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Akutes Skrotum

Maximilian Stehr

Inhalt
1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
2 Ätiologie und Inzidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
2.1 Hodentorsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
2.2 Epididymitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
2.3 Hydatidentorsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
3 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
4 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
4.1 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
4.2 Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
4.3 Sonografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
4.4 Szintigrafie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
4.5 Weiterführende Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
6 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

" Bei einem akuten Skrotum handelt es sich um einen Symp- schwellung, harte Konsistenz, fehlender Kremasterreflex,
tomenkomplex bestehend aus einer Rötung, Schmerz und hohe Skrotallage sowie begleitende Übelkeit oder Erbre-
Schwellung einer oder beider Skrotalhälften. Das akute chen beurteilt. Die Doppler-Ultraschalluntersuchung der
Skrotum ist immer als Notfall zu betrachten, da eine Hoden als zusätzliche apparative Untersuchungstechnik
Hodentorsion als mögliche Ursache unverzüglich operati- gehört heute zum klinischen Alltag in der Differenzialdia-
ver Therapie bedarf. Dennoch kommt diese in lediglich gnostik.
10–30 % der Fälle vor. Herausforderung bei der Behand-
lung des akuten Skrotums ist also nach wie vor das Erken-
nen der richtigen Differenzialdiagnose, ohne zu häufig
operativ explorieren zu müssen. Klinisch bewährt hat sich 1 Definition
der sog. TWIST-Score (Testicular Workup for Ischemia and
Suspected Torsion) mit einem hohen Vorhersagewert für Das akute Skrotum beschreibt ein Krankheitsbild mit den
oder gegen das Vorliegen einer Hodentorsion. Dabei wer- Symptomen Rötung, Schmerz und Schwellung einer oder
den die klinischen Zeichen bzw. Befunde wie Hoden- beider Skrotalhälften (Abb. 1).

" Cave: Wegen der Möglichkeit einer Hodentorsion gilt das


akute Skrotum immer als Notfall.
M. Stehr (*)
Kinderchirurgie und Kinderurologie, Cnopf’sche Kinderklinik,
Nürnberg, Deutschland
E-Mail: Maximilian.Stehr@DiakonieNeuendettelsau.de

# Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 1


D. von Schweinitz, B. Ure (Hrsg.), Kinderchirurgie, Springer Reference Medizin,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-53390-1_80-1
2 M. Stehr

2 Ätiologie und Inzidenz einer vorliegenden Hodentorsion muss die operative


Exploration erfolgen. Bis heute ist es für den behandelnden
Hinter einem akuten Skrotum können sich ganz unterschied- Arzt eine Herausforderung, die richtige Differenzialdiagnose
liche Differenzialdiagnosen verbergen (Tab. 1). In keinem zu stellen und eine dementsprechende Therapie einzuleiten.
Fall darf dabei eine Hodentorsion übersehen werden, da Er muss Patienten mit einer Hodentorsion rasch identifizie-
diese unmittelbar einer chirurgischen Behandlung bedarf, ren, ohne den anderen Patienten den primär möglichen kon-
um den betreffenden Hoden erhalten zu können. Eine Hoden- servativen Therapieansatz zu verwehren.
torsion ist in 10–30 % der Fälle Ursache eines akuten Skro-
tums. Am häufigsten bedingen entzündliche Prozesse wie die
Epididymitis, gefolgt von der Hydatidentorsion im Kindes- 2.1 Hodentorsion
alter ein akutes Skrotum (Stehr und Boehm 2003; Sachwitz
et al. 2012). Gelegentlich gelingt eine sichere Diagnose nicht, Die Ätiologie der Hodentorsion ist letztlich unklar. Diskutiert
und im Zweifel bzw. bei nicht sicher möglichem Ausschluss werden heftige Kremasterkontraktionen während des
Schlafs. Häufig finden sich in der Anamnese geringfügige
Traumen, die der Torsion vorausgegangen sind. Begünsti-
gend wirken sich eine mangelhafte Obliteration der Tunica
vaginalis im Bereich den Nebenhodens und des Samen-
strangs aus. Dadurch erreicht der Hoden eine hohe Beweg-
lichkeit innerhalb der Hodenhüllen (sog. „Bell-clapper“--
Deformität). Eine Torsion ereignet sich dann intravaginal.
Eine extra- oder supravaginale Torsion wird dagegen eher
durch eine mangelnde Fixation des Hodens durch das Guber-
nakulum begünstigt. Sehr selten findet sich eine isolierte
Hodentorsion gegen den Nebenhoden bei ausgeprägter
Hoden-Nebenhoden-Dissoziation (Abb. 2). Bei inkompletter
Torsion kommt es zunächst zur Drosselung des venösen
Abstroms mit konsekutiver Schwellung und schließlich
hämorrhagischen Infarzierung. Bei kompletter Torsion
(>360 ) kommt es durch die plötzliche Unterbrechung der
Blutzufuhr zum ischämischen Infarkt.

2.2 Epididymitis

Die Epididymitis ist meist bakteriell und kanalikulär


aszendierend verursacht. Hierbei kommt es zur Entzündung
durch Influx des Harns in den Ductus deferens (sog. deferen-
Abb. 1 Klinisches Bild des akuten Skrotums
tialer Influx). Ein Keimnachweis gelingt allerdings nur selten.

Tab. 1 Differenzialdiagnose des akuten Skrotums und Differenzialtherapie


Differenzialdiagnose Differenzialtherapie
Hodentorsion Operativ möglichst innerhalb 6 h
Hydatidentorsion Operativ, bei blander Klinik konservativ
Epididymitis Konservativ antibiotisch, in Ausnahmen operativ
Orchitis Konservativ
Leistenhernie (inkarzeriert) Reposition, elektive Herniotomie; ggf. akut operativ
Hydrozele – Hämatozele Konservativ
Spermatozele Ggf. elektiv operativ
Trauma Konservativ (operativ z. B. bei Ruptur)
Insektenstich, -biss Konservativ
Tumor Elektiv operativ
Idiopathisches Skrotalödem Konservativ
Postinflammatorisch reaktiv (z. B. Mittelmehrfieber) Konservativ
Akutes Skrotum 3

stärker imponieren als eine Hodentorsion. Im weiteren Ver-


lauf kommen zunehmende Schwellung und Rötung des
gesamten Skrotums hinzu, wodurch die klinische Untersu-
chung erschwert wird. Beim sog. idiopathischen Skrotalö-
dem steht die Hautsymptomatik dagegen von vornherein im
Vordergrund. Bei diesem Krankheitsbild handelt es sich um
eine akut einsetzende starke Schwellung einer oder beider
Skrotalhälften, wobei eine ausgeprägte Dolenz der Haut und
weniger des Hodens auffällt. Als Ursache kommt am ehesten
ein lokales allergisches Phänomen infrage, die Hoden selbst
sind nicht betroffen. Das Ödem klingt meist spontan inner-
halb von 2–3 Tagen wieder ab.
Bei einem akuten Skrotum beim Neugeborenen ist die
Symptomatik häufig unspezifisch und weniger eindrücklich.
Abb. 2 Verschiedene Formen der Hodentorsion: extravaginal, intra- Bei entzündlicher Genese fallen neben dem geröteten und
vaginal und isoliert geschwollenen Lokalbefund Allgemeinsymptome wie Fieber
und eine Erhöhung der Entzündungsparameter auf. In mehr
Subvesikale Obstruktion z. B. bei hinteren Harnröhrenklappen als der Hälfte der Fälle liegt eine Hodentorsion vor, die
oder spastischem Sphinkter bei neurogener Blasenentleerungs- wiederum in mehr als der Hälfte der Fälle bereits intrauterin
störung begünstigen einen deferentialen Influx und damit eine stattgefunden hat (Whitaker 1982). Die Klinik ist dann häufig
Epididymitis. Bei rezidivierenden Epididymitiden sollte nicht sehr ausgeprägt, der Lokalbefund zeigt im Wesent-
daher im Intervall dahingehend abgeklärt werden. Die iso- lichen eine wenig schmerzhafte, derbe Schwellung des
lierte Orchitis ist hingegen meist hämatogen viral bedingt Hodens. Diese wird dann nicht selten erst in den nächsten
(z. B. Mumps-Orchitis). Entzündliche Geschehen sind mit Tagen nach der Geburt bemerkt.
>50 % die häufigste Ursache eines akuten Skrotums (Stehr
und Boehm 2003; Ciftci et al. 2004).
4 Diagnostik

2.3 Hydatidentorsion Ein akutes Skrotum ist immer als Notfall anzusehen. Die
Diagnostik muss unverzüglich eingeleitet werden. Nach wie
Eine Hydatide oder Appendix testis entspricht dem Rest der vor ist neben der Erhebung der Anamnese die klinische
zurückgebildeten Müller-Gänge und imponiert dem Neben- Untersuchung von größter Bedeutung. Eine apparative
hoden direkt benachbart meist am Hodenoberpol. Bei Tor- Untersuchung mittels Doppler-Sonografie (seltener Hodens-
sion kommt es zur Infarzierung. zintigrafie, ggf. MR nur ohne Zeitverlust) sollte immer durch-
geführt werden, um die Durchblutungssituation beurteilen zu
können (Aganovic und Cassidy 2012). Ein hohes Maß an
3 Klinik Erfahrung, aber auch eine moderne apparative Ausstattung
sind gerade bei der Sonografie Voraussetzung für die Beur-
Die Klinik ist geprägt von der akuten Schmerzsymptoma- teilung der verschiedenen Differenzialdiagnosen. Im Zweifel
tik. Die Art des Einsetzens des Schmerzes wie die Schmerz- muss, wie oben erwähnt, der Hoden freigelegt werden.
einschätzung selbst sind hier von Bedeutung: Ein in wenigen
Minuten rasch einsetzender Schmerz mit bis zu stärkster
Intensität deutet möglicherweise auf ein akutes ischämisches 4.1 Anamnese
Geschehen hin. Nicht selten, v. a. bei Vorliegen einer Hoden-
torsion, kommt es auch zum Erbrechen. Diese Patienten Die Anamnese kann Hinweise auf die verschiedenen Diffe-
suchen in aller Regel rasch ärztliche Hilfe. In einer retrospek- renzialdiagnosen liefern. Die Hodentorsion hat zwei typische
tiven Analyse hatten 69 % der Patienten eine Hodentorsion, Altersgipfel: in der Neugeborenperiode und peripubertär
wenn sie innerhalb der ersten 12 h nach Einsetzen der (Kadish und Bolte 1998). Die Hodentorsion ereignet sich
Schmerzen ärztlich untersucht wurden. Erfolgte die ärztliche häufig in den frühen Morgenstunden mit akut einsetzender
Vorstellung und Untersuchung erst danach, waren es nur Symptomatik. Typischerweise steigert sich dabei der
noch zwischen 8 und 15 % (Kadish und Bolte 1998). Schmerz im weiteren Verlauf, nicht selten kommt es zum
Dennoch kann die Klinik in hohem Maße variieren! So Erbrechen. Dabei ist das Symptom Erbrechen bei akutem
können entzündliche Prozesse gelegentlich durchaus klinisch Skrotum ein signifikanter klinischer Parameter für das Vor-
4 M. Stehr

liegen einer Hodentorsion mit einem positivem Vorhersage- Personal (z. B. Sanitäter, Pflegepersonal in der kinderchirur-
wert von 74 % (bei Vorliegen einer Torsion der Appendix gischen Ambulanz) mit gleicher Genauigkeit angewendet
testis nur 18 %, bei einer Epididymitis lediglich 9 %, Ciftci werden (Seth et al. 2016).
et al. 2004). Ein schleichender, subakuter Beginn über meh- Bei hochgradigem Verdacht auf Vorliegen einer Hoden-
rere Tage spricht hingegen eher für ein entzündliches Gesche- torsion kann eine manuelle Detorsion (nach lateral, da der
hen, auch werden hier oft intermittierende Schmerzen ange- Hoden meist nach medial torquiert) insbesondere bei älteren
geben. Patienten versucht werden. Auch bei Erfolg mit akuter
Schmerzlinderung ist die unverzüglich anschließende opera-
" Cave: Allerdings ist auch eine intermittierende Hodentor- tive Freilegung obligat.
sion mit spontaner Detorsion bekannt und mit in die Wenn auch die Anamnese wie die körperliche Untersu-
Differenzialdiagnose einzubeziehen. chung die wichtigsten diagnostischen Schritte sind, gelingt
hierdurch allerdings eine korrekte Diagnose bei vorliegender
Hodentorsion nur in etwa 88 %, d. h. 12 % werden klinisch
fehldiagnostiziert. Hydatidentorsionen oder Epididymitiden
4.2 Klinische Untersuchung sind rein klinisch noch schwieriger zu diagnostizieren
(Mushtaq et al. 2003). Um eine explorative Hodenfreilegung
An erster Stelle steht die Beurteilung der Hodenlage (Brun- möglichst zu vermeiden, sollte das akute Skrotum daher
nel-Zeichen): Bei einer Hodentorsion ist der Hoden hochs- zusätzlich insbesondere in der intermediären Risikogruppe
krotal, oft quer liegend zu tasten. Der Kremasterreflex ist (TWIST-Score 2–5) apparativ untersucht werden.
typischerweise aufgehoben. Ein hochskrotal quer zu tasten-
der Hoden ohne auslösbaren Kremasterreflex ist bei akutem
Skrotum mit einem positivem Vorhersagewert von > 80 % 4.3 Sonografie
verbunden (Ciftci et al. 2004). Eine orthotope Lage mit
intaktem Kremasterreflex spricht eher gegen eine Hodentor- Die Sonografie steht im Rahmen der apparativen Untersu-
sion, allerdings sind die Untersuchungsbedingungen oft bei chungen des akuten Skrotums an erster Stelle. Moderne
hoher Schmerzhaftigkeit und fortgeschrittener Schwellung Technik mit gepulstem Doppler-Modus, ein Linearschallkopf
eingeschränkt. Ebenso eingeschränkt beurteilbar ist das sog. mit mindestens 10 MHz mit dementsprechend hoher Auflö-
Prehn-Zeichen: Hierbei werden die Schmerzen im Falle sung sowie große Erfahrung seitens des Untersuchers sind
einer Epididymitis bei Anheben des Hodens gelindert, bei hierbei Voraussetzung. Im B-Mode lassen sich der Hoden
einer Torsion bleiben sie unverändert bestehen. Bei Vorliegen und Nebenhoden auf die Größe und Echotextur gut untersu-
einer stielgedrehten Hydatide kann man bei nicht zu starker chen, eine stielgedrehte Hydatide kann oft dargestellt werden
Schwellung der Skrotalhaut diese schwarz und infarziert (Abb. 3). Der Hoden selbst muss auf etwaige Tumoren oder
hindurch schimmern sehen (sog. „Blue-dot“-Zeichen). Infiltrate (z. B. leukämisch) hin untersucht werden. In der
Folgende klinische Untersuchungsbefunde haben sich in Duplex-Sonografie wird die Perfusion im Nebenhoden und
der Praxis zur Beurteilung eines akuten Skrotums bewährt im Hodenparenchym beurteilt. Bei entzündlichen Geschehen
und werden im sog. TWIST-Score (Testicular Workup for wie einer Epididymitis zeigt sich eine deutliche Hyperperfu-
Ischemia and Suspected Torsion) zusammengefasst: sion des Nebenhodens wie auch eine als reaktiv zu bezeich-
nende Hyperperfusion des Hodens selbst (Abb. 4).
• Testikuläre Schwellung (2 Punkte) und harte Konsistenz Es sollten nicht nur die perfundierten Gefäße selbst dar-
(2 Punkte), gestellt, sondern die Blutflussgeschwindigkeiten exakt
• fehlender Kremasterreflex (1 Punkt), systolisch (Vmax) und enddiastolisch (Vdiast) gemessen wer-
• Übelkeit und Erbrechen (1 Punkt), den. Aus diesen Werten lässt sich der Resistive-Index
• hohe Skrotallage (1 Punkt). (RI) errechnen, der ein Maß für den Gewebewiderstand und
damit für eine suffiziente Perfusion darstellt. Werte <0,7
Ein Wert < 2 Punkte bedeutet dabei ein niedriges Risiko, gelten als normal, darüber als pathologisch. Bei Werten
>5 Punkte ein hohes Risiko für das Vorliegen einer Hoden- >0,7 wird der Gewebewiderstand z. B. ödembedingt so hoch
torsion (Barbosa et al. 2013). Dabei liegt der negative Vor- bzw. die enddiastolische Blutflussgeschwindigkeit so niedrig,
hersagewert in der Niedrigrisikogruppe bei 96,61 %, der dass hier lediglich nur noch eine insuffiziente „Pendelperfu-
positive Vorhersagewert dagegen in der Hochrisikogruppe sion“ vorliegt. Ebenso muss der Untersucher darauf achten,
bei 92,86 % (Manohar et al. 2018). Damit ist dieser Score Gefäße möglichst zentral im Hodenparenchym zu messen.
auch ohne zusätzliche apparative Untersuchung (z. B. wenn Gefäße am Hodenrand entsprechen oft Arterien der Hoden-
keine Doppler-Sonografie verfügbar ist) von großem klini- hüllen, die auch bei vorliegender Hodentorsion eine Per-
schem Wert und kann ebenso auch von nicht klinischem fusion aufweisen können (Abb. 5). Ebenso dürfen Reperfu-
Akutes Skrotum 5

sionsphänomene, die nach lange bestehender Hodentorsion " Cave: Wegen der Möglichkeit eines falsch-positiven Ultra-
(>24 h) beobachtet werden können, nicht zu einem falsch- schallbefundes (falsch dargestellte Perfusion bei vorliegen-
positiven Befund führen. Mit einer Sensitivität von etwa der Ischämie) darf das Ergebnis der Ultraschalluntersuchung
92 % und einer Spezifität von etwa 98 % kann sonografisch nicht alleine ausschlaggebend sein für die Entscheidung,
und dopplersonografisch eine Hodentorsion als ischämische weiter konservativ oder operativ vorzugehen.
Ursache des akuten Skrotums diagnostiziert bzw. ausge-
schlossen werden (Stehr und Boehm 2003). Vielmehr muss die Sonografie mit dem klinischen Ein-
druck übereinstimmen:

• Besteht klinisch der Verdacht auf Hodentorsion und zeigt


sich dopplersonografisch keine Perfusion, ist die sofortige
Hodenfreilegung sicher indiziert.
• Besteht klinisch allerdings der Verdacht, dass es sich eher
nicht um eine Hodentorsion handelt und zeigt sich dopp-
lersonografisch eine gut darstellbare Perfusion des
Hodens, kann konservativ z. B. durch Antibiotikagabe
bei Verdacht auf Epididymitis vorgegangen werden.

Schon aus forensischen Gründen sind vor der Ära dieser


zusätzlichen Untersuchungsmöglichkeit wesentlich mehr
Hodenfreilegungen (bis nahe 100 %) bei akutem Skrotum
durchgeführt worden, worin der eigentliche Wert dieser
Untersuchungsmethode erkennbar wird.

4.4 Szintigrafie

Die Hodenszintigrafie ist hinsichtlich der Aussagekraft über


Abb. 3 Sonografie des Hodens bei stielgedrehter Hydatide testis
die Perfusionssituation der Hoden prinzipiell sicher gleich-

Abb. 4 Reaktive Hyperperfusion des Hodenparenchyms bei entzündlicher Genese


6 M. Stehr

Abb. 5 Doppler-Sonografie bei Hodentorsion: Intraparenchymal sind keine Flussmuster mehr ableitbar. Beachte die mögliche Restperfusion der
Hodenhüllen am oberen Bildrand

wertig zur Sonografie anzusehen. Aufgrund der höheren Zugang ist gegenüber dem skrotalen der Vorzug zu geben.
Invasivität, des größeren apparativen Aufwandes und einer Die Übersicht ist wesentlich besser, und ein gleichzeitig nicht
schlechteren Verfügbarkeit hat diese Untersuchungsmethode obliterierter Processus vaginalis kann mit versorgt werden.
heute weitgehend an Bedeutung verloren. Nach Freilegung und Detorquierung wird intraoperativ die
Erholung des Hodens beurteilt (Abb. 6). Manchmal ist es
sinnvoll, die Hodenkapsel und das Parenchym zu inzidieren.
Nach einiger Zeit kann ggf. eine Blutung aus dem Parenchym
4.5 Weiterführende Diagnostik
als Zeichen der Reperfusion gesehen werden (Abb. 7).
Bei sichtbarer Erholung erfolgt die Orchidopexie, bei
Bei entzündlicher Ätiologie kann das Blutbild dementspre-
kompletter Infarzierung die Ablatio testis. Die Entscheidung
chend verändert sein. Meist ist es aber unspezifisch. Eine
hierbei ist oft nicht einfach. Gegen einen zu großzügig indi-
Epididymitis ist ggf. mit einer Harnwegsinfektion vergesell-
zierten Erhaltungsversuch sprechen die Gefahr der Abszedie-
schaftet. Eine Urinkultur sollte vor Therapiebeginn gewon-
rung und die Möglichkeit der sog. sympathischen Orchido-
nen werden. Ein Keimnachweis gelingt dabei allerdings nur
pathie (s. unten). Für den Erhalt auch teilgeschädigter Hoden
selten.
spricht die Tatsache, dass die Leydig-Zwischenzellen wesent-
Bei rezidivierenden Epididymitiden sollte zum Aus-
lich robuster sind und eine Hormonproduktion später noch
schluss einer Harnröhrenpathologie eine Röntgen-Miktions-
erwartet werden kann. Bei einer Hodentorsion muss zudem
zysturethrografie (MCU) durchgeführt werden. Auch kann
die Gegenseite prophylaktisch pexiert werden, bei starker
ein Zystomanometrie (CMM) in Fällen neurogener oder
begleitentzündlicher Reaktion des Skrotums spätestens im
nichtneurogener Blasenentleerungsstörung wertvolle Hin-
Intervall nach etwa 4 Wochen.
weise liefern.
Obwohl bei geringsten Zweifeln an der Diagnose (Aus-
schluss Hodentorsion) die Hodenfreilegung durchzuführen
ist, darf dennoch an dieser Stelle der unkritischen Operation
5 Therapie nicht das Wort geredet werden. Bei dementsprechender
Erfahrung, Untersuchung und apparativer Diagnostik müssen
Die Therapie richtet sich nach der Ätiologie (Tab. 1). Obers- etwa 30 % aller Fälle eines akuten Skrotums operiert werden.
tes Gebot ist es, eine Hodentorsion nicht zu übersehen und so 70 % der Fälle können also konservativ behandelt werden.
rasch wie möglich operativ freizulegen. Dem inguinalen
Akutes Skrotum 7

ner auch Chlamydia trachomatis oder Neisseria gonorrhoeae.


Eine Epididymitis kann auch postinfektiös reaktiv inflamma-
torisch bedingt sein. Als typisches Beispiel wäre hier das
Mittelmehrfieber zu nennen und bei betroffenen Knaben aus
diesen Ländern sollte daran gedacht werden. Analgetika und
Antiphlogistika sind in diesen Fällen ausreichend. Bei den
bakteriell bedingten Epididymitiden sind Cephalosporine
(z. B. Cephalexin) oder Amoxicillin/Clavulansäure Mittel
der ersten Wahl, bei Jugendlichen ab der Pubertät auch
Gyrasehemmer. Wegen der Gram-negativen Lücke sollte
Clindamycin nicht verabreicht werden.
Dabei kann es aber durchaus sinnvoll sein, auch eine
Epididymitis bei drohender Abszessbildung freizulegen und
zu spülen. Der Krankheitsverlauf wird günstig beeinflusst
und abgekürzt. Prinzipiell Gleiches gilt für die Hydatidentor-
sion: Bei dementsprechender Klinik sollte nicht konservativ
vorgegangen werden, sondern die stielgedrehte Hydatide
abgetragen werden. Die Kinder sind dann tags darauf oftmals
wieder beschwerdefrei.

6 Prognose
Abb. 6 Klinischer Befund einer vollständigen Hodentorsion vor Detor-
quierung Bei einer Hodentorsion sind histologische Veränderungen
bereits nach etwa 2 h Ischämiezeit nachzuweisen. In der
Folge ist meist eine teilweise Hodenatrophie zu beobachten.
Die Spermiogenese ist dabei als erste betroffen, die Hormon-
produktion bleibt länger erhalten. Dennoch sind bei Patienten
nach Hodentorsion im Langzeitverlauf in bis zu zwei Drittel
der Fälle abnorme Werte für LH/FSH und Testosteron nach-
weisbar (Chiang et al. 2007). Während bei einer bis zu 5 h
andauernden Ischämiezeit der Hoden bei 80 % der Fälle
erhalten werden kann, gelingt dies nach 10 h nur noch bei
20 % (Melchior und Müller 2000). Eine Hodenatrophie ist
sichere Folge, und möglicherweise auch eine sympathische
Orchidopathie der Gegenseite, bei der der gesunde Hoden
durch zirkulierende Antikörper auf humoralem Weg geschä-
digt wird. Bei mehr als der Hälfte der Patienten nach Hoden-
torsion lassen sich auch Antikörper gegen körpereigene Sper-
mien nachweisen (Chiang et al. 2007). Nach 6 h Ischämiezeit
erscheint heute ein Organerhalt nicht mehr sinnvoll.
Abb. 7 Nach einer Erholungszeit von etwa 20 min nachweisbare Trotz möglicherweise pathologischer Hormonwerte oder
Reperfusion des Hodenparenchyms. Gegebenenfalls kann hierzu die
auch pathologischem Spermiogramm ist die spätere Fertilität
Hodenkapsel eröffnet werden
nach einseitiger Hodentorsion (mit oder ohne Organerhalt)
klinisch nicht eingeschränkt. Ernst nehmen muss man die
Hierbei kommen lokale Maßnahmen wie Umschläge und
Epididymitis hinsichtlich der Ausbildung späterer Sterilität.
Hodenbänkchen, ggf. Antibiotika und nichtsteroidale Anti-
Bei rezidivierenden Entzündungsprozessen muss mit einer
phlogistika zum Einsatz. Die Epididymitis spricht in aller
Vernarbung des Nebenhodens und des Ductus deferens
Regel gut auf eine intravenöse Antibiotikatherapie an. Bei
gerechnet werden.
präpubertären Knaben finden sich ganz überwiegend Enter-
obacteriaceae als auslösende Erreger, bei Jugendlichen selte-
8 M. Stehr

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