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Günter Müller-Stewens
Sven Kunisch | Andreas Binder
(Hrsg.)

Mergers &
Acquisitions
Handbuch für Strategen, Analysten,
Berater und Juristen

2. Auflage
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Günter Müller-Stewens / Sven Kunisch / Andreas Binder (Hrsg.)

Mergers & Acquisitions


Handbuch für Strategen, Analysten, Berater und Juristen

2., überarbeitete Auflage

2016
Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart
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Herausgeber:

Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität


St. Gallen (HSG), St. Gallen

Dr. Sven Kunisch, Lehrbeauftragter für Strategisches Management und Executive Director
Master für Unternehmensführung (MUG-HSG), Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen

Prof. Dr. Andreas Binder, Honorarprofessor für Schuld- und Gesellschaftsrecht, Universität
St. Gallen (HSG); Partner, Rechtsanwalt, Binder Rechtsanwälte, St. Gallen/Baden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Print ISBN 978-3-7910-3453-9 Bestell-Nr. 20407-0002


ePDF ISBN 978-3-7992-6994-0 Bestell-Nr. 20407-0151

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne
Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2016 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH


www.schaeffer-poeschel.de
info@schaeffer-poeschel.de

Umschlagentwurf: Goldener Westen, Berlin


Umschlaggestaltung: Kienle gestaltet, Stuttgart (Bildnachweis: Shutterstock)
Satz: Johanna Boy, Brennberg

Mai 2016

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart


Ein Tochterunternehmen der Haufe Gruppe
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  |  V

Vorwort zur 2. Auflage


Die erfreuliche Resonanz auf diesen Sammelband zu zentralen Themen zum Phäno-
men M & A hat uns mit Auslauf der 1. Auflage motiviert, das Buch für eine 2. Auflage
zu überarbeiten. In diesem Sinne gebührt zuerst einmal unseren Lesern herzlicher
Dank. Eine Überarbeitung bietet sich nach mehr als fünf Jahren auch an, da sich in der
Zwischenzeit vieles verändert hat: Die Märkte für Unternehmenskontrolle haben sich
weiterentwickelt, es kam zu neuen regulatorischen Rahmenbedingungen und die Pro-
fessionalisierung des Managements von Transaktionsprozessen ist vorangeschritten. In
diesem Sinne wurden bestehende Beiträge soweit erforderlich aktualisiert, neue Beiträge
sind hinzugekommen, andere haben wir weggelassen. Dies führte zu einer neuen Struk-
tur des Buches, bestehend aus drei Teilen: (A) M & A aus Marktperspektive, (B) M & A
aus Transaktionsperspektive und (C) M & A aus rechtlicher Perspektive.
Bei einem Sammelband wie dem vorliegenden sind zahlreiche Personen bei der
Entstehung involviert. Auch bei dieser Überarbeitung hat wieder eine große Zahl von
Personen mitgewirkt. Ihnen gilt einmal mehr der besondere Dank der Herausgeber.
Zunächst danken wir den Autorinnen und Autoren, die sich aufrafften, ihre Beiträge
zu aktualisieren und zu hinterfragen oder mit neuen Beiträgen dieses Buch zu berei-
chern. Ferner danken wir dem Verlag Schäffer-Poeschel, namentlich Frau Mollenhauer
und ihrem Team dafür, dass sie uns wieder kompetent und mit Geduld durch diesen
aufwendigen Prozess der Neuauflage gesteuert haben. Schließlich bedanken wir uns
bei Veronica Schaerer, die uns umsichtig bei der redaktionellen Bearbeitung der Manus­
kripte unterstützt hat.

St. Gallen, im Dezember 2015 Günter Müller-Stewens, Sven Kunisch, Andreas Binder
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  |  VII

Vorwort der Herausgeber


Mergers & Acquisitions (M&A) gehören zu den vielbeachteten Wirtschaftsphänomenen
der letzten beiden Jahrzehnte. Regelmäßig ist in der Wirtschaftspresse von großen
M&A-Transaktionen zu lesen und zu hören. Unter M&A wird ein weites Spektrum an
Themen erfasst, welches Unternehmenskäufe und -verkäufe, Beteiligungen, Fusionen,
Joint Ventures und strategische Allianzen einschließt. Die Motive für M&A sind vielfäl-
tig und reichen von Wachstum über Restrukturierungen bis zu Nachfolgeregelungen.
Somit gehört M&A sowohl für große Konzerne als auch für kleine und mittelständische
Unternehmen zum Handwerkszeug.
Häufig muss in kurzer Zeit über hohe Investitionen mit erheblichen Risiken ent-
schieden werden. Bei richtigen Entscheidungen können Unternehmen mittels M&A auf
eine neue Stufe ihrer Entwicklung gelangen, da M&A Zugang zu neuen Ressourcen und
Märkten ermöglicht und externes Wachstum bewirkt. Fehlentscheide hingegen können
desaströse Auswirkungen auf die Entwicklung der involvierten Unternehmen auch noch
Jahre nach einer Transaktion haben. M&A ist damit aus betriebswirtschaftlicher Sicht,
aber auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive von erheblicher Bedeutung, und Staa-
ten sind gut beraten, für wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen ihres Marktes, auf
dem diese Unternehmen gehandelt werden, Sorge zu tragen.

Im angelsächsischen Raum nimmt M&A bereits seit vielen Jahrzehnten eine wichtige
Stellung im Wirtschaftsgeschehen ein. In Deutschland, Österreich und in der Schweiz
begannen sich die M&A-Märkte dagegen erst Ende der 1980er Jahre richtig zu entwi-
ckeln und zu professionalisieren. Vor dem Hintergrund von zwei Jahrzehnten Professi-
onalisierung der M&A-Aktivitäten in diesen Ländern widmet sich das vorliegende Werk
den Entwicklungen (Analysen und Trends) und Best Practices von M&A. Wir möchten
mit diesem Buch eine Art Due Diligence des komplexen Phänomens M&A über einen
längeren Zeitraum vornehmen. Im Zentrum stehen zwei Fragen: Welche Entwicklungs-
muster sind erkennbar? Und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die zu-
künftige Entwicklung ziehen?
Aus inhaltlicher Sicht zielt das Buch somit auf zwei Themenschwerpunkte ab: Zum
einen werden die Entwicklungen des M&A-Marktes über einen Zeitraum von 20 Jahren
analysiert und interpretiert. Zum anderen werden Best Practices dargestellt, die sich
über die Jahre bei im M&A-Bereich tätigen Unternehmen herauskristallisiert haben. Bei-
de Themenschwerpunkte werden aus verschiedenen Perspektiven untersucht: Betriebs-
wirtschaftliche Aspekte von Strategie, Planung, Durchführung und Integration werden
ebenso beleuchtet wie rechtliche, steuerliche und politische Rahmenbedingungen.
Diese Themenschwerpunkte spiegeln sich in der Gliederung des Buches mit ins-
gesamt sechs Teilen wider: In Teil A werden die Grundlagen behandelt. Dies schließt
Begriffsdefinitionen und eine historische Betrachtung der M&A-Wellen ein. In Teil B
werden die Aktivitäten auf den M&A-Märkten analysiert und interpretiert. Dies be-
inhaltet neben auf geographische Märkte fokussierten Bestandsaufnahmen auch ei-
ne Betrachtung von Private Equity-Aktivitäten und eine Analyse zum M&A-Erfolg in
verschiedenen Zyklen des Aktienmarktes. Teil C beinhaltet Analysen zum Stand des
Wissens in der M&A-Managementforschung. Im Fokus von Teil D steht das Managen
von M&A-Transaktionen. Dieser Teil ist prozessorientiert in die drei Transaktionspha-
sen Planung, Durchführung und Integration untergliedert, zu welchen jeweils ausge-
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VIII  |  Vorwort der Herausgeber

wählte Aspekte behandelt werden. Im Blickpunkt von Teil E stehen M&A-Professionen.


Diese sind verknüpft mit M&A-bezogenen Aufgaben in Unternehmensfunktionen und
M&A-Beratungsdienstleitungen. In Teil F werden die Entwicklungen der rechtlichen
und steuerlichen Rahmenbedingungen betrachtet, gegliedert nach den Bereichen Ver-
tragsrecht, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, Übernahmerecht, Wettbewerbsrecht
und Steuerrecht. Dabei werden international gültige Aspekte ebenso behandelt wie
landesspezifische Besonderheiten.
In allen sechs Teilen des Buches haben wir zwei Typen von Beiträgen integriert:
Zum einen werden in umfangreicheren Fachbeiträgen einzelne Aspekte entlang der
Themenschwerpunkte beleuchtet. Neben diesen beinhaltet das Werk zum anderen
Kurzbeiträge in zwei Varianten: In Standpunkten nehmen ausgewählte Fachexperten zu
einem spezifischen Aspekt pointiert Stellung; die Rückspiegel dienen dazu, einige der
aufsehenerregendsten M&A-Transaktionen zusammenzufassen.
Insgesamt decken die Beiträge der zahlreichen Experten aus Wissenschaft und Pra-
xis den Stand des Wissens und aktuelle Tendenzen aus einer problemorientierten Sicht-
weise und disziplinübergreifend ab. Damit richtet sich das Buch an M&A-Professionals
aus den Bereichen Betriebswirtschaft sowie Recht und Steuern. Im Einzelnen ist es an
Berater, Anwälte und Praktiker aus M&A- und Strategieabteilungen adressiert. Auch
Akademiker finden darin wertvolle Inhalte.
[…]

Bei einem umfangreichen Werk wie dem vorliegenden sind zahlreiche Personen in-
volviert. Ihnen gilt der besondere Dank der Herausgeber: Zunächst danken wir den
zahlreichen Autorinnen und Autoren, die mit ihrem Engagement und ihren Beiträgen
dieses Werk ermöglicht haben. Ferner danken wir dem Verlag Schäffer-Poeschel, na-
mentlich Frau Mollenhauer und ihrem Team, für die kompetente Betreuung des gesam-
ten Buchprojektes. Wir bedanken uns ebenfalls recht herzlich bei Francis Higiro und
Martin Eschenmoser, die beide mit viel Fleiß und großer Sorgfalt durch die redaktionelle
Bearbeitung der Manuskripte, ersterer bei allen Manuskripten und letzterer punktuell,
einen wichtigen Beitrag zum Gelingen des Projektes geleistet haben. Schließlich danken
wir dem Profilbereich Responsible Corporate Competitiveness der Universität St. Gallen,
welcher dieses Buchprojekt finanziell gefördert hat.

St. Gallen, im Juli 2010 Günter Müller-Stewens, Sven Kunisch, Andreas Binder
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Inhaltsverzeichnis

Vorworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI

Mergers & Acquisitions: Drei Perspektiven auf ein komplexes Phänomen


Günter Müller-Stewens, Sven Kunisch, Andreas Binder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

A. M & A aus Marktperspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

I. Einleitung zum M & A-Markt


Günter Müller-Stewens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Analysen und Trends

II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz


Günter Müller-Stewens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

III. Das weltweite M & A-Geschehen: Rückblick und Ausblick


Kai Tschöke/Martin Mailänder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Emerging Markets als Treiber von M & A-Transaktionen in der


Versicherungsbranche
Andreas Grünbichler/Peter Hirs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes –


eine phasenorientierte Entwicklungsanalyse
Henning Düsterhoff/Sven Kunisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

Vodafone und Mannesmann: Der größte M & A-Deal aller Zeiten


Günter Müller-Stewens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

V. Der Schweizer M & A-Markt


Markus Menz, Fabian Barnbeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

VI. M & A in Österreich: Das Ende des zentraleuropäischen M & A-Powerhouse?


Nikolaus Lang, Mona Philomena Ladler, Tibor von Mérey . . . . . . . . . . . . . . . 121

Private Equity als Anlageinstrument: Captive oder Non-Captive?


Thomas U. W. Pütter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
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X  |  Inhaltsverzeichnis

M & A als Profession

VII. M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum und Beratertypen


Günter Müller-Stewens, Michael Schäfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

VIII. M & A als Beratung – Schon bei der Portfolio-Allokationsentscheidung


Maximilian Dietzsch-Doertenbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

IX. M & A und Politik


Berthold Fürst/Stephan Leithner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

X. Geschäftsmodell von selbstständigen M & A-Beratungen


Siegfried L. Drueker/Frank Ponndorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

XI. Exzellenz bei M & A – Aufbau erfolgreicher M & A-Funktionen


Patrick Beitel/Jörg Musshoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

XII. Vom juristischen Service Center zum Manager – Die Rolle von Juristen


bei M & A-Prozessen
Christof Lamberts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

B. M & A aus Transaktionsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

I. Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung


Günter Müller-Stewens/Michael Schäfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Transaktionsprozess und -typen

II. Carve-outs erfolgreich gestalten: Eine gesamtheitliche Perspektive


Ekkehard Franzke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen


Kristin Alena Sadowski/Felix Morlock/Christian Weyand . . . . . . . . . . . . . . . . 236

IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles –


aber ohne Psychologie ist alles nichts
Uwe Böning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

Planung

V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie


Lisa Hopfmüller/Markus Schimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

Die »Go Global M & A«-Strategie der chinesischen Unternehmen


Bernd W. Wirtz, Marc Elsäßer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
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Inhaltsverzeichnis  |  XI

VI. Planung und Vorbereitung als Erfolgsfaktoren für M & A


Ulrich Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung


des Unternehmenswerts
Martin Baumüller/Thomas Wirth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

Bayer-Schering-Übernahme: Nachhaltige Wertschöpfung mittels


einer erprobten Vorgehensweise bei der Integration
Bernd Marschmann/Alexander Moscho . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

Durchführung

VIII. Werttreiberbasierte Finanzplanung im Rahmen der Unternehmens-


transaktion
Lars-Michael Böhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

IX. Ein »One-Hit-Wonder«? Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen


Thomas C. Sittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Ein Vierteljahrhundert Wandel in der Unternehmensbewertung


Helmut Pernsteiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

X. Unternehmensbewertung und Wertsteigerungshebel aus Kapitalmarkt-


perspektive
Jens Kengelbach/Martin Link/Alexander Roos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

XI. Private Auktionen im M & A-Kontext – Ausgewählte Best-Practice-Beispiele


aus Verkäuferperspektive
Frédéric Rochat/Johannes Korp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

XII. Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen


Wolfgang Berens/Thorsten Knauer/Anja Schwering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale


M & A-Transaktionen: Konzept, Praxisschlaglicht und Empfehlungen
Claus Steinle/Timm Eichenberg/Julia Weber-Rymkovska . . . . . . . . . . . . . . . . 400

Integration

XIV. Wertorientierte M & A-Integration


Kai Lucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

Post Merger Integration beim Zusammenschluss zu Sanofi-Aventis


Jean-Yves Wessely/Ralf Moldenhauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
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XII  |  Inhaltsverzeichnis

XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung


von Post Merger Management
Andreas Schreiner/Markus Wirth/Thomas Wirth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Managements


von Post Merger Integrationen
Juan Rigall/Alexander Tarlatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474

Post Merger Disputes: Vermeiden, vorbereiten, erfolgreich gestalten


Christoph Schalast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490

XVII. Im Tandem zum Integrationserfolg: Aus Mitarbeiter- und Kundensicht


die Kulturintegration gestalten
Silke Grosse-Hornke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493

XVIII. IT als kritischer Erfolgsfaktor im Rahmen einer M & A-Integration


Stefan Schaaf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509

C. M & A aus rechtlicher Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn


Andreas Binder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519

Vertragsrecht

II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht


Gerhard Picot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553

III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht


Rudolf Tschäni/Matthias Wolf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575

IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung


der FBI-Methoden
Hermann Rock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595

Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht

V. Entwicklungen im schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht


Urs Schenker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620

VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts


Jochen Vetter/Daniel Wiegand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635

VII. Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen in der Praxis


Matthias Bruse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
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Inhaltsverzeichnis  |  XIII

Übernahmerecht

VIII. Entwicklungen des deutschen Übernahmerechts – Von freiwilliger


Selbstkontrolle zu staatlicher Regulierung
Thomas Menke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671

IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht


Dirk Classen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686

Rolle des Aufsichtsrats bei M & A-Transaktionen


Manuel René Theisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710

X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts –


Von der Selbstregulierung zu einem praxisnahen Gesetz
Rolf Watter/Mariel Hoch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714

Wettbewerbsrecht

XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter besonderer


Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle
Daniela Seeliger/Antje Heinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737

Entwicklungen in der deutschen Fusionskontrolle


Andreas Mundt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754

XII. Entwicklung und Praxis der schweizerischen Fusionskontrolle


Jürg Borer/Amalie Wijesundera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757

Zur wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs


Carl Baudenbacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768

Steuerrecht

XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Deutschlands


Stefan Köhler/Michael Vogel/Michael Adolf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778

XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Österreichs


Markus Schragl/Daniela Schalko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798

XV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht der Schweiz


Georg Lutz/Flurin Poltera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819
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Autorenverzeichnis

Michael Adolf Prof. Dr. Andreas Binder


Partner Honorarprofessor für Schuld- und
Ernst & Young Gesellschaftsrecht,
Eschborn/Frankfurt a. M. Universität St. Gallen (HSG)
St. Gallen
Fabian Barnbeck
Partner, Rechtsanwalt
Doktorand
Binder Rechtsanwälte
Universität St. Gallen (HSG)
St. Gallen/Baden
St. Gallen
Lars-Michael Böhle
Prof. Dr. Dr. h. c. Carl Baudenbacher
Leiter Customer Development
Präsident des EFTA-Gerichtshofs
CP Corporate Planning AG
Luxemburg
Hamburg
Direktor Center of European and
International Law Uwe Böning
Universität St. Gallen (HSG) Geschäftsführender Gesellschafter
St. Gallen Böning-Consult GmbH
Frankfurt a. M.
Dr. Martin Baumüller
Bereichsleiter Jürg Borer
Geberit International AG Partner, Rechtsanwalt
Rapperswil-Jona Schellenberg Wittmer AG
Zürich
Dr. Ulrich Becker
Managing Director Dr. Matthias Bruse
UBS AG Partner, Rechtsanwalt
Zürich P+P Pöllath + Partners
München
Dr. Patrick Beitel
Partner Dr. Dirk Classen
McKinsey & Company Partner, Rechtsanwalt
Frankfurt a. M. Classen Fuhrmanns & Partner
Köln
Founding Partner und Managing Director
Digital Plus
Dr. Maximilian Dietzsch-Doertenbach
München
Managing Partner
Doertenbach & Co. GmbH
Prof. Dr. Wolfgang Berens
Frankfurt a. M.
Lehrstuhlinhaber für BWL
Westfälische Wilhelms-Universität
Siegfried L. Drueker
Münster
Geschäftsführer
Drueker & Co. GmbH
Frankfurt a. M.
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XVI  |  Autorenverzeichnis

Henning Düsterhoff Peter Hirs


Chefredakteur Chief Financial Officer
M & A REVIEW Zurich Versicherungsgesellschaft AG
St. Gallen Schweiz
Zürich
Prof. Dr. Timm Eichenberg
Dekan Fachbereich Wirtschaft Dr. Mariel Hoch
Professor für Personal- und Partnerin, Rechtsanwältin
Projektmanagement Bär & Karrer AG
Hochschule Weserbergland Zürich
Hameln
Dr. Lisa Hopfmüller
Marc Elsäßer Investment Manager
Wissenschaftlicher Mitarbeiter INVESTNET AG
Lehrstuhl für Informations- und Herisau
Kommunikationsmanagement
Deutsche Universität für Dr. Jens Kengelbach
Verwaltungswissenschaften Partner und Managing Director
Speyer The Boston Consulting Group
München
Dr. Ekkehard Franzke
Partner Prof. Dr. Stefan Köhler
A. T. Kearney GmbH Partner, Steuerberater
München Ernst & Young
Eschborn/Frankfurt a. M.
Dr. Berthold Fürst
Co-Verantwortlicher Prof. Dr. Thorsten Knauer
M & A-Geschäft EMEA Lehrstuhlinhaber für Controlling
Deutsche Bank AG Universität Bayreuth
Frankfurt a. M. Bayreuth

Silke Grosse-Hornke Johannes Korp


Partnerin Principal
Grosse-Hornke Private Consult Hellmann & Friedman
Münster London

Prof. Dr. Andreas Grünbichler Dr. Sven Kunisch


Chief Financial Officer Lehrbeauftragter für Strategisches
und Vorstandsmitglied Management und Executive Director Master
Wüstenrot Gruppe für Unternehmensführung (MUG-HSG)
Salzburg Universität St. Gallen (HSG)
St. Gallen
Titular- und Honorarprofessor
Universität St. Gallen (HSG)/
Dr. Mona Philomena Ladler
Universität Wien
Postdoc-Assistentin
St. Gallen/Wien
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Klagenfurt
Dr. Antje Heinen
Leiterin Interne Revision und Compliance
Christof Lamberts
DALLI-WERKE GmbH & Co. KG
Partner & Rechtsanwalt
Stolberg
Eversheds
München
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Autorenverzeichnis  |  XVII

Dr. Nikolaus Lang Dr. Ralf Moldenhauer


Senior Partner & Managing Director Senior Partner & Managing Director
The Boston Consulting Group The Boston Consulting Group
München Frankfurt a. M.

Dr. Stephan Leithner Felix Morlock


Partner Director
EQT Partners GmbH Kommunikationsstrategieberatung
München Brunswick
Frankfurt a. M.
Martin Link
Knowledge Expert Corporate Development Dr. Alexander Moscho
The Boston Consulting Group CEO Bayer UK/Irland
München Leiter Pharmasparte UK

Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks Prof. Dr. Günter Müller-Stewens


Vorsitzender Professor für Strategisches Management
Bundesverband Mergers & Acquisitions e. V. Universität St. Gallen (HSG)
St. Gallen
Geschäftsführer
MMI Merger Management Institut GmbH
Andreas Mundt
München
Präsident
Bundeskartellamt
Dr. Georg Lutz
Bonn
Rechtsanwalt, Dipl. Steuerexperte
Leitender Partner M & A Tax
Jörg Musshoff
Ernst & Young
Partner
Zürich
McKinsey & Company
Frankfurt a. M.
Martin Mailänder
M & A Analyst Intern
Prof. Dr. Helmut Pernsteiner
Rothschild GmbH
Institut für betriebliche Finanzwirtschaft
Frankfurt a. M.
Johannes Kepler Universität
Linz
Bernd Marschmann
Leiter Einkauf
Prof. Dr. Gerhard Picot
Bayer Technology Services GmbH
Geschäftsführender Partner
Leverkusen
PICOT Rechtsanwaltskanzlei
Köln
Dr. Thomas Menke
Partner, Rechtsanwalt
Flurin Poltera
Anwaltssozietät Gleiss Lutz
Rechtsanwalt, Dipl. Steuerexperte
Düsseldorf
Leitender Partner M & A Tax
Deloitte AG
Prof. Dr. Markus Menz
Zürich
Professor für Strategisches Management
Universität Genf
Frank Ponndorf
Genf
Projektmanager
Hamann Softwareentwicklung
Tibor von Mérey
Nidderau
Projektleiter
The Boston Consulting Group
Wien
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XVIII  |  Autorenverzeichnis

Thomas U. W. Pütter Dr. Urs Schenker


Chairman und Chief Executive Rechtsanwalt, Senior Counsel
Ancora Finance Group Walder Wyss AG
London
Privatdozent
Universität St. Gallen (HSG)
Dr. Juan Rigall
Zürich/St. Gallen
Geschäftsführer
Santiago Advisors
Prof. Dr. Daniela Seeliger
Willich
Partnerin, Rechtsanwältin
Sozietät Linklaters LLP
Frédéric Rochat
Düsseldorf
Teilhaber
Lombard Odier
Daniela Schalko
Genf
Director Corporate Tax
Automic Software GmbH
Dr. Hermann Rock
Wien
Rechtsanwalt, General Counsel
AFINUM Management GmbH
Dr. Markus Schimmer
München
Strategieberater
Accenture Strategy
Alexander Roos
Zürich
Senior Partner & Managing Director
The Boston Consulting Group
Dr. Markus Schragl
Berlin
Partner, Steuerberater
Ernst & Young
Kristin Alena Sadowski
Wien
Director
Kommunikationsstrategie-
Dr. Andreas Schreiner
beratung Brunswick
Managing Director
Frankfurt a. M.
Deutsche Bank AG
Frankfurt a. M.
Stefan Schaaf
Executive Director
Dr. Anja Schwering
Ernst & Young
Akademische Rätin am Lehrstuhl für
Düsseldorf
Controlling
Universität Bayreuth
Prof. Dr. Christoph Schalast
Bayreuth
Rechtsanwalt und Managing Partner
Schalast & Partner Rechtsanwälte
Dr. Thomas C. Sittel
Academic Director M & A Partner
Frankfurt School of Finance & Management goetzpartners
Frankfurt a. M. München

Dr. Michael Schäfer Prof. Dr. Claus Steinle


Redakteur Professor (em.)
Neue Zürcher Zeitung Leibniz Universität Hannover
Zürich Hannover

Dr. Alexander Tarlatt


Geschäftsführer
Santiago Advisors
Willich
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Autorenverzeichnis  |  XIX

Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen Christian Weyand


Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirt­ Partner
schaftslehre, Betriebswirtschaftliche Kommunikationsstrategieberatung
Steuerlehre und Steuerrecht (beurlaubt) Brunswick
Ludwig-Maximilians-Universität München Frankfurt a. M.
München
Dr. Daniel Wiegand
Geschäftsführender Herausgeber
Partner, Rechtsanwalt
von »Der Aufsichtsrat«
Hengeler Mueller
München
Dr. Rudolf Tschäni
Partner, Rechtsanwalt
Amalie Wijesundera
Lenz & Staehelin
Rechtsanwältin
Zürich
Schellenberg Wittmer AG
Zürich
Kai Tschöke
Managing Director
Dr. Markus Wirth
Rothschild GmbH
Global Head of Strategy
Frankfurt a. M.
COFRA Holding AG Group
Zug
Prof. Dr. Jochen Vetter
Partner, Rechtsanwalt
Thomas Wirth
Hengeler Mueller
COO Private Banking Northern & Eastern
München
Europe
Honorarprofessor Credit Suisse
Universität zu Köln Zürich
Köln
Prof. Dr. Bernd W. Wirtz
Michael Vogel Universitätsprofessor
Partner Lehrstuhl für Informations- und
Ernst & Young Kommunikationsmanagement
Eschborn/Frankfurt a. M. Deutsche Universität für
Verwaltungswissenschaften Speyer
Prof. Dr. Rolf Watter Speyer
Partner, Rechtsanwalt
Bär & Karrer AG Matthias Wolf
Zürich Partner, Rechtsanwalt
Lenz & Staehelin
Julia Weber-Rymkovska Zürich
Managerin im Bereich Integration Advisory
KPMG
London

Dr. Jean-Yves Wessely


Senior Manager im Ruhestand
Sanofi-Aventis
Paris
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  |  XXI

Abkürzungsverzeichnis

a. A. andere Ansicht


a. F. alte Fassung
AbAG Abgabenänderungsgesetz
ABI Amtsblatt der Europäischen Union
Abs. Absatz
ADIA Abu Dhabi Investment Authority (Staatsfonds)
AG Aktiengesellschaft
AJP Aktuelle Juristische Praxis (schweizerische juristische Fachzeit-
schrift)
AktG Aktiengesetz
AnsFug Anlegerschutz- und Funktionsgesetz
AOL America Online
ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
der Bundesrepublik Deutschland
AROOI abnormale operative Rendite
Art. Artikel
AuM Assets under Management
AWG Außenwirtschaftsgesetz

B. V. Besloten Vennootschap (niederländisches Äquivalent zur GmbH)


BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Deutschland)
BB Betriebs-Berater (Fachzeitschrift)
BBI Bundesblatt
BCG The Boston Consulting Group
BCSM Behavioral Change Stairway Model
BEHG Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel (kurz:
Börsengesetz) (Schweiz)
BEHV-EBK Verordnung der Eidgenössischen Bankenkommission über die Börsen
und den Effektenhandel vom 25.06.1997
BEHV-FINMA Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht über
die Börsen und den Effektenhandel vom 25.10.2008
BEPS Base Erosion and Profit Shifting
BetrVG Betriebsverfassungsgesetz
BFH Bundesfinanzhof (Deutschland)
BGB Bürgerliches Gesetzbuch (Deutschland)
BGBl Bundesgesetzblatt
BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
BGH Bundesgerichtshof (Deutschland)
BHAR Abnormale Buy & Hold-Kapitalmarktrendite
BKR Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht
BMF Bundesministerium der Finanzen (Deutschland)
BMJ Bundesministerium der Justiz (Deutschland)
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XXII  |  Abkürzungsverzeichnis

BRIC Brasilien (B), Russland (R), Indien (I), China (C)


BSK Börsensachverständigenkommission
bspw. beispielsweise
BVK Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften e.V.
BWL Betriebswirtschaftslehre
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise

c. i. c. culpa in contrahendo


CAPM Capital Asset Pricing Model
CAR kumulierte abnormale Rendite
CDD Cultural Due Diligence
CDS Credit Default Swaps
CEFS Center for Entrepreneurial and Financial Studies
CEO Chief Executive Officer
CFO Chief Financial Officer
CIC China Investment Corp.
COMECON Council for Mutual Economic Assistance

d. h. das heißt


DACH Deutschland (D), Österreich (A), Schweiz (CH)
DAX Deutscher Aktienindex
DB Der Betrieb (Fachzeitschrift)
DB Direkte Bundessteuer (Schweiz)
DBA Doppelbesteuerungsabkommen
DBG Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (Schweiz) vom
14.12.1990
DBVC Deutscher Bundesverband Coaching e.V.
DCF Discounted Cashflow
DCGK Deutscher Corporate Governance Kodex
DD Due Diligence
DDR Deutsche Demokratische Republik
DHV Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften
DIFC Dubai International Financial Centre
DIRK Deutscher Investor Relations Verband e.V.
dit Deutscher Investment Trust Gesellschaft für Wertpapieranlagen mbH
Div Dividende
DM Deutsche Mark
DNA Deoxyribonucleic Acid (deutsch: Desoxyribonukleinsäure, kurz:
DNS)
DPS Dividend per Share
DStR Das deutsche Steuerrecht (Fachzeitschrift)
DVA Deal Value Added

e. V. Eingetragener Verein


EBIT Earnings before Interest and Taxes
EBITDA Earnings before Interest, Taxes, Depreciation, Amortization
EBK Eidgenössische Bankenkommission
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Abkürzungsverzeichnis  |  XXIII

EBS European Business School


EDP Energias de Portugal
EDS Electronic Data Systems Corporation
EFTA European Free Trade Association
EG Europäische Gemeinschaft
EK Eigenkapital
EMBL-HSG Executive Master of European Business Law (der Universität St.Gallen)
EMC Entreprise Minière et Chimique
Erw. Erwägung
EstG Einkommensteuergesetz
ESTV Eidgenössische Steuerverwaltung (Schweiz)
etc. et cetera
EU Europäische Union
EuG Europäisches Gericht
EuGH Europäischer Gerichtshof
EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EV Enterprise Value
EVA Economic Value Added
EVCA European Private Equity and Venture Capital Association
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWR Europäischer Wirtschaftsraum

FDD Financial Due Diligence


FDP Freie Demokratische Partei (Deutschland)
Fed Federal Reserve System (US-Notenbank)
FINMA Eidgenössische Finanzmarktaufsicht
FINMAG Finanzmarktaufsichtsgesetz (Bundesgesetz über die Eidgenössische
Finanzmarktaufsicht vom 22.06.2007)
Fn. Fußnote
FPÖ Freiheitliche Partei Österreichs
FRC Financial Reporting Council
FStR IFF Forum für Steuerrecht (Zeitschrift)
FTD Financial Times Deutschland
FTE Full Time Equivalent
FusG Fusionsgesetz

GDP Gross Domestic Product (englisch für Bruttoinlandsprodukt)


GDP Gás de Portugal
GE General Electric
GebG Gebührengesetz (Österreich)
GesKR Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht (Schweiz)
GewStG Gewerbesteuergesetz (Deutschland)
ggf. gegebenenfalls
GIC Government of Singapore Investment Corp.
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GPO Government Printing Office
GST Generalized-Sign-Test
GUS Gemeinschaft Unabhängiger Staaten
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XXIV  |  Abkürzungsverzeichnis

GuV Gewinn- und Verlustrechnung


GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Deutschland)

h. m. herrschende Meinung


HGB Handelsgesetzbuch (Deutschland)
HHI Herfindahl-Hirschman-Index
HMG Hendrix Meat Group
HP Hewlett-Packard Co.
HR Human Resources
HSG Hochschule St. Gallen (Universität St. Gallen)
HWP Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprüfung

i. A. im Allgemeinen
i. d. R. in der Regel
i. e. S. im engeren Sinne
i. F. d. in Form des
i. H. v. in Höhe von
i. S. d. im Sinne des
i. S. v. im Sinne von
i. V. m. in Verbindung mit
i. w. S. im weiteren Sinne
i. Z. m. im/in Zusammenhang mit
IAR Geschäftsbereich Inks and Adhesive Resins
IBGYBG I‘ll Be Gone, You‘ll Be Gone (engl. Akronym)
IBM International Business Machines Corp.
ICB Industry Classification Benchmark
IFRS International Financial Reporting Standards
IO Industrial Organization
IP Intellectual Property
IP Internet Protocol
IPEV International Private Equity and Venture Capital Valuation Guidelines
IPIC International Petroleum Investment Company
IPO Initial Public Offering
IRR Internal Rate of Return (englisch für Interner Zinsfuß)
IStR Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)
IT Informationstechnologie

JV Joint Venture

KG Kartellgesetz
KG Kommanditgesellschaft
KGaA Kommanditgesellschaft auf Aktien
KGV Kurs-Gewinn-Verhältnis
KKR Kohlberg Kravis Roberts & Co.
KS Kreisschreiben (Schweiz)
KStG Körperschaftsteuergesetz

LBO Leveraged Buyout


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Abkürzungsverzeichnis  |  XXV

LG Landgericht (Deutschland)
lit. littera (lateinisch für Buchstabe)
LL. M. Legum Magister (engl.: Master of Laws; zu deutsch: Meister der Rech-
te)
LLC Limited Liability Company
LP Limited Partnership
Ltd. Limited Company

M & A Mergers & Acquisition


m. w. H. mit weiteren Hinweisen
m. w. N.
  mit weiteren Nachweisen
MAC Material Adverse Change
MBA Master in Business Administration
MBI Management Buy-in
MBO Management Buy-out
MEG Mittelstandsentlastungsgesetz (Deutschland)
MLE Master in Law and Economics
MSCI Morgan Stanley Capital International (US-amerikanischer Finanz-
dienstleister)

N. V. Naamloze Vennootschap (niederländisches Äquivalent zur Aktien­


gesellschaft)
NAV Net Asset Value (deutsch: Nettoinventarwert)
NBO Non-binding Offer
NJW Neue Juristische Wochenschrift
NYSE New York Stock Exchange
NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
NZZ Neue Zürcher Zeitung

OCI Organizational Culture Inventory


OECD Organisation for Economic Co-operation and Development (deutsch:
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
OHI Organizational Health Index
ÖIAG Österreichische Industrieverwaltungs-AG
OLG Oberlandesgericht
OLS Ordinary Least Squares (Methode der kleinsten Quadrate)
OMV Österreichische Mineralölverwaltung
OPEC Organization of Petroleum Exporting Countries (deutsch: Organisation
erdölexportierender Länder)
OR Obligationenrecht (Schweiz)
ÖVAG Österreichische Volksbanken AG
ÖVP Österreichische Volkspartei

p. a. per annum


p. F. V. positive Forderungsverletzung
PB Private Banking
PD Privatdozent
PE Private Equity
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XXVI  |  Abkürzungsverzeichnis

PIMCO The Pacific Investment Management Company


PIPE Private Investment in Public Equity
PLC Public Limited Company
PMI Post Merger Integration
PMM Post Merger Management
PR Public Relations
PwC PricewaterhouseCoopers

Q & A Questions & Answers


QIA Qatar Investment Authority

R & D Research & Development (deutsch: Forschung & Entwicklung)


RBS The Royal Bank of Scotland
RegE Regierungsentwurf
resp. respektive
RGZ Entscheidungen des Reichsgerichtes in Zivilsachen (Amtliche
Sammlung)
RIO Regional Integration Office (lokales Integrationsbüro)
Rn. Randnummer
ROA Return on Assets
ROI Return on Investment
RONA Return on Net Assets
ROS Return on Sales
RS Reasoned Submission
RVG Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
RWZ Zeitschrift für Recht und Rechnungswesen

S. A. Société Anonyme (französisches Äquivalent zur Aktiengesellschaft)


SAS Société par Actions Simplifiée (deutsch: Aktiengesellschaft in verein-
fachter Form)
SBV Schweizerischer Bankverein
SCA Société en Commandite par Actions (französisches Pendant zur deut-
schen KGaA)
SCPA Société Commerciale des Potasses et de l‘Azote
SDC Securities Data Company
SE Societas Europaea (Europäische Gesellschaft)
SEA Securities Exchange Act
SEC United States Securities and Exchange Commission (US-
Börsenaufsichts­behörde)
SFr. Schweizer Franken
SIC Standard Industrial Classification (Branchenklassifizierung)
SIEC Significant Impediment of Effective Competition
SKW Süddeutsche Kalkstickstoff-Werke
SLC Substantial Lessening of Competition
SOA Sarbanes Oxley Act
sog. sogenannte
SPA Share Purchase Agreement
SPÖ Sozialistische sowie später Sozialdemokratische Partei Österreichs
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Abkürzungsverzeichnis  |  XXVII

SSCI Social Science Citation Index


ST Der Schweizer Treuhänder (Fachzeitschrift)
StG Steuergesetz (Schweiz)
SWF Sovereign Wealth Funds (deutsch: Staatsfonds)
SWK Steuer- und Wirtschaftskartei (österreichische Zeitschrift)
SZW Schweizerische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht

TARP Troubled Asset Relief Programs


TPG Texas Pacific Group (Beteiligungsgesellschaft)
TSA Transfer Service Agreement
TSR Total Shareholder Return
TUG Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes

u. a. unter anderem


u. U. unter Umständen
UBG Unternehmensgesetzbuch (Österreich)
UEV Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebo-
te vom 21.08.2008
UEV-UEK Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebo-
te vom 21.07.1997
UmwStG Umwandlungssteuergesetz (Deutschland)
UN United Nations
UNIDROIT International Institute for the Unification of Private Law
US United States (Vereinigte Staaten)
US-GAAP United States Generally Accepted Accounting Principles (deutsch:
Allgemein anerkannte Rechnungslegungsgrundsätze der Vereinigten
Staaten)

VAW Vereinigte Aluminium-Werke AG


VC Venture Capital
VEB Volkseigener Betrieb
VEBA Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG
VIAG Vereinigte Industrieunternehmungen AG
VR Verwaltungsrat (Schweiz)
vs. versus
VW Volkswagen
VwGH Verwaltungsgerichtshof (Österreich)
VwVG Verwaltungsverfahrensgesetz (Schweiz)

WACC Weighted Average Cost of Capital


Weko Wettbewerbskommission (Schweiz)
WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht
WM Wertpapier Mitteilungen (Fachzeitschrift)
WpAIV Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung
WpHG Wertpapierhandelsgesetz (Deutschland)
WpÜG Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (Deutschland)
WSP Wertsteigerungspotenzial
WuW Wirtschaft und Wettbewerb (Fachzeitschrift)
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XXVIII  |  Abkürzungsverzeichnis

z. B. zum Beispiel


ZDF Zweites Deutsches Fernsehen
ZGB Zivilgesetzbuch (Schweiz)
ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
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Mergers & Acquisitions:


Drei Perspektiven auf ein komplexes Phänomen
Günter Müller-Stewens/Sven Kunisch/Andreas Binder*

1 M & A: Vom Einzelereignis zum Alltagsphänomen


2 Drei Betrachtungsperspektiven
2.1 Marktperspektive
2.2 Transaktionsperspektive
2.3 Rechtliche Perspektive
3 Fazit und Ausblick

1 M & A: Vom Einzelereignis zum Alltagsphänomen


Wird heute das Kürzel »M & A« verwendet, so weiß im Prinzip jeder, dass damit »Mer-
gers & Acquisitions« (Fusionen und Übernahmen)1 gemeint ist. Während M & A-Trans-
aktionen bis in die 1980er Jahre in Europa noch Einzelereignisse waren, mit denen sich
nur Experten beschäftigt haben, sind sie mittlerweile Alltagsereignisse geworden. Im
Jahr 2015 kam es in Deutschland zu etwa 1.342 angekündigten Transaktionen, was fast
4 Fällen pro Tag entspricht.2 Wenn es zu nationalen Großakquisitionen kommt, wird
sogar in den Abendnachrichten der Fernsehanstalten prominent dazu berichtet. M & A
ist somit zu einem der breiten Öffentlichkeit bekannten Phänomen geworden.
Das Interesse der Öffentlichkeit ergibt sich aus vielerlei Gründen: Einer davon sind
die damit verbundenen Arbeitsplätze, da insbesondere dann, wenn sich eher gleichar-
tige Unternehmen verbinden, der Abbau von Redundanzen und Kosten das Rational
des Zusammenschlusses prägen, um dann darüber die Wettbewerbsfähigkeit des neuen
Unternehmens zu stärken. Interesse besteht auch wegen der damit verbundenen Macht-
kämpfe und Einzelschicksale. Manche Fälle erinnern an die Qualität eines Shakespea-
re-Dramas: z. B. der Versuch von David »Porsche« in den Jahren 2007–09, den Goliath
»Volkswagen« zu übernehmen (auch mit dessen Geld), was aber dann – nach dem
finanziellen Desaster bei Porsche – im August 2009 genau mit dem Gegenteil endete,
der Eingliederung von Porsche in den Volkswagen Konzern. Ein Fall, der heute noch die
Gerichte beschäftigt.3 Das Interesse ergibt sich aber auch daraus, dass es oft um sehr
viel Geld geht, und dies nicht nur für die beteiligten Unternehmen, sondern für deren
Akteure im Top Management. Die gewaltigen Kapitalvernichtungen bei den Transaktio-

∗ Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen; Dr. Sven Kunisch, Lehrbeauftragter für Strategisches Management und Executive
Director Master für Unternehmensführung (MUG-HSG), Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen;
Prof. Dr. Andreas Binder, Honorarprofessor für Schuld- und Gesellschaftsrecht, Universität St. Gal-
len (HSG); Partner, Rechtsanwalt, Binder Rechtsanwälte, St. Gallen/Baden.
1 Vgl. zu den Begriffen Kapitel A.I.
2 Düsterhoff, H./Wolffson, J. M. (2016), S. 23.
3 Vgl. hierzu z. B. die Dokumentation des Vorgangs in Der Spiegel, 43/2015, S. 70–80.
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2  |  Mergers & Acquisitions: Drei Perspektiven auf ein komplexes Phänomen

nen Siemens/Nixdorf, DASA/Fokker oder Vodafone/Mannesmann sind Beispiele dafür.


Bei Auflösung der Mesalliance Daimler/Chrysler wurde in etwa der Wert, den Chrysler
in die Fusion einbrachte, vernichtet – rund 30 Mrd. Euro. Natürlich gibt es daneben
auch eine Vielzahl gelungener Transaktionen, bei denen sich Unternehmen über M & A
in eine neue Phase ihrer Unternehmensgeschichte katapultiert haben.
Spezifisch am Phänomen des M & A ist seine Vielschichtigkeit. Nahezu alle betriebs-
wirtschaftlichen Teildisziplinen sind relevant. M & A sollte nicht Selbstzweck sein oder
aus reinem Opportunismus verfolgt werden, sondern sich als Ausfluss unternehmens-
strategischer Überlegungen ergeben. Bei der Integration werden organisationstheore-
tische und personalwirtschaftliche Kompetenzen relevant, fundiertes Know-how zur
Finanzierung und zum Controlling sind gefordert, aber auch juristische und steuerliche
Kompetenzen sind gefragt. Der Erfolg einer Akquisition hängt wesentlich davon ab,
alle erforderlichen Kompetenzen aufzubieten und diese insbesondere auch an ihren
Schnittstellen zu orchestrieren.
Einige »Serienakquisiteure« konnten sich über die Zeit, basierend auf einem kon-
tinuierlichen Lernprozess, einen gewissen Erfahrungsschatz aufbauen, den sie auf
neue Fälle übertragen können. Die Durchführung vieler Akquisitionen führt jedoch
nicht automatisch zu einer höheren Erfolgsquote. Dies kann nur dann geschehen,
wenn systematisch am Aufbau und der Weiterentwicklung dieser M & A-Kompetenz
gearbeitet wird. Dazu gehört auch, aus Misserfolgen zu lernen. Hinzu kommt, dass
jeder neue Fall seine Einzigartigkeit hat, was bedeutet, dass er nicht ohne weiteres
mit den aus der Vergangenheit heraus entwickelten Standards und Templates be-
wirtschaftet werden darf. Weiter muss Augenmaß bei der Frage bewiesen werden,
welche bewährten Methoden übertragbar sind und welche nicht. Wer als Käufer sein
M & A-Risiko einschätzen möchte, sollte sich vergewissern, dass er ausreichend über
diese Kompetenz verfügt.
In großen Unternehmen ist die Kompetenz zu M & A heute meist in einer eigenen
Zentralabteilung beheimatet oder zumindest Teil einer Zentralabteilung wie Corporate
Strategy oder Unternehmensentwicklung. So gaben 67 % der 107 antwortenden CSO in
unserer European Chief Strategy Officer Survey 2015 an, dass für sie M & A eine wich-
tige bzw. besonders wichtige (24 %) Tätigkeit in ihrem Aktivitätenspektrum darstellt.4
54 % der befragten Unternehmen gaben an, dass sie über eine eigene M & A-Abteilung
verfügen. Angesichts der sehr unterschiedlichen Erfolgs- bzw. Misserfolgsquoten von
M & A-Transaktionen bei den einzelnen Unternehmen stellt die M & A-Kompetenz eine
Quelle für die Realisierung eines sog. »Parenting Advantage« dar.5 Unternehmen wie
Cisco oder Danaher, die in großer Regelmäßigkeit und hoher Sequenz Unternehmen
akquirieren, versuchen, eine solche in der Zentrale beheimatete Kompetenz ständig
weiterzuentwickeln.6

4 Menz, M./Müller-Stewens, G./Zimmermann, T./Uhr, J. 2015.


5 Damit ist ein Wettbewerbsvorteil gemeint, der sich im Wettbewerb der »Corporate Parents« auf
der Gesamtunternehmensebene zum Vorteil der akquirierenden Tochtergesellschaften ergibt. Vgl.
Müller-Stewens, G./Brauer, M. 2009.
6 Vgl. Voss, I./Müller-Stewens, G. 2006a sowie Voss, I./Müller-Stewens, G. 2006b.
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Mergers & Acquisitions: Drei Perspektiven auf ein komplexes Phänomen  |  3

2 Drei Betrachtungsperspektiven
Versucht man sich dem Phänomen Mergers & Acquisitions (M & A) zu nähern, so bieten
sich drei Betrachtungsperspektiven an:
• Marktperspektive: Akquisitionen und Fusionen finden am sogenannten Markt für
Unternehmenskontrolle statt. Dort werden die Kontrollrechte von Unternehmen
gehandelt. Wie andere Märkte folgt auch dieser den Gesetzen von Angebot und
Nachfrage. Wird ein Unternehmen an diesem Markt aktiv, so sollte es sich dessen
Dynamiken und seines aktuellen Zustands bewusst sein. Gestaltet wird dieser Markt
durch eine ganze Reihe von Professionals wie Anwälten, Investmentbankern, Stra-
tegieberatern etc.
• Transaktionsperspektive: Hier geht es um das Management des einzelnen Transak-
tionsprozesses. In welche Phasen kann er unterteilt werden? Welche Aktivitäten fal-
len in diesen Phasen an? Welche Typen von Transaktionen lassen sich unterscheiden?
Was entscheidet über Erfolg und Misserfolg? Die hohen Misserfolgsquoten zeigen,
dass die Kompetenz zum Management von M & A offenbar nicht allerorts gleicher-
maßen vorhanden ist, dass sie sogar eine eher knappe Ressource zu sein scheint.
• Rechtliche Perspektive: Staaten bestimmen durch das Setzen rechtlicher Rahmen-
bedingungen einen wesentlichen Teil des Kontextes des Marktes für Unternehmens-
kontrolle. Der Regulator ist damit auch der zentrale Einflussfaktor der Effizienz
dieses Marktes. Er entscheidet, ob die Interessen aller Beteiligten und Betroffenen an
einem Transaktionsprozess (z. B. die der Minderheitsaktionäre im Zielunternehmen)
in einer angemessenen Art und Weise berücksichtigt werden. Die maßgeblichen
Rahmenbedingungen werden in verschiedenen Rechtsgebieten gesetzt.

Im Folgenden werden diese drei M & A-Perspektiven kursorisch durch eine historische


Brille betrachtet.

2.1 Marktperspektive
Für Entscheidungsträger, die über den Kauf und/oder Verkauf von Unternehmensteilen
nachdenken, scheint der Begriff eines Marktes, an dem Unternehmen gehandelt wer-
den, oft ungewöhnlich. Bei Märkten denken sie primär an Produktmärkte. Doch eben
diese Sichtweise ist notwendig, wenn sie einen Kauf und/oder Verkauf professionell
abwickeln und nicht innerhalb weniger Monate all das gefährden wollen, was eine oder
mehrere Unternehmergenerationen mühevoll aufgebaut haben. Es sind die Dynamiken
dieses Marktes, die es zu berücksichtigen gilt, denn der Zustand des Marktes hat er-
heblichen Einfluss auf die Kauf- und Verkaufschancen und den Erfolg der Transaktion.
Geprägt wird dieser Markt immer noch stark durch das Geschehen in den USA. Dort
kann man auf eine gut 100-jährige Entwicklung zurückschauen. Diese fand in Wellen
statt, jede getrieben durch eine andere Wertsteigerungslogik.7 Der M & A-Markt ist al-
so ein zyklischer Markt. Ein anschauliches Beispiel liefert die Schaeffler-Gruppe, die
an der Übernahme der Continental AG und der damit verbundenen Schuldenlast fast
zugrunde gegangen ist, da die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers und die

7 Vgl. dazu Kapitel A.II.


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4  |  Mergers & Acquisitions: Drei Perspektiven auf ein komplexes Phänomen

darauf folgende Finanzkrise die Continental-Kurse in den Keller fallen ließ, während
das verbindliche Angebot der Schaeffler-Gruppe noch auf Preisen aus der Zeitperiode
vor dem Markt-Crash basierte.
In Europa begannen die M & A-Aktivitäten erst deutlich später, in den 1980er Jahren,
Fahrt aufzunehmen, vermutlich auch aufgrund der zunehmenden M & A-Beratungstätig-
keit von Investmentbanken. Während die M & A-Aktivitäten in den 1990er Jahren sehr
stark auf die finanztechnische Optimierung des Portfolios (bezogen auf den Shareholder
Value) ausgerichtet waren, spielten nach der Jahrtausendwende strategische Überlegun-
gen wieder eine wichtigere Rolle. Die Portfolien blieben diversifiziert, aber sie wurden
homogener und vermehrt auf einen gemeinsamen Zweck des Unternehmens ausgerich-
tet (»Profit with a Purpose«).
In den sog. »Emerging Countries« haben die Märkte noch nicht dieselbe Effizienz
wie in den westlichen Industrieländern, nicht zuletzt wegen möglicher politischer In-
stabilitäten. Aber auch dort gibt es Unternehmen, die ihr Wachstum mittels M & A vor-
antreiben. Ein Beispiel ist das Unternehmen China Resources Snow Breweries, welches
bereits Dutzende regionaler Brauereien akquiriert hat, jeweils basierend auf einer kla-
ren Wachstumsstrategie und Integrationsmethodik. Heute ist China Resources Snow
Breweries bereits die Nummer 5 der Welt.8 Die Unternehmen akquirieren indessen auch
außerhalb der Heimmärkte. Im Raum Südostasien waren die M & A-Aktivitäten zunächst
sehr stark auf Singapur fokussiert, inzwischen bedienen sich aber auch Unternehmen
der übrigen Länder dieses Wirtschaftsraums dieses Instruments. Beispielsweise hat sich
der malaysische Mineralölkonzern Petronas, der sich in Staatsbesitz befindet, 2014 für
2,25 Mrd. US-Dollar in das Shah Deniz Project in Azerbaijan eingekauft.9
Nicht zuletzt angesichts dieser Entwicklungen lässt sich insgesamt feststellen, dass
sich die ursprünglich sehr national geprägten M & A-Märkte inzwischen zu einem glo-
balen M & A-Markt gewandelt haben.
Auch die Akteure und deren Sitten und Gebräuche haben sich über die Jahre geän-
dert. Während noch in den 1980er und 1990er Jahren gegen den Willen des Manage-
ments durchgeführte Übernahmen, sogenannte »unfriendly/hostile takeovers« , durch
führende Wirtschaftsvertreter als »Barbarei« bezeichnet wurden und das Auftauchen
einer dritten Kraft am Kapitalmarkt in Form der Private Equity-Unternehmen und der
Hedgefonds durch führende Politiker mit einer Heuschrecken-Plage verglichen wurde,
haben sich inzwischen auch diesbezüglich die Gemüter beruhigt. Diese Varianten von
M & A-Transaktionen sind zum festen Bestandteil des Marktes geworden.
Mit dem Wachstum des M & A-Marktes hat natürlich auch die Zahl der dort anzutref-
fenden Akteure massiv zugenommen. Dies sind zum einen die beratenden Professionals.
Dazu gehören die auf M & A spezialisierten Investmentbanker, die Wirtschafts- und
Steueranwälte, die Wirtschaftsprüfer und die Strategieberater. Sie agieren als Abteilun-
gen in den Großbanken, in kleinen M & A-Boutiquen, in kleineren Kanzleien und großen
internationalen Anwaltskanzleien.

8 CR Snow ist ein Joint Venture aus China Resources Enterprise und der SABMiller-Gruppe. Die Fir-
ma produziert knapp 120 Millionen Hektoliter im Jahr und belegt mit 6 % Marktanteil Platz 5 der
Weltrangliste. Die Hauptmarke Snow ist das meistverkaufte Bier der Welt. Es ist allerdings nur in
China erhältlich. Vgl. dazu Handelszeitung vom 16.10.2015. Sollte die geplante Fusion der weltwei-
ten Nr. 1, AB Inbev, und der Nr. 2, SABMiller, zustandekommen, die zusammen einen Ausstoß von
über 500 Millionen Hektoliter haben, dann rückt CR Snow auf Platz 4 vor.
9 http://www.reuters.com/article/2014/10/13/statoil-petronas-shahdeniz-idUSL6N0S80BB20141013.
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Mergers & Acquisitions: Drei Perspektiven auf ein komplexes Phänomen  |  5

Neben den Professionals ist aber auch der Staat ein wichtiger Akteur in diesem Markt.
Die inzwischen eingetretene Vielschichtigkeit staatlichen Mitwirkens am M & A-Gesche-
hen ist bemerkenswert. Dies nicht nur in der Rolle des Regulators – auch als Kommu-
nikator, Investor und Kapitalgeber übt der Staat großen Einfluss auf den M & A-Markt
aus.10 Aufgrund der betriebs- und volkswirtschaftlichen Bedeutung von Fusionen und
Übernahmen haben die Staaten großes Interesse am M & A-Geschehen. Dies widerspie-
gelt sich auch in den zahlreichen Aktivitäten von Staatsfonds sowie staatlichen Inter-
ventionen auf dem M & A-Markt. Letzteres zeigt sich insbesondere bei der Haltung zur
Übernahme von national als bedeutsam erachteten Unternehmen.
Als es beispielsweise im Jahr 2004 zur unfreundlichen Übernahme von Aventis
durch Sanofi kam, schlugen bei diesem bedeutsamen Pharma-Deal die politischen Wel-
len hoch. Der französische Präsident Jacques Chirac machte in dieser Angelegenheit
bei seinem Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder am 9. Februar
2004 folgende Erklärung: «Dies sind Privatunternehmen, die börsenkotiert sind, und
ihre Entscheidungen hängen nicht von den Regierungen ab.» Doch diese Position hielt
dem Druck auf der französischen Seite nicht lange stand. Anfang April 2004 meinte der
Gesundheitsminister Douste-Blazy: «Verteidigen wir die französische Industrie. Wenn
wir die Chance haben, einen der weltweit größten Pharmakonzerne in unserem Land zu
haben, müssen wir sie ergreifen.»11

2.2 Transaktionsperspektive
Während es bei der Marktperspektive darum geht, die Entwicklungen auf der Makro-
ebene und die vielseitigen Akteure zu verstehen, rückt bei der Transaktionsperspektive
die einzelne Transaktion und deren Ablauf in den Vordergrund. In der Praxis hat sich
über die Jahre eine Vielzahl von teilweise äußerst feingliedrigen Phasenmodellen und
-konzepten zur Gestaltung und zum Ablauf von Transaktionsprozessen herausgebildet.
Auch wenn kein realer Prozess genauso vordefiniert abläuft, können solche Modelle
und Konzepte dabei helfen, planerisch vorzugehen und Meilensteinpläne daran aus-
zurichten.
Im Kern handelt es sich um einen dreiteiligen Prozess mit der strategischen Vorbe-
reitung und Planung der Transaktion als erster Phase, der technischen Durchführung
der Transaktion als zweiter Phase und der Integration beider Unternehmen als dritter
Phase. Bei größeren Transaktionen kommt vor dem Beginn der Integrationsphase eine
Zwischenphase hinzu, denn erst nach dem »Signing« der Verträge am Ende der zweiten
Phase können die zuständigen Wettbewerbsbehörden notifiziert und um Genehmigung
des Zusammenschlusses ersucht werden. Erst wenn die erforderlichen Zustimmungen
vorliegen, kommt es zum »Closing«, d. h. erst dann kann die Umsetzung der Integration
beginnen.
In dieser Zwischenphase geht es zuerst darum, die »Day-1-Readiness« herzustellen.
Dabei ist seitens der Organisationsverantwortung sicherzustellen, dass sämtliche recht-
lichen Vorschriften eingehalten werden. Oft werden sog. »Clean Teams« beider Un-
ternehmen eingerichtet, die abgeschottet vom Rest ihrer Unternehmen arbeiten und

10 Kunisch, S./Wahler, C./Müller-Stewens, G. 2011.


11 Vgl. Müller-Stewens, G./Alscher, A. 2011.
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6  |  Mergers & Acquisitions: Drei Perspektiven auf ein komplexes Phänomen

sich zur strikten Geheimhaltung der erhaltenen Informationen verpflichten. Diese kön-
nen bspw. Einkaufskonditionen und Verkaufskonditionen vergleichen. Kommt es zum
Closing, können diese Informationen dem neuen Unternehmen zur Verfügung gestellt
werden. Diese Zwischenzeit wird also genutzt, um innerhalb der engen rechtlichen
Rahmenbedingungen die Struktur der Integration vorzubereiten.
Bezeichnend für den Transaktionsprozess ist dessen hohe Komplexität. In sehr kurzer
Zeit müssen viele Entscheidungen fast zeitgleich getroffen werden. Um dies zu bewäl-
tigen, müssen klare Prioritäten gesetzt werden, d. h. nicht alle Fragen können von An-
fang an angegangen werden. Detaillierte Analysen sind kaum möglich; Entscheidungen
müssen oft auf der Basis mehr oder minder bewährter Heuristiken getroffen werden.
Das Management eines Transaktionsprozesses ist insbesondere deshalb so heraus-
fordernd, weil der Prozess nicht nur eine technische Seite hat, sondern auch eine emoti-
onale. Die Unwägbarkeiten einer Transaktion liegen insbesondere auf der emotionalen
Seite. Oft wird erst in der Integrationsphase richtig klar, welche Zielevielfalt hinter
einer Transaktion steht. Zwar wurde die Transaktion als solche durch die involvierten
Parteien unterstützt (oder zumindest nicht blockiert), aber dies verbunden mit sehr
unterschiedlichen Erwartungen: Einer sieht darin die Karrierechancen, auf die er schon
lange gewartet hat; ein anderer glaubt an das strategische Rational der Transaktion; ein
Vorstandsmitglied aus dem Zielunternehmen sieht darin vielleicht interessante Aus-
stiegsszenarien für sich.
Unternehmensübernahmen haben i. A. einen starken Einfluss auf die Mitarbeiter
eines Unternehmens (und ihre Familien) sowie auf das Zusammenwirken dieser Mitar-
beiter in der Organisation. Sie können die Struktur, die Systeme, die Prozesse und die
Kultur des Zielunternehmens oder auch beider Unternehmen einschneidend verändern.
Dies kann Frustrationen, »innere Emigration«, Aggressionen, Stress oder Krankheiten
auslösen. Auf der Unternehmensebene kann dies zu Dysfunktionen, Machtkämpfen, Ab-
wanderungen, Reorganisationen, Intrigen usw. führen. Bei komplementären Transakti-
onen, bei denen sich beide Unternehmen bzgl. Produkten und Märkten eher ergänzen,
ist dies i. d. R. seltener der Fall als bei sog. »Kosten-Mergern«, bei denen es primär um
Effizienzgewinne aus dem Zusammenschluss geht.
Eine Transaktion gilt regelmäßig dann als abgeschlossen, wenn die dafür eigens ge-
bildete Projektorganisation aufgelöst ist. De facto ist sie damit aber oft noch lange nicht
beendet. Zum einen müssen noch nicht erledigte Aufgaben nun in der Linienorganisa-
tion abgewickelt werden. Zum anderen gilt es, kulturelle Differenzen miteinander ver-
träglich zu machen und auf eine neue gemeinsame langfristige Vision hin auszurichten.

2.3 Rechtliche Perspektive


Die rechtlichen Rahmenbedingungen bilden einen wesentlichen Teil des Kontextes, in
dem M & A stattfindet. Dies sind zum einen die nationalen Vorschriften, aber es exis-
tieren auch übernationale, wie etwa das europäische Fusionskontrollrecht. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass Standorte auch hinsichtlich ihrer Rahmenbedingungen im Wett-
bewerb miteinander stehen. Es gibt daher nicht nur ein Streben nach Harmonisierung
dieser Rahmenbedingungen, sondern auch eines nach bewusster Differenzierung. So
macht der US-Bundesstaat Delaware mit dem wohl liberalsten Gesellschaftsrecht des
Landes seit Jahrzehnten auf sich aufmerksam. Dort ist beispielsweise mit Zustimmung
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Mergers & Acquisitions: Drei Perspektiven auf ein komplexes Phänomen  |  7

der Stimmenmehrheit sämtlicher ausstehender Aktien ein »Squeeze out Merger« mit
Zwangsabfindung der Aktionäre möglich; ZF Friedrichshafen konnte bei der Übernah-
me von TRW im Jahr 2015 diesen Vorteil nutzen.
Eine Vielzahl von Rechtsgebieten ist für das M & A-Geschäft relevant; insbesondere
sind dies das Vertragsrecht, das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, das Übernahme-
recht, das Wettbewerbsrecht und das Steuerrecht.
Ein Blick auf die Entwicklungen im rechtlichen Bereich zeigt Erstaunliches: Vieles
hat sich in den letzten 25 Jahren im M & A-Recht gewandelt, ganze Rechtsgebiete sind
neu entstanden, wie insbesondere das Übernahme- und das Umstrukturierungsrecht,
alte Fragen wie die Vinkulierung der Aktienübertragungen wurden anders beurteilt
und neu geregelt, der Aktionär bekam eine völlig neue, zentrale Stellung im Corpo-
rate Governance-System der börsenkotierten Aktiengesellschaft. Unfreundliche Über-
nahmeversuche werden zunehmend zahlreicher und führen immer öfter zu einem
Kontrollwechsel. Die Staaten reagieren auf diese Entwicklungen mit nationalistischen
Schutzmaßnahmen und Interventionen. Nachdem während Jahrzehnten weltweit eine
Machtverlagerung zu den Aktionären stattgefunden hat – ein Trend, der weiter anhält
–, beginnt man seit ein paar Jahren, über eine neue Rolle der Aktionäre nachzudenken,
über Best-Practice-Verhalten oder gar neue Pflichten der Aktionäre oder über die Kop-
pelung einzelner ihrer Rechte an eine gewisse Haltedauer der Aktien.

3 Fazit und Ausblick


Es ist weitläufig bekannt, dass M & A mit einer relativ hohen Misserfolgsquote ver-
bunden ist. Egal, welche Studie herangezogen wird, es wird stets auf das hohe unter-
nehmerische Risiko hingewiesen, welches mit M & A verbunden ist. Die Mehrzahl der
Transaktionen erreicht die angestrebten Ziele nicht einmal annähernd. Manche Fälle
enden desaströs und gefährden den Fortbestand des Käufers. Daraus sollte jedoch nicht
der Schluss gezogen werden, dass M & A-Transaktionen zu unterlassen sind. Denn solche
Studienergebnisse sind Durchschnittsbetrachtungen, und hinter jedem Durchschnitt
steht eine Verteilung, die offenbart, dass es Unternehmen gibt, die weniger erfolgreich
sind, während andere M & A erfolgreich meistern. Den Unterschied macht hier die auf
der Gesamtunternehmensebene angesiedelte M & A-Kompetenz aus. Eine solche Kompe-
tenz erlaubt es dem Unternehmen, sich im Wettbewerb zu differenzieren.
Blickt man in die Zukunft, so kann damit gerechnet werden, dass sich die bisheri-
gen Trends weiter fortsetzen werden: der M & A-Markt wird noch globaler, volatiler und
professioneller. Bei der Durchführung von Transaktionsprozessen werden – zumindest
für kleinere Transaktionen – immer mehr Bestandteile als standardisierte Bausteine
vorliegen und günstig am Beratungsmarkt erwerbbar sein. So ist z. B. heute eine Un-
ternehmensbewertung zur Routine geworden. Die großen Unternehmen werden, da sie
sich immer häufiger des M & A als Wachstumsmechanismus bedienen, darauf fokussier-
te interne Spezialabteilungen vorhalten. Die Staaten werden in ihrer Rolle als Regulator
weiterhin gefordert sein, die Effizienz des Marktes für Unternehmenskontrolle mittels
adäquater rechtlicher Rahmenbedingungen sicherzustellen.
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8  |  Mergers & Acquisitions: Drei Perspektiven auf ein komplexes Phänomen

Literatur
Der Spiegel, 43/2015, S. 70–80.
Düsterhoff, H./Wolffson, J. M. (2016): M & A-Welten der 2 Geschwindigkeiten – Jahresrückblick auf das
deutsche M & A-Geschehen 2015. In: M & A Review, 27. Jg., Nr. 1–2, 2016, S. 21–28.
Kunisch, S./Wahler, C./Müller-Stewens, G. (2011): Spielentscheidend. Der Staat als M & A-Akteur, in:
Performance, Nr. 2, S. 14–26.
Menz, M./Müller-Stewens, G./Zimmermann, T./Uhr, J. (2015): Key Findings of the European Chief
Strategy Officer Survey 2014. St. Gallen/Munich: University of St. Gallen/Roland Berger Strategy
Consultants.
Müller-Stewens, G./Alscher, A. (2011): The Acquisition of Aventis by Sanofi. Attack as Defense, in:
Zentes, J./Swoboda, B./ Morschett, D. (Hrsg., 2011): Fallstudien zum Internationalen Management.
Grundlagen – Praxiserfahrungen – Perspektiven, 4. Aufl., Gabler: Wiesbaden, S. 665–698.
Müller-Stewens, G./Brauer, M. (2009): Corporate Strategy & Governance, Stuttgart: Schäffer-Poeschel
Verlag.
Voss, I./Müller-Stewens, G. (2006a): Strategische M & A-Kompetenz im Rahmen von Akquisitionsstra-
tegien – Komponenten, Erfolgsfaktoren und Aufbau, in: Keuper, F./Häfner, M./Glahn, C. (Hrsg.,
2006): Der M & A-Prozess. Konzepte, Ansätze und Strategien für die Pre- und Post-Phase, Wiesba-
den: Gabler, S. 3–32.
Voss, I./Müller-Stewens, G. (2006b): Die Umsetzung von Wachstumsstrategien durch Akquisitionsseri-
en, in: Borowicz, F./Mittermair, K. (Hrsg., 2006): Strategisches Management von Mergers & Acqui-
sitions, Wiesbaden: Gabler, S. 119–144.
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Teil

A. M & A aus Marktperspektive


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  |  11
Teil

I. Einleitung zum M & A-Markt


Günter Müller-Stewens*

1 Begriffsinhalte
2 M & A als Instrument der Unternehmensentwicklung
2.1 Wachstum durch M & A: Motive und Erklärungsansätze
2.2 Rückzug durch Desinvestitionen
3 Wertsteigerungsdynamik und Schlüsselaktivitäten
4 Zur Effizienz von M & A
5 Zusammenfassung

1 Begriffsinhalte
Der aus dem US-amerikanischen Investmentbanking stammende Begriff Mergers & Ac-
quisitions (M & A) umschreibt den Handel (Kauf/Verkauf) mit Unternehmen, Unterneh-
mensteilen und Unternehmensbeteiligungen und wird mit Unternehmenszusammen-
schluss (Fusionen und Unternehmensübernahmen) übersetzt. In einer weiten Fassung
umfasst er auch Kooperationen (Joint Venture, Allianzen etc.). Im Falle der Akquisition
wird das erworbene Unternehmen bzw. die Unternehmensbeteiligung in die Organi-
sation des Erwerbers als Tochtergesellschaft eingegliedert. Von einer Unternehmens-
übernahme wird im Allgemeinen allerdings erst dann gesprochen, wenn der Erwerb
der Unternehmensanteile auch deren Management und Kontrolle ermöglicht: Leitungs-
und Kontrollrechte wurden auf dem sog. Markt für Unternehmenskontrolle1 – hier auch
M & A-Markt genannt – durch einen Käufer erworben und dann auch neu ausgeübt.
Was demnach nicht unter dem Begriff Übernahme subsumiert wird, ist der Erwerb von
Anteilen ohne Leitungs- und Kontrollrechte (z. B. stimmrechtslose Vorzugsaktien) oder
der Erwerb größerer Beteiligungspakete, die nur der passiven Finanzanlage dienen.
Eher selten ist der Fall der Fusion (Merger), bei der oft ähnlich große Unternehmen
(mit oder ohne vorherigen Anteilserwerb) miteinander verschmolzen werden, wobei
trotzdem meist eines der beiden der Unternehmen dominiert. Großvolumige Fusionen
traten vermehrt Ende der 1990er Jahre (z. B. DaimlerChrysler, Allianz-Dresdner Bank)
auf dem Hoch des »Dotcom«-Börsenbooms auf.
Da der Entscheid zur Veräußerung eines Unternehmens allein bei den Anteilseignern
und nicht bei der Geschäftsführung liegt, kann es zu unterschiedlichen Haltungen bei
Management und Eigentümern gegenüber einem Übernahmeangebot kommen. Unter-
breitet ein Unternehmen einem anderen Unternehmen ein öffentliches Übernahmean-
gebot (in den USA ist es zu einem solchen Tender Offer verpflichtet, wenn es mehr als
5 % der Aktien des Zielunternehmens erwerben will), so kann das Management des

* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen.
1 Achleitner 1999, S. 137, Jensen/Ruback 1983.
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12  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Zielunternehmens seinen Anteilseignern die Annahme des Angebots empfehlen (Friend-


ly Take-over) oder es betrachtet das Angebot als »unfreundlich/feindlich« (Unfriendly
bzw. Hostile bzw. Unsolicited Takeover). Den Aktionären des Zielunternehmens macht
der potenzielle Käufer den Verkauf dadurch schmackhaft, dass er den Aktionären des
Zielunternehmens für einen bestimmten Zeitraum für den Verkaufsfall verbindlich ein
signifikantes Premium auf den derzeitigen Börsenkurs anbietet. Das Zielunternehmen
kann sich durch das Ergreifen von Abwehrmaßnahmen (z. B. die Suche nach einem
»weißen Ritter«, d. h. einem bevorzugteren Käufer)2 wehren. Unfreundliche Übernah-
men bilden jedoch eher die Ausnahme. Prominentes Beispiel war im Jahr 2000 der
Erwerb von Mannesmann durch Vodafone, mit einem Transaktionsvolumen von 186
Mrd. US-$ die bislang größte Transaktion aller Zeiten.
Strukturell kann der Kauf/Verkauf eines Unternehmens auf zwei unterschiedliche
Arten vorgenommen werden: Der Käufer erwirbt entweder die zum Unternehmen gehö-
rigen Vermögenswerte und Rechte (Asset Deal) oder die Beteiligung selbst (Share Deal).

2 M & A als Instrument der Unternehmensentwicklung


Mergers & Acquisitions (M & A) sind über die beiden letzten Jahrzehnte zu einem Stan-
dardinstrument der Unternehmensleitungen geworden. M & A ist ein Instrument mit
dem signifikant in die Entwicklung eines Unternehmens eingegriffen werden kann.
M & A hat deshalb auch das Potenzial für hohe positive Effekte auf das kaufende Unter-
nehmen. Gleichzeitig zeigen aber viele Studien, dass mit M & A oftmals die angestrebten
Ziele nicht annähernd erreicht werden konnten, teilweise Käuferunternehmen durch
eine Fehlakquisition sogar für Jahre selbst in eine kritische Situation gebracht wurden.
M & A ist damit auch eine Strategie, die mit hohen Risiken verbunden ist.
Für das Strategische Management ist M & A einer der Mechanismen, mittels derer
Strategien zur Restrukturierung bzw. Rekonfiguration des Unternehmensportfolios und
zum Treiben von Wachstum umgesetzt werden können3. Dabei geht es um die Kern-
frage der Corporate Strategy: In welchen Geschäften will ein Unternehmen tätig sein?
Abb. 1 stellt die Mechanismen im Überblick dar.

Organisches Wachstum
Wachstum/ Strategische Allianzen
Diversifikation Mergers & Acquisitions
Konzern-/Gruppen-
ebene: (Re-)Konfiguration
des Portfolios der Mechanismen
Strategisches Corporate Strategy Share Deal
Geschäfte
Management Wo konkurrieren? Direkter Verkauf (Trade Sale) Cash Deal
Schließung/Liquidation Asset Deal
Rückzug Equity Carve-out (Börsengang, IPO)
Geschäftsebene: Verselbstständigung (Spin-off/Split-off)
Business Strategy Dual Track
Wie konkurrieren?

Abb. 1: Ausgewählte Mechanismen der Portfoliorestrukturierung im Strategischen Management


(Quelle: Eigene Darstellung)

2 Picot 2012.
3 Müller-Stewens/Lechner 2016.
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I. Einleitung zum M & A-Markt  |  13


Teil

Eine in einem aktiven Portfoliomanagement häufig anzutreffende Strategie ist der »Rück-
zug zum Wachstum« (Divest to Grow): Zur Realisierung von Wachstumsmöglichkeiten
stellt sich für das Corporate Management oft die Frage, mit welchen finanziellen Mitteln
eine Akquisition, die Gründung eines Joint Ventures oder der Vorstoß in einen neuen
Markt durch eigenen Aufbau einer neuen Geschäftseinheit finanziert werden kann. Die
Desinvestition einer Geschäftseinheit oder einer Division zur Realisierung eines solchen
Wachstumsvorhabens kann dabei zur Notwendigkeit werden.
Mit dem Einzug des Shareholder Value-Ansatzes in den 1990er Jahren wurde die
Steuerung des Unternehmensportfolios bei den börsennotierten Gesellschaften stark
unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Wertentwicklung betrachtet. Die Steigerung
des Wachstums und der Gesamtkapitalrentabilität der einzelnen Geschäfte standen im
Mittelpunkt der Bemühungen (Wertmanagement). Die Unternehmensstrategie wurde
dadurch immer mehr an den Erwartungen der Kapitalmärkte ausgerichtet. Konsequenz
war, dass zur Optimierung des Portfolios sich dessen Zusammensetzung durch Zukäufe
und Desinvestitionen immer häufiger änderte. Aktuell werden Portfolio-Restrukturie-
rungen eher auf einen (neuen) gemeinsamen Geschäftszweck des Unternehmens aus-
gerichtet, was vielerorts zu homogeneren Portfolien führte.

2.1 Wachstum durch M & A: Motive und Erklärungsansätze


Soll das Portfolio der Geschäfte durch Diversifikation in neue Geschäfte (Ländermärkte,
Branchen, Marken etc.) erweitert werden, dann kann eine solche Wachstumsstrategie
mittels M & A vollzogen werden. Das Unternehmen tritt dann als potenzieller Käufer
auf dem Markt für Unternehmenskontrolle auf. M & A steht dabei in Konkurrenz zu
anderen Diversifikationsinstrumenten wie der internen Entwicklung oder strategischen
Allianzen. Als Verkäufer tritt das Unternehmen auf, wenn es sich von Geschäften tren-
nen will.
Eine Möglichkeit zur Erklärung von M & A sind die Motive als Verursacher von Trans-
aktionen. So identifiziert z. B. Trautwein (1990) sieben solcher Motive, von denen im
konkreten Fall wohl keines alleine wirkt, sondern – schon allein aufgrund der Vielfalt
der Beteiligten – eine spezifische Mischform dieser Motive anzutreffen ist. Wird zunächst
unterstellt, dass es zu M & A aus rationalen Erwägungen kommt, dann kann dies gesche-
hen, um (1) Synergien zu erzielen (Effizienztheorie), um (2) gegenüber den Kunden einen
Machtgewinn zu realisieren (Monopoltheorie), um (3) als Arbitrageure einen Vorteil aus
der Zerschlagung eines Unternehmens und den anschließenden Verkauf der einzelnen
Einheiten zu erzielen (Raider-Theorie) oder um (4) einen Vorteil aufgrund eines Informa-
tionsvorsprungs gegenüber dem Verkäufer zu kapitalisieren (Bewertungstheorie).
Die genannten Arbitrageure dürfen nicht mit Finanzinvestoren gleichgesetzt werden,
da es deren erklärtes Ziel ist, als »Principal Investor« den Wert des Übernahmeobjekts
zu steigern. Dies geschieht durch eine aktive Zusammenarbeit mit dem Management
des Zielunternehmens bei der Neubewertung wichtiger unternehmerischer Fragestellun-
gen, weshalb – im Gegensatz zum Corporate Raider – auch unfreundliche Übernahmen
ausscheiden. Meist wird der Eigenkapitalanteil des Investors über Private Equity-Fonds
finanziert.
Ein fünftes rationales Motiv wirkt nicht zugunsten der Aktionäre des Käufers, son-
dern dient den Eigeninteressen des Managers des Käufers: die Empire Building-Theorie.
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14  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Der Manager baut sich gegen die Interessen der Eigentümer (Prinzipal-Agent-Konflikt)
ein diversifiziertes Imperium auf, das ihm einerseits mehr Macht gibt, aber anderseits
auch mehr Manövrierspielraum bezüglich der Darstellung der Leistung des von ihm
geführten Unternehmens (z. B. »Überkreuzfinanzierungen« zwischen den Geschäftsein-
heiten). Auch wird ein Manager, der hohe Nettocashflows erwirtschaftet, nach dieser
Theorie eher dazu neigen, diese in M & A -Transaktionen auch mit schlechten Erfolgs-
aussichten zu reinvestieren, als dass er die Cashflows an die Eigentümer auszahlt, da
er diesen Ressourcenverlust auch als Machtverlust betrachten würde.
Daneben gibt es noch zwei Erklärungsansätze, die das Zustandekommen von M & A
nicht als Resultat rationaler Entscheidungen sehen: Nach der Prozesstheorie kommt es
aufgrund undurchsichtiger Entscheidungsprozesse zu Transaktionen (z. B. wegen des
fortgeschrittenen Stands des Verhandlungsprozesses und der damit empfundenen Irre-
versibilität ohne Gesichtsverlust). Die Wellentheorie unterstellt dagegen, dass M & A ein
zyklisches Phänomen ist und die Entscheidungsträger sich diesem Phänomen wie einer
Mode mehr oder minder unterwerfen: Unternehmen kaufen in einer dieser M & A-Wellen
Unternehmen bzw. Unternehmensteile, weil aufgrund günstiger Rahmenbedingungen
gerade alle anderen auch Unternehmen kaufen.
Soll nicht nur erklärt werden, warum es grundsätzlich zu M & A kommt, sondern wa-
rum es zu bestimmten Transaktionsrichtungen (horizontal, vertikal, lateral etc.) kommt,
dann lässt sich die (empirisch nicht verifizierte) Marktbedingungs-Eigentümerkontroll-
theorie von Blackburn/Lang (1989) zugrunde legen: Manager neigen in restriktiven
Märkten aufgrund der Marktzwänge grundsätzlich zu Transaktionen, bei denen zwi-
schen Käufer- und Zielunternehmen eine hohe Verwandtschaft unterstellt wird (verbun-
dene M & A). Sind die Märkte nicht so restriktiv, dann geschieht dies nur bei Käufern,
die einer starken Eigentümerkontrolle ausgesetzt sind, da dort dem Management meist
kurzfristige Leistungsziele vorgegeben sind. Ist diese Eigentümerkontrolle in weniger
restriktiven Märkten nicht gegeben, dann kann nichts zur Richtung von M & A gesagt
werden, da M & A primär auch dazu eingesetzt wird, um sich der Kontrolle der Ei-
gentümer zu entziehen. So kann das Management das eigene Positionsrisiko dadurch
reduzieren, indem das Unternehmen kauft, bevor es selbst gekauft wird – egal ob die
Transaktion ökonomisch sinnvoll ist oder nicht.

2.2 Rückzug durch Desinvestitionen


Zur Umsetzung einer Rückzugsstrategie gibt es eine ganze Reihe von Optionen, die
teilweise Anlass für M & A-Transaktionen sein können:4
1. Direkter Verkauf (Divestiture)
2. Schliessung/Liquidation
3. Equity Carve-out (Börsengang; Initial Public Offering, kurz: IPO)
4. Verselbstständigung (Spin-off, Split-off)
5. Dual Track (Kombination mehrerer Verfahren)

Eine Spielart, die auch zum Tragen kommen kann, ist das Management Buy-out (MBO)
oder Management Buy-in (MBI). Verfügt das Management beim MBO/MBI nicht über

4 Müller-Stewens/Brauer 2009.
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I. Einleitung zum M & A-Markt  |  15


Teil

relevante Eigenmittel, so erfolgt über Investoren eine Fremdfinanzierung als LBO (Le-
veraged Buy-out).
Ein direkter Verkauf an einen strategischen oder finanziellen Investor ist eine der
meist gewählten Varianten zum Ausstieg aus einem Geschäftsfeld. Beim direkten Ver-
kauf überträgt der Mutterkonzern die vollständigen Eigentumsrechte an der Geschäfts-
einheit dem Käufer. Dem Mutterkonzern fließen dadurch entweder liquide Mittel zu
(Cash Deal) oder aber er erhält dafür Aktien (Share Deal) oder andere tangible (mate-
rielle) Vermögenswerte (Asset Deal).
Der Prozess des Verkaufs ist i. d. R. so strukturiert, dass zuerst nach potenziellen
Kaufinteressenten Ausschau gehalten wird. Davon erhalten die, die in eine engere
Auswahl einbezogen werden, Gelegenheit zu einer sorgfältigen Analyse, Prüfung und
Bewertung des Kaufgegenstandes (Due Diligence). Ist diese abgeschlossen, kommt es
häufig zu einer öffentlichen Auktion um die zur Disposition stehende Geschäftseinheit.
Eine solche Auktion kann verschiedener Art sein. Die Privatauktion (Private Aucti-
oning) und die offene Auktion (Open Auctioning) bilden die beiden Enden des Konti-
nuums. Bei der Privatauktion wird vom Mutterkonzern meist nur ein potenzieller Inte-
ressent angesprochen, an den dann die Geschäftseinheit verkauft werden soll. Vorteil
dieses Verfahrens ist die hohe Vertraulichkeit, die Möglichkeit zur schnelleren Einigung
und Abwicklung der Transaktion und die Tatsache, dass dadurch das Tagesgeschäft
weniger stark eingeschränkt wird. Nachteil ist, dass es keine Alternativen in der Hin-
terhand gibt, sollte der gewählte Interessent nicht kaufbereit sein. Mangels Wettbewerb
kann auch der Kaufpreis geringer ausfallen als bei den anderen Auktionsvarianten. Bei
der offenen Auktion, bei der mit einer Vielzahl von Kaufinteressenten Verhandlungsge-
spräche aufgenommen werden, ist die Intensität des Wettbewerbs zwischen den Kaufin-
teressenten wesentlich höher. Somit kann sich der Kaufpreis im Idealfall entsprechend
»hochschaukeln«. Negativ ist allerdings bei dieser Variante, dass der Ressourcen- und
Zeitaufwand wesentlich höher ist und somit auch das operative Tagesgeschäft oftmals
darunter leidet.

3 Wertsteigerungsdynamik und Schlüsselaktivitäten


Akquisitionen bauen auf einer Wertsteigerungsdynamik auf, wie sie vereinfacht in
Abb. 2 dargestellt ist: Der Käufer ist zur Zahlung einer bestimmten Prämie bereit, da er
sich Vorteile aus einer beim Zielunternehmen bestehenden Informationslücke, aus der
Nutzung eines Restrukturierungspotenzials oder aus der Realisierung von Synergien
erhofft. Diese Prämie darf auf keinen Fall höher sein als die Summe dieser erwarteten
Vorteile abzüglich der Akquisitions- und Integrationskosten. Doch hier zeigt sich be-
reits das Problem vieler Akquisitionen: Es wurde eine zu hohe Prämie bezahlt, da das
Management die Vorteilspotenziale überschätzt hat, oder weil das Unternehmen nicht
in der Lage war, sie bei der Integration zu realisieren.
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16  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Finanzielle Synergien Akquisitions- und


Integrationskosten
Preisobergrenze
Operative Synergien
Wertsteigerungs-
Restrukturierungspotenzial potenzial für
Käuferaktionäre

Gesamtwert aus Käufersicht


Wertsteigerung

Nettogesamtwert
Prämie Informationslücke für Aktionäre
des Verkäufers

Übernahmepreis
Goodwill

Substanz-
wert

Abb. 2: Wertsteigerungsdynamik von Akquisitionen (Quelle: Eigene Darstellung)

M & A führt bei den drei Hauptbeteiligten, dem Käufer, dem Verkäufer und dem Trans-
aktionsobjekt, oft zu tiefgreifenden Veränderungen. Diese erfolgreich zu bewältigen
verlangt eine Vielzahl von Expertisen, die nicht als »automatisch« gegeben unterstellt
werden dürfen. Diese Expertisen müssen interdisziplinär zusammenwirken, was hohe
Anforderungen an das Schnittstellenmanagement zwischen den Beteiligten stellt. Der-
artige Expertisen werden von ganz unterschiedlichen Akteuren eingebracht: Juristen,
Wirtschaftsprüfer, Steuerexperten, Ingenieure, Psychologen u. v. a. m. sind daran betei-
ligt.
Jede Transaktion sollte auf einer soliden Strategie aufbauen, die das Rational zur
Übernahme bereitstellt. Meist wird dazu eine Diversifikationsstrategie ausgearbeitet,
aus der dann Profile geeigneter Käufer bzw. Zielunternehmen abgeleitet werden. Kon-
krete Ideen für eine Akquisition können nun hergeleitet, begründet und entschieden
werden. Auch wenn der Entscheid dann primär strategischer Natur ist, so wird er
aber auch von rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen beeinflusst. Unab-
dingbarer Output muss eine gut durchdachte und breit geteilte strategische Vision sein,
die eine Akquisition zu erklären und die Transaktion inhaltlich auszurichten vermag.
Insbesondere muss eine klare Vorstellung dazu bestehen, wie konkret Nutzen aus der
Akquisition gezogen werden kann.
Neben diesen eher strategischen Kompetenzen werden bei der nun folgenden techni-
schen Abwicklung der Transaktion wieder ganz andere Expertisen benötigt. Nun geht
es z. B. darum, mit den Kandidaten in einer geeigneten Form Kontakt aufzunehmen,
Bewertungen durchzuführen, Verhandlungen zu Preis und Bedingungen zu führen und
im Abschlussfall auch eine passende Form der Finanzierung zu finden. Der Kaufpreis
kann durch eine Barzahlung, einen Aktientausch, eine Kapitalerhöhung beim erworbe-
nen Unternehmen oder eine Kombination dieser Instrumente entrichtet werden. Wenn
der Käufer nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt, kann er sich z. B.
über eine Kapitalerhöhung, eine Kreditaufnahme oder den Verkauf von Unternehmens-
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I. Einleitung zum M & A-Markt  |  17


Teil

beteiligungen finanzieren. Zentral ist in dieser Phase die Due Diligence, mittels derer
aus verschiedensten Perspektiven durch den Käufer zu überprüfen ist, ob das Zielun-
ternehmen das zu halten vermag, was es verspricht und ob im Falle eines Zusammen-
gehens die strategische Vision auch eingelöst werden kann.
Kommt es zur Vertragsunterzeichnung (Signing) und zum Abschluss der Trans-
aktion (Closing) – falls noch Bescheide von Behörden abgewartet werden mussten –,
dann benötigt das Unternehmen nun wiederum ganz andere Fähigkeiten, um die bei
der Integration beider Unternehmen anstehenden Aktivitäten zielführend ausüben zu
können.5 Jetzt müssen die kalkulierten Vorteilspotenziale durch die Mitarbeiter beider
Unternehmen realisiert werden, die das Bezahlen der Prämie rechtfertigten. Je nach
Bedarf an organisatorischer Autonomie und strategischen Interdependenzen sind un-
terschiedliche Integrationsansätze zu wählen.
Aufgrund der großen Bedeutung von M & A und wegen der hohen Misserfolgsraten
sind Akquisitionen und ihre Erfolgsvoraussetzungen auch vielfach untersucht worden.
Oft sind die Akquisitionen, die besonders nutzenstiftend wirken, auch die, die beson-
ders hohe Integrationsrisiken mit sich bringen. In Abb. 3 sind exemplarisch die Beob-
achtungen und Erkenntnisse der Untersuchung von Haspeslagh/Jemison (1992) zusam-
menfassend dargestellt. Es werden dort die erforderlichen Aktionsfelder und typischen
Probleme bei M & A aufgeführt.

Idee Akquisitionsbegründung
Analyse •Strategische Beurteilung der Transaktion
Probleme im
•Herbeiführung breiter Übereinstimmung
Entscheidungsprozess
•Genaue Darstellung von Chancen und Risiken
•Fragmentierte Sichtweisen sowie notwendigen Bedingungen
•Wachsende Eigendynamik •Rolle organisatorischer Faktoren
Verhandlung
•Vieldeutige Erwartungen •Zeitachse der Umsetzung
Begründung •Vielfältige Motive •Höchstpreisfestsetzung

Atmosphäre für Übertragung


den Fähigkeiten- s trategischer
t ransfer schaffen Fähigkeiten
Integration Interaktion
•Gegenseitiges •Betrieblicher
Verständnis Ressourcen-
Käufer •Bereitschaft zur verbund Erhöhter
Zusammenarbeit •Übertragung Wettbe-
•Kapazität bereitstellen funktionaler w erbs-
P robleme im v orteil
•Slack-Ressourcen nutzen Fertigkeiten
Integrations-
•Verstehen von •Übertragung von
p rozess
Ursache-Wirkungs- Management-
•Determinismus Zusammenhängen fertigkeiten
Objekt
•Werteverlust •Größenvorteile
Ergebnis •Führungsvakuum ausschöpfen

Abb. 3: Aktivitäten und Problemfelder (Quelle: Haspeslagh/Jemison 1992)

5 Gerpott 1993; Meynerts-Stiller/Rohloff 2015.


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18  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

4 Zur Effizienz von M & A


Trotz der großen Beliebtheit von M & A generieren viele Akquisitionen nicht (annä-
hernd) den Nutzen, der von ihnen erwartet wurde.6 So kann z. B. im Fall des Motivs der
Effizienzsteigerung deren tatsächliche Realisierung nicht signifikant bestätigt werden.
Gleiches gilt für das häufig genannte Motiv, durch M & A die Marktmacht zu erhöhen.
Konsequenz einer mit dieser Absicht vollzogenen Transaktion müsste es dann sein, dass
die Preise fallen. Auch diese Hypothese konnte bislang jedoch nicht generell bestätigt
werden. Es ist bei horizontalen Mergers sogar oft eher so, dass die verbleibenden Un-
ternehmen nach dem Ausscheiden eines Wettbewerbers die Kapazitäten erhöhen, um
ihre Economies of Scale zu erhöhen. Auch verworfen werden muss die Hypothese, dass
M & A (als Folge z. B. von Effizienzsteigerungen) die Profitabilität des aufkaufenden
Unternehmens zu erhöhen vermag. Diese Erkenntnis gilt – vielleicht überraschender-
weise – auch für die primär horizontal getriebenen Merger-Wellen. Die Profitabilität
sinkt im Allgemeinen nach der Akquisition: In 12 der durch Bühner (1990) ausgewer-
teten 28 empirischen Arbeiten zum Thema Profitabilität von M & A kommt es zu einer
Verschlechterung der Situation, in weiteren zwölf ist die Wirkung neutral und in vier
Studien ist sie positiv. Aus den Studien können eine Reihe von Hinweisen entnommen
werden, was die Profitabilität von Akquisitionen weniger ungünstig beeinflusst. Ins-
besondere ist dies der strategische Fit (»Verbundenheit« bei Produkten, Märkten oder
Technologien, komplementäre strategische Ressourcen etc.) zwischen Käufer- und Ob-
jektunternehmen.
Zur Beurteilung des Erfolgs von M & A kann weiter die Frage gestellt werden, ob
M & A den Aktienkurs verbessert? Ein überdurchschnittliches Ansteigen der Aktienkurse
im Verlauf einer Akquisition würde Signal dafür sein, dass der Kapitalmarkt positive
Effekte aus der Transaktion auf die zukünftigen Gewinne des Unternehmens erwartet.
Relative Einigkeit besteht darin, dass die großen Gewinner einer Akquisition i. A. die
Aktionäre des gekauften Unternehmens sind. Im Schnitt steigen ihre Kurse um knapp
20 %. Dagegen gibt es keinen signifikant nachweisbaren positiven Einfluss auf den Kurs
des Käufers. Im Gegenteil muss sogar eher angenommen werden, dass der Kurs fällt
und die Aktionäre des Käufers über Jahre nach der Akquisition substanzielle Verluste
hinnehmen müssen. Allerdings ist anzumerken, dass der Käuferkurs zwei bis fünf Jahre
vor der Akquisition sich oft besser als der Markt entwickelt, also das Akquisitionspoten-
zial zum Zeitpunkt ihres Eintritts im Kurs bereits »eingepreist« sein könnte.

5 Zusammenfassung
Einerseits zeigt sich, dass M & A – auch nach den Börsencrashs in den Jahren 2000 und
2007 – nicht mehr aus dem Repertoire der Unternehmensleitung wegzudenken ist. Der
Markt, an dem die Unternehmen gehandelt werden, ist dabei nicht nur größer, globaler
und volatiler geworden, sondern auch professioneller. Spezialisten aller Art (Investment-

6 Vgl. folgende Studien zur Effizienz von M & A: Carper 1990; Conn 1976; Datta et al. 1992; Mueller
1992; Piper/Weiss 1974; Ravenscraft/Scherer 1987; Rhoades 1987.
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I. Einleitung zum M & A-Markt  |  19


Teil

banker, Strategieberater, Anwälte, Wirtschaftprüfer, Psychologen etc.) haben sich hier


eine Nische gesucht und geschaffen.
Andererseits werden durch die empirischen Befunde zum Erfolg von M & A die
»wertsteigernden« Strategien des Managements bei Akquisitionen – trotz professioneller
Unterstützung – ernsthaft in Frage gestellt: Denen zufolge wird das Geld der Aktionäre
häufig mit hohem Risiko investiert, ohne daraus einen Gewinn erwarten zu können.
Effekt von M & A sind deshalb oft nur die Vergrößerung des Unternehmens und eine
reduzierte ökonomische Effizienz.
Warum investieren Führungskräfte trotzdem in eine Akquisition: Ist das Manage-
ment Getriebener eines Trends, dem es sich nicht entgegenzustellen vermag? Sind es
persönliche Vorteile, die das Management darin sieht (Macht, Einkommen etc.)? Oder ist
es der feste Glaube, dass all diese Erkenntnisse im eigenen Fall nicht zutreffen werden?
Natürlich sind auch Akquisitionen bekannt, die erfolgreich verliefen oder zumindest
keinen größeren Schaden angerichtet haben. Warum sollte man also selbst nicht zu den
Tüchtigen und Glücklichen zählen? M & A kann also als unternehmerischer Akt gesehen
werden – manchmal mit einem besseren Verständnis für die eingegangenen Risiken und
manchmal eben mit einer etwas naiven Vorstellung bzgl. der notwendigen Fähigkeiten
und zu erwartenden Belastungen. Es gilt damit auch zur Kenntnis zu nehmen, dass es
keine einfache Formel für den Erfolg von Akquisitionen gibt.
Doch was angenommen werden kann, ist, dass beim Erwerb und der Integration von
Unternehmen eine spezifische organisatorische Fähigkeit zum Tragen kommt, die in
den fraglichen Unternehmen unterschiedlich verteilt ist und auch eine Quelle für einen
Wettbewerbsvorteil zu sein vermag. Diese Fähigkeit kann zumindest ab einer gewissen
Akquisitionsfrequenz systematisch entwickelt und in Form von Standardprozeduren –
trotz aller Unterschiedlichkeit jeder Transaktion – nutzbringend zum Einsatz gebracht
werden.

Literatur
Achleitner, A.-K. (1999): Handbuch Investment Banking. Wiesbaden, Gabler, 1999.
Blackburn, V./Lang, J. R. (1989): Toward a Market/Ownership Constrained Theory of Merger Behavior.
In: Journal of Management, 15. Jg., Nr. 1, 1989, S. 77–88.
Bühner, R. (1990): Unternehmenszusammenschlüsse: Ergebnisse Empirischer Analysen. Schäffer-Po-
eschel, Stuttgart, 1990.
Carper, W. B. (1990): Corporate Acquisitions and Shareholder Wealth: A Review and Exploratory Ana-
lysis. In: Journal of Management, 16. Jg., Nr. 4, 1990, S. 807–823.
Conn, R. L. (1976): The Failing Firm/Industry Doctrines in Conglomerate Mergers. In: Journal of In-
dustrial Economics, 24. Jg., Nr. 3, 1976, S. 181–187.
Datta, D. K./Pinches, G. E./Narayanan, V. K. (1992): Factors Influencing Wealth Creation from Mer-
gers and Acquisitions – A Metaanalysis. In: Strategic Management Journal, 13. Jg., Nr. 1, 1992,
S. 67–84.
Gerpott, T. J. (1993): Integrationsgestaltung und Erfolg von Unternehmensakquisitionen. Schäffer-Po-
eschel, Stuttgart, 1993.
Haspeslagh, P. C./Jemison, D. B. (1992): Akquisitionsmanagement: Wertschöpfung durch Strategische
Neuausrichtung des Unternehmens. (P. Künzel, Trans.), Campus Verlag, Frankfurt a. M., 1992.
Jensen, M./Ruback, R. (1983): The Market for Corporate Control – the Scientific Evidence. In: Journal
of Financial Economics, 11. Jg., Nr. 1–4, 1983, S. 5 50.
Meynerts-Stiller, K./Rohloff, C. (2015): Post Merger Management. M & A-Integrationen erfolgreich pla-
nen und gestalten, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2015
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20  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Mueller, D. C. (1992): Mergers. In: P. V. Newman/M. Milgate/J. Eatwell (Hrsg.) (1992): The New Palgra-
ve Dictionary of Money and Finance. Macmillan Press Ltd., London, 1992, S. 700–705.
Müller-Stewens, G./Brauer, M. (2009): Corporate Strategy & Governance. Schäffer-Poeschel, Stuttgart,
2009.
Müller-Stewens, G./Lechner, C. (2016): Strategisches Management : Wie Strategische Initiativen zum
Wandel führen. 5. Aufl., Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2016.
Picot, G. (2012): Handbuch Mergers & Acquisitions. Planung – Durchführung – Integration, 5. Auflage,
Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2012.
Ravenscraft, D. J./Scherer, F. M. (1987): Mergers, Sell-Offs, and Economic Efficiency. Brookings Insti-
tution, Washington, DC, 1987.
Rhoades, S. A. (1987): The Operating Performances of Acquired Firms in Banking. In: R. V. Wills/J.
Caswell (Hrsg.) (1987): Issues after a Century of Federal Competition Policy. Lexington Books,
Lexington, 1987, S. 277–279.
Trautwein, F. (1990): Merger Motives and Prescriptions. In: Strategic Management Journal, 11. Jg., Nr.
4, 1990, S. 283–295.
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  |  21
Teil

II. M & A als Wellen-Phänomen:


Analyse und Erklärungsansatz
Günter Müller-Stewens*

1 Einleitung
2 Historische Betrachtung der US-amerikanischen M & A-Wellen
2.1 Erste und zweite M & A-Welle: Zwei Merger-Wellen zwischen 1897 und 1929
2.2 Dritte und vierte M & A-Welle: Wiedererwachen und Kommerzialisierung
von M & A
2.3 Fünfte M & A-Welle: Aufstieg in ungeahnte Höhen und rasanter Fall
2.4 Sechste M & A-Welle: Schnelle Erholung und neue Höchststände
3 Erklärungsansätze zum empirischen Phänomen
3.1 M & A als zunehmendes und zyklisches Phänomen
3.2 Bestehende Erklärungsansätze
3.3 Theorie der prospektiven Wertsteigerungslogik
4 »Anatomie« einer M & A-Welle
4.1 Unterer Wendepunkt
4.2 Aufschwung
4.3 Obere Wendepunkt
4.4 Abschwung
5 Den ganzen Zyklus im Visier

1 Einleitung
Das Phänomen von Unternehmenszusammenschlüsse bzw. -übernahmen (Mergers &
Acquisitions) hat seit dem ersten Auftreten Ende des 19. Jahrhunderts eine enorme
Bedeutungszunahme erfahren. M & A-Transaktionen finden auf dem sog. Markt für Un-
ternehmenskontrolle statt. Dieser Markt wird im engen Sinne als die Arena bezeichnet,
in der Manager um die Kontrollrechte für Unternehmensressourcen konkurrieren.1 Im
weiten Sinne schließt er jedoch eine Vielzahl weiterer Transaktionen wie strategische
Allianzen (z. B. in Form wechselseitiger Beteiligungen) mit ein. In diesem Markt kann
neben den in die Transaktionen involvierten Unternehmen ein Vielzahl weiterer Akteure
angetroffen werden: So etwa Beratungen, Wirtschaftsprüfer und Anwaltssozietäten, die
diverse Dienstleistungen erbringen, aber auch Private Equity-Investoren und Staatsfonds
zählen zu den Akteuren auf dem M & A-Markt.

* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St.  Gallen
(HSG), St. Gallen.
1 »The market for corporate control is best viewed as an arena in which managerial teams compete for
the rights to manage corporate resources« (Jensen/Ruback 1983).
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22  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Doch was verursacht das Phänomen M & A als Ganzes? Zwar ist relativ viel zu den
Motiven, die hinter den einzelnen Transaktionen stehen, bekannt – Motive wie etwa Effi-
zienzsteigerung oder Zugewinn an Marktmacht.2 Bislang gibt es nur erste Ansatzpunkte
für eine allgemeine Erklärung des Phänomens. In diesem Beitrag wird versucht, auf dem
Weg zu einer Theorie für das Phänomen M & A ein Stück weiter zu kommen. Als Start-
punkt dazu soll ein Blick auf die historische Evidenz des Phänomens geworfen werden.
Bei einer historischen Betrachtung der M & A-Aktivitäten lässt sich vermuten, dass
M & A ein zyklisches Phänomen ist. Diese Beobachtung soll im Folgenden für eine nä-
here Analyse des Marktes für Unternehmenskontrolle in den USA genutzt werden, der
als Wiege des Phänomens betrachtet werden kann.

2 Historische Betrachtung der US-amerikanischen


M & A-Wellen
Die Vereinigten Staaten von Amerika können als Wiege des Marktes für Unternehmens-
kontrolle betrachtet werden. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts lassen sich in den
USA immer wieder Episoden erkennen, in denen es mit einer gewissen Regelmäßigkeit
zu einem signifikanten Anstieg der M & A-Aktivitäten kommt. Und auch zu Anfang des
neuen Jahrtausends ist der US-amerikanische Markt für Unternehmenskontrolle immer
noch der Leitmarkt für das M & A-Geschehen.

12.066 Fälle
Anzahl Fälle unter Beteiligung 1672 Mrd.$ Vol. 2014:
von US-Unternehmen 133 Mio.$/Fall 11.891 Fälle
11.123 Fälle 2930 Mrd.$ Vol.
1268 Mrd.$ Vol. 246 Mio.$/Fall
12.000 114 Mio.$/Fall

11.000 (5) (6)


»Mega-Merger« »Private
Globalisierung & Konsolidierung, Equity«
10.000 Liberalisierung & Deregulierung, Fokussierung
Shareholder Value Globalisierung
9.000 Internet (»Click & Mortar«) Marktführerschaft
Shareholder
91-00 Aktivismus
8.000
03-06
7.000 8.232
(3) 530 Mrd.$ Vol.
»Konglomeratsbildung« 64 Mio.$/Fall
6.000 aufgrund (4)
Diversifikationstheorie »Merger Manie«,
(1)
5.000 Liberalisierung
»Monopolbildung« 63-69 & Deregu-
Industriali-
(2) lierung
4.000 sierung
führt zu »Vertikalisierung«
horizontalen Neue Antitrustgesetze 82-87
3.000 Zusammen- führen zur mehr
schlüssen vertikaler Integration

2.000 97-99 16-29

1.000

0
1895 00 05 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

Abb. 1: US-Merger-Wellen 1963 bis 2014: Anzahl Transaktionen von 1895 bis 2014 (Quellen: 1895–1920:
Nelson (1959); 1921‑1939: Thorp/Crowder (1941), 1940–1962: FTC (1971, 1972), 1963–2002: MergerStat;
2003–2014: MergerStat; nach neuem Ansatz ermittelt, der zu ca. 10 % mehr Transaktionen führt.)

2 Vgl. Jensen 1988 und Trautwein 1990.


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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  23


Teil

Mittlerweile lassen sich sechs große Merger-Wellen erkennen (vgl. Abb. 1). Mit leich-
ter Verzögerung schwappen diese Wellen i. d. R. auch auf die anderen westlichen Indust-
riestaaten über, jedoch haben natürlich auch lokale Ereignisse und Gegebenheiten einen
Einfluss auf Stärke und Ausprägung der jeweiligen Merger-Welle. So war bspw. Anfang
der 1990er Jahre weltweit ein Abflauen der M & A-Aktivitäten zu beobachten, während
in Deutschland die Wiedervereinigung – und speziell die Treuhandverkäufe – zu einem
weiteren Anstieg der Transaktionszahlen führten.
In der Zeit bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 konnten zwei
M & A-Wellen registriert werden. Nachdem es dann über fast 30 Jahre zu keinen sig-
nifikanten M & A-Aktivitäten kam, wurde das M & A-Phänomen in den 1960er Jahren
aufgrund der Diversifikationstheorie und später der Kommerzialisierung von M & A als
Beratungsdienstleistung wiederbelebt.
Zu neuen, vorher unvorstellbaren Höhen schwang sich der Markt in den 1990er Jah-
ren auf: Im Jahr 1991 wurden 1.877 Transaktionen unter Beteiligung eines US-Unterneh-
mens bei einem Gesamtvolumen von 71 Mrd. US-$ registriert.3 Anschließend stiegen die
Zahlen bis zum Jahr 2000, in dem 11.123 Transaktionen mit einem Wert von 1.268 Mrd.
US-$ gezählt wurden, kontinuierlich an. Ende der 1990er Jahre waren die Marktteil-
nehmer durch eine Euphorie – ähnlich der in den »Goldenen Zwanzigern« – getrieben,
die nahezu jeder Rationalität entbehrte; dann kam es zum Platzen der Dotcom-Blase.

14.000 1.600

12.000 1.400

1.200
10.000
Anzahl Transaktionen bzw. Dow Jones

1.000 Transaktionsvolumen in Mrd. US-$


8.000

800

6.000
600

4.000
400

2.000
200

0 0

Abb. 2: US-Merger-Wellen 1963 bis 2009: Entwicklung der Transaktionsanzahl und -volumen sowie des Dow Jones
Index (Quellen, MergerStat Review, Dow Jones, eigene Analyse)

3 Quelle: MergerStatReview.
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24  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Die sechste Welle lief ähnlich ab. Sie schwang sich zwar etwas schneller zu einem
Allzeithoch des gesamten Transaktionsvolumens von etwa 1.500 Mrd. US-$ auf (von
2002 bis 2006), stürzte dann aber im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ebenso
dramatisch ab. Allein 2008 halbierte sich bereits die Kapitalisierung des globalen Ak-
tienmarktes von etwa 50.000 auf 25.000 Mrd. US-$. Analog war im Jahr 2009 auch nur
noch etwas weniger als die Hälfte des Transaktionsvolumens aus dem Jahr 2006 zu
verzeichnen. Auch wenn der M & A-Markt sich relativ schnell wieder erholte, so kann
man wohl noch nicht von einer neuen Welle sprechen. Abb. 2 stellt die Transaktionsvo-
lumina und die Anzahl an Akquisitionen der Entwicklung des Dow Jones Aktienindex
– als Ausdruck der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – für den Zeitraum von 1963
bis 2009 gegenüber.
Nach diesem einleitenden Überblick über das historische Phänomen M & A werden
nun die einzelnen Wellen einer genaueren Betrachtung unterzogen.

2.1 E rste und zweite M & A-Welle: Zwei Merger-Wellen


zwischen 1897 und 1929
Die ersten beiden M & A-Wellen erstrecken sich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum
Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929. Sie brachten die ersten einschneiden-
den wettbewerbsrechtlichen Regulierungen mit sich.

2.1.1 Industrialisierung als Auslöser von Monopolbildungen

Als Folge des Übergangs von der Manufaktur zum Industriebetrieb kam es seit etwa
1870 zur Bildung von Kartellen. In den USA kam es bereits Ende des 19. Jahrhunderts
zur Entwicklung eines Kartellrechts, das diese Form unternehmerischer Zusammen-
arbeit grundsätzlich zur Herstellung einer markt-beherrschenden Position verbot.4 So
wurde im Jahr 1890 der Sherman Antitrust Act erlassen. Zum einen untersagte das
Gesetz jegliche Form horizontaler und vertikaler Absprachen. Zum anderen beinhaltete
das Gesetz aber auch ein generelles Monopolisierungsverbot, um durch den Schutz von
Wettbewerb der Gefahr einer überhöhten Preisbildung entgegenzutreten.
Die Industrialisierung war Auslöser einer ersten Merger-Welle in den USA, die auf
den Zeitraum 1897 bis 1899 datiert werden kann. Sie fiel mit einer Periode ökonomischen
Wachstums zusammen, hatte ihren wesentlichen ersten Einbruch bereits im Jahre 1899
und lief dann aber mit der im Jahr 1903 beginnenden Rezession aus. Prägend in dieser
Zeit waren neue Produktionstechnologien, die Wirtschaftlichkeitseffekte bei der Her-
stellung größerer Stückzahlen ermöglichten. Hinzu kam die Möglichkeit der Nutzung
von Elektrizität. Auch verbesserte sich die verkehrstechnische Infrastruktur in den USA
(transkontinentale Eisenbahn), was das Entstehen einer nationalen Wirtschaft begüns-
tigte.5 Es kam in dieser Phase zu einer Vielzahl horizontaler Akquisitionen, insbeson-

4 Außerhalb der USA waren Kartelle bis in die 1950er Jahre erlaubt. Missbrauchsfälle konnten jedoch
geahndet werden. Danach setzte sich im Prinzip weltweit die US-amerikanische Form der Kartell-
gesetzgebung durch.
5 Weston et al. 1990.
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  25


Teil

dere in der Öl- und Tabakindustrie, mittels deren die Unternehmen versuchten, ihre
Marktmacht zu vergrößern, nachdem Absprachen nicht mehr möglich waren (erster
Aspekt des Sherman Antitrust Act).
Mit dem zweiten Aspekt des Sherman Antitrust Act verbunden war auch die Mög-
lichkeit der Entflechtung von Monopolen bzw. marktbeherrschenden Unternehmen. Das
Gesetz wurde anfangs kaum angewandt; das änderte sich erst unter Präsident Theodore
Roosevelt, der sich in seiner Amtszeit von 1901 bis 1908 stark für eine Machtbeschrän-
kung der Kartelle einsetzte. So wurde z. B. Standard Oil 1906 von der Regierung der USA
angeklagt und 1911 entflochten. Auch American Tobacco wurde 1911 auf Grundlage des
Sherman Antitrust Acts entflochten.
Diese erste M & A-Welle fiel in ein seit dem »Industrial Black Friday« im Jahr 1893
(und dem darauf folgenden Silbercrash) wirtschaftlich freundliches Umfeld. Ab 1904
war der US-Aktienmarkt jedoch durch große Unsicherheiten und panikartige Zustände
geprägt.6 1907 kam es auch zu dem katastrophalen Erdbeben in San Francisco. Erst
1914/15 begannen sich die Märkte wieder wahrnehmbar zu erholen.
1914 wurde auch der Clayton Act erlassen, der den Sherman Antitrust Act ergänzen
und präzisieren sollte (sog. »Incipiency Doctrine«). Sein Inhalt bestand insbesondere aus
(1) einem Verbot kartellrechtlicher Vereinbarungen, (2) einem Diskriminierungsverbot
(1936 durch den Robinson Patman Act verschärft) sowie (3) einem Fusionsverbot (1950
durch den Celler Kefauver Act verschärft).

2.1.2 Wirtschaftsboom durch Kriegsgewinne

Kurz nachdem am 29.06.1914 der österreichische Kronprinz Franz Ferdinand und seine
Gattin durch serbische Nationalisten in Sarajevo ermordet wurden, brach allerdings
auch überraschend der Erste Weltkrieg aus, in dessen kriegerischen Auseinandersetzun-
gen bis 1919 insgesamt 38 Staaten aktiv involviert waren. Der spätere Eintritt der USA
in diesen Krieg erwies sich für das Land als wirtschaftlich äußerst günstig. Nach einer
kurzen Depression bei Kriegsbeginn in Europa im Jahr 1914 profitierte die amerikani-
sche Wirtschaft ganz erheblich von den massiven Einkäufen aus den alliierten Staaten,
in denen es kaum noch etwas zu kaufen gab. Bis zum Friedensvertrag von Versailles
im Jahr 1919 waren die USA zur größten Handelsnation der Welt geworden. Die USA
waren von einer Schuldnernation zum größten Gläubiger der Welt geworden. Neben
London war die Wallstreet in New York zum wichtigsten Finanzzentrum aufgestiegen.
Diese veränderten Rahmenbedingungen prägten natürlich auch den Verlauf der
M & A-Aktivitäten in den USA. So formierte sich von 1916 bis 1929 eine zweite, M-förmige

6 Der Schweizer Wissenschaftler Fritz Schwarz vertrat die interessante, aber trotz einiger Fakten
nicht wirklich bewiesene These, daß die Panik des Jahres 1907 durch den Investmentbanker Morg-
an und den Industriellen Rockefeller absichtlich inszeniert worden wäre. Ihre Absicht sei es gewe-
sen, die Wettbewerber und die Regierung durch eine Deflationskrise in Bedrängnis zu bringen. Für
Morgan hätte sich so die Möglichkeit ergeben, Wettbewerber unter Wert zu übernehmen, und Ro-
ckefeller hätte den Staat unter Druck gesetzt, der seine Standard Oil Company und ihn selbst wegen
des Verstoßes gegen den Sherman Act verklagen wollte. Angeklagt waren nämlich neben dem Un-
ternehmen Standard Oil of New Jersey sowie 65 der von Standard Oil kontrollierten Unternehmen
auch die gesamte Führungsebene, u. a. mit John und William Rockefeller. Der sich über mehrere
Jahre hinziehende Prozeß endete schließlich am 05.05.1911 mit der Zerschlagung der Standard
Oil Company (vgl. auch http://wissen.boerse.de/boersengeschichte.php?leiste=5&view=72&sei-
te=3#content).
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26  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

M & A-Welle, die sich wesentlich aus den günstigen wirtschaftlichen Auswirkungen des
Ersten Weltkrieges auf die USA nährte. Der erste Teil dieser zweiten M & A-Welle hatte
ihren Aufschwung zwischen 1916 und 1920 (Welle 2a). Obgleich die Verschärfung der
Antitrustgesetzgebung den Zusammenschluss von Unternehmen erschwerte, erfuhr der
M & A-Markt im Zuge der wieder seit 1914 prosperierenden Aktienmärkte eine Wiederbe-
lebung. Dabei stand das Streben nach marktbeherrschenden Positionen im Mittelpunkt
der Übernahmeaktivitäten. Aufgrund der Unterbindung von marktbeherrschenden Po-
sitionen durch die Kartellgesetzgebung fanden jedoch weniger horizontale Diversifizie-
rungsaktivitäten statt, vielmehr wurden zunehmend vor- und nachgelagerte Unterneh-
men erworben, was zu einer höheren Anzahl an vertikalen Integrationen führte.

2.1.3 »Goldene Zwanziger« und Weltwirtschaftskrise

Doch im Zuge der nach dem Krieg deutlich nachlassenden Nachfrage, die wiederum
erhebliche Preissenkungen zur Folge hatten, kam es im April 1920 zu einem ersten
markanten Einbruch der Märkte in den USA und einer bis zum Juli 1921 andauernden
Rezession. Viele Unternehmen wurden in dieser Phase verkauft oder mussten ganz
aufgeben. Nachdem sich die verbliebenen Unternehmen jedoch neu und besser passend
zur Nachfrage aufgestellt hatten, begann ein zweiter Teil dieser zweiten M & A-Welle in
Form einer lang anhaltenden Phase starken Wirtschaftswachstums, die später als die
»Goldenen Zwanziger« bezeichnet wurden.
Dieser Wirtschaftsboom spiegelte sich auch auf dem Markt für Unternehmenskont-
rolle in den Jahren 1921 bis 1929 wider (Welle 2b). Entwicklungen im Transportwesen,
wie die Erhöhung der individuellen Reichweite aufgrund der Verbreitung des Automo-
bils und eines wachsenden Straßennetzes, und verbesserte Kommunikationsmöglich-
keiten (z. B. Werbung für nationale Marken über das Radio) waren wichtige Treiber
dieses Booms.7
Aus dem Boom wurde eine bodenlose Euphorie, die oft jeder Rationalität entbehrte.
Jeder wollte möglichst schnell reich werden. Börsengänge wurden mit vorher nicht
vorstellbaren Kursgewinnen gehandelt. Unternehmen werden mit völlig überteuerten
Multiples gekauft – insgesamt eine Entwicklung wie sie in sehr ähnlicher Form Ende der
1990er Jahre wiederzusehen war. Der Zusammenbruch der US-amerikanischen Börse
im Oktober 1929 und die darauffolgende Weltwirtschaftskrise beendeten diese zweite
M & A-Welle in einer dramatischen Form.

 ritte und vierte M & A-Welle: Wiedererwachen


2.2 D
und Kommerzialisierung von M & A
Erst am 23.11.1954, ein Vierteljahrhundert nach dem Beginn der Weltwirtschaftskri-
se und nach einem weiteren desaströsen Weltkrieg, erreichte der Dow Jones Index
wieder sein Allzeithoch von 381 Punkten vom 03.09.1929. Danach kam es bis zu den
1960er Jahren auch zu keinen signifikanten M & A-Aktivitäten mehr. Erst angetrieben

7 Vgl. Markham 1955.


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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  27


Teil

durch neue theoretische Überlegungen kam es etwa ab 1963 zu einer neuen, der dritten
M & A-Welle.

2.2.1 »Conglomerate Era« der 1960er Jahre

Die Übernahmetätigkeiten in der dritten M & A-Welle von 1963 bis 1969 standen unter
neuen Vorzeichen. Der Celler Kefauver Act von 1950 verschärfte die Kartellgesetzgebung
dahingehend, dass nunmehr auch der Erwerb von in der Wertschöpfungskette vor- oder
nachgelagerten Unternehmen als Wettbewerbsbeschränkung galt. Als Folge und auch
aufgrund der enttäuschenden wirtschaftlichen Entwicklung vieler horizontaler Akquisi-
tionen ging die Anzahl der vertikalen und horizontalen Unternehmenskäufe innerhalb
von zehn Jahren drastisch zurück.
Bei der Suche nach Quellen neuen Wachstums standen deshalb Käufe unverbundener
Unternehmen im Zentrum des Interesses. Dies geschah nicht zuletzt vor dem Hinter-
grund der in dieser Zeit populären Diversifikationstheorie, die den Firmen eine vermin-
derte Abhängigkeit von Wirtschaftszyklen versprach. Nach dem Motto »Big is Beauti-
ful« entstanden riesige Finanzkonglomerate, die Unternehmen aus den verschiedensten
Branchen unter ihrem Dach vereinigten. Entscheidungskriterien für eine Übernahme
waren in erster Linie der erwartete Return on Investment (ROI) und der zeitliche Anfall
der Cashflows, um ein ausgeglichenes Beteiligungsportfolio zu erhalten. Als Beispiele
können Gulf & Western, ITT und Teledyne genannt werden; allein Teledyne erwarb
über 125 Unternehmen.
Diese Entwicklung wurde nicht durch einen boomenden Aktienmarkt ausgelöst oder
getragen. Der Kapitalmarkt befand sich eher in einer angespannten Situation, und Kre-
dite konnten bei hohen Zinsen aufgenommen werden. Aufgrund dessen wurden die
Akquisitionen auch vorwiegend durch Aktientausch finanziert.
Erst mit dem Sinken der Aktienkurse Ende der 1960er Jahre ging auch die Zahl der
Übernahmen (Takeover) wieder zurück. Damit war aber vorerst kein Crash verbunden,
sondern lediglich eine wirtschaftliche Abkühlung. Dramatischer wurde es als im Jahr
1973 das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse nach jahrelangen »Reparaturver-
suchen« endgültig zusammenbrach, was zu starken Abwertungen des US-$ gegenüber
verschiedenen starken Währungen führte, sowie die Ölkrise. Der Ölpreis verzeichnete
in dieser Zeit nahezu eine Verdreifachung, was erhebliche Auswirkungen auf die Welt-
wirtschaft hatte.8 Der stark einsetzende wirtschaftliche Abschwung wurde zu einer
Stagflation: stagnierendes Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig hoher Inflation und
steigenden Preisen.

2.2.2 »Merger Mania« der 1980er Jahre

Ende der 1970er Jahre begann die spektakulärste Übernahmebewegung in den USA.
Damals befanden sich die alten Industriebranchen in den USA in einer tiefen Struktur-

8 Diese Preissteigerung war die Auswirkung eines Beschlusses der Organisation der Erdölexportie-
renden Staaten (OPEC) im Oktober 1973 das Ölangebots um 5 % gegenüber dem Niveau vom Sep-
tember 1973 zu reduzieren. Dies war eine Reaktion auf den Yom-Kippur-Krieg, wo Israel mit seinen
Truppen nicht weit vor Kairo und Damaskus stand.
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28  |  M & A aus Marktperspektive


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krise, die ihre Ursachen noch in der Ölkrise hatte. Aufgrund des technischen Wandels,
Marktveränderungen oder zu kleiner Marktanteile mussten ganze Branchen feststellen,
dass ihre Wettbewerbsposition erodiert war. Die Liberalisierungs- und Deregulierungs-
politik der Regierung Reagan bewirkte tiefgreifende strukturelle Veränderungen im
wirtschaftlichen Umfeld der Unternehmen.

2.2.2.1 Lockerung der Rahmenbedingungen

Eine Lockerung der Monopolgesetzgebung machte Akquisitionen in der eigenen Branche


wieder möglich, und für das Handeln von Unternehmen günstigere Steuergesetze steiger-
ten die Attraktivität von Unternehmenskäufen. Auch führte das Auftreten neuer Anbieter
aufgrund von Deregulierungen dazu, dass ganze Branchen wie etwa die Transportindus-
trie oder der Luftverkehr zu Umstrukturierungen gezwungen wurden. Die Unterbewer-
tung vieler Unternehmen an der Börse und die hohen Inflationsraten der 1970er Jahre,
die zu einer Verringerung der Buchwerte gegenüber den Wiederbeschaffungswerten
führten, verstärkten diese Tendenz.
Um sich ihrem veränderten Umfeld anzupassen, versuchten viele Unternehmen, sich
einerseits durch den Verkauf ganzer Unternehmensbereiche auf das Kerngeschäft zu fo-
kussieren, was durch den enormen Anstieg der großen Desinvestitionen Mitte der 1980er
Jahre dokumentiert wird. Andererseits erkannten viele Firmen, dass die erhöhten In-
vestitionen in das Stammgeschäft alleine ihre Zukunft nicht garantieren können. Als
Ausweg aus der Wachstumskrise wurde das Engagement in neuen Bereichen gesehen.
Gegenüber den primär finanziell motivierten Diversifikationen der Vergangenheit stand
nun das Streben nach Synergien im Vordergrund der Überlegungen.

2.2.2.2 »Leveraged Buy-outs« und »Junk Bonds«

In den USA wurde 1988 ein Allzeithoch hinsichtlich des Transaktionsvolumens auf-
gestellt, obgleich die Anzahl der Transaktionen seit 1986 stark zurückgegangen war.
Der Durchschnittswert einer Transaktion erreichte etwa 110 Mio. US-$. Eine wichtige
Voraussetzung für dieses Phänomen war die parallele Weiterentwicklung auf den Fi-
nanzmärkten. Der enorme Kapitalbedarf für die Realisierung der Übernahmen wurde
vorwiegend durch die Aufnahme von Fremdkapital gedeckt. Die in den Vereinigten
Staaten vorherrschende steuerliche Begünstigung von Fremdkapital gegenüber Eigen-
kapital unterstützte die Durchführung sog. Leveraged Buy-outs (LBO). Eine Erhöhung
des Verschuldungsgrades ließ den Unternehmenswert steigen, und gleichzeitig wurde
durch die Hebelkraft des Fremdkapitals die Eigenkapitalrendite gesteigert. Das Fremd-
kapital wurde häufig nicht nur vom Käufer des Zielunternehmens aufgebracht, vielmehr
entwickelte sich bald ein Markt für sog. Junk Bonds, hochverzinsliche Anleihen, die al-
lerdings mit einem überdurchschnittlichen Risiko behaftet waren. Dem Investmenthaus
Drexel Burnham Lambert mit dem Junk Bonds-König Michael Milken gelang es, einen
Markt für diese Papiere zu organisieren, wodurch ein großes Finanzierungspotenzial
für Unternehmensübernahmen geschaffen wurde.

Praxisbeispiel
Beispiel: LBO-Klassiker – KKR übernimmt Beatrice Cos.
Das klassische Beispiel für einen LBO war die Übernahme von Beatrice Cos., Inc. durch das Invest-
menthaus Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) für 6,3 Mrd. US-$ im Jahr 1986. Anschließend wurde
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  29


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die stark diversifizierte Gesellschaft durch massive Verkäufe einzelner Unternehmensteile auf wenige
Lebensmittelmarken zurückgestutzt. Allein die Veräußerung der Nebentätigkeiten von Beatrice brachte
7 Mrd. US-$ ein, insgesamt wurden mehr als 20 Mrd. US-$ erlöst. Nach diesem Muster wurden unzäh-
lige Konzerne von Finanzgesellschaften und sog. Corporate Raiders aufgekauft und in Einzelteilen
gewinnbringend weiterverkauft.
In Kürze zog die Aussicht auf gewaltige Gewinne Anleger an, die in die neu kreierten
Junk Bonds-Fonds investierten. Der Markt für diese Papiere wuchs bis zum Jahr 1989
auf ein Volumen von über 200 Mrd. US-$ an. Bereits in dieser Phase kam es zu einer
ganzen Reihe von Mega-Mergern. Dazu zählte z. B. der Kauf von Gulf Oil durch Chevron
(25,1 Mrd. US-$) oder die Akquisition von Kraft durch Philip Morris (13,1 Mrd. US-$).
Kein Unternehmen schien vor einer Übernahme mehr sicher zu sein, denn die Größe
allein schien angesichts des unermesslichen Finanzierungspotenzials keinen Schutz vor
unfreundlichen Übernahmen, bei denen die Transaktion gegen den Willen des Manage-
ments des Objekts durchgeführt wird, zu gewähren.

Praxisbeispiel
LBO-Transaktion – KKR übernimmt RJR Nabisco
Zu den spektakulärsten Übernahmen in der Geschichte zählt nach wie vor die von KKR durchgeführte
Akquisition von RJR Nabisco. Als im Oktober 1988 das Management des Nahrungsmittelriesen in einer
Presseerklärung verlauten ließ, zusammen mit einem Partner die Firma im Rahmen eines LBO’s zum
Preis von 17,6 Mrd. US-$ übernehmen zu wollen, überbot KKR innerhalb weniger Tage den Kaufpreis
um 3 Mrd. US-$ und ging schließlich aus dem einen Monat und mehrere Bieterrunden dauernden Über-
nahmekampf als Sieger hervor. Das Investmenthaus übernahm RJR Nabisco schließlich für 25,1 Mrd.
US-$, wobei der niedrige Eigenkapitalanteil von rund 10 % im Finanzierungspaket der Transaktion keine
Ausnahme für die damalige Zeit war. Die Differenz zum Kaufpreis wurde durch Bankkredite und durch
die Emission von Schuldverschreibungen geschlossen; Junk Bonds spielten dabei eine wichtige Rolle.

Einen Rückschlag erhielten die LBO-Aktivitäten im Jahr 1989. Bereits im Vorjahr wur-
den dem Investmenthaus Drexel Burnham Lambert und seinem Junk Bonds-Star Milken
im Rahmen des Boesky-Insider-Skandals zahlreiche Verstöße gegen die Börsen- und
Wertpapiergesetze nachgewiesen. Als sich dann das erste LBO-finanzierte Unternehmen
(Integrated Resources) unter »Chapter 11« des amerikanischen Konkursrechtes stellen
musste und weitere Fälle folgten, wurden die Anleger auf die erhöhten Risiken der Junk
Bonds aufmerksam.
Im Laufe der Jahre wurden aufgrund der Euphorie immer waghalsigere LBO-Finan-
zierungen durchgeführt, was zu einem rapiden Qualitätsverfall auf dem Junk Bonds-
Markt führte. Viele Unternehmen waren derart verschuldet, dass die Zinslast die lau-
fenden Erträge überstieg. Darüber hinaus stiegen die Kaufpreise der übernommenen
Unternehmen aufgrund der Konkurrenz der Corporate Raider in teilweise phantastische
Dimensionen. Als dann vor dem Hintergrund einer ersten Ernüchterung immer mehr
Investoren aussteigen wollten, zeigte sich, dass der Junk Bonds-Markt in vielen Teilbe-
reichen illiquide war. Dem steigenden Angebot standen keine Käufer gegenüber, und in
kurzer Zeit brachen die Kurse massiv ein.
Dieser Crash auf dem Junk Bonds-Markt hatte einschneidende Folgen. Zum einen
wurden die Vorschriften zur Kreditfinanzierung von Unternehmensübernahmen durch
die US-amerikanische Notenbank (Fed) verschärft. Dies geschah mit der Intention, die
Qualität des Fremdkapitals zu verbessern. Größere Auswirkungen ergaben sich auch
für den Markt für Unternehmenskontrolle. Zwar nahm die Anzahl der Unternehmens-
käufe im Folgejahr des Crashs sogar zu, allerdings verschoben viele große Unternehmen
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30  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

ihre Akquisitionspläne auf einen späteren Zeitpunkt, so dass nur wenige bedeutende
Übernahmen durchgeführt wurden. Vor allem sank die Anzahl der LBO-finanzierten
Unternehmensübernahmen ebenso drastisch ab wie die von Tender Offers.

2.2.2.3 Crash der Aktienmärkte

Im Oktober 1987 brach dann der Dow Jones angesichts der zunehmenden Zweifel über
die Werthaltigkeit vieler Papiere sowie der Unsicherheiten, die von einer Erhöhung der
kurzfristigen Zinsen durch die amerikanische Notenbank zur Stützung des Wechsel-
kurses ausgingen, um über 500 Punkte ein, was sich angesichts der über den elekt-
ronischen Handel global vernetzten Finanzplätze schnell zu einem weltweiten Crash
ausweitete. In Japan setzte 1990 eine tiefe Rezession ein. Auch der drohende Zweite
Golfkrieg (»Desert Storm«) in den Jahren 1990/92 verunsicherte die Börsen. Doch mit
Kriegsbeginn erlebten die Börsen eine starke Belebung.

2.3 F ünfte M & A-Welle: Aufstieg in ungeahnte Höhen


und rasanter Fall
Mit dem Auslaufen der vierten M & A-Welle kam der strategischen Bewertung eines Un-
ternehmens wieder ein größerer Stellenwert zu. Dadurch gingen auch die hohen Über-
nahmeprämien, die sich am »Break-up-Value« eines Übernahmekandidaten orientierten,
zurück. So kam es zu einem vorübergehenden, insbesondere wertbezogenen Rückgang
der Akquisitionstätigkeiten bis Anfang der 1990er Jahre. Doch schon kurz danach kam
der amerikanische Markt für Unternehmenskontrolle wieder in Stimmung. Bereits im
Jahr 1992 konnten wieder größere Transaktionen registriert werden. Etwa ab 1998 kam
es zu teilweise massiven Überbewertungen und damit nachgelagert zu dramatischen
Wertvernichtungen in Höhe von etwa 240 Mrd. US-$ bei den akquirierenden Unterneh-
men – was auch bei weitem nicht durch die Wertsteigerungen bei den Zielunternehmen
aufgehoben wurde.9
Übertraf die Anzahl der Transaktionen 1997 bereits deutlich die alte Bestmarke aus
dem Jahr 1969, so lag 1995 auch das Gesamtvolumen der Transaktionen mit 356 Mrd.
US-$ weit über dem Hoch von 1989. Die Anzahl der Transaktionen stieg im Zeitraum
von 1990 bis 2000 um das 5,4-fache auf über 11.000 Fälle mit einem Gesamtwert von
1.268 Mrd. US-$ (vgl. Abb. 2). Beim Durchschnittsvolumen einer Transaktion kam es
zu mehr als einer Verdopplung von 52 Mio. US-$ auf 114 Mio. US-$.

2.3.1 Ausgeprägte M & A-Kultur und zunehmende Professionalisierung

Trotz vorübergehender Rückschläge verblieben die Vereinigten Staaten das mit Abstand
aktivste und innovativste Land im M & A-Bereich. In den USA herrschte seinerzeit ver-
glichen mit Kontinentaleuropa und Deutschland bereits eine ausgeprägte M & A-Kultur,
die sich aus der Kombination verschiedener Faktoren ergab. Grundsätzlich war in der
US-amerikanischen Wirtschaft eine stärkere Orientierung an finanziellen Kennzahlen

9 Vgl. Moeller et al. 2005.


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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  31


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festzustellen. Der negative Touch, den Übernahmen in Europa lange Zeit besaßen (Stich-
wort: »Barbarei«) – insbesondere wenn kleine Unternehmen von großen Konzernen
erworben wurden –, ist dort nicht einmal bei unfreundlichen Übernahmen vorhanden.
Die – wenn auch oft kurzfristig ausgerichteten – finanzwirtschaftlichen Interessen der
Investoren stehen im Vordergrund. Diese werden durch eine hohe Transparenz der Un-
ternehmensverhältnisse unterstützt. Eine offene Informationskultur der Unternehmen
gewährt den Kaufinteressenten durch die in periodischen Abständen nach dem Prinzip
des »True & Fair-View« erstellten Abschlüsse bzw. Zwischenberichte einen detaillierten
Einblick in die Unternehmensdaten. Ein weiterer wichtiger Grund für die exponierte
Stellung der USA im M & A-Bereich lag in der hohen Börsenkapitalisierung. Schließlich
bildeten die mit dem Ziel der Wettbewerbsförderung geschaffenen umfangreichen recht-
lichen Rahmenbedingungen in den USA eine weitere entscheidende Voraussetzung.
Nicht unerwähnt bleiben soll auch der hohe Professionalisierungsgrad der im
M & A-Geschäft tätigen Akteure: Der Markt für Unternehmenskontrolle wurde in die-
ser Phase auch durch eine immer größer werdende Anzahl an Beratungsunternehmen
stimuliert. Allen voran waren es die großen US-amerikanischen Investmentbanken,
die die Professionalisierung dieser Beratungsdienstleistungen vorantrieben, wichtige
Aufgaben bei der Anbahnung und Durchführung von M & A-Transaktionen übernahmen
und vor allem den Markt aktiv entwickelten.10 Zu erwähnen sind auch die – aufgrund
der oft komplexen steuerlichen und juristischen Sachverhalte – auf M & A spezialisierten
Anwaltskanzleien, die aber eher reaktiv auftraten. Auch in den großen diversifizierten
Konzernen wurde M & A mehr und mehr zum Alltagsgeschäft. So lag es nahe, dass
eigene Kompetenzbereiche (z. B. in Form einer Abteilung »Corporate M & A«) aufbaut
wurden. Dies führte zu einer gewissen Standardisierung der M & A-Prozesse und machte
die Unternehmen auch unabhängiger von den Beratungshäusern. Zudem beabsichtigten
die Unternehmen, durch das systematische Sammeln und Standardisieren von Transak-
tions-Know-how die sehr hohen Fehlerraten zu reduzieren.

2.3.2 Fünf wesentliche Treiber

Charakteristisch für die fünfte Welle ist eine Sequenz von fünf Haupttreibern, die aufei-
nander aufbauten und sich wechselseitig verstärkten. Das erklärt auch die lange Dauer
dieser Welle von etwa zehn Jahren.

(1) Globalisierung der Weltwirtschaft und Konsolidierung von Branchen: In einer gan-
zen Reihe von Branchen wie z. B. in der Automobil- oder Pharmaindustrie kam es zur
Globalisierung der Märkte. Es wurde angenommen, dass nur die größten Unternehmen
in diesen Geschäften überlebensfähig seien. Während dieser Phase kam es zu einer
Vielzahl aufsehenerregender Mega-Merger, oft tituliert als »Merger of Equals«, also eine
Fusion zweier gleichberechtigter Partner.11 Angesichts der Größe der involvierten Un-
ternehmen wurde oft mit eigenen Aktien als Währung bezahlt.

10 Vgl. Beiteil/Schiereck 2004.


11 Allerdings gehen nur im Ausnahmefall beide Partner zu gleichen Teilen in die Eröffnungsbilanz ein.
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32  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Praxisbeispiel
»Hochzeit im Himmel« – Zusammenschluss von Daimler und Chrysler
Jürgen Schrempp, CEO von Daimler-Benz, formulierte in der zweiten Hälfte der 5. M & A-Welle seine
Vision der »Welt AG«. Einen wichtigen Schritt dazu sah er im Zusammenschluss mit Chrysler im Mai
1998. Jürgen Schrempp schwärmte bei dieser Fusion unter Gleichen (Merger of Equals) zur Daim-
lerChrysler AG von einer »Hochzeit im Himmel«. Der Zusammenschluss wurde mit knapp 85 Mrd. Euro
bewertet und gilt damit als der größte Industriezusammenschluss der Geschichte. Der Wertanteil
von Chrysler am neuen Unternehmen betrug in etwa ein Drittel. Die Fusion erfolgte durch einen
Aktientausch in Aktien des neuen Unternehmens, der DaimlerChrysler AG. Daimler-Benz-Aktionäre
erhielten pro Aktie 1,005 DaimlerChrysler-Aktien, eine Chrysler-Aktie wurde in 0,6235 DaimlerChrys-
ler-Aktien getauscht. Nach vielen vergeblichen Sanierungsversuchen gab der Nachfolger von Jürgen
Schrempp, Dieter Zetsche (CEO seit 2006), im Mai 2007 den mehrheitlichen Verkauf von Chrysler an
das Private Equity-Unternehmen Cerberus bekannt. Eine Tochtergesellschaft von Cerberus übernahm
daraufhin 80,1 % der Aktien an der neu geschaffenen Chrysler Holding LLC, Daimler behielt 19,9 %
der Anteile. Auf der Hauptversammlung im Oktober 2007 wurde die Umbenennung des Unternehmens
in Daimler AG beschlossen. Die Wertvernichtung durch die Transaktion liegt etwa im Bereich des
ursprünglichen Werts von Chrysler.

Parallel zur Globalisierung kam es in einigen noch eher fragmentierten Branchen zu


einer ganzen Reihe großer Konsolidierungsakquisitionen (»Roll-ups«); Abfallbeseitigung
(Waste Management) oder Autohandel (Republic Industries) sind Fälle aus dieser Zeit.
In der Bankenbranche führten regulatorische Änderungen zu erheblich veränder-
ten Ausgangsbedingungen: So gab 1999 der Financial Services Modernization Act den
Banken wieder die Möglichkeit, sich als Universalbank aufzustellen, was zuvor laut
Glass-Steagall Act untersagt war.

(2) Liberalisierung und Deregulierung: Verstärkt und ermöglicht wurde die Globalisie-
rung einiger Märkte teilweise durch eine weitere Liberalisierung und Deregulierung vie-
ler Märkte. Die Staaten erhofften sich dadurch einerseits mehr Effizienz und damit ein
günstigeres Preisniveau z. B. in der Telekommunikation; andererseits sollten mit (Teil-)
Verkäufen staatlicher Betriebe auch die Kassen des Staates gefüllt werden.

(3) Weiterentwicklung des Europäischen Binnenmarktes: Der immer mehr zusammen-


wachsende EU-Binnenmarkt veranlasste viele Unternehmen dazu, ihre heimische
Marktposition auf weitere europäische Kernmärkte durch M & A auszudehnen. Dazu
kam es auch zu einer wachsenden Anzahl von Cross-Border-Transaktionen.

(4) Shareholder Value als Führungsinstrument: Die zunehmende Verbreitung des Ansat-
zes des Shareholder Value führte in den Unternehmen zu einem zunehmend aktiver-
en Portfolio-Management (M & A und Desinvestitionen), wobei sich die Portfolio-Ent-
wicklung immer mehr an finanziellen Kenngrößen und insbesondere dem Börsenwert
ausrichtete. Da Wachstum und Effizienz in diesem Konzept ganz wesentliche Wert-
treiber sind, suchten Unternehmen verstärkt nach entsprechenden Wachstums- und
Kosten-Mergern.

(5) Internet als Grundlage neuer Geschäftsmodelle: Beginnend Mitte der 1990er Jahre
begann auch der Internetboom. Unmengen von neuen Unternehmen wurden gegrün-
det, bei denen die Nutzung des Internets im Zentrum des Geschäftsmodells stand. Es
wurde davon ausgegangen, dass es zu einer Konvergenz der Medien-, Telekom- und
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  33


Teil

Computerbranche kommen würde. So zeigten z. B. Telekommunikationsunternehmen


Interesse an Medienunternehmen, da sie nicht nur Bandbreiten liefern, sondern auch
von margenträchtigeren Geschäften mit Inhalten profitieren wollten. Ergebnis waren
branchenübergreifende Transaktionen wie z. B. die sog. »Click & Mortar«-Deals.

Praxisbeispiel
»Click & Mortar«-Zusammenschluss von AOL und Time Warner
Noch kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase kam es auf dem Höhepunkt des Hypes im Januar 2000 zu
einer der spektakulärsten »Click & Mortar«-Transaktionen: AOL, ein junger Anbieter von Internetzugän-
gen mit 12.100 Mitarbeitern, erwarb das im Mediengeschäft tätige Traditionsunternehmen Time Warner
mit 67.500 Mitarbeitern für 182 Mrd. US-$. Dies war möglich, da AOL vor dem Zusammenschluss völlig
überbewertet war: Es hatte einen etwa doppelt so hohen Börsenwert wie Time Warner. Steve Case,
AOL’s damaliger Chairman and CEO, kommentierte den Deal seinerzeit wie folgt: »I don’t think it is too
much to say this really is a historic merger; a time when we’ve transformed the landscape of media and
the Internet.« Die Transaktion war wahrhaft historisch, denn sie vernichtete einen dreistelligen Milliar-
denbetrag. Der damalige CEO von Time Warner, Gerald Levin, entschuldige sich Anfang 2010 öffentlich
für seinen Entscheid von damals und nannte die Transaktion den »schlechtesten Deal des Jahrhunderts«.
2003 wurde AOL aus dem Namen von Time Warner gestrichen; Ende 2009 wurde die Internetsparte
unter dem Namen AOL als eigenständiges Unternehmen an die Börse gebracht. Der Börsenwert im Jahr
2015 liegt etwa bei 4 Mrd. US-$ – vor der Übernahme waren es über 200 Mrd. US-$.

Mit dem Internet erhielt das Konzept der »Returns on Scale« eine neue Dimension. In-
nerhalb von wenigen Wochen konnten in der »New Economy« global Kundenstämme
in einem Ausmaß aufgebaut werden, wozu zuvor Jahrzehnte benötigt worden waren
(z. B. bei Ebay oder Amazon).
Die Internetunternehmen zeigten auch ein vielfach nicht vergleichbares Herangehen
an das Thema M & A im Hinblick auf die Due Diligence, die Bewertung und vor allem
auch des Post Merger Managements. Unternehmen wie Adobe, Bay Networks, Cisco,
Intel, Microsoft oder Yahoo! entwickelten sich – angetrieben durch die steigenden Bör-
senwerte und hohen Wachstumserwartungen – zu wahren Akquisitionsmaschinen mit
zum Teil Dutzenden von Transaktionen im Jahr. Man suchte das schnelle Wachstum,
denn es gewinnt der, bei dem der Kunde die höchsten Netzwerkeffekte realisieren kann.

2.3.3 Platzen der Dotcom-Blase

Angesichts der schwindelerregenden Höhen, die der Markt Ende der 1990er-Jahre
erreicht hatte, war es klar, dass ein Platzen der Internetblase nicht mehr in weiter
Ferne war. Im Jahr 2000 war es schließlich soweit. Das Platzen der »Dotcom-Bubble«
schickte die Aktienmärkte Anfang des neuen Jahrtausends auf eine rasante Talfahrt
und setzte damit der fünften M & A-Welle ein Ende. In dieser Boomphase von 1991
bis 2000 wurden knapp 56.000 Fälle mit einem Gesamtwert von etwa 6.000 Mrd.
US-$ registriert. Entsprechend dramatisch fiel dann auch der Abschwung aus, als die
Dotcom-Blase platzte:

»The historic M & A wave of 1995 to 2000 totaled more than 12 trillion US-$. By an extremely
conservative estimate, these deals annihilated at least 1 trillion US-$ of share-owner wealth.
For respective, consider the whole dot-com bubble probably cost investors 1 trillion US-$ at most.
That’s right: Stupid takeovers did more damage to investors than did all the dot-coms combined.
The situation is remark-able when you think about it. Many of these failed mergers are done by
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34  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

the world’s biggest, most successful companies, advised by highly educated Wall Street investment
bankers who do this for a living.«12

Bereits vor dem Absturz der fünften M & A-Welle kriselte es in der Weltwirtschaft. So
breitete sich die Asienkrise von 1997/98 mehr und mehr aus und die Welt war schon
damals wohl am Rande einer neuen Weltwirtschaftskrise. Doch die Anleger auf dem
heimischen US-Markt schienen sich davon vorerst nicht stören zu lassen, schließlich
legten die Internetwerte noch weiter zu. Neben den Zweifeln an der Werthaltigkeit der
Börsenentwicklung machten sich in den USA auch zunehmend Konjunktursorgen breit,
was auch schon im Vorfeld der dramatischen Ereignisse um den 11.09.2001 zu Kursver-
lusten führte. Nach diesem terroristischen Anschlag mit seinerzeit unvorstellbarer Bru-
talität gegen die USA auf deren Heimterritorium war die Welt wie gelähmt. Die Uhren
liefen in der Folge nicht nur in den USA anders. Zudem wurden die Börsen von den im
Zuge des Abschwungs vorgenommenen riesigen Bilanzfälschungen, die im Jahr 2002
zum Zusammenbruch von Großkonzernen wie Enron oder WorldCom führten, belastet.
Im Jahr 2003 kam dann noch der sich anbahnende Irak-Krieg hinzu, der die die Kurse
nochmals weiter nach unten drückte.

2.4 Sechste M & A-Welle: Schnelle Erholung und neue Höchststände


Aufgrund der Ereignisse Anfang des neuen Jahrtausends (Crash der Kapitalmärkte, ho-
he Misserfolgsquote bei M & A etc.), empfundener Unsicherheit (Gefahr von Terrorismus,
Ausbreitung von Seuchen etc.) und eines skeptischen Kapitalmarktes (en vogue war
die Konzentration auf das Kerngeschäft) war es zu einem gewissen Rückstau bei den
Akquisitionsaktivitäten der Unternehmen gekommen. Wegen der Angst der Aktionäre
vor Wertvernichtung schreckten viele Firmenchefs vor Investitionen in neue Geschäf-
te zurück. Unter dem Druck ambitionierter Wachstumsstrategien und -ziele stieg die
Risikobereitschaft bei den Akquisitionen aber auch wieder. Auch die Kapitalmärkte
erholten sich überraschend schnell, und bereits im Jahr 2002 zeichnete sich in den
USA der Beginn der sechsten M & A-Welle ab. Was sich aufbaute, war die bislang größte
Welle – sowohl bezogen auf die Anzahl der Transaktionen als auch auf deren Volu-
men. Auffallend an der sechsten M & A-Welle war damit der Trend zur Größe: Während
bspw. im Jahr 2004 das Transaktionsvolumen im Vergleich zum Vorjahr weltweit um
50 % anstieg, betrug der Zuwachs bezogen auf die Transaktionszahlen lediglich 11 %.
Bemerkenswert ist noch, dass im Jahr 2007 erstmals in der aktuelleren Geschichte das
Volumen der M & A-Aktivitäten in den M&A Märkten der Länder Europas größer war als
das im U.S.-Markt und dass auch einiges darauf hinweist, dass ein europäischer Markt
für M & A im Entstehen ist.13
In dieser Zeit war insbesondere das Umfeld für die Finanzierung von Akquisitio-
nen günstig. Erstens waren bei wachsenden Aktienmärkten die Aktien tendenziell hoch
bewertet, ohne überbewertet zu sein. Zweitens verfügten die Unternehmen aus ihren
Restrukturierungsprogrammen über umfassende Barreserven und hohe Cashflows. Die
Unternehmen hatten nach dem Platzen der New Economy-Blase im Jahr 2000 weitge-

12 Selden/Colvin 2003.
13 Vgl. dazu Moschieri/Campa 2009.
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  35


Teil

hend ihre Bilanzen saniert. Und drittens war das Umfeld für Verschuldungen äußerst
günstig, da es ein Überangebot an sehr günstigem Fremdkapital gab.

2.4.1 Wesentliche Charakteristika

Wie schon die fünfte M & A-Welle, lässt sich auch die sechste Welle anhand einer Viel-
zahl von Treibern kennzeichnen. Zum einen wirkten Treiber aus der fünften M & A-Wel-
le – wie etwa die Globalisierung oder das Anstreben von führenden Marktpositionen
in den Kernmärkten der Unternehmen – weiter. Zum anderen kam aber auch ein ganz
wesentlicher neuer Treiber hinzu: Es war die unaufhaltsame Bedeutungszunahme der
Private Equity (PE)-Unternehmen als Investoren.14

2.4.1.1 Bedeutungszunahme von Private Equity-Investoren

Als Akteure waren die PE-Unternehmen in der Öffentlichkeit bis dato noch weitgehend
unbekannt, weshalb ihnen auch viel Skepsis entgegenschlug.15 Ihren Einfluss gewannen
sie aufgrund des Bedarfs von Versicherungen, Pensionskassen etc. nach einer Diver-
sifikation ihrer Anlagen. Hinzu kam das Bedürfnis einiger junger Finanzleute, außer-
halb dieser institutionellen Strukturen als Finanzdienstleister zu arbeiten. Sie wollten
Pools von privatem Kapital gegen eine Gebühr und Beteiligung am Wertzuwachs durch
Investitionen in Unternehmen managen (vgl. dazu Abb. 3). Viele M & A-Berater sind
nach dem Crash im Jahr 2000 zu PE-Unternehmen gewechselt oder haben ein eigenes
PE-Unternehmen gegründet, da sich trotz der Wertvernichtung noch immer sehr viel
Kapital im Markt befand, und da die Investoren nach alternativen attraktiven Anlagen
zu den Aktien suchte.

Managementunternehmen
1,5 % bis 2,6 % der Privat Equity-Fonds
Management-
gebühr

Versicherungen
Pensionskassen Early Stage
Banken 1,5 % 20 % der Later Stage
Ziel-
Investoren Unternehmen des Wert- Bridge/Pre-IPO
Vermögende
Kapitals schöpfung
Buy-out unternehmen
Privatkunden Turnaround

Dachfonds

95–99 % Kapital
des Kapitals
Private Equity
Private Equity-Fonds
Fonds
80% der Wertschöpfung Wertschöpfung

Abb. 3: Funktionsweise eines Private Equity-Unternehmens (Quelle: In Anlehnung an Hoffmann 2005)

14 Vgl. zu den PE-Unternehmen ausführlicher auch Lichtner 2010.


15 Der deutsche Vizekanzler Franz Müntefering charakterisierte die PE-Unternehmen polemisch als
gierige Investoren, die gleich Schwärmen von Heuschrecken über Firmen herfielen, dort Arbeits-
plätze vernichten und sich dann mit einer ordentlichen Wertsteigerung in der Tasche nach kurzer
Zeit wieder aus dem Staub machen.
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36  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Im Jahr 2006 generierten die PE-Unternehmen in den USA bereits etwa 20 % des ge-
samten M & A-Transaktionsvolumens. Fünf Jahre zuvor waren es noch nicht einmal
5 %. Die durch PE-Unternehmen durchgeführten Leveraged Buy-outs (LBO) sind weit-
gehend »überfinanziert«; d. h. das zur Finanzierung der Transaktion aufgenommene
Fremdkapital verlängert die Bilanz des Zielunternehmens. Daraus ergibt sich auch die
zentrale Herausforderung eines LBO: die hohe Schuldenlast und die damit verbundenen
Schuldendienste. Deshalb ist zu deren Ausgleich ein hohes Ertragswachstum wichtig.
Das Anlagespektrum der PE-Unternehmen reicht vom Gründungskapital für junge
Unternehmen bis hin zu Beteiligungen an etablierten Unternehmen. PE-Unternehmen
investieren auch in Risiken, die die bestehenden Eigentümer alleine nicht eingehen
würden, und sind damit oft auch Treiber des Wandels. Etwa seit 2005 waren die PE-Un-
ternehmen zunehmend in der Lage, größere Transaktionen zu bewältigen, da auch
mehrere Fonds zusammenspannen können. Das gesamte Fondsvolumen der globalen
PE-Branche war im Jahr 2006 so hoch, dass das Geld (inklusive des Leverage des Vo-
lumens) ausgereicht hätte, um die deutschen DAX30-Unternehmen zu kaufen. Für ein
PE-Unternehmen war es 2005 durchaus möglich, innerhalb von drei Wochen einen 3
Mrd. US-$-Fonds bei dreifacher Überzeichnung zusammenzustellen.
Als Sungard Datasystems Anfang 2005 für 11 Mrd. US-$ an ein Konsortium von
PE-Unternehmen verkauft wurden, verging kaum ein Tag, an dem nicht neue Gerüchte
die Aktienkurse und den Herdentrieb an der Wall Street stimulierten – und bei den
Banken führten schon die bloßen Gerüchte durch spekulativen Käufe zu respektablen
Kommissionseinnahmen. Es folgten die Verkäufe von Unternehmen wie Nieman Mar-
cus (für 6 Mrd. US-$) oder Hertz (für 15 Mrd. US-$). Doch manchen Investor kosteten
seine Spekulationen sehr viel Geld, nämlich dann, wenn die generell sehr vorsichtigen
PE-Unternehmen bei zu hohen Aktienkursen (aufgrund des hohen Verschuldungsgrades
bei ihren Transaktionen) von ihrer Kaufabsicht wieder Abstand nahmen (z. B. im Falle
des Warenhauses Saks).

Praxisbeispiel
DaimlerChrysler
Im August 2008 konnte DaimlerChrysler erleichtert verkündigen, dass das Closing für die im Mai 2007
angekündigte Abgabe der Mehrheit an der Chrysler Group sowie für das dazugehörige nordamerikani-
sche Finanzdienstleistungsgeschäft für 5,5 Mrd. EUR (7,4 Mrd. US-$) an eine Tochtergesellschaft des
PE-Unternehmens Cerberus Capital Management, LP, New York, abgeschlossen sei. Eine Tochtergesell-
schaft von Cerberus übernahm 80,1  % an der neuen Chrysler Holding LLC; DaimlerChrysler behielt
einen Anteil von 19,9  %. Darüber hinaus hatten DaimlerChrysler und Cerberus vor dem Hintergrund
der sehr volatilen US-Kreditmärkte vereinbart, die Finanzierung der mehrheitlichen Übernahme von
Chrysler zu unterstützen. Beide Unternehmen würden dem Industriegeschäft der Chrysler Group eine
nachrangige Kreditlinie mit einem Volumen von 2 Mrd. US-$ zur Verfügung stellen, die innerhalb eines
Jahres zu ziehen sei. Auf DaimlerChrysler entfiel dabei ein Anteil von 1,5 Mrd. US-$.

Aufgrund der wachsenden Anzahl der am Markt tätigen PE-Unternehmen war auch der
Kampf um attraktive Zielunternehmen deutlich gewachsen, was auch die Preise nach
oben trieb. Und nicht selten wurden auch Beteiligungen von einem PE-Unternehmen
zum nächsten weitergereicht. Daraus erwuchs das Problem, dass bereits beim ersten
Eigentümer der Beteiligung – zur Realisierung eines finanziell attraktiven Ausstiegs –
die meisten der klassischen Werttreiber zur Anwendung gekommen waren.
Damit stellt sich die Frage, welche neuen Werttreiber einem zweiten Halter einer
Beteiligung noch zur Verfügung stehen, da auch dieser irgendwann nach einem attrak-
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  37


Teil

tiven Ausstieg aus seinem Engagement sucht. Dabei spielten die sog. Buy & Build-Stra-
tegien (oder »Leveraged Build-up«, »Strategic Roll-up«, »Consolidation Play«) eine be-
deutsame Rolle: In einer fragmentierten, aber meist überdurchschnittlich wachsenden
Branche mit Konsolidierungspotenzial erwirbt ein PE-Unternehmen über einen LBO
eine erste, initiale Beteiligung. Diese sog. »Plattform« wird nach und nach durch eine
ganze Reihe weiterer Unternehmenskäufe aus der gleichen Branche ergänzt (»Add-on
Acquisitions«), um aus der wachsenden Größe der Gruppe Wirtschaftlichkeitsvorteile zu
ziehen. Aufbauend auf der Plattformstrategie sucht der Käufer nach Zielunternehmen
mit einem hohen strategischen Fit, um Synergien auszuschöpfen, die dem Verkäufer in
dieser Form nicht zur Verfügung stünden. Die Zielunternehmen bleiben dabei rechtlich
selbständige Einheiten.
Mit einem etwas »neidvollen Blick« schauten einige strategische Käufer auf die Er-
folge der PE-Unternehmen, die teilweise in kurzer Zeit erstaunliche Wertsteigerungen
bei ihren Anlageobjekten erzielen konnten. So konnte z. B. bei den Verkäufen von Dex
Media und Texas Genco innerhalb einer Jahresfrist der Einstiegspreis beim Ausstieg um
ein Vielfaches übertroffen werden. Die Ersten begannen sich zu fragen, ob die PE-Un-
ternehmen die »Konglomerate der Zukunft« sein würden.16

2.4.1.2 Umbau der Wirtschaft und zunehmender »Shareholder Activism«

In dieser Phase waren es nicht nur ein paar wenige Branchen, die die Entwicklung vo-
rantrieben, sondern der Umbau der Wirtschaft der westlichen Industrieländer passierte
auf voller Breite: Insbesondere im Technologiesektor wurde akquiriert. Historisch be-
merkenswert war, dass im gleichen Jahr, in dem AT&T als »Mutter« der Telekommunika-
tionsbranche als unabhängiges Unternehmen verschwand, eine ablösende Technologie
(»Voice over IP«) durch den Verkauf des Start-up-Unternehmens Skype an Ebay beson-
dere Aufmerksamkeit erfuhr – wobei sich diese Transaktion später als nicht erfolgreich
herausstellte.

Exkurs
Wetten auf die Zukunft in der Finanzwirtschaft und Telekommunikationsbranche
Es kommt immer wieder vor, dass Branchen bezogen auf ihre zukünftige Entwicklung vor scheinbar
irreversiblen und einschneidenden Weggabelungen stehen. Um mit solchen Umwälzungen Schritt zu
halten, tätigen Unternehmen oft enorme Investitionen. Man ist nun entweder dabei, oder eben nicht.
So sind teilweise ganze Branchen Wetten auf ihre veränderte Zukunft eingegangen. In Erinnerung sind
z. B. die Milliardeninvestitionen, die viele Unternehmen der Automobilindustrie in den 1980er Jahren
in Form von Akquisitionen in Raumfahrtunternehmen tätigten. Annahme war, dass das vorhandene
technologische Know-how spielentscheidend für den eigenen zukünftigen Erfolg wäre. Doch wie sich
zeigte, gab es diese technologischen Synergien nur auf dem Papier.
Am 01.02.2005 schienen zwei solcher Wetten auf die Zukunft weitgehend verloren gegangen zu sein.
Die erste davon fand in der Finanzwirtschaft statt. 1998 erwarb die Bank Citigroup für 70 Mrd. US-$
(!) die Versicherung Travelers Group. Idee der spektakulären Transaktion war die Konvergenz der beiden
Branchen. Das Allfinanz-Konzept war geboren und zog viele Wettbewerber in seinen Bann. Doch die
Citigroup gab in 2009 bekannt, dass der zweitgrößte US-Lebensversicherer MetLife die Versicherung
Travelers Life für 11,5 Mrd. US-$ übernehmen werde, was faktisch den Ausstieg von Citigroup aus dem
Versicherungsgeschäft besiegelte. Das Sachgeschäft wurde schon in 2006 an St. Pauls Cos. für 16,5

16 Vgl. Financial Times vom 31.10.2006 »Shades of old conglomerates in private equity trend«.
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38  |  M & A aus Marktperspektive


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Mrd. US-$ abgestoßen. Die erhofften Synergien waren ausgeblieben, zumindest in dem Ausmaß, indem
sie die enormen Investitionen gerechtfertigt hätten.
Ähnlich fand eine zweite Wette in der US-Telekommunikationsbranche im Jahr 2006 ihren nicht mehr
überraschenden Abschluss: SBC Communications, die Nummer zwei in den USA, kündigte an, dass
sie für 16 Mrd. US-$ AT&T übernehmen wolle. Im Jahr 1984 wurde der Monopolist AT&T in einem
Antitrust-Verfahren in »Ma Bell« AT&T Corp. (zuständig für den Fernverkehr) und sieben für das Regi-
onalgeschäft zuständigen »Baby Bells«, die i. d. R. auch über die umkämpfte »letzte Meile« verfügen,
aufgespalten. Drei von ihnen fusionierten zu SBC, zwei zu Verizon, der Nummer eins in den USA. Viele
Versuche, AT&T neu zu positionieren, schlugen fehl. So etwa die Akquisition des Computerkonzerns
NCR und des Mobilfunkunternehmens McCall. Letzteres ging in AT&T Wireless auf und wurde 2004
von Cingular (Joint Venture zwischen SBC und Bell South) gekauft. Auch die teuer zusammengekauften
Kabelfernsehbetreiber wurden weit unter ihrem Einstandspreis an Comcast verkauft. Und die Hard-
wareaktivitäten wurden in Lucent Technologies abgespalten. Was verblieb, war das Telefongeschäft,
wobei das Festnetz zunehmend Konkurrenz durch die Mobil- und Internettelefonie erhielt. In beidem
war AT&T aber nicht relevant vertreten. Nach einem Gerichtsentscheid wurden auch die Gebühren für
die letzte Meile für AT&T erhöht, so dass die 25 Mio. Privatkunden für AT&T uninteressant wurden.
Einzig verbleibendes größeres Asset waren noch die 3 Mio. Geschäftskunden; SBC hoffte, bei diesen
mit anderen Diensten zusätzlich Geschäft machen zu können. Zudem erhoffte sich SBC Synergien aus
den weitgehend komplementären Infrastrukturen. Der über 130 Jahre alte Markennamen AT&T sollte
vorerst auch in den Bundesstaaten erhalten bleiben, in denen SBC nicht präsent ist. Nach 20 Jahren
bleibt lediglich die Frage, ob die Liberalisierung des US-Telekommunikationsgeschäft volkswirtschaftlich
wertschöpfend war.

Im Prinzip waren es drei strategische Stoßrichtungen, die hinter den Transaktions-


aktivitäten in dieser sechsten Welle standen: Erstens wurden (aber mit rückläufiger
Bedeutung) »Randaktivitäten« abgestoßen, die nicht zum Kerngeschäft gehörten. Bei
diesem »Deleveraging« wurden oft die Ziele der Cash-Generierung zum Abbau von
Schulden sowie das Verbessern der operativen Performance verfolgt. Zweitens suchten
Unternehmen nach Skaleneffekten durch meist internationales Größenwachstum in den
verbliebenen Kerngeschäften. Die stattfindende Dynamisierung der Branchen verlangte
größere Volumen und eine globale Präsenz. Von besonderem Interesse waren Konsoli-
dierungsstrategien in wachsenden Märkten (wie z. B. in der internationalen Mobiltele-
phonie). Und drittens versuchten die Unternehmen, innovatives Wachstum durch das
»Leveraging« der Kernkompetenzen aus den Kerngeschäften in anderen Geschäften zu
erzeugen.
Generell war ein zunehmender »Shareholder Activism« zu beobachten.17 Auch Hedge-
fonds übten Druck auf die Konzernleitungen aus, mehr M & A-Transaktionen durchzu-
führen, da dies Volatilität in die Aktien bringt. General Electric ist z. B. ein Unterneh-
men, das diesem Druck ausgesetzt war, obgleich das Unternehmen eher auf organisches
Wachstum setzt. Seitens bestimmter Investorengruppen wuchs auch der Druck auf die
Geschäftsleitungen innerhalb der Kerngeschäfte zu wachsen. Dies erfolgte häufig mit-
tels einer »Divest to Grow«-Strategie: Geschäfte außerhalb des Kerns wurden devestiert,
um mit den frei gewordenen Mitteln das Wachstum im Kern zu finanzieren.

17 In Deutschland war die Geschäftsleitung der Deutschen Börse bei ihrem Übernahmeversuch der
Londoner Börse seitens zweier Hedgefonds eines der ersten Unternehmen, das diesen zunehmenden
Aktivismus der Aktionäre zu verspüren bekam.
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Teil

2.4.2 Finanz- und Wirtschaftskrise ab Mitte 2007

Wie nicht anders zu erwarten war, so hatte auch die sechste M & A-Welle ein Ende
gefunden. Es gab dabei kein langsames Abschwingen, sondern – überrascht durch die
Schärfe der Krise in den Finanzmärkten und der im Dominoeffekt daraus folgenden,
durch Rezessionsängste geschürten Auswirkungen auf die verschiedenen Branchen (von
den Automobilherstellern auf deren Zulieferer etc.) – brach der Markt für Unterneh-
menskontrolle parallel zu den Aktienmärkten relativ abrupt und breitflächig ein. Klarer
Indikator war die Verschiebung bzw. Absage bereits angekündigter Transaktionen. Ende
2008 war das Volumen der abgesagten Transaktionen zum ersten Mal seit fünf Jahren
wieder größer als das der neu angekündigten. Auch wurde der Abschluss bei einer gan-
zen Reihe angekündigter Transaktionen hinausgezögert, um angesichts der ungewissen
Zukunft neu zu verhandeln.
2008 war eines der schwärzesten Jahre der Börsengeschichte und man entging nur
knapp einer Weltwirtschsaftskrise. Anfang März mehrten sich an der Wall Street die
Gerüchte, dass Bear Stearns erheblich im stark angeschlagenen US-Hypothekenmarkt
engagiert sei. Dem traditionsreichen Bankhaus drohte die Insolvenz, die eine Übernah-
me durch J. P. Morgan Chase gerade noch verhinderte, wobei allerdings die erforderliche
Finanzierungslinie in Höhe von 29 Mrd. US-$ von der US-Notenbank garantiert wurde.
Erstmals seit der Weltwirtschaftskrise hatte der Staat wieder den Zusammenbruch ei-
ner Bank verhindert. Wegen der hohen Ausfälle bei den Hypothekarkrediten (»Subpri-
me-Krise«) mussten auch die staatliche Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie
Mac mit 400 Mrd. US-$ vor dem Ruin gerettet werden. Die Steuerzahler mussten für die
Fehler krasser Fehlentscheidungen und Hybris im Bankmanagement einstehen. Wem
nicht mehr geholfen wurde ist der traditionsreichen Investmentbank Lehman Brothers,
die am 15.09.2008 ihre Insolvenz anmeldete. Schätzungsweise 28.000 Mitarbeiter ver-
loren ihre Arbeit.
Auch die starke Zunahme von »Distressed M & A« (im Unterschied zu »Healthy M & A«)
im Jahr 2009 zeigte, wie zugespitzt die Situation in manchen Branchen bzw. bei ein-
zelnen Unternehmen war. Es handelt sich dabei um Transaktionen, die aus der Not
heraus entstehen und unter höchstem Zeitdruck – und damit auch mit entsprechender
Ungenauigkeit – durchzuführen sind. Große Risiken gehen mit großen Chancen – we-
gen der meist sehr niedrigen Preise – Hand in Hand. Dazu zählten kurz nach Ausbruch
der Krise die meisten Transaktionen in der Bankenbranche, es folgten aber auch andere
Branchen, wie etwa die Automobilbranche mit den Unsicherheiten um die drei großen
US-Autokonzerne.
Ein wesentlicher Grund für die negative Entwicklung bei den M & A-Transaktionen
seit 2007 war die starke Zurückhaltung, die die Banken aufgrund der Schwierigkeiten
bei der kurzfristigen Refinanzierung bei der Vergabe von Krediten ausübten. Die Zu-
rückhaltung hatte auch nicht nur dazu geführt, dass die strategischen Käufer seltener
geworden sind, sondern auch dazu, dass die PE-Unternehmen – die in den USA zuvor
etwa ein Viertel des M & A-Volumens abdeckten – auf dem Markt kaum noch wahr-
nehmbar waren. Damit ging auch ein wichtiger Wettbewerbstreiber in Auktionen von
Unternehmen verloren. Doch auch auf der Verkäuferseite haben die durch die Rezes-
sionsängste geprägten Perspektiven generell das Preisniveau deutlich sinken lassen,
weshalb die Akteure tendenziell eher nicht verkaufen wollten, es sei denn, man musste.
Zerfallende EBIT-Multiples erzeugten auf der Käuferseite zudem eher eine abwartende
Haltung, da die Kaufobjekte später auch noch günstiger zu erstehen sein könnten.
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40  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Die eingetretenen Wertvernichtungen der sechsten Welle lassen sich nur sehr schwer
bemessen, aber sie dürften um einiges höher ausfallen als die der fünften Welle. Allein
die Abschreibungen der Banken belaufen sich auf mindestens 1.500 Mrd. US-$. In dieser
Turnaround-Situation hatten die Unternehmen die Nase vorne, die Cashflow-stark waren
und sich nicht dem Druck zu einem möglichst weitgehenden »Leveraging« ihrer Bilanz
gebeugt hatten.18 Sie konnten sich ergebende Opportunitäten wahrnehmen. Sie konnten
aber auch zur Absicherung ihrer Geschäfte den eigenen Lieferanten und Kunden helfen,
finanziell kritische Situationen zu überstehen.
Was bleibt von der sechsten Welle? Erstens: M & A ist zum Standardrepertoire bei der
aktiven Portfolio-Entwicklung in Unternehmensgruppen geworden. Vor diesem Hinter-
grund ist anzunehmen, dass das untere Niveau, das nach der fünften Welle erreicht
war, in Zukunft kaum unterschritten werden dürfte.
Zweitens: Viele Unternehmen haben gelernt, auf der Unternehmensebene Know-how
zum Management von M & A aufzubauen, das die Fehlerrate bei Akquisitionen verrin-
gern dürfte. Dies gilt auch für das Management von Akquisitionsserien zur Umsetzung
neuer Unternehmensstrategien.
Drittens: Unternehmen gehen an das Thema M & A »nüchterner« und damit wohl
auch realistischer heran (teilweise nach dem Vorbild der PE-Unternehmen).
Viertens: PE-Unternehmen (und auch die Hedgefonds) konnten sich auf dem Markt
erfolgreich als wichtige Investorengruppe etablieren. Auch wenn am Ende der sechsten
M & A-Welle eine ganze Reihe von ihnen aus dem Markt gehen musste und die Rolle der
PE-Unternehmen als Investoren seit Ausbruch der Finanzkrise Mitte 2007 äußerst gering
ist, so werden sie als Käufertyp im Markt bleiben. Auch wenn ihr Handeln vermutlich
durch neue gesetzliche Vorschriften genauer geregelt werden wird (Transparenz etc.),
so haben ihre Managementprinzipien auch außerhalb der eigenen Branche Beachtung
gefunden. Auch das Potenzial, welches sich durch den Einsatz der durch PE-Unterneh-
men etablierten Wertsteigerungshebel ergibt, ist sicher noch nicht ausgeschöpft.
So rasant der Einbruch der Märkte war, so erstaunlich war ihre relativ schnelle
Erholung. Man ist zwar immer noch weit weg vom Höchststand im Jahr 2006, doch es
konnte bereits wieder eine ganze Reihe großer, strukturverändernder Akquisitionen ver-
zeichnet werden. Deals, wie etwa der Kauf von WhatsApp durch Facebook, bei dem das
Unternehmen bereit war für etwa 50 Mitarbeiter und die 450 Mio Nutzer von WhatsApp
19 Mrd. US-$ zu bezahlen, ließen wieder hoffen. Doch reichen diese Entwicklungen für
eine neue Welle aus? Wohl eher nein, denn die Treiber dieser Entwicklung sind ganz
unterschiedlicher Art, d. h. es fehlt eine gesamthafte ökonomische Logik, die es zu einer
M & A-Welle benötigt.
Doch was sind denn solche einzelnen Faktoren, die Deals dieser Jahre haben ent-
stehen lassen. Zum einen ist es sicher das nach wie vor extrem günstige Zinsumfeld,
das M & A derzeit begünstigt. Dann ist es der Effizienzsteigerungsdruck in Commodi-
ty-Branchen, wie etwa der Zementindustrie, der z. B. das Zusammengehen von Holcim
und Lafarge mit zu erklären vermag. Oder es ist der Wachstumsdruck, der mit den
Plattform-basierten Geschäftsmodellen verbunden ist, denn der Kunde profitiert dort
über die Netzwerkeffekte von der Größe. So hat z. B. Amazon offenbar neue Wege
gefunden, relativ problemlos jenseits der Grenzen der bislang durch das Unternehmen
bearbeiteten Branchen zu wachsen. Einige bemerkenswerte Transaktionen der letzten

18 Ende 2007 hatte Goldman Sachs mit einem Eigenkapital von 43 Mrd. US-$ Wertpapiere in Höhe von
1.000 Mrd. US-$ erworben.
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  41


Teil

Jahre waren aber auch durch den tiefgreifenden Strukturwandel geprägt, dem sich
manche Branchen ausgesetzt sehen. So kann z. B. der Kauf des US-amerikanischen Zu-
lieferers für die Fahrzeugindustrie TRW durch ZF Friedrichhafen erklärt werden. Beide
Unternehmen bereiten sich mit dieser eher komplementären Wachstumsakquisition auf
Veränderungen wie z. B. das autonome Fahren vor.
Die Private-Equity-Branche, die ja als neue Kraft im Kapitalmarkt die sechste
M & A-Welle entscheidend prägte, sieht sich eher mit rückläufigen Zahlen hinsichtlich
attraktiver Targets und damit einhergehend steigenden Preisen konfrontiert, was das
Branchen-Konzept der Wertschöpfung erschwert. Diese muss daher immer stärker
durch operative Maßnahmen kreiert werden, um die gewohnt hohen Renditen weiter-
hin erhalten zu können.
Nach diesem Versuch die Entwicklung des Marktes für Unternehmenskontrolle in
Form von M & A-Wellen zumindest grob zu beschreiben, stellt sich die Frage, wie sich
das empirische Phänomen M & A allgemein erklären lässt.

3 Erklärungsansätze zum empirischen Phänomen


Eine umfassende Theorie für das Auftreten der M & A-Wellen zu finden, ist nicht ein-
fach. Theorien, die eine Welle erklären können, versagen bei der Erklärung anderer.
Neben ökonomischen Gründen spielen auch psychologische Momente immer eine Rolle.

3.1 M & A als zunehmendes und zyklisches Phänomen


Zunächst fällt auf, dass es sich bei M & A über den betrachteten Zeitraum von 1895
bis 2009, um ein tendenziell zunehmendes Phänomen handelt – dies gilt auch noch,
wenn man die Wellen im Verhältnis zur größer gewordenen Wirtschaft der USA sieht.19
Wie bereits angesprochen, scheint diese Entwicklung zyklisch in Wellen stattzufinden:
Perioden geringer und hoher M & A-Aktivität wechseln sich regelmäßig ab. Über den
betrachteten Zeitraum ließen sich die sechs M & A-Wellen, die in Kapitel 2 beschrieben
wurden und in Abb. 4 zusammenfassend dargestellt sind, beobachten.20
Die Dauer des Aufschwungs vom Tief- bis zum Höchstpunkt beträgt zwischen vier
und neun Jahre. Tendenziell kürzer ist die Zeitspanne vom Höchst- zum Tiefpunkt. Er
liegt bei zwei bis vier Jahren, auch wenn es bei der dritten Welle einen Ausreißer gibt.
Über die Jahrtausendwende hat sich der Markt dabei auf ein neues Niveau hoch-
katapultiert. Die Spitzen der Wellen haben sich gegenüber der Spitze der dritten Welle
im Jahr 1969 in etwa verdoppelt; während das untere Plateau, auf das die Anzahl der
Transaktionen im Tief zurückfällt, sich gegenüber der dritten Welle (1980 versus 2002)
sogar mehr als vervierfacht hat.

19 Das Bruttoinlandsprodukt der USA hat sich von 1980 bis 2009 etwa verfünffacht.
20 Es gilt zu beachten, daß diese konsolidierte Betrachtung der M & A-Wellen Unterschiede in den
M & A-Entwicklungsmustern in den Branchen überdeckt. Diese bestehen aber, speziell dann, wenn
es bezogen auf die jeweiligen Branchen zu markanten Veränderungen in den gesetzlichen Rahmen-
bedingungen kam. Vgl. dazu Mitchell/Mulherin 1996.
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42  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Private
1 Monopol- 22 Vertikali- 3 Konglome-
4 Merger 5 Mega- 6 Equity
bildung sierung ratsbildung Manie Merger

Dauer und •1897 bis 1899 •1916 bis 1929 •1963 bis 1969 •1982 bis 1987 •1991 bis 2000 •2003 bis 2006
Verlauf •Dauert nur drei •M-förmiger Verlauf: •Dauert 6 Jahre •Eher niedrig •Extrem steiler •Schnelle Erholung
Jahre 1916 bis 1920 und •Schneller und verlaufend und Anstieg über neun und Aufstieg zum
1921 bis 1929 steiler Anstieg schnell abstürzend Jahre Allzeithoch

Aufschwung •Industrialisierung •Vertikale M&A •Celler-Kefauer Act •Liberalisierung von •Vielzahl von •Private Equity-
der Wirtschaft führt dominieren von 1950 schränkt Monopol- u. Steu- Treiber: Globalisie- Unternehmen
teilweise zur •1916 bis 1920: nun auch vertikale ergesetzgebung rung & Konsolidie- etablieren sich als
Monopolbildung Kriegsgewinne Akquisitionen ein. •Deregulierung von rung, Liberalisier- dritte Kraft im
durch horizontale lassen die USA zur •Ausweichen auf Märkten ung & Deregulier- Kapitalmarkt
M&A größten Handels- unverbundene ung, Shareholder •Zunehmender
•Erhöhung des Fo-
nation werden. M& A (Diversifika- Value und Internet Shareholder-
kus auf das Kern-
•1921 bis 1929: tionstheorie) geschäft , aber •Mega-Merger, Aktivismus
»Goldene •Abhängigkeit von auch Eintritt in Merger of Equals ; •Umbau der west-
Zwanziger« führen Zyklen reduzieren neue Geschäfte Aktie als lichen Wirtschaft
zu Börsenboom Währung

Abschwung •Shermann Act von •1920/21: •1970: Schneller •1987: Crash der •2000: »Platzen des •2007: Die
1890 wird ab 1901 Rezession folgt auf Rückfall der Aktienmärkte Dotcom-Bubbles«: beginnende
unter Roosevelt Nachfragerück- Transaktionen auf •Verstärkt wurde Zweifel an »Subprime-Krise«
auch zur Anwen- gang nach Niveau wie zu dies durch den Werthaltigkeit löst eine gewaltige
dung gebracht: Kriegsende Beginn der Welle neuen automati- •Firmenzusammen- Finanzkrise aus,
Untersagt Abspra- •1929: Beginn der wegen Stagflation, sierten Handel brüche aufgrund die sich zu einer
chen und Monopol- lange anhaltenden Dollarabwertun- über Computer von Bilanz- globalen
bildung Weltwirtschafts- gen, stark steigen- fälschungen (z.B. Wirtschaftskrise
•Auch der Markt für
krise dem Ölpreis etc. Enron, WorldCom) ausweitet.
die neuen Junk
Bonds bricht ein. •»Distressed M& A«
Dominante •Vorteile aus •Vorteile aus •Vorteile aus •Vorteile aus •Vorteile aus •Vorteile aus
Wertsteige- Marktbeherrschung Beherrschung der Diversifikation und Unterbewertung globalen Finanzoptimierung
rungslogik Wertkette Risikostreuung Skaleneffekten

Ereignisse •1907: Erdbeben •1914–1919: •1973: Ende von •1990: Japan-Krise •11. September 2001 •2008: Insolvenz
von San Francisco Erster Weltkrieg Bretton Woods •1990/91: Golfkrieg •1993: Irak-Krieg von Lehmann
•1973: Ölkrise »Desert Storm« •1997/98: Asienkrise

Abb. 4: Sechs US-amerikanische M & A-Wellen im Vergleich (Quelle: Eigene Darstellung)

Der Abstand zwischen den Höhepunkten der einzelnen Wellen scheint sich tendenziell
zu verkürzen: 30 Jahre (von 1899 bis 1929), 40 Jahre (von 1929 bis 1969), 18 Jahre (von
1969 bis 1987), 13 Jahre (von 1987 bis 2000) sowie sechs Jahre (von 2000 bis 2006).
Demzufolge ist die Frequenz der Wellen höher geworden, d. h. sie treten häufiger auf.
Bezogen auf diese M & A-Wellen stellt sich eine ganze Reihe von Fragen: Was sind
die Gründe, dass es überhaupt zu diesen Wellen kommt? Welches sind die Treiber dieser
Wellen? Was bestimmt die Höhe ihrer Ausschläge und was ihre Dauer? Warum verlieren
diese Wellen wieder an Kraft? Was löst die Richtungswechsel beim oberen und unteren
Wendepunkt der Wellen aus? An was lässt sich frühzeitig erkennen, dass es zu einem
solchen Richtungswechsel kommt? Etc.
Antworten auf diese Fragen sollen helfen das Phänomen M & A nicht nur empirisch
zu beschreiben, sondern es insgesamt auch besser zu verstehen. Dabei geht es weniger
um die Manager und deren Motive, M & A durchzuführen. Vielmehr sind die Manager
in dieser Betrachtungsweise Teil einer Entwicklung, derer sie sich kaum entziehen
können. Um erfolgreich handeln zu können, sollten sie diese Wellenvorgänge möglichst
gut verstehen. So sind sie in der Lage, entsprechend vorausschauend entscheiden zu
können: Dies würde heißen, ein Unternehmen z. B. auf dem Höhepunkt einer Welle zu
verkaufen, da es sich dann zumeist um einen Verkäufermarkt handelt und sehr hohe
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  43


Teil

Preise bezahlt werden; oder z. B. auf dem Tiefpunkt einer Welle in neue Engagements
einsteigen, wenn viele Unternehmen stark unterbewertet sind. Wer diese Form des an-
tizyklischen Verhaltens beherrscht, kann erhebliche Vorteile daraus generieren.

Praxisbeispiel
Investor Warren Buffet
Ein Investor, der auf Basis der »Gegen-den-Trend«-Logik eine Vielzahl seiner Entscheidungen fällt, ist
Warren Buffet. So gelang ihm mitten in der Wirtschaftskrise Ende 2009 ein weiterer Überraschungs-
coup, als er ankündigte, dass seine Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway die Eisenbahngesellschaft
Burlington Northern Santa Fe für 44 Mrd. US-$ übernehmen werde. Er wettet damit darauf, dass der
Bahnverkehr entscheidend für das künftige Wachstum Amerikas sein wird – und dies in einer Zeit, in der
diese Branche durch die Krise schwer getroffen war. Ähnlich hatte er bereits in 2008 hohe Investitionen
in die US-Investmentbank Goldman Sachs und General Electric (GE) getätigt – als das M & A-Geschäft
im Prinzip zum Erliegen gekommen war.

Wenngleich M & A-Wellen somit in erster Linie ein makroökonomisches Phänomen sind,


so haben sie doch Auswirkungen auf den individuellen M & A-Erfolg. Im Aufschwung
geht es um verpasste Opportunitäten. Und da dem Aufschwung auch immer ein Ab-
schwung folgt, birgt schlechtes Timing, vor allem im Überschwang der Märkte, die
Gefahren zu hoher Preisprämien und der Verschuldung.21

3.2 Bestehende Erklärungsansätze


In der Literatur finden sich vor allem drei Erklärungsansätze: (1) M & A als Ergeb-
nis gesamtwirtschaftlicher Störungen (»Economic Disturbance Theory«), (2) M & A als
Modeerscheinung sowie (3) M & A als Antwort auf Veränderungen in den ökonomischen
Rahmenbedingungen.
Den ersten Erklärungsansatz für derartige M & A-Wellen liefert Gort (1969). Er argu-
mentiert, dass derartige Wellen durch gesamtwirtschaftliche Störungen ausgelöst wer-
den (»Economic Disturbance Theory«). Diese Störungen würden Veränderungen in den
Erwartungen der Entscheidungsträger verursachen und deren empfundene Unsicherheit
erhöhen. Manche Nichteigentümer bestimmter Assets betrachten diese auf einmal als
wertvoller als ihre Eigentümer, wodurch eine Bereitschaft entstünde ein Premium zu
bezahlen und damit Eigentümerwechsel ausgelöst würden. Aktionäre haben zu einem
bestimmten Zeitpunkt also unterschiedliche Meinungen über den Wert einer Aktie auf-
grund individuell unterschiedlicher Informationen und Einschätzungen. Diese Differen-
zen sind besonders groß in Zeiten starker Veränderungen. Was dieser Erklärung fehlt ist
ein Blick hinter diese Störphänomene z. B. auf die institutionellen Rahmenbedingungen
(z. B. Gesetzgebung). Und sind die Differenzen nicht ebenso groß im Auf- wie im Ab-
schwung? Vermutlich wohl ja. Warum führen diese Differenzen aber dann nicht auch
im Tal einer Welle zu ebensoviel Transaktionen wie im Boom?22
Macharzina/Wolf (2005, S.  705) interpretieren diese Wellen als Modeerscheinung:
Man kauft in einer dieser M & A-Wellen Unternehmen, weil gerade alle anderen auch
Unternehmen auf Basis einer ähnlichen Logik kaufen, und umgekehrt.

21 Vgl. Song/Walking 2000.


22 Vgl. Brealey/Meyers 2002.
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44  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Eine andere, nicht weit davon entfernt liegende Theorie liefert Lambrecht (2004):
Er argumentiert, dass M & A als Antwort auf Veränderungen in den ökonomischen Rah-
menbedingungen verstanden und erklärt werden kann. Es würde sich bezogen auf den
Zustand der Wirtschaft (Boom oder Rezession) um ein prozyklisches Phänomen handeln,
d. h. es wäre damit vermehrt in Zeiten eines wirtschaftlichen Booms anzutreffen, eher
weniger dagegen in rezessiven Phasen der Wirtschaft.23 M & A-Wellen gingen damit
auch mit prosperierenden Aktienmärkten einher, da letztere der Akquisitionswährung
Aktie Auftrieb gewähren und generell von höherer Marktliquidität geprägt sind. Ent-
sprechend wirke auch ein rückläufiger Aktienmarkt auf Transaktionszahl und -volu-
men: So waren mehr oder minder ausgeprägte Rückgänge bzw. Crashs am Ende aller
Wellen zu verzeichnen: Welle eins im Jahr 1900, Welle zwei a und zwei b in den Jahren
1920 und 1929/30, Welle drei im Jahr 1970, Welle vier im Jahr 1987, Welle fünf im Jahr
2000 sowie Welle sechs im Jahr 2007. In der sechsten M & A-Welle liefen die Entwick-
lungen von Transaktionsanzahl und -volumen sogar dem Dow Jones Index voraus und
hätten somit eine Frühwarnfunktion übernehmen können.

3.3 Theorie der prospektiven Wertsteigerungslogik


Der hier verfolgte Erklärungsansatz beruht auf der Annahme, dass M & A-Wellen immer
dann entstehen, wenn sich eine neue Logik zur Wertsteigerung von Unternehmen ab-
zeichnet, die zunehmend die mentalen Strukturen der Entscheidungsträger zu prägen
beginnt. M & A wird dann als Reaktion und Instrument zur Erschließung neuer zukünf-
tiger Wertsteigerungspotenziale betrachtet. Es formiert sich eine neue Antwort auf die
Frage, aus was zukünftig ein Surplus bzw. Synergien erwartet werden können.
Jede M & A-Welle ist demnach von einer ganz spezifischen Wertsteigerungslogik
geprägt. Sie spiegelt das im Management allgemein vorherrschende Denken zur Ent-
wicklung des Geschäftsmodells wider. Diese Wertsteigerungslogik indiziert zu der je-
weiligen Zeit, wie Unternehmen – zumindest »auf dem Papier« – gedenken, in der
Zukunft ökonomisch erfolgreich zu sein. Daraus sollen sich dann auch den Aktienkurs
treibende Wertsteigerungsphantasien für die Investoren ergeben. Die steigenden Akti-
enkurse wirken dann verstärkend auf die Entwicklung, da sie den Unternehmen höhere
Investitionen ermöglichen. Angewendet auf die einzelnen M & A-Wellen stellt sich das
wie folgt dar:
• Zur Zeit der ersten M & A-Welle war die Annahme, dass sich Vorteile aus einer Mark-
beherrschung in Form von »Economies of Scale« erwirtschaften lassen. Je größer
der eigene Marktanteil ist, desto größer sind auch diese Wirtschaftlichkeitseffekte
aufgrund günstigerer Kostenstrukturen.
• Der zweiten M & A-Welle lag die Logik zugrunde, dass sich Vorteile aus einer mög-
lichst weitgehenden Beherrschung der Wertschöpfungskette eines Geschäfts ergeben.
In der Art kontrollierten Unternehmen den gesamten »Profit Pool« dieses Geschäfts
und sahen sich resistent gegenüber Verschiebungen des Profitanfalls innerhalb der
Wertkette.
• Bei der dritten M & A-Welle wurde angenommen, dass Konglomerate langfristig Vor-
teile aufgrund ihrer Diversifikation und Risikostreuung zu erzielen vermögen.

23 Vgl. Ravenscraft/Scherer 1987.


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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  45


Teil

• Zur Zeit der vierten M & A-Welle wurden Investoren mit neuen Finanzierungsinstru-
menten (LBO) in die Lage versetzt, auch ohne viel Eigenkapital große Unternehmen
mit mehreren Geschäftsfeldern zu übernehmen. Die Vorteile lagen in deren Unterbe-
wertung. Sie wurden aufgebrochen und in Einzelteilen verkauft. Annahme war, dass
das Ganze weniger wert ist als die Summe seiner Teile.
• In der Phase der fünften M & A-Welle dachten die Käuferunternehmen, sie können
Vorteile aufgrund erst neuerdings global erschließbarer Skaleneffekte erlangen. Diese
ergaben sich einerseits aus der Deregulierung und Liberalisierung von Ländermärk-
ten, andererseits aber auch aus der Nutzung des Internets; diese Technologie ermög-
lichte es, innerhalb von nur wenigen Wochen Kundenstämme aufzubauen, für deren
Aufbau zuvor vielleicht Jahrzehnte vonnöten waren.
• Die Phase der sechsten M & A-Welle war sehr stark geprägt von den Vorteilen durch
finanztechnische Optimierung in einer Unternehmensgruppe. Dies geschah zu einem
wesentlichen Teil durch die neue Konkurrenz der PE-Unternehmen als Bieter auf dem
Markt für Unternehmenskontrolle; sie bedienten sich tendenziell anderer Wertstei-
gerungshebel als die klassischen Konzerne, was wiederum dazu führte, dass auch
bei diesen Unternehmen die Bereitschaft zu einem aktiven Portfolio-Management
wuchs.

Während zu Anfang einer M & A-Welle es zu einer Art Wette auf die neue Wertsteige-
rungslogik kommt, muss sich dann über die Zeit auch beweisen, ob diese Wette auch
der Wirklichkeit standhält. Bei der dritten Welle war dies beispielsweise nicht der Fall,
was zu deren Zusammenbrechen führte. Ein Zusammenbruch kann aber auch dadurch
ausgelöst werden, dass zu hoch gewettet wird, d. h. dass die Logik zwar greift, aber
nicht in dem Umfang, wie gegen Ende einer Boomphase von den Investoren angenom-
men wird.

4 »Anatomie« einer M & A-Welle


Nimmt man die Metapher der Welle, so lässt sich ihr Verlauf auf Basis des obigen Er-
klärungsansatzes prototypisch beschreiben. Dazu bietet sich folgende Einteilung einer
Welle an: (1) der untere Wendepunkt (vgl. Kap. 4.1), (2) der Aufschwung (vgl. Kap. 4.2),
(3) der obere Wendepunkt (vgl. Kap. 4.3) sowie (4) der Abschwung (vgl. Kap. 4.4). Da-
bei ist es von entscheidender Bedeutung, dass Führungskräfte bei ihren Entscheidungen
immer den vollen Zyklus einer Welle im Visier haben (vgl. Kap. 4.5).

4.1 Unterer Wendepunkt


Eine Welle hat ihren Anfang am unteren Wendepunkt (Abb. 1). Es handelt sich meist
um das Ende einer rezessiven Phase, die von mehr oder minder großen Wertvernich-
tungen begleitet war. Viele Unternehmen sind angeschlagen, und ihre Cashflows sind
dürftig. Doch einige der überlebenden Unternehmen gehen gestärkt aus der Krise her-
vor: Sie haben ihre Organisation verschlankt, die Kostenstrukturen verbessert, sich von
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46  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

nicht passenden Randgeschäften getrennt etc. Geld aus der erfolgreichen Bewältigung
der vorangegangenen Rezession wartet auf Anlage. Sobald die Volatilität der Märk-
te wieder auf ein Normalniveau zurückgekehrt ist und die Nachfrage wieder etwas
wächst, suchen sie nun nach neuen Wachstumsimpulsen. Dazu zählt auch der frühe
Einstieg bei Unternehmen, die nun noch günstig bewertet sind. Dieser Umschwung
– und später oft auch noch der Aufschwung – wird vielfach noch durch ein niedriges
Zinsniveau begünstigt.

4.2 Aufschwung
Langsam entstehen erste Annahmen und Experimente zu neuen, zukünftig erschließ-
baren Wertsteigerungspotenzialen. Ihren Ausgang haben sie oft in Verwerfungen im
ökonomischen Umfeld. Dies können technologische Durchbrüche sein, geostrategi-
sche Veränderungen, neuartige Kundenbedürfnisse etc. Da Unternehmen aufgrund
damit verbundener Prognoseunsicherheiten auf derartige Verwerfungen unterschied-
lich schnell reagieren, entsteht eine breite Streuung der Zukunftserwartungen auf den
Unternehmensebenen, was sich z. B. in breiteren Spannen an Preisvorstellungen bei
M & A-Verhandlungen niederschlägt. Doch es kommt zu einer ersten Häufung, zumin-
dest individuell rationaler M & A-Transaktionen. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn
die dominante Logik zur optimalen Wertschöpfungstiefe von Unternehmen in einer
Branche zu kippen beginnt.

Paradigmenwechsel oder Sonderfälle?


Andrew S. Grove, Mitbegründer der Firma Intel, hatte in seinem 1996 erschienenen Buch mit dem Titel
»Only the Paranoid Survive« für die Computerbranche eindrucksvoll beschrieben, wie sich in einer Bran-
che die dominante Logik grundsätzlich verändern kann. Im Jahr 2009 gab es Signale, dass eine solche
Veränderung in der Informations-, und Kommunikationstechnologiebranche erneut stattfinden könnte.
In den 1980er Jahren war die Computerbranche vertikal organisiert. Wettbewerber wie IBM oder DEC
(Digital Equipment) versuchten, die gesamte Wertschöpfungskette von der Chipherstellung bis zum Ver-
trieb zu beherrschen. Mit zunehmender Reife des Geschäfts bildeten sich allerdings Spezialisten heraus,
die auf den einzelnen Wertschöpfungsstufen den Pionieren der Branche überlegen waren. Die Logik des
Geschäfts kippte von einer vertikalen in eine horizontale Struktur. Die etablierten Unternehmen hatten
dies jedoch lange nicht wahrnehmen wollen. Diese »Trägheit (Inertia)« führte das Blue Chip-Unterneh-
men IBM 1991 in seine schwerste Krise. Für viele andere führende Unternehmen wie Sperry Univac,
Wang und DEC wurde der Paradigmenwechsel ganz zum Verhängnis.
Im Jahr 2010 stellt sich die Frage, ob sich das Geschäftsmodell in der Informations-, und Kommuni-
kationstechnologiebranche wieder von der horizontalen Spezialisierung zu einer stärkeren vertikalen
Integration verändert. In dem Fall dürften eine Vielzahl von Akquisitionen zu erwarten sein. Um diese
Überlegung etwas zu unterlegen, seien zwei, vielleicht wegweisende Transaktionen angeführt:
1) Apple kauft den Mikrochiphersteller PA Semi: Etwa seit 2007 ist erkennbar, dass Apple überlegt,
wieder eigene Chips zu produzieren, trotz der damit verbundenen hohen Entwicklungskosten. Im
Kern geht es dabei um die Faktoren Innovation und Intellectual Property. Über den Chip können
Elemente wie Handschrifterkennung, Energieeffizienz oder Videoqualität in mobilen Endgeräten we-
sentlich beeinflusst werden. Lässt Apple die Chips durch Unternehmen wie z. B. Samsung herstellen,
besteht die Gefahr, dass damit auch der Konkurrenz Know-how zugänglich wird. Stellt Apple die
Chips selbst her, sind die Innovationen unter eigener Kontrolle und sie werden im Allgemeinen auch
beschleunigt. Um diese neue Strategie umzusetzen, hatte Apple bis Mitte 2009 bereits eine ganze
Reihe hochrangiger Experten auf diesem Gebiet von der Konkurrenz abgeworben.
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  47


Teil

2) Oracle will Sun übernehmen: »I am very surprised. I have to think about it.« – so soll die spontane Re-
aktion von Steve Ballmer, CEO von Microsoft, gewesen sein, als er am 20.04.2009 davon hörte, dass
Oracle für 7,4 Mrd. US-$ Sun übernehmen werde. Der Preis wurde mit 9,50 US-$ pro Aktie beziffert,
was in etwa einem 8-fachen EBIT-Multiple entspricht. Oracle ist im Kern ein Softwareunternehmen
(Datenbanken und Unternehmenssoftware). Seit 2005 hat Oracle ca. 30 Mrd. US-$ in den Kauf von
etwa 50 Unternehmen wie People-Soft, Siebel oder BEA investiert. Sun ist dagegen im Kern nicht nur
ein Hardwareunternehmen (Server und Speichergeräte/-einheiten). Die Speicherhardware musste
immer mit der passenden Software zu einem Speichersystem gekoppelt werden. Das Unternehmen
hatte sich nie so richtig vom Platzen der Dot.com-Blase erholt, und es war kein Geheimnis, dass
es auf der Suche nach einem passenden Käufer war. Im Portfolio von Sun gab es zwei Perlen für
Oracle. Die eine war die Programmiersprache Java, mittels derer viele Unternehmenssoftwarepakete
und auch die Software von Mobiltelefonen betrieben werden. Die andere war Solaris, ein Betriebs-
system auf dem viele Oracle-Datenbanken laufen. Über beides verfügen zu können, würde Oracle
verschiedene Optimierungsmöglichkeiten bieten. Auch verfügte Sun über eine große Anzahl von
Open Source-Software und -Unternehmen. Sun erwarb diese Software in der Hoffnung, dass deren
Nutzer dann die teuren Sun-Geräte kaufen würden. War diese Akquisition damit eine Transaktion,
die primär auf die Software-Assets von Sun abzielte, und würde Oracle deshalb die Hardware bald
wieder abstoßen?
Neben diesen beiden Transaktionen ließen sich weitere Indizien ausmachen: Vertikal diversifiziert hat
z. B. auch Hewlett-Packard (HP) mit dem Kauf des IT-Dienstleisters Electronic Data Systems Corp. (EDS)
(und schon vor längerer Zeit mit der Übernahme der Beratungsaktivitäten von PricewaterhouseCoopers
(PwC)). Ein anderes Beispiel ist Cisco. Das Unternehmen wollte mit einer Reihe von Allianz-Partnern
beginnen, Server im Sinne von Datenzentren zu bauen. Waren dies nun alles Sonderfälle oder sind dies
Hinweise auf einen fundamentalen Wandel der Logik, nach der die Wertschöpfungsarchitekturen der
führenden Unternehmen in dieser Branche konzipiert sind?

Der Aufschwung gewinnt dann Momentum, wenn die M & A-Investitionen derer, die
zuerst ihre Wetten auf eine neue Wertschöpfungslogik abgeschlossen haben, mit po-
sitiven Bewertungsziffern belegt werden. Steigende Aktienpreise und geringe Zinsen
beschleunigen in dem Fall die M & A-Aktivitäten.24 Ermuntert durch die ersten Erfolge
kommt es zum »Finetuning« der neuen dominanten Wertsteigerungslogik.
Angelockt durch die Erfolge der Pioniere und frühen Nachahmer schwenken nach
und nach immer mehr Unternehmen auf den gleichen Kurs ein. Topmanager haben es
immer schwerer, sich zu legitimieren, wenn sie nicht in ähnlicher Art und Weise agie-
ren. Mimetisches Verhalten (»Herdentrieb«) setzt ein. Es kommt zu eigendynamischen
und selbstverstärkenden Effekten, z. B. wenn – teilweise bereits rational nicht mehr
nachvollziehbare – Kurssteigerungen wieder zu neuen Investitionsmöglichkeiten (»Aktie
als Währung«) verhelfen. Es wird eine Welle neuer Akquisitionen ausgelöst, wenn sich
Käufer mit sog. »Me Too Acquisitions« der Modeerscheinung anschließen. Da die Ban-
ken im Allgemeinen davon profitieren, entwickeln sie oft auch Bewertungsmodelle, die
die Werthaltigkeit derartiger Investitionen »nachweisen«. So entstehen wechselseitige
Verstärkungsmechanismen, und in der Spitze eines Booms besteht ein wahrer »Run«
auf Zielunternehmen, verbunden mit entsprechenden Preissteigerungen. Unternehmens-
leitungen, die nicht »auf Einkaufstour gehen«, kommen oft unter Legitimationsdruck
bezüglich der Frage, warum sie diese »Jahrhundertchance« nicht wahrnehmen.

24 Melicher et al. 1983.


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48  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

4.3 Oberer Wendepunkt


Die Wellen-Metapher beinhaltet jedoch auch, dass jede Welle ein Gipfel hat, bevor sie
dann bricht. Damit verbunden stellen sich folgende Fragen: Wann ist ein solcher obe-
rer Wendepunkt erreicht? Gibt es Möglichkeiten, diesen Wendepunkt frühzeitig zu er-
kennen? Wird es zu einer »sanften Landung« kommen, oder wird es einen abrupten
Absturz geben? Wird dies vor- oder nachlaufend oder synchron zu den Aktienmärkten
geschehen?
Sicher vorhersagen lassen sich solche Entwicklungen natürlich genauso wenig wie
die Entwicklungen der Aktienmärkte. Allenfalls gibt es Frühwarnsignale, die darauf
hindeuten, dass eine Trendwende zu erwarten ist. Empirisch gesichertes Wissen ist
hierzu nicht vorhanden. Jedoch gibt es zum nahenden Ende einer Welle eine Reihe
von erfahrungsbasierten Beobachtungen, deren Eintreten zumindest die Achtsamkeit
erhöhen sollte:
1. Viele Käufer sind bereit, deutlich größere Risiken einzugehen. So gab es Fälle, in
denen Unternehmen in solchen Situationen versuchten drei Unternehmen gleichzeitig
in eines zu fusionieren.
2. Die Anzahl der öffentlichen Ankündigungen von Transaktionen, die kurz darauf
wieder abgesagt werden, nimmt oft stark zu. Dies ist ein Zeichen operativer Hektik
bei den Akteuren auf dem Markt, die die »Gunst der Stunde« noch nutzen wollen,
aber das Vorhaben nicht mehr sorgfältig genug durchdacht haben.
3. Das angebotene Kapital zur Finanzierung der Transaktionen wird knapp oder – z. B.
wegen eines Zinsanstiegs – teurer. Die Kapitalknappheit im August 2007 im US-Hy-
pothekenmarkt löste auch eine Kapitalknappheit bei der Finanzierung von Übernah-
men aus. Wegen den Liquiditätsproblemen der involvierten Gesellschaften stießen
diese – um zu Überleben – auch Aktienpakete aller Art ab, weshalb diese Situation
nicht nur die Kurse der direkt betroffenen Finanzdienstleister belastete, sondern die
gesamte Börse.
4. Die zu bezahlenden Multiples sind oft auf ein Vielfaches der Multiples zu Anfang
der Welle gestiegen. Dies ist zumeist deshalb der Fall, weil das Angebot an noch
verbleibenden attraktiven Zielunternehmen stark rückläufig ist und die Konkurrenz
um den Erwerb dieser Unternehmen immer intensiver geworden ist. Es wird dann
ein zu hohes Premium auf Basis zu optimistischer Synergien- und Marktszenarien
gezahlt. So werden Unternehmen, die oft noch ohne Gewinne sind, nur aufgrund
ihres Potenzials zu enormen Preisen gekauft.
5. Es wird mehrheitlich mit Aktien bezahlt. Sobald die Käufer den Eindruck haben,
dass ihr Unternehmen eher überbewertet ist, werden sie versuchen mit Aktien – der
dann gegenüber der Cash-Bezahlung »billigeren« Währung – zu bezahlen.
6. Die Gewinnerwartungen der Unternehmen sind rückläufig. Diesem Punkt ist beson-
ders dann Beachtung zu schenken, wenn eine Volkswirtschaft schon eine mehrere
Jahre andauernde Wachstumsphase hinter sich hat.
7. Der Verschuldungsgrad der Unternehmen hat stark zugenommen. Rating-Agenturen
warnen auch, dass die Kreditqualität sinken wird. Hinzu kommt dann oft noch die
Gefahr, dass sich die Zinsen wieder erhöhen und die Refinanzierungskonditionen
sich verteuern.
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  49


Teil

4.4 Abschwung
Wurde der obere Wendepunkt durchschritten, so kippen (bei einem abrupten Absturz)
fast über Nacht alle Regeln, die noch ein paar Tage zuvor unumstößlich für ein erfolgrei-
ches Agieren erschienen. Sie verkehren sich in ihr Gegenteil mit teilweise fatalen Folgen.
Dass es tatsächlich zu einem Abschwung kommt, kann verschiedene Ursachen haben:
1. Die zur jeweiligen Wertsteigerungslogik gehörende Basisannahme hat sich nicht be-
stätigt. Viele durchgeführte Transaktionen stellen sich als enttäuschend heraus. Dies
trifft insbesondere auf die dritte Welle (»Conglomerate Era«) zu, als sich Ende der
1960er Jahre langsam herausstellte, dass die unter Risikoaspekten sehr breit und
unverwandt diversifizierten Konglomerate eine schlechtere Performance zeigen.
2. Jede Welle produziert »Standards« manageriellen und systemischen Verhaltens, die
in einem Boom in der Endphase zu extrem spekulativen Handlungsannahmen füh-
ren können. So entbehrten die in den Bewertungsansätzen Ende der 1990er Jahre ge-
troffenen Annahmen oft jeder Rationalität, was zu einer »spekulativen Überhitzung«
des Systems und – z. B. beim Platzen der Internetblase – auch zum Crash führen
kann.
3. Die Rahmenbedingungen haben sich so geändert, dass dadurch der dominanten
Wertsteigerungslogik ihre Gültigkeit entzogen wurde. Neue Gesetze, innovative
Technologien oder eine veränderte politische Situation sind Beispiele hierfür. Dies
trifft z. B. auf die erste Welle zu, als mit der tatsächlichen Anwendung des Sherman
Antitrust Act durch die Regierung Roosevelt die Möglichkeiten zur Monopolbildung
stark unterbunden wurden.

Mit dem Abschwung verbunden ist häufig eine Verschlechterung der ökonomischen
Rahmenbedingungen: Eine rezessive Phase der Wirtschaft nimmt ihren Lauf; nicht
selten verbunden mit einem Crash der Kapitalmärkte. Die Bewertungsziffern der Unter-
nehmen sind eher negativ belegt. Die Kapazitätsauslastung der Industrie ist rückläufig.
Natürlich gibt es in einem Abschwung auch gegenzyklische M & A-Aktivitäten ein-
zelner Akteure.25 Diese Akquisitionen sind jedoch meist eines anderen Typs, als die im
Aufschwung getätigten Transaktionen. Die Käufer nutzen die fallenden Preise und die
oft aus Notlagen heraus geborenen Kaufgelegenheiten. Solche Transaktionen werden
demnach oft von Desinvestitionen ausgelöst. Meist sind sie nicht expansiv angelegt,
sondern eher auf eine Konsolidierung ausgerichtet.26

5 Den ganzen Zyklus im Visier


In Phasen des konjunkturellen Abschwungs zeigt sich immer wieder, wie wichtig es ist,
dass das Management bereits bei seinen Entscheidungen in der Phase des Aufschwungs
bedenkt, was deren Implikationen im Abschwung sein könnten und umgekehrt. Mit
Blick auf die langfristigen Interessen eines Unternehmens geht es darum, immer den
ganzen Zyklus im Visier zu haben; denn erst auf dieser Basis wird entschieden, wer
gewinnt und wer verliert. Dies gilt auch für M & A-Entscheidungen.

25 Maksimovic/Philips 2000.
26 Lambrecht/Meyers 2004.
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50  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

• Wachstum: Es ist hinlänglich bekannt, dass das Wachstum ein wesentlicher Wer-
treiber des Unternehmenswertes ist. Im Aufschwung, auf Basis einer guten Bör-
senbewertung und bei Verfügbarkeit von billigem Geld, wird deshalb das Thema
Wachstum forciert. Doch im Abschwung, wenn die Kunden bei sinkender Nachfrage
wählerischer werden, zeigt sich häufig, dass ein Teil dieses Wachstums noch ohne
Substanz ist. Dann müssen teure Rückzugsgefechte geführt werden. Zum Beispiel
müssen neue Aktivitäten unter ihrem Einkaufspreis wieder veräußert werden.
• Opportunistisches Verhalten: In Boomphasen neigen Unternehmen dazu, Geschäfte
aufzugreifen, in denen gerade gutes und schnelles Geld verdient wird. Doch was
heißt dies, wenn diese neuen Tätigkeitsfelder nicht zum Geschäftsmodell passen
oder das Unternehmen von ihnen nicht genug versteht. Dann entpuppen sie sich
häufig als Fehlinvestitionen, weil das Unternehmen unüberschaubare Risiken einge-
gangen ist. Dazu zählen bspw. die Ausflüge der dem »One Bank«-Ansatz folgenden
Banken in die Bereiche des Investmentbankings jenseits des für das integrierte Ge-
schäftsmodell erforderlichen Beratungsgeschäfts.
• Kapitaldecke: Im Aufschwung werden Unternehmen von den Analysten häufig ge-
scholten, wenn sie ihr Eigenkapital nicht besser »leveragen«. Durch solche Maßnah-
men lässt sich relativ leichtfüßig die Eigenkapitalrentabilität verbessern, und zudem
lassen sich Fremdkapitalzinsen auch steuerwirksam abziehen. Mit Blick auf den
vollen Zyklus kann ein zu starkes Ausreizen dieser Logik im Abschwung verhängnis-
voll werden: »Cash is King!« – wie es dann heißt. Dies kann z. B. zu Problemen bei
der Refinanzierung fälliger Kredite führen. Oder es können günstige Gelegenheiten
z. B. zum Kauf angebotener Unternehmen im Sinne antizyklischer Investitionen nicht
wahrgenommen werden.
• Schuldenlast: Eine Aufschwungphase wird meist durch billig aufzunehmendes Geld
begünstigt. Das heißt, dass sich auch Akquisitionen leicht finanzieren lassen. Da-
mit kumulieren sich aber auch auf der Passivseite der Bilanz die Schulden. Müssen
diese im Abschwung dann refinanziert werden, sehen sich Unternehmen plötzlich
aufgrund gestiegener Risikoprämien deutlich höheren Belastungen gegenüber.
• Goodwill: Auf der Aktivseite der Bilanz haben die Akquisitionen aus der Phase des
Aufschwungs häufig die Kumulation einer hohen Goodwill-Position (als Folge der bei
der Akquisition gezahlten Prämie auf die erworbenen Vermögenswerte) zur Konse-
quenz. In der Abschwungphase kann dies zu erheblichen Wertberichtungen Anlass
geben, die das Eigenkapital belasten. In einem völlig veränderten wirtschaftlichen
Umfeld wird man sich ein neues Bild von der Werthaltigkeit des bilanzierten Good-
wills machen müssen.

Zusammenfassend wird hier die These vertreten, dass Unternehmen im Aufschwung


einem immer stärker werdenden, prozyklischen »Herdentrieb« folgen. Je näher dabei
der Aufschwung an seinen Wendepunkt kommt, desto häufiger werden paradoxerwei-
se strategische Entscheidungen getroffen, die aus der Sicht des Abschwungs desaströs
sind. Diese Entwicklung wird in beide Richtungen multiplikativ verstärkt durch die
globale Vernetzung der Wirtschaft: Das heißt, die Exzesse nach oben fallen größer aus;
danach wird dann auch die ganze Weltwirtschaft wie ein globales Domino in die Knie
gezwungen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass, wenn die ersten leichten Anzeichen
eines Abschwungs bereits die Jahresziele gefährden, teilweise noch immer prozyklisch
besonders große unternehmerische Risiken eingegangen werden, z. B. um den an das
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II. M & A als Wellen-Phänomen: Analyse und Erklärungsansatz  |  51


Teil

Erreichen des Jahresziels gebundenen Bonus noch zu retten. Damit wird jedoch der
Turbo auf der Fahrt in die Krise eingeschaltet. Ein Unternehmen verantwortungsvoll zu
führen heißt jedoch, neben all den Kurzfristanforderungen, die es zu bedienen gilt, bei
den Entscheidungen zumindest einen vollen Zyklus im Visier zu haben.

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52  | 
Teil

III. Das weltweite M & A-Geschehen:


Rückblick und Ausblick
Einige der besten und auch sehr viele der schlechtesten
Transaktionen aller Zeiten
Kai Tschöke/Martin Mailänder*

1 Einleitung
2 Überblick über die Marktentwicklung
3 Wesentliche Transaktionen
4 Transaktionsstrukturen und Übernahmeprämien
5 Wesentliche Treiber der Marktaktivitäten
5.1 Feindliche Übernahmen
5.2 Finanzinvestoren
5.3 Staatsfonds als neue Käufergruppe
6 Warten auf die nächste M & A-Welle

1 Einleitung
Ein Rückblick auf die globalen M & A-Aktivitäten über die zwei Jahrzehnte seit 1990
deckt die wohl interessanteste Phase ab, die der Markt für Unternehmen je gesehen hat
– nie zuvor waren die Volumina höher, die Strukturen aggressiver und die Ausschläge
größer. Einige der besten und leider auch sehr viele der schlechtesten Transaktionen
aller Zeiten wurden in den letzten 20 Jahren getätigt. Der vorliegende Rückblick fokus-
siert auf die wesentlichen Trends und empirischen Beobachtungen in der Entwicklung
des weltweiten M & A-Marktes und greift einige der prägenden Marktteilnehmer und
Transaktionen heraus.

2 Überblick über die Marktentwicklung


Der Markt für Unternehmensübernahmen ist von seiner Natur her zyklisch. Phasen
des Anstiegs – regelmäßig führen Phasen des Umbruchs, sei es durch Verschiebung der
regionalen Wirtschaftskraft, durch Konsolidierung einzelner Branchen oder durch tech-

* Kai Tschöke, Managing Director, Rothschild GmbH, Frankfurt a. M.; Martin Mailänder, M & A Ana-
lyst Intern, Rothschild GmbH, Frankfurt a. M.
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III. Das weltweite M & A-Geschehen: Rückblick und Ausblick  |  53


Teil

nologische Sprünge, zu einem starken Anstieg der M & A-Aktivitäten – werden ebenso


regelmäßig von Phasen der Konsolidierung und Restrukturierung mit relativ geringerem
M & A-Interesse gefolgt.
Über die letzten rund 100 Jahre lassen sich sechs M & A-Wellen identifizieren1, von
denen zwei – die »Internetwelle« um die Jahrtausendwende und die »Leveraged-Wel-
le« von 2005 bis 2007 – in den Betrachtungszeitraum dieses Beitrags fallen. Beide
M & A-Hochphasen unterscheiden sich substanziell hinsichtlich ihrer Treiber, Branchen
und Transaktionsstrukturen; gemeinsam ist ihnen allerdings in sehr ausgeprägter Weise
die Abhängigkeit von der Börsenstimmung insgesamt. Das (angekündigte) Transakti-
onsvolumen korrelierte in den letzten zwei Jahrzehnten sehr eng mit der Entwicklung
der großen Börsenindices; dies wird insbesondere bei einer quartalsmäßigen Betrach-
tung deutlich (vgl. Abb. 1): die M & A-Aktivitäten reagieren fast unmittelbar auf Verän-
derungen in den Indextrends, wobei die Reduktion im Abschwung (Verzögerung ca.
ein Quartal) noch unmittelbarer ist als in Phasen des Aufschwungs (Verzögerung ca.
zwei Quartale).

Volumen (Mrd. US-$) MSCI World Index

500 1600

400
1200

300
800
200

400
100

0 0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
1)
Angekündigte Transaktionen je Quartal MSCI World Index

1) MSCI World Index indexiert auf 100 im ersten Quartal 1990.

Abb. 1: Angekündigte weltweite M & A-Transaktionen vs. MSCI World Index von 1990 bis 2014 (Quelle: Thomson
Reuters)

Der Einbruch der M & A-Aktivitäten als Folge gesunkener Börsenkurse ließ sich ins-
besondere nach der Internetwelle leicht begründen: Aufgrund des hohen Anteils an
aktienfinanzierten Unternehmensübernahmen sank mit den Kursen auch die relative
Opportunität des Einsatzes hochbewerteter eigener Aktien als Akquisitionswährung
für den Erwerber. Bei der Leveraged-Welle, die sehr stark von Barakquisitionen sowohl
durch strategische Erwerber als auch durch Finanzinvestoren geprägt war, war aller-
dings viel stärker die substanzielle Verengung der Kreditmärkte der Auslöser, die das
Geschäftsmodell der Finanzinvestoren fundamental infrage stellte und bei den Unter-
nehmern zu einer Priorisierung der Mittelbereitstellung für das operative Geschäft im

1 Müller-Stewens 2010a.
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54  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Gegensatz zur externen Expansion führte. Darüber hinaus nimmt die Risikoneigung
des Erwerbers in einem unsicheren Marktumfeld selbst bei ausreichend vorhandener
Liquidität zur Finanzierung von Unternehmenserwerben substanziell ab. Die Gefahr
des »noch zu teuer« Einkaufens angesichts hoher Planungsunsicherheit beim Zielun-
ternehmen, die nur teilweise über Sicherheitsabschläge adressiert werden kann, und
eine Trägheit der Preiserwartungen beim Verkäufer – der Marktkorrekturen meist nicht
zeitgleich in seinen Wertvorstellungen reflektiert – führen zu einem Auseinanderdriften
der Marktseiten, so dass auch viele bereits weit vorangeschrittene Transaktionen nicht
mehr zum Abschluss gebracht werden.
Bei einem Vergleicht der M & A-Aktivitäten mit den ökonomischen Gesamtaktivitä-
ten zeigt sich eine relativ höhere gesamtwirtschaftliche Relevanz des M & A-Booms in
der Internetphase gegenüber der jüngsten kreditinduzierten Hochphase. Belief sich das
gesamte M & A-Volumen in den Jahren 1999 und 2000 auf 10 % des weltweiten Brut-
tosozialproduktes, ging dies bis 2002 auf 4 % zurück und erreichte 2006 und 2007
nurmehr 8 % der weltweiten Wirtschaftsleistung – obwohl nominal höher, war das
Gesamttransaktionsvolumen in der sechsten M & A-Welle somit real kleiner als in der
vorangegangenen Phase.

3 Wesentliche Transaktionen
Die Liste der größten Transaktionen (vgl. Abb. 2) verdeutlicht eindrucksvoll, wie viel
enger der Übernahmemarkt um die Jahrtausendwende im Vergleich zur volumenmäßig
stärkeren Phase von 2005 bis 2007 war. Relative wenige, aber sehr große Transaktionen
prägten das Bild, und der Fokus lag auf sehr wenigen Branchen – im Jahr 2000 machten
Telekom/Medien/Technologie insgesamt 45 % des gesamten M & A-Transaktionsvolu-
mens aus.
Unter den Top 15-Transaktionen in der Zeit von 1990 bis 2009 befanden sich 8 Er-
werbe im Bereich Telekom/Internet; 12 der 15 Transaktionen fanden im Zeitraum 1998
bis 2001 statt. Im Vergleich dazu war die sechste M & A-Welle breit über nahezu alle
Branchen abgestützt, bei einer insgesamt geringeren Durchschnittsgröße der Transak-
tionen. Herauszuheben ist allerdings der Anteil von Erwerben durch Finanzinvestoren,
der 2007 bei fast 23 % lag.

Datum Käufer Zielunternehmen Volumen (Mrd. US-$) Zahlungsmittel

11/1999 Vodafone Mannesmann 202,8 Aktien

01/2000 America Online Time Warner 181,6 Aktien

04/2007 Royal Bank of Scotland, ABN AMRO   98,2 Barmittel/Aktien


Fortis, Banco Santander

03/2006 AT&T BellSouth   89,4 Barmittel/Aktien

11/1999 Pfizer Warner-Lambert   88,8 Aktien

12/1998 Exxon Mobil   85,1 Aktien


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III. Das weltweite M & A-Geschehen: Rückblick und Ausblick  |  55


Teil

Datum Käufer Zielunternehmen Volumen (Mrd. US-$) Zahlungsmittel

10/2004 Royal Dutch Petroleum Shell Transport & 80,3 Aktien


Trading

01/2000 Glaxo Wellcome SmithKline Beecham 78,8 Aktien

02/2006 Gaz de France Suez 75,2 Aktien

04/1998 Travelers Group Citicorp 72,6 Aktien

07/2001 Comcast AT&T Broadband 72,0 Aktien

07/1998 Bell Atlantic GTE 71,3 Aktien

05/1998 SBC Communications Ameritech 70,4 Aktien

06/1998 AT&T Tele-Communications 69,9 Aktien

01/1999 Vodafone AirTouch 65,8 Barmittel/Aktien

1) O
 hne die Abspaltung von Philip Morris von Altria (Volumen 113 Mrd. US-$) im Jahr 2007, da sich diese Transaktion
ausschließlich an die eigenen Aktionäre richtete

Abb. 2: Top 15 globale M & A-Transaktionen von 1990 bis 2009 (Quelle: Dealogic, Eigene Analyse)

Transaktionsvolumen (Mrd. US-$) 1) Durchschn. Transaktionsgröße (Mio. US-$)

3.500 1.000

3.000
800
2.500

600
2.000

1.500
400

1.000
200
500

0 0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Anzahl Transaktionen
US-Ziele 445 398 462 535 702 842 1003 1102 954 1028 1018 510 406 485 492 568 696 732 628 449 521 511 519 493 560
Europ. Ziele 401 363 357 333 350 460 557 562 642 935 1050 618 668 691 734 847 998 1146 963 617 773 775 747 701 691
Sonstige Ziele 148 242 204 282 320 418 573 724 793 1037 1251 964 853 1045 1161 1452 1693 2277 2035 1952 2126 2090 1957 1986 2447

US-Zielunternehmen Europäische Zielunternehmen


Sonstige Zielunternehmen Durchschnittliche Transaktionsgröße

1) Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 Mio. US-$.

Abb. 3: Weltweite M & A-Aktivitäten nach Regionen von 1990 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)
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56  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Die größere Marktdurchdringung der M & A-Aktivitäten in der letzten Hochphase wird


auch bei Betrachtung der regionalen Verteilung offensichtlich (vgl. Abb. 3). Lag im Spit-
zenjahr 2000 der Anteil amerikanischer Zielunternehmen am globalen M & A-Volumen
bei ca. 51 %, sank dieser bei der darauffolgenden Spitze im Jahr 2007 auf nur rund
36 %. Die höhere Bedeutung Europas für den globalen M & A-Markt wird auch daran
deutlich, dass die drei weltweit größten Transaktionen nach 2000 – Konsortialerwerb
ABN Amro, Royal Dutch/Shell, Gaz de France/Suez – allesamt europäische Branchen-
konsolidierungen darstellten.

4 Transaktionsstrukturen und Übernahmeprämien


Wie schon angesprochen, unterscheiden sich die beiden M & A-Schwerpunkte auch sub-
stanziell hinsichtlich der Akquisitionswährung (vgl. Abb. 4a und Abb. 4b). Der Anteil
von rein mit Aktien finanzierten Unternehmensübernahmen erreichte 1998 ein Maxi-
mum bei 61 % des weltweiten Gesamttransaktionsvolumens. Dass dies allerdings nur
von einer kleinen Zahl sehr großer Transaktionen getrieben wurde, wird am Anteil von
nur rund 22 % an der Anzahl der gesamten Transaktionen deutlich – die Mehrheit aller
Erwerbe ist durch die Zyklen hinweg mit Barmitteln finanziert.
Am anderen Ende des Spektrums – und auch im langfristigen Vergleich deutlich
unter dem Durchschnitt – lag der Anteil aktienfinanzierter Transaktionen im Jahr 2007
bei nur noch 7 %, bei einem gleichzeitigen historischen Hoch von 76 % für reine Ba-
rerwerbe. Günstige Refinanzierungskonditionen und sehr tiefe Refinanzierungsmärkte
über alle Branchen und Rating-Niveaus hinweg stellten eine – im Nachhinein wohl recht
einmalige – Sonderkonstellation dar, die von den akquisitiven Unternehmen auch sehr
intensiv genutzt wurde.

100 %
11 14 9
18 17 20 20 17 17 14 16
23 28 23 20 18 18 19 18
29 33 30 33
80 % 45 43

45 45 54
40 41 40 37
60 % 47 42
52 51 52
58 60 60 59 53 44 53
50
40 % 49 51 51
40
42

43 45 43 45 44 41 37
20 % 39
24
31
24 28 24 29 35 29
22 21 20 21 18 20 17
13 16
0%
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Ausschließlich Barmittel Barmittel und Aktien Ausschließlich Aktien

Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 Mio. US-$.

Abb. 4a: Weltweite Akquisitionen nach Zahlungsmitteln (Transaktionsvolumina) von 1990 bis 2014 (Quelle:
Thomson Reuters)

100 % 6 6 6 7 6 6 7 6
11 10 12 13 11 15 16 15 10 8 8 8 8 8 9
17 12
80 %
43 43 45 45
53 53 49 48 49 51 48 48
Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 Mio. US-$.
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III. Das weltweite M & A-Geschehen: Rückblick und Ausblick  |  57


Teil

100 % 6 6 6 7 6 6 7 6
11 10 12 13 11 15 16 15 10 8 8 8 8 8 9
17 12
80 %
43 43 45 45
53 53 49 48 49 51 48 48
50 47 43 48 50 53 58 58
60 % 51 48 50 47 52

40 %

51 51 48 48
20 % 41 41 39 43 45 40 39 34 35 35 36 36 37 34 34 43 45 43 43 44 45

0%
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Ausschließlich Barmittel Barmittel und Aktien Ausschließlich Aktien

Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 Mio. US-$.

Abb. 4b: Weltweite Akquisitionen nach Zahlungsmitteln (Anzahl der Transaktionen) von 1990 bis 2014 (Quelle:
Thomson Reuters)

Mit Blick auf die Entwicklung der Übernahmeprämien im Betrachtungszeitraum (vgl.


Abb. 5) lässt sich insgesamt ein tendenzielles Absinken der Prämien gegenüber den
unbeeinflussten Aktienkursen festhalten (gemessen am Kurs vier Wochen vor Ankün-
digung bzw. substanziellen Marktgerüchten). Auffallend ist in den letzten Jahren eine
deutliche Ausweitung des Aufschlags reiner Barangebote gegenüber den reinen Akti-

Durchschnittliche Transaktionsgrprämie % MSCI World Index

60 400

50
300
40

30 200

20
100
10

0 0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014

Durchschnittspremium Transaktionsvolumen > 100 Mio. USD 1)


Durchschnittspremium Transaktionsvolumen > 1 Mrd. USD 1)
MSCI World Index 2)
1) Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 resp.
1.000 Mio. US-$. Prämien basierend auf dem unbeeinflussten Aktienkurs (definiert als Aktienkurs vier
Wochen vor dem frühesten der folgenden Ereignisse: Ankündigung der Transaktion, Ankündigung eines
konkurrierenden Angebots, Marktgerüchte).
2) Indexiert auf 100 im Jahre 1990.

Abb. 5: Globale Transaktionsprämien vs. MSCI World Index von 1990 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)
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58  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

enangeboten, der in der Spitze im Jahr 2008 10 % erreichte. Auch daran lässt sich eine
Abgrenzung zum Transaktionsmodus der Jahrtausendwende erkennen: ein höherer Fo-
kus der Investoren auf die Verwässerungsthematik und damit die Abkehr von der Aktie
als »billiger Papierwährung«, die unbegrenzt zur Verfügung steht.

5 Wesentliche Treiber der Marktaktivitäten


5.1 Feindliche Übernahmen
Feindliche Übernahmeversuche – in Abgrenzung auch zu nicht abgestimmten, aber
nicht feindlich intendierten Transaktionen – sind ein normaler und aufgrund der diszi-
plinierenden Funktion für die Unternehmensleitungen auch sehr notwendiger Teil der
allgemeinen M & A-Aktivitäten. Im langfristigen Mittel machen feindliche Übernahme-
versuche knapp 10 % aller angekündigten Transaktionen aus (vgl. Abb. 6). Da es sich
jedoch häufig um große und profilierte Spieler auf beiden Seiten des Schlagabtausches
handelt, kommt ihnen stets ein besonderes Augenmerk zu. Waren in den 1980er und
1990er Jahren zum überwiegenden Anteil US-amerikanische Unternehmen im Fokus
feindlicher Investoren – bedingt teilweise auch durch die in diesem Zeitraum tenden-
ziell bessere und regelmäßigere Informationstransparenz aufgrund stringenter Börsen-
pflichten – kam das Konzept der feindlichen Übernahme durch die Vodafone/Mannes-
mann-Transaktion 2 1999 mit einem Paukenschlag auch in Europa und insbesondere in
Deutschland an.

Mrd. US-$

300
263
250

200

150
103
100 71
57 48 52
44
50 23 26 18 32
16 13 19 10 11 14
5 2 4 1 2 5 1 1

1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014

US-Ziele Europäische Ziele Sonstige Ziele

Beinhaltet feindliche Übernahmeangebote für Zielunternehmen mit einem Unternehmenswert


(aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 Mio. US-$, unabhängig vom Erfolg des Übernahmeangebots.

Abb. 6: Volumina feindlicher Übernahmeangebote von 1990 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)

2 Vgl. z. B. Müller-Stewens 2010b.


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III. Das weltweite M & A-Geschehen: Rückblick und Ausblick  |  59


Teil

In den Folgejahren und insbesondere in der nächsten M & A-Hochphase entfiel ein sub-
stanzieller Teil feindlicher Übernahmeversuche auf europäische Ziele (vgl. Abb. 6).
Neben dem sehr aktiven Grundstoffbereich mit BHP Billiton/Rio Tinto oder Xstrata/
Anglo American sind Sanofi/Aventis, Total/Elf oder Gas Natural/Endesa zu nennen, in
Deutschland Merck/Schering und Schaeffler/Continental.

Datum Bieter Zielunternehmen Volumen (Mrd. US-$) Zahlungsmittel


11/1999 Vodafone Mannesmann 202,8 Aktien
11/2007 BHP Biliton(1) Rio Tinto 188,2 Aktien
11/1999 Pfizer Warner-Lambert   88,8 Aktien
07/2001 Comcast AT&T Broadband   72,0 Aktien
02/2004 Comcast(1) Walt Disney   66,6 Aktien
01/2004 Sanofi-Synthelabo Aventis   65,7 Aktien/Barmittel
06/2008 InBev Anheuser-Busch   60,4 Barmittel
07/1999 Total Elf   55,3 Aktien
09/2005 Gas Natural(1) Endesa   49,6 Aktien/Barmittel
07/2008 Roche Genentech   46,7 Barmittel
1) Angebot zurückgezogen

Abb. 7: Top 10 feindliche Übernahmeangebote von 1990 bis 2009 (Quelle: Dealogic, Eigene Analyse)

5.2 Finanzinvestoren
Wenn es eine Erwerberbranche gab, die die M & A-Hochphase von 2005 bis 2007 ge-
prägt hat, dann waren dies die Finanzinvestoren. Das Transaktionsvolumen in diesem
Segment erreichte in den Jahren 2006 und 2007 ein nie gesehenes Rekordvolumen, und
in der Spitze machten die Käufe von Finanzinvestoren fast 23 % am Gesamtvolumen
des globalen M & A-Marktes aus. Ermöglicht wurde diese Einkaufswelle durch ein sehr
hohes Angebot an Kreditfinanzierungen für Unternehmen unterhalb eines Investment
Grade Ratings, sog. Leveraged Buyout (LBO)-Finanzierungen. Das Volumen der durch-
geführten LBO-Finanzierungen verdreifachte sich in den Jahren 2004 bis 2007 von 500
Mrd. US-$ auf 1.500 Mrd. US-$. Die Eigenkapitalinvestoren in den Private Equity-Fonds
gingen dabei das hohe Tempo mit: 2007 und 2008 waren die beiden historisch stärksten
Jahre bezogen auf das insgesamt von Finanzinvestoren eingesammelte Kapital.
Obwohl in dieser Phase sicherlich fast jedes namhafte Unternehmen der Finanzie-
rungsanalyse durch die Private Equity-Branche unterzogen wurde, ist es auffallend, dass
fast alle tatsächlich durchgeführten Großtransaktionen in den USA stattfanden. Angeführt
vom Erwerb des Versorgers TXU durch Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) und Texas
Pacific Group (TPG) mit einem Volumen von 44 Mrd. US-$ über Immobilien (Equity Of-
fice), Gesundheit (Hospital Corporation of America, kurz: HCA) oder Casinos (Harrah’s)
sind bei neun der zehn größten Private Equity-Erwerbe amerikanische Zielunternehmen.
Nur der Erwerb des britischen Flughafenbetreibers BAA durch Ferrovial im Jahr 2006, mit
30 Mrd. US-$ die viertgrößte Transaktion durch Finanzinvestoren, ist eine europäische.
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60  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Für die meisten Investitionen dieser Boomphase – die Top 10-Transaktionen fanden
sämtlich im Zeitraum von nur 16 Monaten zwischen März 2006 und Juli 2007 statt –
steht die endgültige Beurteilung noch aus. Bei einer signifikanten Anzahl von Trans-
aktionen, bei denen das gewählte Verschuldungsniveau nicht krisenadäquat oder teils
einfach nicht branchengeeignet war – ex post gilt dies z. B. für die Automobilzulieferin-
dustrie –, mussten Finanzinvestoren aber auch schon substanzielle Vermögensverluste
realisieren. Die Folge wird ein Selektionsprozess in der Branche und eine stärkere Er-
folgskontrolle durch die dahinterstehenden Geldgeber sein.
Anfang 2010 stellt sich die Situation vieler Finanzinvestoren daher so dar, dass einer-
seits substanzielle Anlagemittel zur Verfügung stehen und daher ein erheblicher Inves-
titionsdruck besteht, andererseits die Renditeerwartungen der Anleger vor dem Hinter-
grund der nur relativ niedrig möglichen Verschuldungsgrade in den meisten Situationen
nicht erfüllt werden können, wenn es Konkurrenz durch strategische Investoren gibt.
In einem normalisierten Finanzierungsumfeld wird Private Equity aber auch weiterhin
als ein veritabler Spieler im Markt für Unternehmenserwerbe auftreten.

5.3 Staatsfonds als neue Käufergruppe


Staatsfonds – sog. Sovereign Wealth Funds (SWF), d. h. regierungsnahe bzw. in Staats-
besitz befindliche Kapitalsammelstellen, – sind noch recht junge Akteure auf dem
M & A-Markt. Seit 2005 haben sie allerdings mit einer Reihe von teilweise sehr profilier-
ten Transaktionen eine besondere Aufmerksamkeit gewonnen.
SWFs sind auf der einen Seite Finanzinvestoren mit einem streng ökonomischen
Kalkül, auf der anderen Seite häufig aber auch Akquisiteure von Schlüsselindustrien
und Zukunftsplattformen, die der ökonomischen Entwicklung der Volkswirtschaft ihres
Heimatlandes dienen können. Vorreiter auf dem M & A-Markt waren dabei die Kapital-
sammelstellen der sog. Golfanrainer-Staaten, auf die allein in den letzten Jahren fast 120
Mrd. US-$ an Volumen in über 200 Transaktionen entfielen, der größte Teil in Form von
Minderheitsbeteiligungen. Der Schwerpunkt der Aktivitäten hat sich seit 2005 aufgrund
der Verschiebung der regionalen wirtschaftlichen Gewichte von den Fonds aus Dubai
(Istithmar, DIFC) auf die Investoren aus Abu Dhabi (Mubadala, ADIA, IPIC) und Katar
(QIA) verlagert. Zu den prominentesten Transaktionen zählen u. a. die Beteiligungen
von ADIA an Citigroup, Mubadala an General Electric, Aabar an Daimler und QIA an
Barclays, Sainsbury und Volkswagen.3

3 DFIC: Dubai International Financial Centre; Mubadala: Mubadala Development Company; ADIA:
Abu Dhabi Investment Authority; IPIC: International Petroleum Investment Company; QIA: Qatar
Investment Authority.
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III. Das weltweite M & A-Geschehen: Rückblick und Ausblick  |  61


Teil

Volumen (Mrd. US-$) Transaktionsgröße (Mio. US-$)

700 1.200

600 1.000

500
800
400
600
300
400
200

100 200

0 0
1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Volumen Durchschnittliche Transaktionsgröße

1) Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr
als 100 Mio. US-$, bei denen Finanzinvestoren als Käufer auftreten.

2) Prozentualer Anteil des Volumens der Transaktionen mit Finanzinvestoren am Gesamtvolumen


aller Transaktionen.

Abb. 8: Weltweite M & A-Transaktionen mit Finanzinvestoren als Käufer von 1997 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)

Volumen (Mrd. US-$)

60
53

50

40
30 32
29
30 26
24

20 16
12 11
8
10
2 1 2 1 1

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Mittlerer Osten Singapur China

Definiert als M& A-Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als
100 Mio. US-$, bei denen das Zielunternehmen aus Europa und das bietende Unternehmen bzw.
die Muttergesellschaft aus dem Mittleren Osten, Singapur oder China stammt.

Abb. 9: Europäische M & A-Transaktionen mit Staatsfonds oder staatseigenen Unternehmen als Käufer
von 2000 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)
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62  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Eine schnell wachsende Bedeutung kommt auch den SWFs aus dem asiatischen Raum
zu, insbesondere aus China (CIC) und Singapur (Temasek, GIC). Neben reinen Finanz-
beteiligungen liegt ein Fokus auf der langfristigen Sicherung des Zugangs zu Rohstoff-
quellen, unterstrichen u. a. durch Transaktionen mit Rio Tinto oder Unocal.4 Letzteres
Beispiel (der Erwerb dieses Erdölunternehmens durch ein staatsnahes chinesisches Un-
ternehmen wurde von der US-Regierung untersagt) illustriert aber auch die Akzeptanz-
probleme von Staatsfonds als Investoren in Schlüsselindustrien.

6 Warten auf die nächste M & A-Welle


Bei einem Rückblick auf 20 Jahre M & A-Geschehen seit 1990 mit zwei absoluten
Boomphasen mit extrem hoher Transaktionsintensität, verfasst zu einem Zeitpunkt zy-
klischer Schwäche im M & A-Markt, drängt sich natürlich die Frage auf, wann und mit
welchen Akzenten die siebte M & A-Welle zu erwarten ist.
Der Blick zurück schafft aber auch eine gewisse Ernüchterung: Einige der größten
Transaktionen der letzten zwei Jahrzehnte waren auch fulminante Misserfolge: ganz
vorne die im Nachhinein wohl strittigste Transaktion der Internet-Ära, der Erwerb von
Time Warner durch America Online (AOL), der über 80 % Wertverlust absolut und im
Vergleich zum Index immer noch 66 % relativ generierte (gemessen an der Entwick-
lung der Marktkapitalisierung des Erwerbers von Transaktionsabschluss bis Ende 2009).
Aber auch Vodafone/Mannesmann (Verlust 61 % absolut und 18 % relativ) war für die
Aktionäre nicht wirklich ein Erfolg, und noch viel weniger der konsortiale Erwerb von
ABN Amro, der für zwei der drei Erwerber, The Royal Bank of Scotland (RBS) und
Fortis, in der Verstaatlichung und einem Vermögensverlust von weit über 80 % endete.
Auf der Liste der größten Transaktionen lassen sich im wesentlichen nur für die Zusam-
menschlüsse in den Bereichen Energie und Pharma, die jeweils greifbare Synergien als
Treiber hatten, positive Wertentwicklungen nachweisen.
Mit einem gewissen Zynismus – und mit dem Pragmatismus des M & A-Beraters –
lässt sich natürlich darauf verweisen, dass die zahlreichen empirischen Analysen zur
Wertvernichtung durch M & A nach der Internetwelle die nächste M & A-Welle auch nicht
aufhalten konnten. Es ist allerdings derzeit nicht evident, welche neuen Faktoren mit-
telfristig einen erneut steilen Anstieg der M & A-Aktivitäten hervorrufen könnten. Zwar
sind die wesentlichen Trends, die das M & A-Volumen in den letzten Jahren angetrieben
haben – Globalisierung und Öffnung neuer Märkte; Fokussierung auf Kernkompetenzen
und Branchenkonsolidierungen; Auftreten institutioneller Anleger als Erwerber mittels
SWFs oder Private Equity – weiterhin intakt. Es brauchte allerdings auch den Kataly-
sator umfangreich und günstig zu Verfügung stehender Fremdfinanzierung, um neue
Spitzen bei den M & A-Aktivitäten zu erreichen.
Von einer baldigen Rückkehr zu einer Phase des billigen Geldes für Unternehmens-
erwerbe ist derzeit sicherlich nicht auszugehen. Es erscheint aber durchaus realistisch,
dass auf Basis einer Rückkehr zu einem stabilen Wachstumspfad in den wesentlichen
Volkswirtschaften, einhergehend mit einer Reduktion der Unsicherheiten in den Unter-
nehmensplanungen sowohl der Käufer als auch der Zielgesellschaften, das M & A-Volu-

4 CIC: China Investment Corp.; GIC: Government of Singapore Investment Corp.


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III. Das weltweite M & A-Geschehen: Rückblick und Ausblick  |  63


Teil

men in den nächsten Jahren wieder deutlich ansteigen wird. Und es bleibt auch noch
etwas Zeit, den Katalysator für die nächste Welle zu entwickeln – zwischen den Spitzen
der letzten beiden Wellen lagen immerhin sieben Jahre.

Literatur
Bridges, S./Cristerna, H. (2009): The Era of Globalized M & A. Thomson Reuters and J.P. Morgan, 2009.
Cools, K./Gell, J./Kengelbach, J./Roos, A. (2007): The Brave New World of M & A. The Boston Consul-
ting Group, Juli 2007.
Ecker, M. (2010): Die sechste M & A-Welle – was blieb davon übrig nach der Finanzkrise? In: M & A
REVIEW, 20. Jg., Nr. 1, 2010, S. 1924.
Gell, J./Kengelbach, J./Roos, A. (2009): Be Daring When Others are Fearful. The Boston Consulting
Group, 2009.
Müller-Stewens, G. (2010a): M & A als Wellen-Phänomen. Analyse und Erklärungsansatz. In: Müller-Ste-
wens, G./Kunisch, S./Binder, A. (Hrsg.): Mergers & Acquisitions. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2010,
S. 14–44.
Müller-Stewens, G. (2010b): Vodafone/Mannesmann: Der größte M & A-Deal aller Zeiten. In: Müller-Ste-
wens, G./Kunisch, S./Binder, A. (Hrsg.): Mergers & Acquisitions. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2010.
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64  | 
Teil

Emerging Markets als Treiber von M & A-


Transaktionen in der Versicherungsbranche
Andreas Grünbichler/Peter Hirs*

Die Versicherungsbranche hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die
weltweite Finanzkrise im Jahr 2008 hat zum Teil auch einst führende Versicherer bzw.
Finanzkonglomerate im Mark erschüttert bis hin zu staatlichen Eingriffen. Für die
restlichen Versicherungskonzerne geht es darum, sich strategisch neu zu positionieren,
und für extreme Zinsszenarien gerüstet zu sein. Aufgrund des Rückgangs von versi-
cherbaren Risiken in Europa und Nordamerika bleiben die Wachstumsprognosen für
viele Versicherer über die nächsten Jahre gedämpft. Ein verstärkter Fokus auf Emerging
Markets ist die Folge.
Wurde einmal die Entscheidung für einen Markteinstieg in eines der Länder der
Emerging Markets via M & A getroffen (im Gegensatz zu einem reinen »Green Field«-Ein-
stieg in den Markt), geht es in einem nächsten Schritt um die Wahl einer Zielgesell-
schaft. Dabei spielt die Größe eine zentrale Rolle. Versicherer haben typischerweise die
Wahl zwischen einigen wenigen marktführenden, vormals staatlichen oder quasi-staat-
lichen Versicherungsgesellschaften und einer Anzahl von kleineren bis mittelgroßen,
zum Teil gut etablierten Konkurrenten.
Auf der einen Seite hat ein Kauf einer führenden Versicherungsgesellschaft unbe-
strittene Vorteile – vor allem bei der Erreichung von mit Skaleneffekten verbundenen
Vorteilen wie z. B. Größe des Vertriebsnetzwerkes, Kostenvorteile, gut etablierte Marke,
tiefe Verankerung und Akzeptanz im lokalen Markt. Auf der anderen Seite sehen sich
Käufer oftmals mit Nachteilen konfrontiert – vor allem mit rückgängigen Marktanteilen,
komplizierten Besitzverhältnissen, Reputationsrisiken, Altlasten und einer Unterneh-
menskultur, die eine nachfolgende Integration vor allem für zentral geführte westliche
Unternehmen schwierig macht. Dazu kommen häufig Schwierigkeiten, einen Mehr-
heitsanteil einer Gesellschaft zu erwerben. Angesichts dieser erheblichen finanziellen
und reputationsbezogenen Risiken schrecken viele Unternehmen vor dem Erwerb eines
solchen früheren Mono- oder Oligopolisten zurück.
Viele Käufer konzentrieren sich daher auf kleinere bis mittelgroße Versicherer. Oft-
mals können diese zu einer Mehrheit oder gar zu 100 % übernommen werden. Dies
wiederum vereinfacht die operationale Führung und ermöglicht eine finanzielle Kon-
solidierung. Letzteres erlaubt es einem Käufer, das Wachstum direkt in der Erfolgsrech-
nung und nicht nur in der Bilanz auszuweisen. Auch wenn die mit einem kleineren Kauf
verbundenen Transaktionskosten erheblich bleiben, bilden kleinere Zielgesellschaften

* Prof. Dr. Andreas Grünbichler, Chief Financial Officer und Vorstandsmitglied Wüstenrot Gruppe,
Salzburg, Titular- und Honorarprofessor, Universität St. Gallen (HSG)/Universität Wien, St. Gallen/
Wien; Peter Hirs, Chief Financial Officer, Zürich Versicherungsgesellschaft AG Schweiz, Zürich.
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Standpunkt – Emerging Markets als Treiber von M & A-Transaktionen in der Versicherungsbranche  |  65


Teil

oftmals eine attraktive Alternative zwischen einem Green Field-Einstieg und einem
risikobeladenen, größerem finanziellen Abenteuer in einem oftmals fremden Markt.
Das Bild von kleineren bis mittelgroßen Versicherern ist oft gemischt, was das Aus-
wahlverfahren umso schwieriger macht und eine Anpassung der Due Diligence erfor-
dert. Geht es bei größeren Zielgesellschaften mehr um die Identifizierung von Synergien
und möglichen Altlasten (z. B. finanzielle Buchhaltung, Reservierung von Schäden),
steht die Frage im Vordergrund, wie skalierbar die Infrastruktur und das Vertriebsnetz-
werk der Zielgesellschaft ist. Diesem Aspekt kommt eine zentrale Bedeutung zu, und er
ist insbesondere für die Festlegung des Kaufpreises maßgebend.
Wachstumsaussichten werden i. d. R. eher überbewertet, und der traditionelle Dis-
counted Cashflow (DCF)-Ansatz kommt an seine Grenzen. Prognosen zum Wachstum
des Marktes und zu Entwicklung der Zielgesellschaft über die nächsten 20 Jahre sowie
Annahmen über Umrechnungskurse zwischen lokalen Währungen und einer der Leit-
währungen sind keine Seltenheit. Dass es dabei zu erheblichen Fehleinschätzungen
kommt, kann nicht überraschen, vor allem auch, weil oftmals die i. d. R. erst kürzlich
eingetretene Verbesserung des Marktumfeldes und Unternehmensergebnisses linear
über die nächsten 20 Jahre projiziert werden. Die für Emerging Markets typischen
Korrekturen werden vielfach außer Acht gelassen. Anstelle der traditionellen Bewer-
tungsmethode wäre es angebracht, sich eher an einem Optionsbewertungsmodell zu
orientieren. Schließlich geht es gerade bei den Käufen von kleineren bis mittelgroßen
Unternehmen um nichts anderes, als einer Option über die zukünftige Entwicklung
eines Emerging Markets.
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66  | 
Teil

IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen


M & A-Marktes – eine phasenorientierte
Entwicklungsanalyse*
Henning Düsterhoff/Sven Kunisch**

1 Einleitung
2 Begriff und Rahmenbedingungen
2.1 M & A Stakeholder-Perspektive
2.2 Nationale M & A-relevante Besonderheiten
3 Qualitative Betrachtung: Vier Phasen des deutschen M & A-Marktes
3.1 Phasen in der Übersicht
3.2 Phase 1: Entstehung
3.3 Phase 2: Wachstum und Professionalisierung
3.4 Phase 3: Internet-Boom
3.5 Phase 4: Finanzinvestoren und Globalisierung
4 Quantitative Betrachtung: Zahlen und Fakten
4.1 Transaktionszahlen und -volumina
4.2 Top-Deals
4.3 Branchenbetrachtung
4.4 Grenzüberschreitende Transaktionen
4.5 Beratungsgeschäft
4.6 Neuemissionen (IPOs)
5 Zusammenfassung und Ausblick

1 Einleitung
Nichts bleibt wie es ist! So oft wie leichtfertig wird das Gegenwärtige für gegeben
und beständig gehalten – als wenn es schon immer so gewesen wäre und auch stets
so bleiben würde. Wer erinnert sich beispielsweise noch an die mühsamen Mittel der
Kommunikation vor dem Aufkommen der E-Mail und wer könnte sich im Jahr 2015
die Arbeitswelt ohne diesen Kommunikationsweg überhaupt noch vorstellen? Umso er-

* Der vorliegende Beitrag basiert auf dem Artikel »Von Sonderkonjunktur bis Notverkäufe – Ein Due
Diligence-Bericht zur Entwicklung des deutschen M & A-Marktes«, erschienen in: Müller-Stewens/
Kunisch/Binder: Mergers & Acquisitions. 2010, S. 47–81. Im Rahmen der aktuellen Neuauflage wur-
de der Artikel grundlegend überarbeitet und die Analysen wie Abbildungen aktualisiert und um
den Zeitraum bis 2014 ergänzt.
** Henning Düsterhoff, Chefredakteur M & A REVIEW St. Gallen; Dr. Sven Kunisch, Lehrbeauftragter
für Strategisches Management und Executive Director Master für Unternehmensführung (MUG-
HSG), Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen.
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  67


Teil

staunlicher ist dieser Umstand, da die erste E-Mail in Deutschland erst 1984 empfangen
worden ist, sodass erst in den 1990er Jahren der Triumphzug der elektronischen Post
beginnen konnte.1
Ähnliches gilt auch für die M & A-Aktivitäten in Deutschland. Im Allgemeinen sind
Fusionen und Übernahmen mittlerweile fester Bestandteil der deutschen Wirtschafts-
welt. Spektakuläre Transaktionen wie die von Vodafone/Mannesmann, Bayer/Schering,
Mckesson/Celesio, ZF/TRW, Daimler/Chrysler, Volkswagen/Porsche oder Schaeffler/
Continental wurden von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und stehen für
Erfolg und Misserfolg von Unternehmen und deren Management. Im Besonderen sind
mittlerweile auch Private Equity- und Hedge-Fonds – die »Heuschrecken« – oder Staats-
fonds akzeptierte M & A-Akteure und häufig Investoren bei deutschen Unternehmen.
Und selbst unfreundlichen Akquisitionen begegnet man heute gelassener als noch zu
Zeiten der Vodafone-Mannesmann-Transaktion, als dies noch als eine Art »Barbarei«
angesehen wurde. Dabei begann sich der deutsche M & A-Markt, im Gegensatz zum
angelsächsischen Raum, in dem M & A seit vielen Jahrzehnten eine wichtige Stellung im
Wirtschaftsgeschehen einnimmt, erst seit Mitte der 1980er Jahre zu entfalten.2 Seither
hat sich der deutsche M & A-Markt beständig weiterentwickelt und in den beiden Jahr-
zehnten vor und nach der Jahrtausendwende zunehmende Professionalisierung und
großes Wachstum erfahren.
Um die gegenwärtige Situation auf dem Markt einzuordnen und auch das Vergan-
gene zu reflektieren, bietet sich eine entwicklungsbezogene Analyse des deutschen
M & A-Marktes an. Ziel dieser Analyse ist es, die Entwicklungen des Geschäftes mit
Fusionen und Übernahmen in Deutschland über einen längeren Zeitraum hinweg um-
fassend zu betrachten. Als Zeitraum werden 25 Jahre gewählt. Auch die vor diesem
Betrachtungszeitraum liegende Vergangenheit wird dabei berücksichtigt, um die Ent-
wicklungen in dem tatsächlichen Betrachtungszeitraum besser einschätzen zu können.
Der gewählte Zeitraum ist sinnfällig, da er mit dem Fall der Berliner Mauer und des
Eisernen Vorhangs beginnt, die als historische Ereignisse eine Reihe von Stimuli für
den deutschen M & A-Markt wie z. B. Privatisierungen und die Osterweiterung zur Folge
hatten.
Der vorliegende Bericht zum deutschen M & A-Markt besteht im Kern aus drei Teilen:
Im ersten Teil werden die Grundlagen für die Betrachtungen geschaffen. Zunächst wird
der Begriff M & A-Markt definiert, woraufhin eine Darstellung der Besonderheiten des
deutschen Standortes folgt, die für die hiesigen M & A-Aktivitäten relevant erscheinen.
Im zweiten Teil wird die Einteilung in vier M & A-Phasen des deutschen M & A-Marktes
vorgeschlagen. In Ergänzung dazu werden im dritten Teil detaillierte Analysen zu spe-
zifischen Aspekten des deutschen M & A-Marktes präsentiert. Den Abschluss bildet eine
Zusammenfassung mit einem kurzen Ausblick.

1 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/E-mail, abgerufen am 28.05.2015.


2 Vgl. Müller-Stewens et al. 1999, S. 7.
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68  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

2 Begriffsdefinition und Rahmenbedingungen


Der Analyse von M & A-Aktivitäten wird in der bestehenden Literatur vielfach die Wel-
lentheorie zugrunde gelegt. Diese beruht auf der empirischen Beobachtung, dass das
Auftreten von M & A-Aktivitäten ein zyklisches Phänomen ist.3 Die M & A-Aktivitäten
werden dabei durch die Summe der angekündigten oder vollzogenen Transaktionen
und deren Volumina bestimmt. Die Aussagen stützen sich demnach vor allem auf die
Unternehmensbewertungen, die jedoch über den Zeitverlauf stark schwanken können.4
In diesem Beitrag soll die Entwicklung des deutschen M & A-Marktes möglichst ganz-
heitlich betrachtet werden. Um diesem Ansatz gerecht werden zu können, wird eine
M & A Stakeholder-Perspektive eingeführt. Bei dieser spielen zwar Anzahl und Volu-
men der M & A-Aktivitäten eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle. Vielmehr werden
ergänzend zu den Akteuren und Rahmenbedingungen weitere Charakteristika in die
Betrachtung einbezogen.

2.1 M & A Stakeholder-Perspektive


Im Fokus der vorliegenden Analyse steht der Terminus »M & A-Markt« (bzw. der syn-
onym verwendete Begriff »Markt für Unternehmenskontrolle«). Zunächst ist es erfor-
derlich, den Begriff für die Zwecke der Analyse zu definieren: Traditionell wird der
M & A-Markt als die Arena bezeichnet, in der Managementteams um die Rechte kon-
kurrieren, Unternehmensressourcen zu managen.5 Auch wenn diese Definition sehr
anschaulich ist, fokussiert sie dennoch auf eine spezifische Gruppe von Akteuren auf
dem M & A-Markt, nämlich auf Manager von Unternehmen. Auf dem M & A-Markt gibt
es allerdings eine Vielzahl weiterer Akteure, die den Markt gestalten. Das breite Spekt-
rum an Akteuren lässt sich z. B. aufzeigen, indem die verschiedenen Anspruchsgruppen
(Stakeholder) der an M & A-Transaktionen beteiligten Unternehmen in die Betrachtung
einbezogen werden. Diese umfassen interne (u. a. Mitarbeiter, Manager, Aufsichtsgremi-
en, Eigentümer) und externe Stakeholder (Kunden, Lieferanten, Gesellschaft, Gläubiger,
Staat). Eine solche sog. »M & A Stakeholder«-Perspektive soll für die vorliegende Analyse
zugrunde gelegt werden.
Der Begriff M & A-Markt wird wie folgt definiert:6
Der Markt für Unternehmenskontrolle (kurz: M & A-Markt) steht für das Zusammentreffen von
Angebot und Nachfrage nach Kontrollrechten von Unternehmensressourcen. Auf diesem werden
Kontrollrechte an Unternehmen (bzw. Unternehmensteilen) zu Marktbedingungen gehandelt und
vermittelt. Beim Handel und der Vermittlung können neben Käufern und Verkäufern eine Vielzahl
weiterer Akteure, die das Marktgeschehen mitbestimmen, involviert sein (z. B. Intermediäre, die
vielfältige Dienstleistungen erbringen oder der Gesetzgeber, der die Rahmenbedingungen setzt).

Diese Definition ist bewusst breit gefasst und erscheint aus folgenden Gründen zweck-
mäßig: Erstens erlaubt sie es, sowohl auf der Käufer- als auch auf der Verkäuferseite

3 Vgl. dazu auch Müller-Stewens 2010a.


4 Vgl. zu Aussagekraft von Bewertungen Bor 2010.
5 »... the market for corporate control is best viewed as an arena in which managerial teams compete
for the rights to manage corporate resources« (Jensen/Ruback 1983).
6 Die Definition ist anderen Marktdefinitionen angelehnt, z. B. Immobilienmarkt, Investitionsgüter-
markt.
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  69


Teil

verschiedene Typen zu berücksichtigen. Dazu zählen bspw. Private Equity-Investoren


und Staatsfonds (Sovereign Wealth Funds, SWF). Zweitens schließt sie auch die Dienst-
leistungen mit ein, die rund um den Handel mit den Unternehmenskontrollrechten
angeboten werden. Dazu zählen diverse M & A-Dienstleistungen von Beratungen, Wirt-
schaftsprüfern und Anwaltssozietäten in verschiedenen Phasen des gesamten M & A-Pro-
zesses (Planung, Durchführung, Integration). Drittens berücksichtigt die Definition in
Bezug auf den Handel mit Unternehmenskontrollrechten implizit auch die Tatsache,
dass für diesen unterschiedliche Akquisitionswährungen eingesetzt werden können
(Aktien, Bargeld, etc.). Viertens nimmt sie mit dem Hinweis auf die Marktbedingungen
ebenfalls implizit Bezug auf die regulatorischen Rahmenbedingungen und erlaubt da-
durch, alle Akteure auf dem M & A-Markt (Unternehmen, Berater, Politik, Gesetzgeber,
Kapitalmarkt, Öffentlichkeit, Presse etc.) zu berücksichtigen, die diesen gestalten und
(weiter-)entwickeln.

2.2 Nationale M & A-relevante Besonderheiten


Im Zuge der vorangeschrittenen Globalisierung sind die Märkte immer stärker miteinan-
der verflochten wie sich bspw. in der Finanzkrise seit Mitte 2007 zeigte und immer noch
zeigt. Diese Verflechtungen treffen auch auf die M & A-Aktivitäten zu. Obgleich sich die
globalen M & A-Trends vielfach in den einzelnen Regionen widerspiegeln, zeigen sich
dennoch Unterschiede in den regionalen Entwicklungen. Diese sind vor allem lokalen
Gegebenheiten geschuldet, seien es politische, regulatorische oder kulturelle Gründe.
Deshalb muss eine Analyse des deutschen M & A-Marktes vor dem Hintergrund der
landesspezifischen Merkmale erfolgen. Für den Standort Deutschland lassen sich diese
M & A-relevanten Besonderheiten im Wesentlichen in drei Gruppen zusammenfassen:
(geo-)politische, wirtschaftsstrukturelle und finanzmarktbezogene Faktoren.

2.2.1 Politische und geographische Faktoren

Die erste Gruppe bilden politische und geographische Faktoren. Hierzu zählt vor allem
die deutsche Wiedervereinigung mit dem Fall der Berliner Mauer am 09. November
1989 und der Proklamation des wiedervereinigten Deutschlands am 03. Oktober des
Folgejahres. Mit diesem historischen Ereignis waren zweifelsohne auch enorme wirt-
schaftliche Umbrüche in der damaligen DDR verbunden, die u. a. auch den deutschen
M & A-Markt in erheblichem Maße beeinflusst haben. Zum wichtigsten Förderinstru-
ment des wirtschaftlichen Umbruchs wurde die 1990 gegründete »Anstalt zur treuhän-
derischen Verwaltung des Volkseigentums«, die der Umwandlung von volkseigenen
Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften dienen sollte. Die
Treuhandanstalt übernahm noch im selben Jahr 7.894 Volkseigene Betriebe (VEB). Da-
zu zählten Kraftwerke und Bergbauunternehmen, ausgedehnte Ländereien mit land-
und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie Hotels und Gaststätten mit insgesamt ca.
4 Mio. Beschäftigten, etwa 40 % aller Arbeitskräfte, sowie eine mehr als die Hälfte der
DDR umfassende Grundfläche.7

7 Vgl. Duisberg 2005, S. 214.


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70  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Neben diesem historischen Ereignis sind die EU-Osterweiterung8 und die starke In-
tegration Deutschlands in Europa als wesentliche Charakteristika für den deutschen
Standort zu nennen. Aufgrund der geographischen Lage und der historischen Han-
delsbeziehungen in den Osten fungierte Deutschland (ähnlich wie Österreich) für viele
ausländische Unternehmen als Brückenkopf für Expansionen nach Osteuropa.9 Auch
Deutschlands zentrale Lage in Europa spielt (seit der Wiedervereinigung) eine wesent-
liche Rolle für dessen M & A-Markt, denn Deutschland ist von Handelspartnern umringt.
Über 95 % des Staatsgebietes liegen nicht mehr als 200 km von einer Staatsgrenze ent-
fernt. Die Relevanz von starken Außenhandelsbeziehungen in Europa ist für Deutsch-
land, den langjährigen »Exportweltmeister«, somit augenfällig.

2.2.2 Wirtschaftsstrukturelle Faktoren

In einer zweiten Gruppe lassen sich Spezifika der deutschen Wirtschaftsstruktur subsu-
mieren. Fünf Charakteristika sind besonders bemerkenswert: Erstens kennzeichnet den
deutschen Markt die vorwiegend mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft. So
umfassen Klein- und Mittelunternehmen (KMU)10 2012 rund 99,7 % aller umsatzsteuer-
pflichtigen Unternehmen, rund 36,8 % aller Umsätze werden von KMU erwirtschaftet,
knapp 59,4 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sind in KMU angestellt
und rund 82 % aller Auszubildenden absolvieren ihre berufliche Lehre in KMU.11
Zweitens sind die äußerst einflussreichen Gewerkschaften zu nennen, im Vergleich
zu einem Teil der europäischen Nachbarn, aber insbesondere im Vergleich zu den USA.
Diese Gewerkschaftsmacht spielt für die M & A-Aktivitäten eine wichtige Rolle. Sie kann
u. U. zu Bedenken seitens potenzieller Käufer führen, da nach der Akquisition besondere
Arbeitnehmerinteressen berücksichtigt werden müssen, die eventuell mit den unterneh-
merischen Zielen kollidieren.
Drittens zählen zu dieser Gruppe die industriellen Verflechtungen deutscher Unter-
nehmen. So waren vor allem Großunternehmen in Deutschland häufig kreuzweise mit-
einander verflochten (sog. »Deutschland AG«), was Übernahmen für ausländische Un-
ternehmen erschwerte. Nach der Jahrtausendwende kam es, u. a. im Zuge der Corporate
Governance-Diskussion, zu einer zunehmenden Entflechtung der »Deutschland AG«.
Viertens kennzeichnet die Eigentümerstruktur bei deutschen Unternehmen (d. h.
Rechtsformen der Unternehmen) den hiesigen Wirtschaftsstandort. Anfang der 1990er
Jahre gab es noch eine geringe Zahl marktgängiger Unternehmen, an denen Anteile über
die Börse erworben werden konnten. So gab es im Jahr 199012 in Deutschland ca. 2 Mio.
Unternehmen, 17.000 davon erzielten einen Jahresumsatz von mehr als 25 Mio. DM. Von

 8 Im Jahr 2004 traten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien,
Ungarn und Zypern der EU bei, im Jahr 2007 folgten Bulgarien und Rumänien, im Jahr 2013 dann
Kroatien als 28. Mitgliedsstaat.
 9 Vgl. Herden 1999.
10 Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn definiert Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten
respektive weniger als 1 Mio. EUR Jahresumsatz als kleine und solche mit 10 bis 499 Beschäftigten
bzw. einem Jahresumsatz von 1 Mio. EUR bis unter 50 Mio. EUR als mittlere Unternehmen. Die
Gesamtheit der KMU setzt sich somit aus allen Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten
respektive 50 Mio. EUR Jahresumsatz zusammen. Quelle: Institut für Mittelstandsforschung (IfM)
Bonn, www.ifm-bonn.org. Abgefragt am 30.05.2015.
11 Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn, http://www.ifm-bonn.org/statistiken/mittelstand-
im-ueberblick, abgefragt am 30.05.2015.
12 Vgl. Müller-Stewens 1991; Hartmann 1991.
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  71


Teil

diesen 17.000 hatten 5 % die Rechtsform AG, 33 % GmbH und 45 % KG. Zum Vergleich:
201213 gab es in Deutschland ca. 3,6 Mio. Unternehmen, von denen jedoch 3,3 Mio. Un-
ternehmen weniger als 10 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte hatten. Von den ca.
33.000 größeren Unternehmen waren 53 % Kapitalgesellschaften (GmbH, AG) – 17,2 %
Einzelunternehmer und 19 % Personengesellschaften (z. B. OHG, KG). Insgesamt zeigt
sich eine deutliche Verschiebung zu den Kapitalgesellschaften, und zunehmend nutzen
Unternehmen, auch im Mittelstand14, europäische Rechtsformen (SE).
An fünfter Stelle steht die bereits im Zusammenhang mit der geographischen Lage
erwähnte Tatsache, dass Deutschland seit Dekaden eine Exportnation ist. In diesem
Faktum spiegelt sich auch die unterschiedliche Gewichtung verschiedener Branchen
wider. Traditionell haben Ingenieur-Branchen wie die Automobilbranche, der Maschi-
nen- und auch der Anlagenbau in Deutschland eine große Bedeutung. Dienstleistungs-
bereiche erfuhren hingegen lange Zeit weniger Aufmerksamkeit als Industriesektoren.

2.2.3 Finanzmarktbezogene Faktoren

In einer dritten Gruppe lassen sich finanzmarktbezogene Spezifika zusammenfassen:


So war die im Vergleich zu anderen Staaten geringe Bedeutung des Kapitalmarktes ge-
messen am Bruttosozialprodukt über viele Jahre eine Besonderheit des deutschen Stand-
ortes.15 Aus diesem Grund war es für Unternehmen vergleichsweise schwierig, Kapital
über den Kapitalmarkt (in Form von Aktienkapital oder Fremdkapital durch Herausgabe
von Bonds) aufzunehmen. Dies führte zu traditionell sehr engen Bindungen zwischen
Kapitalgebern – insbesondere Banken – und Unternehmen. Deutsche Unternehmen hat-
ten im Vergleich zu anderen europäischen Unternehmen einen sehr hohen Fremdka-
pitalanteil, was den Finanzinstituten eine besonders mächtige Rolle verschaffte. Diese
Rahmenbedingungen haben sich jedoch gewandelt, da sich der deutsche Markt langsam
von einem banken- in einen kapitalmarktgetriebenen Markt transformiert hat.16
In dieser Kategorie sind auch die vergleichsweise geringen Informations- und Melde-
pflichten der Unternehmen zu nennen.17 Ein damit verbundener Mangel an Transparenz
birgt höhere Unsicherheit für Investoren. Allerdings haben sich auch diese Rahmenbe-
dingungen im Zeitverlauf geändert, wie einige Indikatoren nahelegen: z. B. die Tatsache,
dass einige große Unternehmen auch an anderen Börsen gelistet sind und somit den
dortigen Informations- und Meldepflichten unterliegen. Ferner zählen dazu die Bemü-
hungen, international einheitliche Rechnungslegungsvorschriften zu entwickeln (Stich-
wort IFRS) sowie die Einführung von europäischen Gesellschaftsformen mit weitgehend
einheitlichen Rechtsprinzipien (Stichwort SE).

13 Statistisches Bundesamt Deutschland: Unternehmen nach zusammengefassten Rechtsformen:


https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/UnternehmenHandwerk/
Unternehmensregister/Tabellen/UnternehmenRechtsformenWZ2008.html, abgefragt am 30.05.2015.
14 Vgl. Picot 2010.
15 Vgl. Müller-Stewens et al. 1999.
16 Vgl. Picot/Picot 2012.
17 Vgl. Müller-Stewens et al. 1999, S. 7.
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72  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

3 Qualitative Betrachtung: Vier Phasen des deutschen


M & A-Marktes
Auf Basis der Begriffseinführung und der Beschreibung der Rahmenbedingungen geht
es in diesem Teil des Berichtes um eine qualitative Einschätzung der Entwicklung des
deutschen M & A-Marktes. Ergänzend werden Ergebnisse von quantitativen Analysen
herangezogen, insbesondere die entsprechenden Zahlen zu den Transaktionsaktivitäten
und Volumina.

3.1 Phasen in der Übersicht


Bei Betrachtung der Transaktionsvolumina (vgl. Abb. 1) offenbaren sich zwei interes-
sante Aspekte: Erstens spiegeln die Zahlen sehr deutlich die Zyklen der fünften und
sechsten M & A-Welle wider.18 So erreichte das Gesamtvolumen der Transaktionen mit
deutscher Beteiligung 1999 mit fast 436 Mrd. US-$19 einen Höchststand, bevor die Werte
in den Folgejahren dann deutlich einbrachen. Ähnliches kann für das Jahr 2007 kon-
statiert werden. Das Gesamtvolumen viertelte sich im Zuge der globalen Finanz- und
Wirtschaftskrise vom Höchststand von nahezu 238 Mrd. US-$ im Jahr 2007 auf gut
60 Mrd. US-$ im Jahr 2009.
Zweitens scheinen die Transaktionsvolumina mit den Aktienkursen (DAX-Perfor-
mance-Index) zu korrelieren. Die beiden Kurven verlaufen über den Betrachtungszeit-
raum fast deckungsgleich. Die einzige nennenswerte Abweichung bildet das Jahr 2009.
Hier zeigte sich bei den Aktienkursen eine deutliche Erholung, während bei der Ent-
wicklung der Transaktionsvolumina die Talsohle erst 2010 erreicht werden sollte. Ein
Grund für diese Divergenz war die zunächst starke Zurückhaltung der Banken bei der
Kreditvergabe an Unternehmen, obwohl das Geld billig war. Neben der Unsicherheit
über die zu erwartende Marktentwicklung zwangen hier vor allem auch verschärfte
Regulierungen die Banken, ihre Kreditvergabepraxis zu überdenken.20 Ferner führten
Inflationsängste, getrieben durch drastisch sinkende Zinsniveaus, dazu, dass Anleger
neben Gold auch vermehrt in Aktien investierten. Von dem kurzfristigen Einbruch der
Aktienkurse in den Jahren 2010 und 2011 zeigte sich der M & A-Markt dann aber un-
beeindruckt und wuchs seitdem wieder stetig, analog zu den Aktienkursen. Trotzdem
bleibt festzuhalten, dass die Korrelation zwischen Transaktionsvolumina und Aktien-
kursen seit der Finanzkrise auseinanderdriftete und insbesondere die Amplitude in den
Aktienkursen deutlich ausgeprägter ist.
Für den deutschen M & A-Markt als Ganzes lassen sich im Betrachtungszeitraum
mehrere Phasen abgrenzen. Zur Identifikation dieser Phasen werden zum einen die
Besonderheiten des Standorts Deutschland (vgl. Kap. 2.2) berücksichtigt, zum anderen
werden quantitative und qualitative Eigenschaften des M & A-Geschäfts in Deutschland
einbezogen. Neben den Transaktionsanzahlen und -volumina zählen dazu allgemeine

18 Vgl. zu M & A-Wellen Müller-Stewens, S. 21 ff. des vorliegenden Bandes.


19 Thomson One.
20 IKB 2014. Wachstum finanzieren. Eine Analyse der sich wandelnden Finanzierungsmuster im deut-
schen Mittelstand.
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  73


Teil

Merkmale des Marktes, Eigenschaften der Transaktionen, Aspekte der Akteure sowie
regulatorische Rahmenbedingungen.
Konkret lassen sich vier Phasen identifizieren (vgl. Abb. 1):21 Die erste Phase wird
als Entstehung bezeichnet und verlief bis zum Jahr 1989. Anschließend folgten mehrere
Jahre des Wachstums mit fast stetig steigenden M & A-Aktivitäten und einer Professi-
onalisierung des M & A-Geschäftes. Die beiden darauf folgenden Phasen verliefen sehr
analog zur fünften und sechsten M & A-Welle: Die dritte Phase war durch die Inter-
net-Euphorie und das Platzen der Dotcom-Blase gekennzeichnet. In der vierten Phase
stiegen die Transaktionszahlen und -volumina bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2007
wieder an. Die M & A-Aktivitäten waren auf einem guten Niveau und das M & A-Geschäft
entwickelte sich weiter. Im Sog der Finanz- und Wirtschaftskrise brach jedoch auch das
M & A-Geschäft wieder deutlich ein. Obwohl in den letzten Jahren Zeichen der Belebung,
insbesondere die Transaktionsvolumina betreffend, erkennbar sind, bleibt die die Frage
nach dem Ob und Wann einer nachhaltigen Erholung der Aktivitäten auf dem deutschen
M & A-Markt bis dato ungeklärt. Im Folgenden sind die vier Phasen genauer charakteri-
siert (zur Übersicht vgl. Abb. 222).

1 2 3 4

Entstehung Privatisierung & Internet-Euphorie Globalisierung & Finanzinvestoren


Deregulierung

436,0
Transaktionsvolumen (in Mrd. US-$) Mrd. US-$
2745
Anzahl Transaktionen

DAX-Performanceindex
2363 2372
Bruttoinlandsprodukt (normiert, saison- und
kettenbereinigt)
2133 2122
2029
1854 1817
1765 1791 1769
238,0
Mrd. US-$ 1640 1660
1581
1483 1470 1493 1496 1509
1435 1402

1185
1048
985

475
311 73,8
Mrd. US-$ 60,1
174 Mrd. US-$
53 94
35

Wiedervereinigung Privatisierung Telekom Internetblase EU-Osterweiterung Finanzkrise

Privatisierung
Internet und Neue Medien Finanzinvestoren
Treuhand

Privatisierung Bund EU-Osterweiterung Distressed

Shareholder Value-Orientierung Globalisierung (BRIC, Naher Osten, Südostasien)

Abb. 1: Phasen des deutschen M & A-Marktes23 (Quelle: Eigene Analyse; Thomson One, Statistisches Bundesamt)

21 Die Bezeichnungen der ersten beiden Phasen deuten Phasen eines Marktlebenszyklus an, wo-
hingegen die Titel der beiden letzten Phasen die Treiber (Wertsteigerungslogiken) der jeweiligen
M & A-Welle anzeigen. Diese beziehen sich logischerweise auf den Aufschwung.
22 Für Details zu den rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen in Deutschland siehe Binder
2016; Classen 2016; Köhler et al. 2016; Menke 2010; Picot 2016.
23 Die gegenüber der 1. Auflage veränderten Angaben zu Volumina und Anzahl der Deals basieren auf
fortlaufender Datenbankpflege der Datenbanken. Dies gilt insbesondere auch für weitere Auswer-
tungen über Thomson One.
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74  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Phase Phase 1: Entstehung Phase 2: Wachstum und Phase 3: Inter- Phase 4: Finanzinvestoren und
Professionalisierung net-Boom und Globalisierung
EU-Osterweiterung
Merkmal
Zeitraum (ca.) bis 1989 1990 bis 1997 1998 bis 2003 2004 bis 2014
Wesentliche • Shareholder • Shareholder Value- • Internet-Euphorie • Finanzinvestoren
Treiber/ Value-Gedanke Gedanke • M & A im Mittel- • Zunehmende Globalisierung
Charakteristika • »Entmystifizierung« • Privatisierungen, stand: Entwicklung • Entflechtung Deutschland
im Zuge der vierten Deregulierung, Libera- Small und Mid- AG
M & A-Welle in den lisierung cap-Market • ab 2007: »Distressed M & A«
USA • Sondereffekte durch
• Hauptsächlich ostdeutsche Privati-
freundliche Über- sierungen (Treuhand­
nahmen verkäufe)
• Geringe Markttrans- • Hohe Liquidität der • Steigende Markt- • Barmittel, Hybrid
parenz (bei Kauf- Kapitalmärkte und transparenz (bei • ab 2007: Zurückhaltung
Akquisitions- preisen) geringe Finanzierungs- Kaufpreisen) der Banken bei Kreditver-
preise und • Barmittel kosten • Aktien, Hybrid gabe; Liquiditätsschonende
-währung • Barmittel Transaktionen (Earn-outs,
Share for Share, zeitliche
Verzögerung)
• Fokus auf deutschen • Osterweiterung • Anstieg bei gren- • Erschließung neuer Märkte
Transaktionen

Sprachraum (gerin- • Deutschland als züberschreitenden in Asien


gere Risiken) Brückenkopf für Transaktionen • BRIC-Länder und Rest der
Cross Border-
Osteuropa- • Erschließung Welt (Naher Osten, Süd-
Transaktionen
Expansionen neuer Märkte in ostasien) zunehmend als
• Nachbarländer Öster- Osteuropa und Käufer aktiv
reich und Schweiz Asien
• Finanzdienstleis- • Finanzdienstleistungen • Computer/Tele- • Finanzdienstleistungen
tungen • Bau-/Baustoffindustrie kommunikation • Dienstleistungen allgemein
Branchen • Handel • Chemie/Pharma • Medien • Automobil
• Chemie/Pharma • Energie-/Entsorgungs- • Dienstleistungen • Chemie/Pharma
wirtschaft allgemein
• Treuhandanstalt • Strategische • Private Equity-Investoren,
• Öffentliche Hand: Pri- Investoren Staatsfonds
vatisierung von Staats- • Private Equity-In- • Strategische Investoren,
Käufer/ konzernen (Deutsche vestoren Serienakquisiteure
Verkäufer Lufthansa, Deutsche • Aufbau von • Insolvenzverwalter
Telekom) und Eigen- M & A-Fähigkeiten
tum von Bund, Länder (M & A-Abteilun-
Akteure

und Kommunen gen)


• Geringe Marktdurch- • Professionalisierung • Standardisierung • Stärkerer Fokus auf »weiche«
dringung der Transaktions­ bei Tools für DD Faktoren (HR, Kultur)
• Geringer Professiona- prozesse (i.e. bei Tools und PMI • Neue Konzepte, z. B. Red
Inter-
lisierungsgrad für DD und PMI) • Zunehmende Flag DD, Compliance DD,
mediäre/
• M & A-Abteilungen • M & A-Boutiquen Transparenz: ESCG, DD
Berater
Schweizer und League Tables und • Diffizile Verträge: Earn-outs,
amerikanische Fairness Opinions MAC
Großbanken
• 1979: Leitsätze der • 1995: Übernahme- • 2002: Schul- • 2004: Gesetz zur Einführung
Börsensachverständi- kodex drechtsreform der Europäischen Gesell-
gen Kommission • 1995: Wertpapierhan- • 2002: Wertpa- schaft
delsgesetz piererwerbs- und • 2007: Transparenzrichtli-
• 1990: Kappungsgrenze Übernahmegesetz nie-Umsetzungsgesetz (TUG)
30 Mio. DM • 1999: Wegfall der • 2008: Risikobegrenzungs-
(rechtlich und steuerlich)

• 1997: Kappungsgrenze Kappungsgrenze gesetz


Rahmenbedingungen

15 Mio. DM • 2000: Steuersen- • 2009: 13. Gesetz zur Ände-


Vertrags-
• 1992: Aufhebung kungsgesetz rung des Außenwirtschafts-
recht/
Einschränkungen gesetzes (AWG) und der
Übernahme-
Finanzierungsfreiheit Außenwirtschaftsverordnung
recht/
• 1994: Standortsiche- (AWV)
Steuerrecht
rungsgesetz • 2004: Steuervergünstigungs-
• 1995: Einführung des abbaugesetz
Umwandlungssteuer- • 2008: Unternehmenssteuer­
gesetzes reformgesetz und Wachs-
tumsbeschleunigungsgesetz
• 2012: Gesetz zur Erleich-
terung der Sanierung von
Unternehmen (ESUG)
Abb. 2: Charakteristika der Phasen des deutschen M & A-Marktes (Quelle: Eigene Darstellung)
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  75


Teil

3.2 Phase 1: Entstehung


Die erste Phase auf dem deutschen M & A-Markt war von sehr geringen M & A-Aktivitä-
ten, besonders im Vergleich mit den angloamerikanischen Märkten, gekennzeichnet.
Der Professionalisierungsgrad des M & A-Geschäfts insgesamt war in Deutschland noch
sehr gering.24 Wesentliche Ursachen dafür lagen in den landesspezifischen Rahmen-
bedingungen. Dazu zählen gesetzliche Rahmenbedingungen (z. B. Mitbestimmungs-
gesetz, Aktiengesetz etc.), eine mittelständisch geprägte Industriestruktur mit vielen
Eigentümerunternehmen und einem sich nur langsam liberalisierenden Finanzmarkt
sowie die dominante Rolle der deutschen Universalbanken mit einem hohen Verflech-
tungsgrad mit der Industrie.

26,17

23,13

19,85
19,32
Anteil Transaktionen mit bekanntem Kaufpreis in Prozent
17,23
16,53
15,41
14,81
13,46 13,62 13,94

10,23
8,50
6,48 6,82
5,43
3,89
2,55 2,36 2,76 2,88
2,25
1,70
1,02 1,06
0,04 0,04

1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Abb. 3: Anteil Transaktionen mit bekanntem Kaufpreis (Quelle: Eigene Analyse; M & A DATABASE)

Der geringe Professionalisierungsgrad des M & A-Geschäfts in dieser Phase äußerte sich


in vielerlei Hinsicht: Es gab eine geringe Markttransparenz bei Kaufpreisen (vgl. Abb.
3) und bei der Kaufpreisfindung. Beispielsweise bestanden Mitteilungspflichten erst ab
25 % einer Beteiligung am Aktienkapital einer Gesellschaft. Im Vergleich dazu lagen die
Meldeschwellen in den USA bei 5 %, in Großbritannien bei 3 % und in Italien bei 2 %.25
Auch das Geschäft mit M & A-Beratungsdienstleistungen war noch unterentwickelt. So
wurden selbst im Jahr 1990 nur bei etwa 15 % aller Transaktionen zumindest von einer
der beteiligten Parteien Berater (Intermediäre) eingeschaltet, vor 1990 war der Anteil
vermutlich noch geringer. In den USA lag der Wert oberhalb von 90 %.26 Internationale
M & A-Berater sahen vor diesem Hintergrund in Deutschland großes Entwicklungspo-
tenzial.
Im Zuge der vierten M & A-Welle in den USA vollzog sich dann auch in Deutschland
langsam eine Aufwärtsentwicklung. Neben einer allgemeinen »Entmystifizierung«27
von Unternehmenskäufen und -verkäufen und einer Verbesserung des »M & A-Images«28
setzten sich auch der Shareholder Value-Ansatz und der Gedanke der Fokussierung
auf die Kernkompetenzen auf dem deutschen Markt durch. M & A entwickelte sich zu

24 Vgl. Müller-Stewens 1991.


25 Vgl. Hartmann 1991, S. 109.
26 Vgl. z. B. Müller-Stewens 1991.
27 Arndt 1999, S. 18.
28 Herden 1999, S. 21.
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76  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

einem legitimen Instrument des Konzernmanagements.29 Im Mittelstand rückte M & A


als Mittel für externe Nachfolgeregelungen, aber auch als Instrument zur Realisierung
von externem Wachstum in den Fokus.

3.3 Phase 2: Wachstum und Professionalisierung


Als Startsignal für großes Wachstum und zunehmende Professionalisierung auf dem
deutschen M & A-Markt kann die deutsche Wiedervereinigung angesehen werden. Ins-
gesamt lassen sich vor allem zwei wesentliche Treiber für die M & A-Aktivitäten in die-
ser zweiten Phase des deutschen M & A-Marktes identifizieren: (1) Privatisierungen von
Betrieben der ehemaligen DDR (vgl. Kap. 3.3.1), (2) Deregulierung und Liberalisierung
und damit verbunden auch Privatisierungen des Bundes (vgl. Kap. 3.3.2). Wenngleich
sich der erste Aspekt sehr konkret einem Zeitraum zuordnen lässt, so wirkte sich der
letztgenannte Aspekt über die gesamte Zeitspanne aus. Über dieser setzte zudem eine
verstärkte Orientierung am Shareholder Value-Ansatz ein, und bei vielen Unternehmen
rückten Bemühungen zur Optimierung der Geschäftsportefeuilles auf die Agenda.
Ebenfalls wichtige Faktoren für die Entwicklungen auf dem deutschen M & A-Markt
in dieser Zeit waren die hohe Liquidität der Kapitalmärkte und die damit verbunde-
nen sehr geringen Finanzierungskosten für Unternehmensübernahmen:30 So fielen die
Renditen von Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit von 9 bis 10 Jahren zwischen 1990
und 1998 von durchschnittlich 8,9 % auf 4,3 %. Dieser kontinuierliche Rückgang der
Renditen festverzinslicher Anleihen lenkte zudem breite Kapitalströme in risikoreichere
Anlageformen. Auf der Suche nach höheren Renditen investierten Anleger in Aktien,
aber auch in Venture Capital- und Private Equity-Fonds. Dies ist ein Grund dafür, dass
die Finanzdienstleister die aktivste Käuferbranche in dieser Phase waren. Die Beteili-
gungsgesellschaften sollten den deutschen M & A-Markt in den beiden nachfolgenden
Phasen noch wesentlicher prägen (vgl. Abb. 5).

3.3.1 Treuhandanstalt-Verkäufe (1990 bis 1994)

Ein wesentlicher Wachstumsmotor für den deutschen M & A-Markt zu Beginn der 1990er
Jahre lässt sich als »Sonderkonjunktur Wiedervereinigung« etikettieren. Unter dieses
»Label« fallen vor allem die Privatisierungen der Betriebe der ehemaligen DDR nach
der Wiedervereinigung. Bereits in der ersten Jahreshälfte 1990 hatten 2.800 Unterneh-
men, die außerhalb der neuen Bundesländer ansässig waren, eine Genehmigung zur
Gründung eines Joint Ventures mit einem ehemaligen DDR-Betrieb erhalten. Etwa 95 %
dieser Unternehmen waren in den alten Bundesländern domiziliert.31 Insgesamt wurden
im Zeitraum 1990 bis 1994 ca. 10.000 Unternehmen privatisiert.
Die Privatisierungen der ehemaligen DDR-Betriebe wirkten sich positiv auf die Pro-
fessionalisierung des gesamten M & A-Geschäfts aus. Mit Blick auf die M & A-Akteure wa-

29 Unter Konzernmanagement (auch Corporate Management) werden hier die Aktivitäten auf der Kon-
zernebene verstanden. Vgl. dazu Müller-Stewens/Brauer 2009.
30 Vgl. Drueker 1999, S. 23.
31 Quelle: Kurzbeitrag in der M & A REVIEW 4/1990, S. 267.
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  77


Teil

ren diese Privatisierungen bspw. eine große Herausforderung für das Bundeskartellamt,
denn es gab einen schmalen Grat zwischen wirksamer Hilfe und der Sicherung wett-
bewerblicher Strukturen.32 Bei diesen Aktivitäten gab es großen Bedarf an M & A-Be-
ratung33, die alle Phasen des M & A-Prozesses umfasste: von der Käuferfindung bis zu
technischen Fragen der Durchführung und Integration. Die Verkäufe der Treuhandan-
stalt führten somit auch zu einem »Sonderkonjunktur«-Effekt für die Intermediäre.
Dieser übertrug sich auf den gesamten M & A-Markt. Da im Falle erfolgreicher Ab-
schlüsse hohe Erfolgsprämien lockten, drängten immer mehr Berater und Kanzleien
in das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen.34 Auch wendeten sich die deutschen
Universalbanken mittels verschiedener Strategien dem M & A-Geschäft zu: Sie gründe-
ten eigene Corporate Finance-Abteilungen und Tochtergesellschaften oder akquirierten
externes Know-how. So kaufte bspw. die Deutsche Bank 1990 für 950 Mio. brit.-£ die
Investmentbank Morgan, Grenfell & Co. und auch andere große internationale Finan-
zinstitute und Kanzleien stießen auf verschiedene Weise auf den deutschen M & A-Markt
vor. Insgesamt lassen sich in dieser Zeit gravierende Veränderungen bei den Interme-
diären beobachten.

3.3.2 Privatisierungen der Öffentlichen Hand (1990 bis 1997)

Ein zweiter, wichtiger Treiber der M & A-Aktivitäten in den 1990er Jahren waren die Pri-
vatisierungen der Öffentlichen Hand.35 Im Gegensatz zu früheren Privatisierungsphasen
spielten in dieser »dritten Privatisierungsphase« neben ordnungspolitischen zunehmend
auch haushaltspolitische Motive eine wesentliche Rolle.36 Dazu gehörten Privatisierun-
gen über die Börse (Deutsche Lufthansa, Deutsche Telekom). Im klassischen M & A-Stil
wurden aber auch Wohnungsbaugesellschaften (Deutschbau, Eisenbahnwohnungsge-
sellschaften), kommunale und überregionale Versorgungsbetriebe (Harzwasserwerke
des Landes Niedersachsen, Berliner Wasserbetriebe) und andere Vermögensgegenstände
des Bundes, der Länder und der Kommunen (z. B. Autobahn Tank und Rast AG, Auto-
bahnnotrufsäulen, Saarbergwerke AG) privatisiert.37 Wenngleich die Privatisierungen
der Öffentlichen Hand besonders kennzeichnend für diese Phase waren, blieben sie
auch in den nachfolgenden Jahren fester Bestandteil des deutschen M & A-Marktes.38

3.4 Phase 3: Internet-Boom


Die dritte Phase des deutschen M & A-Markts war insbesondere von der weltweiten Inter-
net-Euphorie getrieben. Vor allem in den Branchen Computer/Telekommunikation und
Medien/Verlage nahmen die M & A-Aktivitäten deutlich zu (vgl. Abb. 9). Neben der Vo-

32 Vgl. Kartte 1992.


33 Vgl. z. B. Lütgerath/Kruse 1999, S. 24.
34 Vgl. z. B. Müller-Stewens 1991.
35 Vgl. Lütgerath/Kruse 1999, S. 24; Drueker 1999, S. 23.
36 Erdmeier 2000, S. 115.
37 Vgl. Drueker 1999, S. 23; ausführlich Erdmeier 2000, Kap. 3: darin findet sich auch eine detaillierte
Auflistung der Privatisierungen des Bundes von 1990 bis 1997 (S. 119 f.) sowie Beschreibungen zu
den Aktivitäten der Länder und Kommunen.
38 Vgl. z. B. Schmid 2006.
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78  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

dafone/Mannesmann-Transaktion inklusive der Orange-Giftpille (vgl. Kap. 4.2.2) kaufte


bspw. die Deutsche Telekom in dieser Zeit sowohl den britischen Mobilfunkanbieter
One2One für ca. 10,4 Mrd. EUR (1999)39 als auch das US-amerikanische Unternehmen
Voicestream Wireless für ca. 38 Mrd. EUR inklusive Schulden (2001)40.
Neben dem Dotcom-Boom zählten aber auch die EU-Osterweiterung und die zu-
nehmende Globalisierung zu wesentlichen Treibern für die M & A-Aktivitäten in dieser
Phase. Nachdem bereits in der zweiten Phase ca. 15 % der ausländischen Kaufobjekte
in Ländern Osteuropas lagen, blieb der Anteil mit 8,5 % weiterhin beachtlich. Auch in
anderen ausländischen Märkten wagten deutsche Unternehmen den Versuch, mittels
Akquisitionen neues Wachstum zu generieren. Dies traf insbesondere auch auf große
deutsche Konzerne zu, wie die vorstehenden Beispiele der Deutschen Telekom zeigen.

100% 2% 1% 3% 1% 2% 4%
6% 4% 4%
10% 8% 7% 1% 2% 7% 10%
5% 5% 10% 11% 3% 11%
1% 3% 5% 19%
90%
24% 22% 25% 0% 1% 3%
30% 31%
36% 37% 15%
80% 4%
0% 3% 42%

70%
2% 13%
9%
60% 4%
64% 12%

50% Hybrid
98% 99% 98%
92% 95% 94%
91% 91% 88% 92% 89% 89% 88% 87% Aktien
40% 77% Barmittel
76% 75% 75%
67%
30% 60% 61% 59%
56%
52%
20%

26%
10%

0%
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Basis: Angekündigte Transaktionen mit Transaktionsvolumen von mind. 100 Mio. US-$

Abb. 4: Akquisitionswährungen 1990–2014 (Quelle: Eigene Analyse, Thomson Reuters)

Bemerkenswert für diese dritte M & A-Phase ist, dass vor allem Aktien als Akquisitions-
währung en vogue waren (vgl. Abb. 4). In den anderen Phasen wurden Transaktionen
überwiegend mit Barmitteln bezahlt, während in dieser Phase Unternehmen ihre Deals
verstärkt mit eigenen Aktien bezahlten, vor allem kurz vor dem Platzen der Internet-
blase im Jahr 2000. Dies ist auf die Höhenflüge an den Aktienmärkten zurückzufüh-
ren und Indiz dafür, dass die geflossenen Übernahmeprämien aus einer euphorischen
Übertreibung resultierten. Die Akquisitionswährung Aktie ist überbewertet worden,
und Unternehmen setzten sie, auch in diesem Wissen, vorzugsweise ein.

39 Vgl. Muchow 1999, S. 6.


40 Vgl. Mezger 2001, S. 62 f.
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  79


Teil

3.5 Phase 4: Finanzinvestoren und Globalisierung


Die vierte M & A-Phase war insbesondere von neuen Akteuren und einer zunehmen-
den Globalisierung geprägt. Nachdem die Finanzinvestoren bereits in der dritten Phase
verstärkt auf den deutschen M & A-Markt drängten, waren ihre Aktivitäten einer der
wesentlichen Treiber der vierten M & A-Phase. Sowohl Anzahl als auch Volumina der
Transaktionen mit Beteiligung von Private Equity-Investoren stiegen deutlich und er-
reichten im Jahr 2007 ihren Höhepunkt (vgl. Abb. 5).

8.000 Phase 1 und 2 Phase 3 Phase 4 300

7.000
250

6.000

200
5.000
in Mio. EUR

Anzahl
4.000 150

3.000
100

2.000

50
1.000

0 0
1988

1989

1990

1991

1992

1993

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013
1994

2004

2014
Private Equity-Investitionen Deals mit Beteiligungsgesellschaften

Abb. 5: Private Equity-Investoren und Beteiligungsgesellschaften 1988–2014 (Quelle: Eigene Analyse, BVK, M & A


DATABASE)

Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4


60% 57 %

53 % 53 % 53 %
51% 52 %
49 % 48 %
50%
45%

39 % 39 %
40% 38 % 38 %
36% 35%

31% 32%
30%
30% 28% 28% 28%
27%
25%
22% 22%
20%
20% 17%
14%
13%
9%
10%

0%
1985

1986

1987

1989

1990

1991

1992

1993

1995

1996

1997

1998
1999

2000

2001

2002

2003

2005

2006

2007
2008

2009

2010

2011
2012

2013
1988

1994

2004

2014

Abb. 6: Grenzüberschreitende Transaktionen mit deutscher Beteiligung 1985–2014 (Quelle: Eigene Analyse; M & A


DATABASE)

Ein zweiter wesentlicher Treiber war die fortschreitende Globalisierung. Damit ver-
bunden war ein deutlicher Anstieg bei den grenzüberschreitenden Transaktionen (vgl.
Abb. 6). In dieser Phase war ca. jede zweite Transaktion grenzüberschreitend. Vor allem
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80  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

die BRIC-Länder und der Rest der Welt (u. a. Länder des Nahen Ostens und Südostasi-
ens) haben sowohl als Zielregionen als auch als Käuferregionen zunehmend an Bedeu-
tung gewonnen (vgl. Abb. 7). Der gemeinsame Anteil bei den Käuferländern stieg auf
mehr als 12 %, bei den Zielnationen sogar auf über 21 %. Speziell in den BRIC-Ländern
versuchten deutsche Unternehmen zunehmend mittels M & A weiter Fuß zu fassen, um
an den sich dort bietenden Wachstumschancen zu partizipieren. Aber auch umgekehrt
beteiligten sich Unternehmen aus den BRIC-Ländern in zunehmendem Maße an deut-
schen Unternehmen. Der Anteil mutet zwar mit 3,5 % noch bescheiden an, versechs-
fachte sich aber immerhin im Vergleich zur vorangegangenen Phase. Der seit Langem
erwartete und vielfach diskutierte »Shift of Power« (vor allem nach China) ist jedoch
trotz dieser Entwicklungen bisher ausgeblieben.

100 %
5,77 % 4,19 % 6,14 % 4,53 %
8,55 % 7,85 % 9,44 % 8,93 % 10,52 %
12,36 %
90 % 6,77 % 11,00 %
12,79 % 9,36 %
10,95 % 11,97 % 12,09 %
11,75 %
12,38 %
80 % 14,85 %

70 %
45,39 % 38,67 %
37,96 % 32,18 %
60 % 41,83 % 47,30 % 49,42 % 39,03 % Österreich
45,45 % 30,86 %
Schweiz
50 %
Westeuropa (Rest)
0,69 %
Osteuropa
40 % 8,93 % 5,33 % 14,53 % 5,49 %
0,62 %
1,10 % 8,24 % USA
0,58 % 19,58 %
0,38 %
30 % 10,69 % 14,25 % BRIC
19,73 % 16,55 %
13,89 % 9,79 %
Rest der Welt
1,21 % 22,53 % 16,37 % 20,51 % 3,50 %
20 % 4,14 %
6,62 % 1,89 % 8,20 % 9,27 %
3,98 % 0,55 %
22,71 % 1,28 % 21,15 %
10 %
16,11 % 16,05 %
13,10 % 13,30 % 10,67 % 11,19 % 12,09 % 12,92 %

0%
Zielregionen Käufer Zielregionen Käufer Zielregionen Käufer Zielregionen Käufer Zielregionen Käufer
deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher
Käufer Unternehmen Käufer Unternehmen Käufer Unternehmen Käufer Unternehmen Käufer Unternehmen
Gesamt Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4

Westeuropa (Rest): Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Monaco, Niederlande, Norwegen,
Portugal, Schweden, Spanien, Zypern
Osteuropa: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Estland, Georgien, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Kasachstan, Kroatien, Lettland, Litauen, Moldawien, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien,
Tschechische Republik, Ukraine, Ungarn, Usbekistan

Abb. 7: Grenzüberschreitende Transaktionen mit deutscher Beteiligung nach Phasen (Quelle: Eigene Analyse;
M & A DATABASE)

3.5.1 Rasche Erholung und »Big is Beautiful« (2004 bis 2007)

Nach dem Platzen der Dotcom-Blase und dem Einbruch des M & A-Marktes kehrte recht
schnell wieder Zuversicht ein und der deutsche M & A-Markt erholte sich.41 Die Welt-
wirtschaft wuchs kräftig, die Aktienkurse der Unternehmen stiegen und den Käuferun-
ternehmen stand nach der Ende 2004 weitgehend abgeschlossenen Restrukturierungs-
phase wieder ausreichend Geld für M & A zur Verfügung. Das Selbstbewusstsein der
deutschen Manager war ebenfalls erkennbar gestiegen, und es wurden auch feindliche
Übernahmen versucht, ehemals eine vornehmliche Domäne angelsächsischer Unterneh-

41 Vgl. u. a. Voss 2005a; Voss 2005b; Voss 2006a; Voss 2006b; Voss 2007a; Voss 2007b.
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  81


Teil

menskäufer: So versuchte Merck bei Schering eine (erfolglose) feindliche Übernahme


und auch MAN war seinerzeit bei Scania42 alles andere als willkommen.
Vor allem große Transaktionen kamen wieder in Mode. Ein Blick auf die Transakti-
onsvolumina der größten im Jahr 2006 abgeschlossenen Transaktionen verdeutlicht dies
eindrucksvoll:43 Die zehn größten Transaktionen mit deutscher Beteiligung brachten es
auf einen Wert von 77,2 Mrd. EUR, eine Steigerung um 37,4 % im Vergleich zu den 56,2
Mrd. EUR der zehn größten Transaktionen des Vorjahres. Gab es 2005 sechs Deals mit
einem Transaktionswert von 4 Mrd. EUR oder mehr, wurden im Jahr 2006 15 Trans-
aktionen mit einem Kaufobjekt, das dem Käufer über 4 Mrd. EUR wert war, registriert.
Der Boom sollte jedoch nur ein paar Jahre anhalten.

 ach der Finanzkrise 2007: Distressed M & A und erste Stabilisierung


3.5.2 N
(2008 bis 2014)

Die Finanzkrise im Jahr 2007 und die anschließende Wirtschaftskrise44 erfassten den
Markt für Unternehmenskontrolle erheblich. Mit der Krise hatten sich die Bedingungen
für Transaktionsfinanzierungen deutlich verschlechtert, denn obwohl das Geld weiter-
hin billig war, zeigten sich die Banken bei der Kreditvergabe sehr zurückhaltend. Die
Transaktionsanzahlen sanken zwar vergleichsweise moderat, doch die Transaktionsvo-
lumina brachen deutlich ein. Dies ist bemerkenswert, da sich die Realwirtschaft nach
der Krise relativ schnell wieder erholte. Im Vergleich zum Zeitraum vor der Finanzkrise
sind eine Reihe von Veränderungen auf dem deutschen M & A-Markt bemerkenswert,
von denen die Folgenden eine Hervorhebung verdienen:45
Erstens hatten sich die Transaktionscharakteristika verändert; so war eine Vielzahl
von Unternehmen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise in Schieflage geraten. Viele
Unternehmen hatten sich im Boom der zurückliegenden Jahre für Akquisitionen teils
hoch verschuldet oder wurden von Finanzinvestoren mit Schulden überladen. Folglich
konnten Zinsen nicht mehr gezahlt oder Kreditauflagen nicht mehr eingehalten werden.
Daher setzten viele Unternehmen einerseits auf Kapitalerhöhungen, um ihre Verschul-
dung zu senken und der Kreditklemme zu entgehen. Andererseits kam es vermehrt zu
aus der Not heraus geborenen Transaktionen (sog. Distressed M & A), darunter einige
spektakuläre Übernahmen wie z. B. VW/Porsche.
Ein Extremfall von Distressed M & A sind M & A aus Insolvenzen. Aus M & A-Sicht
können insolvente Unternehmen durchaus attraktive Kaufobjekte sein. Die Herausfor-
derungen beim Erwerb eines insolventen Unternehmens liegen darin, das Potenzial
des Unternehmens möglichst exakt zu beurteilen und den Erwerb vertraglich so zu
gestalten, dass die Risiken minimiert werden. Dann können solche Zukäufe erhebliche
Chancen bieten. Insbesondere vor dem Hintergrund der Änderung der gesetzlichen Rah-
menbedingung durch das »Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen«
(ESUG) im Jahr 2012 hat die »Restrukturierung durch M & A« an Bedeutung gewonnen.46

42 Dies gilt im bedingten Rahmen auch für 2014, als VW das Unternehmen für 6,7 Mrd. EUR vollstän-
dig übernahm.
43 Quelle: M & A DATABASE.
44 Z. B. illustriert durch den deutlichen Einbruch des deutschen BIP (vgl. Abb. 1 rechte Spalte).
45 Vgl. u. a. Kunisch 2008a; 2008b; Kunisch 2009; Kunisch/Wahler 2009; Kunisch/Wahler 2010.
46 Vgl. u. a. Bächstädt 2014.
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82  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Zweitens zeigten sich neue Trends bei den Akteuren: Vor allem auf dem Private-Equi-
ty-Markt hatte die Finanzkrise deutliche Spuren hinterlassen. So waren z. B. die Priva-
te Equity-Aktivitäten in Deutschland nach ein paar »fetten Jahren« (vgl. Abb. 5), seit
dem vierten Quartal 2008 fast vollständig zum Erliegen gekommen. Gegen Ende des
Jahres 2009 zeigten sich laut BVK zwar erste Erholungsanzeichen, eines jedoch wurde
deutlich: Die Private Equity-Branche würde nach der Finanzkrise eine andere sein, da
diese Unternehmen ihre Geschäftsmodelle nun an die neuen Gegebenheiten anzupassen
hatten.47 So mussten sie z. B. mehr Eigenkapital in die Transaktionen einbringen, sich
auch kleineren Deals zuwenden oder stärker auf die operative Wertsteigerung ihrer
Portfoliounternehmen setzen. Insbesondere die Verlagerung auf die operativen Werts-
teigerungshebel während der Haltedauer hat sich dabei in den letzten Jahren als erfolg-
reiche Strategie erwiesen, um an die gewohnten Renditeerwartungen anzuknüpfen.48
Auffällig war zudem der Banken-Bailout und mit diesem verbunden die (neue) Rolle
des Staates als Miteigentümer von Geschäftsbanken. Lange hatte die Bundesregierung
davon Abstand genommen, doch schließlich wurde auch in Deutschland die Teilver-
staatlichung von Banken Realität. Zunächst hatte die Regierung den notleidenden Insti-
tuten im Rahmen des Bankenrettungsschirms Bürgschaften und Garantien ohne direkte
staatliche Beteiligung gewährt. Im Mai 2009 stieg der Staat als Großaktionär mit 25 %
plus eine Aktie bei der Commerzbank ein, die im Zuge der Finanzkrise und nach Über-
nahme der Dresdner Bank eine weitere Finanzspritze benötigte. Ein weiteres staatliches
Engagement bei einer Großbank war die Verstaatlichung von Hypo Real Estate (HRE).
Diese wurde als erste Bank in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit 1949
vollständig verstaatlicht. Deutschland folgte damit dem Weg, den andere Staaten (USA,
Großbritannien, Irland etc.) zuvor eingeschlagen hatten.
Mit der Krise hatte sich auch für die Berater einiges geändert: Die Beratungsschwer-
punkte verlagerten sich, während gleichzeitig die Einnahmen in der Restrukturierungs-
und Schuldenberatung verdreifacht werden konnten.49 Vor allem mit Distressed M & A
(z. B. Compliance Due Diligence) ließ sich noch Geld verdienen. Insgesamt verdeutlichte
die Krise, dass auch die Berater vor neue Herausforderungen gestellt werden.50
Zu diesen Herausforderungen gehört auch der Trend hin zu mehr Volumen bei we-
niger Deals, der insbesondere ab 2012 zu beobachten ist. Dies bedeutet nichts anderes,
als dass die durchschnittlichen Transaktionen größer werden und sich damit weg vom
Bread&Butter-Geschäft bewegen – hin zu einer »the winner takes it all«-Stimmung, wie
auch an den League Tables (vgl. Kap. 4.5) deutlich zu erkennen ist. Ihren bisherigen
Höhepunkt erlangte diese Entwicklung 2014 als das kumulierte Volumen der 10 größten
Deals mit deutscher Beteiligung bei knapp 70 Mrd. EUR lag. Nur zwei der Top-Ten-Deals
blieben 2014 unter 4 Mrd. EUR und in der sehr aktiven Pharmabranche konnten sogar
zwei Mega-Deals mit einem Volumen von über 10 Mrd. EUR (Merck/Sigma-Aldrich und
Bayer/OTC Sparte von Merck & Co.) verzeichnet werden. Ob dieser Trend sich auch in
der Masse der Transaktionen durchsetzt oder nur an der »Spitze« verbleibt – oder, wie

47 Vgl. u. a. Lichtner 2009; Lichtner 2010; Scheiter et al. 2010.


48 Vgl. u. a. Ciesielski 2014; Maass 2014.
49 Vgl. Kunisch/Wahler 2009, S. 371; Reuters Pressemeldung vom 29.07.2009.
50 Dazu z. B. Pöllath (2010, S. III): »mehr Leistung effizienter erbringen, identifizierbare Mehrerlöse und
Minderkosten (Risiken sind Kosten), weniger Erlöse und kein Ertrag für Banales, Kostendruck nicht
erleiden, sondern nutzen zur Verschlankung und zur Leistungsverbesserung, Auslese durch Leistungs-
verdichtung und Markenbildung. Alles wie bei den Beratenen, nur für Berater ungewohnt. Dann bleibt
es für einige (aber immer noch viele) wie gewohnt: höheres Qualitätsniveau; höheres Ertragsniveau.«
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  83


Teil

auch schon vor 10 Jahren – nur von kurzer Dauer ist (s. Kap. 3.5.1) wird sich zeigen.
Sicher ist: Sollte dieser Trend der Mega-Deals weiter Bestand haben, würde dies auch
die Beraterbranche unter weiteren Konsolidierungsdruck setzen.

4 Quantitative Betrachtung: Zahlen und Fakten


Der folgende, vornehmlich quantitative Teil der Analyse beinhaltet verschiedene Ana-
lysen zu spezifischen Aspekten des deutschen M & A-Marktes.51 Damit verbunden sind
vor allem zwei Ziele: Erstens dienen die Analysen dazu, einzelne Aspekte der in Ka-
pitel 3 beschriebenen Entwicklungen des Gesamtmarktes empirisch zu belegen. Zwei-
tens bieten sie aber auch weiterführende Einblicke, die für Interessierte am deutschen
M & A-Markt von Relevanz sein können.

4.1 Transaktionszahlen und -volumina


Die in Kapitel 3 vorgeschlagenen vier Phasen auf dem deutschen M & A-Markt bilden sich
in den Daten der M & A DATABASE zu den abgeschlossenen Transaktionen mit deutscher
Beteiligung auf den ersten Blick nur teilweise ab (vgl. Abb. 9). Dies hat verschiedene
Gründe: Zum einen fallen die Schwankungen bei den Transaktionszahlen geringer aus
als bei den Volumina. Die M & A-Wellen zeigen sich in den Transaktionsvolumina und
somit in den Bewertungsschwankungen deutlicher als in den Anzahlen. Zum anderen
lassen sich dafür Gründe hinsichtlich der Datenerfassung und Datenbasis anführen.52
So sind bspw. mit der 7. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
(GWB) zum 01.07.2005 Bekanntmachungen bei Zusammenschlüssen weggefallen, so
dass seither viele der kleineren Deals von der Öffentlichkeit unbemerkt vollzogen wer-
den konnten.53
Auf den zweiten Blick werden jedoch auch in den Daten der M & A DATABASE ei-
nige Merkmale der vier deutschen M & A-Phasen erkennbar. Vor allem zwei Aspekte
fallen auf: Erstens zeigen auch diese Zahlen, dass die Aktivitäten auf dem deutschen
M & A-Markt bis Ende der 1980er Jahre noch sehr verhalten waren. So lagen bspw. die
angezeigten Zusammenschlüsse des Bundekartellamtes (BKA) bis Mitte der 1980er Jah-
re bei ca. 500 und überstiegen erst ab dem Jahr 1988 die Grenze von 1.000. Zweitens

51 Detaillierte Analysen zum deutschen Transaktionsgeschehen finden sich in den regelmäßigen


Marktanalysen in der M & A REVIEW: Düsterhoff 2014a, 2014b, 2015a; Frankenberger 2003, 2004;
Gocke 1995; Kunisch 2008a, 2008b, 2009; Kunisch/Wahler 2009, 2010a, 2010b; Mezger 2001, 2002;
Muchow 1999, 2000; Müller (Spanninger) 2011a, 2011b, 2012a, 2012b, 2013a, 2013b; Müller-Stewens
1991; Müller-Stewens/Schubert 1993; Osterloh 1998; Schäfer 1996, 1997; Schubert 1994; Spickers
1990a, 1990b, 1992; Voss 2005a, 2005b, 2006a, 2006b, 2007a, 2007b.
52 Über den gesamten Zeitverlauf gab es wie auch bei anderen Datenbanken immer wieder prozes-
stechnische Anpassungen bei der Datenerfassung in der M & A DATABASE wie z. B. die Ausweitung
der Datenbasis neben deutschen und Schweizer auch auf österreichische Medien, die Umstellung
bei der Datenrecherche von physischen Medien auf elektronische Medien sowie die Umstellung von
Hoppenstedt auf SIC-Codes bei der Branchenklassifizierung. Außerdem sind die Transaktionsvolu-
men nicht für alle Deals verfügbar.
53 Vgl. Voss 2007a.
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84  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

zeigen die Daten deutlich die Sondereffekte auf dem deutschen M & A-Markt, die vor
allem in den ersten vier Jahren nach der Wiedervereinigung in Form der Verkäufe durch
die Treuhandanstalt stattgefunden haben (vgl. Kap. 3.3.1).

4.2 Top-Deals
4.2.1 Übersicht

Viele der wesentlichen Entwicklungen auf dem deutschen M & A-Markt spiegeln sich in
der Liste der größten Transaktionen mit Beteiligung eines deutschen Unternehmens wi-
der (vgl. Abb. 8): So zeigt sich, dass der Großteil der Transaktionen in die Zeit der Hochs
der letzten beiden M & A-Phasen fällt. Je neun der 25 größten Transaktionen wurden in
den Jahren 1999 bis 2001 bzw. 2005 bis 2007 registriert. Zusammen entfallen auf diese
beiden Drei-Jahres-Zeiträume über 70 % der größten Transaktionen.

Datum Transaktionswert
Käufer Objekt Industrie (Ankündigung) (in Mio. EUR)

1 Vodafone Group plc Mannesmann AG Telekommunikation 14.11.1999 190.000

2 Deutsche Telekom AG Voicestream Wireless Corp. Telekommunikation 24.07.2000 38.000

3 Daimler-Benz AG Chrysler Corp Automobilindustrie 06.05.1998 34.904

4 Mannesmann AG Orange plc Telekommunikation 21.10.1999 30.236

5 Allianz AG Dresdner Bank AG Finanzdienstleistungen 01.04.2001 22.485

6 Bayer AG Schering AG Chemie/Pharma 23.03.2006 16.316

7 VEBA AG VIAG AG Energiewirtschaft 27.09.1999 15.581

8 UniCredit Banca Mobiliare S.p.A Bank Austria Creditanstalt AG (BA-CA) Finanzdienstleistungen 12.06.2005 15.400

9 E.ON AG PowerGen plc. Energiewirtschaft 09.04.2001 15.300

10 HeidelbergCement AG Hanson plc Baustoffindustrie 23.08.2007 14.000

11 Merck KGaA Sigma-Aldrich Corp. Chemie/Pharma 22.09.2014 13.100

12 Kemble Water Ltd. Thames Water Holdings plc Energiewirtschaft 16.10.2006 11.900

13 Linde AG BOC Group plc . Energiewirtschaft 06.03.2006 11.700

14 Continental AG Siemens VDO Automotive AG Automobilindustrie 25.07.2007 11.400

15 RWE AG Thames Water Holdings plc Energiewirtschaft 25.09.2000 11.200

16 Deutsche Telekom AG One2One Ltd. Telekommunikation 28.07.1999 10.400

17 Bayer AG Merck & Co. Inc. (OTC) Chemie/Pharma 06.05.2014 10.400

18 Commerzbank AG Dresdner Bank AG Finanzdienstleistungen 31.08.2008 9.800

19 ZF Friedrichshafen AG TRW Automotive Corp. Automobilindustrie 15.09.2014 9.600

20 BellSouth Corp (KPN, BellSouth) E-Plus Mobilfunk GmbH Telekommunikation 28.07.1999 9.204

21 E ON AG Endesa Italia SA Energiewirtschaft 02.04.2007 9.070

22 Deutsche Bank AG Bankers Trust New York Corp Finanzdienstleistungen 30.11.1998 8.812

23 WestLB AG DaimlerChrysler AG Automobilindustrie 04.04.2007 8.700

24 Allianz AG AGF SA Versicherungen 14.09.2005 8.566

25 RWE AG Essent N.V. Energiewirtschaft 13.01.2009 7.300

Abb. 8: Top Deals mit deutscher Beteiligung (Quelle: Eigene Analyse; Thomson One, M & A DATABASE)54

Zudem fällt auf, dass ein großer Anteil der Transaktionen grenzüberschreitend statt-
fand. Dies zeigt vor allem die Internationalisierungsstrategien der großen Unternehmen.
Vor allem britische (8) und US-amerikanische (7) Unternehmen waren daran beteiligt.
Lediglich knapp ein Viertel der 25 größten Transaktionen waren innerdeutsch. Darun-

54 Beteiligung eines deutschen Unternehmens als Käufer, Objekt und/oder Verkäufer.


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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  85


Teil

ter fallen die Zusammenschlüsse von Allianz und Dresdner Bank, Bayer und Schering,
VEBA und VIAG sowie Continental und Siemens VDO. Auffällig ist weiter, dass die
meisten dieser Deals in der letzten Hochphase stattgefunden haben und es seither kei-
nen deutsch-deutschen Deal gab, der es unter die Top 25 schaffte.
Des Weiteren fallen in der Liste vor allem fünf Branchen ins Auge. Ein Großteil der
bei diesen Transaktionen beteiligten Unternehmen lässt sich den Branchen Energie- und
Entsorgungswirtschaft, Finanzen, Telekommunikation, Automobil sowie Chemie/Phar-
ma zuordnen. Dies sind vornehmlich Branchen, die dereguliert und liberalisiert wurden
bzw. in denen hoher Konsolidierungsdruck herrschte und teils immer noch herrscht.

4.2.2 Ausgewählte Top-Deals

Nachstehend werden einige der Top-Deals kurz zusammengefasst.55 Die Transaktio-


nen sind aus verschiedenen Gründen hervorhebenswert: Sie sind Ausdruck bestimmter
Branchentrends, Indikator für andere wesentliche Entwicklungen (z. B. bei Planung,
Durchführung und Integration einer weiteren Transaktion) und/oder die schiere Größe
der Transaktion gereicht zum Faszinosum.
Die größte Transaktion mit Beteiligung eines deutschen Unternehmens (und auch
weltweit) war der Vodafone/Mannesmann-Deal.56 Ab 1999 versuchte der britische Mo-
bilfunkanbieter Vodafone Group den deutschen Mischkonzern Mannesmann AG zu
übernehmen. Dies lehnte der damalige Mannesmann-Vorstand um Klaus Esser jedoch
strikt ab und beschloss deshalb als Abwehrmaßnahme, Orange plc als Giftpille zu über-
nehmen. Damit sollte Mannesmann für Vodafone unattraktiv werden, weil klar war,
dass Vodafone nach einer Mannesmann-Übernahme Orange unter großen Verlusten
hätte weiterverkaufen müssen. Das Mannesmann-Angebot bewertete Orange mit 19,8
Mrd. brit.-£. Die Giftpille verhinderte die Mannesmann-Übernahme durch Vodafone je-
doch nicht. Diese wurde im November 1999 angekündigt und schließlich im April 2000
vollzogen. Im Gemeinschaftsunternehmen hielt Vodafone Group 50,5 % der Aktien,
Mannesmann war mit 49,5 % beteiligt. Die Bezahlung wurde durch einen Aktientausch
beglichen. Die strategischen Motive lagen im Streben nach Marktmacht und Synergien.
Ähnlich aufsehenerregend war die drittgrößte Transaktion in Form der berühm-
ten »Hochzeit im Himmel«, der Zusammenschluss der Daimler-Benz AG und Chrysler
Corp. zu DaimlerChrysler. Dieser wurde im Mai 1998 angekündigt und im November
desselben Jahres vollzogen. Es handelte sich um einen Aktientausch mit einem Wert
von ca. 34,9 Mrd. EUR. Als Berater waren Credit Suisse First Boston und Chase Man-
hattan Corp. auf der Seite von Chrysler sowie Goldman Sachs & Co., Deutsche Morgan
Grenfell und Salomon Smith Barney auf der Seite von Daimler-Benz involviert. Die
treibende Kraft hinter der Fusion war der Zwang, immer größere, global operierende
Unternehmen zu schaffen, die sich auf allen bedeutenden Märkten der Welt, insbeson-
dere in Nordamerika, Europa und Asien, behaupten können. Die »Scheidung auf Erden«
folgte dann im Jahr 2007. Im Mai 2007 wurde der mehrheitliche Verkauf der Chrysler
Group an Cerberus bekanntgegeben und im August desselben Jahres abgeschlossen.

55 Die Informationen zu den einzelnen Transaktionen stammen aus den Analysen zum deutschen
Transaktionsgeschehen in der M & A REVIEW (siehe dazu Fussnote 48) sowie aus der Datenbank
Thomson One Banker (insbesondere die Informationen zu den Beratern).
56 Einzelheiten siehe Müller-Stewens 2010b.
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86  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Eine Tochtergesellschaft von Cerberus übernahm daraufhin 80,1 % der Aktien an der
neu geschaffenen Chrysler Holding LLC, Daimler behielt 19,9 % der Anteile.
Ein weiterer Zusammenschluss, der sich als »nicht für die Ewigkeit« herausstellte,
war die Übernahme der Dresdner Bank AG durch den Münchener Versicherungskonzern
Allianz SE (seinerzeit AG) im Jahr 2001 für knapp 22,5 Mrd. EUR (inkl. Verbindlich-
keiten). Ziel der Akquisition war es, einen Allfinanz-Konzern zu schaffen, woraufhin
als Nebeneffekt das Allfinanz-Konzept auch wieder in aller Munde war. Als Berater der
Dresdner Bank waren Dresdner Kleinwort Wasserstein und Goldman Sachs & Co. invol-
viert, während auf der Käuferseite UBS Warburg, Deutsche Bank AG, Sal. Oppenheim
beteiligt waren. Im Jahr 2008 wurde das »Unterfangen« beendet:57 Die Aufsichtsräte von
Allianz SE und Commerzbank hatten sich auf den Verkauf der Dresdner Bank AG an die
Commerzbank für insgesamt 9,8 Mrd. EUR geeinigt. Der Verkauf sollte in zwei Schritten
erfolgen und spätestens Ende 2009 abgeschlossen sein. Seit Sommer 2010 trat die Com-
merzbank mit einem neuen Logo auf, welches die früheren Logos von Dresdner Bank
und Commerzbank integrierte. Der Name Dresdner Bank sollte bis Ende 2010 wegfallen.
Der Versicherer Allianz SE machte mit weiteren Transaktionen auf sich aufmerksam.
Nach der Umwandlung in eine europäische Aktiengesellschaft im Jahr 2006 und der
Integration der italienischen Tochter Riunione Adriatica di Sicurtà (RAS) wurden im
Jahr 2007 die Konzernstrukturen weiter vereinfacht. Insgesamt 10,5 Mrd. EUR in bar
und Aktien wurden in die Komplettübernahme der französischen Tochter Assurances
Générales de France (AGF) und der Allianz Lebensversicherungs-AG investiert.
Zum M & A-Geschehen gehören auch »Weiße Ritter«. Ein beachtliches Beispiel für
einen solchen lieferte die Bayer AG mit der Übernahme von Schering im Jahr 2006. Das
Leverkusener Chemie- und Pharmaunternehmen konterte im März das Angebot der
Merck KGaA, die den Berliner Pharmakonzern Schering feindlich übernehmen wollte,
und übernahm diesen selbst für ca. 16,3 Mrd. EUR. Bayer schützte Schering mit diesem
Zug vor einer feindlichen Übernahme durch den Konkurrenten Merck und versprach
sich von der Übernahme ab dem dritten Jahr nach Abschluss der Transaktion Synergien
in Höhe von jährlich 700 Mio. EUR.58 Ziel der Fusion war der Ausbau des Geschäfts
mit Pharma-Spezialprodukten. Nach der Fusion wurde Bayer Schering Pharma AG das
viertgrößte Pharmaunternehmen der Welt. Die Transaktion wurde auf Seiten des Kauf-
objekts von Morgan Stanley, Dresdner Kleinwort Wasserstein und der Deutschen Bank
AG begleitet. Auf Seiten des Käufers waren Credit Suisse Group, Greenhill & Co. und
Citigroup die Berater. Auch die Übernahme der OTC-Sparte (over the counter) von
Merck & Co. durch Bayer im Jahr 2014 war nicht nur ein Kind seiner Zeit in einem
von Spartentäuschen und Fusionen geprägten Branchenjahr, sondern auch ein weiterer
Schritt für das Unternehmen, das damit nach Johnson & Johnson zum zweitgrößten
globalen Anbieter rezeptfreier Medikamente aufgestiegen ist.
Eine andere Möglichkeit zur Verhinderung einer feindlichen Übernahme zeigten
VIAG und VEBA. Aus Sorge vor einer solchen Übernahme mit anschließender Zerschla-
gung fusionierten sie zur E.ON AG. Darüber hinaus war es gemeinsames Ziel der beiden
ähnlich strukturierten Fusionspartner, anstelle zweier Konglomerate einen neuen, auch
global marktstarken Energiekonzern zu formen und die übrigen Industrie-Geschäfts-
felder zu veräußern. Die VIAG-Energiebeteiligungen wurden ein Teil von E.ON und
erhielten neue Firmennamen. Die Vereinigte Aluminium-Werke AG (VAW) wurde 2002

57 Vgl. zur M & A-Strategie von Allianz SE seit der Jahrtausendwende Achleitner/Teklu 2010.
58 Vgl. zur Integration Marschmann/Moscho 2016.
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  87


Teil

an Norsk Hydro verkauft. Die Süddeutsche Kalkstickstoff-Werke (SKW) wurde mit der
damaligen VEBA-Tochter Degussa-Hüls zur neuen Degussa verschmolzen, die zu Evonik
Industries gehört. Auch alle sonstigen in den Jahren zuvor erworbenen Industriebetei-
ligungen wurden von E.ON wieder veräußert.
Eine weitere Großtransaktion in der Energiebranche wurde im Jahr 2009 registriert
als die RWE AG den niederländischen Versorger Essent N.V. übernahm. Die Transaktion
hatte ein Volumen von 7,3 Mrd. EUR und ist ein Beispiel für die zusammenwachsenden
Strom- und Gasmärkte in Europa sowie für die damit verbundenen Konsolidierungs-
aktivitäten. In dieses Bild passt auch die Veräußerung von Thames Water Holding an
Kemble Water durch die RWE AG im Jahr 2006. Für RWE war der Verkauf des Wasser-
geschäfts, welches der Energieriese im Jahr 2000 für ca. 11,2 Mrd. EUR (inklusive 4,1
Mrd. EUR Schulden) übernommen hatte, ein entscheidender Schritt bei der Umsetzung
der Strategie einer konsequenten Konzentration auf die Kernkompetenzen. Das Trans-
aktionsvolumen des Verkaufs lag bei ca. 11,9 Mrd. EUR (8,0 Mrd. brit.-£).
Die Fokussierung auf die Kernkompetenzen war auch das entscheidende Motiv für
die Übernahme des britischen Konkurrenten BOC PLC durch Linde im Frühjahr 2006.
Dieser Schritt war mit einer Trennung von dem Geschäftsbereich Material Handling im
Dezember 2006 verbunden. Das Ergebnis war ein fokussierter Gase- und Anlagenher-
steller mit mehr als 50.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 12,5 Mrd. EUR
im Jahr 2008, der seither mit Air Liquide SA im Wettbewerb um die weltweite Markt-
führerschaft steht.59 Das Transaktionsvolumen wurde auf 11,7 Mrd. EUR beziffert.
Auch in der Bauindustrie gab es eine Transaktion oberhalb der 10 Mrd. EUR-Schwel-
le. Im Jahr 2007 übernahm die HeidelbergCement AG 100 % des Aktienkapitals des
britischen Unternehmens Hanson PLC für ca. 14 Mrd. EUR in bar. Als Berater war die
Deutsche Bank AG auf Seiten von Hanson aktiv. Die freundliche Übernahme hatte vor
allem strategische Gründe, denn sowohl aus Produkt- als auch aus geografischer Markt-
sicht ergänzten sich beide Unternehmen sehr gut.
Strategische Überlegungen dürften auch bei Siemens AG die entscheidende Motiva-
tion für die getätigten Transaktionen im Jahr 2007 gewesen sein. Das Münchener Tra-
ditionsunternehmen, das sich inmitten umfangreicher Umstrukturierungsmaßnahmen
befand, verkaufte die Autozuliefersparte Siemens VDO Automotive AG an den Reifen-
konzern Continental AG. Bei diesem stieg kurz darauf das fränkische Familienunterneh-
men Schaeffler AG mit einer Milliardenbeteiligung als Großaktionär ein. Nach einem
längeren Übernahmekampf einigten sich Schaeffler und Continental im Spätsommer
2008 auf eine Erhöhung des Kaufangebots und eine Beteiligung von höchstens 49,9 %.
Zwischenzeitlich wurden Schaeffler jedoch mehr als 90 % der Aktien angedient, da das
Übernahmeangebot bei den Continental-Aktionären angesichts der Finanzkrise und der
trüben Aussichten für die Autobranche auf unerwartet hohen Zuspruch stieß. Siemens
reinvestierte den Erlös von ca. 11,4 Mrd. EUR für die Autozuliefersparte im Anschluss
teilweise. So wurde z. B. die Medizinsparte des Konzerns mit der Übernahme des US-Di-
agnostikspezialisten Dade Behring für ca. 5,1 Mrd. EUR weiter gestärkt.
Die größte Akquisition der letzten sieben Jahre am deutschen Markt nahm die Merck
KGaA im zweiten Halbjahr 2014 vor, indem sie den Laborausrüster Sigma-Aldrich Corp.
für mehr als 13 Mrd. EUR übernahm. Die Transaktion wurde am Kapitalmarkt sehr
positiv aufgenommen und die Aktie bewegt sich seitdem auf einem Rekordniveau.

59 Vgl. z. B. Ruess 2010.


Teil
A88 

Wachstum und Finanzinvestoren und


Gesamt 1 Entstehung 2 Professionalisierung 3 Internet-Boom 4 Globalisierung

65,9 16.3 % 62,3 14,3 % 63,0 14,6 % 69,1 16,3 % 70,2 21,9 %
Finanzdienstleistungen 7,2 % 6,5 % 6,5 % 7,6 % 8,6 %

46,2 10,5 % 42,1 9,6 % 43,9 9,6 % 48,9 9,3 % 53,1 15,3 %

DATABASE)
Dienstleistungen allg. 12,2 % 11,0 % 11,4 % 11,7 % 17,8 %

8,0 % 8,4 % 8,4 % 7,4 % 6,6 %


Chemie/Pharma 66,7 69,7 70,2 8,4 %
69,5 7,6 % 61,0 8,4 %
8,5 % 8,5 %

7,2 % 9,4 % 8,9 % 8,8 % 6,0 %


Energie-/Entsorgungswirtschaft 68,8 68,3 9,5 % 69,5 8,9 % 76,9 8,6 % 62,3 7,1 %
7,3 %

6,6 % 9,3 % 8,3 % 5,7 % 3,1 %


Bau-/Baustoffindustrie 67,8 6,7 % 70,8 69,8 8,5 %
71,6 6,0 % 56,5 3,6 %
9,5 %
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|  M & A aus Marktperspektive

73,6 5,8 % 75,7 5,2 % 78,0 5,8 % 76,1 7,8 % 67,5 5,3 %
Medien/Verlage 6,3 % 5,5 % 5,9 % 8,4 % 5,8 %

5,8 % 6,3 % 6,1 % 5,3 % 5,1 %


Elektrotechnik/Medizintechnik 46,6 6,4 % 51,1 6,5 % 50,8 6,2 % 50,9 5,5 % 41,1 6,2 %

5,0 % 5,7 % 5,3 % 4,1 % 3,9 %


Maschinenbau/Feinmechanik 46,9 6,5 % 50,2 7,2 % 49,7 6,6 % 49,1 4,6 % 37,9 6,3 %

54,7 4,7 % 56,1 4,1 % 54,4 4,1 % 54,9 4,1 % 43,0 3,4 %
Handel 4,9 % 4,0 % 4,3 % 4,7 % 4,3 %
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4,6 % 3,2 % 4,9 % 7,9 % 5,3 %


Computerindustrie/Telekommunikation 50,4 6,8 % 43,4 5,3 % 51,3 7,2 % 57,5 10,7 % 54,4 7,4 %

4,5 % 4,5 % 4,8 % 5,4 % 3,7 %


Transport und Verkehr 61,8 5,5 % 61,8 5,3 % 64,5 5,5 % 70,7 5,9 % 51,2 5,3 %

4,4 % 5,2 % 4,8 % 3,5 % 2,5 %


Nahrungs- und Genussmittel 73,1 4,9 % 76,0 5,7 % 75,2 5,3 % 75,8 3,9 % 62,8 3,0 %

3,9 % 4,2 % 3,9 % 3,1 % 3,1 %


Anlagenbau/Stahl/Umwelttechnik 43,1 4,4 %
48,9 4,1 % 46,1 4,1 % 40,6 4,3 % 35,1 4,8 %

3,4 % 3,3 % 3,1 % 2,9 % 3,9 %


Automobilbau 52,9 4,1 % 54,4 4,2 % 55,3 3,8 % 61,2 3,2 % 49,1 4,8 %

2,6 % 2,5 % 2,5 % 2,5 % 2,9 %


Versicherungen 72,6 70,8 2,1 %
71,8 2,1 % 72,5 79,6
2,0 % 2,2 % 2,3 %

1,7 % 0,3 % 0,4 % 1,9 % 5,3 %


Sonstige 13,5 0,2 % 22,2 0,1 %
25,0 0,1 % 16,7 0,1 % 5,1 0,3 %

54,2 1,7 % 56,1 1,7 % 61,0 1,8 % 66,7 1,9 % 45,3 1,1 %
Papier/Möbel/Holz/Verpackung 2,0 % 1,8 % 1,9 % 2,1 % 1,4 %

1,5 % 1,7 % 1,5 % 1,1 % 0,9 %


Textil/Bekleidung 51,9 2,1 %
57,5 2,2 % 55,8 2,0 % 50,2 40,1 1,6 %
1,4 %

0,8 % 0,7 % 0,8 % 1,0 % 0,7 %


Luft- und Raumfahrt 46,3 0,9 % 40,8 0,6 % 47,7 0,8 % 53,6 1,2 % 45,3 1,0 %

Käufer Objekt Branchenintern (in %)

Abb. 9: Branchenübersicht bei Transaktionen mit deutscher Beteiligung nach Phasen (Quelle: Eigene Analyse; M & A
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  89


Teil

4.3 Branchenbetrachtung
Bei der Betrachtung der Top-Deals deuteten sich bereits bestimmte Branchenentwick-
lungen auf dem deutschen M & A-Markt an. Eine genauere Branchenanalyse liefert wei-
tere interessante Aufschlüsse zu den wesentlichen Entwicklungen auf dem deutschen
M & A-Markt (vgl. Abb. 9). In der Rangliste der aktivsten Käuferbranchen liegt der Fi-
nanzdienstleistungssektor (16,3 %) deutlich vorne. Im Klassement folgen die Branchen
Dienstleistungen allgemein (10,5 %), Chemie/Pharma (8,0 %) und Energie-/Entsor-
gungswirtschaft (7,2 %). Die geringsten Aktivitäten waren in den Branchen Papier/
Möbel/Holz/Verpackung (1,7 %), Textil/Bekleidung (1,5 %) sowie Luft- und Raumfahrt/
Marinautik/Bahntechnik (0,8 %) zu verzeichnen.
Differenziertere Aussagen erlauben Analysen der Branchenentwicklungen über den
gesamten Zeitverlauf hinweg. So war die Finanzdienstleistungsbranche zwar auch im
ganzen Zeitraum am aktivsten, die Aktivitäten stiegen allerdings in der dritten und
dann erneut in der vierten Phase sehr deutlich an. Im letztgenannten Zeitraum war fast
jeder vierte Käufer ein Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche; in den Jahren
2006 bis 2008 betrugen die Anteile jeweils sogar etwas mehr als ein Viertel. Dieser
Anstieg in der dritten und vierten Phase lässt sich zu einem erheblichen Teil auf die
Aktivitäten von Private Equity-Investoren zurückführen (vgl. Abb. 5).
Ähnlich verlief die Entwicklung in der Branche Dienstleistungen allgemein. Obgleich
der Anteil auf der Käuferseite in den ersten drei M & A-Phasen schon beachtlich war
(jeweils über 9 %), stieg er in der vierten Phase noch einmal deutlich an (15,3 %). Vor
allem zwei Gründe lassen sich für diese Entwicklung ausmachen: Ein erster ist die ins-
gesamt gestiegene volkswirtschaftliche Bedeutung des Dienstleistungssektors. Hierzu
zählen Dienstleistungen im Kranken- und Pflege- sowie im Bildungsbereich, aber auch
jene von Beratungen und Personalvermittlungen. Ein zweiter Grund sind die vielen
Grundstücks- und Immobilientransaktionen, die dieser Branche zugerechnet werden.
Dies trägt auch dazu bei, dass Dienstleistungen allgemein in der Rangliste der Objekt-
branchen deutlich vorne liegen (12,2 %).
Ein weiterer Aspekt des deutschen M & A-Marktes zeigt sich eindrucksvoll in den
Entwicklungen bei den Branchen Computer/Telekommunikation sowie Medien/Verlage.
Die Zahlen verdeutlichen wesentliche Treiber für die Aktivitäten der dritten M & A-Pha-
se. So spielte die Branche Computer/Telekommunikation in der ersten und zweiten
Phase eine noch eher geringe Rolle (ca. 5,3 % bzw. 7,2 % der Kaufobjekte). Das Bild än-
derte sich jedoch maßgeblich in den Jahren um die Jahrtausendwende: In dieser dritten
M & A-Phase gehörten 7,9 % der Käufer und 10,74 % der Kaufobjekte dieser Branche an.
Die Treiber für den deutlichen Anstieg der M & A-Aktivitäten in dieser Branche stehen
in Zusammenhang mit dem technologischen Fortschritt und einer daraus resultieren-
den außerordentlichen Euphorie. Die neuen Technologien ermöglichten innovative Ge-
schäftsmodelle, die wiederum zu einer stark fragmentierten Branchenlandschaft führ-
ten. Konsolidierungsaktivitäten und externer Zukauf von Kompetenzen und Fähigkeiten
waren die Folge. Dies zeigt sich u. a. auch daran, dass über den gesamten Zeitverlauf
die Hälfte aller Transaktionen branchenintern war. Nach dem Platzen der Internetblase
gingen die Anteile dann in der vierten M & A-Phase wieder zurück, blieben jedoch auf
einem höheren Niveau als noch zu Beginn des Betrachtungszeitraums.
Vergleichbar damit sind die Entwicklungen im Bereich Medien/Verlage. Auch in die-
ser Branche erreichten die Aktivitäten in der dritten Phase ihren Höhepunkt. 7,8 % der
Käufer und 8,4 % der Kaufobjekte waren dieser Branche zuzurechnen. Zu den wesent-
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90  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

lichen Treibern zählten die technologische Weiterentwicklung und die fortschreitende


Konvergenz verschiedener Medien. Damit verbunden sind ebenfalls Konsolidierungs-
druck und M & A als Mittel zum Aufbau von Kompetenzen und Fähigkeiten. Dies zeigt
sich u. a. daran, dass 73,6 % der Transaktionen branchenintern verliefen und in keiner
anderen Branche dieser Anteil ein größerer war.
Auch die Unternehmen der Branchen Chemie/Pharma zählen zu den Aktiven auf
dem M & A-Markt. Zwar sanken ihre Anteile an den Aktivitäten über den Zeitverlauf
hinweg etwas, 2015 waren sie jedoch wieder (Objekt-bezogen) Treiber von Mega-Deals
und den damit verbundenen Transaktionsvolumina: Konsistent zum globalen Trend
zählten sie mit fast der Hälfte des Gesamtvolumens zu den Top Ten der Branchen.60
M & A ist für den Zukauf externen Know-hows in diesen forschungsintensiven Bran-
chen ein probates Mittel. So war die deutsche Pharmabranche bspw. auch im Jahr 2006
auffallend aktiv: An vier der zehn größten Transaktionen waren Pharmaunternehmen
beteiligt (2015: 3). Hier zeigte sich der enorme Druck, unter dem die Pharmaindustrie
steht: Denn wenn die Blockbuster-Medikamente ausgehen, muss die Pipeline aufgefüllt
werden, was keine leichte Aufgabe ist, angesichts der langen Entwicklungszeiten und
-kosten. Akquisitionen, Spartentäusche und Fusionen scheinen oft der einzige Ausweg.
Seit der Jahrtausendwende befeuerte zusätzlich besonders der Biotechnologie-Bereich
die Aktivitäten.
Lohnenswert ist auch eine Betrachtung der Branche Energie- und Entsorgungswirt-
schaft. Vor allem in der zweiten und dritten Phase wurden auf der Käuferseite hohe
Aktivitäten verzeichnet (8,9 % bzw. 8,8 %). In der letzten Phase sank der Anteil dann
wieder (6,0 %). Die wesentlichen Treiber für die M & A-Aktivitäten in dieser Branche
waren die Deregulierung und Liberalisierung in Deutschland und auf EU-Ebene. Hinzu
kam der technologische Fortschritt im Bereich der erneuerbaren Energien.

4.4 Grenzüberschreitende Transaktionen


Aufschlussreich ist auch eine Analyse der grenzüberschreitenden Transaktionen. Über
den Zeitverlauf hinweg ist insgesamt ein deutlicher Anstieg der sog. Cross-Border-Trans-
aktionen61 festzustellen (vgl. Abb. 6). Vor dem Fall der Berliner Mauer dominierten die
innerdeutschen Transaktionen, während der Anteil der internationalen Transaktionen
deutlich unter 20 % lag. In der zweiten M & A-Phase kletterte der Anteil dann auf ca. ein
Viertel. In der dritten M & A-Phase war im Durchschnitt mehr als jede dritte Transaktion
grenzüberschreitend und in der vierten Phase ca. jede zweite. Auffallend ist, sehr deut-
lich in den letzten beiden Phasen, dass der Anteil der Cross-Border-Transaktionen beim
Abflauen einer M & A-Phase zu sinken scheint. Eine Ursache dafür könnte die geringere
Risikobereitschaft der Unternehmen in solchen ungewissen Zeiten sein.
Eine genauere Betrachtung der grenzüberschreitenden Transaktionen (vgl. Abb. 7)
zeigt Folgendes: Bei einem Großteil der Transaktionen sind die direkten Nachbarländer
Österreich und die Schweiz involviert. Unternehmen aus den USA und den westeuro-
päischen Länder waren über den gesamten Zeitverlauf sehr aktive Käufer. US-amerika-

60 Vgl. Düsterhoff 2015a


61 Grenzüberschreitende Transaktionen sind solche Transaktionen, bei denen mindestens eine Partei
(Käufer, Objekt, Verkäufer) ausländisch, d. h. nicht in Deutschland angesiedelt ist.
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  91


Teil

nische Unternehmen machen traditionell den größten Anteil der ausländischen Käufer
aus und waren damit aktiv an der Entwicklung des deutschen M & A-Marktes beteiligt.
Käufer aus Osteuropa traten verstärkt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in der zwei-
ten M & A-Phase in Erscheinung, wobei deren Aktivitäten aber seitdem rückläufig sind.
Die BRIC-Länder und der sog. Rest der Welt (u. a. Länder des Nahen Ostens und Süd-
ostasiens) haben insbesondere in der vierten Phase an Bedeutung gewonnen. Deutsche
Käufer suchten vermehrt Kaufobjekte in den BRIC-Ländern, wodurch der Anteil der
dortigen Kaufobjekte am Gesamtaufkommen seit 2004 jährlich knapp 10 % erreichte.
Gleichzeitig stieg aber auch der Anteil der Käufer aus diesen Ländern.

4.5 Beratungsgeschäft
Aus einer M & A Stakeholder-Perspektive wird deutlich, dass auf dem M & A-Markt
nicht nur Manager um die Kontrollrechte von unternehmerischen Ressourcen konkur-
rieren. Auch verschiedene Dienstleister wie Investmentbanken, Wirtschaftsjuristen,
Wirtschaftsprüfer und Berater wetteifern miteinander um Mandate. Für sie haben sich
Dienstleistungen rund um Fusionen und Übernahmen in Deutschland zu einem lukra-
tiven Geschäft entwickelt. Dies deuten auch die Ranglisten (»League Tables«) der bei
deutschen Transaktionen beteiligten Finanz- und Rechtsberater an (vgl. Abb. 10).

4.5.1 Finanzielle Berater


Ein wichtiger Bereich in der M & A-Beratung ist die finanzielle Beratung (vgl. Abb. 10
oben). Dieses Geschäft ist insgesamt sehr wettbewerbsintensiv, was sich in einer Markt-
struktur mit einer relativ großen Anzahl an Unternehmen mit relativ kleinen Marktan-
teilen, aber auch mit einigen »Big Players« an der Spitze äußert: So kann z. B. Goldman
Sachs & Co. allein mehr als doppelt so viel Volumen als die letzten zehn der Top-25
aufweisen, und die ersten fünf Player verfügen über mehr Volumen als die restlichen
20 der Rangliste kumuliert. Die Wettbewerbsintensität hat dabei über den Betrach-
tungszeitraum hinweg zugenommen. Zu Beginn waren es vor allem die Schweizer und
die amerikanischen Großbanken, die den M & A-Markt in Deutschland entwickelt und
professionalisiert haben. Als finanzielle M & A-Berater etablierten sich dann neben den
Großbanken aber auch Wirtschaftsprüfer und Boutiquen.
Die Branchenprimusse sind Goldman Sachs & Co. und die Deutsche Bank AG. Die
Goldman liegt bei der Rangliste nach Volumen (ca. 1,405 Mrd. US-$) und die Deutsche
Bank bei jener nach Anzahl der Transaktionen (1.308) vorne. Beide Institute haben
sich über den Zeitverlauf hinweg immer weiter ins Vorderfeld geschoben. Gerade die
Deutsche Bank hat sich in jeder Phase im Vergleich zur Vorperiode gesteigert und in
der letzten Phase Goldman sogar vom Spitzenplatz abgelöst. Daneben bestimmen vor
allem die amerikanischen (Morgan Stanley, JP Morgan, Bank of America Merill Lynch)
und die Schweizer Großbanken (UBS, Credit Suisse) die Rangliste. Einige der Institute
in der Rangliste gibt es mittlerweile gar nicht mehr, wohingegen andere nicht mehr
eigenständig existieren, da sie übernommen worden sind. (vgl. Kapitel 3.5.2)
Finanzberater Teil
Gesamt Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4
Nr. Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl
A
1 Goldman Sachs & Co 1.405.673 662 Credit Suisse 9.306 33 Goldman Sachs & Co 468.673 189 Goldman Sachs & Co 339.041 190 Deutsche Bank 695.363 609
2 Deutsche Bank 1.395.042 1.308 UBS 9.019 29 Morgan Stanley 395.663 143 Deutsche Bank AG 307.796 375 Goldman Sachs & Co 595.279 271
3 JP Morgan 1.077.382 565 Lazard 8.338 17 JP Morgan 367.749 206 Morgan Stanley 245.343 220 Morgan Stanley 520.148 285
92 

4 Bank of America Merrill Lynch 1.037.314 612 Citi 6.059 31 Deutsche Bank AG 328.186 307 JP Morgan 236.081 218 Citi 430.802 171
5 Morgan Stanley 606.509 447 Morgan Stanley 5.575 31 Bank of America Merrill Lynch 326.494 91 Commerzbank AG 177.819 194 JP Morgan 425.474 229
6 UBS 590.982 728 JP Morgan 4.737 17 Rothschild 314.944 78 Bank of America Merrill Lynch 171.886 128 Bank of America Merrill Lynch 310.004 161
7 Rothschild 772.426 479 Commerzbank AG 3.216 24 UBS 296.459 160 Credit Suisse 158.141 138 UBS 303.642 224
8 Citi 587.189 533 Deutsche Bank AG 2.682 17 Credit Suisse 163.183 184 UBS 142.291 164 Rothschild 278.920 315
9 Credit Suisse 572.069 535 Goldman Sachs & Co 2.680 12 Commerzbank AG 126.651 125 Rothschild 140.540 212 Credit Suisse 241.438 180
10 Commerzbank AG 434.878 549 Bank of America Merrill Lynch 2.315 8 Citi 107.782 141 Citi 136.564 138 Nomura 199.427 90
11 Lazard 346.047 534 ING 1.688 10 Lazard 71.847 96 Lazard 84.293 177 BNP Paribas SA 193.894 123
12 Nomura 319.980 254 RBS 1.349 5 Nomura 48.943 88 Nomura 70.865 64 Lazard 181.569 244
13 BNP Paribas SA 260.798 235 Barclays Capital 932 15 HSBC Holdings PLC 36.909 40 Sal Oppenheim 61.014 171 HSBC Holdings PLC 151.678 48
14 HSBC Holdings PLC 188.842 100 Nomura 745 12 Credit Agricole CIB 20.962 15 BNP Paribas SA 50.909 60 Ernst & Young LLP 133.473 495
15 Ernst & Young LLP 172.280 714 Sagent Advisors Inc 484 1 BNP Paribas SA 15.996 52 Ernst & Young LLP 38.806 219 Commerzbank AG 127.192 206
16 Barclays 122.321 148 BHF-Bank AG 457 2 RBS 14.413 59 Greenhill & Co, LLC 30.207 23 Barclays 88.956 79
17 Greenhill & Co, LLC 108.628 68 Drexel Burnham Lambert 410 6 Barclays Capital 12.913 35 KPMG 21.369 165 Greenhill & Co, LLC 65.824 44
18 KPMG 84.324 727 Tanner 280 1 Greenhill & Co, LLC 12.597 1 PricewaterhouseCoopers 20.475 85 Perella Weinberg Partners LP 64.111 16
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19 RBS 72.483 204 3i Group PLC 276 1 Huebner Schloesser & Cie 11.375 22 Gruppo Banca Leonardo 19.863 62 Mediobanca 53.195 34
|  M & A aus Marktperspektive

20 Credit Agricole CIB 91.476 104 Ermgassen & Co. 261 2 KPMG 10.439 177 Barclays Capital 19.521 19 KPMG 52.517 385
21 PricewaterhouseCoopers 73.885 550 HSBC Holdings PLC 255 12 Cazenove & Co 10.432 4 Credit Agricole CIB 14.501 9 PricewaterhouseCoopers 46.395 255
22 Perella Weinberg Partners LP 52.517 385 Mitsubishi UFJ Financial Group 213 1 Metzler Corporate Finance 6.442 35 RBS 12.689 55 RBS 44.032 85
23 Mediobanca 53.195 34 Prudential Securities Inc 213 1 Handelsbanken Capital Markets 5.098 4 Macquarie Group 12.048 4 UniCredit 43.149 121
24 UniCredit 43.149 121 Blackstone Group LP 121 1 Communications Equity 4.788 5 Freitag & Co 11.471 19 Societe Generale 35.046 45
25 Societe Generale 35.046 45 Freeman Spogli & Co 121 1 goetzpartners Corp Finance 4.788 4 Deloitte & Touche 8.281 42 Credit Agricole CIB 33.719 30

Volumen in Mio. US-$


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Rechtsberater
Gesamt Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4
Nr. Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl
1 Freshfields Bruckhaus Deringer 1.303.108 1.504 Sullivan & Cromwell 5.300 5 Shearman & Sterling 403.540 107 Freshfields Bruckhaus Deringer 400.732 577 Freshfields Bruckhaus Deringer 512.048 809
2 Shearman & Sterling 845.623 609 Skadden 4.704 8 Freshfields Bruckhaus Deringer 389.846 116 Hengeler Mueller 347.802 371 Hengeler Mueller 407.417 508
3 Linklaters 815.284 962 Chadbourne, Parke, Whiteside & Wolff 3.165 1 Sullivan & Cromwell 340.021 31 Shearman & Sterling 249.780 253 Clifford Chance 318.628 630
4 Clifford Chance 793.567 1.227 Richards Layton & Finger 2.904 1 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton 310.443 26 Clifford Chance 245.013 518 Linklaters 272.097 509
5 Hengeler Mueller 782.117 900 Cravath, Swaine & Moore 2.363 1 Linklaters 300.635 48 Linklaters 242.552 405 Shearman & Sterling 189.941 248
6 Sullivan & Cromwell 695.452 161 Irell & Manella 2.363 1 Skadden 295.342 36 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton 177.511 118 Allen & Overy 183.147 318
7 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton 637.101 320 O'Melveny & Myers 2.363 1 Norton Rose 290.040 17 Sullivan & Cromwell 174.529 56 Sullivan & Cromwell 175.601 69
8 Skadden 503.804 277 Potter, Anderson & Corroon 2.363 1 Simpson Thacher & Bartlett 265.483 19 Herbert Smith/Gleiss Lutz/Stibbe 168.304 178 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton 149.147 176
9 Simpson Thacher & Bartlett 391.286 91 Shearman & Sterling 2.363 1 Clifford Chance 229.889 78 Allen & Overy 138.481 194 Herbert Smith/Gleiss Lutz/Stibbe 122.226 219
10 Allen & Overy 353.126 539 Freshfields Bruckhaus Deringer 482 2 Dorsey & Whitney 206.601 14 Jones Day 129.230 179 Skadden 112.774 135
11 Herbert Smith/Gleiss Lutz/Stibbe 290.530 397 Simpson Thacher & Bartlett 468 2 BEITEN BURKHARDT 205.042 2 Skadden 90.984 98 Latham & Watkins 96.136 262
12 Norton Rose Fulbright 290.176 18 Allen & Overy 447 1 Haarmann Huegel Rechtsanwaelte 204.792 3 Slaughter & May 77.141 31 White & Case 94.782 312
13 Slaughter & May 223.383 81 Slaughter & May 447 1 Dewey & LeBoeuf 100.664 9 Cravath, Swaine & Moore 67.629 18 Cravath, Swaine & Moore 90.135 29
14 Dewey & LeBoeuf 210.089 94 Andrews Kurth 215 1 Slaughter & May 94.829 18 Dewey & LeBoeuf 63.516 37 Hogan Lovells 82.786 267
15 Dorsey & Whitney 206.601 14 Debevoise & Plimpton 201 1 Davis Polk & Wardwell 61.060 18 Simpson Thacher & Bartlett 63.459 33 Jones Day 74.511 278
16 BEITEN BURKHARDT 205.042 2 Fulbright & Jaworski 137 1 Debevoise & Plimpton 55.434 20 Morris Nichols Arsht & Tunnell 44.542 2 CMS 63.049 691
17 Haarmann Huegel Rechtsanwaelte 204.792 3 Jenkens & Gilchrist 98 1 Darrois Villey Maillot Brochier 51.308 3 Latham & Watkins 41.396 79 Simpson Thacher & Bartlett 61.877 37
18 Jones Day 203.741 457 Kieffer & Hahn 70 1 Richards Layton & Finger 42.584 5 Davis Polk & Wardwell 37.472 3 Weil Gotshal & Manges 57.352 98
19 Cravath, Swaine & Moore 186.193 68 Myerson & Kuhn 70 1 Fried Frank Harris Shriver & Jacobson 35.325 11 Sidley Austin 35.686 2 Slaughter & May 50.966 31
20 Latham & Watkins 137.531 341 Greenberg, Traurig, Askew 37 1 Allen & Overy 31.052 26 Blake Dawson 34.592 5 King & Wood Mallesons 48.746 176
21 Hogan Lovells 107.184 366 Clifford Chance 36 1 Hengeler Mueller 26.898 21 McCarthy Tetrault 29.965 10 Dewey & LeBoeuf 45.909 48
22 Davis Polk & Wardwell 98.532 21 Gibson Dunn & Crutcher 36 1 Cravath, Swaine & Moore 26.067 20 CMS 29.021 86 Bredin Prat 45.737 24
23 White & Case 94.782 312 Addleshaw Sons & Latham 21 1 Ashurst 21.247 23 Clayton Utz 27.580 9 Blake Cassels & Graydon 44.570 23
24 Fried Frank Harris Shriver & Jacobson 77.244 39 Lovell White & King 21 1 Mallesons Stephen Jaques 8.937 5 Lovells 24.377 98 McCarthy Tetrault 43.691 19
25 Weil Gotshal & Manges 57.352 98 Gordon Hurwitz Butowsky 18 1 Gianni, Origoni, Grippo & Partners 7.622 1 Osler Hoskin & Harcourt 21.704 10 Fried Frank Harris Shriver & Jacobson 41.919 28

Volumen in Mio. US-$

Abb. 10: Finanz-und Rechtsberater bei M & A-Transaktionen mit deutscher Beteiligung nach Phasen (in US-$) (Quelle: Eigene Analyse; Thomson One, Dealogic)
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IV. Von der Qualität und Quantität des deutschen M & A-Marktes  |  93


Teil

4.5.2 Juristische Berater

Ein zweiter wichtiger Dienstleistungsbereich auf dem M & A-Markt ist die juristische
Beratung (vgl. Abb. 10 unten). Insgesamt hat die Komplexität der Vertragswerke über
den Betrachtungszeitraum hinweg zugenommen – auch aufgrund der Entwicklungen
bei den rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen. In M & A-Vereinbarungen
sind verschiedenste Aspekte zu adressieren, von möglichen Kaufpreisanpassungen und
Garantielaufzeiten bis zu Wettbewerbsklauseln.
Bei Betrachtung der League Tables für Rechtsberater ist zu berücksichtigen, dass
insbesondere um die Jahrtausendwende zahlreiche internationale Großkanzleien in
Deutschland neu entstanden sind. Ein gutes Beispiel dafür ist die Großkanzlei Fresh-
fields Bruckhaus Deringer. In ihrer Form als internationale Wirtschaftskanzlei besteht
sie seit 2000. Damals schloss sich die Londoner Kanzlei Freshfields zunächst mit der
deutschen Kanzlei Deringer Tessin Herrmann & Sedemund zusammen und wenige Mo-
nate später auch mit der deutsch-österreichischen Kanzlei Bruckhaus Westrick Heller
Löber, die 1998 als erste grenzüberschreitende Fusion einer deutschen Anwaltskanzlei
entstanden war. Der Zusammenschluss wurde Mitte 2000 bekanntgegeben62 und galt in
Branchenkreisen als einziger wirklicher Erfolg unter den zu dieser Zeit zahlreich neu
entstandenen internationalen Großkanzleien in Deutschland.63 In der näheren Vergan-
genheit scheint auch der Zusammenschluss von Norton Rose und Fulbright & Jaworski
erfolgreich gewesen zu sein, da sich die fusionierte Großkanzlei Norton Rose Fulbright
über Jahre hinweg im vorderen Mittelfeld behaupten konnte.
Freshfields Bruckhaus Deringer ist ebenfalls der Branchenprimus, sowohl gemessen
an der Anzahl (1.504) als auch gemessen am Volumen (ca. 1.303 Mrd. US-$) der betreu-
ten Transaktionen. Insgesamt wird die Liste von den internationalen Großkanzleien
bestimmt. Dass auch für diese der deutsche Markt kein Selbstläufer ist64, zeigen die
Entwicklungen der letzten Jahre: Als prominentes Beispiel sei hier nebst vielen ande-
ren partiellen oder kompletten Rückzügen die deutliche Verkleinerung der deutschen
Repräsentanz von Shearman & Sterling im Jahr 2013 genannt.

4.6 Neuemissionen (IPOs)


Auch Börsengänge (Initial Public Offerings, kurz IPOs) sind ein wichtiger Aspekt zur
Charakterisierung des M & A-Marktes. Durch die Ausgabe von Aktien können einem
Unternehmen neue finanzielle Mittel zugeführt werden, die einerseits zur Finanzie-
rung von Wachstum oder andererseits zur Eigenkapitalstärkung genutzt werden kön-
nen. Zudem lassen sich auch Unternehmensnachfolgen sowie Spin-Offs durch einen
Börsengang regeln. Ferner sind IPOs auch eine wichtige Exit-Möglichkeit für Private
Equity-Investoren. In jedem Fall ändern sich mit einem IPO auch die Kontrollrechte an
einem Unternehmen.
Die Aktivitäten bei den Neuemissionen (vgl. Abb. 11) sind vergleichbar mit den all-
gemeinen Börsenentwicklungen und den M & A-Aktivitäten. Die Anzahl der Neuemissi-

62 Handelsblatt vom 21.06.2000, S. 16.


63 Handelsblatt vom 12.08.2002, S. 14.
64 Handelsblatt vom 01.06.2015, S. 18.
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A
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94  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

35000 200

180
30000

160

25000
140
Volumen in Mio. EUR

120
20000

Anzahl
100

15000
80

60
10000

40

5000
20

0 0
1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Volumen 2300 900 400 1200 2400 1600 500 600 700 4000 13000! 3200 4200 15500 32200 3300 200 0 1800 3600 7600 7400 380 61 2611 1500 2400 2200 3400

Anzahl 26 19 14 24 27 19 9 10 15 20 14 37 79 199 163 25 8 0 5 22 76 46 5 3 15 13 10 5 10

Abb. 11: Anzahl und Emissionsvolumen von IPOs in Deutschland 1986–2014 (Quelle: Auswertung GoingPublic
Magazin)

onen verharrte zunächst auf einem niedrigen Niveau (von 1986 bis 1996), worauf zwei
IPO-Wellen folgten, die ihre Höhepunkte in den Jahren 1999 (199 IPOs) und 2006 (76
IPOs) erreichten. Das Niveau der darauf folgenden Jahre ist von noch geringerer Akti-
vität als vor 1996, aber von höheren Volumina gekennzeichnet. Wie bei Transaktionen
geht auch hier der Trend im Schnitt zu größeren »Events«. Bemerkenswert ist zudem
das Jahr 2003, in dem kein einziger IPO erfolgte.
Die Entwicklungen bei den Volumina der emittierten Aktien verliefen grundsätzlich
analog. Die Höhepunkte fielen auf die Jahre 2000 (32,2 Mrd. EUR) und 2006 (7,6 Mrd.
EUR). Auffallend ist, dass die Volumina in der Hochphase der Jahre 2006 und 2007 (15
Mrd. EUR) deutlich unter jenen der Boomjahre 1999 und 2000 (45,7 Mrd. EUR) lagen.
Ferner zeigt sich, dass bereits im Jahr 1995 (4 Mrd. EUR) ein vergleichsweise hohes
Volumen registriert wurde, im Vergleich zum Vorjahr (700 Mio. EUR.) fast das Sechs-
fache. Vor allem der Börsengang der Deutschen Telekom schlägt mit ca. 10 Mrd. EUR
zu Buche.65 Im Folgejahr ist bei diesem Wert mehr als eine Verdreifachung auf 13 Mrd.
EUR zu verzeichnen.
Das hohe Emissionsvolumen im »Jahr der Neuemissionen« 2000 war insbesondere
auf die großen Börsengänge von Infineon Technologies AG (5,4 Mrd. EUR), T-Online AG
(3,1 Mrd. EUR) und der Deutschen Post AG (5,8 Mrd. EUR) zurückzuführen.66 Auch die

65 Unter dem damaligen Vorstandschef Ron Sommer erfolgte am 18.11.1996 der Börsengang der Deut-
schen Telekom. In einer bis dahin einmaligen Werbekampagne wurde der Begriff der T-Aktie ge-
prägt und vor allem auch Privatanlegern als Volksaktie angepriesen. Der Erstausgabepreis betrug
28,50 DM (14,57 EUR). Das entsprach einem Erlös von 10,0 Mrd. EUR. Später folgten eine zweite und
dritte Tranche (28.06.1999, Stückpreis 39,50 EUR, Erlös 10,88 Mrd. EUR und 19.06.2000, Stückpreis
66,50 EUR, Erlös 15 Mrd. EUR).
66 Vgl. Mezger 2001.
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Teil

zweite Hochphase war von großen IPOs gekennzeichnet: Im Jahr 2006 bewerkstelligten
Symrise AG (Emissionsvolumen: 1,4 Mrd. EUR) und Wacker Chemie AG (1,2 Mrd. EUR)
die größten Börsengänge.67 Auch im Jahr 2007 gab es volumenträchtige IPOs.68 Die
größte Erstnotiz schaffte die Tognum AG (ca. 2,0 Mrd. EUR). Ferner platzierte die Stadt
Hamburg 2007 einen Teil ihrer Anteile an dem Hafenlogistikkonzern Hamburger Hafen
und Logistik AG (HHLA) an der Börse (1,17 Mrd. EUR). Auch die Gerresheimer AG de-
bütierte in dem Jahr an der Börse (912 Mio. EUR). Zusammen standen die drei größten
Börsengänge des Jahres 2007 für mehr als die Hälfte der gesamten Emissionserlöse.
In der zweiten IPO-Hochphase wurde auch ein steigendes Interesse am Finanzplatz
Deutschland aus dem asiatischen Raum deutlich. So wurden beispielweise im Jahr 2007
aus China sieben Neuzugänge registriert, darunter die ZhongDe Waste Technology AG
und die Asian Bamboo AG. Erstmals registrierte die Deutsche Börse 2007 auch Erst-
notierungen von Unternehmen aus Russland/CIS: Insgesamt gaben acht Gesellschaften
ihr Börsendebüt im Open Market.69 Die Zahlen zeigen eine zunehmende Internationa-
lisierung des Primärmarktes.
Nach 2007 ging es auf vergleichsweise niedrigem Niveau weiter – insbesondere was
die Anzahl der IPOs betrifft. Ab 2010 erholten sich die Aktivitäten etwas. Höhepunkt
war 2012 der Börsengang von Telefonica bzw. Telefónica Deutschland Holding AG. Die
Spanier schafften es trotz der Nachwehen der Finanzkrise knapp 1,5 Mrd. EUR ›ein-
zusammeln‹.70 2014 war mit 3,4 Mrd. EUR das stärkste Jahr seit 2007 – nach Volumen,
auch wenn dieses im Vergleich zu 2007 nicht einmal dessen Hälfte ausmacht. Es wird
erwartet, dass das Jahr 2015 noch spannender wird.71

5 Zusammenfassung und Ausblick


Ziel der vorliegenden Analyse war es, die Entwicklung des deutschen M & A-Marktes
über einen längeren Zeitraum hinweg zu analysieren. Dieser Analyse wurde eine M & A
Stakeholder-Perspektive zugrunde gelegt, die die verschiedenen Anspruchsgruppen bei
M & A-Transaktionen einbezieht. Die wesentlichen Erkenntnisse können wie folgt kurz
zusammengefasst werden: Für den gesamten Betrachtungszeitraum lassen sich vier
Phasen auf dem deutschen M & A-Markt erkennen. Die erste Phase, die als Entstehung
gekennzeichnet werden kann, wurde von der vierten M & A-Welle in den USA beein-
flusst. Die zweite Phase war sehr deutschlandspezifisch, vor allem die Wiedervereini-
gung stimulierte hier die M & A-Aktivitäten. Wachstum und Professionalisierung des
M & A-Geschäfts insgesamt kennzeichneten diese Phase. Die dritte und vierte Phase
verliefen sehr analog zur fünften und sechsten globalen M & A-Welle. Gleichzeitig re-
flektieren die vier M & A-Phasen aber auch verschiedene volkswirtschaftliche und bran-
chenspezifische Entwicklungen in Deutschland.
Als Ausblick können folgende Entwicklungen antizipiert werden: In vielen Unter-
nehmen wird M & A mittlerweile als ein ganz normales Instrument des strategischen

67 Vgl. Voss 2007a.


68 Vgl. Kunisch 2008a.
69 Quelle: Deutsche Börse: http://deutsche-boerse.com.
70 Vgl. Müller 2013a.
71 Vgl. Düsterhoff 2015a.
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96  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Managements zur Portfolio-Restrukturierung verstanden. Zudem hat das gesamte


M & A-Geschäft mittlerweile einen hohen Professionalisierungsgrad erreicht. Kombiniert
man diesen mit der zunehmenden Erfahrung in dem zyklischen Geschäft, so ist davon
auszugehen, dass die M & A-Aktivitäten auch in Zukunft in Krisenzeiten ein gewisses
Niveau halten werden und sich in Boomzeiten alten Höchstständen annähern oder diese
sogar übertreffen können.
Die Marktteilnehmer müssen sich weiterhin den stets wechselnden Herausforderun-
gen stellen, was ihnen zuletzt bereits immer besser gelungen ist. Allerdings ist dies nur
eine Seite der Medaille: Auch die globalen und makroökonomischen Entwicklungen und
Gegebenheiten beeinflussen den deutschen M & A-Markt. Vor diesem komplexen Hinter-
grund ist eine detaillierte Prognose für dessen Zukunft nicht möglich. Veränderungen
und Weiterentwicklungen wird es auf dem M & A-Markt genauso sicher geben wie bei
der (E-Mail-)Kommunikation.

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98  |  M & A aus Marktperspektive


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Voss, I. (2006b): Das M & A-Motto 2006: Big is Beautiful – Ein Rückblick auf den deutschen M & A-Markt
im ersten Halbjahr 2006. In: M & A REVIEW, 17. Jg., Nr. 7, 2006, S. 313–319.
Voss, I. (2007a): M & A-Rekordjahr 2006: Deutschland im weltweiten Trend. In: M & A REVIEW, 18. Jg.,
Nr. 2, 2007, S. 49–56.
Voss, I. (2007b): M & A-Boom in Deutschland: Übernahmen erreichen neues Rekordniveau im ersten
Halbjahr 2007. In: M & A REVIEW, 18. Jg., Nr. 7, 2007, S. 317–323.
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  |  99
Teil

Vodafone und Mannesmann:


Der größte M & A-Deal aller Zeiten
Günter Müller-Stewens*

Im Jahr 2000 fand in einer knapp dreieinhalb Monate dauernden Übernahmeschlacht


die, auf das Transaktionsvolumen bezogen, größte Transaktion aller Zeiten statt: Der
britische Mobilfunkanbieter Vodafone erwirbt zum Ausbau seiner internationalen
Marktposition die deutsche Mannesmann AG für 195 Mrd. US-$ – ohne die Millionen
US-$ von Beratergebühren.
Um sich die Ereignisse um Mannesmann nochmals zu vergegenwärtigen, muss man
in den Oktober 1999 zurückblenden: Mannesmann war zu diesem Zeitpunkt ein tradi-
tionsreicher deutscher Industriekonzern, dessen historische Wurzeln Stahlrohre waren,
der aber – angesichts des rückläufigen Montangeschäfts Ende der 1980er Jahre – immer
mehr zu einem breit diversifizierten Technologiekonglomerat ohne wesentliche Synergi-
en wurde. So war Mannesmann im Jahr 1990, im einhundertsten Jahr seines Bestehens,
auch in das Telekommunikationsgeschäft eingetreten. Man hatte dazu die Lizenz des
ersten privaten Mobilfunknetzes D2 in Deutschland erworben. Dieses Geschäft entwi-
ckelte sich äußerst erfolgreich. Ziel war nun auch seine Expansion in Europa.
Mit diesem Erfolg zog man die Aufmerksamkeit des damals weltgrößten Mobilfun-
kunternehmens, der britischen Vodafone AirTouch plc. (kurz: Vodafone), und dessen
CEO Chris Gent auf sich. Es wurde spekuliert, dass er versuche, im Zuge seiner Inter-
nationalisierungsstrategie Mannesmann zu übernehmen. Nach dem Motto »Angriff ist
die beste Verteidigung« kündigt Klaus Esser, erst seit Mai 1999 Vorstandsvorsitzender
von Mannesmann, am 21.10.99 an, dass man – gewissermaßen als Abwehrmaßnahme
(»Giftpille«) – den britischen Mobilfunkanbieter Orange plc für 19,8 Mrd. brit.-£ (ca.
60 Mrd. DM) erwerben wird. Man meinte, dass man dadurch für Vodafone unattraktiv
würde, da Vodafone dann nach einer Mannesmann-Übernahme Orange aus Kartell-
rechtsgründen unter großen Verlusten weiterverkaufen müsste. Zu diesem Zeitpunkt
war Vodafone bereits mit 34 % an Mannesmann Mobilfunk beteiligt. Mit dieser Trans-
aktion wurde auch der Mischkonzern Hutchison Whampoa mit 10 % zum größten Ein-
zelaktionär von Mannesmann. Dies geschah allerdings mit der Auflage, die Mannes-
mann-Aktien mindestens ein Jahr lang nicht zu verkaufen.
Doch es kam anders. Vodafone sah sich dadurch in seiner dominanten Position
im Heimmarkt bedroht. Bereits am Tag darauf berichtet die »Times«, dass Vodafone
eine Übernahme von Mannesmann plane, worauf der Aktienkurs von 144 EUR stark
nach oben steigt. So kam es denn auch am 14.11.99 zu einem ersten Angebot, das auf
100 Mrd. EUR lautete, aber vom Mannesmann-Management als »völlig unangemessen«
abgelehnt wurde. Argumentativ unterstützt wurde es vom damaligen Bundeskanzler
Gerhard Schröder. Der Kurs der Mannesmann-Aktie steigt daraufhin auf über 209 EUR.

* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St.  Gallen
(HSG), St. Gallen
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100  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Nach mehreren Nachbesserungen unterbreitete Vodafone dann am 23.12.99 den Aktio-


nären ein öffentliches Kaufangebot, in dessen Kern der Tausch von 53,7 Vodafone-Akti-
en für eine Mannesmann-Aktie stand, was einen Preis von 124 Mrd. EUR ergibt. Zuvor
hatte Vodafone über mehrere kleinere Zukäufe den Wert seiner Aktie kontinuierlich
gesteigert. Bei Mannesmann übernimmt man noch einige Abwehrversuche (»weißer
Ritter« etc.), die aber alle nicht greifen.
Aufgrund des Anstiegs des Aktienkurses von Mannesmann hat der Anteil von Hut-
chison Whampoa zwischenzeitlich eine Wertsteigerung von etwa 8 Mrd. EUR erfahren.
Doch ein Verkauf war unter einem Jahr nur mit der Zustimmung von Mannesmann
möglich.
Am 04.02.2000 kommt es dann zur überraschenden Einigung: der Aufsichtsrat, unter
Leitung von Joachim Funk, stimmt der Übernahme zum Preis von 101 Mrd. brit.-£ (rund
195 Mrd. US-$ oder 178 Mrd. EUR) in Aktien zu. Vodafone erwarb 98,6 % der Mannes-
mann-Aktien im März 2000 zum Kurs von 353 EUR. Die verbliebenen Minderheitsakti-
onäre wurden am 11.6.2002 zum Kurs von 218 EUR per Squeeze-out abgefunden. Am
17.04.2000 wird die Übernahme rechtlich vollzogen und Chris Gent wird Vorsitzender
des Aufsichtsrats von Mannesmann.
Der Aufsichtsrat genehmigte am 04.02.2000 auch Sonderzuwendungen an Funk, Es-
ser und vier weitere Vorstandsmitglieder von insgesamt 48 Mio. DM. Auf Initiative von
Hutchison Whampoa kam es zu einer Vorabverabredung mit Vodafone, dass man Esser
eine Sonderzahlung von 60 Mio. DM zusagte – denn nun konnte Hutchison Wham-
poa seine Wertsteigerung realisieren. So wurde aus einer aus Sicht des Managements
»unfreundlichen Übernahme« plötzlich eine »freundliche Übernahme« – ohne die Ak-
tionäre zu fragen. Im Manager Magazin vom 24.08.2001 war dazu zu lesen: »Canning
Fok, Geschäftsführender Direktor bei Hutchison Whampoa, hat die Sonderabfindung für
Klaus Esser in Höhe von 60 Mio. DM vorgeschlagen. ... Fok habe die Abfindung durchge-
setzt, weil Esser als Vorstandschef so viel für die Mannesmann-Aktionäre getan habe. Um
sicherzugehen, dass Vodafone die Abfindungszahlung nach der Übernahme nicht stoppe,
habe er sich am 03.02.2000 mit … Chris Gent in Verbindung gesetzt. Der hätte nach einer
Abstimmung mit seinen Vorstandskollegen gleich am nächsten Tag grünes Licht gegeben
... Wenig später wurde der Vorschlag Foks umgesetzt und die Abfindung vom Aufsichtsrat
der Mannesmann AG beschlossen.«
Die 60 Mio. DM der Abschiedsvergütung für Esser setzt sich laut Manager Magazin
vom 11.02.2000 wie folgt zusammen: »Von Vodafone erhält Esser eine Prämie (Apprecia-
tion Award) in Höhe von 15,9 Mio. EUR (31 Mio. DM), zahlbar nach Erwerb der Mehrheit
der Mannesmann-Aktien durch Vodafone AirTouch, wie aus den Übernahmemodalitä-
ten hervorgeht, auf die beide Seiten sich geeinigt haben. Zusätzlich behält er sämtliche
Bezüge seines bis Ende Juni 2004 laufenden Mannesmann-Vertrags. Diese Vereinbarung
hatte Esser bereits am 10. Dezember vergangenen Jahres (1999) mit dem Ausschuss für
Vorstandsangelegenheiten getroffen. Im Detail sieht die Regelung vor, dass er, sollte
der Vertrag als Folge einer Übernahme von Mannesmann nicht fortgeführt werden,
Gehalt und Boni in der Höhe erhält, in der er diese bis zum 30. Juni 2004 hätte erhalten
können. Zu seinem Grundgehalt (1,4 Mio. DM pro Jahr) kämen damit vier Jahresboni
von jeweils 2,8 Mio. DM – insgesamt also 15,2 Mio. DM. Obendrauf kommt noch ein
mittelfristiger Leistungsbonus von insgesamt neun Jahresgehältern, also 12,6 Mio. DM.«
Mannesmann, damals ein Konzern mit über 23 Mrd. EUR Umsatz, hat damit im
erfolgreichsten Geschäftsjahr seiner Unternehmensgeschichte seine Unabhängigkeit
verloren. Auf deutscher Seite hatte man einen solchen Ausgang für das stolze Traditi-
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Rückspiegel – Vodafon und Mannesmann: Der größte M & A-Deal aller Zeiten  |  101
Teil

onsunternehmen kaum für möglich gehalten, was sich als Selbstüberschätzung heraus
stellte. Das Unternehmen wurde danach zerschlagen, da Vodafone nur an D2 interessiert
war. Ende Mai 2000 wurde Orange von Vodafone für 26,9 Mrd. brit.-£ (ca. 84 Mrd. DM)
an die France Telecom verkauft. Vodafone rangierte danach in der Weltrangliste der
»wertvollsten« Unternehmen auf Platz vier. Das Unternehmen war lange Jahre das Pa-
radebeispiel für nahezu grenzenloses Wachstum mittels internationalen Akquisitionen.
Man kann heute sagen, dass diese Übernahme nicht nur die größte war, sondern
sicher auch eine der wertvernichtendsten. Die enorme Höhe des Gebots bei der Einigung
ist vor dem Hintergrund der damals nahezu grenzenlosen Euphorie auf der Investo-
renseite zu sehen. Dass ein Preis von 101 Mrd. brit.-£ mit den bestehenden Cashflows
nicht annähernd zu rechtfertigen war, wurde mit dem Argument, dass zusätzliche
zukünftige Einkommensströme aus den neuen Technologien (Videogespräche, Down-
loads und Streaming von Videos etc.) derartige Preise durchaus legitimieren würden,
zur Seite gewischt. Der hohe Preis wurde durch Vodafone auch durch die »inflationierte
Währung« mit der die Transaktion bezahlt wurde, nämlich den Aktien von Vodafone,
legitimiert. Und es lässt sich sogar argumentieren, dass der Vodafone-Kurs ohne die
Mannesmann-Akquisition noch stärker gefallen wäre, da die Vodafone-Aktien noch
stärker inflationiert waren als die Mannesmann-Aktien.
Erst relativ spät begann Vodafone den Kritikern der Transaktion auch zuzubilligen,
dass zu deutlich überhöhten Preisen der Aktienbestand von Mannesmann aufgekauft
wurde. Nach wochenlangen Unruhen um die zukünftige strategische Ausrichtung des
Unternehmens musste der seinerzeit neue CEO Arun Sarin am 27.02.2006 nicht nur
eingestehen, dass die bislang kommunizierten und im Kapitalmarkt als sehr ambitiös
wahrgenommenen Wachstumsprognosen in den eigenen Schlüsselmärkten deutlich zu-
rückgenommen werden müssen. Er musste auch ankündigen, dass Vodafone auf rund
des eingetretenen Teilwertverfalls von Mannesmann im Jahresabschluss 2005 Abschrei-
bungen in Höhe von rund 23,5 Mrd. brit.-£ auf einige der internationalen Aktiva vorneh-
men musste. Ein Großteil dieser Abschreibungen in Höhe von 19,4 Mrd. brit.-£ entfällt
auf den deutschen Markt und dürften den Goodwill der im Jahr 2000 übernommenen
Mannesmann AG und die getrübten Aussichten in einem immer härter umkämpften
deutschen Mobilfunkmarkt betreffen.1
Diese Abschreibungen dürften wohl als Eingeständnis zu werten sein, wie extrem
überbewertet diese Transaktion wirklich war und welchen Preis eine »Wachstumsstra-
tegie um jeden Preis« haben kann. Ein Anhaltspunkt über den Wertverfall des Mannes-
mann-Engagements liefert die Differenz zwischen dem Buchwert beim Abschluss der
Transaktion in Höhe von 140 Mrd. brit.-£ und Anfang 2006 in Höhe von etwa 88 Mrd.
brit.-£ – ein Rückgang um etwa 37 %. Bezogen auf die Marktkapitalisierung reduzierte
sich der Buchwert von 160 % auf 128 % – was im Verhältnis zu Wettbewerbern wie der
Deutschen Telekom oder France Telekom, wo dieser Prozentsatz deutlich unter 100 liegt,
immer noch ziemlich hoch ist.
Doch diese Jahrhundert-Transaktion hatte nicht nur eine ökonomische Dimension,
sondern auch eine moralische und juristische. So zeigte sie recht deutlich, wie gut bzw.
schlecht die teilweise erst neuerdings eingerichteten Regulative des Marktes für Unter-
nehmenskontrolle (bereits) funktionierten. So hatte diese Transaktion denn auch ein
juristisches Nachspiel. Gegen Mannesmann-Organmitglieder wurde Strafanzeige durch
die Änwälte Binz und Sorg wegen des Verdachts der Untreue bei der Düsseldorfer Staats-

1 Vgl. NZZ vom 30.05.2006.


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102  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

anwaltschaft erstattet. Das Ermittlungsverfahren endete erstinstanzlich mit einem Frei-


spruch. Aufgrund einer Revision der Staatsanwaltschaft wurde der Freispruch jedoch
durch die Generalstaatsanwaltschaft aufgrund einer Beschwerde von Binz und Sorg
wieder aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wird aufgefordert gegen Esser
und Mitglieder seiner Führungsmannschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Ver-
dachts der Untreue und anderer Vorwürfe einzuleiten. Die Neuverhandlung im Oktober
2006 endete mit einer Einstellung des Verfahrens gegen alle Angeklagten gegen Leis-
tung einer Geldauflage, bemessen am Einkommen der Angeklagten. So musste Klaus
Esser 1,5 Mio. EUR an gemeinnützige Organisationen und die Staatskasse bezahlen.
Bemerkenswert ist hierzu insbesondere Folgendes:2 Zuerst einmal, dass es hier über-
haupt zu einem öffentlichen Gerichtsverfahren kam, was bis zu diesem Zeitpunkt eher
nicht üblich war; zweitens, dass aktienrechtliche Schadenersatzansprüche offenbar nur
auf dem Weg der Privatklage verfolgt werden können, was es für den »normalen Akti-
onär« fast unmöglich macht; drittens dass trotz aller Bemühungen um eine effiziente
Corporate Governance die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats und Abschlussprüfers noch
nicht ausreichend gewährleistet ist; und letztlich, dass der Weg zu einem im Zentrum
stehenden Aktionärsinteresse immer noch recht weit zu gehen ist. So hat der BGH in
seiner mündlichen Urteilsbegründung bemängelt, dass Vorstand und Aufsichtsrat nur
»Gutsverwalter« und nicht »Gutsherren« wären, der Aufsichtsrat aber das Geld »nach
Gutsherrenart« verteilt hätte.
Über die moralische Frage, wie ehrenwert hier die Entscheidungsträger gehandelt
haben, mag sich jeder selbst sein Urteil bilden. Der moralische Wert einer Entschei-
dung oder Handlung bemisst sich im Allgemeinen daran, wie sorgfältig und befreit
von Partikularinteressen (also auch von Eigeninteressen) die anfallenden Pflichten und
Güterabwägungen vorgenommen wurden und ob die Folgen für die Beteiligten und
Betroffenen angemessen einbezogen wurden. Doch sicher hat mit diesem Handeln die
Reputation des Managers in der Öffentlichkeit weiter Schaden genommen – fernab von
allen offenbar unvermeidbaren Gier- und Abzocker-Debatten.

2 Vgl. hierzu im Detail Theisen, M. R. (2014): Zehn Jahre später: »Zehn Lehren aus dem Mannes-
mann-Prozess« auf dem Prüfstand, in: Freudenberg, G./Sorg, M. (Hrsg.): Familienunternehmen im
Fokus von Wirtschaft und Wissenschaft, Festschrift für Mark K. Binz, Beck: München, S. 685–695.
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  |  103
Teil

V. Der Schweizer M & A-Markt


Markus Menz/Fabian Barnbeck*

1 Einleitung
2 Überblick zum Schweizer M & A-Markt von 1990 bis 2014
2.1 Entwicklung der Transaktionsaktivitäten
2.2 Länderstatistik
2.3 Branchenstatistik
2.4 M & A-Beratungen
3 Schweizer Top Deals von 1990 bis 2014
3.1 Übersicht der 25 größten Deals
3.2 Ausgewählte Top Deals
4 Fazit und Ausblick

1 Einleitung
»Schweizer M & A-Markt blickt auf aktives Jahr zurück«, »1998 wird zum Jahr der Konsoli-
dierung für den Schweizer M & A-Markt«, »Finanzdienstleister im Mittelpunkt des Schwei-
zer M & A-Geschehens«, »Spektakuläre Zukäufe der Schweizer Großbanken«, »Konsolidie-
rung auf dem Schweizer Telekommunikationsmarkt«, »Akquisitionen der Pharmariesen
prägen Schweizer M & A-Markt«, »Berg und Talfahrt im Schweizer M & A-Markt 2008« – Ein
Blick auf einige Titel der in den letzten 25 Jahren in der Branchenfachzeitschrift M & A
REVIEW erschienen Beiträge zeigt die Vielfältigkeit des Marktgeschehens allgemein
sowie auch einige der aktivsten Branchen im Schweizer M & A-Markt. Während die
meisten Medien einen zeitnahen, d. h. quartalsweisen oder jährlichen, Rückblick auf das
Schweizer M & A-Geschehen geben, soll dieser Beitrag eine langfristigere Perspektive auf
den M & A-Markt ermöglichen und über kurzfristige Trends hinausgehende Einschät-
zungen erleichtern.
Der Beitrag greift überwiegend auf Daten der M & A DATABASE der Universität St.
Gallen und teilweise auch auf internationale Datenbanken wie Thomson ONE Banker
zurück. Diese Daten werden einerseits deskriptiv ausgewertet und visuell dargestellt,
andererseits werden unter Verwendung von makroökonomischen und firmenspezifi-
schen Hintergrundinformationen, eine Kontextualisierung und Interpretation vorge-
nommen. Insbesondere der zweite Aspekt soll das Verständnis für die Entwicklungen
über die letzten 25 Jahre im Schweizer M & A-Markt fördern und damit möglicherweise
sogar die Einschätzung zukünftiger Ereignisse erleichtern.

* Prof. Dr. Markus Menz, Professor für Strategisches Management, Universität Genf, Genf;
Fabian Barnbeck, Doktorand, Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen.
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104  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Der Beitrag ist wie folgt strukturiert: Zunächst erfolgt ein Überblick über den
Schweizer M & A-Markt von 1990 bis 2014. Dies schließt nicht nur die allgemeine Trans-
aktionsentwicklung, sondern auch Länder- und Branchenstatistiken mit ein. Zudem
wird auf die Rolle der wichtigsten finanziellen und rechtlichen Beratungsdienstleister
eingegangen, die im (erfolgreichen) Transaktionsprozess vielfach eine Schlüsselrolle
spielen. Anschließend folgt eine Darstellung der 25 größten M & A-Transaktionen mit
Schweizer Beteiligung, ebenfalls für den Zeitraum von 1990 bis 2014. Dies umfasst
auch die detaillierte Vorstellung ausgewählter spektakulärer Deals, die teilweise in der
Schweizer Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wurden. Der Beitrag schließt mit einem
Fazit und einem kurzen Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen im Schweizer
M & A-Markt.

2 Überblick zum Schweizer M & A-Markt


von 1990 bis 2014
2.1 Entwicklung der Transaktionsaktivitäten
Auch wenn die Transaktionszahlen in der Schweiz in den Jahren von 2004 bis 2014 teils
erheblich zurückgingen, sollte dies nicht zwangsläufig Anlass zur Beunruhigung geben.
Vielmehr lässt sich diese aktuelle Entwicklung in einen längeren Zeitraum eingeord-
net erklären (vgl. Abb. 1). So können zwei grundsätzliche Entwicklungen festgestellt
werden: Einerseits verlaufen die Transaktionszahlen in der Schweiz in Zyklen, sog.
M & A-Wellen, und andererseits lässt sich insgesamt ein positiver Trend in der Entwick-
lung der Transaktionszahlen feststellen.

2.1.1 Zyklische Transaktionsentwicklung

Die Entwicklung der Transaktionszahlen verläuft zyklisch bzw. in Wellen. Für den Zeit-
raum von 1990 bis 2014 lassen sich vier M & A-Wellen ausmachen.1 Die erste Schweizer
M & A-Welle, von 1990 bis 1994, ist mit einer Dauer von fünf Jahren vergleichsweise
kurz. Charakteristisch für diese Welle ist der kurze Aufschwung und der ebenso abrup-
te Abschwung von 1993 auf 1994. Während diese Entwicklung nicht die eher negative
konjunkturelle Entwicklung der Schweiz zu Beginn der 1990er Jahre reflektiert, bieten
Ereignisse in den Nachbarländern und andere internationale Entwicklungen einen Er-
klärungsansatz für diese Welle.2 So spiegelt diese Welle die konjunkturelle Entwicklung
nach der deutschen Wiedervereinigung und nach dem Niedergang der Sowjetunion und
weiterer ehemaliger Ostblockländer wider. Während in den ersten Jahren nach 1990 ein
Wirtschaftsboom – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen
Ländern – festzustellen war, folgte nach diesem kurzen Aufschwung eine Rezession.

1 Vgl. zu den allgemeinen Charakteristika von M & A-Wellen: Müller-Stewens 2007.


2 Einen ausführlichen Überblick über die Konjunkturentwicklung in der Schweiz bietet das Schwei-
zer Bundesamt für Statistik (Rais/Stauffer 2005).
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V. Der Schweizer M & A-Markt  |  105


Teil

700
628 607
590 590
600 557 548 536
513
482 487
500 437 456
408 427
404
377 363 364
400 353 341
331
301
300 242

200
109 98
100

0
90

91

92

93

95

96

97

98

99

00

01

02

03

05

06

07

08

09

10

11

12

13
94

04

14
20
19

19

19

19

19

19

19

19

19

20

20

20

20

20

20

20

20

20

20

20

20
19

20

20
Abb. 1: Jährliche Transaktionsentwicklung in der Schweiz von 1990 bis 20143 (Quelle: Eigene Analyse, M & A
DATABASE Universität St. Gallen)

Die zweite Welle, von 1995 bis 2001, dauerte bereits sieben Jahre an. Ausgehend von
einem relativ niedrigen Niveau bei der Anzahl der M & A-Transaktionen – nur 242 Deals
mit Schweizer Beteiligung in 1994 – entwickelte sich der M & A-Markt in diesem Zyk-
lus sehr positiv auf ein Hoch von 557 Deals in 1997. Auch in der Schweiz stand diese
Entwicklung im Zeichen der New Economy, und die Investorenphantasie spielte eine
große Rolle. Der Markt blieb in den Jahren 1997 und 1998 auf einem vergleichsweise
hohen Niveau, war nach einem Knick 1999 auch 2000 noch rege, bevor ein deutlicher
Rückgang im Jahr 2001 erfolgte. Einer der Hauptgründe für die Abnahme der Schweizer
M & A-Transaktionen war, dass sich aufgrund des erheblichen Einbruches der internati-
onalen sowie Schweizer Kapitalmärkte die Finanzierung von Transaktionen börsenno-
tierter Unternehmen stark verteuerte.
Die dritte Welle, von 2002 bis 2009, war mit einer Dauer von rund acht Jahren
die längste Welle im Schweizer M & A-Markt in den vergangenen 20 Jahren. War sie
zunächst Ausdruck eines vergleichsweise lang anhaltenden globalen sowie schweize-
rischen wirtschaftlichen Aufschwungs, stand sie in den letzten Jahren im Zeichen der
weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise.4 Aufgrund der mit der Krise verbundenen
Unsicherheit sowie Finanzierungsschwierigkeiten scheuten viele Unternehmen Trans-
aktionen als ein Mittel zum Wachstum. Zudem gestaltete es sich in den Jahren 2008
und 2009 teils erheblich schwieriger, Fremdkapital für Akquisitionen zu erhalten, was
zu einem Rückgang der Transaktionstätigkeiten insbesondere bei Private Equity-Fonds
führte. Schließlich war in 2009 eine Abnahme von Akquisitionen Schweizer Unter-
nehmen durch ausländische Käufer festzustellen, nicht zuletzt aufgrund der Stärke
der Schweizer Währung. Einem noch weiteren Rückgang des Schweizer M & A-Marktes
wirkte vor allem die vergleichsweise gute Situation Schweizer Unternehmen entgegen.
Die Einbrüche im Zuge der Krise waren in vielen Branchen in der Schweiz geringer
als im Ausland und die Unternehmen nicht von einer »Kreditklemme« wie etwa in
Deutschland betroffen.

3 Transaktionen in den Jahren 1990 und 1991 nicht vollständig in Datenbank erfasst; Werte 1999 und
2000 ohne Joint Ventures.
4 Vgl. zu den entsprechenden Quartalszahlen: Menz/Clüver 2010.
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106  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Die vierte Welle, von 2010 bis 2014, ist vor allem durch den rapiden Rückgang der
M & A-Aktivität im Jahr 2012 gekennzeichnet. Grund für diese einschneidende Entwick-
lung auf dem Schweizer M & A-Markt war das Erstarken des Schweizer Franken im Zuge
der Eurokrise. Allerdings schlug sich diese Wechselkursentwicklung zunächst positiv
in der Transaktionsaktivität nieder: Während Schweizer Zielobjekte für ausländische
Investoren an Attraktivität verloren, nutzten Schweizer Unternehmen im Jahr 2011 die
starke Heimatwährung für günstige Investitionen im Ausland. Dieses Abschöpfen von
Wechselkursvorteilen führte 2011 zur dritthöchsten Transaktionsanzahl in den ver-
gangenen 25 Jahren. Aufgrund der anhaltenden Frankenstärke kehrten zwischen 2012
und 2014 ausländische Investoren allerdings nicht auf den Schweizer Markt zurück. Da
Schweizer Investoren ihr Pulver im Jahr 2011 bereits verschossen hatten und sich in den
Folgejahren auf dem M & A-Markt eher zurückhielten, kam es zu dem beschriebenen
rapiden Rückgang der Transaktionsaktivität im Jahr 2012.

2.1.2 Positive Transaktionsentwicklung insgesamt

Neben dem zuvor beschriebenen Wellenverlauf, ist die Entwicklung der Transaktions-
zahlen in der Schweiz im Zeitraum von 1990 bis 2014 insgesamt positiv. Obwohl die
Zahl der M & A-Transaktionen in der Schweiz im Jahresvergleich jeweils teils erheblich
schwankt, ist über einen längeren Zeitraum hinweg ein Anstieg der Transaktionsakti-
vitäten festzustellen. Schweizer Unternehmen nutzen seit den 1990er Jahren vermehrt
aktives Portfoliomanagement mit Akquisitionen und Desinvestitionen im Rahmen ih-
rer Unternehmensstrategien – ein Trend der auch in den letzten Jahren vor Erschei-
nen dieses Beitrags noch anhielt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einerseits war in
vielen Branchen in den vergangenen Jahren eine Konsolidierung festzustellen. In der
Finanzdienstleistungsbranche etwa nahm die Anzahl der Unternehmen in der Schweiz
seit 1990 durch M & A ab. Andererseits führte die fortschreitende Globalisierung dazu,
dass auch Schweizer Unternehmen sich immer mehr internationalisierten und auf M & A
(oder oftmals auch auf Joint Ventures) als ein mögliches Instrument zurückgriffen.
Hier kam den Schweizer Unternehmen auch ihre im Vergleich zu ausländischen Wett-
bewerbern weit überdurchschnittliche Stellung zu Gute, beispielsweise hinsichtlich der
Eigenkapitalausstattung.

2.2 Länderstatistik
Eine Unterscheidung der Marktaktivitäten in Binnentransaktionen und Deals mit aus-
ländischer Beteiligung, sog. grenzüberschreitende bzw. Cross-Border-Transaktionen,
zeigt hinsichtlich der Internationalisierung Schweizer Unternehmen verschiedene Pha-
sen. Bis auf die Jahre 2002, 2004 und 2005 waren in allen Jahren die meisten De-
als Cross-Border-Transaktionen, d. h. entweder mit einem ausländischen Käufer oder
einem ausländischen Zielunternehmen (vgl. Abb. 2). Dies verdeutlicht allgemein die
Wichtigkeit ausländischer Märkte für die Schweiz. Während Mitte bis Ende der 1990er
Jahre Schweizer Binnentransaktionen häufiger als Deals mit einem Schweizer Käufer
und einem ausländischen Zielunternehmen waren, so verlagerte sich der Schwerpunkt
in den Jahren 1999 und 2000 zugunsten der ausländischen Zielunternehmen. In den
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V. Der Schweizer M & A-Markt  |  107


Teil

letzten Jahren überwog aber wieder die Zahl der Schweizer Binnentransaktionen, d. h.
Schweizer Käufer erwarben deutlich häufiger Schweizer Unternehmen als ausländische.

in % 2014 2013 2012 2011 2010


Ausland -> Schweiz 20,2% 19,2% 22,6% 19,2% 19,1%
Schweiz -> Schweiz 40,2% 46,7% 40,5% 42,4% 39,8%
Schweiz -> Ausland 35,2% 31,3% 31,6% 35,9% 37,4%
Nur Schweizer Verkäufer 4,4% 2,7% 5,3% 2,5% 3,7%
Summe 100% 100% 100% 100% 100%

in % 2009 2008 2007 2006 2005


Ausland -> Schweiz 21,8% 26,3% 27,8% 22,0% 19,1%
Schweiz -> Schweiz 44,9% 36,9% 44,6% 47,6% 52,6%
Schweiz -> Ausland 30,9% 32,0% 23,7% 26,5% 23,1%
Nur Schweizer Verkäufer 2,5% 4,8% 3,9% 3,9% 5,3%
Summe 100% 100% 100% 100% 100%

in % 2004 2003 2002 2001 2000


Ausland -> Schweiz 18,2% 28,5% 21,8% 24,1% 21,7%
Schweiz -> Schweiz 59,2% 43,2% 51,3% 43,6% 27,6%
Schweiz -> Ausland 17,0% 28,3% 26,9% 32,3% 50,7%
Nur Schweizer Verkäufer 5,6% NA NA NA NA
Summe 100% 100% 100% 100% 100%

in % 1999 1998 1997 1996 1995


Ausland -> Schweiz 27,5% 26,6% 21,9% 18,6% 21,4%
Schweiz -> Schweiz 35,8% 40,9% 45,3% 41,0% 36,7%
Schweiz -> Ausland 36,8% 32,5% 32,8% 40,4% 41,9%
Nur Schweizer Verkäufer NA NA NA NA NA
Summe 100% 100% 100% 100% 100%

in % 1994 1993 1992 1991 1990


Ausland -> Schweiz 15,6% 14,7% 21,5% 41,8% 36,7%
Schweiz -> Schweiz 40,8% 49,6% 39,3% 15,3% 7,3%
Schweiz -> Ausland 43,5% 35,7% 39,3% 42,9% 56,0%
Nur Schweizer Verkäufer NA NA NA NA NA
Summe 100% 100% 100% 100% 100%
Abb. 2: Cross Border-Transaktionen von 1990 bis 2014 (Quelle: Eigene Analyse, M & A DATABASE Universität
St.  Gallen)

Trotzdem spielen ausländische Zielunternehmen, insbesondere in den letzten Jah-


ren, eine große Rolle für Schweizer Käufer. Über den gesamten Zeitraum von 1990 bis
2014 waren ausländische Unternehmen in mehr als einem Drittel der Fälle Zielobjekte
Schweizer Käufer. Dies spiegelt u. a. die relativ gute Wettbewerbsposition und starken
Internationalisierungsabsichten Schweizer Unternehmen, aber auch die vergleichsweise
geringe Größe des Heimatmarktes wider.
Die Analyse der Herkunftsländer der Zielobjekte Schweizer Transaktionen illustriert
einerseits die unterschiedliche Wichtigkeit der einzelnen Länder für Schweizer Unter-
nehmen, andererseits reflektiert sie auch weltwirtschaftliche Entwicklungen, wie etwa
die Öffnung des Ostblocks Anfang der 1990er Jahre oder die aufstrebenden asiatischen
Staaten China und Indien. Insgesamt kamen die Zielunternehmen in den vergangenen
25 Jahren aus 101 Ländern. Die meisten Länder tauchen allerdings nur vereinzelt auf
und ein Großteil der Akquisitionsobjekte kam aus einigen wenigen Ländern. Die meis-
ten Akquisitionen mit ausländischem Transaktionsobjekt entfielen mit großem Abstand
auf Deutschland (30,0 % aller ausländischen Zielobjekte), gefolgt von den USA (13,9 %),
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108  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

2014 2013 2012 2011 2010


Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals
Deutschland 34.8% Deutschland 25.8% Deutschland 27.0% Deutschland 24.2% Deutschland 30.0%
USA 13.3% Frankreich 11.3% USA 14.4% USA 13.2% USA 15.0%
Frankreich 5.9% USA 11.3% Großbritannien 9.9% Großbritannien 6.6% Großbritannien 7.5%
Niederlande 5.9% Österreich 8.1% Frankreich 7.2% Frankreich 5.7% Indien 4.0%
Österreich 5.2% Großbritannien 7.3% Australien 4.5% Italien 5.7% Italien 4.0%
China 4.4% Italien 4.0% Italien 3.6% Schweden 4.4% China 3.5%
Großbritannien 3.7% China 3.2% Dänemark 2.7% Österreich 4.0% Österreich 3.5%
Italien 3.7% Australien 2.4% Japan 2.7% Australien 3.5% Spanien 3.0%
Brasilien 2.2% Indien 2.4% Niederlande 2.7% Kanada 3.1% Niederlande 2.5%
Dänemark 1.5% Niederlande 2.4% Belgien 1.8% Niederlande 2.6% Belgien 2.0%
Sonstige 19.3% Sonstige 21.8% Sonstige 23.4% Sonstige 26.9% Sonstige 25.0%

2009 2008 2007 2006 2005


Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals
Deutschland 30.6% Deutschland 36.2% Deutschland 40.1% Deutschland 30.5% Deutschland 22.2%
USA 16.5% USA 13.6% USA 11.8% USA 19.5% USA 13.3%
Österreich 8.3% Österreich 7.9% Großbritannien 5.9% Österreich 8.4% Großbritannien 7.7%
Frankreich 5.8% Frankreich 4.0% Österreich 5.9% Großbritannien 7.1% Frankreich 7.3%
Großbritannien 5.0% Großbritannien 3.4% Italien 5.3% Frankreich 3.9% Italien 4.0%
Belgien 2.5% unbekannt 2.8% Frankreich 3.3% China 3.2% Niederlande 3.2%
China 2.5% Belgien 2.3% Schweden 3.3% Italien 2.6% Österreich 3.2%
Italien 2.5% Italien 2.3% Niederlande 2.6% Kanada 2.6% Kanada 2.4%
Norwegen 2.5% Kanada 2.3% Russland 2.0% Liechtenstein 1.9% Liechtenstein 2.4%
Schweden 2.5% Niederlande 2.3% Singapur 2.0% Niederlande 1.9% Schweden 2.4%
Sonstige 21.5% Sonstige 23.2% Sonstige 17.8% Sonstige 18.2% Sonstige 31.9%

2004 2003 2002 2001 2000


Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals
Deutschland 32.0% Deutschland 19.5% Deutschland 29.8% Deutschland 32.8% Deutschland 30.5%
USA 14.9% USA 15.9% USA 13.8% USA 13.4% USA 16.1%
Großbritannien 8.3% Frankreich 6.6% Österreich 8.3% Österreich 9.2% Großbritannien 7.2%
Dänemark 6.1% Großbritannien 6.6% Frankreich 5.0% Italien 4.2% Frankreich 4.9%
Österreich 5.5% Niederlande 4.9% Großbritannien 5.0% Großbritannien 3.4% Niederlande 4.5%
Frankreich 4.4% Österreich 4.4% Italien 4.4% Kanada 3.4% Italien 3.6%
Niederlande 3.9% Schweden 4.4% Niederlande 3.3% Finnland 2.5% Belgien 2.7%
Italien 2.8% Tschechien 3.1% Polen 2.8% Frankreich 2.5% Dänemark 2.7%
Kanada 2.8% Italien 2.7% Kanada 2.2% Japan 2.5% Japan 2.7%
Finnland 2.2% Spanien 2.7% Portugal 2.2% Belgien 1.7% Kanada 1.8%
Sonstige 17.1% Sonstige 29.2% Sonstige 23.2% Sonstige 24.4% Sonstige 23.3%

1999 1998 1997 1996 1995


Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals
Deutschland 32.2% Deutschland 26.6% Deutschland 25.9% Deutschland 27.0% Deutschland 21.9%
USA 15.4% USA 14.7% USA 12.3% USA 16.9% USA 13.1%
Italien 6.2% Italien 11.9% Großbritannien 6.8% Niederlande 5.4% Frankreich 6.6%
Frankreich 5.3% Großbritannien 8.5% Frankreich 6.2% Großbritannien 4.1% China 5.8%
Großbritannien 4.8% Frankreich 6.2% Italien 5.6% Italien 4.1% Großbritannien 5.8%
China 3.1% Niederlande 4.0% Hongkong 4.3% China 2.7% Australien 5.1%
Belgien 2.6% Argentinien 1.7% Niederlande 4.3% Norwegen 2.7% Österreich 4.4%
Brasilien 2.2% Australien 1.7% Polen 4.3% Australien 2.0% Polen 2.9%
Polen 2.2% Brasilien 1.7% China 3.1% Belgien 2.0% Portugal 2.2%
Portugal 2.2% Japan 1.7% Österreich 3.1% Russland 2.0% Schweden 2.2%
Sonstige 23.8% Sonstige 21.5% Sonstige 24.1% Sonstige 31.1% Sonstige 29.9%

1994 1993 1992 1991 1990


Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals Land % Deals
Deutschland 30.4% Deutschland 21.2% Deutschland 37.8% Deutschland 32.7% Deutschland 77.0%
USA 13.9% USA 8.9% Frankreich 10.8% USA 4.8% USA 9.8%
Frankreich 7.8% Frankreich 8.2% Großbritannien 9.5% Schweden 2.4% Frankreich 3.3%
China 4.3% Österreich 7.5% USA 8.1% Italien 2.4% Österreich 3.3%
Indien 4.3% Tschechien 6.8% Tschechischien 4.1% Frankreich 2.4% Großbritannien 1.6%
Italien 3.5% Großbritannien 5.5% Ungarn 2.7% Thailand 2.4% Polen 1.6%
Russland 3.5% Italien 4.8% Italien 2.7% Tschechien 2.4% Ungarn 1.6%
Mexiko 2.6% Russland 4.1% Spanien 2.7% Türkei 2.4% Taiwan 1.6%
Großbritannien 2.6% China 4.1% Belgien 2.0% Ungarn 2.4% NA NA
Bulgarien 1.7% Polen 3.4% Russland 2.0% unbekannt 2.4% NA NA
Sonstige 25.2% Sonstige 9.3% Sonstige 8.1% Sonstige NA Sonstige NA

Abb. 3: Zielländer für Schweizer Cross-Border-Transaktionen (relative Transaktionsanzahl): Jahresdaten von 1990 bis
2014 (Quelle: Eigene Analyse, M & A DATABASE Universität St. Gallen)

Großbritannien (6,1 %), Frankreich (5,7 %), Österreich (4,4 %) und Italien (4,2 %). Mit
etwas Abstand folgen die Niederlande, China, Schweden und Belgien.
Interessanterweise kommt China neben den USA als einziges nichteuropäisches Land
in die Top 10 der letzten 25 Jahre, was auf den hohen Stellenwert Chinas für die Schweiz
in diesem Zeitraum schließen lässt. Dies wird auch durch Jahresdaten bestätigt (vgl.
Abb. 3), in denen China in den Jahren 2006, 2010 und 2014 auf Platz sechs und in den
Jahren 2009 und 2013 auf Platz sieben rangiert. Während die Platzierungen der wich-
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V. Der Schweizer M & A-Markt  |  109


Teil

tigsten ausländischen M & A-Zielländer der Schweiz (Deutschland, USA, Großbritannien,


Österreich, Frankreich, Italien) in den einzelnen Jahren im Großen und Ganzen ähnlich
bleiben, gibt es teils deutliche Veränderungen auf den weiteren Plätzen. Es sind seit Be-
ginn der 1990er Jahre auch Staaten des ehemaligen Ostblocks vertreten. Beispiele sind
Ungarn (1990 bis 1992 in den Top 10), Polen (1990, 1993, 1995, 1997, 1999 und 2002) und
Russland (1992 bis 1994, 1996 und 2007).

2.3 Branchenstatistik
Ein Blick auf die Branchen der Zielunternehmen vermittelt einen Eindruck über die
M & A-Aktivitäten der verschiedenen Industrien in der Schweiz. Über den gesamten
Zeitraum 1990 bis 2014 betrachtet kommen die Branchen Dienstleistungen allgemein
(11,7 %) und die Finanzdienstleistungsbranche mit 10,1 % aller Transaktionen als ein-
zige Branchen über die Marke von 10 %. Es folgen jeweils mit etwas Abstand Chemie/
Pharma (8,5 %), Maschinenbau/Feinmechanik (8,3 %) sowie Elektrotechnik/Medizin-
technik (8,3 %). Die geringsten M & A-Aktivitäten waren in den Branchen Textil/Beklei-
dung (2,4 %), Papier/Möbel/Holz/Verpackungen (2,2 %), Automobilbau (1,8 %) sowie
Luft- und Raumfahrt (0,7 %) zu verzeichnen. Die Ergebnisse sind wenig überraschend,
spiegeln sie doch den Stellenwert der einzelnen Industrien in der Schweizer Volkswirt-
schaft wider. Dies lässt zunächst den Schluss zu, dass die M & A-Aktivitäten positiv mit
der Anzahl der Unternehmen in der Branche korrelieren. Des Weiteren erscheint es,
dass Branchen, die durch eher international tätige Unternehmen gekennzeichnet sind,
häufig eine höhere Anzahl M & A-Transaktionen vorweisen. Beispiele hierfür sind die
Branchen Maschinenbau/Feinmechanik und Chemie/Pharma.
Bei einer Betrachtung der Daten über den Zeitverlauf zeigen sich deutliche Unter-
schiede in der Entwicklung der M & A-Aktivitäten verschiedener Branchen (vgl. Abb. 4).
So reflektieren die M & A-Zahlen vielfach volkswirtschaftliche und branchenspezifische
Entwicklungen sowie auch einzelne einschneidende Ereignisse. Die Daten deuten auf
einen heute wesentlich größeren Stellenwert der Dienstleistungsbranche als noch vor
25 Jahren hin. Beispielsweise konnte die Branche Dienstleistungen allgemein einen deut-
lichen Aufwärtstrend beim relativen Anteil der M & A-Deals verzeichnen und rangiert
seit 2009 ununterbrochen auf dem ersten Platz. Auch die Branche Computerindustrie/
Telekommunikation illustriert eine spezifische Entwicklung: Sie hatte einen deutlichen
Höhepunkt in den Jahren von 1999 und 2000 (11,3 % respektive 13,4 % aller Schweizer
M & A-Transaktionen) – eine Entwicklung, die durch den Boom des Internets bzw. den
New Economy-Hype in diesen Jahren erklärt werden kann. Seit dem Höchststand in
2000 ging der relative Anteil an M & A-Deals überwiegend stetig zurück und stabilisierte
sich in den letzten Jahren bei einem relativen Anteil um die 6 %. Zusätzlich zu Verschie-
bungen des Anteils am gesamten M & A-Markt in der Schweiz, reflektieren die Zahlen
die unterschiedlichen Branchenvolatilitäten. Eher wenig volatil geltende Branchen wie
die Bau-/Baustoffindustrie oder die Energie-/Entsorgungswirtschaft wiesen geringere
Schwankungen bei den M & A-Aktivitäten auf, als eher dynamische Branchen wie etwa
Dienstleistungen allgemein oder Computerindustrie/Telekommunikation.
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110  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Branche 2014 2013 2012 2011 2010


Energie-/Entsorgungswirtschaft 6.7% 7.1% 7.3% 5.4% 8.4%
Chemie/Pharma 12.0% 11.3% 13.6% 9.8% 10.7%
Anlagenbau/Stahl/Umwelttechnik 4.1% 4.9% 5.0% 3.4% 3.9%
Maschinenbau/Feinmechanik 5.6% 6.0% 9.6% 11.0% 8.8%
Automobilbau 1.5% 1.1% 0.7% 2.0% 1.4%
Elektrotechnik/Medizintechnik 7.0% 5.2% 5.3% 4.6% 3.9%
Textil/Bekleidung 1.2% 2.7% 0.7% 1.7% 2.7%
Nahrungs- und Genußmittel 6.5% 5.8% 2.7% 4.6% 3.3%
Handel 4.1% 4.1% 3.0% 4.6% 2.5%
Finanzdienstleistungen 7.9% 9.3% 10.6% 5.8% 11.9%
Versicherungen 1.2% 2.7% 2.3% 2.4% 2.7%
Transport und Verkehr 4.4% 2.7% 3.0% 3.1% 7.0%
Dienstleistungen allg. 15.0% 19.5% 23.9% 22.9% 19.1%
Medien/Verlage 7.0% 5.2% 4.0% 4.1% 3.7%
Bau-/Baustoffindustrie 5.3% 3.8% 1.7% 3.6% 3.9%
Papier/Möbel/Holz/Verpackungen 2.6% 1.4% 1.3% 2.7% 1.2%
Luft- und Raumfahrt 0.9% 0.5% 1.0% 0.5% 0.2%
Computerindustrie/Telekommunikation 7.0% 6.0% 4.0% 7.5% 4.5%
Sonstige 0.0% 0.3% 0.3% 0.5% 0.2%
Summe 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0%

Branche 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000
Energie-/Entsorgungswirtschaft 7.2% 6.4% 3.7% 4.9% 2.0% 3.7% 3.0% 5.2% 2.5% 1.9%
Chemie/Pharma 8.5% 9.3% 10.1% 6.6% 9.4% 1.0% 9.8% 9.0% 7.4% 8.2%
Anlagenbau/Stahl/Umwelttechnik 7.4% 6.2% 4.9% 1.9% 3.0% 5.4% 3.6% 3.8% 5.4% 5.0%
Maschinenbau/Feinmechanik 5.2% 11.4% 6.0% 5.8% 7.2% 6.8% 6.0% 8.4% 8.2% 12.1%
Automobilbau 2.2% 2.3% 0.7% 0.8% 1.5% 6.7% 1.3% 1.9% 2.5% 2.2%
Elektrotechnik/Medizintechnik 4.7% 5.4% 9.7% 7.2% 10.7% 11.8% 8.1% 9.7% 8.2% 10.2%
Textil/Bekleidung 1.1% 1.7% 1.1% 1.2% 1.6% 7.2% 1.1% 0.6% 2.7% 1.5%
Nahrungs- und Genußmittel 4.4% 3.7% 5.8% 4.9% 6.3% 2.7% 7.9% 6.4% 3.5% 6.7%
Handel 2.5% 1.0% 4.9% 3.7% 3.3% 7.8% 3.4% 4.4% 4.1% 3.7%
Finanzdienstleistungen 14.6% 11.6% 8.8% 18.5% 9.1% 3.5% 11.8% 9.4% 9.5% 5.2%
Versicherungen 3.9% 4.1% 3.5% 1.9% 2.8% 0.3% 4.4% 5.5% 3.0% 3.5%
Transport und Verkehr 4.7% 6.8% 6.2% 6.0% 7.6% 5.4% 8.1% 8.0% 9.3% 6.9%
Dienstleistungen allg. 20.1% 11.2% 10.3% 9.7% 12.7% 7.3% 11.4% 7.1% 10.6% 7.6%
Medien/Verlage 4.7% 3.7% 7.8% 5.7% 6.8% 7.8% 6.0% 8.0% 6.5% 3.7%
Bau-/Baustoffindustrie 5.0% 4.4% 6.5% 4.5% 5.6% 3.2% 5.5% 2.5% 4.9% 4.1%
Papier/Möbel/Holz/Verpackungen 0.6% 2.5% 1.9% 1.4% 2.5% 0.2% 2.0% 3.0% 3.3% 2.8%
Luft- und Raumfahrt 0.3% 0.4% 0.6% 0.6% 1.0% 3.0% 0.4% 0.4% 0.3% 0.9%
Computerindustrie/Telekommunikation 3.0% 4.8% 6.0% 7.0% 6.9% 11.1% 6.1% 6.7% 8.2% 13.4%
Sonstige 0.0% 2.9% 1.7% 7.6% 0.2% 5.1% 0.0% 0.0% 0.0% 0.4%
Summe 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0%

Branche 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990
Energie-/Entsorgungswirtschaft 3.3% 3.0% 2.2% 1.9% 0.6% 0.8% 3.7% 3.2% 4.1% 0.0%
Chemie/Pharma 5.3% 6.7% 9.1% 9.2% 7.8% 8.8% 4.9% 9.1% 7.2% 17.0%
Anlagenbau/Stahl/Umwelttechnik 6.0% 2.8% 2.6% 1.7% 3.7% 0.8% 2.4% 4.8% 2.1% 3.8%
Maschinenbau/Feinmechanik 10.2% 8.9% 6.9% 9.2% 7.2% 9.9% 8.1% 11.2% 19.6% 9.4%
Automobilbau 1.8% 1.4% 1.0% 2.5% 0.9% 1.9% 0.2% 1.9% 2.1% 3.8%
Elektrotechnik/Medizintechnik 5.6% 10.1% 9.7% 10.3% 11.8% 8.8% 10.0% 12.3% 4.1% 5.7%
Textil/Bekleidung 2.9% 1.8% 2.0% 2.8% 6.5% 3.1% 4.6% 3.7% 1.0% 4.7%
Nahrungs- und Genußmittel 6.2% 7.1% 5.1% 5.0% 7.2% 8.4% 10.5% 5.1% 7.2% 6.6%
Handel 2.5% 2.2% 3.4% 5.6% 3.7% 5.7% 6.6% 4.0% 6.2% 9.4%
Finanzdienstleistungen 8.4% 9.5% 11.8% 10.3% 11.8% 15.6% 13.7% 9.4% 11.3% 8.5%
Versicherungen 5.3% 5.1% 4.9% 7.8% 5.0% 4.6% 3.9% 1.3% 1.0% 2.8%
Transport und Verkehr 7.3% 9.5% 10.1% 6.7% 7.5% 6.5% 4.2% 5.1% 2.1% 3.8%
Dienstleistungen allg. 9.1% 9.5% 8.7% 10.6% 8.7% 7.3% 8.1% 7.5% 9.3% 5.7%
Medien/Verlage 5.5% 5.1% 4.1% 3.6% 5.0% 2.7% 4.6% 6.7% 5.2% 6.6%
Bau-/Baustoffindustrie 6.2% 6.3% 8.7% 5.6% 4.7% 4.2% 6.4% 7.0% 4.1% 1.9%
Papier/Möbel/Holz/Verpackungen 1.8% 3.2% 2.2% 2.2% 3.4% 2.7% 3.9% 4.0% 1.0% 1.9%
Luft- und Raumfahrt 1.3% 0.8% 0.8% 0.0% 0.6% 0.0% 0.0% 0.5% 2.1% 0.9%
Computerindustrie/Telekommunikation 11.3% 7.1% 6.1% 5.3% 3.7% 8.4% 4.2% 2.7% 8.2% 6.6%
Sonstige 0.2% 0.2% 0.4% 0.0% 0.0% 0.0% 0.0% 0.5% 2.1% 0.9%
Summe 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0%

Abb. 4: Branchenverteilung der Akquisitionsobjekte von 1990 bis 2014 (relative Anzahl Transaktionen) (Quelle: Eigene Analyse,
M & A DATABASE Universität St.Gallen)

2.4 M & A-Beratungen

Auch die Vielzahl an unterschiedlichen Dienstleistern im Schweizer M & A-Markt war


von positiven wie negativen Entwicklungen betroffen. Dabei war das Geschäft mit fi-
nanzieller und rechtlicher M & A-Beratung sehr wettbewerbsintensiv und der Markt mit
einer Vielzahl an in- und ausländischen Anbietern sehr fragmentiert. Dies war vor allem
bei den finanziellen M & A-Beratungen der Fall. Ein Blick auf die »League Tables« für
die Schweiz zeigt jedoch, dass es nur eine kleinere Anzahl von M & A-Beratungen mit
über 100 Deals im Zeitraum von 1990 bis 2014 gab (vgl. Abb. 5). Führend sind bei der
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V. Der Schweizer M & A-Markt  |  111


Teil

Anzahl M & A-Deals mit großem Abstand die beiden Schweizer Großbanken UBS (388
Deals) und Credit Suisse (363). Es folgen auf den weiteren Plätzen der Top 10 angelsäch-
sische Investmentbanken (Goldman Sachs, JP Morgan, Morgan Stanley, Lazard), drei
der »Big Four«, die führenden Wirtschaftsprüfungsfirmen (PricewaterhouseCoopers,
KPMG, Ernst & Young) sowie die Deutsche Bank.
Unter Berücksichtigung des kumulierten Dealvolumens der Transaktionen (was üb-
licherweise die Grundlage für die durch die Transaktionsberatung eingenommenen Ge-
bühren bildet) verschieben sich die Platzierungen. Während Goldman Sachs mit großem
Abstand auf den ersten Platz der wichtigsten Finanzberatungen kommt, folgen Credit
Suisse und JP Morgan auf den Plätzen zwei und drei. Insgesamt wird deutlich, dass sich
einige M & A-Beratungen auf eher kleinere und mittlere Transaktionen konzentrieren,
andere sich jedoch (fast) ausschließlich mit großen Deals befassen. Zu den ersteren
gehören insbesondere die drei Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCoopers, KPMG, Ernst
& Young, die vergleichsweise niedrige Volumina je Deal aufweisen und daher in dem
Ranking nach Transaktionsvolumen nicht mehr in den Top 10 vertreten sind. Auch
die beiden Schweizer M & A-Beratungen von Credit Suisse und UBS weisen wesentlich
geringere durchschnittliche Dealvolumina als ihre ausländischen Wettbewerber auf.
Diese Zahlen zeigen, dass ausländische M & A-Berater insbesondere bei größeren Trans-
aktionen (mit oftmals international diversifizierten Akquisitionsobjekten und Käufern)
involviert sind.

Top 10 M & A-Beratungen: Anzahl Deals Top 10 M & A-Beratungen: Deal Volumen

Deal Volumen
Rang M & A-Beratung Anzahl Deals Rang M & A-Beratung
(in Mio. US-$)
1 UBS 388 1 Goldman Sachs & Co 625,214.23
2 Credit Suisse 363 2 Credit Suisse 500,469.94
3 PricewaterhouseCoopers 205 3 JP Morgan 359,386.91
4 KPMG 179 4 Morgan Stanley 326,356.33
5 Goldman Sachs & Co 177 5 Citi 324,619.02
6 JP Morgan 165 6 Deutsche Bank 321,501.33
7 Ernst & Young LLP 162 7 UBS 297,818.58
8 Deutsche Bank 162 8 Barclays 183,671.10
9 Morgan Stanley 130 9 Lazard 179,337.42
10 Lazard 114 10 Centerview Partners LLC 168,976.48

Abb. 5: Top 10 finanzielle M & A-Beratungen in der Schweiz von 1990 bis 2014 (abgeschlossene Transaktionen)
(Quelle: Eigene Analyse, Thomson ONE Database)

Bei den rechtlichen M & A-Beratungen sieht es ähnlich aus. Während einige der in
Schweizer Transaktionen involvierten Sozietäten im Ranking nach Dealanzahl in den
Top 10 vertreten sind, bietet sich bei Berücksichtigung des Dealvolumens ein etwas
anderes Bild (vgl. Abb. 6). Beispiele sind Baker & McKenzie, nach Dealanzahl auf dem
ersten Platz und nach Dealvolumen nicht in den Top 10, sowie Lenz & Staehelin, die
größte Schweizer Anwaltskanzlei, nach Dealanzahl auf Platz zwei und nach Dealvolu-
men nicht in den Top 10. Insgesamt fällt auf, dass bis auf Lenz & Staehelin und Hom-
burger ausschließlich ausländische (vor allem angelsächsische) Kanzleien in den Top 10
vertreten sind. Viele dieser Kanzleien haben vergleichsweise früh Niederlassungen in
der Schweiz, etwa in Zürich oder Genf, gegründet und können durch ihre internationa-
len Niederlassungsnetzwerke grenzüberschreitende Transaktionen kompetent juristisch
beraten. Ein Beispiel ist Baker & McKenzie, seit über 50 Jahren in der Schweiz tätig.
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112  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Top 10 M & A-Beratungen: Anzahl Deals Top 10 M & A-Beratungen: Deal Volumen
Deal Volumen
Rang M & A-Beratung Anzahl Deals Rang M & A-Beratung
(in Mio. US-$)
1 Baker & McKenzie 242 1 Sullivan & Cromwell 339,075.24
2 Lenz & Staehelin 176 2 Freshfields Bruckhaus Deringer 251,160.61
3 Freshfields Bruckhaus Deringer 156 3 Skadden 225,323.92
4 Clifford Chance 135 4 Cravath, Swaine & Moore 218,210.65
5 Allen & Overy 134 5 Latham & Watkins 202,278.88
6 Linklaters 131 6 Bar & Karrer 197,082.61
7 Homburger 124 7 McCarthy Tetrault 193,831.58
8 Bar & Karrer 111 8 Allen & Overy 189,491.54
9 CMS 96 9 Linklaters 185,911.60
10 Sullivan & Cromwell 88 10 Gibson Dunn & Crutcher 175,725.56

Abb. 6: Top 10 rechtliche M & A-Beratungen in der Schweiz von 1990 bis 2014 (abgeschlossene Transaktionen)
(Quelle: Eigene Analyse, Thomson ONE Database)

3 Schweizer Top Deals von 1990 bis 2014


3.1 Übersicht der 25 größten Deals
Im Zeitraum von 1990 bis 2014 war eine Vielzahl von Transaktionen mit einem Volumen
von über 1 Mrd. SFr. zu verzeichnen. Um in die Liste der 25 größten Transaktionen
in diesem Zeitraum zu kommen, musste das Transaktionsvolumen sogar mindestens
7,74 Mrd. SFr. betragen, und 20 Deals umfassten jeweils ein Volumen von 10 Mrd. SFr.
oder mehr (vgl. Abb. 7). Die größte Transaktion war 2014, mit einem Kaufpreis von
knapp 50,0 Mrd. SFr., die Holcim-Lafarge-Fusion zum weltweit größten Zementherstel-
ler. Knapp dahinter folgen, auf dem zweiten und dritten Platz, die vollständige Über-
nahme der Alcon Inc. durch Novartis in 2010 (durchgeführt in drei Stufen) sowie die
Genentech-Akquisition durch den Basler Pharmariesen Roche im Jahr 2008. Die Plätze
dahinter belegen mit etwas Abstand die Fusion der Glencore International AG mit dem
schweizerisch-britischen Kupferproduzenten Xstrata im Jahr 2012, die Akquisition der
kanadischen Falconbridge Ltd. für gut 26,7 Mrd. SFr. durch Xstrata 2006, sowie die
Akquisition von Scudder Investments durch die Zurich Financial Services Group für
knapp 25,6 Mrd. SFr. 1997.
Die Top 25-Deals mit Schweizer Beteiligung im Zeitraum 1990 bis 2014 reflektieren
nicht nur die vergleichsweise hohen Transaktionsaktivitäten einiger Branchen, sondern
zeigen vor allem auch solche Branchen, in denen die höchsten Transaktionsvolumina
erzielt wurden. Vor allem große Pharmaunternehmen wie Novartis und Roche, Finanz-
dienstleister wie Credit Suisse, UBS oder Swiss Re, vereinzelt auch Rohstoffunternehmen
und Energieversorger wie Glencore oder Xstrata sowie Telekommunikationsunterneh-
men wie Swisscom waren in Transaktionen mit hohen Volumina auf der Käufer- oder
Verkäuferseite involviert. Sowohl die Pharmabranche als auch die Finanzdienstleis-
tungsbranche gehören zu den Schweizer Branchen mit der höchsten Wertschöpfung,
und ihre wichtigsten Vertreter sind die größten Schweizer Unternehmen, was auch
deren Möglichkeiten zur Finanzierung solcher Megadeals erklärt.5

5 Siehe zur Wertschöpfung von 32 Schweizer Branchen: Credit Suisse Economic Research 2009.
Transaktionsvolumen in
Käufer Objekt Verkäufer Transaktionsjahr
Mio. SFr
Holcim Ltd LafargeHolcim AG Lafarge S.A. 50,000 2014
Roche Holding AG Genentech Inc. 48,353 2008
Glencore International AG Xstrata AG 36,723 2012
Xstrata AG Falconbridge Ltd. 26,701 2006
Novartis AG Alcon Inc. Nestlé S.A. 26,207 2010
Zurich Financial Services Group (ZFS) Scudder Investments 25,582 1997
UBS AG Paine Webber 24,000 2000
Credit Suisse Group (CS Group) Donaldson, Lufkin & Jenrette (DLJ) 22,000 2000
Nestlé S.A. Ralston Purina Company 16,911 2001
UBS AG/Standard Chartered/CITIC Capital/National Socia China Cinda Asset Management Corporations 15,482 2012
Credit Suisse Group (CS Group) AXA Winterthur 13,068 1997
Novartis AG Alcon Inc. 12,487 2010
AXA S.A. AXA Winterthur Credit Suisse Group (CS Group) 12,313 2006
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Takeda Chemical Industries Ltd Nycomed International Management GmbH 11,799 2011
Swiss Reinsurance Company General Electric Insurance Solutions (GEIS) General Electric Capital Corporation 11,264 2006
Singapore Investment Corporation UBS AG 11,000 2007
Novartis AG Alcon Inc. Nestlé S.A. 10,884 2010
Nestlé S.A. Pfizer Nutrition Pfizer Inc. 10,634 2012
Merck KGaA Serono SA Familie Bertarelli 10,452 2006
Qatar Investment Authority Credit Suisse 10,000 2008
Swiss Reinsurance Company GE Insurance Solutions 9,980 2005
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Novartis AG Hexal AG Familie Strüngmann 8,733 2005


Swiss Reinsurance Company Swiss Reinsurance Company 7,777 2011
Sinopec Corp Addax Petroleum Corporation 7,750 2009
Roche Holding AG Intermune Inc. 7,740 2014
Hinweis: Umrechnung der Transaktionswährung in SFr zum Transaktionsdatum.

Abb. 7: Abgeschlossene Top 25-Deals mit Schweizer Beteiligung von 1990–2014 (Quelle: M & A DATABASE Universität St. Gallen)
V. Der Schweizer M & A-Markt  | 
113
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Teil
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114  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Zudem lassen sich Unterschiede in der Transaktionshöhe im Zeitverlauf ausmachen.


Einerseits sind die größten Deals insbesondere in den vergangenen fünfzehn Jahren
anzutreffen – lediglich ein Top 10-Deal datiert vor der Jahrtausendwende. Andererseits
lassen die Daten den Schluss zu, dass die Transaktionshöhe positiv mit den allgemeinen
Aktivitäten im Schweizer M & A-Markt korreliert. Zwei Erklärungen können dafür iden-
tifiziert werden. Erstens, in Zeiten, in denen mehr Deals stattfinden, ist das konjunk-
turelle Klima und dadurch das Interesse der Unternehmen an M & A tendenziell höher,
was zu mehr Interessenten und damit einem größeren Bieterwettbewerb und höheren
Kaufpreisen führen kann. Zweitens, bietet sich in solchen Zeiten eher die Möglichkeit,
die Transaktionen günstig und durch Alternativen wie Aktientausch zu finanzieren,
was das Zustandekommen solcher Megadeals begünstigt.

3.2 Ausgewählte Top Deals


Viele der Schweizer Top Deals sorgten für große Aufmerksamkeit in den Schweizer
Medien und so in der Öffentlichkeit. Dies war einerseits der Fall, wenn es sich bei den
beteiligten Unternehmen um große Schweizer Traditionsunternehmen, die einer breiten
Öffentlichkeit bekannt sind, handelte. Beispiele hierfür sind der Zusammenschluss des
Schweizerischen Bankvereins (SBV) mit der UBS Schweizerische Bankgesellschaft zur
heutigen UBS, die Akquisition der Winterthur Versicherungen durch die Credit Suis-
se und zehn Jahre später der Verkauf an die französische AXA-Gruppe. Andererseits
sorgte auch der Auftritt ausländischer Käufer auf dem Schweizer M & A-Markt für teils
sehr kontroverse Diskussionen. Dies war beispielsweise bei der Übernahme der Swiss
International Air Lines durch die Deutsche Lufthansa der Fall.6 In jüngerer Vergangen-
heit war der Einstieg ausländischer Staaten bei Schweizer Banken, beispielsweise der
katarische Staatsfonds Qatar Investment Authority bei dem Finanzdienstleister Credit
Suisse, Auslöser für Debatten.
Als Beispiel für viele andere interessante Deals im Schweizer M & A-Markt sind im
Folgenden vier spektakuläre Transaktionen ausführlich dargestellt. Es handelt sich
um die Schweizer Binnenfusion des Schweizerischen Bankvereins (SBV) mit der UBS
Schweizerische Bankgesellschaft zur heutigen UBS, um die vollständige Übernahme
des US-amerikanischen Pharmaunternehmens Genentech durch Roche – bis Ende 2009
die größte Akquisition im Schweizer M & A-Markt, um die vollständige Übernahme der
Nestlé-Tochter Alcon durch Novartis sowie um die 2015 noch nicht abgeschlossene Fu-
sion der Schweizerischen Holcim mit der französischen Lafarge.

 BS – Fusion Schweizerischer Bankenverein und UBS Schweizerische


3.2.1 U
Bankgesellschaft zur neuen UBS AG

Im Jahr 1997 kam es zu einer Megafusion im schweizerischen Bankensektor, die in


der Öffentlichkeit große Beachtung fand. Der Zusammenschluss des Schweizerischen
Bankvereins (SBV) und UBS Schweizerische Bankgesellschaft zur heutigen UBS war die

6 Siehe zu einer ausführlichen Darstellung: Schwierholz/Reiners 2010 in diesem Buch sowie zur Inte-
gration der Swiss in die Deutsche Lufthansa: Schwierholz 2007.
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V. Der Schweizer M & A-Markt  |  115


Teil

weltweit zweitgrößte Fusion des Jahres. Damals entstand nicht nur das größte Finan-
zinstitut der Schweiz, sondern gemessen an der Pro-forma-Bilanzsumme in Höhe von
rund 922 Mrd. SFr. die damals zweitgrößte Bank der Welt. Gemessen am verwalteten
Vermögen kam das neu gegründete Institut auf den weltweit ersten Platz. Als Grund
für die Fusion wurden zum damaligen Zeitpunkt von den beteiligten Instituten insbe-
sondere die fortschreitende Globalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte und
die starke Zunahme des internationalen Wettbewerbs angeführt.
An der ab diesem Zeitpunkt unter dem Namen UBS firmierenden Gesellschaft wa-
ren die SBV-Aktionäre zunächst mit 40 % und die UBS-Aktionäre mit 60 % beteiligt,
wobei das nominelle Aktienkapital des neuen Instituts 4,29 Mrd. SFr. betrug. Intensiv
wurde in den Schweizer Medien der Sinn der Fusion und deren Konsequenzen für
den Schweizer Bankenplatz diskutiert. Zudem sorgte die Ankündigung von einmali-
gen Restrukturierungskosten in Höhe von 7 Mrd. SFr. sowie der geplante Abbau von
13.000 Arbeitsplätzen – davon 7.000 in der Schweiz – für öffentliche Aufregung. Den
Vorsitz der Konzernleitung übernahm Marcel Ospel, bis dahin SBV-Konzernleitungs-
vorsitzender, während Mathis Cabiallavetta, bis dahin UBS-Chef, Präsident des neuen
Verwaltungsrates wurde.7
Die Fusion wurde zwar von der schweizerischen Wettbewerbskommission geneh-
migt, allerdings nur mit Auflagen. So musste die neue UBS AG ihr Tessiner Vermö-
gensverwaltungsinstitut Banca della Svizzera Italiana sowie die Informatikfirma Boss
Lab veräussern. Käufer der rund 1,92 Mrd. SFr. teuren Transaktion war der italienische
Versicherer Assicurazioni Generali.8 Des Weiteren erhielt die neue Großbank die Auf-
lage, 25 Filialen in der Schweiz zu verkaufen, was sich zunächst als schwierig her-
ausstellte. So war 1998 zunächst die Deutsche Bank als Käufer im Gespräch, die sich
dann jedoch aus strategischen Überlegungen von dem Deal distanzierte.9 Auch die
Raiffeisenbanken ließen ihr anfängliches Interesse im Jahr 1999 fallen.10 Da sich der
von der Wettbewerbskommission geforderte En bloc-Verkauf der 25 Filialen nicht wie
geplant durchführen ließ, wurden schließlich je elf Filialen an die Migros Bank sowie
die Coop Bank veräußert.11
Infolge der Fusion zur neuen UBS AG sorgte das Institut mit einer ganzen Reihe von
weiteren nationalen und internationalen Desinvestitionen, beispielsweise dem Verkauf
einer 25 %-Beteiligung an Swiss Life, der Veräußerung eines 11 %-Paketes an Julius Bär
oder der Abgabe des Handelsfinanzierungsgeschäfts des Investmentbanking-Arms War-
burg Dillon Read für 300 Mio. SFr. an die britische Standard Chartered Bank, für Auf-
merksamkeit. Aber auch als Käufer mit Akquisitionen zur Stärkung des Kerngeschäftes,
um sich als weltweit führender Vermögensverwalter zu positionieren, war die UBS Ende
der 1990er Jahre aktiv. So erwarb die Bank die gesamten Private Banking-Aktivitäten
der Bank of America außerhalb der USA mit verwalteten Vermögen in Höhe von 6 Mrd.
US-$.12 Der seit der Fusion spektakulärste Zukauf war im Jahr 2000 die Akquisition des
viertgrößten US-amerikanischen Vermögensverwalters Paine Webber.13

 7 Vgl. Wettach 1998a.


 8 Vgl. Wettach 1998b.
 9 Vgl. Wettach 1999.
10 Vgl. Zenker 1999a.
11 Vgl. Zenker 1999b.
12 Vgl. Zenker 1999a.
13 Vgl. Schweizer 2000.
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116  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

3.2.2 Roche – Vollständige Übernahme von Genentech

Die bis dato mit Abstand größte Transaktion mit Schweizer Beteiligung ist die vollstän-
dige Übernahme der US-Tochtergesellschaft Genentech durch Roche im Jahr 2008. Das
Schweizer Pharmaunternehmen F. Hoffmann La Roche Ltd. gab im Jahr 2008 bekannt,
dass es die vollständige Übernahme seiner US-Tochter Genentech Inc., an der die Basler
zu diesem Zeitpunkt schon 56 % der Anteile hielten, beabsichtige. Von der Transaktion
in Höhe von 46,8 Mrd. US-$ (knapp 48,4 Mrd. SFr.) erhoffte sich Roche, dass Genen-
tech sich wieder verstärkt auf die Kernkompetenz Forschung fokussiert. So sollte das
Biotechnologieunternehmen infolge der Akquisition reorganisiert werden. Jedoch sollte
zur Wahrung der nach Aussage von Roche einzigartigen Innovationskultur von Genen-
tech keine vollständige Integration erfolgen. Der Börsenkurs von Roche geriet durch die
Ankündigung der Akquisition unter Druck und gab zwischenzeitlich um 4,8 % nach.
Eine Ursache lag in den im Verhältnis zum Angebotspreis sehr geringen Synergien in
Höhe von schätzungsweise jährlich 750 bis 850 Mio. US-$. Trotz des vergleichsweise
hohen Übernahmeangebots lehnte der Verwaltungsrat von Genentech das Angebot von
Roche ab, da das öffentliche Angebot das US-amerikanische Pharmaunternehmen sowie
die aus der Akquisition für Roche entstehenden Vorteile »substanziell« unterbewerte.14
In der Folgezeit wuchsen im Markt zunächst Zweifel, ob der Schweizer Pharmariese
die Akquisition noch zu annehmbaren Konditionen finanzieren könne. Bei dem Mark-
tumfeld in der zweiten Jahreshälfte 2008 deutete sich an, dass die Akquisition zu teuer
oder zumindest erschwert werden könnte. Zunächst schien es zwischenzeitlich für
Roche problematisch, eine Fremdkapitalfinanzierung in Höhe von 20 bis 30 Mrd. US-$
zu finden. Obwohl zu diesem Zeitpunkt davon auszugehen war, dass Roche über einen
zugesicherten Kreditrahmen für die Übernahme verfügte, gab die Finanzkrise Anlass
zu Spekulationen, dass sich dieser verteuert oder schlimmstenfalls gar nicht zur Verfü-
gung gestanden hätte. Hinzu kam, dass Veränderungen des US-$/SFr.-Kurses zu einer
erheblichen Verteuerung der Übernahme geführt hatten. Seit Juli 2008 legte der US-$
gegenüber dem SFr. um etwa 8 % an Wert zu. Ohne eine Absicherung der Akquisition
gegenüber etwaige Kursschwankungen hätte die Veränderung des Wechselkurses allein
die Transaktion für Roche um mindestens 3,5 Mrd. SFr. verteuert.15
Obwohl der Verwaltungsrat von Genentech bereits das ursprüngliche Angebot von
89 US-$ weiterhin zurückwies, da es das Unternehmen »substanziell unterbewerte«,
unterbreitete Roche den verbliebenen Genentech-Aktionären, die zu diesem Zeitpunkt
noch 44 % der Aktien hielten, ein öffentliches Kaufangenbot von nur 86,50 US-$ je
Aktie. Roche begründete das neue tiefere Angebot mit der veränderten Gesamtwirt-
schaftslage und der verpassten Chance, eine einvernehmliche Einigung zu erzielen.
Roche machte die Realisierung des Angebots davon abhängig, dass es die Mehrheit der
verbliebenen Aktien offeriert bekäme. Zudem hing die Transaktion weiterhin vom Zu-
standekommen der Finanzierung ab. Da es Roche trotz schwieriger Marktlage gelang,
eine US-$-Anleihe in Höhe von 16,5 Mrd. US-$, eine kombinierte Euro-Pfund-Anleihe
in Höhe von 11,25 Mrd. EUR und 1,25 Mrd. brit.-£ sowie eine SFr.-Anleihe in Höhe von
8 Mrd. SFr. am Finanzmarkt zu platzieren, schien zumindest Letzteres gesichert. Eine
weitere Unsicherheit bestand darin, dass die Genentech-Aktionäre möglicherweise auf

14 Vgl. Menz 2008.


15 Vgl. Menz/Clüver 2009a.
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V. Der Schweizer M & A-Markt  |  117


Teil

positive Ergebnisse einer im April 2009 erwarteten Studie über die Wirksamkeit des Ge-
nentech-Krebsmedikaments Avastin spekulierten und daher die Aktien halten würden.16
Im März 2009 schließlich gab der Pharmakonzern Roche nach langem Kampf be-
kannt, dass er Genentech in einer freundlichen Übernahme vollständig übernehmen
werde. Nach einem mehrfach verbesserten Angebot auf schließlich 95 US-$ pro Aktie
empfahl der Verwaltungsratsausschuss von Genentech den Aktionären, das Angebot
anzunehmen. Insgesamt beliefen sich damit die Kosten für das ausstehende Aktienpa-
ket von 44,2 % auf 46,8 Mrd. US-$. Roche gelang es nicht nur die Akquisition trotz des
schwierigen Finanzmarktumfeldes erfolgreich zu finanzieren, sondern auch durch die
letztlich freundliche Übernahme, entscheidende Mitarbeiter von Genentech im Konzern
zu halten.17

3.2.3 Novartis – Übernahme der Nestlé-Tochter Alcon

Bereits im Jahr 2008 zeichnete sich eine Transaktion ab, die den zuvor beschriebenen
Roche/Genentech-Deal hinsichtlich des Transaktionsvolumens übertreffen könnte. Es
handelt sich um Akquisition der Nestlé-Tochter Alcon durch den zweiten Schweizer
Pharmariesen Novartis für eine voraussichtliche Gesamtsumme von 49,7 Mrd. US-$.
Während bei den meisten der Top 25-Deals entweder Käufer- oder Verkäuferunterneh-
men aus dem Ausland kommen, sind bei dieser Akquisition interessanterweise sowohl
Käufer als auch Verkäufer Schweizer Unternehmen.
Zunächst gab das Basler Pharmaunternehmen Novartis im Jahr 2008 bekannt, für
die Gesamtsumme von 39 Mrd. US-$ eine 77 %-ige Beteiligung an der Nestlé-Tochter
Alcon zu erwerben. Der Akquisitionsprozess sollte in zwei Schritten vollzogen werden.
Zunächst zahlte Novartis in 2008 für einen 25 %-Anteil einen Preis von 143,18 US-$
pro Aktie bzw. gesamt 11 Mrd. US-$. In einem zweiten Schritt, geplant für den Zeit-
raum 2010 bis 2011, sollte Novartis weitere 52 % der Anteilsscheine zu einem Preis von
maximal 181 US-$ je Aktie bzw. gesamt 28 Mrd. US-$ übernehmen. Die Transaktion
sollte überwiegend mit Eigenkapital und 5,5 Mrd. US-$ mit einem kurzfristigen Kredit
finanziert werden. Die Akquisition von Alcon ist ein wichtiger Schritt im Rahmen der
Novartis-Strategie, das Geschäft in wachstumsstarken Segmenten des Gesundheitssek-
tors zu verstärken. Alcon ist Marktführer in dem Spezialgebiet der Augenpflege und
wies in den fünf Jahren vor 2008 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von
13 % auf. Nach Einschätzung von Novartis verfügte Alcon zudem über eine vielver-
sprechende Produktepipeline. Nestlé beabsichtigte mit der Veräußerung, sich weiter auf
die Kernkompetenz des Unternehmens, das Nahrungsmittelgeschäft, zu fokussieren.18
Wie erwartet gab Novartis zu Beginn des Jahres 2010 bekannt, die mit Nestlé 2008
vereinbarte Kaufoption ausüben zu wollen, wodurch sich der Novartis-Anteil an Alcon
auf 77 % erhöhen würde. Der Erwerb der 52 %-Beteiligung an Alcon in Höhe von 28,1
Mrd. US-$ (181 US-$ je Aktie) würde durch einen Großteil mit Krediten in Höhe von 16
Mrd. US-$ finanziert und der restliche Betrag durch Liquiditätsreserven von Novartis.
Zudem strebte Novartis auch die Übernahme der vollständigen Kontrolle von Alcon
an. Die Ziele der vollständigen Übernahme der Anteile der Minderheitsaktionäre lagen

16 Vgl. Menz/Clüver 2009b.


17 Vgl. Menz/Clüver 2009c.
18 Vgl. Menz 2008.
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118  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

darin, einerseits Klarheit in der Eigentumsfrage bei Aktionären und Mitarbeitern zu


schaffen und andererseits das bei einer Fusion wesentlich höhere Synergiepotenzial zu
realisieren, etwa durch die Vermeidung von redundanten Funktionen. Die Minderheits-
aktionäre der verbleibenden 23 % an Alcon sollten Novartis-Aktien erhalten. Der Basler
Pharmakonzern bot 2,8 eigene Aktien je Alcon-Anteilsschein. Dies entsprach auf Basis
des Schlusskurses des letzten Handelstages vor der Kaufankündigung (30.12.2009) ei-
nem Preis von 153 US-$ je Alcon-Aktie – eine Prämie von 12 %. Unter Berücksichtigung
dieser Kosten in Höhe von 11,2 Mrd. US-$ beliefen sich die Gesamtaufwendungen für
den Alcon-Kauf auf 49,7 Mrd. US-$.
Während die Übernahme der 52 %-Beteiligung von Nestlé ohne Probleme vollzogen
werden konnte, regte sich im Jahr 2010 Widerstand bei den Alcon-Minderheitsaktionä-
ren, überwiegend US-Großanleger. Diese wollen sich dagegen wehren, dass Novartis
181 US-$ je Aktie an Nestlé zahlt, den Minderheitsaktionären aber nur 153 US-$ bietet,
ein nach Schweizer Recht zulässiges Verfahren.19 Am Ende des Jahres einigte sich der
Basler Pharmakonzern schließlich mit den Minderheitsaktionären und konnte die voll-
ständige Übernahme abschließen. Dabei zahlte Novartis für die verbliebenen 23 % mit
168 US-$ pro Alcon-Aktie den gleichen Preis, den zuvor auch Nestlé im Durchschnitt
erhalten hatte. Unterm Strich betrug das Transaktionsvolumen der Alcon Akquisition
damit 51,4 Mrd. US-$ und war zu diesem Zeitpunkt die größte Transaktion mit Schwei-
zer Beteiligung.

3.2.4 Fusion Holcim/Lafarge

Im April 2014 gab die Schweizerische Holcim Ltd. die Fusion mit der französischen
Lafarge S.A. bekannt, welche hinsichtlich des Transaktionsvolumens in einer Größen-
ordnung mit den Genentech- und Alcon-Akquisitionen liegt. Das neue Unternehmen
würde mit einem kombinierten Umsatz von 32 Mrd. EUR und einem EBITDA von 6,5
Mrd. EUR zum weltweit größten Zementkonzern aufsteigen. Im Zuge der Transaktion
sollten Lafarge-Aktionäre eine Holcim-Aktie pro Lafarge-Anteilsschein erhalten – daher
konnte hier zunächst von einer Fusion unter Gleichen gesprochen werden. Außerdem
war geplant, dass der bisherige Lafarge-CEO Bruno Lafont die Leitung der neuen Ge-
sellschaft, deren Hauptsitz in der Schweiz liegen sollte, übernimmt. Aufgrund kom-
plementärer geografischer Strukturen erwartete Holcim durch die Fusion 30–40 % der
geplanten Investitionen in Werksweiterentwicklung einzusparen. Insgesamt rechneten
die beiden Unternehmen mit jährlichen Synergien in Höhe von 1,4 Mrd. EUR, die über
einen Zeitraum von 3 Jahren realisiert werden sollten.20
Allerdings mussten die beiden Unternehmen, um die Genehmigung zahlreicher Wett-
bewerbsbehörden für die Fusion zu erhalten, ihre immense Marktmacht durch den Ver-
kauf von Unternehmensbereichen limitieren. Zur Besänftigung der Aufsichtsbehörden
gab Lafarge-Holcim frühzeitig bekannt, sich von Geschäften, die zum damaligen Zeit-
punkt rund 10 % des kombinierten Umsatzes erwirtschafteten, zu trennen. Ein Groß-
teil dieser Geschäftsbereiche wurde schließlich für 6,5 Mrd. EUR an die irische CRH
Plc. veräußert, die durch die Transaktion ihre Wettbewerbsposition in Osteuropa, den
Philippinen und Brasilien stärken konnte. Nach einigen weiteren, kleineren Verkäufen

19 Vgl. Menz/Clüver 2010.


20 Vgl. Menz/Barnbeck 2014.
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V. Der Schweizer M & A-Markt  |  119


Teil

gaben im Mai 2015 schließlich die amerikanischen und kanadischen Wettbewerbshüter


als letzte Kartellbehörden grünes Licht für die Fusion.21
Trotz der Synergieerwartungen und dem Einverständnis der Wettbewerbsbehörden
machte sich unter den Holcim-Aktionären Ablehnung gegen die geplante Fusion breit.
Unter ihnen waren auch die drei größten Anteilseigner des Schweizer Zementherstel-
lers, Thomas Schmidheiny, Filaret Galchew und Harris Associates. Diese kritisierten
insbesondere das Aktien-Austauschverhältnis aufgrund des in der Zwischenzeit besse-
ren Geschäftsverlaufs von Holcim im Vergleich zu Lafarge. Darüber hinaus versuchten
sie zu verhindern, dass Lafarge-CEO Bruno Lafont, dessen Führungsstil sie kritisch
bewerteten, die Leitung der neuen Gesellschaft übernimmt. Unter dem Druck der Akti-
onäre verhandelte Holcim die bemängelten Aspekte der Fusion nach. So wurde neu ein
Aktien-Tauschverhältnis von neun Holcim für zehn Lafarge Papiere vereinbart. Zusätz-
lich setzten die Aktionäre durch, dass Lafont nicht als CEO eingesetzt wird, sondern
gemeinsam mit Holcim-Verwaltungsratspräsident Wolfgang Reitzle den Verwaltungsrat
führt. Als CEO wurde Lafarge-Geschäftsleitungsmitglied Eric Olsen bestimmt, der in
seiner Laufbahn bereits Erfahrung mit der Integration von Akquisitionsobjekten sam-
meln konnte.
Aufgrund der Nachbesserungen lenkten die Holcim-Großaktionäre schließlich ein
und stimmten auf einer außerordentlichen Generalversammlung für die Transaktion.
Allerdings wurden bei dieser Aktionärsversammlung, bei der die Fusion mit 94 % der
Stimmen verabschiedet wurde, auch kritische Stimmen laut. Aufgrund der Unterschiede
in den Unternehmenskulturen zwischen der zentralistischen Lafarge und der dezentral
aufgestellten Holcim wurden Schwierigkeiten bei der Integration der beiden Unterneh-
men und der damit zusammenhängenden Synergierealisierung erwartet.

4 Fazit und Ausblick


Der vorliegende Beitrag bot einen Überblick über das M & A-Geschehen in der Schweiz
von 1990 bis 2014. Es konnte gezeigt werden, dass die M & A-Aktivitäten zwar zyklisch
in Wellen verliefen, aber über den gesamten Zeitraum ein positiver Trend zu erkennen
ist. Zudem gab der Beitrag einen Überblick über Cross-Border-Transaktionen und die
je nach Branche unterschiedlichen M & A-Aktivitäten sowie den wettbewerbsintensiven
M & A-Beratungsmarkt. Schließlich zeigte der Beitrag die nach Transaktionsvolumen
25 größten Deals mit Schweizer Beteiligung und veranschaulichte die Fälle von vier
prominenten Megadeals – die Fusion des Schweizerischen Bankenvereins (SBV) mit der
UBS Schweizerische Bankgesellschaft zur heutigen UBS, die vollständige Übernahme
des US-amerikanischen Pharmaunternehmens Genentech durch Roche, die vollständige
Übernahme der Nestlé-Tochter Alcon durch Novartis sowie die Fusion zwischen Holcim
und Lafarge.
Während im vorliegenden Beitrag die Frage nach der Entwicklung der M & A-Aktivität
in den vergangenen 25 Jahren im Vordergrund stand, stellt sich auch die Frage nach
der zukünftigen Entwicklung. Zwei Anzeichen sprechen dafür, dass sich der Schweizer
M & A-Markt zumindest in den nächsten Jahren positiv entwickeln dürfte. Zunächst wird

21 Vgl. Menz/Barnbeck 2015.


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120  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

M & A als Instrument zum aktiven Portfoliomanagement immer wichtiger für Schweizer
Unternehmen. Nach drei auch währungsbedingt schwachen Jahren auf dem Schweizer
M & A-Markt ist damit zu rechnen, dass in naher Zukunft eine neue M & A-Welle ent-
steht. Viele Schweizer Unternehmen beabsichtigen die günstige Wechselkurssituation
und ihre in vielen Fällen relativ gute Wettbewerbsposition zu nutzen und sich weiter
strategisch zu verstärken. Zusammenfassend lassen diese Faktoren einen positiven Blick
auf die Zukunft im Schweizer M & A-Markt zu.

Literatur
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  |  121
Teil

VI. M & A in Österreich: Das Ende des zentral-


europäischen M & A-Powerhouse?
Nikolaus Lang/Mona Philomena Ladler/Tibor von Mérey*

1 Einleitung
2 1970er und 1980er Jahre: Die Ruhe vor dem Boom
3 Fünf wesentliche M & A-Phasen in zweieinhalb Jahrzehnten
3.1 Phase I von 1988 bis 1993: Der Start
3.2 Phase II von 1994 bis 1998: Die Stagnation
3.3 Phase III von 1999 bis 2007: Der Boom
3.4 Phase IV von 2008 bis 2009: Die Krise
3.5 Phase V von 2010 bis 2014: Die Stabilisierung
4 M & A und der Wandel Österreichs

1 Einleitung
Die Zahl der M & A-Transaktionen mit österreichischer Beteiligung brach zwischen 2007
und 2009 um mehr als 50 % ein. Die kumulierten Transaktionswerte gingen im selben
Zeitraum sogar um über 80 % zurück. Am Ende der ersten Dekade des neuen Jahrtau-
sends stand der österreichische M & A-Markt mit 197 Transaktionen und rund 5,2 Mrd.
EUR an kumulierten Transaktionswerten1 im Jahr 2009 etwa am gleichen Punkt, an
dem er das alte Jahrtausend abgeschlossen hatte – bevor der M & A-Boom in Österreich
seinen Anfang nahm.
Handelte es sich dabei um eine vorübergehende Abschwächung des M & A-Booms seit
Anfang des neuen Jahrtausends im Schatten der globalen Finanzkrise? Oder war die
Erfolgsgeschichte österreichischer M & A-Expansionen im In- und Ausland zu Ende und
hatte die weltweite Finanzkrise einen strukturell schwächeren M & A-Markt in Öster-
reich zur Folge? Wie nachhaltig war die Entwicklung des österreichischen M & A-Mark-
tes in den letzten Jahren?
Der vorliegende Beitrag gibt einen ausführlichen, faktenorientierten Überblick über
zweieinhalb Jahrzehnte der Entwicklung des österreichischen M & A-Marktes – von der
beschaulichen Alpenrepublik am Rande Westeuropas in den 1980er Jahren hin zum
zentraleuropäischen M & A-Powerhouse der vergangenen Jahre, von sozialistischer Ord-

* Dr. Nikolaus Lang, Senior Partner & Managing Director, The Boston Consulting Group, München;
Dr. Mona Philomena Ladler, Postdoc-Assistentin, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt; Tibor von
Mérey, Projektleiter, The Boston Consulting Group, Wien.
1 Als grundlegende Datenbasis für Transaktionsvolumina wurde für den gesamten Beitrag die M & A
DATABASE herangezogen. Für die Jahre vor 2001 wurde Thomson ONE Banker als zusätzliche Da-
tenquelle genutzt, um die M & A-Daten in Einzelfällen vor allem um innerösterreichische Transak­
tionen zu ergänzen. Transaktionswerte wurden ausschließlich Thomson ONE Banker entnommen.
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122  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

nungspolitik hin zu liberaler Wirtschaftspolitik, von der Dominanz verstaatlichter In-


dustrie hin zu umfassenden Privatisierungen.
Nach einer Betrachtung der zentralen historischen Entwicklungen beschäftigt sich
der Beitrag mit den Veränderungen während der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009.
Hinterfragt wird, welche Branchen von der Finanzkrise besonders negativ getroffen
wurden und welche Branchen trotz der Krise aktiv geblieben sind. Beleuchtet werden
schließlich die Zeit nach der Krise (2010 bis 2014) und mögliche zukünftige Entwick-
lungsrichtungen.

2 1970er und 1980er Jahre: Die Ruhe vor dem Boom2


Die 1970er Jahre standen weltweit im Schatten der beiden Ölpreisschocks von 1973
und 1979. Erstmals in der Nachkriegszeit kam es zu einer echten Rezession. Expansive
Fiskalpolitik und staatliche Defizitpolitik waren – entsprechend dem dominierenden
keynesianischen Wirtschaftsparadigma – die zentralen Instrumente zur Erhaltung der
Vollbeschäftigung.
In Österreich herrschte ab dem Jahr 1970 eine Alleinregierung der SPÖ3 unter der
Führung von Bundeskanzler Bruno Kreisky. Während die meisten Industriestaaten als
Folge ihrer Ausgabenpolitik mit hoher Inflation und massiven Wachstumseinbußen zu
kämpfen hatten, konnte sich die Regierung Kreisky zunächst erfolgreich gegen die-
se Entwicklung stemmen. Vollbeschäftigung blieb in Verbindung mit vergleichsweise
niedrigen Inflations- und hohen Wachstumsraten erhalten. Verantwortlich dafür war
die Politik des »Austro-Keynesianismus« – eine Mischung aus Währungsstabilität, steu-
erlicher Förderung der Kapitalbindung, sozialpartnerschaftlicher Einkommenspolitik
und staatlicher Defizitpolitik für den Notfall. Dies führte dazu, dass Österreich damals
wirtschaftspolitisch als »Insel der Seligen« bezeichnet wurde.
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre verschlechterte sich trotz anhaltend guter
Konjunkturdaten die öffentliche Budgetsituation massiv. Vor allem nach dem zweiten
Ölpreisschock von 1979 wählte die Alpenrepublik einen eigenen Weg. Während die
anderen Industrieländer auf eine restriktive Geldpolitik setzten, reagierte die sozialis-
tische Alleinregierung mit erneuten Infrastrukturprogrammen und einer weiteren Ver-
staatlichung der Industrie. Anhaltend hohe Budgetdefizite führten schließlich zu einer
Verdreifachung der Staatsschulden und einer Dämpfung des Wirtschaftswachstums. In
der Folge musste der österreichische Staat zwischen 1980 und 1992 insgesamt 60 Mrd.
Schilling (rund 4,4 Mrd. EUR) zur Verlustabgeltung staatlicher Unternehmen zuschie-
ßen und zu deren Sanierung rund 55.000 Arbeitsplätze abbauen. Vor diesem Hinter-
grund entwickelte sich Österreich nach dem Nachkriegsboom zu der beschaulichen
Alpenrepublik am Rande Westeuropas, in der M & A nur eine marginale Rolle spielte.
Erst ab dem Jahr 1987, unter der großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP,4 kam es
zur Trendwende in Richtung einer liberaleren Wirtschaftspolitik. Gepaart mit dem Fall

2 Mitter/Wörgötter 1990; Weber/Venus 1993.


3 Damals: Sozialistische Partei Österreichs, 1991 umbenannt in Sozialdemokratische Partei Öster-
reichs.
4 Österreichische Volkspartei.
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VI. M & A in Österreich: Das Ende des zentraleuropäischen M & A-Powerhouse?  |  123


Teil

des Eisernen Vorhangs, den Vorboten des europäischen Binnenmarktes und der zu-
nehmenden Globalisierung, trug diese liberalere Wirtschaftspolitik entscheidend zum
Aufschwung des österreichischen M & A-Marktes ab Ende der 1980er Jahre bei.

3 Fünf wesentliche M & A-Phasen in zweieinhalb


Jahrzehnten
Die Entwicklung des österreichischen M & A-Marktes zwischen 1988 und 2014 lässt sich
in fünf wesentliche Phasen unterteilen (vgl. Abb. 1):
• Phase I (1988–1993): Der Start – Ostöffnung und erste Privatisierungswelle
• Phase II (1994–1998): Die Stagnation – zweite Privatisierungswelle und EU-Beitritt
• Phase III (1999–2007): Der Boom – EU-Osterweiterung und Rekordjahr 2007
• Phase IV (2008–2009): Die Krise – Rückgang in allen Bereichen
• Phase V (2010–2014): Die Stabilisierung – Distressed M & A und Erholung

Abb. 1: Entwicklung des österreichischen M & A-Marktes 1988–2014 (Quelle: MAR-Datenbank; Thomson ONE


Banker; BCG-Analyse)

3.1 Phase I von 1988 bis 1993: Der Start


Zu Beginn der 1990er Jahre kam es zu einer ersten deutlichen Zunahme der M & A-Akti-
vitäten in Österreich. Zwischen 1988 und 1993 konnte ein Anstieg von 25 Transaktionen
pro Jahr auf 171 Transaktionen verzeichnet werden. Die kumulierten Transaktionswerte
pro Jahr vervierfachten sich im selben Zeitraum von weniger als 300 Mio. EUR im Jahr
1988 auf fast 1,4 Mrd. EUR im Jahr 1993. Der Anteil österreichischer Käufer stieg in
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124  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

dieser Phase ebenfalls sprunghaft an und betrug 1993 stolze 70 % aller erfassten Trans-
aktionen. Dominierten Ende der 1980er Jahre noch Branchen wie Maschinenbau und
Chemie das M & A-Geschehen, übernahmen Anfang der 1990er Jahre Bau, Handel und
Finanzdienstleistungen die Spitze des Rankings.
Zu den größten Transaktionen in dieser Startphase gehörten:
• 1991 die Fusion der Österreichischen Länderbank mit der Zentralsparkasse Wien
(Volumen: ca. 1 Mrd. EUR),
• 1992 die Übernahme der Steiermärkischen Elektrizitäts-AG durch die Österreichische
Elektrizitätswirtschafts-AG (Verbund) (Volumen: ca. 240 Mio. EUR) und
• 1993 der Verkauf der amerikanischen Tochter Equipment Credit Services durch die
Länderbank an die Commercial Investment Trust Group (CIT) (Volumen: ca. 230
Mio. EUR).

Neben den Vorboten des europäischen Binnenmarktes – das EFTA5-Land Österreich


hatte bereits 1989 ein Beitrittsgesuch für die Europäische Gemeinschaft (EG) gestellt
– waren vor allem zwei Entwicklungen für den Aufschwung des österreichischen
M & A-Marktes ausschlaggebend: die Ostöffnung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs
und die erste Privatisierungswelle der verstaatlichten Industrie.

3.1.1 Ostöffnung

Mit den grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen in den osteuro-


päischen Nachbarländern Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre kam es auch
in Österreich zu einer »Osteuropa-Euphorie«. Schon während der Zeit des Kalten Krieges
bestanden gute Handelsbeziehungen zwischen Österreich und den Comecon6 -Staaten.
Dadurch gab es beim Fall des Eisernen Vorhangs bereits Doppelbesteuerungs- und
Investitionsabkommen, welche die M & A-Expansionen österreichischer Unternehmen
im Osten stark erleichterten.
Bereits im Jahr 1992 waren mehr als 30 % aller M & A-Transaktionen mit österrei-
chischen Käufern auf osteuropäische Targets gerichtet (die neuen Bundesländer der
ehemaligen DDR nicht mitgerechnet). Im Jahr 1993 erreichte dieser Anteil mit rund 55 %
(27 Transaktionen) ein relatives Allzeithoch und im Jahr 2007 mit 60 Transaktionen ein
absolutes Allzeithoch.
Unter den größten Osteuropa-Transaktionen zwischen 1988 und 1993 waren z. B. der
Einstieg von Constantia Packaging bei dem tschechischen Papierunternehmen Jihočeské
Papírny (40 % der Anteile für ca. 28 Mio. EUR), die partielle Übernahme der ungari-
schen Dunaferr-Tochter DV Steelworks durch den Stahlindustriekonzern Voestalpine
(50 % der Anteile für ca. 27 Mio. EUR) oder die Mehrheitsübernahme des ungarischen
Staatsbetriebs Csemege Trading durch die Lebensmittelkette Julius Meinl (51 % der
Anteile für ca. 26 Mio. EUR).7
Besonders aktiv in Osteuropa war Anfang der 1990er Jahre die österreichische Lebens-
mittelbranche. So expandierten Unternehmen wie Agrana, Schärdinger, Rauch, Ottakrin-

5 European Free Trade Association: Europäische Freihandelszone.


6 Council for Mutual Economic Assistance: Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe.
7 Auswahl aus jenen Transaktionen, bei denen ein Transaktionswert registriert wurde. Quelle:
Thoms­on ONE Banker.
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VI. M & A in Österreich: Das Ende des zentraleuropäischen M & A-Powerhouse?  |  125


Teil

ger oder die Österreichische Braubeteiligungsgesellschaft stark in die osteuropäischen


Nachbarländer. Gleiches galt für Einzelhandelsunternehmen wie Meinl oder Spar Öster-
reich. Auch die österreichischen Banken kauften sich schon Anfang der 1990er Jahre in
Osteuropa ein: die Raiffeisen Zentralbank u. a. bei der ungarischen Unicbank sowie der
bulgarischen Bank for Agricultural Credit und die Österreichische Volksbanken-AG bei der
slowenischen Ljudska banka. Im Laufe der Dekade verstärkte sich diese Tendenz deutlich
und Österreichs Banken wurden zum wichtigsten Konsolidierungsmotor in der Region.
Seit Anfang der 1990er Jahre ist Osteuropa eine spezifische Determinante des öster-
reichischen M & A-Marktes (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Zielmärkte österreichischer Käufer 1990–2014 (Quelle: MAR-Datenbank; Thomson ONE Banker; BCG-
Analyse)

3.1.2 Erste Privatisierungswelle

Nach Jahren der sozialistischen Alleinregierung unter Bruno Kreisky (von 1970 bis
1983) sowie einer drei Jahre währenden »kleinen Koalition« mit der FPÖ8 vollzog die
österreichische Wirtschaftspolitik unter der Regierung von Franz Vranitzky – ab 1987
eine »große Koalition« aus SPÖ und ÖVP – einen deutlichen Richtungswechsel. Zur
Entlastung der öffentlichen Budgetsituation und des Schuldendienstes kam es zu ersten
Privatisierungen der verstaatlichten Industrie – ähnlich wie in Frankreich unter Jacques
Chirac oder in Großbritannien unter Margaret Thatcher.
Als erstes verstaatlichtes Unternehmen ging im Jahr 1987 die Österreichische Mine-
ralölverwaltung (OMV) an die Börse. Bis 1989 wurden 25 % der Anteile an der OMV
über die Börse privatisiert. Insgesamt wurden im Rahmen dieser ersten Welle, die bis

8 Freiheitliche Partei Österreichs.


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126  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

1991 andauerte, Privatisierungen im Wert von ungefähr 30 Mrd. Schilling (umgerechnet


etwas über 2 Mrd. EUR) durchgeführt.
Nach dem Einstieg des neoliberalen ÖVP-Wirtschaftsministers Wolfgang Schüssel
in die große Koalition gab es einen weiteren Privatisierungsschub, der über mehrere
Jahre anhielt. In einem Interview im September 1994 bezeichnete Schüssel die Privati-
sierungspolitik als ein »grundsatzpolitisches Element« und führte aus: »Jede moderne
Wirtschaftspolitik – unabhängig von der jeweiligen Budgetsituation und unabhängig vom
potenziellen Streben nach strategischen Allianzen – tut gut daran, staatliche Beteiligungen
grundsätzlich zu überdenken und sich von operativen Einheiten zu trennen.«9 Während
Schüssels Zeit als Wirtschaftsminister wurde mit dem Privatisierungsgesetz von 1993
der Grundstein für die zweite Privatisierungswelle ab 1993/94 gelegt.

3.2 Phase II von 1994 bis 1998: Die Stagnation


Nach dem ersten Aufschwung der M & A-Transaktionen Anfang der 1990er Jahre sta-
gnierte der österreichische M & A-Markt von 1994 bis 1998 – wenn auch auf deutlich
höherem Niveau als in den 1980er Jahren. In diesem Zeitraum pendelte sich die Zahl der
erfassten Transaktionen zwischen 150 und 180 pro Jahr ein. Die kumulierten jährlichen
Transaktionswerte erreichten gegen Ende dieser Stagnationsphase jedoch neue Spitzen-
werte und stiegen im Jahr 1997 sogar auf 10,6 Mrd. EUR. Der Anteil der österreichischen
Käufer unter den registrierten Transaktionen ging im Vergleich zur ersten Phase leicht
zurück, hielt sich aber weiter im Bereich von 55 % bis 65 %. Wie schon in den Jahren
zuvor dominierten in dieser Phase vor allem die Finanzdienstleistungen, der Bausektor
sowie der Handel das österreichische M & A-Geschehen.
Zu den größten Transaktionen in dieser Phase gehörten:
• 1997 die Übernahme der Perlmooser Zementwerke durch Lafarge (Volumen: ca. 3,7
Mrd. EUR),
• 1997 die Übernahme von 99,5 % am Creditanstalt-Bankverein durch die Bank Austria
(Volumen: ca. 1,7 Mrd. EUR)10 und
• 1998 der Einstieg der Telecom Italia bei der Telekom Austria mit 25 % plus einer
Stimme (Volumen: ca. 2 Mrd. EUR).

Das M & A-Geschehen in dieser zweiten Phase wurde vor allem durch zwei zentrale
politische Entwicklungen geprägt: die zweite Privatisierungswelle unter der Regierung
Vranitzky/Schüssel sowie den Beitritt Österreichs zur EU.

3.2.1 Zweite Privatisierungswelle

Mit dem Privatisierungsgesetz von 1993 leitete die Regierung der großen Koalition die
zweite Privatisierungswelle ein. In diesem Gesetz wurde die Österreichische Indus­
trieverwaltungs-AG (ÖIAG) verpflichtet, »die ihr unmittelbar gehörenden Beteiligungen
an industriellen Unternehmungen in angemessener Frist mehrheitlich abzugeben«. Unter

  9 Lang 1994.
10 Steindl/Lang 1998.
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VI. M & A in Österreich: Das Ende des zentraleuropäischen M & A-Powerhouse?  |  127


Teil

dem Dach der ÖIAG war zu diesem Zeitpunkt der Großteil der verstaatlichten Industrie
zusammengefasst. So veräußerte zwischen 1994 und 2009 die ÖIAG als »Privatisie-
rungsagentur des österreichischen Staates« eine Reihe von Beteiligungen an wichtigen
Unternehmen der österreichischen Wirtschaft – darunter folgende Beispiele:
• AT&S: Der weltweit führende Leiterplattenhersteller wurde 1994 zu 100 % an eine
Bietergruppe um das damalige Management verkauft.
• Austria Tabak: 49,5 % der Anteile an dem Zigarettenhersteller wurden 1997 über die
Börse privatisiert.
• Bank Austria/Creditanstalt-Bankverein: Zwischen 1996 und 1998 privatisierten die
ÖIAG sowie der österreichische Bund ihre gesamten Anteile an der Bank Austria.
Parallel dazu verkaufte der Bund den Creditanstalt-Bankverein an die Bank Austria.
• Böhler-Uddeholm: Die ersten 27,3 % der Anteile an dem Spezialstahlhersteller wur-
den 1995 über die Börse privatisiert. 1996 folgte dann eine weitere Abgabe von 47,7 %
im Zuge eines Secondary Offering.
• OMV: Zwischen 1994 und 1996 wurden ca. 38 % der Anteile privatisiert. Mit dem
Staatsunternehmen International Petroleum Investment Company (IPIC) aus Abu
Dhabi kam neben der ÖIAG ein zweiter Kernaktionär in das Unternehmen.
• Telekom Austria: 1997 stieg die italienische STET, eine Tochter der Telecom Italia,
zunächst mit 25 % plus einer Stimme bei der Telekom-Austria-Tochter Mobilkom ein.
1998 folgte eine Beteiligung der Telecom Italia von 25 % plus einer Stimme direkt
bei der Telekom Austria.
• Voestalpine Stahl: 31,7 % der Anteile wurden 1995 über die Börse verkauft. 1996
erfolgte die Abgabe weiterer 4,6 % an einen institutionellen Investor.
• VA Technologie (kurz: VA Tech): 1994 wurde das Unternehmen durch Abgabe von
51 % der Anteile über die Wiener Börse mehrheitlich privatisiert – dieser war die
größte Kapitalmarkttransaktion in Österreich bis Ende 2009. VA Tech wurde 2005
von Siemens übernommen.

Das bevorzugte Privatisierungsinstrument der zweiten Welle waren eindeutig Privatisie-


rungen über die Wiener Börse. Kapitalmarkttransaktionen fanden in der Öffentlichkeit
deutlich höhere Akzeptanz als Verkäufe an ausländische Investoren. Die Furcht vor
einem »Ausverkauf Österreichs« war in der Bevölkerung sehr groß. Der Einstieg der
Telecom Italia bei der Telekom Austria und ihrer Mobilfunk-Tochter Mobilkom bei-
spielsweise wurde von intensiven politischen und öffentlichen Diskussionen begleitet.
Mitte 2015 hält die Österreichische Bundes- und Industriebeteiligungen GmbH
(ÖBIB – entstanden durch eine Umwandlung der ÖIAG auf Basis des ÖBIB-Gesetzes 2015
mit Wirksamkeit vom 20.03.2015) noch Beteiligungen an drei börsennotierten und sechs
nicht börsennotierten Gesellschaften: 28,42 % an der Telekom Austria, 31,5 % an der
OMV und 52,85 % an der Österreichischen Post sowie 33,20 % an der Casinos Austria
AG, 29,95 % an der APK Pensionskasse AG, je 100 % an der GKB-Bergbau GmbH, der
Finanzmarktbeteiligungs-AG, der Immobilien- und Industriebeteiligungen GmbH und
der Schoeller-Bleckmann GmbH. Nach den in der Vergangenheit erfolgten Privatisie-
rungen ist es heute erklärtes Ziel der ÖBIB, ihr Portfolio nachhaltig und wertsteigernd
zu sichern.
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128  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

3.2.2 EU-Beitritt

Nachdem Österreich bereits 1989 ein Beitrittsgesuch an die Europäische Union (ehe-
mals Europäische Gemeinschaft) gestellt hatte, erfolgte zum 01.01.1995 der tatsächliche
Beitritt. Vorausgegangen war im Jahr 1994 eine Volksbefragung, bei der sich zwei Drittel
der österreichischen Bevölkerung für eine EU-Mitgliedschaft ausgesprochen hatten.
Der EU-Beitritt blieb auch nicht ohne Auswirkungen auf das M & A-Geschehen in
Österreich. Der Anteil westeuropäischer Targets stieg im Beitrittsjahr 1995 auf 80 %,
um sich anschließend wieder auf dem langjährigen Durchschnitt von 50 % bis 60 %
einzupendeln. Auch das Interesse nichtösterreichischer Käufer stieg in dieser Zeit enorm
an: von lediglich ca. 30 % im Jahr 1994 auf immerhin 44 % im Jahr 1996.
Diese zunehmende Vernetzung mit Westeuropa spiegelt sich auch in den Top-Trans-
aktionen dieser Zeit wider. So war eine der größten Transaktionen österreichischer Käu-
fer in Westeuropa im Jahr 1997 der Einstieg der OMV bei dem damals finnisch-norwe-
gischen Kunststoffhersteller Borealis für ca. 690 Mio. EUR. Aber auch eine der größten
Transaktionen ausländischer Käufer in Österreich fällt in diese Phase: die Übernahme
der Perlmooser Zementwerke durch das französische Baustoffunternehmen Lafarge. Mit
einem Transaktionswert von ca. 3,7 Mrd. EUR findet sich diese Übernahme auf dem
dritten Platz der österreichischen Top-Transaktionen zwischen 1990 und 2014.
In den Jahren 1996 und 1997 stellte die Regierung Vranitzky/Schüssel auch die we-
sentlichen Weichen für die weitere Entwicklung des österreichischen Bankensektors
im europäischen Wettbewerb. Nach der Privatisierung der Bundesanteile an der Bank
Austria im Jahr 1996 übernahm diese 1997 den Creditanstalt-Bankverein (99,5 % der
Anteile für ca. 1,7 Mrd. EUR). Diese Übernahme drohte kurzfristig die große Koalition
aus SPÖ und ÖVP zu sprengen, wurde dann aber doch von der ÖVP unter bestimm-
ten Bedingungen akzeptiert. Die Bank Austria musste u. a. 56 % ihrer Anteile an der
Girocredit an die Erste Österreichische Sparkasse (ca. 600 Mio. EUR) verkaufen. Die
beiden Spitzeninstitute des österreichischen Bankensektors erhielten so jene Gestalt,
in der sie die Expansion österreichischer Banken ins Ausland über die folgenden Jahre
entscheidend prägen sollten.

3.3 Phase III von 1999 bis 2007: Der Boom


Ende der 1990er Jahre nahm der österreichische M & A-Markt Anlauf für einen massi-
ven Boom. Bis 2005 stieg die Anzahl der jährlichen Transaktionen auf über 500! Nach
einem ersten Rekord von rund 11,9 Mrd. EUR an kumulierten Transaktionswerten im
Jahr 2000 kam es zu einer kurzen Abschwächung infolge des Platzens der Internetblase.
Aber bereits 2004 explodierten die Transaktionswerte erneut und erreichten im Jahr
2007 einen Höchststand von 27,4 Mrd. EUR. Der Anteil österreichischer Käufer nahm
in dieser Phase zwischenzeitlich deutlich zu und stieg 2005 sogar auf 77 %, was die
Bedeutung Österreichs als zentraleuropäisches M & A-Powerhouse widerspiegelt.
Es überrascht wenig, dass in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends allgemeine
Dienstleistungen (inklusive Immobilien), die Computerindustrie sowie die Telekommu-
nikationsbranche die wesentlichen M & A-Motoren in Österreich waren – zumindest be-
zogen auf die Anzahl der Transaktionen. Vor allem zu Beginn des neuen Jahrtausends
erlebten diese Branchen einen starken Aufschwung, der eng mit dem Internetboom
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Teil

korrelierte und dementsprechend nach dem Platzen der Internetblase abflaute. In der
Folge dominierten dann die Banken mit ihren Osteuropa-Expansionen sowie die allge-
meinen Dienstleistungen vorrangig mit Immobilientransaktionen das M & A-Geschehen
der Boomjahre.
Die größten Transaktionen in dieser Phase wurden allesamt durch Banken getätigt:
• 2000 die Übernahme der Bank Austria Creditanstalt durch die Bayerische HypoVer-
einsbank (Volumen: ca. 7,8 Mrd. EUR),
• 2005 der Kauf der rumänischen Banca Comercială Română durch die Erste Bank
(Volumen: ca. 3,75 Mrd. EUR),
• 2006 die Übernahme der BAWAG P.S.K. durch eine Investorengruppe um den US-
Fonds Cerberus (Volumen: ca. 3,2 Mrd. EUR).

3.3.1 EU-Osterweiterung

Über viele Jahre hinweg war der österreichische M & A-Markt von den Schlagworten
»Osteuropa« und »Banken« geprägt – nicht ganz unberechtigterweise, denn immerhin
waren unter den Top-10-Transaktionen zwischen 1990 und 2014 (vgl. Abb. 3) vier bank-
bezogene Transaktionen.
Die Konsolidierung der heimischen Bankenlandschaft sowie deren starke Expansio-
nen in Osteuropa haben das M & A-Geschehen und die österreichische Industriestruktur
tiefgehend beeinflusst. So liefern sich die österreichischen Top-Player – allen voran die
UniCredit-Tochter Bank Austria, die Erste Bank und die Raiffeisen International – ihre
Schlacht um Marktanteile nicht mehr ausschließlich im Heimatmarkt. Vielmehr haben
sie sich aktiv an den Privatisierungen und der Konsolidierung der osteuropäischen
Bankenlandschaft beteiligt und zählen zu den führenden Finanzinstituten der Region.
Begonnen hat diese Entwicklung nicht erst im Zuge der EU-Osterweiterung. Bereits nach
dem Fall des Eisernen Vorhangs waren österreichische Banken in Osteuropa aktiv und
konnten ihre Präsenz durch Top-Transaktionen wie den Einstieg der Erste Bank bei der
rumänischen Banca Comercială Română deutlich ausbauen.
Aber die Expansion österreichischer Unternehmen in Osteuropa wurde nicht nur von
Banken getrieben. Auch Österreichs führende Versicherer wie die Wiener Städtische und
die UNIQA Versicherungen haben stark in den osteuropäischen Nachbarländern zuge-
kauft. Des Weiteren wurde durch die Telekom Austria mit der Übernahme des bulgari-
schen Mobilfunkbetreibers Mobiltel im Jahr 2004 (ca. 1,6 Mrd. EUR) eine der größten
– wenngleich nicht im Ranking der 10 Top-Transaktionen gelisteten – österreichischen
Transaktionen getätigt. Bereits zuvor war die Telekom Austria über die Mobilkom in
Slowenien und Kroatien aktiv – in beiden Ländern als klarer Marktführer. Der OMV
gelang es mit der Übernahme des rumänischen Erdöl- und Erdgaskonzerns Petrom zwar
ebenso nicht unter die Top-10-Transaktionen, sie ist aber gleichfalls stark in Osteuropa
engagiert. Durch den Kauf des ungarischen Mineralölkonzerns MOL wollte die OMV
zum echten Schwergewicht in der Region mutieren. Ein diesbezüglicher Übernahme-
versuch scheiterte 2008.11
Nicht übersehen werden sollten gerade vor dem Hintergrund der Finanzkrise auch
die österreichischen Immobilienfonds. Diese konnten nach 2000 vor allem in Osteuro-
pa deutlich an Bedeutung gewinnen. Vor Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 hielten

11 Lang/Plankensteiner 2008.
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130  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

österreichische Fonds wie Immoeast, Meinl European Land und die CA Immobilien
Anlagen AG einen beachtlichen Anteil von 15 % am kumulierten Immobilieninvesti-
tionsvolumen in Osteuropa. Von der Finanzkrise wurden diese Fonds aber besonders
hart getroffen.
Auch wenn Osteuropa über zwei Jahrzehnte eine charakteristische Determinante
des österreichischen M & A-Marktes darstellte, so sollte nicht vergessen werden, dass
die Anzahl von Transaktionen mit Deutschland und Westeuropa über den gesamten
Zeitraum größer war. So machten mit Ausnahme des Jahres 1993 Deutschland und
Westeuropa bei österreichischen Käufern stets über 50 % aller Transaktionen mit aus-
ländischen Targets aus.
Dafür verantwortlich sind Unternehmen wie der Ziegelhersteller Wienerberger, der
sich erfolgreich zum Weltmarktführer entwickelt hat, oder der Baukonzern Strabag, der
mittlerweile unter den Top-10-Baukonzernen in Europa rangiert. Auch österreichische
Maschinen- und Anlagenbauer wie Palfinger oder Papier- und Verpackungshersteller
wie Constantia Packaging und Mayr-Melnhof sind in Deutschland, Westeuropa und
weltweit aktiv.

Abb. 3: TOP 10-Transaktionen 1990–2014 (Quelle: MAR-Datenbank; Thomson ONE Banker; BCG-Analyse)

3.3.2 Rekordjahr 2007

Anders als in den beiden früheren Rekordjahren 1997 und 2000, in denen einige wenige
Mega-Deals die kumulierten Transaktionswerte in die Höhe trieben, war das Rekord-
jahr 2007 von einer Vielzahl substanzieller, mittelgroßer Transaktionen geprägt. Neben
den zwei Top-Deals Böhler-Uddeholm (ca. 2,6 Mrd. EUR) und Hypo Group Alpe Adria
(ca. 1,6 Mrd. EUR – die turbulente Weiterentwicklung dieses Deals wird im Folgen-
den noch weiter beleuchtet) trug auch die deutliche Steigerung des durchschnittlichen
Transaktionswertes zum historischen Höchststand von 27,4 Mrd. EUR bei. Dies spie-
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VI. M & A in Österreich: Das Ende des zentraleuropäischen M & A-Powerhouse?  |  131


Teil

gelt die zunehmende Reife des österreichischen M & A-Marktes und den Höhepunkt des
M & A-Booms zwischen 1999 und 2007 wider. Nach vier Jahren in Folge mit kumulier-
ten Transaktionswerten oberhalb der 10-Mrd.-EUR-Marke und sieben Jahren mit einer
jährlichen Transaktionsanzahl von über 400 fiel der österreichische M & A-Markt in den
Krisenjahren 2008 und 2009 sehr schnell wieder auf das Niveau von Ende der 1990er
Jahre zurück.

3.4 Phase IV von 2008 bis 2009: Die Krise


2008 erfuhr der M & A-Boom in Österreich 2008 ein jähes Ende. Nachdem die ersten
beiden Quartale noch relativ gut verlaufen waren, hatte der Einbruch in der zweiten
Jahreshälfte auch massive Auswirkungen auf das Gesamtjahr. Nach 416 Transaktionen
im Rekordjahr 2007 verringerte sich die Anzahl im Jahr 2008 zunächst auf 299 und im
Jahr 2009 noch weiter auf 197 Transaktionen – das entspricht einem Minus von über
50 % innerhalb von zwei Jahren. Noch dramatischer verlief die Entwicklung der kumu-
lierten jährlichen Transaktionswerte: Von dem Rekordwert von 27,4 Mrd. EUR im Jahr
2007 fielen sie auf 10,4 Mrd. EUR in 2008 und weiter auf 5,2 Mrd. EUR in 2009. Erstmals
seit 2003 lagen sie damit wieder unter der 10-Mrd.-EUR-Marke.
Keine Branche blieb von den Folgen der Krise verschont (vgl. Abb. 4). Bereits 2008
ging die Anzahl der Transaktionen mit wenigen Ausnahmen in nahezu allen Branchen
deutlich zurück und dieser Trend setzte sich 2009 konsequent fort.
Zunächst schien vor allem die Energie- und Entsorgungswirtschaft krisenresistent.
Während die österreichischen Energieversorger in den Jahren vor der Finanzkrise keine
überaus aktiven M & A-Player gewesen waren – abgesehen von einigen Privatisierungen
in Osteuropa – und eine echte Konsolidierung der Branche am Widerstand der regio-
nalen Eigentümer gescheitert war, nahm die Transaktionsanzahl im Jahr 2008 von 18
auf 35 deutlich zu. Die Energie- und Entsorgungswirtschaft schob sich damit erstmals
seit mehr als zehn Jahren auf Platz drei des Branchenrankings. Mit dem Kauf von 13
bayerischen Wasserkraftwerken von E.ON (ca. 1,4 Mrd. EUR) und der partiellen Über-
nahme des türkischen Unternehmens Başkent Elektrik Dağıtım A.Ş. (ca. 0,8 Mrd. EUR)
gelangen der Österreichischen Elektrizitätswirtschafts-AG (Markenname: Verbund) so-
gar zwei große Transaktionen. 2009 reduzierte sich die Zahl der Transaktionen aber
bereits wieder auf 17.
Die Finanzdienstleistungen, traditionell unter den Spitzenreitern im österreichischen
M & A-Branchenranking, konnten 2008 ebenfalls noch einen Zuwachs verzeichnen.
Ganz überraschend war das nicht, da diese besonders krisengeschüttelte Branche eine
Reihe von krisenbedingten Transaktionen erlebte. So wurde als erste österreichische
Bank die Kommunalkredit Austria AG, eine Tochter der Österreichischen Volksbanken
AG (ÖVAG) und des belgischen Bankkonzerns Dexia, 2008 verstaatlicht. Eine drohen-
de Insolvenz der Constantia Privatbank konnte nur durch die Übernahme durch ein
österreichisches Fünf-Banken-Konsortium, bestehend aus Bank Austria, Erste Group,
Raiffeisen Zentralbank, Österreichische Volksbanken und BAWAG P.S.K., verhindert
werden. 2009 musste schließlich auch die Kärntner Hypo Group Alpe Adria, seit 2007
im Mehrheitseigentum der BayernLB, verstaatlicht werden. Auch das Spitzeninstitut
der Volksbankengruppe, die ÖVAG, war als Folge der Finanzkrise auf der Suche nach
einem neuen Partner. Während der Finanzkrise zeigte die starke Osteuropa-Expansion
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132  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

der österreichischen Finanzinstitute auch ihre negative Seite: Mit einem damaligen
Kreditvolumen von über 200 Mrd. EUR in Osteuropa hing die österreichische Banken-
landschaft und mit ihr das ganze Land sehr stark von einer stabilen Entwicklung der
osteuropäischen Wirtschaftsräume ab. 2009 sanken folglich auch bei den Finanzdienst-
leistern die Transaktionszahlen deutlich.
Eine gegenläufige Entwicklung nahm die österreichische Bau-/Baustoffindustrie. In-
folge eines nahezu weltweiten Einbruchs der Baumärkte bereits in der zweiten Jahres-
hälfte 2007 rutschte auch die M & A-Transaktionsanzahl im Jahr 2008 von 25 auf 8 deut-
lich ab. Die zuvor sehr aktive Wienerberger AG beispielsweise hatte 2008 mit massiven
Ergebniseinbrüchen zu kämpfen, was nicht ohne Auswirkungen auf ihre M & A-Tätigkeit
blieb. Statt weiter die Konsolidierung des weltweiten Ziegelmarktes voranzutreiben,
wurde das Investitionsbudget, welches vor der Krise jährlich über 250 Mio. EUR be-
tragen hatte, deutlich gekürzt. Im Jahr 2009 konnte sich der Sektor im Hinblick auf
M & A-Transaktionen aber schon wieder etwas erholen: Die Anzahl der Transaktionen
stieg leicht von 8 auf 11, blieb aber deutlich unter dem Niveau der Vorjahre.
Am härtesten traf die Krise den jahrelangen Spitzenreiter im österreichischen
M & A-Branchenranking, die allgemeinen Dienstleistungen. Der beinahe zum Erliegen
gekommene Immobilienmarkt spielte dabei eine zentrale Rolle. Die Transaktionsaktivi-
täten der Branche gingen 2008 um fast 50 % gegenüber dem Vorjahr zurück.

Abb. 4: Österreichischer M & A-Markt in der Finanzkrise 2008–2009 (Quelle: MAR-Datenbank; Thomson ONE Banker;
BCG-Analyse)

3.5 Phase V von 2010 bis 2014: Die Stabilisierung


Die Zeit nach der Finanzkrise ist von einer Stabilisierung des österreichischen
M & A-Marktes auf mittlerem Niveau gekennzeichnet. Wenngleich weder die Transak-
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VI. M & A in Österreich: Das Ende des zentraleuropäischen M & A-Powerhouse?  |  133


Teil

tionsvolumina noch die Transaktionswerte des Vorkrisenniveaus erreicht wurden, ist


quer durch alle Branchen eine Erholung von den Folgen der Finanzkrise zu beobachten.
Bereits im Jahr 2010 wurden wieder 277 Transaktionen mit österreichischer Beteili-
gung abgewickelt. Nach einem temporären Einbruch im Jahr 2013 auf lediglich 208
Transaktionen konnten im Jahr 2014 wieder 242 Transaktionen verzeichnet werden. Die
kumulierten Transaktionswerte pendelten sich ohne signifikante Abweichungen nach
oben oder unten zwischen 5 und 6 Mrd. EUR ein. Die gegen Ende des Jahres 2014 zu
beobachtende, insbesondere durch den Kapitalmarkt induzierte erhöhte M & A-Aktivität
setzte sich auch in der ersten Hälfte des Jahres 2015 fort, sodass mit einer anhaltenden
Stabilisierung – wenngleich auf niedrigem Niveau – gerechnet werden kann.
Eine detaillierte Betrachtung dieser Zahlen liefert hingegen ein differenziertes Bild.
Die allgemeine Stabilisierung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Reihe
von Transaktionen kriseninduziert waren bzw sind. Insbesondere die umfangreichen
M & A-Transaktionen im Bankensektor sind als unmittelbare Folge der im Jahr 2009
eingeleiteten Restrukturierungen zu qualifizieren. Hervorzuheben sind in diesem Zu-
sammenhang darüber hinaus die zahlreichen Insolvenzen in den Sektoren Bau (Alpine),
Handel (baumaxx, daily, Niemetz, DiTech) und Industrie (A-Tec). Als mit den Erfahrun-
gen der Finanzkrise verknüpft, können auch die zunehmenden Divestments österrei-
chischer Unternehmen aus Osteuropa, die mit einem verstärkten Engagement in west-
europäischen Kernmärkten einhergehen, betrachtet werden. Bildete der osteuropäische
Raum vor der Krise – wie in Abb. 2 ersichtlich – aufgrund der geographischen Gege-
benheiten eine charakteristische Determinante des österreichischen M & A-Marktes, ist
nunmehr ein Abflauen der »Osteuropa-Euphorie« zu beobachten. Verstärkt wurde diese
Desillusionierung nicht zuletzt durch die politischen Entwicklungen in manchen osteu-
ropäischen Ländern (darunter jüngst der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine),
die rechtliche und wirtschaftliche Instabilitäten für Direktinvestitionen bedeuten.
Dass dennoch von einer Stabilisierung des österreichischen Marktes gesprochen
werden kann, ist auf eine Expansion österreichischer M & A-Champions (wie etwa der
Telekom Austria AG, der OMV AG, der Andritz AG oder des Porr-Konzerns) sowie auf
verstärkte Aktivitäten kleiner und mittelständischer Unternehmen zurückzuführen.
Auch jene Sektoren, die in der Finanzkrise besonders starke Einbußen verzeichnen
mussten, wie etwa die den allgemeinen Dienstleistungen zuzuordnenden Immobilien,
haben insbesondere 2014 wieder einen Aufschwung erlebt und zu einer signifikanten
Belebung des Marktes beigetragen. Darüber hinaus konnten in der letzten Periode drei
Top-10-Transaktionen verzeichnet werden:
• 2010 die Übernahme der Porsche Holding Salzburg durch Volkswagen (Volumen:
ca. 3,3 Mrd. EUR),
• 2013 der Kauf der norwegischen Rohstofffelder der Statoil Nordsee Assets durch die
OMV AG (Volumen: ca. 2 Mrd. EUR),
• 2014 (bzw. 2015) die Veräußerung der Constantia Flexibles Group GmbH an die
französische Wendel Group (Volumen: ca. 2,3 Mrd. EUR).

3.5.1 Distressed M & A vor allem im Bankensektor

Die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise dauern in Österreich bis in das
Jahr 2015 an. Insbesondere im Bankensektor wurden eine Vielzahl von Transaktionen
abgewickelt, die teils – wie oben dargestellt – als unmittelbare Reaktion zur Abfederung
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134  |  M & A aus Marktperspektive


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der Krise in den Jahren 2008 und 2009 ergingen, in der überwiegenden Anzahl der Fälle
aber auf durch europarechtliche Vorgaben notwendige Umstrukturierungen und staatli-
che Divestments zurückzuführen sind. Dieser Umstand wird am Beispiel der Hypo Alpe
Adria deutlich: Diese wurde im Jahr 2009 notverstaatlicht, doch konnte erst 2013 ein
Käufer für das Österreich-Geschäft gefunden werden. 2014 wurde das Spitzeninstitut
des Konzerns, die HBInt, mittels eines Pakets an Sondergesetzen in eine Abbaueinheit
umgewandelt, welche ohne Innehabung einer Banklizenz lediglich der langfristigen
Verwertung des Portfolios dient. Noch nicht finalisiert – wenngleich die Vertragsun-
terzeichnung bereits erfolgte – ist der Verkauf des Südosteuropa-Geschäfts der Gruppe.
Auch die Veräußerung des Italien-Geschäfts befindet sich noch in der Schwebe. Ähnli-
ches gilt für die Privatisierung der im Zuge der Krise verstaatlichten Kommunalkredit
AG, die erst 2015 zum Abschluss gebracht werden konnte: Nach einer Abspaltung und
Einbringung der toxischen Assets in eine Bad Bank, die KA Finanz, wurde der »gesun-
de« Teil der Bank, die Kommunalkredit Austria AG, von der Gesona Beteiligungsverwal-
tung GmbH erworben. Der Verkauf hätte nach Auflagen der Europäischen Kommission
bereits im Jahr 2013 abgeschlossen werden sollen; ein Vertragsverletzungsverfahren
gegen Österreich konnte durch die Beantragung eines zeitlichen Aufschubs abgewendet
werden. Die Umstrukturierung der österreichischen Volksbank-Gruppe dauert derzeit
noch an. Von Restrukturierungen und einem Rückzug aus dem osteuropäischen Raum
ist auch der Raiffeisen-Konzern gekennzeichnet.
Neben dem Bankensektor waren auch in den Sektoren Bau, Handel und Industrie
durch die Finanzkrise induzierte Transaktionen zu verzeichnen. So wurde der Baukon-
zern Alpine nach seiner Insolvenz im Jahr 2013, welche als die größte der österreichi-
schen Wirtschaftsgeschichte gilt, zerschlagen und an eine Vielzahl in- und ausländi-
scher Käufer veräußert. Als »distressed« sind ebenso die Deal-Aktivitäten rund um die
insolventen Handelsketten baumaxx, DiTec, daily, Holland Blumen Mark sowie um den
insolventen Industriekonzern A-Tec zu qualifizieren.

3.5.2 Stabilisierung und Konsolidierung

In vielen anderen Sektoren (v. a. Telekommunikation, Immobilien, Bau und Energie)


ist hingegen ein nachhaltiges M & A-Wachstum zu beobachten. Hervorzuheben ist ins-
besondere die Telekommunikationsbranche, welche sich sowohl durch hohe Transak-
tionsvolumina wie auch durch eine hohe Transaktionszahl auszeichnet (vgl. Abb. 4).
Dominiert wird der M & A-Markt von den Entwicklungen rund um den staatlichen Te-
lekommunikationsbetreiber Telekom Austria (TA), welcher sowohl selbst Gegenstand
umfangreicher Umstrukturierungen war, als auch vielfältige Zuerwerbe tätigte. So wur-
de 2011 die zuvor separat betriebene Festnetz- und Mobilkommunikation unter einem
Dach, der A1 Telekom Austria AG, zusammengeführt. Nach einer Reihe sukzessiver An-
teilserwerbe privater Investoren in den Jahren 2012 bis 2014 wurde die ÖBIB als bisher
größter Aktionär durch America Móvil, welche 2015 unmittelbar und mittelbar 59,7 %
der Anteile an dem ehemals staatlichen Telekommunikationsanbieter hält, verdrängt.
Daneben hat TA erfolgreich in Osteuropa expandiert. So wurde TA durch den Erwerb
des größten kroatischen Kabelnetzbetreibers B.net 2011 oder den Zukauf zweier bulga-
rischer Kabelbetreiber 2012 zu einem vollintegrierten Telekomanbieter in der Region.
Hervorzuheben ist des Weiteren der für den österreichischen Markt sehr prägende
Zusammenschluss der Mobilfunkanbieter Orange und Hutchison 3G (»Drei«). Nach einer
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VI. M & A in Österreich: Das Ende des zentraleuropäischen M & A-Powerhouse?  |  135


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monatelangen Prüfung durch die europäischen und nationalen Wettbewerbsbehörden


ist damit der drittgrößte österreichische Mobilfunkanbieter entstanden.
Anzuführen ist daneben der Immobiliensektor, welcher sich nach starken krisenbe-
dingten Einbrüchen zu einem der Treiber des österreichischen M & A-Marktes entwickelt
hat. Ein charakteristisches Merkmal für eine Vielzahl an finalisierten Transaktionen
ist der geographische Fokus auf Österreich und Deutschland. So wurde etwa das Ber-
liner Kaufhaus KaDeWe durch die österreichische Signa Holding erworben oder die in
Hamburg niedergelassene Kommunale Wohnen AG mehrheitlich durch die Conwert
Immobilien Invest SE übernommen. In diesem Zusammenhang zu nennen ist ferner
das Listing der BUWOG AG an der Börse Frankfurt nach der Abspaltung von der Im-
mofinanz AG. Als weiteres Merkmal ist eine Konsolidierung im Immobiliensektor zu
beobachten. Begonnen hat diese Entwicklung mit der Fusion von Immofinanz AG und
Immoeast AG, welche mit der Übernahme der CA Immo durch die CA Immobilien
Anlagen AG und die Übernahme der ECO Business-Immobilien AG durch die Conwert
Immobilien Invest SE im Jahr 2010 weitergeführt wurde. Angesichts der aktuellen Über-
nahmeschlacht zwischen der Conwert und der Immofinanz wird diese Konsolidierung
wohl noch weiter andauern.
Zurückzuführen ist die Phase der Stabilisierung nicht zuletzt auf die in Anbetracht
der österreichischen Marktgröße im Jahr 2014 hohe Anzahl kapitalmarktorientierter
Transaktionen. So erfolgte mit dem Börsengang der FACC AG das erste Listing auf dem
Prime-Market der Wiener Börse seit dem Listing der AMAG AG im Jahr 2011. Darüber
hinaus notiert die BUWOG AG nach dem erfolgreichen Spin-off von der Immofinanz
AG neben der Börse Frankfurt auch in Wien. Neben diesen erfolgreichen Börsengängen
wurden im Jahr 2014 10 öffentliche Übernahmeangebote abgewickelt. Dies entspricht
dem höchsten Wert an Anteilskäufen an börsennotierten Unternehmen seit der Einfüh-
rung des Übernahmegesetzes im Jahr 1999.

3.5.3 Ausblick

Ein aktiver Kapitalmarkt zeugt von einem gesteigerten Vertrauen der Investoren in
die österreichische wirtschaftliche Entwicklung, was wiederum Rückschlüsse auf eine
nachhaltige Stabilisierung des M & A-Marktes erlaubt. Erste entsprechende Indikationen
konnten bereits im ersten Halbjahr 2015 beobachtet werden, in welchem sich der Trend
des Jahres 2014 – welches sich insbesondere durch Transaktionen in den Sektoren Bau
und Immobilien sowie kapitalmarktorientierte Transaktionen auszeichnete – fortsetzt.
Die Attraktivität des österreichischen M & A-Marktes wird auch durch eine Betrachtung
der geographischen Verteilung der Käufer österreichischer Unternehmen belegt: Im Jahr
2014 wurden 8 % mehr Transaktionen durch ausländische Investoren getätigt als im
Jahr zuvor. Gedämpft wird diese positive Prognose hingegen durch die bereits ange-
deuteten politischen Entwicklungen im osteuropäischen Raum. Neben einer durch die
Finanzkrise ausgelösten Desillusionierung und den dadurch bedingten Rückzug öster-
reichischer Unternehmen aus der Region sind die aktuellen politischen Entwicklungen
im Russland-Ukraine-Konflikt Vorboten weiterer Divestments.
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136  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

4 M & A und der Wandel Österreichs


Seit den 1980er Jahren hat sich Österreich über zweieinhalb Jahrzehnte fundamental
verändert. Die zunehmenden M & A-Aktivitäten spielten bei dieser Entwicklung eine
wesentliche, treibende Rolle. Die drei entscheidenden Veränderungen seien zusammen-
fassend hervorgehoben.

Modernisierung – von sozialistischer Ordnungspolitik zu liberaler Wirtschaftspolitik


War bis in die 1980er Jahre Vollbeschäftigung das absolute Dogma, brachten die 1990er
Jahre und die erste Dekade des neuen Jahrtausends einen klaren Wandel. Statt wei-
terhin als Beschäftigungsagenturen für den österreichischen Staat zu agieren, wurden
staatliche Unternehmen zunächst stringent saniert und anschließend zu international
konkurrenzfähigen Wettbewerbern umgebaut. Der Rückzug des Staates war der ent-
scheidende Schritt, um eine nachhaltige, politisch unbeeinflusste Entwicklung dieser
Betriebe zu ermöglichen. Die Privatisierungen haben die österreichische Unterneh-
menslandschaft einschneidend verändert und dem österreichischen M & A-Markt einen
nachhaltigen Schub gegeben. Unternehmen wie die OMV haben sich von staatlichen
Verwaltungsgesellschaften zu international agierenden M & A-Playern entwickelt.

Internationalisierung – von der beschaulichen Alpenrepublik zum zentraleuropäischen


M & A-Powerhouse
Die Entstehung des europäischen Binnenmarktes und die günstige geographische Posi-
tionierung Österreichs in unmittelbarer Nachbarschaft zu den osteuropäischen Wachs-
tumsländern waren ideale Rahmenbedingungen für eine massive Internationalisierung
österreichischer Unternehmen. Keine andere Branche wusste das so gut zu nutzen wie
die österreichischen Banken, die bereits beim Fall des Eisernen Vorhangs in den Osten
expandierten, um später im Zuge der weiteren Öffnung durch die EU-Osterweiterung
zum führenden M & A-Konsolidierungsmotor in Osteuropa zu werden. Durch die Krise
erfuhr die Osteuropa-Expansion österreichischer Unternehmen einen jähen Einbruch.
Der Rückzug aus der Region wird in Anbetracht der politischen Instabilitäten in einigen
osteuropäischen Ländern künftig anhalten und dafür sorgen, dass der Anteil an Trans-
aktionen in westeuropäischen Märkten steigt.

Branchenwandel – von Bau und Handel zu Banken, Dienstleistungen und IT/Telekom


Dominierten in den 1990er Jahren noch eindeutig die Branchen Bau und Handel das
österreichische M & A-Geschehen, kam es in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends,
gefördert durch Technologisierung und Dienstleistungsfokus, zu einer klaren Verschie-
bung hin zu Banken, Dienstleistungen und IT/Telekom (vgl. Abb. 5).
Insgesamt waren die zweieinhalb Jahrzehnte zwischen 1990 und 2014 für Öster-
reich eine Zeit des wirtschaftlichen Nach- und Aufholens. Diese rasante Entwicklung
zeigt sich bei einem Vergleich der Statistiken über das M & A-Geschehen in Österreich,
Deutschland und der Schweiz (vgl. Abb. 6). Vor allem in den Jahren des M & A-Booms
zwischen 1999 und 2007 hob sich die Entwicklung in Österreich von der in westeuro-
päischen Nachbarländern ab. In der Spitze erreichten die österreichischen Transaktions-
volumina 2005 den neunfachen Wert von 1990 und die kumulierten Transaktionswerte
2007 sogar den 29-fachen Wert. Dahinter blieben Deutschland und die Schweiz im
selben Zeitraum deutlich zurück.
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VI. M & A in Österreich: Das Ende des zentraleuropäischen M & A-Powerhouse?  |  137


Teil

Abb. 5: TOP-M & A-Branchen 1990–2014 (Quelle: MAR-Datenbank; Thomson ONE Banker; BCG-Analyse)

Mit der globalen Finanzkrise gehören diese Ausreißer der Vergangenheit an und das
österreichische M & A-Geschehen gleicht sich dem in den westeuropäischen Nachbar-
ländern wieder an. Die Transaktionsanzahl und -volumina haben sich auf einem sta-
bilen Niveau eingependelt. Die Zeiten einer überproportional starken Entwicklung des
M & A-Marktes in Österreich sind damit zu Ende – zumindest vorerst.

Abb. 6: Vergleich der M & A-Aktivitäten Österreich, Deutschland und der Schweiz (Quelle: MAR-Datenbank;
Thomson ONE Banker; BCG-Analyse)
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138  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Literatur
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in Schwung: ein schwaches Jahr für den M & A-Markt 2013. In: M & A REVIEW, 25. Jg., Nr. 3, 2013,
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Niveau. In: M & A REVIEW, 23. Jg., Nr. 5, 2012, S. 229–235.
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In: M & A REVIEW, 24. Jg., Nr. 4, 2013, S. 180–185.
Lang, N./Ladler, M./Fink, M. (2013a): Bewegtes erstes Halbjahr in Österreich. In: M & A REVIEW, 24.
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Flaute vorbei? In: M & A REVIEW, 25. Jg., Nr. 10, 2014, S. 388–393.
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Lang, N./Plankensteiner, M. (2008): M & A-Aktivitäten in Österreich im Jahr 2007 leicht rückläufig. In:
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Lang, N./Plankensteiner, M. (2010): Österreichisches Übernahmekarussell dreht sich langsamer – Mas-
siver Rückgang des österreichischen M & A-Marktes in 2009. In: M & A REVIEW, 21. Jg., Nr. 3, 2010,
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Lang, N./Plankensteiner, M./Ladler, M. (2010): Im Fokus: Konsolidierung im Immobiliensektor. In:
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stehen unmittelbar bevor. In: M & A REVIEW, 22. Jg., Nr. 7–8, 2011, S. 332–339.
Lang, N./Plankensteiner, M./Ladler, M. (2011a): Kleine bis mittlere Transaktionen auf dem Vormarsch.
In: M & A REVIEW, 22. Jg., Nr. 11, 2011, S. 499–504.
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burtstag. Physica, Heidelberg, 1990.
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  |  139
Teil

Private Equity als Anlageinstrument:


Captive oder Non-Captive?
Thomas U. W. Pütter*

Private Equity als Überbegriff umfasst bislang eine breite Palette von Investitions-
tätigkeiten, die von Frühphasenrisikokapital bis zu Wachstumskapital in Form von
Eigenkapital oder auch stark nachrangig gestalteten Fremdfinanzierungen (Beispiel:
Mezzanine-Kapital) reicht. Seit der Finanzkrise 2008/2009 hat sich die Palette der Fi-
nanzierungskategorien weiter entwickelt und verbreitert. Andere Formen der Darlehens-
vergabe zum Beispiel sowie die Anlageklasse Infrastrukturinvestitionen sind enorm
stark gewachsen. Das seit der Finanzkrise herrschende niedrige Zinsumfeld hat dafür
gesorgt, dass Investoren neue Anlageformen suchten, die zumindest zum Teil jährliche
Einkommensströme in Form von Zinsen oder Dividenden erzeugen. Sehr niedrig ren-
tierende Anleihen brauchten einen Ersatz als Anlageinstrument.
Besonders bekannt geworden ist der Begriff Private Equity, und vielerorts als solcher
auch so eng definiert, durch eine Investitionstätigkeit, in der sog. Finanzinvestoren
Zweckgesellschaften mit einer Mischung von Eigenkapital und von Banken oder an-
deren bereitgestelltem Fremdkapital ausstatten, um damit Firmen oder zum Verkauf
stehende Unternehmensbereiche zu erwerben. In der Vergangenheit wurde dies als Le-
veraged Buyout-Geschäft bezeichnet und beinhaltete unterschiedlichste Investmentphi-
losophien. Auf der einen Seite des Spektrums gab es das eigenkapitalrenditefördernde
Financial Engineering und am anderen Ende ein stark operativ fokussiertes Gesellschaf-
terengagement. Dazwischen existieren eine Vielzahl unterschiedlicher Investitionsan-
sätze und Fokussierungen.
Es ist wichtig, die Vielfalt von Private Equity-Aktivitäten und ihre besonderen Cha-
rakteristiken zu verstehen, da sich hieraus wichtige Fragestellungen für die Frage »Cap-
tive- oder Non Captive-Modell« ergeben, die am besten von Anfang an beantwortet sein
sollten, um somit im Vorfeld Risiken und unerwünschte Konsequenzen zu vermeiden.
Die Überlegung, überhaupt in Private Equity zu investieren, beruht auf der Suche von
Investoren nach höheren Renditen und niedrigerer Volatilität. Private Equity als Teil der
sog. Anlageklasse »Alternative Assets« findet seine Rechtfertigung grundsätzlich in der
Möglichkeit, höhere mittelfristige Renditen zu erwirtschaften, seinem Portfolio-Diver-
sifikationseffekt für große Anleger und, je nach Strukturierung und Fokus, in positiven
Auswirkungen durch niedrigere Korrelationen zu der Volatilität anderer Investments im
Portfolio eines Anlegers. Die vorgenannten Entwicklungen stellen lediglich veränderte
Gewichtungen in der Anlagezielsetzung von Investoren dar. Diese Neugewichtungen
in den Portfolios von Investoren beruhen auf einer Mischung von neuer Risikoorientie-
rung, Anlagezwängen, ausgelöst durch das sehr niedrige Zinsumfeld, und veränderten
regulatorischen Anforderungen für insbesondere Banken und Versicherungen.

* Thomas U. W. Pütter, Chairman und Chief Executive, Ancora Finance Group, London
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140  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Es sind drei grundsätzliche Formen der Organisationsstruktur für ein Private Equi-
ty-Geschäft aus Sicht eines institutionellen Anlegers zu unterscheiden: Das erste Modell,
Fully Captive genannt, ist das Modell, in dem eine Gruppe von Spezialisten, möglicher-
weise in einer eigenen Rechtseinheit organisiert, ausschließlich das Geld des instituti-
onellen Anlegers (»seiner Mutter«) investiert. Der Investor trägt zur Gänze die Kosten
der Spezialisten und der Organisationseinheit. Er steht voll im Marktwettbewerb um
Investmenttalent und muss sich somit u. a. mit den marktüblichen Vergütungssystemen
der Branche auseinandersetzen
Das Investmentteam befasst sich möglicherweise, je nach existierender Kompetenz,
mit einer Palette von Investitionsgattungen. Meistens, und aus gutem Grund, wird zwi-
schen Direktinvestitionen in Private Equity-Situationen (Leveraged Buyout, Wachstums-
kapital, Infrastrukturinvestitionen oder Mezzanine-Darlehen, um nur einige Beispiele
zu nennen) und indirekter Investitionstätigkeit, in der ein Investor in Investmentfonds
(meist geschlossene Fonds) anderer Investmentspezialisten investiert, unterschieden.
Das zweite Integrationsmodell wird als Captive Asset Manager bezeichnet. In diesem
Modell gilt es wiederum zu entscheiden, ob direkt oder indirekt in die unterschiedlichen
Private Equity Investitionsalternativen investiert werden soll. Der Captive Asset Mana-
ger jedoch investiert nicht nur das sog. »Inhouse-Geld«, sondern verwaltet auch Anla-
gegelder Dritter, für die er marktübliche Vergütung erhält. Es gibt von der Investitions-
tätigkeit her keine grundsätzlichen Unterschiede zum Fully Captive-Modell, aber eine
Reihe von Unterschieden zu Auswirkungen, die nachfolgend näher beleuchtet werden.
Auf jeden Fall werden die Kosten des Investmentteams und der Organisationseinheit mit
den außenstehenden Investoren über die Gebühren, die solche bezahlen, gemeinsam
getragen. Das Berichtswesen muss möglicherweise angepasst werden.
Im Gegenzug für das Potenzial, Gebühreneinkommen oder Gewinnbeteiligungen zu
generieren, muss das Team sich aber entsprechend auch um die Belange, Investmentkri-
terien und Vorgaben des Drittinvestors kümmern. Dies setzt entweder einen Einklang
der »Inhouse«-Ziele mit denen des Drittinvestors voraus, oder die Organisationsstruktur
ist derart skaliert und aufgestellt, dass unterschiedliche Ausrichtungen berücksichtigt
werden können, ohne Konflikte herbeizuführen.
Bei dem dritten Modell, dem Non-Captive Modell, ist ein institutioneller Anleger
ausschließlich damit befasst, eine Drittmanagerauswahl zu treffen und Gelder in meist
geschlossene Fonds zu investieren, die von i. d. R. unabhängigen Investmentteams in-
vestiert werden. Oft wird der Ersteinstieg in die Anlage in Alternative Assets in Private
Equity sogar über sog. Fund-of-Fund getätigt. Dies bedeutet, dass Gelder in einen Dach-
fonds, gemanagt von Spezialisten in externen Verwaltungsfirmen, invertiert werden,
welcher wiederum in einzelne Fonds weiter investiert. Investoren mit weniger Erfah-
rung oder mangelnden internen Fachressourcen erhoffen sich über diesen Weg eine
größere Diversifikation und somit ein niedrigeres Risikoprofil zu erlangen. Der Preis
dafür sind höhere Gebühren durch die doppelstöckige Struktur.
In der Wahl zwischen einem Captive-Modell oder dem Non-Captive-Modell, ist die
Einstellung zu den folgend aufgeführten wesentlichen Punkten ausschlaggebend:
• Welche Kosten rechtfertigt das Investmentvolumen und welcher Renditeanspruch
wird verfolgt? Dabei ist Rendite immer mit Risiko abzuwägen. Soll aktiv im Markt
bei Direktinvestitionen aufgetreten werden oder ist eine eher passive Rolle bezogen
auf die Investmentphilosophie angebracht? Welche relevante Expertise existiert oder
kann herangezogen werden, und ist es machbar, die notwendige Teamkultur im
größeren Unternehmensumfeld zu integrieren?
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Standpunkt – Private Equity als Anlageinstrument: Captive oder Non-Captive?  |  141


Teil

• Welches sind die erforderlichen Hauptkriterien für Risikomanagement? Im Ful-


ly-Captive-Direktgeschäft ist die volle Kontrolle über den Investmentprozess, die Ri-
sikoeinschätzung und die Fähigkeit in letzter Minute zurückzuziehen, gegeben. Im
Non-Captive-Bereich ist sie nicht gegeben.
• Wie wichtig ist Diversifikation im Investment Portfolio vs. Klumpenrisiko?
• Benötigt der Investor volle Flexibilität, zu jedem Zeitpunkt, über die Investmen-
tallokation und das Volumen zu entscheiden, oder ist er bereit, längerfristige feste
Allokationszusagen einzugehen?
• Verfolgt der Investor einen opportunistischen Investitionsansatz mit unscharfem Fo-
kus bzw. wenig Spezialisierung und breitem Risiko-Renditeanspruch? Kann er unter-
schiedlichste Investmentstrukturen bzw. Konzeptionen in sein Portfolio aufnehmen?
Oder bedarf es eines engen Investitionsfokus als Bestandteil einer übergeordneten
Portfoliostruktur?
• Kann aus dem Investitionsansatz ein Wettbewerbsvorteil gezogen werden, um am
Markt interessantere Investitionen zu tätigen?
• Je direkter die Investitionsaktivität, je mehr fallen Überlegungen zu sekundären, mit
dem Investmentgeschäft verbundenen Risiken, ins Gewicht. Zu nennen sind z. B.
das öffentliche Meinungsbild und Reputationsrisiken entstehend aus der möglichen
Notwendigkeit schwieriger Eigentümer-Maßnahmen in entsprechenden Situationen.
Der Markt könnte Bürgschaften implizieren oder finanzielle »Back Stop«-Erwartun-
gen hegen. Nicht zuletzt könnte es Risiken möglicher Interessenskonflikte mit dem
Kernkundenstamm des Hauptgeschäftes (eine wichtige Überlegung insbesondere bei
Banken und Versicherern) geben.
• Als letzter wesentlicher Punkt sind für alle Investoren, die sog. regulierte Gelder in-
vestieren, oder die gewichtete Risikokapitalhinterlegungen für Investitionen in Priva-
te Equity treffen müssen, die sehr unterschiedlichen Auswirkungen und finanziellen
Konsequenzen der beschriebenen Vorgehensweisen zu bedenken. Regulatorische Ri-
sikokapitalauswirkungen sowie die möglichen Bilanzierungserfordernisse und ihre
Effekte können wichtige Richtungsweiser für die zu wählende Organisationsform
sein. Die Finanzkrise hat zu starken Veränderungen in der Sichtweise der Aufsichts-
behörden zum Thema Risikokapitalhinterlegung für Versicherer, Banken und ggfs.
Pensionskassen geführt. Dies wiederum hat Neugewichtungen im Anlageverhalten
dieser Investoren sowie möglicherweise Veränderungen in Organisationsformen zur
Folge. Das Captive-Modell z. B. wird in Frage gestellt.

Die Wahl zwischen Captive- oder Non-Captive-Modell für einen institutionellen Anleger
hängt somit sowohl von den objektiven Stellgrößen dieses Investors ab, den regulato-
rischen Auflagen und Ansprüchen seiner Aufsichtsbehörden sowie von den eigenen
subjektiven Präferenzen zu Risiko, Renditeanspruch und allgemeiner Geschäftsphilo-
sophie. Insgesamt ist zu beobachten, dass Versicherer und Banken sich eher von dem
Captive-Modell entfernen. Große international investierende Pensionskassen und sog.
Sovereign Wealth Funds jedoch bauen zunehmend Captive Investment Teams auf.
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142  | 
Teil

VII. M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum


und Beratertypen
Günter Müller-Stewens/Michael Schäfer*

1 Einleitung
2 M & A als professionelle Dienstleistung
3 M & A als Transaktionsbegleitung
3.1 Typen von M & A-Transaktionsberatung
3.2 Leistungsspektrum und Beraterauswahl
3.3 Entlohnungsmechanismen
4 M & A als Spezialdienstleistung
4.1 Unternehmensberatung beim Pre- und Post Merger Management
4.2 Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
4.3 Weitere Akteure
5 Zusammenfassung und Ausblick

1 Einleitung
Der Kauf und Verkauf von Unternehmen(-steilen) gehört seit dem Auftreten kapita-
listischer Wirtschaftsordnungen zum Wirtschaftsgeschehen. Zwar haben Käufer und
Verkäufer seit jeher Dritte zu Rate gezogen, um ihre Entscheidungen möglichst op-
timal zu treffen, allerdings entwickelte sich die M & A-Beratung1 erst seit Ende der
1980er Jahre zu einer professionellen Dienstleistung. So übernehmen heutzutage z. B.
Investmentbanken, Wirtschaftsprüfer, Strategieberatungen oder Anwaltskanzleien bei
vielen Transaktionen wichtige Aufgaben bei der Durchführung und Anbahnung von
M & A-Transaktionen. In diesem Beitrag wird ein Überblick über die verschiedenen Ak-
teure, deren Rollen und Interessenlagen gegeben.

* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen; Dr. Michael Schäfer, Redakteur, Neue Zürcher Zeitung, Zürich.
1 Die Begriffe »M & A-Beratung«, »M & A-Consulting« und »M & A-Dienstleistung« werden in diesem
Beitrag synonym verwendet.
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VII. M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum und Beratertypen  |  143


Teil

2 M & A als professionelle Dienstleistung


Die M & A-Beratung als eigenständige Beratungsform wurde in den USA nach dem Zwei-
ten Weltkrieg u. a. durch gesetzliche Regelungen wie den Glass Steagall Act (USA),
der Banken die Trennung des Einlage- und Kreditgeschäftes vom Wertpapiergeschäft
vorschreibt, begünstigt. Insbesondere in der Wirtschaftskrise nach dem Vietnamkrieg
(1975) versuchten die führenden amerikanischen Investmentbanken, Mindereinnahmen
bei Wertpapierkommissionen durch den Ausbau von M & A-Abteilungen zu kompensie-
ren. Zum klassischen Handelsgeschäft einer Investmentbank kam also ein Beratungs-
geschäft hinzu. Damit veränderte sich auch der Charakter der Beteiligungsberatung.
War diese bis dahin ein Nebengeschäft der Investmenthäuser, welches auf Anfragen
des Kunden durchgeführt wurde, hielten M & A-Professionals nun aktiv nach profitablen
Deals Ausschau. Viele Transaktionen wurden auf diese Weise initiiert und teilweise
auch auf eigene Rechnung von M & A-Beratungen durchgeführt. Diese Entwicklung fand
erstmals in der vierten M & A-Welle in den 1980er Jahren ihren Ausdruck.
In Westeuropa fand die Professionalisierung der M & A-Beratung mit einer zeitlichen
Verzögerung statt. Zunächst sind die angelsächsischen Investmentbanken zu nennen,
die den hiesigen Unternehmen insbesondere bei der Abwicklung internationaler Trans-
aktionen mit ihrem Know-how zur Seite standen. Nach und nach schickten sich dann
auch die Banken im DACH-Raum (Deutschland, Schweiz, Österreich) an, dieses Ge-
schäftsfeld durch den Aufbau von M & A-Abteilungen zu erschließen.2 Teilweise wur-
de der Eintritt in das M & A-Geschäft und dessen Ausweitung durch den Kauf einer
meist englischen Merchant- oder Investmentbank vollzogen. Schließlich begann Ende
der 1980er Jahre ein Trend der Verselbständigung etablierter M & A-Professionals, die
ihre eigenen Beratungen gründeten. Mittlerweile reicht das Spektrum der M & A-Bera-
ter von sog. »One Man Shows« über spezialisierte »M & A-Boutiquen« bis hin zu den
M & A-Abteilungen weltweit tätiger Investmentbanken. Im Gegensatz zu diesen, auf die
Abwicklung von Unternehmenskäufen spezialisierten Beratern, bieten in Deutschland
häufig Geschäftsbanken und Unternehmensberatungen diese Dienstleistung zusätzlich
zu ihrem Kerngeschäft an.
M & A-Berater werden vornehmlich aus folgenden Gründen benötigt: Erstens ist der
Markt für Unternehmenskontrolle in hohem Maße intransparent; daraus ergibt sich
eine Such- und Mittleraufgabe. Zweitens bedarf die erfolgreiche Durchführung einer
Transaktion einer hohen und breit angelegten Sach- und Managementkompetenz, wie
sie nicht in jedem Unternehmen vorhanden ist, da sie dort meist auch nur sehr selten
benötigt wird. Dabei kommt den M & A-Beratern, die in einer Transaktion verantwortlich
den Gesamtprozess treiben, auch die professionelle Gestaltung der Schnittstellen zu
weiteren, am Übernahmeprozess beteiligten M & A-Dienstleistern wie Rechtsanwälten,
Wirtschaftsprüfern oder Strategieberatern zu. Drittens haben M & A-Berater auch die
Funktion der »verlängerten Werkbank«, um die hohe Arbeitsbelastung abzufangen, die
bei den beteiligten Unternehmen bei M & A anfällt.
Neben dem Erwerb und der Veräußerung von Unternehmen umfasst die Produktpa-
lette der M & A-Berater auch die Veräußerung von wesentlichen Vermögensteilen, Fusi-
onen, Gemeinschaftsgründungen, Beteiligungen, die Beschaffung von Venture Capital
oder die Initiierung von Börseneinführungen als Alternative zum Verkauf. Dabei ist es
naheliegend, dass sich die Anbieter von M & A-Dienstleistungen hinsichtlich ihrer Pro-

2 Vgl. Blankenburg 1996; Bross et al. 1991; Schmitz 1993; Storck 1993.
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144  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

fessionalität und Kompetenz angesichts derart vielschichtiger und komplizierter Sach-


verhalte gravierend voneinander unterscheiden.
Ebenso liegt nahe, dass das Kompetenzniveau in Bezug auf M & A-Aktivitäten bei
verschiedenen Käufer- und Objektunternehmen höchst unterschiedlich ist. Während
für die Vielzahl der Mittelständler der Kauf einer Gesellschaft oder der Verkauf des
eigenen Unternehmens einen Ausnahmefall in ihrer Geschäftstätigkeit darstellt, gehö-
ren Akquisitionen bei vielen großen Konzernen zur Tagesordnung. Durch die häufige
Durchführung von Unternehmenskäufen haben diese Unternehmen eigenes Know-how
im M & A-Bereich aufgebaut, was sich auch darin ausdrückt, dass sie teilweise über auf
diesem Gebiet spezialisierte Stabsabteilungen verfügen.3 Diese Akquisitionsexperten
beziehen nur punktuell Spezialisten wie Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte in den
Akquisitionsprozess ein und beauftragen den klassischen M & A-Berater lediglich in Aus-
nahmefällen, die z. B. bei Kapazitätsengpässen auftreten können oder wenn der Berater
mit originären Ideen aufzuwarten vermag.
Es kann angenommen werden, dass im DACH-Raum bei weniger als einem Drittel
aller Transaktionen M & A-Berater involviert sind. Dies liegt u. a. an der Mittelstands-
lastigkeit des deutschen M & A-Geschehens. Einerseits ist der Einfluss der Familien und
die damit verbundene Individualität der Unternehmensführung noch sehr hoch, und
andererseits werden die Eigner kleiner Firmen zumeist durch die im Verhältnis zum
Unternehmenswert hohen Beratungshonorare abgeschreckt. Dennoch kann gerade für
diese Gruppe der durch die Einschaltung von M & A-Professionals generierte Mehrwert
besonders hoch sein, denn durch die professionelle Unterstützung können im Einzelfall
die mit einer Transaktion verbundene Risiken erheblich reduziert werden.
Die hohe Komplexität der mit einem Unternehmenskauf verbundenen Abläufe spie-
gelt sich auch in einem breit gefächerten Angebot der M & A-Dienstleister wider.4 Nach-
folgend sollen nun die Dienstleister im Zusammenhang mit ihren Aufgabengebieten und
den von ihnen durchgeführten Aktivitäten idealtypisch vorgestellt werden.

3 M & A als Transaktionsbegleitung


Die klassischen M & A-Berater begleiten im Allgemeinen den gesamten technischen Pro-
zess einer Transaktion bis zur Vertragsunterschrift. Sie konzentrieren sich auf eine
optimale Durchführung der Transaktion per se. Ihre Aufgabe ist eine möglichst wir-
kungsvolle Prozesssteuerung aus dem Blickwinkel der mandatierenden Partei. Dazu
zählen auch das Management und die Koordination der vielen Spezial-Dienstleister in
komplexen Transaktionen. Bei kleineren und wenig komplexen Transaktionen ist dies
meist noch nicht erforderlich, denn hier kann der klassische M & A-Berater sein Mandat
oft noch alleine – als engster Vertrauter des Topmanagements – ausüben. Hingegen bei
größeren Mandaten bezieht er weitere Spezialisten wie Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwäl-
te und Steuerberater, die auf ihren Gebieten über detaillierteres Know-how verfügen,
in den Prozess mit ein.

3 Vgl. Müller-Stewens/Schreiber 1993 oder Behrens 2006.


4 Vgl. zu den Akteuren auch die Übersicht bei Achleitner 1999, S. 147–230; Wirtz 2003, S. 95–106.
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VII. M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum und Beratertypen  |  145


Teil

3.1 Typen von M & A-Transaktionsberatung


Zu den klassischen M & A-Beratern zählen sicher die angelsächsischen Investment- und
Merchant-Banken, die über große Corporate Finance- bzw. M & A-Abteilungen verfügen.
Sie konzentrieren sich in erster Linie auf Mandate mit hohen Transaktionswerten, wobei
sie aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung insbesondere bei Cross-Border-Trans-
aktionen einen Wettbewerbsvorteil besitzen. Ebenso bieten mittlerweile die meisten
der großen Universalbanken M & A-Beratungsleistungen an. Dies ist nicht zuletzt durch
die Absicht, Kunden mit starken Beziehungen zu anderen Banken leichter für sich
gewinnen zu können, erklärbar. Auch wollen Banken Synergiepotenziale aus dem Zu-
sammenwirken der verschiedenen Bankgeschäfte (Private Banking, Investmentbanking
und Asset Management) nutzen können (»One Bank«-Ansatz). Teilweise werden dabei
die M & A-Dienstleistungen in organisatorisch eigenständige Tochtergesellschaften aus-
gegliedert, da das multidisziplinäre M & A-Geschäft eher im Konflikt zur klassischen
Bankenkultur steht. So liegen z. B. die im Investmentbanking üblichen Gehälter i. d. R.
deutlich über dem Gehaltsgefüge einer Bank.
Eine eigene Kategorie von M & A-Beratern stellen die Unternehmensmakler dar, über
die vor allem kleinere Transaktionen abgewickelt werden.5 Sie treten i. d. R. als Vermitt-
ler zwischen Käufer und Verkäufer auf; sie sind demnach im Gegensatz zum M & A-Be-
rater für beide Seiten tätig und nehmen nur eingeschränkt eine Beraterfunktion wahr.
Die Schwerpunkte der Tätigkeiten liegen in der Kandidatensuche, der Kontaktaufnahme
und der Verhandlungsführung und weniger in der Strukturierung der Transaktion und
der Beratung während der Durchführung. Diese Fokussierung auf einzelne Tätigkeiten
im Prozess eines Unternehmenskaufes liegt auch in deren Größe begründet. Von sehr
wenigen bedeutenden Maklerbüros abgesehen, handelt es sich in der Mehrzahl um
kleine Mittlerbüros, die lokal tätig sind.
Interessenkonflikte ergeben sich für den Makler aus der Tatsache, dass er i. d. R. für
beide Seiten tätig ist und die Interessen beider Parteien zu berücksichtigen hat. Er wird
i. d. R. auch von beiden Seiten entlohnt, wobei diese Vergütung fast ausnahmslos erfolgs-
abhängig gestaltet wird. Damit lässt sich sicherlich das häufig als aggressiv empfundene
Auftreten professioneller Unternehmensmakler erklären, und es kann auch vermutet
werden, dass ein Makler seltener von kaum erfolgversprechenden Übernahmevorhaben
abraten wird als ein M & A-Consultant. Ein weiteres Problem liegt in der Wahrung der
Diskretion, die bei Einschaltung eines Maklers eher gefährdet ist als bei der Beschäf-
tigung eines nur auf einer Seite mandatierten Beraters. Ersterer spricht parallel eine
Vielzahl von potenziellen Käufern oder Verkäufern an, während der M & A-Professional
eine gezielte Ansprache der Unternehmen wählt, die aus seiner Sicht an der jeweiligen
Transaktion interessiert sind. Positiv angerechnet wird den Maklern wiederum ihre
hohe Abschlussbezogenheit.
Schließlich sind die größtenteils nach Austritten leitender M & A-Berater – meist aus
den Investmentbanken – neu gegründeten M & A-Boutiquen zu nennen. Diese verfügen
zwar ebenfalls über einen hohen Grad an Professionalität und Know-how, können je-
doch insbesondere im Vergleich zu den angel-sächsischen Investmentbanken nicht auf
deren breites internes Angebot ergänzender Dienstleistungen (Finanzierungen etc.) so-
wie deren internationales Filialnetz zurückgreifen, was teilweise durch Kooperationen
ausgeglichen wird.

5 Vgl. Merz 1994.


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146  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

In dieser Gruppe sind Spezialisierungen der Berater auf einzelne Branchen oder
»Produkte« zu beobachten. Diese Entwicklung ist sicherlich auch auf die insgesamt
gestiegene Anzahl von M & A-Beratern und die damit verbundene Notwendigkeit einer
strategischen Positionierung in Gebieten, in denen der einzelne Berater dann besondere
Kompetenzen vorweisen kann, zurückzuführen. Durch eine Konzentration auf bspw.
die Pharma- oder Elektronikindustrie sind diese M & A-Consultants in der Lage, ihre
durch ein gewachsenes Netz von Beziehungen zu Schlüsselpersonen und potenziellen
Unternehmenskäufern ergänzte Branchenkenntnis derart einzusetzen, dass sie aktiv
nach Objekten bzw. Käufern für ihre Klienten Ausschau halten bzw. Ideen eigenständig
entwickeln und an potenzielle Klienten herantragen und somit viele Deals mit initiie-
ren können. In gleicher Weise kristallisieren sich auch Spezialisierungen auf einzelne
Transaktionsformen wie Management Buy-outs (MBO) oder Leveraged Buy-outs (LBO)
und auf Cross-Border-Transaktionen mit bestimmten Ländern heraus.

3.2 Leistungsspektrum und Beraterauswahl


Das im Zusammenhang mit der Durchführung einer Transaktion stehende Leistungs-
spektrum eines M & A-Beraters umfasst etwa die folgenden Aktivitäten:
• Analyse der relevanten Unternehmens- und Branchenstrukturen, Durchführbarkeits-
analyse,
• Analyse von Handlungsalternativen unter Berücksichtigung der individuellen Ziele
des Mandanten,
• Vorprüfung kartell- und sonstiger aufsichtsrechtlicher Fragen durch Beauftragung
von Rechtsanwälten,
• Durchführung der Due Diligence,
• Bewertung des Unternehmens mit verschiedenen Bewertungsmethoden unter Be-
rücksichtigung der Ergebnisse der Due Diligence sowie steuerrechtlicher Gestal-
tungsmöglichkeiten,
• Erstellung von relevanten Dokumentationen und Memoranden,
• Erarbeitung einer geeigneten Finanzierungsstruktur,
• Bestimmung der Verhandlungsstrategie,
• Erstellung von Fairness Opinions,6
• Präsentation der Ergebnisse vor den relevanten Gremien,
• Verhandlungen mit den Parteien im Auftrag des Mandanten,
• Entwurf der maßgeblichen Konditionen der Transaktion,
• Koordination aller an der M & A-Transaktion beteiligten Experten.

Alternativ zum letztgenannten Punkt, bei dem der M & A-Berater als Systemführer fun-
giert, ist auch denkbar, dass ein M & A-Berater aufgrund von beim Kunden vorhandenem
M & A-Know-how nur als »Komponentenlieferant« auftritt und einzelne Aktivitäten bei
der Durchführung einer Transaktion beisteuert. Dies kann sogar so weit gehen, dass der
M & A-Consultant nur als »Ideenlieferant« dient, und die Transaktion von der internen
M & A-Abteilung des Mandanten durchgeführt wird.

6 Vgl. Schwetzler 2009 zum Zusammenhang von Fairness Opinions und dem Rang eines M & A-Bera-
ters in den League Tables.
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VII. M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum und Beratertypen  |  147


Teil

Unabhängig davon ist es für den erfolgreichen Abschluss einer Transaktion unerläss-
lich, dass die teilweise parallel ablaufenden Aktivitäten, in die verschiedene Beteiligte
involviert sind, professionell koordiniert werden, um letztlich auch eine zügige Durch-
führung des Projektes zu gewährleisten. Die dabei entstehende Kommunikationsfunk-
tion erstreckt sich nicht nur auf die direkt am Transaktionsprozess Beteiligten, sondern
auch auf die letztlich von der Transaktion Betroffenen. Den internen und externen
Stakeholdern der involvierten Unternehmen muss der Vorgang mit dem Ziel erklärt
werden, Vertrauen in die neuen Eigentümerinteressen und Managementstrukturen zu
schaffen, was Aufgabengebiet einer auf M & A-Fragen spezialisierten Kommunikations-
beratung sein könnte.
Bei der Auswahl des M & A-Beraters7 im konkreten Fall muss abgeschätzt werden,
welchen Zusatznutzen der Berater aufgrund seines spezifischen Länder-, Branchen-,
Funktions-, und Prozesswissens generieren kann. Aufgrund der Intransparenz des
Marktes und der Komplexität der Problemstellungen, die häufig in der Ausgangssituati-
on noch nicht hinreichend bekannt sind, ist diesbezüglich eine optimale Entscheidung
fast unmöglich. Gerade im mittelständischen Bereich werden viele Mandate auf Empfeh-
lung von Geschäftsfreunden vergeben, ohne weitere, infrage kommende M & A-Berater
auf ihre individuellen Fähigkeiten zu untersuchen. Wichtige Anhaltspunkte können
diesbezüglich sog. Beauty Contests liefern, in denen M & A-Berater dem potenziellen
Mandanten ihre generellen und fallspezifischen Kompetenzen und Stärken im Wettbe-
werb präsentieren. Dabei ist es natürlich von Vorteil, wenn ein Berater auf Referenzen
erfolgreich abgewickelter Transaktionen in dem jeweiligen Land oder in der jeweiligen
Branche verweisen kann.
Dass die erfolgreiche Ausübung eines Mandates das beste Argument für einen
M & A-Berater darstellt, unterstreicht auch die Tatsache, dass auf dem Markt für Un-
ternehmenskontrolle aktive Firmen häufig auf den gleichen M & A-Spezialisten zurück-
greifen. Auf dieser Logik baut auch die von M & A-Beratern häufig gewählte »Tombsto-
nes«-Werbeform auf – d. h. Zeitungsanzeigen, in denen auf von dem jeweiligen Berater
begleitete Transaktionen hingewiesen wird. Eine gewisse Vergleichbarkeit der einzelnen
Häuser versprechen die League Tables, die die M & A-Berater nach den Kriterien »Anzahl
der abgeschlossenen Transaktionen« und »Transaktionswert« auflisten. Man vergleiche
exemplarisch dazu die Abbildung 1.
Aufgrund der fallspezifischen Konfiguration jeder einzelnen Transaktion ist es al-
lerdings durchaus fragwürdig, ob die Durchführung von Transaktionen in der Vergan-
genheit als alleiniger Indikator für eine optimale Durchführung zukünftiger Deals aus-
reichend ist. Wie bereits angeklungen, besitzt jeder Berater neben seinen individuellen
Stärken auch Nachteile, so dass es primär darum gehen sollte, den Berater zu wählen,
der für das anstehende Projekt die M & A-spezifischen Kompetenzen des Unternehmens-
käufers bzw. -verkäufers bestmöglich ergänzt. In diesem Zusammenhang ist natürlich
auch entscheidend, aus welchen Mitarbeitern einer M & A-Beratung im Einzelfall das
Beratungsteam konkret zusammengesetzt wird. Ein Klient wird sich sicherlich nicht
optimal betreut fühlen, wenn er das Mandat aufgrund einer von erfahrenen Profes-
sionals durchgeführten Präsentation erteilt und anschließend von einem Team eher
unerfahrener Berater im Transaktionsprozess begleitet wird.

7 Vgl. die Analyse des Beschaffungsprozesses von M&A-Dienstleistungen bei Beier 2009.
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148  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

1/1/14 – 31/12/14 2014 2013


Unternehmen Rang Marktanteil Volumen USD (Mio) Anzahl Deals Rang Marktanteil
Morgan Stanley 1 40.9 92,933 21 5 24.5
Deutsche Bank AG 2 39.8 90,439 37 2 36.2
Bank of America Merrill 3 27.4 62,406 16 8 18.4
Lynch
Goldman Sachs& Co 4 26.0 59,190 24 1 44.8
JPMorgan Chase & Co 5 25.0 56,864 20 3 26.2
Barclays PLC 6 19.5 44,364 15 17 4.9
Citigroup Inc 7 18.7 42,454 20 6 22.7
Lazard Ltd 8 17.3 39,392 21 13 6.0
Rothschild Ltd 9 12.3 28,074 33 7 20.1
UBS AG 10 9.1 20,648 12 4 25.3
Guggenheim Capital LLC 11 7.2 16,395 1 – –
Credit Suisse Group AG 12 4.8 10,844 11 14 5.6
Skandinaviska Enskilda 13 4.2 9,464 2 21 2.0
Banken AB
Ernst & Young 14 4.1 9,425 31 22 2.0
Nordea Bank AB 15 4.0 9,152 1 65 0.0
Zaoui & Co LLP 16 3.3 7,469 1 – –
BNP Paribas SA 17 3.2 7,207 8 30 0.9
Macquarie Group Ltd 18 2.4 5,404 11 25 1.6
Puhl GmbH & Co KG 19 2.4 5,374 2 – –
Greenhill & Co Inc 20 2.1 4,684 3 53 0.1
Summe 227,424 US-$ 1,582 127,040 US-$
Includes Mergers, Acquisitions, Divestitures, Sell-tenders and Spinoffs. Excludes Open Market Transactions.
Total Volume represents all announced transactions in US-$ millions.
Abb. 1: M & A Financial Advisory League Table: Germany Announced Deals 20148

3.3 Entlohnungsmechanismen
Natürlich ist auch der Preis für die in Anspruch genommene Dienstleistung ein wichti-
ges Kriterium bei der Auswahl des M & A-Consultants. In den USA setzte sich zunächst
die nach ihrem Erfinder benannte Lehman-Formel durch, die erfolgsabhängig eine ge-
staffelte prozentuale Vergütung auf Basis des Kaufpreises vorsieht: Für die erste Mio.
US-$ Kaufpreis werden 5 %, für die zweite 4 %, für die dritte 3 %, für die vierte 2 %
und für jede weitere Mio. US-$ 1 % veranschlagt. Diese Vorgehensweise fand auch in
Deutschland in einer modifizierten Form Anwendung – 2,5 % bis 4,5 % für die ersten
10 Mio. DM, 1,5 % bis 3 % für den Bereich von 10 bis 50 Mio. DM und 0,75 % bis 1,75 %
für den 50 Mio. DM übersteigenden Transaktionswert –, allerdings haben sich etwa seit
den 90er Jahren im Allgemeinen flexiblere und damit kompliziertere Vergütungsstruk-
turen durchgesetzt, die im individuellen Fall oft Ergebnis eines Verhandlungsprozesses
zwischen Klient und Berater sind.

8 http://www.bloomberg.com/professional/content/uploads/sites/2/2015/01/Bloomberg-2014-MA-
Financial-Rankings.pdf.
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VII. M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum und Beratertypen  |  149


Teil

Grundsätzlich ist zwischen einer aufwandsbezogenen Komponente (Retainer Fee)


und einer erfolgsbezogenen Komponente (Success Fee), die nach erfolgreicher Durch-
führung der Transaktion anfällt, zu unterscheiden. Einige Häuser erheben bereits bei
Auftragserteilung eine sog. »Sign-up Fee«, die als Vergütung einer ersten Analyse oder
der allgemeinen Research-Tätigkeiten gesehen werden kann. Diese Einstiegsgebühr
kann bei einigen Beratern auf eine später vorgesehene Success Fee angerechnet werden.
Damit erfüllt sie auch eine Funktion zur Überprüfung der Ernsthaftigkeit der Kauf- bzw.
Verkaufsabsichten des Mandanten.
Auf die Erhebung einer Retainer Fee verzichten die wenigsten Berater, allerdings
kann deren Gestaltung ebenfalls unterschiedlich erfolgen. Es besteht die Möglichkeit,
sie als Fixbetrag zu formulieren oder alternativ zeitgebunden (pro Arbeitsstunde, Mann-
tag oder als Monatspauschale) während des gesamten Mandates zu erheben, wobei die
zeitgebundene Vergütung durch eine Minimum- bzw. Maximumgebühr näher spezifi-
ziert werden kann. Schließlich ist eine leistungsbezogene Vergütung für den Abschluss
einzelner Prozessabschnitte (z. B. Kontaktaufnahme, Erstellen einer Unternehmens-
broschüre usw.) denkbar. Auch bei der Retainer Fee lassen viele M & A-Berater eine
prozentuale Anrechenbarkeit auf die Success Fee zu, was den flexiblen Charakter der
aufwandsgebundenen Honorarkomponente unterstreicht. Die Vorgehensweise bei der
Success Fee entspricht in den meisten Fällen der Methodik der Lehman-Formel, d. h.,
es werden vom Kaufpreis abhängige, gestaffelte Prozentsätze veranschlagt, wobei die
Intervalle, innerhalb derer ein Satz berechnet wird, und die Höhe der Sätze stark dif-
ferieren können. Diese Unterschiede sind jedoch teilweise durch die Ausgestaltung der
Retainer Fee zu erklären, so dass die Berater, die sich nur auf eine erfolgsabhängige
Vergütung stützen, mit tendenziell höheren Sätzen operieren. Alternativ zu einer an-
teiligen Vergütung ist es auch üblich, im Erfolgsfall einen fest vereinbarten Betrag an
den Berater zu zahlen, was insbesondere bei kleinen Transaktionen praktiziert wird.
Schließlich lässt sich ein Teil der Berater eine »Break-up Fee« vertraglich zusichern,
für den Fall, dass der Erfolg der Übernahmeverhandlungen durch den Mandanten selbst
verhindert wird. Die Ausgestaltung kann wiederum stark differieren und muss im Zu-
sammenhang mit den restlichen Vereinbarungen des Beratervertrages gesehen werden.
Verständlicherweise gewinnt eine Break-up Fee für einen M & A-Berater besonders dann
an Bedeutung, wenn seine Honoraransprüche vorwiegend auf einer Success Fee basie-
ren.
Durch die Bindung der Vergütung an das Transaktionsvolumen besteht z. B. bei ei-
nem Verkaufsmandat für den M & A-Berater ein zusätzlicher Anreiz, im Interesse seines
Mandanten einen möglichst hohen Verkaufspreis anzustreben. Diese Vorgehensweise
liegt zwar in der Natur der Aufgabe des M & A-Beraters, parteiisch für seinen Mandan-
ten zu agieren, sie führt jedoch aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung
immer wieder zu der Realisierung eines überhöhten Kaufpreises. Dadurch ist in diesen
Fällen der Misserfolg für den Käufer oft bereits vorprogrammiert, was soweit führen
kann, dass der Fortbestand des Unternehmens gefährdet ist. Zumindest aber hat ein
überhöhter Kaufpreis zur Folge, dass das zu integrierende Unternehmen einem extre-
men Druck zur kurzfristigen Realisierung von Synergien ausgesetzt ist, was dann oft
zum Schaden von deren Langfristentwicklung ist.
Bei Kaufmandaten kann sich für den M & A-Consultant oft auch ein fundamentaler
Interessenkonflikt ergeben, wenn er erkennt, dass eine geplante Akquisition langfristig
wenig erfolgversprechend ist, sein Honorar (und im Extremfall auch sein Arbeitsplatz)
jedoch von der Durchführung der Transaktion abhängt. Entsprechend den Vorstellun-
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150  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

gen der M & A-Berater besteht ihre originäre Hauptaufgabe in der optimalen Durch-
führung der Transaktion; gleichzeitig gehört es zu den Anforderungen an einen guten
Berater, seinem Klienten von unvorteilhaften Transaktionen abzuraten. So kann eine
fallspezifische Gewichtung der aufwandsbezogenen und der erfolgsabhängigen Kompo-
nenten des Honorars zur Interessenwahrung des Mandanten beitragen.
In diesem Sinne ist natürlich auch die Frage von Interesse, welchen Einfluss das Hin-
zuziehen von M & A-Beratern auf die Preisbildung hat. Eine Auswertung vorhandener
Studien zu Investmentbanken zeigt,

»… dass aus Sicht der Anteilseigner der Käuferunternehmen der Erfolgsbeitrag von Investmentban-
ken gering ist und die Höhe der von den Käuferunternehmen bezahlten Akquisitionsprämien durch
die Beteiligung von Investmentbanken (an sich) nicht beeinflusst wird. Unternehmen, die von In-
vestmentbanken mit hoher Reputation beraten werden, zahlen jedoch durchschnittlich eine höhere
Akquisitionsprämie.«9

Offensichtlich ist hier den Auftraggebern die Sicherstellung eines erfolgreichen Ab-
schlusses der Transaktion das wichtigere Ziel, als die Zahlung einer möglichst geringen
Akquisitionsprämie. Dafür spricht auch, dass die übliche Bezahlung der Investmentban-
ken in Form einer Erfolgsprämie bei Abschluss erfolgt.

4 M & A als Spezialdienstleistung


Aufgrund der Komplexität einer M & A-Transaktion werden über den gesamten Prozess,
von der Vorbereitung bis zum Abschluss der Integration eines Unternehmenskaufs, oft
noch eine Vielzahl weiterer Dienstleistungen von Beratungsunternehmen durch die in-
volvierten Parteien in Anspruch genommen. Diese betreffen meist nicht den gesamten
Prozess, sondern beziehen sich auf speziell in bestimmten Prozessphasen anfallende
Aufgabenstellungen.

4.1 Unternehmensberatung beim Pre- und Post Merger Management


In der Pre- und Postakquisitionsphase ziehen Unternehmenskäufer bzw. -verkäufer
häufig Unternehmensberater zu Rate. Während eingangs die Entwicklung einer in sich
schlüssigen Unternehmens- bzw. Akquisitionsstrategie – was ggf. auch die Identifizie-
rung eines oder mehrerer Akquisitionskandidaten einschliesst – im Mittelpunkt der
Beratung steht, geht es nach dem Übergang der Kontrolle mehr um Fragen der organisa-
torischen Integration und damit der Suche nach Wegen zur Verwirklichung strategischer
und operativer Synergien.
Insbesondere die Problemkreise der Integrationsphase setzen ein hohes Maß an or-
ganisationstheoretischem Fachwissen voraus, welches die psychologischen Prozesse bei
den betroffenen Mitarbeitern, das Aufeinanderstoßen unterschiedlicher Unternehmens-
kulturen, die Entwürfe einer strukturellen Integration und nicht zuletzt die Steuerung

9 Beitel/Schiereck 2004, S. 451.


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VII. M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum und Beratertypen  |  151


Teil

der politischen Prozesse innerhalb der beteiligten Unternehmen abdeckt. Da die Integra-
tion häufig mit größeren Investitionen in das gekaufte Unternehmen verbunden ist, wird
durch den Käufer nicht selten ein neues Controlling-System installiert, welches u. a. ein
effizientes Post Merger Controlling ermöglichen soll. Um den Integrationsfortschritt in
den einzelnen Bereichen erkennen und steuern zu können, muss der Managementbe-
rater auch über das entsprechende Funktionalwissen (Einkauf, Produktion, Marketing
usw.) verfügen.
Über diese als angestammtes Geschäft zu bezeichnenden Tätigkeiten hinaus ver-
suchen Unternehmensberater in zunehmendem Maße ihre Klienten auch während der
Transaktion per se zu begleiten. Als Verkaufsargument gegenüber dem Kunden wird
der Vorteil der »Beratung aus einer Hand« (»One Stop Shopping«) angeführt, was insbe-
sondere bei kleineren Transaktionen in gewissem Maße nachvollziehbar ist. Allerdings
ist die Qualität der Strategieentwicklung in diesen Fällen infrage gestellt, da die Ergeb-
nisse von den Geschäftserwartungen in den anderen Beratungssegmenten beeinflusst
sind. Ein weiterer Konflikt besteht im Falle eines Verkaufsmandates, das im Erfolgsfall
den Verlust eines Beratungskunden zur Folge haben kann. Da es sich bei den in die
M & A-Domäne strebenden Unternehmensberatern vor allem um international agierende
Gesellschaften mit einem großen Kundenstamm handelt, besteht zusätzlich die Gefahr,
dass sowohl das Käufer- als auch das Verkäuferunternehmen zu ihrer Klientel zählt,
was ein hohes Konfliktpotenzial aufwirft.

4.2 Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer


Insbesondere bei größeren oder aufgrund der Ausgangskonstellation komplizierten
Transaktionen werden im Verlaufe des M & A-Prozesses weitere, auf einzelne Problem-
kreise spezialisierte Dienstleister involviert. Ihre Einbeziehung kann punktuell erfolgen,
von ihrem Beitrag kann jedoch der Erfolg der gesamten Transaktion abhängen.
Zu diesen Dienstleistern, die bei Unternehmensübernahmen Support Services er-
bringen, zählen die Rechtsanwälte, deren Mitwirken insbesondere bei der Formulierung
eines Letters of Intent, der Vertragsgestaltung und der Vorbereitung der notariellen
Beurkundung des Kaufvertrages stattfindet.10 Darüber hinaus ist es ihre Aufgabe, die
Rechtsverhältnisse und Statuten der beteiligten Gesellschaften auf Kompatibilität und
eventuelle Hindernisse zu überprüfen und eine rechtliche Due Diligence durchzufüh-
ren. Ihr Know-how ist bei der Klärung gesellschaftsrechtlicher, arbeitsrechtlicher und
kartellrechtlicher Fragen, insbesondere wenn es sich um grenzüberschreitende Transak-
tionen handelt, gefordert. Aufgrund der Vielfältigkeit der durch eine Unternehmensüber-
nahme tangierten rechtlichen Vorschriften sind es vor allem größere Wirtschaftskanzlei-
en (Law Firms), die sich u. a. auf die juristische Begleitung von Unternehmenskäufen
spezialisiert haben. In ähnlicher Weise erbringen Steuerberater ihre Leistung indem sie
für eine steueroptimale Gestaltung der Transaktion sorgen. Um die Steuerbelastung,
die durch die Transaktion anfällt, zu minimieren, müssen vor dem Hintergrund der
Eigentumsverhältnisse in erster Linie die Übergangsform des Unternehmens (Share Deal
oder Asset Deal) sowie die Abschreibungszeiträume geplant werden.

10 Vgl. Haarmann/Wildberger 2006.


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152  |  M & A aus Marktperspektive


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Eine wichtige Rolle nehmen auch die Wirtschaftsprüfer ein. Ihre Stärken liegen in
der Analyse der Finanzsituation und der Rechnungslegung einer Gesellschaft. Kon-
sequenterweise liegen ihre Hauptaufgaben einerseits in der Durchführung einer Due
Diligence und andererseits in der Bewertung des Kaufobjektes als Teil der Preisfin-
dung. Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und Steuerberater treten über ihre Funktion
der Bereitstellung von spezialisierten M & A-Services teilweise auch als eigenständige
M & A-Berater auf. Einige große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit internationaler
Infrastruktur haben diese Anstrengungen intensiviert und M & A-Abteilungen aufgebaut,
in denen sie gezielt einen kompletten Service anbieten und damit in direkte Konkurrenz
zu den klassischen M & A-Beratern treten. Für diese, eher aus einer Beratungstradition
stammenden Unternehmen entsteht neben dem Fehlen einer M & A-Kultur ein weiteres
Konfliktpotenzial: Bei der Übernahme von Kaufmandaten sind Probleme vorgezeichnet,
wenn das Zielunternehmen durch die Mutter geprüft wird. Darüber hinaus besteht für
den Wirtschaftsprüfer analog zu den Steuerberatern und Rechtsanwälten die Gefahr,
durch die Begleitung eines Verkaufsmandates einen Kunden zu verlieren.

4.3 Weitere Akteure


Die Banken sind als Komponentenlieferanten gefragt, insbesondere wenn es um die
Finanzierung von Transaktionen geht. Die Eigen- und Fremdmittel des Käufers reichen
oft nicht aus, um den Kapitalbedarf zu decken, so dass ein erheblicher Finanzierungs-
bedarf besteht. Für die Beschaffung der nötigen Eigenmittel bietet sich für börsenno-
tierte Gesellschaften die Kapitalerhöhung an, bei deren Planung und Realisierung im
Allgemeinen eine Bank eingeschaltet wird.
Unternehmen, denen der Zugang zum Kapitalmarkt fehlt, können durch die Aufnah-
me neuer Gesellschafter ihre Eigenkapitalbasis erweitern, was vorzugsweise durch die
Aufnahme stiller Gesellschafter realisiert wird, um eine teilweise Abgabe des Einfluss­
potenzials zu verhindern. Auch hierfür sind Kreditinstitute über ihre Venture Capital-
und Beteiligungsgesellschaften prädestiniert. Eine Variante besteht darin, dass Banken
selbst für eine gewisse Zeitdauer Anteile des erworbenen Unternehmens überneh-
men. Bei der Beschaffung von langfristigem Fremdkapital durch Bankkredite, Schuld-
scheindarlehen oder öffentliche Förderprogramme (Subventionen, Finanzierungshilfen)
sind sie ebenfalls Hauptansprechpartner. Schließlich können Banken im Anschluss an
die Übernahme als Folgefinanzierer der neuerworbenen Gesellschaft fungieren.
Die hier erwähnten M & A-Beratungsdienstleiter schließen die potenzielle Liste der
Beteiligten bei weitem nicht ab. So ist es gerade bei größeren Transaktionen denkbar,
dass weitere Sachverständige, wie z. B. Umweltexperten, Insolvenzberater oder Kom-
munikationsexperten mit ihren Spezialdienstleistungen, in den Prozess einzubeziehen
sind.
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VII. M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum und Beratertypen  |  153


Teil

5 Zusammenfassung und Ausblick


Die vorangehenden Ausführungen haben gezeigt, dass insbesondere seit den 1980er
Jahren auch in Europa ein differenziertes Angebot an M & A-Beratungsdienstleistun-
gen für die sich in einem Transaktionsprozess befindlichen Unternehmen entstanden
ist. Von »Einzelkämpfern« über Unternehmensmakler, M & A-Boutiquen und bis hin zu
den Investmentbanken wirbt ein breiter Reigen verschiedener Beratertypen für eine
Mandatierung durch die Käufer- und/oder Verkäuferunternehmen. Dabei werden die
Investmentbanken insbesondere für große Transaktionen herangezogen, bei denen oft
auch ein erhöhtes Konfliktpotenzial zwischen Management und Eigentümern besteht.11
Ihre Hauptaufgabe besteht meist darin, einen erfolgreichen Abschluss einer Transaktion
möglichst weitgehend sicherzustellen.
Die Breite des Angebots hat allerdings auch dazu geführt, dass dieses Angebot für
den relativ unerfahrenen Kunden, der nur selten als Käufer oder Verkäufer auftritt,
relativ intransparent ist. Es gibt keinen systematischen Überblick über dieses Angebot
und über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Angebotstypen. Soweit ein Kunde noch
keine Erfahrungen mit verschiedenen Beratern gemacht hat, kann er im Allgemeinen
die Qualität eines M & A-Dienstleisters meist nur sehr eingeschränkt abschätzen und den
zu erwartenden Nutzen kaum in Relation zu den geforderten Honoraren setzen.12 Für
die Mehrzahl der Eigner stellt der Verkauf ihres Unternehmens jedoch einen einmaligen
Vorgang dar, weshalb es für sie im Normalfall unmöglich ist, solche Erfahrungen per-
sönlich zu machen. So wird sich auch weiterhin eine Vielzahl der Käufer und Verkäu-
fer von Unternehmen auf Empfehlungen oder bestenfalls »Beauty Contests« verlassen
müssen, womit der beziehungsorientierte Charakter der M & A-Beratung in Deutschland
weiterbestehen wird, bei der der Aufbau einer Vertrauensbasis zwischen dem M & A-Be-
rater und dem potenziellen Kunden für die Mandatierung ausschlaggebend ist.13
Große Konzerne, die aufgrund ihrer durchgeführten Transaktionen selbst M & A
Know-how aufbauen konnten (bzw. mussten), werden immer seltener auf die Dienste
von M & A-Beratern zurückgreifen, womit sich insbesondere bei großvolumigen Trans-
aktionen der Konkurrenzdruck zwischen den M & A-Consultants weiter erhöhen dürfte.
Als Reaktion auf den verstärkten Konkurrenzdruck haben bereits einige angelsächsi-
sche Häuser, die sich in der Vergangenheit auf große Deals konzentrierten, begonnen,
ihren Aktionskreis auf den gehobenen Mittelstand auszuweiten. In diesem Marktseg-
ment bewegen sich jedoch bereits M & A-Boutiquen und Geschäftsbanken bzw. deren
M & A-Töchter. Darüber hinaus drängen einige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder
Unternehmensberater durch die Ausweitung ihrer Aktivitäten in diesen Bereich, so dass
auch in diesem Segment der Kampf um die Mandate härter werden wird. Es ist nicht zu
erwarten, dass diese konkurrenzverstärkenden Tendenzen allein durch einen erhöhten
Beratungsbedarf (z. B. aufgrund der Zunahme grenzüberschreitender Transaktionen,
der Verbreitung eines aktiven Portfolio-Managements oder der anstehenden Unterneh-
mensübernahmen im Rahmen der Nachfolgeproblematik) abgefedert werden können.
Für die M & A-Berater bieten sich verschiedene Lösungsansätze an, durch die sie ver-
suchen können, den Markt quantitativ wie auch qualitativ zu vergrößern. Angesichts

11 Vgl. Beitel/Schiereck 2004.


12 Vgl. Behrens 1993.
13 In Abgrenzung dazu wird im angelsächsischen Raum von einer deal-orientierten Beratung gespro-
chen. Die entscheidenden Kriterien für die Mandatierung sind eine hohe Transaktionsfrequenz und
ein Wettbewerb bei den Konditionen.
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154  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

der auch 2015 immer noch niedrigen Beratungsquote bei Unternehmensübernahmen


werden sicherlich die Anstrengungen verstärkt werden, diese zu erhöhen. Man wird
sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass die M & A-Berater in der Mehrzahl dieser
Fälle keinen Komplettservice verkaufen können. In Zukunft müssen wohl auch kleinere
Mandate angenommen werden, um bei einzelnen Transaktionen die jeweils nachgefrag-
ten Komponenten zur Durchführung der Transaktion beizusteuern.
Bei als weitgehend standardisiert zu bezeichnenden Beratungsdienstleistungen (»Bo-
dy Leasing«) wird sich der Wettbewerb über den Preis regeln. Eine Differenzierung, die
auch eine bessere Profitabilität mit sich bringt, ist nur noch dort zu erwarten, wo der
Berater eine erkennbar höhere Qualität mit innovativeren Dienstleistungen zu erbringen
vermag.14 Daneben werden M & A-Berater noch stärker als bisher Transaktionen anden-
ken und an potenzielle Käufer bzw. Verkäufer herantragen, was tendenziell zu einer
besseren Transparenz des Marktes führen wird. Ein Problem in diesem Zusammenhang
ist allerdings die Honorierung dieser Vordenker- und Vorbereiterfunktion, denn selbst
bei einem Zustandekommen der Transaktion ist nicht gewährleistet, dass der jeweilige
Berater auch bei der Begleitung zum Zuge kommt. In der Praxis werden sich Usancen
entwickeln müssen, mit denen beide Seiten leben können.
Neben der Ausrichtung auf neue Kundengruppen und die proaktive Initiierung von
Transaktionen ist auch an eine Erweiterung der Dienstleistungspalette zu denken. In
diesem Zusammenhang kann an eine stärkere Beratung börsennotierter Gesellschaften
über prophylaktische Abwehrmaßnahmen nachgedacht werden. Vorbeugenden Maß-
nahmen, wie z. B. die Pflege der Shareholder Relations, kommt mehr Bedeutung zu.
Ein weiteres Aufgabengebiet ergibt sich in einer transaktionsbegleitenden Kommunika-
tionsberatung, die den Diskurs mit den internen und externen Stakeholdern über die
mit der Transaktion verfolgten Intentionen und die zu erwartenden Veränderungen zum
Inhalt hat. Durch die stärkere Gewichtung der Kommunikationsfunktion würde auch
der Tatsache mehr Rechnung getragen, dass es sich bei M & A trotz aller Konzentration
auf die finanziellen Aspekte letztendlich um ein »People Business« handelt.

Literatur
Achleitner, A.-K. (Hrsg.) (1999): Handbuch Investment Banking, Gabler, Wiesbaden, 1999.
Behrens, D. (2006): Organisation von M&A im Konzern-Bereich – ein Kompromiss?, in: Borowicz, F./
Mittermair, K. (Hrsg.): Strategisches Management von Mergers & Acquisitions. Gabler, Wiesbaden,
2006, S. 181–191.
Behrens, R. (1993): Das Beteiligungsgeschäft – Qualitätsanforderungen an den erfolgreichen
M & A-Berater. In: Frank, G.-M./Stein, I. (Hrsg.): Management von Unternehmensakquisitionen.
Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1993, S. 163–177.
Beier, A. (2009): Die Nachfrage nach M&A-Dienstleistungen. Josef Eul Verlag, Lohmar, 2009.
Beitel, D./Schierek, D. (2004): Investmentbanken in M & A-Transaktionen: Stand der empirischen For-
schung. In: Die Unternehmung, 58. Jg., Nr. 6, 2004, S. 435–455.
Blankenburg, D. (1996): Die Rolle der M & A-Beratung beim Unternehmenskauf. In: M & A REVIEW.
7. Jg, Nr. 5, 1996, S. 214–220.
Bross, H./Caytas, I./Mahari, J. (1991): Consulting bei Mergers & Acquisitions in Deutschland. Schäf-
fer-Poeschel, Stuttgart, 1991.

14 Vgl. dazu auch Pöllath 2010.


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VII. M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum und Beratertypen  |  155


Teil

Haarmann, W./Wildberger, J. (2006): Die Rolle des Anwalts in M & A-Transaktionen. In: Wirtz, B.
W. (Hrsg.): Handbuch Mergers & Acquisitions Management. Gabler, Wiesbaden, 2006, S. 179–202.
Merz, H. (1994): Berater und Mittler bei Unternehmensverkäufen und Fusionen. Rainer Hampp Verlag,
München, 1994.
Müller-Stewens, G./Schreiber, K. (1993): Organisation des Akquisitionsprozesses. In: Die Unterneh-
mung, Nr. 4, S. 275–292.
Pöllath, R. (2010): Mit Mühen zu höherem Qualitäts- und Ertragsniveau, In: M & A REVIEW, 21. Jg.,
Nr. 1, S. III.
Schmitz, R. (1993): Mergers & Acquisitions-Beratung als Bankdienstleistung. Gabler, Wiesbaden, 1993.
Schwetzler, B. (2009): Fairness Opinions und Rankings von Investmentbanken, In: M & A REVIEW, 20.
Jg., Nr. 1, S. 1–7.
Storck, J. (1993): Mergers & Acquisitions – ein Wachstumsmarkt? In: Juncker, K./Priewasser, E. (Hrsg.):
Handbuch Firmenkundengeschäft. Fritz Knapp, Frankfurt a.M., 1993, S. 567–596.
Wirtz, B. W. (2003): Mergers & Acquisitions Management. Gabler, Wiesbaden, 2003.
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156  | 
Teil

VIII. M & A als Beratung – Schon bei der Portfolio-


Allokationsentscheidung
Maximilian Dietzsch-Doertenbach*

1 Einleitung
2 Erratik von M & A-Entscheidungen
3 Frühes Hinterfragen des Quellcodes für eine M & A-Transaktion:
der Portfolio-Ansatz
4 Folgerung für den M & A-Beratungsansatz
5 Erwartungsmanagement im M & A-Prozess
5.1 Kundenseitige Entscheidungsprozesse
5.2 Entscheidungsprozesse der Gegenseite(n)
5.3 Erwartungen der weiteren Stakeholder
6 Zusammenfassung

1 Einleitung
Die Praxis der M & A-Beratungsdienstleistung hat ihr Spektrum seit Anfang der 1990er
Jahre erheblich erweitert. Lagen in den ersten Jahren die Schwerpunkte der Beratung
in der professionellen Transaktionsbegleitung mit der Optimierung von Verfahrens-
schritten, Dokumentationserstellung und -management, Unternehmensbewertung und
Vertragsprozessgestaltung, so hat sich mittlerweile der Beginn eines M & A-Beratungs-
prozesses bereits im Vorfeld von möglichen Transaktionsvorhaben etabliert, um früh
die Frage der Sinnhaftigkeit und Machbarkeit abzuprüfen, um zu einer Einschätzung
des zukünftigen Wertbeitrages zum bestehenden Beteiligungsportfolio zu gelangen und
ein günstiges Zeitfenster für die Durchführung einer Transaktion zu bestimmen. Auf
dieser Grundlage können sich zunehmend M & A-Transaktionsabläufe entwickeln, die
wegen ihrer gründlich vorbereiteten Fundierung ein Mehr an Prozesssicherheit und
Berechenbarkeit in ihrem späteren Verlauf liefern.
Neben den nach wie vor überwiegenden und gewünscht »opportunistisch« getriebe-
nen Transaktionsvorhaben nehmen aber »systematische«, aus vorgegebenen Zielsetzun-
gen abgeleitete Unternehmenskäufe und -verkäufe an Bedeutung zu. Als Folge kommt
es beim Auftraggeber zu einer frühen Einbindung der M & A-Berater in den Prozess der
Festlegung der Transaktionskriterien und der sonstigen Entscheidungsparameter, die
im späteren Transaktionsablauf von Bedeutung sind. Daraus resultiert ein fundiertes
und abgestimmtes Verständnis für die jeweilige Interessenlage des Auftraggebers und
damit verlässliche Vorgaben für den weiteren Transaktionsverlauf. Einen wesentlichen
Einfluss auf eine Kauf- oder Verkaufsentscheidung hat letztlich die zugrunde liegende

* Dr. Maximilian Dietzsch-Doertenbach, Managing Partner, Doertenbach & Co. GmbH, Frankfurt a. M.
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VIII. M & A als Beratung – Schon bei der Portfolio-Allokationsentscheidung  |  157


Teil

Fragestellung nach einer optimalen Allokation des bestehenden Beteiligungsportfolios


– sowohl innerhalb des Familien- als auch des Unternehmensvermögens. In diesem
Zusammenhang ergeben sich erweiterte Corporate Finance-Beratungsansätze in der
Analyse eines bestehenden und zu erweiternden Unternehmensportfolios.
»Der Zufall bevorzugt den vorbereiteten Geist« (Louis Pasteur, 1822–1895)

2 Erratik von M & A-Entscheidungen


»Eine Fluggesellschaft soll fliegen und nicht schlafen« – mit diesem schlagenden State-
ment setzte sich unerwartet ein sehr einflussreicher Politiker in der Aufsichtsratssitzung
einer Airline für den Abbruch einer lange vorbereiteten, weit verhandelten Transaktion
zum Erwerb einer internationalen Hotelkette durch. Die Sinnhaftigkeit der Akquisition
war durch eine sorgfältig ausgearbeitete Diversifikationsstrategie für das Luftfahrtun-
ternehmen untermauert, das durch den Erwerb der Standorte der weltweiten Hotelkette
eine Deckung von über 85 % mit den eigenen Destinationen erreicht hätte und so eine
Reihe von Verbundeffekten aus dem Deal hätte erzielen können. Dies alles spielte sich
Mitte der 1980er Jahren ab.
Was hat sich in der Zwischenzeit geändert? Die Prozesslogik von der ersten Trans-
aktionsidee bis zur finalen Umsetzung der Kaufverträge ist gleich geblieben – die Pro-
zessschritte wurden über die Jahre in ihrer Ausgestaltung sophistizierter und durch
einen entsprechend höheren Beratungsaufwand teurer. Aber der erfolgreiche Abschluss
einer Transaktion wird nach wie vor häufig auf den »letzten Metern« entschieden, weil
oft erst am Ende des Prozesses eine Entscheidungsebene eingebunden wird, die bis zu
diesem Zeitpunkt mit den Zielsetzungen und Entwicklungen einer Transaktion nicht
ausreichend befasst war. Zudem werden die Beteiligten häufig erst in der Endphase
der Tatsachen und sonstigen Umstände gewahr, die bereits am Anfang bekannt waren
und damals nicht in einer Folgenabschätzung berücksichtigt wurden. Nach wie vor
hat daher der Satz von Stephen M. Kellen,1 ein sowohl im amerikanischen als auch im
deutschen Denken tief verwurzelten New Yorker Bankier von Arnhold & S. Bleichroeder
große Bedeutung: »Jede M & A Transaktion besteht aus einhundert Stufen und auf den
letzten drei Stufen ist immer Schmierseife!«
Regelmäßig werfen sich Fragen auf, warum eine Transaktion letztlich nicht zustande
kam. Neben den vielen entschuldbaren und trivialen Gründen für das Scheitern sind
eben solche, die bereits in frühen Phasen oder gar vor Beginn der Transaktion hätten
bekannt sein müssen oder bereits bekannt waren, die schmerzlichsten. Die Vorwürfe
an die im M & A-Prozess Beratenden: lückenhafte Analyse der Machbarkeit, mangelnde
antizipative Intelligenz, Unterschätzung der Urteilskraft von Beteiligten sowohl auf der
eigenen als auch auf der Gegenseite, Blauäugigkeit, kein Zu-Ende-Denken der unter-
schiedlichen Interessenlagen und der sich ergebenden Konsequenzen, Fokussierung auf
Mechanistisches unter Vernachlässigung der Prüfung der Sinnhaftigkeit einer Transak-
tion und vieles andere mehr und niedere Beweggründe auslassend.

1 1914 (Berlin) bis 2004 (New York).


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158  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Was sich seit Anfang der 1990er Jahre geändert hat, sind
• eine stärkere Sensibilisierung der Entscheidungsträger für die möglichen Gründe des
Scheiterns von M & A-Transaktionen in späten Phasen des Prozesses und
• eine Ableitung der mit einem »erfolgreichen« Abschluss einer Transaktion zu errei-
chenden Zielsetzung aus Vorgaben für eine optimale Allokation des Beteiligungs-
portfolios zur nachhaltigen Sicherung des von den Gesellschaftern anvertrauten
Vermögens, sowie
• eine Etablierung von Abgleichmaßnahmen während des Transaktionsprozesses, mit
denen die Veränderungen in den Interessenlagen der am Transaktionsprozess Betei-
ligten und die sonstigen Rahmenbedingungen ständig dahingehend abgeprüft wer-
den, welchen Einfluss sie auf den weiteren Fortgang der Transaktion haben.

Durch fest eingebaute »Meilensteine« im Transaktionsdesign wird an diesen Entschei-


dungspunkten festgestellt, ob der jeweilige Kenntnisstand über die bis dahin bekannten
Rahmenbedingungen und eine realistische Folgenabschätzung eine Fortführung der
laufenden Arbeiten und Verhandlungen noch zielführend erscheinen lässt. Dies redu-
ziert Überraschungen am viel zu späten Ende.

3 Frühes Hinterfragen des Quellcodes


für eine M & A-Transaktion: der Portfolio-Ansatz
M & A-Prozesse haben bekanntlich die unterschiedlichsten »Auslöser«. Lässt man per-
sönliche Gründe (Nachfolgeregelung, Krankheit) und unternehmensbezogene Rah-
menbedingungen, die mit »externem Druck« (kartellrechtliche Auflagen, finanzielle
Engpässe) zu tun haben, außen vor, so beruhen die meisten M & A-Transaktionen auf
Allokationsentscheidungen hinsichtlich einer Optimierung eines Familienvermögens
bzw. des in einem Unternehmen gebundenen Vermögens im Besonderen.
Bei vielen Transaktionen geht es daher letztlich um die Frage, wie ein bestehendes Port-
folio an Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen sinnvoll durch weitere Akquisitio-
nen ergänzt oder durch den Verkauf von Beteiligungen optimiert werden kann. Abgesehen
von grundsätzlichen strategischen Überlegungen stehen angesichts der »Wertoptimierung«
bei Investitionsentscheidungen zunehmend das »Denken in Risiko und Rendite«, sprich
die Performance des anvertrauten Vermögens, im Vordergrund. Insofern werden solche
Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen letztlich unter dem Gesichtspunkt einer
Optimierung des in Portfolio-Unternehmen gebundenen Vermögens getroffen.
Grundlage für die Portfolio-Theorie ist die von dem Nobelpreisträger (1990) Marko-
witz entwickelte Betrachtung, die es erlaubt, den Zusammenhang von mehreren Betei-
ligungen in unterschiedlichen Asset-Klassen hinsichtlich der Rendite und des Risikos
darzustellen und Aussagen zu treffen, in wie weit der Verbund der verschiedenen In-
vestitionen zu einer Gesamtrendite und gesamthaften Risikoneigung beiträgt. Die Ren-
ditemessung stellt i. d. R. auf den Ertrag aus der ursprünglichen Investition ab, und die
Risikoneigung entspricht der sich ergebenden Volatilität. Letztlich ist eine Akquisitions-
überlegung dahin gehend zu prüfen, ob sie einen positiven Beitrag zur Optimierung des
Rendite-/Risikoverhältnisses des Gesamtportfolios leistet oder nicht. Entsprechendes
gilt auch für die Desinvestitionsentscheidung (»… are we the best owners«).
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VIII. M & A als Beratung – Schon bei der Portfolio-Allokationsentscheidung  |  159


Teil

Nun stellt sich die Frage, wie die Rendite einerseits und das Risiko andererseits mit
einer mit einem Unternehmenserwerb verbundenen Investition verknüpft werden kann.
Es gibt erste Ansätze, die es erlauben Aussagen zu treffen, wie sich die gegenwärtige
und zukünftige Rendite einer neuen Unternehmensbeteiligung entwickeln kann, abge-
leitet aus den finanziellen Projektionen, die der Finanzplanung zugrunde liegen. Das
Risiko, das mit einer solchen Investition verbunden ist, kann dargestellt werden als
eine anzunehmende Abweichung der angenommenen Rendite. Solche Planungen un-
terstellen eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit wesentlicher Annahmen über die
Zukunft, so dass sich neben einer Rendite auch die Volatilität dieser Renditeerwartung
darstellen lässt. Entsprechend lässt sich die Performance einer solchen Beteiligung in
ein Rendite/Risiko-Koordinatensystem eintragen (vgl. Abb. 1). Alle diese Überlegungen
rund um den Portfolio-Ansatz sollen helfen, sich vor Beginn einer M & A-Transaktion
darüber im Klaren zu sein, welche grundsätzlichen Kriterien an einen erfolgreichen
Abschluss eines solchen Vorhabens geknüpft werden.

y9

y8
Durchschnittsrendite (µ) (%)

y7
Aktien A
Aktien B
y6 Aktienfonds
y5
Immobilienfonds Das im
y4
Gold Unternehmen
y3 Anleiheportfolio gebundene
Vermögen
y2
Farm
y1 Forst

x1 x2 x3 x4 x5 x6 x7
Risiko σ (Volatilität in %)

Abb. 1: Allokationsoptimierung Unternehmensbeteiligung (Quelle: Eigene Darstellung)

Bei Familienunternehmen kommt eine Besonderheit hinzu. In der Regel steht bei
M & A-Überlegungen ausschließlich das im Unternehmen gebundene Vermögen der Fa-
milie im Vordergrund. Nicht selten macht diese Beteiligung an einem Unternehmen
mehr als 90 % des Gesamtvermögens einer Familie aus. Aus dem Blickwinkel einer
Risikodiversifikation betrachtet, stellt diese hohe Konzentration angesichts des techno-
logischen Wandels und von Marktveränderungen teilweise ein erhebliches Risiko dar,
wenn dieses im Unternehmen gebundene Vermögen nicht sinnvoll gestreut ist (»al-
le Eier in einem Nest«). Es gibt verschiedene Ansätze, um eine Risikostreuung eines
Familiengesamtvermögens durchzuführen. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll,
das Gesamtvermögen ganzheitlich zu betrachten und die übliche Trennung (Schisma)
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160  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

zwischen Privatvermögen und im Unternehmen gebundenen Vermögen aufzuheben


(vgl. Abb. 2).

Typische Aufteilung des Ganzheitliche Betrachtung


Gesamtvermögens
Bisherige getrennte
Betrachtung
»Privatvermögen«
Das im Unternehmen »Privatvermögen«
gebundene Vermögen
(Unternehmens-
beteiligung) Aktien Anleihen

Forst- &
Im Unternehmen Immobilien Landwirt-
gebundenes Vermögen schaft

Kunst Sonstige
Kapitalbeteiligung

Abb. 2: Gesamtbetrachtung des Vermögens (Quelle: Eigene Darstellung)

Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Diversifikation innerhalb des im Un-


ternehmen gebundenen Vermögens zu gestalten: erstens, indem andere Unternehmen
aus anderen Branchen und mit entsprechend anderem Risikoverhalten hinzu erworben
werden, oder zweitens, indem die Diversifikation außerhalb des Unternehmens im Pri-
vatvermögen durchgeführt wird. Diese Unterscheidung führt zur Überlegung, ob ein
hoher Prozentanteil des Vermögens weiterhin in unternehmerischen Beteiligungen be-
lassen, oder ob nicht ein Teil dieses Vermögens realisiert und in andere Asset-Klassen
im Privatvermögen allokiert werden soll. Dabei hilft es, sich über die Renditeerwar-
tungen und Risikoneigung des im Unternehmen gebundenen Vermögens gegenüber
anderen alternativen Investitionsmöglichkeiten in andere Asset-Klassen einen Überblick
zu verschaffen. Gerade bei Mehrgenerationenfamilien stellt sich nicht selten die grund-
sätzliche Frage, wenn die Beteiligungshöhe an einem Unternehmensvermögen für die
jüngste Generation relativ gering ist und damit häufig die »Bindung« an das Unterneh-
men abnimmt. Nicht selten steigen dann die Anforderungen an die Performance des
in dem Unternehmen gebundenen Vermögens und sie wird in einen Drittvergleich mit
alternativen Investitionen gestellt: Daraus ergibt sich die Frage, ob die Performance
(Rendite und Risikoneigung) des im Unternehmen gebundenen Vermögens etwa die
eines Aktienportfolios (z. B. DAX-Index) schlägt.
Diese Überlegungen lösen i. d. R. dann entsprechende Allokationsentscheidungen
aus, die nicht selten in der Verkaufsabsicht für die Unternehmensbeteiligung münden
und zu Spannungen mit den übrigen Gesellschaftern führen. Folglich sind die Verant-
wortlichen für das Unternehmensportfolio mit der Frage konfrontiert, ob das ihnen
anvertraute Unternehmensportfolio eine zufriedenstellende Performance auch in der
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VIII. M & A als Beratung – Schon bei der Portfolio-Allokationsentscheidung  |  161


Teil

Zukunft ausweisen kann und ob nicht durch Zukauf von geeigneten Unternehmen ei-
nerseits und die Desinvestition von weniger ertragsstarken und eher risikobehafteten
Unternehmensbeteiligungen andererseits die Gesamtperformance der Unternehmens-
gruppe verbessert werden kann. Diese Betrachtung von Portfolio-Entwicklungen und
das Denken in Rendite und Risiko ist in vielen Fällen das auslösende Moment für
Transaktionsentscheidungen.
Aufgabe einer M & A-Beratung ist demnach auch die Beratung der Gesellschafter
hinsichtlich der zu erwartenden Performanceentwicklung des im Unternehmen gebun-
denen Vermögens einerseits und andererseits einer Abschätzung, ob sich durch Zukäu-
fe oder Desinvestitionen entsprechende Performanceverbesserungen erreichen lassen.
Solche Beratungen basieren in der Regel auf einer Unternehmensbewertung für das be-
stehende Unternehmen und einer Ableitung aus der sich ergebenden Renditeerwartung
im Planungszeitraum. Es gibt bereits Modelle, mit denen sich die Unsicherheiten der
Planung explizit darstellen lassen, so dass auch die erwartete Risikoneigung abschätzt
werden kann.
Entsprechend lassen sich bei geplanten Akquisitionen Annahmen treffen, ob das zu
erwerbende Unternehmen das bestehende Performance-Niveau verbessern oder ver-
schlechtern wird. Zumindest sind die dazu angestellten Überlegungen häufig eine gute
Grundlage, die Sinnhaftigkeit einer Erweiterungsinvestition und Akquisition gründlich
erörtern zu können. Bei der Umschichtung von Vermögen vom Unternehmens- in den
Privatbereich ist ebenfalls die Frage zu stellen, ob die Risikoneigung und die Rendi-
teerwartung einer Investition in andere Asset-Klassen, wie z. B. Wertpapierdepots oder
Immobilien eine sinnvolle Diversifikation darstellen.
Es gibt auch Modelle, bei denen eine auf das Gesamtportfolio bezogene Ȇbergewich-
tung« des im Unternehmen gebundenen Vermögens durch sog. Rückbeteiligungsmodelle
reduziert werden kann; einerseits kann dabei aus dem Verkauf eines Unternehmens ein
Teil des Verkaufserlöses zum Rückerwerb einer (mehrheitlichen) Beteiligung an dem
Unternehmen über eine Erwerbergesellschaft reinvestiert werden und andererseits der
verbleibende Verkaufserlös in andere Asset-Klassen wie Aktien, Festverzinsliche Papie-
re, Immobilien, etc. (»privates Portfolio«) angelegt werden (vgl. Abb. 3).

Rückbeteiligung Beteiligung
»Privates« Restkauf- Erwerber-
(Alt-) Gesellschafter Investor
Portfolio preis Kaufpreis gesellschaft
Verkauf
Erwerb
Mittelzufluss für
strategische Weiterentwicklung
Unternehmen

Abb. 3: Rückbeteiligung als Option für mittelständische Unternehmen (Quelle: Eigene Darstellung)

Diese Möglichkeit einer Verteilung des im Unternehmen gebundenen Vermögens, ins-


besondere auch in den Privatbereich, stellt unter einer ganzheitlichen Betrachtung
durchaus eine gute Möglichkeit dar, die Diversifikation und damit auch die Risikonei-
gung eines familiären Gesamtvermögens zu optimieren. Die Aufrechterhaltung einer
mehrheitlichen Mitsprache und Gestaltung der weiteren Unternehmensentwicklung ist
dennoch gegeben. Solche Modelle (Owner Buy-out) sind denkbar, indem ein Minder-
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162  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

heitsgesellschafter in die Erwerbergesellschaft mit aufgenommen wird – sei es ein in-


dustriellen Partner oder ein Finanzinvestor.
Es ist davon auszugehen, dass es für die M & A-Beratung immer wichtiger werden
wird, diese vermehrt einsetzenden Prozesse des Denkens in Portfolio-Ansätzen mit dem
Kunden weiter zu verstärken und auszubauen. Diese Überlegungen machen es stets
notwendig, – neben einer fundierten Bewertung des bestehenden Unternehmens des
Auftraggebers – Annahmen über die Bewertung der abzugebenden bzw. zu erwerben-
den Unternehmen, über die weitere Renditeentwicklung und eine entsprechende Risi-
koeinschätzung zu treffen. Damit liefert der Portfolio-Ansatz sowohl für Familien als
auch für die Verantwortlichen in Unternehmen eine wichtige Entscheidungsgrundlage
für Akquisitions- und Desinvestitionsentscheidungen.

4 Folgerung für den M & A-Beratungsansatz


Die Bedeutung des M & A-Beratungsprozesses in der langen Kette zwischen einer ersten
Idee bis weit hinein in die Umsetzungs- und Integrationsphase hat zugenommen. Schul-
buchmäßig hat sich der M & A-Prozess an einen strategischen Entscheidungsprozess
angeschlossen, der idealerweise vorgibt, wie ein Unternehmen das externe Wachstum
durch Zukäufe von Unternehmen in bestimmten Branchen und Regionen sicherstellen
soll. Die ideale, abgegrenzte Schnittstelle zwischen einer strategischen Beratung für
die zukünftige Ausrichtung eines Unternehmens und einen sich daran anschließenden
M & A-Prozess mit klaren Vorgaben für die Identifizierung geeigneter Akquisitionskandi-
daten ist nur sehr selten anzutreffen. Gleiches gilt für den sich an den Abschluss einer
M & A anschließenden Post Merger-Prozess, der nur in den seltensten Fällen bereits
während des M & A-Prozesses vorbereitet wird, um die Umsetzung im Anschluss daran
zu optimieren.
Für den M & A-Prozess selbst kann festgestellt werden, dass dieser weitgehend los-
gelöst von strategischen Vorgaben stattfindet, in vielen Fällen »deal-getrieben« ist und
seine Wurzeln im Opportunistischen hat. Auch ausgehend von den Incentivierungsme-
thoden für die Durchführung der M & A-Transaktion (starke Erfolgshonorierung) ist der
Schluss zulässig, dass der M & A-Prozess in vielen Fällen dem Lauf einer Jagdhunde-
meute gleicht, die einem Target hinterher hetzt mit dem Ziel, es erfolgreich zu erbeu-
ten. Ein M & A-Prozess hat üblicherweise eine starke Eigendynamik, die gewollt ist und
die Beteiligten anhält, in jedem Falle den Prozess so zu optimieren, um das Ziel eines
vernünftigen Übernahmekonzeptes zu akzeptablen Preisen zu erreichen. Aufgrund der
vielen zu beachtenden taktischen Feineinstellungen während des Prozesses bleibt das
laufende Abprüfen, ob die strategische Sinnhaftigkeit und später die Umsetzung in der
Post Merger-Phase noch gegeben sind, zurück. Die Deal-Getriebenheit bringt es mit
sich, dass häufig Bedenken und Zweifel an der Zielerreichung als störend und nicht
zielführend verdrängt werden (vgl. Abb. 4).
In der Ambivalenz zwischen Deal-Getriebenheit und mangelnder Reflektion liegt
auch ein Grund, warum so viele Transaktionen zu einem viel zu späten Zeitpunkt
abgebrochen werden. Diese Vorgänge sind meist darin begründet, dass die sich än-
dernden Rahmenbedingungen, die anzupassende strategische Plausibilisierung, die
Einschätzung, ob dieses Unternehmen für das bestehende Unternehmensportfolio wei-
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VIII. M & A als Beratung – Schon bei der Portfolio-Allokationsentscheidung  |  163


Teil

Rückkopplung Antizipation

Strategische Klassischer Post Merger-Phase Abb. 4: Verknüpfungen


Fundierung M&A-Prozess
des M & A-Prozesses
(Quelle: Eigene
Darstellung)

terhin einen optimierenden Beitrag leistet und ob die Post Merger Integration erfolgsver-
sprechend gestaltet werden kann, nicht berücksichtigt werden. Im Transaktionsablauf
sind daher vom M & A-Berater regelmäßig interne Abstimmungen mit dem Auftraggeber
anzusetzen, um einen Abgleich des Transaktionsfortschritts mit den Zielvorgaben und
den sich daraus ergebenden Konsequenzen durchzuführen, um zu verhindern, dass
durch die taktische Getriebenheit häufig schon ein Punkt überschritten ist, an dem
sich abzeichnen liess, dass sowohl von den Preiserwartungen als auch von den sich
herausstellenden Parameter in der Due Diligence eine Fortsetzung der Gespräche und
damit ein weiterer Ressourceneinsatz nicht mehr vertretbar ist.
Daher ist es sehr sinnvoll, den M & A-Prozess selbst von Anfang an noch stärker
mit strategischen Vorgaben und einer genauen Definition der zu erfüllenden Kriteri-
en auszustatten und klare, sog. Meilensteine zu setzen, an denen die Sinnhaftigkeit
und Machbarkeit einer Transaktion reflektiert und eine Entscheidung über die weitere
Fortsetzung des Transaktionsprozesses getroffen werden. Dies alles erfordert eine viel
stärkere Verankerung des M & A-Prozesses bei den ursprünglichen Zielen, die das Unter-
nehmen mit einer Diversifikationsstrategie – sei es dem Kauf oder Verkauf von Unter-
nehmen oder Unternehmensteilen – verfolgt. Die Analyse der zu erwartenden weiteren
Entwicklung nach einem erfolgreichen Abschluss, verbunden mit einer Rückkopplung
auf die ursprünglichen Transaktionsziele sollte regelmäßig in den Meilensteinzeitpunk-
ten abgeglichen werden, um über die Sinnhaftigkeit der Fortführung des Transaktions-
prozesses zu entscheiden.
Neben dem tiefen Verständnis der strategischen Ziele, die mit einem Transaktions-
vorhaben erreicht werden sollen, kommt zunehmend auch eine noch schärfere Betrach-
tung der jeweiligen Interessenlage der an dem Transaktionsprozess Beteiligten zum
Tragen. Typisch für M & A-Prozesse ist, dass sie in einem stets sehr diskreten Rahmen
stattfinden, um die vereinbarte Vertraulichkeit zu gewährleisten und nicht unnötig Un-
sicherheit zu verbreiten, solange eine finale Entscheidung über Kauf oder Verkauf noch
nicht getroffen ist. Dennoch zeigt sich bei vielen Abbrüchen, dass die Kenntnis der
Zielsetzungen der verschiedenen Beteiligten am M & A-Prozess nur unzureichend waren
und durchaus hinterfragbar gewesen wären. Dies lässt den Schluss zu, dass es sinnvoll
ist, auch während eines Transaktionsprozesses die Beweggründe für ein Interesse an
der weiteren Durchführung der Transaktion aller daran Beteiligten zu durchdenken.
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164  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

5 Erwartungsmanagement im M & A-Prozess
5.1 Kundenseitige Entscheidungsprozesse
Die Anstöße für Transaktionsideen sind vielfältig. Unabhängig von der Unternehmens-
struktur und damit der Größe ist es sinnvoll sicherzustellen, dass insbesondere bei gro-
ßen Vorhaben die wesentlichen Entscheidungsträger aktiv eingebunden sind. Aufgabe
des M & A-Beraters ist es sicher zu stellen, dass nicht nur die Geschäftsführungs- bzw.
Vorstandsebene entsprechend informiert ist, sondern auch der Beirat bzw. Aufsichtsrat
und schlussendlich die wesentlichen Gesellschaftergruppen (Familie). Angesichts der
Vertraulichkeit, mit der M & A-Transaktionen durchzuführen sind, ist es aber dennoch
sehr sinnvoll, mit den im Unternehmen Beteiligten ein klares Verständnis darüber zu
entwickeln, wie sie einer solchen Investitions- oder Desinvestitionsentscheidung ge-
genüberstehen. Es hat sich sehr bewährt, im Vorfeld einer konkreten Transaktionsidee
mit den Beteiligten zu einem klaren Verständnis zu kommen, in welche Bereiche in
der Zukunft investiert oder welche Unternehmensteile ggf. abgeben werden sollen. Bei
Akquisitionsvorhaben hat es sich bewährt, die Kriterien, die das zu erwerbende Un-
ternehmen erfüllen sollte, festzulegen. Als minimale, aber sehr anschauliche grafische
Grundlage bietet sich ein Spinnendiagramm an (vgl. Abb. 5).

Prozess Know-how

3
Mitarbeiter- Technologie
2
stärke 1
0

Verfügbarkeit Marktanteil
Abb. 5: Beispiel für
Spinnendiagramm zur
Transaktionsgröße Kriteriendarstellung
(Quelle: Eigene
Darstellung)

Damit kann neben einem beschreibenden Katalog der Investitionskriterien zu einem


späteren Zeitpunkt, wenn die Kandidaten vorliegen, auch optisch gut dargestellt wer-
den, welche Unternehmen eine sinnvolle Ergänzung darstellen und welche nicht. Damit
lässt sich zu einem frühen Zeitpunkt eine gute Entscheidungsbasis auf der Kundenseite
festigen, die es erlaubt, vor Überraschungen, die sich zu einem sehr späten Zeitpunkt
des Transaktionsprozesses ergeben, gewappnet zu sein, wenn (was selbstverständlich
stets legitim ist) sich Widerstände ergeben, die in Widerspruch zu den ursprünglich
gemeinsam abgestimmten Kriterien stehen. Dies ist ein wesentlicher Schritt für die
Sicherstellung einer Prozesssicherheit auf der Kundenseite. Besonders zu betonen ist
auch der Gedankenaustausch der M & A-Berater – sofern dies möglich ist – sowohl mit
den Aufsichtsgremien als auch mit den Gesellschaftern, damit zu jedem Zeitpunkt eine
gute und vollständige Kommunikation gewährleistet ist. Darüber hinaus ist es sinn-
voll, während des Transaktionsprozesses Meilensteine zu vereinbaren, zu denen über
Statusberichte und die Einschätzung durch den M & A-Berater dargelegt werden kann,
wie die Erfolgsaussichten für die nächsten angedachten Schritte zu beurteilen sind, und
zu denen gemeinsam über Abbruch oder Fortführung des Prozesses entschieden wird.
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VIII. M & A als Beratung – Schon bei der Portfolio-Allokationsentscheidung  |  165


Teil

5.2 Entscheidungsprozesse der Gegenseite(n)


Von ähnlicher Bedeutung ist, die Interessen der Gegenseite gut zu beobachten und sich
stets die Erwartungshaltung auch der Gegenseite argumentativ vor Augen zu führen.
Entsprechend haben auch die Interessenten ähnliche Portfolio-Überlegungen, und es
ist sinnvoll, mit einer genauen Analyse der Gegenseite und deren Rahmenbedingungen
abzuschätzen, wie verlässlich die gemachten Interessensbekundungen zum Ende hin
einzuschätzen sind. Allein die Fragestellung, »warum das Unternehmen A das Unter-
nehmen B kaufen« und »warum umgekehrt B von A gekauft werden soll«, hilft, sich
die Standpunkte zu verdeutlichen. Auch an dieser Stelle überwiegt häufig ein »wishful
thinking« und führt dazu, dass man sich zu lange im Glauben wiegt, einen Interes-
senten vor sich zu haben, der häufig aus eher niederen Gründen an einem Fortgang
des Prüfungsprozesses interessiert ist, aber letztlich nicht an einem finalen Abschluss.
Auch deshalb empfiehlt es sich, prüfende Meilensteine einzubauen, die helfen, die In-
teressenten früh zu selektieren.

5.3 Erwartungen der weiteren Stakeholder


Insbesondere Krisen zeigen häufig, dass bei Transaktionen weitere Stakeholder wie Ban-
ken, Gewerkschaften, Öffentlichkeit etc. zu wenig einbezogen wurden und teilweise in
Prozessen zu spät über Rahmenbedingungen informiert wurden, so dass es im Transak-
tionsverlauf zu erheblichen Störungen kommt. Deshalb ist es sinnvoll, entweder durch
direkte Gespräche oder durch eine gut vorbereitete interne Abstimmung die jeweiligen
Interessenslagen systematisch abzustimmen und die Beteiligten immer dann, wenn es
sinnvoll ist, in wichtige Teilschritte einzubinden.

6 Zusammenfassung
Basiert der Transaktionsprozess auf einem systematischeren Durchdenken der Positi-
onen aller am Transaktionsprozess Beteiligten und die Transaktionsentscheidung auf
einer klar abgeleiteten strategischen Allokationsoptimierung des Unternehmensportfo-
lios, lässt sich mit Einsatz von antizipativer Intelligenz und einem Transaktionsdesign
mit klaren Entscheidungsintervallen (Meilensteinen) ein Beitrag dazu leisten, dass die
Ressourcenvergeudung durch zu späte Abbrüche, die ihren Grund in Wahrheit in Er-
eignissen und Grundlagen haben, die lange Zeit vor dem Abbruch hätten bekannt oder
analysiert sein können, reduziert werden. Dies stellt die M & A-Beratung in der Praxis
vor komplexe Herausforderungen, die sich in den internen organisatorischen Abläufen
und Aufstellungen niederschlagen.
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166  | 
Teil

IX. M & A und Politik


Berthold Fürst/Stephan Leithner*

1 Einleitung
2 Bedeutung der Politik für das M & A-Geschäft
2.1 Öffentliche Hand als direkte Partei bei M & A-Transaktionen
2.2 Politik als Rahmensetzer für M & A-Transaktionen
3 Auswirkungen auf die M & A-Beratungsleistung einer Bank
3.1 Staat als Nachfrager von M & A-Beratungsdienstleistungen
3.2 Staat als politische Größe in M & A-Prozessen
3.3 Schlussfolgerungen für die Ausrichtung der M & A-Abteilung einer Bank

1 Einleitung
Nicht erst seit der Finanzkrise spielt die öffentliche Hand in nahezu allen Ländern der
Welt eine wichtige und tendenziell zunehmende Rolle im allgemeinen Wirtschaftsge-
schehen. Dies gilt auch für das M & A-Geschäft. Zum einen tritt der Staat als Käufer
oder Verkäufer in M & A-Prozessen auf. Zum anderen beeinflusst er oder induziert gar
M & A-Transaktionen in seiner Funktion als Rahmensetzer oder durch spezifische (in-
dustrie-) politische Interventionen. Dies hat direkte Konsequenzen für das M & A-Bera-
tungsgeschäft, werden dadurch doch zusätzliche Erfolgskriterien wichtig wie z. B. die
Kenntnis der politischen Entscheidungsmechanismen oder die Fähigkeit, die politischen
Parameter verlässlich beurteilen zu können. Die vorliegende Abhandlung beleuchtet die
vielfältige Rolle des Staates bzw. der öffentlichen Hand als institutionelle Ausprägungen
politischer Willensbildung für das M & A-Geschäft näher und untersucht die damit ver-
bundenen Herausforderungen für den M & A-Beratungsansatz einer global agierenden
Investmentbank.

2 Bedeutung der Politik für das M & A-Geschäft


2.1 Öffentliche Hand als direkte Partei bei M & A-Transaktionen
Seine offensichtlichste Ausprägung findet staatliches Handeln in M & A-Prozessen, wenn
die öffentliche Hand direkt als Käufer oder Verkäufer in M & A-Transaktionen auftritt. In
den vergangenen 25 Jahren ist der Staat überwiegend als Verkäufer von Unternehmen

* Dr. Berthold Fürst, Co-Verantwortlicher M & A-Geschäft EMEA, Deutsche Bank AG, Frankfurt a. M.;
Dr. Stephan Leithner, Partner, EQT Partners GmbH, München.
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IX. M & A und Politik  |  167


Teil

hervorgetreten. Dieses Bild hat sich jedoch als Folge der Finanzkrise umgekehrt, als der
Staat als Retter in Form des ungewollten Käufers von in Schieflage geratenen Unterneh-
men, primär Finanzdienstleistern, aufgetreten ist. Erst zuletzt, im Jahr 2014, überstieg
das Verkaufsvolumen westeuropäischer Regierungsorganisationen erstmals seit 2007
wieder das Kaufvolumen (vgl. Abb. 1).

160
146,2

134,6
140

120

101,5
91,9
100
Transaktionsvolumen
in Mrd. EUR

80

50,2
60

47,9
47,3
44,6

45,1
36,3

34,9
33,7
33,5
30,9
31,6

40

28,2
27,4
23,9

22,0
17,7

16,4
16,3
15,1

14,4

14,3
12,5

20
9,9

7,4
7,4
7,3

7,2
6,4

0
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Westeuropäische Regierungsorganisation tritt als Käufer auf Westeuropäische Regierungsorganisation tritt als Verkäufer auf

Abb. 1: Angekündigte M & A-Volumina westeuropäischer Regierungsorganisationen (Quelle: Dealogic)

Als Partei in M & A-Prozessen verfolgt die öffentliche Hand stets auch politische Zielset-
zungen. Bei Privatisierungen bzw. Unternehmensverkäufen stehen neben fiskalischen
Aspekten wie der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen regelmäßig auch allokati-
onspolitische Zielsetzungen wie Deregulierung, Intensivierung des Wettbewerbs, Effi-
zienzsteigerung und die Förderung privater Initiative im Vordergrund. In den vergan-
genen 25 Jahren sind viele ehemalige Staatsbetriebe auf allen Ebenen der öffentlichen
Hand komplett oder teilweise privatisiert worden. Die Deutsche Post, die Deutsche Te-
lekom und die Deutsche Lufthansa zählen zu den bekanntesten (teil-)privatisierten
Unternehmen. Bereiche, in denen häufig Privatisierungen durchgeführt wurden, sind
Wasser- und Energieversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung, Telekommunikation
und Postdienstleistungen, Infrastruktur und Immobilien, öffentlicher Nahverkehr, Fi-
nanzdienstleistungen sowie Krankenhäuser (vgl. Abb. 2). Beispielhaft ist die erfolg-
reiche Veräußerung von knapp 50.000 kommunalen Wohnungen in Dresden im Jahr
2006 zu nennen, die der Stadt ca. 1 Mrd. EUR einbrachte, womit diese auf einen Schlag
schuldenfrei war.
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168  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

160

140

120
Transaktionsvolumen

100
in Mrd. Euro

80

60

40

20

0
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Telekommunikation Versorger & Energie Finanzbranche Immobilienbranche


Baugewerbe Bergbauindustrie Transportgewerbe Versicherungsgewerbe

Abb. 2: Veräußerungsvolumen westeuropäischer Regierungsorganisationen nach Branchen1 (Quelle: Dealogic)

Tritt die öffentliche Hand als direkter Käufer von Unternehmen auf (vgl. Abb. 3), sind
hierfür meist (abgesehen von den Bankenrettungen infolge der Finanzkrise) industrie-
oder arbeitsmarktpolitische Erwägungen ausschlaggebend. Im Jahr 2008 beteiligte sich
beispielsweise die Stadt Hamburg am Konsortium Albert Ballin, um eine »Hamburger
Lösung« für das von TUI veräußerte Transport- und Logistikunternehmen Hapag-Llo-
yd zu unterstützen und einen Verkauf der Reederei nach Fernost zu verhindern. In
Frankreich beteiligte sich der Staat im Jahr 2013 an PSA Peugeot Citroën, um ein Ge-
gengewicht zum Einfluss des chinesischen Anteilseigners Dongfeng zu bilden. Ebenso
erwarb der französische Staat im Jahr 2014 eine Beteiligung an Alstom im Zuge des
Übernahmekampfes um dessen Energiesparte und übte signifikanten Einfluss auf den
Ausgang des Bieterkampfs aus. Interessant wird weiterhin auch zu beobachten sein, ob
und inwieweit die Staaten ihre im Zuge der Finanzkrise und der dadurch erforderlichen
Rettungsmaßnahmen unfreiwillig erworbenen Beteiligungen an Finanzinstituten dazu
nutzen werden, die vielfach für notwendig erachtete Konsolidierung oder den politisch
erwünschten Umbau des Bankensektors aktiv voranzutreiben. 1 2

140

120

100
Transaktionsvolumen

80
in Mrd. EUR

60

40

20

0
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Finanzbranche Versorger & Energie Telekommunikation Versicherungsgewerbe


Transportgewerbe Computer & Elektronik Öl & Gas Baugewerbe

Abb. 3: Akquisitionsvolumen westeuropäischer Regierungsorganisationen nach Branchen2 (Quelle: Dealogic)

1 Nur Branchen mit kumulativem Veräußerungsvolumen (1999 bis 2014) von über 10 Mrd. EUR.
2 Nur Branchen mit kumulativem Akquisitionsvolumen (1999 bis 2014) von über 10 Mrd. EUR.
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IX. M & A und Politik  |  169


Teil

2.2 Politik als Rahmensetzer für M & A-Transaktionen


Politische Zielsetzungen sind bei der Transaktionsberatung auch dann zu berücksich-
tigen, wenn staatliche Stellen durch gezielte, häufig informelle Einflussnahme oder
durch die Anwendung und Auslegung von Normen, z. B. in Genehmigungsprozessen,
politische Ziele verfolgen. Im Folgenden werden die insbesondere in Deutschland im-
mer wieder kontrovers diskutierte Industriepolitik, das Außenwirtschaftsgesetz (AWG)
sowie das Kartellrecht auf ihre Bedeutung für M & A-Transaktionen untersucht. Die In-
dustriepolitik gilt als individuellste und nicht durch einen spezifischen gesetzlichen
Rahmen verankerte Einflussmöglichkeit der Politik. Dem gegenüber steht das AWG, mit
dem sich der Staat eine gesetzlich gestützte Einflussmöglichkeit bei grenzüberschrei-
tenden Transaktionen gesichert hat. Das Kartellrecht, als dritte hier zu untersuchende
Einflussmöglichkeit der Politik auf das M & A-Geschäft, setzt allgemeine Regeln zum
Schutz und zur Förderung des Wettbewerbs, deren Anwendung jedoch in Deutschland
in begründeten Ausnahmefällen durch die Ministererlaubnis ausgesetzt werden kann.

2.2.1 Industrie- und Wirtschaftspolitik als Einflussgröße für das M & A-Geschäft

In der Vergangenheit sind bei vielen Regierungen protektionistische Tendenzen zu be-


obachten, mit denen nationale wirtschaftliche Interessen verteidigt werden sollen. Zu
solchen Maßnahmen gehört u. a. die bewusste Beeinflussung von Unternehmensstruk-
turen mit der Absicht, in bestimmten Branchen nationale Champions zu schaffen, die
aufgrund ihrer Größe nur noch schwer von ausländischen Unternehmen zu übernehmen
sind. Die staatliche Förderung nationaler Champions wird in öffentlichen Diskussio-
nen häufig mit dem Anliegen einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit einer Volks-
wirtschaft begründet, wobei der Drang, nationale Champions aufzubauen bzw. deren
Position zu verteidigen, mit fortschreitender Globalisierung noch zugenommen hat.
Argumente hierfür liefert oftmals der Fingerzeig auf aufstrebende Volkswirtschaften
wie China, Indien und Brasilien, die die etablierten Industrieländer zu überholen dro-
hen. Beispielhaft für das in dieser Hinsicht an sich zurückhaltende Deutschland ist der
Finanzsektor zu nennen, für den sowohl Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch
andere verantwortliche Vertreter der Bundesregierung in der Vergangenheit wiederholt
das Fehlen einer »starken« deutschen Bank beklagten und öffentlich zu Fusionen aufrie-
fen, die ein solches Institut hervorbringen sollten.3 Ähnliches war bei der Abtrennung
der Übertragungsnetze bei einigen der vier großen deutschen Energieversorger zu be-
obachten. Von der Politik wurde gefordert, eine bundesweite Netz AG zu gründen, die
alle Übertragungsnetze in einer Hand bündelt.
Kehrseite des Gedankens, nationale Champions zu schaffen, ist der politisch moti-
vierte Versuch, die Übernahme heimischer Unternehmen durch ausländische Käufer
zu verhindern. So regte sich z. B. massiver politischer Widerstand in den USA, als das
arabische Unternehmen Dubai World im Jahr 2006 den britischen Hafenbetreiber P&O
übernehmen wollte, der auch Betreiber von sechs amerikanischen Häfen war. Dubai
World sah sich letztlich gezwungen, das US-Geschäft seiner Neuakquisition an einen
amerikanischen Investor weiterzuverkaufen. Weitere Transaktionen, die auf heftigen

3 Deutscher Bundestag 2004, S. 75.


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170  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

politischen Widerstand stießen, waren u. a. der beabsichtigte Kauf der Turbinensparte
von Alstom durch Siemens im Jahr 2004 (sowie später der Kauf des Energiegeschäfts
von Alstom durch General Electric im Jahr 2014, welcher letztlich nach Zugeständnis-
sen durch General Electric doch von der französischen Regierung gebilligt wurde), die
geplante Übernahme des französischen Versorgers Suez durch das italienische Energi-
eunternehmen Enel im Jahr 2006 sowie die geplante Übernahme des spanischen Ener-
gieversorgers Endesa durch den deutschen Energieriesen E.ON ebenfalls im Jahr 2006,
um nur einige zu nennen.
Die Formen der (industrie)politischen Einflussnahme sind mannigfach: Sie reichen
von allgemeinen politischen Willensbekundungen über diplomatische Interventionen
bis hin zu direkter Einflussnahme auf die Entscheidungsträger in den beteiligten Unter-
nehmen und Behinderungen in ggf. erforderlichen Genehmigungsprozessen. So wurde
etwa im Jahr 2005 dem italienischen Zentralbankchef Antonio Fazio vorgeworfen, die
Übernahme der norditalienischen Kreditinstitute Banca Antonveneta und Banca Nazi-
onale de Lavoro durch ausländische Bieter mittels Verzögerung von Genehmigungspro-
zessen und aktiver Hilfe beim Aufbau von nationalen Gegenspielern de facto blockiert
zu haben. Im Jahr 2014 stieß die geplante Übernahme des britischen Pharmakonzerns
AstraZeneca durch seinen amerikanischen Rivalen Pfizer auf beiden Seiten des Atlan-
tiks auf heftigen politischen Widerstand. Während die amerikanische Seite insbesonde-
re den Verlust von Arbeitsplätzen befürchtete und die möglichen steuerlichen Motive für
die geplante Übernahme kritisierte, sorgte sich die britische Regierung neben Arbeits-
platzverlusten vor allem um die Abwanderung von Forschungskapazitäten und nutzte
dabei auch den indirekten politischen Hebel des staatlichen Gesundheitssystems als
Großkunde der Pharmaindustrie.
Einzelne Branchen sind dem politischen Einfluss in besonderem Maße ausgesetzt.
Dies gilt insbesondere für die Rüstungsbranche, die aufgrund sicherheitspolitischer Er-
wägungen traditionell im Fokus der Politik steht. Beispielhaft ist der Fall der Airbus
Group (ehemals EADS) anzuführen, die im Laufe der letzten 15 Jahre immer wieder
Spielball nationaler politischer Interessen wurde und dessen geplante Fusion mit der
britischen BAE Systems im Jahr 2012 daran scheiterte, dass sich die beteiligten Staaten
nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten. In der Folge kam es zu einer
Neuordnung der politischen Interessen und einer Reduzierung des französischen und
deutschen Einflusses durch den Verkauf der Beteiligungen von Lagardère und Daimler
im April 2013. Verstärkter politischer Einfluss macht sich seit der Finanzkrise auch in
der Bankenbranche bemerkbar. Hier gestaltet sich etwa der Verkauf von Banken auf-
grund hoher regulatorischer Anforderungen an potenzielle Käufer deutlich schwieriger
als in der Vergangenheit. Darüber hinaus kann in diesem Zusammenhang die Ener-
giebranche genannt werden, in der politische Entscheidungen wie der Ausstieg aus der
Atomenergie und die staatliche Förderung erneuerbarer Energien das Geschäftsmodell
großer Energiekonzerne stark beeinflussen und dadurch indirekt teilweise weitreichen-
de strategische Transaktionen (siehe zum Beispiel die Ankündigung von E.ON im Jahr
2014, sein traditionelles Kraftwerksgeschäft abspalten und separat an die Börse bringen
zu wollen) induzieren.
Grundsätzlich unterscheiden sind einzelne Länder, auch die der EU, deutlich bezüg-
lich ihrer Einstellung zu industriepolitischer Einflussnahme voneinander. So gilt Groß-
britannien als besonders liberal und offen für ausländische Investoren, während Frank-
reichs Regierung sich häufig für eine »französische Lösung« einsetzt und die Schaffung
nationaler Champions sowohl finanziell als auch politisch unterstützt. Deutschland
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IX. M & A und Politik  |  171


Teil

wiederum gilt mehr an der Schaffung von international einheitlichen Rahmenbedin-


gungen interessiert und weniger an nationalen Champions.4

2.2.2 Außenwirtschaftsgesetz

Nationale politische Rahmenbedingungen haben gerade für Übernahmen und Beteili-


gungen auch immer eine internationale Dimension. Am deutlichsten wird dies in der
Frage des Zugangs ausländischer Investoren zum heimischen Markt. Nach Jahren der
Liberalisierung von Kapitalflüssen standen die Zugangsbedingungen für ausländische
Käufer, angespornt von der öffentlichen Diskussion über den Umgang mit ausländischen
Staatsfonds, in den vergangenen Jahren einmal mehr im Rampenlicht der politischen
Debatte in Deutschland. Gleiches gilt im internationalen Kontext für Wirtschaftssank-
tionen, welche in der jüngeren Vergangenheit wieder zunehmend als außenpolitisches
Instrument (siehe zum Beispiel die Sanktionen gegen Russland im Rahmen des Ukrai-
ne-Konflikts) genutzt werden.
Deutschland profitiert wie nur wenige andere Volkswirtschaften vom freien Ka-
pitalfluss. Von 2008 bis 2013 tätigten deutsche Investoren im Durchschnitt über 80
Mrd. US-$ pro Jahr an Direktinvestitionen im Ausland und gehörten damit zu den vier
größten Direktinvestoren weltweit, hinter den USA, China und Japan.5 Umgekehrt ist
Deutschland auch ein wichtiges Investitionsziel (vgl. Abb. 4).

350

300

250
Transaktionsvolumen

200
in Mrd. EUR

150

100

50

0
1991

1992

1993

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013
1994

2004

2014

Abb. 4: Ausländische Direktinvestitionen (Neuanlagen in Beteiligungskapital) im Inland (Quelle: Bundesbank)

Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse spielen dabei eine wichtige Rolle.


Auf diesem Wege investierten ausländische Unternehmen in den Jahren 2007 bis 2013
durchschnittlich fast 20 Mrd. US-$ pro Jahr in Deutschland.6 Unternehmenserwerbe

4 Deutsche Bank Research 2006, S. 7 ff.


5 UNCTAD 2014, S. 205–208.
6 UNCTAD 2014, S. 213.
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172  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

durch Ausländer machen regelmäßig mehr als ein Viertel aller M & A-Transaktionen
in Deutschland aus.7 Solche Investitionen haben dabei zunehmend ihren Ursprung in
den Schwellenländern. Entsprechend groß wäre der potenzielle Schaden gewesen, den
eine wesentliche Erschwerung des Zugangs ausländischer Unternehmenskäufer für die
deutsche Volkswirtschaft im Allgemeinen und für internationale Unternehmenstrans-
aktionen im Speziellen hätte haben können.
Die aus kontroversen Debatten hervorgegangene Novellierung des AWG zu Beginn
des Jahres 2009 hat indes nichts daran geändert, dass Deutschland weiterhin über eines
der liberalsten und offensten Investitionsregime im internationalen Vergleich verfügt. Es
sieht neben dem bereits bestehenden, stark eingegrenzten Interventionsrecht des Bun-
des bei ausländischen Investitionen in sicherheitspolitisch relevante Unternehmen nun
ein generelles Prüfrecht der Bundesregierung unter der Führung des Bundesministeri-
ums für Wirtschaft und Technologie vor, wenn die Beteiligung eines Käufers aus einem
Nicht-EFTA-(European Free Trade Association)-Land an einem deutschen Unternehmen
eine Größe von 25 % überschreitet. Die Bundesregierung kann eine solche Transaktion
untersagen oder Bedingungen erlassen, sollte sie zu dem Urteil kommen, der Erwerb
gefährde die Sicherheit des Landes oder die öffentliche Ordnung.
Gleichwohl sind die Interventionsmöglichkeiten der Politik unter dem vergleichswei-
se liberalen AWG gerade für ausländische Unternehmenskäufer, die mit den politischen
Prozessen des Ziellandes weniger vertraut sind, ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor.
Umso wichtiger ist es für die umfassende M & A-Beratung, potenzielle Kaufinteressenten
auch in dieser Hinsicht zu begleiten. Informelle Sondierung bei den entsprechenden
staatlichen Stellen durch die beratende Bank im Auftrag, aber ohne Nennung des aus-
ländischen Käufers, Erläuterung der Entscheidungskriterien und -prozesse der Regie-
rungsstellen und Unterstützung bei der Präsentation des Übernahmevorhabens bei den
relevanten politischen Entscheidern können einen wichtigen Beitrag leisten, die gefühlte
oder tatsächliche Transaktionssicherheit für den Käufer zu erhöhen.

2.2.3 Kartellrecht

Entscheidungen der Europäischen Kommission oder nationaler Kartellbehörden haben


ebenfalls erheblichen Einfluss auf M & A-Transaktionen. Zwar arbeiten die genannten
Behörden autonom und unabhängig vom tagespolitischen Geschäft, gleichwohl werden
gerade auf europäischer Ebene Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden in starkem
Maße von sich über die Zeit verändernden wirtschafts- und wettbewerbspolitischen
Schwerpunkten bestimmt.
Augenscheinlich wird dies zum einen an der in der Vergangenheit zu beobachten-
den Tendenz der EU-Kommission, aus kartell- und wettbewerbspolitischen Motiven
M & A-Transaktionen zu erzwingen. Beispielhaft sei der Verkauf der Stromübertra-
gungsnetze genannt, zu dem sich die E.ON AG zur Beilegung eines Kartellverfahrens
gegenüber der EU-Kommission verpflichten musste. Die damalige EU-Wettbewerbskom-
missarin Neelie Kroes forderte bereits seit Langem die Trennung von Stromerzeugung
und Netzen, um für mehr Wettbewerb zu sorgen. Nach der Einigung betonte sie: »Zum

7 Dealogic 2006–2014.
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IX. M & A und Politik  |  173


Teil

ersten Mal in der Geschichte des europäischen Kartellrechts veräußert ein Unternehmen
bedeutende Vermögenswerte, um Wettbewerbsbedenken auszuräumen.«8
Weitaus bekannter ist zum anderen der Einfluss des Kartell- und Wettbewerbsrechts
auf Unternehmenstransaktionen im Rahmen der Fusionskontrolle. Die europäische Fu-
sionskontrollverordnung sowie das nationale Recht der Mitgliedstaaten stellen bei der
Beurteilung im Wesentlichen darauf ab, ob durch Unternehmenszusammenschlüsse ei-
ne marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird. In beiden Fällen hat die
zuständige Wettbewerbskontrolle den Zusammenschluss zu untersagen oder – soweit
ausreichend – von Auflagen oder Bedingungen abhängig zu machen (vgl. Abb. 5). Einen
der prominentesten Fälle einer Untersagung durch die EU-Kommission stellt in der jün-
geren Vergangenheit die geplante Fusion der Deutschen Börse mit der NYSE Euronext
dar, bei der die EU-Kommission im Jahr 2012 zu der Einschätzung gelangte, dass der
geplante Zusammenschluss zum größten Börsenunternehmen der Welt in erheblichem
Maße den Wettbewerb behindern würde.

2.500
126
38
2.000 7
Entscheidungen bzw. Erledigungen vor

238 91 117
151 10 44
126
Abschluss des Verfahrens

129 40 5 56
1.500 23 17 39 6 4
2 2 35 26 59 29
2 6 30 12 50
2 59
2.104

100 62 19 19
1.000 4
34 34
1.679

2
1.584
1.573
1.548
1.540

1
1.457

3
1.400

1.344
1.244

1.058
1.009
500
899

888

0
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Freigaben Untersagungen Rücknahmen vor Abschluss des Verfahrens keine Kontrollpflicht

Abb. 5: Beim Bundeskartellamt angemeldete Zusammenschlüsse und Entscheidungen bzw. Erledigungen vor
Abschluss des Verfahrens (Quelle: Bundeskartellamt)

Interessanterweise bietet das deutsche Kartellrecht durchaus industriepolitische Kor-


rekturmöglichkeiten. Das in der Praxis indes wenig genutzte Instrument der Ministe-
rerlaubnis bietet in Einzelfällen die Möglichkeit, per Ministererlass Unternehmenszu-
sammenschlüsse trotz vorheriger Untersagung des Bundeskartellamts zu genehmigen
(vgl. Abb. 6). Voraussetzung dafür ist, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des
Zusammenschlusses überwiegen oder die Fusion im öffentlichen Interesse liegt. Einer
der prominentesten Fälle der Vergangenheit ist die Übernahme der Ruhrgas AG durch
die E.ON AG aus dem Jahr 2002, die trotz Untersagung des Kartellamts durch Minis-
tererlaubnis unter Auflagen genehmigt wurde.9 Zuletzt gelangte das Instrument der
Ministererlaubnis im Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann in den Fokus der Öffentlichkeit.
Nachdem das Bundeskartellamt die Fusion der beiden Supermarktketten untersagt hat-

8 Europäische Kommission 2008, IP/08/1774.


9 Deutscher Bundestag 2004, S. 111 ff.
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174  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

te, stellten die beiden Parteien im April 2015 einen Antrag auf Ministererlaubnis, um
ihren Zusammenschluss doch noch zu retten.

Erlaubnis
3

Antragsrücknahmen
7

Erlaubnis mit Auflagen


4

Teilerlaubnis
1

Ablehnungen
6

Abb. 6: Übersicht der Ausgänge des Ministererlaubnisverfahrens nach § 24 Abs. 3/§ 42 GWB10 (Quelle: Bundes­
ministerium für Wirtschaft und Energie)

3 Auswirkungen auf die M & A-Beratungsleistung


einer Bank
3.1 Staat als Nachfrager von M & A-Beratungsdienstleistungen
Grundsätzlich gelten bei der öffentlichen Hand die gleichen Erfolgskriterien wie bei
der Beratung von privaten Kunden: erstklassige Produktqualität, Industrie- und Bran-
chenkenntnis, internationale Vernetzung, ein erfahrenes Team und einwandfreies
Konfliktmanagement. Eine zusätzliche Herausforderung bei staatlichen Auftraggebern
stellt das öffentliche Ausschreibungsverfahren bei Mandatsvergabe dar, z. B. wegen der
mitunter abverlangten Gesamtverantwortung für den Transaktionsprozess und der sich
dadurch ergebenden Notwendigkeit, als Bank weitere Berater als Subunternehmer zu
engagieren.

10 Seit 1973 gab es 21 Fälle, in denen eine Ministererlaubnis zur Anwendung kam.
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IX. M & A und Politik  |  175


Teil

Politische und zum Teil (halb-)öffentliche Entscheidungsprozesse erfordern ein an-


gepasstes Projektmanagement, genaue Kenntnis der politischen Entscheidungsparame-
ter, sehr gute lokale Marktkenntnisse und enge Kontrolle der Kommunikation. Darü-
ber hinaus ist die Transparenz über die Transaktions- und Entscheidungsparameter
entscheidend für die Prozessteilnehmer. Ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der
Beratungstätigkeit in öffentlichen Transaktionen bzw. Privatisierungen sind mögliche
negative Stimmen aus der Öffentlichkeit und der davon ausgehende Einfluss auf Politik
und Entscheidungsträger sowie auf die Reputation und das öffentliche Ansehen der
beteiligten Parteien einschließlich des Käufers, der involvierten Banken und Beratungs-
unternehmen. Auch diese Aspekte gilt es zu antizipieren.

3.2 Staat als politische Größe in M & A-Prozessen


Zu Recht erwarten Kunden von ihrem Finanzberater, dass dieser sie auch bei den po-
litischen Aspekten einer M & A-Transaktion begleitet und berät. Dies gilt nicht nur, wie
man meinen könnte, für ausländische Käufer/Verkäufer, sondern häufig auch für in-
ländische Klienten, die mit den heimischen politischen Verhältnissen gut vertraut sind.
Zum einen geht es den Kunden darum, die Position und Prioritäten der öffentlichen
Hand hinsichtlich der beabsichtigten Transaktion zu verstehen und innerhalb der ei-
genen Organisation Erwartungsmanagement diesbezüglich zu betreiben. Zum anderen
erwartet der Kunde, dass seine eigenen Zielvorstellungen, Erwartungen und ggf. Rest-
riktionen den politischen Entscheidungsträgern transparent gemacht werden und durch
die beratende Bank ein (weiteres) institutionelles »Backing« erhalten. Außerdem suchen
Kunden ein tiefes Verständnis regulatorischer Rahmenbedingungen und absehbarer
regulatorischer Entwicklungen, eine Einschätzung der betreffenden Transaktion aus
der Sicht eines Regulators sowie Unterstützung bei entsprechender Vorbereitung, Se-
quenzierung und Nachbereitung der Interaktion mit staatlichen Stellen. Berater sollten
auf mögliche widerstreitende politische Interessen hinweisen und Strategien entwickeln
können, die einerseits die Interessen der Kunden wahren, andererseits auch den Bedürf-
nissen der öffentlichen Hand Rechnung tragen. Absolute Diskretion und Verlässlichkeit
haben oberste Priorität.
Entscheidende Erfolgsfaktoren für die »politischen« Aspekte der M & A-Beratung sind
insofern die Kenntnis des politischen Apparats, ein breites und tiefes Netzwerk, das die
Kommunikationskanäle des Kunden ggf. ergänzt, Zugang zu Entscheidungsträgern und
Entscheidungsvorbereitern auf den verschiedenen staatlichen Ebenen sowie ein gutes
Gespür für die politische Dynamik (auch zwischen verschiedenen Ebenen der Adminis-
tration) und etwaige Zwänge, die mitunter auch grenzüberschreitendende bzw. außen-
politische Erwägungen umfassen. Ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit gegenüber der
öffentlichen Hand als Kunde und politischer Einflussgröße kommen hinzu, um Klienten
im Umgang mit staatlichen Institutionen umfassend und kompetent beraten zu können.
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176  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

3.3 S chlussfolgerungen für die Ausrichtung der M & A-Abteilung


einer Bank
Erfolgreiche M & A-Beratung muss die öffentliche Hand als weit mehr als »nur« Nachfra-
ger von Beratungsleistungen begreifen. Die Politik ist immer auch wichtiger Rahmen-
setzer, der genuine politische Interessen verfolgt und dabei M & A-Aktivitäten entschei-
dend beeinflussen kann. Dies gilt insbesondere und in zunehmendem Maße auch für
internationale Transaktionen.
Erfolgreiche M & A-Beratung von Kunden im politischen Umfeld setzt daher nicht nur
erstklassige transaktionstechnische Kompetenz voraus, sondern in hohem Maße »Soft
Skills«, wie die Kenntnis des lokalen politischen Marktes und eines institutionellen und
persönlichen Vertrauensverhältnisses zur Politik und den in ihr Handelnden. Gerade
im Kontext der zunehmenden internationalen Vernetzung darf sich dies jedoch nicht
auf nur ein Land beschränken. Kaum vorstellbar ist es z. B., einen deutschen Kunden
bei einer Transaktion in China oder einen chinesischen Klienten bei einem Kaufvorha-
ben etwa in Europa zu beraten, ohne die Entscheidungsparameter und -prozesse der
relevanten staatlichen Stellen in China und in Europa einschätzen und bewerten zu
können. Das nötige Vertrauensverhältnis lässt sich nur durch eine dedizierte Betreu-
ung der öffentlichen Hand genau in diesem Verständnis aufbauen. Dazu gehört ein
regelmäßiger Austausch zu Branchenentwicklungen sowie zu aus Sicht der öffentlichen
Hand möglicherweise relevanten Transaktionssituationen. Insbesondere in einem föde-
ralen Land wie Deutschland ist dabei die Abdeckung verschiedener staatlichen Ebenen
(Bund, Länder, Gemeinden) sowie wichtiger supranationaler Behörden und Organisa-
tionen unerlässlich.

Literatur
Bundesbank (1991–2014): Zeitreihe: Kapitalbilanz/Ausländ. Nettokapitalanl. im Inland/Direktinvesti-
tionen/Beteiligungskapital/Beteiligungskapital i.e.S./Neuanlage.
Bundeskartellamt (1999–2012): Tätigkeitsbericht 1999/00, S. 207 f.; Tätigkeitsbericht 2001/02 S. 259 f.;
Tätigkeitsbericht 2003/04, S. 215 f.; Tätigkeitsbericht 2005/06 S. 225; Tätigkeitsbericht 2007/08
S. 178; Tätigkeitsbericht 2009/10 S. 158; Tätigkeitsbericht 2011/12, S. 126.
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2015): Übersicht über die bisherigen Anträge auf Mi-
nistererlaubnis nach § 24 Abs. 3/§ 42 GWB.
Deutsche Bank Research (2006): EU-Monitor 35, S. 7 ff.
Deutscher Bundestag (2004): Drucksache 15/3610, S. 75 und S. 111 ff.
Europäische Kommission (2008): IP/08/1774.
UNCTAD (2014): World Investment Report 2014, S. 205–208, 213.
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  |  177
Teil

X. Geschäftsmodell von selbstständigen


M & A-Beratungen
Siegfried L. Drueker/Frank Ponndorf*

1 Einleitung
2 Übliche Formen der Honorierung
3 Hohe Umsatzerwartungen im Risikomodell
4 Transaktionskalkulation oder Umsatzpriorität
5 Risikogewichtete Kostenanalyse
6 Vergleich mit vorgeschriebener Rechnungslegung
7 Schärfung des Geschäftsmodells

1 Einleitung
Für diejenigen, die sich seit längerer Zeit auf dem M & A-Markt bewegen, ist es erstaun-
lich, wie wenig sich das eigentliche M & A-Produkt über einen Zeitraum, der sich durch-
aus über 30 Jahre erstreckt, im Kern verändert hat. Im Prinzip laufen Akquisitionen,
Divestitures, Fusionen, ob mit oder ohne Kapitalmarktbeteiligung, und auch feindliche
Übernahmen bzw. Übernahmeangebote noch heute so ab, wie sie auch vor vielen Jah-
ren abgewickelt worden sind. Daran ändern auch einige IT-trächtige Verbesserungen in
Sachen Datenspeicherung und Datentransfer nicht viel. Was sich allerdings sehr wohl
verändert hat, ist der Grad der Professionalisierung praktisch aller Marktteilnehmer, die
M & A-Dienstleistungen anbieten bzw. nachfragen.
Von wesentlich größerer Bedeutung ist die Beobachtung, dass M & A-Produkte aus
verschiedenen Geschäftsmodellen heraus angeboten werden. Im Laufe der letzten Jahr-
zehnte haben sich einige der fähigsten Marktteilnehmer, vornehmlich im angelsäch-
sischen Raum, zu integrierten und global agierenden Anbietern entwickelt, während
nationale Boutiquen häufig ihren durchaus überschaubaren Produktfokus beibehalten
und sich zu international operierenden Marktteilnehmern entwickelt haben. Aber auch
reine Start-ups konnten sich behaupten und mit ihren Geschäftsmodellen expandieren.
Dabei kam allen Marktteilnehmern zugute, dass sich der Markt über einen sehr lan-
gen Zeitraum regional und bezogen auf die Intensität der Nachfrage in den einzelnen
Regionen sehr stark vergrößert hat. Immer wieder kam es in diesem Zusammenhang
zu massiven Veränderungen der Grundbedingungen wie z. B. die Zerschlagung von
Konglomeraten, der Einsatz von hochriskanten Anleihen (Junk Bonds) oder auch die
Verbreitung des Private Equity-Modells, das wiederum auf außerordentlich vorteilhafte
Finanzierungsbedingungen zurückgreifen konnte. In der Tat haben alle vorgenann-

* Siegfried L. Drueker, Geschäftsführer, Druecker & Co. GmbH, Frankurt a. M.; Frank Ponndorf, Pro-
jektmanager, Hamann Softwareentwicklung, Nidderau.
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178  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

ten Geschäftsmodelle, aus denen heraus das M & A-Produkt angeboten wird, ihre Wirt-
schaftlichkeit und auch ihre Expansionskraft unter Beweis stellen können.
Im Folgenden soll gezeigt werden, wie die Tauglichkeit des Geschäftsmodells einer
selbstständigen M & A-Beratung dargestellt oder sichergestellt werden kann. Die selbst-
ständige M & A-Beratung zeichnet sich in diesem Zusammenhang dadurch aus, dass sie
als »Monoliner« nur das M & A-Produkt und vielleicht einige verwandte Dienstleistungen
wie Debt-, IPO- und Restrukturierungsberatung anbietet, aber keine ausgesprochenen
Kuppelprodukte, die eine starke Präsenz auf dem Kapitalmarkt voraussetzen würden.

2 Übliche Formen der Honorierung


Bei näherer Betrachtung hat sich ein Grundphänomen des M & A-Marktes von Anfang
an als stabil erwiesen. Dabei handelt es sich um die Vereinbarung einer Honorierung,
die ausgesprochen erfolgsorientiert, also risikobehaftet, und nicht an den tatsächlichen
Kosten orientiert ist (vgl. Abb. 1). Daraus hat sich bei vielen die eigentlich nicht wirklich
gerechtfertigte Vorstellung entwickelt, dass das M & A-Geschäft an sich ein besonders
margenstarkes Geschäft und anderen professionellen Dienstleistungsbereichen in kom-
merzieller Hinsicht weit überlegen sei. Diese Erfolgshonorar-Illusion verflüchtigt sich
allerdings, sobald die Wahrscheinlichkeit und manchmal eben auch die Unwahrschein-
lichkeit eines erfolgreichen Abschlusses einer M & A-Transaktion mit in die Betrachtung
einbezogen wird.

Bruttoumsatzmodell

Erfolgshonorar Erfolg Bruttoumsatz

Projekt A 4.000 0% 0
Projekt B 2.000 100 % 2.000
Summe 2.000

(Beträge in Tausend EUR)

Abb. 1: Bruttoumsatzmodell (Quelle: Eigene Darstellung)

Eine solche Ernüchterung stellt sich ein, wenn konsequenterweise und von Anfang
an die Umsatzerwartung nicht brutto, sondern nach entsprechender Gewichtung mit
der spezifischen Erfolgswahrscheinlichkeit der Transaktion ausgewiesen wird. Die Be-
sonderheit dieses Risikoumsatzmodells liegt darin, dass mit einem risikogewichteten
Umsatz »mit statistischer Sicherheit« immer gerechnet und der Risikoumsatz mit den
transaktionsspezifischen Kosten verglichen werden kann.
Es ist nicht zu verkennen, dass die Abkehr von einem Bruttoumsatzmodell mit hohen
Einzelhonoraren, wenn sie denn tatsächlich anfallen, verbunden mit der Außerachtlas-
sung der misslungenen Transaktionen, zu erheblichen Irritationen führen kann. Diese
Irritationen ergeben sich aus dem Zurückschneiden zweifelsfrei hoher, aber eben auch
risikobehafteter Erfolgshonorare und der Ansetzung und Zurechnung von statistischen
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X. Geschäftsmodell von selbstständigen M & A-Beratungen  |  179


Teil

Erfolgshonoraren, selbst wenn gar keine Transaktion zustande kommt und damit eben
auch kein wirklicher Umsatz erzielt wird.
Mit dem Risikoumsatzmodell (vgl. Abb. 2) ergibt sich eine erste Transformation,
die eine wesentlich schärfere Analyse des Erfolges der kleinsten geschäftlichen Einheit
im M & A-Geschäft, nämlich der einzeln vereinbarten Transaktion, ermöglicht. Diese
Transformation führt am Ende zu einer Erfolgsbetrachtung, die nicht mehr nur pauschal
für das Geschäft als Ganzes, sondern für jede einzelne Transaktion Gültigkeit hat. An
späterer Stelle wird noch genauer auf die Besonderheiten der Erfolgsbetrachtung einzu-
gehen sein, da sich die Erfolgswahrscheinlichkeit im Verlaufe eines Projektes durchaus
sehr stark verändern kann. Je nach geschickter Auswahl von neuen Projekten kann die
statistische Erfolgswahrscheinlichkeit eines gesamten Projektportfolios in einem Jahr
über 50 % liegen, während ein einzelnes Projekt mit einer Wahrscheinlichkeit von ledig-
lich 10 % beginnen kann, um dann in einem späteren Stadium durchaus nahe bei 100 %
zu liegen. Außerdem ergibt sich gerade aus dem Umstand, dass erfolglose Projekte oft-
mals gar nicht zu Ende geführt werden, eine maßgebliche Entlastung der Kalkulation.

Risikoumsatzmodell

Erfolgs-
Erfolgshonorar wahrscheinlichkeit Risikoumsatz

Projekt A 4.000 50 % 2.000


Projekt B 2.000 75 % 1.500
Summe 3.500

(Beträge in Tausend EUR)

Abb. 2: Risikoumsatzmodell (Quelle: Eigene Darstellung)

Erst durch die Zurechnung eines durch die Wahrscheinlichkeitsgewichtung reduzierten


Umsatzes (im Falle einer erfolgreichen Transaktion) oder einer statistischen Umsatzgrö-
ße (im Falle einer gescheiterten Transaktion) kommt der Erfassung und Beobachtung
von spezifischen Transaktionskosten überhaupt eine Bedeutung zu. Das ist deshalb so,
weil anderenfalls eine erfolgreiche Transaktion zu einer sehr hohen Gewinnmarge und
eine nicht erfolgreiche Transaktion zu einem Verlust in Höhe der Kosten führen wür-
de. Letztlich geht es darum, aus einer einzelnen Transaktion das systemische Risiko
herauszurechnen und so zu einer Vergleichbarkeit aller Transaktionen untereinander
zu kommen. Die Kostenerfassung und -zurechnung ist in der Tat ein nur geringfügiges
Problem, sofern zugelassen werden kann, dass die an einer Transaktion mitarbeitenden
Professionals ihre zurechenbaren Zeiten festhalten und offenlegen. Dies geschieht vor-
zugsweise durch eine Zurechnung der geleisteten Stunden auf jede einzelne Transakti-
on und Bewertung dieser Stunden mit Standardkosten. Dieser, im Investmentbanking
durchaus unübliche Ansatz verliert jedoch seinen Schrecken dadurch, dass damit auch
Entscheidungen über die Stärke des Teams und den Einsatz der einzelnen Teammitglie-
der wesentlich effizienter getroffen werden können und dadurch die Leistungsfähigkeit
der Organisation gesteigert werden kann.
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180  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

3 Hohe Umsatzerwartungen im Risikomodell


Effizienzüberlegungen können in anschaulicher Form am besten durch verschiedene
Praxismodelle angestellt werden. Eine M & A-Beratung mit 50 Mitarbeitern wird im Lau-
fe eines Jahres ca. 125.000 Stunden leisten, davon entfallen möglicherweise jeweils ein
Drittel auf Transaktionsleistungen, auf Marketing und Vertrieb sowie auf die Verwal-
tung und nichtzurechenbare Leistungen. Bei den üblichen Gehalts- und Sachkosten-
belastungen kann durchaus von einer Gesamtkostenbelastung pro Person in Höhe von
300.000 EUR ausgegangen werden. Über einen längeren Zeitraum wird die Höhe dieser
Kosten vom Wettbewerb und von den Marktgegebenheiten vorgegeben sein. Aus dieser
pauschalen Betrachtung ergibt sich, dass die kalkulatorischen Kosten pro Transakti-
onsstunde bei rund 360 EUR liegen. Unter Berücksichtigung einer durchaus üblichen
Gewinnerwartung mag sich die Erlöserwartung durchaus im Rahmen von 500 bis 600
EUR pro Stunde bewegen. Für den Fall, dass die Effizienz der Organisation nachlässt
und insbesondere das Verhältnis von Marketing-, Vertriebs- und unproduktiven Zeiten
schlechter wird, kann sich durchaus eine Erlöserwartung ergeben, die näher bei 1.000
EUR pro Transaktionsstunde liegt.
Durch einen Vergleich mit risikogewichteten Transaktionsumsätzen ergibt sich leicht
ein Einblick in die Gewinnträchtigkeit einzelner Transaktionen oder des gesamten
Transaktionsportfolios. Eine einzelne Transaktion, die ohne größere Besonderheiten
eine direkt zurechenbare Zeit von 2.500 Stunden und eine durchschnittliche Erfolgs-
wahrscheinlichkeit von 40 % aufweist, wird bei einer Erlöserwartung von 500 EUR pro
Stunde ein Bruttoerfolgshonorar von 3.125.000 EUR erfordern. In der Praxis zeigt sich,
dass die Vorstellung eines margenstarken M & A-Geschäfts sehr schnell dahinschwin-
den kann und der Ausweis von Verlusten bei durchaus veritablen Transaktionen keine
Seltenheit ist, vorausgesetzt, die Risikoumsatzberechnung und die Transaktionskoste-
nerfassung werden konsequent umgesetzt.
Allein schon bei dieser Betrachtung des Grundmodells wird deutlich, welche Steu-
erungsanforderungen das Geschäftsmodell einer selbstständigen M & A-Beratung mit
sich bringt. Dazu gehört das Einstellen eines geeigneten Anteils an Marketing- und
Vertriebsstunden in der Organisation. Hierzu wird es selbst innerhalb einer Organisa-
tion eine Vielzahl unterschiedlicher Vorstellungen geben. Außerdem korreliert diese
Frage eng mit der Marktakzeptanz des Unternehmens und dem Aufwand, der für die
Gewinnung von Neugeschäft getrieben werden soll. In der Praxis zeigt sich ebenfalls,
dass die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Transaktion, ebenso wie die Kosten- und Erlö-
serwartungen, entscheidenden Einfluss auf den Transaktionserfolg haben.

4 Transaktionskalkulation oder Umsatzpriorität


Im Gegensatz zu diesem analytischen Geschäftsmodell ist in der Praxis des Invest-
mentbankings durchaus ein anderes pauschales Erfolgsmodell vorherrschend. Dieses
Modell abstrahiert von der Erfolgserfassung einzelner Transaktionen und dem aktiven
Management des Geschäftes anhand der zuvor dargestellten Einflussfaktoren. Es stellt
wesentlich stärker auf die tatsächlich insgesamt erzielten oder erzielbaren Erlöse ab. Da-
bei handelt es sich um eine ausgesprochene Umsatzpriorität (»Top-Line-Orientierung«)
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X. Geschäftsmodell von selbstständigen M & A-Beratungen  |  181


Teil

aus Sicht der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV). Dieses Modell stellt die Personalkos-
ten, die Verwaltungskosten und den Gewinn z. B. im Verhältnis 50:25:25 in einen engen
zeitlichen Zusammenhang mit den Umsatzerlösen und sieht eine rasche Reduktion der
Kosten im Falle von Marktschwächen vor oder eine entsprechende rasche Expansion,
wenn sich die Märkte wieder erholen. Hierbei ist die Anpassungsgeschwindigkeit bei
den Kosten der entscheidende Erfolgsfaktor.
Überraschend ist, dass sich dieses, so konsequent von den Kalkulationsgrundlagen
einer einzelnen Transaktion abstrahierende Prinzip so nachhaltig am Markt behaupten
konnte, trägt es doch den Keim unangemessener Honorarvereinbarungen in sich. Der
Argumentation, dass die M & A-Beratung besonders ideenreich sei oder eine besondere
Form der Urteilsfähigkeit darstelle und damit anderen Dienstleistungen gegenüber einen
höheren Stellenwert habe und keine nachprüfbare Korrelation zwischen Aufwand und
Ertrag rechtfertigen müsse, kann angesichts der sehr weit verbreiteten hochprofessio-
nellen Dienstleistungen, die im Markt anzutreffen sind, nicht wirklich ernsthaft gefolgt
werden.
Die konsequente Verfolgung des einen oder anderen Geschäftsmodells führt zu gänz-
lich unterschiedlichen Verhaltensweisen und Normen im täglichen Geschäftsverkehr.
Während das Transaktionsmodell von einem vorübergehend festen Bestand an per-
sonellen Ressourcen und damit einer begrenzten Transaktionskapazität ausgeht, die
möglichst gewinnbringend am Markt zu platzieren ist, zielt die Umsatzorientierung
darauf ab, den Umsatz in einer gegebenen Periode durch möglichst viele Transaktionen
und intensive Vertriebsanstrengungen zu maximieren, und zwar unabhängig davon,
ob jede einzelne Transaktion unter Einbeziehung der teilweise erheblichen Marketing-
und Vertriebskosten auch wirklich profitabel ist. Es ist nicht zu verkennen, dass ein
solches Geschäftsmodell auch zu gänzlich anderen Vorstellungen über die regelmäßige
zeitliche Inanspruchnahme von Mitarbeitern führt und entsprechende Übertreibungen
zur Folge haben kann.

5 Risikogewichtete Kostenanalyse
Wenngleich das Risikoumsatzmodell für die Veranschaulichung des Grundkonzeptes
gut geeignet ist, so bedarf es doch einer Veränderung, um den Erfordernissen der Pra-
xis gerecht zu werden. Diese Veränderung stellt sich als eine Umsatz/Kosten-Transfor-
mation dar und ist am ehesten mit einem risikogewichteten Kapitalkostenansatz zu
vergleichen. In diesem Falle werden die vereinbarten Erfolgshonorare in voller Höhe in
die Berechnungen mit aufgenommen, dafür aber werden die laufenden Kosten mittels
der jeweils aktuellen Erfolgswahrscheinlichkeit kalkulatorisch erhöht (vgl. Abb. 3). Dies
lässt sich anhand der folgenden Gleichung einfach herleiten:

G = U × WS – K = (U – K/WS) × WS
G = Gewinn
U = Umsatz (Erfolgshonorar in voller Höhe)
WS = Wahrscheinlichkeit
K = Kosten
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182  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Durch diese Transformation ergibt sich im Zeitablauf ein wesentlich stabileres Erfolgs-
modell, da die Umsatzgröße bei der Transaktionskalkulation gleich bleibt, sich dafür
allerdings die wahrscheinlichkeitsgewichteten Kosten laufend verändern können. Dieses
Modell eignet sich nicht zuletzt auch aus psychologischen Gründen wesentlich besser
für das laufende Transaktionsreporting und die laufende Erfolgskontrolle. Über die
gesamte Laufzeit einer Transaktion kann sich anhand dieser Darstellung ein Transakti-
onsgewinn in Höhe von (nur) 350.000 EUR ergeben, und zwar bei einem Erfolgshonorar
in Höhe von 4.000.000 EUR 2.500 Stunden zu je 500 EUR Erlöserwartung und einer
durchschnittlichen Erfolgswahrscheinlichkeit von 40 %. Bei einem Erfolgshonorar von
nur 2.000.000 EUR würde sich allerdings ein Verlust von 450.000 EUR einstellen. Nicht
gleich einsichtig ist bei dieser Vorgehensweise die Folge, dass auch eine Transaktion,
die am Ende scheitert, dann doch den gleichen Gewinn bzw. Verlust ausweist wie eine
Transaktion, die erfolgreich beendet wird.
In der Praxis sind i. d. R. komplizierte Honorarmodelle mit einer Kombination aus
Erfolgshonoraren und verschiedensten Abschlags- oder Meilensteinzahlungen anzutref-
fen. Hierdurch wird die Transformation des Risikoumsatzmodells in ein gewichtetes
Kostenmodell besonders kompliziert und verlangt nach Algorithmen, die auf möglichst
zahlreiche typische Fallkonstellationen anwendbar sind. So wird i. d. R. die Wahrschein-
lichkeit des Erfolgshonorars deutlich von der Wahrscheinlichkeit einer Meilensteinzah-
lung und der 100 %-igen Wahrscheinlichkeit einer Abschlagszahlung abweichen. Im
Rahmen der Transformation muss letztlich eine kombinierte Transaktionswahrschein-
lichkeit ermittelt werden, die solchen konkreten Fallkonstellationen gerecht wird. Diese
würde dann für eine möglichst detaillierte Nachkalkulation des Transaktionserfolges
ausreichen.
In dem Maße jedoch, in dem die Erfolgskontrolle nicht nur ex post, d. h. am Ende
einer Transaktion erfolgen soll, sondern transaktionsbegleitend, ergibt sich die Not-
wendigkeit, die Transaktionswahrscheinlichkeiten in gewissen zeitlichen Abständen
(Wochen oder Monate) immer wieder neu zu ermitteln, die in den entsprechenden
Perioden anfallenden Kosten jeweils zu gewichten und im Laufe der Transaktion zu ku-
mulieren. Eine solche fortlaufende Transaktionskontrolle erfordert dann natürlich auch
die Einbeziehung eines angemessenen Teils der Gesamterlöse in die Berechnung. Der
angemessene Teil der Gesamterlöse ergibt sich vorzugsweise durch Addition der bereits
angefallenen Erlöse (z. B. Abschlagszahlung) und der im Verhältnis der verbrauchten
Stunden zu den erwarteten Gesamtstunden in Ansatz zu bringenden Erfolgshonorare.
Durch konsequente periodengerechte und kontinuierlich mitgeschriebene Erfolgs-
rechnungen erübrigt sich schließlich die Nachkalkulation, da sich das Nachkalkulati-

Transaktionskalkulation

Erfolgs- Erfolgs- Stunden Kalkulatorische


honorar wahrscheinlichkeit (á 500 Euro) Kosten Gewinn

Projekt A (1. Phase) 2.400 30 % 1.500 2.500 -30


Projekt A (2. Phase) 1.600 80 % 1.000 625 780
Summe 4.000 50 % 2.500 3.125 750

(Beträge in Tausend EUR)

Abb. 3: Transaktionskalkulation (Quelle: Eigene Darstellung)


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X. Geschäftsmodell von selbstständigen M & A-Beratungen  |  183


Teil

onsergebnis durch die Addition bzw. Mitschreibung der Periodenergebnisse am Ende


der Transaktion von selbst ergibt. In der Praxis lässt sich feststellen, dass die fortlau-
fende Schätzung der Transaktionswahrscheinlichkeiten keine ernsthafte Schwierigkeit
darstellt und sich für diese wichtige Erfolgsgröße im M & A-Geschäft rasch eine beson-
dere Urteilskraft einstellt, was eine nicht zu unterschätzende positive Nebenwirkung
der fortlaufenden Transaktionskalkulation darstellt.

6 Vergleich mit vorgeschriebener Rechnungslegung


Es ist unmittelbar einsehbar, dass sich die fortlaufende Transaktionskalkulation für
die eigentliche Rechnungslegung der Organisation nicht eignet. In der Tat können die
monatlichen Abweichungen zwischen den Ergebnissen der Transaktionskalkulation und
der vorgeschriebenen Rechnungslegung erheblich sein. Es stellt sich über einen Jahres-
zeitraum und bei einer ausreichend großen Anzahl von Einzeltransaktionen jedoch im-
mer wieder eine große Übereinstimmung zwischen beiden ein. Die Transaktionskalku-
lation entspricht am ehesten der »Percentage of Completion«-Methode, obwohl sie durch
die stark risikobehafteten Erfolgshonorare noch eine weitere Komplikation erfährt. Die
Abweichungen ergeben sich einmal durch die Anwendung von Standardkostensätzen
für die Organisation, durch die laufende Erfassung von Transaktionserfolgen im Gegen-
satz zu der endorientierten Umsatzerfassung in der Rechnungslegung, aber auch durch
die binäre Umsatzerfassung bei Erfolg oder Misserfolg im Rahmen der Rechnungsle-
gung, während die Transaktionskalkulation auf wahrscheinlichkeitsgewichtete Größen
abstellt. So ist die vorgeschriebene Rechnungslegung sehr stark anfällig für ein Ausbre-
chen der Ergebnisse nach oben oder unten, je nachdem, ob sich einige Transaktionen
überraschend und gegen die eigenen Erwartungen als erfolgreich oder nicht erfolgreich
herausgestellt haben. Letzten Endes ist die Rechnungslegung ein unerlässliches Instru-
ment für die Messung des finanz- und liquiditätswirksamen Erfolgs der Organisation,
während die Transaktionskalkulation ein unvergleichliches Instrument für die Messung
der nachhaltigen Leistungsfähigkeit der M & A-Beratung ist.
Die Transaktionskalkulation ermöglicht in unnachahmlicher Weise einen Einblick
in das Gerüst der Erfolgsfaktoren der M & A-Beratung. Dieser Einblick erschließt sich
durch zahlreiche Zeitreihen, die sich aus der laufenden Analyse ergeben. Dazu gehören
die Kosten- bzw. Erlöserwartungen, die sich pro Transaktionsstunde ergeben. Auf Dauer
ist schwer einsehbar, aus welchem Grunde sich diese Größen von anderen vergleichba-
ren Marktgrößen, wie sie bei Anwälten und Beratungsfirmen vorherrschen, entfernen
sollten. Parallel dazu entwickelt sich das wahrscheinlichkeitsgewichtete vereinbarte
Honorarvolumen pro Transaktionsstunde, woraus sich letztlich das tatsächliche nach-
haltige Gewinnpotenzial der M & A-Beratung ablesen lässt. Auf der Ebene der einzelnen
Transaktionen dient die Transaktionskalkulation als Maßstab für eine sachgerechte Ho-
norargestaltung, aber auch als Führungsinstrument für den Fall, dass sich Kosten und
Erlöse nicht erwartungsgemäß entwickeln. Ansonsten fehlt in der M & A-Beratung ein
geeignetes Instrument, um die Wirtschaftlichkeit des Handelns in der dafür geeigneten
kleinen Einheit überprüfen und belohnen zu können.
Auf höherer Ebene kann die Transaktionskalkulation zu einer weitgehenden Neu-
orientierung in der Kompensation von Mitarbeitern führen. Indem die Kalkulationser-
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184  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

gebnisse auf der Ebene einzelner führender Mitarbeiter zusammengefasst und für die
Leistungsbemessung herangezogen werden, kommt es zu geringeren cash-orientierten
Verhaltensweisen, da die Wahrscheinlichkeitsgewichtung von Umsätzen und die Ein-
beziehung abgebrochener Projekte in die Leistungsbemessung zu nachhaltigeren Ver-
haltensweisen führen wird und dadurch Kundeninteressen einen höheren Stellenwert
bekommen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch unverkennbar, dass monetä-
re Leistungsanreize selbst in der moderaten Form, wie sie die Transaktionskalkulation
vorsieht, auch zu übertriebenem Wettbewerbsverhalten einzelner Professionals führen
kann. Der entscheidende Test stellt sich dann ein, wenn vom betroffenen Mitarbeiter
die liquiditätswirksamen Umsatz- und Kostengrößen im Falle einer erfolgreichen Trans-
aktion mit dem Ergebnis der Transaktionskalkulation verglichen werden. Die Tatsache,
dass die Transaktionskalkulation auch Erfolgsbeiträge bei gescheiterten Transaktionen
ermittelt, führt nicht ohne Weiteres zu einem uneingeschränkten Verständnis der Zu-
sammenhänge. Es ist eben doch festzustellen, dass die zuvor schon beschriebene Er-
folgshonorar-Illusion in solchen Fällen Platz greift.

7 Schärfung des Geschäftsmodells


Das Konzept der Transaktionskalkulation bietet der M & A-Beratung ein umfassendes
Instrumentarium, das eigene Geschäftsmodell zu schärfen. Dabei geht es nicht nur um
die finanzielle Beurteilung der laufenden Aktivitäten, sondern – eben gerade umgekehrt
– um die Gestaltung und Prägung des eigenen Geschäftsmodells und um die Steue-
rung des Geschäfts anhand wichtiger Lenkungsgrößen. Dazu gehören u. a. der Umfang
der Marketing- und Vertriebsanstrengungen im Rahmen der Gesamtaktivitäten, das
bewusste Steuern der Kosten von Transaktionsstunden, die Bedeutung von Transakti-
onswahrscheinlichkeiten bei der Beurteilung der Attraktivität einzelner Transaktionen
oder der Konsequenzen, die solche Wahrscheinlichkeiten auf die Honorargestaltung
haben sollten. Letztlich geht es um den Gestaltungswillen, den das Management bei
der Verfolgung der eigenen Ziele zum Ausdruck bringt.
Eingangs wurden die verschiedenen Geschäftsmodelle dargelegt, die im M & A-Be-
reich anzutreffen sind. Nunmehr wird deutlich, dass die selbstständige M & A-Bera-
tung eine besondere Herausforderung zu bestehen hat. Einerseits ist die selbstständige
M & A-Beratung zu groß und weist durchaus erhebliche institutionelle Züge auf, als dass
sie noch mit den kostengünstigen Modellen von Boutiquen verglichen werden könnte.
Andererseits steht sie in starkem Wettbewerb mit global agierenden Wettbewerbern,
die über integrierte Produktpaletten verfügen, gänzlich anderen Kalkulationsmodellen
folgen und das M & A-Produkt durchaus als Türöffner für eine Vielzahl anderer mar-
genstarker Produkte nutzen können. In diesem Zusammenhang ist es für die selbst-
ständige M & A-Beratung von großer Bedeutung, das eigene Geschäftsmodell und die
Auswahl bzw. Honorierung von Transaktionen so zu gestalten, dass die Wirtschaft-
lichkeit der Organisation jederzeit gewährleistet ist. Das wird oft dazu führen, dass
Marktpreise, die für das eine oder andere Geschäftsmodell durchaus vertretbar sind,
für die selbstständige M & A-Beratung eben nicht mehr darstellbar sind, oder umgekehrt,
dass Transak­t ionen mit attraktiven Kombinationen aus Erfolgs-, Abschlags- und Meilen­
steinhonoraren ein attraktives Ertragspotenzial darstellen, das vom Wettbewerber so
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X. Geschäftsmodell von selbstständigen M & A-Beratungen  |  185


Teil

nicht erkannt wird, vom Kunden u. U. jedoch bevorzugt wird. Eine kritische Überprü-
fung der Geschäftsmodelle von selbstständigen M & A-Beratungen stößt dabei oft auf
das außerordentlich hohe Risikopotenzial, das ihnen insbesondere dann innewohnt,
wenn sie sich auf einzelne große Transaktionen konzentrieren, die hohe Vorlaufkosten
verursachen und eben das Risiko des Scheiterns in sich bergen.
Es zeigt sich, dass die Ergebnisse der Transaktionskalkulation dann am ehesten mit
den Ergebnissen der üblichen Rechnungslegung korrelieren, wenn eine Vielzahl von
Einzeltransaktionen vorliegt. Ist dies nicht der Fall, so kann sich ohne Weiteres der Fall
einstellen, dass die Transaktionskalkulation ein durchaus zufriedenstellendes (mittle-
res) Ergebnis aufzeigt, während der in der Rechnungslegung leider nur mögliche binäre
Ausweis von Erfolg oder Misserfolg mit einer Transaktion zu starken Abweichungen
nach oben oder unten führen und eine überdurchschnittliche Stärke der Organisation
vorspiegeln oder auch zu einem wirtschaftlichen Scheitern führen kann. Nicht zuletzt
wegen dieses Casino-Effektes aus Erfolg und Misserfolg, der die wirtschaftliche Ent-
wicklung der selbstständigen M & A-Beratung durchaus prägen kann, ergibt sich die Not-
wendigkeit einer überdurchschnittlichen Gewinnmarge, um die mit dem Casino-Effekt
verbundenen finanziellen Risiken abdecken zu können.
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186  | 
Teil

XI. Exzellenz bei M & A – Aufbau erfolgreicher


M & A-Funktionen
Patrick Beitel/Jörg Musshoff*

1 »Excellence in M & A« als wichtige Voraussetzung für langfristigen


Unternehmenserfolg
2 Sechs Design-Dimensionen für erfolgreiche M & A-Funktionen
3 Erfolgreiche M & A-Funktionen: Zehn »Must-Haves«
4 Zwei grundsätzliche Best-Practice-Modelle für M & A
5 Wahl des M & A-Funktionsmodells
6 Mergers & Acquisitions – mehr Erfolg durch systematische Vorbereitung

McKinsey hat untersucht, was die M & A-Funktionen in Unternehmen leisten müssen,


um erfolgreich zu sein. Dabei wurden zehn »Must-Haves« identifiziert.

1 »Excellence in M & A« als wichtige Voraussetzung


für langfristigen Unternehmenserfolg
Unternehmen können schneller wachsen und höhere Wertsteigerungen als der Wett-
bewerb erzielen, wenn sie systematisch attraktive Akquisitions- und Veräußerungs-
kandidaten identifizieren und den Transaktionsprozess effizient gestalten. Gleichzeitig
können exzellente M & A-Fähigkeiten helfen, wertvernichtende Transaktionen zu ver-
meiden. Diese Voraussetzungen für erfolgreiche M & A-Transaktionen stellen viele Unter-
nehmen allerdings vor Probleme. Rund 40 % der von McKinsey befragten Manager sind
der Ansicht, dass sie ihre M & A-Fähigkeiten verbessern sollten. Doch auch in Bereichen,
in denen sich die Teilnehmer der Untersuchung gut positioniert sehen, gibt es Spielraum
für Verbesserungen. Die Kluft zwischen dem Niveau der Fähigkeiten in den M & A-Funk-
tionen und deren Potenzial ist größer, als von vielen Managern angenommen.

Methodik der Untersuchung


Die Unternehmensberatung McKinsey & Company führt seit 2009 detaillierte Untersuchungen zu den
M & A-Funktionen globaler Unternehmen mit großer M & A-Erfahrung in Europa und den USA durch.
Dazu wurden bisher Manager von mehr als 100 internationalen Unternehmen befragt, die in Summe
mehrere tausend Transaktionen und im Schnitt mehr als 20 Transaktionen pro Unternehmen über einen
5-Jahres-Zeitraum durchgeführt haben. Damit ist die vorliegende Datenbasis die umfassendste verfüg-
bare Analyse interner M & A-Organisationen international operierender Unternehmen. Ziel der Analyse
ist es, erfolgsnotwendige Fähigkeiten für Mergers & Acquisitions zu identifizieren und herauszufinden,

* Dr. Patrick Beitel, Partner, McKinsey & Company, Frankfurt a. M., Founding Partner und Managing
Director, Digital Plus Frankfurt a. M.; Jörg Musshoff, Partner, McKinsey & Company, Frankfurt a. M.
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XI. Exzellenz bei M & A – Aufbau erfolgreicher M & A-Funktionen  |  187


Teil

welche M & A-Modelle überlegen sind, um so Best-Practice-Ansätze für die an der Studie teilnehmenden
Unternehmen herauszuarbeiten.

2 Sechs Design-Dimensionen für erfolgreiche


M & A-Funktionen
Selbst Organisationen mit umfangreicher M  & A-Erfahrung verfolgen nicht immer
Best-Practice-Ansätze. Auf dem Weg zu exzellenten M & A-Funktionen werden sechs Di-
mensionen durchschritten. Jede hat zum Teil allgemeingültige Erfolgsfaktoren, braucht
jedoch stets auch einen »maßgeschneiderten« Ansatz, der die spezifische Situation des
Unternehmens berücksichtigt (vgl. Abb. 1). In allen Dimensionen haben die meisten
Unternehmen noch Verbesserungsmöglichkeiten.

Maßgeschneiderter Ansatz

II M & A-Governance
Klare Verantwortlichkeiten
Transparente Entscheidungsprozesse und -kriterien sowie
entsprechende Gremien
Controlling der M & A-Aktivitäten
- und des Prozesses
Einbindung des CEO und des Topmanagements

I III M & A-Organisation VI Post-Merger-


M&A-Strategie
Management/
Verknüpfung von M & A- Größe/Struktur der M& A-Funktion -Integration
und Unter- Einbindung der Geschäftsbereiche
nehmensstrategie Spezielle Ressourcen
Zusammenarbeit von M&A- und Strategieabteilung für Post-Merger-
Identifikation der Erfahrenes M & A-Team Management und
Werttreiber -Integration
IV M & A-Prozess
Erarbeitung einer Frühzeitige, synchro-
M & A-Roadmap mit Aktive Identifizierung geeigneter Kandidaten nisierte Planung der
quantifizierten Zielen (Deal Sourcing) Integration
Stage-Gate-Prozess
Leistungskontrollen und Lernmechanismen

V M & A-Tools und Anreizsysteme


Nutzung von leistungsstarken Tools (z. B. Checklisten,
Prozessabläufe, Handbücher)
Anreizstrukturen für das Management

Abb. 1: 6 Design-Dimension (Quelle: McKinsey)

M & A-Strategie. Wichtig sind die enge Verknüpfung der M & A-Strategie mit der Unter-
nehmensstrategie sowie die Erarbeitung einer Roadmap für den Übernahmeprozess mit
quantifizierten Zielen. Es hat sich gezeigt, dass es an beidem in vielen Unternehmen
mangelt. M & A-Transaktionen entstehen oft eher opportunistisch, d. h., es fehlt das kon-
tinuierliche Screening des Marktes, Unternehmen arbeiten ohne Roadmap und ohne
quantifizierte Zwischenziele. Auch eine regelmäßige Portfolioüberprüfung, mit der sich
geeignete Divestment-Bereiche identifizieren lassen, führen nur wenige Unternehmen
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188  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

systematisch durch. Fusionen und Akquisitionen werden mehr als Kunst und weniger
als Wissenschaft betrachtet.
M & A-Governance. Hier ist das Ziel, klare Verantwortlichkeiten, transparente Ent-
scheidungsprozesse und -kriterien sowie die entsprechenden Entscheidungsgremien zu
schaffen. Es hat sich gezeigt, dass interne Hindernisse wie langsame Entscheidungspro-
zesse und unklare Verantwortlichkeiten in vielen Unternehmen einer zügigen Durch-
führung von M & A im Wege stehen. Häufig ist auch das Topmanagement nicht genü-
gend intensiv in den Prozess eingebunden, oder es fehlt an einem effektiven Controlling
der M & A-Aktivitäten.
M & A-Organisation. Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit ist ein M & A-Team,
das über ausreichende Größe und Erfahrung verfügt. Eine strukturierte Zusammenar-
beit zwischen Zentrale und Geschäftsbereichen ist ebenso wichtig. In der Regel werden
geeignete Übernahmekandidaten entweder von den Geschäftsbereichen oder der Kon-
zernzentrale identifiziert. Die Akteure sollten sich hierbei eng abstimmen – doch genau
daran hapert es oft.
M & A-Prozess. Damit der Prozess reibungslos verläuft, müssen im Unternehmen die
entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Das beginnt bei der Identifizie-
rung geeigneter Kandidaten für eine M & A-Transaktion, dem so genannten Deal Sour-
cing. Hier sind klare Kriterien erforderlich. Danach braucht das Unternehmen einen
strukturierten Gesamtprozess mit definierten Kontrollpunkten, an denen anhand ein-
deutiger Kriterien entschieden wird, wann eine Transaktion weiter zu verfolgen ist und
wann nicht. Eine Vielzahl der untersuchten Unternehmen hat durchweg signifikante
Verbesserungspotenziale im gesamten M & A-Prozess.
M & A-Tools und -Anreizsysteme. Für einen effizienten M & A-Prozess brauchen die
Unternehmen einerseits wirksame Anreizsysteme für das Management und anderer-
seits eine Auswahl von immer wieder einsetzbaren Standardhilfsmitteln, beispielsweise
standardisierte Checklisten und definierte Prozessabläufe, zusammengefasst in Hand-
büchern, in denen Erfahrungen aus früheren M & A-Transaktionen strukturiert nach
Problemfeldern aufbereitet sind. Es hat sich gezeigt, dass viele Unternehmen ihre Erfah-
rungen noch nicht in solche Toolkits umgesetzt haben und so einen wichtigen Vorteil
verschenken: Viele Unternehmen wissen nicht, was sie wissen.
Post-Merger-Management und -Integration. Erst die Integration schafft den zusätzli-
chen Wert nach einer Transaktion. Damit die Integration gelingt, müssen ausreichende
Ressourcen für das Management des Prozesses bereitgestellt werden. Außerdem muss
die Integration frühzeitig und synchronisiert geplant werden. Viele Unternehmen lei-
ten diesen Prozess zu spät ein und versäumen es, das M & A-Kernteam bereits beim
Deal-Assessment mit Blick auf die spätere Integrationsfähigkeit und den entsprechend
richtigen Ansatz zu involvieren. Zudem wird nur selten ein Integrationsmanager bereits
zu Beginn des Transaktionsprozesses eingebunden. Dabei ist klar, dass die möglichen
Probleme einer Integration sich verschärfen, je länger sie aufgeschoben werden.
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XI. Exzellenz bei M & A – Aufbau erfolgreicher M & A-Funktionen  |  189


Teil

3 Erfolgreiche M & A-Funktionen: Zehn »Must-Haves«


Ein Patentrezept für die Organisation von M & A-Funktionen gibt es nicht. Dennoch
zeichnen sich die erfolgreichen Unternehmen aller Branchen durch bestimmte Merkma-
le aus. Aus diesen Merkmalen wurden zehn Exzellenzkriterien für M & A-Funktionen
abgeleitet – die so genannten »Must-Haves« (vgl. Abb. 2). Sie greifen aus den Design-Kri-
terien für M & A-Funktionen die jeweils entscheidenden Bereiche heraus – und zwar
unabhängig vom verwendeten M & A-Funktionsmodell.

Must-Have Ergebnis der Umfrage

1 Verknüpfung von M & A- und Nur wenige Unternehmen haben eine klare, detaillierte M & A-Strategie,
Unternehmensstrategie die aus der Unternehmensstrategie abgeleitet ist
I
2 Identifizierung der Werttreiber Beinahe 40 % der Teilnehmer spezifizieren die Werttreiber nicht ausreichend

3 Transparente Den meisten M&A-Funktionen fehlt es entlang der gesamten M & A-Wertschöpfungskette
Entscheidungsprozesse an effizienten Prozessen und Standards
II
4 Einbindung des CEO Das Topmanagement wird zu spät eingebunden oder treibt den M & A-Prozess nicht gezielt
bzw. des Topmanagements genug voran

5 Einbindung der Geschäftsbereiche Verantwortlichkeiten von Zentrale und Geschäftsbereichen sind häufig nicht eindeutig festgelegt
und die Bereiche nicht genug eingebunden
III 6 Zusammenarbeit von Bei nur 50 % der befragten Unternehmen sind Unternehmensentwicklung und Corporate M & A
M & A- und Strategieabteilung genau aufeinander abgestimmt
7 Erfahrenes M & A-Team Nur ein Drittel der Teilnehmer hat ein ausreichend erfahrenes M & A-Team

8 Leistungskontrollen und Die meisten Teilnehmer versäumen es, die Effektivität ihrer M & A-Aktivitäten zu kontrollieren
IV
Lernmechanismen und haben kein klares Anreizsystem

9 Nutzung von leistungsstarken Viele Unternehmen lassen Tools außer Acht, mit denen der M & A-Prozess unterstützt
V
Tools und reibungslos gestaltet werden kann

10 Frühzeitige Integrationsplanung Synchronisiertes Integrationsmanagement und Vorbereitung der Integration sind rar;
VI
vorab gebildete Integrationsteams sind die Ausnahme

Abb. 2: Zehn Must-Haves in sechs Design-Dimensionen (Quelle: McKinsey)

Viele M & A-Funktionen sind weniger solide aufgestellt als angenommen: Von den be-
fragten Unternehmen erfüllten nur rund 15 % einen Großteil der 10 Exzellenzkriterien.
Das Vorhandensein der Must-Haves kann allerdings nicht mit einer simplen Ja-Nein-
Logik überprüft werden. Stets müssen der Unternehmenskontext und die spezifische
Situation beachtet werden.

4 Zwei grundsätzliche Best-Practice-Modelle für M & A


Unterschiedliche Vorgehensweisen können zum Erfolg bei Übernahmen und Zukäu-
fen führen. Herausgebildet haben sich zwei grundsätzliche Modelle für die Gestaltung
der M & A-Funktion: der projektgetriebene und der systematische Ansatz (vgl. Abb. 3).
Wenn Unternehmen beispielsweise viele und dazu noch hochkomplexe Deals eingehen,
bevorzugen sie tendenziell das systematische Modell. Unternehmen, die weniger aktiv
sind und weniger komplexe Deals eingehen, setzen eher auf das projektbasierte Modell.
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190  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Projektgetriebenes Modell Systematisches Modell


• Priorisierung von Wachstumsfeldern für • Vorab festgelegte, klare M & A-Strategie
M & A-Strategie M & A-Aktivitäten und quantifizierte M & A-Ziele

• Anwendung standardisierter • Entscheidungsfindung durch spezielles


M & A-Governance Entscheidungsprozesse des Unternehmens M & A-Komitee (explizite M & A-Governance)
auch auf M & A

• Schlankes, erfahrenes und vernetztes • M & A-Funktion von beträchtlicher Größe


M & A-Organisation M & A-Team

• Nutzung von Deal-Möglichkeiten, sobald sie • Aktives, Tool-getriebenes Deal-Sourcing


entstehen (eher opportunistisch) und -Screening
M & A-Prozess
• Kombination von Geschäfts-, Bereichs- und • Standardisierte Inhouse-Abdeckung
externen Ressourcen der Deal-Wertschöpfungskette

Tools und • Klare Prozesse, aber kein spezifiziertes • Kodifizierte Enabler für jeden Schritt
Anreizsysteme M & A-Playbook des M & A-Prozesses

Die zehn Must-Haves bilden die Voraussetzung für exzellente M & A-Funktionen

Abb. 3: Zwei Best-Practice-Modelle für M & A-Funktionen (Quelle: McKinsey)

Die Wahl des Modells ist jedoch nicht fix, sie kann flexibel gehandhabt werden. Mit
zunehmenden M & A-Aktivitäten hat beispielsweise ein zunächst projektgetrieben agie-
render Teilnehmer der Studie seine Prozesse standardisiert und ein M & A-Komitee ein-
geführt. Außerdem hat das Unternehmen die Prozesse in einem »M & A-Playbook« kodifi-
ziert und niedergeschrieben, das nach jedem Deal aktualisiert wird. Zusätzlich wurden
Anreizsysteme für M & A-Manager entworfen, die an klare Ziele gekoppelt sind – ein
systematisches Modell, das es dem Unternehmen ermöglicht, erfolgreiche Transaktionen
durchzuführen.
Das projektbasierte und das systematische Modell unterscheiden sich bezüglich der
oben genannten Design-Dimensionen in vielerlei Hinsicht voneinander:
M & A-Strategie: Unternehmen, die auf das projektgetriebene Modell setzen, definieren
in der Regel ihre M & A-Strategie in Richtung priorisierter Wachstumsfelder. Befürworter
des systematischen Modells hingegen verfolgen eine sehr detaillierte und ausgefeilte
M & A-Strategie, in der potenzielle Ziele auf Unternehmens- und Geschäftsbereichsebene
klar benannt und mit wichtigen Kennzahlen sowie einem möglichen Übernahmezeit-
raum hinterlegt werden.
M & A-Governance und -Organisation: Im systematischen Modell sind die Entschei-
dungsprozesse standardisiert; häufig gibt es spezifische Komitees und Genehmigungs-
formate für Mergers & Acquisitions, Ziele und Ergebnisse werden in eigens dafür
vorgesehenen Sitzungen verabschiedet. Im Vergleich dazu sind die M & A-Entschei-
dungsprozesse im projektgetriebenen Modell deutlich weniger formalisiert und werden
oft an die spezifischen Merkmale der jeweiligen Deals angepasst.
M & A-Prozess: Die Identifizierung geeigneter Kandidaten kann je nach verwendetem
Modell unterschiedlich komplex sein. Anwender des projektbasierten Modells gehen
eher reaktiv vor und schlagen zu, wenn sich eine Deal-Möglichkeit ergibt. Unterneh-
men, die das systematische Modell verwenden, bedienen sich hingegen spezieller Tools,
etwa verschiedener Screening-Methoden, um den Markt zu beobachten. Alle relevan-
ten Funktionen (Strategieabteilung, Forschung & Entwicklung, Vertrieb etc.) sowie alle
relevanten Entscheidungsträger (CEO, CFO, Geschäftsbereichsleiter etc.) werden dabei
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XI. Exzellenz bei M & A – Aufbau erfolgreicher M & A-Funktionen  |  191


Teil

angehalten, entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Die daraus resultierende »Long


List« wird dann rigoros anhand von Ausschlusskriterien (z. B. das OK des betroffenen
Geschäftsbereichs, Finanzierungskapazitäten, regulatorische Genehmigungen, Wahr-
scheinlichkeit der Transaktion sowie des Integrationserfolgs) gekürzt, um die am besten
geeigneten Kandidaten herauszufiltern.
M & A-Tools und Anreizsysteme: Projektbasiert handelnde Unternehmen haben in der
Regel weder detaillierte Beschreibungen ihrer M & A-Prozesse und der entsprechenden
Tools noch Anreizsysteme, die verknüpft sind mit der M & A-Performance jener Mana-
ger, die eine Schlüsselrolle einnehmen. Unternehmen mit dem systematischen Modell
verwenden hingegen ein Playbook, das je nach Deal modifiziert wird und ein Paket mit
einfachen Tools enthält, die bei jedem Prozessschritt verwendet werden können.

5 Wahl des M & A-Funktionsmodells


Zwei Kerntreiber bestimmen zu einem großen Teil die Wahl eines M & A-Funktions-
modells: Die Anzahl an Transaktionen sowie deren Komplexitätsniveau (vgl. Abb. 4).
Das Komplexitätsniveau ergibt sich aus Aspekten wie der Diversifizierung anhand von
Regionen, Industrien und Wertschöpfungsketten sowie der relativen Größe des über-
nommenen Unternehmens. In den meisten Fällen werden die Anzahl an Transaktionen
eines Unternehmens und deren Komplexität durch die Industriestruktur festgelegt.

P Projektgetriebenes Modell
S Systematisches Modell
Wahl des M & A-Modells
Durchschnittliche quantifizierte Bewertung (1–5) 1

Hoch Stark
systematisch

P S P S
2,9 3,8
Transaktions-
aktivitätsniveau2

P S P S
2,1 2,0
Gering
Gering Hoch

Transaktions-
komplexitätsniveau3

1 Projektgetrieben (1) bis systematisch (5)


2 Basierend auf der absoluten Anzahl an Transaktionen in den vergangenen 5 Jahren, relativ zur Gesamtstichprobe (hier analysiert für Subsample von
50 Spielern)
3 Qualitative Bewertung, basierend auf der Diversifizierung anhand von Regionen, Industrien, Wertschöpfungsketten und der relativen Größe des übernommenen Unternehmens

Abb. 4: Transaktionsaktivität und -komplexität als Determinanten (Quelle: McKinsey)


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192  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Systematischere M & A-Modelle sind notwendig bei einer hohen Transaktionsanzahl.


Unternehmen, die viele Transaktionen durchführen und gleichzeitig eine hohe Trans-
aktionskomplexität aufweisen, arbeiten mit den systematischsten M & A-Modellen. Für
Unternehmen mit einer geringen Transaktionsanzahl ist die Transaktionskomplexität
hingegen kein entscheidender Faktor bei der Wahl des M & A-Modells. Eine erhöhte
Komplexität federn diese Unternehmen eher durch die intensive Nutzung externer Res-
sourcen ab.

6 Mergers & Acquisitions – mehr Erfolg


durch  systematische Vorbereitung
Fusionen und Akquisitionen können Wettbewerbspositionen erheblich verbessern, aber
sie können auch gewaltig scheitern. M & A-Aktivitäten können die Weichen dafür stellen,
dass ein Unternehmen zum Branchenprimus aufsteigt oder zum Schlusslicht wird. Eine
schlechte M & A-Performance ist nicht nur Ergebnis fehlgesteuerter Transaktionen oder
unzureichender Integrationsmaßnahmen, sie ist auch Folge verpasster Chancen und
mangelnder Fähigkeit, einen Deal erfolgreich abzuschließen.

Kernaussagen der Studie


• In der Praxis finden sich für die Durchführung von M & A zwei Best-Practice-Modelle:
das projektgetriebene und das systematische.
• Eine exzellente M & A-Funktion umfasst zehn Must-Haves – von der M & A-Strategie
bis zur frühzeitigen Integrationsplanung.
• Es zeigt sich, dass fast alle teilnehmenden Firmen in mehreren Bereichen Defizite
aufweisen – daran zu arbeiten, lohnt sich, um in Zukunft mehr Wert durch M & A
zu schaffen.

Betrachtet man die enormen Chancen, die Fusionen und Akquisitionen bieten, ist es
überraschend, dass die M & A-Fähigkeiten vieler internationaler Unternehmen nicht bes-
ser ausgeprägt sind. Tatsächlich beurteilen die befragten Unternehmen ihre Kompeten-
zen zum Teil positiver, als die Studienergebnisse es nahelegen. Manager, die dies ändern
wollen, sollten genau untersuchen, ob ihre Organisation die erforderlichen Exzellenzkri-
terien erfüllt und welches M & A-Modell für ihr Unternehmen das erfolgsversprechendste
ist – das projektgetriebene oder das systematische Modell.
Die aktuelle M & A-Welle könnte in vielen Branchen der Startschuss zu einer tief-
greifenden Neugestaltung sein. Erfolgreiche, finanzkräftige Unternehmen werden diese
Chance nicht versäumen wollen, nur weil sie ihre M & A-Fähigkeiten nicht entsprechend
entwickelt haben.
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  |  193
Teil

XII. Vom juristischen Service Center zum Manager –


Die Rolle von Juristen bei M & A-Prozessen*
Christof Lamberts**

1. Einleitung
2 Methodik
3 Unternehmensjuristen und Transaktionen – eine Bestandsaufnahme
3.1 Zeitpunkt der Einbindung der Rechtsabteilung
3.2 Due Diligence und Planung
3.3 Rückhalt der Rechtsabteilung im Management
3.4 Management- oder Serviceaufgaben: Eine Richtungsentscheidung
3.5 Die Integrationsphase
4 Kosten, Risiken und Komplikationen – die Negativbeispiele
5 Handlungsempfehlungen
5.1 Frühzeitige Einbindung der Rechtsabteilung
5.2 Suche nach geeigneten Beratern
5.3 Zeitdruck versus Due Diligence: Die Priorisierung von Aufgaben
5.4 Die Integrationsphase
6 Die Einbindung externer Rechtsberater in die Integrationsphase
7 Fazit

1 Einleitung
Unternehmen stehen immer unter Wachstumsdruck, auch in wirtschaftlich angespann-
ten Zeiten. Lässt die Nachfrage nach, bleibt ein bewährtes Mittel, dennoch Wachstum
zu generieren: die Übernahme anderer Unternehmen, sei es um das Geschäft von Wett-
bewerbern zum eigenen zu machen, neue Märkte zu erschließen oder in neue Branchen
einzusteigen. Dabei lohnt sich stets ein Blick über die Grenzen. Länder- und sogar
kontinentübergreifende Transaktionen bergen häufig von Mitbewerbern nicht erkannte
Chancen.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Deal aber auch erfolgreich abgeschlossen und
vor allem umgesetzt werden – dies ist keineswegs selbstverständlich. Von der Targetfin-
dung bis hin zur Integration lauern viele Fallen, und wenn verschiedene Kultur- und
Rechtskreise zusammenkommen, nehmen die Schwierigkeiten noch zu. Die Erfolgs-
und Misserfolgskriterien zu identifizieren war Zweck einer von Eversheds in Auftrag
gegebenen Studie. Im Fokus stand hier – erstmalig – die Rolle der Unternehmensjuris-
ten, von der Dealplanung bis hin zum Integrationsabschluss. Vor allem die Integration
wird häufig unterschätzt, und doch entscheidet sie über den Erfolg einer Transaktion.

* Unverändert übernommen aus M & A REVIEW 2/2013.


** Christof Lamberts, Partner & Rechtsanwalt, Eversheds, München.
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194  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Nicht nur die Rolle der Rechtsabteilung wurde unter die Lupe genommen, auch der
Mehrwert externer Juristen wurde untersucht. Die Studie sollte Antworten geben auf
Fragen wie »Wann und wieso müssen In-House-Counsel in Transaktionen eingebunden
werden?« und »Ist die Beauftragung von Rechtsanwaltskanzleien überhaupt sinnvoll
und wie sollte die Einbindung ausgestaltet werden?«.
Vorab: Die einzelnen Phasen eines M & A-Projekts können nicht isoliert betrachtet
werden und frühzeitig begangene Fehler wirken sich erst sehr viel später aus. Mit
anderen Worten: Der so oft strapazierte Begriff des ganzheitlichen Denkens muss eine
Renaissance erleben, bereits bei der Targetfindung und der Due Diligence muss die
Integration mitbedacht und mitgeplant werden.
Und: Der ganzheitliche Ansatz gilt auch für die beteiligten Juristen, gleich ob sie in-
tern oder als externe Berater tätig sind. Das bedeutet auch: Rechtsberater bei M & A-De-
als müssen weg vom rein juristisch fokussierten Denken hin zum Mit-Entscheidungs-
träger mutieren. Diese Rolle muss ihnen, um einen Deal erfolgreich abzuschließen,
zugemutet, aber auch zugetraut werden.

2 Methodik
Von Mai bis Juli 2012 wurden über 434 Befragungen und Interviews mit Unternehmens-
juristen, die bei M & A-Prozessen beteiligt sind oder waren, durchgeführt (vgl. Abb. 1).

306 128 54 Branchen


quantitative qualitative
Befragungen Interviews Mobilfunk
Pharma
I<5$,51#)?1572'
Elektro
!7#1-$*157'!()*+,#"-'
Finanzen
Öl- und Gasindustrie
O*7C'E52'.'94"2),5A7#'J)#72'
Raumfahrt und Rüstung
8#$42+51#'.'@#N#"2#'
Immobilien
3#57'!2-5-#'F5"5%#,#"-'.'@#0#74+,#"-'
Mittel- und USA Kapitalmarkt
95+*-57'F5$M#-2'
Südamerika 1% 16 % UK Dienstleistungen
25 % Verpackung und Versand
Mittlerer Osten, Gaststätten und Tourismus
;4-#72C'3#2-5)$5"-2'.'D#*2)$#'
Afrika Software
/4KL5$#'
9% Haushaltsprodukte
;4)2#<476'I$46)1-2'
Holz und Papier
I5+#$'.'J4$#2-'I$46)1-2'
Multi-Utility
F)7?H>?7*?#2'
Asien und Europa (exkl. Kommunikation
94,,)"*15?4"2'!()*+,#"-'
Ozeanien UK) Biotechnologie
G*4-#1<"474%&'
24 % 25 % Handel
F)7?7*"#'3#-5*7'
Textilien und Luxusgüter
Vertrieb
Unterhaltungselektronik

41 Länder
IT-Service

3.000+ Internet- und


Gesundheit
Kataloghandel
:"-#$"#-'.'95-574%'3#-5*7'
Autozulieferer
grenzüberschreitende 8)-4'94,+4"#"-2'
Straße und 3456'.'35*7'
Schiene
M&A-Deals Energie
!"#$%&'!()*+,#"-'.'/#$0*1#2'

0,0 % 5,0 % 10,0 %

Abb. 1: Methodik (Quelle: Eigene Darstellung)


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XII. Vom juristischen Service Center zum Manager – Die Rolle von Juristen bei M & A-Prozessen  |  195
Teil

Unabhängig von Branche und Unternehmensgröße sollten Situationen und Entscheidun-


gen identifiziert werden, die für Erfolg oder Misserfolg ursächlich waren. Tatsächlich
finden sich die identischen oder wenigstens ähnliche, für den Erfolg beziehungsweise
für den Misserfolg kritische Situationen in allen untersuchten Transaktionsprozessen.
In 306 quantitativen und 128 qualitativen Befragungen konnten In-House-Counsel
aus 41 Ländern ihre Erfahrungen aus insgesamt mehr als 3.000 grenzüberschreitenden
M & A-Prozessen berichten. Um Selbstselektion und weitere Störvariablen soweit wie
möglich zu vermeiden und damit eine Verfälschung des Ergebnisses zu verhindern,
handelte es sich bei der großen Mehrheit der befragten Unternehmen auch nicht um
Mandanten von Eversheds. Die befragten Unternehmensjuristen waren durchschnittlich
an zehn Transaktionsprozessen beteiligt, die Größe der jeweiligen mit den M & A-Prozes-
sen betrauten Rechtsabteilung betrug durchschnittlich neun In-House-Counsel.

3 Unternehmensjuristen und Transaktionen –


eine Bestandsaufnahme
Nach der Übernahme keine Nachrichten mehr zu hören, sind gute Nachrichten; so brach-
te es der CFO einen schwedischen Konzerns auf den Punkt. Die Mehrheit der Befragten
nannte dann auch das »Erreichen der geschäftlichen Ziele« und »keine Überraschungen«
als größten Erfolg. Dies deutet schon an, mit wie vielen Unsicherheiten jeder Deal behaf-
tet ist. Unternehmensjuristen sind mit diesen Unsicherheiten besonders befasst, gehört
es doch zu ihren Kernaufgaben, Risiken zu identifizieren und abzuwägen. Zahlreiche
Unwägbarkeiten können Unternehmen jedoch aktiv entgegensteuern.

3.1 Zeitpunkt der Einbindung der Rechtsabteilung


Sehr unterschiedlich ist der Zeitpunkt, wann die Rechtsabteilung in den Deal einbezo-
gen wird (vgl. Abb. 2). 44 % wurden vor der Due-Diligence-Prüfung einbezogen, 29 %
während oder mit der Due Diligence. Dies wiederum bedeutet, dass über ein Viertel
aller In-house-Juristen erst in die Verhandlungen oder gar erst nach dem Abschluss
einbezogen wurde. Alle Befragten waren einhellig der Meinung, dass die Transaktion
und die anschließende Integration jedoch umso problemloser abliefen, je früher die
Rechtsabteilung eingebunden wurde.

3.2 Due Diligence und Planung


Die Due Diligence wird häufig auf externe Rechtsberater ausgelagert, das Ergebnis
scheint jedoch in vielen Fällen durchwachsen zu sein. Während eine intern durch-
geführte Due Diligence in 85 % der Fälle als »gut« und in keinem einzigen Fall als
»schlecht« bewertet wurde, sieht dies bei der Auslagerung auf externe Rechtsberater
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196  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

anders aus: Nur 45 % der Due-Diligence- Abwicklungen werden als »gut« bewertet, die
restlichen 55 % als »mäßig« oder sogar »schlecht« (vgl. Abb. 3).
Die Ursachen und Verbesserungspotenziale lassen sich leicht identifizieren. Die Unter-
nehmensjuristen verfügen häufig über eine bessere Kenntnis der betreffenden Branche als
externe Rechtsberater, die Transaktionen aus allen, wenigstens aber mehreren Branchen
betreuen. Diese bessere Branchenkenntnis ermöglicht wiederum, die für die Branche mate-
riellsten Punkte abzuarbeiten und insofern Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Eine flüssigere und direktere unternehmensinterne Kommunikation scheint – neben
der besseren Branchenkenntnis – genauso vorteilhaft zu sein wie die bessere Kontrolle
über den Projektzeitplan, die intern ausgeübt werden kann. Hier stehen externe Dienst-
leister naturgemäß vor praktischen Problemen und die interne Rechtsabteilung muss
zusätzlichen Koordinationsaufwand leisten.

39 % wurden zu spät beteiligt. Wurde die Rechtsabteilung früh genug einbezogen?

Nein
39 % Ja
61 %
In welcher Phase wurde die Rechtsabteilung einbezogen?

Nach Abschluss des Deals


78(+#9:(#,(5/#:5,#2/*6(,#
Während der Verhandlungen
3-+.10#1(0*454*16#
29 % der Befragten, die vor der Due Diligence
einbezogen wurden, fanden auch diesen Zeitpunkt
Während der Due Diligence
3-+.10#,-(#,./.0(12(# noch zu spät. Sie wünschten sich eine Beteiligung bei
Vor der Due'()*+(#,-(#,./.0(12(#
Diligence der Targetfindung.

0% 20 % 40 % 60 %

Abb. 2: Einbindung der Rechtsabteilung (Quelle: Eigene Darstellung)

55 % bewerteten die Abwicklung der Due Diligence durch


externe Rechtsberater als »schlecht« oder »mäßig«.
schlecht
10 %

mäßig
15 %
mäßig
45 %
gut
gut 45 %
85 %

Interne Due Diligence Ausgelagerte Due Diligence

Abb. 3: Externe Due Dilligence (Quelle: Eigene Darstellung)


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Teil

3.3 Rückhalt der Rechtsabteilung im Management


Dass Unternehmensjuristen Rückhalt im Management benötigen, liegt auf der Hand.
Der Rückhalt muss jedoch groß genug sein, dass sie sich auch trauen, einen Dealab-
bruch zu veranlassen. Insgesamt empfahlen 59 % aller Befragten schon einmal, eine
Transaktion zu stoppen, wobei hier zwei Besonderheiten zu verzeichnen sind. Zum
einen stoppten vor allem diejenigen Juristen einen Transaktionsprozess, die bereits
Erfahrung mit gescheiterten Deals sammeln mussten. Zum anderen weist die Erhebung
große Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtskreisen auf. Während die große
Mehrheit von Unternehmensjuristen im anglo-amerikanischen Rechtskreis (USA, UK,
Australien) bereits wenigstens einmal einen M & A-Deal stoppte, trifft dies auf den asia-
tisch-pazifischen oder osteuropäischen Raum nicht zu. Hier scheinen unterschiedliche
Unternehmens- und Führungskulturen eine entscheidende Rolle zu spielen.

45 % 45 % 10 %
Wirtschaftliche
Rechtswidrigkeit Bedenken Andere Gründe
• Bestechung und Korruption • Preis-/Leistungsverhältnis • Führungskultur beim
• Wettbewerbsrechtliche Bedenken • Erlaubnis- und Lizenzprobleme Übernahmeobjekt
• Umweltrechtliche Probleme • Prozessrisiken • Schwaches Management beim
• Steuerrechtliche Risiken • Integrationskosten Übernahmeobjekt
• Geistiges Eigentum • Ethische Bedenken
• Ungünstige vertragliche Regelungen bei • Vertrauensmangel
Übernahmen • Zwischenmenschliche
Probleme

Abb. 4: Dealstopp (Quelle: Eigene Darstellung)

Interessant ist vor allem, dass General Counsel nicht nur wegen rechtlicher Bedenken
einen laufenden Deal stoppten oder von ihm abrieten. Genauso oft wie aus juristischen
Gründen schritten Unternehmensjuristen wegen wirtschaftlicher Bedenken ein (vgl.
Abb. 4). Welcher Natur diese wirtschaftlichen Bedenken waren, ist unterschiedlich.
Seien es sich abzeichnende wirtschaftliche Schwierigkeiten in der durch die Übernahme
angepeilten Branche oder auch enorme Kosten wegen der Vereinheitlichung der Arbeits-
verhältnisse in der Integration, beispielsweise weil das zu übernehmende Unternehmen
traditionell eine starke Flächentarifbindung hat. Bezeichnend ist, dass nur erfahrene
Juristen Deals wegen wirtschaftlicher Bedenken stoppten. Da der Jurist hier sein urei-
genes Terrain verlässt, müssen der Rückhalt im Management und das Selbstbewusstsein
der Rechtsabteilung umso stärker sein.
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198  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

3.4 Management- oder Serviceaufgaben: Eine Richtungsentscheidung


Recht vielfältig fallen die Tätigkeiten aus, mit denen Unternehmensjuristen während
eines M & A-Deals betraut sind (vgl. Abb. 5). Wenig überraschend: Vertragsprüfungen
machten bei über 50 % der Befragten einen Schwerpunkt aus. Knapp 40 % verwende-
ten viel Zeit auf eigentumsrechtliche Fragestellungen, verkürzt gesagt: Wem gehören
die Shares und Assets? Diese Schwierigkeiten traten jedoch konzentriert vor allem in
Afrika und im Mittleren Osten auf, wohingegen diese Fragen bei Transaktionen in oder
zwischen Nordamerika, Europa und Australien weitgehend leicht aufzuklären sind.
Die Frage nach dem Eigentum bzw. der Assets legt es schon nahe: Je nach Rechts-
kreis, aber auch je nach Wirtschaftsraum, unterscheiden sich die Tätigkeiten der Rechts-
abteilungen sehr stark. Eine gewisse Sonderstellung nehmen hierbei tatsächlich der
Mittlere Osten und Afrika ein. Abgesehen von der Klärung der Eigentumsverhältnisse
beschäftigen sich dort Juristen bei Transaktionen weit überdurchschnittlich mit der
Einholung von Bewilligungen und Genehmigungen. Dieser Schwerpunkt, der eher im
administrativen »Service«-Bereich zu verorten ist, steht in deutlichem Gegensatz zu eher
planerischen »Management«-Aufgaben in Europa und den USA. Juristen im anglo-ame-
rikanischen und kontinentaleuropäischen Rechtskreis sind – abgesehen von Vertrags-
prüfungen – eher mit Wettbewerbs- und Kartellrecht, aber auch der Planung des Deals
(einschließlich der Zeitplanung) und vor allem mit dem Verstehen und der Koordination
fremder Unternehmenskulturen befasst.

3.5 Die Integrationsphase


Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg von M & A-Transaktionen ist die Zusammenlegung
und Vereinheitlichung von Prozessen und Strukturen. Soweit der zweifellos zutreffende
Lehrbuchsatz. Viele Transaktionen scheitern oder schaffen keinen Mehrwert, da die Inte-
gration nicht gelingt. Welche Rolle jedoch Unternehmensjuristen in dieser Phase spielen
und welche Tätigkeiten erfolgsentscheidend sind, war bisher nicht untersucht.
Bemerkenswert ist bereits, dass Rechtsabteilungen in der Integrationsphase mit deut-
licher Mehrheit (58 %) nur in geringem Maße oder überhaupt nicht involviert sind. An-
dere Managementfunktionen spielen bei der Integration eine wichtigere Rolle. Dies darf
jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dennoch immer noch fast die Hälfte aller
befragten Juristen wichtige Aufgaben in der Integrationsphase übernimmt (vgl. Abb. 6).
Die nach Auffassung der Befragten entscheidende Tätigkeit ist die Koordination ex-
terner Rechtsberater, gefolgt von strukturellen Herausforderungen, die erst in der Inte-
grationsphase ersichtlich werden. Die jeweils relativ geringen Prozentzahlen machen
deutlich, dass es in der Integrationsphase nicht die eine typische Juristenaufgabe gibt,
sondern viele »Baustellen« gleichzeitig zu bearbeiten sind. Auch in der Integrationspha-
se gibt es deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Wirtschafts- und Rechts-
räumen und auch hier stachen wieder der Mittlere Osten und Afrika hervor.
Während beispielsweise die wichtigsten Aufgaben der Rechtsabteilung in Europa
und im asiatisch-pazifischen Raum die Koordination der externen Rechtsberater und
das Vertragsmanagement sind, befassen sich die In-House-Juristen im Mittleren Osten
vornehmlich mit steuerrechtlichen Fragen. Dem anglo-amerikanischen Rechtskreis ist
hingegen eine andere Aufgabe gemein: der Übergang wichtiger (vertraglicher) Bezie-
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Teil

Asien und Mittlerer Osten


Europa UK USA
Ozeanien und Afrika
Vertragsprüfung 15 % 13 % 9% 12 % 13 %

Klärung der Strukturen und Prozesse beim Übernahmeobjekt 9% 8% 6% 15 % 13 %

Klärung der Eigentumsverhältnisse 9% 10 % 15 % 9% 11 %

Wettbewerbs- und kartellrechtliche Fragen 7% 9% 9% 13 % 8%

Vorbereitung von Umstrukturierungen 8% 7% 6% 10 % 8%

Einholung von Erlaubnissen und Lizenzen 9% 7% 18 % 6% 6%

Verständnis für fremde Unternehmenskultur entwickeln 7% 5% 3% 10 % 8%

Aufsetzen eines realistischen Zeitplans 6% 9% 3% 4% 7%

Erarbeitung einer steuerlichen Strategie 6% 5% 3% 6% 8%

Haftungsfragen des Übernehmers 6% 7% 9% 4% 3%

Haftungsfragen des Verkäufers 5% 6% 6% 2% 4%

Arbeitsrechtliche Fragestellungen 5% 3% 6% 5% 5%

Umweltrechtliche Fragestellungen 4% 5% 3% 2% 4%

Immobilienrechtliche Fragestellungen 4% 4% 3% 2% 3%

Abb. 5: Tätigkeitsfelder (Quelle: Eigene Darstellung)

Koordination externer Rechtsberater

Bewältigung struktureller Herausforderungen

Vertrags- und Beziehungsmanagement mit dem Verkäufer

Umstrukturierungen und Organisationsänderungen

Compliancefragen

Abstimmung zwischen Unternehmenskulturen

Ethische Fragen

Steuerrechtliche Planungen

Halten von Schlüssel-Arbeitnehmern

Sekretariat/Verwaltungsaufgaben

Aufrechterhaltung der Prozesse beim Übernahmeobjekt

Planerstellung

0% 2% 4% 6% 8% 10 % 12 % 14 %

Abb. 6: Tätigkeiten in der Integration (Quelle: Eigene Darstellung)

hungen und Rechte und die Vereinheitlichung der verschiedenen Unternehmensstruktu-


ren. Während der Übergang von Rechten zu den Kernkompetenzen von Juristen gehört,
trifft dies auf die kulturellen Barrieren bei der Vereinheitlichung von Unternehmens-
strukturen nicht unbedingt zu. Unterschiedliche Führungsstile, die sich durch ganze
Unternehmen ziehen, sprachliche Hürden, stark differierende Ansichten zu Compliance
oder zu Risikobewertungen; all dies hat nicht nur juristische Implikationen, trifft aber
die Rechtsabteilungen unmittelbar.
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200  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

4 Kosten, Risiken und Komplikationen –


die Negativbeispiele
Kaum ein Deal verläuft wie geplant; diese Erfahrung hat wohl fast jeder M & A-Anwalt
gemacht. Die jedem Deal innewohnenden Komplikationen sind vielfältig und eigentlich
nur durch Erfahrung und genaue Vorbereitung zu erkennen.
In Kontinentaleuropa lauerten Gefahren vor allem im Wettbewerbs- und Kartellrecht,
aber auch rund um Personalfragen. Rechtliche Fragen rund um Betriebsübergänge, be-
triebliche Altersversorgungen oder relativ stark ausgeprägte Arbeitnehmerschutzrechte,
aber auch eher Unjuristisches wie verschiedene Unternehmenskulturen lassen Kosten
mitunter explodieren. Deals im asiatisch-pazifischen Raum hatten dagegen eher mit
Compliance-Fragen, in Großbritannien eher mit bilanzrechtlichen Problemen zu kämp-
fen.
Alle befragten Unternehmensjuristen sagen: Das Hauptproblem ist eine ungenügende
Kommunikation zwischen Management und Rechtsabteilung. Der Vorwurf geht in beide
Richtungen. In-House-Juristen kommunizierten rechtliche Risiken nur ungenügend oder
für juristische Laien unklar oder zu komplex an das Management. Das Management
hingegen gab die Ziele der Transaktion und des Unternehmens nicht an die Rechtsab-
teilung weiter. Hier scheint teilweise bereits eine gewisse Frustration vorzuherrschen,
was ein Befragter auch auf den Punkt brachte: Wenn das Management einen Deal
durchziehen möchte, haben juristische Bedenken keinen Platz.

5 Handlungsempfehlungen
Empirische Erhebungen und Auswertungen sind schön und gut, und mancher mag sich
in seinen Erfahrungen bestätigt fühlen. Ein echter Mehrwert folgt allerdings nur aus
konkreten Handlungsempfehlungen, die sowohl internen Rechtsabteilungen als auch
Kanzleien, die Transaktionsprozesse begleiten, nutzen können.

5.1 Frühzeitige Einbindung der Rechtsabteilung


Rechtsabteilungen dürfen nicht mehr (nur) als oft mühsames oder gar verhinderndes
»Service Center« wahrgenommen werden, dessen Dienste in Anspruch genommen wer-
den müssen. Eine frühe, proaktive Einbindung der Rechtsabteilung in den M & A-Prozess
steigert die Erfolgsquote messbar. Empfehlenswert ist es zudem, die Rechtsabteilung
nicht erst zur Due Diligence heranzuziehen (dort ist es ohnehin unabdingbar), sondern
bereits in die Beratungen über mögliche Targets einzubinden.
Eine Empfehlung kann nicht einfach nur lauten, sich des Rückhalts im Management
zu versichern, auch wenn unpopuläre und unerwünschte Entscheidungen zu treffen
sind. Juristen gelten ohnehin häufig als Neinsager. Wenngleich dies unter Umständen
eine unangenehme Rolle ist, ist sie dennoch wichtig, wenn sie verständlich, nachvoll-
ziehbar und verantwortungsvoll im Sinne des Unternehmens wahgenommen wird.
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XII. Vom juristischen Service Center zum Manager – Die Rolle von Juristen bei M & A-Prozessen  |  201
Teil

Der Rückhalt, das heißt das Selbstbewusstsein und auch die Befugnis, einen Deal
zu stoppen, ist je nach Unternehmen, unter Umständen je nach Branche und vor allem
aber je nach Rechtskreis unterschiedlich stark ausgeprägt. Hier ist vor allem die Sensi-
bilität gefordert zu erkennen, dass die anderen am Deal beteiligten Unternehmen, vor
allem aus anderen Rechtskreisen, den Rechtsabteilungen nicht dieselben Strukturen
und Kompetenzen zuteilen und sie oft deutlich unterschiedlich am Prozess beteiligen.

5.2 Suche nach geeigneten Beratern


Da Branchenkenntnisse bereits während der Due-Diligence-Phase unabdingbar sind,
sollten Rechtsanwaltskanzleien Abstand vom innerdisziplinären Praxisgruppendenken
nehmen. Die klassische Aufteilung in (nur beispielhaft!) M & A/Gesellschaftsrecht einer-
seits sowie Arbeitsrecht, Verwaltungsrecht o. Ä. andererseits ist für eine zufriedenstel-
lende Due Diligence nur von geringem Nutzen. Viele Rechtsberater haben dies bereits
erkannt und bieten Branchenteams (Energie, Automotive …) an, die das Know-how
verschiedener Rechtsgebiete einer Branche bündeln.
Bei der Einschaltung externer Rechtsberater sind außerdem die Berichts- und Kom-
munikationswege zu verbessern und zu straffen. Anstelle (nur) eines finalen Reports
sollten wöchentliche Kurzberichte die Regel werden. So können unvorhergesehene Wen-
dungen schneller in Entscheidungsfindungen aufgenommen werden. Auch eng getaktete
Abrechnungszeiträume und exakte Fee-Vereinbarungen helfen, unangenehme Überra-
schungen zu vermeiden.

5.3 Zeitdruck versus Due Diligence: Die Priorisierung von Aufgaben


Bei Superlativen ist Vorsicht geboten, zu oft werden sie strapaziert und auch überstra-
paziert. Dennoch liegt es nahe, die zunehmende Geschwindigkeit, in der Unternehmen
verkauft und übernommen werden, als die einschneidendste Veränderung der letzten
Jahre zu bewerten.
Nicht nur unterschiedliche Unternehmenskulturen, auch unterschiedliche Infrastruktu-
ren und Rechtsverständnisse müssen berücksichtigt werden. Dies mag klischeehaft klin-
gen, aber ein europäischer Käufer eines afrikanischen Unternehmens muss bei einem
Asset Deal darauf gefasst sein, einen Großteil der Due Diligence mit der Klärung von
Inhaberschaften zu verbringen. Ebenso überraschend können die Immobiliar­sachenrechte
anderer Rechtskreise sein. Seien es historisch begründete Zugangs- und Zutrittsrechte oder
andere Belastungen: Ein Grundbuch existiert nicht überall, und selbst wenn eines existiert,
sollte sich kein Käufer darauf verlassen, dass es weltweit eine Richtigkeitsvermutung birgt.
Besonderes Augenmerk ist selbstredend stets auf die vertraglichen Beziehungen zu
legen. So binden umfangreiche vertragliche Verpflichtungen gegenüber Dritten Ressour-
cen und können Synergieeffekte unterbinden. Nicht jede vertragliche Beziehung und
Verpflichtung ist jedoch gleich wichtig. Umso entscheidender ist eine konsequente Pri-
orisierung, um die Due Diligence in einem angemessenen Zeitrahmen abzuschliessen.
Erfahrene Unternehmensjuristen mit mehr als zehn erfolgreichen Transaktionen gaben
Hinweise auf sinnvolle Priorisierungen.
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202  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

Vor allem die Bedeutung steuerlicher Strategieplanung steigt mit zunehmender Er-
fahrung, ebenso wie die Identifikation von potenziellen Haftungsrisiken, gefolgt von
einer genauen Analyse des Targets.
Die Besonderheiten internationaler Transaktionen erfordern eine sorgfältige, hierauf
abgestimmte Due Diligence. Dies steht jedoch im Gegensatz zum steigenden Zeitdruck
und der engen Taktung, mit der Rechtsabteilungen konfrontiert sind.
Umso wichtiger sind die konsequente Einhaltung einer genau getakteten Be-
richtspflicht und die Betrauung einer mit den Branchenbesonderheiten vertrauten Kanz-
lei, die nachweislich cross border M & A-Erfahrung hat. Die Aufgabenverteilung sollte
dabei möglichst frühzeitig und exakt zwischen Unternehmen und externen Rechtsbe-
ratern abgestimmt werden. Häufig lassen sich Aufgaben ohne große Reibungsverluste
nach außen geben; hierzu gehört zweifellos die Einholung von etwaig erforderlichen
Genehmigungen und Bewilligungen, aber auch wettbewerbs- und kartellrechtliche Fra-
gen, ebenso wie die Klärung von Haftungs- und Eigentumsfragen. So bliebe der internen
Rechtsabteilung, die eine Due-Diligence-Prüfung auch häufig »nebenbei« leisten muss,
mehr Zeit für strategische Mitsprache.
Beinahe banal, trotzdem erfolgsentscheidend, ist die Forderung nach einem ver-
besserten Datenraummanagement. Immer noch sind virtuelle Datenräume leider nicht
überall und bei jedem Deal Standard. Selbstverständlich: Nur weil nun die Dokumente
in digitalen statt in kartonierten Ordnern gesichtet werden, bedeutet dies nicht zwangs-
läufig größere Übersichtlichkeit. Dennoch lassen sich virtuelle, sinnvoll strukturierte,
gefüllte Datenräume schlicht leichter zugänglich machen, ein Vorteil, der nicht nur bei
internationalen Deals für eine effiziente Due Diligence unschätzbar ist.

5.4 Die Integrationsphase


Die vielfältigen Aufgaben bei der Integration erfordern eine Priorisierung der Tätigkei-
ten. Erhellend ist auch hier wieder, welche Tätigkeiten von erfahrenen Unternehmens-
juristen priorisiert werden: Neben der steuerrechtlichen Planung wurden vor allem
Aufgaben rund um die Unternehmenskultur als wichtig bewertet, um tatsächlich ein
einheitliches Unternehmen zu schaffen.
Vor allem das Bewusstsein, dass ein »klassisches Integrationsmuster« ebenso wenig
existiert wie ein Masterplan, ist entscheidend für den Erfolg. Weniger im intellektuellen
Sinne herausfordernd als zeitraubend und daher in der Planung unbedingt zu beachten
sind außerdem operative Aufgaben, wie die Planung und Umsetzung der IT-Integration
aber auch simplere Dinge wie etwa die Stornierung von Daueraufträgen und Abonne-
ments des übernommenen Unternehmens wie die Überleitung von Kontoverbindungen;
solche Dinge werden häufig schlicht vergessen.
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Teil

6 Die Einbindung externer Rechtsberater


in die Integrationsphase
In fast 75 % aller M & A-Deals sind externe Rechtsberater involviert, um auch in der
Integrationsphase unterstützend wirken zu können, davon jedoch nur in 17 % »in ho-
hem Maße« (vgl. Abb. 7). Bemerkenswert sind hier wieder die regionalen Unterschiede.
Während beispielsweise bei 25 % der kontinentaleuropäischen Deals Kanzleien eine
wichtige Rolle auch in der Integrationsphase übernahmen, war dies im Vereinigten
Königreich nur bei 9 % aller Deals der Fall. Nur im Mittleren Osten und Afrika sind
externe Rechtsberater noch weniger in die Integrationsphase involviert.

26 % der Befragten nahmen in der Integrationsphase keine externen


Rechtsdienstleistungen in Anspruch.

Ausmaß der Einbindung Regionale Unterschiede

US
9;)
In hohem
Überhaupt Maße UK
9:)
nicht 17%
26% Mittlerer Osten, Afrika
5#66-1)0$"+7)!8,#'$)

Europa
0*,341)

In geringem Osteuropa
0$"+1,2)0*,341)
Maße
57% Australien und!*"+,$-#$)./)
Neuseeland

Asien und Pazifische Staaten


!"#$%&$'#(')

0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

Abb. 7: Externe Berater in der Integration (Quelle: Eigene Darstellung)

Ob und wie Kanzleien überhaupt zum Einsatz kommen, ist wohl eine strategische Fra-
ge. Der Nachteil liegt auf der Hand: Externe Rechtsberater kosten Geld und im Zweifel
nicht wenig. In der Erhebung wurde der Nutzen externer Berater jedoch deutlich: In-
ternationale Kanzleien haben einen immensen Erfahrungsschatz bei grenzüberschrei-
tenden Deals und im Zweifel schnelleren Kontakt zu Ansprechpartnern aus anderen
Rechtsordnungen.
Ganz pragmatisch ist noch ein anderer Vorteil: Rechtsabteilungen können zeitrau-
bende, unterstützende Tätigkeiten auslagern und haben so mehr Zeit für Koordinations-
und Managementaufgaben. Von Vorteil ist es, einen einzigen festen Ansprechpartner
bei der beauftragten Kanzlei einzufordern, der den Deal vom ersten Tag an begleitet.
Nur so werden Reibungsverluste vermieden.
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204  |  M & A aus Marktperspektive


Teil

7 Fazit
Weltweit scheint ein Grundmuster vorzuherrschen: Rechtliche Fragen werden an die
Rechtsabteilung gegeben. Dort sollen sie gelöst werden. Vielen Unternehmensjuristen
wird die Rolle eines »Unternehmens-Service-Centers« wie etwa der IT-Abteilung zuge-
schrieben oder sie schreiben sich diese Rolle sogar selbst zu. In M & A-Prozessen greift
dies jedoch viel zu kurz. Juristen haben – wie jede andere Profession – eine ganz spe-
zifische Kompetenz, die in Prozessen proaktiv zum Einsatz kommen muss. Sie können
und dürfen sich nicht darauf beschränken lassen, nur auf Zuruf tätig zu werden. Ver-
einfacht gesagt: Nichtjuristen erkennen nicht immer und sofort, wann ein Jurist tätig
werden sollte.
Die Rechtsabteilung muss daher ein Teil des M & A-Managements werden und M & A-
Prozesse von Anfang an, noch vor der Due Diligence, bis zum Ende und einschließlich
der Integration begleiten. Dies erfordert anfänglich ein wenig mehr Koordination und
Kommunikation innerhalb des M & A-Teams und von den beteiligten Juristen echtes
Branchen-Know-how, das deutlich über den juristischen Tellerrand hinausgeht. Der
Erfolg ist messbar.
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B. M & A aus Transaktionsperspektive


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  |  207
Teil

I. Mergers & Acquisitions:


Transaktionsdurchführung
Günter Müller-Stewens/Michael Schäfer*

1 Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung


2 Der Akquisitionsprozess
3 Pre-Akquisitionsphase (Planung)
3.1 Motive für den Kauf
3.2 Kandidatensuche
4 Die Akquisitionsphase (Durchführung)
4.1 Unternehmensbewertung
4.2 Verhandlungsphase und Closing
4.3 Exkurs: Abwehrstrategien
5 Post-Akquisitionsphase (Integration)

1 Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung


Durch die Beschleunigung des Veränderungsprozesses im Wirtschaftsleben hat sich
auch der Druck auf die Unternehmen erhöht, mit diesem Wandel Schritt zu halten und
ihn mitzugestalten, um sich langfristig eine erfolgversprechende Wettbewerbsposition
zu sichern. Akquisitionen besitzen ein großes Potenzial, ein Unternehmen zielgerichtet
zu verändern, um sich in dem von den Entscheidungsträgern subjektiv wahrgenomme-
nen Unternehmensumfeld optimal zu positionieren. Wird vom Management ein An-
passungs- bzw. Änderungsbedarf erkannt, stellt sich grundsätzlich die Frage, ob dieser
durch internes Wachstum gedeckt werden kann, oder ob eine Akquisition vorzuziehen
ist. Dabei besitzen Übernahmen den Vorteil, dass Firmen mit ihrer Hilfe Veränderungen
mit einer Geschwindigkeit durchführen können, die durch internes Wachstum nicht
erreicht werden kann. Auch Allianzen versprechen keine derart schnelle Realisierung
einer strategischen Zielvorgabe, wie sie durch die Zusammenlegung von Betriebsver-
mögen und die gemeinsame Nutzung des zusätzlichen Potenzials an Fähigkeiten mög-
lich ist. Entscheidend ist häufig, dass die interne Lösung, wie z. B. die Entwicklung
von Know-how oder der eigenständige Eintritt in ausländische Märkte, einen weiteren
Verlust an Boden gegenüber der Konkurrenz nach sich zieht. Allerdings zeigt die Ver-
gangenheit, dass auch auf dem Weg der Akquisition viele Hindernisse zu überwinden

* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen; Dr. Michael Schäfer, Redaktion NZZ Wirtschaft, Zürich.
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B
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208  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

sind, die in einer Vielzahl von Fällen zu einem Scheitern oder zumindest zu einer sub-
optimalen Realisierung fernab der Zielvorgabe geführt haben.

2 Der Akquisitionsprozess
Um einen grundlegenden Einblick in die mit einem Unternehmenskauf zusammenhän-
genden Fragestellungen und Aktivitäten zu gewinnen, bietet sich eine prozessorientierte
Betrachtung einer Transaktion an. Dabei hat sich in der Literatur eine Dreiteilung in
eine Phase vor der Transaktion, die technische Durchführung der Transaktion selbst
und eine Post-Akquisitionsphase durchgesetzt. Da eine Akquisition auf die Steigerung
des Unternehmenswertes abzielt, sollte jeder Abschnitt einen Beitrag zur Erhöhung
des Unternehmenswertes leisten. Dabei kommt der Phase vor der Akquisition die Rolle
der Identifikation von Wertsteigerungspotenzialen (WSP) zu. Neben der Analyse des
strategischen und organisatorischen Fits ist es hier ebenso wichtig, die zu erwarten-
den Schwierigkeiten des Wertschöpfungsprozesses zu erkennen. Durch die Transaktion
selbst werden die evaluierten Wertschöpfungspotenziale gesichert. Wird aus Sicht des
Käufers ein zu hoher Preis gezahlt, reduziert dies das Gesamtpotenzial der Wertschöp-
fung, während es durch den Kauf zu einem günstigen Preis vergrößert wird. Versteht
man die Transaktion als Erwerb von Wertschöpfungspotenzialen, so gilt es, diese im
sich anschließenden Integrationsprozess zu realisieren. Damit wird klar, dass nicht
nur dem Entscheidungsprozess, in dem die Basis für die Wertschöpfung gelegt wird,
ein kritischer Stellenwert zukommt. Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg einer
Akquisition ist letztendlich die Umsetzung dessen, was in ihrem Vorfeld als Zielvorgabe
definiert wurde. Dieser Zusammenhang wird noch einmal in Abb. 1 verdeutlicht.

Probleme im Entscheidungsprozess Probleme im Integrationsprozess

Akquisition:
Pre - Akquisition: Post - Akquisition:
) WSP
) evaluieren ) Ergebnis
WSP lokalisieren WSP realisieren
und sichern

Abb. 1: Phasen im
Akquisitionsprozess

Die Durchführung einer Transaktion wird häufig auf Grund der Vielschichtigkeit der
Anforderungen an das Management der involvierten Unternehmen und des hohen Kom-
plexitätsgrads der Aktivitäten und Entscheidungen von spezialisierten Beratern beglei-
tet. Außerdem ist der hier idealtypisch dargestellte Ablauf in der Praxis häufig durch
Schleifen geprägt, d. h., die einzelnen Stationen werden aufgrund der sukzessiven In-
formationsgewinnung mehrmals durchlaufen.
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I. Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung  |  209


Teil

3 Pre-Akquisitionsphase (Planung)
Die Planung soll WSP bestimmen mittels denen der Unternehmenswert aus Sicht der
Eigentümer durch eine Akquisition gesteigert werden kann. Der Parenting Advantage
gilt als gängiges Konzept zur Konkretisierung des Unternehmenswertes.1 Dem Konzept
liegt die Idee zugrunde, dass die Konzernzentrale gegenüber den Konzerntochterunter-
nehmen die Rolle von Eltern einnimmt. Ein Parenting Advantage liegt vor, wenn das
Management des Käuferunternehmens die Ressourcen des Zielunternehmens ökono-
misch besser nutzt als es das Zielunternehmen vorher selbst getan hat. Konkret legt
die Planung die Strategie und die Suche nach einem geeigneten Zielunternehmen fest.
Damit werden die Weichen für den Erfolg der Akquisition gelegt und ein bereits in die-
ser Phase hoher Einsatz an Ressourcen gerechtfertigt.

3.1 Motive für den Kauf


Ausgangspunkt jeder Akquisition ist ein innerhalb der Unternehmensstrategie verfolgtes
Ziel. Dieses bezieht sich in erster Linie auf die Struktur der Geschäfts- bzw. Tätigkeits-
felder, wobei im Ergebnis die Fähigkeiten hinter den Geschäftsfeldern bzw. Domänen
durch eine Akquisition beeinflusst werden. Die Fähigkeiten wiederum erlauben es dem
Unternehmen, sich erfolgreich im Wettbewerb zu positionieren. Haspeslagh/Jemison
(1991) unterscheiden unter dem Begriff des Corporate Renewal drei Domänen-Strate-
gien:2
Die erste Strategie kann eine Festigung der Domäne sein. D. h., es geht in erster Li-
nie um einen Ausbau der bestehenden Geschäftsfelder. Hier schließen sich regelmäßig
Unternehmen mit weitgehend identischen Produkt/Markt/Technologie-Kombinationen
zusammen, was einerseits deren Wettbewerbsposition stärkt, andererseits aber auch
zu Konzentrationstendenzen innerhalb der betroffenen Branche führt. Denkbar sind
Akquisitionen rein horizontaler Natur, durch die Größen- oder Breitenvorteile (Econo-
mies of Scale, Economies of Scope) geschaffen werden sollen. Ein Parenting Advantage
ergibt sich hier aus der geschäftsfeldübergreifenden Ressourcenkombination und der
Abstimmung von Strategien. Unter die Festigungsstrategie sind auch konzentrische Ak-
quisitionen einzuordnen, bei denen die Firmen entweder dieselben Märkte bedienen,
allerdings mit unterschiedlichen Produkten, oder ein vergleichbares Produktsortiment
auf verschiedenen Märkten anbieten.
Zweitens, kann die Domäne in Hinblick auf Produkte, Märkte oder Kompetenzen
erweitert werden, was durch den Erwerb einer Gesellschaft mit einer verwandten Pro-
dukt/Markt/Technologie-Kombination erreicht wird. Dabei können neue Fähigkeiten
in bestehende Geschäftsfelder eingebracht werden, was sich häufig in vertikalen Ak-
quisitionen, bei denen der Käufer in der Wertschöpfungskette vor- oder nachgelagerte
Aktivitäten zukauft, manifestiert. Andererseits können auch vorhandene Fähigkeiten
auf neue Geschäftsfelder übertragen werden. Der Parenting Advantage wird somit durch
die Professionalisierung von Prozessen über den Konzern hinweg erreicht.

1 Vgl. Campbell et al. 2014.


2 Vgl. Haspeslagh/Jemison 1991.
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210  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Eine dritte Strategie ist die Erkundung neuer Geschäftsfelder, indem ein Unterneh-
men in neue Tätigkeitsbereiche vordringt, die außerdem neue Fähigkeiten erfordern.
Diese konglomeraten Akquisitionen sind häufig durch den Gedanken der Diversifikation
bzw. Risikominderung geprägt, was im Lichte der Finanztheorie massiver Kritik aus-
gesetzt ist, da der individuelle Anleger sein Portfolio billiger nach seinen persönlichen
Risikopräferenzen zusammenstellen kann. Allerdings können konglomerate Akquisiti-
onen auch der Wertschöpfung dienen. Denkbar ist hier der Erwerb neuer Fähigkeiten
oder Geschäftsfelder, die im langfristigen Interesse des Kerngeschäftes liegen und zu
einem späteren Zeitpunkt eingegliedert werden sollen.
Die Festlegung der Strategie zur Erreichung der Ziele kann durch eine Analyse der
Domänen oder Geschäftsfelder mittels Konzepten zur Portfolioanalyse unterstützt wer-
den. Gemein ist allen Konzepten, dass sie die Geschäftsfelder des Käuferunternehmens
entlang zweier Dimensionen betrachten: die Marktattraktivität bezüglich Wachstum
und Gewinn und die relative Stärke gegenüber Wettbewerbern. Das sich daraus erge-
bende Portfolio wird danach auf seine Ausgewogenheit hin analysiert.3

3.2 Kandidatensuche
Die vorgängig festgelegte Strategie bestimmt das Suchfeld für die Akquisitionsobjekte.
In diesem werden diejenigen Kandidaten mit dem größten Wertsteigerungspotenzi-
al identifiziert. Die Identifikation kann als ein trichterförmiger Prozess verstanden
werden.4 In einem ersten Schritt werden anfänglich viele potenzielle Kandidaten
durch K.O.-Kriterien reduziert. Solche Kriterien sind zum Beispiel die Branche des
Zielunternehmens, dessen Finanzgrößen (Umsatz und Ergebnis), das Produkt oder
Kundenportfolio des Kandidaten, potenzielle Synergien und Produktionsstandorte. In
einem zweiten Schritt wird der Fit des Zielunternehmens zum Käuferunternehmen
abgeschätzt. Der Fit bezieht sich hier auf Markt-, Produkt-, Kultur-, und weiteren
Aspekte zwischen den Unternehmen. Weiterhin wird eine realistische Abschätzung
der WSP vorgenommen.
Die Kandidatenidentifikation sollte ein kontinuierlicher selbstreflektierter Prozess
zwischen Käufer und Akquisitionsobjekt sein. Denn es geht nicht nur darum, dass
der Übernahmekandidat lediglich die »Wunschliste« der gesuchten Ressourcen und
Fähigkeiten abdeckt, sondern auch eine erfolgreiche Integration ermöglicht. Wie die
Kriterien des zweiten Auswahlschrittes oben zeigen, bedarf es einer weitaus kom-
plexeren Abstimmung als nur das Aufsetzen neuer Strukturen und Verantwortlich-
keiten.

3 Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2016.


4 Vgl. Glaum/Hutzschenreuter 2010, S. 121.
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I. Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung  |  211


Teil

4 Die Akquisitionsphase (Durchführung)


Im Kern dieser Phase steht die technische Abwicklung einer Transaktion. Dabei geht es
sowohl um die Due Diligence, die Unternehmensbewertung als Hilfsmittel zur Preis-
findung, die Finanzierung und die Verhandlung. Hierzu stehen verschiedene Verfahren
und Methoden unterstützend zur Verfügung.

4.1 Unternehmensbewertung
Eine Vielzahl der im Rahmen einer Unternehmensbewertung notwendigen Fragen kann
nicht aus der Distanz beantwortet werden, sondern erst, nachdem der Kontakt mit
der Zielgesellschaft und entsprechende Verhandlungen aufgenommen wurden. Damit
können die einzelnen, während einer Transaktion durchgeführten Aktivitäten nicht
als sequentiell und unabhängig voneinander angesehen werden. Stattdessen besitzen
sie einen interdependenten Charakter, der noch durch die teilweise parallele Durch-
führung einzelner Tätigkeiten unterstrichen wird. So kann der oft graduelle Informa-
tionszuwachs während des Verhandlungsprozesses die ursprüngliche Strategie oder
das Suchprofil des Käufers beeinflussen. Auch der Bewertungsvorgang wird häufig mit
zunehmender Kenntnis des Akquisitionskandidaten mehrfach durchgeführt. Nachdem
ein Unternehmen aufgrund des extern verfügbaren Datenmaterials als dem Anforde-
rungsprofil entsprechend eingestuft wurde, wird man Kontakt mit dem Management der
Zielgesellschaft aufnehmen, um die für eine konkrete Unternehmensbewertung notwen-
digen Informationen zu erhalten. Nach Unterzeichnung einer Vertraulichkeitserklärung
wird dem Interessenten in der Regel ein Unternehmensprofil zur Verfügung gestellt,
das die wesentlichen Daten der Zielgesellschaft enthält. In einem weiteren Schritt wird
die Zielgesellschaft vom Management in einer Präsentation vorgestellt, was zusätzliche
Erkenntnisse ermöglicht. Die Seriosität seines Interesses hat der Bieter bis zu diesem
Zeitpunkt in der Regel durch die Unterzeichnung eines Letter of Intent, d. h. einer Ab-
sichtserklärung, demonstriert. Die letzte Phase des Informationsgewinnungsprozesses
stellt die Durchführung einer Due Diligence dar.
Unter Due Diligence kann »die umfassende, auf ein einzelnes, potenzielles Akqui-
sitionsobjekt bezogene Unternehmensanalyse, zur Ermittlung aller für die Akquisition
entscheidungsrelevanten Informationen verstanden« werden.5 Dabei sollen Synergien,
Synergiekosten und Akquisitionsrisiken quantifiziert werden.6
Die Due Diligence kann unterschiedliche Aspekte zum Gegenstand haben. So gibt es
eine Financial, Tax, Legal, Market, Environmental, Human und Cultural Due Diligence.
Jedoch steht die Financial Due Diligence häufig im Vordergrund. Doch eine Cultural
Due Diligence ist nicht minder wichtig, da sie wesentliche Hinweise auf spätere Integra-
tionsrisiken geben kann. Eine Due Diligence sollte deshalb auch einen selbstreflektier-
ten Charakter aufweisen und nicht über Ergebnisse hinweggehen, die im Widerspruch
zu einer angestrebten Transaktion stehen.

5 Vgl. Rockholz 1999, S. 70.


6 Vgl. Glaum et al. 2010, S. 123.
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212  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

4.1.1 Strategische Bewertung des Akquisitionskandidaten

Im Rahmen der strategischen Bewertung des Übernahmekandidaten werden Annahmen


für die nachfolgende finanzielle Bewertung getroffen. Zugleich müssen Aspekte der ge-
wählten Integrationsmethode Berücksichtigung finden, um die strategische Bewertung
realistisch durchführen zu können. Zwar können die hier zu beantwortenden Fragen
häufig aufgrund der Komplexität der Akquisitionsproblematik nicht abschließend und
mit Sicherheit geklärt werden, sie stellen jedoch ein wertvolles Kommunikationsmittel
dar, das den Erkenntnisgewinnungsprozess beim Käuferunternehmen fördert. Den Aus-
gangspunkt sollte eine Bewertung der Attraktivität der Branche und gegebenenfalls des
Landes bilden, womit die Einordnung der Zielgesellschaft in ihre Umwelt ermöglicht
wird. Die Attraktivität einer Branche wird in erster Linie durch ihr Erfolgspotenzi-
al beschrieben, das wiederum von der Marktstruktur und dem Verhalten der Markt-
teilnehmer beeinflusst wird. Die Marktstruktur beschreibt die Eigenschaften, die den
Wettbewerb im Umfeld eines Unternehmens beeinflussen. Zu den wichtigsten struktu-
rellen Determinanten eines Marktes zählen: die augenblickliche Marktgröße und die
Wachstumsrate der Nachfrage, herrschende Kostenstrukturen, die Konzentration der
Anbieter und Nachfrager, bestehende und zu erwartende Markteintritts- und -austritts-
barrieren, die Produktdifferenzierung und drohende Substitutionsmöglichkeiten sowie
die Verhandlungsmacht der Lieferanten. Wichtig ist nun, wie die Wirtschaftssubjekte
innerhalb des von der Marktstruktur gesteckten Rahmens agieren, was durch das Wett-
bewerbsverhalten ausgedrückt wird. Wichtige Elemente des Marktverhaltens sind die
Preispolitik von Konkurrenz und Lieferanten, die Produktpolitik sowie die Strategien
zur Verhinderung des Markteintritts neuer Wettbewerber und zur Disziplinierung der
Konkurrenten. Ist eine Akquisition im Ausland beabsichtigt, kommt zusätzlich zu die-
sen Überlegungen den dort geltenden rechtlichen Vorschriften sowie sozialen, kulturel-
len und politischen Faktoren eine erhöhte Bedeutung zu.
Um die Wettbewerbsposition des Akquisitionskandidaten in dem jeweiligen Umfeld
abschätzen zu können, muss eine Vielzahl unternehmensspezifischer Dimensionen
beleuchtet werden. Neben allgemeinen Informationen zur Unternehmenshistorie, zur
Größe und den Hauptaktivitäten sowie deren regionaler Verteilung gilt es, sich ein de-
tailliertes Bild aller Unternehmensbereiche zu verschaffen. Ein Aspekt sind die Stärken
und Schwächen der Produkte in den einzelnen Segmenten (Absatzzahlen, Rentabilität,
Qualität, etc.) und deren Positionierung im Vergleich zur Konkurrenz, ausgedrückt
durch den Marktanteil. Essenziell ist in diesem Zusammenhang auch, wie stark die
Zielgesellschaft vom Erfolg einzelner Produkte abhängig ist, inwiefern dieser in Zukunft
durch neue Konkurrenzprodukte bedroht ist und ob bereits neue erfolgversprechende
Produkte in der Entwicklung sind, d. h. ob die F & E-Aktivitäten des Unternehmens in
Zukunft ein attraktives und erfolgreiches Produktportfolio versprechen. Die Kenntnis
der Kunden und ihrer Wünsche sowie die Beziehung zu bzw. Abhängigkeit von ihnen
muss ebenso betrachtet werden wie das Verhältnis des Akquisitionskandidaten zu
seinen Lieferanten. Über die Kenntnis des formalen Organigramms hinaus gilt es, sich
ein Bild von den Machtstrukturen innerhalb der Organisation und den vom Manage-
ment verfolgten Motiven sowie dessen Stärken und Schwächen zu machen. Verbunden
damit ist auch die Frage nach den Humanressourcen des Objekts. Hier interessieren
insbesondere Punkte wie der Ausbildungsstand, die Altersstruktur und die Motivati-
on der Belegschaft. Die Kenntnis der Vertragsstruktur (Lohnniveau, Sozialleistungen,
Kündigungsfristen, Anteil und Ausgestaltung der Sonderarbeitsverträge) gibt darüber
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I. Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung  |  213


Teil

hinaus erste Anhaltspunkte für die mit einer eventuell beabsichtigten Anpassung der
Mitarbeiterzahl verbundenen Kosten. Zusätzliche Aspekte sind die Beziehungen zu
weiteren Stakeholdern wie z. B. den Aktionären, der Gewerkschaft und öffentlichen
Stellen. Schließlich muss geklärt werden, ob dem Unternehmen Gefahren aus rechtli-
cher (z. B. schwebende Verfahren, Produkthaftung, etc.) oder ökologischer (Bestehen
von Altlasten; ökologische Vertretbarkeit und Sicherheit von Produktionsverfahren)
Sicht drohen. In einem weiteren Schritt der strategischen Unternehmensbewertung
muss eruiert werden, in welchen Teilbereichen sich durch einen Zusammenschluss
der beiden Gesellschaften eine Wertschöpfung erzielen lässt. Gleichzeitig muss auch
darüber nachgedacht werden, wie das erkannte Wertschöpfungspotenzial ausgeschöpft
werden soll. Neben den in Frage kommenden Realisierungsmethoden (sollen z. B. Res-
sourcen zusammengelegt oder soll technologisches bzw. Management-Know-how aus-
getauscht oder sollen Produkte/Märkte komplementär ergänzt werden?) müssen auch
die Geschwindigkeit und Reihenfolge von einzelnen Maßnahmen zur Wertschöpfung
Teil der Überlegungen sein. Zum Abschluss der strategischen Bewertung muss versucht
werden, die wahrscheinlichen Folgen der Akquisition auf wichtige Beziehungen abzu-
schätzen. So lassen sich bei horizontalen Unternehmensübernahmen die Marktanteile
von Käufer und Zielunternehmen nicht einfach addieren, weil häufig Abschmelzeffekte
bei Kunden zu beobachten sind. Auch führen Unternehmensübernahmen in vielen
Fällen zu einer erhöhten Fluktuation des Managements und der Mitarbeiter beim über-
nommenen Unternehmen, was einen beträchtlichen Verlust an Know-how auslösen
kann. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass ein Unternehmen durch eine Ak-
quisition zwar neue Freiheitsgrade gewinnt, auf der anderen Seite aber auch Freiheits-
grade aufgibt. Deshalb muss auch berücksichtigt werden, welche Entwicklungsmög-
lichkeiten sich ein Unternehmen durch einen Zukauf verbaut, was noch einmal den
grundsätzlichen Vergleich der beiden Alternativen Durchführung der Akquisition und
Verzicht auf die Akquisition erzwingt. Die in der strategischen Unternehmensbewer-
tung gewonnenen Erkenntnisse dienen als Basis für die in der finanziellen Bewertung
vorgenommenen Berechnungen, weshalb eine sorgfältige und möglichst umfangreiche
Beantwortung der oben gestellten Fragen essenziell ist und einen wichtigen Beitrag
leistet, eine finanzielle Bewertung der Zielgesellschaft nach dem Prinzip »Garbage In
– Garbage Out« zu verhindern.

4.1.2 Finanzielle Bewertung des Akquisitionskandidaten

Das Problem der mangelnden Exaktheit der Aussagen gilt in erhöhtem Maße für die fi-
nanzielle Unternehmensbewertung. Dies liegt zum einen darin begründet, dass im Rah-
men der strategischen Bewertung nicht alle Fragen beantwortet werden können, so dass
das gewonnene Bild der Zielgesellschaft und ihrer Umwelt keineswegs exakt ist. Zum
anderen trägt vor allem die mangelhafte Prognostizierbarkeit der zukünftigen Umwelt-
zustände, die den Unternehmenswert in wesentlichem Maße beeinflussen, zu diesem
Defizit bei. Aus diesem Grund sind in der Vergangenheit eine Vielzahl von Verfahren
entwickelt worden, die eine zweckabhängige, funktionale Unternehmensbewertung er-
lauben. Grundsätzlich unterscheidet man Einzel- und Gesamtbewertungsverfahren. Wäh-
rend bei Einzelbewertungsverfahren die Summe aller einzelnen Vermögensgegenstände
abzüglich aller Schulden bewertet werden, beziehen sich die Gesamtbewertungsver-
fahren auf das Unternehmen als Ganzes. Wegen der unvollständigen Perspektive der
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214  |  M & A aus Transaktionsperspektive


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Einzelbewertungsverfahren werden diese in der Praxis kaum mehr angewendet. Abb. 2


zeigt im Überblick über die gängigen Bewertungsverfahren.7

Verfahren der Unternehmensbewertung

Einzelbewertungsverfahren Gesamtbewertungsverfahren

Gesamtbewertungsverfahren
Zukunftserfolgswert-
Multiples
verfahren

Dividendenbar- Trading comparables


wertmodell Transaction
Ertragswertverfahren comparables
Discounted Cash-Flow
Verfahren
EVA – Konzept
Realoptionsansatz

Abb. 2: Überblick der Bewertungsverfahren aus Glaum/Hutzschenreuter 2010

Der Substanzwertmethode liegt die Fiktion zugrunde, dass die einzelnen Bestandteile
des Unternehmens am Bewertungsstichtag zu ihrem Marktwert wiederbeschafft werden
können. Ausgangsbasis zur Ermittlung der Einzelwerte bildet in der Praxis häufig die
Bilanz, wobei die jeweiligen Buchwerte durch entsprechende Korrekturen an gegebe-
nenfalls abweichende Marktwerte angepasst werden, wodurch häufig stille Reserven
aufgedeckt werden. Vorteil dieser Methode ist die relativ problemlose und einfach nach-
zuvollziehende Ermittlung des so definierten Unternehmenswertes, weshalb sie häufig
als »objektiv« bezeichnet wird. Das Bestreben, einen möglichst allgemein anerkannten
Wertmaßstab anzuwenden, wird allerdings durch schwerwiegende Nachteile aufgewo-
gen. Zum einen ist die Berücksichtigung immaterieller Vermögensgegenstände, soweit
sie nicht aktiviert sind, äußerst problematisch und zum anderen fehlt der Substanzwert-
methode aufgrund ihrer statischen Natur und ihrer Verwurzelung im Rechnungswesen
eine Zukunftsorientierung, was ein entscheidendes Manko für die Ermittlung eines
realistischen Unternehmenswertes darstellt. Der Substanzwert war nach der deutschen
Wiedervereinigung bei Unternehmenskäufen in den neuen Bundesländern häufig die
einzige verfügbare Größe und findet seine Anwendung auch bei aus Kostengründen mo-
tivierten Zusammenlegungen von Kapazitäten ertragsschwacher Partner. Naheliegend
ist schließlich die Anwendung in Branchen, in denen die Unternehmen hohe Aktiva im
Vergleich zu den laufenden Erträgen besitzen. Beispielhaft können hier Brauereiunter-
nehmen genannt werden, deren Wert nur unter starker Gewichtung solcher Vermögens-
gegenstände wie Grundstücke und Fuhrpark ermittelt werden kann.
Ein spezieller Fall des Substanzwertes stellt der Liquidationswert dar. Dieser gibt
den Wert des Unternehmens für den Fall an, dass dieses vollständig zu den erwarteten
Erlösen veräußert wird. Schließlich ergibt sich der Liquidationswert aus der Differenz

7 Vgl. zur Unternehmensbewertung im Detail Peemöller 2012 (Hrsg.).


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I. Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung  |  215


Teil

zwischen erwarteten Erlösen aus der Veräußerung und den Auszahlungen zur Beglei-
chung der Schulden und Auflösungskosten.
Unter den Gesamtbewertungsverfahren unterscheidet man Zukunftserfolgswertver-
fahren und Multiples. Bei den Zukunftserfolgswertverfahren werden zukünftige erwartete
Erfolge berücksichtigt. Das Dividendenbarwertmodell stellt dabei das älteste Model dar
und bildet somit den Ausgangspunkt für alle späteren Modelle. Der Unternehmenswert
ergibt sich hier aus der Summe der Zahlungen zukünftiger Perioden, die den Eigentü-
mern aus dem Unternehmen zugehen. Während der Vorteil des Modells unter anderem
in der einfachen Handhabung liegt, ist die Unsicherheit über die zukünftigen Dividen-
denzahlungen ein Unsicherheitsfaktor bei der Berechnung.
Die Ertragswertmethode versucht den Nachteil der Statik des Substanzwertverfahrens
zu schließen, indem sie den Unternehmenswert auf der Basis zukünftig erwarteter Net-
toentnahmen bzw. -ausschüttungen, die auf die Gegenwart abgezinst werden, ermittelt.
Die diesem Ansatz zugrundeliegende Annahme liegt im »going concern« , d. h. der Fort-
führung der Unternehmenstätigkeit, begründet. Zentrale Probleme dieses dynamischen
Verfahrens, das bewusst von der Berücksichtigung des Vermögens abstrahiert, sind die
Schwierigkeiten bei der Prognose der zukünftigen Einnahmen- oder Ertragsüberschüsse
und die Wahl des risikoadäquaten Diskontierungszinssatzes.8 Damit kommt den im
Rahmen der strategischen Unternehmensbewertung gewonnenen Erkenntnissen eine
entscheidende Bedeutung zu. Zur Quantifizierung drohender Risiken, wie z. B. fehlge-
schlagener Investitionen oder einer ungünstigen Konjunkturentwicklung, bietet sich die
Verwendung von Szenariotechniken und die Durchführung von Sensitivitätsanalysen,
wie z. B. einer Monte-Carlo-Simulationen, an, was zwar die Unsicherheit der Zukunft
nicht reduziert, aber die Abschätzung der Gefahren ermöglicht. Einen erheblichen
Nachteil des Verfahrens stellt die Berechnung der diskontierten Zukunftserfolge auf
Basis buchhalterischer Gewinne dar, denn diese besitzen bilanzpolitischen Spielraum.
Aus diesem Grund verliert das Ertragswertmodel in den letzten Jahren immer mehr an
Bedeutung und wurde weitestgehend durch die Discounted Cash Flow-Methode (DCF)
abgelöst.
Das insbesondere im angelsächsischen Raum angewandte DCF-Verfahren basiert wie
die Ertragswertmethode auf Überlegungen der dynamischen Investitionsrechnung. Im
Vergleich zur Ertragswertmethode werden hier die Einnahmenüberschüsse aus der ope-
rativen Tätigkeit vor Zinsen mit einem aus den von Eigen- und Fremdkapitalgebern
geforderten Renditen gewogenen Kapitalkostensatz abdiskontiert. Trotz der Robustheit
der Cash Flows als Berechnungsgrundlage bestehen auch bei diesem Verfahren Proble-
me bei der Bestimmung des Diskontierungsfaktors, die insbesondere bei nicht-börsen-
notierten Unternehmen auftreten. Insofern besteht auch hier die Ungewissheit bei der
Prognose der zukünftigen Cash Flows.

EVA-Konzept
Das Economic Value Added-Verfahren ist eine Weiterentwicklung des Zunkunftswerts-
verfahren und damit mit dem Dividendenbarwertmodell, dem Ertragswertverfahren
und dem DCF-Verfahren verwandt. Das Verfahren wurde originär zur wertorientierten
Unternehmensführung eingesetzt.9 Über die Differenz zwischen operativem Gewinn ei-

8 Alternativ können die erwarteten Sicherheitsäquivalente mit einem risikolosen Zinssatz diskontiert
werden.
9 Vgl. ursprünglich Stewart 1991.
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216  |  M & A aus Transaktionsperspektive


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ner Periode und den zugehörigen Kapitalkosten zeigt der Economic Value Added (EVA)
an, ob Wert für die Eigentümer geschaffen wurde. D. h., ob die Rendite höher als die
Opportunitätskosten (Kapitalkosten) ist. Das EVA-Verfahren ist einfach anwendbar, ver-
ständlich und die Ergebnisse sind gut zu kommunizieren. Nachteilig ist der Bezug auf
Erfolgsgrößen die bilanzpolitischen Spielraum bieten. Das Verfahren wird daher immer
noch weitestgehend zur wertorientierten Unternehmensführung herangezogen und eher
selten zur Unternehmensbewertung.
Der Realoptionsansatz kann als Ergänzung zum relativ starren DCF-Verfahren (An-
nahme unveränderlicher zukünftiger Investitionsprogramme) gesehen werden. D. h.
bei dem Realoptionsansatz wird der Handlungsspielraum des Managements unter ver-
schiedenen Umweltbedingungen mit einbezogen. Der Berechnung unterliegen damit
operative Realoptionen, dies sind Handlungsspielräume über bereits getätigte Inves-
titionen, sowie strategische Realoptionen, die Handlungsspielräume über langfristige
Unternehmensentscheidungen. Der Vorteil des Verfahrens ist seine Realitätsnähe. Die
Herausforderung dabei ist, dass Realoptionen häufig schwer in ihrem Wert zu bemessen
sind.10 Daher stellt der Realoptionsansatz eine Näherungslösung dar, die zusätzliche
Komplexität in sich birgt und eher schwer verständlich ist.
Multiples beziehen sich auf eine relative Bewertung zu anderen vergleichbaren Un-
ternehmen bzw. Transaktionen. Die dieser Vorgehensweise zugrundeliegende Annahme
lautet, dass ähnliche Unternehmen wie das Bewertungsobjekt einen ähnlichen Markt-
wert haben, da deren gleiche Vermögenswerte einen gleichen Marktpreis besitzen. Dazu
dienen branchenspezifisch berechnete Multiplikatoren, die sich auf Stromgrößen wie
den Umsatz und Gewinn oder auf Bestandsgrößen wie z. B. Buchwert des Eigenkapitals
beziehen. Vorteil der Anwendung von Multiplikatoren ist sicherlich die extrem einfache
und über den Mark objektivierte Vorgehensweise. Für eine bestmögliche Unternehmens-
bewertung ist die Auswahl eines vergleichbaren Unternehmens und eines geeigneten
Multiplikators der zentrale aber auch schwierige Aspekt. Der Vorteil der Objektivität
der Multiplikator-Methode ist gleichzeitig deren Achillesferse. Denn der über den Markt
objektiv festgelegte Preis spiegelt nicht die Chancen und Risiken sowie erwartete Syner-
gie- und Restrukturierungspotenziale wieder. Damit verstößt das Multiplikationsverfah-
ren gegen den Grundsatz der Subjektivität.11 Auch hängen gezahlten Marktpreise von
der Marktsituation ab, d. h. Vergleiche sind oft nicht vor dem Hintergrund der gleichen
Marktsituation durchführbar. Dennoch stellen Multiplikatoren gute Indikatoren für die
Preisfindung dar.

Kritische Würdigung der Berechnungsverfahren


Im Rahmen der finanziellen Unternehmensbewertung ist es nicht zuletzt aus ver-
handlungstaktischen Gründen wichtig, den Unternehmenswert unter verschiedenen
Annahmen zu berechnen. Den Ausgangspunkt sollte das Unternehmen in seiner au-
genblicklichen Verfassung, d. h. mit seinen Vermögensgegenständen und erwarteten
Zahlungs- bzw. Gewinnströmen unter der Fiktion der unveränderten Unternehmens-
fortführung bilden. In einem zweiten Schritt müssen die erwarteten Synergieeffekte
quantifiziert und in die Kalkulation mit einbezogen werden, womit der Käufer sei-
ne Preisobergrenze festlegt. Gleichzeitig sollte man sich ein Bild von den Optionen

10 Z. B. welches Basisinstrument kann zur Festlegung des Wertes eines Forschungs- und Entwick-
lungsprojekts herangezogen werden.
11 Vgl. Böcking/Nowak 1999, S. 175.
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I. Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung  |  217


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des Verkäufers schaffen, um in etwa dessen Verhandlungsspielraum einschätzen zu


können. Diese verschiedenen Motive, aber auch die individuelle Kombination von Ak-
quisitionsziel, -kandidat und dessen Situation, rechtfertigen die Anwendung mehrerer
Bewertungsverfahren, um den jeweiligen Zweck bestmöglich zu erfüllen. Zudem lässt
die oben skizzierte Kritik an den einzelnen Verfahren es nicht ratsam erscheinen; sich
auf nur eine Methode zu stützen. Durch die parallele Anwendung mehrerer Verfahren
kann versucht werden, die Unsicherheiten und Defizite der einzelnen Verfahren auszu-
gleichen. So ist es nicht verwunderlich, dass in der Praxis fast ausnahmslos auf mehrere
Bewertungsmethoden zurückgegriffen wird.
Häufig zu beobachtende Fehler und Mängel während der Unternehmensbewertung
führen typischerweise zu Überbewertungen und stellen einen wichtigen Grund für das
Fehlschlagen von Akquisitionen dar. Besonders gravierende Überbewertungen erge-
ben sich dann, wenn die Entscheidung für eine Akquisition bereits vorab gefallen ist
und der Wunschkandidat bereits feststeht. In ähnlicher Weise führt der Verzicht auf
eine sorgfältige strategische Unternehmensbewertung oder die Beschränkung auf eine
oberflächliche Analyse zu unrealistischen Annahmen über die Erfolgsfaktoren und die
Wettbewerbsposition des Akquisitionskandidaten. Die unrealistische Einschätzung von
Synergiepotenzialen und die optimistische Vernachlässigung von Integrationsproble-
men und -kosten bilden weitere ernstzunehmende Fehlerquellen. Schließlich werden
durch methodologische Fehler bei der Prognose der relevanten Zahlungsströme und der
Festlegung des risikoadäquaten Diskontierungsfaktors Akquisitionen zu optimistisch
bewertet und damit zum Scheitern verurteilt.

4.1.3 Die private Auktion

Wechselt man die Perspektive von Käuferunternehmen zum Ziel- oder Verkäuferun-
ternehmen, kann dieses versuchen seinen zum Verkauf stehenden Unternehmenswert
durch den Mechanismus der Auktion zu maximieren. Während Auktionen öffentlich
oder privat sein können, wird in der Praxis regelmäßig die private Auktion, bei der
es mindestens zwei Käufer geben muss, genutzt. Öffentliche Auktionen unterliegen
Übernahmevorschriften und börsenbezogener Offenlegungsgesetze und sind somit sehr
restriktiv und lassen wenig Gestaltungsspielraum zu. Während der Unternehmenswert-
maximierung durch das verkaufende Unternehmen unterliegt dieses einem Zielkonflikt
zwischen anstrebten Preis, der Geschwindigkeit der Transaktion und der Sicherheit über
den geforderten Preis, den es zu optimieren gilt.

4.2 Verhandlungsphase und Closing


Nachdem im Käuferunternehmen ein schlüssiges Konzept mit den Bedingungen für die
Übernahme des Akquisitionskandidaten ausgearbeitet wurde, kann man in die konkrete
Verhandlungsphase eintreten. Diese beginnt in der Regel nach der Unterzeichnung eines
Letters of Intent und führt über den Abschluss eines Vorvertrages bis zur endgültigen
Einigung im Kaufvertrag. In diesem Prozess sind neben der Festlegung des Kaufpreises
und dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs eine Reihe weiterer Modalitäten zu klären,
auch wenn ersterer natürlich im Zentrum des Interesses steht. Aufgrund der asymme-
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218  |  M & A aus Transaktionsperspektive


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trischen Informationsverteilung – der Verkäufer kennt sein Unternehmen naturgemäß


besser als der Käufer –, versucht sich der Bieter gegen hieraus resultierende Risiken zu
schützen. Eine Möglichkeit besteht in der Durchsetzung von Garantien im Kaufvertrag.
Durch Bilanzgarantien soll sichergestellt werden, dass einzelne Aktiva nicht zu hoch
bzw. Passiva nicht zu niedrig bewertet sind. Abweichungen, die bei der späteren Prü-
fung eines Abschlusses festgestellt werden, müssen dann vom Verkäufer ausgeglichen
werden. In ähnlicher Weise kann sich der Käufer das Ergebnis der ersten Jahre nach der
Akquisition garantieren lassen. Z. B. durch Earn-out-Modelle kann ein Teil des Kaufprei-
ses an die Ergebnisse der nachfolgenden Jahre gekoppelt werden, wobei der Restbetrag
sofort geleistet wird. Ferner gilt es, sich über die Zahlungsweise des Kaufpreises zu
einigen. Klassisch ist die Barzahlung, doch in Phasen eines Börsenbooms gewinnt der
Aktientausch an Bedeutung. Daneben ist auch eine Kaufpreiszahlung mittels Schuld-
verschreibungen oder eine Kombination der genannten Formen denkbar.
Für den Käufer kann es erstrebenswert sein, die Mitarbeiter, die Schlüsselpositi-
onen in der Zielgesellschaft einnehmen, langfristig zu binden, was entsprechend im
Kaufvertrag berücksichtigt werden kann. Zusätzliches Know-how kann durch den Ab-
schluss von Geschäftsführungs- oder Beraterverträgen mit den verkaufenden Eigentü-
mern gesichert werden. Durch die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbotes für den
Verkäufer wird zugleich für einen gewissen Zeitraum dessen Auftreten als Konkurrent
ausgeschlossen.
In der Verhandlungsphase darf die Wichtigkeit des menschlichen Faktors nicht un-
terschätzt werden. Erfolgversprechende Akquisitionsverhandlungen sind nicht selten
aufgrund eines fehlenden Vertrauens oder eines mangelhaften persönlichen Kontakts
zwischen den beiden Seiten abgebrochen worden. Dafür entsteht für den Kaufinteres-
senten das Dilemma, dem Verkäufer ausreichende Informationen zu liefern, um das
notwendige Vertrauen zu schaffen, auf der anderen Seite aber nicht zu viele Details
preiszugeben, die in den Vertragsverhandlungen zum eigenen Nachteil verwendet wer-
den können.
Am Ende der Verhandlungsphase steht der Vertragsabschluss und das Signing bzw.
Closing, d. h. die Umsetzung der wesentlichen im Vertrag festgelegten Bedingungen und
der Übergang der Verfügungsmacht an den neuen Eigentümer.
Sollte die Transaktion noch zur Überprüfung durch Wettbewerbsbehörden kommen,
dann ist das Closing erst dann gegeben, wenn die letzte Wettbewerbsbehörde ihre –
manchmal an Auflagen gebundene – Genehmigung gegeben hat. Vor diesem Zeitpunkt
dürfen auch keine Integrationsmaßnahmen zwischen Käufer- und Zielunternehmen
vorgenommen werden.

4.3 Exkurs: Abwehrstrategien


Feindlichen Übernahmen (Hostile Takeovers) stellen eher den Ausnahmefall in der
M & A-Geschichte dar. So beträgt das weltweite Transaktionsvolumen feindlicher Über-
nahmen gemessen am gesamt M & A-Volumen von 1995–2007 nur knappe 7 %.12 Den-
noch genießen dieses Phänomen und mögliche Abwehrmaßnahmen, die das Manage-
ment des Zielunternehmens vornehmen kann, traditionell ein hohes Interesse in Theorie

12 Vgl. Glaum et al. 2010, S. 335.


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I. Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung  |  219


Teil

und Praxis. Ein Übernahmeversuch kann aus der Perspektive des Managements aus
persönlichen Gründen, wie drohenden Macht-, Lohn- oder Prestigeeinbußen, oder aus
sachlichen Gründen als feindlich eingestuft werden. In letzterem Fall kann das Manage-
ment der Meinung sein, das den Aktionären unterbreitete Übernahmeangebot sei zu
niedrig oder durch den Zusammenschluss entstünden keine ausreichenden Synergieef-
fekte, die die Übernahme rechtfertigen würden. Insbesondere in den USA wurde eine
Vielzahl von Vorgehensweisen entwickelt, die ein Hostile Takeover verhindern sollen.
Dabei gibt es zwei generelle Strategien, die hier verfolgt werden können. Die erste
Möglichkeit liegt darin, die Übernahme für den Bieter zu erschweren bzw. unmöglich
zu machen, während die Alternative darin besteht, das eigene Unternehmen durch ent-
sprechende Manöver für den potenziellen Käufer unattraktiv zu machen. Aufgrund des
Gleichbehandlungsgebotes und der Treuepflicht der Unternehmensleitung ist jedoch die
Mehrzahl der denkbaren Abwehrmanöver in Deutschland nicht zulässig. Grundsätzlich
ist auch anzumerken, dass Abwehrstrategien feindliche Übernahmen meist nicht ver-
hindern können, sondern lediglich deren Wahrscheinlichkeit reduzieren.13
Vor der Abgabe eines feindlichen Übernahmeangebotes kann das Management
präventive Maßnahmen ergreifen. Viele dieser Vorkehrungen sind an die Änderung
der Satzung gebunden. Sie werden als Shark Repellents bezeichnet. Denkbar sind in
Deutschland u. a. folgende Maßnahmen: Durch den Aufkauf eigener Aktien sind für den
Bieter weniger Anteile verfügbar, was für ihn die Übernahme der Kontrolle erschwert.
In Deutschland ist das Halten eigener Anteile nur äußerst eingeschränkt zulässig, was
jedoch durch ein »Parken« von Anteilen bei Dritten umgangen werden kann.
Durch eine Satzungsänderung können die Voraussetzungen für eine angeordnete
Zwangseinziehung festgelegt werden, d. h. die davon betroffenen Anteile werden einge-
zogen und die Aktionäre abgefunden. Eine niedrig festgelegte Abfindungssumme kann
einen potenziellen Bieter, soweit er nicht von vornherein eine 100 %ige Beteiligung
anstrebt, abschrecken, allerdings ist der Geltungsbereich nur auf Aktien begrenzt, die
nach der Satzungsänderung emittiert wurden.
Vinkulierte Namensaktien können durch einen entsprechenden Satzungsbeschluss
nur mit Zustimmung der Gesellschaft übertragen werden, womit die Fungibilität dieser
Anteile entscheidend begrenzt ist. Allerdings ist eine nachträgliche Vinkulierung nur
mit Zustimmung des jeweils betroffenen Aktionärs möglich, so dass diese Abwehrmaß-
nahme in erster Linie einen Präventivcharakter besitzt.
Durch wechselseitige Verflechtungen kann der erwerbbare Anteil des Kapitals wir-
kungsvoll reduziert werden. Bei bilateralen inländischen Verflechtungen gilt allerdings
eine Grenze von 25 % bis zu der Beteiligungsrechte geltend gemacht werden können, so
dass hier Verflechtungen mit ausländischen Partnern wirkungsvoller sind. Bereits bei
vier beteiligten Unternehmen sind Verflechtungen derart konstruierbar, dass keine der
Gesellschaften gegen ihren Willen übernommen werden kann. Allerdings können hier
kartellrechtliche Bedenken entstehen, und außerdem besteht die latente Gefahr, dass
sich mehrere Gesellschaften arrangieren, um eine der so verbundenen Gesellschaften
zu beherrschen. Denkbar ist auch die sogenannte Pac Man-Abwehr, nach der das Ziel-
unternehmen seinerseits eine Übernahmeofferte für den Bieter abgibt.
Außerdem sind in Deutschland in Ausnahmefällen Mehrfachstimmrechte, Stimm-
rechtsbeschränkungen und Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss (Poison
Pills) möglich.

13 Vgl. Glaum et al. 2010, S. 338 ff.


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220  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Eine weitere Abwehrmaßnahme sind Asset Lockups bei denen sich die zu überneh-
mende Unternehmensgruppe kurzfristig von den Geschäftsbereichen trennt, die für den
Erwerber besonders interessant sind. Die Trennung von solchen Geschäftsbereichen
erfolgt über Kaufoptionen an Dritte.
Schließlich kann sich ein Zielunternehmen gegen eine feindliche Übernahme schüt-
zen, in dem es seine Wertschöpfungspotenziale voll ausnutzt. Denn für den Erwerber
sind Zielobjekte dann interessant, wenn die Wertschöpfungspotenziale des Letzteren
besser durch den Käufer ausgeschöpft werden können.
Darüber hinaus haben sich in den USA zusätzliche präventive Abwehrformen entwi-
ckelt, die jedoch in Deutschland teilweise nicht zulässig sind: Durch Staggered Board
Elections wird die Amtsdauer der Aufsichtsratsmitglieder dergestalt verteilt, dass jedes
Jahr nur ein Teil zur Wiederwahl steht und die übernehmende Gesellschaft nicht sofort
die Kontrolle übernehmen kann. Golden Parachutes legen hohe Abfindungen für das
amtierende Management im Falle einer Übernahme fest.
Neben der bereits erwähnten Pac Man-Strategie gibt es weitere Abwehrformen, die
erst nach der Konfrontation mit einem Übernahmeangebot eingesetzt werden (reaktive
Abwehrstrategien). Viele der oben genannten Abwehrmaßnahmen sind zwar generell
auch zu diesem Zeitpunkt noch möglich, allerdings ist es für ihre Anwendung dann
häufig bereits zu spät. In Deutschland sind folgende Varianten denkbar: Zielunterneh-
men können sich durch gezielte Pressearbeit schützen in dem über die Medien eine
ablehnende öffentliche Meinung über die feindliche Übernahme geschaffen wird. Da
feindliche Übernahmen häufig mit einem Verlust von Arbeitsplätzen einhergehen, kann
durch Pressearbeit eine kritische Stimmung, geäußert durch z. B. Proteste, gegen die
Übernahme erzeugt werden. Über die Investor-Relation-Arbeit kann das Zielunterneh-
men direkten Einfluss auf die Aktionäre nehmen. Ziel ist es die Aktionäre durch die
Aufbereitung von wirtschaftlichen Gründen und anderweitigen Informationen gegen
den Kauf aufzubringen.
Um sich für den Käufer »unverdaulich« zu machen, kann ein Zielunternehmen selbst
akquisitorisch tätig werden (Defensive Merger). Damit kann erreicht werden, dass die
finanziellen Mittel des Bieters nicht ausreichen oder dass er aus kartellrechtlichen Grün-
den die Akquisition unterlassen muss.
Durch die Veräußerung von Crown Jewels, d. h. für den Bieter besonders wertvolle
und interessante Vermögensgegenstände, kann das Target seine Attraktivität verrin-
gern. Unzulässig ist diese Vorgehensweise in Deutschland i. d. R., wenn sie mit soge-
nannten Lock Ups – Optionsrechte für Dritte auf die betreffenden Vermögensgegenstän-
de – verbunden ist. In extremen Fällen, besonders wenn Aktiva weit unter ihrem Wert
verschleudert werden, spricht man von einer Strategie der verbrannten Erde (Scorched
Earth Strategy).
Wie im vorigen Punkt spricht man von einem White Knight, wenn ein Drittunter-
nehmen nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern das ganze Unternehmen
übernimmt. Zwar konnte dann eine Übernahme nicht mehr verhindert werden, aller-
dings konnte man dann bessere Konditionen realisieren; als sie mit dem feindlichen
Übernahmeangebot verbunden gewesen wären.
Grundsätzlich sind immer die erwarteten Folgewirkungen abzuschätzen, da im
Einzelfall die Abwehr oder Abschreckung einer feindlichen Übernahme tiefgreifende
negative Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb haben kann. So kann z. B. die Pac
Man-Abwehr zu nicht entflechtbaren Verbindungen führen, so dass die beteiligten Un-
ternehmen von einem Dritten übernommen werden müssen. Auch eine Scorched Earth
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I. Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung  |  221


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Strategy oder eine Fat Man Strategy sind in vielen Fällen betriebswirtschaftlich nicht zu
rechtfertigen, da die Aktionäre die Leidtragenden solcher Aktionen sind.14

5 Post-Akquisitionsphase (Integration)
Obwohl die Transaktion per se mit dem Übergang der Verfügungsgewalt abgeschlossen
ist, schließt sich mit der Post Merger Integration (PMI) der entscheidende Abschnitt
im Akquisitionsprozess an. Denn nach der erfolgten Übernahme gilt es, die Wertsteige-
rungspotenziale entsprechend der strategischen Vorgabe zu realisieren. Vor Aufnahme
der konkreten Integrationsaktivitäten werden diese im Allgemeinen in einer Vorberei-
tungsphase in die Wege geleitet.
Diese Planung der Integration beinhaltet eine große Vielfalt von Aufgaben wie etwa
die Benennung eines Integration Managers inklusive Team, Aspekte der Kommunika-
tion, Deadlines und Arbeitspläne, das Binden von talentierten Mitarbeitern, ein Fokus
auf Produktion und Logistik, die Berücksichtigung von intangiblem Kapital, das Etab-
lieren von Informationssystemen, die Organisation des Schnittstellen-Managements, die
Diagnose der Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie daraus abzuleitende Erkennt-
nisse und Maßnahmen, der Aufbau von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis, die
Vereinbarung gemeinsamer Meilensteinpläne und Zielvorgaben usw.15 Es geht dann
darum beschlossene Inhalte zügig umzusetzen und sich nicht durch auftauchende po-
litische Manöver, unerwarteten Problemen usw. im Integrationsprozesses aufhalten zu
lassen. Auf der einen Seite soll möglichst wenig Unsicherheit bei den Mitarbeitern des
übernommenen Unternehmens entstehen und auf der anderen Seite sollte die Phase der
Unsicherheit für die Umsetzung der gewünschten Veränderungen genutzt werden, was
zu einem späteren Zeitpunkt oft mit noch mehr Problemen verbunden ist.
Die Länge der Vorbereitungsphase und die sich anschließenden Integrationsmaß-
nahmen richten sich in erster Linie am zur Realisierung des Wertsteigerungspoten-
zials angestrebten Integrationsgrad aus. Bruner (2004) schlägt drei Dimensionen vor,
die den Integrationsgrad leiten: Autonomie, gegenseitige strategische Abhängigkeit und
Kontrolle. Bei der Autonomie geht es um die Notwendigkeit von organisatorischer Au-
tonomie bei Erwerber und Objekt, die damit zu begründen ist, dass beim Objekt gerade
durch die organisatorische Eigenständigkeit in der Vergangenheit die vom Erwerber ge-
suchten Fähigkeiten entstanden sind und durch eine zu starke Bindung zerstört werden
könnten. Die Autonomie bezieht sich auf Kultur, Führungsstil und Entscheidungsbefug-
nisse. Die strategische Abhängigkeit, die sich aus den Akquisitionszielen ableiten lässt,
legt fest, inwiefern Grenzen und Hindernisse zwischen den Partnern aufgelöst werden,
um Fähigkeiten zu übertragen und so zur Realisierung des Wertschöpfungspotenzials
beitragen. Dabei bezieht sich die strategische Abhängigkeit auf Geschäftsprozesse, die
Integration der Logistik und der Wertkette. Die Kontrolle als dritte Dimension bezieht
sich auf die Überwachung von Risiken. Es geht darum Systeme zu etablieren, die Ri-
siken überwachen, im Bedarfsfall schnelle Antworten liefern, und Risiken absichern.
Neben der Berichtserstattung adressiert die Kontrolldimension die Qualitätskontrolle

14 Vgl. Glaum et al. 2010, S. 335 zu einem ausführlichen Überblick zu feindlichen Übernahmen.
15 Vgl. Bruner 2004, S. 901 f.
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222  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

und die Überwachung von Beziehungen. Durch eine starke Kontrolle kann z. B. einem
Tochterunternehmen eine große Autonomie gewährt werden.
Durch die Kombination unterschiedlicher Grade von Autonomie, strategischer Ab-
hängigkeit, und Kontrolle ergeben sich vier klassische Integrationsstrategien: Erhaltung
(preservation), Bündnis (confederation), Verbindung (linking), und Absorption (absorp-
tion).16 Bei der Erhaltungsakquisition (hohes Maß an Autonomie, geringer Grad an stra-
tegischer Interdependenz und Kontrolle) wird das Objekt weitgehend unverändert fort-
geführt. Die Wertsteigerung wird hier durch bilaterale Lernprozesse und den Transfer
von allgemeinen Management-Fähigkeiten anvisiert. Die Bündnisakquisition kontrolliert
eng Risiken und erhält gleichzeitig die spezifischen Qualitäten des Zielunternehmens
und/oder dessen Identität. Z. B. werden dem Zielunternehmen Best-Practice-Manage-
mentprozesse aufgezwungen, aber es findet kein Eingriff in das operative Geschäft
statt. Bei der verbundenen Integrationsstrategie ist die Autonomie, strategische Abhän-
gigkeit, und Kontrolle hoch. Es geht darum die Kultur des Zielunternehmens zu erhal-
ten, dieses zu überwachen und es mit den Geschäftsprozessen und der Wertkette des
Käuferunternehmens zu verbinden. Diese Integrationsstrategie wird häufig in vertikalen
aber auch in horizontalen Akquisitionen angewendet. Wenn dagegen der erforderliche
Autonomiegrad des Objektes gering, die notwendige strategische Interdependenz hoch,
und die Kontrolle hoch ist, handelt es sich um eine Absorptionsakquisition. Die Grenzen
zwischen Erwerber und Objekt werden hier im Verlauf der Integrationsphase aufgelöst,
was zu einer gemeinsamen Nutzung der Ressourcen führt. Rationalisierungsmaßnah-
men bieten sich hier insbesondere in den Bereichen der Wertkette an, die durch die
Zusammenlegung mehrfach vorhanden sind. Hier werden Skaleneffekte ausgenutzt.
In vielen Fällen werden bei einem Unternehmenszusammenschluss zwei oder meh-
rere Integrationsstrategien angewendet. Ausgangspunkt für die Wahl der Strategie ist
deren Passung zum Rational des Unternehmenszusammenschlusses. Insofern gibt es
keine generalisierbare Integrationsstrategie und daher sollte diese in Einklang mit dem
ursprünglichen strategischen Ziel der Transaktion stehen.
Weiterhin wird die Komplexität von Unternehmenszusammenschlüssen durch die
Möglichkeit einzelne Unternehmensbereiche in unterschiedlicher Intensität zu inte-
grieren, d. h. durch ein Nebeneinander verschiedener Integrationsstrategien, weiter
gesteigert. So ist ohne weiteres eine parallele Weiterführung der F  &  E-Bereiche bei
gleichzeitiger Zusammenlegung der Vertriebe denkbar. Im Einzelfall scheitern viele Ak-
quisitionsversuche an der Lösung dieser Probleme, was dazu beiträgt, dass empirische
Studien in der Vergangenheit überwiegend zu dem Schluss kommen, dass bei weitem
nicht alle Akquisitionsversuche als Erfolg gewertet werden können (vgl. Abb. 4).

Quelle und Datum Stichprobengröße Periode Ergebnisse


Johan Brjoksten, 1965 5409 Fusionen in der 1955–1965 16 % waren finanziell, strategisch und
Herstellungsindustrie technologisch ein Misserfolg.
McKinsey & Co., 1987 116 Firmen 61 % brachten nicht die
Eigenkapitalkosten ein.

PA Consulting 28 große Käufer in der 1982–1988 80 % der Käufe hatten einen
Bankenindustrie negativen Effekt auf den Aktienpreis
des Käufers.

16 Vgl. Bruner 2004, S. 899.


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I. Mergers & Acquisitions: Transaktionsdurchführung  |  223


Teil

Quelle und Datum Stichprobengröße Periode Ergebnisse


Mercer Management and 150 Firmenkäufe mit 1990–1995 Gewinne der Aktionäre über
Business Week, 1995 einem Volumen größer als 3-Jahresperiode:
500 Mio. $ 17 % der Käufe schafften substanzielle
Gewinne
33 % schafften marginale Gewinne
248 Käufer von 1045 20 % erodierten teilweise Renditen
Zielfirmen im Vergleich zu 30 % erodierten substanziell die
96 Nichtkäufer Firmen 1990–1995 Renditen

69 % der Nichtkäufer erwirtschafteten


größere Gewinne im Vergleich zu ihrer
Industrie:
58 % der Käufer erwirtschafteten
größere Gewinne im Vergleich zu ihrer
Industrie
Economists Intelligence Umfrage von 1992–1996 30 % beschrieben ihre Fusionen als
Unit, 1996 Führungskräften in 150 erfolgreich und wiederholenswert;
Firmen 53 % zufriedenstellend, nicht
wiederholenswert; 11 %
nichtzufriedenstellend; 5 % desaströs.
Mercer Consulting, 1997, 215 große Transaktionen Vergleich Käufer- 52 % der 1990er Käufe übertrafen den
und Mitchel Madison mit einem Wert von performance von Industriestandard, verglichen mit 37 %
Group, 1998 mindestens 500 Mio. $ Käufen in den der 1980er Käufe.
1980ern und
1990ern
Andersen Consulting Große Fusionen zwischen 1994–1997 44 % aller großen Fusion blieben unter
1994 und 1997 den finanziellen und strategischen
Erwartungen. 70 % der Öl Branchen
Fusionen schlugen fehl.
KPMG LLP 700 der teuersten 1996–1998 82 % von 107 Führungskräften
Firmenkäufe sahen die Transkation als erfolgreich,
die Analyse zeigt aber, dass nur
17 % einen Mehrwert für das
neu entstandene Unternehmen
lieferten, 30 % generierten keinen
beträchtlichen Unterschied, und 53 %
vernichteten Wert. In anderen Worten,
83 % der Fusionen generierten keinen
Wert für die Aktionäre.
Chaudhuri/Tabrizi, 1999 53 Firmenkäufe von 24 N/A 11 wurden von beiden Seiten als
high-tech Firmen erfolgreich betrachtet; 9 schlugen
fehl; 33 generierten keine oder
marginal positive (enttäuschende)
Kapitalerträge.
Booz-Allen & Hamilton Keine Angabe der 1997–1998 53 % aller Transaktionen brachten
2001 Stichprobengröße nicht die erwarteten Ergebnisse.

Abb. 4: Übersicht über die Erfolge von Akquisitionen (in Anlehnung an Bruner 2004, S. 59 f.)

Zwar kann nicht beurteilt werden, wie sich die einzelnen Unternehmen bei einer Unter-
lassung der Akquisition entwickelt hätten, dennoch ist insgesamt eine offensichtliche
Diskrepanz zwischen den mit einer Unternehmensübernahme verbundenen Zielen und
deren Erreichungsgrad festzustellen. Dies kann partiell durch Veränderungen in der
Umwelt erklärt werden, liegt jedoch mehrheitlich in einem suboptimalen Management
der Wertschöpfungspotenziale (WSP) begründet. Bereits durch das Festlegen eines An-
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224  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

forderungsprofiles und die Auswahl der in Frage kommenden Unternehmen wird das
realisierbare WSP durch den Ausschluss anderer Möglichkeiten eingeschränkt. Ist die
Entscheidung zur Akquisition eines Unternehmens getroffen, besitzt das Management
eine Vorstellung über das maximal auszuschöpfende Wertschöpfungspotenzial, das bei
einem optimalen Verlauf der Vertragsverhandlungen und einem wunschgemäßen Ver-
lauf der Integration der Gesellschaft realisierbar ist. Der Unterschied zu der realisierten
Wertschöpfung entsteht sowohl durch die während des Akquisitionsprozesses durch-
geführten Maßnahmen als auch durch Veränderungen der Unternehmensumwelt. Das
subjektiv erkannte WSP wird sich während der Bewertungsphase und der Integrations-
phase aufgrund des Informationszuwachses verändern, d. h. im Idealfall vergrößern.
Durch die Konditionen des Kaufvertrages und insbesondere die Höhe des Kaufpreises
wird der Erfolg der Akquisition direkt beeinflusst. In der sich anschließenden Integra-
tionsphase wird aufgrund von Problemen nur ein Teil der lokalisierten und gesicherten
Wertschöpfungspotenziale umgesetzt werden können. Zeitliche Verzögerungen, das
Ausscheiden wichtiger Mitarbeiter oder die Vernachlässigung der kulturellen Kompo-
nente können hier beispielhaft genannt werden. Letztendlich wird die Höhe des WSP
auch durch Veränderungen des Marktes beeinflusst. Der Neueintritt oder das Ausschei-
den von Konkurrenten kann aufgrund der zu erwartenden Auswirkungen auf die Mar-
gen und die Absatzmenge den Erfolg der Akquisition entscheidend beeinflussen.
Der hier dargestellte Zusammenhang unterstreicht noch einmal die Wichtigkeit, eine
Akquisition als einen ganzheitlichen Prozess zu verstehen. In diesem Prozess gilt es,
sich des jeweiligen Beitrags zum Management des Wertsteigerungspotenzials bewusst
zu sein, was zur Konsequenz hat, dass keine Phase vernachlässigt werden darf und
danach gestrebt werden sollte, sie insgesamt optimal zu gestalten.

Literatur
Böcking, H./Nowak, K. (1999): Marktorientierte Unternehmensbewertung – Darstellung und Würdi-
gung der marktorientierten Vergleichsverfahren vor dem Hintergrund der deutschen Kapitalmarkt-
verhältnisse. Finanzbetrieb, 8, S. 169–176.
Bruner, R. F. (2004): Applied Mergers & Acquisitions. John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, New Jersey.
Campbell, A., Whitehead, J., Alexander, M., & Goold M. (2014): Strategy for the Corporate-level, Jos-
sey-Bass, San Francisco.
Glaum, M./Hutzschenreuter, T. (2010): Mergers & Acquisitions (1ed.), W. Kohlhammer GmbH Stuttgart,
Stuttgart.
Haspeslagh, P. C./Jemison, D. B. (1991): Managing Acquisitions: Creating Value through Corporate
Renewal. New York.
Müller-Stewens, G./Lechner, C. (2016): Strategisches Management. Wie strategische Initiativen zu Wan-
del führen, 5. Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag.
Peemöller, V. H. (2012, Hrsg.): Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 5. Auflage, Herne, NWB
Verlag.
Rockholtz, C. (1999): Marktorientiertes Akquisitionsmanagement – Due Diligence Konzeption zur Iden-
tifikation, Beurteilung und Realisation akquisitionsbedingter Synergiepotenziale. Frankfurt a. M..
Stewart, B. G. (1991): The Quest for Value: The EVA Management Guide. London.
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  |  225
Teil

II. Carve-outs erfolgreich gestalten:


Eine gesamtheitliche Perspektive*
Ekkehard Franzke**

1 Einleitung
2 Herstellung eines attraktiven und nachhaltigen Geschäftsmodells
3 Rechtliche und organisatorische Verselbstständigung
3.1 Rechtliche Verselbstständigung
3.2 Organisatorische Verselbstständigung
3.3 IT-Systeme
3.4 Managen des Übergangs vom »Corporate Orphan« zu einem selbstständigen
Unternehmen über Transfer Service Agreements (TSAs)
4 Weiterentwicklung des Unternehmens vom »Corporate Orphan« zu einem
fokussierten Unternehmen
4.1 Strategisches »Full Potential«
4.2 Operatives »Full Potential«
5 Typische »Watch-outs«
6 Fazit

1 Einleitung
Carve-outs sind der Überbegriff für die Abspaltung von Unternehmensbereichen oder
Tochtergesellschaften. Sie stehen am Ende eines Strategieprozesses, der die Busi-
ness-Einheiten – vereinfacht ausgedrückt – in Kerngeschäfte und Randbereiche unter-
teilt. In dessen Folge werden die Randbereiche, die nicht mehr als Kernbestandteil des
Gesamtunternehmens angesehen werden, abgespalten und verselbstständigt. Carve-outs
sind hier jene Unternehmensteile, die schon vorher nicht als rechtlich und wirtschaft-
lich selbstständige Einheiten agiert haben und mindestens teilweise in das verbleibende
Unternehmen integriert waren, sei es durch gemeinsame Overhead-Funktionen (z. B.
IT, Finanzen) oder auch durch eine operative Teilintegration, zum Beispiel in Vertrieb,
Produktion oder R & D. Carve-outs sind technisch komplexe Prozesse mit hohen Trans-
aktionskosten, in denen parallel wirtschaftliche, rechtliche, personelle und steuerliche
Fragen geklärt werden müssen. Der gesamte Prozess kann bis zu drei Jahre in Anspruch
nehmen.
Beispiele von Carve-outs sind die Verselbstständigung von Orion aus dem Evonik-Kon-
zern, der Autolackiersparte Axalta aus der Dupont-Gruppe oder der Arvos-Gruppe
aus dem Alstom-Konzern, um nur einige zu nennen. Rund ein Drittel der globalen

* Unverändert übernommen aus M&A REVIEW 1/2015


** Ekkehard Franzke, Partner, A.T. Kaerney GmbH, München.
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226  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

M & A-Transaktionen sind Carve-outs. In Zeiten hoher Bewertungen (z. B. im Jahr 2008)


war der Anteil der Carve-outs an den gesamten M & A-Transaktionen noch deutlich hö-
her, da die hohen Bewertungen ausgenutzt wurden.
Der Carve-out eines Konzernbereiches wird in der Mehrzahl der Literatur aus Sicht
des Veräußerers beschrieben. Ein Carve-out ist aber erst dann erfolgreich, wenn er
verkauft ist, beziehungsweise erfolgreich an der Börse eingeführt wird und sich unter
dem neuen Eigentümer besser entwickelt als beim Verkäufer, was sich für erstere bei
einem Weiterverkauf in einer
Wertsteigerung oder in steigenden Aktienkursen ausdrückt. Der neue Gesellschafter
ist damit der »bessere, weil passendere Eigentümer«. Der Gedanke an diese Wertstei-
gerung bereits beim ersten Verkäufer sichert die Chancen für einen attraktiven Verkauf
und führt zu einem »reversed engineered exit«.
Eine Wertsteigerung beim Käufer entsteht über mehrere Dimensionen, durch das
»ähnlichere« Business-Modell und durch Fokussierung: Was vorher Randbereich war,
ist nun der Kernbereich, durch operative Synergien entlang der Wertschöpfungskette
(R&D, Einkauf, Produktion, Logistik, Vertrieb oder Service), aber auch durch Zugang
zu Kapital, Know-how (wie z. B. in der Internationalisierung) und dadurch, dass die
Corporate Governance typischerweise sehr fokussiert angelegt wird.
Die Gestaltung entscheidet über den Erfolg: Welches Businessmodell, welche Assets
und Systeme werden zum Verkauf gestellt? Es bietet sich an, die Carve-outs vom Exit her
zu gestalten – führt es doch für beide Seiten zum besten Ergebnis: Der Verkäufer erhält
den maximalen Verkaufspreis und das Unternehmen den besten neuen Eigentümer. Was
heißt das und wie geht das?

Entwicklung eines Business


Interne Evaluierung des Einschätzung des Geschäfts Cases und Identifizierung
Portfoliostrategie Portfolios von externer Perspektive
potenzieller Käufer

• Entwicklung strategischer • Festlegen von klar definierten • Quantitative und qualitative • Entwicklung eines De-
Prioritäten entlang des Segmenten für das Beurteilung der Segmente zur Investitionsansatzes & Suche
gesamten Portfolios der gegenwärtige Portfolio Bestimmung ihrer nach potenziellen Synergien für
Organisation Marktposition Käufer

• Beurteilung eines jeden • Festlegung eines strategischen


Segments mit Blick auf die Ansatzes für jedes Segment • Entwicklung eines Business
Firmenstrategie Case für potenzielle Kunden

Voraussetzung eines carve-outs

Abb.1: Carve-out-Prozess: Strategischer Ansatz (Quelle: Eigene Darstellung)

Um einen erfolgreichen Verkauf durchzuführen, müssen entsprechend dem Carve-out


prozessspezifische Erfolgsfaktoren berücksichtigt werden:
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II. Carve-outs erfolgreich gestalten: Eine gesamtheitliche Perspektive  |  227


Teil

1. Herstellen eines attraktiven und nachhaltigen Geschäftsmodells


2. Verselbstständigen – rechtlich und organisatorisch – mit den Liefer- und Leistungs-
verflechtungen
3. Managen des Übergangs von einem »Corporate Orphan« zu einem selbstständigen
Unternehmen über Service Transfer Agreements
4. Strategische und operative Weiterentwicklung des Unternehmens

2 Herstellung eines attraktiven und nachhaltigen


Geschäftsmodells
Am Beginn eines Carve-out-Prozesses steht die klassische Portfolio-Betrachtung des
Verkäufers, die interne und externe Einschätzung der Teilbereiche und damit Entschei-
dungen, die einen oder anderen Teileinheiten zum Verkauf zu stellen. Bereits um das
Portfolio zu bewerten, müssen homogene Business-Units definiert werden, die »handel-
bar« und »separierbar« sind. Dabei müssen die Verkäuferperspektive (»es passt nicht
mehr…«), der Business Case, die Separierbarkeit von Assets, Liefer- und Leistungsver-
pflichtungen mit der Attraktivität für einen neuen Gesellschafter verknüpft werden.
Der Carve-out, das »Verkaufsobjekt«, muss dann weiter definiert werden, nachdem es
ja nicht als selbstständige rechtliche und wirtschaftliche Einheit am Markt agiert. Die
Definition erfolgt von beiden Seiten, vom Markt kommend über die Produkte, Kunden-
segmente und Vertriebswege und von der dafür notwendigen Ressourcenbasis, sodass
daraus die »Business Units« organisatorisch gebildet werden können, die wieder zu
Unternehmen zusammengefügt werden. Schwierig wird es eigentlich nur dann, wenn
trotz der Definition als Randbereich das verkaufende Unternehmen ähnliche Produkte,
Kunden und Vertriebswege bedient oder Assets und Know-how (R & D) geteilt werden.
Es gibt auch Carve-outs, die nicht verkauft werden konnten, weil die Assets und das
Know-how nicht sauber getrennt werden konnten.
Schwieriger ist die Herstellung eines nachhaltigen, sich selbst tragenden Geschäfts-
modells. Das ist wirtschaftlich dann gegeben, wenn das Unternehmen seine Kapital-
kosten – Eigen- und Fremdkapital – selbst verdienen kann. Im Falle eines Carve-outs
ist das in den wenigsten Fällen bekannt, da der Carve-out in die Konzernverrechnung
(»Treasury«) eingebunden ist und die Soll-Kapitalausstattung erst hergestellt werden
muss – schließlich ist der Carve-out bisher nicht eigenständig am Finanz- oder Kapi-
talmarkt aufgetreten und das Konzern-Reporting weist häufig keine Segment-/Teilbe-
reichsergebnisse aus.
Sofern Teileinheiten zu klein oder nicht attraktiv genug sind, werden gern Pakete aus
mehreren Teilsegmenten geschnürt. Gerade die Zusammenstellung eines Pakets will mit
Bedacht gewählt sein, werden doch zum Teil Segmente zusammengeführt, die wenig
gemeinsam haben und eigentlich ein »Break-up-Scenario« sind. Für den Erwerber stellt
sich dann regelmäßig die Frage, wie er damit umgehen soll – was vor allem Finanzin-
vestoren abschreckt, die um ihre Reputation fürchten. Manchmal werden aber auch
Teilbereiche als Gesamtheit dargestellt, die aber einer genauen »Business-Definition«
nicht standhalten.
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228  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Ist die zu veräußernde Einheit einmal definiert, müssen die Finanzkennzahlen erho-
ben und zusammengestellt werden. Gerade weil Mutter- und Teilbereiche häufig mitei-
nander verwoben sind, liegen in der Regel keine fertigen Zahlen aus der Vergangenheit
vor, sodass sie erst zusammengestellt werden müssen. Die Kaufinteressenten brauchen
neben den Finanzdaten der letzten drei Jahre auch belastbare Planzahlen für die kom-
menden Jahre. Diese beiden zusammen sind die Basis für den Verkaufspreis.

3 Rechtliche und organisatorische Verselbstständigung


Bei der tatsächlichen Abspaltung lässt sich zwischen rechtlichen und organisatorischen
Aspekten unterscheiden.

3.1 Rechtliche Verselbstständigung1


Der Carve-out in rechtlicher Hinsicht ist ein selbstständiges und umfassendes Thema,
das von spezialisierten Rechtsanwälten bearbeitet wird und an dieser Stelle nur der Voll-
ständigkeit halber nach Themenblöcken angesprochen werden soll. Rechtlich gesehen
kann die Trennung von der Muttergesellschaft über zwei unterschiedliche rechtliche
Konstrukte erfolgen, dem Share oder dem Asset Deal.

(1) Share Deal


Ein Share Deal ist der Verkauf und die Abtretung von Gesellschaftsanteilen. Dabei sind
insbesondere die folgenden Komplexe zu beachten:
• Das Beenden des Ergebnisabführungsvertrages durch ordentliche oder außerordent-
liche Kündigung nach § 297 Abs. 1 AktG und des Cash Poolings
• Die Beendigung von gruppeninternen Vertragsbeziehungen und der Ausgleich von
Forderungen und Verbindlichkeiten und die Beendigung von Haftungsverhältnissen
(z. B. Patronatserklärungen, Bürgschaften) in der Regel weitestgehend steuerfreie
(§ 8bKStG) Übertragung

(2) Asset Deal


Unter einem Asset Deal versteht man das Übertragen von einzelnen Vermögensgegen-
ständen.
• Sehr wichtig ist der Bestimmtheitsgrundsatz – die zu veräußernden Vermögensge-
genstände müssen bestimmbar sein.
• Bei den Übergängen der Vertragsverhältnisse sowie beim Übergang der Verbindlich-
keiten ist die Zustimmung der anderen Vertragspartei beziehungsweise der Gläubiger
erforderlich. Bei einer Ausgliederung nach dem Umwandlungsgesetz entfällt dieses

1 Einen guten Überblick über gesellschaftsrechtliche, steuerliche und arbeitsrechtliche Themen bietet
der Vortrag von Hörmann/Pupeter (Gesellschafts- und Steuerrecht, beide P+P Pöllath + Partners)
und Lambrich (Arbeitsrecht, Noerr) vom 12. November 2013. Abrufbar unter www.mma-forum.eu/
archiv/mma-11.htm.
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II. Carve-outs erfolgreich gestalten: Eine gesamtheitliche Perspektive  |  229


Teil

Erfordernis. Denn es tritt Gesamtrechtsnachfolge ein. Allerdings tritt als Korrelat


eine fünfjährige gesamtschuldnerische Haftung für die beteiligten Rechtsträger ein.
• Es findet § 613a BGB Anwendung, das heißt, die Arbeitsverhältnisse der in dem Betrieb
oder Teilbetrieb Beschäftigten gehen vorbehaltlich eines fristgemäßen Widerspruchs
der Arbeitnehmer auf den Erwerber über. Wichtig: Ein kollektiver Widerspruch beim
Übergang der Arbeitsverhältnisse kann den Asset Deal faktisch verhindern.
• Der Asset Deal verlangt ebenso eine »Als-Ob-Rechnung«, also eine Berechnung des
Carve-outs, als ob es ein selbstständiges Unternehmen wäre, mindestens für das lau-
fende Jahr als Aufsatzpunkt für die Unternehmensplanung (Pro-forma-Berechnung
des Ist-Zustandes) mit der Bewertung der bezogenen Leistungen zu Marktpreisen.
• Der Veräußerungsgewinn beim Asset Deal ist normal steuerpflichtig nach KSt und
Gewerbesteuer.

Neben der rechtlichen Verselbstständigung sind die steuerlichen Implikationen sowie


das Spezialthema Pensionsrückstellungen zu berücksichtigen.

3.2 Organisatorische Verselbstständigung


Die organisatorische Verselbstständigung hängt weitgehend davon ab, was »ausgecarvt«
wird. Die Spannweite reicht von bereits selbstständig arbeitenden Unternehmen bis hin
zu Unternehmen, die wichtige Managementpositionen und Overheads aufbauen müs-
sen. Beide Funktionen, operative und Overhead-Funktionen, müssen angepasst werden.
In beiden Bereichen geht es in der Dimensionierung um Mengengerüste und um die
Ausgestaltung von Prozessen, welche die Erfolgsfaktoren am Markt berücksichtigen
(»Capabilities«) und einen Sprung an Effizienz zu dem vorherigen Zustand darstellen.
Die operative Verselbstständigung kann alle Funktionen entlang der Wertschöp-
fungskette betreffen, von der R & D über Einkauf, Produktion, Logistik bis zum Vertrieb
und Service.
Die Overhead-Funktionen, die aufgebaut werden müssen, sind im Allgemeinen be-
kannt, werden sie doch im Positiven von den Transition Service Agreements (s. Kap.
3.4) abgedeckt, bis eigene Strukturen aufgebaut wer-den. Schwierig wird es dann, wenn
Unternehmenseinheiten verkauft werden, die bisher nicht über eigene Overhead-Funk-
tionen verfügen – und gegebenenfalls auch noch an unterschiedlichen Standorten tätig
sind und als Unternehmenspaket beziehungsweise -portfolio verkauft werden. Sollte das
Paket weiter aufgeschnürt werden, müssen auch die Teilbereiche in die Lage versetzt
werden, selbstständig zu agieren – unter Ausnutzen von gemeinsam genutzten Ressour-
cen. In der Regel ist der Carve-out mit einem eigenen Management ausgestattet, das,
wenn es nicht bereits in dem Carve-out arbeitet, neu installiert wird. Es sind für Mana-
ger nicht immer die begehrtesten Aufgaben, verlangt es doch mehr unternehmerisches
Managementtalent, die sich bietenden Chancen auch zu erkennen. Die Unsicherheit
über den kommenden neuen Gesellschafter und die weitere Unternehmensentwicklung
sowie die bei Finanzinvestoren erwartete Managementbeteiligung führt zur Zurück-
haltung bei dem etablierten Management. Der »Sprung ins kalte Wasser« wird aber bei
erfolgreicher Entwicklung des Carve-outs reichlich belohnt.
Nicht nur das Top-Management, sondern auch die weiteren Management-Strukturen
und -Prozesse müssen entsprechend der neuen Situation angepasst werden. Es bietet
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230  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

sich – auch aus Perspektive des neuen Eigentümers – an, eine starke und unterneh-
merisch denkende Führungsmannschaft für die Transition zu einem eigenständigen
Unternehmen aufzubieten. Auch können die Entscheidungsprozesse, die im Carve-out
installiert werden, bereits vorher eingeübt werden.
Positiv vermerkt werden kann, dass die Reporting-Strukturen im Allgemeinen deut-
lich verschlankt werden und näher an den Kunden rücken.

3.3 IT-Systeme
IT-Systeme sind in den meisten Fällen ein sehr kritischer Teil, der über TSAs (Transition
Service Agreements) abgedeckt werden muss. Erforderlich ist in der Vorbereitung ein
genau definiertes Anforderungsprofil: Was wurde bereitgestellt und was ist erforderlich?
Die Bepreisung und auch die Maintenance (erforderliche Updates) müssen vereinbart
werden. Ein User-Support sollte sehr zügig selbst aufgebaut werden, wobei Vergleiche
mit Leistungen externer Dienstleister sehr hilfreich sind.
Der Neuaufbau sollte gleich auf ein modernes System erfolgen, das die Digitalisie-
rung der Prozesse erlaubt. Das erfordert auch das Überarbeiten der bestehenden Pro-
zesse. Im Idealfall erfolgt hier ein über die bisherige Konzernumlage hinausgehender
»Cost-take-out«, das heißt, die Kosten der Leistungserbringung sinken um mehr als die
bisherige Konzernumlage durch Wegfall von Tätigkeiten, Reduzierung oder schlicht
weil sie effizienter erbracht werden, zum Beispiel durch verstärkte Systemunterstützung
und Automatisierung.
Auch das Reporting ist in der Regel eine große Baustelle. Häufig haben Konzer-
neinheiten nicht das ausreichende Instrumentarium, um auf der Segment-Ebene zu
berichten und Transparenz herzustellen. Weitere Anforderungen kommen hinzu, wenn
Finanzinvestoren ihre Standards einführen.

3.4 M
 anagen des Übergangs vom »Corporate Orphan»
zu einem selbstständigen Unternehmen über Transfer
Service Agreements (TSAs)

Während des Übergangs erhält der Carve-out weiter Unterstützung durch die bisheri-
ge Muttergesellschaft zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs. Transition Service
Agreements sind Verträge zwischen Käufer und Verkäufer, um Dienstleistungen interi-
mistisch anzubieten, bis der Käufer eine eigene Struktur aufgebaut hat.
Die Unterstützungsleistungen sollten klar definiert sein – im Wesentlichen die klassi-
schen Overhead-Funktionen wie Finanz- und Rechnungswesen, Personal und vor allem
IT, im Umfang und Dauer beschrieben, die Service-Niveaus festgelegt und die Preise
fair ausgehandelt und in den Transition Service Agreements festgehalten werden: TSAs
regeln den Bezug, den Umfang und das Leistungsniveau, sowie den Preis:

(1) Leistungsniveau
Welche Leistungen werden für welchen Zeitraum bereitgestellt?
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II. Carve-outs erfolgreich gestalten: Eine gesamtheitliche Perspektive  |  231


Teil

• Welches Mengengerüst muss bewältigt werden, heute und in Zukunft?


• Wie wird die Leistung bereitgestellt (Service-Niveaus, interne und externe Dienst-
leistungsbereitstellung)?

(2) Preise
Wie werden die Dienstleistungen bepreist, welche fixen, welche variablen Preise, wel-
che Caps (Maximum) und welche Floors (Minimum) werden gesetzt? Hier hilft nur
gründliche Vorarbeit:
• Identifizieren der historischen (voll verteilten, mit und ohne Mark-up) Baseline-Kos-
ten für die Dienstleistungen
• Identifizieren aller Preiskategorien (variable, fixe und Spezial-Projekte)
• Definieren von Floors (Minimum-Preise) und Caps (Maximum-Preis, verglichen mit
externen Anbietern)
• Wie und wann werden die Leistungen bezahlt?

1 2 3 4
Bereitstellung der Laufendes
Umfang und Dauer Preise & T&C
Dienstleistungen Management
»Wie managen wir die
»Was stellen wir bereit?« »Wie stellen wir bereit?« »Was verlangen wir dafür?«
Dienstleistungen?«

Dienstleistungen/ Vergütung
Service Niveaus Governance Struktur
Assets (inkl. Cap & Floor)

Dauer outsourced/ Minimum/Baseline


Transition Management
insourced Kosten

Internal Service Rechnung/T&C/ Monitoring des Service


Providers Strafzahlungen Niveaus

Definition: Ein Transition Service Agreement (TSA) ist ein Vertrag zwischen Verkäufer und Käufer, um
Dienstleistungen interimistisch anzubieten bis der Käufer eine eigene Struktur aufgesetzt hat.

Abb. 2: Transition Service Agreement: Bausteine (Quelle: Eigene Darstellung, Pöllath + Partners)

(3) Bezug
Wie wird die Dienstleistung von den beteiligten Parteien (Alt- und Neugesellschaftern)
gemanagt, insbesondere wie werden Konfliktfälle gelöst?
• Definieren der Governance-Struktur (»Wie managen wir die Dienstleistungen?«)
• Das Monitoring des Service-Niveaus
• Die Gestaltung des Übergangs von der Altstruktur auf eine neue, eigenständige
Struktur

Die Trennung von gemeinsam genutzten Operations-/Produktionsstandorten, aber auch


der Zugang zu R & R sowie IP kann sich schwer trennbar gestalten. Hieran sind Trans-
aktionen bereits gescheitert. In selteneren Fällen gibt es auch den umgekehrten Fall,
wo die Altgesellschaft Assets von dem Carve-out weiter nutzen möchte. Hier sollten der
Einfachheit halber Marktpreise als Referenz vereinbart werden, zum Beispiel durch Ein-
holen von Angeboten. Eine andere Methode, die historische Kosten nimmt und Rechte
der Einsichtnahme vorsieht sowie laufende Kostenziele post-carve-out vereinbart, ist
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232  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

schwer nachzuvollziehen und rechtlich zweifelhaft. Typisches Beispiel hierfür ist die
Nutzung von Produktionsstandorten/Maschinen mit historischen Kosten.
Für die Käuferseite muss das Ziel der TSAs sein, ausreichend Zeit für den Aufbau der
eigenen Struktur zu haben, aber so schnell wie möglich auf die Zielkosten zu kommen,
die unter den historischen Kosten liegen sollten. In der neuen Situation gibt es typi-
scherweise keine Umlagen, häufig auch keine Größenvorteile, dafür kann der Umfang
der erbrachten Dienstleistungen an den Bedarf angepasst werden.
Zu beachten ist, dass für die Zeit der Gültigkeit der TSAs doppelte Kosten anfallen.
Schneller ans Ziel der Eigenständigkeit zu gelangen, spart also doppelt Kosten und muss
im Business-Plan berücksichtigt werden.

4 Weiterentwicklung des Unternehmens


vom »Corporate Orphan« zu einem fokussierten
Unternehmen
Ist das Unternehmen mit einem sich selbst tragenden Geschäftsmodell organisatorisch
und rechtlich selbstständig in die Hände eines neuen Eigentümers gewechselt, kommt
es nun darauf an, den Unternehmensplan, so wie bei der Akquisition geplant, umzu-
setzen. Der Erwerber muss also seine Investment-These – das Unternehmen wurde ge-
kauft, um gewisse finanzielle, strategische und operative Ziele zu erreichen – umsetzen
und tatsächlich zeigen, dass unter seiner Ownership das Unternehmen weiterentwickelt
wird. Der Carve-out war nur der Beginn eines Programms, das zum »Full Potential« des
Carve-outs führen sollte.

4.1 Strategisches »Full Potential«


Das strategische Full Potential adressiert das Umsatzpotenzial. Je nachdem welcher
Käufer den Zuschlag erhält, muss die Firma im Stand-alone-Modus weiterentwickelt
oder auf eine weitere (zusätzliche) Struktur zurückgegriffen werden. Möglicherweise
ergänzen sich der Käufer und das Carve-out bei Kunden, Produkten oder Vertriebska-
nälen oder in der regionalen Abdeckung. Dann können Synergien gehoben werden, die
gegebenenfalls über die Überschneidung beim Altgesellschafter hinausgehen.
Auch ohne Überschneidungen kann der Carve-out bei einem »besseren Eigentümer«
gelandet sein. Durch die Fokussierung des Carve-outs auf das Kerngeschäft kann auf die
gesamte Klaviatur der Umsatzsteigerung, wie die weitere Segmentierung zur Erschließung
neuer Kundengruppen, Preisdifferenzierung, Erschließung weiterer Vertriebskanäle (e-com-
merce) und Internationalisierung, zurückgegriffen werden, um nur einige zu nennen.
Ein »reversed-engineered«-Exit, der diese Potenziale in Szenarien abgebildet und im
Business-Plan berücksichtigt hat, ist die Basis für die Bewertung der Maßnahmen (Pri-
oritäten nach »ease of implementation« und »impact«) und den Umsetzungsplan selbst,
der die Ziele auf Aktivitäten, Meilensteine und Verantwortlichkeiten herunterbricht und
als »Drehbuch« der Umsetzung dient.
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II. Carve-outs erfolgreich gestalten: Eine gesamtheitliche Perspektive  |  233


Teil

4.2 Operatives »Full Potential«


Das operative Full Potential adressiert die Prozesse und die Kostenseite des Carve-outs.
Im Unterschied zu der Situation vor dem Carve-out können nun die Kosten eigenver-
antwortlich gemanagt werden. Die Chance ist, im Rahmen des Carve-outs und der
Neugestaltung der Prozesse einen Sprung auf der Effizienzkurve zu machen. Das trifft
vor allem auf die Overhead-Funktionen zu. Aber auch für Themen entlang der gesamten
Wertschöpfungskette, die hier nur exemplarisch angesprochen werden können:
• In der R&D wird die Grundlagenforschung, die im Allgemeinen bei dem Altgesell-
schafter verbleibt, von anwendungsbezogener Forschung getrennt. Je nachdem wie
gut der Exit vorbereitet wurde, gilt es, mögliche Scale Diseconomics und den fehlen-
den Zugang zu der Grundlagenforschung auszugleichen.
• Im Einkauf müssen die Verträge neu verhandelt werden. Obwohl hier die Annahme
vorherrscht, dass es nach Wegfall der Konzerngrößenvorteile teurer wird, können
zum Teil interessante Einkaufspreise aus gehandelt werden.
• Sofern es Produktionsstandorte gibt, können diese nun neu konfiguriert werden, die
Struktur und die Auslastung nach Standorten definiert werden. Entscheidend sind
der zukünftige Business-Plan und das Potenzial, das auf absehbare Zeit erwartet
wird.
• Der Vertrieb ist meistens ohnehin getrennt geführt. Sofern eine Separierung erfor-
derlich ist, sollte diese frühzeitig – lange vor dem eigentlichen Carve-out – erfolgen,
um zu zeigen, dass der Vertrieb eigenständig ist. Ein Neuaufbau nach dem Carve-out
wirkt sich nachteilig auf den Verkauf aus und bevorzugt strategische Käufer vor
Finanzinvestoren oder macht ihn in Grenzfällen unmöglich.
• In der Logistik können sich Skalennachteile ergeben. Outsourcing ist dann eine Al-
ternative, die geprüft werden sollte oder aber bereits im Zuge des Exits vorbereitet
wurde.

5 Typische »Watch-outs«
Unternehmen, die Unternehmensteile herauslösen und verkaufen wollen, müssen diesen
Schritt gut vorbereiten, während sie gleichzeitig gewährleisten müssen, dass die Ge-
schäfte weitergehen und der Wert des Transaktionsobjektes erhalten beziehungsweise
gesteigert wird. Im Folgenden sind typische Watch-outs aus Verkäufer- und Käufersicht
stichpunktartig aufgeführt:
• Verkäufersicht
– Definition des Verkaufsobjektes: Was wird genau verkauft? Sind es die Non-Co-
re-Bereiche? Sind es die »Underperformer«? Sind es zukunftsträchtige Geschäfts-
bereiche? Lassen sie sich aus der Gruppe heraus verselbstständigen?
– Balancierte Darstellung des Unternehmensteils: auf der einen Seite als attraktives/
zukunftsorientiertes Unternehmen und auf der anderen Seite als »Verkaufskandi-
dat«.
– Durchführung der organisatorischen und rechtlichen Trennung mit Kommuni-
kation des Schrittes nach innen und außen, einerseits um die Unsicherheiten im
Geschäftsverlauf so gering wie möglich zu halten, andererseits gilt nach dem
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234  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Arbeitsrecht auch die Einhaltung gewisser Unterrichtungspflichten, zum Beispiel


nach Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)?
• Käufersicht
– Gibt es belastbare Pro-forma-Kennzahlen – mindestens über einen Zeitraum von
drei Jahren – als Aufsetzpunkt für die Unternehmensplanung? Wie solide ist die
Unternehmensplanung?
– Sind alle wesentlichen Funktionen/Capabilities im Unternehmen, die eine opera-
tive Selbstständigkeit brauchen, zum Beispiel gibt es einen eigenen Vertrieb mit
Zugang zu den Kunden? Geht die R & D-Pipeline mit auf den Erwerber über?
– Sind die rechtlichen und steuerlichen Risiken in den Verträgen berücksichtigt
(Garantien, Arbeitsrecht und Übergang der Mitarbeiter? Gibt es eine adäquate
Berücksichtigung der Pensionsrückstellungen, Steuerrisiken etc.?)
– Sind die Transition Service Agreements ausreichend, richtig bepreist und flexibel
in der Ausgestaltung?

Formulieren der Erwartungen und Prinzipien für den Carve-out – Definieren der Ziele und Prinzipien des De-
1 Investments für die Separierung vor dem Hintergrund der Firmenziele RemainCo

Managen der Transition – Etablierung klarer und transparenter Führungsstrukturen mit Entscheidungsrechten und
2 Verantwortlichkeiten in den Händen von RemainCo

Verständnis der operativen Trennungs-Voraussetzungen – Vorausschauende Analyse des Separierungsaufwandes für


3 Schlüsselfunktionen, um effektive Ausführungspläne zu entwickeln

Begrenzen der Serviceverpflichtungen – Nachvollziehen der Auswirkungen der TSA (Umfang & Dauer) auf die Fähigkeit
4 von RemainCo, Kosten zu reduzieren und die Performance zu verbessern

Proaktives Adressieren der Unsicherheit bei Mitarbeitern und Kunden – Gewinnen der Unterstützung von Angestellten
5 und Kunden für die Trennung, um eine Abwanderung von Talenten und Umsatzverluste zu vermeiden

Der Carve-out muss aus Verkäufer- und Käufersicht gestaltet werden.

Abb. 3: Erfolgsfaktoren beim Carve-out-Prozess (Quelle: Eigene Darstellung, Pöllath + Partners)

6 Fazit
Carve-outs sind potenziell attraktive Investitionsziele für die Käufer, wenn sie ein
nachhaltiges und entwicklungsfähiges Geschäftsmodell haben. Sie performen (von der
Wertsteigerung betrachtet) in der Regel besser als »normale« Transaktionen, also als
die Weitergabe von Unternehmen, die keine Carve-outs sind. Das liegt vor allem da­
ran, dass Carve-outs zusätzliche Wertstellhebel bieten, nämlich die Fokussierung des
Geschäftsmodells (»vom Corporate Orphan zum Kerngeschäft«) und die Chance zur
Neudimensionierung der gesamten Wertschöpfungskette außerhalb eines Konzerns.
Für den Verkäufer gilt es daher, dies in einer attraktiven Story herauszuarbeiten und
umzusetzen, durch gute Vorbereitung mithilfe eines präzisen Plans, einer gestuften
Kommunikation und eines Denkens aus der Perspektive eines erfolgreichen Exits. Für
den Käufer gilt es, die Chancen in dem Geschäftsmodel, die ja vorher nicht transpa-
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II. Carve-outs erfolgreich gestalten: Eine gesamtheitliche Perspektive  |  235


Teil

rent sind, herauszuarbeiten und so viel Sicherheit zu bekommen, dass es in den Busi-
ness-Plan (zur Bewertung) einfließen kann. Gleichzeitig müssen die unterstützenden
Funktionen dimensioniert, bewertet und aufgebaut werden, während die Transition
Services den Übergang sicherstellen. Ist das Unternehmen »ausgecarvt«, kann mit der
eigentlichen Arbeit, nämlich der Weiterentwicklung des Unternehmens und dem Heben
der Potenziale, die letztlich unter dem vorhergehenden Gesellschafter vorborgen geblie-
ben sind, begonnen werden.
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236  | 
Teil

III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A-


und Integrationsprozessen
Kristin Alena Sadowski/Felix Morlock/Christian Weyand*

1 Integrierte Kommunikation
2 Kommunikation in der Transaktionsphase
2.1 Planung und Vorbereitung
2.2 Ankündigung der Transaktion
2.3 Taktik und Reputationsmanagement
3 Kommunikation in der Integrationsphase
3.1 Vorbereitung bis Closing
3.2 Day 1 – Der erste gemeinsame Tag
3.3 Post Closing
4 Zusammenfassung der Erfolgsfaktoren
4.1 Erfolgsfaktor 1: Vorbereitung
4.2 Erfolgsfaktor 2: Flexibilität
4.3 Erfolgsfaktor 3: Feedbackprozess
4.4 Erfolgsfaktor 4: Begeisterung
4.5 Erfolgsfaktor 5: Nachrichtenfluss
4.6 Erfolgsfaktor 6: Integrierte Kommunikation

1 Integrierte Kommunikation
Aufgrund der zunehmenden Komplexität von Transaktionen, wachsender Internationa-
lisierung der Anspruchsgruppen sowie dem Trend zur Digitalisierung der Medienland-
schaft besteht heute in der M & A-Kommunikation mehr denn je die Notwendigkeit zu
einer integrierten Kommunikation. Integriert werden dabei nicht nur die Kommunikati-
onsinstrumente, sondern vor allem die einzelnen Prozessabschnitte bei einer Transkati-
on. Insbesondere der kommunikativen Begleitung einer Transaktion über den formellen
Vertragsabschluss hinaus, dem sogenannten »Signing«, kommt heute eine besondere
Rolle zu. Bei großen Übernahmen beginnt ein wichtiger Teil der Arbeit des Kommu-
nikationsteams erst mit der Bekanntmachung der Transaktion und endet zumindest
mittelfristig erst mit dem sogenannten »Closing«.
Bei einer Transaktion steigt das Informationsbedürfnis und dadurch der Kommuni-
kationsaufwand, um mit allen relevanten Parteien einen Dialog zu führen. Die Unter-

* Kristin Alena Sadowski, Director, Kommunikationsstrategieberatung Brunswick, Frankfurt a. M.;


Felix Morlock, Director, Kommunikationsstrategieberatung Brunswick, Frankfurt a. M.;
Christian Weyand, Partner, Kommunikationsstrategieberatung Brunswick, Frankfurt a. M.
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  237


Teil

nehmenskommunikation ist dabei Bindeglied zwischen dem Unternehmen und seinen


Anspruchsgruppen. Einzelne Anspruchsgruppen weisen teilweise konträr gelagerte In-
teressen auf. Aussagen zu Kostensynergien können latent im Konflikt zu Zusagen zur
Arbeitsplatzsicherung stehen und erschweren es damit in der M & A-Kommunikation
ein konsistentes Erscheinungsbild über das Unternehmen und die Transaktion zu ver-
mitteln.1
Kommunikation ist immer nur ein Teil des gesamten Prozesses und wirkt vor allem
unterstützend. Gute Kommunikation wird niemals eine fundamental schlechte Transak-
tion in eine wertbringende verwandeln können. Jedoch kann schlechte Kommunikation
dazu führen, dass strategisch sinnvolle Transaktionen nicht den Wert erzielen, der
zu erwarten gewesen wäre.2 Synergiepotenziale rechtfertigen beispielsweise mitunter
eine hohe Bewertung des Übernahmeobjektes und machen manche Transaktionen erst
möglich. Wenn diese gegenüber den Mitarbeitern nicht in den entsprechenden Kontext
gestellt werden, so kann dies zu einer erheblichen Unruhe im Unternehmen führen, die
nicht nur die Produktivität sinken lässt, sondern die Integration und damit wichtiges
Potenzial verschenkt.
Integrationskommunikation und Transaktionskommunikation bedingen sich gegen-
seitig und sind in ihrer Gesamtheit zu betrachten, um einen maximalen Erfolg zu
gewährleisten. Kommunikation ist kein Selbstzweck, sondern sollte den Transaktions-
zielen folgen bzw. sollte wie die Finanzierungsstrategie oder die Verhandlungsführung
ein elementarer Bestandteil bei einer Transaktion sein. Auch wenn die grundsätzliche
Bedeutung von Kommunikation unbestritten ist, zeigen Studien, dass Kommunikation
von einer Vielzahl der befragten Unternehmen rückwirkend als eine unvorhergesehene
Herausforderung beschrieben wird.3

2 Kommunikation in der Transaktionsphase


Grundsätzlich unterscheidet man in der M &A-Kommunikation drei wesentliche Phasen,
die sich am gesamten Projektablauf orientieren: Planung und Vorbereitung, Ankündi-
gung der Transaktion und Post-Merger oder Integrations-Kommunikation.
Die erste öffentliche Kommunikation der Übernahmepläne ist gleichermaßen der
Beginn für die Integrationskommunikation. Das wichtigste Ziel hierbei ist die optimale
Vorbereitung auf den sogenannten »Day 1«, den ersten Tag, an dem die zusammenge-
schlossenen Unternehmen als gemeinsame Einheit auftreten sowie das Sicherstellen
einer reibungslosen Integration.
Im Folgenden werden die wesentlichen Elemente in der M & A-Kommunikation aus
Sicht des Käufers bei einer freundlichen Übernahme beleuchtet.

1 Bruhn 2006.
2 Lipin 2003.
3 PricewaterhouseCoopers 2009.
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238  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2.1 Planung und Vorbereitung


Kommunikation sollte frühzeitig strategischer Bestandteil bei der Vorbereitung einer
Transaktion sein. In die Planungs- und Vorbereitungsphase fällt die Einrichtung von
Kommunikationsinfrastruktur und -prozessen sowie die Erstellung grundlegender Kom-
munikationsdokumente wie der Kommunikationsstrategie, einschließlich verschiedener
wahrscheinlicher Szenarien.
Bei einer Übernahme – ob freundlich oder feindlich – gehört es zu den zentralen
Aufgaben der Kommunikation alle wichtigen Details zur Transaktion zusammenzutra-
gen und für die jeweilige Zielgruppe aufzubereiten. Ziel ist es, alle Anspruchsgruppen
umfänglich informieren zu können und individuelle Aspekte zu beleuchten. So gilt es
unter anderem, die Aktionäre der Zielgesellschaft von der Attraktivität des Übernah-
meangebots zu überzeugen, Politiker frühzeitig zu informieren und für Unterstützung
für den Zusammenschluss zu werben sowie Mitarbeitern sehr transparent die Abläufe
zu erläutern und dadurch Verunsicherung zu minimieren.
Durch die intensive Vorbereitung sollte das Unternehmen in der Lage sein im Falle
von Spekulationen gegebenenfalls schnell und gezielt gegensteuern zu können.

2.1.1 Kommunikationsstrategie und Szenarioplanung

Angesichts der sensiblen und bei börsennotieren Unternehmen aktienkursrelevanten


Informationen, die bei einer Transaktion einer Vielzahl von Projektmitgliedern und
Beratern bekannt sind, sollte eingehend auf ein mögliches sogenanntes »Leak-Szenario«
vorbereitet werden. Darin wird der Umgang mit möglichen Gerüchten wie z. B. das vor-
zeitige Bekanntwerden der Transaktionspläne beschrieben. Um in einem solchen Fall
schnell reagieren zu können, werden Sprachregelungen und Abläufe definiert, die den
gesetzlichen Informationspflichten des Unternehmens gerecht werden und die taktische
Verhandlungssituation berücksichtigen.
Die Kommunikationsstrategie beruht auf einer Reihe von Analysen und beschreibt
die strategische, organisatorische und logistische Ausgestaltung der Kommunikations-
maßnahmen und -materialien. Dabei werden sämtliche Aspekte der Transaktion wie
die Übernahmegründe, die Situation der Zielgesellschaft, Transaktionsstruktur und
Integrationsansatz ausgewertet, um daraus ein gezieltes Vorgehen zu entwickeln. Die
Kommunikationsstrategie beinhaltet die Kommunikationsziele und das grundsätzliche
kommunikative Vorgehen. Sie ist damit Ausgangspunkt für alle Kommunikationsmaß-
nahmen und bestimmt die Tonalität und die zeitliche Abfolge von Maßnahmen im
Verlauf der Transaktion.
Die Kommunikationsstrategie muss einen gewissen Handlungsspielraum zulassen,
um auf ggf. wechselnde Rahmenbedingungen reagieren zu können. Aufbauend auf der
Kommunikationsstrategie werden im Rahmen einer Szenarioplanung für vorhersehbare
und wahrscheinliche Entwicklungen – beispielsweise das Auftreten eines zusätzlichen
Bieters – entsprechend angepasste Kommunikationsmaterialien wie Presseerklärungen,
Kernbotschaften sowie Fragen- und Antwortenkatalog entwickelt. Diese Vorbereitung
zielt darauf ab, beim Eintreten eines solchen Szenarios schnell und präzise kommuni-
zieren zu können.
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  239


Teil

2.1.2 Schwachstellenanalyse und Kernbotschaften

Die sogenannten Kernbotschaften folgen bei einem öffentlichen Übernahmeangebot


i. d. R. den folgenden Leitlinien:
• die Zielgesellschaft und deren Produkte sind komplementär zum eigenen Portfolio,
• die Transaktion ist wertschaffend für die eigenen Aktionäre,
• der angebotene oder bezahlte Preis ist »fair« und enthält eine adäquate Prämie,
• das Angebot ist mit dem Management der Zielgesellschaft abgestimmt.

Kernbotschaften umfassen die wesentlichen Botschaften, die das Unternehmen ver-


mitteln möchte. Diese ziehen sich im Idealfall wie ein roter Faden durch die gesamte
Kommunikation. Sie fassen in wenigen Sätzen zusammen, wie die Transaktion bei den
Anspruchsgruppen wahrgenommen werden soll und welche Themenbereiche dabei in
den Vordergrund gerückt werden. Sie sind damit das Bindeglied zwischen Kommuni-
kationsstrategie und Kommunikationsmaterialien.
Die Schwachstellenanalyse basiert auf einer genauen Analyse der beteiligten Stake-
holdergruppen. Zunächst werden hierfür die relevanten Stakeholdercluster identifiziert
und deren Interessenlage bewertet. Im Vergleich der Stakeholderinteressen mit dem
beabsichtigten Angebot lassen sich die Herausforderungen für die Kommunikation iden-
tifizieren.
In die Kernbotschaften fließen sowohl die Schwächen der Zielgesellschaft (z. B. eine
schwache Aktienkursentwicklung) als auch potenzielle Schwachstellen des Käufers ein.
So hat beispielsweise McKesson bei der Kommunikation des Angebotes für Celesio Ende
2013 aktiv lokale Politiker angesprochen und das Thema Arbeitsplatzabbau adressiert
und erklärt, wie das Konzept zur Eingliederung von Celesio aussehen wird und wel-
che Lehren aus früheren Transaktionen für eine erfolgreiche Integration von Celesio
gezogen wurden; damit wurde dieser mögliche Kritikpunkt weitgehend neutralisiert.4

2.1.3 Kommunikationsinfrastruktur und Prozessplanung

Im Rahmen der Prozessplanung für die Kommunikation werden vorhandene Struktu-


ren geprüft und relevante Prozesse definiert und auf die Transaktion angepasst. Dabei
wird auch überprüft, ob intern die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stehen.
Die definierten Standardprozesse, speziell für die Abstimmungsrunden von Kommuni-
kationsmaterialien, erlauben es dem Kommunikationsteam später auch unter hohem
Zeitdruck effektiv zu arbeiten.
Bei Kapitalmarkttransaktionen ergibt sich für das Kommunikationsteam regelmäßig
Rücksprache- und Klärungsbedarf mit den weiteren Mitgliedern des Transaktionsteams
und den Beratern. Gemeinsam wird die jeweils aktuelle Situation besprochen und das
weitere Vorgehen abgestimmt. Für das Kommunikationsteam ist es erfolgskritisch über
alle Einzelheiten der Transaktion informiert zu sein, um so umfassend kommunikativ
planen zu können und im Falle eines Leaks schnell reagieren zu können. Projektma-
nagement bedeutet daher, alle Projektbeteiligten an einem Meinungsbildungsprozess
zu beteiligen. Es empfiehlt sich daher i. d. R., einen regelmäßigen Meinungsaustausch

4 Vgl. Kindler/Poussot 2009: Interview mit Jeff Kindler und Bernard Poussot am 26.01.2009.
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240  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

aller Beteiligten zu institutionalisieren, z. B. durch eine tägliche Telefonkonferenz und


ein regelmäßiges physisches Treffen aller Prozessbeteiligten.

2.1.4 Kommunikationsmaterialien und Implementierungsprogramm

Zu den wichtigsten Kommunikationsmaterialien zählen die Equity Store, Zeitplan,


Sprachregelungen, Pressemitteilungen, Präsentationen, Q & A-Katalog sowie Dokumen-
te für bestimmte Anspruchsgruppen wie der Mitarbeiterbrief und das Anschreiben für
Politiker. Ferner bietet sich die Einrichtung einer separaten Deal-Website an, die sämtli-
che Informationen und Kommunikationsmaterialien zur Transaktion enthält und damit
alles Wissenswerte bündelt und leicht verfügbar macht.5
Generell enthalten alle Kommunikationsmaterialien die gleichen Botschaften und
sind nur geringfügig für die jeweiligen Zielgruppen angepasst. So wird der Schwer-
punkt für Investoren und Analysten auf der strategischen Bedeutung der Transaktion
und finanztechnischen Überlegungen liegen, während für die Mitarbeiter vornehmlich
organisatorische Themen und die Sicherheit des Arbeitsplatzes im Vordergrund stehen.
Eine sogenannte »One-Voice-Policy«, also eine eng abgestimmte und über alle Kanäle
konsistente Kommunikation, ist hierbei von entscheidender Bedeutung.
Für den vorausschauenden Kommunikator gilt: Eine detaillierte Vorbereitung aller
Maßnahmen ist erforderlich, wenn im Verlauf der Transaktion unnötige Fehler ver-
mieden werden sollen. Insbesondere die ersten Tage – wenn nicht sogar Stunden –
nach der Ankündigung eines Übernahmeangebots sind entscheidend für die öffentli-
che Wahrnehmung. Oberstes Ziel ist es, die Meinungsführerschaft in den Medien zu
erreichen und insbesondere Analysten und Investoren frühzeitig über die Hintergründe
der Transaktion und das Wortschöpfungspotenzial zu informieren. Entsprechend wird
bereits im Vorfeld ein dezidiertes Implementierungsprogramm für sämtliche Kommu-
nikationsmaßnahmen erarbeitet.

2.2 Ankündigung der Transaktion


2.2.1 Bedeutung der ersten Tage

Die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wird selten wieder dasselbe Ausmaß erreichen
wie kurz nach der Bekanntgabe. Fehler in diesen ersten Stunden lassen sich später
nur mit viel Aufwand korrigieren. Die ersten Stunden am Tag der Ankündigung der
Übernahmeabsicht müssen daher sehr genau geplant werden. Dies beinhaltet nicht
nur die Veröffentlichung einer möglichen Ad-hoc-Mitteilung und Pressemitteilung, die
Durchführung einer Telefonkonferenz mit Investoren, Analysten und Medienvertretern,
sondern auch den Dialog mit den Mitarbeitern, mit Arbeitnehmervertretern, Politikern
und Regulierungsbehörden.

5 Die Deal-Website oder Microsite wird im Vorfeld vollständig programmiert und mit den entspre-
chenden Materialien bestückt. Als sogenannte Dark Site ist sie zunächst nicht für die Öffentlichkeit
zugänglich und wird erst mit der Bekanntmachung der Transaktion freigeschaltet.
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  241


Teil

Eine hohe Präsenz des Managements nach außen, aber auch gegenüber den Mitar-
beitern ist unerlässlich. Während die externe Kommunikation hauptsächlich dem Top-
management zukommt, ist intern das gesamte Management gefragt. Insbesondere das
mittlere Management spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, den eigenen Mitar-
beitern die Vorteile der Transaktion zu erläutern und den Dialog zwischen Unternehmen
und Mitarbeitern zu führen. In der Phase bis zum Closing unterliegen allerdings alle
Beteiligten sehr restriktiven Kommunikationsrichtlinien. Für das Unternehmen ist es
daher sinnvoll, nur eine sehr begrenzte Anzahl an Sprechern einzusetzen, die diszip-
liniert Sprachregelungen und Gesprächsleitfäden einhalten.

2.2.2 Prozessmeilensteine

Unternehmensübernahmen können einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Ein


viel zitiertes Beispiel ist die Übernahme von Peoplesoft durch Oracle, die sich über mehr
als 18 Monate hinzog.6 Über eine lange Zeitspanne ist es unmöglich, den Medien und
Märkten regelmäßig neue Informationen zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig aber
ist es das Ziel, den Dialog mit den Anspruchsgruppen aufrechtzuhalten. Meilensteine
des Transaktionsprozesses bieten einen Anlass, aktiv zu kommunizieren – i. d. R. in
Form von Pressemitteilungen. Dazu zählen z. B. Verlängerungen der Angebotsfrist, re-
gulatorische Freigaben, interne Entscheidungen zur Führung, Standort oder Name der
Einheit/des Unternehmens sowie wichtige Meilensteine im Integrationsprozess bis hin
zum sogenannten »Day 1«, dem ersten Tag des zusammengeschlossenen Unternehmens.
Jede dieser Meldungen eignet sich als Anknüpfungspunkt für einen konstanten Dialog
mit den relevanten Zielgruppen und erfüllt damit das Ziel, die weitere erfolgreiche
Durchführung der Transaktion bis zum Closing zu dokumentieren.
Darüber hinaus verlassen sich viele Unternehmen auf Hintergrundgespräche der
Kommunikationsteams mit Analysten und Investoren sowie Journalisten. Diese Ge-
spräche dienen dazu, die Sicht des Unternehmens aufzuzeigen und mögliche Fragen
zu beantworten.

2.2.3 Feedback/Stimmung/Wahrnehmung

Von entscheidender Bedeutung für die taktische Planung der Kommunikation wäh-
rend des Transaktionsprozesses ist die kontinuierliche Markt- und Medienbeobachtung.
Diese stellt sicher, dass zeitnah auf wichtige Entwicklungen reagiert werden kann.
Gleichermaßen von Bedeutung ist die Versorgung des Transaktionsteams mit aktuellen
Informationen zur Entwicklung an den Kapitalmärkten. Dabei handelt es sich zum ei-
nen um kurze Meldungen zum Handelsverlauf der Aktien beider Unternehmen (Trading
Updates), zum anderen um eine profunde Einschätzung der relevanten Analystenmei-
nungen, die durch den direkten Dialog mit dieser Zielgruppe gewonnen werden und
durch Auswertung von Analystenzitaten in den Medien angereichert werden.
In einer weltweit vernetzten Medien- und Finanzwelt ist dies ebenso eine globale
Aufgabe. So werden von Nachrichtenagenturen wie Bloomberg, Reuters oder Dow Jo-
nes, Nachrichten und Gerüchte aus einem Wirtschaftsraum binnen Sekunden in einen

6 Associated Press 2004.


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242  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

anderen getragen. Dies gilt naturgemäß auch für Social Media, die heute einen immer
größeren Einfluss auf die Wahrnehmung von Transaktionen haben und entsprechend
im ersten Schritt in die Beobachtung und im zweiten Schritt in den Dialog einbezogen
werden sollten.
Darüber hinaus gilt es, die unternehmensinternen Feedbackschleifen zu nutzen, um
einen Eindruck von der Stimmung der Mitarbeiter zu bekommen. Institutionalisierte Mit-
arbeiterbefragungen sind dabei ebenso von Bedeutung wie der informelle »Flurfunk«.

2.2.4 Tägliche Kommunikationsplanung

Es empfiehlt sich, für das Kernteam eine morgendliche Medienschau abzuhalten, um


die neuesten Entwicklungen im Team zu besprechen. Regelmäßig als Telefonkonferenz
organisiert, werden so mit dem Kernteam die Kommunikationsaktivitäten für den lau-
fenden Tag koordiniert. Die kontinuierlichen Analysen von Medienberichten in Print,
Online, TV und Radio sowie Kapitalmarktreaktionen aber auch die Berücksichtigung
von Äußerungen anderer Stakeholder wie Politiker, Regulatoren, Kunden und Zulieferer
sind die Basis für einen ständigen Überprüfungsprozess des taktischen Vorgehens und
der Gewichtung und Justierung von Botschaften. Dies gilt auch für die interne Kommu-
nikation mit den Mitarbeitern – möglichst beider Unternehmen – die zu einem guten
Teil der Integrationskommunikation zuzuordnen ist.
Diese tägliche Planung ist gewissermaßen der Teil der Kommunikation, der am we-
nigsten vorhersehbar ist, sondern vielmehr der täglichen taktischen Gemengelage aktu-
ell angepasst wird. Obwohl in die grundlegende Kommunikationsstrategie eingebettet,
bleibt sie damit zu einem guten Teil reaktiv.

2.3 Taktik und Reputationsmanagement


Grundsätzlich muss der Übernehmer im Markt die Botschaft positionieren, dass das
Angebot so gut ist, dass es ohne Änderungen akzeptiert werden kann. Letztendlich
entscheidet nicht die Zielgesellschaft über einen Abschluss, sondern ihre Aktionäre.
Die Vorgehensweise beider Seiten wird von der Beantwortung bestimmter taktischer
Fragen abhängen, die sich den Transaktionsteams bei jeder Übernahme fast täglich
stellen und die Komplexität der Kommunikationsaufgabe demonstrieren. Nachfolgend
eine kleine Auswahl:
• Ist es von Vorteil, sich öffentlich im Vorfeld der Vorlage des Angebots zu äußern, wis-
send, dass jegliche Aussagen in der Angebotsunterlage kommentiert werden können?
• Wie soll mit Unternehmensbewertungen und Kurspotenzial umgegangen werden,
und ist es sinnvoll, die eigenen Vorstellungen zum Angebotspreis zu äußern?
• Soll ein drittes Unternehmen, das anstelle des unerwünschten Angreifers die Über-
nahme vollzieht (»Weißer Ritter«), selbst ins Spiel gebracht werden? Oder ist es
sinnvoll, potenzielle »Weiße Ritter« frühzeitig selbst zu diskreditieren?
• Wie soll mit Veränderungen in der Aktionärsstruktur umgegangen werden, wenn
davon Kenntnis erlangt wird, insbesondere vom Einstieg von Hedgefonds?
• Wie aggressiv sollte eine Kampagne geführt werden? Was erwarten der Markt, die
Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner?
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  243


Teil

• Wie soll mit Informationen umgegangen werden, die dem Markt nicht bekannt sein
können, wie z. B. Schwächen im Finanzierungskonzept oder erste vertrauliche Ein-
schätzungen der Kartellbehörden?
• Wie muss die Kommunikation gestaltet werden, wenn einer offiziell kämpferischen
Linie die inoffizielle Vorbereitung einer Verhandlungslösung gegenübersteht?
• Welche Maßnahmen können sinnvollerweise eingesetzt werden, um die Verhand-
lungsposition zu verbessern oder den Gegner überraschend unter Druck zu setzen?

Das oberste Ziel der Kommunikation bleibt es, die Reputation des Unternehmens und
dessen Management zu schützen und sicherzustellen, dass die besten Mitarbeiter weiter
an Bord bleiben. Jede Transaktion wird Teil des sogenannten »M & A Track Records«,
der Bilanz aller M & A-Transaktionen eines Unternehmens, der gerne genutzt wird, um
Übernehmer mit Misserfolgen der Vergangenheit zu diskreditieren und damit künftige
Transaktionen zu beeinflussen. Dabei muss ein Ausstiegsszenario nicht zwangsläufig
negativ sein. Wenn beispielsweise der Übernehmer bei einem Scheitern klar vermittelt,
dass der Grund für den Ausstieg in der eigenen Preisdisziplin liegt, kann dies im Gegen-
teil bei künftigen Transaktionen die Verhandlungsposition stärken. In jedem Fall sollte
ein Ausstiegsszenario umfänglich vorbereitet werden.

3 Kommunikation in der Integrationsphase


Die erste erfolgskritische Hürde einer Unternehmensübernahme ist mit der Einbindung
der Kommunikation als elementarer Bestandteil des Transaktionsprozesses genommen.
Doch nur ein effektives Management der sich anschließenden Integration führt schließ-
lich zu einem nachhaltigen Erfolg der Übernahme. Wie bereits in der Transaktionsphase
nimmt die Kommunikation auch im Rahmen des Integrationsprozesses weiterhin eine
erfolgskritische Schlüsselrolle ein. Auch und vor allem in dieser Phase gilt es, die rele-
vanten Stakeholder von dem Mehrwert der Transaktion zu überzeugen. Mitarbeiter und
Führungskräfte müssen das Integrationsvorhaben verstehen und die Chancen erkennen.
Nur so können nachhaltig Wert geschaffen und Ziele erreicht werden. Für jede der
Interessengruppen müssen basierend auf den Transaktionsargumenten maßgeschnei-
derte Begründungen im Sinne einer Integrationsvision formuliert werden. Dabei ist
eine überzeugende, kontinuierliche und ehrliche Kommunikation entscheidend für die
reibungslose Integration zweier Unternehmen. Sie ist Treiber und Motor der Integration
und damit ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor.
Jedoch wird die Bedeutung der Kommunikation für den Integrationsprozess in der
Praxis noch unterschätzt. Häufig wird die Dimension der Kommunikation rückblickend
auf eine durchgeführte Integration als eine unvorhergesehene und unterschätzte Her-
ausforderung beschrieben. Unterschätzt werden vor allem der Zeit- und Ressourcenauf-
wand sowie die Entwicklung einer neuen gemeinsamen Unternehmenskultur.
Die Einbindung der Kommunikation in den Integrationsprozess muss so früh wie
möglich stattfinden, idealerweise schon vor Bekanntgabe der Übernahmeabsicht.7 (vgl.
Abb. 1) Die Transaktions- und die Integrationsphase sind dabei nicht als zwei vonein-

7 Die Phase zwischen Bekanntgabe der Übernahmeabsicht und Closing/Day 1 kann mehrere Wochen
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244  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

ander unabhängige Prozesse zu sehen. Vielmehr setzt die Integrationskommunikation


ein, während die Dealkommunikation noch in vollem Gange ist. So früh wie möglich
mit der Integrationsplanung zu beginnen, ist entscheidend für den Integrationserfolg.
Das gilt auch und vor allem für die Kommunikation. Inzwischen werden zu diesem
Zweck immer häufiger sogenannte »Clean Teams« eingesetzt, im Rahmen derer sich
Mitarbeiter beider Unternehmen in einem genau abgesteckten rechtlichen Rahmen be-
reits vor Closing der Transaktion austauschen und die Integration vorbereiten können.

INTEGRATION – Fokus interne Stakeholder


Team: Integrationskommunikation
TRANSAKTION – Fokus externe Stakeholder
Team: Dealkommunikation

Ressourcen-
bedarf

Veranlassung Due Bekanntgabe Closing/Day 1 Abschluss des


der Transaktion Diligence Übernahme- Integrationsprozesses/
absicht Normalbetrieb

Abb. 1: Deal- und Integrationskommunikation (Quelle: Eigene Darstellung)

3.1 Vorbereitung bis Closing


Wenn Unternehmen fusionieren und integriert werden, ist das Scheitern oft vorpro-
grammiert: Fremde Kulturen prallen aufeinander, Unsicherheit lenkt die Mitarbeiter von
ihrer Arbeit ab, und aus Mangel an Perspektive gehen die qualifiziertesten Mitarbeiter
zuerst. Vor allem dann, wenn sich zum Beispiel regulatorische Freigaben – und damit
die Phase der Unsicherheit – hinziehen oder sich eine Restrukturierung mit wesentli-
chem Stellenabbau abzeichnet. Eine maßgeschneiderte Kommunikationsstrategie so-
wie eine gute Vorbereitung der Kommunikationsmaßnahmen sind unerlässlich, um die
Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter aufrechtzuerhalten, damit das operative Geschäft
nicht gefährdet wird. In der Pre-Closing-Phase (Phase vor Abschluss der Transaktion)
gilt es, dies vorzubereiten und ein Kommunikationskonzept aufzusetzen, das die Inte­
gration transparent macht, Vertrauen schafft, die Mitarbeiter auf die Werte und Ziele des
neuen gemeinsamen Unternehmens einstimmt sowie effizientes und effektives Arbeiten
fördert. Der Grundstein für den nachhaltigen Transaktionserfolg wird in dieser Zeit ge-
legt. Integrationskommunikation ist eine wertorientierte Aufgabe und wirkt sich direkt
auf die Fähigkeit des Unternehmens aus, die Fusionsziele zu erreichen.

aber auch Monate andauern. Dennoch: Unabhängig wie lange die Phase andauert, sollte direkt nach
der Bekanntgabe mit den Vorbereitungen begonnen werden.
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  245


Teil

In der Pre-Closing-Phase stellt sich allerdings die Problematik, dass gerade in den
ersten Wochen nach Ankündigung der Übernahmeabsicht der Informationsbedarf der
Interessengruppen am größten ist, das Unternehmen aber aufgrund juristischer Vorga-
ben in dem limitiert ist, was es kommunizieren darf. Das Kommunikationsteam steht in
enger Absprache mit den Juristen, um dennoch z. B. die Mitarbeiter, die konkret wissen
möchten, was auf sie zukommt, soweit wie möglich zufriedenzustellen und damit für
die Integration zu motivieren. Trotz der nicht immer einfachen Umstände sind die Zie-
le der Pre-Closing-Phase, beide Unternehmen auf die Veränderung einzustimmen, die
dafür nötige Motivation aller Mitarbeiter zu mobilisieren und die Annäherung beider
Unternehmen bis hin zum ersten gemeinsamen Tag vorzubereiten. Das setzt eine inten-
sive Vorbereitung des Topmanagements und der funktionalen Integrationsteams (IT, HR
usw.) auf den Integrationsprozess voraus.

3.1.1 Kommunikative Ziele und Herausforderungen

Zu einer guten Vorbereitung gehört, sich der kommunikativen Ziele und Herausforde-
rungen einer Integration bewusst zu sein. Diese variieren in ihrer Intensität, je nachdem
wie gut die beiden Unternehmen z. B. in Fragen der Struktur oder Kultur zusammen-
passen. Zudem ist jeder Integrationsprozess individuell und läuft keinesfalls immer
gleich ab. Es lassen sich dennoch allgemeine Ziele und Herausforderungen definieren
(vgl. Abb. 2).

3.1.2 Kommunikationsteam

Im Verlauf eines M & A-Prozesses steigen mit Blick auf die Integrationsphase die Fre-
quenz der weltweiten Kommunikationsaktivitäten sowie die Anzahl der involvierten
Personen überproportional an (vgl. Abb. 1). Im Gegensatz zur Transaktionsphase wer-
den im Verlauf der Integrationsphase hunderte Dokumente erstellt und ebenso viele
Kommunikationsmaßnahmen weltweit umgesetzt. Eine wichtige erste Maßnahme ist
daher – im Idealfall spätestens zum Zeitpunkt der Ankündigung der Kaufabsicht – die
Bildung eines Kommunikationsteams, welches die Integration aus dem Blickwinkel der
Kommunikation arbeitsgruppenübergreifend leitet, die wesentlichen Integrationsziele
und -meilensteine im Blick hat und dadurch den Integrationsprozess auf Kurs hält.

Kommunikative Ziele Herausforderungen


• Unsicherheiten auffangen, Irritationen vermeiden, • Integration: Eine Phase der Unsicherheit und
wertvolle Mitarbeiter im Unternehmen halten Anspannung mit vielen offenen Fragen
• Verständnis und »innere Unterstützung« für • Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter sinkt (häufig
die Strategie der Transaktion sowie für die verlassen die qualifiziertesten Mitarbeiter das
Herausforderungen und Chancen erzeugen bzw. Unternehmen)
stärken • Integrationsprozess wird gelähmt, weil
• Stakeholder überzeugen, Mitarbeiter begeistern Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Rollen
• Erwartungen für die folgenden Phasen managen, nicht definiert, Strukturen und Prozesse nicht
in denen Schritt für Schritt die gemeinsame Arbeit angeglichen sind
gestaltet wird • Kommunikationsabteilung ist nicht ausreichend
• Auf Kunden und erfolgreiche Geschäftsfortführung besetzt, um neben dem Tagesgeschäft in Vollzeit
fokussieren die Integration zu managen
• Konsistente Kommunikation im gesamten • Kulturelle Integration: Zwei unterschiedliche
Unternehmen sicherstellen (One Voice) Kulturen treffen aufeinander
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246  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Kommunikative Ziele Herausforderungen


• Dialog führen, d. h. Feedbackprozesse schaffen • Mitarbeiter ziehen nicht an einem Strang
• Mit allen Stakeholdern transparent kommunizieren • Aktionäre pochen auf das Erreichen der Synergien
(geplante Synergien müssen kommuniziert werden: • Integrationserfolg wird durch weitreichende/
Was nicht kommuniziert wird, kann nicht erreicht schwerwiegende Entscheidungen belastet
werden)

Abb. 2: Kommunikative Ziele und Herausforderungen in der Integrationsphase (Quelle: Eigene Darstellung)

Von Anfang an muss ein Team dafür sorgen, dass die richtigen Botschaften formuliert
und kommuniziert werden, um die diversen Interessengruppen zu überzeugen. Dieses
Team ist während des ganzen Integrationsprozesses aktiv und steht in enger Verbin-
dung sowohl mit der Projektleitung als auch mit allen anderen Arbeitsgruppen wie z. B.
Personal und IT. Die Teammitglieder sind an den Sitzungen der Projektleitung beteiligt,
um damit als wesentliche Multiplikatoren relevante Informationen direkt zu erhalten.
Es muss sichergestellt sein, dass das Kommunikationsteam über alle wichtigen Neuig-
keiten, Fakten und Themen informiert wird, um diese wiederum an die unterschiedli-
chen Interessengruppen weitergeben zu können.
Bei der Aufstellung des Teams ist zu beachten, dass die Integration mit einem hohen
Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden ist. Es muss sichergestellt sein, dass sich die Team-
mitglieder bzw. ein speziell dafür abgestelltes Team voll und ganz auf das Integrations-
geschehen konzentrieren können. Für viele Unternehmen stellt dies jedoch bereits ein
Hindernis dar. So versucht jedes dritte Unternehmen, eine Integration durchzuführen,
ohne über ausreichende Kapazitäten zu verfügen.8 Speziell die Kommunikationsabtei-
lungen sind in den meisten Fällen nicht ausreichend besetzt, um neben dem Tagesge-
schäft in Vollzeit einen Integrationsprozess zu steuern.
Darüber hinaus sollte ab der Closing-Phase das Kommunikationsteam durch Mitar-
beiter des akquirierten Unternehmens ergänzt, oder diese zumindest eng mit in den
Prozess einbezogen werden. Es ist von großem Vorteil, wenn das Team auch schon vor
Closing – im Rahmen der Möglichkeiten und mit angemessener Diplomatie – engen
Kontakt mit den Kommunikationsverantwortlichen des übernommenen Unternehmens
pflegt. So kann man sich frühzeitig mit den Kommunikationsprozessen und der Kultur
vertraut machen, Kompetenzen sowie Kräfte bündeln und voneinander lernen.
Des Weiteren können Kommunikationsmaßnahmen gezielter aufgesetzt und Pro-
zesse besser gesteuert werden. Durch die frühe Einbindung kann außerdem möglichen
Widerständen entgegengewirkt werden, die entstehen können, wenn sich Personen
»entmachtet« oder übergangen fühlen – ein fataler Zustand, denn Kommunikationsver-
antwortliche sind wichtige Weichensteller, da sie in ihrem Unternehmen hervorragend
vernetzt sind. Das Team muss sich bewusst sein, dass Verbündete »auf der anderen
Seite« wichtig für eine reibungslose Integration sind.

3.1.3 Kommunikationsstrategie und -maßnahmen

Bevor Kommunikationsstrategie und -maßnahmen definiert werden, steht die Analy-


se der Ausgangssituation im Vordergrund. Im ersten Schritt müssen alle relevanten
Zielgruppen identifiziert sowie deren jeweilige Einstellung zur Transaktion formuliert

8 Gerds 2009.
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  247


Teil

werden. Nur so kann das Unternehmen im Beziehungs- und Spannungsfeld der ver-
schiedenen Stakeholder und deren vielfältigen Meinungen, Erwartungen und Ansprü-
chen erfolgreich kommunizieren und eventuelle »Bedenkenträger« und Zögerer von der
Fusion überzeugen.9
Im Rahmen einer maßgeschneiderten Kommunikationsstrategie sowie eines Integ-
rationsprogramms werden das gegenseitige Verständnis und die Annäherung gefördert
sowie schließlich die Integration sichergestellt. Für die Formulierung der Kommunika-
tionsstrategie gilt ebenfalls: Es gibt keine allgemeingültige Strategie. Jede Integration
unterliegt verschiedenen Voraussetzungen. Das führt wiederum zu der Notwendigkeit
individueller Kommunikationsstrategien. Jeder Versuch der Standardisierung kann dem
individuellen Charakter einer Integration nicht gerecht werden. Dennoch gibt es Grund-
sätze der Integrationskommunikation, die beachtet und konsequent verfolgt werden
sollten. So müssen beispielsweise eine aktive Kommunikation sowie eine »One-Voice-
Policy« sichergestellt werden.
Darüber hinaus müssen Mitarbeiter Informationen immer vor bzw. zumindest zeit-
gleich mit der Öffentlichkeit erhalten. Dies basiert auf dem notwendigerweise in der
Strategie verankerten Grundsatz, offen und zeitnah zu informieren. Es zeigt sich zu-
dem, dass die Strategie in Ergänzung zur Top-down-Kommunikation die Implementie-
rung von Feedbackprozessen vorsehen sollte.
Gerade im Rahmen von Integrationen ist es wichtig, Rückmeldung über die Stim-
mung und mögliche Konfliktpotenziale zu bekommen. Diese Informationen sind wich-
tige Indizien zur Einschätzung von Integrationsfortschritt und -erfolg und geben dem
Integrationsteam die Möglichkeit, rechtzeitig intervenieren zu können. Solange Wider-
stände den Prozess- und Planungsvorgang nicht aufhalten oder behindern, sollten sich
Unternehmen auf die Unterstützer der Integration und nicht zu sehr auf die Gegner
fokussieren. Gegner oder gar Lager des Widerstands sind im Rahmen solcher Prozesse
zu erwarten. Die zu erwartenden Machtverschiebungen sind ein Grund dafür. Den-
noch zahlt es sich aus, sich auf die Koalition aus Unterstützern zu fokussieren und
diese zu mobilisieren. Ferner kommt es darauf an, in der Strategie einen guten Mix aus
faktenorientierten sowie emotionalen Kommunikationsinhalten festzulegen. Es muss
auch klar hervorgehoben werden, dass die Integrationskommunikation nicht nur vom
Kommunikationsteam alleine umgesetzt werden kann, sondern dass viele Aspekte der
Kommunikation »Chefsache« sind.10
Im Zuge dessen sollte sich das Kommunikationsteam Gedanken über geeignete Maß-
nahmen und Kommunikationskanäle machen. Dabei steht die Frage im Vordergrund:
»Wie erreiche ich die unterschiedlichen Interessengruppen am besten und welche Inst-
rumente passen zu den Unternehmen, ihren Kulturen und der Art der Integration?«. Da
bei einer Integration vielfältige Bedürfnisse befriedigt und unterschiedliche Zielgruppen
– intern wie extern – angesprochen werden müssen, bietet sich ein breiter Mix an Kom-
munikationsmaßnahmen an. Alle haben das Ziel, Unsicherheiten aufzufangen, Irrita-
tionen zu vermeiden und die Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Stakeholder
müssen überzeugt und Widerstände überwunden werden, indem die Erwartungen für
die einzelnen Integrationsphasen gemanagt werden und Schritt für Schritt aufgezeigt
wird, wie die gemeinsame Arbeit gestaltet wird.

  9 Rotering/Kubis-Fettes 2009.
10 Rotering/Kubis-Fettes 2009.
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248  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Es ist nicht nur sinnvoll, sondern absolut notwendig, diese Maßnahmen in einem
Plan aufzuführen, der exakte Aussagen über Zuständigkeiten und Fristen zur Fertig-
stellung von Dokumenten inklusive eventueller Korrekturläufe beinhaltet. Dies schafft
Übersicht und diszipliniert, Dokumente pünktlich fertigzustellen und Fristen einzuhal-
ten. Während eines Integrationsprozesses ist es wichtiger denn je, »am Ball zu bleiben«,
wachsam und sensibel für Entwicklungen zu sein, die den Prozess stören können. Die
Kommunikationsstrategie und darin verankerte Maßnahmen müssen daher flexibel ge-
staltet sein, so dass das Team die Möglichkeit hat, schnell auf unvorhergesehene Ent-
wicklungen reagieren zu können, um die Integration »auf Kurs zu halten«.

Basisdokumente • Integrationsvision/Integrationsmotto
• Integrationslogo
• Kernbotschaften
• Integrationsgeschichte
• Spielregeln der Kommunikation/Kaskadenkommunikation
• Fragen- und Antwortenkatalog
• Medienkonzept
• Übersicht der wichtigsten Fakten beider Unternehmen

Kommunikationswerkzeuge • Integrationsnewsletter (per Email und/oder gedruckt)


• Integrationswebsite/Web 2.0-Formate
• Roundtables
• Events
• Filme
• Plakate
• Interviews mit dem Topmanagement
• Merchandising-Produkte mit Motto und Logo
• Botschafter

Abb. 3: Basisdokumente und Kommunikationswerkzeuge in der Integrationsphase (Quelle: Eigene Darstellung)

Bevor auf die konkrete Vorbereitung des ersten gemeinsamen Tages, dem sogenannten
Day 1 eingegangen wird, soll im Folgenden eine Auswahl an Basisdokumenten und
Kommunikationswerkzeugen, die für den gesamten Integrationsprozess relevant sind
und frühzeitig vorbereitet werden müssen, aufgezeigt werden (vgl. Abb. 3). Auf die
Themen Integrationsmotto und -logo sowie Kernbotschaften und Integrationsstory soll
näher eingegangen werden, da es sich hierbei um besonders erfolgskritische Aufgaben
handelt, die es gilt, mit größter Sorgfalt vorzubereiten. Sie generieren letztlich Verständ-
nis für Veränderung und schaffen Transparenz und Begeisterung.

3.1.3.1 Integrationsmotto und -logo

Jede Integration benötigt eine Vision, der sie folgen kann. Die Integrationsvision leitet
sich aus den bereits für die Transaktion formulierten Zielen ab. Daher ist sie ein wich-
tiger und entscheidender Verknüpfungspunkt von Transaktions- und Integrationsphase.
Die Vision für das neue gemeinsame Geschäft ist angepasst an die Bedürfnisse aller
Anspruchsgruppen, wenngleich der Fokus auf den Mitarbeitern liegt. Aus der Vision
leitet sich dann das Integrationsmotto ab, welches eingesetzt als »Werbeslogan« Begeis-
terung und Motivation für die Veränderung schafft und die internen Anspruchsgruppen
überzeugt.
Das Motto muss zum Integrationscharakter und den Unternehmen passen, es muss
individuell, authentisch und ehrlich sein. Vor allem die Mitarbeiter müssen sich da-
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  249


Teil

mit identifizieren können. Passend zum Motto wird ein Logo entworfen, welches auf
Werbeartikeln zum Einsatz kommt und überall dort zu finden ist, wo Integration eine
Rolle spielt. Es können Plakate entworfen werden, Banner, Aufsteller. Auf jedem Integ-
rationsnewsletter und jedem Mitarbeiterbrief sollten sich Logo und Motto wiederfinden.
Richtig eingesetzt, unterstützt die Werbung oder eine Imagekampagne die Integrations-
kommunikation in entscheidendem Maße.

3.1.3.2 Kernbotschaften und Integrationsgeschichte

Die Kernbotschaften der Integrationsphase leiten sich ebenfalls aus den bereits für die
Transaktion formulierten Argumenten ab, so dass auch diesbezüglich Konsistenz si-
chergestellt ist. Alle Stakeholder müssen sich angesprochen fühlen, und aus jeder Sicht-
weise sollen der Weg und das Ziel der Transaktion überzeugend nachvollziehbar sein.
Während die Botschaften in der Transaktionsphase eher fakten- und zahlenfokussiert
sind (externe Stakeholder), sollten die Kernbotschaften für die Phase der Integration
um emotionale Elemente erweitert werden, um vor allem die Mitarbeiter (interne Sta-
keholder) von dem Vorhaben zu überzeugen, ein neues gemeinsames Unternehmen zu
schaffen.
Ein schwieriges Thema in diesem Zusammenhang sind die in der Transaktionspha-
se formulierten Synergieversprechen. Synergien erreichen, bedeutet in vielen Fällen
Restrukturierung und dadurch bedingter Stellenabbau – ein schwieriges Thema, wenn
eigentlich Mitarbeiter motiviert und begeistert werden sollen. Es ist dennoch wichtig,
über Synergien zu sprechen. Zudem sollte der Grundsatz befolgt werden, soweit wie
möglich offen zu kommunizieren.
Botschaften zu Synergien sollten offen die notwendigen Anpassungen und Verände-
rungen adressieren, aber gleichzeitig auch die Chancen einbeziehen. Im Gegensatz zu
der Transaktionsphase besteht in der Integrationsphase die Möglichkeit, beim Thema
Synergien einen Schritt weiter zu gehen. Aus Kommunikationssicht gehen Synergiepo-
tenzial und Synergieziele weit über die Kosten- und Ertragsdimension hinaus. Synergi-
en sollen für die Organisation und ihre Mitarbeiter als Mehrwert zu spüren sein – im
Sinne von sich gegenseitig fördern und bereichern. Mittels geeigneter Kommunikations-
maßnahmen wird Wissens- und Kulturaustausch gefördert, um bei den Mitarbeitern
die Bereitschaft für Veränderung und Lust auf Neues zu erzeugen. Daher sollte die
Kernbotschaft, die Synergien thematisiert, darauf abzielen, den aus der Transaktion
resultierenden gemeinsamen Nutzen zu vermitteln.
Wichtig ist, dass die Kernbotschaften zu Beginn des Integrationsprozesses einmal
final formuliert werden und damit Argumentationsbasis aller Dokumente sind. Für
kommunikative Meilensteine wie den Day 1, den ersten gemeinsamen Tag beider Un-
ternehmen, können selbstverständlich ergänzende Botschaften der Situation entspre-
chend formuliert werden. Dennoch, um glaubwürdig zu bleiben, müssen Tonalität und
Basisbotschaften im weiteren Prozess stringent fortgeführt werden. Selbst wenn die
Kernbotschaften diszipliniert kurz und knapp formuliert sind, kommt aufgrund der
Vielzahl an Stakeholdern eine erhebliche Anzahl von Botschaften zusammen. Zudem
lassen sich Kernbotschaften schlecht »einfach mal erzählen« und eignen sich auch nicht
wirklich für den »Flurfunk«.
Es ist sinnvoll, die definierten Botschaften in eine Integrationsgeschichte zu verpa-
cken. Geschichten lassen sich leichter erzählen und wiedergeben. Sie prägen sich besser
ein und können zudem zwischen den Zeilen Emotionen transportieren. Eine Geschichte
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250  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

hat zudem den Vorzug, dass sie sich immer weiterschreiben lässt. Damit erfüllt sie den
für die Kommunikationsstrategie festgelegten Grundsatz der Flexibilität, eignet sich
daher hervorragend für die Vermittlung von Visionen und dient als Verpackung für
Appelle. Sie sollte sich eng an das Integrationsmotto halten und die Philosophie sowie
den Charakter der Akquisition und Transaktion widerspiegeln.

3.2 Day 1 – Der erste gemeinsame Tag


Der Day 1 ist der offizielle Startschuss in die gemeinsame Zukunft und damit der ent-
scheidende Meilenstein der Integrationsphase. Dieser Tag muss gefeiert werden. Der
Fokus liegt dabei ganz klar auf den Mitarbeitern, die es gilt zu begeistern, mitzureißen
und vor allem für die gemeinsame Vision zu gewinnen. Es ist wichtig, dass die Mitar-
beiter diesen Tag als einen Tag erleben, an dem sie im Mittelpunkt stehen, an dem ihnen
vermittelt wird, dass es auf sie ankommt, und dass das Unternehmen nur erfolgreich
sein kann, wenn alle »an einem Strang ziehen«, die gleichen Ziele verfolgen und sich
für das gemeinsame Integrationsprojekt einsetzen. Der Day 1 ist der entscheidende Tag,
um die Mitarbeiter »ins Boot zu holen« und die Implementierung erfolgreich »ins Rollen
zu bringen«. Daher sollte dieser Tag ein Festakt für die Mitarbeiter sein.

»Wie bei einer privaten Trauung auch, geht ihm [Day 1] harte Arbeit voraus. Dabei müssen die
Verantwortlichen wichtige Fragen beantworten: Welche Botschaften sollen die Mitarbeiter erhalten?
Wo soll der CEO auftreten? Sollen die Mitarbeiter Geschenke bekommen? Wie können alle im Unter-
nehmen Zugriff auf wichtige Informationen haben, obwohl die IT-Systeme noch nicht harmonisiert
sind? Wie sollen die Kunden, Lieferanten, Weiterverteiler etc. da eingebunden werden?«11

Idealerweise wird dieser Tag direkt nach dem Closing gefeiert. In der Praxis lässt sich
dies vor allem aus logistischen Gründen schwer umsetzen. Wichtig ist dennoch eine
zeitnahe Veranstaltung, wobei je nach Kultur der Unternehmen dieser Tag mehr oder
eben weniger aufwendig ausfällt. Es gibt kein Muss, den Day 1 als »Showveranstal-
tung« aufzuziehen. Er muss emotional aber authentisch sein. Den Maßnahmen und
der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Für das Kommunikationsteam ist die
Vorbereitung ein enormer Kraft- und Logistikaufwand, was sich in den Maßnahmen/
Kommunikationsinstrumenten, die für diesen Tag vorbereitet werden müssen, wider-
spiegelt. Diese umfassen u. a.:
• Day-1-Kernbotschaften
• Day-1-Fragen- und Antwortenkatalog
• Day-1-Willkommenspaket inklusive Begrüßungsgeschenk und -brief
• Day-1-Newsletter
• Fact Sheets
• Willkommensvideo
• Day-1-Medienkonzept
• Management- und Botschafterreden
• Medientrainings
• Pressemitteilungen

11 Rotering/Kubis-Fettes 2009.
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  251


Teil

• Interview mit Topmanagement sowohl für Medien als auch für interne Kommunika-
tionskanäle wie z. B. die Integrationswebsite oder DVDs für das Willkommenspaket
• Dankesbrief an das Topmanagement und die Arbeitsgruppen
• Mitarbeiterbrief
• Day-1-Inhalte für die Integrationswebsite
• Organisation von Day-1-Events
• Schulungsunterlagen für alle Integrationsbotschafter
• Workshops

Dieser Anlass muss auch genutzt werden, um die externen Stakeholder von den Vortei-
len der Transaktion zu überzeugen. Es bietet sich an, Interviews des Topmanagements
in führenden nationalen und internationalen Medien mit großer Breitenwirkung zu
platzieren, sowie die wichtigsten Fakten zur Transaktion für externe Stakeholder (Ana-
lysten, Kunden, Lieferanten etc.) zusammenzustellen. Sind z. B. Standortschließungen
geplant, sollten im Hintergrund Gespräche mit den jeweiligen regionalen Politikern
geführt werden.12
So anstrengend und aufwendig die Vorbereitungen für diesen Tag sind, umso größer
ist der Nutzen eines erfolgreich durchgeführten Day 1. Dieses positive Momentum kann
noch lange genutzt werden und ist Motivation für die nächste Phase: Post Closing.

3.3 Post Closing


Die Post Closing-Phase beginnt mit der Herausforderung, nach den arbeitsintensiven
Wochen und dem aufregenden Day 1 wieder neue Energie zu schöpfen, um nun – ganz
offiziell – in die eigentliche Integrationsphase zu starten – ganz nach dem RWE-Integra-
tionsmotto: »Am Anfang keine Zeit verlieren, am Ende nicht nachlassen.«13 In der Praxis
ist es allerdings schwierig, das Tempo wieder aufzunehmen und die hohe Frequenz des
Nachrichtenflusses aufrechtzuerhalten. Mit Blick auf die Strategie ist es aber wichtig,
weiterhin umfassend und zeitnah zu kommunizieren.

3.3.1 Day 2 bis Day 100

In den ersten 100 Tagen besteht die Hauptaufgabe darin, auf dem positiven Momen-
tum des Day 1 aufzubauen, um Bedenken, Vorbehalte und Widerstände auszuräumen
bzw. ihnen entgegenzuwirken. Das ist Voraussetzung für die erfolgreiche Integration
der beiden Unternehmen, vor allem mit Blick auf die kulturelle Integration. Ziel der
Kommunikation ist es, den Mitarbeitern die Angst davor zu nehmen, gewohnte Ver-
haltensweisen zu ändern und sich neuen Dingen zu öffnen. Die Tage nach dem Day 1
eignen sich gut zum kurzen Durchatmen, um einen Blick auf die Aufgaben zu werfen,
die in den nächsten Monaten, der Phase Day 2 bis Day 100, anstehen. Zu den möglichen
Kommunikationsmaßnahmen für den Zeitraum Day 2 bis Day 100 gehören:

12 Rotering/Kubis-Fettes 2009.
13 RWE 2002.
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252  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

• Ergänzung des Kommunikationsteams durch Mitarbeiter des akquirierten Unter-


nehmens
• Definition konkreter Maßnahmen und Meilensteine
• Zeitnahe Information über Integrationserfolge
• Erstellung von Integrationsnewslettern
• Integrationswebsite
• Anpassung und ggf. Erweiterung der Kernbotschaften für die nächste Phase
• Fortschreiben der Integrationsgeschichte für die Phase bis Day 100
• Anpassung und Erweiterung der Fragen- und Antwortenkataloge
• Vorbereitung des Day 100
• Implementierung des Day 100 in der Kommunikation als nächsten Meilenstein der
Integration
• Durchführung von Mitarbeiterbefragungen
• Planung und Organisation von Workshops/Zukunftskonferenzen

Die ersten 100 Tage des neuen gemeinsamen Unternehmens sind entscheidend. Die
Mitarbeiterkommunikation muss daher kontinuierlich fortgesetzt und der Nachrichten-
fluss aufrechterhalten werden, indem über Integrationsfortschritte, anstehende Maß-
nahmen, Entscheidungen und kurzfristige Erfolgsmeldungen berichtet wird. Wie lang
eine Integration dauert, bis sie aus Kommunikationssicht erfolgreich zum Abschluss
gebracht wurde, kann nicht pauschal beantwortet werden. Da bei der Kommunikation
der menschliche Austausch im Mittelpunkt steht, ist eine Integration erst dann vorbei,
wenn niemand mehr über sie spricht und das neu geschaffene Unternehmen mit all den
durchlaufenen Veränderungen als selbstverständlich angesehen wird.

3.3.2 Momentum nutzen

Mit Beginn der Integrationsphase hat das Kommunikationsteam alle Stakeholder, ins-
besondere die Mitarbeiter, auf Veränderung eingestellt und vorbereitet. Die Chancen
von Veränderungen sind kommuniziert, die Akzeptanz dadurch gesteigert. Sind weitere
Veränderungen im Unternehmen geplant, beispielsweise die Einführung einer neuen Vi-
sion und Mission oder einschneidende Personalveränderungen, sollten diese umgesetzt
werden, so lange die Veränderungsbereitschaft der Interessengruppen noch vorhanden
ist – also noch im Zuge der Integrationsphase. Geplante Veränderungen sind so um ein
Vielfaches einfacher umzusetzen.

4 Zusammenfassung der Erfolgsfaktoren


Kommunikation ist bei der Planung und Durchführung von Unternehmensübernahmen
und Zusammenschlüssen längst kein Nebenschauplatz mehr, sondern ein integraler
Bestandteil und wichtiger Erfolgsfaktor. Während keine Transaktion der anderen gleicht
und sich auch Transaktions- und Integrationskommunikation in ihren Taktiken z. T.
unterscheiden, kristallisieren sich einige kritische Erfolgsfaktoren heraus. Es lassen sich
sechs Faktoren identifizieren, die wesentlich zum Erfolg von M & A- bzw. Integrations-
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  253


Teil

prozessen beitragen. Dabei ist ein integriertes Kommunikationskonzept entscheidend,


das sowohl interne wie externe Kommunikation vereint, die Medienarbeit mit Investor
Relations als auch Deal- und Integrationskommunikation zusammenführt.

4.1 Erfolgsfaktor 1: Vorbereitung


Der intensiven Vorbereitung auf allen Ebenen – vor der Transaktion, im Zusammenhang
mit wesentlichen Meilensteinen des Übernahmeprozesses sowie der Integration der bei-
den Unternehmen – wurde in diesem Beitrag großer Platz eingeräumt. An dieser Stelle
sei noch einmal betont, dass die Vorbereitung einen wesentlichen Erfolgsfaktor darstellt.
Nur durch eine genaue Analyse und Bewertung der Situation, das Durchspielen von Sze-
narien und der Definition von Prozessschritten und Abläufen kann eine höchstmögliche
Kontrolle der Kommunikation erreicht werden. Darunter ist eine differenzierte und
ausgewogene Wahrnehmung der Transaktion bzw. des Integrationsprozesses seitens
der beteiligten Stakeholder zu verstehen; auch wenn es naturgemäß dabei nicht immer
möglich sein wird, alle Anspruchsgruppen von der eigenen Sichtweise zu überzeugen.

4.2 Erfolgsfaktor 2: Flexibilität


Während eine dezidierte Planung einen erheblichen Mehrwert darstellt, muss die Fähig-
keit erhalten werden, flexibel auf neue Entwicklungen zu reagieren. Bereits im Vorfeld
bedeutet dies, dass jede M & A-Situation einzigartig ist und damit nicht einem vorgefer-
tigten Schema folgen kann. Aber auch die in der Vorbereitungsphase konkret definierten
Kommunikationsziele, Strategien und Maßnahmen sollten im Verlauf einer Übernahme
und Integration überprüft und ggf. angepasst werden. Im Verlauf einer Integration stellt
sich z. B. häufig heraus, dass bestimmte Arbeitnehmergruppen intensiver betreut wer-
den müssen als andere.
Zwar lassen sich mit Szenarioanalysen bestimmte Entwicklungen vorwegnehmen;
die grundsätzliche Fähigkeit kurzfristig auf neue Entwicklungen zu reagieren, ist aller-
dings von größerer Bedeutung. Mit Flexibilität ist ferner gemeint, dass die Kommuni-
kation an die Erfordernisse einzelner Stakeholdergruppen individuell anzupassen ist.
Allen Stakeholdergruppen werden grundsätzlich die gleichen Kernbotschaften vermit-
telt, die maßgerechte Konfektionierung dieser Botschaften für jede Gruppe unterstützt
die Aufnahme und das Verständnis i. d. R. erheblich.

4.3 Erfolgsfaktor 3: Feedbackprozess


Nach unserem Verständnis ist Kommunikation bei M & A-Situationen niemals eine Ein-
bahnstraße, sondern ein konstanter Dialog zwischen dem Unternehmen und den betei-
ligten Stakeholdern. Gegenüber Analysten und Medienvertretern folgt der Dialog i. d. R.
einer 1:1-Beziehung, während es sich beispielsweise bei Aktionären und Mitarbeitern
um eine 1:n-Beziehung handelt. Entsprechend sollten Mechanismen etabliert werden,
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254  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

welche die Stimmungen aufnehmen und diese dem Kommunikationsteam in aggregier-


ter Form zur Verfügung stellen. Dem Feedbackprozess kommt eine wesentliche Rolle
zu, um flexibel auf bestimmte Entwicklungen oder Reaktionen reagieren zu können.

4.4 Erfolgsfaktor 4: Begeisterung


Insbesondere im Rahmen der internen Kommunikation besteht eine Hauptaufgabe dar-
in, Begeisterung für die Transaktion bzw. Integration zu schaffen. Per Definition brin-
gen alle Veränderungssituationen Unsicherheit über die zukünftige Situation mit sich.
Dementsprechend ist es wichtig, die Mitarbeiter nicht nur zu informieren, sondern sie
von den für sie ganz persönlichen Vorteilen der Transaktion zu überzeugen. Die Mo-
tivation der Mitarbeiter ist naturgemäß das vordergründige Ziel, darüber hinaus sind
die eigenen Mitarbeiter wichtige Multiplikatoren für die Kommunikation mit anderen
Stakeholdergruppen.
Kommunikation ist dann am glaubwürdigsten, wenn sie von den unmittelbaren
Vorgesetzten kommt. Diesen kommt folglich eine zentrale Rolle zu, um bei den Mitar-
beitern Begeisterung für die Situation zu schaffen. Dies wird über weitere Kanäle wie
Mitarbeiterveranstaltungen, Mitarbeiterbriefe vom Topmanagement etc. unterstützt. In
den Transaktions- bzw. Integrationsprozess sollten ferner präzise formulierte und rasch
erreichbare Zwischenziele eingebaut werden, deren Erreichen schnell und angemessen
kommuniziert und der Erfolg gemeinsam gefeiert wird. Dies symbolisiert: Das Projekt
befindet sich auf der Erfolgsspur.

4.5 Erfolgsfaktor 5: Nachrichtenfluss


Eine regelmäßige, transparente Kommunikation aufrechtzuerhalten, ist gerade über
einen langen Zeitraum mitunter eine Herausforderung, nichtsdestotrotz ein wichtiger
Erfolgsfaktor. Damit wird ein kontinuierliches Fortschreiten des Transaktionsprozesses
verdeutlicht. Von Bedeutung ist die Nutzung von Prozessmeilensteinen, um kontinuier-
lich neue Anknüpfungspunkte für den Dialog mit den Stakeholdern zu schaffen. Dabei
ist auf die Angemessenheit der Kommunikation zu achten. Es empfiehlt sich, nicht nur
zum Selbstzweck zu kommunizieren. Ferner sollte unbedingt konsequent eingeschrit-
ten werden, wenn sich Gerüchte verbreiten. Diese lassen sich am einfachsten in ihrer
Anfangsphase neutralisieren.
Dies leitet zum Faktor Nachhaltigkeit der Kommunikation über. Entscheidungen,
die noch nicht endgültig getroffen sind, Strukturen, die noch diskutiert werden, oder
Vorschläge, die noch im Ideenstadium sind, sollten auch als solche behandelt und nicht
vorschnell kommuniziert werden. Voraussetzung ist, dass in der Kommunikation mit
den beteiligten Stakeholdern das klare Bekenntnis vermittelt wird, Entscheidungen
rasch zu kommunizieren, aber eben auch erst dann, wenn sie gefallen sind. Damit geht
einher, den Prozessablauf und Zeitplan zu vermitteln.
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III. Kommunikation als Erfolgsfaktor bei M & A- und Integrationsprozessen  |  255


Teil

4.6 Erfolgsfaktor 6: Integrierte Kommunikation


Zusammenfassend gilt es festzuhalten, dass erhebliche Synergiepotenziale zwischen
Transaktions- und Integrationskommunikation bestehen. Insbesondere die wesentlichen
Kernbotschaften sind nahezu identisch. Gleiches gilt für das Kommunikationsteam.
Während z. B. die Finanzberater mit erfolgreichem Closing der Transaktion durch die
Integrationsberater ersetzt werden, bleibt die Rolle des Kommunikationsteams unver-
ändert: Letztlich bleibt es seine Aufgabe, interne wie externe Stakeholder vom Integ-
rationserfolg zu überzeugen und Begeisterung für das gemeinsame Unternehmen zu
schaffen.
Zu Beginn einer Transaktion steht die externe Kommunikation im Mittelpunkt, und
in der Integrationsphase liegt der Fokus auf der internen Sicht. Die Integrationskommu-
nikation ist gewissermaßen die Fortführung und Weiterentwicklung der Transaktions-
kommunikation mit einem veränderten Fokus. Eine gute Integrationsgeschichte bietet
wiederum Möglichkeiten für die externe Positionierung des Unternehmens bzw. seines
Managements. Kommunikation kann immer nur dann ihre volle Wirkung entfalten,
wenn sie auf die Situation maßgeschneidert ist.

Literatur
Associated Press (2004): Oracle to Acquire PeopleSoft for $10.3 Billion. 13.12.2004. http://www.msnbc.
msn.com/id/6705516.
Bruhn (2006): Unternehmens- und Marketingkommunikation. In: Handbuch für ein integriertes Kom-
munikationsmanagement, München.
Gerds, J. (2009): Post Merger Integration. Akquisitionen erfolgreich integrieren. In: Handelsblatt The-
ma, 2009.
Kindler/Poussot (2009): Interview mit Jeff Kindler und Bernard Poussot am 26.01.2009, http://www.
cantos.com/node/4779/company/Pfizer/project/3608.
Lipin, S. (2003): Investor Communications: New Rules for M & A Success. In: Financial Executive, Nr. 1,
2003. http://www.thefreelibrary.com/Investor+communications:+new+rules+for+M & A+success.
+ %28Cover+Story %29.-a096952534.
Piwinger, M./Zerfaß, A. (2007, Hrsg.): Handbuch Unternehmenskommunikation. Gabler, Wiesbaden,
2007, S. 13.
PricewaterhouseCoopers (2009): Post Merger Integration Study 2009. http://www.pwc.de/fileserver/
RepositoryItem/PMI_Study2009DE.pdf?itemId=11088323.
Rotering, J./Kubis-Fettes, N. (2009): Wie Linde und BOC ein Unternehmen wurden. In: Harvard Busi-
ness Manager, Nr. 2, 2009, S. 51–61.
RWE (2002): Online-Geschäftsbericht 2002. http://rwecom.online-report.eu/2002/gb/sonderthemainteg-
ration/integrations-motto.html.
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256  | 
Teil

IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie


ist nicht alles – aber ohne Psychologie
ist alles nichts
Uwe Böning*

1 Psychologische Aspekte in M & A-Prozessen


1.1 Führungskräfte und Mitarbeiter: Unterschiedliche Perspektiven
1.2 Merger Syndrom
1.3 Akzeptanz durch Beteiligung
1.4 Vertrauen statt Politik
2 Fälle aus der Praxis
2.1 Projekt 1: Zusammenarbeit im Vorstand als Voraussetzung für die Integration
2.2 Projekt 2: Begleitung eines Unternehmensverkaufs durch Business-Coaching
mit dem Vorstandsvorsitzenden
2.3 Projekt 3: Eine verschleppte Fusion und ihre Folgen
2.4 Projekt 4: Business-Coaching als Bindeglied zwischen Maßnahmen
in einem umfassenden M & A-Projekt
3 Fazit

1 Psychologische Aspekte in M & A-Prozessen


Die konkrete Praxis zeigt: Viele psychologische Aspekte in M & A-Prozessen werden
häufig übersehen oder fatal unterschätzt oder einfach auch falsch eingeschätzt. Dies
ist umso kritischer, als sie eine erhebliche Gefahr für den Erfolg einer Fusion oder
Übernahme darstellen können! Viele M & A-Prozesse scheitern nicht aufgrund einer
mangelnden strategischen Planung oder einer schlechten betriebswirtschaftlichen Due
Diligence. Sie scheitern vielmehr oft an der Unverträglichkeit der verschiedenen Unter-
nehmenskulturen bzw. am Widerstand der Mitarbeiter. Vor diesem Hintergrund ergeben
sich einige besondere Anforderungen an das Integrations- und Personalmanagement in
M & A-Prozessen sowie einige weitere schwierige Herausforderungen für die am Projekt
beteiligten Führungskräfte.1
Einige wenige, aber ausgewählte psychologische M & A-Aspekte und wirksame Be-
gleitmaßnahmen bei M & A-Prozessen seien deshalb im vorliegenden Text näher erläu-
tert.

* Uwe Böning, Geschäftsführender Gesellschafter, Böning-Consult GmbH, Frankfurt a. M.


1 Vgl. z. B. Jöns 2014, Jöns 2008, Schwaab, Frey & Hesse 2003.
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts  |  257
Teil

1.1 Führungskräfte und Mitarbeiter: Unterschiedliche Perspektiven


Übernahmen, Fusionen und Integrationsprozesse sehen aus der Perspektive der Unter-
nehmensleitung und der Entscheider einerseits und der Perspektive der nachgeordneten
Führungsebenen sowie der Mitarbeiter andererseits ziemlich verschieden aus: Für die
Unternehmensleitung schaffen sie einen strategischen Spielraum, für die nachgeordne-
ten Ebenen reichlich Unsicherheit. Zwar sind die strategischen Überlegungen im Kopf
für die Mitarbeiter nachvollziehbar, aber emotional spielt sich häufig etwas Anderes ab.
Die für sie alles überragenden Fragen lauten nicht: »Wohin will das Unternehmen?«,
»Wie sieht unsere Strategie aus?«, »Was kann ich für die Umsetzung tun?« –, sondern
vielmehr: »Was bedeutet das für mich persönlich?« und »Wer redet mit mir persönlich?«.
Es tun sich zwar neue Karrierewege auf, aber einige der alten verschließen sich auch.2
Chancen und Herausforderungen, blockierte Karrierewege und negative Folgen liegen
nah beieinander.3
Auf jeden Fall verändern sich viele Abläufe und viele persönliche Ansprechpartner. Es
entsteht Unsicherheit hinsichtlich der anstehenden Veränderungen, ihrer Tragweite – und
vor allem hinsichtlich der persönlichen Konsequenzen für den Einzelnen. Dass Fusionen
Mitarbeiter verunsichern, steht nicht nur in der Zeitung – es ist auch wissenschaftlich
erwiesen.4 Fusionen verursachen regelmäßig ein Gefühl der Unsicherheit, was oft einen
Rückgang der Arbeitszufriedenheit, des Commitments und des Vertrauens in das neue
Unternehmen nach sich zieht.5

Praxistipp
Rechtzeitiges und wiederholtes Informieren sowie eine verstärkte persönliche Kommunikation redu-
zieren die Anspannung und geben Orientierung. Das gilt sowohl für das akquirierende Unternehmen
als auch für das Zielunternehmen, selbstverständlich in verschiedener Weise, wenn die Umstände es
rechtlich und politisch zulassen: Wer Hintergründe kennt, kann mehr verstehen und mehr akzeptieren.
Überraschungscoups sind für die Öffentlichkeit – nicht für das Innenleben einer Organisation.
Außerdem: Gute Kommunikation erschöpft sich nicht in blanker Information – und schon gar nicht in
rein schriftlicher Form – z. B. im Intranet oder per E-Mail. Gute Kommunikation, die Unruhe reduzieren
soll, verlangt fast immer den persönlichen Dialog! Gute Kommunikation, die nach innen überzeugend
wirkt, bedient sich nicht alleine der allzeit positiven Hoffnungsbotschaften, sondern einer zum Teil auch
selbstkritischen Betrachtung, wenn erwartete oder unerwartete Schwierigkeiten entstehen.
Quasi-sozialistische »Prawda-Nachrichten« sind weniger überzeugend als ehrliche und realistische –
solange die Botschaft nach innen geht! Marketinggetriebene Außenkommunikation ist anders und hat
andere Aufgaben. Insofern: Achtung vor dem »Toyota-Syndrom«.

1.2 Merger Syndrom


Oft geht mit den Veränderungen ein sog. »Merger Syndrom« einher – ein Begriff, der
schon seit 30 Jahren in den Köpfen der Change-Verantwortlichen lebt6 – aber in den
Gremien der Entscheider noch lange nicht! Er beschreibt eine Reihe von charakteristi-

2 Vgl. Böning 2000.


3 Vgl. Böning 2002.
4 Vgl. z. B. Hodapp 2003, Jöns 2014, Jöns & Schultheis 2004, Nerdinger 2014.
5 Schweiger & de Nesi, 1991.
6 Vgl. Marks & Mirvis 1985.
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258  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

schen Verhaltensweisen und Reaktionen bei Fusionen: Befangenheit, verstärkte Gerüch-


tebildungen, Stressreaktionen und eine eingeschränkte Kommunikation sind üblich.
Das Management wird als unglaubwürdig erlebt, es finden Kämpfe zwischen den zu
integrierenden Kulturen statt und es kommt zu Gruppenbildungen und Abgrenzungen
von anderen Bereichen. Ein Teil der Mitarbeiter erlebt sich als »Verlierer« des Prozes-
ses.7 Verunsicherung, Angst sowie die Abnahme des wechselseitigen Vertrauens, der
Arbeitszufriedenheit und des Commitments sind die typischen Folgen.
Ob der Einzelne nachts gut schläft oder nicht oder ob ihm sein Mittagessen noch
schmeckt, wird in der Organisation schwer sichtbar. Unternehmen spüren den Stress
der Mitarbeiter aber in anderer Form: In der Zunahme von Fehlzeiten, in der Erhöhung
der Fluktuation oder am Rückgang der allgemeinen Arbeitsleistung 8 – all dies kann
sich direkt auf den Erfolg einer Übernahme, einer Fusion unter Gleichen bzw. auf den
Integrationsprozess auswirken. Es besteht z. B. ein direkter Zusammenhang zwischen
der wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit kurz nach der Fusion und der Arbeitszu-
friedenheit, den gefühlsmäßigen Reaktionen auf Organisationsveränderungen einerseits
und Fluktuationsabsichten sowie der psychischen und physischen Gesundheit sechs
Monate nach der Fusion andererseits.9 Auch die Abnahme der Arbeitszufriedenheit
ist im Unternehmen oft klar zu spüren, sie wirkt sich i. d. R. aber eher kurzfristig aus.
Nimmt das Commitment der Mitarbeiter längerfristig ab, ist dies auch nachhaltig im
Unternehmen zu spüren. Im Rahmen einer Fusion werden viele etablierte Prozesse und
eingespielte Verhaltensmuster als bedroht angesehen – vor allem, wenn die Unterneh-
menskultur des Fusionspartners als hierarchischer und autoritärer angenommen wird.10
Für einen erfolgreichen M & A-Prozess – und nach der Due Diligence gerade für die
entscheidende Post-Merger-Integrationsphase – sollten durch entsprechende professio-
nelle Begleitmaßnahmen nicht nur die ökonomischen, technischen und fachlichen, son-
dern auch die notwendigen psychologischen Grundbedingungen geschaffen werden. Da-
zu gehören für die Betroffenen bzw. für die »Verlierer« vor allem die erlebte Möglichkeit
zur Partizipation, die wahrgenommene Gerechtigkeit in den Entscheidungsprozessen
– vor allem hinsichtlich personeller Wechsel – und Möglichkeiten zur Identifikation mit
dem neuen Unternehmen.11 Der entscheidende Schlüsselfaktor in all diesen Abläufen
ist die faktisch praktizierte interne Kommunikation im Unternehmen, die neben der
offiziellen externen Unternehmenskommunikation primär über das Verhalten der Füh-
rungskräfte ihre Wirkung entfaltet. Hier zählen nicht die strategisch und wirtschaftlich
langfristig angestrebten Ziele des neuen Unternehmens, sondern der emotionale Ab-
gleich mit den unmittelbaren Erfahrungen der Mitarbeiter im Tagesgeschäft, was die
Personalentscheidungen, die neuen Prozesse und die interaktiven Erfahrungen mit den
neuen Vorgesetzten betrifft.

Praxistipp
Zu unterscheiden sind zwei völlig verschiedene Vorgehensweisen in dem gesamten Umsetzungsprozess,
die durch zwei Fragen markiert werden. Erstens: »Was kann das Unternehmen tun?« Zweitens: »Was kann
die einzelne Führungskraft selbst tun?«

  7 Vgl. Geiselhardt 2003.


  8 Vgl. auch Appelbaum et al. 2000.
  9 Probst 2002.
10 Länsisalmi et al. 2000.
11 Klendauer, Frey, Jonas & Kauffeld 2003.
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts  |  259
Teil

Zur ersten Frage:


Sinnvoll ist, neben der offiziellen und formaljuristisch notwendigen Einwegkommunikation (One-Way-
Infos) intern zusätzlich interaktive Formen der Kommunikation wie Hearings, Town Hall Meetings, Work-
shops und Ähnliches zu organisieren, in denen regelmäßig nicht nur kurz und informativ verschiedene
Botschaften »gesendet« werden, sondern offen und vertrauensbildend über »alles« dialogisch geredet
werden kann, was Führungskräfte und Mitarbeiter bei der Verarbeitung des Fusionsprozesses beschäf-
tigt – Probleme inbegriffen. Die Unternehmensleitung hat hier die Chance, durch aktives Überzeugen
für ihre Ziele zu werben und von Schwierigkeiten rechtzeitig zu erfahren. Gerade in unsicheren Zeiten
sind Führung, Orientierung und Vertrauen gefragt, ebenso wie Partizipation und Mitgestaltung. Wichtig
ist dabei nicht, dass alle Fragen vollständig beantwortet werden können. Wichtig ist vielmehr, dass sich
Unternehmensleitung und Führungskräfte persönlich dem offenen Gespräch stellen. Wer schweigt,
verweigert sich – und gibt Gerüchten Raum.
Zur zweiten Frage:
Alle sollten offen über alles reden können – ob mit oder ohne genaue (Sach-)Kenntnis, denn hinter vor-
gehaltener Hand wird es ohnehin getan. Deshalb ist es besser, dem von Führungskräften wie Mitarbei-
tern erwarteten Gespräch einen offiziellen und legitimen Kanal zu geben: Die fortlaufende Penetration
des Unternehmens mit wichtigen Botschaften und dem aktiven Dialog über die erreichten Fortschritte
wie die erlebten Schwierigkeiten im Umsetzungs-Prozess klärt auf und reduziert Spannung – aber nur,
wenn tatsächlich über die wichtigen Themen gesprochen und auf den Punkt gekommen wird. Sonst
misslingt die Neuausrichtung des Unternehmens und der Erhalt einer leistungsstarken Motivation durch
ein positives Erwartungsmanagement.
Den oberen und mittleren Führungskräften kommt dabei in einem M & A-Prozess eine wichtige Rolle zu:
Neben die Übersetzung der strategischen Ziele in das normale operative Tagesgeschäft tritt eine Reihe
zusätzlicher Aufgaben. Dazu gehören in der Regel:
• den Mitarbeitern immer wieder den Sinn und den Nutzen der neuen Verhältnisse zu erläutern;
• mit den Mitarbeitern in persönlichen Gesprächen spannungsreduzierend über die gemeinsamen wie
individuellen Folgen zu diskutieren;
• die fachlichen Folgen, Fortschritte, aber auch Umsetzungsschwierigkeiten an die Unternehmenslei-
tung zu berichten;
• die emotionalen Folgen für die Mitarbeiter so annehmbar wie möglich zu erklären;
• im Falle einer Integration nicht nur die organisatorischen Veränderungen zu managen, sondern auch
die menschliche Integration bewusst und konstruktiv zu gestalten.

1.3 Akzeptanz durch Beteiligung


Kontrolle ist die objektiv vorhandene bzw. subjektiv erlebte Möglichkeit, Bedingungen
der Umwelt nach eigenen Zielen und Vorstellungen zu verändern.12 Kontrollieren heißt
auch Einfluss nehmen, mitgestalten und regulieren. Verändern sich Unternehmen, dann
muss Vieles neu geregelt werden. Viel Stress im Rahmen von Veränderungsprozessen
entsteht also aufgrund von erlebter »Regulationsunsicherheit« und fehlendem Einfluss.13
Zeitdruck, veränderte oder gerade zusätzliche Arbeitszeiten sorgen für zusätzlichen
Regelungsbedarf (Zusatzregulationen). Qualitative Überforderung und unklares Leis-
tungsfeedback führen gerade in M & A-Prozessen häufig dazu, dass man nicht mehr
weiß, ob man die neuen Aufgaben gerade richtig regelt (Regulationsunsicherheit). Hinzu

12 Frese 1989.
13 Vgl. Jöns & Schultheis 2004.
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260  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

kommt in vielen Fällen eine Zielunsicherheit aufgrund unklarer Rollenerwartungen und


der Zunahme von Rollenkonflikten.14
Schon alleine diese Umstände verursachen negativen Stress. Dabei sind Mitgestal-
tung und Kontrolle gerade über neue Situationen wichtige Grundlagen, den aufkommen-
den Stress konstruktiv zu bewältigen.15 Das »Job Demand Control«-Modell 16 erläutert
diesen Zusammenhang: Wenn die Arbeitsbelastung (Job Demand) den Kontrollspiel-
raum (Control) des Einzelnen überschreitet, entsteht Stress, der nicht mehr als positive
Herausforderung erlebt wird.

Praxistipp
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Führungskräfte und Mitarbeiter im Rahmen von M & A- und PMI-Pro-
zessen gestalterisch zu beteiligen: über Mitarbeit in Projekten, Entscheidungsvorbereitungen und der
aktiven Beteiligung bei der Kommunikation an die Mitarbeiter – und nicht allein durch das Nachlesen
von Emails oder Ansprachen über Videos oder reine Telefonkonferenzen. Auch Mitarbeiter-Workshops
zur Verarbeitung der neuen Situation oder zum kreativen Finden von drängenden Problemlösungen für
aktuelle Themen können angebracht sein. Nicht totale Verschwiegenheit oder das Zurückhalten von
halbfertigen Lösungen sind hilfreich, beruhigt die Gemüter und führt zu den besten Ergebnissen, sondern
nur die frühe Einbindung durch Information und die aktive Beteiligung der Betroffenen.17 Autonomie für
begrenzte eigene Aufgaben bzw. Problemlösungen und eine aktive Partizipation reduzieren nachweislich
Stress und fördern nicht nur die Arbeitszufriedenheit im Allgemeinen, sondern gerade in besonderen
Situationen.18 Kommt noch das Bemühen um einen wertschätzenden Umgang gerade unter diesen
herausfordernden Bedingungen dazu, können oft eine Reihe negativer Folgen abgemildert werden.19
Dazu gehören u. a. die Abnahme des Vertrauens in die Unternehmensleitung bzw. in die Vorgesetzten
sowie ein Nachlassen des Commitments der Betroffenen und der Effizienz der unternehmensrelevanten
Arbeitsabläufe.20

1.4 Vertrauen statt Politik


Wenn Mitarbeiter den Entscheidungen und dem Verhalten ihres Vorgesetzten vertrau-
en und sich mit ihnen identifizieren, dann ist ihr Commitment für das Unternehmen
höher – naheliegender Wiese umso mehr, je mehr der Chef seine Mitarbeiter in seine
Gedanken und Entscheidungen rechtzeitig einbezieht.21 Dass für Führungskräfte im
Rahmen von Veränderungsprozessen der Stress ebenfalls zunimmt,22 ist nachvollzieh-
bar, nicht nur für die »Verlierer« oder diejenigen, die befürchten, bald selbst zu diesen
zu gehören, sondern auch für die (potenziellen) Gewinner: Sie sind auch von Verände-
rungen betroffen, stehen unter Konkurrenz- und Erfolgsdruck und müssen oft weitrei-
chende Entscheidungen vor einem für sie neuen Hintergrund treffen. Dies kann dazu
führen, dass sie unter den gegebenen Druckbedingungen schneller ungeduldig werden

14 Vgl. auch Semmer 1984.


15 z. B. Sonnentag & Frese 2003.
16 Karasek 1979.
17 Vgl. Steimer 2012.
18 Vgl. auch Spector 1986.
19 Vgl. Steinmeier & Jöns 2011.
20 Vgl. z. B. Gut-Villa 1997, Hodapp & Jöns 2004.
21 Vgl. Hodapp & Jöns 2004.
22 Vgl. Jöns 2014.
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts  |  261
Teil

und zu einem eher direktiven oder gar autoritären Führungsstil neigen – oder dass
dieser von ihren Mitarbeitern in diesem Moment so erlebt wird.23
Im Allgemeinen gilt: Etablierte Verhaltensmuster werden bei Fusionen als bedroht
erlebt, wenn die Unternehmenskultur des Fusionspartners als hierarchischer und au-
toritärer als die eigene angenommen wird.24 Mitarbeiter erleben die Fusion eher als
eine positive Herausforderung und somit als positiven Stress, wenn sie faktisch mehr
Handlungs- und Gestaltungsspielräume haben.25

Praxistipp
In vielen Fällen werden die Projektgruppen, die die Übernahme vorbereiten oder die Integration ma-
nagen sollen, nicht richtig vorbereitet und begleitet! Zwar würde im Sport keiner Fußballmannschaft
der Champions League und keiner Nationalmannschaft ein Trip zu den Europameisterschaften oder
Weltmeisterschaften ohne Coach zugemutet werden – aber Führungskräfte sollen und wollen das ger-
ne probieren. Die Illusion der Selbstständigkeit und Alleskönnerschaft siegt immer wieder über eine
professionelle Vorbereitung.
Aber auch Führungskräfte können mental eingestellt und auf ihren Arbeitseinsatz genau vorbereitet
werden, damit sie in ausgezeichneter physischer und psychischer Verfassung Topleistungen erbringen
können! Sie können auf ihre spezifische Rolle im Einsatz und im Projektteam vorbereitet werden, damit
sie mit Stress und Spannungen gut umgehen und Konflikte besser managen können. Denn Berichte von
Nächten ohne Schlaf, Erzählungen von nervenaufreibenden Verhandlungen und Frustsituationen sowie
von Führungskräften, die gereizt auf Mitarbeiter reagieren, sind nicht nur Fantasien von leistungsschwa-
chen Mitarbeitern oder externen Berufs-Pessimisten, die das Business nicht verstehen.
Spitze wäre es z. B., ein Coaching-Team bestehend aus einem Business-Coach, einem Change-Berater
und einem Sporttrainer zusammenzustellen, das sich um die optimale mentale und körperliche Ver-
fassung der für die Fusion und die Integration wichtigen Schlüsselpersonen kümmert. Die Erfahrung
zeigt: Business-Coaching kann im Rahmen von PMI-Prozessen viel mehr leisten als es kostet! Denn auch
Überlastung hat ihren Preis.

2 Fälle aus der Praxis


Nach diesen allgemeinen Ausführungen soll der Blick auf einige konkrete Erfahrun-
gen in M & A-Projekten gelenkt werden, die verdeutlichen sollen, welche unterschiedli-
chen, psychologisch begründeten Maßnahmen wichtige Erfolgsbeiträge zum gesamten
M & A-Projekt leisten können. Deshalb werden im Nachfolgenden Auszüge aus verschie-
den Beratungsfällen geschildert, deren Themen in der Praxis häufiger auftauchen.

23 Vgl. Jöns 2002.


24 Länsisalmi et al. 2000; zur Integration von Mitarbeitern in eine neue Kultur Böning & Dreyer 2010.
25 Hodapp & Jöns 2004.
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262  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2.1 P rojekt 1: Zusammenarbeit im Vorstand als Voraussetzung für die


Integration
Ein großes und über Jahre erfolgreiches mittelständisches Unternehmen der verarbei-
tenden Industrie nahm eine strategische Neuausrichtung vor: Es wollte wachsen. Im
Mittelpunkt stand hierbei neben der Internationalisierung das Wachstum über Akqui-
sitionen. Deswegen hatte das Unternehmen mehrere kleinere Wettbewerber aufgekauft.
Eine namhafte internationale Unternehmensberatung entwarf eine neue Organisations-
struktur, die zeigte, wie sich das neue Unternehmen aufstellen sollte. Der neugebildete
Vorstand setzte sich zusammen aus dem Vorstand des aufkaufenden Unternehmens
sowie aus den geschäftsführenden Gesellschaftern der aufgekauften Firmen, die bislang
als eigenständige Unternehmer am Markt im Wettbewerb zueinander standen.
Nach einer kurzen Zeit des Zusammenwirkens in der neuen Konstellation gestaltete
sich die Zusammenarbeit im neuen Vorstand zunehmend schwierig. Die Mitglieder
teilten zwar die neue strategische Ausrichtung des Unternehmens, sie harmonierten als
Gremium aber überhaupt nicht miteinander. Unterschiedliche Vorstellungen von der
Zusammenarbeit, der Entscheidungsfindung, der Personalpolitik und dem persönlichen
Umgang miteinander belasteten das Geschäft in zunehmendem Maße. Durch die Kon-
flikte wurde die Zusammenarbeit auf den nachfolgenden Führungsebenen belastet. Dies
zog ein verstärktes Siloverhalten in den einzelnen Unternehmensbereichen nach sich.
Der Vorstand sprach einen Unternehmensberater und Business-Coach an. Sein Bera-
tungsauftrag lautete, die Zusammenarbeit innerhalb des Vorstandes und auf der ersten
Berichtsebene zu verbessern. Das Beratungsprojekt wurde auf zwei Jahre angelegt, der
Beratungsansatz war folgendermaßen strukturiert:
• Business-Coaching mit dem gesamten Vorstand – einzeln und als Gremium.
• Einzel-Coaching mit der ersten Berichtsebene und weiteren Schlüsselpersonen der
nächsten Ebene.
• Workshops mit den Vorständen und der ersten Berichtsebene.

Zwei Berater waren wöchentlich für zwei Tage vor Ort im Einsatz, um in unterschied-
licher zeitlicher Intensität Business-Coachings mit dem oben genannten Personenkreis
sowie Workshops durchzuführen. Ziele der Workshops waren das Entwickeln einer
gemeinsamen Vorstellung und einer gemeinsamen Ausrichtung des Vorstandes und der
ersten Berichtsebene bzgl. der Integration und der Akzeptanz gemeinsamer Spielregeln;
aber dann auch die Diskussion zu Fortschritten und noch bestehenden Schwierigkeiten
sowie zum Erreichen eines Alignements für die weitere Umsetzung. An erster Stelle
stand die Verbesserung der Zusammenarbeit. Hier galt es, Lösungen für Führungspro-
bleme sowie für sachliche und zwischenmenschliche Konflikte zu erarbeiten. Während
die Berater in den Workshops die neutrale Rolle von Moderatoren einnahmen, war ihre
Aufgabe als Business-Coach, sich ziel- und ergebnisorientiert bei der Weiterentwicklung
der Top-Führungskräfte zu verhalten.
Jeder der Workshops wurde mit den Vorständen in Einzelgesprächen vorbereitet.
Hierbei ging es um inhaltliche Themen, aber auch um Fragen der Führung, des Kon-
fliktmanagements und des Ausfüllens der eigenen Rolle. Im Zusammenhang mit der
eigenen Rolle standen immer auch persönliche Themen im Mittelpunkt: Die ehemaligen
Besitzer der übernommenen Unternehmen waren es bislang gewohnt, alleine zu ent-
scheiden. Nun hatten sie ihre Funktion in der Zusammenarbeit mit anderen Top-Mana-
gern zu erfüllen, was eine geteilte Verantwortung, einen höheren Abstimmungsbedarf
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts  |  263
Teil

und eine Zunahme von Konflikten zur Folge hatte – abgesehen von der in einigen Fäl-
len wahrgenommenen verringerten Bedeutung der Manager als Entscheider mit allen
emotionalen Folgen.
Hinzu kamen zwischenmenschliche Konflikte aufgrund persönlicher Animositäten
und Abneigungen der verschiedenen Charaktere untereinander. Einige Mitglieder des
Gremiums fühlten sich als weniger wichtig und nicht ernst genommen. Da sie sich nicht
»das Wasser abgraben lassen« wollten, wehrten sie sich – z. T. offen, z. T. recht subtil.
Fast zwangsläufig gewannen zwischenmenschliche Themen im Business-Coaching er-
heblich an Bedeutung.
Im Verlauf des ersten Jahres zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen einzelnen
Mitgliedern des Vorstandes und dem restlichen Gremium hinsichtlich der Einschät-
zungen zur Gesamtsituation, zur strategischen Ausrichtung, zur erfolgreichen Zusam-
menarbeit aber auch hinsichtlich der Einschätzungen der persönlichen Leistungen der
einzelnen Vorstandsmitglieder. Da nicht alle Schwierigkeiten und Unterschiede zu über-
brücken waren, verließen nacheinander zwei Vorstände das Gremium, was sich am
Ende auch als ein Teil der Problemlösung herausstellte. Die Beratungsmaßnahme führte
letztlich zu einem vollen Erfolg – und dies aus verschiedenen Gründen:
1. Die Kommunikation in das Unternehmen hinein wurde geöffnet – womit auch die
neue Unternehmensphilosophie Raum bekam.
2. Unverträglichkeiten im Vorstand bezüglich der Umsetzung wurden offengelegt und
aktiv bearbeitet.
3. Die Auswirkungen der Probleme im Führungsgremium auf die nächste Ebene wur-
den transparent gemacht und konstruktiv aufgearbeitet.

Als Fazit lässt sich sagen: Ohne die ungewöhnlich offene und selbstkritische Ausein-
andersetzung der beteiligten Vorstände und Führungskräfte wäre ein großer Teil der
bearbeiteten Probleme vermutlich nicht (oder nicht rechtzeitig) gelöst und das Ausmaß
der erfolgskritischen Belastungen für die Einzelpersonen wie für die Mitarbeiter im
Unternehmen nicht reduziert worden.

2.2 P rojekt 2: Begleitung eines Unternehmensverkaufs


durch Business-Coaching mit dem Vorstandsvorsitzenden
Um die Gesamtausrichtung eines großen Unternehmens bezogen auf Akquisitionen oder
Unternehmenszusammenschlüsse erfolgreich zu unterstützen, reicht es mitunter sogar,
nur eine Person zu coachen – wie das folgende Praxisbeispiel zeigt.
Ein großes und erfolgreiches mittelständisches Unternehmen der Automobilindustrie
wollte sich im Rahmen der Globalisierung und des zunehmenden Wettbewerbs neu auf-
stellen. Trotz der zunehmend kritischen Gesamtwirtschaftslage war das Unternehmen
gesund. Der Vorsitzende des Vorstandes, der als Mitglied der Gründerfamilie gleichzei-
tig erhebliche Anteile an dem Unternehmen hielt, dachte vor dem Hintergrund anste-
hender, umfangreicher technischer und finanzieller Investitionen über die langfristige
strategische Perspektive seines Unternehmens nach:
1. Sollte das Unternehmen weiterhin selbstständig am Markt agieren?
2. Oder sollte einem größeren ausländischen Investor eine umfangreiche Beteiligung
an dem Unternehmen eingeräumt werden?
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264  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Die Lagebeurteilung und die mögliche Neuausrichtung wurden durch die Eigentümer-
struktur erschwert: Mehrere, untereinander zerstrittene Mitglieder seiner Familie hiel-
ten Anteile an dem Unternehmen. Neben wirtschaftlichen Aspekten beschäftigten den
Vorstandsvorsitzenden auch ganz persönliche Fragen im Zusammenhang mit seiner
Zukunft. Er überlegte, sich nach und nach aus der Rolle des Unternehmenslenkers zu-
rückzuziehen, um sich dann mehr seiner Familie widmen zu können.
Vor dem Hintergrund der komplexen Gesamtsituation sprach er einen Business-Coach
und Berater an, den er um die Begleitung und Beratung in seinem Entscheidungsprozess
bis zu einer möglichen Übernahme bat. Im Rahmen der Coaching-Sitzungen kristalli-
sierten sich allerdings mehrere, miteinander verknüpfte Problemfelder heraus:
1. Das Geschäft war direkt an seine Familie gekoppelt.
2. Es ging um das Aufgeben der Eigenständigkeit seines Unternehmens, das bis dahin
in seinem Bereich technisch und qualitativ führend war.
3. Es ging um die Veränderung seiner persönlichen und unternehmerischen Rolle, die
zukünftig möglicherweise geringere Gestaltungsmöglichkeiten und geringere Bedeu-
tung haben würden.
4. Das hatte zur Konsequenz, dass er vor der Korrektur seines eigenen Selbstbildes
stand, was mit einem befürchteten Prestigeverlust seines Unternehmens, seiner Fa-
milie und seinem persönlichen Umfeld einherzugehen drohte.

Die persönlichen Fragen des Coaching-Partners waren also stark mit Familienthemen
und Unternehmensaspekten verwoben. Folglich ging es im Coaching um sein persönli-
ches Verhalten, um strategische Fragestellungen, aber auch um familiäre Themen und
Konflikte. Ziel des Business-Coachings war es, diese Themenkomplexe zu identifizieren,
sie zu sortieren, zu analysieren, mit ihren Folgen zu durchdenken und Handlungsop-
tionen zu erarbeiten.
Zusätzlich musste der Vorstandsvorsitzende seine eigenen Anteile und Möglichkeiten
bewusst wahrnehmen und seine Position klären. Wie stand es um seine Durchset-
zungsfähigkeit? Es galt, diese realistisch einzuschätzen, um damit mögliche Konflikte
in den Griff zu bekommen. Da die Gesamtsituation für ihn in erheblichem Maße inte-
ressengesteuert war, gestaltete sie sich für ihn auch emotional hochgradig aufgeladen.
Hier trug das Business-Coaching zu einem guten Teil zur Affektregulation und damit
zu seiner Beruhigung bei. Dies war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass er seine
Entscheidungen ausbalancierter und sachangemessen treffen konnte, die nun weniger
von seinen subjektiven Befindlichkeiten und persönlichen Verletzungen abhingen.
Das Business-Coaching hat den Manager damit auch im Sinne einer Stabilisierung
bei seiner Einschätzung der Gesamtsituation unterstützt. Primär beschränkte sich die
Arbeit während der Coaching-Sitzungen auf den Manager. Punktuell führte der Coach
Gespräche mit dem sozialen Umfeld, d. h. der Familie und einigen Unternehmensange-
hörigen, um die Gesamtlage objektiver und mit ihren Facetten realistischer einschätzen
zu können. Letztendlich ließ sich nicht mit allen Familienmitgliedern die angestrebte
Einigkeit erzielen, was aber die unternehmerische Entscheidung des Hauptanteilseig-
ners beschleunigte.
Fazit: Das Business-Coaching unterstützte den Unternehmer dabei, eine für ihn per-
sönlich und für sein Unternehmen positive Entscheidung schneller und klarer treffen
zu können: Die Entscheidung lautete: Verkaufen!
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts  |  265
Teil

2.3 Projekt 3: Eine verschleppte Fusion und ihre Folgen


Seit dem Zusammenschluss zweier Unternehmen waren fast zehn Jahre vergangen.
Obwohl beide Parteien leidlich zusammengearbeitet hatten, wurden in diesem Zeitraum
die Fusion und damit eine Integration nie wirklich vollzogen. Der in den Ruhestand
verabschiedete Vorstand hatte nicht den Mut zu klaren Schritten gezeigt, sondern die
Parallelorganisationen im Wesentlichen bestehen lassen – mit der Konsequenz, dass
zwei Standorte und zwei sich mehr oder weniger selbstständig weiterentwickelnde Or-
ganisationen bestehen blieben. Dann kam ein neuer Vorstand ins Amt, der das nachho-
len wollte, was in den vergangenen zehn Jahren versäumt worden war.
Der Beratungsauftrag hatte das Ziel der Begleitung und Beratung des Vorstandes bei
der Umsetzung der überfälligen Integration. Es galt, das Unternehmen auf eine Haupt-
verwaltung zu fokussieren, die Strukturen zu straffen – und damit das lange Versäumte
nachzuholen. Anders als in den bisher geschilderten Beratungsprojekten war der Coach
zusätzlich zu seiner Arbeit mit dem Vorstand als Leiter der Umsetzungsberatung tätig.
Dies erfolgte nicht zuletzt aufgrund des hohen Vertrauens des Vorstandes in ihn und
seine durch den Vorstand wahrgenommenen Kompetenz als Berater.
Im Rahmen eines Komplementär-Beratungs-Ansatzes wurde eine »klassische« Stra-
tegieberatung in den Prozess eingebunden, die Konzepte zur Umstrukturierung entwi-
ckelte.26 Der Business-Coach beriet seinen Kunden bei der Auswahl des Beraters und
sorgte für eine intensive Zusammenarbeit im Auftrag des Vorstandes. Es galt, Struktu-
ren zu verändern und Prozesse neu zu gestalten. Das erklärte Ziel bestand darin, ein
»neues« Unternehmen zu entwickeln, das den Zukunftsaufgaben gewachsen war. Hier-
zu war es nötig, dass der »klassische« Berater und der Coach eng zusammenarbeiteten,
um sowohl die strategischen und organisatorischen Aufgabenstellungen zu lösen, als
auch die kommunikativen, die unternehmenskulturbezogenen und die motivationalen
Herausforderungen kritisch zu analysieren und zu bewältigen.
Um den jahrelangen Widerständen der Mitarbeiter gegen eine Zusammenlegung der
Standorte zu begegnen, wurden u. a. sog. Hearings einberufen. An den Veranstaltun-
gen nahmen die jeweils betroffenen Unternehmensangehörigen teil. Bei den Treffen
konnten sie nicht zuletzt ihrem persönlichen Unmut über die Veränderungen gegen-
über den anwesenden Führungskräften Luft machen, aber sich gleichzeitig auch mit
Kollegen austauschen, die einen entsprechenden Ortswechsel bereits vollzogen hatten.
Alleine die Möglichkeit, Bedenken und Ängste öffentlich äußern zu können und neue
Informationen zu bekommen, beruhigte die erhitzten Gemüter dermaßen, dass nach
diesen Hearings eine zielorientierte Umsetzung der Organisationsveränderungen durch
die Fachabteilungen mit viel weniger Widerstand seitens der Mitarbeiter durchgeführt
werden konnte. Sie hatten erlebt, mit ihren Problemen und Beschwerden von »der Füh-
rung« ernst genommen zu werden und sogar mit Wertschätzung behandelt worden zu
sein – und damit deutlich verhandlungsfähiger in den konkreten Standort-Verhandlun-
gen zu werden.
Da das Ziel bestand, auch das konkrete Führungs- und Konfliktverhalten zu ändern,
wurde jede sich anbietende Gelegenheit dazu genutzt, im Sinne des »neuen« Unter-
nehmens die Unternehmenskultur entsprechend weiterzuentwickeln. Hierzu dienten
auch die 14-tägig stattfindenden Vorstandssitzungen, an denen schließlich auch alle
Bereichsleiter teilnahmen. Es wurde damit angestrebt, die jeweiligen Zielvereinbarun-

26 Vgl. zum Begriff »Komplementärberatung« auch Böning & Fritschle 1997.


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Teil

gen zu beschleunigen, die Konsequenzen in der Umsetzung gemeinsam zu diskutieren


und gemeinsam nach besten Lösungen zu suchen, um die Zielerreichung zu verbessern.
Neben dem Informationsaustausch und dem zunehmend offenen und konstruktiven
Bearbeiten auch kritischer Themen beschleunigte diese Vorgehensweise alle Abläufe
erheblich und diente damit der Umsetzung des Projektes. Der Business-Coach begleitete
außerdem für eine längere Zeit die Vorstandssitzungen als Beobachter und Feedback-
geber (also »Shadowing in reality«). Als weitere Maßnahme zum mittelfristigen Kom-
petenzaufbau wurden jüngeren Managern zusätzlich zu ihrem normalen Tagesgeschäft
verantwortungsvolle Aufgaben in anderen Bereichen übertragen, über deren Erfolg sie
direkt an den Vorstand berichteten. Ziel dieses Vorgehens war es, das Silo-Verhalten in
den verschiedenen Bereichen zu überwinden und durch eine übergeordnete Unterneh-
mensperspektive zu ersetzen.
Zusätzlich gab es immer wieder spezifische Maßnahmen, die nah im Tagesgeschäft
einzelner Bereiche oder Abteilungen waren, um ritualisierte, jedoch nicht mehr benö-
tigte Tätigkeiten zu verändern oder nach Möglichkeit ganz abzuschaffen. Wichtig war
dabei, die weiter unten in der Hierarchie angesiedelten Mitarbeiter mit diesen Aufgaben
zu betrauen und sie dabei zu unterstützen, um auch schmerzhafte Entscheidungen
mitzutragen. Dies erfolgte in Workshops mit den direkt Beteiligten, deren Vorschläge
zu den erforderlichen Entscheidungen durch die Vorgesetzten führten. Wichtig war es
in diesem umfangreichen Veränderungs-Prozess, den Betriebsrat in seiner Rolle und
Verantwortung als Vertreter der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einzubeziehen
und als Partner zu behandeln.
Die Maßnahmen wurden durch gezielte Kommunikations- und Informationsaktionen
begleitet, nicht nur in Form von Interviews und Statusberichten in der Mitarbeiterzei-
tung, sondern auch durch informationsbezogene interaktive Großveranstaltungen für
die lokalen Mitarbeiter, eine Reihe von Interviews mit dem Vorstand über die Strategie
und Neuausrichtung sowie Reisen des Gremiums und den verantwortlichen Führungs-
kräften im Change-Team zu den verschiedenen Standorten, um immer wieder im per-
sönlichen Gespräch Orientierung und Stabilität zu ermöglichen. Schließlich wurde auch
eine telefonische Hotline eingerichtet, um in schwierigen persönlichen Situationen ein
entlastendes Gespräch zu ermöglichen oder nach Wegen zur Lösung von Business-The-
men zu suchen.
Die Klammer für diesen ganzen Prozess bildete ein intensives Business-Coaching mit
dem Vorstand, den Bereichsleitern und weiteren Schlüsselpersonen des Unternehmens.
Ziel des Business-Coachings war es, die verschiedenen Neuausrichtungen und Verhal-
tensänderungen durch ein ständiges Nachhalten und eine permanente selbstkritische
Auseinandersetzung der Führungskräfte mit ihrem eigenen Vorgehen und Verhalten zu
festigen und den Vorstand dabei zu unterstützen, den Prozess nachhaltig am Laufen zu
halten. Zwar kam der Hebel zur Veränderung von ganz oben, aber die Führungsmann-
schaft sollte die Umsetzung mitgestalten und tragen.

2.4 P rojekt 4: Business-Coaching als Bindeglied


zwischen Maßnahmen in einem umfassenden M & A-Projekt
Ein großes und ebenfalls erfolgreich geführtes Unternehmen, das auf weitreichende
Marktveränderungen reagieren wollte, führte im Rahmen einer Fusion verschiedene Berei-
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts  |  267
Teil

che im Unternehmen neu zusammen. Das Veränderungskonzept wurde von einer großen
Strategieberatung entwickelt. Die Umsetzung sollte von einer anderen Beratung zusätzlich
unterstützt werden, deren Aufgabe es war, sich auf die verhaltens- und einstellungsbe-
zogene Umsetzung der Integration der verschiedenen Bereiche zu konzentrieren. Im ge-
samten Projekt arbeiteten folglich zwei verschieden ausgerichtete Beratungsunternehmen
im Sinne einer Komplementär-Beratung intensiv zusammen: eines, das sich mit der neu-
en Strategie, dem neuen Organisationskonzept sowie mit der Integration verschiedener
IT-Systeme beschäftigte, und eines, das sich mit »dem Change«, d. h. mit der Umsetzung
der Veränderugen auf der Verhaltens- und Einstellungsebene auseinandersetzte.
Auch in diesem Projekt spielte Business-Coaching eine wichtige Rolle. Zum einen er-
folgte ein Coaching des Vorstandes: Ziel der Maßnahme war es, ähnlich wie in den oben
beschriebenen Beratungsprojekten, die Verbesserung der Zusammenarbeit im Gremium.
Zusätzlich erfolgte ein Coaching mit Führungskräften und weiteren Schlüsselpersonen
der zwei nachgeordneten Führungsebenen, um sie bei der Bewältigung von Konflikten
und bei der Einbindung ihrer Mitarbeiter in den Veränderungsprozess zu unterstützen.
Auf diese Weise sollte der Veränderungsprozess beschleunigt und durch ein stärkeres
Delegieren mehr Verantwortung und Eigenständigkeit in das Subsystem der Führungs-
kräfte gebracht werden. Ziel war die Reduktion der Stressbelastung sowie das Erhalten
oder gar Erhöhen der Arbeitszufriedenheit der Beteiligten.
Im Wesentlichen wurde dabei der gesamte verhaltens- und einstellungsbezogene
Veränderungsprozess über ein zentrales Instrument gesteuert, nämlich über ein re-
gelmäßiges Kernteam-Meeting, dem Führungskräfte aus allen betroffenen bzw. direkt
beteiligten Bereichen und Abteilungen des Unternehmens angehörten. Dazu gehörten
neben dem Bereichsleiter und den Schlüsselpersonen der nachgeordneten Ebenen auch
der Betriebsrat und die Organisationsabteilung, die die Restrukturierung physisch bis
zum Umstellen der einzelnen Schreibtische begleiteten. Alle im Veränderungsprozess
anfallenden wichtigen Themen wurden in diesem Meeting präsentiert und lösungsori-
entiert diskutiert. Das Kernteam-Meeting wurde durch externe Berater moderiert und
ergebnisbezogen protokolliert. Das Protokoll mit Themen, Verantwortlichen, Arbeits-
stand und Meilensteinen diente als Steuerungsinstrument für den gesamten Prozess.
Dieses scheinbar schlichte, aber wirkungsvolle Vorgehen verfolgte verschiedene Ziele:
• Betroffene zu Beteiligten machen;
• Einbindung auch gerade jener Betroffenen, die der Veränderung kritisch gegenüber-
standen;
• Gewinnen der gesamten Mannschaft für die Veränderungen;
• Transparenz des Vorgehens für alle Beteiligten;
• Lösen von Konflikten unter Einbeziehung vieler unterschiedlicher Perspektiven;
• Bearbeiten auftretender Friktionen und Widerstände von Anfang an;
• Beteiligung verschiedener Perspektiven an der Entwicklung von Maßnahmen von
Anfang an.

So wurde z. B. ein Konzept zur Höherqualifizierung von Mitarbeitern durch den Perso-
nalleiter vorgestellt und anschließend mit allen Beteiligten diskutiert und damit für die
jeweiligen Bedürfnisse verschiedener Bereiche optimiert. Der projektverantwortliche
Vorstand selbst nahm an den Sitzungen nicht teil, erhielt aber im Anschluss an die
Sitzungen das jeweilige Ergebnis-Protokoll, so dass er bezüglich der Umsetzung der
Veränderungen informiert und entscheidungsbeteiligt war und bei Bedarf die nötige
Unterstützung geben konnte.
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268  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Wichtig waren auch die wöchentlichen Treffen zwischen den beteiligten Beratergrup-
pen, um ihr Vorgehen miteinander abzustimmen, was sich ebenfalls integrierend und
modellbildend auf den Gesamtprozess auswirkte.
Da viele Stellen neu besetzt werden mussten, wurde ein Mitarbeiter-Audit durchge-
führt, in dessen Rahmen Führungskräfte die Kompetenz ihrer Mitarbeiter einschätzten.
Dies geschah systematisch in Form einer Potenzialanalyse im Kreis der abgebenden und
aufnehmenden Bereichsleiter. Ein Vorteil dieses Verfahrens war, dass die Mitarbeiter
von verschiedenen Personen aus unterschiedlichen Perspektiven beurteilt wurden. Das
Ergebnis führte mit einer hohen Erfolgsquote zu einer sehr hohen Akzeptanz bei allen
Beteiligten.
In solchen Prozessen gibt es immer wieder die Momente, zu denen alle Beteiligten,
Führungskräfte wie Mitarbeiter, den gleichen Informationsstand über die Veränderun-
gen haben sollten bzw. haben müssen. Für dieses Ziel wurde im vorliegenden Fall eine
große Informationsveranstaltung organisiert, auf der alle direkt am Prozess beteiligten
Mitarbeiter und Führungskräfte – im vorliegenden Beispiel ca. 500 – auf einmal alle für
sie relevanten Informationen zum Integrationsprozess erhielten. Dies geschah in Form
eines großen »Marktplatzes«, auf dem die Protagonisten der Veränderung – Bereichslei-
ter und Hauptabteilungsleiter – alle Veränderungen präsentierten: neue Strukturen und
Prozesse, Personalentwicklungskonzepte, neue Führungsleitbilder bis hin zu den neuen
Schreibtischen für die Mitarbeiter.
Dieses Vorgehen hatte verschiedene Vorteile:
• Das komplexe Veränderungsgeschehen wurde auf einen Blick sichtbar.
• Es wurde von den Betroffenen vorgestellt und nicht von den externen Beratern – und
kam damit aus dem Inneren der Organisation selbst.
• Die Beteiligten aus den verschiedenen Bereichen mussten sich vorher geeinigt haben,
wie sie ihre Bereiche gestalten wollten und mussten dies gemeinsam nach außen
vertreten. Ehemalige interne Wettbewerber lernten auf diese Wiese, konstruktiv zu-
sammenzuarbeiten.
• Nachdem die Beteiligten ihr Projekt »unzählige« Male selbst erklärt hatten, hatten
sie es gleichzeitig auch erheblich verinnerlicht.

Als weitere Kommunikationsmaßnahme wurde eine Hotline eingerichtet, an der zu


bestimmten Zeitpunkten Vertreter verschiedener Bereiche und Themengebiete telefo-
nisch für Fragen zur Verfügung standen. Zur Stärkung der Information gab es auch ein
»Storytelling« im Intranet und begleitende Artikel in der Werkszeitung.
Zusätzlich begleitete ein Business-Coach Routine-Meetings, in denen Vertreter des
Vorstandes sowie Führungskräfte der ersten und zweiten Berichtsebene gemeinsam
tagten. Neben einem Feedback zum wahrgenommenen Führungsverhalten, zur Um-
setzungskonsequenz und eventueller Konfliktpunkte bestand ein wesentliches Ziel der
Maßnahme darin, die direkte Anknüpfung an die laufenden Coaching-Maßnahmen zu
erreichen, um die dort empfohlenen Verhaltensänderungen durch ein Shadowing weiter
zu vertiefen.
Das geschilderte Vorgehen machte es möglich, die Beteiligten über mehrere Hierar-
chieebenen hinweg strukturiert einzubinden und dadurch den Veränderungsprozess
sowohl auf der Unternehmens- als auch auf der individuellen Verhaltens-Ebene zu in-
tensivieren. Die Berater steuerten und trieben den Prozess voran und brachten sich als
»Enabler« ein, die die Beteiligten zur eigenen Umsetzung bewegten. Erwähnenswert
erscheint schließlich, dass das Beratungskonzept nicht in allen Details zu Beginn des
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts  |  269
Teil

Prozesses feststand, sondern – orientiert an den Bedürfnissen der Organisation – wäh-


rend der Umsetzung flexibel weiterentwickelt wurde. Es gab daher zu Beginn keine
»Blaupausen« des gemeinsamen Vorgehens. Viele Impulse ergaben sich vielmehr erst
aus dem Tagesgeschäft der Umsetzung, die von oben nach unten (top-down) und von
unten nach oben (bottom-up) gleichzeitig erfolgte. Business-Coaching galt in diesem
Rahmen als ein zentrales Bindeglied, um die in den jeweiligen Maßnahmen entwickel-
ten Konzepte und Vorhaben in den geschäftlichen Alltag zu transferieren.

3 Fazit
Vieles bei M & A-Prozessen ist untersucht und schon beschrieben worden. Umgesetzt
wird es aber trotzdem nur sehr begrenzt! Einer der Gründe liegt in den verschiede-
nen Spielregeln der Beteiligten: Einerseits die M & A-Profis, die den Deal strategisch,
finanztechnisch und juristisch organisieren sowie die Entscheider, die über einen Kauf,
Verkauf oder eine Fusion das letzte Wort haben. Andererseits die betroffenen Führungs-
kräfte und die Mitarbeiter in den betroffenen Unternehmen, besonders dem Target!
Wer marktstrategisch, öffentlich oder politisch handeln muss, vergisst sehr schnell die
Spielregeln des Vertrauens im täglichen Geschäft.
Nicht zu übersehen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die beteiligten
Personen (Finanzberater, Juristen, Strategen etc.) andere Persönlichkeitstypen reprä-
sentieren als diejenigen, die mit den Emotionen der Beteiligten umgehen, um Kommu-
nikationsfehler der »Aktionisten« sowie Abwehrreaktionen, Widerstände, Ängste und
Konflikte der Betroffenen zu minimieren. Während die Erstgenannten mit »harten Fak-
ten«, Zahlen und rationalen Überlegungen ihr Geschäft machen, konzentrieren sich die
Vertreter der zweiten Gruppe mehr auf die »weichen Faktoren« der Menschen in den
beteiligten Unternehmen.
Hoffnungen auf einen erfolgreichen Deal, einen sich selbst stabilisierenden Prozess
oder ein gutes finanzielles Ergebnis, gehören zu den Einstellungen der rational und
analytisch kalkulierenden Entscheider auf den obersten Ebenen. Die Protagonisten ei-
nes »guten Prozesses« hingegen, die die menschlichen Reaktionen der Beteiligten in den
Vordergrund ihrer Erfolgsbeiträge rücken, bevorzugen eher eine psychologisch »weiche«
Vorgehensweise und befinden sich eher auf den nachgeordneten Ebenen. Kurz gefasst
könnte man auch sagen: In der Planung schlägt rationale Überlegung die Emotionen.
In der Umsetzungsrealität hingegen schlägt das Emotionale oft das rationale Kalkül.
Deshalb sollten oft andere Personen als die Entscheider selbst die Integration (mit-)
managen, allerdings ohne die Entscheider »außen vor« zu lassen. Integration ist mehr
als die nackte Passung von Zahlen und Fakten und die mechanische Übersetzung von
Strategiekonzepten in neue IT-Systeme. Es ist auch die manchmal schwierige Passung
der neu zusammenkommenden Menschen, die Aufnahme neuer Netzwerke, die schwie-
rige Veränderung überholter Arbeitsprozesse, Arbeits- und Verhaltensgewohnheiten. Es
bedeutet auch, die Konzepte mit lebenden Unternehmenskulturen zu verknüpfen, die
oftmals ein bemerkenswertes Eigenleben führen.
Jeder weiß: Eine betriebswirtschaftliche Due Diligence ist eine unverzichtbare Maß-
nahme. Wer aber führt konsequent auch eine Due Diligence der beteiligten Unter-
nehmenskulturen und der im Blickpunkt stehenden Führungskräfte durch? Wer das
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270  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

(neue) Unternehmen weiterentwickeln will, der sollte den Boden kennen, auf dem er
erfolgreich pflanzen will. Strategische Pläne, juristisch gute Verträge und eine sinnvolle
Finanzierung eines Mergers oder einer Akquisition sind keine hinreichenden Antworten
auf diese Frage. Es bedarf vielmehr einer professionellen Unternehmenskulturanalyse,
die die Passung wie die Differenzen der zu integrierenden Kulturen und Milieus er-
kennbar macht, um sie in die Entscheidungen und die Umsetzung einzubeziehen. Und
Management-Audits wie professionelle Potenzialanalysen der zur Verfügung stehenden
Führungskräfte sind nicht am besten die Sache von hervorragenden Technikern, Juris-
ten, IT-Fachleuten oder anderen fachlichen Spezialisten. Es gibt auch Experten für die
psychologischen Themenstellungen in M & A-Projekten. Eine Zusammenarbeit dieser
so repräsentierten verschiedenen Perspektiven trägt wohl am meisten zum Erfolg der
komplexen M & A-Projekte bei.
Womit wir abschließend wieder am Anfang angekommen wären, denn wie der Titel
des vorliegenden Kapitels schon sagte: »Psychologie ist nicht alles, aber ohne Psycho-
logie ist alles nichts!«

Literatur
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts  |  271
Teil

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272  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie


Lisa Hopfmüller/Markus Schimmer*

1 M & A: Ein strategisches Phänomen


1.1 M & A als Instrument der strategischen Rekonfiguration
1.2 Strategische Motive von M & A-Transaktionen
1.3 Positionierung der strategierelevanten Aspekte im Akquisitionsprozess
2 M & A aus Sicht der Forschung
2.1 M & A-Erfolgsparadoxon als Ausgangspunkt der Forschung
2.2 Status Quo der M & A-Forschung
2.3 M & A-Forschungsmodell
3 Traditionelle M & A-Forschung
3.1 M & A-Wellen und Transaktionserfolg
3.2 Synergien als Werttreiber von Akquisitionsstrategien
3.3 Managementdiskretion als Problem von M & A
3.4 Kritik an der traditionellen M & A-Forschung und Ansatzpunkte
zukünftiger Forschung
4 Alternative Perspektiven der M & A-Forschung
4.1 Akquisitions- und Restrukturierungsprogramme (a)
4.2 M & A-Kompetenzen (R)
4.3 Verhaltenswissenschaftliche, entscheidungsbasierte Ansätze (ψ)
4.4 Einfluss von Intermediären (w)
5 Schlussfolgerungen
5.1 Methodische Herausforderungen für die M & A-Forschung
5.2 Konzeptionelle Herausforderungen für die M & A-Forschung
5.3 Schlusswort

1 M & A: Ein strategisches Phänomen


1.1 M & A als Instrument der strategischen Rekonfiguration
M & A tritt in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung als ein weitgehend eigen-
ständiges Forschungsfeld auf. Dieses Bild widerspricht jedoch der unternehmensstra-
tegischen Bedeutung von M & A. Denn für Unternehmen stellen M & A-Transaktionen
keinen Selbstzweck dar, sondern ein integrales Instrument der Unternehmensstrategie.
Da Unternehmensstrategien im Spannungsfeld des Marktes1 und der unternehmensspe-

* Dr. Lisa Hopfmüller, Investment Manager, INVESTNET AG, Herisau; Dr. Markus Schimmer, Strate-
gieberater, Accenture Strategy, Zürich.
1 Bain 1959; Porter 1985.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  273


Teil

zifischen Ressourcen und Fähigkeiten 2 entstehen, kann eine strategische Umpositionie-


rung eines Unternehmens nicht losgelöst von einer Anpassung seiner Ressourcen- und
Fähigkeitsbasis erfolgen. Als Mechanismen einer solchen adaptiven Restrukturierung
stehen dem Unternehmen die Ausdehnung und/oder Addition einzelner Unternehmens-
bereiche durch M & A, organisches Wachstum und die Möglichkeit zur Bildung von
Allianzen zur Verfügung. Die Kehrseite der »Restrukturierungsmedaille« ist durch die
unterschiedlichen Formen an Desinvestitionen besetzt, welche als Mechanismen des
Rückzugs dienen.
Speziell die wachstumsorientierten Mechanismen der Restrukturierung weisen recht
unterschiedliche Merkmale auf und werden von Unternehmen demnach situativ ein-
gesetzt. So versprechen M & A zwar einen schnellen Zugang zu neuen Ressourcen und
Synergiepotenzialen, jedoch geht mit ihnen – da sie zwingend auf Ebene der Geschäfts-
felder ansetzen – meist auch der Erwerb ungewollter Vermögenswerte einher. Darüber
hinaus bergen vor allem große M & A-Transaktionen zahlreiche finanzielle und operative
Risiken.
Häufig sind jedoch die Alternativen zu M & A ungeeignet, die strategischen Ziele zu
erreichen: Allianzen stellen einen dauerhaften Drahtseilakt im Hinblick auf die Zusam-
menarbeit zwischen Konkurrenten bzw. durch die Wertschöpfungskette verbundener
Unternehmen dar, und organisches Wachstum erfordert meist einen derart langen Atem,
dass der Anschluss an die Konkurrenz verpasst wird. Oft sprechen auch Marktstruktu-
ren, z. B. stark konzentrierte Produktmärkte und substantielle Eintrittsbarrieren, oder
geringere Finanzierungskosten, z. B. durch die Senkung des Insolvenzrisikos, für die
Nutzung von M & A. Erfolgreiche Unternehmen beherrschen die Klaviatur aller Instru-
mente und setzen sie gezielt ein. So sind M & A-Transaktionen auch selten isolierte Maß-
nahmen der Anpassung, sondern werden von weiteren Akquisitionen, Desinvestitionen
oder organisatorischen Maßnahmen begleitet.3
Der vorliegende Beitrag widmet sich nach einer kurzen Diskussion der strategi-
schen Ziele von M & A-Aktivitäten aus Sicht der Forschung sowie der Einordnung der
aus strategischer Sicht relevanten Prozesse mit Hilfe eines M & A-Phasenmodells (vgl.
Kap. 1). Im Anschluss wird ein Überblick über den Status Quo der strategieorientierten
M & A-Forschung aus den Bereichen Finanzwissenschaften, Organisationsforschung und
Strategischem Management gegeben wie auch mögliche Lücken identifiziert, welche
Raum für neue Forschungsansätze eröffnen (vgl. Kap. 2). Die Folgekapitel widmen sich
einerseits der Bestimmung gemeinsamer Ansatzpunkte zwischen bestehenden, traditio-
nellen Forschungsrichtungen (vgl. Kap. 3); andererseits werden alternative Perspektiven
beleuchtet, welche der zukünftigen, praxisorientierten M & A-Forschung neue Ansätze
bieten können, um die bisher ungeklärten Forschungsfragen erneut aufzugreifen (vgl.
Kap. 4). Abschließend fassen wir die methodischen und konzeptionellen Herausforde-
rungen zusammen, denen sich die M & A-Forschung stellen muss (vgl. Kap. 5).

2 Penrose 1959; Teece 2007.


3 Vgl. hierzu u. a. Becker et al. 2014.
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274  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

1.2 Strategische Motive von M & A-Transaktionen


Die klassischen Forschungsansätze zur Erklärung der Zielsetzung von M & A-Transak-
tionen lassen sich in drei Blöcke aufteilen, welche sich auf finanzwissenschaftliche,
ökonomische und strategische Begründungen beziehen. Ausgehend von der Annahme,
dass das übergeordnete strategische Ziel eines Unternehmens die Steigerung des Aktio-
närsvermögens ist, sieht die finanzwissenschaftliche Literatur in Akquisitionen u. a. die
Möglichkeit zur Senkung der Kapitalkosten und der Steuerbelastung, zum Verkauf von
Teilbereichen (Asset Stripping) und zur Optimierung der Kapital- und Finanzstruktur
(Financial Engineering), oder aber lediglich die Möglichkeit zur Realisierung des Kaufs
eines günstigen, d. h. unterbewerteten Unternehmens.
Die ökonomische Literatur sieht das Unternehmen als eine homogene Entscheidungs-
einheit mit dem dominanten strategischen Ziel der langfristigen Ertragsmaximierung
durch Erlangung von Wettbewerbsvorteilen. Begründungen für M & A-Aktivitäten wer-
den vor allem in Skalen- und Diversifikationsvorteilen gesehen, aber auch im Streben
nach Verhandlungsmacht.
Die strategiebasierte Forschungstradition im M & A-Bereich ist auf die strategische
Positionierung des Unternehmens im jeweiligen Industriesektor fokussiert und über-
lappt sich zum Teil mit der oben erwähnten ökonomischen Annahme.4 Als Gründe für
Unternehmenskäufe werden u. a. die Reduzierung von Überkapazitäten und die damit
verbundene Bereinigung von negativen Preiseffekten, aber auch die Generierung von
kollusionsbasierten Synergien5 herangezogen.
Überschneidungen zwischen Strategie- und finanzwissenschaftlicher Forschung er-
geben sich vor allem durch die Begründung, dass Akquisitionen ertragsstabilisierend
und risikodiversifizierend wirken,6 wobei ersteres attraktiv für Investoren, letzteres vor
allem attraktiv für das Management ist. Eine aus der Strategieforschung stammende
Begründung für M & A-Aktivität, welche die Idee des Wettbewerbsvorteils der ökonomi-
schen Literatur fortführt, besagt, dass Akquisitionen Unternehmen Zugang zu einzigar-
tigen, schwer imitierbaren Ressourcen verschaffen. Durch die Ressourcenkombination
der beiden Unternehmen entsteht nach dieser Idee ein idiosynkratischer Wettbewerbs-
vorteil7 für den Käufer, der es ihm erlaubt, Überrenditen zu erzielen. Damit sieht die
Strategieforschung die Begründung für M & A vor allem im Erwerb und der Bildung
neuer Ressourcen, Fähigkeiten und Know-how.8
Die Abgrenzung von strategischen Motiven kann aber nicht nur auf Basis der For-
schungsstränge, sondern auch auf dem Käufer- bzw. Transaktionstyp vorgenommen
werden. Während aus praktischer Sicht Finanzinvestoren wie bspw. Leveraged Buyout-
Fonds (LBOs) oder Private Equity-Gesellschaften, M & A als ein rein finanzielles In-
vestment sehen, erhoffen sich strategische Käufer zusätzlich zur Umsatz- und Cash-
flow-Steigerung weitere Vorteile. So nutzen vor allem mittlere und große Unternehmen
den Erwerb von oftmals mehreren Einzelunternehmen pro Jahr z. B. zur:

4 Porter 1985.
5 Bower 2001; Chatterjee 1986.
6 Hasperlagh/Jemison 1991.
7 Vgl. z. B. Barney 1991.
8 Angwin 2007.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  275


Teil

»(1) Ausweitung der Marktanteile in interessanten nationalen Märkten, als Wachstumsstrategie,


(2) Vergrößerung der »Assets under Management« zur Ausschöpfung globaler Skaleneffekte […],
(3) Verbreiterung der internationalen Basis für Cross-Selling mit anderen Geschäftsbereichen […],
(4) [zur] globale[n] Risikostreuung […] und (5) [zum] Ausnutzen regionaler Wachstumspotenziale
[…]«.9

Die obige Aufzählung führt die häufig genannten strategischen Motive von M & A auf,
die in der Forschung typischerweise nach fünf generischen Transaktionstypen bzw. Ziel-
setzungen gegliedert werden. Diese beinhalten Überkapazitäts- und Konsolidierungs-
transaktionen, Deals zur Ausweitung von bestehenden Produktlinien, geographische
Roll-ups, M & A als R&D-Substitut und letztlich Industriekonvergenztransaktionen.10
Eine a priori verfeinerte Untersuchung der Performance-Implikationen strategischer
M & A-Transaktionen erfolgt empirisch jedoch vor allem auf Basis der Akquisitions-
typen:11 horizontal, vertikal, konzentrisch und diversifizierend. Damit wird die Ak-
quisition in Relation zur Industrie bzw. Wertschöpfungskette gesetzt. So haben z. B.
Walter und Barney (1990) gezeigt, dass die strategischen Ziele, die Unternehmen mit
M & A verfolgen, durch den Transaktionstyp unterschieden werden können. Während
vertikale Akquisitionen vor allem zur Kontrolle kritischer Interdependenzen genutzt
werden, wurde aufgezeigt, dass konzentrische M & A vor allem zur Ausweitung beste-
hender Produktlinien dienen. Dementgegen wurde als wichtigstes strategisches Ziel der
M & A-Aktivitäten von Konglomeraten die Ausnutzung finanzieller Synergien aufgeführt.
Horizontale Transaktionen hingegen folgen keinem eindeutigen, übergeordneten strate-
gischen Ziel. Weiterführende Klassifizierungen innerhalb dieser vier Akquisitionstypen
beruhen vor allem auf dem Grad der Verbundenheit von diversifizierenden Akquisitio-
nen oder aber auch hinsichtlich möglicher Hedging- bzw. Selbstschutzmotive auf Seiten
der Manager.

1.3 P ositionierung der strategierelevanten Aspekte


im Akquisitionsprozess
Unabhängig von der spezifischen strategischen Zielsetzung und Ausrichtung lassen sich
M & A-Transaktionen stets in drei generische Phasen aufteilen, die nachfolgend aus einer
strategiebasierten Perspektive beschrieben werden (vgl. Abb. 1). Dieser zufolge ist die
Akquisitionsstrategie eingebettet in die Unternehmensstrategie und basiert auf einem
Transformationsprozess, der aus drei interdependenten, aber voneinander abgegrenzten
Phasen besteht.12 Diese beinhalten die Definitions-, Transaktions- und Integrationsha-
se.13 Die drei Phasen können als Koordinatenpunkte in einem Zeit/Integrations-Kon-
tinuum gesehen werden. Die Definitionsphase beinhaltet vorwiegend den Entscheid
zum Einsatz von M & A zur Umsetzung der strategischen Ziele sowie die Festlegung der
Transaktionsparameter und die a priori Bewertung der potenziellen Zielunternehmen14.
Die Transaktionsphase bezieht sich vor allem auf die Ansprachestrategie, die Verhand-

  9 Müller-Stewens 2006, S. 163.


10 Z. B. Bower 2001.
11 Rumelt 1982.
12 Z. B. Becker 2004.
13 Z. B. Hasperlagh/Jemison 1991.
14 Brueller/Carmeli/Drori 2014.
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276  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

lungstaktik sowie auf die Finanzierung der Transaktion. Die Integrationsphase befasst
sich dann mit der Integrationsplanung und der tatsächlichen operativen Umsetzung der
in der Definitionsphase festgelegten strategischen Ziele.15
Aus Sicht der Strategieforschung kann die Akquisitionsstrategie als Resultat ver-
schiedener Einflussfaktoren, allen voran der gegenwärtigen Unternehmensstrategie und
des Unternehmensumfelds angesehen werden. Während die Unternehmensstrategie die
Zielsetzungen der Analysen der Ausgangssituation bedingt, bestimmt das Unterneh-
mensumfeld – intern wie extern – die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Stra-
tegie formuliert wird.

Unternehmensumfeld ➛ Rahmenbedingungen

Unternehmensstrategie ➛ Analyse der Ausgangssituation

Formulierung der
Akquisitionsstrategie
Akquisitionsstrategie Identifikation, Bewertung,
➛ Verhandlung & Orientierung

Definition
Stimuli Transaktion Integration
Fokussierung Alternativen-
Aufmerksamkeit/ auswahl/ Entscheidung
Screening Evaluierung

Abb. 1: Konzeptionelle Darstellung des M & A-Prozesses mit Fokus auf der Definitionsphase (Quelle: Eigene
Darstellung)

Der Fokus des vorliegenden Beitrags liegt – bedingt durch den Hintergrund der Unter-
nehmensstrategie – vorwiegend auf der Definitionsphase. Diese ist so zu verstehen,
dass verschiedene unternehmensinterne und -externe Stimuli eine Fokussierung der
Aufmerksamkeit bzw. einen Screening-Prozess anstoßen, der M & A als eine Möglich-
keit zur Umsetzung der strategischen Ziele eines Unternehmens ins Gespräch bringt.
Wenn dies geschehen ist, folgt eine Auswahl von Alternativen bzw. Zielunternehmen,
die dann hinsichtlich strategischem Fit, Erfolgsaussichten, Preis etc. evaluiert werden.
Der letzte Schritt bezieht sich dann auf den eigentlichen Entscheidungsprozess bzw. die
Entscheidung über den Kauf eines bestimmten Unternehmens.

15 Chaumet/Wagner 2002.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  277


Teil

2 M & A aus Sicht der Forschung


2.1 M & A-Erfolgsparadoxon als Ausgangspunkt der Forschung
Im Gegensatz zur hohen Popularität von M & A in der Unternehmenspraxis16 zeichnen
empirische Studien meist ein negativeres Bild von M & A.17 Akquisitionen scheinen im
besten Falle gemischte Ergebnisse für die beteiligten Interessengruppen zu bieten. So
erzielen die Aktionäre der Zielunternehmen zwar meist positive kurzfristige Wertzu-
wächse,18 jedoch leiden die kaufenden Unternehmen häufig bei der Verkündung der
Transaktion sowie in deren Folge unter sinkenden Aktienkursen.19 Die Vermögensef-
fekte bei Portfolioinvestitionen sind dagegen vernachlässigbar.20
Doch nicht nur die Forschung bescheinigt M & A-Transaktionen im Durchschnitt eine
tendenziell negative Bilanz. Auch Manager akquirierender Unternehmen teilen diese
Ansicht und beurteilen selbst nur 56 % ihrer Akquisitionen als erfolgreich.21 Selbst
Intermediäre wie z. B. Beratungen stehen dem Phänomen M & A kritisch gegenüber.22
Trotz dieser ernüchternden Ergebnisse und Einschätzungen bleibt M & A für viele Unter-
nehmen ein zentrales Instrument zur Restrukturierung des eigenen Geschäftsportfolios,
was als Erfolgsparadoxon von M & A bezeichnet werden kann.
Zwar soll der Einfluss und Wert der Forschungsbemühungen nicht beschnitten wer-
den; denn unbestritten hat die Forschung einige wichtige Erkenntnisse hervorgebracht.
So wurde z. B. relativ konsistent aufgezeigt, dass die Finanzierung einer Transakti-
on mit Aktien zu negativen Erträgen führt, während bei mit Barmitteln finanzierten
Transaktionen neutrale bzw. tendenziell leicht positive Auswirkungen nachgewiesen
werden konnten.23 Auch wurde aufgezeigt, dass Übernahmeangebote (Tender Offers)
im Vergleich zu alternativen Angebotstypen wertgenerierend für die akquirierenden Un-
ternehmen wirken können. Dadurch wird impliziert, dass es für Aktionäre vorteilhaft
ist, wenn die Entscheidungskontrolle über die Transaktion direkt an sie selbst fällt und
das Management in seinem Aktionsfeld beschränkt wird.24 Auch konnte die Hypothese
bestätigt werden, dass Akquisitionen, bei denen die Entscheidungsträger eigenes Ver-
mögen einsetzten, durchschnittlich erfolgreicher waren.25
Jedoch bleiben die für die Praxis wohl zentralen Fragen aus empirischer Sicht weit-
gehend ungelöst: Wieso verfolgen unterschiedliche Unternehmen trotz hochgradig un-
sicherer Erfolgsaussichten Akquisitionsstrategien? Welche Akquisitionsstrategien sind
unter welchen Bedingungen erfolgversprechend? Und letztlich: Wie kann das Manage-
ment den Erfolg einer Akquisitionsstrategie aktiv beeinflussen?

16 KPMG, 2015.
17 Vgl. bspw. Meta-Studie von King et al. 2004.
18 Seth 1990.
19 Leeth 2000.
20 Agrawal/Jaffe 2000.
21 Schoenberg 2006.
22 »[T]he sobering reality is that only about 20 percent of all mergers really succeed. Most mergers typi-
cally erode shareholder wealth…[and it is] cold, hard reality that most mergers fail to achieve any real
financial returns« (Grubb/Lamb 2000, S. 9).
23 Huang/Walkling 1989; Yook 2000.
24 Gregory 1997; Rau/Vermaelen 1998.
25 You 1986.
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278  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2.2 Status Quo der M & A-Forschung


Seit Beginn der siebziger Jahre hat sich die M & A-Forschung zu einem festen The-
menblock in der Wirtschaftsforschung etabliert und erfährt stetiges Interesse aus ver-
schiedenen Teildisziplinen, welche die finanziellen, strategischen, operationalen und
verhaltenswissenschaftlichen Aspekte von M & A thematisieren.26 Während verstärkt
humanwissenschaftliche und psychologische Perspektiven auf M & A-Aktivitäten an
Bedeutung gewinnen, bleibt die M & A-Literatur nach wie vor dominiert von Studien
mit finanzwirtschaftlichem und marktökonomischem Hintergrund. Obwohl sich zwar
immer mehr Disziplinen der M & A-Thematik widmen, schreitet die Entwicklung der
M & A-Forschung weiter disziplinbasiert voran; interdisziplinäre, themenübergreifende
Forschungsbemühungen sind die Ausnahmen. Dies hat zu detaillierten Einblicken in
eine Vielzahl von relevanten, thematisch gegliederten Teilaspekten von M & A geführt.
So zeigte die finanzwirtschaftliche Forschung, die sich vorwiegend mit den direk-
ten Vermögenseffekten von M & A-Transaktionen beschäftigt, dass M & A zwar kurzfris-
tige Vermögenszuwächse für die Eigentümer der Zielunternehmen generiert, jedoch
zeitgleich zu Vermögensreduktionen bei den akquirierenden Unternehmen führt. Auch
langfristig bleibt der Vermögenseffekt von M & A für die Käufer fraglich. Als zentrale
Erkenntnis lässt sich aus diesem Forschungsstrang indirekt vor allem die hohe Varianz
bezüglich der Performance auf Unternehmensebene festhalten.
Die strategische Management-Forschung hingegen ist vor allem auf die Identifi-
zierung von strategischen und prozessualen Aspekten fokussiert, welche diese hohe
Varianz in der Performance zwischen einzelnen Akquisitionen erklären können. Der
Großteil der Bemühungen drehte sich um den »strategischen Fit« des akquirierten Un-
ternehmens mit dem akquirierenden Unternehmen, d. h. inwiefern die strategischen At-
tribute der zusammengeführten Unternehmen einen Zusammenhang zur Performance
aufzeigen. Hauptaugenmerk lag vor allem auf dem Grad der Verbundenheit. Die zentrale
Erkenntnis aus der M & A-Forschung im Strategiebereich lässt sich indirekt durch die
inkonsistenten Ergebnisse bezüglich des Einflusses der Güte der strategischen Überein-
stimmung ableiten: Strategischer Fit allein liefert keine überzeugende Erklärung für die
Unterschiede in der Performance einzelner Akquisitionen.
Diese Erkenntnis hat wiederum zu intensivierten Bemühungen in der prozessori-
entierten Strategieforschung geführt, welche den Einfluss von Integrationsprozessen
betont. Sowohl Strategie- als auch Organisationsforschung unterstreichen die Rolle von
Verhandlungs- und Eingliederungsprozessen, welche den Akquisitionserfolg mindern
können.27 Diese Forschungsstränge – ergänzt durch einen verstärkten Fokus auf den
Wert von M & A-Transaktionserfahrung bzw. erfahrungsbasiertem Lernen – erforschen,
ob und wann Transaktionserfahrung zu einem wertstiftenden erfahrungsbasierten Ler-
nen führt. Zwar wurde festgestellt, dass die Natur, Ähnlichkeit und die Performance
von einstigen Akquisitionen eine wichtige Rolle hinsichtlich des Erfolgs nachfolgender
M & A-Aktivitäten einnehmen, jedoch befindet sich dieser Forschungsstrang noch in den
Kinderschuhen und Ergebnisse sind noch nicht stringent empirisch validiert worden.
Der Status Quo zeigt, dass die M & A-Forschung zwar ein breites Spektrum von ein-
zelnen Faktoren abdeckt, welche die Realisierung bzw. den Erfolg von M & A-Strategien
beeinflussen; jedoch wurde diese Spezialisierung auf Kosten eines holistischen Ver-

26 Ferreira/Santos/deAlmeida 2014.
27 Bauer/Matzler 2014.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  279


Teil

ständnisses bezüglich der Faktoren, die den Einsatz von M & A-Strategien als Teil der
Unternehmensstrategie beeinflussen bzw. deren Erfolgsdeterminanten, geführt. Auch
scheint der hohe Spezialisierungsgrad der M & A-Forschung – und die damit einherge-
hende Uneinigkeit – nur begrenzte direkt anwendbare Hilfestellung für Praktiker leisten
zu können. Dies manifestiert sich in den über die Dekaden nahezu unverändert hohen
M & A-Misserfolgsquoten. Sowohl heute wie auch in den Anfängen der M & A-Forschung
bringen M & A-Transaktionen im Durchschnitt negative Shareholder Returns mit sich.
Ebenso unterschiedlich wie die Forschungsinteressen und Grundannahmen gestalten
sich die Forschungsmethoden und Erfolgsmessgrößen der verschiedenen Disziplinen.
Während Studien im finanzwissenschaftlichen Feld vorwiegend die Event Study-Metho-
de nutzen, um den Effekt von M & A auf den Shareholder Value zu untersuchen 28, bevor-
zugen organisationale Ansätze vor allem Fallstudien oder Interviews. Strategiebasierte
Disziplinen wiederum nutzen häufig Profitabilitäts- und Rentabilitätskennzahlen, sog.
»Accounting Measures« wie bspw. (Eigenkapital-) Rendite oder EBIT als Messgrößen für
den M & A-Erfolg. Prozessorientierte Studien dagegen stützen sich häufig auf subjektive
Erfolgsbewertungen der involvierten Manager und den Grad der Zielerreichung relativ
zu den vor der Transaktion gesetzten Zielen. Durch diese verschiedenen Operationali-
sierungen von Transaktionserfolg wird vor allem die interdisziplinäre Vergleichbarkeit
der Ergebnisse sowie die Vernetzung zwischen den Disziplinen erschwert.
Auch sind die einzelnen mit diesen Operationalisierungen verbundenen Methoden
nicht frei von Schwächen. Während z. B. Fallstudien, Interviews und Umfragen zwar
durch einen hohen Detailgrad bestechen bzw. ermöglichen, nicht direkt zugängliche Va-
riablen zu erforschen, bleibt die Generalisierbarkeit der Ergebnisse oft auf der Strecke.
Rentabilitäts- und profitabilitätskennzahlenbasierte Methoden dagegen können zwar
die langfristige finanzielle Entwicklung des Unternehmens reflektieren und damit po-
tenziell erst nach einigen Jahren einsetzende Vermögenseffekte von M & A aufdecken;
jedoch ist es kaum umsetzbar, diese Effekte kausal direkt einer einzelnen Akquisiti-
on zuzurechnen. Auch werden diese Studien häufig nicht in Form von sog. »Matched
Pair«-Vergleichen durchgeführt, im Rahmen derer akquirierenden Unternehmen solchen
gegenübergestellt werden, die in bestimmten, als dominant eingeschätzten Charakteris-
tika übereinstimmen, jedoch keine Akquisitionen vorgenommen haben bzw. ein solcher
Vergleich auf Basis des Akquisitionserfolgs, i. e. erfolgreicher vs. nicht erfolgreicher
Akquisition erfolgt. Auf der Kapitalmarkttheorie und Kursveränderungen basierende
Event-Studien mit einem adäquat gewählten Zeitfenster können zwar weitgehend ob-
jektiv und störungsfrei die Erwartungen der Investoren hinsichtlich der künftigen Cas-
hflow-Entwicklung des Unternehmens einfangen; jedoch basiert diese Methode auf der
Annahme, dass Marktteilnehmer umgehend und im Kollektiv genau den Cashflow-Ef-
fekt einer Akquisition einschätzen (können). Zudem beziehen sich diese Studien häufig
auch nur auf eine bestimmte Klasse von Aktien, wodurch alternative Erklärungsansätze
und Ergebnisse verschleiert bleiben könnten.
Diese uneinheitlichen methodischen und konzeptionellen Ansätze implizieren nicht
nur, dass einerseits keine einheitliche M & A-Theorie existiert, sondern zum anderen
auch, dass die unterschiedlichen Grundannahmen und Methoden der traditionellen
Forschungsansätze oftmals einen erheblichen Integrationsaufwand mit sich bringen.
Wohl basierend auf letzterer Annahme existieren tatsächlich nur wenige disziplinüber-
greifende Review-Artikel zum Thema M & A-Forschung.

28 Schimmer/Levchenko/Müller 2015.
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280  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2.3 M & A-Forschungsmodell
Die Historie der M & A-Forschung, wie die nachfolgenden Analysen der einzelnen For-
schungsfelder aufzeigen, zeichnet ein komplexes Bild des Themas M & A. Als Instrument
der Unternehmensstrategie dienen einzelne Transaktionen Zwecken, welche genauso
vielfältig und vielschichtig sind, wie Unternehmensstrategien selbst. Jedoch wird oft
vergessen, dass sich zu den rationalen Motiven, welche in den Strategien zum Ausdruck
kommen, auch irrationale Motive gesellen, welche sich durch Merkmale der Entschei-
dungsträger und Markteinflüsse begründen. Das heißt, M & A-Transaktionen können
zeitgleich mehrere Ziele verfolgen, welche sich zudem in ihren Effekten teilweise ent-
gegenstehen.
Neben der Gesamtheit an verfolgten Motiven beeinflussen zahlreiche weitere Fak-
toren den Erfolg einzelner Transaktionen. Diese finden sich auf unterschiedlichen Be-
schreibungsebenen der Transaktion und umfassen auf der Makro-Ebene Markt- und
Kontextmerkmale, auf der Unternehmensebene Prozess- und Transaktionsmerkmale,
sowie auf der Ebene der Entscheidungsträger die involvierten Akteure selbst. Für die
Forschung und ihre Modelldefinitionen ergibt sich damit eine Vielzahl an transakti-
onsspezifischen Einflussfaktoren, welche für die Beantwortung der generischen For-
schungsfragen »Wieso verfolgen unterschiedliche Unternehmen trotz hochgradig un-
sicherer Erfolgsaussichten Akquisitionsstrategien? Welche Akquisitionsstrategien sind
unter welchen Bedingungen erfolgversprechend? Und wie kann das Management den
Erfolg einer Akquisitionsstrategie aktiv beeinflussen?« relevant sind. Die in Abb. 2 dar-
gestellten Problemfelder des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses legen nahe, dass
sich die Forschungskonzeption in stärkerem Maße der Problemkomplexität anpassen

Externes Unternehmensumfeld

Kontrolle des M&A-Prozesses


(Kap. 4.4)

Wieso wird akquiriert? Wie wird akquiriert?

• Imitation (Kap. 3.1) • M&A-Programme Mit welchem Erfolg


• Profitbasierte Motive (Kap. 4.1) wird akquiriert?
(Kap. 3.2) • M&A-Kompetenzen
• Opportunismus (Kap. 3.3) (Kap. 4.2)

Handhabung von Wahrnehmungsverzerrungen


(Kap. 4.3)

Internes Unternehmensumfeld

Abb. 2: Erklärende Variablen für den M & A-Erfolg (Quelle: Eigene Darstellung)


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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  281


Teil

muss. Andernfalls läuft die Forschung Gefahr, mit unterspezifizierten Modellen keine
soliden empirischen Erkenntnisse zu schaffen, sondern statistische Artefakte. Diese
können sich letztlich widersprechen und die Glaubwürdigkeit der M & A-Forschung wei-
ter untergraben.
So sollten eine Reihe von Faktoren bedacht werden, die sich um das »Wieso«, das
»Wie« und damit letztlich um das »Mit welchem Erfolg« drehen. Die traditionelle
M & A-Forschung hat sich vorwiegend aus verschiedenen Perspektiven mit der Frage
nach den Ursachen der Akquisitionstätigkeit beschäftigt und Erklärungsansätze in Form
von Imitation, Ertragsmaximierung und opportunistischem Verhalten von Seiten des
Managements geliefert. Alternative Forschungsstränge dagegen gehen vermehrt der Fra-
ge nach, wie akquiriert wird. Sie betonen beispielsweise, dass Akquisition nicht isoliert
zu betrachten sind, sondern im Kontext übergreifender strategischer Konzepte, wie
beispielsweise M & A-Programmen. Auch legen sie nahe, dass die durch Mehrfachakqui-
sitionen erworbenen Kompetenzen im Forschungsmodell zu integrieren seien. Parallel
dazu betonen interdisziplinäre Ansätze, dass die Handhabung von Wahrnehmungs-
verzerrungen, d. h. den verschiedenen Ausprägungen des kognitiven »Bias«, Rechnung
getragen werden muss. Ebenso wird der Einfluss von wichtigen kontrollierenden In-
termediären als relevant angesehen, allen voran der des Boards des Unternehmens.
Das Zusammenspiel dieser Faktoren definiert im Rahmen eines Kontingenzmodells die
Ausprägung des Akquisitionserfolgs. Nachfolgend sollen die einzelnen Komponenten
eines derartigen Modells näher beleuchtet werden.

3 Traditionelle M & A-Forschung
Die wissenschaftliche Forschung hält zahlreiche Theorien bereit, welche die Bedeu-
tung von M & A-Transaktionen für Unternehmen und Investoren beleuchten. Neben ei-
nem marktorientierten Ansatz zur Erklärung des wellenartigen Auftretens von M & A
beschreiben diese Theorien, welche spezifischen Wertpotenziale M & A-Transaktionen
versprechen und welche Faktoren den Transaktionserfolg beeinflussen. Obgleich reale
Transaktionen meist auf ein Bündel dieser Potenziale abzielen,29 werden sie in der
Wissenschaft nicht integrativ, sondern einzeln betrachtet. Wichtige Bausteine dieser
Theorien sind Ausprägungen der Portfoliotheorie,30 Prinzipien der Marktökonomie,31
sowie Ressourcen-32 und Prinzipal-Agenten-theoretische Überlegungen.33

3.1 M & A-Wellen und Transaktionserfolg


Wird das Phänomen M & A aus einer makroökonomischen Perspektive betrachtet, so
fällt auf, dass Transaktionen in Wellen auftreten. Auf Phasen hoher Aktivität folgen

29 Ravenscraft/Scherer 1987.
30 Markowitz 1952.
31 Samuelson/Nordhaus 2009.
32 Penrose 1959.
33 Jensen/Meckling 1976.
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282  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

ruhigere Perioden. Das Aufkommen von M & A-Transaktionen mag zwar wesentlich


durch die Individuallogik der Transaktionen geprägt sein, weist jedoch stets auch diese
makroökonomische Dimension auf.34 Sie findet ihren Ausgang in Verwerfungen im öko-
nomischen Umfeld z. B. wie technologische Durchbrüche, welche eine breitere Streuung
der Zukunftserwartungen auf der Unternehmensebene nach sich ziehen und damit, ver-
mittelt über breitere Spannen an Preisvorstellungen, zur Häufung individuell rationaler
M & A-Transaktionen führen.35
Wenngleich M & A-Wellen somit in erster Linie ein makroökonomisches Phänomen
sind, so haben sie doch Auswirkungen auf den individuellen M & A-Erfolg: M & A-Wellen
gehen meist prozyklisch mit wirtschaftlichem Aufschwung und prosperierenden Akti-
enmärkten einher, da letztere der Akquisitionswährung Aktie Auftrieb gewähren und
generell von höherer Marktliquidität geprägt sind.36 Da dem Aufschwung jedoch auch
immer ein Abschwung folgt, birgt schlechtes Timing, vor allem im Überschwang der
Märkte, die Gefahren zu hoher Preisprämien und der Überschuldung.37

3.2 Synergien als Werttreiber von Akquisitionsstrategien


Auf der Ebene individueller Unternehmen werden zur Begründung von Transaktion
andere Argumente herangezogen. Zumeist basieren diese auf dem Konzept der Synergie,
jenen positiven Werteffekten, welche erst durch den Verbund der Unternehmen ermög-
licht werden. Da diese Effekte ihren Ursprung in den Merkmalen der zu kombinierenden
Unternehmen finden, basiert die empirische Forschung in diesem Bereich auf Analysen
der Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften der Transaktionspartner und, häufig
kurzfristiger, finanzieller Ergebnisgrößen der Transaktion. Nach dieser Sicht gilt somit
das Kombinationspotenzial zweier Unternehmen als der wesentliche Erfolgsfaktor von
M & A.38 Der wissenschaftliche Kenntnisstand zur Bedeutung von Kombinationspotenzi-
alen für den M & A-Erfolg differenziert sich nach der Natur der untersuchten Potenziale.
Als der klassischste Anreiz für verbundene M & A-Transaktionen gelten operative
Synergien. Sie wurden umfassend im Rahmen der Diversifikationsforschung39 unter-
sucht und verkörpern Umsatzsteigerungen oder Kostenreduktionen, welche durch Ver-
änderungen auf der operativen Unternehmensebene im Unternehmensverbund erzielt
werden können. Um diese Effekte empirisch belegen zu können, musste die Strategie-
forschung einen Weg finden, die Synergiepotenziale einer größeren Anzahl an Transak-
tionen messbar zu machen. Hierzu behalf sie sich des »Relatedness«- Konzepts, welches
die Ähnlichkeit der Transaktionspartner zum Ausdruck bringt. Während anfänglich
die Hypothese vertreten wurde, dass eine größere Ähnlichkeit der Transaktionspart-
ner generell einen höheren Transaktionserfolg verspräche, konnte dies empirisch nicht
überzeugend nachgewiesen werden.40 Nachfolgende Untersuchungen fanden dagegen
einen umgekehrt u-förmigen Zusammenhang. Dieser wurde damit begründet, dass eine

34 Müller-Stewens/Lechner 2005.
35 Gort 1969; Rhodes-Kropf/Viswanathan 2004.
36 Hartford 2005; Maksimovic/Philips 2001.
37 Song/Walking 2000.
38 Larsson/Finkelstein 1999.
39 Z. B. Martin/Sayrak 2003; Rumelt 1974 und 1982.
40 Christensen/Montgomery 1981; Palepu 1985; Simmonds 1990.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  283


Teil

moderate Diversifikation es den Unternehmen ermöglicht, überschüssige Ressourcen


gewinnbringend in verwandten Geschäftsbereichen einzusetzen, ohne hierbei die Risi-
ken und Kosten ihnen fremder Märkte tragen zu müssen. Im Falle einer unverwandten
Diversifikation dagegen, würden letztere die Synergiepotenziale aufzehren.41 Diese Er-
kenntnisse werden ergänzt durch Untersuchungen, welche die Rahmenbedingungen be-
nennen, unter denen operative Synergien bei M & A-Transaktionen eher gehoben werden
können. Diesen zufolge sind ähnliche Führungsansätze zwischen den Transaktions-
partnern ebenso zuträglich wie kompatible Kulturen und Werte42 sowie eine schnelle
Integration des gekauften Unternehmens.43
Neben operativen Synergien können Firmen mit Zusammenschlüssen auch finanziel-
le Synergien im Auge haben. Diese materialisieren sich in niedrigeren Kapitalkosten und
besserem Investitionsverhalten und resultieren aus Effizienzvorteilen eines internen
Kapitalmarktes,44 Versicherungseffekten aus den unterschiedlichen Cashflow-Profilen
der Unternehmen45 und dem Vorhandensein eines intervenierenden Corporate Manage-
ments.46 Als weitere Quellen werden zudem, in geringerem Umfang, noch Steuervortei-
le eines »Corporate Profit Accounting«,47 sowie kostensenkende Skalenerträge bei der
Finanzierung48 diskutiert. Die Bedeutung dieser Synergien für einzelne Transaktionen
hängt jedoch vom institutionellen Kontext der Transaktion ab und variiert folglich stark.
So scheinen z. B. angesichts des Vorliegens interner Ineffizienzen49 die Vorteile interner
Kapitalmärkte vor allem dann zum Tragen zu kommen, wenn die externen Kapital-
märkte unterentwickelt sind.50 Infolge dieser Abhängigkeit vom Unternehmenskontext,
welcher sich ebenfalls dynamisch entwickelt, gelten finanzielle Synergien selten als
primäre M & A-Motive oder als nachhaltige Quellen von Wettbewerbsvorteilen.51
Ein weiteres Feld an Synergien ist das der Managementsynergien. Im Gegensatz zu
operativen Synergien, welche ihren Wert aus der Beziehung Geschäftsfeld-Geschäfts-
feld schöpfen, erzeugen Managementsynergien durch die Corporate Center-Geschäfts-
feld-Beziehung Mehrwert. Die Idee der Managementsynergien ist verknüpft mit dem
von Jensen/Ruback (1983) beschriebenen Wettbewerb um die Führungsmandate von
Unternehmen. Nach diesem müssen Führungsteams von Unternehmen auf dem »Markt
für Unternehmenskontrolle« ihre Absetzung fürchten, wenn ein anderes Team glaubhaft
eine bessere Unternehmensleitung versprechen kann. Als Instrumente, einem Macht-
wechsel – welcher nach Jensen/Ruback (1983) mit einem Besitzwechsel einhergeht –
vorzubeugen, ist das Management vor allem auf die eigenen Fähigkeiten angewiesen.
Die Quellen von Managementsynergien sind demnach vielfältig und Kategorisierungs-
versuche angreifbar. Nichtsdestotrotz sei zur Illustration auf die Kategorisierung von
Hill/Jones verwiesen (2007): Nach diesen kann die Unternehmensleitung durch ihre
unternehmerischen Fähigkeiten, Fähigkeiten zur organisationalen Gestaltung und über-
legenen strategischen Fähigkeiten Werte schaffen. Besitzt ein Unternehmen in einem

41 Lubatkin/Chatterjee 1994; Palich et al. 2000.


42 Chatterjee et al. 1992; Greenwood et al. 1994, Bauer/Matzler 2014.
43 Datta 1991; Hasperlagh/Jemison 1991.
44 Liebeskind 2000.
45 Higgins/Schall 1975.
46 Lubatkin/Chatterjee 1994.
47 Scott 1977.
48 Levy/Sarnat 2004.
49 Barney 2007.
50 Fluck/Lynch 1999; Khana/Palepu 2000.
51 Z. B. Collis/Montgomery 2005.
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284  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

dieser Bereiche besondere Kompetenzen, wie es z. B. dem Konglomerat General Electrics
(GE) zugesprochen wird,52 so kann die Ausrichtung der Akquisitionsstrategie auch an
diesen Synergien sinnvoll sein.
Marktmachttheoretische Ansätze verbinden die Idee der Synergie mit der Ökonomie
von Marktstrukturen. Hinsichtlich der Anbieter-Kunden-Beziehung nimmt mit der An-
zahl an Anbietern in einem Markt die Fähigkeit der Unternehmen ab, ihre Waren und
Dienstleistungen mit einem Gewinnaufschlag anzubieten: Die abnehmende Möglichkeit
zur Kollusion führt zu einem preisbasierten Verdrängungswettbewerb. Gelingt es den
Unternehmen dagegen, die fragmentierte Marktstruktur durch Akquisitionen zu konso-
lidieren, so können sie am Markt höhere Preise durchsetzen. Im Extremfall der Mono-
polstellung, fällt dem verbleibenden Unternehmen die gesamte Zahlungsbereitschaft der
Kunden zu.53 In umgekehrter Form fallen die Größeneffekte von Unternehmen auf ihren
Beschaffungsmärkten aus. Sie treten als mächtigere Kunden auf und generieren Vorteile
durch günstigere Konditionen in der Anbieter-Zulieferer-Beziehung.54 Obschon dieses
ökonomisch stilisierte Bild nicht der realen Marktkomplexität gerecht wird, haben die in
ihm zum Ausdruck kommenden Mechanismen breite Gültigkeit in empirischen Studien
gefunden.55 Da Marktmacht bei M & A-Transaktionen jedoch häufig nur als sekundäres
Ziel verfolgt wird, mögliche Preiseffekte vom Markt nur schlecht antizipiert werden
können und individuelle Akquisitionen eine meist nur geringe Auswirkung auf das
allgemeine Preisniveau haben, konnten bisher keine signifikanten Vermögenseffekte
von Einzeltransaktionen basierend auf dem Marktmachtargument festgestellt werden.56

3.3 Managementdiskretion als Problem von M & A


Neben Unternehmenszielen haben auch die Ziele des Managements und wie diese die
rationalen strategischen Ziele des Unternehmens gefährden können, das Interesse der
M & A-Forschung geweckt. Ansätze dieser Sicht basieren auf der Annahme eines ei-
gennutzorientierten Managers, der seinen Erfolg über Macht und Konsum definiert.
Da beide Zielsetzungen von der Größe des geführten Unternehmens profitieren, nei-
gen Manager hiernach dazu, die ihnen im Prinzipal-Agenten-Verhältnis zugebilligten
Spielräume derart auszunutzen, um die Unternehmensgrenzen über das sinnvolle Maß
hinaus auszudehnen.57 Sinnbildlich wird diese Argumentation als Empire Building-The-
orie bezeichnet. In Bezug auf M & A verweist Jensen (1986) mit seiner komplementären
Free Cashflow (FCF)-Hypothese darauf, dass Manager freie Ressourcen bevorzugt zur
Akquisition nutzen, anstatt sie auszuschütten. Empirische Arbeiten konnten feststellen,
dass der Kapitalmarkt derartig motivierte Transaktionen schlechter bewertet. Liegt der
Verdacht einer FCF-induzierten Akquisition aufgrund hoher Cashbestände nahe, wird
sie mittels einer schlechten Kursreaktion ebenso abgestraft,58 wie wenn das Manage-

52 Z. B. Bowman/Helfat 2001; Goold et al. 1994.


53 Samuelson/Nordhaus 2009.
54 Z. B. Lustgarten 1975; Schumacher 1991.
55 Z. B. Berger 1995; Weinberg 2007.
56 Eckbo 1985; Mitchell/Mulherin 1996.
57 Jensen/Meckling 1976; Lubatkin 1983.
58 Harford 1999.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  285


Teil

ment keine eigenen Aktien hält, welche als Korrektiv im Sinne der Aktionäre wirken
würden.59

 ritik an der traditionellen M & A-Forschung und Ansatzpunkte


3.4 K
zukünftiger Forschung
Generell kann über die traditionellen Ansätze der M & A-Forschung geschlossen werden,
dass es ihnen zwar gelingt, die wirtschaftliche Logik von Einzelakquisitionen darzustel-
len und theoretisch zu begründen, sie jedoch nur wenige empirisch stabile Gesetzmä-
ßigkeiten zwischen Transaktionsmotiven und -erfolgen aufdecken. Dies gilt insbesonde-
re für die bei Akquisitionsstrategien im Fokus stehenden Synergien. Die eingangs zum
Ausdruck gebrachte Annahme der synergiebasierten Ansätze, dass das Kombinations-
potenzial zweier Unternehmen der wesentliche Erfolgsfaktor von M & A-Transaktionen
sei, muss angezweifelt werden. Vielmehr erscheinen M & A-Transaktionen als komplexe,
in einem strategischen Kontext eingebettete Ereignisse, welche keinen einfachen, ex
ante identifizierbaren Erfolgsmustern folgen.
Ansatzpunkte, von denen aus diese Problematik angegangen werden kann, liefert
zugleich die Kritik an der traditionellen M & A-Forschung. Eine Abkehr vom starken Fo-
kus auf ex ante Kombinationspotenzialen kommt einer Verschiebung hin zur M & A-Pro-
zessforschung gleich. Anstatt von deterministischen Beziehungen zwischen Transak-
tionsmerkmalen und Erfolgsgrößen auszugehen, sollten die tatsächlichen Tätigkeiten
der involvierten Managementteams in den Vordergrund rücken und Fragen nach Ent-
scheidungs- und Durchführungsqualitäten, sowie Lernpotenzialen diskutiert werden.
Die Kritik, dass die traditionellen Ansätze aufgrund der ihnen eigenen Traditionen,
Annahmen und Methoden ein fragmentiertes und von Widersprüchen durchzogenes
Bild von M & A-Erfolg zeichnen, legt dagegen eine stärkere Integration der angewand-
ten Theorien nahe, wie eine umfassendere Kontextualisierung des Forschungsobjekts
M & A. Während die Integration von Theorien aus epistemologischer Sicht problematisch
erscheint, wird das Phänomen M & A bereits heute häufiger in einem weiteren Kontext
betrachtet. M & A-Transaktionen werden vermehrt nicht mehr als isolierte Ereignisse an-
gesehen, sondern als Teil von Transaktionsprogrammen oder Sequenzen verschiedens-
ter strategischer Unternehmensschritte. Auch der Transaktionskontext findet vermehrt
Beachtung. In der Summe bezeichnen diese Entwicklungen, welche im nachfolgenden
Kapitel detailliert vorgestellt werden, einen Perspektivenschwenk von der Fragestellung,
»Wieso wird akquiriert?« hin zur Frage »Wie wird akquiriert?«.

4 Alternative Perspektiven der M & A-Forschung


Obschon die einzelnen Disziplinen und theoretischen Ansätze wichtige individuelle
Beiträge zur M & A-Forschung geleistet haben, wird hier ein interdisziplinäres Vorgehen
vorgeschlagen. Die nachfolgenden alternativen Perspektiven setzen an den Lücken vo-

59 Lewellen et al. 1985.


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286  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

rausgehend vorgestellter Ansätze an und fokussieren sich vor allem auf die Natur der
in der strategischen Definitionsphase gestellten Anforderungen an das Management,
d. h. auf die Frage »was wird wieso und unter welchen Voraussetzungen mit welchem
Erfolg akquiriert«?
Da der Erfolg einer Akquisition bezogen auf die strategische Definitionsphase vor
allem von der Übereinstimmung zwischen Ex ante-Bewertungen des Synergiepotenzi-
als – d. h. implizit der Targets und des Kaufpreises – und den de facto realisierten bzw.
realisierbaren Synergien im Rahmen der Gesamtstrategie abhängt, wird für die weiter-
gehende Analyse die folgende Gleichung als Ordnungsrahmen verwendet:

SM & A = f (α, R, ψ, ω)

wobei SM & A = Akquisitionsstrategie


α = Gesamtstrategie des Unternehmens
R = M & A-relevante Ressourcen und Kompetenzen
ψ = psychologische und kognitive Faktoren, die die Beurteilung
der Synergien beeinflussen
ω = Bedeutung von Intermediären, die Einfluss
auf M & A-Entscheidung nehmen

4.1 Akquisitions- und Restrukturierungsprogramme (α)


Das erste Element in der obigen Funktion bezieht sich auf die Gesamtstrategie des
Unternehmens. Im Rahmen der M & A-Forschung, die M & A als ein strategisches In-
strument zur Realisierung der Unternehmensstrategie begreift, ist es verwunderlich,
dass M & A-Transaktionen empirisch vorwiegend als isolierte Ereignisse betrachtet wer-
den, obwohl Unternehmen häufig mehrere, strategisch interdependente Akquisitionen
bzw. Restrukturierungsmaßnahmen vollziehen, um ihre Unternehmensstrategie zu
realisieren. Analog zur Diversifikations- und Portfolioselektionstheorie60 für Invest-
mentportfolien hängt die Gesamtperformance des Unternehmens nicht lediglich von
den Charakteristika einer einzelnen Transaktion ab, sondern wird von dem Muster an
Akquisitionen,61 d. h. des Akquisitionsprogramms des Unternehmens mitbestimmt. So
haben z. B. Levy/Sarnat (2004) vorgeschlagen, dass – unter der Annahme, dass keine
perfekte Korrelation zwischen den Returns der zu kombinierenden Unternehmen be-
steht – die Risiko/Return-Charakteristik des Unternehmens im Sinne einer effizienten
Kombination, im Rahmen derer das Gesamtrisiko reduziert wird, ohne das Niveau der
Total Returns zu verändern, verbessert werden kann. Analog zu einer Risikooptimie-
rung in Abhängigkeit der Total Returns ist mathematisch auch vorstellbar, eine Kom-
petenzdiversifikation zu modellieren.
So mag eine einzelne Transaktion individuell betrachtet wenig attraktiv erscheinen,
jedoch vor dem Hintergrund des gesamten Restrukturierungsportfolios durchaus sinn-
voll sein, weil diese das Unternehmen z. B. näher an die optimale Risiko-Return-Position
bringt oder weil Interaktionseffekte zwischen bestimmten Kompetenzen und Ressour-

60 Markowitz 1952.
61 Haleblian/Finkelstein 1999.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  287


Teil

cen bestehen. So ist anzunehmen, dass die Einschätzung von Synergien mehr als nur
eine Funktion bzw. Addition von Einzelkomponenten zum Gesamtportfolio ist, son-
dern gleichsam die Wechselwirkungen zwischen bestehenden, zusätzlichen und aus
der Kombination neugeschaffenen Ressourcen erfordert. Demnach erscheint es sinnvoll,
nicht nur Akquisitionsprogramme, sondern selbige auch vor dem Hintergrund der Kehr-
seite der »Restrukturierungsmedaille«, d. h. parallelen Desinvestitionen, zu erforschen.
Obschon diese Betrachtungsweise bisher nur wenig Beachtung erlangte, unterstützen
erste Studien eine solche Programmperspektive. Conn et al. (2004) haben diesbezüglich
empirisch bewiesen, dass Serienakquisiteure profitablere Akquisitionen durchführen als
Einzelakquisiteure. Es wurde jedoch auch aufgezeigt, dass sich die Returns der einzel-
nen Akquisitionen von Serienakquisiteuren sukzessiv verschlechtern und gegen Ende
sogar negativ werden. Daran ansetzend haben Barkema/Schijven (2008) festgestellt,
dass sequenzielle Akquisitionen von Unternehmen in ihren Performance-Implikationen
interdependent sind. So konnte aufgezeigt werden, dass die Position einer Einzelakqui-
sition im Akquisitionsprogramm deren Akquisitionserfolg beeinflusst. Laamanen/Keil
(2008) zeigten auf, dass das Timing der Einzelakquisition im Rahmen eines Akquisi-
tionsprogramms in Form von Akquisitionsrate und -variabilität den Erfolg signifikant
beeinflusst. Letztere Autoren stellten darauf aufbauend die Hypothese auf, dass der
Rhythmus von Akquisitionen bestimmt, ob Erfahrungen, die in zeitlich vorgelagerten
Akquisitionen gesammelt wurden für nachfolgende genutzt werden können oder ob
negative Zeitkompressionseffekte die effektive Nutzung von Erfahrung zunichtema-
chen. Hutzschenreuter et al. (2014) erweitern diese Perspektive durch Verknüpfung
mit finanziellen Charakteristika, so dass im Kontext von Akquisitionsprogrammen ein
alternierendes Verhältnis zwischen Akquisitionsrhytmus und Transaktionserfolg be-
steht. Dieses wird positiv durch die Liquidität und die Zeitabstände zwischen den ein-
zelnen Akquisitionen und negativ durch den Market-to-Book-Value des akquirierenden
Unternehmens beeinflusst. Es wird allgemein als »Mindfulness« bezeichnet. Hierbei
wird implizit auf die Fähigkeiten und gesammelten Kompetenzen im akquirierenden
Unternehmen abgestellt und darauf inwiefern diese Kompetenzen in sinnvoller Art und
Weise genutzt werden können.

4.2 M & A-Kompetenzen (R)


Indirekt ansetzend an der Akquisitionsprogrammperspektive haben Forscher62 in jün-
gerer Vergangenheit verstärkt den mit Akquisitionsserien verbundenen Aufbau von
M & A-spezifischen Kompetenzen untersucht. M & A-Kompetenzen können sich sowohl
auf die Ebene der Einzelakquisition (wie und welche Akquisitionen umgesetzt werden),
auf die Ebene des Akquisitionsprogramms (wie wird das Portfolio an Akquisitionen
gemanagt) und auf Ebene der Unternehmensstrategie (wie kann die Unternehmensstra-
tegie wertschaffend durch M & A ergänzt werden) beziehen.
Während M & A-Kompetenz auf Ebene der Einzelakquisition z. B. von Hasperlagh/Je-
mison (1991) als die Fähigkeit bzw. den Wissensschatz eines Unternehmens betreffend
der Auswahl und Bewertung von einzelnen Zielunternehmen beschrieben wird, haben
neuere Studien aufgezeigt, dass der Transfer von M & A-Kompetenzen zwischen den

62 Bspw. Barkema/Schijven 2008; Müller-Stewens/Voss 2006.


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288  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

verschiedenen Ebenen mit einer gewissen Pfadabhängigkeit verbunden ist. So stellen


Haleblian/Finkelstein (1999) fest, dass die Lernkurve im Falle von M & A-Kompetenzen
u-förmig ist; die intuitiv naheliegende Hypothese, dass größere M & A-Erfahrung ei-
nen positiven Einfluss auf den Akquisitionserfolg hat, muss jedoch auch um die damit
einhergehenden Gefahren erweitert werden. So erfolgt mit dem Aufbau von M & A-Er-
fahrung auch eine gewisse Routinisierung und Entscheidungsträger können dazu ver-
leitet werden, die Charakteristika von Folgeakquisitionen durch analoge Rückschlüsse
basierend auf vorausgehenden Akquisitionen unzureichend auf deren Eigenheiten zu
analysieren.
In diesem Rahmen konnten z. B. Haleblian et al. (2006) zeigen, dass Unternehmen,
die eine Serie von ähnlichen Unternehmen akquirierten, solche übertreffen konnten, die
eine Serie von verschiedenartigen Unternehmen erworben haben. Jedoch stellten diese
Autoren auch fest, dass die Wahrscheinlichkeit von M & A-Transaktionen in positivem
Zusammenhang mit kürzlich gesammelter M & A-Erfahrung steht und steigt, wenn die
vorausgehende Akquisition erfolgreich war. Auch Yang/Hyland (2006) zeigten, dass
repetitives Verhalten durch den Aufbau von M & A-Kompetenzen gefördert wird und
eine Pfadabhängigkeit bezogen auf den Akquisitionstyp (z. B. vertikal vs. horizontal)
entsteht. Nadolska/Barkema (2014) wiesen nach, dass die Konstellation des Manage-
ment-Teams eine entscheidende Komponente für den Transaktionserfolg ist – je hetero-
gener die Teamkonstellation, desto erfolgreicher die Transaktion. Dies deutet darauf hin,
dass durch die Kombination unterschiedlicher Kompetenzen vermieden wird, Erfah-
rungen im Sinne von Entscheidungsmustern repetitiv einzusetzen. Conn et al. (2004)
konnten im multivariaten Kontext bei der Untersuchung von Akquisitionsprogrammen
aufzeigen, dass nicht die Anzahl von Akquisitionen bedeutsam für den Unternehmens-
erfolg sind, dafür aber, dass mit steigender Anzahl an Akquisitionen teurere und zu-
meist weniger erfolgreiche Akquisitionen durchgeführt werden. Dies deutet darauf hin,
dass der Aufbau von M & A-Kompetenzen durch psychologische und kognitive Faktoren
beeinflusst wird.

4.3 Verhaltenswissenschaftliche, entscheidungsbasierte Ansätze (ψ)


Die Identifikation passender Akquisitionskandidaten, die Bestimmung des Wertes der
Synergien und damit des Preispremiums sowie der Beitrag zu einem spezifischen Port-
folioproblem, welches durch die Akquisition adressiert werden soll, geschehen meist
unter Geheimhaltungsabkommen, Zeitdruck und auf Basis von unvollständigen Daten,
Informationsasymmetrien und subjektiven Einschätzungen bzw. Prognosen.63 Durch
die Absenz von strategischen Faktormärkten existiert auch kein kompetitiver Markt,
mittels dessen die Bewertung überprüft werden könnte.64 Die durch einen hohen Grad
an Unsicherheit gekennzeichnete M & A-Entscheidung eröffnet damit eine Situation,
die viel Raum für subjektive Einschätzungen und Interpretationen bietet. Wird der
Schwerpunkt auf die Annahme von begrenzter Rationalität und Informationsverarbei-
tungslimitationen65 gelegt, gewinnen in komplexen, unstrukturierten Situationen wie

63 Jemison/Sitkin 1986.
64 Barney 1986.
65 Cyert/March 1963.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  289


Teil

Unternehmenskäufen verhaltenswissenschaftliche und entscheidungsbasierte Ansätze


bei der Analyse von M & A-Erfolgsfaktoren an Bedeutung.
Entscheidungsträger wenden automatisch komplexitätsreduzierende Mechanismen
wie Heuristiken und Rückgriffe auf Routinen bei der Beurteilung von Akquisitionen an,
wodurch jedoch auch systematische Wahrnehmungsverzerrung entstehen können. Die
Notwendigkeit, solche Wahrnehmungsverzerrungen in die Analyse der Faktoren, die
den Akquisitionserfolg beeinflussen, zu integrieren, wird durch verschiedene Studiener-
gebnisse indirekt gestützt. So konnten z. B. keine konsistenten Zusammenhänge zwi-
schen Akquisitionserfahrung, Häufigkeit etc. und Akquisitionserfolg festgestellt werden.
Als Erklärung wird die »Hybris«-Hypothese66 angeführt. Übersteigertes Vertrauen in die
eigenen M & A-Fähigkeiten basierend auf vorausgegangenen Erfolgen manifestiert sich
in reduzierter Sorgfältigkeit im Rahmen der Auswahl der Zielunternehmen sowie bei
der Festlegung des Wertes der potenziellen Synergien. Jedoch ist diese Hypothese auf
erfolgreiche Akquisiteure beschränkt.
Duhaime/Schwenk (1985) diskutieren in einem generell validen M & A-Kontext ver-
schiedene Wahrnehmungsverzerrungen und führen Kontrollillusionen und eskalieren-
des Engagement als wahrscheinliche Gründe für fehlgeschlagene Akquisitionen an. So
tendieren Manager dazu, das Ausmaß, in dem sie in der Lage sind, den Akquisitions-
erfolg zu beeinflussen, zu überschätzen67 und scheitern oft trotz negativem Feedbacks
betreffend vorausgehender Einschätzung an einer Revision der eigenen Beurteilung.
Zajac/Bazerman (1991) argumentieren, dass blinde Flecken, d. h. nicht beachtete oder
bemerkte Aspekte in kompetitiven Entscheidungssituationen, in denen mehrere Akteure
interdependente Entscheidungen treffen, dazu führen, dass die Handlungen bzw. Reak-
tionen der anderen beteiligten Akteure hinsichtlich ihres Einflusses auf den Akquisiti-
onserfolg nicht adäquat berücksichtigt werden. So zeigten Bazerman/Samuelson (1983),
dass Bieter typischerweise nicht in der Lage sind, die Relevanz des »Adverse Selection-«
bzw. Antiselektionsproblems in ihre Entscheidungsanalyse einzubeziehen; und ebenso
wenig den Einfluss, den die Anzahl von Bietern und vor allem die Schwierigkeit der
Bestimmung eines fairen und objektiven Wertes des zu kaufenden Unternehmens auf
den Entscheidungsprozess hat.
Da M & A-Verhandlungen nicht zu einem objektiv bestimmten Preis führen, ist der
erwartete Wertzuwachs durch die Akquisition letztlich ein subjektiv festgelegter Betrag,
zu dessen Ermittlung viele Annahmen notwendig sind. Demnach ist es nahezu unmög-
lich, einen tatsächlich »wahren« Akquisitionspreis festzulegen, sondern – basierend auf
verschiedenen Szenarien – lediglich eine potenzielle Spannweite. Diese Unbestimmtheit
führt häufig zu Verankerungseffekten (anchoring effects). So zeigten Baker et al. (2009),
dass das 52-Wochen-Hoch die Preisfestlegung – und damit indirekt den Akquisitionser-
folg – signifikant beeinflussen. Der einstige Höchstpreis der Aktie fungiert als Anker,
der gleichermaßen die Bewertung bzw. Rechtfertigung der Einschätzung des Wertes
strategischer Synergien beeinflusst. Eine andere Form von Verankerungseffekt zeigen
Westphal et al. (2001) in Form von Imitationspraktiken im M & A-Bereich auf. So werden
M & A-Entscheidungen nicht nur von vernetzten Akteuren imitiert, sondern die imitierte
Handlung selbst wird ebenso wiederholt (»Second Order-Immitation«).
Demnach kann M & A-Kompetenz auch verstanden werden als die Fähigkeit, Wahr-
nehmungsverzerrungen in der strategischen Definitionsphase zu erkennen und zu

66 Roll 1986.
67 Langer 1975.
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290  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

vermeiden. Eine solche Perspektive auf M & A-Kompetenz erfordert einen Wechsel von
einem rein marktorientierten Fokus hin zum Einbezug der Charakteristika der invol-
vierten Akteure.

4.4 Einfluss von Intermediären (ω)


Ergebnisse von Entscheidungen und die Entscheidungsträger selbst sind keine von-
einander unabhängigen Variablen. Jedoch hat sich die M & A-Forschung nur sehr be-
grenzt mit dem Einfluss bestimmter Charakteristika von Entscheidungsträgern und
dem M & A-Erfolg auseinander gesetzt. Während bspw. die Prinzipal-Agenten-Theorie
das Management und dessen Opportunismus im Rahmen von M & A-Entscheidungen
in den Vordergrund stellt, bleiben wichtige Intermediäre wie z. B. der Aufsichtsrat ein
wenig beachtetes Thema.
Dies ist umso verwunderlicher als dass der Aufsichtsrat rechtlich dazu verpflichtet
ist, M & A-Vorschläge – zumindest ab einer gewissen Größe – zu evaluieren und daher
anzunehmen ist, dass der Aufsichtsrat neben dem Management eine wichtige Rolle
in der strategischen Definitionsphase spielt. Dies vor allem, da der Aufsichtsrat nicht
nur bewusstes opportunistisches Verhalten des Managements überwachen soll, son-
dern auch unbewusste Wahrnehmungsverzerrungen wie z. B. übersteigertes Vertrauen
(Over-Confidence) durch qualitativ hochwertiges Feedback potenziell korrigieren kann.
Brown/Sarma (2007) haben gezeigt, dass übersteigertes Selbstvertrauen und Dominanz
des CEOs im Sinne von schwacher Kontrolle durch den Aufsichtsrat die Wahrscheinlich-
keit von M & A-Transaktionen erhöhen und auch den Akquisitionstyp beeinflussen. So
verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit der Realisierung von diversifizierenden Akquisi-
tionen mit einem 10 %-igen Anstieg der CEO-Dominanz. Hier bietet Schmidt (2015) eine
differenzierte Perspektive: Soziale Netzwerkverbindungen zwischen den Aufsichtsräten
und dem CEO und damit eine geringere Unabhängigkeit des Aufsichtsrats werden mit
höheren Überrenditen nach Bekanntgabe des Angebotes assoziiert, wenn die Beratungs-
funktion des Aufsichtsrats im Mittelpunkt steht und umgekehrt mit tieferen, wenn die
Kontrollfunktion zentral ist. Kroll et al. (1997) stellen fest, dass auch die Anreizstruktu-
ren im Aufsichtsrat Einfluss auf das Akquisitionsverhalten von Unternehmen ausüben.
Zudem konnte nachgewiesen werden, dass Unternehmen, in deren Aufsichtsrat Aktio-
näre mit einem fünf oder mehrprozentigen Anteil sitzen, positive Kursveränderungen
erfahren.68 Basierend auf einer kompetenzgestützten Argumentation haben Carpenter/
Westphal (2001) aufgezeigt, dass Aufsichtsräte, die über M & A-Erfahrung verfügten, si-
gnifikant stärker in die Kontrolle der Transaktion involviert waren, als solche, in denen
keine vergleichbaren Kompetenzen vorhanden waren. McDonald et al. (2008) konnten
nachweisen, dass eine Übereinstimmung zwischen Aufsichtsratserfahrungen und Cha-
rakteristika der fokalen Akquisition zu signifikant besseren Akquisitionsergebnissen
führen. Auch Kroll et al. (2008) haben beobachtet, dass externe Aufsichtsratsmitglieder,
die Aktien des akquirierenden Unternehmens hielten und zugleich über Erfahrung mit
der Industrie des zu akquirierenden Unternehmens verfügten einen signifikant positiven
Zusammenhang mit den langfristigen Returns aus der Akquisition aufwiesen. Krug/

68 Vgl. hierzu auch Craninckx/Huyghebaert (2015) für eine Forschungsperspektive auf die Involvie-
rung von familiengeführten Akquisiteuren.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  291


Teil

Wright/Kroll (2014) diskutieren, in welchen Situationen die implizite Entscheidung des


Aufsichtsrats, den bisherigen CEO des fokalen Unternehmens installiert zu belassen,
einen positiven oder negativen Einfluss haben kann. Es zeigt sich, dass eine Erweite-
rung durch eine Akteursperspektive aufschlussreiche, neue Einblicke in die Qualität der
Prozesse, die im Rahmen der strategischen Definitionsphase stattfinden, bieten kann.

Revision der theoretische Grundlagen der M&A-Forschung

Gegenwartswert von
Nutzen Subjektivität
Entscheidungen
(Erfolgsdefinition über … (interpretations-
(Zeitdimension und
monetäre Anreize hinaus) beeinflussende Faktoren)
Diskontierungsfaktor)

M&A-Forschungssetting

M&A als Teil der Unternehmensstrategie


(Strategische Rekonfigurationsprogramme)

M&A-Erfolg

M&A-Misserfolg
Abb. 3: M & A-For-
schungsmodell (Quelle:
Eigene Darstellung)

5 Schlussfolgerungen
Die Praxisempfehlungen der M & A-Forschung stellen an Manager nahezu unerfüllbare
Forderungen – vor allem deshalb, weil diese Vorschläge parallel und isoliert statt in-
tegrativ präsentiert werden. So sollen Manager darauf achten, den Transaktionspreis
realistisch festzulegen, sich von Selbstinteresse und übermäßigem Selbstvertrauen ab-
zugrenzen, den strategischen Fit der Akquisition sicherzustellen, ein Set an M & A-re-
levanten Kompetenzen zu entwickeln usw. Jedoch werden selten die Zusammenhänge
und Schnittstellen zwischen diesen einzelnen Problemen bzw. Komponenten aufgezeigt.
Zwar stellt der vorliegende Beitrag kein vollständiges Review aller im Rahmen der
Definitionsphase für den M & A-Erfolg relevanten Aspekte dar; so existieren natürlich
eine Vielzahl potenziell ebenso wichtiger Faktoren wie z. B. der Einfluss der Art der Fi-
nanzierung, die Kapital- und Eignerstrukturen, etc., welche sich auf die Wahl von M & A
als Teil der Unternehmensstrategie und auf den letztendlichen Erfolg auswirken können.
Jedoch zeigt der Beitrag verschiedene zukunftsweisende, miteinander kombinierbare
Forschungsperspektiven auf M & A-Aktivitäten auf, welche das dargestellte M & A-Para-
doxon adressieren. So lässt die ausbleibende Verbesserung der M & A-Erfolgsquoten in
der Praxis drei Schlüsse im Hinblick auf die Forschung zu, wie auch schon Cartwright/
Schoenberg (2006) feststellten:
• Manager vollziehen Akquisitionen, die nicht von wertgesteuerten Anreizen motiviert
sind;
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292  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

• die Best-Practice-Empfehlungen aus der Forschung sind zu abstrakt für eine prakti-
sche Umsetzung;
• die Forschungsbemühungen sind unvollständig und wichtige Einflussfaktoren wer-
den in den Studien nicht simultan und integrativ betrachtet.

Im Hinblick auf die erste mögliche Schlussfolgerung mag es zwar der Fall sein, dass
M & A-Transaktionen nicht stets von der Maxime der Steigerung des Unternehmenswerts
getrieben sind.69 Jedoch ist es wahrscheinlicher, dass auf lange Sicht die M & A-Akti-
vitäten auf Wertschaffung ausgerichtet sein müssen, um das Überleben des Unterneh-
mens zu sichern. Auch die zweite Schlussfolgerung ist eher unwahrscheinlich, da viele
Forschende parallel zu ihrer Forschungsarbeit aktiv in als Berater tätig sind und daher
eine gewisse Anwendbarkeit ihrer Konzepte gewährleisten müssen. Die dritte Erklärung
hingegen hat aus der Forschung selbst Unterstützung erlangt. So ergaben verschiedene
Meta-Analysen zu M & A,70 dass die Forschungsmodelle unterspezifiziert sind und wich-
tige Einflussfaktoren auf den M & A-Erfolg nicht bedacht wurden.

5.1 Methodische Herausforderungen für die M & A-Forschung


Unklar bleibt jedoch, wie die Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas M & A bes-
ser in Forschungsdesigns berücksichtigt werden kann. Diese Aufgabe wirft mehrere
methodische Herausforderungen auf, welchen sich die M & A-Forschung stellen muss.
Für empirische Untersuchungen gliedern sich diese nach den Alternativen quanti-
tativer und qualitativer Ansätze. Bezüglich quantitativer Analysen steht der Ruf nach
einer breiteren Integration von Theorien und Erklärungsvariablen in Konflikt mit der
beschränkten Dimensionalität der für große Samples verfügbaren Daten. Zu den zentra-
len Aufgaben der M & A-Forschung zählt damit auch der langfristige Aufbau einer besse-
ren Datengrundlage. Instrumente hierzu sind die Kombination bestehender Datensätze,
aber auch vor allem die institutionalisierte, systematische Neuerhebung. Qualitative Er-
kenntnisprozesse dagegen erscheinen besonders geeignet, eine ganzheitlichere Sicht auf
M & A zu begründen. Jedoch erfordert dies, dass bei den Forschungsanstrengungen der
Fokus von generalisierenden Frameworks und einfachen M & A-Kategorisierungen auf
die theoretische Integration bestehender Erkenntnisse verschoben wird. Erst durch die
theoretische Vernetzung der Wirkungsmechanismen alternativer Perspektiven dürfte es
gelingen, die Widersprüche vergangener Forschung aufzulösen und ein schlüssigeres
Bild von M & A-Erfolg zu zeichnen71.
Zudem sollten die Praktiken zur Bestimmung und Quantifizierung von M & A-Erfolg
überprüft werden. Da die Performanceeffekte einzelner Erfolgsdeterminanten in ihrer
Art/Dimension, ihrem Ausmaß, wie auch in ihrem örtlichen und zeitlichen Auftreten
variieren und darüber hinaus miteinander interagieren können, erscheint der Rück-
griff auf eindimensionale Erfolgsgrößen oder auf Kapitalmarkteffekte simplifizierend
und mitverantwortlich für die gegensätzlichen Aussagen einzelner Analysen. So kann
sich ein Kapitalmarkteffekt, welcher den von den Marktteilnehmern erwarteten diskon-

69 Vgl. z. B. Seth et al. 2000.


70 Z. B. Datta et al. 1992; King et al. 2004.
71 Caiazza/Volpe 2015.
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V. M & A als Teil der Unternehmensstrategie  |  293


Teil

tierten Netto-Effekt der Transaktion erfasst, irren und den mittelfristigen operativen
und finanziellen Kennzahlen widersprechen. Umgekehrt lässt sich ex post wiederum
schwierig feststellen, ob eine Transaktion erfolgreich war: Zum einen geht mit der
M & A-Verkündung das objektive Vergleichsszenario der eigenständigen Unternehmen
verloren und zum anderen verwässern im Zeitablauf nach der Ankündigung unzähli-
ge, von der Transaktion unabhängige Faktoren den Effekt der Transaktion auf die für
ihren Erfolg typischerweise herangezogenen Indikatoren. Obwohl diese Probleme nicht
gänzlich ausgeräumt werden können, sollten sich Forscher bei der Operationalisierung
von M & A-Erfolg verstärkt darum bemühen, Performance mehrdimensional zu erfassen
und dabei Indikatoren auszuwählen, die in engem Zusammenhang mit der Transaktion
stehen.

5.2 Konzeptionelle Herausforderungen für die M & A-Forschung


Eine der zentralen Herausforderungen künftiger M & A-Forschung ist es, Forschungs-
modelle zu entwickeln, welche die bis dato identifizierten Erklärungselemente von
M & A-Erfolg integrativer verknüpfen. Dies ist jedoch aufgrund von zwei Sachzwängen
schwierig: Zum einen ist die M & A-Forschung meist auf das Studium empirischer Beob-
achtungen angewiesen, was sie – gegeben der im vorherigen Kapitel beschriebenen un-
zureichenden Datenlage – dazu zwingt, die realweltliche Komplexität ihrer betrachteten
Phänomene stark zu reduzieren. Zum anderen legt jedoch auch das wissenschaftliche
Vorgehen der deduktiven Ableitung von Hypothesen eine Fokussierung auf eine oder
wenige theoretische Perspektiven und damit auf ein verkürztes Forschungsmodell nahe.
Aufgrund dieser grundlegenden Einschränkungen, welche ein vollintegriertes Modell
unmöglich machen, können vor allem folgende drei Gestaltungsfelder als aussichtsrei-
che Alternativen angesehen werden, um eine integrativere Sicht auf M & A zu erreichen.
Abbildung A 3 fasst diese Stellhebel für weiterführende M & A-Forschung zusammen:
Erstens: Aus theoretischer Sicht ist das Hauptproblem vor allem darin zu sehen, dass
traditionelle Theorien auf einer eng gefassten Rationalitätsannahme beruhen. Da jedoch
Rationalakteur-Modelle die Realität vor allem im Hinblick auf M & A nur sehr begrenzt
abbilden können, scheint es zielführend, bestimmte Annahmen durch alternative For-
schungssettings konkret zu prüfen und/oder zu modifizieren. Ökonomen definieren
Rationalität durch die Eigenschaft von Entscheidungsträgern, Entscheidungen so zu
treffen, dass deren ökonomischer Wohlstand maximiert wird. Diese Definition erscheint
jedoch zu eng gefasst und sollte in modifizierter Form – d. h. ohne eine komplette
Abkehr von Rationalitätsannahmen zu fordern – Zugang zu Forschungskonzeptionen
erlangen: Entscheidungsträger maximieren den Gegenwartswert ihrer individuellen
Nutzenfunktion basierend auf ihrem subjektiven Verständnis der Entscheidungssitua-
tion. Damit ergeben sich drei zentrale Ansatzpunkte für die Konzeption des M & A-For-
schungssettings, nämlich der Einbezug von: erstens einer Zeitdimension, zweitens einer
über monetäre Anreize hinausreichende Definition von Wohlstand in Form von Nutzen,
und drittens der Einführung von Subjektivität, d. h. von Kontingenzfaktoren, welche
Einfluss auf die Interpretation der Entscheidungssituation haben können.
Zweitens lassen sich Potenziale vor allem durch die Abkehr davon eröffnen,
M & A-Transaktion als isolierte Ereignisse zu betrachten. Einzelne Transaktionen soll-
ten stattdessen als Element der Akquisitions- und Unternehmensstrategie verstanden
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294  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

und untersucht werden. Dies wirft folgende konzeptionelle Herausforderungen auf: Da


M & A-Transaktionen im Kontext anderer strategischer Entscheide analysiert werden
müssten, sollte der Ablauf der strategischen Einzelereignisse das zentrale Analyseob-
jekt werden. Während in einem ersten Schritt sicherlich mit der Akquisitions-/Trans-
aktionsstrategie die weiteren Restrukturierungsinstrumente im Fokus stehen dürften,
ist mittelfristig eine Integration all jener Unternehmensschritte wünschenswert, welche
die Unternehmensstrategie umsetzen.
Drittens: In Bezug auf die zu erklärende Variable, dem Unternehmenserfolg, sollte
sich die M & A-Forschung dem M & A-Erfolgsparadoxon so nähern, dass nicht mehr aus-
schließlich dem Erfolg, sondern auch der Erklärung von Misserfolg Beachtung geschenkt
wird. So könnten vor allem solche Variablen Zugang zur M & A-Forschung erlangen, die
sich auf die Subjektivität und Interpretationsbedürftigkeit von Entscheidungssituationen
beziehen.

5.3 Schlusswort
Neben einer überblicksartigen Zusammenfassung der bestehenden M & A-Forschung
liefert der vorliegende Beitrag potenziell fehlende Erklärungsvariablen und diskutiert,
wie diese helfen können, das eingangs dargestellte M & A-Paradoxon aufzuklären. Die
wesentliche Entwicklungsrichtung der M & A-Forschung sollte es sein, integrierter vor-
anzuschreiten, Erkenntnisse unterschiedlicher Disziplinen zu verbinden und alternative
Variablen in stärkerem Maße kontrollierend einzubeziehen. Denn erst wenn es der
Forschung gelingt, das Thema M & A ganzheitlicher zu greifen, kann sie im Hinblick auf
die Wertgenerierungsmechanismen und -probleme gezielter anleiten und ihren Beitrag
dazu leisten, dass die Unternehmenspraxis nicht in erster Linie aufgrund des Fehlens
an alternativen Instrumenten auf M & A zurückgreift, sondern aufgrund generell positiv
eingeschätzter Erfolgsaussichten.

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  |  299
Teil

Die »Go Global M & A«-Strategie


der chinesischen Unternehmen
Bernd W. Wirtz/Marc Elsäßer*

Innerhalb der jüngeren Vergangenheit ist ein starker Anstieg der M & A-Aktivitäten chi-
nesischer Unternehmen in Europa zu verzeichnen. Dabei rücken zunehmend deutsche
Unternehmen in den Fokus chinesischer Großkonzerne. Diese schätzen das Qualitätssie-
gel »Made in Germany« und besitzen großes Vertrauen in die Qualität deutscher Techno-
logie und Ingenieuerleistungen. Darüber hinaus sind chinesische Unternehmen, anders
als beispielsweise die angelsächsischen Interessenten, die vor allem auf kurzfristige
Wertsteigerungen abzielen, an einer langfristigen positiven Unternehmensentwicklung
interessiert. Die Chinesen suchen gezielt nach Unternehmen, die dazu in der Lage sind,
das Know-How der eigenen Unternehmen auf ein höheres Niveau zu heben, um dadurch
eine verbesserte Wettbewerbspositionierung zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund genießen die asiatischen und insbesondere die chinesischen
Unternehmen auf dem gesamten europäischen Markt ein im Vergleich zu früheren
Zeiten stark verbessertes Ansehen. Die lange Zeit verbreitete Einschätzung, dass chine-
sische Unternehmen primär an der Absaugung externer Technologien und Know-Hows
sowie der Verlagerung von Arbeitsplätzen interessiert sind und darüber hinaus sogar
eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen können, steht nicht mehr im
Fokus der Diskussion.
Während lange Zeit vor allem kurz vor der Insolvenz stehende Unternehmen das
Interesse der Chinesen auf sich zogen, läßt sich erkennen, dass mittlerweile auch pro-
fitabel agierende Unternehmen Ziele der Übernahmeanstrengungen asiatischer Unter-
nehmen sind. Dabei handeln ins­besondere die chinesischen Unternehmen, die für einen
Großteil der Übernahmen verantwortlich sind, vor allem auch im Interesse der Politik.
Diese fordert und fördert die sogenannte »Go Global M & A«-Strategie in China: Besitzen
die Unternehmen beispielsweise nicht das für eine Fusion notwendige Kapital, werden
sie im entsprechenden Umfang von den staatlichen chinesischen Banken ausgestattet.
Ein Beispiel für eine chinesisch-deutsche Übernahme stellt das chinesische Unterneh-
men Sany Heavy Industries dar, das 2012 den deutschen Hersteller von Betonpumpen
und Konkurrenten Putzmeister übernahm. 2013 übernahmen der chinesische Flugzeug-
und Rüstungskonzern Aviation Industry of China den fränkischen Automobilzulieferer
Hilite, 2014 dann den Zementanlagenbauer KHD Humboldt Wedag. Ein weiteres Beispiel
stellt der deutsche Küchenhersteller Alno dar, der 2015 zu Teilen von der Nature Home
Holding aus China übernommen wurde.
Diese Beispiele zeigen, dass primär Unternehmen des deutschen Mittelstands, die
tendenziell in den Branchen Automobilzuliefererindustrie, Industrieausrüstung und

* Prof. Dr. Bernd W. Wirtz, Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Informations- und Kommunikations-
management, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer;
Marc Elsäßer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Informations- und Kommunikations-
management, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer.
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300  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Maschinenbau beheimatet sind, als attraktive Übernahmeziele von den chinesischen


Unternehmen angesehen werden. Aber auch Elektrotechnik- und Photovoltaikunter-
nehmen sind von chinesischem Interesse. Es lässt sich schlussfolgern, dass chinesische
Unternehmen insbesondere an Zukäufen von deutschen Unternehmen in sogenannten
Schlüsselbranchen, die für die eigene Volkswirtschaft eine hohe Bedeutung aufweisen,
interessiert sind.
Dabei lassen sich strategische Gründe für die Übernahmeanstrengungen der Chine-
sen anführen: Der schwache Euro spielt dabei ebenso eine wichtige Rolle wie die vor
dem Hintergrund der Finanzkrise wenig erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung in
Teilen Europas. Eine große Rolle kommt auch dem verschlechterten Investitionsklima
innerhalb Asiens zu, das hauptsächlich auf den Spannungen der beiden Großmächte
Japan und China basiert. Darüber hinaus spielt auch die Technologieführerschaft eine
wichtige Rolle: Der Import europäischen Know-Hows, der Geschäftsmodelle und Mar-
ken in das eigene Unternehmen verbessert den Status eines chinesischen Unternehmens
auf umkämpften asiatischen Märkten und erleichtert den Aufstieg auf globalen Märkten.
Schließlich sichern sich die Chinesen mit ihren Akquisitionen den langfristigen Zugang
zu Rohstoff- und Energieressourcen, da der Bedarf das eigene Vermögen schon lange
überschritten hat, und den Zugriff auf bereits existierende Vertriebsstrukturen in den
Ländern, in denen Akquisitionen vorgenommen werden.
Aufgrund dieser Entwicklungen ist auch in der Zukunft von einem Anstieg der Zu-
käufe asiatischer und insbesondere chinesischer Unternehmen in Deutschland und
Europa auszugehen. Einer Prognose des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Pricewa-
terhouseCoopers zufolge wird Deutschland im Jahr 2020 mindestens zwei Milliarden
Dollar an Direktinvestitionen allein aus China erhalten, was eine Steigerung im Ver-
gleich zu 2012 um 237 Prozent bedeutet.

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  |  301
Teil

VI. Planung und Vorbereitung als Erfolgsfaktoren


für M & A
Ulrich Becker*

1 Unternehmensstrategie und M & A


2 Suche potenzieller Übernahmekandidaten
2.1 Anforderungsprofil und Akquisitionsraster
2.2 Ansätze des Suchprozesses
3 Management des Vorbereitungs- und Planungsprozesses
3.1 Operative Durchführung und Umsetzung
3.2 Selektion des Übernahmekandidaten
4 Zusammenfassung

1 Unternehmensstrategie und M & A


M & A war immer ein bedeutender Faktor in der Umsetzung von Unternehmensstrate-
gien, bietet der Kauf eines anderen Unternehmens doch eine Möglichkeit, Marktanteile
schnell zu steigern, proprietäre Technologien, eingeführte Marken oder einen bestehen-
den Kundenstamm zu erwerben sowie den Eintritt in neue Märkte schneller als durch
rein organisches Wachstum zu realisieren. Der M & A-Prozess selbst hat darüber hinaus
seine eigene Anziehungskraft, da ein spektakulärer Unternehmenskauf auch Prestige-
gewinn für die beteiligten Manager und Investoren bedeuten kann.
All dies heißt allerdings nicht, dass M & A immer auch ein besonders erfolgreiches
Mittel zur Umsetzung der Unternehmensstrategie sein muss. Im Gegenteil, gemessen an
der Entwicklung der Börsenwerte scheinen insbesondere große M & A-Transaktionen oft
mehr Wert vernichtet als geschaffen zu haben.1 So hat vor allem die Finanzkrise seit
2007 gezeigt, welche Risiken eine zu sehr auf M & A aufbauende Wachstumsstrategie
bergen kann. Insbesondere Unternehmen, die im Vorfeld der Krise für ihre »mutigen«
M & A-Transaktionen gelobt wurden, waren unter den ersten, die durch staatliche Inter-
ventionen gerettet werden mussten. Eines von vielen aufsehenerregenden Beispielen aus
der Finanzkrise 2007 war die milliardenschwere Rettung von The Royal Bank of Scot-
land nach der Übernahme von Geschäftsteilen von der niederländischen ABN AMRO
Bank. Im Nachgang der Krise sind Banken, die nur aufgrund staatlicher Unterstützung
weiterbestehen konnten, zum Teil gezwungen, die Akquisitionen der Vergangenheit
wieder abzustoßen, um diese Hilfen zurückzuzahlen bzw. um Auflagen der Behörden
zu erfüllen. Wie lassen sich aber Risiken aus M & A-Transaktionen bereits im Vorfeld
reduzieren? Wie sollte der M & A-Prozess geplant und vorbereitet werden, um M & A

* Dr. Ulrich Becker, Managing Director, UBS AG, Zürich.


1 Schmid/Walter 2008; Smith/O’Neil 2003.
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302  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

gezielt für die Umsetzung der Unternehmensstrategie einzusetzen? In diesem Beitrag


versuchen wir, hierfür praxisnahe Ansätze zu zeigen.
M & A kann sehr unterschiedlich motiviert sein. Das Spektrum ist weit; am einen
Ende stehen Akquisitionen, die das Ergebnis einer klaren und zielgerichteten Unterneh-
mensstrategie sind und die oft das Etikett transformatorisch tragen. Beispiele hierfür
sind die Akquisitionen angelsächsischer Investmentbanken durch kontinentaleuropä-
ische Universalbanken in den 80er und 90er Jahren, um auf diese Weise ihre Position
im Investmentbanking aufzubauen: z. B. die Übernahme von First Boston durch Credit
Suisse oder die Übernahme von Kleinwort Benson durch die Dresdner Bank. Solche
Akquisitionen werden gern als Beispiele in der M & A-Literatur verwendet.2 Am ande-
ren Ende des Spektrums sieht man jedoch auch opportunistische, scheinbar ungeplante
Akquisitionen, die sich z. B. aus einer wirtschaftlichen Notlage des Verkäufers ergeben.
Dies müssen nicht nur kleine, ergänzende Akquisitionen, sondern können durchaus
transformatorische sein wie z. B. die Übernahme von Teilen der im September 2008
in Konkurs gegangenen Us-Investmentbank Lehman Brothers durch Nomura und Bar-
clays oder die gleichzeitig stattgefundene Akquisition von Merrill Lynch durch Bank
of America.
Aber auch solche, quasi »spontanen« Akquisitionen müssen vorbereitet sein. Es sollte
eine klare Vorstellung davon bestehen, warum M & A für ein Unternehmen überhaupt
infrage kommt, seien dies Wachstums- oder Konsolidierungsziele im Heimmarkt oder
Expansionen in neue Märkte, und warum diese Ziele nicht durch einen organischen
Aufbau erreicht werden können. Ebenso ist eine kritische Einschätzung seiner eige-
nen Akquisitionsfähigkeiten für jeden Käufer unabdingbar. Dies betrifft nicht nur die
Finanzkraft des Käufers und eine klare Vorstellung von den Risiken, die der Käufer
in der Lage ist zu tragen, sondern auch seine Fähigkeit zur Integration einer fremden
Unternehmenskultur, die Verfügbarkeit von Projektmanagementexpertise und der für
eine Akquisition und spätere Integration notwendigen Managementressourcen. Zu ei-
nem großen Teil ist es aber auch die Vorbereitung und Planung des M & A-Prozesses
selbst, die den Erfolg maßgeblich prägt. Es gilt u. a. geeignete Suchprozesse nach Über-
nahmekandidaten zu identifizieren sowie die Aufbau- und Ablauforganisation effizient
auszugestalten.

2 Suche potenzieller Übernahmekandidaten


2.1 Anforderungsprofil und Akquisitionsraster
Hinsichtlich der strategischen Zielsetzung für M & A und der M & A-Fähigkeit eines Un-
ternehmens lassen sich einige Kriterien für geeignete Übernahmekandidaten (Targets)
ableiten. Als Basis bietet sich eine Unterscheidung in Strategie-, Finanz- und Integrati-
onskriterien an:
• Strategiekriterien:
– Schließung von Lücken (White Spots) in der strategischen Positionierung des Käu-
fers in Bezug auf geografische Märkte, Marktanteile, Wachstum, Geschäftsmodell,
Produktportfolio, Kundensegmente etc.

2 Walter 2004.
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VI. Planung und Vorbereitung als Erfolgsfaktoren für M & A  |  303


Teil

– Konsistenz mit strategischem Plan und Prioritäten des Käufers.


– Strategische Risiken einer Übernahme für den Käufer (Eintritt in neue Märkte im
Gegensatz zu reinen »Bolt-on«-Akquisitionen, d. h. Übernahme kleinerer Konkur-
renten in bestehenden Märkten).
• Finanzkriterien:
– Kritische Größe des Übernahmekandidaten (z. B. Umsatz, betriebliche Aktiven
oder Bilanzsumme).
– Mindestrenditen und maximale Risiken (z. B. Internal Rate of Return, Return on
Investments), die der Käufer erwartet bzw. bereit ist einzugehen.
– Konsequenzen einer Übernahme für die Gewinn- und Kapitalbasis des Käufers
(z. B. Schlüsselkennzahlen wie Gewinn pro Aktie oder Finanzierungsverhältnis-
se).
– Regulatorische Anforderungen an den Käufer aufgrund der Übernahme.
– Maximaler Kaufpreis und Finanzierbarkeit.
• Integrationskriterien:
– Komplexität, Zeitaufwand und Kosten der Integration für den Käufer.
– Transaktions- und Integrationsrisiken.
– Verfügbarkeit von Ressourcen für die Übernahme, insbesondere die Belastung des
Managements des Käufers.
– Integrationsszenario und Zielstruktur nach der Transaktion.

Des Weiteren können die Kriterien nach ihrer Priorität gewichtet werden. Dies kann
soweit gehen, dass das Unternehmen sog. »Killer-Kriterien« definiert, die bei einer
Nichterfüllung eine Akquisition grundsätzlich verbieten respektive verhindern. Dies
kann z. B. eine Mindestrendite sein, die durch die Akquisition erreicht werden muss.
Ein Unternehmen kann je nach Präferenz entweder auf einen stabilen, formalisierten
oder auf einen opportunistischen, flexiblen Kriterienkatalog abstellen, wie etwa durch
Anpassungen auf Strategien einzelner Geschäftseinheiten mittels unterschiedlicher Zu-
sammensetzung und/oder Gewichtung des Katalogs.
Solche Anforderungsprofile sind nicht nur ideale Werkzeuge zur Systematisierung
des Such- und Identifikationsprozesses von Übernahmekandidaten, sondern sie zwin-
gen ein Unternehmen bzw. seine Geschäftseinheiten dazu, die formulierten Zielrich-
tungen und Akquisitionsstrategien nochmals zu reflektieren und einzelne Schlüssel-
kriterien zu definieren. Als solches sind sie ein integraler Bestandteil einer effizienten
Akquisitionsstrategie.

2.2 Ansätze des Suchprozesses


M & A-Transaktionen verlaufen idealerweise nach einem relativ klaren Muster, an des-
sen Anfang die Strategiedefinition steht, auf deren Basis die Entscheidung, ob M & A
überhaupt infrage kommt, getroffen, die Suche nach geeigneten Kandidaten gestartet
und ein formaler Übernahmeprozess eingeleitet wird. M & A-Prozesse müssen aber nicht
zwangsläufig einem solch linearen Prozess folgen. Die idealen Übernahmekandidaten
sind ggf. nicht verfügbar, oder aber es bieten sich unvorhersehbare Akquisitionsmög-
lichkeiten, etwa aufgrund einer Krisensituation. Es ist daher sinnvoll, zwischen einem
strategischen und einem opportunistischen Marktfokus bzw. Suchansatz zu unterschei-
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304  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

den. Als strategisch werden die aktiven, vom Unternehmen selbst direkt angestoßenen
Suchprozesse bezeichnet, die auf die Identifikation einzelner Targets zur Schließung
einer strategischen Lücke ausgerichtet sind. Als opportunistisch werden hingegen die
Vorbereitung eines Unternehmens bezeichnet, auf sich kurzfristig bietende Akquisiti-
onsmöglichkeiten schnell und effektiv reagieren zu können. Im engeren Sinn handelt
es sich beim opportunistischen Marktfokus nicht um ein Suchen, sondern eher um eine
Herstellung der Bereitschaft von M & A; es ist weniger das »aktive Jagen« als mehr ein
»lauerndes Warten«.
Darüber hinaus spielt auch eine Rolle, wie ein Unternehmen ihre Akquisitionsstrate-
gie im Markt kommuniziert und ob die Strategie bereits in ein konkretes Projekt mün-
det. Ein solches Projekt kann entweder in der aktiven Ansprache konkreter Targets oder
aber die direkte Reaktion auf ein an das Unternehmen herangetragenes Angebot zur
Übernahme eines Targets bestehen. Im Gegensatz dazu kann ein Unternehmen auch
zunächst nur seine Akquisitionsbereitschaft signalisieren, ohne direkt ein konkretes
Projekt zu starten. Es wird daher dementsprechend zwischen einer konkreten und einer
indikativen Positionierung bzw. Projektfokus unterschieden.
In ihrer Kombination ergeben sich somit vier generische Suchprozesse (vgl. Abb. 1).
Die im Folgenden skizzierten Suchstrategien schließen sich dabei nicht notwendiger-
weise gegenseitig aus. Im Gegenteil, die vorherrschende Meinung ist, dass eine erfolg-
reiche M & A-Strategie voraussetzt, dass ein potenzieller Käufer in der Lage ist, alle vier
möglichen Suchstrategien entsprechend seiner Strategie und der gegebenen Situation
einzusetzen. Die Auswahl des »richtigen« Prozesses wird durch die Gegebenheiten im
Suchraum, die Strategie des Käufers aber auch nicht zuletzt durch taktische Überlegun-
gen bestimmt.
Strategisch

Konkrete Suche Wunschliste


Marktfokus/Suchansatz
Opportunistisch

Signalisierung von
Angebot
Kaufbereitschaft

Konkret Indikativ
Projektfokus/Positionierung Abb. 1: Formen des
Suchprozesses (Quelle:
Eigene Darstellung)
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VI. Planung und Vorbereitung als Erfolgsfaktoren für M & A  |  305


Teil

2.2.1 Konkrete Suche

Diese strategische Suchstrategie entspricht am ehesten dem klassischen zielgerichte-


ten M & A-Prozess der Literatur. Ausgehend von einer klaren Vorstellung vom Zielprofil
und den mit einer Übernahme zu erreichenden strategischen Zielen werden in einem
strukturierten Suchprozess mögliche Übernahmekandidaten anhand einer Reihe von
Suchkriterien über mehrere Stufen selektiert. Die resultierende Short List wird dann
entweder durch das Unternehmen direkt oder aber über eine Investmentbank bzw.
Beratungsfirma gezielt angesprochen. Diese Suchstrategie kommt insbesondere dann
zum Einsatz, wenn eine strategische Lücke durch M & A geschlossen werden soll. Sie
hat aufgrund ihrer höheren Standardisierung auch den Vorteil, dass Unternehmen, die
eher selten M & A-Transaktionen durchführen, diesen Prozess zu einem guten Teil an
Investmentbanken und Beratungen delegieren und damit eigene Ressourcen ergänzen
können.
Es ist jedoch anzumerken, dass mit steigendem Aufwand nicht notwendigerweise die
Erfolgswahrscheinlichkeit einer M & A-Transaktion, sondern unter Umständen das Risi-
ko steigt. So kann es sein, dass ein einmal begonnener Prozess um jeden Preis (d. h. un-
abhängig von Ressourcen, finanziellen Risiken oder Integrationsrisiken) vorangetrieben
wird, z. B. weil das verantwortliche Management seinen eigenen Erfolg zu sehr mit der
Transaktion verknüpft oder versucht, die bereits getätigten und eventuell substanziellen
Investitionen in diese Transaktion zu rechtfertigen. Daher ist es notwendig, bereits im
Vorfeld klare Abbruchkriterien und Entscheidungsprozesse zu definieren. Auch muss
sich der Käufer im Voraus darüber klar sein, wie weit er zu gehen bereit ist, z. B. ob
auch eine feindliche Übernahme infrage käme.

2.2.2 Angebot

Diese opportunistische Suchstrategie stellt gewissermaßen das Gegenstück zur konkre-


ten Suche dar. Anstatt mögliche Targets direkt anzusprechen, bereitet sich der Käufer
darauf vor, schnell reagieren zu können, wenn sich Möglichkeiten zur Übernahme
von Unternehmen eröffnen. Diese Möglichkeiten können z. B. durch Investmentbanken,
M & A-Boutiquen, Beratungsgesellschaften oder durch den Verkäufer selbst herangetra-
gen werden. Dies geschieht häufig mittels eines sogenannten Blindprofils (Teaser), wel-
cher die Eckdaten des zum Verkauf stehenden Unternehmens anonymisiert aufzeigt und
darauf abzielt, das Interesse an dem Objekt zu wecken. Basierend darauf müssen die
angefragten Unternehmungen dann relativ rasch entscheiden können, ob sie an einem
solchen Übernahmekandidaten grundsätzlich interessiert sind und am Transaktionspro-
zess weiter teilnehmen möchten.
Entscheidend ist, inwiefern der Käufer über effiziente Auswahlprozesse verfügt, d. h.
ob klare Entscheidungswege, Ausschlusskriterien und M & A-Erfahrung vorhanden sind,
um möglichst rasch und effektiv auf ein solches Angebot reagieren zu können. Ohne
derartige Vorbereitung besteht eine hohe Gefahr, dass der Käufer jeder sich bietenden
Gelegenheit hinterherrennt und Ressourcen auf wenig vielversprechende Akquisitionen
verschwendet. Diese Suchstrategie kommt insbesondere bei kleineren ergänzenden, sog.
»Add-on«-Akquisitionen zum Tragen.
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306  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2.2.3 Wunschliste

Nicht in allen Fällen ist es möglich, im Rahmen einer Strategieentwicklung identifizierte


Targets direkt anzugehen. Weiter besteht bei der oben skizzierten, opportunistischen
Suche die Gefahr, auf zu viele Angebote einzugehen und so Ressourcen zu verschwen-
den, was insbesondere bei globalen, diversifizierte Unternehmen schnell der Fall sein
kann. Eine mögliche Lösung dafür bietet die Erstellung und konsequente Verfolgung
strategischer Wunschlisten. Besteht eine klare Vorstellung der strategischen Lücken,
so sollte im Rahmen der strategischen Planung auch eine Liste von Wunschkandidaten
bzw. Key Targets erstellt werden; d. h. es gilt solche Unternehmen zu identifizieren, de-
ren Übernahme einen hohen Beitrag zur Umsetzung der Unternehmensstrategie leisten
würden, wobei nicht relevant ist, ob diese derzeit zum Verkauf stehen.
Der Einsatz einer solchen Liste setzt eine hohe Disziplin im Unternehmen voraus,
zumal das einmalige Erstellen nicht ausreichend ist. Um effektiv zu sein, ist es notwen-
dig, auf Basis detaillierter Markt- und Wettbewerbsforschung ein Betreuungsmodell zu
erarbeiten und umzusetzen. Einzelnen Managern des Käufers werden dabei bestimmte
Targets zugeordnet. Deren Aufgabe ist es, den Kontakt mit dem Target aufzubauen
und Kaufbereitschaft zu signalisieren, um vom Verkäufer als Preferred Buyer wahrge-
nommen zu werden. Die Wunschliste wird dann in regelmäßigen Abständen in den
zuständigen Gremien des Käufers diskutiert, wobei der betreuende Manager jeweils
über den Status informiert.
Der Vorteil dieser Suchstrategie liegt unter anderem in der Fokussierung der Ressour-
cen und im Aufbau einer schnellen Reaktionsfähigkeit bei unvorhergesehenen Entwick-
lungen auf Seiten der Wunschkandidaten. Allerdings kann eine solche Fokussierung
zum Nachteil werden, wenn derartige Listen zum strategischem Dogma werden, was
den Blick auf mögliche alternative Targets verstellt.

2.2.4 Signalisierung von Kaufbereitschaft

Nicht alle Übernahmeprozesse verlaufen nach einem klaren und vorhersehbaren Mus-
ter. Insbesondere die Krise der Finanzindustrie in den Jahren 2008 und 2009 hat gezeigt,
wie schnell sich auch große Akquisitionsmöglichkeiten ergeben können, die wenige Wo-
chen zuvor kaum denkbar gewesen wären. Es stellt sich die Frage, wie sich ein Käufer
für solche Marktopportunitäten positionieren kann. Voraussetzungen für eine erfolgrei-
che Anwendung dieses Suchstrategie sind einerseits die Fähigkeit, Marktentwicklungen
und mögliche Opportunitäten richtig einschätzen zu können, sowie das Vorhandensein
von effizienten und effektiven Entscheidungsstrukturen, Auswahlkriterien und M & A
Prozesserfahrung; andererseits aber auch eine klare Kommunikationsstrategie, um das
Interesse an Übernahmemöglichkeiten in strategisch relevanten Bereichen frühzeitig
und glaubwürdig signalisieren zu können.
Das Risiko dieser Suchstrategie liegt primär in der Gefahr der Übernahme unbekann-
ter Risiken aufgrund unzureichender Due Diligence. Eine Krise kann auch als Alterna-
tive den Kauf von Aktiven nach einer Insolvenz des Targets bieten, wie die Übernahme
von Teilen der Investmentbank Lehmann Brothers durch Nomura und Barclays gezeigt
hat. Allerdings sind die meisten Übernahmen weniger spektakulär als das genannte
Beispiel. Weniger öffentlichkeitswirksam aber durchaus hoch interessant waren im Zu-
sammenhang mit der Finanzkrise eine Reihe kleinerer Möglichkeiten, durch die einige
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VI. Planung und Vorbereitung als Erfolgsfaktoren für M & A  |  307


Teil

Wettbewerber in der Lage waren, ihre strategische Position zu verstärken. Zu nennen


sind Käufe von Private Banking (PB)-Aktivitäten in der Schweiz, z. B. der Kauf von ING
PB Schweiz durch Julius Bär, der Kauf von Commerzbank PB Schweiz durch Vontobel
und der Kauf von ING PB Asien durch OCBC in Singapur.
Im Folgenden werden kurz die generellen Fähigkeiten und Maßnahmen zur Vorbe-
reitung und Planung des M & A-Prozesses beleuchtet, die für alle vier Strategien gelten.

3 Management des Vorbereitungs-


und Planungsprozesses
3.1 Operative Durchführung und Umsetzung
Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Akquisitionsstrategie ist eine pro-
fessionelle Struktur und ein formalisierter M & A-Prozess innerhalb des Unternehmens.
Die interne Koordination zwischen den einzelnen im Prozess involvierten Bereichen,
deren optimale Einbindung und die Sicherstellung eines effizienten Informationsaustau-
sches sind zentral. Es geht primär um Verantwortlichkeiten und Rollen zwischen den
Geschäfts- und Fronteinheiten, der Strategie- bzw. Unternehmensentwicklungsabteilung
und dem Management. Entscheidend ist, wer wann und wie im Prozess einzubinden ist,
wobei es sinnvoll sein kann, eine zentrale Koordinationsstelle zu schaffen. In einigen
Unternehmen nimmt diese Rolle der Bereich Unternehmensentwicklung, in anderen der
CFO oder der CEO-Stab wahr. Eine Zentralisierung der M & A-Aktivitäten hilft darüber
hinaus, relevantes Fachwissen zu bündeln und eine unabhängige Entscheidungsvorbe-
reitung zu garantieren. Die M & A-Abteilung sollte dann auch organisatorisch direkt dem
CEO oder dem CFO der Unternehmensgruppe unterstellt werden, einerseits aufgrund
der Nähe zu den Entscheidungsgremien und andererseits der erhöhten Stellung und
Sichtbarkeit innerhalb der Organisation.
Ein formalisierter M & A-Prozess schafft zudem Klarheit im Umgang mit M & A-Akti-
vitäten. Im Idealfall gibt es spezifische Richtlinien und Regelungen für den M & A-Pro-
zess (M & A-Guidelines bzw. -Governance). Einen einfachen Weg für die Unternehmen,
eine gewisse Koordination sicherzustellen und im Übrigen einen Überblick über die
zu einem Zeitpunkt verfolgten M & A-Opportunitäten zu erhalten, ist die Freigabe von
Vertraulichkeitserklärungen (sog. Non Disclosure Agreements) durch eine, wie oben
beschrieben, zentrale Stelle. So sollte die Ausarbeitung und Verhandlung von Vertrau-
lichkeitserklärungen exklusiv über die M & A-Abteilung erfolgen, um unter anderem
einheitliche Standards und Maßstäbe durchzusetzen, z. B. Dauer und Umfang von Ab-
werbe- oder Konkurrenzverboten, welche normalerweise gruppenweite Anwendung
und Gültigkeit finden. Ebenfalls sollten weitere Kernelemente des M & A-Prozesses, wie
die Verantwortlichkeiten, die Entscheidungshürden sowie die notwendigen Entschei-
dungsebenen bei Akquisitionen in den M & A-Guidelines geregelt werden. Beispielswei-
se kann es sinnvoll sein, ein Akquisitionsvorhaben zwingend durch ein Mitglied der
Geschäftsleitung unterstützen (Projektsponsor) zu lassen (z. B. die Akquisition einer
Privatbank durch den CEO des Private Banking) oder gewisse »Killer-Kriterien« ein-
zuführen, die für eine Weiterverfolgung erfüllt sein müssen (z. B. in Bezug auf eine
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308  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Mindestrendite der Investition oder Integrations- oder Reputationsrisiken). Ein weiteres


probates Mittel zur Beschleunigung der Entscheidungsfindung ist die Klassifizierung
von Entscheidungsebenen, wobei unterschiedliche Akquisitionsgrößen auf unterschied-
liche Ebenen delegiert werden (z. B. eskalierend CFO, CEO, gesamte Geschäftsleitung
oder Verwaltungsrat).
Eine Zentralisierung des M & A-Prozesses ist jedoch nicht der einzige Weg für eine
effiziente und effektive Umsetzung der Akquisitionsstrategie in einem Unternehmen.
Inwiefern und in welchem Ausmaße die M & A-Aktivitäten über eine Stelle gebündelt
werden sollten, hängt unter anderem von der Organisations- und Führungsstruktur
ab; zudem spielt hier der Diversifikations- und Integrationsgrad sowie die Wertschöp-
fungsbreite und -tiefe der Unternehmung eine wichtige Rolle. Entsprechend der Struktur
sollte definiert werden, ob eine zentrale M & A-Abteilung innerhalb der Organisation
eine interne »Investmentbank-Funktion« erfüllen und somit das gesamte Spektrum des
M & A-Prozesses abdecken soll, oder ob dieser eher die Rolle einer koordinierenden
Unterstützungsfunktion zukommen sollte. M & A-Abteilungen mit einer »Investment-
bank-Funktion« müssen breit aufgestellt sein und über genügend Ressourcen verfügen,
um Akquisitionen möglichst effizient und autonom abwickeln zu können (d. h. z. B.
ohne Einbezug externer Dienstleister wie Investmentbanken oder Transaktionsberatun-
gen). Demgegenüber können M & A-Abteilungen auch als Koordinationseinheiten aufge-
setzt werden. Diese kommen meist in dezentralen, diversifizierten Organisationen vor,
deren Geschäftseinheiten über eine hohe Entscheidungskompetenz verfügen. Ein gutes
Beispiel ist General Electric. In solchen Strukturen findet sich der M & A-Spezialist meist
in der Rolle des Beraters und als zentrale M & A-Koordinations- und Anlaufstelle, sei
dies als Unterstützung im Projektmanagement, bei der Suche nach geeigneten Übernah-
mekandidaten oder als Verhandlungspartner und Kontakt zu Investmentbanken oder
Beratern. Die M & A-Projekte werden hier in der Regel direkt aus der Geschäftseinheit
geführt bei der auch die finanzielle und integrative Verantwortung der Akquisition
liegt. Je nach Bedarf können hier relativ rasch Ressourcen aus der Linie herangezogen
werden (wobei es sich hierbei jeweils möglichst um dieselben handeln sollte, um eine
hohe Projekteffizienz respektive Lernkurve erzielen zu können). Dies geschieht jedoch
in enger Zusammenarbeit und unter Aufsicht der M & A-Abteilung, welche in einer sol-
chen Struktur nur mit einzelnen Spezialisten ausgestattet werden kann. Bedeutende
M & A-Elemente, wie die Verantwortung für die M & A-Governance oder die Festlegung
und Umsetzung der Akquisitionsstrategie, sollten jedoch nicht delegiert werden und
zwingend bei der zentralen M & A-Stelle verbleiben.
Ebenfalls großer Bedeutung sowohl für die konkrete wie auch für die indikative
Suche kommt der Informationsbeschaffung, der sog. Market Intelligence, zu. Damit ist
nicht nur die Beschaffung von vollständigen, korrekten Informationen gemeint, sondern
insbesondere auch die Fähigkeit einer Organisation, möglichst schnell an Informatio-
nen zu konkreten Kaufgelegenheiten zu gelangen. Durch einen aktiven Informations-
austausch auch mit Wettbewerbern und potenziellen Übernahmekandidaten sollte ein
Unternehmen denn auch in der Lage sein, sich einen Informationsvorsprung und somit
einen Wettbewerbsvorteil im Markt erarbeiten zu können. Die Institutionalisierung ei-
nes regelmäßigen, formalisierten Prozesses mit Marktteilnehmern, Investmentbanken
oder Beratungsfirmen ist ein effektives Mittel und sollte sich in der Formulierung einer
Kontaktstrategie wiederfinden. Es gilt insbesondere, bestehende Beziehungen zwischen
den potenziellen Übernahmekandidaten und der eigenen Organisation zu identifizieren
und für die Informationsbeschaffung bzw. für die Akquisitionsstrategie zu nutzen. Ei-
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VI. Planung und Vorbereitung als Erfolgsfaktoren für M & A  |  309


Teil

nerseits muss abgeklärt werden, welcher Anknüpfungspunkt für die Kontaktaufnahme


geeignet ist, und andererseits, welche Schnittstelle diesbezüglich in Frage kommt (z. B.
M & A- oder Unternehmensentwicklungsabteilung, Senior Management, Verwaltungsrat
oder Investmentbanken bzw. Beratungsfirmen durch externes Mandat); zudem regelt die
Kontaktstrategie, in Abhängigkeit der Form der Suchstrategie, die Art und Weise (z. B.
persönlich, schriftlich, aktiv oder passiv) sowie den Zeitpunkt und die Intensität (regel-
mäßig oder ad hoc) der Ansprache. Zudem sind die Verantwortlichkeiten und Prioritäten
in der Kontaktstrategie klar zuzuweisen und zu regeln.
Abgerundet wird die Akquisitionsstrategie durch ein integriertes Akquisitionscont-
rolling. Dieses beinhaltet eine fortlaufende Überprüfung der Entwicklung und Strategie-
konformität der identifizierten Übernahmekandidaten sowie eine regelmäßige Aktuali-
sierung der Profile. Dabei sollte unter anderem die Verfügbarkeit, die Aktionärsstruktur
sowie die Finanzlage der Kandidaten laufend überwacht werden. Ein weiteres zentrales
Element des Controllings ist die Kontaktpflege, das Key Account Management, inner-
halb der Kontaktstrategie. So können sämtliche Kontakt- und Anknüpfungspunkte in
einem sog. Kontakt-Log festgehalten und verfolgt werden. Bei Bedarf sind entsprechen-
de Maßnahmen einzuleiten und umzusetzen.

3.2 Selektion des Übernahmekandidaten


Aufgrund der Vielzahl theoretisch möglicher Übernahmekandidaten ist eine systema-
tische Vorgehensweise im Suchprozess notwendig, um optimalen Ressourceneinsatz
gewährleisten zu können. Dies geschieht in der Praxis oft durch den sog. Screening
Prozess (vgl. Abb. 2), welcher sich grundsätzlich in zwei Phasen unterteilt und ein
typisches Instrument des klassischen M & A-Prozesses darstellt. Dabei wird durch zu-
nehmendes Informationsniveau das Kandidatenspektrum fortlaufend, bis hin zur End-
auswahl, reduziert (Top Down-Approach). Dieses strukturierte Verfahren wird primär
als Instrument bei der Suche nach strategischen Übernahmekandidaten (konkrete Suche
und Wunschliste) eingesetzt. Durch die Vorgabe von Suchkriterien werden die Kandi-
daten über mehrere Schritte hin identifiziert.

Kandidatenspektrum
abnehmendes Kandidatenspektrum
steigendes Informationsniveau

rastergestütztes Screening in Kombination mit Expertengesprächen

generell geeignete Kandidaten-»Long List«

Benchmarking und Priorisierung auf Basis von


Profilen

spezifisch geeignete Kandidaten-»Short List«

Endauswahl

Target

Abb. 2: Trichterprinzip des Screening-Prozesses (Quelle: Eigene Darstellung)


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310  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

In einer ersten Phase wird anhand eines rastergestützten Screenings auf Basis eines
definierten Anforderungsprofils (vgl. Kap. 2.1) eine sog. Long List an Übernahmekan-
didaten zusammengestellt. Diese erste Suche ist eher mechanistisch und dient dazu,
anhand eindeutig definierter Kriterien aus einem zunächst großen Suchfeld, z. B. aller
Unternehmen einer Branche in einem bestimmten Zielmarkt, diejenigen herauszufil-
tern, die den groben Rasterkriterien entsprechen. Dies können Mindestgrößen oder ein
bestimmtes Produktspektrum sein. Dieses sog. First Strategic Screening erfolgt meist
über Datenbanken (z. B. Mergermarket, Bloomberg, Orbis), Firmenverzeichnisse sowie
Presse- und Medienmitteilungen und wird durch Expertengespräche mit internen sowie
externen Gruppen (wie z. B. mit Beratern, Anwälten oder Investmentbankern) unter-
stützt und ergänzt.
Während das erste Screening der schnellen Reduzierung der Kandidatenliste anhand
relativ einfacher Kriterien dient, werden in der zweiten Phase des Selektionsprozesses
die einzelnen Kandidaten der Long List individuell analysiert. Ziel dabei ist es, durch
eine gezielte Informationsbeschaffung zu jedem Unternehmen ein Kurzprofil entlang
der Dimensionen Strategie, Finanzen und Integration zu erstellen. Durch Vergleich die-
ser Profile kann eine Rangordnung der Übernahmekandidaten, erstellt werden, wobei
die vielversprechendsten Kandidaten in eine Short List aufgenommen werden. Hierfür
sind meist die strategischen Präferenzen und Prioritäten des suchenden Unternehmens
ausschlaggebend, da der Dimension Strategie in dieser Phase meist die höchste Bedeu-
tung und Gewichtung zukommt. Ist die Short List mit den potenziellen Übernahme-
kandidaten einmal erstellt, können weitere Analysearbeiten, wie erste Bewertungs- und
Integrationsüberlegungen, oder bereits einzelne Vorbereitungsarbeiten im Hinblick auf
eine spätere Sorgfaltsprüfung, vorgenommen werden. Bei der Endauswahl der Kandi-
daten ist es wichtig, dass diese mit dem Management abgestimmt werden. Eine enge
Einbindung der Entscheidungsträger in den Screening Prozess hat den großen Vorteil,
dass die Akzeptanz und Verbindlichkeit der Short List unternehmensintern erhöht wird,
dass weitere M & A-Interaktionen zwischen dem Projektmanagement und der Führungs-
etage gefestigt werden, und dass dadurch letztlich die Aktualität und die Konformität
der Akquisitionsstrategie mit der Gesamtstrategie sichergestellt werden kann.

4 Zusammenfassung
Zum Teil ist in der Praxis das Zitat zu hören, dass M & A keine exakte Management-
disziplin sei: »M & A more an art than a science«. In der Tat ist etwa der Verhandlungs-
erfolg oder die erfolgreiche Ansprache und Überzeugung des Übernahmekandidaten,
sich überhaupt auf einen solchen Prozess einzulassen, oft auch von den persönlichen
Fähigkeiten und der Erfahrung der Beteiligten abhängig. Aber ebenso wie ein Musiker
ohne Beherrschung seines Instruments kaum Erfolg haben wird, ist auch ein M & A-Pro-
zess ohne disziplinierte und professionelle Planung und Vorbereitung ein Glücksspiel.
In diesem Beitrag wurden die Kernelemente dieser Vorbereitung dargestellt:
• Eindeutige Strategie des Unternehmens und Klarheit inwiefern M & A für die Umset-
zung dieser Strategie überhaupt infrage kommt.
• Klare Vorstellung von den M & A Fähigkeiten des Unternehmens, d. h. der finanziellen
Möglichkeiten, des Risikoappetits und der Integrationsfähigkeit.
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VI. Planung und Vorbereitung als Erfolgsfaktoren für M & A  |  311


Teil

• Vorab definierte Aufbau- und Ablauforganisation mit eindeutigen Rollen und Ent-
scheidungskompetenzen inklusive Abbruchkriterien.
• Verständnis und Beherrschung der vier generischen Suchstrategien
• Disziplin und Konsequenz in der Umsetzung.

Die Berücksichtigung dieser Kernelemente bedeutet natürlich noch lange nicht den Er-
folg von M & A, reduzieren aber bereits im Vorfeld einige der gröberen Fehler.

Literatur
Schmid W./Walter I. (2009): Do Financial Conglomerates Create or Destroy Economic Value. In: Journal
of Financial Intermediation, Nr. 18(2), 2009, S. 193–216.
Smith K./O’Neil E. (2003): Bank-to-Bank Deals Seldom Add Value. In: ABA Banking Journal, Nr. 95,
2003, S. 7–10.
Walter I. (2004): Mergers and Acquisitions in Banking and Finance: What Works, What Fails, and Why.
1. Aufl., Oxford University Press, 2004.
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312  | 
Teil

VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel


zur Steigerung des Unternehmenswerts
Martin Baumüller/Thomas Wirth*

1 M & A als wichtiges strategisches Instrument der Unternehmensführung


2 M & A-Fähigkeiten in der Praxis
3 Zentrale Faktoren für eine erfolgreiche Umsetzung von Serienakquisitionen
4 Fazit

1 M & A als wichtiges strategisches Instrument der


Unternehmensführung
Unternehmensakquisitionen und -zusammenschlüsse (M & A) sind ein wichtiges strate-
gisches Instrument der Unternehmensführung. Durch anorganisches Wachstum kann
ein Unternehmen neue Märkte erschließen, neue Fähigkeiten erwerben, Skaleneffekte
und Synergien realisieren und somit den Unternehmenswert langfristig steigern. Von
den vielfältigen und komplexen Entscheidungen, die das Top-Management eines Unter-
nehmens treffen muss, gehören Akquisitionen zu den Entscheidungen mit den größten
Risiken respektive Tragweiten; der Grad zwischen einer erfolgreichen Akquisition und
einem Fehlschlag ist oft schmal, und der Ausgang einer Transaktion kann die Wettbe-
werbsposition eines Unternehmens wesentlich beeinflussen. Viele Unternehmen schaf-
fen es nicht, aus einer Transaktion den maximalen Wert zu schöpfen – sie führen die
Integration schlecht durch, bezahlen einen zu hohen Kaufpreis oder verpassen ganz
einfach attraktive Möglichkeiten, weil sie nicht auf ihrem Radar auftauchen.
Exzellenz in der Durchführung – von der Identifikation und Selektion von Über-
nahmekandidaten über die Transaktionsabwicklung bis hin zur Integration – hat somit
eine große Auswirkung auf den Erfolg einer Transaktion: Nur gut geplante und durch-
geführte Transaktionen haben realistische Aussichten auf Erfolg und steigern den Un-
ternehmenswert des Käufers.1 Dabei sind ein systematisches und proaktives Vorgehen
bei der Identifikation und Selektion von Übernahmekandidaten, ein effizienter Trans-
aktionsprozess und ein an die Transaktion angepasster Integrationsansatz die zentralen
Schlüsselfaktoren zum Erfolg. Exzellenz in M & A wird auch von den Kapitalmärkten
belohnt. Jene Unternehmen, die sich durch exzellente, institutionelle M & A-Fähigkeiten
auszeichnen und deren Top-Management über Erfahrung in der Planung, Ausführung

* Dr. Martin Baumüller, Bereichsleiter, Geberit International AG, Rapperswil-Jona; Thomas Wirth,
COO Private Banking Northern & Eastern Europe, Credit-Suisse, Zürich.
1 Nur ca. 30–40 % aller M & A-Transaktionen schaffen Wert für den Käufer, und das nur bei einer
guten Deal-Logik und Planung, einem disziplinierten Transaktionsprozess und bei exzellenter Post
Merger Exekution.
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VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung des Unternehmenswerts  |  313
Teil

und Integration verfügt, werden eher mit positiven Kursentwicklungen nach Ankündi-
gung einer Transaktion belohnt.2
Exzellente M & A-Fähigkeiten steigern jedoch nicht nur die Erfolgswahrscheinlichkeit
einer einzelnen Transaktion, sondern können auch ganz neue strategische Möglich-
keiten eröffnen. Durch das Sammeln von Erfahrungen aus vergangenen Transaktio-
nen können in Verbindung mit einem kollektiven Lernprozess signifikante, nachhal-
tige M & A-Kompetenzen und damit Wettbewerbsvorteile geschaffen werden, die für
zukünftige Transaktionen gezielt genutzt werden können. Einerseits nutzen in reifen
Industrien (z. B. Konsumgüter- oder Maschinenbauindustrie) Unternehmen wie Nestlé
oder General Electric erfolgreich die gewonnen Erkenntnisse aus vergangenen Trans-
aktionen für einzelne große Akquisitionen, um vor allem durch Konsolidierung primär
Kostensynergien zu realisieren. Andererseits sind insbesondere in Know-how intensiven
Branchen wie IT, High-Tech oder Pharma exzellente M & A-Fähigkeiten notwendig, um
erfolgreich neue Produkte und/oder Kompetenzen durch mehrere kleinere parallele
oder sequenzielle Akquisitionen zuzukaufen (z. B. Roche mit Kooperations- und Betei-
ligungsabkommen).
Der vorliegende Beitrag soll zeigen, wie M & A als strategisches Führungsinstrument
genutzt werden kann und welche Fähigkeiten ein Unternehmen benötigt, um eine er-
folgreiche Serienakquisitionsstrategie auf der Basis von verschiedenartigen parallelen
oder sequenziellen Transaktionen umsetzen zu können.

2 M & A-Fähigkeiten in der Praxis


Nur sehr wenige internationale Unternehmen verfügen über exzellente M & A-Fähig-
keiten und verfolgen eine gezielte Strategie für Serienakquisitionen.3 Dabei bestehen
insbesondere folgende Schwächen:
• Fehlende M & A-Strategie, oft ohne klar definierte Ziele und Werttreiber: 40 % der un-
tersuchten Firmen benutzen weder qualitative Kriterien (z. B. zu akquirierende Kom-
petenzen) noch quantitative Ziele (z. B. Wachstumsziele, Investmentkriterien) für
eine Akquisition. Es fehlt zudem oft ein vertieftes Verständnis der relevanten Wert-
treiber (z. B. Umsatz- und Kostensynergien, mögliche Verbesserungshebel). M & A
wird nicht als unterstützender und integrierter Bestandteil der Unternehmensstrate-
gie gesehen, sondern als separate Aktivität.
• Zu wenig systematische Selektion von Übernahmekandidaten: 75 % der untersuch-
ten Unternehmen benutzen keine standardisierten Werkzeuge (z. B. sog. Industry
Heat Maps) für das Screening, und 60 % verfügen nicht über eine strukturierte und
integrierte Datenbank mit Zielobjekten; vielmehr werden M & A-Opportunitäten op-
portunistisch und ohne Abstimmung entweder in den Geschäftsbereichen oder auf
Gruppenstufe verfolgt.

2 Dobbs 2006.
3 McKinsey & Company 2009; In der Studie wurden die für eine erfolgreiche Durchführung von
Transaktionen notwendigen institutionellen Fähigkeiten untersucht. Dazu wurden in über 50 in-
ternationalen Unternehmen in elf Ländern und in sechs Hauptbranchen (Konsumgüter, Finanz-
dienstleistungen, Telekom/High-Tech, Energie- und Rohstoffe, Pharma, Automobil) Interviews mit
Topmanagern durchgeführt; durchschnittlich über 20 Transaktionen pro Unternehmen.
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314  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

• Geringer Gebrauch von standardisierten Analysen und Hilfsmitteln im M & A-Prozess:


70 % der untersuchten Unternehmen benutzen keine standardisierten Checklisten
für die Due Diligence, und rund die Hälfte der Unternehmen verlassen sich bei der
Bewertung des zu übernehmenden Unternehmens einzig auf die Arbeit von externen
Firmen, ohne selbst eine unabhängige Kontrolle zu machen. Viele Firmen verfügen
somit selbst nicht über grundlegende Fähigkeiten, einen M & A-Prozess effizient füh-
ren und sich eigenständig Gedanken über die wichtigsten Werthebel machen zu
können (geschweige denn dies zu replizieren).
• Keine signifikanten, dedizierten Ressourcen für M & A: Nur 30 % der Unternehmen ver-
fügen über ein erfahrenes M & A-Team mit komplementären Fähigkeiten; die meisten
Unternehmen haben nur wenige Spezialisten und verfügen insbesondere nicht über
einen standardisierten Begleit- und Entscheidungsprozess. Dies führt dazu, dass
Entscheidungen häufig viel Zeit brauchen und der CEO oft sehr spät oder nur am
Rande in den Prozess involviert ist.
• Fehlende institutionelle Lernmechanismen: 70 % der teilnehmenden Unternehmen ver-
fügen nicht über institutionelle Lernmechanismen (z. B. systematische Ex post-Re-
views von Transaktionen); die systematische Nutzung von Erfahrungen für zukünf-
tige Transaktionen wird meist noch vernachlässigt.

Während sich 40 % der Unternehmen durchaus bewusst sind, dass ihre M & A-Fähigkei-
ten in gewissen Bereichen nicht der Best Practice entsprechen, hat die Untersuchung auf
Defizite hingewiesen, die von den Teilnehmern nicht als solche erkannt wurden. Somit
sind die Verbesserungspotenziale bei M & A-Fähigkeiten in der Praxis erheblich größer
als gemeinhin angenommen.

3 Zentrale Faktoren für eine erfolgreiche Umsetzung


von Serienakquisitionen
Erfahrungen bei der Begleitung von Transaktionen zeigen, dass sich Unternehmen
mit einer erfolgreichen Serienakquisitionsstrategie insbesondere durch sechs Elemente
auszeichnen (vgl. Abb. 1). Im Nachfolgenden werden die Erfolgsfaktoren eingehender
beschrieben.

Klare strategische Zielsetzungen und definierte Wachstumsfelder


Der erste Erfolgsfaktor zielt auf klare strategische Zielsetzungen und definierte Wachs-
tumsfelder (z. B. neue Geographien, neue Segmente) ab, die mit einer entsprechenden
M & A-Strategie gezielt unterstützt werden. Eine enge Verknüpfung zwischen der Stra-
tegie eines Unternehmens und dem M & A-Programm ist zentral für eine erfolgreiche
Umsetzung von Akquisitionen, unabhängig von der Größe und Zusammensetzung der
M & A-Abteilung eines Unternehmens.4
Manager, die Akquisitionen und Zusammenschlüsse erfolgreich durchgeführt ha-
ben, betonen, dass ein M & A-Programm keine Strategie als solche darstellt, sondern

4 Uhlaner/West 2008.
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VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung des Unternehmenswerts  |  315
Teil

Klare strategische Zielsetzungen und definierte Wachstumsfelder, die mit einer M&A-Strategie
1
unterstützt werden können

2 Gezielter Aufbau und Entwicklung eines M& A-Teams mit notwendigen Ressourcen

Proaktive Überwachung der M& A-Pipeline und Identifikation von möglichen Kandidaten aufgrund klar
3
definierter Kriterien

Standardisierte Prozesse mit klaren Meilensteinen und Werkzeugen für eine effiziente Due Diligence
4
und Unternehmensbewertung sowie eine schnelle Exekution

Ausgeprägtes Bewusstsein für transaktionsspezifische Erfolgsfaktoren und ein maßgeschneiderter


5
Integrationsansatz mit hoher Flexibilität

6 Kontinuierliches, systematisches Lernen und Institutionalisieren von Fähigkeiten

Abb. 1: Sechs zentrale Erfolgsfaktoren für Serienakquisitionen (Quelle: McKinsey & Company)

ein Werkzeug ist, um strategische Lücken zu füllen (z. B. Diversifikation des Portfolios
oder geographische Expansion). Eine Führungskraft einer Konsumgüterfirma bringt
dies folgendermaßen zum Ausdruck: »Wenn unsere Unternehmensstrategie einmal defi-
niert ist, überlegen wir uns, welche organischen und anorganischen (M & A) Möglichkeiten
wir haben, um diese Strategie umzusetzen. Wir fischen nicht bloß nach guten Übernah-
mekandidaten, sondern wir nutzen M & A bewusst als Instrument, um unsere Strategie
umzusetzen«. Darüber hinaus tätigen erfolgreiche Käufer keine Akquisitionen, lediglich
um einen Wettbewerber zu blockieren – sie setzen M & A proaktiv (und nicht reaktiv)
als strategisches Führungsinstrument ein.

Gezielter Aufbau und Entwicklung eines M & A-Teams


Der zweite Erfolgsfaktor stellt auf den gezielten Aufbau eines M & A-Teams mit notwen-
digen Ressourcen, welche die effiziente Durchführung einer Transaktion mit klaren
Verantwortlichkeiten ermöglichen, ab. Wenn Unternehmen die Anzahl und Frequenz
von Transaktionen erhöhen, ist eine der größten Herausforderungen, die richtige Anzahl
und Art der Leute für die Identifikation und Abwicklung dieser Transaktionen auszu-
wählen. Falls dies nicht gelingt besteht das Risiko, dass falsche Transaktionsobjekte
ausgewählt werden oder die Integration schlecht durchgeführt wird.
Ein Unternehmen mit einem anspruchsvollen Serienakquisitionsprogramm braucht
die Mittel, um parallel mehrere Kandidaten zu prüfen, eine vorläufige und abschließen-
de Due Diligence durchzuführen, die Transaktion abzuschließen und schließlich die
Integration abzuwickeln. Dafür sind signifikante Ressourcen notwendig (vgl. Abb. 2):
Um z. B. zehn Transaktionen pro Jahr durchzuführen, müssen ca. 100 Kandidaten ge-
screent, mit ca. 30 bis 40 eine erste Due Diligence durchgeführt und mit ca. 20 Ver-
handlungen aufgenommen werden. Dafür ist ein M & A-Team mit bis zu 15 dedizierten
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316  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Vollzeitstellen (Full Time Equivalent, kurz: FTE) notwendig. Die Softwareabteilung von
IBM bspw. hat 2007 gleichzeitig 18 Unternehmen übernommen und integriert, was
ein entsprechend systematisches Programm und die dafür notwendigen Ressourcen
erforderte; zusätzlich zu den spezialisierten M & A-Teams waren über 100 interne und
externe Vollzeitexperten in verschiedenen Funktionen und Geographien daran beteiligt.
Dabei ist selbst bei großen Teams mit dedizierten Ressourcen die Unterstützung von
erfahrenen Linien-Managern aus den operativen Geschäftseinheiten unverzichtbar. Bei
General Electric zum Beispiel müssen die betroffenen Geschäftsbereiche jede mögliche
Transaktion aus strategischen Gesichtspunkten überprüfen und darlegen, wie die Trans-
aktion in die strategische Stoßrichtung der Einheit passt. Im weiteren Prozess über die
Verhandlung bis hin zur Integration bleibt das Management eines Geschäftsbereichs
in den Prozess maßgeblich involviert.

M&A-Team
Evaluierte Deal-Owner/
Transaktionen Integrationsmanager HR Finance

Prüfung der strategischen 100


Relevanz
•4 Monate, Senior •2 Monate, Senior •10 Monate, Senior
60 •6 Monate, Junior •3 Monate, Junior •15 Monate, Junior

Auftrag zur
Due Diligence
•6 Monate, Senior •8 Monate, Senior •10 Monate, Senior
40 •14 Monate, Junior •6 Monate, Junior •14 Monate, Junior
Nichtbindende
Absichtserklärung

20
Bindender •12 Monate, Senior •9 Monate, Senior •9 Monate, Senior
Vertrag •28 Monate, Junior •20 Monate, Junior •8 Monate, Junior

10

Closing

Abgeschlossene Insgesamt benötigte •22 Monate, Senior •19 Monate, Senior •29 Monate, Senior
Transaktionen FTEs pro Monat •48 Monate, Junior •29 Monate, Junior •37 Monate, Junior

6,0 FTEs 4,0 FTEs 5,5 FTEs

Abb. 2: Ressourcenbedarf zur Abwicklung von zehn Transaktionen pro Jahr (Quelle: McKinsey & Company)

Der Einbezug von erfahrenen Linien-Managern ist vor allem auch für Unternehmen
wichtig, die nur gelegentlich Transaktionen tätigen. Ein kleines Kernteam muss auf
erfahrene Manager und die volle Unterstützung des CEOs zurückgreifen können. Diese
kennen den Prozess und können aufgrund ihrer guten Vernetzung das M & A-Team mit
weiteren Stabsfunktionen (Rechtsdienst, IT, HR) und vor allem mit der Business-Seite
(Vertrieb, Produktion) verbinden. Zudem wissen sie, welche internen und externen Spe-
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VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung des Unternehmenswerts  |  317
Teil

zialisten bei Bedarf hinzugezogen werden müssen. Ein solches schlankes Setup kann
kleinen Teams zusätzliche Agilität und Flexibilität verleihen.

Proaktive Überwachung der M & A-Pipeline und kriterienbasierte Identifikation von möglichen


M & A-Kandidaten
Der dritte Erfolgsfaktor umfasst die proaktive Überwachung der M & A-Pipeline und
Identifikation von möglichen M & A-Kandidaten aufgrund klar definierter Kriterien, um
gezielt das Portfolio durch passende Akquisitionen zu ergänzen. Die besten Opportuni-
täten – nicht nur während einer Rezession – sind oft die guten Unternehmensteile aus
dem Portfolio einer sanierungsbedürftigen Gesellschaft. In einem solchen Wirtschafts-
umfeld ist es für die erfolgreiche Umsetzung einer M & A-Strategie zentral, inwiefern
die richtigen Zielobjekte gefunden und angegangen werden können. Die kontinuier-
liche Beziehungspflege zu möglichen Akquisitionsobjekten ist wichtig, um frühzeitig
Vertrauen aufzubauen, aber auch das Unternehmen und dessen Management genauer
kennenlernen zu können.
Um attraktive Vermögenswerte und Übernahmekandidaten zu identifizieren, müssen
M & A-Teams mit konventionellem Denken aufräumen – die Annahme, dass gewisse
Firmen oder deren Teile kurz- bis mittelfristig grundsätzlich nicht zum Verkauf stehen,
sollte heute in jeder Industrie hinterfragt werden. Business Development-Abteilungen
und M & A-Teams sollten sich die Frage stellen, welche Konkurrenten in finanzielle
Schwierigkeiten geraten könnten, welche Teil von welchen Unternehmen grundsätzlich
zum eigenen Portfolio passen und wie kreative Transaktionspakete geschnürt werden
können, die auf Interesse der Gegenseite stoßen.

Standardisierte Prozesse für eine effiziente Due Diligence und Unternehmensbewertung sowie
schnelle Exekution einer Transaktion
Der vierte Erfolgsfaktor beinhaltet standardisierte Prozesse mit klaren Meilensteinen
und Werkzeugen für eine effiziente Due Diligence und Unternehmensbewertung sowie
eine schnelle Exekution einer Transaktion mit kurzer Anlauf- und Durchführungszeit.
Unternehmen, die mehrere Transaktionen durchführen, brauchen einen klar definier-
ten »Stage Gate«-Prozess, um die richtigen Entscheidungen zur rechten Zeit treffen zu
können und alle notwendigen Schritte in der vorgegebenen Zeit durchzuführen (zumal
der Zeitplan oft vom Verkäufer vorgegeben wird). Jeder Fehltritt im Transaktionsprozess
birgt das Risiko, dass sich der Übernahmekandidat von der Transaktion zurückzieht
oder ein exklusiver Prozess zu einem kompetitiven Bieterwettbewerb wird. Ein effekti-
ver »Stage Gate«-Prozess besteht typischerweise aus drei Hauptphasen, an deren Ende
jeweils wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen (vgl. Abb. 3):
1. Bei der ersten Phase, dem Screening, geht es um die Beurteilung des »strategischen
Fit« einer Transaktion. Für die identifizierten Übernahmeobjekte wird vom Business
Development- oder M & A-Team »outside-in« geprüft, inwiefern sie einen Beitrag zur
Unternehmensstrategie des Käufers leisten, wie hoch ihr intrinsischer Wert ist und
wie attraktiv aufgrund weiterer qualitativer Kriterien die Kandidaten gegeneinander
abschneiden. Bereits jetzt müssen kritische Punkte wie Fragen für die Due Diligence
sowie mögliche Integrationsprobleme angesprochen werden.
2. In der zweiten Phase, der Due Diligence, geht es darum, mögliche Risiken zu iden-
tifizieren sowie ein Preisband festzulegen. Die Resultate einer vorläufigen Due Dili-
gence (inkl. limitiertem Datenaustausch und ersten Managementgesprächen) spielen
eine wichtige Rolle, um ein besseres Verständnis zu bekommen, wie das Objekt in
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318  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

das Geschäftsmodell integriert werden kann und welche Synergieeffekte realisierbar


sind. Ergebnis dieser Phase sind eine nicht-bindende Absichtserklärung sowie ein
klarer Zeitplan für die abschließenden Verhandlungen bis zum Closing.
3. Schließlich wird in der dritten Phase (Abschluss und Closing) der definitive Vertrag
ausgehandelt. In einem gut aufgesetzten und geführten Prozess müssen jetzt nicht
mehr strategische Fragen beantwortet und Grundsatzdebatten über Bewertung, In-
tegration oder Umsetzungsrisiken geführt werden (und es tauchen keine neuen auf),
sondern es sind allenfalls noch offene Punkte zu klären (z. B. Finanzierung, Garan-
tien, kartellrechtliche Aspekte, Transaktionsmodalitäten etc.).

Zentrale Elemente eines »Stage Gate«-Prozesses

Unternehmens- Übersetzung der Unternehmensstrategie in Kriterienkatalog für M & A


strategie »Gap«-Analyse zur Beurteilung fehlender Fähigkeiten

Identifikation von möglichen Übernahmekandidaten


Screening Bestimmung des intrinsischen Unternehmenswertes
Beurteilung des strategischen Fit und zu klärender Punkte
Bewertung von Synergieeffekten
Identifikation von Risiken
Due Diligence
Festsetzen eines Preisbandes
Abgabe einer nichtbindenden Absichtserklärung
Verhandlung des finalen Kaufpreises
Abschluss
Klärung der Finanzierung und Transaktionsmodalitäten
und Closing
Abschluss eines bindenden Kaufvertrages

Post Merger Integration des Übernahmeobjektes Abb. 3: »Stage Gate«-


Management Prozess mit klar
definierten Phasen und
Meilensteinen (Quelle:
McKinsey & Company)

Der Ablauf jeder Phase sollte auf die spezifische Transaktion zugeschnitten werden.
Kleinere R & D-Deals müssen nicht unbedingt einen umfassenden Prozess mit Einbezug
des Verwaltungs- oder Aufsichtsrates durchlaufen, sondern können unter Umständen
direkt durch das Management eines Geschäftsbereichs entschieden werden. Für größere
Übernahmen mit entsprechenden rechtlichen Implikationen hingegen ist eine umfas-
sende Prüfung notwendig.

Ausgeprägtes Bewusstsein für transaktionsspezifische Erfolgsfaktoren und maßgeschneiderter


Ansatz mit hoher Flexibilität
Der fünfte Erfolgsfaktor zielt auf ein ausgeprägtes Bewusstsein für transaktionsspezi-
fische Erfolgsfaktoren (z. B. Schlüsselvermögenswerte und operative Fähigkeiten des
Übernahmekandidaten, Unternehmens- und Landeskulturen etc.). und einen maßge-
schneiderten Ansatz mit hoher Flexibilität, diese bei der Integration zu berücksichtigen
(vgl. Abb. 4). Eine gute Integrationsplanung beginnt bereits frühzeitig und weit vor
dem formalen Abschluss einer Transaktion. Trotzdem fehlt in der Praxis oftmals eine
explizite Verknüpfung zwischen dem Transaktionsprozess und der Integrationsplanung,
was die positiven strategischen und operativen Vorteile einer Akquisition zu Nichte
machen kann. Unternehmen sollten einen klaren Transaktionsverantwortlichen (sog.
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VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung des Unternehmenswerts  |  319
Teil

»Deal Owner«) sowie einen Integrationsmanager mit klarer Prozessverantwortung von


Beginn der Due Diligence bis hin zur Integration benennen.
Dabei passen erfolgreiche Unternehmen ihren Integrationsansatz der Größe und Art
der Transaktion an. IBM bspw. hat von 2002 bis 2008 über 50 Akquisitionen getätigt,
vom Zukauf von Technologien zur Weiterentwicklung bestehender Fähigkeiten bis hin
zur Erschließung neuer Segmente und geographischer Märkte. IBM’s Fähigkeit, den
Transaktions- und Integrationsansatz an die Übernahmeobjekte anzupassen, war zent-
ral für die erfolgreiche Weiterentwicklung und Performance dieser Einheiten.5

Transaktionstypen und Integrationsansatz

Groß Rational: Produkt-/Markt-


Rational: Reduktion Rational: Transformation
konsolidierung
von Kosten Geschäftsmodell
Synergien in Verkaufskanälen
Elimination von Doppelspurig- Entwicklung einer Value Proposition
Skaleneffekte im Back Office
keiten im Produkteportfolio auf Basis neuer Kompetenzen
Erweiterung der Markpräsenz und
Reduktion Kapazität und Overhead Angriff auf neue Märkte
stärkere Kundenpenetration
Integrationsansatz: Integrationsansatz: Integrationsansatz:
Präzision über Geschwindigkeit Zentrales Integrationsteam mit Starke Rolle von Corporate zur
Relative Starke Rolle von Corporate und Schritt-für-Schritt Integration Minimierung der Komplexität
Größe erfahrenen Experten Rasche Integration zur Sicherung
des über- Mindset Change
nommenen Rational: Option auf Wachstum in
Unter- Rational: gezieltes Nutzen/Ergänzen Rational: Absicherung
neuen Bereichen
nehmens von Kernkompetenzen der Marktpräsenz
Hochriskanter Optionswert und
Gezielte Kombination und Expansion des Angebots bzw. der
Zugang zu neuem Spielfeld
Absicherung von Kernkompetenzen geographischen Reichweite
Transfer von Kompetenzen zu neuem
Geringe Kostensynergien Sicherung Kundenzugang
Business
Integrationsansatz: Integrationsansatz: Integrationsansatz:
Sorgfältige Integration durch Team Fokussierung auf Quick Wins Limitierte Integration bis kritische
mit Industrieerfahrung Sorgfältige Absicherung von Größe erreicht ist
kritischen Prozessen Führung über klares Performance
Klein Management System
Stand-alone Cross-Selling von Aufbau neuer Entwicklung Aufbau eines neuen
Kostenreduktion existierenden Produkten Kundenbeziehungen neuer Produkte Geschäfts
Notwendigkeit zum Ausbau bestehender Fähigkeiten/Kompetenzen

Abb. 4: Anpassung von Transaktions- und Integrationsprozess an Transaktionsrationale (Quelle: Bower 2001)

Kontinuierliches, systematisches Lernen und Institutionalisieren von Fähigkeiten


Der sechste Erfolgsfaktor zielt auf ein kontinuierliches, systematisches Lernen und In-
stitutionalisieren von Fähigkeiten, um schnell und gezielt M & A-Opportunitäten wahr-
nehmen zu können, ab. Die Fähigkeit, Erfahrungen aus vergangenen Transaktionen
zu sammeln, darüber in einem formellen Prozess zu reflektieren und Schlüsse für zu-
künftige Transaktionen zu ziehen, ist der zentrale Erfolgsfaktor für eine Serienakquisi-
tionsstrategie. Tatsächlich weisen Unternehmen, die über einen solchen institutionellen
Lernprozess verfügen, höhere Erträge für die Shareholder aus.6 Trotzdem haben nur
sehr wenige Unternehmen solche Lernmechanismen geschaffen und institutionalisiert.
Über Workshops nach Abschluss einzelner Transaktionsphasen kann ein Team Wissen
institutionalisieren, indem die gemachten Erfahrungen und Beobachtungen dokumen-

5 Die 39 zwischen 2002 und 2005 übernommenen Unternehmen mit einem Wert unter 500 Mio. US-$
haben ihren direkten Umsatz innerhalb von zwei Jahren verdoppelt.
6 Fubini et al. 2006.
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320  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

tiert werden. Ein Chemieunternehmen in Europa hielt bspw. Workshops 12 bzw. 24


Monate nach Closing einer Transaktion, um die wichtigsten Erkenntnisse – sowohl die
Qualität des Prozesses als auch den Grad der Zielerreichung – zu diskutieren und zu
dokumentieren.
Ein nützliches Instrument, um M & A-Erfahrungen und -Kompetenzen zu kodieren,
ist ein »M & A-Handbuch« (vgl. Abb. 5), in dem die Prozesse, Grundsätze und Werkzeuge
wie z. B. Vorlagen, Checklisten dokumentiert sind, die dem Management als Führungs-
und Managementinstrument zur erfolgreichen Abwicklung einer Transaktion dienen
sollen. Es handelt sich nicht um eine allumfassende Anleitung, die jede erdenkliche
Fragestellung in einem Transaktionsprozess abhandelt und präzise vorschreibt, wie
zukünftige Transaktionen zu handhaben sind, sondern um ein lebendiges Dokument,
das laufend aktualisiert und kontinuierlich auf Basis von aktuellen Erfahrungen aus
Transaktionen verbessert wird.

Elemente eines »M&A-Handbuchs«


Strategische Roadmap Gap Analyse Ziele/Hurdle Rates

Strategie

Organisation Deal-Team Team Charter Gatekeepers

Organisation BU 1 Kontinuierliche
Verbesserung der
IT R&D …
Fähigkeiten für M& A

Prozessbeschreibung DD-Checklisten »Post-mortem«-Analyse Institutionalisierte


»post-mortem«-
Prozesse Analysen von
Transaktionen
Kontinuierliches
Entscheidungsprozesse Deliverables No-go-Kriterien Management und
Aufdatierung des
Führung »M & A-Handbuchs«
sowie entsprechender
Werkzeuge

Datenbanken Bewertungsmodelle Synergieeffekte

Instrumente

Abb. 5: M & A-Handbuch zur Institutionalisierung von M & A-Fähigkeiten (Quelle: McKinsey & Company)

4 Fazit
Der Markt für Unternehmensakquisitionen und -zusammenschlüsse unterliegt typi-
scherweise Zyklen, die mit der Wirtschaftslage einhergehen; auf einen starken wirt-
schaftlichen Abschwung folgt normalerweise mit einer Verzögerung von ein paar
Jahren ein Anstieg der M & A-Aktivitäten, was zu einschneidenden Veränderungen in
vielen Industrien führen kann. Unternehmen in M & A-affinen Industrien (insbesondere
Pharma, IT, High-Tech, Konsumgüter) mit einer starken operativen Basis sowie einer
gesunden Kapitalstruktur sind in einer ausgezeichneten Position, um gezielt Akquisi-
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Teil

tionen zu tätigen und von der etwas geringeren Käuferkonkurrenz zu profitieren. Die
Fähigkeit, mehrere Transaktionen parallel bzw. sequenziell durchzuführen, ist für diese
Unternehmen neben organischem Wachstum zentral, um ihre Unternehmensstrategie
gezielt umzusetzen.
Für eine erfolgreiche Serienakquisitionsstrategie müssen sechs Elemente berücksich-
tigt werden: (1) eine klar definierte Unternehmensstrategie mit qualitativen und quanti-
tativen Zielen und Wertetreibern, (2) der gezielte Aufbau eines M & A-Teams mit entspre-
chenden Ressourcen und Fähigkeiten, (3) eine proaktive Identifikation und Selektion
von möglichen Transaktionsobjekten, (4) ein klarer, effizienter »Stage Gate«-Prozess, (5)
ein hohes Bewusstsein für transaktionsspezifische Faktoren und (6) vor allem die kon-
tinuierliche Weiterentwicklung und Institutionalisierung von gesammelten Erfahrungen
und entwickelten M & A-Fähigkeiten. Unternehmen – unabhängig der Größe – sollten
vermehrt darauf hinarbeiten, das erlernte Transaktionswissen zu sammeln und für
zukünftige Fusionen und Akquisitionen zu nutzen.
Die in diesem Beitrag beschriebenen Fähigkeiten können aufgebaut werden, indem
M & A bewusst als Teil der Unternehmensstrategie verstanden wird und die entsprechen-
de Verantwortung in der Geschäftsleitung geschaffen wird. Zugleich muss ein Manage-
mentprozess für die M & A-Funktion geschaffen und gezielt einige M & A-Spezialisten
rekrutiert werden, die über ausgewiesene Kompetenzen und Erfahrungen verfügen und
die Fähigkeit besitzen, Manager aus der Linie in den Transaktionsprozess zu integrie-
ren.

Literatur
Beitel, P./Mußhoff, J./Pretzl, N./Rehm, W./Rudolf, M./Uhlaner, R./Wassermann, R./West, A. (2010):
Exzellenz in M & A. McKinsey, Januar 2010.
Bower, J. (2001): Not all M & As Are Alike – and That Matters. In: Harvard Business Review, 79. Jg.,
Nr. 3, 2001, S. 92–101.
Dobbs, R. (2006): Creating Value from Mergers. In: McKinsey Quarterly, Nr. 4, 2006, S. 4–5.
Fubini, D./Price, C./Zollo, M. (2006): Mergers: Leadership, Performance, and Corporate Health. New
York, 2006.
Uhlaner, R. T./West, A. S. (2008): Running a Winning M & A Shop. In: McKinsey Quarterly, Nr. 2, 2008,
S. 106–113.
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322  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Bayer-Schering-Übernahme: Nachhaltige
Wertschöpfung mittels einer erprobten
Vorgehensweise bei der Integration
Bernd Marschmann/Alexander Moscho*

Die Übernahme von Schering war für Bayer ein wichtiger Meilenstein in der langjähri-
gen Firmengeschichte. Rückblickend gelang es Bayer mit der Übernahme der Schering
AG, erneut in die Riege der weltweit führenden Spezialpharmaunternehmen aufzu-
rücken. Darüber hinaus war die Transaktion bemerkenswert, weil sich entgegen be-
kannter Statistiken an eine spektakuläre Übernahme auch eine erfolgreiche Integration
anschloss. Die Vorgehensweise bei der Integration hatte Bayer bereits vor der Sche-
ring-Übernahme erprobt, und sie wurde auch bei den nachfolgenden Transaktionen
eingesetzt. Daher blicken wir nachstehend auf die Schering-Transaktion zurück und
beschreiben die wesentlichen Erfolgsfaktoren bei der Integration.

Ausgangssituation der spektakulären Übernahme von Schering durch Bayer


Im Frühjahr 2010 waren vier Jahre vergangen seit Bayer am 23.03.2006 als »weißer
Ritter« auftrat und innerhalb von zwei Wochen den Bieterkampf um den Berliner Phar-
makonzern Schering mit dem Darmstädter Merck-Konzern für sich entschied. Der Le-
verkusener Mischkonzern beeindruckte damals Industrie und Finanzwelt sowohl durch
Geschwindigkeit als auch Erfolg dieser Transaktion.
Vier Jahre später war der geeignete Zeitpunkt gekommen, um ein Resümee zu ziehen
und den Erfolg einer der spektakulärsten Pharmatransaktionen in der ersten Dekade
des neuen Jahrtausends zu reflektieren. Schließlich hatte sich Bayer aufgrund des lang-
fristig angelegten Engagements von Beginn an vorgenommen, das Schering-Geschäft
vollständig in die operative Ebene zu integrieren und somit die vorhandenen Syner-
giepotenziale maximal auszuschöpfen. Daneben waren spürbare Effekte in Bereichen,
die eine Art »kritische Masse« voraussetzen, zu erwarten. Hierzu zählen z. B. die in-
ternationale Positionierung des integrierten Pharmageschäftes, seine Forschungs- und
Entwicklungslandschaft sowie die öffentliche Wahrnehmung.
Viele Stimmen aus Presse und dem Unternehmen zeigen, dass interne wie externe
Stakeholder vom Erfolg des Deals überzeugt sind. Doch woran lässt sich dieser Erfolg
festmachen und welches waren die Erfolgsfaktoren?

Wertbeiträge entlang des Geschäftsmodells – Bewertung der Potenzialfelder des Mergers


Die Übernahme von Schering durch Bayer hatte nicht nur für den Teilkonzern Bayer
HealthCare weitreichende Konsequenzen. Durch die Verdopplung des Anteils des Phar-

* Bernd Marschmann, Leiter des Integrationsbüros von 2006 bis 2008 – aktuell Einkaufsleiter der
Bayer Technology Services GmbH, Leverkusen; Dr. Alexander Moscho, Leiter Geschäftsfeld Business
Consulting. Bayer Business Services GmbH von 2006 bis 2010 – aktuell CEO Bayer UK/Ireland sowie
Leiter der Pharmasparte UK.
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Standpunkt – Bayer-Schering-Übernahme: Nachhaltige Wertschöpfung bei der Integration  |  323


Teil

mageschäfts am Konzernumsatz von 2005 bis 2008 wurde der Schwerpunkt des Kon-
zerns weiter in Richtung der Gesundheitssparte verschoben. Diese Veränderung wurde
– in Kombination mit der 2004 erfolgten Akquisition des Consumer Care-Geschäftes
von Roche – von vielen Analysten als »transformierend« wahrgenommen und führte zu
einer signifikanten Anpassung der Bewertung des Bayer Konzerns. Von der resultieren-
den Anhebung des Multiples von ca. 15 (Januar bis März 2006) auf ca. 25 (November
bis Dezember 2006) profitierte das Gesamtunternehmen und mit ihm seine Aktionäre.
Über diese finanzmarktrelevante, »positive Begleiterscheinung« hinaus wurden je-
doch auch die in Höhe von 700 Mio. EUR angekündigten Synergien schneller und um-
fangreicher realisiert, als bei der Übernahme angekündigt: bis Anfang 2010 konnte
Bayer Pharma mehr als 800 Mio. EUR erreichen, davon etwa 80 % bereits in 2008. Be-
standteil der Synergien war die konsequente Streichung redundanter Positionen, insbe-
sondere in der Verwaltung und den Unterstützungsfunktionen. Weitere Potenzialfelder
lagen – kurzfristig – im Einkauf sowie in der eher langfristig wirkenden Anpassung der
Infrastrukturen in den Ländern und der Verschlankung des Produktionsnetzwerkes.
Im über die Nachhaltigkeit entscheidenden R & D-Bereich profitiert Bayer Pharma
ebenfalls spürbar von der neuen Größe: Mit einem gebündelten Budget von jährlich 1,5
Mrd. EUR stehen den Forschern heute ausreichende Mittel zur Verfügung, um mit der
weltweiten Konkurrenz mithalten zu können.
Parallel konnten auch auf der Erlösseite Synergien in Form von Umsatzsteigerungen
realisiert werden. Durch die konsequente Zusammenführung der Vertriebsorganisatio-
nen in den Ländern wurden rund um den Globus, insbesondere in den sog. BRIC-Län-
dern, die kritische Masse übersprungen und damit Skaleneffekte realisiert. Als promi-
nentestes Beispiel kann China angeführt werden: Alleine 2007 stieg der Umsatz von
Bayer Pharma in dieser Region um 43 %, und das Unternehmen gilt als Marktführer im
Gesundheitsmarkt. Gleichzeitig sind die aus der Integration gestärkt hervorgegangenen
Vertriebsorganisationen schneller in der Lage, die Produktinnovationen in Form von
Produktneueinführungen in die Märkte zu tragen.
Zusammengenommen schlagen sich diese Integrationseffekte sichtbar sowohl in ei-
ner signifikant gestiegenen EBITDA-Marge von ca. 28 % von Bayer Pharma nieder als
auch im Beitrag dieses Teilbereichs zur Entschuldung des Gesamtkonzerns. Letztere
konnte, insbesondere durch die starke Performance der Gesundheitssparte, von 17,5
Mrd. EUR Ende 2006 auf ca. 10 Mrd. EUR im Frühjahr 2010 reduziert werden.
Letztendlich sind für eine erfolgreiche Integration jedoch nicht nur quantitativ mess-
bare Synergien entscheidend, sondern auch qualitative, insbesondere kulturelle. Dem
integrierten Unternehmen Bayer Pharma wird heute eine deutlich schnellere und in-
ternationalere Kultur nachgesagt, als vor dem Merger. Dies basiert auf der nahezu
ausgeglichen Auswahl von Führungskräften mit 53 % von Schering und 47 % von Bay-
er als auch auf dem Aufbau einer eigenen Identität von Bayer Pharma innerhalb des
Bayer-Konzerns.

Schlüssel für die erfolgreiche Integration


Bei der spektakulären Übernahme von Schering hat Bayer unter Beweis gestellt, Integ-
rationen nicht nur erfolgreich initiieren sondern auch nachhaltig wertstiftend managen
zu können. Als Schlüssel des Erfolges wird bei diesem Merger – neben der mittlerweile
umfassenden Inhouse-Erfahrung mit M & A- bzw. Post Merger Integration-Projekten –
die richtige Balance zwischen Geschwindigkeit und Implementierung von »Best-in-Clas-
s«-Ansätzen gesehen. Im Hause Bayer wird diese Balance durch einen in vielfältigen
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324  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Transaktionen erprobten, pragmatischen Prozess gewährleistet. Dessen wesentliche Er-


folgsfaktoren können wie folgt zusammengefasst werden:
• Definition umfangreicher »Non Negotiables« zu Beginn der Integration.
• Nutzung einer klaren Integrationsmethodik.
• Schnelle Entscheidungsfindung bei Infrastruktur und HR-Themen.
• Best-in-Class-Bewertungen des R & D-Portfolios sowie der Geschäftsprozesse.
• Sicherstellung eines effizienten Planungs- und Überwachungsprozesses.
• Aufsetzen eines langfristig angelegten Projektes zur Angleichung der Unternehmens-
kulturen.
• Überprüfung sowie mögliche Adaption der Prozesse und Strukturen nach etwa zwei
Jahren.

Literatur
Courth, L./Marschmann, B./Kaemper, M./Moscho, A. (2008): Spannungsfeld zwischen Geschwindig-
keit und Best-in-Class-Ansätzen – PMI am Beispiel der Bayer-Schering-Übernahme. In: M & A REVIEW,
19. Jg., Nr. 1, 2008, S. 8–14.
Wenning, W. (2008): Sind bei Schering-Integration voll im Plan. Reuters, 22.02.2008.
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  |  325
Teil

VIII. Werttreiberbasierte Finanzplanung


im Rahmen der Unternehmenstransaktion*
Lars-Michael Böhle**

1 Einleitung
2 Werttreiberbasierte Finanzplanung
2.1 Identifizierung von Werttreibern
2.2 Leistungswirtschaftliche Werttreiber
2.3 Finanzwirtschaftliche Werttreiber
3 Cash Conversion Cycle als wertorientierte Zielkennzahl
4 Business Intelligence im Kontext der Unternehmensplanung
4.1 Technische Dimension
4.2 Organisatorische Dimension
4.3 Inhaltliche Dimension
5 Fazit

1 Einleitung
Der außergewöhnliche Koordinationsbedarf im Rahmen einer Post Merger Integrati-
on macht ein effizientes und zielorientiertes Controlling zur Führungsunterstützung
erforderlich. Dabei steht die Ableitung eines unternehmerischen Oberziels in einem
untrennbaren Zusammenhang mit den Interessen der Anspruchsgruppen der Unterneh-
mung. Bei der prospektiven Unternehmens- und Strategiebewertung ist die Discounted-
Cash­flow-Methode (DCF) am weitesten verbreitet. 80 % der CDAX-Unternehmen nutzen
diesen Ansatz für eine wertorientierte Unternehmensbewertung.1
Der vorliegende Artikel beschreibt, wie das Controlling-Instrument der Integrierten
Finanzplanung dabei unterstützen kann, den betriebswirtschaftlichen Integrationser-
folg sicherzustellen. Drei zentrale Thesen bilden den Analyserahmen:
1. Die Integration beginnt nicht erst zum Zeitpunkt des Closings. Die Basis für eine
erfolgreiche Transaktion wird bereits während der Financial Due Diligence durch
eine realitätsnahe Bewertung des Akquisitionsobjekts geschaffen.
2. Der Erfolg des Geschäftsmodells wird durch wenige Werttreiber bestimmt. Die Iden-
tifikation und Kommunikation operativer Stellhebel erhöht das Verständnis über

* Unverändert übernommen aus M & A Review 6/2014.


** Lars-Michael Böhle, Leiter Customer Development, CP Corporate Planning AG, Hamburg.
1 Vgl. Homburg/Lorenz/Sievers, Unternehmensbewertung in Deutschland: Verfahren, Finanzpla-
nung und Kapitalkostenermittlung, Controlling & Management, 2011, S.120. So auch Hofmann/Sas-
se/Hauser/Baltzer, Investitions-, Finanz- und Working Capital Management als Stellhebel zur Stei-
gerung der Kapitaleffizienz: Stand und neuere Entwicklungen, Controlling & Management, 2007,
S. 156 oder Aders/Hebertinger/Schaffer/Wiedemann, Shareholder Value-Konzepte – Umsetzung bei
den DAX100-Unternehmen, Finanz-Betrieb, 2003, S. 721.
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326  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Wirkungszusammenhänge im Unternehmen und sensibilisiert die Entscheidungs-


träger hinsichtlich des Wertbeitrages bei (Nicht-) Realisierung von Planpotenzialen
in der Integrationsphase.
3. Die Integrierte Finanzplanung stellt ein phasenverbindendes Controlling-Instrument
zur Planung, Steuerung und Kontrolle der Transaktion dar. Durch die sachliche, or-
ganisatorische und zeitliche Verknüpfung von GuV, Bilanz und Cashflow bildet die
Integrierte Finanzplanung ein in sich schlüssiges Planungsmodell.

Die Integrierte Finanzplanung stellt eine »vollständige Verknüpfung der betrieblichen


Teilpläne im Hinblick auf die Erfolgs- und Liquiditätsziele des Unternehmens«2 dar.
Dabei gilt die Liquidität als zwingende Voraussetzung des Erfolgs. Denn die Einsatz-
faktoren für die Leistungserstellung müssen bezahlt werden. Jedoch kann der Erfolg
auch als »Vorsteuergröße der Liquidität«3 betrachtet werden. Denn die Grundlage für
den Liquiditätsfluss ist zunächst die Wertentstehung. Folglich dürfen die Erfolgs- und
Liquiditätssteuerung im Rahmen einer ganzheitlichen Unternehmensplanung nicht iso-
liert voneinander betrachtet werden.4

2 Werttreiberbasierte Finanzplanung
2.1 Identifizierung von Werttreibern
Nach Gebhardt/Mansch stellen Werttreiber »grundlegende Ansatzpunkte zur Verbes-
serung des Unternehmenswertes« dar.5 Im Fokus stehen Prozesse, die maßgeblichen
Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben.6 Dabei gilt die Entscheidungsrelevanz als
zentrale Anforderung bei der Identifikation bestimmter Werttreiber, woraus sich ein
strenger Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen dem Unternehmenswert und
den wertsteigernden Einzelmaßnahmen ergibt.7 Der Unternehmenswert kann als Er-
gebnis leistungs- und finanzwirtschaftlicher Strategien interpretiert und entsprechend
systematisiert werden. Leistungswirtschaftliche Werttreiber zielen dabei auf eine Opti-
mierung der laufenden Geschäftsprozesse des Übernahmeobjekts ab. Hingegen setzen
finanzwirtschaftliche Werttreiber bei der Finanzierungsstruktur an.8

2 Vgl. Lachnit/Müller, Unternehmenscontrolling, 2. Auflage, 2012, S. 218.


3 Ebenda, S. 217.
4 Vgl. Lachnit, Modell zur integrierten Erfolgs- und Finanzlenkung (ERFI), in: Lachnit, Laurenz,
Controllingsysteme für ein PC-gestütztes Erfolgs- und Finanzmanagement, 1992, S. 42 f.
5 Vgl. Gebhardt/Mansch, Wertorientierte Unternehmenssteuerung in Theorie und Praxis, 2005, S. 52.
6 Vgl. Wagner/Russ, Due Diligence, in: IDW (Hrsg.), WP Handbuch 2008, 2008, S. 1102.
7 Vgl. hierzu sowie nachfolgend Coenenberg/Fischer/Günther, Kostenrechnung und Kostenanalyse,
2012, 8. Aufl., Stuttgart, S. 776 ff.; Horzella, Wertsteigerung im M & A-Prozess, Wiesbaden, S. 71 f.;
Schulze/Hirsch, Unternehmenswertsteigerung durch wertorientiertes Controlling, München, S. 15 ff.
8 Vgl. Pape, Wertorientierte Unternehmensführung, in: Petersen/Zwirnel/Brösel (Hrsg.): Handbuch
Unternehmensbewertung, 1. Aufl., S. 652 f., Hahn/Burger/Kuhn, Wertorientierte Unternehmenspla-
nung, in: Funk, Wilfried/Rossmanith, Jonas, Internationale Rechnungslegung und Internationales
Controlling, 2011, S. 313 ff.
A B C D E F G
Werttreiber- Komponenten I Komponenten II Retrograde Ermittlung Zusammensetzung der Komponenten/ Korrelation Kennzahlen
Klassifizierung des FCF Einzelmaßnahmen
Leistungswirtschaftliche FCF Operativer Cashflow Betriebsergebnis Branchen- und strategiespezifische Positionen 0,85 Umsatz/EBIT/
Werttreiber Umsatzwachstum EBITDA adjusted.*
Gemeinkostenreduktion (-Rendite)
+ Abschreibungen Investitionsplanung 0,28
(vgl. Cashflow aus Investitionstätigkeit)
-/+ Working Capital -/+ Vorräte -0,27 CCC DIH
Standardisierung auf Produktebene (I)
Normierung auf Einzelteilebene (II)
Optimierung der Bestandsdisposition (III)
Lieferantenmanagement (IV)
Optimierung der Durchlaufzeiten (V)
Reduzierung der Sortimentstiefe/-breite (VI)
-/+ Forderungen L&L -0,20 DSO
Überprüfung der Bonität (I)
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Auswertung offener Forderungen (II)


Verkürzung der Zahlungsbedingungen (III)
Financial Covenants:

Einführung von Überziehungszinsen (IV)


Verkürztes Mahnwesen (V)
+/- Verbindlichkeiten L&L 0,08 DPO
Skontooptimierung
+/- Rückstellungen 0,20
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+/- Passive Rechnungsabgrenzung 0,06

Abb. 1: Werttreiberklassifizierung (Quelle: Eigene Darstellung9)


-/+ Aktive Rechnungsabgrenzung -0,04
Cashflow aus - Auszahlungen für Investitionen Leasing
Schuldendienstdeckungsgrad, Zinsdeckungsgrad, Nettoverschuldungsgrad

Anlagenintensität
Investitionstätigkeit + Einzahlungen aus Desinvestitionen Sale-and-Lease-Back
Finanzwirtschaftliche Kapitalkosten Finanzierungsstruktur
Verschuldungsgrad,
Werttreiber (WACC) Verschuldungspolitik (I)
Eigenkapitalquote
Alternative Finanzinstrumente (II)
Erklärungen:
Spalte E: Einzelmaßnahmen in Anlehnung an HOFMANN ET AL. (2007).
Spalte F: positiv/negativ = signifikant positive/negative Korrelation nach Pearson und Spearman zwischen dem Operativen Cashflow und den Komponenten in Spalte E nach HOMBURG/WREDE (2007), S. 888.
* Nach Sondereffekten aus der Transaktion (Restrukturierungskosten, insb. Beratungsaufwand)
VIII. Werttreiberbasierte Finanzplanung im Rahmen der Unternehmenstransaktion  | 

ment als Stellhebel zur Steigerung der Kapitaleffizienz: Stand und neuere Entwicklungen, in: Cont-
9 Vgl. Hofmann/Sasse/Hauser/Balzer (2007): Investitions-, Finanz- und Working Capital Manage-
327
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Teil
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328  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Basierend auf dem Free-Cashflow-Ansatz (FCF-Ansatz) und seiner Herleitung aus


dem indirekten Cashflow nach dem DRS 21 verdeutlicht die Abbildung 1 die Auswirkung
in der Praxis angewandter Maßnahmen auf die Höhe des Unternehmenswertes sowie
liquiditätsrelevante Zielkennzahlen.

2.2 Leistungswirtschaftliche Werttreiber


(1) Umsatzwachstum
Der Anlass von Firmenübernahmen resultiert häufig aus der Notwendigkeit, externes
Wachstum zu erzielen nachdem die Möglichkeit, organisch zu wachsen, als erschöpft
gilt. Auch Private-Equity-Gesellschaften beurteilen eine wachstumsinduzierte Wert­
steigerung inzwischen für wichtiger als Kostensenkungsprogramme oder eine bloße
Erhöhung des Verschuldungsgrades.10 Umsatzwachstum lässt sich generell durch eine
Intensivierung der Vertriebsaktivitäten in Wachstumsmärkten erzielen.11 Bei der Um-
satzplanung ist allerdings nicht nur von steigenden Umsätzen auszugehen. Aus strategi-
schen Unternehmenszusammenschlüssen resultieren häufig auch Dissynergien als Folge
einer Konzentration auf das bestehende Produktportfolio des strategischen Investors.

(2) Kostenstruktur
Im Rahmen der Budgetplanung wird in der Praxis häufig viel Zeit damit verbracht, die
voraussichtlichen Kosten abzuschätzen. Vor dem Hintergrund der Entscheidungsrele-
vanz und der Forderung nach Wesentlichkeit und Einfachheit ist die Ausrichtung der
Planung an der Kostenstruktur dagegen wichtiger als eine Scheingenauigkeit und ein
hoher Detailgrad. Die Kostenstruktur ergibt sich aus dem individuellen Geschäftsmodell
des Unternehmens.12 Dabei zeigt sich, dass bereits zehn bis zwölf Kostenarten 90 % der
Gesamtkosten determinieren.13 Im M & A-Kontext stellt die Analyse der Kostenstruk-
tur eine wesentliche Funktion dar, um die Werttreiber und Risiken des Geschäfts des
Targets zu identifizieren.14 Um die Fristigkeit realisierbarer Ergebnisverbesserungen
und Synergiepotenziale transparent zu machen, empfiehlt sich eine Differenzierung der
Kostenarten nach variablen Einzelkosten und fixen Gemeinkosten.

rolling, 3, S. 153–163 sowie Homburg/Wrede (2007): Persistente Bestimmungsgrößen des künftigen


operativen Cash Flows. Empirische Evidenz für deutsche KMU des verarbeitenden Gewerbes, in:
ZfB, 77. Jg., Nr. 9, S. 888.
10 Vgl. Bergauer, Wie Finanzinvestoren den Wert ihrer Beteiligungen steigern: Operative Hebel wirken
stärker als Finanzakrobatik, in: M&A Review, Nr. 7, 2007, S. 341.
11 Vgl. Gebhardt/Mansch, Wertorientierte Unternehmenssteuerung in Theorie und Praxis, Düsseldorf,
Frankfurt/Main, 2005, S. 53.
12 Vgl. Günther/Schomaker, 10 Thesen für mehr Effizienz in der Planung mittelständischer Unter-
nehmen, Controlling & Management, 2012, S. 26, Zell, Kosten- und Performance Management in
Fallstudien, 2008, S. 179.
13 Vgl. Kappes/Müller, Effiziente Planung und Budgetierung als Bestandteil eines leistungsstarken
Controllings, in: Gleich, Ronald, Controlling-Prozesse optimieren, 2013, S. 136 f. So auch die Emp-
fehlung der Schmalenbach-Gesellschaft e.V.; zu den Anforderungen an eine moderne Budgetierung
vgl. insb. Gleich, Whitepaper Moderne Budgetierung − einfach, flexibel, integriert, Internationaler
Controller Verein, Fachkreis Moderne Budgetierung, 2009.
14 Vgl. Bredy/Strack/Volker, Financial Due Diligence I: Vermögen, Ertrag und Cashflow, in: Berens,
Wolfgang/Brauner, Hans/Strauch, Joachim, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, 2011,
S.  393 f.
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VIII. Werttreiberbasierte Finanzplanung im Rahmen der Unternehmenstransaktion  |  329


Teil

(3) Working Capital


Durch die Reduzierung des Nettoumlaufvermögens (Net Working Capital) steht Liquidi-
tät aus der Innenfinanzierungskraft des Targets zur Verfügung. Dieses Potenzial kann
als Quelle für neue Investitionen und für den Ausbau von Vertriebsaktivitäten nutzbar
gemacht werden. Ein aktives Working Capital Management fokussiert Wertsteigerungs-
potenziale, die sich häufig schon kurzfristig durch interne Optimierungsmaßnahmen
realisieren lassen.15 Das Net Working Capital beschreibt dabei die Differenz aus Um-
laufvermögen und kurzfristigem Fremdkapital (s. Abb. 2).16

Bilanz

Anlagevermögen Eigenkapital

Umlaufvermögen Net Working


• Vorräte Capital Langfristiges Fremdkapital
• Forderungen und sonstige
Vermögensgegenstände Kurzfristiges Fremdkapital
• Wertpapiere • Kurzfristige
• Liquide Mittel Finanzverbindlichkeiten
• Verbindlichkeiten aus
Lieferungen und Leistungen
• Kurzfristige Rückstellungen
• Sonstige kurzfristige
Verbindlichkeiten

Abb. 2: Net Working Capital (Quelle: Eigene Darstellung nach Hofmann/Maucher/Piesker/Richter, 2011)

Besondere Bedeutung wird in der Praxis einer nachhaltigen Reduzierung der Forde-
rungen aus Lieferungen und Leistungen sowie Vorräten beigemessen. Außenstehende
Forderungen stellen für das Unternehmen »eingefrorene Liquidität«17 dar, die temporär
nicht zum Wirtschaften zur Verfügung steht und zwischenfinanziert werden muss. Wei-
teres Optimierungspotenzial liegt in einer Reduzierung der Vorräte. Variantenvielfalt und
Produktkomplexität sind häufig die Ursache für hohe Lagerbestände und das Ergebnis
gewachsener Kundenanforderungen. Hervorzuheben ist, dass die Optimierung des Wor-
king Capital sowohl für Finanzinvestoren als auch für strategische Investoren gleicher-
maßen Ansatzpunkte zur Optimierung des operativen Cashflows des Targets darstellen.

15 Vgl. Eitelwein/Wohlthat, Steuerung des Working Capital im Supply Chain Management über die
Cash-to-Cash Cycle Time, Controlling & Management, 2005, S. 416.
16 Vgl. Hofmann/Maucher/Piesker/Richter, Wege aus der Working Capital-Falle, 2011, S. 17.
17 Vgl. Hofmann/Sasse/Hauser/Baltzer, Investitions-, Finanz- und Working Capital Management als
Stellhebel zur Steigerung der Kapitaleffizienz: Stand und neuere Entwicklungen, in: Controlling &
Management, 2007, S.160.
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330  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2.3 Finanzwirtschaftliche Werttreiber


Die Renditeforderung der Unternehmenseigentümer ermittelt sich im FCF-Ansatz über
den gewichteten und risikoadjustierten Kapitalkostensatz WACC. Die Identifikation und
Analyse finanzwirtschaftlicher Werttreiber verfolgt dabei das Ziel der Unternehmens-
wertsteigerung durch eine nachhaltige Reduzierung der Kapitalkosten. Grundlegende
Ansatzpunkte bilden dabei die Verschuldungspolitik und der Einsatz alternativer Fi-
nanzinstrumente.18
Im Rahmen der Verschuldungspolitik ist die Kapitalstruktur stets unter Abwägung
der aus Verschuldung resultierenden Vor- und Nachteile zu optimieren. Mit der zu-
rückliegenden Finanzmarktkrise hat sich auch für Finanzinvestoren das Risikokapital
verteuert. Damit hat sich die Attraktivität einer »künstlichen« Verschuldung zugunsten
einer strategischen Entwicklung des Targets verschoben. Im Rahmen alternativer Fi-
nanzierungsformen bietet das Leasing gegenüber der Finanzierung von Investitions-
vorhaben durch klassische Bankdarlehen weitere Vorteile zur Optimierung der Kapi-
talstruktur.

3 Cash Conversion Cycle als wertorientierte


Zielkennzahl
Neben den typischen ertrags- und rentabilitätsorientierten Indikatoren wie etwa dem
EBIT(DA) beziehungsweise der EBIT(DA)-Marge konzentrieren sich die nachfolgenden
Ausführungen auf die liquiditätsorientierte Performancemessung. Denn die Ausführun-
gen zur Identifikation und Planung leistungswirtschaftlicher Werttreiber eines Über-
nahmeobjektes haben gezeigt, dass die Working-Capital-Optimierung eine besondere
Rolle im Rahmen der Unternehmenswertsteigerung einnimmt. So lässt sich durch die
Reduktion des Nettoumlaufvermögens Liquidität freisetzen und der Free Cashflow, res-
pektive der Unternehmenswert, erhöhen. Die beschriebenen Maßnahmen ermöglichen
die Finanzierung von Wachstumsinvestitionen aus dem operativen Cashflow. Zielset-
zung ist damit eine dauerhafte Reduzierung der Kapitalbindung, gemessen in Tagen.
Dieser sogenannte Cash Conversion Cycle (CCC) beschreibt in Industrieunterneh-
men, wie lange es dauert bis ein Euro, der für Rohmaterialien ausgegeben wurde, zur
Einzahlung vom Kunden führt. In Dienstleistungsunternehmen repräsentiert der CCC
den Zeitraum von der Bezahlung der für die Leistung eingesetzte Ressource durch
das Unternehmen bis zum Zeitpunkt des Eintreffens der Zahlung für die in Anspruch
genommene Leistung durch den Kunden.19 Der CCC errechnet sich über die durch-
schnittliche Vorratsdauer DIH (Days Inventory Held) zuzüglich der durchschnittlichen
Forderungsdauer DSO (Days Sales Outstanding) abzüglich der durchschnittlichen Ver-

18 Vgl. Pape, Wertorientierte Unternehmensführung, in: Petersen/Zwirner/Brösel (Hrsg.), Handbuch


Unternehmensbewertung, 1. Aufl., S. 653.
19 Vgl. Losbichler/Rothböck, Der Cash-to-cash Cycle als Werttreiber im SCM – Ergebnisse einer euro-
päischen Studie, Controlling & Management, 2008, S. 48.
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VIII. Werttreiberbasierte Finanzplanung im Rahmen der Unternehmenstransaktion  |  331


Teil

bindlichkeitendauer DPO (Days Payables Outstanding), jeweils gemessen in Tagen (vgl.


Abb. 3).20

Material- Produktions- Produktions-


einkauf beginn ende Verkauf

DIH = DSO =
(Vorräte/Umsatzkosten) x 365 (Forderungen aus L&L/Umsatz) x
365

DPO =
CCC = DIO + DSO ./. DPO
(Verbindlichkeiten aus L&L/
(Dauer der Kapitalbindung)
Umsatzkosten) x 365

Zahlungs- Zahlungs-
ausgang eingang

Abb. 3: Prototypische Berechnungslogik des CCC für ein Industrieunternehmen (Quelle: Eigene Darstellung
in Anlehnung an Alexandre/Sasse/Weber, 200421)

Bei organisatorischer Integration der Finanzplanung bietet das CCC-Konzept sowohl


auf Unternehmensebene als auch auf der Ebene der Primärfunktionen Beschaffung,
Produktion und Logistik eine ganzheitliche Betrachtung und Ansatzpunkte zur Op-
timierung der Schnittstellen zu Kunden (DSO), Lieferanten (DPO) sowie entlang der
gesamten innerbetrieblichen Wertschöpfungskette (DIH).22 Entgegen einer rein stati-
schen Betrachtung von Bilanzbeständen bietet diese dynamische Methode einen guten
Einblick in die Liquiditätslage des Unternehmens.23 Nach der jährlich durchgeführten
Studie der Rel Consultancy Group betrug der CCC deutscher Firmen im Jahre 2011
durchschnittlich 65 Tage.24

20 Vgl. Alexandre/Sasse/Weber, Steigerung der Kapitaleffizienz durch Investitions- und Working Ca-
pital Management, Controlling & Management, 2004, S. 126.
21 Vgl. Supply Chain Council, Supply Chain Operations Reference Model: SCOR 7.0, 2005, S. 314.
22 Vgl. Losbichler/Rothböck, Der Cash-to-cash Cycle als Werttreiber im SCM – Ergebnisse einer euro-
päischen Studie, in: Controlling & Management, 52. Jg., Nr. 1, S. 49 sowie die in Abb. 1 beschriebe-
nen Maßnahmen.
23 Vgl. Eitelwein/Wohlthat, Steuerung des Working Capital im Supply Chain Management über die
Cash-to-Cash Cycle Time, in: Controlling & Management, 49. Jg., Nr. 6, S. 417.
24 Vgl. www.relconsultancy.com/working-capital/REL2012-Europe-Working-Capital-Survey.pdf (Ab-
ruf vom 14.05.2013), S. 5 f.
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332  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

4 Business Intelligence im Kontext der


Unternehmensplanung
4.1 Technische Dimension
Der Begriff »Business Intelligence« (BI) hat sich als Synonym für eine innovative,
IT-basierte Lösung zur Analyse, Planung und Steuerung unternehmensrelevanter In-
formationen seit Mitte der 1990er Jahre fest etabliert.25 Durch die Systemarchitektur
relationaler Datenbanken vermeiden BI-Systeme gegenüber konventionellen Tabellen-
kalkulationsprogrammen (insbesondere Microsoft Excel) eine redundante Datenhaltung
und erhöhen zugleich die Datensicherheit und Performance im Handling mit großen
Datenmengen. Die Datenbereitstellung zur Weiterverarbeitung in der Software erfolgt
automatisiert über vorkonfigurierte Integrationen zu Vorsystemen (per SQL-Abfragen)
oder teilautomatisiert, etwa per Excel-, TXT- oder CSV-Import. Die Datenbank-Architek-
tur ermöglicht ausserdem das simultane Arbeiten der Anwender auf dem gleichen Da-
tenbestand (sogenanntes Multi-User-Umfeld). Über Berechtigungskonzepte wird dabei
der Zugriff eines jeden Anwenders genau gesteuert (vgl. Abb. 4).

Technische BI-Dimension
+ Vermeidung einer redundanten Datenhaltung
+ (Teil-)automatisierte Anbindung an Vorsysteme
+ Erhöhung der Datensicherheit
+ Performanceverbesserung im Umgang mit großen Datenmengen
+ Multi-User-Umfeld ermöglicht simultanes Arbeiten auf gleichem Datenbestand
+ Berechtigungskonzepte steuern Zugriff der Anwender
Organisatorische BI-Dimension
+ Einheitliches Kommunikationsmedium
+ Transparenz über die betrieblichen Wirkungszusammenhänge
+ Operationalisierung des unternehmersichen Oberziels
Inhaltliche BI-Dimension
+ Vordefinierte betriebswirtschaftliche Logiken durch Business Content Abb. 4: Zielkatalog
+ ABC-Analysen, Soll-/Ist-Abweichungsanalysen von BI-Anwendungen
+ Simulation, Sensitivitäten, Szenarien (Worst-, Best-, Base-Case) im Segment
+ Top-down-, Bottom-up- und Gegenstrom-Planung der Integrierten
+ Rollierender Forecast Finanzplanung (Quelle:
+ Standard- und Ad-hoc Reporting Eigene Darstellung)

4.2 Organisatorische Dimension


Damit bedingt die technische BI-Dimension unmittelbar auch die organisatorische Di-
mension. Denn die Verwendung eines einheitlichen Systems ermöglicht eine »gemeinsa-
me Sprache« und ein gemeinsames Verständnis darüber, welchen Wert jeder Mitarbeiter
zum unternehmerischen Oberziel beiträgt. BI als Kommunikationsmedium zwischen
den Abteilungen liefert damit Transparenz über die betrieblichen Wirkungszusammen-
hänge im Unternehmen.

25 Ebenda.
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VIII. Werttreiberbasierte Finanzplanung im Rahmen der Unternehmenstransaktion  |  333


Teil

4.3 Inhaltliche Dimension


Zum Funktionsumfang von BI-Anwendungen im Bereich der Integrierten Finanzpla-
nung gehören in der Regel auch vordefinierte betriebswirtschaftliche Logiken (sog.
Business Content). Diese inhaltliche BI-Dimension bietet dem Anwender neben einem
standardisierten GuV-, Bilanz- und Cashflow-Modell auch Unterstützung bei der in-
tegrierten Planung von Erlösen, Aufwendungen, Rückstellungen, Rechnungsabgren-
zungen, Vorräten, Investitionen, Krediten etc. an. Je nach Software-Anbieter liegt der
Schwerpunkt der Integration entweder in der Verzahnung der operativen vorgelagerten
Planung mit der Finanzplanung oder der Vernetzung von Finanzplanung und Finanz-
konsolidierung. Es gibt nur wenige Anbieter, die über eine vollständige Integration der
operativen Detailplanung, Finanzplanung und Legalkonsolidierung mit der Möglichkeit
einer integrierten Top-down-, Bottom-up- und Gegenstromplanung anbieten.
Im Transaktionskontext wird häufig auch auf sogenannte »Synergiefallen« hingewie-
sen,26 deren Ursachen in einer permanenten Überschätzung positiver Synergiepoten-
ziale und Vernachlässigung oder Unterschätzung von Dissynergien beziehungsweise
Integrationskosten liegen. Das Ausbleiben potenzieller Synergien und ihre Auswirkung
auf den Unternehmenswert sind kritisch zu hinterfragen.27 BI-Anwendungen im Pla-
nungsumfeld verfügen in der Regel über Simulationsfunktionen und die Möglichkeit,
Szenarien den Ist-Daten gegenüberzustellen. ABC-Analysen unterstützen den Anwender
bei der Identifikation leistungswirtschaftlicher Werttreiber. Mittels Abweichungsana-
lysen und einem Ad-hoc-Reporting kann ex-post der Integrationserfolg gegenüber den
Interessengruppen proaktiv und konsistent kommuniziert werden.
Bei der Auswahl von Planungssoftware sollten Interessenten vor allem auf die Be-
nutzerfreundlichkeit, Anpassbarkeit, Performance, Erweiterbarkeit, Datenqualität und
-volumen, relevante Schnittstellen zu Vorsystemen, geringe Investitionskosten und kur-
ze Implementierungszeiten achten.28 Das Business Intelligence Research Center (BARC)
veröffentlicht unabhängige Studien.

5 Fazit
Die Integrierte Finanzplanung eignet sich als phasenverbindendes und wertorientiertes
Controlling-Instrument, um den Erfolg einer Transaktion nachhaltig zu steigern. Drei
eingangs aufgestellte Thesen liefern hierbei den Argumentationsrahmen:
1: Integration beginnt nicht erst zum Zeitpunkt des Closings. Die Grundlage eines soliden
Businessplans liegt in der Planung selbst. Nach empirischen Untersuchungen planen 91 %
der Unternehmen die GuV, 60 % die Kapitalflussrechnung und nur 45 % auch ihre Bilanz.29

26 Vgl. Kemper/Baars/Mehanna, Business Intelligence – Grundlagen und praktische Anwendungen,


2010, S. V und S. 9, Gluchowski/Dittmar/Gabriel, Management Support Systeme und Business Intel-
ligence, 2. Auflage, 2008, S. 93.
27 Vgl. Lucks/Meckel, Internationale Mergers & Acquisitions, 2002, S. 186 f.
28 Vgl. Eberenz/Ralf/Heilmann, Finanzwirtschaftliche Aspekte der strategischen Planung bei Beiers-
dorf, in: Controlling & Management, 55. Jg., Nr. 5, S. 314.
29 Vgl. Homburg/Lorenz/Sievers, Unternehmensbewertung in Deutschland: Verfahren, Finanzpla-
nung und Kapitalkostenermittlung, in: Controlling & Management, 55. Jg., Nr. 2, S. 125.
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334  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Vor dem Hintergrund einer sich derivativ ermittelnden Cashflow-Rechnung klingt die-
se Auswertung nach einem Widerspruch in sich. Sie bringt allerdings das Problem
auf den Punkt: Die Komplexität einer integrierten Finanzplanung scheint nur Beratern
zugänglich. Dabei haben sich ausgewählte Softwarehäuser aus dem anwendungsorien-
tierten BI-Umfeld auf die Integrierte Finanzplanung spezialisiert. Sie liefern nicht nur
vormodellierte GuV-, Bilanz- und Cashflow-Strukturen, sondern auch vorgedachte be-
triebswirtschaftliche Planungslogiken (Business Content). Im M & A-Kontext trägt diese
Entwicklung zu einer Standardisierung im Planungsprozess bei und hilft, die Fehleran-
fälligkeit der Excel-basierten Finanzplanung zu vermeiden.
2: Der Erfolg des Geschäftsmodells wird durch wenige Werttreiber bestimmt. Der Detaillie-
rungsgrad der Erfolgsplanung hat über die letzten Jahre immer weiter zugenommen. Diese
Scheingenauigkeit nimmt bei den jährlichen Budgetplanungen einen Zeitbedarf ein, der im
M & A-Kontext nicht zur Verfügung steht. Ziel ist eine deutliche Komplexitätsreduktion in
der Planung und Fokussierung auf die zentralen Stellhebel des Geschäftsmodells.30 Diese
leistungs- und finanzwirtschaftlichen Werttreiber wirken unmittelbar auf die Höhe des Un-
ternehmenswertes. Das Kriterium der Entscheidungsrelevanz ist die zentrale Anforderung
an die Identifikation planungsrelevanter Werttreiber. Erfolgsseitig wurde die Bedeutung der
Umsatzplanung herausgestellt. Die Werttreiber innerhalb der Kostenstruktur sind hingegen
branchen- und geschäftsmodellabhängig. Eine Sensitivitätsanalyse liefert Aufschluss zu ih-
rem Wertbeitrag. Hinsichtlich der Bestrebungen zur Gemeinkostenreduktion nach Closing
empfiehlt sich eine Differenzierung nach umsatzproportionalen und (sprung-)fixen Kosten-
bestandteilen. Erfolgs- und Liquiditätssteuerung dürfen im Rahmen einer ganzheitlichen
Unternehmensplanung nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Dies zeigen die Aus-
führungen zum aktiven Working Capital Management. Hohe Forderungs- und Vorratsbe-
stände stellen für das Unternehmen »eingefrorene Liquidität«31 dar, mit der bei Freiwerden
Wertsteigerungsstrategien aus der reinen Innenfinanzierungskraft getragen werden können.
3: Die Integrierte Finanzplanung stellt ein phasenverbindendes Controlling-Instrument
zur Planung, Steuerung und Kontrolle der Transaktion dar. Der Ansatz der Integrierten
Finanzplanung verbindet durch seine sachliche, zeitliche und organisatorische Verzah-
nung die einzelnen Phasen einer Unternehmenstransaktion. Mit einem einheitlichen
Medium sprechen die Mitarbeiter eine gemeinsame Sprache, was die Planabstimmung
zwischen dem strategischen Management und den operativen Fach- und Führungskräf-
ten vereinfacht. Der Einsatz von BI-Software mit vordefinierten Logiken gewährleis-
tet zudem Flexibilität in der Projektskalierung, Standardisierung im Vorgehen, kurze
Implementierungszeiten sowie Konsistenz in der Datenhaltung und sorgt damit für
Vertrauen in die Validität der Finanzplanung gegenüber internen und externen Adressa-
ten. Die frühzeitige Implementierung als Führungs-, Frühwarn- und Kontrollinstrument
ermöglicht eine Ausrichtung aller Mitarbeiter auf das – nicht nur im M & A-Kontext
entscheidende – unternehmerische Oberziel: Erfolg und Liquidität.32

30 Vgl. Günther/Schomaker, 10 Thesen für mehr Effizienz in der Planung mittelständischer Unter-
nehmen, in: Controlling & Management, S3, S. 21; Rieg/Gleich/Schentler, Der Kern der Planung,
CFOaktuell, 2009, S. 250.
31 Vgl. Hofmann/Sasse/Hauser/Baltzer, Investitions-, Finanz- und Working Capital Management als
Stellhebel zur Steigerung der Kapitaleffizienz: Stand und neuere Entwicklungen, in: Controlling &
Management, S. 160.
32 Vgl. Krützfeldt, Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung als Instrument der Prognose
und Simulation, in: Freidank, Controlling und Rechnungslegung, 2008, S. 73.
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  |  335
Teil

IX. Ein »One-Hit-Wonder«? Hybridkapital


im Rahmen von M & A-Transaktionen*
Thomas C. Sittel**

1 Einführung
2 Hybride Finanzierungen: »Bridging the Gap«
2.1 Definition und Hauptmerkmale
2.2 Hybride Finanzierungsinstrumente im Überblick
2.3 Wesentliche Zielsetzungen der Kapitalnehmer
2.4 Risiken bei der Nutzung von Hybridkapital
3 Bedeutung von Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen
4 Aktueller Marktüberblick
4.1 Marktentwicklung in Europa
4.2 Marktentwicklung in Deutschland
4.3 Weitere Entwicklung
5 Exkurs: »Loan-to-own«
6 Fazit

1 Einführung
Hybridkapital, eine Zwischenform aus Eigen- und Fremdkapital, galt lange Zeit als eine
der innovativsten und aufstrebensten Formen der Unternehmensfinanzierung. Bis zur
Finanzkrise im Jahre 2007 wurde Hybridkapital von immer mehr – zum Schluss auch
mittelständischen – deutschen Unternehmen zur Finanzierung verschiedenster Zwecke
genutzt. Gleichzeitig fanden sich auf der Suche nach Rendite mehr und mehr institutio-
nelle aber auch private Investoren, die bereit waren, Hybridkapital zu begeben.
Wenngleich sich der Markt um Hybridkapital wieder etwas beruhigt hat, ist der gro-
ße Hype (vorerst) zu Ende.1 So ist insbesondere das Angebot an sog. »Programm-Mez-
zanine«2 komplett zum Erliegen gekommen. Im Jahr 2014 waren die letzten Mezzani-
ne-Programme ausgelaufen, meist verbunden mit erheblichen Ausfällen für die Anleger.
Die schwache Performance der Programme hat dazu beigetragen, dass an eine Neuauf-
lage – trotz des positiven Finanzierungsumfeldes – derzeit nicht zu denken ist.3

* Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel »Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen – ein
Nachruf« (M & A REVIEW 2/2012, S. 57–65).
** Dr. Thomas C. Sittel, Partner, goetzpartners, München.
1 Vgl. Dentz 2014; vgl. auch Fleischhauer/Unser 2013.
2 Im Rahmen von Programm-Mezzanine wurden seit 2004 standardisierte Mezzanine-Forderungen
gebündelt und am Kapitalmarkt verbrieft. Käufer waren sowohl institutionelle als auch private In-
vestoren.
3 Vgl. Dentz 2014.
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336  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Im Rahmen dieses Beitrags wird ein weiterer wesentlicher Aspekt beleuchtet: Denn
Hybridkapital wurde auch und gerade als Finanzierungsbaustein im Rahmen von
M & A-Transaktionen – nicht nur bei sog. »Leveraged Buyouts« (LBOs)4 – als Akquisiti-
onswährung eingesetzt. Es stellt sich daher die Frage: Ist auch dieses Thema tot? Nach-
folgend wird zunächst ein Überblick über die wesentlichen hybriden Finanzierungsin-
strumente gegeben, bevor deren Einsatzmöglichkeiten und Bedeutung im Rahmen von
M & A-Transaktionen sowie aktuelle Trends dargestellt werden.

2 Hybride Finanzierungen: »Bridging the Gap«


Unternehmen haben grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten, sich zu finanzieren.
Man unterscheidet hierbei zwischen Innen- und Außenfinanzierung (vgl. Abb. 1):5 Als
Innenfinanzierung bezeichnet man Mittel aus der Geschäftstätigkeit (operativer Cash-
flow) sowie aus Kapitalfreisetzungen im Rahmen von Desinvestitionen. Unter Außen-
finanzierung ist zunächst die Aufnahme von Eigenkapital durch Einlagen bisheriger
oder neuer Gesellschafter zu verstehen. Des Weiteren kommt die Aufnahme klassischen
Fremdkapitals – insbesondere durch Banken- oder Lieferantenkredit sowie Anleihen –
hinzu.6 Zur Außenfinanzierung zählt schließlich auch die Aufnahme von sogenanntem
Hybridkapital.

Finanzierungsarten

Innenfinanzierung Außenfinanzierung

Eigenkapital
Mittel aus Geschäftstätigkeit
Cash-Flow

Hybridkapital

Mittel aus Kapitalfreisetzung


Desinvestition
Fremdkapital

Abb. 1: Finanzierungsalternativen von Unternehmen (Quelle: goetzpartners)

4 Leveraged Buyouts sind Akquisitionen eines Unternehmens unter Einbezug eines großen Anteils
an Fremdkapital zur Begleichung des Kaufpreises. Durch den geringen Einsatz von Eigenmitteln
lässt sich eine hohe Eigenkapitalrentabilität erzielen, solange die Gesamtrentabilität höher ist als
die Fremdkapitalzinsen. Bei LBOs wird typischerweise eine Kombination verschiedener Finanzie-
rungsinstrumente genutzt. Vgl. etwa Deutsche Bundesbank 2007.
5 Vgl. etwa Broda/Krings 2002.
6 Vgl. etwa Credit Suisse Economic Research 2006.
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IX. Ein »One-Hit-Wonder«? Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen  |  337


Teil

2.1 Definition und Hauptmerkmale


Doch was genau ist unter Hybridkapital zu verstehen? Und worin – falls überhaupt – be-
steht der Unterschied zum im angelsächsischen Raum überwiegend verwendeten Begriff
»Mezzanine«? Hybrid bezeichnet etwas »Gebündeltes, Gekreuztes oder Gemischtes«.7
Der Begriff »Mezzanine« kommt ursprünglich aus der Architektur und bezeichnet das
Zwischengeschoss zwischen zwei Hauptstockwerken.8 In der Betriebswirtschaft sind
beide Begriffe jedoch nicht eindeutig definiert. In der Praxis werden beide Begriffe re-
gelmäßig – wie auch hier – synonym9 als Oberbegriff für solche Finanzierungsformen
genutzt, die Eigenschaften sowohl von Eigen- wie auch von Fremdkapital aufweisen
und daher eine Mischform darstellen.10
Wenngleich die konkreten Ausgestaltungsmöglichkeiten hybriden Kapitals außer-
ordentlich vielfältig sind, lassen sich die gemeinsamen Grundzüge auf vier Kerneigen-
schaften konzentrieren:11
• Der Eigenkapitalcharakter beruht prinzipiell auf der Nachrangigkeit gegenüber
Fremdkapital sowie einer flexiblen Beteiligung am Gewinn.
• Der Fremdkapitalcharakter stammt demgegenüber von der Vorrangigkeit gegenüber
Eigenkapital sowie der Rückzahlbarkeit dieser Finanzierungsform.12

Parameter Eigenkapital Hybridkapital Fremdkapital

Stellung (Mit-) Eigentümer unterschiedlich Gläubiger

Mitbestimmung direkt möglich keine

Besicherung keine keine/nachrangig vorrangig

Laufzeit unbefristet i. d. R. 5–8 Jahre i. d. R. 1–5 Jahre

Tilgung keine flexibel, endfällig regelmäßig

Steueransatz Gewinn Aufwand Aufwand

Erwartete Rendite ~ 10–25 % ~ 8–25 % ~ 5–10 %

Abb. 2: Merkmale von Hybridkapital im Vergleich (Quelle: goetzpartners)

Mit Blick auf einzelne Parameter ist Hybridkapital zwischen klassischem Eigen- und
Fremdkapital anzusiedeln (vgl. Abb. 2):13 Im Gegensatz zu Fremdkapital sieht Hyb-
ridkapital entweder gar keine oder eine lediglich nachrangige Besicherung vor. Die
Laufzeit beträgt in der Regel fünf bis acht Jahre und bewegt sich daher üblicherweise

  7 Vgl. Duden 2015a; Wikipedia 2015a.


  8 Vgl. Duden 2015b; Wikipedia 2015b.
  9 Vgl. etwa Piaskowski/Kaczmarczyk 2008; Friedrich-Ebert-Stiftung 2005.
10 Vgl. Eayrs/Ernst/Prexl 2011; Barthold 2000; DVFA 2007; Wikipedia 2015c.
11 Vgl. Piaskowski/Kaczmarczyk 2008; Stirtz 2007; Brandt 2004.
12 Vgl. Eayrs/Ernst/Prexl 2011.
13 Vgl. Stirtz 2007; Silbernage/Vaitkunas 2012; im Detail: AB Kucher Investement Advisors 2010.
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338  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

zwischen dem unbefristeten Eigenkapital sowie dem meist auf ein bis fünf Jahre ge-
währten Fremdkapital. Die Tilgung von Hybridkapital kann sehr flexibel gestaltet wer-
den. Während bei klassischem Fremdkapital eine regelmäßige Tilgung üblich ist, wird
Hybridkapital meist mit Endfälligkeit getilgt.
Ein weiterer entscheidender Unterschied liegt auch in der steuerlichen Behandlung
der zu zahlenden »Vergütung«. Trotz seiner Eigenkapitalkomponenten werden Zinszah-
lungen an Hybridkapitalgeber in der Regel nicht als Gewinnausschüttungen angesehen,
sondern mindern als Zinsaufwand den Gewinn. Typischerweise liegt die Rendite von
Hybridkapital auch zwischen der erwarteten Eigen- und Fremdkapitalrendite und kann
daher – je nach konkreter Ausgestaltung – zwischen 8 % und 25 % liegen. Hybridkapital
vereint somit Eigenschaften von Eigen- und Fremdkapital.

2.2 Hybride Finanzierungsinstrumente im Überblick


Hybride Finanzierungen sind – anders als die weitläufige Meinung – keineswegs eine
Innovation des letzten Jahrzehnts. Die meisten Instrumente sind bereits seit langem
gesetzlich geregelt. Dessen ungeachtet ist deren vertraglicher Ausgestaltungsspielraum
jedoch sehr groß. Die bilanzielle und steuerliche Behandlung hängt daher auch nicht
von der Bezeichnung sondern der konkreten Ausgestaltung ab. Je nach vertraglicher
Gestaltung lassen sich die einzelnen Instrumente als Quasi-Eigenkapital (auch »Equi-
ty-Mezzanine«) und Quasi-Fremdkapital (auch »Debt-Mezzanine«) einordnen.14

Klass. Eigenkapital

Vorzugsaktien

Options-/Wandelanleihe

Genussrechte
Rendite

Partiarisches Darlehen

Stille Beteiligung

Nachrangdarlehen

Klass. Fremdkapital

Risiko

Abb. 3: Wesentliche hybride Finanzierungsinstrumente im Überblick (Quelle: goetzpartners)

14 Vgl. Eayrs/Ernst/Prexl 2011; Friedrich-Ebert-Stiftung 2005; vgl. auch Piaskowski/Kaczmarczyk


2008; DVFA 2007; Brandt 2004; Stirtz 2007.
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IX. Ein »One-Hit-Wonder«? Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen  |  339


Teil

Im Wesentlichen lassen sich folgende Instrumente unterscheiden (vgl. Abb. 3):15

(1) Quasi-Eigenkapital (»Equity-Mezzanine«):


• Vorzugsaktien gewähren gegenüber Stammaktien bestimmte Vorrechte. Man unter-
scheidet Dividenden-, Liquidations- und Stimmrechtsvorzüge.
• Optionsanleihen sind Inhaberschuldverschreibungen, die neben dem Zins- und Til-
gungsanspruch auch ein Bezugsrecht auf Unternehmensanteile beinhalten.
• Die Wandelanleihe ist wie die Optionsanleihe eine Schuldverschreibung. Der Inhaber
hat das Recht, den Rückzahlungsbetrag in eine bestimmte Anzahl von Unterneh-
mensanteilen zu wandeln.
• Unter stiller Beteiligung versteht man eine Vermögenseinlage in ein Unternehmen,
ohne dass der stille Gesellschafter nach außen als Gesellschafter auftritt. Als Qua-
si-Eigenkapital wird dabei nur die atypisch stille Beteiligung, welche durch die
besondere Mitunternehmerstellung (Mitunternehmerrisiko und -initiative) des In-
vestors gekennzeichnet ist. Daher kann der Rückzahlungsbetrag auch unter dem
Nennwert liegen.

(2) Quasi-Fremdkapital (»Debt-Mezzanine«):


• Ein Genussrecht ist eine rein schuldrechtliche Kapitalüberlassung, welche dem In-
haber gewinnabhängige Gläubiger-, jedoch keine Gesellschafterrechte einräumt.
Inhaber sind üblicherweise am Gewinn und Verlust beteiligt, haben jedoch keine
Stimmrechte. Genussscheine sind verbriefte Genussrechte.
• Partiarische Darlehen sind Kredite mit erfolgsabhängiger Vergütung. Bei ihnen dient
ein bestimmter Anteil des Gewinns oder Umsatzes des Unternehmens als Verzin­
sungsgrundlage. Eine Verlustbeteiligung ist jedoch ausgeschlossen, so dass kein Ge-
sellschaftsverhältnis vorliegt.
• Bei der typisch stillen Beteiligung besteht neben einer fixen Nominalverzinsung eine
gewinnabhängige Vergütungskomponente, die mindestens ein Drittel der Gesamtver-
gütung ausmacht. Die Rückzahlung der stillen Beteiligung erfolgt zum Nennwert am
Ende der Laufzeit.
• Das Nachrangdarlehen (»Junior« oder »Subordinated Debt«) ist dem klassischen
Fremdkapital am Ähnlichsten. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin,
dass für den Fall der Insolvenz der Rückzahlungsanspruch mit einem Nachrang ge-
genüber den Forderungen anderer Gläubiger versehen ist. Nachrangdarlehen werden
i. d. R. auch ohne oder nur mit nachrangiger Besicherung vereinbart. Die Vergütung
besteht meist aus einer fixen sowie einer gewinnabhängigen Komponente.

Die praktische Relevanz der einzelnen Instrumente hängt in erster Linie von der Unter-
nehmensgröße des Mezzanine-Nehmers ab. Generell lässt sich jedoch festhalten, dass
stille Beteiligungen, Nachrangdarlehen sowie Genussrechte in der Praxis die größte
Bedeutung haben.16

15 Vgl. Rudolph 2004; Stirtz 2007; Brandt 2004.


16 Vgl. Fleischhauer/Unser 2013; Fleischhauer 2011.
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340  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2.3 Wesentliche Zielsetzungen der Kapitalnehmer


Mit dem Einsatz von Hybridkapital werden in der Praxis ganz heterogene Ziele verfolgt
(vgl. Abb. 4).17 Die Wesentlichen sind folgende:18

Bilanzoptimierung
Erhöhung EK Eigentümerwechsel
Verbesserung Finanzprofil/
Verbesserung Rating ohne abgeleiteter Akquisitionswährung bei
Verwässerung der Finanzkennzahlen Fusionen, Übernahmen,
Anteilseigner MBOs etc.

Steuervorteile Investitionen
Abzugsfähigkeit von Flexibles Instrument für
Zinszahlungen trotz Hybridkapital risikoreichere Investitionen
Eigenkapitalcharakter

Kostenoptimierung Risikostreuung
Optimierung der Motivation Diversifikation der
Kapitalkosten und Cash-flow Finanzierungsquellen und
(→ WACC) Erfolgsabhängige -fälligkeiten
Management-/Mitarbeiter-
Incentivierung

Abb. 4: Wesentliche Ziele beim Einsatz hybriden Kapitals (Quelle: goetzpartners)

1. Schließung von Finanzierungslücken: Eine wesentliche Zielsetzung beim Einsatz von


Hybridkapital ist meist die Schließung bestehender Finanzierungslücken.19 Diese
entstehen insbesondere dann, wenn die Besicherungsmöglichkeiten von Fremdkapi-
tal ausgeschöpft sind und kein zusätzliches Eigenkapital eingesammelt werden kann
oder soll. Hybridkapital eröffnet in diesen Fällen neuen Handlungsspielraum, da es
typischerweise komplett ohne oder nur mit nachrangigen Sicherheiten gewährt wird.
Aufgrund der Hinzurechnung zum sog. »wirtschaftlichen Eigenkapital« werden die
Finanzkennzahlen schließlich nicht weiter belastet oder sogar verbessert. Aus der
Sicht von Eigenkapitalgebern wird darüber hinaus die unternehmerische Freiheit
weitestgehend erhalten, da keine Kapitalverwässerung eintritt.20
2. Optimierung Cashflow: Meist ist auch die temporäre Entlastung des Cash-flows ein
wesentliches Ziel der Aufnahmen von Hybridkapital. Durch die flexible Ausgestal-
tung in Bezug auf Zinsen und Tilgung können die Zahlungsströme aus der Finan-
zierungstätigkeit mit denjenigen aus der laufenden Geschäftstätigkeit synchronisiert
werden.21 Kritisch ist in diesem Zusammenhang allerdings anzumerken, dass dies in

17 Vgl. Piaskowski/Kaczmarczyk 2008.


18 Weitere Zielsetzungen: Insbesondere bei Großunternehmen kann die Aufnahme von Hybridkapi-
tal auch der Risikostreuung dienen, indem Finanzierungsquellen sowie Fälligkeiten diversifiziert
werden. Steuerliche Vorteile, wie etwa die »Abzugsfähigkeit« der Zinszahlungen, spielen meist auch
eine große Rolle.
19 Vgl. Stirtz 2007.
20 Vgl. Stirtz 2007.
21 Vgl. Piaskowski/Kaczmarczyk 2008; Stirtz 2007; Eayrs/Ernst/Prexl 2011.
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IX. Ein »One-Hit-Wonder«? Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen  |  341


Teil

der Praxis meist dazu geführt hat, dass der Cash-out durch eine endfällige Tilgung
auf den spätestmöglichen Zeitpunkt hinausgeschoben wurde.
3. Finanzierung von M & A-Transaktionen: Schließlich wird Hybridkapital auch mit der
Zielsetzung aufgenommen, die neuen Finanzierungsmittel als Akquisitionswährung
im Rahmen von M & A-Transaktionen zu verwenden. Insbesondere bei Leveraged
Buyouts (LBOs) steht dabei meist die Erhöhung der sog. »Internal Rate of Return«
(IRR)22 durch Optimierung der Kapitalkosten im Vordergrund.

2.4 Risiken bei der Nutzung von Hybridkapital


In der Praxis hat sich gezeigt, dass die – aufgrund der Nachrangigkeit der Sicherhei-
ten – vereinbarten vertraglichen Nebenpflichten, von den Mezzanine-Nehmern oftmals
unterschätzt wurden.23 Dies gilt insbesondere für:
• den Umfang der Berichts- und Informationspflichten,24
• den Inhalt und die Bedeutung festgelegter »Debt Covenants« (Eigenkapitalquoten,
Mindestprofitabilität, Zinszahlungen etc.) sowie
• die Rechtsfolgen vereinbarter »Default Klauseln«, in denen vielfach eine höhere Ver­
zinsung, höhere Gewinnanteile oder gar außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten
zugunsten des Mezzanine-Gebers eingeräumt werden.

Entsprechende Verfehlungen können zu einer stärkeren Einflussnahme auf das Ma-


nagement, das Aufleben von (faktischen) Stimmrechten oder gar zur Umwandlung in
Eigenkapital führen.

3 Bedeutung von Hybridkapital im Rahmen von


M & A-Transaktionen
Die Nutzung von Hybridkapital wurde in mehreren Studien empirisch untersucht.25
Nach einer Yielco-Investments-26 dienten in 2012 rund 60 % aller Hybridfinanzierungen
in Deutschland der Finanzierung von Unternehmenswachstum (vgl. Abb. 5). Wenn
auch mit deutlichem Abstand folgen als weitere Finanzierungsanlässe Nachfolgefinan-
zierungen sowie Management und Leveraged Buyouts. Immerhin etwa jede fünfte Fi-
nanzierung erfolgte im Rahmen von Unternehmenstransaktionen.27

22 Vgl. etwa Silbernagel/Vaitkunas, 2012.


23 Vgl. Brandt 2004; Piaskowski/Kaczmarczyk 2008.
24 Vgl. Stirtz 2007.
25 Genannt seien insbesondere drei Studien: Das 6. Mezzanine-Panel 2013, durchgeführt von Yielco
Investmenents (siehe Fleischhaue/Unser, 2013) das 5. Mezzanine-Panel 2011, durchgeführt von
FHP, Ergebnisse nachzulesen unter Fleischhauer 2011, die Studie von idinvest Partners (siehe idin-
vest Partners 2013), sowie die Studie der EBS Business School (Hommel/Schneider/Nohtse 2010).
26 Vgl. Fleischhauer/Unser 2013, S. 40.
27 Es verwundert nicht, dass dieser Anteil bei einer isolierten Betrachtung von Programm-Mezzanine
deutlich niedriger ausfällt. Vgl. Hommel/Schneider/Nohts 2010.
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342  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Wachstumsfinanzierung 61%

Nachfolgefinanzierung 12%

Frühphase 8%

Innovation 8%

MBO/LBO 7%

Rekapitalisierung 4%

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70%

Abb. 5: Heterogene Finanzierungsanlässe (Quelle: goetzpartners)

Diesbezüglich lässt sich feststellen,28 dass die Nutzung hybriden Kapitals im Rahmen
von M & A-Transaktionen zunächst stark mit der jeweiligen Unternehmens- bzw. Trans-
aktionsgröße korreliert. Je größer die Transaktion, desto stärker kommt auch Hybrid-
kapital zum Einsatz. Gleichzeitig wird das Instrument von Finanzinvestoren deutlich
öfter genutzt als von Strategen (vgl. Abb. 6).

Strategischer Investor Finanzinvestor

Stark abhängig von der Bei »Leveraged Buy-outs« (LBOs)


Large Cap
Finanzausstattung üblich

Spezialisierte
Mid Cap Meist klassische Finanzierung
Mezzanine-Fonds

Wenig Relevanz,
Small Cap Keine Relevanz
kaum Angebot

Abb. 6: Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen (Quelle: goetzpartners)

28 Eigene Analyse aus der Betrachtung von Unternehmenstransaktionen sowie deren Finanzierungs-
struktur in den Jahren 2008–2011.
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IX. Ein »One-Hit-Wonder«? Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen  |  343


Teil

Hauptanwendungsfall sind demzufolge Large-Cap-Transaktionen von Finanzinvestoren,


meist LBOs. Strategen sind – selbst in diesem Segment – meist deutlich zurückhalten-
der mit der Nutzung hybrider Instrumente. Im Mid-Cap-Bereich wird Hybridkapital
üblicherweise nur noch von Finanzinvestoren genutzt. Strategen bevorzugen hier meist
eine klassische Finanzierung. Bei Small-Cap-Transaktionen hat Hybridkapital so gut wie
keine praktische Relevanz.
Die Erklärung für die größenabhängige Relevanz liegt zum einen darin, dass sowohl
standardisiertes29 als auch individuelles30 Mezzanine aus der Sicht der Kapitalgeber
eine gewisse Mindestgröße erfordern.31 Des Weiteren fehlen kleineren Unternehmen
meist detaillierte Kenntnisse beider Instrumente sowie der Zugang zum Kapitalmarkt.
Und schließlich schrecken sie oftmals vor der Komplexität der Instrumente sowie des
Vergabeprozesses zurück. Bei Strategen kommt größenunabhängig oftmals noch die
Sorge vor erhöhten gesellschaftsrechtlichen Mitspracherechten hinzu.

4 Aktueller Marktüberblick
Das Finanzierungsumfeld für Unternehmen und Unternehmenstransaktionen hat sich
seit der Finanzkrise signifikant verändert.

4.1 Marktentwicklung in Europa


Laut Debtwire Analytics wurde in 2014 Mezzanine-Kapital von über 185 Mio. EUR gege-
ben, weit entfernt von den 7,4 Mrd. EUR aus dem Jahr 2006.32 Dieser enorme Rückgang
hängt zum einen damit zusammen, dass in den letzten Jahren die sog. »Unitranche«
– einer Kombination von Senior- sowie nachrangigen Fremdkapitalkomponenten in ei-
ner Tranche – deutlich an Bedeutung gewonnen und Mezzanine insofern fast komplett
verdrängt hat. Des Weiteren haben aber auch die Anbieter von Senior Debt, also von
besicherten Krediten, ihren Weg zurück in den Markt gefunden. Während Mezzanine
in 2006 noch rund 11 % des Gesamtwerts von Senior Debt ausmachte, lag dieser Wert
in 2014 nur noch bei 0,4 %.33

29 Die durchschnittliche Größe der Mezzanine-Tranche lag bei Programm-Mezzanine bei rund 7 Mio.
EUR. Vgl. Hommel/Schneider/Nohtse 2010.
30 Bei privaten und öffentlichen Platzierungen wird ein Mindestvolumen von 10 bzw. 50 Mio. EUR
als Untergrenze angenommen. Auf internationaler Ebene dürfte die Grenze bei etwa 150 Mio. EUR
Emissionsvolumen liegen. Vgl. hierzu etwa Piaskowski/Kaczmarczyk 2008.
31 Die Bandbreite bei individuellen Mezzanine-Finanzierungen ist sehr hoch. Mikro-Tranchen fangen
durchaus im Bereich von rund 5.000 EUR an. Das obere Ende der Spannweite dürfe bei rund 50 Mio.
EUR liegen. Vgl. hierzu auch Fleischhauer/Unser 2013.
32 Vgl. Bollen 2015.
33 Vgl. Bollen 2015.
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344  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

100 %

83 %

85 %
Senior 90 %
93 %
95 % 95 %
97 %
99 % 99 %

17 %
15 %

Mezzanine 10 %
7%
5% 4% 1%
Unitranche 1% 0% 2% 0%
0% 0% 0% 0% 0% 1% 1%

2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Abb. 7: Europäische Schuldtitelemission (Quelle: goetzpartners)

Gleichzeitig war zu beobachten, dass das Risiko in den Finanzierungsstrukturen nach


der Finanzkrise bei LBOs zunächst deutlich zurückgefahren wurde. Die Risikoaversi-
on manifestierte sich vor allem an dem deutlichen Rückgang des Verschuldungsgrads
(engl. Leverage oder Gearing). Der sog. »Net Leverage« lag unmittelbar nach der Fi-
nanzkrise zunächst nur noch zwischen 3,5–4,5x EBITDA – vor der Finanzkrise lag
diese Kennziffer noch bei 6,5–7,5x EBITDA. Im Zuge der konjunkturellen Erholung und
dem »Hunger nach Rendite« ist der »Net Leverage« wieder deutlich angestiegen. Aktuell
dürfte er zwischen 4,5–5,0x EBITDA liegen.34

4.2 Marktentwicklung in Deutschland


Das Marktvolumen für standardisierte und individuelle Mezzanine in Deutschland ist
im Jahr 2010 dramatisch eingebrochen und hat sich seither auch nicht mehr erholt (vgl.
Abb. 8).
Seit 2008 ist die »Programm-Mezzanine« praktisch tot.35 Standardisierte »Pro-
gramm-Mezzanine« wurde vorwiegend in den Jahren 2004–2007 verbrieft.36 Insgesamt
wurden in dieser Zeit über 4 Mrd. EUR Mezzanine-Kapital in 14 Programmen bereit-

34 Vgl. Bollen 2015.


35 Vgl. auch Simon/Gless 2012.
36 Sie wurden meist als Genussrechte oder Nachrangdarlehen mit 7-jähriger Laufzeit, endfälliger Til-
gung und ohne ordentliches Kündigungsrecht strukturiert. Die Bewilligung erfolgte im Rahmen
eines standardisierten und stark vereinfachten Prüfungsprozesses. Auch das Vertragswerk war
standardisiert und ohne Anpassungsmöglichkeiten an die jeweilige Unternehmenssituation ausge-
staltet. Vgl. hierzu Hommel/Schneider/Nohtse 2010.
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IX. Ein »One-Hit-Wonder«? Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen  |  345


Teil

Volumen in Mrd. EUR

Individual 0,4 3,9

Standard 1,7 1,8

0,8 0,9 0,8

2007 2008 2009 2010 2011 2012

Abb. 8: Marktentwicklung in Deutschland (Quelle: goetzpartners)

gestellt. Davon ging mit rund 3,7 Mrd. EUR der weit überwiegende Teil an über 530
deutsche Unternehmen.37
Demgegenüber konnte Individual-Mezzanine bis 2009 einen kontinuierlichen An-
stieg verbuchen. In 2009 betrug das Marktvolumen in Deutschland knapp 4 Mrd. EUR.
Erst im Jahr 2010 kam es zu einem rapiden Einbruch von knapp 80 % auf nur noch 0,8
Mrd. EUR. Aufgrund der anziehenden Konjunktur und einer Beruhigung des Finan-
zierungsumfelds gab es im 1. Halbjahr 2011 ein kurzes »Aufflammen«, welches jedoch
– wie die genannten Praxisbeispiele zeigen – seit den Unruhen an den Finanzmärkten
im Sommer 2011 erneut abgeflaut ist. Seither verharrt das Volumen auf einem gleich-
bleibenden Niveau. Im Jahre 2012 wurden rund 1.500 Unternehmen mit individuellem
Mezzanine finanziert.38

4.3 Weitere Entwicklung


Die Nachfrage nach Mezzanine-Kapital ist weiterhin vorhanden. Zwar haben insbe-
sondere die unattraktiver gewordenen Konditionen zu einer gewissen Zurückhaltung
geführt.39 Allerdings besteht in Deutschland ein enormer Refinanzierungsbedarf, der
kaum allein durch klassische Darlehen oder auch Bonds aufgelöst werden kann.
Die Angebotsseite ist jedoch deutlich zurückhaltender geworden. Dies mag mit Blick
auf die Anzahl der Anbieter verwundern. Denn in Deutschland wird Mezzanine-Kapital
– jedenfalls formell – immer noch von über 75 Anbietern am Markt offeriert. Zu den

37 Vgl. Hommel/Schneider/Nohtse 2010.


38 Vgl. Fleischhauer/Unser 2013.
39 Laut Debtwire Analytics lagen die durchschnittlichen Zinssätze 2012–2014 bei 11,5 % gegenüber
9 % in 2006–2008; vgl. auch Bollen 2015.
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346  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Anbietern gehören neben den Förder- und Landesbanken die klassischen Geschäftsban-
ken sowie spezialisierte Mezzanine-Fonds.40
Die Anforderungen der Mezzanine-Geber und ihrer Investoren sind aber deutlich
angestiegen und die Vergabepraxis ist deutlich restriktiver geworden. Dies zeigt sich
auch daran, dass der Finanzierungsprozess deutlich umfangreicher und daher länger
geworden ist. Auch bei vermeintlich einfachen Fällen ist heute von einem Mindestzeit-
raum von zwei bis drei Monaten auszugehen (vgl. Abb. 9).

Vorprüfung Konzeption Due Diligence Vertragsabschluss

• Vorprüfung • Vertiefte Unter- • Detaillierte Due • Verhandlung und


Unternehmens- nehmensanalyse Diligence Abschluss Verträge
informationen
• Stresstest • Überarbeitung • Umsetzung
• Vorab-Rating Planszenarien
• Detaillierte • Auszahlung
• Grundsatzentscheidung Unternehmens- • Rating-Prozess
• Monitoring
präsentation
• Abstimmung Eckpunkte • »Fine-Tuning«
• Reporting
wie • Ausarbeitung Finanzierung
- Konditionen Finanzierungs-
bedingungen (LOI) • Interner Entschei-
- Laufzeit dungsprozess
- Covernants • Term Sheet

~1 Woche ~2–3 Wochen ~3–4 Wochen ~2–3 Wochen

Abb. 9: Finanzierungsprozess (Quelle: goetzpartners)

Die gesunkene Finanzierungsbereitschaft von Mezzanine-Gebern wird sich kurzfristig


kaum ändern. Dies liegt unter anderem daran, dass die Exzesse vor der Finanzkrise
von enttäuschten Mezzanine-Investoren erst noch verdaut werden müssen. Vor diesem
Hintergrund ist kurzfristig jedenfalls nicht zu erwarten, dass das Marktvolumen an
Mezzanine-Finanzierungen wieder signifikant ansteigt. Ein Anstieg auf das Niveau vor
2009 dürfte auch mittelfristig auszuschließen sein.

5 Exkurs: »Loan-to-own«
In einem anderen Zusammenhang haben hybride Finanzierungsinstrumente jedoch
auch während der Krise stark an Bedeutung gewonnen: »Loan-to-own« ist ein Prozess
bei dem Investoren notleidende Kredite (sog. »Distressed Debt«) aufkaufen, um diese in
Eigenkapital umzutauschen und so die Kontrolle über das Unternehmen zu erlangen.41

40 Eine Übersicht der Anbieter samt Konditionen ist beispielsweise unter www.mezzanine-vergleich.
de zu finden.
41 Vgl. etwa Paterson 2010.
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IX. Ein »One-Hit-Wonder«? Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen  |  347


Teil

Die rechtliche Umsetzung geschieht meist in zwei Schritten: Zunächst erfolgt eine
vereinfachte Kapitalherabsetzung, gefolgt von einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinla-
ge.42 Prominente Beispiele sind in Deutschland etwa Conergy, Kiekert, MPC Capital,
Pfleiderer oder Schefenacker.
In den vergangenen Jahren ist diese Akquisitionsstrategie immer wichtiger gewor-
den.43 Eine Vielzahl spezialisierter Finanzinvestoren – meist Hedgefonds oder Invest-
mentbanken – haben sich auf dieses Instrument spezialisiert. Der Einsatz erfolgt meist
in Krisenzeiten und betrifft sowohl das klassische Fremdkapital als auch die Mezzan-
ine-Tranche.
Der Debt-Equity-Swap wird sich aufgrund der aktuellen Insolvenzrechtsreform
(ESUG) zunehmender Beliebtheit erfreuen: Künftig können im Rahmen des Planver-
fahrens – auch gegen den Willen der bisherigen Anteilseigner – Forderungen von Gläu-
bigern in Eigenkapital umgewandelt werden.44

6 Fazit
Hybridkapital hat sich am Markt als flexibles Instrument zur Schließung von Finan-
zierungslücken etabliert. Wenngleich die Bedeutung generell – und im speziellen im
Rahmen von M & A-Transaktionen – deutlich zurückgegangen ist, ist Hybridkapital kei-
neswegs tot. Selbst wenn der Boom samt seiner Übertreibungen aus den Jahren vor
der Finanzkrise möglicherweise nie wieder erreicht wird, hat die Beruhigung an den
Finanzmärkten das Finanzierungsumfeld bei Hybridkapital wieder leicht belebt.

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finanzierung. Verfügbar auf: http://www.finpoint.de/fileadmin/download/artikel/Mezzanine_Fi-
nancing.pdf, S. 5. Abruf: 17.09.2015.
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turierung, Financial Gates 2012.
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Verfügbar auf: www.froriep.com/download/FR_Mezzanine_XX.pdf, S.8. Abruf: 13.09.2015.
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www.ipe.com/investment/briefing-investment/mezzanine-finance-mezzanines-brief-hour-in-the-s
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Briefing Nr. 42, S. 5. Verfügbar auf: http://www.kmu.admin.ch/themen/00175/00196/index.htm-
l?lang=de. Abruf: 13.09.2015.
Dentz, M. (2005): Übernahme durch die Hintertür, FINANCE, Oktober 2005, S. 74.

42 Vgl. etwa Heinemann/Rothley/Niederle 2007.


43 Vgl. Andersson-Lindström/Weber/Koch 2012; Paterson 2010; Grell/Demisch 2007; Dentz 2005.
44 Vgl. § 225a Abs. 2 InsO-E.
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348  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

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  |  349
Teil

Ein Vierteljahrhundert Wandel


in der Unternehmensbewertung*
Helmut Pernsteiner**

Ohne Zweifel stellt die Ermittlung des Wertes eines Unternehmens im Rahmen einer
M & A-Transaktion eine ganz zentrale Aufgabe dar. Dabei wiederum ist die Auswahl der
Methode der Bewertung eine wesentliche Problemstellung. Die Beurteilung in Wissen-
schaft und Praxis hinsichtlich der Bewertungs-Methodik ist in den letzten hundert und
nicht einmal in den dynamischen letzten 25 Jahren gleich geblieben.
Die wesentlichen Veränderungskreise sollen überblicksmäßig dargestellt und inso-
fern analysiert werden, ob die offenen Probleme damit reduziert werden konnten.
Vor 25 Jahren stand das Discounted Cashflow-Verfahren (DCF-Verfahren) ante por-
tas. Mit gehörigem angelsächsischen Westwind wurde an den Grundfesten der deutsch-
sprachigen Orientierung an der damals dominierenden Ertragswertmethode gerüttelt
(so spielten Mischwertverfahren oder das sog. Übergewinnverfahren, das noch starke
Elemente des Substanzwertverfahrens enthielt, Nebenrollen).

Cashflowzentrierung
So wurden von der »bewahrenden Fraktion« meist Vorbehalte hinsichtlich der finan-
zierungstheoriebasierten Ermittlung des Abzinsungssatzes und der Errechnung des
Cashflows vorgebracht, während die Anhänger des DCF-Verfahrens die Investitionsper-
spektive und damit die Cashflows in den Mittelpunkt stellten und genau den WACC als
Zinssatz als Argument für die Zurückdrängung eines subjektiven Einflusses priesen.
Begünstigt wurde die Cashfloworientierung einmal durch die zunehmende Inter-
nationalisierung von Transaktionen und damit dem Virulentwerden von den damals
vorhandenen strukturellen Unterschieden in der Rechnungslegung und folglich von
möglichen Bewertungsdifferenzen. Weiter galt in den USA seit jeher »Cash is King«,
was sich z. B. auch in einer schon damals etablierten eigenen Cashflowrechnung als
Teil des Jahresabschlusses ausdrückte; lediglich primär in der Schweiz wurde über die
Kapitalflussrechnungen im Sinne von Karl Käfer diskutiert und man war dort – zumin-
dest in der akademischen Diskussion – »cashflownäher«.

»Verwissenschaftlichung«
Die US-amerikanisch geprägte Finanzierungstheorie war zweifellos nicht flächende-
ckend (und wenn, dann mit geringem Gewicht) in den Lehrplänen der Universitäten
enthalten. Ein Ausfluss dieser zunehmenden Kapitalmarktorientierung war die vor al-
lem über das Capital Asset Pricing Modell (CAPM) starke Auseinandersetzung mit

* Der Beitrag ist eine erweiterte und ergänzte Fassung eines Aufsatzes des Autors in der M & A Review
11/2014, VI.
** Prof. Dr. Helmut Pernsteiner, Institut für betriebliche Finanzwirtschaft, Johannes Kepler Universi-
tät, Linz.
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350  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

den Abzinsungssätzen, die nun verstärkt theoretisch fundiert und besser hergeleitet
werden konnten. Das Modell ist damit die börsennotierte Aktiengesellschaft geworden;
vorher war es überwiegend in Deutschland und Österreich die kapitalmarktferne (Fa-
milien)-Gesellschaft.
Das frühere Wirrwarr von Zu- und Abschlägen bei Ermittlung der Abzinsungssätze
aufgrund der sogenannten Sekundärmarktrendite wurde von einer grundsätzlich the-
oretisch sauberen Errechnung primär aus Daten der Kapitalmärkte der Vergangenheit
abgelöst und ist damit in höherem Ausmaß nachvollziehbar. Für nicht börsennotierte
Unternehmen bleibt allerdings primär der Vergleich mit gelisteten Unternehmen (v. a.
als Peer-Group), was wiederum neue Probleme schafft und Spielräume ermöglicht.
Damit ist der dritte Punkt angesprochen:

Einengung des Einflusses der Bewertenden


Fast in jedem der für die Berechnung wichtigen Faktoren wurde der subjektive Spiel-
raum des Bewertenden durch (scheinbar) objektive Daten reduziert.
Damit wird dem weltweiten Trend einer Reduzierung von Spielräumen der Exper-
tinnen und Experten, die durch eine höhere Intensität der Strukturierung der Arbeits-
schritte, der Inhalte und der Dokumentation ausgeglichen wird, Rechnung getragen.
Der errechnete und standardisierte Cashflow selbst erlaubt etwa weniger Möglich-
keiten zur Beeinflussung als dies bei Gewinnen realisierbar ist.
All dies zeigt erhebliche Verbesserungsschritte auf. Allerdings sind systemimma-
nente Probleme von zukunftsorientierten Verfahren nicht behoben: So führt der im Ge-
samtwert einen erheblichen Teil ausmachende Bereich der Fortführungsperioden zu ent-
sprechendem Unbehagen, da diese Daten nur in geringem Ausmaß intensiv begründet
werden können. Die Unsicherheit bei der Gewinnung von Planungswerten (oftmals vom
Unternehmen mit unterschiedlicher Qualität kommend und damit nicht unabhängig)
ist dabei sicher ein traditioneller Diskussionspunkt. Neuerdings wankt auch eine Säule
der Berechnung, nämlich der risikolose Zinssatz aufgrund der stärkeren Infragestellung
von risikolosen (?) Staatsanleihen.
Ist damit insgesamt mehr Präzision in der Bewertung erreicht worden? Die im
M&A-Bereich seit jeher bedeutsamen Multiplikatoren als Bewertungsgrundlage – frü-
her manchmal etwas mitleidig belächelt – erfahren durch die immer größer werdende
Datenvielfalt und die -zugriffsmöglichkeiten eine Renaissance. Dabei ist nicht die theo-
retische Fundierung das Ziel, sondern die momentan exakte, dem Markt entsprechende
Bewertung. Letztlich stellt dies eine Auslagerung der Bewertungsaufgabe auf die Markt-
teilnehmer dar – wie es etwa auch schon bei Bookbuilding-Verfahren im Rahmen von
Börsengängen seit Jahren geschieht. Dort stützt man sich auch auf die Markteinschät-
zung durch die professionellen Marktteilnehmer, die ihre Gebote zu unterschiedlichen
Preisen abgeben.
»Das einzig Stetige ist der Wandel«. Darauf kann man sich zweifellos bei Betrachtung
der Veränderung in der Unternehmensbewertung im letzten Vierteljahrhundert einigen.
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X. Unternehmensbewertung und Wertsteigerungshebel aus Kapitalmarktperspektive  |  351


Teil

X. Unternehmensbewertung und Wertsteigerungs-


hebel aus Kapitalmarktperspektive
Jens Kengelbach/Martin Link/Alexander Roos*

1 Fundamentale Wertsteigerungshebel im Konzept des Total Shareholder Return


(TSR) bei der Unternehmensbewertung
2 Einführung in die TSR-Dekomposition
2.1 Theoretische Grundlagen des TSR-Treibermodells
2.2 Praktisches Anwendungsbeispiel: Einflussgrößen auf die Bewertung
für die Softwareindustrie von 2004 bis 2009
3 Nutzung der TSR-Dekomposition für die Unternehmensbewertung
3.1 Abbildung der Post-Akquisitionsstrategie im Bewertungskalkül
3.2 Nutzung für die Bewertung strategischer Optionen und im Rahmen
von Unternehmenstransaktionen
4 Zusammenfassung

1 Fundamentale Wertsteigerungshebel im Konzept


des Total Shareholder Return (TSR) bei der
Unternehmensbewertung
Ziel der Bewertung bei Unternehmenstransaktionen ist in der Regel die Ermittlung
eines Grenzpreises für den Verkäufer und einen möglichen Käufer. Dabei haben sich in
der Praxis Bewertungsansätze durchgesetzt, die zukünftige Zahlungsströme auf den
Gegenwartswert diskontieren.1 Dem liegt die Idee eines Nutzenkalküls zugrunde, in-
dem durch den Kauf oder Verkauf des Unternehmens das Nutzenpotenzial des (ggf.
zukünftigen) Eigenkapitalgebers gesteigert werden soll. Daher sind die so ermittelten
Grenzpreise auch subjektiv, d. h. alle gegebenenfalls auch nur dem Bewerter bekannten
Parameter, die sowohl das Unternehmen betreffen (Beispiel Mittelfristplan oder Strate-
giewechsel), als auch bewerterspezifische Parameter wie individuelle Risikopräferenz
und Alternativrendite sollen Berücksichtigung finden.2 Jedoch gibt es auch Bewertungs-
anlässe, in denen andere Bewertungsmethoden als die klassischen Discounted Cash-
flow-Methoden (DCF) ihre Berechtigung haben.

* Dr. Jens Kengelbach, Partner und Managing Director, The Boston Consulting Group, München;
Martin Link, Knowledge Expert Corporate Development, The Boston Consulting Group, München;
Alexander Roos, Senior Partner & Managing Director, The Boston Consulting Group, Berlin.
1 Ballwieser 2005, S. 73.
2 Baetge et al. 2004, S. 289 f.
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352  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Während für indikative Bewertungen häufig Multiplikatorverfahren einen ersten,


groben Anhaltspunkt bieten können, wird eine Steigerung des Total Shareholder Return
(TSR) vom Kapitalmarkt als zentrale Messgröße für die Bewertung von Wertänderungen
angesehen.3 Der TSR misst die Wertänderung als Summe aus Bewertung am Kapital-
markt und vereinnahmter Dividendenzahlung und kann für die Unternehmensbewer-
tung eine bedeutende Rolle spielen.
Es wird im Folgenden gezeigt, wie der TSR so zerlegt werden kann, dass die zen-
tralen Einflussgrößen auf den TSR eine Bewertung strategischer Handlungsoptionen
ermöglichen. Mithilfe dieses Bewertungskalküls kann beispielsweise ein Investor er-
mitteln, wann ein Unternehmensverkauf eine höhere Rendite erzielt als ein Halten der
Beteiligung; das Management wird in die Lage versetzt, die Vorteilhaftigkeit von ak-
quisitorischem gegenüber organischem Wachstum zu vergleichen, und ein Käufer kann
beurteilen, ob sich durch eine Strategiewechsel nach dem Kauf eine Überrendite erzielen
lässt.
Nach einer kurzen theoretischen Einführung werden die Methodik und ihre Anwen-
dung anhand eines Beispiels in der Softwareindustrie erläutert. Anschließend folgt eine
kritische Auseinandersetzung mit den Grenzen ihrer Anwendbarkeit.

2 Einführung in die TSR-Dekomposition


2.1 Theoretische Grundlagen des TSR-Treibermodells
Nahezu unabhängig vom konkreten Bewertungskalkül wird ein Unternehmenswert fast
immer zu dem Zweck ermittelt, mit einem anderen Wert verglichen zu werden: So
ermittelt der potenzielle Käufer (Verkäufer) seinen Unternehmensgrenzpreis, um zu
vergleichen, ob dieser den geforderten Kaufpreis übersteigt (unterschreitet), während
mittelfristig ausgerichtete Investoren den heute zu zahlenden Kaufpreis mit einem mög-
lichen Unternehmenswert zum Zeitpunkt des Exits vergleichen. Um zu zeigen, wie sich
Veränderungen der fundamentalen, vom Unternehmen beinflussbaren Kennzahlen des
Transaktionsobjekts auf den TSR auswirken, wird folgende Definition des TSR (in %)
zugrunde gelegt:

Akienkurs t + Dividende pro Aktie t


t =
TSR(1) -1
Aktienkurs t-1

Diese Rendite wird weiter zerlegt. Dazu wird ein vereinfachendes Modell angewendet
(vgl. Abb. 1), um die Einflussgrößen auf den TSR zu verdeutlichen.

3 Vgl. Total Return to Shareholder bei Copeland et al. 2000.


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X. Unternehmensbewertung und Wertsteigerungshebel aus Kapitalmarktperspektive  |  353


Teil

Umsatzwachstum %
PE-/ EBIT-/EBITDA-
x
Wachstum
PE-/EBIT-/EBITDA-
Margenveränderung %

Kurssteigerung x Wachstumskennzahlen
(e.g. Asset-Wachstum)

Profitabilitätskennzahlen,
PE-/EBIT-/ % (e. g. Gewinnwachstum)
ƒ
EBITDA-Multiple
Kosteneffizienzkennzahlen
(e. g. Lagerumschlag)
TSR ƒ
Leverage-Kennzahlen
(e. g. Schulden/Kapital-Verhältnis)

Dividenden- Sonstige Kennzahlen


rendite % (e.g. Ausschüttungsquote)

Industriespezifische Kennzahlen
Aktienrück-
Cashflow- Beitrag ƒ
kauf % (e. g. durchschnittl. Ladengröße)

Veränderung in
Verschuldung %
und Leverage

Abb. 1: Schematische TSR-Zerlegung (Quelle: Eigene Darstellung)

Demnach lassen sich die beiden Komponenten des TSR, Kurssteigerung und Divi-
dendenrendite, in weitere Komponenten zerlegen: Da auf eine kapitalmarkorientierte
Bewertungssicht abgestellt wird, wird für die Zerlegung zunächst das Konzept einer
multiple-basierten Bewertung benutzt. Jedoch wird damit nicht die Ansicht vertreten,
dass ein aus dem Kapitalmarkt abgeleiteter Multiple eine an der individuellen Alterna-
tivanlage orientierte DCF-Bewertung ersetzen könnte; dieser Multiplikator wird eher im
Sinne eines auf einen Faktor verkürzten, einperiodigen und univariaten Maßstabs für
die Bewertung einer Kenngröße, ähnlich einer ewigen Rente, verstanden. Dieser Bewer-
tungsfaktor wird auf eine operative, im Idealfall möglichst Cashflow-nahe Kenngröße
des Unternehmens angewendet. Unter der Voraussetzung, dass sich intertemporal die
Einflussgrößen auf den Bewertungsmaßstab (also Risikoprofil, Nutzenfunktion und Al-
ternativanlage etc.) nicht ändern4, sind dann Veränderungen des Unternehmenswertes
ausschließlich von einer Veränderung der operativen Kenngrößen bestimmt.
Die zweite Komponente des TSR wird durch die Dividendenrendite bestimmt. Jedoch
ist der TSR (ähnlich wie der DAX als Performanceindex) auch um Veränderungen der
ausstehenden Aktien zu bereinigen.5 Daher wirken sich Kapitalerhöhungen oder -ver-
ringerungen, sowie auch eine Veränderungen des Verhältnisses zwischen Eigen- und
Fremdkapital zu Marktwerten auf den TSR aus. Obwohl TSR definitionsgemäß eine
eigenkapitalbezogene Größe ist, können (siehe Formel (3)) auch die auf den Unter-
nehmenswert (Enterprise Value) bezogenen Größen EBIT und EBITDA in das Konzept

4 Der Bewertungsmaßstab »multiple« ändert sich natürlich bei Änderung der fundamentalen Parame-
ter, ist also autokorreliert. Die Veränderung abzuschätzen, ist in der Praxis Gegenstand z. B. einer
multivariaten Regression, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen werden kann.
5 Deutsche Börse 2009, S. 11.
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354  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

einbezogen werden. Zwar können alle drei Margengrößen mathematisch ähnlich be-
handelt werden, jedoch sollte der Bewerter versuchen, praxisorientiert diejenige Marge
und denjenigen korrespondierenden Multiple heranzuziehen, die der Bewertungslogik
dieser Branche am besten gerecht wird.
Nachfolgend wird die TSR-Dekomposition beispielhaft unter Annahme eines EBIT-
DA-basierten Bewertungsmaßstabs oder Multiples hergeleitet. Ausgehend von Gleichung
(1) ergeben wenige Umformungen:
e + Div t o
MwE t Div t
e AnzA+ AnzAot
MwE t
Kurs t + DpA t t MwE t + Div t AnzA t - 1
TSR t =Kurs t + DpA t - 1 = AnzA t AnzA t - 1 =MwE t + Div t #AnzA t - 1 - 1 =
TSR t = Kurs t - 1 - 1 = MwE t - 1 -1 = MwE t - 1 # AnzA t - 1 =
Kurs t - 1 MwE t - 1 MwE t - 1 AnzA t
AnzA t - 1
AnzA t - 1

MwE t AnzA t - 1 Div t AnzA t - 1
(2)
= MwE t #AnzA t - 1
= MwE t -#1 AnzA t +
+ Div t
MwE t -#1
#AnzA t - 1
AnzA t - 1
-1

MwE t - 1 AnzA t 
MwE t - 1 AnzA t

Kursgewinn Dividendenrendite

Die Berücksichtigung der Definition des Unternehmenswertes (UW):

MwE t = UW t - NVt = UW t # b
UW t - NVt l
= UW t # b1 -
(3) NVt l
UW t UW t

und:

UW t = Ums t # Mart # Mult t


(4)

führt zu:
MwE t UW t - 1
# b1 +
Ums Mar Mult UW t $ MwE t - 1 NVt - 1 - NVt l AnzA
TSR t = Ums t # Mar t # Mult t # # AnzAt - 1 + DR - 1 (5)
b1 + (NVt - 1 - NVt) l
t-1 t-1 t-1 MwE t - 1 t

 MwE t - 1

Mit:
AdjVG Adjustierter Verschuldungsgrad
Div Dividende
DpA Dividende pro Aktie
DR Dividendenrendite (DpA/Kurs)
NV Nettoverschuldung (Net Debt)
AnzA Anzahl ausstehender Aktien (Number of Shares)
Mar EBIT oder EBITDA Marge
Mult Multiple
MwE Marktwert des Eigenkapitals (Aktienkurs x Anzahl der Aktien)
Ums Umsatz
UW Unternehmenswert (MwE + NV)

Diese Gleichung (5) lässt sich besser interpretieren, wenn sie wie folgt dargestellt wird:

TSR t = ]1 + DUmsg # ]1 + DMarg # ]1 + DMultg # ^Adj VG h # b 1 + D MwE l #


NV 1
+ DR - 1 (6)
1 + DAnzA
  
Fundamentale Bewertungs- Cashflow-nahe
Faktoren effekt Größen
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X. Unternehmensbewertung und Wertsteigerungshebel aus Kapitalmarktperspektive  |  355


Teil

Mit Gleichung (6) liegt eine Darstellung des TSR vor, die – unter der Annahme eines
konstanten Bewertungsverhältnisses in Form des Multiples – ausschließlich von den
fundamentalen, vom Unternehmen beeinflussbaren Faktoren abhängt, ausgedrückt in
Veränderungsraten gegenüber der Vorperiode.6 Dabei können unterschieden werden:
• Fundamentale Faktoren: Umsatzwachstum und Veränderung der jeweiligen operati-
ven Marge (ausgedrückt durch EBIT, EBITDA oder Net Income Marge)
• Bewertungseffekt: Dieser Faktor spiegelt Veränderungen im Bewertungsmaßstab (hier
vereinfacht durch einen Multiple ausgedrückt) wieder
• Cashflow-nahe Komponenten: Hier geht neben der bekannten Dividendenrendite die
oben genannte Veränderung ausstehender Aktien sowie die Veränderung des Ver-
schuldungsgrads ein.

2.2 P raktisches Anwendungsbeispiel: Einflussgrößen


auf die Bewertung für die Softwareindustrie von 2004 bis 2009
Um die Vorteile dieser oben genannten TSR-Zerlegung zu verdeutlichen, wenden wir die
entwickelte Methodik beispielhaft auf selektierte Unternehmen in der Softwareindustrie
im Zeitraum 2004 bis 2009 an (vgl. Abb. 2).7

Fundamentalwert Bewertung Cashflow-Komponenten

Delta
EBITDA- Netto- Dividen-
TSR p.a. Umsatz- Verände- Anzahl
Name Margen- verschul- denren-
(2005-2009) wachstum rung Multiple ausstehen-
änderung dung dite
der Aktien
Google 24,8 % 48,0 % 5,6 % -18,8 % 1,7 % -3,4 % 0,0 %
Oracle 10,1 % 17,7 % 3,0 % -8,5 % -1,5 % 0,6 % 0,2 %
Intuit 5,8 % 11,3 % 0,6 % -6,2 % -2,7 % 3,5 % 0,0 %
IDS Scheer 5,3 % 5,4 % -10,6 % 8,0 % 1,7 % 0,1 % 2,1 %
Microsoft 3,6 % 8,9 % -2,3 % -5,8 % -2,2 % 4,1 % 1,8 %
Sage 3,4 % 15,3 % -4,0 % -5,9 % -2,6 % -0,4 % 2,4 %
Adobe Systems 2,3 % 13,2 % -1,6 % -11,4 % 1,1 % 2,4 % 0,0 %
Dassault Systemes 1,8 % 10,2 % -3,7 % -4,8 % 0,4 % -0,7 % 1,1 %
Progress Software 0,6 % 6,5 % 0,1 % -3,1 % -0,8 % -1,9 % 0,0 %
SAP 0,6 % 7,9 % 1,1 % -9,9 % -0,4 % 1,5 % 1,2 %
Gesamt-Sample 8,4 % 13,9 % -0,2 % -6,5 % -1,3 % 2,4 % 0,9 %

Abb. 2: TSR-Dekomposition für die Softwareindustrie von 2004 bis 2009 (Eigene Darstellung)

Diese Analyse kann entsprechend der Gleichung (6) ausschließlich mit öffentlichen In-
formationen durchgeführt werden. Die in der Tabelle aufgeführten Prozentsätze ergeben
jedoch nicht additiv die dargestellten TSRs, vielmehr sind die ersten fünf Komponenten
entsprechend der Gleichung (6) multiplikativ verknüpft und die Dividendenrendite da-
nach additiv, wobei hier die Veränderungsraten in Prozent per annum dargestellt sind.

6 Im mehrperiodigen Kontext gilt diese Zerlegung wegen der Additivität der Dividendenrendite in
Gleichung (6) nur näherungsweise.
7 Fundamentaldaten entnommen aus Thomson Reuters Worldscope, Thomson Reuters Datastream
und Bloomberg sowie Unternehmensangaben.
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356  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Es zeigt sich, dass die aufgeführten Unternehmen im Durchschnitt für die Anteils-
eigner pro Jahr 8,4 % Wertsteigerung generiert haben, wobei der wesentliche Anteil der
TSR-Performance aus Umsatzwachstum stammte (+13,9 % p.a.), während die Margen
weitestgehend unverändert blieben. Jedoch hat sich die generelle Einschätzung des
Marktes hinsichtlich der Bewertung von Softwareunternehmen in diesem Fünfjahres-
zeitraum negativ entwickelt, was sich in einer im Durchschnitt rückläufigen Entwick-
lung des Multiple um -6,5 % p.a. ausdrückt.
Diese Darstellung historischer Wertschaffungs- und Bewertungskomponenten hat
sich für die Diskussion mit Entscheidungsträgern in Unternehmen in der Beratungspra-
xis bewährt, weil sie einen schnellen Überblick über die wesentlichen Einflussgrößen
ermöglicht.8 Jedoch ist zu beachten, dass der Bewertungsmaßstab in Form des Multiples
von den fundamentalen Parametern abhängt, mithin autokorreliert ist: Verbessern sich
das erwartete Cash Flow-Profil oder die Wachstumsperspektiven eines Unternehmens
z. B. durch ein neues Geschäftsfeld strukturell, so ist davon auszugehen, dass der Kapi-
talmarkt die gegenwärtig beobachtbaren Parameter anders bewertet, sprich der Multiple
sich verändert. In der Praxis liefert die Zerlegung jedoch bereits unter der Annahme der
Unabhängigkeit der Parameter wertvolle Erkenntnisse.

3 Nutzung der TSR-Dekomposition


für die Unternehmensbewertung
3.1 Abbildung der Post-Akquisitionsstrategie im Bewertungskalkül
Von besonderem Interesse für die Zwecke der Unternehmensbewertung ist die TSR-Zerle-
gung jedoch bei Anwendung für die Zukunft. Gleichung (6) kann auch benutzt werden,
um Veränderungen des Unternehmenswertes bzw. den zu erwartenden TSR abzuschät-
zen, wenn geeignete Annahmen über die zukünftige Entwicklung der fundamentalen
Parameter vorliegen. Dabei wird häufig zunächst die Hypothese unterstellt, dass keine
Änderung des Bewertungsmaßstabs eintritt (keine Veränderung des Multiples).
Ausgangspunkt sind dabei zunächst die gemittelten Zukunftserwartungen des Ka-
pitalmarkts in Form sog. Consensus Estimates wie sie z. B. der Dienstleister Thomson
Reuters in Form der I/B/E/S Consensus Estimates zur Verfügung stellt.9 Hierbei werden
die verschiedenen Vorhersagen der Analysten bzgl. wesentlicher Unternehmenskenn-
zahlen wie Umsatz, operatives Ergebnis, Verschuldungsgrad etc. und auch Kursziel in
jeweils einem Schätzwert pro Jahr aggregiert.
Die I/B/E/S Consensus Estimates (bzw. daraus abgeleitete Größen) der Vergleichs-
gruppe der zehn Softwareunternehmen aus Abb. 2 zeigten am 04.12.2009 neben den
historischen Werten das folgende Bild für 2012:

8 The Boston Consulting Group 2008, S. 11–14.


9 Vgl. http://thomsonreuters.com/products_services/financial/financial_products/investment_
management/market_data_content/ibes.
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X. Unternehmensbewertung und Wertsteigerungshebel aus Kapitalmarktperspektive  |  357


Teil

Umsatzerlöse EBITDA Anzahl ausstehender Aktien


in Mio. EUR 2004 2009 2012e 2004 2009 2012e 2004 2009 2012e

SAP 7.514 10.974 12.824 2.235 3.441 4.686 1.243 1.152 1.187
Sage 711 1.451 1.611 208 345 443 1.282 1.310 1.201
Oracle 7.306 16.528 19.423 2.948 7.736 12.861 5.171 5.012 4.994
Microsoft 26.499 40.499 50.583 11.549 15.682 26.778 10.862 8.900 8.427
Google 2.294 16.314 19.298 712 6.644 17.023 267 317 330
Progress Software 261 357 383 45 62 n/a 36 40 n/a
Intuit 1.344 2.298 2.784 404 713 1.306 380 320 320
IDS Scheer 280 364 448 39 29 55 32 32 43
Dassault Systemes 797 1.295 1.517 210 283 471 114 118 119
Adobe Systems 1.199 2.233 3.350 469 808 2.203 592 525 562

Nettofinanzverbindlichkeiten Aktienkurs Börsenkapitalisierung


2004 2009 2012e 2004 2009 2012e 2004 2009 2012e

SAP -1.327 -467 -4.497 33 32 41 40.756 36.605 49.132


Sage 136 567 213 2 2 2 2.681 2.891 2.877
Oracle -6.054 -3.955 -11.418 10 16 16 51.039 79.612 78.577
Microsoft -43.590 -22.109 -37.225 19 21 21 208.793 188.302 177.303
Google -1.533 -15.823 -35.818 139 419 500 37.019 132.926 165.008
Progress Software -136 -133 0 17 17 n/a 612 695 n/a
Intuit -733 56 -955 16 21 23 6.018 6.724 7.430
IDS Scheer -41 -87 -152 14 16 15 434 517 664
Dassault Systemes -535 -644 -1.034 37 38 48 4.221 4.517 5.730
Adobe Systems -945 -1.587 -3.517 23 25 30 13.349 13.241 16.681

Abb. 3: Fundamentaldaten und Consensus-Schätzungen, in Mio. EUR mit Ausnahme der Aktienkurse (Quelle: Eigene
Darstellung)10

Die Anwendung der TSR-Zerlegung auf diese Consensus Estimate-Werte lässt erkennen,
welche Quellen der Wertsteigerung Kapitalmarktanalysten im Durchschnitt annehmen:

Fundamentalwert Bewertung Cashflow-Komponenten

Delta
EBITDA- Netto- Dividen-
TSR p.a. Umsatz- Verände- Anzahl
Margen- verschul- denren
(2009-2012) wachstum rung Multiple ausstehen-
änderung dung dite
der Aktien
SAP 11,0 % 5,3 % 5,2 % -3,2 % 2,8 % -1,0 % 1,8 %
Dassault Systemes 8,9 % 5,4 % 12,5 % -10,0 % 1,5 % -0,4 % 1,1 %
Sage 7,0 % 3,6 % 6,1 % -12,4 % 3,7 % 2,9 % 4,2 %
Google 6,0 % 5,8 % 15,9 % -15,7 % 4,0 % -1,3 % 0,0 %
Adobe Systems 5,5 % 14,5 % 9,4 % -16,8 % 3,7 % -2,3 % 0,0 %
Intuit 3,4 % 6,6 % 2,9 % -10,2 % 5,0 % 0,0 % 0,0 %
Microsoft 1,5 % 7,7 % -0,6 % -11,8 % 3,8 % 1,8 % 1,7 %
Oracle 0,8 % 5,5 % 0,6 % -9,5 % 3,6 % 0,1 % 1,1 %
IDS Scheer 0,3 % 7,1 % 15,9 % -14,6 % 2,5 % -9,8 % 2,1 %
Progress Software n/a 2,3 % n/a n/a n/a n/a 0,0 %

Abb. 4: Die TSR-Decomposition für die Softwareindustrie von 2009 bis 2012 (Quelle: Eigene Darstellung)

10 Datenquelle: Thomson Reuters Worldscope, Thomson Reuters Datastream, Bloomberg; abgefragt


am 04.12.2009.
Lokale Währungen umgerechnet mit dem Stichtagskurs zum 04.12.2009, Aktienkurs in Euro.

2012e-Werte (Consensus Estimate) errechnet auf Basis der I/B/E/S Consensus Estimates und dar-
aus berechneter Größen für Anzahl ausstehender Aktien und Marktwert des Eigenkapitals.
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358  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Die Rangfolge hat sich gegenüber der Vergangenheit fundamental verändert, zum Teil
sogar umgedreht (vgl. Abb. 4): Während SAP über den historischen Fünfjahreszeit-
raum fast keinen TSR geschaffen hat (+0,6 % p.a.), erwarteten die Markteilnehmer im
Dezember 2009 die höchste Wertsteigerung für den Dreijahreszeitraum bis 2012 von
SAP (+11 % p.a.), verbunden mit der geringsten Reduzierung des Multiple. Ein anderes
Beispiel ist das US-Unternehmen Google, das historisch die höchste Wertsteigerung
aufweisen konnte, während für die Zukunft eine Performance eher im Mittelfeld der
Vergleichsgruppe erwartet wird: Grund kann die Skepsis des Marktes sein, dass das
historische Umsatzwachstum (+48 % p.a.) nicht aufrecht erhalten werden kann und
zukünftig nur noch +5,8 % p.a. beträgt.

 utzung für die Bewertung strategischer Optionen


3.2 N
und im Rahmen von Unternehmenstransaktionen
Die in Kapitel 2.1 erläuterte Methodik kann nun für die Unternehmensbewertung in
mehreren Bereichen angewendet werden:
1. Kauf- und Desinvestitionsentscheidungen,
2. Privatisierungsentscheidungen,
3. Aktive Unternehmenssteuerung und Portfolio-Entscheidungen.

Asset Manager und Buyside-Analysten führen in der Regel ab einer bestimmten Anla-
gesumme in eine einzelne Aktie Bewertungsmodelle für diese Aktien, die wesentliche
operative Kennzahlen und deren Einfluss auf den Free Cashflow als Bewertungsgrund-
lage abbilden. Mit Hilfe der dargestellten Methode haben sie eine Möglichkeit, entweder
die Bewertungs- und damit Wertsteigerungskonsequenzen aus der Planung des Ma-
nagements abzuschätzen, oder alternativ die Implikationen von eigenen Schätzungen
zur operativen Performance durchzurechnen. In den engen Grenzen einer ceteris pari-
bus-Annahme für den Multiple lässt sich so unmittelbar in erster Näherung (und unter
Vernachlässigung der Risikostruktur) abschätzen, ob ein Asset die Verzinsungsanfor-
derungen erfüllt oder nicht und somit Kauf- oder Verkaufsentscheidungen unterstützen.
Bei Privatisierungsentscheidungen steht die Frage im Vordergrund, ob ein Unterneh-
men unter veränderter Corporate Governance unter der Führung eines Großaktionärs
mehr Wert schaffen kann als in der Ausgangssituation. Dabei geht es oftmals darum,
die Unternehmensstrategie grundlegend zu verändern. Um zu beurteilen, ob der neue
strategische Plan, ausgedrückt in veränderten fundamentalen Kennzahlen, mehr Wert
schaffen kann als das, was bereits in der zukunftsbezogenen TSR-Dekomposition ein-
gepreist ist, kann der Investor Gleichung (6) zur Entscheidungsunterstützung heran-
ziehen.
Die in der Praxis sicher wichtigste Anwendung jedoch ist die aktive Unternehmens-
steuerung: Eine am Shareholder Value orientierte Unternehmensführung hat mit dieser
TSR-Zerlegung ein Instrument an der Hand, um die eigenen Mittelfristpläne kritisch
zu analysieren und die erwartete Performance relativ zu den Hauptwettbewerbern zu
sehen. Besonderer Vorteil ist, dass hiermit eine holistische Betrachtung möglich ist, und
nicht nur die operativen Kenngrößen Umsatzwachstum und Margenverbesserung im
Fokus stehen, sondern der Einfluss der oft unter »Financial Engineering« nicht im Fokus
stehenden Möglichkeiten auf der Finanzierungsseite gleichberechtigt ins Blickfeld rückt.
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X. Unternehmensbewertung und Wertsteigerungshebel aus Kapitalmarktperspektive  |  359


Teil

Nicht zuletzt kann Gleichung (6) nicht nur für Gesamtunternehmen eingesetzt wer-
den, sondern auch im Rahmen des Portfolio-Controlling angewendet werden, jedoch
nur unter der einschränkenden Annahme einer Konstanz derjenigen Parameter, auf die
eine Division oder operative Einheit keinen Einfluss hat bzw. die nicht vorhanden sind
(z. B. muss eine klar abtrennbare Segmentverschuldung bekannt sein, um den Verschul-
dungsgrad sinnvoll steuern zu können).

4 Zusammenfassung
Ausgehend von der Hypothese, dass das Ziel von Unternehmensbewertungen in der
Regel die Ermittlung von Grenzpreisen ist, die letztlich dazu benutzt werden, ein Werts-
teigerungspotenzial durch den Unternehmenskauf zu identifizieren, basiert die hier
durchgeführte Analyse auf der Veränderung des TSR als zentralem Maßstab zur Er-
mittlung von Wertsteigerungen für Eigentümer von öffentlich notierten Assets. Mithilfe
einer TSR-Dekomposition genannten Methodik kann die Veränderung des TSR in die drei
Hauptkomponenten (a) fundamentale Werttreiber, (b) Bewertungsänderungen und (c)
Veränderungen von Kapitalstruktur, Aktienanzahl und Dividendenrendite zerlegt wer-
den. Diese formal-mathematische Zerlegung ermöglicht es Entscheidern, mit relativ ein-
fachen Kennzahlen die unterschiedlichen Wertschaffungsstrategien von Wettbewerbern
zu analysieren, wie am Beispiel von führenden Unternehmen der Softwareindustrie von
2004 bis 2009 gezeigt wurde.
Für die Unternehmensbewertung lässt sich die TSR-Dekomposition in vielfältiger
Weise zum Einsatz bringen, ohne gleichwohl eine DCF-Bewertung ersetzen zu können.
Dies wird beispielhaft gezeigt, durch Nutzung der – stellvertretend für die subjektiven
Planungen des Investors – I/B/E/S Consensus-Schätzungen für dieselben Unterneh-
men der Softwareindustrie von 2009 bis 2012, um den Einfluss der operativen und
finanziellen Werttreiber auf die Veränderung des Unternehmenswerts zu analysieren.
Dabei zeigt sich, dass die Methode in der Lage ist, die Quellen von Wertveränderungen
anschaulich in beeinflussbare Größen zu zerlegen, die typischerweise bei Unterneh-
mensbewertungen im Rahmen von M & A-Prozessen auch im Zentrum der Due Diligence
stehen. Während die Methode bewusst Komplexität reduziert, indem sie nur auf die
wesentlichen Einflussgrößen abstellt, liegen die Grenzen der Anwendbarkeit natürlich
in der Autokorrelation des hier als konstant unterstellten Bewertungsmaßstabs Multiple
mit den anderen Faktoren in Gleichung (6) und der ebenfalls damit einhergehenden
Verkürzung auf eine einperiodige Betrachtung unter Ausblendung von Risiko.

Literatur
Baetge, J./Niemeyer, K./Kümmel, J. (2004): Darstellung der DCF-Verfahren mit Beispiel. In: Peemöller,
V. (Hrsg.): Praxishandbuch Unternehmensbewertung. NWB, Herne, 2004, S. 265–362.
Ballwieser, W. (2005): Bewertung von Unternehmen und Kaufpreisgestaltung. In: Ballwieser, W./Beyer,
S./Zelger, H. (2002, Hrsg.): Unternehmenskauf nach IFRS und US-GAAP. Stuttgart, 2005, S. 73–90.
Copeland, T./Koller, T./Murrin, J.: Valuation. New York, 2000.
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360  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Deutsche Börse (2009): Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse. Version 6.12, Frankfurt,
2009.
The Boston Consulting Group (2008): Missing Link: Focusing Corporate Strategy on Value Creation.
Boston, 2008.
Thomson Reuters (2009): http://thomsonreuters.com/products_services/financial/financial_products/
investment_management/market_data_content/ibes, abgefragt am 04.12.2009.
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  |  361
Teil

XI. Private Auktionen im M & A-Kontext –


Ausgewählte Best-Practice-Beispiele
aus Verkäuferperspektive
Frédéric Rochat/Johannes Korp*

1 Einleitung
2 Überblick und Zielsetzung
3 Identifikation der Ziele des Verkäufers
3.1 Individuelle Zieldimensionen
3.2 Zieldimensionen im Spannungsfeld
4 Strukturierung des Auktionsprozesses
4.1 Charakteristika erfolgreicher Auktionen
4.2 Generelle Prozessansätze: Einstufige und zweistufige Auktion
5 Auktionsvorbereitung
5.1 Aufbau eines erstklassigen Teams
5.2 Vorbereitung als Schlüssel für den Erfolg
5.3 Identifikation und Incentivierung von Schlüsselpersonen
6 Selektion der potenziellen Käufer
6.1 Kategorien potenzieller Käufer
7 Erste Runde: Der Weg zu einer unverbindlichen Offerte
7.1 Kontaktaufnahme zum Bieterkreis
7.2 Offenlegung von Informationen
7.3 Unverbindliches Angebot
8 Zweite Runde: Der Weg zu einem verbindlichen Angebot
8.1 Zugang zu einer umfassenden Due Diligence
8.2 Verteilung des Vertragsentwurfes
8.3 Strategische Kommunikation
8.4 Abgabe und Analyse des verbindlichen Kaufangebotes
9 Transaktionsabschluss: Vertragsverhandlungen und Signing
9.1 Aufrechterhalten wettbewerbsfähiger Spannung bis zum Ende
9.2 Selektive Gewährung von Exklusivität
9.3 Offizieller Abschluss der Due Diligence
9.4 Flexible Prozessgestaltung und Schutz des eigenen Rufs
9.5 Vertragsverhandlungen und Bereitschaft zu Kompromissen
9.6 Relativer Vergleich der vorliegenden Angebote
10 Fazit

* Frédéric Rochat, Teilhaber, Lombard Odier, Genf; Johannes Korp, Principal, Hellmann & Friedman,
London.
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362  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

1 Einleitung
Der Begriff »Auktion« lässt sich vom lateinischen Wort »augere« ableiten, welches für
»erhöhen« oder »erweitern« steht. Schon in der Römerzeit war das primäre Ziel einer
Auktion, auf Basis des zugrundeliegenden Bieterwettbewerbs den maximal erzielbaren
Preis für ein bestimmtes Gut zu ermitteln. Heutzutage stellen Auktionen einen verbrei-
teten Mechanismus für die Preisfindung beim Verkauf eines einzelnen, seltenen und
nichtstandardisierten Gutes dar. In einer Auktion wird das Objekt i. d. R. an den Bieter
mit dem höchsten Preisangebot innerhalb eines klar definierten, kompetitiven Prozesses
verkauft.
Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Versteigerungsmodelle entwickelt. Auf
englischen Auktionen überbieten sich interessierte Parteien gegenseitig im Rahmen
eines offenen Wettbewerbs, während auf niederländischen Auktionen der Verkäufer
mit der Ankündigung eines hohen Preises beginnt, welcher anschließend schrittweise
gesenkt wird, bis ein erster Bieter das Angebot akzeptiert.
Auch heute noch stellen Auktionen einen wichtigen Mechanismus dar, um Preis
und Bedingungen beim Verkauf von nichtstandardisierten Gütern zu maximieren. Im
Retail-Bereich stellt das Internetauktionshaus e-Bay ein gutes Beispiel für den Erfolg
von Auktionen dar: So wurden 2009 durchschnittlich über 3 Mio. Artikel pro Tag auf
der Webseite gekauft, was einem Warengesamtwert von über 60 Mrd. US-$ pro Jahr
entspricht. Das Auktionshaus Christie’s konnte im Jahr 2009 Waren im Gesamtwert
von rund 3,3 Mrd. US-$ weitgehend im Rahmen von Versteigerungen veräußern. Auch
auf dem M & A-Markt werden Auktionen häufig genutzt, um die Konditionen bei der
Veräußerung von Vermögenswerten zu maximieren.
Firmenauktionen können öffentlich oder privat sein. Private Auktionen beziehen sich
auf die Veräußerung eines privat geführten Unternehmens durch ein Ad-hoc-Verfahren.
Bei dem vertraulichen Prozess bedarf es mindestens zwei potenzieller Käufer. Öffentli-
che Versteigerungen von börsennotierten Unternehmen sind seltener und bieten einen
geringeren Grad an Flexibilität bei der Gestaltung; dies weil sie i. d. R. in den Geltungs-
bereich der öffentlichen Übernahmevorschriften und anderer börsenbezogener Offenle-
gungsgesetze fallen. So ist das Management von börsennotierten Unternehmen in den
meisten Ländern im Rahmen eines Übernahmeangebots verpflichtet, alle Beteiligten
gleich zu behandeln (»At Arm’s Length«-Prinzip). Aufgrund der aus der Gestaltungs-
freiheit resultierenden praktischen Bedeutung von privaten Auktionen widmet sich der
vorliegende Beitrag ausgewählten Best-Practice-Beispielen im Rahmen von Privataukti-
onen aus Sicht des veräußernden Unternehmens.

2 Überblick und Zielsetzung


Ziel des Beitrages ist es, aus der Perspektive der Praxis das Design und die Struktur aus-
gewählter Best-Practice-Fälle von privaten Auktionen in einem zeitgemäßen M & A-Um-
feld vorzustellen. Der Leser wird durch die verschiedenen Schritte eines privaten Auk-
tionsprozesses geführt und nimmt dabei die Sicht des Hauptaktionärs (»Verkäufer«) ein.
Es soll aufgezeigt werden, wie der Auktionsprozess für den Verkauf von Unternehmens-
werten (im Folgenden bezeichnet als »Asset«) verwendet wird.
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XI. Private Auktionen im M & A-Kontext – Ausgewählte Best-Practice-Beispiele aus Verkäuferperspektive  |  363


Teil

Der Begriff »Unternehmenswert« wird hierbei relativ breit definiert und umfasst in
der M & A-Praxis die realen Vermögenswerte (Sachanlagen), die immateriellen Vermö-
genswerte (Rechte an geistigem Eigentum, Humankapital) oder Teile eines Unterneh-
mens (z. B. der Tochtergesellschaft einer größeren Gruppe). Zur Veranschaulichung wird
in diesem Beitrag der Verkauf einer nicht zum Kerngeschäft gehörenden Tochtergesell-
schaft (»Unternehmen«) angenommen.
Die wichtigsten Schritte einer typischen privaten Auktion sind:
• Identifizierung der Ziele des Verkäufers
• Strukturierung des Auktionsprozesses
• Auswahl von potenziellen Käufern
• Vorbereitung der Auktion
• Erste Runde: Der Weg zu einem unverbindlichen Angebot
• Zweite Runde: Der Weg zu einem verbindlichen Angebot
• Vertragsunterzeichnung (»Signing«) und Abschluss (»Closing«)

Für jeden dieser Schritte werden einige Best-Practice-Beispiele, deren zugrundeliegende


Erfolgsfaktoren aus Verkäufersicht beleuchtet werden, skizziert. Dadurch sollen glei-
chermaßen einige der typischerweise bei Auktionen auftretenden Schwierigkeiten auf-
gezeigt werden und wie diese am besten durch eine angemessene Strukturierung des
Prozesses adressiert werden können.
Die Inhalte dieses Artikels basieren auf empirischen Beobachtungen und sollen dem-
nach in keiner Weise als alleingültiges Rezept für eine erfolgreiche Auktion interpretiert
werden. Erfahrungen haben gezeigt, dass jede Transaktion einzigartig ist und stark
von den individuellen Merkmalen des Assets, welches verkauft wird, beeinflusst wird.
Des Weiteren stellen der Auktionszeitpunkt und das gegenwärtige Marktumfeld wich-
tige Einflussfaktoren dar. Nicht zuletzt muss im Rahmen einer erfolgreichen Auktion
der Aufrechterhaltung der Prozessreaktionsfähigkeit und -flexibilität große Beachtung
geschenkt werden, weshalb von einer blinden Standardisierung des Auktionsprozesses
aus praktischer Sicht ohnehin abzuraten ist.

3 Identifikation der Ziele des Verkäufers


Als erstes Schlüsselelement für die Gestaltung eines beliebigen Auktionsprozesses gilt
es, ein detailliertes Verständnis der primären Ziele des Verkäufers bei der Prüfung eines
möglichen Asset-Verkaufs zu erhalten.

3.1 Individuelle Zieldimensionen


Obgleich jede Situation durch besondere situative Umstände beeinflusst wird, versucht
der Verkäufer in den meisten Fällen, die folgenden Zieldimensionen zu optimieren:
Preis, Preis- und Transaktionssicherheit sowie Transaktionsgeschwindigkeit.
Für viele Verkäufer ist die »Preismaximierung« das wichtigste und objektiv ver-
gleichbarste Evaluationskriterium. Oft bei der Ankündigung oder beim Abschluss der
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364  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Transaktion bekanntgegeben, stellt der Preis das deutlichste Signal an die Außenwelt
über den Erfolg des Verkaufsprozesses dar. Jedoch ist der Preis allein i. d. R. nicht aus-
reichend, da preisliche Überlegungen auf unterschiedliche Weise strukturiert werden
können, wodurch meist auch die zugrundeliegende Preissicherheit beeinflusst wird. Zum
Beispiel können Preise als eine variable Formel oder als ein fixer Betrag ausgedrückt
werden. Die Zahlung des Kaufpreises kann in liquiden Barmitteln, Aktien, und/oder
in Form eines Asset-Tausches erfolgen. Der Berechnungszeitpunkt kann zwischen dem
Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung (Signing), der Eigentumsübertragung und Zah-
lung (Closing) oder manchmal auch einem Zeitpunkt nach dem Closing (in Form einer
Earn-out-Struktur) variieren.
Je weiter entfernt der Zeitpunkt der Berechnung, desto höher ist auch die Unsicher-
heit. Insgesamt wird der Verkäufer i. d. R. die Preissicherheit maximieren wollen. Ein
Preis, welcher vollständig in bar zur Zeit des Closings bezahlt wird, wird bspw. einer
»Long-tailed-earn-out«-Klausel, welche die Bezahlung an zukünftige operationale Leis-
tungen des Assets knüpft, vorgezogen. Ebenso wird ein schlanker Vertrag, welcher ein
Minimum von Repräsentationen und Garantien seitens des Verkäufers einräumt, gegen-
über einer Version mit einer Vielzahl solcher Bestimmungen favorisiert.
Während ein hoher Preis am Tag der Bekanntgabe auf den ersten Blick attraktiv
anmuten mag, muss bedacht werden, dass dieser Preis vor dem Hintergrund des Dis-
kontierungsfaktors zu interpretieren ist, der von den wahrgenommenen Transaktionsri-
siken abhängt. So darf nicht vergessen werden, dass eine Transaktion auch durch eine
fehlende Genehmigung durch die zuständigen Regulations- oder Wettbewerbsbehörden
fehlschlagen kann, welche i. d. R. in der Zeitspanne zwischen Signing und Closing sei-
tens des Käufers einzuholen ist. Auch kann eine spezifische Material Adverse Change
(»MAC«)-Vertragsklausel wirksam werden und den Abschluss einer Transaktion verhin-
dern. Alles in allem will der Verkäufer die Transaktionssicherheit maximieren, indem
die Bedingungen für den Abschluss begrenzt werden.
In vielen Fällen ist die Geschwindigkeit, mit der eine Transaktion abgewickelt wer-
den kann, ein weiteres Schlüsselelement; dies u. a., da die Mitarbeiter des zu veräu-
ßernden Unternehmens im Rahmen des Transaktionsprozesses einem hohen Grad an
Unsicherheit ausgesetzt sind. In der Konsequenz kann dies negative Folgen auf den
Wert des Assets haben. Zudem erhöht sich das Risiko, dass sich Marktumfeld und/oder
Unternehmensperformance mit steigender Transaktionsdauer verschlechtern, wodurch
der Wert des zu veräußernden Assets gemindert werden kann. Darüber hinaus sind
Prozesse, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, einem höheren Risiko aus-
gesetzt, dass Informationen nach außen dringen, die dem veräußernden Unternehmen
schaden und das Vertrauen des Käufers beeinflussen können.

3.2 Zieldimensionen im Spannungsfeld


Während ein rationaler Verkäufer natürlich versuchen wird, möglichst jede dieser Ziel-
dimensionen individuell zu maximieren, stehen jedoch in den meisten Fällen alle drei
Faktoren – Preis, Sicherheit und Geschwindigkeit – in einem Spannungsverhältnis zu-
einander (vgl. Abb. 1). Die einzelnen Ziele können isoliert maximiert werden, aber
i. d. R. nicht parallel. So kann beispielsweise ein aggressiver Bieter, der sich nur auf die
Preismaximierung fokussiert, dieses Ziel nur auf Kosten einer Verlängerung des Due
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XI. Private Auktionen im M & A-Kontext – Ausgewählte Best-Practice-Beispiele aus Verkäuferperspektive  |  365


Teil

Diligence-Prozesses durch den Käufer erreichen und/oder indem zusätzliche Verpflich-


tungen und Earn-out-Klauseln in den Vertrag aufgenommen werden. Folglich muss der
Verkäufer den Zielkonflikt zwischen mehreren konkurrierenden Zielen – bezogen auf
situationsspezifische Überlegungen – handhaben. Zum Beispiel muss ein Verkäufer, der
zu einem kurzfristigen Verkauf gezwungen ist, einen Preisnachlass in Kauf nehmen,
um sich seines Assets zu entledigen. Dies ist oft bei Konkursen und Restrukturierungen
der Fall.
Unter der Annahme, dass ein natürlicher Wettbewerb um das zu veräußernde Asset
besteht, stellt eine Auktion ein höchst wirksames Instrument dar, um die verschiedenen
Ziele des Verkäufers bestmöglich parallel zu optimieren. Zwar wird dies in absoluten
Werten nicht immer für jedes einzelne Ziel der Fall sein, wenigstens aber in der Ag-
gregation. Indem mehrere Käufer im Wettbewerb um das gleiche Asset in einem gut
strukturierten Transaktionsfenster zusammentreffen, können die individuellen Präfe-
renzen und Beschränkungen der einzelnen potenziellen Käufer in der Auktion so ge-
nutzt werden, dass das Ergebnis aus Sicht des Verkäufers in Hinblick auf die einzelnen
Zielkriterien dem überlegen ist, was alternativ durch eine Reihe von sequenziellen,
bilateralen Verhandlungen zu erwarten wäre.

Preis

Minimierung von:
• Vertraglichen Zugeständnissen und
Verkäuferpflichten
• Störung des Geschäftsganges

Transaktions-/ Transaktions-
Preissicherheit geschwindigkeit

Abb. 1: Spannungsfeld der Zieldimensionen bei einer Auktion (Quelle: Eigene Darstellung)

4 Strukturierung des Auktionsprozesses


Die Art und Weise wie eine Auktion strukturiert wird, ist vor allem von den zu maxi-
mierenden Zielen des Verkäufers bestimmt. Der private Charakter der Auktion gewährt
ein hohes Maß an Flexibilität durch die Gewährung einer erheblichen Autonomie auf
Seiten des Verkäufers hinsichtlich der Festlegung der Regeln der Auktion, des Zeitrah-
mens, des Mindestpreises und anderer Wettbewerbstreiber.

4.1 Charakteristika erfolgreicher Auktionen


Es gibt jedoch einige wiederkehrende wichtige Funktionen, welche immer wieder in den
erfolgreichsten Auktionen anzutreffen sind. Dazu zählen die Nachstehenden.
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366  |  M & A aus Transaktionsperspektive


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4.1.1 Schaffung einer Wettbewerbssituation

Ein großer Bieterkreis ist nach wie vor der einfachste und effektivste Weg, um Wettbewerb
in einem Prozess zu intensivieren und dadurch optimale Bedingungen für den Verkäufer
zu generieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine wahllos hohe Anzahl von poten-
ziellen Käufern zu Auktionen eingeladen werden sollte. Der Umfang des ursprünglichen
Käuferkreises muss hinsichtlich des strategischen Fits des Bieters, seiner Zahlungsfähig-
keit, seiner Fähigkeit, Vertraulichkeit zu wahren, und der Verpflichtung seitens des Käu-
fers, den skizzierten Zeitplan einzuhalten, evaluiert werden. Zusätzlich dürfen externe
situative Faktoren und Wettbewerbsbefindlichkeiten nicht außer Acht gelassen werden.

4.1.2 Ausführen eines straffen, strukturierten Prozesses

Durch inadäquate Strukturierung kann der Auktionsprozess an Momentum verlieren.


Der Verkäufer sollte versuchen, die volle Kontrolle über den Zeitplan und die gesam-
te Kommunikation mit den Käufern zu behalten. Gezielter Termindruck und Fokus
stellen den Schlüssel zur Aufrechterhaltung der dem Auktionsprozess innewohnenden
Dynamik und Spannung dar. Fristverlängerungen sollten generell vermieden werden,
da sie mit Argwohn betrachtet werden und potenziellen Bietern als ein Zeichen dienen
können, dass der Wettbewerb um das Asset schwächer wird. Nicht zu unterschätzen
ist ebenso die zusätzliche Beanspruchung des Managements des zu veräußernden Un-
ternehmens, die aus einem unstrukturierten Prozess resultieren kann.

4.1.3 Gewährleistung der vollständigen Offenlegung und Transparenz

Während Zeitplan und Fristen streng kontrolliert werden müssen, sollten die Bieter je-
doch in der Lage sein, die Qualität des Assets angemessen einschätzen zu können. Dies
schließt eine umfassende finanzielle, rechtliche und operative Due Diligence ein, welche
ermöglicht, ein Angebot unterbreiten zu können, das den Wert des Unternehmens für
den jeweiligen Käufer widerspiegelt und sämtliche bekannte und offengelegte Risiken
und Synergiepotenziale bereits mit einpreist. Eine vollständige und transparente Offen-
legung von allen relevanten geschäftlichen Angelegenheiten und identifizierten Risiken
im Rahmen der Due Diligence ist entscheidend für die Maximierung der Preissicher-
heit und für die Begrenzung der zukünftigen potenziellen vertraglichen Garantien und
Earn-out-Klauseln.

4.1.4 Schaffung und Aufrechterhaltung einer engen Vertraulichkeit

Verstöße gegen die Geheimhaltungspflicht können dem Unternehmen in zweifacher


Hinsicht Schaden zufügen: Zum einen kann sich ein Informationsleck ungünstig auf
den Verkaufsprozess auswirken und das Momentum verzerren; sollte beispielsweise die
Identität des Bieters, die Preisofferte oder andere vertragliche Schlüsselkonditionen an
die Öffentlichkeit geraten, kann dies den Transaktionsabschluss massiv beeinflussen.
Zum anderen ist die Vertraulichkeit ein hochempfindlicher Faktor, wenn Konkurrenten
als potenzielle Käufer beteiligt sind; dies, weil Konkurrenten die im Due Diligence-Pro-
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Teil

zess gewonnenen Informationen zu unfairen zukünftigen wirtschaftlichen Vorteilen


missbrauchen könnten. Die Unterzeichnung einer Non-Disclosure-Vereinbarung vor der
Eröffnung der Due Diligence und der Aufschub der Offenlegung von sensiblen Informa-
tionen bis kurz vor dem Signing tragen dazu bei, die im Auktionsprozess aus Bietersicht
wahrgenommenen Risiken zu verringern. Eine Garantie für vollständige Vertraulichkeit
sind Non-Disclosure-Vereinbarungen allein jedoch nur in den seltensten Fällen.

4.1.5 Schutz des Managements

Sowohl das Management als auch der Verkäufer tendieren dazu, den Arbeitsaufwand
und die durch den Verkaufsprozess verursachte Störung der Geschäftstätigkeit zu un-
terschätzen. Je größer das Interesse für das Asset am Markt, desto größer ist generell
auch der zu erwartende Prozessaufwand. Die einzelnen Stufen des Prozesses von den
ersten Vorbereitungen, Käuferansprache, Informations- und Managementpräsentationen
bis hin zur Due Diligence und zu finalen Vertragsverhandlungen können sich oft über
mehrere Monate erstrecken und eine intensive Zusammenarbeit mit dem Management
erfordern. In einem gut strukturierten Prozess wird der Verkäufer versuchen, das Ma-
nagement zu schützen, es vom Druck der täglichen Interaktion mit den potenziellen
Käufern abzuschirmen und genügend Zeit zur Fortführung der operativen Tätigkeiten
zu gewähren. Dies kann durch den Einsatz von Beratungsressourcen zur Vorbereitung
von qualitativ hochwertigen Informationsdokumenten und zur Bearbeitung der Käufer-
kommunikation und der eingehenden Anfragen erreicht werden.

4.1.6 Aufrechterhaltung der Flexibilität

Einer der Vorteile einer privaten Auktion ist, dass es dem Verkäufer jederzeit frei steht,
die Spielregeln zu ändern, um die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Abschlusses
zu erhöhen. Das Einladungsschreiben, welches an alle potenziellen Käufer zu Beginn
der Auktion gesendet wird, inkludiert i. d. R. »Kleingedrucktes«, welches dem Verkäufer
zu jedem Zeitpunkt des Prozesses eine uneingeschränkte und maximale Diskretion
und Flexibilität hinsichtlich der Auktionsverwaltung, Auswahl der Bieter und Fristen-
setzung einräumt.

4.2 Generelle Prozessansätze: Einstufige und zweistufige Auktion


Wie wird ein Verkäufer in der Lage sein, einige dieser wesentlichen Grundsätze, welche
zunächst etwas widersprüchlich erscheinen, in einem einzigen Prozess angemessen in
Einklang zu bringen?
Abhängig von der zu erwartenden Wettbewerbsintensität ist oft zwischen einstufigen
und zweistufigen Ansätzen zu unterscheiden: In der einstufigen Auktion erhalten alle Bie-
ter umfangreiche Informationen über das Asset vor der Einreichung ihres verbindlichen
Angebots. Diese Option kommt besonders in Situationen zur Anwendung, in denen der
Wettbewerb begrenzt und die Wettbewerbssensitivität von Beginn weg relativ niedrig
ist.
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368  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Für wettbewerbsintensive Auktionen mit vielen potenziellen Käufern und/oder Pro-


zesse, die einen besonders hohen Grad an Vertraulichkeit erfordern, erlaubt der zweis-
tufige Prozess eine graduelle Informationsoffenlegung, welche sensitive Informationen
nur für einen begrenzten Kreis der besten und seriösesten Käufer zugänglich macht.
In einem solchen Prozess werden Käufer gebeten, indikative, unverbindliche Angebote
auf der Grundlage einer begrenzten Menge von vertraulichen Daten zu übermitteln;
dies z. B. in Form eines Informationsmemorandums. Nach Prüfung der Qualität der
unverbindlichen Angebote wird der Verkäufer selektierte Bieter in die zweite Runde
zur umfänglichen Due Diligence sowie Managementpräsentationen einladen. Dies er-
möglicht eine gezielte, schrittweise Weitergabe von sensitiven Unternehmensdaten an
den relevanten Bieterkreis.

5 Auktionsvorbereitung
Eine sorgfältige Vorbereitung ist ein wichtiger Parameter für jede erfolgreiche Auktion.
Ein übermäßig beschleunigter oder gehetzter Prozess erhöht das Risiko von Verzöge-
rungen, welche die fragile Reihenfolge und die Vertragsverhandlungen durcheinander-
bringen können. Die Zeit, die vor Beginn der ersten Käuferansprache nicht investiert
wird, lässt den gesamten Prozess gegenüber den Bietern oft unprofessionell erscheinen
und kann zu einer unverhältnismäßigen Verlängerung der Auktion führen.

5.1 Aufbau eines erstklassigen Teams


Verkäufer sind gut beraten, sich vor dem Start des Prozesses die besten verfügbaren,
externen Ressourcen zu sichern. Abhängig von der Größe und Komplexität des zum
Verkauf stehenden Assets sowie der Ressourcen des veräußernden Unternehmens, stellt
die Fähigkeit des Verkäufers, ein schlagkräftiges Team zusammenzustellen, einen wich-
tigen Faktor zur Einhaltung des vorgesehenen Zeitplans, zur Erhaltung des Momentums
und zur Maximierung der Erfolgswahrscheinlichkeit der Auktion für den Verkäufer dar.
Ein operatives, internes Team, welches für den Verkauf zuständig ist, wird i. d. R. auch
einen Finanzberater, ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen und eine juristische Bera-
tung umfassen. Aus Verkäufersicht sollte sichergestellt werden, dass die besten Berater
nicht auf der anderen Seite des Verhandlungstisches sitzen. Der Verkäufer hat einen
zeitlichen Vorteil bei der Auswahl seines Teams und sollte von diesem auch Gebrauch
machen.
Während Kostenüberlegungen sicherlich einen hohen Stellenwert im Hinblick auf die
Auswahlkriterien haben, sollten auch tatsächliche Branchenkenntnisse, Käuferwissen,
M & A-Erfahrung, Finanzkompetenz, Verhandlungsgeschick und die Reputation der Be-
rater im jeweiligen Markt sorgfältig geprüft werden, da diese Kriterien letztlich eine ent-
scheidende Rolle hinsichtlich des Auktionserfolgs – oder des Scheiterns – einnehmen.1

1 Vgl. dazu auch Müller-Stewens/Schäfer 2010.


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Teil

5.2 Vorbereitung als Schlüssel für den Erfolg


Eine professionell organisierte Auktion mit klaren Vorgaben zum Zeitplan, käuferfreund-
lichem Informationsmaterial (Teaser, Informationsmemorandum, verkaufsbezogene Due
Diligence-Berichte) und einem hohen Maß an Transparenz und Anpassungsfähigkeit an
spezifische Anforderungen des Käufer sind der Schlüssel, um potenziellen Käufern den
nötigen Komfort im Hinblick auf das Asset und damit verbundene, zugrundeliegende
Risiken zu bieten. Dies stellt sich praktisch als Gratwanderung zwischen Komplexitäts-
reduktion und der Präsentation eines vollständigen und detaillierten Bildes über das zu
veräußernde Unternehmen dar.
Ein Unternehmen mit der notwendigen Transparenz und Vollständigkeit zu präsen-
tieren, erfordert erheblichen Arbeitsaufwand und eine sorgfältige interne Due Diligence
durch den Verkäufer und seine Berater vor Beginn des Prozesses. Ein in M & A-Prozessen
unerfahrener Verkäufer kann den Wert dieser Arbeit und ihre Ressourcenintensität bei
der Festlegung eines engen zeitlichen Rahmens unterschätzen; dies mit zum Teil fata-
len Folgen: Wenig ist unangenehmer und wertschädigender als eine für den Verkäufer
und seine Berater überraschende Aufdeckung von vormals nicht bekannten Risiken
oder den Geschäftsgang des Unternehmens beeinflussende Aspekte durch die Käufer-
seite. Darüber hinaus werfen Organisationsmängel oder unzureichende Vorbereitung
ein schlechtes Licht auf das zu veräußernde Asset und können negative Auswirkungen
auf dessen Wert haben.

5.3 Identifikation und Incentivierung von Schlüsselpersonen


Schlüsselpersonen im Transaktionsprozess sind aus Verkäufersicht typischerweise die
einzelnen Mitglieder der Geschäftsleitung, welche direkt im Marketing, in der Kom-
munikation mit potenziellen Käufern und in der Due Diligence für das Asset involviert
sind. Dies beinhaltet auch all diejenigen Mitarbeiter, die persönlich für eine signifikan-
te Ertragsgenerierung und/oder die allgemeine Stabilität des Geschäfts verantwortlich
sind. So spielen das Management sowie die in die Due Diligence und die Kommunikati-
on involvierten Schlüsselmitarbeiter eine wichtige Rolle in der Vermarktung gegenüber
externen Investoren. Zusätzlich zu deren Aufgaben, die im täglichen Geschäftsbetrieb
anfallen, müssen Managementsitzungen, Expertentreffen mit den Beratern potenziel-
ler Käufer und eingehende Anfragen während der Due Diligence-Phase übernommen
werden. Diese im Rahmen des Verkaufsprozesses wichtigen Verantwortungen bedürfen
eines hohen Maßes an Engagement und Motivation von Seiten der eingesetzten Mitar-
beiter. Um einem Informationsleck vorzubeugen, sollte der Kreis an in den Auktionspro-
zess involvierten Mitarbeitern normalerweise klein gehalten werden. Dies führt i. d. R.
zu einer höheren Arbeitsbelastung und zu persönlichem Druck für die ausgewählten
Mitarbeiter. Es ist daher ratsam, für diese Schlüsselpersonen angemessene Anreize be-
züglich der aktiven und qualitativ hochwertigen Informationsbeschaffung und -aufbe-
reitung zu schaffen.
Des Weiteren sollte der Verkäufer Werttreiber, d. h. auch die Mitarbeiter identifi-
zieren, deren Abgang bedeutende negative Auswirkungen auf den Firmenwert hät-
te und das Verkaufspotenzial beeinträchtigen würde. Dies ist besonders relevant für
»High-end«-Servicedienstleister (wie Finanzdienstleister, Medien- und Luxusgüterkon-
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370  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

zerne usw.), deren Firmenwert typischerweise eng mit der Qualität und Stabilität der
wichtigsten Mitarbeiter verbunden ist. Der Verlust von Mitarbeitern in Schlüsselpositi-
onen inmitten des Verhandlungsprozesses führt in den meisten Fällen zu signifikanter
Werterosion. Daher sollte der Verkäufer im unmittelbaren Vorfeld der Auktion einen
geeigneten Plan zur Anbindung seiner wichtigsten Mitarbeiter ausarbeiten, welcher
abhängig von einem erfolgreichen Verkauf des Assets ist.

6 Selektion der potenziellen Käufer


6.1 Kategorien potenzieller Käufer
Käufer, welche an einer Auktion teilnehmen, lassen sich i. d. R. in eine der folgenden
vier Kategorien einteilen: strategische Käufer, Private Equity-Fonds und andere Finan-
zinvestoren (»Financial Sponsors«), »exotische« Käufer sowie das Management selbst.
Je nach Art und Größe des Assets sowie der vorherrschenden Wirtschafts- und Kapi-
talmarktzyklen zum Zeitpunkt des Verkaufs wird sich der Mix des Bieterkreises typi-
scherweise ändern.

6.1.1 Strategische Käufer

Strategische Käufer gelten als höchst wettbewerbsfähige, attraktive Interessenten und


sind i. d. R. bereit, einen Preisaufschlag auf den intrinsischen Wert des Assets zu zah-
len; dies weil meist über die Verwirklichung der rein finanziellen Ziele hinaus ein
strategischer Anreiz für den Erwerb besteht, der sich in Form von Synergieeffekten
materialisieren kann. Oftmals verfügen sie zudem über größeres Industrie-Know-how
und können daher die Due Diligence effektiver und effizienter bewältigen als andere
Investoren. Durch ihren meist direkten Zugang zu den Kapitalmärkten sind strategische
Käufer oftmals in der Lage, einen sehr flexiblen Finanzierungsmix zur Finanzierung
der Akquisition zu erhalten.
Seit Beginn der Finanzkrise 2007 war ein solides Comeback von strategischen Käu-
fern in privaten Auktionen zu beobachten, weil sie Vorteile aus den niedrigeren Be-
wertungsniveaus und der Abschwächung des Wettbewerbs durch die Finanzinvesto-
ren, welche unter der limitierten Verfügbarkeit an günstigen Krediten als Folge der
Wirtschaftskrise leiden, ziehen können. Obwohl strategische Käufer eine attraktive
Gegenpartei für den Verkäufer darstellen, teilt das Management des zu veräußernden
Assets diese Sympathien oft nicht; dies weil sich der Preisaufschlag meist auf Erwar-
tungen hinsichtlich bedeutender Kostensynergien und manchmal auch an den Ersatz
des gesamten Managementteams stützt. Daraus folgt, dass das Management in manchen
Fällen dazu geneigt sein kann, Finanzinvestoren und andere Investoren, deren Kosten-
synergiepotenziale und »In-house«-Managementressourcen begrenzt sind, im Prozess
implizit zu favorisieren.
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Teil

6.1.2 Finanzinvestoren

Private Equity-, Venture Capital- und andere Leveraged Buyout-Investoren können


ebenfalls äußerst kompetitive Bieter in Auktionen sein. Die Kaufkraft der Financial
Sponsors wird zweifellos wieder steigen, wenn die Kreditmärkte zur Normalität zu-
rückkehren und Geldbeschaffungsaktivitäten für Eigenkapital wieder zunehmen. In der
Regel bestehen Private Equity-Unternehmen aus Teams von erfahrenen Experten mit
fundiertem Know-how bei der Bewertung von Unternehmen. Das Management kann
sehr empfänglich für Angebote von derartigen Investoren sein, da sie häufig in der Lage
sind, attraktive Führungsmöglichkeiten sowie langfristige finanzielle Anreize in ihrem
Angebot zu bündeln.

6.1.3 »Exotische« Käufer

Im Laufe der letzten Jahre, in Verbindung mit steigenden Devisenreserven in vielen


Entwicklungsländern, war das Entstehen einer neuen Generation von Investoren in
vielen privaten Auktionen zu beobachten: Zu dieser Generation zählen Staatsfonds (sog.
Sovereign Wealth Funds, kurz: SWF), Family Offices, Hedgefonds oder Privatperso-
nen mit hohem Eigenkapital (sog. High-Net-Worth-Individuals) auftreten. Viele dieser
»nichttypischen« Käufer versuchen ihre Investmentportfolios weg von traditionellen,
risikoarmen Investments mit geringen Renditeerwartungen hin zu strategischen, werts-
teigernden Investitionsmöglichkeiten zu diversifizieren.
Es ist zu erwarten, dass die Bedeutung von SWFs als eine Gruppe von versierten,
wettbewerbsfähigen Investoren weiter zunehmen wird, insbesondere in einigen strate-
gisch wichtigen Bereichen wie Rohstoffe, Infrastruktur, Transport, Industrie, Finanz-
dienstleistungen und anderen Sektoren, welche einen hohen (strategischen) Mehrwert
generieren. Obwohl SWFs manchmal politischen Interessenkonflikten unterworfen sind
(diese Problematik veranschaulichte im Jahr 2005 der aus politischen Gründen der
Staatssicherheit gescheiterte Versuch von Dubai Ports World, den US-Hafenbetreiber
P&O zu kaufen), können sie sehr attraktive Bieter in einem Prozess sein, da sie ausrei-
chend Kapital und einen langfristigen Anlagehorizont haben.

6.1.4 Management

In bestimmten Situationen kann das Management des Assets dank der vorhandenen
Expertise, dank seines tiefgründigen Wissens über das Unternehmen und sein Potenzial
eine weitere Partei – alleine oder in Verbindung mit einem dritten Geldgeber – im Kauf-
prozess darstellen. Die Beteiligung des Managements als Partei im Transaktionsprozess
ist nicht ohne Risiken und kann zu Interessenkonflikten mit dem Verkäufer führen.
Um seine Flexibilität zu schützen und den Wettbewerb aufrechtzuerhalten, wird ein
Verkäufer im Allgemeinen versuchen zu erreichen, dass die vom Management geführte
Investorengruppe vollständig mit allen übrigen Bietern in der Auktion gleichgestellt
ist (»At Arm’s Length«-Prinzip) und die Managementanreize so ausgerichtet sind, das
unfaire Verzerrungen vermieden werden können.
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372  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

7 Erste Runde: Der Weg zu einer unverbindlichen


Offerte
Nach einer Phase der aktiven Vorbereitung und Auswahl der Käufer kann der Verkäufer
gemeinsam mit seinem Beraterteam die erste Runde der zweistufigen Auktion einläu-
ten, die sich je nach Komplexität des Assets und situativen Faktoren i. d. R. über einen
Zeitraum von drei bis sechs Wochen erstreckt. Die erste Phase besteht im Wesentlichen
aus folgenden drei Schritten.

7.1 Kontaktaufnahme zum Bieterkreis


Es wurde bereits erwähnt, dass die Kontaktaufnahme mit einer großen Anzahl von Käu-
fern nach wie vor der beste Weg ist, den Wettbewerb in einer Auktion sicherzustellen.
Die individuelle Qualität der Käufer, die in den verschiedenen Phasen an der Auktion
teilnehmen, ist jedoch ebenso relevant.
Entscheidend ist vor allem die Selektion derjenigen Käufer, die in die zweite Runde
des Prozesses und somit zur umfänglichen Due Diligence eingeladen werden. Hierbei
sollte der Verkäufer versuchen, eine ausreichend große Zahl von Parteien einzubeziehen,
um den Wettbewerb zu gewährleisten. Die Anzahl der Bieter steht jedoch zumeist in ei-
nem Spannungsfeld mit Vertraulichkeitsschutz (besonders in der Form von Dateneinsicht
durch Mitbewerber) und unverhältnismäßiger Beanspruchung von Managementressourcen.
Schließlich geht es in der Selektion darum, für eine gesunde Mischung aus attraktiven und
glaubwürdigen Käufern zu sorgen. Abhängig von situativen Faktoren und den Charakteris-
tika des Assets werden typischerweise mindestens drei bis vier potenzielle Käufer nach Ab-
gabe eines unverbindlichen Kaufangebotes in die zweite Runde des Prozesses eingeladen.
Was die Kontaktaufnahme zur ersten Bieterrunde betrifft, ist die ideale Anzahl an Käufern
generell weit weniger stark begrenzt – dies auch vor dem Hintergrund, dass oft nur ein
relativ geringer Anteil der kontaktierten Bieter ein indikatives Angebot unterbreiten wird.
Die Berater des Verkäufers kontaktieren die selektierten potenziellen Käufer und
lassen diesen nach einer Indikation ihres generellen Interesses eine schriftliche Ein-
ladung zukommen, in welcher der geplante Prozess, der Zeitplan bis zur Einreichung
eines vorläufigen, unverbindlichen Angebots und die vom Verkäufer erwarteten Schlüs-
selkomponenten eines solchen Vorschlags (Preisüberlegungen, Bewertungsannahmen,
wesentliche Voraussetzungen) erläutert werden.
Seriöse und wettbewerbsfähige Käufer werden i. d. R. ausreichend Zeit und Ressour-
cen in eine Auktion investieren. Dies kann sowohl interne als auch externe Ressourcen
in Form von Finanzberatern, Wirtschaftsprüfern, Rechtsanwälten und möglicherweise
auch Beratungsunternehmen inkludieren. In manchen Fällen werden die Käufer die
Komplexität und die Anforderungen an eine Ausschreibung jedoch unterschätzen. Hier-
bei liegt es im Verantwortungsbereich des Verkäufers bzw. seiner Berater sicherzustel-
len, dass die potenziellen Käufer ein angemessenes Maß an Ressourcen von Beginn an
einsetzen. Eine derartige verkäuferinduzierte Unterstützung kann in seltenen Fällen
sogar bis zur Beratung bei der Auswahl von externen Beratungsteams gehen. Dies ist
vor allem dann der Fall, wenn der Käufer nicht mit dem spezifischen Sektor und den
legalen Rahmenbedingungen vertraut ist.
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XI. Private Auktionen im M & A-Kontext – Ausgewählte Best-Practice-Beispiele aus Verkäuferperspektive  |  373


Teil

7.2 Offenlegung von Informationen


Um die Vertraulichkeit zu gewährleisten, können Informationen an potenzielle Käufer
schrittweise weitergegeben werden, damit nur die seriösesten und glaubwürdigsten
Käufer Zugang zu wettbewerbssensiblen Informationen erhalten. Im Zuge der ersten
Bieterrunde wird der Verkäufer nur begrenzt Informationen zum Unternehmen bereit-
stellen, wobei der Schwerpunkt auf den wesentlichen Elementen liegt, welche für einen
Bieter nötig sind, um eine seriöse Offerte zu unterbreiten. Die Informationen werden
in einem standardisierten Format an alle Beteiligten verteilt, um sicherzustellen, dass
die eingereichten Kaufpreisvorschläge untereinander vergleichbar sind. In den meisten
Fällen werden diese Informationen in Form eines Informationsmemorandums bereit-
gestellt, welches vom Verkäufer und mit Hilfe seiner Berater im Vorfeld des Prozesses
zusammengestellt wurde.

7.3 Unverbindliches Angebot


Unter der Annahme, dass potenzielle Käufer nach der Überprüfung des Informa-
tions-Memorandums weiterhin Interesse an einer Akquisition haben, werden sie dieses
in Form eines unverbindlichen Angebots (Non-binding Offer, kurz: NBO) bis zum Ab-
gabeschluss kundtun.
Der Verkäufer wird dann einen ersten Vergleich der erhaltenen Interessensbekundun-
gen vornehmen und eine Short List zusammenstellen, anhand derer die glaubwürdigs-
ten Käufer zu einer zweiten Runde eingeladen werden. Für den Fall, dass kein oder nur
unzureichende Angebote eingegangen sind, steht es dem Verkäufer frei, den Prozess zu
verzögern oder gänzlich zu stoppen.
Um eine Short List von Käufern zusammenzustellen, welche zur zweiten Runde
eingeladen werden, ist der Preis allein oft kein verlässliches Auswahlkriterium. Die
Auswahl indikativer Gebote über den Preis kann das Risiko eines »Selektions-Bias«
erhöhen: Bieter reichen manchmal in der ersten Runde ein Angebot mit einem hohen
Nominalwert ein, nur um Zugang zur vollständigen Due Diligence-Phase zu bekommen
und nach einer genaueren Prüfung von Risiken ihr Angebot in einem zweiten Schritt
entsprechend zu reduzieren.
Es ist auch von entscheidender Bedeutung, bei der Auswahl der Bieter verschiedene
Kriterien – wie den strategischen Fit, Synergiepotenziale, finanzielle Stärke, Erfolgshis-
torie (»Investment Track-Record«), die Zukunftspläne für das Unternehmen, potenzielle
regulatorische Hürden (Fusionskontrolle, Antikartellgesetz) und/oder alle anderen Fak-
toren, die Preis- oder Transaktionssicherheit beeinträchtigen können, – zu beachten;
ebenso wichtig ist es, den internen Genehmigungsgrad der Offerte durch das Manage-
ment und/oder den Verwaltungsrat einzubeziehen, welchen die Bieter intern vor der
Einreichung eines NBO erhalten. Im Zweifelsfall kontaktieren der Verkäufer oder seine
Berater die individuellen Kaufinteressenten mit der Aufforderung, bestimmte Elemente
ihres Vorschlags zu konkretisieren.
Es ist Aufgabe des Verkäufers und seiner Berater, im Zuge der Interaktion mit den
Bietern festzustellen, wie seriös und fundiert ein abgegebenes, unverbindliches Angebot
tatsächlich ist. Der Finanzberater des Verkäufers wird i. d. R. ein breites Spektrum von
Analysen durchführen, um die Zahlungsfähigkeit des Käufers und die Seriosität des ab-
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374  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

gegebenen Angebotes und der einzelnen im Prozess involvierten Entscheidungsträger


zu prüfen.
Wenn die Short List der in die zweite Runde einzuladenden Parteien zusammenge-
stellt ist, wird der Verkäufer zwischen dem Nutzen, einerseits möglichst viele Käufer
im Boot zu haben (um maximalen Wettbewerb zu gewährleisten) und andererseits der
Notwendigkeit, nur den seriösesten und attraktivsten Käufern Managementressourcen
zu widmen, abwägen. Idealerweise kann der Verkäufer mindestens drei bis vier Parteien
in die zweite Runde einladen.

8 Zweite Runde: Der Weg zu einem verbindlichen


Angebot
In der zweiten Runde macht der Verkäufer einem beschränkten Kreis von Bietern um-
fassende und transparente Informationen zugänglich. Parallel dazu wird von Seiten des
Verkäufers ein Vertragsentwurf zum Aktienkauf (»Share Purchase Agreement«, kurz:
SPA) (unter der Annahme, dass die Transaktion als Aktienkauf einer Tochtergesell-
schaft strukturiert ist) vorgelegt. Nach Abschluss der Due Diligence, die i. d. R. zwischen
vier und acht Wochen, abhängig vom Komplexitätsgrad des Unternehmens und der An-
zahl der im Prozess involvierten Käufer, dauern wird, werden die potenziellen Käufer
aufgefordert, ein formales und verbindliches Angebot abzugeben. Zu dieser zweiten
Runde gehören im Wesentlichen vier Schlüsselelemente.

8.1 Zugang zu einer umfassenden Due Diligence


Unzureichende Offenlegung von Informationen über das Asset mindert Preis- und
Transaktionssicherheit und kann potenzielle Käufer ermutigen, sich vertraglich – bspw.
durch Garantien und Zusatzklauseln – gegen unbekannte und potenzielle Risiken abzu-
sichern. Daher sollten relevante Due Diligence-Informationen in einer standardisierten,
transparenten und gut strukturierten Weise offengelegt werden; dies z. B. durch eine
Kombination von (i) Verkäufer-Due-Diligence-Berichten (»VDD Report«), (ii) Zugang zu
einem virtuellen Datenraum, (iii) Einladung zu einer Managementveranstaltung und
(iv) Zugang zu weiterführenden Ad-hoc-Due-Diligence-Materialien. Je nach verfügbaren
Mitteln kann der Verkäufer einen parallelen Q & A-Prozess aufbauen und dadurch poten-
ziellen Käufern die Möglichkeit bieten, zusätzlich schriftliche Fragen einzureichen. Es
ist ratsam, derartige zusätzliche Möglichkeiten zur weiterführenden Due Diligence zeit-
lich und in ihrem Umfang strikt zu begrenzen, da Bieter und deren Berater ansonsten
ausufernd davon Gebrauch machen und sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren.
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XI. Private Auktionen im M & A-Kontext – Ausgewählte Best-Practice-Beispiele aus Verkäuferperspektive  |  375


Teil

8.2 Verteilung des Vertragsentwurfes


Der Verkäufer ist angehalten, den potenziellen Käufern einen Entwurf des Kaufvertra-
ges zukommen zu lassen, welcher durch die eigenen Finanz- und Rechtsberater erstellt
wurde. In Abhängigkeit von der allgemeinen Dynamik der Auktion und der Verhand-
lungsmacht der einzelnen Käufer sollte der Verkäufer in Zusammenarbeit mit seinen
Beratern einen mehr oder aber weniger stark auf die individuellen Präferenzen der
potenziellen Käufer abgestimmten Kaufvertrag aufsetzen. Die Käufer werden parallel
zu ihrer Due Diligence an einem abgeänderten Vertragsvorschlag arbeiten, der im Zuge
der finalen Offerte eingereicht wird und auf dessen Basis sie bereit wären, diesen auch
zu unterzeichnen.

8.3 Strategische Kommunikation


Die Gestaltung der Interaktion mit potenziellen Käufern ist von wesentlicher Bedeutung.
Um mögliche Tücken oder Missverständnisse über das zu veräußernde Asset oder den
Prozess selbst während der Due Diligence-Phase zu identifizieren und die künftige Ver-
handlungsposition des Verkäufers vorteilhaft zu gestalten, sollten externe Berater stra-
tegisch eingesetzt werden. So ist es ratsam, die Kommunikationsorganisation generell
an externe Berater zu übertragen; ebenso können diese strategisch zur Übermittlung
schwieriger und sensibler Nachrichten eingesetzt werden, so dass der Verkäufer weiter-
hin eine weitgehend konfliktfreie persönliche Beziehung mit den hochrangigen Vertre-
tern und Entscheidungsträgern der Käuferseite wahren kann. Ebenso sollte die interne
Kommunikation auf der Verkäuferseite mit den jeweiligen relevanten Interessengruppen
(Management, Verwaltungsrat, Mitarbeiter etc.) innerhalb von Vertraulichkeitsgrund-
sätzen nicht gänzlich vernachlässigt werden, und das Management des zu veräußern-
den Unternehmens sollte über die wichtigsten Entwicklungen informiert werden.

8.4 Abgabe und Analyse des verbindlichen Kaufangebotes


Zum relevanten Angebotsstichtag reichen die sich noch im Rennen befindenden poten-
ziellen Käufer ihr formales und bindendes Kaufangebot (Binding Offer) zusammen mit
einer überarbeiteten Fassung (»Mark-up«) des Kaufvertrags ein. Die Verbindlichkeit des
Angebotes ist in manchen Fällen abhängig vom (positiven) Abschluss einer konfirmat-
orischen Due Diligence betreffend ausgewählter Aspekte von der Käuferseite.
Der bindende Angebotspreis stellt dann neben dem geforderten Umfang der konfir-
matorischen Due Diligence und dem abgeänderten Vertragsentwurf ein wesentliches
Kriterium bei der Beurteilung der Angebote dar; Preis und Vertragsentwurf erlauben
eine Evaluation der erhaltenen Kaufofferten hinsichtlich der Preis- und Transaktions-
sicherheit sowie der Angemessenheit des vorgesehenen Zeitrahmens bis zum Closing.
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376  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

9 Transaktionsabschluss: Vertragsverhandlungen
und Signing
In der entscheidenden letzten Phase der privaten Auktion wird der endgültige Käufer-
kreis anhand des gebotenen Preises und der vertraglichen Anforderungen ausgewählt.
Die Anzahl der potenziellen Käufer ist nun i. d. R. aufgrund des Ausscheidens der Bieter
mit unzureichendem Interesse und/oder inadäquaten Offerten signifikant gesunken,
zumeist auf ein bis maximal drei Parteien. Mit dem/den verbliebenen Bieter/Bietern
wird der Verkäufer in individuelle Verhandlungen eintreten, in deren Rahmen die Moda-
litäten des Kaufvertrags, der konfirmatorischen Due Diligence und letztlich des Signings
und Closings der Transaktion besprochen werden.
Typischerweise steigt mit der zeitlichen Annäherung an die Vertragsunterzeichnung
auch die Sensibilität auf beiden Seiten. Späte Offenlegung von sensitiven Informationen
und/oder abrupte Änderungen von vertraglichen Verhandlungspositionen oder wich-
tigen Kaufbedingungen erhöhen das Konfliktpotenzial und können wertschädigende
Auswirkungen haben, die im schlimmsten Fall bis hin zu einem plötzlichen Abbruch
der Verhandlungen seitens des Käufers führen können. Demnach ist dem Verkäufer auf
der Zielgerade anzuraten, vor allem sechs Punkten Beachtung zu schenken.

9.1 Aufrechterhalten wettbewerbsfähiger Spannung bis zum Ende


Selbst in dieser letzten Etappe sollte der Verkäufer nicht auf den Vertragsabschluss
mit einem einzigen Käufer vertrauen. Ein umsichtiger Verkäufer wird stets bemüht
sein, mindestens ein Alternativangebot (»Cover Bid«) bis zum Ende des Prozesses in
der Hinterhand zu haben. Es besteht immer die Gefahr, dass der favorisierte Käufer
aus Gründen, die außerhalb der unmittelbaren Kontrolle des Verkäufers liegen, ab-
springt. So kann es sein, dass ein Käufer nicht in der Lage ist, die internen Geneh-
migungen oder die Finanzierung für die Akquisition endgültig zu sichern. Risiken,
die sich im Zuge der konfirmatorischen Due Diligence nicht aus dem Weg räumen
lassen, können ebenso das Kaufinteresse versiegen lassen. Auch können durch alter-
native Akquisitionsmöglichkeiten, die während des Auktionsprozesses auf den Markt
kommen, das Interesse und die Kooperationsbereitschaft schwinden. Folglich sollte
der Verkäufer diese Abschlussrisiken in seine Auswahl der finalen Bieter einbezie-
hen; denn nichts ist unangenehmer und vor allem wertschädigender als auf bereits
aus dem Prozess ausgeschlossene Bieter zurückgreifen zu müssen. Diese werden die
missliche Lage des Verkäufers erkennen und dies zu ihrem Vorteil in den finalen
Verhandlungen nutzen.
Um zu vermeiden, ohne Bieterkonkurrenz in der Endphase anzugelangen, sollte der
Verkäufer daher ebenso strategische Alternativen über das zentrale Verkaufsszenario
hinaus ausarbeiten und diese in einer frühen Phase des Prozesses den potenziellen Käu-
fern kommunizieren. Solche typische Optionen, welche die Verhandlungsposition des
Verkäufers vis-à-vis dem Bieterkreis stärken, können bspw. ein Börsengang, ein Joint
Venture mit einer Drittpartei oder einfach nur der Verbleib des Assets beim Verkäufer
sein. Es ist wichtig sicherzustellen, dass die zukünftigen Käufer von Anfang an wissen,
dass das Unternehmen das Asset nicht um jeden Preis verkaufen wird und muss, um
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XI. Private Auktionen im M & A-Kontext – Ausgewählte Best-Practice-Beispiele aus Verkäuferperspektive  |  377


Teil

einen künstlichen Wettbewerb aufrechtzuerhalten und um die Wahrnehmung eines


verzweifelten Verkäufers (»Distressed Seller«) zu verhindern.

9.2 Selektive Gewährung von Exklusivität


Potenzielle Käufer werden stets versuchen, dem Wettbewerb aus dem Weg zu gehen. Bei
Abgabe eines verbindlichen Angebotes werden Bieter typischerweise nach exklusiven
Verhandlungen mit dem Käufer verlangen. Dies stärkt deren eigene Verhandlungspositi-
on und gibt zusätzliche Gewissheit hinsichtlich eines positiven Transaktionsabschlusses
mit dem Verkäufer. Falls der Verkäufer Exklusivitätsrechte nicht umgehen kann, wird er
diese nur sehr selektiv und bedacht gewähren. So kann Exklusivität für einen begrenz-
ten Zeitraum zugestanden werden, der von einigen Stunden bis zu einem Wochenende
reicht, manchmal im Austausch gegen bestimmte Zugeständnisse seitens des Käufers.
Break-up-Gebühren hingegen – ein häufiges Merkmal bei Auktionen in den USA – sind
in Europa eher selten, da sie häufig die treuhänderischen Pflichten des Vorstands ver-
letzen.

9.3 Offizieller Abschluss der Due Diligence


Während der Grundsatz einer transparenten Offenlegungspolitik weiter gewährleistet
bleibt, wird der Verkäufer versuchen, den Due Diligence-Prozess abzuschließen, indem
er den Käufern alle nötigen Informationen liefert, die sie für einen Vertragsabschluss
brauchen. Dies ist der Zeitpunkt, an dem die Überprüfung der Dokumente beendet wird
und potenzielle zukünftige Überraschungen durch Repräsentationen, Garantien und
vertragliche Offenlegungspläne abgedeckt werden. Die konfirmatorische Due Diligence
sollte auf ein Minimum reduziert und nur für selektierte Bereiche, welche bereits vor-
ausgehend umfassend und detailliert in der Kaufofferte spezifiziert wurden, eingesetzt
werden.

9.4 Flexible Prozessgestaltung und Schutz des eigenen Rufs


Je nach den Umständen können individuelle Käufer im Eilverfahren bevorzugt behan-
delt werden und/oder prioritären Zugang zu Informationen erhalten, wenn dies hilft,
rasch ein kompetitives Angebot zu erhalten. Aus rechtlicher Sicht ist unbedingt darauf
zu achten, dass substanzielle Informationen zu keinem Zeitpunkt zurückgehalten wer-
den und kritische, interpretationsbedürftige Aspekte geklärt werden, um jegliche poten-
zielle betrügerische Absichten seitens des Verkäufers im weiteren Sinne zu unterbinden.
So ist aus Sicht der beratenden Parteien besonders darauf zu achten, dass niemals irre-
führende Auskünfte zur Wettbewerbssituation im Rahmen der Auktion erteilt werden.
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378  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

9.5 Vertragsverhandlungen und Bereitschaft zu Kompromissen


Die Kunst der Aushandlung von vorteilhaften, integrativen Verhandlungsergebnissen 2
liegt darin, die zugrundeliegenden Ziele und Absichten sowie die relative Bedeutung
bestimmter vertraglicher Elemente der Käuferseite zu verstehen und zu interpretieren.
Als Verhandlungsführer kann Wert generiert werden, indem Unterschiede in Reserva-
tionspreisen hinsichtlich bestimmter vertraglichen Bedingungen zwischen Käufer und
Verkäufer genauer beleuchtet werden und darauf adäquat reagiert wird. Wenn z. B. der
Verkäufer trotz seiner Due Diligence-Bemühungen Zweifel hat, ob das Unternehmen
genügend Rückstellungen für potenzielle Rechtsstreitigkeiten gebildet hat, der Verkäufer
aufgrund seines besseren Wissensstandes jedoch keine weiteren Rechtrisiken erwar-
tet, kann eine vollständige vertragliche Entschädigungsklausel für Rechtsrisiken einen
enormen Wert für den Käufer bei (relativ) geringen Kosten für den Verkäufer darstellen.
Der Verkäufer ist im Gegenzug in der Lage, als Gegenleistung für eine solche Entschädi-
gung etwas anderes zu erhalten, das ihm relativ gesehen wichtiger ist. Das Verständnis
von Zielen und Wünschen des Gegenübers kann zu einem strategischen Vorteil am Ver-
handlungstisch werden und manchmal auch das Ergebnis für beide Parteien verbessern.
Verhandlungsgeschick erfordert auch die Bereitschaft zu Kompromissen. Eine Partei
sollte bereit sein, bei Konditionen nachzugeben, wenn dies erlaubt, andere, wichtigere
Ziele der Transaktion zu schützen. Verhandeln ist stets ein Geben und Nehmen, wobei
beide Parteien individuell versuchen werden, mehr zu nehmen, als zu geben.

9.6 Relativer Vergleich der vorliegenden Angebote


Eine Auktion stellt während des gesamten Transaktionsprozesses bis hin zur letzten
Runde ein nützliches Instrument dar, welches einen Vergleich mehrerer Angebote hin-
sichtlich verschiedener Kriterien erlaubt. Am Ende sollte der Verkäufer in der Lage
sein, diejenige Partei auszuwählen, welche am besten zu den ursprünglich gesetzten
Zielvorstellungen passt. Der bevorzugte Käufer muss nicht unbedingt der hinsichtlich
des Preises höchste Bieter sein. Der Preis ist wie besprochen nur ein Kriterium unter
vielen, wenn auch oft das relevanteste.
Zum Beispiel muss ein Verkäufer, der auf Preis- und Transaktionssicherheit fokus-
siert ist, darauf achten, dass bestimmte, häufig verwendete vertragliche Klauseln die
eigene Position nicht ernsthaft beeinträchtigen. Folgendes sind alles typische Beispiele,
die den Wert des Angebots für den Verkäufer schmälern:
• MAC-Klauseln können den Abschluss der Transaktion verhindern, wenn bestimmte
unvorhergesehene Ereignisse eintreten.
• Die Einzahlung eines großen Teils des Kaufpreises auf ein Treuhandkonto
(»Escrow-Konto«); ein Teil des Transaktionspreises kann in einem separaten, zweck-
bestimmten Bankkonto zurückbehalten werden, um potenzielle Ansprüche des Käu-
fers nach Abschluss der Transaktion zu schützen.
• Earn-out-Klauseln können sich auf zukünftige Profitabilitätsziele des erworbenen
Unternehmens stützen.

2 Vgl. dazu auch Rock 2010.


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XI. Private Auktionen im M & A-Kontext – Ausgewählte Best-Practice-Beispiele aus Verkäuferperspektive  |  379


Teil

• Exzessive Übertragung von Risiken auf und Gewährung von Garantien durch den
Verkäufer gegen bestimmte Risiken.

Der Verkäufer wird i. d. R. versuchen, eine Haftungsfreistellung vom Käufer für alle
potenziellen Risiken zu erhalten, die im Rahmen der Due Diligence offengelegt wur-
den – eine Strategie, die im Jargon oft als »Sandbagging« bezeichnet wird.
Unter der Annahme, dass eine Einigung über den Preis und die Vertragsbedingungen
erreicht werden kann, können der Verkäufer und sein bevorzugter Käufer schlussend-
lich den Kaufvertrag unterzeichnen. Manchmal wird die abschließende Verhandlung
mit einem einzigen verbleibenden Käufer geführt. In den besten Fällen gelingt es dem
Verkäufer, bis zur letzten Minute einen alternativen Käufer durch parallele Verhand-
lungen zu behalten.

10 Fazit
In den vorausgehenden Ausführungen wurde das Ziel verfolgt, den Grad der Flexibilität,
welche ein Verkäufer bei der Gestaltung eines Auktionsprozesses hat, zu skizzieren.
Es gibt kaum Instrumente und Mechanismen, die es dem Verkäufer ermöglichen, eine
vergleichbare kompetitive Spannung im Verkaufsprozess zu schaffen, um für den Ver-
käufer den bestmöglichen Preis relativ zu den vertraglichen Bedingungen zu erzielen.
Natürlich gibt es Alternativen: Eine solche stellt der bilateral ausgehandelte Verkauf
dar. Jedoch findet sich der Verkäufer dabei oft in einer Situation wieder, die durch re-
duzierte Verhandlungsflexibilität gekennzeichnet ist. Dies kann zu einem signifikant
niedrigeren Kaufpreis und wesentlich unattraktiveren Verkaufskonditionen führen.
Um seine Verhandlungsposition zu stärken, schafft der Verkäufer oft eine künstliche
Auktionssituation und kommuniziert direkt mögliche strategische Alternativen an den
Käufer (Verbleib des Assets beim Verkäufer, Börsengang, Start eines privaten Aukti-
onsprozesses etc.). Mögliche Vorteile der bilateralen Verhandlung sind ein verkürzter
Zeitplan, geringere Prozesskomplexität, reduziertes Störungsrisiko im Hinblick auf den
Geschäftsgang des zu veräußernden Unternehmens und ein generell höherer Grad an
Vertraulichkeit während des Prozesses.
Eine weitere Alternative ist eine vereinfachte Auktion in der Form eines »Sealed
Bid«-Ansatzes. Hierbei wird den Käufern nur eine einzige Chance für eine Angebots-
abgabe gegeben. Im Falle eines erfolglosen Vorschlages scheiden die Käufer aus dem
Wettbewerb aus, wodurch die Parteien ermutigt werden sollen, ein hohes erstes und
zugleich finales Angebot zu unterbreiten.
In beiden Fällen jedoch bilden Versteigerungen weiterhin den strukturellen Kern des
Veräußerungsprozesses, indem der Verkäufer durch die Generierung von Alternativen
eine Wettbewerbssituation um das Asset schafft, und ihm die Möglichkeit offensteht,
aus verschiedenen Handlungsansätzen zu wählen.
Aus den erläuterten Gründen und in Anbetracht der kontinuierlich hohen Anzahl von
Unternehmensverkäufen in der M & A-Welt ist davon auszugehen, dass die Firmenauk-
tion nach wie vor ein präferiertes und zeitgemäßes Instrument für Unternehmensver-
käufe bleiben wird.
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380  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Literatur
Müller-Stewens, G./Schäfer, M. (2016): M & A als Beratung: Dienstleistungsspektrum und Beratertypen.
In: Müller-Stewens, G./Kunisch, S./Binder, A. (Hrsg.): Mergers & Acquisitions, Stuttgart, 2016.
Rock, H. (2010): Win-Win-orientierte Verhandlungstaktik. In: Müller-Stewens, G./Kunisch, S./Binder,
A. (Hrsg.): Mergers & Acquisitions, Stuttgart, 2010.
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  |  381
Teil

XII. Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen


Wolfgang Berens/Thorsten Knauer/Anja Schwering*

1 Ursprung, Begriffbestimmung und Anlass der Due Diligence


2 Funktionen der Due Diligence
2.1 Offenlegung von Informationen
2.2 Analyse und Prüfung
2.3 Entscheidungsgrundlage und Preisfindung
2.4 Exkulpation
3 Durchführung einer Due Diligence bei einer Unternehmensakquisition
3.1 Terminierung der Due Diligence
3.2 Planung und Organisation einer Due Diligence
3.3 Teilprüfungen der Due Diligence
4 Zusammenfassung

1 Ursprung, Begriffsbestimmung und Anlass


der Due Diligence1
Der Begriff der Due Diligence entstammt ursprünglich der US-amerikanischen Trans-
aktionspraxis.2 Hier bedeutet Due Diligence »sorgsame Erfüllung, im Verkehr erfor-
derliche Sorgfalt«3 und definiert den bei geschäftlichen Transaktionen anzulegenden
Sorgfaltsmaßstab. Im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht steht die Due Diligence für
die sorgsame und gewissenhafte Prüfung des Börsenzulassungsprospekts zum Schutze
der Anleger bei der Begebung neuer Aktien. Der Entlastungsbeweis für Abschlussprü-
fer, Rechtsanwälte oder andere Experten im Rahmen der Emissionsprospekthaftung
nach SA sec. 11 »has come to be called the ›due diligence‹ or ›reasonable investigation‹
defense«.4 Hiervon ausgehend hat sich der Begriff im Bereich aller geschäftlichen Trans-
aktionen zur Kennzeichnung einer Phase des Informationsaustauschs und der Prüfung
von Vertragsgrundlagen durchgesetzt.
Der Begriff Due Diligence ist in Deutschland nicht gesetzlich definiert. Vor diesem
Hintergrund gibt es ein breites Spektrum an Definitionen. Es lassen sich aus den ver-
schiedenen Begriffsbestimmungen jedoch gemeinsame Merkmale herausarbeiten:

* Prof. Dr. Wolfgang Berens, Lehrstuhlinhaber für BWL, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster;
Prof. Dr. Thorsten Knauer, Lehrstuhlinhaber für Controlling, Universität Bayreuth, Bayreuth;
Dr. Anja Schwering, Akademische Rätin am Lehrstuhl für Controlling, Universität Bayreuth, Bay-
reuth.
1 Vgl. hierzu ausführlich Berens/Strauch 2013, S. 3–20.
2 Vgl. Torggler/Hofmann 1993, S. 77; Wegen 1994, S. 291 und Merkt 1995, S. 1041.
3 Eichborn, von 1994, S. 180.
4 Lawrence 1995, S. 2–7; vgl. auch Kiger/Scheiner 1994, S. 137, 148 und Ebke 1983, S. 183.
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382  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

1. Bei der Due Diligence handelt es sich um Analysen und Prüfungen, die im Rahmen
der Vorbereitung von geschäftlichen Transaktionen – meistens dem Kauf eines Un-
ternehmens – zum Ziel der Informationsversorgung des Entscheidungsträgers in den
Planungs- und Entscheidungsprozess integriert werden.
2. Die Due Diligence umfasst Aktivitäten der Informationsbeschaffung und -aufberei-
tung zur Erhöhung der Qualität von Entscheidungen durch Chancen- und Risikoer-
kennung5 auf betriebswirtschaftlicher und juristischer Ebene sowie durch Genauig-
keit in der Wertfeststellung als Folge eines verbesserten Informationszustands.
3. Gegenüber der ursprünglichen Verwendung des Begriffs im Rahmen der US-ameri-
kanischen Gesetzgebung als Entlastungsbeweis für die an der Emission von Wert-
papieren Beteiligten wird der Begriff Due Diligence beim Kauf von Unternehmen im
Sinne von Acquisition Investigation,6 Businessman’s Review,7 Pre Acquisition Audit8
oder Kauf- oder Übernahmeprüfung9 verwendet.

Due Diligence wird somit immer dort eingesetzt, wo zwei oder mehr Parteien eine
vertragliche Bindung eingehen, deren Konsequenzen aufgrund ungleicher Verteilung
unvollständigen Wissens in Bezug auf Tatsachen und die Entwicklung zukünftiger
Umweltzustände unsicher sind. Neben der originären Anwendung im US-amerikani-
schen Recht zu Informations- und Schutzzwecken der Anleger kommt der Due Diligence
überall dort besondere Bedeutung zu, wo für Zwecke einer Unternehmensbewertung
die entsprechende Datenbasis zur Verfügung zu stellen ist.10 Aufgrund der Komplexität
von Unternehmensakquisitionen sind das Interesse und die Notwendigkeit am größten,
die Entscheidungsträger über die Chancen und Risiken umfassend zu informieren und
die Transaktion entsprechend zu strukturieren, um Enttäuschungen nach dem Eigen-
tumsübergang zu vermeiden.11

2 Funktionen der Due Diligence12


2.1 Offenlegung von Informationen
Eine der grundlegenden Funktionen der Due Diligence ist die Überwindung der In-
formationsasymmetrie zwischen dem i. d. R. besser informierten Verkäufer und dem
in Bezug auf die Zielgesellschaft schlechter informierten Käufer. Diese Offenlegung
von Unternehmensinformationen (Disclosure)13 ist gleichermaßen für die betriebswirt-
schaftliche Beurteilung der Transaktion wie auch die juristische Ausarbeitung des Ver-
tragswerkes – einschließlich der Festlegung des Inhalts und des Umfangs der Gewähr-
leistungen und Garantien – relevant.

  5 Vgl. hierzu ausführlich Schmitting 2013, S. 255–291.


  6 Vgl. Binder/Lanz 1993, S. 15.
  7 Vgl. Grafer/Baldasaro 1994, S. 342.
  8 Vgl. Welsh 1983, S. 32.
  9 Vgl. Ganzert/Kramer 1995, S. 577.
10 Vgl. Helbling 1989, S. 177.
11 Vgl. Crilly 1993, S. 1-02 und 2-03.
12 Vgl. hierzu ausführlich Berens/Schmitting/Strauch 2013, S. 65–78.
13 Vgl. Lawrence 1995, S. 1–9 f.
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XII. Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen  |  383


Teil

Während der Erwerber stets an einer vollständigen Aufdeckung aller für die Ent-
scheidung wesentlichen Informationen interessiert sein wird, ist die Interessenlage beim
Verkäufer differenzierter. Einerseits kann oder muss er befürchten, dass der Kaufinter-
essent in den Besitz vertraulicher Informationen gelangt und die Verhandlungen nach
erfolgter Offenlegung abbricht. Andererseits sollte der Verkäufer Interesse an einer Of-
fenlegung haben, da ein Käufer, der das Unternehmen nicht beurteilen kann, einen »Un-
sicherheitsabschlag«14 bei der Preisfindung vornimmt bzw. aufgrund nicht erkannter
positiver Eigenschaften des Unternehmens eben eines »mittlerer Art und Güte« unter-
stellt. Im Extremfall könnte der Interessent sogar gänzlich vom Kauf Abstand nehmen.
Die Offenlegung von Unternehmensinformationen erlangt weiterhin Bedeutung im
Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorschriften über den Kauf und die Gewährleis-
tung.15 Durch die Aufdeckung negativer Umstände vor Vertragsabschluss werden späte-
re Gewährleistungsansprüche des Käufers für diese Umstände verhindert. Denn Mängel
des Unternehmens, die der Käufer bei Vertragsabschluss kannte, hat der Verkäufer nicht
zu vertreten (§ 442 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Offenlegung schafft somit Rechtssicherheit
und dient bei späteren Rechtsstreitigkeiten der Beweisführung.

2.2 Analyse und Prüfung


Bei der Due Diligence handelt es sich um einen Urteilsbildungsprozess, bei dem die
Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Transaktion vor dem Hintergrund des
Motivs zum Unternehmenskauf beurteilt sowie Risiken und Schwachstellen im be-
trachteten Unternehmen aufgedeckt werden sollen. Die Unternehmensanalyse ist eine
Methode, die dazu dient, zukunftsgerichtet Informationen über betriebswirtschaftlich
relevante Größen sowie Erkenntnisse über Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge
von Prozessen und Ressourcen zu gewinnen.16 Das Analyseobjekt im Rahmen der Un-
ternehmensakquisition ist die Zielgesellschaft sowie ihre relevante Umwelt. Das Ziel
der Analyse einer Due Diligence ist die Beantwortung der Frage, ob das Unternehmen
den strategischen Vorstellungen und Zielen des Erwerbers entspricht und wie hoch der
über die gängigen Verfahren der Unternehmensbewertung zu ermittelnde Wert (innerer
Wert) des Unternehmens ist.17
Erfolgt die Analyse des Unternehmens durch wertende Vergleichshandlungen, durch
die der anzulegende Maßstab zur Norm für das Untersuchungsobjekt wird, handelt es
sich um eine Prüfung.18 Entsprechend dem messtheoretischen Ansatz der Prüfungsthe-
orie erfolgt eine Prüfung durch den Vergleich eines gegebenen, vom Prüfenden nicht
selbst herbeigeführten Ist-Objektes mit einem zu konstruierenden, fiktiven Soll-Ob-
jekt.19 An diesen Vergleich schließt sich die Beurteilung von evtl. festgestellten Abwei-

14 Holzapfel/Pöllath 2010, S. 24.


15 Vgl. hierzu ausführlich Picot 2013, S. 323–361; Fleischer/Körber 2001, S. 841 ff.; Eggenberger 2001
sowie Knöfler 2001.
16 Vgl. Henseler 1979, S. 13; Peemöller 1978, S. 188 und Liessmann 1997, S. 32 f.
17 Vgl. Niehues 1993, S. 2242.
18 Vgl. Wysocki 1988, S. 121 und Wysocki 1992, Sp. 1763.
19 Vgl. Wysocki 2002, Sp. 1886f; Drexl 1990, S. 27; Leffson 1988, S. 13 und Bönkhoff 1992, Sp. 262. Der
messtheoretische Ansatz ist in der Literatur nicht ohne Kritik geblieben, da er insbesondere das tat-
sächliche Verhalten des Prüfers bei der Urteilsbildung nicht adäquat abbildet (vgl. Zünd 1982, S. 80
und Drexl 1990, S. 30). Ansätze zur Einbeziehung der Prüferpersönlichkeit bei der Erklärung des
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384  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

chungen sowie die Dokumentation und Berichterstattung über das Prüfungsurteil an.
Auf Basis der festgestellten Abweichungen kann – je nach Tragweite – eine Minderung
des Kaufpreises angestrebt werden oder bei sog. Deal Breakern sogar ein Zurücktreten
vom Kauf erfolgen.

2.3 Entscheidungsgrundlage und Preisfindung


Da Chancen und Risiken methodisch nur dann adäquat berücksichtigt werden können,
wenn sie zuvor transparent gemacht worden sind,20 stellt die Due Diligence eine wesent-
liche Grundlage für die am Ende erforderliche Entscheidung über den Unternehmens-
kauf und die Bestimmung der für die Zielgesellschaft angemessenen Gegenleistung
bereit. Dabei ist zwischen Unternehmenswertfindung und Preisfindung zu unterschei-
den. Der Wert eines Unternehmens – i.S.d. subjektiven Grenzpreises – ergibt sich aus
der Beziehung des Käufers zur Zielgesellschaft und drückt den Grad der Nützlichkeit
des Akquisitionsobjekts zur Erreichung der finanziellen und strategischen Ziele aus.21
Hiervon zu unterscheiden ist der Prozess der Ermittlung des Preises durch Verhand-
lungen,22 in die neben dem Unternehmenswert als Entscheidungshilfe die persönliche
Verhandlungsstärke von Käufer und Verkäufer und die aktuelle Marktsituation, beste-
hend aus Angebot und Nachfrage, eingehen.23

2.4 Exkulpation
Unter der Exkulpationsfunktion der Due Diligence sollen diejenigen Sachverhalte ver-
standen werden, bei denen der zur Rechenschaft Gezogene mit Hilfe der bei der Due Di-
ligence durchgeführten Arbeiten einschließlich ihrer Dokumentation den Entlastungs-
beweis antritt, dass er sorgfältig alle für die Transaktion relevanten Aspekte aufgedeckt
und beurteilt hat und ihn somit die Behauptung der Fahrläßigkeit bei eventuellen spä-
teren Rechtsstreitigkeiten nicht treffen kann. Ausgehend von der originären Begriffs-
bedeutung als Sorgfaltsmaßstab können dem Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung
nicht nur das Management des Käuferunternehmens, sondern auch die im Auftrag des
Käuferunternehmens tätigen Berater, insbesondere Rechtsanwälte und Wirtschaftsprü-
fer, ausgesetzt sein.24

Prüfungsgeschehens finden sich im Rahmen der Urteilsfindungshypothese von Egner (vgl. Egner
1993, S. 571 f.) sowie der Deutung der Handlungen von Prüfer und geprüftem Unternehmen auf der
Basis spieltheoretischer Überlegungen (vgl. Drexl 1990, S. 32 ff.).
20 Vgl. Bretzke 1992, S. 139.
21 Vgl. Ruhnke 1995, S. 6; Ruhnke 1991, S. 1889 f. und Korth 1992, S. 2.
22 Vgl. Tichy 1994, S. 160 und 173; Korth 1992, S. 2 und Caytas/Mahari 1988, S. 60.
23 Dementsprechend wurde versucht, das Marktgeschehen beim Kauf eines Unternehmens und die
Preisdiskussion auf Basis spieltheoretischer Überlegungen zu erklären, vgl. Schneider 1988, S. 524.
24 Vgl. Wegen 1994, S. 291.
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XII. Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen  |  385


Teil

3 Durchführung einer Due Diligence


bei einer Unternehmensakquisition
3.1 Terminierung der Due Diligence
3.1.1 Phasen einer Unternehmensakquisition25

In der Literatur wird der Akquisitionsplanungs- und Entscheidungsprozess i. d. R. als


schrittweiser analytischer, linearer Vorgang behandelt, der in einzelne, genau abge-
grenzte und zeitlich aufeinander folgende Phasen eingeteilt wird.26 Die einzelnen Hand-
lungsschritte kennzeichnen jedoch nicht allein zeitlich genau abgegrenzte Perioden mit
einem festgelegten Startpunkt, sondern inhaltliche Funktionen oder Aufgaben, für die
Rückkopplungen bestehen und die während des Phasenprozesses parallel bearbeitet
werden können.27 Im Folgenden wird auf die einzelnen Phasen des Prozesses knapp
eingegangen.
Zunächst erfolgt eine Analyse der strategischen Ausgangssituation mit Hinblick auf
das Unternehmen und die Umwelt. Ergebnis dieser Analysen ist die Kenntnis der ei-
genen Stärken und Schwächen, die die Möglichkeiten im Rahmen der Strategiebildung
und der Alternativensuche hinsichtlich des Produktprogramms, der finanziellen Grö-
ßenordnung und der geographischen Festlegung begrenzen und konkretisieren. Zu-
dem ist die Formulierung einer Vision notwendig, die grundsätzliche Wertvorstellun-
gen, Verhaltensweisen und Oberziele beschreibt.28 Vor diesem Hintergrund erfolgt die
Entwicklung des Soll-Profils des Unternehmens.29 Das Soll-Profil stellt das Ergebnis
der Operationalisierung der Vision im Hinblick auf den konkretisierten Zielinhalt, das
Zielausmaß und den Zeitraum der Zielerreichung dar. Werden strategische Lücken zwi-
schen dem Ist- und Soll-Profil identifiziert, können diese mittels einer Akquisition von
Unternehmen geschlossen werden.30 In einem Akquisitionsplan sind die mit dem Kauf
zu verfolgenden Ziele zur Schließung der strategischen Lücken, das daraus abgeleitete
Anforderungsprofil des Akquisitionsobjekts zur Erreichung dieser Ziele sowie der In-
formationsbedarf für die Alternativensuche festzulegen.31
Ist ein Zielobjekt gefunden, kommt es zu einer ersten Formalisierung der Vertrags-
verhandlungen und des Informationsprozesses in juristischer Hinsicht durch die Aus-
arbeitung eines Letter of Intent (LoI).32 Im Letter of Intent können der Kaufgegenstand

25 Vgl. hierzu ausführlich Berens/Mertes/Strauch 2013, S. 42–53.


26 Vgl. Kirchner 1991, S. 250 und Haspeslagh/Jemison 1992, S. 57.
27 Vgl. Kirchner 1991, S. 253. Insbesondere bei der anfänglich opportunistischen Wahrnehmung von
Angeboten kommt der Akquisitionsbegründung mehr Bedeutung zu als ein zeitlich genau festge-
legter Ablaufplan, vgl. Haspeslagh/Jemison 1992, S. 62 f.
28 Vgl. Gomez/Weber 1989, S. 40 f., die Formulierung der Vision erfolgt hier auf den Ebenen Produkt/
Markt-Vision, finanzwirtschaftliche Vision, soziale Vision und führungsbezogene Vision. Ähnliche
Begriffe sind Unternehmenskultur, Unternehmensphilosophie oder Corporate Identity, vgl. Wöhe
2013, S. 104 ff.
29 Vgl. Lutz 1984, S. 120.
30 Alternative Wege zur Schließung strategischer Lücken sind die Entwicklung von Lösungen und
Aufbau des Unternehmens auf Basis vorhandener Fähigkeiten sowie Kooperationen mit anderen
Unternehmen.
31 Vgl. Jung 1993, S. 53 und Gomez/Weber 1989, S. 44 f.
32 Im deutschsprachigen Schrifttum wird der LoI mit Absichtserklärung übersetzt (vgl. Beisel/Klumpp
2009, S. 22; Quack 1982, S. 357). Synonyme im angloamerikanischen Sprachraum sind Memorand-
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386  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

konkretisiert sowie die Ausgestaltung der Due Diligence, Geheimhaltungsverpflichtun-


gen, die Verpflichtungen zu einer Exklusivverhandlung und Kaufpreisvorstellungen
vereinbart werden.33
Nachdem eine grundsätzliche Einigung zwischen den Parteien erzielt wurde, ist der
Kaufpreis wiederum Gegenstand von Verhandlungen zwischen Käufer und Verkäufer.34
Ausgehend von einer an zukünftigen Einnahmenüberschüssen orientierten Wertfin-
dung ist das Preis-Methoden-Paket die Gesamtheit der Mittel und Maßnahmen, um die
teils divergierenden Forderungen und Beweggründe von Verkäufer und Käufer durch
»kreative Gestaltung der Transaktion«35 in Einklang zu bringen.
Auf eine Einigung der Parteien folgen die Vertragsunterzeichnung (Signing) und
der Übergang der Leitungsgewalt (Closing), die zeitlich getrennt sein können. Einzelne
Rechtshandlungen beim Closing sind Eigentumsübertragungen, Zug-um-Zug-Abwick-
lungen, Feststellung von Bilanzen und Ergebnissen von Zwischenprüfungen, Kaufpreis-
zahlungen etc.36
Während der Integrationsphase werden die Beziehungen zwischen Käufer und er-
worbenem Unternehmen gestaltet und die mit dem Erwerb angestrebten Ziele umge-
setzt.

3.1.2 Due Diligence-Reviews im Akquisitionsablauf 37

In der Literatur werden hinsichtlich des Zeitraums, den die Due Diligence im gesamten
Akquisitionsprozess einnimmt, verschiedene Meinungen vertreten, die auf zwei prinzi-
pielle Ansätze zurückgeführt werden können. Zum einen werden unter einer Due Dili-
gence sämtliche Aktivitäten der Beschaffung, Verifizierung, Aufbereitung, Analyse und
Dokumentation von Informationen über potenziell zum Kauf anstehende Unternehmen
verstanden. Diese Sichtweise ist mithin prozessbegleitend und erstreckt sich zeitlich
über den gesamten Akquisitionsprozess. Due Diligence wäre bei dieser Sichtweise mit
dem Akquisitionscontrolling gleichzusetzen, wenn hierunter die Frage verstanden wird,
»wie sichergestellt wird, dass die Zielsetzungen, die mit Akquisitionen und Kooperati-
onen verfolgt werden, auch eintreten.«38
Eine zeitliche und damit zugleich inhaltliche Differenzierung der den gesamten
Akquisitionsprozess begleitenden Due Diligence Review-Tätigkeiten innerhalb der sich
abwechselnden Phasen des Verhandelns und Überprüfens nehmen Binder/Lanz vor.39
Sie beschreiben fünf Phasen der Due Diligence. Gemeinsames Ziel dieser Phasen ist die
Informationsbeschaffung und ‑auswertung im Hinblick auf
• die Übereinstimmung des Akquisitionsobjektes mit der Akquisitionsstrategie,
• die Aufdeckung von Deal Breakern und
• die Gestaltung der Transaktionsstruktur.

um of Understanding, Agreement in Principle oder Memorandum of Intent (vgl. Reed 1989, S. 531
Fn. 1).
33 Vgl. Steinöcker 1998, S. 112; Gomez/Weber 1989, S. 70 und Reed/Reed Lajoux/Nesvold 2007, S. 460 f.
34 Vgl. Chalupsky 1993, S. 34.
35 Jung 1993, S. 336. Vgl. Gomez/Weber 1989, S. 71 und Jung 1993, S. 336 ff.
36 Vgl. Holzapfel/Pöllath 2010, S. 37.
37 Vgl. hierzu ausführlich Berens/Schmitting/Strauch 2013, S. 79–82.
38 Steinöcker 1998, S. 7.
39 Vgl. im Folgenden Binder/Lanz 1993, S. 19 f.
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XII. Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen  |  387


Teil

Die einzelnen Phasen unterscheiden sich im Detailliertheitsgrad der Informationsbe-


schaffung und in der Möglichkeit des Zugangs zu internen Informationen. Abbildung 1
gibt einen Überblick über den Akquisitionsprozess und die korrespondierenden Due
Diligence-Phasen.

Analyse der Ausgangssituation des Käuferunternehmens


Formulieren der Vision, des Soll-Profils und des Akquisitionsplanes
Identifikation geeigneter Unternehmen
• Pre Due Diligence: Analyse des Marktes und der anvisierten Unternehmen aufgrund zugänglicher Daten.
Kontaktaufnahme und Diskretionserklärung
• Pre Acquisition Due Diligence I: Analyse der Gesellschaft aufgrund ihrer Firmenbeschreibung und anderer
Informationen, die sie zur Verfügung stellt.
Letter of Intent
• Pre Acquisition Due Diligence II: Weitergehende Überprüfungen von Management-Fähigkeiten und anderen
Unternehmens-Aspekten.
Festlegung des Preis-Methoden-Pakets
Vertragsunterzeichnung
• Post Completion Due Diligence: Beurteilung nach Vertragsunterzeichnung – aber vor der Vertragserfüllung:
die Prüfung enthält die ähnlichen Punkte wie »pre acquisition«, gründet jedoch auf jetzt zusätzlich verfügbaren
Daten.
Closing
• Post Acquisition Due Diligence: Überprüfungen einige Zeit nach Vertragserfüllung zur Integration der Ge-
sellschaft in die eigene Gruppe sowie Bereinigung noch offener Vertragspunkte wie abgesprochener Vor- und
Rückbehalte.
Integration des übernommenen Unternehmens

Abb. 1: Due Diligence-Review im Akquisitionsablauf nach Binder/Lanz40

Gleichwohl wird betont, dass nicht alle Due Diligence-Phasen durchgeführt werden
können oder sollen, sondern dass sich die Prüfungen auf die Pre Acquisition Due Dili-
gence I und II fokussieren sollten und je nach Vertragsgestaltung zusätzlich eine Post
Completion Due Diligence oder Post Acquisition Due Diligence durchgeführt werden
sollte.41 Diese Sichtweise entspricht dem vielfach verwendeten Ansatz, der den Zeitraum
für die Due Diligence enger eingrenzt und auf diejenigen Aktivitäten beschränkt, die
den Zugang zu internen, sensitiven Informationen voraussetzen und in einem engen
zeitlichen Bezug zum Vertragsabschluss stehen (Pre Acquisition Due Diligence II und
Post Completion Due Diligence nach obigem Schema). Nach diesem üblichen Ansatz
findet die Due Diligence nach der Unterzeichnung eines Letter of Intent, jedoch vor der
definitiven Entscheidung statt42 und erstreckt sich bis zum Closing.43
In Abhängigkeit von der Terminierung und inhaltlichen Ausgestaltung differieren die
Meinungen über die notwendige Dauer der Due Diligence. Hier reichen die Nennungen
von zwei Tagen, ein bis zwei Wochen, über vier bis acht Wochen44 bis zu zwei bis drei

40 In Anlehnung an Binder/Lanz 1993, S. 19.


41 Vgl. Binder/Lanz 1993, S. 20.
42 Vgl. Grafer/Baldasaro 1987, S. 271. Anders Milligan: »Real due diligence takes place after the deal is
announced«, Milligan 1990, S. 88.
43 Vgl. Ganzert/Kramer 1995, S. 578.
44 Vgl. Hubbard et al. 1994, S. 36.
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388  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Monaten,45 selten wird die Due Diligence länger als drei Monate dauern.46 Die Ursache
für diese Spannbreite liegt darin, dass die Vorgänge bei einer Unternehmensakquisi-
tion zu heterogen bzw. vielschichtig sind, um eine generelle Aussage hinsichtlich des
Umfangs und der Terminierung der Due Diligence zu erlauben. Grundsätzlich sollte
– dem Wirtschaftlichkeitspostulat folgend – gelten, dass eine Due Diligence so kurz wie
möglich und so lang wie nötig ist.

3.2 Planung und Organisation einer Due Diligence47


3.2.1 Informationsquellen

Vor der Beschaffung und Auswertung der Informationen müssen die entsprechenden
Informationsquellen bestimmt werden. Auf der einen Seite stellen interne Informations-
quellen nicht öffentlich zugängliche Informationen bereit und sind nur mit Hilfe der
Kooperation des Verkäufers zu erlangen. Externe Informationsquellen auf der anderen
Seite liegen außerhalb der Zielgesellschaft und sollten für den potenziellen Käufer nach
Möglichkeit ohne das Einverständnis und die Mitwirkung des Verkäufers zugänglich sein.

Interne Informationsquellen
Die Konzentration der erforderlichen Dokumente des externen und internen Rechnungs-
wesens, des Personalwesens, der Rechtsabteilung, des Einkaufs und Verkaufs etc. an
einem Ort durch die Einrichtung eines (elektronischen) Data Rooms seitens des Ver-
käufers empfiehlt sich insbesondere dann, wenn bei einem Auktionsverfahren mehre-
re Interessenten im Wesentlichen die gleichen Informationen benötigen und/oder der
Umfang der Unterlagen einen anderen Weg der Bereitstellung (Zusendung, Übergabe)
nicht sinnvoll erscheinen lässt.48 Zu den Dokumenten gehören Handelsregisterauszüge
und Gesellschaftsverträge, Jahresabschlüsse, Steuererklärungen, Produktergebnisrech-
nungen, Lohn-, Gehalts- und Sozialleistungsinformationen, Angaben über die Dotierung
von Pensionsplänen, Betriebs- und Behördengenehmigungen oder ‑auflagen, Umweltbe-
richte, Kunden- und Lieferantenbeziehungen, Kreditverträge, Arbeitsverträge, Lizenz-
und Leasingverträge, Patente etc.49
Interviews mit dem Management und den Mitarbeitern dienen dazu, die Informa-
tionen aus der Dokumentensichtung zu bestätigen und zu erweitern und zugleich die
Einstellung der Mitarbeiter zum Verkauf zu erkunden.50 Bei der Befragung des Manage-
ments ist die Beurteilung der Zuverlässigkeit der erhaltenen Angaben von besonderer
Bedeutung.51 Sieht der Käufer den Verbleib des Managements nach dem Eigentümer-

45 Vgl. Milligan 1990, S. 88.


46 Vgl. Milligan 1990, S. 90.
47 Vgl. hierzu ausführlich Berens/Hoffjan/Strauch 2013, S. 101–148.
48 Vgl. Coulson 1994, S. B16 und Harrer 1993, S. 1674.
49 Vgl. Kinast 1991, S. 41.
50 Im Rahmen der Wertpapieremission haben US-amerikanische Gerichte die Angemessenheit der Due
Diligence anhand der Anzahl und der Ausgestaltung von Besprechungen mit dem Management
beurteilt, vgl. Lawrence 1995, S. 6–2. Zu den Fragen, die sich der Interviewer vor der Befragung zu
stellen hat, vgl. Lawrence 1995, S. 6–2 f.
51 So gaben bei einer Befragung über die häufigsten Überraschungen nach der Übernahme 31 % aller
Akquisiteure ›dishonest presentation‹ an, vgl. Markus 1990, S. 403.
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XII. Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen  |  389


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wechsel vor, dürfte es im eigenen Interesse des Managements liegen, dem Käufer ein
richtiges und vollständiges Bild von der Zielgesellschaft zu vermitteln.52 Die Koopera-
tion des Managements kann bspw. sichergestellt werden, indem dem wichtigsten Per-
sonal frühzeitig attraktive Arbeitsverträge angeboten werden, die die unmittelbare Zeit
nach der Übernahme überdauern.53 Befragungen von Mitarbeitern unterer Hierarchie-
stufen sind oftmals besonders instruktiv, um ungefilterte und zusätzliche Informationen
zu erhalten. Wenn diese Mitarbeiter die Situation nicht einschätzen können, sagen sie
die Wahrheit aus ihrer Perspektive. Ist den Mitarbeitern der Anlass für die Befragung
jedoch bekannt, könnte die Sorge um die Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes dazu
führen, dass das Unternehmen bewusst negativ dargestellt wird, um die bevorstehende
Übernahme zu verhindern.
Über die Einsicht in unternehmensinterne Dokumente oder die Auskünfte der Mitar-
beiter hinaus ist oftmals die eigene Recherche vor Ort aufschlussreich.54 Die Beurteilung
im Rahmen der Betriebsbesichtigung erstreckt sich auf die Verkehrslage des Betriebs
sowie die Beschaffenheit und Ausstattung des Betriebsgeländes und der Betriebsge-
bäude (einschließlich der Anlagen und des Inventars).55 Durch die Beobachtung und
Inspektion konkreter Geschäftsabläufe und Einblicke in Bereiche, die bislang verborgen
blieben (z. B. Forschungs- und Entwicklungsabteilung), kann der Käufer die Effizienz
der Prozesse nach bisheriger Zielsetzung und zur Erfüllung der Akquisitionsziele beur-
teilen sowie Schwachstellen aufdecken, die nach dem Kauf zu Kosten führen könnten.
Darüber hinaus kann das Betriebsklima, die Motivation der Mitarbeiter, ihr Verantwor-
tungsbewusstsein und ihre Sorgfalt im Umgang mit Anlagen und Materialien sowie ihr
Verhalten gegenüber Vorgesetzten durch persönliche Beobachtung festgestellt werden.56

Externe Informationsquellen
Neben den Informationsquellen, die direkt im Einflussbereich der Zielgesellschaft lie-
gen, werden externe Informationsquellen zur Vorbereitung der Gespräche mit der Ziel-
gesellschaft, zur Verifizierung der von der Zielgesellschaft erhaltenen Informationen
und zur ergänzenden Information genutzt.57 Zu diesen Informationen gehören Auskünf-
te Unternehmensexterner sowie Publikationen, die sich direkt auf das Unternehmen
oder die relevante Unternehmensumwelt beziehen, bspw. Informationen über die un-
ternehmensspezifischen Märkte und über volkswirtschaftliche Rahmendaten. Auskünf-
te Unternehmensexterner im Rahmen von Befragungen können insbesondere von den
Banken, dem Wirtschaftsprüfer, dem Anwalt sowie von den wichtigsten Lieferanten,
Kunden und Wettbewerbern eingeholt werden.58

52 Vgl. Schiessl 1992, S. 78.


53 Vgl. Begley/Yount 1994, S. 29.
54 Vgl. Reissner 1992, S. 161.
55 Vgl. Hartmann 1985, S. 57 ff.
56 Vgl. English 1994, S. 23.
57 Vgl. Jillson 1992, S. 12. Eine weitere Unterscheidung der Informationsquellen in Primär- und Sekun-
därinformationen ist bspw. aus der Literatur zum Benchmarking bekannt, vgl. Hoffjan 1997, S. 351.
58 Vgl. Schiessl 1992, S. 79, Jillson 1992, S. 14 und Fox 1991, S. 15.
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3.2.2 Planung der Due Diligence

Zentrale Aspekte im Rahmen der Planung des Due Diligence-Programms sind die Ab-
grenzung und Auswahl der Teilbereiche, die Bestimmung der Reihenfolge der einzelnen
Teilprüfungen und der Prüfungsverfahren sowie schließlich die Fixierung des Prü-
fungsprogramms, die i. d. R. anhand von Checklisten erfolgt. Simultan hierzu muss
eine Verständigung über die für die einzelnen Teilbereiche zuständigen Mitarbeiter des
Käuferunternehmens und externen Berater vorgenommen werden.

Abgrenzung und Auswahl der Teilbereiche


Der erste Schritt einer Programmplanung ist die Aufteilung des Gesamtobjekts in ein-
zelne Teilbereiche, um den gesamten Prozess transparent zu machen und den einzelnen
Mitgliedern des Due Diligence-Teams abgegrenzte Aufgabengebiete zuteilen zu können.
Durch die Bildung von Teilbereiche soll die vollständige Erfassung aller wesentlichen
Sachverhalte gesichert und die Grundlage für eine Disposition der zeitlichen Abfolge
der einzelnen Teilbereiche geschaffen werden.59 Nach der Zerlegung der Zielgesellschaft
in Teilbereiche muss darüber entschieden werden, ob sämtliche Prüfungsgebiete einer
Prüfung unterzogen werden sollen oder ob, insbesondere aufgrund von Zeit- und Budge-
trestriktionen, eine Auswahl stattfinden soll. Gegenstand von Prüfungsschwerpunkten
sind kritische Bereiche, sog. Problem Areas.60 Eine Auswahl der Notwendigkeit der Prü-
fung eines Prüfungsgebiets kann erfolgen anhand der Bedeutung eines Prüfungsgebiets
für die Akquisitionsziele und der Einschätzung der im Hinblick auf die Zielerreichung
mit einem Prüfungsgebiet verbundenen Risiken.61

Reihenfolgebedingungen
Die Notwendigkeit der Beachtung von Reihenfolgebedingungen bei der Durchführung
der Teilbereiche ergibt sich zum einen aus zwangsläufigen Abhängigkeiten, zum an-
deren – unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten – aus einer möglichst frühzeitigen
Identifizierung von Deal Breakern, die bei der Entdeckung zum Abbruch der Verhand-
lungen führen. Zwangsläufige Abhängigkeiten ergeben sich, wenn ein Teilbereich erst
dann beurteilt werden kann, wenn die Beurteilung eines anderen bereits abgeschlossen
ist.62 Um zu einer möglichst frühzeitigen Korrektur einer Entscheidung zu gelangen,
wird die Reihenfolge (1) Leistungsprogramm/Absatzbereich, (2) Produktion/Betrieb, (3)
Personal/Organisation, (4) Vermögensstatus/Bilanz, (5) Ergebnisanalyse, (6) Zukunfts-
erfolg/Synergieeffekte vorgeschlagen.63

Prüfungsverfahren
Die Aufdeckung von Schwachstellen und die Prüfung der Kompatibilität mit den Kauf-
motiven können durch die Prüfung einzelner Sachverhalte (Einzelfall- bzw. Ergebnis-
prüfung) oder durch die Prüfung von Prozessen (System- bzw. Verfahrensprüfung)

59 Vgl. Leffson 1988, S. 162 und Wysocki 1988, S. 270.


60 Vgl. Zünd 1982, S. 414.
61 Die Idee beruht auf der Empfehlung zur Vorgehensweise bei der Festlegung des veränderlichen Teils
des Jahresrevisionsprogramms der Internen Revision, bei der eine Auswahl anhand der Bedeutung
eines Prüfungsobjekts und dem Fehlerrisiko vorgenommen wird, vgl. Schmid 1991, S. 70 ff.
62 Vgl. Leffson 1988, S. 164.
63 Vgl. Humpert 1992, S. 366 ff.
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erfolgen.64 Prüfungsgegenstand der Einzelfallprüfung sind verwirklichte Tatsachen


(Sachen, Rechte, Verbindlichkeiten, Verträge, Geschäftsvorfälle, Arbeitsaufträge etc.),
die einen Aufschluss über die Ordnungsmäßigkeit des Systemoutputs geben sollen. Ziel
ist die Aufdeckung einzelner Schwachstellen und Mängel, die potenzielle Kosten in
der Zukunft darstellen. Eine Aussage über die Ordnungsmäßigkeit eines Teilbereichs
insgesamt kann ohne eine Vollprüfung aller Sachverhalte nicht getroffen werden. Die
Systemprüfung (Operational Audit) hingegen verfolgt nicht den einzelnen Sachverhalt,
sondern die Verfahrensregeln und ‑prozesse innerhalb der einzelnen Teilbereiche und
zwischen diesen sowie das Kontrollsystem. Sie ist eine Organisationsprüfung, die so-
wohl die Aufbau- als auch die Ablauforganisation im Hinblick auf die zweckmäßige
Gestaltung der Prozesse und ihrer Kontrolle durch das unternehmensinterne Überwa-
chungssystem untersucht.
Zentrales Hilfsmittel zur Festlegung des Prüfungsprogramms und Durchführung
der Due Diligence sind Fragebögen und Checklisten. In ihnen sind, mehr oder weniger
detailliert, die Prüfungsobjekte sowie die auszuführenden Prüfungshandlungen nie-
dergelegt.65

3.2.3 Organisation der Due Diligence

Die Durchführung einer Unternehmensakquisition und die Due Diligence können als
Projekt charakterisiert werden, für dessen Planung, Organisation und Durchführung
ein Projektmanagement eingerichtet werden sollte.66 Die Durchführung der Due Dili-
gence wird in den meisten Fällen durch ein Team erfolgen, besetzt mit Mitarbeitern des
Käuferunternehmens und externen Beratern verschiedenster Fachrichtungen und Spe-
zialisierungsgrade.67 Gegenstand des Projektmanagements in aufbauorganisatorischer
Hinsicht ist dementsprechend die Zusammenstellung eines multidisziplinären Due Dili-
gence-Teams, seine aufgaben- und kompetenzmäßige Ausstattung sowie die Festlegung
der Art und des Umfangs der Zusammenarbeit mit externen Beratern. Die Herausfor-
derung für das oberste Management des Due Diligence-Prozesses besteht in der Integ-
ration der fragmentierten Sichtweisen der Spezialisten verschiedenster Fachrichtungen
und ihrer Analysen, um nicht den Blick für die übergeordneten Akquisitionsziele zu
verlieren.68 Wichtig ist, dass sich die einzelnen Spezialisten nicht verselbstständigen.69
Daher ist neben einer Vielzahl von Fachleuten mit Spezialkenntnissen ebenso ein Gene-
ralist wichtig, der in der Lage ist, das Team zu führen und der weiß, wann zusätzliche
Spezialisten um Rat zu fragen sind.
Obwohl bei Unternehmensakquisitionen mehr als bei anderen Entscheidungen ex-
terne Berater beauftragt werden, besteht der Kern des Teams aus Führungskräften und
Mitarbeitern des Käuferunternehmens.70 Zum einen hat nur der Käufer ein Konzept, in
das die Zielgesellschaft passen muss; die Entscheidung über die Vorteilhaftigkeit des

64 Zur Unterscheidung der beiden Prüfungsverfahren vgl. Ewert 2005, S. 505 f. und Schmid 1991, S. 10 ff.
65 Vgl. für eine typische Checkliste auch Berens et al. 2013, S. 929–958.
66 Vgl. Krüger 1988, S. 374; Pasricha 1993, S. 98; Eiffe/Mölzer 1993, S. 17; Gomez/Weber 1989, S. 46
und Bressmer et al. 1989, S. 173 ff.
67 Vgl. Lawrence 1995, S. 3–2 ff. und Crilly 1993, S. 2–03.
68 Vgl. Haspeslagh/Jemison 1992, S. 76 ff.
69 Vgl. Blex/Marchal 1990, S. 97 f.
70 Vgl. Milligan 1990, S. 88. Vgl. auch Weiss 1990, S. 380.
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Teil

Unternehmenserwerbs wird ein externer Berater dem Management nicht abnehmen


können. Zum anderen müssen ungeachtet der oftmals angespannten Atmosphäre und
der noch großen Unsicherheit, ob der Kauf tatsächlich zustande kommt, während der
Phase der Due Diligence die Beziehungen zur Zielgesellschaft gestaltet und die wichti-
gen Schritte für die Integration eingeleitet werden. Daher sollte insbesondere die Koordi-
nationsfunktion nicht auf Dritte übertragen werden, sondern – in Abhängigkeit von der
Bedeutung der Zielgesellschaft für den Käufer – von obersten Führungspersönlichkeiten
wahrgenommen werden.71 Die Aufgaben der internen Mitarbeiter sind entsprechend den
vorstehenden Erläuterungen in ihrem Schwerpunkt auf eine ganzheitliche und betriebs-
wirtschaftliche Sichtweise der Akquisition gerichtet.
Verschiedene externe Berater können das Due Diligence-Team ergänzen. Wirtschafts-
prüfer oder auch Steuerberater nehmen bei Unternehmensakquisitionen eine bedeuten-
de Stellung ein, da sie durch ihre traditionellen Aufgabenfelder und ihre Qualifikation
auf den Gebieten des Handels-, Gesellschafts- und Steuerrechts in der Lage sind, um-
fassendes Know-how anzubieten.72
Rechtsanwälte sind in der Lage, im Rahmen der Legal Due Diligence juristische
Aspekte der Transaktion zu beurteilen. Hierbei steht insbesondere die Ausarbeitung
eines eigenständigen Gewährleistungs- und Garantieprogramms im Vertragswerk im
Vordergrund, um die Interessen von Verkäufer und Käufer in eine adäquate Form zu
bringen und spätere Rechtsstreitigkeiten möglichst zu vermeiden.
Externe Unterstützung für die Gesamtbetreuung bei der Analyse der Zielgesellschaft
und der Abwicklung der Transaktion bieten verstärkt auf den Bereich Mergers & Acqui-
sitions (M & A) spezialisierte Unternehmen an, die aus der Übertragung von Unterneh-
men ein eigenes Geschäftsfeld kreiert haben und damit maßgeblich an der Entstehung
des M & A-Markts beteiligt waren. Hierzu gehören Investmentbanken, Spezialabteilun-
gen oder Tochtergesellschaften für das Corporate Finance-Geschäft von Universalban-
ken, Unternehmens- bzw. M & A-Berater und Unternehmensmakler.73
Für einzelne Spezialaspekte, die einer eingehenderen Beurteilung bedürfen, werden
Sachverständige und Gutachter beauftragt. Hierzu gehören bspw. technische Sachver-
ständige, Umwelttechniker und ‑gutachter, Immobiliengutachter, Versicherungssachver-
ständige und ‑mathematiker sowie IT-Spezialisten.

3.2.4 Abstimmung mit der Zielgesellschaft

Es ist offensichtlich, dass es zur zügigen und vollständigen Durchführung der Due
Diligence nicht allein auf eine entsprechende Personalauswahl seitens des Käufers
ankommt, sondern dass auch auf der Verkäuferseite Vorbereitungen getroffen werden
müssen. Hierzu gehört, dass von der Verkäuferseite, in Übereinstimmung mit der Per-
sonalbesetzung des Käufers, Ansprechpartner benannt werden, die für die Fragen des
Käufers zur Verfügung stehen. Die Auskunftspersonen sollten ausreichend qualifiziert
sein sowie mit der Kompetenz ausgestattet sein, mit dem Personal des Käufers die re-
levanten Aspekte zu erörtern. Eine Beschleunigung des Prozesses wird erreicht, wenn
die Zielgesellschaft vor der eigentlichen Durchführung der Due Diligence die Zusam-

71 Vgl. Gorman 1988, S. 37 und Knutson/Hertzberg 1993, S. F-1.


72 Vgl. Gellert 1990, S. 130.
73 Vgl. Naber 1987, S. 46; Gomez/Weber 1989, S. 54 und Hölters 2015, S. 11 ff.
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XII. Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen  |  393


Teil

menstellung der gewünschten Unterlagen vornimmt und diese im Data Room bereithält.
Hierzu dienen die Due Diligence Information Request Lists, die der Käufer dem Verkäu-
fer mit der Bitte um Zusammenstellung der Unterlagen übermittelt.74

3.3 Teilprüfungen der Due Diligence


Die Due Diligence untergliedert sich in verschiedene Teilprüfungen. Die Verbreitungs-
grade der einzelnen Teilprüfungen differieren; am häufigsten wird der Bereich Rech-
nungswesen und Steuern (94,7 %) bearbeitet, gefolgt von den Bereichen Recht (89,8 %)
sowie Strategie und Markt (84,9 %). Eine Umwelt Due Diligence ist zu 43,6 % Bestand-
teil einer Due Diligence.75 Einige der möglichen Teilprüfungen werden im Folgenden
knapp erläutert.
Im Rahmen der Strategic Due Diligence76 erfolgt eine Analyse der Gesamtstrategie
des Zielunternehmens und der strategischen Auswirkungen der Unternehmensakqui-
sition. Es soll beurteilt werden, ob die Ziele, die das erwerbende Unternehmen mit der
Akquisition verfolgt, erreicht werden können. Dabei hat sich der Fokus der Analyse
in den vergangenen Jahren von einer langfristigen Perspektive auf eine immer kürzer
werdende Sichtweise verlagert. Die strategische Sicht wird auch von der Art des Inves-
tors bestimmt. Während ein industrieller strategischer Investor auf eine langfristige
Einbindung des Unternehmens abzielt, konzentrieren sich finanzielle Investoren eher
auf kurz- bis mittelfristige Ergebnisse der Akquisition.
Bei der Financial Due Diligence77 werden die externen und internen Rechenwerke
sowie Planungsrechnungen des zu untersuchenden Unternehmens einer Analyse un-
ter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten unterzogen. Die Analyse dient dazu, eine
Einschätzung der voraussichtlichen zukünftigen Entwicklung des Zielunternehmens zu
erlangen, um hieraus einen Wert des Unternehmens für den spezifischen potenziellen
Investor abzuleiten und zu erkennen, welche Chancen und Risiken sich für ihn ergeben.
Der Fokus liegt i. d. R. auf einer integrierten Analyse der prognostizierten Vermögens-,
Finanz- und Ertragslage.
Auch die Analyse eines zu erwerbenden Unternehmens aus steuerlicher Sicht ist fes-
ter Bestandteil der Due Diligence Untersuchungen bei Unternehmenskäufen. Dennoch
existieren weder gesetzliche Vorschriften noch Grundsätze von Berufsorganisationen
über den Inhalt einer Tax Due Diligence.78 Die Rechtsprechung hat ebenfalls noch
keine verlässlichen Mindestanforderungen herausgearbeitet. Untersuchungsfelder und
Arbeitsschritte einer Tax Due Diligence ergeben sich aus dem Ziel der Analyse, ein Ge-
samtbild über die steuerliche Situation des Zielunternehmens zu erhalten. Dabei sind
nicht nur steuerliche Risiken zu identifizieren und deren sachgerechte Behandlung im
Unternehmenskaufvertrag zu regeln, sondern auch Chancen zur steueroptimalen Struk-
turierung des Erwerbers zu analysieren.

74 Vgl. Lawrence 1995, S. 4–26 ff.


75 Vgl. Berens/Strauch 2013, S. 13. Die Verbreitungsgrade der Teilbereiche wurden auch in der empiri-
schen Untersuchung von Marten/Köhler 1999, S. 337 ff., gemessen und zeigen ein annähernd gleiches
Bild wie die hier zitierte Untersuchung.
76 Vgl. hierzu ausführlich Brauner/Grillo 2013, S. 393–414.
77 Vgl. hierzu ausführlich Bredy/Strack 2013, S. 415–437 und Brauner/Neufang 2013, S. 439–473.
78 Vgl. hierzu ausführlich Trimborn 2013, S. 475–501.
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Teil

Mit der Legal Due Diligence79 kann sich ein potenzieller Erwerber die maßgeblichen
Informationen beschaffen, die er benötigt, um ein in rechtlicher Hinsicht belastba-
res Angebot abzugeben und gegebenenfalls eine entsprechende Gewährleistung vom
Verkäufer abzufordern. Den entscheidenden Stellenwert in der Beurteilung eines Un-
ternehmens erhält die juristische Perspektive bei den Fragen, ob die Unternehmenstä-
tigkeit einwandfrei begründet ist und ausgeübt wird, welchen offenen oder verdeckten
Bestands- oder Haftungsrisiken sie ausgesetzt und inwieweit die aktuelle wettbewerbs-
rechtliche Situation abgesichert ist.
Compliance-Verstöße können neben strafrechtlichen und zivilrechtlichen Sank-
tionen, damit einhergehenden Zahlungen und Kosten, immense Reputationsschäden
mit sich bringen. Bei dem Erwerb eines Unternehmens besteht das Risiko, sich in der
Vergangenheit begangene Compliance-Verstöße und damit deren Gefährdungs- sowie
Schadenspotenzial einzukaufen. Daher ist es sinnvoll, im Rahmen einer Compliance
Due Diligence80 vor Erwerb eines Unternehmens Compliance-Verstöße aus der Vergan-
genheit soweit wie möglich aufzudecken, sowie einen dezidierten Eindruck von der
Anwendung und Durchführung des Compliance-Management-Systems im betrachteten
Unternehmen zu gewinnen, um diese Erkenntnisse in den Vertragsverhandlungen ad-
äquat zu berücksichtigen.
Die Aufgabe der Market Due Diligence81 besteht darin, marktseitige Risiken und
Chancen einer Beteiligung zu identifizieren sowie deren Effekt auf die zukünftige Un-
ternehmensentwicklung zu quantifizieren. Während sich insbesondere die Legal, Tax
und Financial Due Diligence methodisch darauf fokussieren, die historische Unterneh-
mensleistung abzubilden, konzentriert sich die Market Due Diligence explizit auf eine
systematische Bewertung der Zukunftschancen des Unternehmens.
Komplementär ist eine fundierte technologische Betrachtung des Akquisitionsobjekts
im Rahmen der Commercial-technological Due Diligence82 von zunehmender Bedeu-
tung: Technologiestrategien und insbesondere die technologische Plattform eines Unter-
nehmens sind i. d. R. nicht kurzfristig und nur mit hohem Kapitaleinsatz veränderbar.
Zudem ist es bedeutsam, frühzeitig zu erkennen, welche Technologieinnovationen in
der Zukunft marktfähig werden und die Technologiepassung des in Frage stehenden
Targets mit Zukunftstechnologien zu ermitteln.
Die Ressource Mensch bildet einen zentralen Wertschöpfungsfaktor. Entsprechend
werden bei der Human Resources Due Diligence83 Chancen und Risiken mit Blick auf
zentrale personalwirtschaftliche Fragen identifiziert und bewertet. In diesem Zusam-
menhang spielt auch die Unternehmenskultur eine wichtige Rolle. Die hohe Misserfolgs-
quote bei Unternehmensakquisitionen wird vielfach auf Probleme bei der Integration
unterschiedlicher Unternehmenskulturen zurückgeführt. Mitunter werden Differenzen
im kulturellen Bereich bzw. Disharmonien zwischen den Persönlichkeiten an der Füh-
rungsspitze für den Abbruch von Akquisitionsverhandlungen verantwortlich gemacht.
Mittels der Cultural Due Diligence84 erfolgt eine umfassende, systematische Analyse
und (vergleichende) Bewertung der Kultur von Unternehmen. Auf diese Weise soll die

79 Vgl. hierzu ausführlich Fritzsche/Hitter 2013, S. 503–531.


80 Vgl. hierzu ausführlich Höttges/Hagemeister 2013, S. 533–549.
81 Vgl. hierzu ausführlich Lauszus/Kolat 2013, S. 551–572.
82 Vgl. hierzu ausführlich Schuh et al. 2013, S. 543–671.
83 Vgl. hierzu ausführlich Aldering/Högemann 2013, S. 573–597.
84 Vgl. hierzu ausführlich Högemann 2013, S. 599–623.
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XII. Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen  |  395


Teil

Cultural Due Diligence einen wertvollen Beitrag dafür leisten, kulturelle Informations­
asymmetrien abzubauen.
Zur Erkennung und Einschätzung der sich im Rahmen eines Unternehmenskaufs
ergebenden umweltbezogenen Risiken wurde in den USA die Environmental Due Di-
ligence85 (synonym im Deutschen: Umwelt Due Diligence) entwickelt. Diese soll mög-
lichst alle umweltrelevanten Probleme und finanziellen Risiken erfassen, die von einem
Standort ausgehen oder auf diesen einwirken.
Die hohe Bedeutung der Informationstechnologie für die Generierung, das Manage-
ment und mithin die Qualität von Führungs- und Steuerungsinformationen ist unbe-
streitbar. Eine vollständige, gut strukturierte IT Due Diligence86 soll helfen, Umfang
und Qualität einer im Target bereits vorhandenen Informationstechnologie zu bewerten,
Neu- und/oder Ergänzungsinvestitionen in IT zu quantifizieren und den ggf. notwendi-
gen Integrationsaufwand bei der unternehmensübergreifenden Zusammenführung von
Informationstechnologien zu ermitteln.

4 Zusammenfassung
Der Begriff Due Diligence bezieht sich auf den Sorgfaltsmaßstab bei geschäftlichen
Transaktionen. Ursprünglich bei der Emission von Wertpapieren auf dem US-ameri-
kanischen Kapitalmarkt angewandt, spielt die Due Diligence heute eine entscheidende
Rolle bei Unternehmensakquisitionen. Hierbei übernimmt die Due Diligence verschie-
dene Funktionen wie die Offenlegung von Informationen, die Analyse und Prüfung
des Zielunternehmens, die Unterstützung der Preisbestimmung und die Schaffung von
Rechtssicherheit.
Typischerweise findet eine Due Diligence nach der Formulierung eines Letters of
Intent statt und kann sich bis zum Closing erstrecken. Die Dauer der Due Diligence
kann wenige Tage oder auch mehrere Monate betragen. An der Durchführung sind
sowohl Mitarbeiter des akquirierenden Unternehmens als auch verschiedene externe
Berater beteiligt. Die Auswahl externer Berater hängt unter anderem von den durch-
zuführenden Teilreviews ab. Typische Teilreviews sind die Strategic Due Diligence, die
Financial Due Diligence, die Legal Due Diligence, die Tax Due Diligence und die Market
Due Diligence.

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85 Vgl. hierzu ausführlich Betko/Reiml/Schubert 2013, S. 625–642.


86 Vgl. hierzu ausführlich Koch/Menke 2013, S. 673–705.
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XII. Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen  |  399


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400  | 
Teil

XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor


für internationale M & A-Transaktionen:
Konzept, Praxisschlaglicht und Empfehlungen
Claus Steinle/Timm Eichenberg/Julia Weber-Rymkovska*

1 Cultural Due Diligence (CDD) im Kontext internationaler M & A-Transaktionen


2 Entwicklung eines prozessorientierten CDD-Konzepts für grenzüberschreitende
M & A-Transaktionen
2.1 Kulturvergleichender Ansatz und Phasenkonzept als Grundbausteine
des CDD-Prozesses
2.2 Planungsphase und Entscheidungsphase: Erarbeitung kultureller
Suchkriterien sowie CDD-Beitrag für die finale Transaktionsentscheidung
2.3 Pre-Integrationsphase: CDD als Grundlage für die Entwicklung
eines Integrationsplans
3 Einsatz der CDD in der Praxis: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung
3.1 Ziele, Nutzen und strukturelle Anforderungen aus Sicht der Praxis
3.2 Ausprägung der Planungs- und Entscheidungsphase in der Praxis
3.3 Charakteristika der Pre-Integrationsphase sowie CDD-Problemfelder
4 Empfehlungen zur erfolgsorientierten Gestaltung der CDD
4.1 Phasenübergreifende Bedingungen für eine effiziente CDD
4.2 Hinweise für die Planungs- und Entscheidungsphase
4.3 Vorschläge für die Pre-Integrationsphase
5 Ausblick

1 Cultural Due Diligence (CDD) im Kontext


internationaler M & A-Transaktionen
Die rasante Umstrukturierung der Wirtschaft durch Mergers und Acquisitions (M & A)
stellt ein Phänomen dar, welches in den letzten Jahren aus diversen Forschungspers-
pektiven analysiert wurde. Trotz der intensiven Auseinandersetzung mit unterschiedli-
chen Aspekten der internationalen Transaktionen konnten einige Fragen bis heute nicht
eindeutig beantwortet werden.1 Dazu gehört z. B. die Frage nach den Erfolgsfaktoren,
die über den Ausgang von internationalen M & A entscheiden. Sie erfährt zusätzliches

* Prof. Dr. Claus Steinle, Professor (em.), Leibniz Universität Hannover, Hannover; Prof. Dr. Timm
Eichenberg, Dekan Fachbereich Wirtschaft, Professor für Personal- und Projektmanagement,
Hochschule Weserbergland, Hameln; Julia Weber-Rymkovska, Managerin im Bereich Integration
Advisory, KPMG, London.
1 Kerler 2000, S. 2.
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen  |  401
Teil

Gewicht durch die Tatsache, dass in jüngerer Vergangenheit vor allem im Bereich inter-
nationaler M & A spektakuläre Fehlschläge zu beobachten waren.2 Die branchenüber-
greifende durchschnittliche Misserfolgswahrscheinlichkeit liegt zwischen 50 % und
70 % und kann somit als ein eindeutiges Warnsignal sowie als Impulsgeber für neue
Untersuchungsakzente interpretiert werden.
Dabei empfiehlt es sich, den Fokus verstärkt auf den »weichen« Erfolgsfaktor Kultur
zu richten, da die Aktualität dieses Themas für internationale M & A immer deutlicher
wird.3 Um mögliche Chancen und Risiken internationaler M & A rechtzeitig zu anti-
zipieren, wird i. d. R. eine umfassende Due Diligence (DD) durchgeführt, die jedoch
relativ selten eine strukturierte Analyse kultureller Aspekte − Cultural Due Diligence
(CDD) − einschließt. Die CDD zielt auf die frühzeitige Erkennung der Risiken und
Chancen, die aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten der Akquisitionspartner re-
sultieren, sowie auf die Einschätzung ihrer Konsequenzen. Ist die festgestellte Gefahr
einer kulturellen Inkompatibilität zu groß, so kann die Empfehlung der CDD auch darin
bestehen, von der Transaktion ganz abzusehen, wobei eine solche Entscheidung stets
eine Synthese aus Erkenntnissen mehrerer erfolgskritischer DD-Bereiche sein muss.
Die Durchführung einer CDD empfiehlt sich insbesondere für Cross-Border-M & A, da
diese nicht nur von unterschiedlichen Unternehmenskulturen, sondern auch von unter-
schiedlichen »Ländermentalitäten« maßgeblich beeinflusst werden. Im Kontext dieses
Beitrags werden nur diejenigen Cross Border M & A-Partnerschaften in Betracht gezogen,
die eine dauerhafte Bindung unter einheitlicher Unternehmungsleitung sowie langfristig
eine gemeinsame Unternehmungskultur anstreben.4 Der folgende Beitrag zielt darauf
ab, ein strukturiertes CDD-Konzept vorzustellen, welches sich in die herkömmliche DD
eingliedern lässt. Diesem Konzept wird die gegenwärtige Durchführung der CDD in der
Praxis gegenübergestellt, um daraus Entwicklungsperspektiven der CDD bei internati-
onalen M & A-Aktivitäten abzuleiten.

2 Entwicklung eines prozessorientierte CDD-Konzepts


für grenzüberschreitende M & A-Transaktionen
 ulturvergleichender Ansatz und Phasenkonzept
2.1 K
als Grundbausteine des CDD-Prozesses
Im Generierungsprozess eines neuen CDD-Konzeptes wird zunächst eine theoretisch
fundierte Plattform für die nachstehenden Fragestellungen gesucht: Wie sollen kulturelle
Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen den M & A-Partnern behandelt werden? Nach
welchem Leitprinzip soll eine CDD-Analyse ausgestaltet sein?
Diesbezüglich lassen sich in der relevanten Literatur zwei grobe Tendenzen fest-
stellen: Ein Teil der Autoren empfiehlt, eine Bindung zwischen Partnern mit potenziell
ähnlichen Kulturen anzustreben, da unterschiedliche Kulturen grundsätzlich ein hohes

2 Haussmann 2002, S. 909–921.


3 Müller 2007.
4 Bruner/Perella 2004, insbesondere Kap. 5.
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402  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Risiko beinhalten.5 Dagegen behaupten Vertreter des synergetischen Leitgedankens,


dass ein verträgliches Maß an kulturellen Differenzen durchaus zum Erfolg einer Trans-
aktion beitragen könne, vorausgesetzt, sie würden entsprechend gelenkt und gesteuert.6
Diese Sichtweise dient als konzeptuelle Grundlage für das zu entwickelnde CDD-Kon-
zept, da sie dem Kernziel internationaler M & A-Aktivitäten – der Ausnutzung von Syn-
ergiepotenzialen – Rechnung trägt.7
Um die CDD optimal zu strukturieren, bietet sich eine Phaseneinteilung in eine Pla-
nungs-, eine Entscheidungs- sowie eine Pre-Integrationsphase an (vgl. Abb. 1).8 Hierbei
wird von einer CDD i.w.S. als einer Bündelung jener kulturellen Analyseaktivitäten und
Umsetzungsmaßnahmen ausgegangen, die ihren Ursprung in der Transaktionsplanung
und ihren Abschluss in der Integration finden. Ihre Abrundung findet die postulierte
Phaseneinteilung in einer Umsetzungskontrolle im Sinne eines strategischen Controlling
mit Schwerpunkt auf kulturellen Aspekten.

Idealtypischer M & A-Prozess

Analyse- & Transaktions- Integrations- Post-Merger


Konzeptionsphase phase phase Controlling

Letter of Intent Signing Closing


Due Diligence i. e. S.
Idealtypischer Cultural Due Diligence i. w. S. Abb. 1: Phaseneintei-
Entschei- Pre- lung einer CDD und
dungs- integrations- Integrations- Post-Merger ihre Einordnung in die
CDD Planungsphase phase Controlling
phase phase Gesamttransaktion
(Quelle: Eigene Dar-
stellung)

2.2 P lanungsphase und Entscheidungsphase: Erarbeitung


kultureller Suchkriterien sowie CDD-Beitrag für die finale
Transaktionsentscheidung
Die Konzentration auf Planungsbereiche wirtschaftlicher Art stellt eine zweifellos not-
wendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für den Akquisitionserfolg dar. Eher
sind diese Bereiche als Transaktionsfundament aufzufassen, von dem ausgehend eine
Planung der angestrebten kulturellen M & A-Konstellation erfolgen sollte und somit Ver-
besserungspotenziale durch die Kombination quantitativer und qualitativer erfolgskri-
tischer Bereiche erzielt werden. Anknüpfend an die Transaktionsziele stellt sich in der
CDD-Planungsphase die Frage nach der gewünschten Kultur des zukünftigen Partners,
die zur optimalen Zielerreichung beitragen kann. Gemeint ist damit eine grobe kultu-

5 Keller 1990, S. 261; Lucks/Meckl 2002, S. 85; Wuth 2003, S. 278.


6 Moran/Harris/Moran 2011, S. 29; Larsson/Risberg 1998, S. 52; Malekzadeh/Nahavandi 1998, S. 123.
7 Lugert 2005.
8 Jansen 2000, S. 154 ff.
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen  |  403
Teil

relle Richtungsfestlegung auf Landes- und Unternehmungsebene, sofern die Wahl eines
bestimmten Partners nicht durch strategische Motive eindeutig determiniert ist.
Nach der Wahl eines geeigneten Landeskontextes sollte eine grobe Modellierung
eines idealen Unternehmungskulturprofils mit Hilfe eines mehrdimensionalen Kultur-
messkonzeptes erfolgen.9 Es werden z. B. folgende Dimensionen, die den Suchkriterien
zugrunde liegen sollten, vorgeschlagen: Beabsichtigte Richtung und Ergebnisse (In-
tended Direction and Results), Schlüsselmasse (Key Measures), Schlüssel-Treiber für das
Geschäft (Key Business Drivers), Infrastruktur (Infrastructure), Organisationale Prakti-
ken (Organizational Practices), Führungs-/Managementpraktiken (Leadership/Manage-
ment Practices), Überwachungspraktiken (Supervisory Practices), Arbeitspraktiken (Work
Practices), Technologienutzung (Technology Use), Physisches Umfeld (Physical Environ-
ment), Wahrnehmungen und Erwartungen (Perceptions and Expectations), Kulturindi-
katoren und Artefakte (Cultural Indicators and Artifacts).10 In diesem Stadium können
auch diverse Typologisierungskonzepte als erste Orientierung angewandt werden.11 Auf
dieser Basis ist für jede einzelne Dimension die folgende Kernfrage zu beantworten:
Wie sollte diese Dimension beim potenziellen Übernahmekandidaten (Target) ausgeprägt
sein, um eine bessere Zusammenarbeit zu ermöglichen?
Darauf aufbauend entsteht eine Suchkriterienliste, die lediglich dazu dient, eine gro-
be Suchrichtung festzulegen und anschließend eine erste Vorauswahl an potenziellen
Kandidaten zu treffen. Parallel zu den kulturellen Kriterien werden auch andere stra-
tegisch wichtige Aspekte − dazu zählen z. B. die finanzielle Situation, die strategische
Position etc.12 − geprüft und letztendlich ein »idealtypischer Kriterienmix« gesucht.
Daraus lässt sich ein erstes vages Bild eines jeden Targets ableiten. Die neu generierten
Kandidatenprofile werden mit dem Käuferprofil auf ihre Transaktionseignung abgegli-
chen, woraus sich eine Endauswahl an potenziellen Partnern ergibt. Die beschriebene
idealtypische Planungsphase ist in Abb. 2 grafisch dargestellt.

Transaktionsziele Welche Kultur des Targets


kann die gesetzten Ziele
»Ideales Target-Kulturprofil« unterstützen?
Welche Suchkriterien
Suchkriterienliste (Makro-/Mikroebene) lassen sich daraus ableiten?

Welche Unternehmungen sind


geeignet unter Beachtung
des Kriterienmix
(Strategie, Kultur, Finanzen etc.)?
Targetdatenbank Abb. 2: Verlauf
Welcher Kandidat passt zu der einer idealtypischen
Auswahl des »besten Kandidaten« Käuferunternehmung am besten? Planungsphase einer
CDD (Quelle: Eigene
Darstellung)

  9 Ashkanasy et al. 2000, S. 131–146.


10 Carleton 1997, S. 71 ff.
11 Dazu z. B. Handy 2012, S. 180 ff.; Goffee/Jones 2003, S. 19 ff.
12 Dazu Lucks/Meckl 2002, S. 80 ff.; Wirtz 2014.
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404  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Die kulturorientierte Partnerauswahl basiert lediglich auf den »vagen« öffentlichen


Informationen und gewährt somit noch keinen grundlegenden Einblick in die Kom-
plexität der internen Zielunternehmenswelt. Dadurch kristallisiert sich die Bedeutung
weiterer Untersuchungen in der Entscheidungsphase deutlich heraus, um die vorläufige
Partnerauswahl weiterhin zu untermauern. Diesem Prozess sind jedoch einige Grenzen
gesetzt, da der potenzielle Partner i. d. R. zunächst Distanz zu wahren versucht.
Eine Herausforderung der CDD unter derartigen Umständen besteht u. a. darin, zu-
gängliche Informationsquellen treffend zu interpretieren sowie das Management des
Targets zu einer Beteiligung an diesem Prozess zu animieren. Dafür erweist sich die
Kenntnis der jeweiligen landesspezifischen Verhaltens- und Kommunikationsmuster als
unumgänglich. Um emotionale Eskalationen auszuschließen und um die Transaktion
zu beschleunigen, sollte eine CDD auf der Basis eines sorgfältigen Ländervergleichs
Empfehlungen bezüglich des optimalen Verhandlungs- und Kommunikationsstils lie-
fern. Nach der Herausarbeitung landeskultureller Bedingungen kann dann eine Analy-
seschwerpunktverschiebung in Richtung Unternehmenskultur stattfinden.
Je wahrscheinlicher ein tatsächlicher Vertragsabschluss ist, desto mehr Möglichkei-
ten eröffnen sich den CDD-Trägern, eine detaillierte Untersuchung durchzuführen. I.d.R.
wird aufgrund der bestehenden Unsicherheiten sowie möglicher negativer Auswirkun-
gen bei einer unvorbereiteten M & A-Bekanntgabe13 lediglich ein eingeschränkter Ein-
bezug einzelner Manager in die Analyse seitens des Targets bewilligt. Trotzdem lassen
sich aus gezielten und professionellen Managerbefragungen bestimmte Rückschlüsse
auf die herrschende Kultur in der Zielunternehmung ableiten. Somit kommt der CDD
die Rolle einer notwendigen ergänzenden Analyse zu, die in Abstimmung mit anderen
eingesetzten DD-Arten als Entscheidungsgrundlage bezüglich der Transaktionszukunft
dienen sollte. Abb. 3 zeigt die wichtigsten Meilensteine einer idealtypischen CDD-Ent-
scheidungsphase.

Käufer Landeskultur Target Landeskultur

Optimaler Kommunikations- und Verhandlungsstil

CDD-Urteil

Urteile anderer DD
Targetunternehmungskulturprofil
Käuferunternehmungskulturprofil
Pre-Integrations-
phase

Landeskulturelles Rahmenkonzept

Abb. 3: Verlauf einer ideal typischen CDD-Entscheidungsphase (Quelle: Eigene Darstellung)

13 Jansen stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Fluktuationsrate nach einer Fusionsankündi-
gung auf das zwölffache des Normalniveaus ansteigt (Jansen 2001, S. 19).
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen  |  405
Teil

2.3 P re-Integrationsphase: CDD als Grundlage für die Entwicklung


eines Integrationsplans
Gerade in der Integrationsphase kommen kulturbedingte Probleme am stärksten zum
Tragen.14 Aus diesem Grund empfiehlt es sich, die Zeitspanne zwischen dem Signing
und dem tatsächlichen Integrationsbeginn für eine sorgfältige Vorbereitung kulturel-
ler Integration zu nutzen. Zunächst sollte eine künftig gültige Soll-Kultur des »neuen«
Unternehmens als Orientierung für alle darauf folgenden kulturellen Integrationsmaß-
nahmen entwickelt werden. Dadurch findet keine zwanghafte Übertragung der beste-
henden Käuferunternehmenskultur statt, die erwartungsgemäß zu Widerstand seitens
des Targets oder gar zu einem Cultural Clash führt.15
Um eine erfolgreiche Integration durchzuführen, ist eine Prüfung sowohl der Käu-
ferunternehmungskultur als auch der Zielunternehmungskultur auf deren Konsistenz
mit der entwickelten Soll-Kultur von hoher Relevanz. Hierbei ist danach zu fragen, ob
z. B. der vorhandene Führungsstil oder die üblichen internen Rituale den jeweiligen
Soll-Größen entsprechen und in der neuen Konstellation funktionsfähig sind.16 Dabei
steht folgende Kernfrage im Vordergrund: Welche wesentlichen Kulturunterschiede bzw.
Ähnlichkeiten können zu Integrationsproblemen bzw. -erleichterungen führen und wie
sollen diese konkret behandelt werden? Die gewonnenen Analyseerkenntnisse über mög-
liche Integrationsrisiken und -chancen helfen entscheidend bei der Bestimmung eines
optimalen Integrationskonzeptes. Abb. 4 zeigt notwendige Teilanalysen vor der Wahl
einer Integrationsalternative.

Nutzen
Feststellung der Profilunterschiede zwischen dem Target und dem Käufer.
Feststellung der Abweichung der Ist-Kulturen von der Soll-Kultur.
Festlegung der gewünschen Veränderungsrichtung.

Soll-Kultur als Orientierung


für die Integration Subkulturenvergleich

vs.

Targetunternehmungskulturprofil Käufer- Target-


Käuferunternehmungskulturprofil unternehmungskultur unternehmungskultur
Soll-Unternehmungskulturprofil

Wahl eines kulturellen Ingegrationskonzeptes

Abb. 4: Multipler Kulturvergleich vor der Wahl eines Integrationskonzeptes (Quelle: Eigene Darstellung)

14 Very/Schweiger 2001, S. 14; Lucks/Meckl 2002, S. 84.


15 Zu üblichen Reaktionsmustern (Widerstand, Frustration, Unsicherheit etc.) auf Eingriffe in die be-
stehende Kultur siehe Krystek 1992, S. 552 f.; Kleppestø 1998, S. 147; Wuth 2003, S. 282 f.
16 Juch/Rathje/Köppel 2007; Juch/Rathje 2009.
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406  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

3 Einsatz der CDD in der Praxis:


Ergebnisse einer empirischen Untersuchung
3.1 Ziele, Nutzen und strukturelle Anforderungen aus Sicht der Praxis
Ausgehend von den dargestellten theoretischen Ausführungen wurde die Umsetzung
der CDD in der Praxis untersucht. Insgesamt nahmen zwölf internationale Unternehmen
an der Untersuchung teil, wovon sechs der Beratungsbranche angehören, um eine CDD
gleichzeitig aus der Anbieter- und der Nachfragerperspektive zu beleuchten. In Form
eines leitfadengestützten teilstrukturierten Interviews wurden Expertengespräche mit
CDD-Beratern sowie M & A-Spezialisten geführt.
Überwiegend schreiben die Befragten der Kultur im Kontext internationaler
M & A-Transaktionen eine bedeutende bis sehr bedeutende Rolle zu. Die fehlende Be-
rücksichtigung unterschiedlicher Kulturen wird einheitlich als einer der Gründe für
M & A-Misserfolge bezeichnet. Jedoch wurden erhebliche Ansichtsabweichungen bei der
expliziten Thematisierung von CDD festgestellt. Während Beratungsrepräsentanten be-
tonen, dass eine CDD helfen kann, kulturbedingte Konflikt- sowie Synergiebereiche zu
identifizieren, beziehen die meisten Unternehmen Kultur eher auf ihre spezifische, oft
als intuitiv bezeichnete Art mit ein. Damit einher geht eine unzureichende Strukturie-
rung des kulturellen Analyseprozesses auf Unternehmensseite. Die zentralen Ergebnisse
in diesem Zusammenhang sind als Synthese aus den beiden Befragungsperspektiven
in Abb. 5 dargestellt.

Zentrale Ziele einer CDD Zentraler Nutzen einer CDD

• Erfassung und Erklärung der Kultur sowie der Grund- • Identifikation von kulturbedingten Problembereichen.
einstellung der Zielunternehmung zur besseren Ein- • Schaffung eines »Bewusstseins« für kulturelle Proble-
schätzung der Transaktionszukunft. me.
• Ableitung eines optimalen Verhandlungs- und Kom- • Reduktion der möglichen Konfliktpotenziale.
munikationsstils. • Unterstützung des Reflexionsprozesses über die eige-
• Bestimmung der kulturbedingten Synergiepotenziale ne Unternehmungskultur (z. B. der des Akquisiteurs)
bzw. -risiken. und Erhöhung der allgemeinen Betriebseffizienz durch
• Analyse und Gegenüberstellung der beiden kulturel- Einleitung von Veränderungsmaßnahmen.
len »Ist-Zustände« von M & A-Partnern und die daraus • Sensibilisierung der Akquisitionsbeteiligten für Kultur
folgende Ableitung von Transaktionsrisiken und als einen der zentralen Erfolgsfaktoren von internatio-
-chancen. nalen Transaktionen.
• Bestimmung einer idealen »Soll-Kultur«. • Reduktion des Cultural Clash.
• Ableitung der Konsequenzen und der Empfehlungen • Erleichterung der Integration.
für die kulturelle Integration. • Möglichkeit eines kulturellen Benchmarking.

Abb. 5: Ziele und Nutzen einer CDD aus Praxissicht (Quelle: Eigene Darstellung)

Die befragten Beratungsgesellschaften raten überwiegend zu einem Einsatz der CDD


bereits in der Planungsphase bzw. vor dem Closing, um eine erfolgreiche Integration
zu gewährleisten. Es wurde betont, dass eine CDD einen langfristigen Prozess darstellt,
der in der Pre Merger-Phase einsetzt und eine Transaktion bis zum Schluss begleitet.
Es lässt sich festhalten, dass Kultur im M & A-Kontext ein aktuelles Diskussionsthema
ist, dem trotz aller Differenzen grundsätzlich eine hohe Relevanz beigemessen wird.
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen  |  407
Teil

3.2 Ausprägung der Planungs- und Entscheidungsphase in der Praxis


Dem Planungsprozess für die Suche nach einem passenden Kandidaten in der Praxis
liegen diverse Kriterien wie Marktanteile, Wachstumsmöglichkeiten etc. zugrunde, die
in den meisten Unternehmen nicht explizit kulturelle Faktoren mit einschließen. Nach
Ansicht einiger Interviewpartner reichen für die Einschätzung kultureller Kompatibili-
tät in der Öffentlichkeit zirkulierende Informationen, Gespräche mit dem Management
des Targets oder mit den bestehenden Partnern in dem jeweiligen Zielmarkt häufig
schon aus. Von den meisten Beratungen wurde bestätigt, dass deren CDD-Unterstützung
i. d. R. erst nach der gefallenen Transaktionsentscheidung nachgefragt wird, obwohl der
Einsatz der CDD bereits in der Planungsphase insgesamt eine kostengünstigere und
effektivere Vorgehensweise wäre. Die meisten M & A-Manager sind aber eher auf »harte
Faktoren« fixiert und für die kulturelle Problematik nicht ausreichend sensibilisiert.
Somit lässt sich eine konträre Grundhaltung der Berater hinsichtlich des Einsatzes
von CDD in der M & A-Planung gegenüber den befragten M & A-Spezialisten auf der Un-
ternehmensseite konstatieren. Einer der befragten Interviewpartner, in dessen Unter-
nehmen bis dato bei internationalen Transaktionen noch keine CDD eingesetzt wurde,
bezeichnete die Wahrnehmung der kulturellen Analyse mit folgender Begründung als
Paradox: Eine Entscheidung über Fortführung bzw. Abbruch einer M & A-Transaktion
wird stets unter Berücksichtigung eines kulturellen Fits getroffen, jedoch stößt ein Ein-
satz der CDD auf eine Ablehnung seitens der Topmanager. Seitens der Beratungsgesell-
schaften wird einer CDD generell eine bedeutende Rolle für die finale Transaktions-
entscheidung zugeschrieben, wobei sie eher als Ergänzung zu den »harten« Faktoren
zu sehen ist. Die Unternehmensvertreter neigen dazu, der CDD im Vergleich zu ande-
ren DD-Arten den Stellenwert einer sekundären Analyse zuzuweisen. Bezüglich der
praktischen Durchführung einer CDD in der Entscheidungsphase wurden seitens der
Gesprächspartner aus dem Beratungssektor diverse Barrieren genannt, die in Abb. 6
dokumentiert sind.

Barrieren beim Einsatz einer CDD aus Sicht der Beratungsgesellschaften

• Informationsdefizite, die auf einen eingeschränkten Zugang zu Informationsträgern in der Transaktionsphase


zurückzuführen sind.
• Mangelnde Akzeptanz und fälschliche »Ausgrenzung« von CDD-Beratern aus dem klassischen DD-Prozess.
• Erhebliche Meinungsdifferenzen zwischen Top-Managern und Mitarbeitern hinsichtlich ihrer Unternehmungskul-
tur.
• Schwierigkeiten, eine Verbindung zwischen den CDD-Befunden und dem operativem Geschäft herzustellen.
• Fehlende Sensibilität der Transaktionsmanager für die Folgen einer kulturellen Inkompatibilität.

Abb. 6: Zentrale Probleme einer CDD in der Praxis: Beratungssicht (Quelle: Eigene Darstellung)

Aus Sicht der Beratungsrepräsentanten gehört zunächst ein analytischer Vergleich zwi-
schen den beiden Ist-Kulturen von M & A-Partnern zu den Basisteilergebnissen einer
CDD, aus deren Gegenüberstellung eine Identifikation von Ähnlichkeiten und Differen-
zen erfolgt sowie darauf aufbauend kulturelle Risiken und Chancen abgeleitet werden.
Dabei wurde die Notwendigkeit der Herstellung eines direkten Bezugs zwischen kul-
turellen Risiken und Chancen und ihrer möglichen Auswirkungen auf das operative
Geschäft besonders deutlich hervorgehoben. Schließlich wird i. d. R. aufgezeigt, welche
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408  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Transformationsprozesse hinsichtlich der jeweiligen CDD-Befunde erforderlich sind, um


einer Transaktion zum Erfolg zu verhelfen. Ferner stellt ein kulturelles Benchmarking,
mit dessen Hilfe aufgezeigt werden kann, welche kulturellen Merkmale in der jeweiligen
Branche mit dem Erfolg direkt korrelieren, ebenfalls ein mögliches CDD-Ergebnis dar.

3.3 Charakteristika der Pre-Integrationsphase


sowie CDD-Problemfelder
Hinsichtlich der Erfolgsfaktoren einer Integration wurde die Bedeutung einer sorgfälti-
gen Planung deutlich hervorgehoben. Die Integrationsgeschwindigkeit sowie das Vor-
handensein einer übergeordneten Integrationsinstanz spielen ebenfalls eine große Rolle.
Dabei wird einer gezielten Kommunikation zwischen den Akquisitionsbeteiligten eine
wichtige Bedeutung beigemessen, da nur auf diesem Weg die geforderte Klarheit über
Vision und Mission der Transaktion zu erreichen ist. Generell wird der Erfolg einer
Integration in der Praxis überwiegend auf »weiche«, mit zwischenmenschlichen Inter-
aktionen verbundene Faktoren zurückgeführt.
Dies steht aber im Widerspruch dazu, dass derartige Faktoren wie z. B. kulturelle
Kompatibilität häufig keine ausreichend strukturierte Berücksichtigung finden. Auf-
grund fehlender Erfahrungen konnten die meisten Unternehmensvertreter bezüglich
der Verbindung zwischen einer CDD und dem Integrationsprozess keine Auskunft ge-
ben. Entsprechend den Aussagen der befragten Unternehmensberater sollte eine CDD
als Plattform für die Ableitung der erforderlichen kulturellen Integrationsmaßnahmen
dienen. Die Transferleistung als Überführung von »weichen« Ergebnissen einer CDD
in konkrete »harte« Folgen für das operative Geschäft und anschließend in konkrete
Integrationsmaßnahmen stellt die zentrale Herausforderung einer CDD dar. Folgende
zentrale Probleme einer CDD wurden seitens der M & A durchführenden Unternehmen
hervorgehoben: fehlende Strukturierbarkeit und mangelnde Messbarkeit der Kultur so-
wie hohe Subjektivität der CDD-Ergebnisse.
Aufgrund dieser Tatsachen ist nach Meinung vieler Gespächspartner eine Entwick-
lung der CDD von einer sekundären Analyse zu einer Standard-DD für internationale
M & A kaum möglich. Diese Meinung wird durch die Argumentation seitens der befrag-
ten Beratungsgesellschaften konterkariert. Diese weisen auf die mangelnde Sensibilität
der Topmanager in Bezug auf die kulturelle Problematik sowie eine dominierende Ori-
entierung an »harten« Faktoren hin. Dabei wird die oft vorgeworfene fehlende Opera-
tionalisierbarkeit einer CDD als ein »Vorurteil« bezeichnet. Einer höheren Akzeptanz
einer CDD steht die fälschliche Ausgrenzung der CDD-Berater aus der klassischen DD
im Weg.
Daraus kann gefolgert werden, dass die Nutzung der CDD einer Veränderung auf
beiden Seiten bedarf. Zum einen sollte ein Bewusstseinswandel der M & A-Macher be-
züglich der Relevanz und der Möglichkeiten einer kulturellen Analyse erfolgen. Zum
anderen bedürfen CDD-Praktiken weiterer Modifikationen, die ihre direkten Depen-
denzen mit den »harten Faktoren« deutlicher zum Vorschein bringen sowie für die
Integration der CDD in eine klassische DD sorgen.
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Teil

4 Empfehlungen zur erfolgsorientierten Gestaltung


der CDD
4.1 Phasenübergreifende Bedingungen für eine effiziente CDD
Für die folgenden Gestaltungsempfehlungen werden die theoretischen Erkenntnisse
mit den empirischen Befunden zusammengeführt. Dadurch zeigt sich, dass die Po-
tenziale einer CDD in der Praxis nur dann ausreichend ausgeschöpft werden können,
wenn entscheidende Defizite beseitigt sind. Diese Defizitbereiche werden im Rahmen
des Gestaltungskonzeptes in drei phasenübergreifende Bedingungen überführt: (1)
Management- sowie Mitarbeitersensibilisierung für kulturelle Chancen und Risiken,
(2) methodische Kompetenz durch den konstanten Einsatz eines CDD-Teams und (3)
zielkonforme Operationalisierung der qualitativen CDD-Befunde. Darauf bauen die pro-
zessfokussierten Empfehlungen auf, die für jede typische Phase des CDD-Konzeptes
konkrete Maßnahmen beinhalten.
Aufgrund der fehlenden Sensibilisierung der M & A-Manager und Mitarbeiter für
kulturelle Chancen und Risiken empfiehlt es sich, für M & A-Fachkräfte ein spezielles
kulturbezogenes Training einzuführen.17 Wichtig ist dabei, eine Meinungsänderung
hinsichtlich der Bedeutung der »zahlenbasierten Faktoren« zu bewirken. Vielmehr ist
bei Cross-Border-M & A eine integrative Sichtweise gefragt, bei der die Interdependenzen
zwischen »harten« und »weichen« Faktoren entsprechend behandelt werden.
Diese Erweiterung des CDD-Spektrums korrespondiert in hohem Maße mit der zwei-
ten erfolgskritischen Bedingung für eine wirksame CDD – einem phasenübergreifenden
Einsatz eines professionellen CDD-Teams. Ideal eignen sich dafür externe Berater auf-
grund ihrer neutralen Sichtweise auf die zu analysierenden Kulturen beider M & A-Part-
ner. Des Weiteren verfügen sie über notwendige Fachkenntnisse, die in einem Unter-
nehmen häufig in dieser Form nicht vorhanden sind.
Operationalisierung als letzte, durchgängig zu berücksichtigende Bedingung für ei-
ne zielwirksame CDD impliziert nicht nur die Messung einer Kultur, sondern auch die
Herstellung eines direkten Zusammenhangs zwischen den kulturellen Ergebnissen und
der operativen Tätigkeiten der beteiligten Unternehmen.18

4.2 Hinweise für die Planungs- und Entscheidungsphase


Hinsichtlich des Gestaltungsprozesses einer CDD lassen sich einige allgemeine Gestal-
tungsrichtlinien bestimmen. So sind – ausgehend von den Zielen einer Transaktion –
kulturelle Erfolgsfaktoren abzuleiten, die als Orientierung bei der Suche nach Trans-
aktionspartnern dienen sollten. Empfehlenswert dürfte ein Planungsworkshop sein, in
dem Kultur in Verbindung mit anderen Planungsaspekten gebracht sowie in konkrete
Suchkriterien überführt wird. Dabei scheint die Teilnahme von CDD-Beratern nützlich,
um gemeinsam mit den M & A-Managern den Zusammenhang zwischen dem angestreb-

17 Herbrand 2002; Kumbruck/Derboven 2015; Kumbruck/Derboven 2006, S. 21–24.


18 Unterreitmeier 2004; Späth/Jedrzejczy 2008, S. 111–131.
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410  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

ten Transaktionserfolg und den dafür erforderlichen kulturellen Voraussetzungen her-


auszuarbeiten.
In der anschließenden CDD-Entscheidungsphase müssen diverse Barrieren überwun-
den werden, um zu validen Ergebnissen zu gelangen. Darunter fällt u. a. ein begrenzter
Informationszugang zu den relevanten Daten, dessen Grad stark von der jeweiligen
Unternehmenspolitik des Targets abhängig ist. Empfehlenswert ist ein aktives, auf
die jeweiligen landeskulturellen Gegebenheiten angepasstes Kommunikationsmanage-
ment:19 Zunächst bedarf eine effektive Kommunikation einer Offenheit sowie einer
gleichwertigen Partizipation seitens der beteiligten M & A-Partner. Da es wichtig ist, kein
»Merger-Syndrom« durch eine voreilige Information der Mitarbeiter des Targets hervor-
zurufen, sollte in den beiden Unternehmen ein Hauptansprechpartner für CDD-Akteure
und als Koordinator für den Einsatz aller Kulturuntersuchungen bestimmt werden.
Dem Kommunikationsmanagement kommt auch im weiteren Verlauf der Transaktion,
insbesondere bei der Integration, eine essenzielle Bedeutung zu. Des Weiteren empfiehlt
sich der Einbezug der CDD-Spezialisten in ein herkömmliches DD-Team, um eine Aus-
grenzung der CDD zu vermeiden und infolgedessen ihre Akzeptanz als Teilbereich einer
DD zu verbessern. Weiterhin kann durch den Austausch und die Interaktion zwischen
diversen DD-Fachkräften die Qualität der Gesamtanalyse erhöht werden.

4.3 Vorschläge für die Pre-Integrationsphase


Nach der getroffenen Transaktionsentscheidung ist es von großer Bedeutung, eine kul-
turelle Vision als Orientierung bei der Zusammenführung der beteiligten Unterneh-
men zu erarbeiten. Von der Art der Visionsentwicklung können bereits entscheidende
Impulse zur Schaffung von gemeinsamer Identität ausgehen. Einerseits können dabei
die CDD-Träger auf der Basis ihrer Analysen wichtige Informationen zur Visionsbe-
stimmung liefern, andererseits sollten sie die Steuerung dieses Prozesses übernehmen.
Wenn ein durch die Akquisition neu entstehendes Unternehmen von Anfang an über
eine klare Orientierung verfügt und die Mitarbeiter der sich fremden Käufer- und Zie-
lunternehmen aktiv an der Gestaltung sowie Umsetzung des Akkulturationsprozesses
teilnehmen, können die M & A-Erfolgschancen deutlich erhöht werden.20
Vor dem Beginn der Integration wird empfohlen, ein Subprojekt zu initiieren, dessen
Hauptziel darin besteht, die kulturelle Integration beider Unternehmen zu planen, zu
steuern und zu überwachen. Die Projektmitglieder seitens der beiden M & A-Partner
sollten im Rahmen der Integration die Verantwortung für die Kommunikation und Um-
setzung der beschlossenen Maßnahmen übernehmen, dabei kann die angesprochene
Visionsentwicklung und -vermittlung als eine Teilaufgabe des kulturellen Projektteams
aufgefasst werden. Zum Aufgabenspektrum gehört auch die Koordination aller Aktio-
nen, die zur Sensibilisierung der Mitarbeiter für die kulturelle Problematik beitragen.
So bietet es sich an, interkulturelle Workshops mit den Mitarbeitern durchzuführen,
falls während der CDD Widerstände, Vorurteile oder erhebliche Differenzen in Bezug
auf den kulturellen Kontext des neuen Partners identifiziert wurden.21 Wie jedes Projekt

19 Lüsebrink 2004; Göttgens/Steinwaerder/Vogel 2006, S. 229–262; Schmidt 2008, S. 31–48.


20 Schmidt et al. 2005, S. 297–319.
21 Bolten 2010, S. 57–76.
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Teil

bedarf auch das kulturelle Integrationsprojekt eines Zeitplans, konkreter Kommunikati-


onsregeln, einer klaren Verantwortungsübernahme sowie eines Überwachungssystems
über die erzielten Fortschritte.
Für einen Unternehmenskulturvergleich wird empfohlen, ein mehrdimensionales
Messkonzept heranzuziehen wie z. B. der Organizational Culture Inventory (OCI).22 Da
in der Pre-Integrationsphase keine Barrieren mehr für eine breite Mitarbeiterbeteiligung
an dem Analyseprozess bestehen, lässt sich mit Hilfe eines standardisierten Fragebo-
gens eine hohe Repräsentativität und eine Einheitlichkeit der Erhebungen erreichen. Um
eine ausreichende Rücklaufquote zu erzielen, sind in jedem Unternehmen Personen zu
bestimmen, die kultursensibilisiert sind und das Ausfüllen der Fragebögen auf diversen
Hierarchieebenen engagiert unterstützen. Nach der Auswertung der erhobenen Daten
sollten die Profilunterschiede zwischen den verglichenen Unternehmenskulturen und
der angestrebten Soll-Kultur deutlich visualisiert werden.
Als nächster Schritt erfolgt die als kritische Erfolgsbedingung eingestufte Opera-
tionalisierung der Vergleichsergebnisse. Darunter ist eine Einschätzung ihrer mögli-
chen Folgen und letztendlich die Ableitung der konkreten Integrationsmaßnahmen zu
verstehen. Um eine Orientierungsunsicherheit bei der Integration zu vermeiden, sollte
eine Priorisierung eventuell festgestellter Problembereiche erfolgen. Weiterhin sollten
die entwickelten Integrationsmaßnahmen auf ihre Tragfähigkeit im Sinne monetärer
und personeller Ressourcen sowie einer günstigen Kosten/Nutzen-Relation überprüft
werden. Abschließend ist ein CDD-Implementierungsplan zu erstellen, in dem diejeni-
gen strukturellen, prozessualen sowie personellen Änderungsmaßnahmen bestimmt
werden, die eine erfolgreiche Zusammenführung der Unternehmen bewirken.

5 Ausblick
Die vorangegangenen Überlegungen basieren auf der Erkenntnis, dass eine adäquat ge-
staltete CDD essenzielle Informationen liefern kann, die letztendlich zu einer erfolgrei-
chen Zusammenführung von zwei Unternehmen beitragen. Da die Internationalisierung
der Märkte weiterhin voranschreiten wird, ist internationalen M & A-Aktivitäten auch
in Zukunft eine wichtige Rolle zuzuschreiben. Allerdings darf auch erwartet werden,
dass Lerneffekte aus gescheiterten Transaktionen resultieren und zukünftige M & A-Ak-
tivitäten »... notgedrungen anderen Mustern folgen müssen als es gegenwärtig der Fall
ist.«23 Dies impliziert u. a. auch den Einsatz einer professionellen kulturellen Analyse.
Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Kultur in
der heutigen M & A-Praxis zum Teil immer noch als ein abstraktes, höchst subjektives
und kaum messbares Phänomen gilt und dies laut der empirischen Untersuchung auch
auf absehbare Zeit bleiben wird. Gleichzeitig lassen sich aber deutlich entgegengesetzte
Meinungen identifizieren, die jedoch zugestehen, dass die Kulturmessung sowie die
-operationalisierung eine hohe Komplexität aufweisen. So wird z. B. erklärt, dass der
Prozess der Kulturdiagnostik durchaus eine hohe Analysequalität gewährleistet, indem
er sich an Kriterien wie Objektivität, Verlässlichkeit sowie Validität orientiert (»… Kultur

22 Althauser/Tonscheidt-Göstl 1999, S. 40 ff.


23 Bolten 2003, S. 11.
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412  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

ist messbar, sobald man sie pragmatisch begreift«24).25 Diese Kontroverse ist zunächst
als Status Quo in Bezug auf die CDD zu betrachten, wobei hinsichtlich der allgemeinen
Kulturbedeutung für internationale Transaktionen sowohl in der M & A-Forschung als
auch -praxis eine weitgehende Übereinstimmung herrscht. Gleichzeitig geht diese mit
einer in der Praxis häufig anzutreffenden Widerstandshaltung gegenüber einer me-
thodengestützten, standardisierten Kulturuntersuchung einher. Vor dem Hintergrund
der aufgezeigten Widersprüche sind die Potenziale einer CDD noch längst nicht aus-
geschöpft. Viele Fragen, z. B. bezüglich der konzeptuellen Gestaltung einer kulturellen
Analyse, ihrer möglichen Erhebungsinstrumente, ihres Einflusses auf die Unterneh-
mungsbewertung sowie der optimalen Methodik sind noch offen und bedürfen einer
weiterführenden Forschung.
Somit lassen sich zwei zentrale Entwicklungstendenzen für eine CDD prognostizie-
ren: Zum einen darf eine interne Verbesserung und Modifikation der CDD-Analyse-
möglichkeiten erwartet werden. Zum anderen trägt die weiterhin anhaltende Aktuali-
tät der kulturellen Thematik im Kontext internationaler M & A-Transaktionen zu einer
naturgemäss steigenden Aufmerksamkeit und Sensibilisierung der M & A-Spezialisten
hinsichtlich der CDD bei. Diese Entwicklungstendenzen bedingen sich gegenseitig und
können somit zu einer höheren zukünftigen Akzeptanz der CDD führen. Im Rahmen
dieses Beitrags wird eine eindeutige Position vertreten, nach der eine CDD ein sehr
bedeutsames Instrument für internationale M & A-Transaktionen darstellt. Der Umfang
und die Umsetzung einer CDD werden je nach Transaktionssituation variieren, jedoch
lässt sich unabhängig von diesen Variationen festhalten, dass die Erfolgschancen der-
jenigen internationalen M & A wesentlich gesteigert werden, die Kultur ihrer Bedeutung
entsprechend begreifen und behandeln.

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24 Koch 2001, S. 115.


25 Kleinfeld/Schlegel 2003, S. 133.
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414  | 
Teil

XIV. Wertorientierte M & A-Integration


Kai Lucks*

1 Einordnung der M & A-Integration in die Gesamtprojektführung


1.1 Grundlegende Führungsmodelle
1.2 Ansatzpunkte für ein Gesamtprozessodell
2 Integrationskonzept im explorativen Vorfeld
2.1 Integrationsstrategien
2.2 Kandidaten- und Pfad-Screening
2.3 Integrationsorientierter Business Case
2.4 Exploration
3 Bestimmung der Hebel in der Transaktionsphase
3.1 Integrationsorientierte Due Diligence
3.2 Integrationskonzept
3.3 Integrationsvorbereitung vor dem Closing
3.4 Verbesserungshebel (Levers)
3.5 Readiness-Plan zum Closing
4 Integrationsmaßnahmen nach dem Closing
4.1 Wertschöpfungskette und Standorte
4.2 Organisation und Prozesse
4.3 Maßnahmenprogramm
4.4 Programm für den kulturellen Wandel
4.5 Closing und »Day 1«
4.6 100-Tage-Implementierungsprogramm
4.7 Ein-Jahres-Implementierungsplan
4.8 Projektabschluss und kontinuierliches Verbesserungsprogramm
5 Verfahren und Instrumente
5.1 Benchmarking zur Analyse von Ausgangssituation und Potenzialen
verschiedener Handlungsoptionen
5.2 M & A-Baselining zur Dynamisierung der Zielgrößen
5.3 Maßnahmenplanung und -verfolgung
5.4 Meilensteinkontrolle nach dem Härtegradkonzept
5.5 Zielvereinbarungen mit dem Management
5.6 Scorecard-Einsatz zur Bewältigung von Komplexitäten auf operativer
Projektebene
5.7 Meilensteintrendanalysen zur Extrapolation von Wirkungen
5.8 Workstreams zur Harmonisierung des Tool-Einsatzes mit dem Prozess-Ansatz
6 Teambildung und Berichterstattung
6.1 Gesamtprojektleitung und Ownership
6.2 Vom Strategieteam zum Integrationsteam
6.3 Teambesetzungen und Übergänge der temporären Teams
6.4 Kapazitäts- und Kompetenzmanagement für das Interimsteam

* Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks, Vorsitzender, Bundesverband Mergers & Acquisitions e. V., Geschäftsfüh-
rer, MMI Merger Management Institut GmbH, München.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  415


Teil

6.5 Querschnittstellen
6.6 Querschnittsmanagement durch Cross Functional Support Teams
6.7 Übergabe an das zukünftige Management
6.8 Projektsteuerung und Berichterstattung: Cockpit
7 Zusammenfassung und Ausblick

1 Einordnung der M & A-Integration


in die Gesamtprojektführung
»Die M & A-Integration beginnt mit den ersten Vorüberlegungen und sie endet nie«. Dieses
Zitat eines erfahrenen CEO beschreibt treffend die Spannweite und die Herausforde-
rungen an das M & A-Management. Bereits die ersten Gesprächskontakte zwischen den
Geschäftsführungen der M & A-Kandidaten sollten sich der strukturellen und kulturellen
Integration und den Rollen der Hauptspieler widmen. M & A ist ein Kraftakt, denn die
zunehmende Beschäftigung mit dem Unternehmensumbau und der Integration darf die
Aufmerksamkeit nicht vom Tagesgeschäft ablenken, denn die Wettbewerber wissen,
dass dies der beste Zeitpunkt für Angriffe ist. Spätestens nach dem Closing fordert der
Umbau zusätzliche Kräfte für das Interimsteam und die Leitungsgremien. Ein gut auf-
gesetztes Integrationsprojekt sollte das Momentum für die notwendigen Änderungen bis
zum Erreichen der gesetzten Zielmarken aufrecht halten.
Die Wirklichkeit ist jedoch häufig eine andere: Nach vielen Mühen wird das Pro-
jekt irgendwann als »abgeschlossen« definiert, das Integrationsteam wird abgebaut die
Kapazitäten für die weitere Planverfolgung werden zurückgefahren. Dann gibt es den
berühmten Fadenriss, und es entsteht ein Vakuum, in dem die alten Strukturen der
vormaligen Organisationen ihr Comeback suchen. Da sich die restaurativen Kräfte auch
bei der besten Integration immer wieder bemerkbar machen, ist eine ständige Zufüh-
rung von Energie erforderlich, damit Teile der Organisation nicht in alte Denkschemata
zurückfallen.
Das Integrationsmanagement bezeichnet die Zusammenführung von Geschäftsein-
heiten zweier oder mehrerer Unternehmen zu einer neuen Einheit unter Umsetzung
eines integralen Restrukturierungskonzeptes, dessen Ziele sich aus den Kundenwün-
schen, dem Markt und dem Wettbewerb ableiten. Das »integrale M & A-Management«
ist eines der komplexesten Projektphänomene, weil (a) die Handlungsoptionen extrem
vielfältig sind, (b) alle Elemente eines Unternehmens berührt werden, (c) die Anzahl
der Stakeholder im Projekt extrem hoch ist und (d) zahlreiche Elemente und Stakeholder
nicht der Steuerung durch den Projekteigentümer unterworfen sind.1
Allein die Breite der Handlungsoptionen und die sich ergebenden Implikationen durch
einmal getroffene Weichenstellungen sind extrem groß. Die durchgängige Betrachtung

1 Die dem sog. Projekteigentümer (Project Owner) nicht unterworfenen Stakeholder sind von Anfang
an die Parteien, die die gegnerische Seite vertreten und die Protagonisten der Öffentlichen Hand,
wie etwa die Kartellbehörden, Arbeitnehmerorganisationen, lokale und überregionale Politik.
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416  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

des Projektes vor dem Hintergrund getroffener Entscheidungen und der sich ergebenden
potenziellen Zwänge – bis hin zur Entdeckung von Sackgassen – ist eine Übung, die im
Zuge eines M & A-Projektes wiederholt durchlaufen werden muss (vgl. Abb. 1).
Das Implementierungskonzept leitet sich dabei aus zahlreichen Randbedingungen
ab, die frühzeitig mithilfe eines durchgestochenen Planes identifiziert werden sollten.
Der unternehmerische Umbau zur Erreichung der M & A-Ziele ist dabei die wichtigste
Aufgabe. Sie ist einzubetten in eine Fülle von Randbedingungen, die aus der Ausgangs-
situation der zu fusionierenden Unternehmen hervorgehen sowie aus der Zielsetzung
des M & A-Projektes und der sozial-politischen Rahmenbedingungen, z. B.:
• begrenzte Finanz- und Managementressourcen,
• steuerliche Hebel und Lösungsansätze,
• kartellrechtliche Randbedingungen und Anforderungen an den Deal,
• Aufbau- und Ablaufstrukturen der Fusionskandidaten,
• Ergebnisverbesserungsziele vs. sozialverträglicher Geschäftsumbau.

Das M & A-Integrationsprojekt ist damit untrennbar verwoben mit dem M & A-Vorhaben


insgesamt, so dass letztlich vom integralen M & A-Management zu sprechen ist. Das
M & A-Integrationsprojekt unterscheidet sich auch grundlegend von anderen Unterneh-
mensprojekten, wie etwa einem Kundenprojekt für ein Infrastrukturvorhaben, vor allem
weil:
• alle internen Stakeholder beider Fusionskandidaten betroffen sind,
• viele Stakeholder in Zielkonflikten und Doppelfunktionen anzutreffen sind, nämlich
als »Täter« und »Opfer«,
• das Kontinuitätsmanagement (zur Sicherung des laufenden Geschäftes) auf das Dis-
kontinuitätsmanagement (für den Geschäftsumbau) trifft,
• der Unternehmer (bis zum Closing) nur begrenzten Einfluss auf das Kaufobjekt und
seine Mitarbeiter hat,
• der zeitliche Ablauf stark von regulatorischen Standards (Übernahmegesetze etc.)
und Genehmigungen (Kartellrecht, Dual Use etc.) abhängt.

In welcher Form der Projektführung diese Anforderungen optimal behandelt werden,


hängt von der Art des M & A-Projektes ab, von der Typologie der Herausforderungen, die
mit dem speziellen M & A-Projekt verbunden sind, insbesondere mit der:
• Größe der Fusionskandidaten (Umsätze, Anzahl Mitarbeiter),
• Struktur der Kandidaten (Rechtsformen, Beteiligungsstruktur, organisatorischer Auf-
bau und Abläufe),
• Komplexitätsgrad der Geschäfte (Wertschöpfungstiefe, Anzahl der Standorte, regio-
nale Abdeckung).

Dazu kommen die Ziele, die mit der Übernahme von Anfang an verbunden sind, näm-
lich:
• Strategisch: Verbesserung der Wettbewerbspositionen,
• Finanziell: Stand-alone oder im Verbund,
• Zeitlich: Beschleunigungseffekte gegenüber organischen Vorhaben.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  417


Teil

Entscheidungskette Themen und Handlungsoptionen


• Ausbau aus eigener Kraft
Strategie • Akquisition
• Rückzug
• Unternehmen A
Kandidatenwahl • Unternehmen B

• Produktgeschäft, Systemgeschäft...
Geschäftsdefinition • »Make or Buy«
• Auktion
Transaktionsform • Direkterwerb
• Ausgliederungen
• Separat lassen
Integrationsmodell • Organisationen aneinander hängen
• Fusionieren
• Holding
Rechtliche Strukturen • Konsolidierung
• Rechtsform

• Zentralisiert
Führungsstrukturen • Divisionalisiert
• Horizontalisiert
• Standardisiert
Geschäftsprozesse • Operative Aufgabenteilung
• Outsourcing
• Finanziell
Ziele • Strategisch
• Wert

= Handlungsoptionen, schwarzer Pfeil: gewählter Pfad

Abb. 1: Grundlegende Weichenstellungen bei M & A (Quelle: Eigene Darstellung)

1.1 Grundlegende Führungsmodelle


Grundsätzlich lassen sich drei grundlegende Führungsmodelle beim M & A-Projektma-
nagement unterscheiden (vgl. Abb. 2): (1) das Teilprojektmodell, bei dem die Hauptpro-
jektphasen mehr oder weniger abgeschlossene Projekte darstellen, (2) das Stufenmodell,
bei dem die einzelnen Aufgaben in einer strengen Schrittfolge hintereinander abgewi-
ckelt werden und das (3) integrale Prozessmodell, bei dem die Haupt-Stakeholder von
Beginn bis Ende des Projektes aktiv eingebunden sind.
M & A-Projekte lassen sich anhand von zwei Dimensionen charakterisieren (vgl. Abb.
3): Erstens können M & A-Projekte hinsichtlich ihrer Integrationstiefe unterschieden
werden, je nachdem, ob sie als Stand-alone-Vorhaben geführt werden, also als reiner
Kauf ohne Integration mit einem Partner, oder als Kombination zwischen Kauf und
Integration mit einem Partner. Zweitens bietet sich der Grad der Komplementarität zur
Unterscheidung an, d. h. handelt es sich um ein M & A-Projekt, welches mit hoher Kom-
plementarität zur Erschließung neuer Vertriebsregionen oder dem Hinzuerwerben neuer
Technologien dient, oder um ein Projekt, welches seine Wertsteigerung vorwiegend aus
der Überlappung zieht, etwa zum Zwecke der Kostensenkung.
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418  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Teilprojektmodell Stufenmodell Prozessmodell

• Bildet Unterbrechungen ab • Leicht zu verstehen • Funktionale Prozesse


Stärken

• Realität der »Teilprojekte« • Sinnvoll für Einfachprojekte • Kontinuität, Koordination


• Komplexe Projekte

• Risiko unabhängiger Projekte • Kontinuitätsrisiken • Schwierig zu verstehen


Schwächen

• Ignorierung vorlaufender Projekte • Iterationen • Aufwand für Disziplin


• Fehlende Koordination • Setzt Prozesskompetenz voraus

Abb. 2: Grundmodelle des M & A-Projektmanagements (Quelle: Eigene Darstellung)

Integriertes
Akquisitions-
Reengineering-Projekt
Closing Closing

Legende:

Kopfzahl
Reine Akquisition

Closing Closing
Zeitbedarf

Überlappung: Komplementarität:
Abb. 3: Projektkatego-
Kostensenkungen Technologie/Regionen rien bei M & A (Quelle:
Eigene Darstellung)

Diese Fragen zur Charakterisierung des M & A-Projektes sollten frühzeitig erörtert wer-
den, weil sie sich stark auf die bereitzustellenden Kapazitäten und Kompetenzen für
die Projektteams auswirken. So empfehlen sich etwa für Projekte, die vorwiegend auf
Kostensenkung abzielen, eher kurze Einsätze der Projektteams mit großen Kapazitäten,
um die umfassenden Programme entwickeln und schnellstens zur Wirkung bringen zu
können. Dies impliziert auch, dass die Teams in starkem Maße »extern« bereitzustellen
sind, sei es von Beratern oder aus anderen Geschäftseinheiten (übergeordnete Organi-
sation oder zentrale Stäbe). Im Gegensatz dazu stehen Projekte mit hoher Komplemen-
tarität, sei es zur Erschließung neuer Technologien oder zum Eintritt in neue Marktre-
gionen. Im Technologiefall geht es i. d. R. eher darum, die Produktfamilien schneller
aneinander anzupassen oder eine neue Generation früher in den Markt einzuführen.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  419


Teil

Beides sind Aufgaben, die zumeist von der (internen) Produktenentwicklung zu leisten
sind, sei es durch Bildung einer gemeinsamen »Taskforce« aus den Entwicklungsabtei-
lungen beider Fusionskandidaten, unterstützt auch von Kunden und Lieferanten. In der
Regel erfordern solche Verdichtungen von Forschung und Entwicklung einen Zeitauf-
wand, der sich mehr auf der Zeitstrecke abspielt als in der Höhe der Kopfzahl.2
Das Teilprojektmodell kommt der Praxis am nächsten, wenn die Strategieentwick-
lung oder die Transaktion mehr oder weniger abgeschlossene Projekte darstellen, weil
dazwischen größere Zeiträume für die Entscheidungsfindung liegen oder weil etwa
vorlaufende Strategie- oder Screening-Projekte nur den Rahmen für ein nachfolgendes
M & A-Projekt abstecken. Dies trifft insbesondere auf Fälle zu, bei denen die grundlegen-
den strategischen Handlungsoptionen, ob organisch oder extern, erst erarbeitet werden
müssen und bei denen die Handlungsbandbreite auf wenige potenzielle Kandidaten
eingeschränkt ist. Die »Projektpause« fungiert dabei als Zeitfenster, um den optimalen
Zeitpunkt für den »Abschuss« des Wunschkandidaten abzuwarten.
Stufenkonzepte basieren nicht so sehr auf einer Unterscheidung der Hauptprojektpha-
sen. Sie sind vielmehr nach den einzelnen Arbeitsschritten gegliedert, die in strenger
Folge und unter Parallelschaltung einzelner Schritte abgearbeitet werden. Dieses Kon-
zept ist bei Projekten geringer Komplexität anzuwenden bzw. findet seinen Platz bei
Vielkäufern und bei relativ einheitlichen und nicht zu großen M & A-Projekten. Durch
hohe Standardisierung, durch relativ schnelle Wiederholraten lassen sich Erfahrungen
aus vergangenen Projekten zunutze machen, die eine enge Verzahnung der Projektstu-
fen, ein Antizipieren einzelner notwendiger Aufgaben erlauben und damit helfen, etwa
ungeplante Iterationen zu vermeiden.3
Integrale Prozessmodelle empfehlen sich bei komplexen Großvorhaben mit dem Cha-
rakteristikum hohen Explorationsgrades4 bzw. Einzigartigkeit und Seltenheit. Die pa-
rallel laufenden »End-to-end«-Prozesse erlauben einen ständigen Abgleich zwischen
den Teilprozessen und sichern die Konsistenz von Beginn bis zum Ende des gesamten
Projektes – vorzugsweise unter durchgängiger Verantwortung der Führungskräfte in
den einzelnen Prozessen und unter der Gesamtleitung durch einen »Projekteigentümer«
(Project Owner), etwa dem CEO der erwerbenden Organisation.
In der Realität sind die zuvor genannten Reinformen der M & A-Projektführung eher
selten anzutreffen.5 Vielmehr bieten sich Hybridvarianten an, etwa mit Teilprojektkonfi-
guration (weil durch notwendige Weichenstellungen größere Pausen entstehen), geglie-
dert durch Einzelstufen im Projektvorfeld und bei der Transaktion, weil die Abfolge der

2 Grundsätzlich zu unterscheiden sind auch die Phasen der Produktlebenszyklen, mit der die Produk-
te beider Kandidaten aufeinandertreffen. Liegen die Produkte beider Kandidaten »synchron« und
regional überlappend zueinander, dann geht es bei der Zusammenführung um die Harmonisierung
der Technologien. Liegen die Produkte im Lebenszyklus versetzt zueinander, dann impliziert dies
eine Wechselstrategie, d. h. die Übernahme z. B. der kommenden Produkttechnologien des Targets
für das Gesamtunternehmen nach seiner Fusion.
3 Eine der wesentlichen Schwachstellen bei den sog. Stufenprojekten ist die Iteration, d. h. das Zu-
rückspringen auf Projektstufen, die bereits durchlaufen sind. Eine sehr erfahrene M & A-Organi-
sation zeichnet sich dadurch aus, dass Iterationen nicht notwendig sind oder vermieden werden
können, weil entsprechende Fragestellungen bereits im Vorfeld durch Antizipation gelöst worden
sind.
4 Tendenziell sind Prozessmodelle deshalb dann geeignet, wenn es um die Erschließung neuer Tech-
nologien oder neuer Vertriebsregionen – sprich: Einstieg in neue Länder und Regionen – geht.
5 Die meisten M & A-Projektorganisationen sind ad-hoc formierte Gebilde ohne Bewusstmachung wel-
che grundsätzlichen Modelle sich anbieten und welche Hybride den jeweiligen Zweck optimal er-
füllen. Damit bleibt ein erhebliches Verbesserungspotenzial unangetastet.
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420  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Schritte durch die operativ zu Beteiligenden vorgegeben ist, und eine eher prozessorien-
tierte Organisation bei der Implementierung, da die parallel laufenden Handlungsströme
auf vorhandenen Funktionsvertretern aufsetzt.6

1.2 Ansatzpunkte für ein Gesamtprozessmodell


Entscheidend für die Leistungsfähigkeit bei M & A ist der Wille und die Durchsetzungs-
kraft eines Unternehmens, einen Erfahrungsaufbau zur Führung von M & A-Projekten
zu betreiben. Erfahrungen lassen sich aber nur gewinnen, wenn Handlungen standardi-
siert und wiederholbar gestaltet werden. Bezogen auf M & A kommen die Fragen hinzu,
ob die Unterschiedlichkeit der Projekte und ob die M & A-Frequenz überhaupt einen
Standardisierungsgrad zulassen, der einen Erfahrungsaufbau und -transfer ermöglicht.
Der Unternehmer steht vor der Frage, ob er aufgrund der beschränkten Wiederhol-
barkeit von M & A-Prozessen nur einen geringen Anspruch auf Standardisierung für
richtig erachtet oder ob ein hoher Standardisierungsgrad mit dem Vorteil des kontinu-
ierlichen Erfahrungsaufbaues nicht die Nachteile aus unterschiedlichen Projektausprä-
gungen aufwiegt.
Einfacher haben es Unternehmen, bei denen die M & A-Projekte ohnehin relativ ein-
heitlich sind, z. B. beim Zukauf von Handelsniederlassungen oder wenn die Geschäfte
strukturell sehr ähnlich sind. Schwieriger gestaltet sich die Frage, wenn die M & A-Vor-
haben nach Größe, Komplexität und Regionalität sehr unterschiedlich sind und wenn
die Geschäftstypen des Konzerns stark differieren. In dieser Situation stand Siemens
beim Aufbau des Systems für M & A-Integrationen aufgrund der großen Bandbreite an
Investitionen pro M & A-Vorhaben und der Vielfalt der Geschäfte vom »Cent-Produkt« bis
zur milliardenschweren Großanlage.
Vor diesem Hintergrund wurde bei Siemens ein sog. »Referenz-Projektmodell«,
welches alle gängigen Aktivitäten und Schwierigkeitsgrade eines Projektes in seinen
grundsätzlichen Ausprägungen erfasst, entwickelt.7 Dieses Modell umgreift – wie etwa
eine Hüllkurve – alle gängigen Projektkategorien, dient also dazu, die wesentlichen
Tätigkeiten zu beschreiben und miteinander in Beziehungen zu setzen. Da komplexe
aber in einem Zug ablaufende8 Großprojekte alle Herausforderungen verbinden, die bei
einem M & A-Projekt gegenwärtig sein können, soll das M & A-Integrationsmanagement
im Folgenden anhand eines für diese Fälle geeigneten Prozessmodells erläutert werden,
das als »Referenz-Projektführungsmodell« beispielgebenden Charakter hat (vgl. Abb. 4).

6 Bedingt zum Beispiel durch Gliederungen in funktionale Hauptvertreter beim Übernehmer und
beim Target. Dadurch ergeben sich geschäftsorientierte Prozesse, etwa für R & D, Fertigung, Ver-
trieb.
7 Um Missverständnisse zu vermeiden: Es handelt sich nicht um ein »Maximalmodell«, sondern um
die Einführung von Begrifflichkeiten für die einzelnen Aktivitäten (sog. »Working Packages«) eines
M & A-Projektes, sofern dieses Projekt in einem Zuge durchgeführt werden kann. Es können erheb-
lich komplexere Organisationen erforderlich werden, wenn das Projekt z. B. aus kartellrechtlichen
und wettbewerbsrechtlichen Gründen aufgespalten werden muss.
8 Gemeint sind konsekutive oder zeitparallel ablaufende Tätigkeiten (Arbeitspakete) die so gestaltet
werden können, dass größere Iterationen im Projektablauf vermieden werden können. Es kann da-
gegen notwendig werden, aufgrund von übergeordneten Randbedingungen das gesamte Projekt in
mehrere Teile zu zerlegen, um etwa zu vermeiden, dass eine kartellrechtlich kritische Region den
Fortlauf des gesamten Projektes verzögert.
Phasen Vorbereitungsphase Transaktionsphase Implementierungsphase

2.1 Strategie-Check Strategische Prüfg. strategisches Controlling


2.2 Kand.- + Pfadscreening
Planning 2.3 Business Case Business Plan
2.4 Exploration 3.1 Due Diligence recht. Vorbreitung. recht. Erlaubnis Due Diligence 2 finanzielles Akquisitionscontrolling
Dealmaking Deal-Struktur rechtl. Implementierung
Verhandlung + Verträge Closing-Vorbereit. Post-Closing-Vertragsmanagement
Carveout-Konzept Carveout-Implementierung Stand-alone Abschluss Übergang Carve-In

Kernprozesse
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4.1 Wertschöpfungskette & Standorte


Struktur & 3.2 Integrationskonzept 3.3 Integrationsvorbereitung 4.2 Organisation + Prozesse
Veränderung 3.4 Verbess.-Hebel 4.3 Maßnahmenprogramm
4.4 Das Prgramm für kult. Wandel
3.5 Readinessplan 4.6 100-T.Impl 4.7 1-Jahr-Impl. 4.8 kont.Verbess.
4.5
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Unterstütz.- Information, Bewertung, Controlling, Kommunikation


prozess

Recht, Human Resources, Informationstechnologie, Immobilien & andere

Geschäfts- Beispiele: Supply Chain (Einkauf, Produktion, Zustellung, Unterhalt…)

Abb. 4: Standardisierung mit Hilfe des Referenzprojektmodells (Quelle: Siemens)


prozess

Offizieller Verhandlungs- Investment- Signing Closing / Day 1 100 Tage 1 Jahr


Separation Case
Start appl. appl.
XIV. Wertorientierte M & A-Integration  | 
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422  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Die besonderen Herausforderungen bei dem Prozessmodell bestehen beim Grad der
Erfahrungen, die die Protagonisten der einzelnen Prozesse hinsichtlich Abstimmung
ihrer Aufgaben untereinander haben müssen, um ihre Rolle optimal für das Gesamt-
projekt spielen zu können. Dazu gehört vor allem die Tarierung der Gewichte, die die
Kernprozesse im Verhältnis zueinander in den verschiedenen Projektstufen beitragen:
(1) der in der Vorfeldphase dominierende Kernprozess Strategie & Planung, (2) der sog.
Deal Making-Prozess, der die Transaktionsphase hauptsächlich bestimmt und (3) der
Implementierungsprozess, der die Schlussphase eines M & A-Projektes prägt. Die Prozesse
selbst gliedern sich in sog. Arbeitspakete. Unter der Ebene der Arbeitspakete befindet
sich eine dritte Ebene: die Workstreams zur Sicherung der Durchgängigkeit des Ein-
satzes von Instrumenten, sogenannten Tools. Im Folgenden werden die hintereinander
gelagerten, für die Integration der drei Kernprozesse hauptsächlichen Arbeitspakete in
ihrer Abfolge behandelt. Auf die Tools wird an späterer Stelle, in Kapitel 5. vertiefend
eingegangen, zu ihrer Organisation siehe speziell Abschnitt 5.8.

2 Integrationskonzept im explorativen Vorfeld


Bereits die ersten Vorüberlegungen und die sondierenden Gespräche drehen sich im
Grunde um die Gewichtsverteilung, um die Führungsstrukturen und um Prozesse, die
am Ende des Projektes als Ergebnis für die Strukturfindung herauskommen sollen.
Nicht selten, wie die Beispiele Continental/Schaeffler und VW/Porsche zeigen, sind die
Machtverhältnisse »ganz oben« die eigentlichen Treiber für das Integrationsmodell, das
»unten rauskommen soll«. Diesen Negativbeispielen, bei der die gesamte Organisation
ein Spielball der Hauptprotagonisten ist, soll mit dem Referenzprojektmodell ein konsis-
tentes, in sich schlüssiges und von den Werthebeln abgeleitetes Führungsmodell entge-
gengestellt werden. Im Folgenden sind die Hauptschritte eines integrationsorientierten
Prozessmodells für die Vorfeldphase (vgl. Abb. 4) zu erläutern.

2.1 Integrationsstrategien
Erster Schritt ist die Ableitung der erfolgversprechendsten Strategie, unter Einbezug
aller Handlungsoptionen (vgl. Abb. 4 Punkt 2.1), Priorität genießt der organische Ge-
schäftsausbau. Erst wenn sich dieser Pfad als nicht gangbar oder – im Vergleich zu
Wettbewerbern im Konsolidierungswettbewerb – als nicht weitreichend genug erweist,
weil etwa ein Konkurrent in derselben Konsolidierungswelle mit einer besseren Strate-
gieposition ein stärkeres Wachstum erreicht und ein Kandidat in diesem Fall relativ zu-
rückfällt, dann sollte auf externe Strategien »höher geschalten« werden, d. h. auf M & A
oder strategisches Partnering (mit oder ohne Einbringung von Eigenkapital). Grund
für die Zurückhaltung gegenüber M & A ist, dass ein »externer« Pfad – im Gegensatz zu
einem organischen Geschäftsausbau – grundsätzlich ein höheres Risiko beinhaltet und
somit aus Risikoüberlegungen organisches Wachstum vorzuziehen ist.9

9 Grundsätzlich bestehen kulturbedingt unterschiedliche Auffassungen über Risiken zum Geschäfts-


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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  423


Teil

2.2 Kandidaten- und Pfad-Screening


Wenn die strategische Notwendigkeit zum externen Geschäftsumbau nachgewiesen
und die grundsätzliche Richtung geklärt ist, dann folgt als notwendiger Folgeschritt das
Screening (Abb. 4 Punkt 2.2). Zentraler Hebel für M & A-Strategien ist der Kandidat, mit
dem sich eine höchstmögliche Verbesserung der Wettbewerbsposition erreichen lässt.
Die Breite des Screenings ist strategiebestimmt; sie ist umso breiter, je weiter das stra-
tegische Feld der Handlungsoptionen ist und je größer die regionale Reichweite definiert
wird. So kann ein Screening (bzw. ein »Screening-Projekt«) mehrere 100 Kandidaten
umfassen. Um ein solches Projekt ökonomisch durchführen zu können, ist ein systema-
tisches Vorgehen gefordert, das aufgrund seiner Komplexität in mehreren Schritten zu
erfolgen hat. Basierend auf der grundsätzlich einzuschlagenden strategischen Richtung
sind die Schrittfolgen:
• Suchfelder: Entwicklung z. B. regional, nach Produktsegmenten, technologisch oder
kombiniert.
• Vor-Screening: Entwicklung einer sog. Long List mithilfe von Ausscheidungskriterien
wie z. B. Größe des Kandidaten, grober strategischer und regionaler Fit, Größenbe-
trachtungen.
• Haupt-Screening: häufig mithilfe eines sog. Filterprozesses. Hierbei sind die Auswahl-
kriterien verfeinert und systematisiert. Anzuwenden sind in jedem Fall Kriterien
hinsichtlich Produkt-Markt-Segment, Werthebel (Größe des Kandidaten), Synergiepo-
tenziale (Kostensenkungen durch Überlappung, Geschäftsausbau durch Komplemen-
tarität aufgrund von sich ergänzenden Leistungssegmenten) sowie Passgenauigkeit
in die Strategie, insbesondere kultureller und struktureller Fit.
• Long List: als Ergebnis des Haupt-Screenings,
• Short List: die auf der Long List aufbauende Verfeinerung der Kriterien führt zur
Short List. Insbesondere werden in diesem Schritt Kriterien berücksichtigt, die aus
einer individuellen Betrachtung des Kandidaten und des mit ihm implizit verbunde-
nen strategisch-strukturellen Pfades herrühren.
• Prioritätsliste: auf der Short List aufbauende Kandidatensammlung die vor allem
durch individuelle Kriterien geprägt ist, insbesondere von der wahrscheinlichen Be-
reitschaft des Kandidaten zu einem Zusammenschluss sowie durch die Größe des
strategischen Vorsprunges, der mit einem Zusammenschluss verbunden ist. Die Pri-
oritätsliste ist in einem »rollierenden Verfahren abzuarbeiten«, d. h. es wird immer
wieder der in der Priorität nachfolgende Kandidat in einem Business Case simuliert
und kontaktiert.

ausbau. Im angelsächsischen Raum wird einem externen Geschäftsausbau über M & A ein grund-
sätzlich niedrigeres Risiko beigemessen, weil die dazugehörigen Maßnahmen schnell getroffen
werden können, und ein erfolgreicher Umbau zu einer sprunghaften Verbesserung der Geschäfts-
position führt. Dies schlägt sich in einer größeren Offenheit gegenüber Nachfolgelösungen mithil-
fe von M & A nieder, etwa mittels Management Buy-out (MBO) oder Management Buy-in (MBI).
Organischer Ausbau, insbesondere regionaler Markteinstieg über neue Produktfamilien wird im
angelsächsischen Raum dagegen als kritischer angesehen, wegen zeitlicher Bindung von Finanzen
und Managementressourcen. Im deutschen Sprachraum wird dagegen M & A als kritischer gesehen,
während organischer Ausbau über mehrere R & D-Generationen wegen seiner Nachhaltigkeit als
erfolgversprechender angesehen wird.
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424  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2.3 Integrationsorientierter Business Case


Während die bisherigen Schritte immer mehrere Kandidaten umfassen, werden nun-
mehr einzelne Kandidaten und die damit verbundenen Business Cases ihrer Priorität
nach simuliert und kontaktiert (vgl. Abb. 4 Punkt 2.3). Aus taktischen Gründen sollte
dem Kandidaten einerseits deutlich gemacht werden, dass es auch andere Handlungs-
optionen gibt (Fall-back-Case), andererseits sind vernünftige Zeiträume für exklusive
Verhandlungen zur Entwicklung und Verfolgung belastbarer Integrationsmodelle be-
reitzustellen.
Da eine vertiefende und direkte Exploration eines Kandidaten mit größerem Aufwand
und größeren Risiken verbunden ist, wird der (internen) Simulation zur Entwicklung
eines Business Case ein gewisser Vorlauf (Priorität) gegeben. Die Entwicklung des Bu-
siness Case läuft jedoch weitgehend parallel mit der direkten Exploration beim Kan-
didaten, da sie auf wichtigen Informationen aufsetzt, die nur durch direkte Kontakte
erschlossen werden können.
Der zu entwickelnde Business Case beinhaltet eine integrale Sicht des speziellen
M & A-Falles mit dem jeweils priorisierten Kandidaten. In der ersten Phase basieren die
Annahmen auf Analogschlüssen zum eigenen Geschäft und aufgrund von externen
Informationen (durch Dritte). Im zweiten Schritt bzw. im zweiten Durchgang basiert
der Business Case auf Erkenntnissen, die im Idealfall durch ein gemeinsames Sondie-
rungsteam gewonnen wurden, insbesondere:
• integrale Betrachtung der Geschäftsbeiträge beider Parteien einschließlich Synergien,
• kombinierte Gewinn- und Verlustrechnung (GuV)-Rechnung,
• kombinierte Bilanz (grobe Abschätzung der Positionen),
• Produktfamilie,
• Standortkonzept.

Im Fall eines beschränkten Informationszuganges infolge einer Auktion oder bei einer
unfreundlichen Übernahme entfällt notgedrungen der zweite Schritt. Umso wichtiger ist
es, in diesem Fall eine Simulation ohne direktem Kandidatenzugang durchzuführen.10

2.4 Exploration
Die Kontaktaufnahme mit dem Kandidaten zum Zwecke der Exploration (vgl. Abb. 4
Punkt 2.4) hat vor allem das Ziel, herauszufinden, ob der Kandidat überhaupt zu ei-
nem M & A-Modell mit dem eigenen Unternehmen bereit ist, in welcher Konstellation
dies geschehen sollte und ob diese Konstellation mit den eigenen Modellvorstellungen
kongruent ist. Bei ernsthaftem Interesse und bei komplexen Projekten wird zu diesem
Zweck in einem zweiten Schritt ein von beiden Seiten zu besetzendes Explorationsteam
gebildet, das die Aufgabe hat, Modelle des Zusammengehens unter strategischen As-
pekten und Werthebeln zu untersuchen.

10 Die Belastbarkeit eines Business Case in Form einer sorgfältigen Simulation der integrierter Ge-
schäftsmodelle (eigenes Geschäft plus Geschäft des Kandidaten plus Verbundeffekte) ist erstaunlich
groß, wenn plausibilisierende Annahmen zugrunde gelegt werden, z. B. Korrelationen des Geschäf-
tes des Kandidaten mit dem eigenen Geschäft, so etwa: Relationen von Rendite basierend auf der
Marktposition und der Abdeckung der Wertschöpfungskette.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  425


Teil

Hintergrund für die sog. »externe« Exploration ist immer die Existenz und Aktivität
der »internen«, hauseigenen Exploration, die der externen Exploration voraneilt und
vertiefende Analysen durchführt. In diesem Zusammenhang können sog. »Non Ne-
gotiables« behandelt werden, kartell- und wettbewerbsrechtliche Dinge simuliert und
Modelle vorüberlegt werden, die maßgeblich für die spätere Umsetzung sind. Sie be-
treffen den Grad der Erreichung strategischer Führungspositionen im Markt, den Grad
der Beschleunigung im Konsolidierungswettlauf, die geschäftliche Stabilität der für die
Integration vorgesehenen Einheiten in der Phase bis zur Integration sowie das Integ-
rationsmodell selbst. Darüber hinaus sind die Handlungsoptionen der Wettbewerber
zu untersuchen, deren Hebel gegen unsere Fusion (sog. »Retaliation Strategies«) und
deren M & A-Handlungsoptionen als Antwort auf den von einem selbst angestrebten
Zusammenschluss.
Wenn Zusammenschlüsse von Wettbewerbern als Gegenreaktion auf die eigenen
M & A-Aktivitäten zu erwarten sind, oder wenn die eigenen Aktionen Teil einer Konso-
lidierungswelle sind, dann müssen die daraus folgenden Effekte bewertet werden. Es
könnte sich dadurch z. B. ergeben, dass in der Konsolidierungsrunde ein Preiskarussell
angeschoben wird, nach dem sich die gewonnenen Synergien zwischen den jeweiligen
Partnern wieder aufheben. Als »belastbare« Synergien bleiben dann nur diejenigen üb-
rig, die stärker sind als die Kostenvorteile, die eine gegnerische Allianz erreicht. Sollte
sich herausstellen, dass die in den eigenen M & A-Aktivitäten erreichbaren Synergien
kleiner sind als die eines gegnerischen Zusammenschlusses, dann kann es sinnvoll
sein, einen anderen Partner zu wählen. Wenn dieser Partner dann größer ist als man
selbst, so könnte das zu einer Minderheitsposition führen oder in eine Anlehnungsstra-
tegie. Wenn sich dies jedoch nicht mehr mit den strategischen Zielen deckt – etwa nach
der Forderung der industriellen Führung in diesem Projekt – dann müsste konsequen-
terweise über einen Ausstieg aus diesem Geschäft, sprich einen Verkauf, nachgedacht
werden. Da in dieser frühen Phase eines M & A-Projektes noch keine großen Kosten
aufgelaufen sind, ist ein »Umlenken« noch möglich. Zu einem späteren Zeitpunkt, z. B.
in der Integrationsvorbereitungsphase (vgl. Kap. 3.3), wären bereits erheblich höhere
Kosten aufgelaufen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, schon in der Vorbereitungsphase
einen belastbaren Business Case aufzustellen und die beschriebenen Hintergrundana-
lysen durchzuführen.

3 Bestimmung der Hebel in der Transaktionsphase


Jede Strategie hat einen Wert, und jede Generierung von Wert ist auf die Verbesse-
rungspotenziale zurückzuführen, die einem strategischen Pfad zugrunde liegen. Bereits
beim Screening der Kandidaten und der mit ihnen verbundenen Pfade wird der Wert
der einzelnen Handlungsoptionen bestimmt – und zwar sowohl durch einen Vergleich
zwischen Kaufpreisszenarien als auch durch das strukturelle und finanzielle Verbesse-
rungspotenzial durch Anhebung der Ergebnisse und Änderungen bei der Finanzierung.
Als Maßstäbe werden dazu führende Wettbewerber herangezogen, Branchen und Unter-
nehmen, die in einzelnen Prozessstufen als »Best Practice« angesehen werden. In dieser
Stufe der Analyse ist hauptsächlich der Gesamtverbesserungshebel herauszufinden, der
sich durch Optimierung des Zusammenschlusses zwischen dem Zielkandidaten und des
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426  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

eigenen in das M & A-Geschehen einzubringenden Geschäftes ergibt. Dieser Gesamthe-


bel ist dabei eine Größe, die beide M & A-Beteiligte einschließt.

3.1 Integrationsorientierte Due Diligence


Der innerste Kern der Due Diligence ist die Prüfung der Werthaltigkeit des ins Auge
gefassten Integrationsmodells – sei dies nun ein Modell niedriger Integration (z. B. »An-
hängen«) oder ein tiefgreifendes Verweben der Aufbauorganisationen und Arbeitspro-
zesse beider Kandidaten. Zunächst sind die Stand-alone-Leistungs- und Lebensfähigkeit
des Kandidaten unter Führung des Käufers nach dem Closing zu analysieren sowie die
Werthaltigkeit und Werterzeugung (EVA) unter bestimmten Kaufpreisannahmen. In
der nächsten Stufe der Analyse ist das postulierte Führungs- und Integrationsmodell zu
hinterfragen. Dies kann nur selten im Datenraum selber verifiziert werden. Hierzu ist
vor allem das zu einer sauberen Due Diligence gehörige Management Audit zu nutzen.
Dabei ist die Leistungsfähigkeit sowohl hinsichtlich der sog. »harten« Strukturen (etwa
der gewählten Aufbau- und Ablauforganisation) als auch in Bezug auf die »weichen«
Akzeptanzfaktoren (etwa im Beziehungsgeflecht zwischen den meinungsbildenden Pro-
tagonisten in der Organisation) zu prüfen.

3.2 Integrationskonzept
Parallel zur Due Diligence und auf das Engste verzahnt mit der gezielten Informati-
onsbeschaffung ist das Integrationskonzept (der »Business Case«) als erstes integrales
Gesamtmodell für die Fusion zu entwickeln. Für diese Aufgabe wird erstmals das Inte-
grationsteam herangezogen, bestehend zunächst aus Stabs- und Linienverantwortlichen
der Konzernzentrale bzw. des betroffenen Geschäftes. Ihr Aufgabenspektrum beinhaltet
die Strategie, einschließlich erreichbarer Markt- und Technologiepositionen, sowie die
Produktlandschaft, gebildet aus dem Portfolio beider Kandidaten, und deren Weiterent-
wicklung zu einem Produktfamilienkonzept. Des Weiteren ist das Kulturprofil abzubil-
den, etwa die Harmonisierung oder die Kultivierung und Abstimmung beider Kulturen,
was z. B. bei verschiedenen Nationalitäten oder unterschiedlichen Herkunftsbranchen,
Unternehmensgrößen und verschieden großen Lenkungsspannen sinnvoll sein könnte.
Das Integrationskonzept sollte vor allem die Ansätze zur Harmonisierung der Ab-
laufmodelle (Prozesshauskonzept), aus der Sicht des Käufers abbilden, wobei die bis
dato gewonnenen Kenntnisse (Due Diligence!) über die Aufbau- und Ablaufstrukturen
des Kaufkandidaten mit einfließen. Insofern stellt das Zielszenario erstmals die Gesamt­
organisation der zu bildenden neuen Einheit dar. Dieses Zielszenario wird unmittelbar
nach dem Closing dem Management und den Teammitgliedern der Zielgesellschaft vor-
gestellt (vgl. die folgenden Kapitel). Neben diesem Zielszenario ist der zeitliche Weg
(»Fahrplan«) zu diesem Ziel darzustellen; zumindest sollte festgelegt werden, zu wel-
chem Zeitpunkt und über welche groben Zwischenschritte das finale organisatorische
Modell erreicht werden soll.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  427


Teil

3.3 Integrationsvorbereitung vor dem Closing


Während das Integrationskonzept (vgl. Kap. 3.2) speziell das mittelfristige Änderungs-
management betrifft, kommt der Integrationsvorbereitung die Aufgabe zu, die unmit-
telbar nach dem Closing zu treffenden Maßnahmen des operativen Geschäftes vorzube-
reiten. Der Käufer ist schließlich aufgefordert, sofort nach dem Closing alle Fäden zur
Führung des Geschäftes in die Hand zu nehmen und kein Macht- oder Aktivitätsvaku-
um entstehen zu lassen. Im Unterschied zum »Diskontinuitätsmanagement« (vgl. Kap.
3.2) geht es bei der Integrationsvorbereitung um die Sicherstellung der Kontinuität nach
dem Closing; schließlich wird immer ein laufendes Geschäft übernommen, bei dem »am
lebenden Objekt« die ersten Sofortmaßnahmen fällig werden. Dazu gehört die unmittel-
bare Besetzung von bestimmten Spitzen- und Schlüsselfunktionen der Zielgesellschaft
durch eigene Leute und die Realisierung von notwendigen Sofortmaßnahmen, der sog.
»Non Discussables« etwa bei der Umstellung der IT (Harmonisierung mit der IT des
Käufers, »Abschneiden« von Verbindungen zu den Servern des Verkäufers, Herstellung
der Verbindungen zu den Servern des Verkäufers, gemeinsame Telefonzentrale usw.).
Erfahrungsgemäß benötigt die IT die längste Zeitstrecke. Die Umstellung ihrer Architek-
tur ist deshalb möglichst frühzeitig zu bewerkstelligen. Sie ist die Voraussetzung für die
Harmonisierung der Berichterstattung (Reporting) und Kapitalbeschaffung (Financing)
die gleichfalls vom Käufer zu übernehmen sind und nicht zur Diskussion stehen.
Hinzu kommt eine erste Lokalisierung von sog. »Low Hanging Fruit«- und »Stop
Bleeding«-Maßnahmen. Erstere tangieren solche Maßnahmen, die praktisch keine Kos-
ten verursachen und die sofort realisierbar sind (z. B. das Nebeneinanderlegen von
Lieferantenkonditionen). Letztere bezeichnen Cash-Verluste aus offensichtlichen Lücken
im Geschäft (z. B. Problemprojekte), d. h. Aktivitäten, die sofort zu initiieren sind, um
laufende Verluste zu stoppen. Weiterreichende Maßnahmen sind nach dem Closing zu
entwickeln. Die Berichterstattung über den Füllstand der Erkenntnisse und der an-
gedachten Maßnahmen (Abb. 7 und Abb. 9) erfolgt über Status-Berichterstattungen
gegenüber dem Leitungskreis auf der Käuferseite (Steering Committee).

3.4 Verbesserungshebel (Levers)


Das aus den Benchmarks abgeleitete Gesamtverbesserungsziel (im Wesentlichen die
Größe EBIT on Sales, siehe Abb. 8 Spalte 1) ist erstmals »top-down« in einem »inne-
ren« Szenario (nur Käuferseite) in die wichtigsten Hebel »herunterzubrechen«, sei es
nach Wertschöpfungsstufen (Forschung & Entwicklung, Fertigung, Vertrieb, Gemein-
kosten…) – sei es nach Standorten oder Produkten. Für diese Aufgabe wird erstmals
ein besonderes Team gebildet, das stabsmäßig dem Integrationsprojektleiter zugeordnet
wird: das Projektbüro (»Project Office« vgl. Abb. 13) bestehend aus Strategen, Quali-
tätsmanagern und (internen oder externen) Beratern, da für diese Aktivität besondere
Erfahrungen, Instrumente und Verhaltensmuster von Beratern gefordert sind.
Besonderes Augenmerk ist auf die Entwicklung bzw. den Einsatz spezieller Pla-
nungsinstrumente zu legen, z. B. um die Gesamtoptimierungsziele für die einzelnen
Wertschöpfungsstufen zu präzisieren. Im Zuge dessen sind wechselseitige Verhand-
lungen mit den Fachverantwortlichen notwendig, um zu einem schlüssigen ersten Bild
zu kommen, wie sich z. B. die Oberziele für die einzelnen Funktionen im Einkauf, in
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428  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

der Fertigung und bei Forschung & Entwicklung präzisieren lassen – und zwar sowohl
bezogen auf die Organisation des Käufers als auch auf die Organisation des Targets, der
zum Verkauf stehenden Einheit des Verkäufers. Bezogen auf die Erfolgshebel des Target
kann vor dem Closing nur mit Annahmen (Simulation) gearbeitet werden, da die Käu-
ferseite in der Arbeitsstufe vor dem Closing aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nur
summarisch (und nicht auf Einzelprojektebene) und nur mit ausgewählten Vertretern
der Leitungsebene des Targets verhandelt wird und die operative Ebene der Zielorgani-
sation nicht eingebunden sein darf.
Um zu belastbaren Annahmen über einzelne Geschäfte oder Produktlinien des Tar-
get zu kommen, kann zu diesem Zeitpunkt ein sog. »Clean Team« organisiert werden,
bestehend aus neutralen Beratern, die die Aufgabe haben, aus operativen Projektdaten
(auf die zu diesem Zeitpunkt der Käufer keinen Zugriff haben darf, da wettbewerbs-
relevant) die Kostenstrukturen und Ergebnisprofile des Gesamtgeschäftes abzuleiten.
Dieses Datengerüst dient als die Basis für das Herunterbrechen der Gesamtoptimie-
rungsziele etwa auf Produktlinien, Standorte oder auf die Wertschöpfungsstufen.

3.5 Readiness-Plan zum Closing


Die sog. Bereitschaft (»Readiness«) zum Closing ist einer der Schlüssel zum Erfolg in
einem M & A-Integrationsprojekt. In dieser Phase laufen die konzeptionellen Planun-
gen des Diskontinuitätsmanagements in Form des »Levers«-Teams (Project Office, vgl.
Kap. 3.4) und die operativen Vorbereitungen für das Kontinuitätsmanagement der In-
tegrationsvorbereitungsmannschaft zusammen. Genau genommen setzt sich der »Rea-
diness-Plan« (vgl. Abb. 5) aus zwei Teilen zusammen, aus dem »Readiness-Programm«
und dem »Readiness-Briefing«. Ersteres summiert die Maßnahmen zur organischen
Weiterführung des Geschäftes unmittelbar und lückenlos nach dem Closing, inklusi-
ve der Sofortmaßnahmen (»Low Hanging Fruit« und »Stop Bleeding«) und die ersten
Maßnahmen, um die Implementierung der Verbesserungen einzuleiten. Das Briefing
bezeichnet den Kurzbericht gegenüber dem Vorstand über die umfassende Bereitschaft
zur Übernahme des Kandidaten.
Ein Schwerpunkt des Readiness-Plans ist die generalstabsmäßige Planung der Ak-
tivitäten für den Tag vor dem Closing und die ersten Tage nach dem Closing. Dabei
geht es z. B. um die stundengenaue Abfolge der Ankündigungen des Vollzuges vor den
verschiedenen externen und internen Stakeholdern, um die Abfolge von Informationen
im kleinen Kreis für das Topmanagement, um zentrale und örtlichen Betriebsversamm-
lungen, um Reden (»wer sagt was?«) und zentrale Botschaften. Nicht zuletzt ist die In-
besitznahme der neuen Vermögenswerte vorzubereiten und gleichzeitig sicherzustellen,
dass kein Diebstahl, kein Betrug und keine Datenverluste entstehen. Insofern müssen
innerhalb von Stunden die Vermögenswerte sichergestellt und die Verantwortlichen
bestellt sein. Im Übrigen ist mit zentralen Botschaften zu erhärten, dass jeder zunächst
und unabhängig von kurzfristigen Umbesetzungen in der Verantwortung für seine Ein-
heit bleibt und damit die Verantwortung und Entscheidungsspanne behält, sofern vom
Übernehmer nicht anders entschieden.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  429


Teil

4 Integrationsmaßnahmen nach dem Closing


Unmittelbar nach dem Closing soll das von der Käuferseite kommende Integrations-
team um Personen aus der Zielgesellschaft symmetrisch ergänzt, werden, d. h. für jede
Funktion gibt es einen Funktionsverantwortlichen und einen Stellvertreter (vgl. Abb.
13 rechte Spalte). Der Hauptverantwortliche sollte im Idealfall wechselseitig mal von
der einen, mal von der anderen Seite kommen, so dass sich insgesamt ein Gleichge-
wicht zwischen den Führungskräften und ihren Stellvertretern ergibt. Hauptkriterium
ist dabei die Eignung, die durch Assessments zügig festgestellt wurde. Asymmetrien
bzw. Übergewichte können bei ungleichgewichtigen Übernahmen und z. B. bei einer
Integration in die Organisation des Targets (Reverse Integration) sinnvoll sein.

Inhalt des Readiness-Plans: Status Input gefordert von:

•Projektübersicht Integrationsbüro
•Business Anwendungsbereich Integrationsbüro
•Wertvorschlag Integrationsbüro
•Verkaufs- und Marktanteilsziele Integrationsbüro
•Risikobeurteilung Funktionale Teams
•Rechtsform Rechtsberater
•Organisationsstruktur Integrationsbüro
•Unternehmensbewertung & Business Plan Integrationsbüro/Management
•Integrationsplan (Maßnahmen, Synergien) Funktionale Teams
•Kommunikationsfahrplan Kommunikationsteam
•KulturelleDue Diligence Integrationsbüro
•HR-Integrationsplan HR-Team
•Integrationsteam-Aufbau Integrationsbüro

Inhaltlich erfüllt Signifikante Inputs ausstehend

Abb. 5: Themen und Statusbericht für die Integrationsbereitschaft zum Closing (Quelle: Siemens-Alstom)

Mit dem Closing beginnt die operative Integration. Hierzu wird ein umfassendes Inte-
rimsteam, das sog. Integrationsteam aufgesetzt, das zusammen mit dem Management
der beiden zu integrierenden Einheiten sämtliche Funktionen des Kontinuitätsmanage-
ments (Schwerpunkt liegt beim Management der beiden zu integrierenden Einheiten)
und des Diskontinuitätsmanagements (Schwerpunktmäßig bei Interim Team) abdeckt.
Aus Gründen der Arbeitsteiligkeit (vor allem zwischen Kontinuitätsmanagement und
Diskontinuitätsmanagement) und wegen des erforderlichen Funktions- und Erfahrungs-
hintergrundes hat sich in der Praxis eine Teilung der Verantwortlichkeiten etwa nach
folgenden Schwerpunkten als vorteilhaft erwiesen (vgl. Abb. 4):
• Wertschöpfungskette und Standorte (s. Kap. 4.1)
• Organisation und Prozesse (s. Kap. 4.2)
• Maßnahmenprogramm (s. Kap 4.3)
• Das Programm für den kulturellen Wandel (s. Kap. 4.4)
• Das Team für den Readiness-Plan (s. Kap. 4.5)
• Das 100-Tage-Programm (s. Kap. 4.6)
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430  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

4.1 Wertschöpfungskette und Standorte


Das Team, das sich mit dem Arbeitspaket »Wertschöpfungskette und Standorte« be-
schäftigt, setzt sich aus Führungskräften der beiden zu fusionierenden Organisationen
zusammen, da bei diesen Aktivitäten vor allem operative Kompetenz und Kenntnisse
der Geschäfte gefordert sind (vgl. Abb. 13). Die hier versammelten, für das operative
Geschäft der beiden zusammenzuführenden Einheiten verantwortlichen Personen ha-
ben die Aufgaben, das Perimeter für die zukünftigen Geschäftsaktivitäten abzustecken
und die Eckpunkte für die Organisation hinsichtlich der Tiefe der Wertschöpfung und
der Verteilung auf die Standorte zu definieren (vgl. Abb. 4 Punkt 4.1). Dabei sind grund-
legende Betrachtungen anzustellen; zunächst die Frage nach der Wertschöpfungstiefe
insgesamt, die wiederum einen starken Einfluss auf die Verbesserungspotenziale, die
Teilhebel und die Maßnahmen (vgl. Kap. 4.4) hat. Aufgrund der Zusammenlegung der
beiden Organisationen kann sich ergeben, dass die Wertschöpfung im eigenen Hause er-
höht (Insourcing) oder gesenkt wird (Outsourcing). So wurde etwa beim Siemens-Wes-
tinghouse-Projekt die Beschichtung von Turbinenschaufeln mit in die eigene Wertschöp-
fung einbezogen, während vorher beide Parteien dies extern durchführen ließen.
Die Perimeterbestimmung, gerade für die Wertschöpfung, für die Standorte und
auch für die eigenen Vermögenswerte (z. B. Sale and Lease Back), ist eine eminent
strategische Aufgabe. So sollten Grundstücke und Gebäude, die in naher Zukunft einem
Funktionswechsel unterzogen werden sollten, nicht verkauft werden, da in diesem Fall
langfristige Mietverträge teuer gekündigt werden müssen. Insofern sind der Besitz von
Vermögenswerten und das Verfügen darüber wesentlich günstiger als das Anmieten
und Abmieten derselben.

4.2 Organisation und Prozesse


Das für »Organisation und Prozesse« verantwortliche Team ist gemischt zu besetzen,
d. h. mit Beratern und Vertretern der Führungsebene der übergeordneten Einheit, da
mit den organisatorischen Entscheidungen auch über die Machtverteilung und das
Zusammenspiel der operativ Handelnden entschieden wird. Berater sollten in diesem
Team (mit) tonangebend sein, da der Aufbau einer neuen Prozessorganisation einen
erheblichen Arbeitsaufwand darstellt. Lediglich in eindeutigen und einfachen Fällen,
in denen die Prozessorganisation des Käufers unverändert weitergeführt und die Ein-
heiten des Kaufobjektes in die Käuferorganisation »hineingehängt« werden, kann auf
eine aufwendige Ausstattung mit Beratern verzichtet werden. In der Annahme, dass
das Käuferunternehmen ein bestimmtes Prozesshausmodell eingeführt hat und dass
hierin die Organisation des Käufers aufgenommen wird, ist davon auszugehen, dass die
Prozesse der zu fusionierenden Einheit nach demselben Muster aufzustellen sind wie
die der übergeordneten Einheit der Käuferorganisation.
Ansonsten wären die Funktionen der Gesamtorganisation (übergeordnete Organi-
sation einschließlich Organisation der neuen integrierten Einheit) nicht vergleichbar.
Querversetzungen wären z. B. schwieriger, weil etwa einheitliche Funktionsstufen für
gleichwertige Funktionen fehlen. Der Schwierigkeitsgrad bei der Zusammenführung
von Prozessen liegt meist darin, dass zunächst eine einheitliche Sprache und gleiche De-
finitionen für die Prozessstufen gefunden werden müssen. Sind diese einmal getroffen,
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  431


Teil

dann können die Prozesse einheitlich definiert und über alle Geschäfte und Regionen
ausgerollt werden.

4.3 Maßnahmenprogramm
Das Maßnahmenprogramm (Measures Program)-Team setzt die Aufgaben des »He-
bel«-Teams (vgl. Kap. 3.4) fort und ist als Stabsteam im Project Office dem Integrations-
manager direkt unterstellt. Dieses Arbeitspaket ist hauptsächlich mit Beratern (intern
oder von extern) zu besetzen, da spezielle Erfahrungen und Instrumente anzuwenden
sind. Die Aufgabe ist einzubetten in die aus dem für »Organisation und Prozesse«-Team
(vgl. Kap. 4.2) gebildeten »Zellen« der Organisation. Jede »Zelle«, gebildet in der Matrix
zwischen Aufbau- und Ablauforganisation, trägt bestimmte Kosten- und Verbesserungs-
potenziale der neuen, zusammengeführten Organisation. Dies gilt es in einer Bottom-up-
Übung zu definieren, um letztendlich die top-down entwickelten Ergebnishebel zu 100 %
abzudecken. Erfahrungsgemäß gelingt das nicht »im ersten Rutsch«, sondern es bedarf
wiederholter Anläufe und dauert in der Praxis größerer Projekte mehrere Monate.
Das Maßnahmenprogramm ist die Quintessenz des Integrationsprojektes. Ziel sollte
es sein, alle Hebel in den drei Hebeldimensionen – (a) Wertschöpfung, (b) Geschäfte
und (c) Produkte und Standorte – zu 100 % bottom-up mit Maßnahmen zu hinterlegen.
Darüber hinaus sind die Einzelmaßnahmen schrittweise zu »erhärten«. Dazu kann
ein sog. »Härtegradkonzept« dienen (vgl. Kap. 5.4). In einem Meilensteinprogramm ist
festzulegen, zu welchem Zeitpunkt welche Maßnahme in welchem Härtegrad erfüllt
sein soll. Insgesamt ergibt sich daraus zu jedem Zeitpunkt ein Soll für einen »Meilen-
stein-Härtegrad-Füllstand«. Dieser ist mit dem erreichten Härtegrad zu vergleichen. Aus
dem Vergleich ergibt sich das Maß über die Erreichung oder Verfehlung der Ziele.

4.4 Programm für den kulturellen Wandel


Für das komplementär zum »Maßnahmenprogramm« arbeitende Team für den kulturel-
len Wandel (»Cultural Change Program«) werden Mitarbeiter von den Stäben »Personal«
und »Kommunikation« rekrutiert. Das Team behandelt den kulturellen Wandel während
der Umbauarbeiten und verfolgt die gesetzten »Kulturziele«.
Das in der Literatur als »Change Program« (vgl. Abb. 4 Punkt 4.4) titulierte Konzept bein-
haltet das Management des kulturellen Wandels und konkret die persönliche Befindlichkeit
des Mitarbeiters. Die im Zuge eines M & A-Projektes angekündigten Maßnahmen erzeugen
bei den Mitarbeitern typischerweise Stimmungsschwankungen (vgl. zur Illustration Abb. 6):
Aus einer Überraschung wegen des angekündigten Business Cases (vgl. Kap. 2.3) entsteht
als erste Reaktion typischerweise ein Schock, dem eine Welle der Euphorie folgt. Wenn die
konkreten schmerzhaften Maßnahmen dann spürbar sind, folgt das »Tal der Tränen«. Grei-
fen zu diesem Zeitpunkt die Kommunikationsprogramme, dann ist mit baldiger Besserung
bis hin zur Erfüllung der Ziele zu rechnen. In dieser oder ähnlicher Form werden üblicher-
weise die Phasen der persönlichen Wahrnehmung durch den Mitarbeiter beschrieben.11

11 Vgl. z. B. Duck 2002.


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432  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Abb. 6: Stimmungs-
schwankungen im Zuge
der M & A-Integration
(Quelle: Fujiutsu-Sie-
mens)

Unverkennbar besteht dabei ein direkter Bezug zwischen Kommunikation bzw. Maß-
nahmenergreifung durch das Management und der Motivationsebene des Mitarbeiters
(vgl. Abb. 7). Auf der Strategie-/Strukturebene werden Schritt um Schritt die Struk-
turziele definiert, die entsprechenden Maßnahmen verkündet und die Umsetzung ver-
folgt. Demgegenüber steht die (individuelle) Motivationsebene des Mitarbeiters. Dieser
sollte – seiner Rolle entsprechend – in die Programmentwicklung mit einbezogen wer-
den, indem er – nach Information über ein Maßnahmenbündel – hierzu Stellung bezieht
und sein Feedback geben kann. Im Idealfall fließt dies über eine Controlling-Verknüp-
fung in die Maßnahmengenerierung auf der Strukturebene ein, so dass sich am Schluss
dieses auf zwei Ebenen miteinander verknüpften Regelkreises eine Zielkonsistenz zwi-
schen der emotionalen Erwartung des Mitarbeiters und des Strukturzieles für diesen
Abschnitt der Maßnahmen ergibt.

Strukturziel Strukturmaßnahmen

Strategie-/
Strukturebene
Controlling

Kulturziel Kommunikation

Kultur-/
Motivationsebene
Abb. 7: Korrespondenz-
beziehungen zwischen
Feedback
Struktur und Kultur
(Quelle: Siemens)

Das Management des kulturellen Wandels ist somit ein fester Bestandteil des Integra-
tionsmanagements, das immer »das Ganze« im Auge behalten muss, nämlich (a) die
Maßnahmenentwicklung und Umsetzung auf der Ebene des Unternehmens und (b) die
Feedbackschleife auf der Ebene des Individuums, um den einzelnen Mitarbeiter im Zuge
der M & A-Maßnahmenumsetzung nicht zu verlieren.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  433


Teil

4.5 Closing und »Day 1«


Das auf das Closing mit »Day 1« folgende »erste 100 Tag-Implementierungsprogramm«
setzt auf den Readiness-Plan auf und liegt wiederum in der persönlichen Gesamtver-
antwortung für das integrierte Geschäft. Die verantwortliche Person kommt – wie er-
läutert – aus der übernehmenden Einheit oder aus der Zielgesellschaft.
Die Hauptschnittstelle zwischen dem »Deal Making«-Prozess und dem Implementie-
rungsprozess besteht beim Closing. Wenn die rechtlichen Genehmigungen zum Vollzug
der Übernahme vorliegen, sind der Tag vor der Übernahme (»Day -1«) und der Tag
nach der juristischen Übernahme (»Day 1«) generalstabsmäßig abzuwickeln. Über den
Fortschritt und den »Füllstand« der einzelnen Aktivitäten ist dem Projektleitungskreis
(Steering Committee) voll umfänglich Bericht zu erstatten (vgl. Abb. 7). Zu den wich-
tigsten Aufgaben und Schritten des Programms rund um das Closing gehören:
1. der Ablaufplan für die Daten »Day -1« und »Day 1« über alle Events (von Pressekon-
ferenz bis Betriebsversammlungen an allen wichtigen Standorten),
2. die Liste der Betreuer aller Stakeholder (wer informiert wen wann, über welches
Medium mit welchem Inhalt und durch wessen Vorbereitung?) unter Einbindung
aller Führungsebenen (ist zeit- und personalkritisch),
3. personelle und organisatorische Umbesetzungen bzw. Umstellungen, wirksam mit
»Day 1«,
4. rechtliche Hinweise zum Übergang von Eigentum, Verpflichtungen und Weisungs-
befugnissen.

Alle internen und externen Stakeholder müssen in der Reihenfolge ihres (politisch-ge-
sellschaftlichen) Gewichtes und dem Grade ihrer Unmittelbarkeit entsprechend infor-
miert werden. Die Informationspflicht ergibt sich auch aus den Notwendigkeiten der
Finanzmarktkommunikation, indem z. B. bei einer Börsennotierung (Listing) einer der
beiden in der M & A-Transaktion involvierten Muttergesellschaften in Europa (etwa DAX
in Deutschland) und Nordamerika (etwa New York Stock Exchange (NYSE)) der Vollzug
zeitgleich angekündigt werden muss (etwa 14 Uhr Frankfurt entsprechend 8 Uhr New
York – bei sechs Stunden Zeitunterschied).
Dem gesamten Informationsprogramm (Zeitplan und Abarbeitung der Stakeholder)
sollte ein Strategiepapier zugrunde gelegt werden, aus dem Konzepte, Ziele und Pfa-
de entnommen werden können. Auf diesem zu entwickelnden Basispapier sollte die
gesamte interne und externe Kommunikation aufsetzen, um die Konsistenz über die
Hauptphase des Kommunikationsprozesses (zwischen Signing bis zum Ende der ersten
100 Tage) und über alle Stakeholder sicherzustellen.

4.6 100-Tage-Implementierungsprogramm
Das 100-Tage-Implementierungsprogramm beinhaltet im Wesentlichen zwölf Themen:
1. Festlegung der zugrunde zu legenden Steuerungsprinzipien und des Zieleprofils für
das Projekt, z. B. für (i) Tiefgang der Integration, (ii) Art der Integration, (iii) Haupt-
quellen für Synergien, (iv) Geschwindigkeit der Integration und damit Arbeitsprofil
für das Interimsteam (z. B. viele Mitarbeiter in kurzfristigem Einsatz oder weniger
Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum),
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434  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2. vollständiger Vollzug der Eigentumsübernahme (vgl. Kap. 4.5),


3. Kurzfristprogramm in den Tagen unmittelbar nach dem Closing mit den »Manage-
ment Alignment Workshops« (Vorstellung der Ziele und Werthebel aus Käufersicht;
Diskussion derselben und Herausarbeitung eines gemeinsamen Arbeitsprogramms),
4. Implementierung des Kommunikationsprogramms einschließlich sog. »Pulse
Checks« (Mitarbeiterbefragungen), sofern mit Genehmigung des Verkäufers nicht
schon vor dem Closing begonnen,
5. Festlegung von Aufbauorganisation und Ablaufplan (Zeitplan) für das Post Closing
Integrationsteam,
6. Vervollständigung des (Interims-) Projektteams um die Positionen aus dem Kauf-
objekt, insbesondere für das Project Office (Stäbe des Projektleiters), sollte u. a.
Meilensteinprogrammverfolgung nach dem Härtegradkonzept (im Program Office),
Kommunikation, Standortprogramme beinhalten,
7. Post Closing Due Diligence (»Due Diligence 2«) oder Team Self Assessment,
8. Umsetzung des »Stop Bleeding«-Programms für Sofortmaßnahmen, um akute
Cash-Verluste einzudämmen und des »Low Hanging Fruit«-Programms zur Reali-
sierung erster Synergien etwa beim Einkauf,
9. Vervollständigung und Abarbeitung des »Levers Program« (vgl. Kap. 3.4) und »Mea-
sures Program« (vgl. Kap. 4.3),
10. Implementierung des Post Closing Vertragsmanagements (entspricht Verfolgung der
Vertragsumsetzung, etwa aus Garantien),
11. Treffen von ersten organisationsbezogenen Entscheidungen (Aufbauorganisation,
Prozesse),
12. Umsetzung des Personal Assessment-Programms für die erste(n beiden) Ebene(n)
unter Einschaltung eines Personalberaters mit der Zielsetzung der Bewertung der
Kandidaten, Auswahlliste, Zustimmung zu den Teilzielen in der Verantwortung
der Kandidaten und daraus Besetzung der Stellen (aus internen Kandidaten beider
Partner, notfalls von dritter Seite).

Auftakt für die Umsetzung des vom Käufer entwickelten Maßnahmenkataloges sind
die sog. Alignment Workshops unmittelbar nach dem »Day 1«. Hierbei machen sich
die Managementteams beider Seiten gegenseitig bekannt, wobei das übernehmende
Management auch die Führungsebene des Integrationsprogramms vorstellt und dem
Management der übernommenen Gesellschaft die Gelegenheit gibt, Gegenvorschläge zu
machen. Ein begrenzter Zeitraum von wenigen Tagen sollte ausreichen, um Ziele abzu-
stimmen und grundlegend über den Ablauf des weiteren Programms zu entscheiden.
Des Weiteren sollte das Gesamt-Verbesserungsziel vorgestellt werden, einschließlich
der Hebel, soweit diese im Vorfeld des Closings auf der Käuferseite definiert werden
konnten. Sofern aus dem Kreis des Kaufobjektes keine besseren Vorschläge kommen,
sind die Pläne der übernehmenden Seite verbindlich. Für strittige Themen oder Ver-
tiefungen können gemeinsame Spezialteams aufgesetzt werden. Damit wären die Eck-
punkte der Top-down-Planung gesetzt. Nunmehr können die gemischten Teams des
Integrationsmanagements tätig werden und mit der Bottom-up-Planung beginnen (vgl.
Abb. 4 Punkte 4.1 bis 4.4).
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  435


Teil

4.7 Ein-Jahres-Implementierungsplan
Der Ein-Jahres-Implementierungsplan (»One Year Implementation Plan«) umfasst die
Einzelprogramme der Kapitel 4.1 bis 4.5. Die eigentlichen Ziele dieses Planes liegen
darin, (1) die Top-down-Planung mit der Bottom-up-Planung zur Deckung zu bringen
und (2) die Einzelprogramme zu verzahnen. Das erste Ziel ist ein ehrgeiziges, welches
in zahlreichen Runden verfolgt werden muss. Erfahrungsgemäß treten zwischen beiden
Planungen erhebliche Differenzen auf, die mit der Zeit gefüllt werden müssen. Dabei
ist es nicht zielführend »sklavisch« die Einzelmaßnahmen soweit zu biegen, bis sie mit
der Top-down-Planung stimmig sind. Vielmehr geht es in diesem dynamischen und
intelligenten Prozess darum, Deckungslücken aufzuspüren und ggf. durch ganz neue
Maßnahmen anzufüllen.
Auch das zweite Ziel, die Verzahnung der Einzelprogramme, erfordert immer wieder
Intelligenz und Mut. Erfahrungsgemäß gehen Motivationen verloren, sobald der Betref-
fende von Maßnahmen erfährt, die seinen Bereich schmälern. Da die einzelnen Prota­
gonisten an den Standorten »gemischt« verteilt sind, kommt es natürlich laufend vor,
dass ein negativ Betroffener einem gerade vom Erfolg motivierten Kollegen gegenüber-
tritt. Diese Treffen münden in Spannungen und meist mehr in Demotivationen denn
in Motivationen. Daher muss das Management mit »Cultural Alignment-Programmen«
eingreifen, bevor es zu spät ist, und die Mitarbeiter Schaden nehmen bzw. verursachen.

4.8 Projektabschluss und kontinuierliches Verbesserungsprogramm


Erfahrungsgemäß können die wichtigsten Programmteile mittelgroßer Projekte (beste-
hend aus mehreren Standorten, mehreren Regionen, mehreren Geschäften) innerhalb
eines Zeitraumes von einem Jahr abgewickelt werden. Die Praxis zeigt auch, dass in fast
allen Fällen eine Beurteilung über den Erfolg der Integration und des Turnaround-Pro-
gramms innerhalb der Jahresfrist abgegeben werden kann, selbst wenn das Programm
weit über diesen Zeitraum hinaus weiterläuft. Je nach Integrationstyp und Synergietyp
(Überlappung oder technische/regionale Komplementarität) sind Projekte in großen,
kurzfristig agierenden schlagkräftigen Teams (Überlappung, Kostensenkungsprogram-
me) oder in kleinen länger aktiven Teams (Produktkomplementarität, Aufbau einer
neuen Produktfamilie) abzuwickeln.
Die Praxis zeigt auch, dass die mit einem M & A-Projekt aufzusetzenden Programme
eine Reichweite (aktive Umsetzung) von Größenordnung vier bis fünf Jahren haben
können. Danach sind spätestens (je nach Länge der Produktlebenszyklen) neue Pro-
gramme aufzusetzen. Dies sollte dann in einer Geschäftsroutine erfolgen, z. B. als kon-
tinuierliches Verbesserungsprogramm. Das für die Umsetzungsverfolgung verantwort-
liche und letztlich verbliebene Team (aus dem Project Office des Interimsteam) kann
zu diesem Zweck in ein Team für das kontinuierliche Verbesserungsprogramm umge-
wandelt werden. Mit diesem Schritt wäre dann das letzte Teilteam aus dem M & A-Inte-
rimsteam aufgelöst und das M & A-Projekt abgeschlossen.
Die Dynamik eines M & A-Projektes beinhaltet jedoch nicht nur »organische«, son-
dern auch »externe« Fortsetzungsarbeiten wie z. B. den Weiterverkauf erworbener
Einheiten oder anderer Geschäfte aus dem Portfolio. Daraus resultieren dann »neue«
M & A-Projekte.
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436  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

5 Verfahren und Instrumente


In der M & A-Praxis hat sich eine Reihe von Konzepten und Instrumenten bewährt, die
projektübergreifend (als sogenannte Workstreams, siehe Abschnitt 5.8) oder in einzel-
nen Projektphasen Anwendung finden. Diese sind untrennbar verbunden mit dem inte-
gralen Prozessmanagementkonzept, das dem hier vorgestellten Referenzprojektmodell
zugrunde liegt. Die wichtigsten anzuwendenden Konzepte sind:
• die Verfahrenskette vom durchgestochenen Benchmarking über die Top-down-Ziela-
bleitung bis zur Bottom-up-Maßnahmenimplementierung (vgl. Kap. 5) und
• das Kapazitäts- und Kompetenzmanagement (vgl. Kap. 6), eingebunden in das Kon-
zept des Integralen Projektmanagements, unter besonderer Berücksichtigung der »ver-
tikalen« Schnittstellen (zwischen den Prozessen) und der »horizontalen« Schnittstellen
(zwischen den Phasen) bzw. das Migrationsmanagement (zwischen den Teams).

5.1 B
 enchmarking zur Analyse von Ausgangssituation und
Potenzialen verschiedener Handlungsoptionen
Benchmarking ist ein systematischer und kontinuierlicher Prozess des wettbewerbli-
chen Vergleiches. Er dient vor dem M & A-Projekt zur Feststellung der Ausgangspositi-
on und der Abschätzung der Verbesserungspotenziale durch organische Maßnahmen
und durch Zusammenschlüsse mit verschiedenen potenziellen Kandidaten (vgl. Abb.
8). Auch zur Analyse der Handlungsoptionen gegnerischer Parteien ist Benchmarking
geeignet. In der Industriepraxis wird dieses Instrument zur Analyse ganzer Konsolidie-
rungswellen herangezogen – etwa zur Klärung der Frage, ob ein bestimmtes M & A-In-
tegrationsmodell mit einem konkreten Wettbewerber zu einer besseren Zielposition
führt als die wahrscheinlichsten gegnerischen Zusammenschlüsse. Diese Analyse kann
im Vorfeld eines M & A-Projektes auch zur Priorisierung von Kandidaten herangezogen
werden (vgl. Kap. 2.2 Kandidatenscreening).

Benchmarking Baselining Funktionen Maßnahmen


(top down) (top down) (bottom-up)
(EBIT on Sales)
Best practice Profitziel
vergleichbarer Industrien

Einkauf
Produktivität Durchschnittliche
Einsparungen
beim Einkauf
Profit
bevor
Herstellung
Industrielle Kostenfaktor- Einsparungen
Konkurrenten Steigerungen pro
Aktivitätsgruppe

Konkurrenten
Preisverfall
Volumen-
abnahme
Goodwill/
Restrukt.

Abb. 8: Beispiel Siemens Westinghouse »From Levers to Actions« (Quelle: Siemens)


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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  437


Teil

Im Weiteren kann das Benchmarking mit zunehmender Informationstiefe wiederholt


und immer belastbarer ausgestaltet werden. Dabei können als Benchmarks nicht nur
Unternehmen in der eigenen Industrie herangezogen werden, sondern auch aus ver-
gleichbaren Branchen. Auch die Zerlegung der Wertschöpfung in einzelne Prozesse
und das Heranziehen von Branchen, die in einzelnen Prozessen als führend angesehen
werden, ist Usus.

5.2 M & A-Baselining zur Dynamisierung der Zielgrößen


Strategisches M & A ist grundsätzlich langfristig orientiert. Bei Projekten, die vornehm-
lich Kostensenkung über Skaleneffekte zum Ziel haben (vgl. Abb. 8 linke Spalte), ist zu-
mindest die aktuelle Produktgeneration und die Nachfolgegeneration zu betrachten. Im
Maschinen- und Anlagenbau sind das Zeithorizonte in der Größenordnung von 10 bis
15 Jahren, Letzteres z. B. bei Dampfturbinen für Großkraftwerke. Bei M & A-Fällen, die
vornehmlich die Erschließung komplementärer Technologien zum Ziel haben, sind die
Entwicklungszeiten von der Grundlagenforschung bis zur Markteinführung zugrunde
zu legen. Auch wenn die Produktlebenszyklen in der IT- und Kommunikationsbranche
mit einem halben bis einem Jahr pro Produktgeneration extrem kurz sind, sind auch in
diesen Branchen sehr langfristige Überlegungen anzustellen. So ging der Spin-off der
Halbleiterbranche von Siemens darauf zurück, dass die Entwicklungsaufwendungen pro
Generation um den Faktor zwei anwuchsen, dass sich die Anzahl der zu integrierenden
Schaltkreise im Rhythmus von 18 Monaten verdoppelte und dass zuletzt vier zukünftige
Produktgenerationen bei den Technologieunternehmen in der Pipeline lagen.
Auch methodisch ist damit eine Langfristbetrachtung angesagt. Die ersten fünf, mit
einer diskreten Planung hinterlegten Jahre eines Business Plans decken i. d. R. nur 30 %
des Geschäftswertes ab. 70 % bis über 80 % des Wertes resultieren aus den Folgejahren
und sind mehr oder weniger pauschal aus dem Endwert (Terminal Value) abzuleiten.
Diese Beispiele zeigen, wie sorgfältig mit langfristigen Planungsannahmen umzugehen
ist, und sie verdeutlichen die Notwendigkeit methodischer Genauigkeit.12
Hierzu zählt das Baselining als ein Verfahren, mit dem das Produktivitätsverbesse-
rungsziel als dynamische Größe abzuleiten ist (siehe Abb. 8 zweite Spalte von links).
Dazu wird einerseits das Ergebnisziel im Zieljahr (i. d. R. das fünfte Jahr nach dem
Closing) aufgrund von Benchmarks (vgl. Kap. 5.1) abgeleitet. Dann ist das Produkti-
vitätsziel zu »dynamisieren«, indem das bisherige, in den Planannahmen enthaltene
Zielergebnis um die darin zugrunde gelegten Faktoren wie Preisverfall und Kosten-
steigerungen bereinigt werden. Das Ergebnis ist dann ein dynamisiertes Produktivi-
tätswachstum, das erheblich oberhalb des »statischen« Produktivitätswachstums liegt.
Die hier angesprochenen Werte sind jeweils die Summen aus den beiden an der
M & A-Transaktion beteiligten Unternehmen. Das M & A-Projekt wird dabei als inte­

12 Auf die methodischen Ansätze zur Bewertung des Terminal Value soll an dieser Stelle nicht einge-
gangen werden. Angesichts von über 70 % des Gesamtwertes, den der Terminal Value repräsentie-
ren kann, werden verschiedenste Verfahren zur Verfeinerung und Plausibilisierung eingesetzt, wie
etwa das Ramping von Ergebniswerten über eine sog. Ramping-Periode in Richtung »null Zusatz-
synergien« oder in Richtung »Eigenkapitalrendite gleich Eigenkapitalkosten«, da anderenfalls bei
langfristigen »Überrenditen« neue Wettbewerber angezogen werden würden.
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438  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

griertes (beide Seiten umfassendes) Restrukturierungsprojekt (Reengineering Project)


durchgeführt
Das Gesamtziel, die EBIT-Kennziffer zu verbessern, muss im nächsten Schritt in
die einzelnen Hebel zerlegt werden (vgl. Abb. 8 dritte Spalte von links). Eine prüfende
Zerlegung zur Analyse der Machbarkeit sollte bereits vor dem Closing im Zuge des
Projektabschnittes »Verbesserungshebel« (vgl. Abb. 4 Punkt 3.4) durchgeführt werden.
In diesem ersten Schritt sollte das Gesamtziel zunächst in einer Dimension zerlegt
werden, sei es nach der Wertschöpfung, sei es nach Standorten oder nach Geschäften
– je nachdem, welche Dimension für das jeweilige Geschäft am geeignetsten erscheint.
Diese Zerlegung beruht hinsichtlich des Targets natürlich auf Analogieschlüssen
zum eigenen Geschäft, da noch kein Zugang zum Zielunternehmen gegeben ist. Erst
nach dem Closing kann eine belastbare Analyse unter Summierung der Werte beider
Unternehmen angestellt werden. Diese ist immer noch eine Top-down-Betrachtung, soll
aber die Machbarkeit nachweisen.

5.3 Maßnahmenplanung und -verfolgung


Die 100-Tage-Phase nach dem Closing dient der Maßnahmenplanung unter der Regie
des Interim-Projektteams. Nunmehr werden die Hebel in allen drei Dimensionen (Wert-
schöpfung, Geschäftsfelder und Regionen) top-down zerlegt und durch Definition der
einzelnen Maßnahmen bottom-up angefüllt (vgl. Abb. 8 rechte Spalte). Der Detaillie-
rungs- und Aggregationsgrad der einzelnen Maßnahmen sollte so gewählt werden, dass
sich die Maßnahmen bzw. Maßnahmenbündel einzelnen Abteilungen der zukünftig
fusionierten Organisation zuordnen lassen. Insofern ist die Maßnahmendefinition auch
ein Beitrag zur Organisationsfindung in Aufbau und Prozessstufen.

5.4 Meilensteinkontrolle nach dem Härtegradkonzept


Die Identifikation der Maßnahmen ist noch nicht die Umsetzung, und die Umsetzung
ist noch nicht Cash-Wirkung. In der Praxis hat sich ein Instrument zur schrittweisen
Realisierung der Maßnahmen bewährt, das sog. »Härtegradkonzept« (vgl. Abb. 9). Üb-
licherweise werden für jede Maßnahme fünf Stufen unterschieden:
1. Definition der vom jeweiligen Management bestätigten Maßnahmen,
2. Potenzial der jeweiligen Maßnahme analytisch bestimmt,
3. Aktionsplan zur Umsetzung der Maßnahme vereinbart,
4. Aktionen vollständig implementiert,
5. Kostenwirkung durch Accounting-Team bestätigt (»Cash is in«).

Dieses Konzept wird in einen Plan »gegossen«, nachdem zu einem bestimmten Zeit-
punkt (Meilenstein) ein bestimmter Grad, z. B. an Vereinbarungen zur Umsetzung der
Maßnahmen erreicht werden soll. Ist dies tatsächlich der Fall, wird dieser Erreichungs-
zustand im Sinne einer »Ampelsteuerung« (vgl. Kap. 6.4) mit der Schaltung »grün«
signalisiert.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  439


Teil

Geschäft: Funktion: Standorte: Bericht No./Dat.

Monat 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Härtegrad:
1 2 3 4 5
Zielentwicklung per TT/MM/Jahr Besonderer Handlungsbedarf
Soll IST # Maßnahmen
HG 1
HG 2
HG3
HG4
HG5

Abb. 9: Füllstandberichterstattung nach Härtegraden (Quelle: Siemens)

5.5 Zielvereinbarungen mit dem Management


Mit fortschreitendem Projekt werden schrittweise Zielvereinbarungen mit dem Manage-
ment getroffen (vgl. Abb. 10). Diese finden den Projektstufen entsprechend zunächst auf
den oberen Führungsebenen statt, dann auf den mittleren. Dies dient der Absicherung
der Machbarkeit des Projektes in den Stadien vor dem Closing (zunächst in einer Pro-
jektion für das Gesamtvorhaben einschließlich Target, lediglich aus der Kenntnis und
Sichtweise des Käufers) und für die Umsetzung nach dem Closing. Zunächst verbürgen
sich die Verantwortlichen für die einzelnen Hebel, dann die nächsttiefere Ebene für die
einzelnen Maßnahmen.
Die Maßnahmenverpflichtungen (Commitments) durch das zukünftige Management
markieren eine entscheidende Schnittstelle im Gesamtprojekt, denn hier laufen drei Ar-
beitsstränge zusammen. Erstens ist dies die oben beschriebene Maßnahmendefinition
im »Härtegrad drei«. Zweitens ist dies die Definition der Organisation, da die Maßnah-
men den einzelnen Organisationseinheiten exakt zugeordnet werden können. Drittens
ist es die Auswahl des mit der Organisationseinheit zu betrauenden Leiters, der aus dem
Managerportfolio beider Fusionskandidaten durch ein Assessment ausgewählt wurde.
Mit der jeweiligen Leitung einer Organisationseinheit wird deshalb nur betraut, wenn
(1) der Organisationseinheit konkrete Maßnahmen und Ziele zugeordnet werden kön-
nen, wenn (2) ein Kandidat aus dem Management-Assessment erfolgreich hervorging,
und (3) dieser Kandidat auch bereit ist, sich durch Unterschrift für die erfolgreiche
Umsetzung des jeweiligen Maßnahmenkataloges zu verbürgen.
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440  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Auch auf der Ebene der Einzelmaßnahmen wird das Prinzip der Mehrdimensionali-
tät »gelebt«, indem die Maßnahmenkataloge z. B. in der Form einer Matrix aufgegliedert
werden und Verantwortliche in zwei Dimensionen die Gewährleistung für die Umset-
zung per Unterschrift übernehmen – also bspw. einer für Forschung & Entwicklung ge-
samt und die jeweils Produktverantwortlichen für dem Forschung & Entwicklungsgehalt
ihres jeweiligen Produktportfolios.

Business Field: Gas Org.-Unit: Gasturbine Reference Calculation Project GuD 2.94.3A2ZGK5

System No. 3751 System Title: Exhaust Gas System

Measure No. 5 Measure Title: Umbrella Agreement for Diffuser

System No. PA/CM03

Prerequistes Cost Impact: A Savings


No. Milestone Deadline Actual Item 99 00 01 02 03

1. Transfer Implementation to 1 HW/SW Savings


stage 2 2 Engin. Hours

2. Relevant suppliers identified 3 Project Multiplier


4 PM static
3. Qualifikation/capacity of
supplier approved
Sum: savings p.a.
4. Binding offer received
Cost Impact: B One time cost
5. New cost reflected in 99 00 01 02 03
reference plant calculation
One time cost
Investment
6. Measure appliaction in first
project Responsible for Name Date Signed

7. Booking of new cost in first Cost target


project Implementation
Fallbeispiel Siemens-Westinghouse Implem. support

Abb. 10: Datenblatt zur Maßnahmenverfolgung (Quelle: Siemens)

5.6 S corecard-Einsatz zur Bewältigung von Komplexitäten


auf operativer Projektebene
Nicht nur auf oberster Projektebene ist Komplexität zu bewältigen, sondern auf je-
der Projektebene die sich mit der Zusammenführung der beiden operativen Einheiten
auseinandersetzt und damit die Wahl hat zwischen den Führungssystemen, zwischen
Kontinuität und Diskontinuität. Als hilfreiches Instrument zur Verfolgung operativer
(Umsetzungs-) Ziele bei M & A haben sich Scorecards bewährt. Sie haben zwar auch
einen cockpithaften Charakter, können jedoch unmittelbare Kenngrößen versammeln.
So lässt sich die Intensität des fachlichen Austausches zwischen den Fusionskandida-
ten vorgeben und kontrollieren, in dem die Anwesenheit des operativen Managements
an den Standorten der Partnerorganisation vorgegeben und nachverfolgt werden (vgl.
Abb. 11).
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  441


Teil

Finanzdaten Präsenz des Management in der Zielorganisation

◆ Füllen der Kostenlücke


Name der Definition: Präsenztage in der Ziel-
◆ Capital turn around Faktor Organisation organsation im Verhältnis zum Ganzen
erforderliches Niveau
Kunden & Markt
◆ Neue Möglichkeiten
◆ Kundenbewirtschaftung

Interne Prozesse
◆ Konstruktionsstunden
◆ Letzte Fertigungszeit
◆ Einführung von SAP

Angestellte/Innovation
◆ Kombinierte Managementsitzungen
◆ Sitzungen mit wichtigen Angestellten
◆ Anzahl von Job-Rotationen
◆ Volumen der kombinierten F & E
04/00 05/00 06/00 07/00 08/00 09/00
Definierte Scorecard Follow-Up-Punkte Scorecard Window open »on click«

Fallbeispiel Siemens Verkehrstechnik: Integration Krauss-Maffei


Abb. 11: Fallbeispiel Siemens Verkehrstechnik: Scorecard-Einsatz bei der Umsetzungsverfolgung (Quelle: Siemens)

5.7 Meilensteintrendanalysen zur Extrapolation von Wirkungen


Die einzelnen Aktivitäten der Unternehmensintegration sind eng miteinander vernetzt,
und häufig liegen sie auf kritischen Pfaden, so dass Verzögerungen entstehen, die am
Ende in ein Vielfaches an Zeitverlust und zusätzlichen Kapazitätsbedarf münden. Die
Abhängigkeiten und Wirkungen lassen sich zwar mit Netzplänen gut darstellen. Für
das hektische Tagesgeschäft unter sich ständig ändernden Rahmenbedingungen sind
komplexe Darstellungen jedoch wenig geeignet. Einfach zu lesende Balkennetzpläne
offenbaren lineare Abhängigkeiten, geben jedoch häufig keinen unmittelbaren Einblick
in multiplikative Effekte.
Dafür sind z. B. sog. Meilensteintrendgrafiken geeignet, die in die Kategorie spe-
zieller Balkenpläne gehören. Diese erlauben es, den Aufwand für eine Maßnahme
und den Hebel auf den kritischen Zeitpfad unmittelbar abzulesen (vgl. Abb. 12). Das
Anwendungsfeld von Meilensteintrendanalysen liegt vorwiegend bei multifaktoriellen
Wirkungszusammenhängen. Der Charme dieser Darstellung besteht u. a. darin, dass
Planvarianten wie zusätzliche Kapazitäten zur Erreichung des Zeitzieles oder die
Verlagerung des Anfangspunktes ohne großen grafischen Aufwand erstellt werden
können.
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442  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Project Millestones Graph

Start of project [D1] Start of Requirements Eng. [D2] Start of Coding [D3]

Start of Sys/Integ Test Start of Beta Beta Acceptance Abb. 12: Fallbeispiel
General Availability [D4]
Siemens Shared
Medical Services:
Scorecard-Einsatz bei der
Case: Siemens Shared Medical Services
Umsatzungsverfolgung
(Quelle: Siemens)

5.8 W
 orkstreams zur Harmonisierung des Tool-Einsatzes
mit dem Prozess-Ansatz
Der Einsatz oben genannter Tools muss übergreifend über die beschriebenen Arbeitspa-
kete erfolgen. Dabei ist daran zu erinnern, dass die Arbeitspakete gewissermaßen »Pro-
dukte« darstellen, die jeweils mit einem Zwischenergebnis abzuliefern sind. Dies erlaubt
(a) eine Kontrolle der Zwischenergebnisse und (b) einen Abbruch des Projektes sofern
sich dies aus übergeordneten Erkenntnissen oder Ereignissen als notwendig erweist,
ohne dass Folgekosten durch Commitments für anschließende Arbeiten entstehen. Die
Tools hingegen sind Arbeitspaket-übergreifend einzusetzen, indem sie von Arbeitspaket
zu Arbeitspaket voranschreiten oder verfeinernd eingesetzt werden. Sie bilden damit
sogenannte Workstreams, die in der Hierarchie der Projektorganisation die dritte Ebene
darstellen (nach den Prozessen und den Arbeitspaketen als erster und zweiter Ebene).
Abb. 13 zeigt exemplarisch, wie sich dies im Kontext von Phasen und Arbeitspaketen
in komplexen Großprojekten darstellt. Bei einfachen, kleineren Projekten kann man
auch auf die Ebene der Kern- und Unterstützungsprozesse sowie auf die Arbeitspakete
verzichten und auf oberster Hierarchieebene die Workstreams anordnen, um Komplexi-
täten zu senken. Neben den oben beschriebenen Workstreams zu »Benchmarking«, »Ba-
selining«, »Maßnahmenentwicklung« und »Härtegradverfolgung« können auch weitere
Workstreams definiert werden wie Produktportfolio-Entwicklung, Wertschöpfungstiefe
(Make or Buy), Verteilung derselben auf Regionen und Standorte (z. B Entwicklung pro-
duktreiner Standorte zur Senkung der Komplexität und Erzielung von Skalen-Effekten),
Prozesshaus-Ansätze (sofern die Mütter entsprechendes eingeführt haben), Ableitung
und Definition der Führungsinstrumente mit ihren Gremien sowie die Entwicklung der
projektinternen Implementierungsteams und – last but not least – der ganze Komplex
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  443


Teil

Arbeits Carveout Design Umsetzung Separierung Umsetzung Stand Alone Post Closing Carve-In
pakete
Integrationskonzept Integrations-Vorbereitung 100 Tage Implem. 1 Jahr Implement. Kontin. Verbessrg.

Organisations- und Prozessanpassung


Work- HR Change Konzept Change Plan Human Resources Change Management
streams
Bench-
marking Best Practice intern/Eigene Branche/Beste Branche/Beste Prozesse/Review mit Target

Base- Wettbewerber/Simulation mit Target/Review mit Target/Optimierung


lining
Ziel- Gesamtziel strategisch – finanziell -Integration/Hebel Top Down/Hebel Bottom-Up
Findung
Maßnahm .- 80- zu 20-Konzept/method.Templates/Bottom-Up
Entwickl.
Härtegrad- Stufe 1/Richtung Stufe 5/neues. Programm
Verfolgung
Prod.- Kombi-Simulation/Defin. Programm
Portfolio
Wert- Kombi-Simulation/Defin. Programm
schöpfung
Regionen + Standort-Szenarien/Defin.Programm/Umsetzung Verlagerung
Standorte
Prozesshaus Prozess Review/Prozess-Anpassung/Proz.-Optimierung

Führung +
Gremien Absichten/Schlüsselfunk-Träger/Assessments/Besetzungen

Implement- Integr.-LeitervInternes Team/Day 1/Gemeinsames Team/Umsetz. Maßnahm./Nachverfolgung


Team
Cultural Cult. Assessment/Plan/Internet/Day 1/Pulse Checks, Town Halls, Standort-Teams/Langzeit Change
Change

Offizieller Start Verhandlungs- Investitions- Signing Closing 100 Tage 1 Jahr


freigabe freigabe
© Lucks, MMI

Abb. 13: Workstreams zum kontinuierlichen Einsatz der M & A-Tools (Quelle: Siemens)

zur Führung des kulturellen Wandels. In der Praxis sind auch Workstreams nach Wert-
schöpfungsstufen (Produktbereitstellung, Vertrieb…) und Stabsfunktionen (Strategie,
Marketing…) für einfache Projekte geringerer Komplexität denkbar. Auf dieses sich
selbst erklärende Modell soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.

6 Teambildung und Berichterstattung


Der Teambildung und der Berichterstattung kommen Schlüsselfunktionen beim
M & A-Prozess zu. Die Gründe für die durchschnittlich immer noch schlechte M & A-Per-
formance und die Hauptursachen für Inkonsistenzen und Defizite liegen hauptsächlich
in einem Mangel an Durchgängigkeit des Projektes bezogen auf die Zeitachse (»horizon-
tal«) und in der fehlenden Konsistenz der einzelnen Prozesse (»vertikal« bzw. »quer«).
Großprojekte leiden besonders unter fehlender Konsistenz, da sie sich aufgrund hoher
Komplexität der gefühlsmäßig »richtigen« Führung entziehen. Um diesen Defiziten ab-
zuhelfen, wurden – insbesondere zur Führung großer Projekte – Verfahren und In­
strumente entwickelt, die bewusst redundant und komplementär ihren Einsatz finden.
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444  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

6.1 Gesamtprojektleitung und Ownership


Die beiden wichtigsten Schlüsselfunktionen für die Projektsteuerung sind der sog. Pro-
jekteigentümer (»Project Owner«) und der Lenkungsausschuss (»Steering Committee«).
Beide sind Voraussetzungen für den Start eines Projektes, sie treiben und begleiten es
von Anfang an bis zu seinem formalen Abschluss. Der Projekteigentümer ist der Ini-
tiator für das M & A-Projekt (sofern das Projekt nicht von höherer Stelle »angeordnet«
wurde)13 und der CEO des akquirierenden Geschäftes. Der Projekteigentümer stellt
die Konsistenz des Projektes von Anfang bis zum Ende sicher. Er schlägt den Integra-
tionsprojektleiter vor, dessen Ernennung vom Lenkungsausschuss bestätigt wird. Der
Projekteigentümer sollte Mitglied im Lenkungsausschuss sein. Er wird flankiert von
Lenkungsausschussmitgliedern, die jedoch in der Hierarchie eine Ebene über ihm sind.
Diese Regelung entspricht damit der doppelten Rolle, die der Projekteigentümer spielt,
nämlich:
1. Leiter und letztlich Verantwortlicher des Gesamtprojektes,
2. Untergebener der übrigen Mitglieder des Lenkungsausschusses.

Mit Beginn der Post Closing Integration werden dem Projekteigentümer zur fachlichen
Unterstützung auf den einzelnen Geschäftsressorts und in den Geschäftszweigen sog.
»Paten« (»Business Sponsor«) zugeteilt, die den einzelnen Projektteams (vgl. Kap. 6.2)
beratend zur Seite stehen. Diese Business Sponsors sind Führungskräfte des operativen
Geschäftes beider Seiten, die im Sinne von Chefberatern (Senior Advisors) fungieren
und Maßnahmen oder Programmteile im Vorfeld von Lenkungsausschusssitzungen ab-
segnen.
Der Lenkungsausschuss ist die höchste Instanz für das M & A-Projekt. Es stellt sicher,
dass alles an oberster Stelle zusammenläuft. Bei großen Projekten setzt sich der Len-
kungsausschuss aus Mitgliedern des Vorstands zusammen. Grundprinzip sollte jedoch
sein, dass das Steering Committee so niedrig wie möglich »aufgehängt« wird – mit
anderen Worten, dass es »so nahe beim Geschäft wie möglich« ist. Je kleiner und je
strategisch nachrangiger das Projekt ist, desto niedriger ist das Projekt damit insgesamt
»aufzuhängen«. Doch immer gilt das Grundprinzip, dass nämlich die Mitglieder des
Lenkungsausschusses hierarchisch höher stehen als der Projekteigentümer.
Ab dem Closing sind auch Vertreter des Targets in das Steering Committee aufzu-
nehmen, um die Identifikation der gesamten Organisation mit dem Integrationsprojekt
und den dazu gehörigen fachlich-geschäftlichen Einfluss sicherzustellen.

6.2 Vom Strategieteam zum Integrationsteam


Mit dem offiziellen Start des Projektes14 wird ein (Interim-)Team gegründet, das sog.
Projektteam. Die grundsätzliche Trennung von operativen Aufgaben und temporären

13 Etwa als konzernübergreifendes Projekt durch den Aufsichtsrat beschlossen oder als Fusionspro-
jekt, das der Vorstand in toto beschlossen hat.
14 Erfahrungsgemäß bilden sich M & A-Projekte zunächst als informelle Projekte heraus, die erst mit
der Zeit zu »offiziellen« Projekten erhoben werden. Es sollte das Bestreben und die Regel sein, dass
über »informelle« Projekte so früh wie möglich entschieden wird, ob sie zu offiziellen Projekten er-
hoben werden, da informelle Projekte beträchtliche Kapazität und Aufmerksamkeit auf sich lenken,
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  445


Teil

Projektaufgaben ist dabei sicherzustellen, um im Team einerseits die Aufmerksamkeit


sicherzustellen und andererseits die notwendige Vertraulichkeit zu wahren. Deshalb
sind M & A-Teams bis zum Closing auch als »geheime« Operationen zu führen. An Größe
und Kompetenz des Teams wird häufig gespart; dies ist jedoch Sparen an falscher Stelle
und häufig auch Ausdruck für zu hohe Kaufpreisaufwendungen. An kaum einer Stelle
kann der Ursache-Wirkungs-Hebel so günstig sein wie bei der Besetzung des M & A-In-
terimsteams. Benennungen, Struktur und Prozessdefinitionen für ein M & A-Team ge-
hören zu den wichtigsten Instrumenten, um die Kontinuität im Gesamtprojekt und
insbesondere die Migration von einer Projektphase zur nächsten sicherzustellen. Das
Interimsprojektteam ist nicht zu verwechseln mit dem ohnehin bestehenden Manage-
mentteam. Letzteres sollte durch Delegierte im Team bzw. durch Ansprechpartner für
das Team vertreten sein.
Die Teams in den einzelnen Phasen agieren nicht unabhängig, sondern sollten auf-
einander aufbauend handeln (vgl. Abb. 14). Dies ist organisatorisch das wichtigste
Element zur Sicherung der Durchgängigkeit von Phase zu Phase. Der Gewichtung der
Schwerpunkte wird Rechnung getragen durch die phasenspezifisch richtige fachliche
Führung: im Vorfeld durch Strategen, in der Transaktionsphase (hausinterner bzw.
externer) Berater (erfahren im Multi-Tasking-Projektmanagement). Sofern ein eigener
Projektleiter für die Strukturierung des Deals zur Verfügung gestellt wird (z. B. aus
hausinterner Transaktionsabteilung), sollte ihm ein im Projektmanagement erfahrener
Integrationsleiter zur Seite gestellt werden. Spätestens zum Zeitpunkt der »Investitions-
vorlage« sollte der eigentliche Integrationsprojektleiter benannt sein – in diesem Fall
bietet sich ein Projektleiter-Duo bestehend aus Transaktionsleiter und Integrationsleiter
an (beide sind noch interne Teams).15

6.3 Teambesetzungen und Übergänge der temporären Teams


Kern des Projektteams in der Vorfeldphase ist das Strategieteam. Daher ist es nahelie-
gend, dass das gesamte Projekt zu diesem Zeitpunkt von einem Strategen geleitet wird
(vgl. Abb. 14, linke Spalte). Für den Fall, dass ein internes oder externes Explorations-
team gebildet wird, sind Spartenvertreter aus Marketing, Vertrieb, Fertigung, Forschung &
Entwicklung und Legal Services hinzuzuziehen oder in das Team zu delegieren. Bei der
Bildung eines mit dem Kaufobjekt gemeinsamen Explorationsteams ist auf symmetrische
Besetzung zu achten. Die Schnittstelle zur Transaktionsphase, die mit der Vorbereitung für
ein Due Diligence beginnt, ist dadurch zu gestalten, dass (im Idealfall) der aus der Stra-
tegie kommende Projektleiter der ersten Phase in das Team der Transaktionsphase über-
wechselt und in diesen die Aufgabe für Strategieentwicklung – idealerweise ergänzt durch
Informationsbeschaffung und Verantwortung für einen internen Data Room – übernimmt.

ohne dass mit der Geschäftsleitung über den Fokus, den Impact und die notwendigen Kapazitäten
beraten wurde.
15 Hinzuweisen ist auf den Sachverhalt, dass die Verantwortung für ein Akquisitionsprojekt im Über-
gang vom Vorfeld zur Transaktion häufig wechselt. Während der für das operative Geschäft Ver-
antwortliche das Projekt im Vorfeld lenkt, wird diese Funktion während der Transaktion gern vom
CFO übernommen. Sofern eine Art Vier-Augen-Prinzip dabei erhalten bleibt, ist dagegen nichts
einzuwenden. Wenn jedoch die Transaktion zum Selbstläufer unter dem CFO wird, ohne z. B. den
strategischen Wert (Vorfeld!) und die Integration (Implementierung!) zu berücksichtigen, dann ist
das Risiko des Scheiterns groß.
Teil
Projekt- Lenkungsausschuss Projekt- Lenkungsausschuss Projekt-
Steuerungsausschuss
B
verantwort. verantwort. verantwort.

Projekt Integrations-
446 

Team Leader
Manager manager

Recht, Kartell& Team Team Team Team Post Closing Human


Team Team Projektbüro
Steuern Strat/Strukt Steuern Due Diligence Strat/Strukt Verträge Resources
Strat /Strukt Exploration

Team Team Team Team Team Wert- Team Team


Verhandlungen Bewertungen Recht Information Management Kommunikation Veränderungen
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Geistiges Standort 1 Standort 2 Land B Land C


Team Kartell Team Steuern
Eigentum
|  M & A aus Transaktionsperspektive

Human Bericht- Informations-


Compliance Cotrolling Immobilien
Resources erstattung technologie
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Team Marketing
Informations- Einkauf Herstellung Service
Integrations- Herstellung & Verkauf
technologie

Abb. 14: Teamaufstellung, Migration und -kapazitäten (Quelle: Siemens)


vorbereitung

Standort 1 Standort 2 Standort 3 Standort 4

Kapa-
zitäten

Zeit
Start Verhandlungs- Investment- Unterzeichnung Closing 100 Tage 1 Jahr
appl. appl.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  447


Teil

Während das Projekt im Vorfeld als »streng geheim« und »in einem Strang« (Strategie-
team) geführt wird, wird das Projekt mit der internen Genehmigung zum offiziellen
(aber immer noch geheimem) Projekt, jedoch zweistrangig wegen der Teilung in (a)
Transaktion und (b) Integrationsvorbereitung. Trotz dieser Zweigliederung sollte das
Projekt möglichst unter eine gemeinsame Leitung gestellt werden. Dies dient vor allem
der Querschnittkonsistenz, z. B. Transaktionsteam vs. Integrationsvorbereitungsteam.
Mit der Vorbereitung für die Integration, die rechtzeitig vor dem Closing einzusetzen
hat16, nehmen die Aufgaben für das Interimsteam entsprechend zu. Rechtzeitig zum
Closing muss die Teamstruktur für das Integrationsprojekt stehen, und Vorkehrungen
für die Aufnahme von Vertretern des Targets in das Team müssen getroffen sein.
Die Migration vom Transaktions- bzw. Integrationsvorbereitungsteam in das Post
Closing Team erfordert eine saubere Gestaltung (vgl. Abb. 14, rechte Spalte). Es bietet
sich an, dass der Teamleiter des Interimsteams vor dem Closing z. B. die Aufgabe zur
Führung des Project Office nach dem Closing übernimmt. Auch dies ist eine wichti-
ge Projektschnittstelle. Dem Project Office kommt in jedem Fall bei einem Restruk-
turierungsprojekt eine Schlüsselfunktion zu. Bei kleinen Projekten kann das Project
Office aus einer Stabsstelle bzw. aus einem Vertreter bestehen, der die wichtigsten
Querschnittfunktionen bündelt. Bei größeren Projekten bietet sich eine eigene Stabsor-
ganisation an, da der Integrationsprojektleiter eine Reihe von Aufgaben unmittelbar in
seiner Verantwortung haben sollte. Dies sind:
• das interne Projektbüro mit der Projektdatenbank,
• das Maßnahmenverfolgungsteam,
• die Projektkommunikation mit dem Change Management und
• die Regionalteams (falls erforderlich).

Zur physischen Integration des Interimsteams empfiehlt sich die räumliche Zusammen-
fassung des Teams. Um eine klare Rollenabgrenzung zwischen Diskontinuitätsmanage-
ment zur Findung und Umsetzung der neuen Strukturen gegenüber dem Kontinuitäts-
management zur Führung des laufenden Geschäftes zu erhalten, sind das Projektteam
und die Verantwortung für das Tagesgeschäft streng auseinanderzuhalten.

6.4 Kapazitäts- und Kompetenzmanagement für das Interimsteam


Dem offenkundigen Aufbau zusätzlicher, sog. »Workstreams« im Zuge des M & A-Pro-
zesses (vgl. Abb. 14) entspricht ein zusätzlicher Aufbau von Kompetenzen, um das
Projekt fach- und zeitgerecht durchführen zu können. Bereits vor dem eigentlichen
M & A-Projekt ist kritisch zu prüfen, welche Fachkompetenzen bereits »an Bord« sind
und welche Erfahrungsträger vom Markt zu beziehen sind.17 Daraus sind für das jewei-

16 Sofern es sich nach angloamerikanischem Muster um ein formales Signing handelt, und dem in
einem konkreten Konzernprojekt voraussichtlich eine Phase zur kartellrechtlichen Prüfung von ca.
drei Monaten (»First Request«) folgt, reicht es meist aus, wenn das Integrationsvorbereitungsteam
mit dem Signing benannt wird. Sollten Signing und Closing voraussichtlich mehr oder weniger
zeitlich zusammenfallen, ist entsprechend vorher für die Integrationsvorbereitung zu sorgen.
17 Die Erfahrung zeigt, dass auch Großkonzerne nur noch diejenigen Kapazitäten für M & A »an Bord«
haben, die zur Abwicklung kleinerer Projekte ausreichen und die zur Steuerung größerer Projekte
erforderlich sind. Siemens konnte bis 2007 eine M & A-Frequenz von ca. 50 Closings pro Jahr mehr
oder weniger aus eigener Kraft abwickeln. Großprojekte werden – bis auf steuernde Funktionen –
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Teil

lige Projekt die Erfahrungs- und Kompetenzpläne zu entwickeln. Vor allem ist darauf
zu achten, dass der eigenen Organisation angesichts der Fülle von Arbeiten nicht »die
Luft ausgeht«.18 Idealerweise ist das Kapazitäts- und Kompetenzmanagement für ein
Einzelprojekt eingebunden in ein übergeordnetes M & A-Wissensmanagement.

6.5 Querschnittstellen
Mit dem Projektfortschritt bekommen neben den »vorwärts gerichteten« (im Zeitverlauf
parallel liegenden) Schnittstellen die Schnittstellen, die quer zur Zeitachse liegen, ein
zunehmendes Gewicht. Denn während es sich im Vorfeld im Wesentlichen um ein
einstrangiges (Strategie/Struktur-) Projekt handelt und dieses während der Mehrstran-
gigkeit vor dem Closing von einer starken Regulierung der Einzelprozesse geprägt ist
(und damit die Prozesse in festen Abläufen eingebettet sind), handelt es sich spätes-
tens nach dem Closing um vielstrangige (Meta-)19 Prozesse. Dies erfordert, besonderes
Augenmerk auf die Schnittstellen zwischen den Einzelprozessen zu legen, also »quer
zur Zeitachse«. Für diese bietet sich das Modell der Querschnittstellenverantwortlichen
an, i. S. v. »Botschaftern« zwischen den Projektteams, in dem einzelne Teammitglieder
benannt werden, um Einflüsse aus ihrem Team an andere Teams zu kommunizie-
ren (»Push-Funktion«) und externe Einflüsse auf die eigene Teamarbeit einzuholen
(»Pull-Funktion«). Auf diese Weise gibt es zwischen jedem Team ein Mitarbeiterpaar,
das sich mit den Auswirkungen einzelner Teambewegungen beschäftigt.

6.6 Querschnittsmanagement durch Cross Functional Support Teams


Eine wichtige »eingebaute« Sicherheit zur Konsistenz von M & A-Projekten sind sog.
Unterstützungsprozesse (Cross Functional Support Teams) für die Informationsbeschaf-
fung, Bewertung, Controlling und Kommunikation (vgl. Abb. 4). Als dauerhafte Fach(!)-
Teams bleiben sie durchgängig über das Projekt bestehen und sichern Folgendes ab:
• die fachgerechte Abarbeitung ihrer Aufgaben,
• die Unterstützung jeweils mehrerer Kernprozessteams über alle Projektphasen hin-
weg,
• die Dokumentation der Ergebnisse und
• den Erfahrungsgewinn über den Projektablauf.

aus Kapazitäts- und Kompetenzgründen meist durch externe Berater und Fachkräfte abgewickelt,
zumal es sich auch bei großen Unternehmen nicht lohnt, für ferne Regionen und einzelne Geschäfte
die Fachkräfte für M & A intern vorzuhalten.
18 Modellbeispiel Siemens: Umfang der Stäbe nur berechtigt für 50 Closings pro Jahr. Dennoch ist
immer zu überlegen, welche Kapazitäten und Kompetenzen von außerhalb zu holen sind.
19 Unter »Metaprozesse« werden in der betriebswirtschaftlichen und in der IT-Literatur jene Prozesse
subsumiert, die keine unmittelbaren Geschäftsprozesse, keine Stabsprozesse und keine Unterstüt-
zungsprozesse des Tagesgeschäftes sind. Während die Transaktionsprozesse zum größten Teil stark
reguliert sind, zeichnen sich die Prozesse im Vorfeld durch exploratorischen Charakter und die
Prozesse nach dem Closing durch einmalige strukturelle Maßnahmen aus.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  449


Teil

6.7 Übergabe an das zukünftige Management


Die Übergabe der im Implementierungsteam identifizierten und ausgearbeiteten Tätig-
keiten vom Interimsteam (Change Management) zum zukünftigen Managementteam ist
die wichtigste »horizontale« Schnittstelle und äußerst heikel. Je nach Projekttyp kann
eine frühzeitige und einheitliche Übergabe sinnvoll sein (überschaubares Projekt) oder
bei komplexen und exploratorischen Projekten ein von vornherein zu gestaltendes Über-
gabe-Management, etwa durch eine Matrixorganisation. Das Beispiel in Abbildung 15
zeigt die Lösung bei der Siemens/Alstom Industry-Transaktion. Die schrittweise Über-
gabe an das Management der zukünftigen Einheit war Motiv für die Gliederung der
Aufgaben im Interimsteam. Dazu wurden vier Schritte definiert:
1. Verifikation zur Zielfindung,
2. Durchsicht der Wertschöpfung zur Identifikation des Maßnahmenprogramms,
3. Assessments des Führungskaders zur Übernahme von Verpflichtungen,
4. Zielerreichung durch Umsetzungsteams.

Verifikation 1: Schritt 2: Schritt 3: Schritt 4:

Falldefinition Wertschöpfung + Organisation + Implementierung +


Standorte Prozesse Controlling
Ergebnis-
Verbesserung Maßnahmen- Assessments +
(Ziel + Hebel) Programm Commitments

Ziele Programme Verpflichtungen Zielerreichung

Integrationsteam Aufgabenübertragung abhängig von


• Organisationsübergreifend l Teamaufgaben
Umsetzungsteams
• Fokus auf Planung l Teamkapazität • In den neuen Org-Einheiten
l Bereitschaft Management • Unter der neuen Führung
• Umsetzungsverfolgung

»horizontale«
Integrationsteams »vertikale« Teams aus den neuen integrierten
Organisationseinheiten

Abb. 15: Beispiel Siemens-Alstom Industry: Aufgaben und Aufgabenübertragung vom Team in die neue Organisation
(Quelle: Siemens)

Je nach Fortschritt der einzelnen Aktivitäten ist die Übergabe der einzelnen Aufga-
ben an das zukünftige Management zu gestalten. Dies sollte grundsätzlich – nach
obengenannter Maßgaben – so schnell wie möglich erfolgen. Dabei hat sich bewährt,
Verzahnungen zuzulassen, d. h. frühzeitig Übertragung »reifer« Teilteamaufgaben an
das korrespondierende (Teil-)Management sukzessive vorzunehmen, so dass sich aus
»horizontalen« (Querschnitts-) Teams schrittweise die »vertikalen« zukünftigen Orga-
nisationseinheiten entwickeln. Diese Zeitpunktreihe ist die kritischste im gesamten
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450  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

M & A-Projekt, da unterschiedliche Personen zwischen Planung (Interimsprojektteam)


und Umsetzung (das neue Management) verantwortlich sind. Daneben gibt es einige
Instrumente, mit denen die Übergabe möglichst »organisch« gestaltet werden kann, z. B.
die Überführung von (Interims-) Teammitgliedern als Stabsverantwortliche in die neu
zu bildenden Organisationseinheiten. Die eigentliche Umsetzung des Programms erfolgt
in den neuen »vertikalen« Einheiten, ausgelöst und kontrolliert durch Personen, die das
Programm im Interimsteam mitentwickelt haben.
Soweit die Ziele aus dem Implementierungsplan »verbraucht« sind, muss ein neues
Maßnahmenprogramm entwickelt werden. Dies ist der endgültig letzte Übergang vom
M & A-Projekt zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprogramm und damit auch die
Vorbereitung auf weitere M & A-Fälle, seien es Desinvestitionen oder Zukäufe.

6.8 Projektsteuerung und Berichterstattung: Cockpit


Ein M & A-Projekt ist ein ganzheitliches und hochkomplexes Vorhaben. Zur Führung
von Projekten dieser Natur haben sich Modelle herausgebildet, die der Führung großer
Anlagen oder dem Flugbetrieb entnommen sind, sog. Cockpits, die sich aus einzelnen
Instrumentenfeldern zusammensetzen. Siemens nutzt ein Cockpit bestehend aus sechs
Instrumenten (vgl. Abb. 16) nämlich:
• Wertschöpfung und Ziele,
• Bewertung,
• Geschäftsplan,
• Aktionspläne,
• Kultur und Kommunikation,
• Teams und Aufgabenbeschreibungen (Terms).

Alle Instrumente werden über ein »rot-gelb-grün«-Schema gesteuert, deren Zwischen-


ziele (z. B. Härtegrade) in den Meilensteinen des Projektes festgeschrieben sind. Alle
Instrumente sind inhaltlich miteinander verbunden, sie decken die »Bedienoberfläche«
des Gesamtvorhabens auf oberster Ebene ab, und sie repräsentieren nur das Wichtigste
im Sinne der »Spitze des Eisberges«. Ihr »Tiefgang« ist so gewählt, dass der Projektver-
antwortliche den Erfüllungsstand jederzeit erkennen kann, dass Warnungen rechtzeitig
wahrgenommen werden (Umschaltung auf Stufe »gelb«), dass jedoch keine Verwirrung
durch einen zu hohen Detaillierungsgrad (Tiefgang der Information) entsteht. Durch
die Organisation des Projektes soll jedoch der Durchgriff bis zur relevanten operativen
Ebene gesichert sein.
Unter den zahlreichen Vernetzungen zwischen den Instrumenten des Cockpits soll
eine Verbindung herausgestellt werden, die von besonderer Bedeutung ist: der Gleichlauf
zwischen der »harten« und der »weichen« Ebene; erstere repräsentiert durch die Stufen
»Strukturziel«, »Strukturmaßnahme« und »Controlling«, letztere durch die Schrittfolge
»Kulturzielinformation« und »Feedback« (vgl. Abb. 6). Beide Ebenen sollen in jeder
Stufe miteinander verknüpft sein, bspw. indem die Reaktion der Belegschaft auf harte
Maßnahmen erfasst wird und daraufhin entsprechende Vorschläge zur Korrektur oder
Ergänzung der Maßnahmen aufgenommen und in der nächsten Runde in Form von
Botschaften ausgesendet werden.
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XIV. Wertorientierte M & A-Integration  |  451


Teil

Anwendungsbereich Bewertung Business Plan


und Ziele

Aktions- Kultur und Teams und Begriffe Abb. 16: Projektsteu-


pläne Kommunikation erung und Berichter-
stattung mithilfe des
M & A-Cockpits (Quelle:
Siemens M & A Integra-
tion Knowledge Base)

7 Zusammenfassung und Ausblick


Projekte für ganzheitliches M & A-Management sind quasi die »Königsdisziplin« des Pro-
jektmanagements, denn sie stellen das Komplexeste dar, sie berühren alle Einheiten und
alle Stakeholder eines Unternehmens. Nach wie vor ist selbst M & A-Spezialisten nicht
gänzlich bewusst, welche Herausforderungen und welche Lösungsansätze sich beim
integralen M & A-Management bieten. Dies zeigen auch die meisten M & A-Publikationen;
denn die Mehrzahl der Beiträge nähert sich dem Thema eher auf dem wissenschaftli-
chen Weg und beschränkt sich auf einzelne Aspekte wie Bewertung, Vertragsmanage-
ment, Recht und Steuern.
Angesichts der im Schnitt immer noch nicht befriedigenden M & A-Performance ist
erkennbar, welche Verbesserungspotenziale sich durch ein professionelles M & A-Manage-
ment erschließen lassen. Viele Konzerne sind mittlerweile auf dem Weg, durch Wissens-
management die Erfahrungen bei M & A zu konservieren und für Folgeprojekte bereit zu
halten. Gerade Großprojekte bei M & A stellen besondere Herausforderungen dar – und
sie bieten besondere Risiken, die in der hohen Komplexität, der Einzigartigkeit und beim
Ego der Protagonisten liegen. Das hier vorgestellte Konzept ist das »Grundgerüst« der
Vorgehensweise bei Siemens. Es mag als Beispiel für jene dienen, die sich auf einen Weg
zu einem »M & A-System« begeben wollen. Schließlich haben zahlreiche Untersuchungen
gezeigt, dass die »Systematiker« erfolgreicher sind als die »Sonntagsjäger«.
Das Wissen um M & A hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht – so-
wohl was die Literaturentwicklung, die Entwicklung der Forschung wie auch der Praxis
betrifft. Doch auch die Herausforderungen entwickeln sich weiter. Der Anteil gren-
züberschreitender M & A nimmt zu, ferne Länder rücken in den Mittelpunkt und die
Mega­deals sind zurück, wenn man sich die Entwicklung des letzten Jahres vor Augen
führt. Die Performance von M & A kann mit diesen Entwicklungen nur dann mitwach-
sen, wenn noch mehr Wert auf M & A-Wissensmanagement gelegt wird, wenn man
sich der Führungsmodelle bewusst wird und Wissen rund um die Modellentwicklung
pflegt. Möge dieser Aufsatz helfen, das Bewusstsein zu schärfen und Mut zur Entwick-
lung unternehmensspezifischer M & A-Führungsmodelle zu machen, sei es vom kleinen
Workstream-basierten Projekt bis zum (ausgewachsenen) Großprojekt mit den Ebenen
Prozess, Working Packages und Workstreams.
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452  |  M & A aus Transaktionsperspektive


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Post Merger Integration beim Zusammen-


schluss zu Sanofi-Aventis
Jean-Yves Wessely/Ralf Moldenhauer*

Der Merger von Sanofi und Aventis war der bedeutendste Unternehmenszusammen-
schluss im Jahr 2004 und führte zu dem größten europäischen Pharmakonzern. Nach-
dem bereits zu Jahresbeginn 2004 die Übernahmeinteressen von Sanofi-Synthélabo an
Aventis öffentlich wurden, dauerten die Verhandlungen bis ins zweite Halbjahr des
Jahres 2004. Wie in allen Akquisitionsprozessen üblich, wurden bereits vor dem juris-
tischen Vollzug der Übernahme die Überlegungen zur Integration und Zusammenfüh-
rung der leistungswirtschaftlichen Bereiche der beiden Unternehmen begonnen. Der
offizielle Kick-off der Integration startete im September 2004 mit einem aus der Zentrale
in Paris heraus strukturierten weltweit einheitlichen Prozess. Dieser war auf der ersten
Ebene in die drei Funktionsbereiche Marketing und Vertrieb, Produktion und Ferti-
gung sowie Forschung und Entwicklung unterteilt. Der geografische Schwerpunkt der
Integration lag aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des integrierten Konzerns in
Deutschland – mit Fokus auf die Geschäftsaktivitäten (Commercial Operations). Dort
wurde der vorgegebene Prozess durch das Regional Integration Office (RIO) operati-
onalisiert und gesteuert. Das RIO setzte sich aus jeweils einem Vertreter der beiden
Unternehmen sowie einem externen Berater zusammen.
Die Integration folgte drei grundlegenden Prinzipien, die sich auf den gesamten
Prozess auswirkten:
• Wachstum durch Umsatzsteigerung (»Growth through Top Line-Growth«)
• Keine Störung des operativen Geschäftes (»No Disruption of Ongoing Business«)
• Geschwindigkeit (»Speed«)

Der inhaltliche Integrationsprozess wurde in fünf Workstreams – (Geschäftsstrategie


und Umsetzung, Organisation und Prozesse, rechtliche Rahmenbedingungen, Admi-
nistration, Lieferketten-Management) – mit ca. 30 Unterprojekten vorangetrieben. Diese
wurden innerhalb von vier Monaten soweit detailliert, umgesetzt bzw. vorbereitet, dass
die gesamte Integration bereits im ersten Halbjahr 2005 abgeschlossen werden konnte.
Die inhaltliche Ausgestaltung wurde durch einen umfangreichen Kommunikationspro-
zess auf mehreren Ebenen begleitet. So wurde vom Projektsteuerungsbüro das Projekt-
team (täglich) bis hin zur Konzernzentrale (monatlich bzw. zweimonatlich) umfassend
über den Projektfortschritt sowie mögliche Verzögerungen informiert. Parallel wurde
die gesamte Belegschaft zeitnah über alle wesentliche Entscheidungen (Ernennungen,
Standorte etc.) unterrichtet.
Das Besondere an dem Unternehmenszusammenschluss von Sanofi und Aventis war,
dass die Synergien überwiegend aus der Komplementarität der Geschäfte und weniger

* Dr. Jean-Yves Wessely, Senior Manager im Ruhestand, Sanofi-Aventis, Paris; Dr. Ralf Moldenhauer,
Senior Partner & Managing Director, The Boston Consulting Group, Frankfurt a. M.
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454  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

aus Kosteneffizienzsteigerungen durch Reduktion von Doppelstrukturen resultierten.


Üblicherweise sind die Kostensynergien das dominierende Motiv für Unternehmenszu-
sammenschlüsse, die häufig bis zu 75 % der Gesamteffekte im Zeitablauf (Business Ca-
se) umfassen. Es gab zwischen den Produktprogrammen der beiden Unternehmen kaum
Überschneidungen, so dass mit der kombinierten Außendienstkapazität eine deutlich
verbesserte Marktpenetration und damit Umsatzwirkung erzielbar war. Dieser Ansatz
wurde durch zwei wesentliche Rahmenbedingungen unterstützt: ein starkes Markt-
wachstum erlaubte übergreifende und kombinierte Werbemaßnahmen, die sowohl als
schnelle Erfolge (»Quick Wins«) aber auch als Synergien gewertet wurden. Geringe Ef-
fizienzreserven wurden lediglich im Bereich der Administration sowie der Beschaffung
(Supply Chain) identifiziert. Im Bereich Produktion und Fertigung sowie Forschung und
Entwicklung wurden Struktur und Kapazität auf dem bestehenden Niveau belassen
bzw. sogar noch Stellen aufgebaut.
Darüber hinaus ist erwähnenswert, dass die Neuausrichtung der Strukturen und
Prozesse des kombinierten Unternehmens eindeutig dem Prinzip »Best of Both« folgte.
Keine Seite wurde – qua Größe oder der Rolle in der Übernahme – bevorzugt. Das war
ein wesentlicher Erfolgsfaktor, da das Größenverhältnis in Deutschland bei ca. vier
(Aventis) zu eins (Sanofi-Synthélabo) lag.

Literatur
Meier, H.-W. (2005): Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.08.2005, S. 16.
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  |  455
Teil

XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren


aus der Praxis in der Umsetzung
von Post Merger Management*
Andreas Schreiner/Markus Wirth/Thomas Wirth**

1 Post Merger Management als Voraussetzung für wertsteigernde


Mergers & Acquisitions
2 Fünf Schlüsselmomente für erfolgreiches Post Merger Management
2.1 Definition der Integrationseckpfeiler
2.2 Ankündigung der Integrationsstrategie
2.3 Bekanntgabe des Integrationsblueprints
2.4 Kommunikation des Integrationsplans
2.5 Day 1 des neuen Unternehmens
3 Erfolgreiche und nachhaltige Integration durch Performancetransformation
3.1 Verständnis von kultureller Ausgangslage, Herausforderungen und Prioritäten
3.2 Gezielte Entwicklung von Interventionen mit Fokus auf Einstellungen
und Verhalten
3.3 Umsetzung von Wandel mit Disziplin und Begeisterung
4 Fazit

1 Post Merger Management als Voraussetzung


für wertsteigernde Mergers & Acquisitions
Mergers & Acquisitions (M & A) stellen ein wichtiges Instrument zur Unternehmensent-
wicklung dar. Waren sie früher eher durch Länder- oder Regionengrenzen beschränkt,
so finden sie heute zunehmend auch kontinentsübergreifend statt.
Mit M & A herbeigeführte Veränderungen können unterschiedlichste Auswirkungen
auf verschiedene Interessengruppen von Unternehmen haben. Was für Aktionäre am
Ende des Tages jedoch am meisten zählt, ist, ob die Transaktion für sie Wert generiert
hat oder nicht. Kaum angezweifelt wird, dass eine Übernahme für die Aktionäre der
Zielunternehmen meist vorteilhaft ist. Bei einer durchschnittlich bezahlten Übernahme-
prämie von 15 % bis 40 % ist dies nicht erstaunlich. Wie der von der McKinsey Corpora-
te Finance Practice erstellte Deal Value Added (DVA) Index zeigt, steigt die um Markt-

* Unverändert übernommen aus Vorauflage.


** Dr. Andreas Schreiner, Managing Director, Deutsche Bank AG, Frankfurt a. M.; Dr. Markus Wirth,
Global Head of Strategy, COFRA Holding AG Group, Zug; Thomas Wirth, COO Private Banking
Northern & Eastern Europe, Credit Suisse, Zürich.
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456  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

bewegungen bereinigte Marktkapitalisierung der Zielunternehmen um durchschnittlich


10 % rund um den Tag der Transaktionsankündigung (vgl. Abb. 1). Anders verhält sich
das für das kaufende Unternehmen, dessen bereinigte Marktkapitalisierung im selben
Zeitraum um durchschnittlich 6 % sinkt. Diese anfängliche Beurteilung der Marktteil-
nehmer ändert sich für den durchschnittlichen Deal auch unter Berücksichtigung eines
längeren Zeithorizonts nicht.

Deal Valued Added (DVA) Index in %

+10 % Methodik

Der McKinsey Deal Value Added (DVA) Index


berücksichtigt Übernahmen gelisteter
Unternehmen mit einem Transaktionsvolumen
über 500 Mio. US-$ im Zeitraum von 1997 bis
2009. Der Index definiert sich aus der relativen
Veränderung der Marktkapitalisierung der
beteiligten Unternehmen im Vergleich zum Markt
im Zeitraum zwei Tage vor bis zwei Tage nach
Ankündigung der Transaktion. N=1.387.

-6%
Zielunternehmung Käufer

Abb. 1: McKinsey Deal Value Added (DVA)-Index (Quelle: McKinsey & Company, PMM Practice)

Untersuchungen zeigen auch, dass rund 60 % bis 70 % aller M & A-Transaktionen für
die Aktionäre des kaufenden Unternehmens letztlich keinen Wert generieren (McKinsey
PMM Practice). Dies hat unterschiedliche Gründe (vgl. Abb. 2): In 15 % bis 20 % der
Fälle handelt es sich um einen schlechten Deal. Dies kann heißen, dass der Käufer einen
zu hohen Kaufpreis bezahlt, unrealistische Synergieerwartungen hat oder die Reaktion
des Wettbewerbs auf den Zusammenschluss unterschätzt. In den anderen 45 % bis 50 %
der Fälle scheitert die Wertgenerierung nicht am Deal an sich, sondern an einem unge-
nügenden Post Merger Management (PMM). Unzureichende Kommunikation, kulturelle
Hindernisse, Managementfehler in der Vorbereitung und Durchführung der Integration
sowie der Verlust von Leistungsträgern und Talenten sind einige der wesentlichsten
wertvernichtenden Faktoren.
Viele Manager haben aus M & A-Erfahrungen der Vergangenheit gelernt, und Fort-
schritte im Umgang mit M & A sind deutlich erkennbar. Der Bereich, den die meisten
Manager weiterhin als größte Herausforderung ansehen, ist jedoch das PMM. Der vor-
liegende Beitrag zeigt, welche zentralen Schlüsselmomente ausschlaggebend sind für
den Erfolg im PMM und wie es im Rahmen einer Performancetransformation gelingt,
verschiedene Unternehmenskulturen zu integrieren und durch gezielte Verhaltensände-
rungen eine substantielle Leistungssteigerung zu bewirken.
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management  |  457
Teil

Anzahl M&A-Transaktionen in %

15-20% 100%
45-50%

30-40%

Erfolgreicher Deal Guter Deal, aber Fehler im Schlechter Deal


• Gut ausgehandelter Deal PMM • Zu hoher Kaufpreis
(Kaufpreis und Struktur) • Unzureichende • Unrealistische Synergien
• Exzellenz im PMM Kommunikation • Reaktion des
• Kulturelle Hindernisse Wettbewerbs
• Fehler im Management
• Verlust von
Leistungsträgern

Wertzuwachs für Aktionäre Kein Wertzuwachs für Aktionäre des Käufers


des Käufers

Abb. 2: Untersuchung zum Erfolg von M & A-Transaktionen aus der Sicht des Käufers (Quelle: McKinsey & Company,
PMM Practice)

2 Fünf Schlüsselmomente für erfolgreiches Post Merger


Management
Obwohl M & A-Transaktionen vom Markt generell kritisch beurteilt werden, gibt es zahl-
reiche Beispiele, in denen M & A-Transaktionen substanziellen Wert geschaffen und die
Wettbewerbsposition von Unternehmen signifikant und langfristig verbessert haben. Ein
Merkmal, welches hervorragende Deals von guten Deals unterscheidet, ist Exzellenz im
PMM. Dabei geht es nicht nur rein um den Aufbau einer neuen Organisation oder die Er-
füllung quantitativer Synergieziele, sondern um eine nachhaltige Verhaltensänderung des
neuen Unternehmens und beteiligter Mitarbeiter hin zu einer gemeinsamen, neuen Per-
formancekultur (Performancetransformation). Dies gelingt nur, wenn fünf grundsätzliche
Schlüsselmomente im PMM richtig gemeistert und der Prozess der Performancetransfor-
mation von Beginn an mit geplant und konsequent umgesetzt werden. Die vorgelagerten
Schüsselmomente sind deshalb so entscheidend, weil in diesen Momenten die wichtigsten
Veränderungen eingeleitet, das Aspirationsniveau der neuen Organisation festgelegt und
zentrale Botschaften in den Köpfen interner wie externer Stakeholder bereits verankert
werden. Wenn es gelingt, mit überlegter und konsistenter Kommunikation in den Schlüs-
selmomenten die richtigen Signale zu senden und die Mitarbeiter für die gemeinsamen
Ziele zu gewinnen, kann das neue Unternehmen die erwarteten Ziele erreichen oder sogar
übertreffen und zudem über Zeit auf eine höhere Performancekurve gehoben werden.
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458  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Syngenta, im Jahr 2000 durch die Abspaltung und Fusion der Agrogeschäftseinheiten
von Novartis und AstraZeneca entstanden, ist ein Beispiel, bei dem es gelungen ist, die
besten Eigenschaften von zwei Unternehmen miteinander zu vereinen. Mit der Vision
vor Augen, das weltweit größte und langfristig wettbewerbsfähigste auf Agrochemie-
produkte spezialisierte Unternehmen zu schaffen, war die Ausgestaltung der Integration
seit den ersten Transaktionsüberlegungen fixer Bestandteil der Managementagenda. Das
ursprünglich tiefer geschätzte Synergiepotenzial konnte dank der Analysen und Pla-
nungen des Integrationsmanagements noch vor der Bekanntgabe und Bewilligung der
Transaktion durch den Regulator auf 525 Mio. US-$ angehoben werden. Eine zusätzliche
Chance zur Wertgenerierung wurde darin erkannt, mit dem neu entstehenden Unter-
nehmen eine Performancekultur zu etablieren, welche auf Leistungsprinzipien beruht
und Talente fördert. Diese wurde in die Integrationsplanung aufgenommen und in der
Folge konsequent umgesetzt. Die Auswirkungen waren so positiv, dass die realisierten
Synergien in den Folgejahren mehrere Male nach oben korrigiert werden konnten und
schließlich rund 650 Mio. US-$ erreicht haben. Bis 2010 hat sich das Unternehmen als
ein globaler Marktführer im Bereich Agrochemie und Saatgut etabliert. Der aus dem
Griechischen und Lateinischen abgeleiteten Namen Syngenta, »Wir bringen Menschen
zusammen«, spricht für sich selbst.
Die Vorbereitung der Integration ist ausschlaggebend dafür, ob ein Deal letztlich
zum Erfolg wird oder nicht, und ist deshalb integraler Bestandteil des PMM. Der Begriff
PMM ist aufgrund des Wortes »Post« irreführend, weil er dazu verleitet anzunehmen,
die Arbeit beginne erst nach Abschluss der Transaktion. Tatsächlich startet das PMM
bereits während der Exekution einer Transaktion und geht über den Zeitraum der ei-
gentlichen Integration, die nach dem Abschluss der Transaktion beginnt, hinaus. Die
Wichtigkeit der Vorbereitung der Integration wird dadurch verdeutlicht, dass sich vier
der fünf PMM-Schlüsselmomente bereits vor Abschluss der Transaktion ereignen. Diese
lassen sich in den M & A- und Integrationsprozess einordnen (vgl. Abb. 3):
1. Mit der Definition der Integrationseckpfeiler wird die Stoßrichtung des neuen Unter-
nehmens und der Integration vorgegeben.
2. Bei der Ankündigung der Integrationsstrategie werden die Erwartungen an die
Transaktion gesetzt und nach außen kommuniziert.
3. Durch die Bekanntgabe des Integrationsblueprints konkretisiert sich die Gestalt der
neuen Unternehmung.
4. Die Kommunikation des Integrationsplans macht die Ziele für die Organisation ver-
bindlich.
5. Spätestens am Day 1 des neuen Unternehmens muss das Zusammenführen der Un-
ternehmen in den Köpfen aller Mitarbeiter verankert sein.

In jedem der fünf Schlüsselmomente werden integrationsrelevante Elemente definiert


und kommuniziert (vgl. Abb. 4). In den weiteren Ausführungen dieses Kapitels werden
diese Elemente genauer beleuchtet und spezifische Erfolgsfaktoren für die einzelnen
Schlüsselmomente abgeleitet. Zur Illustration werden Aussagen und Interviews mit Top-
managern sowie Beispiele aus der professionellen Begleitung von M & A-Transaktionen
und mit PMM herangezogen.1

1 Die Zitate stammen aus Fubini/Price/Zollo (2007). Bei der Entstehung dieses Buches haben die
Führungskräfte der McKinsey PMM und Organization Practices mit nahezu 30 M & A- und inte-
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management  |  459
Teil

Eingliederung der PMM-Schlüsselmomente in den zeitlichen Ablauf einer Transaktion

Meilen- Start der Ankündigung der Bewilligung durch den Abschluss der
steine Verhandlungen Transaktion Regulator Transaktion

Zeitlicher Performance
Ablauf Transformation

Integra- Eigentliche
Vorbereitung der Integration
tion Integration

1 2 3 4 5
PMM- Definition der Ankündigung Bekanntgabe Kommunikation Day 1
Schlüssel- Integrations- der Integra- des Integra- des Integra- des neuen
momente eckpfeiler tionsstrategie tionsblueprints tionsplans Unternehmens

Abb. 3: PMM-Schlüsselmomente im zeitlichen Ablauf (Quelle: McKinsey & Company)

PMM-Schlüsselmomente Zu berücksichtigende Elemente


•Kontext der Transaktion
1
Definition der •Vision des neuen Unternehmens
Integrationseckpfeiler •Grobschätzung möglicher Synergien
•Führung Deal-/Integrationsteam
•Top-Level-Organisation und Führung des neuen Unternehmens
2
Ankündigung der •Kommunikation erwarteter Synergien
Integrationsstrategie •Konsequenzen für die Mitarbeiter
•Eckpunkte der Integrationsarchitektur
•Nominierung des Managementteams strikt nach Leistung
3
Bekanntgabe des •Vorstellung der organisatorischen Veränderungen
Integrationsblueprints •Kick-off der Integrationsorganisation
•Grober Integrationsplan
•Auf Geschäftseinheiten heruntergebrochene Zielsetzungen
4
Kommunikation •Bottom-up definierter Aktivitätenplan
des Integrationsplans •Klare Aussagen zum Umgang mit HR-Themen
•Methodik und KPIs des Integrationstrackings
•Identifikation operativer Risiken
5
Day 1 des neuen •Sicherstellung des operativen Betriebs
Unternehmens •Umstellung der Unternehmensidentität
•Kommunikation des erfolgreichen Starts des neuen Unternehmens

Abb. 4: Elemente pro PMM-Schlüsselmoment (Quelle: McKinsey & Company)

2.1 Definition der Integrationseckpfeiler


Der erste Schlüsselmoment findet bereits während der Bewertungs- und Outside-in Due
Diligence-Phase statt. Zu diesem Zeitpunkt definiert die Unternehmensspitze die Inte-
grationseckpfeiler und gibt somit die Stoßrichtung für das neue Unternehmen und die

grationserfahrenen Topmanagern aus unterschiedlichen Industrien und Regionen Interviews zu


Erfahrungen in den Bereichen M & A und PMM geführt.
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460  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Integration vor. Damit wird erfahrungsgemäß bereits zu einem wesentlichen Teil über
Erfolg oder Misserfolg bestimmt, da nachträgliche, größere Richtungsänderungen nur
noch beschränkt oder mit erheblichen Zusatzkosten möglich sind. Die Integrations-
eckpfeiler dienen dazu, den Deal greifbar zu machen und die Führungsmannschaft
auf die Verhandlungen und weiteren PMM-Arbeiten einzuschwören. Zu ihnen zählen
Klarheit über den Kontext der Transaktion, die Vision des neuen Unternehmens, eine
Grobschätzung möglicher Synergien sowie die Zusammensetzung des Deal- und Inte-
grationsteams.
M & A sind ein mögliches Instrumentarium für Unternehmen, ihre strategischen Ziele
zu erreichen. Dabei kann es sich z. B. um Kostenführerschaft durch Konsolidierung
oder vertikale Integration entlang der Wertschöpfungskette, Innovationsführerschaft
durch Zukäufe neuer Fähigkeiten oder Technologien, den Eintritt in neue Märkte oder
eine Kombination der genannten Optionen handeln. Die Motivation für eine mögliche
M & A-Transaktion leitet sich idealerweise aus der Unternehmensstrategie ab. Eine sich
im Markt ergebende Opportunität alleine mag einen Deal für einen Finanzinvestor
rechtfertigen, reicht aber für einen industriellen Käufer nicht aus. Mit der Auswahl
möglicher M & A-Kandidaten muss sich das Management auch Gedanken zur Art der
Transaktion machen: Will man das Zielunternehmen vollständig oder nur teilweise
übernehmen, mit ihm fusionieren oder ein Joint Venture eingehen. Je nach bevorzugter
Variante ist mit unterschiedlichen Implikationen auf das PMM zu rechnen. Wird das
Zielunternehmen nur teilweise oder in mehreren Schritten akquiriert, so ist es schwie-
rig, theoretisch mögliche Synergien in der Praxis vollständig und rasch zu realisieren.
Bei einer Fusion oder einem Joint Venture wird zudem das Partnerunternehmen we-
sentlichen Einfluss auf die Integration ausüben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt vor Aufnahme von Verhandlungen ist, Klarheit über
die Wertschöpfung aus der Transaktion zu schaffen. Damit am Verhandlungstisch eine
Aussage gemacht werden kann, wie die Transaktion Wert generiert, muss eine klare Vi-
sion feststehen und das zu schaffende Unternehmen in groben Zügen umrissen werden.
Zentrale Fragestellungen sind, ob und in welchem Ausmaß die Unternehmen integriert
werden und wie sich der Autonomiegrad der Einheiten verändert. Andere Fragen erge-
ben sich im Hinblick auf die Ausgestaltung des operativen Geschäfts und den Auftritt
im Markt. Industriespezifische Beispiele sind der Umgang mit verschiedenen Marken im
Konsumgüterbereich, die Zusammenlegung von Backoffice-Funktionen bei Banken oder
die Ausgestaltung von Forschung und Entwicklung in der Pharmaindustrie.
Direkt mit der Wertschöpfung verbunden ist die Abschätzung des Synergiepotenzials
und der anfallenden Integrationskosten. Der Nettobarwert aller Synergien zusammen
mit dem intrinsischen Wert des Zielunternehmens ergibt den maximalen Betrag, den
der Käufer aus rein finanzieller Perspektive für eine mögliche Übernahme bereit ist zu
bezahlen. Wie hoch die Synergien sein können, hängt stark von der Motivation und vom
Integrationsgrad des Deals ab. Kostensynergien stehen typischerweise bei Konsolidie-
rungstransaktionen im Vordergrund. Sie können rasch den Umfang von 15 % bis 30 %
der Kostenbasis des kleineren Unternehmens annehmen und sind generell einfacher
und kurzfristiger zu erreichen als Umsatzsynergien, die bei Wachstumstransaktionen
mit langfristigerer, strategischer Ausrichtung einen bedeutenderen Stellenwert haben.
Eine der größten Herausforderungen für das PMM ist es, anspruchsvolle, aber den-
noch realistische Synergieziele zu formulieren. Dabei geht es darum, einerseits die
Zielhöhe und andererseits die zeitliche Erreichbarkeit festzulegen. Werden die Ziele zu
ambitioniert angesetzt und diese nicht erreicht, bestraft dies der Markt, und die Moral
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management  |  461
Teil

der Mitarbeiter sinkt. Außerdem können zu aggressive Kosteneinsparungsmaßnahmen


das Wachstum bremsen. Werden die Ziele zu konservativ angesetzt, wird Wertpotenzial
vergeben, oder die Transaktion kommt womöglich gar nie zustande, weil der geforderte
Preis fälschlicherweise zu hoch erscheint. Bei der Frage zur zeitlichen Dimension in
der Festlegung von Zielen zeigt sich,2 dass zwischen der Geschwindigkeit der Integ-
rationsexekution und dem Erreichen von Synergiezielen ein direkter Zusammenhang
besteht. Je schneller erste Ergebnisse erzielt werden, umso wahrscheinlicher kann das
Anfangsmomentum aufrechterhalten und können die ursprünglichen geplanten Syner-
gien realisiert oder sogar übertroffen werden.
Im Vorfeld einer Transaktion hat die Abschätzung des Synergiepotenzials Outside-in
zu erfolgen, das heißt ohne Zugang zu internen Daten der Zielunternehmung, was
die Aufgabe weiter erschwert. Ein bewährtes Verfahren zur Umgehung des Datende-
fizits ist die Anwendung von Vergleichswerten, sog. Benchmarks, ähnlicher Transak-
tionen oder anderer Unternehmen innerhalb desselben Industrie- oder Marktumfelds.
Benchmarks helfen Zielbandbreiten zu bestimmen, welche in aggregierter Form mithilfe
eines Top-down-Realitätschecks überprüft werden können. Zusätzlich sollte die Imple-
mentierbarkeit bei der Synergieberechnung entsprechend berücksichtigt werden.3
Geschwindigkeit ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor im PMM. Wenn es gelingt, den
für das PMM verantwortlichen Integrationsmanager und womöglich weitere Mitglieder
des PMM-Teams frühzeitig zu bestimmen und in das Dealteam zu integrieren, kann das
den PMM-Prozess signifikant beschleunigen. Sowohl der Übergabeaufwand bei Zustan-
dekommen der Transaktion vom Deal- zum PMM-Team als auch das Risiko des Verlusts
von bereits in der Due Diligence identifizierten Informationen sinken. Ein weiterer Vor-
teil ist, dass die Qualität der Zielsetzungen tendenziell steigt, da bei deren Bestimmung
für die Realisierung Verantwortliche involviert sind, die unrealistische Annahmen an-
fechten. Der Integrationsmanager ist eine der Hauptfiguren, wenn es darum geht, eine
Transaktion letztlich mehr oder weniger erfolgreich umzusetzen. Er muss die Erfah-
rung und Fähigkeit besitzen, die Komplexität des PMM zu meistern und das Vertrauen
der Geschäftsleitung und/oder des Vorstands genießen, um auch harte Entscheidungen
treffen zu können. Damit ist er in der Lage, den Integrationsprozess zu beschleunigen,
auftauchende Problemstellungen zu strukturieren und einen konstruktiven Dialog zwi-
schen den Mitarbeitern der beiden Unternehmen herzustellen. Idealerweise handelt es
sich um einen erfahrenen Insider auf hoher Senioritätsstufe, der die Organisation gut
kennt, vernetzt ist und die Ambition mitbringt, nach Abschluss der Integration eine
herausfordernde Führungsrolle im neuen Unternehmen zu übernehmen.

2.2 Ankündigung der Integrationsstrategie


Der zweite PMM-Schlüsselmoment fällt zusammen mit der Ankündigung der Transakti-
on. Er ist deshalb so wichtig, weil die Erwartungen an die Transaktion gesetzt werden
und das Management von diesem Zeitpunkt an den zuvor gemachten Aussagen gemes-
sen wird. Zusätzlich zum Transaktionskontext, zur Vision und zu einer Aussage zu

2 Erfahrungswerte der McKinsey Corporate Finance Practice aus einer Vielzahl unterschiedlicher
PMM-Projekte.
3 Siehe Koller/Goedhart/Wessels 2005, S. 436–444 für weitere Details zur Ermittlung von Synergien.
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462  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

erwarteten Synergien (allesamt in Schlüsselmoment 1 definierte Integrationseckpfeiler)


wird die Integrationsstrategie präsentiert. In der externen Kommunikation beinhaltet
diese die Top Level-Organisation und Führung des neuen Unternehmens. Intern wird
zusätzlich auf die Konsequenzen für die Mitarbeiter eingegangen. Abhängig von den
spezifischen Gegebenheiten der Transaktion werden intern manchmal bereits die wich-
tigsten Eckpunkte der Integrationsarchitektur vorgestellt.
Der ausschlaggebende Faktor in diesem Schlüsselmoment ist die Kommunikation
einer einfachen und gleichzeitig überzeugenden Story, welche die Transaktion in die
langfristige Unternehmensstrategie einbettet. Dabei ist die Beantwortung des »Warum«
von größerer Bedeutung als alle möglichen Details zum »Wie«. Sämtliche Interessen-
gruppen müssen von der Begründung des Deals und den spezifischen Vorteilen für
sie überzeugt werden. Deshalb ist eine zielgruppenspezifische Ausrichtung notwendig.
Investoren haben besonderes Interesse an den Synergien und Erwartungen zu nachhal-
tigen finanziellen Auswirkungen, wohingegen Kunden mehr an dem für sie gesteigerten
Produkt- und Servicenutzen interessiert sind. Mitarbeiter bewegen hingegen stärker
Fragen zu organisatorischen und für sie relevanten personellen Veränderungen.
Sind sich die Unternehmensspitzen über die Transaktion einig, so findet die Ankün-
digung typischerweise gemeinsam oder parallel zueinander statt. Für eine reibungslose
Abwicklung ist es notwendig zu wissen, wer die neu entstehende Organisation leiten
und beaufsichtigen wird. Das beinhaltet neben den Positionen CEO und CFO insbe-
sondere die Besetzung des Verwaltungsrats.4 Das ist eine schwierige Aufgabe, denn
einerseits haben die Verwaltungsräte geschlossen hinter der Transaktion zu stehen,
und andererseits steht i. d. R. fest, dass einige von ihnen ihren Posten aufgeben müssen.
Ungelöste Konflikte bezüglich der neuen Rollenverteilung haben schon viele, ansonsten
aussichtsreiche Transaktionen platzen lassen. Einigkeit über Aufbau und Zusammen-
setzung der Geschäftsleitung bzw. des Vorstands, der das operative Geschäft leitet, ist
hilfreich, aber nicht zwingend notwendig und in einigen Fällen noch nicht möglich.
Bei einem unfreundlichen Übernahmeversuch ist der Sachverhalt etwas anders. Jedoch
sollte auch hier das Management des Käufers bereits konkrete Vorstellungen zur Top
Level-Organisation haben.

»The role of boards is often underestimated. Very few companies actually change the board as the
result of a merger. But in the same way that the management team needs to be tested for whether
it has the right skill set, so should the board be. The capabilities of incumbent directors should be
tested and the best chosen.« (Don Argus, Präsident des Verwaltungsrats/Aufsichtsrats von BHP
Billiton)

Was den Mitarbeitern in diesem Schlüsselmoment besonders am Herzen liegt, sind die
direkten Konsequenzen für sie. Behalten sie den direkten Vorgesetzten? Ändert sich das
Aufgabengebiet? Eröffnen sich Gelegenheiten für einen lange erhofften internen Wech-
sel? Wo steht man in der internen Hierarchie? Welchen Einfluss wird das auf das Gehalt
haben? Wie sehen Chancen zum Aufstieg in der längeren Perspektive aus? Verfügt man
über die in Zukunft benötigten Kompetenzen? Steht ein Umzug an? Ist der Arbeitsplatz
gefährdet? Obwohl das Management nicht auf Einzelheiten für spezifische Mitarbeiter
eingehen kann, so muss aus der Kommunikation doch hervorgehen, wie die Mitarbeiter
von den Auswirkungen der Transaktion betroffen sein werden. Wenn im Rahmen der

4 In diesem Beitrag wird die Schweizer Bezeichnung für das Kontrollgremium verwendet. Die Aussa-
ge gelten ebenso für den Aufsichtsrat in Deutschland und Österreich.
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Teil

Synergien Personaleinsparungen geplant sind, so müssen diese abgeschätzt und an die


davon betroffenen Unternehmensbereiche kommuniziert werden. Transparenz reduziert
Unsicherheit und somit das Risiko, dass sich Mitarbeiter zu stark mit einer ungewissen
Zukunft beschäftigen und ihre Aufgaben vernachlässigen.
Bei manchen Transaktionen beinhaltet die interne Kommunikation im zweiten
Schlüsselmoment schon erste Informationen zur Integrationsarchitektur, welche im
weiteren PMM-Prozess detailliert werden. Sie definiert die Rollen und regelt das Zu-
sammenspiel von Steuerungsausschuss, Integrationsmanager, Integrationsoffice und
Integrationsteams. Der Steuerungsausschuss setzt Aspirationen und Ziele, ratifiziert
Empfehlungen, überwacht den Gesamtfortschritt und klärt wichtige Fragestellungen
und Konflikte. Damit er diese Aufgaben bestmöglich erfüllen kann, sollte das Topma-
nagement in ihm vertreten und über den gesamten Integrationsprozess stark involviert
sein. Das Integrationsoffice wird vom Integrationsmanager (siehe Schlüsselmoment 1)
geleitet. Seine Verantwortung liegt im Planen, Koordinieren und Vorantreiben der Inte-
grationsteams, im Vorbereiten bzw. Treffen von Entscheidungen und deren Ausführung
sowie im Überwachen des Fortschritts von spezifischen Integrationsarbeitssträngen und
der Integrationskosten. Die Tätigkeiten im Integrationsoffice sind anspruchsvoll und
verlangen vollen Einsatz. Deshalb sollten die Mitglieder weitestgehend von allen ande-
ren Aufgaben in der Organisation befreit werden. Die Zusammensetzung des Integrati-
onsoffice entwickelt sich i. d. R. aus dem Dealteam heraus und kann sich im Zeitablauf
der Transaktion den jeweiligen Anforderungen entsprechend anpassen. Die Größe des
Integrationsoffices ist von mehreren Faktoren abhängig, bewegt sich aber i. d. R. zwi-
schen fünf und zehn Mitarbeitern. In den einzelnen Geschäftsbereichen sind Integra-
tionsteams für die Implementierung der Integration verantwortlich. Bei der Besetzung
der Teams ist darauf zu achten, dass die Linienorganisation involviert ist. Für einzelne
Themen können spezielle Projektteams gebildet werden.
Das Zusammenspiel zwischen Steuerungsausschuss, Integrationsoffice und Integra-
tionsteams ist in einer Projektorganisation geregelt. Für diese gibt es unterschiedliche
Ausgestaltungsmöglichkeiten. Zentral ist die Ausarbeitung eines Masterplans, in dem
der Zeitrahmen und der Rhythmus von Meetings für die Integration festgelegt sind.
Zudem muss die Rolle des Integrationsoffice gegenüber den Integrationsteams klar ab-
gegrenzt sein.

2.3 Bekanntgabe des Integrationsblueprints


In der Phase zwischen der Ankündigung der Transaktion und ihrer Bewilligung durch
den Regulator wird der Integrationsblueprint erarbeitet und im dritten PMM Schlüssel-
moment dem erweiterten Managementteam bekanntgegeben. Bei dem Zielunternehmen
ist meist nur das Topmanagement involviert. Der Integrationsblueprint manifestiert die
Gestalt des neuen Unternehmens und ist deshalb so wichtig, weil zum ersten Mal
Fakten geschaffen werden, die mit den zuvor gemachten Aussagen übereinstimmen
müssen. Er beinhaltet Informationen zu geplanten organisatorischen Anpassungen und
personellen Veränderungen im Management sowie einen groben Integrationsplan, der
aus dem Kick-off der Integrationsorganisation heraus erarbeitet wurde.
Der Transaktionskontext und die Vision des neuen Unternehmens bestimmen die
Eckpunkte der neuen Organisation. In der weiteren Detaillierung geht es entsprechend
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464  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

um die konkretere organisatorische Eingliederung der involvierten Unternehmen. Bleibt


die übernommene Gesellschaft weitestgehend autonom, so kann sie organisatorisch re-
lativ einfach als Tochterunternehmen eingegliedert werden. Zentrale Funktionsbereiche
bleiben teilweise bei der Tochter oder werden zum Mutterunternehmen transferiert.
Wird ein wesentlich kleineres Unternehmen oder gar nur eine Technologie übernom-
men, so kann die organisatorische Einbettung innerhalb einer Division des Käufers
stattfinden. Was auf den ersten Blick relativ einfach erscheinen mag, bringt in der
Praxis oft Tücken mit sich und lässt diese Aufgabe sehr komplex werden; z. B. bei einer
Transaktion, in der es große Überlappungen im Business-Mix der Unternehmen gibt,
oder wenn das eine Unternehmen regional aufgestellt ist, wohingegen die andere im ers-
ten Hierarchielevel nach Produkten oder Services geführt wird. In solchen Fällen müs-
sen einzelne Divisionen aufgeteilt oder zusammengelegt werden. Dabei muss bereits
beim Design der neuen Organisation darüber nachgedacht werden, wie sichergestellt
werden kann, dass der operative Geschäftsgang während der Integration nicht behindert
wird (Day-1-Bereitschaft). Weitere Aspekte, die im Zusammenhang mit den organisa-
torischen Veränderungen oft adressiert werden, sind Namensgebung und Marktauftritt
des neuen Unternehmens.
Für die Nominierung der Führungsmannschaft (Geschäftsleitung und möglicher-
weise eine Ebene darunter) hat sich der Einsatz von Nominierungskomitees bewährt.
Diese sich meist aus Verwaltungsräten zusammensetzenden Gremien müssen den Aus-
wahlprozess streng an Leistungskriterien koppeln und fähige Manager der Käufer- wie
auch der Zielunternehmung adäquat berücksichtigen. Nur so kann glaubhaft gemacht
werden, dass die Zukunft des neuen Unternehmens eine Gemeinsame ist und Leistung
honoriert wird. Ebenso muss darauf geachtet werden, bestehende Seilschaften inner-
halb der Organisationen aufzubrechen. Gelingt das nicht, steigt die Gefahr, dass sich
Lager bilden, die gegeneinander arbeiten und unter Umständen destruktiv für eine neue
übergreifende Unternehmenskultur und Performancesteigerung wirken. Eine besondere
Chance im Nominierungsprozess ist die Förderung von aufstrebenden, jungen Mitarbei-
tern, denen mit neuen Verantwortlichkeiten die Möglichkeit gegeben werden kann, sich
in der neuen Organisation zu beweisen und zu entfalten.
Zusätzlich zur Nominierung der Führungsmannschaft sollten in dieser Phase die
wichtigsten Gremien besetzt sowie deren Verantwortlichkeiten und Tagungsrhythmen
geklärt werden. Dazu gehört auch der für die Integration verantwortliche Steuerungs-
ausschuss. Dessen Leiter, idealerweise der CEO, leitet gemeinsam mit dem Integrations-
manager den Kick-off der Integrationsorganisation, an dem neben dem Integrations-
office die Leiter der Integrationsteams, soweit möglich, mit eingebunden werden. Ein
wesentlicher Bestandteil ist dabei das Teambuilding, in dem die Teilnehmer motiviert
und auf die Transaktion eingeschworen werden. Der Erfolg der Integration muss als
gemeinsame Verantwortung und Zielsetzung von jedem Einzelnen anerkannt werden.
Ein weiterer Bestandteil des Kick-offs ist die Erarbeitung eines groben Integrationsplans.
Dazu gehören die Einigung auf Inhalte und Zuständigkeiten spezifischer Arbeitspakete
sowie die Definition von entsprechenden Meilensteinen und Fristen. Ebenso sollte die
Ausgestaltung der Kommunikationsstrategie darin enthalten sein.
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management  |  465
Teil

Exkurs
Der Einsatz von Clean Teams – eine Geheimwaffe im PMM5
Vor der Bewilligung durch den Regulator hat der Käufer noch keinen direkten Zugriff auf Informatio-
nen und keine Entscheidungsbefugnis im Zielunternehmen. In diesem Zeitraum, der durchschnittlich
rund drei Monate beträgt, aber abhängig von der Transaktion auch länger als ein Jahr dauern kann,
hat sich der Einsatz von sog. Clean Teams bewährt. Im Wesentlichen unterstützt ein Clean Team die
Integrationsorganisation dabei, wichtige Fragen zur Integration anzupacken, die sonst nicht vor Trans-
aktionsabschluss geklärt werden könnten. Dadurch kann der PMM-Prozess beschleunigt und das Risiko
von Fehlentscheidungen verkleinert werden.
»We lived under an extraordinary regime of lawyers, but we found we could get a third party to col-
lect all the data that we needed: pricing, every major customer, every country, vast amounts of pro-
duct data. On the day of completion they dumped the truckload on us and that saved us five months.
It was just wonderful.« (John McGrath, früherer CEO von Diageo)
Unter Geheimhaltungspflicht und in Abstimmung mit in die Transaktion involvierten Anwälten und
Rechtsabteilungen hat das zum Großteil mit Externen besetzte Clean Team Zugang zu Daten beider
Unternehmen. Nach der Sammlung und systematischen Aufbereitung relevanter und sensitiver Infor-
mationen wie beispielsweise Preislisten im Ein- und Verkauf, Kundendaten, Produktplänen oder der
Forschungs- und Entwicklungspipeline kann das Clean Team detaillierte Analysen und Synergieab-
schätzungen durchführen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können in aggregierter Form, und nach
Bewilligung durch Rechtsvertreter, dem Integrationsausschuss vorgelegt werden und diesem helfen,
frühzeitig wichtige Entscheidungen zur Planung der Struktur und zur operativen Geschäftstätigkeit des
zusammengeführten Unternehmens zu treffen. Manchmal erweisen sich bestimmte Analyseergebnisse
auch als hilfreich, den Bewilligungsprozess durch den Regulator zu beschleunigen. Zieht sich dieser
Prozess in die Länge, kann das Clean Team zusätzliche Aufgaben übernehmen, um das neue Unterneh-
men darin zu unterstützen, direkt nach dem Transaktionsabschluss voll operativ zu werden. So kann
erreicht werden, dass Synergien genutzt werden, bevor Wettbewerber reagieren können. Abb. 5 zeigt
die typische Struktur eines Clean Teams.

Integrations-
office
Integrations-
ausschuss

Anwälte (bewilligen Informationsaustausch)

Unter- Unter-
nehmen A • Analyseergebnisse nehmen B
• Synergieschätzungen
• Empfehlungen
• etc.

Datenanfragen Datenanfragen
Clean Team
Daten & Interviews Daten & Interviews

Abb. 5: Typische Struktur eines Clean Teams (Quelle: McKinsey & Company)

5 Siehe Albizzatti/Christofferson/Sias (2005) für weitere Details zum Einsatz von Clean Teams im
PMM.
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466  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

2.4 Kommunikation des Integrationsplans


Im vierten Schlüsselmoment, welcher typischerweise in der Phase zwischen der Be-
willigung durch den Regulator und dem offiziellen Transaktionsabschluss stattfindet,
wird der Integrationsplan kommuniziert. Er beinhaltet auf Geschäftseinheiten herun-
tergebrochene und mit konkreten Aktivitäten unterlegte Zielsetzungen, die Methodik
zur Messung des Integrationsfortschritts und klare Aussagen zum Umgang mit Perso-
nalthemen. Der Moment ist deshalb so wichtig, weil ab dann die Ziele für die Organi-
sation verbindlich werden. Sind diese nicht genau definiert und zugeordnet, werden sie
erfahrungsgemäß auch nicht erreicht. Nachträgliche Anpassungen erweisen sich als nur
beschränkt durchsetzbar.
»We used the time period between contract signing and the close to do a tremendous amount of
transition planning and communication.« (David Shedlarz, früherer Vizepräsident des Verwal-
tungsrats/Aufsichtsrats von Pfizer)

Eine der Hauptaufgaben des Integrationsoffice ist das Management des Zielsetzungspro-
zesses. In einem ersten Schritt werden hierzu die in der Bewertungs- und Due Diligen-
ce-Phase ermittelten Top-down-Ziele verifiziert und in für das Linienmanagement rele-
vante Kennzahlen übersetzt. Ist es z. B. das Ziel, die Gewinnmarge durch Ausnutzung
von Skalen- und Lerneffekten um ein Drittel zu erhöhen, müssen konkrete Absatz- und
Kostenziele für einzelne Geschäftseinheiten formuliert werden. Hierfür ist von einer
einheitlichen Basis, der sog. Baseline, in Bezug auf Umsatz, Kosten und Anzahl Mitar-
beiter auszugehen. Diese wird auf einen bestimmten Stichtag festgelegt und stellt jenen
Wert dar, gegen den die Synergien gerechnet und verglichen werden.
Parallel zum Top-down-Prozess ermitteln die in der Linie verankerten Integrations-
teams Bottom-up für ihren Bereich realistische Ziele. Diese können sowohl quantitativer
als auch qualitativer Natur sein. Wichtig ist, dass die Ziele und die Maßnahmen zu
deren Erreichung hinreichend genau definiert werden. Zu den notwendigen Detailinfor-
mationen pro Maßnahme gehören neben der erwarteten Auswirkung die Zuteilung eines
Verantwortlichen, die Definition eines Zeitplans mit Meilensteinen, die Berücksichti-
gung von Voraussetzungen zur Implementierung und Abhängigkeiten zu anderen Maß-
nahmen sowie eine Abschätzung der Implementierungskosten. Die Bereitstellung einer
zentral vom Integrationsoffice gestalteten Vorlage hilft, Vollständigkeit sicherzustellen.
Im nächsten Schritt gilt es, Top-down- mit Bottom-up-Zielen zu koordinieren. Abwei-
chungen sind nicht ungewöhnlich (das Linienmanagement tendiert dazu Synergiepo-
tenzial tiefer einzuschätzen) und müssen vom Integrationsmanager kritisch hinterfragt
werden. Im Zweifelsfall hat der Steuerungsausschuss zu entscheiden. Von diesem wer-
den auch klare Aussagen zum Umgang mit Personalthemen erwartet. Betriebsversamm-
lungen und Roadshows haben sich als effektives Instrument bewährt, die Belegschaft
von den Plänen zu überzeugen und offene Fragen zu beantworten. Eine weitere Verbes-
serung der Zustimmung kann mithilfe von durch das Linienmanagement organisierten
Teambuilding-Events erreicht werden.
Das Integrationsoffice ist verantwortlich für die Überwachung und periodische Mes-
sung des Integrationsfortschritts. Damit Transparenz darüber geschaffen werden kann, wo
die einzelnen Integrationsteams mit der Umsetzung ihrer Maßnahmen stehen, empfiehlt
sich der Einsatz von Implementierungsgradmessern. Diese geben Aufschluss darüber, in
welchem Stadium der Zielerreichung sich die einzelnen Maßnahmen befinden. Zum Zeit-
punkt der Kommunikation des Integrationsplans sollten alle Maßnahmen voll ausdefiniert
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management  |  467
Teil

und bereit für den Start der Implementierung sein. Später kann unterschieden werden,
welche Maßnahmen bereits eine Wirkung zeigen bzw. abgeschlossen sind und bei wel-
chen es zu Problemen oder Verzögerungen kommt. Formale Messungen des Integrations-
erfolgs finden typischerweise vierteljährlich statt und werden dem Steuerungsausschuss
vorgelegt. Informelles Feedback sammelt das Integrationsoffice in kürzeren Abständen.
Der Austausch von Erfahrungswerten zwischen den Integrationsteams kann bei der Lö-
sung auftretender Schwierigkeiten helfen, idealerweise gestützt durch regelmäßig stattfin-
dende Meetings des Integrationsoffice mit den Integrationsteamleitern.

2.5 Day 1 des neuen Unternehmens


Jeder Kunde und Mitarbeiter nimmt das fusionierte oder neu entstandene Unternehmen
stark über seinen Auftritt wahr – sei es durch ein neues Logo, eine veränderte Internet-
seite, neues Briefpapier, angepasste Visitenkarten, anders funktionierende Prozesse oder
neu geregelte Verantwortlichkeiten und Kommunikationskanäle. Kein anderer Moment
in der Integration zweier Unternehmen hat so viel Symbolgehalt wie der Day 1 des
neuen, gemeinsamen Auftritts nach innen und außen. Damit wird die Verschmelzung
der Unternehmen nicht nur intellektuell begreifbar, sondern für die verschiedenen An-
spruchsgruppen unmittelbar spür- und erlebbar. Spätestens jetzt muss klar sein, dass
etwas Neues geschaffen wurde. Entsprechend wichtig und wertvoll ist die stringente
Vorbereitung des ersten Tages des neuen Unternehmens.
Die Vorbereitungskomplexität zur Sicherung der Geschäftskontinuität und damit ei-
nes erfolgreichen Tages 1 sind nicht zu unterschätzen. Komplexitätstreiber sind u. a. die
Unternehmensgröße und Integrationstiefe, die geografische Ausdehnung, die Anzahl
der Mitarbeiter und Sprachen, die Anzahl kritischer Prozesse sowie die Art der erbrach-
ten Marktleistung und Kundeninteraktion. Getrieben durch unterschiedliche Komple-
xität, kann so die Vorbereitung wenige Tage bis hin zu Wochen und Monaten dauern.
Unabhängig von der Dauer hat das grundsätzliche Vorgehen in zwei Schritten zu erfol-
gen: die Bereitschaftsplanung sowie die darauf folgende Bereitschaftsimplementierung.
In der Bereitschaftsplanung sind auf globaler wie regionaler Ebene kritische Prozesse
und wirtschaftliche oder rechtliche Hindernisse für einen »Go-Life« zu identifizieren
und zu qualifizieren. Anforderungen an die Day 1-Readiness sind von Funktion zu
Funktion sehr unterschiedlich: Während in der IT unter anderem die Sicherstellung der
Basiskommunikation im Vordergrund steht, heißt es für Personal und Finanzen zum
Beispiel, Lohnzahlung respektive Liquiditätsplanung vom ersten Tag an sicherstellen zu
können. Es empfiehlt sich i. d. R., gerade in dieser Phase ein dediziertes zentrales und
eng mit dem Integrationsteam verzahntes Team zu stellen, das mit bereits vorhandener
Integrationserfahrung mögliche Problembereiche zu identifizieren hilft und sicherstellt,
dass identifizierte Probleme hinterfragt und deren Auswirkungen und mögliche Risiken
vollständig verstanden werden. Es muss klar sein, dass es in den meisten PMM-Situatio-
nen unrealistisch wäre, bereits am Day 1 alle Problembereiche vollständig gelöst zu ha-
ben. Es ist folglich unabdingbar, einer klaren und über die verschiedenen Bereiche und
Einheiten hinweg konsistenten Priorisierungslogik zu folgen sowie, wenn notwendig,
klare Übergangslösungen zu definieren und in einen Vorbereitungsplan zu überführen,
der operative Risiken zur Beurteilung des erfolgreichen Starts für die Implementierung
fassbar und steuerbar macht.
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468  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Der Erfolg von Day 1 hängt schließlich von der durchgängig orchestrierten und frist-
gerechten Implementierung der identifizierten kritischen Prozesse ab. Nicht selten sind
bei globalen Deals die zentralen Day-1-Vorbereitungsteams in 24-Stunden-Bereitschaft,
um die Aktivitäten und Fortschritte mit den lokalen Teams abzustimmen und zeitnah
bei Fehlentwicklungen oder auftretenden Schwierigkeiten reagieren zu können. Ein
gemeinsames Verständnis über das zu erreichende Ziel des erfolgreichen Day 1 sowie
klar dokumentierte Rollout-Manuals für den Weg dorthin, klare Prioritätensetzungen
und ein transparentes und einfaches Frühwarnsystem sind wesentliche Faktoren, um
die Implementierung über mehrere geografische Räume und Organisationsstufen hin-
weg sicherzustellen.
Ein gut vorbereiteter Day 1 entfaltet eine starke Dynamik bereits in der Vorbereitung,
indem wichtige Funktionen und Mitarbeiter für ein sehr konkretes Ziel zur Zusam-
menarbeit gebracht werden. Erste Erfolge und Schwierigkeiten der Zusammenarbeit
werden in diesem Kontext sehr rasch spürbar und erfahrbar und erlangen damit die
Aufmerksamkeit des Managements. Der Erfolg eines gelungenen Tages 1 ist schließlich
eine ideale Gelegenheit, einen ersten, wesentlichen Erfolg in der Geschichte des neuen
Unternehmens zu feiern und Momentum für die anstehenden Integrationsarbeiten und
die Performancetransformation zu schaffen.

3 Erfolgreiche und nachhaltige Integration


durch Performancetransformation
Mit den fünf zuvor skizzierten Schlüsselmomenten werden die zentralen Voraussetzun-
gen für eine erfolgreiche Integration geschaffen. Jeder integrationserfahrene Manager
und Mitarbeiter weiß, dass die harte Arbeit der Integration nun erst richtig beginnt und
so lange andauern muss, bis die Unternehmensteile als eine Einheit zusammenarbei-
ten. Dabei gilt es, wie bereits dargestellt, nicht nur finanzielle Synergien zu realisieren,
sondern insbesondere kulturelle Barrieren, Orientierungslosigkeit und Ängste zu über-
winden. Es zeigt sich, dass gerade in dieser Phase der Lern- und damit der Verände-
rungsprozess der Mitarbeiter einen zentralen Erfolgsfaktor darstellen.6 Das Merkmal
besonders erfolgreicher Integrationen ist es, dass sie genau bei diesem individuellen
Veränderungsprozess ansetzen und die Chance nutzen, die Verhalten und Einstellungen
beider Einheiten zu einer neuen Firmenkultur zu verschmelzen. Es geht darin um mehr
als die reine Zusammenführung von Systemen und Strukturen – es geht um das gezielte
Kombinieren der gewünschten Erfolgspotenziale aus beiden Kulturen. Ein wesentlicher
Effekt dieser so geschaffenen, neuen Firmenkultur ist schließlich die Steigerung der
gemeinsamen Leistungsfähigkeit und damit verbunden das Erreichen eines höheren
Performanceniveaus.

6 Siehe Fubini/Price/Zollo (2007) für weitere Details zu Performancekultur.


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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management  |  469
Teil

Definition
Das Erreichen von höherer Performance durch gezielte Veränderung von Verhalten und Einstellungen
ist der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung jeder Integration und wird im Folgenden als Performan-
cetransformation7 bezeichnet.

3.1 V
 erständnis von kultureller Ausgangslage, Herausforderungen
und Prioritäten
Jede Integration und Performancetransformation hat neben der kurzfristigen Verbes-
serung der Performance, insbesondere der Realisierung der angekündigten Synergien,
auch zum Ziel, ein langfristig gesundes und überlebensfähiges Unternehmen zu ent-
wickeln. Ohne diese Perspektive kann das Topmanagement Integrationsmaßnahmen
kaum überzeugend kommunizieren und in der Organisation verankern. Es hat sich
gezeigt, dass bei erfolgreichen und erfahrenen Integrationsmanagern die beigemessene
Bedeutung der kulturellen Dimension und gleichzeitig auch der Nachhaltigkeit der In-
tegration stark gewachsen ist. Erfolgreiche Integrationsmanager befassen sich folglich
insbesondere mit der Identifikation von kulturbedingten Risiken, der Diagnose von
entsprechenden kulturellen Stärken der betroffenen Einheiten und der Miteinbeziehung
von Veränderungsmaßnahmen in den Integrationsprozess.

Ausrichtung
Richtung Was sind Vision und Strategie des
Unternehmens und werden diese
verstanden und mitgetragen ?
Koordina-
Verant-
tion und
wortlichkeit
Kontrolle
Ausführung
Externe Wie gut sind die Fähigkeiten der
Führung Innovation
Orientierung Organisation, Dinge auszuführen
und Ziele zu erreichen?

Kompe-
Motivation
tenzen
Erneuerung
Wie gut versteht und reagiert die
Kultur und Organisation auf die externe
Werte Umgebung?

Abb. 6: McKinsey Organizational Health Index (OHI) (Quelle: McKinsey & Company)

7 Für die in diesem Beitrag kurz erläuterten Kernelemente einer erfolgreichen Performancetransfor-
mation wurden zahlreiche konkrete Konzepte und Instrumente entwickelt, um Unternehmen ge-
zielt in dieser entscheidenden Phase zu unterstützen. Es würde den Umfang dieses Beitrags spren-
gen, wenn diese Ansätze im Detail vorgestellt würden. Stellvertretend und zur Illustration werden
stattdessen einige ausgewählte Beispiele aufgegriffen.
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470  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Als ein Instrument zur Beurteilung und gezielten Steuerung der organisationalen und
kulturellen Entwicklung wurde der sog. Organizational Health Index (OHI) entwickelt,
der über neun Dimensionen nachhaltigkeitsorientierte Faktoren messbar macht und
dadurch Unternehmen gerade in PMM-Situationen helfen kann, die richtigen Prioritäten
zu setzen (vgl. Abb. 6). Der OHI operationalisiert aktuelles Verhalten und die Kultur
einer Organisation über neun Dimensionen, die wiederum in gesamthaft über 150 Ein-
zelfragen bzw. -dimensionen heruntergebrochen werden. Damit wird das Instrument
gerade für das Topmanagement und das Integrationsteam hilfreich, weil sich anhand
konkreter Fragen Ausgangslage, Risiken sowie Entwicklungsschwerpunkte klar ableiten
und nachvollziehbar machen lassen.
»My starting assumption is always that there may be something in the other side’s culture that could
make us stronger. If you don’t start with such an assumption, you will never take the trouble to
look.« (Jean-François Pontal, früherer CEO von Orange)

Zudem, und auch das ist für eine PMM-Situation von zentraler Bedeutung, lässt sich
mit dem OHI eine Balance zwischen Ausrichtung (insbesondere Integrationszielset-
zung, neue Strategie), Ausführung (insbesondere Umsetzung des Integrationsplans
und Realisierung der identifizierten Synergien) und Erneuerung (z. B. Aufnehmen von
Kundenwünschen, Eingehen auf Geschäftspartner) erreichen. Gerade in einer Phase
des internen Umbaus ist es für die integrierenden Einheiten überlebenswichtig, die ex-
terne Markt- bzw. Kundenorientierung nicht zu verlieren. Ebenso ist es essenziell, dass
unter Fragen der strategischen Ausrichtung nicht der Fokus des operativen Geschäfts
leidet. Die konsequente Ausrichtung auf die für die konkreten Rahmenbedingungen der
M & A-Transaktion relevanten Prioritäten hilft, in der herausforderungsreichen Integrati-
onsphase die richtigen Impulse zu setzen.

3.2 G
 ezielte Entwicklung von Interventionen mit Fokus
auf Einstellungen und Verhalten
Es ist entscheidend, die Integrationsphase nicht nur als komplexes Projekt zu verste-
hen, das mit entsprechend professionellem Projektmanagement bewältigt werden kann.
Selbstverständlich ist dies eine wesentliche Grundlage. Eine erfolgreiche kulturelle Inte-
gration verlangt jedoch mehr. Nämlich den konsequenten Fokus auf Einstellungen und
Verhalten der beteiligten Mitarbeiter. Für viele Unternehmen und Integrationsmanager
stellt genau dies eine große Herausforderung dar, da Einstellungen und Verhalten we-
sentlich schwieriger zu beeinflussen sind als Organisationsstrukturen und Prozessab-
läufe. In der Praxis zeigen sich für nachhaltige Veränderung von Einstellungen und
Verhalten vor allem vier wesentliche Voraussetzungen (vgl. Abb. 7):
1. Mitarbeiter müssen verstehen, warum sie sich verändern sollen und warum die Ver-
änderung für sie sinnvoll ist.
2. Mitarbeiter müssen sicher sein, dass sie die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkei-
ten für die Bewältigung des Wandels besitzen oder bekommen.
3. Mitarbeiter müssen Vorbilder haben, die den Wandel vorleben.
4. Es muss Verbindlichkeit in der Ausführung von Strukturen, Prozessen und Systemen
sichergestellt werden.
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management  |  471
Teil

„Ich werde mein Verhalten ändern, wenn …“

Einsicht und Verständnis Entwicklung von Talenten und Skills

»… ich verstehe, warum ich mich ändern muss, »… ich die nötigen Fähigkeiten und Skills habe,
ich dem zustimme und es sinnvoll für mich ist« um mich in der neuen Weise zu verhalten«

Rollenmodelle und Kultur Unterstützung mit formalen


Mechanismen
»… ich sehe, dass sich meine Vorgesetzten, »… die Strukturen, Prozesse und Systeme die
Peers und Mitarbeiter in der neuen Weise erwünschte Veränderung unterstützen«
verhalten«

Abb. 7: McKinsey Influence Model (Quelle: McKinsey & Company)

Nicht unterschätzt werden darf in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Topma-
nagements und der Integrationsorganisation in diesem Veränderungsprozess. Gerade
in der schwierigen Übergangsphase sind es diese wichtigen Multiplikatoren, die ge-
wünschte Werte und Verhalten transportieren und Exempel statuieren.

»We had learned from the Algroup integration the importance of laying out clear guidelines and
expectations at the very beginning so that the Pechiney people would know how to behave, because
they would be looking for those signals.« (Dick Evans, Präsident des Verwaltungsrats von Abitibi-
Bowater und früherer CEO von Alcan)

Es ist wichtig, dass nicht einerseits finanziell getriebene PMM-Maßnahmen zur Aus-
schöpfung des Synergiepotenzials und andererseits davon losgelöste kulturelle Maß-
nahmen geplant und umgesetzt werden. Um sicherzustellen, dass die Veränderung in
die tägliche Arbeit einfließt und damit Wirkung entfaltet, achten erfolgreiche Integrati-
onsmanager vielmehr auf die enge Verzahnung der wesentlichen kulturellen Stellhebel
in performanceorientierte Maßnahmen. Wenn z. B. »Stärkung der Verantwortungsüber-
nahme« als prioritäres Handlungsfeld identifiziert wurde, sollte das Integrationsteam
die notwendigen kulturellen Teilmaßnahmen direkt in den Integrationsplan bei der
Einführung neuer Organisations- und Aufsichtsmodelle einbringen und verankern. Ver-
einfacht gesagt: Das Integrationsteam sollte mit der Kenntnis aus der Kulturdiagnose
(z. B. OHI) und den Handlungsoptionen (z. B. Influence Model) die Hauptmaßnahmen
zur Integration überprüfen und hinsichtlich kultureller Hebel ergänzen bzw. komplet-
tieren und so einen voll integrierten Ansatz schaffen.
Was aus unserer Erfahrung in diesem Kontext oft vernachlässigt wird, ist der gezielte
Fähigkeitenaufbau ab Day 1 der Transformation. Hervorragend geführte Integrationen
nehmen diesen Faktor bereits in der Vorbereitung auf, sie berücksichtigen verfügbare
wie auch benötigte Fähigkeiten im Integrationskonzept, bei der Day-1-Vorbereitung so-
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472  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

wie im Integrationsplan und stellen sicher, dass den Integrationsteams, den kritischen
Funktionen und Führungsrollen und schließlich allen betroffenen Mitarbeitern geeig-
nete Befähigungsformate zur Verfügung stehen.
Es wurde bereits betont, dass der spezifische Unternehmens- und Transaktionskon-
text (Potenzial, Strategie, Bereitschaft für Wandel, vorhandene Fähigkeiten) die Ge-
schwindigkeit der Integration bestimmt. Es wurde ebenfalls bereits ausgeführt, dass
bei der Sicherstellung der Wertgenerierung eines Deals die kulturellen Herausforderun-
gen und damit verbundene, unterschiedliche mitarbeiterorientierte Herausforderungen
zu den komplexesten Hindernissen gehören. In der Verbindung ist die Erarbeitung ei-
ner maßgeschneiderten Lösung die einzig vernünftige Antwort zur Sicherstellung der
Wertsteigerung. Der Vorteil des hier vorgestellten Influence Models für die Performance-
transformation sind die ganzheitliche Betrachtung wesentlicher Faktoren zur nachhal-
tigen Verankerung des kulturellen Wandels sowie die Ableitung von fokussierten und
pragmatischen Interventionen.
Für die Integrationsverantwortlichen heißt dies auch, dass die Integrationsphase
nicht nur allein durch das Topmanagement und Integrationsteam, sondern in Zusam-
menarbeit mit dem verantwortlichen Management und den Mitarbeitern zu gestalten
ist. Die gemeinsame Erarbeitung von Konzepten erhöht nicht nur die inhaltliche Pas-
sung, sondern auch die Zustimmung der Belegschaft und vermeidet so spätere Verzö-
gerungen und fehlende Nachhaltigkeit.

3.3 Umsetzung von Wandel mit Disziplin und Begeisterung


Wie gezeigt wurde, bedingt jede erfolgreiche Integration i. d. R. einen kulturellen Wan-
del. Kultureller Wandel bedeutet wiederum, dass Mitarbeiter informiert, überzeugt,
befähigt, angeleitet und schließlich bewegt werden müssen. So wünschenswert es wäre,
es wird in kaum einem Wandel gelingen, 100 % der betroffenen Mitarbeiter von Beginn
an zu bewegen. Ein wesentlich wichtigerer Faktor zur Verselbstständigung des Wandels
ist die Erreichung der notwendigen kritischen Masse. Erfahrungen zeigen, dass in Per-
formancetransformationen und Integrationen im Besonderen mit rund 30 % der betrof-
fenen Mitarbeiter diese kritische Masse bereits erreicht wird und damit der Transforma-
tionsprozess sich selbstverstärkt und sogar beschleunigt weiterentwickelt. 30 % stellen
deshalb einen wichtigen Wendepunkt dar, weil ab da i. d. R. genügend Mitarbeiter zur
Verfügung stehen, die sich gegenseitig ermuntern, unterstützen und coachen können,
damit der kulturelle Wandel spürbar wird und die restlichen Mitarbeiter erkennen, dass
Wandel unvermeidbar ist. Und schließlich stellen die über 30 % der Mitarbeiter i. d. R.
Verbindungen zu allen anderen Mitarbeitern in der Unternehmung dar.
Selbst wenn wie oben beschrieben die richtigen Schwerpunkte identifiziert wurden
und über die verschiedenen Ebenen die richtigen Verhaltens- und Einstellungsimpulse
gesetzt werden, bleibt die Zeit ein kritisches Element. Wird die kritische Masse nur
langsam oder nicht erreicht, können zum Beispiel durch hohe andauernde Arbeitsbelas-
tung und politische Widerstände in der Lösungserarbeitung rasch Ermüdungserschei-
nungen bei den Mitarbeitern auftreten, die sich rasch auch in Rückschlägen im Integrati-
onsprozess oder gar dem Verfehlen der finanziellen Synergieziele niederschlagen. Nicht
selten kommt so eine Integration ins Stottern und führt, wenn nicht richtig aufgefangen,
durchaus zum Stopp oder sogar zum Scheitern der Integration.
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Teil

Gerade zur raschen Erreichung der kritischen Mitarbeitermasse sind die oben be-
schriebenen Schlüsselmomente von großer Bedeutung. Wenn entlang der Schlüssel-
momente Vision, Organisation, Vorgehen und Ziel der neu geschaffenen Organisation
stimmig und konsistent erarbeitet, kommuniziert und umgesetzt wurden, kann in der
Integration glaubwürdig und begeisternd kommuniziert werden.

4 Fazit
In diesem Beitrag wurde gezeigt, dass Exzellenz im PMM einen ausschlaggebenden
Faktor für den Erfolg von M & A darstellt. Neben dem Aufbau einer neuen Organisa-
tion und dem Erreichen von Synergiezielen geht es um eine nachhaltige Veränderung
von Verhaltensweisen innerhalb des neuen Unternehmens hin zu einer an Leistungs-
prinzipen ausgerichteten Unternehmenskultur. Eine solche Performancetransformation
gelingt nur, wenn fünf grundsätzliche Schlüsselmomente im PMM richtig gemeistert
und der Prozess des konstruktiven, nachhaltigen Wandels von Beginn an in der Integ-
rationsplanung berücksichtigt und konsequent umgesetzt werden.
Die vorgelagerten Schlüsselmomente sind deshalb so zentral, weil sie die zielorien-
tierte und in sich konsistente Vorbereitung, Kommunikation und Umsetzung der nach-
gelagerten Integration stark begünstigen. Wenn es gelingt, in den Schlüsselmomenten
die richtigen Akzente zu setzen und die Mitarbeiter für die gemeinsamen Ziele zu
gewinnen, kann durch das PMM das volle Potenzial des neuen Unternehmens ausge-
schöpft werden.
Obschon die PMM-Schlüsselmomente und das skizzierte Vorgehen generell gültig
sind, muss der konkrete Ansatz auf den jeweiligen Transaktionskontext angepasst wer-
den. Das Kodifizieren der Ergebnisse und das bewusste Reflektieren der Erfahrungen
aus jeder M & A-Transaktion erlaubt Unternehmen, ihre institutionellen Fähigkeiten in
diesem Bereich so weiterzuentwickeln, dass die herausforderungsreiche Phase der In-
tegration gezielt als Chance für die nachhaltige Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit
genutzt werden kann.

Literatur
Albizzatti, N. J./Christofferson, S. A./Sias, D. L. (2005): Smoothing Postmerger Integration. In: McKin-
sey on Finance, Nr. 17, 2005, S. 11–16.
Fubini, D. G./Price, C./Zollo, M. (2007): Mergers: Leadership, Performance & Corporate Health. Palgra-
ve Macmillan, New York, NY, 2007.
Koller, T./Goedhart, M./Wessels, D. (2005): Valuation: Measuring and Managing the Value of Compa-
nies. 4. Aufl., Wiley, Hoboken, NJ, 2005.
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474  | 
Teil

XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung


des Managements von Post Merger
Integrationen
Juan Rigall/Alexander Tarlatt*

1 PMI-Management im Lichte von Wissenschaft und Praxis


1.1 Intensive Forschung und Empirie zu Erfolgsfaktoren im PMI-Management
1.2 Intensive Auseinandersetzung mit Erfolgsfaktoren in den Unternehmen
2 Veränderte Anforderungen an das Integrationsmanagement
2.1 Veränderte Priorisierung von Integrationsaufgaben
2.2 Schnelle Definition des gemeinsamen Führungs- und Organisationskonzeptes
3 Zusammenfassung

1 PMI-Management im Lichte von Wissenschaft


und Praxis
1.1 Intensive Forschung und Empirie zu Erfolgsfaktoren
im PMI-Management
Die betriebswirtschaftliche Forschung hat es seit Anfang der 1990er Jahre an Erklä-
rungsversuchen und Untersuchungsbeiträgen zu Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren der
Post Merger Integration nicht missen lassen.1 Diese Untersuchungen wiesen im Schnitt
etwa nur die Hälfte der Integrationsvorhaben als nachhaltig erfolgreich aus.2 Die neu-
eren Studien aus den 2000er Jahren – ohne den Anspruch der Vollständigkeit erheben
zu wollen – scheinen den Eindruck zu erwecken, dass sich die Erfolgsquoten nicht
signifikant verbessert haben.3 Auch eine ganze Reihe von Praktikern hat sich zu ihren
Erfahrungen im Integrationsmanagement geäußert und dadurch die vorliegende empi-
rische Wissens- und Erfahrungsaufbereitung stark erweitert.
Jäh unterbrochen wurde die Fortschreibung der Studien und empirische Weiterent-
wicklung in der Anwendung der dortigen Erkenntnisse durch das Einsetzen der globalen

* Dr. Juan Rigall, Geschäftsführer, Santiago Advisors, Willich; Dr. Alexander Tarlatt, Geschäftsführer,
Santiago Advisors, Willich.
1 Stellvertretend sei an dieser Stelle auf die Zusammenstellungen der Autoren Feldmann/Spratt 2000,
Janssen 2002, Habeck et al. 2002 und Larsson/Finkelstein 1999 verwiesen, die wesentliche Ent-
wicklungslinien zusammenfassen.
2 Haspeslagh/Jemison 1991; Schweiger/Walsh 1990; Chatterjee et al. 1992; Jansen/Petersen 2000;
Jansen, 2002.
3 Gerds/Schewe 2009.
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen  |  475
Teil

Finanz- und Wirtschaftskrise im Herbst 2008. Auch der Markt für Unternehmenstransak-
tionen kam im Zuge der Kredit- und Finanzkrise stark unter Druck, erlebte in den Jahren
2010 und 2011 seinen Tiefpunkt in Deutschland, und erreichte erst ab 2013 wieder das
Vorkrisenniveau4 Zum einen war das Geschäftsmodell der Finanzinvestoren durch das
plötzliche Fehlen von jeglichen (Re-) Finanzierungsmöglichkeiten von einem Tag auf den
anderen zum Erliegen gekommen. Zum anderen fehlten jedem strategischen Investor
angesichts der Devise »Wir fahren auf Sicht«5 bei plötzlichen Einbrüchen im Auftragsein-
gang von bis zu 70 % und zusammenbrechenden Finanzmärkten die Risikobereitschaft,
Fantasie und Legitimation, an Akquisitionen zu denken. Dass in der Krise auch eine
Chance für einen günstigen Zukauf liegt, haben eine Reihe von CEOs 2009 bestätigt.6
»In der Krise liegen für uns auch Chancen und die werden wir nutzen […]. Wir wollen für jede Si-
tuation gewappnet sein und ganz gezielt auch attraktive externe Wachstumsmöglichkeiten nutzen«
(Peter Löscher, Vorstand der Siemens AG, anlässlich der Hauptversammlung im Januar 2009).
»Lufthansa investiert weiter in Übernahmen« (Jürgen Weber, Vorsitzender des Aufsichtsrats Luft-
hansa AG).
»Wir halten die Augen offen und wollen nicht defensiv sein« (Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzen-
der Daimler AG, auf der Automesse in Detroit).
»Sollte sich eine günstige Gelegenheit ergeben, würden wir zugreifen« (Axel Heitmann, Vorstands-
vorsitzender Lanxess AG).

Die Statements der Aufsichtsrats- bzw. Vorstandsvorsitzenden von Siemens, Lufthansa,


Daimler und Lanxess rücken Unternehmensakquisitionen als Wachstums- und Konsoli-
dierungsinstrument wieder in das Zentrum der internen Diskussionen in den Strategie-
und M & A-Abteilungen. Spätestens seit 2014 spiegelt sich dies auch in den Transaktions-
volumina wieder, die insbesondere bei den Top-Ten-Deals in Deutschland signifikant
angestiegen sind.7 Hierdurch rückt das Thema Erfolgsfaktoren und Lessons Learned
im Integrationsmanagement wieder in der Unternehmensagenda stark nach oben, da
die Transaktion ohne erfolgreiche Integration nicht den größtmöglichen Wert aus der
Investition erzielen kann.

1.2 Intensive Auseinandersetzung mit Erfolgsfaktoren


in den Unternehmen
Die zahlreichen empirischen Publikationen sind in der Tat ein Indikator dafür, dass sich
in Unternehmen die Auseinandersetzung mit extern dokumentierten Erfolgsfaktoren im
Integrations- und Post Merger Management zugenommen hat.8 Es zeigt sich aber auch,
dass es bei einer Vielzahl von Unternehmen offensichtlich nicht bei der theoretischen
Aufbereitung von und Auseinandersetzung mit Erfolgsfaktoren geblieben ist, sondern
dass die Umsetzung von konkreten Maßnahmen in den Strukturen und Abläufen der

4 Düsterhoff 2015, S. 75 ff.


5 Siehe stellvertretend für eine Reihe von CEOs die Äußerungen von Herrn Dr. Hubert Lienhard, Vor-
standsvorsitzender Voith AG (entnommen Kirstein 2009).
6 Alle Zitate sind entnommen von Happ-Frank 2009.
7 Düsterhoff 2015, S. 77
8 Vgl. auch Rigall/Röper 2007a.
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476  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Unternehmen intensiviert wurde.9 Es werden dabei ganz verschiedene unternehmensin-


terne Maßnahmen zur Verbesserung der PMI-Performance angewendet (vgl. Abb. 1).10
Diese Aufzählung zeigt eine Zusammenstellung der wichtigsten Maßnahmen aus Sicht
von für Integrationsvorhaben verantwortlichen Managern, die im eigenen Unterneh-
men bereits umgesetzt wurden.

Trifft voll Trifft Trifft Trifft


Maßnahme Indifferent
zu z.T. zu weniger zu nicht zu

1. Aufbau von internen PMI Spezialisten/Abteilungen 5 3


72 % 20 %
(Best Team) %%

2. Aufbau von Know-how-Datenbanken mit Methodiken 23 3


70 % 22 %
und Vorgehensweisen %%%

3. Interner Review der gewonnenen PMI Erfahrungen 5


40 % 26 % 19 % 10 %
(Lessons Learned) %

4. Austausch zwischen Unternehmen intensiviert


38 % 23 % 6% 24 % 9%
(Austausch)

5. Aufnahme von PMI-Modulen in die internen 3


30 % 38 % 15 % 14 %
Schulungs-/Führungskräfteentwicklungsprogramme %

Abb. 1: Wichtige unternehmensinterne Maßnahmen zur Verbesserung der eigenen PMI-Performance (Quelle:
Santiago Advisors Integration Survey Europe 2014)

Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Professionalisierungsgrad in vielen Unternehmen


stark zugenommen hat. Die oben zitierten geringen Erfolgsquoten sind unternehmensin-
tern offensichtlich nicht ohne Gegenmaßnahmen geblieben. Vielen Firmen gemein ist
die Forcierung des internen Knowledge Management zur reproduzierbaren Wissensauf-
bereitung und -speicherung. 67 % der befragten Integrationsmanager bestätigen, dass das
akkumulierte Integrations-Know-how in Form von angewandten Methoden, Vorgehens-
weisen und Tools in konzertierter Weise strukturiert in Datenbanken hinterlegt wurde.
Nur so kann gewährleistet werden, dass die gemachten Erfahrungen bei der nächsten
Integration schnell abrufbar und adaptierbar sind. Im Rahmen der im Laufe dieser Studie
durchgeführten Vertiefungsinterviews wurde schnell klar, dass die simple strukturierte
Ablage von Unterlagen nur ein erster, aber notwendiger Schritt sein kann. Oftmals wurde
die Laufzeit des Integrationsprojektteams explizit um zwei bis drei Monate verlängert,
um in einem strukturierten De-Briefing alle Unterlagen von den involvierten Anwendern
bezüglich Nutzen, Praktikabilität und Verbesserungsvorschlägen zu evaluieren.
Hier zeigt sich, dass der Übergang zu der zweiten Gruppe von umgesetzten Gegenmaß-
nahmen, nämlich die Durchführung von internen Reviews zu den gewonnenen PMI-Er-
kenntnissen, fließend ist. Diese Maßnahme geht aber weiter als eine reine Bewertung der

9 Vgl. wiederkehrende europaweite, branchenübergreifende Befragung von 112 Integrationsmana-


gern (Santiago Advisors 2014).
10 Santiago Advisors 2014, S. 7.
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen  |  477
Teil

Vorgehensweisen und ist am Ende ein viel bedeutenderer Inputgeber für die Ablage von
Informationen in den oben beschriebenen Know-how-Datenbanken als nur evaluierte
Projektunterlagen. Es geht vielmehr um eine selbstkritische Reflektion zwischen Integra-
tionsprojektteam und involvierten Unternehmensfunktionen, wie z. B. Finanzen, HR, IT,
Logistik, über die eigene Leistungsfähigkeit im Rahmen des Integrationsprojektes. Damit
Schwächen einerseits klar herausgearbeitet werden können und es andererseits nicht zu
internen Blockaden bzw. Eskalationen kommt, muss dieser Review in einem moderier-
ten Prozess durchgeführt werden. Methodisch kommen erfahrungsgemäß vor allem 360
Grad-Feedbacks, anonyme interne Befragungen der Integrationsbeteiligten und struktu-
rierte Feedback-Workshops zum Tragen. Dabei ist häufig eine neutrale Stabsfunktion, wie
z. B. die Unternehmensentwicklung oder das zentrale Controlling, je nach unternehmen-
sinterner Positionierung, Rolle, Ansehen und Erfahrung für diesen Prozess verantwortlich.
Durch das von der Finanzkrise ausgelöste stark reduzierte Transaktionsvolumen
fand in vielen Unternehmen eine Neuallokation der ehemals für Integrationsvorhaben
vorhandenen Experten statt. Hierdurch ist oft der in der Vergangenheit angesammelte
Erfahrungsschatz nicht mehr unmittelbar zugänglich und die Integrationsmethoden
teilweise aufgrund fehlender Projekte wieder verlernt worden. Mit ansteigender Trans-
aktionsintensität stehen diese Unternehmen nun vor der Herausforderung, das Wissen
und die anzuwendenden Methoden für die nächste Integration wieder zu reaktivieren.
Einige Unternehmen konnten oder mussten Integrationsvorhaben auch in und während
der Krise durchführen, weil das Closing kurz vor Ausbruch der Finanzkrise lag und
nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte oder sollte. Was sich vielleicht in man-
chen Fällen mittelbar negativ auf den zu zahlenden Kaufpreis ausgewirkt haben mag,
weil dieser im Laufe der Krise signifikant geringer ausgefallen wäre, war andererseits
ein Glücksfall für die unmittelbare Umsetzung von Lessons Learned aus vorangegan-
genen Zukäufen. So musste BASF die CIBA-Integration oder die Deutsche Bank die
Postbank-Integration in einem solchen Umfeld vollziehen.

2 Veränderte Anforderungen an das Integrations-


management
2.1 Veränderte Priorisierung von Integrationsaufgaben
Eine der wesentlichen Erkenntnisse aus der täglichen Beschäftigung mit Integrations-
prozessen in Unternehmen seit Mitte der 1990er Jahre ist, dass es sich um lernende
und offene Systeme handelt. An den Unternehmen sind die oben zitierten zahlreichen
theoretischen und empirischen Untersuchungen nicht spurlos vorbeigegangen. Sie haben
interne Maßnahmen eingeleitet, wie sie im vorangegangenen Kapitel beschrieben worden
sind (lernendes System). Letztlich waren es die Unternehmen, die als Objekte zahlreicher
Fallstudien und als Antwortgeber bei einer Vielzahl von Feldstudien die entscheidenden
Erfahrungen gemacht und die wesentlichen Informationen geliefert haben. Gleichzeitig
ändern sich die Umfeldbedingungen. Vor allem veränderte gesetzliche und regulatorische
Anforderungen verschieben Prioritäten in den Unternehmen und nehmen insbesondere
Einfluss auf die Prioritäten im Rahmen des Integrationsprozesses (offenes System).
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478  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Dies führt im Verlauf der Zeit zu Verschiebung von Prioritäten (vgl. Abb. 2). Bei
einer Befragung von Integrationsmanagern im Jahr 2007 waren deren Prioritäten da-
durch geprägt, dass es in den M & A-Boomjahren bis 2006/07 ein Bedürfnis gab, aus
den reichlich dokumentierten Fehlern und Erfahrungen zu lernen. Daher legten sie
im Schnitt eine hohe Priorität auf die Planung und Vorbereitung der Integration und
gaben dem Thema »frühzeitige Transparenz über das Kaufobjekt« eine hohe Wertung.
Gleichzeitig war die Absicht, das so gewonnene Mehr an Information in eine realisti-
schere Abschätzung der Synergiepotenziale zu investieren. Vor allem in den 2000er
Jahren wurden Synergieversprechen insbesondere bei börsennotierten Unternehmen
regelmäßig vor dem Hintergrund einer externen Begründung des Kaufpreises gemacht.
Sie beruhten weniger auf spezifischen Annahmen und Erfahrungssätzen, sondern wa-
ren vielmehr politisch gesetzt. Auch die Notwendigkeit einer intensiven Unterstützung
des Integrationsprozesses durch Change Management- und Kommunikationsprogramme
war 2007 tief ins Bewusstsein von Integrationsmanagern eingegangen. Zusammen mit
dem Thema Sicherstellung der Geschäftskontinuität sind v. a. diese Punkte fest in das
Standardrepertoire der Integrationsmanager aufgenommen worden.
Diese Weiterentwicklung darf aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Zei-
ten einer sehr positiven konjunkturellen Entwicklung eine Vielzahl von Zukäufen nur
sehr rudimentär integriert wurde. Aus Furcht, die Geschäftsentwicklung des Kaufob-
jekts am Markt und damit die versprochenen positiven Umsatzeffekte durch eine zu
intensive Anbindung in einen Konzernverbund zu gefährden, wurden viele Kaufobjekte
lediglich kaufmännisch angebunden (v. a. Berichterstattung, gesellschaftsrechtliche In-
tegration) und somit an das neue Mutterunternehmen nur angehängt. Bei einer »Integra-
tion Light«, wie sie etwa bei sehr unterschiedlichen Geschäftsmodellen zwischen Käufer
und Kaufobjekt oder zur Gewinnung eines neuen und überschneidungsfreien Marktseg-
mentes oft durchgeführt wurde, musste sich die Wertsteigerung in einem neuen Unter-
nehmensverbund zwangsläufig auf eine verbesserte Bereitstellung von Ressourcen oder
regionalen Markt- oder Kundenzugängen fokussieren. Neben diesen Sachargumenten
kamen allerdings oft auch politisch motivierte oder der dezentralen Führungskultur
eines Mutterunternehmens entspringende Erwägungen in das Entscheidungskalkül, die
schließlich zum »Andocken« und nicht zur intensiven Integration geführt haben.
Der enorme wirtschaftliche Druck auf die Unternehmenszukäufe, die in 2009 integ-
riert wurden, hat den Blick auf zwei Fragen gelenkt: In welchen Bereichen, die bislang
noch nicht vollständig integriert wurden können noch Synergien geschöpft werden?
Wie kann eine schnelle Synergierealisierung auf der Kosten- als auch auf der Markt-
seite ohne Zeitverluste11 ermöglicht werden? Die Integrationsmanager haben dabei die
frühzeitige Entscheidung und Kommunikation über die führungstechnische und orga-
nisatorische Einbindung in das neue Mutterunternehmen in den absoluten Vordergrund
gestellt. Wenn klar ist, welche Strategie und Vision mit dem Zukauf am Markt umge-
setzt werden soll, dann müssen schnell die organisatorischen Fragen des strukturellen
Aufbaus der Aufhängung und der Führung geklärt sein, um ebenso schnell mit klaren
Verantwortlichkeiten an die Hebung der Synergien auf der Markt- und Kostenseite gehen
zu können. So könnten die ersten drei Prioritäten der Integrationsmanager in 2009 in
ihrer inhaltlichen Vernetzung interpretiert werden. Dass dabei für Rücksichtnahmen
weniger Raum bleibt als bei einem einfachen Andocken, wird vor dem Hintergrund des
wirtschaftlichen Drucks in Kauf genommen.

11 Vgl. zu Beschleunigungsaspekten im PMI-Prozess Rigall/Röper 2007b.


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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen  |  479
Teil

2009 2014

1. Frühzeitige Entscheidung Führungs- 1. Frühzeitige Entscheidung Führungs-


und Organisationskonzept und Organisationskonzept [2009: 1]
2. Klare Vision und strategische Rationale 2. Fokus auf Synergien
für die Integration am Markt [neu]
3. Konsequente Synergie- 3. Klare Vision und strategische Rationale
realisierung für die Integration [2]
4. Intensive Kommunikation und 4. Steigerung der Marktperformance
kulturelle Integration des Kaufobjektes [neu]
5. Frühzeitige Transparenz über Kaufobjekt 5. Intensive Kommunikation und
und Planung der Integration kulturelle Integration [4]
6. Frühzeitige Transparenz über 6. Realistische Synergie-
HR-Systeme abschätzung [7]
7. Realistische Synergie- 7. Hohe Integrations-
abschätzung geschwindigkeit [8]
8. Hohe Integrations- 8. Konsequente Synergie-
geschwindigkeit realisierung [3]
9. Aufsetzen von gemischten 9. Aktives und frühzeitiges
Integrationsteams Risikomanagement [10]
10. Aktives und frühzeitiges 10. Frühzeitige Transparenz über Kaufobjekt
Risikomanagement und Planung der Integration [5]

Abb. 2: Sich verändernde Priorisierung von Erfolgsfaktoren im Management von Integrationen (Quelle: Santiago
Advisors Integration Survey Europe 2014, S. 9)

In 2014 schließlich wurde seitens der befragten Integrationsmanager der »Fokus auf
Synergien am Markt« bei Zukäufen als neue und gleichzeitig wichtige Priorität gesehen
und damit die Marktseite der Akquisitionsstory noch stärker betont. Dies lässt sich
unter anderem durch die oftmals deutlich gestiegenen Kaufpreise erklären, die in der
Folge eine noch ganzheitlichere Herangehensweise an die Integration erforderlich ma-
chen, um den maximal möglichen Wert aus der Akquisition zu generieren. Im gleichen
Zusammenhang ist auch die Priorisierung der »Steigerung der Marktperformance des
Kaufobjektes« zu sehen.
Nachdem also in 2007 die kontinuierliche Verbesserung der Akqusitionsprozesse im
Vordergrund stand, rückte 2009 die Klarheit im Führungs- und Organisationskonzept,
eine klare strategische Rationale und die konsequente Synergienrealisierung in den
Vordergrund. Nachdem diese Themen 2014 als »good integration practice« bereits ver-
innerlicht sind, liegen jetzt die Prioritäten bei Integrationen klar in der noch stärkeren
Betonung der Marktseite.

2.2 S chnelle Definition des gemeinsamen Führungs-


und Organisationskonzeptes
Wenn also die frühe Entscheidung und schnelle Kommunikation über das Führungs-
und Organisationskonzept für den Integrationserfolg mitentscheidend ist, so stellt sich
die Frage nach einem erprobten Vorgehen in diesem Themenfeld. Die nachfolgende
Abbildung zeigt hierzu ein prozessuales Vorgehen, bei dem zunächst das Kaufobjekt
aus dem Verkäufer-Unternehmen herausgelöst wird (Carve-out-Target). Anschließend
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480  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

ist sicherzustellen, dass die Führungsprinzipien (z. B. Richtlinien) des kaufenden Un-
ternehmens zügig Anwendung finden (Sicherstellung Governance). Schließlich findet
im dritten Schritt die eigentliche Integration der operativen sowie der administrativen
Service-Strukturen statt (Eigentliche Integration).

1. Carve-out-Target 2. Sicherstellung Governance 3. Eigentliche Integration

Alte Mutter Neue Mutter Neue Mutter Neue Mutter

Target
Target
Target

1
2

1 Operative Strukturen
2 Servicestrukturen

Abb. 3: Strukturelle Integration in drei Phasen (Quelle: Santiago Advisors 2014)

2.2.1 Herauslösung des Kaufobjekts (Carve-out)

Typischerweise erfolgt die strukturelle Integration in drei Schritten. Das Kaufobjekt


muss zunächst aus der Organisation des alten Mutterunternehmens herausgelöst wer-
den. Aus den Informationen des Data Rooms, den Ergebnissen der Due Diligence und
letztlich auch aus der Abgrenzung des Kaufobjekts ergibt sich eine erste, wenn auch
rudimentäre Informationslage. Auch die Analyse des Kaufvertrages kann stellenwei-
se Rückschlüsse auf die Aufstellung und Ausstattung des zu übernehmenden Unter-
nehmens(-teils) zulassen. Es werden nämlich typischerweise Übergangsservices (sog.
Transitional Services) definiert, die den herauszulösenden Unternehmensteil ab Tag
eins und dann für eine im einzelnen definierte Übergangszeit mit Dienstleistungen aus
dem alten Mutterunternehmen versorgt (IT Services, Standort Services etc.) und damit
funktionsfähig hält.
Im Rahmen des Carve-out-Prozesses versuchen Käufer darüber hinaus z. B. über
Clean Teams an zusätzliche Informationen, insbesondere auch über Organisation,
Standorte und Infrastruktur, zu gelangen, ohne wettbewerbsrechtlich sensible Bereiche
wie Kunden-, Lieferanten- und Preisinformationen zu tangieren. In diesem moderierten
Prozess werden sensible Daten in einer Pre-Closing-Phase unter Aufsicht von Juristen
beider Parteien ausgetauscht und aggregiert. Hierdurch kann der Informationsbedarf
des kaufenden Unternehmens für die Integrationsvorbereitung sehr effizient gestillt wer-
den. Neben diesem formalen Prozess ist es aber letztlich auch eine Frage der simplen
Bereitschaft des Verkäufers, rechtlich mögliche aber nicht verpflichtende Transparenz
über die Organisationsstrukturen des zu verkaufenden Unternehmensteils zu offenba-
ren. Insofern ist dem Käufer i. d. R. an einer positiven Atmosphäre im Verkaufsprozess
sehr gelegen.
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen  |  481
Teil

2.2.2 Sicherstellung von Governance und Führung

Auf Basis dieser ersten Organisationstransparenz gilt es, die Führungsfähigkeit des
neuen Unternehmensteils ab Tag eins des Eigentumsübergangs sicherzustellen. Die Go-
vernance-Funktionen müssen ab Tag eins gewährleisten, dass die Führungs- und Com-
pliance-Anforderungen der neuen Muttergesellschaft im neuen Unternehmensteil erfüllt
wirden: Wie werden Berichterstattungspflichten ab Tag eins erfüllt? Welche Buchhal-
tungs- und Publizitätsgrundsätze gelten? Wie wird die Finanzierung und Liquidität der
übernommenen Gesellschaften von Tag eins an sichergestellt? Welche Richtlinien sind
zu beachten?
Im Hinblick auf die Einbindung in die Führungs- und Organisationsstrukturen des
neuen Mutterunternehmens sind insbesondere folgende Richtlinien von entscheidender
Bedeutung: Führungsgrundsätze und -werte, Verhaltenscodex (Code of Conduct) und
Unterschrifts- und Vertretungsregelungen. Da ab Tag eins die Eigentümerfunktion und
damit die Haftung auf das neue Mutterunternehmen übergeht, muss gleich zu Beginn
gewährleistet sein, dass Führungs-, Verhaltens-, Vertretungs- und Verantwortungsrah-
men den Führungskräften bereits in Vorbereitung auf Tag eins oder spätestens mit dem
Eigentumsübergang top-down vermittelt wurden. Hierzu wird meistens zum Auftakt
der Integration eine Versammlung der Top 3-Führungsebenen des neuen Unterneh-
mensteils genutzt, um diese wichtigen Inhalte persönlich zu vermitteln. Regelungen,
z. B. zu verschärften Arbeitssicherheitsregeln, strengeren Normen für Risikogeschäfte
oder solchen in bestimmten Ländern, oder einfach auch eine andere Wahrnehmung
kaufmännischer Zusagen (Finanzierung, Zahlungsziele etc.) können das operative Ge-
schäftsgebaren im neuen Unternehmensteil erheblich beeinflussen. So ist die Schließung
von Produktionsstandorten oder -linien in der ersten Woche nach Eigentumsübergang
keine Seltenheit, weil Arbeitsschutzbestimmungen oder Arbeitssicherheitskontrolle in
unterschiedlichen Unternehmen auch unterschiedlich ausgelegt werden und die Sorge
vor Image- und potenziellen finanziellen Schäden ganz unterschiedlich gewichtet wird.
Bei der Kommunikation dieser Regelungen kann es aber nicht bleiben. Es schließen sich
kaskadierend weitere Informations- und in der Folge Schulungsveranstaltungen an, um
sicherzustellen, dass einerseits allen Führungsebenen die Regelungen des neuen Mutter­
unternehmens sachgerecht vermittelt werden, aber andererseits auch die Anwendung
dieser Regelungen eingeübt wird.
Sind die Grundlagen des Führungsverhaltens und der Verantwortungsinhalte zur
Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des fortzuführenden Geschäftes grundsätzlich
geklärt, ist die formale Einordnung der neuen Funktionen und damit auch deren Funk-
tionsträger in die Führungsebenen des neuen Mutterunternehmens von entscheidender
Bedeutung. Zunächst einmal stellt sich unabhängig von der Integrationsphilosophie für
operative und funktionale Bereiche, die in Abschnitt 2.2.3 besprochen wird, die Frage
nach der Einordnung in die Managementstruktur des neuen Mutterunternehmens und
damit die Festlegung der zukünftigen Managementebene und der daraus abzuleitenden
Rahmenbedingungen für die neue Führungskraft: Verantwortungsumfang, Gehaltshöhe
und -system, weitere Arbeitgeberleistungen und Ausstattung.
Führungskräfte, die über einen Zukauf in ein neues Unternehmen übergehen, stellen
sich oft drei Kernfragen: Wer wird der neue Chef? Wie sehen die Verdienstmöglichkeiten
aus? Und welche Aufstiegs- und Entwicklungsperspektiven bieten sich? Ein in den aller-
meisten Unternehmen vorhandenes Grading-System hilft, eine formalisierte, kriterienge-
stützte Antwort auf die Frage nach der Wertigkeit einer Position und eines Stellenprofils
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482  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

zu finden. So ergibt sich aus der Evaluierung der zukünftigen Managementebene für
den Stelleninhaber aus dem zugekauften Unternehmensteil Klarheit über das für ihn
geltende Vergütungssystem, darüber hinausgehende Incentives und das neue Zielver-
einbarungssystem. Durch dieses formale Verfahren findet sich eine Führungskraft sehr
kurzfristig – vielleicht auch zunächst einmal interimistisch – in der Führungsorganisa-
tion des neuen Mutterunternehmens wieder.
Dieser formale Prozess ist allerdings sehr intensiv durch kommunikative Maßnah-
men und persönlicher Führungs- und Coachingarbeit der Führungsverantwortlichen des
neuen Mutterunternehmens zu flankieren: Es gilt gerade bei den Integrationsvorhaben,
in denen erhebliche Größen- oder Führungskulturunterschiede zwischen zugekauftem
und kaufendem Unternehmen bestehen, den Integrationsschock von z. B. weitgehenden
unternehmerischen Freiheiten in einer mittelständischen Struktur zu dem empfundenen
Untergehen in einer undurchsichtigen Konzernstruktur mit stark einengenden Regulari-
en zu mildern bzw. aktiv zu begleiten. Je besser vorbereitet die neuen Führungskräfte
in den Integrationsprozess gehen und je besser die neuen Verantwortungs- und Gestal-
tungsbereiche persönlich aufgezeigt und erläutert werden und im Folgenden durch ein
persönliches Coaching durch Topführungskräfte begleitet werden, umso höher wird
der Integrationserfolg. Wichtig ist, dass diese Transparenz sehr frühzeitig geschaffen
wird, damit sich die neuen Führungskräfte von Beginn an mit der neuen Situation ak-
tiv auseinandersetzen können. Und je aktiver die Integrationsverantwortlichen poten-
zielle persönliche »Barrieren« aufgrund der neuen Struktur und Kultur bei den neuen
Führungskräften antizipieren, Argumentationen liefern und Vorteile darstellen, desto
reibungsfreier kann die »persönliche« Integration erfolgen. Hierdurch wird auch ein
positiver Einfluss auf die Rate ungewollter Abgänge solcher Führungskräfte erzielt.

2.2.3 Strukturelle Integration

Bei der strukturellen Integration des zugekauften Unternehmensteils lassen sich zwei
Dimensionen unterscheiden. Einerseits soll das zugekaufte operative Geschäft werts-
teigernd in das existierende Setup eingegliedert werden, andererseits müssen die im
zugekauften Unternehmensteil enthaltenen Servicefunktionen möglichst gebündelt und
in vorhandene Strukturen überführt werden.

2.2.3.1 Integration der operativen Strukturen

Grundsätzlich durchläuft die Integration der operativen Strukturen sechs Schritte (vgl.
Abb. 4). Ausgangspunkt einer jeglichen organisatorischen Weiterentwicklung und so-
mit auch im Rahmen eines Integrationsprozesses ist die Strategie des gemeinsamen
Portfolios von Geschäftsaktivitäten: Wo liegt und wie hoch ist das gemeinsame Wachs-
tumspotenzial am Markt? Wie sieht die gemeinsame Position am Markt aus? Wie muss
das gemeinsame Unternehmen grob dimensioniert werden, um die bei der Kaufent-
scheidung definierten finanziellen Akquisitionsziele zu erzielen (ROI, RONA etc. bei
Berücksichtigung des Kaufpreises bzw. bilanziell zu verarbeitenden Goodwills). Ganz
wesentlicher Input für die Strukturdiskussion in den marktnahen Funktionen ist die
Festlegung der gemeinsamen Produkt-, Kunden- und Vertriebskanalportfolios. Über die
Definition der anzuwendenden Geschäftsmodelle sind schließlich alle wesentlichen An-
forderungen an die Strukturorganisation definiert: Von der notwendigen Marktperfor-
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mance über die Profitabilitäts- und Wachstumsziele bis hin zu Produkten, Zielkunden
und grundlegenden Abwicklungskonzepten. Eine Integration der operativen Strukturen
endet aber typischerweise nicht bei der reinen Strukturorganisation, sondern muss noch
das zukünftige Standortkonzept und die Synergien umfassen.

• Entwicklung strategische Ableitung zukünftige Marktpotenziale


1 Strategie • Ableitung der gemeinsamen Marktposition
• Top-down-Dimensionierung abgeleitet aus Akquisitionszielen
• Aufbau gemeinsames Produktportfolio
2 Portfolio • Aufbau gemeinsames Kundenportfolio
• Aufbau gemeinsames Vertriebskanalportfolio

Geschäfts- • Definition Kundeninteraktion/-mehrwert


3
modell • Definition Backend-Modell

• Definition globaler/regionaler Footprint


Business
4 • Definition Führungsstruktur
Organisation
• Definition Geschäftseinheiten und Vertriebsstrukturen
• Ableitung Konsequenzen aus zukünftigem Produktportfolio
Standort-
5 • Abschätzung zukünftiger Produktionsmengen
konzept
• Definition zukünftiges Standortnetzwerk

• Definition Prozesssynergien
6 Synergien
• Definition Struktursynergien

Abb. 4: Ganzheitliches Vorgehen bei einer strukturellen Integration von operativen Einheiten (Quelle: Santiago
Advisors)

Wesentliche Weggabelung bei der Entscheidung über Vorgehen und Ziel einer Zusam-
menführung bzw. Eingliederung von Organisationsstrukturen ist der Integrationstypus:
Handelt es sich um eine »Scale«- oder »Scope«-Integration? Auch wenn bei beiden Inte-
grationstypen die in Abb. 4 beschriebenen sechs Schritte zu durchlaufen sind, unter-
scheiden sich Ziel und Vorgehen im Detail.12
Entscheidend bei dieser Unterscheidung zwischen Scope und Scale ist die Frage, ob
der zugekaufte Unternehmensteil oder deren Geschäftseinheiten in identischen Markt-,
Kunden-, Produkt-, Regional- oder Vertriebskanalsegmenten tätig sind, also große Über-
schneidungen im Markt existieren. Ist dies der Fall, so führt die Integration des Zukaufs
zu einer Erhöhung der Marktbedeutung in dem jeweiligen Segment (Scale). Handelt es
sich dagegen um ein neues, weitgehend überschneidungsfreies Segment, so verbreitert
sich die Anzahl der abgedeckten Marktsegmente (Scope).
Bei einer Scale-Integration muss das strukturelle Konzept der Zielsetzung Rechnung
tragen, dass die Zusammenführung der auf dem gleichen Segment arbeitenden Ressour-

12 Beispielhaft für die Organisationsentwicklung von BASF siehe Thomaschewski/Rigall 2007.


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484  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

cen und Produkte aus beiden Unternehmen zu einer höheren Markt- und Kundenpene-
tration bei gleichzeitiger erhöhter Effizienz führt.
Die genaue Stoßrichtung wird in Schritt eins »Strategie« festgelegt. Gleichzeitig muss
das erweiterte Produkt- und Serviceportfolio ohne Doppelungen gestaltet werden. Aus-
gehend von einer Neudefinition des gemeinsamen Produkt- und Serviceportfolios und
der gleichzeitigen Festlegung der zukünftigen Besetzung von Vertriebskanälen (z. B.
Wechsel von Händlervertrieb auf Direktvertrieb aufgrund des jetzt verbesserten Poten-
zials in bestimmten Regionen oder vollständige Übernahme der zugekauften Produkte
durch den Vertrieb des Mutterkonzerns und Abbau der zugekauften Vertriebsorgani-
sation) sind wesentliche Eingangsdaten für die Neuaufstellung der operativen Orga-
nisationseinheiten festgelegt. Je nach Überschneidungsgrad und Marktsituation bzw.
-potenzial (z. B. Zukauf führt zur Marktbereinigung mit relativ geringem Wachstum-
spotenzial) ist der Übergang zwischen notwendiger Effizienzsteigerung und einschnei-
dender Restrukturierung fließend. Hierauf muss die Gestaltung des Geschäftsmodells in
Schritt vier Rücksicht nehmen: Wie kann z. B. angesichts starker Überschneidungen in
einem gering wachsenden Segment ein »Low Cost«-Geschäftsmodell aussehen, das dem
strategischen Ziel der Kostenführerschaft folgt und gleichzeitig die neue Marktposition
für eine verstärkte Preisführerschaft nutzt?
Neben den oben beschriebenen Anforderungen aus Strategie, Portfolio und Ge-
schäftsmodell stellen auch die Organisationsgrundsätze des neuen Mutterunternehmens
wesentliche Anforderungen an die zukünftige Organisation der operativen Einheiten
der zugekauften Unternehmensteile. Typische Organisationsgrundsätze eines Mutter-
unternehmens, die es zu beachten gilt, sind z. B.:
• Stammhaus- vs. Holdingunternehmen,
• Organisation nach Regionen, Kunden(-Industrien), Produkte,
• Dezentralität vs. zentraler Führungsanspruch.

Wenn es bei einem Zukauf in bekannten, sich überschneidenden Marktsegmenten im


Schritt eins »Strategie« nicht zu einer grundsätzlichen Redefinition des gemeinsamen
Marktauftritts kommt, so werden bei einer solchen Scale-Integration i. d. R. die Organi-
sationsprinzipien des Mutterunternehmens für die Geschäftsstrukturen des zugekauften
Geschäftes übernommen. In Schritt zwei wird der gemeinsame Zuschnitt des zukünfti-
gen Produkt-, Kunden- und Vertriebskanalportfolios definiert. Diese Portfolios werden
in Abhängigkeit des Überschneidungsgrades dergestalt segmentiert, dass die entste-
henden marktorientierten Teilsegmente von den einzelnen Vertriebs-, Marketing- und
Entwicklungseinheiten effizient und in der Kundenwahrnehmung mehrwertorientiert
bearbeitet werden können. Das Vorgehen lautet also: Produkt-, Kunden- oder Vertriebs-
kanalsegmente werden auf Organisationseinheiten gespiegelt und zwar so, dass diese
Segmente von der neu geschaffenen Einheit hocheffizient und den Markt- und Kunden-
anforderungen entsprechend bearbeitet werden können. Ob dies in autonom agieren-
den Geschäftseinheiten oder in an das Stammhaus angegliederten Vertriebseinheiten
geschieht, hängt dabei von den Organisationsprinzipien des Mutterunternehmens ab.
Dass von solchen Prinzipien auch abgesehen werden muss, wird v. a. bei Scope-Inte-
grationen deutlich. Dies sind solche Integrationsvorhaben, die dadurch gekennzeichnet
sind, dass ein neues Geschäft zugekauft wurde, welches bislang noch nicht im Portfolio
war. Auch dieser Integrationstypus durchläuft die in Abb. 4 zusammengefassten sechs
Schritte; allerdings mit grundlegend anderen Ergebnissen. Typischerweise zeigen sog.
»Add-on«-Zukäufe eine ganz andere Marktdynamik als die angestammten Märkte, die
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen  |  485
Teil

bereits bearbeitet werden. Oftmals handelt es sich um Wachstumsmärkte, in die be-


wusst investiert werden soll, die aber auch dem neuen Mutterunternehmen ein völlig
neues Produkt- und Kundenportfolio zuführen. Solche Investments sind insbesondere
bei angestammten Industriekonzernen in ihrer Suche nach neuen zukunftsfähigen und
wachstumsträchtigen Geschäftsfeldern zu beobachten (z. B. Kauf des Solarunterneh-
mens Ersol durch den Technologiekonzern Bosch).
Diese Unternehmen verfügen zumeist auch über ein andersartiges Geschäftsmodell,
das sich oftmals in wesentlichen Teilen vom angestammten Weg zur Wertschöpfung
unterscheidet. Insofern besteht für das neue Mutterunternehmen die Herausforderung
darin, in den Schritten eins bis drei, also von der Strategie über das Portfolio bis hin
zum Geschäftsmodell, viel über den neuen Unternehmensteil und seinen andersartigen
Markt zu lernen, um dann die richtigen Entscheidungen im Hinblick auf die strukturelle
Eingliederung zu treffen. Grundsätzlich hängt die Eingliederungslogik nach vorliegen-
den Untersuchungen13 einerseits von der Veränderungsdynamik und andererseits von
der strategischen Ausrichtung des Unternehmens ab. Je stärker der Veränderungsgra-
dient sich zwischen Stammgeschäft und akquirierten Geschäft unterscheidet und je
mehr neue Wachstumsfelder als große eigenständige Geschäftsfelder durch Akquisition
entwickelt werden sollen, umso stärker muss die organisatorische Trennung bei der
organisatorischen Integration verfolgt werden.
Es lassen sich drei grundlegende Eingliederungsmöglichkeiten zwischen effizienz-
und innovations- bzw. wachstumsgetriebenen Geschäften unterscheiden (vgl. Abb. 5).14

Räumliche Trennung Parallelorganisation Integrierte Netzwerke

CEO CEO CEO

Neue, innovative
Geschäftsfelder

Alte Neue, innovative Alte Neue, innovative


Geschäftsfelder Geschäftsfelder Geschäftsfelder Geschäftsfelder
Alte
Geschäftsfelder

Abb. 5: Organisatorische Alternativen zur strukturellen Integration operativer Einheiten bei Scope-Erweiterungen
(Quelle: In Anlehnung an Gomez et al. 2007)

Handelt es sich bei dem zugekauften Geschäft um ein völlig neues Geschäftsmodell, das
keine oder nur geringe Synergien mit den Kunden, Produkten oder Vertriebskanälen der
angestammten Geschäfte hat, sondern im Gegenteil eine ganz andere Flexibilität am
Markt und in den internen Systemen (IT, HR etc.) erfordert, dann sollte das zugekaufte
Geschäft separat aufgestellt werden (Abb. 5: Alternative »Räumliche Trennung«). Die
wesentliche Herausforderung bei diesem Modell besteht in vielen Konzernen darin,

13 Vgl. stellvertretend Gomez et al. 2007.


14 Beispiele zu disruptiven Innovationen vgl. Hotz et al. 2007.
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486  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

zunächst einmal eine solche Andersartigkeit überhaupt zuzulassen und zu akzeptieren,


dass bezogen auf das Geschäftssystem andere Regeln gelten sollen (z. B. IT-Umfeld,
Gehaltsstrukturen, Zahlungsziele). Darüber hinaus ist im Rahmen der Weiterentwick-
lung der Unternehmensorganisation darauf zu achten, wo gemeinsame Synergien liegen
könnten, z. B. in Effizienzbereichen wie Einkauf, Standorte etc., oder aber wie das an-
gestammte Geschäft von neuen Methoden und Erfahrungen des Wachstumsgeschäftes
lernen kann.
Handelt es sich bei dem zugekauften Geschäft dagegen um ein Geschäft, das noch
zu embryonal ist, um separat aufgestellt zu werden, und können die angestammten
Geschäfte in der Weiterentwicklung z. B. für die bestehenden Technologien und Märkte
lernen, dann dient das zugekaufte Geschäft als Katalysator für angestammte Geschäfte
und sollte als sog. Parallelorganisation aufgestellt werden (Abb. 5: Alternative »Parallel­
organisation«). Bei einer gleichsam projektmäßigen Zurverfügungstellung von neuen
Technologien, Geschäftsmodellen, Marktzugängen etc. durch ein zugekauftes Unterneh-
men muss die Wertsteigerung klar allokiert und gemessen werden: War das zugekaufte
Geschäft in der Tat lediglich ein Katalysator und geht es langfristig in den bestehenden
Strukturen auf, oder muss darauf geachtet werden, dass trotz Synergieschöpfung ein
eigenständiger Wertbeitrag des zugekauften Geschäfts mit der aus den Märkten abge-
leiteten Dynamik auch langfristig erzielt wird?
Handelt es sich schließlich um zugekaufte Geschäfte, die insbesondere dadurch
wachsen müssen, dass sie die Marktzugänge und Infrastruktur vorhandener Geschäfte
nutzen, so wäre auch ein integriertes Netzwerk als Organisationsform denkbar (Abb. 5:
Alternative »Integrierte Netzwerke«). Herausforderung bei jeglicher Matrixform ist die
genaue Verantwortungszuweisung und Leistungsmessung an den Schnittstellen.

2.2.3.2 Integration der Servicestrukturen

Sehr viel stringenter vollzieht sich häufig die Integration der Servicestrukturen. In der
Regel werden Zukäufe nicht mit der Übernahme von internen Services begründet, son-
dern es sind die Services, die standardmäßig einen wesentlichen Bestandteil der Wirt-
schaftlichkeitsrechnung bei der Kaufpreisdefinition im Vorfeld des Kaufs ausmachen.
Während die Quantifizierung von Marktsynergien typischerweise schwer fällt, fällt die
Stoßrichtung bei Services eher leicht: Es lassen sich x % der heutigen Kosten beim Ziel­
unternehmen reduzieren, wenn die internen Dienstleistungen durch die heute bereits
existierenden Servicestrukturen erbracht werden können. Daher stehen die Services in
den allermeisten Fällen unter der Maxime der Effizienz.
Zu Beginn der Integration, nämlich in Phase eins und zwei der strukturellen Integra-
tionslogik (vgl. Abb. 3), stehen aber nicht die Effizienz, sondern die reine Funktionsfä-
higkeit und Führbarkeit des neuen Unternehmensteils im Vordergrund. Beim Carve-out
des Targets und bei der Sicherstellung der Governance- und Führungsstrukturen geht
es lediglich um das Andocken. Der Fahrplan für die weitere Integration von übernom-
menen Servicefunktionen wird im Folgenden durch zwei Aspekte bestimmt: Welche
Übergangsservices (vgl. auch 2.2.1) müssen bis wann vom alten Mutterunternehmen
abgelöst werden, und in welche, bereits existierende, Servicestruktur des neuen Mutter­
unternehmens soll integriert werden?
Praktische Erfahrungen zeigen, dass in der strukturellen Integration zwar alle Funk-
tionsträger des neuen Mutterunternehmens gerne mit gleicher Intensität und in bester
Absicht die Integrationsarbeit für ihren Verantwortungsbereich aufnehmen wollen, dass
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen  |  487
Teil

es aber eigentlich um eine klare Priorisierung geht. Um Tag eins herum stehen Liquidi-
tät, grundlegende Geschäftsabläufe und unmittelbare Risiken im Vordergrund. Es sind
also i. d. R. Funktionen wie Finanzen, IT15 und – bei sicherheitsrelevanten Produktions-
unternehmen wie z. B. in der Chemie – auch die Umwelt- und Sicherheitsabteilungen,
die gleich zu Beginn sehr intensiv in die funktionale Integration eingebunden werden.
Ist das erste Andocken an das neue Mutterunternehmen vollzogen, dann stellt sich
nicht wie bei der Integration operativer Einheiten die Frage nach Scale oder Scope.
Services sind i. d. R. immer Scale, d. h. es gilt sie in bestehende Strukturen des neuen
Mutterunternehmens aufgehen zu lassen. Das Integrationsvorgehen hängt somit von der
existierenden Organisationsform für die einzelnen Servicefunktionen im neuen Mutter-
unternehmen ab. Es wird zwischen Funktionen, die als Shared Services organisiert sind
(wie oftmals Finanz- und Buchhaltungsservices, transaktionale HR Services, Einkaufs-
oder IT Services), und solchen, die einer reinen Zentral- vs. Dezentral-Aufstellungslogik
folgen, unterschieden.
Die Integration in Shared Service-Strukturen folgt i. d. R. einer klaren Aufgaben-
teilung, die definiert, welche (Teil-) Prozesse in Zukunft zentral und welche (Teil-)
Prozesse weiterhin dezentral durchgeführt werden. Diese Aufgabenteilung wurde be-
reits beim Aufbau des Shared Service-Centers verwendet und ist somit erprobt. Auch
die projektmäßige Übernahme von Services ist i. d. R. ein eingeübtes und standardi-
siertes Vorgehen. Gleichzeitig wird so weit wie möglich versucht, bei der Übernahme
von Serviceprozessen den bereits existierenden Standards des neuen Mutterkonzerns
unmittelbar Gültigkeit zu verschaffen. Diese Standardisierung ist der größte Beitrag
zur Effizienzsteigerung und Qualitätssicherung in den Serviceprozessen. Sie ist aber
auch, wie der Integrationsalltag zeigt, eine Herausforderung für das Integrationsma-
nagement – insbesondere immer dann, wenn es sich um mitbestimmungsrelevante bzw.
arbeitnehmervertreterrelevante Regelungsinhalte handelt (z. B. bei der Änderung von
HR IT-Systemen) oder wenn bestimmte geschäftsmodellabhängige Abweichungen vom
Standard zugelassen werden sollen (z. B. beim Kundenkreditmanagement).
Die Integration in solche Servicefunktionen, die nicht bereits in Shared Services orga-
nisiert sind, erfolgt nach der vorliegenden Zentral- vs. Dezentral-Aufstellungslogik, die
im neuen Mutterunternehmen bereits Anwendung findet. Welche Aufgabenvolumina
müssen dezentral an zugekauften Standorten wahrgenommen werden? Können diese
Aufgaben durch vorhandene dezentrale Strukturen (z. B. an existierenden Standorten
des neuen Mutterunternehmens) übernommen werden (z. B. typischerweise bei Service-
funktionen wie Kommunikation, Recht/Steuern/Versicherungen, Einkaufsdisposition)?
Was kann zentral erledigt werden? Im Ergebnis werden ein Großteil der übernommenen
Serviceaufgaben durch vorhandene Strukturen übernommen und die entsprechenden
Servicekapazitäten zur Schöpfung von Synergien bis auf ggf. verbleibende lokale Auf-
gabenerfüllung weitgehend abgebaut.

15 Zu den spezifischen Anforderungen der IT-Integration vgl. Rigall/Hornke 2007.


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488  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

3 Zusammenfassung
Die strukturelle Integration gewinnt immer mehr an Bedeutung. Befragungen und Ex-
perteninterviews zeigen, dass eine schnelle Orientierung und organisatorische Rich-
tungsvorgabe für die erfolgreiche Integration eines zugekauften Unternehmensteils mit
entscheidend ist. Einerseits suchen die neuen Führungskräfte und Mitarbeiter nach
Orientierung, wo sie sich im neuen Mutterunternehmen wiederfinden und was die Ver-
änderung für sie persönlich an Vor- und Nachteilen mitbringt. Ein Hinauszögern – so
die Empirie – führt zu noch größerer Verunsicherung und oftmals zu einem übermä-
ßigen Verlust von Leistungsträgern. Nur wenn klar ist, warum und wo ein Mitarbeiter
integriert wird, kann die Change Management-Arbeit gezielt und konkret beginnen.
Darüber hinaus wird dadurch auch die Funktionsfähigkeit des operativen Geschäftes
gefördert. Verunsicherung darüber, was, wer, wann entscheiden darf und wie das in
die Strategie, die Philosophie oder das Geschäft des neuen Mutterunternehmens passt,
wird vermieden.
Bei der strukturellen Integration ist zu beachten, dass sie drei Phasen durchläuft, die
ganz unterschiedliche Anforderungen erfüllt: (1) Herauslösung des Kaufobjekts (Car-
ve-out), (2) Sicherstellung der Governance und (3) strukturelle Integration. Geht es zu
Beginn insbesondere um die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit und Führbarkeit, so
steht bei der strukturellen Integration die Schöpfung von Markt- und Kostensynergien
im Vordergrund. Bei der Integration operativer Einheiten ergeben sich ebenfalls unter-
schiedliche Vorgehensweisen, die davon abhängig sind, ob es sich um bekannte oder
neu zu integrierende Geschäftsfelder handelt (Scale oder Scope). Handelt es sich bei
dem zugekauften Geschäft um ein völlig neues Geschäftsmodell mit anderen Kunden,
Produkten oder Vertriebskanälen, das eine ganz andere Flexibilität am Markt und in
den internen Systemen (IT, HR etc.) erfordert, dann sollte das zugekaufte Geschäft
separat aufgestellt werden.

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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen  |  489
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490  | 
Teil

Post Merger Disputes: Vermeiden, vorbereiten,


erfolgreich gestalten
Christoph Schalast*

Bisher hört man in der Öffentlichkeit wenig von Post Merger Rechtsstreitigkeiten bzw.
Disputes. Hintergrund hierfür ist, dass die Transaktionsbeteiligten in der Regel an
Vertraulichkeit interessiert sind und – wenn es zu unvermeidbaren Konflikten kommt
– oftmals Schiedsgerichte den staatlichen Gerichten mit ihrem Öffentlichkeitsprinzip
vorziehen. Doch natürlich gibt es davon auch spektakuläre Ausnahmen, insbesondere
wenn die öffentliche Kommunikation eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Ein gutes
Beispiel hierfür sind etwa die bis heute anhaltenden Auseinandersetzungen um die
Übernahme der Anteile des französischen Staatskonzerns EdF an EnBW durch das
Land Baden-Württemberg. Einmal abgesehen von der eher staatsrechtlich interessanten
Frage der Zustimmungspflicht des Landtags, steht insbesondere der Kaufpreis, seine
Ermittlung und Prüfung im Rahmen einer Fairness Opinion sowie der Zugang zu In-
formationen im Rahmen eines Public Take Over im Streit. Ein anderer öffentlicher Fall
war etwa das Tauziehen um das deutsche Traditionsunternehmen Loewe im Frühjahr
2014, einer der wenigen verbliebenen »nationalen« TV-Hersteller. Bei dem damals un-
ter Eigenverwaltung stehenden Unternehmen hatte die Panthera Gruppe zunächst eine
Übernahme zugesagt. Als diese dann scheiterte, wurden erhebliche Schuldzuweisungen
sowie »Drohungen« des Loewe Managements öffentlich, wegen des geplatzten Deals
Erfüllungs- beziehungsweise Schadenersatzansprüche in erheblichem Umfang geltend
zu machen.
All dies zeigt: Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien nach Signing beziehungs-
weise Closing nehmen zu. Und die Ursachen hierfür sind vielfältig, meist sind sie bereits
angelegt im Unternehmenskaufvertrag. Zu nennen sind zunächst die in der Finanzkrise
populärer gewordenen Kaufpreisanpassungsklauseln sowie Earn-out-Strukturen. Auch
wenn man sich auf eine Methode der Unternehmensbewertung, sei es Substanzwert,
Ertragswert oder Discounted Cash Flow geeinigt hat, gibt es doch vielfältige Möglich-
keiten, diesen zu beeinflussen. Gerade bei Earn-out-Strukturen kommt hinzu, dass nach
dem Closing der Informationsfluss vom Käufer gesteuert wird. Wenn nicht mit klaren
Begriffen und Abläufen gearbeitet wird, ist dies ein Einfallstor für eine streitige Ausein-
andersetzung. Gegebenenfalls ist es sinnvoll, sich bereits im Unternehmenskaufvertrag
auf einen bestimmten Gutachter zu einigen.
Hinzu kommt ein Faktor, der bereits seit einigen Jahren bekannt ist: bei vielen
Käufern stellt sich alsbald nach dem Closing Dinner und den entsprechenden Presse­
mitteilungen eine gewisse Kaufreue ein, z. B. weil die im Vorfeld berechneten Synergien
nicht, beziehungsweise nicht im vorgesehenen Zeitraum, umgesetzt werden können.
Gerade bei Unternehmenskäufen durch strategische Investoren dokumentieren Studien

* Prof. Dr. Christoph Schalast, Rechtsanwalt & Managing Partner, Schalast & Partner Rechtsanwälte, Acade-
mic Director M & A, Frankfurt School of Finance and Management, Frankfurt a. M.
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Standpunkt – Post Merger Disputes: Vermeiden, vorbereiten, erfolgreich gestalten  |  491


Teil

immer wieder, dass signifikant mehr Transaktionen unter ökonomischen Gesichtspunk-


ten scheitern, als dass sie erfolgreich sind. Auch insoweit können im Vertrag angelegte
Kaufpreisanpassungsmechanismen ein Einfallstor für eine nachträgliche Kaufpreisre-
duktion sein. Zudem gilt es nicht mehr als Makel, sich nach einer Transaktion gericht-
lich oder außergerichtlich zu streiten, dieses in der Vergangenheit geltende unausge-
sprochene Gentleman Agreement bei M & A-Akteuren ist nicht mehr in Kraft. Manche
Investoren gehen inzwischen sogar so weit, nachträgliche Kaufpreisreduktionen durch
Androhung oder Initiierung von Post Merger Disputes in ihr Business Modell einzu-
planen.
Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung für die vertragliche Gestaltungspra-
xis? Zunächst gilt es zu entscheiden, ob man die staatlichen Gerichte im Falle eines
Post Merger Disputes einschalten möchte oder aber auf ein (privates) Schiedsgericht
zurückgreifen will. Dabei sind die Vor- und Nachteile genau abzuwiegen: Bei staat­
lichen Gerichten steht der regelmäßig geringere Kostenaufwand für das Gericht und
die gegnerischen Rechtsanwälte (die eben nicht nach ihrem tatsächlichen Aufwand auf
Stundenbasis, sondern nach Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) oder vergleichbaren
nationalen Regelungen abrechnen darf) der oftmals fehlenden Kompetenz für Sale and
Purchase Agreements (SPA) bzw. Unternehmenskaufverträge und ihre speziellen Klau-
seln sowie die (meist) englische Vertragssprache gegenüber. Wenn man sich unter den
Gesichtspunkten Dauer der Streitigkeit, Instanzenzug und Effizienz für ein Schiedsge-
richt entscheidet, stehen dafür zahlreiche Alternativen zur Verfügung.1 Weiter stellt sich
dann die Frage, ob man nicht in der Schiedsklausel Kostenbegrenzungen andenkt, denn
die Gebührenerstattung im Schiedsverfahren kann den fünffachen RVG-Satz oder noch
mehr umfassen. Interessant ist des Weiteren, dass inzwischen sehr viel mehr Urteile der
staatlichen Gerichte zu M & A-Transaktionen bekannt werden.2 Exemplarisch ist in die-
sem Zusammenhang etwa eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Hamburg vom
13.03.2015 (315 O 89/13), wo sich die Kammer mit einer Reihe von (englischsprachigen)
Begriffen in einem SPA sowie den Pflichten von Käufer (Due Diligence sowie Verpflich-
tung zur Nachfrage aufgrund eigener Erfahrung) versus den Pflichten des Verkäufers
(Offenlegung) auseinandersetzt.3
Das nächste wichtige Einfallstor für Post Merger Disputes sind die Kaufpreisgaranti-
en. Vor und während der Transaktion wurden von allen Beteiligten meist enorme Res-
sourcen mobilisiert, um das Zielunternehmen im Rahmen einer Due Diligence zu durch-
leuchten und auf dieser Grundlage einen Vertragsentwurf mit einem ausgewogenen
Gewährleistungskatalog zu entwickeln. Folgerichtig ist es von besonderer Bedeutung,
die Gewährleistungen präzise sowie die Form ihrer Geltendmachung und gegebenen-
falls die dafür zugestandene Frist zu regeln. Des Weiteren ist es aber auch notwen-
dig, im Vertrag klar abzubilden, welche Informationen offengelegt wurden sowie das
Due Diligence Team bei Verdachtsmomenten anzuhalten, entsprechend nachzufragen.
Vielleicht noch wichtiger ist es aber, die mit dem Vertragscontrolling auf Käufer- und
Verkäuferseite betrauten Personen entsprechend zu briefen, damit es nicht zu Verfris-
tungen oder Rechtsverlusten kommt. Spezialisierte Beratungsunternehmen bieten neu-
erdings sogenannte »Forensic Services« an, um bestimmte Informationen, insbesondere

1 Christian Dorda, M&A und alternative Streitbeilegung, Der Gesellschafter 2012, S. 5, 8 ff.
2 Guter Überblick bei Christoph Louven/Kim Lars Mehrbrey, Bedeutung aktueller M&A-Streitigkeiten
für die Gestaltungspraxis, NZG 2014, S. 1321 ff.
3 Siehe dazu P&P, Pöllath & Partner Mandanteninformation vom 18.06.2015, M&A Streitfall zu »Per-
mits und Käuferpflichten vor Gericht«.
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492  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

die oft streitige Zurückhaltung von Informationen im Rahmen der Due Diligence durch
den Verkäufer, zu überprüfen.4 Folgerichtig raten M & A-Berater zunehmend dazu, den
E-Mailverkehr auf der Verkäuferseite etwa unter Compliance-Gesichtspunkten zu kon-
trollieren. Im Gegenzug gibt es Mechanismen, um Post Merger Disputes kalkulierbar
zu halten. Dabei helfen Caps, Baskets, De-Minimis-Regeln und Verjährungsvorschriften
für Gewährleistungsverletzungen, aber auch darüber lässt es sich im Zweifel bestens
streiten.
Allerdings gibt es noch erhebliches Steigerungspotenzial für Post Merger Disputes,
denn bis heute nutzen nur wenige Unternehmen standardisierte Verfahren zur Iden-
tifikation möglicher Ansprüche. Dies wird sich in den nächsten Jahren – auch unter
Compliance Gesichtspunkten und wegen der zunehmenden Haftung von Organen, wie
Vorstand, Geschäftsführung und Aufsichtsrat, – erheblich verändern. Im Augenblick
bildet sich daher ein spezialisierter Markt von Beratern für die Vorbereitung und Ab-
wehr von M & A-Disputes und zahlreiche Anwaltskanzleien spezialisieren sich für ent-
sprechende Schiedsverfahren.

4 Siehe dazu Verena Koppmann, Die gesetzliche Aufklärungspflicht des Verkäufers und ihre Erfül-
lung beim Unternehmenskauf – Ein Praxisleitfaden, BB 2014, S. 1673.
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  |  493
Teil

XVII. Im Tandem zum Integrationserfolg:


Aus Mitarbeiter- und Kundensicht
die Kulturintegration gestalten
Silke Grosse-Hornke*

1 Einleitung
2 Unternehmenskultur als Determinante des Unternehmenserfolgs
3 Innensicht: Kulturintegration durch Mitarbeiterintegration
3.1 Planung
3.2 Umsetzung
3.3 Erfolgsmessung
4 Außensicht: Bedeutung der Kulturintegration für Kunden
4.1 Planung
4.2 Umsetzung
4.3 Erfolgsmessung
5 Handlungsempfehlungen: Zehn Goldene Regeln
6 Zusammenfassung

1 Einleitung
Bei Fusionen und Übernahmen gehört die Kulturintegration zu einem »der am häufigs-
ten unterschätzten« Erfolgsfaktoren.1 Die Unternehmenskultur gilt als weicher Faktor
– hat jedoch harte Auswirkungen: Bis zu 31 % des finanziellen Erfolgs einer Organi-
sation hängen mit kulturellen Aspekten zusammen, etwa mit der Teamorientierung,
der Mitarbeiterförderung oder der Veränderungsfähigkeit eines Unternehmens.2 Tref-
fen bei M & A unterschiedliche Kulturen aufeinander, birgt dies Risiken. Auch in der
öffentlichen Diskussion wird zunehmend das Thema Unternehmenskultur als Grund
für das Scheitern von Zusammenschlüssen diskutiert. Ein Beispiel ist der De-Merger
von Allianz und Dresdner Bank. In der Presse wurde dies bspw. kommentiert mit: »Die
Crux liegt in der Unternehmenskultur. Sie ist die DNA eines jeden Wirtschaftsbetriebs.
Das Erbgut von Allianz und Dresdner Bank passte nicht zusammen…«.3 Gegenseitiges
Unverständnis zwischen den Mitarbeitern der »Beraterbank« und den Vertriebsmitar-
beitern der Versicherung haben die Schaffung eines Gemeinschaftsgefühls erschwert.

* Silke Grosse-Hornke, Partnerin, Grosse-Hornke Privat Consult, Münster.


1 Koch 2002, S. 388.
2 Hauser et al. 2008.
3 Theurer 2008, S. 11.
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494  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Dagegen schienen die inzwischen miteinander verschmolzene Dresdner Bank und die
Commerzbank kulturell deutlich besser zusammenzupassen.
Auch die kulturelle Integration von Porsche in den VW-Konzern war und ist sicher
auch heute noch eine herausfordernde Aufgabe. Die Ausgangsposition war eine schwie-
rige: Zum einen wegen des vorausgegangenen Machtkampfes, der klare Gewinner und
Verlierer geschaffen hat, zum anderen wegen der großen kulturellen Unterschiede. Es
scheint fraglich, ob die kulturellen Divergenzen zwischen dem auf Schnelligkeit und
Flexibilität getrimmten Sportwagenhersteller und dem eher traditionellen, teilweise in
Staatsbesitz befindlichen und auf Kompromisse mit den Gewerkschaften angewiesenen
Konzern, überhaupt zu überwinden sind.4

• Erfolge betonen und »Helden«


Wahrgenommene belohnen
Kompetenz/Motivation • »Lessons Learned« ableiten Integration

• Persönliche
Kommunikation
• Orientierung geben (Strategie, Erkenntnis
Strukturen, Prozesse) • Partizipation bei der Erarbeitung
• Information über nächste
• Chancen kommunizieren von Bereichs-/Teamstrategien
Schritte • Neue Netzwerke etablieren

Abwehr Ausprobieren
Schock Einsicht
• Qualifikation anbieten
• Eindeutige Regeln vorgeben
• Erwartungs- Akzeptanz
management
• »Case for Change«
kommunizieren
• Ursachenanalyse
• Kommunikation von • Identifikation und
Fortschritten Einbindung in Projekte Zeit
• Abschiedsrituale

Abb. 1: Maßnahmen zur Abschwächung emotionaler Reaktionen in der Veränderungskurve (Quelle: Eigene


Darstellung)

Wie gelingt die Kulturintegration bei M & A? In diesem Beitrag werden dazu zwei Per-
spektiven beleuchtet: die Innensicht der Organisation und die Außensicht der Kunden.
In der Literatur zur Kulturintegration ist überwiegend von Maßnahmen die Rede, die
sich nach »innen« richten. Doch neben der Mitarbeiterperspektive ist selbstverständ-
lich auch die externe Sicht zu beachten, denn die Bedürfnisse beider Zielgruppen sind
für den Erfolg der Kulturintegration entscheidend. Für die Mitarbeiter bedeutet eine
Fusion oder Übernahme eine einschneidende Veränderung. Das Management muss in
dieser Situation alles daran setzen, die Motivation der Belegschaft aufrechtzuerhalten
(vgl. Abb. 1). Denn nur dann stellen sich die gewünschten Synergieeffekte tatsächlich
ein. Das gilt besonders für Dienstleistungsunternehmen, deren Mitarbeiter der zentrale
Wettbewerbsfaktor sind. Eine sorgfältig geplante Mitarbeiter- und Kulturintegration ist
notwendig, um negative Effekte zu vermeiden und möglichst schnell zum Tagesgeschäft
zurückzukehren.

4 Knop 2009.
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XVII. Im Tandem zum Integrationserfolg: Aus Mitarbeiter- und Kundensicht die Kulturintegration gestalten  |  495
Teil

Auch die Kunden sind durch den Zusammenschluss mit einer für sie ungewohnten
Kultur konfrontiert. Ihre Erwartungen sind bei der Kulturintegration daher mit einzu-
beziehen. Dies geschieht noch immer äußerst selten, obwohl entsprechende Fragen auf
der Hand liegen: Unter welchen Bedingungen etwa möchten Kunden einer bestimmten
Bank plötzlich Kunden einer ganz anderen Bank sein, deren Image sich deutlich unter-
scheidet? Was muss geschehen, damit Porsche-Käufer ihrer Marke treu bleiben, wenn
der Porsche aus dem Hause Volkswagen kommt? Die neue Unternehmenskultur muss
eine überzeugende Antwort auf diese Fragen liefern.5

2 Unternehmenskultur als Determinante


des Unternehmenserfolgs
Unternehmenskultur ist nicht nur bei Zusammenschlüssen, sondern allgemein ein zen-
traler Faktor für den Erfolg von Unternehmen. So zeigte eine Studie bereits in den 80er
Jahren, dass man von besonders erfolgreichen Unternehmen vor allem im Hinblick
auf die Unternehmenskultur lernen kann.6 Seitdem haben verschiedene Studien einen
Zusammenhang zwischen Unternehmenskultur und –erfolg belegen können, was dazu
geführt hat, dass sich diese Erkenntnis auch in den Köpfen von Managern zunehmend
durchsetzt. Auch deutsche Manager messen der Unternehmenskultur eine wachsende
Bedeutung bei – wenngleich deren Umsetzung oft unzureichend sei.7
Die Unternehmenskultur umfasst »die von einer Gruppe gemeinsam gehaltenen
grundlegenden Überzeugungen, die für die Gruppe insgesamt typisch sind. Sie be-
einflussen Wahrnehmung, Denken, Handeln und Fühlen der Gruppenmitglieder und
können sich auch in deren Handlungen und Artefakten manifestieren.«8 In die Unter-
nehmenspraxis übersetzt heißt das: »Kultur ist, wie die Dinge im Unternehmen gemacht
werden«. Dazu gehört z. B. die Art, wie Entscheidungen getroffen werden: Haben die
Mitarbeiter große Entscheidungsspielräume, die sie auch nutzen, oder bestimmen Ab-
sicherungsverhalten und Kontrolle die Zusammenarbeit? Wie sehen die Prioritäten des
Managements aus: Agiert es eher kostengetrieben oder gewinnorientiert? Und wie steht
es um das Vertrauen: Muss es sich der Mitarbeiter durch Leistung erst verdienen oder
erhält er einen Vertrauensvorschuss? Solche und weitere Merkmale charakterisieren eine
Organisation und können ihr Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Der Zusammenhang von Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg wurde in
den letzten Jahren in zahlreichen Studien belegt.9 So zeigt eine Untersuchung in den
USA einen positiven Zusammenhang zwischen der Auszeichnung »Great Place to Work«
und Erfolgsindikatoren wie Gesamtkapitalrentabilität, Marktwert/Buchwert-Verhältnis
sowie Aktienkursentwicklung auf. Die 45 am besten bewerteten US-Unternehmen wa-
ren einem Portfolio von Vergleichsunternehmen sowohl in der Gesamtkapitalrentabilität

5 Grosse-Hornke/Gurk 2009.
6 Peters/Watermann 1982.
7 Leitl/Sackmann 2010.
8 Sackmann 2002, S. 25.
9 Baetge et al. 2007.
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496  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

beeinflusst

beeinflusst beeinflusst
Mitarbeiter-
engagement

Unternehmenskultur Unternehmenserfolg

Kundenwahrnehmung

Abb. 2: Zusammenhang zwischen Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg (Quelle: Eigene Darstellung)

als auch beim Marktwert/Buchwert-Verhältnis überlegen.10 Die Bewertung als bester


Arbeitgeber basiert zum einen auf Einschätzungen der Unternehmensmitarbeiter bzgl.
der Dimensionen Glaubwürdigkeit, Respekt, Fairness, Stolz und Teamorientierung und
zum anderen einem Kulturaudit. Die »besten« Arbeitgeber zwischen 1997 und 2000 wie-
sen eine durchschnittliche Gesamtkapitalrentabilität von ca. 9,2 % auf, die Vergleichs-
unternehmen erzielten nur ca. 7,3 %.11
In Deutschland hat 2007 eine mit 314 Unternehmen durchgeführte Studie den Status
von Unternehmenskultur, Arbeitsqualität und Engagement in den Unternehmen und
deren Einfluss auf den Unternehmenserfolg untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass
das Engagement der Mitarbeiter maßgeblich von der Unternehmenskultur beeinflusst
wird. Dabei spielen vor allem Aspekte der Mitarbeiterorientierung eine Rolle, wie die
Förderung von Teamgeist und eines Zugehörigkeitsgefühls sowie die Wertschätzung
und das gezeigte Interesse an der Person des einzelnen Beschäftigten (vgl. Abb. 2). In
einem zweiten Schritt wurde ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen dem Mitarbei-
terengagement und dem Unternehmenserfolg nachgewiesen.12

3 Innensicht: Kulturintegration
durch Mitarbeiterintegration
In der Post Merger-Phase besteht die Gefahr, dass die Mitarbeitermotivation einbricht
und mit ihr die Produktivität. Gründe sind häufig eine starke Verunsicherung (»Was
passiert mit mir?«), Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern des anderen Unternehmens
und ein Gefühl von Kontrollverlust (»Ich bin doch nur ein Rädchen im Getriebe«). Bei
den Mitarbeitern des vermeintlich »schwächeren« Unternehmens kann auch ein Gefühl
von Unterlegenheit aufkommen. Diese Emotionen führen dazu, dass sich die Mitarbei-

10 Fulmer et al. 2003.


11 Fulmer et al. 2003.
12 Hauser et al. 2008; Operationalisiert durch einen Index: EBIT-Marge 2005 und Gesamteinschätzung
des Gewinns der letzten drei Jahre im brancheninternen Vergleich durch das Management.
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XVII. Im Tandem zum Integrationserfolg: Aus Mitarbeiter- und Kundensicht die Kulturintegration gestalten  |  497
Teil

ter stark mit sich selbst beschäftigen – das operative Tagesgeschäft wird zweitrangig.
Im Extremfall kommt es zur inneren oder tatsächlichen Kündigung. Werden kulturelle
Unterschiede nicht berücksichtigt, kann dies zu Widerständen und Konflikten führen,
die den Integrationsfortschritt behindern und damit erhebliche Kosten verursachen.

Closing

Vorbereitung/Transaktion Integration (PMI)

Kernaufgabe: Cultural Due Diligence Kernaufgabe: Kulturintegration


• Selbstbewertung des Käuferunternehmens • Festlegung der Kulturintegrationsstrategie
• Analyse des Zielunternehmens • Definition der Zielkultur abgeleitet von der
• Einschätzung kultureller Risikopotenziale Unternehmensstrategie

• Definition von Maßnahmen zur • Planung der Kulturintegration


Risikominimierung • Befähigung von Führungskräften zur
Kulturintegration
• Implementierung der neuen Unternehmenskultur
• Erfolgsmessung

Kommunikation

Abb. 3: Kernaufgaben im Themengebiet Unternehmenskultur im M & A-Prozess (Quelle: Eigene Darstellung)

In der Praxis wird häufig nicht (ausreichend) analysiert, wie sich ein Zusammenschluss
auf die Mitarbeiter auswirkt. Oder aber die Mitarbeiter werden zu spät in die Integra-
tion einbezogen. Die Kulturintegration bedarf einer frühzeitigen Planung sowie einer
konsequenten Umsetzung und Erfolgskontrolle (vgl. Abb. 3).

3.1 Planung
3.1.1 Identifikation kultureller Risikofaktoren in der Cultural Due Diligence

Das Thema Unternehmenskultur sollte schon bei der Vorbereitung eines Mergers in
den Blick rücken – nicht erst, wenn die Integration in vollem Gange ist und sich bereits
Konflikte abzeichnen. In der Vorbereitungsphase kann eine Kulturanalyse des Zielun-
ternehmens erste Erkenntnisse über mögliche Risiken liefern. Hilfreich dabei sind In-
formationen aus dem Internet und Aussagen von Kunden oder ehemaligen Mitarbeitern.
Zuverlässigere Informationen lassen sich gewinnen, nachdem der Deal publik gemacht
wurde. Mögliche Methoden sind wissenschaftlich fundierte Befragungen oder ein eher
pragmatisch-intuitives Vorgehen mit Interviews ausgewählter Führungskräfte und Mit-
arbeiter. Grundsätzlich empfiehlt es sich, bei der Cultural Due Diligence (CDD) auf
externe Unterstützung zurückzugreifen, um einen unverstellten Blick auf die Merkmale
der Unternehmenskultur sicherzustellen.13

13 Blöcher 2008.
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498  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Anhand vorab definierter Dimensionen wie z. B. Kundenorientierung, Führungsstil


und Kommunikationsverhalten können Gemeinsamkeiten und Unterschiede der betei-
ligten Unternehmen herausgearbeitet werden. Sind sich die Unternehmen sehr ähnlich,
schützt dies nicht automatisch vor Integrationsproblemen. Denn gerade dann kann es
passieren, dass die Mitarbeiter geringfügige Unterschiede überbetonen und sich von-
einander abgrenzen.14 Umgekehrt müssen Divergenzen in den Kulturen nicht immer
hinderlich sein. Sie können den Erfolg sowohl mindern als auch steigern. Einerseits wer-
den Kulturkonflikte wahrscheinlicher, andererseits können sich gerade aus der Vielfalt
Synergiepotenziale ergeben, die es zu nutzen gilt.

3.1.2 Definition der Zielkultur

In der Post Merger Integration (PMI) müssen Unternehmensstrategien, Geschäftsprozes-


se und Systeme, Organisationsstrukturen, Mitarbeiter und Kulturen zusammengeführt
werden. Bei der Integrationsplanung fällt die Entscheidung darüber, wie tiefgreifend die
Integration der beteiligten Unternehmen sein soll. Diese Entscheidung ist in Abhängig-
keit von strategischer Interdependenz und dem erforderlichen Grad organisatorischer
Autonomie zu treffen. Ein geringer Integrationsbedarf besteht bei Stand-Alone-Lösun-
gen oder Holdingstrukturen. Allerdings ist meist ein hohes Maß an Integration (Symbi-
ose, Absorption) notwendig, um Synergiepotenziale vollständig auszuschöpfen.15
Die Entscheidung über die Integrationstiefe bestimmt maßgeblich die Form der kul-
turellen Zusammenführung. Die folgenden drei Strategien der kulturellen Integration
sind möglich (vgl. Abb. 4):
1. Übernahme einer Kultur, in der Regel der des Käufers
2. Kulturpluralismus, d. h. beide Kulturen bleiben nebeneinander bestehen
3. Symbiose der Kulturen (»Best of Both«)

Übernahme
• Dominanz einer Kultur i.d.R. der des Käufers
1 • Große Klarheit
A + B • Hohe Widerstandswahrscheinlichkeit

Pluralismus
• »Charakter« der Kulturen bleibt erhalten
2 • Geringer Integrationsaufwand
A + • Gefahr der Auseinanderentwicklung
B

Symbiose
• Verschmelzung der Kulturen
3 • Gefahr der Verzögerung der Integration
A + • Geringere Widerstandswahrscheinlichkeit
B

Abb. 4: Strategien der Kulturintegration (Quelle: Eigene Darstellung)

14 Berner 2008.
15 Haspeslagh/Jemison 1992.
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XVII. Im Tandem zum Integrationserfolg: Aus Mitarbeiter- und Kundensicht die Kulturintegration gestalten  |  499
Teil

Jede Strategie hat Vor- und Nachteile. Die erste, die Übernahme einer anderen Kultur,
kann zu starken Widerständen bei der »unterlegenen« Organisation führen. Jedoch ist
dieses Vorgehen durch große Klarheit gekennzeichnet – eine geeignete Variante gera-
de dann, wenn die Integration sehr schnell verlaufen muss. Die zweite Strategie, der
Kulturpluralismus, reduziert den Integrationsaufwand enorm. Das friedliche Nebenei-
nander birgt allerdings auch die Gefahr der Auseinanderentwicklung. Am schwersten
realisierbar ist der dritte Ansatz: die Verschmelzung der beiden Kulturen mit dem Er-
gebnis einer neuen gemeinsamen Kultur. Aber der hohe Arbeits- und Zeitaufwand wird
belohnt: Durch die Wertschätzung beider Kulturen beugt die Unternehmensführung
einem »Verlierergefühl« und Widerständen seitens der Mitarbeiter vor. Eine neue ge-
meinsame Kultur schafft die Basis für ein stärkeres Zusammenwachsen und erleichtert
für beide Seiten die Identifikation mit dem neuen Unternehmen.
Unabhängig von der gewählten Strategie ist es entscheidend, schnell Klarheit zu
schaffen, wie die Zielkultur des neu geschaffenen Unternehmens aussehen soll. Das
heißt: Welche Normen, Werte und Prinzipien sollen gelten und wie sind diese in der täg-
lichen Arbeit umzusetzen. Bei der Entwicklung der Zielkultur sind ein Top-down- oder
ein Bottom-up-Ansatz möglich. Aufgrund des Zeitdrucks bei der Integration wird häufig
ein Top-down-Vorgehen bevorzugt. Wichtig ist, dass die Zielkultur mit der Unterneh-
mensstrategie verknüpft wird. Die gemeinsame Kultur soll die Umsetzung der Unterneh-
mensstrategie unterstützen. Mitarbeiter und Führungskräfte müssen auf breiter Ebene
an der Entwicklung der Zielkultur beteiligt werden – dies fördert die Glaubwürdigkeit
und Akzeptanz bei der späteren Umsetzung.

Praxisbeispiel
Die neue Kultur bestimmen
Ein Chemie- und Pharmakonzern integrierte ein traditionsreiches Pharmaunternehmen in eine neue
Division mit Mitarbeitern aus beiden Ursprungsorganisationen. Aus der Unternehmensstrategie und
einer gründlichen Kulturanalyse (Mitarbeiterbefragung, Interviews/Fokusgruppen mit Mitarbeitern/
Führungskräften) wurde eine neue, gemeinsame Kultur abgeleitet. Das globale Führungsteam bewer-
tete und verabschiedete das Konzept. Kennzeichnend für die neue Zielkultur waren sieben Verhaltens-
weisen. Sie forderten die Mitarbeiter z. B. auf, schnell Entscheidungen zu treffen, den Kunden an die
erste Stelle zu setzen und teamübergreifend zu arbeiten. So entstanden Leitlinien für die gewünschte
Art der Zusammenarbeit, die in den verschiedenen Funktionen je nach Anforderung entsprechend
konkretisiert wurden.

3.2 Umsetzung
Ist die Zielkultur definiert, müssen die Mitarbeiter mit den neuen Maßstäben vertraut
gemacht werden. Für die Umsetzung sind umfangreiche Ressourcen erforderlich: ein
schlagkräftiges Projektteam und ein weit verzweigtes Netzwerk von Sponsoren (Vor-
stand und Führungskräfte) und Multiplikatoren (Change Agents). Sie alle müssen die
Kulturintegration über einen längeren Zeitraum intensiv vorantreiben. Damit das Top-
management die dafür nötigen Ressourcen bereitstellt, muss das Thema Kulturintegrati-
on auf der Prioritätenliste immer wieder nach oben gebracht werden. Neue Impulse ge-
ben z. B. regelmäßige Mitarbeiterbefragungen zur Arbeitszufriedenheit und -motivation.
In der Praxis haben sich drei Bausteine für eine erfolgreiche Kulturintegration be-
währt: (1) Information und Kommunikation, (2) persönlicher Kontakt und Zusammen-
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Teil

arbeit von Mitarbeitern beider Unternehmen sowie (3) unterstützende Maßnahmen, die
langfristig wirken und Nachhaltigkeit sicherstellen.

3.2.1 Information und Kommunikation

Zwischen Kommunikation und Unternehmenskultur besteht ein kausaler wechselseiti-


ger Zusammenhang.16 Die Unternehmenskultur bestimmt die Kommunikation, ist aber
gleichzeitig auch Ergebnis von Kommunikation. Deshalb ist eine spezifische Kommuni-
kationsstrategie für die Kulturintegration unverzichtbar. Im Mittelpunkt stehen vor al-
lem die internen Zielgruppen: Mitarbeiter, Führungskräfte und Arbeitnehmervertreter.
In einem ersten Schritt zielen Kommunikationsmaßnahmen darauf ab, bei den Mitar-
beitern Akzeptanz für die neue Situation zu schaffen. Dazu müssen Sinn, Vorteile und
Ziele des Zusammenschlusses klar vermittelt werden. In einem zweiten Schritt wird die
Kommunikation zu einem Hebel, um Veränderungsbereitschaft bei den Mitarbeitern zu
entwickeln, sich entsprechend der Zielkultur zu verhalten sowie eine Identifikation mit
dem neuen Unternehmen zu erreichen. Dazu müssen die Vorteile der Veränderung für
jeden Einzelnen deutlich gemacht werden.
Mangelnde Information und Kommunikation wird schnell durch Gerüchte (»Flur-
funk«) ersetzt, die Unsicherheit und Ängste schüren. Die Unternehmensleitung ist ge-
fragt, trotz der vielen Herausforderungen in der Integrationsphase Präsenz zu zeigen.
Das Management muss die Strategie und die Ziele des neu entstandenen Unternehmens
detailliert erklären. Wichtige Plattformen dafür sind Mitarbeiterversammlungen, In-
formationsstände vor der Kantine oder »Breakfast Meetings«, bei denen Mitglieder der
Unternehmensleitung den Mitarbeitern der verschiedenen Unternehmensbereiche und
Standorte sprichwörtlich »Rede und Antwort stehen«.
Insbesondere gilt es zu berücksichtigen, dass die Mitarbeiter nicht nur Informati-
onsempfänger sein wollen. Sie möchten ihre Fragen, Anregungen und Kritik direkt
loswerden und möglichst ungefilterte Antworten bekommen. Neben der Möglichkeit
zum persönlichen Austausch sollten weitere Kommunikationskanäle genutzt werden.
So geben eine extra geschaltete Hotline, Intranetforen oder eine zentrale Emailadresse
des Projektteams den Mitarbeitern die Möglichkeit, Feedback zu geben und sich an der
Entwicklung der Unternehmenskultur zu beteiligen. Zusätzlich zu diesen Dialogplatt-
formen sollten Informationen zur neuen Unternehmenskultur und zu ersten Erfolgen
bei deren Umsetzung zugänglich sein. Geeignete Medien sind z. B. Intranetportale,
Mitarbeiterzeitungen, Informationstafeln und Newsletter.
Alle Kommunikationsmaßnahmen müssen sich an der Zielkultur messen lassen,
denn gerade in der Integrationsphase werden Signale gesetzt, wie ernst es dem Ma-
nagement mit der Umsetzung ist. Dabei beobachten die Mitarbeiter nicht nur das Kom-
munikationsverhalten selbst kritisch (Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit), sondern vor
allem, ob den Worten die angekündigten Taten folgen. Das Topmanagement ist in der
Anfangszeit der Integration häufig einziger sichtbarer Anhaltspunkt dafür, was künftig
im Unternehmen gelten soll. Mit der Auswahl der neuen Führungsmannschaft wird der
Grundstein für die neue Unternehmenskultur gelegt.

16 Barnett 1988.
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XVII. Im Tandem zum Integrationserfolg: Aus Mitarbeiter- und Kundensicht die Kulturintegration gestalten  |  501
Teil

3.2.2 Persönlicher Kontakt und Zusammenarbeit von Mitarbeitern

Neben der Kommunikation ist die Schaffung von Plattformen für persönliche Kontakte
zwischen den Mitarbeitern eine wichtige unterstützende Maßnahme auf dem Weg zu
einer gemeinsamen Kultur. Als Auftaktveranstaltungen eignen sich Integrationswork-
shops mit Teilnehmern beider Zusammenschlusspartner. Darin werden den Mitarbeitern
die neue Unternehmensstrategie sowie Werte und Prinzipien der neuen gemeinsamen
Unternehmenskultur erklärt. Die Integrationsworkshops sollten Raum für Diskussionen
geben, damit sich die Mitarbeiter mit den Inhalten auseinandersetzen und teamspezi-
fische Themen einbringen können.
Strategie und Werte dürfen keine »Luftblasen« des Managements bleiben, sondern
müssen in den Einflussbereich jedes einzelnen Mitarbeiters gebracht werden. Hilfreich
ist dafür die Beantwortung der Frage »Was heißt das für uns als Team bzw. für mich
als Mitarbeiter ganz konkret bei unserer/meiner täglichen Arbeit?« Darauf aufbauend
sind arbeitsbezogene Übungen nützlich, um die Umsetzung der Kultur im Arbeitsalltag
zu erleichtern. Nicht vergessen werden sollte, auch Gelegenheit für einen Rückblick
und eine Wertschätzung des »alten« Unternehmens zu geben. Denn wie bei jedem
Veränderungsprozess ist auch in der Post Merger Integration eine Phase des Abschieds
notwendig, bevor etwas Neues beginnen kann.

Praxisbeispiel
Auftakt: Integrationsworkshops
Bei der Übernahme des traditionsreichen Pharmaunternehmens durch den Chemie- und Pharmakonzern
startete die erste Welle des Integrationsprogramms einige Monate nach der Übernahme. Alle Mitarbei-
ter durchliefen eintägige Workshops – als Auftakt für die Entwicklung einer neuen gemeinsamen Un-
ternehmenskultur. Das Projektteam rollte die Workshops weltweit aus, von der obersten Führungsebene
bis zu den Mitarbeitern (Top-down- bzw. Kaskaden-Ansatz). Die über 2.000 Workshops fanden in den
bestehenden Teamstrukturen statt, geleitet von einem externen Moderator zusammen mit dem jewei-
ligen Vorgesetzten. Auf der Agenda standen: die Unternehmens- und Bereichsstrategie, Gründe für die
Veränderung (belegt durch aktuelle Ergebnisse aus Kunden- und Mitarbeiterbefragungen) und die in-
tensive Auseinandersetzung mit den neuen gemeinsamen Verhaltensweisen. Ergebnis jedes Workshops
war ein Teamaktionsplan, für dessen Umsetzung der jeweilige Vorgesetzte verantwortlich war. Darüber
hinaus definierte jeder Teilnehmer einen persönlichen Beitrag, um die neue gemeinsame Kultur im Ar-
beitsalltag umzusetzen. Bei den Führungskräften wurde das individuelle Ziel mit dem Bonus verknüpft.

Großgruppenveranstaltung: Gemeinschaftserlebnisse fördern


Als Kick-off für größere Organisationsbereiche empfiehlt sich eine eintägige Großgruppenveranstaltung
(100 bis zu 1.000 Mitarbeiter). In dem Praxisbeispiel wurden große Workshops z. B. mit Mitarbeitern aus
der Produktion und aus der Forschung durchgeführt. Die Teilnehmer von verschiedenen Standorten mit
ähnlichen Aufgaben wurden gemischt und an Gruppentischen platziert. Die Veranstaltungen fanden
in einem einzigen großen Saal statt. Wesentliche Erfolgsfaktoren waren die Präsenz und die intensive
Beteiligung eines gut vorbereiteten Führungsteams.
Die Inhalte des Ganztagesworkshops setzten sich aus einer Mischung von Information, Bearbeitung
von Themen durch die Teilnehmer und Emotion zusammen. Dabei wurde in Gruppen und im Plenum
diskutiert, wie die Unternehmenskultur zum Erreichen der Bereichsziele beitragen kann. Bei der auf
den Workshoptag folgenden Abendveranstaltung wurden die Erkenntnisse des Tages mit Hilfe eines
Improvisationstheaters auf humorvolle und spielerische Art dargestellt, so dass über die z. T. vorhande-
nen Kulturunterschiede und Integrationsschwierigkeiten gemeinsam gelacht werden konnte. Besonders
wichtig war auch der Aspekt, von der »alten Welt« Abschied zu nehmen und zu erkennen, dass die
Kollegen aus dem jeweils anderen Unternehmen die gleichen Themen bewegen.
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Teil

3.2.3 Unterstützende Maßnahmen zur Sicherung der Nachhaltigkeit

Mit einem einmaligen Workshop ist es natürlich nicht getan. Weitere Maßnahmen, wel-
che die Entwicklung der neuen Kultur fördern und Nachhaltigkeit sicherstellen, müssen
angestoßen werden. Dazu gehören persönliche Kontakte zwischen den Mitarbeitern,
z. B. in Form von gegenseitigen Besuchen an Standorten, der Mischung von Teams,
Teamentwicklungen und Führungskräftetrainings. Für Mitarbeiter mit Kundenkontakt
ist darüber hinaus auch die Frage zu beantworten, was sich im Umgang mit dem Kun-
den ändert. Als sehr hilfreich erweist sich, wenn Außendienstmitarbeiter des einen
Unternehmens die Vertriebsmitarbeiter des anderen Unternehmens zu Kundenbesuchen
mitnehmen oder Filialmitarbeiter vorübergehend den Arbeitsplatz tauschen. Dies hat
den Vorteil, dass die Mitarbeiter der beiden Vorgängerunternehmen sich nicht nur ge-
genseitig besser kennenlernen, sondern auch die jeweils anderen Kunden.

Praxisbeispiel
Laufende Kommunikation: Mitarbeiter zur aktiven Teilnahme motivieren
Die globale interne Kommunikation in dem Projektbeispiel beschränkte sich nicht auf Standardkanä-
le wie eine Mitarbeiterzeitschrift oder eine Nachrichtensektion im Intranet. Um die Mitarbeiter zur
aktiven Teilnahme zu motivieren, veranstaltete das Projektteam in jedem Quartal einen Wettbewerb:
Mitarbeiter konnten Kollegen vorschlagen, die sich im Sinne der Unternehmenskultur besonders en-
gagiert hatten. Ausgezeichnet wurden alle Nominierten, deren Engagement eine Jury aus Mitgliedern
des Topmanagements überzeugte. Die besten Geschichten wurden als »Best Case Stories« redaktionell
aufbereitet und auf einer eigenen Intranetplattform veröffentlicht. Die Porträts zeigten, wie Kollegen
die neue gemeinsame Unternehmenskultur im Berufsalltag leben.
Über den mehrjährigen Projektzeitraum hinweg gab es weitere, spielerische Kommunikationsmaßnah-
men, die für neue Aufmerksamkeit sorgten. Dazu zählten z. B. ein Onlinequiz zur Unternehmenskul-
tur und ein Postkartenwettbewerb. Die Mitarbeiter wurden aufgefordert, kreativ zu werden und ihr
persönliches Postkartenmotiv zu einer der neuen gemeinsamen Verhaltensweisen zu entwickeln. Alle
Postkarten konnten in einer Onlinegalerie angesehen und als eCards versendet werden. Die Gewinner-
postkarten wurden außerdem in großer Stückzahl gedruckt und im Unternehmen verteilt. Dies bot die
Gelegenheit, z. B. einem Kollegen aus einer anderen Region für die gute Zusammenarbeit über Grenzen
hinweg zu danken und ihm dazu das entsprechende Postkartenmotiv zuzusenden.

Eine spezielle Unterstützung benötigen außerdem die Führungskräfte. Vor allem das
mittlere Management muss besondere Herausforderungen meistern – zwischen den
obersten Führungsebenen und den Mitarbeitern nehmen sie eine anspruchsvolle Mitt-
lerrolle ein. Unterstützen können z. B. Trainings zum Thema Veränderungsmanage-
ment oder die Übersetzung der neuen Kultur in konkretes Führungsverhalten. Denn
Mitarbeiter erwarten, dass die neuen Verhaltensweisen vorgelebt werden. Um die neue
Kultur nachhaltig im Unternehmen zu verankern, sind ihre Merkmale in die HR-Prozes-
se (z. B. Performance Management, Recruiting) einzubeziehen. Entscheidend für den
langfristigen Erfolg ist, dass ein Verhalten im Sinne der Unternehmenskultur belohnt
wird, während umgekehrt mit Sanktionen rechnen muss, wer sich im Widerspruch zur
Zielkultur verhält.
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Teil

3.3 Erfolgsmessung
Um den Erfolg der Kulturintegration zu messen, müssen frühzeitig Kriterien definiert
werden. Es sind folgende Fragen zu beantworten: Anhand welcher Kennzahlen misst
das Unternehmen den Erfolg? Mit welchen Instrumenten werden die Daten erhoben? In
der Praxis haben sich Kennzahlen aus Mitarbeiterbefragungen bewährt. Um den Aus-
gangszustand zu bestimmen, findet zu Beginn der Kulturintegration eine Vollbefragung
statt – z. B. zu den Themen Kommunikation, Entscheidungsverhalten oder Kundenorien-
tierung. Im Laufe des Integrationsprogramms sollten regelmäßig weitere Daten erhoben
werden, um die Effekte der Maßnahmen zu ermitteln. Da dieser Veränderungsprozess
Zeit beansprucht, sind Vollbefragungen in ein- bis zweijährigem Abstand sinnvoll. In
der Zwischenzeit können sog. »Pulse Checks« mit kleineren Stichproben wichtige Hin-
weise zum Fortschritt der Kulturintegration geben. Diese Informationen sind hilfreich,
um das Thema Unternehmenskultur beim Topmanagement auf der Agenda zu halten.
Und sie liefern die Argumente gegenüber der Belegschaft für kontinuierliche, oft kos-
tenintensive Maßnahmen zur Verbesserung der Unternehmenskultur.

4 Außensicht: Bedeutung der Kulturintegration


für Kunden
Eine Zielgruppe wird in der Literatur zur Kulturintegration eher vernachlässigt: Die
Kunden des Unternehmens. Doch neben der Mitarbeiterperspektive ist selbstverständ-
lich auch die Sicht des Kunden zu beachten, damit die Integration erfolgreich gelingt.
Unternehmenskultur und Kundenzufriedenheit hängen unmittelbar zusammen. Denn
die Kultur beeinflusst das Verhalten von Mitarbeitern und Management. Zudem äußert
sie sich in den Prozessen und Vorgehensweisen des Unternehmens.17 Häufig auch als
»Stil des Hauses« bezeichnet, spiegelt sie sich im Auftreten gegenüber Kunden, Liefe-
ranten und Geschäftspartnern wider.
Vor allem Vertriebs- und Außendienstmitarbeiter tragen die Unternehmenskultur
sprichwörtlich »zu Markte«: Die Art der Gesprächsführung bei Verkauf und Beratung,
der Umgang mit Reklamationen und Beschwerden sowie das Angebot zusätzlicher
Serviceleistungen prägen maßgeblich das Bild eines Unternehmens bei den Kunden.
Studienergebnisse wie in Abb. 5 dargestellt zeigen, dass sich viele Unternehmen der
Außenwirkung ihrer Kultur inzwischen durchaus bewusst sind.18
Die Art des Umgangs mit den Kunden als Bestandteil der eigenen Unternehmens-
kultur bildet sich im Laufe der Zeit aus dem Zusammenspiel von Kundenerwartungen
und Kompetenzen des Unternehmens heraus. Wenn sich zwei Unternehmen zusammen-
schließen, treffen verschiedene, gewachsene Formen des Kundenmanagements aufein-

17 Schmickl/Jöns 2004.
18 Grosse-Hornke/Gurk 2009; zu der Fragestellung »Unternehmenskultur bei Fusionen – auch aus
Kundensicht relevant?« hat Grosse-Hornke Private Consult 2009 eine Onlinestudie im deutschspra-
chigen Raum mit 171 Unternehmen durchgeführt.
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504  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

ander.19 Das kann die Kundenbeziehung nachhaltig beeinträchtigen. Wird diese Gefahr
bei einer Integration ignoriert, kann das den Verlust von Kunden bedeuten.20
Vor allem wenn die Außenwahrnehmung eines Unternehmens eng mit einer Marke
verbunden ist, sind die Risiken erheblich. Dies betrifft in erster Linie Unternehmen aus
dem Premiumsegment – ihre Kunden stellen besonders hohe Ansprüche an ein Produkt
und dessen Hersteller.21 Bei Firmenzusammenschlüssen ist es daher notwendig, die
Kunden in die Integrationsplanung einzubeziehen und ihre Interessen zu berücksich-
tigen.

23 %
Sehr stark 21 %
23 %

63 %
Stark 56 %
68 %

11 %
Wenig 23 %
7%

1%
Fast nicht 0%
2%

2%
Keine Angabe 0%
0%

0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 %

Gesamt B2C-Unternehmen B2B-Unternehmen

Abb. 5: Einfluss der Unternehmenskultur auf die Kundenwahrnehmung (Quelle: Eigene Befragung)

4.1 Planung
Analog zur Mitarbeiterintegration ergeben sich auch aus der Strategie der Kulturinteg-
ration spezifische Chancen und Risiken aus Kundenperspektive. Bei einer Übernahme
der Kultur des Käufers etwa besteht die Gefahr, dass Kunden des gekauften Unterneh-
mens diese neue Kultur nicht akzeptieren. Das geringste Risiko, Kunden zu verlieren,
birgt dagegen der Kulturpluralismus – allerdings ist dieser nicht immer der effizienteste
Weg. Der dritte Ansatz, die Verschmelzung der beiden Kulturen, erfordert eine genaue
Prüfung: Wie werden die Kunden auf die neue Unternehmenskultur reagieren? Die
Befragung des Kundenstamms (z. B. über internetbasierte Instrumente), individuelle
Gespräche mit den wichtigsten Kunden der beteiligten Unternehmen oder die Durch-
führung von Fokusgruppen mit ausgewählten Kunden sind hilfreiche Maßnahmen, um

19 Brass 2002.
20 Hornke/Mandewirth 2009.
21 Rosengarten/Stürmer 2005.
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die Erwartungen und Bedürfnisse der Kunden bezüglich der Integration zu erheben und
ihre Reaktionen genauer vorherzusagen.
Studienergebnisse zeigen, dass in der Praxis oftmals jedoch kaum systematisch er-
hoben wird, wie die Kunden zu einem Zusammenschluss stehen, wobei Unternehmen
im Business-to-Business-Bereich etwas aktiver sind und beispielsweise mit ihren wich-
tigsten Kunden das Gespräch suchen.22 Die Kundenperspektive ist bei der Entscheidung
für eine Form der Kulturintegration sicher nicht der bestimmende Faktor, da eine Vor-
hersage der Auswirkungen auf den bestehenden Kundenstamm der beteiligten Unter-
nehmen sehr schwierig ist. Dennoch ist es wichtig, sich der möglichen Risiken bewusst
zu sein und sehr aufmerksam die Kundenmeinungen und -reaktionen zu beobachten
(vgl. Abb. 6).

7%
Systematische Erhebung 0%
11 %

47 %
Unsystematische Erhebung 38 %
55 %

27 %
Keine Erhebung 35 %
24 %

19 %
Keine Angabe 27 %
10 %

0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 %

Gesamt B2C-Unternehmen B2B-Unternehmen

Abb. 6: Erhebung der Kundenbedürfnisse während der Post Merger Integration (Quelle: Eigene Befragung)

4.2 Umsetzung
Der erste kritische Punkt in der Kundenbeziehung ist bereits die Bekanntgabe des Zu-
sammenschlusses. Falls die Kunden noch keine Vorstellung von dem jeweils anderen
Unternehmen haben, werden sie sich umgehend darüber informieren und ein Urteil
über die bevorstehende Transaktion fällen. Dieses Urteil wird durch die Unternehmens-
kultur des Zielunternehmens beeinflusst – als Informationsquelle für Kunden dienen
die zentral gesteuerte Kommunikation des Unternehmens und der direkte Kontakt zu
Mitarbeitern. Nicht immer ist dieser (Erst-)Kontakt von »spontaner Zuneigung« gekenn-
zeichnet. So dürfte beispielsweise dem sehr vermögenden Sal. Oppenheim-Kunden die
Vorstellung schwer fallen, seine Leistungen künftig von einer Großbank wie der Deut-
schen Bank zu beziehen.

22 Grosse-Hornke/Gurk 2009.
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506  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Von Anfang an sollte das Unternehmen daher eine transparente Kommunikation


betreiben, die um Akzeptanz wirbt und Unsicherheiten entgegenwirkt. Die Kommu-
nikationsmaßnahmen sollten sich z. B. mit zukünftigen Leistungsangeboten und der
Preisgestaltung befassen. Eine bedeutende Rolle in der Kommunikation kommt der
Unternehmensleitung zu. Das Topmanagement muss auch den Kunden Strategie und
Ziele des neu entstandenen Unternehmens genau erläutern. Wichtig ist ebenfalls das
Angebot eines Dialogs, z. B. in Form von Kundenveranstaltungen. So hat die Commerz-
bank beispielsweise nach Verkündung des geplanten Zusammenschlusses unter dem
Titel »Commerzbank im Dialog« zehn bundesweite Veranstaltungen mit knapp 24.000
Kunden der Commerzbank und der Dresdner Bank durchgeführt. Dort stellten sich die
Vorstandsmitglieder den Fragen der Kunden u. a. zur Integration 23. Ergänzend sind ei-
ne Hotline, Internetforen oder eine zentrale Emailadresse empfehlenswerte Kanäle für
Fragen und Feedback.24

4.3 Erfolgsmessung
Die Evaluierung des Erfolgs der Kulturintegration sollte neben der Mitarbeitersicht auch
die Kundenperspektive berücksichtigen. Dabei sind Kennzahlen, wie z. B. die Entwick-
lung des Umsatzes, des Marktanteils, die Anzahl der Reklamationen von Bestandskun-
den oder Veränderungen der Kundenbasis genauso wichtig wie die regelmäßige Mes-
sung der Kundenzufriedenheit. Darüber hinaus können die gleichen kundenbezogenen
Instrumente, die in der Planung und Umsetzung der Kulturintegration eingesetzt wer-
den, um Feedback von den Kunden einzuholen, genutzt werden, um die Wirksamkeit
der durchgeführten Maßnahmen zu messen.

5 Handlungsempfehlungen: Zehn Goldene Regeln


Der Prozess der Kulturintegration ist komplex und für jedes Unternehmen sehr indivi-
duell. Dennoch lassen sich zehn allgemeine Handlungsempfehlungen zur Kulturinte­
gration in der Post Merger Integration geben:
1. Eine Strategie für die kulturelle Integration der beteiligten Unternehmen frühzeitig
festlegen und darüber entscheiden, ob eine der vorhandenen Kulturen übernommen
werden soll, die Kulturen nebeneinander bestehen bleiben oder eine neue gemein-
same Kultur entwickelt werden soll.
2. Die vorhandenen Kulturen hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede
analysieren und die sich daraus ergebenden kulturellen Risikopotenziale, vor allem
auch im Hinblick auf Kunden bereits in der Integrationsplanung berücksichtigen.
3. Frühzeitig Sinn, Vorteile und Ziele der Transaktion gegenüber Mitarbeitern und
Kunden kommunizieren und die Gemeinsamkeiten beider Unternehmen hervorhe-
ben.

23 Vgl. www.commerzbank-kundenbeirat.de/aktuelles_commerzbank_im_dialog.aspx.
24 Homburg/Bucerius 2004.
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XVII. Im Tandem zum Integrationserfolg: Aus Mitarbeiter- und Kundensicht die Kulturintegration gestalten  |  507
Teil

4. Eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen, z. B. durch per-


sönliche Treffen zum Kennen lernen, Mitarbeiteraustausch und Hospitation bei der
Arbeit der Kollegen (»Workshadowing«) vor allem im Vertrieb etablieren.
5. Während der Integrationsphase regelmäßig Feedback bei Schlüsselmitarbeitern und
-kunden einholen, um einer Mitarbeiter- und Kundenabwanderung entgegenzuwir-
ken.
6. Genügend Ressourcen einplanen, um den kulturellen Integrationsprozess zu beglei-
ten.
7. Ein Netzwerk von Sponsoren und Multiplikatoren schaffen, das die Umsetzung
der neuen Kultur in allen Geschäftsbereichen, Regionen, Standorten und auf allen
Ebenen vorantreibt.
8. Das Führungsteam in die Verantwortung nehmen, da die neue Kultur »von oben«
vorgelebt werden muss, um auch die Mitarbeiter zur Verhaltensänderung zu moti-
vieren.
9. Kennzahlen definieren, anhand derer der Umsetzungserfolg und die Effekte der
neuen Unternehmenskultur gemessen werden können.
10. Der Kulturentwicklung Zeit geben, zwei bis fünf Jahre kann es durchaus dauern bis
sich eine neue Kultur durchgesetzt hat.

6 Zusammenfassung
Zahlreiche Studien sowie Beispiele aus der Praxis zeigen deutliche Zusammenhänge
zwischen Unternehmenskultur, Unternehmenserfolg und dem Erfolg von M & A. Schei-
tert ein Zusammenschluss, sollten kulturelle Unterschiede nicht länger als diffuse Ent-
schuldigung dafür herhalten. Stattdessen muss das Management das Erfolgspotenzial
der Unternehmenskultur nutzen – und diese bewusst gestalten. Bewusst darum, weil
die Zusammenführung zweier Belegschaften und die Identifikation der Mitarbeiter mit
dem Unternehmen keine Selbstläufer sind. Die Kulturintegration verlangt professionelle
Planung und Management durch ein Expertenteam mit breiter Unterstützung aus der
Organisation.
Schon während der Vorbereitungs- und Durchführungsphase sollten die Risiken für
Kulturkonflikte eruiert werden. Dabei sind auch mögliche Reaktionen der Kunden auf
den Zusammenschluss zu berücksichtigen. Nach Abschluss des Deals untermauert eine
tiefergehende Kulturanalyse diese Erkenntnisse. Hieraus lassen sich in der Integrations-
planung Maßnahmen für die Kulturintegration ableiten. Eine intensive Kommunikation,
Integrationsworkshops, die Zusammenarbeit in gemischten Teams und die Implemen-
tierung der Unternehmenskultur (z. B. durch Werte oder Führungsprinzipien) in das
Performance Managementsystem haben sich in der Praxis bewährt. Darüber hinaus
spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Unterschiedliche Kulturen wachsen nicht
auf Anweisung zusammen. Dieser Prozess erfordert zum Gelingen einen langen Atem
und ausreichende Ressourcen. Der Erfolg spiegelt sich dann nicht nur in einer hohen
Identifikation und Zufriedenheit der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, sondern auch
in wirtschaftlichen Kennzahlen wider.
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508  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

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  |  509
Teil

XVIII. IT als kritischer Erfolgsfaktor im Rahmen


einer M & A-Integration*
Stefan Schaaf**

1 Einleitung
2 Bereiche der IT-Integration
3 Due Dilligence
4 Vorbereitung ab Signing
5 Integration ab Closing
6 Fazit

1 Einleitung
Wenn zwei Unternehmen zu einem werden, ist das Thema IT-Integration von nicht zu
unterschätzender Bedeutung – denn die IT ist für einen Großteil der Synergien ver-
antwortlich, die mit der Unternehmensfusion erreicht werden: Insgesamt können bis
zu 60 % der Gesamtsynergien durch die IT realisiert werden. Sie spielt ebenfalls eine
wichtige Rolle dabei, den Geschäftsablauf eines Unternehmens während der Integration
aufrechtzuerhalten. Bekanntlich ist in den meisten Unternehmen ein funktionierendes
IT-System Grundvoraussetzung für den reibungslosen Ablauf der Geschäftsprozesse.
Die Abhängigkeit zum Beispiel von der E-Mail-Kommunikation ist enorm – man stelle
sich nur vor, Mitarbeiter wären mehrere Tage lang nicht per E-Mail erreichbar. Für
Unternehmen, für die eine schnelle und regelmäßige Kommunikation entscheidend ist,
wie zum Beispiel in der Kommunikationsbranche, kann ein Ausfall der Systeme ge-
schäftsschädigend sein.
Die Integration der IT-Systeme hat zwar auch ihren Preis, da in der Regel etwa 30 %
der Gesamtintegrationskosten allein darauf entfallen. Die Investition ist angesichts der
erreichten Synergien jedoch mehr als sinnvoll. Wie hoch die Kosten und der Zeitauf-
wand tatsächlich sind, hängt vom konkreten Fall ab. Tendenziell aber gilt: Oft wenden
Unternehmen für die IT-Integration bei Unternehmensfusionen deutlich mehr Geld und
Zeit als nötig auf, da es ihnen an Erfahrung mangelt, den Prozess ausreichend vorzu-
bereiten und effizient umzusetzen.
Aus diesem Grund ist ein konsequentes Projekt-, Integrations- und Kostenmanage-
ment essenziell. Daneben gilt es, schnell und flexibel vorzugehen, um die Integration
effektiv voranzutreiben. Ein Standardvorgehen für IT-Integrationen gibt es allerdings
nicht. Wie auch die Kosten und Synergien unterscheidet sich die konkrete Vorgehens-
weise von Fall zu Fall teilweise erheblich und ist abhängig vom Umfang und Zweck der

* Unverändert übernommen aus M & A REVIEW 9/2013


** Stefan Schaaf, Executive Director, Ernst & Young GmbH, Düsseldorf.
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510  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

M & A-Transaktion. Der Artikel gibt Hinweise darauf, was Integrationsteams beachten


müssen, um IT-Systeme effizient zusammenzuführen.

2 Bereiche der IT-Integration


Die IT-Integration betrifft drei Komponenten: (1) IT-Organisation und -Prozesse, (2)
Applikationen und System sowie (3) IT-Infrastruktur und -Sicherheit. Sie bergen jeweils
unterschiedliche Risiken und Synergiepotenziale.
Die IT-Organisation und -Prozesse bezeichnen die Art und Weise, wie die Prozesse
und Leistungen der IT innerhalb eines Unternehmens strukturiert sind. Wie dieser orga-
nisatorische Aufbau konkret aussieht, hängt von dem Geschäftsfeld und den Geschäfts-
abläufen des Unternehmens sowie den Ansprüchen der Fachbereiche an die IT ab. Die
IT-Organisation sollte sich deswegen immer stark an der Unternehmensstruktur ausrich-
ten. Die größte Herausforderung liegt dabei darin, die IT-Struktur einerseits kostenopti-
miert aufzubauen, was häufig mit einer Zentralisierung einhergeht. Andererseits muss
jedoch sichergestellt sein, dass alle Fachbereiche jederzeit die erforderlichen Leistungen
erhalten. In diesem Spannungsfeld schlummert auch das größte Synergiepotenzial. Da-
neben sollte überprüft werden, welche IT-Services intern bereitgestellt werden sollten
und wo eine optimierte Fremdvergabe sinnvoller ist – auf diese Weise können zusätz-
liche Effizienzen gehoben und darüber hinaus Kosten eingespart werden. Gleichzeitig
ergeben sich hier jedoch auch Risiken. Denn auch bei hohen Einsparzielen muss trotz-
dem gewährleistet sein, dass alle Anforderungen an die Organisation erfüllt werden.
Das zweite Themenfeld, das von der IT-Integration betroffen ist, sind Applikationen
und Systeme. Applikationen sind im Wesentlichen Anwendungssoftware. Das bedeutet
im weitesten Sinne, dass es sich dabei um ein Programm zur Unterstützung des Compu-
ternutzers handelt, darunter fallen zum Beispiel Textverarbeitungsprogramme. Davon
abzugrenzen ist der Begriff Systemsoftware: Sie bildet die Basis für die Anwendungs-
software. Sie ist für die Steuerung aller Abläufe beim Betrieb eines Computers verant-
wortlich und »vermittelt« zwischen Anwendungssoftware und Hardware. Betriebssys-
teme, wie zum Beispiel Windows, gehören zur Systemsoftware.
Bei der Integration von Applikationen und Systemen ist zu beachten, dass die zu-
künftige gemeinsame Applikations- und Systemlandschaft nicht nur vom technischen
Standard der bis dahin genutzten Applikationen und Systeme abhängig ist. Sie muss auf
die Geschäftsmodelle und Geschäftsprozessanforderungen des Käufers zugeschnitten
sein. Synergiepotenziale bieten sich hier insbesondere in den Bereichen IT-Hosting,
IT-Lizenz und IT-Support.
Das Integrationsteam legt pro Applikation und System der übernommenen Unter-
nehmen oder Unternehmensteile einzeln fest, wie damit zukünftig verfahren wird: Sie
können entweder weiter genutzt oder in eine Applikation oder ein System des Käufers
integriert werden. Alternativ wird die Nutzung ganz eingestellt, sofern kein Bedarf
mehr besteht. In den meisten Fällen werden die Applikationen und Systeme des Käufers
auf jene der gekauften Einheiten übertragen. Hier kann sich jedoch ein Blick über den
Tellerrand lohnen: Auch die Applikationen und Systeme der übernommenen Einheiten
können unter Umständen für die Käuferseite sinnvoll sein. Ein »Best-Practice«-Ansatz
ermöglicht es hier, zusätzliche Potenziale zu heben. Bei der Integration von Applikati-
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XVIII. IT als kritischer Erfolgsfaktor im Rahmen einer M & A-Integration  |  511


Teil

onen sollten stets auch die Geschäftsprozesse überprüft werden, gegebenenfalls kann
eine Anpassung erforderlich sein.
Das dritte Themenfeld ist die IT-Infrastruktur und -Sicherheit. Der Begriff IT-Infrastruk-
tur steht für die komplette IT-Landschaft eines Unternehmens. Dazu gehören unter ande-
rem Data-Center, IT-Anlagen, Netzwerke, das Internet und Intranet sowie E-Mail-Systeme.
IT-Sicherheit bedeutet in erster Linie, den Schutz von Programmen, Systemen und Daten
vor Ausfällen oder Zugriff Dritter zu gewährleisten. Letzteres hat bei Integrationen zuletzt
zunehmend an Bedeutung gewonnen. Fälle von Datendiebstahl und Internet-Kriminalität
sind Themen von großer aktueller Brisanz. Bei IT-Integrationen ist die Gefahr besonders
groß, dass sensible Unternehmensdaten nicht ausreichend geschützt sind, weil alles im
Umbruch ist. IT-Sicherheit muss deswegen bei jeder Fusion einen hohen Stellenwert ein-
nehmen. Jedes Unter-nehmen sollte umfangreiche Maßnahmen zur IT-Sicherheit ergreifen
– nicht nur, aber insbesondere während einer Integration.
Daneben ist ebenfalls sehr wichtig, Ausfälle der IT-Systeme zu vermeiden bezie-
hungsweise Notfallpläne bereitzuhalten. Vorfälle wie zum Beispiel ein Brand in den
Serverräumen können zu langen Ausfällen der Systeme führen und den Ablauf der
Geschäftsprozesse beeinträchtigen. Maßnahmen zur IT-Sicherheit sind zum Beispiel
Speicherung der Daten als Back-up, Firewall-Regeln, User-ID-Management oder Richtli-
nien zur mobilen Datennutzung.

3 Due Diligence
Vor dem Beginn jeder Unternehmensfusion steht zunächst einmal ein Due Diligen-
ce-Prozess, der sinnvollerweise eine spezielle IT-Due-Diligence beinhalten sollte. Dabei
geht es zunächst darum, sich einen Überblick auf die IT-Landschaft zu verschaffen und
umfassende Informationen zu sammeln. In diesem Zusammenhang sollte die Käufer-
seite bereits auch eine IT-Integrationsstrategie festlegen, die sich aus der Gesamtinteg-
rationsstrategie des Unternehmens ableiten lässt.
Bei der IT-Integration unterscheidet man verschiedene Integrationstiefen, die für die
jeweilige Integration im Zuge der Strategiefindung festzulegen sind: Werden die IT-Orga-
nisationen, -Prozesse und -Systeme separat gehalten, spricht man von einem »Stand-Alo-
ne«-Szenario. Ein solches Szenario empfiehlt sich zum Beispiel, wenn ein Unternehmen
oder ein Unternehmenteil als temporäre Finanzanlage erworben wird. In diesem Fall
findet im Grunde keine Integration statt.
Daneben können IT-Systeme, -Organisationen und -Prozesse teilweise (»Partial Inte-
gration«) oder vollständig (»Complete Integration«) integriert werden. Solche tiefer grei-
fenden Strategien werden in der Regel dann gewählt, wenn das erworbene Unternehmen
oder der Unternehmensteil mittel- oder langfristig in das operative Geschäft des Käufers
eingebunden werden soll. Wichtig dabei ist: Je höher der Integrationsgrad, desto größer
sind die Synergiepotenziale sowohl in der IT selbst als auch in anderen Bereichen des
Unternehmens, die durch die IT unterstützt werden. Allerdings steigt analog zum In-
tegrationsgrad auch der Integrationsaufwand. Damit die Integration effizient ablaufen
kann, müssen Aufwand und Nutzen für jeden Fall sorgfältig abgewogen werden.
Ist die IT-Integrationsstrategie definiert und liegen dem Integrationsteam die IT-Kos-
tenstrukturen der gekauften Einheiten vor, lassen sich daraus Synergiepotenziale und
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512  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

-kosten bestimmen. Dabei handelt es sich sowohl um die Synergien in der IT als auch
in den Fachbereichen. Im Zuge der Synergieplanung werden dann mögliche Synergie-
treiber identifiziert und ihre Effekte auf die jeweiligen Gewinn- und Verlustpositio-
nen beziehungsweise auf das EBIT für einen bestimmten Zeithorizont ermittelt. Dabei
sollte berücksichtigt werden, ob Investitionen notwendig sind, um Synergien zu re-
alisieren. Wenn auf Käufer- oder Verkäuferseite noch Investitionen im IT-Bereich im
Gange sind, müssen diese gegebenenfalls angepasst werden. Die Schätzung der Höhe
der IT-Integrationskosten und der möglichen Synergien kann auf Basis geeigneter In-
dustrie-Benchmarks erfolgen. Die Ergebnisse der Synergieberechnungen, der geplante
Kaufpreis und die geplanten Integrationskosten ermöglichen dem Käufer eine Wirt-
schaftlichkeitsbetrachtung der geplanten Investition.

IT-relevante
Synergien

*Fachbereichs-
synergien ermöglicht
100 % 40–80 % durch IT

10–30 %

10–30 %

Erwartete Fachbereichs- IT-abhängige Reine IT-


Gesamt- synergien Synergien* Synergien
synergien

Abb. 1: Synergien der IT-Integration (Quelle: Ernst & Young GmbH)

Erfahrungswerte zeigen, dass innerhalb der IT bis zu 30 % der möglichen Gesamtsy-
nergien erzielt werden können. Insbesondere bei den Personal-, Hardware- und Hos-
ting- sowie Lizenzkosten ergeben sich Synergien: Durch die Konsolidierung und Zen-
tralisierung von Systemen und Services besteht hier erhebliches Einsparpotenzial. Für
die Personalkosten, die in der IT anfallen, kann unter Umständen auch Outsourcing
sinnvoll sein, wenn durch die IT-Integration eine kritische Größe erreicht wird. Bei den
Lizenzen können Skaleneffekte bei der Beschaffung ebenfalls Kosten senken.
In den Fachbereichen ermöglicht die IT ebenfalls bis zu 30 % der potenziellen Ge-
samtsynergien. So können zum Beispiel Shared Service Center in den Fachbereichen
effektiver betrieben werden, wenn die IT einheitliche Applikationen und Systeme zur
Verfügung stellt. Auch einheitliche Datenbasen können Synergien ermöglichen. In der
Beschaffung ist zum Beispiel die Bündelung von Einkaufsvolumen bei gemeinsam ge-
nutzten Lieferanten oder im Vertrieb Cross-Selling an Kunden möglich.
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XVIII. IT als kritischer Erfolgsfaktor im Rahmen einer M & A-Integration  |  513


Teil

4 Vorbereitung ab Signing
Mit dem Signing beginnt die Vorbereitung für Tag 1 nach dem Closing. Wenn die
zukünftigen IT-Standards sowie deren Kosten und Risiken feststehen, wird in einem
nächsten Schritt für jeden Bereich und jede Komponente zunächst der Status quo über-
prüft und im Anschluss alle notwendigen Maßnahmen festgelegt, um die Zielstandards
zu erreichen. In der Regel ist es jedoch nicht möglich, alle Integrationsschritte bis zum
Tag 1 nach dem Closing umzusetzen. Aus diesem Grund gilt es, für einige Bereiche
Interimsperioden abzustecken und Maßnahmen festzulegen, wie das Unternehmen die
Übergangsfrist überbrücken kann. Dabei ist es wichtig, nicht nur das angestrebte Ziel,
sondern auch alle in diesem Zusammenhang umzusetzenden Schritte detailliert zu
dokumentieren. So kann der Fortschritt der Integration effektiv überprüft werden.
Neben einer umfassenden Planung und Dokumentation kann es auch entscheidend
zum Erfolg der Integration beitragen, wenn alle Ebenen des Unternehmens in die Pla-
nung und später auch die Umsetzung eingebunden werden. Dabei sollte auch vor den
Chief Information Officers (CIOs) nicht Halt gemacht werden.
Im Bereich der IT-Organisation und -Prozesse werden dazu zunächst die gegen-
wärtig genutzten IT-Organisationen und deren Aufgabenverteilungen analysiert. Diese
Analyse schließt auch die Subunternehmer und IT-Ressourcen in den Fachbereichen
mit ein. Anschließend wird eine Ziel-Organisation festgelegt, die eine genaue Beschrei-
bung der Rollen und Verantwortlichkeiten der Akteure enthält. Daraus werden dann die
erforderlichen Schritte zur Zielerreichung abgeleitet und die begleitenden Change-Ma-
nagement-Aktivitäten bestimmt. Für die IT-Prozesse und -Dokumentationen werden
ebenfalls die zukünftigen Standards und Schritte definiert, mit deren Hilfe die Ziele
erreicht werden sollen. Industriestandards wie Cobit, ITIL oder PMI dienen dabei häufig
als Maßstab.

Signing Closing

Angebot & Tag 1


Strategie & Suche Due Diligence Integration
Verhandlung Vorbereitung

Anforderungen,
Konzepte, Risiken,
IT Due Diligence
Kosten und
Synergien

IT Vorbereitung Blueprint und


IT-Integrationsaktivitäten

Aktivitäten-
ab Signing planung

Readi-
ness
Check

Steuerung und IT Integration vor/ab


Kontrolle der
Aktivitäten Closing

IT-Synergie-
IT-Synergieplanung
nachverfolgung

Abb. 2: Phasen der IT-Integration (Quelle: Ernst & Young GmbH)


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514  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

Auch im Bereich der Applikationen und Systeme müssen die Schritte der Integration
detailliert geplant werden. In der Integrationsstrategie ist bereits festgelegt, wie mit den
Applikationen und Systemen verfahren werden soll, die das übernommene Unterneh-
men bislang genutzt hat. Wie oben bereits erwähnt, ist es hier zum Beispiel möglich, die
Applikationen und Systeme in eine vergleichbare Applikation oder ein vergleichbares
System des Käufers zu integrieren, sie eigenständig weiter zu nutzen oder ihren Betrieb
ersatzlos einzustellen.
Während der Integrationsplanung werden auch die zugrundeliegenden IT-Lizenzen
und -Serviceverträge gesichtet und eventuelle Kündigungs- und Anpassungstermine
bestimmt. Um Transferperioden bei der Integration von Applikationen und Systemen
zu überbrücken, kann es zum Beispiel sinnvoll sein, dass die Verkäuferseite Applika-
tionen und Systeme vorübergehend weiter zur Verfügung stellt (zum Beispiel Hosting
& Support). Dies geschieht auf Basis von Transitional Service Agreements (TSAs), die
ebenfalls während der IT-Integrationsplanung abgeschlossen werden.
Für die einzelnen Bereiche der IT-Infrastruktur und -Sicherheit wird ebenfalls zu-
nächst jeweils der Status quo der Einheiten festgelegt, bevor der zukünftige Standard
definiert wird. Bei der Integration von Data-Centern hat das Integrationsteam in der
Regel zwei Möglichkeiten: Entweder betreibt das erworbene Unternehmen weiterhin
seine Data-Center – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Betriebsstandards des
Käufers – oder die Data-Center der Verkäuferseite werden in diejenigen des Käufers in-
tegriert. Auch die Netzwerke bilden einen wichtigen Teil der IT-Infrastruktur. Hier ist es
besonders wichtig, Konzepte für die Interimsperiode bis zum Abschluss der Integration
zu entwerfen. Häufig werden den Mitarbeitern der übernommenen Unternehmen oder
Unternehmensteile separate User-IDs und VPN Tunnel eingerichtet, damit sie bereits am
Tag 1 nach dem Closing auf Applikationen und Systeme des Käufers zugreifen können.
Für die Kommunikationssysteme gilt: Damit die Mitarbeiter der übernommenen Firma
ab dem Closing ihre neuen E-Mail-Adressen nutzen können, unter den alten aber noch
erreichbar sind, müssen neue E-Mail-Accounts und Weiterleitfunktionen eingerichtet
werden.
Wie oben bereits erwähnt, birgt eine IT-Integration nicht nur Synergiepotenziale,
sondern auch Risiken. Das ist insbesondere bei der Vorbereitung zur Integration der
Applikationen und Systeme zu beachten – denn diese kann den Geschäftsablauf des Un-
ternehmens gefährden. Gegenmaßnahmen, die im Notfall ergriffen werden können, um
Risiken aufzufangen, sollten unbedingt Teil der Integrationsplanung sein. Die meisten
Risiken lassen sich zwar mit vertretbarem Aufwand reduzieren, in einer IT-intensiven
Branche wie dem Online-Handel aber kann das Gefahrenpotenzial einer IT-Integration
gar die Entscheidung über den Kauf eines Unternehmens beeinflussen und Zünglein an
der Waage sein.
Stehen die vorgesehenen Integrationsaktivitäten aller drei Bereiche fest, wird ein
Zeitplan erstellt. Einige Schritte müssen dabei bereits vor dem Closing durchgeführt
werden. Für die restlichen werden jeweils Fristen festgelegt, die idealerweise in einen
30-Tages-Rhythmus ab Closing unterteilt sind. Das bedeutet, dass einige Aufgaben be-
reits mit dem Closing abgeschlossen sein müssen, andere jedoch erst nach 30, 60 oder
90 Tagen.
Alle vorgesehenen Schritte inklusive ihrer Deadlines werden im Aktivitätenplan so-
wie im Blueprint detailliert festgehalten. Wie bereits erwähnt helfen diese später dem
Projektmanagement, den Fortschritt der Integration zu überwachen und zu kontrollie-
ren. Kurz vor dem Closing findet ein IT-Readiness-Check statt: Hier wird überprüft, ob
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XVIII. IT als kritischer Erfolgsfaktor im Rahmen einer M & A-Integration  |  515


Teil

alle Vorbereitungen für den Beginn der Integration abgeschlossen sind. Viele Konzerne,
die häufiger Integrationen von Unternehmen oder Unternehmensteilen durchführen,
haben Methoden und Tools zur Planung und Durchführung von Integrationen in soge-
nannten »Playbooks« festgehalten, auf die sie bei Bedarf zurückgreifen können.

5 Integration ab Closing
Mit dem Closing beginnt schließlich die Umsetzung der Maßnahmen. Bereits zu diesem
Zeitpunkt sollte das Unternehmen mit der Nachverfolgung der Synergien beginnen, die
auch über die Zeit der Integration hinaus fortgeführt werden sollte. Je nach Größe der
Unternehmen kann die Integrationsdauer mehrere Wochen oder auch mehrere Jahre in
Anspruch nehmen, zumal Synergien teilweise durchaus auch erst nach einigen Jahren
sichtbar werden. Aus diesem Grund sollten die Verantwortlichkeiten in diesem Bereich
klar geregelt sein. Bei der Überprüfung und Nachverfolgung der Synergien darf jedoch
nicht unterschätzt werden, dass unvorhergesehene Ereignisse die geplanten Ergebnisse
beeinflussen können. Diese Effekte müssen bei der Nachverfolgung separiert werden.
Es ist empfehlenswert, zur Planung und besonders zur Nachverfolgung der Synergien
entsprechende Tools zu nutzen.
Im Bereich »Applikationen und Systeme« ist auch nach dem Closing zu beachten:
Wenn es sich um ERP-Systeme handelt, bestehen bis zur vollständigen Integration der
Systeme Berichtsanforderungen der übernommenen Unternehmen an die Käuferseite.
Diese Anforderungen lassen sich unter Umständen nicht direkt aus den Applikationen
der gekauften Einheiten ableiten. Dabei handelt es sich unter anderem um Finanzbe-
richte wie die Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanzberichte für Monats- oder Jahresab-
schlüsse oder um Berichte mit Einkaufs- und Verkaufsdaten. Je nach den Berichtsanfor-
derungen und dem zugrunde liegenden Datenvolumen können für eine Interimsperiode
technische Anpassungen notwendig werden, zum Beispiel Extrakt- und Konversati-
onsprogramme aus den Applikationen der gekauften Einheiten. Die zugrunde liegen-
den Stammdaten werden dabei auf die Strukturen des Käufers übersetzt. Dazu kann
gegebenenfalls ein zentrales Stammdatensystem behilflich sein, das der Käufer nutzt.

6 Fazit
Eine IT-Integration ist ein komplexer und vielschichtiger Prozess – eine umfassende
und vor allem frühzeitige Planung ist aus diesem Grund essenziell. Daneben sind ein
konsequentes Projekt- und Kostenmanagement unabdingbar. Innerhalb der gesamten
Integration ist die IT-Integration zwar nur ein Teilaspekt – es ist jedoch insgesamt bis
zu 60 % der Synergien – jeweils bis zu 30 % in der IT und in den Fachbereichen – von
ihr abhängig.
Die IT-Integration erstreckt sich auf die Bereiche IT-Organisation und -Prozesse, Ap-
plikationen und Systeme sowie IT-Infrastruktur und IT-Sicherheit. Im Hinblick auf die
Integration bergen sie, neben dem Synergiepotenzial, jedoch auch unterschiedliche Ri-
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516  |  M & A aus Transaktionsperspektive


Teil

siken und Gefahrenpotenziale, denen das Integrationsteam mit unterschiedlichen Maß-


nahmen begegnen muss. Insbesondere die IT-Sicherheit ist hier von großer Bedeutung.
Denn während einer Integration ist die Gefahr besonders hoch, dass zum Beispiel sen-
sible Daten nicht ausreichend vor dem Zugriff von außen geschützt sind. Unternehmen
sollten der IT-Sicherheit also einen hohen Stellenwert beimessen – sowohl während der
Integration als auch darüber hinaus.
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Teil

C. M & A aus rechtlicher Perspektive


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  |  519
Teil

I. M & A-Rechtsentwicklungen –
Blicke zurück und nach vorn
Andreas Binder*

1 Einleitung
2 Vertragsrecht
2.1 Entstehung eines internationalen Unternehmenskaufrechts
2.2 Asset Deal mittels Singularsukzessionen oder partieller Universalsukzession
3 Gesellschafts- und Übernahmerecht
3.1 Gesellschaftsrecht
3.2 Übernahmerecht
4 Öffentliches Recht
4.1 Wachsende Bedeutung behördlicher Bewilligungen bei M & A-Transaktionen
4.2 Wettbewerbsrecht
4.3 Steuerrecht
5 Ausblick auf die nächsten 25 Jahre: Corporate Governance
vor einem Paradigmawechsel
5.1 Aktuelle Entwicklungen im Markt für Unternehmenskontrolle
5.2 Gebot der Zeit: Langfristigkeit
5.3 Neue Rolle des Aktionärs

1 Einleitung
Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch, in großen Linien einen Überblick über
M & A-relevante Rechtsentwicklungen der vergangenen 25 Jahre zu zeichnen, und wagt
gleichzeitig Blicke in die Zukunft.
Der Ausgangspunkt der Betrachtungen liegt angesichts der Verwurzelung des Autors
im Schweizer Recht. Wo immer möglich wird der Blick aber auch nach Deutschland,
nach Europa und in die Welt gerichtet und versucht, internationale Entwicklungslinien
aufzuzeigen, Gemeinsames und Unterschiedliches.
Ein Tour d’horizon über die vergangenen 25 Jahre, eine für den Praktiker eher un-
gewohnte Sicht, zeigt erstaunliche Erkenntnisse: Vieles, sehr vieles hat sich in dieser
Zeit im M & A-Recht gewandelt, ganze Rechtsgebiete sind neu entstanden wie insbeson-
dere das Übernahmerecht, aber auch das Umstrukturierungsrecht, alte Fragen wie die
Vinkulierung der Aktienübertragungen wurden anders beurteilt und neu geregelt, der
Aktionär bekam eine völlig neue, zentrale Stellung im Corporate Governance-System
der börsenkotierten Aktiengesellschaft, der Staat hat sich mit Macht als relevanter Mit-

∗ Prof. Dr. Andreas Binder, Honorarprofessor für Schuld- und Gesellschaftsrecht, Universität St. Gal-
len (HSG); Partner, Rechtsanwalt, Binder Rechtsanwälte, St. Gallen/Baden.
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520  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

spieler im M & A-Geschehen positioniert. In der Form von Private Equity, Hedgefonds


und Staatsfonds sind neue Investoren aufgetaucht, die das Spiel und in der Folge auch
die Spielregeln im M & A-Markt massiv verändern, unfreundliche Übernahmeversuche
werden immer zahlreicher und führen immer öfter zu einem Kontrollwechsel, die Staa-
ten reagieren mit nationalistischen Schutzmaßnahmen und Interventionen. Aktien wer-
den weit mehr als früher kollektiv statt individuell gehalten, institutionelle Investoren
werden damit immer gewichtiger, und mit ihnen nimmt auch die Macht der Stimm-
rechtsberater (Proxy Advisors) zu. Und schließlich stellen das dank Finanzderivativen
ermöglichte Phänomen des Empty Voting und die damit verbundene Entkoppelung der
Stimmrechte der Aktionäre in der Generalversammlung vom wirtschaftlichen Eigentum
und Risiko an den Aktien sowie die immer kurzfristigere Orientierung der Aktionä-
re ein Fundamentalprinzip der Corporate Governance in Frage: Das Axiom gerät ins
Wanken, wonach die eigenen Interessen des Aktionärs i. d. R. den Interessen aller Ak-
tionäre und den Unternehmensinteressen entsprechen. Und damit geraten die Aktionäre
nicht nur wegen des weltweiten Trends der Machtverlagerung hin zu ihnen und weg
von den Leitungsorganen, sondern auch von anderer Seite in den Fokus der Corporate
Governance-Debatte: Es wird über eine neue Rolle des Aktionärs nachgedacht, über
Best-Practice-Verhalten oder gar neue Pflichten der Aktionäre oder über die Koppelung
einzelner ihrer Rechte an eine gewisse Haltedauer der Aktien. Und dies, so lautet die
hier vertretene These, ist nicht bloß ein kurzfristiger Modetrend, sondern wird ange-
sichts des in der Folge der Kredit- und Finanzkrise 2007 bis 2009 aufgekommenen neuen
Gebots der Langfristigkeit nachhaltig wirken und das M & A-Recht prägen.

2 Vertragsrecht
2.1 Entstehung eines internationalen Unternehmenskaufrechts
In der internationalen M & A-Praxis hat sich über die letzten 25 Jahre ein weitgehend
einheitlicher Standard für den Inhalt von Unternehmenskaufverträgen herausgebildet.
Diese Entwicklung wurde maßgeblich getrieben durch die angloamerikanische Metho-
de der Vertragsgestaltung, welche auf dem Prinzip basiert, möglichst alle relevanten
Fragestellungen im Vertrag zu adressieren, und die damit im Unterschied zur kontinen-
taleuropäischen Usanz seit jeher äußerst umfangreiche Vertragstexte mit sich brachte.
Da sich diese angloamerikanische Methode in der M & A-Praxis mehr und mehr durch-
setzte, verfügen die Unternehmenskaufverträge heute international weitgehend über die
gleiche Struktur und den gleichen Regelungsinhalt, sie bilden ein »eigenständiges und
umfassendes Regelungssystem«1, das mit Fug und Recht als internationales Unterneh-
menskaufrecht bezeichnet werden darf.2
Die Entstehung eines solchen internationalen Unternehmenskaufrechts war deshalb
möglich, weil in weiten Teilen des Vertragsrechts sowohl in Europa wie in den USA das
Prinzip der Vertragsfreiheit gilt, welches es den Parteien freistellt, individuell vereinbarte
Regeln aufzustellen. Diese Freiheit kommt in allen Bereichen des Kaufvertrages zum

1 Picot 2016, S. 554.


2 Vgl. auch Tschäni/Wolf 2016, Kap. 1.3, S. 577  f.; Picot 2008, S. 44.
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  521


Teil

Tragen, so bei Kaufpreisbestimmung und -anpassung, bei der Regelung des Übergangs
von Nutzen und Gefahr, bei der Regelung der Periode zwischen Unterzeichnung und
Vollzug und namentlich bei Erfüllungsstörungen.
Das auf diese Weise mit der Zeit entstandene internationale Unternehmenskaufrecht
hat sich damit vom dispositiven Kaufvertragsrecht in den einzelnen Ländern emanzi-
piert, womit auch die Frage der Rechtswahl an sich weniger wichtig geworden ist. Trotz
dieser Entwicklung kommt aber der Frage des auf die Transaktion anwendbaren Rechts
und insbesondere auch der mit dieser eng zusammenhängenden Frage nach dem zu-
ständigen Gericht (örtliche Zuständigkeit des staatlichen Gerichts oder Schiedsgericht)
in der M & A-Praxis nach wie vor – und wie Streitfälle zeigen durchaus zu Recht – au-
ßerordentlich große Bedeutung zu.

2.2 A
 sset Deal mittels Singularsukzessionen
oder partieller Universalsukzession
Eine grundlegende Weichenstellung im Bereich von Unternehmenskaufverträgen ergibt
sich damit heute weniger aus der Frage des anwendbaren Rechts als aus der Frage nach
der Strukturierung des Kaufvertrages als Kauf der Geschäftsanteile, insbesondere Ak-
tienkauf (Share Deal) oder Kauf eines Unternehmens mit Aktiven und Passiven (Asset
Deal). Gegenüber dem Kauf der Geschäftsanteile bietet der Asset Deal bekanntlich den
Vorteil, dass die Vertragsparteien das Kaufobjekt weitgehend individuell zusammen-
stellen können. Aus diesem Grund haben beispielsweise Asset Deals bei M & A-Trans-
aktionen in der Finanzindustrie in den letzten Jahren jedenfalls in der Schweiz stark
an Bedeutung gewonnen.
Früher erfolgte ein Asset Deal als Kauf von Aktiven, Passiven und Verträgen mangels
spezifischer Rechtsvorschriften auf der Basis einer Vielzahl von Singularsukzessionen.
Aktiven mussten nach der für das jeweilige Wirtschaftsgut maßgeblichen Form über-
tragen werden, Grundstücke mittels öffentlicher Beurkundung, Fahrnis mittels Besitz-
übergabe, Forderungen mittels Zession. Für die Übertragung von Schulden bedurfte
es zwingend der Zustimmung des betreffenden Gläubigers, für die Übertragung von
Verträgen derjenigen des Vertragspartners.
Um die Formalitäten im Zusammenhang mit Asset Deals zu erleichtern, hat der
schweizerische Gesetzgeber im Jahr 2004 im Fusionsgesetz (FusG) die Möglichkeit
geschaffen, einen Unternehmenskauf in der Form einer sog. Vermögensübertragung ge-
mäß Art. 69 ff. FusG zu vollziehen. Das Institut der Vermögensübertragung wird auch
umschrieben als gewillkürte Gesamtrechtsnachfolge, indem es den Vertragsparteien
grundsätzlich freigestellt ist, in einem Inventar die übergehenden Vermögensbestand-
teile aufzuführen mit dem Effekt, dass sämtliche inventarisierten Aktiven und Passi-
ven ohne weitere Übertragungserfordernisse an den Käufer übergehen, ohne dass es
für Schulden der sonst unerlässlichen Zustimmung der Gläubiger bedarf. Zum Schutz
der Interessen des Gläubigers wird dieser Schuldnerwechsel durch eine solidarische
Haftung des Verkäufers gegenüber dem Gläubiger abgefedert. Die Verlockung der we-
sentlich einfacheren Übertragung der Aktiven und Passiven wird damit aber vom Ver-
äußerer teuer erkauft, kann er doch infolge der solidarischen Haftung das an sich mit
dem Verkauf angestrebte Ziel der Abtrennung des verkauften Unternehmens aus seinem
Einfluss- und Risikobereich nicht erreichen. Da dieses Ziel der sauberen und konsequen-
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522  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

ten Abtrennung der Unternehmenssphären für Verkäufer und Käufer regelmäßig sehr
wichtig ist, hat sich in der schweizerischen M & A-Praxis das Institut der Vermögens-
übertragung nur beschränkt durchgesetzt, und sehr viele M & A-Transaktionen werden
ganz bewusst weiterhin auf dem Weg der Singularsukzessionen abgewickelt.3

3 Gesellschafts- und Übernahmerecht


3.1 Gesellschaftsrecht
3.1.1 Vinkulierung

Eine Aktie ist als Wertpapier oder Wertrecht an einer Gesellschaft grundsätzlich wie
jedes andere Wertpapier oder Recht frei übertragbar. Dies bedeutet, dass ein Verkäufer
frei ist, das Wertpapier oder das Recht einer beliebigen natürlichen oder juristischen
Person zu verkaufen.
Der Grundsatz der freien Übertragbarkeit kann jedoch bei Aktien eingeschränkt
werden; diese Beschränkung der freien Veräußerlichkeit von Aktien wird Vinkulierung
genannt. Die meisten Jurisdiktionen kennen Vinkulierungsvorschriften.
Anhand der Entwicklung der Vinkulierungsvorschriften für schweizerische Publi-
kumsgesellschaften lässt sich plastisch nachzeichnen, wie die Stärkung der Stellung
der Aktionäre und die Entstehung eines Marktes für Unternehmenskontrolle die früher
hohen Vinkulierungswälle über die letzten 25 Jahre weitgehend geschliffen haben.
Bis 1992 konnten die schweizerischen Gesellschaften die Eintragung eines Aktiener-
werbers im Aktienbuch von bestimmten in den Statuten umschriebenen Vorausset-
zungen (z. B. dem Schweizer Bürgerrecht oder dem Nichtvorhandensein einer Konkur-
rentenstellung des Erwerbers) abhängig machen oder gar ohne Angabe von Gründen
verweigern. Einzige Schranke war das Willkürverbot, dessen Verletzung allerdings im
Einzelfall kaum nachzuweisen war, weil die Gesellschaft ja keine Gründe für die Ab-
lehnung nennen musste. Verstärkt wurde die Wirksamkeit der Vinkulierungsvorschrif-
ten in der Praxis durch eine Selbstbeschränkung der mit Aktien handelnden Banken:
Gemäß einer Empfehlung der Schweizerischen Bankiervereinigung aus dem Jahr 1961
sollten die Banken Aufträge zum Kauf vinkulierter Aktien nicht ausführen, wenn klar
war, dass der Auftraggeber die Vinkulierungsbedingungen der Gesellschaft nicht erfüll-
te.4 Die Eintragungsverweigerung führte immerhin nicht zu einer völligen Blockierung
des Erwerbers, gingen doch das Eigentum an den Aktien und die aus den mitglied-
schaftlichen Vermögensrechten fließenden Forderungsrechte (z. B. Dividendenansprü-
che) dennoch auf diesen über. Die mit den Aktien verbundenen Mitgliedschaftsrechte,
namentlich das Stimmrecht, blieben dagegen beim Veräußerer. Im Ergebnis führte dies
zu einer Spaltung der Aktionärsrechte.

3 Für weitere Besonderheiten der Vermögensübertragung vgl. Schenker 2016, Kap. 2.3, S. 625.
4 Vgl. Tschäni 1989, S. 179 f.
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  523


Teil

In der Praxis verfügten die meisten schweizerischen Publikumsgesellschaften in der


damaligen Zeit über eine strenge Vinkulierung mit der Möglichkeit der Ablehnung eines
Erwerbers ohne Angabe von Gründen.5
Im Zuge der Aktienrechtsrevision 1992 wurden die Vinkulierungsmöglichkeiten na-
mentlich für Publikumsgesellschaften massiv eingeschränkt. An die Stelle der praktisch
schrankenlosen Möglichkeit der Ablehnung missliebiger Aktionäre durch die Gesell-
schaft trat ein Regime, welches eine Nichtanerkennung eines Erwerbers nur noch in
drei klar definierten Fällen zuließ. Hauptanwendungsfall ist die sog. Prozentklausel
gemäß Art. 685d Abs. 1 OR, welche es der Gesellschaft ermöglicht, die Bildung größerer
Aktienpakete mittels Vinkulierung zu behindern. Viele schweizerische Publikumsge-
sellschaften verfügen heute über Statutenbestimmungen, welche die Ablehnung von
Erwerbern erlauben, wenn diese mit dem Erwerb mehr als bspw. 5 % oder 10 % der
Aktien der Gesellschaft besitzen würden.6 Anders als früher verbleiben das Eigentum
und die damit verbundene Rechte bei fehlender Zustimmung der Gesellschaft nicht
mehr beim Veräußerer, sondern gehen ebenfalls an den Erwerber über, bei dem diese
Rechte allerdings ruhen (Art. 685f OR). Im Ergebnis führte die neue Regelung zu einer
starken Aufweichung der Vinkulierung und zu einer völligen Devinkulierung des wirt-
schaftlichen Substrats der Aktie. Die Gesellschaft muss die nicht anerkannten Aktionäre
gemäß Art. 685f Abs. 3 OR in ihrem Aktienbuch als nicht stimmberechtigte Aktionäre
eintragen.
Neben den aufgrund der Vinkulierung ruhenden Stimmrechten hat eine weitere Ent-
wicklung in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Zahl der an einer Generalver-
sammlung stimmberechtigten Aktien massiv abgesenkt wurde: das Phänomen der sog.
Dispoaktien. Dispoaktien entstehen aus folgendem Grund: Gemäß Art. 685e OR muss
bei einem Aktienverkauf über die Börse die Veräußererbank den Namen des Veräußerers
und die Anzahl der verkauften Aktien der Gesellschaft melden, welche in der Folge den
Verkäufer aus dem Aktienbuch austrägt. Verzichtet nun ein Käufer darauf, seinerseits
der Gesellschaft ein Gesuch um Anerkennung einzureichen, so bleibt die Aktienstelle
im Aktienbuch leer. Gemäß gesetzlicher Konzeption sind in dieser Konstellation die
Rechte zwar an den Erwerber übergegangen, allein er kann diese nicht geltend machen,
da die Gesellschaft ihn gar nicht kennt. Unter dem Druck des Kapitalmarktes hat sich
nun aber eine Praxis eingespielt, gemäß welcher die Gesellschaften Dividendenbetreff-
nisse des unbekannten Aktionärs dessen als Dispoadresse bekannten Bank auszahlen.7
Im Ergebnis hat diese Praxis dazu geführt, dass Aktionäre, die nicht am Stimmrecht
interessiert sind, auf die Meldung bei der Gesellschaft verzichten können. Und sie tun
dies, aus vielfältigen Gründen, in großer Zahl: Viele Schweizer Publikumsgesellschaf-
ten verfügen heute über Dispoaktienbestände von 30 % bis 40 %. Der Effekt ist klar,
insbesondere wenn er in Verbindung mit der bekanntermaßen relativ tiefen Präsenz der
Aktionäre an den Generalversammlungen gesehen wird: Die im Übernahmerecht defi-
nierte Schwelle der Kontrolle, welche weltweit im Bereich von 30 % und in der Schweiz

5 Vgl. Tschäni 1989, S. 178.


6 Zusätzlich können Gesellschaften Personen, namentlich Ausländer, im Erwerb beschränken, wenn
dies erforderlich ist, um durch Bundesgesetze geforderte Nachweise über die Zusammensetzung
des Kreises der Aktionäre zu erbringen (Art. 4 SchlB zum Bundesgesetz über die Revision des
Aktien­rechts vom 04.01.1991). Und zum Dritten können Gesellschaften Erwerber ablehnen, wenn
diese nicht erklären, die Aktien im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erworben zu haben
(Art. 685d Abs. 2 OR).
7 Zum Ganzen vgl. Böckli 2009, § 6 N 165.
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524  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

(Art 32 Börsengesetz [BEHG]) bei 33 1/3% festgesetzt wurde, liegt in Tat und Wahrheit
deutlich tiefer, je nach Struktur und Engagement des Aktionariats irgendwo im Bereich
zwischen 20 % und 25 %. Dies ruft nach einer Lösung des Dispoaktienproblems im
Aktienrecht – oder nach einer Absenkung der Kontrollschwelle im Übernahmerecht.
Im Zusammenhang mit dem Übernahmerecht drängt sich eine weitere Bemerkung
zum Wirksamkeitsverlust der Vinkulierungsvorschriften auf: Da es zulässig ist, Über-
nahmeangebote an Bedingungen zu knüpfen, und da es namentlich möglich ist, die
Aufhebung von Vinkulierungsvorschriften zur Bedingung zu machen, können die oh-
nehin schon weitgehend abgebauten Vinkulierungshürden heute keinesfalls mehr vor
(unfreundlichen) Übernahmen schützen. Es ist der Aktionär und nicht mehr die Un-
ternehmensleitung, welcher entscheidet, ob ein neuer Aktionär im Übernahmekampf
akzeptiert wird.

3.1.2 Stellung des Aktionärs


Der Aktionär ist definitiv der Mitspieler in der Aktiengesellschaft, der in den letzten
25 Jahren aus dem Dornröschenschlaf erwacht ist, der mit einer wesentlich stärkeren
Palette an Rechten ausgestattet worden ist, der selbst – in der Gestalt als Anbieter auf
dem neu entstandenen Markt für Unternehmenskontrolle oder als aktivistischer Akti-
onär – für sich wesentlich mehr Rechte und eine stärkere Machtposition im Gefüge der
Aktiengesellschaft eingefordert hat. Und der Trend in der Corporate Governance-Debatte
geht weltweit seit Jahren in eine Richtung: Mehr Macht den Aktionären.
In der Schweiz diagnostizierte der Bundesrat im Rahmen der Aktienrechtsrevision
1992, der Schutz der Aktionäre liege im Argen, und er verfolgte mit der – vom Gesetz-
geber umgesetzten – Revision des Aktienrechts maßgeblich zwei Ziele: Erstens die
Erhöhung der Transparenz mittels Verbesserung der Information und Erweiterung der
Publizität im Bereich von Jahresrechnung und Geschäftsbericht. Und zweitens die Ver-
stärkung des Aktionärsschutzes durch Verbesserung der Auskunfts- und Einsichtsrechte
sowie Einführung des Instituts der Sonderprüfung, Lockerung der Vinkulierung, Schutz
des Bezugsrechts, Erleichterung der Ausübung der Anfechtungsklage gegen gesetzwid-
rige Generalversammlungsbeschlüsse, Erleichterung der Verantwortlichkeitsklage gegen
Organe sowie Erleichterung der Klage auf Auflösung der Gesellschaft.8
Und die Entwicklung ging weiter: Im Bereich des Übernahmerechts wurde 1998
der Übernahmekodex durch das Börsengesetz abgelöst, welches bemerkenswerterweise
erstmals nicht nur den Katalog der Rechte, sondern auch jenen der Pflichten des Ak-
tionärs erweiterte (vgl. die Ausführungen in Kap. 3.2.3). Und im Jahr 2002 begann in
der Schweiz das Zeitalter des Soft Law im Bereich der Corporate Governance, indem
zeitgleich und aufeinander abgestimmt der Swiss Code of Best Practice des Wirtschafts-
dachverbands Economiesuisse sowie die Richtlinie über Informationen zur Corporate
Governance der Schweizer Börse SIX Swiss Exchange publiziert und in Kraft gesetzt
wurden. Bemerkenswert ist allein die Definition des Begriffs Corporate Governance im
Swiss Code of Best Practice in der damaligen Fassung: Danach ist Corporate Governance
»die Gesamtheit der auf das Aktionärsinteresse ausgerichteten Grundsätze, die unter
Wahrung von Entscheidungsfähigkeit und Effizienz auf der obersten Unternehmens­
ebene Transparenz und ein ausgewogenes Verhältnis von Führung und Kontrolle an-
streben«. Eine solche Fokussierung auf das Aktionärsinteresse wäre zehn Jahre früher

8 Botschaft des Bundesrats über die Revision des Aktienrechts vom 23.02.1983, S. 23 f.
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  525


Teil

undenkbar gewesen. Immerhin ist anzumerken, dass der Swiss Code of Best Practice im
Jahr 2014 überarbeitet wurde und den Begriff Corporate Governance neu wie folgt defi-
niert: »Corporate Governance ist die Gesamtheit der auf das nachhaltige Unternehmens­
interesse ausgerichteten Grundsätze, die unter Wahrung von Entscheidungsfähigkeit und
Effizienz auf der obersten Unternehmensebene Transparenz und ein ausgewogenes Ver-
hältnis von Führung und Kontrolle anstreben« (vgl. dazu auch Kap. 5.2.2).
Seit Mitte des letzten Jahrzehnts ist in der Schweiz eine neue große Aktienrechts-
revision in Bearbeitung, welche sich eine nochmalige wesentliche Stärkung der Rolle
des Aktionärs auf die Fahne geschrieben hat.9 2008 wurde die Volksinitiative gegen die
Abzockerei (sog. Minder-Initiative) eingereicht. Mit ihr wurde die Diskussion um exor-
bitante Vergütungen und die Stärkung der Mitspracherechte der Aktionäre bei der Ver-
gütung (»Say-on-pay«) zum aktienrechtlichen Hauptthema in der öffentlichen Debatte in
der Schweiz. Die Aktienrechtsrevision stand in der Folge im Zeichen der Ausarbeitung
eines Gegenvorschlags zur Volksinitiative gegen die Abzockerei.
Im Jahr 2013 haben Volk und Stände mit großer Mehrheit der Volksinitiative gegen
die Abzockerei zugestimmt. Zwecks Umsetzung der Initiative erließ der Bundesrat per 1.
Januar 2014 die Verordnung gegen übermäßige Vergütungen bei börsenkotierten Aktien-
gesellschaften (VegüV). Neu müssen die Aktionäre aller an einer in- oder ausländischen
Börse kotierten Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz in der Generalversammlung
jährlich bindend über den Gesamtbetrag der Vergütungen des Verwaltungsrates und
der Geschäftsleitung abstimmen.10
Aufgrund der Annahme der Volksinitiative wurde die Vorlage zur großen Aktien-
rechtsrevision vom Parlament zur Überarbeitung an den Bundesrat zurückgewiesen.
Ende 2014 schickte der Bundesrat einen neuen Vorentwurf in die Vernehmlassung mit
umfassenden Revisionspunkten. Der Vorentwurf sah ebenfalls eine weitere Stärkung
der Rechte der Aktionäre vor, so beispielsweise die Senkung der Schwellenwerte für
die Ausübung gewisser Aktionärsrechte oder die Möglichkeit, eine Rückerstattungs-
oder Verantwortlichkeitsklage auf Kosten der Gesellschaft zu erheben. Nachdem in der
Vernehmlassung zum Teil heftige Kritik gegen noch weiter gehende zwingende Regu-
lierungsvorschriften geübt wurde, beauftragte der Bundesrat Ende 2015 das Eidg. Justiz-
und Polizeidepartement mit der Ausarbeitung einer neuen Botschaft an das Parlament
unter gleichzeitiger Festlegung einiger wichtiger Eckpunkte für das Revisionsvorha-
ben: i) Die Aktionärsrechte in Vergütungsfragen sollen gestärkt werden, indem die in
der Verordnung gegen übermäßige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften
(VegüV) enthaltenen Regeln mit einigen – allerdings vermutlich eher geringfügigen – Er-
gänzungen ins Gesetz überführt werden; ii) auf Basis eines Comply-or-explain-Ansatzes
sollen börsenkotierte Gesellschaften einen Geschlechterrichtwert von mindestens 30 %
jedes Geschlechts im Verwaltungsrat und von mindestens 20 % in der Geschäftsleitung
erfüllen; iii) auf die Möglichkeit, eine Rückerstattungs- oder Verantwortlichkeitsklage
auf Kosten der Gesellschaft zu erheben, soll dagegen verzichtet werden.11 Die Botschaft
wird auf Ende 2016 erwartet, sodass in der Schweiz noch einige Jahre verstreichen
werden, bis das umfassende Reformvorhaben den Gesetzgebungsprozess durchlaufen
haben wird.

9 Botschaft des Bundesrats vom 21.12.2007, S. 2 und Zusatzbotschaft vom 05.12.2008, S. 2.
10 Für Einzelheiten vgl. Schenker 2016, Kap. 3.2, S. 630 ff.
11 Medienmitteilung des Bundesrates vom 04.12.2015, http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/
news/2015/2015-12-04.html
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526  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Bei all diesen Entwicklungen fällt auf: Jede Revision beginnt mit der Analyse, die
Stellung des Aktionärs liege im Argen. Und jede Revision verfolgt das Ziel, die Rolle des
Aktionärs zu stärken. Vielleicht muss auch einmal die Frage gestellt werden, weshalb
denn offenbar regelmäßig diese Zielsetzung verfehlt wird. Die Antwort ist offenkundig:
Solange der Aktionär nicht auch mehr Pflichten hat, er insbesondere keiner Treuepflicht
unterliegt, ist es systemimmanent und wird es deshalb immer so sein, dass auch seine
Rechtsstellung im System der Aktiengesellschaft eine beschränkte ist.

3.1.3 Fusion
Mit dem Inkrafttreten des Fusionsgesetzes im Jahr 2004 erfuhr der bis dato sakrosankte
Grundsatz der mitgliedschaftlichen Kontinuität in der Schweiz eine Relativierung. Wäh-
rend bis dahin als ehernes Gesetz galt, dass Gesellschafter der übertragenden Gesell-
schaft(en) mit der Fusion Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft werden und
als einzige Ausnahme der Spitzenausgleich in bar bei nicht ganzzahligen Austausch-
verhältnissen zugelassen war,12 führte das Fusionsgesetz verschiedene Möglichkeiten
ein, Gesellschafter bei der Fusion statt mit Aktien mit Barmitteln zu bedienen. So ist es
gemäß Art. 7 Abs. 2 FusG zulässig, bei der Festlegung des Umtauschverhältnisses für
Aktien eine Ausgleichszahlung bis zu maximal einem Zehntel des wirklichen Wertes
der Anteile vorzusehen. Weiter können die an der Fusion beteiligten Gesellschaften
gemäß Art. 8 Abs. 1 FusG im Fusionsvertrag vorsehen, dass die Aktionäre zwischen
Aktien und einer Abfindung wählen können, ihnen mithin ein Wahlrecht auf Abfin-
dung einräumen. Und zum Dritten können die Gesellschaften gemäß Art. 8 Abs. 2
i. V. m. Art. 18 Abs. 5 FusG im Fusionsvertrag auch regeln, dass den Aktionären der
übertragenden Gesellschaft nur eine Abfindung ausgerichtet wird, wobei ein solcher
Beschluss der Zustimmung von mindestens 90 % der stimmberechtigten Aktionäre der
übertragenden Gesellschaft bedarf. Das Schweizer Recht lässt damit seit 2004 auch
eine sog. Squeeze-out-Fusion zu. Und da als Abfindung nicht nur Bargeld, sondern auch
andere Vermögenswerte angeboten werden können, ist nach Schweizer Recht auch eine
Dreiecksfusion (Triangular Merger) möglich, indem den Aktionären Anteile einer dritten
Gesellschaft, typischerweise der Muttergesellschaft der übernehmenden Gesellschaft,
zugeteilt werden.13
Squeeze-out-Fusionen und Dreiecksfusionen sind auch nach amerikanischem und
japanischem Recht zulässig. Die Rechtslage in der EU war dagegen lange vom ehernen
Grundsatz der mitgliedschaftlichen Kontinuität geprägt und sah weder Squeeze-out-
Fusionen noch Dreiecksfusionen vor. Dies wurde für innerstaatliche Fusionen mit der
revidierten EU-Richtlinie über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften geändert,
welche neu den Mitgliedstaaten erlaubt, bei Upstream Mergers einen verschmelzungs-
rechtlichen Squeeze-out vorzusehen14. Und einzelne Länder wie die Niederlande oder
Finnland lassen inzwischen auch Dreiecksfusionen zu.15

12 Vgl. Tschäni 2003, S. 232 f.


13 Vgl. Tschäni/Gaberthüel 2015, Art. 8 N 6; für weitere Einzelheiten zur Fusion nach schweizeri-
schem Fusionsgesetz vgl. Schenker 2016, Kap. 2.1, S. 621 ff.
14 Richtlinie 2011/35/EU vom 05.04.2011 über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften. Zum
verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out nach neuem deutschen Recht vgl. Vetter/Wiegand 2016,
Kap. 2.2.3.4, S. 648 f.
15 Vgl. Bech-Bruun/Lexidale, Study on the Application of the Cross-Border Mergers Directive, Brüssel
2013, Main Findings, S. 83; die Richtlinie 2005/56/EG vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  527


Teil

3.1.4 Spaltung

Das im Jahr 2004 in der Schweiz in Kraft getretene Fusionsgesetz heißt mit vollem
Namen »Bundesgesetz über die Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensüber-
tragung« und regelt damit alle Formen der Umstrukturierung von Gesellschaften, so
insbesondere auch deren Spaltung. Bis zum Jahr 2004 war die Spaltung von Gesell-
schaften in der Schweiz nicht geregelt, und man behalf sich mit einem Vorgehen in zwei
Schritten. In einem ersten Schritt wurden die Aktiven durch Singularsukzession, die
Passiven ebenfalls durch Singularsukzession oder durch Gesamtrechtsnachfolge nach
Art. 181 OR in die übernehmende Gesellschaft übertragen, wobei die übernehmende
Gesellschaft i. d. R. eine eigens zu diesem Zweck gegründete, u. U. aber auch eine bereits
bestehende Tochtergesellschaft war. In einem zweiten Schritt wurden den Gesellschaf-
tern der spaltenden Gesellschaft die Anteile der übernehmenden Gesellschaft zugeteilt,
entweder durch Ausschüttung der Tochtergesellschaftsaktien als Sachdividende oder
im Rahmen einer Kapitalherabsetzung oder Liquidation der spaltenden Gesellschaft.
Das Fusionsgesetz ermöglicht neu die Durchführung einer Spaltung in einem Schritt
und den Verzicht auf die Vornahme unzähliger Singularsukzessionen. Allerdings wird
dieser Vorteil ähnlich wie bei der Vermögensübertragung (vgl. dazu die Ausführungen
in Kap. 2.2) teuer erkauft, nämlich mit einer unbeschränkten solidarischen Haftung
sämtlicher an der Spaltung beteiligten Gesellschaften für die im Zeitpunkt der Spaltung
bestehenden – bekannten und unbekannten – Schulden (Art. 47 Abs. 1 FusG). Diese
solidarische Haftung ist gemäß Wortlaut des Gesetzes zeitlich nicht limitiert, einzige
zeitliche Schranke bilden damit die allgemeinen Verjährungsvorschriften.16 Diese Re-
gelung hat zur Folge, dass alle an einer Spaltung beteiligten Gesellschaften für die vor
der Spaltung bestandenen, mit der Spaltung übertragenen Schulden auch Jahre nach
der Spaltung weiterhaften, und dies, obwohl die Spaltung eine Trennung der unter-
nehmerischen Verantwortung der verschiedenen Gesellschaften bewirkt und zu einer
Verminderung der Aktiven und damit des Haftungssubstrats jeder einzelnen Gesell-
schaft führt. Bezüglich Verbindlichkeiten werden die aus der Spaltung hervorgegange-
nen Gesellschaften während Jahren so behandelt, wie wenn sie nicht gespalten worden
wären, wogegen auf der Aktivseite der Bilanz durch die Spaltung eine Schrumpfung des
Vermögens jeder Gesellschaft stattfindet.
Ist ein Investor an einer Gesellschaft interessiert, die an einer Spaltung beteiligt war,
hat dies zur Folge, dass er mit dem Erwerb dieser Gesellschaft nicht nur deren Aktiven
und Passiven erwirbt, sondern zusätzlich die Passiven bzw. Risiken der übrigen an der
Spaltung beteiligten Geschäftsbereiche bzw. Gesellschaften. Damit er weiß, auf welche
Risiken er sich einlässt, muss er daher eine Due Diligence nicht nur des Kaufobjektes
vornehmen, sondern auch aller anderen Gesellschaften, an denen er gar kein Interesse
hat; unterlässt er dies, setzt er sich später u. U. dem Vorwurf aus, er habe beim Erwerb
der Gesellschaft unsorgfältig gehandelt. Wer hier einwendet, die Sache sei nicht so
schlimm, in aller Regel könnten die Risiken, die mit einem Unternehmen verbunden
sind, anhand der Passivseite der Bilanz gut abgeschätzt werden, verkennt die Realität:
Mit jeder unternehmerischen Tätigkeit sind Risiken verbunden, die für das Unterneh-

Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten ist nicht mit der Richtlinie 2011/35/EU
vom 05.04.2011 zu verwechseln; letztere regelt innerstaatliche Verschmelzungen.
16 In der Literatur wird zum Teil mit Hilfe einer teleologischen Reduktion statt der ordentlichen zehn-
jährigen eine kürzere Verjährungsfrist von drei Jahren (wie bei der Vermögensübertragung) be-
gründet; vgl. Böckli 2009, § 3 N 323; Binder 2005, S. 33 ff.
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528  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

men respektive die Gesellschaft als Rechtsträgerin des Unternehmens existentiell sein
können und die doch in der Bilanz keine Abbildung erfahren; zu denken ist etwa an
Umweltrisiken oder Risiken aus Produktehaftung. Solche Risiken können sehr wohl in
der Vergangenheit, also vor der Spaltung, gesetzt worden sein, sich aber erst in u. U.
ferner Zukunft – aber noch vor Eintritt der Verjährung – in Form von Haftpflichtan-
sprüchen materialisieren.
Der Effekt dieser solidarischen Haftung ist eindrücklich: Die Spaltung nach Fusi-
onsgesetz ist weitgehend toter Buchstabe geblieben. Eine Analyse der schweizerischen
M & A-Praxis seit Inkrafttreten des Fusionsgesetzes zeigt, dass diese vom Institut der
Spaltung nach Fusionsgesetz nur wenig Gebrauch macht.17 Überall zeigt sich das glei-
che Bild: Man weicht der Spaltung18 nach Fusionsgesetz aus und strukturiert weiter
nach alter Technik um, indem statt in einem in zwei Schritten gespalten wird. Dies
ist – gemäß klar herrschender, wenn auch nicht unbestrittener Lehre19 – möglich, da
der Gesetzgeber diesen Weg mit dem Fusionsgesetz nicht geschlossen hat.20
Interessant wäre in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit der Praxis in anderen
Jurisdiktionen, kennt doch die EU-Spaltungsrichtlinie im Wesentlichen ebenfalls ein
Gebot der solidarischen Haftung der an einer Spaltung beteiligten Gesellschaften. Wie
sieht die M & A-Spaltungspraxis in Deutschland, Frankreich oder England aus? Wird
in diesen Ländern aus Gründen der Haftungseinschränkung ebenfalls häufig der Weg
der Singularsukzessionen gewählt? In der Schweiz jedenfalls ist ein M & A-Berater nach
verbreiteter Einschätzung nahe an einem Kunstfehler, wenn er eine Spaltung nach
Fusionsgesetz empfiehlt.

3.1.5 Dekotierung (Going Private)


Ein in der Schweiz noch weitgehend unerkanntes Thema, welches interessanterweise
trotz deren zentralen Ziels der markanten Stärkung der Stellung des Aktionärs als
Eigentümer der Gesellschaft auch in die laufende Aktienrechtsrevision bisher keinen
Eingang gefunden hat, ist die Problematik des Going Private mittels Dekotierung der
Aktien einer Gesellschaft von der Börse. Für den Entscheid zur Dekotierung ist in der
Schweiz nicht die Generalversammlung, sondern der Verwaltungsrat zuständig, und
es gibt kein Pflichtangebot zu einem angemessenen Preis an die Minderheitsaktionäre.
Deutschland hat in dieser Frage zunächst Pionierarbeit geleistet, indem der Bundes-
gerichtshof mit dem Macrotron-Entscheid im Jahr 2002 klare Leitplanken aufgestellt hat-
te. Aus der Erkenntnis, dass der Rückzug von der Börse wegen der damit verbundenen
erheblichen Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien das Aktieneigentum be-
einträchtige, hatte der Bundesgerichtshof abgeleitet, dass i) für einen solchen Entscheid
nicht die Unternehmensleitung, sondern die Hauptversammlung der Aktionäre zustän-
dig ist, ii) den außenstehenden Aktionären ein Pflichtangebot zu einem angemessenen

17 Vgl. Binder 2005, S. 8 f.; Pfeifer/Dobry Oesch 2012, Vor Art. 29–52 N 16; Schenker 2016, Kap. 2.2,
S. 624.
18 Und, in vermindertem Mass, auch der Vermögensübertragung (vgl. Binder 2005, S. 8 f.).
19 Vgl. die Übersicht bei Böckli 2009, § 3 N 342a ff.; Glanzmann 2014, § 6 N 132, m. w. H.
20 Auch das deutsche Recht lässt die Übertragung von Aktiven und Passiven durch Singularsukzessi-
on als Alternative zur Spaltung nach dem im Jahr 1994 geschaffenen Umwandlungsgesetz zu. Das
deutsche Umwandlungsgesetz stellt keine abschließende Kodifikation des Umwandlungsrechts dar,
weshalb die durch das Umwandlungsgesetz eröffneten Möglichkeiten neben die nach allgemeinem
Zivil- und Handelsrecht möglichen Methoden treten; vgl. Lutter/Bayer 2014, Einleitung N 55 f.;
Semler/Stengel 2007, Einleitung A, N 82 ff.
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  529


Teil

Preis unterbreitet werden muss und iii) dieser Preis – nicht aber der Beschluss der
Dekotierung als solcher – einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.21 Im Jahr
2013 hat der Bundesgerichtshof dann jedoch im Frosta-Entscheid22 diese den Minder-
heitsaktionär schützende Rechtsprechung aufgegeben, indem er darin anders als im
Macrotron-Entscheid zum Ergebnis gelangte, dass ein Rückzug von der Börse keinen
verfassungsrechtlich relevanten Eingriff in das Aktieneigentum darstelle. Aus diesem
Grund bedürfe es für eine solche Entscheidung weder eines Beschlusses der Hauptver-
sammlung noch eines Pflichtangebotes.
Die aktuelle Rechtslage zur Dekotierung in Deutschland und in der Schweiz ist im
Hinblick auf den Minderheitenschutz problematisch.

3.2 Übernahmerecht
Im Bereich des Übernahmerechts haben in den vergangenen rund 25 Jahren zweifel-
los die markantesten regulatorischen Veränderungen stattgefunden. Die Regelung des
Übernahmerechts kann in drei Phasen unterteilt werden. Eine erste Phase dauerte bis
Ende der 1980er Jahre und kennzeichnete sich durch ein vollständiges Fehlen übernah-
merechtlicher Sondervorschriften. Dann folgte in den 1990er Jahren eine erste Welle
der Regulierung im Bereich des Übernahmerechts in der Form von grundsätzlich nicht
verbindlichen Selbstregulierungsregelwerken der Börsen und damit als sog. Soft Law.
Dieses Soft Law wurde schließlich in diesem Jahrtausend durch staatliche Vorschriften
abgelöst.

3.2.1 Erste Phase der Regulierung: Keine übernahmerechtlichen Sonderregeln

Das Übernahmerecht war während vieler Jahrzehnte im Aktienrecht überhaupt kein


Thema. Es gab bis in die 1980er Jahre in Kontinentaleuropa keinen als solchen bezeich-
neten, in Praxis, Wissenschaft und Recht thematisierten Markt für Unternehmenskon-
trolle. Öffentliche Übernahmeangebote gab es kaum, Aktionäre verstanden sich als
Langfristinvestoren, die Aktienpakete der börsenkotierten Unternehmen befanden sich
in den Unternehmensleitungen genehmen Händen, man kannte sich, die Globalisierung
war noch kein Thema, das Internet unbekannt, alles war überschaubar und unter Kon-
trolle. In Standardwerken des Aktien- und Gesellschaftsrechts der 1980er Jahre kamen
Begriffe wie Übernahme, öffentliche Übernahme, unfreundliche Übernahme, Unterneh-
menskontrolle, Kontrollwechsel oder dergleichen nicht vor. Es gab zwar erste Kämpfe
um die Macht im Unternehmen im Sinne unfreundlicher Übernahmeversuche, aber das
Thema war bestenfalls als angloamerikanisches Phänomen bekannt.
In rechtlicher Hinsicht bedeutete dieses vollständige Fehlen übernahmerechtlicher
Vorschriften, dass für den Kauf von Aktien einzig die Vorschriften des allgemeinen
Vertragsrechts zur Anwendung gelangten. Maßgebend waren also wie für irgendeinen
anderen Vertrag ein Konsens zwischen bisherigem und neuem Aktionär über Kaufge-
genstand (Anzahl Aktien einer bestimmten Gesellschaft) und Kaufpreis. Ein Interessent

21 BGH-Urteil vom 25.11.2002 i. S. Macrotron, II ZR 133/01.


22 BGH-Urteil vom 08.10.2013 i. S. FRoSTA AG, II ZB 26/12.
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530  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

an bestimmten Aktien machte eine Offerte, ein verkaufswilliger Aktionär konnte dieses
Angebot akzeptieren, und wenn er dies tat, war der Kaufvertrag perfekt. Nach diesem
Prinzip konnte ein Interessent ebenso einzelne Aktien wie eine Vielzahl von Aktien
einer Gesellschaft erwerben. Alles spielte sich im Verborgenen ab, Transparenz war ein
Fremdwort, schließlich hieß die Aktiengesellschaft nicht von ungefähr Société Anony-
me. Weder gab es Meldepflichten bei Erreichung gewisser Schwellenwerte an Aktien ei-
ner Gesellschaft noch Vorschriften über die Ad-hoc-Publizität, und ein öffentliches Zur-
schaustellen von Managementtransaktionen in Aktien der vom Management geführten
Gesellschaften gab es schon gar nicht. Insiderhandel war nicht verboten und strafbar.
Und es gab keine Verfahrensregeln für öffentliche Übernahmeangebote, keine Vorschrif-
ten zu den zu offerierenden Preisen und erst recht keine Pflicht, bei Erreichung der
Kontrolle über ein Unternehmen sämtlichen verbliebenen Aktionären ein Kaufangebot
unterbreiten zu müssen. Konkurrenzofferten waren praktisch ausgeschlossen, einerseits
weil ein Aufkäufer in einer ersten Phase einen erheblichen Aktienanteil heimlich kaufen
und sich so eine von einem Dritten kaum zu verdrängende Position in der Gesellschaft
sichern konnte, andererseits weil ein Aktionär, sobald er ein Übernahmeangebot ange-
nommen hatte, nicht mehr darauf zurückkommen konnte, falls später eine attraktivere
konkurrierende Offerte lanciert werden sollte. Ein Squeeze-out im Sinne eines privaten
Enteignungsrechts war schlicht unvorstellbar.
Und auf der anderen Seite war dies die Zeit der strengen Vinkulierungsregimes, die
den Unternehmensleitungen viel Macht gegen unerwünschte Eindringlinge gaben.

3.2.2 Zweite Phase der Regulierung: Soft Law

Einzelne spektakuläre Übernahmen und Übernahmeversuche haben schließlich offen-


kundig gemacht, dass systematische Unternehmensübernahmen und das völlig neuar-
tige Corporate Governance-Element des Marktes für Unternehmenskontrolle auch in
Kontinentaleuropa angekommen waren und hierzulande im Bereich der Unternehmens­
übernahmen ein Regulierungsdefizit bestand. Anders als Kontinentaleuropa kannten
die USA und England beide bereits seit 1968 übernahmerechtliche Regeln. Während die
USA mit dem Williams Act, welcher als Ergänzung des Securities Exchange Act (SEA)
konzipiert war, bundesstaatliche Vorschriften zum Zweck des Schutzes der Aktionäre
der Zielgesellschaften vor heimlichen Übernahmeversuchen, vor Ausübung zeitlichen
Drucks und vor Übervorteilung eingeführt hatte, erließ die Londoner Börse zur gleichen
Zeit den City Code on Takeovers and Mergers, einen Verhaltenskodex im Sinne einer
Selbstregulierung mit den grundlegenden Prinzipien der umfassenden Information des
Anlegers, des Verbots der Irreführung des Kapitalmarktes, des Handelns im Interesse
der Anteilseigner, der Gleichbehandlung der Aktionäre sowie der weitgehenden Be-
schränkung des Managements in Abwehrmaßnahmen.
Im Jahr 1989 erarbeitete die EU-Kommission einen ersten Vorschlag für eine 13.
gesellschaftsrechtliche EU-Richtlinie zum Übernahmerecht. Aber die Zeit der großen
Würfe im Übernahmerecht war damals in Kontinentaleuropa noch nicht gekommen – es
dauerte bis zum Jahr 2004, bis eine stark überarbeitete Übernahmerichtlinie verabschie-
det und in Kraft gesetzt werden konnte –, und so näherte man sich dem Thema deshalb
auf dem Weg der Selbstregulierung statt auf dem Weg der Gesetzgebung.
In der Schweiz erließ die Vereinigung der Schweizer Börsen, ein privatrechtlicher
Verein, im Jahr 1989 mit dem Schweizerischen Übernahmekodex ein Selbstregulierungs-
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  531


Teil

regelwerk, welches Verhaltensvorschriften bei Übernahmen enthielt.23 Diese Verhaltens-


vorschriften banden die Börsen und deren Mitglieder, namentlich die Börsenbanken, auf
der Basis privatrechtlicher Verpflichtungen. Die Banken mussten sich für die Einhaltung
des Kodex einsetzen und durften an einem ihm widersprechenden Angebot nicht mit-
wirken. Eine Kommission für Regulierungsfragen überwachte dessen Einhaltung. In der
Praxis fand der Kodex eine relativ breite Akzeptanz, indem sich Übernahmeinteressen-
ten häufig seinen Regeln unterwarfen. In rechtlicher Hinsicht erfolgte dies, indem ein
Anbieter sich in seiner öffentlichen Kaufofferte verpflichtete, die Bestimmungen des Ko-
dex einzuhalten, womit die in diesem enthaltenen, von den allgemeinen Bestimmungen
des Vertragsrechts abweichenden Regeln bei Akzept des Verkäufers Inhalt des betref-
fenden Kaufvertrages wurden. Der Kodex statuierte, wenn auch noch zurückhaltend,
die Grundsätze der Information und Transparenz sowie der Gleichbehandlung der Ak-
tionäre der Zielgesellschaft und enthielt Verfahrensvorschriften, wobei er dem Anbieter
verschiedene Möglichkeiten offenließ, Aktien außerhalb des Anwendungsbereichs des
Kodex zu erwerben. Andererseits enthielt der Kodex den Grundsatz der Handlungsfrei-
heit des Managements, wonach die zuständigen Organe der Zielgesellschaft im Rahmen
des Gesetzes und der Statuten in der Wahl von Gegenmaßnahmen frei waren.24
In Deutschland erließ die Börsensachverständigenkommission im Jahr 1995 mit dem
Übernahmekodex ebenfalls ein Regelwerk auf Basis der Selbstregulierung.25 Es wurde
eine Übernahmekommission geschaffen, welche als Überwachungsorgan wirkte und
damit zu einer weitergehenden Wirkung beitrug, auch wenn viele Unternehmen den
Kodex entweder generell nicht als für sich verbindlich anerkannten oder trotz grund-
sätzlicher Verbindlichkeit dagegen verstießen. Als Vorläufer zu diesem Kodex hatte die
Börsensachverständigenkommission schon im Jahr 1979 Leitsätze für Übernahmean-
gebote erlassen, welche jedoch mangels Einsetzung eines Überwachungsorgans und
deshalb fehlender Überwachung nur eine sehr beschränkte Wirkung entfalteten.26

3.2.3 Dritte Phase der Regulierung: Hard Law

3.2.3.1 Überblick

In der Periode der Selbstregulierung konnte sich in der Schweiz und in Deutschland
eine neue Übernahmekultur entwickeln. Die Regeln waren in einzelnen Bereichen be-
reits weitgehend ausgefeilt, in anderen tastete man sich behutsamer an das aus der
neuen Welt herübergekommene neue Zeitalter heran. Die Einhaltung der Regeln war
grundsätzlich freiwillig, aber Überwachungsorgane, welche deren Einhaltung gene-
rell und auch im Einzelfall würdigten, die unaufhaltsam zunehmende Transparenz
sowie die enge Beobachtung aller Akteure durch die Finanzmarktteilnehmer und die
Wirtschaftsmedien sorgten dafür, dass in den 1990er Jahren der Boden für gesetzliche
Regeln geschaffen wurde. So folgte im Bereich des Übernahmerechts gegen Ende des
ausgehenden und zu Beginn des neuen Jahrtausends die dritte Phase, welche durch die
Ablösung von Soft Law durch Hard Law gekennzeichnet war.

23 Übernahmekodex der Vereinigung der Schweizer Börsen vom 01.09.1989.


24 Für Einzelheiten vgl. Watter/Hoch 2016, Kap. 2, S. 715 ff.
25 Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen
vom 14.07.1995.
26 Für Einzelheiten vgl. Menke 2016, Kap. 2, S. 672 ff.
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532  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Einen diesbezüglichen Meilenstein setzte der schweizerische Gesetzgeber mit dem er-
sten gesamtschweizerischen Börsengesetz, welches 1998 in Kraft trat. Das Börsengesetz
basierte zu einem wesentlichen Teil auf dem Entwurf der 13. gesellschaftsrechtlichen
EU-Richtlinie über Übernahmeangebote aus dem Jahr 1989, und pikanterweise setze das
Nicht-EU-Mitgliedsland Schweiz den wesentlichen Gehalt dieses Richtlinienentwurfs zu
einem Zeitpunkt um, als die Mitglieder der EU noch weit weg waren von einem Konsens
über den Inhalt einer Übernahmerichtlinie.
In der EU hatte die Gesetzgebung immerhin in einem Teilbereich des Übernahme-
rechts schon früher eingesetzt, nämlich in der Transparenz bei Erwerb oder Veräuße-
rung wesentlicher Beteiligungen an börsenkotierten Gesellschaften. Im Jahr 1988 wurde
die Richtlinie über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an
einer börsenkotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen, die sog. Trans-
parenzrichtlinie, verabschiedet. In der Schweiz wurden entsprechende Vorschriften,
welche heute zum weltweiten übernahmerechtlichen Standard gehören, erst 1998 mit
dem Börsengesetz eingeführt.
Aber mit dem Kerngehalt des Übernahmerechts tat man sich in der EU schwer. Der
ursprüngliche Vorschlag aus dem Jahr 1989, welcher mit detaillierten Regelungen eine
starke Harmonisierung angestrebt hatte, war äußerst umstritten. Deshalb legte die Kom-
mission in den Jahren 1996 und 1997 einen geänderten Vorschlag vor, der im Gegensatz
zum ursprünglichen Entwurf keine bis ins Einzelne gehende Harmonisierung anstrebte
und die Beibehaltung nationaler Unterschiede im Rahmen allgemeiner Grundsätze zuließ.
Zentrale Änderung war die Abkehr von der Vorgabe an alle Mitgliedsländer, Regeln zum
Pflichtangebot zu erlassen. Doch auch dieser abgeschwächte Vorschlag scheiterte und
wurde 2001 im Europäischen Parlament abgelehnt. Der Grundsatz, wonach die Leitungs-
organe der Zielgesellschaft für Abwehrmaßnahmen gegen ein Übernahmeangebot nach
Bekanntgabe des Angebots die Zustimmung der Aktionäre benötigten, fand Ablehnung,
solange es für europäische Gesellschaften kein »Level Playing Field« bei öffentlichen
Übernahmeangeboten gebe. Moniert wurden auch die unterschiedlichen Ausgangsbedin-
gungen in den USA und Europa sowie der unzureichende Schutz der Arbeitnehmer der
Zielgesellschaften. Schließlich war erst der dritte Anlauf der Kommission erfolgreich, und
so wurde im Jahr 2004 die nunmehr Übernahmerichtlinie genannte Richtlinie mit den
Kernelementen Verfahrensvorschriften, Pflichtangebot bei Kontrollerwerb sowie Neutrali-
tätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft, letztere allerdings mit einer Opting-out-
Möglichkeit der Mitgliedstaaten (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 3.2.3.4), erlassen.
Auch wenn heute weder in Europa noch weltweit von einem »Level Playing Field« im
Übernahmerecht gesprochen werden kann, so haben sich doch einige Elemente als breit
anerkannte Grundsätze durchgesetzt, die im Folgenden dargestellt werden.

3.2.3.2 Transparenz

Ein funktionierender Markt für Unternehmenskontrolle bedingt einen hohen Grad an


Transparenz. Nur wenn alle Marktteilnehmer über alle für ihre Anlageentscheide we-
sentlichen Informationen gleichzeitig verfügen, kann sich das freie Spiel der Marktkräf-
te entfalten. Die Gesetzgeber schafften insbesondere in drei Bereichen Transparenz: i)
Meldepflichten über wesentliche Aktientransaktionen;27 ii) Ad-hoc-Publizität bei bör-

27 Vgl. zur Regelung in Deutschland Classen 2016, Kap. 2, S. 688 ff. und zur Regelung in der Schweiz
Watter/Hoch 2016, Kap. 3.2.3 und 3.2.4, S. 723 f.
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Teil

senrelevanten Vorgängen; iii) Information über Transaktionen der Mitglieder der Unter-
nehmensleitungen in Aktien der von ihnen geführten Gesellschaft.

3.2.3.3 Verbotene Verhaltensweisen

Insiderhandel und Marktmanipulation sind heute weitgehend verboten, auch wenn die
konkrete Ausgestaltung der Verbote und namentlich auch die Ausstattung der über-
wachenden und sanktionierenden Organe mit Kompetenzen und Ressourcen zum Teil
stark unterschiedlich sind.

3.2.3.4 Regeln für öffentliche Übernahmeangebote

Die meisten Jurisdiktionen kennen heute Verfahrensvorschriften wie Angaben zum Bie-
ter, zulässige Bedingungen, Fristen, Prüfung des Angebots, Bericht der Leitungsorgane
der Zielgesellschaft, Meldung von Transaktionen in Aktien, Veröffentlichung des Zwi-
schenergebnisses und Nachfrist an die Aktionäre zur Annahme des Angebots, Umgang
mit Konkurrenzangeboten etc. Es hat sich in diesen Fragen weitgehend ein weltweiter
Standard entwickelt.28
Bemerkenswert sind zwei aktuelle Entwicklungen: Die Regulierung im Bereich po-
tenzieller Angebote sowie die Gewährung der Parteistellung an Minderheitsaktionäre
im Übernahmeverfahren. So kann bspw. die schweizerische Übernahmekommission
gemäß Art. 53 der Übernahmeverordnung neu eine Person, die öffentlich bekannt gibt,
sie ziehe die Möglichkeit in Betracht, ein öffentliches Angebot zu unterbreiten (poten-
zieller Anbieter), verpflichten, innerhalb einer bestimmten Frist entweder ein Angebot
für die Zielgesellschaft zu veröffentlichen oder öffentlich zu erklären, innerhalb von
sechs Monaten weder ein Angebot zu unterbreiten noch eine die Angebotspflicht aus-
lösende Beteiligungsschwelle zu überschreiten.29 Auch der englische Takeover Code
kennt das Institut des potenziellen Angebots. Damit soll das mittlerweile häufig zu be-
obachtende Spiel unterbunden werden, sich als potenzieller Mitbieter oder White Knight
in Stellung zu bringen und sich gleichzeitig alle Optionen offen zu halten. Und gemäß
Art. 56 der schweizerischen Übernahmeverordnung kann ein qualifizierter Aktionär,
welcher im Zeitpunkt der Publikation des Übernahmeangebots eine Beteiligung von
lediglich 3 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft hat, im Verfahren Parteistellung
erlangen mit der Wirkung, dass ihm die vollen Verfahrensrechte zukommen, so insbe-
sondere die Ansprüche auf rechtliches Gehör, auf umfassende Akteneinsicht und auf
die Ergreifung von Rechtsmitteln.30 Diese Schwelle erscheint außerordentlich niedrig,
zumal eingedenk dessen, dass die Parteistellung auch jenem Aktionär zukommt, der
die Stimmrechte infolge Vinkulierung oder freiwilliger Nichtanmeldung bei der Gesell-
schaft (sog. Dispoaktien)31 nicht ausüben kann. Auch diese Änderung, über deren Sinn
und Berechtigung gestritten werden kann,32 liegt im Zug des weltweiten Trends zur
Stärkung der Aktionärsstellung.
Höchst uneinheitlich ist dagegen der Umgang mit zwei zentralen Fragen im Über-
nahmerecht: Der Frage der Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft,

28 Vgl. zur Regelung in Deutschland Menke 2016, Kap. 3, S. 673 ff.


29 Vgl. Watter/Hoch 2016, Kap. 4.3.2, S. 733.
30 Vgl. Watter/Hoch 2016, Kap. 4.5, S. 734 f.
31 Vgl. die Ausführungen in Kap. 3.1.1.
32 Vgl. die Ausführungen in Kap. 5.3.3.
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534  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

d. h. der Frage, ob die Leitungsorgane der Zielgesellschaft gegen einen nicht geneh-
men Übernahmeversuch Abwehrmaßnahmen ergreifen und welcher Art diese ggf.
sein dürfen,33 sowie der Frage des Pflichtangebots bei Kontrollerwerb. Es sind in diesen
Fragen weltweit zwei unterschiedliche Philosophien auszumachen: Die USA und Japan
kennen weder die Neutralitätspflicht der Unternehmensleitung noch das Pflichtange-
bot bei Erlangung der Kontrolle. England dagegen hat sich seit jeher für eine strikte
Neutralitätspflicht der Unternehmensleitung und für ein Pflichtangebot beim Kontrol-
lerwerb ausgesprochen. Die Schweiz kennt eine sehr strenge Neutralitätspflicht und
grundsätzlich auch ein Pflichtangebot, wobei sie den Unternehmen die Möglichkeit gibt,
die Schwelle des Pflichtangebots mit einem Opting-up von 331/3 % auf 49 % anzuheben
oder mit einem Opting-out allfällige Erwerber der Kontrolle über das Unternehmen
gänzlich vom Pflichtangebot zu befreien (Art. 32 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 2 und 3
Börsengesetz [BEHG]).34 Zusätzlich war in der Schweiz, anders als in England, bis vor
kurzem eine Preisdifferenzierung zulässig, indem das Pflichtangebot bis zu 25 % unter
dem durch den Anbieter vor dem Pflichtangebot maximal bezahlten Preis liegen durfte.
Im Zuge der im Jahr 2013 in Kraft getretenen Revision des Börsengesetzes wurde diese
Möglichkeit der Preisdifferenzierung abgeschafft.35 In England ist eine solche Preisdif-
ferenzierung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre seit jeher nicht
zu vereinbaren. In der EU ist mit Art. 5 Übernahmerichtlinie nach langem politischem
Kampf das Pflichtangebot ohne Opting-out und ohne Preisdifferenzierung eingeführt
worden. Die Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft ist dagegen als
Grundsatz wohl in der Richtlinie festgeschrieben, Art. 12 Übernahmerichtlinie gibt
den Mitgliedsländern aber die Möglichkeit, ihre Unternehmen mittels Opting-out von
der Neutralitätspflicht zu befreien. Und tatsächlich haben einige Länder von dieser
Opting-out-Möglichkeit Gebrauch gemacht, namentlich Deutschland, Holland, Belgien,
Luxemburg, Dänemark, Polen und Ungarn.36

33 Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft bedeutet dagegen – entgegen gelegentli-


cher fälschlicher Annahme – nicht, dass die Leitungsorgane bei Vorliegen konkurrierender Offerten
keine der anderen vorziehen und den Aktionären zur Annahme empfehlen dürften.
34 Ein aktueller Fall, der national und international hohe Wellen schlägt, ist der Übernahmekampf um
die Sika AG, wo die Compagnie de Saint-Gobain Ende 2014 von der bisherigen Besitzerfamilie ein
Kontrollpaket mit einer Prämie von 80% gegenüber dem Börsenkurs erworben und wegen der Op-
ting-out-Klausel kein Übernahmeangebot an alle Aktionäre unterbreitet hat. Die Opting-out-Klausel
ist seither in der Schweiz unter Druck geraten, eine Abschaffung mittelfristig denkbar. Der Über-
nahmekampf ist noch nicht entschieden, da der Kontrollwechsel noch nicht vollzogen ist und der
Verwaltungsrat der Sika AG unter Bezugnahme auf die statutarische Vinkulierung und angebliches
rechtsmissbräuchliches Verhalten das Stimmrecht der Besitzerfamilie – welches an die Compagnie
de Saint-Gobain übergehen soll – von 52 % auf 5 % herabgestuft hat; der Fall ist vor den Gerichten
hängig, ein Entscheid wird im Verlauf des Jahres 2016 erwartet. Vgl. auch Watter/Hoch 2016, Kap.
5, S. 735.
35 Vgl. Watter/Hoch 2016, Kap. 4.3.1, S. 731 ff.
36 Vgl. zur Rechtslage in der EU Marccus Partners/Mazars‘ Group/Centre for European Policy Studies
(CEPS) 2012, S. 190, zur Rechtslage in Deutschland Menke 2016, Kap. 3.1.3.4, S. 677 f. und zur
Rechtslage in der Schweiz Watter/Hoch 2016, Kap. 3.4 und 4.4, S. 727 f. und 733 f.
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  535


Teil

4 Öffentliches Recht
4.1 W
 achsende Bedeutung behördlicher Bewilligungen
bei M & A-Transaktionen
Im M & A-Bereich ist in den vergangenen 25 Jahren weltweit ein Trend zu einer immer
größeren Bedeutung staatlicher Institutionen auszumachen. Dieser Trend hat sich in den
letzten Jahren im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise nochmals deutlich verstärkt.
Zu nennen sind zunächst Vorschriften und Bewilligungsverfahren in verschiedenen
Industriebereichen wie Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Luftfahrt oder Tele-
kommunikation. Solche Vorschriften hat es allerdings weitgehend schon früher gegeben.
Ein zentraler Regelungsgegenstand beschlägt die Frage der Investitionen durch Aus-
länder in inländischen Unternehmen. Mit nationalistischen Schutzmaßnahmen auf
Gesetzesstufe und auch mittels Interventionen im Einzelfall werden Unternehmens-
übernahmen durch Ausländer zunehmend erschwert oder unterbunden (vgl. die Aus-
führungen in Kap. 5.1.9). Dass es früher weniger solche Vorschriften gab, ist allerdings
primär auf die Realien zurückzuführen: Es gab schlicht viel weniger internationale
Übernahmen. Sei es, weil die Vinkulierungsvorschriften in vielen Ländern noch we-
sentlich schärfer waren, so dass sich Unternehmen auch ohne staatliche Unterstützung
fremder Eindringlinge erwehren konnten, sei es, weil Aktien wichtiger Unternehmen
in den Händen von langfristig orientierten freundlichen Aktionären lagen, häufig in
Form von Kreuzbeteiligungen, und deshalb gar nicht käuflich waren, oder sei es, weil
es vor dem Zeitalter der Globalisierung noch keine internationale Nachfrage und keinen
internationalen Markt für Unternehmenskontrolle gab.
Gegen diesen internationalen Trend hat die Schweiz den Erwerb von Grundstücken
durch Personen im Ausland und damit auch den Erwerb von Unternehmen mit großem
Immobilienportefeuille durch Ausländer in der gleichen Zeit erleichtert. Während bis
1997 viele M & A-Transaktionen einer diesbezüglichen behördlichen Bewilligung be-
durften, sind seither die meisten Unternehmenskäufe ohne entsprechende Bewilligung
möglich.
Einen zentralen Faktor bei M & A-Transaktionen bildet heute das Wettbewerbsrecht.
Da dieses auf dem Auswirkungsprinzip beruht, sind alle Jurisdiktionen für die Prüfung
eines Zusammenschlusses im Hinblick auf den Wettbewerb auf dem relevanten Markt
kompetent, in denen der Zusammenschluss Auswirkungen auf das Funktionieren des
Wettbewerbs zeitigt oder zeitigen kann. Bei großen Zusammenschlüssen kommt es
daher nicht selten vor, dass Bewilligungen bei den Wettbewerbsbehörden in Dutzen-
den von Jurisdiktionen eingeholt werden müssen.37 Zum Teil kann dabei beobach-
tet werden, dass die Zusammenschlusskontrolle durch die Wettbewerbsbehörde auch
wirtschaftspolitisch eingesetzt wird, als weitere mögliche Abwehrfront zum Schutz
der einheimischen Industrie gegen unerwünschte Eindringlinge. Einige Länder, welche
tiefe Umsatzschwellen als Aufgreifkriterien für die Prüfung eines Zusammenschlusses
statuiert haben, scheinen das Wettbewerbsrecht auch als lukrativen Generator für die
Erhebung von Gebühren zu missbrauchen.

37 Vgl. Seeliger/Heinen 2016, S. 738.


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536  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

4.2 Wettbewerbsrecht
Im Wettbewerbsrecht der Schweiz hat sich in den vergangenen 25 Jahren ein eigentli-
cher Paradigmenwechsel abgespielt, und zwar über vier Phasen:
Bis zum Jahr 1986 kannte die Schweiz keinerlei wettbewerbliche Zusammenschluss­
kontrolle.
Mit der Revision des Kartellgesetzes im Jahr 1986 wurde dann erstmals, allerdings
noch äußerst zaghaft, eine Zusammenschlusskontrolle eingeführt. Die Wettbewerbs-
behörde konnte neu Unternehmenszusammenschlüsse untersuchen, wenn durch den
Zusammenschluss eine den Markt maßgeblich beeinflussende Stellung begründet oder
verstärkt wurde und überdies Anhaltspunkte für volkswirtschaftlich oder sozial schäd-
liche Auswirkungen bestanden. Es gab aber unter jenem Regime noch keine Melde-
pflicht bei einem Zusammenschluss, keine Bewilligungspflicht und damit natürlich
auch kein Vollzugsverbot bis zu deren Vorliegen. Die Wettbewerbsbehörde war einzig
berechtigt, im Nachhinein einen Zusammenschluss bei Vorliegen der gesetzlichen Kri-
terien – welche wohlgemerkt keine formellen Aufgreifkriterien wie Umsatzschwellen
beinhalteten – zu untersuchen. Stellten die Behörden im Rahmen der Untersuchung fest,
dass ein Zusammenschluss volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen
hatte, konnten sie vom Unternehmen verlangen, gewisse Abreden abzuändern oder
aufzuheben oder bestimmte Verhaltensweisen zu unterlassen. Es lag dagegen außerhalb
ihrer Kompetenz, den Zusammenschluss rückgängig zu machen. Das schweizerische
Wettbewerbsrecht kannte damit in dieser Zeit einzig eine Verhaltens-, dagegen keine
Strukturkontrolle bei Zusammenschlüssen.
Mit den weiteren Revisionen des Kartellgesetzes in den Jahren 1996 und 2005 wurde
dieses dann in zwei Schritten auf das europäische Niveau gebracht, zunächst mit Ein-
führung einer vorgängigen Zusammenschlusskontrolle, einer Meldepflicht vor Vollzug
und der Möglichkeit, Zusammenschlüsse zu untersagen oder mit Bedingungen oder
Auflagen zu versehen, später mit der Einführung direkter Sanktionen, einer Bonusre-
gelung bei Selbstanzeige sowie einer klaren gesetzlichen Grundlage für Hausdurchsu-
chungen durch die Wettbewerbsbehörde.
Seit 2004 ist damit das schweizerische Wettbewerbsrecht weitgehend mit jenem in
den EU-Ländern vergleichbar.38

4.3 Steuerrecht
Das Steuerrecht nimmt seit jeher eine zentrale Rolle bei jeder M & A-Transaktion ein. Ne-
ben den drei Polen Transparenz, Kaufpreis und Gewährleistungen bildet der Steueras-
pekt einen vierten Pol, welcher infolge hoher Steuerlast Transaktionen verhindern oder
wegen optimierter Geschäftsgestaltung ermöglichen kann. Neben dem Haftungsaspekt
ist die Steuerfrage der zweite wichtige Faktor bei der Strukturierung und Gestaltung
einer M & A-Transaktion, wobei im Allgemeinen der Einfluss der Steuerberater auf die
Transaktionsstruktur deutlich größer ist als jener der Rechtsanwälte.

38 Für die Darstellung des europäischen Wettbewerbsrechts vgl. Seeliger/Heinen 2016, S. 737 ff.; für
die Darstellung des schweizerischen Wettbewerbsrechts vgl. Borer/Wijesundera 2016, S. 757 ff.; zur
Entwicklung in Deutschland vgl. Mundt 2016, S. 754 ff.
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  537


Teil

Schlecht beraten sind allerdings Parteien, welche die Steuerfrage bei einem M & A-
Geschäft übergewichten. Manche Geschäfte, die stark von steuerlichen Aspekten getrie-
ben sind, erweisen sich später als höchst unattraktiv. Das Primat muss kompromisslos
bei der industriellen Logik eines Geschäfts, der Analyse allfälliger Unverträglichkeiten
der Unternehmenskulturen und einer konsequenten Post Merger Integration liegen. Und
oft müssen Parteien feststellen, dass Geld nicht nur beim Fiskus, sondern auch in teu-
ren Haftungssituationen verloren werden kann, denen vor dem Geschäftsabschluss zu
nonchalant begegnet wurde.
Steuerrecht ist eine weitgehend nationale Angelegenheit. Anders als in anderen
Rechtsgebieten gibt es kein internationales Unternehmenssteuerrecht. Aber trotz aller
Unterschiede in verschiedenen Ländern gibt es auch Gemeinsamkeiten.39

5 Ausblick auf die nächsten 25 Jahre:


Corporate Governance vor einem Paradigmawechsel
5.1 Aktuelle Entwicklungen im Markt für Unternehmenskontrolle
5.1.1 Überblick

Ein Rückblick auf die letzten 25 Jahre zeigt im Wesentlichen die folgenden weltweit zu
beobachtenden Entwicklungslinien im M & A-Markt und in dessen Regulierung: i) Die
Etablierung eines Unternehmenskontrollrechts, ii) die Stärkung der Stellung der Aktio-
näre, iii) der kollektive statt individuelle Aktienbesitz mittels institutioneller Investoren
und die immer gewichtigere Rolle der Stimmrechtsberater (Proxy Advisors), iv) das
Aufkommen von Private Equity und Hedgefonds als neue Investoren und ein damit ein-
hergehender zunehmender Aktionärs-Aktivismus, v) das neue Phänomen des Empty Vo-
ting, vi) zunehmende Interessenkonfliktpotenziale, vii) die wachsende Bedeutung des
regulatorischen Rahmens, viii) das Aufkommen nationalistischer Schutzmaßnahmen
sowie ix) die Zunahme unfreundlicher Übernahmeversuche. Diese Entwicklungslinien
sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

5.1.2 Etablierung eines Rechts für Unternehmenskontrolle

Die Gesetzgeber haben auf den neu entstandenen Markt für Unternehmenskontrolle
reagiert und ein eigentliches Recht der Unternehmenskontrolle geschaffen, mit den zen-
tralen Elementen Transparenz, Gleichbehandlung, geordnetes Verfahren, Unterbindung
von Missbräuchen sowie, in unterschiedlicher Ausprägung, mit Regeln zur Neutralität
der Leitungsorgane der Zielgesellschaft sowie zum Pflichtangebot bei Kontrollerwerb.
Damit wurde ein wesentliches neues Element in das Corporate Governance-System
von Publikumsgesellschaften eingefügt, nämlich eine Kontrolle der Unternehmenslei-

39 Für Deutschland vgl. Köhler/Vogel/Adolf 2016, S. 778 ff.; für Österreich vgl. Schragl/Schalko 2016,
S. 798 ff.; für die Schweiz vgl. Lutz/Poltera 2016, S. 809 ff.
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538  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

tung über einen – mehr oder weniger regulierten – Markt statt wie früher primär über
Rechte und Pflichten der Leitungsorgane und der Aktionäre. Im Ergebnis führte dieses
neue Corporate Governance-Element zu einer bedeutsamen Verlagerung der Entschei-
dungsmacht im Unternehmen weg von den Leitungsorganen hin zu den Aktionären.

5.1.3 Stärkung der Aktionäre

Die Corporate Governance-Debatte läuft seit Beginn dieses Jahrtausends und dem Plat-
zen der New Economy-Blase weltweit in eine Richtung: Stärkung der Aktionäre als
Eigentümer der Gesellschaft. Ausgangspunkt und fundamentale Basis dieser Corpo-
rate Governance-Entwicklung ist die Positionierung des Aktionärs als Eigentümer des
Unternehmens sowie die viel zitierte Principal-Agent-Theorie mit der Trennung von Ei-
gentum und Führung im modernen, börsenkotierten Großunternehmen. Die Theorie
besagt, dass in großen Unternehmen mit breit gestreutem Aktionariat niemand in der
Lage ist, die Aufsichtsfunktion des Eigentümers (Principals) wahrzunehmen, und dass
deshalb die Unternehmensleitung (Agent) dem Risiko und der Versuchung ausgesetzt
ist, eigene Partikularinteressen den Interessen der Aktionäre voranzustellen.40 Diesem
institutionellen Problem gilt es zu begegnen, indem der Aktionär mit schärferen Waffen
als bisher ausgerüstet wird, damit er eine echte Kontrolle über die Unternehmensleitung
ausüben kann.
Wesentliche Elemente der Machtverlagerung zu den Aktionären bildeten die Ver-
besserung der Information und Transparenz, die Einschränkung der zulässigen Vin-
kulierungen, Erleichterungen der Klagerechte der Aktionäre, das Übernahmerecht und
insbesondere die mit der Neutralitätspflicht der Leitungsorgane mitgebrachte Kompe-
tenzverschiebung zur Generalversammlung im Übernahmekampf.41
Weltweit wurden in den letzten Jahren die Kompetenzen der Aktionäre im Bereich
Vergütung (»Say-on-pay«) erheblich erweitert, wobei die Aktionäre bisher in den mei-
sten Ländern lediglich konsultativ über die Vergütungen oder über die Vergütungspoli-
tik abstimmen. Die Schweiz ist in dieser Frage im Jahr 2013 noch einen großen Schritt
weiter gegangen, haben die Aktionäre doch nach Annahme der Volksinitiative gegen
die Abzockerei das Recht und die Pflicht, jährlich bindend über den Gesamtbetrag der
Vergütungen des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung abzustimmen.42 In der EU
hat die Europäische Kommission im Jahr 2014 einen Vorschlag zur Änderung der gelten-
den Aktionärsrichtlinie veröffentlicht, welcher ebenfalls eine verbindliche Abstimmung
der Aktionärsversammlung über die Vergütungspolitik des Unternehmens mit Festset-
zung einer Obergrenze für die Vergütung der Führungskräfte vorsieht sowie weitere
Reformen zur Erleichterung der Ausübung der Aktionärsrechte und zur Förderung des
Engagements der Aktionäre beinhaltet.43

40 Vgl. Berle/Means 1932.


41 Vgl. auch Watter/Hoch 2016, Kap. 1, S. 714 f.
42 Vgl. Schenker 2016, Kap. 3.2, S. 630 ff.
43 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtli-
nie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie
der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmens-
führung, COM (2014) 213 final; Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 09.04.2014,
abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14-396_de.htm.
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  539


Teil

5.1.4 K
 ollektiver statt individueller Aktienbesitz: Institutionelle Investoren
und Stimmrechtsberater (Proxy Advisors)

Weltweit wird das Vermögen zahlreicher Anleger durch institutionelle Investoren, na-
mentlich Investmentgesellschaften, Vorsorgeeinrichtungen und Versicherungen ver-
waltet. Im Rahmen dieser kollektiven Vermögensverwaltung investieren institutionelle
Investoren für eine Vielzahl wirtschaftlich Berechtigter in Aktien. Institutionelle In-
vestoren verfügen über eine hohe, in ihren Händen gebündelte Aktienstimmkraft und
damit einhergehend über einen großen – und angesichts der rationalen Apathie vieler
Kleinaktionäre zudem überproportionalen – Einfluss auf Verwaltungsrat und Geschäfts-
leitung eines Unternehmens.44 Es erstaunt daher nicht, dass in den letzten Jahren mehr
und mehr die Erkenntnis gereift ist, dass institutionelle Investoren ein zentrales Ele-
ment im Corporate Governance-Gefüge von Publikumsgesellschaften darstellen, und
dass man über Best-Practice-Regeln für institutionelle Investoren ebenso nachzudenken
beginnt wie über die Schaffung neuer Anreizstrukturen für diese Investoren oder gar
die Einführung neuer Aktionärspflichten (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 5.3.3).
Der Anteil der Aktien von Publikumsgesellschaften, der kollektiv durch Anlagefonds,
Vorsorgeeinrichtungen, Versicherungen und andere institutionelle Anleger gehalten und
verwaltet wird, beträgt heute in großen Publikumsgesellschaften regelmäßig über 70 %
aller Aktien. Der individuelle Aktionär, der im eigenen Namen und auf eigene Rech-
nung in Aktien einer Publikumsgesellschaft investiert, ist in den letzten Dezennien
von der Regel zur Ausnahme geworden. Damit aber ist die Principal-Agent-Diskussion
auf einer höheren Ebene angelangt: Denn plötzlich stellt man fest, dass der bis anhin
während Jahrzehnten als Principal gehandelte Aktionär in vielen Fällen gar nicht der
Principal ist, sondern seinerseits ein Agent eines anderen wirtschaftlichen Eigentümers.
In Abwandlung zum aus dem Principal-Agent-Vokabular stammenden Wortspiel der
separation of ownership from control spricht man in diesem Kontext vom Phänomen
der separation of ownership from ownership. Zu den divergierenden Interessen zwischen
Management (Agents) und Aktionären (Principals) treten in der zweiten Ebene diver-
gierende Interessen zwischen den wirtschaftlichen Berechtigten an einem Kollektivver-
mögen, die das Investitionsrisiko tragen, und den von ihnen Beauftragten, welche das
Kollektivvermögen verwalten und die damit verbundenen Aktionärsrechte ausüben.45
Aufgrund von Diversifikationsüberlegungen und regulatorischen Vorgaben sind in-
stitutionelle Investoren gezwungen, in eine große Anzahl von Publikumsgesellschaften
zu investieren. Dadurch steigt der Aufwand institutioneller Anleger im Zusammenhang
mit der Ausübung der Aktionärsrechte, insbesondere des Stimmrechts in der General-
versammlung. Hier hat sich in den letzten Jahren zunehmend ein Markt für professio-
nelle Stimmrechtsberater (Proxy Advisors) aufgetan. Stimmrechtsberater analysieren
die Strategie und Corporate Governance von börsenkotierten Unternehmen und geben
namentlich Empfehlungen zur Ausübung des Stimmrechts in den Generalversammlun-
gen ab. Mit dieser neuen Entwicklung aber ist die Principal-Agent-Diskussion auf einer
dritten Stufe46 angelangt: Stimmrechtsberater wie ISS oder Glass Lewis, die i. d. R. keine
oder bloß geringfügige Anteile an der jeweiligen Gesellschaft halten, beeinflussen mit
ihren Abstimmungsempfehlungen einen großen Teil der an einer Generalversammlung

44 Oligiati/Kindler 2011, S. 1065.


45 Böckli 2015, S. 211.
46 Böckli 2015, S. 211.
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540  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

abgegebenen Stimmen, bei großen Schweizer Gesellschaften typischerweise 20 % bis


30 %. Der Einfluss der Stimmrechtsberater auf den Willensbildungsprozess der Aktio-
näre von Publikumsgesellschaften ist damit erheblich. Und dies führt zwangsläufig
zur Frage, ob und wie Stimmrechtsberater reguliert und beaufsichtigt werden sollten.47

5.1.5 Private Equity und Hedgefonds als neue Investoren

Das neue Jahrtausend hat zwei neue Investorenformen hervorgebracht, die es zwar
schon früher auf die eine oder andere Art gegeben hat, die aber erst seit neuerer Zeit
kraftvoll und mächtig ins M & A-Geschehen eingreifen und neue Corporate Governan-
ce-Fragen aufwerfen: Private Equity und Hedgefonds. Auch wenn angesichts der Vielfalt
an Private Equity- und Hedgefonds-Investoren eine Charakterisierung dieser beiden
Investorentypen schwierig ist, können doch einige typische Unterschiede festgestellt
werden:48
Für Private Equity-Investoren ist die Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft
zentral. Sie haben einen mittelfristigen Horizont von fünf bis acht Jahren und möchten
in dieser Periode das Unternehmen entwickeln und nachher mit Gewinn weiterveräu-
ßern. Die Möglichkeit einer Due Diligence ist für Private Equity-Investoren meist un-
erlässlich, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Fremdfinanzierung des Geschäfts,
und feindliche Übernahmen sind eher selten, da die Übernahme i. d. R. mit und nicht
gegen das Management durchgeführt wird. Private Equity-Investoren benötigen einen
Track Record, weshalb ihnen ihre Reputation meist wichtig ist.
Hedgefonds unterscheiden sich von diesem Investorenprofil in mancherlei Hinsicht.
Aktionärsaktivismus ist in diesem Zusammenhang das Zauberwort. Hedgefonds haben
i. d. R. einen kurz- bis sehr kurzfristigen Investitionshorizont, das schnelle Geld und
der rasche Exit sind ihnen wichtiger als die Kontrolle. Typische Techniken sind, die
Gesellschaft auf irgendeine Weise ins Spiel zu bringen, ein Ereignis zu provozieren,
bspw. mittels öffentlicher Kampagnen gegen alle oder gezielt gegen einzelne Personen
der Unternehmensleitung oder mittels Drohung oder tatsächlichem Einsatz von Kla-
gen. Häufig handelt es sich um unfreundliche Angriffe. Die Durchführung einer Due
Diligence ist nebensächlich, die Reputation oft ebenso. Vermehrt arbeiten verschiede-
ne Hedgefonds auch zusammen, womit sie den Druck auf die Unternehmensleitungen
naturgemäß nochmals verstärken können. Und in jüngster Zeit ist gar festzustellen,
dass institutionelle Investoren, darunter auch Pensionskassen, aktivistischen Aktionä-
ren folgen und ihnen und ihren Angriffstaktiken damit erhebliches Gewicht und auch
Reputation verschaffen.

5.1.6 Empty Voting

Die weltweite Entstehung eines großen Marktes für derivative Finanzprodukte hat neue,
bisher ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, wie kurzfristig interessierte Investoren mit
relativ wenig Mitteln ein großes Gewicht in einer Gesellschaft erlangen können. Die
Stichworte dazu lauten Empty Voting, Hidden Ownership und Exaggerated Ownership.

47 Zum Stand der Regulierung vgl. Böckli 2015, S. 214.


48 Vgl. Watter/Dubs 2008, S. 177.
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  541


Teil

Der Begriff Empty Voting wurde geprägt durch die amerikanischen Professoren Henry
Hu und Bernard Black, welche im Jahr 2006 unter dem Titel »The new vote buying:
empty voting and hidden (morphable) ownership« eine aufsehenerregende Studie pu-
blizierten49. Ihre Kernaussage lautete, neue derivative Finanzinstrumente sowie das
Institut der Wertschriftenleihe würden es Investoren erlauben, das ökonomische Eigen-
tum an Aktien und das rechtliche Eigentum an Aktien – welches Mitwirkungsrechte
verschafft – zu entkoppeln (decoupling of economic ownership and voting power). Empty
Voting umschreibt die Situation, welche einem Investor Stimmrechte in der General-
versammlung einer Gesellschaft verleiht unter gleichzeitigem Einsatz von weniger, im
Extremfall unter Einsatz von null oder gar negativem ökonomischem Interesse. Dieses
Resultat kann ein Investor bspw. über Put-Optionen an Aktien oder eine Wertschriften-
leihe erzielen. Das umgekehrte Phänomen ist die Hidden Ownership, bei welcher der
Investor kein ökonomisches Interesse und vordergründig auch kein Stimmrecht hat,
aber die – rechtliche oder auch bloß tatsächliche50 – Möglichkeit besitzt, Stimmrechte
bspw. über Call-Optionen an Aktien oder Swap-Geschäfte zu erwerben. Das Element der
Exaggerated Ownership, der übertriebenen Darstellung des wirtschaftlichen Eigentums
an Aktien, kommt dann häufig in einer zweiten Phase eines Übernahmekampfes zum
Einsatz, wenn der bisher verborgene Investor seine Karten offen legt und gleichzeitig
neben einem großen Aktienbesitz auch hohe Bestände an Call-Optionen auf weitere
Aktien der Zielgesellschaft meldet, ohne dabei anzugeben, ob diese Optionen »in the
money« und damit auch tatsächlich in Aktien wandelbar sind oder nicht. Das Ziel die-
ser Taktik ist klar: Der Angreifer will mit einer übertriebenen Darstellung der eigenen
Aktionärsstellung potenzielle Konkurrenten zum vornherein von der Erwägung eines
Konkurrenzangebotes abhalten.51
In einem späteren Aufsatz52 zeigen die gleichen Autoren auf, dass die beschriebenen
Phänomene nicht nur in der Theorie denkbar, sondern in zunehmender Zahl weltweit
zu beobachten sind. Sie führen darüber akribisch Buch, wobei die schweizerischen Fälle
Saurer, Ascom, Converium, Implenia, Unaxis/Oerlikon und Sulzer der Jahre 2005 bis
2007 äußerst prominent und als typisch dargestellt werden.53 Zur Wertschriftenleihe
gelangen sie in dieser Studie zum Schluss, sie spiele eine zentrale Rolle im Entkop-
peln, weil erstens in einer typischen großen amerikanischen Publikumsgesellschaft
rund 20 % oder noch mehr Aktien ausgeliehen werden könnten und weil zweitens die
Kosten der Wertschriftenleihe marginal seien, i. d. R. um 20 Basispunkte (0,2 %) oder
ein Fünfhundertstel des Aktienpreises pro Jahr oder 0,0006 % (6/1.000.000) pro Tag.54
Da ein aktiver Investor von der Wertschriftenleihe einzig für die Zeit über eine Gene-
ralversammlung Gebrauch machen muss, kann er somit mit etwa 0,01 % oder einem
Zehntausendstel der Kosten der Aktien die Stimmrechte dieser Aktien an einer Generalver-

49 Hu/Black 2006.
50 Via Einsatz von Optionen mit Cash Settlement, Contracts for Difference oder Swaps mit Baraus-
gleich; vgl. dazu Watter/Hinsen 2009, S. 9 f.; Classen 2016, Kap. 3.2.4, S. 696 ff.
51 Vgl. Watter/Dubs 2008, S. 180 ff.; diese Taktik ist heute in verschiedenen Ländern wie beispielswei-
se der Schweiz nicht mehr zulässig, weil man neu auch wesentliche Parameter der Optionsrechte
melden muss.
52 Hu/Black 2008.
53 Hu/Black 2008, S. 655 ff.
54 Hu/Black 2008, S. 708; D‘Avolio gelangte in einer Studie zum amerikanischen Markt für Wertschrif-
tenleihe zu ähnlichen Ergebnissen: die durchschnittlichen Kosten pro Jahr betragen nach dieser
Studie 25 Basispunkte, bei Ausschluss der teuersten 9% kam er für die andern 91 % der untersuch-
ten Aktien auf einen Durchschnittswert von 17 Basispunkten pro Jahr (vgl. D‘Avolio 2002, S. 273).
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542  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

sammlung einsetzen. Zur Veranschaulichung: Mit einem Einsatz von 1 Mio. EUR können
auf diese Weise Aktien im Marktwert von 10 Mrd. EUR an einer Generalversammlung
vertreten werden. Dass solche Entwicklungen für die Corporate Governance-Diskussion
relevant sind, ist augenscheinlich.
Ebenfalls bedeutsam ist, dass von diesen neuen Möglichkeiten des Auftrennens von
ökonomischem Interesse und Stimmrecht häufig im Geheimen und damit ohne Transpa-
renz Gebrauch gemacht wird. Während die Leitungsorgane der Publikumsgesellschaf-
ten mit den vielen Publizitätsvorschriften heute im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit
agieren, haben sie es mit einem Gegenüber zu tun, das weitgehend aus einer Welt der
Dunkelheit operieren kann. Entspricht dies den im Übernahmerecht weltweit gepriese-
nen Geboten von Transparenz, Fairness und gleich langen Spießen?

5.1.7 Zunehmende Interessenkonfliktpotenziale

Eine Entwicklung, welche sich seit Beginn dieses Jahrtausends akzentuiert hat, ist
die Zunahme von Interessenkonfliktpotenzialen bei M & A-Transaktionen. Die englische
Financial Services Authority identifizierte in einem Bericht im Jahr 2006 als Hauptri-
siken von Private Equity potenzielle Interessenkonflikte sowie Marktmissbrauch durch
Ausnutzung preissensitiver Informationen.55 Potenzielle Interessenkonflikte treten bei
Auktionen, Konsortiumtransaktionen (»Club Deals«) oder gestaffelten, vom Verkäufer
organisierten Finanzierungen auf. Auch die weltweite Konzentration bei den großen
Prüfgesellschaften mit dem Effekt, dass die gleiche Prüfgesellschaft verschiedene Par-
teien in der gleichen Transaktion vertritt, oder der Umstand, dass die gleiche Anwalts-
kanzlei verschiedene potenzielle Käufer in der gleichen Auktion vertritt, sind in diesem
Zusammenhang zu erwähnen.56
Mit einiger Überraschung kann vermerkt werden, dass alle diese Entwicklungen in
der gleichen Zeit erfolgten, in welcher die Toleranz für Interessenkonfliktsituationen
nach den Skandalen der New Economy rapid abgenommen hatte, wie ein Blick auf die
weltweiten Best Practice Codes for Corporate Governance oder den amerikanischen
Sarbanes Oxley Act aus dem Jahr 2002 zeigt.

5.1.8 Wachsende Bedeutung des regulatorischen Rahmens

Eine Rahmenbedingung, die bei M & A-Transaktionen von zunehmender Wichtigkeit


geworden ist, ist die Bedeutung des regulatorischen Rahmens. Das Thema wird na-
mentlich in den Kapiteln 3.2.3 und 4 behandelt, weshalb hier die Auflistung einiger
Stichworte genügen soll: Internationale Harmonisierung, IFRS- oder US-GAAP-Rech-
nungslegung, Sarbanes Oxley Act, Corporate Governance Codes, Marktmissbrauchs-
vorschriften, Offenlegungsregeln, Übernahmerecht, Börsenkotierungsregeln oder Re-
gulierung der Finanzmärkte.57

55 Vgl. The Economist, Under the microscope, 11.11.2006.


56 Vgl. Kurer 2006, S. 2.
57 Vgl. Kurer 2008, S. 224 f. Regulatorische Vorschriften und Rechtsrisiken generell gehören heute
nach weit verbreiteter Auffassung zu den größten Bedrohungen für global tätige Unternehmen (vgl.
Accenture 2013, S. 9; Kurer 2015, S. 329).
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Teil

5.1.9 Nationalistische Schutzmaßnahmen

Die Globalisierung hat in den letzten Jahren zu nationalistisch gefärbten Schutzmaß-


nahmen in vielen Ländern geführt, sei es durch Einführung entsprechender Gesetze
bspw. in Frankreich, Deutschland, Russland oder in den USA, sei es mittels direktem
politischem Einfluss auf konkrete M & A-Transaktionen. Beispielhaft seien in diesem
Zusammenhang genannt: In Frankreich der Zusammenschluss Sanofi-Aventis unter
Fernhaltung der schweizerischen Novartis, in Spanien die Vereitelung der Übernahme
von Endesa durch die deutsche E.ON, in Luxemburg und Frankreich die – erfolglosen
– Einflussnahmen auf die Übernahme von Arcelor durch die indische Mittal-Gruppe,
in Italien die infolge unüberwindbarer, durch die italienische Regierung aufgebauter
Hindernisse abgesagte Übernahme von Autostrade durch die spanische Abertis, in den
USA die auf Druck des Kongresses verhinderte Übernahme des Hafens von New York
durch Investoren aus Dubai.
Festzustellen ist auch ein Trend zu einer rigoroseren Praxis vieler Wettbewerbsbe-
hörden. Als Paradebeispiel wird oft die in der Folge eines weltweit verhängten Vollzugs-
verbots durch die deutschen Wettbewerbsbehörden geplatzte Übernahme der dänischen
Hörmittelfirma Resound durch die schweizerische Hörmittelfirma Sonova im Jahr 2007
genannt, in welchem Zusammenhang verschiedentlich die Meinung zu hören war, es
seien auch Interessen zum Schutz des deutschen Konkurrenten Siemens im Spiel ge-
wesen.
Hauptsächlich getrieben durch die weltweiten makroökonomischen Ungleichgewich-
te haben Staatsfonds in den letzten Jahren massiv an Bedeutung gewonnen. Sie sind
zu einem relevanten Teilnehmer auf dem M & A-Markt geworden. Die meisten Staats-
fonds sind in Asien und im Nahen Osten angesiedelt, insbesondere in China, Singapur,
den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi Arabien, Kuwait und Katar.58 Und mit
dem weltwirtschaftlichen Megatrend wird ihr Gewicht und Einfluss in den nächsten
25 Jahren massiv weiter zunehmen. Dies hat bereits Befürchtungen und Ängste in den
westlichen Industrienationen geweckt und führt zu fundamentalen Fragen: Nach wel-
chen Kriterien treffen Staatsfonds aus dirigistisch regierten Ländern ihre Investitionen?
Geht es ihnen um klassische finanzielle Portfoliopolitik oder mischt der Staat mit und
geht es um Industrie- und Machtpolitik? Und noch grundsätzlicher: Halten sich diese
parastaatlichen Investoren dereinst an unsere Regeln und behalten sie die Unternehmen
im freien Markt? Oder nehmen sie die Aktien aus dem Handel, mit dem Effekt einer
Verstaatlichung dieser Unternehmen durch ausländische Staaten? Große und schwierige
Fragen kommen auf den Westen zu, und es ist anzunehmen, dass in jedem Land ein
einziger größerer Fall neue nationalistische Schutzmaßnahmen nach sich ziehen wird.

5.1.10 Zunahme unfreundlicher Übernahmeversuche

Weltweit wachsend ist die Zahl unfreundlicher Übernahmeversuche. Dies hat zwei in
die gleiche Richtung wirkende Effekte. Es gibt immer mehr erfolgreiche unfreundliche
Übernahmen. Und zahlreiche nicht erfolgreiche unfreundliche Übernahmeversuche
führen dennoch zu einem Kontrollwechsel, indem das bisher unabhängige Unterneh-

58 Vgl. Sovereign Wealth Fund Institute, Fund Rankings, abrufbar unter: www.swfinstitute.org/
fund-rankings.
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Teil

men neu in einen Konzern integriert wird oder unter die Fittiche eines Finanzinvestors
gerät, einfach nicht unter jene des Angreifers. Beispielhaft seien die einschlägigen Fälle
der letzten Jahre aus der Schweiz erwähnt: Saia-Burgess: Angriff von Sumida, Erfolg
von Johnson Electric; Leica Geosystems: Angriff von Hexagon, Weißer Ritter Danaher,
Erfolg von Hexagon; Unaxis/Oerlikon: Angriff und Erfolg von Victory; Saurer: Angriff
von Laxey, Erfolg von Unaxis/Oerlikon; SIG Schweizerische Industrie-Gesellschaft: An-
griff von Ferd und CVC Capital Partners, Erfolg von Rank; Sulzer: Angriff von Victory,
Erfolg von Renova; Sia Abrasives: Angriff von Behr, Erfolg von Bosch. In letzter Zeit
erfolgreich gewehrt hat sich einzig Implenia gegen Laxey, welche ihre Aktien nach
harter Übernahmeschlacht an diverse der Unternehmensleitung genehme langfristig
orientierte Aktionäre weiterverkaufte. International besonders hohe Wellen hat der
unfreundliche Übernahmeangriff der US-Firma Kraft Foods auf die englische Ikone
Cadbury im Jahr 2009 geworfen, welcher trotz heftiger Gegenwehr von Cadbury nach
einigen Monaten ebenfalls mit dem Verlust der Unabhängigkeit von Cadbury und ihrer
Integration in den US-Konzern endete.
Drei Gründe sind für diese Entwicklung zentral: Erstens können rechtliche Abwehr-
maßnahmen wegen des Instruments der Bedingungen, welche an ein Übernahmeange-
bot geknüpft werden können, jedenfalls in der Schweiz nicht mehr als sehr effektvoll
taxiert werden. Zweitens kommt es in Übernahmekämpfen häufig in kürzester Zeit zu
einer starken Veränderung der Aktionariatsstruktur, indem institutionelle Anleger und
Kleinaktionäre bei steigenden Kursen ihre Aktien verkaufen und diese von Hedgefonds
erworben werden, welche das Ziel einer kurzfristigen Gewinnmaximierung verfolgen;
häufig halten Hedgefonds vor Abschluss einer Transaktion 50 % und mehr der Aktien
der Zielgesellschaft und entscheiden damit über deren Schicksal.59 Und drittens führt
die strikte Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft dazu, dass diese
im Übernahmekampf mehr und mehr zum bloßen Auktionator werden und die Aufga-
be haben, für die bisherigen Aktionäre den höchsten Preis herauszuholen.60 Ob dies
langfristig im Interesse des Unternehmens und seiner (neuen) Aktionäre und weiteren
Stakeholder liegt, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.
»The age of hostility is coming«, prophezeite der Economist vor ein paar Jahren,
die nächste Übernahmewelle bringe weltweit mehr feindliche Übernahmen denn je,
diesmal würden diese aber weit häufiger getrieben durch eine Geschäftsstrategie als
durch das günstige Schuldenmachen von Finanzinvestoren.61 Nachdem die Finanz- und
Wirtschaftskrise zeitweilig zu einem Abflachen der Aktivitäten im M & A-Markt führte,
dürfte diese Prognose in den kommenden Jahren ihre Bestätigung finden.

5.2 Gebot der Zeit: Langfristigkeit


5.2.1 Große Wende: Kredit- und Finanzkrise 2007 bis 2009

Die weltweite Kredit- und Finanzkrise brachte große Änderungen im M & A-Markt mit
sich. Das Ansteigen der Finanzierungskosten führte zu einem massiven Abschwung

59 Vgl. Superina 2008, S. 253 f.; Kurer 2008, S. 231.


60 Vgl. Tschäni/Diem 2006, S. 59.
61 The Economist online, Business view, The age of hostility, 15.09.2009.
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Teil

der mit hohem Fremdkapitalanteil finanzierten Investitionen, Private Equity und Hed-
gefonds mussten tief unten durch, es gab eine Reflation der rechtlichen Standards in
den M & A-Verträgen. Die größte Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren führte zu einer
enormen Vertrauenskrise in Unternehmen und Management. Einen Hauptgrund der Kri-
se stellte nach weit verbreiteter Überzeugung die Kurzfristigkeit des Denkens und der
entsprechend ausgerichteten Systeme dar, am Augenfälligsten im Bereich der exzessiven
Bonuskultur der Banken, auch als »IBGYBG-Kultur«62 gebrandmarkt. Die Neue Zürcher
Zeitung ortete in einem Leitartikel eine Krise der Werte: »Die Wirtschaftskrise wurzelt
in einer Werte-Krise: zu kurzfristiges Denken, ungenügend klare Haftung, Vernachläs-
sigung des Kundennutzens, zu wenig Sorge um die politische Akzeptanz«; der markante
Verlust an Langfristdenken habe unser Wirtschaftssystem grundlegend untergraben.63

5.2.2 Ausrichtung des Wirtschaftssystems auf Langfristigkeit

Heute besteht in weiten Teilen der Gesellschaft Einigkeit darüber, dass unser Wirt-
schaftssystem auf mehr Langfristigkeit umgestellt werden muss. Das ganze System
muss hin zu einem längerfristigen Fokus verändert werden. Dies geht weit über die
Salärdebatte hinaus und betrifft das ganze System der Corporate Governance, also
die Frage, wie Unternehmen geführt und überwacht werden. Und damit erlebt die alte
Shareholder-versus-Stakeholder-Debatte eine Renaissance: Ein Vergleich breit akzeptierter
aktueller Aussagen mit Aussagen aus der Corporate Governance-Diskussion der 1970er
und 1980er Jahre zeigt frappierende Ähnlichkeiten.
Damals und vor dem Aufkommen des Marktes für Unternehmenskontrolle entsprach
es bspw. der herrschenden Meinung im Schweizer Aktienrecht, dass sich die Leitungs-
organe bei ihren Entscheiden am sog. Unternehmensinteresse zu orientieren hätten. Das
Unternehmensinteresse wurde verstanden als das Interesse am langfristigen Gedeihen
des Unternehmens, welches als zentrales Ziel allen beteiligten Interessen dient und in
welchem sich alle Interessen vereinigen.64 Mit der aktuellen Revision des Aktienrechts
soll diese Richtschnur nun als »dauerndes Gedeihen des Unternehmens« im Zusam-
menhang mit der Festlegung der Vergütungen im Obligationenrecht explizit gesetzlich
verankert werden. Die Ausrichtung am nachhaltigen Unternehmensinteresse ist seit
2014 auch im revidierten Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance als
Richtschnur guter Corporate Governance verankert.65
Der Deutsche Corporate Governance Kodex, welcher wesentliche gesetzliche Vor-
schriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsenkotierter Gesellschaften dar-
stellt und international und national anerkannte Standards guter und verantwortungs-
voller Unternehmensführung enthält, wurde im Rahmen der Überarbeitung im Jahr
2009 mit folgenden Aussagen ergänzt: »Der Kodex verdeutlicht die Verpflichtung von
Vorstand und Aufsichtsrat, im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft

62 »I’ll be gone, you’ll be gone.«


63 Neue Zürcher Zeitung, Krise der Werte, 30./31.01.2010.
64 Vgl. Binder 1987, S. 64 f.
65 »Corporate Governance ist die Gesamtheit der auf das nachhaltige Unternehmensinteresse aus-
gerichteten Grundsätze, die unter Wahrung von Entscheidungsfähigkeit und Effizienz auf der
obersten Unternehmensebene Transparenz und ein ausgewogenes Verhältnis von Führung und
Kontrolle anstreben« (Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014, S. 6; vgl. auch
Kap. 3.1.2).
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Teil

für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen
(Unternehmensinteresse)«. In der Fassung 2008 hieß es an dieser Stelle noch: »Der
Kodex verdeutlicht die Rechte der Aktionäre, die der Gesellschaft das erforderliche Ei-
genkapital zur Verfügung stellen und das unternehmerische Risiko tragen«. Und unter
den Aufgaben und Zuständigkeiten des Vorstandes heißt es neu unter Ziffer 4.1.1: »Der
Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse,
also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der
sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nach-
haltiger Wertschöpfung« (Wortlaut gemäß Fassung 2015).
Und in England zeigt sich dieselbe Entwicklung. Das erste Hauptprinzip des im Jahr
2010 revidierten UK Corporate Governance Code lautet seither wie folgt: »Every com-
pany should be headed by an effective board which is collectively responsible for the
long-term success of the company«.66 In den früheren Fassungen war das Wort long-term
in diesem Hauptprinzip nicht enthalten.
In die gleiche Richtung entwickelt sich die Rechtslage in der EU. Dies zeigt der Vor-
schlag der EU Kommission aus dem Jahr 2014 für eine EU-Richtlinie im Hinblick auf
die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre, deren übergeordnetes Ziel
darin besteht, zur »long-term sustainability of EU companies« beizutragen.67
Damit aber akzentuiert sich ein Graben, der schon lange existiert hat, aber bisher
nicht recht wahrgenommen wurde: Wie kann ein System funktionieren, das die Lei-
tungsorgane auf das nachhaltige Unternehmensinteresse verpflichtet und gleichzeitig
dem Aktionär keine entsprechende Verpflichtung auferlegt? Dieser Bruch im Corporate
Governance-System mag solange hingenommen werden, wie die Rolle des Aktionärs
im Unternehmen beschränkt ist. Aber mit der Stärkung der Macht des Aktionärs bei
gleichzeitiger Forcierung kurzfristiger Verhaltensweisen eröffnet sich hier ein neues,
bisher kaum bearbeitetes Feld in der Corporate Governance-Debatte: die neue Rolle des
Aktionärs.

5.3 Neue Rolle des Aktionärs


5.3.1 Aktionär im Corporate Governance-System: Wirtschaftliche Verhaltenssteuerung

Die Corporate Governance der Aktiengesellschaften beruht fast weltweit auf der Leit­
idee, dass der Aktionär als Eigentümer der Gesellschaft das Recht zur Wahrnehmung
der eigenen Interessen hat und keiner Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse
im Sinne des dauernden Gedeihens des Unternehmens unterliegt. Er hat deshalb, im
Gegensatz zur Unternehmensleitung, ja zu jedem Mitarbeitenden des Unternehmens,
insbesondere keine Sorgfalts- und Treuepflicht zu beachten.

66 Financial Reporting Council, The UK Corporate Governance Code 2010, Main Principle A1; ebenso
die aktuelle Fassung 2014.
67 «The overarching objective of the current proposal to revise the Shareholder Rights Directive is to
contribute to the long-term sustainability of EU companies» (Vorschlag für eine Richtlinie des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die
Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug
auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmensführung, COM (2014) 213 final, englische
Fassung, S.2; im Text der deutschen Fassung ist der Begriff «long-term sustainability» mit «Tragfä-
higkeit» umschrieben.
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I. M & A-Rechtsentwicklungen – Blicke zurück und nach vorn  |  547


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Fragt man sich, wie ein solches System ohne rechtliche Verhaltensvorgaben an den
Aktionär funktionieren kann, stößt man auf zwei zentrale Verankerungen dieser Leit-
idee: Erstens: Der Aktionär ist Langfristinvestor, weshalb die eigenen Interessen i. d. R.
den Interessen aller Aktionäre und den Unternehmensinteressen entsprechen. Denn
auf lange Sicht vereinigen sich die Interessen aller Stakeholder im nachhaltigen wirt-
schaftlichen Erfolg des Unternehmens.68 Der Aktionär ist mithin im System der Akti-
engesellschaft wirtschaftlich gesteuert. Und zweitens: Wesentliche Kompetenzen in der
Aktiengesellschaft sind zwingend den Leitungsorganen zugewiesen und dem Aktiona-
riat entzogen.
Der Aktionär steuert und überwacht das Unternehmen mittels der Mechanismen
Voice, Exit und Change of Control: Er wirkt im Unternehmen unter Wahrnehmung
seiner eigenen Interessen mit (»Voice«), indem er die ihm vom Gesetz gewährten Mit-
bestimmungs-, Informations- und Klagerechte ausübt. Infolge der fehlenden Verpflich-
tung des Aktionärs auf das Unternehmensinteresse sind diese Rechte naturgemäß be-
schränkt, so dass der Aktionär seine Mitwirkungsrechte in erster Linie via Wahl oder
Abwahl der Mitglieder des obersten Leitungsorgans wahrnimmt. Zum Zweiten kann
der Aktionär einer Publikumsgesellschaft jederzeit Aktien verkaufen (»Exit«) oder hin-
zukaufen; Börse und Kapitalmarkt bilden damit einen Markt für Unternehmensüber-
wachung, die unsichtbare Hand des Marktes ist ein starkes Element im System der
Corporate Governance einer Publikumsgesellschaft. Und schließlich wirkt der Markt für
Unternehmenskontrolle (»Change of Control«), indem Interessenten an einem Zielun-
ternehmen ein Übernahmeangebot lancieren können und auf diese Weise virtuell oder
aktuell auf die Corporate Governance des Unternehmens einwirken.

5.3.2 Leitungsorgane im Corporate Governance-System: Rechtliche Verhaltenssteuerung

Die Leitungsorgane sind im System der Aktiengesellschaft dagegen primär einer recht-
lichen Verhaltenssteuerung unterworfen. Leitidee ist ihre Verpflichtung auf das Unter-
nehmensinteresse im Sinne des dauernden Gedeihens des Unternehmens, in manchen
Ländern mit einem ausgeprägten Fokus auf das Aktionärsinteresse. Sie unterliegen ei-
ner umfassenden Sorgfalts- und Treuepflicht und machen sich haftbar, wenn sie diese
Pflichten verletzen.
Die Wirkungskette verläuft in der Weise, dass den Leitungsorganen vom Gesetzge-
ber umfassende Führungskompetenzen zugewiesen sind, welche weder an die Gene-
ralversammlung übertragen noch von dieser an sich gezogen werden können. Zwecks
Kontrolle und Korrektur dieser weit gehenden Führungskompetenz der Leitungsorgane
sind diese den Aktionären in der Generalversammlung zu umfassender Rechenschaft
verpflichtet, wobei die Rechenschaftsablage einer Kontrolle durch unabhängige Wirt-
schaftsprüfer unterliegt. Die Aktionäre können in der Schweiz die Verwaltungsräte je-
derzeit und ohne Angabe von Gründen abwählen, also namentlich jederzeit vor Ablauf
der Amtsdauer; Letztere beläuft sich zudem bei börsenkotierten Gesellschaften seit
2014 aufgrund der Annahme der Volksinitiative gegen die Abzockerei zwingend auf nur
noch ein Jahr. Und bei Pflichtverletzungen unterliegen die Organe der Verantwortlich-
keit, und sie haften für der Gesellschaft zugefügten Schaden unbeschränkt mit ihrem
ganzen Vermögen.

68 Vgl. Forstmoser 2005, S. 220.


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5.3.3 »Neuer Aktionär« im Corporate Governance-System: Mehr Rechte, mehr Pflichten

Einige Entwicklungen der letzten Jahre haben nun zwei Phänomene hervorgebracht,
welche an den Grundfesten des Corporate Governance-Systems rütteln, indem sie die
Verankerung der Leitidee der wirtschaftlichen statt rechtlichen Verhaltenssteuerung des
Aktionärs in Frage stellen. Die in Kapitel 5.1.6 dargestellte Entkopplung von wirtschaft-
lichem Eigentum und Stimmrecht kann dazu führen, dass der über die Stimmrechte
verfügende Aktionär fast oder gar nicht mehr Investor in der Gesellschaft ist. Und
das kurzfristige Aktionärsdenken führt mehr und mehr dazu, dass der Aktionär nicht
mehr Langfristinvestor ist. Damit aber gilt das Axiom nicht mehr, wonach die eigenen
Interessen des Aktionärs i. d. R. den Interessen aller Aktionäre und den Unternehmens­
interessen entsprechen.
Wenn aber die Verankerung der Leitidee ins Wanken gerät, stellt sich die Frage,
ob damit nicht auch die daraus abgeleiteten Mechanismen in Frage gestellt werden. Ist
der in den letzten Jahren weltweit festzustellende Trend der Stärkung der Stellung des
Aktionärs vorbehaltlos richtig? Können ihm immer mehr Rechte und Kompetenzen
übertragen werden, wenn nicht gewährleistet ist, dass er von diesen im Interesse aller
Aktionäre und Stakeholder Gebrauch macht? Was die Mitwirkungsrechte betrifft, so ist
zudem zu bedenken, dass jede Kompetenzverlagerung von der Unternehmensleitung
zum Aktionariat zu einer Verlangsamung von Entscheidungsprozessen führt, zu diffu-
ser Verantwortlichkeit sowie zur – sanktionslosen – Zunahme von Interessenkonflikten.
Im Bereich des Übernahmerechts haben die Gesetzgeber zum Teil durch Schaffung neu-
er Meldepflichten und zusätzlicher Transparenz bereits auf die neuen Entwicklungen
reagiert.69 Die Frage stellt sich, ob auch im Bereich des materiellen Übernahmerechts ge-
wisse Anpassungen geboten sind, sei es bei der in der Schweiz und in anderen Ländern
bestehenden strikten Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft, bei der
ebenfalls in der Schweiz eingeführten äußerst großzügigen Zuweisung der Parteistel-
lung im Übernahmeverfahren an Aktionäre mit einem Aktienbesitz von lediglich 3 %
oder bei der Festlegung der Kontrollschwelle im Übernahmerecht.
Und schließlich stellt sich auch die Frage nach der Infragestellung der Leitidee selbst.
Ist es noch richtig, dem Aktionär praktisch keine Pflichten aufzuerlegen, insbesondere
auch keine Sorgfalts- und Treuepflicht, ihm aber auf der anderen Seite immer mehr
Rechte einzuräumen? Drängen sich Überlegungen auf hinsichtlich einer neuen Ver-
antwortlichkeit auch des Aktionärs, im doppelten Sinne verstanden als Responsibility
und Accountability? Gemäß Economist trifft die institutionellen Aktionäre wie Pensi-
onskassen, welche eine zunehmend dominante Stellung unter den Eigentümern der
Gesellschaft einnehmen, einen großen Teil der Schuld für das weit verbreitete Kurz-
fristverhalten. Sie hätten es versäumt, nachhaltige Beziehungen mit den Gesellschaften
aufzubauen, in die sie investierten, und von ihren Stimmrechten sorgfältigen Gebrauch
im Interesse der wirtschaftlichen Eigentümer ihres Vermögens zu machen. Die Öffent-
lichkeit soll ihre Aufmerksamkeit darauf richten, wie diese Institutionen auf langfristige
Wertschöpfung fokussiert werden könnten, was nicht zuletzt auch eine Neudefinition
der Frage beinhalte, was es bedeutet, verantwortungsbewusster Treuhänder zu sein.70

69 Für das Schweizer Recht vgl. Watter/Hinsen 2009, S. 17 ff.; Watter/Hoch 2016, Kap. 4.2.2, S. 731.
70 The Economist, The World in 2010, Now for the long term, 13.11.2009.
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Und damit ist die Principal-Agent-Diskussion auf der nächst höheren Ebene angelangt,
beim Phänomen der sog. separation of ownership from ownership.71
Das Thema, welches während der ganzen, durch die Principal-Agent-Dogmatik
beeinflussten Corporate Governance-Debatte bis Ende des ersten Dezenniums dieses
Jahrtausends keines war, hat inzwischen rasch an Fahrt gewonnen. In den USA hat die
Börsenaufsichtsbehörde SEC im Jahr 2009 ein Investor Advisory Committee gebildet,
mit einem Subkomitee, welches sich mit den »Responsibilities of Shareholders« befasst.
Die EU-Kommission publizierte im Jahr 2009 einen Bericht, welcher die Formulierung
von Best Practice Codes für Investoren empfahl.72 Die OECD veröffentlichte im Jahr 2010
Good-Practice-Empfehlungen zu den OECD-Grundsätzen der Corporate Governance aus
dem Jahr 2004; von 25 Empfehlungen betrafen nicht weniger als 5 das Verhalten der
Aktionäre bei der Ausübung der Aktionärsrechte.73
In England, wo bis und mit dem Combined Code in der Fassung von 2008 die Stellung
des Aktionärs nur ein Nebenthema war, hat das Institutional Shareholders’ Committee
im Jahr 2009 einen Code über die Verantwortlichkeiten von institutionellen Investoren
verfasst, welcher im Jahr 2010 als Ergänzung zum neuen UK Corporate Governance Co-
de als »The UK Stewardship Code for Institutional Investors«, ebenso wie der Corporate
Governance Code, durch den Financial Reporting Council (FRC) als Soft Law erlassen
worden ist.74
Auch in der Schweiz gibt es seit dem Jahr 2013 einen Best Practice Code für institu-
tionelle Anleger.75 Insbesondere aber haben Pensionskassen in der Schweiz seit 2015, als
Folge der Annahme der Volksinitiative gegen die Abzockerei, eine Stimmpflicht: Vorsor-
geeinrichtungen sind neu verpflichtet, in den Generalversammlungen schweizerischer
Aktiengesellschaften das Stimmrecht der von ihnen gehaltenen Aktien auszuüben; sie
müssen im Interessen ihrer Versicherten abstimmen und ihr Stimmverhalten offenlegen.
In der EU liegt seit 2014 ein Richtlinienvorschlag der Kommission vor, welcher unter
anderem zum Ziel hat, das Engagement der Aktionäre und der Vermögensverwalter in
börsenkotierten Gesellschaften deutlich zu erhöhen und zu verbessern sowie die Zuver-
lässigkeit und Qualität der Beratung der Proxy Advisors zu gewährleisten.76
Und in den im Jahr 2015 revidierten OECD Principles of Corporate Governance betref-
fen die signifikantesten Änderungen das Kapitel III, welches neu »Institutional investors,
stock markets, and other intermediaries« heisst. Das Corporate Governance-System soll
Anreize für institutionelle Anleger schaffen, die ein Funktionieren der Aktienmärkte im
Sinne einer guten Corporate Governance sicherstellen. Besonderes Gewicht wird auf die
transparente Stimmrechtsausübung durch institutionelle Investoren gelegt.77

71 Vgl. Kap. 5.1.4.


72 RiskMetrics, Study on monitoring and enforcement practices in Corporate Governance in the Mem-
ber States, 2009.
73 OECD Steering Group on Corporate Governance, Corporate governance and the financial crisis,
Conclusions and emerging good practices to enhance implementation of the Principles, 24.02.2010.
74 Financial Reporting Council, The UK Stewardship Code 2010; Financial Reporting Council, The UK
Corporate Governance Code 2010, S. 2 und 36 (Fn. 28).
75 »Richtlinien für Institutionelle Investoren zur Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte bei Aktiengesell-
schaften«; für einen Vergleich dieser Richtlinien mit dem UK Stewardship Code for Institutional
Investors vgl. Binder/Gutzwiller 2013, S. 84 ff.
76 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtli-
nie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie
der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmensfüh-
rung, COM (2014) 213 final.
77 Offenlegen sollen institutionelle Investoren insbesondere ihre Corporate Governance- und Abstim-
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Teil

Darüber hinaus gehend und unabhängig von allfälligen gesetzlichen Initiativen stellt
sich die Frage, ob die weitergehende Zuweisung von Kompetenzen an die Aktionäre
vielleicht automatisch und ohne Aktivitäten des Gesetzgebers zu neuen Aktionärspflich-
ten führen könnte. Internationale Entwicklungen zeigen durchaus in diese Richtung:
Sehr weit ist diesbezüglich Deutschland, wo bereits ein Konsens besteht, dass Aktionäre
auch Treuepflichten haben oder jedenfalls haben können.78 Und selbst in den USA wird
neuerdings die These vertreten, die größere Macht der Aktionäre sollte mit größerer
Verantwortlichkeit gekoppelt werden, weshalb Treuepflichten auch für aktivistische
Aktionäre gelten sollten.79
Auch in der Schweiz gilt es zu beachten, dass die Grenze vom pflichtenlosen Ak-
tionär zum pflichtbehafteten Organ fließend ist. Nimmt der Aktionär als faktisches
Organ wie ein Verwaltungsrat auf die Willensbildung der Gesellschaft Einfluss, haftet
er gemäß Art. 754 OR auch wie ein Verwaltungsrat. Nimmt jemand als Vertreter einer
juristischen Person im Verwaltungsrat Einsitz und zieht er diese in seine Willensbildung
ein, so kann die juristische Person ebenfalls als faktisches Organ qualifizieren. Und
schließlich schwebt über allen Handlungen des Aktionärs das Rechtsmissbrauchsverbot,
als ultimative Schranke auch für dessen Verhalten.
Als Alternative oder Ergänzung zu neuen Pflichten des Aktionärs wird neuerdings
auch diskutiert, einzelne seiner Rechte an eine gewisse Haltedauer der Aktien zu kop-
peln.80 Der gleiche Gedanke findet sich interessanterweise bereits im Standardwerk
Forstmoser/Meier-Hayoz zum schweizerischen Aktienrecht aus dem Jahr 1983, in wel-
chem de lege ferenda die Frage aufgeworfen wurde, ob Aktionärsrechte wie etwa das
Auskunftsrecht oder das Recht auf Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen
nur demjenigen zustehen sollten, der sich über einen Aktienbesitz von längerer Dauer
auszuweisen vermag.81 In einigen Ländern ist der Gesetzgeber bereits in diese Rich-
tung aktiv geworden. So haben die Gesellschaften in Frankreich neu die Möglichkeit,
mittels statutarischer Regelung Aktionären, die länger als zwei Jahre im Aktienbuch
eingetragen sind, eine Loyalitätsdividende von maximal 10 % zu bezahlen. Ebenfalls
in Frankreich wurde im Jahr 2014 mit dem Loi Florange die Möglichkeit eines doppel-
ten Stimmrechts für Aktionäre eingeführt, die länger als zwei Jahre im Aktienbuch
eingetragen sind; dieses Loyalitätsstimmrecht ist wohl ebenfalls dispositiv, der Verzicht
darauf bedarf aber eines Opting-out-Beschlusses der Generalversammlung mit einem
Quorum von zwei Dritteln der Stimmen. Und schließlich hat die Börsenaufsichtsbehörde
SEC in den USA den Gesellschaften die Möglichkeit der Schaffung eines Loyalitätsmit-
wirkungsrechts eingeräumt, indem diese ihren Aktionären das Recht zur Nominierung

mungspolitik, ihr konkretes Abstimmungsverhalten sowie ihren Umgang mit Interessenkonflikten


(vgl. OECD Principles of Corporate Governance 2015, Kap. III).
78 Vgl. Schmidt 2002, S. 591 ff.
79 Vgl. Anabtawi/Stout 2008, S. 1 f.: »The most important trend in corporate governance today (...) is
the move towards ›shareholder democracy‹. Changes in financial markets, in business practice and
in corporate law have given minority shareholders in public companies greater power than they
have ever enjoyed before. Activist investors, especially rapidly-growing hedge funds, are using
this new power to pressure managers into pursuing corporate transactions ranging from share
repurchases to special dividends to the sale of assets or even the entire firm. In many cases these
transactions uniquely benefit the activist while failing to benefit, or even harming, the firm and
other shareholders. (...) There is no reason to believe that newly-empowered activist shareholders
are immune to the forces of greed and self-interest widely understood to tempt corporate officers
and directors. Corporate law can, and should, adapt to this reality.«
80 Vgl. z. B. The Economist, A different class, 20.02.2010.
81 Vgl. Forstmoser/Meier-Hayoz 1983, S. 63.
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Teil

von Directors gewähren können, sofern sie ein Minimum an Aktien während einer
minimalen Periode halten; typischerweise setzen die Gesellschaften die Schwelle bei
3 % Aktienbesitz während 3 Jahren an.82
Der Aktionär wird sich möglicherweise noch wundern, welche neue Verantwortung
mit seiner stärkeren Stellung im System der Aktiengesellschaft daherkommen wird.
Anderseits darf man bei all diesen Entwicklungen eines nicht vergessen: Der Verwal-
tungsrat in der Schweiz bzw. der Board of Directors in den USA und in Großbritannien
ist der Treuhänder der Nachhaltigkeit im Corporate Governance-System der Aktienge-
sellschaft. Er muss auch in Zukunft den Willen, die Mittel und die Macht haben, diese
herausfordernde Aufgabe zu erfüllen.83

Literatur
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Greater Uncertainty. 2013.
Anabtawi, I./Stout, L. (2008): Fiduciary Duties for Activist Shareholders. UCLA School of Law, Law &
Economics Research Paper Series, Research Paper No. 08-02, 2008.
Bech-Bruun/Lexidale (2013): Study on the Application of the Cross-Border Mergers Directive. Brüssel,
2013.
Berle, A. A./Means, G. C. (1932): The Modern Corporation and Private Property. Cambridge, MA, 1932.
Binder, A. (1987): Die Verfassung der Aktiengesellschaft. Diss., Basel, 1987.
Binder, A. (2005): Der Schutz der Gläubiger von Aktiengesellschaften bei Spaltung und Vermögens-
übertragung. Schulthess, Zürich u. a., 2005.
Binder, A./Gutzwiller, R. (2013): Soft Law für institutionelle Investoren. In: GesKR, 2013, S. 84–94.
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82 Vgl. z. B. Financial Times, Investors fight for greater say on boards, 20.04.2015.
83 Im deutschen Corporate Governance-System fehlt ein Organ, dem gegenüber dem operativen Ma-
nagement ein gleich hohes Gewicht zukommt wie dem Verwaltungsrat bzw. dem Board of Directors.
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552  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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  |  553
Teil

II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts


im deutschen Recht
Gerhard Picot*

1 Internationalisierung der Transaktionsprozesse und die Regelungsmethodik


des deutschen Vertragsrechts
2 Entwicklung des deutschen Kaufrechts vor dem Inkrafttreten der Schuldrechts-
reform zum 01.01.2002
2.1 Entwicklung des (vorvertraglichen) rechtsgeschäftsähnlichen
Schuldverhältnisses
2.2 Entwicklung des Unternehmenskaufrechts
3 Schuldrechtsreform vom 01.01.2002 – die »große Lösung«
3.1 Wertungswidersprüche beim Asset Deal
3.2 Wertungswidersprüche beim Share Deal
4 Aktuelles Unternehmenskaufrecht und die Vertragspraxis entgegen
der »großen Lösung« der Schuldrechtsreform vom 01.01.2002
4.1 Vereinbarung von Garantien als Gewährleistungs- und Haftungsgrundlage
4.2 Vereinbarung der Rechts- und Haftungsfolgen der Garantien
5 Gesamtwertung und Ausblick auf die weiteren Entwicklungen des aktuellen
Unternehmenskaufrechts im deutschen Bürgerlichen Recht

* Prof. Dr. Gerhard Picot, Geschäftsführender Partner, PICOT Rechtsanwaltsgesellschaft, Köln.


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554  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

1 Internationalisierung der Transaktionsprozesse


und die Regelungsmethodik des deutschen
Vertragsrechts
Die Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Bürgerlichen Recht
sind seit Beginn der 1990er Jahre durch die zunehmend internationalen und globa-
len Transaktionsprozesse geprägt.1 Die deutsche Wirtschaftsrechtspraxis konnte sich
deshalb nicht dem Trend entziehen, die Transaktionsverträge nach anglo-amerikani-
schem Vorbild und (weitgehend) in englischer Sprache zu konzipieren.2 Entsprechend
den (internationalen) Transaktionsverträgen werden Unternehmenskaufverträge daher
zunehmend gemäß dem angelsächsischen »Common Law« im Wege der konkret-indi-
vidualisierenden Regelungsmethodik gestaltet, wobei alle erkennbaren und erkannten
regelungsbedürftigen Chancen und Risiken möglichst konkret und abschließend ge-
regelt werden. Dabei wird auf die allgemeine deutsche abstrahierend-generalisierende
Gesetzes- und Regelungsmethodik verzichtet, die die Bezugnahme auf die anwendbaren
deutschen Gesetze und die Subsumption einer unbestimmten Vielzahl von Anwen-
dungsfällen unter deren abstrakt-generelle Begriffen ermöglicht.
Deshalb ist es nach dem Vorbild des angelsächsischen »Case Law« weitgehend üb-
lich geworden, den Unternehmenskaufvertrag als eigenständiges und umfassendes Re-
gelungssystem auszugestalten, wobei sich in der Praxis für die Gestaltung und den
Inhalt der Transaktionsverträge gewisse Standards herausgebildet haben. Aufgrund
einerseits der Komplexität der Unternehmen als Gesamtheit von Sachen und Rechten,
tatsächlichen Beziehungen, Erfahrungen und unternehmerischen Handlungen sowie
andererseits der im Einzelfall zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Gegebenheiten,
Bestrebungen und unter den Vertragspartnern auszugleichenden Chancen und Risiken
ist es nicht möglich, die vielfältigen Facetten einer Transaktion allein mit einem »guten«
Standardvertrag zu bewältigen.3 Vielmehr müssen erkannte und erkennbare Chancen
und Risiken möglichst klar unter den Vertragspartnern abgegrenzt und ihnen unterei-
nander zugewiesen werden.
Angesichts der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten von Unternehmensübernahmen
und -zusammenschlüssen ist es für den Gesetzgeber aufgrund der deutschen abstrahie-
rend-generalisierenden Regelungsmethodik schwierig, bereits im allgemeinen Vertrags-
recht umfassende selbstständige Rechtskonzepte oder gar Rechtsinstitute zur Verfügung
zu stellen.
Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber mit seinem Gesetz zur Modernisierung des
Schuldrechts vom 26.11.2001,4 durch das er die Rechte der Konsumenten deutlich stär-
ken und das deutsche Recht an die europäischen Konsumgüterkaufrichtlinien5 sowie
insbesondere an das UN-Kaufrecht, die UNIDROIT6 Principles und die Principles of
European Contract Law anpassen wollte, den ausdrücklichen Versuch unternommen,

1 Vgl. Picot 2013, S. 13 ff.; Picot 2012, S. 2 ff.; Picot 2008a, S. 7 ff.
2 Vgl. Binder 2016, S. 520.
3 Vgl. Seibt 2008.
4 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl I 2001, S. 3138. Vgl. auch die am
08.01.2002 bekanntgemachte Neufassung (BGBl I 2002, S. 42).
5 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten
Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl EG Nr. L 171, S. 12.
6 International Institute for the Unification of Private Law.
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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  555


Teil

das in den §§ 433 ff. BGB typisierte Principles of European Contract Law anpassen
wollte, den ausdrücklichen Versuch unternommen, das in den §§ 433 ff. BGB typisier-
te7 deutsche Kaufrecht ab dem 01.01.2002 als Vertragsstatut für internationale Trans-
aktionsverträge populärer zu machen. Zwar hat der Gesetzgeber dabei bewusst auf
die Regelung eines speziellen Unternehmenskaufrechts verzichtet.8 In den besonderen
Rechtsbereichen von Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Betriebsrentenrecht, Steuerrecht,
Kartellrecht, Umweltrecht, Insolvenzrecht und internationalem Recht finden sich aber
ergänzende Regelungen, die einer typisierenden Ordnung zugänglich sind und auf den
Unternehmenskauf Anwendung finden.

2 Entwicklung des deutschen Kaufrechts


vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform
zum 01.01.2002
2.1 E ntwicklung des (vorvertraglichen) rechtsgeschäftsähnlichen
Schuldverhältnisses

Die bloße Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete bis zum Inkrafttreten des
Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts lediglich ein vertragsähnliches Vertrau-
ensverhältnis, das den Vertragspartnern Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme,
Fürsorge und Loyalität auferlegte und ihnen die Sorgfalt von Schuldnern abverlangte.
Im Falle einer vorvertraglichen Pflichtverletzung standen dem Verhandlungspartner
Ansprüche allenfalls im Rahmen des gewohnheitsrechtlich anerkannten Instituts des
sog. Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) zu. Dabei wurde der
Käufer in seinem Vertrauen so gestellt, wie er bei Wahrung des Vertrauens und der für
seinen Kaufentschluss erheblichen Umstände gestanden hätte. Der Käufer konnte daher
entweder am Vertrag festhalten und lediglich zusätzlich Schadensersatz beanspruchen
oder aber die Rückgängigmachung des Vertrags verlangen.9
Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat die vorvertraglichen Verhaltenspflichten
der Vertragspartner erweitert. § 311 Abs. 2 BGB bestimmt nun ausdrücklich, dass ein
Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB nicht nur durch einen Vertrag
(§ 311 Abs. 1 BGB), sondern auch durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
die Anbahnung eines Vertrags oder ähnliche geschäftliche Kontakte entstehen kann.
Derartige »vorvertragliche« (rechtsgeschäftsähnliche) Schuldverhältnisse haben selbst-
verständlich, ebenso wie rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse, in erster Linie gemäß
§ 241 Abs. 1 BGB leistungsbezogene Pflichten zum Inhalt. Durch die ausdrückliche
Bezugnahme auf § 241 Abs. 2 BGB will § 311 Abs. 2 BGB aber betonen, dass auch das
rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnis Nebenpflichten beinhaltet und jeden Teil zur

7 Vgl. Picot 2012, S.  297 ff.


8 Vgl. dazu Däubler-Gmelin 2001, S. 2281; eingehend zu den Problemen der Schuldrechtsreform:
Henssler/Graf von Westphalen 2002, S. 610 ff.
9 Vgl. BGH, GmbHR 2001, S. 516, 519; BGHZ 69, S. 53, 56; BGHZ 111, S. 75, 82.
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556  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet.
Verletzt ein Partner seine Pflichten aus dem Schuldverhältnis schuldhaft, so kann der
Gläubiger gemäß § 280 BGB Ersatz des ihm hierdurch entstehenden Schadens ver-
langen. Beim Unternehmenskauf liegt der hauptsächliche Anwendungsbereich solch
vorvertraglicher Pflichtverletzungen im Bereich unrichtig erteilter Informationen des
Verkäufers gegenüber dem Käufer. Dabei gilt der Grundsatz, dass bei gegenseitigen Ver-
trägen grundsätzlich jeder Vertragspartner selbst zu prüfen hat, ob das Geschäft für ihn
vorteilhaft ist oder nicht. Der Käufer muss sich daher grundsätzlich selbst die für seinen
Kaufentschluss maßgeblichen Informationen beschaffen. Ein bloßes Verschweigen von
Tatsachen bzw. eine mangelhafte Aufklärung seitens des Verkäufers beinhaltet deshalb
regelmäßig noch keine Pflichtverletzung des Verkäufers.10
Bei der Beurteilung der Frage, ob und inwieweit (bereits) gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1
BGB ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB zustande
gekommen ist, sollte folgende Grundregel beachtet werden: Je mehr sich bei objektiver
Betrachtungsweise das durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, die Anbah-
nung eines Vertrags oder ähnliche geschäftliche Kontakte begründete Vertrauensver-
hältnis der Verhandlungspartner im Hinblick auf den Abschluss des Vertrags verdichtet
und je wahrscheinlicher der Vertragsabschluss erscheint, umso intensiver und umfang-
reicher werden die Pflichten der Verhandlungspartner zur gegenseitigen Rücksichtnah-
me, Fürsorge und Loyalität und umso mehr wird von ihnen die Sorgfalt von Schuld-
nern zu verlangen sein. Für die Annahme des Tatbestandsmerkmals »Aufnahme von
Vertragsverhandlungen« brauchen deshalb nicht schon zweiseitige konkrete Verhand-
lungen vorzuliegen. Vielmehr können bereits einseitige Maßnahmen eines Vertragsteils
genügen, die den anderen veranlassen sollen, den geschäftlichen Kontakt zu suchen.
Dies gilt auch für die aus der internationalen Transaktionspraxis übernommenen Legal
Transplants,11 wie z. B. Letter of Intent, Term Sheet, Verhandlungsprotokoll, Positions-
papier, Punktation, Heads of Agreement, Letter of Understanding und Memorandum of
Understanding, die je nach Ausgestaltung als besonderer Ausdruck und als Indiz für
die Bildung bzw. das Vorliegen eines derartigen Vertrauensverhältnisses zu bewerten
sind. Dabei ist freilich zusätzlich zu prüfen, ob diese bereits die rechtlichen Qualität
eines (Vor-)Vertrags im Sinne des § 311 Abs. 1 BGB mit der Folge der Erfüllungshaftung
aufweisen.
Allerdings kann ein Verhandlungspartner durch einen separaten Verzicht des Er-
klärungsempfängers gewisse Beschränkungen eines Vertrauenstatbestandes bei seinem
Verhandlungspartner herbeiführen. Hierzu zählt z. B. auch ein sog. Disclaimer, der
vielfach bei einer Due Diligence, zu einem Informationsmemorandum oder auch einem
Engagement Letter, d. h. einem an eine Investmentbank oder auch an einen Unterneh-
mensberater gerichteten Beauftragungsschreiben, erklärt wird, und mit dem regelmäßig
der Dokumentenersteller den Tatbestand besonderen Vertrauens als Grundlage seiner
etwaigen Eigenhaftung aus § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB ausschließen will.

10 Vgl. BGH NJW 1989, S. 763, 764; Stengel/Scholderer 1994, S. 158, 160.
11 Vgl. Picot/Duggal 2003, S. 2635 ff.; Henssler 2006, S. 739 ff.; Fleischer 2004, S. 1129 ff.; Lappe/Schmitt
2007, S. 153 ff.
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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  557


Teil

2.2 Entwicklung des Unternehmenskaufrechts


Der Kauf eines Unternehmens stellt als Kauf einer Gesamtheit von Sachen und Rechten,
tatsächlichen Beziehungen und Erfahrungen sowie unternehmerischen Handlungen ei-
nen komplexen rechtlichen Vorgang und grundsätzlich mehr dar, als den bloßen Kauf
der Wirtschaftsgüter eines Unternehmens. Beim Kauf der Sachgesamtheit eines Unter-
nehmens (Asset Deal) handelt es sich jedenfalls im analogen Sinne grundsätzlich um
einen Sachkauf gemäß § 433 Abs. 1 BGB. Betrifft der Asset Deal neben der Übertragung
von Sachen auch die Übertragung von Rechten, so handelt es sich insoweit auch um
einen Kauf von Rechten. Der Kauf von Anteilen oder Beteiligungen an einer Gesellschaft
(Share Deal) ist hingegen grundsätzlich ein Rechtskauf gemäß § 453 BGB.

2.2.1 Wertungswidersprüche und Abgrenzungsschwierigkeiten beim Asset Deal

Vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 wurde die deutsche Ge-
setzeslage für den Unternehmenskauf allgemein als unbefriedigend angesehen. Dies
galt vor allem im Hinblick auf das gesetzliche Gewährleistungs- und Haftungsrecht
beim Unternehmenskauf.
Insbesondere beim Asset Deal resultierten Wertungswidersprüche und Abgrenzungs-
schwierigkeiten daraus, dass es nach dem früheren Kaufrecht nicht zur Erfüllungs-
pflicht des Verkäufers gehörte, dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln
zu verschaffen. Vielmehr bewirkte bereits die Leistung einer – auch mangelhaften –
Kaufsache die »geschuldete Leistung« und stellte keine Verletzung der vertraglichen
Erfüllungspflichten des Verkäufers dar, sondern eröffnete dem Käufer lediglich An-
sprüche nach dem gesetzlichen Gewährleistungsrecht. Die Wertungswidersprüche und
Abgrenzungsschwierigkeiten bezogen sich besonders auf Folgendes:12
Lag ein Fehler des Unternehmens als Kaufsache (§ 459 Abs. 1 BGB a. F.) vor, so konn-
te der Käufer nach altem Recht u. a. sofort die Wandlung des Kaufvertrags oder Min-
derung verlangen (§ 462 BGB a. F.). Dabei waren die Rechtsfolgen der Wandlung und
Minderung aufgrund der Komplexität des Kaufgegenstandes »Unternehmen« regelmäßig
nicht interessengerecht und praktisch kaum zu handhaben. Schadensersatzansprüche
hingegen konnten nur beim Fehlen zugesicherter Eigenschaften geltend gemacht werden
(§ 459 Abs. 2 BGB a. F.).
Der Bundesgerichtshof behalf sich damit, dass er in restriktiver Weise sehr strenge
Anforderungen an das Vorliegen eines Fehlers (sog. »restriktiver Fehlerbegriff«) und der
Zusicherung einer Eigenschaft stellte. Ein Gewährleistungsanspruch wegen eines Man-
gels kam deshalb nur dann in Betracht, wenn die Abweichung von der Sollbeschaffenheit
auf den Wert des Unternehmens oder die Tauglichkeit des Unternehmens im Ganzen
durchgeschlagen war, insbesondere wenn die Mängel einzelner Gegenstände oder Po-
sitionen des Unternehmens dessen Ertragsfähigkeit nachhaltig gefährdeten, also seine
wirtschaftliche Grundlage erschüttert war (sog. »Gesamterheblichkeitstheorie«).13

12 Vgl. zu den Gründen, weshalb die Bundesregierung die sog. »große Lösung bei der Schuldrechtsre-
form« gewählt hat, Däubler-Gmelin 2001, S. 2281 ff. Vgl. dazu insgesamt Henssler/Graf von Westfalen
2002.
13 Vgl. BGH, NJW 1995, S. 1547; BB 1995, S. 1258.
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558  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Um trotz dieser restriktiven Handhabung des Fehlerbegriffs zu (wirtschaftlich) sach-


gerechten Ergebnissen zu gelangen, stützte der Bundesgerichtshof (BGH) seine durch-
weg zu befürwortenden Einzelfallentscheidungen auf eine dogmatisch nicht unbedenk-
liche weite Anwendung des Rechtsinstituts des Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa
in contrahendo). Denn der restriktiv enge Anwendungsbereich des alten Sachmängel-
rechts eröffnete dem BGH Raum für den Rückgriff auf die culpa in contrahendo, die eine
flexiblere Erfassung und Bewältigung der Leistungsstörungen beim Unternehmenskauf
ermöglichte als das verschuldensunabhängige Gewährleistungsrecht mit der drohenden
Rückabwicklung des Unternehmenskaufs. Zugleich eröffnete der BGH hierdurch dem
Käufer die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer beim Fehlen
zugesicherter Eigenschaften und bei Arglist des Verkäufers geltend zu machen.
Beim Sachkauf kamen Ansprüche aus culpa in contrahendo auch im Falle der vor-
vertraglichen Verletzung einer Aufklärungspflicht in Betracht, soweit diese Pflichtver-
letzung keinen Bezug zu einem Fehler oder einer zugesicherten Eigenschaft des Unter-
nehmens hatte, ansonsten nur bei Vorsatz.14 Schadensersatzansprüche aus Verschulden
bei Vertragsanbahnung wegen fahrlässig falscher Angaben zur Beschaffenheit der Kauf-
sache waren durch die Gewährleistungsvorschriften ausgeschlossen.15 Im Gegensatz
dazu ließ die Rechtsprechung Ansprüche bei falschen Angaben über Umsatzzahlen und
Bilanzbestandteile beim Unternehmenskauf zu, indem sie derartige Tatsachen nicht als
Eigenschaften des Unternehmens behandelte.16 Regelmäßig fehlte die Möglichkeit des
Käufers zur Erfüllung der ihm gemäß §§ 377 f. HGB obliegenden Untersuchungs- und
Rügeobliegenheit zeitnah nach Übernahme der unternehmerischen Leitungsmacht.
Schadensersatz wegen Nichterfüllung konnte der Käufer statt der Wandlung oder
der Minderung nur dann verlangen, wenn der verkauften Sache zur Zeit des Kaufs
eine zugesicherte Eigenschaft fehlte oder wenn der Verkäufer einen Fehler arglistig
verschwiegen hatte. Insoweit wurden die §§ 463, 480 Abs. 2 BGB a. F. als abschließende
Regelung angesehen.17
Soweit eine Nebenpflichtverletzung einen Bezug zu Fehlern oder zugesicherten Ei-
genschaften des Unternehmens hatte, entstanden Ansprüche aus positiver Forderungs-
verletzung lediglich für Mangelfolgeschäden.18
Die Gewährleistungsrechte verjährten für Sachmängel, d. h. insbesondere im Hin-
blick auf Mängelschäden, bereits sechs Monate nach der Übergabe des Unternehmens
gemäß § 477 BGB Abs. 1 BGB a. F.; dasselbe galt für Ansprüche auf Ersatz von Man-
gelfolgeschäden aus positiver Forderungsverletzung (p. F. V.)19. Diese kurze Verjäh-
rungsfrist war nicht damit in Einklang zu bringen, dass die Gewährleistungsrechte für
Rechtsmängel sowie die Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss20 (§ 195 BGB
a. F.) und aus sonstigen Nebenpflichtverletzungen 21 erst nach 30 Jahren verjährten.22

14 Vgl. BGHZ 60, S. 319, 321 f.; NJW 1973, S. 1234; NJW 1992, S. 2564, 2565.
15 Vgl. BGHZ 60, S. 319, 320; BGH NJW 1992, S. 2564.
16 Vgl. BGH NJW 1970, S. 653; 1977, S. 1536 und 1538; ferner in NJW 1990, S. 1659.
17 Vgl. BGHZ 77, S. 215, 217 ; NJW 1980, S. 1950 ff.; Palandt/Putzo 2002, BGB, 61. Aufl., Vorb. § 459 a. F.
RN 7.
18 Vgl. BGHZ 77, S. 215, 217; NJW 1980, S. 1950.
19 Vgl. BGHZ 77, S. 215, 217; NJW 1980, S. 1950.
20 Vgl. BGHZ 47, S. 312, 319; NJW 1967, S. 1805; BGH, NJW 1997, S. 3227, 3228.
21 Vgl. BGH, NJW 1990, S. 1658, 1659.
22 Vgl. RGZ 93, S. 71, 73 f.
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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  559


Teil

2.2.2 Wertungswidersprüche und Abgrenzungsschwierigkeiten beim Share Deal

Auch beim Share Deal bestanden nach altem Recht erhebliche Wertungswidersprüche
und Abgrenzungsschwierigkeiten, und zwar insbesondere in Folgendem:
Es bestand eine Ungleichbehandlung der Rechtsfolgen des Asset Deal als Sachkauf
(mit einer Einstandspflicht für die wirtschaftliche Werthaltigkeit gemäß §§ 459 ff. BGB
a. F.) und des Share Deals als Rechtskauf (mit einer Einstandspflicht lediglich für den
Bestand und die rechtlichen Eigenschaften des Rechts gemäß §§ 437, 440 BGB a. F.).
Der BGH behalf sich hier mit der – dogmatisch kaum haltbaren, aber wirtschaftlich
angemessenen – Lösung, einen Käufer, der durch den Erwerb der Allein- oder Mehr-
heitsbeteiligung eine beherrschende Stellung an einem Unternehmen erlangt und damit
wirtschaftlich »das« Unternehmen gekauft hatte, rechtlich nicht anders – und nicht
schlechter – zu behandeln als einen Käufer, der durch einen Asset Deal (im Wesentli-
chen) sämtliche Vermögensgegenstände eines Unternehmens erworben hatte.
Beim Rechtskauf bestand ein Anspruch aus culpa in contrahendo, falls vorvertrag-
liche Aufklärungspflichten verletzt waren.

2.2.3 Vereinbarung selbstständiger verschuldensunabhängiger Garantien

Aufgrund dieser Unzulänglichkeiten des gesetzlichen Gewährleistungssystems sah sich


die deutsche M & A-Vertragspraxis regelmäßig dazu veranlasst, das gesetzliche Gewähr-
leistungssystem auszuschließen und – entsprechend der internationalen, vor allem an-
gelsächsisch geprägten Handhabung – durch die Vereinbarung eines privatautonom
vereinbarten Gewährleistungs- und Haftungsregimes, insbesondere durch selbststän-
dige verschuldensunabhängige Garantien und Haftungsfolgen (§ 305 BGB a. F.), zu er-
setzen.23

3 Schuldrechtsreform vom 01.01.2002 –


die »große Lösung«
Mit seiner – vermeintlich – »großen Lösung« der Schuldrechtsreform hat der deutsche
Gesetzgeber versucht, die dargestellten Widersprüche zu beseitigen und einen tragfä-
higen gesetzlichen Rahmen sowohl für die nationale als auch für die internationale
Transaktionspraxis zu schaffen.24
Gemäß den Gesetzesmaterialien 25 sollte es nach der Neuregelung ohne Bedeutung
sein, ob der Anspruch des Käufers eines Unternehmens auf Ersatz des Schadens, der
ihm dadurch entstanden ist, dass er auf unrichtige Angaben des Verkäufers über Um-

23 Vgl. Picot 2013, S. 227 ff.


24 Vgl. zu den Gründen, weshalb die Bundesregierung die sog. »große Lösung bei der Schuldrechtsre-
form« gewählt hat: Däubler-Gmelin 2001, S. 2281 ff. Vgl. dazu insgesamt Henssler/Graf von West-
phalen 2002. Vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 14/6040 v. 14.05.2001,
S.  84 f.
25 Vgl. BGBl I vom 29.11.2001, 61/2001 S. 3138 ff.
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560  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

satz und Gewinn vertraut hat, auf culpa in contrahendo oder auf die Lieferung einer
fehlerhaften Kaufsache gestützt wird. Denn in beiden Fällen beurteilen sich die Vor-
aussetzungen des Schadensersatzanspruchs nach den §§ 280, 281 BGB.«26 Insbesondere
sollten die Gründe entfallen, die den BGH zu seiner Rechtsprechung des »restriktiven
Fehlerbegriffs« mit einer ausweitenden Anwendung der culpa in contrahendo veranlasst
hatten. Dabei wurde betont, dass die neuen Vorschriften dem Käufer ein Nachbesse-
rungsrecht gewähren und ihm auch bei Fahrlässigkeit des Verkäufers ein Schadenser-
satzanspruch zustehen kann, die Berechnung der Minderung erleichtert wird und auch
eine angemessene Regelung der Verjährungsfrage bereitgestellt wird.27

3.1 Wertungswidersprüche beim Asset Deal


3.1.1 W
 ertungswidersprüche beim Asset Deal bezüglich der Erfüllungspflicht
des Verkäufers, dem Käufer die Sache frei von Mängeln zu verschaffen

Im Gegensatz zu § 433 BGB a. F. regelt § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB nunmehr die Erfüllungs-
pflicht des Verkäufers, dem Käufer die Sache frei von Sach- (§ 434 BGB) und Rechtsmän-
geln (§ 435 BGB) zu verschaffen. Gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Kaufsache frei
von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit, d. h.
die subjektiv vereinbarte Sollbeschaffenheit, aufweist. Ein Mangel des Unternehmens
kann auch auf einem Rechtsmangel einzelner Vermögensgüter gemäß § 435 BGB be-
ruhen; nach dieser Bestimmung ist eine Sache frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in
Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommenen Rechte gegen
den Käufer geltend machen können.
Schwierigkeiten einer derartigen positiven Beschreibung der Beschaffenheit eines
Unternehmens ergeben sich daraus, dass es sich bei dem Verkauf eines Unternehmens
um eine Gesamtheit von Sachen und Rechten, tatsächlichen Beziehungen und Erfah-
rungen sowie unternehmerischen Handlungen handelt; dies gilt besonders bei komple-
xeren nationalen und vor allem auch internationalen Transaktionen, insbesondere im
Falle größerer Unternehmen oder Unternehmensgruppen. Generell sei gesagt, dass die
Vertragspartner (ähnlich wie bei der Formulierung selbstständiger verschuldensunab-
hängiger Garantien und ihrer Rechtsfolgen) – möglichst präzise Vereinbarungen über
die Sollbeschaffenheit und ihre gewährleistungsrechte (Haftungs-)Reichweite treffen
sollten, um Zweifel über den Umfang der gesetzlichen Gewährleistung und Haftung aus-
zuschließen. Dies gilt vor allem bei derartigen Beschaffenheiten, die (a) die Gebrauchs-
tauglichkeit eines Unternehmens nur mittelbar betreffen und ggf. beeinträchtigen und
die daher dem Unternehmen auch nicht unmittelbar als Beschaffenheit im Sinne des
§ 434 Abs. 1 BGB anhaften, sondern nur mittelbar Schlüsse auf den Wert des Unter-
nehmens rechtfertigen,28 oder (b) die sich auf einzelne und von den Vertragspartnern
als für die Erfüllung des Unternehmenskaufs und die Einstandspflicht des Verkäufers
wesentlich erachteter Gegenstände des Unternehmens beziehen.

26 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 94.


27 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 242.
28 Vgl. BGH, WM 1970, S. 132, 133; NJW 1970, S. 653.
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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  561


Teil

Ist eine derartige Beschaffenheit im Falle des Unternehmenskaufs nicht vereinbart, so


ist die Kaufsache gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB frei von Sachmängeln, wenn sie
sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Hierzu ist zunächst
anzumerken, dass eine nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung im Hinblick auf
ein Unternehmen (anders als beim Kauf eines Verbrauchsguts, den die Schuldrechtsre-
form regeln wollte) nur schwer zu definieren und zu vereinbaren ist. Die Feststellung
eines Mangels wird deshalb nur dann möglich sein, wenn die Parteien – was in der
Praxis selten vorkommen wird – in dem Kaufvertrag zumindest eine konkludente Ver-
einbarung über die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung einer Sache, eines
Rechts oder sogar des ganzen Unternehmens getroffen haben, wobei sie darüber hinaus
die Parameter der von ihnen vereinbarten Verwendung festgelegt haben müssen.29
Ist nach dem Vertrag eine bestimmte Verwendung des Unternehmens nicht vorausge-
setzt, so ist die Kaufsache gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB frei von Sachmängeln,
wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist,
die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art erwarten
kann. Dabei sei hervorgehoben, dass sich eine derartige »Gewöhnlichkeit« oder »Üblich-
keit« der Verwendung eines individuellen und dazu noch komplexen Unternehmens als
Sach- und Rechtsgesamtheit kaum wird feststellen lassen. Gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3
BGB gehören zu dieser gewöhnlichen Beschaffenheit eines Unternehmens als Kaufsache
allerdings auch Eigenschaften, die der Käufer nach den »öffentlichen Äußerungen des
Verkäufers ... oder seines Gehilfen insbesondere in der Werbung oder bei der Kenn-
zeichnung über bestimmte Eigenschaften der Sache erwarten kann, es sei denn, dass
der Verkäufer die Äußerung nicht kannte und auch nicht kennen musste, dass sie im
Zeitpunkt des Vertragsschlusses in gleichwertiger Weise berichtigt war oder dass sie die
Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte.«.
Insofern kommen hier im Hinblick auf den Unternehmenskauf z. B. öffentliche, ggf.
auch in Unternehmensbroschüren vorgenommene Äußerungen von Investmentberatern
oder Unternehmensmaklern in Betracht. Will sich ein Verkäufer vor den Wirkungen
dieser Bestimmung schützen, so empfiehlt es sich, nach Möglichkeit die Eignung der
öffentlichen Angaben zur Beeinflussung der Kaufentscheidung in einem sog. Disclaimer
zu beschränken oder zu beseitigen. Im Gegensatz dazu steht der gewährleistungsbe-
gründende Tatbestand des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB als solcher – anders als der Inhalt
bestimmter Beschaffenheitsvereinbarungen i. S. v. § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB – nicht zur
Disposition der Vertragspartner stehen, da diese Vorschrift die Gewährleistungshaf-
tung gerade unabhängig vom Einstandswillen des Verkäufers für werbende Aussagen
anordnet.30
Darüber hinaus liegt gemäß § 434 Abs. 2 BGB ein Sachmangel auch bei unsachgemä-
ßer Montage oder mangelhafter Montageanleitung vor. Obwohl sich diese Bestimmung
hauptsächlich auf Verbrauchsgüter fokussiert, sind im Rahmen eines Unternehmens-
kaufs insbesondere Fälle unsachgemäßer Montage von Maschinenanlagen denkbar.
Allerdings wird gerade in diesem Bereich das Spannungsverhältnis zu dem Kauf ge-
brauchter Sachen zu beachten und vertraglich zu regeln sein.

29 Bei vorsätzlich falschen Informationen des Verkäufers und daraus resultierenden Fehlinvestitionen
des Käufers dürfte ein Anspruch aus § 311 Abs. 2 BGB anzuerkennen sein. Vgl. BGH, NJW 1992, S.
2564 (»Stundenhotel«).
30 Vgl. ebenso Seibt/Reiche 2002, S. 1135, 1139 f.
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562  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

§ 434 Abs. 3 BGB stellt es schließlich einem Sachmangel gleich, wenn der Verkäufer
eine andere Sache (aliud) oder eine zu geringe Menge liefert. Unter diese gesetzliche
Bestimmung sind nunmehr insbesondere auch die Fälle der Quantitätsmängel einer
Sache einzuordnen.31 Dies gilt z. B., wenn beim Verkauf eines Getränkegroßhandels das
mitverkaufte Leergut unauffindbar ist32 oder wenn sich beim Verkauf eines Gerüstbau-
unternehmens später ein Fehlbestand an Gerüsten herausstellt.33
Sach- oder Rechtsmängel (nur) einzelner Vermögensgegenstände sind im Falle ei-
nes Asset Deals entsprechend der bisherigen sachgerechten BGH-Rechtsprechung in
Ermangelung einer diesbezüglichen Vereinbarung nur ausnahmsweise als ein Mangel
des Unternehmens (als Kaufgegenstand) anzusehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn
die Abweichung von der Sollbeschaffenheit auf den Wert des Unternehmens oder die
Tauglichkeit des Unternehmens im Ganzen durchschlägt und infolgedessen die wirt-
schaftliche Grundlage des Unternehmenskaufs erschüttert ist (sog. »Gesamterheblich-
keitstheorie«).
Der BGH hatte allerdings erstmalig seit dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmoderni-
sierungsgesetzes am 01.01.2002 die Gelegenheit, sich mit dieser Problematik und den
Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf die Sachmängelhaftung beim Unterneh-
menskauf zu befassen. In dem zu entscheidenden Fall ging es um einen am 22.04.2005
notariell beurkundeten Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile an einer GmbH. Nach der
vertraglichen Vereinbarung sollte die Gewährleistung des Verkäufers den Vorschriften
des BGB folgen, wobei hinsichtlich der Beschaffenheit des Kaufobjekts auf ein von den
Parteien erstelltes Protokoll Bezug genommen wurde. Bei den Verkaufsverhandlungen
lag den Parteien ein Wertgutachten eines Sachverständigen vor, das dem Firmengrund-
stück einen »normalen Gesamtzustand« bescheinigte. Mit ihrer Klage vom 19.09.2007
verlangte die Käuferin Schadensersatz wegen Konstruktionsmängeln am Dach der Pro-
duktionshalle. Das LG Köln hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung beim OLG Köln
blieb mit der Begründung erfolglos, für das Vorliegen eines Unternehmensmangels
komme es auf das Unternehmen als Ganzes an und nicht auf die Mangelhaftigkeit
einzelner, zum Unternehmen gehörender Gegenstände. Das Urteil wurde dem achten
Zivilsenat des BGH zur Entscheidung vorgelegt.34Bedauerlicherweise hat der achte Zi-
vilsenat des BGH die Revision gegen das OLG-Urteil nicht angenommen, obwohl er
hier Gelegenheit gehabt hätte, sich mit dieser Problematik und den Auswirkungen der
Schuldrechtsreform auf die Sachmängelhaftung beim Unternehmenskauf zu befassen
und seine bisherige ständige Rechtsprechung zum »restriktiven Fehlerbegriff« sowie
zur »Gesamterheblichkeit des Mangels einzelner Unternehmensgegenstände« an das
reformierte gesetzliche Gewährleistungssystem anzupassen.35

31 Nach dem alten Recht wurden die Fälle der Aliud-Lieferung und der »Zuwenig«-Lieferung bisweilen
nicht der Gewährleistung, sondern der Leistungsstörung zugeordnet (vgl. BGH, NJW 1979, S. 33;
BGH, WM 1974, S. 312, 313).
32 Vgl. BGH, WM 1974, S. 312.
33 Vgl. BGH, NJW 1979, S. 33; siehe aber auch BGH, NJW 1992, S. 3224.
34 Vgl. OLG Köln, Urteil vom 29.01.2009 – 12 U 20/08, n. rkr., Az des BGH – VIII ZR 52/09, DB 2009,
S.  2259 ff.
35 BGH VIII ZR 52/09, DB 2009, S. 2259 ff.; vgl. dazu Picot 2009a; Picot 2009b.
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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  563


Teil

3.1.2 W
 ertungswidersprüche beim Asset Deal bezüglich der Anwendung
des Leistungsstörungsrechts bei Leistung einer mangelhaften Kaufsache

Die Leistung einer mangelhaften Kaufsache bewirkt – wie vorstehend dargestellt – nicht
die »geschuldete Leistung« im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB und eröffnet dem Käufer
Ansprüche nach dem Leistungsstörungsrecht: Der Käufer kann nunmehr gemäß § 437
BGB (vorrangig) Nacherfüllung verlangen, und zwar nach seiner Wahl die Beseitigung
des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache. Erst nach einer angemessenen
Nachfrist und erfolglosem Fristablauf stehen ihm dann Rücktritt oder Kaufpreisminde-
rung und Schadensersatz oder Aufwendungsersatz zu. Gemäß § 434 BGB liegt ein Sach-
mangel insbesondere dann vor, wenn die Sache nicht die vereinbarte Beschaffenheit
hat. Im Falle eines Mangels kann der Käufer gemäß § 437 BGB innerhalb einer Frist von
zwei Jahren nach Ablieferung der Kaufsache, wenn die Voraussetzungen der folgenden
Vorschriften vorliegen und soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, vorrangig nach
§ 439 BGB Nacherfüllung verlangen und zwar nach seiner Wahl die Beseitigung des
Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache und erst nach dem Ablauf einer
angemessenen Nachfrist und erfolglosem Fristablauf vom Vertrag zurücktreten (§§ 440,
323, 326 Abs. 5 BGB)36 oder den Kaufpreis mindern (§ 441 BGB) und Schadensersatz
verlangen (§§ 440, 280, 281, 283, 311a BGB) 37 oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen
verlangen (§ 284 BGB). Die dargestellten Regelungen führen beim Unternehmenskauf
in der Form eines Asset Deals weiterhin zu schwerwiegenden Wertungswidersprüchen
bezüglich der Anwendung des Leistungsstörungsrechts bei der Leistung einer mangel-
haften Kaufsache.
Zunächst gilt dies für das (vorrangige) Recht des Käufers auf Nacherfüllung. Denn
die (wahlweise) Beseitigung des (gesamterheblichen) Mangels eines Unternehmens ist
i. d. R. kaum und allenfalls unter erheblichem Zeit- und Kostenaufwand möglich und
die Lieferung eines neuen, mangelfreien Unternehmens ist aufgrund der Einzigartigkeit
des verkauften Unternehmens überhaupt nicht möglich.
Sodann muss der Unternehmenskäufer nach Ausübung seines (vorrangigen) Rechts
auf Nacherfüllung dem Verkäufer zunächst eine angemessene und – bei einem kom-
plexen Unternehmensgebilde – erhebliche Zeit (von i. d. R. mehreren Monaten) für die
Nacherfüllung gewähren. Falls der Verkäufer die Nacherfüllung nicht innerhalb dieses
Zeitraums nicht ordnungsgemäß erfüllt, muss der Käufer ihm eine weitere angemessene
– ebenfalls erhebliche – Nachfrist für die Nacherfüllung setzen. Erst nach dem erfolg-
losen Ablauf dieser (weiteren) Nachfrist ist der Unternehmenskäufer dann berechtigt,
vom Vertrag zurückzutreten oder den Kaufpreis zu mindern sowie Schadensersatz oder
Ersatz seiner vergeblichen Aufwendungen zu verlangen. Insgesamt spiegelt auch das
Recht auf Rücktritt und Minderung sowie Schadens- und Aufwendungsersatz die Inte-
ressenlage des Unternehmenskäufers regelmäßig nicht hinreichend wider, zumal eine
Rückabwicklung des Unternehmenskaufvertrags – insbesondere nach dem Ablauf einer

36 Das Rücktrittsrecht des Gläubigers/Käufers für den Fall des Ausbleibens bzw. der mangelhaften Lei-
stung ist nunmehr unabhängig vom Vertretenmüssen des Schuldners/Verkäufers ausgestaltet und
erfasst daher auch die bisherige Wandlung, vgl. § 323 BGB. In Abweichung vom bisherigen Recht
gestattet § 325 BGB darüber hinaus ausdrücklich eine Kombination von Rücktritt und Schadenser-
satz statt der Leistung.
37 Schadensersatz »statt der ganzen Leistung« (den sog. »großen Schadensersatz«) kann der Käufer
nach der Neuregelung allerdings bei einem unerheblichen Mangel nicht verlangen, vgl. § 281 Abs. 1
Satz 3 BGB.
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564  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

zu setzenden längeren Frist – erhebliche praktische Schwierigkeiten mit sich bringt


und in vielen Fällen kaum machbar sein wird, zumal das Unternehmen in dieser Zeit
erheblichen Veränderungen unterliegt.
Gelingt einem Käufer die Darlegung und der Beweis eines Mangels des Unterneh-
mens bei Gefahrübergang, so haben sowohl der Verkäufer als auch der Käufer vorran-
gig38 ein (primäres) Recht auf Nacherfüllung, d. h. auf Neulieferung eines mangelfreien
Unternehmens und/oder – falls und soweit vereinbart – einzelner Vermögensgüter oder
auf Beseitigung des Mangels (§§ 437 Nr. 1, 439 BGB). Bereits hier stellt sich allerdings
die praktisch kaum zu lösende Frage, wie der Verkäufer einen solchen Anspruch des
Käufers beim Unternehmenskauf erfüllen soll: Die Nachlieferung eines mangelfreien
Unternehmens ist dem Verkäufer regelmäßig unmöglich und eine Beseitigung des Man-
gels setzt – falls überhaupt möglich (§ 275 Abs. 1 BGB) – nach der Abwicklung der
Transaktion die (i. d. R. intensive und zeitraubende) Einflussnahme des Verkäufers auf
das kaufgegenständliche Unternehmen oder Teile davon voraus, was i. d. R. von bei-
den Vertragspartnern nicht gewollt ist. Andererseits trifft den Verkäufer nicht nur eine
Nachbesserungspflicht, sondern ihm steht auch ein Nachbesserungsrecht zu, so dass
der Käufer eine erneute Einflussnahme des Verkäufers auf das kaufgegenständliche
Unternehmen nach Abwicklung der Transaktion grundsätzlich nicht verhindern kann.
Darüber hinaus hat der Verkäufer gemäß § 439 Abs. 3 BGB ein Recht zur Verweigerung
der Nacherfüllung in Fällen der Unverhältnismäßigkeit der Kosten, des groben Missver-
hältnisses zum Leistungsinteresse und der Unzumutbarkeit (§ 275 BGB). Verlangt der
Käufer im Einzelfall nicht die Nacherfüllung, so kann allerdings der Verkäufer seiner-
seits eine Durchsetzung der Mängelansprüche des Käufers jedenfalls vorübergehend
mit der Erklärung blockieren, von seinem Recht auf Nacherfüllung Gebrauch machen
zu wollen.
Die Vorrangigkeit der Nacherfüllung bringt es mit sich, dass der Käufer erst nach
Fristsetzung und erfolglosem Ablauf einer angemessenen und angesichts der Komplexität
eines Unternehmens i. d. R. relativ langen Frist i. S. v. § 281 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 439
BGB seine anderweitigen Gewährleistungsansprüche geltend machen kann: Gemäß
§§ 440, 323, 326 Abs. 5 BGB kann der Käufer einer (nicht unerheblich) mangelhaften
Sache danach von dem Vertrag zurücktreten (oder gemäß § 346 Abs. 2 BGB Wertersatz
verlangen) oder stattdessen den Kaufpreis mindern (§ 441 BGB). Im Falle des Rücktritts
sind gemäß § 346 I BGB die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die ge-
zogenen Nutzungen herauszugeben. Der Käufer hat das Unternehmen zurückzugeben,
und zwar in demjenigen Zustand in dem es sich im Zeitpunkt des Rücktritts befindet.
Der Verkäufer ist dem Käufer zur Rückzahlung des Kaufpreises einschließlich Verzins-
ung (§§ 246 ff. BGB bzw. § 352 HGB) verpflichtet. Dabei ist fraglich, wie eine solche
Rückabwicklung eines Unternehmenskaufvertrags im Einzelfall z. B. nach bereits vor-
genommenen Restrukturierungsmaßnahmen des Käufers erfolgen soll.
Im Falle von Schwierigkeiten bei der Rückgewähr des kaufgegenständlichen Unter-
nehmens entfällt das Rücktrittsrecht nicht ersatzlos; vielmehr steht dem Verkäufer stets
ein Wertersatzanspruch aus § 346 Abs. 2 BGB zu. Gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 BGB hat
der Schuldner statt der Rückgewähr dem anderen Vertragspartner – mit Ausnahme der
in § 346 Abs. 3 BGB genannten Fälle – Wertersatz zu leisten, soweit (i.) die Rückge-
währ oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist, (ii.) er den

38 Hintergrund ist der aus Verbraucherschutzgesichtspunkten motivierte Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Ver-
brauchsgüterkaufrichtlinie.
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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  565


Teil

empfangenen Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet, verarbeitet oder umgestaltet


hat, (iii.) der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen ist;
jedoch bleibt die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandene Ver-
schlechterung außer Betracht. Im Falle der Unmöglichkeit der Rückgewähr des kauf-
gegenständlichen Unternehmens in dem bisherigen Zustand, bspw. aufgrund bereits
erfolgter umfangreicher Integrationsmaßnahmen des Käufers im Rahmen der sog. Post
Merger Integration,39 entfällt also das Rücktrittsrecht nicht ersatzlos, sondern es steht
dem Verkäufer stets gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Wertersatz zu.
Ist im Vertrag eine Gegenleistung wie z. B. ein Kaufpreis bestimmt, so ist sie gemäß
§ 346 II Satz 2 BGB bei der Berechnung des Wertersatzes zugrunde zu legen. Auch
diese Bestimmung wird beim Unternehmenskauf regelmäßig nicht zu sachgerechten
Ergebnissen führen.
Macht der Käufer nicht von seinem Rücktrittsrecht oder von seinem Anspruch auf
Wertersatz Gebrauch, so kann er stattdessen gemäß § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB den Kauf-
preis durch Erklärung gegenüber dem Verkäufer mindern. In diesem Falle ist nach der
Vorstellung des Gesetzgebers gemäß § 441 Abs. 3 BGB der Kaufpreis in demjenigen Ver-
hältnis herabzusetzen, im welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert der Sache in
mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde. Die Minderung
ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln. Dabei stellt sich beim Unterneh-
menskauf allerdings die weitere Frage, wie nach einer (regelmäßig) erheblichen Zeit der
Fristsetzung der Wert des Mangels des inzwischen unternehmerisch fortentwickelten
Unternehmens oder Unternehmensbestandteils überhaupt noch in ein Verhältnis zu
dem gesamten Unternehmenswert gesetzt werden kann. Dies gilt insbesondere dann,
wenn der Kaufpreis unter gewissen (hypothetischen) Annahmen aus einer Gesamt-
schau aller Umstände des Unternehmens und einer Prognose für die Zukunft ermittelt
worden ist.40 Hat der Käufer mehr als den geminderten Kaufpreis gezahlt, so ist gemäß
§ 441 Abs. 4 BGB der Mehrbetrag vom Verkäufer zu erstatten.
Zusätzlich zu dem Recht zum Rücktritt (oder zum Wertersatz gemäß § 346 Abs. 2
BGB) oder zur Minderung kann der Käufer eines Unternehmens Schadensersatz (§§ 440,
280, 281, 283 und 311a BGB) oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284 BGB) ver-
langen. Ferner ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Vertragskosten zu erstatten
und bei einem besonderen Interesse des Käufers die Kaufsache zurückzunehmen. In
der Praxis des Unternehmenskaufs ist auch diese gesetzliche Bestimmung grundsätz-
lich nicht interessengerecht. Denn zum einen kann der Schadensersatz die Höhe des
gezahlten Kaufpreises erheblich übersteigen, mit der Folge, dass der Käufer zusätzlich
zu seinem (wirtschaftlich) geminderten und eventuell sogar »kostenlosen« Unterneh-
menskauf noch eine Zuzahlung des Verkäufers in Form des Schadensersatzes verlangen
kann. Ferner setzt die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs ein Verschulden
des Unternehmensverkäufers voraus und der Käufer muss das schuldhafte Verhalten des
Verkäufers darlegen und beweisen. Grundsätzlich kommt ihm dabei die Umkehr der Be-
weislast zulasten des Verkäufers gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zugute. Diese Umkehr
der Beweislast wird im Einzelfall gemäß § 242 BGB hinfällig, wenn sie den Verkäufer
unzumutbar belastet, z. B. wenn die Ansprüche erst erhebliche Zeit nach dem Closing
geltend gemacht werden und möglicherweise für ihn eine personelle oder sachliche

39 Eingehend dazu Picot 2012, Teil C, S. 534 bis 692.


40 Auch der neu eingefügte Berechnungsmodus des § 441 Abs. 3 BGB vermag dieses Problem nicht zu
lösen.
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566  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Beweisführung gar nicht mehr möglich ist, weil inzwischen der Unternehmenskäufer
längst die unternehmerische Führung übernommen hat und der Verkäufer gar keinen
Zugriff mehr zu den (nun) in der Sphäre des Käufers liegenden Beweismitteln hat. Zum
anderen kann der Käufer anstelle des Schadensersatzes nach § 284 BGB Ersatz seiner
vergeblichen Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung
gemacht hat und billigerweise machen durfte, es sei denn, deren Zweck wäre auch ohne
die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht worden.

3.2 Wertungswidersprüche beim Share Deal


Ein Share Deal, d. h. ein Kauf von Anteilen oder Beteiligungen an einer Gesellschaft,
stellt grundsätzlich einen Rechtskauf dar, auf den gemäß § 453 Abs. 1 BGB die Vor-
schriften über den Kauf von Sachen auf den Kauf von Rechten und sonstigen Gegenstän-
den entsprechende Anwendung finden. Der Verkäufer hat also nach dem neuen Recht
nicht nur eine Erfüllungspflicht für den Bestand und die rechtlichen Eigenschaften des
Rechts, sondern auch für seine wirtschaftliche Werthaltigkeit.
Erlangt ein Käufer durch den Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile eine beherrschende
Stellung an dem erworbenen Unternehmen, so wird entsprechend der (undogmatischen,
aber wirtschaftlich sachgerechten) Rechtsprechung des BGH zum alten Recht davon
auszugehen sein, dass ein Käufer im Rahmen eines Share Deal durch den Erwerb der Al-
lein- oder Mehrheitsbeteiligung wirtschaftlich »das« Unternehmen gekauft hat. Er darf
deshalb rechtlich nicht anders und nicht schlechter behandelt werden als ein Käufer,
der durch einen Asset Deal (im Wesentlichen) sämtliche Vermögensgegenstände eines
Unternehmens erworben hat. Der Erwerb der Anteilsrechte ist deshalb in einem solchen
Fall der Sachmängelgewährleistung zu unterstellen, soweit sich Mängel nicht an dem
rechtlichen Bestand der Gesellschaftsanteile, sondern am Unternehmen zeigen.41 Die
beim Asset Deal dargestellten Wertungswidersprüche gelten deshalb auch hier.

4 Aktuelles Unternehmenskaufrecht und


die Vertragspraxis entgegen der »großen Lösung«
der Schuldrechtsreform vom 01.01.2002
Angesichts der fortbestehenden Wertungswidersprüche ist festzustellen, dass der aus-
drücklich erklärte Versuch des Gesetzgebers der Schuldrechtsreform, das deutsche
Recht als Vertragsstatut für internationale Transaktionsverträge populärer zu machen,
wohl allenfalls in gewissen Teilbereichen gelungen ist. Einerseits ist die gemäß § 433
Abs. 1 BGB notwendige Beschreibung und Vereinbarung der (mangelfreien) Beschaffen-

41 Eingehend dazu Picot 2013, S. 136; vgl. BGH, WM 1970, S. 819, 821; BGH-Urteil vom 12.11.1975 – VIII
ZR 142/74, BGHZ 65, S. 246, 249; DB 1976 S. 37; BGH, NJW 1976, S. 236 f. sowie BGH, NJW 1977,
S. 1536 f.; BGH vom 02.06.1980, VIII ZR 64/79, NJW 1980, S. 2408, 2409 und OLG München vom
25.03.1998, 7 U 4926/97, DB 1998, S. 1321. OLG Hamburg vom 03.06.1994, 11 U 90/92, WM 1994,
S. 1378, 1386.
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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  567


Teil

heit eines Unternehmens als »geschuldete Leistung« regelmäßig kaum machbar; und an-
dererseits führt auch die gesetzliche Mängelhaftung infolge des Fehlens spezieller und
sachgerechter Regelungen beim Unternehmenskauf nicht zu sachgerechten Ergebnissen
und ist nicht in der Lage, umfassende und sachgerechte Lösungen bei Mängeln eines
verkauften Unternehmens anzubieten. Die Vertragspartner müssen sich daher (nicht
zuletzt vor dem Hintergrund einer Due Diligence) vertragsautonom ein individuell und
filigran austariertes Äquivalenzverhältnis zwischen dem Kaufgegenstand und Kauf-
preis schaffen, das zugleich die aus dem ver- bzw. gekauften Unternehmen und seinen
Bestandteilen resultierenden Chancen und Risiken mit der Möglichkeit einer angemes-
senen Haftungsbegrenzung präzise widerspiegelt.42 Aus diesem Grunde schließt die
deutsche Vertragspraxis – wie in der Zeit vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform
und entsprechend einer früheren Empfehlung des BGH43 – regelmäßig das gesetzliche
Kaufrechts- und (insbesondere) Mängelhaftungssystem vollständig aus und ersetzt es
durch ein eigenständiges vertragliches Haftungs-System mit möglichst umfassenden
und auf den Einzelfall ausgerichteten Regelungen.44
Dabei ist es weitgehend üblich geworden, in den Unternehmenskaufvertrag um-
fangreiche Garantien der Vertragspartner (Warranties oder Guarantees) mit konkreten
Bestimmungen zum Haftungsgrund sowie zu den Rechtsfolgen und Umfang der Haf-
tung durch entsprechende Ausschluss- oder Beschränkungsklauseln aufzunehmen. In
Ergänzung dieser Garantien kann es nicht zuletzt wegen des möglicherweise langen
Zeitraums zwischen Signing und Closing45 und der in dieser Zeit auftretenden Unwäg-
barkeiten hinsichtlich der vertraglich gewünschten Leistungs-Äquivalenz sinnvoll sein,
z. B. im Wege sog. Material Adverse Change-Klauseln (MAC-Klauseln), eine dem gesetz-
lichen (allgemeinen) Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage vorrangige 46
vertragliche Risikoverteilung unter den Vertragspartnern vorzunehmen. Dabei können
insbesondere Fälle von erkennbarer schwerwiegender Veränderung der Umstände oder
des Abweichens wesentlicher Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden
sind, so weit wie möglich und denkbar, vertraglich konkretisiert und detailliert wer-
den.47

42 Vgl. Picot 2013, S. 227 ff.; Picot 2012, S. 336 ff.


43 Vgl. RGZ 146, S. 120; BGHZ 65, S. 246 f.; BGH, NJW 1977, S. 1538 ff.
44 Eine Voraussetzung für die Schaffung eines eigenständigen, privatautonomen Gewährleistungs-
und Haftungssystems in dem Transaktionsvertrag ist – wie schon gesagt – der teilweise oder voll-
ständige Ausschluss des gesetzlichen Gewährleistungs- und Haftungssystems, jedenfalls aber seine
Anpassung, soweit dies nach den vorstehenden Ausführungen interessengemäß und rechtlich zu-
lässig ist. Dies gilt insbesondere für die vorstehend beschriebenen Bereiche:
– die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss (§ 311 II BGB);
– das gesetzliche Gewährleistungs- und Haftungssystem (§§ 434 ff., 437, 443 BGB);
– die Kenntnis (§ 442 BGB);
– die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB);
– die Dritt- und Beraterhaftung (§ 311 III BGB).
45 Vgl. Seibt/Reiche 2002, S. 1181, 1185 unter Hinweis auf den Fall eines steuerlichen Terminverkaufs
(der auch nach Inkrafttreten der §§ 3 Nr. 40 EStG, 8b Abs. 2 KStG im Hinblick auf die Fünf- bzw.
Siebenjahresfristen der §§ 15 Abs. 3 Satz 4 UmwStG, 8b Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 KStG und 3 Nr. 40 Satz 4
lit. a EStG aus Veräußerersicht Sinn machen kann; zum Terminverkauf ausführlich Seibt 2000, S.
2061, 2065 m. w. Nw.) und etwa erforderliche kartellbehördliche Genehmigungsverfahren und Voll-
zugsverbote.
46 Vgl. BGHZ 90, S. 69, 74; BGH, NJW-RR 1999, S. 923, 924; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2001, S. 752,
754; Picot 2012, S. 347 ff.; Triebel/Hölzle, BB 2002, S. 521, 534.
47 Vgl. Picot 2013, S. 257 ff.
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568  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

4.1 V
 ereinbarung von Garantien als Gewährleistungs-
und Haftungsgrundlage
In den regelmäßig vertraglich vereinbarten selbstständigen verschuldensunabhängigen
Garantien garantiert der Verkäufer, dass das Unternehmen in einem zu definierenden
Zeitpunkt bestimmte Gegebenheiten bzw. Eigenschaften aufweist und dass sich z. B.
die Produktionsanlagen in einem Zustand befinden, der eine Fortführung des Betriebs
mit bestimmten Qualitätsstandards und Mengen erlaubt. Auf diese Weise ergänzt das
Garantie- und Haftungssystem das zwischen den Verhandlungspartnern vereinbarte
Balance- bzw. Äquivalenzverhältnis zwischen dem Unternehmen als Kaufgegenstand
und dem vereinbarten Kaufpreis als Gegenleistung, das zugleich ein Spiegelbild der Ge-
gebenheiten und Daten sowie der Chancen und Risiken des Unternehmens darstellt. Für
den Fall einer Abweichung der Ist-Situation von der durch die Garantien versprochenen
Soll-Situation dienen die Haftungsfolgen dazu, das ursprünglich vereinbarte Äquiva-
lenzverhältnis wieder in ein »faires« Gleichgewicht zu bringen. Dabei sind grundsätz-
lich unselbstständige Garantien von selbstständigen Garantien zu unterscheiden.

4.1.1 V
 ereinbarung unselbstständiger Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantien
gemäß § 443 BGB

Bei einer unselbstständigen Beschaffenheits- oder Haltbarkeitsgarantie statuiert § 443


Abs. 1 BGB eine gesetzlich normierte verschuldensunabhängige Haftung des Verkäufers
für den Fall, dass der Verkäufer oder ein Dritter eine Garantie für die Beschaffenheit
oder Haltbarkeit der Kaufsache übernimmt. Eine solche Garantie kann grundsätzlich
auch bei einem Asset oder Share Deal für die Eigenschaften eines Unternehmens ver-
einbart werden. Im Garantiefall stehen dem Käufer gemäß § 443 BGB unbeschadet der
gesetzlichen Ansprüche die Rechte aus der Garantie gemäß den in der Garantieerklä-
rung und der einschlägigen Werbung angegebenen Bedingungen gegenüber demjenigen
zu, der die Garantie gewährt hat.
Eine Beschaffenheitsgarantie setzt ausweislich der Gesetzesbegründung die Erklä-
rung des Verkäufers voraus, dass die Kaufsache bei Gefahrübergang eine bestimmte
Eigenschaft hat, verbunden mit der Erklärung, verschuldensunabhängig für alle Folgen
ihres Fehlens einstehen zu wollen.48 Sie entspricht daher weitgehend der bis 2002 mög-
lichen »Zusicherung einer Eigenschaft«.
Eine Haltbarkeitsgarantie liegt hingegen vor, wenn der Verkäufer erklärt, dass die
Sache für eine bestimmte Dauer eine bestimmte Beschaffenheit behält.49 Die Haltbar-
keitsgarantie erweitert damit die gesetzlichen Gewährleistungsrechte, weil der Verkäu-
fer hier die Mangelfreiheit nicht nur bei Gefahrübergang, sondern für einen bestimm-
ten Zeitraum nach dem Gefahrübergang garantiert. Die Haltbarkeitsgarantie entspricht
damit der bisherigen »unselbstständigen Garantie«.
Vereinbaren die Vertragspartner eine derartige unselbstständige Garantie – was
durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist –, so sind bezüglich der
Rechtsfolgen getroffenen Vereinbarungen und die gesetzlichen Regelungen anzuwen-
den. Dabei stellt das – nachstehend in Kapitel 4.2 beschriebene – Verbot der Haftungs-

48 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, zu § 442 Abs. 1 Satz 2, S. 236.


49 Vgl. Grunewald 2008, § 443, Rn. 3.
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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  569


Teil

beschränkung gemäß § 444 BGB eine zwingende Vorschrift des BGB dar und kann
nicht durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Vertragspartnern abbedungen
werden.

4.1.2 V
 ereinbarung selbstständiger (verschuldensunabhängiger) Garantien gemäß § 311
Abs. 1 BGB

Anstelle der gesetzlich geregelten Beschaffenheits- oder Haltbarkeitsgarantie kann der


Verkäufer auch eine selbstständige verschuldensunabhängige Garantie abgeben.
Im Gegensatz zu der unselbstständigen Garantie gemäß § 443 BGB beinhaltet die selbst-
ständige Garantie einen eigenständigen Vertrag nach § 311 Abs. 1 BGB.50 Anders als
die unselbstständige Beschaffenheitsgarantie kann sich ein selbstständiges Garantie-
versprechen nicht nur auf die Beschaffenheit der Sache oder darauf beziehen, dass die
Sache für eine bestimmte Dauer eine bestimmte Beschaffenheit behält, sondern auch
auf alle gegenwärtigen oder zukünftigen Umstände des Kaufgegenstandes. Ob eine
Erklärung in einem Unternehmenskaufvertrag ein selbstständiges Garantieversprechen
enthält, ist durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln.
Insgesamt eröffnet ein selbstständiges verschuldensunabhängiges Garantieverspre-
chen (einschließlich der vertraglich geregelten Rechtsfolgen) den Vertragspartnern die
Möglichkeit, den Unternehmenskaufvertrag unter Ausschluss des gesetzlichen Gewähr-
leistungs- und Haftungssystems nach ihren individuellen Interessen und Bedürfnissen
zu gestalten und etwaige Risiken angemessen zu verteilen, und zwar ohne dass es auf
das Vorliegen und den Nachweis eines Verschuldens ankommt.
Die Arten selbstständiger Garantieversprechen sind vielfältig und gliedern sich – als
Spiegelbild der Due Diligence51 – regelmäßig in die für eine angemessene Risikovertei-
lung jeweils wesentlichen und erforderlichen Hauptbereiche:
• Strategic and Organizational Due Diligence
• Financial Due Diligence I: Vermögen, Ertrag und Cashflow
• Financial Due Diligence II: Liquidität und Finanzierung
• Tax Due Diligence
• Legal Due Diligence
• Marketing Due Diligence
• Human Resources Due Diligence
• Cultural Due Diligence
• Environmental Due Diligence
• Commercial and Technological Due Diligence
• IT Due Diligence
• IP Due Diligence
wobei eine klare Trennung der Bereiche in der Praxis nicht möglich ist.

In den vorstehenden, nicht abschließend genannten Bereichen umfasst der Garantien-


katalog vor allem auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Unternehmensgrundlagen,
und zwar insbesondere:

50 Vgl. Picot 2013, S. 212 ff.; Picot 2012, S. 329 ff.


51 Vgl. Picot 2013, S. 61 ff. und 206 ff.; Picot 2012, S. 336 ff.
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570  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

• Gesellschaftsverfassung
• Beteiligungsstruktur
• Wirtschaft, Finanzen und Steuern
• Operatives Geschäft, Technik, Logistik
• Einkauf, Absatz, Wettbewerb
• Versicherungen
• Betriebsstätten und -anlagen, Grundstücke
• IT/IP (Geistiges Eigentum)
• Personal
• Förderungen und Zuschüsse
• Recht, Rechtsstreitigkeiten, insbesondere:
– Vertragsrecht
– Gesellschaftsrecht
– Arbeitsrecht
– Recht der Altersvorsorge
– Steuerrecht
– Öffentliches Recht, insbesondere Umweltrecht
– Kartellrecht
• Sonstige wichtige Unternehmensgrundlagen

Dabei bedarf es der Regelung, ob der Verkäufer uneingeschränkt für die objektive Rich-
tigkeit einstehen soll (sog. harte Garantieerklärung) oder ob die Garantie subjektiv
danach ausgestaltet werden soll, ob der Verkäufer Kenntnis von dem Garantiefall gehabt
hat (sog. weiche Garantieerklärung).

4.2 Vereinbarung der Rechts- und Haftungsfolgen der Garantien


Gesetzliche Rechtsfolge eines selbstständigen Garantieversprechens ist in erster Linie
der Erfüllungsanspruch des Käufers. Der Verkäufer hat den Zustand herzustellen, der
bestehen würde, wenn das Garantieversprechen erfüllt worden wäre (vgl. § 443 Abs. 1
BGB für die unselbstständige Garantie). Auch bei der vertraglichen Vereinbarung der
konkreten Rechtsfolgen, des Haftungsumfangs und der Haftungshöhe bei einer Verlet-
zung der vertraglichen Garantien hat sich in Anlehnung an die internationale Vertrag-
spraxis ein gewisser Standard herausgebildet. Üblicherweise werden dabei dem Käufer
nur Schadensersatzansprüche zugestanden und eine Rückabwicklung des Vertrages
ausgeschlossen. Ferner wird die Haftung i. d. R. der Höhe nach auf einen Prozentsatz
des Kaufpreises beschränkt (Cap Clause) und einzelne Ansprüche werden nur jenseits
einer Mindestschadenshöhe pro Einzelfall oder insgesamt erst ab einer gewissen Scha-
denshöhe zugelassen (Bagatell Clause).52
Problematisch ist die Abgrenzung zwischen einer selbstständigen Garantie und einer
unselbstständigen Beschaffenheitsgarantie vor allem auch im Hinblick auf die Anwend-
barkeit des § 444 BGB mit seinem Verbot der Haftungsbeschränkung oder -ausschlusses
im Falle der unselbstständigen Beschaffenheitsgarantie. Nach dieser Bestimmung kann
sich der Verkäufer nicht auf eine Vereinbarung berufen, durch welche die Rechte des

52 Vgl. Hilgard 2004, S. 1233 ff.


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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  571


Teil

Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, soweit (Schuld­
rechtsreform: wenn) er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die
Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Diese Bestimmung will (aus Gründen des
Konsumenten-Schutzes) sicherstellen, dass der Verkäufer einer Sache oder eines Rechts
nicht einerseits eine Beschaffenheit garantiert und dann andererseits diese Garantie
durch eine Beschränkung bzw. einen Ausschluss der Haftung wieder aushebelt (sog.
venire contra factum proprium).
Im Bereich der selbstständigen Garantien stellt § 444 BGB keine zwingende Vor-
schrift des BGB dar und kann durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Ver-
tragspartnern abbedungen werden. Würde § 444 BGB auch die selbstständigen Ga-
rantien erfassen, so wäre eine in internationalen Transaktionsverträgen völlig übliche
Haftungsbegrenzung nicht mehr möglich. Nach Ansicht des Verfassers umfasst bereits
die Formulierung des § 444 BGB im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ausweislich
der Gesetzesbegründung nur die Fälle der früheren Eigenschaftszusicherung.53 Hier-
von jedoch ist die selbstständige Garantie zu unterscheiden, da diese weitere Umstände
betreffen kann als »nur« die Zusicherung einer Eigenschaft.54
Problematisch sind insofern nur diejenigen Fälle, in denen eine selbstständige Garan-
tie für einen Umstand übernommen wird, der eine Beschaffenheit des Kaufgegenstandes
gemäß § 443 Abs. 1 BGB beinhaltet. Hierbei stellt sich die Frage, ob nicht die zwingende
Bestimmung des § 444 BGB unterlaufen wird, wenn vertraglich anstelle einer unselbst-
ständigen eine selbstständige Garantie übernommen würde. Wissenschaftler und Prak-
tiker haben zu dieser Frage umfassend Stellung genommen. Das Bundesministerium der
Justiz (BMJ) vertrat insoweit zunächst u. a. die Auffassung, dass eine summenmäßige
Begrenzung der Haftung keine Beschränkung im Sinne des § 444 BGB darstelle, son-
dern eine inhaltliche Begrenzung der Garantie selbst. Allerdings kamen dem BMJ dann
Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieses Lösungsansatzes mit dem in § 444 BGB
verwendeten Begriff »wenn«. Deshalb schlug es vor, künftig Beschaffenheitsgarantien
zu vermeiden, wenn eine summenmäßige Begrenzung beabsichtigt war. Stattdessen sol-
le man eine sog. »Beschaffenheitsvereinbarung« gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB treffen,
um eine Beschränkung der Haftung zu erreichen. Nach der Meinung der inzwischen
überwiegenden Meinung im Schrifttum und des Verfassers ist den Vertragspartnern
seit dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes angesichts der Unzu-
länglichkeiten des gesetzlichen Mängelgewährleistungssystems die Vertragsfreiheit ein-
zuräumen, die Lücken des gesetzlichen Gewährleistungs- und Haftungssystems in der
Praxis durch spezielle Regelungen im Transaktionsvertrag zu schließen.55 
Um die dargestellte Rechtsunsicherheit zu beseitigen, hat der Bundestag am 01.07.2004
beschlossen, in § 444 BGB (a. F.) das Wort »wenn« durch das Wort »soweit« zu erset-
zen.56 Angesichts der enormen praktischen Relevanz der Frage und der Heftigkeit des
Streites um die Auslegung der Vorschrift muss es dem juristischen Laien allerdings als
merkwürdig anmuten, mit welch minimalistischen »mikro-invasiven« Mitteln nun der
Gesetzgeber den Versuch einer Klarstellung unternommen hat. Immerhin geht aber
nun aus der Neufassung hervor, dass eine Garantie von vornherein mit beschränktem
Umfang vereinbart werden kann. Die Beschränkung ist damit ein Teil der Garantie und

53 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, zu § 444, S. 240.


54 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, zu § 443, S. 237.
55 So auch die höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. bereits RGZ 146, 120; BGHZ 65, S. 246 ff.
56 Beschluss des Bundestages vom 01.07.2004 (BGBl. I, S. 3102).
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572  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

bestimmt deren Reichweite; sie ist somit keine nachträgliche Beschneidung der Rechte
des Käufers, mit der dieser nicht hätte rechnen müssen. Die Gesetzesbegründung hat
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Änderung um eine gesetzliche
Klarstellung der ohnehin bereits herrschenden Auslegung des § 444 BGB, nicht hinge-
gen um eine inhaltliche Neuregelung handelt. Damit ist gleichzeitig geklärt, dass auch
Beschränkungen selbstständiger Garantieversprechen in Unternehmenskaufverträgen
wirksam sind, die zwischen dem 01.01.2002 und dem Inkrafttreten der Änderung im
Oktober 2005 abgeschlossen wurden.
In der Praxis kann somit nach persönlicher Ansicht des Verfassers auf die nach dem
01.01.2002 verwendeten artifiziellen und spitzfindigen Vertragsklauseln verzichtet wer-
den, mit denen versucht wurde, die auf § 444 BGB basierende Rechtsunsicherheit zu mi-
nimieren. Stattdessen wird man wieder zu der früheren und auch international üblichen
Struktur der vertraglichen Garantien zurückkehren können, sollte aber vorsorglich die
Formulierung verwenden, dass sowohl die Garantiezusage selbst wie auch (in gleicher
Weise) der Umfang der daraus resultierenden Haftung beschränkt werden. Dabei ist zu
hoffen, dass auch die richterliche – stets wirtschaftlich geprägte – Entscheidungspraxis
dem Bedürfnis nach vertraglicher Flexibilität bei Unternehmenskäufen Rechnung tragen
und den § 444 BGB nicht auf selbstständige Garantien ausdehnen wird.
Hinsichtlich der in § 437 BGB geregelten Gewährleistungs- und Haftungsfolgen ist
dem Gesetzgeber der Schuldrechtsreform zwar einzuräumen, dass er durch die Verei-
nigung des allgemeinen und des besonderen Leistungsstörungsrechts eine Vereinheit-
lichung des Mängelgewährleistungsrechts herbeigeführt hat und ferner im wohlver-
standenen Verbraucherinteresse im Sinne der Erfüllungstheorie Mängel einheitlich als
Nichterfüllung und nicht mehr als Voraussetzung für Sekundäransprüche behandelt.
Insgesamt ergibt sich aus den im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Gewährleis-
tungs- und Haftungssystem für den Unternehmenskauf verbleibenden Wertungswider-
sprüche die zwingende Folgerung, dass die Partner eines Unternehmenskaufvertrags
i. d. R. darum bemüht sein sollten, die Rechtsfolgen der Gewährleistung vertraglich kon-
kret zu vereinbaren. Dabei sollten sie insbesondere eine Rückabwicklung soweit wie
möglich ausschließen oder bereits im Kaufvertrag konkrete vertragliche Regelungen
für die Rückabwicklung vorsehen. Ferner sollten Sie erforderlichenfalls konkrete Be-
schaffenheits- und Haltbarkeitsgarantien (§ 443 BGB) sowie Haftungsausschlüsse und
Haftungsbegrenzungen (§ 444 BGB) vereinbaren.
Nicht zuletzt sollten in den vertraglichen Garantievereinbarungen auch die Verjäh-
rungsfristen für die einzelnen Gewährleistungsansprüche unter Berücksichtigung der
jeweiligen Interessensituation der Vertragspartner geregelt werden. Diese können je
nach Art der garantierten Gegebenheiten z. B. für Altlasten und Steuern differenziert
gestaltet werden.57

57 Vgl. Picot 2013, S. 227 ff.


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II. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im deutschen Recht  |  573


Teil

5 Gesamtwertung und Ausblick auf die weiteren


Entwicklungen des aktuellen Unternehmenskaufrechts
im deutschen Bürgerlichen Recht
Zusammenfassend ist aus der Sicht des Verfassers leider festzustellen, dass es dem
Gesetzgeber der Schuldrechtsreform wohl nicht gelungen ist, das deutsche Recht als
Vertragsstatut für internationale Transaktionsverträge populärer zu machen. Zur Ver-
meidung der weiterhin bestehenden Wertungswidersprüche und Abgrenzungsschwie-
rigkeiten beim Unternehmenskauf und der daraus resultierenden unnützen Rechtsstreite
wiederholt der Verfasser seine Empfehlung, das für Unternehmenskäufe nach wie vor
ungeeignete gesetzliche Gewährleistungssystem vertraglich auszuschließen. Entspre-
chend der nationalen und internationalen, insbesondere angelsächsischen Vertrags-
praxis sollten die Vertragspartner sodann privatautonom ein klar definiertes System
selbstständiger verschuldensunabhängiger Garantien (§ 311 Abs. 1 BGB) mit konkreten
Haftungsszenarien und -folgen vereinbaren.
Angesichts der Unvollkommenheit der »großen Lösung« wird der BGH gleichwohl
versuchen müssen, im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung, unter Berücksich-
tigung der wirtschaftlichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten, einen tragfähigen
gesetzlichen Rahmen sowohl für die nationale als auch für die internationale Trans-
aktionspraxis zu schaffen und das Transaktionsrecht an das reformierte gesetzliche
Gewährleistungssystem anzupassen. Dies gilt auch hinsichtlich der Auswirkungen der
Schuldrechtsreform auf die Sachmängelhaftung beim Unternehmenskauf und seine bis-
herige ständige Rechtsprechung zum »restriktiven Fehlerbegriff« sowie zur »Gesamter-
heblichkeit des Mangels (nur) einzelner Unternehmensgegenstände«.58

Literatur
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Kunisch, S./Binder, A. (Hrsg.): Mergers & Acquisitions. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2016, S. 519.
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Grunewald, B (2008): In: Westermann, H. P. (Hrsg.): Erman (Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz-
buch), BGB. 12. Aufl., Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln, 2008, §§ 443 ff., S. 443.
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Henssler, M. (2006): Material Adverse Change-Klauseln in deutschen Unternehmenskaufverträgen – (r)
eine Modeerscheinung? In: Baums, T./Wertenbuch, J. (Hrsg.): Festschrift für Ulrich Huber zum
siebzigsten Geburtstag. Mohr Siebeck, Tübingen, 2006, S. 739 ff.
Henssler, M./Graf von Westfalen, F. (2002): Praxis der Schuldrechtsreform. 2. Aufl., Zap-Verlag für die
Rechts- und Anwaltspraxis, Bonn, 2002.
Hilgard, M. C. (2004): Bagatell- und Cap-Klauseln beim Unternehmenskauf. In: BB, 2004, S. 1233 ff.
Lappe, T./Schmitt, A. (2007): Risikoverteilung beim Unternehmenskauf durch Stichtagsregelungen.
In: DB, 2007, S. 153 ff.
Palandt, O. (2007): Bürgerliches Gesetzbuch. 66. Aufl., C. H. Beck, München, 2007.
Picot, G. (2001): Due Diligence beim Börsengang. In: Wirtz (Hrsg.): IPO-Management. Strukturen und
Erfolgsfaktoren. Gabler Verlag, Wiesbaden, 2001, S. 143–172.

58 Vgl. oben Fn. 35.


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574  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Picot, G. (2008a): Handbuch für Familien und Mittelstandsunternehmen., Schäffer-Poeschel, Stuttgart,


2008.
Picot, G. (2008b): Mergers & Acquisitions bei der GmbH. In: Römermann, V. (Hrsg.): Münchener An-
waltshandbuch GmbH-Recht. C. H. Beck, München, 2008, § 22 Unternehmenskauf, S. 1063–1114.
Picot, G.(2008c): Due Diligence und privatrechtliches Haftungssystem. In: Berens, W./Brauner, H.
(Hrsg.): Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen. 5. Aufl., Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2008,
S. 243–271.
Picot, G. (2009a): Unternehmenskauf und Sachmängelhaftung – Rechtsfortbildung durch den Bundes-
gerichtshof? In: DB, 2009, S. 2587 ff.
Picot, G. (2009b): Wegweisende Rechtsprechung zur Sachmängelhaftung beim Unternehmenskauf. In:
M&A-Review, 2009, S. III.
Picot, G. (2012): Handbuch Mergers & Acquisitions – Planung, Durchführung, Integration. 5. Aufl.,
Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2012.
Picot, G. (2013): Handbuch Unternehmenskauf und Restrukturierung. 4. Aufl., C. H. Beck, München,
2013.
Picot, G./Duggal, R. (2003): MAC-Klauseln beim Unternehmenskauf. In: DB, 2003, S. 2635 ff.
Seibt, C. (2008): Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions. C. H. Beck, München, 2008
Seibt, C./Reiche, F. (2002): Unternehmens- und Beteiligungskauf nach der Schuldrechtsreform, Teil I
und II. In: DStR, 2002, S. 1135 ff., 1139 f. und  1181 ff.
Stengel, A./Scholderer, F. (1994): Aufklärungspflichten beim Beteiligungs- und Unternehmenskauf. In:
NJW, 1994, S. 158–164.
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  |  575
Teil

III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts


im schweizerischen Recht
Rudolf Tschäni/Matthias Wolf*

1 Einleitung und übergreifende Entwicklungen und Faktoren


1.1 Wachstum der M & A-Tätigkeit und Entstehen einer eigenen Domäne
1.2 Berater und andere Akteure
1.3 Internationalisierung, angelsächsischer Einfluss und das Streben nach
einer umfassenden Vertragsregelung
2 Erfassung und Qualifikation des Unternehmenskaufvertrags in der Schweizer
Rechtspraxis
2.1 Unmittelbarer Unternehmenskauf (»Asset Deal«)
2.2 Mittelbarer Unternehmenskauf (»Share Deal«)
3 Entwicklungen in Einzelbereichen der Transaktions- und Vertragsgestaltung
3.1 Asset Deals für maßgeschneiderte Lösungen
3.2 Preis und Preisanpassung – Umgang mit Bewertungsunsicherheit
3.3 Gewährleistung und Leistungsstörungen – Umgang mit Unternehmensrisiken
3.4 Der unerfüllte Vertrag: Vollzugsrisiko und Vollzugsbedingungen
4 Würdigung und Ausblick

∗ Dr. Rudolf Tschäni, Partner, Rechtsanwalt, Lenz & Staehelin, Zürich; Matthias Wolf, Partner, Rechts­
anwalt, Lenz & Staehelin, Zürich.
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576  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

1 Einleitung und übergreifende Entwicklungen


und Faktoren
Betrachtet man die Entwicklung der Vertragspraxis des Unternehmenskaufs (und – etwas
allgemeiner – von M & A-Transaktionen überhaupt) in der Schweiz, so lassen sich nach
unserer Ansicht einige »große« Entwicklungen und Wesenszüge feststellen. Diese bil-
den den Rahmen der Entwicklung in Recht und Praxis des Unternehmenskaufvertrags
und sie sollen daher einleitend in Kürze dargestellt und die sie »treibenden« Faktoren
herausgearbeitet werden. Anschließend wenden wir uns der rechtlichen Erfassung und
Qualifikation des Unternehmenskaufvertrags und einigen in der Praxis besonders wich-
tigen Einzelbereichen zu.

 achstum der M & A-Tätigkeit und Entstehen


1.1 W
einer eigenen Domäne
Das Recht des Unternehmenskaufs und der M & A-Verträge ist in der Schweiz »junges«
Recht. Gerichtsentscheide zu Unternehmenskäufen gab und gibt es in der Schweiz we-
nige, so dass sich eine eigentliche Gerichtspraxis zu spezifischen Fragen des Unterneh-
menskaufrechts kaum entwickeln konnte. Die ersten Werke der Rechtsliteratur, die sich
in der Schweiz mit Unternehmenskäufen befassten, sind nicht mehr als 30 Jahre alt.1
Jener Fundus von Rechtsregeln und Usancen der Praxis, der auf Unternehmenskauf-
und M & A-Verträge anwendbar ist, ist daher aus der verdichteten Beratungs- und (in
geringerem Ausmaß) Gerichts- und Schiedspraxis der involvierten Juristen entstanden.
Als Folge davon hat sich in den letzten ca. 30 Jahren eine Gruppe von M & A-Spezialisten
herausgebildet, für welche die Rechtsberatung bei M & A eine wirtschaftlich bedeutende
Tätigkeit darstellt. Der wichtigste und einfachste Grund für diese Entwicklung liegt
schlicht in dem großen Anstieg der Anzahl an Transaktionen. Bis in die 1980er Jahre
waren Unternehmensübernahmen in der Schweiz zwar keine unbekannten, aber doch
eher seltene Vorgänge. Seither hat die Praxis dazu geführt, dass für viele schweizeri-
sche Unternehmen M & A praktisch als Unternehmensfunktion (»Business Development«)
angesehen wird.2 Mit der für ausländische Investoren weitgehend offenen Wirtschaft
und Regulierung in der Schweiz sind außerdem viele Schweizer Unternehmen ihrer-

1 Vgl. etwa Tschäni 1989, der 1988 das Fehlen einer Gesamtdarstellung des Unternehmenskaufrechts
zum Anlass für sein Werk nimmt oder Watter 1990, S. 21, der noch 1990 konstatiert, dass freund-
liche Kontrollwechseltransaktionen in der Schweiz in Lehre und Rechtsprechung wenig Spuren
hinterlassen haben.
2 Zum Anstieg und Wandel der M & A-(Beratungs-)Aktivität und der Ursachen dafür vgl. namentlich
Kurer 2010, S. 3 ff. Kurer sieht die Triebfedern insbesondere in der Globalisierung der Wirtschaftstä-
tigkeit, der generierten Liquiditätsüberschüsse, welche in tendenziell »M & A-treibende« Anlagepro-
dukte (Buy-out Fonds und Private Equity, Hedge Funds etc.) investiert wurden, in der Innovation
der Finanzierungsinstrumente, der Hinwendung zum Shareholder Value und der damit verbunde-
nen Abkehr vom Konglomeratskonzern zur Fokussierung auf Kerngeschäfte sowie im Aufkommen
der (reinen) »Finanzierungstransktionen«, d. h. Investitions-Akquisitionen durch Finanzkäufer ge-
folgt von Exittransaktionen nach einer gewissen Anzahl Jahren.
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III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht  |  577


Teil

seits zu Objekten von Akquisitionen und Zusammenschlüssen geworden. Es ist dieses


Wachstum, das überhaupt erst zur Herausbildung einer Beratungs- und Vertragspraxis
bei Unternehmenskäufen geführt hat. Zwar ist das Wachstum in den letzten Jahren
durch die Finanzkrise ein Stück weit gebremst worden, doch hält sich das Aktivitäts-
niveau trotz­dem auf beachtlicher Höhe, was zum Teil damit erklärt werden kann, dass
die Krise und die ihr folgende Regulierung ihrerseits M & A-Aktivität auslöste (z. B. im
Rahmen von Restruk­turierungen, Buy-outs von Unternehmen in Schwierigkeiten und
Konsolidierungstransaktionen, namentlich in der Finanzindustrie).

1.2 Berater und andere Akteure


Mit dem Wachstum der M & A-Aktivität hat sich in der Schweiz einerseits eine rege
Beratertätigkeit rund um M & A-Transaktionen herausgebildet, andererseits haben wei-
tere Akteure (Vermittler, Investoren, Financiers etc.) Interesse an M & A-Aktivitäten
entwickelt. Was die Rechtsberater betrifft, so ist die Beratung bei M & A-Transaktionen
heute ein intensives Betätigungsfeld (und eine wesentliche Ertragsquelle) aller großen
schweizerischen Anwaltsbüros. Damit einhergehend ist die Publikationspraxis in der
juristischen Fachliteratur angestiegen, vor allem durch Beiträge von Praktikern. Die
Gerichtspraxis zum Unternehmenskauf ist dagegen eher dünn geblieben. Es gibt nicht
mehr als eine Hand voll Entscheide des Schweizerischen Bundesgerichts, die sich mit
dem Unternehmenskauf befassen. Ein Grund dafür besteht darin, dass Streitigkeiten
aus Unternehmenskäufen häufig im Rahmen von Schiedsgerichten entschieden werden.
Selbst bei reinen Binnentransaktionen enthalten M & A-Verträge in der Schweiz meist
Schiedsklauseln.

1.3 Internationalisierung, angelsächsischer Einfluss und das Streben


nach einer umfassenden Vertragsregelung
Der Internationalität der M & A-Praxis entsprechend, sind die Unternehmenskaufver-
träge in der Schweiz häufig in englischer Sprache abgefasst und folgen in erheblichem
Maß englischer und US-amerikanischer Vertragspraxis und Regelungsmethodik mit
ihrem Ansatz, sowohl Vertragsrechte und -pflichten, als auch die Modalitäten vertrag-
licher Rechte spezifisch und konkret im Vertrag möglichst detailliert und abschließend
zu regeln. Bei der Auslegung von Unternehmenskaufverträgen unter Schweizer Recht
wirft dieses Vorgehen zuweilen das Problem auf, dass englische Rechtsbegriffe oder
Wendungen (z. B. »Hold Harmless«, »Incidental Damage«, »Novation«, »Equitable Relief«,
»Wilful Misconduct«) ver­wendet werden, deren Implikationen unter Schweizer Recht zu-
weilen unklar sind, zumeist weil den verwendeten Begriffen eine exakte Entsprechung
im schweizerischen Recht fehlt. Umgekehrt werden manchmal Voraussetzungen des
schweizerischen Rechts »vergessen«, weil sie im angelsächsischen Recht, auf dessen
Basis eine Klausel ersonnen wurde, nicht vorgesehen sind (z. B. das Verschulden als
grundsätzliche Voraussetzung vertraglicher Haf­tung) oder es wird ein Problem adres-
siert, welches sich so im schweizerischen Recht nicht stellt (etwa das grundsätzliche
Fehlen eines Realerfüllungsanspruchs im angelsächsischen Vertragsrecht). Im Allgemei-
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Teil

nen hat die schweizerische Praxis den Umgang mit englischer Rechtsterminologie und
Redaktion aber weitgehend problemlos geschafft. Heute gehört es selbst bei Transakti-
onen über mittelgroße Unternehmen zum Normalfall, dass der Kaufvertrag und oft die
gesamte Transaktionsdokumentation in englischer Sprache abgefasst sind.
Was die Regelungsmethodik betrifft, so folgen Unternehmenskaufverträge auch in
der Schweiz der Regel, dass eine möglichst umfassende Regelung angestrebt wird, statt
dass der Rückgriff auf die gesetzliche Regelung gesucht wird. Ein wichtiger Grund
dafür besteht wohl darin, dass das Kaufrecht des Schweizerischen Obligationenrechts
(OR) für derartige Trans­a ktionen nicht angemessen ist. Das Kaufrecht des OR ist auf
klassische Umsatzgeschäfte des Rechtsverkehrs, also den Handelskauf, den Kauf von
Gütern des täglichen Gebrauchs sowie den Grundstückskauf zugeschnitten. Schon die
Besonderheiten des Rechtskaufs sind im OR nur fast nebensächlich bei der Abtretung
geregelt. Dass die Knapp­heit der gesetzlichen Regeln großen Geschäften außerhalb des
Üblichen nicht gerecht wird, ist aber weder außer­gewöhnlich noch auf den Unterneh-
menskauf beschränkt. Die liberale schweizerische Privatrechtspraxis geht davon aus,
dass geschäftserfahrenen Parteien zuzu­muten ist, bei großen Transaktionen außerhalb
des üblichen Geschäftsverlaufs ihre eigenen Regeln zu vereinbaren.
Was die Detailversessenheit der Vertragsredaktion angelsächsischer Prägung betrifft,
so bemüht sich die Praxis in der Schweiz um ein vernünftiges Mittelmaß. Wo Gesetz
und Praxis Konzepte entwickelt haben, die allgemein anerkannt sind, sieht man von
einer eigenen Regelung ab. Für viele andere Dinge muss man aber eingestehen, dass
eigentlich wenig gegen eine vertragliche Regelung und damit einen Gewinn an Vorher-
sehbarkeit spricht.

2 Erfassung und Qualifikation des Unternehmens-


kaufvertrags in der Schweizer Rechtspraxis
2.1 Unmittelbarer Unternehmenskauf (»Asset Deal«)
In der Schweiz hat seit jeher der Unternehmenskauf im Kleid des Anteilskaufs (Share De-
al) dominiert3 und zwar, der großen Verbreitung der Aktiengesellschaft entsprechend,
der Kauf aller oder einer Mehrheit der Aktien einer Aktiengesellschaft. Dem unmittelba-
ren Unter­nehmenskauf als Kauf aller (oder vieler) Wirtschaftsgüter eines Unternehmens
haben sich Gerichtspraxis und Literatur weniger gewidmet. In der Praxis kommt der
Asset Deal aber in vielen Ausprägungen vor: Vom Erwerb eines Gewerbebetriebs, eines
Bauernhofes oder einer freiberuflichen Praxis bis hin zum maßgeschneiderten Erwerb
von Mitarbeitern und Kund­schaft mit geringen übergehenden Bilanzaktiven und -pas-
siven, etwa beim Erwerb eines Vermögensverwaltungsgeschäfts.
Ein Unternehmen als Rechtsgesamtheit kann Teil eines einheitlichen obligatorischen
Ver­pflichtungsgeschäfts sein,4 doch setzt die dingliche Verfügung (dem Spezialitäts-

3 Zu den Gründen vgl. Kap. 2.2.


4 Giger 1979, Art. 184 OR N 21; Honsell 2010, S. 33; Meier-Hayoz 1981, N 149 und 162; Schönle 1993,
Art. 184 OR N 68.
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III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht  |  579


Teil

prinzip ent­sprechend) die Übertragung der einzelnen Aktiven und Passiven gemäß den
auf sie anwend­baren Normen voraus.5 Der unmittelbare Unternehmenskauf ist daher
meist ein Vertrag über eine Kombination von Kauf diverser Sachen und Rechte, Erwerb
weiterer Wirtschaftsgüter (z. B. Goodwill), Vertragsübernahmen und Schuldübernah-
men. Obwohl damit die grundsätz­liche Qualifikation als Kaufvertrag naheliegt, scheint
das Schweizerische Bundesgericht auf einer Qualifikation als Vertrag sui generis, also
einem Innominatvertrag, zu beharren.6 Die Literatur bejaht hingegen mehrheitlich die
Qualifikation als Kaufvertrag.7 Die Kontroverse ist selten von praktischer Bedeutung,
denn das Bundesgericht wendet Kaufvertragsrecht für mitverkaufte Sachen und Rechte
an, insbesondere hinsichtlich der Gewährleistung.8
Mit dem Inkrafttreten des Fusionsgesetzes im Jahr 20049 und der Einführung der
Trans­ a ktionsform der Vermögensübertragung wurde das juristische Instrumentari-
um für Asset Deals bedeutend erweitert. Mit der Vermögensübertragung gemäß den
Art. 69 ff. FusG wird eine Gesamtverfügung in partieller Universalsukzession ermög-
licht. Die Parteien schließen einen Vermögensübertragungsvertrag, der ein Inventar
zu enthalten hat (häufig zur Hauptsache eine Übertragungsbilanz der übertragenen
Aktiven und Passiven) und der im öffentlich zugänglichen Handelsregister eingetragen
wird. Die dingliche Über­tragung erfolgt von Gesetzes wegen mit Eintragung im Han-
delsregister auch ohne Ein­haltung der einzelnen sachenrechtlichen Verfügungsformen.
Schulden lassen sich auf diese Weise ebenfalls übertragen, doch haftet der Veräußerer
während dreier Jahre mit dem Erwerber für deren Erfüllung.10 Die Vertragspraxis (bzw.
die Strukturierung der Transaktionen) wurde durch diese gesetz­geberische Innovation
in der Schweiz in einem gewissen Maß beeinflusst, doch wird die Mehrheit der Asset
Deals in der Schweiz weiterhin nach der »traditionellen« Methode der Übertragung in
Einzelnachfolge abgewickelt. Immerhin hat sich diese Trans­a ktionsform dort, wo die
Nachteile der Vermögensübertragung nicht erheblich ins Gewicht fallen bzw. der Vorteil
der vertraglich gestaltbaren partiellen Universalsukzession bedeutend ist, ihren Platz
ergattert.11

2.2 Mittelbarer Unternehmenskauf (»Share Deal«)


Nach wie vor findet die Mehrzahl der Unternehmenskäufe in der Schweiz als Share
Deals statt, zumindest bei »Stand Alone-Transaktionen«, also wenn im Wesentlichen
ein »ganzes« Unter­nehmen als eine Einheit mit einer gewissen wirtschaftlichen Auto-
nomie erworben werden soll.12 Die Gründe dafür liegen in der Einfachheit des Trans-
aktionsablaufs, der Übertragungsvoraussetzungen und nicht zuletzt in den steuerlichen

5 Meier-Hayoz 1981, N 149.


6 Zuletzt wohl BGer 4A_297/2013, E. 3.2.1 mit Hinweis auf BGE 129 III 18.
7 Eingehend Vischer 2011, S. 83 f. mit umfassenden Hinweisen auf die Literatur.
8 Dazu Kap. 3.3.1.
9 Bundesgesetz über Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (Fusionsgesetz,
FusG) vom 3. Oktober 2003, SR 221.301.
10 Für eine nähere Darstellung vgl. etwa Tschäni/Diem/Wolf 2013, S. 105 ff. und die umfangreiche
Spezialliteratur.
11 So in jüngster Zeit namentlich bei Asset Deals von Privatbanken. Vgl. dazu Kap. 3.1.1.
12 Für eine Gegenüberstellung und eine Darstellung der Vor- und Nachteile bei der Transaktionsgestal-
tung vgl. Tschäni/Diem/Wolf 2013, S. 144 ff.
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Teil

Vorteilen, insbesondere für Privat­personen als Verkäufer, die auf diese Weise in der
Regel einen steuerfreien Kapitalgewinn realisieren können. Über die Qualifikation des
mittelbaren Unternehmenskaufvertrags, also dem Kauf aller oder einer großen Mehrheit
von Gesellschafts­a nteilen, als Kaufvertrag im Sinne der Art. 184 OR besteht Einmü-
tigkeit. Uneinig ist man sich in der Schweiz aber darüber, ob das von der verkauften
Gesellschaft gehaltene und betriebene Unternehmen in einem rechtlichen Sinne als mit-
verkauft gelten soll, so dass das Unternehmen in einem weiteren Sinne als Kaufgegen-
stand gelten soll (namentlich für die Zwecke der Ge­währleistung). Die Rechtsprechung
in der Schweiz ist diesbezüglich (anders als in Deutsch­land) auf der Linie geblieben,
dass Kaufgegenstand allein die verkauften Anteile bilden und sie hat eine Anwendung
der »gesetzlichen« Gewährleistungsregeln auf Eigenschaften des Unternehmens stets
verneint.13
Der Share Deal kommt in der Schweiz überwiegend als Aktienkauf, seltener als Kauf
von Stammanteilen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung vor. Dies hat sich mit
der letzten Reform des GmbH-Rechts in den letzten Jahren leicht zugunsten der GmbH
verändert, doch bilden Aktiengesellschaften nach wie vor die große Mehrheit.

3 Entwicklungen in Einzelbereichen
der Transaktions- und Vertragsgestaltung
3.1 Asset Deals für maßgeschneiderte Lösungen
3.1.1 Business- und Portfoliotransfers im Banken- und Vermögensverwaltungsbereich

Während der Aktienkauf als Instrument des Kontrollerwerbs über ganze Unternehmen
vor­herrscht, bildet der Asset Deal die Struktur für maßgeschneiderte Lösungen. Für
eigentliche Krisenfälle, d. h. für Akquisitionen aus insolventen Gesellschaften (nament-
lich an Auffanggesellschaften), wo auf diese Weise Verbindlichkeiten beim Verkäufer
zurückge­lassen werden können, war dies schon seit jeher so. Daneben haben sich Asset
Deals in Be­reichen durchgesetzt, in denen der Käufer als Unternehmen der gleichen
Branche bereits über die operative Infrastruktur, Kapazität und ggf. auch über die not-
wendigen Bewilligungen verfügt und lediglich (oder vor allem) sein Geschäftsvolumen
erweitern will.
In dem in der Schweiz wichtigen Privatbanken- und Vermögensverwaltungssektor
trifft diese Situation in jüngster Zeit mit anderen Faktoren zusammen, welche Asset
Deals begünstigen. Die schweizerische Finanzindustrie hat in den letzten Jahren eine
deutliche Zunahme von Konsolidierungstransaktionen erlebt.14 Neben der Zunahme an
Transaktionen überhaupt ist ein Anstieg der Asset Deals in diesem Bereich zu verzeich-
nen, was in einem deutlichen Kon­t rast zur Situation vor einigen Jahren steht. Die Grün-
de dafür liegen in dem mit der Finanz­k rise für die Banken veränderten wirtschaftlichen
und regulatorischen Umfeld: Anhaltend tiefe Zinsen, sinkende Kommissionserträge,

13 Näher dazu Kap. 3.3.1.


14 Zu den Hintergründen und zum Folgenden vgl. namentlich Gaberthüel 2015, S. 187 ff.
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III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht  |  581


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strengere regulatorische Auflagen, höhere Compliance-Kosten und potenziell mit sehr


hohen Bußgeldern verbundene Rechtsrisiken fordern das angestammte Geschäftsmodell
vor allem der Privatbanken heraus. Es findet eine Fokussierung der Marktteilnehmer auf
bestimmte Bereiche statt, kleinere Institute versuchen, kritische Masse zur Erzielung
von Skaleneffekten zu gewinnen und namentlich ausländische Finanzdienstleistungs-
konzerne ziehen sich aus dem schweizerischen Privatbankengeschäft zurück. Diese
Umstände haben in den letzten Jahren zu einer Reihe von Asset Deals im Banken- und
Vermögensverwaltungsbereich geführt. Zur häufigen Wahl der Transaktionsstruktur als
Asset Deal haben dabei namentlich folgende Erwägungen geführt:
• Es waren maßgeschneiderte Lösungen nötig, um bestimmte Geschäftsbereiche, z. B.
das Geschäft mit einem bestimmten Kundensegment oder aus einem bestimmten
geographischen Markt, zu veräußern.
• Außerdem sollten meist Kundenbeziehungen, die besondere Risiken implizieren
(z. B. Kunden aus Risiko- oder Sanktionsländern und politisch exponierte Personen)
nicht übernommen werden.
• Drohende Rechtsrisiken, namentlich im Zusammenhang mit der US-Steuerproblema-
tik, sollten nicht übernommen werden.
• Der Erwerber, selbst eine Bank, benötigte meist keine wesentliche zusätzliche In­
frastruktur und über die nötige Bewilligung verfügte er selbst bereits, sondern er war
primär an den Kundenvermögen und ggf. Mitarbeitern interessiert.
• Die Preisgestaltung sollte sich ganz oder doch primär am Umfang der erworbenen
und beim Käufer Ertrag generierenden Kundenvermögen orientieren, während zu-
sätzliches Eigenkapital (meist) nicht erworben werden sollte.

Die in solchen Situationen vorherrschenden Asset Deals der letzten Jahre wurden daher
oft als Portfolio-Transfers, also Verkäufe von Kundenstämmen zusammen mit den zustän-
digen Kunden­betreuern und den entsprechenden Geschäftsakten, strukturiert. Manchmal
bestehen die einzigen wirklich verkauften Bilanzaktiven bzw. übernommenen Bilanzpas-
siven in den Aktiven und Passiven gegenüber den entsprechenden Kunden.15
Eine weitere wesentliche Entwicklung für Asset Deals im Finanzbereich (aber z. T.
auch in anderen Bereichen) war die Lockerung der Voraussetzungen für die Vermö-
gensübertragung nach dem Fusionsgesetz. Traditionelle Asset Deals im Banken- und
Vermögensverwaltungsbereich sehen vor, dass von jedem Kunden zwischen Signing
und Closing eine Zustimmung zur Übertragung der Kundenbeziehung eingeholt und
eine neue Vertragsdokumentation abge­schloßen wird. Zumindest im schweizerischen
Binnenverhältnis von Bank zu Bank kommen inzwischen aber Transaktionsvarianten
mit einer Vermögensübertragung gemäß dem Fusionsgesetz vor. Diese erlaubt einen
gesamthaften Übergang der im Vermögensübertragungsvertrag bezeichneten Kunden-
beziehungen. Das Bankkundengeheimnis wird dabei gewahrt, indem die Kundenbe-
ziehungen nur in anonymisierter Form im Vertrag bezeichnet werden, was von der
Praxis akzeptiert wird, zumindest wenn für die Betroffenen aus einer generellen Um-
schreibung des Kreises der übertragenen Kundenbeziehungen klar wird, ob sie von der
Übertragung betroffen sind oder nicht.

15 Kundendarlehen werden dabei in der Regel vom Erwerber abgelöst gegen Übertragung der typi-
scherweise eingeräumten Wertschriftensicherheit (Lombardkredite).
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582  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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3.1.2 Carve-out-Transaktionen

Ein weiteres Anwendungsfeld der Asset Deals in der Schweiz bestand in jüngerer Zeit
in Carve-out- und Abspaltungstransaktionen, bei welchen rechtlich unselbstständige
Geschäfts­bereiche, deren Grenzen sich nicht mit den Business Units decken, aus Konzer-
nen heraus­zulösen waren.16 Bei diesen Transaktionen sind zahlreiche Konzernverflech-
tungen des zu übertragenden »Carve-out-Business« zu trennen und nicht selten (und
abhängig vom Käufer) muss eine eigenständige und funktionsfähige Organisation und
Autonomie für den zu verkaufenden Geschäftsbereich erst im Rahmen der Transaktion
(und häufig in Kooperation mit dem Käufer) aufgebaut werden. Zum Unternehmenskauf
tritt dann ein starkes Element von Leistungs- und Kooperationsbeziehungen zwischen
Konzerneinheiten des Verkäufers und dem Zielunternehmen bzw. dem Käufer hinzu,
welche häufig über den Umfang üblicher Übergangsdienstleistungen hinausgehen.

3.2 Preis und Preisanpassung – Umgang mit Bewertungsunsicherheit


3.2.1 Die »traditionellen« Preisanpassungsmechanismen: Net Debt, NWC, Net Equity

Mit dem M & A-Boom der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts gewannen Preisanpas-
sungsklauseln eine immer größere Verbreitung. Es ließ sich beobachten, dass etwa in
dem Jahrzehnt von Mitte der 1990er Jahre bis zur Mitte des letzten Jahrzehnts eine Ent­
wicklung hin zu komplexen und ausgefeilten Anpassungsmechanismen vorherrschte,
wobei die Net Debt-Methode (Nettoschuldenausgleich, d. h. ein Abstellen auf die Net-
to-Finanzverbindlichkeiten) und die Net Working Capital-Methode (NWC; Netto-Um-
laufvermögensanpassung) wohl am häufigsten waren,17 aber auch die in Deutschland
häufige Methode der Anpassung an ein Closing Balance Sheet (Eigenkapitalanpassung
bzw. Eigenkapitalgarantie) kam vor.18
Vor allem bei den vielen Transaktionen im Rahmen von strukturierten Auktions-
prozessen werden Net Debt Adjustments gerne eingesetzt, was ein Abstellen auf einen
finanzierungsneutralen Unternehmenswert und eine einfachere Vergleichbarkeit der
Angebote erleichtern sollte. Die Anpassung an die Netto-Finanzverbindlichkeiten hat
den Vorteil der Einfachheit und Schnelligkeit, denn die maßgebenden Parameter (zins-
tragende Verbindlichkeiten und Liquidität) lassen sich rasch bestimmen. Es wurde aber
anerkannt, dass dieser Mechanismus den Käufer schutzlos lässt vor Verschiebungen
zwischen der Liquidität und den Positionen des Umlaufvermögens, wenn also z. B. Li-
quidität künstlich generiert oder hoch gehalten wird (z. B. durch beschleunigtes Inkas-
so mittels Skontogewährung oder Aufschub von In­vestitionen und Lageraufstockung)
oder wenn die Liquidität starken Schwankungen (z. B. aufgrund eines saisonalen Ge-
schäftsverlaufs) unterliegt.19 Daher beziehen Preisanpassungsklauseln häufiger auch
das gesamte Umlaufvermögen (bzw. die anderen Posten des Umlaufvermögens neben
der Liquidität) und kurzfristige Verbindlichkeiten mit ein, womit der Preis also auch an

16 Vgl. dazu eingehend Gerhard/Hasler 2014, S. 221 ff.


17 Vgl. die Studie von Ernst & Young 2012, S. 6 f.
18 Für eine eingehende Darstellung dieser Preisanpassungsklauseln vgl. etwa Siegrist/Kremer 2010,
S. 107 ff. sowie den Abriss bei Tschäni/Diem/Wolf 2013, S. 156 ff.
19 Dazu etwa Tschäni/Diem/Wolf 2013, S. 160; Watter/Gstoehl 2004, S. 40 f.
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III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht  |  583


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Veränderungen der Debitoren und Kreditoren, Lager etc. angepasst wird. Im Extremfall
bleibt lediglich das Anlagevermögen ausgeklammert. Diese Klauseln sind entsprechend
komplizierter und streitanfälliger geworden.
In manchen Fällen wird schließlich eine Eigenkapitalanpassung mit Stichtagsab-
schluss (Closing Accounts) vereinbart. Um den aufwendigen Prozess der Bilanzerstel-
lung etwas zu erleichtern und zu beschleunigen, werden dann ver­traglich aber häufig
gewisse Vereinfachungen vereinbart oder es werden für gewisse Objekte des Anlagever-
mögens (namentlich Grundstücke) die maßgebenden Werte gleich vertraglich festgelegt.
Diese (und andere) Preisanpassungsmechanismen kommen weiterhin vor und haben
auch ihre Berechtigung. Selbstverständlich gibt es »den richtigen« Preisanpassungsme-
chanismus nicht, dieser hängt vielmehr vom Zielunternehmen und seinem Unterneh-
mensvermögen, der Dauer bis zum Closing und – natürlich – von der Verhandlungs-
macht der Parteien ab.

3.2.2 Locked Box und die Rückkehr des Festpreises

Neben den traditionellen Preisanpassungsklauseln ist aber seit Mitte des letzten Jahr-
zehnts eine starke Hinwendung (oder Rückkehr) zu Festpreismechanismen zu beob-
achten.20 Festpreisklauseln in Unternehmenskaufverträgen gab es natürlich schon im-
mer und insofern wird zu Recht von einer Rückkehr des Festpreises21 gesprochen.
Die neuen Fixpreisklauseln kommen allerdings als konsequent angewendetes »Locked
Box«-Konzept daher. Die Zielgesellschaft 22 wird gestützt auf einen möglichst aktuellen
und geprüften Abschluss bewertet und davon ausgehend wird der Preis fix im Vertrag
bestimmt. Dieses »Locked Box Date« entspricht einem wirtschaftlichen Übergangsstich-
tag, denn ab jenem Zeitpunkt gehen Gewinne und Verluste auf Rechnung des Käu-
fers.23 Für die Vertragspraxis widerspiegelt das Aufkommen der Locked Box-Verträge
eine Verschiebung hin zu verkäuferfreundlichen Verträgen. Zum Teil lassen sich die
Locked Box-Verträge aus den Bedürfnissen der Private Equity-Verkäufer erklären, die
einen Exit aus ihrer Investition realisieren und auf hohe Preissicherheit angewiesen
sind, um an­schließend den Private Equity Fund liquidieren und den Erlös ausschütten
zu können. Auch werden verschiedene Kaufangebote bei einem konsequenten Locked
Box-Ansatz einfacher vergleichbar, namentlich bei Verkaufsauktionen, während bei den
Preisanpassungsmechanismen erfahrungsgemäß der Teufel nicht selten in den Details
der Definitionen der maßgeblichen Parameter und der Methode ihrer Bestimmung liegt.
Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre sind für Käufer bei Transaktionen über
Stand-alone Unternehmen solche Fixpreisvereinbarungen durchaus akzeptabel, wenn
die Rahmen­bedingungen passen und ausreichende vertragliche Schutzvorkehren vor-
gesehen werden. Zu den Rahmen­bedingungen gehört, dass es sich in aller Regel nur
um einen Verkauf eines finanziell ge­sunden und weitgehend autonomen (stand-alone)
Unternehmens handeln muss. Eine starke Konzerneinbindung eines Zielunternehmens
in finanzieller und operativer Hinsicht erschwert Locked Box-Transaktionen, weil die
entsprechenden Konzerneinflüsse bei den Locked Box Accounts neutralisiert werden

20 Vgl. die empirischen Angaben bei Blum 2015, S. 228 ff. und die Studie von Ernst & Young 2012.
Eingehend zu den Auswirkungen auf die Unternehmenskaufverträge Diem/Erni 2010, S. 354 ff.
21 Ernst & Young 2012, S. 6.
22 Für Asset Deals eignet sich der Locked Box-Approach nicht.
23 Für eine Darstellung aus dem Gesichtspunkt der Bewertung vgl. Siegrist/Kremer 2010, S. 115 f.
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584  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

müssen, häufig nur pro-forma Abschlüsse verfügbar sind und die Möglichkeiten von
Abflüssen schwer zu übersehen sind. Außerdem brauchen die Käufer Zeit und Infor-
mationen, um sich im Rahmen der Due Diligence den nötigen Komfort in die Locked
Box Accounts zu erarbeiten. Zu den Schutzmechanismen in den Verträgen gehört tra-
ditionellerweise eine Schadloshaltungsgarantie für Mittelabflüsse (Leakage Indemnity)
seit dem Locked Box-Datum sowie Bestimmungen, welche das Risiko von unerlaubten
Mittelabflüssen möglichst einschränken sollen, etwa einschränkende Fortführungsklau-
seln (Conduct of Business) bei der Regelung der Geschäftsführung zwischen Signing und
Closing und eine belastbare Bilanzgarantie der Locked Box Accounts. Manchmal kann
eine Festpreisklausel auch den Druck auf die Zusicherungen erhöhen und den Käufer
dazu bringen, auf einem Rücktrittsrecht bei wesentlich negativer Geschäftsentwicklung
zu bestehen.24

3.2.3 Branchenspezifische Preisanpassungen

Je nach Branche kommen in der Praxis diverse weitere Preisanpassungen vor, wobei
der Phantasie wenig Grenzen gesetzt sind und auch ganz fallspezifische Anpassungen
vor­kommen. Von besonderer Bedeutung für den Schweizer M & A-Markt, in welchem
in den letzten Jahren viele Transaktionen in dem für die Schweiz wichtigen Privatban-
ken- und Vermögensverwaltungsbereich vorkamen, sind die Anpassungen an Verände-
rungen der verwalteten Kundenvermögen (Assets under Management oder AuM) einer
zu kaufenden Bank oder eines Vermögensverwalters. AuM gelten als hauptsächlicher
Wert-Indikator für das Vermögensverwaltungsgeschäft, weshalb heute kaum mehr eine
Privatbank oder ein Asset Manager erworben wird, ohne dass der Kaufpreis oder ein
Teil davon an die AuM angepasst wird. Mit dem Rückgang der Renditen im Vermögens-
verwaltungsgeschäft sind die gängigen Multi­plikatoren für solche Transaktionen in den
letzten Jahren stark zurückgegangen.
Wird eine Privatbank oder ein Vermögensverwalter im Rahmen eines Share Deals
gekauft, so wurde »traditionell« meist der Kaufpreis sowohl vom Eigenkapital wie von
den vom Zielunternehmen verwalteten Kundenvermögen abhängig gemacht. Bei den
in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden Portfolio-Transaktionen rückte die
Eigenkapitalanpassung naturgemäß in den Hintergrund. Bei den AuM adjustments wird
manchmal schlicht an die Höhe der von der Ziel-Bank verwalteten Kundenvermögen
zum Zeitpunkt des Closings oder einem zeitlich nahe beim Closing liegenden Stichtag
angepasst. Es wird ein Multiplikator vereinbart, der dem Kaufpreis (oder einem Teil
davon) zugrunde liegt (z. B. 0.5 %), der auf den »erworbenen« AuM angewandt wird.
Auf das Closing oder den Stichtag hin werden die AuM gezählt und der Kaufpreis wird
an die Differenz (multipliziert mit dem Multiplikator) angepasst. Bei einer solchen rei-
nen Stichtagsmethode trägt der Verkäufer Risiko und Nutzen von Zu- und Abflüssen
(Attrition) wie auch von marktbedingten Änderungen des Werts der AuM. Häufiger sind
Anpassungen, welche nur auf den Saldo von AuM-Zu- und Abflüssen (Net New Money)
zwischen Signing und Closing abstellen, dann bleiben reine Marktschwankungen auf
den Kaufpreis ohne Folgen. In manchen Fällen wurde das System noch verfeinert, in-
dem verschiedene Multiplikatoren für verschiedene Klassen von Kundenvermögen fest-
gelegt wurden. Bei Abgängen von wichtigen Kundenberatern wurde zuweilen festgelegt,

24 Näher Diem/Erni 2010, S. 357.


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III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht  |  585


Teil

dass die von jenen Kundenberatern betreuten Kundenvermögen zu einem dis­kontierten


Ansatz berücksichtigt wurden, weil mit ihrem baldigen Abgang zu rechnen war.

3.2.4 Pay-as-you-earn: Earn-outs als Überbrückung der Bewertungslücke?

Mit der Krise der letzten Jahre haben sich zum Teil die Preiserwartungen von poten-
ziellen Käufern und Investoren von den Erwartungen der Verkäufer entfernt. Es scheint,
dass gerade bei Familienunternehmen zwar eine grundsätzliche Verkaufsbereitschaft
bestünde, doch besteht ein gewisses »Valuation Gap« gegenüber dem Markt. Als Folge
davon hat man zum Teil gestaffelte Übernahmen mit angepasstem Preis für nachfol-
gende Tranchen und Earn-out-Vereinbarungen wieder häufiger gesehen. Aus der Sicht
des Rechtsberaters bleibt die Erkenntnis, dass diese Modelle in der Theorie den Vorteil
haben, dass der Preis tatsächlich von der Ertragskraft und der Wertentwicklung nach
Vollzug abhängt und so den Verkäufer noch für eine Weile mit ins Boot nimmt. Aus
diesem Umstand resultiert aber auch das mit aller Vertragskunst nicht wirklich lös-
bare Problem, dass die preisbestimmenden Faktoren (typischerweise die Erträge bzw.
Gewinne nach Vollzug) bzw. ihre Darstellung von einer Seite (meist dem Käufer) be-
einflusst werden und dass auch unter gutwilligen Parteien Streit darüber nicht selten
vorkommt. Demgemäß ist die Regelung der maßgebenden Periode wie diejenige der
Bestimmung des Earn-out-Preises häufig heikel und trotz allem Antizipieren möglicher
Fragen findet sich schließlich zuweilen auch im vollkommensten Vertrag gerade für die
sich dann später stellende Frage keine Antwort.

 ewährleistung und Leistungsstörungen –


3.3 G
Umgang mit Unternehmensrisiken
3.3.1 Die Anwendung des Gewährleistungsrechts des OR auf Schlechterfüllungsfälle

Das Gewährleistungsrecht des Kaufs im OR wurde natürlich nicht mit Blick auf Unter-
nehmenskäufe geschrieben, doch hat dies in der Gerichtspraxis bemerkenswert selten
zu Problemen geführt und manche der Wertungswidersprüche, von denen aus Deutsch-
land berichtet wird,25 sind in der Schweiz nicht oder nur in geringerem Maß aufgetre-
ten. Im Zusammenhang mit dem Share Purchase hat das Schweizerische Bundesgericht
eine An­wendung des »gesetzlichen« Mangelbegriffs26 auf das Unternehmen selbst ab-
gelehnt und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, verkauft seien nur die Aktien
bzw. Gesellschafts­a nteile, nicht aber das Unternehmen selbst und Eigenschaften des
Unternehmens seien nicht Eigenschaften der Aktien bzw. Anteile.27 Hingegen hatte das
Bundesgericht kein Problem, die Sachgewährleistungshaftung bei Zusicherungen des
Verkäufers anzuwenden. Vertraglich vorausgesetzte Eigenschaften qualifizieren nach

25 Vgl. Picot 2016, S. 517 ff., S. 553 ff.


26 Die Haftung für sog. »vorausgesetzte Eigenschaften«, d. h. körperliche oder rechtliche Mängel, die
den Wert oder die Tauglichkeit des Kaufgegenstands zum vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder
erheblich mindern; Art. 197 Abs. 1 OR.
27 BGE 107 II 419, E. 1; 108 II 102, E. 2a; BGer 4A_321/2012 vom 14.01.2013, E. 4.2 und dazu Wolf/
Ehrsam 2013, S. 300.
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586  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Schweizer Recht problemlos als Zusicherungen,28 und zudem ist die Haftung für Zu-
sicherung (anders als im früheren deutschen Recht) nach dem OR fast die gleiche wie
beim »gesetzlichen« Mangel.29 Eine verschuldensunabhängige Schadenersatzhaftung,
welche nach dem alten deutschen Recht Anlass zur Zurückhaltung bei der Annah-
me von Zusicherungen gab, besteht nach dem OR nur neben der Wandlung und nur
für unmittelbaren Schaden, was Folgeschäden häufig (aber nicht immer) ausschließt.30
Auch kann der Richter bei der Klage auf Wandlung nach Ermessen auch nur auf Min-
derung erkennen, wenn die Umstände die Rückgängigmachung des Ge­schäfts nicht
rechtfertigen,31 so dass sich das Problem der beim Unternehmenskauf un­passenden
Wandlung mit den gesetzlichen Gewährleistungsregeln lösen lässt. Weiter besteht
neben den Gewährleistungsregeln nach gefestigter Praxis ein verschuldensabhängi-
ger Schadenersatz­a nspruch aus den allgemeinen Nichterfüllungs- bzw. Schlechterfül-
lungsregeln von Art. 97 ff. OR und schließlich gilt (beim Fahrniskauf) eine zweijährige
Verjährungs­f rist.32 Die Gründe, welche im alten deutschen Recht zu einer »Flucht« aus
dem Gewährleistungsrecht und einer Hinwendung zur culpa in contrahendo als Ausweg
führten, waren bzw. sind im OR nicht oder nur in geringerem Maße gegeben. Dass die
culpa in contrahendo-Haftung beim Unternehmenskauf zu einem wichtigen Rechts-
behelf für Schlechterfüllungstatbestände geworden ist, ist Schweizer Juristen häufig
schwer verständlich.
Für Fälle der »Gewährleistungslücke« beim mittelbaren Unternehmenskauf (Share
Deal), in denen berechtigte Käufererwartungen zu schützen waren, hat das Bundes-
gericht dem Käufer eine Teilanfechtung wegen Grundlagenirrtums zugestanden.33 Die
Teilanfechtung führt nach der Praxis des Bundesgerichts zu einer Preisherabsetzung,
d. h. einem ähnlichen Ergebnis wie die Minderung.34 In dieser Rechtsprechung wer-
den die Voraussetzungen und Modalitäten der Geltendmachung von Gewährleistungs-
ansprüchen (Rüge, Verjährung) unberücksichtigt gelassen, weshalb sie in der Literatur
mehrheitlich kritisiert wird.35
Beim Asset Deal wendet die Rechtsprechung Gewährleistungs-Kaufrecht an, aller-
dings anscheinend nur im Sinne einer »Einzelanwendung« auf die mitverkauften Sachen
und Rechte. Namentlich scheint das Fehlen einer (vorausgesetzten) Eigenschaft, welche

28 Die unter dem früheren deutschen Recht entwickelte »Beschaffenheitsvereinbarung« oder »Beschaf-
fenheitsangabe« (Soergel/Huber 1991, § 459 BGB a. F. N 169) hat sich in der Schweiz nicht eingebür-
gert.
29 Die Unterschiede beschränken sich auf das Fehlen der Voraussetzung der Erheblichkeit, d. h., dass
für das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft auch gehaftet wird, wenn dadurch weder Wert noch
Gebrauchstauglichkeit erheblich eingeschränkt wird. Ein weiterer Unterschied liegt noch darin,
dass die fahrlässige Unkenntnis des Käufers vom Mangel nur bei Zusicherung schadet (Art. 200
Abs. 2 OR).
30 Im Einzelnen ist zum Umfang der Schadenersatzpflicht aus Gewährleistung allerdings vieles un-
klar, vgl. etwa Honsell 2010, S. 110 ff.
31 Art. 205 Abs. 2 OR.
32 Bis zum 31.12.2012 betrug die Verjährungsfrist 1 Jahr. Im früheren deutschen Recht galt eine kurze
Frist von lediglich sechs Monaten, § 477 Abs. 1 BGB a. F.).
33 Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR (BGE 107 II 421; 97 II 45). Nach stetiger Praxis des Bundesgerichts herrscht
zwischen Gewährleistungsansprüchen und der Irrtumsanfechtung Alternativität, d. h. der Käufer
kann grund­sätzlich wählen, ob er sich auf Sachgewährleistungsansprüche oder auf Anfechtung
(bzw. Teilanfechtung) wegen Grundlagenirrtums beruft und muss für jeden Rechtsbehelf die für
diesen geltenden Voraussetzungen erfüllen. Er muss sich aber auf der getroffenen Wahl behaften
lassen.
34 BGE 107 II 419, 423. Eingehend zur Teilanfechtung Schmidlin 2013, Art. 23/24 OR N 409 ff. und
bezogen auf den Unternehmenskauf Gmünder 1992.
35 Vgl. für den Kauf allgemein Honsell 2010, S. 121 ff. mit Hinweisen auf die Literatur.
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III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht  |  587


Teil

sich nicht einem bestimmten mitverkauften Vermögensgegenstand zuordnen lässt, kei-


nen gewährleistungsrelevanten Mangel zu begründen.36

3.3.2 E lemente einer akzeptierten Best Practice der Vertragsgestaltung


im Gewährleistungsrecht

Die Vertragspraxis des Unternehmenskaufs lässt sich weitgehend problemlos in die


Sachgewährleistungsregeln des OR einbetten, denn diese sind größtenteils dispositiver
Natur. Nach schweizerischer Auffassung können die Gewährleistungskataloge als kauf-
rechtliche Zu­sicherungen qualifizieren, doch ist diese Qualifikation (und die Unterschei-
dung von selbstständigen Garantien) ohne Bedeutung, wenn die Rechtsfolgen und die
Modalitäten der Rechtsbehelfe bei Nichterfüllung vertraglich geregelt werden,37 was in
der Praxis fast immer der Fall ist. Die sog. »gesetzliche« Gewährleistung wird vertrag-
lich ausgeschlossen. Die Prüfungs- und Rügeobliegenheit (mit Rechtsverlustfolge) des
OR wird meist zugunsten einer vertraglichen Rügefrist wegbedungen. Gewährleistungs-
fristen (meist als Rügefristen kon­zipiert mit anschließender Rechtsverfolgungsfrist)
werden typischerweise in unterschied­l icher Dauer für die verschiedenen Zusicherungen
festgelegt (z. B. länger für Rechtsgewähr, fundamentale Zusicherungen, Grundstücke,
Steuern). Die gesetzlichen Hauptrechtsbehelfe des Gewährleistungsrechts (Wandlung
und Minderung) werden zugunsten von Schadenersatz innerhalb vertraglicher Frei-
und Höchstgrenzen ausgeschlossen, zuweilen mit einem Nachbesserungsrecht, eher
selten einer Nachbesserungspflicht, des Verkäufers. Vertragliche Offenlegungsregeln38
ersetzen die Regelung von Art. 200 OR, wonach Kenntnis des Käufers vom Mangel
die Haftung entfallen lässt. Alternative Rechtsbehelfe werden soweit rechtlich zulässig
ausgeschlossen. Für identi­fi zierte Risiken und immer häufiger für Steuerrisiken sieht
man Schadloshaltungsgarantien, wenn sich der Käufer damit in den Verhandlungen
durch­setzen kann, für welche separate Haftungsmodalitäten (kein Ausschluss durch
Kenntnis, längere Dauer, separate und höhere Haftungsgrenzen) vorgesehen werden.39
Diese Grundsätze der Regelungsmethodik haben sich in den letzten Jahren gefestigt
und scheinen heute weitgehend akzeptiert. Sie kommen nicht immer zur Anwendung
und mögen auch nicht immer angemessen sein, aber in der großen Mehrzahl der Fälle
sind sie es und sie geben ein hinsichtlich der Methodik weitgehend akzeptiertes »Ge-
rüst« vor. Es gibt kaum Punkte, in denen diese Regelungsmethodik mit zwingen­dem
Schweizer Recht kollidiert.40 Gleichzeitig ist damit der Verhandlungsspielraum nicht
vorweggenommen – es ist weitgehend dasselbe Gerüst in einem käuferfreundlichen wie
in einem verkäuferfreundlichen Vertrag. Es bleiben natürlich zu klärende Auslegungs-
fragen und Fragen der Anwendung der vertraglichen Regeln (z. B. ob ein bestimmter

36 So zumindest wird man BGE 129 III 18 verstehen müssen, wonach es sich bei einem asbestverseuch-
ten gemieteten Lokal eines gekauften Nachtklubs nicht um einen gewährleistungsrelevanten Man-
gel handle, weil das betroffene Gebäude nicht mitverkauft sei. Immerhin wurde offengelassen, ob
bei erheblicher Betriebsbeeinträchtigung nicht doch ein Mangel vorliegen könnte. Zum Entscheid
vgl. auch die Besprechung von Vischer 2003, S. 335 ff.
37 So auch das Bundesgericht in 4A_321/2012, E. 4.2 und dazu Wolf/Ehrsam 2013, S. 301.
38 Vgl. dazu Kap. 3.3.3.
39 Vgl. dazu Vischer 2013, S. 330 f.
40 Ein solcher ist allenfalls die Verjährung, wo die Rechtsprechung (trotz guten Gegenargumenten)
eine zwingende Höchstfrist von zehn Jahren anwendet. Derart lange Latenzzeiten sind aber auch
in der Praxis nur in besonderen Fällen (z. B. Altlastenfreiheit) von Bedeutung.
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588  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Umstand genügend klar offengelegt worden war, um die Haftung auszuschließen, oder
wann der Käufer genügend sichere Kenntnis erlangt hatte und hätte rügen sollen oder
welcher Schaden als ersatzfähig gilt). Aber die weitgehend anerkannte Regelungsmetho-
dik bewirkt in den Verhandlungen und in der Vertragsredaktion einen Effizienzgewinn
sowie eine »gemeinsame Sprache« der beteiligten Berater, was nicht zu unterschätzen
ist.

3.3.3 Due Diligence – Gewährleistung – Offenlegung

Eines der Hauptthemen in der Verhandlung der meisten Unternehmenskäufe ist die
Wirkung der Kenntnis des Käufers bzw. der vom Verkäufer oder von der Gesellschaft
auf dessen Ver­a nlassung offengelegten Informationen. Ausgangspunkt für die schwei-
zerische Praxis ist die Bestimmung von Art. 200 OR, gemäß welcher der Verkäufer dem
Käufer bekannte Mängel nicht und bei fahrlässiger Unkenntnis des Käufers nur für
bei Zusicherung haftet. In der Schweiz hat sich der angelsächsische Disclosure Letter41
nicht als Standard durchgesetzt, obwohl er durchaus vorkommt und gute Argumente
für seine Ver­wendung sprechen. Häufiger, so scheint es nach der Erfahrung der Auto-
ren42, wird für die haftungsausschließende Kennt­n is eine Umschreibung der Dokumen-
te und Informationen im Vertrag vorgenommen. Dabei wird von Käufern nicht selten
hingenommen, dass sämtliche Dokumente eines Datenraumes als offengelegt gelten.43
Dies wird allerdings nur akzeptiert, soweit sich ein Sach­verhalt vernünftiger­weise vom
Käufer und seinen Beratern auch wirklich erkennen ließ. Der Sache nach lässt sich ein
»Fair Disclosure« Standard44, wie er aus der angelsächsischen Praxis bekannt ist, auch
dem Schweizer Recht entnehmen, denn haftungsausschließende Kenntnis wird von der
Recht­sprechung erst angenommen, wenn der Käufer die Bedeutung und Aus­w irkung
der Umstände in sachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht erkannt hat (bzw. nach den
Umständen erkennen musste),45 was über­tragen auf das Offenlegungskonzept des Un-
ternehmenskaufs so verstanden werden darf, dass die Offen­legungen dem Käufer unter
den gegebenen Umständen eben diese Kenntnis vermitteln.
Ob eine Offenlegung für den Anspruchsausschluss in einem konkreten Fall genügend
ist, hängt natürlich immer stark von der spezifischen Situation ab. Die Datenräume
haben zu­weilen enormen Umfang erreicht und sie enthalten neben den erheblichen
Informationen nicht selten auch viele, aus dem Blickwinkel der Gewährleistungen un-
bedeutende Informationen. Auf einen versteckten flüchtigen Hinweis auf eine Gewähr-
leistungsverletzung in einem umfang­reichen Dokument, dessen Titel oder Bezeichnung
nicht auf derartige Informationen schließen lässt, wird sich ein Verkäufer deshalb kaum
berufen können.

41 Oder »disclosure schedule«, also eine abschließende Umschreibung der Offenlegungen, welche dem
Käufer angerechnet werden und von der Haftung des Verkäufers ausgenommen sind.
42 Und ebenso nach der von der internationalen Anwaltskanzlei CMS durchgeführten Untersuchung
(vgl. Blum 2015, S. 245 ff.).
43 So auch Blum 2015, S. 247.
44 D. h. dass nur haftungsausschließend wirkt, was »fairly disclosed« wurde und ein geringfügiger
Hinweis nicht genügend ist.
45 BGE 66 II 137.
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III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht  |  589


Teil

3.3.4 Tax Indemnities und weitere Freistellungs- und Schadloshaltungsgarantien

Dass der Verkäufer für einzelne, mehr oder weniger genau bekannte Risiken oder dro-
hende Schäden verspricht, den Käufer oder das Unternehmen zu entschädigen, kam
selbstverständlich schon vor, bevor man begann, auch in der Schweizer Rechtssprache
von Indemnities zu sprechen. Solche Schadloshaltungsversprechen46 sind nun in den
letzten Jahren, der angelsächsischen Praxis folgend, häufig auch in Unternehmens-
kaufverträgen in der Schweiz anzutreffen. Ihren Anwendungsbereich haben sie haupt-
sächlich im Bereich der Steuern, wobei die Komplexität der englischen Tax Indemnities
bisher vermieden werden konnte. Daneben findet man solche Vereinbarungen etwa im
Bereich der Altlastenproblematik beim Erwerb von Industrie­betrieben oder bei vermu-
teten oder bereits bekannten Compliance-Problemen, vor allem in jüngster Zeit beim
Erwerb von Banken.

3.3.5 Caps & Co. – Die Spielarten der Haftungsbeschränkungen

Auch hierzulande gehört es zu den häufigsten Fragen eines Mandanten, welcher »cap«,
also welche Haftungshöchstgrenze des Verkäufers üblich sei. Dazu gibt es keine festen
Regeln, doch ist es bestimmt üblich, dass eine Höchstgrenze vereinbart wird. Üblich
ist ferner, dass die Höchstgrenze im Rahmen der Verhandlungen ins Verhältnis mit
dem Kaufpreis gesetzt wird (auch wenn im Vertrag oft ein absoluter Betrag steht, was
klarer ist als ein Prozentsatz eines allenfalls einer Anpassung unterliegenden Kaufprei-
ses). Ebenfalls üblich ist ein gewisser Freibetrag, wobei hier ver­schiedene Variationen
vorkommen: Vielleicht am häufigsten ist die Struktur, wonach ein relativ kleiner Wert
gilt, unter welchem Schäden überhaupt nicht ersatzfähig sind (de minimis) und darü-
ber eine höhere Freigrenze als Schwellenwert oder Selbstbehalt (basket, threshold oder
deductible) gilt.47
Zur Höhe dieser Werte kann man gewisse Tendenzen durch Marktbeobachtung,
Erfahrung und Statistiken feststellen,48 doch sind letztlich Verhandlungsmacht, Risi-
kobereitschaft und die Natur des Geschäfts wichtiger als Tendenzen im M & A-Markt.
Bestimmt lässt sich sagen, dass bei hohen Transaktionsvolumen die Haftungsobergren-
ze ausgedrückt in Prozent des Kaufpreises tendenziell tiefer und bei geringeren Volu-
men eher höher liegen. Meist werden Ausnahmen vorgesehen für die Rechtsgewähr und
gewisse fundamentale Gewährleistungen vorgesehen. In der Praxis wichtiger scheinen
uns aber besondere Ausnahmen bzw. höhere Einzelhöchstgrenzen für gewisse Risiken
oder Risikobereiche wie Steuern, Umweltaltlasten oder identifizierte Compliance-Risi-
ken. Wenn ein Käufer solche identifizierte heikle Bereiche mit größeren Haftungspols-
tern abdecken kann, ist er häufig bereit, für die »allgemeinen« Gewährleistungen zum
Vermögen und Geschäft des Unternehmens einen tieferen Cap zu akzeptieren. Dies ist
einer maßgeschneiderten Risikoallokation unter den Parteien förderlich.

46 Sie sind rechtlich in der Regel als Garantien zu qualifizieren (Blum 2013, S. 205 m.w.H.). Der in
Deutschland (zumindest bei Schadloshaltung gegen Drittansprüche) gebräuchliche Ausdruck »Frei-
stellung« hat sich in der Schweiz nicht breit durchgesetzt.
47 Diese häufige Ordnung liegt auch der von Blum 2015, S. 237 ff., vorgestellten und kommentierten
Untersuchung zugrunde.
48 Vgl. insbesondere die Ergebnisse der von Blum 2015, S. 237 ff., vorgestellten Untersuchung.
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590  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

3.3.6 Escrows und andere Käufersicherheiten

Die nach der Erfahrung der Autoren in den letzten Jahren am häufigsten angetroffenen
Käufersicherheiten für Ansprüche aus Gewährleistung oder Schadloshaltungsgarantien
sind Escrows, also eine Hinterlegung eines Teils des Kaufpreises bei einem Dritten
(dem Escrow Agent) für eine gewisse Dauer. Hinsichtlich der Höhe besteht eine gewisse
Tendenz, zu­m indest bei tieferen Liability Caps, den Escrow-Betrag auf die Höhe einer
vereinbarten Haftungsobergrenze festzulegen. Eine ähnliche Tendenz besteht für die
Dauer des Escrow, hinsichtlich welcher man sich häufig an der allgemeinen Gewähr-
leistungsfrist (oft zwischen 12–24 Monaten) orientiert. Die Umstände verlangen (oder
erlauben) aber Ab­weichungen in beide Richtungen. Sieht man z. B. bei Transaktionen
mit einer Vielzahl von Verkäufern in aller Regel einen Escrow, so werden bei Verkäufen
aus großen Konzernen heraus manchmal gar keine Sicherheiten gestellt.
Der Escrow hat den Vorteil, dass zwar ein Haftungssubstrat zur Verfügung gestellt
wird, dass sich davon abgesehen aber (anders als etwa bei einem Rückbehalt) an der
Klagelast und den Parteirollen nichts ändert, was häufig (zu Recht) als fair empfunden
wird. In praktischer Hinsicht macht ein Escrow allerdings die Hinzuziehung eines
weiteren Teilnehmers in der Trans­a ktion notwendig. In der Schweiz üben Banken,
Treuhandunternehmen und auch Anwälte diese Tätigkeit aus. Nachdem sich bis vor
kurzer Zeit eine gewisse Vereinfachung und Standardisierung der entsprechenden
Vereinbarungen herausgebildet hatte, sorgen in der jüngeren Vergangenheit zuweilen
strenge Know Your Customer-Regeln und Dokumentationsstandards für aufwendigere
Umstände.

3.4 Der unerfüllte Vertrag: Vollzugsrisiko und Vollzugsbedingungen


Vor allem mit dem Ausbruch der Kreditkrise 2007 ist auch im Schweizer M & A-Markt
die Sensibilisierung der Verkäufer für die Aspekte der Vollzugssicherheit (und damit
die Finanzierungssicherheit) gewachsen. Zwar gab es hierzulande nicht so viele hoch-
karätige abgebrochene Transaktionen wie in den USA,49 aber die Beispiele aus den USA
und anderswo haben ihre Spuren auch in der Schweiz hinterlassen.
Für die meisten Verkäufer ist Vollzugssicherheit enorm wichtig, weil sich ein geschei-
terter Verkauf eines Unternehmens oft nicht so einfach neu mit einem anderen Käufer
realisieren lässt. Zu befürchten ist ferner, dass ein anderer Käufer nur noch einen ge-
ringeren Preis zu bezahlen bereit ist und zudem entstehen Verzögerung, Umtriebe und
negative Publicity, worunter der Wert des Target (auch) leiden kann.
Als Folge der Kreditkrise und damit einhergehend des erhöhten Vollzugsrisikos,
haben die Marktteilnehmer auch bei der Vertrags- und Transaktionsgestaltung mit ent-
sprechenden Vereinbarungen reagiert.

49 Prominentes Beispiel immerhin war der gescheiterte Kauf des Immobilienportefeuilles der Jelmoli
Holding durch das Delek-Blenheim Konsortium aus dem Jahr 2007.
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III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht  |  591


Teil

3.4.1 Financing-outs und Break Fees – Verteilung des Finanzierungsrisikos

Reine »Financing-Outs«, also ein Finanzierungsvorbehalt, wonach sich der Käufer zwar
um die Finanzierung des Kaufpreises bemühen muss, er aber von der Vollzugspflicht
ohne weitere rechtliche Konsequenzen befreit ist, wenn es ihm nicht gelingt, eine nötige
Fremd­fi nanzierung trotz seiner Bemühungen erhältlich zu machen, sieht man nach der
Erfahrung der Autoren in Unternehmenskaufverträgen in der Schweiz selten. Bei fremd-
finanzierten Akquisitionen von Private Equity-Häusern resultiert allerdings unter Um-
ständen ein Ergebnis, welches faktisch zu einem ähnlichen Ergebnis führt, weil es sich
beim Käufer in der Regel um eine (meist neu gegründete) Akquisitionsgesellschaft mit
minimalem Kapital handelt, welche bis zur Finanzierung unmittelbar vor dem Vollzug
weitgehend mittellos ist. Dass ein Private Equity Fund selbst Käufer oder mithaftende
Partei wird, sieht man auch in der Schweiz nicht. Die klassischen Verkäuferansprüche
im Käuferverzug (Realerfüllung einerseits oder anderer­seits Verzicht auf Erfüllung und
wahlweise Schadenersatz auf das Erfüllungsinteresse oder Rücktritt und Schadenersatz
auf das negative Interesse)50 sind dann ohne großen Wert.
In dieser Konstellation werden auch in der Schweiz zuweilen Break Fees bzw. »Re-
verse Break Fees« vereinbart.51 Sinnvoll sind diese in einer Private Equity-Akquisitions-
struktur jedoch nur, wenn sie besichert werden, wofür eine summenmäßig beschränkte
Garantie des PE-Fund dienen kann. Eine »gängige« Praxis hierzu hat sich in der Schweiz
bisher nicht herausgebildet, doch kommen solche Vereinbarungen vor und lassen sich
weitgehend problemlos unter dem OR strukturieren.52 Verkäufer versuchen bei fremd-
finanzierten Transaktionen naturgemäß den Schutz zu maximieren, indem sie starke
Finanzierungszusagen seitens der finanzierenden Banken (Commitment Letters), ver-
bindliche Term Sheets oder sogar abgeschlossene Finanzierungsverträge und allenfalls
Reverse Break Fees verlangen.

3.4.2 MAC-Bedingungen

Material Adverse Change (MAC)-Klauseln haben sich in der schweizerischen M & A-Pra-


xis ebenfalls eingebürgert, wobei die Erscheinungsformen vielfältig sind und sich im
Unterschied zur amerikanischen Praxis nicht sagen lässt, dass MAC-Klauseln zum festen
Standard gehören würden.53 Die Gestaltung variiert vor allem mit dem von den Parteien

50 Art. 107–109 OR; vgl. dazu etwa Tschäni/Diem/Wolf 2013, S. 179 ff. und eingehend Schenker 2004,
S. 109 ff.; zum Realerfüllungsanspruch auch Schärer/Gross 2014, S. 115 ff.
51 Die Zahlung wird als »reverse« verstanden, weil die nach amerikanischer Praxis »traditionelle«
Break Fee vom Target oder vom Verkäufer zu leisten ist, wenn diese von der Transaktion zurücktre-
ten (typischerweise um ein höheres Angebot anzunehmen, aber auch etwa wenn ein zustimmender
Aktionärsbeschluss nicht erhalten wurde oder aus anderen, näher beim Target oder dem Verkäufer
liegenden Gründen).
52 Je nach Ausgestaltung qualifiziert die Reverse Break Fee als Konventionalstrafe, Reugeld, Wandel-
pön oder Schadenspauschale (vgl. Triebold 2009, S. 234 ff.) oder steht diesen zumindest nahe. Sie
lässt sich auch ver­traglich näher regeln, so z. B. dass der Verkäufer wahlweise auf Realerfüllung
beharren oder aber zurücktreten und die Break Fee verlangen kann, wobei für diesen Fall weiterer
Schadenersatz ausgeschlossen werden kann.
53 Nach der von Blum 2015, S. 251 ff., zusammengefassten Studie kommen MAC-Klauseln als schlichte
Vollzugsbedingungen im deutschsprachigen Europa überhaupt deutlich seltener vor als in den USA.
Für eine Darstellung der verschiedenen Erscheinungsformen vgl. außerdem Schleiffer 2004, S. 53 ff.
und Schärer/Gross 2014, S. 127 f.
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592  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

eingeschätzten Veränderungsrisiko zwischen Signing und Closing, der geschätzten Dau-


er bis zum Vollzug (welche wiederum stark von allfälligen regulatorischen und wett-
bewerbsrechtlichen Freigabeverfahren abhängt) und der Verhandlungssituation. Neben
der reinen MAC-Vollzugsbedingung, welche dem Käufer bei Eintreten eines MAC ein
Recht, den Vollzug zu verweigern bzw. ein Rücktrittsrecht gewährt, sieht man auch sol-
che Klauseln, in welchen ein MAC als Qualifikationsmerkmal für eine sog. Bringdown
Condition vereinbart wird, also der Bedingung, wonach die Gewährleistungen des Ver­
käufers bei Vollzug (immer noch) richtig sein müssen. Wird vereinbart, dass der Käu-
fer nur vollziehen muss, wenn die Gewährleistungen am Vollzugstag (zumindest im
Wesentlichen) zutreffend sind, dann wird nicht selten auf eine besondere MAC-Klausel
verzichtet. Eine gefestigte Usance der Formulierung hat sich nicht entwickelt und man
sieht ebenso unbe­stimmte Klauseln wie spezifische Formulierungen in Abhängigkeit
von Schwellenwerten an Ertrags- oder Bilanzkennzahlen des Zielunternehmens, welche
etwas mehr Sicherheit in der Beurteilung geben.54 Eine eigentliche veröffentlichte Ge-
richtspraxis zur Bestimmung, wie »schlimm« eine Verschlechterung der (Vermögens-)
Verhältnisse wirklich sein muss, um die MAC-Bedingung auszulösen, besteht nicht.

4 Würdigung und Ausblick


Versucht man eine Würdigung der Entwicklung des Rechts des Unternehmenskaufs
in der Schweiz, so fällt das Urteil differenziert und ausgewogen aus. Den Test, als
Recht für M & A-Transaktionen zu taugen, darf man wohl als bestanden betrachten.
Einfachheit, Kürze, Anschaulichkeit und Pragmatismus in der Rechtsgestaltung und
Vertragsredaktion schlagen positiv zu Buche und machen nach Ansicht der Autoren
ein manchmal als Defizit empfundenes Manko der Durchdringung und der Dichte der
Vertragsregelung wett. Internationale Entwicklungen in der M & A-Vertragsgestaltung
und Transaktionsstrukturierung lassen sich mit den Instrumenten des schweizerischen
Rechts ohne Probleme regeln. Über die Jahre hinweg lässt sich als »schweizerischer«
Aspekt auch beobachten, dass internationale (vor allem amerikanische und englische)
Entwicklungen im M & A-Markt in der Schweiz durchaus ankommen, wenn auch zu-
weilen mit etwas Verzögerung. In der Regel wirken sich solche internationalen Trends
in der Schweiz weniger intensiv aus; die »Ausschläge« der Kurven sind im Schweizer
M & A-Markt eher gemäßigter und Trends weniger ausgeprägt als man dies etwa aus
England oder den USA kennt. Dabei sollte man aber daran denken, dass viele out-
bound-Transaktionen, d. h. Akquisitionen von Schweizer Unternehmen im Ausland, der
Sache nach kaum von den Schweizer Usancen im M & A-Geschäft oder überhaupt dem
Schweizerischen Recht beeinflusst sind, sondern internationalen Standards bzw. den
Standards der Target-Jurisdiktion folgen.
Ein Ausblick fällt zwar nicht leicht, doch sehen die Autoren kurzfristig eigentlich
wenig Anlass für intensive Veränderungen. Auch in der Schweiz folgt die Vertragspra-
xis des Unternehmenskaufrechts der Entwicklung des M & A-Marktes. Der Schweizer

54 Im Recht der öffentlichen Übernahmen sind MAC-Klauseln nach der strengen Praxis der Übernah-
mekommission ausschließlich unter Bezugnahme auf Ertrags- oder Bilanzkennzahlen zulässig und
zum Teil orientieren sich Parteien eines Unternehmenskaufs an jenen Größen.
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III. Entwicklungen des Unternehmenskaufrechts im schweizerischen Recht  |  593


Teil

M & A-Markt ist dabei insofern international, als die Mehrheit der Transaktionen eine
ausländische Beteiligung aufweist. Für M & A-Praktiker ist eine reine Binnentransaktion
eher selten. Vor diesem Hintergrund, und gestützt auf die Erfahrung der letzten Jahre,
darf man am ehesten erwarten, dass die Entwicklung den internationalen Trends mit
leichter Verspätung und in etwas abgeschwächter Weise folgen wird.

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594  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Vischer, M. (2003): Qualifikation des Geschäftsübertragungsvertrages und anwendbare Sachgewährleis-


tungsbestimmungen – Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts BGE 129 III 18 (4C.197/2002
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  |  595
Teil

IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice


unter Berücksichtigung der FBI-Methoden
Hermann Rock*

1 Einleitung
2 Die drei Kern-Elemente
2.1 Bonding
2.2 Mission
2.3 Influence
2.4 Zusammenfassung
3 Vorbereitung der Verhandlung
3.1 Die 5 Aufgaben des Projekt-Managers
3.2 Mind-Set des Verhandlungsführers – 10 goldene Regeln
4 Einstieg in die Verhandlungsrunde
4.1 Small Talk
4.2 Agenda
4.3 Smart Start
5 Das Chaos: Die Kernphase der Verhandlungsrunde
5.1 Analyse Open Points
5.2 Break 4 Change
5.3 Concessions Package Procedure
6 Beendigung der Verhandlungsrunde
7 Zusammenfassung

∗ Dr. Hermann Rock, Rechtsanwalt, General Counsel, AFINUM Management GmbH, München.
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596  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

1 Einleitung
»The most important words in any negotiation: Talk to me.«1
Dominick J. Misino, (Former Primary Negotiator for the NYPD)

In dem vorliegenden Beitrag wird die Best Practice betreffend das Führen von komple-
xen Verhandlungen skizziert. M & A-Transaktionen sind ein geradezu klassischer Fall
solcher komplexer Verhandlungen. Die Best Practice, die für komplexe Verhandlungen
gilt, gilt somit uneingeschränkt für M & A-Transaktionen und umgekehrt.
Es ist kein Zufall, dass der vorliegende Beitrag mit dem Zitat von Dominick J. Misino,
einem ehemaligen Verhandlungsführer des New York City Police Departments (NYPD)
beginnt. Es war nämlich das NYPD, das 1972 damit begonnen hat, eine Best Practice
in Bezug auf die Verhandlungsführung zu entwickeln.2 1974 hat dann das FBI auf na-
tionaler Ebene – aufbauend auf den Erkenntnissen des NYPD – damit begonnen, Trai-
ningsprogramme betreffend die »Professionelle Verhandlungsführung« bzw. eine Best
Practice (»FBI-Methoden«) in Bezug auf Krisen-Situationen (wie z. B. Geiselnahmen) zu
installieren.3 Inzwischen werden ca. 70% aller polizeilichen Verhandlungsführer in den
USA unter Beachtung der FBI-Methoden trainiert.4
Ein Teil der so trainierten Verhandlungsführer – wie z. B. der eingangs zitierte Do-
minick J. Misino – nutzen ihre enorme Erfahrung und die Tatsache der universellen
Anwendbarkeit der FBI-Methoden dazu, nach dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst
Unternehmen in Bezug auf die Verhandlungsführung zu beraten. Diesen Weg hat auch
Matthias Schranner5, einer der führenden Experten für Verhandlungstaktik und ehema-
liger Verhandlungsführer der bayerischen Polizei, gewählt. Die Lektüre seiner Bücher6
– ein Muss für jeden, der professionell verhandeln will – war für mich der Einstieg in
die Welt der Best Practice der Verhandlungsführung.
Der vorliegende Beitrag beruht (i) auf meinen eigenen langjährigen Erfahrungen mit
der Anwendung verschiedenster Verhandlungsstrategien bzw. -taktiken und (ii) der hart
erarbeiteten Erkenntnis, dass mit der »entsprechenden« Anwendung der FBI-Methoden
beim Verhandeln von Unternehmenskaufverträgen (Share Purchase Agreement, kurz
»SPA«) die größten Erfolge erzielt werden können7.
Sämtliche Handlungen, die dazu dienen, die andere Seite von den eigenen Positi-
onen bzw. Forderungen zu überzeugen, sind Bestandteile einer »Professionellen Ver-
handlungsführung« und damit der »Best Practice«. Derjenige, der diese Best Practice
anwendet, wird nachfolgend als »Professioneller Verhandlungsführer« bezeichnet. Un-
abdingbare Bestandteile der Best Practice sind – in der zeitlich richtigen Reihenfol-
ge – insbesondere die optimale Vorbereitung (vgl. Kap. 3), der »richtige« Einstieg in
die Verhandlungsrunden (vgl. Kap. 4), die »richtigen« taktischen Maßnahmen in der
Kernphase der Verhandlungen (vgl. Kap. 5) und die professionelle Beendigung der Ver-
handlungsrunden (vgl. Kap. 6). Der vorliegende Beitrag orientiert sich konsequent an

1 Misino 2004, S. 85.


2 Noesner 2010, S. 32.
3 Noesner 2010, S. 33.
4 McMains/Mullins 2014, S. 5.
5 Vgl. die Website des »Schranner Negotiation Institute« (www.schranner.com).
6 Vgl. z. B. Schranner 2010; Schranner 2011.
7 Die Erkenntnis beruht auf über 100 verhandelten (und vollzogenen) M & A-Transaktionen seit 1998
(ca. 80 davon als »Primary Negotiator« und die restlichen als »Secondary Negotiator« oder als »Bad
Guy«) und zahlreichen Verhandlungen, die vor dem Signing abgebrochen wurden.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden  |  597
Teil

der Zeitachse von Verhandlungen. Zudem ist er so strukturiert, dass er als Checkliste
verwendet werden kann.
In Kapitel 5 werden für den Verhandlungsführer zwei Konzepte skizziert, mit de-
nen er die Kernphase der Verhandlungen (also die »Chaos-Phase«) souverän gestalten
kann: Zum einen das »ABC-Konzept« betreffend die prozess-taktische Gestaltung und
zum anderen das »BMI-Konzept« betreffend die verhaltens-taktische Gestaltung der
Verhandlung.

2 Die drei Kern-Elemente


Eine eingehende Analyse der Best Practice führt zu dem Ergebnis, dass alle verhal-
tens-taktischen Empfehlungen sich auf drei Kern-Elemente reduzieren lassen, die man
zunächst trennen bzw. isoliert betrachten sollte:
• die Beziehungsebene zwischen den unmittelbar Verhandelnden (»Bonding«); 8
• die verschiedenen Missionen, die am Verhandlungstisch vertreten werden (»Mis­
sion«); 9 und
• die Frage, wie man die andere Seite von der eigenen Mission bestmöglich überzeugt
bzw. einerseits Einfluss ausübt und andererseits zugleich den Einfluss der anderen
Seite erkennen bzw. abwehren kann (»Influence«).10

Diese drei Kern-Elemente sind zum einen Bestandteil der Vorbereitung. Zum anderen
prägen sie – auch in zeitlicher Hinsicht – das Vorgehen des Professionellen Verhand-
lungsführers während der »Chaos-Phase« (vgl. Kapitel 5).

2.1 Bonding
Stark verkürzt geht es beim Bonding darum, sich stets vor Augen zu halten, dass es in
Bezug auf das Verhalten gegenüber der anderen Seite nur zwei Alternativen gibt: »Ge-
sichtswahrung« oder »Gesichtsverlust«. Entweder der Verhandlungsführer verhandelt
bzw. verhält sich bei einer Verhandlung so, dass die andere Seite ihr Gesicht wahren
kann, oder er legt ein Verhalten an den Tag, das dazu führt, dass die andere Seite ihr
Gesicht verliert.
Im ersten Fall besteht zumindest die realistische Möglichkeit, erfolgreich zu ver-
handeln, also die andere Seite zu beeinflussen und möglichst viele Positionen bzw.
Interessen (als Teil der Mission) durchzusetzen. 11
Im letztgenannten Fall wird jede Beeinflussung mit großer Wahrscheinlichkeit schei-
tern.12

8 Vgl. Kohlrieser 2006, S. 37 ff., 128, 152 ff.; Shell 2006, S. 58 ff.


9 Vgl. Shell 2006, S. 26 ff.
10 Vgl. McMains/Mullins 2014, S. 261 ff.
11 Vgl. Schranner 2010, S. 190; vgl. auch Nasher 2013, S. 202.
12 Vgl. McMains/Mullins 2014, S. 138.
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598  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Das FBI formuliert sehr pointiert, dass man sich das »Recht zum Verhandeln« zu-
nächst durch das Bonding »verdienen« muss.13 Die Best-Practice-Regel Nr. 1 für den
Professionellen Verhandlungsführer im Rahmen der Verhandlung lautet deshalb un-
missverständlich: »First … form a bond«14.
Das diesbezüglich von der Crisis Negotiation Unit (CNU) des FBI entwickelte15 – uni-
versell in jeder Verhandlung anwendbare – Behavioral Change Stairway Model (kurz:
»BCSM«) wird in Kapitel 5.1 erläutert. Ein wesentliches Tool des BCSM ist dabei das
»Active Listening« (Aktives Zuhören). Die wichtigsten Worte des Professionellen Ver-
handlungsführers lauten dabei: »Talk to me«.
Das BCSM ist ein hocheffizientes Tool, das in Bezug auf jede Art von Verhandlung
einsetzbar ist. Wer dieses hochgradig effiziente Stufen-Modell perfekt beherrscht, ist
allen anderen am Verhandlungstisch – sehr weit – überlegen.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Das Bonding (Aufbau der Beziehung) ist das
unverzichtbare Fundament16 jeder Verhandlung, es stellt immer den ersten Schritt bzw.
den professionellen Einstieg in jede – auch jede »gewöhnliche« – Verhandlung dar. Die
konkreten Schritte des Bonding sind im BCSM bzw. in Kapitel 5.1 definiert.

2.2 Mission
Die Mission umfasst sämtliche Sach-Themen des Projekts, also hier die Themen des
M & A-Vertrags. Die eigene Mission wird im Rahmen der Vorbereitung vom Projekt-Ma-
nager entwickelt und in Gestalt von konkret formulierten Positionen/Forderungen doku-
mentiert. Als Checkliste für Positionen/Forderungen wird typischerweise ein umfassen-
des Muster eines SPA herangezogen, je nach Ausgangssituation ein »Verkäufer-Muster«
oder ein »Käufer-Muster«.
In den später stattfindenden Verhandlungen ist es die Aufgabe des Verhandlungsfüh-
rers, die Mission der anderen Seite zu ermitteln und die vom Projekt-Manager vorgege-
bene eigene Mission zu vertreten. Sein wichtigstes Tool ist dabei das »Active Listening«
(Aktives Zuhören), eine Stufe des in Kapitel 2.1 erwähnten Behavioral Change Stairway
Model des FBI. Auch insoweit sind die wichtigsten Worte des Professionellen Verhand-
lungsführers somit : »Talk to me«.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Das wichtigste Tool des Professionellen Verhand-
lungsführers in Bezug auf die Ermittlung der Mission der anderen Seite ist das Active
Listening. Das Active Listening hat also zwei Funktionen: es bewirkt einerseits das
Bonding und dient anderseits der Ermittlung der Mission der anderen Seite.

13 »[…] the negotiator has »earned the right« to recommend a course of action[…]« (Vecchi/van Has-
selt/Romano 2005, S. 533, 545).
14 Kohlrieser 2006, S. 152.
15 Vgl. Vecchi/van Hasselt/Romano 2005, S. 533, 541.
16 »The first basic step is to form a bond with the other person or persons. […] Bonding […] creates the
process for mutual influence.« (Kohlrieser 2006, S. 152).
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden  |  599
Teil

2.3 Influence
Immer dann, wenn die andere Seite den eigenen Positionen/Forderungen (Bestandteile
der Mission) nicht zustimmt, ist es die Aufgabe des Verhandlungsführers, »Überzeu-
gungsarbeit« zu leisten. Dazu nutzt der Professionelle Verhandlungsführer sein umfas-
sendes Wissen in Bezug auf die Mittel der Beeinflussung (»Influence«).
Unter dem Begriff »Influence« werden diejenigen Instrumente/Werkzeuge bzw. »Waf-
fen« (Cialdini spricht von den »Weapons of Influence«17) verstanden, die dazu führen,
dass Personen (z. B. der Verhandlungsführer) auf die Einstellungen, Überzeugungen,
Wahrnehmungen oder das Verhalten anderer Personen (z. B. die andere Seite) Einfluss
nehmen.18
In der Wissenschaft werden diesbezüglich verschiedene sog. »Zwei-Prozess-Model-
le«19 diskutiert, die alle gemeinsam davon ausgehen, dass Einstellungen, Überzeugun-
gen, Wahrnehmungen und/oder das Verhalten jedes Menschen von zwei verschiedenen
miteinander interagierenden mentalen Systemen bestimmt werden.20 Diese beiden Sys-
teme des menschlichen Gehirns werden sehr eindrucksvoll vom Nobelpreisträger Daniel
Kahnemann 21 beschrieben: Es geht einerseits um das »Intuitive System I«, das immer
aktiv ist, zunächst alles Wahrgenommene glaubt und sodann mit einer unglaublichen
Reaktionszeit von ca. 11 Mio. Bit/sec. reagiert. Das Motto des Intuitiven Systems I lau-
tet: »Action«.22 Kahnemann bezeichnet das Intuitive System I deshalb auch als »mental
shotgun«23.
Es geht andererseits um das »Analytische System II«, das immer zuerst aktiviert
werden muss, in der Lage ist, an Wahrnehmungen zu zweifeln und dann mit einer au-
ßerordentlich langsamen Reaktionszeit von ca. 40 Bit/sec. (das sind ca. 6 Buchstaben)
reagiert. Das Motto des Analytischen Systems II lautet: »Think«.24 Dementsprechend
führt das Analytische System II kontrollierte Operationen durch.
Aufgrund der Tatsache, dass das Intuitive System I immer aktiv ist, also nicht deak-
tiviert werden kann, wirkt jede Art von Beeinflussung zunächst immer auf das Intuitive
System I.
Professionelle Verhandlungsführer kennen die typische Wirkweise jeder einzelnen
»Waffe der Beeinflussung« im Intuitiven System I. Sie können diese Waffen deshalb
bewusst einsetzen. Sie können deren Wirkung (seitens der Gegenpartei) auch bewusst
abwehren, indem sie immer wieder Time Outs herbeiführen und bei sich selbst das
Analytische System II aktivieren.
Die Anwendung dieser »Waffen« sind auch fester Bestandteil der FBI-Methoden 25.
Die Erläuterung der einzelnen »Waffen« würde den Umfang dieses Beitrags sprengen.
Daher sollen die klassischen Waffen hier nur kurz unter Nennung der maßgeblichen Li-
teratur erwähnt werden: (i) Cialdini 26: Sympathie, Autorität, Soziale Bewährtheit, Kon-

17 Cialdini 2007, Chapter One: Weapons of Influence, S. 1 ff.


18 Vgl. Werth/Mayer 2008, Glossar, »Einfluss, sozialer«, S. 548.
19 Felser 2007, Ziff. 1.3.1
20 Vgl. Werth/Mayer 2008, S. 40 ff.
21 Kahnemann 2011.
22 Häusel 2012, S. 105.
23 Kahnemann 2011, S. 95.
24 Häusel 2012, S. 105
25 »Know the techniques of influence and compliance as researched by Cialdini.« (McMains/Mullins
2014, S. 234).
26 Cialdini 2007.
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600  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

sistenz, Knappheit und Reziprozität; (ii) Kahnemann 27: Kontrastprinzip, Abnehmende


Wertsensitivität, Loss Aversion (einschließlich Relevanz der Reference Point Position),
Priming, Anchoring, Framing und Fairness; (iii) Shell/Moussa 28: Personal Story, Story,
Analogien, Metaphern.
Als Checkliste für die vorstehend genannten Waffen sowie weitere Techniken wird
verwiesen auf die zusammenfassende Darstellung in McMains/Mullins 2014, S. 261 ff.
(Influence and Compliance).
Zusammenfassend ist festzuhalten: Wenn und soweit der Verhandlungsführer in
Bezug auf seine Positionen/Forderungen (Bestandteile der Mission) Widerstand bei der
anderen Seite auslöst, muss er die Techniken der Influence einsetzen und insbesondere
auf das Intuitive System I der anderen Seite einwirken. Zugleich muss er selbst die Be-
einflussungen der anderen Seite abwehren, indem er durch zahlreiche Time Outs sein
Analytisches System II aktiviert.

2.4 Zusammenfassung
Die drei verhaltens-taktischen Kern-Elemente des Verhandelns sind Bonding, Mission
und Influence. Diese drei Kern-Elemente geben dem Professionellen Verhandlungsführer
auch die einzig richtige Reihenfolge seiner Aktivitäten vor:
Schritt Nr. 1 ist ausnahmslos das Bonding, also der Aufbau der Beziehung und de-
ren dauerhafte Aufrechterhaltung während der gesamten Verhandlung (»First … form
a bond«29).
Schritt Nr. 2 ist – nach dem Aufbau der Beziehung – das Vorbringen sämtlicher Po-
sitionen/Forderungen, die Bestandteil der eigenen Mission sind, je nach Einstieg (vgl.
»Smart Start« gemäß Kap. 4.3) sofort oder erst nach den Äußerungen der anderen Seite.
Erfahrungsgemäß wird ein Teil der Positionen/Forderungen ohne weiteres von der an-
deren Seite akzeptiert (Compliance). Insoweit kommt es also überhaupt nicht zu einer
Verhandlung im engeren Sinne. Ein anderer Teil der Mission bzw. der Positionen/For-
derungen löst demgegenüber Widerstand bei der anderen Seite aus.
Schritt Nr. 3 bezieht sich nun genau auf diejenigen Positionen/Forderungen, die
Widerstand auslösen. In Bezug auf diesen Widerstand wird der Professionelle Verhand-
lungsführer die »Weapons of Influence« einsetzen und versuchen, den Widerstand zu
überwinden.30 Zugleich muss er selbst die Beeinflussungen der anderen Seite abwehren,
indem er durch zahlreiche Time Outs sein Analytisches System II aktiviert.
Dieses dreistufige Verhaltensmuster, das auf dem BCSM beruht und jede professio-
nelle Verhandlungsführung prägt, wird hier kurz als »BMI-Konzept« bezeichnet; es ist
markenrechtlich geschützt31.

27 Kahnemann 2011.
28 Shell/Moussa 2008, S. 185 ff.
29 Kohlrieser 2006, S. 152.
30 Vgl. McMains/Mullins 2014, S. 261 ff.
31 »BMI« ist unter der Nr. 30 2015 012 119 als deutsche Marke eingetragen, Markeninhaber ist der Au-
tor.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden  |  601
Teil

3 Vorbereitung der Verhandlung


In diesem Kapitel 3 wird unterstellt, dass man sich optimal vorbereiten kann. Dies ist
nicht immer der Fall. Im »Notfall«, wenn man also die eigene Mission nicht vorbereiten
kann, gelten nur die Kapitel 3.1.1 und 3.1.2; die Kapitel 3.1.3 bis einschließlich 3.1.5
entfallen vorerst.

3.1 Die 5 Aufgaben des Projekt-Managers


3.1.1 Aufstellen des Teams

Die professionelle Vorbereitung jeder Verhandlung beginnt stets mit der Zusammen-
stellung eines Teams und der Aufteilung der Rollen entsprechend der FBI-Methoden.
In Bezug auf die Vorbereitung lautet die Best-Practice-Regel Nr. 1: »»A Team First«32.
Im Rahmen der Aufstellung des Teams bestimmt der Projekt-Manager zunächst den
Verhandlungsführer. Dieser hat dann die in nachfolgendem Kapitel 3.2 genannten Auf-
gaben.
Daneben bestimmt der Projekt-Manager Experten, die z. B. im Rahmen eines Unter-
nehmenskaufs die verschiedenen Teilbereiche der Due Diligence durchführen. Einige
wenige dieser Experten werden zudem Mitglied des Verhandlungsteams (z. B. Rechts-
anwälte).
Der Projekt-Manager kann zudem einen »Bad Guy«33 bestimmen, der an allen oder
nur an ausgewählten Verhandlungen teilnimmt. Der Bad Guy ist diejenige Person, die
Dinge machen darf, die dem Verhandlungsführer, also dem Good Guy (der für das Bon-
ding zuständig ist), verboten sind.
Der Bad Guy darf in der Verhandlung »unangenehm« auftreten, er darf »Klartext«
sprechen und »harte« Forderungen formulieren.
Kurzum: Der Bad Guy darf sich so verhalten, dass die andere Seite unmissverständ-
lich versteht, worauf es dem Projekt-Manager ankommt, ohne dass dadurch das Bon-
ding des Verhandlungsführers beeinträchtigt wird.
Schließlich kann der Projekt-Manager in Bezug auf besonders wichtige bzw. an-
spruchsvolle Verhandlungen einen weiteren Verhandler (in der Sprache des FBI »Se-
condary Negotiator«34) bestimmen, der sich ausschließlich auf das Active Listening
(Aktives Zuhören) konzentriert.
In Bezug auf den Rechtsanwalt ist sehr wichtig, dass der Projekt-Manager diesem
eine klare Rolle zuweist und die Einhaltung der Vorgaben kontrolliert: (i) Wenn der
Rechtsanwalt Verhandlungsführer und damit Good Guy ist, muss er das Bonding beherr-
schen und praktizieren; (ii) wenn er Bad Guy ist, darf er so auftreten, wie insbesondere
forensisch tätige Rechtsanwälte gerne auftreten: »hart und unangenehm«; (iii) wenn er
»nur« Experte ist, soll er nicht nur darüber dozieren, wie es nicht geht, er hat vielmehr
konstruktive Vorschläge zu unterbreiten und sich an der Mission des Projekt-Managers
zu orientieren. Rechtsanwälte, die zum Verhandlungsführer (also Good Guy) bestimmt

32 Misino 2004, S. 14.


33 Vgl. Shell 2006, S. 172 f.
34 Vgl. McMains/Mullins 2014, S. 67.
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602  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

werden und sich dann wie ein Bad Guy verhalten, agieren unprofessionell und gefähr-
den den Verhandlungserfolg. Nicht ohne Grund warnt der Verhandlungsexperte Roger
Dawson: »I’m not a big believer in having attorneys conduct a negotiation for you because
so few of them are good negotiators. […] Remember that in law school, they are not taught
how to make deals, only how to break deals«.35

3.1.2 Verhandeln verboten

Nachdem der Projekt-Manager das Verhandeln exklusiv auf den Verhandlungsführer de-
legiert hat, ist dieser während der gesamten Verhandlung der »Single Point of Contact«.36
Damit ist es die zweite Aufgabe des Projekt-Managers, selbst keinerlei Verhandlun-
gen zu führen.
Schon in den »FBI Guidelines« der 1990er Jahre wird unmissverständlich formuliert:
»The boss does not negotiate«.37 Oberste Maxime ist, dass derjenige, der entscheidet (in
der FBI Terminologie der »Decision Maker« oder »Commander«38), nicht selbst verhan-
delt.39 Umgekehrt darf der Verhandlungsführer (in der FBI Terminologie der »Primary
Negotiator«) nicht zugleich derjenige sein, der die Entscheidungen fällt.40
Die strikte Trennung hat insbesondere folgende Vorteile: Der Decision Maker, in
diesem Beitrag als »Projekt-Manager« bezeichnet, wird nicht unmittelbar durch das
Verhalten der anderen Seite beeinflusst, d. h. er erlebt weder den negativen emotionalen
Verhandlungsstress noch erlebt er unmittelbar die positive (emotionale) Beeinflussung
durch die andere Seite. Er kann somit – aufgrund der Distanz – reflektierte Entschei-
dungen fällen. Umgekehrt gerät der Primary Negotiator (Verhandlungsführer) niemals
unter Entscheidungsdruck, er kann/muss immer wieder auf ein Time Out drängen und
sich darauf berufen, dass er den Projekt-Manager um Zustimmung bitten muss, die
dieser erst kritisch abwägen wird.
Sollte der Projekt-Manager doch an den Verhandlungen teilnehmen müssen, weil
dies von der anderen Seite gefordert wird und nicht abgelehnt werden kann, so wird
der Projekt-Manager zwar präsent sein und sich gelegentlich im Konjunktiv äußern, der
Projekt-Manager wird seinen Verhandlungsführer jedoch weiterhin die Verhandlungen
führen lassen. Der Projekt-Manager wird sich dabei so verhalten, dass der Verhand-
lungsführer weiterhin als solcher wahrgenommen wird und so ein »Friendly Fire«41
(der Verhandlungsführer wird faktisch entmachtet und verliert unwiderruflich seine
strategische Rolle) vermeiden. In Bezug auf wichtige Entscheidungen wird auch der ver-
meintlich entscheidungsberechtigte Projekt-Manager auf ein »Gremium« bzw. »Board«
verweisen, das als »Ultimate Decision Maker« erst seine Zustimmung erteilen muss.
Die Best Practice »The boss does not negotiate« ist so zentral, dass sie auch umge-
setzt werden muss, wenn der Verhandlungsführer »eigentlich« alleine entscheidet. In
dieser Situation gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder der Verhandlungsführer »sucht«

35 Vgl. Dawson 1999, S. 132; vgl. auch www.schranner.com, News vom 18.06.2015, »Negotiation skills
for lawyers and managers – mandatory but underdeveloped«.
36 Vgl. Schranner 2011, S. 166 ff.
37 McMains/Mullins 2014, S. 21.
38 Vgl. Misino 2004, S. 15.
39 »Commanders and ultimate decision makers will not be negotiators« (Greenstone 2009, S. 7).
40 »The negotiator is NOT the decision maker. The decision maker is NOT the negotiator« (Misino 2004,
S. 16).
41 Vgl. Schranner 2011, S. 72, 166 ff.; zugleich das Thema der N-Conference 2013.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden  |  603
Teil

jemanden, mit dem er seine endgültige Entscheidung abstimmt, z. B. einen Partner oder
Berater oder einen anderen Dritten, oder der Verhandlungsführer kreiert ein »One Man
Team«42, d. h. er erklärt gegenüber der anderen Seite, dass er derzeit keine endgültige
Entscheidung fällen will und zuerst nochmals eine Bedenkzeit benötigt; in dieser Be-
denkzeit »verwandelt« er sich zum Decision Maker und reflektiert – nach Aktivierung
des Analytischen Systems II – die Ergebnisse, die er zuvor – in der Rolle als Verhand-
lungsführer – erzielt hat.

3.1.3 Entwicklung der Mission

Die dritte Aufgabe des Projekt-Managers ist die Entwicklung der Mission »Commander
sets the goal«.43 Dementsprechend analysiert er zunächst alle möglichen Optionen/Al-
ternativen (»Plan A«, »Plan B« usw.): »Never enter a negotiation without options«44; der
Verkäufer z. B. initiiert zu diesem Zweck typischerweise ein Auktionsverfahren. Dann
bestimmt der Projekt-Manager für jede einzelne Option die möglichen Sach-Themen
anhand eines möglichst umfangreichen Musters eines SPA.
Sodann bestimmt der Projekt-Manager – für jedes Sach-Thema – die Interessen »sei-
nes« Unternehmens sowie seinen Leverage45 (was will die andere Seite unbedingt von
uns?). Dabei hat er jeweils die restlichen Optionen/Alternativen im Auge. Aus einer
Gesamtabwägung von (i) Interessen, (ii) restlichen Optionen/Alternativen und (iii) Le-
verage entwickelt der Projekt-Manager für jede Option seine vorläufigen Positionen bzw.
Forderungen.
Im Rahmen eines »Role Reversal«46 schätzt der Projekt-Manager sodann für jede
Option (i) Positionen/Forderungen, (ii) Leverage, (iii) Optionen/Alternativen und (iv)
Interessen der anderen Seite ein.
Danach wird er für jede einzelne Option die eigenen vorläufigen Positionen/Forde-
rungen evtl. adjustieren.
Schließlich wird der Projekt-Manager für jedes Thema (z. B. Kaufpreis, Garantieer-
klärungen, Haftungsregime) drei Arten von Positionen ableiten: (1) Die »Reference Point
Position«, also diejenige Position, die der Verhandlungsführer tatsächlich erreichen soll,
(2) die »Maximum Plausible Position«, also diejenige Position, die gerade noch vertret-
bar ist, ohne unglaubwürdig zu wirken und schließlich (3) die »Walk Away Position«,
also diejenige Position, deren Unterschreiten bzw. Überschreiten dazu führt, dass der
Verhandlungsführer – nach einem Time Out und Rücksprache mit dem Projekt-Manager
– den Verhandlungstisch verlassen und eine der restlichen Optionen (z. B. den »Plan
B«) verfolgen muss.47
Die Positionen/Forderungen werden dann zunächst intern schriftlich dokumen-
tiert. Sie werden zudem – je nach Verhandlungsstadium – zu gegebener Zeit vom Ver-
handlungsführer auch gegenüber der anderen Seite schriftlich dokumentiert (als bloße
E-Mail, in einem Letter of Intent, in einem Vertragsentwurf, in einem Mark up zum

42 Misino 2004, S. 17.


43 Misino 2004, S. 19.
44 Cohen 1982, S. 58.
45 Vgl. Shell 2006, S. 89 ff.
46 Vgl. Nasher 2013, S. 95 ff.
47 Vgl. Shell 2006, S. 26 ff.
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Vertragsentwurf usw.). Diese Dokumente enthalten auch stets die erforderlichen Defi-
nitionen, die naturgemäß Gegenstand intensiver Verhandlungen sind.

3.1.4 Der Auftrag

Nach der Entwicklung der Mission in Bezug auf alle Themen des Projekts gibt der Pro-
jekt-Manager dem Verhandlungsführer die Details der Mission vor. Dies ist die vierte
Aufgabe des Projekt-Managers. Wenn möglich, sollte der Projekt-Manager nur so wenige
Informationen wie möglich, insbesondere nur die (zunächst hart zu vertretenden) Maxi-
mum Plausible Positions, mitteilen. Die Walk Away Positions sollte der Projekt-Manager
streng geheim halten48: Zum einen könnten diese Informationen »zufällig« an die andere
Seite kommuniziert werden, und zum anderen neigen Menschen dazu, sich an der Walk
Away Position zu orientieren, statt die enorme Motivationskraft der Maximum Plausible
Position zu nutzen.49
Weiterhin wird der Projekt-Manager dem Verhandlungsführer typischerweise gerin-
ge Verhandlungsspielräume einräumen und klarstellen, dass er im Übrigen ohne seine
Zustimmung keine Zugeständnisse erklären darf. Der Verhandlungsführer kann also
– ohne das Bonding zu gefährden – Positionen der anderen Seite abwehren, indem er
auf die Entscheidungen des Projekt-Managers (also des Decision Makers) verweist. Der
Projekt-Manager wird so zum »Bad Guy«, der im Rahmen von Time Outs immer wieder
zu konsultieren ist.

3.1.5 Fortentwicklung der Mission/Finale Entscheidung

Die fünfte Aufgabe des Projekt-Managers besteht darin, sämtliche Informationen, die
er vom Verhandlungsführer im Verlauf des Projekts (während Time Outs) erhält, zu
bewerten und eventuell den Auftrag gemäß Kapitel 3.1.4 an die neuen Erkenntnisse im
Rahmen einer »Mission Control« anzupassen: »Finding out what the other side wants
is the negotiator’s job. Acting on it is the commander’s.«50 Schließlich wird der Pro-
jekt-Manager – einen positiven Verlauf der Verhandlungen unterstellt – dem Verhand-
lungsführer den Auftrag zur Unterzeichnung des endverhandelten Kaufvertrags sowie
eine entsprechende Vollmacht erteilen. Auch wenn die Vollmacht (im Außenverhältnis)
unbeschränkt ist, so bleibt es doch dabei, dass der Auftrag (im Innenverhältnis) limi-
tiert ist und Abweichungen von den zuletzt erzielten Ergebnissen dazu führen, dass der
Verhandlungsführer die Zustimmung durch den Projekt-Manager benötigt.

3.2 Mind-Set des Verhandlungsführers – 10 goldene Regeln


Der Schwerpunkt der Vorbereitung des Verhandlungsführers ist die mentale Vorberei-
tung, diese ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Best Practice: »Before you negotiate,

48 Vgl. Schranner 2011, S. 74 ff.


49 Vgl. Shell 2006, S. 26 ff.
50 Misino 2004, S. 126.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden  |  605
Teil

be mentally and physically in the right place«.51 Die mentale Vorbereitung bezieht sich
auf die Aspekte Bonding (Nr. 1 und Nr. 2), Mission (Nr. 3 und Nr. 4), Influence (Nr.
5 und Nr. 6), Zeit (Nr. 7), Macht (Nr. 8), die Eröffnung (Nr. 9) und die Kernphase der
Verhandlungen, das Chaos (Nr. 10).
Diese Aspekte können wie folgt skizziert werden:
Nr. 1 (Bonding): Die andere Seite ist immer »Verhandlungs-Partner«52, niemals Ver-
handlungs-Gegner. Dies ist eine fundamentale Grundeinstellung, mit der der Professi-
onelle Verhandlungsführer in jede Verhandlung geht. Sie gilt jederzeit und unabhängig
davon, wie unsympathisch die andere Seite erscheint. Dementsprechend hat der Ver-
handlungsführer (mühsam) gelernt, zwischen Personen und Missionen zu differenzie-
ren: Er »kämpft« nur für seine Mission, er »kämpft« niemals gegen Personen.53
Nr. 2 (Bonding): Der Professionelle Verhandlungsführer verfügt über jederzeitige
Impulskontrolle. Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, er lässt sich niemals provo-
zieren, er bleibt stets cool. Er geht – entsprechend einer berühmten von Prof. Ury kre­
ierten und vom FBI empfohlenen Metapher – in emotional herausfordernden Situationen
stets »auf den Balkon«: »Don’t react: Go to the Balcony«.54 Von dort schaut er sich das
Verhandlungsgeschehen von oben bzw. aus der Distanz an. In der Regel regt der Ver-
handlungsführer auch ein Time Out an, damit die Parteien getrennt voneinander »zur
Ruhe« kommen können.
Nr. 3 (Mission): Der Verhandlungsführer vertritt hochgradig motiviert die vom Pro-
jekt-Manager vorgegebene Mission und somit (i) in der ersten Phase der Verhandlung
(vgl. Kap. 5.1.) die Maximum Plausible Positions und (ii) in der dritten Phase der Ver-
handlung (vgl. Kap. 5.3) die vom Projekt-Manager vorgegebenen Positionen der jewei-
ligen Paket-Lösung (»Package Deal«).
Nr. 4 (Mission): Positionen/Forderungen des Verhandlungs-Partners werden – be-
wusst pointiert formuliert – nur als »Nebelkerzen« gesehen, die die eigene Orientierung
erschweren. Die Erfahrung zeigt: Nicht selten stellt sich in Bezug auf zahlreiche Forde-
rungen erst nach intensiver und professioneller Kommunikation (»Talk to me«) heraus,
dass man diese Forderungen einfach zunächst – vorschnell – selbst falsch verstanden
bzw. interpretiert hat. Der Professionelle Verhandlungsführer weiß, dass Menschen die
– angeblich objektiven – Fakten stets vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erwar-
tungen, also subjektiv bzw. höchstindividuell interpretieren, weshalb es keine zwei
Menschen geben kann, die ein- und dieselben Fakten identisch interpretieren.55 Es gilt
uneingeschränkt: »You and I do not see things as they are. We see things as we are.«56
Der Verhandlungsführer wird sich deshalb zunächst darum bemühen, die höchstin-
dividuelle Wirklichkeit der anderen Seite zu verstehen57 (vgl. Kap. 5.1). Zudem weiß
der Professionelle Verhandlungsführer ein »Nein« der Gegenseite richtig einzuordnen,
nämlich als bloße spontane Reaktion, nicht aber als »echte« Position: »No is a reaction,
not a position.«58

51 Misino 2004, S. 25 ff.


52 »Where there is an enemy, transform that person into an ally and partner« (Kohlrieser 2006, S. 117).
53 Vgl. Kohlrieser 2006, S. 117.
54 Ury 2007, S. 31 ff.
55 Vgl. Salewski 2008, S. 23.
56 Cohen 1982, S. 159.
57 Vgl. Salewski 2008, S. 43.
58 Cohen 1982, S. 105.
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606  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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Nr. 5 (Influence): Der Professionelle Verhandlungsführer überlegt sich in Bezug auf


jede vom Projekt-Manager vorgegebene Maximum Plausible Position, wie er den Ver-
handlungs-Partner von der jeweiligen Position überzeugen kann, wenn er auf Wider-
stand stößt. Dazu geht der Verhandlungsführer seine Checkliste der »Waffen der Be-
einflussung« durch und wägt ab, welche Waffe er voraussichtlich wie einsetzen wird.59
Ebenso geht der Verhandlungsführer später in Bezug auf die einzelnen Elemente der
Paket-Lösung vor.
Nr. 6 (Influence): Der Professionelle Verhandlungsführer weiß, dass die Waffen der
Beeinflussung, die der Verhandlungs-Partner einsetzt, ohne jede Ausnahme zunächst
einmal zwingend gegen ihn selbst wirken, weil das eigene Intuitive System I die Beein-
flussungen durch den Verhandlungs-Partner automatisch verarbeitet. Das Intuitive Sys-
tem I kann nicht deaktiviert werden. Zum Zwecke der Abwehr gibt es nur ein einziges
wirksames Mittel: Das eigene Analytische System II aktivieren. Dieses System arbeitet
jedoch sehr langsam, weshalb der Professionelle Verhandlungsführer immer wieder um
Time Outs bittet: »Real time-outs are also part of the negotiator’s tool kit.«60
Nr. 7 (Zeit): Der Faktor Zeit ist sehr wichtig. Verhandlungen, insbesondere komplexe
Verhandlungen, sind zeitintensiv. Professionelle Verhandlungsführer wissen, dass es
keine schnellen Einigungen gibt. Es gilt derselbe Grundsatz wie bei Verhandlungen in
Krisensituationen: »In this business, there is no quick fix.«61
Auch und gerade im M & A-Bereich gehört es zum Wesen von Vertragsverhandlun-
gen, dass sie sehr lange hinziehen und »ständige Überraschungen« bis zum Ende des
Signings (und auch bis zum Closing) typisch sind: »Don’t think of it as a firm deal until
… the ink is dry on the contract.«62
Gerade aufgrund der Komplexität sind zahlreiche Time Outs63 (zum einen während
der Verhandlungsrunde und zum anderen zwischen den Verhandlungsrunden) not-
wendig, um immer wieder im eigenen Team die sich ständig ändernde Situation – im
Rahmen diverser Brainstormings – zu analysieren und das weitere Vorgehen »in Ru-
he« mit dem Projekt-Manager abzustimmen.64 Time Outs sind niemals verlorene Zeit,
im Gegenteil: »Downtime is work time.«65 Zudem schützen zahlreiche Time Outs vor
unüberlegten – vom Intuitiven System 1 geprägten – Entscheidungen. Insgesamt gilt:
»Never make an important decision on the spot. Go to the balcony and make it there.«66
Das Setzen von Fristen soll Druck erzeugen und den Abschluss des Vertrags be-
schleunigen. Vom Verhandlungs-Partner gesetzte Fristen werden vom Professionellen
Verhandlungsführer als »gemeinsamer Feind« betrachtet, den man nun gemeinsam be-
kämpfen muss.67 Im Ergebnis gibt man vor, sich darum zu bemühen, die Frist einzuhal-
ten, in Wirklichkeit lässt man sie grundsätzlich verstreichen, um zu zeigen, dass man
sich nicht auf das »Spiel der Gegenseite« einlässt: »Ignore deadlines, but be prepared
to explain.«68

59 Besonders empfehlenswert sind die von Ury in »Getting Past No« formulierten Fragen.
60 Misino 2004, S. 66. Vgl. auch S. 147.
61 Misino 2004, S. 50.
62 Vgl. Dawson 1999, S. 58.
63 Vgl. Misino 2004, S. 65 f.
64 Vgl. Misino 2004, S. 66, 147.
65 Greenstone 2009, S. 149, Rule 45.
66 Ury 2007, S. 49.
67 Vgl. Misino 2004, S. 130.
68 Greenstone 2009, S. 53.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden  |  607
Teil

Ein Professioneller Verhandlungsführer setzt der anderen Seite nur Fristen (die mit
Konsequenzen verbunden werden), wenn er die angekündigten Konsequenzen auch zu
100 % umsetzt. Wenn er die angekündigten Konsequenzen nicht umsetzt, verhält sich
der Verhandlungsführer unprofessionell: Er hat sich selbst für den gesamten Rest der
Verhandlung unglaubwürdig gemacht.
Zudem wird die Frist als ein von »außen« kommendes, »nicht steuerbares« Ereignis
dargestellt. Es wird z. B. vorgebracht, dass der Ausschuss, der die Transaktion geneh-
migt, in zwei Wochen tagt und dann längere Zeit nicht entscheiden kann.
Nr. 8 (Macht): Nicht ohne Grund wird der Faktor »Macht« erst am Ende erwähnt.
Hier sollte uneingeschränkt der klaren Empfehlung des Experten Schranner gefolgt
werden: »Verzichten Sie auf die Einschätzung der Macht«.69
Die Erfahrung lehrt: Wenn man nach erfolgreichen Verhandlungen über mehr Infor-
mationen verfügt, erkennt man, wie selten die eigenen früheren Annahmen betreffend
die »Macht der anderen Seite« bzw. die eigene Macht zutreffend waren.
Aus diesem Grunde sollte man sich die zwei schweren Fehler in Bezug auf die Ein-
schätzung der Macht immer wieder vor Augen führen:
»1. Das Überschätzen der eigenen Macht
2. Das Unterschätzen der eigenen Macht«.70
Die eigene Macht beruht in Wirklichkeit alleine darauf, dass man die FBI-Methoden
kennt und beherrscht. So bleibt man immer im Driver Seat und steuert aktiv den Ver-
handlungsprozess.
Nr. 9 (Eröffnung): Der Professionelle Verhandlungsführer bereitet sich intensiv auf
den Einstieg in die Verhandlungen vor, indem er diesen Einstieg (vgl. Kap. 4) vor seinem
geistigen Auge ablaufen lässt: »Mental imagery and visualization techniques are the
hallmarks of high performing people, who see a clear picture in their minds of where
they want to go.«71
Nr. 10 (Chaos): Schließlich bereitet sich der Professionelle Verhandlungsführer inten-
siv auf das »Chaos« vor (vgl. Kap. 5) und lässt auch dieses vor seinem geistigen Auge
ablaufen, damit er dieses souverän gestalten kann: »This mental blueprint of what we
want to build, this inner picture of something that has not yet happened, will ultimately
guide the strategies and actions that will make our visions a reality.«72
Insgesamt gilt: »All high performers have a secret – they use their mind’s eye to focus
on the benefits and not the pain.«73

69 Schranner 2011, S. 121.


70 Schranner 2011, S. 121.
71 Kohlrieser 2006, S. 34.
72 Kohlrieser 2006, S. 34.
73 Kohlrieser 2006, S. 21.
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608  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

4 Einstieg in die Verhandlungsrunde


4.1 Small Talk
Der Small Talk ist vielen Menschen lästig. Gut vorbereitete Verhandler möchten schnell
»zur Sache kommen«. Das ist verständlich. Aber unprofessionell.
Der Small Talk ist ein sehr wichtiges taktisches Element: »make friendly smallt-
alk«74. Professionelle Verhandlungsführer können so Sympathie erzeugen. Sympathie
wiederum ist eine der »Weapons of Influence«75, die ein Bonding bewirken können. So
wiederum wird eine Zustimmung (also die Compliance) des Verhandlungs-Partners
wahrscheinlicher.
Sympathie wird – wissenschaftlich erwiesen76 – unter anderem erzeugt durch das
Betonen von Gemeinsamkeiten (gleiche Hobbies, gleiche Ferienorte, gleiche Vorliebe für
bestimmten Sportverein usw.) und durch das Loben der anderen Seite.
Der Verhandlungsexperte Schranner hat in seiner Zeit als polizeilicher Verhand-
lungsführer Geiselnehmer stets auch gelobt, indem er ihnen z. B. gesagt hat, dass sie
sehr professionell vorgehen.77
Bei der Überleitung zur Sache wird der Professionelle Verhandlungsführer sich eben-
falls genau so verhalten wie der FBI-Experte und mit einer sehr positiven Einstellung
die Zusammenarbeit betonen und herausstellen, dass man gemeinsam eine Lösung
erarbeiten wird.78

4.2 Agenda
Es ist sehr sinnvoll und auch üblich, den jeweiligen Vertragstext, der allen Parteien
vorliegt, als Agenda zu verwenden. Die Erfahrung lehrt, dass im Falle der Erörterung
eines jeden einzelnen Punktes von Seite eins bis zur letzten Seite (»issue by issue«) des
vorliegenden Textes nicht selten »plötzlich« die Zeit für die wesentlichen Punkte (»Big
Points«) fehlt und beide Parteien vor dem Ende der aktuellen Verhandlungsrunde gar
nicht wissen, ob in Bezug auf diese »Big Points« überhaupt eine realistische Chance auf
eine Einigung besteht. Deshalb kann es sinnvoll sein, sich zu Beginn der Verhandlun-
gen darauf zu verständigen, während des vorhandenen Zeitrahmens (wer muss wann
die aktuelle Verhandlungsrunde verlassen?) sämtliche »Big Points« vorab zu diskutie-
ren, und zwar nur zu diskutieren, nicht mehr! Lösungen bzw. Konzessionen sind einer
separaten, späteren prozess-taktischen Phase vorbehalten (vgl. dazu Kap. 5.3).

74 Vgl. www.schranner.com, News vom 15.07.2015, »10 myths about negotiations that lead to a dis­
appointing outcome«.
75 Cialdini 2007, S. 1 ff.
76 Cialdini 2007, S. 167 ff.
77 Vgl. www.schranner.com, Blog vom 26.08.2014, »Die erste Minute eines Gesprächs«.
78 Vgl. www.schranner.com, Blog vom 29.08.2014, Interview mit Gary Noesner.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden  |  609
Teil

4.3 Smart Start


Nachdem sich beide Parteien auf das vorbezeichnete Vorgehen (Vertrag als Agenda,
eventuell vorrangige bloße Erörterung der Big Points) verständigt haben, muss nun
eine der Parteien die Verhandlungen inhaltlich eröffnen, also bestimmte Positionen
aufgreifen und darlegen, warum sie diese Positionen vertritt. In diesem Zusammenhang
stehen die beiden nachstehenden »klugen Maßnahmen« (Smart Start) im Vordergrund.

4.3.1 Eröffnung durch die Gegenseite und Ablehnung des ersten Angebots

Es ist ratsam, den anderen eröffnen zu lassen (»You go first«79); dies ist die Kernaussage
der »Never Open Rule«.80 Dies gilt (i) sowohl für den Beginn der Verhandlungen (ii) als
auch für die Fortführung von Gesprächen nach einer Verhandlungspause (Time Out), in
der beide Seiten isoliert und jeweils intern Gedanken (Gedanken des Analytischen Sys-
tems II) ausgetauscht haben. Dies gibt dem eigenen Team den Vorteil, Informationen zu
sammeln und auszuwerten, insbesondere in Bezug auf die Interessen, die Optionen und
den Leverage des Verhandlungs-Partners. Wenn dies gelingt, der Verhandlungs-Partner
also eröffnet, beginnt der Professionelle Verhandlungsführer »plangemäß« mit dem Ac-
tive Listening (Aktives Zuhören) gemäß Kapitel 5.1.1.
Die Eröffnung durch den Verhandlungs-Partner sollte gemäß der Regel »Never say yes
to the first offer«81 mit einer professionellen Ablehnung82 des ersten Angebotes beant-
wortet werden. Diese taktische Maßnahme verhindert eine Verärgerung des Verhand-
lungs-Partners. Im Falle einer raschen Zustimmung könnte der Verhandlungs-Partner
entweder verärgert annehmen, dass er zu wenig gefordert und nicht gut genug verhan-
delt hat oder er könnte skeptisch annehmen, dass »etwas nicht stimmt«, wenn die ande-
re Partei zu schnell nachgibt. Zudem eröffnet diese taktische Maßnahme Verhandlungs-
spielraum, wenn jede Partei den Aspekt auf ihre jeweilige Offene Punkte Liste setzt.

4.3.2 Aktive Eröffnung und Maximum Plausible Position

Sollte die Eröffnung durch die Gegenseite nicht erreichbar sein, weil die andere Seite
sich geschickt »weigert«, die Verhandlungen zu eröffnen, so muss der Verhandlungsfüh-
rer aktiv eröffnen. In diesem Fall startet der Professionelle Verhandlungsführer mit den
sog. I-Statements (Ich-Botschaften), so wie in Kapitel 5.1.2 skizziert. Zudem sollten zwei
Regeln beachtet werden: Erstens sollte die eröffnende Partei unbedingt mehr fordern
als sie tatsächlich erwartet und dies auch plausibel begründen können, also die – in
der Vorbereitung vom Decision Maker (Projekt-Manager) vorgegebene – »Maximum
Plausible Position«83 vertreten: »Ask for more than you expect to get.«84 Diese taktische
Maßnahme kreiert Verhandlungsspielraum, verhindert so zugleich den »Deadlock« und
führt zu großer Zufriedenheit des Verhandlungs-Partners, wenn er von der Maximum

79 Misino 2004, S. 123.


80 Vgl. Shell 2006, S. 158
81 Vgl. Dawson 1999, S. 23.
82 Vgl. Kapitel 5.1.3.
83 Vgl. Dawson 1999, S. 13.
84 Vgl. Dawson 1999, S. 13.
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610  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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Plausible Position etwas »wegverhandeln« kann. Dementsprechend lautet die Regel Nr.
7 der FBI-Guidelines aus den 1980er Jahren: »Start bidding high to give yourself room
to negotiate (ask for all the hostages)«.85
Die Maximum Plausible Position ist zugleich ein »bewusster Anker«86 (eine Waffe
der Beeinflussung) und damit Bestandteil der Influence. Immer, wenn Menschen etwas
schätzen (die Höhe eines Preises für eine Immobile, die Höhe der Miete für eine Woh-
nung, das Alter einer Sache usw.), dann sucht das Gehirn stets nach einem – bekann-
ten – Vergleichswert bzw. Referenz-Punkt.87 Wenn eine Maximum Plausible Position
genannt wird, stellt diese ab sofort den vorgegebenen Referenz-Punkt bzw. Anker dar
und zwingt den Verhandlungs-Partner dazu, in den Kategorien »zu hoch« oder »zu
niedrig« zu adjustieren. Dies ist eine klassische Aktivität des Intuitiven Systems I (vgl.
Kap. 2.3). Gegen einen Anker wehren kann man sich nur durch die Aktivierung des
Analytischen Systems II: Pause machen und intensiv darüber nachdenken, ob man die
Maximum Plausible Position als Anker, von dem aus man adjustiert, akzeptiert. Wenn
man den Anker nicht akzeptiert, sollte man dies auch deutlich zum Ausdruck bringen.88
Zweitens sollte die Maximum Plausible Position grundsätzlich niemals mit der At-
titüde »take it or leave it« vertreten werden89, vielmehr sollte eine Verhandlungsbereit-
schaft signalisiert werden, die jedoch einer eigenständigen Phase vorbehalten bleibt
(Concessions Package Procedure, vgl. Kap. 5.3). »Take it or leave it« kann man sich nur
erlauben, wenn weder der Deal noch die dauerhafte Beziehung von Bedeutung sind
(»one shot deal »).90

5 Das Chaos: Die Kernphase der Verhandlungsrunde


Die Kernphase von Verhandlungen erscheint oft chaotisch bzw. völlig unstrukturiert.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich die Verhandelnden »gegenseitig hoch-
schaukeln« und sich die Atmosphäre im »War Room« deutlich verschlechtert.
Professionelle Verhandlungsführer sind dazu in der Lage, in jeder Verhandlung –
egal wie angespannt die Atmosphäre ist – jederzeit im »Driver Seat« zu bleiben, das Cha-
os als positiv zu akzeptieren91 und die Verhandlungen im wahrsten Sinne des Wortes
zu »führen« und damit das typische Chaos der Kernphase der Verhandlungen aktiv zu
gestalten. Professionelle Verhandler bleiben stets »cool«, gehen in Stressphasen »auf den
Balkon« und betrachten die Situation mit der erforderlichen Distanz (vgl. Kap. 3.3 Nr.
2). Ich selbst habe mir angewöhnt, in Bezug auf jede Verhandlung eine immer gleiche
Taktik anzuwenden, um die jeweilige Verhandlung systematisch im »Driver Seat« so zu
steuern, dass sie immer gleich abläuft und mir die größtmögliche Entscheidungsfreiheit
gibt. Dieses prozess-taktische Vorgehen, mit dem ich die Chaos Phase bewusst in ein-
zelne, scharf abgrenzbare Phasen unterteile, bezeichne ich als »ABC-Konzept«.

85 McMains/Mullins 2014, S. 21.


86 Kahnemann 2011, S. 120.
87 Vgl. Dobelli 2011, S. 125.
88 Vgl. Kahnemann 2011, S. 126.
89 »Dictating terms – don’t do it« (Misino 2004, S. 115).
90 Vgl. Cohen 1982, S. 145 ff.
91 Vgl. Wheeler 2013, S.4.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden  |  611
Teil

»Analyse Open Points« lautet die wesentliche Aktivität und das Ziel der ersten pro-
zess-taktischen Phase.
»Break 4 Change« ist die Bezeichnung der zweiten prozess-taktischen Phase, sie ist
geprägt von einem fundamentalen »Umdenken«.
»Concessions Package Procedure« ist die letzte prozess-taktische Phase der Verhand-
lungen, hier steht das Schnüren des Verhandlungs-Pakets (Concessions Package bzw.
Package Deal) im Vordergrund.
In jeder der drei prozess-taktischen Phasen wendet der Professionelle Verhandlungs-
führer das verhaltens-taktische BMI-Konzept (vgl. Kap. 2.4) an.

5.1 Analyse Open Points


Die erste Aufgabe des Verhandlungsführers nach dem Smart Start ist zunächst die
bewusste Analyse sämtlicher offenen Punkte und damit die Erstellung der Offenen
Punkte Liste. Dies geschieht durch klassisches »Position Bargaining«, d. h. zunächst
werden die eigenen Positionen »hart« (d. h. freundlich, jedoch ohne Nachgeben) vertre-
ten.92 Wenn eine Position lange genug diskutiert wurde (unter Juristen typischerweise
Argumente und Gegenargumente) und die Parteien das Gefühl haben, dass man »sich
im Kreis dreht«, setzt der Professionelle Verhandlungsführer den Punkt auf die Offene
Punkte Liste. Sämtliche Aussagen des Verhandlungs-Partners werden zugleich immer
wieder hinsichtlich Leverage, Alternativen/Optionen und den Interessen, die den Posi-
tionen zugrunde liegen, analysiert. Zugleich muss der Verhandlungsführer versuchen,
die vollständige Mission und damit insbesondere die wahren Interessen des Verhand-
lungs-Partners zu verstehen.
Um das Ziel (Erstellen der Offenen Punkte Liste) zu erreichen, geht der Professionel-
le Verhandlungsführer – gemäß dem BMI-Konzept – schrittweise vor: In Schritt Nr. 1
steht das Bonding, also der Aufbau der Beziehung im Mittelpunkt; die Beziehung ist
das Fundament jeder Verhandlung.
Erst danach nimmt der Professionelle Verhandlungsführer – in Schritt Nr. 2 – die ihm
übertragene Mission (Vertreten und Verteidigen der Maximum Plausible Positions) in
Angriff. Wenn diese von der anderen Seite nicht ohne weiteres akzeptiert wird, werden
– in Schritt Nr. 3 – die geeigneten Waffen der Beeinflussung eingesetzt (Influence), zu-
gleich wird die (unvermeidbare) Beeinflussung durch den Verhandlungs-Partner durch
zahlreiche Time Outs abgewehrt.
Der Prozess des Bonding (Schritt Nr. 1) ist standardisiert, er ist Bestandteil des in
Kapitel 2.1 genannten und nachfolgend skizzierten »Behavioral Change Stairway Model«
(BCSM).93
Die einzelnen Aktivitäten des BCSM bzw. des Bonding sind das Active Listening,
das Formulieren von I-Statements, der Einsatz von Empathie94 sowie zahlreiche Time
Outs. Sobald diese Aktivitäten zu ausreichendem Vertrauen, also einem »Trust-Level«

92 Das »Position Bargaining« prägt auch bei polizeilichen Krisenverhandlungen die frühe Phase (vgl.
McMains/Mullins 2014, S. 137).
93 Vgl. Vecchi/van Hasselt/Romano 2005, S. 533, 541.
94 »Put yourself in the perpetrator’s shoes« (Bolz/Hershey 1995, S. 153).
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Teil

von mehr als 50 % geführt haben (sog. »Concept 51«)95, ist Schritt Nr. 1 (vorerst) erfolg-
reich abgeschlossen.
Schritt Nr. 2 (das Vertreten der eigenen Mission) und Schritt Nr. 3 (die Ausübung/
Abwehr von Influence) sind dann Bestandteil derjenigen I-Statements, die nach Vollen-
dung des Schrittes Nr. 1 formuliert werden.

5.1.1 Active Listening

Vereinfacht formuliert geht es um folgendes Verhalten: Zu 90 % der Zeit konzentriert


sich der Professionelle Verhandlungsführer auf das Active Listening (»Talk to me«) und
in den restIichen 10 % der Zeit gibt er sog. I-Statements (Ich-Botschaften) ab.96
Active Listening (Aktives Zuhören) bedeutet im Kern:
• Zuhören, ohne den Verhandlungs-Partner zu unterbrechen (also: den Verhandlungs-
Partner ausreden lassen);
• Zuhören, ohne sich gleichzeitig Gegenargumente zu überlegen (also: volle Konzen-
tration auf das Gehörte); und
• Zuhören, um sich in die Situation bzw. »Welt« des Partners zu versetzen (Role Re-
versal).97

Im Ergebnis geht es darum, möglichst viele Fragen zu stellen und zuzuhören (»Talk to
me«).
Das Zuhören hat zwei Effekte: Zum einen wird eine Beziehung aufgebaut (Bonding),
zum anderen erhält der Verhandlungsführer viele wertvolle Informationen in Bezug auf
die Mission (Interessen, Optionen, Leverage, Positionen) des Verhandlungs-Partners,
insoweit ist die Hauptintention die Beantwortung der allerwichtigsten Frage in jeder
Verhandlung: »What exactly is it you want?«98
Es ist erstaunlich, wie leicht man Verhandlungen »im Griff« behält, wenn man die
vom FBI entwickelten taktischen Maßnahmen beherrscht, was jedoch sehr viel Übung
voraussetzt. So resümiert auch der ehemalige Chief Negotiator des FBI, Gary Noesner,
in Bezug auf seine Ausbildung beim FBI: »I was deeply impressed by the power of the
simple communications techniques being taught.«99
Das Active Listening ist insbesondere geprägt von (i) zahlreichen offenen Fragen
(sog. W-Fragen), (ii) der Zusammenfassung der Inhalte und der emotionalen Bewertun-
gen des Verhandlungs-Partners (sog. »Summarizing«): »Wenn ich Sie richtig verstehe,
lehnen Sie die zahlreichen Garantieerklärungen ab, weil sie glauben, dass diese nur
dazu dienen sollen, Sie später haftbar zu machen. Das ärgert Sie«.
Zudem legt der Verhandlungsführer immer wieder bewusst kurze Pausen ein und
schweigt (»Effective Pauses«), um so dem Verhandlungs-Partner weiterhin die Möglich-
keit zu geben, sich mitzuteilen bzw. Informationen preiszugeben.

95 Vgl. Misino 2004, S. 52.


96 So Schranner in einem nicht mehr im Internet auffindbaren Interview mit »Blue Line«, bestätigt
durch eine E-Mail an den Verfasser. Ein Redeanteil von 10 % ist großzügig, Misino fordert in Bezug
auf den Verhandlungsführer bewusst provokativ: »shut up« (Misino 2004, S. 75).
97 Vgl. Nasher 2013, S. 90.
98 Misino 2004, S. 123.
99 Noesner 2010, S. 34.
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Weiterhin macht sich der Professionelle Verhandlungsführer ständig Notizen, um


für sich selbst die Botschaften der anderen Seite immer wieder analysieren zu können.
Daneben fördert das Mitschreiben das Bonding: Der Verhandlungs-Partner fühlt sich
ernst genommen, was wiederum dazu führt, dass das für jede Verhandlung notwendige
Vertrauen aufgebaut/gefestigt wird.100

5.1.2 I-Statements

Immer dann, wenn der Professionelle Verhandlungsführer (in den restlichen 10 % der
Verhandlungszeit) sich zu Wort meldet, formuliert er sog. I-Statements (Ich-Botschaf-
ten). Diese sind weniger streitanfällig, denn über persönliche Erfahrungen/Meinungen
lässt sich nicht »objektiv« diskutieren.
I-Statements weisen folgende Eigenschaften auf:
• sie beginnen mit dem Wort »ich«: »Ich denke …, ich bin der Meinung …«;
• sie enthalten kein »Ja« und kein »Nein«, sondern die Begriffe »interessant« oder
»schwierig«;101
• sie werden im Konjunktiv formuliert, um frühe Festlegungen zu vermeiden;102
• sie enthalten den Hinweis: »Ich verstehe Sie« (Empathie) und zeigen, dass der Pro-
fessionelle Verhandlungsführer sich in die andere Seite hineinversetzen kann; und
• sie haben in der prozess-taktischen Phase »Analyse Open Points« die jeweilige Ma-
ximum Plausible Position (Mission) zum Inhalt und werden gegebenenfalls – wenn
nicht sofort eine Compliance erkennbar ist – mit den »Waffen der Beeinflussung«
(Influence) übermittelt (Schritte 2 und 3 gemäß Kapitel 5.1).

5.1.3 Time Outs

Professionelle Verhandlungsführer erbitten immer wieder Time Outs, um das Gehörte


im eigenen Team (je nach Situation auch mit dem Projekt-Manager/Decision Maker) zu
besprechen und dann die I-Statements entsprechend anzupassen (vgl. auch Kap. 3.2,
Nr. 7). Time Outs sind ein wichtiges verhandlungstaktisches Werkzeug.103
Wie schon oben erwähnt ist ein Time Out die einzige wirklich wirksame Maßnah-
me, um sich vor den Waffen der Beeinflussung zu schützen. Jedes Time-Out dient vor
allem dazu, das Analytische System II zu aktivieren. Es gilt, zum einen kritisch und
zum anderen kreativ zu denken: »Buy Time to Think«104.
Time Outs sind niemals verlorene Zeit, egal wie lange sie dauern, ob Minuten, Stun-
den, Tage oder Wochen, im Gegenteil, Time Outs fördern die Effektivität von Verhand-
lungen: »Negotiations are more productive when they are broken up by frequent time-
outs«105.
Aufgrund der besonderen Dynamik jedes Time-Outs bzw. jeder Inaktivität hat der
berühmte Psychologe Harvey Schlossberg (New York Police Department) den Begriff

100 Vgl. Nasher 2013, S. 91.


101 Vgl. Schranner 2011, S. 106, 119.
102 Vgl. Schranner 2011, S. 28, 36, 159.
103 Vgl. Misino 2004, S. 65 f.
104 Ury 2007, S. 44.
105 Ury, 2007, S. 48.
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»Dynamic Inactivity« geprägt.106 Kurzum: Die Auffassung, wonach Time Outs die Ver-
handlungen verzögern, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall.

5.1.4 Offene Punkte Liste

Das »Position Bargaining« wird so lange fortgesetzt, bis der Verhandlungsführer alle
Offenen Punkte erkannt und analysiert hat. Dies kann – je nach Projekt – nach dem
ersten Meeting der Fall sein, kann aber auch Wochen oder Monate in Anspruch nehmen.
Ob die Liste vollständig ist, wird typischerweise durch Abstimmung mit dem Ver-
handlungs-Partner geklärt: »Wir haben ja sehr viele Gemeinsamkeiten und sind auch
gemeinsam auf dem richtigen Weg. Lassen Sie uns bitte die Offenen Punkte abstimmen,
damit wir beide wissen, in Bezug auf welche Aspekte wir nun gemeinsam ein Paket
schnüren wollen.«
Das (frühzeitige) Aufgeben/Nachgeben von Positionen ist ein (leider häufiger) Kar-
dinalfehler. Die einzige Konzession, die ein Professioneller Verhandlungsführer schon
zu Beginn der Verhandlung macht, ist schnell skizziert: »Aktives Zuhören« bzw. Active
Listening: »Listening is the cheapest, yet most effective concession we can make.«107

5.2 Break 4 Change


Die »Break 4 Change« ist die Pause, die einen fundamentalen Wechsel einleitet. Es geht
um mehr als nur ein gewöhnliches Time Out. Es geht darum, die Spielregeln in Bezug
auf die geltend zu machenden Positionen komplett zu ändern. An die Stelle des »Position
Bargaining«, das erforderlich ist, um möglichst viele Offene Punkte zu sammeln und
um Motive/Interessen des Verhandlungs-Partners zu erforschen, geht es nun darum, im
Rahmen eines Brainstorming zu ermitteln, wie man die bislang analysierten Interessen
des Verhandlungs-Partners befriedigen kann, ohne dabei die eigenen Interessen zu op-
fern: »Negotiators are not in the business of meeting demands, but rather of satisfying
needs.«108
Der Idealfall der vollen Befriedigung der Interessen beider Seiten ist allen Experten
aus der Literatur bekannt: Der »Orangen-Deal«. Dabei verfügen zwei Parteien über
eine Orange. Sie streiten sich darüber, wem die Orange gehören soll. Nachdem sie sich
nicht einigen, schlagen sie vor, die Orange in der Mitte durchzuschneiden. Damit das
Ergebnis gerecht ist, soll die eine Partei die Orange teilen, während die andere Partei
bestimmen darf, wem welche Hälfte zustehen soll. Nachdem jede Partei ihre Hälfte in
Händen hat, verwertet die eine Partei nur die Schale (und wirft das Fruchtfleisch weg),
weil sie die Schale als Aroma für einen Kuchen benötigt; die andere Partei verwertet nur
das Fruchtfleisch (und wirft die Schale weg), weil sie aus dem Fruchtfleisch einen Saft
pressen möchte. Hätten die Parteien sich vorher offen über ihre Interessen ausgetauscht,
hätte jede das bekommen, was sie wirklich wollte.109

106 Vgl. McMains/Mullins 2014, S. 4.


107 Noesner 2010, S. 66.
108 McMains/Mullins 2014, S. 136.
109 Fisher/Ury/Patton 2002, S. 90.
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Es ist erstaunlich, wie häufig in der Praxis – nach dem offenen Dialog in Bezug auf
die jeweiligen Interessen – zumindest in Bezug auf einzelne Aspekte des Verhand-
lungs-Pakets »Orangen-Deals« geschlossen werden.
Auch wenn der Orangen-Deal nur ein Ideal aus dem Lehrbuch ist, so ist es dennoch
richtig und wichtig, sich an den Grundgedanken zu orientieren und so in der »Break 4
Change« ein Paket-Vorschlag zu entwerfen, der möglichst die allerwichtigsten eigenen
Interessen und auch die wichtigsten Interessen des Verhandlungs-Partners wahrt.
Neben den Interessen sind natürlich auch die Aspekte (i) Optionen/Alternativen und
(ii) Leverage in Bezug auf alle Parteien zu berücksichtigen.
Das Ergebnis der »Break 4 Change« sind intern diskutierte Paket-Lösungen, die die
eigenen wichtigsten Interessen möglichst weitgehend wahren. Die wichtigsten Interes-
sen sollten nicht preisgegeben werden.
Kurzum: Vor der Break 4 Change gilt: »Position Bargaining«. Nach der Break 4 Ch-
ange gilt genau das Gegenteil: »Go for interests, avoid positions«.110
Nach jedem Time Out und damit auch nach der »Break 4 Change« gelten die Re-
geln des Smart Start, d. h. der Professionelle Verhandlungsführer lässt den Verhand-
lungs-Partner zuerst sein Paket vorstellen. Notfalls eröffnet er selbst mit einem Pa-
ket-Vorschlag, das die eigenen Interessen optimal wahrt.

5.3 Concessions Package Procedure


Das »Concessions Package Procedure«, also das Schnüren des Paktes, beginnt nach der
Erstellung eines Paket-Vorschlags, das die eigenen wichtigsten Interessen wahrt. Das
Verhandeln des Concessions Package endet frühestens in genau derjenigen Sekunde, in
der die letzte Unterschrift unter dem Vertrag geleistet wird (»Signing«). Dies gilt jedoch
nur, wenn der Vertrag keine aufschiebenden Bedingungen enthält, die einer Partei die
Möglichkeit gibt, eventuell noch nachzuverhandeln. Auch wenn der Vertrag unbedingt
gilt, sind zwischen Signing und Vollzug des Vertrags (»Closing«) in der Regel noch
Closing Conditions und Closing Actions zu erfüllen. Je nach Ausgestaltung der Closing
Conditions bzw. der Closing Actions kann es passieren, dass eine Partei das zum Sig-
ning geschnürte Paket wieder öffnet und z. B. das Erfüllen einer bestimmten Closing
Condition von einem Entgegenkommen der anderen Seite abhängig macht. Das Con-
cessions Package Procedure endet damit spätestens in der Sekunde der Unterzeichnung
des Closing Protokolls durch alle Parteien.
Die wichtigsten Regeln in Bezug auf das »Concessions Package Procedure« können
wie folgt skizziert werden:
Nr. 1: Grundlage für das Verhandlungspaket ist die vor der Break 4 Change gemein-
sam verabschiedete Offene Punkte Liste.
Nr. 2: Der Einstieg entspricht den Regeln gemäß Kapitel 4.3, d. h. es wird versucht,
die andere Seite eröffnen zu lassen (Smart Start): »We have a rule. We never give the
suspect something first«.111
Nr. 3: Der Professionelle Verhandlungsführer wendet in Bezug auf sein Verhalten –
wie immer – das BMI-Konzept an (vgl. Kapitel 2), sorgt also insbesondere dafür, dass

110 Greenstone 2009, S. 151, Rule No. 134.


111 Misino 2004, S. 142.
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das »Concept 51« eingehalten wird und damit das Fundament jeder Verhandlung (51 %
Trust) gegeben ist.
Die Mission ist nun das vom Projekt-Manager vorgegebene Verhandlungs-Paket (in-
teressenbezogene Lösung an Stelle von »Position Bargaining«).
Nr. 4: Es gibt kein Zugeständnis ohne ein Zugeständnis des Verhandlungs-Partners,
es gilt uneingeschränkt: »Something for something«.112
Nr. 5: Jede Einzellösung steht unter dem Vorbehalt der Einigung auf ein Verhand-
lungs-Paket: Jede Abweichung vom vorliegenden Verhandlungs-Paket führt dazu, dass
alle Punkte wieder offen sind; dies sollte auch ausdrücklich immer wieder – monoton
– hervorgehoben werden: »No issue is closed until all issues have been decided.«113 Nur
so schützt man sich vor dem ständigen Nachverhandeln, dem »Nibbling«114.
Nr. 6: Der »Orangen-Deal« gilt als motivierendes »Wunsch-Ziel«: Optimal ist das Pa-
ket, wenn der Verhandlungsführer möglichst unwichtige Punkte »hergibt«, dafür aber
für seinen Projekt-Manager wichtige Punkte erhält: »Make big moves on your »little«
(less important) issues and little moves on your »big« (most important) issues.«115 Dabei
sollte bei jeder Konzession hervorgehoben werden, wie schmerzhaft diese ist.
Nr. 7: Time Out: Der Verhandlungsführer sollte regelmäßig Time Outs anregen, um
ein »Festfahren« der Verhandlungen zu vermeiden.
Nr. 8: Das Protokoll: Jedes Paket wird protokolliert und enthält Erläuterungen betref-
fend die ursprüngliche Offene Punkte Liste (»Keep a log of all concessions«).116
Nr. 9: Das Protokoll wird mündlich besprochen und nach der Verhandlungsrunde
per E-Mail ausgetauscht, mit der Bitte um Mitteilung, ob das eigene Protokoll auch vom
Verhandlungs-Partner akzeptiert wird.
Nr. 10: Neue Offene Punkte führen immer dazu, dass das zuletzt verhandelte Paket
nicht mehr »bindend« ist, es beginnt wieder mit einem Time Out, in dem nun die er-
weiterte Offene Punkte Liste erörtert wird. Der »Verhandlungskreis«117 bzw. der »Kreis-
verkehr«118 beginnt erneut: »Never make a concession without linking it to a mutual
concession from the other party«.119

6 Beendigung der Verhandlungsrunde


Der Professionelle Verhandlungsführer beendet jede Verhandlungsrunde wie folgt:

Variante 1: Die Verhandlungen sollen fortgesetzt werden (»Stay in the Game«):


Er bedankt sich für das konstruktive Gespräch (egal, wie konstruktiv es war), fasst die
Gemeinsamkeiten zusammen und stimmt die »Next Steps« ab. Next Step sollte dabei
immer ein schriftliches Dokument sein, das die Ergebnisse der Verhandlungsrunde

112 Misino 2004, S. 123: »Successful negotiations are two-sided, mutual benefit operations«.
113 Shell 2006, S. 169.
114 Dawson 1999, S. 86.
115 Shell 2006, S. 169.
116 Greenstone 2009, S. 54.
117 Vgl. Kunkel et al. 2006, S. 146.
118 Vgl. Kunkel et al. 2006, S. 145.
119 Shell 2006, S. 169.
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wiedergibt. Dies kann je nach Stand der Verhandlungen eine bloße E-Mail, ein Letter
of Intent (LoI), ein Mark up zu einem LOI, ein Vertragsentwurf, ein Mark up zu einem
Vertragsentwurf, eine isolierte Offene Punkte Liste oder ein isoliertes Paket sein. Zu-
gleich wird die nächste Verhandlungsrunde terminiert, in der die »Missverständnisse«,
die sich (erfahrungsgemäß praktisch immer) aus dem schriftlichen Dokument ergeben,
besprochen werden. Dieses Vorgehen wiederholt sich dann bis zum Signing.

Variante 2: Der Verhandlungsführer sieht derzeit keine gemeinsame Lösung (»Walk


Out«):
Er bedankt sich für das konstruktive Gespräch (egal, wie konstruktiv es war), fasst
die Gemeinsamkeiten zusammen und skizziert die potenziellen »Deal Breaker«. Dann
formuliert er, dass (i) aus seiner Sicht (ii) zum jetzigen Zeitpunkt und (iii) unter den
konkreten Umständen eine Einigung nur schwer vorstellbar ist.120 So kann der Verhand-
lungsführer jederzeit wieder – ohne das Gesicht zu verlieren – in die Verhandlungen
einsteigen und ist somit »Back in the Game«121. Ein sofortiges und endgültiges »Game
Over« wird so vermieden. Die Bezugnahme zu einem Spiel (Game) ist sehr bewusst
gewählt. Herb Cohen (u. a. ein Berater des FBI), der sich selbst als »The World’s Best
Negotiator« bezeichnet, empfiehlt dem Negotiator zu Recht, alle Verhandlungen als ein
Spiel zu betrachten und dieses entspannt zu genießen: »Try to regard … your job as a
game, as the world of illusion. Pull back a little and enjoy it all«122. Natürlich hat der
beste Verhandler der Welt uneingeschränkt Recht: Wenden Sie die hier skizzierte Best
Practice an und genießen Sie es einfach: Enjoy it all.

7 Zusammenfassung
Zusammenfassend kann festgehalten werden:
Die FBI-Methoden sind eine unverzichtbare Grundlage für jeden, der professionell
verhandeln will.
Jede Vorbereitung beginnt mit der Aufstellung eines Teams. Der Projekt-Manger
(Decision Maker) hat 5 Aufgaben, vor allem bestimmt er die Mission. Zudem gilt un-
eingeschränkt: er darf nicht verhandeln.
Der Verhandlungsführer (Primary Negotiator) verhandelt die vom Projekt-Manager
vorgegebene Mission. Der Verhandlungsführer hat 10 Regeln zu beachten, die seine
mentale Einstellung prägen.
Der Einstieg in jede Verhandlungsrunde erfolgt grundsätzlich nach demselben Sche-
ma (Small Talk, Agenda, Smart Start).
Das Chaos, also die Kernphase jeder Verhandlung, kontrolliert der Professionelle
Verhandlungsführer mit zwei Konzepten, um so seine Mission zu erreichen.
In Bezug auf den Prozess gilt das hier entwickelte rein prozess-taktische ABC-Kon-
zept. Analyse Open Points beginnt mit der Ermittlung der Offenen Punkte (Open Points-
und endet, wenn – zumindest vorerst – eine Offene Punkte Liste erstellt ist. Bis dahin

120 Vgl. Schranner 2011, S. 192.


121 So der Titel der N-Conference 2015 des SNI (www.schranner.com).
122 Cohen 1982, S. 88.
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dominiert das »Position Bargaining«. In der Break 4 Change-Phase stellt der Verhand-
lungsführer seine Strategie um. Er verabschiedet sich vom »Position Bargaining« und
denkt in Paketen, die wiederum interessenbezogene Lösungen enthalten. Er lässt sich
die möglichen Paket-Lösungen vom Projekt-Manager genehmigen. Danach beginnt das
»Concessions Package Procedure«. Hier werden Paket-Vorschläge ausgetauscht. Schließ-
lich wird ein Package Deal vereinbart, der zu einem Signing und Closing führt.
In Bezug auf sein Verhalten wendet der Professionelle Verhandlungsführer in je-
der der vorbezeichneten drei prozess-taktischen Phasen das hier entwickelte verhal-
tens-taktische BMI-Konzept123 an. In Schritt 1 baut er eine Beziehung zum Verhand-
lungs-Partner auf (Bonding) und erhält diese aufrecht. In Schritt 2 vertritt er die vom
Projekt-Manager vorgegebene Mission. Wenn und soweit der Verhandlung-Partner nicht
zustimmt, also keine Compliance zeigt, wird der Professionelle Verhandlungsführer die
taktischen Maßnahmen in Bezug auf die Influence einsetzen, also professionelle Über-
zeugungsarbeit leisten. Zugleich wird er die Influence durch den Verhandlungs-Partner
(insbesondere durch Time Outs) abwehren.
Dabei wird der Professionelle Verhandlungsführer zu 90 % zuhören und in den rest-
lichen 10 % der Zeit I-Statements abgeben, um die Beziehung aufzubauen/aufrechtzuer-
halten bzw. möglichst viel über die Interessen des Verhandlungs-Partners zu erfahren.
Das Zuhören (Active Listening) ist dabei die Grundlage für alle anderen Fähigkeiten
eines Professionellen Verhandlungsführers. 124
Insgesamt ist es somit stets die vorrangige Aufgabe des Professionellen Verhand-
lungsführers, das Motto des Hostage Negotiation Teams des NYPD zu beachten: »Talk
to me«.125

Literatur
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Cialdini, R. (2007): Influence: The Psychology of Persuasion. William Morrow & Company, New York,
2007.
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Dawson, R. (1999): Secrets of Power Negotiating. 2. Aufl., Career Press, Pompton Plains, 1999.
Dobelli, R. (2011): Die Kunst des klaren Denkens: 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen.
Hanser, München, 2011.
Felser, G. (2007): Werbe- und Konsumentenpsychologie. 3. Aufl., Springer, Berlin Heidelberg, 2007.
Fisher, R./Ury, W./Patton, B. (2002): Das Harvard-Konzept, sachgerecht verhandeln, erfolgreich ver-
handeln. 21. Aufl., Campus Fachbuch, Frankfurt/New York, 2002.
Greenstone, J. L. (2009): The Elements of Police Hostage and Crisis Negotiations. Routledge, London/
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Häusel, H.G. (2012): Neuromarketing. 2. Aufl., Rudolf Haufe Verlag, Freiburg, 2012.
Kahnemann, D. (2011): Thinking, Fast and Slow. Penguin Books, New York, 2011.
Kohlrieser, G. (2006): Hostage at the Table. Jossey Bass, San Francisco, 2006.
Kunkel, A./Bräutigam, P./Hatzelmann, E. (2006): Verhandeln nach Drehbuch. Redline Wirtschaft,
Heidelberg, 2006.
McMains, M./Mullins, W. (2014): Crisis Negotiations. 5. Aufl., Routledge, New York, 2014.

123 »BMI« ist unter der Nr. 30 2015 012 119 als deutsche Marke eingetragen, Markeninhaber ist der
Autor. Das BMI-Konzept beruht auf dem vom FBI entwickelten Behavioral Change Stairway Model.
124 Thompson/McGowan 2014, S. 3.
125 Thompson/McGowan 2014, S. 3.
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620  | 
Teil

V. Entwicklungen im schweizerischen
Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht
Urs Schenker*

1 Einleitung
2 Fusionsgesetz
2.1 Fusionen
2.2 Spaltung
2.3 Vermögensübertragung
3 Aktienrecht
3.1 Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates für Transaktionen
3.2 Vergütungsverordnung (VegüV)
4 GmbH-Recht

1 Einleitung
Im schweizerischen Gesellschaftsrecht haben sich in den letzten fünfundzwanzig Jah-
ren einige Änderungen ergeben, welche sich auch auf die M & A-Praxis auswirken. Die
wichtigste Neuerung war das Fusionsgesetz (FusG), das im Jahr 2004 in Kraft trat und
Umstrukturierungstransaktionen regelt. Im Aktienrecht ist es seit der letzten »großen«
Revision von 1992 nur zu punktuellen Änderungen gekommen, die keinen wesentlichen
Einfluss auf die M & A-Praxis haben. Die Vergütungsverordnung (»Verordnung gegen über-
mässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften«; VegüV), welche gestützt
auf den neuen Art. 95 Abs. 3 BV (»Minder-Initiative«) per 1. Januar 2014 in Kraft gesetzt
wurde, beeinflusst dagegen die finanziellen Anreize, welche kotierte Gesellschaften ihren
Geschäftsleitungsmitgliedern im Zusammenhang mit Verkaufstransaktionen gewähren
können, und hat so mindestens indirekt einen Einfluss auf M & A-Transaktionen.

2 Fusionsgesetz
Das Fusionsgesetz, in Kraft seit 1. Juli 2004, regelt Fusionen, Spaltungen, Umwandlun-
gen und Vermögensübertragungen. Interessant an diesem Gesetz ist, dass es rechts-
formübergreifend Geltung hat und derartige Transaktionen bei Personengesellschaften

∗ Dr. Urs Schenker, Rechtsanwalt, Senior Counsel, Walder Wyss AG, Zürich. Der Autor bedankt sich
bei MLaw Nadja Al Kanawati, die das Manuskript kritisch durchgelesen hat und bei der Erstellung
der Fußnoten behilflich war.
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V. Entwicklungen im schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht  |  621


Teil

des OR sowie bei den juristischen Personen des OR und des ZGB regelt.1 Ziel des Fu-
sionsgesetzes ist es, Umstrukturierungen zu erleichtern und gleichzeitig den Schutz
der Stakeholder, d. h. der Aktionäre, Gläubiger und Arbeitnehmer, sicherzustellen.2 Bei
der konkreten Ausarbeitung des Gesetzes kam dann allerdings dieser Schutzgedanke
wesentlich stärker zum Tragen als die Idee, Transaktionen zu erleichtern. Dies führte
im Endeffekt zu einer Überregulierung von Umstrukturierungstransaktionen, weshalb
Transaktionen nach dem Fusionsgesetz nicht besonders attraktiv sind und die Parteien
deshalb in der Praxis häufig Alternativen wählen, um mit ähnlichen Transaktionen
außerhalb des Fusionsgesetzes die gleichen wirtschaftliche Ziele zu erreichen.3
Das Fusionsgesetz regelt verschiedene Vorgänge, die für M & A-Transaktionen von
wesentlicher Bedeutung sind.

2.1 Fusionen
Das Fusionsgesetz regelt in Art. 3 ff. FusG Fusionen, bei denen zwei Gesellschaften
zu einer neuen Gesellschaft zusammengeschlossen werden und die Aktionäre beider
Gesellschaften Aktien der neuen Gesellschaft erhalten,4 oder aber eine Gesellschaft die
andere übernimmt und neue Aktien an deren Aktionäre ausgibt.5 Eine derartige Absorpti-
onsfusion ist dann eine Alternative zu einem Unternehmenskauf, wenn der Erwerbspreis
in Aktien der übernehmenden Gesellschaft abgegolten werden soll.6 Die Fusion hat in
diesem Sinne die gleiche wirtschaftliche Funktion wie ein Aktientausch.7 Ein Vorteil der
Fusion gegenüber dem Aktientausch ist aber, dass die übernehmende Gesellschaft 100 %
der Zielgesellschaft übernehmen kann, wenn 2/3 der bei der betreffenden Generalver-
sammlung vertretenen Aktienstimmen und die absolute Mehrheit des vertretenen Ak-
tiennennwertes der Fusion zustimmen.8 Beim Aktientausch ist dagegen eine 100%-ige
Übernahme nur möglich, wenn jeder einzelne Aktionär der Zielgesellschaft mit dem
Erwerber einen Vertrag über den Tausch seiner Aktien abschließt – beim Aktientausch
ist gegenüber Minderheiten kein Zwang möglich.9 Damit eignet sich die Fusion vor al-
lem dann zur Übernahme eines Unternehmens, wenn damit zu rechnen ist, dass eine
Minderheit der Aktionäre ihre Aktien nicht verkaufen bzw. tauschen wird, der Erwerber
aber unbedingt 100 % der Aktien erwerben möchte.
Problematisch an der Fusion ist allerdings der Umstand, dass das Fusionsgesetz
ein dichtes Regelwerk vorsieht, welches das Fusionsverfahren komplex und langwierig
macht:10

1 Morscher 2015, Art. 1 N 2; Glanzmann 2014, N 5 f.; Weibel/Cramer 2012, Art. 1 N 4.


2 Begleitbericht zum Vorentwurf, S. 7; Böckli 2009, § 3, N 22; Weibel/Cramer 2012, Art. 1 N 25 ff.
3 Böckli 2009, § 3 N 23 ff.; Vischer 2012, Einleitung N 1.
4 Kombinationsfusion im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b FusG; vgl. dazu auch Tschäni/Gaberthüel 2015,
Art. 3 N 3; Albrecht 2012, Art. 3 N 2.
5 Absorptionsfusion im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a FusG; vgl. dazu auch Tschäni/Gaberthüel 2015,
Art. 3 N 3; Albrecht 2012, Art. 3 N 3.
6 Glanzmann 2014, N 367 ff.; Jung 2014, S. 132.
7 Glanzmann 2014, N 959; Jung 2014, S. 132 f.
8 Art. 18 Abs. 1 lit. a FusG; vgl. dazu auch Schleiffer 2015, Art. 18 N 14; Gelzer 2012, Art. 18 N 12.
9 Glanzmann 2014, N 962 ff.
10 Glanzmann 2014, N 12; Schenker 2007, S. 157; Vischer 2012, Einleitung N 1.
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622  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

• Das Fusionsgesetz sieht für Vorbereitung und Vollzug einer Fusion relativ aufwen-
dige Schritte vor:11 Gemäß Art. 12 FusG muss zwischen den Verwaltungsräten der
beteiligten Gesellschaften zunächst ein Fusionsvertrag abgeschlossen werden, der
den in Art. 13 FusG aufgeführten Mindestinhalt aufweisen muss.12 Über die im
Vertrag vereinbarte Fusion müssen dann die Verwaltungsräte der beiden beteiligten
Gesellschaften gemäß Art. 14 FusG je einen Fusionsbericht verfassen, in dem sie
ihren Aktionären die Fusion und vor allem auch das Austauschverhältnis erläutern
und aus rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht begründen.13 Fusionsvertrag und Fu-
sionsbericht sowie die Berechnung des Austauschverhältnisses müssen dann von
einer Revisionsstelle in einer speziellen Fusionsprüfung geprüft werden.14 Erst wenn
Fusionsvertrag, Fusionsbericht und Prüfungsbericht sowie die Jahresrechnung und
Jahresbericht den Aktionären gemäß Art. 16 FusG zur Einsicht vorgelegt worden
sind, kann nach einer Frist von 30 Tagen an einer Generalversammlung über die
Fusion entschieden werden.15
• Die übernehmende Gesellschaft muss die Forderungen der Gläubiger beider Gesell-
schaften sicherstellen, wenn diese innerhalb von drei Monaten nach der Eintragung
der Fusion eine Sicherstellung verlangen und die Gesellschaft nicht nachweisen
kann, dass die Erfüllung der Forderungen durch die Fusion nicht gefährdet wird.16
Dieses Recht haben gemäß Art. 27 Abs. 2 FusG auch Arbeitnehmer.
• Die in Art. 105 FusG vorgesehene Überprüfungsklage ermöglicht es jedem Aktionär
einer der beteiligten Gesellschaften, beim Gericht die Überprüfung der Angemessen-
heit des Austauschverhältnisses zu verlangen.17 Obsiegt ein Aktionär in diesem Ver-
fahren, so muss nicht nur ihm, sondern allen Aktionären, die vor der Fusion an der
gleichen Gesellschaft wie der Kläger beteiligt waren, ein Ausgleichsbetrag bezahlt
werden.18 Eine derartige Klage ist für den Aktionär relativ attraktiv, da die Kosten
des Verfahrens gemäß Art. 105 Abs. 3 FusG grundsätzlich von der Gesellschaft zu
bezahlen sind. Diese Kostenfreiheit ist in der Gerichtspraxis aber insofern relativiert
worden, als ein Kläger, der gegen einen erstinstanzlichen Entscheid Rechtsmittel er-
greift, vor der Rechtsmittelinstanz nicht mehr kostenfrei prozessieren kann.19 Weiter
ist das Verfahren nicht kostenfrei, wenn der Kläger seine Aktien in einem Zeitpunkt
gekauft hat, in dem die vorgesehene Abfindung bereits bekannt war, da dann an-
zunehmen ist, dass er seine Aktien zum Zweck der Klageerhebung erworben hat.20
Damit haben die Gerichte vernünftigerweise »Berufsklägern«, die bewusst Prozesse
suchen,21 die kostenfreie Prozessführung verunmöglicht.

11 Böckli 2009, § 3 N 23; vgl. auch Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 25 N 49 f.


12 Wolf 2015, Art. 12 N 1; Luginbühl 2012, Art. 12 N 3.
13 Kühni/Gaberthüel 2015, Art. 14 N 1 ff.; Gelzer 2012, Art. 14 N 1 ff.
14 Kühni/Erni 2015, Art. 15 N 2; Gelzer 2012, Art. 15 N 1.
15 Kühni/Schleiffer 2015, Art. 16 N 8 ff.; Luginbühl 2012, Art. 16 N 15.
16 Art. 25 FusG; Bauen/Bernet 2007, N 806 f.; Truffer 2015, Art. 25 N 15 und 34 ff.; Albrecht 2012, Art.
25 N 14 ff.
17 Böckli 2009, §3 N 255; Dubs/Frehner 2015, Art. 105 N 1; Glanzmann 2014, N 777 ff.; Meier-Dieterle
2012, Art. 105 N 1.
18 Glanzmann 2014, N 779; Meier-Dieterle 2012, Art. 105 N 3 und 28.
19 Vgl. hierzu bspw. BGE 137 III 577 E. 8.2 ff.
20 Vgl. hierzu Urteil des Obergerichts Schaffhausen vom 23. Januar 2009, SJZ, 2009, S. 576 ff., bestätigt
in BGE 135 III 603 E. 2.4.
21 Dieses Phänomen ist besonders in Deutschland bekannt. Einer dieser deutschen »Berufskläger« ist
tatsächlich in der Schweiz tätig geworden und war Partei in einem der oben zitierten Gerichtsent-
scheide (vgl. BGE 135 III 603).
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V. Entwicklungen im schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht  |  623


Teil

• Da die betroffene Gesellschaft bei einem Erfolg der Klage einer großen Zahl von
Aktionären eine Ausgleichszahlung leisten muss, kann die Überprüfungsklage zu
einem sehr hohen Mittelabfluss führen. Wird eine Klage eingereicht, so schwebt
daher während der ganzen Verfahrensdauer das Risiko eines erheblichen Mittelab-
flusses über der Gesellschaft, was sowohl die Geschäftstätigkeit wie aber vor allem
auch eine Finanzierung erschweren kann.22 Immerhin haben sich die Gerichte –
analog zur »Business Judgment Rule« bei Verantwortlichkeitsklagen – eine gewisse
Zurückhaltung beim Eingriff in Austauschverhältnisse auferlegt, soweit die Fusion
zwei voneinander unabhängige Unternehmen betrifft und beim Entscheidungspro-
zess Interessenkonflikte vermieden worden sind.23 Die Gerichte gehen davon aus,
dass eine Korrektur des Austauschverhältnisses im Sinne einer Überprüfungsklage
in diesen Fällen nur möglich ist, wenn die Parteien die Grenzen des Ermessens in
willkürlicher Weise überschritten haben, d. h. sich das Austauschverhältnis nicht
mehr rechtfertigen lässt.24 Eine etwas härtere Praxis lässt sich bei Squeeze-out-Fu-
sionen feststellen, bei denen die übernehmende Gesellschaft schon vor der Trans-
aktion über 90 % der Aktien der übertragenden Gesellschaft hält und die Aktionäre
in bar abgefunden werden – in diesen Fällen kann das Gericht einen gerichtlichen
Gutachter mit der Bewertung der Gesellschaften beauftragen und auf der Basis des
entsprechenden Gutachtens frei überprüfen, ob das Austauschverhältnis angemessen
ist.25 Die genauere Kontrolle derartiger Fusionen ist m. E. gerechtfertigt, da bei einer
derart starken Beherrschung der begründete Verdacht besteht, dass der Hauptaktio-
när beim Austausch seine eigenen Interessen optimiert.

Die oben dargestellten materiellen und verfahrensmäßigen Herausforderungen führen


dazu, dass Übernahmen relativ selten im Rahmen einer Fusion durchgeführt werden.26
Auch in Fällen, in denen Aktien des Übernehmers angeboten werden, wird meistens
ein Aktientausch mit Sacheinlage vorgesehen: Die Aktionäre der übernommenen Ge-
sellschaft übertragen ihre Aktien als Sacheinlage an die übernehmende Gesellschaft,
die entsprechend neue Aktien ausgibt. Ein derartiges Vorgehen hat den Vorteil, dass
weder das komplexe Fusionsverfahren zur Anwendung kommt noch eine Überprü-
fungsklage möglich ist.27 Es ist aber auch deshalb attraktiv, weil ein allfälliger Nenn-
wertzuwachs bei den Aktionären der übertragenden Gesellschaft beim Aktientausch
steuerfrei bleibt,28 während bei der Fusion die Nennwertdifferenz besteuert wird. Wie
bereits erwähnt, ist ein Nachteil des Aktientausches aber, dass er nicht durch Mehr-
heitsbeschluss der Aktionäre durchgeführt werden kann, sondern von den individuellen
Entscheidungen der Aktionäre der Zielgesellschaft, das Tauschangebot anzunehmen,
abhängt. Daher führt eine derartige Transaktion nur dann zu einer 100 %-igen Über-
nahme, wenn alle Aktionäre das Angebot des Übernehmers annehmen.29 Die Praxis

22 Böckli 2009, § 3 N 23, der die Überprüfungsklage als »Damoklesschwert« bezeichnet; vgl. auch
Vogel/Heiz/Behnisch/Sieber 2012, Art. 105 N 18a.
23 Glanzmann 2014, N 790.
24 Vgl. BGer 4A_341/2011 vom 21.03.2012 E. 5.1.3; Glanzmann 2014, N 789  f. m. w. H.
25 Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 30.04.2014, E. II.8.2.2, ZR 113/2014, S. 195 ff.
26 Schenker 2007, S. 154; vgl. auch Tschäni/Diem/Iffland/Gaberthüel 2014, N 301 (zum Vergleich von
öffentlichen Kaufangeboten und Fusionen).
27 Glanzmann 2014, N 966; Jung 2014, S. 133.
28 Sofern es sich beim übertragenden Aktionär um eine natürliche Person handelt, welche die Aktien
steuerlich im Privat- und nicht im Geschäftsvermögen hält.
29 Mauerhofer 2009, S. 72 f.
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624  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

zeigt aber, dass die meisten Übernehmer, die Probleme, die mit einem gewissen Anteil
von Minderheitsaktionären verbunden sind, geringer einschätzen als die mit einer Fu-
sion verbundenen Aufwendungen und Risiken.
Fusionen können aber auch dazu dienen, in Konzernstrukturen bzw. nach dem Kauf
einer Mehrheitsposition Minderheitsaktionäre zu »beseitigen«. Besitzt die Muttergesell-
schaft zwei Drittel der Aktien der Zielgesellschaft, kann sie mit dieser Mehrheit eine
Absorptionsfusion durchsetzen, bei der sie die Zielgesellschaft übernimmt und die Min-
derheitsaktionäre Aktien der Muttergesellschaft erhalten. Wenn die Muttergesellschaft
über 90 % der Aktien der Zielgesellschaft hält, kann sie gemäß Art. 8 Abs. 2 FusG diese
Minderheitsaktionäre in der Fusion mit einem Barbetrag abfinden.30 In diesem Sinne
kann eine Fusion nach einem Kauf der Mehrheit der Aktien auch zum »Squeeze-out« der
Minderheitsaktionäre verwendet werden – eine Transaktionsvariante, die in den letzten
Jahren schon mehrfach durchgeführt wurde.31

2.2 Spaltung
Auch die in Art. 29 ff. FusG geregelte Spaltung kann zur Unternehmensübertragung
genutzt werden. Wenn eine Gesellschaft einen Bereich an ein anderes Unternehmen
überträgt und ihre Aktionäre dafür Aktien der übernehmenden Gesellschaft erhalten,
so kann dies als Abspaltung im Sinne von Art. 29 lit. b FusG strukturiert werden.32 Der
Ablauf der Spaltung und die Formalitäten sind ähnlich gestaltet wie bei der Fusion, was
auch bei der Spaltung zu einem relativ aufwendigen Verfahren führt.33
Hauptproblem der Spaltung ist allerdings, dass die an der Spaltung beteiligten Unter-
nehmen gemäß Art. 47 FusG solidarisch für alle Schulden der aufgeteilten Gesellschaft
haften.34 Diese zeitlich unbegrenzte Haftung kann gerade bei Ansprüchen aus Delikt
oder bei gesetzlich begründeten Verpflichtungen35 zu einem ernsten Problem werden,
da sie die Bilanz des abgespalteten Unternehmensteils bzw. der Gesellschaft, welche den
Unternehmensteil übernimmt, belasten können, auch wenn dieser Unternehmensteil
mit der betreffenden Verpflichtung sachlich nichts zu tun hat. Dies führt dazu, dass in
der Praxis die fusionsrechtliche Spaltung in M & A-Transaktionen kaum je verwendet
wird.36 Ihr Hauptanwendungsbereich sind interne Umstrukturierungen geblieben.

30 Vgl. hierzu Böckli 2009, § 3 N 198 ff.; ausführlich Mauerhofer 2009.


31 Z. B. bei den Fusionen Holcim/Lafarge und Swisslog/Kuka.
32 Watter/Büchi 2015, Art. 29 N 21 f.; Pfeifer/Dobry Oesch 2012, vor Art. 29–52 N 15.
33 Spaltungsvertrag (Art. 36 ff. FusG), Spaltungsbericht (Art. 39 FusG), Spaltungsprüfung (Art. 40
FusG), Einsichtsrecht (Art. 41 FusG) sowie Überprüfungsklage (Art. 105 FusG); vgl. hierzu auch
Übersichtstabelle in Watter/Büchi 2015, Art. 29 N 18; Glanzmann 2014, N 153.
34 Böckli 2009, § 3 N. 320; Kägi/Ehrat 2015, Art. 47 N 1a und 12 f.; Glanzmann 2014, N 153; Pfeifer/
Müller 2012, Art. 47 N 4 ff.
35 Z. B. Steuern, umweltrechtliche Sanierungspflichten etc.
36 Pfeifer/Dobry Oesch 2012, Vor Art. 29–52 N 16; vgl. zum Ganzen Watter/Büchi 2007.
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V. Entwicklungen im schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht  |  625


Teil

2.3 Vermögensübertragung
Mit der Vermögensübertragung im Sinne von Art. 69 ff. FusG ermöglicht es das Fusi-
onsgesetz, die in einem Asset Deal verkauften Aktiven in einem einheitlichen Akt zu
übertragen.37 Trotz der Vorteile, die ein derartiges Vorgehen hat, wird die Vermögen-
sübertragung selten verwendet, da sie der Öffentlichkeit im Handelsregister vollum-
fänglich offengelegt werden muss38 und da Art. 75 FusG eine solidarische Haftung des
übertragenden Unternehmens für alle übertragenen Schulden vorsieht.39 Obwohl der
Gesetzgeber eigentlich das Ziel hatte, Betriebsübertragungen zu vereinfachen, gehen
Dauerschuldverhältnisse wie z. B. langfristige Liefer- oder Lizenzverträge im Rahmen
der Vermögensübertragung nicht ohne Weiteres auf den neuen Rechtsträger über.40
Selbst wenn ein Betrieb durch Vermögensübertragung transferiert wird, ist daher für
die Übertragung von Verträgen, die mit dem Betrieb zusammenhängen, immer die
Zustimmung der Gegenpartei des betreffenden Vertrages notwendig. In der Lehre wird
heute immer stärker die Meinung vertreten, dass langfristige Verträge mit der Ver-
mögensübertragung auch ohne Zustimmung der Gegenpartei auf die übernehmende
Gesellschaft übergehen. Diese Auffassung widerspricht aber der Diskussion bei der
Beratung des Gesetzes im Parlament41 und ist bis heute nie gerichtlich bestätigt worden.
Deshalb kann in der Praxis nicht empfohlen werden, sich auf die in der Lehre vertretene
Theorie zu verlassen. Bei der vorsichtigen Planung einer Transaktion müssen immer die
Zustimmungen der Gegenparteien eingeholt werden.
Dies führt in der Praxis zur Erkenntnis, dass die Vermögensübertragung gegenüber
der traditionellen Übertragung einzelner Aktiven keine Vorteile hat. Dementsprechend
werden auch nach Einführung des Fusionsgesetzes die meisten Asset Deals dadurch
vollzogen, dass die verkauften Aktiven einzeln übertragen werden und Schulden sowie
Verträge ebenfalls einzeln auf den Übernehmer transferiert werden, wobei für diese
Übertragung jeweils die Zustimmung der Gegenpartei eingeholt wird.

3 Aktienrecht
Die zahlreichen kleineren Änderungen, die das Aktienrecht in den letzten gut zwan-
zig Jahren erfahren hat, haben nur zum geringsten Teil einen direkten Einfluss auf
M & A-Transaktionen.42 In der Praxis ist es aber im Zusammenhang mit der Diskus-
sion über die Pflichten des Verwaltungsrates zu Veränderungen gekommen, die für

37 Malacrida 2015, Art. 69 N 3; Beretta 2012, Vor Art. 69–77 N 1.


38 Art. 73 FusG; vgl. dazu Glanzmann 2014, N 688 ff.; Christ 2012, Art. 73 N 3 ff.
39 Glanzmann 2014, N 196; Beretta 2012, Vor Art. 69–77 N 87.
40 Vgl. dazu Beretta 2012, Art. 71 N 14; ausführlicher Vogel/Günter 2012.
41 Vgl. Botschaft FusG, S. 4445, jedoch ohne Begründung (dies bemerkte auch das Bundesgericht in
BGer 4C_385/2005 vom 31.01.2006, E. 1.2.2); Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, Sitzung
des Nationalrates vom 12.03.2003, S. 243 f.
42 Die bedeutsamsten Änderungen ergaben sich bei Revision und Rechnungslegung. Diese haben aber
auf M & A-Transaktionen keinen Einfluss. Insbesondere schreibt das OR auch nach der Revision
des Rechnungslegungsrechts bei der Verbuchung einer Akquisition in der konsolidierten Rechnung
kein bestimmtes Vorgehen vor; dieses hängt vielmehr vom Rechnungslegungsstandard ab, den ein
Unternehmen für die Konsolidierung wählt.
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626  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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den M & A-Bereich bedeutungsvoll sind. Durch die am 1. Januar 2014 in Kraft gesetzte
Vergütungsverordnung (VegüV; vgl. nachfolgend Kap. 3.2) kam es zu einer materiellen
Änderung des Aktienrechts für kotierte Gesellschaften. Diese Verordnung bezieht sich
zwar nicht auf M & A-Transaktionen, hat aber insofern Auswirkungen auf diese, als die
finanziellen Anreize beschränkt werden, die kotierte Gesellschaften ihren Geschäfts-
leitungsmitgliedern im Zusammenhang mit M & A-Transaktionen gewähren können.43

3.1 Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates für Transaktionen


In den letzten 25 Jahren haben sich die Vorstellungen über die richtige Corporate Go-
vernance von Aktiengesellschaften beständig weiterentwickelt.44 Diese veränderten Vor-
stellungen über die Rolle und Verantwortung der Organe haben sich im Swiss Code of
Best Practice for Corporate Governance niedergeschlagen, dessen erste Auflage im Jahr
200245 von der Economiesuisse publiziert wurde. Dabei wurden vor allem die Über-
wachungsrolle des Verwaltungsrates und seine Verantwortung für die geschäftliche
Tätigkeit der Gesellschaft immer stärker in den Mittelpunkt des Aktienrechts gerückt.46
Diese Verantwortung und vor allem auch die Aufsichtspflicht spielen natürlich auch
bei M & A-Transaktionen, die häufig große finanzielle und geschäftliche Auswirkungen
für eine Gesellschaft haben, eine wichtige Rolle. Dies zeigen auch die Diskussionen,
die das Nachlassverfahren der Swissair ausgelöst haben: In diesem Verfahren wur-
de gegenüber dem Verwaltungsrat verschiedentlich der Vorwurf erhoben, dass er eine
falsche Akquisitionspolitik verfolgt habe und Akquisitionen zugelassen habe, welche
sich das Unternehmen nicht leisten konnte, womit er letztlich die Überschuldung der
Gesellschaft herbeigeführt habe.47
Diese verstärkte Verantwortung des Verwaltungsrates für Transaktionen zeigt sich
im Übrigen auch im Fusions- und Übernahmerecht, denn Fusions- wie auch Börsenge-
setz verlangen vom Verwaltungsrat, dass er sich mit Fusionen und Übernahmen aktiv
auseinandersetzt und sich ein unabhängiges Urteil bildet, das Basis für seine Entschei-
dungen bzw. für die der Aktionäre ist: Gemäß Art. 14 FusG muss er zu einer Fusion
bzw. Spaltung nicht nur einen Beschluss fassen, sondern auch einen Bericht erstellen,
in dem er die Transaktion aus wirtschaftlicher Sicht analysiert und damit letztlich auch
begründet, weshalb er einem Fusionsvertrag zugestimmt hat.48 Gemäß Art. 132 FinfraG
muss der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft die Transaktion analysieren und den Ak-
tionären eine fundierte Empfehlung abgeben.49 Diese spezialgesetzlichen Regelungen
setzen natürlich auch Maßstäbe für Akquisitionen, die eine Gesellschaft außerhalb des
Fusions- bzw. Börsengesetzes macht.

43 Pöschel 2015, Art. 20 N 105 ff.; Oser/Müller 2014, Art. 20 N 130 ff.


44 Vgl. für eine Übersicht der Entwicklungen Müller/Lipp/Plüss 2014, S. 709 ff.
45 Revisionen fanden in den Jahren 2007 und 2014 statt.
46 Vgl. zum Ganzen etwa Gnos/Vischer 2009, S. 751 ff.; Meier-Gubser 2014, S. 63.
47 Vgl. bspw. die Parteibehauptungen in E. 3.2 des Urteils des Zürcher Handelsgerichts vom 26. Januar
2015 in Sachen SAirGroup in Nachlassliquidation gegen diverse Beklagte.
48 Kühni/Gaberthüel 2015, Art. 14 N 5 und 38 ff.; Glanzmann 2014, N 444 f.; Gelzer 2012, Art. 14 N 1 ff.,
5 und 19 f.
49 Tschäni/Iffland/Diem 2011, Art. 29 N 4.
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V. Entwicklungen im schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht  |  627


Teil

Auch wenn der Verwaltungsrat in einer Aktiengesellschaft die Entscheidung über


Durchführung und Finanzierung von Unternehmenskäufen und -verkäufen an eine Ge-
schäfts- oder Konzernleitung übertragen hat, bleibt der Verwaltungsrat für Unterneh-
menskäufe und -verkäufe in der Verantwortung, soweit derartige Transaktionen seine
unübertragbaren Aufgaben im Sinne von Art. 716a OR betreffen:50
• Je nach Grössenordnung können M & A-Transaktionen für ein Unternehmen eine ho-
he strategische Bedeutung haben, da sich die Tätigkeit des Unternehmens durch
den Kauf bzw. Verkauf von Tochtergesellschaften und Betrieben ändert. Sobald eine
Transaktion in diesem Sinne eine strategische Bedeutung für die Gesellschaft hat,
fällt sie letztlich in den Verantwortungsbereich des Verwaltungsrates, der sich mit
ihr entsprechend auseinandersetzen muss.
• Der Verwaltungsrat trägt gemäß Art. 716a Ziff. 3 OR die Verantwortung für die
Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie auch der Finanzpla-
nung.51 Diese Kompetenz zwingt ihn, darauf zu achten, dass die Akquisitionspolitik
im Rahmen der Finanzkraft des Unternehmens liegt und diese nicht gefährdet.

Die Verantwortung des Verwaltungsrates führt aber nicht dazu, dass er für den kom-
merziellen Erfolg einer Transaktion haftet: Der Verwaltungsrat haftet nur bei einer
Pflichtverletzung wie insbesondere einer Verletzung der Sorgfaltspflicht.52 Kommt es
trotz sorgfältigem Handeln zu einem wirtschaftlichen Misserfolg, so muss dieser in ers-
ter Linie von den Aktionären und in zweiter Linie von den Gläubigern der Gesellschaft
getragen werden. Die Gerichte haben bei der Beurteilung in den letzten Jahren immer
wieder festgehalten, dass geschäftliche Entscheide stets aufgrund der Informationsla-
ge beurteilt werden müssen, die sich im Zeitpunkt präsentierte, in dem der Entscheid
gefällt wurde.53 Dementsprechend darf nicht einfach aus dem späteren geschäftlichen
Misserfolg der Schluss gezogen werden, dass der Geschäftsentscheid unsorgfältig war.
Bei der Beurteilung geschäftlicher Entscheide wollen die Gerichte auch nicht ihr eigenes
Ermessen an die Stelle des Ermessens des Verwaltungsrates setzen, sondern respektie-
ren den Ermessensspielraum, den der Verwaltungsrat bei seinen Entscheiden hat. In
diesem Sinne wird in der Gerichtspraxis heute die »Business Judgment Rule« beachtet –
wenn ein Verwaltungsrat ohne Interessenkonflikt und in einem sorgfältigen Verfahren,
d. h. unter Abwägung der Vor- und Nachteile und auf einer angemessenen Informations-
basis, einen Entscheid fällt, sind die Gerichte in der Beurteilung von Geschäftsentschei-
den zurückhaltend.54 Zur Haftung kann es dementsprechend nur kommen, wenn ein
unter diesen Umständen gefällter Entscheid als völlig abwegig erscheint. Beispielsweise
hatte das Zürcher Handelsgericht aufgrund einer derartigen Analyse festgestellt, dass
der Verwaltungsrat der SAirGroup (Holdinggesellschaft der Swissair Gruppe) für die Ak-
quisition der Air Littoral nicht haftbar ist, obwohl dieser Erwerb später zu erheblichen
Verlusten führte.55 Das Gericht kam zum Schluss, dass dem Verwaltungsrat im Entschei-
dungszeitpunkt Informationen vorlagen, die vernünftigerweise für den Entscheid über

50 Kühni/Gaberthüel 2015, Art. 14 N 13 ff.; Gelzer 2012, Art. 14 N 3.


51 Watter/Roth Pellanda 2012, Art. 716a N 15 ff.; Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 16 N 419.
52 Böckli 2009, § 13 N 575 ff.; Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 16 N 578b f.
53 Vgl. hierzu die Zusammenfassung der Rechtsprechung 2014 zur »Business Judgment Rule« bei
Glanzmann 2015, S. 35 ff.; Stoffel 2015, S. 138 ff.
54 Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 16 N 578b; Druey/Druey Just/Glanzmann 2015, §13 N 28a.
55 Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 26.01.2015 in Sachen SAirGroup in Nachlassliquidation ge-
gen diverse Beklagte.
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Teil

eine derartige Transaktion vorliegen müssen, insbesondere auch eine Due Diligence
durchgeführt worden war, deren Ergebnisse dem Verwaltungsrat vorgelegt wurden, und
dass der Verwaltungsrat auch vertieft über Vor- und Nachteile der Transaktion beraten
hatte.56 Damit stellte das Gericht fest, dass der Verwaltungsrat sorgfältig gehandelt
hatte und für den wirtschaftlichen Misserfolg seiner Entscheidung nicht verantwortlich
gemacht werden konnte.57
Wenn der Verwaltungsrat die Geschäftsführung im Sinne von Art. 716b OR auf ein
Geschäftsführungsorgan58 übertragen hat, so muss er bei M & A-Aktivitäten im Sinne
seiner Oberleitungs- und Oberaufsichtsfunktion59 sowie im Rahmen seiner Verantwor-
tung für die Finanzierung der Gesellschaft60 folgende Punkte beachten:
• Gesamtstrategie:
Der Verwaltungsrat legt gemäß Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 OR die Strategie des Unterneh-
mens fest und überwacht die Geschäftsleitungsorgane gemäß Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5
OR bei der Umsetzung dieser Strategie.61 Dementsprechend muss er sich vergewissern,
dass Akquisitionen und Devestitionen, welche die Geschäftsleitung durchführt, tat-
sächlich im Rahmen der vom Verwaltungsrat beschlossenen Strategie liegen.
• Finanzierungskonzept:
Gemäß Art. 716a Ziff. 3 OR muss der Verwaltungsrat im Zusammenhang mit seiner
Verantwortung für die Finanzierung des Unternehmens sicherstellen, dass das Un-
ternehmen eine Strategie verfolgt, die es mit seinen Mitteln auch tatsächlich finan-
zieren kann.62 In diesem Sinne muss der Verwaltungsrat sicherstellen, dass Unter-
nehmenskäufe die finanziellen Möglichkeiten der Gesellschaft nicht übersteigen, und
deshalb insbesondere die Finanzierung der Transaktion und die daraus resultierende
Belastung der Gesellschaft analysieren. Dies gilt nicht nur bei großen Einzeltransak-
tionen, sondern auch für das gesamte Finanzierungsvolumen, das anfällt, wenn eine
Gesellschaft eine Wachstumsstrategie verfolgt, die auf Unternehmenskäufen basiert
und deshalb systematisch eine grössere Anzahl von Akquisitionen tätigt.63
• Risikokontrolle:
Der Verwaltungsrat hat aufgrund seiner Oberaufsichtskompetenz die Verpflichtung,
die Risikosituation des Unternehmens zu beurteilen und zu steuern. Gemäß Art. 961c
Abs. 2 Ziff. 2 OR muss der Verwaltungsrat im Lagebericht über die Durchführung
dieser Risikobeurteilung informieren,64 was seine Pflichten in diesem Bereich unter-
streicht.65
Die Pflicht zur Risikobeurteilung und -steuerung gilt auch für Akquisitionen. Ei-
nerseits muss der Verwaltungsrat sicherstellen, dass sich das Risikoprofil des Unter-
nehmens durch eine Akquisition nicht in einer für das Unternehmen untragbaren

56 Vgl. Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 26.01.2015 in Sachen SAirGroup in Nachlassliquidation
gegen diverse Beklagte, E. 7.3.5.
57 Vgl. Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 26.01.2015 in Sachen SAirGroup in Nachlassliquidation
gegen diverse Beklagte, E. 7.6.
58 Direktionsmitglied oder Delegierter.
59 Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 und 5 OR; vgl. hierzu Watter/Roth Pellanda 2012, Art. 716a N 4 ff. und 23 ff.;
Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 16 N 414 ff. und 422 ff.
60 Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3 OR; vgl. hierzu Watter/Roth Pellanda 2012, Art. 716a N 15 ff.
61 Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 16 N 415; Druey/Druey Just/Glanzmann 2015, §13 N 18.
62 Vgl. hierzu auch Art. 9 (3) des Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014; Böckli
2009, § 13 N 341.
63 Eine derartige Strategie verfolgte z. B. die SAirGroup.
64 Böckli 2010, S. 5; Böckli 2009, § 15 N 192 ff.; Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 16 N 416.
65 Müller/Lipp/Plüss 2014, S. 300.
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V. Entwicklungen im schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht  |  629


Teil

Weise verändert – dieser Fall kann z. B. eintreten, wenn die Eigenkapitalquote des
Unternehmens durch einen fremdfinanzierten Unternehmenskauf unter ein Niveau
fällt, welches für das Unternehmensrisiko genügend ist oder, wenn die Fremdfinan-
zierung einer Akquisition zu Loan Covenants führt, die das Unternehmen einem
großen Defaultrisiko aussetzen. Auch operative Risiken des zum Kauf stehenden
Unternehmens66 muss der Verwaltungsrat beachten. Er muss analysieren, ob diese
Risiken in einem vernünftigen Verhältnis zum erwarteten Ertrag stehen und der Risi-
kotragfähigkeit des eigenen Unternehmens entsprechen. Zum Bereich der Risikosteu-
erung gehört aber auch, dass der Verwaltungsrat durch entsprechende Weisungen an
die Geschäftsleitung sicherstellt, dass diese einen sorgfältigen Akquisitionsprozess
durchführt. So muss der Verwaltungsrat verlangen, dass die Geschäftsleitung das
zum Kauf stehende Unternehmen im Rahmen einer Due Diligence vor dem Verkauf
untersucht, um das Risikoprofil dieses Unternehmens zu analysieren und die Fakto-
ren, die zur Preisbestimmung führten, zu erhärten. Zum sorgfältigen Prozess gehört
auch, dass die Akquisition steuerlich richtig strukturiert wird und dass ein Vertrag
ausgearbeitet wird, der die Interessen des Unternehmens im Rahmen der konkreten
Verhandlungssituation optimal schützt.67

Die Rolle des Verwaltungsrates sollte im Sinne seiner grundsätzlichen Funktion vor al-
lem in einer »High Level Kontrolle« liegen, mit der er sicherstellt, dass die Geschäftslei-
tung Prozesse und Methoden verwendet, die zu einer sorgfältigen Prüfung und Durch-
führung der Transaktion führen.68 Die Erfahrung zeigt, dass bei Akquisitionen eine
wichtige Rolle des Verwaltungsrates darin liegt, die Überlegungen der Geschäftsleitung
mit einer gewissen Distanz kritisch zu hinterfragen. Gerade wenn die Geschäftsleitung
eine Transaktion verfolgt, die sie als große Chance zur Realisierung einer Wachstums-
strategie sieht, nimmt sie häufig eine relativ euphorische Haltung ein und sieht deshalb
manchmal die Risiken und auch die finanziellen Grenzen des Unternehmens nicht mehr
in der notwendigen Schärfe oder beachtet mit der Transaktion verbundene Probleme
nicht mehr. In dieser Situation ist es wichtig, dass der Verwaltungsrat sicherstellt, dass
ein Unternehmenskauf die finanziellen und organisatorischen Ressourcen der Gesell-
schaft nicht übersteigt und sorgfältig durchgeführt wird.
Die stärkere Rolle, die der Verwaltungsrat im Rahmen einer modernen Corporate
Governance einnehmen muss, bedingt, dass ihm zur Beurteilung von Akquisitions-
vorhaben genügend Informationen zur Verfügung gestellt werden und dass er auch
frühzeitig in die Planung der Transaktion einbezogen wird, damit er tatsächlich einen
informierten Entscheid fällen kann.69 Nach den Vorstellungen einer positiven Corporate
Governance geht es heute nicht mehr an, dass Transaktionen allein von der Geschäfts-
leitung in Absprache mit dem Verwaltungsratspräsidenten vorbereitet werden und dem
Verwaltungsrat ohne entsprechende Vorbereitung und Information an einer Sitzung

66 Z. B. große Eventualverpflichtungen des zu kaufenden Unternehmens oder hohe Volatilität der Ge-
winne.
67 Vgl. Müller/Lipp/Plüss, S. 178 ff. allg. zu den Pflichten des Verwaltungsrates im Zusammenhang mit
der finanziellen Führung des Unternehmens.
68 Watter/Roth Pellanda 2012, Art. 716a N 6.
69 Die ausreichende Informationsbasis ist denn auch haftungsrelevant (vgl. die Ausführungen zur
»Business Judgment Rule«, bspw. bei Böckli 2009, § 13 N 589).
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präsentiert werden, an der er die betreffende Transaktion dann auch sofort genehmigen
muss.70

3.2 Vergütungsverordnung (VegüV)


Wie bereits oben erwähnt, trat am 1. Januar 2014 die Vergütungsverordnung (VegüV)
in Kraft. Mit dieser Verordnung wurden die Bestimmungen von Art. 95 Abs. 3 BV um-
gesetzt, die aufgrund der »Minder-Initiative« in die Bundesverfassung aufgenommen
wurden.71 Sie schafft neue Regeln für börsenkotierte Gesellschaften, welche aufgrund
einer entsprechenden Regelung in den Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung
den Bestimmungen im Obligationenrecht vorgehen.
Art. 20 Ziff. 3 VegüV verbietet kotierten Gesellschaften, den Mitgliedern des Ver-
waltungsrates oder der Geschäftsleitung »Provisionen« im Zusammenhang mit dem
Kauf und Verkauf von Tochtergesellschaften und Betrieben zu gewähren oder derartige
Leistungen im Zusammenhang mit dem Verkauf der Gesellschaft selbst zu erbringen.72
Diese Regelung ist insbesondere bei Veräußerungen sehr problematisch, da sowohl der
Verwaltungsrat wie auch das Management zum Verkauf des Unternehmens selbst bzw.
von Tochtergesellschaften oft keinen natürlichen Anreiz haben.73 Denn die Veräußerung
des Unternehmens selbst bzw. großer Bereiche desselben und von Tochtergesellschaften
führt meist zu einer Einschränkung des eigenen Tätigkeitsbereiches und setzt die Be-
teiligten häufig auch der Gefahr aus, dass sie ihre Position verlieren.74 Probleme zeigen
sich insbesondere in folgenden Bereichen:
• Verkauft ein kotiertes Unternehmen einen großen Unternehmensbereich, so stellt
dies für das Geschäftsleitungsmitglied, das die betreffende Division leitete, eine be-
sondere Herausforderung dar.75 Einerseits kennt er den zum Verkauf stehenden Un-
ternehmensbereich am besten und ist damit prädestiniert den Verkaufsprozess zu
leiten,76 andererseits muss er aber damit rechnen, dass er beim Verkauf seine Stelle
verliert, da sein Verantwortungsbereich ja nicht mehr existieren wird oder dass er
sich allenfalls sogar beim Käufer für die Leitung des verkauften Bereiches bewerben
muss.77 Können diese negativen Punkte nicht durch einen am Verkaufserfolg ori-
entierten Spezialbonus kompensiert werden, so kann das betroffene Unternehmen
dieses Geschäftsleitungsmitglied trotz seiner Kenntnisse für den Verkaufsprozess
nicht einsetzen, da das Unternehmen realistischerweise mit einem schnellen Abgang
dieses Managers rechnen muss.78 Die Verkäuferin muss diese Aufgabe einem anderen

70 Dieses Vorgehen hatte die Geschäftsleitung der SAirGroup in dem Fall gewählt, der dem oben zi-
tierten Urteil des Handelsgerichtes vom 26. Januar 2015 zugrunde liegt. Weil der Verwaltungsrat
die Akten an der Sitzung einsehen konnte und diese sowohl vom CEO präsentiert wie auch nachher
eingehend diskutiert wurden, führte die mangelnde Vorbereitung nicht zur Haftung. Sie war aber
sicher nicht ideal.
71 Oser/Müller 2014, Allg. Einleitung N 1 ff.
72 Pöschel 2015, Art. 20, N 105 ff.; Oser/Müller 2014, Art. 20 N 131 ff.; vgl. zur Haftung des Verwal-
tungsrates in diesem Zusammenhang Isler/Schott 2014.
73 Vgl. hierzu Schärer/Oser 2006, S. 161 f.; Schenker 2014, S. 340 ff.
74 Schenker 2014, S. 304 ff.
75 Schenker 2014, S. 324.
76 Schärer/Oser 2006, S. 153.
77 Schärer/Oser 2006, S. 155; Schenker 2014, S. 304 ff.
78 Schenker 2014, S. 306 und S. 340 ff.
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V. Entwicklungen im schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht  |  631


Teil

Geschäftsmitglied oder externen Beratern übertragen. In der Praxis wird in derarti-


gen Situationen zum Teil das betroffene Geschäftsleitungsmitglied gleichzeitig mit
dem Beschluss, einen Verkaufsprozess einzuleiten, aus der Geschäftsleitung in eine
tiefere Hierarchiestufe zurückgestuft. Diese Rückversetzung kann sachlich damit
begründet werden, dass der betreffende Bereich nach dem Entscheid, einen Verkaufs-
prozess einzuleiten, für das Unternehmen keine strategische Bedeutung mehr hat
und nicht von einem Geschäftsleitungsmitglied geführt werden muss. Diese Rück-
stufung ermöglicht aber vor allem auch, dem ehemaligen Geschäftsleitungsmitglied
einen Bonus in Aussicht zu stellen, der sich am Verkaufserfolg orientiert.79
• Wird eine kotierte Gesellschaft selbst aufgrund eines öffentlichen Angebotes ver-
kauft, so befinden sich Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in einem natürlichen
Interessenkonflikt,80 da der Verwaltungsrat damit rechnen muss, dass er bei der
Übernahme seine Position verliert und deshalb eher an der Abwehr der Übernahme
als an einem hohen Preis interessiert ist.81 Die Geschäftsleitung hat dagegen das
Problem, dass sie bei Verhandlungen mit einem Übernehmer mit ihrem zukünf-
tigen Arbeitgeber spricht und deshalb eher bezüglich der eigenen Position als be-
züglich des Angebotspreises optimiert.82 Diese Interessenkonflikte konnten vor der
Inkraftsetzung der VegüV durch entsprechende Bonusversprechungen neutralisiert
werden – ein Bonus, der sich am Verkaufspreis der Gesellschaft orientierte, gab den
Beteiligten den notwendigen finanziellen Anreiz, um sich für einen möglichst hohen
Preis einzusetzen.83 In diesem Bereich lässt die VegüV keine Alternativen offen – der
negative natürliche Anreiz kann nicht mehr korrigiert werden.

Das ideologisch motivierte Bonusverbot84 bei M & A-Transaktionen von Art.  20 Ziff. 3


VegüV hat gerade bei den oben dargestellten Verkaufssituationen ungünstige Auswirkun-
gen auf die Aktionäre, da nicht mehr durch Bonusregelungen sichergestellt werden kann,
dass sich Geschäftsleitungsmitglieder in dieser, für sie persönlich schwierigen Situation,
auch tatsächlich für die Interessen der Aktionäre einsetzen.
Große Transaktionen können zu einer erheblichen zeitlichen Beanspruchung von
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung führen. Auch unter der VegüV ist es möglich,
die außerordentliche zeitliche Belastung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in
derartigen Fällen abzugelten.85 Allerdings müssen in diesem Fall Entschädigungs- und
Bonusreglemente so gestaltet werden, dass der zeitliche Aufwand ein Faktor für die
Festlegung der Entschädigung ist. Soweit diese Zahlungen nicht vom Erfolg der Trans-
aktionen, sondern nur von der zeitlichen Belastung abhängen, verletzen sie auch die
VegüV nicht.86

79 Vgl. hierzu aber Tschäni 2014, Art. 20 N 4.


80 Vgl. bspw. Böckli 2009, § 13 N 484 ff. zur schwierigen Situation des Verwaltungsrates bei Unterneh-
menskrisen, wie bspw. bei einem Übernahmeangebot.
81 Vgl. die Ausführungen zur Interessenlage des Managements bei Schärer/Oser 2006, S. 155 ff.
82 Vgl. Schenker 2014, S. 305 f.
83 Bei der Übernahme der SIG im Jahr 2006 war das Bonusmodell für Geschäftsleitung und Verwal-
tungsrat entscheidender Faktor, der dazu führte, dass sich Management und Verwaltungsrat sehr
stark für eine Auktion einsetzten, die für die Aktionäre zu einem sehr hohen Preis führte.
84 Vgl. Tschäni 2014, Art. 20 N 5 ff.
85 Pöschel 2015, Art. 20 N 114; Tschäni 2014, Art. 20 N 22; Oser/Müller 2014, Art. 20 N 144.
86 Pöschel 2015, Art. 20 N 114; Oser/Müller 2014, Art. 20 N 144.
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632  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Die Bestimmungen der VegüV beziehen sich nur auf Verwaltungsrat und Geschäfts-
leitung kotierter Gesellschaften.87 Außerhalb kotierter Gesellschaften können weiterhin
Bonuszahlungen im Zusammenhang mit M & A-Transaktionen versprochen und ausbe-
zahlt werden. Überdies ist es auch bei kotierten Gesellschaften möglich, auf unteren
Hierarchiestufen derartige Bonuszahlungen auszurichten.88

4 GmbH-Recht
Das GmbH-Recht (Art. 772 ff. OR) wurde per 1. Januar 2008 revidiert.89 Obwohl die
Revision des GmbH-Rechts von großer Bedeutung für die Gestaltung von GmbHs in
der Schweiz ist, hat sie auf M & A-Transaktionen nur wenige Auswirkungen. Wichtig
für diese Transaktionen ist allein, dass gemäß Art. 785 OR sowohl für die vertragliche
Verpflichtung zum Kauf und Verkauf von GmbH-Anteilen wie auch die Übertragung von
GmbH-Anteilen die einfache Schriftlichkeit erforderlich ist.90 Damit entfällt die früher
für die Übertragung notwendige öffentliche Beurkundung.91

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87 Knobloch 2015, Art. 1 N 1.


88 Vgl. sachlicher Anwendungsbereich von Art. 20 VegüV; hierzu Tschäni 2014, Art. 20 N 4 und Oser/
Müller 2014, Art. 20 N 14 ff.
89 Vgl. dazu immerhin Botschaft GmbH-Recht, S. 3148 ff; im Sinne einer Übersicht Chappuis und
Forstmoser/Peyer/Schott 2006.
90 Verträge über den Verkauf von Aktien können dagegen auch mündlich abgeschlossen werden.
91 Oertle/du Pasquier 2012, Art. 785 N 1; Siffert 2008, S. 78 f.
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634  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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  |  635
Teil

VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts-


und Kapitalmarktrechts
Jochen Vetter/Daniel Wiegand*

1 Einleitung
2 Aktienrecht und M & A
2.1 Die AG als Verkäuferin oder Käuferin
2.2 Die AG als Zielgesellschaft
3 GmbH-Recht und M & A
3.1 Die GmbH als Verkäuferin oder Käuferin
3.2 Die GmbH als Zielgesellschaft
4 Umwandlungsrecht

1 Einleitung
Von Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG) und öffentlichen Übernah-
men nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) abgesehen, regelt
das deutsche Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht M & A-Transaktionen nicht unmit-
telbar und im Detail. Viele gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Bestimmungen
betreffen aber einzelne Elemente einer Transaktion. Daneben ist das allgemeine ge-
sellschafts- und kapitalmarktrechtliche Fundament auch für deutsche Gesellschaften
auf Käufer- und Verkäuferseite sowie die deutsche Zielgesellschaft bei der Vorbereitung
und Durchführung einer M & A-Transaktion zu beachten. Transaktionsaspekte, die vom
Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht besonders betroffen sind, sind beispielsweise:

∗ Prof. Dr. Jochen Vetter, Partner, Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, München; Honorarprofessor, Uni-
versität zu Köln; Dr. Daniel Wiegand, Partner, Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, München.
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636  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

• Sorgfaltspflichten und Haftungsrisiken bei der Vorbereitung, Preisfindung und


Durchführung der Transaktion.
• Beschaffung der Gegenleistung bei Share-for-Share-Transaktionen, bei denen der
Kaufpreis nicht in bar, sondern in Aktien des Käufers bezahlt wird.
• Möglichkeiten und Grenzen der Integration der Zielgesellschaft nach Abschluss des
Erwerbs.
• Möglichkeiten der Einbindung der Zielgesellschaft und ihres Vermögens in die Fi-
nanzierung des Kaufpreises.
• Beteiligung der Organe Geschäftsleitung (Vorstand bzw. Geschäftsführung), Auf-
sichtsrat und Haupt- oder Gesellschafterversammlung am Vertragsschluss.
• Möglichkeiten von Minderheitsgesellschaftern, die Transaktion zu blockieren oder
die materiellen Konditionen zu beeinflussen.

Die M & A-Praxis hat gerade in den letzten Jahren interessante Gestaltungsweisen her-
vorgebracht, die unterschiedliche Transaktionstypen und damit auch ganz unterschied-
liche Rechtsgebiete miteinander kombinieren: Bei »Dual-Track-Transaktionen« arbeitet
der Verkäufer parallel an einem Exit durch Verkauf und einen Börsengang seiner Toch-
ter. Die besonderen kapitalmarktrechtlichen Vorschriften zu Börsengängen, insbeson-
dere zum Timing und zu Veröffentlichungs- bzw. Verschwiegenheitsverpflichtungen,
haben unmittelbare Auswirkungen auch auf den M & A-Prozess. Noch komplexer sind
»Triple-Track-Transaktionen«, bei denen zusätzlich an einer Trennung von der Tochter
im Wege der Abspaltung, also der Übertragung der Aktien an der Tochter auf die be-
stehenden Aktionäre der Verkäuferin, gearbeitet wird.
Das deutsche GmbH-Recht ist in weiten Teilen seit 1892 unverändert; wichtige Mo-
difikationen resultieren aus den Jahren 1980 und 2008. Das Aktiengesetz wurde 1965
grundlegend neu gefasst, wird allerdings – insbesondere in den letzten 15 Jahren – ganz
regelmäßig modifiziert, ohne dass dabei aber in Grundprinzipien eingegriffen wurde.
1994 ist das Umwandlungsgesetz hinzugekommen, das die bis dahin bestehenden Mög-
lichkeiten der Verschmelzung neu gefasst und insbesondere die Möglichkeiten der Spal-
tung ergänzt hat. Die kapitalmarktrechtlichen Pflichten, die bei einer M & A-Transaktion
von Bedeutung sein können, insbesondere die Regeln über die Börsenzulassung von
neugeschaffenen Aktien, das Übernahmerecht1, Meldepflichten 2 und Pflichten zur Ad-
hoc-Veröffentlichung von marktrelevanten Insiderinformationen sind jüngeren Datums.3
Beispiele für gesetzliche Änderungen, die die M & A-Praxis maßgeblich berührt haben,
sind etwa:
• Die verschiedenen Verschmelzungsmöglichkeiten, die eine durch qualifizierten
Mehrheitsbeschluss legitimierte Alternative zu Unternehmenskäufen gegen Bezah-
lung in Aktien bieten.
• Die verschiedenen Möglichkeiten der Spaltung, die einerseits eine Herauslösung
(Carve-out) des zu verkaufenden Geschäftsbereichs im Vorfeld einer M & A-Transak-
tion erleichtern, andererseits aber auch eine Alternative zu einer Desinvestition im
Wege des Verkaufs oder des Börsengangs darstellen können.

1 Vgl. Menke 2016.


2 Vgl. Classen 2016.
3 Eine Neuregelung der Ad-hoc-Veröffentlichungspflichten steht mit Inkrafttreten der Marktmiss-
brauchsVO zum 03.07.2016 bevor; die Meldepflichten und insbesondere die Rechtsfolgen von Verstö-
ßen wurden (erneut) durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie grundlegend neu
geregelt (in Kraft getreten am 26.11.2015, BGBl. I 2015, 2029).
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  637


Teil

• Die verschiedenen Reformen des Beschlussmängelrechts, die im Laufe der Zeit die
Rechtssicherheit für Gestaltungsvarianten, die der Zustimmung der Hauptversamm-
lung einer börsennotierten Gesellschaft bedürfen, deutlich erhöht haben (vgl. hierzu
Kap. 2.1.1).
• Der schon seit 1965 gesetzlich geregelte Abschluss eines Beherrschungs- und Ge-
winnabführungsvertrags, der 2001 eingeführte Squeeze-out bei einer Beteiligung
des Hauptaktionärs von 95 % und der 2011 eingeführte verschmelzungsrechtliche
Squeeze-out bei einer Beteiligung des Hauptaktionärs von 90 % am Grundkapital
als Möglichkeiten der Integration der erworbenen Zielgesellschaft in den Konzern
des Erwerbers nach erfolgreicher Übernahme (vgl. hierzu Kap. 2.2.3.3 und 2.2.3.4).
• Die Reform der strengen Regelungen zur Kapitalerhaltung und zu (eigenkapitalerset-
zenden) Gesellschafterdarlehen in 2008, die zu einer deutlichen Erleichterung von
Finanzierungsmaßnahmen im Zuge einer M & A-Transaktion geführt hat (vgl. hierzu
Kap. 3.2.3 und 3.2.4).
• Die gerade aktuell sehr kontrovers diskutierte Organhaftung der Geschäftsleitungen
und die von der Rechtsprechung statuierte Regelverfolgung von Schadensersatzan-
sprüchen gegen Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat4, die die Praxis der Vor-
bereitung und Durchführung von M & A-Transaktionen maßgeblich verändert haben.

Nachfolgend sollen die gesetzlichen Vorgaben des deutschen Aktienrechts und des
GmbH-Rechts für verschiedene typische Problemstellungen bei M & A-Transaktionen
dargestellt werden. Dabei werden Schwerpunkte gesetzt; ein umfassender Überblick
kann nicht gegeben werden.

2 Aktienrecht und M & A


2.1 Die AG als Verkäuferin oder Käuferin
2.1.1 Kompetenz zum Vertragsschluss

Grundsätzlich ist der Vorstand der AG ermächtigt, Unternehmensbeteiligungen zu er-


werben und zu veräußern, da es sich um eine Maßnahme der Geschäftsführung i. S. v.
§ 77 Aktiengesetz (AktG) handelt. Neben dem Vorstand kann auch der Aufsichtsrat
beim Vertragsschluss zu beteiligen sein, sofern M & A-Transaktionen entsprechender
Größenordnung nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG durch Satzung, Geschäftsordnung oder
Aufsichtsratsbeschluss seiner Zustimmung unterstellt worden sind. In diesem Fall ist
bei der Planung der Transaktion zu berücksichtigen, dass eine Entscheidung des Auf-
sichtsrats jedenfalls bei großen börsennotierten Gesellschaften und/oder mitbestimm-
ten Aufsichtsräten einen nicht unerheblichen zeitlichen Vorlauf erfordert. Ein paritätisch
mitbestimmter Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) ist bei Kapi-
talgesellschaften5 mit mehr als 2.000 Mitarbeitern in deutschen Betrieben zu bilden;

4 Grundlegend die »ARAG/Garmenbeck«-Entscheidung des BGH, Urteil vom 21.04.1997, BGHZ 135,
244.
5 Sonderregeln gelten für GmbH & Co. KG (§§ 4, 5 Abs. 2 MitbestG) sowie die SE, für die das Gesetz
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638  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

in diesem Fall wird die Hälfte der Aufsichtsratssitze von Vertretern der Belegschaft
und der Gewerkschaften eingenommen, auch wenn dem zwingend aus den Reihen der
Anteilseignervertreter stammenden Aufsichtsratsvorsitzenden bei einem Patt ein Zweit-
stimmrecht zusteht (§ 29 Abs. 2 MitbestG).6
Da die Gesellschaftsorgane an den in der Satzung festgelegten Unternehmensge-
genstand gebunden sind, können Kauf und Verkauf von Unternehmen nur in dessen
Grenzen erfolgen (§§ 23 Abs. 3 Nr. 2, 82 Abs. 2 AktG)7, insbesondere muss der Tä-
tigkeitsbereich des zu erwerbenden Unternehmens vom Unternehmensgegenstand der
erwerbenden AG umfasst sein. Spiegelbildlich hierzu darf eine Veräußerung von Akti-
vitäten nicht dazu führen, dass der Unternehmensgegenstand unterschritten wird.8 An-
dernfalls bedarf es gemäß § 179 Abs. 1 Satz 1 AktG einer formellen Satzungsänderung
durch einen Beschluss der Hauptversammlung mit qualifizierter Dreiviertelmehrheit.
Nach § 179a Abs. 1 Satz 1 AktG ist eine Zustimmung der Hauptversammlung zudem
erforderlich, wenn sich eine AG außerhalb umwandlungsrechtlicher Vorgänge dazu
verpflichtet, ihr (nahezu) gesamtes Vermögen zu übertragen.
Darüber hinaus kann sich eine Zuständigkeit der Hauptversammlung aus den unge-
schriebenen sog. Holzmüller-Grundsätzen ergeben. Nach der Holzmüller-Entscheidung
des BGH ist der Vorstand verpflichtet, bei schwerwiegenden Eingriffen in die »Mitglieds-
rechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse«
eine Entscheidung der Hauptversammlung einzuholen.9 In dem zu entscheidenden Fall
sollte ohne Zustimmung der Hauptversammlung die Ausgliederung des wertvollsten
Betriebsteils der AG (Größenordnung 80 %) auf eine 100 %-ige Tochtergesellschaft erfol-
gen, die speziell für diesen Zweck gegründet worden war. Diese Entscheidung markiert
den Beginn einer gut 20 Jahre dauernden Phase der Rechtsunsicherheit im Hinblick
darauf, welche Typen von Geschäften (insbesondere auch M & A-Transaktionen?) einen
»Holzmüller-Beschluss« der Hauptversammlung erfordern. In seinen Gelatine-Urteilen10
hat der BGH die Holzmüller-Entscheidung präzisiert. Den maßgeblichen Grund für die
Beteiligung der Hauptversammlung sieht der BGH nunmehr in der Mediatisierung der
Mitgliedschaftsrechte, wie sie insbesondere durch die Einbringung von bisher unmit-
telbar betriebenen Aktivitäten in eine Tochter herbeigeführt wird. In quantitativer
Hinsicht hat der BGH klargestellt, dass eine besondere wirtschaftliche Bedeutung der
Maßnahme vergleichbar der Konstellation im Holzmüller-Fall erforderlich ist. Nach wie
vor gibt es eine Vielzahl ungelöster Fragen; insbesondere wird die Anwendbarkeit der
Grundsätze auf Unternehmensverkäufe11 und insbesondere Unternehmenskäufe kontro-
vers diskutiert.12 Die praktische Bedeutung dieser Diskussion ist allerdings aufgrund
der anspruchsvollen quantitativen Kriterien heute nur noch vergleichsweise gering.

über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG) gilt.
6 Für deutsche Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern wird nach dem Drittelbeteili-
gungsgesetz ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder von den Arbeitnehmern gestellt.
7 Näher Kubis 2013, § 119 Rn. 66 f., 70.
8 Fleischer 2005, S. 143 f.; Fleischer 2015, § 82 Rn. 31.
9 BGH, Urteil vom 25.02.1982 (II ZR 174/80), BGHZ 83, 122.
10 BGH, Urteil vom 26.04.2004 (II ZR 155/02), »Gelatine I«, BGHZ 159, 30 und BGH, Urteil vom
26.04.2004 (II ZR 154/02), »Gelatine II«, ZIP 2004, 1001.
11 Hierzu hat der BGH den fehlenden Mediatisierungseffekt bestätigt: BGH, Beschluss vom 20.11.2006
(II ZR 226/05), AG 2007, 203. Im Übrigen bestimmt § 179a AktG, dass Verkäufe nur dann der Zu-
stimmung der Hauptversammlung unterliegen, wenn das gesamte Vermögen betroffen ist.
12 Auch für Käufe lehnt die wohl h.M. die Anwendbarkeit der Grundsätze ab, vgl. etwa Bungert 2004,
S. 1350; Reichert 2005, S. 156 f.; Götze 2004, S. 588; Kubis 2013, § 119 Rn. 71; OLG Frankfurt a.M.,
NZG 2011, 62; a.A. Habersack 2005, S. 144; Hoffmann 2015, § 119 Rn. 30a ff.
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  639


Teil

2.1.2 Beschränkungen bei der Beschaffung von Aktien als Akquisitionswährung

Mitunter komplexe gesellschaftsrechtliche Beschränkungen sind bei Share-for-Share-


transaktionen zu beachten, bei denen der Kaufpreis nicht in bar, sondern in – regel-
mäßig im Wege einer Kapitalerhöhung zu beschaffenden – Aktien des Käufers gezahlt
wird. Recht zügig und rechtssicher lassen sich die neuen Aktien besorgen, soweit ein
genehmigtes Kapital nach den §§ 202 ff. AktG zur Verfügung steht. Vorbehaltlich einer
ausreichend weit gefassten Ermächtigung in der Satzung kann der Vorstand mit Zu-
stimmung des Aufsichtsrats die neuen Aktien schaffen und dabei auch das gesetzliche
Bezugsrecht der Aktionäre ausschließen. Die Beteiligung der Aktionäre beschränkt sich
auf einen Beschluss der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit zur Schaffung
des genehmigten Kapitals (für einen Zeitraum von maximal fünf Jahren). Eine Verhin-
derung der Ausnutzung eines wirksam geschaffenen genehmigten Kapitals wäre Aktio-
nären nur im Wege der einstweiligen Verfügung möglich, was für die Antragsteller al-
lerdings im Falle einer ungerechtfertigten Anordnung eine Schadensersatzpflicht (§ 945
Zivilprozessordnung [ZPO]) zur Folge hätte und dementsprechend in der Praxis äußerst
selten ist. Die von der Rechtsprechung an die Schaffung eines genehmigten Kapitals
gestellten Voraussetzungen sind eher gering.13 Entsprechend halten fast alle börsenno-
tierten Gesellschaften ein genehmigtes Kapital vor, das auch Kapitalerhöhungen gegen
Sacheinlagen, insbesondere gegen Einbringung von Unternehmensbeteiligungen, unter
Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zulässt. Kraft Gesetzes ist das genehmigte
Kapital auf 50 % des Grundkapitals beschränkt (§ 202 Abs. 3 AktG), jedoch unterstützen
institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater genehmigte Kapitalia mit der Mög-
lichkeit des Bezugsrechtsausschlusses, die über 20 % des Grundkapitals hinausgehen,
regelmäßig nicht mehr.
Steht kein ausreichendes genehmigtes Kapital zur Verfügung, bleibt zur Schaffung
neuer Aktien nur die ordentliche Kapitalerhöhung durch Hauptversammlungsbeschluss
(§§ 182 ff. AktG). Wenn die Aktien als Akquisitionswährung verwendet werden sollen,
muss das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen werden. Eine ordentliche Kapita-
lerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss ist zum einen vergleichsweise langwierig und
zum anderen mit nicht unerheblichen Vollzugsrisiken verbunden. Nach § 186 Abs. 4
Satz 2 AktG ist den Aktionären in einem schriftlichen Bericht sowohl der Ausschluss
der Bezugsrechte als auch der Ausgabebetrag der neuen Aktien ausführlich zu begrün-
den.14 Im Nachgang der Hauptversammlung kann jeder Aktionär unabhängig vom Um-
fang seiner Beteiligung eine Anfechtungsklage gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss
erheben. Bis über diese final im Instanzenzug entschieden ist, würden mehrere Jahre
vergehen. Das Wirksamwerden der Kapitalerhöhung erfordert die Eintragung des Be-
schlusses und der Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister (§§ 184,
189 AktG). Theoretisch wäre es zwar denkbar, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss trotz
anhängiger Anfechtungsklage eingetragen wird, praktisch geschieht dies aber kaum.15

13 BGH, Urteil vom 23.06.1997 (II ZR 132/93), »Siemens/Nold«, BGHZ 136, 133; hierzu Kirchner/Sailer
2002, S. 306.
14 Zu den hohen formellen und materiellen Anforderungen Kirchner/Sailer 2002, S. 308 f.; Servatius
2015, § 186 Rn. 25 ff.
15 Damit wäre auch den Unternehmen aufgrund der verbleibenden Rechtsunsicherheit nicht gedient,
da die Rechtsfolgen einer durchgeführten, aber nachträglich aufgrund einer erfolgreichen Anfech-
tungsklage für nichtig erklärten Kapitalerhöhung nach wie vor unsicher sind, hierzu etwa Servatius
2015, § 189 Rn. 6.
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640  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Anfechtungsklagen werden typischerweise auf formale Mängel der Einberufung


und Durchführung sowie insbesondere auf die Behauptung gestützt, die in der Haupt-
versammlung oder einem vorbereitenden schriftlichen Bericht erteilten Informationen
seien falsch oder unzureichend. Bei ordentlichen Kapitalerhöhungsbeschlüssen unter
Ausschluss des Bezugsrechts kann die Anfechtungsklage darüber hinaus auf die Be-
hauptung gestützt werden, die Sacheinlage sei überbewertet und der Ausgabebetrag der
neuen Aktien sei unangemessen niedrig festgesetzt worden (§ 255 Abs. 2 AktG analog).
Bei anderen Strukturmaßnahmen wie der Verschmelzung, dem Abschluss von Unter-
nehmensverträgen und dem Squeeze-out steht Aktionären für solche Bewertungsrügen
das Spruchverfahren zur Verfügung, bei dem über die Bewertungsrüge in einem sepa-
raten Verfahren entschieden wird, das die Wirksamkeit der Maßnahme unberührt lässt;
für Kapitalerhöhungen ist ein Spruchverfahren dagegen nicht vorgesehen.
Es ist offensichtlich, dass ein solcher Hebel in der Hand jedes Kleinaktionärs zu
Missbräuchen einlädt. In der Tat hat sich in Deutschland eine Gruppe besonders akti-
ver, häufig als »räuberisch« bezeichneter Aktionäre herausgebildet, die es nur darauf
anlegt, Anfechtungsklagen zu erheben, um sich diese dann »abkaufen« zu lassen.16
Der Gesetzgeber hat das Problem erkannt und versucht, es mit einer ganzen Reihe von
Gesetzesänderungen in den Griff zu bekommen. Wesentliches Element ist das sog.
Freigabeverfahren nach § 246a AktG17, mit dem die Gesellschaft die bestandskräftige
Eintragung der Maßnahme trotz erhobener Anfechtungsklage erreichen kann. Erfolg
hat der Freigabeantrag, wenn (i) der Anfechtungskläger einen anteiligen Betrag am
Grundkapital von weniger als 1.000 EUR hält, (ii) die Anfechtungsklage unzulässig
oder offensichtlich unbegründet ist oder (iii) vorbehaltlich einer besonderen Schwere
des Rechtsverstoßes eine wirtschaftliche Abwägung der Interessen des Anfechtungs-
klägers einerseits und der Gesellschaft und der übrigen Aktionäre andererseits für ein
alsbaldiges Wirksamwerden der Maßnahme spricht.
Allgemein sind die Erfahrungen mit dem Freigabeverfahren seit der letzten Gesetzes-
änderung 2009 aus Sicht der Unternehmen sehr gut. In der Regel hat ein Freigabeantrag
der Gesellschaft bei wichtigen Strukturmaßnahmen Erfolg. Für ordentliche Kapitaler-
höhungsbeschlüsse gilt diese Einschätzung nicht uneingeschränkt. Eine Besonderheit
der ordentlichen Kapitalerhöhung ist, dass Minderheitsaktionäre die Überbewertung
der Sacheinlage, bei einer M & A-Transaktion mit Kaufpreiszahlung in Aktien also die
Unangemessenheit des Kaufpreises, nur im Wege der Anfechtungsklage geltend machen
können und ein verbreitetes Unbehagen besteht, ob die Gerichte mit der Bewertungsrü-
ge im Freigabeverfahren sachgerecht umgehen können.18 Selbst bei einem erfolgreichen
Freigabeverfahren bleibt es im Übrigen bei einer Verzögerung von etwa vier bis sechs
Monaten ab der Hauptversammlung, die bei einer M & A-Transaktion ein »Dealkiller«
sein kann. Diese rechtlichen Risiken und zeitlichen Verzögerungen sind der Grund
dafür, dass öffentliche Übernahmen durch deutsche Bieter so selten als liquiditätsscho-
nende Umtauschangebote durchgeführt werden19, und auch bei Private M & A-Transak-

16 Ausführlicher zu dieser Problematik die empirischen Untersuchungen von Baums/Keinath/Ga-


jek 2007, S. 1629 ff.; Baums/Drinhausen/Keinath 2011, S. 2329 ff.; Bayer/Hoffmann/Sawada 2012,
S. 897 ff.; Bayer/Hoffmann 2015, S. 12 ff.
17 Identische Vorschriften sehen § 319 Abs. 6 AktG für Eingliederung und Squeeze-out und § 16 Abs. 3
UmwG für alle Umwandlungsvorgänge vor.
18 Ausführlich Vetter 2010, S. 819 ff.
19 Ausführlich zu ordentlichen Kapitalerhöhungen zur Durchführung von Umtauschangeboten Vetter
2011, S. 1371 ff.
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  641


Teil

tionen sieht man Aktien als Akquisitionswährung regelmäßig nur dann, wenn sie aus
genehmigtem Kapital gestellt werden können 20.

2.1.3 Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten

Ist eine börsennotierte AG am Kauf oder Verkauf von Unternehmensanteilen beteiligt, so


folgen besondere Informations- und Bekanntmachungspflichten aus den Bestimmungen
des Kapitalmarktrechts.
Zunächst verpflichtet § 21 Abs. 1 Satz 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) jeden
Aktionär einer börsennotierten Gesellschaft 21, der einen bestimmten Schwellenwert der
Stimmrechte (3 %, 5 %, 10 %, 20 %, 25 %, 30 %, 50 % und 75 %) über- oder unterschrei-
tet, dies der AG selbst und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
mitzuteilen; die Gesellschaft hat die Mitteilungen ihrerseits unverzüglich zu veröffent-
lichen. § 22 WpHG enthält weitreichende Zurechnungsvorschriften, nach denen insbe-
sondere Stimmrechte aus Aktien zugerechnet werden, die von Tochtergesellschaften,
Treuhändern oder abgestimmt Handelnden gehalten werden. Bei mehrstufigen Struk-
turen auf der Käuferseite, wie sie bei Private Equity Investoren, Staatsfonds, aber auch
Familienunternehmen üblich sind, muss jede Stufe melden; Stimmrechtsmitteilungen
können daher eine immense Komplexität erreichen.
Erreicht oder überschreitet der Aktionär erstmalig die Beteiligungsschwelle von 10 %
oder eine der höheren Schwellen, so muss er der börsennotierten AG gemäß § 27a
WpHG darüber hinaus die mit dem Erwerb der Stimmrechte verbundenen Ziele und
die Herkunft der Mittel mitteilen. §§ 25 und 25a WpHG enthalten Mitteilungspflich-
ten für Finanzinstrumente, die es dem Inhaber oder einem Dritten ermöglichen, mit
Stimmrechten versehene Aktien zu erwerben, sofern dadurch zusammen mit bereits
gehaltenen oder zugerechneten Aktien eine der vorgenannten Stimmrechtsschwellen
mit Ausnahme der 3 %-Schwelle überschritten wird. Das noch bis vor wenigen Jahren
mögliche und bei Übernahmen praktizierte unbemerkte »Anschleichen« an eine Ziel-
gesellschaft durch den Einsatz insbesondere von Cash Settled Equity Swaps22 ist heute
nicht mehr möglich. Die Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Meldepflichten sind
schneidig: Neben Bußgeldern droht ein Verlust der Rechte aus den Aktien (§ 28 WpHG).
Die grundlegende Reform der §§ 21 ff. WpHG durch die am 26. November 2015 in Kraft
getretene Umsetzung der Transparenzrichtlinie wird insbesondere die Rechtsfolgen von
Verstößen noch deutlich verschärfen und ausweiten.23
Erwirbt ein Aktionär mindestens 30 % der Stimmrechte an einer börsennotierten
Gesellschaft, ist er nach § 35 WpÜG verpflichtet, den Aktionären der Zielgesellschaft ein
Übernahmeangebot zum Erwerb ihrer Aktien zu unterbreiten; der Erwerbspreis muss
bestimmte Mindestpreisvorgaben einhalten.24

20 In anderen Fällen wird der Käufer eher eine Zwischenfinanzierung (»Equity Bridge«) aufnehmen,
die dann später aus den Erlösen einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht zurückgeführt wird.
21 Für nicht börsennotierte Aktiengesellschaften sieht § 20 AktG weniger weitreichende und insbeson-
dere erst an eine Beteiligung von 25 % anknüpfende Meldepflichten vor.
22 Beispiele sind der Aufbau einer Beteiligung von Schaeffler an der Continental AG oder von Porsche
an VW; für Einzelheiten vgl. Classen 2016, Kap. 3.
23 BGBl. I 2015, 2029; zu den Meldepflichten ausführlicher Classen 2016.
24 Details zur Bestimmung des Erwerbspreises sind in § 31 WpÜG und insbesondere den §§ 3 ff. der
WpÜG-AngebotsVO geregelt; zum deutschen Übernahmerecht ausführlicher Menke 2016.
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642  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Ist bei einer M & A-Transaktion der Käufer, der Verkäufer oder die Zielgesellschaft
börsennotiert, ist die ebenfalls in den letzten Jahren verschärfte25 Pflicht zur Ad-hoc-
Mitteilung von Insiderinformationen zu beachten. Ab welchem Zeitpunkt für die jewei-
lige Gesellschaft eine diese unmittelbar betreffende Information vorliegt, deren öffent-
liches Bekanntwerdenden den Börsenpreis der Aktien (oder sonstiger Insiderpapiere)
erheblich zu beeinflussen geeignet ist, kann gerade bei M & A-Transaktionen, die sich
über einen längeren Zeitraum hinziehen und vor ihrer Finalisierung der Zustimmung
verschiedener Gremien bedürfen, schwierig zu beurteilen sein. Hilfestellung bietet der
von der BaFin herausgegebene Emittentenleitfaden.26 Liegt eine an sich veröffentli-
chungspflichtige Insiderinformation vor, kann sich die Gesellschaft nach § 15 Abs. 3
WpHG selbst befreien, solange es der Schutz ihrer berechtigten Interessen erfordert,
keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten ist und die Vertraulichkeit der Infor-
mation gewährleistet werden kann. Auch wenn dies aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 3
WpHG nicht erkennbar ist, verlangt die BaFin hierfür einen Beschluss des geschäftsfüh-
renden Organs.27 Auch die Regeln der Ad-hoc-Publizität werden kurzfristig geändert.
Die europäische Marktmissbrauchsverordnung, die bis zum 3. Juli 2016 in nationales
Recht umzusetzen ist, sieht eine Erweiterung des Anwendungsbereichs (insbesondere
auch auf lediglich im Freiverkehr gehandelte Gesellschaften) und Konkretisierungen
vor.28

2.2 Die AG als Zielgesellschaft


2.2.1 Neutralitätspflicht des Vorstands

Umstritten ist, ob der Vorstand der Zielgesellschaft beim geplanten Verkauf von Aktien
durch einen (Mehrheits-)Aktionär einer Neutralitätspflicht unterliegt. Gesetzlich aus-
drücklich geregelt ist das sog. Verhinderungsverbot nach § 33 Abs. 1 WpÜG im Rahmen
öffentlicher Übernahmeangebote. Danach darf der Vorstand der Zielgesellschaft keine
Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte.
Allerdings sieht § 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG weitreichende Ausnahmen vor.29 So darf
der Vorstand weiterhin Maßnahmen vornehmen, die er auch ohne Übernahmeangebot
getätigt hätte (Var. 1), auch wenn diese sich objektiv übernahmeverhindernd auswir-
ken. Er darf auch nach konkurrierenden Übernahmeangeboten (»Weißer Ritter«) suchen
(Var. 2). Zulässig sind nach dem Wortlaut auch Maßnahmen, die mit Zustimmung des
Aufsichtsrats erfolgen (Var. 3); die Bedeutung dieser Alternative ist gleichwohl gering,
da der Aufsichtsrat seinerseits einer nicht minder weitgehenden Pflichtenbindung un-
terliegt. Weitere, in Deutschland praktisch wenig bedeutsame Ausnahmen sind in §§ 33
Abs. 2 und 33a ff. WpÜG geregelt.

25 Grundlegend die Entscheidungen zur Beendigung des Amts des Vorstandsvorsitzenden der Daimler
AG Schrempp, BGH, Beschluss vom 23.04.2013 (II ZB 7/09), NJW 2013, 2114; EuGH, Urteil vom
28.06.2012 (C-19/11), NJW 2012, 2787.
26 Emittentenleitfaden 2013 der BaFin, S. 45 ff., 58 f.
27 Emittentenleitfaden 2013 der BaFin, S. 59.
28 Näher hierzu Klöhn 2015, S. 809 ff.
29 Ausführlicher etwa Schlitt/Ries 2011, § 33 WpÜG Rn. 127 ff.
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  643


Teil

Außerhalb von öffentlichen Übernahmeangeboten richtet sich die Zulässigkeit von


Einflussnahmen des Vorstands der Zielgesellschaft auf beabsichtigte Wechsel im Aktio-
närskreis nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen. Einerseits ist der Vorstand
zur Gleichbehandlung aller Aktionäre (§ 53a AktG) und zur Unterlassung einseitiger
und aus Eigeninteresse erfolgender Partei- und Einflussnahme auf die Zusammenset-
zung des Aktionärskreises verpflichtet. Andererseits ist oberste Handlungsmaxime das
Unternehmensinteresse, das nicht mit dem Interesse der Aktionäre und erst recht nicht
einzelner Aktionäre gleichgesetzt werden kann; maßgeblich sind die Interessen aller
Stakeholder einschließlich der Arbeitnehmer.30 Soweit eine durch einen Aktienverkauf
erstrebte Veränderung des Aktionärskreises oder auch dessen Verhinderung im Unter-
nehmensinteresse liegt, darf der Vorstand tätig werden. Dies kann die Unterstützung
des Aktionärs bei seinen Verkaufsbemühungen genauso umfassen wie eine Behinde-
rung der Verkaufsbemühungen durch die Verweigerung einer solchen Unterstützung.
Auch kann eine Differenzierung zwischen verschiedenen Kaufinteressenten gerechtfer-
tigt sein, zumal es keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung von Erwerbsinteressenten
gibt.31

2.2.2 Zulassung einer Due-Diligence-Prüfung

Zwar sind über börsennotierte Gesellschaften typischerweise wesentlich mehr Informa-


tionen öffentlich zugänglich als über sonstige Gesellschaften; trotzdem werden Käufer
eines maßgeblichen Aktienpakets häufig eine Due-Diligence-Prüfung verlangen oder
ansonsten jedenfalls die Unsicherheiten aufgrund der dünnen Informationslage negativ
einpreisen. Es fragt sich, wie der Vorstand der Zielgesellschaft mit dem Wunsch eines
verkaufswilligen Aktionärs nach Zulassung einer Due-Diligence-Prüfung durch den
Kaufinteressenten umzugehen hat. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG verpflichtet den Vorstand
zu strikter Verschwiegenheit im Hinblick auf vertrauliche Informationen, insbesondere
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse; Verstöße sind nach § 404 AktG strafbar. Der Vor-
stand befindet sich insoweit in keiner einfachen Situation. Folgende Grundsätze lassen
sich heute festhalten:
• Der Vorstand ist rechtlich nicht verpflichtet, eine Due-Diligence-Prüfung zuzulassen.
Der Mehrheitsaktionär kann nur bei Vorliegen eines Beherrschungsvertrags durch
Weisung die Zulassung einer Due Diligence erzwingen.
• Der Vorstand ist berechtigt, eine Due-Diligence-Prüfung dann zuzulassen, wenn
nach seinem pflichtgemäßen Ermessen das Interesse der Gesellschaft an der durch
die Due Diligence zu ermöglichenden Transaktion die Geheimhaltungsinteressen
überwiegt. Ein Interesse der Gesellschaft an der Transaktion wird man insbeson-
dere dann bejahen können, wenn der Verkauf alle Aktien der Gesellschaft betrifft
oder jedenfalls mit einem Übernahmeangebot an alle Aktionäre verbunden ist, die
Transaktion also allen Aktionären zugutekommt. Auch die Person des Erwerbers
und seine Pläne für die Gesellschaft sind zu berücksichtigen. Bei der Bewertung der
Geheimhaltungsinteressen sind die bei M & A-Transaktionen üblichen Mechanismen
zur Wahrung der Vertraulichkeit (Geheimhaltungsvereinbarung, abgestufter Zugang
zum Datenraum, Zugänglichmachung der besonders vertraulichen Dokumente erst

30 Fhr. v. Falkenhausen 2007, S. 98; Fuchs 2006, § 22 Rn. 108 ff.


31 Ausführlicher zur Neutralitätspflicht etwa Hopt/Roth 2015, § 93 Rn. 213 ff.; Seibt 2015, § 76 Rn. 26.
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644  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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bei hoher Transaktionswahrscheinlichkeit und/oder nur gegenüber Beratern) und


wiederum die Person des Erwerbsinteressenten (Wettbewerber?) zu berücksichtigen.
• Besondere Vorsicht ist bei Insiderinformationen börsennotierter Gesellschaften gebo-
ten; das Verbot von Insidergeschäften verbietet auch die unbefugte Mitteilung oder
Zugänglichmachung von Insiderinformationen (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). Soweit die
Transaktion und die Zulassung der Due-Diligence-Prüfung im Interesse der Gesell-
schaft liegt, ist die Weitergabe entsprechender Informationen durch den Vorstand im
Rahmen der Due Diligence auf Basis einer Vertraulichkeitsvereinbarung allerdings
nicht zwingend als unbefugt anzusehen.32 Allerdings wird der Vorstand sorgfältig
prüfen müssen, ob er diese Information nicht spätestens zeitgleich veröffentlichen
muss, da die Voraussetzung einer Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG nicht
mehr vorliegen.
• Für die Zulassung und Reichweite der Due-Diligence-Prüfung ist der Vorstand zu-
ständig.33 Da die Entscheidung das gesamte Unternehmen betrifft und die einzelnen
Ressortkompetenzen überschritten werden, ist hierfür ein Beschluss des Gesamt-
vorstands erforderlich; teilweise wird sogar Einstimmigkeit verlangt.34 Einer Kon-
sultation des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung bedarf es hingegen nicht.35
• Außenstehende Aktionäre haben keinen Anspruch aus § 131 Abs. 4 AktG auf Ertei-
lung derselben Informationen in der nächsten Hauptversammlung, da die Absicht,
ein maßgebliches Aktienpaket zu veräußern, ein sachlicher Grund ist und die In-
formationen nicht ausschließlich aufgrund der Aktionärseigenschaft, sondern zur
Erleichterung einer im Unternehmensinteresse liegenden Transaktion zugänglich
gemacht werden.36

2.2.3 Post-Closing-Integrationsmöglichkeiten (nach Übernahme)

2.2.3.1 Gesetzlicher Ausgangspunkt

Der Erwerber einer Mehrheitsbeteiligung und auch des gesamten Aktienkapitals einer
deutschen AG muss sich der Beschränkungen seines Einflusses aufgrund der Vorgaben
des deutschen Aktienrechts bewusst sein, insbesondere:
• Der Vorstand wird nicht direkt durch die Hauptversammlung gewählt, sondern durch
den Aufsichtsrat bestellt. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner er-
folgt nach §§ 101 Abs. 1 und 133 Abs. 1 AktG durch Beschluss der Hauptversamm-
lung mit einfacher Mehrheit. Der herrschende Aktionär, der in der Hauptversamm-
lung über die einfache Mehrheit verfügt, kann also 100 % der Anteilseignervertreter
wählen.37 Eine Auswechslung von Aufsichtsratsmitgliedern während der Amtszeit
(die regelmäßig ca. fünf Jahre beträgt, § 102 Abs. 1 AktG) ist aber nur möglich, wenn

32 Fleischer/Körber 2013, S. 300; Müller 2000, S. 3456; Roschmann/Frey 1996, S. 454; Hilgendorf 2013,
§ 14 WpHG Rn. 175.
33 Schlitt/Ries 2011, § 35 WpÜG Rn. 247.
34 Meincke 1998, S. 751; Körber 2002, S. 268.
35 Körber 2002, S. 265; Fleischer/Körber 2013, S. 303.
36 Siehe etwa Hein/Tietz 2010, S. 89.
37 Bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften (zur Definition siehe § 264d HGB) ist allerdings nach
§ 100 Abs. 5 AktG ein unabhängiger Finanzexperte zu bestellen, wobei umstritten ist, ob dies auch
Unabhängigkeit vom Mehrheitsaktionär erfordert; dafür Habersack 2014, § 100 Rn. 68; Spindler
2015, § 100 Rn. 54.
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Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt niederlegen oder abberufen werden (§ 103 Abs. 1


AktG); der Abberufungsbeschluss der Hauptversammlung erfordert eine Dreivier-
telmehrheit, sofern die Satzung nicht eine einfache Mehrheit anordnet. Wenn ein
Aktionär die Kontrolle über den Aufsichtsrat erlangt, kann der Vorstand vor Ablauf
der Amtszeit trotzdem nur ausgewechselt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt
(§ 84 Abs. 3 AktG).
• § 76 Abs. 1 AktG: Der Vorstand darf und muss die Gesellschaft unter eigener Verant-
wortung leiten und unterliegt dabei weder Weisungen des Aufsichtsrats noch (erst
recht) der Hauptversammlung. Nur bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags (vgl.
hierzu Kap. 2.2.3.3) sind Weisungen durch das Mutterunternehmen möglich.
• Nach den zwingenden und weitreichenden Bestimmungen des Kapitalschutzes nach
den §§ 57 ff. AktG wird anders als bei der GmbH nicht nur das Grundkapital, son-
dern das gesamte Vermögen der AG geschützt.38 Erfasst werden sowohl offene als
auch verdeckte Vermögensverschiebungen an oder zugunsten eines Aktionärs. Eine
Erleichterung oder jedenfalls Klarstellung hat der Gesetzgeber 2009 durch die Rege-
lung vorgenommen, dass eine unzulässige Kapitalrückzahlung nicht bei Leistungen
vorliegt, die durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch
gedeckt sind (§ 57 Abs. 1 Satz 3 AktG, vgl. Kap. 3.2.4.2 zur Parallelregelung im
GmbH-Recht).
• Inwieweit diese Erleichterung auch für die Gewährung von Upstream-Sicherheiten
zugunsten eines Aktionärs gilt, ist nach wie vor äußerst umstritten. Die im GmbH-
Recht übliche Limitation Language, die die Verwertung der Sicherheit verbietet, so-
weit dies zu einem Verstoß gegen die Kapitalbindungsvorschriften führt (vgl. Kap.
3.2.4.3), würde bei einer AG angesichts der Weite der Kapitalbindung im Ergebnis
jede Verwertung ausschließen.
• § 71a Abs. 1 Satz 1 AktG verbietet jede Unterstützung der Finanzierung des Erwerbs
von Aktien durch die Gesellschaft (sog. Financial Assistance). Danach ist ein Rechts-
geschäft nichtig, das die Gewährung eines Vorschusses, eines Darlehens oder die
Leistung einer Sicherheit durch die AG an einen anderen zum Zweck des Erwerbs
von Aktien dieser Gesellschaft zum Gegenstand hat. Der Tatbestand des § 71a Abs. 1
Satz 1 AktG schließt über den Wortlaut hinaus auch Finanzierungshilfen ein, die ei-
nem Aktienerwerb zwar zeitlich nachfolgen, aber in unmittelbarem Zusammenhang
mit ihm stehen.39 Damit ist die beim Unternehmenskauf typische Situation erfasst,
bei der der Käufer den Erwerb mit Krediten finanziert und im Anschluss das Vermö-
gen der Zielgesellschaft einsetzen möchte, um die Kredite zu besichern.

Diese strenge gesetzliche Ausgangslage setzt der Integration einer AG in den Konzern
des Erwerbers sehr enge Grenzen. Allerdings lässt das deutsche Konzernrecht Ausnah-
men und Erleichterungen zu, die nachfolgend skizziert werden sollen. Praktische Rele-
vanz haben neben einem regelmäßig nach einem Squeeze-out erfolgenden Formwechsel
in eine GmbH nur die Regelungen zum faktischen Konzern (§§ 311 ff. AktG) und der Be-
herrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nach §§ 291 ff. AktG. Die in den §§ 319 ff.
AktG geregelte Eingliederung hat heute in Deutschland keinerlei Bedeutung mehr.

38 Vgl. nur Koch 2014, § 57 Rn. 2; Diem 2013, § 45 Rn. 1; Raiser/Veil 2010, § 19 Rn. 1; a. A. Altmeppen
2006, S. 1031 f.; Henze 2005, S. 721.
39 Diem 2013, § 45 Rn. 55; Oechsler 2008, § 71a Rn. 36.
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2.2.3.2 Integrationsmöglichkeiten im faktischen Konzern

Gewisse, allerdings immer noch sehr begrenzte Möglichkeiten zur Einbindung einer
(mehrheitlich) übernommenen Tochter-AG in den Konzern der Erwerberin bietet der
in den §§ 311 ff. AktG geregelte sog. faktische Konzern. Die Grundnorm des § 311
AktG erlaubt dem Vorstand der erworbenen Tochter, nachteiligen Einflussnahmen des
herrschenden Unternehmens – das ist insbesondere ein mehrheitlich beteiligtes Unter-
nehmen (siehe §§ 16 f. AktG) – nachzugeben, wenn der Nachteil bis zum Geschäftsjah-
resende ausgeglichen oder zumindest eine Vereinbarung über den Nachteilsausgleich
getroffen wird. Die strengen Kapitalbindungsvorschriften der §§ 57 ff. AktG, die an sich
jegliche vermögensmäßige Benachteiligung der AG zugunsten eines ihrer Aktionäre ver-
bieten und jedenfalls einen sofortigen Nachteilsausgleich verlangen, werden durch § 311
AktG zeitweise bis zum ordnungsgemäßen Nachteilsausgleich verdrängt.40 Eine ent-
sprechende zeitweise Verdrängung wird zunehmend auch für das Verbot der Financial
Assistance nach § 71a AktG angenommen.41 Erkauft wird diese Privilegierung des zeit-
lich verzögerten Nachteilsausgleichs einerseits durch eine gesteigerte Überprüfung der
konzerninternen Beziehungen durch den vom Abschlussprüfer und vom Aufsichtsrat
zu prüfenden Abhängigkeitsbericht (§§ 312 ff. AktG) und andererseits durch eine ver-
schärfte Haftung des herrschenden Unternehmens und seiner Organe sowie der Organe
der Zielgesellschaft bei Nichtdurchführung des Nachteilsausgleichs (§§ 317 f. AktG).
Der Käufer einer Mehrheitsbeteiligung an einer AG darf diese Privilegierungen nicht
überschätzen; die Möglichkeiten der Integration der Zielgesellschaft bleiben begrenzt:
• Das herrschende Unternehmen hat im faktischen Konzern keinerlei Weisungsrechte
gegenüber dem Vorstand der erworbenen AG, sondern ist auf dessen freiwillige Ko-
operation angewiesen.
• Der Vorstand der AG ist nach Begründung der Abhängigkeit zwar berechtigt, die
eigene Strategie zu überprüfen und dem geänderten Konzernumfeld anzupassen; er
bleibt aber allein auf die Wahrung der Interessen der AG und nicht etwa des Kon-
zerns, dem die Gesellschaft nun angehört, verpflichtet.
• Das System der §§ 311 ff. AktG beruht auf dem Ausgleich der Nachteile jeder einzel-
nen von der Muttergesellschaft veranlassten nachteiligen Maßnahme. Das bedeutet,
dass für die AG nachteilige Maßnahmen, bei denen der Nachteil nicht quantifiziert
werden kann oder aus sonstigen Gründen einem Einzelausgleich nicht zugänglich
ist, unzulässig sind. Bedeutung hat dies insbesondere für konzernintegrative Maß-
nahmen wie die Zentralisierung von Kompetenzen (wie beispielsweise der F & E-Ak-
tivitäten) bei der Muttergesellschaft oder einer konzernweiten Aufgabenverteilung
unter Beschränkung der AG auf einen Teilbereich ihrer bisherigen Aktivitäten. Qua-
lifizierte Nachteile, die so weitgehend in die Struktur oder die Unternehmenstätigkeit
der Gesellschaft eingreifen, dass einzelne Nachteile nicht mehr zu isolieren sind,
sind unzulässig.42

40 BGH, Urteil vom 01.12.2008 (II ZR 102/07), BGHZ 179, 76; BGH, Urteil vom 31.05.2011 (II ZR 141/09),
BGHZ 190, 7; Vetter 2015, § 311 Rn. 117 m.w.N.
41 Habersack 2013, § 311 AktG Rn. 82; Oechsler 2008, § 71a Rn. 8; Riegger 2008, S. 240; Vetter 2015,
§ 311 Rn. 119; a.A. Koppensteiner 2013, § 311 Rn. 163; Lutter/Wahlers 1989, S. 9.
42 Vgl. etwa Vetter 2015, § 311 Rn. 71 und 109 ff. m. w. N.
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  647


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2.2.3.3 Integrationsmöglichkeiten im Vertragskonzern

Große Bedeutung haben daher Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge nach


§ 291 Abs. 1 AktG, die deshalb regelmäßig nach der Übernahme der Mehrheit an einer
deutschen AG angestrebt werden. Deren Abschluss erfordert die Zustimmung der Haupt-
versammlung der erworbenen AG mit einer qualifizierten Kapitalmehrheit von 75 %
(§ 293 Abs. 1 AktG). Öffentliche Übernahmeangebote sehen daher typischerweise eine
entsprechende Mindestannahmequote vor. Der für das Weisungsrecht des Hauptaktio-
närs erforderliche Beherrschungsvertrag wird aus steuerlichen Gründen meist mit einem
Gewinnabführungsvertrag kombiniert, der Voraussetzung für eine ertragsteuerliche Or-
ganschaft ist (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Körperschaftsteuergesetz [KStG]).
Was sind die zusätzlichen Möglichkeiten eines solchen Unternehmensvertrags?
• Der Beherrschungsvertrag vermittelt dem herrschenden Unternehmen nach § 308
AktG rechtliche Leitungsmacht. Es wird zu Weisungen an das beherrschte Unter-
nehmen ermächtigt, die auch nachteilig sein können, sofern sie im Konzerninteresse
liegen. Der Vorstand der abhängigen AG muss diese Weisungen befolgen.
• Auch Geschäfte, die der Zustimmung des Aufsichtsrats der AG bedürfen, können vom
herrschenden Unternehmen durchgesetzt werden (siehe im Einzelnen § 308 Abs. 3 AktG).
• Damit korrespondierend gelten die strengen Kapitalerhaltungsvorschriften und auch
das Verbot der Financial Assistance bei Bestand eines Beherrschungs- oder Gewinn-
abführungsvertrags nicht (§§ 57 Abs. 1 Satz 3, 71a Abs. 1 Satz 3 AktG).
• Eine Grenze findet die Verpflichtung zur Befolgung von Weisungen nur, wenn die
Weisung nicht im Konzerninteresse liegt (was praktisch aber nicht vorkommt), ihre
Umsetzung gegen das Gesetz verstoßen würde oder für die angewiesene Gesellschaft
existenzvernichtend wirkt oder das herrschende Unternehmen voraussichtlich nicht in
der Lage sein wird, seine Verlustausgleichsverpflichtung (hierzu sogleich) zu erfüllen.

Im Ergebnis kann eine Tochter-AG über einen Beherrschungsvertrag damit sehr weitgehend
in den Konzern der Muttergesellschaft und in dessen Finanzierung eingebunden werden.
Der Preis für diese weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten liegt in Folgendem:
• Das herrschende Unternehmen muss jeden sich ansonsten ergebenden Jahresfehlbe-
trag der Tochter ausgleichen, unabhängig davon, ob dieser gerade auf nachteiligen
Weisungen beruht (§ 302 AktG). Das primäre Schutzkonzept besteht also darin, dass
das bilanzielle Eigenkapital im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags (bzw. genau
genommen zu Beginn des betreffenden Geschäftsjahres) konserviert wird. Der Erhalt
des Unternehmenswerts und der Ertragskraft wird dagegen nicht sichergestellt.
• Das herrschende Unternehmen muss allen außenstehenden Aktionären im Vertrag
ein Angebot machen, ihre Aktien gegen eine angemessene Abfindung zu erwerben
(§ 305 AktG). Zur Ermittlung der Abfindung ist anerkannt, dass bei börsennotier-
ten Gesellschaften der volumengewichtete Durchschnittskurs der Aktie während
der letzten drei Monate vor Ankündigung der Maßnahme die Untergrenze bildet;
im Übrigen ist der auf Basis der IDW S1-Bewertungsgrundsätze des Instituts für
Wirtschaftsprüfer ermittelte Ertragswert der Gesellschaft maßgeblich, der gerade in
Zeiten niedriger Zinssätze sehr häufig zu einem (deutlich) höheren auf jede Aktie
entfallenden anteiligen Unternehmenswert führt.43

43 Zu den Details der Bestimmung der Abfindung und der Unternehmensbewertung etwa Stephan
2015, § 305 Rn. 47 ff.
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• Da jeder Minderheitsaktionär selbst entscheidet, ob er diese Put Option ausübt, muss


der Vertrag für diejenigen Aktionäre, die in der Gesellschaft verbleiben, außerdem
einen angemessenen laufenden Ausgleich in Form einer Barzahlung vorsehen (§ 304
AktG). Typischerweise wird als Ausgleichsbetrag der Betrag angesetzt, der einer Ver-
rentung des nach der Ertragswertmethode ermittelten anteiligen Unternehmenswerts
je Aktie entspricht.

Minderheitsaktionäre können die Angemessenheit der angebotenen Abfindung und des


laufenden Ausgleichs gerichtlich im Wege des sog. Spruchverfahrens überprüfen lassen
(§§ 305 Abs. 5 und 304 Abs. 3 AktG i. V. m. den Bestimmungen des Gesetzes über das
gesellschafsrechtliche Spruchverfahren [SpruchG]). Mit dem Spruchverfahren sind nur
geringe Kostenrisiken verbunden und eine Reduzierung der angebotenen Abfindung
bzw. des angebotenen Ausgleichs ist nicht möglich. Spruchverfahren dauern erfah-
rungsgemäß sehr lange (teilweise über 10 Jahre), da deutsche Gerichte sich mit Un-
ternehmensbewertungen äußerst schwer tun. Auch dies bedeutet für die Antragsteller
jedoch kein Risiko, da ein etwaiger Nachzahlungsbetrag für die Abfindung mit 5 Pro-
zentpunkten über dem Basiszins verzinst wird (§ 305 Abs. 3 Satz 3 AktG). Während
der Dauer des Spruchverfahrens bleibt die Put Option bestehen; das Recht, die Aktien
dem herrschenden Unternehmen anzudienen, endet erst zwei Monate nach Abschluss
des Spruchverfahrens (§ 305 Abs. 4 Satz 3 AktG).

2.2.3.4 Squeeze-out der Minderheitsaktionäre

Einfacher ist die Integration der Zielgesellschaft, wenn der Käufer 100 % der Aktien
erwirbt und die Gesellschaft in eine GmbH umwandeln kann. Da im Rahmen eines
Übernahmeangebots nie 100 % der Aktionäre das Angebot annehmen, ist der Erwerber
auf einen Ausschluss der Minderheitsaktionäre durch Squeeze-out angewiesen. Nach
den §§ 327a ff. AktG kann der Hauptaktionär, der mehr als 95 % des Grundkapitals einer
AG hält, durch Hauptversammlungsbeschluss den Ausschluss der Minderheitsaktionä-
re gegen angemessene Barabfindung herbeiführen. Die Rechtsschutzmöglichkeiten der
Minderheitsaktionäre (Anfechtungsklage gegen den Hauptversammlungsbeschluss und
Spruchverfahren zur Überprüfung der Barabfindung) entsprechen denen bei Abschluss
eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags.
Zudem sieht auch das Übernahmerecht einen eigenständigen Squeeze-out vor. Die
§§ 39a f. WpÜG ermöglichen dem Bieter, die verbliebenen Aktionäre der Zielgesellschaft
per Gerichtsbeschluss auszuschließen, wenn ihm im Anschluss an ein Übernahme- oder
Pflichtangebot 95 % des Grundkapitals der Gesellschaft gehören; ein Übertragungsbe-
schluss der Hauptversammlung ist nicht erforderlich. Die Regelung über Art und Höhe
der Abfindung ist in §§ 39a Abs. 3 WpÜG geregelt. Der übernahmerechtliche und der
aktienrechtliche Squeeze-out stehen gleichrangig nebeneinander. Der aktienrechtliche
Squeeze-out ist aber praktisch bedeutsamer, weil Bewertungsrügen nur im Spruchver-
fahren geltend gemacht werden können und damit den Vollzug des Squeeze-out nicht
aufhalten können.44
Schließlich besteht seit Einführung des sog. umwandlungsrechtlichen Squeeze-
outs im Jahr 2011 die Möglichkeit, Minderheitsaktionäre schon bei einer Beteiligung
des Hauptaktionärs von lediglich 90 % im Zuge einer Verschmelzung der Zielgesell-

44 Koch 2014, § 327a Rn. 2.


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schaft auf den Hauptaktionär auszuschließen (§ 62 Abs. 5 UmwG). Offen steht sie nur
Hauptaktionären, die ihrerseits Aktiengesellschaften sind.

2.2.3.5 Ausnutzung der Minderheitenschutzregelungen durch professionelle Anleger

Am Beispiel des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags und auch des Squeeze-


out lässt sich plastisch die Einladung des deutschen Rechts an aktivistische Aktionäre,
insbesondere aggressive Hedgefonds verdeutlichen: Zunächst besteht ein Anreiz, bereits
während des an eine Mindestannahmequote geknüpften Übernahmeangebots ein Paket
zu erwerben, mit dem der Erfolg des Übernahmeangebots verhindert werden kann. Mit
einem solchen Paket im Gepäck lässt sich häufig eine Erhöhung des Angebots durch
den Bieter durchsetzen. Im Anschluss an die erfolgreiche Übernahme ist klar, dass der
Erwerber den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags oder
sogar einen Squeeze-out durchführen muss, um die erstrebten Synergien durch eine
weitgehende Integration der Zielgesellschaft zu heben und/oder die Zielgesellschaft in
die Gruppenfinanzierung einzubinden. Gerade in der Kombination von hoch verzinstem
Abfindungsangebot und laufendem Ausgleich während des Spruchverfahrens liegt ein
äußerst attraktives Investment, das gemeinhin unter dem Namen »German back-end
trade« auch an der Wall Street bekannt ist. Entsprechend wird ein Spruchverfahren
praktisch bei allen Strukturmaßnahme, bei denen es eröffnet ist, eingeleitet und gerade
von Hedgefonds sehr aktiv, teilweise sogar aggressiv betrieben. Da während des Spruch-
verfahrens die Put Option zumindest zum im Vertrag vorgesehenen Abfindungsbetrag
offen steht, sind die Minderheitsaktionäre durch einen Floor geschützt; das typische
mit einem Aktieninvestment verbundene Downside-Risiko trägt das herrschende Unter-
nehmen. Entsprechend verwundert es nicht, dass das Aktionariat der Zielgesellschaft
nach Bekanntgabe der Absicht, einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag
abzuschließen oder einen Squeeze-out durchzuführen, typischerweise innerhalb sehr
kurzer Zeit auf Seiten der Minderheitsaktionäre vollständig ausgewechselt wird und fast
nur noch aus institutionellen und professionellen Aktionären besteht.

3 GmbH-Recht und M & A


Die GmbH ist die bei weitem häufigste Gesellschaftsform in Deutschland. 16.000 AGs
standen Anfang 2014 mehr als 1.100.000 GmbHs gegenüber.45 Die im internationalen
Vergleich besonders strenge Reglementierung der AG im deutschen Recht führt dazu,
dass diese Rechtsform fast nur von Großunternehmen genutzt wird. Darin liegt ein
wesentlicher Unterschied zur Schweiz oder den USA, wo die GmbH deutlich weniger
genutzt wird. Da es nur wenige nicht börsennotierte deutsche Aktiengesellschaften gibt,
ist bei Private M & A-Transaktionen in Deutschland die Zielgesellschaft meistens eine
GmbH (oder eine GmbH & Co. KG).

45 Roth 2015, Einl. Rn 8 ff. m.w.N. zur Entwicklung in Zahlen.


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650  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

3.1 Die GmbH als Verkäuferin oder Käuferin


GmbHs weisen eine im Vergleich zu AGs deutlich einfachere Corporate Governance auf:
Solange die Schwellen für die Einrichtung eines mitbestimmten Aufsichtsrates nicht
überschritten werden46, sind zwingende Organe lediglich die Gesellschafterversamm-
lung und die Geschäftsführer. Die Gesellschafterversammlung kann dem Geschäfts-
führer bzw. den Geschäftsführern auch ohne Bestehen eines Beherrschungsvertrags
jederzeit Weisungen erteilen. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum Aktienrecht.
Darüber hinaus besteht eine im Vergleich zur AG deutlich weitergehende Gestal-
tungsfreiheit. Charakteristisch für die GmbH ist außerdem ein kleiner oder kleinster
Gesellschafterkreis und damit (in der Regel) eine einfachere Meinungsbildung als bei ei-
ner AG mit typischerweise größerem Gesellschafterkreis. Ein Aufsichtsrat oder ein ver-
gleichbares Gremium (Beirat, Gesellschafterausschuss) wird häufig freiwillig geschaf-
fen, unterliegt aber in der Regel aufgrund entsprechender Regelungen in der Satzung
nicht den strengen Vorgaben des Aktienrechts. Etwas anderes gilt nur bei paritätischer
Mitbestimmung (2.000 oder mehr Arbeitnehmer); insoweit sind die zwingenden Be-
fugnisse des Aufsichtsrats eng an den aktienrechtlichen Bestimmungen orientiert (§ 6
Abs. 2 MitbestG). Das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung gegenüber der
Geschäftsführung bleibt aber bestehen.
Die Entscheidung über den Erwerb und die Veräußerung von Unternehmensbetei-
ligungen fällt in der GmbH grundsätzlich in die Geschäftsführungsbefugnis des Ge-
schäftsführers. Grenzen sind dieser Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis
durch den im Gesellschaftsvertrag definierten Unternehmensgegenstand, regelmäßig
aber auch durch einen Katalog zustimmungsbedürftiger Rechtsgeschäfte zugunsten der
Gesellschafterversammlung oder eines Aufsichts- oder Beirats, gesetzt. Ausnahmsweise
kann sich auch bei der GmbH eine Verpflichtung der Geschäftsführer ergeben, proaktiv
die Zustimmung der Gesellschafter einzuholen.47

3.2 Die GmbH als Zielgesellschaft


3.2.1 Formbedürftigkeit des Vertragsschlusses

Sowohl der Verkauf als auch die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen müssen nota-
riell beurkundet werden (§ 15 Abs. 3 und 4 Gesetz betreffend die GmbH [GmbHG]). Die
Beurkundungspflicht erstreckt sich auf alle Abreden der Parteien im Zusammenhang
mit dem Verkauf der GmbH-Anteile (sog. Vollständigkeitsgrundsatz).48 Das kann beim
Abschluss von Unternehmenskaufverträgen einen erheblichen Aufwand verursachen,
da alle (häufig sehr umfangreichen) Vertragsanlagen mit zu beurkunden sind. Die
früher übliche Beurkundung von größeren Unternehmenskaufverträgen über deutsche
GmbHs bei Schweizer Notaren ist kaum noch verbreitet, da der Kostenvorteil nach
einer Reform des deutschen Notarkostenrechts nicht mehr erheblich ist und zudem in

46 D. h. 500 Arbeitnehmer für einen drittelmitbestimmten Aufsichtsrat oder 2.000 Arbeitnehmer in
deutschen Betrieben für einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat, vgl. Kap. 2.1.1.
47 Näher Lutter/Hommelhoff 2012, § 37 Rn. 11; Schneider/Schneider 2013, § 37 Rn. 19.
48 BGH NJW 2002, 142, Fastrich 2013, § 15 Rn. 30.
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  651


Teil

der deutschen Rechtsprechung und Literatur immer wieder Zweifel an der Wirksamkeit
einer Auslandsbeurkundung geäußert wurden.49
Ferner kann der Gesellschaftsvertrag der Zielgesellschaft die Abtretung an weitere
Voraussetzungen knüpfen (§ 15 Abs. 5 GmbHG). Der gesetzlich beispielhaft genannte
und auch in der Praxis häufigste Fall sind Vinkulierungsklauseln, durch die die Wirk-
samkeit der Abtretung von der Zustimmung der Zielgesellschaft abhängig gemacht
wird.

3.2.2 Zulassung einer Due-Diligence-Prüfung

Die Durchführung der Due Diligence stellt sich bei der GmbH deutlich einfacher dar
als bei der AG. Ein verkaufswilliger Alleingesellschafter kann und wird die Geschäfts-
führung notfalls zur Zulassung einer Due Diligence anweisen, dabei allerdings die
Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft im Blick behalten und die üblichen Me-
chanismen zur Wahrung der Vertraulichkeit (Geheimhaltungsvereinbarung mit dem
Kaufinteressenten, Zugänglichmachung der besonders vertraulichen Dokumente erst
bei hoher Transaktionswahrscheinlichkeit und/oder nur gegenüber Beratern) berück-
sichtigen. Etwas komplexer ist die Lage bei GmbHs mit mehreren Gesellschaftern, wenn
nur ein Gesellschafter seinen Anteil verkaufen will: Eine Offenlegung vertraulicher
Informationen und damit die Zulassung einer Due Diligence kann dann erfolgen, wenn
die Transaktion im Unternehmensinteresse liegt.50 Die Offenlegung von Geheimnissen
und vertraulichen Angaben stellt allerdings eine außergewöhnliche Maßnahme dar, so
dass der Geschäftsführer hierfür die Zustimmung der Gesellschafter einzuholen hat51;
der Beschluss über die Zulassung einer Due-Diligence-Prüfung muss nach herrschender
Meinung einstimmig erfolgen.52

3.2.3 Behandlung von Gesellschafterdarlehen


Wegen des häufig kleinen oder kleinsten Gesellschafterkreises sind GmbHs wesentlich
häufiger über Gesellschafterdarlehen finanziert als AGs. Die über ein Darlehen zur
Verfügung gestellten Mittel lassen sich leichter wieder abziehen als das den Kapitaler-
haltungsregelungen unterliegende Eigenkapital53 und erlauben eine regelmäßige und
feste Verzinsung.54 Außerdem kann die GmbH Darlehenszinsen steuerlich im Rahmen
bestimmter Grenzen (insb. der sog. Zinsschranke) als Aufwand geltend machen.55
Beim Verkauf einer GmbH durch einen Finanzinvestor oder eine Eigentümerfamilie
sind daher sehr häufig auch Gesellschafterdarlehen abzulösen. Beim Verkauf einer Kon-

49 Hierzu ausführlich Altmeppen 2015, § 15 Rn. 89 ff. m. w. N.


50 Haas/Ziemons 2010, § 43 Rn. 132; Rittmeister 2004, S. 1036.
51 Altmeppen 2015, § 43 Rn. 25 ; Rittmeister 2004, S. 1036; Wicke 2011, § 43 Rn. 5.
52 LG Köln, Urteil vom 26.03.2008 (90 O 11/08), GmbHR 2009, 261; Haas/Ziemons 2010, § 43 Rn. 132b;
Semler 2015, Rn. 7.69; Schneider/Crezelius 2013, § 43 Rn. 148; a.A. Fleischer 2016, § 43 Rn. 208.
53 Insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten gilt das auch aus steuerlichen Gründen:
Während bei Eigenkapitalausschüttungen grundsätzlich Kapitalertragssteuer anfällt, die bei aus-
ländischen Darlehensgebern nur unter bestimmten Voraussetzungen erstattet wird, ist die Rück-
zahlung von Darlehen steuerneutral.
54 Greven 2014, S. 2309; Schniepp/Hensel 2015, S. 777 f.
55 Schallmoser/Eisgruber/Janetzko 2012, § 8 KStG Rn. 276. Die Abzugsfähigkeit wird jedoch durch
die Regelungen über die verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 Var. 1 KStG) und die
Zinsschranke (§ 4h EStG i. V. m. § 8a KStG) begrenzt.
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652  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

zerntochter ergeben sich Darlehensforderungen des Verkäufers in der Regel dadurch,


dass die GmbH in ein konzernweites Cash Pooling eingebunden war.56 Da in der Regel
weder der Verkäufer noch der Käufer Interesse daran haben, eine Finanzierungsbezie-
hung zwischen Verkäufer und Zielgesellschaft über den Anteilseignerwechsel hinaus
aufrechtzuerhalten, müssen die Gesellschafterdarlehen beim Closing entweder zurück-
gezahlt werden (aus Mitteln, die der Käufer der Zielgesellschaft zur Verfügung stellt)
oder an den Käufer abgetreten werden.
Hierbei sind einige Besonderheiten zu beachten, die sich aus den rechtlichen Rah-
menbedingungen für Gesellschafterdarlehen ergeben. Diese waren bis zur Reform des
GmbH-Rechts in 2008 besonders komplex, weil für sog. »eigenkapitalersetzende Ge-
sellschafterdarlehen« Sonderregelungen galten, die aus einem Mischmasch von gesetz-
lichen Vorgaben (die früheren §§ 32a und 32b GmbHG) und Rechtsprechungsregeln
bestanden.57 Seit 2008 ist die Lage einfacher, aber für Verkäufer in M & A-Transaktionen
nicht weniger riskant: Alle Gesellschafterdarlehen sind in der Insolvenz der GmbH
nachrangig (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG)58 und Rückzahlungen auf Gesellschafterdarle-
hen, die innerhalb eines Jahres vor Insolvenzantragsstellung erfolgt sind, können vom
Insolvenzverwalter angefochten werden (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 Insolvenzordnung [InsO]).
Während es für den Käufer wenig relevant ist, ob die Gesellschafterdarlehen zu-
rückgezahlt oder abgetreten werden, ist die Rückzahlung für den Verkäufer riskant,
wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Zielgesellschaft innerhalb eines Jah-
res nach der Rückzahlung in Insolvenz fällt. Der Insolvenzverwalter würde dann die
Rückzahlung anfechten und die Rückgewähr der Zahlung zur Insolvenzmasse fordern
(§§ 135 Abs. 1 Nr. 2 und 143 Abs. 1 Satz 1 InsO). Diesem Risiko wird sich der Verkäufer,
der mit dem Closing seinen Einfluss auf die Zielgesellschaft verliert, nicht aussetzen
wollen.59
In der Praxis tritt daher der Verkäufer seine Darlehensforderung an den Käufer ab
und erhält dafür einen um den Betrag des Gesellschafterdarlehens erhöhten Kaufpreis.
Wirtschaftlich läuft das auf das Gleiche hinaus wie die Rückzahlung, jedoch liegt keine
bei Insolvenz der Zielgesellschaft nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbare Rechtshand-
lung der Zielgesellschaft vor, da die Abtretung zwischen Verkäufer und Käufer erfolgt.
Etwas Anderes kann nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)
jedoch gelten, wenn sich der Erwerber das Darlehen nach der Abtretung zurückzahlen
lässt. Wenn Abtretung, Rückzahlung und Insolvenz innerhalb eines 12-Monats-Zeit-
raums erfolgen, soll auch der ursprüngliche Darlehensgläubiger (Zedent) neben dem
Darlehenserwerber und Rückzahlungsempfänger für die Rückgewähr der Zahlung zur
Insolvenzmasse haften.60 Ob diese Entscheidung nur Konstellationen betrifft, in denen
der Zedent Gesellschafter bleibt und versucht, sich durch die Abtretung seiner Finan-
zierungsfolgenverantwortung zu entziehen61 oder auch die Abtretung bei gleichzeitiger
Veräußerung der Geschäftsanteile betrifft62, ist bisher nicht geklärt.

56 Hierzu und zu einigen besonderen rechtlichen Problemen im Zusammenhang mit M & A-Transaktio-


nen vgl. Vetter 2015, § 11.
57 Zum Ganzen Fastrich 2013, Anh. § 30 Rn. 3 ff.
58 Ausnahmen gelten für Gesellschafter mit einer Beteiligung von weniger als 10 % (§ 39 Abs. 5 InsO)
und für Sanierungsdarlehen (§ 39 Abs. 4 InsO).
59 Greven 2014, S. 2310.
60 BGH, Urteil vom 21.02.2013 (IX ZR 32/12), BGHZ 196, 230 f.
61 Greven 2014, S. 2311; Schniepp/Hensel 2015, S. 780 f.
62 So Bauer/Farian 2015, S. 231 ff.
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  653


Teil

Es besteht aber jedenfalls ein Haftungsrisiko des Verkäufers, das in M & A-Verträgen


in der Regel dadurch adressiert wird, dass dem Käufer untersagt wird, innerhalb von
12 Monaten nach Closing Zahlungen auf das abgetretene Gesellschafterdarlehen vor-
nehmen zu lassen. Zudem wird sich der Verkäufer für den Fall einer Inanspruchnah-
me durch den Insolvenzverwalter wegen dennoch erfolgter Rückzahlungen freistellen
lassen. Noch sicherer ist es, wenn der Verkäufer seine Forderung auf Darlehensrück-
zahlung kurz vor oder bei Closing durch Einlage in Kapitalrücklage in Eigenkapital
umwandelt63; er erhält dann einen um den Wert der Einlage erhöhten Kaufpreis für die
GmbH-Anteile.

3.2.4 Kapitalerhaltungsrecht und Finanzierung von M & A Transaktionen

Das Kapitalerhaltungsrecht in der GmbH ist wesentlich weniger streng als in der AG
(vgl. Kap. 2.2.3.1). Dennoch stellen sich bei (teilweise) fremdfinanzierten M & A-Trans-
aktionen immer wieder Fragen, inwieweit das Vermögen der Zielgesellschaft zur Til-
gung und Besicherung des Akquisitionskredits eingesetzt werden kann.

3.2.4.1 Kapitalerhaltungsgrundsätze in der GmbH

§ 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bestimmt, dass das zur Erhaltung des Stammkapitals er-
forderliche Vermögen nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden darf. Somit sind
Zahlungen an Gesellschafter außerhalb von Dividendenausschüttungen nicht wie bei
Aktiengesellschaften grundsätzlich verboten, sondern nur wenn das Reinvermögen
der GmbH die Stammkapitalziffer bereits unterschreitet (Unterbilanz) oder ein solcher
Zustand durch die Zahlung herbeigeführt werden würde.64 Die Norm umfasst nicht
nur Geldzahlungen, sondern Leistungen aller Art, die wirtschaftlich das Gesellschafts-
vermögen verringern.65 Ein allgemeines Verbot der Financial Assistance gibt es im
GmbH-Recht ebenfalls nicht. Zahlungen, die gegen das Verbot der Auszahlung des
Stammkapitals in § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßen, sind der Gesellschaft jedoch nach § 31
GmbHG zurück zu gewähren.
Neben den Gesellschaftern haften nach § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG auch die Ge-
schäftsführer, wenn sie eine gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßende Zahlung selbst
veranlassen oder nicht dafür Sorge tragen, dass andere vertretungsberechtigte Personen
solche Zahlungen unterlassen.66 Nach § 64 Satz 3 GmbHG haften die Geschäftsführer
ferner für Zahlungen67 an Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft
führen.
In der M & A-Praxis stellt sich meist die Frage, inwieweit eine GmbH unter diesen
Rahmenbedingungen ihren (neuen) Gesellschafter durch Gewährung von Darlehen
(Upstream Loans, vgl. Kap. 3.2.4.2) bei der Bedienung der Finanzierung helfen und/

63 Greven 2014, S. 2312 f. Das funktioniert jedoch nur dann ohne wirtschaftliche Nachteile, wenn der
Verkäufer 100 % der GmbH hält und die Einlage steuerneutral erfolgen kann.
64 Altmeppen 2015, § 30 Rn. 9; Verse 2012, § 30 Rn. 42.
65 Fastrich 2013, § 30 Rn. 33; Raiser/Veil 2010, § 37 Rn. 10 ff.
66 Fleischer 2016, § 43 Rn 286.
67 Auch hier wird der Begriff weit verstanden; vgl. Müller 2011, § 64 Rn. 132; Schmidt-Leithoff/Bau-
mert 2013, § 64 Rn. 28.
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654  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

oder Sicherheiten für die Finanzierung stellen kann (Upstream Securities, vgl. Kap.
3.2.4.3).

3.2.4.2 Gewährung von aufsteigenden Darlehen durch die Zielgesellschaft (Upstream Loans)

Ob und unter welchen Voraussetzungen die Gewährung eines aufsteigenden Darlehens


durch eine GmbH eine unzulässige Auszahlung des Stammkapitals i. S. v. § 30 Abs. 1
GmbHG darstellen kann, war bis zur Reform des GmbH-Rechts von 2008 sehr um-
stritten. Der BGH hatte im sog. Novemberurteil vom 24. November 2003 entschieden,
dass aufsteigende Darlehen, die von einer GmbH im Stadium der Unterbilanz gegeben
werden oder zu einer Unterbilanz führen, unzulässig seien und damit für erhebliche
Rechtsunsicherheit gesorgt.68
Nach der in 2008 eingeführten gesetzlichen Klarstellung in § 30 Abs. 1 Satz 2 Gmb-
HG liegt ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften jedoch nicht vor, wenn die
Auszahlung des Darlehens durch die GmbH durch einen vollwertigen Gegenleistungs-
oder Rückgewähranspruch gedeckt ist. Die Gewährung von Upstream Loans ist damit
stets zulässig, wenn der Darlehensrückzahlungsanspruch vollwertig ist.69
Ob der Darlehensrückzahlungsanspruch vollwertig ist, richtet sich nach den all-
gemeinen Grundsätzen für die Bilanzierung von Forderungen, d. h., danach, ob nach
vernünftiger kaufmännischer Beurteilung eine Abschreibung auf den Nennbetrag des
Rückzahlungsanspruchs geboten ist (§ 253 Abs. 3 und 4 Handelsgesetzbuch [HGB]).
Dabei kann den Geschäftsführern der darlehensgewährenden GmbH zwar ein gewisser
Beurteilungsspielraum zugestanden werden70, bei der in der Praxis häufig erwogenen
Darlehensgewährung an ein mit geringem Kapital ausgestattetes Akquisitionsvehikel
ist jedoch die Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs in der Regel bereits nach der
Gesetzesbegründung zu verneinen.71 Bei längerfristigen Darlehen sind außerdem eine
angemessene Verzinsung, ein jederzeitiges Kündigungsrecht der darlehensgebenden
Gesellschaft bei Vermögensverschlechterungen der darlehensnehmenden Obergesell-
schaft, eine laufende Überwachung der Bonität des Schuldners und ein diesbezügliches
Frühwarnsystem vorzusehen.72

3.2.4.3 Bestellung von Sicherheiten durch die Zielgesellschaft (Upstream Securities)

Für die Bestellung von Sicherheiten durch die Zielgesellschaft zum Zwecke der Besi-
cherung der Akquisitionsfinanzierung des Käufers (etwa in Form von Sicherungsüber-
eignungen oder Verpfändung von Vermögensgegenständen der Zielgesellschaft) gelten
im Grunde die gleichen Grundsätze wie für Upstream Loans. Entsprechend dem weiten
Verständnis von § 30 Abs. 1 GmbHG liegt auch in der Bestellung solcher Sicherheiten
für Verbindlichkeiten eines Gesellschafters eine Zahlung an den Gesellschafter vor.73

68 Das galt insbesondere auch für konzernweite Cash-Pooling Systeme, hierzu Vetter 2015, Rn. 11.28 ff.
69 Bilanziell liegt in einem solchen Fall ein reiner Aktivtausch vor, so dass das Eigenkapital und damit
Stammkapital der GmbH nicht angegriffen wird.
70 Drygala/Kremer 2007, S. 1293.
71 Bundesrats-Drucksache 354/07, S. 94. In der Praxis hilft in dieser Situation oft nur eine Stärkung der
Finanzlage des kreditnehmenden Vehikels durch eine Patronatserklärung o. ä.
72 BGH, Urteil vom 01.12.2008 (II ZR 102/07), BGHZ 179, 71 ff.
73 Fleischer 2014, § 30 GmbHG Rn. 4; Heidinger 2010, § 30 Rn. 108.
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  655


Teil

Die Bestellung von Sicherheiten darf nicht zur Unterbilanz der Zielgesellschaft füh-
ren oder eine Unterbilanz vertiefen. Ein Verstoß gegen Kapitalerhaltungsrecht liegt nach
herrschender Auffassung jedenfalls dann vor, wenn sich die GmbH bereits bei Bestel-
lung der Sicherheit im Stadium der Unterbilanz befindet.74 Schwieriger ist die Frage, ob
die Verwertung einer ohne Verstoß gegen die Kapitelerhaltungsvorschriften gewährten
Sicherheit75 einen Verstoß gegen § 30 GmbHG begründen kann. Dagegen lässt sich zwar
einwenden, dass die Verwertung kein von der Gesellschaft beeinflussbares Handeln ist,
jedoch greift das zu kurz, da die Upstream Securities gerade auf zukünftige Vermögens-
entziehungen ausgerichtet sind und der Geschäftsführer daher darauf achten muss, dass
auch im Zeitpunkt der Verwertung einer Sicherheit keine Unterbilanz entsteht. Zwar
würde nach § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG ein vollwertiger Regressanspruch gegen den
Gesellschafter im Falle der Verwertung der Sicherheit einen Verstoß gegen Kapitaler-
haltungspflichten ausschließen, doch wird es bei Verwertung der Sicherheit an dieser
Vollwertigkeit gerade fehlen.
Daher wird in den meisten Verträgen zu Upstream Securities vereinbart, dass dem
Sicherungsnehmer die Verwertung der Sicherheit verwehrt sein soll, wenn dies zur
Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz beim Sicherungsgeber führt (sog. Limi-
tation Language).76 Wird eine Verwertung der Sicherheiten zusätzlich auch unter den
Vorbehalt gestellt, dass diese nicht zur Zahlungsunfähigkeit der Zielgesellschaft führt,
ist auch der Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers nach § 64 Satz 3
GmbHG vorgebeugt.77
Entgegen verbreiteter Auffassung ist diese Limitation Language auch erforderlich,
wenn ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der sicherungsge-
benden GmbH und dem Kreditnehmer-Gesellschafter besteht. § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG
besagt zwar, dass das Auszahlungsverbot nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bei Bestehen
eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags nicht gilt. Der Abschluss eines
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags ist aber kein Allheilmittel78: Der Ge-
schäftsführer der sicherungsgebenden GmbH muss dann zwar nicht mehr das mögliche
Entstehen einer Unterbilanz und die Vollwertigkeit des Erstattungsanspruchs, wohl aber
die Vollwertigkeit des Verlustausgleichsanspruchs gegen das herrschende Unternehmen
nach § 302 AktG (vgl. Kap. 2.2.3.3) laufend prüfen. Das dürfte praktisch keinen großen
Unterschied machen: Wenn die den Gesellschafter finanzierenden Banken vom Kre-
ditnehmer (häufig ein Erwerbsvehikel) keine Befriedigung erhalten und Sicherheiten
verwerten, kann man kaum davon ausgehen, dass der Gesellschafter noch zum Verlust­
ausgleich in der Lage ist.
Zur Vermeidung der weitreichenden Restriktionen für Upstream Loans und Upstream
Securities empfiehlt es sich, die Zielgesellschaft und das kreditnehmende Akquisitionsv-
ehikel zu verschmelzen. Das führt auch zu einer Strukturvereinfachung und lässt sich
über eine Verschmelzung der Zielgesellschaft auf das Akquisitionsvehikel (Upstream
Merger) oder die Verschmelzung des Akquisitionsvehikels auf die Zielgesellschaft
(Downstream Merger) erreichen. Der Downstream Merger kann aber seinerseits ge-
gen Kapitalerhaltungsrecht verstoßen, wenn die Zielgesellschaft durch Übernahme der

74 Diem, 2013, § 43 Rn. 46 ff.; Altmeppen 2015, § 30 Rn. 125; Gehrlein 2007, S. 785 f.; Flume 2011,
S. 1264.
75 Komo 2010, S. 233.
76 Diem 2013, § 43 Rn. 102; Kaulamo 2013, § 17 Rn. 66; Winkler/Becker 2009, S. 2362.
77 Komo 2010, S. 236.
78 Vetter 2015, Rn. 11.66.
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656  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Schulden des Akquisitionsvehikels in Unterbilanz gerät. Außerdem sind die Formalien


des Umwandlungsgesetzes zu beachten, die sich bei Verschmelzung einer 100 %-igen
Tochter-GmbH aber im Wesentlichen auf das Vorlegen einer nicht mehr als 8 Monate
alten Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft (§ 17 Abs. 2 UmwG) und die Zu-
leitung des Verschmelzungsvertrags an den Betriebsrat der übertragenden Gesellschaft
mit einem Monat Vorlauf (§ 5 Abs. 3 UmwG) beschränken.

4 Umwandlungsrecht
Das 1995 in Kraft getretene Umwandlungsrecht bietet neben der Strukturvereinfachung
nach Vollzug einer Transaktion auch interessante Gestaltungsoptionen für M & A-Trans-
aktionen. Zu nennen sind insoweit insbesondere:
• Die Verschmelzung von Erwerberin und Zielgesellschaft: Es handelt sich um eine Vari-
ante einer Share-for-Share-Transaktion. Die Anteilsinhaber der Zielgesellschaft erhalten
Anteile an der Übernehmerin (oder umgekehrt). Aus Transaktionssicht interessant ist
der Umstand, dass für die Verschmelzung auf beiden Seiten (lediglich) ein qualifizier-
ter Mehrheitsbeschluss der Gesellschafterversammlung mit einer Mehrheit von 75 %
erforderlich ist; einer Minderheit von bis zu 25 % kann die Verschmelzung also aufge-
zwungen werden. Zum Schutz der Minderheit stehen wiederum die Anfechtungsklage
gegen den Verschmelzungsbeschluss mit der Möglichkeit des Freigabeverfahrens für
die Gesellschaft (§ 16 Abs. 3 UmwG) und – allerdings beschränkt auf die Gesellschafter
des übertragenden Rechtsträgers – das Spruchverfahren zur Überprüfung und Verbes-
serung des Umtauschverhältnisses zur Verfügung (§§ 14 Abs. 2, 15 UmwG). Damit
besteht im Hinblick auf das Spruchverfahren eine rechtspolitisch wenig überzeugende
Unwucht, da Gesellschafter des übernehmenden Rechtsträgers die Unangemessenheit
des Umtauschverhältnisses allein im Wege der Anfechtungsklage rügen können.
• In den §§ 122a ff. UmwG ist seit dem 25. April 2007 in Umsetzung der europarechtli-
chen Regelungen die grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine andere Gesellschaft
aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des
Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraums geregelt. Grenzüberschreitende
Spaltungen sind dagegen nicht kodifiziert.
• Die §§ 123 ff. UmwG regeln die verschiedenen Arten der Spaltung, bei der Vermögen
eines übertragenden Rechtsträgers auf einen oder mehrere übernehmende Rechtsträ-
ger im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übertragen wird: Bei der Aufspaltung wird
das Vermögen der übertragenden Gesellschaft auf (mindestens) zwei übernehmen-
de Rechtsträger unter Auflösung des übertragenden Rechtsträgers übertragen (§ 123
Abs. 1 UmwG). Bei der Abspaltung wird ein Teil des Vermögens auf (mindestens)
einen anderen Rechtsträger übertragen (§ 123 Abs. 2 UmwG). In beiden Fällen besteht
die Gegenleistung in Anteilen an dem oder den übernehmenden Rechtsträger(n), die
wie bei der Verschmelzung an die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers
gewährt werden. Schließlich besteht die Möglichkeit der Ausgliederung, bei der ein
Teil des Vermögens auf (mindestens) einen übernehmenden Rechtsträger im Wege
der Gesamtrechtsnachfolge übertragen wird, die Gegenleistung in Form von Anteilen
an dem übernehmenden Rechtsträger aber dem übertragenden Rechtsträger selbst
gewährt wird (§ 123 Abs. 3 UmwG).
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  657


Teil

Spaltungen können zum einen unmittelbar als Technik eines Exit im Rahmen einer
M & A-Transaktion genutzt werden. Bei Triple-Track-Transaktionen wird parallel an ei-
nem Verkauf der betroffenen Tochter an einen Erwerber, dem Börsengang der Tochter
durch Verkauf der gelisteten Aktien an eine Vielzahl von Investoren über den Kapital-
markt und der Abspaltung der Tochter mit gleichzeitiger Börsenzulassung ihrer Aktien
gearbeitet. Bei der Abspaltung werden die Aktionäre der Mutter ohne ihr Zutun Aktio-
näre auch der bisherigen Tochter.79 Denkbar, wenngleich weniger üblich in der Praxis,
ist auch die Trennung von einem Geschäftsbereich durch Abspaltung auf den Erwerber.
Daneben – und das dürfte in der Praxis die wichtigere Funktion sein – können
Spaltungen im Vorfeld einer M & A-Transaktion für den Carve-out des zu veräußernden
Geschäfts auf einen eigenen Rechtsträger genutzt werden. Insoweit bietet sich die Aus-
gliederung an. Gegenüber einer rechtlichen Separierung eines bisher als unselbstständi-
ger Betriebsteil der Mutter geführten Unternehmensbereichs hat die Ausgliederung den
Vorteil, dass Verbindlichkeiten und insbesondere Verträge aufgrund der Gesamtrechts-
nachfolge im Grundsatz ohne Zustimmung der Gläubiger bzw. Vertragspartner über-
tragen werden können. Gerade bei einer Vielzahl von lang laufenden Verträgen kann
dies von großer Bedeutung sein. Nur im Wege einer solchen Gesamtrechtsnachfolge
können Pensionsverbindlichkeiten gegenüber ausgeschiedenen Mitarbeitern übertragen
werden. Nachteilig gegenüber einer Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge ist
neben der zwingenden Beteiligung der Haupt- oder Gesellschafterversammlung insbe-
sondere der umwandlungsrechtliche Gläubigerschutz: Die an der Spaltung beteiligten
Gesellschaften haften gesamtschuldnerisch für alle Verbindlichkeiten des übertragen-
den Rechtsträgers für fünf, für Pensionsverbindlichkeiten sogar für zehn Jahre (§ 133
UmwG). Daneben haben Gläubiger, die eine Gefährdung ihres Anspruchs aufgrund der
Spaltung glaubhaft machen können, einen Anspruch auf Sicherheitsleistung (§§ 22, 125,
133 Abs. 1 Satz 2 UmwG).

Literatur
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79 Beispiele sind die Abspaltung der OSRAM Licht AG von Siemens oder der Lanxess AG von Bayer.
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VI. Entwicklung des deutschen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts  |  659


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660  | 
Teil

VII. Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen


in der Praxis
Matthias Bruse*

1 Einleitung
1.1 Definition und Funktion
1.2 Typische Erscheinungsformen
2 Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Beitritt eines Investors
2.1 Unterstützung der und durch die Zielgesellschaft bei Übernahme (PIPE)
2.2 Kapitalmaßnahmen bei der AG (PIPE)
2.3 Lock-up- bzw. Stand-still-Verpflichtungen des Investors (PIPE)
2.4 Verwässerungsschutz für Investor (VC)
2.5 Garantien (VC, PIPE, Buy-out)
3 Corporate Governance
3.1 Präsenz des Investors in Gremien (VC, PIPE, Buy-out)
3.2 Zustimmungsvorbehalte des Investors (VC, PIPE, Buy-out)
3.3 Bestellung eines Garanten (PIPE)
3.4 Sicherung von Unternehmensinteressen (VC, PIPE)
4 Vereinbarungen im Zusammenhang mit einem Exit
4.1 Vinkulierung, Andienung und Vorkaufsrecht (VC, Buy-out)
4.2 Börsengang und Trade Sale (VC, Buy-out)
4.3 Erlösverteilungspräferenzen (VC, Buy-out)
4.4 Mitverkaufsverpflichtungen und -rechte (VC, Buy-out)
5 Allgemeine Bestimmungen
5.1 Laufzeit
5.2 Vertragsstrafe
5.3 Form
5.4 Einbeziehung Rechtsnachfolger
6 Zusammenfassung und Ausblick

1 Einleitung
1.1 Definition und Funktion
Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen sind schuldrechtliche Vereinbarungen
zwischen Gesellschaftern einer Kapital- oder Personengesellschaft und der Gesellschaft.
Vertragspartner müssen nicht notwendigerweise alle Gesellschafter sein. Ein ähnlicher

* Dr. Matthias Bruse, Partner, Rechtsanwalt, P+P Pöllath + Partners, München.


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VII. Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen in der Praxis  |  661


Teil

Vertragstypus ist der sog. Beteiligungsvertrag. Dieser wird in der Regel im Zusammen-
hang mit der Beteiligung eines oder mehrerer Investoren an einem Unternehmen abge-
schlossen. »Klassischer« Anwendungsfall für den Beteiligungsvertrag ist die Beteiligung
von Venture Capital (VC)-Investoren an Wachstumsunternehmen.
Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen sollen in Ergänzung zu den statuta-
rischen Regelungen in der Satzung Regelungsgegenstände adressieren, die sich auf die
Beteiligung eines oder mehrerer Gesellschafter beziehen. Die Parteien haben i. d. R.
nicht das Interesse, diese Regelungen im Rahmen einer beim Handelsregister hinterleg-
ten Satzung öffentlich werden zu lassen. Zwingende Satzungsbestimmungen können
jedoch nur in der Satzung und nicht in einer Gesellschafter- oder Investorenvereinba-
rung geregelt werden.1 Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen sind seit etwa
der Jahrtausendwende insbesondere zunehmend von Finanzinvestoren genutzt worden,
um bei ihren Portfoliogesellschaften die Umstände des Erwerbs der Beteiligung, die
laufende Einflussnahme als Gesellschafter und die Absicherung eines Exits zu regeln.
Von Gesellschafter- oder Investorenvereinbarungen unterscheidet man Business
Combination Agreements,2 die sich auf Unternehmenszusammenschlüsse in verschie-
denen Strukturen beziehen und vornehmlich Fragen der Zusammenführung der ope-
rativen Geschäftsbereiche der beteiligten Unternehmen betreffen. Diese systematische
Einordnung ist jedoch nicht trennscharf zu Gesellschafter- und Investorenvereinbarun-
gen. Insbesondere Themenkreise, welche die Governance einer Zielgesellschaft in der
Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder SE betreffen, können sich überlappen.3

1.2 Typische Erscheinungsformen


Nachfolgend soll ein Überblick über einzelne typische Erscheinungsformen der Gesell-
schafter- und Investorenvereinbarung gegeben werden. Diese umfassen:
• die (i. d. R.) Minderheitsbeteiligung eines Private Equity (PE)- bzw. Venture Capi-
tal-Investors an einer privat gehaltenen Gesellschaft (VC);
• die (i. d. R.) Minderheitsbeteiligung eines Private Equity-Investors an einer öffentlich
notierten Aktiengesellschaft (Private Investment in Public Equity, kurz: PIPE); sowie
• die (i. d. R.) Mehrheitsbeteiligung eines Private Equity-Investors mit Regelungen im
Verhältnis zu Minderheitsgesellschaftern, einschließlich Managementgesellschaftern
(Buy-out).

Die Schlagworte VC, PIPE und Buy-out dienen lediglich der Typisierung bestimmter Ge-
sellschafter- und Investorenvereinbarungen. Dies schließt selbstverständlich nicht aus,
dass einzelne Regelungsgegenstände auch im Rahmen jeweils anderer Beteiligungsfor-
men Verwendung finden.

1 Vgl. Wälzholz, 2009, S. 1020; Groß 2014, S. 284, 285.


2 Vgl. dazu Reichert 2015, S. 1 ff.
3 Vgl. Reichert 2015, S. 1 ff.; Schall 2013, S. 75 ff.; Decher 2010, S. 145 ff.
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662  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

2 Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Beitritt


eines Investors
 nterstützung der und durch die Zielgesellschaft bei Übernahme
2.1 U
(PIPE)

2.1.1 Verpflichtungen des Investors gegenüber der AG

Zu den Verpflichtungen des Investors gegenüber der AG kann u. a. die Verpflichtung
zum Erwerb eines Aktienpakets oder zur Vereinbarung eines Irrevocable Undertakings
im Zusammenhang mit einem nachfolgenden Übernahmeangebot mit bisherigen Groß-
aktionären der AG gehören. Insbesondere bei zum Verkauf stehenden größeren Akti-
enpaketen kann die AG ein Interesse an einem geordneten außerbörslichen Übergang
substantieller Aktienpositionen haben.
Der Investor kann außerdem ein Übernahmeangebot ankündigen und die Eckpunkte
des Übernahmeangebotes in der Investorenvereinbarung im Verhältnis zur AG verbind-
lich festlegen. Darüber hinaus kann sich der Investor zur Zeichnung einer Kapitaler-
höhung verpflichten (vgl. Kap. 2.2). Schließlich kann der Investor sich auch zu einem
Lock-up bzw. Stand-still verpflichten (vgl. Kap. 2.3).

2.1.2 Verpflichtung der AG gegenüber dem Investor

Die AG verpflichtet sich im Rahmen einer PIPE-Transaktion i. d. R. dazu, ein etwaiges
Übernahmeangebot des Investors für die freien Aktionäre zu unterstützen, insbeson-
dere seine Annahme im Rahmen der Stellungnahme nach § 27 Abs. 1 Satz 1 WpÜG zu
empfehlen.4 Solche Verpflichtungen können der Vorstand und ggf. der Aufsichtsrat nur
vorbehaltlich ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten als Leitungs- bzw. Aufsichts-
organ der AG übernehmen.5 Ferner kann der Investor von der AG unter Umständen
Exklusivität im Hinblick auf die angestrebte Beteiligung verlangen, so dass seitens der
AG für den vereinbarten Zeitraum keine konkurrierenden Investoren gesucht werden
dürfen.6 Zum Teil werden auch Break-Fee-Vereinbarungen getroffen, wonach die AG bei
Scheitern der Beteiligung/Übernahme zur Zahlung eines Geldbetrags verpflichtet wird.
Die Zulässigkeit solcher Vereinbarungen ist jedoch sehr fraglich.7
Die AG gewährt dem Investor ggf. einen Verwässerungsschutz. So kann sich die AG
mit dem gleichen Vorbehalt wie bei der Unterstützung des Übernahmeangebots ver-
pflichten, z. B. ein genehmigtes Kapital nicht auszunutzen und keine Finanzierungsins-
trumente mit Bezugsrecht auf Aktien auszugeben. Eine ähnliche Zielrichtung haben bei
gleichem Vorbehalt Verpflichtungen, wonach seitens der Verwaltung keine Vorschläge
für weitere Kapitalmaßnahmen bei kommenden Hauptversammlungen gemacht werden.

4 Vgl. Seibt/Wunsch 2009, S. 195, 202 f.


5 Vgl. Seibt/Wunsch 2009.
6 Vgl. Seibt/Wunsch 2009, S. 203.
7 Vgl. Seibt/Wunsch 2009, S. 203 f.
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VII. Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen in der Praxis  |  663


Teil

2.2 Kapitalmaßnahmen bei der AG (PIPE)


2.2.3 Barkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss

Bis zu 10 % des Grundkapitals können unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altak-
tionäre bei einem Investor platziert werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind
dafür in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG normiert, wonach insbesondere der Ausgabepreis
den aktuellen Börsenpreis nicht wesentlich unterschreiten darf. Liegt zum Zeitpunkt
der Kapitalerhöhung ein Übernahmeangebot vor, so darf auch dessen Preis nicht un-
terschritten werden.8

2.2.4 Barkapitalerhöhung mit Bezugsrecht

Ist eine Kapitalerhöhung erforderlich, die 10 % des Grundkapitals übersteigt, ist allen
Aktionären ein Bezugsrecht einzuräumen. In diesem Fall kann ggf. der Investor gegen-
über der AG und den Emissionsbanken die Verpflichtung eingehen, von den Altaktio-
nären nicht gezeichnete Aktien zu übernehmen.9

2.3 Lock-up- bzw. Stand-still-Verpflichtungen des Investors (PIPE)


Der Investor kann sich gegenüber der AG verpflichten, eine Mindestbeteiligung von x %
für eine Mindesthaltedauer zu halten (Lock-up). Mit solchen Regelungen soll insbesonde-
re eine Kontinuität in der Hauptversammlung und damit die gemeinsame Zielverfolgung
von Investor und AG sichergestellt werden. Zur Absicherung der Lock-up-Verpflichtung
kann sich der Investor ggf. einer Zustimmungsverpflichtung seitens der AG für etwaige
Verfügungen unterwerfen (zur Vinkulierung allgemein vgl. Kap. 4.1), die ggf. dann entfällt,
wenn bestimmte vereinbarte wirtschaftliche Parameter durch die AG nicht erreicht werden.
Die Kehrseite zum Lock-up ist die Stand-still-Verpflichtung des Investors. Dabei ver-
pflichtet sich dieser, eine bestimmte Beteiligungsquote nicht zu überschreiten, z. B.
nicht 50 % oder mehr Aktien zu halten. Hintergrund können z. B. vertragliche Bindun-
gen der AG aufgrund von »Change of Control«-Klauseln in Lieferverträgen oder derglei-
chen sein, die durch die Übernahme gerade nicht ausgelöst werden sollen. Ein anderes
Motiv kann die Sicherstellung von steuerlichen Verlustvorträgen sein, die durch höhere
Beteiligungsquoten ggf. vollständig verlorengehen können (vgl. § 8c KStG).10

2.4 Verwässerungsschutz für Investor (VC)


In der Praxis häufiger Fall des Verwässerungsschutzes im Rahmen von VC-Transaktio-
nen ist der Schutz des Investors für den Fall künftig niedrigerer Unternehmensbewer-

8 Vgl. Seibt/Wunsch 2009, S. 207 mit weiteren Nachweisen.


9 Vgl. Schiessl 2009, S. 385, 388 f.
10 Vgl. Seibt/Wunsch 2009, S. 208.
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664  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

tungen. Danach kann der Investor berechtigt sein, bei einer niedrigeren Bewertung im
Rahmen einer künftigen Finanzierungsrunde weitere Aktien oder Geschäftsanteile zum
Nominalwert zu zeichnen.
Der Umfang einer solchen zusätzlichen Zeichnung hängt von der wirtschaftlichen
Einigung der Beteiligten ab. Die neue Bewertung kann nachträglich der Einstiegsbe-
wertung zugrunde gelegt werden. Alternativ kommt eine Durchschnittsbetrachtung in
Betracht, bei der die Bewertungen der Vorfinanzierungsrunde und der aktuellen Fi-
nanzierungsrunde in Abhängigkeit von den Finanzierungsvolumina gewichtet werden.
Zum Teil sollen solche Klauseln nur dann zur Anwendung kommen, wenn der Investor
seinerseits bereit ist, bei der nachfolgenden (geringer bewerteten) Finanzierungsrunde
mitzufinanzieren.

2.5 Garantien (VC, PIPE, Buy-out)


Anlässlich des Beitritts eines Investors verlangt dieser üblicherweise Garantien bzw.
Gewährleistungen, um sein Investment abzusichern und sich nicht nur auf seine Due
Diligence verlassen zu müssen. Bei einer VC-Finanzierung ist es üblich, dass jedenfalls
die Gründer bzw. Altgesellschafter Garantien bzw. Gewährleistungen zugunsten des
Investors abgeben. Diese Garantien bzw. Gewährleistungen beziehen sich üblicherweise
auf rechtliche, finanzielle, operative und andere unternehmensbezogene Umstände, so
wie sie auch im Rahmen eines Unternehmenskaufs zugunsten eines Käufers verbreitet
sind.
Bei einer PIPE-Transaktion ist die Abgabe von Garantien bzw. Gewährleistungen
durch Großaktionäre bei außerbörslichen Paketverkäufen nicht unüblich. Teilweise
beschränken sich die Garantien bzw. Gewährleistungen dann auf das Eigentum an
den Aktien und deren Freiheit von Rechten Dritter. Auf die Zielgesellschaft bezogene
Garantien bzw. Gewährleistungen sind in diesen Fällen weniger verbreitet. Entschei-
dend für den Umfang von Garantien bzw. Gewährleistungen ist vielfach die Größe des
Aktienpakets.
Neben den Altgesellschaftern kann die Zielgesellschaft ggf. selbst Garantien bzw.
Gewährleistungen abgeben. Dies ist bei einer GmbH unter Wahrung des Stammkapital-
schutzes gemäß § 30 GmbHG grundsätzlich möglich. Demgegenüber besteht aufgrund
des Eigenkapitalschutzes der AG nach § 57 AktG grundsätzlich keine Möglichkeit der
AG, Garantien bzw. Gewährleistungen gegenüber dem Investor abzugeben.11
Garantieverletzungen werden grundsätzlich mit Naturalrestitution bzw. Schadens-
ersatz sanktioniert. Bei VC-Transaktionen sind jedoch für operative Garantien bzw.
Gewährleistungen der Altgesellschafter eher moderate Haftungsdeckelungen in Anleh-
nung an deren finanzielle Leistungsfähigkeit üblich. Demgegenüber sind Haftungen für
Garantien bzw. Gewährleistungen seitens der Gesellschaft (soweit rechtlich zulässig)
sowie auch rechtliche Garantien bzw. Gewährleistungen der Altgesellschafter in der
Vertragspraxis grundsätzlich auf den Kaufpreis bzw. die Investitionssumme oder den
(anteiligen) Enterprise Value beschränkt oder sogar unbeschränkt.

11 Vgl. Bayer 2016, in: Münchner Kommentar zum Aktiengesetz, § 57, Rn. 94.
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VII. Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen in der Praxis  |  665


Teil

3 Corporate Governance
3.1 Präsenz des Investors in Gremien (VC, PIPE, Buy-out)
In allen Erscheinungsformen der Beteiligung ist es für den Investor von besonderer
Bedeutung, in den Gremien der Gesellschaft vertreten zu sein, um das Management
(mit-)kontrollieren und bei wesentlichen Unternehmensentscheidungen mitwirken zu
können. Entscheidendes Gremium bei der AG ist der Aufsichtsrat, bei einer GmbH kann
dies ggf. ein fakultativer Aufsichtsrat oder Beirat sein. Die weite Zuständigkeit der Ge-
sellschafterversammlung einer GmbH wird vielfach durch Kompetenzverlagerung in
solche fakultativen Aufsichts- oder Beiräte eingeschränkt.
Bei der AG kann die AG, d. h. die Hauptversammlung, im Rahmen einer Investo-
renvereinbarung nicht verpflichtet werden, bestimmte Personen in ihren Aufsichtsrat
zu wählen (vorbehaltlich etwaiger Entsendungsrechte nach § 101 AktG). Möglich ist
jedoch eine sog. Bemühensverpflichtung des Vorstands, wonach auf eine bestimmte
Aufsichtsratsbesetzung im Rahmen des gesetzlich Zulässigen hingewirkt werden soll.12
Alternativ kann der Investor bei bzw. nach Beitritt Stimmbindungsvereinbarungen
mit anderen (Groß-)Aktionären treffen, insbesondere auch zur Abstimmung des Stimm-
verhaltens in der Hauptversammlung bei Wahl des Aufsichtsrats. Gegebenenfalls kön-
nen Besetzungswünsche für den Aufsichtsrat auch dadurch umgesetzt werden, dass im
Rahmen der gerichtlichen Bestellung nach § 104 AktG auf Vorschlag des Vorstands neue
Aufsichtsratsmitglieder durch das Gericht bestellt werden.
Bei der GmbH besteht erheblich mehr Gestaltungsflexibilität. So können z. B. im
Rahmen eines fakultativen Aufsichts- oder Beirats-Entsendungsrechte in beliebiger Zahl
vereinbart werden.
Aufsichtsräte nehmen ihr Amt stets unabhängig wahr. Aufsichtsratsmitglieder sind
nicht an Weisungen eines oder mehrerer Gesellschafter gebunden. Dieser Gesichtspunkt
ist insbesondere relevant, wenn es um die Besetzung des Vorstands geht.13

3.2 Zustimmungsvorbehalte des Investors (VC, PIPE, Buy-out)


Über die Mitwirkung des Aufsichtsrats in der AG will der Investor auf wesentliche
operative Entscheidungen Einfluss nehmen. Hierfür ist der Katalog der durch den Auf-
sichtsrat zustimmungspflichtigen Maßnahmen nach § 111 Abs. 4 AktG das übliche
Gestaltungsinstrument. In der Regel noch weitergehend, insbesondere wegen der Aus-
übung des Weisungsrechts der Gesellschafterversammlung oder dessen Delegation an
einen Aufsichts- oder Beirat, können die Mitwirkungsrechte bei einer GmbH ausgestal-
tet werden. Steuerlich können hier jedoch insbesondere für Private Equity-Investoren
Schranken nach den Regeln des sog. Private Equity-Erlasses bestehen, um die Tätigkeit
eines solchen Fonds ggf. nicht gewerblich werden zu lassen.14
Darüber hinaus ist es üblich, dass der Vorstand bzw. die Geschäftsführung der Port-
foliogesellschaft umfangreichen Informationspflichten gegenüber den Aufsichtsgremien

12 Vgl. Seibt/Wunsch 2009, S. 204 f.; Kiem 2009, S. 301, 303; Reichert 2015, S. 1, 7.
13 Vgl. Reichert 2015, S. 1, 7.; Schall 2013, S. 75, 90, 95.
14 Vgl. BMF vom 16.12.2003, BStBl 2004 I, S. 40.
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666  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

unterliegen, insbesondere monatliche Verprobung des Budgets, Soll/Ist-Vergleich und


dergleichen.

3.3 Bestellung eines Garanten (PIPE)


In einzelnen Übernahmesituationen hat man als zusätzliche Vertragspartei einen Ga-
ranten vorgesehen, der die Einhaltung der Gesellschafter- und Investorenvereinbarung
überwacht und ggf. einfordert. Die Garantenstellung dient der Wahrnehmung der Inte-
ressen von Aktionären, Arbeitnehmern und anderen in Bezug auf die Regelungsgegen-
stände der Gesellschafter- und Investorenvereinbarung im Verhältnis zur Gesellschaft
selbst und deren Groß- bzw. Mehrheitsaktionäre.15

3.4 Sicherung von Unternehmensinteressen (VC, PIPE)


Der Investor kann sich z. B. verpflichten, bestimmte Unternehmensstrategien der Portfo-
liogesellschaft zu unterstützen. Hierzu gehört u.U. auch die Verpflichtung, zusätzliche
Finanzierungsmittel für Wachstumsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.16 In VC-Ver-
trägen werden zum Teil auch Nachfinanzierungsverpflichtungen begründet; zum einen
in Abhängigkeit von dem Erreichen sog. Meilensteine bei plangerechter Entwicklung
des Geschäftsverlaufs, zum anderen können solche Verpflichtungen begründet werden,
wenn die Portfoliogesellschaft eine Krisensituation bewältigen muss, z. B. eine Liquidi-
tätskrise oder eine insolvenznahe Situation, vermieden werden soll.

4 Vereinbarungen im Zusammenhang mit einem Exit


4.1 Vinkulierung, Andienung und Vorkaufsrecht (VC, Buy-out)
Neben der »dinglichen« Vinkulierungsklausel in einer Satzung können Vinkulierungen
auch im schuldrechtlichen Rahmen einer Gesellschafter- und Investorenvereinbarung
vereinbart werden. Zustimmungsberechtigte können z. B. Vorstand bzw. Geschäftsfüh-
rung oder Aufsichts- bzw. Beirat oder einzelne Gesellschafter oder die Haupt- bzw.
Gesellschafterversammlung sein. Das Erfordernis eines Zustimmungsbeschlusses kann
ggf. für »Sondersituationen« (z. B. Notverkauf) entfallen.
Daneben können Andienungs- und Vorkaufsrechte für den Fall des beabsichtigten
Verkaufs, insbesondere im Verhältnis zu den Mitgesellschaftern, vereinbart werden.
Konkrete Veräußerungsabsichten können Andienungsverpflichtungen im Verhältnis der

15 Vgl. Seibt/Wunsch 2009, S. 200 f. mit weiteren Nachweisen, insbesondere zum Übernahmeverfah-
ren Continental/Schaeffler und zur Übernahme der Garantenfunktion durch Bundeskanzler a. D.
Gerhard Schröder.
16 Vgl. Kiem 2009, S. 301, 303.
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VII. Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen in der Praxis  |  667


Teil

Gesellschafter zueinander begründen. Darüber hinaus sichert das Vorkaufsrecht die


Beachtung der Bestimmungen über die Andienungsverpflichtung nach Abschluss eines
Kaufvertrages mit einem Dritten.
Sowohl Andienungs- als auch Vorkaufsrechte können erhebliche formelle und mate-
rielle Belastungen für die Beteiligten in einem Exit-Prozess mit sich bringen. Deshalb
sollten die Details sehr transparent, präzise und nachvollziehbar formuliert werden.

4.2 Börsengang und Trade Sale (VC, Buy-out)


Investoren, insbesondere Finanzinvestoren, sind grundsätzlich nur auf eine bestimmte
Zeit an der Portfoliogesellschaft beteiligt. Deshalb ist die Regelung eines späteren Exits
im Verhältnis zu anderen Gesellschaftern von erheblicher Bedeutung. Investoren möch-
ten grundsätzlich Kontrolle über den Exit-Prozess haben und z. B. bestimmen, welche
Banken und Berater im Verkaufsprozess mandatiert werden sollen. Deshalb ist es nicht
unüblich, dass die Gesellschafter- und Investorenvereinbarung Bestimmungen über das
Management des Exit-Prozesses enthält.
Investoren möchten sich auch grundsätzlich die Option vorbehalten, ob der Exit über
einen Börsengang (IPO) oder über einen Trade Sale (einschließlich sog. Secondary-Trans-
aktionen) erfolgen soll. Hierzu vereinbaren die Parteien u.U. einen gewissen Zeithori-
zont, für den ein solcher Börsengang vorgesehen wird. Die Parteien verpflichten sich
dann gegenseitig, alle erforderlichen Maßnahmen, z. B. Umwandlungsbeschlüsse, Ka-
pitalerhöhung und dergleichen vorzunehmen und zu beschließen, die für den Börsen-
gang erforderlich sind. Hierzu gehören auch Regelungen über Lock-up-Verpflichtungen,
die z. B. Managementgesellschafter für einen bestimmten Zeitraum nach Börsengang
eingehen.
Zum Teil wird der Börsengang als Exit-Möglichkeit im Verhältnis zu einem Trade
Sale priorisiert. Denn der Börsengang hat im Vergleich zu einem Trade Sale den Vorteil,
dass nach dem Börsengang die Exit-Entscheidungen der Gesellschafter (vorbehaltlich
von Lock-up-Verpflichtungen) individuell getroffen werden können. Deshalb ist die
Exit-Option des IPO insbesondere in den Szenarien von Bedeutung, in denen die Gesell-
schafter jedenfalls langfristig unterschiedliche strategische Ziele verfolgen. Praktisch
können solche Gesichtspunkte z. B. dann relevant sein, wenn ein strategischer Investor
im Rahmen einer Expansionsfinanzierung ein Joint Venture mit einem Finanzinvestor
eingeht und der Finanzinvestor – anders als ein strategischer Partner – einen absehba-
ren Exit-Horizont hat. In solchen Szenarien wird ein Stratege nicht notwendigerweise
in der Lage sein, den Finanzinvestor als Alternative zu einem Börsengang, z. B. auf
der Grundlage einer Call-Option, auszukaufen. Zu möglichen Rechten und Pflichten im
Rahmen eines Trade Sales wird auf die Ausführungen in Kap. 4.3 und 4.4 verwiesen.

4.3 Erlösverteilungspräferenzen (VC, Buy-out)


Insbesondere bei VC-Transaktionen wollen Investoren sicherstellen, dass die von ihnen
zugeführten neuen Mittel im Falle einer Veräußerung vorrangig an sie zurückfließen,
bevor Rückflüsse an die Gründungsgesellschafter erfolgen. Ähnliche Rangverhältnisse
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668  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

werden zum Teil auch im Rahmen von Buy-out-Transaktionen dargestellt, wenn Eigen-
kapital in verschiedenen Formen geleistet wird (z. B. Stamm- oder Vorzugsgeschäfts-
anteile).
In der VC-Finanzierungspraxis ist es verbreitet, dass die jeweils letzte Finanzie-
rungsrunde Vorrang vor den jeweils vorhergehenden hat. Erst nachrangig werden dann
die Gründungsgesellschafter an der Verteilung der Erlöse beteiligt. Die Erlösverteilungs-
präferenz soll grundsätzlich den Rückfluss des investierten Kapitals nebst (i. d. R.) ei-
ner bestimmten Verzinsung sicherstellen. Im Detail können diese Bestimmungen sehr
komplex und detailliert in die verschiedenen Rangverhältnisse widerspiegelnden, sog.
Wasserfallregelungen vereinbart werden.

4.4 Mitverkaufsverpflichtungen und -rechte (VC, Buy-out)


Die Mitverkaufsverpflichtung (»Drag Along«) der anderen Gesellschafter zugunsten des
Investors sichert die Möglichkeit für den Investor, ggf. das gesamte Unternehmen an
einen Dritten zu veräußern. Danach sind die anderen Gesellschafter bei Verlangen des
Investors verpflichtet, ihre Gesellschaftsrechte zu den gleichen Bedingungen wie der
Investor an einen Dritten mitzuverkaufen. Eine solche Mitverkaufsverpflichtung ist im
Rahmen eines geordneten Exit-Prozederes (vgl. Kap. 4.2) durchaus üblich, auch wenn
sie je nach Umständen einen substantiellen Eingriff in die Vermögens- und Beteiligungs-
position der anderen Gesellschafter darstellen kann.
Die Durchsetzung einer Mitverkaufsverpflichtung kann im Einzelfall Schwierigkei-
ten bereiten. Deshalb verlangen Investoren zum Teil, dass die Mitgesellschafter ihnen
entsprechende Vollmachten geben, um den Verkaufsprozess in den Händen des Inves-
tors zu bündeln. Dies dürfte jedoch i. d. R. für die Mitgesellschafter kaum akzeptabel
sein.
Umgekehrt müssen die Mitgesellschafter dagegen geschützt werden, dass es bei In-
anspruchnahme der Mitverkaufsverpflichtung zu einer möglichen »Verschleuderung«
der Beteiligungsrechte kommt. Um den Interessengleichlauf zwischen Investor und den
anderen Gesellschaftern jedenfalls zum Teil sicherzustellen, wird der Investor i. d. R.
akzeptieren müssen, dass Übertragungen von Gesellschaftsrechten an mit ihm verbun-
dene Unternehmen keine Mitverkaufsverpflichtung begründen. Darüber hinaus wird
zum Teil auch eine Mitverkaufsverpflichtung für den Fall aufgehoben, dass der Kauf-
preis bestimmte finanzielle Parameter, z. B. bezogen auf das EBIT oder EBITDA der
Portfoliogesellschaft, nicht erfüllt.
Die Kehrseite der Mitverkaufsverpflichtung ist das Mitverkaufsrecht (»Tag Along«).
Danach sind die anderen Gesellschafter berechtigt, ihre Beteiligung mitzuveräußern,
wenn der Investor seine Beteiligung an einen Dritten veräußert. Die Mitverkaufsberech-
tigung ist grundsätzlich ratierlich ausgestaltet, d. h. wenn der Investor nur einen Teil
seiner Beteiligung veräußert, haben die Mitgesellschafter auch nur das Recht, einen
entsprechenden Teil ihrer Beteiligung zu veräußern. Ausnahmen können dann in Be-
tracht kommen, wenn der Hauptinvestor z. B. eine Mehrheitsbeteiligung hält und den
überwiegenden Teil seiner Beteiligung an einen Dritten veräußert. In diesem Fall kann
es sachgerecht sein, den Mitgesellschaftern (z. B. Managementgesellschaftern) ein voll-
ständiges Mitverkaufsrecht einzuräumen.
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VII. Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen in der Praxis  |  669


Teil

5 Allgemeine Bestimmungen
5.1 Laufzeit
Es ist üblich, dass für Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen Vertragslaufzeiten
vorgesehen werden. Hauptzweck solcher Bestimmungen ist insbesondere, dass eine
Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung der Gesellschafter- und Investorenvereinba-
rung durch einzelne Gesellschafter vermieden werden soll. Den Gesellschaftern ver-
bleibt dementsprechend nur die Möglichkeit, eine solche Vereinbarung ggf. aus wichti-
gem Grund zu kündigen.
Die Laufzeiten sind unterschiedlich. Bei VC- und Buy-out-orientierten Transaktionen
sind Laufzeiten von zehn bis fünfzehn Jahren durchaus üblich. Demgegenüber haben
Investorenvereinbarungen bei PIPE-Transaktionen eher eine kürzere Laufzeit, z. B. fünf
bis zehn Jahre.

5.2 Vertragsstrafe
Einzelne Verhandlungs- oder Unterlassungsverpflichtungen einer Gesellschafter- oder
Investorenvereinbarung können ggf. durch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe pöna-
lisiert werden.

5.3 Form
Vereinbarungen, die sich mittelbar auf die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen
beziehen (z. B. Drag-Along- und Tag-Along-Verpflichtungen bzw. -rechte) bedürfen der
notariellen Beurkundung (§ 15 Abs. 4 GmbHG). Gesellschafter- und Investorenverein-
barungen, die sich auf Aktiengesellschaften beziehen, bedürfen grundsätzlich keiner
besonderen Form.

5.4 Einbeziehung Rechtsnachfolger


Anders als die Bestimmungen der Satzung wirken die Regelungen der Gesellschaf-
ter- und Investorenvereinbarung nicht automatisch gegenüber jedem Gesellschafter.
Deshalb sehen diese Vereinbarungen i. d. R. vor, dass im Falle einer Übertragung von
Anteilen der Erwerber im Rahmen einer Beitrittsvereinbarung Partei der Gesellschaf-
ter- und Investorenvereinbarung mit allen Rechten und Pflichten wird. Zur Sicherung
des Beitrittsinteresses der anderen Gesellschafter wird zum Teil eine Vinkulierungszu-
stimmung davon abhängig gemacht, dass eine entsprechende Beitrittsvereinbarung des
Erwerbers vorliegt.
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670  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

6 Zusammenfassung und Ausblick


Dieser Beitrag kann nur einen Überblick über einzelne, nicht abschließende Regelungs-
gegenstände von Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen geben. Diese Vertrags-
typen haben erheblich an Bedeutung gewonnen. Denn die »klassischen« Bestimmungen
in Satzungen werden i. d. R. als nicht ausreichend angesehen, um die spezifischen In-
vestorenbelange im Verhältnis zur Portfoliogesellschaft einerseits und zu den anderen
Gesellschaftern andererseits ausreichend und angemessen zu regeln. Gesellschafts- und
kapitalmarktrechtliche zwingende Regeln müssen jedoch beachtet werden und limitie-
ren den Umfang möglicher Regelungsgegenstände.

Literatur
Bayer, W. (2016): In: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz. Band 1. 4. Aufl., C. H. Beck/Verlag
Vahlen, München, 2008.
BMF vom 16.12.2003, BStBl 2004 I, 40.
Decher, C. E. (2010): Das Business Combination Agreement – ein verdeckter Beherrschungsvertrag
oder sonstiger strukturändernder Vertrag? In: Kindler, P./Koch, J. et al. (Hrsg.): Festschrift für Uwe
Hüffer zum 70. Geburtstag. C. H. Beck, München, 2010, S. 145 ff.
Groß, J. (2014): Gesellschaftervereinbarungen als Gestaltungsinstrument. In: ErbStB, 2014, S. 284 ff.,
305 ff.
Kiem, R. (2009): Investorenvereinbarungen im Lichte des Aktien- und Übernahmerechts. In: AG, 2009,
S. 301, 303.
Reichert, J. (2015): Business Combination Agreements. In: ZGR, 2015, S. 1–32.
Schall, A. (2013): Business Combination Agreements und Investorenvereinbarungen. In: Kämmerer,
J. A./Veil, R. (Hrsg.): Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion. Mohr Siebeck,
Tübingen, S. 75 ff.
Schiessl, M. (2009): Auf der Suche nach dem »Ankeraktionär« – »PIPE«-Transaktionsmodelle und Or-
ganpflichten. In: AG, 2009, S. 385, 388 f.
Seibt, C. H./Wunsch, O. (2009): Investorenvereinbarungen bei öffentlichen Übernahmen. In: Der Kon-
zern, 2009, S. 195, 202 f.
Wälzholz, E. (2009): Gesellschaftervereinbarungen (Side Letters) neben der GmbH-Satzung. Chancen
– Risiken – Zweifelsfragen. In: GmbHR, 2009, S. 1020–1027.
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  |  671
Teil

VIII. Entwicklungen des deutschen Übernahme-


rechts – Von freiwilliger Selbstkontrolle
zu staatlicher Regulierung
Thomas Menke*

1 Einleitung
2 Vorläufer des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG)
2.1 Leitsätze der Börsensachverständigenkommission von 1979
2.2 Übernahmekodex von 1995
3 Verabschiedung und Revision des WpÜG
3.1 WpÜG 2002
3.2 WpÜG 2006
4 Aktuelle Entwicklungen im deutschen Übernahmerecht
4.1 Erwerb eigener Aktien
4.2 Zurechnung von Stimmrechten
4.3 Angemessenheitsvermutung der Gegenleistung beim Squeeze-out

1 Einleitung
Mit dem am 01.01.2002 in Kraft getretenen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
(WpÜG) wurde in Deutschland erstmals ein umfassendes und verbindliches Regelwerk
für die Durchführung öffentlicher Verfahren zum Erwerb von Aktien oder vergleich-
baren Wertpapieren eines börsennotierten Unternehmens eingeführt. Dieses Gesetz
markiert den Schlusspunkt des als gescheitert anzusehenden Versuchs, den Ablauf öf-
fentlicher Wertpapiererwerbsverfahren den Marktteilnehmern selbst zu überlassen bzw.
sie durch die Vorgabe unverbindlicher Verhaltensstandards zur Einhaltung bestimmter
Regeln zu bewegen.
Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Entstehung des Rechts der
öffentlichen Unternehmensübernahmen in Deutschland, stellt die wesentlichen mate-
riellen Vorschriften dar und geht darüber hinaus auf einige Entwicklungen seit der
Neufassung des WpÜG im Jahre 2006 ein.

∗ Dr. Thomas Menke, Partner, Anwaltssozietät Gleiss Lutz, Düsseldorf.


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672  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

2 Vorläufer des Wertpapiererwerbs- und Übernahme-


gesetzes (WpÜG)
Das WpÜG aus dem Jahr 2002 ist der Nachfolger von zwei rechtlich unverbindlichen
Regelwerken, die auf einer freiwilligen Befolgung durch die Marktteilnehmer basierten.
Hierbei handelte es sich namentlich um die Leitsätze der Börsensachverständigenkom-
mission von 1979 und den Übernahmekodex aus dem Jahr 1995. Der Grund für die bis
dahin fehlende gesetzliche Regelung lag maßgeblich in der im Vergleich zu bestimmten
ausländischen Kapitalmärkten geringen praktischen Bedeutung, die öffentliche Über-
nahmeangebote bis zum Ende der 1990er Jahre in Deutschland spielten.1

2.1 Leitsätze der Börsensachverständigenkommission von 1979


Die ersten Versuche einer einheitlichen Regelung des deutschen Übernahmerechts ge-
hen zurück auf das Jahr 1979, als die beim Bundesministerium der Finanzen angesiedel-
te Börsensachverständigenkommission (BSK) sog. »Leitsätze für öffentliche freiwillige
Kauf- und Umtauschangebote bzw. Aufforderungen zur Abgabe derartiger Angebote für
im amtlich orientierten oder im geregelten Freiverkehr gehandelte Aktien bzw. Erwerbs-
rechte« veröffentlichte. Hierbei handelte es sich um – unverbindliche – Wohlverhaltens-
regeln zur Durchführung öffentlicher Übernahmen, die Ausdruck eines angemessenen
und verantwortungsbewussten kaufmännischen Verhaltens sein sollten. Da die Leitsät-
ze jedoch weder eine (staatliche) Instanz zur Überwachung dieser Regeln noch Sank-
tionen für den Fall von Verstößen vorsahen, waren sie auf ihre freiwillige Befolgung
durch potenzielle Bieter als Folge eines moralischen Drucks der Öffentlichkeit und der
Marktteilnehmer angewiesen. In der Praxis fanden sie (daher) nur wenig Beachtung.

2.2 Übernahmekodex von 1995


Aus diesem Grunde ersetzte die Börsensachverständigenkommission ihre Leitsätze im
Jahr 1995 durch den am britischen City Code on Takeovers and Mergers orientierten sog.
»Übernahmekodex«. Der Kodex enthielt eine Empfehlung von allgemeinen Verhaltens-
regeln für alle an einem öffentlichen Übernahmeangebot beteiligten Parteien. Diese
Verhaltensregeln hatten insbesondere den Schutz der Minderheitsaktionäre der Zielge-
sellschaft im Blick und sollten dazu beitragen, dass die Wertpapierinhaber, aber auch
die Organe der Zielgesellschaft, tatsächlich alle Informationen erhalten, die erforderlich
sind, um eine sachgerechte und am Wohl der Zielgesellschaft sowie ihrer Anteilseigner
orientierte Bewertung eines Übernahmeangebots vornehmen zu können.
Die Regelungen des Kodex folgen vier Leitprinzipien, die sich auch im heutigen
WpÜG wiederfinden. Hierbei handelt es sich um (i) das Gebot der Gleichbehandlung
aller Aktionäre, (ii) die Pflicht zur Abgabe eines öffentlichen Übernahmeangebots bei
Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft, (iii) die Gewährleistung der Transpa-

1 Vgl. die Zahlen bei Hopt 1997, S. 368.


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VIII. Entwicklungen des deutschen Übernahmerechts  |  673


Teil

renz während des gesamten Übernahmeverfahrens und (iv) die Pflicht der Organe der
Zielgesellschaft zur Wahrung der Neutralität.
Ähnlich wie die »Leitsätze« aus dem Jahr 1979 stellte allerdings auch der Kodex kein
von sich aus rechtsverbindliches Regelwerk dar; Verbindlichkeit erlangte er nur für
solche Unternehmen, die den Kodex offiziell anerkannten. Zwar war die Abgabe einer
solchen Anerkennungserklärung ab 1998 Voraussetzung für die Neuaufnahme in die
bedeutendsten deutschen Aktienindizes DAX und M-DAX. Gleichwohl blieb die erhoff-
te Anerkennung auf breiter Ebene aus. Bis April 2001 hatten lediglich 755 der damals
insgesamt 1.016 börsennotierten Unternehmen in Deutschland den Kodex anerkannt.2
Hinzu kam, dass auch diejenigen Unternehmen, die den Kodex anerkannt hatten,
nicht selten gegen dessen Bestimmungen verstießen und es nach wie vor an wirksamen
und mit staatlichen Mitteln durchsetzbaren Sanktionen fehlte. Eines der prominentesten
Beispiele öffentlicher Übernahmen, in deren Verlauf wiederholt gegen Prinzipien des
Kodex verstoßen wurde, war die »feindliche« Übernahme der Mannesmann AG durch
Vodafone Airtouch PLC im Winter 1999/2000. Das Prinzip der freiwilligen Ankerken-
nung des Kodex führte letztlich zu Marktungleichheiten, weil einige Marktteilnehmer
dem Kodex folgten und andere nicht. Darüber hinaus hatte der Kodex den Nachteil,
ausländische Bieter von vornherein nicht zu erreichen, was zu einer Benachteiligung
»kodextreuer« (deutscher) Unternehmen führte.

3 Verabschiedung und Revision des WpÜG


3.1 WpÜG 2002
In Anbetracht der wachsenden Bedeutung von Unternehmensübernahmen für die deut-
sche Wirtschaft sowie unter dem Druck europäischer Richtlinienvorschläge wurde En-
de der 1990er Jahre die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung des Rechts der
Unternehmensübernahmen laut. Die Bundesregierung beauftragte auf Empfehlung der
Börsensachverständigenkommission im Frühjahr des Jahres 2000 ein Expertengremium
damit, die Erforderlichkeit und Praktikabilität eines Übernahmegesetzes zu untersu-
chen und entsprechende Gesetzesvorschläge zu erarbeiten. Nach intensiver öffentlicher
Diskussion wurde Ende 2001 schließlich das WpÜG verabschiedet und zum 01.01.2002
in Kraft gesetzt.

3.1.1 Wesentliche Ziele des Gesetzes

Maßgebliches Ziel dieses Gesetzes war es, dem Problem unregulierter Übernahmever-
fahren effektiv zu begegnen und den Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland
berechenbarer und damit im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger und für In-
vestoren attraktiver zu machen. Die Übernahme von Unternehmen und andere öffent-
liche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren sollten weder gefördert noch verhindert
werden; stattdessen sollte ein Rechtsrahmen geschaffen werden, in dem Übernahme-

2 Begründung RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 27.


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674  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

verfahren ebenso fair und geordnet wie rasch und transparent abgewickelt werden
können. Etwaige Abwehrmaßnahmen des Vorstandes der Zielgesellschaft, die den Un-
ternehmens- und Anlegerinteressen nicht gerecht werden, sollten verhindert werden.
Ein besonderer Stellenwert sollte darüber hinaus dem Schutz der Minderheitsaktionäre
zukommen.

3.1.2 Grundlagen

3.1.2.1 Anwendungsbereich

Das WpÜG ist anwendbar auf öffentliche Angebote zum Erwerb (d. h. zum Kauf oder
Tausch) von Wertpapieren, die von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden und zum
Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Unter »Wertpapieren« sind in
erster Linie Aktien oder vergleichbare Wertpapiere zu verstehen, die eine Mitglied-
schaft in einer Aktiengesellschaft verbriefen, sowie darüber hinaus Optionsanleihen,
Wandelschuldverschreibungen oder ähnliche Wertpapiere, die dem Inhaber ein Recht
zum Bezug von Aktien einräumen. Während das Gesetz zunächst nur Emittenten mit
Sitz im Inland erfasste, finden die Vorschriften des WpÜG seit dem Jahr 2006 auch auf
den Erwerb von Wertpapieren von Zielgesellschaften mit Sitz in einem anderen Staat
des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) Anwendung.3

3.1.2.2 Aufbau und Systematik des Gesetzes

Die Systematik des WpÜG folgt einer Dreiteilung öffentlicher Erwerbsangebote. Un-
terschieden wird zunächst zwischen freiwilligen und obligatorischen (sog. »Pflicht«-)
Angeboten. Bei freiwilligen Angeboten wird ferner differenziert nach solchen, die auf
die Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gerichtet sind (sog. »Übernah-
meangebote«) und solchen, die nicht auf den Kontrollerwerb abzielen (sog. »einfache
Erwerbsangebote«). Daraus ergibt sich die Unterscheidung zwischen (i) einfachen Er-
werbsangeboten, (ii) Übernahmeangeboten und (iii) Pflichtangeboten, der auch der
Aufbau des Gesetzes folgt.
Nach einigen allgemeinen Vorschriften (§§ 1 bis 3 WpÜG) und Vorschriften über
die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) (§§ 4
bis 9 WpÜG) enthält der dritte Abschnitt (§§ 10 ff.) des WpÜG zunächst Bestimmungen
über einfache öffentliche Erwerbsangebote, die nicht auf den Kontrollerwerb gerichtet
sind. Ein Kontrollerwerb in diesem Sinne liegt dann vor, wenn der Bieter als Folge des
Angebots mehr als 30 % der Stimmrechte der Zielgesellschaften halten würde. Unter
die Vorschriften über einfache öffentliche Erwerbsangebote fallen zum einen Angebote
zum Erwerb einer Beteiligung, die – ggf. unter Berücksichtigung einer bereits vorhan-
denen Beteiligung – unterhalb der Kontrollschwelle von 30 % der Stimmrechte bleibt
(sog. »Einstiegsangebote«); zum anderen gehören dazu auch diejenigen Angebote, die
der Aufstockung einer bereits zuvor bestehenden Kontrollbeteiligung dienen (sog. »Auf-
stockungsangebote«).
Im vierten Abschnitt (§§ 29 ff. WpÜG) sind die Übernahmeangebote geregelt, also
diejenigen öffentlichen Erwerbsangebote, die auf den Erwerb der Kontrolle über die

3 Vgl. zu den Einzelheiten nachfolgend Kap. 3.2.1.


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Zielgesellschaft gerichtet sind. Die Vorschriften des fünften Abschnitts (§§ 35 ff. WpÜG)
enthalten schließlich die Bestimmungen für Pflichtangebote, die sich von den vorge-
nannten Angebotsarten dadurch unterscheiden, dass sie nicht auf freiwilliger Basis
abgegeben werden. Zur Abgabe eines Pflichtangebots ist verpflichtet, wer unmittelbar
oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt (bspw. durch einen au-
ßerbörslichen Erwerb von mindestens 30 % der Stimmrechte an einem börsennotierten
Unternehmen).
Die Bestimmungen des WpÜG über einfache Erwerbsangebote, Übernahme- und
Pflichtangebote stehen nicht selbstständig nebeneinander, sondern bauen jeweils auf-
einander auf. Hierbei betrachtet das Gesetz das einfache Erwerbsangebot als Grundfall
und enthält zusätzliche Anforderungen für Übernahme- und Pflichtangebote.

3.1.2.3 Allgemeine Anwendungsgrundsätze

Den Regelungen über die verschiedenen Arten von Angeboten vorangestellt ist ein
allgemeiner Abschnitt (§§ 1 bis 3 WpÜG), der den Anwendungsbereich des Gesetzes
umschreibt und verschiedene Begrifflichkeiten klärt. Von besonderer Bedeutung ist in
diesem Zusammenhang § 3 WpÜG, der die allgemeinen Grundsätze und Zielvorstel-
lungen des Gesetzes festlegt, die allen nachfolgenden Regelungen zugrundeliegen und
bei jedem Angebot zum Erwerb von Wertpapieren beachtet werden müssen. Hierbei
handelt es sich um (i) den Gleichbehandlungsgrundsatz, (ii) das Transparenzgebot, (iii)
die Neutralitätspflicht von Vorstand und Aufsichtsrat, (iv) das Gebot der raschen Durch-
führung des Angebotsverfahrens sowie (v) das Verbot von Marktverzerrungen. Diese
fünf »vor die Klammer gezogenen« Grundsätze werden in den jeweiligen Vorschriften
über die Durchführung des Angebotsverfahrens im Einzelnen näher ausgestaltet und
konkretisiert. Gleichzeitig kommen darin aber auch die zentralen Ziel- und Wertvorstel-
lungen des Gesetzgebers zum Ausdruck, auf die in Zweifelsfragen regelmäßig rekurriert
wird.

3.1.3 Verlauf des Angebotsverfahrens

3.1.3.1 Abgabe des Angebots durch den Bieter

Im Hinblick auf den Beginn des Angebotsverfahrens ist zwischen freiwilligen und obli-
gatorischen Erwerbsangeboten zu unterscheiden. Freiwillige Angebotsverfahren basie-
ren auf der autonomen Entscheidung des Bieters, ein Erwerbsangebot abzugeben. Eine
solche Entscheidung ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG unverzüglich zu veröffentli-
chen.4 Bei obligatorischen Angeboten hingegen ist die Abgabe des Angebots Folge einer
gesetzlichen Verpflichtung, die einen Wertpapierinhaber immer dann trifft, wenn er
die Kontrolle über die Zielgesellschaft (30 % der Stimmrechte) erlangt.5 Unterlässt der

4 Welches der genaue Bezugspunkt für die Verpflichtung des Bieters zur »unverzüglichen« Veröffent-
lichung seines Angebots ist, wird seit Jahren intensiv diskutiert. Erforderlich ist jedenfalls, dass der
interne Willensbildungsprozess des Bieters im Hinblick auf die Frage, ob er ein Angebot abgeben
wird, abgeschlossen ist. Wie die Angebotskonditionen im Einzelnen aussehen sollen, muss demge-
genüber noch nicht endgültig feststehen. Vgl. zu den Einzelheiten Geibel/Süßmann 2008, § 10 Rn.
7 ff.
5 Die Kontrollerlangung ist ebenfalls unverzüglich zu veröffentlichen (§ 35 Abs. 1 S.1 WpÜG).
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Bieter in einem solchen Fall die Abgabe eines Angebots entsprechend den gesetzlichen
Vorschriften, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar, die von der BaFin mit einem Buß-
geld von bis zu 1 Mio. Euro geahndet werden kann. Ob der BaFin darüber hinaus die
Befugnis zusteht, die Abgabe eines Angebots mit hoheitlichen Mitteln zu erzwingen,
ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden.6 Die wohl überwiegende Meinung in der
Literatur leitet eine solche Befugnis jedoch aus der Generalermächtigung des § 4 Abs. 1
Satz 3 WpÜG ab.7 Einig ist man sich indes darüber, dass ein Anspruch der Aktionäre
auf Abgabe eines Pflichtangebots nicht besteht.8
In beiden Fällen, d. h. sowohl bei freiwilligen als auch bei obligatorischen Erwerbsan-
geboten, hat der Bieter nach der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines
Angebots bzw. der Kontrollerlangung grundsätzlich vier Wochen Zeit, um der BaFin
eine sog. Angebotsunterlage zu übermitteln. Hierbei handelt es sich um ein verbindli-
ches und unwiderrufliches Angebot zum Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft.
Eine Ausgestaltung der Angebotsunterlage als bloße invitatio ad offerendum ist ebenso
unzulässig wie ein Angebot mit Rücktrittsvorbehalt (§§ 17, 18 WpÜG). Bedingungen
sind demgegenüber grundsätzlich zulässig, jedoch nur, soweit der Bedingungseintritt
nicht vom Bieter ausschließlich selbst herbeigeführt werden kann. Sofern für das An-
gebot die Zustimmung der Gesellschafterversammlung des Bieters erforderlich ist, darf
die Erteilung dieser Zustimmung jedoch ausnahmsweise zur Bedingung des Angebots
gemacht werden (§ 25 WpÜG).
Der genaue Inhalt der Angebotsunterlage ist in § 11 WpÜG sowie in einer auf Basis
des WpÜG ergangenen Rechtsverordnung (WpÜG-Angebotsverordnung) detailliert ge-
regelt. Zu dem erforderlichen Inhalt gehören insbesondere Angaben zum Bieter und zu
den mit ihm gemeinsam handelnden Personen, zu den Wertpapieren, die Gegenstand
des Angebots sind, zu Art und Höhe der vom Bieter gebotenen Gegenleistung, zur
Finanzierung des Angebots, zu den Angebotsbedingungen, zur Zahl der vom Bieter
bereits gehaltenen Wertpapiere bzw. Stimmrechte sowie zu den Auswirkungen des
geplanten Wertpapiererwerbs auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bieters.
Darüber hinaus muss die Angebotsunterlage über die Absichten des Bieters im Hinblick
auf die künftige Geschäftstätigkeit und geplante Eingriffe in die bestehende Betriebs-
struktur der Zielgesellschaft informieren sowie über etwaige Vorteile, die einzelnen
Organmitgliedern der Zielgesellschaft für den Fall eines erfolgreichen Übernahmever-
fahrens in Aussicht gestellt wurden.
Im Hinblick auf die anzubietende Gegenleistung ist zu unterscheiden zwischen ein-
fachen Erwerbsangeboten einerseits und Übernahme- und Pflichtangeboten anderer-
seits. Während das Gesetz bei einfachen Erwerbsangeboten insoweit keinerlei Vorgaben
macht, unterliegt der Bieter bei Übernahme- und Pflichtangeboten sowohl bezüglich
der Art als auch bezüglich der Höhe der Gegenleistung gesetzlichen Beschränkungen
(§§ 31, 39 WpÜG i.V.m. §§ 3 bis 7 WpÜG-Angebotsverordnung).
Hinsichtlich der Art der anzubietenden Gegenleistung kann der Bieter grundsätz-
lich frei wählen, ob er die Wertpapiere gegen Barzahlung oder gegen Aktien erwerben
will. Zur Abgabe eines Barangebots ist er lediglich dann verpflichtet, wenn er in einem
bestimmten Zeitraum vor Ablauf der Angebotsfrist bereits mindestens 5 % der Aktien

6 Vom BGH ausdrücklich offengelassen, Urteil vom 11.06.2013, NZG 2013, S. 939.
7 So etwa Geibel/Süßmann 2008, § 35 Rn. 57; Assmann et al. 2013, § 35 Rn. 248; a. A. Baums/Thoma
2012, § 35 Rn. 295.
8 BGH, Urteil vom 11.06.2013, NZG 2013, S. 939.
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oder Stimmrechte der Zielgesellschaft gegen Zahlung einer Geldleistung erworben hat
(§ 31 Abs. 3 WpÜG).
Hinsichtlich der Höhe der anzubietenden Gegenleistung bestimmt das Gesetz, dass
diese »angemessen« sein muss (§ 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG). Maßgebliche Kriterien zur
Bestimmung der Angemessenheit sind der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der
Zielgesellschaft in den letzten drei Monaten vor Veröffentlichung der Entscheidung zur
Abgabe des Angebots einerseits (sog. »Börsenpreisregel«) sowie Vorerwerbe von Aktien,
die der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunterneh-
men in den letzten sechs Monaten vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage getätigt
haben andererseits (sog. »Gleichpreisregel«). Die Gegenleistung muss mindestens dem
jeweils höheren dieser beiden Werte entsprechen.9 In der Angebotsunterlage sind die
angewandten Bewertungsmethoden offenzulegen und detaillierte Angaben zur Ange-
messenheit der angebotenen Gegenleistung zu machen.

3.1.3.2 Prüfung der Angebotsunterlage durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-


aufsicht (BaFin)

Die vom Bieter eingereichte Angebotsunterlage wird von der BaFin auf ihre Überein-
stimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen geprüft. Der Bieter veröffentlicht die
Angebotsunterlage, wenn sie von der BaFin entweder positiv gestattet oder – und das
ist in der Praxis der Regelfall – nicht innerhalb von zehn Werktagen nach Einreichung
untersagt wurde (§ 14 Abs. 2 WpÜG). Die Veröffentlichung der Angebotsunterlage hat
sowohl im Internet als auch durch Bekanntgabe im elektronischen Bundesanzeiger oder
durch Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland zu
erfolgen (§ 14 Abs. 3 WpÜG). Zudem muss die Angebotsunterlage dem Vorstand der
Zielgesellschaft übermittelt werden, der sie seinerseits an den Betriebsrat bzw. an die
Arbeitnehmer weiterzuleiten hat (§ 14 Abs. 4 WpÜG).

3.1.3.3 Annahmefrist

Die vom Bieter in der Angebotsunterlage bestimmte Frist, innerhalb derer die Aktio-
näre der Zielgesellschaft das Angebot annehmen können, darf nicht weniger als vier
Wochen und i. d. R. nicht mehr als zehn Wochen betragen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 WpÜG).
Für Übernahmeangebote sieht das Gesetz eine sog. »weitere Annahmefrist« von zwei
Wochen vor, in der diejenigen Aktionäre, die das Angebot zunächst nicht angenommen
haben, die Annahme noch nachträglich erklären können (§ 16 Abs. 2 Satz 1 WpÜG).
Sobald der Bieter die Angebotsunterlage veröffentlicht hat, ist er verpflichtet, wöchent-
lich und in der letzten Woche vor Ablauf der Annahmefrist sogar täglich die Anzahl
der erworbenen Wertpapiere zu veröffentlichen (§ 23 Abs. 1 WpÜG). Weitere Veröffent-
lichungen haben zudem unverzüglich nach Ablauf der Annahme- sowie der weiteren
Annahmefrist zu erfolgen.

3.1.3.4 Verhaltenspflichten der Organe der Zielgesellschaft

Sowohl der Vorstand als auch der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft sind verpflichtet,
zu dem Erwerbsangebot des Bieters eine begründete Stellungnahme abzugeben (§ 27

9 Die Einzelheiten sind in §§ 3 bis 7 der WpÜG-Angebotsverordnung geregelt.


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Abs. 1 WpÜG). Diese Stellungnahme, die in der Praxis üblicherweise durch Vorstand
und Aufsichtsrat gemeinsam abgegeben wird, muss auf alle relevanten Punkte des Er-
werbsangebots eingehen, insbesondere auf die Art und Höhe der angebotenen Gegen-
leistung, auf die voraussichtlichen Folgen einer erfolgreichen Übernahme für die Ziel-
gesellschaft, auf die vom Bieter verfolgten Ziele sowie auf die Absicht der Mitglieder
von Vorstand und Aufsichtsrat, soweit sie Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft
sind, das Angebot anzunehmen. Die Stellungnahme hat im Regelfall eine konkrete
Handlungsempfehlung an die Aktionäre zu enthalten und soll diesen als weitere Infor-
mationsbasis und Entscheidungshilfe dienen.
Um die freie Entscheidung der Aktionäre der Zielgesellschaft über die Annahme
des Angebots nicht zu unterlaufen, trifft den Vorstand darüber hinaus eine – grund-
sätzlich umfassende – Neutralitätspflicht. Diese besagt, dass der Vorstand während
des gesamten Angebotsverfahrens keine Handlungen vornehmen darf, durch die der
Erfolg des Angebots verhindert werden könnte (§ 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG). Das Gesetz
lässt von diesem Grundsatz jedoch eine Reihe von Ausnahmen zu. So gilt die Neutra-
litätspflicht bspw. nicht für Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter
Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen
ist, vorgenommen hätte, für die Suche nach einem konkurrierenden Angebot sowie
für Handlungen, denen der Aufsichtsrat zugestimmt hat. Bei der Erteilung seiner Zu-
stimmung hat sich der Aufsichtsrat nach § 3 Abs. 3 WpÜG am Unternehmensinteresse
und damit u. a. auch an den Aktionärsinteressen zu orientieren. Die Zustimmungs-
möglichkeit des Aufsichtsrats gilt nach überwiegender Auffassung allerdings nur für
solche Maßnahmen, die nicht bereits nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen
in den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung fallen.10 Für solche, in den Kom-
petenzbereich der Hauptversammlung fallende Abwehrmaßnahmen enthält § 33 Abs. 2
WpÜG eine Spezialregelung, derzufolge die Hauptversammlung den Vorstand für einen
Zeitraum von höchstens 18 Monaten »auf Vorrat« zu konkret zu benennenden Arten
von Handlungen ermächtigen kann, die generell auf die Verhinderung des Erfolges von
Übernahmeangeboten gerichtet sind.

3.1.4 Rolle der BaFin

Zuständige Stelle für die Aufsicht über die Einhaltung der Vorschriften des WpÜG ist die
bereits erwähnte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit Sitz in Bonn und
Frankfurt a.M. Durch die Zuweisung der Überwachungsfunktion an eine selbständige
staatliche Bundesanstalt soll sichergestellt werden, dass die Aufsicht von einem Kont-
rollgremium durchgeführt wird, das den Beteiligten einerseits neutral gegenübersteht
und das andererseits über hoheitliche Zwangsbefugnisse verfügt und so bei Gesetzes-
verstößen wirkungsvolle Sanktionen verhängen kann. Die Übertragung der Kontroll-
funktion auf eine staatliche Stelle zählt zu einer der wesentlichen Veränderungen, die
das WpÜG mit sich gebracht hat.
Die Aufsicht durch die BaFin umfasst sowohl die laufende Überwachung der Ein-
haltung als auch die Durchsetzung der Vorschriften des WpÜG. In beiderlei Hinsicht
sind die Befugnisse der BaFin sehr weitreichend; über die in speziellen Vorschriften

10 Vgl. etwa Hirte/Bülow 2010, § 33 Rn. 80; Steinmeyer/Häger 2013, § 33 Rn. 26; Assmann et al. 2013,
§ 33 Rn. 174; a. A. Baums/Thoma 2012, § 33 Rn. 69.
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VIII. Entwicklungen des deutschen Übernahmerechts  |  679


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geregelten Eingriffsbefugnisse hinaus darf die BaFin grundsätzlich alle Anordnungen


treffen, die geeignet und erforderlich sind, um Missstände im Zusammenhang mit Über-
nahmeverfahren zu beseitigen oder zu verhindern (§ 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG).
Die Auslegung der Vorschriften des WpÜG wird überwiegend von der Verwaltungs-
praxis der BaFin dominiert. Die betroffenen Unternehmen orientieren sich in erheblich
stärkerem Maße an den Richtlinien und Entscheidungen der BaFin als dies bei anderen
Behörden der Fall ist. Die Einlegung von Rechtsmitteln (gegen Verfügungen der BaFin
ist die Beschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. statthaft, § 48 WpÜG)
ist in der Praxis die absolute Ausnahme. Der Grund hierfür ist wohl darin zu sehen,
dass die Bieter in einem Übernahmeverfahren typischerweise nicht so sehr an der
richterlichen Klärung aufgeworfener Rechtsfragen interessiert sind als an der zeitnahen
Freigabe und Durchführung des Angebotes und daher bereits »freiwillig« den Vorgaben
der BaFin folgen.

3.2 WpÜG 2006


Nachdem im April 2004 das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union
die lange erwartete Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote (sog. »Über-
nahmerichtlinie«) verabschiedet hatten, war der deutsche Gesetzgeber gehalten, das
WpÜG den europäischen Vorgaben anzupassen. Der Umsetzungsaufwand war indes
überschaubar, da das WpÜG 2002 diese Vorgaben bereits weitgehend vorweggenommen
hatte. Hervorzuheben sind im Wesentlichen die Ausweitung des Anwendungsbereichs
des Gesetzes, die Einführung eines sog. Europäischen Passes, die Regelungen über das
Europäische Verhinderungsverbot und die Europäische Durchbrechungsregel sowie die
Einführung eines übernahmerechtlichen Ausschluss- und Andienungsrechts (»Squeeze-
out« bzw. »Sell-out«). Die Änderungen traten zum 14.07.2006 in Kraft.

3.2.1 Ausweitung des Anwendungsbereichs

Seit der Umsetzung der Übernahmerichtlinie im Jahr 2006 können nicht mehr nur
inländische Unternehmen Zielgesellschaften im Sinne des WpÜG sein, sondern auch
solche, die ihren Sitz in einem anderen EWR-Staat haben. Die sich infolge dieser Ände-
rung u. U. ergebenden Überschneidungen mit dem ebenfalls anwendbaren Recht eines
anderen Staates sowie mit der zuständigen Aufsicht im Falle einer Börsenzulassung
außerhalb des Sitzstaates der Gesellschaft werden durch entsprechende Kollisionsvor-
schriften in den neu eingeführten Absätzen 2 und 3 des § 1 WpÜG 2006 vermieden.11

3.2.2 Einführung des Europäischen Passes

Der neu eingeführte § 11a WpÜG ermöglicht es einem Bieter, seine von der zuständi-
gen Stelle eines anderen Mitgliedsstaates des EWR gebilligte Angebotsunterlage zum

11 Für Einzelheiten vgl. Geibel/Süßmann 2008, Einl. Rn. 30 ff.


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Erwerb von Wertpapieren, die auch in Deutschland gehandelt werden, ohne erneutes
Billigungsverfahren nach den Vorschriften des WpÜG auch hierzulande einzusetzen.

3.2.3 Verhinderungsverbot und Durchbrechungsregel

Wesentliches Ziel der Übernahmerichtlinie war es, in zentralen Bereichen des Übernah-
merechts die rechtlichen Rahmenbedingungen innerhalb der EU anzugleichen (»Level
Playing Field«). Gleichzeitig sollten die Mitgliedsstaaten aber nicht zu einer umfassen-
den Vereinheitlichung ihrer Übernahmegesetze gezwungen werden. Jedenfalls im Hin-
blick auf den Umfang der Neutralitätspflicht des Vorstandes der Zielgesellschaft sowie
der Fortgeltung von Stimmrechts- und Übertragungsbeschränkungen während des An-
gebotsverfahrens sollte dem nationalen Gesetzgeber vielmehr die Möglichkeit gegeben
werden, die jeweiligen Wertpapieremittenten selbst entscheiden zu lassen, ob sie die
entsprechenden Regelungen der Richtlinie zur Anwendung bringen wollen oder nicht.
Unter Berufung auf dieses sog. Optionsmodell hat der deutsche Gesetzgeber die
bereits bisher geltenden Vorschriften zur Neutralitätspflicht des Vorstandes der Ziel-
gesellschaft zunächst unverändert gelassen (sog. »Opt-out«). Allerdings wird inländi-
schen Gesellschaften nunmehr die Möglichkeit eröffnet, sich durch eine entsprechende
Satzungsregelung freiwillig dem strengeren Regime der Übernahmerichtlinie zu un-
terwerfen (sog. »Opt-in«). Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Neutralitätspflicht des
Vorstandes (§ 33a WpÜG) als auch im Hinblick auf das Schicksal von Stimmrechtsbe-
schränkungen und Vinkulierungen (§ 33b WpÜG) während des Übernahmeverfahrens.
In diesem Zusammenhang ist allerdings auf den ebenfalls neu in das Gesetz eingefüg-
ten § 33c WpÜG hinzuweisen, welcher es der Hauptversammlung einer Zielgesellschaft,
die sich per Satzung dem strengen europäischen Regelungsregime unterworfen hat,
erlaubt, durch einfachen Mehrheitsbeschluss die Geltung der §§ 33a, b WpÜG im Ein-
zelfall davon abhängig zu machen, dass auch der Bieter selbst den strengen Regelungen
der Richtlinie unterliegt (sog. »Vorbehalt der Gegenseitigkeit«).
Die Wahl der strengeren Neutralitätsreglung der Übernahmerichtlinie führt u. a. da-
zu, dass die Hauptversammlung den Vorstand nicht mehr generell, d. h. unabhängig
von aktuellen Angebotsverfahren, zur Vornahme bestimmter Arten von Abwehrmaß-
nahmen ermächtigen, sondern eine solche Ermächtigung nur noch anlässlich konkreter
Erwerbsangebote ausgesprochen werden kann. Darüber hinaus kann nach den Vor-
gaben der Richtlinie nur die Hauptversammlung – und nicht auch der Aufsichtsrat
– der Zielgesellschaft zu solchen Abwehrmaßnahmen ermächtigen. Zusammengefasst
bedeutet dies, dass der Spielraum des Vorstandes einer Zielgesellschaft zur Abwehr von
öffentlichen Erwerbsangeboten im Falle des Opt-in durch den Emittenten im Vergleich
zu der bisherigen Regelung deutlich eingeschränkt ist (vgl. § 33a Abs. 2 WpÜG).
Nach dem ebenfalls neu in das Gesetz eingefügten § 33b WpÜG kann die Satzung ei-
nes Emittenten nunmehr zudem vorsehen, dass satzungsmäßige und vertragliche Über-
tragungsbeschränkungen der Wertpapiere der Zielgesellschaft während der Annahme-
frist außer Kraft gesetzt werden und dass außerdem satzungsmäßige oder vertragliche
Stimmrechtsbeschränkungen in der Hauptversammlung, in der über Maßnahmen zur
Abwehr des Übernahmeangebots entschieden werden soll, keine Wirkung entfalten. Als
Ausgleich für diese »Durchbrechung« ist allerdings der Bieter verpflichtet, demjenigen,
der hierdurch einen Rechtsverlust erleidet, eine angemessene Entschädigung in Geld zu
zahlen (§ 33b Abs. 5 WpÜG).
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3.2.4 Squeeze-out/Sell-out

Eine wesentliche Neuerung des WpÜG 2006 bestand auch in den aufgrund der Über-
nahmerichtlinie eingefügten Regelungen im Hinblick auf den Umgang mit Aktionären,
die im Anschluss an ein Übernahme- oder Pflichtangebot in der Gesellschaft verblieben
sind. Wenn der Bieter nach seinem Angebot über Aktien in Höhe von mindestens 95 %
des stimmberechtigten Grundkapitals der Zielgesellschaft verfügt, hat er für drei Mo-
nate die Möglichkeit, sich durch einfachen Gerichtsbeschluss auch die übrigen stimm-
berechtigten Aktien gegen Gewährung einer angemessenen Abfindung übertragen zu
lassen (§ 39a WpÜG).12 Dieser sog. übernahmerechtliche Squeeze-out steht grundsätz-
lich selbständig neben dem in den §§ 327a ff. des Aktiengesetzes (AktG) geregelten
aktienrechtlichen Squeeze-out, wobei zu beachten ist, dass das gleichzeitige Betreiben
eines aktienrechtlichen Ausschlussverfahrens neben dem übernahmerechtlichen Aus-
schlussverfahren nicht in Betracht kommt (§ 39a Abs. 6 WpÜG). Hervorzuheben ist
auch, dass der übernahmerechtliche Squeeze-out im Unterschied zum aktienrechtlichen
Squeeze-out keinen Beschluss der Hauptversammlung erfordert, sondern durch einen
entsprechenden Antrag bei dem dafür zuständigen Landgericht (LG) Frankfurt a.M.
eingeleitet wird, das die Aktien dem Bieter dann durch einfachen Gerichtsbeschluss
überträgt.
Parallel zu dem beschriebenen Ausschlussrecht des Bieters haben unter denselben
Voraussetzungen (Bieter erwirbt 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals) umge-
kehrt auch die in der Gesellschaft verbliebenen Minderheitsaktionäre ihrerseits das
Recht, innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist dem Bieter die von
ihnen gehaltenen Aktien der Zielgesellschaft anzudienen (§ 39c WpÜG, sog. »Sell-out«).

4 Aktuelle Entwicklungen im deutschen


Übernahmerecht
Abschließend werden noch einige Entwicklungen im deutschen Übernahmerecht seit
der Neufassung des WpÜG im Jahre 2006 dargestellt. Herausgegriffen werden drei
Rechtsfragen, die die Praxis in besonderem Maße beschäftigt haben.

4.1 Erwerb eigener Aktien


Bis zum Inkrafttreten des WpÜG 2006 war umstritten, ob das Gesetz auch dann An-
wendung findet, wenn das Angebot von der Zielgesellschaft selbst stammt und auf
den Erwerb eigener Aktien gerichtet ist. Während die BaFin die Anwendbarkeit des
WpÜG zunächst bejaht hatte und auch Teile der Literatur die grundsätzliche Geltung
der übernahmerechtlichen Vorschriften auf diesen Fall befürworteten,13 setzte sich bald

12 Zur Bestimmung der Angemessenheit der Abfindung vgl. Kap. 4.3.


13 Vgl. etwa Lenz/Linke 2002, S. 420 m. w. N.
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die Erkenntnis durch, dass die Anwendung des WpÜG auf den Erwerb eigener Aktien
weder erforderlich noch sinnvoll ist.14 Dem Schutz- und Informationsbedürfnis der Ak-
tionäre wird in diesen Fällen bereits durch die Regelungen zum Erwerb eigener Aktien
in §§ 71 ff. AktG, die Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Aktionären sowie
das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG hinreichend Rechnung getra-
gen. Durch die zahlreichen Mitteilungs-, Veröffentlichungs- und Stellungnahmepflichten
und das formalisierte Gestattungsverfahren nach den §§ 14 ff. WpÜG würde der Erwerb
eigener Aktien darüber hinaus unverhältnismäßig erschwert und verzögert, was ins-
besondere dann misslich ist, wenn die Aktiengesellschaft kurzfristig ihren Bedarf an
eigenen Aktien decken muss.15
Seitdem im August 2006 schließlich auch die BaFin ihre frühere Auffassung revi-
diert hat,16 steht für die Praxis nunmehr fest, dass eine Anwendung des WpÜG auf den
Erwerb eigener Aktien nicht in Betracht kommt. Die Zulässigkeit derartiger Geschäfte
richtet sich vielmehr allein nach den entsprechenden aktienrechtlichen Vorschriften,
namentlich §§ 71 ff. AktG. Außerdem unterliegt die Beschlussfassung des Vorstandes
über den Erwerb eigener Aktien regelmäßig der Pflicht zur Ad-hoc-Publizität nach § 15
des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG).

4.2 Zurechnung von Stimmrechten


Im Hinblick auf die Berechnung der Stimmrechte eines Bieters an der Zielgesellschaft
enthält § 30 Abs. 2 WpÜG – ebenso wie der inhaltsgleiche § 22 Abs. 2 WpHG – eine
Zurechnungsvorschrift, nach der dem Bieter unter bestimmten Voraussetzungen die
Stimmrechte eines Dritten, mit dem er sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft
abstimmt, als eigene zugerechnet werden. Nach der bis zum August 2008 geltenden
Fassung des Gesetzes wurden dem Bieter Stimmrechte aus Aktien der Zielgesellschaft
zugerechnet, die im Eigentum eines Dritten stehen, »mit dem der Bieter (…) sein Ver-
halten in Bezug auf die Zielgesellschaft aufgrund einer Vereinbarung oder in sonsti-
ger Weise abstimmt«. Ausgenommen waren nur Vereinbarungen über die Ausübung
von Stimmrechten im Einzelfall. Der Zusatz »oder in sonstiger Weise abstimmt« stellte
klar, dass eine Stimmrechtszurechnung nicht nur aufgrund einer verbindlichen Ver-
einbarung, sondern auch im Falle eines bloß einvernehmlichen Handelns (sog. »Acting
in Concert«) stattfindet. Die Auslegung und Konkretisierung des Merkmals des »abge-
stimmten Verhaltens« zählte lange Zeit zu den umstrittensten und meist diskutierten
Problemen des WpÜG und war Gegenstand einer Reihe uneinheitlicher Entscheidungen
der BaFin sowie der Gerichte.
Durch das am 19.08.2008 in Kraft getretene Risikobegrenzungsgesetz wurden so-
wohl §  30 Abs.  2 WpÜG als auch §  22 Abs.  2 WpHG um einen Satz 2 ergänzt, der
die Stimmrechtszurechnung nach diesen Vorschriften konkretisieren sollte. Ein abge-
stimmtes Verhalten setzt seither voraus, dass »der Bieter (…) und der Dritte sich über
die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften

14 Heute ganz h. M., vgl. etwa Geibel/Süßmann 2008, § 1 Rn. 128; Steinmeyer/Häger 2013, § 1 Rn. 9 ff.;
a. A. Wackerbarth 2011, § 2 Rn. 23–24.
15 Umfassend zum Ganzen Süßmann 2002, S. 424 ff.; Koch 2003, S. 61 ff.
16 BaFin-Bekanntmachung vom 09.08.2006, abrufbar unter www.bafin.de.
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und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft in


sonstiger Weise zusammenwirken.« Durch diese Ergänzung sollten Rechtsklarheit ge-
schaffen und Nachweisprobleme vermieden werden. Letzteres ist insbesondere deshalb
von Bedeutung, weil Verstöße gegen die vorgenannten Vorschriften eine Ordnungswid-
rigkeit darstellen und mit einem entsprechenden Bußgeld geahndet werden können.
Darüber hinaus war der Gesetzgeber der Auffassung, dass eine nur vorübergehende
Verhaltenskoordination, die nach dem früheren Wortlaut des Gesetzes den Tatbestand
einer Verhaltensabstimmung durchaus hätte erfüllen können, die Interessen der Zielge-
sellschaft und ihrer Aktionäre nicht über Gebühr gefährde.17
Die Neuerung ist für die Praxis von zentraler Bedeutung, denn sie ermöglicht es
einem Investor, sich mit anderen Investoren im Hinblick auf den Erwerb von Wertpa-
pieren einer Zielgesellschaft abzustimmen, ohne eine Stimmrechtszurechnung nach
den entsprechenden Vorschriften auszulösen. Als Maßnahme zur Vermeidung der Mel-
depflichten nach dem WpHG ist dies ebenso bedeutsam wie für die Umgehung der
übernahmerechtlichen Vorschriften des WpÜG.
Einem Investor ist es nunmehr gestattet, im Vorfeld einer geplanten Unternehmens­
übernahme mit anderen Investoren den gezielten Erwerb von Wertpapierpositionen zu
vereinbaren, die jeweils unterhalb der Schwellen des §  21 WpHG bleiben und daher
keine Meldepflichten nach dem WpHG auslösen (sog. »Anschleichen«). Eine Einführung
einer weiteren Meldepflicht zur Verhinderung des Anschleichens hat der Bundestag im
Jahr 2011 abgelehnt.18
Die Geltung der übernahmerechtlichen Vorschriften des WpÜG, namentlich der
§§ 29 ff. und 35 ff. WpÜG, lässt sich ebenfalls dadurch vermeiden, dass ein Bieter nicht
alleine die Kontrolle über die Zielgesellschaft erwirbt, sondern sich mit anderen Inves-
toren im beschriebenen Sinne abstimmt. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass
die Vermeidung einer Zurechnung von Stimmrechten nach §  22 Abs.  2 WpHG bzw.
§ 30 Abs. 2 WpÜG voraussetzt, dass die Abstimmung sich allein auf den gemeinsamen
Wertpapiererwerb bezieht und nicht darüber hinaus geht; sobald die Vereinbarung
auch eine Verständigung über die zukünftige Ausübung von Stimmrechten beinhaltet
oder die Investoren mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der un-
ternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft zusammenwirken (§ 22 Abs. 2 Satz 2
WpHG, §  30 Abs.  2 Satz  2 WpÜG), ist der jeweilige Zurechnungstatbestand erfüllt.
Entsprechende Zurechnungsfragen wurden im Zusammenhang mit der Übernahme der
Continental AG durch die Schaeffler-Gruppe im Jahr 2008 intensiv diskutiert, durch die
BaFin aber letztlich im hier beschriebenen Sinne entschieden.19 Zuletzt beschäftigte
sich der BGH mit der Zurechnung von Stimmrechten im Rahmen der Übernahme der
Postbank durch die Deutsche Bank. In seiner Entscheidung vom 29.07.2014 konkreti-
sierte der BGH die Voraussetzungen und sicherte einen Gleichlauf mit § 22 WpHG.20 In

17 Vgl. BT-Drucks, 16/7438, S. 11; BT-Drucks, 16/9821, S. 11 f.



18 Meldepflicht bei einer Beteiligung zwischen 30 % und 50 % bei Erwerb weiterer 2 % innerhalb eines
Jahres, BT-Drucks, 17/3481 S. 2; abgelehnt in BT-Plenarprotokoll 17/91, S. 10293B vom 11.02.2011.
19 Daneben war in diesem Übernahmeverfahren streitig, ob die von Schaeffler bei verschiedenen Ban-
ken erworbenen Equity Swaps als Finanzinstrumente im Sinne des § 25 WpHG zu qualifizieren wa-
ren, was von der BaFin im Anschluss an die ganz herrschende Meinung im Schrifttum letztlich ver-
neint wurde. Seit Inkrafttreten des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes (AnsFuG)
am 01.02.2012 fallen Equity Swaps und andere Finanzinstrumente gemäß dem neuen § 25a WpHG
dagegen neu unter die Meldepflicht. Zu diesen und anderen Fragen des heimlichen »Anschleichens«
vgl. Classen 2016, Kap. 3; Baums/Sauter 2009, S. 454 ff.; Meyer/Kiesewetter 2009, S. 340 ff.
20 BGH, Urteil vom 29.07.2014, NZG 2014, S. 985.
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684  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

dieser Entscheidung ging es hauptsächlich um die Zurechnung von Stimmrechten nach


§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG und einer daraus resultierenden Pflicht zur Veröffent-
lichung eines Angebots. Der BGH stellte klar, dass eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1
Satz 1 Nr. 5 WpÜG (dem § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG im Wesentlichen entspricht)
nur erfolgt, wenn der Bieter die Möglichkeit hat, das Eigentum an den Aktien durch ein-
seitige Willenserklärung ohne Mitwirkung des Vertragspartners oder eines Dritten zu
erwerben. Eine solche dem Eigentum gleichkommende gesicherte Erwerbsmöglichkeit
hat der Bieter im Falle einer dinglichen Anwartschaft an den betreffenden Aktien. Ein
schuldrechtlicher Anspruch auf Übereignung ist hingegen nicht ausreichend, da diesem
gegebenenfalls. Einwendungen des Veräußerers entgegenstehen können.

4.3 Angemessenheitsvermutung der Gegenleistung


beim Squeeze-out
Wie bereits ausgeführt, ist mit dem WpÜG 2006 der sog. übernahmerechtliche Squeeze-
out in das Gesetz eingeführt worden. Im Hinblick auf die Höhe der den auszuschließen-
den Aktionären im Rahmen eines solchen Squeeze-out zu zahlenden Abfindung heißt es
in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG, dass die im Rahmen des vorangegangenen Übernahme-
oder Pflichtangebots gewährte Gegenleistung als angemessene Abfindung »anzusehen
ist«, wenn der Bieter aufgrund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 % des
von dem Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat.
An der richtigen Interpretation dieser gesetzlichen Angemessenheitsvermutung hat
sich ein erheblicher Streit entfacht, der in Literatur und Rechtsprechung gleicherma-
ßen ausgetragen wird. Während die überwiegenden Stimmen in der Literatur die Vor-
schrift von Anfang an als unwiderlegliche Vermutung betrachteten,21 entschied das LG
Frankfurt a. M. in einem Beschluss vom 05.08.2008, dass die Regelung als widerlegliche
Vermutung anzusehen sei. Da nach Ansicht des Gerichts aber auch die Einholung ei-
nes Sachverständigengutachtens zur Angemessenheit der Abfindung nicht in Betracht
kommt, bliebe dem Antragsteller hiernach bei Erschütterung der Vermutung nur die
Möglichkeit, nach (erfolglosem) Abschluss des übernahmerechtlichen Ausschlussver-
fahrens das aktienrechtliche Squeeze-out Verfahren nach §§  327a ff. AktG zu betrei-
ben.22
Das gegen diesen Beschluss vom Bieter angerufene und für das übernahmerechtliche
Ausschlussverfahren bundesweit in letzter Instanz zuständige OLG Frankfurt a. M. hat
sich zu einer Entscheidung in dieser Streitfrage bedauerlicherweise nicht durchringen
können und stattdessen nur entschieden, dass die Vermutung jedenfalls nicht durch den
Einwand erschüttert werden könne, der »wahre« Verkehrswert der Aktie sei höher als
die im Rahmen des Übernahmeangebotes gewährte Gegenleistung.23
Das OLG Stuttgart hat in einem Beschluss aus dem Mai 2009 im Rahmen eines obiter
dictum demgegenüber umfassend darlegt, warum es sich bei § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG
um eine grundsätzlich unwiderlegliche Vermutung handelt.24

21 Vgl. die Nachweise bei LG Frankfurt a. M., Beschluss vom 05.08.2008, NZG 2008, S. 665.
22 LG Frankfurt a. M., Beschluss vom 05.08.2008, NZG 2008, S. 665.
23 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 09.12.2008, NZG 2009, S. 74.
24 OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.05.2009, NZG 2009, S. 950.
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VIII. Entwicklungen des deutschen Übernahmerechts  |  685


Teil

Dieser Ansicht hat das OLG Frankfurt a. M. in einer aktuellen Entscheidung zumin-
dest tendenziell zugestimmt.25 Es geht hierin grundsätzlich von einer unwiderleglichen
Vermutung aus, soweit nicht der zur Preisermittlung übliche Markttest ausnahmsweise
keine Aussagekraft hat. Insofern stellt das Gericht hohe Anforderungen an eine Entkräf-
tung der Vermutung im Einzelfall und qualifiziert die Angemessenheitsvermutung als
eine Art Missbrauchskontrolle. »Es müssten konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass das Angebotsverfahren in wesentlichen Punkten nicht korrekt abgelaufen, der dem
Angebot zugrunde liegende Börsenkurs manipuliert und somit der Markttest verfälscht
worden ist.«26
Durch dieses Urteil verringert sich die Gefahr des Scheiterns eines Übernahme- oder
Pflichtangebots durch die Rüge der Angemessenheit der Abfindung bei einem Antrag
auf Ausschließung der verbleibenden Minderheitsaktionäre.

Literatur
Assmann, H.-D./Pötzsch, T./ Schneider, U. H. (2013): Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, Kom-
mentar. Dr. Otto Schmidt, Köln, 2013.
Baums, T./Sauter, M. (2009): Anschleichen an Übernahmeziele mit Hilfe von Aktienderivaten. In: ZHR,
2009, S. 454–503.
Baums, T./Thoma, G. F. (Hrsg.) (2012): Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz.
RWS, Köln, Loseblattsammlung, Stand Mai 2012, 2012.
Classen, D. (2016): Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht. In: Mül-
ler-Stewens, G./Kunisch, S./Binder, A. (Hrsg.): Mergers & Acquisitions. Schäffer-Poeschel, Stuttgart,
2016, S. 686–709.
Geibel, S./Süßmann, R. (Hrsg.) (2008): Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG). Kommen-
tar. 2. Aufl., C. H. Beck, München, 2008.
Hirte, H./Bülow, C. (Hrsg.) (2010): Kölner Kommentar zum WpÜG. Carl Heymanns, Köln u. a., 2010.
Hopt, K.–J. (1997): Europäisches und deutsches Übernahmerecht. In: ZHR, 1997, S. 68–420.
Koch, J. (2003): Der Erwerb eigener Aktien – kein Fall des WpÜG. In: NZG, 2003, S. 61–70.
Lenz, J./Linke, U. (2002): Rückkauf eigener Aktien nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmege-
setz. In: AG, 2002, S. 421–424.
Meyer, A./Kiesewetter, M. (2009): Rechtliche Rahmenbedingungen des Beteiligungsaufbaus im Vorfeld
von Unternehmensübernahmen. In: Wertpapier-Mitteilungen Teil IV: Zeitschrift für Wirtschafts-
und Bankrecht, 2009, S. 340–349.
Steinmeyer, R./Häger, M. (Hrsg.) (2013): Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, Kommentar.
3. Aufl., Erich Schmidt, Berlin, 2013.
Süßmann, R. (2002): Anwendung des WpÜG auf öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien? In:
AG, 2002, S. 424–433.
Wackerbarth, U. (2011): In: Goette, W./Habersack, M./Kalss, S. (Hrsg.): Münchener Kommentar zum
Aktiengesetz (AktG), Bd. 6. 3. Aufl., C. H. Beck, München, 2011.

25 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 28.01.2014, NZG 2014, S. 543.


26 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 28.01.2014, NZG 2014, S. 543.
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686  | 
Teil

IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-


Transaktionen nach deutschem Recht
Dirk Classen*

1 Einleitung
2 Gesetzliche Grundlagen
2.1 Erste Transparenzrichtlinie und Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)
2.2 Zweite Transparenzrichtlinie und Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz
(TUG)
2.3 Risikobegrenzungsgesetz
2.4 Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz (AnsFuG)
2.5 Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie
3 Umgehung der Beteiligungstransparenz durch den Einsatz von Cash Settled
Equity Swaps?
3.1 Übernahme der Continental AG durch die Schaeffler Gruppe
3.2 Rechtliche Würdigung vor Einführung des AnsFuG
3.3 Rechtliche Würdigung nach Einführung des AnsFuG
3.4 Sanktionen
3.5 Ergebnis
4 Lösen Umfirmierungen Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG aus?
4.1 Entscheidung des Landgerichts Köln vom 05.10.2007
4.2 Rechtliche Würdigung
4.3 Ergebnis
5 Schlussbetrachtung

1 Einleitung
Selten ziehen Transaktionen die Aufmerksamkeit der öffentlichen und veröffentlichten
Meinung in so hohem Maße auf sich, wie dies bei den (beabsichtigten oder tatsächlich
erfolgten) Übernahmen von Schaeffler/Continental, Porsche/VW und AWD/MLP der
Fall war. Gerade das Übernahmeangebot der Schaeffler Gruppe zum Erwerb der Aktien
der börsennotierten Continental AG erregte die Gemüter und warf eine Vielzahl juristi-
scher Fragen auf, die nicht frei von rechtspolitischer Brisanz waren – und die bis heute
nicht abschließend beantwortet sind.
Im Mittelpunkt der Diskussionen standen vor allem die Transparenz und die Regulie-
rung des Kapitalmarktes im Allgemeinen sowie die Verschärfung der Meldepflichten für
derivative Finanzinstrumente im Besonderen. Das große Interesse der Öffentlichkeit an

∗ Dr. Dirk Classen, Partner, Rechtsanwalt, Classen Fuhrmanns & Partner, Köln.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  687
Teil

dieser Transaktion ist vornehmlich darauf zurückzuführen, dass Schaeffler sog. »Cash
Settled Equity Swaps« einsetzte, um den kapitalmarktrechtlichen Meldepflichten nicht
nachkommen zu müssen. So sind nach deutschem Recht natürliche und juristische
Personen verpflichtet, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und
der börsennotierten Gesellschaft selbst die Höhe ihrer Stimmrechtsanteile mitzuteilen,
sobald sie durch Erwerb, Veräußerung oder auf sonstige Weise bestimmte Schwellen-
werte erreichen, über- oder unterschreiten.
Durch diese Offenlegung der Aktionärsstruktur und einer etwaigen Veränderung
der Stimmrechtsanteile sollen eine erhöhte Transparenz des Kapitalmarktes geschaffen
und zugleich wichtige Hinweise auf eventuell bevorstehende Unternehmensübernah-
men gegeben werden. Da Schaeffler aufgrund des Abschlusses der Swap-Geschäfte eine
Meldepflicht nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) und dem
Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) für nicht gegeben erachtete, wurde rasch der – in
diesem Beitrag widerlegte – Vorwurf laut, die Unternehmensgruppe habe sich mit dem
Einsatz ominöser Finanzinstrumente, die in Deutschland bislang allenfalls spezialisier-
ten Fachkreisen bekannt waren, »durch die Hintertür an den kapitalmarktrechtlichen
Mitteilungspflichten vorbei gemogelt«.
Zu heftigen Diskussionen im Bereich der beteiligungsbezogenen Mitteilungspflichten
führte auch die »Strabag-Entscheidung« des Landgerichts Köln vom 05.10.2007. In die-
sem Urteil hatte das Gericht für Recht erkannt, dass eine (bloße) Umfirmierung eines
Aktionärs nach § 21 Abs. 1 WpHG mitteilungspflichtig sei, da hierdurch »auf sonstige
Weise« die in der Vorschrift genannten Schwellen erreicht würden. Indem der Hauptak-
tionär diese Mitteilung unterlassen habe, seien gleich mehrere Hauptversammlungsbe-
schlüsse (auf entsprechende Anfechtungsklagen hin) für nichtig zu erklären. Da diese
Entscheidung unter den Marktteilnehmern zu einer großen Verunsicherung geführt hat,
soll sie nachfolgend ebenfalls kurz analysiert werden.
Der deutsche Gesetzgeber war in den vergangenen Jahren ebenfalls sehr aktiv. So
hat er sukzessive zahlreiche neue Regelungen erlassen, um eine bessere Transparenz
bei den Beteiligungsstrukturen börsennotierter Gesellschaften zu erreichen. Zu nennen
sind vor allem die Einführungen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) von 1995,
des Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (TUG) von 2007 und des Risikobegren-
zungsgesetzes von 2008. Mit Ausnahme des Risikobegrenzungsgesetzes sind diese
Regelungswerke auf europäische Richtlinien zurückzuführen, die in deutsches Recht
umgesetzt wurden – wobei der deutsche Gesetzgeber teilweise sogar über die euro-
parechtlichen Vorgaben hinausgegangen ist. Insgesamt ist es mit der Einführung der
Gesetze zu einer zunehmenden Verschärfung der kapitalmarktrechtlichen Mitteilungs-
pflichten gekommen.
Zudem reagierte der Gesetzgeber auf die hier beschriebene Diskussion mit der Ein-
führung des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes (AnsFuG). Mit diesem
Gesetz, das am 01.02.2012 in Kraft trat, wurden die Voraussetzungen für die Annahme
einer Mitteilungspflicht nach dem WpHG noch einmal deutlich erleichtert. Zeitgleich
trat eine von dem Bundesministerium der Finanzen erlassene Rechtsverordnung in
Kraft, in der die neuen Mitteilungspflichten des WpHG weiter konkretisiert wurden.
Flankierend veröffentlichte die BaFin wenige Tage vor Inkrafttreten des AnsFuG eine
Liste häufig gestellter Fragen zu der neuen Rechtslage; schließlich fanden die neuen
Vorschriften Eingang in dem aktuellen Emittentenleitfaden der BaFin.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung im Jahr 2015 den Entwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vorgelegt.
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688  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Der vorliegende Beitrag soll dem Leser einen Überblick über die Problematik der
Zurechnung von Stimmrechten nach deutschem Recht geben, wobei der Fokus auf das
Wertpapierhandelsrecht gerichtet ist. Dabei werden in dem zweiten Kapitel zunächst
die rechtlichen Grundlagen anhand der gesetzlichen Bestimmungen und unter Berück-
sichtigung der neu geschaffenen Regelungen dargestellt. Sodann wird in dem dritten
Kapitel am Beispiel der Übernahme der Continental AG durch die Schaeffler Grup-
pe analysiert, ob es durch den Einsatz von Swap-Geschäften zu einer Umgehung der
gesetzlichen Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG gekommen sein könnte. Dabei
wird der Analyse zunächst die seinerzeit geltende Rechtslage (also vor Einführung des
AnsFuG) zugrunde gelegt, gefolgt von einer rechtlichen Würdigung der aktuellen, seit
der Einführung des AnsFuG geltenden Vorschriften. In dem darauffolgenden vierten
Kapitel wird beleuchtet, ob Umfirmierungen ebenfalls Mitteilungspflichten auslösen
können, wobei im Mittelpunkt der Untersuchung die Feststellungen des LG Köln in
seiner »Strabag-Entscheidung« stehen. Schließlich endet der Beitrag in einem fünften
Kapitel mit einer Schlussbetrachtung, in der die wesentlichen Ergebnisse noch einmal
kurz zusammengefasst sind.

2 Gesetzliche Grundlagen
2.1 Erste Transparenzrichtlinie und Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)
Das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) wurde 1995 als Teil des Zweiten Finanzmarktsta-
bilisierungsgesetzes1, mit dem der deutsche Gesetzgeber die Erste Transparenzrichtlinie
aus dem Jahre 19882 umgesetzt hat, eingeführt. Es bildet die gesetzliche Grundlage für
die Errichtung der BaFin und regelt ihre Aufgaben und Befugnisse, zu denen insbeson-
dere die Überwachung der Publizität bei Transaktionen über bedeutende Beteiligungen
an börsennotierten Unternehmen zählt. Die Erste Transparenzrichtlinie hatte vornehm-
lich das Ziel, in der Europäischen Gemeinschaft den Anleger zu schützen, sein Vertrau-
en in die Funktionsfähigkeit des Marktes zu stärken und damit die Funktionsfähigkeit
des Kapitalmarktes insgesamt zu fördern.3
Die kapitalmarktrechtlichen Mitteilungspflichten sind in den §§  21 ff. WpHG geregelt.
Dabei sieht das Gesetz zwei separate Meldepflichten vor: Während für Aktien § 21 WpHG
gilt, ist für Finanzinstrumente § 25 WpHG anzuwenden. Laut Regierungsbegründung
dienen diese Meldepflichten dazu, die Transparenz für Anleger und Gesellschaften im
Wertpapierhandel zu fördern; die Zusammensetzung des Aktionärskreises und die Ver-
änderungen maßgeblicher Aktienbeteiligungen seien wichtige Kriterien für Anlagedi-
spositionen der Investoren und hätten erheblichen Einfluss auf die Kursentwicklung

1 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher
Vorschriften (Zweites Finanzmarkförderungsgesetz) vom 26.07.1994, BGBl. I 1994, S. 1749.
2 Richtlinie 88/627/EWG des Rates vom 12.12.1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer be-
deutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen,
Amtsblatt Nr. L 348 vom 17.12.1988, S. 62–65.
3 Zu der Stärkung der Rechte der Aktionäre und der Förderung des Kapitalmarktes durch die Euro-
päische Union unter Corporate Governance Aspekten vgl. auch Classen 2008, S. 51 ff., und Picot/
Classen 2008a, S. 22 ff.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  689
Teil

der Aktie. Diese Transparenz ermögliche auch der Aktiengesellschaft einen besseren
Überblick über die Aktionärsstruktur und die Beherrschungsverhältnisse.4
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass § 21 WpHG sogar über die in der
Ersten Transparenzrichtlinie vorgesehene Eingangsschwelle von 10 % der Stimmrechte
hinausging, indem nach § 21 Abs. 1 WpHG eine Mitteilungspflicht bereits ab 5 % der
Stimmrechte bestand.5

2.2 Z weite Transparenzrichtlinie und Transparenzrichtlinie-


Umsetzungsgesetz (TUG)
Am 20.01.2007 trat das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (TUG) 6 in Kraft, mit
dem der deutsche Gesetzgeber die sog. Zweite Transparenzrichtlinie7 in deutsches Recht
umsetzte. Ihr wesentliches Ziel bestand darin, die Transparenzanforderungen für Infor-
mationen über Wertpapieremittenten zu harmonisieren und sicherzustellen, dass Un-
ternehmensinformationen europaweit bekanntgegeben und in Datenbanken verfügbar
gehalten werden. Neu in der Zweiten Transparenzrichtlinie sind u. a. die Absenkung
der Eingangsschwelle auf 5 %, die Einführung zusätzlicher Meldepflichten und die Aus-
weitung der Meldepflicht auf das Halten von bestimmten Finanzinstrumenten, die zum
Erwerb von Aktien berechtigen.8
Auch bei der Umsetzung der Zweiten Transparenzrichtlinie in deutsches Recht durch
das TUG ist der Gesetzgeber mehrfach von den europäischen Vorgaben abgewichen. So
wurden in das Gesetz nicht nur die mit 15 %, 20 % und 30 % von der Zweiten Trans-
parenzrichtlinie vorgesehenen neuen Meldeschwellen bei Veränderungen von Stimm-
rechtsanteilen eingefügt, sondern darüber hinaus die Eingangsschwelle – unter Beibe-
haltung der Schwelle von 5 % – auf 3 % herabgesetzt.

2.3 Risikobegrenzungsgesetz
Nach langer politischer Diskussion ist am 18.08.2008 das Risikobegrenzungsgesetz in
Kraft getreten.9 Dabei ging es der Bundesregierung mit Einführung dieses Gesetzes

4 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 12/6679, S. 52.


5 Begründet wurde dies unter anderem damit, dass bereits bei 5 % der Stimmrechte ein nicht unbe-
deutender Einfluss auf das Unternehmen gewährt werden könne; zu den weiteren Gründen für diese
Herabsetzung der Schwelle gegenüber der ersten Transparenzrichtlinie vgl. Begr. RegE, BT-Drucks.
12/6679, S. 52 f.
6 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen
über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und
zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG), BGBl I
2007, S. 10.
7 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 zur Harmoni-
sierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wert-
papiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie
2001/34/EG; Amtsblatt Nr. L 390 vom 31.12.2004, S. 38–57.
8 Zu den weiteren Folgen der europarechtlichen Vorgaben vgl. auch Schneider 2009, S. 121, 122.
9 Vgl. BGBl. I 2008, S. 1666.
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690  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

vornehmlich darum, durch ein Maßnahmenpaket »die Rahmenbedingungen so zu ge-


stalten, dass gesamtwirtschaftlich unerwünschte Aktivitäten von Finanzinvestoren er-
schwert oder möglicherweise sogar verhindert werden, ohne zugleich Finanz- und Un-
ternehmenstransaktionen, die effizienzfördernd wirken, zu beeinträchtigen«.10 Wichtige
Grundvoraussetzung dafür sei die Herstellung von Transparenz, mit der eine ausrei-
chende Informationsbasis für alle Akteure hergestellt werde.11
Im Hinblick auf die kapitalmarktrechtlichen Mitteilungspflichten sind insbesondere
folgende Maßnahmen von besonderer Relevanz:12
• Erweiterung und Konkretisierung der Vorschriften im WpHG sowie im WpÜG zum
abgestimmten Verhalten von Investoren, dem sog. »Acting in Concert«;
• Verpflichtung der Inhaber wesentlicher Beteiligungen (ab 10 % der Stimmrechte),
künftig die mit der Beteiligung verfolgten Ziele sowie die Herkunft der finanziellen
Mittel dem Emittenten gegenüber anzugeben;
• Versagung der Ausübung von Stimmrechten für sechs Monate im Falle eines Verstoßes
gegen wertpapierhandelsrechtliche Meldepflichten;
• Zusammenrechnung von Stimmrechten aus Aktien und aus vergleichbaren Positionen
in anderen Finanzinstrumenten bei wertpapierhandelsrechtlichen Meldungen.

Bezüglich des letzten Punktes ist ergänzend auszuführen: Nach bisheriger Rechtsla-
ge waren mit Stimmrechten verbundene Aktien ab 3 % und Finanzinstrumente, die
das Recht verleihen, mit Stimmrechten verbundene und bereits ausgegebene Aktien zu
erwerben, ab 5 % zu melden. Auf diese Weise konnte – etwa zur Vorbereitung einer
beabsichtigten Übernahme einer börsennotierten Gesellschaft – eine Beteiligung von
insgesamt bis zu 7,99 % erreicht werden, ohne dass es hierfür einer Meldung bedurfte.
Mit der Einführung des Risikobegrenzungsgesetzes hat sich dies geändert, indem nun
nach § 25 Abs. 1 WpHG direkt gehaltene Stimmrechte und Finanzinstrumente zusam-
mengerechnet werden. Auf diese Weise wird ein unerkanntes »Anschleichen« (Stakebuil-
ding) an eine Gesellschaft erschwert.

2.4 Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz (AnsFuG)


Am 01.02.2012 trat das »Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung
der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts« oder kurz »Anlegerschutz- und Funktions-
verbesserungsgesetz« (AnsFuG) vom 05.04.201113 in Kraft.
Das AnsFuG führte insbesondere neue Melde- und Veröffentlichungspflichten für
bislang nicht erfasste Finanzinstrumente und »sonstige Instrumente« ein und ergänzte
die bisherige Meldepflicht für Finanzinstrumente (§ 25 WpHG) um folgende Punkte:
• Erweiterung des § 25 Abs. 1 WpHG um »sonstige Instrumente«,
• Streichung des § 25 Abs. 1 Satz 4 WpHG, wonach eine Mitteilung nach § 25 Abs. 1
WpHG nur zu erfolgen hatte, sofern ein nicht bereits nach § 21 Abs. 1 WpHG gemel-
deter Schwellenwert berührt wurde, und

10 Die Begründung ist abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/074/1607438.pdf.


11 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2498, S. 1 und 28.
12 Zu den Änderungen der § 21 ff. WpHG durch das Risikobegrenzungsgesetz vgl. auch im Detail
Renz/Rippel 2008, S. 309, 309 ff. und Merkner/Sustmann 2013, S. 1361, 1365.
13 BGBl. I 2011, S. 538.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  691
Teil

• Einführung des § 25a WpHG, der (neben §§ 21 und 25 WpHG) eine selbstständig
bestehende Meldepflicht für weitere (Finanz-)Instrumente statuiert, insbesondere
(Finanz-)Instrumente mit Barausgleich.

Nach der bisherigen Rechtslage waren gemäß §§ 21 und 22 WpHG lediglich unmittelbar
gehaltene oder zugerechnete Stimmrechte sowie gemäß § 25 WpHG solche Finanzin-
strumente, die ihren Inhaber zum Erwerb von Aktien mit Stimmrechten berechtigen,
der BaFin zu melden. Mit dem neu eingefügten § 25a WpHG sind jedoch nunmehr auch
solche Finanzinstrumente oder »sonstigen Instrumente« mitzuteilen, welche nicht be-
reits von § 25 WpHG erfasst sind und die es ihrem Inhaber oder einem Dritten aufgrund
ihrer Ausgestaltung ermöglichen, mit Stimmrechten verbundene und bereits ausgegebe-
ne Aktien eines Emittenten zu erwerben.14
Die Motive für diese Änderungen lassen sich der Begründung des Regierungsent-
wurfs entnehmen. Darin stellt der Gesetzgeber zunächst (in einem etwas düsteren
Ton) fest, dass sich im Rahmen der Finanzmarktkrise Defizite an den Kapitalmärkten
gezeigt hätten, die drohten, »das Vertrauen der Marktteilnehmer und insbesondere der
Gesamtbevölkerung in funktionsfähige Märkte und ein faires, kundenorientiertes Fi-
nanzdienstleistungsangebot zu unterhöhlen«. Dies betreffe zum einen die Gefahr einer
Falschberatung von Privatanlegern und zum anderen die Nutzung nicht meldepflichtiger
Finanzinstrumente, wodurch »in der Vergangenheit in konkreten Fällen ein unbemerk-
tes »Anschleichen« an Unternehmen, bspw. bei Übernahmetransaktionen« ermöglicht
worden sei, was zu einer »Verringerung der Liquidität an den Börsen und zu Marktver-
werfungen« geführt habe.15
Angesichts dieser Situation sei das Ziel dieses Gesetzes darin zu sehen, das Funk-
tionieren der Kapitalmärkte zu verbessern und damit das Vertrauen in deren Integrität
wiederherzustellen. Hierbei sollen zusätzliche Vorgaben in die Kapitalmarktgesetzge-
bung integriert werden, um durch eine effiziente Regulierung und Beaufsichtigung des
Kapitalmarkts den beschriebenen Defiziten entgegen zu wirken. Darüber hinaus sollen
zur Verbesserung der Kapitalmarkttransparenz in das WpHG »neue Mitteilungs- und
Veröffentlichungspflichten für bislang nicht erfasste Finanzinstrumente, die lediglich
das Recht auf einen Zahlungsausgleich enthalten, sowie Geschäfte mit ähnlicher Wir-
kung (z. B. Wertpapierdarlehen) eingefügt werden«.16

 esetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-


2.5 G
Änderungsrichtlinie
Schließlich hat die Bundesregierung am 26.05.2015 dem Deutschen Bundestag den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vor-
gelegt.17 Der Entwurf dient in erster Linie der Umsetzung der Richtlinie 2013/50/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2013 zur Änderung der Richtlinie
2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 zur Harmo-

14 § 25a Abs. 1 Satz 1 WpHG.


15 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 17/3628, S. 1 f.
16 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 17/3628, S. 2.
17 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie, RegE, BT-
Drucks. 18/5010, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/050/1805010.pdf.
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692  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

nisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten,


deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind. Daneben
enthält er Änderungen, die insbesondere der Vereinfachung der Verwaltungspraxis,
der Klarstellung bestehender Regelungen sowie der redaktionellen Anpassung dienen.
Laut der Begründung des Entwurfes werden mit der Überarbeitung der Richtlinie vor
allem zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollen die Verpflichtungen bestimmter Emittenten
vereinfacht werden, um geregelte Märkte für kleine und mittlere Emittenten, die in
Europa Kapital aufnehmen, attraktiver zu machen. So soll zur Förderung nachhaltiger
Wertschöpfung und langfristig orientierter Investitionsstrategien der kurzfristige Druck
auf Emittenten verringert und den Anlegern ein Anreiz für eine längerfristige Sichtwei-
se gegeben werden, weshalb die Richtlinie insbesondere die Pflicht zur Erstellung von
Zwischenmitteilungen abschafft. Zum anderen soll die Wirksamkeit der bestehenden
Transparenzregelung verbessert werden, insbesondere in Bezug auf die Offenlegung
von Unternehmensbeteiligungen. Mit der Erhöhung der Bußgeldrahmen und der regel-
mäßigen Veröffentlichung von Verwaltungsmaßnahmen und Sanktionen wird dabei
eine gesteigerte abschreckende Wirkung verfolgt.18
Zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie muss vor allem das
Wertpapierhandelsgesetz sowie das hierauf gestützte Verordnungsrecht angepasst wer-
den. Hinzu kommt Änderungsbedarf unter anderem im Wertpapierprospektgesetz, im
Kapitalanlagegesetzbuch sowie im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz und im
Handelsgesetzbuch.
Wesentliche Inhalte der Änderungen sind:
• die Überarbeitung der Vorgaben zur Umsetzung des Herkunftsstaatsprinzips,
• die Anpassung der Meldepflichten bei Erwerb beziehungsweise Veräußerung bedeu-
tender Beteiligungen, insbesondere unter Einsatz von Finanzinstrumenten,
• das Entfallen der Zwischenmitteilungen im Bereich der Regelpublizität und die Auf-
nahme einer neuen Verpflichtung für bestimmte Unternehmen sowie
• die Einführung eines erhöhten Buß- und Ordnungsgeldrahmens für bestimmte Verstö-
ße gegen Transparenzpflichten sowie die Einführung einer grundsätzlich zwingen-
den Veröffentlichung von Maßnahmen und Sanktionen durch die BaFin.

Der Bereich der Stimmrechtsmeldungen soll neu geregelt werden, und zwar dergestalt,
dass zukünftig § 21 des Wertpapierhandelsgesetzes die Meldepflicht bei Stimmrechten
aus Aktien, § 25 die Meldepflicht für sämtliche meldepflichtigen Instrumente und § 25a
eine Meldepflicht für die Summe der nach § 21 und § 25 gehaltenen Anteile enthalten.
Zudem werden in dem neuen § 22a bisher im Wertpapierhandelsgesetz und im Kapital-
anlagegesetzbuch verteilte Vorgaben zu einer umfassenden Regelung der Tochterunter-
nehmenseigenschaft zusammengefasst.
Zu weiteren Einzelheiten des Gesetzesvorhabens wird auf die offizielle Begründung
verwiesen.19

18 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/5010, S. 36.


19 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/5010, S. 44 ff.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  693
Teil

3 Umgehung der Beteiligungstransparenz


durch den Einsatz von Cash Settled Equity Swaps?
Die Problematik des unerkannten »Anschleichens« wurde gerade im Zusammenhang
mit der Übernahme der Continental AG durch die Schaeffler Gruppe intensiv diskutiert,
da sich die Schaeffler Gruppe knapp unter 3 % der Aktien und zusätzlich Optionen auf
den Erwerb weiterer knapp unter 5 % der Aktien der Continental AG gesichert hatte und
damit jeweils unter den zu diesem Zeitpunkt geltenden Eingangsmeldeschwellen der
§§ 21 Abs. 1 Satz 1, 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG blieb. Darüber hinaus hatte sie Swap-Ge-
schäfte über etwa 28 % der Continental-Aktien abgeschlossen.

3.1 Übernahme der Continental AG durch die Schaeffler Gruppe


Am 15.07.2008 veröffentlichte die Schaeffler Gruppe folgende Pressemitteilung20 :
»[…] Die Schaeffler Gruppe, Herzogenaurach, strebt eine strategische Beteiligung von über 30 % an
der Continental AG, Hannover, an, aber nicht notwendigerweise eine Mehrheit. Zum Erwerb der
Aktien wird die Schaeffler Gruppe den Aktionären der Continental AG ein freiwilliges öffentliches
Übernahmeangebot machen. Schaeffler bietet jedem Aktionär der Continental AG 69,37 Euro je Aktie
in bar – mindestens jedoch den BaFin-Mindestpreis, sollte dieser höher liegen. Dieser entspricht dem
gewichteten durchschnittlichen Kurs der Continental-Aktie im XETRA- und Parketthandel der vergan-
genen drei Monate […]. Die Schaeffler Gruppe hält derzeit 2,97 % der Continental-Aktien und ist auf
der Grundlage von Finanzinstrumenten berechtigt, weitere 4,95 % der Continental-Aktien zu erwerben.
Schaeffler hat darüber hinaus Swap-Geschäfte über etwa 28 % der Continental-Aktien abgeschlossen.
Diese Swap-Geschäfte sind in Geld zu erfüllen und daher nach dem Wertpapierhandelsgesetz nicht
meldepflichtig. Die Swap-Geschäfte können von Schaeffler jederzeit gekündigt werden. Die Schaeffler
Gruppe hat noch nicht entschieden, ob und wann die Kündigung erfolgen soll. Wenn sie entscheidet,
die Swap-Geschäfte während der Annahmefrist oder der weiteren Annahmefrist zu kündigen, könnten
ihr nach einer Kündigung hieraus bis zu 28 % der Aktien der Continental AG im Rahmen des Über-
nahmeangebotes angedient werden. […]«

Diese Presseerklärung führte in der Öffentlichkeit vor allem aus zwei Gründen zu hef-
tigen Diskussionen. Zum einen war überraschend, dass sich die Schaeffler Gruppe stra-
tegisch mit einem derart signifikanten Anteil an einem Unternehmen beteiligen wollte,
das zum damaligen Zeitpunkt immerhin dreimal größer als das fränkische Familien-
unternehmen und im DAX 30 notiert 21 war. Zum anderen sorgten die nunmehr offen-
gelegten Beteiligungsverhältnisse für Aufregung: Nicht nur, dass die Schaeffler Gruppe
zum Zeitpunkt der Pressemitteilung bereits 2,97 % der stimmberechtigten Aktien der
Continental AG halte und auf Grundlage von Finanzinstrumenten berechtigt sei, wei-
tere 4,95 % der Continental-Aktien zu erwerben. Vielmehr habe die fränkische Unter-
nehmensgruppe sogar aufgrund des Abschlusses von Swap-Geschäften mit mehreren
Banken die Möglichkeit, zusätzlich über rund 28 % des Grundkapitals der Continental
AG zu verfügen. Selbst unter den Marktbeobachtern hatte es bis dato überhaupt keine

20 Abrufbar unter "http://www.fag.de/content.fag.de/de/press/press-releases/press-details.jsp?id=2922880


21 Am 22.12.2008 schied die Continental AG aufgrund der geringen Free Float-Marktkapitalisierung –
bedingt durch die beabsichtigte Übernahme durch die Schaeffler-Gruppe – aus dem DAX 30 aus.
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694  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Hinweise auf einen solchen Coup gegeben. Die Aktie der Continental AG gewann am
selben Tag deutlich und stieg schlagartig auf 73,92 EUR (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Aktienkurs der


Continental AG von
April bis September
2008 (Quelle: FTD)

Rasch wurde der Vorwurf laut, die Schaeffler Gruppe habe sich »durch die Hintertür«
einen Anteil von etwa 30 % des Grundkapitals der Continental AG gesichert und gleich-
zeitig durch die bisher nicht erfolgte Offenlegung verhindert, dass der Kurs der Aktien
der Continental AG in die Höhe getrieben wird.22 Die betroffene Continental AG selbst
sah in der unterbliebenen Mitteilung einen Verstoß gegen die §§ 21 ff. WpHG und bat
daher die BaFin um Prüfung der Rechtslage.

3.2 Rechtliche Würdigung vor Einführung des AnsFuG


Nachfolgend soll der beschriebene Sachverhalt zunächst nach der seinerzeit geltenden
Rechtslage, also vor der Einführung des AnsFuG, rechtlich gewürdigt werden.

3.2.1 Ausgangspunkt der Prüfung: §§ 21 ff. WpHG a. F.

Den Ausgangspunkt der Prüfung bilden die §§ 21 ff. WpHG a. F.


Nach § 21 Abs. 1 WpHG muss derjenige, der durch Erwerb, Veräußerung oder auf sons-
tige Weise 3 %, 5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25 %, 30 %, 50 % oder 75 % der Stimmrechte an
einem Emittenten erreicht, überschreitet oder unterschreitet, dies unverzüglich, spätestens
jedoch innerhalb von vier Handelstagen, der betroffenen Gesellschaft und der BaFin mit-
teilen.
Für die Bestimmung der Höhe des Stimmrechtsanteils des jeweiligen Anlegers sind
jedoch nicht nur die von ihm gehaltenen Aktien maßgeblich. Vielmehr können die
Schwellen auch auf »sonstige Weise« ohne Zutun des Aktionärs berührt werden. Dies ist

22 Vgl. nur Hardt/Nagl 2008.


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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  695
Teil

etwa der Fall bei Kapitalerhöhungen oder Kapitalherabsetzungen, Umstrukturierungen


des Grundkapitals, Gesamtrechtsnachfolgen im Erbfall oder Aufleben des Stimmrechts
von Vorzugsaktien.
Eine Schwellenberührung auf »sonstige Weise« ohne eigenen Erwerb oder Veräußerung
kann daneben auch dann vorliegen, wenn Zurechnungen nach § 22 WpHG begründet
werden oder wegfallen. Eine solche Zurechnung erfolgt etwa bei solchen Stimmrechten,
die »einem Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Meldepflichtigen gehalten
werden« (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG) oder die »der Meldepflichtige durch eine
Willenserklärung erwerben kann« (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG). Darüber hinaus
werden dem Meldepflichtigen nach § 22 Abs. 2 WpHG auch Stimmrechte eines Dritten
aus Aktien des Emittenten in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Meldepflichtige oder
sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf diesen Emittenten aufgrund einer
Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt. Damit wird auch die bloße Möglichkeit
der Einflussnahme auf andere Stimmrechte bei der Mitteilungspflicht berücksichtigt,
um hierdurch eine umfassende Information der Anleger zu erreichen. Diese Regelung
soll eine Umgehung der Mitteilungspflicht aus § 21 WpHG verhindern.
Für Finanzinstrumente war zudem § 25 Abs. 1 WpHG a. F. von besonderer Bedeutung.
Danach galt: Wer unmittelbar oder mittelbar Finanzinstrumente hält, die ihrem Inhaber
das Recht verleihen, einseitig im Rahmen einer rechtlich bindenden Vereinbarung mit
Stimmrechten verbundene und bereits ausgegebene Aktien eines Emittenten zu erwerben,
hat dies bei Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten der in § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG
genannten Schwellen mit Ausnahme der Schwelle von 3 % entsprechend § 21 Abs. 1 Satz
1 WpHG unverzüglich dem Emittenten und gleichzeitig der BaFin mitzuteilen. Dabei fand
eine Zusammenrechnung mit den Beteiligungen nach den §§ 21 und 22 WpHG statt.

3.2.2 Erwerb der Aktien

Bezüglich der laut Pressemitteilung vom 15.07.2008 von der Schaeffler Gruppe erworbe-
nen 2,97 % der stimmberechtigten Aktien der Continental AG lässt sich klar feststellen,
dass diese unter der 3 %-Schwelle lagen und damit nicht von der Meldepflicht des § 21
Abs. 1 Satz 1 WpHG erfasst waren.

3.2.3 Erwerb der Finanzinstrumente

Fraglich ist, wie der Kauf der Finanzinstrumente zu qualifizieren sind, die die Schaeffler
Gruppe dazu berechtigen, weitere 4,95 % der Continental-Aktien zu erwerben.
Es könnte sich hierbei um »Finanzinstrumente« im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1
WpHG a. F. gehandelt haben. In der Tat sprechen gute Gründe dafür, dass diese als
Finanzinstrumente im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG a. F. einzuordnen waren.
Bereits der Wortlaut des Gesetzes berechtigt zu dieser Annahme. Da Finanzinstrumente
jedoch auch vor Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes nur dann meldepflichtig
waren, wenn mindestens die Eingangsschwelle von 5 % erreicht oder überschritten
wird, der Anteil mit Stimmrechten verbundenen Aktien aber mit 4,95 % darunter lag,
war die unterbliebene Meldung in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.23

23 Eine andere Betrachtungsweise könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn man eine Zurechnung
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696  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Im Ergebnis waren demnach mangels Erreichens der Eingangsschwellen weder die


bereits erworbenen 2,97 % der stimmberechtigten Aktien noch die erworbenen Finan-
zinstrumente über den Kauf weiterer 4,95 % der Continental-Aktien meldepflichtig im
Sinne der §§ 21 ff. WpHG a. F.

3.2.4 Abschluss der »Swap-Geschäfte«

Anders könnte es sich jedoch mit den ominösen »Swap-Geschäften« verhalten, die die
Schaeffler Gruppe über etwa 28 % der Continental-Aktien abgeschlossen hat. Hier wur-
den die Schwellenwerte des § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG in jedem Falle deutlich über-
schritten.
Da Cash Settled Equity Swaps unstreitig keine Stimmrechte im Sinne des § 21 WpHG
vermitteln können, kam eine Zurechnung nur über die Regelungen der §§ 22 oder 25
WpHG in Betracht.

3.2.4.1 Begriff und Verwendung von Cash Settled Equity Swaps

Vor Klärung dieser Frage bedarf es jedoch der Prüfung, wie die von der Schaeffler
Gruppe durchgeführten »Swap-Geschäfte« rechtlich überhaupt zu qualifizieren sind.
Laut einer Pressemitteilung der BaFin vom 21.08.200824, der der Vorgang zur Prü-
fung vorgelegt wurde, handelte es sich bei den – von der Schaeffler Gruppe selbst
nicht näher beschriebenen – Swap-Geschäften um sog. »Cash Settled Total Return Equity
Swaps«. Allgemein gesprochen handelt es sich bei einem »Swap« um den Austausch von
Cashflows nach Maßgabe einer festgelegten Formel, wobei in der Regel die Vereinbarung
an die Entwicklung eines Basiswerts oder eines sog. »Underlying« (Zinssätze, Wäh-
rungsentwicklungen, Indices oder Wertpapierkurse) anknüpft. Bei einem Aktien- oder
Equity-Swap liegt etwa ein Vertrag zugrunde, in dem die Zahlungen der Vertragspartner
von der Entwicklung des Kurses einer Aktie (»Referenzaktie«) oder eines Aktienindex
abhängig gemacht werden. Bei Aktien-Swaps ist der Basiswert des Swap der Börsen-
kurs einer Aktie oder eines Aktienindex an dem Tag X (in der Regel an dem Tag des
Abschlusses des Swap-Vertrages). Verträge über Aktien-Swaps enden entweder durch
Zeitablauf am festgelegten Tag Y oder durch einseitige Kündigung eines Vertragspart-
ners. Nach Vertragsende wird der Swap zwischen den Vertragspartnern abgerechnet.
Bei einem Cash Settled Equity Swap erhält der Investor vom Ersteller sämtliche Kurs-
gewinne des Basiswertes (einschließlich Dividendenzahlungen) während der Laufzeit
des Swap in Geld ausbezahlt; Kursverluste des Basiswertes muss der Investor dagegen
dem Ersteller ersetzen. Daneben entrichtet der Investor dem Ersteller üblicherweise eine

der Finanzinstrumente nicht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG, sondern nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr.
5 WpHG vornehmen wollte. Dann müsste es sich hier um den Erwerb von Stimmrechten handeln,
die »der Meldepflichtige durch eine Willenserklärung erwerben kann«. Einer solchen Zuordnung
steht jedoch bereits der klare Wortlaut des § 25 WpHG entgegen. Auch auf die Frage, ob hier eine
Zusammenrechnung der 2,97 % der stimmberechtigten Aktien nach § 21 WpHG und der Finanzin-
strumente nach § 25 WpHG hätte erfolgen müssen, kommt es hier nicht an, da diese Regelung erst
mit Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes, mithin erst nach der erfolgten Mitteilung durch
die Schaeffler Gruppe, Anwendung findet.
24 BaFin-Pressemitteilung vom 21.08.2008, abrufbar unter: http://www.bafin.de/cln_116/nn_722552/
sid_63017949DFEFC0B3A036E1832D966CA5/SharedDocs/Mitteilungen/DE/Service/PM__2008/
pm__080821__conti.html?__nnn=true.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  697
Teil

Gebühr für den Abschluss des Swap einschließlich eines Einschusses, der dem Ersteller
die Absicherung des von ihm übernommenen Vertragsrisikos ermöglicht.25
Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich bei diesem Finanzinstrument also um
ein Differenzgeschäft, bei dem zwei Vertragspartner auf steigende bzw. fallende Kurse
wetten. Es ist nicht auf die effektive Lieferung von Aktien (sog. Physical Settlement)
ausgerichtet, sondern wird vielmehr durch einen Barausgleich (sog. Cash Settlement)
abgewickelt.
Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet dies: Die Schaeffler Gruppe vereinbart mit
den beteiligten Banken einen Ausgangspreis. Steigt der Kurs der Continental-Aktie, so
erhält das Unternehmen die Differenz zu dem entsprechend jeweils bei der Zeichnung
vereinbarten Aktienkurs. Fällt der Kurs der Continental-Aktie hingegen, so muss die
Schaeffler Gruppe die Differenz an die beteiligten Banken zahlen.
Im Ergebnis wird die Schaeffler Gruppe zwar wirtschaftlich so gestellt, als ob sie
bereits die 28 % der Aktien der Continental AG hält, in Wirklichkeit besitzt sie sie aber
nicht.26

3.2.4.2 Verstoß gegen § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG?

Von Teilen der Rechtsliteratur27 wird die Auffassung vertreten, dass Cash Settled Equity
Swaps von den – nach Einführung des AnsFuG unveränderten – Mitteilungspflichten des
§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG erfasst seien. Hiergegen spricht jedoch bereits, dass ein sol-
ches »Halten für fremde Rechnung« typischerweise voraussetzt, dass der wirtschaftliche
Eigentümer – ähnlich wie bei einem Treuhandverhältnis – Weisungen im Hinblick auf
das Treugut erteilen kann. Das ist aber bei Cash Settled Equity Swaps-Konstellationen
gerade nicht der Fall.28
Zudem hätten die dem Swap-Geschäft zugrunde liegenden Aktien der Schaeffler Grup-
pe nur dann zugerechnet werden können, wenn die BaFin weitere Abreden festgestellt
hätte, nach denen die beteiligten Banken oder Dritte Continental-Aktien »für Rechnung«
der Schaeffler Gruppe gehalten haben; eine solche Vereinbarung hat die BaFin aber laut
Pressemitteilung nicht feststellen können. Insbesondere ergaben sich keine Anhaltspunk-
te, dass Merrill Lynch als Koordinatorin der Swap-Geschäfte für die Schaeffler Gruppe
fungierte oder zur Absicherung erworbene Aktien in ein späteres Übernahmeangebot
eingeliefert werden müssten.
Eine Zurechnung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG kommt daher nicht in Betracht.

3.2.4.3 Verstoß gegen § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG?

Es könnte darüber nachgedacht werden, eine Zurechnung über – den ebenfalls nach
wie vor geltenden – § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG anzunehmen. Dann müsste es sich
bei den Swap-Geschäften allerdings um Stimmrechte aus Aktien gehandelt haben, die
der Meldepflichtige »durch eine Willenserklärung erwerben« kann.

25 Ausführlich zum Begriff und zur Funktionsweise von Swaps: Baums/Sauter 2009, S. 5 ff., und
Schanz 2008, S. 12 ff.
26 Vgl. hierzu auch Handelsblatt vom 17.07.2008 (Fußnote 14).
27 Zum Meinungsstand vgl. auch Fleischer/Schmolke 2008, S. 1501, 1504 ff.; Brandt 2008, S. 441,
444 f.; Gätsch/Schäfer 2008, S. 846, 849 f.
28 Ebenso Baums/Sauter 2009, S. 15; Fleischer/Bedkowski 2010, S. 933, 935 f.
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698  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Eine solche Subsumtion erscheint jedoch bereits deshalb abwegig, da die Schaeffler
Gruppe in dieser Konstellation keine Continental-Aktien durch eine Willenserklärung
hätte erwerben können. Dies setzt der eindeutige Wortlaut der Vorschrift aber gerade
voraus.

3.2.4.4 Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG a. F.?

Schließlich bleibt zu prüfen, ob sich aus § 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG a. F. eine Meldepflicht
ableiten ließ.
In diesem Falle müsste es sich bei den Swap-Geschäften um »sonstige Finanzinstru-
mente« gehandelt haben, die ihrem Inhaber das Recht verleihen, einseitig im Rahmen
einer rechtlich bindenden Vereinbarung mit Stimmrechten verbundene und bereits aus-
gegebene Aktien zu erwerben. Hieran bestehen erhebliche Zweifel, mangelt es doch
bei den Cash Settled Equity Swaps bereits an einer »rechtlich bindenden Vereinbarung«
im Sinne der Vorschrift, da sie dem Investor keinen Anspruch auf Übertragung des
Basiswerts vermitteln können. Aus diesem Grunde verneinte auch die BaFin in ihrer
Prüfung eine Meldepflicht nach § 25 WpHG a. F. für solche Derivate: Meldepflichtig
im Sinne des § 25 WpHG a. F. seien nur solche Finanzinstrumente, die ihren Inhaber
berechtigen, einseitig mit Stimmrechten verbundene bereits ausgegebene Aktien zu
erwerben. Dies sei bei diesem Finanzinstrument aber gerade nicht der Fall, da es
nicht auf die effektive Lieferung von Aktien ausgerichtet sei; vielmehr handele es sich
hierbei lediglich um eine »Wette« zwischen zwei Vertragspartnern auf steigende bzw.
fallende Kurse.
Diese rechtliche Bewertung verdient Zustimmung.29 Eine Zuordnung der Cash Settled
Equity Swaps unter § 25 WpHG a. F. war folglich nicht möglich.

3.2.5 Ergebnis

Im Ergebnis löste der Abschluss von Cash Settled Equity Swaps – bei allem rechts-
politischen Verständnis für gegenteilige Auffassungen30 – nach der damals geltenden
Rechtslage keine Mitteilungspflichten nach den §§ 21 ff. a. F. WpHG aus.

3.3 Rechtliche Würdigung nach Einführung des AnsFuG


Fraglich ist, wie der Sachverhalt nach der heute geltenden Rechtslage, also nach Einfüh-
rung des AnsFuG und der hierdurch einhergehenden Änderungen bzw. Neufassung der
§§ 25 und 25a WpHG, zu beurteilen wäre.

29 Ebenso Fleischer/Bedkowski 2010, S. 933, 935 f.; Merkner/Sustmann 2010, S. 681, 682.


30 Zu den rechtspolitischen Aspekten des Falles Schaeffler/Continental vor der Einführung des Ans-
FuG vgl. insbesondere Fleischer/Schmolke 2009, S. 401, 404 ff.; Fleischer/Schmolke 2010, S. 846,
847 ff.; Eichner 2010, S. 5, 6 ff.; Brandt 2010, S. 270, 271 ff.; Merkner/Sustmann 2010, S. 681, 683 ff.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  699
Teil

3.3.1 Verstoß gegen §§ 21 und 22 WpHG?

Da die Regelungen der §§ 21 und 22 WpHG unverändert geblieben sind, ändert sich
an der rechtlichen Bewertung nichts; eine Verletzung dieser Vorschriften besteht nach
Auffassung des Verfassers aus den in Kapitel 3.2.4 dargelegten Gründen nicht.

3.3.2 Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG?

Wie in Kapitel 2.4 beschrieben, beziehen sich die Meldepflichten nach der neuen Fas-
sung des § 25 Abs. 1 Satz WpHG nicht nur auf »Finanzinstrumente«, sondern auch auf
»sonstige Instrumente«.
Mit der Erweiterung des Anwendungsbereiches um den Begriff »sonstige Instrumente«
hat das AnsFuG die frühere Diskussion in Bezug auf die Auslegung des Begriffes »Finanz­
instrument« beendet.31 Was unter dem Begriff »sonstige Instrumente« im Sinne des § 25
WpHG zu verstehen ist, lässt sich bereits der Gesetzesbegründung entnehmen. Danach
gelten als »sonstige Instrumente« alle Vereinbarungen, »die ein Recht auf den Erwerb von
mit Stimmrechten verbundenen Aktien gewähren, ohne unter den Begriff des »Finanzin-
strumentes« nach § 2 Absatz 2b WpHG zu fallen«.32 Von der Neuregelung sollen auch
Ansprüche aus schuldrechtlichen Verträgen erfasst sein, die dem Erwerber eine einseitige
Erwerbsmöglichkeit verschaffen, und zwar unabhängig davon, ob der Verpflichtete im
Veräußerungszeitpunkt die Aktien überhaupt hält, selbst einen entsprechenden Anspruch
auf Lieferung hat oder wenigstens tatsächlich zur Lieferung im Stande ist oder nicht.33
Aufschluss darüber, welche Finanzinstrumente oder »sonstigen Instrumente« im
Sinne des § 25 WpHG konkret gemeint sind, gibt der von der BaFin herausgegebene
Emittentenleitfaden. Wie sich seiner aktuellen Auflage (2013) entnehmen lässt, zählen
hierzu insbesondere34
• Termingeschäfte35,
• Wertpapierdarlehensgeschäfte und sog. Repo-Geschäfte36,
• sofort erfüllbare Kaufgeschäfte und Kauf über die Börse37,
• aufschiebend bedingte Kaufverträge38 und
• Irrevocables bzw. Irrevocable Undertakings.

31 Heinrich, in: Hirte/Möllers 2014, § 25 Rn. 24.


32 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/3628, S. 19.
33 Fleischer/Schmolke 2010, S. 846, 849; Heinrich, in: Hirte/Möllers 2014, § 25 Rn. 24 unter Verweis
auf Schneider, in: Assmann/Schneider 2012, § 25 Rn. 11.
34 Vgl. hierzu auch die Aufzählung bei Süßmann, in: Assmann/Schütze 2015, § 14 Rn. 58.
35 Etwa in Form von Forwards/Futures und Call-Optionen, sofern nicht (nur) das Recht auf einen
Barausgleich, sondern (auch) auf Lieferung der Aktien besteht; dabei ist unerheblich für die Eigen-
schaft als (Finanz-)Instrument, ob es fungibel ist oder ob die Option während der gesamten Lauf-
zeit oder nur zu einem bestimmten Zeitraum oder Zeitpunkt ausgeübt werden kann; Put-Optionen
fallen hingegen nicht unter § 25 WpHG, da in diesem Fall dem Halter nicht das Recht zusteht, die
Lieferung der Aktien zu verlangen; vgl. Emittentenleitfaden 2013, S. 135.
36 Erfasst werden hierbei vor allem Rückforderungsansprüche aus Wertpapierdarlehensgeschäften
und Repo-Geschäften; wenn auch die übrigen Voraussetzungen (v. a. Abhängigkeit der Rückfor-
derung vom Anspruchsinhaber oder Zeitablauf) erfüllt sind; zu § 25 WpHG und Wertpapierleihen
bzw. Repo-Geschäften vgl. auch die ausführliche Darstellung bei Cascante/Bingel 2011, S. 1086,
1091 ff.
37 Wobei irrelevant ist, ob diese innerhalb oder außerhalb der Börse abgewickelt werden.
38 Ob eine solche Meldepflicht auch bei aufschiebenden Bedingungen, wie sie in M&A-Kaufverträgen
üblich sind (etwa in Form von Conditions Precedents oder als Closing Conditions), tatsächlich
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700  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Nicht hierunter fallen allerdings Rechte zum Bezug neuer Aktien, vor allem aus Wan-
delanleihen, auch wenn die Gesellschaft das Recht hätte, bei Ausübung statt neuer
Aktien eigene Aktien zu liefern (da der Inhaber des Wandel- bzw. Optionsrechts hierauf
keinen Einfluss hat) und solche Instrumente, deren Bedingungseintritt der Inhaber nicht
beeinflussen kann (insbesondere Call-Optionen, die erst bei Erreichen eines bestimmten
Kursniveaus ausgeübt werden können).39
Selbst wenn es durch die Gesetzesänderung zu einer deutlichen Erweiterung des
Anwendungsbereiches gekommen ist, so lässt sich eine Zuordnung der Cash Settled
Equity Swaps auch unter dem geänderten § 25 WpHG nicht vornehmen. Denn nach wie
vor geht es bei diesem Instrument nicht darum, Aktien im eigentlichen Sinne (physisch)
zu »liefern«; vielmehr besteht sein eigentliches Merkmal (nach wie vor) darin, dass hier
zwei Vertragspartner auf steigende bzw. fallende Kurse »wetten«. Aus diesem Grunde
kommt – trotz Änderung des § 25 WpHG – auch nach der geltenden Gesetzeslage eine
Subsumtion der Cash Settled Equity Swaps unter den Begriff »sonstige Instrumente«
nicht in Betracht.

3.3.3 Verstoß gegen § 25a Abs. 1 Satz 1 WpHG?

Die Neuregelung erweitert die Mitteilungspflichten des WpHG auf alle Finanzinstru-
mente und »sonstigen Instrumente«, die nicht bereits von § 25 WpHG erfasst sind und es
ihrem Inhaber faktisch oder wirtschaftlich ermöglichen, mit Stimmrechten verbundene
und bereits ausgegebene Aktien eines Emittenten zu erwerben.
Anders als § 25 WpHG bezieht sich diese Vorschrift auch auf den möglichen Erwerb
durch einen Dritten (also eine andere Person als die des Vertragspartners), um so Um-
gehungsmöglichkeiten zu vermeiden.
Ein Ermöglichen ist gemäss dieser Bestimmung insbesondere dann gegeben, wenn
die Gegenseite des Inhabers ihre Risiken aus diesen Instrumenten durch das Halten von
Aktien ausschließen oder vermindern könnte oder wenn die Finanzinstrumente oder
sonstigen Instrumente ein Recht zum Erwerb von Aktien einräumen oder eine Erwerbs­
pflicht in Bezug auf solche Aktien begründen. Während sich Ersteres vor allem auf
(Finanz-)Instrumente mit Barausgleich bezieht, geht es bei dem zweiten Tatbestand um
(Finanz-)Instrumente, die einen tatsächlichen Erwerb von mit Stimmrechten verbundenen
Aktien vorsehen und dabei nicht bereits unter § 25 WpHG fallen.
Laut dem Emittentenleitfaden 2013 der BaFin können insbesondere folgende (Finanz-)
Instrumente unter den § 25a WpHG fallen (soweit sie nicht bereits von dem § 25 WpHG
erfasst sind)40:
• Finanz-)Instrumente mit Barausgleich,
• (Finanz-)Instrumente mit Recht oder Pflicht zum Erwerb,
• Aktienkörbe (Baskets) und Indizes,

besteht, hängt jedoch maßgeblich davon ab, inwieweit der Käufer den Bedingungseintritt einseitig
herbeiführen bzw. einseitig hierauf (etwa in Form eines Waiver) verzichten kann; vgl. Emittenten-
leitfaden 2013, S. 135.
39 Süßmann, in: Assmann/Schütze 2015, § 14 Rn. 59 und 60; Hirschmann, in: Hölters 2014, § 21 WpHG
Rn. 17 unter Verweis auf Hutter/Kaulamo 2007, S. 471, 475; ebenso Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas
2014, § 25 WpHG Rn. 2.
40 Vgl. Emittentenleitfaden 2013, S. 141 ff.; zu den Gestaltungsinstrumenten im Einzelnen vgl. auch
Leyendecker-Langner/Läufer 2014, S. 161 ff.; Merkner/Sustmann 2012, S. 241, 242 ff.; Merkner/Sust-
mann 2013, S. 1361, 1366 ff.; Cascante/Bingel 2011, S. 1086, 1094 ff.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  701
Teil

• Wandelanleihen,
• Unechte Pensionsgeschäfte,
• Put-Optionen mit Barausgleich,
• Aufschiebend bedingte Kaufverträge,
• Irrevocables bzw. Irrevocable Undertakings,
• Vorkaufsrechte im Rahmen von Gesellschaftervereinbarungen (wenn sie sich auf den
Bezug von Aktien beziehen),
• Pfandrechte an Aktien,
• Tag-along- und Drag-along-Klauseln41,
• Letter of Intent, Memorandum of Understanding42 und
• Aktienemissionen und IPO’s (wenn die beziehbaren Aktien bereits ausgegeben wur-
den).

Es bleibt abzuwarten, wie sich die BaFin in der Praxis verhalten wird. Sollte die Vor-
schrift konsequent angewendet werden, so würde dies etwa bedeuten – man mag es
kaum glauben -, dass bereits die (in der Praxis übliche) Regelung von aufschiebenden
Bedingungen eine Meldepflicht nach § 25a WpHG auslösen würde.43
Was bedeutet dies aber nun in Bezug auf die rechtliche Qualifizierung der Cash
Settled Equity Swaps? Die Gesetzesbegründung und der Wortlaut der Vorschrift lassen
es erahnen: Da es dem Gesetzgeber mit der Einführung des neuen § 25a WpHG ja ge-
rade darum ging, den Tatbestand des »Anschleichens«, insbesondere über Cash Settled
Equity Swaps, zu erfassen, sind diese Instrumente dem § 25a Abs. 1 WpHG auch recht-
lich zuzuordnen. Denn ohne Zweifel handelte es bei den Cash Settled Equity Swaps um
Geschäfte, »bei welchen ein Stimmrechtserwerb aufgrund der diesen zugrundeliegenden
wirtschaftlichen Logik zumindest möglich ist«.44
Damit sind Cash Settled Equity Swaps nach der geltenden Rechtslage mitzuteilen.45

3.3.4 Formelle und inhaltliche Anforderungen der Mitteilung

Die Mitteilung ist gemäß § 25a Satz 1 WpHG entsprechend § 21 Absatz 1 Satz 1 unver-
züglich dem Emittenten und gleichzeitig der BaFin mitzuteilen.

41 Zu den Gestaltungsmöglichkeiten und -grenzen sog. Tag-along- und Drag-along-Klauseln (v. a. bei
Private-Equity-Transaktionen) vgl. Classen/Drechsel 2013, S. 488, 491 f.
42 In Abhängigkeit von der konkreten Gestaltung; kritisch zu dieser Einordnung äußert sich insbeson-
dere Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas 2014, § 25a WpHG Rn. 4; vorsichtiger Merkner/Sustmann 2012,
S. 241, 243; zu den Erscheinungsformen solcher Vereinbarungen vgl. ausführlich Picot/Classen
2008b, S. 207 ff. und Classen 2014, Kap. 7 Rn. 550 ff.
43 Auch vor diesem Hintergrund hat die Regelung – nebst ihrer Auslegung durch den Emittentenleitfa-
den 2013 der BaFin – heftige Kritik aus dem Schrifttum erfahren müssen, vgl. etwa (noch bezogen
auf den Referentenentwurf des § 25a WpHG) Merkner/Sustmann 2010, S. 681, 683 ff.; Merkner/Sust-
mann 2013, S. 1361 ff.; Hirschmann, in: Hölters 2014, § 21 WpHG Rn. 18; Merkner/Sustmann 2012,
S. 241, 242; Cascante/Bingel 2011, S. 1086, 1094; ebenso Götze 2013, S. 265, 269 f., der davon spricht,
dass die Auslegung des § 25a WpHG durch die BaFin »leicht die Grenze des Kontraproduktiven zu
erreichen droht«.
44 So der Wortlaut in Begr. RegE, BT-Drucks. 17/3628, S. 19.
45 Im Ergebnis ebenso: Fleischer/Schmolke 2010, S. 846, 849; Bödeker 2011, S. 278, 279; Möllers/Wen-
ninger 2011, S. 1697, 1700; Merkner/Sustmann 2010, S. 681, 683 f.; Merkner/Sustmann 2012, S. 241,
241; Süßmann, in: Assmann/Schütze 2015, § 14 Rn. 66 und 67; Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas 2014,
§ 25a WpHG Rn. 1 und 3; Kumpan, in: Baumbach/Hopt 2014, § 21 Rn. 1; Cascante/Bingel 2011, S.
1086, 1090; Renz/Rippel 2011, S. 235, 238.
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702  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Die inhaltlichen Anforderungen einer solchen Mitteilung ergeben sich aus § 17 Abs. 4
der (ebenfalls am 01.02.2012 in Kraft getretenen) Wertpapierhandelsanzeige- und In­
siderverordnung (WpAIV).46 Art, Form und Sprache sind (wie bei einer Mitteilung nach
§ 25 Abs. 1 Satz WpHG) in § 18 WpAIV näher geregelt.47

3.4 Sanktionen
3.4.1 Wegfall der Rechte nach § 28 WpHG?

Die Rechtsfolge einer unterlassenen Mitteilung ist grundsätzlich in § 28 WpHG geregelt.


Danach gilt: Rechte aus Aktien, die einem Meldepflichtigen gehören oder aus denen ihm
Stimmrechte gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 zugerechnet werden, bestehen nicht für
die Zeit, für welche die Mitteilungspflichten nach § 21 Abs. 1 oder 1a nicht erfüllt werden
(§ 28 Satz 1 WpHG). Dabei entfallen die Rechte bis zum Nachholen der erforderlichen Mit-
teilung bei einfacher Fahrlässigkeit. Bei einer grob fahrlässig oder gar vorsätzlich nicht oder
nicht richtig erfolgten Mitteilung verlängert sich der Rechtsverlust um sechs Monate (§ 28
Satz 3 WpHG), es sei denn, die Abweichung beträgt bei der Höhe der in der vorangegange-
nen unrichtigen Mitteilung angegebenen Stimmrechte weniger als 10 Prozent des tatsäch-
lichen Stimmrechtsanteils und es wird keine Mitteilung über das Erreichen, Überschreiten
oder Unterschreiten einer der in § 21 genannten Schwellen unterlassen (§ 28 Satz 4 WpHG).
Es ist jedoch herrschende Auffassung48, dass eine unvollständige, nicht rechtzeitige
oder unterlassene Mitteilung nach den §§ 25 und 25a WpHG nicht zu einem Rechtsverlust
führen solle, da der Mitteilungspflichtige ja gerade (noch) kein Stimmrecht hat bzw.
(noch nicht) über aktienrechtliche Vermögens- und Verwaltungsrechte verfügt, so dass
ein Rechtsverlust de jure nicht eintreten kann49. Zwar könnte daran gedacht werden,
den Rechtsverlust an den später erworbenen Aktien zu knüpfen50, was aber wiederum
zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen würde.51

3.4.2 Maßnahmen durch die BaFin

Ungeachtet dessen kann die BaFin von dem Mitteilungspflichtigen die Einhaltung der
Rechtsvorschriften unter der Festsetzung eines Bußgeldes verlangen. Die Höhe des Buß-

46 Erste Verordnung zur Änderung der Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisordnung,


BGBl I 2012, S. 121.
47 Zu den Einzelheiten vgl. etwa Merkner/Sustmann 2012, S. 241, 242; Heinrich, in: Hirte/Möllers
2014, § 25a Rn. 82 ff.; Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas 2014, § 21 WpHG Rn. 11 ff.
48 Vgl. etwa Süßmann, in: Assmann/Schütze 2015, § 14 Rn. 86; Hirschmann, in: Hölters 2014, § 28
WpHG Rn. 36; Möllers/Wenninger 2011, S. 1697, 1701; andere Auffassung: Teichmann/Epe 2012,
S. 1477, 1482; etwas differenzierter: Cascante/Bingel 2011, S. 1086, 1088, die einen Rechtsverlust
allenfalls dann zulassen wollen, falls das Bußgeld in der Praxis keine »Abschreckungswirkung«
zeigen sollte; ähnlich bereits Merkner/Sustmann 2010, S. 681, 687.
49 Süßmann, in: Assmann/Schütze 2015, § 14 Rn. 86; Hirschmann, in: Hölters 2014, § 28 WpHG
Rn. 36.
50 In diesem Sinne Hirschmann, in: Hölters 2014, § 28 WpHG Rn. 36, wonach »man darüber nach-
denken könnte, die Sanktion des § 28 WpHG auch auf die Meldepflichten gemäß § 25 WpHG zu
erstrecken«.
51 Vgl. etwa Süßmann, in: Assmann/Schütze 2015, § 14 Rn. 86.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  703
Teil

geldes ergibt sich dabei aus § 39 WpHG. Danach handelt derjenige ordnungswidrig, der
vorsätzlich oder leichtfertig die Mitteilungspflichten der §§ 25, 25a WpHG außer Acht
lässt; in einem solchen Fall kann ein Bußgeld in Höhe von bis zu einer Million Euro
festgesetzt werden (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 f. in Verbindung mit Abs. 4 WpHG).52

3.5 Ergebnis
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass seit der Einführung des § 25a WpHG Cash Settled Equity
Swaps ohne Zweifel meldepflichtig sind. Lässt der Meldepflichtige die Mitteilungspflich-
ten der § 25, 25a WpHG außer Acht, dann begeht er eine Ordnungswidrigkeit, die – je
nach Intensität des Verstoßes – mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu einer Million Euro
bewehrt werden kann.

4 Lösen Umfirmierungen Mitteilungspflichten


nach §§ 21 ff. WpHG aus?
Für weiteren Diskussionsstoff in Bezug auf § 21 ff. WpHG sorgte eine Entscheidung des
LG Köln vom 05.10.2007.

4.1 Entscheidung des Landgerichts Köln vom 05.10.2007


Mehrere Aktionäre der Strabag AG mit Sitz in Köln klagten im Wege einer Anfech-
tungs- und positiven Feststellungsklage gegen zahlreiche Beschlüsse, die in der Haupt-
versammlung der Strabag AG im Juli 2006 gefasst wurden, und begehrten zugleich die
positive Feststellung ihrer abgelehnten Beschlussvorschläge. Diese Beschlüsse kamen
mit den Stimmen der Mehrheitsaktionärin der Strabag AG, der Strabag SE mit Sitz in
Villach (Österreich), zustande. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung verfügte die Stra-
bag SE über einen Anteil von 50 % der Aktien plus einer Aktie. Eine Tochtergesellschaft
der Strabag SE hielt weitere 15 % der Aktien. Hauptaktionärin der Strabag SE selbst war
mit einem Anteil in Höhe ca. 60 % die FIMAG. Im Januar 2002 hatten die Strabag SE
und die FIMAG unter ihren damaligen Firmen »Bauholding Strabag AG« bzw. »BIBAG
Bauindustrie-, Beteiligungs- und Verwaltungs-Aktiengesellschaft« der Strabag AG eine
Beteiligung an dieser Gesellschaft in Höhe von jeweils ca. 65 % ordnungsgemäß mit-
geteilt. Im Oktober 2004 wurde die Rechtsform der »Bauholding Strabag AG« von einer
Aktiengesellschaft in eine Societas Europea und im April 2006 die Firma in »Strabag

52 Wie sich aus den WpHG-Bußgeldleitlinien der BaFin entnehmen lässt, sind gerade Verstöße gegen
das Stimmrechtsregime der §§ 21 WpHG von größter praktischer Relevant, allein im 1. Halbjahr
2014 hat es 177 abgeschlossene Verfahren gegeben, von denen 62 mit Geldbußen endeten; eine de-
taillierte Analyse hierzu geben Becker/Canzler 2014, S. 1090, 1091 ff.
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704  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

SE« geändert. Eine Stimmrechtsmitteilung unterblieb jedoch dieses Mal, da laut einer
zuvor erfolgten Auskunft der BaFin eine bloße Firmenänderung keine erneute Mittei-
lungspflicht auslöse. Auch die Änderung der Firma der »BIBAG Bauindustrie-, Beteili-
gungs- und Verwaltungs-Aktiengesellschaft« in die »FIMAG« wurde nicht mitgeteilt. Auf
der ordentlichen Hauptversammlung der Strabag AG am 01.06.2007 wurden die mit den
Stimmen der Strabag SE gefassten Beschlüsse vom Juli 2006 bestätigt. Hiergegen wand-
ten sich die Kläger mit dem Argument, die Strabag SE hätte ihre Stimmrechte aufgrund
einer unterbliebenen Stimmrechtsmitteilung nicht ausüben dürfen.
Das LG Köln gab den Klägern recht: Es erklärte die angegriffenen Hauptversamm-
lungsbeschlüsse für unwirksam und gab den positiven Beschlussfeststellungsklagen
statt. In seiner Urteilsbegründung stellte das Gericht fest, dass die Umfirmierung der
»Bauholding Strabag AG« in »Strabag SE« im April 2006 eine Mitteilungspflicht nach
§ 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG ausgelöst habe. Da die Gesellschaft diese Pflicht schuldhaft
nicht erfüllt habe, sei sie in der Hauptversammlung 2006 der Strabag AG gemäß § 28
Satz 1 WpHG vom Stimmrecht ausgeschlossen gewesen. Auf die vorher erfolgte Aus-
kunft der BaFin hätte sie sich nicht verlassen dürfen. Auch komme ein Bestätigungs-
beschluss gemäß § 244 AktG nicht in Betracht, da Verstöße gegen § 28 WpHG nicht
geheilt werden könnten.53

4.2 Rechtliche Würdigung


Diese Feststellungen geben gleich mehrfach Anlass zur Kritik. Zum einen stellt sich
die Frage, ob tatsächlich bereits eine (bloße) Umfirmierung eines Anteilseigners eine
Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1 WpHG auslöst. Zum anderen überrascht, dass ein
Beschluss, der aufgrund eines Verstoßes gegen § 28 Satz 1 WpHG fehlerhaft ist, nicht
nach § 244 Satz 1 AktG (nachträglich) geheilt werden kann.

4.2.1 Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1 WpHG wegen Umfirmierung?

Gegen die Sichtweise des LG Köln, dass die Umfirmierung einer Aktiengesellschaft eine
Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG auslöse54, spricht bereits der eindeuti-
ge Wortlaut der Regelung. Wie oben ausgeführt, wird die Meldepflicht nur dann ausge-
löst, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden. Dies ist bei der Umfirmie-
rung allein aber nicht der Fall; sie führt (selbstverständlich) nicht zu einer Änderung
der Beteiligungsquote. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift für Umfirmierungen
scheidet bereits deshalb aus, weil es an einer Regelungslücke fehlt, die durch eine et-
waige Analogie zu füllen wäre. Der Wortlaut ist hier eindeutig.55

53 Urteil des LG Köln vom 05.10.2007 (82 O 114/06), NZG 2009, 272 L.
54 Offenbar vertreten auch Heppe 2002, S. 60, 70, und Nottmeier/Schäfer 1997, S. 87, 89, diese Auffas-
sung.
55 Im Ergebnis ebenso Klein/Theusinger 2009, S. 250, 251; Nikoleyczik 2009, S. 264; Kirschner 2008,
S. 623, 624; Segna 2008, S. 1, 5 ff; Hirschmann, in: Hölters 2014, § 20 WpHG Rn. 5; Emmerich/Ha-
bersack 2013, § 20 Rn. 20; auch der Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins spricht
sich in seiner Stellungnahme zum Entwurf des BaFin-Leitfadens 2009 hiergegen aus, vgl. NZG
2009, S. 175 (»Der Handelsrechtssauschuss unterstützt nachdrücklich die Auffassung, dass weder
ein Formwechsel noch eine Umfirmierung oder Namensänderung eine Mitteilungspflicht auslösen
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  705
Teil

Dass eine Umfirmierung nicht nach § 21 Abs. 1 WpHG mitteilungspflichtig ist, hat
zwischenzeitlich auch die BaFin in ihrem Emittentenleitfaden 2013 bestätigt.56 Darüber
hinaus hat das Oberlandesgericht Köln in einer kürzlich verkündeten Entscheidung (in
der es allerdings um einen anderen Fall in der Vorinstanz ging) ausdrücklich festge-
stellt, dass weder die Umfirmierung noch der Formwechsel eine erneute Mitteilungspflicht
auslösten. Die Mitteilungspflicht bestehe lediglich bei einem Erwerb der Beteiligung,
d. h. einem Wechsel der Rechtszuständigkeit. Die Umfirmierung oder ein bloßer Form-
wechsel (in dieser Entscheidung ging es um eine Umwandlung von einer Aktiengesell-
schaft in eine GmbH) sei dagegen nicht mitteilungspflichtig, da sie die Inhaberschaft an
den Aktien und die Stimmrechte nicht berühre57. Ähnlich haben zwischenzeitlich das
Landgericht Krefeld58 und das Oberlandesgericht Düsseldorf59 entschieden. Den Gerichten
ist aus den vorgenannten Gründen beizupflichten.

 eilung eines nach § 28 WpHG fehlerhaften Beschlusses durch einen neuen
4.2.2 H
Beschluss gemäß § 244 AktG möglich?

Das LG Köln geht in seinem Urteil davon aus, dass ein Bestätigungsbeschluss hinsicht-
lich einer unterlassenen Mitteilung nach dem WpHG bereits deshalb nicht geheilt wer-
den könne, weil Verstöße gegen § 28 WpHG grundsätzlich nicht heilbar seien und der
Rechtsverlust nach § 28 WpHG abschließend sei.60 Ein Verstoß gegen die Mitteilungs-
pflichten des WpHG sei kein Verfahrensfehler, der den Beschluss inhaltlich unrichtig
werden lasse. Deshalb sei der Stimmrechtsverlust nach § 28 WpHG auch nicht mit
anderen Fällen, in denen das Stimmrecht nicht ausgeübt werden dürfe, vergleichbar.61
Die rechtliche Bewertung des LG Köln überzeugt nicht. So besteht überhaupt kein
Grund, den Fall des Rechtsverlustes nach § 28 Satz 1 WpHG im Hinblick auf eine Be-
stätigung im Sinne von § 244 AktG anders zu beurteilen als vergleichbare Fälle von
Stimmrechtsverboten. In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des Bundes-

kann, da sich an der Identität des Rechtsträgers nichts ändert. Es bleibt zu hoffen, dass die unrich-
tige Entscheidung des LG Köln vom 05.10.2007, die für erhebliche Unsicherheit in der Praxis gesorgt
hat, alsbald rechtskräftig aufgehoben wird«.).
56 Dort heißt es lapidar: »Bei einem Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG bleibt der Rechtsträger dersel-
be, er erhält lediglich eine andere Rechtsform. Aufgrund der Kontinuität des Rechtsträgers verändert
sich die Rechtszuständigkeit für die Stimmrechte nicht. Daher kommt es nicht zu Schwellenberüh-
rungen und es entstehen keine Mitteilungspflichten. Auch bei Umfirmierungen oder Namensände-
rungen ändert sich das Rechtssubjekt nicht, sodass allein hierdurch keine Schwellen überschritten,
unterschritten oder erreicht werden können. Eine Mitteilungspflicht besteht daher auch in diesen
Fällen nicht«; Emittentenleitfaden 2013, S. 108, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die hier un-
tersuchte Entscheidung des LG Köln.
57 OLG Köln, Urteil vom 17.06.2009 (18 U 139/08) unter Verweis u. a. auf Emmerich/Habersack 2013,
§ 20 Rn. 20 (Vorauflage; die Entscheidungsgründe sind im Volltext in NZG 2009, S. 830 ff. und eine
Zusammenfassung in NJW-Spezial 2009, S. 448 abgedruckt.
58 Vgl. LG Krefeld, Urteil vom 20.08.2008 (11 O 14/08), abgedruckt in: NZG 2009, S. 265 ff.
59 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.09.2008 (6 W 30/08), abgedruckt in: NZG 2009, S. 260 ff.;
vgl. auch die Anmerkung von Selter 2010 zum Urteil des OLG Düsseldorf vom 29.12.2009 (6 U
69/08).
60 Urteil des LG Köln vom 05.10.2007 (82 O 114/06), NZG 2009, 272 L.
61 In ähnlicher Weise hatte sich bereits das LG Mannheim in der sog. »Friatec-Entscheidung« geäu-
ßert (auf das das LG Köln ausdrücklich Bezug nimmt); das LG Mannheim hatte in seinem Urteil
erkannt, dass ein auf Verlangen und mit den Stimmen eines gemäß § 28 Satz 1 WpHG von der
Ausübung seiner Rechte ausgeschlossenen Hauptaktionärs gefasster Beschluss an einem absoluten
nicht nachträglich heilbaren Mangel leide, der ein juristisches »Nullum« darstelle; die Bestätigung
eines solchen »Nullum« sei rechtswidrig und nichtig; vgl. LG Mannheim, AG 2005, S. 780 ff.
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706  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

gerichtshofs62 heranzuziehen, in der das höchste Zivilgericht die Bestätigung eines


Beschlusses für wirksam erachtet hat, der wegen eines Abstimmungsverbotes gemäß
§ 142 Abs. 1 Satz 2 AktG anfechtbar war.63 Die fehlerhafte Beschlussfeststellung stelle
– so der BGH bezogen auf § 142 AktG – keinen Mangel dar, der dem Ausgangsbeschluss
unabhängig von der Art und Weise seines Zustandekommens anhaften und sich des-
halb zwangsläufig auf den bestätigenden Zweitbeschluss übertragen würde. Aus diesem
Grund könne die Hauptversammlung auch in dem Fall, dass ungültige Stimmen mit-
gezählt worden sind, durch die Bestätigung ihren Willen zum Ausdruck bringen, den
Erstbeschluss trotz des ihm anhaftenden Verfahrensmangels als verbindliche Regelung
der Gesellschaftsangelegenheit anzuerkennen. Dies sei jedoch nur dann möglich, wenn
der bestätigende Beschluss seinerseits verfahrensfehlerfrei gefasst wird. Der Bestäti-
gungsbeschluss könne den ursprünglichen Verfahrensfehler zwar nicht ungeschehen
machen, gebe aber den Aktionären die Möglichkeit zu erklären, dass sie trotz des Feh-
lers am Inhalt des Beschlusses festhalten wollen.64
Im Übrigen bildet die Möglichkeit der Bestätigung eines wegen § 28 WpHG anfecht-
baren Beschlusses einen zusätzlichen Anreiz, den Meldepflichten zumindest nachträg-
lich nachzukommen. Dies hat auch das Oberlandesgericht Stuttgart in einer Entschei-
dung jüngeren Datums65 festgestellt.

4.3 Ergebnis
Das LG Köln schießt mit seiner Entscheidung gleich zweimal über das Ziel, für Trans-
parenz im Kapitalmarkt zu sorgen, hinaus: Zum einen fordert es eine Mitteilungspflicht
nach § 21 WpHG selbst dann, wenn es durch eine bestimmte Maßnahme (hier Umfir-
mierung) gar nicht zu einer Änderung der Beteiligungsquote gekommen ist. Zum an-
deren lehnt es die Bestätigung eines wegen Verstoßes gegen § 28 WpHG anfechtbaren
Beschluss nach § 244 AktG ohne stichhaltige Argumente ab.
Auch wenn das Motiv, im Interesse der Anleger, der Funktionsfähigkeit des Kapital-
markts und der Verhinderung von Insiderverstößen eine möglichst aktuelle und umfas-
sende Transparenz der Beteiligungsverhältnisse zu schaffen, ein an sich sehr ehrbares
ist, so darf dies doch nicht dazu führen, die Anforderungen an die Mitteilungspflichten
des WpHG derart zu überspannen.
Dies muss erst recht gelten, wenn es hierdurch zu einem klaren Widerspruch der
Rechtsauffassungen zwischen der BaFin und dem Gericht kommt. Zweifelsohne sind
die Gerichte bei der Auslegung des WpHG durch die BaFin nicht an die Auffassung
der BaFin gebunden – und erst recht entfaltet der Emittentenleitfaden der BaFin keine
unmittelbare Bindungswirkung. Gleichwohl stellt die Sicht der BaFin auf bestimmte ka-
pitalmarktrechtliche Fragen eine wichtige Orientierungshilfe dar, deren Bedeutung man
nicht unterschätzen darf. Gerade dieser durch das Urteil hervorgerufene Widerspruch
zwischen der Behörde und dem Gericht hat zu einer erheblichen Verunsicherung unter

62 Vgl. BGH, AG 2006, S. 158 ff.


63 § 142 Abs. 1 Satz 2 AktG verbietet es Mitgliedern des Aufsichtsrates oder des Vorstandes, in der
Hauptversammlung bei Beschlüssen mitzustimmen, hinsichtlich derer sich eine Interessenkollision
ergibt oder ergeben kann.
64 Vgl. BGH, AG 2006, S. 158.
65 Vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.05.2004 (20 U 16/03), NZG 2004, S. 822 ff.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht  |  707
Teil

den Beteiligten geführt; zudem bietet die Sichtweise des Gerichtes eine Steilvorlage für
all jene »Berufskläger«, die sich nun in ihren Mitteilungspflichten verletzt sehen.

5 Schlussbetrachtung
Der deutsche Gesetzgeber hat die Mitteilungspflichten bei börsennotierten Aktiengesell-
schaften durch die sukzessive Einführung von Gesetzen erweitert und verschärft. Wich-
tige Impulse gingen dabei von der Europäischen Union aus; so stellten allein zwei der
vier in Kraft getretenen Gesetze Umsetzungen europäischer Richtlinien dar, ein weiteres
wird mit dem Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie
folgen. Bei ihrer konzeptionellen Ausgestaltung wurde auch der Bildung neuer Finanz­
instrumente und des Phänomens des unerkannten Anschleichens Rechnung getragen.
Der Einsatz von Cash Settled Equity Swaps (wie im Fall Schaeffler/Continental) löste
nach der seinerzeit geltenden Rechtslage zwar noch keine Meldepflichten nach dem
WpHG aus, da es sich bei diesen Finanzinstrumenten – vereinfacht ausgedrückt – (le-
diglich) um eine Art Wette zwischen zwei Vertragspartnern auf steigende oder fallende
Kurse handelte. Ihnen kam nicht dieselbe Rechtsqualität wie etwa den Stimmrechten
an Aktien oder Aktienoptionen zu.
Diese Rechtslage hat sich jedoch seit der Einführung des § 25a WpHG durch das
AnsFuG grundlegend geändert. Heute sind Cash Settled Equity Swaps ohne Zweifel mel-
depflichtig, da es sich hierbei um Geschäfte handelt, bei denen ein Stimmrechtserwerb
aufgrund der diesen zugrunde liegenden wirtschaftlichen Logik zumindest möglich ist.
Verletzt der Meldepflichtige seine Mitteilungspflichten, dann begeht er eine Ordnungs-
widrigkeit, die zu einem Bußgeld in Höhe von bis zu einer Million Euro führen kann.
Mit der Einführung des AnsFuG hat der Gesetzgeber die Transparenz des Marktes
zusätzlich gefördert, indem er nun auch bestimmte Formen des verdeckten Beteili-
gungserwerbes unter die Mitteilungspflicht fallen lässt. Die künftige Praxis wird zeigen,
inwieweit es durch diese neue Rechtslage zu einer Überdehnung der Mitteilungspflich-
ten kommen könnte. Ein Beispiel für eine solche Überdehnung gibt die fragwürdige
Entscheidung des LG Köln – die aber bis heute erfreulicherweise noch keine Nachahmer
gefunden hat.

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708  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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710  | 
Teil

Rolle des Aufsichtsrats bei M & A-Transaktionen


Manuel René Theisen*

Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen – kurz: M & A-Transaktionen – sind welt­


weit ein Weg des Wachstums bzw. Umstrukturierens von global handelnden Unter-
nehmen. Ein Beteiligungserwerb kann, von dem klassischen Anteilserwerb außerhalb
der Börse abgesehen, im Rahmen eines frei­w illigen Übernahmeangebots oder durch
eine öffentliche Offerte an die Aktionäre einer Zielgesellschaft (Target) er­fol­gen. Bis
zum Jahr 2002 bestanden diesbezüglich wenige aktienrechtliche Minderheitsschutzvor-
schriften (§§ 304, 305, 311 AktG) sowie Mitteilungspflichten über den Anteilsbesitz und
dessen Veränderungen (§ 21 WpHG).
Mit dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) 2002 verfolgt der Ge-
setzgeber folgende Ziele:
• Leitlinien für ein faires und geordnetes Angebotsverfahren zu geben, ohne Unter-
nehmensübernahmen zu fördern oder zu behindern;
• Informationen für die betroffenen Aktionäre und Arbeitnehmer zu verbessern;
• die Stellung von Minderheitsaktionären abzusichern;
• den Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb
zu stärken.

Das WpÜG ist auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren anzuwenden, die von einer
inländischen Zielgesellschaft ausgegeben werden und an einem organisierten Markt
des Europäischen Wirtschaftsraums zugelassen sind (§§ 1, 2 Abs. 3, 7 WpÜG). Es er-
fasst alle freiwilligen und öffentlichen Kauf- und Tauschangebote und stellt allgemeine
Grundsätze auf: Die Aktionäre der Zielgesellschaft müssen gleich behandelt werden.
Ihnen müssen genügend Zeit und ausreichend Informationen zur Angebotsüberprüfung
zur Verfügung stehen. Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft müssen in allen
Phasen des Geschäfts im Interesse ihrer Ge­sellschaft handeln. Das Verfahren ist zügig
durchzuführen und darf die normale Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft nur einen
angemessenen Zeitraum beein­trächtigen. Durch den Wertpapierhandel dürfen keine
Marktver­zerrungen geschaffen werden (§ 3 WpÜG).
Für öffentliche Erwerbsangebote werden die Veröffentlichung der Entscheidung zur
Abgabe eines Angebotes (§ 10 WpÜG), der Inhalt des Angebots und die Haftung für die
Angebotsunterlage (§§ 11 f. WpÜG) geregelt. Der Bieter hat vier Wochen nach der Veröf-
fentlichung der BaFin als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde (§§ 4–9 WpÜG) die voll-
ständige Angebotsunterlage zu übermitteln (§ 10 WpÜG). Für die Annahme hat der Bieter
eine Frist zwischen vier und höchstens zehn Wochen festzulegen (§ 16 Abs. 1 WpÜG).
Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben eine begründete Stel-
lungnahme zu dem Angebot sowie zu jeder seiner späteren Änderungen abzugeben. In
der Stellungnahme ist insbesondere auf folgende Punkte einzugehen:

* Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Betriebswirt-
schaftliche Steuerlehre und Steuerrecht (beurlaubt), Ludwig-Maximilians-Universität München,
München, geschäftsführender Herausgeber »Der Aufsichtsrat«.
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Standpunkt – Rolle des Aufsichtsrats bei M & A-Transaktionen  |  711


Teil

• die Art und Höhe der angebotenen Gegenleistung;


• die voraussichtlichen Folgen eines erfolgreichen Angebots für die Zielgesellschaft,
die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, die Beschäftigungsbedingungen und die
Standorte der Zielgesellschaft;
• die vom Bieter mit dem Angebot verfolgten Ziele;
• die Absicht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, soweit sie Inhaber von
Wertpapieren der Zielgesellschaft sind, das Angebot anzunehmen (§ 27 Abs. 1 WpÜG).

Die zentralen Aufgaben des Aufsichtsrats liegen in der Kontrolle des Preises sowie in der
Prüfung einer (potenziellen) Nachbesserungspflicht. Die Aufsichtsrats­m it­g lieder ver-
letzen die ihnen obliegende Sorgfaltspflicht (§§ 93, 116 AktG), wenn sie diesbezüglich
unrichtige oder unvollständige Angaben machen, die für die Beurteilung des Angebots
wesentlich sind.
Besondere Regelungen enthält das WpÜG für Erwerbe, die auf die Erlangung der
unternehmerischen Kontrolle der Zielgesellschaft gerichtet sind. Eine solche Kontrolle
ist bei einem Aktienbesitz von mindestens 30 % anzunehmen (§ 29 Abs. 2 WpÜG). Wer
unmittelbar (durch öffentliches Angebot, Paketerwerb, Erbfall) oder mittelbar (z. B. über
eine börsennotierte Konzernge­sellschaft) eine derartige Kontrolle über eine Zielgesell-
schaft erlangt, ist zur Abgabe eines Pflichtangebots und zur Veröffentlichung seines
Stimmrechtsanteils von mehr als 30 % verpflichtet (§ 35 WpÜG).
Im Zusammenhang mit den Übernahme­a ngebo­ten sind Regelungen zum Verhalten
der Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft nicht unumstritten. Im Grundsatz schreibt
das WpÜG eine Neutralitätspflicht des Vorstands für die Zeit nach der Veröffentlichung
(§ 10 Abs. 3 WpÜG) bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses vor (§ 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG).
Dem Vorstand der Zielgesellschaft sind in diesem Zeitraum alle Handlungen untersagt,
die den Erfolg des Übernahmeangebots verhindern oder auch nur objektiv geeignet
sind, diesen zu beeinträchtigen. Erlaubt sind Handlungen, »die auch ein ordentlicher
und gewissen­hafter Ge­schäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernah-
meangebot betroffen ist, vorgenommen hätte, die Suche nach einem konkurrierenden
Angebot sowie Handlungen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt
hat« (§ 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG).
Insbesondere der zuletzt benannte Ausnahmetatbestand – Zustimmung des Auf-
sichtsrats der Zielgesellschaft – weicht die prinzipielle Neutralitätspflicht des Vorstands
er­heblich auf: Danach kann der Vorstand mit Zustimmung seines Aufsichtsrats in seine
Zuständigkeit fallende Abwehrmaßnahmen einleiten, wenn die Ob­struktion der Offerte
im Interesse der Zielgesellschaft liegt. Dieses Interesse zu formulieren, ist gemeinsame
Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat. In diesem Zusammenhang wird befürchtet,
dass in kritischen Übernahmesituationen entsprechende Abwehrmaßnahmen (auch) im
Interesse der Verwaltungsmitglieder der Zielge­sellschaft, die regelmäßig auch persön-
lich von einer Übernahme betroffen sind, geltend gemacht werden.
Die Hauptversammlung der Zielgesellschaft kann zudem durch Beschluss den Hand-
lungsspielraum der eigenen Verwaltung (Vorstand und Aufsichtsrat) noch erweitern.
So kann sie den Vorstand mit einer Dreiviertel-Mehrheit des vertretenen Kapitals zur
Vornahme bestimmter Verteidigungshandlungen ermächtigen, die dieser dann inner-
halb von 18 Monaten mit Zustimmung seines Aufsichtsrats ergreifen kann (§ 33 Abs. 2
WpÜG). Diese Form von Vorratsbeschlüssen ist umstritten, da durch sie ein erheb­licher
eigener Gestaltungsspielraum für die Verwaltung entstehen kann, der insbesondere
hinsichtlich der konkreten (späteren) Umsetzung weitgehend über­wachungsfrei bleibt.
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712  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Dem Bieter und den mit ihm gemeinsam handelnden Personen ist es ausdrück-
lich verboten, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft in Zusam-
menhang mit einer Übernahmeofferte »ungerechtfertigte Geldleistungen oder an­dere
ungerechtfertigte geldwerte Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen« (§ 33d
WpÜG); diese Regelung betont ein ohnehin bestehendes gesetzliches Verbot. Prämien­
zahlungen der Zielgesellschaft an ihre eigenen Verwaltungsorgane oder Mitar­beiter
im Zusam­­menhang mit einem Übernahmeangebot und dessen Abwehr sind allerdings
nicht explizit verboten. Derartige Zahlungen in Form von »Appreciation Awards« waren
zuletzt im Übernahmefall Mannesmann/Vodafone in die Diskussion gerückt: Anerken-
nungszahlungen an Vorstandsmitglieder im Übernahmefall unterliegen der strengen
Kontrolle durch den Aufsichtsrat, sowohl die Angemessenheit als auch die Veranlassung
sind darauf hin zu überprüfen, ob sie mit dem Wohl des Unternehmens vereinbar sind.
Handelt es sich dabei um bewusste Schädigungen des Gesellschaftsvermögens, kann
eine schwerwiegende, strafbewehrte Pflichtverletzung des Aufsichtsrats vorliegen.
Für alle Erwerbe und Veräußerungen von Beteiligungen ist darüber hinaus in je-
dem Einzelfall zu prüfen, ob ein diesbezüglicher Zustimmungsvorbehalt nach § 111
Abs. 4 Satz 2 AktG zugunsten des Aufsichtsrats in der Satzung oder Geschäftsord-
nung zwingend vorgeschrieben ist oder vom Aufsichtsrat ad hoc formuliert wurde. In
diesen Fällen ist der Vorstand zu einer zeitnahen und umfassenden wie rechtzeitigen
Information des Aufsichtsrats verpflichtet. Die er­forderliche Zu­stimmung darf grund-
sätzlich weder nachträglich noch vor vollständiger Vorlage aller Ab­schlussdokumente
und -kon­d i­tionen erfolgen. Die Erteilung der Zustimmung des Aufsichtsrats ist eine
unternehmerische Entscheidung und steht, im Rahmen seiner Verpflichtung auf das
Unternehmensinteresse, in dessen freiem Ermessen; die auch hier zu berücksichti­gen­de,
haftungsprivilegierende »Business Judgement Rule« (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) ist auf
diese Entscheidung anwendbar. Dem Aufsichtsrat kommt dabei die Funktion zu, die
Einschätzung des Vorstands zu überprüfen und zu plausibilisieren, wobei insbesondere
auf die Werthaltigkeit, Nachhaltigkeit, Finanzierbarkeit und Integrationsmöglichkeit
des angestrebten Beteiligungserwerbs zu achten ist. Für Überwachungs-, Beobach-
tungs- und Kontrollmängel im Zusammenhang mit den Vorbereitungshandlungen, den
konkreten Vertragsverhandlungen, der Due Diligence, der Bewertung einschließlich
einer »Second Opinion«, dem Vertragsabschluss sowie der Post-Merger-Integrationspha-
se haftet der Aufsichtsrat (§§ 93, 116 AktG). So hat der Bundesgerichtshof 2006 im Fall
eines fakultativ eingerichteten Aufsichtsrats entschieden, dass ein Aufsichtsrat seine
gesetzlichen Pflichten im Zusammenhang mit einem Zustimmungsvorbehaltsgeschäft
verletzt, wenn er ohne gebotene Information und darauf aufbauende Chancen- und
Risikoabschätzung seine Zustimmung zu nachteiligen Geschäften erteilt (BGH Urteil
vom 11.12.2006, ZIP 2007, S. 224). Da zudem jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied sich
ein eigenes Urteil bilden und eine eigene Risikoabschätzung treffen muss, sollten alle
Aufsichtsratsmitglieder bei zustimmungspflichtigen M & A-Transaktionen darauf achten,
umfassend, zeitnah und kontinuierlich unterrichtet zu werden, um eine persönliche
Haftung zu vermeiden.
In Abhängigkeit von der Gewichtigkeit der einzelnen Transaktion muss bei bör­
sennotierten Erwerbsgesellschaften ergänzend berücksichtigt werden, dass die Gesell-
schaft gegebenenfalls zur Ad-hoc-Information über Insidersachverhalte verpflichtet ist.
Soweit es hier zu keinem im Detail abgestimmten Verfahren zwi­schen Vor­stand und
Aufsichtsrat kommt, kann es sich im Einzelfall sogar als notwendig erweisen, bereits
vor der abschließenden Zustimmung durch den Auf­sichtsrat eine entsprechende Publi-
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Standpunkt – Rolle des Aufsichtsrats bei M & A-Transaktionen  |  713


Teil

zität nach § 15 WpHG durch den Vorstand zu veranlassen. Nach Auffassung der BaFin
sind pauschale Begründungen sowie der Hinweis auf noch ausstehende Gremienvor-
behalte insbesondere bei einem mehrstufigen Entscheidungsprozess nicht ausreichend,
um seitens des Vorstands eine Veröffentlichung berechtigterweise aufschieben zu dür-
fen. Dessen ungeachtet müssen Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam in jedem Ein-
zelfall entscheiden, welche Verfahrensweise einerseits den berechtigten Interessen des
Unter­nehmens und andererseits dem Interesse des Kapitalmarkts an einer vollständigen
und zeitnahen Veröffentlichung entspricht.

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714  | 
Teil

X. Entwicklungen des schweizerischen Über-


nahmerechts – Von der Selbstregulierung
zu einem praxisnahen Gesetz
Rolf Watter/Mariel Hoch*

1 Einleitung
2 Übernahmekodex der Vereinigung Schweizer Börsen
2.1 Entstehung
2.2 Transparenz
2.3 Pflichten des Anbieters
2.4 Verhaltensfreiheit der Zielgesellschaft
2.5 Überwachung und Verfahren
3 Schaffung eines Rechts öffentlicher Kaufangebote
3.1 Entstehung
3.2 Transparenz
3.3 Pflichten des Anbieters
3.4 Verhaltenspflichten der Zielgesellschaft
3.5 Überwachung und Verfahren
4 Revisionen des Übernahmerechts
4.1 Hintergrund
4.2 Transparenz
4.3 Pflichten des Anbieters
4.4 Verhaltenspflichten der Zielgesellschaft
4.5 Überwachung und Verfahren
5 Schlussbemerkungen

1 Einleitung
Das Schweizer Übernahmerecht hat sich während den vergangenen 25 Jahren als Reak-
tion auf praktische (und zum Teil auch nur vermeintliche) Probleme von einem zunächst
weitgehend selbstregulierten Markt für Unternehmenskontrolle zu einem komplexen
Regulierungsgeflecht herangebildet. Zum heute geltenden System mit rechtlich verbind-
lichen Normen, deren Einhaltung durch eine Fachbehörde kontrolliert wird, kam es in
drei Phasen; zunächst mit dem 1989 in Kraft getretenen Schweizerischen Übernahmeko-

∗ Prof. Dr. Rolf Watter, Partner, Rechtsanwalt, Bär & Karrer AG, Zürich; Dr. Mariel Hoch, Partnerin,
Rechtanwältin, Bär & Karrer AG, Zürich.
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X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts  |  715


Teil

dex der Vereinigung Schweizer Börsen (Kodex), danach unter dem börsengesetzlichen
Übernahmerecht, das seit 1998 gilt, und schließlich mit den zum 01.01.2009 und zum
01.05.2013 umgesetzten Revisionen der börsengesetzlichen Ordnung.1
Die zunehmende Verbindlichkeit und Verdichtung der Regeln können als Resultat eines
Verhoheitlichungsprozesses verstanden werden, in welchem die Marktteilnehmer und die
öffentliche Meinung dem Gesetzgeber und den Behörden zur Seite standen. Während der
Anbieter und die Zielgesellschaft früher einen eher partnerschaftlichen Umgang mit der
Übernahmekommission pflegen konnten, führte die Revision von 2009 zu einem stärker
hoheitlich geprägten Verhältnis. Aber auch wenn qualifizierte Aktionäre2 nun Parteistel-
lung beantragen und das Verfahren für ihre Interessen nutzbar machen können, wurde
der schnelle Entscheidungsfindungsprozess erfreulicherweise weitgehend bewahrt.
Es soll nachfolgend anhand von vier thematischen Bereichen – nämlich (i) Transpa-
renz, (ii) Pflichten des Anbieters, (iii) Verhaltenspflichten der Zielgesellschaft und (iv)
Überwachung und Verfahren – aufgezeigt werden, wie sich das Schweizer Übernah-
merecht in den drei Regulierungsphasen – Kodex3 (Kapitel 2), Schaffung eines Über-
nahmerechts (Kapitel 3) und Revisionen des Übernahmerechts (Kapitel 4) – in den
vergangenen drei Jahrzehnten entwickelt hat. Anhand der Pflichten, welche die Akteure
treffen, lässt sich erkennen, dass sich der Einfluss der (potenziellen) Zielgesellschaften
in dieser Phase erheblich zurückgebildet hat (womit sie heutzutage viel mehr Pflichten
treffen), während anderseits die nationalen und internationalen Anleger (oder generell
die Börse) stark an Bedeutung gewonnen haben. Dies äußert sich etwa darin, dass sich
Übernahmen mit einer genügend großen Prämie heute fast immer durchsetzen können
– uneinnehmbare Bollwerke gibt es kaum noch, denn der Druck der Anleger hat dazu
geführt, dass statutarische Schutzmauern heute viel niedriger sind als früher oder teil-
weise ganz geschleift wurden. Und wenn der Angriff kommt, sind der Verteidigungs-
mannschaft in vielen Bereichen die Hände gebunden, weil die Aktionäre nicht nur über
das Angebot, sondern auch über die Anwendung von Abwehrmaßnahmen entscheiden.

 bernahmekodex der Vereinigung


2 Ü
der Schweizer Börsen
2.1 Entstehung
Der Kodex trat am 01.09.1989 in Kraft, nachdem im Jahr 1988 die ersten feindlichen
Übernahmeangebote den schweizerischen Kapitalmarkt aufhorchen ließen.4 Aber auch

1 Vgl. Binder 2016, S. 529 ff.


2 Aktionäre mit einer Beteiligung von 3 % der Stimmrechte (ursprünglich wurde der Grenzwert in der
Revision von 2009 bei 2 % angesetzt; Art. 56 Abs. 3 UEV).
3 Zur Zeit vor dem Übernahmekodex vgl. Binder 2016, S. 529 f.
4 Übernahmeversuch der Saurer Holding auf La Suisse-Versicherungsgesellschaft, wobei Saurer nicht
erfolgreich war, weil der Verwaltungsrat das Ansinnen nicht unterstützte und sich auf ein ausge-
bautes Vinkulierungsregime stützen konnte; die Kontrolle über die Gesellschaft änderte dann aber
doch, indem die als Weißer Ritter (»White Knight«) agierende heutige Swiss Life zum Zuge kam,
allerdings zu einem geringeren Preis, als ihn Saurer geboten hatte. Vgl. dazu auch: Watter 1990,
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die Taktiken, die eingesetzt wurden, führten zur Erkenntnis, dass Regelungsbedarf
bestand, so bei Kontrollwechseln durch Pakettransaktionen5 oder Übernahmen bör-
sennotierter Gesellschaften durch stille Aufkäufe über die Börse bis die angestrebte
kontrollierende Mehrheit erreicht war, wie etwa beim Erwerb der C. F. Bally AG durch
Werner K. Rey Mitte der 1970er Jahre, bei der versuchten Übernahme der Usego-Trimerco
Holding AG durch Karl Schweri oder beim systematischen Aufkauf von Aktien der Sulzer
AG durch Tito Tettamanti in den 1980er Jahren.6
Die sich damals im Gang befindliche Revision des Aktienrechts hatte die Regelung
öffentlicher Kaufangebote nicht zum Gegenstand. Daher setzte die Vereinigung der
Schweizer Börsen, ein privatrechtlicher Verein, eine Arbeitsgruppe ein, um den sich
stellenden Problemen bei öffentlichen Übernahmen börsennotierter Gesellschaften
selbstregulierend zu begegnen. Der Übernahmekodex wurde verabschiedet, nachdem
die Wirtschaftszweige und weitere interessierte Kreise angehört worden waren.7 Als
Vorbild im Grundsatz (wenn auch nicht für einzelne Regeln) diente dem Kodex der
damals ebenfalls auf Selbstregulierung basierende britische City Code on Takeovers and
Mergers sowie der Vorschlag zur EU-Übernahmerichtlinie,8 die allerdings erst 2004 in
mehrfach überarbeiteter und verwässerter Form in Kraft trat.9
Der Kodex stellte folglich das erste einheitliche Regelwerk für öffentliche Übernah-
meangebote der Schweiz dar. Er basierte auf der Idee eines flexiblen Konzepts und war
– ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mit seinen elf Ziffern kurz gefasst.10 Als Instru-
ment der Selbstregulierung fehlte ihm formelle Gesetzeskraft. Als Überwachungsorgan
wurde die Kommission für Regulierungsfragen geschaffen.

2.2 Transparenz
2.2.1 Prospektpflicht

Transparenz wurde schon unter dem Kodex als wesentliches steuerungsneutrales Ins-
trument des Aktionärsschutzes erkannt: Die Einführung einer Prospektpflicht für den
Anbieter mit einem Minimalinhalt stellte eine zentrale Errungenschaft des Kodex dar
und ermöglichte den Publikumsaktionären und den Organen der Zielgesellschaft, einen
informierten Entscheid über das Angebot zu fällen. Der Anbieter musste sich zudem im
Prospekt zur Einhaltung des Kodex verpflichten.11

S. 339 ff. Auch im Fall Publicitas blieb es bei einem feindlichen Übernahmeversuch durch die Jacobs
Suchard Holding.
5 Beispiel hier bildet etwa der Verkauf der Mehrheitsbeteiligung an der Mövenpick-Gruppe von Ulrich
Prager an August von Finck.
6 Vgl. Strazzer 1993, S. 46.
7 Vgl. Strazzer 1993, S. 96 f.
8 Vorschlag für eine 13. Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahme-
angebote, ABl. C 64 vom 14.03.1989.
9 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.04.2004 betreffend Über-
nahmeangebote.
10 Vgl. Strazzer 1993, S. 109; Frei 1996, S. 285 f. Das Verfahrensreglement, welches die Kommission
für Regulierungsfragen erließ, bildete einen Anhang zum Kodex. Ein Kommentar, dem allerdings
kein formeller Charakter zukommt, folgte, und schließlich wurden 1991 Erläuterungen zum Kodex
erlassen, die die Handhabung erleichtern sollten.
11 Ziffer 4 des Kodex.
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Als weiteres Transparenzelement entschied die Regulierungskommission im Über-


nahmekampf um die Holvis AG12, dass allen interessierten Parteien die im Zusam-
menhang mit einem öffentlichen Kaufangebot abwehrrelevanten Verträge kostenfrei
zugänglich zu machen seien. Diese Praxis ist aus heutiger Sicht weitgehend, wobei die
damaligen Abwehrmaßnahmen (Verkauf der Crown Jewels und die Gewährung einer
Option auf die Vorratsaktien von Holvis) noch weitgehender waren. Mit der Zugänglich-
machung sollte die gerichtliche Überprüfung erleichtert werden.13

2.2.2 Fehlende Transparenz bei der Zielgesellschaft

Im Unterschied zum Anbieter erfuhr die Kommunikation des Verwaltungsrats der Ziel-
gesellschaft unter dem Kodex keine Regelung. Aber auch ohne entsprechende Regelung
äußerten sich die meisten Zielgesellschaften zu einem auf sie gerichteten öffentlichen
Kaufangebot und empfahlen dieses entweder zur Annahme oder Ablehnung.

2.2.3 Keine Offenlegung von Beteiligungen

Der Kodex enthielt keine Bestimmung, wonach das Überschreiten wesentlicher Betei-
ligungen an einer börsennotierten Gesellschaft gemeldet werden musste. Damit wurde
namentlich der damals verbreitete Kontrollerwerb durch verdeckten Beteiligungsaufbau
nicht unterbunden.

2.3 Pflichten des Anbieters


2.3.1 Ausgangslage

Ein deklariertes Hauptziel des Kodex war der Schutz der Publikumsaktionäre.14 Deren
Schutzbedürftigkeit ergab sich aus der Erkenntnis, dass die Empfänger eines öffentli-
chen Angebots mit dem Anbieter nicht als gleichberechtigte Partner kontrahieren konn-
ten, sondern dieses nur annehmen oder ablehnen konnten.15 Der verbreitete sukzessive
Aufbau einer kontrollierenden Beteiligung über die Börse sowie private Paketverschie-
bungen waren jedoch vom Anwendungsbereich des Kodex ausgenommen. Von der Ein-
führung eines Pflichtangebots bei Überschreiten einer bestimmten Beteiligungsschwelle
war die Regulierungspraxis damals noch weit entfernt.

12 Entscheidung der Kommission für Regulierungsfragen in Sachen Öffentliches Kaufangebot der BBA
Group PLC an die Holvis AG vom 07.06.1995.
13 Vgl. nachfolgend Abschnitt 1.4.
14 Neben der Sicherstellung einer gewissen Transparenz und Entscheidungsgrundlage (auch) für die
Gesellschaftsorgane und der Sicherung einer Verhaltensweise nach Treu und Glauben für sämtliche
Beteiligten.
15 Vgl. Strazzer 1993, S. 112.
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2.3.2 Preisvorschriften

Unter dem Kodex galt weitgehende Preisfreiheit. Der Anbieter war namentlich auch
an keinen absoluten Mindestpreis gebunden. Aufgrund des statuierten Gleichbehand-
lungsgrundsatzes16 durfte ein Anbieter jedoch während der Dauer des Angebots weder
börslich noch außerbörslich Titel zu einem über dem Angebotspreis liegenden Preis
erwerben.17 Gemäß einem Grundsatzentscheid der Regulierungskommission im Jahr
198918 durfte der Anbieter bei Erwerbstatbeständen, die bis zu drei Monaten vor der
Unterbreitung des Angebots stattfanden, keinen über dem Angebotspreis liegenden Preis
bezahlen. Beachtlich ist, dass die Regulierungskommission mit dieser Dreimonatsregel
eine gewisse Vorwirkung des Kodex auf die Zeit vor Unterbreitung des öffentlichen
Kauf­a ngebots herbeiführte. Allerdings erfuhr dieser Grundsatz verschiedene Einschrän-
kungen und galt namentlich dann nicht, wenn der Anbieter während der Dreimonats-
frist ein Mehrheitspaket von einem öffentlich bekannten Aktionär erwarb.19
Der Fall Jacobs Suchard AG20 war in diesem Zusammenhang richtungweisend: In-
nerhalb der Dreimonatsfrist vor dem öffentlichen Kaufangebot bezahlte Kraft General
Foods, Inc. (die wiederum von Philip Morris kontrolliert war) für den Erwerb eines
62 %-Pakets eine Prämie von 120 % auf dem späteren Angebotspreis. Diese Transaktion
wurde für kodexkonform befunden, da das an die Transaktion anschließende Übernah-
meangebot nicht im Hinblick auf den Erwerb der Kontrolle über die Jacobs Suchard AG
erfolgte, sondern die Kontrolle bereits vor der Unterbreitung des Angebots erlangt wur-
de.21 Öffentlich bekannt wurde das Ausmaß der bezahlten Prämie an den Hauptaktionär
aufgrund der mit dem Kodex ein Jahr zuvor eingeführten Prospektpflicht, die vorsah,
dass im Prospekt auch die essentialia von dem öffentlichen Angebot vorausgehenden
Block Trades offengelegt werden mussten.22 In Leserbriefen drückte sich Unmut über die
Ungleichbehandlung von Mehrheitsaktionär und Publikumsaktionären aus.23
Bei Teilangeboten verlangte der Kodex bei einer Überzeichnung eine proportionale
Berücksichtigung der angedienten Aktien, um dem Gleichbehandlungsgebot gerecht zu
werden. Im Zusammenhang mit der Regelung des Teilangebots finden sich zudem erste
Elemente einer Angebotspflicht: »Verfügt der Anbieter bei zustande gekommenem Ange-
bot zusammen mit seiner allfälligen bisherigen Beteiligung über 50 % der Stimmrechte,
so muss er alle Verkaufswilligen vollumfänglich befriedigen.«24 Dies galt selbst dann,
wenn sich das Teilangebot ursprünglich nur auf eine Titelkategorie bezog.25 Mit dieser
Bestimmung sollten sog. Front End Loaded Offers, bei denen der Anbieter mit einem
attraktiven Teilangebot die Kontrolle erwirbt, um anschließend die verbleibenden Min-
derheitsaktionäre zu einem tieferen Preis abzufinden, unterbunden werden.

16 Ziffer 3.1 des Kodex.


17 Erläuterungen zum Kodex Ziffer 3.1, A, b. Damit war eine erste Form der Best Price Rule entstanden.
18 Grundsatzentscheid der Kommission vom 18.07.1989, aufgrund dessen eine entsprechende Erläute-
rung zu Ziffer 3.1 des Kodex eingeführt wurde.
19 Erläuterungen zum Kodex Ziffer 3.1, A, c.
20 Entscheid der Kommission vom 05.07.1990.
21 Die Kontrolle bzw. die 50 %-Grenze wurde nicht durch ein vorgängiges Übernahmeangebot über-
schritten, weshalb das Auskaufangebot gemäß Ziffer 3.8 des Kodex nicht zur Anwendung kam.
Meier-Schatz 1991, S. 60.
22 Vgl. NZZ vom 11.07.1990, S. 33.
23 Vgl. NZZ vom 20.07.1990, S. 61.
24 Ziffer 3.8 Abs. 2 des Kodex.
25 Grundsatzentscheid der Kommission vom 22.08.1989. Vgl. Notizen zum Schweizerischen Übernah-
mekodex 1990, S. 210.
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Da der stille börsliche Beteiligungsaufbau und der außerbörsliche Paketerwerb wei-


terhin nicht reguliert waren, konnte diese teilweise Angebotspflicht beim Teilangebot
mühelos umgangen werden.26 Der Schutz der Publikumsaktionäre im Falle eines Kon-
trollerwerbs war folglich unter dem Kodex stark durchlöchert.

2.4 Verhaltensfreiheit der Zielgesellschaft


2.4.1 Abwehrmaßnahmen

Der Übernahmekodex widmete der Zielgesellschaft eine einzige Ziffer, die als erstes
den Grundsatz festhielt, dass die Zielgesellschaft im Rahmen von Gesetz und Statuten
frei sei, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.27 Der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft
konnte namentlich bedeutende Vermögenswerte (sog. Crown Jewels) veräußern oder
Transaktionsvereinbarungen mit sog. Lock-up-Klauseln abschließen.28 Immerhin war
die Kommission über die Ergreifung von Abwehrmaßnahmen in Kenntnis zu setzen.
Bereits vor dem Inkrafttreten des Kodex gab es kritische Stimmen zu dieser Schief­
lastigkeit zugunsten des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft.29 Beim Übernahme-
kampf um Holvis im Jahr 1995 wurden die sich stellenden Probleme manifest wie kaum
zuvor. Das öffentliche Kaufangebot von International Paper, Inc. war die erste feindliche
Übernahme seit dem Inkrafttreten des Kodex. Der Verwaltungsrat von Holvis erachtete
das Angebot als ungenügend und suchte daher einen Weißen Ritter (White Knight).
Nach einem gescheiterten Versuch konnte die britische BBA Group PLC gewonnen wer-
den. Deren Angebot war zwar knapp 15 % höher, doch hatte der Verwaltungsrat der
Holvis einen Tag vor der Veröffentlichung des Kaufangebots das Kronjuwel Fiberweb
für den Fall des Scheiterns des BBA-Angebots unwiderruflich an diese verkauft. Weiter
hatte er BBA eine Option zum Erwerb der von Holvis gehaltenen Vorratsaktien einge-
räumt. Mit dieser Maßnahme wurde zwar ein höheres Angebot ermöglicht, gleichzeitig
wurde aber ein im Interesse der Publikumsaktionäre liegender weiterer Bieterprozess
verunmöglicht.30
Die Regulierungskommission befand das Angebot von BBA für kodexkonform. Ob
die ergriffenen Abwehrmaßnahmen gegen Gesellschaftsrecht verstießen, prüfte sie
nicht. Vorbehaltlich offensichtlicher gesellschaftsrechtlicher Verstöße erachtete sie sich
einzig als kompetent, Transparenz zu schaffen, damit Aktionäre sich allenfalls an die
Zivilgerichte wenden konnten.31

26 Vgl. Strazzer 1993, S. 144 f.


27 Vgl. Ziffer 6.1 des Kodex.
28 Unter Lock-up-Vereinbarungen werden Absprachen zwischen der Zielgesellschaft und einem Anbieter
verstanden, welche dazu dienen, allfällige Konkurrenzangebote durch einen Dritten zu verunmöglichen,
unattraktiv zu machen oder zu erschweren. Vgl. dazu: Tschäni et al. 2010, S. 88 f.; Watter/Dubs 1998,
S.  1324 ff.
29 Vgl. NZZ vom 12./13.08.1989, S. 31; Finanz und Wirtschaft vom 15.07.1989, S. 15.
30 Vgl. zur Rechtmäßigkeit der im Fall Holvis ergriffenen Abwehrmaßnahmen auch: Dubs 1995,
S. 899 ff.; Meier-Schatz 1995, S. 190 ff.
31 International Paper hatte versucht, vor den Basler Zivilgerichten die Übertragung der Vorratsaktien
zu blockieren, unterlag damit aber vor dem Maßnahmengericht; vgl. auch Finanz und Wirtschaft,
10.06.1995, 2. Obwohl damals schon klar war, dass die Regelung im neuen BEHG, welches aber erst
später in Kraft treten würde, eine andere Lösung vorsehen würde, konnte die Kommission unter
dem Kodex keine Vorwirkung annehmen. Vgl. Entscheidung der Kommission für Regulierungsfra-
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2.4.2 Keine Pflicht zur Gleichbehandlung der Anbieter

Der Kodex statuierte zwar ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot, die Regulierungs-


kommission verneinte jedoch ihre Kompetenz, daraus nicht im Kodex angelegte Pflich-
ten abzuleiten. Daher war der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft auch nicht verpflich-
tet, alle Anbieter gleich zu behandeln.
Auch dieses Regulierungsdefizit wurde im Fall Holvis deutlich. Der Verwaltungsrat
der Zielgesellschaft hatte BBA und einem weiteren potenziellen Bieter uneingeschränk-
ten Zugang zur Due Diligence gewährt, diesen International Paper aber verwehrt. Ob
der Verwaltungsrat von Holvis damit gegen das Gesellschaftsinteresse verstoßen hatte,
wäre somit ebenfalls durch die Zivilgerichte zu beurteilen gewesen.

2.5 Überwachung und Verfahren


Die mit der Überwachung des Kodex betraute Kommission für Regulierungsfragen setz-
te sich aus Vertretern der Wissenschaft und Wirtschaft zusammen, mit dem Ziel, die
Unabhängigkeit und eine ausgewogene Fachkompetenz der Kommission zu gewährleis-
ten und somit auch die Akzeptanz ihrer Entscheide zu stärken.32
Das Verfahren vor der Kommission war einfach und flexibel ausgestaltet und ge-
heim.33 Zur Prüfung jedes Angebots wurde ein Ausschuss gebildet, dessen Empfeh-
lungen oder Entscheidungen auf Verlangen der Zielgesellschaft oder des Anbieters der
gesamten Kommission zur Überprüfung vorgelegt werden konnten.34 Ein eigentlicher
Instanzenzug fehlte. In diesem System der Selbstregulierung entwickelte sich aber ein
effizientes, praxisnahes und kooperatives Verfahren.
Die Regulierungskommission war ermächtigt, die zur Durchsetzung des Kodex ge-
eigneten Maßnahmen zu ergreifen.35 Praktisch waren ihre Sanktionsmöglichkeiten aber
darauf beschränkt, Verstöße zu publizieren und so eine Prangerwirkung zu erzeugen.36
Die Befolgung des Kodex wurde privatrechtlich durchgesetzt, indem den Börsenmit-
gliedern (damals Ringbanken genannt) untersagt wurde, an einem nicht kodexkonfor-
men Angebot direkt oder indirekt mitzuwirken. Der Kodex erwähnt beispielhaft die
Mitwirkung als Beauftragter, Geldgeber oder Zahlstelle.37 Zusätzlich zur mitgliedschaft-
lichen Verpflichtung der Ringbanken wurden den übrigen Schweizer Banken durch ein

gen, 07.06.1995: Öffentliches Kaufangebot der BBA Group PLC an die Holvis AG. Zur Offenlegung von
Verträgen vorstehender Abschnitt 2.2.1.
32 Ziffer 9.2 des Kodex; Strazzer 1993, S. 99.
33 Ziffer 10.3 des Kodex. Ein Verfahrensreglement ergänzte den Kodex.
34 Ein Verfahren vor der Veröffentlichung des Angebots konnte durchgeführt werden, wenn die Ziel-
gesellschaft sich zur Vertraulichkeit verpflichtete. Falls die Zielgesellschaft nicht teilnahm, war der
Entschied des Ausschusses provisorisch und nach Veröffentlichung des Angebots war ein neues
Verfahren zu eröffnen (vgl. Verfahrensreglement, Ziffer B; Strazzer 1993, S. 101).
35 Vgl. Ziffer 9.2 des Kodex.
36 Eine solche ist aufgrund der zum Teil sehr deutlichen Wortwahl der Kommission auch anzuneh-
men. Vgl. die Entscheidung über ein nicht dem Kodex entsprechendes Angebot vom 29.07.1992
(Loreto Gestion AG), Schweizerischer Übernahmekodex, Entscheidungen der Kommission für Regu-
lierungsfrage (Januar 1992 bis Dezember 1992), in: SZW 1993, 72: »[…] Die Kommission für Regu-
lierungsfragen der Vereinigung der Schweizer Börsen warnt die Anleger vor diesem ungewöhnlichen
Angebot, an dem keine Bank mitwirkt. Es besteht keine Garantie für die Seriosität dieses Angebotes.«
37 Vgl. Ziffer 7 des Kodex.
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X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts  |  721


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Zirkular der Bankiervereinigung empfohlen, sich ebenfalls an den Kodex zu halten.38


Damit hatte der Schweizer Kapitalmarkt mit den Mitteln der Selbstregulierung und der
Verbandszugehörigkeit die Befolgung des Kodex durch indirekten Druck weitgehend
erreicht. Auch die Zielgesellschaften hätten wohl vertraglich oder über Kotierungs-
vorschriften zur Einhaltung des Kodex verpflichtet werden können.39 Dass sich die
Bankiervereinigung dazu nicht veranlasst sah, hängt mit der weitgehenden Regelungs-
abstinenz des Kodex betreffend die Zielgesellschaft zusammen.

3 Schaffung eines Rechts öffentlicher Kaufangebote


3.1 Entstehung
Die Entstehung eines schweizerischen Übernahmerechts gründete in der Erkenntnis,
dass der Kodex dem Schweizer Kapitalmarkt zwar brauchbare Dienste geleistet hatte,
aufgrund seiner rechtsetzungstechnischen und inhaltlichen Defizite die Zeit für eine
Ablösung auf Gesetzesstufe aber reif war.40 Bereits 1988 setzte der Bundesrat eine Stu-
diengruppe über das Börsenwesen ein, die sich auch mit der rechtlichen Situation bei
öffentlichen Kaufangeboten auseinandersetzte. Ihre Tätigkeit verlief parallel zu derje-
nigen der Vereinigung Schweizer Börsen, die als eine Art Sofortmaßnahme zum Erlass
des Kodex führte. Die Studiengruppe forderte eine gesetzliche Regelung der öffentlichen
Kaufangebote mit den Zielen der Transparenz, der Gleichbehandlung der Publikumsak-
tionäre und der Unterbindung stiller Aufkäufe.41
Im Juni 1990 wurde die »Expertengruppe Hirsch« eingesetzt, die einen Vorentwurf
zur Schaffung eines Bundesgesetztes über die Börsen und den Effektenhandel (Börsen-
gesetz; BEHG) vorlegte.42 Die Regelung öffentlicher Kaufangebote wurde in der Ver-
nehmlassung kontrovers diskutiert, wobei die Einführung einer Angebotspflicht und die
neuen Vorschriften zum Verhalten der Zielgesellschaft als zu weitgehend empfunden
wurden.43
Der 1993 durch den Bundesrat vorgelegte Entwurf zum Börsengesetz übernahm den
Vorentwurf trotz der Kritik in der Vernehmlassung zu einem großen Teil. Der unter-
schiedlichen Ausgangslage von Gesellschaften mit kontrollierender Aktionärsgruppe
und eigentlichen Publikumsgesellschaften sollte Rechnung getragen werden, indem der
Entscheid über die Unterstellung unter die Bestimmungen über öffentliche Kaufangebo-
te dem Emittenten überlassen werden sollte.44
Auch die Regelung der öffentlichen Kaufangebote im Börsengesetz lehnte sich an
den englischen City Code an. Als Rahmengesetz enthielt sie lediglich die wichtigsten
Grundsätze, um auf Verordnungsstufe eine Konkretisierung und flexible Anpassung an

38 Zirkular der Schweizerischen Bankiervereinigung vom 19.10.1989.


39 Vgl. Strazzer 1993, S. 104.
40 Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel, BBl 1993, S. 1389.
41 Vgl. Bericht der Studiengruppe über das Börsenwesen, 21.12.1989, S. 58.
42 Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel, März 1991 (sog. Entwurf
der »Expertengruppe Hirsch«).
43 Vgl. Frei 1996, S. 165 m. w. H.; Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effekten-
handel, BBl 1993, S. 1380.
44 Art. 22 Abs. 1 E-BEHG.
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internationale Entwicklungen zu ermöglichen (Erlass nicht nur von Ausführungs- son-


dern auch Ergänzungsbestimmungen),45 was durch zwei Verordnungen der Eidgenös-
sischen Bankenkommission und der zur Überwachung des Übernahmerechts primär
zuständigen Übernahmekommission geschah.46 In Kraft trat das neue Übernahmerecht
schließlich am 01.01.1998.47 Damit zählte die Schweiz trotz des zehnjährigen Gesetz-
gebungsprozesses zu den ersten kontinentaleuropäischen Staaten, die ein Recht der
öffentlichen Kaufangebote erließ.

3.2 Transparenz
3.2.1 Prospektpflicht

Die börsengesetzliche Regelung der Prospektpflicht des Anbieters baute auf derjenigen
des Kodex auf und war beim Erlass wenig kontrovers. Verlangt wurden (und werden
heute noch) namentlich detailliertere Angaben über den Anbieter und Personen, die
mit ihm in gemeinsamer Absprache handeln, sowie Angaben über die Finanzierung
des Angebots.48 Weiter sind die Absichten des Anbieters bezüglich der Zielgesellschaft
und Vereinbarungen mit dieser oder deren Organen darzulegen.49

3.2.2 Bericht des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft

Einschneidender war die mit dem Börsengesetz dem Verwaltungsrat der Zielgesellschaft
auferlegte Pflicht, sich in einem zu veröffentlichenden Bericht detailliert zum Angebot
zu äußern. Der Bericht muss alle wesentlichen Elemente der Entscheidungsfindung
aufführen, eine eigentliche Empfehlung kann aber unterbleiben. Für den Angebotsemp-
fänger soll auch Transparenz über potenzielle Interessenkonflikte des Verwaltungsrates
und der Geschäftsleitung,50 die dem Verwaltungsrat bekannten Absichten von qualifi-
zierten Aktionären und allenfalls geplante Abwehrmaßnahmen geschaffen werden.51
Bei Vorliegen von Interessenkonflikten muss der Bericht aufzeigen, welche Maßnahmen
ergriffen wurden, damit sich potenzielle Interessenkonflikte nicht zum Nachteil der
Angebotsempfänger auswirken.

45 Meier-Schatz 1996, S. 130.


46 Die EBK erließ die Verordnung der Eidgenössischen Bankenkommission über die Börsen und den
Effektenhandel (BEHV-EBK) und genehmigte die Verordnung der Übernahmekommission über öf-
fentliche Kaufangebote (UEV-UEK).
47 Mit ein Grund für die zeitliche Verzögerung der Inkraftsetzung kann im Umstand gesehen werden,
dass der Vorschlag zur EU-Übernahmerichtlinie weiterhin nicht verabschiedet war. Nobel 2008,
S.  1 ff.
48 Vgl. Art. 19 ff. UEV-UEK.
49 Bereits unter dem Übernahmekodex waren bestimmte Angaben bei der Publikation des Angebots
zu machen. Allerdings beschränkten sich diese auf ein Minimum. Vgl. Ziffer 4 des Kodex.
50 Die Übernahmekommission hat im Zusammenhang mit der Offenlegung und Neutralisierung von
potenziellen Interessenkonflikten eine detaillierte Praxis entwickelt. Im Fall Saia-Burgess Electronics
Holding AG (Empfehlung 249/04 vom 15.08.2005, E. 1.2.2 und 1.2.4.3) hielt sie fest, dass zur Beur-
teilung, ob ein Interessenkonflikt vorliege, die höchstmöglichen finanziellen Konsequenzen für die
Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung aufzuzeigen seien, und verlangte eine
diesbezügliche Ergänzung des Berichtes.
51 Art. 29 Abs. 1 BEHG (heute Art. 132 Abs. 1 FinfraG) und Art. 29 ff. UEV-UEK.
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X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts  |  723


Teil

Bei Neutralisierung potenzieller Interessenkonflikte hat die Übernahmekommission


in konstanter Praxis folgende Möglichkeiten zugelassen: Die betroffenen Mitglieder des
Verwaltungsrates können in den Ausstand treten oder der Verwaltungsrat kann eine
Fairness Opinion über die Angemessenheit des Angebotspreises bei einem unabhängi-
gen Dritten52 einholen. Die Übernahmekommission hat detaillierte Kriterien für Fairness
Opinions entwickelt und verlangt heute, dass die Bewertungsmethoden, die Parameter
und die Herleitung derselben offengelegt werden.53 Die Fairness Opinion entbindet den
Verwaltungsrat jedoch nicht von seiner Pflicht, einen Bericht zum Angebot zu erstel-
len.54
Die große Bedeutung, die dem Bericht des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft als
Entscheidungsgrundlage für die Angebotsempfänger beigemessen wird, zeigte im Jahr
2007 der Fall Serono S.A.: Der gesamte Verwaltungsrat von Serono war wenige Stunden
vor der Publikation des Angebots zurückgetreten und hatte folglich im Zeitpunkt des
Angebots keine Organstellung mehr inne. Die Übernahmekommission verpflichtete ihn
dennoch zu einer Stellungnahme zum Angebot, da sie die Ansicht vertrat, der frisch
gewählte Verwaltungsrat sei nicht in der Lage, die gesellschaftsinternen Auswirkungen
des Angebots hinreichend zu beurteilen.55

3.2.3 Offenlegung von Beteiligungen

Mit dem Börsengesetz wurde auch eine Offenlegungspflicht von Beteiligungen56 ein-
geführt, die zu einer erhöhten Transparenz für Gesellschaft und Anleger führen sollte.
Das Über- und Unterschreiten gewisser Beteiligungsschwellen57 ist bei der Gesellschaft
sowie bei der Offenlegungsstelle zu melden und wird publiziert. Dies erlaubt es, den
Beteiligungsaufbau durch einen Investor zu verfolgen und die Wahrscheinlichkeit eines
freiwilligen öffentlichen Kaufangebots abzuschätzen bzw. die Einhaltung der Angebots-
pflicht58 zu überwachen.59 Die Offenlegungspflicht bedeutete das Ende des unter dem
Kodex noch weit verbreiteten verdeckten Aufbaus von Beteiligungen und des stillen
Kontrollerwerbes.60

52 An die Unabhängigkeit werden hier die gleichen Anforderungen gestellt wie an die Prüfgesellschaft
(Art. 25 Abs. 1 BEHG – heute Art. 128 Abs. 1 FinfraG). Der Dritte darf selber jedoch nicht Prüf-
stelle sein. Vgl.: BSK BEHG, Art. 29, N 8 und Empfehlung 129/01 in Sachen Think Tools AG vom
17.05.2002, E. 6.3; Empfehlung 157/01 in Sachen Disetronic Holding AG vom 19.03.2003, E. 7.2.1.
53 Empfehlung 171/02 in Sachen EIC Electricity S.A. vom 21.08.2003, E. 9.3. Zum Detaillierungsgrad
von Fairness Opinions vgl. außerdem: Empfehlung 188/02 in Sachen Clair Finanz Holding AG vom
11.06.2004, E. 4.2.
54 Empfehlung 005/01 in Sachen la Société Internationale Pirelli S.A. vom 21.04.1998, E. 2.
55 Empfehlung 304/01 in Sachen Serono S.A. vom 08.01.2007, E. 6.1.2; Blaas/Barraud 2008, S. 340.
56 Art. 20 BEHG (heute Art. 120 FinfraG).
57 Die Schwellenwerte betrugen ursprünglich 5 %, 10 %, 20 %, 33,3 %, 50 % oder 66,6 % der Stimm-
rechte. Ab dem 01.12.2007 wurde Art. 20 BEHG (heute Art. 120 FinfraG) um die Schwellenwerte
3 %, 15 % und 25 % der Stimmrechte ergänzt.
58 Vgl. die Ausführungen in Kap. 3.3.1.
59 Vgl. Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel, BBl 1993, S. 1409 f.
60 Vgl. Strazzer 1993, S. 46 f.
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724  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

3.2.4 Transaktionsmeldungen

Eine weitere Meldepflicht wurde spezifisch für die Dauer des Angebots geschaffen. Der
Anbieter und Personen, die mit ihm in gemeinsamer Absprache handeln, sowie Akti-
onäre, die eine Beteiligung von 3 %61 der Stimmrechte an der Zielgesellschaft halten,
müssen der Übernahmekommission und der Börse sämtliche Transaktionen in Titeln
der Zielgesellschaft (und der im Angebot allenfalls zum Tausch angebotene Effekten
einer anderen Gesellschaft) melden. Diese Meldepflicht dient namentlich der Überwa-
chung der Einhaltung der Preisvorschriften62.

3.3 Pflichten des Anbieters


3.3.1 Angebotspflicht

Eine der innovativsten und umstrittensten Neuerungen des Börsengesetzes stellte die
Schaffung einer Angebotspflicht bei Überschreitung von 33,3 % der Stimmrechte der
Zielgesellschaft dar. Damit wurde eine bedeutende Lücke im Minderheitenschutz ge-
schlossen, indem den Publikumsaktionären bei einem Wechsel der Kontrolle der Aus-
stieg zu einem gesetzlichen Mindestpreis63 ermöglicht wurde.
Der Tatsache, dass sich zahlreiche börsennotierte Schweizer Gesellschaften im Fa-
milienbesitz befanden oder von wenigen Investoren beherrscht waren, wurde dadurch
Rechnung getragen, dass sich jede Gesellschaft von der Angebotspflicht ausnehmen (Op-
ting-out) bzw. die Schwelle zur Angebotspflicht auf 49 % anheben (Opting-up) konnte.64
Damit wurde eine bedeutende Konzession an die Gegner der Angebotspflicht gemacht.65
Die Praxis hat gezeigt, dass zunächst nur wenige Gesellschaften sich für ein Opting-out
entschieden haben.66 Sofern die Aktionäre nicht benachteiligt werden, kann ein Opt-
ing-out auch nachträglich, d. h. nach dem Börsengang, eingeführt werden.
Anlass zu Kontroversen hat in der Praxis mehrfach die Grenzwertüberschreitung
durch die Bildung einer Aktionärsgruppe67 gegeben. Die Angebotspflicht darf nicht
mittels Verteilung der Beteiligung auf mehrere in gemeinsamer Absprache handelnde
Personen umgangen werden. Die Übernahmekommission verfolgt in diesem Bereich
eine restriktive Praxis.68 Namentlich kann eine Gruppe auch durch abgestimmte Verhal-
tensweisen von mehreren Personen, die sich auf die Beherrschung der Zielgesellschaft

61 Vor dem 01.12.2007 betrug diese Schwelle 5 %.


62 Vgl. die Ausführungen in Kap. 3.3.2.
63 Vgl. die Ausführungen in Kap. 3.3.2.
64 Vgl. Art. 22 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 1 BEHG (heute Art. 125 Abs. 3 und Art. 135 Abs. 1 FinfraG).
Diese Variante des Opting-out war im Entwurf des Bundesrates noch nicht in dieser Form enthal-
ten. Ursprünglich wurde nämlich vorgeschlagen, Papiere von Gesellschaften mit einem Opting-out
oder Opting-up in einem separaten Segment zu handeln. Botschaft zu einem Bundesgesetz über die
Börsen und den Effektenhandel, BBl 1993, S. 1390, 1411.
65 Bernet 1998, S. 217; Tschäni et al. 2011, N 21 zu Art. 22 BEHG.
66 Bernet 1998, S. 222.
67 Vgl. Empfehlung 292/01 in Sachen Schmolz + Bickenbach AG vom 03.10.2006, E. 1.2 ff.; Empfehlung
242/01 in Sachen Forbo Holding AG vom 03.06.2005, E. 4.
68 Hingegen wird die strenge Praxis durch das sog. Black Box-Prinzip etwas gemildert, welches besagt,
dass die Angebotspflicht nicht ausgelöst wird, wenn sich die Beteiligungsveränderung nur inner-
halb der Gruppe abspielt.
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X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts  |  725


Teil

beziehen, gebildet werden. Immerhin muss die abgestimmte Verhaltensweise von einer
bestimmten Festigkeit und Dauer sein, kann aber auch auf sozialen oder faktischen
Bindungen beruhen.69

3.3.2 Preisvorschriften

Die Angebotspflicht ist heute als Grundpfeiler des Schweizer Übernahmerechts nicht
mehr wegzudenken. Einen weiteren Kernpunkt stellen die beiden börsengesetzlich ein-
geführten Preisregeln dar:

3.3.2.1 Mindestpreisregel

Die Mindestpreisregel statuiert eine relative preisliche Gleichbehandlung der Publi-


kumsaktionäre bei Pflicht- und freiwilligen Angeboten, welche mit Vollzug zu einem
Pflichtangebot führen würden (sog. gemischt freiwillige Angebote).70 Der Mindestpreis
muss mindestens dem Börsenkurs entsprechen und durfte bis 2013 höchstens 25 %
unter dem höchsten Preis liegen, den der Anbieter in den letzten zwölf Monaten für
Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft bezahlt hat.71 Der höhere der beiden so ermit-
telten Werte bestimmte den Mindestpreis. Bei liquiden Titeln wurde der Börsenpreis
zunächst als der 30-tägige durchschnittliche Eröffnungskurs definiert. Am 01.06.2007
wurde dann als Berechnungsgrundlage der als verlässlicher erachtete 60-tägige volu-
mengewichtete Durchschnittskurs eingeführt.72 Bei illiquiden Titeln73 ist eine Bewer-
tung durch die Prüfstelle zur Bestimmung des Mindestpreises notwendig.
Die zweite Komponente der Mindestpreisregel, die die Möglichkeit der Bezahlung
eines Paketzuschlags bzw. einer Kontrollprämie von 33,3 % des Angebotspreises (vom
Angebotspreis hochgerechnet) bei einem dem Angebot vorausgegangenen Erwerb er-
laubte, berücksichtigte die tiefe soziale Akzeptanz von Kontrollprämien, die sich schon
unter dem Kodex im Zusammenhang mit dem Fall Jacobs Suchard zeigte: Dort war we-
nige Wochen vor Unterbreitung des öffentlichen Kaufangebots eine aus heutiger Sicht
astronomische Prämie von 120 % bezahlt worden.74 Auch die unter dem Börsengesetz
auf 33,3 % begrenzte Prämienregel hatte aber immer wieder Anstoß zu öffentlicher
Kritik gegeben, bspw. im Fall Hiestand Holding AG75, bei dem für ein Paket von 31,96 %
eine Prämie von 24,68 % bezahlt wurde, sowie im Fall sia Abrasives76, bei dem die Prä-
mie für einen 39,8 % Aktienblock 18,75 % betrug.

69 Empfehlung 135/01 in Sachen Quadrant AG vom 23.07.2002, E. II, A, 1 ff.; BGE 130 II 530, 549, E.
6.4.1.
70 Vgl. Art. 10 Abs. 5 UEV-UEK. Diese Bestimmung wurde mit einer frühen Teilrevision am 01.07.1998
in Kraft gesetzt.
71 Art. 32 Abs. 4 aBEHG.
72 Vgl. Art. 37 Abs. 2 BEHV-EBK, heute Art. 42 Abs. 2 FinfraV-FINMA.
73 Liquide war ein Titel, wenn er an 30 der 60 Börsentage, die der Voranmeldung bzw. der Veröffentli-
chung des Angebots vorangingen, gehandelt wurde (vgl. Mitteilung Nr. 2 der Übernahmekommis-
sion vom 03.09.2007).
74 Grundsatzentscheid vom 18.06.1989, der dann im erwähnten Jacobs-Entscheid relativiert wurde.
Näheres vgl. bei: Strazzer 1993, S. 134 ff.
75 Empfehlung 372/02 in Sachen Hiestand Holding AG vom 15.07.2008.
76 Empfehlung 384/03 in Sachen sia Abrasives Holding AG vom 18.11.2008.
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726  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

3.3.2.2 Best Price Rule

Die Best Price Rule verlangt die absolute preisliche Gleichbehandlung der Angebotsemp-
fänger ab Voranmeldung bzw. Veröffentlichung des Angebots. Die Übernahmekommis-
sion hat im Fall Société Internationale Pirelli S.A. 1998 erstmals bestimmt, dass die Best
Price Rule den Ablauf der Nachfrist des Angebots um sechs Monate überdauere.77 Diese
Dauer wurde anschließend in langjähriger Praxis gefestigt.78 Anhand verschiedener
Fälle wie bspw. auch Sarasin & Cie AG79 und Unilabs S.A.80 aus dem Jahr 2007 hat die
Übernahmekommission der Best Price Rule zudem eine Art Vorwirkung beigemessen,
indem sie das Institut der gekoppelten Gesamttransaktion schuf. Grundsätzlich stellt
ein Aktienerwerb, der vor der Voranmeldung des Angebots vereinbart, aber erst danach
vollzogen wird, einen vorausgegangenen Erwerb dar, bei dem im alten Recht eine Prä-
mie oder ein Paketzuschlag möglich war. Anders ist dies allerdings, wenn das vor der
Publikation des Angebots vereinbarte und danach zu vollziehende Erwerbsgeschäft di-
rekt oder indirekt an den Erfolg des Angebots geknüpft ist.81 Geschieht dies bspw. durch
die Parallelität der Bedingungen, so liegt eine gekoppelte Gesamttransaktion vor, und
die Best Price Rule kommt auf das vor Voranmeldung des Kaufangebots abgeschlossene
Erwerbsgeschäft zur Anwendung.

3.3.2.3 Weitere Bestimmungen

Das Börsengesetz hat weitere Grundsätze zur preislichen Gleichbehandlung erlassen.


Ein Pflichtangebot sowie auch ein gemischt freiwilliges öffentliches Angebot müssen
sich auf sämtliche börsennotierten Kategorien von Beteiligungspapieren der Zielgesell-
schaft beziehen, und der Anbieter muss ein angemessenes Verhältnis zwischen den an-
gebotenen Preisen für mehrere Titelkategorien sicherstellen.82 Bei Teilangeboten wird,
wie schon unter dem Kodex, die anteilsmäßige Berücksichtigung der angedienten Titel
verlangt.
In der Praxis hat sich die Einhaltung der Preisvorschriften im Zusammenhang mit
Finanzinstrumenten, bei denen die Übernahmekommission zur Bewertung von Optionen
die beiden Methoden »Black Scholes« und das »Binomialmodell« alternativ zulässt,83 als
anspruchsvoll erwiesen.84 Obwohl mit der grundsätzlichen Akzeptanz dieser Bewer-
tungsmethoden die Rechtssicherheit erhöht wurde, stellten sich im Zusammenhang mit
dem gleichzeitigen oder vorhergehenden Erwerb von Optionen oft komplexe Bewer-
tungs- und Abgrenzungsfragen.85

77 Empfehlung 005/02 in Sachen la Société Internationale Pirelli S.A. vom 04.06.1998.


78 Vgl. heute Art. 10 UEV.
79 Empfehlung 307/01 in Sachen Bank Sarasin & Cie AG vom 08.01.2007, E. 3.2.
80 Empfehlung 329/01 in Sachen Unilabs S.A. vom 22.08.2007, E. 2.
81 Vgl. bereits Empfehlung 227/01 in Sachen Büro-Fürrer AG vom 09.03.2005, E. 2.
82 Art. 32 Abs. 5 BEHG (heute Art. 135 Abs. 3 FinfraG).
83 Verfügung 378/02 in Sachen Speedel Holding AG vom 20.01.2009, E. 2.1; Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 30.11.2010 in Sachen Quadrant AG, B-5272/2009, E. 5.2.
84 In der Empfehlung 202/02 in Sachen Aare-Tessin AG für Elektrizität vom 06.07.2004 wurde die Ein-
räumung einer Put-Option als vorausgegangener Erwerb qualifiziert, obwohl die Option erst nach
Veröffentlichung des öffentlichen Angebots ausgeübt werden konnte.
85 Vgl. Empfehlung 293/02 in Sachen Saurer AG vom 31.10.2006, in der ein Erwerb von Optionen im
Vorfeld als indirekter Aktienerwerb qualifiziert wurde und daher mittels Additionsmethode der Op-
tionspreis zum unterliegenden Aktienpreis hinzugerechnet wurde. Vgl. auch: Empfehlung 294/01
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X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts  |  727


Teil

3.4 Verhaltenspflichten der Zielgesellschaft


3.4.1 Abwehrmaßnahmen

Mit der börsengesetzlichen Regelung wurde das Ziel der Waffengleichheit zwischen
mehreren Anbietern, aber auch zwischen dem Verwaltungsrat der Zielgesellschaft
und dem Anbieter verfolgt.86 Nach der diesbezüglichen Regelungsabstinenz des Kodex
wurde damit der Zielgesellschaft ein neues Pflichtenheft übertragen, und es wurden
insbesondere die Möglichkeiten des Verwaltungsrats der Zielgesellschaft, Abwehrmaß-
nahmen zu ergreifen, stark beschränkt, dies trotz beträchtlichem Widerstand im Ge-
setzgebungsprozess.87
Die Regelung sieht vor, dass ab dem Zeitpunkt der Voranmeldung beim Ergreifen
von Abwehrmaßnahmen eine Kompetenzverschiebung auf die Generalversammlung
der Zielgesellschaft erfolgt. Der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft soll den Aktionärs­
entschied über ein an diese gerichtetes öffentliches Kaufangebot nicht präjudizieren
können. Außerhalb der eingeschränkten Kompetenz vorgenommene Geschäfte des Ver-
waltungsrats sind daher nichtig.88
Der gesetzliche Katalog von der Generalversammlung vorbehaltenen Abwehrmaß-
nahmen umfasst den Verkauf oder Erwerb von Betriebsteilen im Wert von mehr als
10 % der Bilanzsumme, wertunabhängig den Verkauf oder die Belastung von durch
den Anbieter bezeichneten Kronjuwelen (auch Lex Holvis genannt), die Vereinbarung
von Abgangsentschädigungen an den Verwaltungsrat oder die Geschäftsleitung (Golden
Parachutes)89 und die Verwendung von bedingtem oder genehmigtem Kapital unter Aus-
schluss des Bezugsrechts.90 Die Übernahmekommission sieht dagegen in sog. Break Fees,
welche die Zielgesellschaft für den Fall des Scheiterns eines Angebots einem Anbieter
verspricht, bis zu einer gewissen Höhe keine gesetzeswidrige Abwehrmaßnahme.91
Im Zusammenhang mit der sog. Crown Jewel Defense hat die Übernahmekommis-
sion im Fall Leica Geosystems Holdings AG92 festgehalten, dass es nicht angehe, dass
der Anbieter de facto die ganze Zielgesellschaft zum Hauptgegenstand des Angebots
deklariere, da der damit geschaffene Vorbehalt der Genehmigung jeglicher Veräußerun-
gen durch die Generalversammlung die Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft für die
Angebotsdauer vollständig blockieren könne.
Im Übernahmekampf um Saia-Burgess im Jahr 2005 wurde die Rechtslage bei Ab-
wehrmaßnahmen weiter konkretisiert. Zum einen wurde entschieden, dass der Stich-
tag der Kompetenzverschiebung an die Generalversammlung bei der Voranmeldung

in Sachen SIG Holding AG vom 26.10.2006, E. 3; und Verfügung 378/02 in Sachen Speedel Holding
AG vom 20.01.2009, E. 2.
86 Vgl. dazu: Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel, BBl 1993,
1415.
87 Bernet 1998, S. 273; vgl. zum Ganzen ebenfalls: Zobl 1997, S. 62 ff.
88 Empfehlung 107/01 in Sachen Baumgartner Papiers Holding S.A. vom 16.07.2001, E. 3.2.
89 Seit 2014 sind Abgangsentschädigungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften in der Schweiz
gar generell verboten. Weder der Verwaltungsrat noch die Generalversammlung ist befugt, solche
zu beschließen, und die Verletzung dieses Verbotes ist strafbar. Das Verbot basiert auf Art. 95
Abs. 3 der Bundesverfassung und ist in der Verordnung gegen übermäßige Vergütungen bei börsen-
kotierten Aktiengesellschaften (VegüV) verankert.
90 Vgl. Art. 35 Abs. 2 UEV-UEK.
91 Vgl. Empfehlung 225/01 in Sachen Forbo Holding AG vom 07.03.2005.
92 Empfehlung 243/01 in Sachen Leica Geosystems Holdings AG vom 22.06.2005, E. 2.
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728  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

anzusetzen sei. Nie möglich sind Abwehrmaßnahmen, die offensichtlich gegen Gesell-
schaftsrecht verstoßen.93
Anzumerken bleibt, dass Abwehrmaßnahmen wie Vinkulierungen oder Stimm-
rechtsbeschränkungen zulässig bleiben; allerdings sind die Gesellschaften, die sich die-
se Möglichkeit statutarisch einräumten, immer mehr zurückgegangen, und das Mittel
des bedingten Angebotes erlaubt es einem Anbieter, trotz dieser Hürden die Zielgesell-
schaft zu übernehmen, wenn die Aktionäre das Angebot attraktiv genug finden und
bereit sind, die statutarischen Beschränkungen mittels eines Generalversammlungsbe-
schlusses aufzuheben.

3.4.2 Gleichbehandlung der Anbieter

Als weitere, neu geschaffene Pflicht wurde der Zielgesellschaft auferlegt, konkurrierende
Anbieter gleich zu behandeln, damit die Wahlfreiheit der Angebotsempfänger gestärkt
werde.94 Als zentral erweist sich diese Gleichbehandlungspflicht bei der Gewährung des
Zugangs zur Due Diligence. Im Übernahmekampf um die SIG Holding bedurfte es der
höchstrichterlichen Klärung dieser Frage. Die Pflicht zur Gleichbehandlung von Konkur-
renzanbietern wurde insofern ausgedehnt, als nach der bundesgerichtlichen Rechtspre-
chung die Zielgesellschaft verpflichtet ist, den Zugang zur Due Diligence, den sie einem
lediglich potenziellen Anbieter gewährt hat, in gleichem Umfang auch jenem Anbieter
zu gewähren, der bereits ein Angebot vorangemeldet hat.95 Wie bei Holvis hatte sich der
Verwaltungsrat der SIG Holding AG erhofft, durch die Öffnung der Gesellschaftsbücher
einen White Knight zu finden. Tut dies eine Zielgesellschaft, so ist sie gezwungen, den
unliebsamen Anbieter – selbst wenn es in der Folge zu keinem Angebot des potenziellen
White Knight kommt – in gleichem Umfang mit Informationen zu bedienen.

3.5 Überwachung und Verfahren


Zuständig zur erstinstanzlichen Überwachung des Übernahmerechts ist die erst in der
parlamentarischen Beratung geschaffene Übernahmekommission. Sie setzt sich aus
sachverständigen Vertretern von Effektenhändlern, Emittenten und Anlegern zusam-
men. Der Gesetzgeber war bemüht, die Praxisnähe und Flexibilität der Regulierungs-
kommission unter dem Kodex in gewisser Hinsicht zu erhalten. Die Übernahmekom-
mission erhielt weitgehende Überwachungs- und Rechtsetzungsbefugnisse. Sie konnte
jedoch keine Verfügungen erlassen, sondern äußerte sich zur Rechtmäßigkeit eines An-

93 Dabei stellte die Übernahmekommission auf die herrschende Lehrmeinung ab. M.w.H.: Empfehlung
249/05 in Sachen Saia-Burgess Electronics Holding AG vom 23.08.2005, E. 1.3.3. Berechtigte Zweifel
an der separierten Betrachtungsweise von Art. 36 und 37 UEV weckt Nobel in SZW 2006, S. 148 f.,
indem er auf die Entstehungsgeschichte verweist und die Frage aufwirft, ob es nicht angemessen
wäre, im Zuständigkeitsbereich der Übernahmekommission gesellschaftsrechtswidrige Verhaltens-
weisen bloß in der Zeit der Übernahme (vom Zeitpunkt der Voranmeldung an) zu erfassen, da
außerhalb dieser Zeit das Gesellschaftsrecht genügend Handhabe biete. Die EBK bestätigte dies
mit einer Verfügung; Verfügung der Übernahmekammer der EBK vom 19.09.2005 und ausführlich
dazu: Nobel 2006, S. 146 ff.
94 Art. 48 UEV-UEK.
95 BGE 133 II 232, E. 3.3.3. Vgl. auch die Besprechung dazu von Bilek/von der Crone 2007, S. 403 ff.
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X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts  |  729


Teil

gebots – in Anlehnung an den Kodex – lediglich in rechtlich unverbindlichen Empfeh-


lungen. Bei Ablehnung einer Empfehlung konnten die Parteien von der Eidgenössischen
Bankenkommission (EBK) als Aufsichtsbehörde den Erlass einer Verfügung verlangen.
In der Praxis fand die Fachkompetenz der Übernahmekommission trotz fehlender
Verfügungskompetenz viel Beachtung. Von den 116 Transaktionen, die die Übernah-
mekommission unter dem Regime zu freiwilligen Übernahmeangeboten und Pflichtan-
geboten zu beurteilen hatte, kam es lediglich in elf Fällen96 zu einem Weiterzug an die
Eidgenössische Bankenkommission. Das Bundesgericht wurde gar nur in vier Transak-
tionen angerufen. Die Eidgenössische Bankenkommission hat die Praxis der Übernah-
mekommission in der Mehrzahl der Fälle geschützt.
Im börsengesetzlichen Übernahmeverfahren kam, wie unter dem Kodex, nur der
Anbieterin (und den mit dieser in gemeinsamer Absprache handelnden Personen) und
der Zielgesellschaft Parteistellung zu.97 Aktionäre konnten dem Verfahren immerhin
als Intervenienten beitreten, falls sie ein direktes berechtigtes Interesse geltend ma-
chen konnten. Ein solches wurde ab einer Stimmrechtsbeteiligung von 5 % als gege-
ben erachtet.98 Intervenienten konnten sich grundsätzlich nur schriftlich und gestützt
auf öffentlich zugängliche Informationen vernehmen lassen und waren nicht berech-
tigt, Empfehlungen der Übernahmekommission abzulehnen.99 Die Einschränkungen
der Teilnahmemöglichkeiten dienten dazu, das Verfahren und die damit verbundenen
negativen Einflüsse auf die Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft möglichst kurz zu
halten.100

4 Revisionen des Übernahmerechts


4.1 Hintergrund
Die Übernahmekommission hatte in ihrer jahrelangen Praxis verschiedene ungenügend
geregelte Fragen geklärt: Wichtige Beispiele sind die erwähnte Praxis zu Interessenkon-
flikten der leitenden Organe der Zielgesellschaft, die detaillierten Vorgaben zu Fairness
Opinions, die Geltungsdauer der Best Price Rule und die damit zusammenhängende
Schaffung des Instituts der gekoppelten Gesamttransaktion.101 So gab es bereits im Jahr

96 Bei dieser Auswertung wurden mehrfache Weiterzüge von verschiedenen Empfehlungen inner-
halb derselben Transaktion nur einmal berücksichtigt.
97 Art. 53 UEV-UEK.
98 Art. 38 UEV-UEK.
99 Im Fall Aare Tessin AG für Elektrizität aus dem Jahr 2006 wurde eine Minderheitsaktionärin als
Intervenientin zugelassen, und es war strittig, ob die Intervenientenstellung diese dazu berechtig-
te, eine Empfehlung der Übernahmekommission abzulehnen. Während die Eidgenössische Ban-
kenkommission diese Ablehnungsbefugnis bejahte, wurde sie vom Schweizerischen Bundesge-
richt verneint. Vgl. BGE 133 II 81, E. 4.2, und dessen Besprechung von Läser/von der Crone 2008,
S.  356 ff.
100 Im Fall Unaxis Holding AG hat die Übernahmekommission die Parteistellung der Ihag Holding
AG, die über 20 % an der Unaxis Holding AG hielt, abgelehnt, ihr aber als Intervenientin ein weit-
gehendes Akteneinsichtsrecht aufgrund eines erwiesenen, berechtigten Interesse gewährt. Vgl.
Empfehlung 240/01 in Sachen Unaxis Holding AG vom 12.05.2005.
101 Vgl. vorstehend Abschnitte 3.2.2 und 3.3.2.2.
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730  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

2003 Bestrebungen, die übernahmerechtlichen Verordnungen102 zu revidieren, um im


Sinne erhöhter Rechtssicherheit die reichhaltige Praxis zu kodifizieren. Dieses Vorhaben
wurde jedoch eingestellt.
Im Zuge der Schaffung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) durch das
Finanzmarktaufsichtsgesetz (FINMAG)103, wurde zum 01.01.2009 auch das Übernah-
merecht revidiert. Ausgehend von der strukturellen Anpassung der Kompetenzordnung
sollte einerseits die seit Längerem geplante Kodifizierung der gefestigten Praxis der
Übernahmekommission vollzogen werden, andererseits wurden aber auch neue Institu-
te, wie das potenzielle Angebot und das Recht qualifizierter Aktionäre, dem Verfahren
als Partei beitreten zu können, geschaffen.104
Im Rahmen der börsenrechtlichen Verschärfung der Börsendelikte erfolgte sodann
auf den 01.05.2013 eine weitere Revision des Übernahmerechts. Neben der Überführung
der bisher im Strafgesetzbuch geregelten Kursmanipulation in das Börsengesetz105 so-
wie der Kodifizierung der Marktmanipulation106 wurde nun die in der Vergangenheit
kritisierte Kontrollprämie abgeschafft107 und der qualifizierte Aktionär mit neu 3 %
der Stimmrechte (statt früher 2 %) an die tiefste Meldeschwelle des Offenlegungsrechts
angehoben108. Weiter wurde auf Verordnungsstufe unter anderem die Erstreckung der
zwingenden Baralternative auf gewisse Situationen bei Kontrollwechselangeboten109
sowie die detaillierten Vorgaben der Übernahmekommission zur Fairness Opinion ko-
difiziert110. Schließlich wurde das Börsengesetz per 01.01.2016 ins neue Finanzmarktin-
frastrukturgesetz (FinfraG) überführt und die BEHV-FINMA wurde zur FinfraV-FINMA.

4.2 Transparenz
4.2.1 Erweiterungen der Dokumentation

Die Revision von 2009 hat keine wesentlichen Neuerungen im Bereich der Transparenz
gebracht. Der Prospektinhalt ist immerhin um den Hinweis zu erweitern, dass qualifi-
zierte Aktionäre dem Übernahmeverfahren als Partei beitreten können.111 Geschaffen
wurde die Möglichkeit, statt des gesamten Prospekts nur noch ein Inserat mit den
Eckwerten in den Tageszeitungen zu publizieren, unter Verweis auf die elektronische
Bezugsquelle.112 Diese Möglichkeit ist nicht als Einbuße an Transparenz, sondern als
Anpassung an zeitgemäße Kommunikationsformen zu verstehen.
Im Bericht des Verwaltungsrats ist neu auch das Abstimmungsverhältnis im Verwal-
tungsrat anzugeben, womit eine Verbesserung der Entscheidungsgrundlage der Ange-

102 Vormals BEHV-EBK und UEV-UEK.


103 Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht.
104 Die vormalige BEHV-EBK wurde revidiert zur Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktauf-
sicht über die Börsen und den Effektenhandel (BEHV-FINMA) und die UEV-UEK wurde in revidier-
ter Form zur Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote (UEV).
105 Art. 40a BEHG (heute Art. 155 FinfraG).
106 Art. 33f BEHG (heute Art. 143 FinfraG).
107 Vgl. die Ausführungen in Kap. 4.3.1.
108 Art. 33b Abs. 3 BEHG (heute Art. 139 Abs. 3 FinfraG).
109 Vgl. die Ausführungen in Kap. 4.3.1.
110 Art. 30 Abs. 5 UEV.
111 Vgl. die Ausführungen in Kap. 3.5.
112 Art. 18 Abs. 2 UEV.
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X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts  |  731


Teil

botsempfänger bezweckt wurde.113 Nicht durchsetzen konnte sich eine Bestimmung des
Revisionsentwurfs, die vom Verwaltungsrat der Zielgesellschaft verlangte, das Angebot
zwingend entweder zur Annahme oder Ablehnung zu empfehlen. Er kann sich folglich
weiterhin darauf beschränken, die Vor- und Nachteile des Angebots aufzuzeigen.

4.2.2 Transaktionsmeldungen

Bei den Transaktionsmeldungen wurde zusätzliche Transparenz geschaffen, indem neu


alle Parteien des Verfahrens (d. h. neu allenfalls auch qualifizierte Aktionäre und die
Zielgesellschaft) meldepflichtig und die Meldungen auf der Webseite der Übernahme-
kommission abrufbar sind.114

4.3 Pflichten des Anbieters


4.3.1 Preisregeln

2009 wurde in das Pflichtenheft des Anbieters die zwingende Baralternative bei Pflicht-
tauschangeboten aufgenommen.115 Damit wird das Ausstiegsrecht der Aktionäre bei ei-
nem Kontrollwechsel noch konsequenter und direkter umgesetzt. Die Einführung einer
zwingenden Baralternative wurde namentlich im Zusammenhang mit Fällen, bei denen
die zum Umtausch angebotenen Effekten nicht liquide waren, als erforderlich erach-
tet.116 In ihrer Mitteilung Nr. 4117 hat die Übernahmekommission klargestellt, dass die
Pflicht zum Angebot einer Baralternative bei gemischt freiwilligen Angeboten nicht gilt.
Die Übernahmekommission hat in der Mitteilung Nr. 4 zudem eine unerwartete
Klarstellung zum Gleichbehandlungsgebot vorgenommen: Bei freiwilligen und gemischt
freiwilligen Tauschangeboten sollte allen Angebotsempfängern eine Baralternative an-
geboten werden, wenn der Anbieter während der Dauer der Best Price Rule Beteili-
gungspapiere der Zielgesellschaft gegen Barzahlung erwirbt. Damit kam dem Recht auf
Gleichbehandlung unter der Best Price Rule nicht mehr nur eine quantitative, sondern
zunehmend auch eine qualitative Komponente zu. Seit dem 01.05.2013 erstreckt sich
diese Pflicht zur Unterbreitung einer Baralternative explizit auch auf Kontrollwechsel-
tauschangebote. Eine Baralternative muss geboten werden, wenn (1) während der Zeit
zwischen der Veröffentlichung des Angebotes und dessen Vollzug Beteiligungspapiere
der Zielgesellschaft gegen bar erworben werden oder (2) wenn in den zwölf Monaten

113 Art. 30 Abs. 4 UEV; Blaas/Bovey 2009, S. 221.


114 Art. 31 BEHG (heute Art. 134 FinfraG).
115 Art. 43 Abs. 2 BEHV-FINMA (heute Art. 45 Abs. 2 FinfraV-FINMA).
116 Ein Pflichtangebot in Effekten der Anbieterin war bis am 01.01.2009 ohne Weiteres zulässig. Die
Übernahmekommission hat in ihrem Rundschreiben Nr. 2 vom 26.02.2010 den Begriff der Liquidität
neu definiert (vgl. dazu auch Verfügung 403/02 in Sachen Harwanne Compagnie de Participations
Industrielles et Financières S.A. vom 16.03.2009). Statt auf einen 60 Börsentage umfassenden Be-
trachtungszeitraum ist neu auf einen solchen von zwölf Monaten abzustellen. Zudem ist nicht mehr
die schlichte Tatsache des Handels (vgl. FN 73), sondern der monatliche Median der börslichen
Transaktionen relevant, der mindestens 0,04 % des Free Float des untersuchten Titels entsprechen
muss. Damit wird die Bestimmung der Liquidität anspruchsvoller, nähert sich aber dem börslichen
Verständnis von Liquidität an.
117 Mitteilung Nr. 4, freiwillige öffentliche Tauschangebote vom 09.02.2009.
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732  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

vor der Publikation des Angebots 10 % oder mehr der ausgegebenen Beteiligungspapiere
der Zielgesellschaft gegen bar erworben wurden.118 In diesem Fall kann die Baralter-
native allerdings gegenüber den angebotenen Effekten einen unterschiedlichen Wert
aufweisen.119
Die über Jahre entwickelte Praxis zum vorausgegangenen Erwerb fand keinen Nie-
derschlag in der Revision per 01.01.2009, ist aber weiterhin zu beachten.120 Erneu-
te öffentliche Kritik an der durch diese Revision nicht geänderten börsengesetzlichen
Prämienregelung löste der Fall Quadrant121 aus. Die gesetzlich zulässige Prämie von
33,3 % wurde in diesem Fall beim vorausgegangenen Erwerb eines Pakets von 7,85 %
der Stimmrechte und Optionen auf weitere 2,06 % nahezu vollständig ausgeschöpft. Die
Diskussion um eine Abschaffung der Bestimmung wurde auch auf parlamentarischer
Ebene angeschnitten.122 Im Rahmen der Vernehmlassung zur Änderung des Börsenge-
setzes (Börsendelikte und Marktmissbrauch) hat die Übernahmekommission festgehal-
ten, dass die Bezahlung einer Kontrollprämie nicht mehr gerechtfertigt sei, und reichte
hierzu einen Vorschlag zur Revision von Art. 32 Abs. 4 aBEHG ein. In der Folge sprach
sich die Mehrheit der Anhörungsteilnehmer für die Abschaffung der Kontrollprämie
aus. Dies wurde damit begründet, dass die Kontrollprämie dem im Übernahmerecht
geltende Prinzip der Gleichbehandlung der Aktionäre zuwiderlaufe.123 In der Folge wur-
de die Abschaffung der Kontrollprämie Gegenstand der Gesetzesrevision, die auf den
01.05.2013 in Kraft trat. Die Bezahlung einer Kontrollprämie ist seither nur noch bei
Gesellschaften mit einem gültigen Opting-out sowie bei Teilangeboten möglich.124 Mit
der 2013 erfolgten Abschaffung der Kontrollprämie hat die Praxis zur Abgrenzung des
vorausgegangenen Erwerbs und zu gekoppelten Gesamttransaktionen seine Bedeutung
weitestgehend verloren.125
Mit der Abschaffung der Kontrollprämie hat die Bedeutung des Instruments des
Opting-out entsprechend zugenommen. Dies hat die Übernahmekommission dazu ver-
anlasst, die Praxis zur nachträglichen Einführung des Opting-out zu verschärfen. Ge-
mäß neuester Praxis der Übernahmekommission ist eine Einführung nur noch dann
zulässig, wenn (i) die Aktionäre transparent über die Einführung des Opting-out und
dessen Folgen informiert werden und wenn (ii) die Mehrheit der vertretenen Stimmen
und (iii) die Mehrheit der Minderheitsaktionäre an der Generalversammlung der Ein-
führung des Opting-out zustimmen.126 In ihrer jüngsten Praxis hat sich die Übernahme-
kommission auch für die Zulässigkeit einer formell selektiven Opting-out-Klausel, d. h.
des Ausschlusses der Angebotspflicht für einen ausdrücklich in den Statuten bezeich-

118 Art. 9a UEV. Mit der Regelung auf Verordnungsstufe wurde die Mitteilung Nr. 4 der Übernahme-
kommission ersatzlos gestrichen.
119 Art. 9b UEV.
120 Vgl. insb. Verfügung 476/01 in Sachen Schulthess Group AG vom 19.04.2011, E. 4.2; Verfügung
416/01 in Sachen Jelmoli Holding AG vom 13.07.2009, E. 4.3.
121 Verfügung 410/01 in Sachen Quadrant AG vom 29.05.2009, E. 3.3; Verfügung 410/02 in Sachen
Quadrant AG vom 16.06.2009, E. 3 und Verfügung des Übernahmeausschusses der Eidgenössi-
schen Finanzmarktaufsicht FINMA vom 08.06.2009.
122 Vgl.: Interpellation von Hans Kaufmann vom 12.06.2009 (09.3667): Mangelhafte Finanzmarktauf-
sicht oder fehlerhafte Gesetzgebung?
123 Botschaft zur Änderung des Börsengesetzes (Börsendelikte und Marktmissbrauch), BBl 2011, S.
6894.
124 Art. 32 Abs. 4 BEHG (heute Art. 135 Abs. 2 FinfraG).
125 Vgl. die Ausführungen in Kap. 3.3.2 und 4.3.1.
126 Verfügung 539/01 in Sachen Logan Capital AG vom 24.06.2013, E. 1; Verfügung 518/01 in Sachen
Advanced Digital Broadcast Holding AG vom 11.10.2012, E. 4.1.
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X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts  |  733


Teil

neten Begünstigten, ausgesprochen. Dadurch verzichten die Minderheitsaktionäre nicht


gänzlich auf ihr Ausstiegsrecht, sondern nur im Kontext einer spezifischen Transaktion
oder eines einzelnen Erwerbers.127

4.3.2 Potenzielles Angebot

Neu geschaffen wurde mit der Revision von 2009 das Institut des potenziellen Angebots.
Es wurde aufgrund eines Vorschlages in der Vernehmlassung in die Übernahmever-
ordnung aufgenommen.128 Das potenzielle Angebot dient der Übernahmekommission
dazu, Verunsicherungen im Markt, bei der Zielgesellschaft und deren Arbeitnehmern,
Kunden und Lieferanten innerhalb einer nützlichen Frist zu beseitigen, wenn ein poten-
zieller Anbieter die Möglichkeit der Unterbreitung eines Angebots öffentlich kundgetan
hat.129 Sie kann den Anbieter auffordern, innerhalb einer Frist entweder ein Angebot
zu veröffentlichen oder zu erklären, während sechs Monaten kein öffentliches Angebot
zu unterbreiten.130

4.4 Verhaltenspflichten der Zielgesellschaft


4.4.1 Ausbau der gesetzeswidrigen Abwehrmaßnahmen

Mit der Revision von 2009 wurde der Katalog der gesetzeswidrigen Abwehrmaßnah-
men im Wesentlichen um zwei Sachverhalte erweitert.131 Neu darf die Zielgesellschaft
keine eigenen Aktien, zum Tausch angebotene Effekten oder sich auf diese beziehen-
den Finanzinstrumente kaufen oder verkaufen. Rückkaufprogramme und Market Ma-
king-Aktivitäten sind folglich bis zu einem allfälligen Generalversammlungsbeschluss
zu suspendieren. Die Zielgesellschaft darf auch keine Rechte zum Erwerb von eigenen
Beteiligungspapieren (Wandel- und Optionsrechte) ausgeben. Davon ausgenommen sind
vorbestehende Verpflichtungen und Mitarbeiterbeteiligungsprogramme.132 Mit diesen
Ergänzungen des Katalogs der gesetzeswidrigen Abwehrmaßnahmen wird die Neu­
tralitätspflicht des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft um den Preis einer stärkeren
Einschränkung von Finanzierungsmaßnahmen zusätzlich unterstrichen.
Der gesetzeswidrige Verkauf oder Erwerb von Betriebsteilen wurde um die Bezugs-
größe von 10 % der Ertragskraft der Zielgesellschaft erweitert.133 Was diese Bezugs-
größe umfasst, bedarf der Klärung durch die Übernahmekommission. Während im

127 Verfügung 518/01 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holding AG vom 11.10.2012, E. 4.1; Verfü-
gung 600/01 in Sachen Kaba Holding AG vom 22.04.2015, E. 1.4.2.
128 Art. 53 UEV.
129 Vgl. Blaas/Bovey 2009, S. 119.
130 Das sich an den englischen City Code anlehnende Instrument des potenziellen Angebotes kann im
schweizerischen Kontext auch dazu dienen, die im Zusammenhang mit Serono vor der Revision
entstandene Unsicherheit zum Begriff der Voranmeldung zu beseitigen. Die Übernahmekommissi-
on hatte damals angekündigt, dass sie Pressemitteilungen, die sämtliche Angaben einer Voranmel-
dung enthalten, unabhängig von einem entsprechenden Disclaimer als bindende Voranmeldung
behandeln könnte (Empfehlung 304/01 in Sachen Serono S.A. vom 08.01.2007).
131 Heute Art. 35 ff. UEV.
132 Die Ausnahmen in Art. 36 Abs. 3 UEV wurden erst nach der Vernehmlassung aufgenommen.
133 Art. 36 Abs. 2 lit. a UEV.
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734  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Revisionsentwurf als Bezugsgröße noch Umsatz, Gewinn oder Cashflow dienten, ver-
zichtete die Übernahmekommission nämlich darauf, weitere Indikatoren zur Auslegung
des Begriffs der Ertragskraft anzugeben, um eine am Einzelfall orientierte Analyse
vornehmen zu können.134

4.5 Überwachung und Verfahren


Die Behördenorganisation im Übernahmerecht änderte sich mit dem Inkrafttreten des
FINMAG zunächst dadurch, dass die Eidgenössische Bankenkommission als Aufsichts-
behörde in der Eidgenössischen Finanzmarkaufsicht FINMA aufging. In Übernahmesa-
chen agiert damit nun die FINMA als Beschwerdeinstanz, wobei ihre Entscheide an das
Bundesverwaltungsgericht weitergezogen werden können.135 Der Weiterzug ans Bun-
desgericht als dritte Instanz ist demgegenüber ausgeschlossen.136 Mit der Revision von
2009 wurde sodann die Überwachungskompetenz der Übernahmekommission formal
ausgebaut, indem ihr Verfügungskompetenz zukommt und das Übernahmeverfahren
– abgesehen von einigen Spezialbestimmungen – dem Verwaltungsverfahrensgesetz
(VwVG) unterstellt wurde. Das informelle Verfahren mit bloßer Empfehlungskompetenz
war bei unfreundlichen Übernahmen und konkurrierenden Angeboten an seine Gren-
zen gestoßen, da die Bereitschaft der Parteien, Empfehlungen zu akzeptieren, in die-
sen Konstellationen tiefer ist. Dies führte zu unübersichtlichen Situationen und für die
Zielgesellschaft zu belastenden Zeitverzögerungen.137 Erste Erfahrungen mit der neuen
Verfahrensordnung lassen allerdings Zweifel daran aufkommen, ob die Verfügungs-
kompetenz die Autorität der Übernahmekommission erhöht hat und deshalb weniger
Entscheide weitergezogen werden.138 Immerhin verfügt die Übernahmekommission seit
dem 01.05.2013 über die Kompetenz, im Falle einer Missachtung der Angebotspflicht vo-
rübergehend eine Stimmrechtssuspendierung oder ein Erwerbsverbot auszusprechen.139
Einschneidende Wirkungen zeichnen sich aufgrund des neu geschaffenen Rechts von
qualifizierten Aktionären, formale Parteistellung im Übernahmeverfahren zu erlangen,
ab. Minderheitsaktionäre mit einer Beteiligung von mindestens 3 %140 der Stimmrechte
an der Zielgesellschaft können bei der Übernahmekommission Parteistellung beantra-
gen und so die Rechtmäßigkeit des Angebots beanstanden. Erfahrungen mit dem neuen
Parteirecht haben gezeigt, dass dieses zu bedeutenden Verfahrensverzögerungen führen
kann. Vor der Übernahmekommission mit ihrer Einsprache unterliegende Aktionäre
scheinen auch oft bereit zu sein, den Beschwerdeweg zu beschreiten.141

134 Gericke/Wiedmer 2011, N 49 f. zu Art. 36 UEV.


135 Art. 33c f. BEHG (heute Art. 140 f. FinfraG).
136 Art. 83 lit. u BGG.
137 Vgl. bspw. die Fälle Baumgartner Papiers Holding S.A. (2000), Centerpulse (2003), Saia-Burgess
(2005) und SIG Holding (2006).
138 Die Verkürzung des Instanzenzuges mit dem Bundesverwaltungsgericht als endgültig entschei-
dender Instanz soll ebenfalls auf eine möglichst kurze Verfahrensdauer hinwirken (Art. 83 lit. u
BGG).
139 Art. 32 Abs. 7 BEHG (heute Art. 135 Abs. 5 FinfraG).
140 Art. 33b Abs. 3 BEHG (heute Art. 139 Abs. 3 FinfraG). Zwischen dem 01.01.2009 und dem 01.05.2013
betrug der Grenzwert 2 %.
141 Vgl. bspw. die Transaktionen Quadrant AG und Harwanne Compagnie de Participations Industriel-
les et Financières S.A., bei denen Minderheitsaktionäre sich als Parteien konstituierten und es zu
Beschwerden gegen die Verfügungen der Übernahmekommission bei der FINMA (und vor Bun-
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X. Entwicklungen des schweizerischen Übernahmerechts  |  735


Teil

Die Schaffung des neuen Parteirechts und das mit dem rechtlichen Gehör einher-
gehende Akteneinsichtsrecht war bereits Gegenstand einiger Entscheide der Über-
nahmekommission. Um das kooperative, effiziente Verfahren bei der Ausarbeitung
übernahmerechtskonformer Angebotsdokumente nicht zu gefährden, hat die Übernah-
mekommission entschieden, dass Entwürfe von Angebotsdokumenten und Vereinbarun-
gen nicht vom Akteneinsichtsrecht eingeschlossen seien. Dies auch, weil die Parteistel-
lung erst ab dem Zeitpunkt der Prospektveröffentlichung erlangt werden kann.142
Unter Androhung der Ungehorsamsstrafe wurde einem als Partei konstituierten Ak-
tionär untersagt, nicht publizierte Inhalte von bei den Akten liegenden Dokumenten
außerhalb des Übernahmeverfahrens zu verwenden. Mit diesem Entscheid wurde ein
Ausgleich zwischen dem mit einer medialen Verwertung einhergehenden Störpotenzial
für das Tagesgeschäft der Zielgesellschaft einerseits und dem Teilnahmerecht von qua-
lifizierten Aktionären andererseits gesucht.

5 Schlussbemerkungen
Das Schweizer Übernahmerecht genügt trotz einiger helvetischer Besonderheiten inter-
nationalen Standards und hat für einige Zeit gar eine Führungsrolle in der internatio-
nalen Entwicklung gehabt. In enger Anlehnung an die sich in der Praxis stellenden Fra-
gen wurden die übernahmerechtlichen Leitprinzipen des Börsengesetzes Transparenz,
Gleichbehandlung der Anleger und Lauterkeit schrittweise konkretisiert, und durch die
Revisionen von 2009 und 2013 wurde die Praxis kodifiziert.
Die Autoren sehen eine Herausforderung des Schweizer Übernahmerechts für die
nächste Zukunft im Umgang mit qualifizierten Aktionären, die im Übernahmeverfah-
ren Parteistellung beantragen. Weiter wird durch die Abschaffung der Möglichkeit zur
Bezahlung einer Kontrollprämie das Opting-out attraktiver. Der jüngste Fall der Über-
nahme eines Kontrollpakets an der Sika AG durch Compagnie de Saint-Gobain mit einer
Prämie von knapp 80 % über dem Vortagesbörsenkurs hat aber zu vermehrter Kritik
am Institut des Opting-out geführt. Die mittelfristige Abschaffung auf Gesetzesstufe
ist daher denkbar. Selbst wenn dies geschehen sollte, darf im Ganzen jedoch weiter-
hin davon ausgegangen werden, dass das hiesige Übernahmerecht einen wesentlichen
Beitrag und Rahmen für einen effizienten und damit wettbewerbsfähigen Markt für
Unternehmenskontrolle bieten kann.

desverwaltungsgericht) kam (im Fall Harwanne ergriff allerdings die Anbieterin die Beschwerde,
nachdem die qualifizierten Aktionäre mit ihrer Einsprache vor der Übernahmekommission obsieg-
ten), sowie die Transaktion Sika AG, wobei es u. a. auch aufgrund der Intervention eines qualifi-
zierten Minderheitsaktionärs zu wesentlichen Verfahrensverzögerungen und einem Beschwerde-
verfahren bis vor das Bundesverwaltungsgericht kam (vgl. Verfügung 594/03 in Sachen Sika AG
vom 01.04.2015, Verfügung 598/01 in Sachen Sika AG vom 01.04.2015, Verfügung der FINMA vom
04.05.2015 in Sachen Sika AG).
142 Verfügung 410/01 in Sachen Quadrant AG vom 29.05.2009, Sachverhalt J.
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736  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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Teil

XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt


unter besonderer Berücksichtigung
der EU-Fusionskontrolle
Daniela Seeliger/Antje Heinen*

1 Einleitung
2 Wesentliche Entwicklungen in der EU und weltweit
3 Vollzugsverbot
4 Ermittlung der Anmeldepflichten
4.1 Zusammenschlussbegriff
4.2 Schwellenwerte
4.3 Ausnahmen der Anmeldepflicht
5 Europäische Fusionskontrolle
5.1 Zusammenschlussbegriff
5.2 Schwellenwerte
5.3 Zeitschiene
5.4 Vollzugsverbot
5.5 Verweisungsmöglichkeiten
5.6 Vereinfachtes Verfahren
5.7 Materielle Beurteilung
5.8 Zusagen, Bedingungen und Auflagen
6 Strategische Überlegungen
6.1 Vertragsgestaltung
6.2 Zeitliche Planung
6.3 Konsistenz
6.4 Verfahren
6.5 Veröffentlichung
7 Fazit

∗ Prof. Dr. Daniela Seeliger, Partnerin, Rechtsanwältin, Sozietät Linklaters LLP, Düsseldorf; Dr. Antje
Heinen, Leitung Interne Revision und Compliance, DALLI-WERKE GmbH & Co. KG, Stolberg. Die
Autorinnen danken Frau Dorothee de Crozals für ihre wertvolle Unterstützung.
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738  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

1 Einleitung
Im Zuge der Globalisierung und der damit einhergehenden internationalen Tätigkeit
und Verflechtung von Unternehmen haben sich auch die Rechtsvorschriften im Bereich
der Fusionskontrolle weltweit fortentwickelt. Gab es Anfang 2000 ca. 60 Fusionskon-
trollregime, so sind heute schon in mehr als 120 Ländern Fusionskontrollvorschriften
in Kraft. Dies führt dazu, dass die Anzahl der Anmeldepflichten von internationalen
Transaktionen in den letzten Jahren erheblich angestiegen ist. In Asien treiben nun-
mehr im Anschluss an China die sogenannten ASEAN-Länder die Durchsetzung ihrer
Wettbewerbsregeln weiter voran (z. B. Vietnam, Taiwan und Indonesien). Gleichzeitig
hat es auf dem afrikanischen Kontinent durch die regionale Wettbewerbsbehörde der
COMESA im Jahr 2013 eine Art Konsolidierung gegeben, auch wenn diese wohl noch
nicht mit der Zuständigkeit der Europäischen Kommission bei Zusammenschlüssen mit
gemeinschaftsweiter Bedeutung vergleichbar ist.
Neben den traditionell im Fokus stehenden Behörden in der EU, den USA und seit
mehreren Jahren in China zählen im Bereich der Fusionskontrolle auch Jurisdiktionen
wie Kanada, die Türkei, Brasilien, Südafrika, Japan, Indien, Südkorea, Australien und
die Ukraine zu den Ländern, die global tätige Unternehmen im Blick haben sollten.
Bei der Projektplanung für M & A-Transaktionen zwischen international tätigen Un-
ternehmen sind Fusionskontrollverfahren als ein wichtiger Zeit- und Kostenfaktor im
Auge zu behalten.
Für alle Länder, in denen die beteiligten Unternehmen tätig sind, sind daher etwaige
Anmeldepflichten zu ermitteln. Zu Mehrfachanmeldungen kann es unter anderem dann
kommen, wenn die Europäische Kommission nicht im Rahmen des sogenannten »One
Stop Shop« zuständig ist, so dass Anmeldeplichten in den einzelnen Mitgliedstaaten zu
prüfen sind. In einigen EU-Staaten, so z. B. in Deutschland und in Österreich, bestehen
relativ niedrige Schwellenwerte für Anmeldepflichten. Es kommt deshalb häufig zu
mehreren nationalen Fusionskontrollverfahren, wenn ein Zusammenschluss unter den
Schwellenwerten der EU-Fusionskontrolle liegt. Je nach Tätigkeitsschwerpunkten der
beteiligten Unternehmen können darüber hinaus auch die Schwellenwerte z. B. in Bra-
silien, China, Russland oder in der Ukraine rasch überschritten sein.
Jede Transaktion hat ihre Besonderheiten, die – unter Berücksichtigung der gelten-
den Rechtsvorschriften – rechtlich gestaltet werden sollten. In diesem Beitrag werden
Ansätze für die Beurteilung von Anmeldeplichten weltweit im Überblick dargestellt,
sowie einige wichtige Grundsätze bei der Koordinierung von Fusionskontrollverfahren
erläutert. Ein besonderer Fokus liegt auf der EU-Fusionskontrolle.

2 Wesentliche Entwicklungen in der EU und weltweit


Generell ist festzuhalten, dass Fusionskontrollvorschriften Schwankungen unterlie-
gen. Diese können eine Vielzahl von Kriterien betreffen. Sie reichen von (oftmals
geringen) Anpassungen der Umsatzschwellenwerte über neue Ausnahmeregelungen
und Leitlinien bis hin zu Änderungen der materiellen Beurteilung. Dementsprechend
kann vorliegend nur auf einige wesentliche Entwicklungen der letzten Jahre hinge-
wiesen werden.
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle  |  739
Teil

Von zentraler Bedeutung sind dabei die Reformen der europäischen Fusionskontrolle.
Diese betrafen zunächst Verfahrenserleichterungen. Anfang 2014 wurde der Anwen-
dungsbereich des sogenannten »vereinfachten Anmeldeverfahrens« ausgeweitet, in dem
die Unternehmen deutlich weniger Informationen beibringen müssen. Das vereinfachte
Verfahren gilt für Transaktionen, bei denen wettbewerbliche Bedenken in der Regel
nicht zu erwarten sind. Dies wird u. a. am Marktanteil der Unternehmen festgemacht.
Der Marktanteil bei horizontalen Überschneidungen wurde von 15 % auf 20 % ange-
hoben, bei vertikalen Überschneidungen von 25 % auf 30 %. Eine Ausdehnung erfolgte
auch auf Transaktionen, bei denen der gemeinsame Marktanteil zwischen 20 und 50 %
liegt, der Marktzuwachs jedoch gering ist. Mit diesen Änderungen sollen zukünftig bis
zu 70 % der Anmeldungen vom vereinfachten Verfahren profitieren.
Auch das allgemeine Anmeldeverfahren wurde hinsichtlich der erforderlichen In-
formationen verschlankt, z. B. in Bezug auf die Definition der vom Zusammenschluss
»betroffenen Märkte« und die Anmeldung von Gemeinschaftsunternehmen ohne Tä-
tigkeit im EWR. Andererseits wurde die Pflicht der Unternehmen, bestimmte »inter-
ne« Dokumente beizubringen, erweitert. Diese beinhaltet nunmehr auch Analysen und
vergleichbare Unterlagen über die vom Zusammenschluss betroffenen Märkte, die für
das Management innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Transaktion erstellt wurden.
Diese Vorlagepflicht sollten Unternehmen sowohl bei intern als auch extern für das
Unternehmen erstellten Unterlagen berücksichtigen.
Derzeit noch Gegenstand der Diskussion ist das von der EU-Kommission im Juli
2014 veröffentlichte Weißbuch »Towards more effective EU merger control«, mit dem die
Überarbeitung einzelner Regelungen der europäischen Fusionskontrolle vorangetrieben
werden soll. Die Änderungen betreffen insbesondere die Ausweitung der Zuständigkeit
der Kommission auf die Prüfung nicht-kontrollierender Minderheitsbeteiligungen und
die Verbesserung des Verweisungssystems zwischen der Kommission und den nationa-
len Wettbewerbsbehörden. Der Erwerb von nicht-kontrollierenden Minderheitsbeteili-
gungen soll der Kommission im Rahmen eines eigenen Verfahrens (Transparenzsystem)
mitgeteilt werden. Erfasst werden Minderheitsbeteiligungen an Wettbewerbern oder
vertikal verbundenen Unternehmen in Höhe von 5 bis 20 %, gegebenenfalls unter Be-
rücksichtigung zusätzlicher Faktoren wie z. B. Zugang zu wettbewerblich relevanten In-
formationen und Vertretung im Management. In Bezug auf das Verweisungssystem soll
z. B. eine Verweisung an eine nationale Behörde bereits im Vorverfahren möglich sein.
In China hat es in den letzten Jahren Bemühungen gegeben, den Unternehmen durch
verschiedene Maßnahmen mehr Rechts- und Planungssicherheit bei Fusionskontrollver-
fahren zu geben. Die Prüfung von Anmeldungen bei der chinesischen Behörde MOFCOM
kann drei Monate bis zu über einem Jahr dauern und ist nicht gezwungenermaßen an der
Komplexität der wettbewerblich erheblichen Auswirkungen festzumachen. Die Behörde
hat im Jahr 2014 neue Leitlinien für ein vereinfachtes Anmeldeverfahren sowie zur Defi-
nition des Kontrollerwerbs erlassen. Sie involviert zunehmend Ökonomen bei der Prüfung
der Transaktionen, insbesondere bei der Beurteilung möglicher Zusagen. Insgesamt ist die
Anzahl der Freigaben ohne Auflagen im Jahr 2015 deutlich angestiegen. Die jüngere Pra-
xis hat jedoch auch gezeigt, dass wettbewerblich unbedenkliche Vorhaben in bestimmten
Industriezweigen einer vertieften und langwierigen Prüfung unterzogen werden, was dar-
auf hindeutet, dass nicht nur wettbewerbsrechtliche Faktoren eine Rolle spielen könnten.
Dies stellt somit weiterhin eine gewisse Rechtsunsicherheit für Unternehmen dar.
Das indische Fusionskontrollrecht, das vor ca. vier Jahren in Kraft getreten ist, wur-
de in den letzten Jahren konsequent angewendet. Die indische Behörde hat z. B. im Jahr
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740  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

2014 Bußgelder für verspätete Anmeldungen und für Verstöße gegen das Vollzugsverbot
verhängt. In Brasilien wurde Ende Mai 2012 das Vollzugsverbot eingeführt. Somit gibt
es nur noch wenige Länder, in denen ein Zusammenschluss vor Freigabe durch die
Behörden umgesetzt werden darf.
Anschließend sei noch darauf hinzuweisen, dass das Bundeskartellamt – nach der
8. GWB-Novelle und der Einführung des sogenannten SIEC-Test durch den Gesetzgeber
im Jahr 2013 – im September 2014 neue Leitlinien für Inlandsauswirkungen von Zu-
sammenschlussvorhaben erlassen hat. Diese sollen den Unternehmen insbesondere bei
der Frage der Anmeldepflicht von Gemeinschaftsunternehmen mit Tätigkeit im Ausland
Hilfestellung geben.

3 Vollzugsverbot
Unternehmen müssen sich vor Abschluss einer Transaktion mit der Fusionskontrolle
befassen, da der Vollzug einer Transaktion vor Freigabe durch die Wettbewerbsbehör-
den in den meisten Jurisdiktionen verboten ist. Das Vollzugsverbot bedeutet, dass ein
Zusammenschlussvorhaben nicht umgesetzt werden darf. Die Parteien müssen letztlich
weiterhin vollständig unabhängig voneinander auf dem Markt agieren. Bis alle erforder-
lichen Freigaben vorliegen, dürfen die Parteien u. a. keine Informationen über Preise,
Gewinnspannen, Marktstrategien und Kunden austauschen.
Bei Mehrfachanmeldungen ist der Vollzug der Transaktion grundsätzlich erst dann
möglich, wenn alle nötigen Freigaben vorliegen. Selbst in unproblematischen Fällen
dauert dies in der Regel mindestens einen Monat. Hinsichtlich des Vollzugsverbots ist
danach zu unterscheiden, ob es nach dem Recht der jeweiligen Jurisdiktion allein auf
den lokalen Bereich begrenzt ist (und die Transaktion somit in anderen Ländern voll-
zogen werden kann) oder aber ob das Vollzugsverbot weltweit gilt.
Verstoßen die Parteien gegen das Vollzugsverbot (sog. »gun jumping«), können ihnen
Bußgelder auferlegt werden. Zudem ist in einigen Ländern eine Unwirksamkeit des
Rechtsgeschäfts die Folge (u. a. in Deutschland und Österreich).

4 Ermittlung der Anmeldepflichten


In den meisten Ländern sind die Unternehmen verpflichtet, Transaktionen anzumelden,
die in den jeweiligen Anwendungsbereich der Fusionskontrollvorschriften fallen. Dies
gilt auch für Anmeldungen bei der Europäischen Kommission. Nur wenige Länder, dar-
unter Großbritannien, sehen eine freiwillige Anmeldung vor. Die Wettbewerbsbehörden
können dort aber regelmäßig Zusammenschlussvorhaben aufgreifen und einer Prüfung
unterziehen, wenn sie nachteilige Auswirkungen auf den Wettbewerb vermuten. Dies
schließt auch die Möglichkeit einer Entflechtung mit ein.
Es gibt grundsätzlich zwei entscheidende Kriterien, die die Anmeldepflicht einer
Transaktion auslösen. Diese knüpfen an die Art des Vorhabens und an dessen wirt-
schaftliche Größe an. Zunächst muss es sich bei der Transaktion um einen »Zusam-
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle  |  741
Teil

menschluss« von zwei oder mehreren Unternehmen im Sinne der jeweiligen Fusions-
kontrollvorschriften handeln. Darüber hinaus müssen bestimmte Schwellenwerte (z. B.
Umsätze oder auch Marktanteile) von den Parteien überschritten werden.

4.1 Zusammenschlussbegriff
Der Zusammenschlussbegriff kann je nach Rechtsordnung unterschiedlich definiert
sein. Typische Konstellationen, die wohl in nahezu allen Jurisdiktionen als Zusammen-
schluss gelten, sind Verschmelzungen und der Erwerb von (alleiniger und gemeinsamer)
Kontrolle. »Kontrolle« bedeutet, wichtige strategische Entscheidungen eines Unterneh-
mens (mit)bestimmen zu können. Dabei können Unternehmen die Kontrolle über ein
anderes Unternehmen auf unterschiedlichen Wegen erwerben, z. B. über die Mehrheit
der Anteile mit Stimmrechtsmehrheit, über eine sogenannte qualifizierte Minderheitsbe-
teiligung mit besonderen Stimmrechten oder auch faktisch (aufgrund niedriger Präsenz
in der Hauptversammlung). Üben mehrere Unternehmen gemeinsam die Kontrolle über
ein Unternehmen aus, handelt es sich um sogenannte Gemeinschaftsunternehmen (Joint
Ventures), für die es besondere Voraussetzungen für die Anmeldepflicht geben kann,
so z. B. auf EU-Ebene (sogenannte »Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen«, s. u.). In
zahlreichen Ländern ist auch der Vermögenserwerb anmeldepflichtig, allerdings muss
es sich dabei in der Regel um »wesentliches Vermögen« eines Unternehmens handeln.
Ein »Sonderfall« ist derzeit noch der Erwerb von Minderheitsbeteiligungen ohne
Kontrollerwerb. Bislang sind diese Konstellationen nur in wenigen Ländern anmelde-
pflichtig. Dazu zählen insbesondere der Erwerb von Beteiligungen ab 25 % der Anteile
sowie – sogar darunter – der Erwerb eines sogenannten wettbewerblich erheblichen
Einflusses in Deutschland1 und Österreich. Die Europäische Kommission untersucht
seit Juli 2014 im Rahmen der Reform der europäischen Fusionskontrolle, ob sie ihre
Zuständigkeit zukünftig auch auf den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen ohne Kon-
trollerwerb ausdehnen wird.2

4.2 Schwellenwerte
Die Unternehmen müssen als weitere Voraussetzung bestimmte Schwellenwerte über-
schreiten, damit die Anmeldepflicht ausgelöst wird. Diese werden je nach Rechtsord-
nung unterschiedlich bemessen. Hauptausgangspunkt sind jedoch in den meisten Fällen
die weltweiten und/oder lokalen Umsätze der beteiligten Unternehmen. Hier sollte eine

1 In seiner Praxis geht das Bundeskartellamt davon aus, dass ein wettbewerblich erheblicher Einfluss
vorliegt, wenn eine Minderheitsbeteiligung von sogenannten »Plusfaktoren« begleitet wird. Plusfak-
toren sind u. a. Vetorechte des Erwerbers bei wichtigen Gesellschafterbeschlüssen (z. B. Bestellung
eines Geschäftsführers, Budget), Informations-, Mitsprache- und Kontrollrechte des Erwerbers, Or-
ganpräsenzrechte, das Recht zur Bestellung eines Geschäftsführers, Vorkaufsrechte, unternehme-
risches Interesse an der Beteiligung, Marktnähe des Erwerbers (vgl. u. a. Bechtold/Bosch 2015, § 37
Rn. 42; Langen/Bunte 2014, § 37 Rn. 45 ff.; Hartog 2010, Teil 3 B).
2 Vgl.   dazu   http://ec.europa.eu/competition/consultations/2014_merger_control/index_en.html.
Das Konsultationsverfahren zur Reform der Europäischen Fusionskontrolle wurde im Oktober 2014
abgeschlossen.
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742  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Prüfung der Anmeldepflichten auch immer als erstes ansetzen. Alternative beziehungs-
weise zusätzliche Kriterien sind in bestimmten Jurisdiktionen Marktanteile (gemein-
sam oder einzeln) oder Vermögenswerte der Parteien. Auch der Transaktionswert kann
ausschlaggebend sein.

4.2.1 Umsätze

Grundsätzlich sind die Umsätze der beteiligten Unternehmen zu berücksichtigen. Die


Bestimmung der beteiligten Unternehmen und die Berechnung und (geographische)
Zuordnung der Umsätze kann je nach Art des Zusammenschlusses und der Rechtsord-
nung unterschiedlich ausfallen. Ausgangspunkt für die Beurteilung sollten in der Regel
die Umsätze des Erwerbers und des Zielunternehmens bzw. des Zielgeschäftsbereichs
sein. Sind mehrere Unternehmen an einem Zusammenschluss beteiligt, sind Umsätze
von allen Beteiligten zu berücksichtigen.

4.2.2 Marktanteile

In mehreren Ländern sind die Marktanteile der beteiligten Unternehmen ein entscheidendes
Kriterium zur Überprüfung der Anmeldepflicht – in einigen dieser Länder allerdings ledig-
lich alternativ zu Umsatzschwellenwerten, z. B. im Vereinigten Königreich, in Portugal oder
Spanien (und in der Praxis werden oftmals Anmeldepflichten bereits über diese Schwel-
lenwertklauseln ermittelt). Die Marktanteilsberechnung erweist sich in zahlreichen Fällen
als kompliziert. Sie setzt eine Abgrenzung des relevanten Produktmarktes und des geo-
graphischen Marktes unter Berücksichtigung der nationalen Entscheidungspraxis voraus.
Diese Abgrenzung kann sich als umstritten und darum schwierig erweisen. Zudem greift
sie der eigentlichen wettbewerblichen Beurteilung vor, die normalerweise erst im Rahmen
der Vorbereitung einer Anmeldung und somit nach Ermittlung der Anmeldepflicht erfolgt.
Voraussetzung für die Bestimmung der Marktanteile ist darüber hinaus die Kenntnis des Ge-
samtmarktvolumens. Für die beteiligten Unternehmen kann es problematisch sein, dies zu
ermitteln oder zu schätzen. Grundsätzlich erfolgt die Berechnung des Marktanteils zunächst
auf Grundlage des Umsatzes, ansonsten hinsichtlich des Volumens. Zu prüfen ist dann,
ob die Anmeldepflicht in den jeweiligen Jurisdiktionen nur bei Zuwachs des Marktanteils
ausgelöst wird oder ob es genügt, dass eine Partei allein den Schwellenwert überschreitet.
Auch bei der Ermittlung von Marktanteilsinformationen gilt, wie bei den Umsatzin-
formationen, dass bei Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung zunächst ein prag-
matischer Ansatz (Start mit Schätzungen, Nachprüfen bei Nähe zu Schwellenwerten)
gewählt werden kann.

4.2.3 Vermögenswert und Transaktionswert

In einer Reihe von Ländern, so z. B. den Vereinigten Staaten und Kanada, werden für die
Schwellenwertberechnung die Vermögenswerte der beteiligten Unternehmen betrachtet.
Hier wird zumeist der in den Bilanzen verzeichnete Buchwert von Bedeutung sein. In
manchen Ländern erfolgt zudem eine Schwellenwertberechnung auf Grundlage des
Transaktionswertes, so z. B. in den Vereinigten Staaten. Derzeit wird auch in Deutsch-
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle  |  743
Teil

land im Rahmen der für das Jahr 2016 anstehenden 9. GWB-Novelle der Transaktions-
wert als neues Aufgreifkriterium für die Anmeldepflicht diskutiert.

4.3 Ausnahmen der Anmeldepflicht


In einigen Gesetzen finden sich Ausnahmeregelungen, bei deren Erfüllung keine An-
meldepflichten bestehen. Sofern in einem Land grundsätzlich die relevanten Schwel-
lenwerte überschritten werden, ist zusätzlich zu prüfen, ob nicht eine Ausnahmerege-
lung Anwendung findet, z. B. in Form von sogenannten »Bagatellklauseln« (wie z. B. in
Deutschland, § 35 Abs. 2 Satz 1 GWB) oder Ausnahmen für Auslandszusammenschlüs-
sen (z. B. in den Vereinigten Staaten)3. In manchen Ländern ist Voraussetzung für eine
Anmeldepflicht, dass mindestens eines der beteiligten Unternehmen vor Ort präsent ist,
z. B. durch eine Tochtergesellschaft oder eine Niederlassung vor Ort. Zu prüfen ist auch,
ob Voraussetzung einer Anmeldepflicht Inlandsauswirkungen sind, oder bei Marktan-
teilsschwellen der Zuwachs von Marktanteilen.

5 Europäische Fusionskontrolle
Die nationalen Vorschriften zur Fusionskontrolle der Mitgliedstaaten des Europäischen
Wirtschaftsraums finden keine Anwendung auf Zusammenschlüsse, die vom Anwen-
dungsbereich der EG-Fusionskontrollverordnung erfasst werden.4 Werden bestimmte
Umsatzschwellenwerte überschritten, die eine gemeinschaftsweite Bedeutung begrün-
den, sind Zusammenschlüsse grundsätzlich bei der Europäischen Kommission anmel-
depflichtig.5 Die Europäische Kommission führt dann eine präventive Fusionskontrolle
durch. Den Parteien ist es untersagt, das Vorhaben vor Freigabe durch die Europäische
Kommission zu vollziehen.

5.1 Zusammenschlussbegriff
Ein »Zusammenschluss« liegt auf Grundlage der EG-Fusionskontrollverordnung vor,
wenn ein oder mehrere Unternehmen die Kontrolle über ein anderes Unternehmen

3 Relevante Schwellenwerte für diese Ausnahmeregelungen sind – neben weiteren Voraussetzungen


– Vermögenswerte oder Umsätze in den Vereinigten Staaten von derzeit weniger als 76 Mio. US-$.
4 Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Europäische Kommission ein Zusammenschlussvorha-
ben an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten verweist. Dies erfolgt in der Praxis insbeson-
dere dann, wenn ein Zusammenschluss den Wettbewerb auf einem Markt in einem Mitgliedstaat
erheblich zu beeinträchtigen droht (Art. 9 EG-Fusionskontrollverordnung).
5 Bei Zusammenschlüssen, in denen der Bezug zum europäischen Markt nicht direkt erkennbar ist
(wie z. B. im Fall Gencor/Lonrho, in dem der südafrikanische Konzern Gencor und das britische
Unternehmen Lonrho die Kontrolle über zwei südafrikanische Bergbaufirmen erwarben), stellt sich
die Frage, ob sich der Zusammenschluss auch auf das Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraumes
auswirkt (was die Kommission im Fall Gencor/Lonrho bejahte; Europäische Kommission, Entschei-
dung vom 24.04.1996, IV/M.619 – Gencor/Lonrho, Rn. 14 ff.). Zur Frage der gemeinschaftsweiten
Bedeutung vgl. u. a. EuG, Urteil vom 14.07.2006, T-417/05 – Endesa S.A/Kommission.
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744  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


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oder dessen Geschäftsbereich erlangen. Solche Transaktionen beinhalten Fusionen,


bestimmte Erwerbsarten und Gemeinschaftsunternehmen und können auch Minder-
heitsbeteiligungen, Verwaltungsverträge sowie bestimmte Auslagerungsvereinbarungen
erfassen. Inwiefern zukünftig auch Minderheitsbeteiligungen ohne Kontrollerwerb in
die Zuständigkeit der europäischen Fusionskontrolle fallen sollen, wird derzeit von der
Europäischen Kommission näher untersucht.6
Die EG-Fusionskontrollverordnung findet auf alle Gemeinschaftsunternehmen An-
wendung, die »vollfunktionell« sind, d. h. die auf einem bestimmten Markt tätig sind
und alle Funktionen ausüben, die normalerweise von Unternehmen auf diesem Markt
wahrgenommen werden. Das Gemeinschaftsunternehmen muss insbesondere über aus-
reichende Finanzen, Personal und Vermögenswerte verfügen, um seine Geschäftsakti-
vitäten auf einer dauerhaften Basis ausüben zu können.

5.2 Schwellenwerte
Eine gemeinschaftsweite Bedeutung liegt vor, wenn der weltweite Gesamtumsatz aller be-
teiligten Unternehmen 5 Mrd. EUR übersteigt und der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz
von mindestens zwei beteiligten Unternehmen bei jeweils mehr als 250 Mio. EUR liegt.7
Wenn dieser Schwellenwert nicht erreicht wird, ist die Europäische Kommission dennoch
zuständig, wenn der weltweite Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen
mehr als 2,5 Mrd. EUR beträgt, der Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen in min-
destens drei Mitgliedstaaten jeweils 100 Mio. EUR übersteigt, in jedem von diesen mindes-
tens drei Mitgliedstaaten der Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen
jeweils mehr als 25 Mio. EUR und der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindestens
zwei beteiligten Unternehmen jeweils 100 Mio. EUR beträgt.8 Allerdings hat ein Zusam-
menschluss dann keine gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn alle am Zusammenschluss
beteiligten Parteien über zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Umsatzes in ein und dem-
selben Mitgliedstaat erzielen.9 Die Anmeldung bei der Europäischen Kommission ersetzt
Anmeldungen bei den nationalen Kartellbehörden – es gilt das Prinzip einer einzigen
Anlaufstelle (One Stop Shop).10 Wenn es um die Zuständigkeit für die Prüfung eines Zu-
sammenschlusses geht, ist den Beteiligten in schwierigen Grenzfällen zu raten, diese Frage
vorab in einem Konsultationsverfahren mit der Europäischen Kommission zu klären.11

6 Vgl. dazu http://ec.europa.eu/competition/consultations/2014_merger_control/index_en.html.


7 Art. 1 Abs. 2 EG-Fusionskontrollverordnung.
8 Art. 1 Abs. 3 EG-Fusionskontrollverordnung.
9 Art. 1 Abs. 2 und 3, jeweils letzter Halbsatz EG-Fusionskontrollverordnung.
10 Gemäß Art. 7 Abs. 2 EG-Fusionskontrollverordnung ist die Kommission ausschließlich dafür zu-
ständig, die in der EG-Fusionskontrollverordnung vorgesehenen Entscheidungen zu erlassen. Ge-
mäß Art. 21 Abs. 3 EG-Fusionskontrollverordnung wenden die Mitgliedstaaten ihr innerstaatliches
Wettbewerbsrecht nicht auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung an. Der EuGH
beschäftigte sich mit dieser Norm im Klageverfahren Portugal/Kommission (Urteil des EuGH vom
22.06.2004, C-42/01); vgl. hierzu Hirsbrunner 2005, S. 519, 521 f.
11 Im Konsultationsverfahren laufen keine Fristen. Dies sollten die Zusammenschlussbeteiligten bei
der Vorbereitung und der Durchführung der Transaktion berücksichtigen.
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Teil

5.3 Zeitschiene
Die Zusammenschlussbeteiligten müssen für die Zeitplanung ihrer Transaktion die fol-
gende Zeitschiene vor Augen haben.12 Die Europäische Kommission entscheidet grund-
sätzlich innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Eingang einer vollständigen Anmeldung,
ob sie das Zusammenschlussvorhaben im Vorprüfverfahren (»Phase I«) freigibt oder ob
sie in eine detaillierte Prüfung im Hauptprüfverfahren (»Phase II«) eintritt. Ab Beginn
der Phase II muss die Europäische Kommission innerhalb von höchstens 90 Arbeits-
tagen entscheiden, ob der Zusammenschluss mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Die
anmeldenden Parteien können Abhilfemaßnahmen anbieten, um entweder eine Phase II-
Untersuchung zu vermeiden oder aber um eine Untersagungsentscheidung zu verhin-
dern. Während der Phase I müssen Abhilfemaßnahmen innerhalb von 20 Arbeitstagen
nach Anmeldung angeboten werden. Dies führt dazu, dass die Frist für die Phase I von
25 auf 35 Arbeitstage verlängert wird. In Phase II müssen Zusagen spätestens inner-
halb von 65 Arbeitstagen unterbreitet werden. Diese strengen Prüffristen der EG-Fusi-
onskontrollverordnung dienen dabei dem Bedürfnis der Zusammenschlussbeteiligten,
möglichst bald Sicherheit über die Zulässigkeit ihres Vorhabens zu erhalten.
Die meisten Zusammenschlussvorhaben, die in Phase II entschieden werden, werden
unter Auflagen und Bedingungen genehmigt. Seit 1990 wurden lediglich 24 Untersa-
gungen ausgesprochen.13

5.4 Vollzugsverbot
Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung dürfen von den Zusammen-
schlussbeteiligten solange nicht vollzogen werden, bis die Europäische Kommission
eine Freigabeentscheidung erlassen hat. In eng umgrenzten Fällen kann eine Befreiung
vom Vollzugsverbot erteilt werden.
Bei Verstoß gegen das Vollzugsverbot drohen den beteiligten Unternehmen und Per-
sonen Bußgelder, die bis zu 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten
Gesamtumsatzes des Unternehmens betragen können.14 Die Europäische Kommission
macht von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch. So verhängte sie 2009 ein Bußgeld
in Höhe von 20 Mio. EUR gegen Electrabel und 2014 in Höhe von 20 Mio. EUR gegen
Marine Harvest wegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot.15

12 Vgl. Art. 10 EG-Fusionskontrollverordnung.


13 Stand: 31.12.2015; Quelle: http://ec.europa.eu/competition/mergers/statistics.pdf.
14 Art. 14 Abs. 2 lit. b) EG-Fusionskontrollverordnung.
15 Europäische Kommission, Entscheidung vom 23.07.2014 – COMP/M.7184 – Marine Harvest/Morpol;
Europäische Kommission, Entscheidung vom 10.06.2009, COMP/M.4994 – Electrabel/Compagnie
Nationale du Rhône. Bis dahin hatte die höchste Geldbuße 219.000 EUR betragen.
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746  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

5.5 Verweisungsmöglichkeiten
Verweisungen sind unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen von der Kommis-
sion an die Mitgliedstaaten und umgekehrt möglich. Voraussetzung ist, dass die zu-
ständige Behörde zu dem Ergebnis kommt, die andere Behörde sei besser geeignet, den
Fall zu beurteilen. Die Unternehmen können eine solche Verweisung beantragen, haben
aber keinen Anspruch darauf.16
Ursprünglich war eine Verweisung nur möglich, wenn der Zusammenschluss bereits
angemeldet und das Verfahren eingeleitet war.17 Für die Unternehmen hat dies den
Nachteil, dass der Zusammenschluss ohne ihr Zutun an eine andere Behörde verwiesen
werden kann, die dann auch anderes Recht anwendet. Seit 2004 gibt es daneben die
sehr viel praktikablere Möglichkeit, dass ein Zusammenschluss schon vor der Anmel-
dung an die »besser geeignete« Behörde verwiesen wird.18 Eine solche Verweisung muss
rechtzeitig vor Einleitung des Verfahrens von einem Unternehmen beantragt werden.
Verweisungen ermöglichen eine »Feinsteuerung« der Zuständigkeitsabgrenzung, die
der tatsächlichen Bedeutung der Fusion oftmals besser Rechnung trägt. In der An-
fangszeit war dieses Instrument vielfach umstritten. Inzwischen wird vor allem die
Vorab-Verweisung auf Antrag eines Unternehmens wegen ihrer Flexibilität allgemein
geschätzt. In der Praxis wird zunehmend davon Gebrauch gemacht.

5.5.1 Verweisung an die Europäische Kommission

Im Fall eines Zusammenschlusses ohne gemeinschaftsweite Bedeutung kann ein Mit-


gliedstaat die Verweisung an die Europäische Kommission beantragen (und andere
Mitgliedstaaten können sich diesem Antrag anschließen). Voraussetzung ist, dass der
Zusammenschluss den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wett-
bewerb im Hoheitsgebiet des antragstellenden Mitgliedstaats erheblich zu beeinträch-
tigen droht.19
Auch die Zusammenschlussbeteiligten können mittlerweile einen Antrag auf Verwei-
sung an die Europäische Kommission stellen. Dies geht in Fällen von Zusammenschlüs-
sen ohne gemeinschaftsweite Bedeutung, die nach dem Wettbewerbsrecht mindestens
dreier Mitgliedstaaten geprüft werden könnten.20 Die Zusammenschlussbeteiligten kön-
nen durch die Möglichkeit eines Antrags auf Verweisung an die Europäische Kommis-
sion Mehrfachanmeldungen vermeiden beziehungsweise die Zahl der erforderlichen
Anmeldungen reduzieren und somit Zeit und Kosten sparen. Das ist auch deshalb von

16 Die Voraussetzungen und das Verfahren bei einer Verweisung hat die Kommission in der Mittei-
lung über die Verweisung von Fusionskontrollsachen im Einzelnen erläutert. Außerdem haben die
nationalen europäischen Wettbewerbsbehörden gemeinsame Grundsätze für die Verweisung von
Fusionskontrollverfahren an die Kommission vereinbart (veröffentlicht auf der Internetseite des
Bundeskartellamtes).
17 Diese Fälle sind in Art. 9 FKVO (Verweisung an einen Mitgliedstaat) und Art. 22 FKVO (Verweisung
an die Kommission) geregelt.
18 Diese Regelung findet sich in Art. 4 Abs. 4 und 5 FKVO.
19 Art. 22 Abs. 1 EG-Fusionskontrollverordnung. Vgl. zum Verfahren, insbesondere zu den Fristen,
Art. 22 Abs. 1–5 EG-Fusionskontrollverordnung.
20 Vgl. zum Verfahren Art. 4 Abs. 5 EG-Fusionskontrollverordnung. Insbesondere kann jeder Mitglied-
staat, der für die Prüfung des Zusammenschlusses zuständig ist, innerhalb von 15 Arbeitstagen
nach Erhalt des Antrags der Zusammenschlussbeteiligten ein Veto gegen die Verweisung einlegen
(Art. 4 Abs. 5 Satz 3).
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Bedeutung, weil in einigen Mitgliedstaaten recht niedrige Anmeldeschwellen gelten.


Die Zusammenschlussbeteiligten müssen allerdings im Einzelfall abwägen, ob eine
Verweisung auch tatsächlich zu einer Zeit- und Kostenersparnis führen wird. Denn
das Verfahren vor der Europäischen Kommission erfordert das Ermitteln von umfang-
reichen Informationen, die mittels des sog. Formblatts RS abgefragt werden, wohinge-
gen in manchen Mitgliedstaaten, z. B. in Deutschland, recht schlanke Anmeldungen
eingereicht werden können. Den seit 2004 von Zusammenschlussbeteiligten gestellten
Anträgen auf Verweisung an die Europäische Kommission wurde in einem Großteil der
Fälle (288 von 301) stattgegeben.21

5.5.2 Verweisung an die zuständigen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten

Umgekehrt kann die Europäische Kommission nach Unterrichtung durch einen Mit-
gliedstaat die Prüfung des gesamten oder eines Teils eines Zusammenschlusses mit
gemeinschaftsweiter Bedeutung an die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats ver-
weisen. Voraussetzung ist u. a., dass der Zusammenschluss den Wettbewerb auf einem
Markt in diesem Mitgliedstaat, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist,
erheblich zu beeinträchtigen droht.22
Auch die Zusammenschlussbeteiligten können eine Verweisung von der Europäi-
schen Kommission an die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats beantragen. Sie
müssen dann allerdings selbst einen wettbewerblich nicht unproblematischen Zusam-
menschluss einräumen.23 Dies mag ein Grund dafür sein, dass in der Praxis die Ver-
weisung an nationale Behörden weniger häufig beantragt wurde als die Verweisung an
die Europäische Kommission.24

5.6 Vereinfachtes Verfahren


Das vereinfachte Verfahren, in dem die Zusammenschlussbeteiligten lediglich die re-
lativ schlanke Short Form CO ausfüllen müssen, kann bei Gemeinschaftsunternehmen
zur Anwendung kommen, die nicht oder nur geringfügig im Gebiet des Europäischen
Wirtschaftsraums tätig sind. Es gilt ebenso für Zusammenschlussvorhaben, bei denen
sich die Geschäftstätigkeiten der Beteiligten nicht (horizontal) überschneiden oder in
keiner vertikalen Beziehung zueinander stehen oder bei denen die Marktanteile der
Parteien bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Ungefähr die Hälfte der in Phase I

21 Stand: 31.12.2015; Quelle: http://ec.europa.eu/competition/mergers/statistics.pdf.


22 Vgl. zum Verfahren, insbesondere zu den Fristen, Art. 9 EG-Fusionskontrollverordnung. Das Urteil
des EuG vom 30.09.2003, verbundene Rechtssachen T-346/02 und T-347/02 – Cableuropa S.A. u. a./
Kommission betraf eine Verweisung von der Europäischen Kommission an die spanischen Wettbe-
werbsbehörden.
23 Art. 4 Abs. 4 EG-Fusionskontrollverordnung. Die Mitgliedstaaten können innerhalb von 15 Arbeits-
tagen nach Erhalt des Antrags ein Vetorecht ausüben, um die Verweisung zu verhindern. Vgl. zum
Verfahren, insbesondere den Fristen, auch Art. 4 Abs. 4. Vgl. zu sonstigen Verfahrensfragen auch
die Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, Amtsblatt der Europä-
ischen Union C 56 vom 05.03.2005, S. 2 ff.
24 Bis Ende Dezember 2015 wurden insgesamt 110 Verfahren nach Art. 4 Abs. 4 EG-Fusionskontroll-
verordnung an Mitgliedstaaten verwiesen (Quelle: http://ec.europa.eu/competition/mergers/stati-
stics.pdf).
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Teil

erteilten Freigaben ergehen nunmehr im vereinfachten Verfahren.25 Für die Europäische


Kommission führt das vereinfachte Verfahren zu einer Arbeitserleichterung, für die
Zusammenschlussbeteiligten bedeutet es zumindest in vielen Fällen eine Minimierung
der erforderlichen Informationen.

5.7 Materielle Beurteilung


Der entscheidende Test für die Bewertung eines Zusammenschlusses durch die Eu-
ropäische Kommission ist seit Inkrafttreten der Fusionskontrollverordnung 139/2004,
ob der Zusammenschluss »wirksamen Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt oder
einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes erheblich behindert« (Significant
Impediment of Effective Competition, sog. SIEC-Test).26 Die EG-Fusionskontrolle nennt
als besonderen Fall der Behinderung die Begründung oder Verstärkung einer markt-
beherrschenden Stellung, die bis 2004 alleiniges Beurteilungskriterium war. Der SIEC-
Test erfasst damit über die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden
Stellung hinaus auch einseitige Wirkungen durch Nicht-Marktführer.
Die Kommission hat 2004 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüs-
se27 erlassen, in denen der SIEC-Test weiter definiert wird. Sie stellt darin klar, dass sie
bei der Bewertung der wettbewerblichen Auswirkungen die Wettbewerbsbedingungen
mit und ohne den Zusammenschluss vergleicht. Die Bewertung schließt dabei eine
Abgrenzung der sachlich und räumlich relevanten Märkte ein. Im Falle eines wettbe-
werblich bedenklichen horizontalen Zusammenschlusses untersucht die Kommission,
ob durch den Zusammenschluss Wettbewerbsdruck auf dem Markt entfällt, so dass die
Beteiligten – oder andere Unternehmen im Markt – die Preise nach der Transaktion
erhöhen könnten. Sie unterscheidet zwischen einseitigen Wirkungen, die vom (allein)
marktbeherrschenden Unternehmen oder einem anderen Unternehmen ausgehen, und
koordinierten Wirkungen. Bei horizontalen Zusammenschlüssen ist bei gemeinsamen
Marktanteilen der beteiligten Unternehmen unterhalb von 25 % davon auszugehen,
dass das Zusammenschlussvorhaben mit dem Binnenmarkt vereinbar ist.28 2008 erließ
die Kommission außerdem Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler (vertikaler oder
konglomerater) Zusammenschlüsse.29 Danach sind wettbewerbliche Bedenken u. a. bei
einem gemeinsamen Marktanteil der Beteiligten von weniger als 30 % in der Regel nicht
zu erwarten.30

25 Quelle: http://ec.europa.eu/competition/mergers/statistics.pdf.
26 Art. 2 Abs. 2 EG-Fusionskontrollverordnung. In der Terminologie nach Inkrafttreten des Vertrags
von Lissabon tritt der Binnenmarkt an die Stelle des Gemeinsamen Markts.
27 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die
Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Amtsblatt der Europäischen Union C 31 vom
05.02.2004, S. 5 ff. Vgl. hierzu EuG, Urteil vom 09.07.2007, T-282/06 – Sun Chemical Group B.V. u. a./
Kommission (Nichtigkeitsklage gegen die ApolloAkzo Nobel IAR-Entscheidung der Europäischen
Kommission).
28 EG-Fusionskontrollverordnung, Erwägungsgrund 32. Zur Marktabgrenzung vgl. Bekanntmachung
der Kommission über den relevanten Mark, Amtsblatt C 372 vom 09.12.1997, S. 5 ff.
29 Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über
die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Amtsblatt der Europäischen Union C 265 vom
18.10.2008, S. 6 ff. Zu konglomeraten Effekten vgl. auch EuG, Urteile vom 14.12.2005, T-210/01 – Ge-
neral Electric Company/Kommission und T-209/01 – Honeywell International Inc./Kommission.
30 Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 25.
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle  |  749
Teil

Die Umstellung des materiellen Beurteilungskriteriums und die Vorgaben in den


Leitlinien zur Bewertung horizontaler und nichthorizontaler Zusammenschlüsse waren
wesentliche Schritte in Richtung Ökonomisierung der europäischen Fusionskontrolle.
Letztere zeigte sich auch daran, dass sich die Europäische Kommission mittlerwei-
le auch zur Berücksichtigung von Effizienzvorteilen als Ausgleichsfaktor möglicher
Wettbewerbsprobleme bekannte.31 Die Ökonomisierung hat den Charakter der Fusi-
onskontrolle nachhaltig verändert, jedenfalls in problematischen Fällen, die in Phase
II geprüft werden. Entscheidend sind nicht mehr allein formale Kriterien, sondern die
tatsächlichen Auswirkungen im Markt. Für Unternehmen hat das den Vorteil, dass auch
problematische Zusammenschlüsse noch eine Chance haben. Nachteile sind allerdings
eine deutlich höhere Arbeitsbelastung sowohl der Europäischen Kommission als auch
der Unternehmen, die Verursachung höherer Kosten durch ökonomische Gutachten und
eine geringere Vorhersehbarkeit der Entscheidungen.
Die Kartellbehörden treffen bei der materiellen Beurteilung wegen des präventiven
Charakters der Fusionskontrolle stets eine Prognoseentscheidung. In der Praxis liegt der
Prognosezeitraum bei 3 bis 5 Jahren.
Die Kommission hat in einer Reihe von Fällen über die Marktbeherrschung hinaus-
gehende einseitige oder nicht-koordinierte Effekte geprüft.32 Eigenständige Bedeutung
erhält der SIEC-Test in den Fällen, in denen der Zusammenschluss nicht zu einer Be-
gründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung führt, den Wettbe-
werb aber dennoch erheblich behindert oder aber eine marktbeherrschende Stellung
nicht ausreicht, um eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs zur Folge
zu haben. Zu deutlichen Veränderungen hat die Ökonomisierung bei Oligopolen und
konglomeraten Zusammenschlüssen geführt. Beispiele für Freigaben trotz hoher Markt-
anteile nach vertiefter ökonomischer Analyse sind z. B. die Entscheidungen Siemens/
Invensys, Syniverse/Mach und Microsoft/Skype.33 Der Zusammenschluss UPS/TNT
Express wurde letztlich nach vertiefter ökonomischer Analyse untersagt.34 Freigaben
(größtenteils unter Auflagen) wurden in den Mobilfunkfällen TPG IV/APAX/Q-Telecom,
T-mobile Austria/tele.ring, Hutchison 3G Austria/orange Austria, Hutchison 3 G UK/
Telefonica Ireland und Telefonica Deutschland/E-plus erteilt (jeweils Prüfung unilate-
raler Effekte).35

31 Erwägungsgrund 29 der EG-Fusionskontrollverordnung 139/2004; Rn. 76 der Leitlinien zur Bewer-


tung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unterneh-
menszusammenschlüssen, Amtsblatt der Europäischen Union C 31 vom 05.02.2004, S. 5 ff.
32 Vgl. etwa Europäische Kommission, Entscheidung vom 25.08.2005, COMP/M.3687 – Johnson &
Johnson/Guidant, Rn. 165; Entscheidung vom 12.05.2006, COMP/M.4057 – Korsnäs/Assidomän
Cartonboard, Rn. 30 ff.; Entscheidung vom 23.06.2009, COMP/M.5467 – RWE/Essent, Rn. 161 ff.
33 Europäische Kommission, Entscheidung vom 18.04.2013, COMP/M.6843 – Siemens/Invesys Rail;
Entscheidung vom 29.05.2013, COMP/M.6690 – Syniverse/ Mach; 07.10.2011, COMP/M.6281 – Mi-
crosoft/Skype.
34 Europäische Kommission, Entscheidung vom 30.01.2013, COMP/M.6570 UPS/TNT Express.
35 Europäische Kommission, Entscheidung vom 13.01.2006, COMP/M.4036 –TPG IV / APAX / Q-
Telecom; Entscheidung vom 26.04.2006, M.3916 – T-Mobile Austriatele.ring; Entscheidung vom
12.12.2012, COMP/M.6497 – Hutchison 3G Austria/orange Austria; Entscheidung vom 28.05.2014,
COMP/M.6992 – Hutchison 3 G UK/Telefonica Ireland; Entscheidung vom 02.06.2014, M.7018 Tele-
fonica Deutschland/E-plus.
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750  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

5.8 Zusagen, Bedingungen und Auflagen


Wenn sich abzeichnet, dass gegen den Zusammenschluss wettbewerbliche Bedenken
bestehen und deshalb mit einer Untersagung durch die Kommission zu rechnen ist, kön-
nen die Unternehmen Zusagen anbieten, mit denen im Ergebnis die wettbewerblichen
Probleme ausgeräumt werden. Dies ist sowohl in Phase I als auch im Hauptprüfverfah-
ren (Phase II) möglich.
Bei der Prüfung, ob die angebotenen Zusagen zu dem angestrebten Zweck geeignet
und ausreichend sind, greift die Kommission in vielen Fällen auf kurzfristige »Markt-
tests« zurück. Geeignete Unternehmen (Wettbewerber, Abnehmer oder Lieferanten)
werden dann befragt, ob die Zusagen die Wettbewerbsprobleme lösen und damit die
ansonsten zu bejahenden Untersagungsvoraussetzungen beseitigen. Wenn die Kom-
mission überzeugt ist, dass dies der Fall ist, wird sie die zugesagten Maßnahmen als
Bedingung oder Auflage mit in die Entscheidung aufnehmen und die Fusion unter
dieser Voraussetzung freigeben. Bei den Zusagen muss es sich in erster Linie um sol-
che handeln, die sich auf die Marktstruktur selbst auswirken. Dagegen reichen bloße
Verhaltenszusagen allein häufig nicht aus. Am wirksamsten sind Zusagen, wenn sie die
Veräußerung von Unternehmen oder Unternehmensteilen beinhalten. Dies setzt natür-
lich voraus, dass die beteiligten Unternehmen in geeigneter Form aufgespalten werden
können. Es ist verbreitete Praxis insbesondere bei Veräußerungszusagen, dass für die
Abwicklung und Überwachung der Zusagen ein oder mehrere unabhängige Treuhänder
bestellt werden.
Üblicherweise erklärt die Kommission die wesentlichen Zusagen, die für die Abwick-
lung entscheidend sind, in der Form einer Bedingung für verbindlich. Sie sind damit
eine unmittelbare (aufschiebende oder auflösende) Voraussetzung der Genehmigung.
Die übrigen Zusagen, die hauptsächlich der Absicherung und Kontrolle dienen, werden
von der Kommission als Auflage formuliert.
Genehmigungen, die unter einschränkenden Bedingungen und/oder Auflagen erteilt
werden, kommen in der Fusionskontrollpraxis weit häufiger vor als Untersagungen.36
Die Festlegung der Bedingungen und Auflagen erfolgt vor allem in Phase II-Fällen re-
gelmäßig im Schlussstadium des Verfahrens und steht dann häufig unter großem Zeit-
druck. Die Kommission muss lediglich die von den Unternehmen angebotenen Zusagen
prüfen; sie muss nicht von sich aus tätig werden. Die Unternehmen müssen deshalb
dafür sorgen, dass sie geeignete Zusagen anbieten, die den Anforderungen der Behörde
entsprechen. Ein wichtiges Hilfsmittel in der Praxis ist die Mitteilung der Kommission
über zulässige Abhilfemaßnahmen (remedies notice).37 Außerdem hat die Kommission
Mustertexte für die Zusagenangebote von Unternehmen veröffentlicht.38

36 Vor allem in Phase I machen derartige Entscheidungen einen erheblichen Anteil (ca. 5 % aller Ver-
fahren) aus.
37 Die aktuelle Fassung ist im ABl. C 267 v. 22.10.2008, S. 1 veröffentlicht.
38 Die Texte der EU-Kommission (Modelltext für Veräußerungszusagen und Modelltext für Treuhän-
dermandate) sind nur in Englisch verfügbar und auf der Internetseite der GD Wettbewerb veröffent-
licht.
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle  |  751
Teil

6 Strategische Überlegungen
Mehrfachanmeldungen bieten zusätzlich zu den durchzuführenden Rechtsprüfungen
zahlreiche Ansatzpunkte für strategische Überlegungen, die umfangreiche Kenntnisse
der Praxis in den einzelnen Jurisdiktionen voraussetzen. Aus Unternehmenssicht ist es
entscheidend, die erforderlichen Fusionskontrollverfahren zügig durchzuführen, damit
die Transaktion schnell vollzogen werden kann. Dabei gilt es, unnötige Verzögerungen
von Anfang an zu vermeiden. Die Koordinierung der einzelnen Verfahren durch einen
zentralen Ansprechpartner ist dabei von wesentlicher Bedeutung.

6.1 Vertragsgestaltung
In den meisten Jurisdiktionen gilt vor Freigabe des Zusammenschlusses durch die Kar-
tellbehörden das Vollzugsverbot. Das bedeutet, dass der Zusammenschluss erst nach
Freigabe umgesetzt werden darf. Dies ist bei der Gestaltung des Kaufvertrags zu be-
rücksichtigen, unter anderem bei der Formulierung der »Condition Precedent«, einer
aufschiebenden Bedingung für die Übertragung der Anteile bzw. die Ausübung der
Stimmrechte. Weiterhin ist zu berücksichtigen, ob es in allen Jurisdiktionen eine realis-
tische Chance auf Freigabe gibt und ob und inwiefern die Parteien bereit sind, Auflagen
zu akzeptieren. Gegebenenfalls möchten die Unternehmen auch regeln, wer die Kosten
der Fusionskontrollverfahren trägt. Dabei sind der Mehraufwand durch Koordinierung
und z. B. Übersetzungskosten zu berücksichtigen.

6.2 Zeitliche Planung


Die Zusammenschlussbeteiligten können bei der Wahl des Zeitpunkts der jeweiligen
Anmeldungen zwischen verschiedenen Herangehensweisen wählen, beispielsweise pa-
rallelen oder gestaffelten Anmeldungen. Gegebenenfalls spielt die Anmeldefähigkeit
der Transaktion eine Rolle, die in den einzelnen Jurisdiktionen variieren kann. Emp-
fehlenswert ist das Erstellen eines »Fahrplans«, der die einzelnen Verfahrensschritte
beinhaltet und die Dauer der unterschiedlichen Verfahren abbildet. Dabei ist auch die
Zeit für eventuelle Vorgespräche, Übersetzungen, Apostillen und Legalisierungen mit
einzuplanen.
Obwohl gestaffelte Verfahren den Zeitpunkt des Vollzugs möglicherweise nach hin-
ten schieben, können sie auch Vorteile haben. Eine Freigabe z. B. durch das Bundes-
kartellamt, die Europäische Kommission oder die amerikanische Wettbewerbsbehörde
kann – wenn auch nicht zwingend – den Weg für rasche weitere Freigaben bereiten. Zu
beachten ist zudem, dass die Möglichkeit der Kooperation zwischen verschiedenen Kar-
tellbehörden in entscheidenden Stadien der Verfahren zu einer Beschleunigung führen
kann – auch dies sollte bei der Zeitplanung berücksichtigt werden.39

39 Vgl. ICN Merger Working Group, Practical Guide to International Enforcement Cooperation in Mer-
gers, Rn. 19 ff.
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752  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Darüber hinaus besteht in einigen Jurisdiktionen die Verpflichtung zur Anmeldung


innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach dem die Anmeldepflicht auslösenden Ereig-
nis (z. B. nach Unterzeichnung von bindenden Verträgen, u. U. bereits Memorandum of
Understanding, Letter of Intent). Mindestvoraussetzung einer Anmeldung in zeitlicher
Hinsicht ist die Anmeldefähigkeit. Diese ist in einigen Ländern bereits dann gegeben,
wenn die konkrete Absicht eines Zusammenschlusses besteht (so in der EU, in Deutsch-
land, in Österreich und den Vereinigten Staaten). Andere Jurisdiktionen setzen den
Abschluss eines bindenden Vertrags voraus.

6.3 Konsistenz
Es ist wichtig, dass Mehrfachanmeldungen konsistent sind. Denn die Wettbewerbsbe-
hörden kooperieren umfangreich miteinander, auf freiwilliger Basis im »International
Competition Network« (ICN), in einigen Jurisdiktionen auf Grundlage bindender Ver-
träge (so z. B. zwischen der EU und den Vereinigten Staaten, Kanada, Japan und der
Schweiz sowie zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten).40
Dass die Anmeldungen in den verschiedenen Ländern konsistent sind, kann bei ihrer
Erstellung durch Rückgriff auf eine Anmeldungsvorlage für sämtliche Länder gewähr-
leistet werden. In der Regel empfiehlt es sich, ein »Briefing Paper« mit den wesentlichen
Angaben zu Unternehmen, Umsätzen, Marktdefinitionen, Marktanteilen und sonstigen
relevanten Informationen vom Koordinator der Verfahren erstellen zu lassen.

6.4 Verfahren
In vielen Jurisdiktionen erfolgt die Beurteilung von wettbewerbsrechtlich unbedenk-
lichen Fällen in einem Vorprüfverfahren (Phase I), von »schwierigen« Fällen in einem
anschließenden Hauptprüfverfahren (Phase II).41 In den meisten Staaten legen die Ge-
setze für beide Phasen bestimmte Fristen für die Dauer des Verfahrens fest. Das Phase I-
Verfahren dauert in einigen Jurisdiktionen bis zu zwei Monate. Das Phase II-Verfahren
dauert in der Regel weitere drei Monate, in einigen Ländern auch länger. Ebenso ist zu
berücksichtigen, dass teilweise durch Rückfragen der Wettbewerbsbehörde die Uhr zur
Berechnung der Fristen angehalten werden kann.

40 Weitere Informationen auf der Webseite der Europäischen Kommission zu bilateralen Beziehungen
in Bezug auf Wettbewerbsregelungen unter <http://ec.europa.eu/comm/competition/internatio-
nal/bilateral/>. Vgl. auch Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung der Vereinigten Staaten über die Zusammenarbeit in Bezug auf restriktive Ge-
schäftspraktiken, BGBl. II (1976), 1711. Derzeit wird ein Abkommen zum Informationsaustausch
zwischen den Kartellbehörden der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafri-
ka) erarbeitet.
41 Keine Unterteilung in zwei Phasen aber z. B. in Polen, Kanada und Mexiko.
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle  |  753
Teil

6.5 Veröffentlichung
In zahlreichen Jurisdiktionen veröffentlichen die Wettbewerbsbehörden Mitteilungen
über den angemeldeten Zusammenschluss, beispielsweise die Europäische Kommis-
sion auf ihrer Internetseite und im Amtsblatt. Darüber hinaus werden die Behörden
bei vertiefter Prüfung oftmals Kontakt zu Wettbewerbern, Lieferanten, Kunden und
Verbänden aufnehmen. Dies muss den Parteien für ihre Öffentlichkeitsarbeit klar sein.
Sie sollten somit vorab überlegen, zu welchem für sie günstigen Zeitpunkt sie selbst der
Öffentlichkeit Informationen über den geplanten Zusammenschluss zukommen lassen.

7 Fazit
Durch strategische Gestaltung können die beteiligten Unternehmen zu beschleunigten
Fusionskontrollverfahren bei Mehrfachanmeldungen beitragen. Mehrfachanmeldungen
erfordern Zeitmanagement und die Zusammenstellung und Koordinierung des richtigen
Teams aus Rechtsabteilung und Businessbereichen im Unternehmen. Es gilt, sorgfältig
vorbereitet zahlreiche Informationen zu sammeln und zu bündeln. Bei multijurisdikti-
onellen Prüfungen und Anmeldungen sind Rechtskenntnisse, Kenntnisse der tatsächli-
chen Situation, gesammelte Erfahrungen, strategische und zeitliche Überlegungen und
eine ständige Beratung und Betreuung überaus wichtig. Die entsprechend erfahrene
Koordinierung der Mehrfachanmeldungen trägt dazu bei, auch komplexe Zusammen-
schlussvorhaben zügig vollziehen zu können.

Literatur
Bechtold, R./Bosch, W (2015): Kartellgesetz: GWB. 8. Aufl., C. H. Beck, München, 2015.
Langen, E./Bunte, H.-J. (2014): Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1. 12.
Aufl., Luchterhand, München, 2014.
Hartog, J. (2010): Der Zusammenschlusstatbestand des wettbewerblich erheblichen Einflusses. Diss., Peter
Lang Verlag, Frankfurt, 2010.
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754  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Entwicklungen in der deutschen


Fusionskontrolle
Andreas Mundt*

In den letzten Jahren wurde die Fusionskontrollpraxis in Deutschland sowohl in for-


meller als auch in materieller Hinsicht weiter verbessert. Die deutsche Fusionskontrolle
zeichnet sich durch schlanke Informations­erfordernisse bei der Anmeldung und eine
schnelle und schlanke Prüfung wettbewerblich unproblematischer Fälle aus. So muss
für die Anmeldung eines Zusammenschlusses beim Bundeskartellamt kein Anmelde-
formular verwendet werden und es reicht aus, wenn die Anmeldung lediglich die we-
nigen im Gesetz vorgesehenen Pflichtangaben enthält. Falls weitere Informationen zur
Beurteilung eines Zusammenschlusses erforderlich sein sollten, erfragt das Bundeskar-
tellamt diese gezielt bei den Unternehmen. Das ist ein Vorteil gegenüber den Verfahren
bei anderen Wettbewerbsbehörden, die bereits im ersten Schritt sehr vieI weitergehende
Informationen einfordern.
Die Vorzüge des deutschen Systems liegen auf der Hand: Von den Zusammen­
schlussparteien müssen zunächst nur die auf das Notwendigste beschränkten Informa-
tionen vorgelegt werden. Diese Fokussierung auf wettbewerblich wesentliche Fragen ist
für alle Beteiligten von Vorteil. Insbesondere sparen die am Zusammenschluss betei-
ligten Unter­nehmen Zeit und Ressourcen. Der Fokus der Fallbearbeiter im Bundeskar-
tellamt liegt von Beginn des Verfahrens an darauf, mögliche Wettbewerbsprobleme zu
identifizieren bzw. mit hinreichender Sicherheit auszuschließen. So ist von vorneherein
die Gefahr gebannt, eine zu große Aufmerksamkeit auf die Frage zu richten, ob eine
Anmeldung vollständig ist und alle in einem Anmeldeformular geforderten Informatio-
nen aufführt.
Diese Konstruktion des Vorprüfverfahrens trägt dazu bei, dass wettbewerblich un-
problematische Fälle vom Bundeskartellamt sehr zügig und effizient geprüft werden
können. Dies spiegelt sich auch in der Verfahrensdauer wider: In vielen Fällen wird für
die Prüfung in der ersten Phase deutlich weniger als die bereits sehr kurze Monatsfrist
benötigt. Wenn es aus zwingenden Gründen in Einzelfällen sehr schnell gehen musste,
konnte das Bundeskartellamt in unproblematischen Fällen teilweise auch schon inner-
halb von wenigen Tagen eine Freigabe erteilen. Für den Zeitplan der Unternehmen ist
dabei besonders wichtig, dass sich die Anmeldung in den allermeisten Fällen nicht
durch umfangreiche Vorgespräche verzögert. In der Praxis sind diese auf wenige wett-
bewerblich komplexere Zusammenschlussvorhaben beschränkt, in denen Vorgespräche
es manchmal erleichtern können, Anhaltspunkte für mögliche Wettbewerbsprobleme
innerhalb der kurzen Fristen des Vorprüfverfahrens auszuräumen.
Weitere Erleichterungen zugunsten der Unternehmen wurden auch durch einzelne
Änderungen der formellen Fusions­kontrolle im Rahmen der 8. GWB-Novelle erreicht.

∗ Andreas Mundt, Präsident, Bundeskartellamt, Bonn.


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Standpunkt – Entwicklungen in der deutschen Fusionskontrolle  |  755


Teil

Insbesondere wurden bestimmte Börsen­transaktionen vom Vollzugsverbot ausgenom-


men. Das Vollzugsverbot findet danach keine Anwendung auf öffentliche Übernah-
meangebote und den Erwerb von Wertpapieren über eine Börse. Bedingung für diese
gesetzliche Ausnahme ist, dass der Zusammenschluss unverzüglich beim Bundeskar-
tellamt angemeldet wird und der Erwerber die erworbenen Stimmrechte in der Zwi-
schenzeit, also bis zur Freigabe, nicht ausübt. Diese Neuregelung in § 41 Abs. 1a GWB
ist der ent­sprechenden Vorschrift in der europäischen Fusionskontrollverordnung nach­
ge­bildet. Durch die Übernahme dieser Regelung ins deutsche Recht werden Transaktio-
nen über die Börse für die betroffenen Unternehmen vereinfacht.
Neben dem Gesetzgeber hat auch das Bundeskartellamt zu einer erhöhten Rechts-
sicherheit für die Unternehmen beigetragen und seine Entscheidungspraxis entspre-
chend fortentwickelt. Einen wichtigen Baustein in diesem Zusammenhang stellen die
Verbesserungen bei der Prüfung von Auslandsfusionen dar. Zusammenschlüsse unter-
liegen nur dann der deutschen Fusionskontrolle, wenn sie hinreichende Auswirkungen
auf Deutschland haben. Das neue Merkblatt zu Inlandsauswirkungen in der Fusions­
kontrolle vom September 2014 erläutert ausführlich, unter welchen Voraus­setzungen
bei Zusammenschlüssen ausländischer Unternehmen keine aus­reichenden Inlands­aus­
wirkungen vorliegen und daher keine Anmeldung in Deutschland erforderlich ist. Das
Bundeskartellamt hat sich dabei zur Aufgabe gemacht, möglichst klare Kriterien aufzu-
stellen, anhand derer sich Auslandsfusionen ohne spürbare Auswirkungen mit einem
vertretbaren Aufwand aussortieren lassen. Bezugspunkt dieser Bewertung sind Auswir-
kungen auf Märkte, die Deutschland ganz oder teilweise umfassen. Außerdem wurde
die Benutzerfreundlichkeit des Merkblatts durch die Erstellung eines Flussdiagramms
mit den zentralen Prüfungspunkten erleichtert. Wie andere zentrale Dokumente steht
das Merkblatt auch in einer nicht-amtlichen englischen Übersetzung zur Verfügung.
Das erleichtert die Handhabung gerade im Kontext internationaler Transaktionen.
Materiell wurde durch die Einführung des SIEC-Tests ins deutsche Recht im Rah-
men der 8. GWB-Novelle (2013) die Wirksamkeit der Fusionskontrolle verbessert und
die Entwicklung zu einer stärkeren ökonomischen Absicherung der Entscheidungen
unterstützt und verstärkt. Zusammenschlüsse sind danach zu untersagen, wenn sie
wirksamen Wettbewerb erheblich behindern, wobei am Marktbeherrschungstest als
Regel­beispiel festgehalten wurde. Durch den neuen Test wurden die Interventionsmög-
lichkeiten des Bundeskartellamts erweitert. Insbesondere wettbe­werbs­schädliche Fu-
sionen, in denen der Marktführer nicht beteiligt ist, sind unter dem SIEC-Test besser
zu erfassen.
Die Einführung des SIEC-Tests spiegelt auch die weltweite Entwicklung einer ver-
stärkten Ökonomisierung der Fusionskontrollpraxis wider. Das Bundeskartellamt hat-
te bereits unter dem vor der 8. GWB-Novelle geltenden Marktbe­herrschungstest die
Wettbewerbs­w irkungen von Fusionen ökonomisch fundiert. Dies wurde bereits im Leit-
faden zur Marktbeherrschung in der Fusions­kontrolle von März 2012 zum Ausdruck
gebracht, der den Stand vor dem Testwechsel beschreibt.
Die Ökonomisierung der Fusionskontrolle hat sich in der Praxis des Bundeskartell-
amtes u. a. in der vermehrten Nutzung von datengestützten Ermittlungs- und Analy-
semethoden sowie der verfeinerten Analyse der Markt- und Wettbewerbsbedingungen
niedergeschlagen. Um die Potenziale datengestützter Analysemethoden noch effektiver
zu nutzen, wurde Anfang 2014 ein zweites ökonomisches Grundsatzreferat eingerichtet,
das auf die Durchführung und Bewertung dieser Analysen spezialisiert ist. Die beiden
Referate »Ökonomische Grundsatzfragen« und »Datenerfassung und Ökonometrie« wer-
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756  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

den von dem Chefökonom des Bundeskartellamts koordiniert. Dem hohen Stellenwert
der ökonomischen Fundierung der Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts wird
so Rechnung getragen. Außerdem kommt dem Grundsatzreferat für deutsche und eu-
ropäische Fusionskontrolle die wichtige Rolle zu, die Beschlussabteilungen bei ihren
Verfahren in Fragen der formellen und materiellen Fusionskontrolle zu unterstützen
und so eine möglichst kohärente Entscheidungspraxis zu erreichen.
In der Fallpraxis werden die Möglichkeiten datengestützter Ermittlungs- und Ana-
lysemethoden intensiv genutzt. Unter anderem wurden sogenannte Kundenwechsel-
oder Gebotsanalysen (Bidding Studies) durchgeführt, um zu ermitteln, wie stark ver­
schiedene Anbieter ihre Verhaltensspielräume gegenseitig beschränken.
Zur Prüfung der Auswirkungen der beabsichtigten Übernahme des Vollsortimenters
Kaiser’s Tengelmann durch den Vollsortimenter Edeka auf den betroffenen regionalen
bzw. lokalen Lebensmitteleinzelhandelsmärkten wurden sowohl eine daten­gestützte
Kundenbon-Analyse als auch eine empirische Event-Analyse eingesetzt. Mit einer Event-
Analyse wurde untersucht, wie die Umsätze verschiedener Supermarkt­formate (Vollsor-
timent sowie Discounter) auf die Öffnung und Schließung anderer Super­marktfilialen
in der Umgebung reagieren. So ließ sich beispielsweise empirisch nach­weisen, dass
der Umsatz eines Vollsortiment-Supermarkts (u. a. Rewe oder Edeka) deutlich stärker
zurückgeht, wenn in dessen Nähe ein anderer Voll­sortimenter eröffnet im Vergleich
zu einer Situation, in der in diesem Gebiet ein Discount-Supermarkt eröffnet wird. Die
Event-Analyse ermöglichte eine genauere Beurteilung der Marktabgrenzung, der wett-
bewerblichen Nähe der Zusammenschlussparteien sowie der konkreten Stärke des von
den verschiedenen Ver­triebs­schienen im Lebensmitteleinzelhandel aufeinander aus-
geübten Wettbewerbs­d rucks. Durch die verfeinerten ökonomischen Analysen können
daher Entscheidungen fundierter begründet und Fehlerquellen in der wettbewerblichen
Beurteilung noch weiter verringert werden. Im konkreten Fall hat das Bundeskartellamt
das Zusammenschlussvorhaben mit Beschluss vom 31. März 2015 untersagt, nachdem
die Zusammenschlussbeteiligten keine ausreichenden Zusagen vorgelegt hatten, um
die festgestellten Wettbewerbsprobleme auf den betroffenen Absatz- und Beschaffungs-
märkten zu beseitigen. Der Erwerber hat eine Ministererlaubnis beantragt, über die
noch nicht entschieden wurde.
In Fällen, in denen Wettbewerbsprobleme identifiziert werden, steht den Zusammen-
schlussbeteiligten die Möglichkeit offen, Zusagenangebote vorzulegen, mit denen die
Wettbewerbsprobleme ausgeräumt werden können. Wenn Zusagenangebote diese An-
forderungen erfüllen, kann der Zusammenschluss trotz der ursprünglich festgestellten
Wettbewerbsprobleme freigegeben werden. Das Bundeskartellamt verbindet die Freigabe
dann mit entsprechenden Nebenbestimmungen und erklärt so die Zusagen für bindend.
Zurzeit arbeitet das Bundeskartellamt an einem Leitfaden zu Nebenbestimmungen in
der Fusionskontrolle. Dieser verfolgt das Ziel zu verdeutlichen, welche Anforderun-
gen Zusagenangebote der Unternehmen erfüllen müssen, um Wettbewerbsprobleme
wirksam und belastbar zu beseitigen. Für Unternehmen und ihre Rechtsberater wird
so die Transparenz der Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts weiter gesteigert.
Es ist geplant, einen Entwurf des Leitfadens zunächst im Rahmen einer öffentlichen
Konsultation zu veröffentlichen und so Fachkreisen die Möglichkeit zu geben, zu dem
Entwurf Stellung zu nehmen.
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Teil

XII. Entwicklung und Praxis der schweizerischen


Fusionskontrolle
Jürg Borer/Amalie Wijesundera*

1 Die Entstehungsgeschichte der Schweizer Fusionskontrolle


2 Bedeutung der europäischen Fusionskontrolle
3 Schweizer Fusionskontrolle
3.1 Zusammenschlussbegriff
3.2 Meldepflicht
3.3 Zeitschiene
3.4 Vollzugsverbot
3.5 Vereinfachte Meldung
3.6 Materielle Beurteilung
3.7 Bedingungen und Auflagen
4 Strategische Überlegungen
4.1 Zeitliche Planung
4.2 Konsistenz
4.3 Veröffentlichung
5 Fazit

1 Die Entstehungsgeschichte der Schweizer


Fusionskontrolle
Unternehmenszusammenschlüsse wurden bis zur Kartellgesetzrevision im Jahre 1995
im Schweizer Wettbewerbsrecht zwar als eigener Interventionsgegenstand als sog. kar-
tellähnliche Organisation vom Gesetz erfasst (Art. 4 Abs. 1 lit. c aKG [Kartellgesetz]).
Allerdings konnte die damals zuständige Wettbewerbsbehörde, die Kartellkommissi-
on, nicht präventiv gegen Unternehmenszusammenschlüsse vorgehen; Unternehmens-
zusammenschlüsse mussten vor deren Vollzug der Kartellkommission nicht gemeldet
werden und konnten ohne weiteres vollzogen werden. Sie konnten anschließend, wie
auch die anderen unzulässigen Wettbewerbsbehinderungen, im Rahmen einer kartell-
verwaltungsrechtlichen Untersuchung auf ihre schädlichen Auswirkungen geprüft wer-
den, und die Kartellkommission konnte entsprechend dem Ergebnis der Untersuchung
Empfehlungen aussprechen. Eine nachträgliche Entflechtung einer Fusion war nicht
vorgesehen. Präventive oder repressive Eingriffe waren bei Fusionen ebenfalls nicht vor-

* Jürg Borer, Partner, Rechtsanwalt, Schellenberg Wittmer AG, Zürich; Amalie Wijesundera, Rechts-
anwältin, Schellenberg Wittmer AG, Zürich.
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gesehen; entsprechende Meldepflichten wurden im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten


zum Kartellgesetz 1985 in den parlamentarischen Beratungen verworfen.
Diese Schwächen der Schweizer Fusionskontrolle wurden mit der Inkraftsetzung
eines Fusionskontrollsystems mit präventiver Wirkung im Kartellgesetz 1995 per 1. Juli
1996 behoben. Im Sinne eines politischen Kompromisses sind die Umsatzschwellenwer-
te der Schweizer Fusionskontrolle zwar sehr hoch angesetzt (500 Mio. CHF Schweizer
Gesamtumsatz bzw. 2 Mio. CHF weltweiter Gesamtumsatz und Schweizer Mindestum-
satz von 100 Mio. CHF von mindestens zwei beteiligten Unternehmen), die Interven-
tionsinstrumente (Verbot, Bedingungen und Auflagen) entsprechen jedoch denjenigen
eines echten präventiven Fusionskontrollsystems.1
Dieser Beitrag bietet einen Überblick über das Recht und die Praxis zur Schweizer
Fusionskontrolle in den 19 Jahren, seit sie mit der Revision des Kartellgesetzes im Jahre
1996 in Kraft gesetzt wurde. Mit Blick auf den Adressatenkreis dieser Publikation soll
der Schwerpunkt der nachfolgenden Ausführungen auf die Darstellung der Grundlagen
der Schweizer Fusionskontrolle gelegt werden.
Einleitend wird in Kapitel 2 kurz auf die Bedeutung der europäischen Fusionskon-
trolle für die Schweizer Fusionskontrolle Bezug genommen. In Kapitel 3 werden die
Grundlagen und Entwicklungen der Schweizer Fusionskontrolle erläutert. Schließlich
wird in Kapitel 4 auf einige wichtige strategische Aspekte eingegangen, die im Rahmen
der Meldung eines Zusammenschlussvorhabens zu berücksichtigen sind.

2 Bedeutung der europäischen Fusionskontrolle


Die Gesetzesbestimmungen und die Praxis zur schweizerischen Fusionskontrolle wei-
sen in vielerlei Hinsicht Parallelen zu den Bestimmungen und zur Praxis der europä-
ischen Fusionskontrolle auf. Von der Auslegung des anwendbaren Rechts bis hin zur
Praxis bei der materiellen Beurteilung eines Zusammenschlussvorhabens ist die Schwei-
zer Fusionskontrolle, wenn nicht deckungsgleich zur europäischen Fusionskontrolle, so
doch über weite Teile als äquivalent anzusehen.2 Diese gewisse Parallelität des materiel-
len Rechts bildet denn auch die Grundlage dafür, dass die Schweiz und die Europäische
Union im Jahre 2013 ein Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Anwendung
ihres Wettbewerbsrechts einschließlich des Fusionskontrollrechts abschließen konnten.
Grundtenor dieses Abkommens ist die gegenseitige Anerkennung der Äquivalenz der
beiden Wettbewerbsrechtsordnungen.3
Die Schweizer Wettbewerbskommission sowie ihr die Entscheide vorbereitendes
Sekretariat lehnen sich im Rahmen von Fusionskontrollverfahren an die europäische
Praxis an; so stützten sie sich in ihren Erwägungen oft auf EU-Gesetzesmaterialien und
Fusionskontrollentscheide der EU-Kommission und der europäischen Gerichte.4 Zudem

1 Vgl. zum Ganzen auch Ducrey/Drolshammer 1997, Vorbem. zu Art. 9–11 N 1 ff.
2 Zäch 2005, S. 348; Ducrey/Drolshammer 1997, Vorbem. zu Art. 9–11 N 32 f.; Reinert 2010, vor Art. 9
und 10 N 6 ff.
3 BBl 2013 3960, Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und der Euro-
päischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts.
4 Sogenannte »europakompatible Auslegung«. Bezüglich der Behandlung von Nebenabreden im Zu-
sammenhang mit Unternehmenszusammenschlüssen verweist die Wettbewerbskommission direkt
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stimmen sie sich bei parallelen Fusionskontrollverfahren in der Schweiz und in der EU
bezüglich des Verfahrensablaufs mit der EU-Kommission ab und tauschen Informatio-
nen mit den zuständigen Fallbearbeitern in der EU aus.
Mit der zunehmenden Internationalität und Marktintegration ist davon auszugehen,
dass die bereits bestehende Zusammenarbeit und Kooperation zwischen den Wettbe-
werbsbehörden der EU und der Schweiz in Zukunft noch intensiviert wird. Diese Zu-
sammenarbeit hält die meldenden Unternehmen dazu an, im Rahmen von parallelen
Verfahren Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten zu vermeiden und auch die
zeitliche Koordination der Verfahren nicht zu vernachlässigen.

3 Schweizer Fusionskontrolle
Wie in den meisten Ländern sind Unternehmen in der Schweiz verpflichtet, Transakti-
onen zu melden, die in den Anwendungsbereich der Schweizer Fusionskontrolle fallen.
Dies ist der Fall wenn (i) die beabsichtigte Transaktion den Zusammenschlusstatbestand
im Sinne der Schweizer Fusionskontrollbestimmungen erfüllt und (ii) die anwendbaren
Schwellenwerte erreicht werden. Zusätzlich besteht eine Meldepflicht, wenn an der
geplanten Transaktion ein Unternehmen beteiligt ist, für welches in einem Verfahren
nach den Schweizer Fusionskontrollbestimmungen rechtkräftig festgestellt worden ist,
dass es in der Schweiz auf einem bestimmten Markt eine beherrschende Stellung hat,
und die Transaktion diesen Markt oder einen solchen betrifft, der ihm vor- oder nach-
gelagert oder benachbart ist.

3.1 Zusammenschlussbegriff
Ähnlich wie in der EU und in vielen anderen Jurisdiktionen wird in der Schweiz eine
eigentliche gesellschaftsrechtliche Fusion oder der Erwerb von (alleiniger oder gemein-
samer) Kontrolle als Zusammenschluss erfasst. Die Kontrolle kann auf verschiedene
Arten erworben werden, etwa durch den Erwerb einer Beteiligung oder den Abschluss
eines Vertrags5, aufgrund der Beteiligungsverhältnisse ergänzt durch einen entspre-
chenden Aktionärbindungsvertrag mit Vetorechten bezüglich der strategisch zentralen
Entscheide6 oder auch aus faktischen Gegebenheiten (wirtschaftliche oder finanzielle
Abhängigkeiten)7. Entscheidend ist, dass das erwerbende Unternehmen dadurch die
Möglichkeit erhält, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des übernommenen
Unternehmens auszuüben.8 Ein Gemeinschaftsunternehmen, bei dem zwei oder mehr

auf die einschlägige europäische Praxis (vgl. die Mitteilung i.S. Zusammenschlusskontrolle Migros/
Schild, publiziert in der Reihe Recht und Politik des Wettbewerbs (RPW) 2014/1 S. 292 f., Rz. 11).
Auch verwenden die Schweizer Wettbewerbsbehörden oft die gleichen Marktabgrenzungen wie
die EU-Kommission (vgl. etwa RPW 2014/1, S. 305 f. Rz. 7, Carlyle Group/Vitol Group/Varo Energy
Holding, und RPW 2014/4, S. 729 ff. Rz. 45 ff., Cargill/Copersucar).
5 Z. B. RPW 2013/4, S. 657 ff. Rz. 6, Swisscom (Schweiz) AG/DL – Groupe GMG SA.
6 Z. B. RPW 2014/4, S. 751 ff. Rz. 9 ff., KKR & Co. L.P./Allianz SE/Selecta AG .
7 Z. B. RPW 2013/3, S. 389 ff. Rz. 19 ff., PubliGroupe/S1TV.
8 Vgl. Art. 4 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 06.10.1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbe-
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Unternehmen gemeinsam die Kontrolle über ein Unternehmen erlangen, das sie bisher
nicht gemeinsam kontrollierten, erfüllt auch den Zusammenschlusstatbestand, wenn
es sich um ein sogenanntes »Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen« handelt.9 Wird
das Gemeinschaftsunternehmen neu gegründet, ist der Zusammenschlusstatbestand
darüber hinaus nur erfüllt, wenn in dieses Unternehmen die Geschäftstätigkeiten von
mindestens einem der kontrollierenden Unternehmen einfließen.10

3.2 Meldepflicht
3.2.1 Umsätze

Eine Transaktion, welche den Zusammenschlussbegriff erfüllt, ist in der Schweiz mel-
depflichtig, wenn die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen im letzten Ge-
schäftsjahr vor dem Zusammenschluss (i) einen Umsatz von insgesamt mindestens 2
Mrd. CHF oder einen auf die Schweiz entfallenden Umsatz von insgesamt mindestens
500 Mio. CHF erzielten und (ii) mindestens zwei der beteiligten Unternehmen einen
Umsatz in der Schweiz von je mindestens 100 Mio. CHF erwirtschafteten.11
Bei einem Gemeinschaftsunternehmen besteht diese Meldepflicht ausnahmsweise
nicht, wenn das Gemeinschaftsunternehmen einerseits weder Aktivitäten noch Um-
sätze in der Schweiz aufweist und andererseits solche Aktivitäten oder Umsätze in der
Schweiz auch künftig weder geplant noch zu erwarten sind. In solchen Fällen vernei-
nen die Schweizer Wettbewerbsbehörden die Meldepflicht mangels Auswirkung auf die
Schweiz.12

3.2.2 Marktbeherrschung

Eine Meldepflicht kann in der Schweiz ungeachtet der Erreichung der Umsatzschwel-
len ausgelöst werden, wenn an der geplanten Transaktion ein Unternehmen beteiligt
ist, für welches in einem Verfahren nach der Schweizer Fusionskontrollgesetzgebung
rechtskräftig festgestellt wurde, dass es in der Schweiz auf einem bestimmten Markt
eine beherrschende Stellung hat und die Transaktion diesen Markt oder einen solchen
betrifft, der ihm vor- oder nachgelagert oder benachbart ist.13 Die Schweizer Wettbe-
werbsbehörden gehen insbesondere beim Begriff des »benachbarten« Marktes von einer

schränkungen (Kartellgesetz, KG; SR 251) und Art. 1 der Verordnung vom 17.06.1996 über die Kon-
trolle von Unternehmenszusammenschlüssen (VKU; SR 251.4); Reinert 2010, Art. 4 N 119 ff.; Borer
2011, Art. 4 N 27.
9 Art. 2 Abs. 1 VKU. Für die Merkmale eines Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens kann weitge-
hend auf die EU-Definition verwiesen werden (vgl. dazu Seeliger/Heinen 2016, Kap. 5.1, S. 743 f.).
10 Art. 2 Abs. 2 VKU. Dies ist eine Schweizer Besonderheit. Das EU-Fusionskontrollrecht sieht dieses
Kriterium nicht vor. Vgl. z. B. RPW 2006/4, S. 677 ff. Rz. 18 ff., GE/CSFBPE/GIMP; Borer 2011, Art. 4
N 42.
11 Art. 9 Abs. 1 KG.
12 Ziff. 4 der Mitteilung des Sekretariates der Wettbewerbskommission vom 23.03.2009 zur Praxis zur
Meldung und Beurteilung von Zusammenschlüssen (Version 3 vom 19.09.2014).
13 Art. 9 Abs. 4 KG.
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XII. Entwicklung und Praxis der schweizerischen Fusionskontrolle  |  761


Teil

weiten Definition aus. Die bisherige Praxis der Schweizer Gerichte hingegen ist eher als
restriktiv zu bezeichnen.14

3.2.3 Unterlassung der Meldung

Wird ein meldepflichtiger Unternehmenszusammenschluss ohne Meldung vollzogen,


so leitet die Schweizer Wettbewerbsbehörde ein Zusammenschlussverfahren von Amts
wegen ein.15 Darüber hinaus bleibt die zivilrechtliche Wirksamkeit eines solchen Zu-
sammenschlusses bis zum Fristablauf oder der Bewilligung zum vorläufigen Vollzug
aufgeschoben.16

3.3 Zeitschiene
In der Schweiz müssen die Zusammenschlussbeteiligten für die Zeitplanung ihrer Trans-
aktion die folgenden Fristen einplanen.17 Die Wettbewerbskommission muss innerhalb
eines Monats nach Eingang der vollständigen Zusammenschlussmeldung beschließen
und den Zusammenschlussbeteiligten mitteilen, ob sie das Zusammenschlussvorhaben
in einer vorläufigen Prüfung (»Phase I«) freigeben oder ob sie eine vertiefte Prüfung
(»Phase II«) einleiten will. Erfolgt innerhalb dieser Frist keine Mitteilung, können die
beteiligten Parteien den Zusammenschluss ohne Vorbehalt vollziehen. Die Prüfung im
Rahmen der Phase II hat die Wettbewerbskommission innerhalb von 4 Monaten durch-
zuführen.18
Im Vorfeld zur Einreichung der definitiven Meldung führen die Zusammenschlusspar-
teien in der Regel Gespräche über die Vollständigkeit der Meldung mit dem Sekretariat
der Wettbewerbskommission. Dadurch lässt sich vermeiden, dass eine vermeintlich
definitive Meldung als unvollständig zurückgewiesen und folglich die gesetzliche Prü-
fungsfrist noch nicht ausgelöst wird. In schwierigen Fällen lassen sich anlässlich dieser
Gespräche auch bereits erste Optionen bezüglich Bedingungen und Auflagen themati-
sieren.19 Für diese informelle Abstimmung mit den Wettbewerbsbehörden ist mit einer
Dauer von etwa zwei bis drei Wochen zu rechnen; bei der Diskussion von zukünftigen
Zusagen kann diese Phase auch länger dauern.
Die meisten Zusammenschlussvorhaben, die in der Phase II entschieden werden,
werden unter Auflagen und Bedingungen genehmigt. Bislang wurde in der Schweiz nur
eine Untersagung ausgesprochen.20

14 Das Schweizer Bundesverwaltungsgericht (2. Instanz) verlangt etwa ein genügendes Nahverhältnis
zwischen demjenigen Markt, für welchen die Marktbeherrschung festgestellt wurde, und dem von
der Transaktion betroffenen Markt, etwa indem die Produkte dieser Märkte zusammen ver- oder
gekauft werden bzw. eine parallele Nachfrage nach diesen Produkten besteht (Urteil B-6180/2013
des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.4.2014, The Swatch Group AG gegen WEKO, publiziert in
RPW 2014/2, S. 473 ff., E. 2.3).
15 Art. 35 KG.
16 Art. 34 KG.
17 Art. 32 f. KG und Art. 20 VKU.
18 Art. 33 Abs. 3 KG.
19 Weber/Volz 2013, S. 301; Borer 2011, Art. 32 N 5.
20 Verfügung der Wettbewerbskommission vom 19.04.2010 i. S. France Télécom SA/Sunrise Communi-
cations AG, publiziert in RPW 2010/3, S. 499 ff.
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3.4 Vollzugsverbot
Wie in der EU und in vielen anderen Jurisdiktionen dürfen die Zusammenschlussbe-
teiligten die Transaktion nicht vollziehen, bis die Wettbewerbskommission diese frei-
gegeben hat. Bei Vorliegen von wichtigen Gründen kann ein Vollzug zwar vorzeitig
bewilligt werden.21 Die diesbezügliche Praxis der Wettbewerbskommission ist jedoch
sehr restriktiv.22
Bei Verstößen gegen das Vollzugsverbot können die beteiligten Unternehmen mit ei-
nem Betrag bis zu einer Million Franken belastet werden.23 In den vergangenen Jahren
hat die Wettbewerbskommission wiederholt solche Verstöße festgestellt und Sanktionen
ausgesprochen.24

3.5 Vereinfachte Meldung


Wie bereits erwähnt, können die Zusammenschlussbeteiligten und das Sekretariat der
Wettbewerbskommission im Vorfeld einer Meldung Gespräche über die Vollständigkeit
der Meldung führen. Bei dieser Gelegenheit können sie auch die Einzelheiten des In-
halts der Meldung einvernehmlich regeln, und die Zusammenschlussbeteiligten können
auf diesem Wege von der Pflicht zur Vorlage einzelner Angaben und/oder Unterlagen
befreit werden.25
Bei parallelen Meldungen in der EU und in der Schweiz kann in der Schweiz nor-
malerweise eine erleichterte Meldung eingereicht werden, in der bezüglich einzelner
Beschreibungen und Informationen auf die Meldung an die EU-Kommission (Form CO)
verwiesen wird. Die Form CO wird in solchen Fällen als Anhang der Schweizer Meldung
beigelegt.

21 Art. 32 Abs. 2 KG.


22 Nach der Praxis der Wettbewerbskommission liegt ein wichtiger Grund im Sinne von Art. 32 Abs.
2 KG vor, wenn der Erfolg des Zusammenschlusses durch das Vollzugsverbot in Frage gestellt ist,
wenn den beteiligten Unternehmen oder Dritten schwerer Schaden droht und wenn keine wettbe-
werbsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen des Zusammenschlussvorhabens auf
den Wettbewerb vorliegen. Sie berücksichtigt dabei, dass die Frist für die vorläufige Prüfung eines
Zusammenschlusses mit einem Monat bereits kurz bemessen ist. Entsprechend restriktiv will sie
das Kriterium des wichtigen Grundes handhaben und hält fest, dass wichtige Gründe nur in Fällen
vorliegen können, in welchen den meldenden Unternehmen eine besondere zeitliche Dringlichkeit
durch äußere Faktoren aufgezwungen wird. Wären die Parteien also in der Lage gewesen, eine
vollständige Meldung zeitlich so zu planen und einzureichen, dass sie durch das einmonatige Voll-
zugsverbot nicht in Zugzwang geraten, verweigern die Wettbewerbsbehörden eine vorzeitige Voll-
zugsbewilligung (RPW 2011/4, S. 680 ff., Rz. 8 ff., Zwischenverfügung der Wettbewerbskommission
vom 20.10.2011 in Sachen Zusammenschlussvorhaben Fluxys G SA/Eni Gas Transport Deutschland
S.p.A./Eni Gas Transport GmbH/Eni Gas Transport International SA/Transitgas AG/Swissgas be-
treffend Begehren um Bewilligung des vorzeitigen Vollzugs gemäß Art. 32 Abs. 2 KG).
23 Art. 51 Abs. 1 KG.
24 Z. B. BGE 127 III 219 und RPW 2002/3, S. 524 ff., Schweizerische Nationalversicherungs-Gesell-
schaft/Coop Leben. Die Höhe der effektiv ausgesprochenen Sanktionen liegt viel tiefer als der mög-
liche Maximalbetrag. In den bisher publizierten Entscheiden bezüglich Verstößen gegen das Voll-
zugsverbot wurden Bußen nur bis zu einer Höhe von CHF 68‘400.- auferlegt.
25 Art. 12 VKU.
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Teil

3.6 Materielle Beurteilung


Ein Zusammenschluss kann in der Schweiz untersagt oder mit Bedingungen und Aufla-
gen zugelassen werden, wenn der Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung
begründet oder verstärkt, welche darüber hinaus geeignet ist, den wirksamen Wettbe-
werb zu beseitigen.26 Wo die Wettbewerbsbehörden die Begründung oder Verstärkung
einer marktbeherrschenden Stellung, jedoch keine Möglichkeit für die Beseitigung des
wirksamen Wettbewerbs feststellen, haben sie daher davon abzusehen, den Zusam-
menschluss zu untersagen.27 Diese Eingriffsschwelle der Schweizer Wettbewerbsbe-
hörden ist im Vergleich zu derjenigen in der EU durch die bundesgerichtliche Praxis
hoch.28 So ist nach Ansicht des Bundesgerichts für die Erfüllung der Eingriffsschwelle
im Rahmen von Art. 10 Abs. 2 des Kartellgesetzes (KG) eine »einfache« marktbeherr-
schende Stellung nicht ausreichend, vielmehr sei durch die in Art. 10 Abs. 2 lit. a KG
enthaltene Formulierung »durch die wirksamer Wettbewerb beseitigt werden kann«
eine qualifizierte marktbeherrschende Stellung erforderlich. Das zusätzliche Element im
Gesetzestext bei der marktbeherrschenden Stellung könnte jedoch ohne weiteres und
wesentlich naheliegender als dynamisierendes Element verstanden werden, wonach bei
der Fusionskontrolle im Gegensatz zur Verhaltenskontrolle bei marktbeherrschenden
Unternehmen nicht eine statische Betrachtung der Marktbeherrschung, sondern eine dy-
namische Betrachtung im Sinne einer Prognose vorgenommen werden müsste.29 Die im
Rahmen einer Gesetzesrevision vorgesehene Einführung des in der EU angewendeten
SIEC-Tests (Significant Impediment of Effective Competition-Test), bei der die Eingriffs-
schwelle bereits bei der erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs gegeben
wäre, hatte keinen Erfolg; die Revision wurde vom Schweizer Parlament abgelehnt.
Der Begriff der markbeherrschenden Stellung orientiert sich an der Definition, wie
sie für die Schweizer Missbrauchskontrolle angewendet wird. Danach sind Unterneh-
men »marktbeherrschend«, wenn sie auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager
in der Lage sind, sich von anderen Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder
Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten«.30
Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Marktstellung der Zusammen-
schlussbeteiligten sind deren Marktanteile, die durch die Abgrenzung der sachlich
und örtlich relevanten Märkte gemäß Art. 11 Abs. 3 VKU zu ermitteln sind. Diese

26 Art. 10 Abs. 2 lit. a KG.


27 So kam die Wettbewerbskommission kürzlich bei einem Zusammenschluss von zwei Suchmaschi-
nenanbietern zum Schluss, dass durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung im
Bereich von Adressverzeichnissen entstehen würde. Trotzdem sei keine Beseitigung des wirksamen
Wettbewerbs zu erwarten, weshalb die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Verbot nicht erfüllt
seien. Der Zusammenschluss wurde genehmigt (Entscheid noch nicht publiziert; Pressemittelung
abrufbar unter: https://www.news.admin.ch/message/ index.html?lang=de&msg-id=56652, zu-
letzt besucht 05.11.2015).
28 Urteil 2A.325/2006 des Bundesgerichts vom 13.02.2007, E. 6.3, publiziert in RPW 2007/2, S. 324 ff.,
Aare-Tessin Wettbewerbskommission/Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel), BKW FMB Energie AG,
Centralschweizerische Kraftwerke AG, Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg AG, Elektrizitätswerk
der Stadt Zürich (ewz), Energie Ouest Suisse (EOS) SA, Nordost-schweizerische Kraftwerke (NOK),
Rekurskommission für Wettbewerbsfragen. Dass die Eingriffschwellen hoch sind, geht auch aus
der bisherige Praxis der Wettbewerbskommission hervor. Seit 1996 wurde in der Schweiz nur ein
Zusammenschlussvorhaben untersagt (RPW 2010/3, S. 499 ff., France Télécom SA/Sunrise Com-
munications AG). In der EU gab es von 1990 bis 2014 24 Untersagungen, darunter 4 seit 2011. Vgl.
hierzu auch Meinhardt/Waser/Bischof 2010, Art. 10 N 182 ff.
29 Borer 2011, Art. 32 N 17 f.
30 Art. 4 Abs. 2 KG; Weber/Volz 2013, S. 305.
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764  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Marktabgrenzung ist mitunter ein sehr schwieriges Unterfangen, für welches vertiefte
ökonomische Kenntnisse und Modelle erforderlich sind. Insbesondere bezüglich der
sachlichen Marktabgrenzung liegt nicht ohne weiteres auf der Hand, welche Produkte
oder Dienstleistungen den notwendigen Grad an Substituierbarkeit aufweisen, um dem
gleichen relevanten Markt wie demjenigen der fusionierenden Unternehmen zugerech-
net zu werden. Die Marktabgrenzung ist somit zwar ein entscheidendes Instrument, um
möglichst systematisch wettbewerblich bedenkliche Bereiche auszusondern und den
unmittelbaren Wettbewerbsdruck, welchem das fusionierte Unternehmen ausgesetzt
ist, zu erfassen.31 Diese Abgrenzung des relevanten Marktes und die darauf abgestützte
Berechnung der Marktanteile bleibt dennoch nur eine indirekte Methode oder eine erste
Arbeitshypothese für die Feststellung von Marktmacht und Marktbeherrschung, welche
zwar der gängigen Praxis entspricht, aufgrund ihrer Ungenauigkeit jedoch in der Lehre
teilweise kritisiert wird.32
Es versteht sich folglich von selbst, dass bloße Marktanteile nur ein Element für die
materiellrechtliche Beurteilung eines Fusionsvorhabens sein können. Im Rahmen einer
Gesamtmarktbetrachtung sind andere Elemente, wie beispielsweise die Marktstruktur,
Marktzutrittsschranken, Marktentwicklungen, Finanzkraft des fusionierten Unterneh-
mens, Innovations- und Know-How-Potenzial, potenzielle Wettbewerber, Auswirkungen
des Zusammenschlusses auf andere Märkte, vom Zusammenschluss bedingte Effizienz-
vorteile etc. weitere gewichtige Faktoren für die Beurteilung.33
Sofern ein Zusammenschluss zu keinen Marktanteilsadditionen führt oder die gemein-
samen Anteile der Zusammenschlussbeteiligten auf den relevanten Märkten auch bei einer
Marktanteilsaddition unter 30 % betragen, gehen die Schweizer Wettbewerbsbehörden in
der Regel von dessen Unbedenklichkeit aus und verzichten auf die vertiefte Prüfung des
Vorhabens im Rahmen einer Phase II-Prüfung.34 Kommen die Schweizer Wettbewerbs-
behörden im Rahmen der Vorprüfung zur Auffassung, dass das Zusammenschlussvorha-
ben eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken könnte (etwa weil das
Zusammenschlussvorhaben zu Marktanteilen von 50 % oder mehr auf dem relevanten
Markt führt35), so werden sie die Hauptprüfung nach Art. 33 KG einleiten.36

3.7 Bedingungen und Auflagen


Kommen die Schweizer Wettbewerbsbehörden im Rahmen des Fusionskontrollverfah-
rens zum Schluss, dass die materiellen Eingriffskriterien erfüllt sind, müssen sie den
Zusammenschluss entweder nur mit Bedingungen und Auflagen zulassen oder diesen
im Extremfall gänzlich untersagen. In der bisherigen Praxis der Wettbewerbskommis-
sion gab es erst eine Untersagung beim geplanten Zusammenschlussvorhaben der Tele-
kommunikationsunternehmen Orange und Sunrise.37

31 Ducrey/Drolshammer 1997, Art. 10 N 13 f.


32 So etwa Meinhardt/Waser/Bischof 2010, Art. 10 N 39 ff.
33 Vgl. hierzu etwa Venturi/Favre 2012, Art. 10 N 90 ff.; Reich 2007, Art. 10 N 12; Zäch 2005, S. 386.
34 Venturi/Favre 2012, Art. 10 N 99.
35 Meinhardt/Waser/Bischof 2010, Art. 10 N 67.
36 Vgl. Weber/Volz 2013, S. 301.
37 Verfügung der Wettbewerbskommission vom 19.04.2010 i.S. France Télécom SA/Sunrise Communi-
cations AG, publiziert in RPW 2010/3, S. 499 ff. (vgl. Fn. 20).
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Teil

Bei den Bedingungen und Auflagen kann es sich einerseits um Zusagen der be-
teiligten Unternehmen oder andererseits um einseitige Maßnahmen der Wettbewerbs-
kommission handeln.38 Solche Bedingungen und Auflagen werden befristet oder auch
unbefristet in einem formellen Entscheid verfügt.39

4 Strategische Überlegungen
Häufig müssen geplante Zusammenschlussvorhaben nicht nur in der Schweiz, sondern
auch in mehreren anderen Jurisdiktionen, allen voran in der EU, gemeldet werden.
Dabei stellen sich oft Fragen hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs, der Koordination und
Konsistenz der Mehrfachmeldungen, die im Rahmen der Planung und Umsetzung der
Transaktion zu berücksichtigen sind.40

4.1 Zeitliche Planung


Ein Zusammenschlussvorhaben kann in der Schweiz – sofern die Meldevoraussetzun-
gen erfüllt sind – bereits ab dem Zeitpunkt gemeldet werden, wenn der Zusammen-
schlusswille der beteiligten Parteien hinreichend glaubhaft gemacht werden kann. Dies
ist in der Regel gegeben, wenn eine Zusage wie etwa ein verbindlicher Letter of Intent
vorliegt.41
Bei der Planung von parallelen Meldungen in der Schweiz und in der EU ist zu beach-
ten, dass es die Schweizer Wettbewerbsbehörden vorziehen, ihren Entscheid kurz nach
dem Entscheid der EU zu treffen, damit mögliche grenzüberschreitende Wirkungen
eines Zusammenschlusses möglichst mitberücksichtigt werden. Daher empfiehlt sich in
der Regel die Einreichung einer Meldung in der Schweiz kurz nach Einreichung einer
Meldung an die EU-Kommission.

4.2 Konsistenz
Bei parallelen Meldungen in der Schweiz und in der EU ist besonders auf die inhaltli-
che Kohärenz beider Meldungen zu achten.42 Die Wettbewerbsbehörden der Schweiz
und der EU sind namentlich aufgrund eines im Jahre 2013 abgeschlossenen und in-
zwischen in Kraft getretenen Kooperationsabkommens ermächtigt, Informationen, die

38 Urteil 2A.325/2006 des Bundesgerichts vom 13.02.2007, E. 9.2, publiziert in RPW 2007/2, S. 324 ff.,
Aare-Tessin Wettbewerbskommission/Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel), BKW FMB Energie AG,
Centralschweizerische Kraftwerke AG, Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg AG, Elektrizitätswerk
der Stadt Zürich (ewz), Energie Ouest Suisse (EOS) SA, Nordost-schweizerische Kraftwerke (NOK),
Rekurskommission für Wettbewerbsfragen; vgl. auch Weber/Volz 2013, S. 293.
39 Meinhardt/Waser/Bischof 2010, Art. 10 N 183 f.
40 Vgl. hierzu auch Seeliger/Heinen 2016, Kap. 6, S. 751 ff.
41 Vgl. etwa Weber/Volz 2013, S. 293.
42 Vgl. hierzu auch Seeliger/Heinen 2016, Kap. 6.3, S. 752.
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766  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

sie im Rahmen ihrer jeweiligen Fusionskontrollverfahren erlangt haben, untereinander


auszutauschen. Diese Ermächtigung ist weitreichend; bestimmte Informationen können
auch ohne Zustimmung der betroffenen Parteien ausgetauscht werden.43 In der Schweiz
ist es bei parallelen Meldungen in der Schweiz und in der EU inzwischen etablierte Pra-
xis, eine Kopie der EU-Meldung samt Anhängen der Schweizer Meldung beizulegen.44

4.3 Veröffentlichung
Die Schweizer Wettbewerbsbehörden sind gesetzlich ermächtigt, aber nicht verpflichtet,
ihre Entscheide, darunter auch diejenigen bezüglich Zusammenschlussverfahren, zu
veröffentlichen.45 Von dieser Ermächtigung machen die Behörden auch rege Gebrauch,
und beinahe alle Fusionskontrollentscheide werden in der offiziellen Publikationsreihe
der Schweizer Wettbewerbsbehörden46 auf der offiziellen Webseite und in gedruckter
Form veröffentlicht; zuvor werden allfällige Geschäftsgeheimnisse in den Entscheiden
bereinigt.
Während des Verfahrens nehmen die Wettbewerbsbehörden, wie in der EU, insbe-
sondere im Rahmen von vertieften Prüfungen Kontakt zu anderen Marktteilnehmern
wie Wettbewerbern, Kunden und Lieferanten auf, um mittels Fragebogen die Marktver-
hältnisse und die Marktgepflogenheiten zu ermitteln.

5 Fazit
Das Schweizer Fusionskontrollverfahren ist in vielerlei Hinsicht wenn nicht identisch,
so doch äquivalent zum Fusionskontrollverfahren in der EU. Das Recht und die Praxis
in der EU spielen vor diesem Hintergrund in der Schweiz eine bedeutende Rolle. Gleich-
zeitig ist jedoch darauf zu achten, dass die Praxis in der Schweiz auch einige Besonder-
heiten aufweist, die bei einer Meldung zu beachten sind. Dies betrifft vor allem die Ver-
fahrensdauer, die Voraussetzungen für die Meldung sowie die materielle Beurteilung.

Literatur
Borer, J. (2011): Kommentar Wettbewerbsrecht I. 3. Aufl., Orell Füssli, Zürich, 2011.
Ducrey, P./Drolshammer, J. (1997): In: Homburger, E./Schmidhauser, B./Hoffet, F. (Hrsg.): Kommentar
zum schweizerischen Kartellgesetz. Schulthess, Zürich, 1997.

43 Art. 7 des Abkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union über die Zusammenar-
beit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts.
44 Vgl. diesbezüglich auch Ziff. 3.5.
45 Art. 48 Abs. 1 KG.
46 Recht und Politik des Wettbewerbs (RPW), abrufbar unter http://www.weko.admin.ch/dokumen-
tation.
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XII. Entwicklung und Praxis der schweizerischen Fusionskontrolle  |  767


Teil

Meinhardt, M./ Waser, A./ Bischof, J. (2010): In: Amstutz, M./Reinert, M. (Hrsg.): Basler Kommentar
zum Kartellgesetz. Helbling Lichtenhahn, Basel, 2010.
Reich, P. M. (2007): In: Baker & McKenzie (Hrsg.): Stämpflis Handkommentar zum Kartellgesetz (KG).
Stämpfli, Bern, 2007.
Reinert, M. (2010): In: Amstutz, M./Reinert, M. (Hrsg.):Basler Kommentar zum Kartellgesetz. Helbling
Lichtenhahn, Basel, 2010.
Seeliger, D./Heinen, A. (2016): Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter besonderer Berück-
sichtigung der EU-Fusionskontrolle. In: Müller-Stewens, G./Kunisch, S./Binder, A. (Hrsg.): Mergers
& Acquisitions. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2016, S. 737–753.
Venturi, S./ Favre, P.G. (2012): In: Martenet, V./Bovet, Ch./Tercier, P. (Hrsg.) : Commentaire Romand,
Droit de la concurrence. 2. Aufl., Helbling Lichtenhahn, Basel, 2012.
Weber, R. H./Volz, S. (2013): Fachhandbuch Wettbewerbsrecht. Schulthess, Zürich, 2013.
Zäch, R. (2005): Schweizerisches Kartellrecht. 2. Aufl., Stämpfli, Bern, 2005.
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768  | 
Teil

Zur wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung


des EFTA-Gerichtshofs
Carl Baudenbacher*

1 Einleitung
2 Überprüfung von Entscheidungen der EFTA-Überwachungsbehörde (ESA),
insbesondere komplexer wirtschaftlicher Beurteilungen
3 Öffentlicher Zugang zu Dokumenten
4 Verhältnis Wettbewerbsrecht – Tarifverträge
5 Vertretungsrecht der Unternehmensanwälte
6 Wettbewerb versus Großvaterrechte im Flugverkehr
7 Schluss

1 Einleitung
Das EWR-Abkommen fußt auf einem Zwei-Pfeiler-Modell. Das Recht in beiden Pfeilern
– EU und EWR/EFTA – ist weitgehend inhaltsgleich. Es bestehen aber getrennte Rechts-
ordnungen und jeder Pfeiler hat seine eigenen Organe. Im EU-Pfeiler ist die Kommission
zur Überwachung und der EuGH zur gerichtlichen Kontrolle zuständig; im EFTA-Pfei-
ler werden diese Aufgaben von der EFTA-Überwachungsbehörde (»EFTA Surveillance
Authority«, »ESA«) und dem EFTA-Gerichtshof wahrgenommen. Das EWR-Abkommen
hat in den Art. 53 und 54 das Kartellverbot und das Verbot des Missbrauchs einer
marktbeherrschenden Stellung der Art. 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise
der Europäischen Union (AEUV) übernommen. Gemäß den Art. 56–58 EWR-Abkom-
men ist allerdings vor allem in Kartellfällen mit EFTA-Bezug meistens die Kommissi-
on zuständig. Überdies ist die ESA in den ersten beiden Dekaden ihres Bestehens im
Wettbewerbsrecht nicht sehr aktiv gewesen, und auch die Gerichte der drei dem EWR
angehörenden EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen waren mit Vorlagen
an den EFTA-Gerichtshof zurückhaltend. Trotzdem hat der letztere eine eigenständige
wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung entwickelt.

∗ Prof. Dr. Dr. h. c. Carl Baudenbacher, Präsident des EFTA-Gerichtshofs, Luxemburg; Direktor Center
of European an International Law, Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen.
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Standpunkt – Zur wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs  |  769


Teil

2 Überprüfung von Entscheidungen der EFTA-


Überwachungsbehörde (ESA), insbesondere
komplexer wirtschaftlicher Beurteilungen
Das bedeutendste Urteil ist in der Rechtssache E-15/10 Posten Norge (Norwegische Post)
ergangen.1 Der EFTA-Gerichtshof hielt eine Entscheidung der ESA aufrecht, dass die
Norwegische Post ihre beherrschende Stellung auf dem Markt für B-to-C Paketdienst-
leistungen mit Zustellung über den Ladentisch dadurch missbraucht hat, dass sie bei der
Einrichtung und Unterhaltung ihres Post-in-Shop Netzwerks eine Strategie der Exklusi-
vität und Vorzugsbehandlung verfolgte. Selbstabholung ist die in Norwegen am weitest-
verbreitete Methode der Zustellung von B-to-C Paketen. Der Markt besteht insbesondere
aus der Versendung von Waren, welche Verbraucher über das Internet gekauft haben.
Der Marktanteil der Norwegischen Post blieb während des gesamten relevanten Zeitab-
schnitts nahe bei oder über 98 %. In den Jahren 2000 und 2001 schloss die Norwegische
Post zum Zweck des Aufbaus ihres Post-in-Shop Netzwerkes Rahmenvereinbarungen
mit NorgesGruppen, Shell, COOP und ICA ab. Die Vereinbarung mit NorgesGruppen/
Shell schloss Wettbewerber auf dem Markt für B-to-C Paketdienstleistungen ausdrück-
lich vom Zugang zu allen Verkaufsstellen dieser Ketten aus. Die Vereinbarungen mit
COOP und ICA gewährten der Norwegischen Post Exklusivität für die Verkaufsstellen,
die einen Post-in-Shop beherbergen. Nachdem das Post-in-Shop Konzept gegen Ende
des Jahres 2003 im Wesentlichen umgesetzt war, waren die Wettbewerber der Norwe-
gischen Post durch die Exklusivitätsklauseln von ca. 50 % aller Verkaufsstellen von
Supermarkt-, Kiosk- und Tankstellenketten in Norwegen ausgeschlossen.
Der Gerichtshof stellte fest, dass das Verfahren, welches zu der Verhängung einer
erheblichen Geldbuße gegen die Klägerin geführt hatte, die auf strafrechtliche Verfahren
anwendbaren Garantien des Art. 6 EMRK einhalten muss. Insbesondere ergibt sich aus
dem Recht auf ein faires Verfahren, dass der Gerichtshof in der Lage sein muss, die an-
gefochtene Entscheidung hinsichtlich Tatsachen- und Rechtsfragen in jeder Beziehung
aufzuheben. Folglich wies der Gerichtshof das Vorbringen der EFTA-Überwachungsbe-
hörde zurück, dass sich die Überprüfung komplexer wirtschaftlicher Beurteilungen der
Überwachungsbehörde auf »offensichtliche Irrtümer« beschränke.
In der Sache bestätigte der Gerichtshof die Bewertung des Verhaltens der Norwegi-
schen Post durch die ESA. Um effektiv in den Wettbewerb einzutreten, mussten neue
Marktteilnehmer ein landesweites Liefernetzwerk aufbauen. Die Zusammenarbeit mit
einer oder mehreren führenden Supermarkt-, Kiosk- und Tankstellenketten war dafür
von großer Wichtigkeit. Daher, und zumal die anderen Ketten nicht ohne weiteres
für neue Marktteilnehmer verfügbar waren, war das Verhalten der Norwegischen Post
geeignet, den Wettbewerb durch Versperren des Zugangs zu einem wesentlichen Teil
dieser Verkaufsstellen zu beschränken, und zwar sowohl direkt durch die Ausschließ-
lichkeitsklauseln als auch indirekt durch die Schaffung von entsprechenden Anreizen
für die Partner der Norwegischen Post während der Implementierung des Post-in-Shop
Netzwerkes und der anschließenden Verhandlungen. Das Argument der Norwegischen
Post, dass die Ausschließlichkeitsklauseln für die effiziente Implementierung des Post-
in-Shop Konzepts objektiv notwendig gewesen seien, wies der Gerichtshof zurück.

1 E-15/10 Posten Norge v ESA [2012] EFTA Court Report (Ct. Rep.) 246.
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770  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Allerdings folgte der Gerichtshof dem Vorbringen der Norwegischen Post, dass die
Buße aufgrund der übermäßigen Dauer des Verwaltungsverfahrens reduziert werden
muss. Nach dem ersten Informationsersuchen – ein Jahr nach der Einleitung des Ver-
fahrens durch eine Beschwerde – benötigte die ESA fünf Jahre und acht Monate um
ihre Untersuchung abzuschließen. Darüber hinaus brauchte die ESA nach der letzten
Stellungnahme der Norwegische Post ein Jahr, um die endgültige Entscheidung zu
erlassen. Der Gerichtshof erachtete beide Zeitabschnitte für unverhältnismäßig lang.
Da eine Verletzung des Grundrechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist
einen wirksamen Rechtsschutz erfordert, reduzierte der Gerichtshof das Bußgeld von
12,89 Mio. EUR auf 11,112 Mio. EUR.
Der EuGH ist dem EFTA-Gerichtshof mit Bezug auf die volle Kognition nicht gefolgt.
Das Gericht der EU und die drei Generalanwälte Kokott, Mengozzi und Wathelet haben
sich aber der Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs in anderen, mit der Kognition zu-
sammenhängenden Punkten angeschlossen.2 Auch das schweizerische Bundesgericht
und das Bundesverwaltungsgericht haben sich auf das Posten Norge-Urteil bezogen.3

3 Öffentlicher Zugang zu Dokumenten


Neuland hat der Gerichtshof auch beim öffentlichen Zugang zu Dokumenten der EFTA-
Überwachungsbehörde betreten. Entsprechende Anträge werden im Allgemeinen ge-
stellt, um private Schadenersatzklagen (follow-on damages actions) zu erleichtern. Ge-
mäß ständiger Rechtsprechung muss berücksichtigt werden, dass ein privater Scha-
denersatzkläger auch als Funktionär der Gesamtrechtsordnung4 auftritt. Die relevante
Passage im ersten Schenker-Fall lautet:
»The private enforcement of [….] [Articles 53 and 54 EEA (sc. Agreement on the European Econo-
mic Area)] ought to be encouraged, as it can make a significant contribution to the maintenance
of effective competition in the EEA [….]. ESA’s and the Commission’s view that follow-on damages
claims in competition law cases only serve the purpose of defending the plaintiff’s private interests
cannot be maintained. While pursuing his private interest, a plaintiff in such proceedings contribu-
tes at the same time to the protection of the public interest. This thereby also benefits consumers.«5

Diese Feststellungen sind in der Zwischenzeit ständige Praxis geworden.6 Man ist an die
Figur des private attorney general des amerikanischen Rechts erinnert.7
Der EuGH hat sich dieser Rechtsprechung nicht angeschlossen. Sie ist aber von Gene-
ralanwältin Kokott in der Rechtssache C-557/12 Kone u. a. übernommen worden, und der

2 Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in C-501/11 P Schindler Holding Ltd u. a. v Kommission,
FN 18; Schlussanträge von Generalanwalt Mengozzi in C-382/12 P MasterCard u. a. v Kommission,
FN 102; Schlussanträge von Generalanwalt Wathelet in C-295/12 P Telefónica und Telefónica de Es-
paña v Kommission, FN 63.
3 Siehe BGE 139 I 72 Publigroupe SA, E. 2.2.2., 4.4.; BVGE B-463/2010 Gebro vom 19.12.2013 E. 6.3
und 6.4; BVGE B-506/2010 Gaba vom 19.12.2013 E. 6.1.3; BVGE 8399/2010 Siegenia Aubi AG vom
23.09.2014 E. 3.2.; BVGE B-3332/2012 BMW vom 13.11.2015, E. 3.11.3.
4 Temple Lang 2016.
5 E-14/11 DB Schenker v ESA (›DB Schenker I‹) [2012] EFTA Ct. Rep. 1178, Rn. 132.
6 E-7/12 DB Schenker v ESA (›DB Schenker II‹) [2013] EFTA Ct. Rep. 356, Rn. 139; E-5/13 DB Schenker v
ESA (›DB Schenker V‹) [2014] EFTA Ct. Rep. 304, Rn. 134; Beschluss des Präsidenten des EFTA-Gerichts-
hofs vom 28.08.2015 in E-22/14 DB Schenker v ESA (›DB Schenker VII‹), noch nicht veröffentlicht, Rn. 39.
7 Siehe hierzu beispielsweise: Cheng 1985, S. 1929 ff.; Rubenstein 2004, S. 2129 ff.
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Standpunkt – Zur wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs  |  771


Teil

Gerichtshof hat sich seinerseits auf die entsprechenden Schlussanträge berufen.8 Auch
das Gericht der EU hat in den Rechtssachen T-345/12 Akzo Nobel u. a. und T-341/12
Evonik Degussa die Linie des EFTA-Gerichtshofs übernommen, indem es ausgeführt
hat:

»[D]as Recht, Ersatz der Schäden zu erhalten, die durch eine Vereinbarung oder Verhaltensweise,
die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, entstanden sind, [kann] wesentlich zur
Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union beitragen […] und trägt damit zur
Verwirklichung eines im öffentlichen Interesse liegenden Ziels bei […].«9

EuGH und EFTA-Gerichtshof gehen vom Bestand einer allgemeinen Vermutung zuguns-
ten einer Verweigerung des Zugangs zu Verfahrensakten von Beihilfekontrollverfahren
sowie Fusionskontrollverfahren aus, wenn deren Verbreitung den Schutz des Zwecks
von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten sowie bei Fusionskontrollverfah-
ren den Schutz der geschäftlichen Interessen der an einem solchen Verfahren beteiligten
Unternehmen beeinträchtigen würde.10 Unterschiede bestehen hinsichtlich der Anwend-
barkeit dieser allgemeinen Vermutung in kartellrechtlichen Verfahren. Der EuGH stellte
fest, dass die Kommission sich auch noch nach Erlass der endgültigen Entscheidung auf
diese berufen könne und es unerheblich sei, ob die betroffenen Dokumente ihr freiwillig
im Rahmen der Kronzeugenregelung übermittelt worden seien oder nicht. Es obliege
einem Schadenersatzkläger, den Nachweis der Notwendigkeit des Zugangs zu einzelnen
Dokumenten zu erbringen, damit die Kommission die Interessen, die die Übermittlung
der einzelnen Dokumente rechtfertigen, gegen die Interessen, die den Schutz dieser Do-
kumente rechtfertigen, Fall für Fall abwägen könne.11 Der EFTA-Gerichtshof akzeptierte
das Vorliegen einer allgemeinen Vermutung zugunsten einer Verweigerung des Zugangs
zu Dokumenten in Beihilfe- und Fusionsfällen.12 Er entschied aber, dass
»general presumptions regarding the purpose of investigations and inspections cannot apply in a si-
tuation in which ESA has already adopted a final decision concerning abuse of a dominant position
under 54 EEA […], closing the file to which access is sought, here the relevant information has not
been obtained by way of a voluntary submission from a leniency applicant, and where that decision
has not been appealed or where the Court has dismissed an appeal against such a decision.«13

4 Verhältnis Wettbewerbsrecht – Tarifverträge


Neuland hat der EFTA-Gerichtshof auch bezüglich des Verhältnisses zwischen Wettbe-
werbsrecht und Tarifverträgen (in der Schweiz: Gesamtarbeitsverträgen) betreten. Der
EuGH hatte in der Rechtssache C-67/96 Albany entschieden, dass die im Rahmen von

8 Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in C-557/12 Kone u. a., noch nicht veröffentlicht, FN 36.
9 T-345/12 Akzo Nobel u. a. v Kommission, noch nicht veröffentlicht, Rn. 84; T-341/12 Evonik Degussa
v Kommission, noch nicht veröffentlicht, Rn. 114.
10 E-4/12 und E-5/12 Risdal Touring und Konkurrenten v ESA [2013] EFTA Ct. Rep. 668, Rn. 113 und
114; E-14/11 DB Schenker I [2012] EFTA Ct. Rep. 1178, Rn. 131; C-404/10 P Kommission v Editions
Odile Jacob, veröffentlicht in der digitalen Sammlung, Rn. 123; C-139/07 P Kommission v Technische
Glaswerke Ilmenau [2010] ECR I-5885, Rn. 61.
11 C-365/12 Kommission v EnBW, veröffentlicht in der digitalen Sammlung, Rn. 93, 97 und 107.
12 E-14/11 DB Schenker I [2012] EFTA Ct. Rep. 1178, Rn. 131–133.
13 E-14/11 DB Schenker I [2012] EFTA Ct. Rep. 1178, Rn. 224.
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772  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern im Hinblick auf sozialpolitische Ziele


– nämlich der Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen – geschlosse-
nen Verträge aufgrund ihrer Art und ihres Gegenstands vom Anwendungsbereich des
Kartellverbots und des Verbots des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
ausgenommen sind.14 Mit den Schranken dieser Immunität hat er sich, im Gegensatz
zu Generalanwalt Jacobs, nicht befasst. Letzterer hatte festgestellt, dass zwar in allen
untersuchten Rechtssystemen einschließlich jenem der Vereinigten Staaten Tarifver-
träge zwischen den Sozialpartnern in bestimmtem Umfang vom Verbot wettbewerbs-
widriger Kartelle ausgenommen sind, die Freistellung jedoch nicht unbegrenzt ist.15
Der EFTA-Gerichtshof hat sich zweieinhalb Jahre später in der Rechtssache E-8/00 LO
der Position des EuGH bezüglich der kartellrechtlichen Immunität von Tarifverträgen
angeschlossen. Er hat aber unter Berufung auf Generalanwalt Jacobs auch auf deren
Schranken hingewiesen.
Bei der Feststellung, ob ein Tarifvertrag wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen
hat, ist dem EFTA-Gerichtshof zufolge folgendermaßen vorzugehen:
»[A]ccount must be taken of the actual conditions in which the agreement functions […]. The indi-
vidual provisions of the agreement should not only be examined separately, but must also be viewed
in connection with other provisions of the agreement and the agreement as a whole. Separate pro-
visions functioning together may in aggregate have as their object or effect the restriction of compe-
tition within the meaning of Article 53 EEA. It is immaterial that it can not be established that any
individual provision has that effect.«16

Einige Jahre später bezog sich Generalanwalt Poiares Maduro in der Rechtssache
C-438/05 Viking Line auf das LO-Urteil des EFTA-Gerichtshofs hinsichtlich der Not-
wendigkeit einer beschränkten Freistellung von Tarifverträgen vom Wettbewerbsrecht,
da anderenfalls das primärrechtliche Ziel, den sozialen Dialog zu fördern, untergraben
würde.17 In der Bezugnahme in Urteilen des EuGH auf jene des EFTA-Gerichtshofs und
umgekehrt zeigt sich der etablierte judizielle Dialog zwischen den beiden europäischen
Gerichtshöfen.18 In der Rechtssache E-14/15 Holship wird der EFTA-Gerichtshof Gelegen-
heit zur erneuten Stellungnahme haben.

5 Vertretungsrecht der Unternehmensanwälte


Eine wettbewerbsfreundliche Haltung hat der EFTA-Gerichtshof sodann hinsichtlich des
Vertretungsrechts der Unternehmensanwälte eingenommen.19 Art. 17 der Satzung des
EFTA-Gerichtshofs sieht vor, dass andere Parteien als die EFTA-Staaten, die EFTA-Über-

14 C-67/96 Albany [1999] ECR I-5751, Rn. 59–60. Diese Rechtsprechung wurde bestätigt in C-115/97 bis
C-117/97 Brentjens’ [1999] ECR I-6025; C-219/97 Drijvende Bokken (1999) ECR I-6121; C-180/98 bis
C-184/98 Pavlov [2000] ECR I-645; C-222/98 van der Woude [2000] ECR I-7111.
15 Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in C-67/96 Albany [1999] ECR I-5754, Rn. 109.
16 E-8/00 LO [2002] EFTA Ct. Rep. 114, Rn. 77.
17 Schlussanträge von Generalanwalt Poiares Maduro in C-438/05 Viking Line [2004] ECR I-10784, Rn. 27.
18 Vgl. auch die positive Stellungnahme des damaligen EuGH-Präsidenten Vasilios Skouris (Skouris
2014, S. 3 ff., 12); zum judiziellen Dialog des EFTA-Gerichtshofs mit dem EuGH und insbesondre
dessen Generalanwälten siehe Baudenbacher 2008, S. 90 ff.; Baudenbacher 2013, S. 341 ff.; Kokott/
Dittert 2014, S. 43 ff.; Mengozzi 2014, S. 53 ff.
19 Vgl. hierzu ausführlicher: Baudenbacher/Speitler 2015, S. 1211 ff.; Speitler 2014, S. 20 ff.
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Standpunkt – Zur wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs  |  773


Teil

wachungsbehörde, die Europäische Union und die Europäische Kommission vor dem
Gerichtshof durch einen Anwalt vertreten sein müssen. Der EuGH stellt hinsichtlich der
Parallelnorm in seiner Satzung (Art. 19) in ständiger Rechtsprechung auf die Vorstel-
lung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege ab, der in völliger Unabhängigkeit
und im vorrangigen Interesse der Rechtspflege seinem Mandanten die benötigte Un-
terstützung gewährt.20 In den verbundenen Rechtssachen C-422/11 P und C-423/11 P
Przes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Republik Polen v Kommission, in welchen
sich der EuGH über die Postulationsfähigkeit von Unternehmensanwälten aussprechen
musste, stellte dieser fest, dass »der Begriff der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts näm-
lich nicht nur positiv definiert [wird], d. h. unter Bezugnahme auf die berufsständischen
Pflichten, sondern auch negativ, d. h. durch das Fehlen eines Beschäftigungsverhältnis-
ses.«21 Besteht ein Dienstverhältnis wird sohin die fehlende Unabhängigkeit unwider-
leglich vermutet.
In einem klaren Gegensatz zu dieser Rechtspraxis hat der EFTA-Gerichtshof in der
Rechtssache E-8/13 Abelia v ESA entschieden. Während die ESA und die Kommission
den EFTA-Gerichtshof ersuchten, der Rechtsprechung des EuGH zu folgen, stellte dieser
fest, dass das Erfordernis der Vertretung einer Partei durch unabhängige Dritte nicht
generell die Vertretung durch deren Angestellte oder durch von ihr abhängige Personen
ausschließe. Das Wesentliche des EWR-rechtlichen Erfordernisses liege darin zu verhin-
dern, dass private Parteien ohne Rückgriff auf eine geeignete Mittelperson selbst Klage
erheben. Bei juristischen Personen solle das Erfordernis gewährleisten, dass sie von
einer hinreichend losgelösten Person vertreten werden. Ob diese Voraussetzung erfüllt
ist, sei vom EFTA-Gerichtshof von Fall zu Fall zu untersuchen.22 In Abelia wurde festge-
stellt, dass die Unabhängigkeit einer Unternehmensanwältin, der Leiterin der Abteilung
für Wirtschaftsrecht des Dachverbands norwegischer Unternehmer, deren Mitglied der
klagende Arbeitgeberverband war, nicht beeinträchtigt war, da in concreto nicht gleiche
Interessen der Klägerin und des Dachverbands sowie eine finanzielle oder administ-
rative Abhängigkeit dieser beiden dargelegt werden konnten. Die andere Anwältin der
Klägerin, eine Rechtsanwältin einer Osloer Anwaltskanzlei, die interimsweise für den
Dachverband norwegischer Unternehmen tätig war, wurde ebenso als ausreichend un-
abhängig betrachtet, da sie einerseits nur für diesen und nicht für die Klägerin tätig war
und ihr Gehalt weiterhin von ihrer Anwaltskanzlei bezog.23 Es sei auch darauf hinzu-
weisen, dass der ehemalige Präsident des Gerichtshofs der Europäischen Union Skouris
bereits 1975 die Auffassung vertreten hat, dass die Verneinung der Postulationsfähigkeit
von Unternehmensanwälten einer Diskriminierung gleichkommt.24

20 155/79 AM & S v Kommission [1982] ECR 1575, Rn. 24; C-550/07 P Akzo Nobel Chemicals und Akcros
Chemicals v Kommission [2010] ECR I-8301; C-422/11 P und C-423/11 P Przes Urzędu Komunikacji
Elektronicznej und Republik Polen v Kommission, veröffentlicht in der digitalen Sammlung, Rn. 23.
21 C-422/11 P und C-423/11 P Przes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Republik Polen v Kommis-
sion, veröffentlicht in der digitalen Sammlung, Rn. 24.
22 E-8/13 Abelia v ESA [2014] EFTA Ct. Rep. 638, Rn. 46.
23 E-8/13 Abelia v ESA [2014] EFTA Ct. Rep. 638, Rn. 48–57.
24 Skouris 1975, S.  1230 ff. Historisch geht der Ausschluss der Postulationsfähigkeit von Unterneh-
mensanwälten auf das Dritte Reich zurück und war auf den großen Anteil jüdischer Unternehmens-
anwälte zurückzuführen. Hellwig 2015, S. 2 ff.
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774  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

6 Wettbewerb versus Großvaterrechte im Flugverkehr


Art. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von
Zeitnischen auf Flughäfen der Gemeinschaft bestimmt, dass Flugverkehrsunternehmen
ein Anrecht auf die Wiederzuteilung von Slots, der Zeitabschnitte für Start- und Lande­
aktivitäten, haben, wenn sie diese in der vergangenen Flugplanperiode zu mindestens
80 % genutzt haben. Diese Großvaterrechte stellen für andere Unternehmen eine erheb-
liche Marktzutrittsbarriere dar. Versuche die Verordnung diesbezüglich abzuändern,
scheiterten bis dato am Widerstand der großen Fluggesellschaften. Ein Rechtsstreit vor
dem Bezirksgericht Reykjavik betraf die Auslegung der genannten Verordnung 25 im
Zusammenhang mit der Zuteilung der Start- und Landerechte am internationalen Flug-
hafen Keflavík. Am 22. September 2014 legte das Bezirksgericht Reykjavik in E-18/14
Wow air ehf. v Isländische Wettbewerbsbehörde, Isavia ohf. Und Icelandair ehf. ein Ersu-
chen um eine Vorabentscheidung vor. Darin ersuchte es den EFTA-Gerichtshof um die
Durchführung eines beschleunigten Verfahrens nach Art. 97a der Verfahrensordnung,
welche vom Präsidenten auf Grund der wirtschaftlichen Sensibilität des Falles gewährt
wurde. Die möglichen Auswirkungen des Urteils für die Zuweisung von Slots in der
nahen Zukunft wurden als Umstand für die außerordentliche Dringlichkeit der Ent-
scheidung betrachtet. In diesem Zusammenhang stellte der Präsident fest:

»To guarantee fair and effective competition is one of the most important goals of the EEA Agree-
ment. Effective competition benefits both consumers and competitors and contributes to the common
good. In the case at hand, Iceland’s special geographic situation must be taken into account with
Keflavík essentially being the only international airport in the country.«26

Nach weniger als drei Monaten verkündete der EFTA-Gerichtshof am 10. Dezember
2014 sein Urteil. Erstens betonte er die Unabhängigkeit des Koordinators, welcher als
Einziger für die Zuweisung der Slots zuständig ist.

»[I]n order for the system to be effective, the coordinator has to be independent from any vested in-
terests and has to have the necessary financial resources to accomplish the tasks assigned to him by
the Regulation. It must be ensured that neither the authorities of the EEA State concerned nor any
other party can unduly influence the coordinator before, during and after the allocation process.« 27

Voraussetzung hierfür sei

»a clear separation of tasks between the coordinator, the coordination committee and the EEA State
so as to avoid any conflict of interest at any time in the allocation and monitoring procedure. In
other words, the coordinator must have the expertise and the integrity necessary to contribute to the
objectivity, transparency and efficiency of time slot allocation.« 28

Diese Feststellungen waren insbesondere deshalb von Bedeutung, weil Koordinatoren


oft ehemalige Angestellte größerer Flugunternehmen sind. Zweitens haben nationale
Wettbewerbsbehörden und die EFTA-Überwachungsbehörde nach der Erstzuteilung der

25 Diese Verordnung wurde mittels Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 7/94 vom
28.06.1994 (ABl. 1994 L 160, 1) in Anhang XIII des EWR-Abkommens aufgenommen.
26 Beschluss des Präsidenten des EFTA-Gerichtshofs vom 30.09.2014 in E-18/14 Wow air ehf. v Isländi-
sche Wettbewerbsbehörde, Isavia ohf. Und Icelandair ehf. [2014] EFTA Ct. Rep. 1330, Rn. 7.
27 E-18/14 Wow air ehf. v Isländische Wettbewerbsbehörde, Isavia ohf. Und Icelandair ehf. [2014] EFTA
Ct. Rep. 1305, Rn. 37.
28 Ibid., Rn. 38.
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Standpunkt – Zur wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs  |  775


Teil

Slots durch den Koordinator das Recht, die Übertragung von Slots zwischen Flugun-
ternehmen anzuordnen, wenn dies nach nationalem Wettbewerbsrecht oder jenem des
EWR erforderlich ist. Hierdurch wurde das System der Großvaterrechte in einem gewis-
sen Maße dem Wettbewerb geöffnet.

7 Schluss
Der EFTA-Gerichtshof betont die Bedeutung der privaten Rechtsdurchsetzung und hat
als einziger europäischer Gerichtshof Privatkläger als Akteure im Sinne des bonum com-
mune aufgefasst. Er hat auch hinsichtlich der Postulationsfähigkeit von Unternehmens-
anwälten einen wettbewerbsfreundlichen Standpunkt eingenommen. Der Präsident des
EFTA-Gerichtshofs hat sodann in der Rechtssache Wow air die Durchführung eines
beschleunigten Verfahrens in einer Wettbewerbsrechtssache beschlossen. Am EuGH
wurde das, soweit ersichtlich, noch nie gemacht.
Was den Umgang des EFTA-Gerichtshofs mit ökonomischer Theorie angeht, so hat
ein führender Wettbewerbsrechtler, der frühere Direktor in der Generaldirektion Wett-
bewerb der Europäischen Kommission, John Temple Lang, unlängst ausgeführt:

»In general one has the clear impression that the EFTA Court deals more readily with economic
issues than either the General Court or the European Court of Justice. Economic arguments are set
out more clearly and dealt with more concisely than in the judgments of the other two courts. This is
partly a result of a less formal judicial style, but it also seems to reveal a more economic approach,
which is certainly preferable, in particular in the sphere of competition law.«29

Daran ist richtig, dass der EFTA-Gerichtshof in keinem Fall einen einseitig strukturalis-
tischen Ansatz gewählt, sondern stets das Prozesshafte betont hat.30 Hier ist allerdings
festzuhalten, dass es nicht möglich ist, das Vorgehen des EFTA-Gerichtshofs in einer
bestimmten ökonomischen Schule zu verorten. Im Hinblick auf ökonomische Theorien
wird vielmehr – ebenso wie bei den unterschiedlichen Methoden der Auslegung – ein
pluralistischer Ansatz angewandt. In jedem Fall wird der überzeugendste Ansatz ge-
wählt werden. Der EFTA-Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung festgehalten:
»Whether an agreement restricts competition, and thereby infringes Article 53 EEA, is a legal questi-
on that must be examined in the light of economic considerations.« 31

Welche Ableitungen können aus der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des EFTA-


Gerichtshofs für das Fusionskontrollrecht gezogen werden? Zwar ist die ESA – und
somit der EFTA-Gerichtshof als Klageinstanz – nur für Fusionen zuständig, welche
nicht unter den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 (Fu-
sionskontrollverordnung) fallen und welche gleichzeitig die einschlägigen Schwellen
des Anhangs XIV im Gebiet der EWR/EFTA-Staaten erreichen. Bis dato wurde keine
solche Fusion notifiziert. So war beispielsweise die Europäische Kommission für die

29 Temple Lang 2016.


30 Vgl. dazu Baudenbacher 2015, S. 77 ff.
31 E-8/00 Landsorganisasjonen i Norge v Kommunenes Sentralforbund u. a. [2002] EFTA Ct. Rep. 114,
Rn. 77; E-7/01 Hegelstad u. a. v Hydro Texaco AS [2002] EFTA Ct. Rep. 310, Rn. 27.
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776  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Fusionskontrolle zweier norwegischer Lachsproduzenten, Marine Harvest und Morpol,


zuständig, da deren weltweiter Gesamtumsatz die Kriterien nach Art. 1(3) Fusionskon-
trollverordnung erfüllte und somit von unionsweiter Bedeutung war. 32
Allerdings stehen die beiden Schwestergerichtshöfe, der EuGH und der EFTA-Ge-
richtshof, – nicht nur aufgrund der Notwendigkeit einer homogenen Auslegung der Nor-
men in den beiden Pfeilern des Europäischen Wirtschaftsraums – in einem ständigen
judiziellen Dialog. Der EFTA-Gerichtshof zitiert die Rechtsprechung des EuGH und der
EuGH die Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs. Der Alt-Präsident des EuGH Vassilios
Skouris hat dazu festgestellt:
»The long lasting dialogue between the EFTA Court and the CJEU has allowed the flow of infor-
mation in both directions. ‘Ignoring EFTA Court precedents would simply be incompatible with the
overriding objective of the EEA Agreement which is homogeneity.’ The symbiotic nature of the relati-
onship has contributed to the successful development of the EEA Single Market. Both courts stand as
examples for each other thus depicting mutual respect, strengthening the rules of homogeneity and
representing a high level of appreciation. Cooperation between the two was built on strong founda-
tions which have stood the test of time.«33

Der vom EFTA-Gerichtshof vertretene ökonomische Ansatz im Wettbewerbsrecht könnte


sohin über den judiziellen Dialog auch in der fusionskontrollrechtlichen Rechtspre-
chung des EuGH aufgegriffen werden.

Literatur
Baudenbacher, C. (2008): The EFTA Court, The ECJ, and the Latter’s Advocates General – a Tale of
Judicial Dialogue. In: Arnull, A./Eeckhout, P./Tridimas, T. (Hrsg.): Continuity and Change in EU
Law. Essays in Honour of Sir Francis Jacobs. Oxford University Press, Oxford, 2008, S. 90 ff.
Baudenbacher, C. (2013): The EFTA Court’s relationship with the Advocates General of the European
Court of Justice. In: Kronberger, V./D’Alessio, M. T./Placco, V. (Hrsg.): De Rome à Lisbonne: les
juridictions de l›Union européenne à la croisée des chemins. Mélanges en l’honneur de Paolo Men-
gozzi. Bruylant, Brussels, 2013, S. 341 ff.
Baudenbacher, C. (2015): »[M]ust be interpreted in the light of economic considerations«. Some re-
flections on the case law of the EFTA Court. In: Edward, D./MacLennan, J./Komninos, A. (Hrsg.):
A Scot without Borders. Liber Amicorum Ian S. Forrester, Volume II. Concurrences Review, New
York, 2015, S. 77 ff.
Baudenbacher, C./Speitler, P. (2015): Der Syndikus der Gegenwart – Interessensvertreter oder Anwalt
des Rechts? In: NJW, 2015, S. 1211 ff.
Cheng, C. (1985): Important Rights and the Private Attorney General Doctrine. In: Cal. L. Rev., 1985,
S. 1929 ff.
Hellwig, H.-J. (2015): Der Syndikusanwalt – Neue Denkansätze. In: AnwBl, 2015, S. 2 ff.
Kokott, J./Dittert, D. (2014): European Courts in Dialogue. In: EFTA Court (Hrsg.): The EEA and the
EFTA Court. Decentred Integration. Hart Publishing, Oxford/Portland, 2014, S. 43 ff.
Mengozzi, P. (2014): The Advocates General and the EFTA Court. In: EFTA Court (Hrsg.): The EEA and
the EFTA Court. Decentred Integration. Hart Publishing, Oxford/Portland, 2014, S. 53 ff.
Rubenstein, W. B. (2004): On What A »Private Attorney General« Is – And Why It Matters. In: Vand.
L. Rev., 2004, S. 2129 ff.
Skouris, V. (1975): Die Diskriminierung des Syndikusanwalts (§ 46 BRAO) aus verfassungsrechtlicher
Sicht. In: BB, 1975, S. 1230 ff.
Skouris, V. (2014): The Role of the Court of Justice of the European Union in the Development of the
EEA Single Market. In: EFTA Court (Hrsg.): The EEA and the EFTA Court. Decentred Integration.
Hart Publishing, Oxford/Portland, 2014, S. 3 ff.

32 Entscheidung der Kommission vom 30.09.2013 in der Sache COMP/M.6850 – Marine Harvest/Morpol.
33 Skouris 2014, S. 3, 12.
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Standpunkt – Zur wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs  |  777


Teil

Speitler, P. (2014): Liberale Botschaft aus Luxemburg. Verbesserung der Rechtsstellung von In-
house-Counsel – der »Abelia«-Beschluss des EFTA-Gerichtshofs. In: Deutscher AnwaltSpiegel, 2014,
S. 20 ff.
Temple Lang, J. (2016): Competition Law in the European Economic Area. In: Baudenbacher, C. (Hrsg.):
The Handbook of EEA Law. Springer International Publishing, forthcoming, Basel u. a., 2016.
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778  | 
Teil

XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht


Deutschlands
Stefan Köhler/Michael Vogel/Michael Adolf*

1 Einleitung
2 Käufersicht
2.1 Steuerliche Abzugsfähigkeit der Akquisitionsfinanzierungskosten
2.2 Steuerliche Abzugsfähigkeit der Anschaffungskosten
3 Verkäufersicht
3.1 Share Deal
3.2 Asset Deal
4 Zusammenfassung und Ausblick

1 Einleitung
Der Markt für Unternehmenskäufe ist seit Beginn der 1990er Jahre bis zum Jahr 2007 –
unterbrochen durch das Platzen der Internetblase in den Jahren 2000 bis 2003 – durch
stetiges Wachstum gekennzeichnet. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise waren große
Unternehmenskäufe, die zum überwiegenden Teil mit Fremdkapital finanziert werden,
kaum noch möglich. Die Anzahl der Transaktionen und auch die Transaktionsgrößen sind
in den Jahren 2008 bis 2010 daher substantiell zurückgegangen. Erst 2013 nahm sowohl
das globale M & A – als auch das kumulierte Transaktionsvolumen der zehn größten
Deals mit deutscher Beteiligung erstmals wieder zu.1 Im Jahr 2014 wurde dieser positive
Trend weiter fortgeführt, und für das Jahr 2015 ist mit einem signifikanten Wachstum an
Unternehmensübernahmen zu rechnen. Begünstigt wird dies durch das Niedrigzinsum-
feld und hohe Unternehmensgewinne. Deutschland rangiert unter den fünf beliebtesten
Investitionsstandorten – zusammen mit Großbritannien, China, den USA und Australien.2
Auch wenn Steuern im Rahmen eines Unternehmenskaufs nur eines von vielen relevanten
Kriterien ist und nur die wenigsten Transaktionen an steuerlichen Fragestellungen schei-
tern, spielen sie doch eine zentrale Rolle: Die optimale steuerliche Strukturierung, welche
im Idealfall den Interessen des Verkäufers und des Käufers Rechnung trägt, ist ein wesent-
licher Faktor für den nachhaltigen Erfolg einer Transaktion. So hat sich gezeigt, dass zent-
rale steuerliche Gesetzesänderungen, genannt seien hier insbesondere die Einführung des
Umwandlungssteuergesetzes 1995, durch welche insbesondere die sog. Step-up-Modelle
ermöglicht wurden (die aber zwischenzeitlich wieder abgeschafft wurden), sowie das

∗ Prof. Dr. Stefan Köhler, Partner, Steuerberater, Ernst & Young, Eschborn/Frankfurt a. M.; Michael
Vogel, Partner, Ernst & Young, Eschborn/Frankfurt a. M.; Michael Adolf, Partner, Ernst & Young,
Eschborn/Frankfurt a. M.
1 Düsterhoff 2014, S. 46.
2 EY Studie: Capital Confidence Barometer, Oktober 2015, 13. Aufl.
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XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Deutschlands  |  779


Teil

Steuersenkungsgesetz im Jahr 2000 mit dem Übergang vom Anrechnungsverfahren auf


das Halbeinkünfteverfahren und der damit einhergehenden weitgehenden Steuerfreistel-
lung von Veräußerungsgewinnen, auch vielfältige Auswirkungen auf Unternehmenstrans-
aktionen hatten und haben. So wird zum Beispiel auch das Steuersenkungsgesetz als eine
der Ursachen für die Entflechtung der sog. Deutschland AG3 genannt. Ausgelöst durch
eine Debatte über vermeintlich oder tatsächlich aggressive Steuervermeidungsstrategien
multinationaler Konzerne und Gewinnverlagerungen wurde im Jahr 2013 von der OECD
das sogenannte BEPS-Projekt (»Base Erosion and Profit Shifting«) gestartet. Inwieweit
diese BEBS-Initiative in der Zukunft Auswirkungen auf M & A-Transaktionen haben wird,
bleibt abzuwarten.
Ziel dieses Beitrages ist die Darstellung der steuerlichen Regelungen aus Käufer- und
Verkäufersicht sowie die Darstellung der Entwicklung und Auswirkungen der Steuerän-
derungen im zeitlichen Ablauf der letzten 25 Jahre. Im Fokus stehen hierbei insbeson-
dere aus Käufersicht die Entwicklungen hinsichtlich der steuerlichen Abzugsfähigkeit
der Akquisitionsfinanzierungskosten (vgl. Kap. 2.1) und diejenigen der steuerlichen
Behandlung des Kaufpreises (vgl. Kap. 2.2), d. h. die Möglichkeiten der Umwandlung
von Anschaffungskosten in steuerlich nutzbares Abschreibungspotenzial.4
Die steuerlichen Interessen des Verkäufers (vgl. Kap. 3) konzentrieren sich auf die
Besteuerung des Veräußerungsgewinns, d. h. auf das Ziel, eine möglichst niedrige Steu-
erlast durch den Unternehmensverkauf auszulösen. Dabei ist bei der steuerlichen Beur-
teilung, wie auch aus Käufersicht, zwischen Asset Deal und Share Deal zu unterschei-
den. Naturgemäß kann aufgrund der Vielzahl der Gesetzesänderungen und steuerlichen
Einzelvorschriften nachfolgend nur ein grober Überblick gegeben werden.

2 Käufersicht
2.1 Steuerliche Abzugsfähigkeit der Akquisitionsfinanzierungskosten
Ein wesentlicher Aspekt bei Unternehmenstransaktionen ist die Finanzierung des Kauf-
preises durch Eigenkapital und (Gesellschafter-)Fremdkapital. Eine Fremdkapitalfinan-
zierung kann die Steuerquote der Erwerbsgesellschaft bzw. des zugehörigen Konzerns
nachhaltig mindern. Gleichzeitig bietet die grenzüberschreitende Gesellschafterfremdfi-
nanzierung den Reiz, Erträge im Wege von Zinszahlungen und Tilgungen quellensteu-
erfrei ins Ausland zu transferieren, ohne die strengen Substanzerfordernisse und Aus-
schüttungsbeschränkungen bei Dividenden beachten zu müssen. Die Finanzverwaltung
bemühte sich früh, die Finanzierungsmöglichkeiten im Erlasswege einzuschränken,
und ab 1994 wurde erstmals eine gesetzliche Regelung zur Gesellschafterfremdfinan-
zierung eingeführt, die im Wesentlichen auf einer Eigenkapital-Fremdkapital-Quote be-

3 Unter Deutschland AG wird ein Corporate Governance-System mit hoher Eigentumskonzentration


und zahlreichen Überkreuzbeteiligungen von deutschen Finanz- und Industrieunternehmen ver-
standen; Kengelbach/Roos 2006, S. 12.
4 Bis zum Wechsel vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren war die kurzfristige Realisie-
rung erworbener Körperschaftsteuerguthaben ein weiteres für den Käufer wichtiges Ziel. Hierauf
soll im Folgenden aber nicht weiter eingegangen werden. Ebenfalls nicht Gegenstand dieses Beitra-
ges sind Transaktionssteuern.
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780  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

ruhte. Seit 2008 wurden diese Vorschriften durch eine völlig neue Regelung – die sog.
Zinsschranke – ersetzt, die als maßgebliche Messlatte für den Zinsabzug nunmehr das
steuerliche EBITDA der Gesellschaft bestimmt. Die Zinsschranke trifft nunmehr jede
Art von Finanzierungen, also auch Bankdarlehen, welche nicht durch den Gesellschaf-
ter besichert sind.

2.1.1 Bis 1993 (BMF-Schreiben vom 16.03.1987 und BFH-Urteil vom 05.02.1992)

Die ersten Einschränkungen der Gesellschafterfremdfinanzierung erfolgten bereits 1987


durch die Finanzverwaltung5. Missbräuchlich sollten danach grundsätzlich Fremdfi-
nanzierungen durch nichtanrechnungsberechtigte Gesellschafter (d. h. i. d. R. Steuer-
ausländer) sein, wenn die finanzierte Kapitalgesellschaft nur eine Eigenkapitalquote
von bis zu 10 % ausweisen konnte. Als Rechtsfolge sollte das Gesellschafterfremdka-
pital steuerlich in verdecktes Nennkapital umzuqualifizieren und Vergütungen hierauf
als nichtabzugsfähige verdeckte Gewinnausschüttungen zu behandeln sein. Diese Ein-
schränkung der Finanzierungsfreiheit hatte der Bundesfinanzhof durch sein Urteil vom
05.02.19926 verworfen. Als Reaktion auf diese Entscheidung hat die Finanzverwaltung
das entsprechende BMF-Schreiben aufgehoben und die Regelung zur Gesellschafter-
fremdfinanzierung dem Gesetzgeber verantwortet.

2.1.2 1
 994 bis 2000 (§ 8a Körperschaftsteuergesetz (KStG)
i. F. d. Standortsicherungsgesetzes)

Mit dem Standortsicherungsgesetz 1994 normierte der Gesetzgeber erstmals eine aus-
drückliche Regelung zur Gesellschafterfremdfinanzierung (§ 8a KStG), die für Wirt-
schaftsjahre ab 1994 Anwendung fand. Ziel der Vorschrift war die Begrenzung der
steuerlichen Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen durch inländische Kapitalgesellschaf-
ten an ausländische Gesellschafter. Hierdurch wollte der Gesetzgeber eine ausufernde
Fremdfinanzierung verhindern und die Messlatte für die Eigenkapitalausstattung über
das vom Bundesfinanzhof geforderte gesetzliche Mindestkapital heben, ohne aber die
Finanzierungsfreiheit generell einzuschränken.
Kernpunkt der Vorschrift war die Einführung einer Quote von Eigenkapital zu Fremd-
kapital der Gesellschaft, innerhalb derer Zinsaufwendungen nur steuerlich abzugsfähig
sein sollten (sog. »Safe Haven«). Betroffen von der Vorschrift waren alle Fremdfinan-
zierungen, die eine inländische Kapitalgesellschaft durch einen nicht zur Anrechnung
von Körperschaftsteuern berechtigten und zu mehr als 25% unmittelbar oder mittelbar
beteiligten (wesentlichen) Anteilseigner7, von einer diesem nahestehenden Person oder
einem rückgriffsberechtigten Dritten erhalten hatte. Überstieg das schädliche Fremd-
kapital den Safe Haven, waren auf den anteilig darauf entfallenden Zinsanteil die Vor-
schriften zur verdeckten Gewinnausschüttung entsprechend anzuwenden und der Zin-
saufwand der Gesellschaft entsprechend steuerlich nicht abzugsfähig.

5 BMF vom 16.07.1986, BStBl. I 1987, S. 373.


6 BFH, Urteil vom 05.02.1992 AZ: I R 127/90, BStBl. II 1992, S. 532.
7 Damit waren von der Vorschrift, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt, im Wesentlichen Kapitalgesell-
schaften mit ausländischen Anteilseignern betroffen.
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XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Deutschlands  |  781


Teil

Bei Vergütungen, die nicht in einem Bruchteil des Kapitals bemessen waren, re-
gelmäßig also vom Gewinn oder Umsatz abhingen (z. B. Genussrechtskapital, hybride
Finanzinstrumente), betrug der Safe Haven nur die Hälfte des anteiligen Eigenkapitals
des Gesellschafters. Demgegenüber belief sich der Safe Haven bei erfolgsunabhängigen
Vergütungen (d. h. festverzinslichen Darlehen) auf das Dreifache des anteiligen Eigenka-
pitals. Für Holdinggesellschaften sah § 8a KStG in seiner ursprünglichen Fassung 1994
bei erfolgsunabhängigen Vergütungen einen deutlich höheren Safe Haven von 1:9 vor,
also eine dreimal höhere Fremdfinanzierung als bei Einzelgesellschaften (sog. Holding-
privileg). Im Gegenzug stand den nachgeschalteten Beteiligungen jedoch kein eigener
Safe Haven mehr zur Verfügung. Um als Holdinggesellschaft zu qualifizieren, musste
der Hauptzweck der Gesellschaft sein, Beteiligungen an (mindestens zwei) Kapitalge-
sellschaften zu halten und diese zu finanzieren, oder das Vermögen der Gesellschaft
musste zu mehr als 75 % der Bilanzsumme aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften
bestehen.
Obgleich die Finanzverwaltung bereits 1994 ein umfangreiches Schreiben zur An-
wendung des § 8a KStG veröffentlichte, blieben zahlreiche für die Transaktionspraxis
relevante Aspekte unbeantwortet bzw. wurden in einer für die Steuerpflichtigen un-
günstigen Weise ausgelegt. Die Folge waren zahlreiche Verfahren, von denen die sog.
Lankhorst-Hohorst-Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Jahre 2002
die bedeutendste war (vgl. hierzu Kap. 2.1.3). Im Rahmen von Transaktionen war den-
noch zu begrüßen, dass ein Mindestmaß an Planungssicherheit für die Finanzierung
und Fremdkapitalausstattung von Gesellschaften hergestellt wurde. Hierbei kamen bei
Erwerben insbesondere der Fremdkapitalmix aus Bankdarlehen und Gesellschafter-
darlehen und die Optimierung des anteiligen Eigenkapitals der Gesellschafter erhöhte
Bedeutung zu.

2.1.3 2001 bis 2003 (§ 8a KStG i. F. d. Steuersenkungsgesetzes)

Im Zusammenhang mit dem Übergang vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungsver-


fahren zum Halbeinkünfteverfahren blieb § 8a KStG zwar in seiner Systematik unver-
ändert, allerdings wurde der Safe Haven (und damit die zulässige Gesellschafterfremd-
finanzierung) deutlich reduziert. Ab 2001 stand Kapitalgesellschaften nur die Hälfte
des ursprünglichen Safe Haven für erfolgsunabhängige Vergütungen zur Verfügung
(d. h. 1:1,5 Eigenkapital zu Fremdkapital) und für Holdinggesellschaften nur noch ein
Verhältnis von 1:3. Für erfolgsabhängige Vergütungen und Mischvergütungen wurde
gar kein Safe Haven mehr gewährt, so dass sämtliche Zinsaufwendungen auf derartiges
Fremdkapital sofort und in voller Höhe von § 8a KStG erfasst wurden.
Mit Urteil vom 12.12.20028 entschied der EuGH, dass die Regelung zur Gesellschaf-
terfremdfinanzierung nach § 8a KStG gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt (sog.
Lankhorst-Hohorst-Entscheidung). Als Konsequenz war § 8a KStG nicht mehr für in
einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums
(EWR) ansässige Anteilseigner anwendbar. Damit beschränkte sich der Anwendungs-
bereich faktisch nur noch auf solche Sachverhalte, in denen eine schädliche Gesell-
schafterfremdfinanzierung von Anteilseignern aus sog. Drittstaaten erfolgte und wurde

8 EuGH v. 12.12.2002, C-324/00, Lankhorst-Hohorst, IStR 2003, S. 55.


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782  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

demnach seinem ursprünglichen gesetzlichen Ziel einer umfassenden Wirkung nicht


mehr gerecht.

2.1.4 2004 bis 2007 (§ 8a KStG i. F. d. Steuervergünstigungsabbaugesetzes)

Als Reaktion auf die Lankhorst-Hohorst-Entscheidung passte der Gesetzgeber mit dem
Steuervergünstigungsabbaugesetz die Regeln zur Gesellschafterfremdfinanzierung an
und weitete den Anwendungsbereich ab 2004 auch auf inländische Anteilseigner aus.
Gleichzeitig wurde eine Freigrenze von 250.000 EUR eingeführt, um kleinere Unterneh-
men gänzlich auszunehmen. Das Holdingprivileg wurde ersatzlos aufgehoben. Weiter
wurde der Wortlaut des § 8a KStG dahingehend klargestellt, dass kurzfristig überlas-
senes Fremdkapital nicht vom Anwendungsbereich erfasst sein sollte und den Safe
Haven übersteigende Zinsaufwendungen verdeckte Gewinnausschüttungen darstellen.
Zur Frage, welche Zinsen auf besicherte Bankdarlehen (»Rückgriffsfälle«) abzugsfä-
hig sind, schuf die Finanzverwaltung im Erlasswege eine praktikable Lösung. Danach
konnte durch Vorlage einer sog. Bankenbescheinigung nachgewiesen werden, dass kei-
ne schädliche Back-to-Back-Finanzierung vorliegt; die Zinsen waren insoweit abzugs-
fähig.9 Mit § 8a Abs. 6 KStG wurde zudem eine Missbrauchsvorschrift eingeführt, um
gesellschafterfremdfinanzierte Umstrukturierungen insbesondere nach einem Erwerb
im Rahmen von sog. Debt-Push-Downs zu verhindern (kein Zinsabzug nach »Umhän-
gen« in der Gruppe).

2.1.5 S eit 2008 (§ 4h Einkommensteuergesetz (EStG) i. V. m. § 8a KStG i. F. d. Unter-


nehmenssteuerreformgesetzes 2008 und Wachstumsbeschleunigungsgesetzes)

Eine völlige Abkehr von den bisherigen Grundsätzen bezüglich der steuerlichen Be-
grenzung des Zinsabzugs erfolgte 2008 mit der Einführung der sog. Zinsschranke
durch das Unternehmenssteuerreformgesetz. Diese erfasst in § 4h EStG i. V. m. § 8a
KStG n. F. nicht mehr nur Zinszahlungen einer Gesellschaft an deren Gesellschafter
und diesem nahestehenden Personen bzw. Dritten mit schädlichen Rückgriffsrechten,
sondern vollumfänglich alle Zinsaufwendungen – gleichgültig, ob diese auf kurzfris-
tigen oder langfristigen Verbindlichkeiten beruhen bzw. ob die Zinsen an verbundene
Unternehmen oder fremde Dritte (z. B. Banken) fließen. Die Zinsschranke gilt rechtfor-
munabhängig für Personen- und Kapitalgesellschaften und Einzelunternehmen. Maß-
gebliche Grundlage für die Berechnung des steuerlich wirksamen Zinsabzuges ist nicht
mehr das Eigenkapital zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, sondern
das steuerliche EBITDA im betreffenden Wirtschaftsjahr.10 Steuerlich abzugsfähig sind
Netto-Zinsaufwendungen, d. h. die den jährlichen Zinsertrag übersteigenden Zinsauf-
wendungen, i. d. R. nur noch bis zu einer Höhe von 30 % des steuerlichen EBITDA
der Gesellschaft. Übersteigen die Zinsaufwendungen diese Grenze, sind sie steuerlich
nicht (sofort) abzugsfähig und werden in das folgende Wirtschaftsjahr vorgetragen (sog.
Zinsvortrag). Anders als bei den Vorgängerregelungen wird der nichtabzugsfähige Zins­

9 BMF vom 20.10.2005, DB 2005, S. 2494.


10 Bei Organschaften gilt der ganze Organkreis als Betrieb i.S.d. Zinsschranke, so dass ein einheitli-
ches steuerliches EBITDA zu ermitteln ist.
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XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Deutschlands  |  783


Teil

aufwand, soweit fremdüblich, insoweit nicht mehr als verdeckte Gewinnausschüttung


umqualifiziert, wodurch das Quellensteuerrisiko für den Schuldner bzw. Anteilseigner
insoweit entfällt.
Kaum in Kraft getreten, wurde durch das Bürgerentlastungsgesetz in 2009 zunächst
zeitlich befristet die Freigrenze für die Anwendung der Zinsschranke von ursprüng-
lich 1  Mio. EUR auf 3 Mio. EUR angehoben, um die Auswirkungen der Finanzkrise
auf kleinere Unternehmen zumindest abzufedern. Durch das Wachstumsbeschleuni-
gungsgesetz wurde die befristete Erhöhung der Freigrenze dauerhaft ab dem Jahr 2010
festgeschrieben. Beträgt damit der jährliche Netto-Zinsaufwand nicht mehr als 3 Mio.
EUR, sind die Zinsaufwendungen in voller Höhe steuerlich abzugsfähig.11 Übersteigen
die Netto-Zinsaufwendungen diesen Betrag, dann unterliegen sie anders als bei einem
Freibetrag in voller Höhe der Zinsschranke. Durch das Wachstumsbeschleunigungsge-
setz wurde auch ein sog. EBITDA Vortrag eingeführt. Danach kann ein nicht vollständig
genutztes steuerliches EBITDA, wenn also der Netto-Zinsaufwand weniger als 30 % des-
selben beträgt, in das nächste Wirtschaftsjahr vorgetragen werden. Der EBITDA Vortrag
konnte erstmals im Wirtschaftsjahr 2010 genutzt werden. Hierbei war es zusätzlich zu-
lässig, die kumulierten EBITDA Vorträge aus den Jahren 200712 bis 2009 in 2010 geltend
zu machen und insoweit einen zusätzlichen Zinsabzug zu erreichen.
Neben der Freigrenze kommt die Zinsschranke ebenfalls nicht zur Anwendung,
wenn die Voraussetzungen der sog. Konzernklausel oder der Escape-Klausel erfüllt
sind. Die Konzernklausel befreit, wenn der Betrieb nicht oder nur anteilsmäßig zu ei-
nem Konzern gehört. Hierbei ist grundsätzlich auf IFRS abzustellen und zu prüfen, ob
die Gesellschaft tatsächlich als Beteiligung konsolidiert wird oder konsolidiert werden
könnte. Die Escape-Klausel gilt demgegenüber für Konzerngesellschaften und stellt da-
rauf ab, ob die Eigenkapitalquote des betreffenden Betriebes am Abschlussstichtag des
vorausgegangenen Wirtschaftsjahres mindestens die Eigenkapitalquote des Konzerns
erreicht (»Kapitalspiegel«). Beim Vergleich ist jeweils grundsätzlich auf die Abschlüsse
nach IFRS abzustellen, wobei ein Unterschreiten der Eigenkapitalquote des Konzerns
bis zu zwei Prozentpunkten in 2008 und 2009 unschädlich ist. Ab 2010 wurde die
Unschädlichkeitsgrenze auf drei Prozentpunkte erhöht. Für Kapitalgesellschaften sind
zusätzliche Einschränkungen wie beispielsweise die sog. 10 %-Grenze für Gesellschaf-
terfremdfinanzierung zu beachten (§ 8a KStG n. F.), die dazu führen, dass die Esca-
pe-Klausel in der Praxis kaum handhabbar ist.
In der Transaktionspraxis stellt die Zinsschranke Investoren vor verschiedenste Her-
ausforderungen. Da die Voraussetzungen der Konzernklausel oder der Escape-Klausel in
aller Regel nicht erfüllt werden können, hängt der steuerlich abzugsfähige Zinsaufwand
regelmäßig alleine vom (steuerlichen) EBITDA der Gesellschaft ab. Gerade in wirtschaft-
lich angespannten Zeiten kann dies zu effektiven Steuerbelastungen führen, die weit
über den nominellen Steuersätzen liegen.
Die Regelungen der Zinsschranke waren daher seit ihrer Einführung heftiger Kritik
ausgesetzt.13 Die herrschende Literaturmeinung sieht das zentrale Zinsschrankenprob-
lem in der Verletzung des objektiven Nettoprinzips sowie des Folgerichtigkeitsgebots,

11 Dies gilt zunächst nur für die Ertragsteuern. Für Gewerbesteuerzwecke erfolgt eine Hinzurechnung
von 25 % des Zinsaufwands.
12 Obgleich die Zinsschranke erst ab 2008 Anwendung findet, erlaubt der Gesetzgeber, den Netto-
Zinsaufwand und das steuerliche EBITDA fiktiv für das Wirtschaftsjahr 2007 zu ermitteln. Ein
EBITDA-Überhang konnte dann in das Jahr 2010 vorgetragen werden.
13 Vgl. hierzu die Aufzählung in Lohschelder 2014, S. 349–350.
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Teil

weil einkunftsmindernde Finanzierungskosten im Entstehungsjahr ganz oder teilweise


der Betriebsausgabenabzug verwehrt wird.14 Dies wurde auch vom Bundesfinanzhof
in seinem Beschluss vom 18.12.2013 aufgegriffen, in dem die Verfassungsmäßigkeit der
Zinsschranke ernsthaft angezweifelt wurde15. In seiner Begründung verwies der Bun-
desfinanzhof ebenfalls auf die Verletzung des objektiven Nettoprinzips sowie auf den
Verstoß gegen das Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des Körperschaftsteuerrechts
(Art. 3 Grundgesetz, GG).16 Aktuell bietet sich dem Bundesfinanzhof in zwei anhän-
gigen Verfahren die Möglichkeit, die Frage über die Verfassungsmäßigkeit der Zins-
schrankenregelung dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.17 Inwieweit das Bun-
desverfassungsgericht die geäußerten Zweifel bestätigt und die Zinsschranke in ihrer
aktuellen Ausgestaltung verwirft, bleibt allerdings abzuwarten. Festzuhalten ist aber,
dass die mögliche Abkehr von der Zinsschranke nicht nur den deutschen Gesetzgeber,
sondern auch andere europäische Länder vor neue Herausforderungen stellen würde.
Zur Vermeidung der Unterkapitalisierung und zur Erhöhung der Fiskaleinnahmen wur-
den in Italien, Frankreich, Spanien und Finnland18 ähnliche Systeme zur Zinsschranke
eingeführt.19 Mit kleinen Unterschieden hat im Januar 2015 auch Südafrika erstmals
eine Zinsschranke nach dem deutschen Vorbild eingeführt und sich damit dem europä-
ischen Trend angeschlossen.20
Anknüpfend an die Zinsschranke und erweitert durch die Koalitionsfraktionen von
CDU/CSU und FDP wurde im Februar 2012, im Rahmen des sog. »Zwölf-Punkte-Plans«,
eine weitere Beschränkung des fremdfinanzierten Beteiligungserwerbs (leveraged buy-
out) diskutiert. In diesem Eckpunktepapier wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass
Qualifikationskonflikte durch die Behandlung von Kapital durch einen Staat als Eigenka-
pital und durch einen anderen Staat als Fremdkapital zur Schaffung unversteuerter bzw.
sog. weißer Einkünfte (Abzug als Betriebsausgabe im Quellenstaat ohne entsprechende
Besteuerung im Empfängerstaat) genutzt würden.21 Weiterhin werden solche Gestaltungs-
modelle, bei denen erworbene Gesellschaften ihren Kaufpreis selbst finanzieren müssen,
als »unerwünschte Gestaltungen« bezeichnet, die zukünftig unterbunden werden sollen.22
Zur Vermeidung dieser Gestaltungsmodelle wurde vorgeschlagen, dass in den Fällen, in
denen die Zinsschranke nicht greift und Schulden, die mit dem Erwerb der Beteiligung
an dem Unternehmen durch den Investor zusammenhängen, und die damit verbundenen
Finanzierungsaufwendungen vom Erwerber auf die Zielgesellschaft verlagert werden, der
Zinsabzug generell versagt werden soll.23 Inwieweit diese Überlegungen in die künftige
Besteuerungspraxis eingehen, ist allerdings noch unklar, eine Umsetzung dieses Punktes
des Zwölf-Punkte-Plans steht nämlich nach wie vor aus.24

14 Prinz 2014, S. 2739–2741.


15 BFH, Beschluss vom 18.12.2013 AZ: I B 85/13, BStBl. II 2014, S. 947ff.
16 BMF vom 13.11.2014, BStBl. I 2014, S. 1516.
17 Kaltenbach/Layh 2014, S. 581.
18 Heuermann 2013, S. 5.
19 Müller/Villacorta Hernandez 2012, S. 877–878.
20 EY Global Tax Alert vom 30.10.2014, Highlights from South Africa’s 2014 Taxation Laws Amend-
ment Bill, S. 2.
21 Becker/Loose 2012, S. 758.
22 Bundesfraktion von CDU/CSU und FDP aus Februar 2012, 12 Punkte zur weiteren Modernisierung
und Vereinfachung des Unternehmenssteuerrechts, S. 5, Punkt 9.
23 Bundesfraktion von CDU/CSU und FDP aus Februar 2012, 12 Punkte zur weiteren Modernisierung
und Vereinfachung des Unternehmenssteuerrechts, S. 5, Punkt 9.
24 Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e. V., 66. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung
Unternehmen 2015, Arbeitsbuch und Teilnehmerliste vom 11.05. bis 13.05.2015, S. 135.
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XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Deutschlands  |  785


Teil

Diese Diskussionen zeigen allerdings, dass derartige Akquisitionsstrukturen dem


Gesetzgeber bereits bekannt sind, er sie aber, mangels eines Verstoßes gegen gesell-
schaftsrechtliche Kapitalerhaltungsmaßnahmen oder sonstige Rechtsnormen, nicht als
missbräuchlich i. S. d. § 42 Abgabenordnung (AO) erachtet.25

2.1.6 Auswirkungen von BEPS auf den steuerlichen Zinsabzug

Unter dem Eindruck von Finanz- und Staatsschuldenkrisen hat sich international eine
breite Debatte über vermeintlich oder tatsächlich aggressive Steuervermeidungsstrategi-
en multinationaler Konzerne und Gewinnverlagerungen von Hoch- in Niedrigsteuerlän-
der entfaltet.26 Im Mittelpunkt der Debatte steht eine z. T. extrem geringe Besteuerung
bestimmter Konzerne. So unterlagen z. B. im Jahr 2010 die außerhalb der USA erzielten
Gewinne von Google und Apple, die für 54 % bzw. 70 % des Vorsteuergewinns stehen,
einer Besteuerung von lediglich 3 % bzw. 1 %.27
Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2013 im Rahmen der OECD und in enger
Kooperation mit den G20-Staaten das sogenannte BEPS-Projekt, das für die Vermeidung
der Aushöhlung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen von Unternehmen und die
Gewinnverlagerung steht, gestartet.28
Ausgangspunkt für das BEPS-Projekt war ein Report »Addressing Base Erosion and
Profit Shifting«, den die OECD nach vorheriger Anfrage der G20 erarbeitete und den
G20-Staaten am 12.02.2013 vorstellte.29 Dieser Report konzentrierte sich auf eine wis-
senschaftliche Analyse internationaler Gewinnverlagerung von multinationalen Unter-
nehmen sowie eine grundlegende Darstellung internationaler Besteuerungsprinzipien.30
Mit Vorlage des »Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting« am 19.07.2013 stellte
die OECD den sog. BEPS-Aktionsplan für das weitere Vorgehen vor, der schrittweise ab
2016 umgesetzt werden soll.31
Der BEPS-Aktionsplan umfasst 15 Aktionspunkte und basiert im Wesentlichen auf
dem Anliegen, dass die Wertschöpfung dort besteuert werden soll, wo sie stattfindet,
dass die weitgehende Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung durch das Ziel der
Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung ergänzt werden muss sowie dass das in-
ternationale Steuerrecht verwaltungsmäßig vollziehbare rechtliche Anknüpfungspunkte
für die Besteuerung digitaler Geschäfte in allen ihren Formen entwickeln muss.32
Im September 2014 hat die OECD zu sieben der 15 Punkte erste Ergebnisse sowie
vier vorläufige Maßnahmenpakete veröffentlicht.33 Insbesondere werden unter dem
Aktionspunkt 2, der bei grenzüberschreitenden Transaktionen eine bedeutsame Rolle
spielt, erstmals Maßnahmen zur Neutralisierung unerwünschter Effekte von hybriden

25 Otto 2013, S. 358; Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., 66. Steuerrechtliche
Jahresarbeitstagung Unternehmen 2015, Arbeitsbuch und Teilnehmerliste vom 11.05. bis 13.05.2015,
S. 135.
26 Burwitz 2015, S. 546.
27 Pinkernell 2012, S. 370.
28 Burwitz 2015, S. 546.
29 Gillamariam/Binding 2013, S. 1153.
30 OECD-Report vom 12.02.2013, Addressing Base Erosion and Profit Shifting, S. 13–14.
31 OECD-Report vom 19.07.2013, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, S. 29 ff.
32 Burwitz 2015, S. 546 ff.
33 Burwitz 2015, S. 546.
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Teil

Instrumenten und Gesellschaften genannt.34 Danach sollen hybride Gestaltungen, die


aufgrund eines hybriden Rechtsträgers oder hybriden Finanzinstruments entweder zu
einer doppelten Nichtbesteuerung, einem doppelten Betriebsausgabenabzug oder einem
langfristigen Steueraufschub führen, verhindert werden.35 Beispiele sind die Beurteilung
als Eigen- oder Fremdkapital und die transparente bzw. intransparente Behandlung von
(Personen-)Gesellschaften.36 Als Lösungsansatz sieht die OECD eine korrespondierende
Besteuerung (»linking-rules«) vor, die z. B. durch Versagung von Dividendenfreistel-
lung oder Betriebsausgabenabzug, Besteuerung im Empfängerland oder Verschärfung
der Hinzurechnungsbesteuerung erreicht werden soll.37 Der Umstand, dass hybride
Gestaltungen in grenzüberschreitenden Sachverhalten zu Besteuerungsinkongruenzen
führen, wurde auch in Deutschland ernsthaft kritisiert.38 Im Jahr 2013 hat sich die gro-
ße Koalition in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig zum BEPS-Projekt bekannt und sich
vorbehalten, schon vor Abschluss des BEPS-Projekts ergänzend nationale Maßnahmen
zu ergreifen, falls sich ihre Ziele im Rahmen von BEPS nicht realisieren lassen.39
Dieser Ansicht folgten auch die Bundesländer, welche in einer Bundesrats-Entschlie-
ßung vom 23.05.2014 Unterstützung für das BEPS-Projekt bekundeten.40 Darin forderten
sie die Bundesregierung zudem auf, zeitnah nationale Regelungen gegen eine doppel-
te Nichtbesteuerung bei grenzüberschreitenden Einkünften (»weiße Einkünfte«) sowie
zur Verhinderung eines doppelten Betriebsausgabenabzugs (»double dip«) zu schaffen,
»soweit dies erforderlich ist – wie z. B. bei hybriden Gesellschaften, hybriden Kapital-
maßnahmen sowie Sonderbetriebsvermögen von Personengesellschaften«.41 Im Vorgriff
auf eine europaweite Regelung befürwortete die Länderkammer zudem die zeitnahe
Einführung einer nationalen Anzeige- und Registrierungspflicht für internationale Steu-
ergestaltungen.42
Vor diesem Hintergrund entwickelte der Finanzausschuss im Rahmen des Gesetz-
gebungsverfahrens zum Zollkodex-Anpassungsgesetz (Jahressteuergesetz 2015) einen
eigenen Vorschlag für eine Regelung gegen die Nichtbesteuerung von Einkünften bzw.
einem doppelten Betriebsausgabenabzug bei der Ermittlung der Gewinneinkünfte im
Falle hybrider Gestaltungen (bzgl. BEPS-Aktionspunkt  2), der am 07.11.2014, in der
Gestalt des neuen §  4  Abs.  5a  EStG-E, dem Bundesrat vorgelegt wurde.43 Inhaltlich
entsprach der Gesetzesentwurf im Grundsatz zwar der im OECD-Bericht vorgeschlage-
nen Maßnahme, wonach ein Betriebsausgabenabzug im Inland nicht zu gewähren ist,
soweit (1) die Leistungen beim (un-)mittelbaren Empfänger nicht in die Bemessungs-
grundlage eingehen oder steuerfrei sind, weil das zugrunde liegende Rechtsverhältnis
nicht einheitlich als Fremdkapitalüberlassung behandelt wird, oder (2) die Aufwendun-
gen in einem anderen Staat die Bemessungsgrundlage mindern.44 Der vorgeschlagene
§ 4 Abs. 5a EStG-E ging allerdings über die bisher bekannten Vorschläge der OECD zu
Aktionspunkt 2 hinaus und wurde letztlich bisher nicht umgesetzt. Die Bundesregie-

34 OECD-Report vom 19.07.2013, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, S. 29 ff.
35 Kreienbaum 2014, S. 724.
36 Empfehlung der Ausschüsse vom 24.10.2014, AZ: 432/1/14, S. 13.
37 Burwitz 2015, S. 546.
38 Staats 2014, S. 750.
39 Koalitionsvertrag vom 14.12.2013, S. 64–65.
40 Beschluss des Bundesrates vom 23.05.2014; AZ: 205/14, S. 2, Rn. 1.
41 Beschluss des Bundesrates vom 23.05.2014; AZ: 205/14, S. 2, Rn. 3.
42 Beschluss des Bundesrates vom 23.05.2014; AZ: 205/14, S. 2, Rn. 5.
43 Empfehlung der Ausschüsse vom 24.10.2014, AZ: 432/1/14, S. 12 f.
44 Haarmann 2015, S. 28.
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XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Deutschlands  |  787


Teil

rung beabsichtigt jedoch, »zeitnah« einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der in 2015
vorliegenden Ergebnisse des BEPS-Projekts vorzulegen, der insbesondere die Thematik
der hybriden Gestaltungen beinhalten soll.45 Vor diesem Hintergrund dürfte bereits im
Jahr 2016 mit entsprechender Gesetzgebung in Deutschland gerechnet werden. Sollte
sich der Gesetzgeber tatsächlich für die vorgeschlagene Regelung entscheiden und da-
mit künftig den steuerlichen Zinsabzug bei grenzüberschreitenden Transaktionen an
weitere Voraussetzungen knüpfen, könnte dies erhebliche Auswirkungen für die gängi-
ge Transaktionspraxis zur Folge haben.

2.2 Steuerliche Abzugsfähigkeit der Anschaffungskosten


Für eine Betrachtung der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Anschaffungskosten ist zwi-
schen einem Unternehmenskauf im Wege des Anteilserwerbes (Share Deal) und im
Wege des Kaufs von Geschäftsbetrieben, Unternehmensteilen oder Einzelwirtschafts-
gütern (Asset Deal) zu unterscheiden. Steuerlich wirkt auch der Erwerb von Personen-
gesellschaftsanteilen weitgehend wie der Kauf von Einzelwirtschaftsgütern und damit
wie ein Asset Deal. Die Frage, inwieweit die Anschaffungskosten des Erwerbers als
Abschreibungspotenzial (und damit steuermindernd) genutzt werden können, hängt im
Wesentlichen davon ab, welche Gesellschaftsform das Zielunternehmen hat.

2.2.1 Kapitalgesellschaft (Share Deal)

Bei einem Share Deal hat der Erwerber in Höhe des gezahlten Kaufpreises Anschaf-
fungskosten (zuzüglich Anschaffungsnebenkosten), welche, soweit Bilanzierungs-
pflicht besteht, in seiner Bilanz zu aktivieren sind. Die Anteile unterliegen in der Fol-
gezeit keiner planmäßigen Abschreibung46, da es sich bei Kapitalgesellschaftsanteilen
um nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter handelt. Eine mögliche Differenz zwischen dem
Kaufpreis und dem Buchwert der Wirtschaftsgüter in der Bilanz des Zielunternehmens
kann somit bereits aus diesem Grund steuerlich nicht genutzt werden. Aufgrund dieses
steuerlichen Nachteils gegenüber dem Asset Deal (vgl. hierzu Kap. 2.2.2) wurden in
der Vergangenheit vielfältige Gestaltungsüberlegungen angestrengt, um eine steuer-
liche Optimierung herbeizuführen. Es wurde damit im Wesentlichen stets das Ziel
verfolgt, Anschaffungskosten in steuerliches Abschreibungsvolumen umzuwandeln47
(sog. Step-up48). Bis zur Einführung des Umwandlungssteuergesetzes 1995 standen zur
Zielerreichung beim Erwerb von Kapitalgesellschaftsanteilen hauptsächlich das Kombi-
nations- und das Mitunternehmerschaftsmodell zur Verfügung.

45 Protokollerklärung der Bundesregierung vom 19.12.2014, Gesetz zur Anpassung der Abgabenord-
nung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, S. 1.
46 Otto 2008, S. 207.
47 Schaumburg 2000, S. 12 ff.
48 Seibt 2000, S. 2073.
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Teil

2.2.1.1 Kombinationsmodell

Der Kerngedanke dieses Modells bestand darin, den Anteilskauf in einen Kauf von
Wirtschaftsgütern zu transformieren.49 Nach Erwerb der Anteile wurden hierzu aus der
erworbenen Zielgesellschaft die materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter durch
den Gesellschafter oder durch eine andere Konzerngesellschaft herausgekauft (Internal
Asset Deal)50.
Durch den Erwerb der einzelnen Wirtschaftsgüter standen diese mit ihren (hohen)
Anschaffungskosten in der Bilanz des Erwerbers, während die veräußernde Kapital-
gesellschaft einen (steuerpflichtigen) Veräußerungsgewinn erzielte. Diesen Gewinn
schüttete die Zielgesellschaft an den Käufer der Anteile aus. Unter Geltung des Anrech-
nungsverfahrens wurde die Körperschaftsteuerbelastung der ausgekehrten Gewinne
neutralisiert, soweit der empfangende Käufer anrechnungsberechtigt war (einerseits
durch Anrechnung der Körperschaftsteuer – Vermeidung einer nochmaligen Besteue-
rung –, andererseits durch Erstattung der gezahlten Steuern auf den Veräußerungsge-
winn im Rahmen der ausschüttungsbedingten Teilwertabschreibung (vgl. dazu nach-
stehend)). Aus gewerbesteuerlicher Sicht korrespondierte mit der gewerbesteuerlichen
Belastung bei der ausschüttenden Zielgesellschaft eine Entlastung beim begünstigten
Gesellschafter, wenn die Voraussetzungen des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs
nach § 9 Nr. 2a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) vorlagen und die Beteiligungser-
träge somit von der Besteuerung freigestellt wurden.
Die erfolgreiche Nutzung des Kombinationsmodells setzte ferner voraus, dass die
ausschüttungsbedingte Gewinnmehrung beim Käufer durch eine entsprechende (steu-
erwirksame) Abschreibung der erworbenen Beteiligung ebenfalls neutralisiert werden
konnte. Die Voraussetzungen einer solchen ausschüttungsbedingten Teilwertabschrei-
bung waren insbesondere dann erfüllt, wenn die Ausschüttung kurze Zeit nach dem
Anteilserwerb erfolgte.51
Gewerbesteuerlich wurde die Neutralität bereits durch die Einführung von § 8 Nr. 10
GewStG (i. F. d. Steuerreformgesetzes 1990) aufgehoben, welcher die Hinzurechnung der
ausschüttungsbedingten Teilwertabschreibung anordnete. Diese Hinzurechnung sollte
verhindern, dass sich als Folgewirkung von Gewinnausschüttungen der Zielgesellschaft
eintretende Gewinnminderungen auf den Gewerbeertrag des Erwerbers auswirkten.
Dies sollte nach Rechtsprechung und der Finanzverwaltung52 auch für Teilwertabschrei-
bungen nach organschaftlichen Gewinnabführungen durch die Zielgesellschaft gelten.53
Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999 wurde dies ab dem Erhebungszeitraum 1999
auch entsprechend gesetzlich normiert.
Durch die Einführung von § 8b Abs. 3 KStG (keine steuerlich wirksame Teilwert-
abschreibung) für Vorgänge nach dem 31.12.2001 (bzw. durch §§ 3c Abs. 2, 3 Nr. 40
EStG) sowie Abschaffung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsguthabens ist die
ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung steuerlich nicht mehr möglich (bzw. nur
noch anteilig nutzbar)54, so dass dem Kombinationsmodell endgültig die Grundlage
entzogen wurde.

49 Kußmaul/Junker 1999, S. 2002.


50 Blumers/Marquardt 1994, S. 1870.
51 Herzig 2000, S. 167 f.
52 Breidenbach 1991, S. 2157.
53 Herzig 2000, S. 168 f.
54 Seibt 2000, S. 2073.
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2.2.1.2 Mitunternehmermodell

Nach der Einführung des § 8 Nr. 10 GewStG wurde als Alternative zum Kombinations-
modell zunächst das Mitunternehmermodell genutzt. Dieses basierte auf dem Umstand,
dass die Veräußerung von Mitunternehmeranteilen durch Kapitalgesellschaften bis 2001
nicht der Gewerbesteuer unterlag.
Die Zielgesellschaft brachte hierzu ihren Betrieb vor oder nach dem Share Deal zu
Buchwerten nach § 24 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) steuerneutral in eine
neu gegründete Personengesellschaft ein. Anschließend veräußerte die Zielgesellschaft
den für ihre Sacheinlage erhaltenen Mitunternehmeranteil gewerbesteuerfrei an den
Käufer. Dabei wurden die stillen Reserven aufgedeckt und der dabei entstehende Veräu-
ßerungsgewinn wurde anschließend an den Käufer ausgeschüttet. Durch die wiederum
dadurch ausgelöste ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung auf die Beteiligung
an der Zielgesellschaft wurde dieser Gewinn neutralisiert. Mit der Einführung des § 8b
Abs. 3 KStG sowie dem Wegfall des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens
durch die Unternehmenssteuerreform 2001 sowie der i. d. R. nicht mehr gegebenen Ge-
werbesteuerbefreiung des Veräußerungsgewinns ist das Mitunternehmermodell aber
ebenfalls nicht mehr attraktiv.55

2.2.1.3 Umwandlungsmodell

Das zur Gewinnung von Abschreibungspotenzial eingesetzte Kombinationsmodell wur-


de mit dem neuen Umwandlungssteuerrecht 1995 durch das Umwandlungsmodell er-
setzt. Dabei wurde die erworbene Kapitalgesellschaft entweder formwechselnd in eine
Personengesellschaft umgewandelt oder auf eine Personengesellschaft verschmolzen.
Bei der Verrechnung des zum Buchwert übernommenen Vermögens (Assets) mit den
(hohen) Anschaffungskosten der Beteiligung entstand ein Übernahmeverlust, da der
Erwerber im Kaufpreis sowohl die stillen Reserven als auch den Geschäfts- oder Fir-
menwert mitvergütet hatte. Hierdurch erhöhte sich die Abschreibungssumme in den
Folgejahren, da der Übernahmeverlust zu einer Aufstockung der Wertansätze der bi-
lanzierten Wirtschaftsgüter bis zum Teilwert sowie zur Aktivierung der bislang nicht
aktivierten (originären) immateriellen Wirtschaftsgüter (einschließlich des Geschäfts-
werts) führte (§ 4 Abs. 6 UmwStG a. F.), soweit keine sog. sperrbetragsbehafteten An-
teile (§ 50c EStG) erworben wurden.56
Durch den Umwandlungssteuererlass57 der Finanzverwaltung sollte die Anerken-
nung der Wertaufstockung bei der übernehmenden Gesellschaft für gewerbesteuerliche
Zwecke versagt werden. Dieser Auffassung hat jedoch der Bundesfinanzhof 2000 eine
klare Absage erteilt.58 Der Gesetzgeber hatte zwischenzeitlich allerdings reagiert. Nach
einer Änderung des Umwandlungssteuergesetzes im Jahre 1998 war ein Step-up für
Zwecke der Gewerbesteuer auch in den von § 4 Abs. 6 UmwStG nicht erfassten Fällen
nicht mehr möglich. Mit der Neufassung durch die Unternehmenssteuerreform 2001
wurde die Aufstockung der Buchwerte der Wirtschaftsgüter bei der Umwandlung auch

55 Brück 2010, S. 78.


56 Kußmaul/Junker 1999, S. 2002.
57 BMF-Schreiben v. 25.03.1998, BStBl I 1998, S. 268.
58 BFH, Urteil vom 20.06.2000, VIII R 5/99, DStR 2000, S. 1510.
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für Körperschaftsteuerzwecke untersagt, so dass dieses Modell ab dem Jahr 2001 seine
Bedeutung verloren hat.

2.2.1.4 Fazit

Die dargestellten Unternehmenskaufmodelle sind in Folge gesetzgeberischer Reaktionen


somit i. d. R. nicht mehr anwendbar. Seit längerem wird noch das sog. KGaA-Modell
diskutiert und in der Vergangenheit auch vereinzelt in der Praxis umgesetzt. Dabei wird
die Zielgesellschaft in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) umgewandelt.
Anschließend veräußert der persönlich haftende Gesellschafter seine Kommanditanteile
an die Gesellschaft und erhält hierfür eine Vermögenseinlage, die mit dem Wert der
Anteile zu bewerten ist und damit zu einer Buchwertaufstockung führt.59 Aufgrund
verschiedener Rechtsunsicherheiten hat sich dieses Modell in der Praxis jedoch nicht
etabliert. Alternative Modelle, die bereits unter Geltung des Halbeinkünfteverfahrens
zur Erreichung eines Step-up diskutiert wurden (Down-Stream-Merger60 und Organ-
schaftsmodell61) sind im Regelfall ebenfalls nicht praktikabel.

2.2.2 Personengesellschaft/Einzelunternehmen/Geschäftsbetriebe (Asset Deal)

Im Gegensatz zu dem Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften ergaben sich mit


Blick auf den Erwerb von Personengesellschaften, Einzelunternehmen und Geschäftsbe-
trieben in den letzten zwanzig Jahren keine wesentlichen Gesetzesänderungen in Bezug
auf die Amortisation des Kaufpreises (allerdings kann der Verkauf einer Personengesell-
schaft mittlerweile der Gewerbesteuer unterliegen, die die Personengesellschaft selbst
schuldet). Der Erwerb von Anteilen an Personengesellschaften bzw. Einzelunternehmen
wird steuerlich wie ein Asset Deal behandelt. Dabei besteht zwischen Handels- und
Steuerbilanz insoweit ein Unterschied, als dass in der Handelsbilanz der (Personen-
gesellschafts-)Anteil in Höhe der Anschaffungskosten bilanziert wird, während in der
Steuerbilanz die einzelnen Wirtschaftsgüter der Zielgesellschaft zu aktivieren sind (sog.
Transparenzprinzip). Hierdurch ergibt sich steuerlich die Notwendigkeit, den Gesamt-
kaufpreis auf die einzelnen Wirtschaftsgüter, einschließlich eines etwaigen Geschäfts-
oder Firmenwertes, aufzuteilen.

2.2.2.1 Kaufpreisallokation

Bei einem Asset Deal können die im Kaufpreis vergüteten stillen Reserven steuerlich
abgeschrieben werden, soweit sie auf abschreibbare Wirtschaftsgüter entfallen. Gemäß
der bisherigen Ansicht der Finanzverwaltung erfolgte die Aufstockung (Step-up) der er-
worbenen Wirtschaftsgüter grundsätzlich nach der sog. Stufentheorie: Die stillen Reser-
ven sind zuerst auf die bilanzierten (materiellen und immateriellen) Wirtschaftsgüter
zu verteilen, dann auf die bisher nicht bilanzierten (typischerweise selbstgeschaffenen

59 Prokisch 2005, S. 558.


60 Dieterlen/Schaden 2000, S. 2552 f.
61 Schwedhelm/Olbing/Binnewies 2000, S. 1180.
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XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Deutschlands  |  791


Teil

immateriellen) Wirtschaftsgüter und schließlich ist der eventuell verbleibende Kaufpreis


als Geschäftswert zu aktivieren.62
Mit der Veröffentlichung des neuen Umwandlungssteuererlasses vom 11.11.2011 hat
die Finanzverwaltung die Stufentheorie beim Zwischenwertansatz aufgegeben.63 Statt-
dessen verlangt die Finanzverwaltung nun, dass die stillen Reserven gleichmäßig über
alle Wirtschaftsgüter, einschließlich nicht bilanzierter immaterieller Wirtschaftsgüter,
verteilt werden müssen.64

2.2.2.2 Abschreibung des Step-up

Beim Erwerb von Personengesellschaften erfolgt die Aufstockung außerhalb der Ge-
samthandsbilanz in einer sog. Ergänzungsbilanz des neuen Mitunternehmers. Die
Abschreibung der Wirtschaftsgüter in der Gesamthands- und Ergänzungsbilanz führt
dann zu einer entsprechenden Minderung des zu versteuernden Einkommens des Er-
werbers. Wird ein Einzelunternehmen oder ein Geschäftsbetrieb erworben, wirkt sich
die Aufstockung direkt in der Steuerbilanz des Käufers aus.
Der Zeitraum, auf den die Anschaffungskosten zu verteilen sind, richtet sich bei
Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungs-
dauer. Diese wird zunächst in der Handelsbilanz festgelegt. Solange sich die handels-
rechtlichen Ansätze im Rahmen des § 7 EStG bewegen, ist die Handelsbilanz für die
Steuerbilanz nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit bindend.65 Allerdings wird in
der handelsrechtlichen Bilanzierungspraxis auf die vom Bundesfinanzministerium
veröffentlichte steuerliche AfA-Tabelle zurückgegriffen. Abweichend gilt steuerlich für
Firmen- und Geschäftswerte allerdings beispielsweise eine lineare Abschreibung über
15 Jahre.

2.3 Steuerliche Nutzung von Verlustvorträgen


Um den bestmöglichen Mehrwert aus einer Unternehmenstransaktion zu erreichen, ist
in vielen Fällen die weitere Nutzbarkeit von Verlustvorträgen der Zielgesellschaft ein
weiterer entscheidender Gesichtspunkt.66
Seit 2008 sieht die Verlustbegrenzungsvorschrift § 8c KStG, welche die vormali-
ge Mantelkaufregelung in § 8 Abs. 4 KStG a. F. abgelöst hat, vor, dass nicht genutzte
Verluste einer Gesellschaft anteilig oder vollständig untergehen, wenn innerhalb von
fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 % bzw. 50 % des gezeichneten
Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an
einer Körperschaft auf einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen bzw. eine
Erwerbergruppe übergehen oder ein ähnlicher Sachverhalt vorliegt.67 Im Zuge der glo-
balen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 geriet der neue § 8c KStG, aufgrund seiner
krisenverschärfenden Wirkung, in die Kritik und wurde im Rahmen des Wachstums-

62 Holzapfel/Pöllath 2003, Rz. 145a. Zu weiteren Einzelheiten vgl. Hörger 2000, S. 141 f.


63 Haritz/Menner 2015, Rn. 37.
64 BMF vom 11.11.2011, BStBl. I 2012, S. 1314 ff., Rz. 03.25.
65 Maier 2009, Rn. 5, Rn 28.
66 Brück 2010, S. 80.
67 Vgl. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG.
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792  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

beschleunigungsgesetzes 2009 um die sog. Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 S. 5 KStG) und


die sog. Stille-Reserven-Klausel (§ 8c Abs. 1 S. 6 bis 8 KStG) ergänzt.68 Beide Klauseln
zielen darauf ab, die Flexibilität bei Unternehmenstransaktionen zu steigern und Um-
strukturierungen im Konzern, die grundsätzlich wertsteigernde Ziele verfolgen, nicht
unnötig zu behindern. Die sogenannte Sanierungsklausel nach § 8c Abs. 1a KStG wurde
nach ihrer Einführung durch die EU Kommission als unerlaubte Beihilfe eingestuft. Die
Anwendung ist daher ausgesetzt, zumindest bis abschließend gerichtlich über diese
Frage entschieden wurde.
Hinsichtlich der Konzernklausel ist es das Ziel des Gesetzgebers, sämtliche konzern-
internen Umstrukturierungen von den Verlustbeschränkungen auszunehmen, soweit an
der übertragenden und an der übernehmenden Gesellschaft dieselbe Person zu jeweils
100 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist.69
Eine weitere Möglichkeit zur Rettung von Verlustpotenzial eröffnet die Stille-Reser-
ven-Klausel. Danach kommt es insoweit zu keinem Verlustuntergang, als die Verlust-
gesellschaft über ausreichende im Inland steuerpflichtige stille Reserven des Betriebs-
vermögens verfügt.
Am 15.04.2014 hat die Finanzverwaltung in einem Entwurf eines BMF-Schreibens
zur Verlustabzugsbeschränkung für Körperschaften, welches das bisherige BMF-Schrei-
ben zu § 8c KStG ersetzen soll, erstmalig ihre Auffassung hinsichtlich der Anwendung
der allgemeinen Verlustabzugsbeschränkung für Körperschaften nach § 8c KStG, unter
Beachtung der Konzernklausel in der Fassung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes
2009 sowie der Stille-Reserven-Klausel in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010,
geäußert.70 Im Hinblick auf die Konzernklausel sollen nach Auffassung der Finanz-
verwaltung konzerninterne Übertragungen regelmäßig nicht unter die Konzernklausel
fallen, wenn der übertragende oder übernehmende Rechtsträger ein Einzelunternehmen
oder eine Personengesellschaft mit natürlichen Personen als Gesellschafter ist.71 Ferner
soll die Konzernklausel auch dann keine Anwendung finden, wenn an der übertragen-
den oder übernehmenden Mutterkapitalgesellschaft mehr als ein Gesellschafter beteiligt
ist.72
Als Reaktion auf die Auffassung der Finanzverwaltung hat der Bundesrat im Zuge
des Gesetzgebungsverfahrens zum Zollkodex-Anpassungsgesetz eine rückwirkende Er-
weiterung der Konzernklausel vorgeschlagen, die nunmehr auch in das Körperschaft-
steuergesetz übernommen wurde.73 Die Erweiterung sieht entgegen dem BMF-Entwurf
vor, dass auch in den Konstellationen, in denen die oberste Konzerngesellschaft Erwer-
ber oder Veräußerer ist, die Konzernklausel zur Anwendung kommen soll.74 Zudem
wird neben einer natürlichen oder juristischen Person auch eine offene Handelsgesell-
schaft, eine Kommanditgesellschaft oder eine vergleichbare ausländische Personenhan-
delsgesellschaft als Konzernspitze anerkannt.75

68 Dötsch/Pung/Möhlenbrock, 2014, Rn. 7 ff.


69 Vgl. § 8c Abs. 1 S. 5 KStG.
70 Birnbaum 2014, DB0662556.
71 Bolik/Kindler/Griesfeller 2015, S. 262.
72 Entwurf BMF vom 15.04.2014, Rn. 46.
73 Bundesgesetzblatt vom 05.11.2015, S. 1838.
74 Bolik/Kindler/Griesfeller 2015, S. 262.
75 Bolik/Kindler/Griesfeller 2015, S. 262.
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XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Deutschlands  |  793


Teil

3 Verkäufersicht
3.1 Share Deal
3.1.1 Kapitalgesellschaft als Verkäufer

Unter dem bis Ende 2001 gültigen Körperschaftsteuergesetz 1977 führte die Veräußerung
von Kapitalgesellschaftsanteilen – wie auch die Veräußerung von Wirtschaftsgütern
(vgl. hierzu Kap. 3.2) durch eine im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesell-
schaft zu voll steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnen. Veräußerungsverluste waren
korrespondierend steuerlich in voller Höhe abzugsfähig. Folglich war die Rechtsform der
veräußerten Gesellschaft steuerlich grundsätzlich irrelevant (bzgl. der Gewerbesteuer
konnte es zu Unterschieden kommen).76
Bis Ende 1993 unterlagen Veräußerungsgewinne auf Ebene der Kapitalgesellschaften
einem Körperschaftsteuersatz von 50 %, der in der Folgezeit auf 45 % bzw. im Jahre
1999 auf 40 % abgesenkt wurde (jeweils zuzüglich Solidaritätszuschlag77). Bei einer
Ausschüttung des Veräußerungsgewinns an die Anteilseigner kam es zu einer Steuer-
satzreduktion auf 36 % bzw. 30 %. Die gezahlte Körperschaftsteuer wurde auf Ebene der
in Deutschland steuerpflichtigen Anteilseigner angerechnet.78 Veräußerungsgewinne
aus der Veräußerung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften waren bereits
ab 1994 i. d. R. nach § 8b Abs. 2 KStG a. F. steuerfrei. Durch das Steuersenkungsgesetz
vom 23.10.2000 wurde der Anwendungsbereich des § 8b Abs. 2 KStG, d. h. die Steuer-
freistellung von Veräußerungsgewinnen, ab 2002 auf Inlandsbeteiligungen ausgedehnt.
Im Ergebnis resultierte daraus bis Ende 2003 zunächst eine vollständige Freistellung für
Veräußerungsgewinne. Durch den ab dem Veranlagungszeitraum 2001 eingetretenen
Systemwechsel vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren war die Steuerbefrei-
ung auch notwendig, um Doppelbelastungen zu vermeiden. Zugleich stellt § 8b Abs. 3
KStG jedoch klar, dass ein Veräußerungsverlust aus der Veräußerung von Anteilen an
Kapitalgesellschaften steuerlich unbeachtlich ist.79 Eine leichte Schlechterstellung für
die veräußernde Kapitalgesellschaft trat durch die in 2004 eingeführte pauschale steu-
erliche Berücksichtigung von 5 % des steuerfreien Veräußerungsgewinns als nichtab-
zugsfähige Betriebsausgabe ein. Im Ergebnis ist der Veräußerungsgewinn nur noch zu
95 % steuerfrei. Diese Regelungen gelten – im Wesentlichen auch für die Gewerbesteuer
– unverändert bis heute.
Zwar wurde im Rahmen des Zollkodex-Anpassungsgesetzes seitens des Bundesra-
tes die Initiative gestartet, den Veräußerungsgewinn bei Beteiligungen unter 10 % am
Grund- oder Stammkapital, korrespondierend zu der Regelung im §  8b Abs. 4 KStG
(sog. Streubesitzdividende), der vollen Körperschaftsteuerpflicht zu unterwerfen, ih-
ren Eingang in das Zollkodex-Anpassungsgesetz fand die Regelung allerdings nicht.80
Mit Verweis auf den Koalitionsvertrag vom 16.12.2013 hat die Bundesregierung jedoch
zugesagt, die Behandlung von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitz im Rahmen der

76 Küppers 2004, Rz. 278.


77 Der Solidaritätszuschlag wurde zum 01.07.1991 eingeführt und betrug zunächst 7,5 %. 1993 und
1994 wurde der Solidaritätszuschlag ausgesetzt, allerdings 1995 wieder eingeführt. Mit Wirkung ab
dem 01.01.1998 wurde er auf 5,5 % ermäßigt.
78 Küppers 2004, Rz. 279.
79 Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns 2003, § 22, Rz. 5.
80 Bolik/Zöller/Kindler 2014, S. 2974.
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794  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

angestrebten Überarbeitung des Investmentsteuergesetzes zu prüfen.81 Bereits in der


Vergangenheit hat das Gesetzgebungsverfahren zur Einbeziehung von Streubesitzdivi-
denden in die volle Steuerpflicht verdeutlicht, dass der Gesetzgeber eine Ausweitung der
Steuerpflicht auf Veräußerungsgewinne aus Streubesitzbeteiligungen mit einer stich-
tagsbezogenen Anwendungsregelung verbinden könnte. Nach deutlicher Kritik aus der
Wirtschaft und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verzichtete das BMF im veröffentlich-
ten Referentenentwurf des InvStRefG vom 16. Dezember 2015 auf die Ausdehnung der
Steuerpflicht auf Veräußerungsgewinne aus Streubesitzbeteiligungen (Beteiligungshöhe
geringer als 10 %) von Kapitalgesellschaften.

3.1.2 Natürliche Person als Verkäufer

Bei Privatpersonen als Anteilseigner unterlagen Veräußerungsgewinne bis zum Jahr


1999 nur bei Vorliegen einer sog. wesentlichen Beteiligung, d. h. einer Beteiligung von
über 25 %, der Besteuerung. Weiterhin gewährte § 34 EStG eine Tarifbegünstigung,
durch die Veräußerungsgewinne bis zu einer Freigrenze i.H.v. 30 Mio. DM (ca. 15 Mio.
EUR) nur zur Hälfte, darüber hinaus jedoch dem vollen Einkommensteuersatz, unter-
worfen wurden.82 Da die Grenze personen- und veranlagungszeitraumbezogen war,
wurden Gestaltungsmodelle dahingehend strukturiert, dass der Veräußerungsgewinn
auf mehrere Personen und/oder mehrere Jahre verteilt wurde.
Dadurch wurde eine vollständige Steuerpflicht des über die 30 Mio. DM-Grenze hi-
nausgehenden Veräußerungsgewinns zumindest teilweise vermieden.83 Im Gegensatz
hierzu war ein Veräußerungsgewinn bei nicht wesentlichen Beteiligungen (kleiner
25 %) unabhängig von der 30 Mio. DM-Grenze außerhalb der Spekulationsfrist84 voll-
ständig steuerbefreit. Die Freigrenze wurde zunächst auf 15 Mio. DM (ca. 7,5 Mio. EUR)
reduziert und ab dem Jahr 1999 durch die sog. Fünftel-Regelung ersetzt, wodurch es
letztlich nur noch zu einer Progressionsmilderung kam. Mit der Einführung der Fünf-
tel-Regelung wurde auch die Grenze für wesentliche Beteiligungen zunächst ab 1999
auf 10 % und anschließend auf die seit 2001 gültigen 1 % stark reduziert, wodurch
der Kreis der steuerpflichtigen Anteilsveräußerungsgewinne aus dem Privatvermögen
deutlich ausgeweitet wurde.85
In den Jahren 2001 bis 2008 waren nach dem Halbeinkünfteverfahren Veräußerungs-
gewinne aus wesentlichen Beteiligungen oder innerhalb der Spekulationsfrist auch bei
nichtwesentlichen Beteiligungen nur zur Hälfte steuerpflichtig. Soweit die Beteiligung
im Privatvermögen unter 1 % lag bzw. die Haltedauer mehr als ein Jahr betrug, waren
Veräußerungsgewinne bis 2008 steuerfrei. Seit 2009 sind nach dem sog. Teileinkünf-
teverfahren Veräußerungsgewinne aus wesentlichen Beteiligungen (1 %) nunmehr zu
60 % steuerpflichtig. Nichtwesentliche Beteiligungen unterliegen bei Erwerb ab 2009
unabhängig von der Haltedauer der sog. Abgeltungsteuer von 25 % (zuzüglich Solida-
ritätszuschlag).

81 Koalitionsvertrag vom 14.12.2013, S. 64; Bolik/Griesfeller 2015, S. 56.


82 Holzapfel/Pöllath 1994, Rz. 142; Blumers 1997, S. 29.
83 Holzapfel/Pöllath 1994, Rz. 144a.
84 Bei Veräußerungen bis zum 31.12.1998 lag die Spekulationsfrist bei sechs Monaten. Danach wurde
sie auf ein Jahr verlängert.
85 Blumers 2000, S. 26 f.; Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns 2003, § 22, Rz. 35, 52.
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XIII. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Deutschlands  |  795


Teil

3.2 Asset Deal


3.2.1 Kapitalgesellschaft als Verkäufer

Veräußert eine Kapitalgesellschaft Wirtschaftsgüter des Unternehmens (bzw. auch den


gesamten Betrieb), unterliegt der Veräußerungsgewinn der vollen Steuerpflicht.86 Nach
der Neuregelung des § 7 GewStG unterliegen Gewinne aus der Veräußerung von Perso-
nengesellschaftsanteilen seit dem 01.01.2002 auch voll der Gewerbesteuer.87 Somit ist
der Verkauf in Form eines Asset Deals bzw. die Veräußerung einer Personengesellschaft
bei Kapitalgesellschaften im Vergleich zum Share Deal nachteilig, da letzterer zu 95 %
steuerfrei ist.

3.2.2 Natürliche Person als Verkäufer

Auch im Falle einer natürlichen Person als Veräußerer ist ein beim Asset Deal entstan-
dener Veräußerungsgewinn voll steuerpflichtig. Steuermindernd konnte der unter be-
stimmten Voraussetzungen zu gewährende Freibetrag und eine Progressionsminderung
bzw. der hälftige Steuersatz bis zum Veranlagungszeitraum 1998 zur Anwendung kom-
men. Ab dem 01.01.1999 bleibt als ertragsteuerliche Vergünstigung lediglich noch ein
Progressionsvorbehalt. Die Aufgabe bzw. Veräußerung des Einzelunternehmens bzw.
des vollständigen Anteils als Mitunternehmer an Personengesellschaften unterliegt da-
gegen nicht der Gewerbesteuer (§ 7 GewStG).88

4 Zusammenfassung und Ausblick


Für den Veräußerer haben sich aufgrund des Halb- bzw. Teileinkünfteverfahrens bzw.
der (fast) vollständigen (95 %) Steuerbefreiung eines Verkaufs von Anteilen an Kapital-
gesellschaften die Vorteile eines Share Deals gegenüber einem Asset Deal (einschließ-
lich des Verkaufs von Personengesellschaften) im Zeitablauf tendenziell erhöht. Für
den Käufer bestehen, einem gewissen Korrespondenzprinzip folgend, beim Erwerb von
Anteilen an Kapitalgesellschaften kaum noch Möglichkeiten, den Kaufpreis in steu-
erwirksames Abschreibungsvolumen umzuwandeln, so dass hier die Strukturierung
als Erwerb einzelner Wirtschaftsgüter vorteilhaft ist. In der Praxis lässt sich dies, au-
ßer z. B. in Insolvenzfällen, i. d. R. jedoch kaum realisieren (aufgrund der sog. Min-
destbesteuerung sind auch Verluste des Verkäufers i. d. R. nicht hinreichend nutzbar).
Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren durch Verschärfungen der Regelungen
zur Gesellschafterfremdfinanzierung sowie durch Einführung einer Zinsschranke die
Abzugsfähigkeit von Finanzierungsaufwendungen immer weiter eingeschränkt. Die
weitere Entwicklung im Hinblick auf die Finanzierung internationaler Konzerne und
Erwerbsstrukturen wird genau zu beobachten sein. BEPS wird mutmaßlich zu weiteren

86 BGBl I 2001, S. 3858; Eilers 2002, S. 85, 89; Otto 2008, Rz. 209; Müller 1996, Rz. 27.
87 Vgl. hierzu auch oben die Ausführungen zum Mitunternehmermodell unter Kapitel 2.2.1.2.
88 Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns 2003, § 22, Rz. 20; Eilers 2002, S. 89.
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796  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Einschränkungen führen und bislang mögliche und zulässige Finanzierungsmöglich-


keiten versagen oder zumindest erschweren. Hinsichtlich der Zinsschranke bleibt insbe-
sondere das Urteil des Verfassungsgerichts abzuwarten. Sollte dieses die Zinsschranke
tatsächlich als verfassungswidrig einstufen, wäre umgehend eine neue Unterkapitali-
sierungsregelung seitens des Gesetzgebers zu erwarten, die allerdings das Nettoprinzip
stärker beachten müsste.89
Insbesondere die im Steuersenkungsgesetz enthaltenen Neuregelungen führten ge-
genüber der vorherigen Rechtslage zum Teil zu einer deutlichen Besserstellung der
Unternehmensverkäufer. Die Besserstellung des Veräußerers bezieht sich vor allem auf
die umfassende Privilegierung der erzielten Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen
an Kapitalgesellschaften.
Etwaige Änderungen im Hinblick auf die Veräußerungsbesteuerung sind gegen-
wärtig, mit Ausnahme einer möglichen Ausweitung der Veräußerungsbesteuerung auf
Streubesitzanteile, nicht zu erwarten.

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89 Kaltenbach/Layh 2014, S. 573 f.


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798  | 
Teil

XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht


Österreichs
Markus Schragl/Daniela Schalko*

1 Einleitung
2 Käufersicht
2.1 Abzugsfähigkeit der Akquisitionsschuldzinsen
2.2 Abzugsfähigkeit von Transaktionskosten
2.3. Ergebniskonsolidierung
3 Verkäufersicht
3.1 Natürliche Person
3.2 Juristische Person
4 Gebühren und Verkehrssteuern
4.1 Vermögenserwerb
4.2 Finanzierung
5 Zusammenfassung und Ausblick

1 Einleitung
Die Entwicklung der Steuergesetzgebung der letzten Jahre ist wesentlich geprägt durch
globale Entwicklungen zur Verhinderung von »aggressiver Steuerplanung« (BEPS Re-
port und Action Plan der OECD etc.). Wesentliche steuerliche Rahmenbedingungen und
gesetzliche Änderungen im Zusammenhang mit M & A-Transaktionen in Österreich sind:
• Gruppenbesteuerung: Die Teilwertabschreibung beim Share Deal wurde abgeschafft,
die Verlustübernahme ausländischer Gesellschaften wurde erschwert;
• Abzugsfähigkeit von Finanzierungszinsen: Diese ist einerseits bei Konzernerwerben
eingeschränkt, andererseits sollen auch Konzernfinanzierungen mit Niedrigsteuer-
ländern verhindert werden;
• der Tatbestand für die Grunderwerbsteuer wurde erweitert (Anteilsvereinigung);
• die Gebühren für Kredit- und Darlehensverträge wurden abgeschafft, die Gesell-
schaftsteuer wird ab 01.01.2016 nicht mehr erhoben;
• die Wegzugsbesteuerung (Überführung von Wirtschaftsgütern, Verlegung von Be-
trieben, Einschränkung des österreichischen Besteuerungsrechts) wird verschärft.1

Damit ergibt sich ein nicht ganz einheitliches Bild. Ertragsteuerlich motivierte und
grenzüberschreitende Gestaltungen von Akquisitionen sollen erschwert und unattraktiv

∗ Dr. Markus Schragl, Partner, Steuerberater, Ernst & Young, Wien; Daniela Schalko, Director Corpo-
rate Tax, Automic Software GmbH, Wien.
1 (BGBl I Nr. 163/2015) Abgabenänderungsgesetz 2015.
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XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Österreichs  |  799


Teil

gemacht werden. Davon ist insbesondere die steueroptimierte Finanzierung betroffen.


Auf der anderen Seite wurden verschiedene Verkehrsteuern – z. B. Gebühren für Kre-
dit- und Darlehensverträge – sowie die Gesellschaftsteuer abgeschafft und damit eine
langjährige Forderung der Wirtschaft erfüllt. Ein Problem für die Praxis ist, dass Ge-
setzesbestimmungen so formuliert sind, dass für eine Anwendung verhältnismäßig um-
fangreiche Erlässe der Finanzverwaltung und sonstige Erläuterungen notwendig sind
und in vielen Fällen auch dann keine eindeutige Beurteilung möglich ist. Das spielt im
Zusammenhang mit der Verschärfung im Finanzstrafrecht und der verschärften Vor-
gangsweise bei der Betriebsprüfung eine wesentliche Rolle.
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die wesentllichen ertragsteuerlichen
Konsequenzen für Veräußerer und Erwerber sowohl bei juristischen Personen als auch
bei natürlichen Personen gegeben werden. Darüber hinaus werden die aktuellen gebüh-
renrechtlichen und verkehrsteuerlichen Änderungen kurz beleuchtet.

2 Käufersicht
2.1 Abzugsfähigkeit der Akquisitionsschuldzinsen
2.1.1 Abzugsfähigkeit der Akquisitionsschuldzinsen beim Asset Deal

Im Falle eines fremdfinanzierten Erwerbs eines Betriebes oder Mitunternehmeranteils


sowie der damit in Zusammenhang stehenden oder sonstigen »Assets« sind die Zinsen
sowie sonstige Finanzierungskosten (z. B. Bearbeitungs- und Kreditgebühren) des Er-
werbers zur Gänze steuerlich absetzbar.
Zinsaufwendungen sind jedoch seit März 2014 dann nicht mehr abzugsfähig, wenn
es sich beim Empfänger der Zinsen um ein Konzernunternehmen handelt, das nicht
oder niedrigbesteuert ist. Diese Einschränkung gilt für alle Zinsen, unabhängig vom
Grundgeschäft (also auch unabhängig davon, ob es sich um die Finanzierung eines
Asset Deals oder Share Deals handelt).

2.1.2 Abzugsfähigkeit der Akquisitionsschuldzinsen beim Share Deal

Erwirbt eine natürliche Person eine Beteiligung, sind Finanzierungskosten gemäß § 20
Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die im Zusammenhang mit endbesteuer-
ten Beteiligungserträgen oder mit Beteiligungserträgen stehen, welche dem besonderen
Steuersatz unterliegen 2, grundsätzlich steuerlich nicht abzugsfähig. Werden jedoch bei
Veräußerungen von Anteilen vor dem 01.04.2012 steuerpflichtige Einkünfte erzielt, ist
der angefallene Finanzierungsaufwand insoweit abzugsfähig, als er die angefallenen
endbesteuerten Kapitalerträge übersteigt.3
Auf Ebene einer Kapitalgesellschaft sind Zinsen aus einem fremdfinanzierten An-
teilserwerb gemäß § 11 Abs. 1 Ziff. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) grundsätz-

2 Vgl. Kap. 3.1.2.


3 Einkommensteuerrichtlinie (EStR) 2000, Rz. 4863.
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800  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

lich steuerlich abzugsfähig. Um Steuergestaltungen im Konzern zu vermeiden, sieht


§ 12 Abs. 1 Ziff. 9 KStG eine für Unternehmensakquisitionen bedeutsame Ausnahme
vor. Demnach ist die Abzugsfähigkeit von Zinsen im Zusammenhang mit einer Fremd-
finanzierung ausgeschlossen, wenn diese Kapitalanteile unmittelbar oder mittelbar von
einem konzernzugehörigen Unternehmen oder von einem unmittelbar oder mittelbar
einen beherrschenden Einfluss ausübenden Gesellschafter erworben worden sind.4 Die-
ses Zinsabzugsverbot im Zusammenhang mit der Fremdfinanzierung des Erwerbes von
Kapitalanteilen im Konzern gilt für Zinsen, die ab März 2014 anfallen; dementspre-
chend können die Finanzierungsverträge selbst bereits wesentlich früher abgeschlos-
sen worden sein. Die Finanzverwaltung legt den schädlichen konzerninternen Beteili-
gungserwerb dabei weit aus: Bei einem Fremderwerb einer ausländischen Gruppe mit
einer österreichischen Tochtergesellschaft wird eine wirtschaftliche Einheit unterstellt
und für den gleichzeitigen oder zeitnahen Erwerb der österreichischen Gesellschaft
Konzern­eigenschaft unterstellt.5
Durch das Abgabenänderungsgesetz (AbÄG) 2014 wurde eine zusätzliche Beschrän-
kung in § 12 Abs. 1. Ziff. 10 KStG eingefügt. Demnach sind Zinszahlungen nicht mehr
steuerlich abzugsfähig, wenn die Einnahmen bei der empfangenden ausländischen
Konzerngesellschaft aufgrund einer persönlichen oder sachlichen Befreiung keiner
Besteuerung oder einem Steuersatz bzw. einer tatsächlichen Steuerbelastung von un-
ter 10 % unterliegen.6 Um »Back-to-back«-Gestaltungen zu vermeiden, wird auf den
Nutzungsberechtigten der Zinserträge (»beneficial ownership«) abgestellt. Damit sollen
Gestaltungen verhindert werden, bei denen konzerninterne Finanzierungen durch nor-
mal bzw. hochbesteuerte Zwischengesellschaften durchgeleitet werden, die die Zinsen
zunächst nur vereinnahmen, dann aber ohne bzw. gegen eine nur geringe Vergütung
an die niedrigbesteuerte Gesellschaft weiterleiten.7 Diese Einschränkung der Abzugsfä-
higkeit von Zinsen und Lizenzgebühren betrifft sämtliche Fremdfinanzierungen (und
Lizenzzahlungen) und ist nicht auf den Anteilserwerb von Beteiligungen beschränkt.
Der Zinsbegriff (und die damit zusammenhängende Abzugsfähigkeit) des § 11 Abs.
1 Ziff. 4 KStG war seit der Einführung im Jahr 2005 umstritten. Dabei war insbesondere
unklar, ob neben den Zinsen selbst auch andere Aufwendungen wie z. B. Bankspesen,
Bereitstellungsgebühren, Bürgschaftsprovisionen, Makler- und Notariatskosten vom
Zinsbegriff umfasst und abzugsfähig waren. Der Unabhängige Finanzsenat8 und der
Verwaltungsgerichtshof9 haben – im Gegensatz zur Finanzverwaltung – den Zinsbegriff
weit ausgelegt. Darauf hat der Gesetzgeber die Abstellung auf den engen Zinsbegriff
gesetzlich geregelt und so die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des
Unabhängigen Finanzsenates ausgehebelt.10 Somit dürfen jedenfalls seit dem 01.01.2012
auch Geldbeschaffungs- und Nebenkosten steuerlich nicht abgezogen werden.
Um die Verrechnung der Finanzierungszinsen mit den operativen Einkünften des
Targets zu erreichen, sind insbesondere die Errichtung der steuerlichen Gruppe, die
Umwandlung des Targets in eine Personengesellschaft oder auch (eingeschränkt) die
Verschmelzung des Akquisitionsvehikels mit dem Target denkbar.

4 Körperschaftsteuerrichtlinie (KStR) 2013, Rz. 1266ad.


5 KStR 2013, Rz. 1266af.
6 KStR 2013, Rz. 1266ai.
7 Vgl. KStR 2014, Rz. 1266ar.
8 UFS 16.11.2011, RV/1351-L/10.
9 VwGH 27.02.1014, 2011/15/0199.
10 BudBG 2011, BGBl I 2010/111.
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XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Österreichs  |  801


Teil

Eine weitere Voraussetzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit ist die Fremdüblich-


keit.11 Die Finanzverwaltung hinterfragt vor allem Konzernfinanzierungen im Detail
und legt insbesondere auf Darlehensvaluta/Kreditrahmen,Verzinsung/Zinsfälligkeit,
Rückzahlung/Tilgungsmodalitäten und Sicherheiten ein genaues Augenmerk.12 Ist die
Fremdkapital empfangende Gesellschaft unterkapitalisiert und würde sie deshalb am
offenen Markt beispielsweise keinen Kredit mehr erhalten,13 stellt das zur Verfügung
gestellte Fremdkapital i. d. R. »verdecktes Eigenkapital« dar, und die Fremdkapitalzin-
sen sind folglich nicht abzugsfähig.
Beim Asset Deal und beim Share Deal sind Geldbeschaffungskosten sowie ein allfäl-
liges Disagio steuerlich zwingend zu aktivieren und auf die Laufzeit der Verbindlichkeit
zu verteilen. Unter Geldbeschaffungskosten sind alle unmittelbar mit der Verbindlich-
keit zusammenhängenden Nebenkosten zu verstehen, die anlässlich der Aufnahme
des Fremdkapitals anfallen, auch wenn sie lediglich der Sicherung des Kreditgebers
dienen.14

2.2 Abzugsfähigkeit von Transaktionskosten


Für den Erwerber stellt sich die wesentliche Frage, welche mit dem Beteiligungserwerb
verbundenen Kosten unmittelbar abzugsfähig bzw. welche Kosten zu aktivieren sind.
Bei den zu aktivierenden Kosten ist aus steuerlicher Sicht wiederum zu prüfen, ob und
in welcher Höhe steuerwirksame Abschreibungen (lineare Abschreibung oder Teilwert-
abschreibung) vorgenommen werden können. Dazu muss zwischen Anschaffungskos-
ten, Anschaffungsnebenkosten und sonstigen, nicht als Anschaffungskosten definierten
Nebenkosten unterschieden werden.
Das österreichische EStG kennt grundsätzlich keine gesetzliche Definition des Be-
griffs der Anschaffungskosten. Da die allgemeinen und unternehmensrechtlichen
Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung im Bereich der Anschaffungskosten nicht
voneinander abweichen, gilt der unternehmensrechtliche Anschaffungskostenbegriff
auch für steuerliche Zwecke.15 Gemäß § 203 Abs. 3 des Unternehmensgesetzbuches
(UGB) versteht man unter Anschaffungskosten jene Aufwendungen, die geleistet wer-
den, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und diesen in einen betriebsbereiten
Zustand zu versetzen. Die Aufwendungen müssen dem Vermögensgegenstand direkt
zugeordnet werden können. Zu den Anschaffungskosten zählen neben den unmit-
telbaren Anschaffungskosten (Kaufpreis) sämtliche Anschaffungsnebenkosten sowie
nachträgliche Anschaffungskosten. Unter Anschaffungsnebenkosten versteht man vor

11 Die oben beschriebenen Beschränkungen gemäß § 12 Abs. 1 Ziff. 9 und Ziff. 10 KStG sind zusätzlich
zu beachten.
12 Vgl. BMF 15.12.2008, 010221/3364 IV/4/2008, Punkt 2.1.2. Konditionen zwischen nahe stehenden
Personen müssen tendenziell günstiger sein als solche, die von Geschäftsbanken angeboten wur-
den, da ein konzerninternes Risiko vielfach als geringer einzuschätzen sein wird und konzerninter-
ne Finanzierungen meist günstiger bereitzustellen sind; Angemessenheit von Zinszahlungen BMF
20.05.1992, EAS 131; BMF 29.10.2007, EAS 2898.
13 In Österreich gibt es keine fixen Debt/Equity-Ratios, eine absolute Untergrenze bilden i. d. R. die
Kriterien des Eigenkapitalersatzgesetzes: Eigenkapitalquote von weniger als 8 % und eine fiktive
Schuldentilgungsdauer von mehr als 15 Jahren.
14 EStR 2000, Rz. 2460.
15 EStR 2000, Rz. 2164.
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802  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

allem Vertragserrichtungskosten16 (Anwalts- und Notarhonorare, Anmeldekosten, Zölle,


Gebühren, Grunderwerbsteuer), Schätzkosten17 und Vermittlungsprovisionen18. Nicht
als Anschaffungsnebenkosten und somit als grundsätzlich sofort abzugsfähige Betriebs­
ausgaben gelten beispielsweise Devisenbeschaffungskosten, Kosten der Entscheidungs-
vorbereitung und Entscheidungsfindung, Planungskosten zur Ermittlung von Beschaf-
fungsalternativen und Finanzierungsaufwendungen.19
Gerade im M & A-Bereich stellt sich die Frage der steuerlichen Abzugsfähigkeit von
Due Diligence Aufwendungen. Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist der Zeitpunkt
der Erwerbsentscheidung. Bis zur Erwerbsentscheidung sollten Aufwendungen einer
Buy-side Due Diligence sofort abzugsfähige Betriebsausgaben darstellen. Due Diligence
Aufwendungen, die nach der Erwerbsentscheidung anfallen, sind hingegen als Anschaf-
fungsnebenkosten auf die Beteiligung zu aktivieren.20 Im Gegensatz dazu sind Vendor
Due Diligence-Kosten mangels Anschaffung sofort steuerlich abzugsfähig.21

2.2.1 Abzugsfähigkeit von Transaktionskosten beim Asset Deal

Bei einem entgeltlichen Erwerb eines Betriebes oder sonstiger einzelner Assets sind
die Wirtschaftsgüter unter Aufdeckung der abgegoltenen stillen Reserven mit ihren
Anschaffungskosten inklusive Anschaffungsnebenkosten anzusetzen. Es hat eine Auf-
teilung des Gesamtkaufpreises auf die einzelnen Wirtschaftsgüter zu erfolgen, wobei
sämtliche Aktiva und Passiva mit den Teilwerten angesetzt werden.22 Der verbleibende
Restbetrag stellt einen Firmenwert dar. Zum Firmenwert zählen u. a. der Kundenstock,
die Vertriebswege, gute Geschäftsbeziehungen, Bekanntheit der Firma sowie der Auf-
tragsstand. Davon zu unterscheiden sind firmenwertähnliche Wirtschaftsgüter wie Mar-
kenrechte, Patente und Konzessionen. Der Firmenwert wie auch firmenwertähnliche
Wirtschaftsgüter23 sind zu aktivieren und gemäß § 8 Abs. 3 EStG gleichmäßig auf 15
Jahre abzuschreiben.
Beim Asset Deal erhöhen die Anschaffungsnebenkosten die unmittelbaren Anschaf-
fungskosten (Kaufpreis) und dementsprechend das künftige Abschreibungspotential
für das jeweilige Wirtschaftsgut, soweit die vom Käufer abgegoltenen stillen Reserven
auf abnutzbare Wirtschaftsgüter und Firmenwert entfallen, welche gemäß § 7 und § 8
EStG einer laufenden steuerlichen Abschreibung unterliegen. Bei nicht abnutzbaren
Vermögensgegenständen werden die höheren Anschaffungskosten erst im Zuge des Aus-
scheidens der Wirtschaftsgüter durch einen höheren Buchwertabgang bzw. bei Wert-
minderungen durch die Vornahme von Teilwertabschreibungen steuerwirksam.

16 VwGH 22.09.1971, 406/71.


17 VwGH 12.07.1967, 1302/66.
18 VwGH 20.11.1990, 89/14/0090.
19 EStR 2000, Rz. 2187.
20 Bertl/Hirschler 2007, S. 294; Galla 2008, S. 100; Blasina et al. 2009, S. 368.
21 Keine Abzugsfähigkeit besteht jedoch beim Verkauf einer internationalen Schachtelbeteiligung, bei
der keine Option zur Steuerwirksamkeit ausgeübt wurde; vgl. Blasina et al. 2009, S. 368.
22 Optimierungspotenzial durch Zuteilung auf Wirtschaftsgüter mit kurzer Abschreibungsdauer.
23 EStR 2000, Rz. 3195.
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XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Österreichs  |  803


Teil

2.2.2 Abzugsfähigkeit von Transaktionskosten beim Share Deal

Die Besteuerung von Beteiligungen bei natürlichen Personen wurde 2011 durchgehend
neu geordnet.24 Demnach sind Wertänderungen des Kapitalstammes unabhängig von
der Behaltedauer und Beteiligungshöhe immer steuerpflichtig. Die Bestimmung des
§ 27a EStG sieht für Einkünfte aus Kapitalvermögen einen besonderen Steuersatz vor;
das Abzugsverbot wesentlicher Aufwendungen im Zusammenhang mit Beteiligungen 25
stellt auf diesen besonderen Steuersatz ab. Damit sind Aufwendungen und Ausgaben
im Zusammenhang mit Einkünften aus Kapitalvermögen (auch aus Substanzgewinnen)
steuerlich nicht abzugsfähig.26 Im außerbetrieblichen Bereich dürfen diese Aufwendun-
gen weder unmittelbar als Werbungskosten noch als Anschaffungsnebenkosten berück-
sichtigt werden.
Anschaffungskosten für die Kapitalanteile selbst können im Rahmen einer späteren
Realisierung steuerlich geltend gemacht werden.27
Werden Anteile im Privatvermögen gehalten, löst nur ein Realisierungsvorgang Steu-
erpflicht aus.28 Bei im Betriebsvermögen gehaltenen Anteilen ist demgegenüber eine
(steuerwirksame) Teilwertabschreibung grundsätzlich möglich. Werden Anteile im Be-
triebsvermögen einer Kapitalgesellschaft gehalten, ist ebenfalls eine steuerwirksame
Teilwertabschreibung möglich, diese muss jedoch gemäß § 12 Abs. 3 Ziff. 2 KStG über
sieben Jahre verteilt erfolgen.29
Bis Februar 2014 konnte beim Erwerb von inländischen betriebsführenden Gesell-
schaften, die in eine steuerliche Gruppe aufgenommen wurden, eine Firmenwertab-
schreibung über 15 Jahre verteilt steuerlich geltend gemacht werden. Mit dem Abgaben­
änderungsgesetz 2014 wurde die Firmenwertabschreibung auf nach dem 28.02.2014
angeschaffte Beteiligungen abgeschafft. Für vor dem 01.03.2014 erworbene Beteiligun-
gen können jedoch bereits begonnene Abschreibungsfünfzehntel unter bestimmten Vo-
raussetzungen weiterhin geltend gemacht werden.

2.3 Ergebniskonsolidierung
Die Abzugsfähigkeit von Zinsen und Transaktionskosten ist für einen Erwerber dann
besonders interessant, wenn eine Möglichkeit zur steuerlichen Ergebniskonsolidierung
gegeben ist. In Österreich wurde 2005 diese Möglichkeit durch Einführung der Grup-
penbesteuerung, die verbundenen Kapitalgesellschaften eine konsolidierte Besteuerung
ermöglicht, geschaffen.30 Die steuerliche Gruppe ermöglicht eine Zusammenfassung der
steuerlichen Ergebnisse der Gruppenmitglieder (und des Gruppenträgers) und eine ge-
meinsame Besteuerung auf einer Ebene, ohne dass die Ergebnisse auch unternehmens-
rechtlich übertragen werden müssen. Voraussetzungen sind u. a., dass eine zumindest

24 BudBG 2011, BGBl I 2010/111.


25 § 20 EStG.
26 Ungeachtet dieser Bestimmung können Steuerberatungskosten jedoch als Sonderausgaben ange-
setzt werden.
27 EStR, Abschn. 20, Rz. 1606.
28 Realisierte Verluste sind nur beschränkt verwertbar.
29 Gemäß § 12 Abs. 3 Ziff. 1 KStG unterliegen ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibungen dem
Abzugsverbot.
30 Vgl. z. B. Jann/Modarressy 2014, S. 32 f.
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804  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

50 %-ige Beteiligung besteht und die finanzielle Verbindung seit mindestens einem
gesamten Wirtschaftsjahr (12 Monate) vor Bildung der Gruppe besteht. Mit inländi-
schen Gruppenmitgliedern ist außerdem der Abschluss einer Steuerumlagevereinba-
rung zwingend vorgesehen. Der Gruppenantrag ist beim zuständigen Finanzamt des
Gruppenträgers einzubringen. Mindestbestanddauer der Gruppe ist drei Jahre. Grup-
penmitglieder können inländische Gesellschaften sein, aber auch bei ausländischen Ge-
sellschaften können Verluste unter bestimmten Voraussetzungen vom österreichischen
Gruppenträger berücksichtigt werden. Die Zurechnung ausländischer Gewinne zum ös-
terreichischen Gruppenträger ist ausgeschlossen. Im Zusammenhang mit ausländischen
Gruppenmitgliedern wurden die gesetzlichen Bestimmungen laufend verschärft.31 So
wurde etwa der räumliche Anwendungsbereich32, die Berechnungsmethodik des aus-
ländischen Ergebnisses und die Verwertungsmöglichkeit33 ausländischer Verluste in den
vergangenen Jahren eingeschränkt.
Eine andere Möglichkeit, Gewinne einer Akquisitionsgesellschaft mit Aufwendungen
einer Holding zu verrechnen, besteht z. B. durch den Einsatz von Personengesellschaf-
ten; auch hier wird die Besteuerung gemeinsam auf Ebene der Gesellschafter vorgenom-
men. Mit dem Steuerreformgesetz 2015/201634 soll die Verlustverwertung von »kapita-
listischen Mitunternehmern«35 eingeschränkt werden.36

3 Verkäufersicht
3.1 Natürliche Person
3.1.1 Asset Deal

Gewinne aus der Veräußerung von Betrieben, Teilbetrieben oder Mitunternehmerantei-


len sind gemäß § 24 EStG steuerpflichtig. Ob ein Teilbetrieb i. S. d. § 24 EStG vorliegt,
wird anhand folgender Merkmale geprüft, wobei i. d. R. auf das Gesamtbild abzustellen
ist: Eigenes Anlagevermögen, eigenes Warenlager, selbstständige Organisation, eigene
Verwaltung, etc.37 Der Veräußerungsgewinn berechnet sich gemäß § 24 Abs. 2 EStG
aus der Differenz zwischen Veräußerungserlös nach Abzug der Veräußerungskosten
und dem steuerlichen Buchwert des veräußerten (Teil-)Betriebs bzw. dem steuerlichen
Mitunternehmerkapital. Für einen Veräußerungsgewinn gemäß § 24 EStG stehen die fol-
genden Steuerbegünstigungen zur Verfügung: Freibetrag38, gleichmäßige Verteilung des

31 So z. B. durch das Abgabenänderungsgesetz 2014.


32 Ausländische Gruppenmitglieder können nur noch in Staaten sein, mit denen eine umfassende
Amtshilfe besteht.
33 Verwertungsgrenze: Verluste ausländischer Gruppenmitglieder können höchstens mit 75 % der
österreichischen Ergebnisse berücksichtigt werden.
34 StRefG 2015/2016, BGBl I 2015/118.
35 Das sind Gesellschafter, die Dritten gegenüber nicht oder nur eingeschränkt haften und die keine
ausgeprägte Mitunternehmerinitiative entfalten.
36 Verluste sollen nicht mehr ausgleichs- und vortragsfähig sein, sofern durch den Verlust ein negati-
ves steuerliches Kapitalkonto entsteht oder erhöht wird.
37 EStR 2000, Rz. 5584.
38 Der Freibetrag beträgt gemäß § 24 Abs. 4 EStG derzeit 7.300 EUR.
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XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Österreichs  |  805


Teil

Veräußerungsgewinns auf drei Jahre gemäß § 37 Abs. 2 Ziff. 1 EStG oder Besteuerung
des Veräußerungsgewinns mit dem halben Durchschnittssteuersatz gemäß § 37 Abs. 5
EStG. Gewinne aus der Veräußerung von (Teil-)Betrieben und Mitunternehmeranteilen
können zur Gänze mit bestehenden Verlustvorträgen aus diesem Betrieb verrechnet
werden. Die Beschränkung durch die 75 %-ige Verlustvortrags- bzw. Verrechnungsgren-
ze kommt nicht zur Anwendung.
Für einzelne Assets, die keinen Betrieb oder Teilbetrieb darstellen, gilt Folgendes:
Werden diese Assets im Betriebsvermögen gehalten, liegt jedenfalls ein steuerpflichti-
ger Veräußerungsvorgang vor. Werden diese Gegenstände jedoch im Privatvermögen
gehalten, ist die Veräußerung außerhalb der einjährigen Spekulationsfrist i. d. R. steuer-
frei. Ausnahmen gibt es hier beispielsweise für Liegenschaften (Immobilienertragsteuer
i. H. v. derzeit 30 %39; seit 01.04.2012 grundsätzlich steuerpflichtig) und für ab dem
01.04.2012 veräußerte Beteiligungen und sonstige Finanzierungsinstrumente40 (beson-
derer Steuersatz i. H. v. 25 %).

3.1.2 Share Deal

Gemäß § 37 EStG sind Veräußerungsgewinne von im Betriebsvermögen gehaltenen


Beteiligungen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften mit dem halben Durch-
schnittssteuersatz zu besteuern, sofern die Beteiligung länger als ein Jahr gehalten wur-
de. Erfolgt die Veräußerung bereits innerhalb eines Jahres ab Anschaffung, unterliegt
der Veräußerungsgewinn seit dem 01.04.2012 dem besonderen Steuersatz von 25 %.

3.2 Juristische Person


3.2.1 Asset Deal

Bei Körperschaften unterliegt der Gewinn aus der Veräußerung von (Teil-)Betrieben,
Mitunternehmeranteilen und einzelnen Assets der 25 %-igen Körperschaftsteuer. Die
Ermittlung des Veräußerungsgewinns erfolgt wie bei natürlichen Personen nach § 24
Abs. 2 EStG aus der Differenz zwischen dem Veräußerungserlös nach Abzug der Ver-
äußerungskosten und dem steuerlichen Buchwert des veräußerten (Teil-)Betriebes bzw.
dem steuerlichen Kapital des Mitunternehmeranteils. Die Steuerbegünstigungen gemäß
§ 24 EStG (Freibetrag, Verteilung über drei Jahre, Halbsatzbegünstigung) stehen einer
Kapitalgesellschaft nicht zu. Das Vorliegen eines Veräußerungsgewinnes nach § 24 EStG
spielt jedoch für die Verwertung möglicherweise bestehender Verlustvorträge eine Rolle.
Nur wenn ein Betrieb bzw. Teilbetrieb i. S. d. § 24 EStG vorliegt, kann ein Gewinn aus
der Veräußerung eines Teilbetriebes zur Gänze mit Verlustvorträgen verrechnet wer-
den. Ansonsten kommt die allgemeine Verlustvortrags- bzw. Verrechnungsgrenze zur
Anwendung, aufgrund derer nur 75 % des Gewinnes mit bestehenden Verlustvorträgen
verrechnet werden können.

39 StRefG 2015/2016, BGBl I 2015/118.


40 Vgl. § 27 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 EStG i. d. F. 2. AbÄG 2014: z. B. Beteiligungen, Kapitalanlagen, Dar-
lehen, Anleihen, Hypotheken, Einlagen, Guthaben bei Bankinstituten usw.
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806  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

3.2.2 Share Deal

Gewinne aus der Veräußerung von inländischen Beteiligungen unterliegen grundsätz-


lich der Körperschaftsteuer. Gewinnausschüttungen sind hingegen gemäß § 10 KStG
steuerfrei. Diese Beteiligungsertragsbefreiung greift auch dann, wenn die Beteiligung
mit Dividendenvorbehalt veräußert wird und der Veräußerer im Zeitpunkt der Aus-
schüttung nicht mehr an der Körperschaft beteiligt ist.41 Auch im Zusammenhang mit
dem sog. Dividendenvorbehalt ist es in jüngerer Zeit zu erheblichen Verschärfungen
gekommen.42 Veräußerungsverluste von zum Anlagevermögen gehörenden Beteiligun-
gen i. S. d. § 10 KStG sind gemäß § 12 Abs. 3 Ziff. 2 KStG grundsätzlich abzugsfähig,
aber über sieben Jahre zu verteilen. Ausschüttungsbedingte Veräußerungsverluste sind
gemäß § 12 Abs. 3 KStG nicht abzugsfähig.
Bestand mit der verkauften Beteiligung eine Unternehmensgruppe gemäß § 9 KStG
und wurden während der Gruppenzugehörigkeit Verluste der Tochtergesellschaft bei
der Muttergesellschaft steuerlich erfasst, bleiben diese nach der Mindestdauer von drei
Jahren bei der Muttergesellschaft. Wird die Gruppe vor Ablauf von drei Jahren aufge-
löst, erfolgt eine Nachversteuerung der Verluste beim Verkäufer der Beteiligung. Davon
unabhängig sind jedoch die Regelungen der notwendigerweise zu treffenden (zivilrecht-
lichen) Vereinbarung zwischen Gruppenträger und Gruppenmitglied über den Ausgleich
der Steuervorteile innerhalb der Gruppe bei Auflösung zu beachten.
Gemäß § 10 Abs. 3 KStG sind Gewinne und Verluste aus der Veräußerung auslän-
discher Beteiligungen grundsätzlich steuerneutral, wenn eine internationale Schach-
telbeteiligung gemäß § 10 Abs. 2 KStG vorliegt (Beteiligungsausmaß von mindestens
10 %, Behaltedauer von mindestens einem Jahr, qualifizierte Rechtsform der Tochter-
gesellschaft, kein Missbrauch oder Missbrauchsvorbehalt, keine ausländische Invest-
mentgesellschaft). Die Veräußerung der gesamten Beteiligung sowie die Veräußerung
von Teilen der Beteiligung ist steuerbefreit. Es besteht jedoch die Möglichkeit, im Jahr
des Erwerbes bzw. des Entstehens einer internationalen Schachtelbeteiligung eine un-
widerrufliche Option zur Steuerwirksamkeit gemäß § 10 Abs. 3 KStG auszuüben. Bei
Optionsausübung sind Gewinne sowie Verluste einer internationalen Schachtelbetei-
ligung steuerwirksam. Für Veräußerungsverluste gilt gemäß § 12 Abs. 3 Ziff. 2 KStG
das Abzugsverbot für ausschüttungsbedingte Verluste sowie gemäß § 12 Abs. 3 KStG
die Verteilung über sieben Jahre. Liegt keine internationale Schachtelbeteiligung i. S. d.
§ 10 Abs. 2 KStG vor, sind Gewinne und Verluste aus der Veräußerung steuerwirksam
und das Abzugsverbot von ausschüttungsbedingten Verlusten sowie die Verteilung von
Veräußerungsverlusten über sieben Jahre kommt nicht zur Anwendung.43 War die ver-
kaufte ausländische Beteiligung Mitglied einer Unternehmensgruppe, sind die noch
nicht nachversteuerten Auslandsverluste jedenfalls vollständig bei der Veräußerung
nachzuversteuern.

41 KStR 2001, Rz. 512.


42 KStR 2013, Rz. 1168; VwGH 14.12.2005, 2002/13/0053.
43 Kainberger/Stieglitz 2009, S. 117 ff.
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XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht Österreichs  |  807


Teil

4 Gebühren und Verkehrssteuern


4.1 Vermögenserwerb
Ausgewählte Rechtsgeschäfte (z. B. Bestandverträge, Zessionen, Garantien, Haftungs-
übernahmen) können einer Gebühr unterliegen, sofern eine Urkunde i. S. d. Gebüh-
rengesetzes (GebG) errichtet wird. Unternehmenskaufverträge sind im GebG nicht als
gebührenpflichtige Rechtsgeschäfte angeführt und lösen daher per se keine Gebühren-
pflicht aus.44 Beim Asset Deal sind die zugrundeliegenden Rechtsverhältnisse einzeln
gebührenrechtlich zu beleuchten. Aufgrund der Einzelrechtsnachfolge sind Vertrags-
übernahmen zwischen dem Verkäufer, dem Erwerber und dem Vertragspartner zu ver-
einbaren. Wird im Rahmen der Vertragsübernahme eine Urkunde i. S. d. GebG errichtet,
entsteht eine Gebührenpflicht. Darüber hinaus kann eine Gebühr ausgelöst werden,
wenn anstelle einer Neubegründung eine Zession oder Abtretung von Schuldforderun-
gen oder anderen Rechten vereinbart wird. Im Rahmen eines Share Deals wird i. d. R.
hingegen keine Gebühr ausgelöst. Der Erwerber tritt im Wege der Gesamtrechtsnach-
folge in die Rechtsverhältnisse des Verkäufers ein.
In Hinblick auf inländischen Liegenschaftsbesitz (Grund und Boden, Gebäude, Bau-
rechte, Bauwerke auf fremdem Boden) ist bei der Eigentumsübertragung eine Grunder-
werbsteuer i. H. v. 3,5 % zuzüglich 1,1 % gerichtliche Eintragungsgebühr ins Grundbuch
zu beachten.
Grunderwerbsteuer wird nicht bloß durch die Übertragung einer Liegenschaft (Asset
Deal) ausgelöst; auch der Erwerb von Beteiligungen (Share Deal) führt zu einer Belas-
tung mit Grunderwerbsteuer, wobei es durch das Steuerreformgesetz 2015/2016 hier zu
erheblichen Verschärfungen kommt.45 Grunderwerbsteuerpflicht tritt bei einer Anteils-
vereinigung ab dem Erreichen von 95 % der Anteile ein46; auch die Vereinigung von
zumindest 95 % der Anteile in der Hand einer Steuergruppe löst Grunderwerbsteuer aus.
Bei Personengesellschaften wird nicht auf die Vereinigung von Anteilen, sondern auf
die Übertragung abgestellt. Werden innerhalb von 5 Jahren 95 % der Anteile übertragen,
soll ein grunderwerbsteuerpflichtiger Tatbestand vorliegen.47

4.2 Finanzierung
Bis Ende 2010 war bei der Fremdfinanzierung einer erworbenen Gesellschaft eine
Rechtsgeschäftsgebühr i. H. v. 0,8 % vom Wert des Darlehens- bzw. Kreditbetrages zu
beachten. Mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 wurde die Gebühr für Darlehens- und
Kreditverträge abgeschafft. Demnach unterliegen neu abgeschlossene Kredit- und Dar-
lehensverträge ab 01.01.2011 keiner Rechtsgeschäftsgebühr. Die Ausstattung der Gesell-
schaft mit Eigenmitteln (Kapitalzuschuss) kann Gesellschaftsteuer i. H. v. 1 % auslösen.
Dies gilt jedoch nur für den Fall einer direkten Beteiligung, so dass die Gesellschaftsteu-
er beispielsweise durch die Gewährung eines Großmutterzuschusses vermieden werden

44 Abweichendes gilt für den Unternehmenskauf auf Leibrente, der gemäß § 33 TP 17 Abs. 1 Ziff. 4
explizit einer Vergebührung von 2 % unterworfen wird.
45 StRefG 2015/2016, BGBl I 2015/118.
46 Bisher war eine Anteilsvereinigung nur bei einer vollen 100 %-igen Vereinigung vorgesehen, d. h.
die Grunderwerbsteuer konnte bereits mit einem Zwerganteil vermieden werden.
47 Vgl. dazu beispielsweise Rief 2015, Rz. 5/2 ff.
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808  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

kann. Die Gesellschaftsteuer wurde mit dem Abgabenänderungsgesetz 2014 abgeschafft


und ist letztmalig auf Rechtsvorgänge anwendbar, bei denen die Steuerschuld vor dem
01.01.2016 entsteht.

5 Zusammenfassung und Ausblick


Die häufigste Erwerbsstruktur einer österreichischen Gesellschaft erfolgt mittels eines
österreichischen Akquisitionsvehikels. Während der Asset Deal i. d. R. vom Käufer be-
vorzugt wird, strebt der Verkäufer meistens einen Share Deal an. Seit der Einführung
der Gruppenbesteuerung kann der Share Deal teilweise auch für den Erwerber von
Vorteil sein, aufgrund der weitreichenden Änderungen der Gruppenbesteuerung bzw.
der Abschaffung der Firmenwertabschreibung allerdings nur noch beschränkt.
Finanzierungszinsen und sonstige steuerwirksame Aufwendungen können beim
Asset Deal direkt, beim Share Deal z. B. im Rahmen einer steuerlichen Gruppe konsoli-
diert werden. Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Verluste ausländischer
Gruppenmitglieder berücksichtigt werden.
Die Gesetzgebung versucht immer stärker, Steuergestaltungen zu unterbinden, ins-
besondere bei der Abzugsfähigkeit von Finanzierungszinsen, Steuergruppen mit auslän-
dischen Mitgliedern oder Verrechnungspreisgestaltungen, und versucht dabei, teilweise
sehr ambitioniert, OECD Vorgaben (BEPS) umzusetzen.

Literatur
Bertl, R./Hirschler, K. (2007): Bilanzielle Behandlung von Kosten einer Due Diligence im Zusammen-
hang mit dem Erwerb einer Beteiligung. In: RWZ, 2007, S. 294–295.
Blasina, H./Schwaiger, M./Stöger, R. (2009): Tax Due Diligence aus Sicht der Betriebsprüfung. In:
Baumann, A./Waitz-Ramsauer, K. (Hrsg.): Handbuch Unternehmenskauf & Due Diligence Band II.
LexisNexis, Wien, 2009, S. 357–372.
Christiner, M. (2007): Asset Deal versus Share Deal: Ertragsteuerliche Aspekte für Verkäufer und Käu-
fer. In: Polster-Grüll, B./Zöchling, H./Kranebitter, G. (Hrsg.): Handbuch Mergers & Acquisitions.
Linde, Wien, 2007, S. 133–169.
Jann, M./Modarressy, C. (2014): Steuerplanung aus Sicht der Anteilseigner und Wahl des Sitzstaates für
die Konzernholding. In: Fraberger, F./Baumann, A./Plott, Ch./Waitz-Ramsauer, K. (Hrsg.): Hand-
buch Konzernsteuerrecht 2014. 2. Aufl., LexisNexis, Wien, 2014.
Galla, H. (2008): Abzugsfähigkeit von Due Diligence-Kosten. In: taxlex, 2008, S. 100–104.
Kainberger, S./Stieglitz A. (2009): Beteiligungen im Vermögen des Targets. In: Baumann, A./
Waitz-Ramsauer, K. (Hrsg.): Handbuch Unternehmenskauf & Due Diligence Band II. LexisNexis,
Wien, 2009, S. 99–134.
Laudacher, M. (2004): Kursverluste bei Fremdwährungskrediten. In: SWK, 2004, S. 1516–1518.
Rief, R. (2015): Grunderwerbsteuer. In: Marschner/Stefaner (Hrsg.), Steuerreform 2015/2016. Manz,
Wien, 2015, S. 85 ff.
Tissot, M. (2004): Abzugsfähigkeit von Fremdkapitalzinsen gemäß § 11 Abs. 1 Ziff. 4 KStG – Eine
Interpretation des Wortes »Zinsen«. In: SWK, 2004, S. 1497–1503.
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  |  809
Teil

XV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht


der Schweiz
Georg Lutz/Flurin Poltera*

1 Einleitung
2 Käufersicht
2.1 Akquisitionsfinanzierungskosten
2.2 Anschaffungskosten, Abschreibungen
3 Verkäufersicht
3.1 Verkauf aus dem Geschäftsvermögen
3.2 Verkauf aus dem Privatvermögen
4 Transaktionssteuern
4.1 Emissionsabgabe
4.2 Umsatzabgabe
5 Zusammenfassung und Ausblick

1 Einleitung
In den letzten 25 Jahren des Auf und Ab in der Welt von Mergers & Acquisitions wa-
ren auch die steuerlichen Rahmenbedingungen starken Entwicklungen unterworfen.
Gewisse grundsätzliche steuerliche Fragestellungen, mit welchen Käufer und Verkäufer
von Unternehmen konfrontiert sind, sind indessen unverändert geblieben. Auf Verkäu-
ferseite ist dies in erster Linie die Frage, in welcher Form Veräußerungsgewinne oder
-verluste steuerlich behandelt werden. Auf Käuferseite ist die Frage der Abzugsfähig-
keit von Akquisitionsschuldzinsen und die steuerliche Behandlung des Goodwills von
großer Bedeutung.
Dabei hat sich in der Schweiz insbesondere die steuerliche Behandlung von Ver-
äußerungsgewinnen auf Ebene von Körperschaften durch die Einführung des Beteili-
gungsabzuges entspannt. Eher eine Verhärtung ist demgegenüber auf der Käuferseite
bezüglich der steuerlichen Anerkennung von Schuldzinsen festzustellen. Sicher darf
einleitend festgehalten werden, dass noch einige Reformen wünschenswert wären, um
den Kauf und Verkauf von Unternehmen – sprich die stets notwendigen Anpassungen
an sich rasch verändernde wirtschaftliche Gegebenheiten – steuerlich nicht zu behin-
dern, sondern zu fördern.

* Dr. Georg Lutz, Rechtsanwalt, Dipl. Steuerexperte, Leitender Partner M & A Tax, Ernst & Young, Zürich;
Flurin Poltera, Rechtsanwalt, Dipl. Steuerexperte, Leitender Partner M & A Tax, Deloitte AG, Zürich.
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810  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

Nachfolgend werden die typischen steuerlichen Interessen aus Sicht von Käufern und
Verkäufern von Unternehmen sowie die diesbezüglichen Entwicklungen der vergange-
nen Jahre beleuchtet. Eine abschließende Abhandlung sämtlicher Steuerthemen würde
den Rahmen dieser Darstellung sprengen. Nicht eingegangen wird insbesondere auf
das Fusionsgesetz und die entsprechenden steuerlichen Fragestellungen, da diese Re-
gelungen eher gruppeninterne Reorganisationen betreffen als Transaktionen zwischen
unabhängigen Dritten. Ferner wird auf Ausführungen zu den speziellen Steuerfragen
verzichtet, die sich im Zusammenhang mit der Übertragung von Immobilien und Im-
mobiliengesellschaften stellen.

2 Käufersicht
Unabhängig davon, ob ein Share oder Asset Deal angestrebt wird, wird eine Akquisition
in aller Regel über eine Kapitalgesellschaft (AG oder GmbH) abgewickelt. Der Käufer
verwendet dafür entweder eine bestehende Holding- oder operative Gesellschaft, oder er
gründet im Hinblick auf den Erwerb speziell für diesen Zweck eine neue Gesellschaft.

2.1 Akquisitionsfinanzierungskosten
2.1.1 Aktienerwerb durch Holdinggesellschaft

Die Holdinggesellschaft ist, sofern die einschlägigen Voraussetzungen1 erfüllt sind, auf
Kantons- und Gemeindesteuerebene von der Ertragssteuer befreit.2 Die Erträge unter-
liegen daher lediglich der direkten Bundessteuer, d. h. einem effektiven Steuersatz von
rund 7.83 %. Folglich können Zinsen auf der Akquisitionsfinanzierung nur beschränkt
steuerwirksam sein. Auch dieser beschränkte Steuereffekt tritt nur ein, wenn die Hol-
dinggesellschaft neben den über den Beteiligungsabzug indirekt freigestellten Beteili-
gungserträgen steuerbare Erträge vereinnahmt, wie z. B. Zinsen, Lizenzeinkünfte oder
Management Fees. Mangels derartiger Erträge bleibt der Zinsaufwand einer Holding-
gesellschaft steuerlich unwirksam, da das schweizerische Steuerrecht keine Konsoli-
dierung kennt. Mit der Unternehmenssteuerreform III3 ist davon auszugehen, dass das
Holdingprivileg wegfallen wird. Da sowohl der Bund als auch die Kantone Dividenden

1 Im Wesentlichen: Kapitalgesellschaft oder Genossenschaftderen statutarischer Zweck zur Haupt-


sache in der dauernden Verwaltung von Beteiligungen besteht und die in der Schweiz keine Ge-
schäftstätigkeit ausübt, sofern die Beteiligungen oder die Erträge aus den Beteiligungen längerfris-
tig mindestens zwei Drittel der gesamten Aktiven oder Erträge ausmachen.
2 Ausnahme: Erträge aus schweizerischem Grundeigentum.
3 Die Unternehmenssteuerreform III beinhaltet ein Paket von Maßnahmen, welche einerseits in-
ternationale steuerliche Entwicklungen im schweizerischen Recht abbilden und andererseits den
Standort Schweiz stärken sollen. Neben der Einführung niedriger kantonaler Steuersätze, eines
Patentbox-Regimes, der vorteilhaften steuerlichen Behandlung von Forschungs- und Entwicklungs-
ausgaben sowie der Möglichkeit der steuergünstigen Aufwertung stiller Reserven in bestimmten
Konstellationen werden u. a. auch die Einführung fiktiver Zinsen auf dem Eigenkapital sowie die
Abschaffung der Emissionsabgabe diskutiert.
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XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht der Schweiz  |  811


Teil

und Kapitalgewinne von maßgebenden Beteiligungen de facto freistellen (Beteiligungs-


abzug), ist dies für reine Holdingsgesellschaften nicht von besonderer Tragweite. Zu-
dem werden nach dieser Reform wohl die Kantone mit niedriger Steuerbelastung als
Standort für die Holdinggesellschaften an Bedeutung gewinnen. Die insbesondere für
ausländische Investoren schwer nachvollziehbare Konsequenz der eingeschränkten Ab-
zugsfähigkeit von Schuldzinsen mangels Konsolidierung ist einer von verschiedenen
Gründen, welche für eine Fusion der Holdinggesellschaft mit der Zielgesellschaft spre-
chen. Damit erreicht man nicht nur die Eliminierung der strukturellen Subordination
der Akquisitionsfinanzierung gegenüber den operativen Krediten. Gleichzeitig werden
die Schulden auf diejenige Stufe gebracht, auf welcher das operative Geschäft den Cash­
flow generiert. Durch die Fusion werden somit auch Interessen unabhängiger Dritter,
speziell der finanzierenden Banken, wahrgenommen. Zudem scheint man durch die
Fusion den steuerlich erwünschten »Debt Push Down« zu erreichen.
Während dieses Vorgehen bis in die frühen 1990er Jahre von den Steuerverwaltungen
noch akzeptiert wurde, entwickelten diese vor der Jahrtausendwende die Auffassung,
dass eine Fusion von Akquisitions- und Zielgesellschaft resp. der damit verbundene
Debt Push Down als Steuerumgehung qualifizieren, und deswegen die Schuldzinsen auf
Stufe der fusionierten Gesellschaft während einer auf die Fusion folgenden Periode von
fünf Jahren steuerlich nicht zum Abzug zuzulassen seien. Diese Praxis hat sich in den
vergangenen zehn Jahren etabliert, ohne dass sie von einem Steuerpflichtigen gericht-
lich angefochten worden wäre. Die Gerichte hatten mithin noch keine Gelegenheit, die
Rechtmäßigkeit dieser Praxis zu überprüfen. Dies erstaunt aus verschiedenen Gründen:
Einerseits ist mit Bezug auf die direkte Bundessteuer fraglich, ob das Kriterium
der Steuerersparnis überhaupt erfüllt wird. Da die Holdinggesellschaft für Zwecke der
direkten Bundessteuer der ordentlichen Besteuerung unterliegt, ist zumindest steuersys-
tematisch kein Steuervorteil ersichtlich. Durch das Erbringen von Management-Dienst-
leistungen, durch Finanzierungen sowie allenfalls die Entwicklung und Verwertung
von Immaterialgüterrechten kann steuerbarer Ertrag generiert werden, sodass eine Ver-
rechnung mit Zinsaufwand auch faktisch möglich ist.4
Andererseits kann auch bezüglich der Kantons- und Gemeindesteuern mit guten
Argumenten die Auffassung vertreten werden, dass die gemäß langjähriger Praxis des
Bundesgerichts entwickelten Voraussetzungen einer Steuerumgehung nicht erfüllt sind:
Das Aufrechterhalten einer Holdingstruktur macht häufig aus anderen als steuerlichen
Gründen wenig Sinn. Insbesondere haben die finanzierenden Banken ein unmittelba-
res Interesse daran, dass Akquisitions- mit Zielgesellschaften fusioniert werden. Unter
gewissen Umständen wird eine Fusion gar zur Voraussetzung einer Finanzierung ge-
macht. Erfolgt eine Fusion nicht primär aus steuerlichen Gründen, erscheint zumindest
fraglich, ob die Steuerumgehung eine hinreichende Grundlage für die Aufrechnung von
Schuldzinsen ist.
Die eingeschränkte steuerliche Effizienz von akquisitionsbezogenen Schuldzinsen
ist ein Grund, warum Käufer in der Regel eine Präferenz für Asset Deals haben. Im
Rahmen eines Asset Deals wird ein »natürlicher« Debt Push Down erreicht: Die mit
der Akquisitionsfinanzierung ausgestattete Gesellschaft erwirbt Aktiven und Passiven.
Die Gesellschaft ist aufgrund der von ihr ausgeübten Geschäftsaktivität typischerweise

4 Dass damit verbundene Tätigkeiten allenfalls mit dem Holdingstatus nicht vereinbar sind, kann
hier nicht als Argument ins Feld geführt werden: Ein Verlust des Holdingstatus würde im Gegenteil
gerade für die vollumfängliche Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen sprechen.
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812  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

ordentlich besteuert, wobei die im Rahmen der Geschäftstätigkeit erwirtschafteten Er-


träge durch die Schuldzinsen steuerwirksam geschmälert werden. Insofern die Gesell-
schaft in ausreichendem Umfang EBIT generiert, erweist sich diese Akquisitionsstruktur
bezüglich Finanzierungskosten als steuereffizient.
In der Praxis sind Asset Deals typischerweise bei sog. Carve-outs5 zu sehen, sowie
aktuell im Bankenbereich, wo Käufer nicht bereit sind, historische Risiken im Rahmen
eines Share Deals zu übernehmen. Im Übrigen sind sie eher selten anzutreffen. Ist
ein Asset Deal nicht möglich, kann die Steuerwirksamkeit der Schuldzinsen allenfalls
dadurch erreicht werden, dass Aktien der Zielgesellschaft über eine operativ tätige,
ordentlich besteuerte Gesellschaft des Käufers erworben werden (vgl. Kap. 2.1.2). Diese
Möglichkeit steht vorwiegend industriellen Käufern offen. Für Private Equity Investoren
kommt sie nur in Frage, wenn über eine Portfolio-Gesellschaft eine Follow-up-Akqui-
sition realisiert wird.

2.1.2 Aktienerwerb durch operative Gesellschaft

Erwirbt eine operative Gesellschaft die Aktien an der Zielgesellschaft, so ergibt sich,
gleich wie beim Asset Deal, ein »natürlicher« Debt Push Down. Die Abzugsfähigkeit der
Schuldzinsen wird dabei nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Sie ist lediglich limitiert
durch die Vorschriften betreffend verdecktem Eigenkapital.
Seit Erlass des Kreisschreibens Nr. 6 vom 06.05.1997 durch die Eidgenössische Steuer-
verwaltung (ESTV) besteht weitestgehend Klarheit darüber, inwiefern der Käufer von der
steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen ausgehen darf. Die Frage eines Share oder
Asset Deals spielt dabei insofern eine Rolle, als gemäß diesen Richtlinien je nach Kate-
gorie von Aktiven einer Gesellschaft aus steuerlicher Sicht mehr oder weniger Fremd-
kapital steuerlich anerkannt wird. Dabei sind die Unterschiede allerdings nicht derart
entscheidend, dass steuerliche Eigenmittelvorschriften bei der Entscheidung Share oder
Asset Deal eine Rolle spielen würden.

2.2 Anschaffungskosten, Abschreibungen


2.2.1 Share Deal

Der für die Aktien bezahlte Kaufpreis entspricht dem Buchwert der erworbenen Be-
teiligung. Eine Aufteilung des Kaufpreises auf Beteiligung und Goodwill ist nach dem
für das Steuerrecht maßgeblichen handelsrechtlichen Abschluss nicht zulässig. Da Ab-
schreibungen auf der Beteiligung nur vorgenommen werden dürfen, wenn nach der
Akquisition eine Wertverminderung eintritt, entfällt die Möglichkeit der Abschreibung
von Goodwill. Das Abschreibungspotenzial ist mithin bei einem Share Deal limitiert.
Insbesondere in den ersten Jahren nach der Akquisition verlangen die Steuerbehörden
klar dokumentierte Nachweise, dass und in welchem Umfang Wertverminderungen

5 Der Begriff »Carve Out« wird hier als Oberbegriff für ein breites Spektrum von Transaktionen ver-
wendet, in denen ein Verkäufer einen Teil seines Konzerns, Unternehmens oder Geschäfts an einen
Dritten veräußert.
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XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht der Schweiz  |  813


Teil

eingetreten sind, ansonsten Abschreibungen mit Hinweis auf den am Markt bezahlten
und damit steuerlich maßgebenden Verkehrswert aufgerechnet werden können.
Eine Fusion von Akquisitions- und Zielgesellschaft führt bezüglich steuerlichem Ab-
schreibungspotenzial zu keinen Vorteilen: Die Fusion muss, soll sie steuerfrei bleiben,
zu Buchwerten erfolgen. Ein sog. Step up auf den Aktiven wird somit nicht erreicht. Der
Fusionsverlust, der sich typischerweise bei einer der Akquisition folgenden Fusion er-
gibt, kann zwar handelsrechtlich als Goodwill aktiviert werden, und er ist handelsrecht-
lich erfolgswirksam abzuschreiben.6 Steuerwirksam ist diese Abschreibung indessen
grundsätzlich nicht, zumindest nicht in dem Umfang, in welchem der Fusionsverlust
als unechter7 Fusionsverlust qualifiziert.
Dies ist insofern konsequent, als eine steuerwirksame Abschreibung wohl dazu füh-
ren würde, dass die Aktivierung des Goodwills im entsprechenden Umfang als Aufwer-
tung im Rahmen der Fusion gewertet werden könnte, was zumindest in diesem Umfang
die Steuerneutralität der Fusion in Frage stellen würde. Ferner wird der Goodwill als
originärer8 Goodwill qualifiziert, der nach gängiger Praxis nicht steuerwirksam abge-
schrieben werden kann.

2.2.2 Asset Deal

Im Rahmen eines Asset Deals werden die stillen Reserven auf den Aktiven und Passiven
realisiert und beim Verkäufer besteuert.
Der Käufer bucht die Aktiven und Passiven zu Verkehrswerten ein und hat sodann
das Potenzial, von diesen Verkehrswerten Abschreibungen vorzunehmen. Im Rahmen
der Kaufpreisallokation können ferner auch Immaterialgüter bewertet und aktiviert
werden, inklusive ein allfälliger Goodwill. Dieser qualifiziert bei einem Asset Deal
als derivativ erworben. Demzufolge sind die darauf vorgenommenen Abschreibungen
steuerwirksam.
Auch aus der Perspektive »Abschreibungspotenzial« hat der Verkäufer somit in der
Regel eine Präferenz für einen Asset Deal.

3 Verkäufersicht
Der Verkäufer will primär eine Besteuerung des Kapitalgewinns vermeiden. Gewinn-
rückführung, Transaktionssteuern sowie Fragen, die sich aus einem allfälligen Kapi-
talverlust ergeben würden (bspw. betreffend Nutzung der Verlustvorträge), sind nicht
Gegenstand der vorliegenden Ausführungen.

6 Üblicherweise über einen Zeitraum von 5 Jahren. In der Praxis werden je nach Umständen des Ein-
zelfalls auch längere Abschreibungsperioden angewendet.
7 Ein unechter Fusionsverlust ergibt sich, wenn der in der Fusionsbilanz ausgewiesene Verlust ein
rein buchmäßiger Verlust ist, d. h. der Verlust in einer Unterbewertung der übertragenen Vermö-
genswerte begründet ist.
8 Als originärer Goodwill wird der selbsterarbeitete Goodwill bezeichnet, im Gegensatz zum deriva-
tiven (erworbenen) Goodwill. Letzterer kann steuerwirksam abgeschrieben werden.
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814  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

3.1 Verkauf aus dem Geschäftsvermögen


3.1.1 Share Deal

Der Kapitalgewinn aus der Veräußerung von Aktien wird bei Kapitalgesellschaften und
Genossenschaften bei gegebenen Voraussetzungen über den Beteiligungsabzug frei-
gestellt. Diese indirekte Freistellung des Kapitalgewinns wurde erst mit der per 1998
umgesetzten Unternehmenssteuerreform I eingeführt. Vorher qualifizierten Kapitalge-
winne aus der Veräußerung von Beteiligungen nicht für den Beteiligungsabzug. Auch
nach heutiger Rechtslage wird eine (indirekte) Freistellung nur gewährt, sofern der
Veräußerungserlös die Gestehungskosten übersteigt, die veräußerte Beteiligung min-
destens 20 % des Grund- oder Stammkapitals der veräußerten Gesellschaft ausmacht
und als solche während mindestens eines Jahres im Besitz der Kapitalgesellschaft oder
Genossenschaft war.
Mit der Unternehmenssteuerreform II wurde per 1. Januar 2011 folgende Erleichte-
rung eingeführt: Die Mindestbeteiligungsquote wurde auf 10 % des Grund- oder Stamm-
kapitals reduziert. Alternativ reicht es, wenn die veräußerte Beteiligung einen Anspruch
auf mindestens 10 % des Gewinns und der Reserven der veräußerten Gesellschaft be-
gründete. Die einjährige Mindesthaltedauer wird weiterhin vorausgesetzt. Fällt die Be-
teiligungsquote infolge Teilveräußerung unter 10 %, so kann die Ermäßigung für jeden
folgenden Veräußerungsgewinn nur beansprucht werden, wenn die Beteiligungsrechte
am Ende des Steuerjahres vor dem Verkauf einen Verkehrswert von mindestens 1 Mio.
CHF hatten.

3.1.2 Asset Deal

Bei einem Asset Deal werden die stillen Reserven realisiert und grundsätzlich besteu-
ert. Ein Asset Deal wird daher vom Verkäufer, wenn er die Wahl zwischen Share und
Asset Deal hat, üblicherweise nur akzeptiert, wenn er einen entsprechend höheren
Verkaufserlös realisieren kann oder wenn aus der Veräußerung kein Kapitalgewinn
resultiert resp. wenn der Verkäufer einen solchen gegen sonst ungenutzt verfallende
Verlustvorträge verrechnen kann. Selbst wenn ein Asset Deal infolge einer dieser spe-
ziellen Konstellationen in Frage kommt, bleibt die Frage nach der Attraktivität dieser
Lösung bestehen, wenn die veräußernde Gesellschaft vom Aktionär im Privatvermögen
gehalten wird, und er den auf Stufe der Gesellschaft im Rahmen des Verkaufs erzielten
Erlös mittels steuerbarer Dividende entnehmen muss (vgl. Kap. 3.2.2).

3.2 Verkauf aus dem Privatvermögen


3.2.1 Share Deal

Kapitalgewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen sind gemäß Art. 16 Abs. 3 des
Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) sowie entsprechender kantonal-
rechtlicher Bestimmungen steuerfrei. In der Praxis ist die Anwendung dieses Grundsat-
zes eingeschränkt, wobei im Bereich von M & A-Transaktionen insbesondere die Praxis
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XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht der Schweiz  |  815


Teil

zur indirekten Teilliquidation, etwas weniger virulent auch jene zum gewerbsmäßigen
Wertschriftenhändler, von Bedeutung ist.
Die Praxis zur indirekten Teilliquidation hat ihre Ursprünge in den 1980er Jahren,
als sich Vertreter der Lehre sowie das Bundesgericht verschiedentlich und intensiv mit
der Thematik auseinandersetzten. 1988 erging das erste höchstrichterliche Urteil, in
welchem drei Wesensmerkmale der indirekten Teilliquidation bestätigt wurden: Sofern
(i) die übertragene Gesellschaft entreichert wurde, der Verkäufer (ii) bei der Entreiche-
rung mitwirkte, und (iii) ein steuerlicher Systemwechsel vom Nennwert- zum Buch-
wertprinzip erfolgte, konnte fortan der Kapitalgewinn aus der Veräußerung von Betei-
ligungen mit dem Segen des Bundesgerichts ganz oder teilweise in steuerbaren Ertrag
umqualifiziert werden. In der Folge wurden die drei Kriterien von den veranlagenden
und richterlichen Behörden immer extensiver ausgelegt, bis 2004 ein Bundesgerichtsent-
scheid erging, gemäß welchem auch eine virtuelle Entreicherung als schädlich erachtet
wurde. Der Entscheid warf derart hohe Wellen, dass der Gesetzgeber einschritt und
die indirekte Teilliquidation resp. deren Voraussetzungen gesetzlich verankerte. Seit
Inkrafttreten der entsprechenden Bestimmungen9 und Publikation des Kreisschreibens
der ESTV10 haben sich diese Wogen geglättet.

3.2.2 Asset Deal

Für einen Privataktionär stellt ein Asset Deal (auf Stufe der im Privatvermögen gehal-
tenen Beteiligung) mit anschließender Ausschüttung des Verkaufserlöses steuerlich die
im Vergleich zum Share Deal klar nachteilige Alternative dar. Die stillen Reserven wer-
den auf Stufe der Gesellschaft realisiert und (vorbehältlich der in Kap. 3.1.2 erwähnten
Spezialfälle) grundsätzlich besteuert. Der Dividendenertrag unterliegt auf Stufe des
Aktionärs der Einkommensbesteuerung. Diese Steuerfolgen wurden im Rahmen der Un-
ternehmenssteuerreform II durch die Einführung der Teilbesteuerung von Dividenden
gemildert. Die Anwendung der Teilbesteuerung (resp. des Teilsatzverfahrens) ist jedoch
an eine Mindestbeteiligungsquote von 10 % geknüpft.
Trotz Teilbesteuerung von Dividenden (Teileinkünfte- und Teilsatzverfahren) dürf-
te aufgrund der Einkommenssteuerfolgen auf Dividendenerträgen ein Verkäufer aus
steuerlicher Sicht auch weiterhin eine klare Präferenz haben, sein im Privatvermögen
gehaltenes Unternehmen mittels eines Share Deals zu veräußern.

4 Transaktionssteuern
Von den transaktionsbezogenen Steuern spielen – neben den hier nicht abgehandelten
Grundsteuern – insbesondere die Emissions- und die Umsatzabgabe eine Rolle.

9 Art. 20a Abs. 1 lit. a und Abs. 2 DBG, in Kraft seit 01.01.2007.


10 Kreisschreiben der ESTV Nr. 14 vom 06.11.2007.
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816  |  M & A aus rechtlicher Perspektive


Teil

4.1 Emissionsabgabe
Die (u. a.) auf der Begründung von Beteiligungsrechten und weiteren Einlagen ins Ei-
genkapital geschuldete Emissionsabgabe wurde per 01.01.1996 von 3 % auf 2 %, und per
01.01.1998 von 2 % auf 1 % reduziert. Weitere Erleichterungen brachte die Einführung
eines Freibetrags von 250‘000 CHF, welcher ebenfalls 1996 eingeführt wurde, sowie die
Erhöhung dieses Freibetrags auf 1 Mio. CHF per 01.01.2006.11
Das Bundesgesetz über Stempelabgaben (StG) sieht einen Katalog von Ausnahme-
und Befreiungstatbeständen vor. Insbesondere ist bei Kapitalerhöhungen, welche im
Rahmen von qualifizierenden Umstrukturierungstatbeständen vorgenommen werden,
die Emissionsabgabe nicht geschuldet. Bei größeren Transaktionen, bei denen die erfor-
derliche Eigenkapitalisierung den Freibetrag von 1 Mio. CHF (deutlich) überschreitet,
lohnt sich daher die Prüfung, ob durch geeignete Strukturierung die Voraussetzungen
für einen Ausnahmetatbestand allenfalls erfüllt werden können.
Um steuerlich wettbewerbsfähig zu bleiben, steht gegenwärtig in der Schweiz die
Abschaffung der Emissionsabgabe im Rahmen der Unternehmenssteuerreform III zur
Debatte.
Für die Emissionsabgabe ist weniger die Frage Share Deal oder Asset Deal entschei-
dend, sondern der Eigenfinanzierungsgrad der Akquisition sowie die Akquisitionsstruk-
turierung (Ausnahmetatbestand bei qualifizierendem Reorganisationstatbestand, z. B.
Strukturierung des Erwerbs über eine Einlage von Beteiligungen).

4.2 Umsatzabgabe
Die entgeltliche Übertragung steuerbarer Urkunden (u. a. Aktien) unterliegt der Um-
satzabgabe, sofern ein Effektenhändler in die Transaktion involviert ist. Als solche
qualifizieren – neben Banken – u. a. auch inländische Gesellschaften, deren Aktiven
nach Maßgabe der letzten Bilanz zu mehr als 10 Mio. CHF aus steuerbaren Urkunden
bestehen. Ist diese Voraussetzung bei einem Share Deal beim Käufer, Verkäufer oder
bei beiden erfüllt, dann fällt grundsätzlich die Umsatzabgabe von 0.15 resp. 0.3 % an.
Zu beachten ist, dass eine neu gegründete Akquisitionsgesellschaft die Umsatzab-
gabe nicht schuldet, auch wenn die Aktien, die sie erwirbt, einen Wert von mehr als
10 Mio. CHF haben. Die Umsatzabgabepflicht beginnt erst sechs Monate nach Ablauf
des Geschäftsjahres, in dem die dort genannten Voraussetzungen eingetreten sind, d. h.
sechs Monate nach dem Bilanzstichtag des ersten abgeschlossenen Geschäftsjahres der
Akquisitionsgesellschaft.
Gruppeninterne Umstrukturierungen werden, sofern gewisse Voraussetzungen er-
füllt sind, von der Umsatzabgabe ausgenommen.

11 Risikokapitalgesellschaften sind seit 01.05.2000 von der Emissionsabgabe befreit.


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XIV. M & A-relevante Entwicklungen im Steuerrecht der Schweiz  |  817


Teil

5 Zusammenfassung und Ausblick


Zusammenfassend liegt die Präferenz des Käufers typischerweise beim Asset Deal (»na-
türliche« Schuldenallokation; Aufwertung der Aktiven und Aktivierung von Goodwill
mit entsprechendem Abschreibungspotenzial), währenddessen der Verkäufer einen
Share Deal bevorzugt (Anreiz des steuerfreien Kapitalgewinns bei Privatpersonen, Be-
teiligungsabzug bei Kapitalgesellschaften).
Diese gegensätzlichen Interessen werden im Rahmen von Transaktionen entweder
durch die größere Verhandlungsmacht einer der Parteien entschieden oder allenfalls in-
folge konkreter Transaktionsstrukturen. Letzteres kann etwa bei Carve-out-Situationen
der Fall sein, in welchen ein Asset Deal sich nicht in einen Share Deal umstrukturieren
lässt, sei es aus Zeitgründen oder weil eine Umstrukturierung nicht resp. nicht ohne
schädliche Sperrfristen möglich ist.
In den vergangenen Jahren haben sich nach unserer Einschätzung Gesetze und
Praxis in der Tendenz im Sinn der Verkäufer entwickelt, namentlich durch mehr Rechts-
sicherheit und Planbarkeit bezüglich der Frage der indirekten Teilliquidation. Dagegen
hat sich die steuerliche Situation aus Käufersicht eher verschlechtert, dies insbesondere
durch strengere Verwaltungspraxis bezüglich der steuer(in)effizienten Zinsabzugsfä-
higkeit.
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  |  819

Stichwortverzeichnis

ABC-Konzept 599, 612, 619 Aktionär 18, 43, 116 ff., 240 ff., 360, 458
Abfindung 100, 649 – Aktivismus 542
– Angebot 651 – Bindungsvertrag 761
– Angemessenheit 650 – Mehrheits- 720
– Zahlung 100 – Pflichten 541, 552
Abgangsentschädigung 729 – Publikums- 720
Abhängigkeitsbericht 648 – Recht und Rechte 524, 548
Abschreibung – Rechtsmissbrauchsverbot 552
– steuerwirksam 803 – Sorgfaltspflicht 549
– Potenzial 814 f. – Verantwortung 550
Absorptionsfusion 623 Allianzen
Abspaltungstransaktion 584 – strategische 11 ff., 21, 209, 275
Abwehrmaßnahmen 220 ff., 534, 680, 713, 735 Allokationsentscheidung 158, 160
– Asset Lockups 222 Amortisation 792
– gesetzwidrige 735 f. Andienung 668 f., 681
– Pac Man-Abwehr 221 Anerkennungszahlungen 714
– Shark Repellents 221 Anfechtungsklage 641 f., 658
– Vinkulierung 730 Angebot
Acting in Concert 684, 692 – öffentlich 719
Active Listening 600, 603, 611, 613 f., 616 – Pflicht 723, 726, 735
Ad-hoc – Überprüfung 712
– Due-Diligence-Materialien 376 – Unterlage 678, 679
– Information 714 Angemessenheitsvermutung 686 f.
– Mitteilung 242, 644 Anlagevermögen 330, 585, 806, 808
– Publizität 532, 534, 644, 684 Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz
– Reporting 335 (AnsFug) 692 ff.
– Verfahren 364 Anschaffungskosten 803
– Veröffentlichung 638 – Abzugsfähigkeit 789 ff., 803 ff.
Akquisition 2 f., 15 f., 86, 105 ff., 187, 210 ff., Anschleichen 643, 685, 692 f., 695, 703, 709
279 ff., 415, 419, 576 f., 658 ff., 780 Anspruchsgruppen 68, 243
– Controlling 311 Anteilsvereinigung 800, 809
– Definitionsphase 277 f., 288, 293 Äquivalenzverhältnis 569 f.
– Finanzierung 656, 812 f. Asset Deal 12, 15, 151, 230, 523, 559, 562, 564 f.,
– Kandidat 162 568, 570, 580 ff., 588, 781, 789, 792, 797, 801,
– Kredit 655 804, 806 f., 810, 812, 814 ff.
– opportunistisch 304 – Closing 583
– Phasen 213 – Emissionsabgabe 818
– Planung 211, 387 – Privataktionär 817
– Prozess 63, 210, 223, 226, 277, 388, 455 – Signing 583
– Strategie 277, 279, 282, 286 Asset-Klassen 158, 161
– transformatorisch 304 – Aktien 161
– Typen 277 – Festverzinsliche Papiere 161
– Vehikel 656 ff., 802 – Immobilien 161
Akquisitionswährung 56, 69, 366, 643 – Rendite 158
– Aktien 44, 53, 56, 78, 279, 366, 528, 641 – Risiko 158
– Barmittel 56, 78, 279, 366, 528 Asset Lockups 222
– Hybridkapital 78, 343 Assets under Management 586
Aktienrecht 639, 652 Attrition 586
– Deutschland 639, 646, 718 Aufsichtsrat 157, 164, 222, 292 f., 320, 477, 547,
– Revision 525 ff., 530, 718 638 ff., 644, 646 ff., 652, 664, 667 f., 677, 679 f.,
– Schweiz 547, 552, 627 712 ff.
Aktientausch 32, 623 Aufstockungsangebot 676
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820  |  Stichwortverzeichnis

Auktion 219 – Abzug 811, 813, 816


– At Arm’s Length-Prinzip 364, 373 – Quote 708
– Charakteristika 367 ff. – Rechte 670, 793
– Cover Bid 378 – Schwelle 643
– Distressed Seller 379 Bewertung siehe auch Unternehmensbewertung
– einstufige 369 – Binomialmodell 728
– englische 364 – Black Scholes 728
– niederländische 364 – Bookbuilding-Verfahren 352
– potenzielle Käufer 372 f. – Methode 353
– Sandbagging 381 – Rüge 642
– Schritte 365 – Theorie 13
– Short List 375 Bewilligungspflicht 538
– Treuhandkonto 380 Bezugsrecht 526, 641, 664
– Verfahren 605 – Ausschluss 641, 665
– Vorbereitung 370 ff. Bidding Study 758
– Zielkonflikt 367 Billigungsverfahren 682
– zweistufige 369 Block Trade 720
Ausgleichsbetrag 624, 650 BMI-Konzept 599, 602, 613
Auslandfusion 757 Bonding 603, 606 f.
Ausnahmetatbestand 713, 818 Börsen
Ausschließlichkeitsklausel 771 – CDAX, DAX, MDAX 36, 72, 160, 327, 355, 435,
Außenwirtschaftsgesetz 74, 169, 171 675, 695
Ausstiegsrecht 733, 735 – New York Stock Exchange (NYSE) 435
Austro-Keynesianismus 122 Börsengesetz 723 f., 728
Auszahlungsverbot 657 Börsenpreisregel 679
Börsensachverständigenkommission 674
Back-to-Back Break Fees 593, 664, 729
– Finanzierung 784 Buchwertprinzip 817
– Gestaltung 802 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BaFin siehe Bundesanstalt für Finanzdienstleis- 643 f., 676, 678 ff., 683 ff., 689 f., 693 ff., 704 ff.,
tungsaufsicht 712, 715
Bankkundengeheimnis 583 Bundesgesetz über die Börsen und den Effekten-
Baralternative 732 ff. handel (BEHG) 526, 536, 628, 723
Barkapitalerhöhung 665 Bundeskartellamt 756, 758
– mit Bezugsrecht 665 Business Case 426 ff., 433
Base Erosion and Profit Shifting 781, 787, 810 Business Coaching 264, 266, 268
– Aktionsplan 787 Business Combination Agreement 663
– Projekt 789, 781 Business Intelligence 333 f.
– Report 800 Business Judgement Rule 714
Behavioral Change Stairway Model (BCSM) 600, Buy-out 14 f., 28, 36, 146, 161, 344, 579,
602, 613 666 ff.
Beherrschungsvertrag 647, 649, 652
Beihilfekontrollverfahren 773 Call-Option 543, 669, 702
Belegschaft Capital Asset Pricing Model (CAPM) 351
– Motivation 496 Carve-out 14, 227 ff., 481 f., 488, 490, 584, 638, 659,
Bemühungsverpflichtung 667 814, 819
Benchmarking 311, 391, 408 ff., 438 f. Cash Conversion Cycle 333
Beratung siehe M & A-Beratung Cash Deal 12, 15, 230, 492
Bereitschaftsimplementierung 469 Cash Pooling 654, 656
Bereitschaftsplanung 469 Cash Settled Equity Swap 643, 689, 695, 698 ff.,
Beschaffenheit 562 702 f., 705, 709
– Angabe 588 Cash Settled Total Return Equity Swaps 698
– Garantie 570 Celler Kefauver Act 25
– Vereinbarung 573, 588 Change Management 449, 451, 490
Beschlussmängelrecht 639 – Programm 480
Bestätigungsbeschluss 706 City Code on Takeovers and Mergers 532, 674, 718,
Beteiligung 21 ff., 62, 80 f., 112 ff., 154 ff., 258, 723
261 ff., 354, 398, 638 ff. Clayton Act 25
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Stichwortverzeichnis  |  821

Clean Team 5, 430, 467, 482 Disclosure 384


Click & Mortar-Deals 22, 33 – Letter 590
Closing 5, 36, 219, 238, 320, 322, 335, 365, 388, – Schedule 590
417, 428 ff., 435 f., 439 ff., 446 f., 449 f., 479, 567, Discounted Cash Flow (DCF) 353
569, 584 f., 617, 654 f. – Verfahren 351
Club Deal 544 – Methode 217
Compliance Diskontinuitätsmanagement 429, 449
– Anforderungen 483 Dispoadresse 525
– Risiken 591 Dispoaktie 525, 535
Comply-or-explain-Ansatz 527 Dispoaktienbestand 525
Corporate Governance 7, 522, 526, 532, 539, 541, Diversifikation 42, 160, 342
544, 547 ff., 551, 628, 667 – Strategie 157
– Aktionärspflichten 549 ff. Dividende 816
– Aktionärsrechte 526, 540, 548 – Ansprüche 524
– Best Practice 294, 316 – Ausschüttung 655
– Debatte 551 – Barwertmodell 217
– Empty Voting 522, 539, 542 f. – Rendite 355
– Exaggerated Ownership 542 f. – Teilbesteuerung 817
– Hidden Ownership 542 f. – Vorbehalt 808
– Interessenkonflikte 544 Downstream Merger 657, 792
– Kodex 547 Dreiecksfusionen 528
– Leitungsorgane 549 Dual-Track-Transaktion 638
– rechtliche Verhaltenssteuerung 549 Due Diligence 15 ff., 33, 65, 146, 152, 163, 213,
– System 549 316 f., 383, 393 f., 403, 428, 447, 463, 482, 542,
– wirtschaftliche Verhaltenssteuerung 548 571, 586, 590, 603, 645 f., 653, 666, 714, 730
Corporate Orphan 229, 234, 236 – Abzugsfähigkeit 804
Corporate Raider 13, 29 – Buy-side 804
Cross-Border-Transaktion 32, 74, 90, 106 ff., 145 f., – Environmental 571
403, 411 – Financial 395
Cross Functional Support Teams 450 – konfirmatorisch 377
Crown Jewels 222, 719, 721 – Legal 396
Cultural Due Diligence 213, 403, 405, 413, 499 – Market 396
– Barrieren 409 – Phasen 389
– Einsatzzeitpunkt 408 – Post Closing 436
– Entscheidungsphase 405 f. – Prüfung 645
– Entwicklungstendenzen 414 – Strategic 395
– Gestaltungsempfehlungen 411 – Teilprüfung 395
– Herausforderung 410
– Konzept 403 Earn-out 492, 587
– Nutzen 408 – Modelle 220
– Operationalisierbarkeit 410 – Klauseln 367
– Planungsphase 404 – Preis 587
– Transformationsprozess 410 – Struktur 366
– Ziele 408 – Vereinbarung 587
Economic Value Added 209 f.
Darlehen 654 ff. Economies
Deal – of Scale 211
– Breaker 392 – of Scope 211
– Killer 642 Effizienztheorie 13
– Kommunikation 246 EFTA
– Push Down 813 – Überwachungsbehörde 770 f., 775
– Value Added 457 – Gerichtshof 770, 773, 777
Debt-Push-Down 784, 813 EG-Fusionskontrollverordnung 747, 750 f.
Defensive Merger 222 Eigenfinanzierungsgrad 818
Dekotierung 530 Eigenmittelvorschrift 814
Desinvestition 13 f. Einkommensteuerrichtlinie 801
Devinkulierung 525 Emerging Markets 4, 64 f.
Disagio 803 Emissionsabgabe 817 f.
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822  |  Stichwortverzeichnis

Emittentenleitfaden 644, 708 – Gesetz 528, 581, 622 ff., 812


Empire Building-Theorie 13, 286 – Verlust 815
Empty Voting 542 – Vertrag 528, 624
Engagement Letter 558 Fusionskontrolle 173, 744, 756 f., 760 f., 765
Enterprise Value 355, 666 – formell 758
Equity Bridge 643 – Gesetzgebung 762
Equity Swap 698 – materiell 758
Ertragswertmethode 217, 650 – Recht 6, 777
Erwerbsangebot 677 – Umsatzschwellenwert 760
Erwerbsverbot 736 – Verfahren 760, 768, 773
Escrow – Verordnung 749, 757, 777
– Agent 592
– Betrag 592 Garantenstellung 668
EuGH 722 Garantie 666
EWR-Abkommen 770 – Arten 571
Exit 549, 659, 663 – Katalog 571
– Horizont 669 – und Haftungssystem 570
– Option 669 – Verletzung 666
– Prozedere 670 – Versprechen 571, 574
Exklusivitätsklausel 771 – Vertragspartner (Warranties oder Guarantees)
Exkulpation 386 569
Garantieerklärung 572
Fahrniskauf 588 Gegenleistungsanspruch 647, 656
Fainress Opinion 725, 731 f. Geheimhaltung
Fair Disclosure 590 – Interesse 645, 653
Fat Man Strategy 223 – Vereinbarung 645
FBI Generalversammlung 525 ff., 540 ff., 552,
– Guideline 612 623 f., 641, 667, 706, 713, 729 ff.
– Methode 597 f., 601, 609, 619 Genussrechtskapital 783
Financial Assistance 647 f., 655 Gesamterheblichkeitstheorie 559, 564
Financial Service Modernization Act 32 Gesamtrechtsnachfolge 658 f.
Finanzierung Gesellschafterdarlehen 653
– Beziehung 654 – eigenkapitalersetzend 654
– Freiheit 782 – Rahmenbedingungen 654
– Hilfen 647 Gesellschafter
– hybrid 783 – Erscheinungsformen 663
– Runde 666 – Fremdfinanzierung 781 ff.
– Sicherheit 592 – Vereinbarung 662
– Transaktionen 578 Gesetzliche Prüfungsfrist 763
– Vorbehalt 593 Gesetzliches Mindestkapital 782
Finanzinstrumente 689, 691, 697, 700, 709 Gestattungsverfahren 684
Finanzinvestor 13, 59 Gewährleistung
– Selektionsprozess 312 – Altlastenfreiheit 589
Finanzkrise 780 – Fristen 589
Finanzmarktstabilisierungsgesetz 690 – Kataloge 589
Finanzwirtschaftliche Werttreiber 331 – Lücke 588
FINMA 732, 736 f. – Recht 587
FINMAG 736 – Systeme 575
Fixpreisklausel 585 Gewinn
Formelle Fusionskontrolle 756 – Abführungsvertrag 647, 649
Free-Cashflow-Ansatz 328 – Ausschüttung 653
Freibetrag 591, 785, 796 f., 806 – Rückführung 815
Fremdfinanzierung 149, 781, 802 Glass-Steagall Act 32
Front End Loaded Offers 720 Gleichpreisregel 679
Frühwarnsystem 656 Going Concern 217
Fusion 11, 623, 761, 813 Going Private 530
– Bericht 624 Golden Parachute 222, 729
– Kontrollbestimmung 761 Goodwill 50, 101, 484, 581, 811, 814
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Stichwortverzeichnis  |  823

– Abschreibung 814, 819 Investorenvereinbarung 662, 667


– Aktivierung 815 IPO 14, 669
IT
Haftung 587 – Applikationen und Systeme 512
– Bagatell Clause 572 – Due-Dilligence 513
– Begrenzung 573 – Integration 511, 515, 517
– Cap Clause 572 – Organisation und Prozesse 511 f.
– Deckelung 666
– Obergrenze 591 f. Joint Venture 669
– Risiko 638, 655 Junk Bonds 28 f.
– Substrat 529
Halbeinkünfteverfahren 792, 796 Kandidatensuche 212
Haltbarkeitsgarantie 570 Kapazitäts- und Kompetenzmanagement 450
Härtegradkonzept 433, 436 Kapitalbindungsvorschrift 647 f.
Hauptprüfverfahren 747 Kapitalerhaltung
Hauptversammlung siehe Generalversammlung – Pflicht 657
Hedge Fund 542, 373, 542, 546 f., 578 – Grundsatz 655
Holding – Recht 655 ff.
– Gesellschaft 806, 812 – Vorschriften 649, 656 f.
– Privileg 783 Kapitalerhöhung 641, 664
– Status 813 Kapitalmarktorientierte Gesellschaft 646
Hostile Takeover 4, 220 Kapitalmarktrecht 7, 643
Kapitalrücklage 655
IBGYBG-Kultur 547 Kartellbehörden 746
Immaterialgüterrecht 813 Kartellkommission 759
Implementierungskonzept 418 Kartellrecht 173
Information Kaufangebot
– Asymmetrie 384 – öffentlich 718, 724
– Beschaffung 310 – unverbindlich 365, 375
– Memorandum 371, 375, 558 – verbindlich 365, 377
– Pflicht 643, 667 Kaufpreis 567, 792, 815
Innere Emigration 6 Koalitionsvertrag 795
Innominatvertrag 581 Kognition 772
Insiderinformationen 644, 646 Kombinationsmodell 790
Insolvenz Kommunikation 147, 242 f., 416, 435, 450, 464,
– Antragsstellung 654 480, 489, 502, 507
– Ordnung 654 – Erfolgsfaktoren 254
– Verursachungshaftung 657 – Maßnahmen 502, 504, 508
– Verwalter 654 – Programm 433, 436, 480
Integration 267, 317 ff., 417 ff., 428 ff., 436, 464, – Werkzeug 250
471, 478 ff., 483, 488, 506, 724 Kommunikationsstrategie 240 ff., 248 ff.
– Erfolg 410, 437, 481, 484 Konsolidierungswelle 427, 438
– Kommunikation 246 f., 249 Kontinuitätsmanagement 449
– Management 321, 436, 463, 476 f., 479 f. Kontrollprämie 727, 732, 734
– Organisation 150, 473 Konventionalstrafe 593
– Planung 320, 506 Konzernklausel 785, 794
– Projekt 433, 446, 449, 478 f. Kooperation 11
– Prozess 17, 280, 479 – Abkommen 767
– vertikale 26, 46 Körperschaftssteuer 649, 792, 795, 802
Interessenkonfliktpotenziale 544 Kultur
Internal Asset Deal 790 – Analyse 413, 499
Internetblase 780 – Konflikte 509
Investition – Pluralismus 501, 506
– Kriterien 164 – Umsetzung 503
– Frühphasenrisikokapital 139 – Verschmelzung 501
– Mezzanine-Kapital 139 – Wandel 474
– Wachstumskapital 139 Kulturintegration 472, 495 ff., 505 ff.
Investmentbanken 31, 143, 150 Kundenwechselanalyse 758
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824  |  Stichwortverzeichnis

Kündigungsrecht 656 – Tools und Anreizsysteme 189, 192


– Top-Line-Orientierung 181
Lankhorst-Horost-Entscheidung 783 – Transaktionen 2 f., 5, 156, 183 ff., 537, 578 f.,
Latenzzeit 589 594, 598, 622, 637, 644 f., 654, 712, 714, 800
Letter of Intent 213, 219, 558, 605, 618, 767 – Vertrag 578, 594, 655
Leverage 605 – Welle 3, 14, 23, 25 ff., 30, 33 f., 36, 39, 41 ff., 47,
Leveraged Buy-out 15, 28, 36, 59, 139, 146, 373, 49 ff., 54, 62, 73, 143, 283 f.
786 – Wissensmanagement 450
Liability cap 592 M & A-Markt Schweiz 586, 592, 594
Liquidation der Gesellschaft 529 MAC-Klausel 380, 593 f., 725
Liquidationswert 216 Management
Liquiditätskrise 668 – Buy-in 14, 425
Lizenzzahlungen 802 – Buy-out 14, 146, 425, 663
Locked Box 585 ff. – Fee 812
Lock-up 664 f. – Mantelkaufregelung 793
– Optionsrechte 222 Markt für Unternehmenskontrolle 3, 11, 13
– Verpflichtung 665, 669 Marktbeherrschung 757, 766
Loyalitätsdividende 552 Maßgeschneiderter Ansatz 188
Maßnahmen 433, 440
M & A 7, 11, 21, 780 Material Adverse Change 366, 569, 593 f.
– Abschlagszahlung 183 Mehrfachmeldung 767
– Akteure 4, 60, 579 Mehrheitsbeteiligung 648
– angloamerikanische Methode 522 Meldepflicht 538, 638, 685, 700, 706, 762
– Beratung 35, 110, 142 ff., 153, 156, 161 f., 164, – Marktbeherrschung 762
166, 179 – Schwelle 691
– Best Practice 598 – Umsatz 762
– Boom 60, 121, 131, 136 – Unterlassung 763
– Boutique 4, 143 f., 153 Memorandum of Understanding 558
– Dienstleistung 144, 148 f., 153 f., 188 Mergers & Acquisitions siehe M & A
– Erfolg 183 f., 284, 287, 291, 293 f., 412, 509 Merger Syndrom 259
– Erfolgshonorar-Illusion 179, 185 Migrationsmanagement 438
– Erfolgsparadoxon 279 Minderheitenschutz 531, 658, 712, 726
– Fähigkeiten 187, 291, 314 ff. Minderheitsaktionär 3, 535, 626, 650 f., 683, 712
– Forschung 280 ff., 293, 296 Minderheitsbeteiligung 663
– Geschäftsmodell 178, 181, 185, 426 Minder-Initiative 527, 622
– Gewinnerwartung 181 Ministererlaubnis 173, 758
– Governance 189, 191 Mitarbeiterbeteiligung 262, 413, 735
– Integration 5, 418, 422, Mitgliedschaftsrechte 793
– Kandidaten 319 Mitteilungspflicht 643, 700, 707 f., 712
– Kommunikation 23 Mitunternehmermodell 789 ff.
– Kompetenz 2 f., 7 Monopolisierungsverbot 24
– Management 417, 453 Monopoltheorie 13
– Markt 3, 5, 26, 67 f., 126, 130 Monte-Carlo-Simulation 217
– Misserfolg 408 More Economic Approach 750
– Motive 276 f. Multiple 217 f., 355
– Performance 445, 453 Multiplikatoren 352
– Praxis 438, 523, 579
– Projekt 263, 419 ff., 433, 438, 446, 452 Nachbesserungspflicht 713
– Prozess 151, 158, 162 f., 166, 189, 191, 303, 316, Nacherfüllung 565 f.
449 Nachfinanzierungsverpflichtungen 668
– Rechnungslegung 184 Nachlieferung 566
– Recht 144, 151, 521, 578 Nachteilausgleich 648
– Risiko 2, 180 ff. Nationale Schutzmaßnahmen 537
– Spezialisten 144, 147, 453, 578 Naturalrestitution 666
– Steueraspekt 538, 811 Nennwertprinzip 817
– Steuerberater 144, 151 Net Debt Methode 584
– Strategie 188, 191, 316, 319, 425 Net Working Capital 331
– Team 317 ff., 447 – Methode 584
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Stichwortverzeichnis  |  825

Nettoprinzip 785, 798 Post Merger Management 17, 33, 189, 458
Neutralitätspflicht 645, 677, 680, 682, 713 – Geschwindigkeit 463
– Leitungsorgane 536 – Schlüsselmomente 459
– Regelung 682 – Best of Both-Prinzip 456, 500
– Vorstand 644 Preisvorschriften
Non-Disclosure-Vereinbarung 369 – Best Price Rule 728, 731, 733
Notverkauf 668 – Mindestpreisregel 727
NWC siehe Net Working Capital Principal-Agent 14, 283, 286, 292, 540 f., 551
Private Auktion 364
OECD 787 Private Equity 4, 35, 59 f., 139, 141, 178, 539, 542,
– Action Plan 800 547, 578, 585, 663, 814
– Principles of Corporate Governance 551 – Buy & Build-Strategie 37
– Vorgaben 810 – Captive 140 f.
Offenlegung – Erlass 667
– Konzept 590 – Fonds 13, 59, 593
– Regel 219, 589 – Fully Captive 140
– Stelle 725 – Investor 667
Öffentliche Konsultation 758 – Non-Captive 140 f.
Öffentliches Übernahmeangebot 11 Private Investment in Public Equity 663
One Bank-Ansatz 50, 145 Privatisierungswelle 123, 125 f.
One Stop Shop 746 Progressionsmilderung 796 f.
One Voice Policy 242 Proxy Advisor 522, 539, 541
Opting-in 682 Prozessmanagement 14, 157, 424, 438
Opting-out 536, 682, 726, 734, 737
Opting-up 536, 726 Rahmenbedingungen 7
Optionsanleihen 676 – nationalistische Schutzmaßnahmen 545
Optionsmodell 682 – Öffentliches Recht 537
Ordnungsrahmen 288 ff. – regulatorisch 544
Organhaftung 639 Raider-Theorie 13
Organschaftsmodell 792 Realoptionsansatz 218
Owner Buy-out 161 Rechtskauf 559, 561
Rechtsprechungsregeln 654
Pac Man-Abwehr 221 Rechtsschutzmöglichkeiten 650
Parallelnorm 775 Rechtsverordnung 678
Parenting Advantage 2, 211 Regelungsmethodik 580
Partial IT-Integration 513 – abstrahierend 556
Partielle Universalsukzession 581 – generalisierend 556
Percentage of Completion-Methode 184 Regulierung 3, 175, 730
Performance 459, 471 Renditemessung 158 f.
Pflichtangebot 534, 536, 650, 676 f., 713, 727 Ressortkompetenzen 646
Pflichtentbindung 644 Restrukturierung 12, 417, 579
Pflichtverletzung 549, 714 Reverse Break Fee 593
PIPE siehe Private Investment in Public Equity Risiko 141, 159, 556, 818
– Transaktion 664 ff. Risikodiversifikation 159
Planung 309, 436 f. Robinson Patman Act 25
Poison-Pills 221 Rücktrittsrecht 566 f.
Portfolio Rückwährungsanspruch 647
– Bargaining 616 f. Rückzahlungsanspruch 654 f.
– Controlling 361
– Portfolio-Theorie 158 Safe Haven 782 ff.
– Portfolio-Transfer 583 Share-Deal 812
– Überlegungen 165 Sanierungsklausel 794
Post-Akquisitionsphase 210 Sanktionsmöglichkeiten 722, 749
Post Closing 253 Schadensersatz 567, 588, 641
– Integrationsmöglichkeiten 646 Schiedsklausel 579
Post Merger Disputes 492 f., 591 Schuldzinsen 813 f.
Post Merger Integration 163, 189, 223, 476 ff., 500, Scorecard 442
503, 508, 539, 567, 714 Screening 319, 425, 427
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826  |  Stichwortverzeichnis

Securities Exchange Act 532 Teilsatzverfahren 817


Selbstregulierung 531, 722 Teilwertabschreibung 790, 803 ff.
Selektionsprozess 312 Tender Offer 11
Sell-out 681, 683 Term Sheet 558, 593
Serienakquisition 2, 315 ff. Topmanagement 430, 501 ff., 508
Share Deal 12, 15, 151, 230, 523, 559, Trade Sale 669
561 ff., 580 ff., 588, 781, 789, 791 ff., 800 ff., 814 Transaktion 3 ff., 6, 157, 161, 163 f., 638 f., 641,
Shared Service 489, 514 670, 699
Shareholder Relation 154 Transfer Service Agreements 231 f., 516
Shareholder-Value 4, 13, 32, 281, 578 Transformationsprozess 277
Sherman Antitrust Act 24 Transparenz 643, 677, 688 f., 691, 792
Significant Impediment of Effective Competition Treuepflicht 528, 549, 684
750, 757, 765 Triangular Merger 528
Signing 5, 238, 365, 388, 515, 569, 608, 617 ff.
Single Point of Contact 604 Übergabe-Management 451
Singularsukzession 529 f. Übernahme
Soft Law 526 – Angebot 643, 650 f., 664, 676
Solidarische Haftung 523 – feindlich 4, 12, 717
Sorgfaltspflicht 638 – Friendly Takeover 12
Sovereign Wealth Funds siehe Staatsfonds – Kandidat 311
Spruchverfahren 642, 650, 651 – Kommission 731, 736
Squeeze-out 7, 528, 532, 639, 642, 650 f., 681, 683, – Kodex 674, 717 f., 721 ff., 731
686 – Leitprinzipien 674
Staatsfonds 60, 373, 545 – öffentlich 645
Stakeholder 147, 165, 215, 417 f., 430, 435, 453, – Regelungsabstinenz 723
546 ff., 645 – Richtlinie 534, 681 f.
Stammkapitalschutz 666 – Überwachung 722
Stammkapitalziffer 655 – Unsolicited Takeover 12
Stand Alone – Verfahren 736
– Transaktionen 581 – Ziele 418
– Unternehmen 585 Übernahmekriterien 304
Steering Committee siehe Lenkungsausschuss – Finanzkriterien 305
Step up 789 f., 815 – Integrationskriterien 305
Steuerneutralität 815 – Strategiekriterien 304
Steuerrecht 7, 538 Übernahmerecht 7, 526, 531, 534, 638, 650
– Käufersicht 812 – Abwehrmaßnahmen 717, 721
– Verkäufersicht 815 – Kontrolle 525, 536, 539
Steuerrecht (A) 800 ff. – Neutralitätspflicht Leitungsorgane 535, 540,
Steuerrecht (D) 781 ff. 546, 550
Steuerumgehung 813 – öffentliches Übernahmeangebot 535 f.
Stichtagsmethode 586 – Revision 717
Stille Reserven 794, 816 – Singularsukzession 523
Stimmrecht 643, 676 f., 682, 684 f., 689, 692, 736, – Transparenz 534
793 – Transparenzrichtlinie 534
Strategie 18, 234, 447, 449, 502 – Übernahmekodex 526, 532
Strukturorganisation 484 f. – unfreundlicher Übernahmeversuch 7, 522, 545
Stufentheorie 792 – Vermögensübernahme 523
Substanzwertmethode 216 – Willkürverbot 524
Swap 690 ff. Übernahmerecht (CH) 521, 716 f., 721 ff., 737
Swiss Code of Best Practice for Corporate Gover- – Abwehrmaßnahmen 721, 729, 735
nance 526, 547 – Angebotspflicht 726 f.
Synergie 15, 150, 277, 284 f., 287 ff., 427, 435 f., – Gleichbehandlungsgebot 722, 733
462, 480, 485 ff., 514 – Gleichbehandlungspflicht 730
– Lex Holvis 729
Takeover Code 535 – Meldepflicht 726
Tarifverhandlungen 774 – Mindestpreisregel 727
Tarifvertrag 773 f. – Offenlegungspflicht 725
Teilliquidation 817 ff. – Preisregeln 727, 733
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Stichwortverzeichnis  |  827

– Prospektpflicht 718 f., 720, 724 Verlustausgleich 649, 657


– Revision 731 Verlustbegrenzungsvorschrift 793
– Transaktionsmeldung 726, 733 Verpfändung 656
– Transparenz 732f. Verschmelzung 658
– Überwachung 730, 736 Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contra-
Überprüfungsklausel 749 hendo) 557
Umfirmierung 707 Vertrag sui generis 581
Umsatzabgabe 817 f. Vertraulichkeitsvereinbarung 646
– Qualifikation 818 Vertretungsrecht 774
– Pflicht 818 Verwässerungsschutz 664 f.
Umtauschverhältnis 658 Verweisungsvarianten 749
Umwandlungsgesetz 539, 637, 658 Vetorecht 761
Umwandlungsmodell 791 Vinkulierte Namensaktien 221
Umwandlungsrecht 658 Vinkulierung 7, 524 f., 665, 668, 682
Umwandlungssteuererlass 791, 793 – Bedingungen 524
Unabhängiger Finanzsenat 802 – Klausel 653, 668
Unabhängigkeit Koordinator 776 – Regimes 532
UN-Kaufrecht 556 – Vorschriften 526, 537
Unterbilanz 655 ff. – Zustimmung 671
Unterkapitalisierungsregelung 798 Vision 412, 462, 480
Unternehmensbewertung 213, 319, 360, 649 f. Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen 762
– Discounted Cash Flow-Ansatz 65 Vollzugsbedingungen 592
– traditionelle Bewertungsmethode 65 Vollzugsbewilligung
Unternehmenserfolg 498, 509 – vorzeitig 764
Unternehmensgegenstand 640 Vollzugsrisiko 592
Unternehmenskaufrecht 522 f., 556 Vollzugssicherheit 592
– international 522 Vollzugsverbot 757, 764
Unternehmenskaufvertrag 578 Vorprüfverfahren 747, 756
Unternehmenskommunikation 239 Vorratsaktien 721
Unternehmenskultur 260, 263, 403, 495 ff., 503, Vorratsbeschluss 713
505 f., 509 Vorverkaufsrecht 668
Unternehmensportfolio 160 Vorvertragliches Schuldverhältnis 557 f.
Unternehmenssteuerreform 791, 812, 816 f.,
Unternehmensstrategie 13, 274, 277 f., 282, 288, Wachstumsmärkte 487
293, 303 Wachstumsstrategie 4
Unternehmenswert 354 ff., 358, 361, 567 Wahlvorstand 646
Untersagungsentscheidung 747 Wandelschuldverschreibungen 676
Upstream Loan 655 f., 657 Wandel- und Optionsrechte 735
Upstream Merger 528, 657 Wandlung und Minderung 559
Wasserfallregelung 670
Valuation Gap 587 Watch-outs 235
Venture Capital 663, 665 f. Weißer Ritter 222, 644, 717, 730
Verantwortlichkeitsklage 527 Weisungsrecht 648
Verdecktes Eigenkapital 803 – Gesellschafterversammlung 652
Verhandlung 610 ff. Wellentheorie 14, 68
– 10 goldene Regeln 606 Wertmanagement 13
– Führung 598 Wertpapierdarlehen 693
– komplexe 599 ff. Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
– Kreis 618 (WpÜG) 673 ff., 680, 684
– Protokoll 558 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) 643, 684, 690,
– Verbot 644 693, 704
– Vorbereitung 603 Wertschöpfung 462
Verhaltenscodex 438 – Logik 47
Verjährungsfrist 588 – Tiefe 46
Verkaufsangebot 374, 376 Wertsteigerung 44, 360
Verkehrsfähigkeit 530 – Logik 3
Verkehrswert 686, 815 f. – Potenzial 210
Verlustabzugsbeschränkung 794 Werttreiber 328, 335
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828  |  Stichwortverzeichnis

Wertvernichtung 40, 62 Wirtschaftsprüfer 144, 152


Wettbewerbsbehörde 5, 537 f., 776 Working Capital Management 336
Wettbewerbskommission 764
Wettbewerbsposition 425 Zedent 654
Wettbewerbsproblem 758 Zielkultur 500, 502
Wettbewerbsrecht 7, 537, 759, 770 Zielvereinbarungen 441
Wettbewerbsrecht (CH) 538 Zinsabzugsfähigkeit 819
– Zusammenschlusskontrolle 538 Zinsschranke 653, 782, 784 f., 797
Wettbewerbsrechtsordnung 760 Zukunftserfolgswertverfahren 217
Wettbewerbsvorteil 497 Zurechnungen 697
White Knight siehe Weißer Ritter Zusammenschluss 761 f.
Willenserklärung 700 Zustimmungsverpflichtung 665
Williams Act 532 Zustimmungsvorbehalt 714
Wirtschaftspolitik 122, 125 Zwischenwertansatz 793

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