ein Bild 4 Was können Sie tun, um sich immer daran zu
dafür finden erinnern?«
4 »Wie reagiert Ihr Körper; gibt es Bereiche des
Körpers, die stärker betroffen sind als andere? Wie ersichtlich, handelt es sich um eine Fortset-
Was ist die Ausdehnung dieser Bereiche? Wenn zung der situationsbezogenen Arbeit, die mit der
Sie ein Gefühl dafür haben, dann versuchen Erarbeitung der Überlebensstrategie gestartet wur-
doch mal ein Bild dafür zu finden.« de. Die Exposition der Problemsituation wird ge-
nauso angeleitet, hinzu kommt die Intensivierung
Körperhaltung prüfen; evtl. nachjustieren. Noch- über Achtsamkeit und Körperfokus. Der besondere
mals prüfen, ob das Bild noch stimmt Fokus der Akzeptanzarbeit liegt auf der Anleitung
4 »Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit kurz auf zum Wahrnehmen auch versteckter negativer As-
Ihren Körper. Passt die Körperhaltung zu dem pekte. Die Bewegung geht dabei von »das will ich
Bild? auf gar keinen Fall!« hin zu »es tut mir nichts, wenn
4 Lassen Sie Ihren Körper in eine Position fallen, es auftaucht, es darf da sein, ich ertrage es und gehe
die dazu passt. Wie verhält es sich mit dem damit weiter!« Der Wechsel zwischen Beobachter-
Bild? Passt es noch zu dem Gefühl?« position (Patient neben dem Therapeut stehend)
und Expositionsposition (Patient allein im Ist-Zu-
152 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

stand) vermittelt nicht nur eine gemeinsame Per- Personalisierung der ungewollten Seite
spektive mit dem Therapeuten, im Sinne eines ge- 4 »Was bedeutet es für Sie, wenn Sie das zulas-
meinsamen Gesprächs über die Person im Ist-Zu- sen? Was für ein Mensch sind Sie dann?« (Inne-
stand. Der Wechsel in die Metaperspektive schafft re Beschreibung ausformulieren und aufschrei-
Distanz durch Deindividuation: »Ich bin nicht ben)
dieses Erleben, ich habe lediglich dieses Erleben im
Ist-Zustand. Dies spüre ich deutlich und kann es Nun wird ein Stuhl an der Position des Ist-Zustands
relativieren, wenn ich in die Beobachterposition platziert.
trete und mit dem Therapeuten darüber spreche«. 4 »Setzen Sie diesen Menschen nun auf den Stuhl
Es gibt immer wieder Phasen in der Therapie, und charakterisieren Sie ihn (Aussehen, Klei-
in denen der Prozess stagniert, ein Gefühl der dung, Alter, Handeln, typischer Satz,…). Tun
Schwere und der Lähmung macht sich breit, es geht Sie ruhig so, als wenn er Ihnen fremd ist; Sie
einfach nicht mehr voran in Richtung auf die müssen ihn nicht mögen. Was ist negativ an
Zielerreichung. Dies ist oft ein Zeichen dafür, dass dieser Person?«
Patient und Therapeut zu schnell den Ist-Zustand
7 in Richtung auf den Soll-Zustand verlassen haben Feststellung der Ressource
oder dass der Patient, der gerade mit Schritten der 4 »Gibt es auch etwas Positives an dieser Person,
Änderung befasst ist, unterwegs in einen Zustand können Sie eine Stärke feststellen?
der Nichtakzeptanz geraten ist. Letzteres kann na- 4 Welche Funktion hatte dies wohl in Ihrem bis-
türlich auch daran liegen, dass der Ist-Zustand zu herigen Leben?«
schnell verlassen wurde. In solchen Fällen sollte der
Therapeut die Änderungsbemühungen stoppen Freie Entscheidung
und den Patienten dabei helfen, sich erneut im Ist- 4 »Markieren Sie auf dem Boden den gefühlten
Zustand zu situieren. Möglicherweise muss die Ak- Abstand zu dieser Person.«
zeptanzarbeit noch weiter vertieft werden.
Annäherung
jVertiefung der situationsbezogenen 4 »Wie ist Ihre Haltung jetzt? Was spricht ge-
Akzeptanzarbeit fühlsmäßig dafür und was dagegen, diese Seite
Dies beginnt mit dem Aufstellen im Ist-Zustand einzuladen und für immer bei sich zu haben?«
und der Imagination wie in der vorigen Übung.
Hausaufgabe
Ganz mit sich sein 4 Täglich diesen Teil in den verschiedensten Situ-
4 »Experimentieren Sie etwas mit der Körperhal- ationen beobachten, Umgang mit ihm pflegen.
tung, übertreiben Sie sie versuchsweise etwas, Wie kann seine Stärke besser nutzbar gemacht
wie fühlt sich das an?« (Zeit lassen, nicht pu- werden?
shen)
Der Einstieg in diese vertiefende Variante der Ak-
Erarbeiten der ungewollten Seite mit Perspektiven- zeptanzarbeit geschieht genauso wie vorher. Der
wechsel weitere Verlauf kostet in der Regel etwas mehr Zeit,
4 »Was ist schwierig, was ist schwierig zu neh- die Investition ist aber insgesamt sehr lohnend. Im
men, an welcher Stelle, welche Szene ist damit Prinzip geht es darum, die Bereitschaft zur Akzep-
genau verbunden? tanz dadurch zu erhöhen, dass man den gefühlten
4 Beschreiben Sie Ihr Erleben, wenn es für Sie am »Un-Wert« in einen »Wert« verwandelt. Dieses
unangenehmsten ist!« Goldmacherkunststück gelingt leicht, wenn man
nach der Funktion der ungeliebten Seite fragt. In
der Regel handelt es sich um eine Schutzfunktion
(z. B. massive Aggressivität, um Angreifer abzu-
schrecken; Rückzug und Kleinmachen, um Aggres-
7.2 · Erarbeiten der Überlebensstrategie
153 7
soren zu beschwichtigen, erotische Verführung, 7.2.1 Überlebensstrategie
um Schutzspender zu binden etc.), die unter geeig- und Problemsituationen
neten Verstärkungsbedingungen entsprechende
Verhaltensexzesse hervorgebracht hat. Das Erken- Da sich die Überlebensstrategie ja auf die Befriedi-
nen und Verstehen solcher Zusammenhänge weckt gung grundlegender Bedürfnisse bezieht, liegt der
Motivation, diese dann etwas zu zivilisieren und zu Fokus anfangs auf dem in einer ausgewählten Pro-
nutzen. Um ein Bild zu benutzen: Die ungeliebte blemsituation relevanten zentralen Bedürfnis. An-
Seite muss nun nicht mehr im Keller des Hauses schließend wird die Strategie, die der Befriedigung
leben, sondern darf nun auch im komfortableren dieses Bedürfnisses dienen soll, erarbeitet. Diese
Wohnzimmer als willkommener Gast Platz neh- Arbeit stößt jedoch manchmal auf gewisse Schwie-
men. rigkeiten. Patienten sind mit ihren Problemsituati-
Für die hier beschriebenen Verfahrensweisen onen in die Therapie gekommen, weil die Bedürf-
gilt: Es sollte darauf geachtet werden, dem Pati- nisbefriedigung nicht mehr gelingt und ihre Bemü-
enten zu vermitteln, dass es momentan nicht so hungen trotz vermehrter Anstrengungen nicht
sehr auf eine Zielerreichung ankommt. Stattdessen mehr greifen. Vor dieser Gefahr soll ja die zentrale
besteht das Erfolgskriterium hier darin, möglichst Angst warnen, die später als vierte Zeile der Über-
oft die vermiedenen Aspekte ganz bewusst wahrzu- lebensstrategie ausformuliert wird.
nehmen und zu erleben, so dass diese dadurch im- Zunehmende Angst aktiviert aber Vermei-
mer mehr ihre steuernde Macht verlieren. Der vor- dungstendenzen, erst recht, wenn die Aufmerk-
malige Stresstunnel öffnet sich und es bietet sich samkeit auf eine problematische Konstellation
dann eine bunte Fülle von Optionen an. stößt. Man wird deshalb immer wieder beobach-
ten, wie Patienten versuchen, das Thema zu wech-
seln oder zu einer sehr globalen Beschreibung der
7.2 Erarbeiten emotionalen Wetterlage überzugehen. Es ist daher
der Überlebensstrategie wichtig, immer wieder konkret zu werden. »Kon-
kret« meint hier tatsächlich den Bezug auf das in
Der Kern von SBT ist die Überlebensstrategie, da der Verhaltenstherapie übliche Selbstbeobach-
sie nicht nur ein grundlegendes Verständnis für tungsprotokoll: Zeit, Ort, Handlung, Gedanken,
den Patienten vermittelt, sondern auch der thera- Gefühle, Körperreaktionen usw. Jedoch mit dem
peutischen Intervention Struktur und Inhalt vor- Unterschied, dass der Patient dies nicht erst nach
gibt. Aus diesem Grunde wird sie nach Möglichkeit dem Erleben der Problemsituation berichtet.
schon in den ersten 3 Stunden der Therapie erar- Mithilfe therapeutischer Führung kann es ge-
beitet. Anlässe dafür bringen Patienten in ausrei- lingen, Patienten in der Sitzung unmittelbar in das
chendem Maße mit in die Stunde. Es handelt sich Erleben der Problemsituation zu bringen. Diese Er-
dabei um ihre alltäglichen, ganz konkreten Prob- lebnisaktivierung geschieht am besten mit Hilfe ei-
lemsituationen, die sie immer wieder an die Gren- ner Übung zur szenischen Imagination, mit deren
zen ihres bisherigen Verhaltensrepertoires stoßen Hilfe entsprechende Simulationsprozesse angesto-
lassen. Die therapeutische Haltung sollte dabei zu- ßen werden (. Abb. 7.1).
nächst die eines einfühlsamen und aufmerksamen Der linke Pfeil soll die »natürliche« Vermei-
Zuhörers sein, der achtsam in eine neue Welt ein- dungstendenz der Patienten symbolisieren. Der
taucht. Er macht deutlich, dass ihn die berichteten Aufmerksamkeitsfokus zeigt dabei oft einen Shift
Abläufe interessieren und dass er sie so wichtig fin- zu abstrakteren Merkmalen; die Erzählweise wird
det, dass es sich lohnen könnte, sie noch genauer zu dann eher allgemeiner und emotional oberfläch-
untersuchen. Auch reservierte Patienten reagieren licher. In solchen Fällen lenkt der Therapeut die
auf dieses Angebot in der Regel mit mehr Selbstöff- Aufmerksamkeit des Patienten sanft auf die schwie-
nung. Patienten mit großem Mitteilungsdrang und rigen Details der Situation zurück. Diese Arbeits-
starkem Bedürfnis, gesehen zu werden, lassen sich richtung wird durch den rechten Pfeil in . Abb. 7.1
auf diese Weise immer wieder gut einbremsen. gekennzeichnet.
154 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

. Abb. 7.1 Ablaufschema für die szenische Imagination

Vorbereitung 4 Bleiben Sie bei sich und achten Sie darauf, ob es


4 »Ich glaube, Sie erzählen gerade etwas sehr Ihnen zu viel wird, wir könnten dann eventuell
Wichtiges. Ich spüre, dass es hier wohl um ein kurz unterbrechen.
Bedürfnis von Ihnen geht, dass Sie in dieser Si- 4 Als erstes machen wir eine kleine Zentrierungs-
tuation vielleicht irgendetwas gebraucht hätten. übung, Sie können dabei die Augen schließen
Könnte das sein? oder etwa 1,50 Meter vor sich auf den Boden
4 Ich möchte das gerne noch besser verstehen. schauen, so dass Ihre Augendeckel etwas ge-
Ich könnte eventuell dabei helfen, noch genauer senkt sind.
zu erfassen, was da eigentlich mit Ihnen pas- 4 Dann werden wir uns die Situation wieder her-
siert. Sollen wir das versuchen? Was meinen holen. Wir werden dabei mit Worten in Kon-
Sie?« takt sein, d. h., ich werde Sie eventuell etwas
fragen, Sie werden mir beschreiben, was Sie
Konkretisieren der Problemsituation sehen, und ich werde Sie mit Worten weiter an-
4 »Bitte beschreiben Sie mir noch einmal kurz die leiten. Wichtig ist, dass Sie dabei ganz bei sich
äußeren Bedingungen dieser Situation: Zeit, bleiben.
Ort, Anlass, anwesende Personen.« 4 Können Sie sich vorstellen, dass wir beide in
dieser Weise vorgehen? Haben Sie noch Fra-
Erklären gen?«
4 »Damit uns jetzt nichts verloren geht, wäre es
gut, wenn wir die Situation nochmals wie einen jSzenische Imagination
Film anschauen könnten.« Zentrierungsübung (ca. 30 Sekunden)
4 Das Vorgehen, zu dem ich Sie nun anleiten 4 »Erlauben Sie sich 3–4 tiefe Atemzüge. Achten
möchte, dient der Konzentration und damit Sie darauf, wie sich Ihre Brust dabei hebt und
auch der Intensivierung Ihres Erlebens, so dass senkt.
wir beide nochmals genauer überprüfen kön- 4 Und nochmal… Wenn Sie merken, dass Ihre
nen, worum es Ihnen in dieser Situation eigent- Aufmerksamkeit abschweift, Sie plötzlich an et-
lich geht. was denken oder sonst wie abgelenkt werden,
7.2 · Erarbeiten der Überlebensstrategie
155 7
dann gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit ein- 4 Schritt 3: »Was dürfen Sie auf keinen Fall tun,
fach wieder zurück und registrieren Sie, wie was darf Ihnen auf gar keinen Fall passieren
Ihre Brust sich hebt und senkt, hebt und (was müssen Sie unbedingt unterlassen, inner-
senkt…« lich in Schach halten, unterdrücken, wo müs-
4 Ca. alle 5 Sekunden: »…und gehen Sie wieder sen Sie sich im Griff haben) damit Sie das, was
zurück auf Ihren Atem, spüren Sie, wie sich Sie so dringend brauchen, nicht gefährden?«
Ihre Brust hebt und senkt…« (Verbotener Wut- oder Lust-auf-Impuls)
4 »Holen Sie sich nun die Situation (kurze verba- 4 Schritt 4: »Das klingt anstrengend…Spüren Sie
le Umschreibung) nochmals her. Beschreiben mal in sich nach, wie das so ist. Wo reagiert
Sie kurz den Ort des Geschehens: Welche Per- jetzt Ihr Körper? Richten Sie Ihre Aufmerksam-
sonen sind anwesend,… wie ist das Licht, was keit darauf (Genau beschreiben lassen)! Kommt
hören, sehen, schmecken, riechen Sie, …?« Ihnen ein Bild, das diesem Gefühl entspricht
(z. B. Eisenplatte auf der Brust)? Prüfen Sie
Auswahl einer Szene mit spürbarer Anspannung nach, ob dieses Bild passt! Wie anstrengend ist
4 »Was genau passiert gerade, wie fühlen Sie sich das wohl für Sie? Woran merken Sie das? Neh-
dabei, wie reagiert Ihr Körper…? Spüren Sie men Sie sich Zeit, um es genau zu erspüren«
dieses Gefühl jetzt auch? Was ist Ihr Gefühl, 4 Schritt 5: »Wofür brauchen Sie wohl diese An-
was sind Ihre Gedanken? strengung? …Spüren Sie nochmals hin… Wenn
4 Vielleicht gibt es ja mehrere Bilder, die Sie jetzt Sie diese Anstrengung nicht aufbringen, was
gerade besonders berühren…« müssen Sie dann wohl befürchten, was könnte
wohl passieren?« (Zentrale Angst)
Fokus auf ein Bild mit intensiver Anspannung
4 »Scannen Sie den Film nochmals durch …. Abschluss
Welches Bild wirkt am stärksten auf Sie? 4 »Kommen Sie bitte zurück. Wenn Sie wollen,
4 Gehen Sie nochmals in dieses Bild hinein, was stehen Sie auf, strecken sich etwas... Wie geht es
passiert da? Was sehen, hören, riechen, schme- Ihnen?«
cken Sie, wie reagiert Ihr Körper, was spüren
Sie hier und jetzt bei dieser Vorstellung? Blei- Ausformulieren der Überlebensstrategie
ben Sie dabei…« 4 »Ich möchte Ihnen nun einen Vorschlag dazu
machen, das Erlebte etwas zu sortieren. Uns hat
Herstellen eines gemeinsamen Verständnisses (ak- ja sehr stark die Frage danach beschäftigt, was
tives Zuhören, Paraphrasieren), dann… Ihre Bedürfnisse sind, was Sie in dieser Situa-
4 Schritt 1: »Was brauchen Sie (was ist Ihnen hier tion gebraucht hätten.
wichtig, was brauchen Sie, damit Sie innerlich 4 Weiterhin ging es auch darum, zu erfassen, was
zufrieden sind, was ist Ihr Hunger, Ihr Anlie- Sie taten, um genau das zu bekommen.
gen, Ihre Sehnsucht) in dieser schwierigen Si- 4 Mit Hilfe dieses Schemas lässt sich das Ganze
tuation? Wovon bräuchten Sie mehr, um im gut auf den Punkt bringen. Diese vier Zeilen
Gleichgewicht zu bleiben?« Oft lässt sich das bezeichnen wir als Überlebensstrategie. Sie be-
zentrale Bedürfnis auch erfragen, indem man schreibt Ihre Strategien, die Sie vor dem Verlust
nach dessen Frustration fragt: »Was enttäuscht Ihres inneren Gleichgewichts schützen.«
Sie, macht Sie hier ärgerlich, wütend,...welches
Bedürfnis wird hier wohl frustriert, was wür- Hausaufgabe
den Sie eigentlich brauchen?« (Zentrales Be- 4 »Gibt es öfters Situationen in Ihrem Alltag, die
dürfnis) sich ähnlich anfühlen, wie die eben bearbeitete?
4 Schritt 2: »Was müssen Sie intensiver versu- Wie oft erleben Sie so etwas pro Woche? Woran
chen, was müssen Sie unbedingt tun (Wie krie- merken Sie, dass es sich um solche Situationen
gen Sie das, was ist Ihr Vorgehen, was müssen handelt?
Sie einsetzen)?« (Dysfunktionales Verhalten)
156 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

4 Bitte notieren Sie sich die Anlässe und überprü- wieder im »Situationsfilm«: »Gehen Sie nochmals
fen Sie, inwieweit Ihre Überlebensstrategie hier zurück in die Situation, welche Personen sind an-
gilt. Es kann sein, dass wir sie dann auch noch wesend, was sehen, hören, riechen, schmecken Sie,
etwas anders formulieren müssen.« was passiert gerade, was sind Ihre Gefühle, wie rea-
giert Ihr Körper, spüren Sie das jetzt in diesem Mo-
Wesentlicher Ertrag ist das erarbeitete kognitiv-af- ment auch,….usw.?« Dies sollte sich der Therapeut
fektive Material. Die ausformulierten Fragen, auch dann nochmals beschreiben lassen.
jene in den Klammern, haben sich bei der thera-
peutischen Arbeit bewährt (Hauke, 2009a). Man Schritte 4 und 5 Nach der Überlebensstrategie zu
muss sich aber nicht sklavisch an diese Formulie- handeln oder gar zu leben kostet Energie. Patienten
rungen halten. Stattdessen sollte man experimen- kommen in die Therapie, weil die Energie, die sie
tieren, um herauszufinden, welche Fragen am bes- zum Einhalten der Überlebensstrategie bislang ein-
ten zum jeweiligen therapeutischen Stil und zum gesetzt haben, nun nicht mehr ausreicht. Es wird
jeweiligen Patienten passen. immer anstrengender. Wir müssen uns vor Augen
halten, dass in dieser Situation und zu diesem Zeit-
7 jAnmerkungen zu den verschiedenen punkt die Anstrengung meist eine willentliche Ab-
Arbeitsphasen weichung von der normalen Aktivität zur Errei-
Problembeschreibung Diese findet in der ge- chung des jeweiligen Vermeidungsziels ist. Die ge-
wohnten Gesprächssituation statt. Patienten wer- wohnte Kausalität von Ursache zur Wirkung ist
den darin angeleitet, ganz konkret die äußeren unterbrochen. Diese Anstrengung bewirkt definitiv
Rahmenbedingungen und das innere Erleben zu Stress, der sich in verschiedenen somatischen Mar-
beschreiben. Ausweichmanöver werden dabei im- kern niederschlägt.
mer wieder durch den sanften aber bestimmten Anstrengung kann am validesten wahrgenom-
Hinweis beantwortet: »Gehen Sie bitte wieder zu- men und erkannt werden durch den Körperfokus.
rück in die Situation; was haben Sie dort empfun- Die Arbeitsweise dieser beiden Schritte ist deshalb
den, können Sie hier und jetzt auch noch etwas immer mit einer Lenkung der Aufmerksamkeit auf
davon wahrnehmen? Wie fühlt sich das gerade an?« den Körper verbunden. Dieser Arbeitsabschnitt
oder »Ich kann mir jetzt gerade nicht mehr vorstel- kann als gelungen gelten, wenn während der Ima-
len, wie es für Sie war. Könnten Sie mir den Ablauf gination entsprechende Marker erzeugt und wie-
nochmals genau schildern?« dererkannt werden konnten, d. h., die Anstrengung
auch gefühlt wurde. Dieser Körperfokus kann mit
Aktivieren des Erlebens – Szenische Imagination der Übung »Körperfokus und referentieller Pro-
Dieser Schritt ist noch stärker darauf ausgerichtet, zess« noch weiter vertieft werden, wenn die Thera-
die Situation im Hier und Jetzt zu spüren, ja gera- pie etwas fortgeschrittener ist.
dezu zu schmecken. War die bisherige Problembe-
schreibung noch breiter und überwiegend »kogni- Abschluss der Arbeit Im ersten Schritt wird das Er-
tiv«, so sollte nun das Erleben auf eine signifikante lebte kurz besprochen – »wie geht es Ihnen mit un-
Situation eingeengt werden. Es handelt sich dabei serer Übung? Welche Eindrücke konnten Sie sam-
um eine Situation, in der das schwierige Erleben meln?« In der Regel zeigen sich Patienten in der
besonders deutlich wird (z. B. Angst oder Wut). einen oder anderen Weise sehr beeindruckt von
Diese Einengung soll durch den Trichter in . Abb. der Erfahrung. An dieser Stelle sollten Therapeuten
7.1 veranschaulicht werden. Am Ende dieses unbedingt Wertschätzung und Anerkennung zei-
Schrittes sollten Patienten ein Bild aus dem »Situa- gen: »Sie haben mit dieser konfrontativen Übung
tionsfilm« herausgefiltert haben, das am Klarsten einen ganz wichtigen, sehr mutigen Schritt in Ihrer
das relevante Erleben mit sich bringt. Therapie vollzogen.« Hiermit ist dann auch schon
Zwischendurch kann es immer wieder passie- in sehr günstiger Weise das weitere Vorgehen ge-
ren, dass der Prozess zu kognitiv wird. In diesem bahnt: »Mir ist aufgefallen, wie sehr Sie in solchen
Falle verankert man die Aufmerksamkeit einfach Situationen kämpfen und sich anstrengen. Ich
7.2 · Erarbeiten der Überlebensstrategie
157 7
möchte Ihnen nun ein Schema anbieten, das Ihre 7.2.2 Präzisieren
inneren Vorgänge noch genauer beleuchtet und der Überlebensstrategie
einordnen hilft. Was meinen Sie, sollen wir beide
das mal ausprobieren; sind Sie bereit dazu?« Die beschriebene Hausaufgabe dient als wichtige
Nun wird die Syntax der Überlebensstrategie Grundlage für das weitere Vorgehen. Aufgrund
präsentiert, z. B. auf einem Flipchartpapier: systematischer Selbstbeobachtung liegen nun meh-
rere Situationen vor, um die Überlebensstrategie zu
bestätigen oder zu verfeinern. Die problemorien-
Syntax der Überlebensstrategie tierte Arbeitsweise bekommt damit einen strin-
als Vorlage zum Auswerten genten Rahmen: Über Probleme wird ab diesem
der Imaginationsübung Zeitpunkt nicht einfach nur einfühlsam gespro-
4 Nur wenn ich immer… (dysfunktionales chen. Problemsituationen werden jetzt nach Mög-
Verhalten) lichkeit immer unter Zuhilfenahme der Überle-
4 und wenn ich niemals… (verbotener Wut- bensstrategie analysiert. Dabei lohnt es sich, die
oder Lust-auf-Impuls) Skizzen zur Überlebensstrategie nun weiter zu ver-
4 dann bewahre ich mir… (zentrales Bedürf- feinern. Von entscheidender Bedeutung ist hier
nis) wieder ein erlebnisaktivierendes Vorgehen. Das
4 und verhindere, dass… (zentrale Angst) heißt, der Patient soll sich im Hier und Jetzt des Be-
handlungszimmers in die gemeinsam ausgewählte
Situation begeben und diese nochmals erleben. Da-
Die therapeutische Begleitung besteht in der Un- zu wird nochmals eine kurze Imagination durchge-
terstützung, das Erleben einzuordnen, ist Erinne- führt. Dann gehen wir noch einen Schritt weiter
rungshilfe und Angebot. Letztlich ist die Ausfor- und machen eine Aufstellung im Raum:
mulierung des Patienten entscheidend, nicht das,
was der Therapeut für richtig hält. Manche Pati- Vorbereitung
enten brauchen auch erst Zeit, um eine akzeptie- 4 »Inzwischen hatten Sie schon Gelegenheit, ei-
rende Haltung gegenüber der ganzen Wahrheit auf- nige Erfahrung mit Ihrer Überlebensstrategie
zubauen. Tatsächlich wird dieser Schritt des Aus- zu sammeln.
formulierens von den Patienten meist nochmals als 4 Das sind ganz entscheidende Schritte, da Sie
eine Form der Konfrontation erlebt. Manchmal nun schon schneller und deutlicher merken,
fühlen sie sich auch beschämt, weil sie es als Zeug- wann Ihre Überlebensstrategie greift.«
nis des Versagens interpretieren. Diese Problematik
wird meist entschärft, indem dies von Therapeuten Imagination einer ausgewählten Problemsituation
folgendermaßen kommentiert wird: »Ich kann 4 »Lassen Sie uns die Situation... (vorher auswäh-
hierin sehr viel Bemühen und Anstrengung erken- len) imaginieren, um Ihre Überlebensstrategie
nen. Ich weiß, dass Menschen immer nur dann so- nochmals zu überprüfen.«
viel Engagement imstande sind zu zeigen, wenn es
ihnen um sehr viel geht, wenn es um etwas geht, Skala der Anspannung
das für sie sehr, sehr wichtig ist! Was meinen Sie?« 4 »Ihr Erleben in dieser Situation ist ja mit viel
Schließlich wird vereinbart, dass Patienten sich Anspannung, manchmal vielleicht sogar mit
in signifikanten Situationen beobachten und prü- harten Kämpfen verbunden!
fen, inwieweit sie ihr Verhalten in der ausformu- 4 Stellen Sie sich hier im Raum eine Linie vor,
lierten Überlebensstrategie wiederfinden. Mit Hilfe z. B. von da nach dort! (Die beiden Enden der
ihrer Erfahrungen und Notizen wird die bisherige Linie mit Gegenständen markieren.)
Überlebensstrategie validiert und gegebenenfalls 4 Wir wollen das jetzt als eine Art Messlatte für
noch umformuliert. diese Anspannung betrachten!
158 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

4 An einem Ende ist der Nullpunkt; am anderen 4 Gibt es etwas, das aufgrund der eben durch-
Ende der Maximalpunkt, also die denkbar geführten Übung noch anders ausgedrückt
größte Anspannung, die Sie von sich kennen.« werden sollte?«
(Pole benennen lassen)
Im Rahmen dieser Übung wird immer wieder Be-
Anspannung skalieren zug auf die schon ausformulierte Überlebensstrate-
4 »Wo würden Sie sich nun einordnen? Stellen gie genommen und geprüft, inwieweit Korrekturen,
Sie sich bitte auf die passende Stelle auf der Modifikationen, Akzentverschiebungen etc. von-
Skala! nöten sind. Gerade bei der Identitätsfrage (»Wer
4 Betrachten Sie nochmals die Endpunkte! Ste- sind Sie hier…?«) kann es zu ärgerlichen Reakti-
hen Sie so richtig? (Zeit geben für eventuelle onen und Selbstabwertungen kommen (»Ich bin ja
Positionsänderung) wirklich der Obertrottel, der Depp vom Dienst
4 Weshalb stehen Sie nun an diesem Punkt der etc.«). An dieser Stelle ist es wichtig, den Ärger nur
Skala?« kurz anzusprechen und zu validieren, ihm aber
noch nicht größeren Raum zu geben. Im Moment
7 Anspannung spüren muss die Energie noch bei der Überprüfung der
4 »Experimentieren Sie ein wenig mit Ihrer Kör- Überlebensstrategie bleiben:
perhaltung! Welche Körperhaltung passt zu 4 »Ich sehe, wie verärgert Sie reagieren. Schildern
dieser Anstrengung? Sie kurz, was Sie so ärgerlich macht und lassen
4 Übertreiben Sie diese Körperhaltung etwas und Sie uns sehen, wie das zu Ihrer Überlebensstra-
spüren Sie in sich hinein, worin diese Anstren- tegie passt.«
gung besteht! Welche Gefühle und Gedanken
entwickeln sich dabei.« Weitere vom Patienten beobachtete Situationen
werden in dieser Weise ausgewertet:
Selbstbild 4 »Kennen Sie noch weitere Situationen, die auf
4 »Wer sind Sie hier, was für ein Mensch sind Sie diese Messlatte passen?
hier mit dieser Anstrengung?« 4 Gibt es Situationen, die eher an den Endpunk-
ten der Skala zu verorten wären?
Bedürfnis 4 Wie unterscheiden sie sich?« (Wieder anhand
4 »Was brauchen Sie so dringend in dieser Situa- der Stärke des zentralen Bedürfnisses, zentra-
tion, was tun Sie dafür, was müssen Sie auf je- len Angst usw. vergleichen.)
den Fall vermeiden usw.?«

Zentrale Angst 7.2.3 Überlebensstrategie


4 »Was könnte passieren, wenn Sie sich nicht so und Lerngeschichte
anstrengen würden?
Ergänzend zum bisherigen Vorgehen kann die
Weltbild Überlebensstrategie beim Durcharbeiten der Lern-
4 »Werfen Sie nun ein Blick auf das Leben, auf geschichte auch schon erhoben werden. Es handelt
Ihre Umgebung. Was ist das für eine Welt, in sich dabei um eine emotional sehr dichte Arbeits-
der Sie sich bewegen?« weise, die sich gleich zu Beginn der Therapie nicht
für tiefer gestörte, z. B. emotional instabile, Pati-
Verfeinern der Überlebensstrategie enten eignet. Sie ersetzt ohnehin nicht die situa-
4 »Sie haben sich ja gerade auf die Anstrengung tionsbezogene Arbeitsweise, kann dann entspre-
konzentriert, die das Einhalten der Überlebens- chend später eingesetzt werden. Der Vorteil dieser
strategie bedeutet. Lassen Sie uns nochmals Imagination ist, dass die emotionale Atmosphäre,
einen Blick auf die bisherige Formulierung in der sich die kindliche Überlebensstrategie ent-
werfen. Was fällt Ihnen dabei auf? wickelte, immer sehr deutlich wird und ihre Be-
standteile extrem schnell verfügbar sind.
7.2 · Erarbeiten der Überlebensstrategie
159 7
Für das Vorgehen hat sich ein bestimmter Ab- 4 Sehen Sie in den verschiedenen Phasen und
lauf bewährt, der den Patienten vorab auch erklärt Lebensaltern Erlebnisse und Begebenheiten,
wird. die Sie berührten, die Menschen die wichtig
Zu Beginn begeben sich die Patienten in ihre waren…
Lieblingslandschaft, über die vorher auch kurz ge- 4 Erfassen Sie das Erleben und Ihre Gefühle, die
sprochen wurde. Hier sollen sie ein körperlich- dabei wichtig waren… Ihre Sehnsüchte, Hoff-
sinnliches Wohlgefühl entwickeln. Danach werden nungen, Freuden, aber auch Frustrationen,
sie auf einen Waldweg geführt, auf dem sie die Schmerzen, Wut und Ängste…
angenehme, etwas umgrenzte und einhüllende At- 4 Wer sind Sie jetzt gerade? Auf welcher Stufe be-
mosphäre des Waldes spüren. Sie gelangen dann finden Sie sich im Moment? Was brauchen Sie
auf eine Lichtung, auf der sie ein Haus wahrneh- hier ganz dringend? Spüren Sie sich in Ihrem
men. Sie nähern sich diesem Haus und betreten es Bemühen... (ca. alle 2 Minuten wiederholen).
schließlich. Sie schauen sich im Erdgeschoss um, 4 Verweilen Sie in den verschiedenen Phasen
entdecken hier Stufen in den unteren Bereich des oder gehen Sie langsamer oder schneller…
Hauses (manche Patienten wählen lieber den Weg 4 Kommen Sie jetzt langsam wieder zurück!«
nach oben). Die Idee der Metapher »Treppe in die
Vergangenheit« entstammt einer Übung von Bild erstellen
Miethge (2002). 4 »Stellen Sie das, was gerade für Sie wichtig war,
in einem Bild dar! Das Bild kann farbig oder
Vorbereitung schwarz-weiß, abstrakt oder ganz gegenständ-
4 »Wir alle haben Grundbedürfnisse, die auch lich sein!«
befriedigt werden müssen, damit wir uns ent-
wickeln und unseren Alltag bewältigen können. Überlebensstrategie und Bild
Dies beginnt schon in der Lebensphase, in der 4 »Was zeigt Ihr Bild? Um welche Bedürfnisse
wir noch völlig abhängig sind von unseren El- und Gefühle geht es? Was war der Impuls, gera-
tern, und setzt sich fort bis in unser Erwachse- de dieses Bild zu malen?
nenleben. 4 Ich möchte Ihnen nun einen Vorschlag dazu
machen, das Erlebte etwas zu sortieren. Sie ha-
Imagination »Stufenweg in die Vergangenheit« ben sich ja in der Imagination damit beschäf-
4 »… Sie verlassen dieses Haus und kommen in tigt, was Ihre Bedürfnisse sind, was Sie in ver-
eine Landschaft, die Sie besonders mögen… schiedenen Lebensphasen gebraucht hätten.
(Spüren, Hören, Sehen, Riechen) Weiterhin ging es auch darum, zu erfassen, was
4 Nach einiger Zeit führt Ihr Weg durch einen Sie taten, um genau das zu bekommen.
Wald…(Spüren, Sehen, Hören, Riechen)… 4 Mit Hilfe dieses Schemas lässt sich das Ganze
4 Sehen Sie jetzt das Ende des Waldweges? … Sie gut auf den Punkt bringen (Therapeut präsen-
gelangen auf eine Lichtung, auf der ein Haus tiert die Syntax der Überlebensstrategie).«
steht… es zieht Sie irgendwie an…
4 Seine Tür ist offen und Sie treten ein… Schauen Ergänzung Die bildliche Darstellung kann auch im
Sie sich um… Plötzlich gelangen Sie an ein Ge- Anschluss an die Stunde zu Hause erfolgen.
länder und sehen Stufen, die nach unten füh- Für den Abschluss dieser Übung ist das Anfer-
ren… tigen eines Bildes notwendig. Der Patient wird da-
4 Dort, am Beginn der Stufen nach unten, ist Ihr bei noch ganz in seinem Innenraum belassen. Öl-
heutiges Leben. Wenn Sie nach unten gehen, malkreiden und ein Zeichenblock werden mit der
werden Sie langsam jünger und am Ende sind kurzen Anweisung – »Stellen Sie das für Sie We-
Sie ein ganz kleines Kind, das vielleicht gerade sentliche in einem Bild dar!« – ausgehändigt. Im
erst geboren wurde. weiteren Verlauf ist dieses Bild dann die Basis für
4 Gehen Sie nun nach unten, Stufe für Stufe… Sie die Erarbeitung der Überlebensstrategie.
werden nichts Fremdem begegnen… Sie begeg-
nen sich selbst und Ihrer Vergangenheit…
160 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

7.3 Symptomtherapie währt haben. Außerdem werde ich Sie darauf


hinweisen, an welchen Stellen Sie mit Gewinn
Voraussetzung für eine gelingende Symptomthera- auf das Achtsamkeitstraining zurückgreifen
pie ist eine einigermaßen gut ausgeprägte achtsame können.«
Grundhaltung. Erster Schritt in der Symptomthe-
rapie ist nämlich die Einsicht, dass es im Sinne ei- 5 Stufen der Symptombewältigung
ner akzeptierenden Haltung zunächst nicht darum 4 »Wenn möglich fertigen Sie sich eine Merkhilfe
gehen kann, das Symptom zu beseitigen, sondern zu den folgenden Punkten an:
vielmehr eine bestmögliche Art des Umganges da- 4 Symptomexposition: Achten Sie auf frühe
mit zu erlernen. In diesem Zusammenhang unter- Symptomsignale und lernen Sie erkennen,
scheidet Sulz (2001) zwischen Befindlichkeits- wie Ihre Symptome beginnen.
symptomen und Verhaltenssymptomen. Danach 4 Akzeptanz der Symptome: Begegnen Sie
sind Verhaltenssymptome willkürliche, beobacht- den Symptomen achtsam. Öffnen Sie ihnen
bare Verhaltensweisen wie z. B. Kontrollzwänge, Tür und Tor, lassen Sie diese da sein und
Alkoholkonsum, Fressattacken, sozialer Rückzug seien Sie Beobachter.
7 usw. Bei Befindlichkeitssymptomen handelt es sich 4 Auf dem Weg zum Ziel bleiben: Erlauben
um psychische und psychosomatische Beschwer- Sie höchstens, dass die Symptome Sie auf
den, körperliche Missempfindungen, Schmerzen, Ihrem Weg etwas bremsen, aber bleiben Sie
quälende Gefühle wie Angst und Depressivität. auf Ihrem Weg. Erlauben Sie dem Symp-
Aufgrund erster Mikroanalysen kennt der Pa- tom soviel Zeit und Raum einzunehmen,
tient schon in etwa die Funktion des Symptoms, wie es mag.
kann ihm dadurch eine Bedeutung zuweisen und 4 Selbstinstruktion: »Ich spüre deutlich
muss nicht zwingend in eine Form der Gegner- mein Symptom… (z. B. Schmerzen,
schaft verfallen. Das Achten auf frühe Symptomsig- Ohrensausen, Schlafstörung). Ich lasse es
nale bzw. auf Vorläufersignale hilft ihm dabei, sich da sein. Ich lasse los, atme ruhig und
rechtzeitig auf die nun folgende Akzeptanzarbeit langsam. Ich weiß, dass ich nichts tun
einzustellen. Der willentlich gesteuerte Umgang muss, um das Symptom einzugrenzen oder
damit reduziert in den meisten Fällen schon das ge- zu hemmen. Je mehr ich es zulasse, umso
wohnte Gefühl der Ohnmacht oder der Hilflosig- freier kann es wieder gehen, wenn es Zeit
keit. ist zu gehen. Ich greife nicht ein
(einatmen), ... lasse los und entspanne
(tiefes ausatmen).«
7.3.1 Umgang mit den 4 Selbstbewertung: »Es war nicht leicht,
Befindlichkeitssymptomen aber ich bin dabei geblieben. Für den
Anfang war das ganz gut. Wichtig ist der
Vorbereitung Versuch anders als sonst zu verfahren. Das
4 »Symptome können ganz unerwartet auftau- Ergebnis wird mit der Übung besser.«
chen, so dass eine allgemeine Symptom-Bewäl-
tigungsstrategie ein sehr wertvolles, unterstüt- Ergänzung Nach der »kognitiven« Erklärung sollte
zendes Hilfsmittel sein kann. Können Sie sich diese Sequenz mit Hilfe einer Imagination durch-
an eine Situation erinnern, in der Ihre Symp- gearbeitet werden.
tome intensiv da waren? Bitte beschreiben Sie Sulz (2001) hat auch eine Systematik für den
mir genau, wie Sie mit den Symptomen umge- Umgang mit dem Verhaltenssymptom erarbeitet
gangen sind. und orientiert sich dabei am verhaltenstherapeu-
4 Manches haben Sie intuitiv schon ganz richtig tischen Prinzip der Reaktionsverhinderung. Diese
gemacht. Anderes kann noch optimiert wer- Systematik wurde in der folgenden Anleitung um-
den. Ich werde Ihnen nun einige Vorgehens- gesetzt.
weisen vorschlagen, die sich in der Praxis be-
7.4 · Ressourcenaktivierung durch persönliche Werte
161 7
7.3.2 Umgang mit Natürlich handelt es sich dabei um Hinweise für
den Verhaltenssymptomen eine allgemeine Symptomtherapie. Zur Durchfüh-
rung einer spezifischen Symptomtherapie ist mehr
Vorbereitung Wissen über die betreffende Störung erforderlich
4 »Die bisherige Strategie bezog sich auf Befind- und mehr Kenntnis wissenschaftlich untersuchter
lichkeiten wie Gefühle, körperliche Beschwer- und als wirksam erwiesener Therapiemaßnahmen.
den oder Stimmungen für symptomatische In Hinblick auf verschiedenste Symptome wurde
Verhaltensweisen wie z. B. Flucht aus angstbe- eine Vielzahl verhaltenstherapeutischer Standard-
setzten Situationen, Wasch- oder Kontroll- verfahren zusammengestellt (Sulz, 2001).
zwänge, Alkoholkonsum, Essattacken, Fasten, Für hartnäckige Fälle schlägt er vor, wieder
Pickel ausdrücken usw.« Reaktionsketten zu erstellen, um fallspezifisch in
Anbetracht auslösender und aufrechterhaltender
Reaktionsverhinderung Bedingungen sowie der Funktionalität zu erken-
4 »Diese Verhaltensweisen werden immer durch nen, welche Bewältigungsstrategien im Detail
einen gefühlsmäßigen Zustand ausgelöst, der fehlen.
ihnen vorausgeht. So könnte z. B. ein ärger-
liches Telefonat dazu führen, dass man sich vor
den Spiegel stellt und eine halbe Stunde lang 7.4 Ressourcenaktivierung
Pickel ausdrückt. Reaktionsverhinderung be- durch persönliche Werte
deutet, dass ich dies nicht mehr tue. Der proble-
matische Gefühlszustand verliert somit nach jHaltung erarbeiten, Zielbindung stärken
und nach seine auslösende Funktion.« und Orientierung überprüfen
4 Auslösender Gefühlszustand: »Beobachten Sie Werte existieren nicht an sich. Wir schaffen sie
sich bis zur nächsten Stunde. Notieren Sie, an- selbst, indem wir bestimmte Situationen oder Ob-
lässlich welcher Gefühle bzw. welcher Stress- jekte »werten«. Dafür gibt es genügend Gelegen-
situationen das symptomatische Verhalten häu- heiten und es gibt wohl keinen Menschen, der nicht
figer auftaucht.« über Werte verfügt. Gefühlsreaktionen signalisie-
4 Entwickeln einer Reaktionsverhinderungsstra- ren dabei die Wertbezogenheit bzw. die persönliche
tegie: »Sie müssen es nicht gleich perfekt kön- Bedeutung eines Ereignisses für eine Person. Damit
nen. wir bei jeder Gelegenheit in Hinblick auf eine res-
4 Verzögern Sie das Auftreten des Symptomver- sourcenorientierte Arbeitsweise über eine ausrei-
haltens. Jede Minute Verzögerung ist schon ein chende Anzahl an Werten verfügen, erstellen wir
Erfolg. gleich zu Beginn der Therapie einen Wertepool. So
4 Tun Sie irgendetwas anderes, so unpassend es etwas findet immer Anklang, da Werte stets positiv
auch zunächst erscheinen mag. Jedes Alterna- konnotiert sind.
tivverhalten ist etwas Neues und damit eine
kleine erfolgreiche Veränderung.
4 Tun Sie das genaue Gegenteil. Wenn Sie das 7.4.1 Erstellen eines Wertepools
einmal schaffen, dann ist das bereits ein großer
Erfolg. Vorbereitung
4 Entscheiden Sie sich jedes Mal ganz bewusst, 4 »Die meisten Menschen haben Kraftquellen,
ob Sie jetzt das Symptom ausüben wollen oder die ihnen dabei helfen, sich mit schwierigen Si-
nicht. Sollten Sie sich dafür entscheiden, dann tuationen zu konfrontieren und diese zu meis-
aber richtig. Oder Sie entscheiden sich dafür, tern. Dies hat etwas zu tun mit den persön-
nach den drei oben genannten Möglichkeiten lichen Werten, von denen sich Menschen leiten
vorzugehen. lassen.«
162 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

Sammeln von Handlungszielen. Diese Steuerungsfunktion ist


4 »Bitte breiten Sie dieses Tuch (Decke, Flipchart- umso nachhaltiger, je mehr Bedeutung die jewei-
papier) aus. lige Werthaltung für die Selbstdefinition hat. Des-
4 Wählen Sie nun Gegenständen aus diesem halb ist die Fragestellung, in welcher Werthaltung
Raum aus (es können auch Gegenstände von zu der Patient die Realisierung seines Handlungszieles
Hause mitgebracht werden) und symbolisieren anpacken will, sehr wesentlich. Daher wird als ers-
Sie das, was Ihnen in Ihrem Leben wertvoll und tes ein Wert ausgewählt unter dessen Regie der Pa-
wichtig ist (synonym: was Leitprinzip in Ihrem tient die Erreichung eines Handlungsziels stellen
Leben ist, woran Sie Ihr Handeln ausrichten, will. Mit Hilfe einer Imaginationsübung wird das
was Ihrem Leben Sinn gibt, was Ihnen kostbar zugrunde liegende Werterleben zunächst ausgelo-
und unverzichtbar ist, womit Sie sich stark po- tet und verdichtet. Die im Strom des Erlebens auf-
sitiv identifizieren usw.). tauchenden positiven Bilder können bei Bedarf –
4 Breiten Sie nun diese Gegenstände aus und und dabei entfalten Imaginationen ihre einzigartige
schreiben Sie auf kleine Zettel, um welchen Qualität – den speziellen Bedingungen der Ziel-
Wert es sich jeweils handelt; legen Sie diese Zet- realisierung noch beliebig angepasst werden.
7 tel zu den Gegenständen.« . Abb. 7.2 bietet einen Überblick wichtiger Sta-
dien einer erfolgreichen wertebezogenen Imagina-
Benennen tion.
4 »Nehmen Sie nun jeden Gegenstand nach-
einander in die Hand und sagen Sie laut: ›Ich Vorbereitung
bin … (Bezeichnung des Wertes) im Leben von 4 »Sie haben sich für den Wert X entschieden.
... (Vorname des Patienten) und ich stehe Wir wollen nun dafür sorgen, dass dieser Wert
für…‹ (Angaben darüber, was der Wert im Le- für Sie auch eine Kraftquelle sein kann, die Sie
ben des Patienten bewirkt).« jederzeit aktivieren können, um sich in schwie-
rigen Situationen zu stärken.«
Geschichte der Werte
4 »Berichten Sie mir kurz, wie Sie zu Ihren Wer- Situationsauswahl
ten gekommen sind, was ist die Geschichte 4 »Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Sie
Ihrer Werte? Ihren Wert X erlebt haben, also eine Situation,
4 In welchen Situationen konnten Sie sich von die für Sie insgesamt positiv war. Dabei kann es
Ihren Werten leiten lassen? sich um eine Situation handeln, die Sie erst vor
4 Wie haben Sie deren Kraft gespürt?« kurzem oder schon länger nicht mehr erlebt ha-
ben. Wichtig ist, dass es für Sie ein intensives
positives Erleben war.
7.4.2 Werteaffirmation 4 Bitte beschreiben Sie diese Situation.«
und Werthaltung
Zentrierungsübung (ca. 30 Sekunden)
Neben physischen Attributen, persönlichen Merk- 4 »Erlauben Sie sich 3–4 tiefe Atemzüge. Achten
malen und der Vorstellung, die jemand von sich Sie darauf, wie sich Ihre Brust dabei hebt und
selbst hat, der Identität, sind Werte entscheidende senkt.
Kriterien, mit deren Hilfe die Person sich selbst de- 4 Und nochmal… Wenn Sie merken, dass Ihre
finiert. Sie stellt fest, was ihr wertvoll und wichtig Aufmerksamkeit abschweift, Sie plötzlich an et-
ist, grenzt ab, in was sie involviert sein will und in was denken oder sonst wie abgelenkt werden,
was nicht. Ihre Position am Haupt der Regulations- dann gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit ein-
pyramide qualifiziert sie als Haltungsziele, deswe- fach wieder zurück und registrieren Sie, wie
gen passt der Begriff der Werthaltung hier sehr gut. Ihre Brust sich hebt und senkt, hebt und
Werthaltungen steuern die nachgeordneten Regu- senkt…«
lationsebenen, insbesondere aber die Umsetzung
7.4 · Ressourcenaktivierung durch persönliche Werte
163 7

. Abb. 7.2 Wertebezogene Imagination (»Wertaffirmation«)

4 Ca. alle 5 Sekunden: »…und gehen Sie wieder Fokus auf ein Bild mit intensiver positiver Emotion
zurück auf Ihren Atem, spüren Sie, wie sich 4 »Scannen Sie den Film nochmals durch… Wel-
Ihre Brust hebt und senkt…« ches Bild wirkt am stärksten auf Sie?
4 Bleiben Sie bei diesem Bild! Gehen Sie noch-
Imagination mals in dieses Bild hinein! Was passiert da? Was
4 »Holen Sie sich nun die Situation (kurze verba- genau ist das Positive und Stärkende in diesem
le Umschreibung der Situation, in der die Rea- Bild?
lisierung von Wert X erlebt wurde) nochmals 4 Vielleicht gibt es ja mehrere Bilder, die Sie jetzt
her. Beschreiben Sie kurz den Ort des Gesche- gerade besonders berühren… Wenn weniger
hens, welche Personen sind anwesend,… wie ist gute Gefühle auftauchen, so lassen Sie sie ein-
das Licht, was hören, sehen, schmecken, rie- fach da sein; behandeln Sie sie achtsam. Nach-
chen Sie…?« dem Sie unangenehme Aspekte registriert ha-
ben, lassen Sie sie stehen und lenken Sie Ihre
Auswahl einer Szene mit spürbar positiver Emotion Aufmerksamkeit zurück auf die stärkenden As-
4 »Lenken Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf das, pekte.
was hier wertvoll und wichtig für Sie ist, was 4 Wählen Sie nun das Bild aus, in dem Sie Ihre
gute Gefühle macht! Was genau passiert da ge- Werthaltung X besonders kraftvoll und wohl-
rade, worin besteht das gute Gefühl, wie rea- tuend erlebt haben…
giert Ihr Körper… Spüren Sie dieses Gefühl 4 Beschreiben Sie mir das Bild… Wie fühlt sich
jetzt auch? Was ist Ihr Gefühl, was sind Ihre das in Ihrem Körper an? Was genau fühlt sich
Gedanken? so stark an, wo spüren Sie das in Ihrem Körper?
4 Vielleicht gibt es ja mehrere Bilder, die Sie jetzt Wie ist Ihre Stimmung dabei?
gerade besonders berühren… Was macht das 4 Baden Sie noch eine Weile in diesen Eindrü-
mit Ihnen?« cken und Gefühlen…
164 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

4 Kommen Sie langsam wieder hierher zu- 4 Was ist Ihr Bild? Welche Musik, Kleidung,
rück…« Schmuck, Duft etc. würden dazu passen?
4 Können Sie Haltung und Bewegung des Kör-
Zwischenbilanz pers durch eine Geste (Mikrobewegung) erset-
4 »Wenn Sie das Ausmaß Ihres positiven, stär- zen? (so kann man z. B. ein Auf und Ab des
kenden Erlebens auf einer Skala von 0 (gar ganzen Körpers durch eine Bewegung des Zei-
nicht) bis 100 (sehr) einmal einschätzen; zu gefingers ersetzen.)
welchem Wert kommen Sie?« 4 Je mehr Verbindungen Sie zu Ihrer Werthal-
tung schaffen, umso stärker werden Sie diese
Justieren verankern. Sie ist bei Bedarf dann auch leichter
4 »Lassen Sie uns nochmals in das Erleben gehen; zu aktivieren, wenn Sie all diese Erinnerungs-
holen Sie sich die Szene wieder her. Wie müsste hilfen benutzen.«
der Ablauf sein, wie müssten Details der Situa-
tion abgeändert werden, so dass Ihr Erleben Hausaufgabe
noch positiver ist? 4 »Täglich imaginieren und sich mit den Erinne-
7 4 Lassen Sie das Geschehen entsprechend anders rungshilfen in Kontakt bringen. Prüfen Sie, wie
ablaufen. Wie geht es Ihnen jetzt?« dies im Alltag wirkt.«

Bild Ergänzung Während der Justierung kann ein Wert


4 »Malen Sie nun – konkret oder mit einfachen deutlich werden, der anfangs nicht genannt wurde,
Symbolen – ein Bild dieser stärkenden Erfah- der vielleicht auch nicht im Pool war. Die Veranke-
rung.« (Alternativ nur fragen: »Welches Bild rung sorgt dafür, dass die entsprechende Werthal-
passt zu dieser Erfahrung?« oder »Finden Sie tung auch im passenden Moment aktiviert werden
1–2 Abbildungen bzw. Fotos, die dazu pas- kann, um die erwünschte Zukunft auch zu errei-
sen.«) chen. Wird dies regelmäßig geübt, so können sol-
che Werteaffirmationen als quasi-perzeptive Simu-
Motto lationen der Zukunft kraftvolle Förderer der Verän-
4 »Welcher Satz, welches Motto könnte dazu pas- derungsmotivation sein. Der Bezug zu impliziten
sen? (Wenn Sie eine Überschrift dafür finden Motiven und spontan nicht versprachlichten Ele-
sollten,… wie würde sie lauten?)« menten wird während dieser Arbeit durch Anlei-
tung zu bildhafter Sprache, zum Malen und Sam-
Körperhaltung/-bewegung meln passender Abbildungen hergestellt. Diese
4 »Bleiben Sie noch etwas bei dem Gefühl. Was Arbeitsweise fördert die Kongruenz zwischen im-
will Ihr Körper tun? pliziten Motiven und expliziter Zielverfolgung. Da-
4 Beginnen Sie zunächst mit kleinen Bewe- durch wird auch das Auffinden einer Bewegungsfi-
gungen. Experimentieren Sie auch mit ausgrei- gur bzw. einer Körperhaltung gefördert. So hatte
fenderen Bewegungen und unterschiedlichen ein Patient für sich das kraftvoll-elegante Motiv
Bewegungsrichtungen, bis der Körper in eine eines Bogenschützen für sich gefunden. Nach eini-
Bewegungsabfolge »fällt«, die sich stimmig an- gen ungelenken Bewegungsabfolgen, vollzog er
fühlt. eine elegante Choreographie, deren Endposition
4 Schauen Sie, was passiert, wenn Sie dazu das . Abb. 7.3 zeigt.
Motto aussprechen. Es macht einen großen Unterschied, wenn man
Patienten darin unterstützt, solch eine Choreogra-
Verankern phie zu wagen. Die gefühlte Werthaltung ist un-
4 »Welcher Mensch sind Sie hier? Nehmen Sie gleich lebendiger und nachhaltiger, wenn die Kör-
Ihre Körperhaltung und sprechen Sie mit pas- perbewegung hinzukommt. Dies veranschaulicht
sender Stimme Ihr Motto aus. auch nochmals die besonderen Möglichkeiten, die
mit der Embodimentperspektive verbunden sind.
7.4 · Ressourcenaktivierung durch persönliche Werte
165 7

. Abb. 7.4 Mikrobewegung als Ersatz für eine Ganzkörper-


bewegung
. Abb. 7.3 Endposition der Choreographie eines
Bogenschützen
Vorbereitung
4 »Wenn Sie ein Ziel verwirklichen wollen, wer-
Je mehr Sinneskanäle bei einer Verankerung betei- fen Sie bitte einen Blick auf Ihre Lebensregel.
ligt sind, umso besser (vgl. Storch & Krause, 2002). Welches der dort formulierten Ziele möchten
Hier gilt: Viel hilft viel. In diesem Sinne sollte auch Sie gerne verwirklichen?
die Choreographie benutzt werden. Da sie in den 4 Beschreiben Sie es bitte nochmals!«
meisten sozialen Situationen nicht durchgeführt
werden kann, ohne erhebliches Befremden auszu- Instruktion
lösen, ist es wichtig, stellvertretend dafür eine an- 4 »Werte können eine Haltung vermitteln, die
dere, eine Mikrobewegung einzuüben (. Abb. 7.4). dabei hilft, in guter Weise mit Herausforde-
Der vorhin erwähnte Patient benutzte anstelle der rungen umzugehen. Welchen Wert aus Ihrer
Choreographie des Bogenschützen das Hin- und Sammlung, welche wertorientierte Haltung
Herbewegen von Daumen und Zeigefinger. Diese bräuchten Sie, um das ausgewählte Verhaltens-
Bewegung sollte für das Anspannen und Loslassen ziel zu verwirklichen?
der Bogensehne stehen. 4 Was hat Sie dazu bewogen, gerade diesen Wert
auszuwählen? Inwieweit passt der zu Ihrem
Ziel?«
7.4.3 Werte als Ressourcen
und Haltungsziel
7.4.4 Mit Werthaltungen Stress
Patienten können solche Wertaffirmationen auch senken und Überblick behalten
für sich allein üben und sich somit immer wieder
in eine stärkende positive Grundstimmung verset- Eine besondere Qualität von Werthaltungen ergab
zen. Zu Beginn einer schwierigen Thematik ist die- sich insbesondere aus ihrer Position in der Regula-
se Übung auch für die Therapiestunde geeignet. Es tionspyramide. Werden Handlungsziele realisiert,
empfiehlt sich, immer nur die Werthaltung zu ver- so liegt die Aufmerksamkeit naturgemäß eher bei
ankern, die gerade gebraucht wird, um sie dann mit den Details der Handlung. Treten bei der Hand-
einem geeigneten Handlungsziel zu kombinieren. lungsausführung aber Diskrepanzen auf, die nicht
Dieser Vorgang soll noch kurz beschrieben wer- bewältigt werden können, so entsteht Stress. Die
den: Aufmerksamkeit kann nun leicht perseverieren,
negative Emotionen treten dann verstärkt auf. Wei-
ter vorne wurde erklärt, dass durch die Lenkung
166 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

der Aufmerksamkeit auf abstraktere Soll-Werte, al- 4 Nutzen Sie die Erinnerungshilfen; berühren Sie
so auf die Werthaltung, ein Distanzierungseffekt den angelegten Schmuck, riechen Sie den Duft
entsteht. Dieser Distanzierungseffekt wirkt stress- Ihres Parfums, hören Sie innerlich die ausge-
senkend, befreit also aus dem Stresstunnel und ver- wählte Musik, sehen Sie das Bild vor sich.
hilft erneut zu einem notwendigen Überblick. Wir 4 Schließen Sie kurz die Augen und baden Sie
hatten dies mit der Metapher »den Wald vor lauter wieder in dem Gefühl.
Bäumen wieder sehen« umschrieben. In der Übung 4 Öffnen Sie jetzt die Augen, richten Sie den Blick
werden Haltungs- und Handlungsziele zunächst zum Horizont und denken Sie dabei das Mot-
räumlich getrennt dargestellt. Dies unterstützt die to.
zuverlässige Verinnerlichung des angepeilten Per- 4 Was für ein Mensch sind Sie im Moment? Wie
spektivenwechsels. geht es Ihnen? Wie wirkt die Situation jetzt auf
Sie? Wie groß ist noch die Belastung (Skala)?«
Vorbereitung
4 »Ich möchte Ihnen nun zeigen, wie Sie die ver- Den Wechsel verinnerlichen
ankerte Werthaltung nutzen können, um in be- 4 »Die beiden Plätze sind eine äußere Hilfe, um
7 lastenden Situationen den Faden nicht zu ver- die Unterbrechung und den Wechsel in die
lieren und wieder in Ihre Kraft zu kommen. Werthaltung zu verdeutlichen und zu vereinfa-
4 Bitte legen Sie zwei Gegenstände aus. Wählen chen. Im Alltag kann man auch einen kleinen
Sie einen aus als Platzhalter für eine Situation, Ortswechsel vollziehen. Dieser Wechsel ist ja
in der Sie gerade ein wichtiges Ziel verwirkli- mit einem Wechsel der Aufmerksamkeitsrich-
chen wollen. Der andere steht für Ihre Werthal- tung verbunden, nämlich weg von der belas-
tung.« tenden Situation und hin zur Werthaltung.
4 Diesen inneren Wechsel können Sie auch ohne
Fokus auf die belastende Situation Platzwechsel einleiten, z. B. indem Sie tief ein-
4 »Stellen Sie sich nun zum Platzhalter, der für atmen und die Mikrobewegung ausführen.
eine Situation steht, in der Sie gerade ein wich- 4 Lassen Sie uns das nochmals ausprobieren.«
tiges Ziel verwirklichen wollen.
4 Bitte schließen Sie kurz die Augen, schildern Ergänzung Zu Übungszwecken empfiehlt es sich
Sie eine schwierige Phase und lassen Sie sich zwei bis drei Mal zwischen den Plätzen zu wech-
etwas auf den Stress ein, der dabei entsteht. seln.
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Details
der Situation: Wie ist die Umgebung, wer ist an- Hausaufgabe
wesend, was tut Ihr Gegenüber, wie geht es Ih- 4 »Welche Situationen der kommenden Woche
nen dabei, wie ist die Gesprächsatmosphäre, würden sich für Trainingszwecke eignen?«
die Wortwahl, wie geht es Ihnen dabei?
4 Bewerten Sie nun die Anspannung auf einer
Skala zwischen 0 (kaum) bis 100 (sehr stark). 7.4.5 Wertkorridor: Stärken
Wie hoch ist Ihre Anspannung gerade?« der Verbindung zwischen
Haltungs- und Handlungszielen
Fokus auf die Werthaltung
4 »Wechseln Sie nun den Platz und treten Sie zu Ein wesentlicher Schritt der Wertearbeit in SBT ist
jenem Platzhalter, der für Ihre Werthaltung erreicht, wenn sich Patienten verbindlich auf die
steht. Ziehen Sie dabei Ihre Aufmerksamkeit positiv gefühlte Richtung, die durch die nun veran-
von der Situation ab und seien Sie jetzt ganz bei kerte Wertorientierung vermittelt wird, einlassen
sich. können. Wenn wir unseren Weg gehen, dann wer-
4 Gehen Sie in die passende Körperhaltung, ma- den wir natürlich diversen Schwierigkeiten, Stres-
chen Sie Ihre Mikrobewegung, denken Sie Ihr soren und Hindernissen begegnen. Nun kommt es
Motto. darauf an, trotz solcher Widrigkeiten die motivati-
7.4 · Ressourcenaktivierung durch persönliche Werte
167 7
onale Energie und Anstrengung bei der Zielverfol- Bestimmen von Handlungen, die passen
gung aufrecht zu erhalten. Es wurde schon darauf 4 »Welche Handlungsweisen passen hier hinein,
hingewiesen, dass das Commitment, die innere wenn Sie an die Verwirklichung Ihres Ziels
Verpflichtung, für einen bestimmten Weg dann ge- denken?«
stärkt wird, wenn Personen sich für eine Option
entscheiden, die ihrer Selbstdefinition, insbesonde- Bestimmen von Handlungen, die ausgeschlossen
re ihrer Werthaltung entspricht. Darüber hinaus werden sollen
handelt eine Person dann mit innerer Verpflich- 4 »Wählen Sie nun eine beliebige Position außer-
tung, wenn sie sich nicht nur fest für eine Hand- halb des Korridors; sie kennzeichnet Abwei-
lung oder Entscheidung ausspricht, sondern wenn chungen von der Werthaltung.
dies auch öffentlich geschieht. Das Arbeitsmodul 4 Richten Sie Ihren Blick auf den Wertekorridor!
zum Wertekorridor soll dies ermöglichen. Hier Welche Verhaltensweisen passen nicht zu Ihrer
passiert die Operationalisierung der Werthaltung. Werthaltung?«
Bezogen auf die Zielhierarchie bedeutet dies ei-
ne noch stärkere Bindung an ein bestimmtes Ver- Kontrastieren Der Patient wird mehrmals dazu
haltensprogramm. Durch Anregung eines Pro- angeregt hin- und herzuwechseln. Durch diesen
zesses mentalen Kontrastierens (was passt zu der Kontrastierungseffekt kristallisiert sich immer
Werthaltung und was passt nicht dazu) wird dabei deutlicher ein griffiges Verhaltensprogramm aus,
ein noch stärkerer Bezug zur Realisierung von das immer deutlicher die Werthaltung zum Aus-
Handlungszielen hergestellt. Fantasieren oder druck bringt.
Schwelgen in einer erwünschten Zukunft oder auch
hemmendes Grübeln werden dabei durch einen
handlungsorientierten, proaktiven Stil ersetzt. 7.4.6 Kursbestimmung
für die Entwicklung
Vorbereitung und das Leben
4 »Ihre Wertorientierung gibt eine Richtung an,
in die das Handeln gelenkt werden soll. Damit Die nachfolgende Übung beginnt mit einer Bilan-
ist noch nicht vollständig festgelegt, wie Ihr zierung und wirft dann die Frage auf, ob das mo-
Handeln genau aussehen soll. Verschiedenste mentane Lebensprojekt (z. B. Familiengründung,
Handlungsweisen passen in diesen Korridor, Jobwechsel etc.) der Richtung entspricht, die man
weil sie eben Ihrer Werthaltung entsprechen. einschlagen will oder nicht. Bestimmte Projekte,
Andere passen nicht hinein, da sie der Werthal- z. B. Veränderungsprojekte in der Therapie, kön-
tung nicht entsprechen. Manche Handlungs- nen auch daraufhin beurteilt werden, inwieweit sie
weisen bergen vielleicht das Risiko, dass man wichtige Wertorientierungen, die Patienten ver-
der Werteorientierung untreu wird oder dass wirklichen wollen, tatsächlich auch widerspiegeln.
man sich überfordert und dann scheitert usw.«
Vorbereitung
Wertkorridor 4 »Manchmal ist es wichtig, zu prüfen, ob die
4 »Bitte markieren Sie mit diesen Gegenständen Richtung, die man für sein Leben eingeschla-
(Seile, Tücher, Stifte o. Ä.) einen Korridor. Wäh- gen hat, noch stimmt.
len Sie seine Breite so, dass es für Sie gefühls- 4 Das Arbeiten an konkreten Problemsituationen
mäßig stimmig ist. ist sehr wichtig. Beim Klettern oder Segeln
4 Stellen Sie sich nun in den Korridor, gehen Sie müssen auch schwierige Situationen bewältigt
in Ihre Werthaltung (Körperhaltung, Mikro- werden, dennoch muss darauf geachtet werden,
bewegung usw. ...) ein und sprechen Sie Ihr dass man der festgelegten Route bzw. dem Kurs
Motto!« noch folgt.«
168 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

Beschreiben der aktuellen Lebenssituation mit den Reaktionen meines Umfeldes umge-
4 »Lassen Sie für einen Moment die Details bei- hen?«
seite und versuchen Sie doch mal aus einer Art
Vogelperspektive auf Ihr Leben zu schauen. Hausaufgabe
4 Beschreiben Sie, was Sie sehen.« 4 »Bitte überlegen Sie sich, welche Projekte für
den Vollzug der Kursänderung angepackt wer-
Ortsbestimmung auf der Wertescheibe den müssen.«
4 »Lassen Sie uns versuchen, diese Beschreibung
hier einzuordnen« (. Abb. 7.5).
7.4.7 Balance: Wertedomänen
Zur Erklärung: besetzen und Antagonisten
4 »Bei der Linie Verändern/Bewahren geht es zu Synergisten machen
darum, ob Ihre Haltung im Moment eher dar-
auf ausgerichtet ist, in Ihrem Leben etwas zu Den meisten Patienten ist es nicht bewusst, dass in
verändern oder ob Sie dies momentan nicht vielen Situationen tatsächlich mehrere motivatio-
7 wollen und eher Lebensbereiche schützen oder nale Ausrichtungen verfolgt werden müssen, damit
erhalten wollen. In diesem Fall befinden wir ein erfolgreiches Handeln überhaupt möglich sein
uns ganz rechts. kann. Manche Ausrichtungen sind miteinander
4 Bei der Linie Ich/Andere geht es darum, ob es kompatibel, andere nicht. Auf diese Weise kann es
Ihnen bei Ihrer Ausrichtung im Moment eher zu Konflikten kommen, die dann oft zu Gunsten
um Ihre eigene Person geht oder er ob eher an- einer Richtung entschieden werden. Das bedeutet
dere Menschen im Fokus Ihrer Aufmerksam- aber, dass an sich wichtige Verhaltensbereiche
keit stehen. Ein Beispiel: Nehmen wir an, Sie vermieden werden. Die folgende Übung verschafft
kümmern sich überwiegend um Ihre Interes- einen Überblick zu den aktivierten bzw. den
sen, erweitern Ihren Horizont durch Reisen vermiedenen Wertedomänen. Dabei wird die
und sind dabei Hobbykoch zu werden. Wo »Wertescheibe« von Schwartz eingesetzt (vgl.
würden Sie sich dann auf der Scheibe befinden . Abb. 4.2).
(3. Quadrant)? Wenn Sie aber gerade versu-
chen, mit Ihrem bisherigen, sicheren Job klar Vorbereitung
zu kommen, um das Studium Ihrer Kinder zu 4 »Eben haben Sie über eine Situation (ein Pro-
finanzieren… Wo befinden Sie sich dann jekt) gesprochen, die für Sie nicht so befriedi-
(1. Quadrant)? gend verlaufen ist. Eine Werthaltung ist sehr
4 »Finden Sie ein Bild für diesen Standort! Wie wichtig für das Handeln. Jede Werthaltung re-
wird die Zukunft hier aussehen. Kommen Sie präsentiert aber auch eine ganz bestimmte mo-
damit zurecht?« tivationale Ausrichtung und es kann sein, dass
Sie zusätzlich Werthaltungen brauchen, um
Kursbestimmung auf der Wertescheibe endgültig erfolgreich sein zu können.
4 »Wollen Sie an Ihrem Standort bleiben oder 4 Ein Beispiel: Es ist gut, wenn eine Führungs-
wollen Sie woanders hin? kraft prosozial ausgerichtet ist. Zur erfolg-
4 Wenn ja: Welche Richtung wollen Sie von Ih- reichen Bewältigung ihrer Aufgabe reicht dies
rem Standort aus einschlagen? Welche Investi- aber nicht.«
tion wollen Sie dafür erbringen? Wie fühlt sich
das an (Körper, emotionaler Impuls)? Wie wird Imagination der Situation
die Zukunft aussehen (Vorteile, Nachteile)? 4 »Um genauer zu bestimmen, welcher Ausrich-
4 Was sind die Auswirkungen bzw. Nebenwir- tung Sie folgen, ist es sinnvoll, wenn Sie sich die
kungen in Bezug auf Ihre Person und Ihre Be- betreffende Situation nochmals vergegenwär-
ziehungen. Woran wird meine Umgebung die- tigen.
sen Standortwechsel erkennen? Wie will ich
7.4 · Ressourcenaktivierung durch persönliche Werte
169 7

ANDERE

Dankbarkeit
Verantwortung
Frieden
Hilfsbereitschaft
Toleranz Vergeben

Frei sein
Brav sein
VERÄNDERN

Eigene Ziele Disziplin

BEWAHREN
Sich anpassen
Bescheiden
Neugier sein Verpflichtung
Kreativität Abenteuer
Zugehörigkeit
Vergnügen Freude
Sicherheit
Genießen
Harmonie

Kontrolle
Anerkennung
Macht
Ehrgeiz
Einfluss
Erfolg

ICH
. Abb. 7.5 Die Wertescheibe

4 Nun folgt eine Imaginationsanleitung. Alterna- 4 Welcher Wert, welches Leitprinzip ist damit
tiv kann die Situation auch mit Gegenständen verbunden?«
nachgestellt werden.«
Werte mit Kriterien verbinden
Herausfordern zu wertorientierten Stellungnahmen 4 »Woran merken Sie, dass es Ihnen gelingt, Ihren
4 »Wir wollen nun gemeinsam prüfen, welche Wert, Ihr Leitprinzip zu verwirklichen?
Wertedomänen sich in Ihrem Handeln zeigen. 4 Woran merken Sie, dass dies nicht gelingt?
Konzentrieren Sie sich ganz auf die Aufgabe, 4 Was bedeutet das jeweils für Sie?«
ich werde alles auf dem Flipchart notieren.
4 Was ist Ihnen wichtig in dieser Situation? Wie Bestimmen der motivationalen Ausrichtung Unter
wichtig ist es Ihnen? Woran merken Sie, dass es Zuhilfenahme von Beschreibungen der zehn Wer-
Ihnen so wichtig ist? tedomänen in 7 Kap. 4, werden nun die Äußerun-
4 Was genau ist der Grund Ihres guten Gefühls gen den Wertedomänen zugeordnet. Oft lässt sich
(Ihres schlechten Gefühls)? dabei auch eine Gewichtung vornehmen, d. h.,
4 Schließen Sie die Augen und spüren Sie noch- manche Wertorientierungen haben einen größeren
mals den Moment. Stellenwert als andere.
4 Was ist in diesem Moment wertvoll, was ist der
Zugewinn? Was bedeutet das für Sie?
170 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

Bilanz hen, dass solche Empfindungen als Kernaffekte um-


4 Durch Punkte werden die jeweiligen Werte- schrieben werden und in einem Circumplex mit
domänen markiert. Nun wird festgestellt: den beiden Dimensionen Valenz und Erregung
4 Sind die in der jeweiligen Situation eingeordnet werden können (vgl. . Abb. 3.2). Im
realisierten Werthaltungen für ein folgenden Arbeitsmodul wird beschrieben, wie sol-
Vorhaben ausreichend? Welche fehlen? che eher körperbezogenen Informationen aufge-
4 Welche Antagonisten sind notwendig, griffen und versprachlicht werden können. Dabei
damit ausgewogene Bedingungen nutzen wir den schon besprochenen Befund, dass
herrschen? eine Verwertung körperbezogener Informationen
im referenziellen Prozess am besten gelingt, wenn
Planung man das Empfinden zunächst mit Hilfe von Bildern
4 »Wir wollen uns nun damit befassen, wie die beschreibt. Oft gelingt schon bei der sprachlichen
Synergisten und Antagonisten dosiert werden Fassung eine Zuordnung zur auslösenden Situati-
können. Ziel ist, dass wir dabei zu einem So- on, wodurch dann auch die Benennung einer oder
wohl-als-auch antagonistischer Motive kom- mehrerer spezifischer Emotionen ermöglicht wird.
7 men. Dieser Zuordnungsprozess ist wichtig, da sich
4 Wir sollten dabei auch Ihre Überlebensstrategie nur auf diese Weise die Funktion der Emotion er-
zu Rate ziehen.« schließt. Diese Arbeitsweise kann sofort eingesetzt
werden, wenn der Patient entweder ein vages Ge-
fühl mit in die Sitzung bringt oder wenn es als Ne-
7.5 Arbeit mit Emotionen benprodukt eines anderen Arbeitsschrittes auf-
taucht. In diesem Modul wird der Kernaffekt als
Mit anderen psychotherapeutischen Verfahren teilt überwiegend körperlicher Ausdruck einer proble-
SBT die Auffassung, dass sowohl belastende Emoti- matischen, aktuellen Situation aufgefasst und durch
onen als auch ein problematischer Umgang damit Lenkung der Aufmerksamkeit darauf beschrieben
wesentlicher Bestandteil psychischer Erkrankungen und ernst genommen.
ist. Deshalb nimmt die Arbeit mit Emotionen hier Das reicht in der Regel nicht aus. Da unsere Er-
vergleichsweise viel Raum ein. Bedeutung von innerungen im emotionalen Erfahrungsgedächtnis
Emotionen und Begreifen emotionaler Prozesse multikodiert sind, gelangen wir aber über das ent-
können sich erschließen, wenn die zugrunde lie- sprechende Körperempfinden in der Regel zur aus-
genden mentalen Simulationsprozesse gefördert lösenden Situation. Wie vorher beschrieben, kann
werden. Daher wird hier eine erlebnisorientierte dadurch nun die zugrunde liegende Emotion spezi-
Arbeitsweise, die sich auf Prinzipien des Embodi- fiziert werden. Ein ähnlich hoher Stellenwert der
ment stützt, favorisiert. Stets steht die emotionale somatischen Erfahrung findet sich bei den Verfah-
Aktivierung im Vordergrund. Sie führt auch gleich- ren von Gendlin (1985) sowie Watkins und Wat-
zeitig zur Aktivierung verborgener motivationaler kins (2008). Grundgedanken dieser Autoren haben
Strukturen (Greenberg, 2007). das folgende Modul inspiriert.

Vorbereitung
7.5.1 Vom präkognitiven Niveau 4 »Gerade haben Sie erwähnt, dass Sie ein… Ge-
des affektgetönten fühl verspüren (wörtliche Wiederholung der
Körperempfindens zum körperbezogenen Empfindung).
kognitiven Niveau der Emotion 4 Ihr Körper vermittelt Ihnen damit unter Um-
ständen etwas Wichtiges, das Sie noch genauer
Häufig machen Patienten gefühlsmäßige Angaben, daraufhin überprüfen können, was es Ihnen
die nicht sehr gerichtet wirken und über ein vages sagt.
körperliches Empfinden nicht hinausgehen: »Ich 4 Ich könnte versuchen, Sie dabei zu unterstüt-
fühle mich hektisch und genervt« oder »ich habe zen. Was meinen Sie?«
ein blödes Gefühl in der Magengegend«. Wir sa-
7.5 · Arbeit mit Emotionen
171 7
Einrichten des Körperfokus 7.5.2 Prototypische emotionale
4 »Zur Unterstützung Ihrer Konzentration schlie- Episoden und Kernthemen
ßen Sie bitte die Augen. Sie können aber auch
einfach nur nach unten in Richtung auf Ihre Wie geht es mir in einer bestimmten Situation mit
Schuhspitzen schauen, wenn Sie Ihre Augen der Verwirklichung meiner Ziele? Gefühlsmäßige
nicht ganz schließen wollen. Reaktionen liefern hierzu eine schnelle Antwort.
4 Versuchen Sie die Haltung von Neugier und In- Neben den eher ungerichteten, überwiegend kör-
teresse einzunehmen. Richten Sie nun Ihre perbezogenen Empfindungen sind häufig Gefühle
Aufmerksamkeit auf den Bereich des Körpers, im Spiel, die schon mit einer Kategorie wie z. B. Är-
in dem Sie am stärksten das eben geschilderte ger oder Angst benannt werden können. In einem
Gefühl vorfinden…. solchen Fall ist der Emotionsauslöser bekannt, z. B.
4 Wo genau ist das Gefühl? als Ergebnis der vorhin beschriebenen Arbeit mit
4 Schauen Sie mal, ob sich dort dieses Gefühl auf Kernaffekten. In manchen Fällen muss eine Benen-
einen engeren Bereich Ihres Körpers konzent- nung der Emotion nicht erst erarbeitet werden. Sie
riert oder ob es weiter verteilt ist! Wie groß wä- liegt von vornherein klar auf der Hand, weil die
re eine Kreislinie, damit das Gefühl da hinein Person unschwer eine Attribution auf den Auslöser
passt? Wie ist die Ausdehnung des Gefühls in vollziehen kann.
Ihrem Körper? Das Ergebnis dieses Prozesses könnte im Falle
4 Wenn Ihre Aufmerksamkeit abschweifen will, von Ärger folgendermaßen lauten: »Das mir wich-
dann lenken Sie sie einfach wieder zurück. Blei- tige Anliegen in dieser Situation wird von Person X
ben Sie ganz bei diesem Körpergefühl. Erfor- blockiert, wobei X auch noch versucht, über mich
schen Sie es in diesem Bereich. zu stellen.« Dies spiegelt sehr schön die Auffassung
4 Wie verändert es sich von der Mitte zu den der einschätzungstheoretischen Ansätze wider. Da-
Rändern hin? Was ist Ihr Eindruck?« nach sind Gefühle wesentliche Indikatoren, die
über den Stand der erlebten Person-Umwelt-Bezie-
Ein Bild für das Gefühl finden hung Auskunft geben. Jede Emotion entspricht da-
4 »Bitte bleiben Sie einen Moment bei diesem bei einem bestimmten transaktionalen Bezug der
Eindruck und schauen Sie mal, ob Sie ein Bild Person zu ihrer Umwelt oder präziser: Eine be-
dazu entstehen lassen können. Welches Bild stimmte Emotion enthüllt ein sog. Kernthema, das
könnte dazu passen? Darauf können konkrete die Person bei ihrer Bemühung um Zielverwirkli-
Gegenstände, Symbole und Vorgänge (Bewe- chung gerade beschäftigt. Damit bringen solche
gungen) zu sehen sein, die dieses Gefühl »ma- Kernthemen die momentane Problemlage auf den
chen« (z. B. schwere Stahlplatte drückt auf die Punkt, sie liefern mehrere unterschiedliche Ansatz-
Brust) ... Wenn Sie ein Bild von dem Gefühl in punkte für eine therapeutische Intervention.
Ihrem Körper malen sollten: Was würde darauf Das nun folgende Arbeitsmodul erlaubt die Be-
zu sehen sein; wie würde sich dieses Gefühl arbeitung der folgenden Zielsetzungen:
darauf zeigen? Bitte beschreiben Sie das Bild!
Was für eine Überschrift (was für ein Motto) Emotionsexposition Hier geht es darum, den Emo-
passt zu dem Bild? tionsanlass nachzuvollziehen, das Gefühl zuzulas-
4 Welche auslösende Situation gehört zu dem sen und ausgiebig zu spüren. Dabei kann auch ein-
Bild? geschätzt werden, wie stark ein Gefühl ist. Für die
4 Nehmen Sie sich jetzt noch ein wenig Zeit. Ver- Emotionsexposition werden drei Methoden be-
weilen Sie noch einen Moment bei Gefühl und schrieben: Szenische Imagination, Projektion und
Bild. Gab es in der letzten Zeit einen Anlass, der Aufstellung mit Gegenständen.
dazu passt? Legen Sie doch mal das Bild dane-
ben. (Vergleichen Sie mal das Bild damit.) Was Erkennen und Nutzen der Regulationsfunktionen
ist passiert? Wann? Wo? Wie? Mit wem? Was der Emotion Dieses Modul kann bei allen Expositi-
ging hier vor, was war Ihr Gefühl?« onsmethoden eingebracht werden. Jede Emotion
172 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

hat eine Wirkung auf das Selbst, aber auch auf seine 4 Als erstes machen wir eine kleine Zentrierungs-
Umgebung. Diese Funktionen sind in der 3. und übung. Sie können dabei die Augen schließen
4. Spalte von . Tab. 3.5 dargestellt. Interne Regula- oder etwa 1,50 Meter vor sich auf den Boden
tionsfunktionen beziehen sich auf die Aktivierung schauen, so dass Ihre Augendeckel etwas ge-
bestimmter Handlungstendenzen, z. B. Weglaufen, senkt sind.
Umarmen-Wollen, Zuschlagen usw. Dies wird als 4 Dann werden wir uns die Situation wieder her-
Teil der Emotion im Körper gespürt. Können diese holen. Wir werden dabei mit Worten in Kon-
zugelassen werden? Sind sie zu stark oder zu takt sein, d. h., ich werde Sie eventuell etwas
schwach? Die Regulationsfunktionen bezüglich der fragen, Sie werden mir beschreiben, was Sie
Interaktion mit der sozialen Umgebung haben sehen und ich werde Sie mit Worten weiter an-
hauptsächlich mit dem Signalcharakter des Emo- leiten. Wichtig ist, dass Sie dabei ganz bei sich
tionsausdrucks zu tun. Ist der Emotionsausdruck bleiben.
funktional, d. h. dient er tatsächlich der Zielerrei- 4 Können Sie sich vorstellen, dass wir beide in
chung in der sozialen Umgebung? dieser Weise vorgehen? Haben Sie noch Fra-
gen?
7 Klären des Kernthemas Jede Emotion enthält eine
zentrale Botschaft für den Patienten. Es lohnt sich, Zentrierungsübung (30–60 Sekunden)
diese kennen zu lernen, auszuwerten und gege- 4 »Erlauben Sie sich 3–4 tiefe Atemzüge. Achten
benenfalls zu akzeptieren. Dazu sollen wichtige Sie darauf, wie sich Ihre Brust dabei hebt und
Fragen beantwortet werden nach dem genauen senkt.
Geschehen in der Situation und was dies für den 4 Und nochmals… Wenn Sie merken, dass Ihre
Patienten bedeutet. Aufmerksamkeit abschweift, Sie plötzlich an et-
was denken oder sonst wie abgelenkt werden,
dann gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit ein-
7.5.3 Emotionsexposition fach wieder zurück und registrieren, wie Ihre
mit Ermittlung Brust sich hebt und senkt, hebt und senkt…«
der Regulationsfunktionen 4 Ca. alle 3 Sekunden: »…und gehen Sie wieder
zurück auf Ihren Atem, spüren Sie, wie sich Ih-
jSzenische Imagination re Brust hebt und senkt…«
Sie ist häufig das Mittel der Wahl, eignet sich aber
nicht für schwerer gestörte Patienten. Idealerweise Entwicklung der Szene
wird sie mit geschlossenen Augen durchgeführt, 4 »Holen Sie sich nun die Situation (kurze verba-
der Blick kann aber auch auf den Boden gerichtet le Umschreibung) nochmals her. Beschreiben
sein. Der Therapeut lässt den Patienten die proble- Sie kurz den Ort des Geschehens, welche Per-
matische Situation beschreiben; beide bleiben da- sonen sind anwesend,… wie ist das Licht, was
bei in verbalem Kontakt. hören, sehen, schmecken, riechen Sie,…?
4 Was genau passiert gerade, an welcher Stelle be-
Vorbereitung ginnt das Gefühl, wie fühlen Sie sich dabei, wie
4 »Wir wollen uns nun genauer mit Ihrem ge- reagiert Ihr Körper…? Spüren Sie dieses Gefühl
fühlsmäßigen Erleben in der von Ihnen ange- jetzt auch? Was ist Ihr Gefühl, was sind Ihre
sprochenen Situation befassen. Das Vorgehen, Gedanken?
zu dem ich Sie nun anleiten möchte, dient der 4 Vielleicht gibt es ja mehrere Bilder, die Sie jetzt
Konzentration und damit auch der Intensivie- gerade besonders berühren…
rung Ihres Erlebens, so dass wir beide nochmals 4 Scannen Sie den Film nochmals durch… Wel-
genauer überprüfen können, worum es in die- ches Bild enthält das stärkste Gefühl?
ser Situation eigentlich geht. 4 Gehen Sie nochmals in dieses Bild hinein, was
4 Bleiben Sie bei sich und achten Sie darauf, ob es passiert da, was sehen, hören, riechen, schme-
Ihnen zu viel wird, wir könnten dann eventuell cken Sie, wie reagiert Ihr Körper, was spüren
kurz unterbrechen. Sie? Bleiben Sie dabei…
7.5 · Arbeit mit Emotionen
173 7
Spüren der Handlungstendenz Entwicklung des Bildes vom Gegenüber
4 »Zoomen Sie nun das Bild etwas heran. 4 »Stellen Sie sich vor, die Person steht nun dort
4 Achten Sie darauf, dass alles Wichtige im Bild an der Wand (Tür). Was sehen Sie? Wie groß ist
bleibt. sie? Welche Kleidung könnte sie tragen?
4 Achten Sie besonders auf Details, die das Ge- 4 Können Sie sich selbst einmal dort hinstellen,
fühl noch verstärken, und bleiben Sie eine Wei- um deren Körperhaltung zu simulieren?
le dabei. 4 Können Sie auch ihren Gesichtsausdruck zei-
4 Richten Sie nun die Aufmerksamkeit auf sich gen.
selbst, auf Ihren Körper. Möchte Ihr Körper et- 4 Legen Sie ihr auch einen für die Situation ty-
was tun bzw. Teile Ihres Körpers (z. B. Hände, pischen Satz in den Mund und sprechen Sie
Arme, Beine usw.)? Möchten Sie etwas sagen diesen Satz in Tonfall und Stimmlage, die für
oder ausrufen? Gibt es einen Impuls?« die Person typisch sind, aus.
4 Stellen Sie sich nun wieder davor (vor die Pro-
Bestimmen der Regulationsfunktionen jektionsfläche mit Bild). Hat diese Person auch
4 »Was macht das mit Ihnen (...wie wirkt sich das einen typischen Geruch?
auf Ihr Handeln aus...)? 4 Beschreiben Sie nochmals die Person und prü-
4 Stellen Sie sich vor, Sie geben diesem Impuls fen Sie, ob das Bild stimmig ist; das ist sehr
einfach nach, was würden Sie dann tun? wichtig. Bringen Sie eventuell noch Korrek-
4 Wie würde sich das in der Situation auswirken; turen an.«
welche Botschaft erhalten die Beteiligten da-
durch?« Spüren der Handlungstendenz
4 »Wählen Sie nun einen Abstand zu der Person,
jProjektion der für Sie einigermaßen gut auszuhalten ist.
Ausgangspunkt ist auch hier wieder eine problema- 4 Lassen Sie die Person richtig lebendig sein.
tische Situation. Diese Übung wird stehend und Welche Details machen Ihr Gefühl intensiver?
mit offenen Augen durchgeführt, wodurch das 4 Beschreiben Sie diese Merkmale.
Kontrollgefühl für Patienten höher ist, als bei der 4 Richten Sie nun die Aufmerksamkeit auf sich
vorigen Variante. Am besten eignet sie sich für selbst, auf Ihren Körper. Möchte Ihr Körper et-
problembezogene Interaktionssituationen, an de- was tun bzw. Teile Ihres Körpers (z. B. Hände,
nen nur zwei Personen, also der Patient und ein Arme, Beine usw.)?
Gegenüber (Vater, Mutter, Chef usw.), beteiligt 4 Möchten Sie etwas sagen oder ausrufen? Gibt es
sind. Das Gegenüber wird dabei auf eine leere Flä- einen Impuls?«
che (Wand, Tür) »projiziert«.
Bestimmen der Regulationsfunktionen
Vorbereitung 4 »Was macht das mit Ihnen (...wie wirkt sich das
4 »Ich (Therapeut) kann mir noch nicht so recht auf Ihr Handeln aus...)?
die Person (Vater, Mutter, Chef...), mit der Sie 4 Stellen Sie sich vor, Sie geben diesem Impuls
es in dieser Situation zu tun haben, vorstellen. (dieser Bewegung) einfach nach, was würden
Wir könnten sie vielleicht etwas mehr hier in Sie dann tun?
den Raum holen. Was meinen Sie? 4 Wie würde die Person dort an der Wand (der
4 Stellen Sie sich doch mal hier vor diese leere Tür) reagieren; welche Botschaft würden Sie ihr
Wand (bzw. Tür). Wenn die Person dort nun dadurch wohl vermitteln?«
stehen würde: In welchem Abstand würden Sie
sich davor stellen? Stellen Sie sich bitte dement- jAufstellung mit Gegenständen
sprechend vor die Wand (Tür). Ist es so stimmig Wesentliche Details einer problematische Situation,
für Sie?« z. B. anwesende Personen, werden mit Hilfe von
Gegenständen, die im Raum gerade zur Hand sind
(z. B. Tasse, Stifte, Handy usw.) dargestellt. Bei die-
174 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

sen Gegenständen wird in erster Linie auf deren Fakultativ: Die Situation hier empfinde ich
reine Stellvertreterfunktion geachtet. Es wird zu- als… (vermutete Äußerung der Person über die
nächst nicht darüber diskutiert, warum als Stellver- Situation).«
treter z. B. für den Vater eine Flasche und für die
Mutter ein Bleistift gewählt wird. Dies kann später Spüren der Handlungstendenz
passieren. Der Fokus liegt zunächst auf der Vertei- 4 »Wie geht es Ihnen, was empfinden Sie?
lung der Gegenstände im Raum im Sinne eines So- 4 Gehen Sie nochmals zu dem Moment zurück,
ziogramms. Das Aufstellen der Gegenstände bindet wo Ihr Gefühl am stärksten war. Was passiert
die Aufmerksamkeit und aktiviert Emotionen. hier und was macht das mit Ihnen? Achten Sie
Dieses konkrete Handeln macht die Übung beson- besonders auf Details, die das Gefühl noch ver-
ders geeignet für Patienten, die Probleme damit stärken und bleiben Sie eine Weile dabei.
haben, sich zu konzentrieren, und für schwerer ge- 4 Richten Sie nun die Aufmerksamkeit auf sich
störte Personen. selbst, auf Ihren Körper. Möchte Ihr Körper et-
was tun bzw. Teile Ihres Körpers (z. B. Hände,
Vorbereitung Arme, Beine usw.)?
7 4 »Ich möchte Sie bitten, mir die Situation, über 4 Möchten Sie etwas sagen oder ausrufen? Gibt es
die wir gerade sprachen, noch etwas mehr zu einen Impuls?«
verdeutlichen. Mir geht es dabei um die Szene
(es folgt die Beschreibung, z. B. die Familie sitzt Bestimmen der Regulationsfunktionen
stumm beim Abendessen), in der Sie sich gera- 4 »Was macht das mit Ihnen (...wie wirkt sich das
de sehr angespannt fühlten. auf Ihr Handeln aus...)?
4 Schauen Sie sich mal hier im Raum um und 4 Stellen Sie sich vor, Sie geben diesem Impuls
wählen Sie ein paar Gegenstände aus, die für einfach nach, was würden Sie dann tun? Wie
die Personen stehen sollen, die auch in der Sze- würde sich das in der Situation auswirken; wel-
ne, über die wir sprachen, anwesend waren. che Botschaft erhalten die Beteiligten da-
4 Für sich selbst wählen Sie bitte auch einen Ge- durch?«
genstand aus. Sie können auch Gegenstände für
wichtige Objekte in der Szene auswählen (z. B. jErarbeiten des Kernthemas
ein DINA4-Blatt für den eckigen Küchentisch, Dies setzt eines der vorigen Module voraus, d. h.
an dem die Familie sitzt).« das Nacherleben der Emotion ist für eine erfolg-
reiche Erarbeitung des Kernthemas Voraussetzung.
Entwicklung der Szene Das Vorgehen hat den Charakter einer »Nachberei-
4 »Legen Sie nun die Gegenstände hier auf dem tung« des Erlebten.
Boden so aus, dass Sie mir die Szene beim Er-
zählen verdeutlichen können. Vorbereitung
4 Achten Sie bitte auch darauf, dass die Abstände 4 »Wir wollen zum Schluss noch alles etwas zu-
der Gegenstände so gewählt werden, dass die sammenfassen, um dann zu sehen, auf welche
gefühlsmäßige Nähe der Personen dadurch Weise wir damit weiterarbeiten können.
deutlich wird. Nahe beieinander liegende Ge- 4 Die Ergebnisse unserer Arbeitsschritte können
genstände zeigen also an, dass sich die Personen wir dann auf diesem Flipchartpapier notieren.«
näher stehen usw. Werfen Sie nochmals einen
Blick auf die Darstellung. Stimmt alles? Gefühl und Ausdruck
4 Nehmen Sie nun jeden Gegenstand in die Hand 4 »Vergegenwärtigen Sie sich bitte nochmals den
(Therapeut macht dies vor) und sagen Sie: ich entscheidenden Moment, den wir vorhin her-
bin (Name der Person für die der Gegenstand ausgefunden hatten. Was passierte hier, was
steht) und ich sehe (erlebe) den/die (Name des löste Ihr Gefühl aus? Was genau war Ihr Gefühl
Patienten) folgendermaßen: ... (kurzer Satz, den und was hätten Sie am liebsten getan und viel-
die Person über den Patienten sagen könnte). leicht auch gesagt?
7.5 · Arbeit mit Emotionen
175 7
4 Nehmen Sie doch mal dazu passend eine geeig- gende Arbeitsmodul hat eine etwas andere Stoß-
nete Körperpose ein. Was will Ihr Körper (Ar- richtung. Es repräsentiert eine wesentliche Um-
me, Beine, Hände, Brust, Kopf, Nacken usw.) setzung der Ausführungen in 7 Kap. 5 (Embodi-
machen (Patient zeigt z. B. Annäherungs- oder ment).
Ausweichbewegung)? In der Regel ist man darauf angewiesen, dass
4 Lassen Sie uns etwas bei der Körperhaltung sich Patienten in eine bestimmte, bereits erlebte Si-
bleiben. Ich sehe eine gewisse Bewegungsten- tuation hineinversetzen, um mit einer Emotion in
denz (Annäherung, Vermeidung, Erstarren). Kontakt zu kommen. Was aber sollen Therapeuten
4 Prüfen Sie mal, was Ihr Körper in Bezug auf die tun, wenn dies auf Schwierigkeiten stößt, z. B. weil
andere(n) Person(en) will! Was wollen Ihre Ar- die entsprechende Emotion aus lerngeschichtlichen
me, Beine usw.?… Was wollen Sie also in Bezug Gründen nicht gefühlt werden darf? Für Komplika-
auf die andere(n) Person(en) tun? Passen An- tionen und Verwicklungen sorgen mögliche Ne-
spannung in den Gliedern, Gesichtsausdruck benschauplätze, die beim Imaginieren einer Ziel-
und Stimme dazu? emotion entstehen können usw. Das empirisch er-
4 Experimentieren Sie noch etwas mit Körper- probte Verfahren, das hier nun vorgestellt werden
haltung, insbesondere Haltung der Arme, des soll, erlaubt die Herstellung von insgesamt sechs
Oberkörpers, des Kopfes usw. Schauen Sie mal, wichtigen Emotionen: Ärger/Wut, Angst/Furcht,
ob das hier passt (Therapeut bietet eine Hal- Freude/Lachen, Traurigkeit/Weinen, Zuneigung/
tung, eine Geste an). Zärtlichkeit und Sexualität/Erotik. Dabei ist es –
4 Gibt es auch ein Wort oder einen Satz, der hier- wie gesagt – nicht notwendig, dass man sich auf
zu passen könnte? Experimentieren Sie mit ge- bereits erlebte Szenen einlässt. Stattdessen werden
eigneter Lautstärke und Tonlage. Übertreiben diese Emotionen durch willkürliche Einstellung
Sie ruhig etwas, bis alles stimmt.« von drei Parametern – also bottom-up – erzeugt:
Atemmuster, Mimik und Körperhaltung. Bottom-
Formulierung des Kernthemas up heißt hier, dass von vornherein keine Vorstel-
4 »Was möchten Sie also tun? Was ist passiert, lung bzw. kein kognitives Konzept einer bestimm-
dass Sie das (Paraphrasierung der Äußerung) ten Emotion vorhanden sein muss.
tun wollen? Der Therapeut leitet die Patienten dadurch an,
4 Wie lautet die Überschrift (das Motto) dafür? dass er es vormacht. Die Patienten machen es nach
4 Gefühle sind wichtige Melder und geben auch und werden dabei korrigiert. Anfangs wirkt dies
eine Handlungsanweisung. Wir können prüfen, alles etwas künstlich und automatenhaft. Nach ei-
was sie für eine Wirkung erzielen würde, wenn niger Zeit »zündet« jedoch das Schema und die
Sie den anderen diese Botschaft auch deutlich Emotion entfaltet sich in ganz natürlicher Weise.
zeigen würden. Wichtig ist dabei, dass dies auch Einige Patienten reagieren unmittelbar und sehr
den Zielen dient, die Sie dort erreichen wol- heftig mit hoher Intensität, andere brauchen ein bis
len.« zwei Wiederholungen, um eine nur mittlere Inten-
sität zu erzeugen. Wir beschreiben zunächst das
Vorgehen zur Herstellung der Emotion und danach
7.5.4 Erzeugen prototypischer verschiedene neuartige Anwendungsmöglichkeiten
Emotionen durch Einstellen in Hinblick auf eine tiefe und sehr differenzierte
von Atemrhythmus, Mimik emotionsbezogene Arbeitsweise.
und Körperhaltung Die folgende Beschreibung verbindet die diffe-
renzierten Anleitungen, die Bloch (2006) mit ihrem
Naturgemäß sind Problemsituationen unserer Pati- Verfahren des AlbaEmoting Schauspielern zur Ver-
enten immer in irgendeiner Weise mit Emotionen fügung stellt, mit eigenen Erfahrungen und weni-
verbunden. Mit den bisherigen Modulen lässt sich gen punktuellen Anmerkungen von Boiten et al.
das darin enthaltene emotionale Thema herausar- (1994), sowie Philippot et al. (2002). Meist erleben
beiten und auf den Punkt bringen. Das nun fol- wir Mischemotionen. Die Herstellung von Emoti-
176 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

onen durch Körperfeedback ermöglicht ein Erle- cken. Damit ist das Einatmen abgeschlossen.
ben der »reinen« Emotionen. Dies ist entscheidend, Bewegung zurück in vollständiger Synchroni-
um Diskriminationsfähigkeiten zu erwerben. In sation mit dem Ausatmen. Die Aufmerksam-
den grundlegenden Ausführungen zum Thema ist keit richtet sich hier auf die Abstimmung von
deutlich geworden, dass dies für eine effiziente Bewegungsgeschwindigkeit und Atemdosie-
Selbstregulation von größter Bedeutung ist. rung. Gesicht vorher mehrmals reiben, ent-
Die Durchführung dieser Übungen sollte nicht spannt. Augen bleiben dabei immer offen, ent-
zu Beginn einer Therapie angesetzt werden. Die spannt, der Blick geht zum Horizont.
therapeutische Beziehung sollte schon einigerma- 4 Erweiterung 2: Desorganisation von einge-
ßen gut etabliert sein, d. h., dass Patienten bei der fahrenen Bewegungsmustern durch Schüttel-
Entstehung entsprechender Emotionen im Thera- und Bla-Bla-Sprech- und Blasbewegungen.
peuten ein greifbares und Halt gebendes Gegen-
über vorfinden sollten. Vor der Herstellung jedes Muster Angst (Furcht – Schrecken – Schauder – Pa-
Musters ist für 1–2 Minuten die neutrale Haltung nik)
einzunehmen. Danach wird die ausgewählte Emo- 4 Atem: Schnell in kurzen, schnellen Stößen
7 tion erzeugt. Zum Schluss wird wieder die neutrale durch den Mund schlagartig einatmen, zuerst
Haltung eingenommen, auch kurz als Step-Out be- wie bei Schreckreaktion, danach ein kurzes
zeichnet. Die beschriebenen Merkmale sind auch Ausatmen, das aber nicht tief oder vollständig
als »Idealwerte« zu verstehen. ist. Es bereitet eine neue Sacchade des Einat-
mens vor.
Vorbereitung für alle Emotionen 4 Körper: Angespannt, Bewegungstendenz ist zu-
4 »Bitte stellen Sie die Füße parallel (wie beim rückweichend (Flucht; stellt sich aber beim At-
Skifahren) und etwa beckenbreit (ca. eine Fuß- men meist von alleine ein).
länge auseinander). Dabei sind die Knie etwas 4 Gesicht: Augen weit geöffnet, Blick gerichtet
gebeugt und das Steißbein ist leicht nach hinten (auf Gefahrenquelle), Mund O-förmig geöffnet,
gekippt (»leichte« Haltung wie bei einem Kind, Stirn gerunzelt.
das eine kleine Stufe herabspringen will). 4 Ergänzungen: Alleine üben lassen mit Blick
4 »Beginnen Sie ganz langsam mit dem Atmen, auf eine Wand, damit die Aufmerksamkeit des
so, wie ich es Ihnen vormache.« (Wenn nach Patienten bei sich selbst bleiben kann. Deshalb
einiger Zeit Körperhaltung und Gesichtsaus- positioniert sich der Therapeut auch eher seit-
druck nicht von alleine entstehen, dann werden lich, nicht zu nahe. Die Entstehung des Gefühls
diese Merkmale auch gezeigt: »Achten Sie auf kann noch deutlich gefördert werden. Bei eher
mein Gesicht, meine Augen, meinen Mund, bindungsorientierten Patienten: Hand oberhalb
meine Körperhaltung usw.«) des Beckens im Rücken: Symbolisch wirkt dies
hier wie ein Appell: »Bleib drin, ich bin da, du
Muster emotional neutral (Ausgeglichensein – wirst es schaffen!« Bei eher autonomieorien-
Wachsein) tierten Patienten: Den Patienten bei der Übung
4 Atem: Sinusatmung; Tiefatmung mit kleinen des Musters sitzen lassen (= Blockieren des
Atempausen. Einatmen durch die Nase, Ausat- Fluchtimpulses). Beide Hände des Therapeuten
men durch den leicht geschürzten Mund. an den Schulterblättern wirken zusätzlich noch
4 Körperhaltung: s. o. verstärkend (= Fluchtimpuls noch mehr blo-
4 Gesicht: entspannt, der Blick geht zum Hori- ckieren). Weitere Alternative: Beide Hände an
zont. die Schultern. Das obige Atemmuster hat Merk-
4 Erweiterung 1: Die folgende Bewegung wird male einer Schreck- bzw. Panikreaktion. Eine
vollständig mit dem Einatmen synchronisiert: etwas mildere Angstreaktion lässt sich mit der
Hände entspannt vor dem Körper verschrän- folgenden Atemanweisung realisieren: Weitge-
ken, Arme hoch über den Kopf führen; auf Oh- hend nur Brustatmung, flaches, schnelles, mehr
renhöhe an den Ellenbogen nach hinten abkni- regelmäßiges Atmen, Atemlosigkeit, Luftnot.
7.5 · Arbeit mit Emotionen
177 7
Muster Aggression (Wut – Zorn – Hass – Aggression 4 Körper: Insgesamt eher gelöst und entspannt,
– Kraft) beweglich, Oberkörper schwankt leicht von
4 Atem: Sägezahnmuster, große Amplitude, stoß- hinten nach vorn, dann völlig sich selbst über-
artig-scharfes, tiefes Ein- und Ausatmen durch lassen, wobei sich der Körper ruckartig nach
die Nase, dies kann auch unregelmäßig erfol- vorne und hinten bewegt. Mit der Hand even-
gen. Beginnen kann man mit einem nasalen tuell wegwerfende Handbewegung machen.
Ausschnauben. 4 Gesicht: Mund offen, Mundwinkel nach oben,
4 Körper: Muskulatur ist angespannt, ganz be- Lippen aber nicht zu sehr angespannt. Die Au-
sonders die Arme, Hände bilden Fäuste. Bewe- gen sind entspannt, eventuell halb geschlossen.
gungstendenz nach vorn (Angriff ). Den Ober- 4 Ergänzung: Das obere Muster kennzeichnet ei-
körper die entsprechende Position suchen las- ne Form der »aufgeregten Freude«. Für eine
sen. Die bei diesem Muster anfangs besonders Form der ruhigen Freude würde man das
häufig auftretenden roboterhaften Bewegungen Atemmuster folgendermaßen abwandeln: Re-
werden mit dem folgenden Hinweis kurz kom- gelmäßiges, moderat tiefes und langsames At-
mentiert: »Nicht so angestrengt (forciert), be- men durch die Nase, minimale Brustspannung.
ginnen Sie ruhig mit kleineren Dosen, langsam, Tendenziell eher Brustatmung, aber auch beides
alles kommt von allein«. (Brust- und Zwerchfellatmung).
4 Gesicht: Lippen zusammengepresst, Nacken
angespannt. Die Augen sind schmal. Der Blick Muster Zärtlichkeit (Zärtlichkeit – Freundschaft –
ist stechend, das Gegenüber fixierend, am bes- Kinds- und Elternliebe)
ten über Blickkontakt. 4 Atem: Ruhiges, tiefes Ein- und Ausatmen vor-
4 Ergänzungen: Der Blickkontakt hat hier ent- nehmlich durch die Nase; das Ausatmen ist ten-
scheidende Bedeutung. Entweder stellt sich der denziell länger.
Patient ein konkretes Gegenüber im Raum ste- 4 Körper: Entspannt, sich auf den anderen zube-
hend oder Mitpatient oder Therapeut bieten wegend, Kopf leicht zur Seite geneigt, Arme
Blickkontakt. Auf keinen Fall sollten die Augen und Hände locker in einer zugewandten und
ohne »Angriffspunkt« im Raum umherschwei- offenen Haltung.
fen. 4 Gesicht: Mund ist entspannt und ein wenig of-
4 Ritualisierung von Angriff und Gegenangriff : fen, Mundwinkel wie beim Lächeln leicht geho-
Energieaktivierung und damit Emotionsentste- ben. Die Augen sind entspannt geöffnet, der
hung können unterstützt werden, indem ein Blick ist auf den Rezipienten gerichtet.
Gegenüber zuerst die linke Hand auf die rechte 4 Ergänzung: Eine Intensivierung kann erzeugt
und dann die rechte Hand auf die linke Schulter werden, indem die Unterarme leicht angehoben
des »Aggressiven« legt. Dieser stößt nacheinan- werden und zusätzlich noch die Handflächen
der mit seinen Armen oder Händen die vom etwas nach oben gedreht werden.
Gegenüber aufgelegten Hände weg. Allmählich
entsteht ein Rhythmus, der für die Energiemo- Muster Trauer (Weinen – Leid – Gram – Depression)
bilisierung sehr dienlich ist. 4 Atem: Wie beim Weinen durch die Nase in Stu-
fen schniefend einatmen. Langsames, tiefes
Muster Freude (Lachen – Glück – Spaß) Ausatmen durch den wenig geöffneten Mund.
4 Atem: Beim Ausatmen stoßartig, stufenweise. Dabei eventuell Ton entstehen (leichtes Stöh-
Vorher kein besonderes Einatmen. Durch Ate- nen) lassen.
mausstoß im Kehle-Mund-Bereich Druck in 4 Körper: Eher schlaff, beim Einatmen den Kopf
Mundhöhle erzeugen, Körper loslassen: Ha, der schniefenden Einatembewegung nach oben
Ha, Ha! Auspressen und vollständiges Aussto- folgen lassen. Beim Ausatmen Kopf hängend,
ßen des gesamten Atems, bis keine Luft mehr Schulter hängend, nach unten hingezogen,
vorhanden ist. Dann die Luft schnell einziehen Körper beim Ausatmen kollabieren bzw.
lassen, tief einatmen. Nicht hysterisch übertrei- »schmelzen« lassen, Tendenz hin zum Erdbo-
ben; es geht von ganz allein. den. Die Person ist bei und mit sich.
178 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

4 Gesicht: schlaff, entspannt, Wangen hängend, licher menschlicher Gefühle in Gefühlskreisen


Lippen unverspannt. Brauen in der Mitte leicht oder ähnlichen Schemata dargestellt ist. Patienten
hoch- und zusammengezogen, ohne die Au- zeigen sich dann auch durchaus erstaunt über die
genlider hoch zu ziehen. Diese bleiben entspan- Vielfalt möglicher Erlebensweisen. Solche Infor-
nt. Die Augen sind leicht geschlossen; der Blick mationen werden jedoch schnell wieder vergessen
geht eher nach unten. und ihr Nutzen bleibt eher begrenzt, wenn nicht
4 Ergänzung: Das obige Muster repräsentiert ei- zusätzlich die konkrete Erfahrung aktiviert wird.
ne Trauervariante, die mit Weinen assoziiert ist. Weiterhin geht es uns auch nicht um das ge-
Eine ruhigere Variante der Trauer entsteht bei samte Spektrum emotionaler Erfahrungen, son-
unregelmäßiger nasaler Atmung, mit normaler dern um das leibliche Kennenlernen von zwei bis
Amplitude und Frequenz, mit Seufzen, Zittern drei Vertretern der sechs vorgestellten Emotionen.
und Brustanspannung. Sind die Emotionen hergestellt, so kann zunächst
das gefühlsmäßige Erleben erforscht werden. So-
Muster Sexualität (Erotik – Sinnlichkeit – Begehren) dann kann mit dem Emotionsausdruck experimen-
4 Atem: Tiefes, intensives, weiches Ein- und Aus- tiert werden, der sich auf verschiedene Emotions-
7 atmen überwiegend durch den entspannt geöff- anlässe richten kann. Dabei werden auch entspre-
neten Mund, wenig geräuschvoll. chende Kernthemen ausformuliert.
4 Körper: Eher weich und unverspannt, leichte
Bewegungen im Hüft- und Beckenbereich, der Vorbereitung
Kopf macht ebenfalls kleine Bewegungen, even- 4 »Wir haben jetzt schon einige Fakten über das
tuell leichte Kreisbewegung (nach oben-hinten- Thema »Emotionen« diskutiert und es lohnt
zur-Seite), Frauen zeigen Hals und Kehle. sich, das Material, das ich Ihnen ausgehändigt
4 Gesicht: Lippen und Wangen entspannt, Mund habe, zu Hause nochmals in Ruhe durchzule-
entspannt O-förmig (liegendes O), Augen fast sen. Ich möchte nun diese Hintergrundinfor-
geschlossen, Blick verschleiert, Schlafzimmer- mationen etwas beiseite lassen und vorschla-
blick. gen, dass wir uns nun wieder stärker mit Ihrer
Person befassen. Denn jede Person hat ihre ei-
gene Art Gefühle zu erleben und deshalb soll es
7.5.5 Psychoedukation einmal anders: nun um Sie gehen.
Emotionen erleben, 4 Ich möchte Sie deshalb kurz fragen, welche die-
Emotionsausdruck finden, ser sechs Emotionen (Präsentation der Emotio-
Emotionsanlässe erkennen nen Ärger/Wut, Angst/Furcht, Freude/Lachen,
Traurigkeit/Weinen, Zuneigung/Zärtlichkeit
In den theoretischen Ausführungen haben wir und Sexualität/Erotik) Sie momentan am meis-
deutlich gemacht, wie wichtig es ist, mit dem Phä- ten interessiert (anspricht). Wählen Sie sich im
nomen »Emotion« umgehen, d. h., es zu verstehen Moment nicht mehr als drei Emotionen aus.
und nutzen zu können. Mit unserem Embodimen- 4 Können Sie kurz sagen, was Sie zu der Auswahl
tansatz, die Emotionen mit Einsatz des Körpers ge- bewogen hat?«
zielt herzustellen, bietet sich auch eine stärker er-
lebnisorientierte Arbeit der Psychoedukation an. Herstellen der Emotion mit Hilfe des Körpers
Im Gegensatz zu anderen Verfahren ist sie nicht 4 »Mit welcher Emotion sollen wir beginnen?
darauf angewiesen, bereits erlebte Situationen men- Gut, wir beginnen also mit (ausgewählte Emo-
tal zu aktivieren. Man erspart sich dadurch eine tion). Wir haben ja schon darüber gesprochen,
Kontamination der edukativen Arbeit mit ungüns- wie eng das gefühlsmäßige mit dem körper-
tigen Erlebnissen, wodurch die Aufmerksamkeit lichen Erleben zusammenhängt.
schnell wieder durch diverse Nebenschauplätze ok- 4 Ich möchte Ihnen nun zeigen, wie Sie Ihren Kör-
kupiert würde. Psychoedukation kann sehr unter- per benutzen können, um die ausgewählte Emo-
schiedlich gestaltet werden, z. B. anhand von Hand- tion herzustellen. Wichtig sind dabei hauptsäch-
outs und Bildern, auf denen etwa die Vielfalt mög- lich die Atmung, die Körperhaltung und der
7.5 · Arbeit mit Emotionen
179 7
Gesichtsausdruck. Ich mache es Ihnen vor und Step-Out: Muster emotional neutral Instruktion in
werde Ihnen im Verlauf dieses Prozesses even- 7 Abschn. 7.5.4.
tuell verschiedene Anregungen dazu geben.
4 Kommen wir zunächst zum Ablauf der Übung. Emotionsanlass erkennen
Ganz wichtig ist der Ablauf unserer Übung. 4 »Was wollte das Gefühl? Was wollten Sie also
4 Um uns auf den Einstieg in das Erleben vorzu- tun? Was ist im Alltagsleben wohl typischer-
bereiten, üben wir zunächst eine neutrale Hal- weise der Anlass (Auslöser) dafür? Was war
tung. Dann zeige ich Ihnen, wie Sie die ausge- passiert, dass Sie das (Paraphrasierung der Äu-
wählte Emotion herstellen und abschließend ßerung) tun wollen? Wie lautet die Überschrift
wechseln wir dann wieder in die neutrale Hal- (das Motto) dafür?
tung, also: Neutrale Haltung (Step-In) – Emo- 4 Gefühle sind wichtige Melder und geben auch
tion – Neutrale Haltung (Step-Out). eine Handlungsanweisung. Wir können prüfen,
4 Damit ist die Übung beendet und wir werden was sie für eine Wirkung erzielen würde, wenn
Ihre Erfahrungen auswerten.« Sie den anderen diese Botschaft auch deutlich
zeigen. Wann immer wollen Sie typischerweise
Muster emotional neutral Instruktion in 7 Abschn. eine solche Botschaft geben?«
7.5.4.
Emotionales Erleben reflektieren
Step-In: Muster der ausgewählten Emotion Instruk- 4 »Wie ist es, ein solches Gefühl zu erleben? Was
tion entsprechend 7 Abschn. 7.5.4. ist Ihnen aufgefallen? Was war neu für Sie?
4 Wenn Sie die Stärke des Gefühls auf einer Skala
Emotionsausdruck justieren zwischen 0 und 100 einstufen sollten: Wie stark
4 »Bleiben Sie im Prozess und spüren Sie mal in war Ihr Gefühl jetzt?
sich hinein. Wo will Ihr Körper hin, was will er 4 Schauen wir nochmals auf den Emotionsanlass:
tun, insbesondere wenn sich das Gefühl auf Erinnern Sie sich an Situationen, die ein solches
Personen bezieht? Wo ist Anspannung (Ent- Gefühl ausgelöst haben? War das Gefühl da-
spannung) in Ihrem Körper? Gibt es einen Be- mals stärker oder schwächer? Woran lag das?
wegungsimpuls? Was wollen Ihre Arme, Hän- 4 Hat Ihr Gegenüber von Ihnen eine Botschaft
de, Beine, Ihr Kopf tun? Was wollen Sie also in bekommen, die sie verstanden hat?
Bezug auf die andere(n) Person(en) tun? 4 Was war der Unterschied zur heutigen Erfah-
4 Passen Anspannung in den Gliedern, Gesichts- rung? Was nehmen Sie aus der Erfahrung mit,
ausdruck und Stimme dazu? Experimentieren was wollen Sie in Ihrem Alltag anders machen,
Sie noch etwas mit Körperhaltung, insbesonde- woran wollen Sie arbeiten?«
re Haltung der Arme, des Oberkörpers, des
Kopfes usw. Schauen Sie mal, ob das hier passt
(Therapeut bietet eine Haltung, eine Geste an). 7.5.6 Emotionen mit dem Körper
4 Gibt es auch ein Wort oder einen Satz (z. B. regulieren
Stopp, Nein, Ich bitte dich, Hilfe usw.), der hier-
zu passen könnte? Experimentieren Sie mit ge- Mit Hilfe der bisherigen Übungen haben Patienten
eigneter Lautstärke und Tonlage. Übertreiben erfahren, dass Emotionen willkürlich hergestellt
Sie ruhig etwas, bis alles stimmt. werden können. Weiterhin wurde die beeindru-
4 Richten Sie nun Ihre Aufmerksamkeit wieder ckende Erfahrung vermittelt, dass das Erleben der
auf das typische Atmen, Mimik und Gestik Emotion mit der Intensität des Atems und der Stär-
(Therapeut zeigt das nochmals) und prüfen Sie ke der körperlichen Anspannung dosiert werden
dann, ob das, was Sie hinzugefügt haben (Worte, und dass dieser Zustand schließlich mit der Durch-
Ton, Lautstärke, besondere Gesten), sich richtig führung eines Step-Out verlassen werden kann.
anfühlt. Experimentieren Sie so lange, bis alles Diese Kontrollerfahrung bewährt sich auch dann,
zusammenpasst.« wenn Gefühle unter ganz anderen Umständen ent-
180 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

stehen. Das Bewusstsein, dass es sich bei Emotio- damit er kräftiger wird. Diese Belastung darf
nen um Phänomene handelt, die grundsätzlich jedoch nur für eine bestimmte Zeitspanne pas-
steuerbar sind, lässt sich mit Hilfe der folgenden sieren und dann auch nur in angemessenen
Intervention vermitteln. Sie eignet sich besonders Dosen erhöht werden, damit das Training ziel-
für Patienten, die sich ihren Gefühlen impulshaft führend ist und der Muskel nicht geschädigt
ausgeliefert fühlen (»emotional hijacking«) oder wird. Auf den Umgang mit Gefühlen angewen-
die Angst vor ihren Gefühlen haben. Die Erfahrung det bedeutet das: Auf jeden Fall sollte man le-
des Kontrollgefühls ergibt sich diglich eine noch einigermaßen gut tolerierbare
1. durch das willkürlich gesteuerte Hin- und Her- Zeitspanne mit den problematischen Gefühlen
wechseln zwischen emotional neutraler Hal- in Kontakt sein. Weiterhin sollte ihre Intensität
tung und spezifischer Emotion und dann auch nur in kleinen, gut realisierbaren
2. durch Dosierung des spezifischen Atemmus- Schritten gesteigert werden.
ters, der Mimik sowie der Anspannung. 4 Ich möchte Ihnen nun zeigen, wie ein solches
Training aussehen kann.«
Vorbereitung
7 4 »Ich glaube, dass Sie mir eine wichtige Beob- Wechsel zwischen Emotion und neutraler Stim-
achtung mitgeteilt haben, als Sie über das Ge- mung
fühl (Paraphrasierung der Beschreibung eines 4 »Bitte entscheiden Sie sich für eine Emotion,
vom Patienten geäußerten Gefühls) sprachen. mit der Sie Probleme haben (mit der Sie nicht
Ich hatte den Eindruck, Sie wollten mir sagen, so gut umgehen können; die Sie zu Handlungen
dass Sie sich von diesem Gefühl überrollt fühl- verleitet, die Sie nicht tun wollen; die Ihnen
ten, dass Sie Stress damit haben und dann etwas Stress bereitet).
tun, das Ihnen hinterher leid tut, das Sie eigent- 4 Die Übung, die ich Ihnen zeigen möchte, soll
lich nicht tun wollen, das nicht hätte passieren Ihnen vermitteln, wie Sie durch entsprechenden
sollen, das Sie nicht gut fanden.... (Bei Angst Umgang mit Ihrem Körper aus einem Zustand
vor dem Gefühl: »Könnte es sein, dass Sie be- emotionaler Intensität heraustreten können,
sorgt darüber sind, was das Gefühl bei anderen um dann nach einiger Zeit ein Gefühl relativer
auslösen könnte? Dass sie damit Stress haben? Gelöstheit und neutraler Gestimmtheit zu er-
Ist es möglich, dass Sie es deshalb vielleicht leben.«
nicht voll rauslassen?«) 4 Schritt 1: Herstellung der Haltung »neutraler
4 Natürlich könnten Sie diese Situationen ver- Emotionalität« (Instruktion in 7 Abschn. 7.5.4):
meiden, so dass das Befürchtete erst gar nicht »Wie geht es Ihnen damit, was fühlen Sie? Ach-
passiert. Hätte das eventuell auch Nachteile für ten Sie ganz besonders darauf, den Blick zum
Sie? Ja, Sie haben Recht, es ist ja auch etwas Horizont zu richten! Dies ist nun der Zustand,
Wahres an Ihrem Gefühl. Sein Ausdruck be- in den Sie aus einer bestimmten Emotion her-
deutet ja auch eine Botschaft an Ihr Gegenüber aus wieder zurückwechseln werden. Wir stellen
(gemeinsame Reflexion über den Sinn dieser diese Emotion nun her.«
Botschaft). 4 Schritt 2: Step-In und Herstellen des jeweiligen
4 Ja, wir sind uns einig, dass dieses Gefühl wich- Emotionsmusters (Instruktion in 7 Abschn.
tig ist für Sie. Mit einem Gefühl umzugehen ist 7.5.4). Nach einiger Zeit (ca. 2–3 Minuten):
nicht selbstverständlich und will geübt werden. »Wie intensiv ist das Gefühl auf einer Intensi-
Diese Fähigkeit kann trainiert werden; genauso tätsskala zwischen 0 und 100? Machen Sie jetzt
wie auch ein Muskel trainiert werden kann. den Step-Out, gehen Sie in den neutralen Zu-
Wirkungsvolles Training setzt aber voraus, dass stand.«
man immer wieder in Kontakt kommt mit dem 4 Schritt 3: Herstellen des emotional neutralen
problematischen Gefühl, um mit ihm umzuge- Zustandes (Instruktion s. oben »Muster emoti-
hen. Das ist das Gleiche wie bei einem Muskel: onal neutral«) für ca. 2–3 Minuten. Unterstüt-
Er muss auch immer wieder belastet werden, zen der Instruktion bzgl. willentlicher Steue-
7.5 · Arbeit mit Emotionen
181 7
rung: »Wechseln Sie jetzt ganz bewusst in die Dosieren der Emotion durch Verändern von Atem-
Tiefatmung mit kleinen Atempausen; atmen intensität, Mimik, Körperhaltung
Sie durch die Nase ein, durch den leicht geöff- 4 Schritt 1: Herstellung der Haltung »neutraler
neten Mund aus, richten Sie den Blick zum Ho- Emotionalität« (7 Abschn. 7.5.4). »Wie geht es
rizont.« »Wie geht es Ihnen mit diesem Wech- Ihnen damit, was fühlen Sie? Achten Sie ganz
sel, was ist geschehen? Wie stark ist das Gefühl besonders darauf, den Blick zum Horizont zu
noch (Skala 0–100)?« »Im nächsten Schritt ver- richten! Dies ist nun der Zustand, in den Sie aus
suchen Sie bitte länger in der Emotion zu blei- einer bestimmten Emotion heraus wieder zu-
ben, diese noch stärker werden zu lassen, bevor rückwechseln werden. Als nächstes stellen wir
Sie in den neutralen Zustand wechseln.« Nach- diese Emotion nun her.«
dem die Schrittfolge mehrfach wiederholt wur- 4 Schritt 2: Step-In und Herstellen des jeweiligen
de: »Was ist Ihre Bilanz? Ja, Sie haben Recht, Emotionsmusters (7 Abschn. 7.5.4). »Wie stark
mit Hilfe einiger Übung erlebt man so etwas ist das Gefühl auf der Intensitätsskala zwischen
wie Kontrolle über das Gefühl. Das lässt sich 0 und 100? Wenn Sie wollen, können Sie diese
auch für den Umgang mit anderen Gefühlen Intensität nun erhöhen.«
verwenden.« 4 Schritt 3: Erhöhen der Gefühlsintensität. Nun
4 Schritt 4: Verankerung der Kontrollerfahrung werden – je nach Emotion – zunächst der
als Ressource: »Sie können diese wichtige Er- Atemmodus Schritt für Schritt verstärkt und
fahrung für schwierige Situationen aufheben. dann allmählich die anderen Körperparameter
Deshalb schlage ich vor, das Erlebte nun auch nachjustiert:
noch in Worte zu kleiden (besprechen), so dass 4 Schritt 4: Verringern der Gefühlsintensität.
eine Möglichkeit entstehen kann, diese befrie- 4 Angst: Erhöhen der Gefühlsintensität: Die
digende Erfahrung bei passender Gelegenheit Geschwindigkeit des schnellen,
schnell zu aktivieren!« »Gehen Sie nochmals schlagartigen Einatmens wird langsam
hinein in den emotionalen Zustand (Aktivie- erhöht, der Körper wird dann mehr und
rung mittels Atemmuster, Körperhaltung, Mi- mehr angespannt. Die Vergrößerung der
mik) und vollziehen Sie den Step-In und da- Anspannung kann mit Hilfe der Arme
nach den Step-Out… Wechseln Sie zwischen eingeleitet werden. Verringern der
den beiden Zuständen hin und her und richten Gefühlsintensität: Die Geschwindigkeit des
Sie Ihre Aufmerksamkeit jetzt stärker auf den Einatmens wird langsam verringert, das
Moment des Wechsels. Nehmen Sie sich etwas Einatmen wird zunehmend weicher, die
Zeit und spüren Sie sich in diesem Zustand des Anspannung wird – beginnend mit den
Wechsels. Wie ist das? Wie ist Ihre Atmung? Armen – losgelassen, der Oberkörper wird
Welche Körperhaltung passt wohl dazu? Gibt es schlaffer.
ein Bild, was dazu passt? Was für ein Bild haben 4 Aggression: Erhöhen der Gefühls-
Sie dabei von sich? Mit welchem Satz (Motto) intensität: Die Amplitude des stoßartig-
könnte man diesen Zustand überschreiben? scharfen Ein- und Ausatmens durch die
Welche Symbole passen dazu usw. (Veranke- Nase wird vergrößert, Vergrößerung der
rung wie bei »Werte als Ressourcen« in 7 Ab- Anspannung mit Hilfe der Arme einleiten,
schn. 7.4.3). Sie haben nun alles beisammen, um zusätzlich Lippen fester aufeinander,
sich an dieses Gefühl der Kontrolle zu erinnern Augen schmäler. Verringern der Gefühls-
und sich in es hineinzuversetzen. Versuchen Sie intensität: Die Amplitude des Atemrhyth-
auch ganz bewusst so zu atmen, wie Sie es vor- mus wird verringert, die Verringerung der
hin beim Erleben des Kontrollgefühls für sich Anspannung wird über die Arme und das
festgestellt haben.« Entspannen der Lippen eingeleitet, der
Blick wird offener, weniger stechend.
182 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

4 Freude: Erhöhen der Gefühlsintensität: über die Arme hinzudosieren. Die Augen
Das stoßartige, stufenweise Ausatmen mehr und mehr öffnen, den Blick klarer,
eventuell etwas druckvoller. Wichtiger: den Mund weniger weit öffnen.
Den Körper loslassen, sich selbst über- 4 Schritt 6: Erhöhen der Gefühlsintensität.
lassen; die Intensivierung passiert dann 4 Schritt 7: Verringern der Gefühlsintensität.
meist von alleine, ganz anstrengungslos. 4 Schritt 8: Step-out.
Verringern der Gefühlsintensität: Diese 4 Schritt 9: Nachbesprechen der Kontrollerfah-
Dosierung ist nicht einfach, wird aber am rung. »Wie ist es Ihnen ergangen? Wie intensiv
besten durch zunehmende Anspannung ist jetzt das Gefühl auf der Intensitätsskala?
des Körpers, beginnend mit den Armen, Wodurch ist die Erhöhung der Gefühlsintensi-
hergestellt. tät am besten gelungen? Was war bei der Ver-
4 Zärtlichkeit: Erhöhen der Gefühlsinten- ringerung des Gefühls am wirksamsten? Wie
sität: Das ruhige, tiefe nasale Ein- und haben Sie den Wechsel erlebt?
Ausatmen wird vertieft; das Ausatmen ist
tendenziell länger. Besonders beim
7 Ausatmen die Anspannung loslassen. Der 7.5.7 Primäre und sekundäre
Einstieg dazu fällt am leichtesten, wenn Emotionen
man als erstes die Schultern loslässt und
die Arme locker hängen lässt. Dann erst SBT fängt die komplexe Dynamik emotionaler Re-
Arme leicht anheben und auf das (empfan- aktionen mit Hilfe der schon öfter erwähnten Re-
gende) Öffnen der Hände achten. aktionsketten unter Berücksichtigung primärer
Verringern der Gefühlsintensität: Die und sekundärer Emotionen ein. Wesentlich für ei-
Atmung wird flacher, die Mundwinkel sind ne gelingende Arbeit mit primären und sekundär-
nicht so stark gehoben, Arme tendenziell en Gefühlen ist eine Halt gebende und ermun-
hängen lassen. ternde Atmosphäre (»Sehen Sie es als Experiment
4 Trauer: Erhöhen der Gefühlsintensität: in einem geschützten Rahmen«; »Gerne unterstüt-
Intensivierung des Atemmusters, d. h. ze ich Sie dabei«; »Ich bin auch gespannt«). Sie be-
verstärktes schniefendes Einatmen und steht aus zwei Teilen:
verlangsamendes, noch mehr vertieftes 1. Herstellen von primären Emotionen mit Hilfe
Ausatmen durch den wenig geöffneten des Körpers. Sie dienen gegebenenfalls als Aus-
Mund. Dabei jetzt längeren Ton entstehen löser für sekundäre Gefühle. Noch während des
(leichtes Stöhnen) lassen. Körper beim Entstehungsprozesses eines Emotionsmusters
Ausatmen deutlicher beugen bzw. wird auf mögliche Stoppergefühle geachtet.
kollabieren lassen. Verringern der 2. Imaginieren einer Problemsituation und Pro-
Gefühlsintensität: Verringerung der jektion der erlebten Gefühlsqualitäten auf eine
Intensität des Atemmusters, das Ausatmen Zeitachse. Antizipationen, die das primäre Ge-
weniger tief, den Körper weniger deutlich fühl auslöst, werden deutlich gemacht. Dann
beugen. wird nachvollzogen, wie das Stoppergefühl bzw.
4 Sexualität: Erhöhen der Gefühlsintensität: wie das Symptom entsteht.
Vertiefen des intensiven, weichen Ein- und
Ausatmens durch den entspannt noch jHerstellen primärer Emotionen
weiter geöffneten Mund, evtl. mit sanftem mit dem Körper
Atem- bzw. Stöhngeräusch. Die Körper- Vorbereitung
bewegungen dürfen dabei ebenfalls stärker 4 »Obwohl bestimmte Gefühle in einer Situation
werden. Verringern der Gefühlsintensität: passend und stimmig sind, kann es passieren,
Die Atemintensität ist verringert, weniger dass es uns nicht leicht fällt, sie zu spüren, sie
tief. Die Bewegungen des Körpers werden zuzulassen (zu akzeptieren) und zu zeigen. Ich
insgesamt kleiner, evtl. wenig Anspannung möchte Ihnen das kurz an einem Beispiel erläu-
7.5 · Arbeit mit Emotionen
183 7
tern (meist bietet sich die Emotion Ärger mit seine Energie (Bewegungsimpulse, Anspan-
dem dazugehörigen Kernthema an). Wie geht nung, Entspannung)? Versuchen Sie ein Bild
es Ihnen damit? für dieses Geschehen in Ihrem Körper zu fin-
4 Gibt es Situationen, in denen es Ihnen schwerer den? Was passiert? Was ist das? Wie fühlt sich
(leichter) fällt, Ärger auch zu zeigen? Was ist das an? Fordert dieses Gefühl Sie eher auf, sich
wohl der Grund dafür? (Typischerweise wer- einer Situation oder Person weiter anzunähern,
den diverse Hemmungen mit Befürchtungen innezuhalten oder gar auf Abstand zu gehen?«
begründet bzgl. aversiver Konsequenzen, z. B., 4 Schritt 4: Beschreiben und Kategorisieren des
dass ein Gegenüber mit massiver Energie an- sekundären Gefühls. »Nachdem wir nun her-
greift, entwertet etc.) ausgefunden haben, was das sekundäre Gefühl
4 Was löst dieses Gefühl also aus? (Hier wird macht, können wir vielleicht herausfinden, wie
deutlich, dass es sich dabei um Befürchtungen es heißt. Kennen Sie ein solches Gefühl aus Ih-
bzw. Angst handelt.) rem Alltag? Fällt Ihnen dazu passend eine Situ-
4 Der Ärger ist zuerst da und wird deshalb als ation ein? Was passierte in dieser Situation, was
primäres Gefühl bezeichnet. Jenes Gefühl, das war der Anlass für das Gefühl (. Tab. 3.4 kann
durch den »primären Ärger« ausgelöst wird, es dabei hilfreich sein)?«
handelt sich hier um Angst, wird folgerichtig 4 Schritt 5: Erstellen einer Reaktionskette. »Hier
als sekundäres Gefühl bezeichnet. Offensicht- lässt sich deutlich die Stopperfunktion des se-
lich bremst es den Ärger mehr oder weniger kundären Gefühls erkennen! Wie passt das zur
ein. Angst wird deshalb als Stoppergefühl be- Überlebensstrategie? Ja, Sie sehen ganz deut-
zeichnet. Scham und Schuld sind weitere Bei- lich, inwieweit das Stoppergefühl auch dafür
spiele für solche Stoppergefühle.« sorgt, dass die Überlebensstrategie eingehalten
4 Schritt 1: Herstellen der emotional neutralen werden kann!«
Haltung. 4 Schritt 6: Nutzen der Botschaft des primären
4 Schritt 2: Step-In – Herstellen einer ausgewähl- Gefühls, Planung kleiner Schritte in Richtung
ten Emotion als primäres Gefühl. »Wir begin- der Handlungstendenz des primären Gefühls,
nen mit geringer Gefühlsintensität und lassen dabei Aushalten des sekundären Gefühls.
sie langsam größer werden.« »Emotionen sind
etwas völlig Natürliches. Deshalb ist es für uns jSzenische Imagination
ein wichtiges Signal, wenn in diesem Prozess einer Problemsituation
der Intensitätssteigerung irgendwann beglei- Der Beginn dieser Arbeit ähnelt sehr stark obiger
tend ein unangenehmes Gefühl entsteht. Dabei Emotionsexposition (szenische Imagination). Das
kann körperlich auch allmählich Verspannung Unterscheiden primärer und sekundärer Gefühle
einsetzen, obwohl Gelöstheit und Entspannung wird anschließend dadurch unterstützt, indem das
typisch für dieses Gefühl sind (Entspannung Geschehen verlangsamt und das emotionale Erle-
bzw. Kollabieren obwohl Anspannung und auf- ben auf eine Zeitachse projiziert wird.
gerichtete Haltung typisch für das Gefühl sind).
Auch die ursprüngliche Mimik will sich u. U. Vorbereitung
allmählich verändern, so dass sie ein ganz an- 4 »Wir wollen uns genauer anschauen, was in der
deres Gefühl ausdrückt. Dabei handelt es sich problematischen Situation, die Sie gerade be-
meist um Anzeichen für das sekundäre Ge- richteten, passiert, weshalb sie so unbefriedi-
fühl.« gend für Sie verlief.«
4 Schritt 3: Fokussieren des hemmenden Pro-
zesses. »Bitte beschreiben Sie, wie sich das in Entwicklung der Szene
Ihrem Körper anfühlt. Welche Körperbereiche 4 »Holen Sie sich nun die Situation (kurze verba-
sind auffällig? Was macht Ihr Körper, was will le Umschreibung) nochmals her. Beschreiben
Ihr Körper tun? (bzw. bezogen auf das primäre Sie kurz den Ort des Geschehens, welche Per-
Gefühl: »Was will er jetzt nicht tun?«) Wie ist sonen sind anwesend,…wie ist das Licht, was
184 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

hören, sehen, schmecken, riechen Sie, …? hinein, was passiert, wie fühlt sich das in Ihrem
Wann genau ändert sich Ihre Stimmung? Körper an? Lassen Sie Ihren Körper eine Hal-
4 Was genau passiert da gerade, an welcher Stelle tung einnehmen, die dazu passt! Was möchte er
wird es schwierig? Beschreiben Sie das noch- tun? Welcher Impuls entsteht dabei? Woran
mals kurz, wie fühlen Sie sich dabei, wie rea- liegt das? Welches Gefühl verspüren Sie?
giert Ihr Körper…? Spüren Sie dieses Gefühl 4 Vergessen für einen Moment die besprochene
jetzt auch? Situation und versuchen Sie sich ganz diesem
4 Drehen Sie den Situationsfilm nochmals – mög- Gefühl zu überlassen. Was möchte Ihr Körper
lichst genau – an die Stelle zurück, wo etwas tun? Lassen Sie das Gefühl ruhig stärker wer-
anfängt schwierig zu werden. Was sehen Sie in den. Was ist das für ein Gefühl. Erinnern Sie
der Szene? Was ist Ihr erstes Gefühl? sich nun wieder an die Situation. Was war der
4 Bitte beschreiben Sie, wie sich das in Ihrem Anlass für dieses Gefühl?«
Körper anfühlt. Welche Körperbereiche sind 4 Schritt 4: Der hemmende Prozess – wie das se-
auffällig? Was macht Ihr Körper, was will Ihr kundäre Gefühl ins Spiel kommt. »Berichten
Körper tun? Wie ist seine Energie? Möchten Sie Sie nun, wie sich die Situation von hier aus wei-
7 etwas sagen oder ausrufen? terentwickelt. Bewegen Sie sich ganz langsam
4 Lassen Sie von da aus den Film ganz, ganz lang- Stück für Stück auf der Zeitachse und berichten
sam weiterlaufen und beobachten Sie, was aus Sie dabei, was in der Situation passiert. Achten
dieser Energie, was aus dem Handlungsimpuls Sie dabei auch auf das Gefühl. Für uns ist es ein
wird. Was ist das Gefühl am Ende der Szene? wichtiges Signal, wenn auf diesem Weg irgend-
4 Richten Sie hier – am Ende der Szene – die Auf- wann begleitend ein unangenehmes Gefühl
merksamkeit auf sich selbst, auf Ihren Körper. entsteht. Dabei kann körperlich auch allmäh-
Möchte Ihr Körper etwas tun bzw. Teile Ihres lich Verspannung einsetzen, obwohl Gelöstheit
Körpers (z. B. Hände, Arme, Beine usw.)?« und Entspannung typisch für dieses Gefühl
sind (Entspannung bzw. Kollabieren, obwohl
Primäres und sekundäres Gefühl unterscheiden Anspannung und aufgerichtete Haltung typisch
4 Schritt 1: Darstellen der Zeitachse. »Lassen Sie für das Gefühl sind). Auch die ursprüngliche
uns den gefühlsmäßigen Ablauf nochmals ver- Mimik will sich u. U. allmählich verändern, so
gegenwärtigen. Nehmen Sie zwei Gegenstände dass sie ein ganz anderes Gefühl ausdrückt. Da-
und stellen Sie eine Zeitachse dar (die beiden bei handelt es sich meist um Anzeichen für das
Gegenstände werden auf dem Boden möglichst sekundäre Gefühl.«
weit voneinander entfernt platziert; mindestens 4 Schritt 5: Fokussieren des sekundären Gefühls.
jedoch 1,50–2 Meter), wobei der erste Gegen- »Bitte beschreiben Sie, wie sich das in Ihrem
stand den Beginn der Szene und der zweite Ge- Körper anfühlt, während Sie sich langsam zum
genstand ihr Ende markiert.« Endpunkt bewegen. Welche Körperbereiche
4 Schritt 2: Erleben nach Ablauf der Situation. sind auffällig? Was macht Ihr Körper, was will
»Wir beginnen mit dem Ende des geschilderten Ihr Körper tun? (bzw. bezogen auf das primäre
Verlaufs. Stellen Sie sich bitte ans zeitliche Ende. Gefühl: »Was will er nicht tun?«) Wie ist seine
Versetzen Sie sich nochmals in diesen Moment Energie (Bewegungsimpulse, Anspannung,
hinein, was passiert, wie fühlt sich das in Ihrem Entspannung)? Versuchen Sie ein Bild für die-
Körper an? Lassen Sie Ihren Körper eine Hal- ses Geschehen in Ihrem Körper zu finden? Was
tung einnehmen, die dazu passt! Was möchte er passiert? Was ist das? Wie fühlt sich das an?
tun? Welcher Impuls entsteht dabei? Woran Fordert dieses Gefühl Sie eher auf, sich einer
liegt das? Welches Gefühl verspüren Sie?« Situation oder Person weiter anzunähern, in-
4 Schritt 3: Das primäre Gefühl taucht auf und nezuhalten oder gar auf Abstand zu gehen?«
wird unterstützt. »Stellen Sie sich nun auf den 4 Schritt 6: Beschreiben und Kategorisieren des
Zeitpunkt, an dem das erste Gefühl beginnt. sekundären Gefühls. »Nachdem wir nun her-
Versetzen Sie sich nochmals in diesen Moment ausgefunden haben, was das sekundäre Gefühl
7.6 · Therapeutische Beziehung
185 7
macht, können wir vielleicht herausfinden, wie on einsetzen. Die verschiedenen Merkmale, die da-
es heißt. Kennen Sie ein solches Gefühl aus Ih- bei von Therapeutenseite eingebracht werden, soll-
rem Alltag? Fällt Ihnen dazu passend eine Situ- ten berühren einerseits die affektive Beziehung
ation ein? Was passierte in dieser Situation, was (beeinflussbar z. B. durch Wertschätzung, Empa-
war der Anlass für das Gefühl?« thie, Vertrauen) und andererseits das Arbeits- bzw.
4 Schritt 7: Erstellen einer Reaktionskette. »Hier Zielerreichungsbündnis (Konsens über Ziele,
lässt sich deutlich die Stopperfunktion des se- Zeitplan, Rahmenbedingungen). Beides hängt zu-
kundären Gefühls erkennen! Wie passt das zur sammen: Wenn Therapeuten auf emotionale Weise
Überlebensstrategie? Ja, Sie sehen ganz deut- verstehen, weshalb Patienten in einer Situation in-
lich, inwieweit das Stoppergefühl auch dafür tensiv kämpfen, weshalb etwas so schmerzlich für
sorgt, dass die Überlebensstrategie eingehalten sie ist und so massive Schutzmaßnahmen aktiviert,
werden kann!« dann ist das sicherlich auch für die affektive Bezie-
4 Schritt 8: Nutzen der Botschaft des primären hungsgestaltung günstig und sie werden dann auch
Gefühls, Planung kleiner Schritte in Richtung eher in der Lage sein, das Zielerreichungsbündnis
der Handlungstendenz des primären Gefühls, günstig zu gestalten.
dabei Aushalten des sekundären Gefühls. Die Auswahl der Methoden und Techniken so-
wie Vorgehensweisen sollten stets so erfolgen, dass
eine Verhaltensänderung machbar und attraktiv
7.6 Therapeutische Beziehung für Patienten bleibt.

Auch wenn die therapeutische Beziehung allein


kein heilendes Agens ist, so stellt sie doch eine un- 7.6.1 Therapeutische Beziehung
verzichtbare Basis dar, auf der sich eine effiziente wird zum Arbeitsinstrument
Problembearbeitung entfalten kann. Nach aktu- und Arbeitsfeld erklärt
ellem Stand der empirischen Forschung ist die Be-
deutung der therapeutischen Beziehung für das Für die meisten Patienten ist das Ansprechen der
Therapieergebnis völlig unbestritten (Orlinsky et therapeutischen Beziehung nicht einfach und wird
al., 1994; Martin et al., 2000; Vilardaga & Hayes, oft mit Tadel, Kritik oder gar Krise in Zusammen-
2010). Nur wer sich in einer therapeutischen Bezie- hang gebracht. Deshalb werden in der SBT unsere
hung wohlfühlt, wird dort gut arbeiten und letzt- Patienten – ohne speziellen Anlass – auf die Arbeit
lich auch Erfolge für sich verbuchen können. Sie mit der therapeutischen Beziehung gleich zu Be-
wird – insbesondere im verhaltenstherapeutischen ginn der Therapie vorbereitet. Dabei wollen wir
Kontext – nicht als alleiniger Wirkfaktor, sondern nicht nur den Unterschied zu ihren Alltagsbezie-
als zentrale Bedingung gesehen, damit bestimmte hungen, sondern auch den Wert als »therapeu-
Interventionstechniken ihre Wirkung entfalten kön- tisches Instrument« hervorheben. Therapeutische
nen (Orlinsky et al., 1994; Schulte & Eifert, 2002). Interaktion ist im günstigsten Falle ein Geschehen,
Dieser Sachverhalt wird auch von Schulte innerhalb dessen Patienten und ihre Therapeuten
(1999) in seinem »dualen Basismodell« beschrie- aufeinander reagieren und diese Reaktionen im
ben. Danach muss der Therapeut zwei bedeutsame Idealfalle auch offen zeigen. Damit werden nicht
Aufgaben verrichten. Erstens muss er durch die nur Informationen ausgetauscht, die für das Zieler-
Gestaltung der therapeutischen Beziehung und die reichungsbündnis notwendig sind. In vielen Fällen
Förderung der Motivation positiv auf das sog. Ba- kann das Beziehungsgeschehen in der Therapie mit
sisverhalten, d. h., die Bereitschaft sich zu öffnen, Gewinn auch gemeinsam analysiert werden, um
aktiv mitzuarbeiten, neue Verhaltensweisen auszu- einen Transfer für Beziehungen des Alltags vorzu-
probieren usw., des Patienten einwirken. Damit sei bereiten. Diesen Aspekt umschreiben wir mit »the-
die Grundlage für die eigentliche Therapie herge- rapeutische Beziehung als Arbeitsfeld«.
stellt. Zweitens muss er spezifische therapeutische
Interventionsmethoden zur Verhaltensmodifikati-
186 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

Einleitung 4 Mir ist es wichtig, dass das, was wir hier tun,
4 »Ich möchte heute mit Ihnen gerne über unser freiwillig von Ihnen getan wird. Wenn Sie etwas
gemeinsames Arbeitsbündnis sprechen. Mein nicht tun wollen, so ist das völlig in Ordnung;
Eindruck ist, dass wir bislang erfolgreich zu- wir werden einen anderen Weg finden.
sammengearbeitet haben. Ich freue mich sehr 4 Ich hätte gern, dass wir gemeinsam festlegen,
darüber und möchte nun noch etwas mit Ihnen woran wir arbeiten und wie wir das am besten
über unsere besondere Form der Beziehung tun können.
sprechen.« 4 Ich wünsche mir, dass Sie mich darauf aufmerk-
sam machen, wenn ich dagegen verstoßen soll-
Therapeutische Beziehung ist keine Alltagsbeziehung te. Umgekehrt werde ich Ihnen auch Feedback
4 »Wie sehen Sie uns beide im Vergleich zu ande- geben, wenn mir etwas auffällt, was aus meiner
ren Beziehungen in Ihrem Leben? (Unter- Sicht Ihre Zielsetzungen hier in der Therapie
schiede: Häufiges Sprechen über Probleme. Be- fördert oder behindert.«
ziehung ist unsymmetrisch: Therapeut in Hel-
ferrolle, kein Platz für Probleme des Thera- Vereinbarung
7 peuten, öffnet sich im Wesentlichen nur in Be- 4 »Meinen Sie, wir können eine solche Feedback-
zug auf sein Erleben in der Beziehung zum Pa- kultur einrichten? Es hat sich bewährt, dass
tienten, nur äußerst sparsame Informationen man sich in Hinblick auf die Arbeitsbeziehung
über das Leben des Therapeuten usw.) möglichst oft, aber mindestens einmal pro Sit-
4 Wir kennen uns auch noch nicht so gut. Ich fin- zung Feedback gibt. Das wäre dann am Ende
de es ganz natürlich, dass Vertrauen in mich der Stunde.
erst allmählich entsteht.« 4 Lassen Sie uns dann kurz den Inhalt der Stunde
Revue passieren, die Zufriedenheit mit Ihrer
Therapeut spricht kurz über sich Zielerreichung, Vorsätze bis zum nächsten Mal,
4 »Mir selbst geht es gelegentlich auch nicht an- das Tempo unserer Arbeit, unser zwischen-
ders als Ihnen. Manchmal habe ich Probleme in menschliches Klima.«
meiner Arbeit als Therapeut und ich muss mir
dann fachliche Unterstützung holen. Das wird Therapeutische Beziehung als Arbeitsfeld
als Supervision bezeichnet. Ich hole mir aber 4 »Gleich zu Beginn der Therapie haben wir Ihre
auch Hilfe von einem Therapeuten, dem ich Überlebensstrategie erarbeitet. Sie beschreibt,
vertraue, wenn ich private Probleme habe. auf welche Weise Sie Ihre Bedürfnisse in wich-
4 Ich erzähle Ihnen das, um deutlich zu machen, tigen Beziehungen befriedigen. Erfahrungsge-
dass unsere Beziehung deshalb so ist, wie sie ist, mäß sind Überlebensstrategien auch in thera-
weil sie so am ehesten hilfreich sein kann und peutischen Beziehungen aktiviert. Auch meine
nicht – und das ist mir jetzt besonders wichtig Überlebensstrategie kann hier u. U. aktiviert
– weil ich meinen würde, dass ich mich als werden. Als Therapeut bin ich darin geschult,
Mensch von Ihnen abheben möchte.« auf so etwas zu achten und dies bei mir zu be-
obachten.
Therapeutische Beziehung als Arbeitsinstrument 4 Das ist aber sehr wertvoll für Ihre Therapie, da
4 »Ein Vorteil unserer Beziehung ist, dass wir sie wir praktisch ganz unmittelbar erleben können,
nutzen können, um Abläufe in Ihrem Alltag wie Ihre Strategie wirkt. Der Gewinn für Ihren
besser nachvollziehen zu können. So ist es sehr Alltag wäre enorm, wenn wir das hier zum The-
wichtig, dass wir uns gegenseitig oft Feedback ma machen könnten.
geben. 4 Was meinen Sie? Das ist eine sehr intensive
4 Mir ist es wichtig, sehr genau zu wissen, wie mei- Form der Arbeit, die dann weitere Experimente
ne Arbeitsweise für Sie ist, wann Sie sich über- im Kontakt zu anderen Menschen vorbereitet.
fordert, wann Sie sich unterfordert fühlen oder Können Sie sich so etwas vorstellen?«
wann Sie ein bestimmtes Thema nicht mögen.
7.6 · Therapeutische Beziehung
187 7
Vereinbarung zu erhöhen. Oft können schon leichte Abwei-
4 »Dann lassen Sie mich ganz klar festhalten, dass chungen in den erwarteten Abläufen dazu führen,
dies in erster Linie für Ihre Kontakte in der Au- dass die Anstrengungen nach der Devise »viel hilft
ßenwelt eine Vorbereitung sein soll. Es geht da- viel« weiter erhöht werden. Dies kann auch für
bei nicht so sehr darum, dass Sie mir gegenüber Therapeuten anstrengend werden. Gerade wegen
eine Grenze des Anstandes oder der Schicklich- des Automatismus solcher Verhaltensweisen sollte
keit verletzen!« die Aufmerksamkeit mit Hilfe wohlwollender Be-
merkungen darauf gelenkt werden. Meist sind Pa-
tienten sehr berührt, wenn ihre Anstrengungen
7.6.2 Überlebensstrategie in deutlich validiert werden. Dieses akzeptierende
der therapeutischen Beziehung Verhalten wird in der dritten Spalte durch eine ver-
änderungsorientierte Anregung ergänzt. In der
Wir sahen in 7 Abschn. 3.5, wie unsere Bindungs- zweiten Zeile wird deutlich, welche inneren Ver-
erfahrungen innere Beziehungsmodelle entstehen bote wirksam sind, damit die Person nicht etwa
lassen, die sich im Sinne einer kognitiv-affektiven sich selbst und/oder andere überfordert und damit
Quintessenz als Überlebensstrategie ausformulie- das ganze Unternehmen gefährdet.
ren lassen. Die mit den Patienten erarbeitete Über- Insgesamt soll dies ein möglichst hohes Sicher-
lebensstrategie beschreibt die Art und Weise, wie heitsniveau gewährleisten. Dies stellt immer ein
Patienten ihre grundlegenden Bedürfnisse in Be- heikles Thema dar und es kann zunächst nur dar-
ziehungen zu anderen Menschen befriedigen. Die- um gehen, zu signalisieren, dass man dieses als
se Strategie ist normalerweise nicht bewusst und Therapeut erst einmal nur wahrnimmt, respektiert
wird in der Regel auch in der therapeutischen Be- und seine Bedeutung für den Patienten anerkennt.
ziehung aktiviert. Damit eröffnet sich die Möglich- Die therapeutische Haltung entspricht dabei der
keit, die Überlebensstrategie systematisch zur Nut- eines nach Möglichkeit humorvollen, aber auf je-
zung und Gestaltung der therapeutischen Bezie- den Fall wohlwollenden Gegenübers.
hung heranzuziehen. Das Zielerreichungsbündnis ist hier zunächst
Wie kann dies konkret geschehen? Jede Zeile psychoedukativ geprägt. Der Therapeut klärt über
der Überlebensstrategie bietet wertvolle Anhalts- die Bedeutung von Gefühlen für das Handeln und
punkte (. Tab. 7.1). Dabei sind die Interventionen Entscheiden auf. Schwerpunkt liegt dabei insbe-
im Rahmen der affektiven Beziehungsgestaltung so sondere auf vermiedenen Emotionen und Impul-
gehalten, dass positive Beziehungserfahrung und sen. Eine Möglichkeit, schon an dieser Stelle emoti-
mehr Selbstöffnung realisiert werden können, z. B. onal tiefer einzusteigen, bietet das in 7 Abschn. 7.6.1
aufgrund der Wärme und Empathie des Thera- beschriebene Vorgehen zur Arbeit mit den »Keller-
peuten. Methodische oder technische Details der geistern«.
Therapie sollten bei solchen Gesprächen eher im Die dritte Zeile der Syntax in . Tab. 7.1 be-
Hintergrund stehen. Wenn dabei die eher akzeptie- schreibt zentrale Bedürfnisse, die dringend befrie-
rende Grundhaltung des Therapeuten überwiegt, digt werden wollen. Therapeuten holen ihre Pati-
so sollte bei der Gestaltung des Zielerreichungs- enten am besten dadurch ab, indem sie sich kom-
bündnisses auch schon die Änderungsmotivation plementär zu diesen Bedürfnissen, also bedürfnis-
angesprochen werden. Diese Dialektik von Akzep- befriedigend, verhalten. Zeigt ein Patient schwer-
tanz und Veränderung lässt sich nicht ständig im punktmäßig autonomiebezogene Bedürfnisse, z. B.
Verhältnis 1:1 realisieren, ist aber insgesamt für ei- Selbermachen, Selberkönnen, Führung- überneh-
ne wirksame therapeutische Beziehung unverzicht- men wollen usw., dann ist es wichtig, ihm diesen
bar (Linehan, 1991; Fruzzetti & Fruzzetti, 2009). Handlungsspielraum auch zu gewähren. Im Falle
Die erste Zeile in der Syntax beschreibt das au- bindungsbezogener Bedürfnisse, wie z. B. Zuver-
tomatisierte dysfunktionale Verhalten, das Patien- lässigkeit, Wertschätzung, Wärme, zeigen Thera-
ten einbringen, um die Wahrscheinlichkeit einer peuten strukturiertes Vorgehen sowie warmes, für-
Bedürfnisbefriedigung durch Interaktionspartner sorgliches verbales und nonverbales Verhalten. Sulz
188 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

. Tab. 7.1 Aus der Überlebensstrategie ergeben sich Handlungsanweisungen für die Gestaltung der affektiven
Beziehung und des Zielerreichungsbündnisses

Syntax der Überlebens- Affektives Bündnis Zielerreichungsbündnis


strategie

Nur wenn ich immer… Therapeut verhält sich dazu validierend Therapeut ermuntert zu sehen, wann diese
(dysfunktionales und beschreibend, ermuntert dazu, sich Forderung für die Zielerreichung von
Verhalten) weniger anzustrengen Vorteil, wann von Nachteil sein könnte

und wenn ich niemals… Therapeut verhält sich gewährend, Therapeut hilft, die Funktion vermiedener
(Wut, verbotener Lust- humorvoll und ermuntert, solche Impulse Gefühle und Impulse für die Zielerreichung
auf-Impuls) wahrzunehmen und anzusprechen zu erkennen

dann bewahre ich mir… Therapeut verhält sich komplementär zu Therapeut achtet stets auf die Thematisie-
(zentrales Bedürfnis) dem, was der Patient in der Beziehung rung der Bedürfnisse, sowie auf eine
braucht bedürfnisgerechte Gestaltung des
Therapieverlaufs
7
und verhindere… Therapeut macht vor jedem Veränderungs- Therapeut hilft Teilziele und Kleinschrittig-
(zentrale Angst) schritt Angebote in Hinblick auf die keit zu entwickeln, so dass Angst noch
zentrale Angst, erfragt den Bedarf an achtsam beobachtet werden kann
Unterstützung bzw. Schutz und Halt

(2007) analysiert solche Interaktionen mit Hilfe des Bedürfnisbefriedigung in einer Beziehung gefähr-
interpersonellen Modells nach Benjamin (2001). det ist. Das Verhalten wird nach Möglichkeit so or-
In Supervisionen wird immer wieder deutlich, ganisiert, dass die Angst erst gar nicht auftritt. Mei-
dass viele Verzögerungen in der Therapie oder gar dungsverhalten führt aber nicht zu neuen Erfah-
Therapieabbrüche hätten vermieden werden kön- rungen. Deshalb wird seitens des Therapeuten das
nen, wenn seitens des Therapeuten solche Zusam- Expositionsprinzip vertreten. Dabei wird, auf die
menhänge Berücksichtigung gefunden hätten. Ins- individuelle Bedürfnisstruktur des Patienten abge-
gesamt wird die Auffassung vertreten, dass die stimmt, Unterstützung angeboten. Bindungsorien-
komplementäre Beziehungsgestaltung ein Wirk- tierte profitieren z. B. von Strukturierungshilfen
faktor ist, der dem Problemverhalten die motivati- und intensiverem Kontakt bei Expositionen, auto-
onale Basis entzieht (Caspar et al., 2005). Dies ist nomieorientierte Patienten hingegen brauchen z. B.
unmittelbar nachvollziehbar, wenn man den Stel- eher Unterstützung ihrer Eigeninitiative und ko-
lenwert des zentralen Bedürfnisses in der Überle- gnitives Verstehen. Das Zielerreichungsbündnis
bensstrategie bedenkt. Im Zielerreichungsbündnis orientiert sich dabei in der Regel am Prinzip der
hat der Therapeut ein wenig die Rolle eines Anwalts sukzessiven Annäherung. Teilschritte und Schritt-
der Bedürfnisbefriedigung. Er sollte darauf achten, größen werden gemeinsam festgelegt. Therapeuten
dass im Rahmen von Zielsetzungen die Bedürf- achten darauf, dass die Ziele nicht überfordernd,
nisthematik nicht außer Acht gelassen wird. Gleich- aber auch nicht unterfordernd sind. Ziele müssen
zeitig ermuntert er zu überprüfen, ob es nicht – je ausreichend hoch sein, damit genügend Anstren-
nach Situation – Unterschiede in der Bedürftigkeit gungsbereitschaft aktiviert wird (Latham & Locke,
gibt. Zunehmende Differenzierungsfähigkeit un- 2002).
terstützt dabei, die Berechtigung der Überlebens- Anlass für solche Interventionen bieten Äuße-
strategie nur noch fallweise – z. B. bei besonders rungen oder andere Verhaltensweisen von Pati-
intensiver Bedürftigkeit – anzunehmen. enten, z. B. wiederholtes Zuspätkommen, ständiger
In der vierten Zeile wird die Angst beschrieben, Themenwechsel, entwertende Äußerungen, beson-
die als Signal davor warnt, wenn die angestrebte ders aufmerksames Verhalten, Umgang mit Haus-
7.6 · Therapeutische Beziehung
189 7
aufgaben usw. In . Tab. 7.2 ist gezeigt, welche Inter- und der Transfer in den Alltag gut vorbereitet wer-
ventionen durch die Äußerung einer Patientin aus- den kann.
gelöst werden können. Die Überlebensstrategie Sowohl dass affektive als auch das Zielerrei-
dieser Patientin dient als Navigationsinstrument chungsbündnis profitieren enorm, wenn Patienten
zur Gestaltung der affektiven Beziehung und des lernen, offener mit den Verboten umzugehen, bzw.
Zielerreichungsbündnisses. Ihr konkreter Inhalt es wagen, auch einmal dagegen zu verstoßen. Abge-
hilft bei der individuellen Abstimmung auf ihre in- sehen davon kann der Gewinn, der durch den
dividuelle Strategie der Bedürfnisbefriedigung. Transfer ins Alltagsleben entsteht, gar nicht hoch
Die . Tab. 7.1 und . Tab. 7.2 zeigen Interventi- genug eingeschätzt werden.
onsmöglichkeiten in Bezug auf die beiden Aspekte Damit das Vorgehen deutlicher wird, werden in
der Beziehungsgestaltung. In manchen Fällen lohnt der linken Spalte von . Tab. 7.3 einige Beispiele ty-
es sich tatsächlich, die dort vorgeschlagenen acht pischer Verbote zusammengestellt (vgl. Sulz et al.,
Aspekte vollständig anzuwenden. Oft reichen aber 2011). Für das weitere Vorgehen empfiehlt sich eine
auch ein bis zwei Aspekte, wenn bestimmte Be- erlebnisorientierte Vorgehensweise, wobei man so
standteile der Überlebensstrategie in der Interak- tut, als seien die verbotenen Verhaltensweisen Ei-
tion besonders auffallen. genschaften einer Person, die aber im Keller einge-
sperrt ist. Diese unerwünschte und gemiedene Per-
son wird hier als »Kellergeist« bezeichnet. Keller-
geister werden mit Hilfe der zweiten Zeile (... und
7.6.3 Kellergeister: »Verbotene« wenn ich niemals) einer konkreten Überlebens-
Impulse und Gefühle in strategie charakterisiert. Ihre Beschreibung orien-
der therapeutischen Beziehung tiert sich am Gegenteil der Verbotszeile (vgl. die
zweite Spalte in . Tab. 7.3). In der dritten Spalte ist
Die Verhaltensgebote, die mit der ersten Zeile der die Intervention skizziert, die vom Therapeut plat-
Überlebensstrategie thematisiert sind und dort das ziert werden kann. Dieses Vorgehen entschärft das
dysfunktionale Verhalten repräsentieren, sind häu- »Verbotsthema«.
fig praktizierte Verhaltensweisen. Verbotene bzw. Die Benennung eines Kellergeistes schafft etwas
vermiedene Gefühle, Impulse und Verhaltenswei- Distanz zu diesem aversiven Verhaltensbereich.
sen werden selten oder gar nicht gezeigt, oftmals Mit diesem Vorgehen wird ein ernstes Thema spie-
nicht einmal wahrgenommen. Sie werden in der lerisch aufgearbeitet. Gleichzeitig wirkt die Rolle
zweiten Zeile der Überlebensstrategie ausformu- des Regisseurs, die der Patient einnimmt, um sein
liert (... und wenn ich niemals). Infolgedessen fehlt »verbotenes« Verhalten durch den Therapeuten
es den Patienten an Erfahrung im Umgang damit. darstellen zu lassen, enorm aktivierend.
Eine realistische Einschätzung ihrer Wirkung ist
nicht möglich. Der »Muskel« der Selbstregulation jPersonifizieren der »Kellergeister« durch
ist dafür mangels Übung noch nicht ausgebildet. Arbeit mit der therapeutischen Beziehung
Deshalb können solche Gefühle und Impulse noch Vorbereitung
nicht genutzt werden, um wichtige Bedürfnisse zu 4 »Ich möchte Ihnen gerne einen Vorschlag ma-
befriedigen und persönliche Ziele zu erreichen. chen. Wir haben ja schon öfter über Ihre Über-
Der geschützte Raum der therapeutischen Be- lebensstrategie gesprochen. Würden Sie diese
ziehung soll dabei erste Erfahrungen vermitteln. nochmals kurz hier auf dem Flipchartpapier
Erst danach sollten Experimente für den Alltag ge- ausformulieren?
plant werden. Diese Reihenfolge hat damit zu tun, 4 Ich möchte mit Ihnen heute über die zweite
dass diese Seite seiner Person weder dem Patienten Zeile, die Verbotszeile, sprechen: ... und wenn
noch seinem Therapeuten besonders gut bekannt ich niemals…«
ist, demgemäß in seiner Auswirkung auch nicht
eingeschätzt werden kann. Dies ist aber notwendig,
damit der therapeutische Prozess optimal gesteuert
190 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

. Tab. 7.2 Beispiele von Interventionen aufgrund der Überlebensstrategie einer eher bindungsorientierten Patientin

Syntax Inhalt der Über- Therapeut gestaltet affektive Therapeut gestaltet


lebensstrategie Beziehung Zielerreichungsbündnis

Nur wenn ich immer… merke ich, was die Wie aufmerksam Sie sind! Sie Wann sind intensive
(dysfunktionales anderen von mir haben Recht! Sie hatten auch Aufmerksamkeit und
Verhalten) brauchen, mich aktiv einen anstrengenden Tag, Zuwendung für andere gut
um sie kümmere dürfen jetzt auch relaxen. Ich und wann ist das vielleicht
komme ganz gut klar, Danke. gar nicht so notwendig?

und wenn ich niemals… Unmut und eigene Wenn das häufiger vorkommt, Ihr Unmut kann sehr wichtig
(Wut – oder Lust-auf- Bedürfnisse zu stark dann hauen Sie ruhig auf den bei einer befriedigenden
Impulse) zeige Tisch, damit ich aufwache... Gestaltung Ihrer Beziehungen
Ich fühle mich besser, wenn sein. Wofür ist Unmut gut?
Sie mir Ihren Unmut sagen. Was meinen Sie?

dann bewahre ich mir… Schutz, Geborgenheit Ich merke wieder, wie wichtig Meinen Sie, es gibt Bezie-
7 (zentrales Bedürfnis) und Harmonie Ihnen eine ruhige, harmo- hungen, in denen Sie prüfen
nische Gesprächsatmosphäre können, wie stark Ihr Bedarf
ist. Soll ich uns einen Tee an Schutz, Geborgenheit und
kochen? Harmonie ist?

und verhindere… verlassen zu werden Manchmal denke ich, Sie Es ist völlig normal, dass bei
(zentrale Angst) machen sich irgendwie neuen Schritten Angst
Sorgen um unsere Beziehung. auftaucht. Wichtig ist, diese
Wollen wir darüber sprechen? Angst auszuhalten. Sie
können aber Teilziele wählen,
so dass Sie die Angst noch
achtsam beobachten können.

Skalierung hung nutzen. Wir sprachen ja darüber, dass die


4 »Vermutlich verbraucht das Einhalten dieser therapeutische Beziehung auch ein Arbeitsins-
Verbote Kraft und verursacht Anstrengung? Ich trument ist.
habe nun eine nicht ganz leichte Aufgabe für 4 Versuchen Sie mir doch einmal möglichst ex-
Sie. Bitte markieren Sie mit Hilfe von zwei Ge- trem zu beschreiben, welches Verhalten ich bei
genständen auf dem Boden eine Anstrengungs- Ihnen wahrnehmen würde, wenn Sie das Ver-
skala. Ein Gegenstand bezeichnet 0 (= keine bot hier und jetzt in unserem Kontakt stark
Anstrengung), der andere 100 (= extreme An- lockern würden.«
strengung). 4 Merkmale werden gesammelt und beschrieben.
4 Wo würden Sie sich im Mittel etwa einstufen? Beide stehen zunächst im Raum, der ausrei-
Bitte stellen Sie sich dorthin. chend Platz für Bewegung bietet.
4 Versuchen Sie jetzt eine Körperhaltung einzu-
nehmen, die dazu passt, und die Muskulatur so Patient als Regisseur
anzuspannen, dass die gefühlte Anstrengung 4 »Stellen Sie sich vor, Sie sind der Regisseur und
Ihrer Position auf der Skala entspricht. sollen mir, dem Schauspieler, beibringen, wie er
4 Wie fühlt sich das jetzt an? Vielleicht können das verbotene Verhalten in Wort und Tat mög-
Sie dabei auch ein Bild entstehen lassen?« lichst deutlich zeigen kann. Sie machen es vor
und ich mache es nach. Es ist ganz wichtig, dass
Anwenden auf die therapeutische Beziehung ich es richtig mache. Sie zeigen es mir immer
4 »Wir kommen am besten weiter, wenn wir als wieder und coachen mich so lange, bis Sie füh-
Übungs- und Arbeitsfeld jetzt unsere Bezie- len, dass es passt.«
7.6 · Therapeutische Beziehung
191 7

. Tab. 7.3 Typische Verbote in Überlebensstrategien, die »Kellergeister« und Entwicklungshilfe durch den Thera-
peuten

Verbot: »... und wenn ich Der »Kellergeist« ist... … und braucht die folgenden Reaktionen
niemals ...« vom Therapeuten

meinen eigenen Bedürfnissen bedürftig und lässt sich von Gewähren und Nachfragen, sowie Unterstüt-
folge seinem Hunger leiten zung bei der Bedürfnisbefriedigung

eigene Wünsche äußere und sehr bedürftig und ist selten Aufmerksamkeit für Bedürfnisse und
Schwächen zeige stark potenzielle Überforderungen

eigene Bedürfnisse und Wut oft frustriert und wütend Unterstützung beim Identifizieren von
zeige Blockaden der Bedürfnisbefriedigung;
Hinweise auf die Botschaft von Wut und Ärger

um Verständnis bitte und überhaupt nicht perfekt und Ermutigen und Verstärken kleinster eigenstän-
etwas falsch mache sehr auf andere angewiesen diger Schritte

blind vertraue ein lockerer, umgänglicher Typ, Ermutigen und Verstärken von Vertrauensexpe-
der gerne Kontakt hat rimenten in der therapeutischen Beziehung

feindselig bin oder meine ein misstrauischer Einzelgänger, Hilfe, das Schutzbedürfnis zu erkennen und zu
Bedürfnisse zu sehr in den der sich massiv schützen muss verbalisieren
Vordergrund stelle

Fehler mache oder mich auf unsicher, schämt sich und hätte Ermutigen zu Fehlertoleranz und das Fragen
andere verlasse am liebsten den Beistand von nach Unterstützung und Hilfe
anderen Menschen

zeige, wie verletzlich ich bin voller Narben und braucht ganz Verstehen und Validieren erlittener Verlet-
viel Trost zungen; Anregungen für Schutzmöglichkeiten

meine Gefühle zeige, zulasse sehr vital und unkontrolliert Anregung und Begeisterung für Verrücktes, für
Experimente

offen aggressiv bin oder immer im Krieg und impulsge- Experimente mit verschiedenen Maßen an
spontan die Kontrolle verliere steuert Ärger, sowie spürbaren Halt dabei geben

4 Der Therapeut stellt dabei Fragen zu Details, zwischen uns mehr von dem zu zeigen, das die
z. B. »sitze, stehe oder liege ich, muss ich die Überlebensstrategie eigentlich verbietet?«
Fäuste ballen, die Arme anheben, wie ist der
Gesichtsausdruck, wie laut ist die Stimme Personifizieren des »Kellergeistes«
usw.« 4 »Ich kann mir jetzt recht gut vorstellen, was es
4 Bei allen Details wird der Patient immer wieder mit den Verboten in Ihrer Überlebensstrategie
zum Vormachen aufgefordert. auf sich hat.
4 Nachdem ich nun diese Rolle dargestellt habe,
Gemeinsame Bewertung möchte ich Sie nun ermuntern, genauer zu er-
4 »Was haben Sie empfunden, wie geht es Ihnen forschen, ob sich daraus etwas Nützliches ma-
jetzt? (Therapeut schildert ebenfalls sein Erle- chen lässt.
ben). 4 Lassen Sie uns so tun, als wenn diese Rolle eine
4 Wie geht es Ihnen jetzt mit diesen Verboten in reale Person beschreibt, die aber nicht in Ihrem
unserer Beziehung? Alltag anwesend sein darf. Trotzdem ist sie aber
4 Meinen Sie, ich könnte Sie bei passender Gele- doch irgendwie da, wie wir wissen. Vielleicht
genheit darauf ansprechen und Sie dann bitten, lebt sie im Keller und kommt nie nach oben.
192 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

Vielleicht könnte man sie als Kellergeist be- 7.6.4 Qualität der therapeutischen
zeichnen? Oder haben Sie einen anderen Na- Beziehung sichtbar machen
men dafür?
4 Bitte gehen Sie nochmals in diese Rolle des Kel- Besondere Bedeutung kommt der Arbeit mit der
lergeistes, sagen und tun Sie das, was dazu ge- therapeutischen Beziehung zu, wenn es offene oder
hört.« verdeckte Konflikte zwischen Patienten und Thera-
peuten gibt. Vielleicht lassen sich Patienten nicht
Der »Kellergeist« als Ressource ein, weil Therapeuten ein zu hohes Tempo vorle-
4 »Jedes Verhalten hat eine Funktion, d. h. es gen, zu stark konfrontieren, zu wenig Struktur oder
dient einem bestimmten Zweck. Lassen Sie uns umgekehrt zu wenig Freiraum bieten, entnervt rea-
doch mal prüfen, inwieweit er Ihren Interessen gieren usw. Es gibt eine Fülle von Indikatoren, die
dienen könnte? (vgl. Spalte 2 in . Tab. 7.3: z. B. dies anzeigen können: Patienten erscheinen nicht
achtet er auf dringende Bedürfnisse und meldet zum vereinbarten Termin oder sagen öfters die
diese, reagiert auf Grenzverletzungen, stellt Stunde ab. Sie merken an, dass die Therapie nichts
Kontakt her, sorgt für Schutz etc.) mehr bringt oder nicht der richtige Weg für sie ist.
7 4 Er könnte also für Sie sorgen?« Ebenso kommt es vor, dass sie den Therapeuten als
ungeeignet hinstellen oder an der Methode zwei-
Für sich sorgen in der therapeutischen Beziehung feln, dass sie keine Hausaufgaben machen und die
4 »Gehen Sie nochmals in die Rolle des Keller- Umsetzung ihrer Erkenntnisse nicht vollziehen
geistes. Geben Sie mir nun genaue Anweisung, usw. In solchen Fällen lohnt es sich fast immer, die
wo ich mich im Raum Ihnen gegenüber positi- Beziehung zum Thema zu machen. Oft sind solche
onieren soll. Soll ich stehen oder sitzen? In wel- Vorfälle Hinweis darauf, dass sowohl das affektive
chem Abstand? als auch das Zielerreichungsbündnis nachjustiert
4 Spüren Sie jetzt in sich hinein: Was brauchen werden müssen. Das ist eine professionelle Aufga-
Sie von mir, welche Reaktion soll ich zeigen, da- be, die im Verlaufe einer Therapie immer wieder
mit der Kellergeist zufrieden ist? mal notwendig sein kann und Patienten sind durch
4 Was haben Sie erlebt, wie fühlen Sie sich jetzt?« die bisherigen Interventionen bereits darauf vorbe-
4 Therapeut gibt Feedback darüber, wie die Dar- reitet.
stellung auf ihn wirkt, inwieweit er einen Ap- Mit der nächsten Übung wird der Patient dazu
pell an sich wahrnimmt. Er umschreibt ihn. angeregt, die therapeutische Beziehung im Raum
4 Danach folgt eine gemeinsame Reflexion über darzustellen. Die Horizontale dient dabei als di-
den Inhalt der Botschaft und seine Funktion für rektes Ausdrucksmittel für Nähe bzw. Distanz. Po-
die Beziehung. »Was also kann Ihnen das brin- sitionierungen auf der Horizontalen können meh-
gen, wenn Sie verbotene Gefühle und Impulse rere Ursachen haben. Patienten können z. B. mehr
in Ihrem Inneren zur Kenntnis nehmen?« Nähe wünschen und dies unmittelbar zum Aus-
druck bringen, weil sie sich momentan Wärme und
Vereinbarung Geborgenheit vom Therapeuten wünschen. Sie
4 »Das war auch für mich sehr aufschlussreich. stellen räumliche Distanz her, weil sie sich mehr
Können Sie sich vorstellen, dass Sie den Keller- Freiraum wünschen oder sie bringen damit gar
geist aus dem Keller befreien und mit sich leben zum Ausdruck, dass sie sich vor dem Therapeuten
lassen? schützen wollen. Ein Bild vermittelt mehr als tau-
4 Er hat wichtige Funktionen in unserer Bezie- send Worte. Relevante oder gar brisante Themen
hung. Ich fände es gut und hilfreich, wenn das, sind durch eine solche Darstellung ohne zu viel
was er braucht einen festen Platz in unserer Be- Schärfe und Kontrastwirkung schnell offen gelegt.
ziehung hätte. Darf ich Sie mit dem Stichwort
»Kellergeist« gelegentlich daran erinnern? Bitte Vorbereitung
beobachten Sie sich darauf hin auch in den Be- 4 »Manchmal ist es hilfreich, Beziehungen zu ei-
ziehungen Ihres Alltags.« ner bestimmten Person durch eine Aufstellung
7.6 · Therapeutische Beziehung
193 7
im Raum darzustellen. So kann man einen ge- Eine neue Perspektive (fakultativ)
fühlten oder auch gewünschten Abstand zu 4 »Wie geht es Ihnen, nachdem wir unsere Dar-
dieser Person durch Einnehmen einer räum- stellung besprochen haben?«
lichen Distanz darstellen. Empfundene Überle- 4 Der Therapeut ergänzt dies durch Mitteilung
genheit oder Unterlegenheit kann durch Ein- eigener Wahrnehmungen und Gefühle. »In
nehmen einer erhöhten bzw. erniedrigten Posi- welcher Weise würden Sie diese Darstellung ab-
tion im Vergleich zu jener Person dargestellt ändern, so dass Sie sich jetzt gut damit fühlen?
werden. Die Darstellung ist oft eine Moment- Beginnen Sie mit Ihrer eigenen Positionierung
aufnahme, in ein paar Stunden kann sie sich und geben Sie mir daran anschließend Anwei-
schon wieder verändert haben.« sungen zur Änderung meiner Position.
4 Was also soll meine Rolle und was soll Ihre Rol-
Darstellen der therapeutischen Beziehung im Raum le momentan in unserer Beziehung sein, damit
4 »Lassen Sie uns einen Blick auf unsere Bezie- es Ihnen besser mit uns beiden geht? Was brau-
hung werfen. Wo soll ich mich hinstellen in Be- chen Sie von mir, damit Sie sich besser mit mir
zug auf Ihre Position, damit der von Ihnen ge- fühlen?«
fühlte oder gewünschte momentane Abstand
zwischen uns stimmt? Nehmen Sie sich Zeit Ergänzung
und überprüfen Sie das Ganze nochmals. 4 »Kann man aus dieser Darstellung etwas für
4 Als nächstes nehmen wir noch die andere andere Situationen ableiten?
Raumdimension dazu, nämlich die Vertikale. 4 Was brauchen Sie von mir, wenn wir mal unter-
Ihre Aufgabe besteht nun darin, mich in der schiedlicher Meinung sein sollten?
Vertikalen so zu positionieren, dass eine ge- 4 Lässt sich dies vielleicht auch auf verschiedene
fühlte Größendifferenz zwischen uns zum Aus- Alltagssituationen anwenden? Auf welche?«
druck kommt. Wenn Sie zum Ausdruck brin- 4 Eine solche Arbeit verändert die Beziehung
gen wollen, dass eine gefühlte Größendifferenz und bringt gleichzeitig wieder Bewegung in die
nicht zwischen uns besteht, dann können wir therapeutische Arbeit.
einfach so stehen bleiben. Sie können aber
Stühle, Bänkchen, Kissen oder Bücher benut-
zen, um sich selbst oder auch mich größer zu 7.6.5 Auf den Punkt gebracht!
machen. Sie können aber auch mich oder sich Ein Schema der Selbstreflexion
selbst noch kleiner machen durch Knien, Hin- für Therapeuten
setzen oder Hinlegen.
4 Bitte beschreiben Sie kurz, wie Sie sich dabei Die eben dargestellte Arbeitsweise setzt ein größe-
fühlen.« res Maß an therapeutischer Erfahrung voraus, da-
mit ein günstiger Verlauf entstehen kann. Manch-
Bestimmen der Gründe für den Zustand der Bezie- mal setzt eine problematische Interaktion eine fun-
hung dierte Selbstreflexion des Therapeuten voraus, be-
4 »Lassen Sie uns noch einen Moment in dieser vor eine spezielle Intervention platziert werden
Position verharren und dieses Bild als eine Mo- kann. Die affektive Beziehung und das Zielerrei-
mentaufnahme unserer Beziehung ernst neh- chungsbündnis können durch die momentane Mo-
men. Wie sind diese gefühlten Abstände (hori- tivationslage des Therapeuten belastet sein, d. h.,
zontal und vertikal) wohl entstanden? seine Person ist irgendwie mit der eigenen Überle-
4 Welchen Anteil habe ich als Therapeut daran, bensstrategie in das Geschehen verstrickt. Auch
welchen Anteil haben Sie daran, dass wir so zu- Therapeuten haben Bedürfnisse und es kann pas-
einander stehen? sieren, dass sie sehr empfindlich darin von ihren
4 Was genau ist passiert, so dass es zu dieser An- Patienten frustriert werden. Wird dies nicht recht-
ordnung kommen konnte?« zeitig registriert, so entsteht daraus eine Eskala-
tionsdynamik (Sulz, 2007).
194 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

Hier wird deutlich, dass durch gegenseitige Fallbeispiel


Frustration zentraler Bedürfnisse jeweils Wut aus- Die Therapie mit einer 35-jährigen Patientin stagniert
gelöst wird. Diese wirkt auf das Gegenüber bedroh- seit einiger Zeit und steht gerade kurz vor dem Ab-
lich und löst bei den Beteiligten jeweils Angst aus, bruch. Im zähen Stundenverlauf wirkt die Patientin
z. B. vor Entwertung. Dies bereitet einen Rückzug immer verschlossener und berichtet, dass sie mo-
aus der Interaktion vor, wobei sich dann jeder für mentan eigentlich keine Zeit für eine Verhaltensthe-
sich mit den bestimmenden Persönlichkeitszügen rapie hätte. Im Grunde würde es ihr nicht nur in der
und der Überlebensstrategie einrichtet und mehr Arbeit, sondern auch im Privatbereich sehr viel besser
oder weniger verschanzt. Jeder Interaktionspartner gehen. »Vielleicht brauche ich ja gar keine Therapie
befindet sich dann wieder in seinem inneren mehr«, merkt sie an. Die Therapeutin ist zunächst ver-
Gleichgewicht, das ja eben durch die jeweilige blüfft und meint, sie habe sich verhört: »Wie kann das
Überlebensstrategie gewährleistet wird. Die Chan- sein angesichts der höchst kritischen Ausgangslage,
ce für eine neue interaktionelle Erfahrung ist somit in der ich die Patientin kennen gelernt habe?« Auf-
leider vertan. Um dieser Dynamik auf den Grund grund dieser Ausgangssituation hatte sie sich stark in
zu gehen, benutzen Therapeuten am besten das fol- ihrer Helferinnenrolle gefordert gefühlt und mit
7 gende Schema, das sich aus der obigen Darstellung großem Eifer einen differenzierten Behandlungsplan
von Sulz (2007) herleitet (. Abb. 7.6). entwickelt, den sie nun umzusetzen gedachte. Dabei
In . Abb. 7.6 sind drei wesentliche Elemente hatte sie nicht das zentrale Bedürfnis der Patientin
der betreffenden Überlebensstrategien aufgenom- nach Steuerung und Kontrolle bedacht.
men worden. Als erstes fragt sich die Therapeutin, Es gehörte zum Überlebensprinzip der Patientin,
welches Bedürfnis der Patientin von ihr, der Thera- die Fäden in der Hand zu behalten. Mit ihrer positiven
peutin, wohl befriedigt werden soll. Die Überle- Intention frustrierte die Therapeutin das zentrale
bensstrategie der Patientin liefert dazu schon wich- Bedürfnis der Patientin. Die autonomieorientierte
tige Informationen. Gleichzeitig fragt sie sich selbst, Patientin ließ die Therapeutin »auflaufen«. Deren
welches Bedürfnis sie wohl von der Patientin be- Rückzug verbunden mit der Tendenz zur Abwertung
friedigt haben möchte. Auch hier kann die Überle- frustrierte wiederum das zentrale Bedürfnis der The-
bensstrategie der Therapeutin zielführende Infor- rapeutin nach Anerkennung, was diese angesichts
mationen liefern. Die nächsten beiden Zeilen ste- ihres Engagements massiv ärgert. Sie merkte nicht,
hen für den Verbotssatz in der Überlebensstrategie dass sie aufgrund ihres Ärgers zunehmend dirigis-
(... und wenn ich niemals). Damit sind verbotene tisch auf die Patientin einwirkte. Das aber war genau
Impulse und Gefühle angesprochen. Da wir hier das Verhalten, wodurch sich die Patientin noch mehr
hauptsächlich die gegenseitige Bedürfnisfrustra- eingeengt fühlt.
tion im Auge haben, fragen wir nach Wut und Die Aussicht auf Befriedigung der überlebensnot-
Ärger. wendigen autonomieorientierten Bedürfnisse schien
Solche Gefühle nehmen Therapeuten in vielen nun auch in der Beziehung, die eigentlich als helfend
Fällen bewusst bei sich wahr, sind sich aber oft und unterstützend erhofft war, bedroht zu sein. Sie
nicht gleich im Klaren darüber, dass die Ursache reagierte mit panischer Angst. Die Intensität dieser
dafür in einer Frustration liegen könnte. Vorhin Reaktion erschreckte wiederum die Therapeutin, die
hatten wir schon erwähnt, dass Wut oder Ärger des nun fürchtete, professionell versagt zu haben.
Patienten durchaus Angst bei Therapeuten auslö-
sen kann, wenn sie spüren, dass sehr spitze Pfeile Was ist die Lösung dieses Dilemmas? Wie in . Abb.
auf ihre empfindsame Seite abgeschossen werden. 7.6 verdeutlicht, startet die Eskalationsdynamik mit
Umgekehrt gilt freilich das Gleiche für die Person der Frustration zentraler Bedürfnisse. Aufgabe der
des Patienten. Deshalb fragen wir nach der Angst, Therapeutin ist es, der Patientin in ihrem Bedürfnis
die die Therapeutin beim Patienten womöglich nach Autonomie entgegenzukommen.
auslöst, aber auch nach der Angst, die der Patient Es kann schon sehr aufschlussreich sein, wenn
bei der Therapeutin auslöst. man für sich allein dieses Schema durcharbeitet.
7.6 · Therapeutische Beziehung
195 7

. Abb. 7.6 Schema für die Reflexion schwieriger Interaktionssituationen in der Therapie. Adaptiert nach Sulz (2007)

Ideal geeignet ist es jedoch als Grundlage für Fall-


besprechungen in Intervision und Supervision. enten eingeht. Durch einen einfühlsamen Umgang
mit den Bedürfnissen des Patienten kann dieser
mehr und mehr eine Ahnung davon entwickeln,
7.6.6 Psychologisches Alter, was eine sichere Basis ist.
Entwicklung von Selbstbild und Bei schwerer gestörten Patienten steht dies als
Identität in der therapeutischen eine Form der Nachbeelterung oft im Vordergrund.
Zusammenarbeit Hiermit würde in einigen Aspekten die sog. primä-
re Bindung, d. h. die Bindung des Kindes an die
Frühe Interaktionserfahrungen lassen innere Mo- Herkunftsfamilie und insbesondere die Mutter,
delle über das Selbst im Umgang mit anderen und nachgeholt werden.
dementsprechende Überlebensstrategien entste- Von der primären Bindung grenzt Bischof
hen. Die bisherigen Übungen dieses Kapitels zielten (2008) qualitativ noch die sekundäre Bindung ab,
darauf ab, durch die Arbeit mit der therapeutischen die sich auf Personen außerhalb der Familie, also
Beziehung dysfunktionales Beziehungsverhalten auf ursprünglich Fremde bezieht. Dies können et-
bewusst zu machen und zu verändern. Therapeuten wa Mitglieder von Gleichaltrigengruppen und spä-
haben dabei zunächst die Rolle schutzspendender tere Geschlechtspartner sein. Hier sind andere For-
und wohlwollender Bezugspersonen inne. Wieder- men des Beziehungsverhaltens zwecks Bedürfnis-
holte korrigierende Neuerfahrungen in der thera- befriedigung notwendig, weiterhin verändern sich
peutischen Beziehung sollen dabei helfen, die Wir- auch mit der Entwicklung die Bedürfnisse in ihrer
kung funktionaler Beziehungen für die Bedürfnis- Qualität. Dies ist auch in . Tab. 7.4 nachvollzieh-
befriedigung unmittelbar erlebbar werden zu las- bar.
sen. Natürlich sollte der therapeutische Rahmen Es ist außerordentlich hilfreich, wenn Thera-
einen geschützten Raum bieten, in dem der Thera- peuten immer wieder versuchen, das psycholo-
peut mit Wohlwollen und Empathie auf den Pati- gische Alter ihrer Patienten einzuschätzen. Oft
196 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

. Tab. 7.4 Beziehungsentwicklung und Bedürfnisbefriedigung. (Aus: Sulz, 2002). Mit freundlicher Genehmigung von
CIP-Medien

Bedürfnis Beziehungsentwicklung Thema

Willkommen sein, dazugehören, Geborgenheit, Wärme, Schutz Bindung Zugehörigkeit


Sicherheit, Zuverlässigkeit

Liebe, Zuneigung, Beachtung, Aufmerksamkeit, Empathie, Verständnis, Selbstwert Beziehung


Wertschätzung

Selbst machen, selbst können, Selbstbestimmung, Freiraum, Grenzen Autonomie Selbst


gesetzt bekommen

Gefordert und gefördert werden, ein Vorbild, ein Ideal haben, Intimität, Identität Differenzie-
Hingabe, Erotik, ein Gegenüber haben zur Auseinandersetzung rung

7
führt dies zu einem befreienden »Aha-Effekt«, da schiedliche Phasen in der Therapie. Gleichzeitig
dann unmittelbar klar wird, dass eine bestimmte ordnet er diesen Phasen vorherrschende Bedürf-
Intervention nicht greifen konnte. Eine Patientin, nisse und Beziehungsqualitäten zu:
die psychologisch meist zur Gruppe der Achtjähri-
gen zählt, hat andere Bedürfnisse und braucht zum Vorbereitung
Erlernen einer funktionalen Bedürfnisbefriedigung 4 »Von Zeit zu Zeit kann es wichtig sein, eine Art
eine anders geartete therapeutische Beziehung als Bilanz in der Therapie zu ziehen. Wir blicken ja
eine Patientin, deren psychologisches Alter etwa inzwischen auf eine Therapiedauer von ... Mo-
der Pubertät zugerechnet werden kann. Dement- naten zurück, in der wir aus meiner Sicht inten-
sprechend liefert die Darstellung von Sulz (2002) siv zusammengearbeitet haben.
differenzierte Informationen dazu, wie die zu ge- 4 Damit Sie prüfen können, ob wir uns mit un-
staltende Beziehung thematisch ausgerichtet wer- serer Zusammenarbeit in die von Ihnen ge-
den muss, damit eine funktionale Bedürfnisbefrie- wünschte Richtung bewegen, möchte ich Ihnen
digung in der Therapie überhaupt passieren kann. etwas vorschlagen.«
Es wird auch deutlich, dass Therapeuten je nach
Stand der Beziehungsentwicklung als Gegenüber Durchführung
einer Person im psychologischen Alter einer Acht- 4 »Bitte stellen Sie eine Stimmungskurve dar. Zu
jährigen eine andere Rolle einnehmen müssen als bestimmten Zeiten in der Therapie war Ihre
gegenüber einer Person, die sich psychologisch in Stimmung vermutlich positiver (+), in anderen
der Adoleszenz befindet. Sulz (1994, 2001) hat hier- Abschnitten eher negativer (–). Versuchen Sie
zu die entwicklungspsychologischen Details aus- den bisherigen Therapieablauf in Phasen ein-
führlich in Anlehnung an die Stufenmodelle von zuteilen. Finden Sie eine Überschrift für diese
Piaget und Inhelder (1981) und Kegan (1986) be- Phasen. Was passierte hier? Was war Ihr Selbst-
schrieben. Diese können dort vertieft werden. bild in der jeweiligen Phase; was für ein Mensch
Die angesprochenen Themen klingen auch in waren Sie hier? Was brauchten Sie hier ganz be-
der folgenden Übung an, denn Therapiephasen sonders dringend (was waren Ihre Bedürf-
sind oft auch mit Entwicklungsphasen gleichzuset- nisse)? Wie war Ihr Leben, wie waren Ihre Be-
zen. Es handelt sich dabei um eine Bilanzübung, ziehungen hier?
die sich immer dann anbietet, wenn die Therapie 4 Wie haben Sie in der jeweiligen Phase unsere
etwas richtungslos vor sich hindümpelt oder wenn Zusammenarbeit erlebt? Versuchen Sie auch
der Abschluss der Therapie bevorsteht. Mit der ge- ein Bild dafür zu finden.
stellten Aufgabe identifiziert der Patient unter- 4 Was war jeweils die Rolle des Therapeuten?
7.7 · Behaviorale Therapie
197 7
4 Was passierte beim Übergang von einer Phase sätze zu fassen, die dann ohnehin nicht umgesetzt
zur nächsten mit Ihnen? Wodurch wurde dieser werden. Letztlich wird sich das erwünschte Thera-
Übergang bewirkt? Was genau veränderte sich pieergebnis nicht einstellen und man kann bilan-
beim Übergang von einer Phase zur nächsten? zieren: »Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen
Welche Rolle spielte unsere Beziehung dabei?« gepflastert!«
4 Für die Besprechung der Darstellung sollte eine Ein weiterer Grund für mangelnde Umsetzung
Therapiestunde investiert werden. kann darin bestehen, dass Patienten während der
Umsetzung mit Eigenschaften oder Seiten ihrer
Gemeinsame Auswertung Persönlichkeit in Kontakt kommen, die sie absolut
4 »Bitte beschreiben und erklären Sie Ihre Dar- nicht mögen, z. B. wenn sie sich klein oder be-
stellung. Was ist Ihnen aufgefallen? Was ist Ihre schämt fühlen. Hier muss also nochmals die Ak-
Bilanz, wo stehen Sie heute? zeptanzarbeit vertieft werden. Erst dann ist der
Weg über den Rubikon wirklich vollziehbar.
Zielsetzung
4 »Wo wollen Sie nun hin, was wollen Sie errei-
chen und wie kann ich Sie dabei am besten un- 7.7.1 Patienten sollen lernen,
terstützen? ihrer Erfahrung zu vertrauen
4 Was soll Ihr nächster Schritt sein?«
Kernannahme klassischer kognitiver Verhaltens-
Mit Hilfe dieser Arbeit erwerben unsere Patienten therapie ist, dass klinisch relevante Störungen mit
zunächst ein Gefühl für das Erreichte bzw. das dysfunktionalen Kognitionen, z. B. kognitiven Ver-
Nichterreichte. Gleichzeitig können wichtige Ursa- zerrungen, einhergehen. Davon ausgehend wird
chen dafür festgemacht werden. Können bestimmte der kognitiven Verhaltenstherapie die Aufgabe zu-
Bedürfnisse noch nicht recht befriedigt werden? geordnet, diese dysfunktionalen Strukturen zu eli-
Fehlt in bestimmten Themenbereichen eine noch minieren bzw. zumindest zu reduzieren. Diese be-
gezieltere therapeutische Unterstützung? Welche währte Tradition findet sich auch in SBT wieder.
Beziehungsfertigkeiten braucht man zur Befriedi- Im Vordergrund steht dabei aber nicht die Än-
gung bestimmter Bedürfnisse? Kann noch keine derung kognitiver Inhalte. Dieser Standpunkt wird
greifbare Vorstellung einer neuen Rolle entwickelt ebenso von den Verhaltenstherapien der dritten
werden? Lassen sich gefühltes Selbstbild bzw. Iden- Welle vertreten. Darüber hinaus haben wir dies mit
tität noch nicht ausreichend versprachlichen, so dem aktuellen Verständnis von Kognition als »em-
dass sie auch handlungsleitend sein können? Dane- bodied cognition« begründet. Stattdessen setzt SBT
ben sollte unbedingt ausführlich auf das Erreichte auf das Praktizieren adaptiveren Verhaltens der Be-
und die Wertschätzung für das Geleistete sowie auf dürfnisbefriedigung.
die Bedeutung von Beziehung eingegangen werden. Es wird also nicht versucht, von vornherein be-
stimmte Denkweisen zu korrigieren, um damit
vielleicht Barrieren für bislang vermiedene Hand-
7.7 Behaviorale Therapie lungen zu senken. So etwa, indem man sich auf ra-
tionalem Wege zunächst klar macht, dass eine be-
Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom stimmte Annahme (z. B. die Einschätzung der
schwimmen. (I Ging – Buch der Wandlungen) Wahrscheinlichkeit einer negativen Bewertung,
eines bevorstehenden Herzinfarkts usw.) nicht zu-
Die Bahnung alternativer Verhaltensweisen kann treffend sein kann. Stattdessen wird versucht, durch
nur dann zuverlässig und dauerhaft erfolgen, wenn die Entwicklung von Veränderungsprojekten ver-
die gewonnenen Einsichten auch durch konkretes bunden mit der Unterstützung zu konkretem Han-
Handeln umgesetzt werden. Wenn Patienten dabei deln korrigierende Erfahrungen zu vermitteln. Das
nicht unterstützt werden, dann könnte es sein, dass Augenmerk liegt dabei auf der Entwicklung und
sie sich zu sehr daran gewöhnen, immer nur Vor- Erprobung von Verhaltensalternativen, die in Hin-
198 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

blick auf die Bedürfnisbefriedigung adaptiver sind. nochmals die Mühe seines rigiden Festhaltens
Dies geschieht durch behaviorale Therapie, durch spürbar wird und er sich schließlich für die günsti-
das Planen, Ermutigen und Ermöglichen neuer Er- gen Erfahrungen mit seiner neuen Lebensstrategie
fahrungen. Dabei werden Patienten immer wieder öffnen kann, wird die folgende Übung angeboten:
dazu angehalten, diese Erfahrungen für sich auszu-
werten und deren Validität für den Alltag bzw. ihr jSich Raum geben – den Griff
Leben zu bewerten. der Überlebensstrategie lockern
Behaviorale Therapie ist hier darauf ausgerich- Vorbereitung
tet, dass Patienten ihre Überlebensstrategie über- 4 »Wir haben nun eine wichtige Station in Ihrer
prüfen bzw. falsifizieren. Das Überprüfen der Therapie erreicht. Sie haben Ihre Überlebens-
Überlebensstrategie passiert durch praktisches strategie ausformuliert und deren Wirksamkeit
Handeln, auf das die Patienten mit diesem Modul in Ihrem Alltag beobachtet. Gleichzeitig konn-
vorbereitet werden. Seine Herangehensweise ist da- ten Sie feststellen, wie viel Anstrengung mit
bei durch eine achtsame Haltung gekennzeichnet: dem Einhalten der Überlebensstrategie verbun-
»Gehe trotz aller Hindernisse und schwierigen Ge- den ist.«
7 fühle achtsam in die von dir gewünschte Richtung!
Mach es trotzdem!« Wertschätzung für die Überlebensstrategie
4 »Ich möchte Sie jetzt zu einer kurzen Rück-
schau einladen. Markieren Sie bitte dafür mit
7.7.2 Von der Überlebensstrategie einem Gegenstand den Beginn Ihres Lebens;
zur Lebensstrategie mit einem anderen den heutigen Tag. Diese
und den Zielbereichen Zeitachse umfasst Ihr Lebensalter. In Ihrer
Überlebensstrategie geht es ja um die Befriedi-
Die Strategie der Therapie ergibt sich aus der Über- gung wichtiger Bedürfnisse.
lebensstrategie. Behaviorale Therapie ist darauf 4 Wann tauchte dieses Thema zum ersten Mal
ausgerichtet, ihren Wahrheitsgehalt mit Hilfe kon- auf? Bitte nehmen Sie auf der Achse die Positi-
kreter Veränderungsprojekte zu überprüfen. Der on des entsprechenden Lebensalters ein. Wie
Wahrheitsgehalt wird daran gemessen, inwieweit fühlten Sie sich damals, in welcher Weise haben
aufgrund neuer Verhaltensweisen befürchtete Kon- Sie damals um Ihre Bedürfnisbefriedigung ge-
sequenzen eintreten oder nicht. Wichtig ist, darauf kämpft? Können Sie Ihr Bemühen, Ihre Kämpfe
zu achten, dass dabei nicht mal dieses und mal je- sehen und anerkennen?
nes ausprobiert wird. Um hier eine gewisse Belie- 4 Gehen Sie nun weiter zum nächsten Ereignis
bigkeit zu vermeiden, muss die Überprüfung des mit diesem Thema. Wie alt sind Sie hier? Kön-
Wahrheitsgehaltes systematisch passieren. nen Sie Ihr Bemühen, Ihre Kämpfe sehen und
Worin könnte eine geeignete Systematik beste- anerkennen? (Nacheinander werden weitere
hen? Sie besteht darin, dass Patienten gegen sämt- signifikante Punkte bis zum heutigen Tag ein-
liche Gebote und Verbote ihrer Überlebensstrate- genommen)
gie, so wie sie in den vier Zeilen ihrer Syntax zum 4 Sie sehen, Sie haben oft Ihr Bestes gegeben…«
Ausdruck kommen, verstoßen sollten. Um diese
Zielsetzungen jedoch positiv zu formulieren, wird Neue Perspektive
eine Lebensstrategie formuliert. Inhaltlich orien- 4 »Auf der Zeitachse sind Sie nun im Heute an-
tiert sie sich am Gegenteil der Überlebensstrategie. gelangt. Inzwischen ist viel passiert in Ihrem
Zuvor müssen sich Patienten dabei vollkommen Leben.
bewusst sein, worauf sie sich einlassen. Der an- 4 Wie stehen Sie nun zu Ihrer Überlebensstrategie
gepeilte Autonomiezuwachs entspricht aber ganz (Betrachten der vier Zeilen auf dem Flipchart)?
im Sinne unserer Embodimentperspektive einem Ist sie noch realistisch? Brauchen Sie sie noch in
Akt des »Raumnehmens«. Die Erlaubnis zur »Ex- dieser Form? Können Sie sich vorstellen, zu
pansion« muss sich der Patient erteilen. Damit überprüfen, inwieweit sie noch gültig ist?«
7.7 · Behaviorale Therapie
199 7
Lebensraum mit der Überlebensstrategie Einnehmen der Werthaltung
4 »Nehmen Sie dieses Seil (oder andere Gegen- 4 »Aktivieren Sie bitte die erarbeitete Werthal-
stände) und umschließen Sie damit ein Feld, tung, indem Sie die dazu passende Körperhal-
das Ihrem heutigen Leben mit der Überlebens- tung einnehmen.
strategie entspricht. Stellen Sie sich auf dieses 4 Beschreiben Sie kurz, was für ein Mensch Sie
Feld oder setzen Sie sich hinein. hier sind. Welches Bild gehört dazu?
4 Wie fühlt sich das an?« 4 Sprechen Sie in der passenden Stimmlage das
Motto aus, das Ihr Handeln leiten soll (Experi-
Gewähren und Erlauben mentieren und Nachjustieren, bis sich alles
4 »Können Sie sich vorstellen, sich etwas mehr richtig anfühlt).«
Raum zu geben? Wie groß wäre das Feld dann?
4 Umrahmen Sie ein weiteres Feld und stellen Auswahl einer Zeile
bzw. setzen Sie sich hinein. Wie ist das, wenn 4 »Werfen Sie in dieser Haltung einen Blick auf
Sie sich mehr Raum gestatten? Ihre Überlebensstrategie! Welche Zeile spricht
4 Bewegen Sie sich etwas und versuchen Sie auch Sie jetzt gerade besonders an? Treffen Sie bitte
eine Körperhaltung zu finden, die dazu passt!« eine Auswahl.
4 Lassen Sie uns den Satz gesondert auf ein Flip-
Werthaltung finden chartpapier schreiben.«
4 »Beschreiben Sie Ihr Gefühl etwas; was für ein
Mensch sind Sie hier in diesem erweiterten Le- Entwurf für eine Formulierung
bensraum? 4 »Aus Ihrer Haltung betrachtet: Wie könnte eine
4 Gibt es ein Bild, das zu diesem Gefühl passt? alternative Formulierung aussehen? Bitte den-
Eine Körperhaltung? ken Sie bei der Umformulierung vorerst noch
4 Welche Haltung brauchen Sie, um sich mehr nicht an mögliche Schwierigkeiten der Umset-
Platz zu genehmigen? zung. Um diese kümmern wir uns später!
4 Gibt es ein Motto, das Ihre Haltung dem neuen 4 Welche Handlungen sollen daraus resultieren?«
Leben gegenüber möglichst genau beschreibt?
Findet sich darin ein persönlicher Wert wie- Verkörperung der Formulierung
der?« 4 »Nehmen Sie Ihre Werthaltung ein (Körperhal-
tung, Bild, Motto).
Verankerung der Werthaltung: Dies geschieht 4 Spüren Sie nun den neuen Satz, während Sie
ganz analog der ressourcenorientierten Wertarbeit ihn denken, schmecken Sie ihn, sprechen Sie
ihn nun laut aus und bewegen Sie sich dabei in
jVon der Überlebensstrategie der dazu passenden Haltung.«
zur Lebensstrategie
Vorbereitung Kognitiv-affektive Probe
4 »Eben konnten Sie spüren, wie es ist, sich mehr 4 »Machen wir die Probe aufs Exempel. Lassen
Raum zu geben. Wir wollen nun konkreter Sie nun in Ihrer Vorstellung eine typische Pro-
werden und die Überlebensstrategie daraufhin blemsituation entstehen. Beschreiben Sie diese
anschauen, wie eine Lockerung derer Gebote kurz.
und Verbote aussehen kann, damit sich der Le- 4 Wie fühlen Sie sich in dieser Situation mit Ih-
bensraum aufweitet. rem neuen Satz?«
4 Dabei können Sie sich folgendermaßen orien-
tieren: Sie kommen zu mehr Flexibilität, wenn Abschließende Formulierung
Sie Ihre ursprüngliche Regel zunächst etwas lo- 4 »Kommen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit ganz
ckern, Sie sich also Abweichungen erlauben. Im zurück auf Ihre Werthaltung.
Extremfall würden Sie also vollständig dagegen 4 Achten Sie auf die passende Körperhaltung.
verstoßen!« Aus dieser Perspektive betrachtet... was ist Ihr
Eindruck?
200 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

4 Wollen Sie den Satz noch etwas verändern, so Vorbereitung


dass er besser mit dem eben empfundenen Le- 4 »Wir haben Ihre Lebensstrategie formuliert.
bensgefühl Ihrer Werthaltung übereinstimmt? Aus den vier Sätzen ergeben sich unmittelbar
Wie wollen Sie ihn abschließend formulieren? einige Ziele für Sie. Ich möchte Sie nun in der
4 Ja, Sie haben sich mehr Raum erlaubt (gewährt, Verwirklichung dieser Ziele unterstützen.
gestattet, Beschränkungen aufgeweicht, ...) so 4 Wir können sehr zuversichtlich sein, dass diese
dass ein anderes Lebensgefühl entsteht. Wir Umsetzung gelingen wird, wenn wir diese Pha-
sprechen im Zusammenhang mit der Umfor- se gut vorbereiten.
mulierung deshalb auch von der ›Lebensstrate- 4 Ich werde Sie nun in Hinblick auf einige Rah-
gie‹.« menbedingungen beraten, so dass dieses Ver-
änderungsprojekt auch erfolgreich sein kann.«
Anleitung für weitere Umformulierungen Das Wei-
tere ist ganz analog zum bisherigen Vorgehen. Die Zielauswahl
neuen Formulierungen werden schließlich zur 4 »Werfen Sie doch nochmals einen Blick auf die
vierzeiligen Lebensstrategie zusammengeführt Liste Ihrer Ziele. Welches springt Sie an? Wel-
7 (. Tab. 7.5). ches würden Sie gerne als erstes umsetzen?
Bei der Erarbeitung der Lebensregel ist sehr auf
die Atmosphäre zu achten. Freude, Begeisterung Zielformulierung
und Aufbruchsstimmung sowie die dazugehörigen 4 »Im nächsten Schritt geht es darum, das Ziel so
somatischen Marker sind klare Indikatoren für ein in Worte zu fassen, dass es durch Sie auch um-
Gelingen dieser Arbeitsschritte (vgl. auch Storch & gesetzt werden kann. Es hat sich bewährt, auf
Krause, 2002). Sollte dies ausbleiben, so muss das die folgenden Merkmale eines ›guten Ziels zu
auf jeden Fall zum Thema gemacht werden. Meist achten‹:
liegt es daran, dass sich Klienten innerlich doch 4 Formulieren Sie das Ziel positiv (Nicht:
schon zu stark mit möglichen Schwierigkeiten oder »Ich will nicht mehr den Ärger für mich
Hindernissen, die mit der Veränderung des Verhal- behalten, wenn ich meinem Kollegen
tens einhergehen könnten, auseinandersetzen. Sie begegne.« Sondern: »Ich werde ein
sollten erst einmal zurückgestellt werden. Gespräch mit meinem Kollegen suchen
und dort meinen Ärger ansprechen«):
»… Was wäre Ihnen hier ganz wichtig?...
7.7.3 Wirksame Handlungsziele Was wünschen Sie sich hier besonders?...
entwickeln Was wäre hier für Sie ein wünschenswerter
Zustand?...Woran liegt Ihnen in dieser
Handlungsziele sollten so formuliert sein, dass Pa- Situation ganz besonders?...
tienten auch ein entsprechendes Annäherungsver- 4 Die Zielerreichung muss zu 100% durch
halten aktivieren wollen. Nach Storch & Krause Sie selbst kontrollierbar sein (Nicht: »Ich
(2002) ist dabei auf die folgenden drei Merkmale zu möchte, dass mich meine Partnerin für
achten: meine Bemühungen bei der
1. Ziele sind als Annäherungsziele zu formulie- Freizeitplanung mehr lobt.« Sondern: »Ich
ren, nicht etwa als Vermeidungsziele. äußere meine Besorgnis über die
2. Ziele sollten vollständig unter der Kontrolle des Stimmung zwischen uns in der Freizeit«):
Patienten stehen. »… Wie können Sie selbst dazu beitragen,
3. Ziele sollten positiv motivieren. dass … eintritt? Wie können Sie das Ziel
für sich formulieren, sodass seine
Um das Kontrollgefühl des Patienten zusätzlich zu Erreichung größtenteils in Ihrer Macht
stärken, wird auch gleich die Möglichkeit von Teil- liegt?«
zielen ins Spiel gebracht.
7.7 · Behaviorale Therapie
201 7

. Tab. 7.5 Beispiel für eine Lebensstrategie und daraus abgeleiteten Zielbereichen

Überlebensstrategie Lebensstrategie Zielbereiche

Nur wenn ich immer auf die Ich will auch manchmal die Klären: Welche Menschen sind wirklich
Bedürfnisse der mir wichtigen Bedürftigkeit mir wichtiger wichtig für mich. Nähe und Distanz
Menschen achte, für sie stets Menschen aushalten und gezielt steuern können. Überforderung in einer
verfügbar bin und aktiv ihre Zeit für mich alleine einplanen... Beziehung ansprechen können
Interessen unterstütze...

und wenn ich niemals Ärger und ich will öfter Ärger zeigen und Ärger wahrnehmen, zeigen und Grenzen
zeige und eigene Bedürfnisse zu eigene Bedürfnisse aussprechen... setzen können
sehr betone... Eigene Bedürfnisse wahrnehmen,
benennen und ansprechen können
Gegenwind aushalten lernen

dann bewahre ich mir bewahre mir trotzdem ausrei- Ausprobieren: Wie viel Geborgenheit und
Geborgenheit, finanzielle chend Sicherheit, finde einen Sicherheit brauche ich von anderen
Sicherheit und Schutz... Zusatzjob und weitere Kontakte... tatsächlich? Rituale der Selbstfürsorge
entwickeln. Klären meines beruflichen
Profils. Aufbau eines berufsbezogenen
Netzwerkes

und verhindere, dass ich und halte aus, auch manchmal Regelmäßig Zeit allein in meiner
verlassen werde und untergehe. allein zu sein und die Angst, Wohnung verbringen. Für mich alleine
unterzugehen. freie Zeit gestalten, z. B. verreisen

4 Das Ziel muss Sie spürbar motivieren 4 Wichtig ist die Annäherung an den Soll-Zu-
(somatische Marker von Erleichterung, stand. Es geht nicht so sehr darum, dass Sie das
Freude, Neugier): »… Was würde dabei Ziel gleich zu 100% erreichen. Viel wichtiger
Ihre Ausdauer und Geduld besonders ist, dass Sie einen ersten Schritt in die von Ih-
belohnen?… Wie könnten sich dabei Spaß nen gewünschte Richtung machen. Sie werden
und Freude einstellen?…« dadurch ein besseres Gefühl für den Weg be-
kommen.
Teilziele 4 Deshalb ist es wichtig, dass Sie sich nicht über-
4 »Markieren Sie bitte mit einem Gegenstand die fordern. In der Verhaltenstherapie ist es daher
Situation, in der Sie sich heute, vor der Zielrea- üblich, das Ziel in Teilziele zu zerlegen.
lisierung, befinden (Ist-Wert). 4 Überlegen Sie bitte, welches Teilziel in Frage
4 In passender Entfernung davon legen Sie bitte kommt, wenn Sie die Barriere so klein machen,
einen Gegenstand aus, der für die Zukunft dass Sie diese auf jeden Fall noch bewältigen
steht, in der Sie Ihr Ziel verwirklicht haben können! Wählen Sie dafür einen anderen Ge-
werden (Soll-Wert). genstand aus. Wie hoch ist die Barriere jetzt im
4 Wählen Sie nun noch einen Gegenstand aus, Vergleich (in %) zur bisherigen Barriere?
der die Barriere zwischen Ist- und Soll-Wert 4 Welches Teilziel passt wohl zu diesem Schwie-
darstellt. Die Barriere soll für die Schwierig- rigkeitsgrad?
keiten stehen, die Sie momentan bei der Umset- 4 Lassen Sie uns weitere Teilziele auflisten!«
zung vermuten.
4 Beschreiben Sie kurz die Barriere. Wie hoch ist Zielrealisierung demonstrieren
sie? 4 »Können Sie hier und jetzt schon etwas tun,
was in die Richtung des Ziels geht?«
202 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

7.7.4 Haltung entwickeln, Hausaufgabe


Abschied nehmen 4 »Bitte aktivieren Sie täglich Ihre Werthaltung
und das Werterleben.
jAuswahl eines Haltungsziels 4 Achten Sie bitte auch darauf, wie gut das zu
Wie bei den Ausführungen zur Zielhierarchie in Ihrer Zielsetzung passt.«
7 Kap. 2 gezeigt, sind übergeordnete, abstraktere
Soll-Werte stärker mit Identität, Selbstbild und jAufbruch
Werthaltung der Person verknüpft. Sie liefern eine Lösen aus dem Bezugsrahmen des Ist-Zustandes.
Art innere Begründung dafür, warum eine Person Ziele, die sich aus der Überlebensstrategie bzw.
etwas tut. Darüber hinaus wird das Commitment, korrespondierend aus der Lebensstrategie ergeben,
das zu einem Haltungsziel besteht, auch auf un- sind mehr oder weniger mit einem Vorstoß auf
tergeordnete Ziele der Zielpyramide, also auch neues, vielleicht sogar völlig unbekanntes Gelände
auf Handlungsziele übertragen. Bevor mit der verbunden. Dazu ist ein gewisses Maß an Willens-
Verwirklichung eines Handlungsziels begonnen kraft und Selbstkontrolle, Volition, erforderlich. So
wird, ist es daher wichtig, ein Haltungsziel anzure- setzt der Wunsch nach mehr Eigenständigkeit in
7 gen, das die Verwirklichung eines Therapieziels der Partnerschaft voraus, dass die Person eigene
(= Handlungsziel) steuern kann. Patienten werden Bedürfnisse besser wahrnimmt, umsetzt und dies
deshalb im ersten Schritt zur Entwicklung eines auch gegenüber der Partnerin vertritt, sich ausein-
Haltungsziels angeregt, dem sie sich gerne verbin- andersetzt, nicht immer um des lieben Friedens
den. Dies wird durch unsere ressourcenorientierte willen klein beigibt, Fehlschläge in Kauf nimmt
Arbeit mit persönlichen Werten sichergestellt. usw.
Damit begibt sie sich auf dem Weg zum Soll-
Vorbereitung Zustand eindeutig aus der Komfortzone. Es wird
4 »Bevor Sie Ihr Ziel verwirklichen, müssen wir windig und stürmisch und plötzlich muss die Per-
noch sicherstellen, dass Sie für den Weg gut ge- son zu neuartigen Qualitäten nicht nur in der
stärkt sind. Selbstregulation, sondern auch in der Interaktion
4 Wir haben ja schon öfter auf Ihren Wertepool finden. Das ist nach dem alten Schema, also mit der
zurückgegriffen, damit Sie sich die stärkende Überlebensstrategie, nicht zu machen. Der Versuch
Wirkung Ihrer Werte zunutze machen konn- dies doch zu tun, wird als assimilatives Bewälti-
ten.« gungsverhalten bezeichnet. Dabei wird versucht,
die persönlichen Maßstäbe, Welt- und Selbstbilder
Auswahl eines geeigneten Wertes im Ist-Zustand beizubehalten. Der Schwerpunkt
4 »Ein Wert vermittelt eine bestimmte Haltung der Aktivitäten liegt dann eher beim Ausharren.
(dies wird mit Hilfe eines Wertes aus dem Pool Der alte Zustand (Ist-Zustand) wird somit beibe-
erklärt). Diese Haltung kann entscheidend für halten. Das Verlassen eines Ist-Werts bedeutet auch
das Durchstehen schwieriger Phasen sein. Sie eine Ablösung von einem Feld relativ beständiger
spüren dann, warum Sie das tun, was Sie tun. verstärkender Bedingungen, eben der Komfort-
4 Welche Haltung brauchen Sie, um das ausge- zone. Auf diesen Aspekt muss die Aufmerksamkeit
wählte Ziel anzupacken? Welchem Wert wollen gelenkt werden, die Person muss sich bewusst die-
Sie dabei folgen?« sem Einschnitt stellen und ihr Handeln gegen et-
waige Versuchungen abschirmen. Dieser wichtige
Verankerung volitional gesteuerte Schritt wird in eine Reiseme-
4 »Nun müssen wir dafür sorgen, dass Sie dieses tapher gekleidet:
Werterleben jederzeit aktivieren können… Es
soll Ihnen auf Ihrem Weg ständig verfügbar Vorbereitung
sein.« 4 »Sie haben sich für die Verwirklichung eines
Zieles entschieden, ebenso für eine Werthal-
tung, die Sie dabei stärken soll.
7.7 · Behaviorale Therapie
203 7
4 Bitte markieren Sie mit Hilfe von zwei Gegen- Der Reisende
ständen Ihre momentane Situation, den Ist-Zu- 4 »Ihr Reisegepäck ist nun bereit. Wie fühlen Sie
stand und Ihr Ziel, den Soll-Zustand.« sich als Reisender?
4 Gibt es einen Unterschied zu Ihrem Ist-Zu-
Die Reise stand?«
4 »Der Weg vom Ist- zum Soll-Zustand hat etwas
von einer Reise. Wenn Sie dabei aber zu sehr
beladen sind, dann werden Sie unbeweglich 7.7.5 Zielrealisierung
und Ihre Reise wird u. U. zu beschwerlich. Sie
sollten aber etwas mitnehmen, das für Sie in Wenn es um die Umsetzung der ersten Ziele geht,
der Zukunft auch nützlich ist. dann haben die Patienten bereits intensive Erfah-
4 Mit dieser Entscheidung wollen wir uns nun rungen mit ihrer Überlebensstrategie gesammelt.
befassen!« Mit diesem Erfahrungsraum werden sie mehr und
mehr Experten für sich selbst. Die Position, die
Einnehmen der Position im Ist-Zustand Therapeuten in dieser Phase einnehmen, ist jetzt
4 »Was für ein Mensch sind Sie hier? Was brau- verstärkt die eines Coaches. Er steht mit seinem Ex-
chen Sie hier? Was ist Ihnen hier wichtig? pertenwissen zur Verfügung, hinterfragt und regt
4 Schreiben Sie jeden Aspekt auf ein Kärtchen zur Reflexion an. In dieser Rolle unterstützt er ins-
und ordnen Sie diese nach Wichtigkeit an: an besondere die Planung von Veränderungspro-
erster Stelle steht also das für Sie Wichtigste jekten. Das Planen neuer Verhaltensweisen für den
usw.« Umgang mit herausfordernden Situationen hat in
SBT einen hohen Stellenwert. Auf empirischem
Entscheiden Wege konnte nämlich gezeigt werden, dass geeig-
4 »Nehmen Sie Ihre Werthaltung ein (Körperhal- nete Verhaltenspläne ganz entscheidend zu einer
tung, Bild, Motto, Stimme etc.), in der Sie den erfolgreichen Zielrealisierung beitragen (Gollwit-
Ist-Zustand verlassen wollen, um zum Ziel zu zer & Oettingen, 2011).
gelangen. Im ersten Schritt muss sich der Patient Gedan-
4 Stellen Sie sich vor, Sie stehen kurz vor dem ken darüber machen, welche Verhaltensweisen ge-
Aufbruch. Sie haben lediglich einen Rucksack braucht werden, um ein bestimmtes Ziel zu errei-
oder eine Reisetasche (keinen Möbelwagen), chen. Zu diesem Zweck muss der Ablauf der Zielre-
können aber – wie bei einer Reise – nicht alles alisierung beschrieben oder besser noch imaginiert
mitnehmen. werden. Bei dieser Gelegenheit wird eventuell deut-
4 Was kann Ihnen nützlich sein? Was wollen Sie lich, dass der Patient auch noch über bestimmte
also in Ihren Rucksack deponieren? Skills verfügen sollte, die er zum richtigen Zeit-
4 Was kann Sie behindern? Was wollen Sie zu- punkt einbringen muss. Es empfiehlt sich daher
rücklassen?« anhand einer Mikroanalyse der fraglichen Situati-
on Klarheit zu schaffen, welche Skills erforderlich
Abschied sein werden. Ganz wesentlich ist schließlich die an-
4 »Begründen Sie kurz, weshalb Sie etwas zu- schließende Beschäftigung mit diesem Plan im
rücklassen. Würdigen Sie auch kurz den bishe- Rahmen einer Hausaufgabe.
rigen Nutzen.
4 Legen Sie nun das entsprechende Kärtchen bei- Vorbereitung
seite. Gehen Sie dabei achtsam mit Ihren Ge- 4 »Lassen Sie uns ein wenig experimentieren!
fühlen um; erlauben Sie sich Traurigkeit und Wie kann ein Verhalten ausschauen, das zur
Schmerz.« Zielerreichung führt?
4 Was müssen Sie tun? Für welche Bedingungen
könnten Sie sorgen, damit Sie erfolgreich sein
können? Wozu müssen Sie in der Lage sein?«
204 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

Einnehmen der Position des Soll-Wertes ning, zur partnerorientierten Kommunikation,


4 »Hier haben Sie mit Ihrer Werthaltung das Ziel zur unterstützenden Selbstinstruktion, zur
erreicht. Emotionsregulation, zum Thema Achtsamkeit
4 Was genau ist das Ergebnis Ihrer Bemü- usw.)«
hungen?
4 Stellen Sie sich von hier aus das ausgewählte Hausaufgabe
Ziel vor.« 4 »Nehmen Sie sich in der nächsten Woche mehr-
mals Zeit, um sich im Anschluss an eine kleine
Weitere Ressourcen ermitteln Entspannungsübung bei geschlossenen Augen
4 »Haben Sie schon ähnliche Ziele verfolgt? Wel- Folgendes vorzustellen:
che Fähigkeiten waren Ihnen damals hilfreich? 4 Den Ablauf der Handlung bis zur
4 Welche persönlichen Eigenschaften können Ih- Zielerreichung
nen jetzt nützen? 4 Den Zustand der Zielerreichung; stellen Sie
4 Wenn Sie an Ihre praktischen Erfahrungen sich dabei auch vor, wie Sie sich dabei
denken: Welche können Sie jetzt gebrauchen? fühlen werden.
7 Was könnten Sie für die geplante Situation ein- 4 Achten Sie dabei auf Ihre Stimmung und Ihr
setzen? Wie kann das geschehen? Bauchgefühl.
4 Erinnern Sie einen Zustand, in dem Ihnen alles 4 Bitte notieren Sie den Handlungsverlauf, der
ganz leicht von der Hand ging? Wie war das? Sie aktiviert und bei dem Sie immer wieder ein
Was haben Sie konkret gemacht, damit sich der gutes Bauchgefühl erleben.«
Erfolg einstellte?
4 Durchführen eines Experiments: »Wir wollen Patienten müssen darin unterstützt werden, ihr
uns hier im Raum den Ablauf der geplanten zielverwirklichendes Verhalten immer wieder an
Handlung vorstellen, indem wir, wie bei einer der Realität zu messen und dabei etwaige Fehl-
Regieanweisung, wichtige Stationen des Hand- schläge als Gelegenheiten zum Lernen und zur per-
lungsablaufs auf einer Zeitachse markieren. sönlichen Weiterentwicklung anzusehen. Sorgfäl-
4 Wann soll die Handlung, die zur Zielverwirk- tige Planung und Anstrengungseinsatz sind unver-
lichung führt, beginnen? Müssen Sie vielleicht zichtbar. Es wäre eine Form von dysfunktionalem
eine kleine Vorbereitung einplanen? Optimismus, wenn man von einem problemlosen
4 Was ist der nächste Schritt? An welcher Stelle Verlauf der Zielrealisierung ausgehen würde. Die
beginnt für Sie die Bemühung um Ihre eigent- Vorstellung problemloser Verläufe kann deshalb
liche Zielsetzung? hemmen, weil irrtümlich davon ausgegangen wird,
4 Beschreiben Sie, was Sie tun, was Sie sagen wer- dass man das positive Ergebnis schon so gut wie in
den? der Tasche hat. Unter Umständen fühlt man sich
4 Wie merken Sie, dass Sie Ihr Ziel erreicht ha- dann auch nicht mehr so sehr zu intensiveren Vor-
ben? bereitungen verpflichtet und fährt generell die An-
4 Lassen Sie uns das gleich konkret üben. Stellen strengungsbereitschaft herunter. Besser ist die fol-
Sie bitte zwei Stühle einander gegenüber und gende Einstellung: »Mein Weg der Zielrealisierung
nehmen Sie abwechselnd Ihre eigene Rolle und wird eher anstrengend sein, vielleicht wird es sogar
die Ihres Gegenübers ein. eine richtige Rosskur werden. Ich bin aber gut vor-
4 Lassen Sie uns kurz Bilanz ziehen! Was klappt bereitet und kann es schaffen!«
gut, wo brauchen Sie noch mehr vorbereitende Dies ist nicht der Blick durch die rosarote Brille,
Unterstützung?« denn hier wird die Erwartung eines Erfolges mit
möglichen Problemen bei der Verwirklichung des
Skillstraining Ziels kontrastiert. Dass eine solche Sichtweise –
4 »Ich schlage Ihnen vor, dass wir uns noch etwas man könnte sie als funktionalen Optimismus be-
Zeit nehmen für folgende Fertigkeiten: ... (z. B. zeichnen – eher einer Zielrealisierung dienlich ist,
geeignete Übungen zum Selbstsicherheitstrai- wurde auf empirischem Wege von Oettingen (1996)
7.7 · Behaviorale Therapie
205 7
belegt. Danach ist das häufig gelobte positive Den- Vorbereitung auf Schwierigkeiten und Widerstände
ken für sich genommen wenig erfolgversprechend. 4 »Wer darauf vorbereitet ist, kann mit Stress in
Es trägt nur dann effizient zu einer Zielverwirkli- der Regel besser umgehen. Lassen Sie uns des-
chung bei, wenn es gleichzeitig mit einer möglichen halb überlegen, wie Sie mit den ungünstigen
negativen Realität verglichen wird. Diese mehr Aspekten, die Sie ermittelt haben, umgehen
problemorientierte Sichtweise wirkt aufmerksam- könnten (Zeit, Ort, Handlung, Teilziele nach-
keitslenkend und vermittelt im Gegensatz zu blau- justieren, Vorübungen planen usw.).«
äugig-positiven Sichtweisen Hinweise darauf, was
genauer beachtet und was eventuell auch vermie- Anleitung zum Umgang mit Stress
den werden muss, das Machbare wird vom nicht 4 »Auftauchende Probleme können anstrengend
Machbaren getrennt (Oettingen & Gollwitzer, sein. Es kann Stress entstehen, der dazu führen
2010). In einem weiteren Schritt wird deshalb der könnte, dass erneut die Überlebensstrategie
Verhaltensplan noch mit Hilfe einer Strategie des greift. Angst und Wut können beteiligt sein.
mentalen Kontrastierens auf mögliche Fehlschläge Damit Stress handhabbar bleibt, ist es sinnvoll,
hin untersucht und anschließend ergänzt. verschiedene Stationen der Stressentstehung zu
betrachten. Daraus ergeben sich mehrere Maß-
jStrategie des mentalen Kontrastierens nahmen, für die wir schon Vorarbeit geleistet
Vorbereitung haben.«
4 »Optimismus ist sehr wichtig, reicht aber allei- 4 Plan: »Lassen Sie uns zusammenfassen: Was
ne nicht aus, damit Ziele erfolgreich realisiert genau wollen Sie tun, um Ihr Ziel zu erreichen?
werden. Sie sollen gut vorbereitet sein und des- Wie werden Sie mit auftauchenden Schwierig-
halb wollen wir Ihr Vorhaben noch etwas ge- keiten und Stress umgehen? Welche Personen
nauer planen. sollen beteiligt sein? Wo und wann werden Sie
4 Wir benötigen ein Blatt mit zwei Spalten, in die den Plan umsetzen (Zeit, Ort, Datum)? Bei der
wir die Ergebnisse unserer Diskussion eintra- Ausführung des geplanten Verhaltens kann es
gen werden.« natürlich zu stressigen Situationen kommen.
Mit Stress lässt sich besser umgehen, wenn man
Günstige Aspekte der Zukunft darauf vorbereitet ist. Einige Möglichkeiten
4 »Bitte stellen Sie sich auf den Soll-Wert. Be- sind dazu in . Tab. 7.6 dargestellt.«
schreiben Sie, was Sie mit dem Ziel erreichen
werden!
4 Wie fühlen Sie sich hier? Was wird Ihnen eine 7.7.6 Gemeinsame Bewertung
Zielerreichung bringen? Inwiefern werden Sie
davon profitieren? Was sind die positiven Aus- Nach Durchführung seines neuen Verhaltens im
wirkungen auf Ihr Leben? Rahmen des Veränderungsprojekts müssen die Er-
4 Zählen Sie möglichst viel Aspekte auf!« fahrungen des Patienten damit gemeinsam ausge-
wertet werden. Im Vordergrund steht dabei zu-
Ungünstige Aspekte der Zukunft nächst nicht das »punktgenaue« Erreichen des
4 »Bleiben Sie bitte beim Soll-Wert stehen. Ziels. Noch wichtiger ist, dass der Patient erkenn-
4 Nun wollen wir uns auch noch Gedanken da- bar die neue Richtung einschlägt. Nachdem dies
rüber machen, welche Schwierigkeiten und ausführlich gewürdigt wurde, kann im nächsten
Widerstände mit der Annäherung an den Soll- Schritt überlegt werden, wie das betreffende Ver-
Zustand auftreten könnten. halten noch optimiert werden kann.
4 Denken Sie dabei an die beteiligten Personen
und an die Rahmenbedingungen des Projekts. Vorbereitung
Was könnte alles passieren? Finden Sie mög- 4 »Ihre Erfahrungen mit dem geplanten Projekt
lichst viele denkbare Zwischenfälle.« sind für die weiteren Schritte in der Therapie
von größter Bedeutung. Die Umsetzung eines
206 Kapitel 7 · Interventionsmodule für einen zielgerichteten Therapieprozess

Plans liefert immer wertvolle Informationen,


die uns anzeigen, ob wir auf dem richtigen Weg . Tab. 7.6 Anleitung zum Umgang mit Stress bei der
sind oder nicht.« Zielrealisierung

Phasen der Maßnahmen


Günstige Fehlerkultur etablieren
Stressreaktion
4 »Mit dem Verstoß gegen die Überlebensstrate-
gie betreten Sie in gewisser Weise Neuland, das Vorbereitung auf Überlebensstrategie nochmals
Ihnen vielleicht auch noch fremd ist. Nehmen die Stresssituation vergegenwärtigen, Reaktions-
Sie das ruhig wörtlich! Wie ist es, wenn Sie als kette erneut nachvollziehen

Reisender in ein fremdes Land kommen? Na- Zeitpunkt der Zielrealisierung


günstig wählen
türlich können Sie hier nicht auf Anhieb alles
richtig machen! Sie können aber nach und nach Achtsamkeitsübungen

herausfinden, was Sie anders machen können, Achtsames Unterbrechen üben


während mehrerer Imaginati-
damit es Ihnen als Reisender hier auch besser
onen
geht und Sie sich in diesem Land allmählich
7 auch wohlfühlen. Konfrontation
und Umgehen
Angst aushalten, Ärger für ein
Vorangehen nutzen, evtl.
4 Es ist konstruktiv, wenn Sie sich die Frage stel-
mit der modulieren
len: Was kann ich anders oder besser machen? Stresssituation Achtsames Unterbrechen
Damit geben Sie sich einen Impuls zum Weiter-
Time-out bei zu hohem Stress,
machen, zum Optimieren Ihres Verhaltens.
z. B. kurz vor die Tür gehen und
4 Fehler sind wichtig und ausdrücklich zu begrü- durchatmen usw.
ßen, da sie als Auslöser für Lern- und Entwick-
lungsprozesse gesehen werden können. Umgehen mit Unterstützende Selbstinstruk-
Schwierigkeiten tionen aus dem Motto des
4 Meinen Sie, Sie haben diese Chance verdient?«
während der Haltungsziels ableiten
Bewältigung
Bewertung der Zielannäherung
Bewertung der Bei Erfolg: sich selbst loben,
4 »Lassen Sie uns zuerst den Weg zum Ziel und
Bewältigung eigene Stärken hervorheben
den Prozess des Voranschreitens betrachten.
Bei Misserfolg: Anstrengung
4 Konnten Sie sich schon ein wenig in die verein- würdigen. Was lässt sich daraus
barte Richtung bewegen? In welchem Ausmaß lernen?
haben Sie damit schon Neuland betreten? Was
war neu?
4 Wie gut konnten Sie bei Ihrer Werthaltung blei-
ben? Hat Sie das gestärkt? Bilanz
4 Inwieweit konnten Sie gegen Ihre Überlebens- 4 »Wo stehen wir also? Welche Unterstützung
strategie verstoßen und neues Verhalten zeigen? brauchen Sie? Was steht noch an? An welcher
Welchen Stress haben Sie erlebt? Wie ist es Ih- Stelle sollten wir den Plan abändern?
nen damit ergangen? Konnten Sie ausreichend 4 Hat Ihre Werthaltung ausreichend Stärkung ge-
für sich sorgen? Wie gut waren Sie vorberei- boten?«
tet?«
Vereinbarung
Bewertung der Zielerreichung 4 »Wie kann also ein neuer Schritt aussehen
4 »Am wichtigsten ist, dass Sie schon in die neue (wann, wo, wie, mit wem)?«
Richtung gehen konnten.
4 Wie beurteilen Sie das Ergebnis in Hinblick auf Bereits nach wenigen Durchgängen in diesem Mo-
das gesetzte Ziel? dul wird erkennbar, dass Patienten ihre Energien
4 Woran merken Sie, dass Sie das Ziel vollstän- besser bündeln und in mancher Hinsicht auch zu
dig/teilweise/gar nicht erreicht haben?« besseren Problemlösern werden.
207 8

Beispiele: Fallkonzeption
und therapeutischer Prozess

8.1 Agoraphobie und Panik: Jede Angsttherapie


ist auch Wuttherapie – 208

8.2 Borderlinesyndrom: Strategien des Selbstschutzes –


Therapie durch Beziehung – 213

G. Hauke, Strategisch Behaviorale Therapie (SBT),


DOI 10.1007/978-3-642-29730-4_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
208 Kapitel 8 · Beispiele: Fallkonzeption und therapeutischer Prozess

Mit Hilfe zweier Fallschilderungen werden die be- wegen bereits in einer Psychotherapie. Damals hat-
sondere Art der Fallkonzeptionen als auch die the- te ich Angst, die Welt könnte untergehen und habe
rapeutische Methodik von Strategisch Behavioraler mich fast nicht mehr raus getraut. Die Therapie
Therapie (SBT) verdeutlicht. Die Lerngeschichte hatte mir damals gut geholfen. Jetzt wo ich in einer
lässt bestimmte Überlebensstrategien entstehen. Ehe mit zwei Kindern lebe, sind die Ängste aber
Die damit verbundenen Gebote und Verbote wieder schlimmer geworden. Ich habe Angst, allei-
schränken die Möglichkeiten der Bedürfnisbefrie- ne zu sein, und ertrage es nicht, wenn mein Mann
digung massiv ein und sorgen für bestimmte For- nicht da ist. Da ich oft Angst habe, er könnte mich
men der Sicherheitsregulation. Diese Makropers- verlassen, kontrolliere ich ihn ständig. Ich kann
pektive wird durch eine Mikroperspektive ergänzt. auch nicht alleine weggehen oder Freundinnen
Problemsituationen sind Grundlage für das Aus- treffen. Außerdem habe ich das Gefühl, in meiner
formulieren von Reaktionsketten. SBT erweitert Arbeit überfordert zu sein und das alles irgendwie
diese in der Verhaltenstherapie üblichen Formulie- nicht zu schaffen.«
rungen um die Konzeptionen der primären und
sekundären Emotionen. Bei den meisten Patienten jSymptome
sind die primären Emotionen nicht bewusst. Durch Die Patientin leidet unter Panik und agoraphobi-
eine geeignete Arbeitsweise können sie jedoch be- schem Syndrom mit vegetativen Symptomen wäh-
wusst gemacht und in die Reaktionskette eingesetzt rend der Angstphasen, wie Atemnot, muskulärer
8 werden. Im bewussten Erleben taucht stattdessen Anspannung, Schwitzen, Nervosität sowie Schlaf-
oft das sekundäre Gefühl auf, das das primäre Ge- störungen. Hinzu kommt starke Todesangst. Sie
fühl mit seiner Handlungstendenz ausbremst und vermeidet eine Reihe von Situationen, in denen sie
das Verhalten in eine weniger bedrohliche Rich- allein ist, nicht ohne weiteres entweichen kann und
tung umlenkt. Kurzfristig entlastend, können sich in denen insbesondere sofortige Hilfe nicht sicher
dadurch aber langfristig beachtliche Nachteile ak- ist. So kann sie ab nachmittags kaum alleine das
kumulieren. Ähnliche Situationen mit mächtigem Haus verlassen und nicht ohne ihren Mann in
Auslöserpotenzial können dieses Geflecht aus pri- einem Zimmer schlafen. Konflikte mit ihrem Mann
mären und sekundären Emotionen derart strapa- sind für sie nicht auszuhalten, sodass sie sehr
zieren, dass nur noch das Symptom als Notbremse schnell in eine kindlich-bettelnde Rolle schlüpft,
in Frage kommt. um den Konflikt zu vermeiden, oder versucht, ihn
Die Konzeption primärer und sekundärer Ge- durch ihre Angst und Hilflosigkeit zu kontrollieren.
fühle beleuchtet einen besonderen Aspekt der Emo- Außerdem habe sie Angst vor Höhe, Zahnarztbe-
tionsregulation und hat entsprechende Konsequen- suchen, allgemein Krankheiten, Versagen im Beruf,
zen für die Konzeption der Therapie. Sie ergibt sich Teamsitzungen mit Redeanteil, wissenschaftlichen
aus der Umformulierung der Überlebensstrategie. Vorträgen sowie vor dem Fliegen. Hinzu kommen
Die resultierende Lebensstrategie definiert entspre- Wutausbrüche, Spannungskopfschmerzen, Hoff-
chende Zielkorridore. Mit Hilfe der sieben therapeu- nungslosigkeit, geringer Selbstwert sowie sozialer
tischen Module (7 Kap. 7) werden alternative Ver- Rückzug.
haltensweisen für die Zielrealisierung aufgebaut.
jLerngeschichte
Die Eltern der Patientin waren Architekten und
8.1 Agoraphobie und Panik: häufig nicht zu Hause. Dabei beschrieb sie ihren
Jede Angsttherapie Vater als cholerisch, ihre Mutter als ängstlich und
ist auch Wuttherapie depressiv. Die häufigen Konflikte zwischen den El-
tern endeten oft so, dass ihr Vater wütend wegge-
jDer erste Eindruck hen wollte und die Mutter ihn unterwürfig anbet-
Die sehr unsicher und ängstlich wirkende 33-Jäh- telte, nicht zu gehen. Dabei erlebte sie ihre Mutter
rige berichtete im Erstgespräch mit leiser Stimme: als so schwach und hilflos, dass die Patientin ihr be-
»Ich hatte schon immer viele Ängste und war des- reits als Kleinkind versuchte, Trost zu spenden.
8.1 · Agoraphobie und Panik: Jede Angsttherapie ist auch Wuttherapie
209 8
Waren ihre Eltern zu Hause, konnte die Patien- jReaktionskette
tin durch das Zeigen von Angst immer in das elter- Die Mikroanalyse einer typischen Problemsitua-
liche Bett kommen, was für sie »totale Sicherheit« tion zeigt, dass das primäre Gefühl der Wut durch
bedeutet habe. Sie erinnert sich an eine ausschlag- das sekundäre Gefühl der Angst ausgebremst wird.
gebende Szene, als sie etwa vier oder fünf Jahre alt Manchmal war die Angst so groß, dass die Patien-
war. Sie hätte in ihrem Bett schlafen sollen. Sie tin überlegte, lieber doch in eine Klinik zu gehen.
wisse nicht mehr, wie es genau passiert sei, aber sie Im Rahmen intensiverer emotionaler Arbeit ergab
habe sich mit einem Kleiderbügel am Auge verletzt sich, dass sie sich an Tagen mit extremer Angst be-
und geblutet. Daraufhin sei die Mutter voller Sorge sonders heftig über ihren Partner geärgert hatte.
um sie gewesen und sie habe bei ihr schlafen dür- Bald erkannte sie, dass sie mehr Angst benötigt,
fen. wenn ihr Ärger stärker ausfällt. Viel Angst garan-
Oft seien die Eltern nicht dagewesen und sie sei tiert ihr das Verbleiben in der vertrauten Rolle
schon in sehr jungem Alter ständig alleine gewe- (. Tab. 8.1).
sen. Mit etwa zwei Jahren hätten ihre Eltern sie
abends alleine zuhause gelassen, woraufhin sie aus jSicherheitsregulation
ihrem Bett geklettert, durch das Haus gelaufen und Bereits am Modell ihrer Mutter hat die Patientin
schließlich alleine auf der Straße herumgeirrt sei. ängstliches sowie selbstunsicheres Verhalten ge-
Ihre Eltern hätten sie dann bei der Polizei abgeholt. lernt. Später lernte sie, dass sie durch das Zeigen
Sie könne sich nicht direkt an diese Geschichte er- von Angst immer in das elterliche Bett durfte und
innern, kenne sie aber aus Erzählungen. somit »totale Sicherheit« erlangen kann. Dies funk-
Ängste habe sie schon immer gehabt, die ersten tionierte aber nur, wenn ihre Mutter zu Hause war.
panikartigen Ängste seien aufgetreten, als sie nach Bedingt durch die häufige Abwesenheit ihrer Eltern
dem Abitur alleine ins Ausland fahren wollte. Diese sowie der Unberechenbarkeit ihres Vaters konnte
Reise habe sie daraufhin abgebrochen. sie somit nur wenig Vertrauen in wichtige Bezugs-
In ihren Beziehungen habe sie sich immer personen entwickeln, wodurch ein Mangel an Ur-
Männer gesucht, denen sie eigentlich überlegen vertrauen entstand.
war. Sie habe immer zuerst den aktiven Part über- In ihren Paarbeziehungen zeigt sie die Sicher-
nommen. Ab einem gewissen Punkt sei aber das heitsregulation des verstrickt-ambivalenten Bin-
Verhältnis gekippt und sie habe starke Verlustängs- dungstyps. Hier suchte sie weiterhin die »totale Si-
te entwickelt. Die Patientin formulierte es gegen cherheit« und wählte Partner aus, deren Anwesen-
Ende der Therapie einmal so: heit und Schutz sie durch ihre hyperaktivierenden
»Ich musste mich immer vergewissern, dass Bindungsstrategien kontrollieren konnte. Dabei
mein Partner da ist und mich wirklich liebt und für macht sie sich klein und hilflos und versucht durch
immer dableiben wird. Ich musste mich immer und Klagen und Appelle Aufmerksamkeit und Besorg-
immer wieder versichern, ihn anrufen, ihn kontrol- nis des Bindungspartners zu erregen. Erfüllten die
lieren, aber egal wie sehr ich mich dabei angestrengt Partner aber nicht den kindlichen Wunsch nach
habe, die totale Sicherheit konnte ich nie errei- »totaler Sicherheit«, was natürlich kaum ein Part-
chen.« ner auf Dauer erfüllen kann, wertete Frau A. die
Zum Zeitpunkt der Therapie lebte die Patientin Partner innerlich ab, regelt ihren Autonomiean-
in einer Ehe mit zwei kleinen Töchtern. Sie arbeitet spruch hoch, trennte sich von ihnen und suchte
wissenschaftlich in einem Universitätsinstitut. Die sich, meist nach einer kurzen, pseudoautonomen
Konflikte nahmen mit der Zeit immer mehr zu, bis Phase, einen neuen Schutzspender. Während dieser
sie sich schließlich von ihrem Mann trennte und in kurzen selbstständigen Phase lebte Frau A. nicht
eine eigene Wohnung zog. Darauf folgte ein sehr wirklich eine befriedigende Autonomie, sondern
belastender Rechtsstreit über den Umgang mit den »ertrug« diese »Leere« vielmehr, bis sie einen geeig-
Kindern sowie Unterhaltszahlungen. neten Schutzspender finden konnte.
Während der Partnerschaften äußerten sich ih-
re Ängste vor allem in Verlustängsten bezüglich des
210 Kapitel 8 · Beispiele: Fallkonzeption und therapeutischer Prozess

. Tab. 8.1 Reaktionskette einer problematischen Situation

Auslösende Situa- Primäre Primärer Antizipation Sekundäre Beobachtbares Symptom


tion Emotion (verbotener) der Folgen (gegen- Verhalten
Impuls steuernde)
Emotion

Gespräch über Ärger Schlagen, Verlassen Angst, Kindlich-unterwür- Vermei-


Kindererziehung, Wut Anschreien, werden, allein Panik figes Verhalten, dung,
wobei der Partner Meinung dastehen ergebene Haltung, Rückzug,
verständnislos sagen ihm in allem Recht Selbst-
und abweisend geben, pflegeleicht vorwürfe,
reagiert Grübeln

Partners, während der pseudoautonomen Phasen fehlende Sicherheit in ihrer Kindheit und über die
verschoben sich die Ängste auf Krankheitsphobien Tatsache, dass diese Sicherheit ihr kein Partner je-
und diffuse Todes- bzw. Vernichtungsängste. Das mals wird geben können, vermieden. Das Verhal-
gestiegene Belastungsniveau in den letzten zwei ten wird also negativ verstärkt.
Jahren führte zu einer Verschlechterung ihrer Mittel- und langfristig schränken die Angst-
8 Symptomatik. Insgesamt lernte die Patientin also, symptome die Patientin aber stark ein, etwa in ih-
dass sie durchaus bestimmte Bezugspersonen steu- rem Bewegungsradius oder in ihrem Beruf. Außer-
ern und kontrollieren kann, aber darauf angewie- dem führen die dauernde Vermeidung von Wut,
sen ist, dass diese auch anwesend sind. Ärger und altersentsprechenden Autonomiebestre-
bungen zu Verstärkerverlusten, einer erhöhten
Grundanspannung und somit zu somatischen
Überlebensstrategie
Symptomen wie Spannungskopfschmerzen und
4 Nur wenn ich immer Bezugspersonen finde, Schlafstörungen.
die ich durch das Zeigen von Schwäche,
Abhängigkeit und Angst kontrollieren kann, jStrategie der Therapie
4 und wenn ich niemals offen auf meinem Das Umformulieren der Überlebensstrategie ergibt
Standpunkt beharre, Ärger, Frustration und die Lebensstrategie. Sie definiert Zielkorridore für
eigene Bedürfnisse äußere, die Therapie.
4 dann bewahre ich mir das Gefühl von totaler
Sicherheit
4 und verhindere alleine gelassen zu werden Lebensstrategie
und unterzugehen. 4 Ich brauche keine Bezugspersonen, die ich
vollständig kontrollieren kann. Ich erlaube
mir, groß, stark und erwachsen zu sein.
jFunktion des Symptoms 4 Ich will meine eigenen Bedürfnisse erken-
Die ängstliche Symptombildung erhöht die Bin- nen, zeigen und einfordern, ich will mich
dungsappetenz. Gleichzeitig werden offene Auto- zumuten und dabei auch Ärger und Frus-
nomiebestrebungen unterdrückt, die die jeweilige trationen offen austragen.
Bezugsperson möglicherweise vertreiben könnten. 4 Ich bin nicht vom Schutz anderer abhängig,
Die Angstsymptome werden also positiv verstärkt, ich will lernen, mir selbst Sicherheit zu
indem die Bezugsperson im Kontakt und kontrol- geben.
lierbar bleibt. Außerdem wird durch die andau- 4 Ich werde bewusst Zeit mit mir alleine
ernde Suche nach einer perfekten Bezugsperson, verbringen und die aufsteigende Angst
die das kindliche Bedürfnis nach »totaler Sicher- aushalten.
heit« befriedigen kann, eine echte Trauer über die
8.1 · Agoraphobie und Panik: Jede Angsttherapie ist auch Wuttherapie
211 8
jAchtsamkeit, Körperfokus, Akzeptanz äußert wurde. Sie erlebte die Expositionsbehand-
Achtsamkeitsübungen erhöhten sogleich die Wahr- lung als extrem anstrengend und wurde trotz inten-
nehmung des Körpergeschehens, insbesondere des siven Appells etwas in ihrem Schonungsbedürfnis
Herzschlages. Dies war, weil Angst auslösend, kri- frustriert. Dies bot willkommenen Anlass, die the-
tisch und es galt, ihr dabei zu helfen, mit dem Erle- rapeutische Beziehung einmal im Raum sichtbar zu
ben in Kontakt zu bleiben und es nicht zu vermei- machen durch Darstellen von Nähe und Distanz
den. Deshalb wurde sie dazu angeleitet, das Ge- und Einnehmen räumlich höherer bzw. niedrigerer
schehen genau zu beschreiben. Zunehmend konnte Positionen. Sich selbst platzierte sie klein und zu-
sie die Übungen alleine zu Hause durchführen. Der sammengekauert in einiger Entfernung vom The-
Fokus auf das Ein- und Ausströmen des Atems war rapeuten. Dieser sollte eine deutlich erhöhte Positi-
allerdings ungeeignet. Hier bewährte sich das Zäh- on einnehmen. Es wurde sichtbar und spürbar, dass
len während des Ein- und Ausatmens. Das Etablie- sie sich auch dem Therapeuten gegenüber manch-
ren des Körperfokus mit Hilfe von Body-Scan war mal in »Bettelstellung« erlebt und dass die fehlende
entscheidend für das bessere Wahrnehmen von so- Resonanz darauf sie ärgerte. Eine Umkehrung der
matischen Markern der sich aufbauenden, aber oft Rollen, d. h. Therapeut in der Bettelstellung und
uneingestandenen Wut. . Abb. 3.2 zeigt, dass die Patientin in der erhöhten Position, lösten bei ihr
somatosensorische Erfahrung von Angst und Wut Triumphgefühle und Angriffslust aus. Das Äußern
dicht beieinanderliegen und leicht »verwechselt« von Ärger fiel nun klar und deutlich aus. Sie fühlte
werden können. Die Übung »achtsames Unterbre- sich stark und kompetent. Daraus entwickelte sich
chen« war ihr eine große Hilfe in Streitsituationen. die Fragestellung, wie sie es schaffen könnte, in sol-
Sie konnte dadurch im Laufe der Zeit wirksam ei- chen Situationen zu wachsen anstatt zu schrump-
ner Eskalierung vorbeugen. fen. Sie entwickelte dazu das innere Bild einer Hand
Eine Stagnation des Therapieprozesses war An- im Rücken. Diese gefühlte Stärkung verhalf ihr
lass, zu prüfen, wie viel Akzeptanz die Patientin mehr und mehr zu einer aufrechten Haltung in
tatsächlich für sich zu entwickeln vermochte. Da- problematischen Situationen. Hier fügte sich auch
bei zeigte sich, dass sie große Probleme mit der stimmig das vorige Thema der Fürsorge für die bet-
kleinen, bettelnden Seite in ihrem Selbst hatte. Für telnde Seite in ihrem Selbst ein. Ein Transfer in den
diese Seite verachtete und schämte sie sich. Diese Alltag konnte unmittelbar vollzogen werden.
Seite tauchte häufig dann auf, wenn sich die Patien-
tin überfordert fühlte oder alleine war. Darstellen jSymptomtherapie
und Imaginieren solcher Situationen brachte die Begonnen wurde hier mit Psychoedukation zu den
Patientin damit in Kontakt. Achtsames Aushalten Themen Angstexposition und -habituation. Darauf-
und Beschreiben ließ sie sehr deutlich ihre Bedürf- hin wurde mit Hilfe verschiedener körperlicher
tigkeit nach Zuwendung und Fürsorge erleben: »So Aktivitäten der Angstkreislauf erlebbar gemacht.
habe ich mich schon mit acht Jahren gefühlt!« Das Evozieren des Angstmusters mit Hilfe der Em-
Nachdem die Patientin gelernt hatte, dieser Seite bodimenttechnik erbrachte schlagartig Panikzu-
selbst Zuwendung und Fürsorge zu geben, anstatt stände. Die Patientin wurde darin unterstützt, sol-
dies immer an vermeintlich stärkere Partner zu de- che Zustände auszuhalten. Dabei konnte deutlich
legieren, konnte die behaviorale Therapie fortge- gemacht werden, dass es zunächst darum geht,
setzt werden. angstfähig zu werden. Nach dieser Vorbereitung
konnte der Abbau der Angstsymptomatik durch
jTherapeutische Beziehung Exposition in vivo in Angriff genommen werden.
Zu Beginn der Therapie wurde die Beziehung kom-
plementär gestaltet, d. h. dem zentralen Bedürfnis jWerte
nach Schutz (Geborgenheit, Harmonie, Schonung) Als Basis für verschiedene Haltungsziele diente der
wurde im Kontakt viel Raum gegeben. Während Wertepool bestehend aus Musik, Tanz, Schauspiel,
der Symptombehandlung entstand zunehmend Är- Mutterschaft, Macht/Einfluss, Wissenschaft. Zu
ger auf den Therapeuten, der jedoch nicht offen ge- Beginn der Therapie zeigte die Patientin eine ge-
212 Kapitel 8 · Beispiele: Fallkonzeption und therapeutischer Prozess

drückte und streckenweise auch verzweifelte Stim- Gestimmtheit. Zunächst wurde das primäre Gefühl
mungslage. Bei der Besprechung ihres Wertepools des Ärgers induziert. Verspürte die Patientin Angst,
wurde starke Affinität zum »Tanz« als Wert deut- so wechselte sie auf die Angstposition. Hier wurde
lich. Die Werterfahrung wurde im Rahmen einer sie dazu angeleitet, mit Hilfe von Atmung, Mimik
Imagination aktiviert und schließlich verankert. und Körperhaltung das Angstmuster voll zur Ent-
Eine Choreographie brachte auch das Motto auf faltung zu bringen. Danach wechselte sie in die
den Punkt: »Leicht wie eine Feder.« Die Werteaffir- neutrale Position.
mation wurde von ihr im Alltag und auch zu Be- Dieser Zyklus wurde mehrfach wiederholt und
ginn von Therapiestunden eingesetzt. Zielrealisie- führte nach und nach zu einer differenzierteren
rungen, die sich thematisch auf die Autonomieent- Wahrnehmung der Primäremotion Ärger. Nach
wicklung bezogen, wurden hauptsächlich durch Herausarbeiten von Kernthemen in Zusammen-
zwei Haltungsziele unterstützt. Die Werte Macht/ hang mit Ärgergefühlen, konnte an einer funktio-
Einfluss und Musik ergaben einen ebenso attrak- nalen Darstellung dieses primären Gefühls in ver-
tiven wie lustvollen Kontrapunkt zur vormaligen schiedensten Interaktionssituationen gearbeitet
Bettlerin. Das Motto lautete »Vamp«. Vorbild wa- werden. Trauer und auch Wut tauchten im Zusam-
ren klassische Diven, wie z. B. Marlene Dietrich. menhang mit der »bettelnden Seite« ihres Selbst
Eine weitere, häufig verwendete Haltung bezog sich auf. Dabei standen die schmerzlichen Erfahrungen
auf den Wert »Wissenschaft«. Das Thema dieser ihrer Kindheit im Vordergrund. Durch die eben
8 Werthaltung lautete: Zukunft mit Weitblick und beschriebene Technik der Emotionsentmischung
Überlegenheit. Wichtig war ihr dabei die Vogel- konnte insbesondere ein tieferer Zugang zur Trauer
perspektive z. B. eines Kondors. erreicht werden.

jTherapie mit Emotionen jBehaviorale Therapie


Schon zu Beginn der Therapie konnte die Patientin Im Mittelpunkt dieses Moduls stand das Umsetzen
neben der Angst die Emotionen Ärger und Trauer von Zielen, wie sie von der Lebensstrategie nahe
sowie deren Anlässe klar benennen. Anfangs stand gelegt werden: Beispielsweise sich zeigen als er-
die Angst im Vordergrund. Nachdem die Exposi- wachsene, kompetente Frau in verschiedenen pri-
tion in vivo fortgeschrittener war, machte sich im- vaten und beruflichen Zusammenhängen, in Kon-
mer häufiger ihr Ärger bemerkbar. Bei Induktion takten für die eigenen Interessen und Bedürfnisse
des Ärgers mit der Embodimenttechnik tauchte einstehen, Grenzen setzen, die Bedürftigkeit »der
sehr schnell Angst (sekundäres Gefühl) auf, die sie Bettlerin« eigenverantwortlich versorgen, ohne
im Zulassen und Erleben ihres Ärgers (primäres sofortige Partnerschaftsabsicht die Kontakte zu
Gefühl) deutlich einschränkte. Dies spitzte sich Männern genießen usw. Die behaviorale Therapie
manchmal so weit zu, dass nach einiger Zeit zu- orientierte sich an der getroffenen Vereinbarung,
nächst undifferenzierte, nervöse Anspannung und durch konkretes Handeln neue Erfahrungen zu
dann nur noch Angst im Vordergrund stand. Sie sammeln, um damit die Gebote und Verbote der
erlebte dadurch sehr eindrucksvoll die Stopper- Überlebensstrategie überprüfen zu können. Einzel-
funktion der Angst (sekundäres Gefühl). Aufgrund ne Ziele wurden nach Schwierigkeit sortiert. So-
systematischer Selbstbeobachtung in ihrem Alltag dann wurden Verhaltenspläne erarbeitet, die auch
erkannte sie, dass dadurch auch berechtigte Auto- das Auftreten mehr oder weniger schwieriger Mo-
nomiebestrebungen ständig »zurückgestutzt« wur- mente und Notfallpläne berücksichtigte. Entspre-
den. chende Interaktionssituationen wurden in der
Der nächste Schritt diente der »Entmischung« Stunde vorbereitet.
des Cocktails aus primärer und sekundärer Emo- Als erstes wollte sie ihre berufliche Situation in
tion. Zu diesem Zweck wurden drei Positionen, die der Forschungseinrichtung, in der sie beschäftigt
die Punkte eines Dreiecks bildeten, mit Gegenstän- war, verbessern. Sie wollte ein Projekt übernehmen,
den im Raum gekennzeichnet. Zwei Positionen ste- hatte sich aber nicht getraut, sich mit ihren Ideen
hen für Ärger bzw. Angst, die dritte für neutrale zu positionieren. Weiterhin hatte sie wenig Gefühl
8.2 · Borderlinesyndrom: Strategien des Selbstschutzes – Therapie durch Beziehung
213 8
dafür, welche Meinung ihr Vorgesetzter von ihren jSymptome
Fähigkeiten hatte. »Ich war immer zu verhuscht, Sie litt wiederholt unter einem Depressiven Syn-
um mit ihm in näheren Kontakt zu treten.« Nach drom mit Zukunftsangst, Hoffnungslosigkeit, star-
Vorbereitung im Rollenspiel setzte sie ihre Absicht ker Traurigkeit, Antriebslosigkeit, geringem Selbst-
zum verabredeten Zeitpunkt um und bewarb sich wert, Suizidgedanken, Interessensverlust sowie so-
für die Projektleitung. Sie war nicht wenig erstaunt, zialem Rückzug, Ängsten, das Haus zu verlassen,
als sie von ihrem Chef erfuhr, dass er eigentlich sowie sozialen Ängsten, Putz- und Waschzwängen
nichts anderes von ihr erwartet hätte. sowie Appetitlosigkeit. Frau Z. hatte bereits zwei
Als nächstes stand ein Konfliktgespräch mit Suizidversuche im Vorfeld, jeweils oberflächliches
einem Kollegen an, der wegen seiner cholerischen Ritzen der Handgelenke. Gegenwärtig bestehen
Ausbrüche allgemein gefürchtet war. Durch die keine Suizidgedanken und sie ist paktfähig. Sie ver-
emotionale Arbeit gut vorbereitet, Angst anzuneh- letze sich nicht im eigentlichen Sinne selbst, bestra-
men und Ärger dosiert einzusetzen, gelang es ihr fe sich aber durch Hungern oder schmerzhaftes
gut, ihre Grenzen zu verdeutlichen. Leiten ließ sie Körperabschrubben. Sie erlebe eine innere Zerris-
sich dabei von ihrem Wert »Wissenschaft« (7 Wer- senheit und pendle zwischen innerer Leere und an-
te). Diese gut verankerte Werthaltung vermittelte dauerndem Kampf.
ihr die notwendige Größe, um diesem Mann, den Es besteht eine schwere depressive Episode oh-
sie als »Riesen« bezeichnete, gegenübertreten zu ne psychotisches Symptom, gegenwärtig teilremit-
können. Diese Erfahrungen bildeten eine stabile tiert mit emotional instabilen Persönlichkeitsak-
Basis, um schwierigere Ziele in Angriff zu neh- zentuierungen des Borderline-Typus.
men.
jLerngeschichte
Die Patientin beschreibt ihren Vater, heute 58 Jah-
8.2 Borderlinesyndrom: re, früher Kampfpilot bei der Bundeswehr, als auto-
Strategien des Selbstschutzes – ritär und streng. Er habe sie oft geschlagen. Man
Therapie durch Beziehung hätte ihn unter keinen Umständen kritisieren dür-
fen. Wegen seiner Arbeit hätte er wenig Zeit für sie
jDer erste Eindruck gehabt, sie habe sich immer Anerkennung von ihm
Die sehr dünne und verletzlich wirkende 34-Jäh- gewünscht. Die Mutter, eine inzwischen 57-jährige
rige berichtet mit fester Stimme und innerlich un- Hausfrau, beschreibt sie als liebevoll aber schwach.
beteiligt: »Ich funktioniere nicht mehr. Ich habe Sie habe sich gegen den Vater nicht durchsetzen
jeden Antrieb verloren, mich sozial so weit zurück- können. Heute sei das Verhältnis zu beiden schwie-
gezogen, dass ich fast nicht mehr aus dem Haus rig. Sie habe sich z. B. während ihrer depressiven
gegangen bin. Außerdem habe ich keinen Appetit Episode die Unterstützung der Eltern gewünscht.
mehr und deutlich an Gewicht verloren.« Auslöser Diese hätten aber mit »psychischen« Problemen
sei eine Zulassungsarbeit in ihrem Studium gewe- wenig anfangen können und ihr nicht die ge-
sen. Sie sei einfach nicht in der Lage gewesen, sich wünschte Unterstützung gegeben. Allgemein sei
mit dieser Arbeit zu beschäftigen, dass sei so weit das Verhältnis zu den Eltern immer dann schlech-
gegangen, dass sie nicht einmal mehr die Datei ha- ter, wenn es ihr schlecht gehe.
be öffnen können. Im Vorfeld habe sie eine schwie- Die Patientin habe einen Bruder (-5), der als
rige Trennung im letzten Jahr gehabt. Außerdem Handwerker arbeitet, sowie eine Schwester (-9),
sei ihre aktuelle Beziehung sehr belastend. Ihr On- Arzthelferin. Beide seien im Gegensatz zu ihr nie
kel und ihre Tante – die Psychologen seien – hätten vom Vater geschlagen worden. Das Verhältnis zu
ihr dann geraten sich in Behandlung zu begeben, beiden sei heute schwierig. Eine Großmutter, bei
woraufhin sie auf einer Krisenstation vorstellig der sie teilweise aufgewachsen sei, sei eine weitere
wurde. Die Kollegen hätten ihr empfohlen, nach wichtige Bezugsperson gewesen. Ihr konnte sich
der Krisenintervention eine ambulante Psychothe- Frau Z. – im Gegensatz zu ihren Eltern – »immer
rapie zu beginnen. sicher sein«. Sie beschreibt sie als aufopfernd, liebe-
214 Kapitel 8 · Beispiele: Fallkonzeption und therapeutischer Prozess

voll und fürsorglich. Ihre Eltern seien schon immer sowie dazwischen zwei Wochen in einer psychoso-
von einer Baustelle zur nächsten gezogen. Sie hät- matischen Klinik. Frau Z. arbeite gegenwärtig für
ten alte Häuser gekauft, diese dann renoviert und eine große Automobilfirma und finanziere so ihr
wieder verkauft. Die Patientin hätte somit immer Studium der Sonderschulpädagogik. Sie lebe mit
auf Baustellen im Dreck gewohnt. einer Mitbewohnerin in einer Wohngemeinschaft.
Als Kind sei der Kontakt mit Gleichaltrigen un- Gegenwärtig habe sie eine »kranke« Beziehung
problematisch gewesen. Sie habe sich Erwachsenen mit einem 26-jährigen »narzisstischen Borderli-
wie Kindern gegenüber aufgeschlossen verhalten. ner«, der psychische Probleme habe und auch be-
Wobei das Verhältnis zu Lehrern manchmal reits mehrere Suizidversuche hinter sich hätte. Sie
schwierig gewesen sei. Sie habe mehrere Freunde blicke auf ihn herab, er sei verletzend, eifersüchtig
gehabt und stand in Gruppen auch teilweise im und gönne ihr nichts. Außerdem könne er ihr nicht
Mittelpunkt. die Aufmerksamkeit und das Verständnis geben,
Frau Z. beschreibt sich als uninteressierte Schü- die sie brauche. Sie habe ihn betrogen, was sie sehr
lerin. Auf dem Gymnasium seien ihre Leistungen belaste. Die ganze Beziehung erlebe sie als sehr
auch mit der Zeit abgefallen. Vor allem ihr Vater schwierig.
habe einen hohen Leistungsdruck aufgebaut. Im Zusammenhang mit ihrer Zulassungsarbeit
Die Patientin könne sich kaum an ihre Gefühle seien die Symptome dann noch stärker und läh-
in der Kindheit oder an Kinderneurosen erinnern. mender geworden und es seien Zukunftsängste so-
8 Sie habe funktionieren müssen. Hinsichtlich ihrer wie Suizidgedanken aufgetreten. Während ihres
körperlichen Entwicklung sei sie wegen ihrer Grö- zweiten stationären Aufenthalts hätte sie bei einer
ße und ihrer kleinen Brüste gehänselt worden. So- Probeübernachtung einen Suizidversuch unter-
wohl heute als auch als Kind sei sie immer sehr nommen. Dabei habe sie sich oberflächlich an den
groß, dünn und schwächlich gewesen. Der Body- Handgelenken geritzt.
Mass-Index liegt aktuell bei 18,2. Sie habe kein Als Ressourcen nennt Frau Z. ihren großen
gutes Körpergefühl, das belaste sie. Außerdem ach- Freundeskreis – sie treffe täglich Freunde –, ihre
te sie nicht sonderlich auf ihren Körper. Aktuell Wohnung sowie Yoga. Außerdem habe sie vor der
leide sie unter Rückenbeschwerden (Morbus Scheu- Erkrankung gern gebastelt und Handarbeiten ge-
ermann), Unterleibs- sowie Bauchbeschwerden. Sie macht.
sei eine Woche wegen ihrer Bauchschmerzen im Die Zulassungsarbeit konnte Frau K. erfolg-
Krankenhaus gewesen, ohne dass eine Diagnose reich abschließen. Nachdem sie einige weitere
gestellt worden sei. Außerdem sei sie dreimal we- Scheine sowie Hausarbeiten erfolgreich abschlie-
gen Ovarialzysten operiert worden. ßen konnte, wurde sie für die Staatsexamensprü-
Besonders belastend seien für die Patientin fung zugelassen, welche sie bestand. Gegenwärtig
zwei Fehlgeburten im Alter von 18 bzw. 21 Jahren wartet sie auf die Zuteilung einer Schule für das Re-
gewesen. In diesem Zusammenhang habe sie auch ferendariat.
die Geburt des Kindes ihrer Schwester (2007) sehr
betroffen gemacht. Außerdem sei die Trennung jReaktionskette
von ihrem letzten Partner nach sechsjähriger Be- Die Bedingungen für das Auftreten von Trauer wa-
ziehung im Frühjahr 2008 sehr schmerzlich gewe- ren ihr selten klar. Sie spürte den Ärger deutlich,
sen. Er habe sie betrogen, sei egoistisch und selbst- unterdrückte ihn aber meist in sozialen Kontakten,
verliebt gewesen. Mit dieser Trennung hätten die da sie stets Angst vor Gegenaggressionen hatte. Die
ersten depressiven Symptome begonnen, ebenso Angst könnte deshalb als Stoppergefühl für den Är-
hätte sich das Auftreten von Ängsten und Zwängen ger betrachtet werden (. Tab. 8.2).
verstärkt. Wie bereits erwähnt, war die Zulassungs-
arbeit in ihrem Studium dann der eigentliche Aus- jSicherheitsregulation
löser für die aktuelle Erkrankung. Im Kontext der Abweisende und verletzende Beziehungserfah-
aktuellen Erkrankung sei sie dieses Jahr zweimal rungen in der Lerngeschichte führen zur inneren
auf einer psychiatrischen Krisenstation gewesen Repräsentation mächtiger, entwertender »Schutz-
8.2 · Borderlinesyndrom: Strategien des Selbstschutzes – Therapie durch Beziehung
215 8

. Tab. 8.2 Reaktionskette einer problematischen Situation

Auslösende Si- Primäre Primärer (ver- Antizipation Sekundäre Beobachtbares Symptom


tuation Emotion botener) Im- der Folgen (gegen- Verhalten
puls steuernde)
Emotion

Anruf des Vaters Schmerz- Dem Vater die Wenn ich Wut Patientin ver- Depression,
während einer liche Trauer Trauer zeigen, meine Trauer teidigt sich, äu- Selbstbe-
depressiven Epi- darüber, sich klein ma- und meine ßert aber nicht strafung,
sode. Er tut ihren dass ihr Va- chen, um ge- Bedürftigkeit ihre Wut. Suizid-
Zustand als ter sie nicht tröstet zu zeige, wird er Nimmt später gedanken
»Spinnerei« ab unterstützt werden den Kontakt Tavor, um sich
abbrechen zu beruhigen

spender« und vermitteln ein sehr geringes Urver- bildung dient hier der Unterdrückung und Torpe-
trauen. Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Man darf dierung zu starker autonomer Tendenzen, die sie
nicht wirklich vertrauen, am besten bleibt man al- aus dem Familienverband herauskatapultieren
lein und geht in Deckung. Sich selbst sieht sie meist könnten. Sie vermeidet es, aus der Kindrolle her-
als unfähig und nicht liebenswert. Das Bindungs- auszutreten und sich mit den schmerzlichen Erfah-
bedürfnis wird durch chronisch hohen Autono- rungen ihrer Lerngeschichte zu beschäftigen.
mieanspruch in Schach gehalten. Andere werden
auf Abstand gehalten, wirkliche Intimität ist nicht jFunktion des Symptoms
möglich. Demonstrieren übermäßiger Durchset- Die Funktion der Depression ist die Unterdrückung
zungsfähigkeit und Entwertungsstrategien in Kon- und Torpedierung autonomer Tendenzen, die zu
takten sollen dafür sorgen, dass der Sicherheitsab- Konflikten mit den Eltern, vor allem dem Vater,
stand eingehalten wird. Dabei kommen nur Kon- führen könnten und Ablehnung oder Vernichtung
taktpartner in Frage, denen sie sich klar überlegen durch Gegenaggression zur Folge hätten. Sozialer
fühlt. Dies soll vor Gegenaggressionen, Entwertung Rückzug, Zukunftsangst, Antriebslosigkeit bis hin
und Ablehnung schützen. zur Tatenlosigkeit sind Strategien elementaren
Selbstschutzes und fixieren sie in einer Nische, die
zwar einigermaßen die minimalste Befriedigung
Überlebensstrategie ihrer Grundbedürfnisse garantiert, aber keinesfalls
4 Nur wenn ich immer ein gutes, aufmerk- die Bedingungen, um sich von den Eltern ablösen
sames Mädchen bin und überdurchschnitt- zu können und eine Identität als erwachsene Frau
liche Leistungen erbringe aufzubauen. Putz- und Waschzwänge helfen dabei,
4 und wenn ich niemals ganz vertraue, kurzfristig zu große Anspannung abzubauen.
niemals meine Bedürfnisse, zu starke
Eigenwilligkeit, Ärger und Kritik erkennen jStrategie der Therapie
lasse, Sind Patienten schwerer gestört, so wird zunächst
4 dann bewahre ich mir Aufmerksamkeit und Wert darauf gelegt, dass sie die Vorgaben ihrer
eine unbedrohliche Außenwelt Überlebensstrategie bewusst und selektiv zu ihrem
4 und verhindere, abgelehnt und durch Schutz umsetzen lernen. Erst später, wenn sie sich
Gegenaggression vernichtet zu werden. im Kontakt sicherer fühlen, kann sie allmählich
aufgeweicht werden. Ihre Umformulierung ergibt
dann die Lebensstrategie, die relevante Zielkorri-
Andererseits hat sich Frau Z. nicht wirklich aus ih- dore für die weitere Therapie beschreibt.
rer Primärgruppe gelöst. Die depressive Symptom-
216 Kapitel 8 · Beispiele: Fallkonzeption und therapeutischer Prozess

strategie gesetzt. Die Quintessenz war, dass sie in


Lebensstrategie der Lage sein muss, sich zu schützen, dennoch in
4 Ich will mir erlauben zu wachsen, muss Kontakt bleiben, dabei Aufmerksamkeit und unbe-
dabei nicht pflegeleicht sein und ich drohliche Außenwelt erfahren kann.
akzeptiere auch mal durchschnittliche Schwieriger waren lähmend lange Stunden, in
Leistungen. denen sie depressive Symptome fast schon aggres-
4 Ich will meine eigenen Bedürfnisse besser siv zur Schau stellte. Die Aussage »Nerven Sie mich
kennen lernen und zeigen, ich will meine nicht mit Ihrem Trost« machten die Validierungs-
eigenen Werte leben und will bei pas- bemühungen des Therapeuten zum Balanceakt und
sendem Anlass Ärger und Kritik äußern. erforderten stets seine achtsame Präsenz. Als be-
4 Ich komme mit weniger Aufmerksamkeit sonders hilfreich erwies sich die häufige Darstel-
aus und lerne besser zu unterscheiden, lung der therapeutischen Beziehung im Raum. Sie
welche Umwelt für mich mehr oder weni- variierte Nähe und Distanz, blieb aber lange Zeit
ger bedrohlich ist. bei ihrer Position, die über dem Therapeuten ange-
4 Ich werde es riskieren abgelehnt zu werden siedelt war. Jeweils wurde darüber gesprochen, wie
und werde Schutzrituale entwickeln sowie das in der therapeutischen Beziehung und später
in kleinen Schritten Erfahrungen mit mei- im Alltag umgesetzt werden soll. Sie selbst brachte
die »theoretische Möglichkeit«, auch einmal klei-
8 ner Fähigkeit zur Wehrhaftigkeit sammeln.
ner zu sein, ins Spiel. Daraufhin wurde – natürlich
»ganz theoretisch« – darüber gesprochen, wie dies
wohl aussehen könnte. So kam die Sprache auf das
jTherapeutische Beziehung pflegeleichte, aufmerksame Mädchen, das sehr ver-
Zu Beginn der Therapie zeigte sich Frau Z. extrem letzt ist und extreme Angst hat. Die Patientin erteil-
vorsichtig, misstrauisch und fast schon abweisend te dem Therapeuten die Erlaubnis, dass er dieses
im Kontakt. In Hinblick auf ihren Autonomiean- Kind einmal szenisch darstellen dürfe. Sie coachte
spruch wurde die Therapie zu einem planvollen Ar- den Therapeuten so umsichtig und differenziert,
beitsbündnis deklariert, in dem es Regeln gibt und dass er leicht in diese Rolle hineinfinden konnte
mit dem die Themen, die sie für wichtig hält, bear- (das Prozedere ist in der Übung »Kellergeister« in
beitet werden. Der Therapeut macht deutlich, wie 7 Abschn. 7.6.3 beschrieben). Ganz allmählich
sehr er auf ihr Feedback angewiesen ist, damit ihre konnte sie sich mit diesem Kind identifizieren und
Themen erfolgversprechend bearbeitet werden lernte, es zu versorgen und zu schützen. Mit der
können. Er schlägt für die Stunde einen möglichen Zeit konnte sie langsam auch verletzliche und be-
Ablauf vor und weist besonders auf die Bedeutung dürftige Seiten von sich zeigen und sie machte in
räumlichen Abstandes hin: »Es ist wichtig, dass Sie der therapeutischen Beziehung die korrigierende
sich mit mir wohl in diesem Raum fühlen. Fühlen Erfahrung, dass ihre Bedürfnisse gesehen und er-
Sie sich deshalb frei darin, Ihren Stuhl entspre- füllt werden, dass ihre Traurigkeit und Verletzlich-
chend hin und her zu bewegen. Nach einiger Zeit keit ausgehalten wird.
wurde das Ansprechen »heißer« Themen nicht
mehr durch ärgerlich-entwertende Kommentare jAchtsamkeit, Körperfokus, Akzeptanz
quittiert, sondern durch ein Wegrücken des Stuhls. Die Patientin war bereits mit Yoga-Übungen gut
Dies ermöglichte auch das Ansprechen sehr vertraut und konnte sich daher gut auf die Acht-
schmerzlicher Beziehungserfahrungen. Als Zei- samkeitsübungen einlassen. Ihr leuchtete ein, dass
chen der Verbindung wurde ein Seil zwischen den sie zunächst verstehen muss, was mit ihr in einer
Stühlen ausgelegt. Wünschte Frau Z. mehr Reakti- schwierigen Situation passiert, bevor an eine Ver-
onen vom Therapeuten, so signalisierte sie dies, in- änderung zu denken ist. Achtsame Beobachtungen
dem sie das Seil in die Hand nahm. Wurde es ihr zu wurden von ihr protokolliert und bildeten die Basis
viel, so legte sie das Seil zurück. Diese Erfahrungen für Mikroanalysen und die Formulierung von
wurden auch in Beziehung zu ihrer Überlebens- Reaktionsketten. Thematisch standen dabei Verlet-
8.2 · Borderlinesyndrom: Strategien des Selbstschutzes – Therapie durch Beziehung
217 8
zungen und Kränkungen sowie die Emotionen konnten allmählich Experimente mit konstrukti-
Trauer, Wut und Angst im Vordergrund. Sie be- ven Alternativverhaltensweisen angestoßen wer-
merkte, dass selbst heftige Gefühle nach und nach den, z. B. an Stelle des vollständigen Rückzugs aus
schwächer werden. Ebenso wichtig war die Erfah- einer Interaktion erprobte die Patientin den Auf-
rung, dass sie sich durch das Formulieren und An- bau einer räumlichen Distanz. Sie musste intensiv
sprechen schwieriger Situationen »gesammelt« darin unterstützt werden, wahrzunehmen, dass
fühlte. Besonders deutlich wurde ihr das Vermei- selbst solche kleinen Veränderungen schon einen
den von Trauer (primäres Gefühl) durch Wut (se- Erfolg darstellten. Die Patientin fühlte sich sehr ge-
kundäres Gefühl): »Es ist für mich wesentlich leich- fordert von diesen Übungen, die ja im Verlauf der
ter wütend als traurig zu sein. Traurigsein tut so Therapie bis zu einem gewissen Grade immer eine
verdammt weh.« Dies warf im Laufe der Zeit im- Rolle spielten. Als sehr förderlich erwies sich dabei
mer häufiger ein drängendes Akzeptanzproblem die Stärkung durch regelmäßige Werteaffirmatio-
auf. Es ging dabei um die eben schon erwähnte nen.
ängstliche, verletzte und pflegeleichte Seite in ih-
rem Selbst. Dieses Thema konnte – wie oben be- jWerte
schrieben – mit der Übung »Kellergeister« ange- Meist waren ihr das Selbstbild, ihre inneren Präfe-
packt werden. renzen sowie ihre Lebensziele völlig unklar. Die
Der Body-Scan war in der üblichen Form nicht Haltung zu ihrem Leben überschrieb sie mit »alles
möglich. Sie konnte aber Übungen zur Progres- egal«. Dennoch ergab die Erarbeitung eines Werte-
siven Muskelrelaxation durchführen und anschlie- pools die folgenden Werte: Großmutter, Nichte,
ßend die Wirkung von Anspannung und Entspan- Kampf/Durchhalten. Die verstorbene Großmutter
nung in verschiedenen Körperbereichen wahrneh- war für die Patientin eine wohlwollende, gewäh-
men und differenzierter beschreiben. Ein wesent- rende und warme Bezugsperson gewesen. Sie sei
liches Kontrollgefühl brachte ihr die Übung »acht- trotz vieler Schicksalsschläge sehr positiv gewesen.
sames Unterbrechen«, die sie zunehmend häufiger In der Werteaffirmation konnte eine Haltung erar-
in stressigen Situationen einsetzte. beitet werden, die sie mit der Überschrift »Alles ist
gut« versah. Sie entwickelte ein Bild der umar-
jSymptomtherapie menden, haltenden Großmutter, das ihr im Laufe
Anfangs wurden die Rahmenbedingungen für eine der Zeit auch ebenso warme Körpergefühle vermit-
ambulante Therapie geklärt: Verzicht auf suizidale telte. Als Mikrobewegung wählte sie das Verschrän-
Handlungen und Selbstverletzungen, Klärung des ken der Hände. »So hat es die Oma gemacht, außer-
Ausfallhonorars. Weiterhin sollte das Körperge- dem spüre ich die Wärme der Hände.« In dieser
wicht nicht weiter verringert werden. Ansonsten Haltung konnte sie es sich erlauben, verschiedene
war sie in der Lage, ihre Grundversorgung sicher- Ziele anzugehen, die mit der Befriedigung von Be-
zustellen. Zunächst wurde der Umgang mit den dürfnissen zu tun habe, z. B. Kinderbücher lesen
Befindlichkeitssymptomen fokussiert, wobei die usw. Dies ermöglichte ihr sogar ein gewisses Maß
große Bedeutung der achtsamen Grundhaltung ins an Genuss.
Zentrum gerückt wurde. Zu Beginn wurde mit ihr Diese Werteaffirmation war nicht nur als Hal-
der Sinn einer akzeptierenden Haltung thematisiert tungsziel wichtig, sondern erwies sich auch als
und dass es zunächst nicht darum gehen kann, wirksame Kraftquelle in Phasen der inneren Er-
Symptome zu beseitigen, sondern vielmehr eine schöpfung und des Alleinseins. Sie begann auch,
bestmögliche Art des Umganges damit zu erlernen. für sich alleine zu kochen. Weiterhin zeigte sich,
Der Umgang mit den Verhaltenssymptomen, z. B. dass sie eine sehr gute und fürsorgliche Beziehung
sozialer Rückzug, häufigeres Putzen etc., wurde zu ihrer Nichte hatte, die einige Monate vor dem
zum Thema gemacht, als ausreichend Mikroanaly- Therapiebeginn geboren war. Dieses Kind berührte
sen für problematische Verhaltensweisen vorlagen. sie sehr tief, insbesondere seine unbefangene Art,
Hier ging es darum, dass symptomatische Verhal- ins Leben zu treten. Daraus konnte eine Werthal-
tensweisen zunächst verzögert wurden. Dann tung entwickelt werden, die sie mit »neu und frei
218 Kapitel 8 · Beispiele: Fallkonzeption und therapeutischer Prozess

ins Leben« überschrieb. In dieser Haltung begann Dosen und raumausgreifenden Bewegungen gear-
sie mit ihrer äußeren Erscheinung zu experimen- beitet. Immer wieder wurde das Benutzen von Kör-
tieren, z. B. sich fröhlicher anzuziehen, ihre Finger- perhaltung, Mimik, Gestik und Stimme unterstützt.
nägel zu lackieren usw. Außerdem gönnte sie sich Ebenso wurde verdeutlicht, dass Ärger nur dann
eine lange Urlaubsreise nach Indonesien als Beloh- im Dienste schützender Grenzen stehen kann,
nung für das bestandene Staatsexamen. Beide wenn Kontaktpartner die Ärgersignale auch erken-
Werthaltungen verhalfen ihr in verschiedenen be- nen können.
lastenden Situationen zu Distanzierungseffekten Es dauerte eine Weile, bis die Patientin sich er-
und zu Anspannungsreduktion. Sie konnte dann laubte, den Ärgerausdruck auch offener zu zeigen.
den »roten Faden« wieder erkennen und blieb eini- Durch kleinschrittige Experimente in ihrem Alltag
germaßen handlungsfähig. Gegen Ende der Thera- erkannte sie, dass sie ihre Grenzen damit wirksam
pie fertigte sie eine Selbstbildkollage an. Darin lie- schützen kann, ohne die befürchteten Gegenag-
ßen sich deutlich weichere weibliche Qualitäten gressionen auszulösen. Sie variierte dabei die Do-
erkennen. sierungen und handelte somit schon entsprechend
ihrer Lebensstrategie. Das Thema der Traurigkeit
jTherapie mit Emotionen rückte nun deutlicher in den Fokus, da sie ja nun
Anfangs ging es zunächst um die Belastung durch auch das Stoppergefühl (= Ärger) besser aushalten
schwierige Emotionen. In achtsamer Grundhaltung und zeigen konnte. Sie konnte deutlicher und in-
8 wurden Körperhaltung, Atemmuster und Mimik tensiver ihre Traurigkeit wegen der Behandlung
der gefühlsmäßig neutralen Gestimmtheit ange- durch ihren Vater und die verlorene Kindheit spü-
leitet, bis die Patientin diese selbst zuverlässig her- ren. Es fiel auf, dass sie seltener Kontakte zu den
stellen konnte. Mit Hilfe von Tüchern wurden im Eltern suchte, stattdessen einige soziale Kontakte
Raum zwei voneinander getrennte Bereiche mar- etwas intensivierte. Im fortgeschrittenen Stadium
kiert, wobei einer den neutralen und der andere der Therapie konnten ihre Unterleibsbeschwerden
einen emotional aufgeladenen Zustand repräsen- öfter mit kränkenden Erfahrungen in aktuellen In-
tiert, z. B. während der Schilderung einer aufwüh- teraktionssituationen in Zusammenhang gebracht
lenden Episode. Die Patientin lernte, aus der werden. Dieser Körperfokus brachte das Bild einer
schwierigen Emotion buchstäblich herauszutreten, Schere, die »rücksichtslos in meinen Eingeweiden
um in der räumlich entfernten Position mittels Em- rumschnippelt«. Das emotionale Kernthema dabei
bodimenttechnik die neutrale Gestimmtheit her- bezog sich wieder auf Trauer und Wut und führte
zustellen. Dieses Training wendete sie auch zu zur Formulierung konkreter, protektiver Verhal-
Hause an. Ihr Kontrollgefühl verbesserte sich nach tensregeln für solche Interaktionen.
einiger Zeit erheblich und vermittelte ihr einen en-
ormen Aufschwung. Nun erschien es am leichtes- jBehaviorale Therapie
ten, die Emotion »Freude« mittels Embodiment- Nachdem ein ausreichend stabiles Arbeitsbündnis,
technik zu vermitteln. Es gelang jedoch nicht, Zugang zu ressourcenreichen Haltungen und güns-
dieses Muster zu induzieren und die Patientin ver- tigere Emotionsregulation etabliert waren, konnte
weigerte schließlich weitere Versuche. Später er- das Sammeln neuer Erfahrungen durch konkretes,
zählte sie, dass sie dieses Muster für sich allein zu zielorientiertes Handeln angeregt werden. Dies
Hause geübt hätte und lachte über das Erstaunen wurde situationsbezogen detailliert geplant. Nach
des Therapeuten. Ihre Vorsicht in Bezug auf das Vermittlung spezieller Skills, z. B. aus dem Bereich
Thema Ärger hatte sich gelegt, da sie den Wechsel sozialer Kompetenz, wurde zunächst im »sicheren
in die emotional neutrale Haltung inzwischen recht Therapiezimmer« geübt. Neben der Vorbereitung
gut praktizieren konnte. Es sollte nun mit verschie- auf mögliche ungünstige Zwischenfälle, z. B. Inter-
denen Dosierungen geübt werden. Schon während aktionspartner reagiert aggressiv oder entzieht sich,
der sehr sanften Induktion nahm der gefühlte Är- wurden realistische Bedingungen und geeignete
ger zwar zu, zeigte sich aber nicht in der Mimik Zeitfenster für die Realisierung verbindlich festge-
oder in der Körperhaltung. Es wurde mit kleinen legt. Es wurde stets darauf geachtet, dass der mög-
8.2 · Borderlinesyndrom: Strategien des Selbstschutzes – Therapie durch Beziehung
219 8
liche Stress mit den vorbereiteten Vorgehensweisen
sehr wahrscheinlich noch zu handhaben ist. Solche
Reflexionen verhalfen der Patientin auch zu einer
besseren Wahrnehmung und Bewertung ihrer
Grenzen.
Themenbeispiele für solche Veränderungspro-
jekte waren:
4 Abschließen der Zulassungsarbeit und Ablegen
der Abschlussprüfung,
4 Bewerten aktueller Beziehungen, Erkennen
und Steuern psychologischer Nähe bzw. Dis-
tanz,
4 Ausdrücken von Interessen und Bedürfnissen
in sozialen Kontakten,
4 Zeigen von Grenzen und Gefühlen in entfern-
teren und gefühlsmäßig näheren Beziehungen,
4 Abgrenzung gegen das Elternhaus,
4 Neue Kontakte anknüpfen und aufrecht erhal-
ten,
4 Unterstützungsbedarf formulieren und anneh-
men.

Mit der Zeit entwickelte die Patientin zunehmend


Umsetzungskompetenz, die ihrem Selbstwertge-
fühl sehr gut tat.
Zum Ende der Therapie sagte sie: »Ich habe das
Gefühl bei meiner Geburt in eine Achterbahn ge-
setzt worden zu sein, aus der ich seitdem nicht
mehr rausgekommen bin. Seit der Therapie erlebe
ich immer wieder längere Zwischenstopps. Wer
mich darein gesetzt hat, weiß ich nicht. Ausnahms-
weise will ich nun nicht meinen Eltern die Schuld
geben. Vielleicht war es Gott?«
221

Serviceteil

Literatur – 223

Stichwortverzeichnis – 234

G. Hauke, Strategisch Behaviorale Therapie (SBT),


DOI 10.1007/978-3-642-29730-4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
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Stichwortverzeichnis

A B D
Achtsamkeit 6, 15 f., 22, 28, 137, 143, Barriere 134 Depression 215
145, 147, 149, 151, 211, 216 Bauchsprache 40 Distanz 126
– Definition 23 Bedürfnis 32, 35 f., 136 – emotionale 117
– Übung 144 – kindliches 33 – physikalische 117
Achtsamkeitsübung 143, 211 – physiologisches 34 Distress 48, 56
Affekt 42 – Selbst bezogenes 34 Dominanz 34, 93, 112
Aggression 181 Bedürfnisbefriedigung 5, 21, 35, 55, Dual-Code-Theorie 39
Agoraphobie 208, 209, 211 57, 59, 61, 208
– Behaviorale Therapie 212 – funktionale 39
– Lerngeschichte 208 Befindlichkeitssymptom 160
– Symptome 208 Berührung 17, 118 E
– Symptomtherapie 211 Bewältigungspotenzial 44
– therapeutische Beziehung 211 Bewertung 205 Ego, totalitäres 22
– therapeutische Strategie 210 Bewertungstheorie 43 embodied cognition 12
– Therapie mit Emotionen 212 – nach Lazarus 43 Embodiment 2, 6, 11, 13, 19, 43, 107,
Aktualgenese 50 – nach Mandler 46 211
Akzeptanz 6, 136, 143, 149, 211, 216 – nach Scherer 44 Emotion 8, 16, 25, 41 f., 45, 77, 82, 110,
– radikale 136 Beziehung, therapeutische 9, 185 113, 122, 128, 170
Akzeptanzarbeit 149 Bezugsperson 56 – Differenzierung 54
– situationsbezogene 150 Bindung 35, 37, 69 – körperlose 47
Akzeptanzphase 132, 135, 138 – primäre 65 f., 72 – Modelle 42
Akzeptanzstrategie 136 – sekundäre 72 – primäre 8, 48 f., 52, 57, 78, 182, 208
Alter, psychologisches 195 Bindungsbeziehung 56 – sekundäre 8, 48, 52, 78, 182, 208
Anatomie 109 Bindungserfahrung 56 Emotionsentwicklung 48
Änderungsphase 132, 135, 138 Bindungsorientierung 35, 62 Emotionsexposition 172
Angst 43, 57, 63, 135, 181, 208 Bindungsperson 56 Emotionspsychologie 51
Angstexposition 211 Bindungsraum 63 – Grundlagen 41, 43, 45, 47, 49, 51, 53
Angstsymptom 9 Bindungstyp 63 Emotionsregulation 208
Angsttherapie 208 f., 211 Body-Scan 8, 146, 211, 217 Emotionstherapie 8
Annäherung 110, 132 Borderlinesyndrom 213, 215, 217, 219 Entscheidung 73
Annäherungsstrategie 3 – Behaviorale Therapie 218 Erregungssystem 34
Anregung 95 – Symptome 213 Extensionsgedächtnis 36
Ärger 212 – Symptomtherapie 217
Atmung 175 – therapeutische Beziehung 216
Aufmerksamkeit 16 f., 20, 22 f. – therapeutische Strategie 215
Aufmerksamkeitslenkung 28, 143 – Therapie mit Emotionen 218 F
– Übung 143 Brücke, erotische 73
Autonomie 35, 37, 56, 59, 69, 71, 74, Fallkonzeption 5, 7, 9
84, 209 – Beispiele 207
Autonomieanspruch 66 Feedbackkontrolle 16, 19
Autonomieorientierung 35, 61 C Feedbackschleife 16
Autonomiesystem 34 – Funktion 17
Autorität 112 Commitment 89 Fragebogen zur Analyse Motivationaler
Schemata (FAMOS) 13
Freude 182
Frustration 32
Stichwortverzeichnis
235 A–R
Motivationssystem
G K – duales 37
– implizites 37
Gebot 21, 32, 208 Kellergeister 189, 216 Multiple-Code-Theorie 147
Generalisierung 4, 58 Kernaffekt 51
Gestalttherapie 12 Klärungsphase 132, 135, 137
Gestik 134 Kognition 11, 13, 108 f., 115, 117, 119,
Gleichgewicht 121 ff. N
– inneres 2 Kognitionspsychologie 39
– somatopsychisches 3 Kognitionswissenschaft 108 Nähe 126
Kommunikation 32, 39, 42, 56
Kompetenz
– referenzielle 40
H Komponenten-Prozess-Modell (KPM) O
44
Haltungsziel 16, 20, 27, 103 Konformität 99 Objekterkennungssystem 36
Handlung 136 Konsistenztheorie 13 Ontogenese 50
Handlungskonzept 19 Kontrolle 93
Handlungsplan 11 Koregulation 66
Handlungsziel 16, 20, 28, 89, 166, 200 Körper 41, 109 f., 132, 137, 182
Hedonismus 95 – Aktivität 109 P
Hilfsbereitschaft 84 Körperempfindung 47
Homöostase 2 f., 59, 90 Körperfokus 6, 143, 145 ff., 151, 211, Panik 208 f., 211
216 Partner
Körperhaltung 112, 133 f., 175 – autonomieorientierter 75
Körperregulation 179 – bindungsorientierter 75
I Körpertherapie 12 Partnerschaft 72
Krankheitssymptom 22 pathogenic belief 13
Identität 17, 19, 195 Kybernetik 15, 16 Patient 197
Identitätsentwicklung 85 – autonomieorientierter 63
Imagination 123 – bindungsorientierter 63
– szenische 154 Persönlichkeit 70
– Übung 157 L Persönlichkeitsakzentuierung 69, 80
Implikation 44 Persönlichkeitseigenschaft 83
Impuls 57 Lebensregel 6, 11 Persönlichkeitsstörung 69
Information, subsymbolische 41 Lebensstrategie 6, 198 Prinzipien 19
Intention 136 Leistung 94 Problem 132, 135, 139, 153, 175
– konstruktive 86 Lerngeschichte 149, 158 Problemaktualisierung 5
Interessenrealisierungssystem 46 Lernziel 6 Problemaufstellung 132, 133
Internalisierungsmodell 47 Problemklärung 131
Intervention 141, 188 Problemsituation 153, 209
Interventionsmethodik 11 f. Programm 19
Intimität 74 M Psyche
Intuition 36, 41 – autonome 2, 3
Ist-Wert 17, 20, 32 Macht 34, 93, 112 – willkürliche 2, 3
Ist-Zustand 132, 134 Marker, somatische 36 Psychodrama 12
Meditation 143 Psychoedukation 178, 211
– Zen- 143
Menschenbild 5
J Mimik 114, 134, 175
Missbrauch, emotionaler 33 R
James-Lange-Theorie 42, 114 Moral 117 f.
Motiv 37, 136 Reaktionskette 137, 139
– explizites 37 f. Reaktionstrias 42
– implizites 37 f. Reduktionismus, kognitiver 43
Motivation 110 Regulationsfunktion 45, 172
Motivationspsychologie 32 f. Regulationssystem 22
236 Literatur

Relevanz 44
Ressourcenaktivierung 161, 163, 165, T W
167, 169
Rubikonmodell 135 Therapeut 9, 36 Wärme
Rückzug, sozialer 213 – Selbstreflexion 193 – physikalische 117
Therapie 5 f., 16, 26 f., 29, 39, 75, 83, 85, – soziale 117
102 f., 105, 124 f., 127, 129, 136 f., 139 Waschzwang 215
– Behaviorale 11, 138, 197 Werte 10, 16, 38, 81, 161
S – Fallbeispiele 207 – emotionale 82
– mit Emotionen 137 – kognitive 82
Scham 58 – Strategien 27, 29, 75, 102 f., 105, – motivationale 82
Schuld 58 124 f., 127, 129 – persönliche 83
Selbst 5, 18, 20, 22, 36, 70 – therapeutische Beziehung 138 Werteaffirmation 11, 162
Selbstaufmerksamkeit 20 – Ziel 76 Wertedomäne 93, 104, 168
– funktionale 21 Therapiestrategie 5 f. Werteentwicklung 85
Selbstbestimmung 33 Todesangst 208 Wertehierarchie 82
Selbstbild 16 f., 38, 195 Tradition 98 f. Wertekonflikt 104
Selbstdefinition 19 Trauer 182, 210, 212 Wertepool 161
Selbsterhaltung 58 Wertescheibe 169
Selbstkonzept 20 Wertetypologie von Schwartz 92
Selbstreflexion 193 Werthaltung 162
Selbstregulation 15 f., 21 f., 32, 88 U Wertkorridor 166
Selbstregulationssystem 5 Wille 29
Selbstverwirklichung 96 Überleben, emotionales 85 Wirksamkeit 13
Selbstwert 22, 92 Überlebensstrategie 2 f., 5 f., 11, 21, Wohlbehagen 49
Sequenz 19 32, 55, 57, 59, 61, 63, 85, 137, 149, Wohlwollen 97
Sexualität 21, 32, 45, 62, 69, 71, 80, 182 153, 157 f. Wut 208 f., 211 f.
Sicherheit 59, 99 – emotionale 3 f., 31, 78
– totale 209 f. – Grenzen 3
Sicherheitsregulation 60, 69, 75, 79, – in der therapeutischen Beziehung
208 187 Y
Sicherheitssystem 34 – Syntax 59
Simulation 115, 117, 119, 121, 123, 143 Universalismus 97 Yoga 214
– neurale 122 Urvertrauen 60, 209
Soll-Wert 17, 20, 32
Soll-Zustand 132, 134
Stolz 42 Z
Strategie 5, 7, 9 V
Strategisch Behaviorale Therapie (SBT) Zärtlichkeit 182
1, 16, 32, 82, 108, 132, 208 Veränderungsprozess 135 Ziel 15, 17, 19, 38, 88, 135, 198
– Arbeitsmodule 7 Verbot 21, 32, 208 – motivationales 93, 99, 104
– Wirksamkeit 13 Verhaltensänderung 11 Zieldiskrepanz 20
Stress 61, 91, 103, 112, 206 Verhaltenssymptom 161 Zielhierarchie 17, 21
Stresssenkung 165 Verhaltenstherapie 4, 13, 115 Zielrealisierung 203
Stroop-Effekt 118 – dritte Welle 1, 5, 12 Zielsetzung 16
Stroop-Test 118 – kognitive 108, 122 Zielverfolgungssystem
Symbol 115 Verlustangst 209 – explizites 37
Symptom 3, 5 Vermeidung 4, 63, 110, 132 Zone des Schreckens 4
Symptomtherapie 8, 138, 160 Vermeidungsstrategie 3 Zugehörigkeitsbedürfnis 33
System Vigilanz 36 Zukunftsangst 213
– heißes 91 Volition 29 Zürcher Modell der sozialen
– kaltes 91 Vorbereitung 136 Motivation 34, 59
Systemkonzept 19

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