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Kulturelle und mediale Formen

des Erzählens

Vorlesung
Magdolna Orosz
WS 2010/2011
Mittwoch 16.00-17.30
Thematische Gliederung des Semesterprogramms

 narratologische Grundbegriffe und Analysekategorien


 zusammenfassende Übersicht
 Erzählanalyse – Narratologie – Narratologien
 geschichtlicher Überblick
 transgenerische Varianten des Erzählens
 Lyrik, Drama
 trans-/intermediale Varianten des Erzählens
 bildende Kunst, Film
 interdisziplinäre Varianten des Erzählens
 Geschichtswissenschaft, Gender Studies, postkoloniale
Erzähltheorie, Psychologie, kognitive Narratologie,
historische Narratologie, interkulturelle Narratologie
Narratologie als Disziplin

 narrative Strukturen:
 literarische und nicht-literarische Texte
 gattungsübergreifend
 medienübergreifend

 „narrative turn” – „narrative Wende”


 narrative Strukturen in verschiedenen Disziplinen
Narratologie als Disziplin

 Phasen der Entwicklung der Narratologie

 1) Poetiken des Epos/ des Romans/ Literaturkritik


 Konzeption(en) des Bildungsromans:
 Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman
(1774)
 Begriffsprägung: Karl Morgenstern

 Thomas Mann: Der Entwicklungsroman (1916)


Narratologie als Disziplin

 Phasen der Entwicklung der Narratologie

 1) Poetiken des Epos/ des Romans/ Literaturkritik


 romantische Romankonzeption:
 Goethe: Gespräch über Roman und Drama (1795)
 Friedrich Schlegel: Brief über den Roman; Über Goethe’s Meister /
Bildungsgeschichte (Künstler)
 Realismus: schriftstellerische Praxis und ihre Reflexion;
Literaturkritik – hauptsächlich praktische Fragen der
Romantechnik
 Otto Ludwig; Friedrich Spielhagen; Theodor Fontane; Julian Schmidt:;
Friedrich Theodor Vischer
Narratologie als Disziplin
 Phasen der Entwicklung der Narratologie

 2) „Proto-Narratologie”
 russische Formalisten (Sklovskij, Veselovskij):
 Fabula/Sujet
 Vladimir Propp: Morphologie des Märchens
 deutsche Erzählforschung:
 Käte Friedemann
 Käte Hamburger
 Günther Müller
 Franz K. Stanzel
 Eberhard Lämmert
Narratologie als Disziplin

 Phasen der Entwicklung der Narratologie:

 3) „klassische” Narratologie
 Roland Barthes, Tzvetan Todorov, Claude Bremond, Julien
Greimas, Gérard Genette
 Untersuchung der Elemente und der Strukturen des
Erzählens
 allgemeines Modell
 Benennung: Tzvetan Todorov: Grammaire du Décaméron
(1969)
 verschiedene Bezeichnungen
Narratologie als Disziplin

 Phasen der Entwicklung der Narratologie

 4) postklassiche („neue”) Narratologien:


 transgenerische Narratologie, intermediale Narratologie,
interdisziplinäre Narratologie; kognitive Narratologie,
interkulturelle Narratologie; kulturgeschichtliche Narratologie,
poststrukturalistische Narratologie, postkoloniale Narratologie,
feministische Narratologie, Narratologie und Gender u.a.
 Probleme der Einordnung und Differenzierung der
unterschiedlichen Typen und Richtungen
Narratologische Grundbegriffe und
Analysekategorien

 grundlegende Unterscheidung:
 Geschichte (histoire) – Erzählen (discours)
 mehrfache Gliederungsmöglichkeiten:
 A) Handlungsebene
 Ereignis (Motiv) – Geschehen – Geschichte –
Handlungsschema
 B) Darstellungsebene
 Erzählung (Gestaltung, zeitliche Umgruppierung)
 Erzählen (Präsentation der Geschichte)
 (vgl. Martínez/Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, S. 25f.)
Narratologische Grundbegriffe und
Analysekategorien
 ‚elementare narrative Struktur’: Ergebnis mehrfacher
Abstraktion
 von den konkreten Erscheinungsformen und den medialen
Varianten des Erzählens
 von der Trennung von ‚Geschichte’ (histoire) und
‚Erzählen’ (discours)
 von der Komplexität der ‚Geschichte’
 anwendbar in unterschiedlichen Gattungen und medialen
Formen des Erzählens
Narratologische Grundbegriffe und Analysekategorien

elementare narrative Struktur


a) das Modell von Gerald Prince: Transformation + Opposition
zwischen einem Ausgangs- und einem Endzustand
Ausgangszustand (ZA) zu t1 – Veränderung (V) zu t2 – Endzustand (ZE)
zu t3

 t1, t2, t3 = aufeinanderfolgende Zeitpunkte/Zeiträume der dargestellten


Welt
 ZE = Ergebnis der Veränderung zu t2
 ZA und ZE stehen in mindestens einem Merkmal in Opposition zueinander
 Individuum in ZA und ZE = identisch
 Möglichkeit der Verbindung mehrerer elementarer narrativer Strukturen
durch Verknüpfung/Addition und/oder Einbettung
→ komplexe narrative Strukturen
Narratologische Grundbegriffe und Analysekategorien
elementare narrative Struktur

b) das Modell von Jurij M. Lotman: Ereignis- und Raumkonzept


 Ereignis: ein Individuum der dargestellten Welt überschreitet die Grenze
zwischen zwei semantischen Räumen (als Subjekt oder als Objekt)
 Metaereignis: Grenzüberschreitung des Individuums → Transformation
des Systems der semantischen Räume der gegebenen Welt
 semantischer Raum (sR): semantisch-ideologisches Teilsystem der
dargestellten Welt, es besteht aus semantischen Merkmalen und steht in
Opposition zu mindestens einem anderen sR
 Arten semantischer Räume: topographische Räume; semantisierte
Räume; abstrakte semantische Räume
 adäquate Rekonstruktion narrativer Strukturen: Hierarchisierung von
Ereignissen
 ’Ereignis’: kultur- und textspezifisch, geschichtlich veränderlich
 problematische Momente von Lotmans Konzeption
Narratologische Grundbegriffe und Analysekategorien

Modelle narrativer Strukturen

 Vladimir Propp: Morphologie des Märchens


 russischer Zaubermärchen (Analyse von 100 Märchen)
 invariante Elemente (Funktionen) = invariante Struktur
 Funktion = Aktion der handelnden Personen, definiert unter dem Aspekt
ihrer Bedeutung für den Gang der Handlung
 Begrenzte Zahl der Funktionen
 Konstante Reihenfolge der Funktionen
 Figuren: 7 Typen / Handlungskreise, Handlungsrollen
 Held; Gegenspieler; Opfer und ihr Vater; falscher Held; Geber des
Zaubermittels; Helfer; Aussender des Helden
 Grundstein zur strukturalen Analyse von Erzähltexten, in den 1960er
Jahren von der französischen Erzählforschung weitergeführt
Narratologische Grundbegriffe und Analysekategorien

französischer Strukturalismus – Narratologie


Tzvetan Todorov: Kategorien der literarischen Erzählung
 – ‚Geschichte‘ (‚histoire‘): Gesamtmenge der erzählten Ereignisse
in ihrer (rekonstruierten) (chrono)logischen Ordnung
 Logik der Handlungen (Wiederholung, Gradation, Parallelismus);
 Personen und ihre Beziehungen
 – ‚Erzählen‘ (‚discours‘): Präsentation der ‚Geschichte‘
 Zeit: Verkettung, Alternanz, Einschub;
 Aspekte:
 Perpektive „von hinten” – Erzähler > Person;
 Perspektive „mit” – Erzähler ≅ Person;
 Perspektive „von außen” – Erzähler < Person
 Modi:
 Darstellung (Rede der Personen)
 Bericht (Rede des Erzählers)
Narratologische Grundbegriffe und Analysekategorien

französischer Strukturalismus – Narratologie

 Gérard Genette: ausdifferenziertes System narratologischer Kategorien


(verschiedene „Entwicklungsetappen”)
 statt der Dichotomie: „Triade” von Geschichte, Erzählung, Narration:
 Geschichte: die Gesamtheit der erzählten Ereignisse
 Erzählung: der schriftliche oder mündliche Diskurs, der von ihnen erzählt
 Narration: der reale oder fiktive Akt, der diesen Diskurs hervorbringt

 Geschichte: Handlung, Ereignis


 Erzählung / Narration:
 Zeit (Ordnung, Dauer, Frequenz)
 Modus (Distanz, Erzählung von Ereignissen, Erzählung von Worten;
Fokalisierung)
 Stimme (Zeitpunkt des Erzählens, Ort des Erzählens, Stellung des Erzählers
zum erzählten Geschehen, Subjekt und Adressat des Erzählens)
Narratologische Grundbegriffe und Analysekategorien

Ae→ [Ai]→ Ef → Ff → ← Ff → Lf → [Li] → Le

 Kommunikationsebenen des narrativen Textes:

Ae = empirischer (realer) Autor Le = empirischer (realer) Leser


[Ai = idealer/impliziter Autor] [Li = idealer Leser]
Ef = fiktiver Erzähler Lf = fiktiver Leser
Ff = fiktive Figur
Narratologische Grundbegriffe und Analysekategorien

Begriffe in Bezug auf die Erzählerseite (discours):

 Erzählinstanz, (fiktiver) Erzähler/Erzählfunktion


 Erzählform: Ich-Form, Er-Form;
 Blickpunkt (point of view): Abstand oder Nähe des Erzählers zum Erzählten;
 Erzählperspektive: Innensicht, Außensicht;
 Erzählverhalten: auktorial, neutral, personal;
 Erzählhaltung: bejahend, verneinend, kritisch, unkritisch, pathetisch,
ironisch usw.
 Erzählerbericht, Personenrede, Bewußtseinsdarstellung:
 Erzählweisen des Erzählerberichts: Bericht, Beschreibung, Erörterung,
szenische Darstellung
 Formen der Rede / der Gedankendarstellung:
 direkte Rede, indirekte Rede, erlebte Rede, innerer Monolog, Bewußtseinsstrom
 terminologische Divergenzen in der Erzählforschung;
 Verbindungen / Zusammenhänge der verschiedenen Kategorien
Narratologische Grundbegriffe und Analysekategorien

syntaktische und semantische Ebene narrativer Texte:


 A) innere syntaktisch-semantische Beziehungen:
 Stoff, Motiv, Thema
 Handlung (Handlungsstrang, Situation);
 Figur (Person), Figurenkonstellation, Konflikt;
Figurencharakteristik: direkt/indirekt;
 Zeit: Erzählzeit / erzählte Zeit
 zeitdeckendes Erzählen: Erzählzeit = erzählte Zeit
 zeitdehnendes Erzählen: Erzählzeit > erzählte Zeit
 zeitraffendes Erzählen: Erzählzeit < erzählte Zeit
→ Raffung: Auslassung/Aussparung, sukzessive Raffung,
iterativ-durative Raffung
 Chronologie: Simultaneität;
zeitliche Umstellung: Vorausdeutung, Rückwendung → Erzählphasen;
epische Integration
 B) referentielle Beziehungen → Fiktionalität, Mimesis u.a.

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