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Alle Rechte vorbehalten. © Schäffer-Poeschel. Download vom 19.12.2022 20:02 von www.wiso-net.de.
Günter Müller-Stewens
Sven Kunisch | Andreas Binder
(Hrsg.)
Mergers &
Acquisitions
Handbuch für Strategen, Analysten,
Berater und Juristen
2. Auflage
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2016
Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart
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Herausgeber:
Dr. Sven Kunisch, Lehrbeauftragter für Strategisches Management und Executive Director
Master für Unternehmensführung (MUG-HSG), Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen
Prof. Dr. Andreas Binder, Honorarprofessor für Schuld- und Gesellschaftsrecht, Universität
St. Gallen (HSG); Partner, Rechtsanwalt, Binder Rechtsanwälte, St. Gallen/Baden.
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne
Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Mai 2016
| V
St. Gallen, im Dezember 2015 Günter Müller-Stewens, Sven Kunisch, Andreas Binder
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| VII
Im angelsächsischen Raum nimmt M&A bereits seit vielen Jahrzehnten eine wichtige
Stellung im Wirtschaftsgeschehen ein. In Deutschland, Österreich und in der Schweiz
begannen sich die M&A-Märkte dagegen erst Ende der 1980er Jahre richtig zu entwi-
ckeln und zu professionalisieren. Vor dem Hintergrund von zwei Jahrzehnten Professi-
onalisierung der M&A-Aktivitäten in diesen Ländern widmet sich das vorliegende Werk
den Entwicklungen (Analysen und Trends) und Best Practices von M&A. Wir möchten
mit diesem Buch eine Art Due Diligence des komplexen Phänomens M&A über einen
längeren Zeitraum vornehmen. Im Zentrum stehen zwei Fragen: Welche Entwicklungs-
muster sind erkennbar? Und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die zu-
künftige Entwicklung ziehen?
Aus inhaltlicher Sicht zielt das Buch somit auf zwei Themenschwerpunkte ab: Zum
einen werden die Entwicklungen des M&A-Marktes über einen Zeitraum von 20 Jahren
analysiert und interpretiert. Zum anderen werden Best Practices dargestellt, die sich
über die Jahre bei im M&A-Bereich tätigen Unternehmen herauskristallisiert haben. Bei-
de Themenschwerpunkte werden aus verschiedenen Perspektiven untersucht: Betriebs-
wirtschaftliche Aspekte von Strategie, Planung, Durchführung und Integration werden
ebenso beleuchtet wie rechtliche, steuerliche und politische Rahmenbedingungen.
Diese Themenschwerpunkte spiegeln sich in der Gliederung des Buches mit ins-
gesamt sechs Teilen wider: In Teil A werden die Grundlagen behandelt. Dies schließt
Begriffsdefinitionen und eine historische Betrachtung der M&A-Wellen ein. In Teil B
werden die Aktivitäten auf den M&A-Märkten analysiert und interpretiert. Dies be-
inhaltet neben auf geographische Märkte fokussierten Bestandsaufnahmen auch ei-
ne Betrachtung von Private Equity-Aktivitäten und eine Analyse zum M&A-Erfolg in
verschiedenen Zyklen des Aktienmarktes. Teil C beinhaltet Analysen zum Stand des
Wissens in der M&A-Managementforschung. Im Fokus von Teil D steht das Managen
von M&A-Transaktionen. Dieser Teil ist prozessorientiert in die drei Transaktionspha-
sen Planung, Durchführung und Integration untergliedert, zu welchen jeweils ausge-
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Bei einem umfangreichen Werk wie dem vorliegenden sind zahlreiche Personen in-
volviert. Ihnen gilt der besondere Dank der Herausgeber: Zunächst danken wir den
zahlreichen Autorinnen und Autoren, die mit ihrem Engagement und ihren Beiträgen
dieses Werk ermöglicht haben. Ferner danken wir dem Verlag Schäffer-Poeschel, na-
mentlich Frau Mollenhauer und ihrem Team, für die kompetente Betreuung des gesam-
ten Buchprojektes. Wir bedanken uns ebenfalls recht herzlich bei Francis Higiro und
Martin Eschenmoser, die beide mit viel Fleiß und großer Sorgfalt durch die redaktionelle
Bearbeitung der Manuskripte, ersterer bei allen Manuskripten und letzterer punktuell,
einen wichtigen Beitrag zum Gelingen des Projektes geleistet haben. Schließlich danken
wir dem Profilbereich Responsible Corporate Competitiveness der Universität St. Gallen,
welcher dieses Buchprojekt finanziell gefördert hat.
St. Gallen, im Juli 2010 Günter Müller-Stewens, Sven Kunisch, Andreas Binder
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| IX
Inhaltsverzeichnis
Vorworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
X | Inhaltsverzeichnis
Planung
Inhaltsverzeichnis | XI
Durchführung
Integration
XII | Inhaltsverzeichnis
Vertragsrecht
Inhaltsverzeichnis | XIII
Übernahmerecht
Wettbewerbsrecht
Steuerrecht
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819
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| XV
Autorenverzeichnis
XVI | Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis | XVII
XVIII | Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis | XIX
| XXI
Abkürzungsverzeichnis
XXII | Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis | XXIII
XXIV | Abkürzungsverzeichnis
i. A. im Allgemeinen
i. d. R. in der Regel
i. e. S. im engeren Sinne
i. F. d. in Form des
i. H. v. in Höhe von
i. S. d. im Sinne des
i. S. v. im Sinne von
i. V. m. in Verbindung mit
i. w. S. im weiteren Sinne
i. Z. m. im/in Zusammenhang mit
IAR Geschäftsbereich Inks and Adhesive Resins
IBGYBG I‘ll Be Gone, You‘ll Be Gone (engl. Akronym)
IBM International Business Machines Corp.
ICB Industry Classification Benchmark
IFRS International Financial Reporting Standards
IO Industrial Organization
IP Intellectual Property
IP Internet Protocol
IPEV International Private Equity and Venture Capital Valuation Guidelines
IPIC International Petroleum Investment Company
IPO Initial Public Offering
IRR Internal Rate of Return (englisch für Interner Zinsfuß)
IStR Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)
IT Informationstechnologie
JV Joint Venture
KG Kartellgesetz
KG Kommanditgesellschaft
KGaA Kommanditgesellschaft auf Aktien
KGV Kurs-Gewinn-Verhältnis
KKR Kohlberg Kravis Roberts & Co.
KS Kreisschreiben (Schweiz)
KStG Körperschaftsteuergesetz
Abkürzungsverzeichnis | XXV
LG Landgericht (Deutschland)
lit. littera (lateinisch für Buchstabe)
LL. M. Legum Magister (engl.: Master of Laws; zu deutsch: Meister der Rech-
te)
LLC Limited Liability Company
LP Limited Partnership
Ltd. Limited Company
XXVI | Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis | XXVII
XXVIII | Abkürzungsverzeichnis
∗ Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen; Dr. Sven Kunisch, Lehrbeauftragter für Strategisches Management und Executive
Director Master für Unternehmensführung (MUG-HSG), Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen;
Prof. Dr. Andreas Binder, Honorarprofessor für Schuld- und Gesellschaftsrecht, Universität St. Gal-
len (HSG); Partner, Rechtsanwalt, Binder Rechtsanwälte, St. Gallen/Baden.
1 Vgl. zu den Begriffen Kapitel A.I.
2 Düsterhoff, H./Wolffson, J. M. (2016), S. 23.
3 Vgl. hierzu z. B. die Dokumentation des Vorgangs in Der Spiegel, 43/2015, S. 70–80.
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2 Drei Betrachtungsperspektiven
Versucht man sich dem Phänomen Mergers & Acquisitions (M & A) zu nähern, so bieten
sich drei Betrachtungsperspektiven an:
• Marktperspektive: Akquisitionen und Fusionen finden am sogenannten Markt für
Unternehmenskontrolle statt. Dort werden die Kontrollrechte von Unternehmen
gehandelt. Wie andere Märkte folgt auch dieser den Gesetzen von Angebot und
Nachfrage. Wird ein Unternehmen an diesem Markt aktiv, so sollte es sich dessen
Dynamiken und seines aktuellen Zustands bewusst sein. Gestaltet wird dieser Markt
durch eine ganze Reihe von Professionals wie Anwälten, Investmentbankern, Stra-
tegieberatern etc.
• Transaktionsperspektive: Hier geht es um das Management des einzelnen Transak-
tionsprozesses. In welche Phasen kann er unterteilt werden? Welche Aktivitäten fal-
len in diesen Phasen an? Welche Typen von Transaktionen lassen sich unterscheiden?
Was entscheidet über Erfolg und Misserfolg? Die hohen Misserfolgsquoten zeigen,
dass die Kompetenz zum Management von M & A offenbar nicht allerorts gleicher-
maßen vorhanden ist, dass sie sogar eine eher knappe Ressource zu sein scheint.
• Rechtliche Perspektive: Staaten bestimmen durch das Setzen rechtlicher Rahmen-
bedingungen einen wesentlichen Teil des Kontextes des Marktes für Unternehmens-
kontrolle. Der Regulator ist damit auch der zentrale Einflussfaktor der Effizienz
dieses Marktes. Er entscheidet, ob die Interessen aller Beteiligten und Betroffenen an
einem Transaktionsprozess (z. B. die der Minderheitsaktionäre im Zielunternehmen)
in einer angemessenen Art und Weise berücksichtigt werden. Die maßgeblichen
Rahmenbedingungen werden in verschiedenen Rechtsgebieten gesetzt.
2.1 Marktperspektive
Für Entscheidungsträger, die über den Kauf und/oder Verkauf von Unternehmensteilen
nachdenken, scheint der Begriff eines Marktes, an dem Unternehmen gehandelt wer-
den, oft ungewöhnlich. Bei Märkten denken sie primär an Produktmärkte. Doch eben
diese Sichtweise ist notwendig, wenn sie einen Kauf und/oder Verkauf professionell
abwickeln und nicht innerhalb weniger Monate all das gefährden wollen, was eine oder
mehrere Unternehmergenerationen mühevoll aufgebaut haben. Es sind die Dynamiken
dieses Marktes, die es zu berücksichtigen gilt, denn der Zustand des Marktes hat er-
heblichen Einfluss auf die Kauf- und Verkaufschancen und den Erfolg der Transaktion.
Geprägt wird dieser Markt immer noch stark durch das Geschehen in den USA. Dort
kann man auf eine gut 100-jährige Entwicklung zurückschauen. Diese fand in Wellen
statt, jede getrieben durch eine andere Wertsteigerungslogik.7 Der M & A-Markt ist al-
so ein zyklischer Markt. Ein anschauliches Beispiel liefert die Schaeffler-Gruppe, die
an der Übernahme der Continental AG und der damit verbundenen Schuldenlast fast
zugrunde gegangen ist, da die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers und die
darauf folgende Finanzkrise die Continental-Kurse in den Keller fallen ließ, während
das verbindliche Angebot der Schaeffler-Gruppe noch auf Preisen aus der Zeitperiode
vor dem Markt-Crash basierte.
In Europa begannen die M & A-Aktivitäten erst deutlich später, in den 1980er Jahren,
Fahrt aufzunehmen, vermutlich auch aufgrund der zunehmenden M & A-Beratungstätig-
keit von Investmentbanken. Während die M & A-Aktivitäten in den 1990er Jahren sehr
stark auf die finanztechnische Optimierung des Portfolios (bezogen auf den Shareholder
Value) ausgerichtet waren, spielten nach der Jahrtausendwende strategische Überlegun-
gen wieder eine wichtigere Rolle. Die Portfolien blieben diversifiziert, aber sie wurden
homogener und vermehrt auf einen gemeinsamen Zweck des Unternehmens ausgerich-
tet (»Profit with a Purpose«).
In den sog. »Emerging Countries« haben die Märkte noch nicht dieselbe Effizienz
wie in den westlichen Industrieländern, nicht zuletzt wegen möglicher politischer In-
stabilitäten. Aber auch dort gibt es Unternehmen, die ihr Wachstum mittels M & A vor-
antreiben. Ein Beispiel ist das Unternehmen China Resources Snow Breweries, welches
bereits Dutzende regionaler Brauereien akquiriert hat, jeweils basierend auf einer kla-
ren Wachstumsstrategie und Integrationsmethodik. Heute ist China Resources Snow
Breweries bereits die Nummer 5 der Welt.8 Die Unternehmen akquirieren indessen auch
außerhalb der Heimmärkte. Im Raum Südostasien waren die M & A-Aktivitäten zunächst
sehr stark auf Singapur fokussiert, inzwischen bedienen sich aber auch Unternehmen
der übrigen Länder dieses Wirtschaftsraums dieses Instruments. Beispielsweise hat sich
der malaysische Mineralölkonzern Petronas, der sich in Staatsbesitz befindet, 2014 für
2,25 Mrd. US-Dollar in das Shah Deniz Project in Azerbaijan eingekauft.9
Nicht zuletzt angesichts dieser Entwicklungen lässt sich insgesamt feststellen, dass
sich die ursprünglich sehr national geprägten M & A-Märkte inzwischen zu einem glo-
balen M & A-Markt gewandelt haben.
Auch die Akteure und deren Sitten und Gebräuche haben sich über die Jahre geän-
dert. Während noch in den 1980er und 1990er Jahren gegen den Willen des Manage-
ments durchgeführte Übernahmen, sogenannte »unfriendly/hostile takeovers« , durch
führende Wirtschaftsvertreter als »Barbarei« bezeichnet wurden und das Auftauchen
einer dritten Kraft am Kapitalmarkt in Form der Private Equity-Unternehmen und der
Hedgefonds durch führende Politiker mit einer Heuschrecken-Plage verglichen wurde,
haben sich inzwischen auch diesbezüglich die Gemüter beruhigt. Diese Varianten von
M & A-Transaktionen sind zum festen Bestandteil des Marktes geworden.
Mit dem Wachstum des M & A-Marktes hat natürlich auch die Zahl der dort anzutref-
fenden Akteure massiv zugenommen. Dies sind zum einen die beratenden Professionals.
Dazu gehören die auf M & A spezialisierten Investmentbanker, die Wirtschafts- und
Steueranwälte, die Wirtschaftsprüfer und die Strategieberater. Sie agieren als Abteilun-
gen in den Großbanken, in kleinen M & A-Boutiquen, in kleineren Kanzleien und großen
internationalen Anwaltskanzleien.
8 CR Snow ist ein Joint Venture aus China Resources Enterprise und der SABMiller-Gruppe. Die Fir-
ma produziert knapp 120 Millionen Hektoliter im Jahr und belegt mit 6 % Marktanteil Platz 5 der
Weltrangliste. Die Hauptmarke Snow ist das meistverkaufte Bier der Welt. Es ist allerdings nur in
China erhältlich. Vgl. dazu Handelszeitung vom 16.10.2015. Sollte die geplante Fusion der weltwei-
ten Nr. 1, AB Inbev, und der Nr. 2, SABMiller, zustandekommen, die zusammen einen Ausstoß von
über 500 Millionen Hektoliter haben, dann rückt CR Snow auf Platz 4 vor.
9 http://www.reuters.com/article/2014/10/13/statoil-petronas-shahdeniz-idUSL6N0S80BB20141013.
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Neben den Professionals ist aber auch der Staat ein wichtiger Akteur in diesem Markt.
Die inzwischen eingetretene Vielschichtigkeit staatlichen Mitwirkens am M & A-Gesche-
hen ist bemerkenswert. Dies nicht nur in der Rolle des Regulators – auch als Kommu-
nikator, Investor und Kapitalgeber übt der Staat großen Einfluss auf den M & A-Markt
aus.10 Aufgrund der betriebs- und volkswirtschaftlichen Bedeutung von Fusionen und
Übernahmen haben die Staaten großes Interesse am M & A-Geschehen. Dies widerspie-
gelt sich auch in den zahlreichen Aktivitäten von Staatsfonds sowie staatlichen Inter-
ventionen auf dem M & A-Markt. Letzteres zeigt sich insbesondere bei der Haltung zur
Übernahme von national als bedeutsam erachteten Unternehmen.
Als es beispielsweise im Jahr 2004 zur unfreundlichen Übernahme von Aventis
durch Sanofi kam, schlugen bei diesem bedeutsamen Pharma-Deal die politischen Wel-
len hoch. Der französische Präsident Jacques Chirac machte in dieser Angelegenheit
bei seinem Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder am 9. Februar
2004 folgende Erklärung: «Dies sind Privatunternehmen, die börsenkotiert sind, und
ihre Entscheidungen hängen nicht von den Regierungen ab.» Doch diese Position hielt
dem Druck auf der französischen Seite nicht lange stand. Anfang April 2004 meinte der
Gesundheitsminister Douste-Blazy: «Verteidigen wir die französische Industrie. Wenn
wir die Chance haben, einen der weltweit größten Pharmakonzerne in unserem Land zu
haben, müssen wir sie ergreifen.»11
2.2 Transaktionsperspektive
Während es bei der Marktperspektive darum geht, die Entwicklungen auf der Makro-
ebene und die vielseitigen Akteure zu verstehen, rückt bei der Transaktionsperspektive
die einzelne Transaktion und deren Ablauf in den Vordergrund. In der Praxis hat sich
über die Jahre eine Vielzahl von teilweise äußerst feingliedrigen Phasenmodellen und
-konzepten zur Gestaltung und zum Ablauf von Transaktionsprozessen herausgebildet.
Auch wenn kein realer Prozess genauso vordefiniert abläuft, können solche Modelle
und Konzepte dabei helfen, planerisch vorzugehen und Meilensteinpläne daran aus-
zurichten.
Im Kern handelt es sich um einen dreiteiligen Prozess mit der strategischen Vorbe-
reitung und Planung der Transaktion als erster Phase, der technischen Durchführung
der Transaktion als zweiter Phase und der Integration beider Unternehmen als dritter
Phase. Bei größeren Transaktionen kommt vor dem Beginn der Integrationsphase eine
Zwischenphase hinzu, denn erst nach dem »Signing« der Verträge am Ende der zweiten
Phase können die zuständigen Wettbewerbsbehörden notifiziert und um Genehmigung
des Zusammenschlusses ersucht werden. Erst wenn die erforderlichen Zustimmungen
vorliegen, kommt es zum »Closing«, d. h. erst dann kann die Umsetzung der Integration
beginnen.
In dieser Zwischenphase geht es zuerst darum, die »Day-1-Readiness« herzustellen.
Dabei ist seitens der Organisationsverantwortung sicherzustellen, dass sämtliche recht-
lichen Vorschriften eingehalten werden. Oft werden sog. »Clean Teams« beider Un-
ternehmen eingerichtet, die abgeschottet vom Rest ihrer Unternehmen arbeiten und
sich zur strikten Geheimhaltung der erhaltenen Informationen verpflichten. Diese kön-
nen bspw. Einkaufskonditionen und Verkaufskonditionen vergleichen. Kommt es zum
Closing, können diese Informationen dem neuen Unternehmen zur Verfügung gestellt
werden. Diese Zwischenzeit wird also genutzt, um innerhalb der engen rechtlichen
Rahmenbedingungen die Struktur der Integration vorzubereiten.
Bezeichnend für den Transaktionsprozess ist dessen hohe Komplexität. In sehr kurzer
Zeit müssen viele Entscheidungen fast zeitgleich getroffen werden. Um dies zu bewäl-
tigen, müssen klare Prioritäten gesetzt werden, d. h. nicht alle Fragen können von An-
fang an angegangen werden. Detaillierte Analysen sind kaum möglich; Entscheidungen
müssen oft auf der Basis mehr oder minder bewährter Heuristiken getroffen werden.
Das Management eines Transaktionsprozesses ist insbesondere deshalb so heraus-
fordernd, weil der Prozess nicht nur eine technische Seite hat, sondern auch eine emoti-
onale. Die Unwägbarkeiten einer Transaktion liegen insbesondere auf der emotionalen
Seite. Oft wird erst in der Integrationsphase richtig klar, welche Zielevielfalt hinter
einer Transaktion steht. Zwar wurde die Transaktion als solche durch die involvierten
Parteien unterstützt (oder zumindest nicht blockiert), aber dies verbunden mit sehr
unterschiedlichen Erwartungen: Einer sieht darin die Karrierechancen, auf die er schon
lange gewartet hat; ein anderer glaubt an das strategische Rational der Transaktion; ein
Vorstandsmitglied aus dem Zielunternehmen sieht darin vielleicht interessante Aus-
stiegsszenarien für sich.
Unternehmensübernahmen haben i. A. einen starken Einfluss auf die Mitarbeiter
eines Unternehmens (und ihre Familien) sowie auf das Zusammenwirken dieser Mitar-
beiter in der Organisation. Sie können die Struktur, die Systeme, die Prozesse und die
Kultur des Zielunternehmens oder auch beider Unternehmen einschneidend verändern.
Dies kann Frustrationen, »innere Emigration«, Aggressionen, Stress oder Krankheiten
auslösen. Auf der Unternehmensebene kann dies zu Dysfunktionen, Machtkämpfen, Ab-
wanderungen, Reorganisationen, Intrigen usw. führen. Bei komplementären Transakti-
onen, bei denen sich beide Unternehmen bzgl. Produkten und Märkten eher ergänzen,
ist dies i. d. R. seltener der Fall als bei sog. »Kosten-Mergern«, bei denen es primär um
Effizienzgewinne aus dem Zusammenschluss geht.
Eine Transaktion gilt regelmäßig dann als abgeschlossen, wenn die dafür eigens ge-
bildete Projektorganisation aufgelöst ist. De facto ist sie damit aber oft noch lange nicht
beendet. Zum einen müssen noch nicht erledigte Aufgaben nun in der Linienorganisa-
tion abgewickelt werden. Zum anderen gilt es, kulturelle Differenzen miteinander ver-
träglich zu machen und auf eine neue gemeinsame langfristige Vision hin auszurichten.
der Stimmenmehrheit sämtlicher ausstehender Aktien ein »Squeeze out Merger« mit
Zwangsabfindung der Aktionäre möglich; ZF Friedrichshafen konnte bei der Übernah-
me von TRW im Jahr 2015 diesen Vorteil nutzen.
Eine Vielzahl von Rechtsgebieten ist für das M & A-Geschäft relevant; insbesondere
sind dies das Vertragsrecht, das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, das Übernahme-
recht, das Wettbewerbsrecht und das Steuerrecht.
Ein Blick auf die Entwicklungen im rechtlichen Bereich zeigt Erstaunliches: Vieles
hat sich in den letzten 25 Jahren im M & A-Recht gewandelt, ganze Rechtsgebiete sind
neu entstanden, wie insbesondere das Übernahme- und das Umstrukturierungsrecht,
alte Fragen wie die Vinkulierung der Aktienübertragungen wurden anders beurteilt
und neu geregelt, der Aktionär bekam eine völlig neue, zentrale Stellung im Corpo-
rate Governance-System der börsenkotierten Aktiengesellschaft. Unfreundliche Über-
nahmeversuche werden zunehmend zahlreicher und führen immer öfter zu einem
Kontrollwechsel. Die Staaten reagieren auf diese Entwicklungen mit nationalistischen
Schutzmaßnahmen und Interventionen. Nachdem während Jahrzehnten weltweit eine
Machtverlagerung zu den Aktionären stattgefunden hat – ein Trend, der weiter anhält
–, beginnt man seit ein paar Jahren, über eine neue Rolle der Aktionäre nachzudenken,
über Best-Practice-Verhalten oder gar neue Pflichten der Aktionäre oder über die Kop-
pelung einzelner ihrer Rechte an eine gewisse Haltedauer der Aktien.
Literatur
Der Spiegel, 43/2015, S. 70–80.
Düsterhoff, H./Wolffson, J. M. (2016): M & A-Welten der 2 Geschwindigkeiten – Jahresrückblick auf das
deutsche M & A-Geschehen 2015. In: M & A Review, 27. Jg., Nr. 1–2, 2016, S. 21–28.
Kunisch, S./Wahler, C./Müller-Stewens, G. (2011): Spielentscheidend. Der Staat als M & A-Akteur, in:
Performance, Nr. 2, S. 14–26.
Menz, M./Müller-Stewens, G./Zimmermann, T./Uhr, J. (2015): Key Findings of the European Chief
Strategy Officer Survey 2014. St. Gallen/Munich: University of St. Gallen/Roland Berger Strategy
Consultants.
Müller-Stewens, G./Alscher, A. (2011): The Acquisition of Aventis by Sanofi. Attack as Defense, in:
Zentes, J./Swoboda, B./ Morschett, D. (Hrsg., 2011): Fallstudien zum Internationalen Management.
Grundlagen – Praxiserfahrungen – Perspektiven, 4. Aufl., Gabler: Wiesbaden, S. 665–698.
Müller-Stewens, G./Brauer, M. (2009): Corporate Strategy & Governance, Stuttgart: Schäffer-Poeschel
Verlag.
Voss, I./Müller-Stewens, G. (2006a): Strategische M & A-Kompetenz im Rahmen von Akquisitionsstra-
tegien – Komponenten, Erfolgsfaktoren und Aufbau, in: Keuper, F./Häfner, M./Glahn, C. (Hrsg.,
2006): Der M & A-Prozess. Konzepte, Ansätze und Strategien für die Pre- und Post-Phase, Wiesba-
den: Gabler, S. 3–32.
Voss, I./Müller-Stewens, G. (2006b): Die Umsetzung von Wachstumsstrategien durch Akquisitionsseri-
en, in: Borowicz, F./Mittermair, K. (Hrsg., 2006): Strategisches Management von Mergers & Acqui-
sitions, Wiesbaden: Gabler, S. 119–144.
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Teil
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Teil
1 Begriffsinhalte
2 M & A als Instrument der Unternehmensentwicklung
2.1 Wachstum durch M & A: Motive und Erklärungsansätze
2.2 Rückzug durch Desinvestitionen
3 Wertsteigerungsdynamik und Schlüsselaktivitäten
4 Zur Effizienz von M & A
5 Zusammenfassung
1 Begriffsinhalte
Der aus dem US-amerikanischen Investmentbanking stammende Begriff Mergers & Ac-
quisitions (M & A) umschreibt den Handel (Kauf/Verkauf) mit Unternehmen, Unterneh-
mensteilen und Unternehmensbeteiligungen und wird mit Unternehmenszusammen-
schluss (Fusionen und Unternehmensübernahmen) übersetzt. In einer weiten Fassung
umfasst er auch Kooperationen (Joint Venture, Allianzen etc.). Im Falle der Akquisition
wird das erworbene Unternehmen bzw. die Unternehmensbeteiligung in die Organi-
sation des Erwerbers als Tochtergesellschaft eingegliedert. Von einer Unternehmens-
übernahme wird im Allgemeinen allerdings erst dann gesprochen, wenn der Erwerb
der Unternehmensanteile auch deren Management und Kontrolle ermöglicht: Leitungs-
und Kontrollrechte wurden auf dem sog. Markt für Unternehmenskontrolle1 – hier auch
M & A-Markt genannt – durch einen Käufer erworben und dann auch neu ausgeübt.
Was demnach nicht unter dem Begriff Übernahme subsumiert wird, ist der Erwerb von
Anteilen ohne Leitungs- und Kontrollrechte (z. B. stimmrechtslose Vorzugsaktien) oder
der Erwerb größerer Beteiligungspakete, die nur der passiven Finanzanlage dienen.
Eher selten ist der Fall der Fusion (Merger), bei der oft ähnlich große Unternehmen
(mit oder ohne vorherigen Anteilserwerb) miteinander verschmolzen werden, wobei
trotzdem meist eines der beiden der Unternehmen dominiert. Großvolumige Fusionen
traten vermehrt Ende der 1990er Jahre (z. B. DaimlerChrysler, Allianz-Dresdner Bank)
auf dem Hoch des »Dotcom«-Börsenbooms auf.
Da der Entscheid zur Veräußerung eines Unternehmens allein bei den Anteilseignern
und nicht bei der Geschäftsführung liegt, kann es zu unterschiedlichen Haltungen bei
Management und Eigentümern gegenüber einem Übernahmeangebot kommen. Unter-
breitet ein Unternehmen einem anderen Unternehmen ein öffentliches Übernahmean-
gebot (in den USA ist es zu einem solchen Tender Offer verpflichtet, wenn es mehr als
5 % der Aktien des Zielunternehmens erwerben will), so kann das Management des
* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen.
1 Achleitner 1999, S. 137, Jensen/Ruback 1983.
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Organisches Wachstum
Wachstum/ Strategische Allianzen
Diversifikation Mergers & Acquisitions
Konzern-/Gruppen-
ebene: (Re-)Konfiguration
des Portfolios der Mechanismen
Strategisches Corporate Strategy Share Deal
Geschäfte
Management Wo konkurrieren? Direkter Verkauf (Trade Sale) Cash Deal
Schließung/Liquidation Asset Deal
Rückzug Equity Carve-out (Börsengang, IPO)
Geschäftsebene: Verselbstständigung (Spin-off/Split-off)
Business Strategy Dual Track
Wie konkurrieren?
2 Picot 2012.
3 Müller-Stewens/Lechner 2016.
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Eine in einem aktiven Portfoliomanagement häufig anzutreffende Strategie ist der »Rück-
zug zum Wachstum« (Divest to Grow): Zur Realisierung von Wachstumsmöglichkeiten
stellt sich für das Corporate Management oft die Frage, mit welchen finanziellen Mitteln
eine Akquisition, die Gründung eines Joint Ventures oder der Vorstoß in einen neuen
Markt durch eigenen Aufbau einer neuen Geschäftseinheit finanziert werden kann. Die
Desinvestition einer Geschäftseinheit oder einer Division zur Realisierung eines solchen
Wachstumsvorhabens kann dabei zur Notwendigkeit werden.
Mit dem Einzug des Shareholder Value-Ansatzes in den 1990er Jahren wurde die
Steuerung des Unternehmensportfolios bei den börsennotierten Gesellschaften stark
unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Wertentwicklung betrachtet. Die Steigerung
des Wachstums und der Gesamtkapitalrentabilität der einzelnen Geschäfte standen im
Mittelpunkt der Bemühungen (Wertmanagement). Die Unternehmensstrategie wurde
dadurch immer mehr an den Erwartungen der Kapitalmärkte ausgerichtet. Konsequenz
war, dass zur Optimierung des Portfolios sich dessen Zusammensetzung durch Zukäufe
und Desinvestitionen immer häufiger änderte. Aktuell werden Portfolio-Restrukturie-
rungen eher auf einen (neuen) gemeinsamen Geschäftszweck des Unternehmens aus-
gerichtet, was vielerorts zu homogeneren Portfolien führte.
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Der Manager baut sich gegen die Interessen der Eigentümer (Prinzipal-Agent-Konflikt)
ein diversifiziertes Imperium auf, das ihm einerseits mehr Macht gibt, aber anderseits
auch mehr Manövrierspielraum bezüglich der Darstellung der Leistung des von ihm
geführten Unternehmens (z. B. »Überkreuzfinanzierungen« zwischen den Geschäftsein-
heiten). Auch wird ein Manager, der hohe Nettocashflows erwirtschaftet, nach dieser
Theorie eher dazu neigen, diese in M & A -Transaktionen auch mit schlechten Erfolgs-
aussichten zu reinvestieren, als dass er die Cashflows an die Eigentümer auszahlt, da
er diesen Ressourcenverlust auch als Machtverlust betrachten würde.
Daneben gibt es noch zwei Erklärungsansätze, die das Zustandekommen von M & A
nicht als Resultat rationaler Entscheidungen sehen: Nach der Prozesstheorie kommt es
aufgrund undurchsichtiger Entscheidungsprozesse zu Transaktionen (z. B. wegen des
fortgeschrittenen Stands des Verhandlungsprozesses und der damit empfundenen Irre-
versibilität ohne Gesichtsverlust). Die Wellentheorie unterstellt dagegen, dass M & A ein
zyklisches Phänomen ist und die Entscheidungsträger sich diesem Phänomen wie einer
Mode mehr oder minder unterwerfen: Unternehmen kaufen in einer dieser M & A-Wellen
Unternehmen bzw. Unternehmensteile, weil aufgrund günstiger Rahmenbedingungen
gerade alle anderen auch Unternehmen kaufen.
Soll nicht nur erklärt werden, warum es grundsätzlich zu M & A kommt, sondern wa-
rum es zu bestimmten Transaktionsrichtungen (horizontal, vertikal, lateral etc.) kommt,
dann lässt sich die (empirisch nicht verifizierte) Marktbedingungs-Eigentümerkontroll-
theorie von Blackburn/Lang (1989) zugrunde legen: Manager neigen in restriktiven
Märkten aufgrund der Marktzwänge grundsätzlich zu Transaktionen, bei denen zwi-
schen Käufer- und Zielunternehmen eine hohe Verwandtschaft unterstellt wird (verbun-
dene M & A). Sind die Märkte nicht so restriktiv, dann geschieht dies nur bei Käufern,
die einer starken Eigentümerkontrolle ausgesetzt sind, da dort dem Management meist
kurzfristige Leistungsziele vorgegeben sind. Ist diese Eigentümerkontrolle in weniger
restriktiven Märkten nicht gegeben, dann kann nichts zur Richtung von M & A gesagt
werden, da M & A primär auch dazu eingesetzt wird, um sich der Kontrolle der Ei-
gentümer zu entziehen. So kann das Management das eigene Positionsrisiko dadurch
reduzieren, indem das Unternehmen kauft, bevor es selbst gekauft wird – egal ob die
Transaktion ökonomisch sinnvoll ist oder nicht.
Eine Spielart, die auch zum Tragen kommen kann, ist das Management Buy-out (MBO)
oder Management Buy-in (MBI). Verfügt das Management beim MBO/MBI nicht über
4 Müller-Stewens/Brauer 2009.
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relevante Eigenmittel, so erfolgt über Investoren eine Fremdfinanzierung als LBO (Le-
veraged Buy-out).
Ein direkter Verkauf an einen strategischen oder finanziellen Investor ist eine der
meist gewählten Varianten zum Ausstieg aus einem Geschäftsfeld. Beim direkten Ver-
kauf überträgt der Mutterkonzern die vollständigen Eigentumsrechte an der Geschäfts-
einheit dem Käufer. Dem Mutterkonzern fließen dadurch entweder liquide Mittel zu
(Cash Deal) oder aber er erhält dafür Aktien (Share Deal) oder andere tangible (mate-
rielle) Vermögenswerte (Asset Deal).
Der Prozess des Verkaufs ist i. d. R. so strukturiert, dass zuerst nach potenziellen
Kaufinteressenten Ausschau gehalten wird. Davon erhalten die, die in eine engere
Auswahl einbezogen werden, Gelegenheit zu einer sorgfältigen Analyse, Prüfung und
Bewertung des Kaufgegenstandes (Due Diligence). Ist diese abgeschlossen, kommt es
häufig zu einer öffentlichen Auktion um die zur Disposition stehende Geschäftseinheit.
Eine solche Auktion kann verschiedener Art sein. Die Privatauktion (Private Aucti-
oning) und die offene Auktion (Open Auctioning) bilden die beiden Enden des Konti-
nuums. Bei der Privatauktion wird vom Mutterkonzern meist nur ein potenzieller Inte-
ressent angesprochen, an den dann die Geschäftseinheit verkauft werden soll. Vorteil
dieses Verfahrens ist die hohe Vertraulichkeit, die Möglichkeit zur schnelleren Einigung
und Abwicklung der Transaktion und die Tatsache, dass dadurch das Tagesgeschäft
weniger stark eingeschränkt wird. Nachteil ist, dass es keine Alternativen in der Hin-
terhand gibt, sollte der gewählte Interessent nicht kaufbereit sein. Mangels Wettbewerb
kann auch der Kaufpreis geringer ausfallen als bei den anderen Auktionsvarianten. Bei
der offenen Auktion, bei der mit einer Vielzahl von Kaufinteressenten Verhandlungsge-
spräche aufgenommen werden, ist die Intensität des Wettbewerbs zwischen den Kaufin-
teressenten wesentlich höher. Somit kann sich der Kaufpreis im Idealfall entsprechend
»hochschaukeln«. Negativ ist allerdings bei dieser Variante, dass der Ressourcen- und
Zeitaufwand wesentlich höher ist und somit auch das operative Tagesgeschäft oftmals
darunter leidet.
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Nettogesamtwert
Prämie Informationslücke für Aktionäre
des Verkäufers
Übernahmepreis
Goodwill
Substanz-
wert
M & A führt bei den drei Hauptbeteiligten, dem Käufer, dem Verkäufer und dem Trans-
aktionsobjekt, oft zu tiefgreifenden Veränderungen. Diese erfolgreich zu bewältigen
verlangt eine Vielzahl von Expertisen, die nicht als »automatisch« gegeben unterstellt
werden dürfen. Diese Expertisen müssen interdisziplinär zusammenwirken, was hohe
Anforderungen an das Schnittstellenmanagement zwischen den Beteiligten stellt. Der-
artige Expertisen werden von ganz unterschiedlichen Akteuren eingebracht: Juristen,
Wirtschaftsprüfer, Steuerexperten, Ingenieure, Psychologen u. v. a. m. sind daran betei-
ligt.
Jede Transaktion sollte auf einer soliden Strategie aufbauen, die das Rational zur
Übernahme bereitstellt. Meist wird dazu eine Diversifikationsstrategie ausgearbeitet,
aus der dann Profile geeigneter Käufer bzw. Zielunternehmen abgeleitet werden. Kon-
krete Ideen für eine Akquisition können nun hergeleitet, begründet und entschieden
werden. Auch wenn der Entscheid dann primär strategischer Natur ist, so wird er
aber auch von rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen beeinflusst. Unab-
dingbarer Output muss eine gut durchdachte und breit geteilte strategische Vision sein,
die eine Akquisition zu erklären und die Transaktion inhaltlich auszurichten vermag.
Insbesondere muss eine klare Vorstellung dazu bestehen, wie konkret Nutzen aus der
Akquisition gezogen werden kann.
Neben diesen eher strategischen Kompetenzen werden bei der nun folgenden techni-
schen Abwicklung der Transaktion wieder ganz andere Expertisen benötigt. Nun geht
es z. B. darum, mit den Kandidaten in einer geeigneten Form Kontakt aufzunehmen,
Bewertungen durchzuführen, Verhandlungen zu Preis und Bedingungen zu führen und
im Abschlussfall auch eine passende Form der Finanzierung zu finden. Der Kaufpreis
kann durch eine Barzahlung, einen Aktientausch, eine Kapitalerhöhung beim erworbe-
nen Unternehmen oder eine Kombination dieser Instrumente entrichtet werden. Wenn
der Käufer nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt, kann er sich z. B.
über eine Kapitalerhöhung, eine Kreditaufnahme oder den Verkauf von Unternehmens-
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beteiligungen finanzieren. Zentral ist in dieser Phase die Due Diligence, mittels derer
aus verschiedensten Perspektiven durch den Käufer zu überprüfen ist, ob das Zielun-
ternehmen das zu halten vermag, was es verspricht und ob im Falle eines Zusammen-
gehens die strategische Vision auch eingelöst werden kann.
Kommt es zur Vertragsunterzeichnung (Signing) und zum Abschluss der Trans-
aktion (Closing) – falls noch Bescheide von Behörden abgewartet werden mussten –,
dann benötigt das Unternehmen nun wiederum ganz andere Fähigkeiten, um die bei
der Integration beider Unternehmen anstehenden Aktivitäten zielführend ausüben zu
können.5 Jetzt müssen die kalkulierten Vorteilspotenziale durch die Mitarbeiter beider
Unternehmen realisiert werden, die das Bezahlen der Prämie rechtfertigten. Je nach
Bedarf an organisatorischer Autonomie und strategischen Interdependenzen sind un-
terschiedliche Integrationsansätze zu wählen.
Aufgrund der großen Bedeutung von M & A und wegen der hohen Misserfolgsraten
sind Akquisitionen und ihre Erfolgsvoraussetzungen auch vielfach untersucht worden.
Oft sind die Akquisitionen, die besonders nutzenstiftend wirken, auch die, die beson-
ders hohe Integrationsrisiken mit sich bringen. In Abb. 3 sind exemplarisch die Beob-
achtungen und Erkenntnisse der Untersuchung von Haspeslagh/Jemison (1992) zusam-
menfassend dargestellt. Es werden dort die erforderlichen Aktionsfelder und typischen
Probleme bei M & A aufgeführt.
Idee Akquisitionsbegründung
Analyse •Strategische Beurteilung der Transaktion
Probleme im
•Herbeiführung breiter Übereinstimmung
Entscheidungsprozess
•Genaue Darstellung von Chancen und Risiken
•Fragmentierte Sichtweisen sowie notwendigen Bedingungen
•Wachsende Eigendynamik •Rolle organisatorischer Faktoren
Verhandlung
•Vieldeutige Erwartungen •Zeitachse der Umsetzung
Begründung •Vielfältige Motive •Höchstpreisfestsetzung
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5 Zusammenfassung
Einerseits zeigt sich, dass M & A – auch nach den Börsencrashs in den Jahren 2000 und
2007 – nicht mehr aus dem Repertoire der Unternehmensleitung wegzudenken ist. Der
Markt, an dem die Unternehmen gehandelt werden, ist dabei nicht nur größer, globaler
und volatiler geworden, sondern auch professioneller. Spezialisten aller Art (Investment-
6 Vgl. folgende Studien zur Effizienz von M & A: Carper 1990; Conn 1976; Datta et al. 1992; Mueller
1992; Piper/Weiss 1974; Ravenscraft/Scherer 1987; Rhoades 1987.
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Literatur
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eschel, Stuttgart, 1990.
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lysis. In: Journal of Management, 16. Jg., Nr. 4, 1990, S. 807–823.
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Datta, D. K./Pinches, G. E./Narayanan, V. K. (1992): Factors Influencing Wealth Creation from Mer-
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Gerpott, T. J. (1993): Integrationsgestaltung und Erfolg von Unternehmensakquisitionen. Schäffer-Po-
eschel, Stuttgart, 1993.
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Neuausrichtung des Unternehmens. (P. Künzel, Trans.), Campus Verlag, Frankfurt a. M., 1992.
Jensen, M./Ruback, R. (1983): The Market for Corporate Control – the Scientific Evidence. In: Journal
of Financial Economics, 11. Jg., Nr. 1–4, 1983, S. 5 50.
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nen und gestalten, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2015
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2009.
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Wandel führen. 5. Aufl., Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2016.
Picot, G. (2012): Handbuch Mergers & Acquisitions. Planung – Durchführung – Integration, 5. Auflage,
Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2012.
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Teil
1 Einleitung
2 Historische Betrachtung der US-amerikanischen M & A-Wellen
2.1 Erste und zweite M & A-Welle: Zwei Merger-Wellen zwischen 1897 und 1929
2.2 Dritte und vierte M & A-Welle: Wiedererwachen und Kommerzialisierung
von M & A
2.3 Fünfte M & A-Welle: Aufstieg in ungeahnte Höhen und rasanter Fall
2.4 Sechste M & A-Welle: Schnelle Erholung und neue Höchststände
3 Erklärungsansätze zum empirischen Phänomen
3.1 M & A als zunehmendes und zyklisches Phänomen
3.2 Bestehende Erklärungsansätze
3.3 Theorie der prospektiven Wertsteigerungslogik
4 »Anatomie« einer M & A-Welle
4.1 Unterer Wendepunkt
4.2 Aufschwung
4.3 Obere Wendepunkt
4.4 Abschwung
5 Den ganzen Zyklus im Visier
1 Einleitung
Das Phänomen von Unternehmenszusammenschlüsse bzw. -übernahmen (Mergers &
Acquisitions) hat seit dem ersten Auftreten Ende des 19. Jahrhunderts eine enorme
Bedeutungszunahme erfahren. M & A-Transaktionen finden auf dem sog. Markt für Un-
ternehmenskontrolle statt. Dieser Markt wird im engen Sinne als die Arena bezeichnet,
in der Manager um die Kontrollrechte für Unternehmensressourcen konkurrieren.1 Im
weiten Sinne schließt er jedoch eine Vielzahl weiterer Transaktionen wie strategische
Allianzen (z. B. in Form wechselseitiger Beteiligungen) mit ein. In diesem Markt kann
neben den in die Transaktionen involvierten Unternehmen ein Vielzahl weiterer Akteure
angetroffen werden: So etwa Beratungen, Wirtschaftsprüfer und Anwaltssozietäten, die
diverse Dienstleistungen erbringen, aber auch Private Equity-Investoren und Staatsfonds
zählen zu den Akteuren auf dem M & A-Markt.
* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen.
1 »The market for corporate control is best viewed as an arena in which managerial teams compete for
the rights to manage corporate resources« (Jensen/Ruback 1983).
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Doch was verursacht das Phänomen M & A als Ganzes? Zwar ist relativ viel zu den
Motiven, die hinter den einzelnen Transaktionen stehen, bekannt – Motive wie etwa Effi-
zienzsteigerung oder Zugewinn an Marktmacht.2 Bislang gibt es nur erste Ansatzpunkte
für eine allgemeine Erklärung des Phänomens. In diesem Beitrag wird versucht, auf dem
Weg zu einer Theorie für das Phänomen M & A ein Stück weiter zu kommen. Als Start-
punkt dazu soll ein Blick auf die historische Evidenz des Phänomens geworfen werden.
Bei einer historischen Betrachtung der M & A-Aktivitäten lässt sich vermuten, dass
M & A ein zyklisches Phänomen ist. Diese Beobachtung soll im Folgenden für eine nä-
here Analyse des Marktes für Unternehmenskontrolle in den USA genutzt werden, der
als Wiege des Phänomens betrachtet werden kann.
12.066 Fälle
Anzahl Fälle unter Beteiligung 1672 Mrd.$ Vol. 2014:
von US-Unternehmen 133 Mio.$/Fall 11.891 Fälle
11.123 Fälle 2930 Mrd.$ Vol.
1268 Mrd.$ Vol. 246 Mio.$/Fall
12.000 114 Mio.$/Fall
1.000
0
1895 00 05 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14
Abb. 1: US-Merger-Wellen 1963 bis 2014: Anzahl Transaktionen von 1895 bis 2014 (Quellen: 1895–1920:
Nelson (1959); 1921‑1939: Thorp/Crowder (1941), 1940–1962: FTC (1971, 1972), 1963–2002: MergerStat;
2003–2014: MergerStat; nach neuem Ansatz ermittelt, der zu ca. 10 % mehr Transaktionen führt.)
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Mittlerweile lassen sich sechs große Merger-Wellen erkennen (vgl. Abb. 1). Mit leich-
ter Verzögerung schwappen diese Wellen i. d. R. auch auf die anderen westlichen Indust-
riestaaten über, jedoch haben natürlich auch lokale Ereignisse und Gegebenheiten einen
Einfluss auf Stärke und Ausprägung der jeweiligen Merger-Welle. So war bspw. Anfang
der 1990er Jahre weltweit ein Abflauen der M & A-Aktivitäten zu beobachten, während
in Deutschland die Wiedervereinigung – und speziell die Treuhandverkäufe – zu einem
weiteren Anstieg der Transaktionszahlen führten.
In der Zeit bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 konnten zwei
M & A-Wellen registriert werden. Nachdem es dann über fast 30 Jahre zu keinen sig-
nifikanten M & A-Aktivitäten kam, wurde das M & A-Phänomen in den 1960er Jahren
aufgrund der Diversifikationstheorie und später der Kommerzialisierung von M & A als
Beratungsdienstleistung wiederbelebt.
Zu neuen, vorher unvorstellbaren Höhen schwang sich der Markt in den 1990er Jah-
ren auf: Im Jahr 1991 wurden 1.877 Transaktionen unter Beteiligung eines US-Unterneh-
mens bei einem Gesamtvolumen von 71 Mrd. US-$ registriert.3 Anschließend stiegen die
Zahlen bis zum Jahr 2000, in dem 11.123 Transaktionen mit einem Wert von 1.268 Mrd.
US-$ gezählt wurden, kontinuierlich an. Ende der 1990er Jahre waren die Marktteil-
nehmer durch eine Euphorie – ähnlich der in den »Goldenen Zwanzigern« – getrieben,
die nahezu jeder Rationalität entbehrte; dann kam es zum Platzen der Dotcom-Blase.
14.000 1.600
12.000 1.400
1.200
10.000
Anzahl Transaktionen bzw. Dow Jones
800
6.000
600
4.000
400
2.000
200
0 0
Abb. 2: US-Merger-Wellen 1963 bis 2009: Entwicklung der Transaktionsanzahl und -volumen sowie des Dow Jones
Index (Quellen, MergerStat Review, Dow Jones, eigene Analyse)
3 Quelle: MergerStatReview.
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Die sechste Welle lief ähnlich ab. Sie schwang sich zwar etwas schneller zu einem
Allzeithoch des gesamten Transaktionsvolumens von etwa 1.500 Mrd. US-$ auf (von
2002 bis 2006), stürzte dann aber im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ebenso
dramatisch ab. Allein 2008 halbierte sich bereits die Kapitalisierung des globalen Ak-
tienmarktes von etwa 50.000 auf 25.000 Mrd. US-$. Analog war im Jahr 2009 auch nur
noch etwas weniger als die Hälfte des Transaktionsvolumens aus dem Jahr 2006 zu
verzeichnen. Auch wenn der M & A-Markt sich relativ schnell wieder erholte, so kann
man wohl noch nicht von einer neuen Welle sprechen. Abb. 2 stellt die Transaktionsvo-
lumina und die Anzahl an Akquisitionen der Entwicklung des Dow Jones Aktienindex
– als Ausdruck der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – für den Zeitraum von 1963
bis 2009 gegenüber.
Nach diesem einleitenden Überblick über das historische Phänomen M & A werden
nun die einzelnen Wellen einer genaueren Betrachtung unterzogen.
Als Folge des Übergangs von der Manufaktur zum Industriebetrieb kam es seit etwa
1870 zur Bildung von Kartellen. In den USA kam es bereits Ende des 19. Jahrhunderts
zur Entwicklung eines Kartellrechts, das diese Form unternehmerischer Zusammen-
arbeit grundsätzlich zur Herstellung einer markt-beherrschenden Position verbot.4 So
wurde im Jahr 1890 der Sherman Antitrust Act erlassen. Zum einen untersagte das
Gesetz jegliche Form horizontaler und vertikaler Absprachen. Zum anderen beinhaltete
das Gesetz aber auch ein generelles Monopolisierungsverbot, um durch den Schutz von
Wettbewerb der Gefahr einer überhöhten Preisbildung entgegenzutreten.
Die Industrialisierung war Auslöser einer ersten Merger-Welle in den USA, die auf
den Zeitraum 1897 bis 1899 datiert werden kann. Sie fiel mit einer Periode ökonomischen
Wachstums zusammen, hatte ihren wesentlichen ersten Einbruch bereits im Jahre 1899
und lief dann aber mit der im Jahr 1903 beginnenden Rezession aus. Prägend in dieser
Zeit waren neue Produktionstechnologien, die Wirtschaftlichkeitseffekte bei der Her-
stellung größerer Stückzahlen ermöglichten. Hinzu kam die Möglichkeit der Nutzung
von Elektrizität. Auch verbesserte sich die verkehrstechnische Infrastruktur in den USA
(transkontinentale Eisenbahn), was das Entstehen einer nationalen Wirtschaft begüns-
tigte.5 Es kam in dieser Phase zu einer Vielzahl horizontaler Akquisitionen, insbeson-
4 Außerhalb der USA waren Kartelle bis in die 1950er Jahre erlaubt. Missbrauchsfälle konnten jedoch
geahndet werden. Danach setzte sich im Prinzip weltweit die US-amerikanische Form der Kartell-
gesetzgebung durch.
5 Weston et al. 1990.
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dere in der Öl- und Tabakindustrie, mittels deren die Unternehmen versuchten, ihre
Marktmacht zu vergrößern, nachdem Absprachen nicht mehr möglich waren (erster
Aspekt des Sherman Antitrust Act).
Mit dem zweiten Aspekt des Sherman Antitrust Act verbunden war auch die Mög-
lichkeit der Entflechtung von Monopolen bzw. marktbeherrschenden Unternehmen. Das
Gesetz wurde anfangs kaum angewandt; das änderte sich erst unter Präsident Theodore
Roosevelt, der sich in seiner Amtszeit von 1901 bis 1908 stark für eine Machtbeschrän-
kung der Kartelle einsetzte. So wurde z. B. Standard Oil 1906 von der Regierung der USA
angeklagt und 1911 entflochten. Auch American Tobacco wurde 1911 auf Grundlage des
Sherman Antitrust Acts entflochten.
Diese erste M & A-Welle fiel in ein seit dem »Industrial Black Friday« im Jahr 1893
(und dem darauf folgenden Silbercrash) wirtschaftlich freundliches Umfeld. Ab 1904
war der US-Aktienmarkt jedoch durch große Unsicherheiten und panikartige Zustände
geprägt.6 1907 kam es auch zu dem katastrophalen Erdbeben in San Francisco. Erst
1914/15 begannen sich die Märkte wieder wahrnehmbar zu erholen.
1914 wurde auch der Clayton Act erlassen, der den Sherman Antitrust Act ergänzen
und präzisieren sollte (sog. »Incipiency Doctrine«). Sein Inhalt bestand insbesondere aus
(1) einem Verbot kartellrechtlicher Vereinbarungen, (2) einem Diskriminierungsverbot
(1936 durch den Robinson Patman Act verschärft) sowie (3) einem Fusionsverbot (1950
durch den Celler Kefauver Act verschärft).
Kurz nachdem am 29.06.1914 der österreichische Kronprinz Franz Ferdinand und seine
Gattin durch serbische Nationalisten in Sarajevo ermordet wurden, brach allerdings
auch überraschend der Erste Weltkrieg aus, in dessen kriegerischen Auseinandersetzun-
gen bis 1919 insgesamt 38 Staaten aktiv involviert waren. Der spätere Eintritt der USA
in diesen Krieg erwies sich für das Land als wirtschaftlich äußerst günstig. Nach einer
kurzen Depression bei Kriegsbeginn in Europa im Jahr 1914 profitierte die amerikani-
sche Wirtschaft ganz erheblich von den massiven Einkäufen aus den alliierten Staaten,
in denen es kaum noch etwas zu kaufen gab. Bis zum Friedensvertrag von Versailles
im Jahr 1919 waren die USA zur größten Handelsnation der Welt geworden. Die USA
waren von einer Schuldnernation zum größten Gläubiger der Welt geworden. Neben
London war die Wallstreet in New York zum wichtigsten Finanzzentrum aufgestiegen.
Diese veränderten Rahmenbedingungen prägten natürlich auch den Verlauf der
M & A-Aktivitäten in den USA. So formierte sich von 1916 bis 1929 eine zweite, M-förmige
6 Der Schweizer Wissenschaftler Fritz Schwarz vertrat die interessante, aber trotz einiger Fakten
nicht wirklich bewiesene These, daß die Panik des Jahres 1907 durch den Investmentbanker Morg-
an und den Industriellen Rockefeller absichtlich inszeniert worden wäre. Ihre Absicht sei es gewe-
sen, die Wettbewerber und die Regierung durch eine Deflationskrise in Bedrängnis zu bringen. Für
Morgan hätte sich so die Möglichkeit ergeben, Wettbewerber unter Wert zu übernehmen, und Ro-
ckefeller hätte den Staat unter Druck gesetzt, der seine Standard Oil Company und ihn selbst wegen
des Verstoßes gegen den Sherman Act verklagen wollte. Angeklagt waren nämlich neben dem Un-
ternehmen Standard Oil of New Jersey sowie 65 der von Standard Oil kontrollierten Unternehmen
auch die gesamte Führungsebene, u. a. mit John und William Rockefeller. Der sich über mehrere
Jahre hinziehende Prozeß endete schließlich am 05.05.1911 mit der Zerschlagung der Standard
Oil Company (vgl. auch http://wissen.boerse.de/boersengeschichte.php?leiste=5&view=72&sei-
te=3#content).
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M & A-Welle, die sich wesentlich aus den günstigen wirtschaftlichen Auswirkungen des
Ersten Weltkrieges auf die USA nährte. Der erste Teil dieser zweiten M & A-Welle hatte
ihren Aufschwung zwischen 1916 und 1920 (Welle 2a). Obgleich die Verschärfung der
Antitrustgesetzgebung den Zusammenschluss von Unternehmen erschwerte, erfuhr der
M & A-Markt im Zuge der wieder seit 1914 prosperierenden Aktienmärkte eine Wiederbe-
lebung. Dabei stand das Streben nach marktbeherrschenden Positionen im Mittelpunkt
der Übernahmeaktivitäten. Aufgrund der Unterbindung von marktbeherrschenden Po-
sitionen durch die Kartellgesetzgebung fanden jedoch weniger horizontale Diversifizie-
rungsaktivitäten statt, vielmehr wurden zunehmend vor- und nachgelagerte Unterneh-
men erworben, was zu einer höheren Anzahl an vertikalen Integrationen führte.
Doch im Zuge der nach dem Krieg deutlich nachlassenden Nachfrage, die wiederum
erhebliche Preissenkungen zur Folge hatten, kam es im April 1920 zu einem ersten
markanten Einbruch der Märkte in den USA und einer bis zum Juli 1921 andauernden
Rezession. Viele Unternehmen wurden in dieser Phase verkauft oder mussten ganz
aufgeben. Nachdem sich die verbliebenen Unternehmen jedoch neu und besser passend
zur Nachfrage aufgestellt hatten, begann ein zweiter Teil dieser zweiten M & A-Welle in
Form einer lang anhaltenden Phase starken Wirtschaftswachstums, die später als die
»Goldenen Zwanziger« bezeichnet wurden.
Dieser Wirtschaftsboom spiegelte sich auch auf dem Markt für Unternehmenskont-
rolle in den Jahren 1921 bis 1929 wider (Welle 2b). Entwicklungen im Transportwesen,
wie die Erhöhung der individuellen Reichweite aufgrund der Verbreitung des Automo-
bils und eines wachsenden Straßennetzes, und verbesserte Kommunikationsmöglich-
keiten (z. B. Werbung für nationale Marken über das Radio) waren wichtige Treiber
dieses Booms.7
Aus dem Boom wurde eine bodenlose Euphorie, die oft jeder Rationalität entbehrte.
Jeder wollte möglichst schnell reich werden. Börsengänge wurden mit vorher nicht
vorstellbaren Kursgewinnen gehandelt. Unternehmen werden mit völlig überteuerten
Multiples gekauft – insgesamt eine Entwicklung wie sie in sehr ähnlicher Form Ende der
1990er Jahre wiederzusehen war. Der Zusammenbruch der US-amerikanischen Börse
im Oktober 1929 und die darauffolgende Weltwirtschaftskrise beendeten diese zweite
M & A-Welle in einer dramatischen Form.
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durch neue theoretische Überlegungen kam es etwa ab 1963 zu einer neuen, der dritten
M & A-Welle.
Die Übernahmetätigkeiten in der dritten M & A-Welle von 1963 bis 1969 standen unter
neuen Vorzeichen. Der Celler Kefauver Act von 1950 verschärfte die Kartellgesetzgebung
dahingehend, dass nunmehr auch der Erwerb von in der Wertschöpfungskette vor- oder
nachgelagerten Unternehmen als Wettbewerbsbeschränkung galt. Als Folge und auch
aufgrund der enttäuschenden wirtschaftlichen Entwicklung vieler horizontaler Akquisi-
tionen ging die Anzahl der vertikalen und horizontalen Unternehmenskäufe innerhalb
von zehn Jahren drastisch zurück.
Bei der Suche nach Quellen neuen Wachstums standen deshalb Käufe unverbundener
Unternehmen im Zentrum des Interesses. Dies geschah nicht zuletzt vor dem Hinter-
grund der in dieser Zeit populären Diversifikationstheorie, die den Firmen eine vermin-
derte Abhängigkeit von Wirtschaftszyklen versprach. Nach dem Motto »Big is Beauti-
ful« entstanden riesige Finanzkonglomerate, die Unternehmen aus den verschiedensten
Branchen unter ihrem Dach vereinigten. Entscheidungskriterien für eine Übernahme
waren in erster Linie der erwartete Return on Investment (ROI) und der zeitliche Anfall
der Cashflows, um ein ausgeglichenes Beteiligungsportfolio zu erhalten. Als Beispiele
können Gulf & Western, ITT und Teledyne genannt werden; allein Teledyne erwarb
über 125 Unternehmen.
Diese Entwicklung wurde nicht durch einen boomenden Aktienmarkt ausgelöst oder
getragen. Der Kapitalmarkt befand sich eher in einer angespannten Situation, und Kre-
dite konnten bei hohen Zinsen aufgenommen werden. Aufgrund dessen wurden die
Akquisitionen auch vorwiegend durch Aktientausch finanziert.
Erst mit dem Sinken der Aktienkurse Ende der 1960er Jahre ging auch die Zahl der
Übernahmen (Takeover) wieder zurück. Damit war aber vorerst kein Crash verbunden,
sondern lediglich eine wirtschaftliche Abkühlung. Dramatischer wurde es als im Jahr
1973 das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse nach jahrelangen »Reparaturver-
suchen« endgültig zusammenbrach, was zu starken Abwertungen des US-$ gegenüber
verschiedenen starken Währungen führte, sowie die Ölkrise. Der Ölpreis verzeichnete
in dieser Zeit nahezu eine Verdreifachung, was erhebliche Auswirkungen auf die Welt-
wirtschaft hatte.8 Der stark einsetzende wirtschaftliche Abschwung wurde zu einer
Stagflation: stagnierendes Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig hoher Inflation und
steigenden Preisen.
Ende der 1970er Jahre begann die spektakulärste Übernahmebewegung in den USA.
Damals befanden sich die alten Industriebranchen in den USA in einer tiefen Struktur-
8 Diese Preissteigerung war die Auswirkung eines Beschlusses der Organisation der Erdölexportie-
renden Staaten (OPEC) im Oktober 1973 das Ölangebots um 5 % gegenüber dem Niveau vom Sep-
tember 1973 zu reduzieren. Dies war eine Reaktion auf den Yom-Kippur-Krieg, wo Israel mit seinen
Truppen nicht weit vor Kairo und Damaskus stand.
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krise, die ihre Ursachen noch in der Ölkrise hatte. Aufgrund des technischen Wandels,
Marktveränderungen oder zu kleiner Marktanteile mussten ganze Branchen feststellen,
dass ihre Wettbewerbsposition erodiert war. Die Liberalisierungs- und Deregulierungs-
politik der Regierung Reagan bewirkte tiefgreifende strukturelle Veränderungen im
wirtschaftlichen Umfeld der Unternehmen.
In den USA wurde 1988 ein Allzeithoch hinsichtlich des Transaktionsvolumens auf-
gestellt, obgleich die Anzahl der Transaktionen seit 1986 stark zurückgegangen war.
Der Durchschnittswert einer Transaktion erreichte etwa 110 Mio. US-$. Eine wichtige
Voraussetzung für dieses Phänomen war die parallele Weiterentwicklung auf den Fi-
nanzmärkten. Der enorme Kapitalbedarf für die Realisierung der Übernahmen wurde
vorwiegend durch die Aufnahme von Fremdkapital gedeckt. Die in den Vereinigten
Staaten vorherrschende steuerliche Begünstigung von Fremdkapital gegenüber Eigen-
kapital unterstützte die Durchführung sog. Leveraged Buy-outs (LBO). Eine Erhöhung
des Verschuldungsgrades ließ den Unternehmenswert steigen, und gleichzeitig wurde
durch die Hebelkraft des Fremdkapitals die Eigenkapitalrendite gesteigert. Das Fremd-
kapital wurde häufig nicht nur vom Käufer des Zielunternehmens aufgebracht, vielmehr
entwickelte sich bald ein Markt für sog. Junk Bonds, hochverzinsliche Anleihen, die al-
lerdings mit einem überdurchschnittlichen Risiko behaftet waren. Dem Investmenthaus
Drexel Burnham Lambert mit dem Junk Bonds-König Michael Milken gelang es, einen
Markt für diese Papiere zu organisieren, wodurch ein großes Finanzierungspotenzial
für Unternehmensübernahmen geschaffen wurde.
Praxisbeispiel
Beispiel: LBO-Klassiker – KKR übernimmt Beatrice Cos.
Das klassische Beispiel für einen LBO war die Übernahme von Beatrice Cos., Inc. durch das Invest-
menthaus Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) für 6,3 Mrd. US-$ im Jahr 1986. Anschließend wurde
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die stark diversifizierte Gesellschaft durch massive Verkäufe einzelner Unternehmensteile auf wenige
Lebensmittelmarken zurückgestutzt. Allein die Veräußerung der Nebentätigkeiten von Beatrice brachte
7 Mrd. US-$ ein, insgesamt wurden mehr als 20 Mrd. US-$ erlöst. Nach diesem Muster wurden unzäh-
lige Konzerne von Finanzgesellschaften und sog. Corporate Raiders aufgekauft und in Einzelteilen
gewinnbringend weiterverkauft.
In Kürze zog die Aussicht auf gewaltige Gewinne Anleger an, die in die neu kreierten
Junk Bonds-Fonds investierten. Der Markt für diese Papiere wuchs bis zum Jahr 1989
auf ein Volumen von über 200 Mrd. US-$ an. Bereits in dieser Phase kam es zu einer
ganzen Reihe von Mega-Mergern. Dazu zählte z. B. der Kauf von Gulf Oil durch Chevron
(25,1 Mrd. US-$) oder die Akquisition von Kraft durch Philip Morris (13,1 Mrd. US-$).
Kein Unternehmen schien vor einer Übernahme mehr sicher zu sein, denn die Größe
allein schien angesichts des unermesslichen Finanzierungspotenzials keinen Schutz vor
unfreundlichen Übernahmen, bei denen die Transaktion gegen den Willen des Manage-
ments des Objekts durchgeführt wird, zu gewähren.
Praxisbeispiel
LBO-Transaktion – KKR übernimmt RJR Nabisco
Zu den spektakulärsten Übernahmen in der Geschichte zählt nach wie vor die von KKR durchgeführte
Akquisition von RJR Nabisco. Als im Oktober 1988 das Management des Nahrungsmittelriesen in einer
Presseerklärung verlauten ließ, zusammen mit einem Partner die Firma im Rahmen eines LBO’s zum
Preis von 17,6 Mrd. US-$ übernehmen zu wollen, überbot KKR innerhalb weniger Tage den Kaufpreis
um 3 Mrd. US-$ und ging schließlich aus dem einen Monat und mehrere Bieterrunden dauernden Über-
nahmekampf als Sieger hervor. Das Investmenthaus übernahm RJR Nabisco schließlich für 25,1 Mrd.
US-$, wobei der niedrige Eigenkapitalanteil von rund 10 % im Finanzierungspaket der Transaktion keine
Ausnahme für die damalige Zeit war. Die Differenz zum Kaufpreis wurde durch Bankkredite und durch
die Emission von Schuldverschreibungen geschlossen; Junk Bonds spielten dabei eine wichtige Rolle.
Einen Rückschlag erhielten die LBO-Aktivitäten im Jahr 1989. Bereits im Vorjahr wur-
den dem Investmenthaus Drexel Burnham Lambert und seinem Junk Bonds-Star Milken
im Rahmen des Boesky-Insider-Skandals zahlreiche Verstöße gegen die Börsen- und
Wertpapiergesetze nachgewiesen. Als sich dann das erste LBO-finanzierte Unternehmen
(Integrated Resources) unter »Chapter 11« des amerikanischen Konkursrechtes stellen
musste und weitere Fälle folgten, wurden die Anleger auf die erhöhten Risiken der Junk
Bonds aufmerksam.
Im Laufe der Jahre wurden aufgrund der Euphorie immer waghalsigere LBO-Finan-
zierungen durchgeführt, was zu einem rapiden Qualitätsverfall auf dem Junk Bonds-
Markt führte. Viele Unternehmen waren derart verschuldet, dass die Zinslast die lau-
fenden Erträge überstieg. Darüber hinaus stiegen die Kaufpreise der übernommenen
Unternehmen aufgrund der Konkurrenz der Corporate Raider in teilweise phantastische
Dimensionen. Als dann vor dem Hintergrund einer ersten Ernüchterung immer mehr
Investoren aussteigen wollten, zeigte sich, dass der Junk Bonds-Markt in vielen Teilbe-
reichen illiquide war. Dem steigenden Angebot standen keine Käufer gegenüber, und in
kurzer Zeit brachen die Kurse massiv ein.
Dieser Crash auf dem Junk Bonds-Markt hatte einschneidende Folgen. Zum einen
wurden die Vorschriften zur Kreditfinanzierung von Unternehmensübernahmen durch
die US-amerikanische Notenbank (Fed) verschärft. Dies geschah mit der Intention, die
Qualität des Fremdkapitals zu verbessern. Größere Auswirkungen ergaben sich auch
für den Markt für Unternehmenskontrolle. Zwar nahm die Anzahl der Unternehmens-
käufe im Folgejahr des Crashs sogar zu, allerdings verschoben viele große Unternehmen
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ihre Akquisitionspläne auf einen späteren Zeitpunkt, so dass nur wenige bedeutende
Übernahmen durchgeführt wurden. Vor allem sank die Anzahl der LBO-finanzierten
Unternehmensübernahmen ebenso drastisch ab wie die von Tender Offers.
Im Oktober 1987 brach dann der Dow Jones angesichts der zunehmenden Zweifel über
die Werthaltigkeit vieler Papiere sowie der Unsicherheiten, die von einer Erhöhung der
kurzfristigen Zinsen durch die amerikanische Notenbank zur Stützung des Wechsel-
kurses ausgingen, um über 500 Punkte ein, was sich angesichts der über den elekt-
ronischen Handel global vernetzten Finanzplätze schnell zu einem weltweiten Crash
ausweitete. In Japan setzte 1990 eine tiefe Rezession ein. Auch der drohende Zweite
Golfkrieg (»Desert Storm«) in den Jahren 1990/92 verunsicherte die Börsen. Doch mit
Kriegsbeginn erlebten die Börsen eine starke Belebung.
Trotz vorübergehender Rückschläge verblieben die Vereinigten Staaten das mit Abstand
aktivste und innovativste Land im M & A-Bereich. In den USA herrschte seinerzeit ver-
glichen mit Kontinentaleuropa und Deutschland bereits eine ausgeprägte M & A-Kultur,
die sich aus der Kombination verschiedener Faktoren ergab. Grundsätzlich war in der
US-amerikanischen Wirtschaft eine stärkere Orientierung an finanziellen Kennzahlen
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festzustellen. Der negative Touch, den Übernahmen in Europa lange Zeit besaßen (Stich-
wort: »Barbarei«) – insbesondere wenn kleine Unternehmen von großen Konzernen
erworben wurden –, ist dort nicht einmal bei unfreundlichen Übernahmen vorhanden.
Die – wenn auch oft kurzfristig ausgerichteten – finanzwirtschaftlichen Interessen der
Investoren stehen im Vordergrund. Diese werden durch eine hohe Transparenz der Un-
ternehmensverhältnisse unterstützt. Eine offene Informationskultur der Unternehmen
gewährt den Kaufinteressenten durch die in periodischen Abständen nach dem Prinzip
des »True & Fair-View« erstellten Abschlüsse bzw. Zwischenberichte einen detaillierten
Einblick in die Unternehmensdaten. Ein weiterer wichtiger Grund für die exponierte
Stellung der USA im M & A-Bereich lag in der hohen Börsenkapitalisierung. Schließlich
bildeten die mit dem Ziel der Wettbewerbsförderung geschaffenen umfangreichen recht-
lichen Rahmenbedingungen in den USA eine weitere entscheidende Voraussetzung.
Nicht unerwähnt bleiben soll auch der hohe Professionalisierungsgrad der im
M & A-Geschäft tätigen Akteure: Der Markt für Unternehmenskontrolle wurde in die-
ser Phase auch durch eine immer größer werdende Anzahl an Beratungsunternehmen
stimuliert. Allen voran waren es die großen US-amerikanischen Investmentbanken,
die die Professionalisierung dieser Beratungsdienstleistungen vorantrieben, wichtige
Aufgaben bei der Anbahnung und Durchführung von M & A-Transaktionen übernahmen
und vor allem den Markt aktiv entwickelten.10 Zu erwähnen sind auch die – aufgrund
der oft komplexen steuerlichen und juristischen Sachverhalte – auf M & A spezialisierten
Anwaltskanzleien, die aber eher reaktiv auftraten. Auch in den großen diversifizierten
Konzernen wurde M & A mehr und mehr zum Alltagsgeschäft. So lag es nahe, dass
eigene Kompetenzbereiche (z. B. in Form einer Abteilung »Corporate M & A«) aufbaut
wurden. Dies führte zu einer gewissen Standardisierung der M & A-Prozesse und machte
die Unternehmen auch unabhängiger von den Beratungshäusern. Zudem beabsichtigten
die Unternehmen, durch das systematische Sammeln und Standardisieren von Transak-
tions-Know-how die sehr hohen Fehlerraten zu reduzieren.
Charakteristisch für die fünfte Welle ist eine Sequenz von fünf Haupttreibern, die aufei-
nander aufbauten und sich wechselseitig verstärkten. Das erklärt auch die lange Dauer
dieser Welle von etwa zehn Jahren.
(1) Globalisierung der Weltwirtschaft und Konsolidierung von Branchen: In einer gan-
zen Reihe von Branchen wie z. B. in der Automobil- oder Pharmaindustrie kam es zur
Globalisierung der Märkte. Es wurde angenommen, dass nur die größten Unternehmen
in diesen Geschäften überlebensfähig seien. Während dieser Phase kam es zu einer
Vielzahl aufsehenerregender Mega-Merger, oft tituliert als »Merger of Equals«, also eine
Fusion zweier gleichberechtigter Partner.11 Angesichts der Größe der involvierten Un-
ternehmen wurde oft mit eigenen Aktien als Währung bezahlt.
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Praxisbeispiel
»Hochzeit im Himmel« – Zusammenschluss von Daimler und Chrysler
Jürgen Schrempp, CEO von Daimler-Benz, formulierte in der zweiten Hälfte der 5. M & A-Welle seine
Vision der »Welt AG«. Einen wichtigen Schritt dazu sah er im Zusammenschluss mit Chrysler im Mai
1998. Jürgen Schrempp schwärmte bei dieser Fusion unter Gleichen (Merger of Equals) zur Daim-
lerChrysler AG von einer »Hochzeit im Himmel«. Der Zusammenschluss wurde mit knapp 85 Mrd. Euro
bewertet und gilt damit als der größte Industriezusammenschluss der Geschichte. Der Wertanteil
von Chrysler am neuen Unternehmen betrug in etwa ein Drittel. Die Fusion erfolgte durch einen
Aktientausch in Aktien des neuen Unternehmens, der DaimlerChrysler AG. Daimler-Benz-Aktionäre
erhielten pro Aktie 1,005 DaimlerChrysler-Aktien, eine Chrysler-Aktie wurde in 0,6235 DaimlerChrys-
ler-Aktien getauscht. Nach vielen vergeblichen Sanierungsversuchen gab der Nachfolger von Jürgen
Schrempp, Dieter Zetsche (CEO seit 2006), im Mai 2007 den mehrheitlichen Verkauf von Chrysler an
das Private Equity-Unternehmen Cerberus bekannt. Eine Tochtergesellschaft von Cerberus übernahm
daraufhin 80,1 % der Aktien an der neu geschaffenen Chrysler Holding LLC, Daimler behielt 19,9 %
der Anteile. Auf der Hauptversammlung im Oktober 2007 wurde die Umbenennung des Unternehmens
in Daimler AG beschlossen. Die Wertvernichtung durch die Transaktion liegt etwa im Bereich des
ursprünglichen Werts von Chrysler.
(2) Liberalisierung und Deregulierung: Verstärkt und ermöglicht wurde die Globalisie-
rung einiger Märkte teilweise durch eine weitere Liberalisierung und Deregulierung vie-
ler Märkte. Die Staaten erhofften sich dadurch einerseits mehr Effizienz und damit ein
günstigeres Preisniveau z. B. in der Telekommunikation; andererseits sollten mit (Teil-)
Verkäufen staatlicher Betriebe auch die Kassen des Staates gefüllt werden.
(4) Shareholder Value als Führungsinstrument: Die zunehmende Verbreitung des Ansat-
zes des Shareholder Value führte in den Unternehmen zu einem zunehmend aktiver-
en Portfolio-Management (M & A und Desinvestitionen), wobei sich die Portfolio-Ent-
wicklung immer mehr an finanziellen Kenngrößen und insbesondere dem Börsenwert
ausrichtete. Da Wachstum und Effizienz in diesem Konzept ganz wesentliche Wert-
treiber sind, suchten Unternehmen verstärkt nach entsprechenden Wachstums- und
Kosten-Mergern.
(5) Internet als Grundlage neuer Geschäftsmodelle: Beginnend Mitte der 1990er Jahre
begann auch der Internetboom. Unmengen von neuen Unternehmen wurden gegrün-
det, bei denen die Nutzung des Internets im Zentrum des Geschäftsmodells stand. Es
wurde davon ausgegangen, dass es zu einer Konvergenz der Medien-, Telekom- und
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Praxisbeispiel
»Click & Mortar«-Zusammenschluss von AOL und Time Warner
Noch kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase kam es auf dem Höhepunkt des Hypes im Januar 2000 zu
einer der spektakulärsten »Click & Mortar«-Transaktionen: AOL, ein junger Anbieter von Internetzugän-
gen mit 12.100 Mitarbeitern, erwarb das im Mediengeschäft tätige Traditionsunternehmen Time Warner
mit 67.500 Mitarbeitern für 182 Mrd. US-$. Dies war möglich, da AOL vor dem Zusammenschluss völlig
überbewertet war: Es hatte einen etwa doppelt so hohen Börsenwert wie Time Warner. Steve Case,
AOL’s damaliger Chairman and CEO, kommentierte den Deal seinerzeit wie folgt: »I don’t think it is too
much to say this really is a historic merger; a time when we’ve transformed the landscape of media and
the Internet.« Die Transaktion war wahrhaft historisch, denn sie vernichtete einen dreistelligen Milliar-
denbetrag. Der damalige CEO von Time Warner, Gerald Levin, entschuldige sich Anfang 2010 öffentlich
für seinen Entscheid von damals und nannte die Transaktion den »schlechtesten Deal des Jahrhunderts«.
2003 wurde AOL aus dem Namen von Time Warner gestrichen; Ende 2009 wurde die Internetsparte
unter dem Namen AOL als eigenständiges Unternehmen an die Börse gebracht. Der Börsenwert im Jahr
2015 liegt etwa bei 4 Mrd. US-$ – vor der Übernahme waren es über 200 Mrd. US-$.
Mit dem Internet erhielt das Konzept der »Returns on Scale« eine neue Dimension. In-
nerhalb von wenigen Wochen konnten in der »New Economy« global Kundenstämme
in einem Ausmaß aufgebaut werden, wozu zuvor Jahrzehnte benötigt worden waren
(z. B. bei Ebay oder Amazon).
Die Internetunternehmen zeigten auch ein vielfach nicht vergleichbares Herangehen
an das Thema M & A im Hinblick auf die Due Diligence, die Bewertung und vor allem
auch des Post Merger Managements. Unternehmen wie Adobe, Bay Networks, Cisco,
Intel, Microsoft oder Yahoo! entwickelten sich – angetrieben durch die steigenden Bör-
senwerte und hohen Wachstumserwartungen – zu wahren Akquisitionsmaschinen mit
zum Teil Dutzenden von Transaktionen im Jahr. Man suchte das schnelle Wachstum,
denn es gewinnt der, bei dem der Kunde die höchsten Netzwerkeffekte realisieren kann.
Angesichts der schwindelerregenden Höhen, die der Markt Ende der 1990er-Jahre
erreicht hatte, war es klar, dass ein Platzen der Internetblase nicht mehr in weiter
Ferne war. Im Jahr 2000 war es schließlich soweit. Das Platzen der »Dotcom-Bubble«
schickte die Aktienmärkte Anfang des neuen Jahrtausends auf eine rasante Talfahrt
und setzte damit der fünften M & A-Welle ein Ende. In dieser Boomphase von 1991
bis 2000 wurden knapp 56.000 Fälle mit einem Gesamtwert von etwa 6.000 Mrd.
US-$ registriert. Entsprechend dramatisch fiel dann auch der Abschwung aus, als die
Dotcom-Blase platzte:
»The historic M & A wave of 1995 to 2000 totaled more than 12 trillion US-$. By an extremely
conservative estimate, these deals annihilated at least 1 trillion US-$ of share-owner wealth.
For respective, consider the whole dot-com bubble probably cost investors 1 trillion US-$ at most.
That’s right: Stupid takeovers did more damage to investors than did all the dot-coms combined.
The situation is remark-able when you think about it. Many of these failed mergers are done by
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the world’s biggest, most successful companies, advised by highly educated Wall Street investment
bankers who do this for a living.«12
Bereits vor dem Absturz der fünften M & A-Welle kriselte es in der Weltwirtschaft. So
breitete sich die Asienkrise von 1997/98 mehr und mehr aus und die Welt war schon
damals wohl am Rande einer neuen Weltwirtschaftskrise. Doch die Anleger auf dem
heimischen US-Markt schienen sich davon vorerst nicht stören zu lassen, schließlich
legten die Internetwerte noch weiter zu. Neben den Zweifeln an der Werthaltigkeit der
Börsenentwicklung machten sich in den USA auch zunehmend Konjunktursorgen breit,
was auch schon im Vorfeld der dramatischen Ereignisse um den 11.09.2001 zu Kursver-
lusten führte. Nach diesem terroristischen Anschlag mit seinerzeit unvorstellbarer Bru-
talität gegen die USA auf deren Heimterritorium war die Welt wie gelähmt. Die Uhren
liefen in der Folge nicht nur in den USA anders. Zudem wurden die Börsen von den im
Zuge des Abschwungs vorgenommenen riesigen Bilanzfälschungen, die im Jahr 2002
zum Zusammenbruch von Großkonzernen wie Enron oder WorldCom führten, belastet.
Im Jahr 2003 kam dann noch der sich anbahnende Irak-Krieg hinzu, der die die Kurse
nochmals weiter nach unten drückte.
12 Selden/Colvin 2003.
13 Vgl. dazu Moschieri/Campa 2009.
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hend ihre Bilanzen saniert. Und drittens war das Umfeld für Verschuldungen äußerst
günstig, da es ein Überangebot an sehr günstigem Fremdkapital gab.
Wie schon die fünfte M & A-Welle, lässt sich auch die sechste Welle anhand einer Viel-
zahl von Treibern kennzeichnen. Zum einen wirkten Treiber aus der fünften M & A-Wel-
le – wie etwa die Globalisierung oder das Anstreben von führenden Marktpositionen
in den Kernmärkten der Unternehmen – weiter. Zum anderen kam aber auch ein ganz
wesentlicher neuer Treiber hinzu: Es war die unaufhaltsame Bedeutungszunahme der
Private Equity (PE)-Unternehmen als Investoren.14
Als Akteure waren die PE-Unternehmen in der Öffentlichkeit bis dato noch weitgehend
unbekannt, weshalb ihnen auch viel Skepsis entgegenschlug.15 Ihren Einfluss gewannen
sie aufgrund des Bedarfs von Versicherungen, Pensionskassen etc. nach einer Diver-
sifikation ihrer Anlagen. Hinzu kam das Bedürfnis einiger junger Finanzleute, außer-
halb dieser institutionellen Strukturen als Finanzdienstleister zu arbeiten. Sie wollten
Pools von privatem Kapital gegen eine Gebühr und Beteiligung am Wertzuwachs durch
Investitionen in Unternehmen managen (vgl. dazu Abb. 3). Viele M & A-Berater sind
nach dem Crash im Jahr 2000 zu PE-Unternehmen gewechselt oder haben ein eigenes
PE-Unternehmen gegründet, da sich trotz der Wertvernichtung noch immer sehr viel
Kapital im Markt befand, und da die Investoren nach alternativen attraktiven Anlagen
zu den Aktien suchte.
Managementunternehmen
1,5 % bis 2,6 % der Privat Equity-Fonds
Management-
gebühr
Versicherungen
Pensionskassen Early Stage
Banken 1,5 % 20 % der Later Stage
Ziel-
Investoren Unternehmen des Wert- Bridge/Pre-IPO
Vermögende
Kapitals schöpfung
Buy-out unternehmen
Privatkunden Turnaround
Dachfonds
95–99 % Kapital
des Kapitals
Private Equity
Private Equity-Fonds
Fonds
80% der Wertschöpfung Wertschöpfung
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Im Jahr 2006 generierten die PE-Unternehmen in den USA bereits etwa 20 % des ge-
samten M & A-Transaktionsvolumens. Fünf Jahre zuvor waren es noch nicht einmal
5 %. Die durch PE-Unternehmen durchgeführten Leveraged Buy-outs (LBO) sind weit-
gehend »überfinanziert«; d. h. das zur Finanzierung der Transaktion aufgenommene
Fremdkapital verlängert die Bilanz des Zielunternehmens. Daraus ergibt sich auch die
zentrale Herausforderung eines LBO: die hohe Schuldenlast und die damit verbundenen
Schuldendienste. Deshalb ist zu deren Ausgleich ein hohes Ertragswachstum wichtig.
Das Anlagespektrum der PE-Unternehmen reicht vom Gründungskapital für junge
Unternehmen bis hin zu Beteiligungen an etablierten Unternehmen. PE-Unternehmen
investieren auch in Risiken, die die bestehenden Eigentümer alleine nicht eingehen
würden, und sind damit oft auch Treiber des Wandels. Etwa seit 2005 waren die PE-Un-
ternehmen zunehmend in der Lage, größere Transaktionen zu bewältigen, da auch
mehrere Fonds zusammenspannen können. Das gesamte Fondsvolumen der globalen
PE-Branche war im Jahr 2006 so hoch, dass das Geld (inklusive des Leverage des Vo-
lumens) ausgereicht hätte, um die deutschen DAX30-Unternehmen zu kaufen. Für ein
PE-Unternehmen war es 2005 durchaus möglich, innerhalb von drei Wochen einen 3
Mrd. US-$-Fonds bei dreifacher Überzeichnung zusammenzustellen.
Als Sungard Datasystems Anfang 2005 für 11 Mrd. US-$ an ein Konsortium von
PE-Unternehmen verkauft wurden, verging kaum ein Tag, an dem nicht neue Gerüchte
die Aktienkurse und den Herdentrieb an der Wall Street stimulierten – und bei den
Banken führten schon die bloßen Gerüchte durch spekulativen Käufe zu respektablen
Kommissionseinnahmen. Es folgten die Verkäufe von Unternehmen wie Nieman Mar-
cus (für 6 Mrd. US-$) oder Hertz (für 15 Mrd. US-$). Doch manchen Investor kosteten
seine Spekulationen sehr viel Geld, nämlich dann, wenn die generell sehr vorsichtigen
PE-Unternehmen bei zu hohen Aktienkursen (aufgrund des hohen Verschuldungsgrades
bei ihren Transaktionen) von ihrer Kaufabsicht wieder Abstand nahmen (z. B. im Falle
des Warenhauses Saks).
Praxisbeispiel
DaimlerChrysler
Im August 2008 konnte DaimlerChrysler erleichtert verkündigen, dass das Closing für die im Mai 2007
angekündigte Abgabe der Mehrheit an der Chrysler Group sowie für das dazugehörige nordamerikani-
sche Finanzdienstleistungsgeschäft für 5,5 Mrd. EUR (7,4 Mrd. US-$) an eine Tochtergesellschaft des
PE-Unternehmens Cerberus Capital Management, LP, New York, abgeschlossen sei. Eine Tochtergesell-
schaft von Cerberus übernahm 80,1 % an der neuen Chrysler Holding LLC; DaimlerChrysler behielt
einen Anteil von 19,9 %. Darüber hinaus hatten DaimlerChrysler und Cerberus vor dem Hintergrund
der sehr volatilen US-Kreditmärkte vereinbart, die Finanzierung der mehrheitlichen Übernahme von
Chrysler zu unterstützen. Beide Unternehmen würden dem Industriegeschäft der Chrysler Group eine
nachrangige Kreditlinie mit einem Volumen von 2 Mrd. US-$ zur Verfügung stellen, die innerhalb eines
Jahres zu ziehen sei. Auf DaimlerChrysler entfiel dabei ein Anteil von 1,5 Mrd. US-$.
Aufgrund der wachsenden Anzahl der am Markt tätigen PE-Unternehmen war auch der
Kampf um attraktive Zielunternehmen deutlich gewachsen, was auch die Preise nach
oben trieb. Und nicht selten wurden auch Beteiligungen von einem PE-Unternehmen
zum nächsten weitergereicht. Daraus erwuchs das Problem, dass bereits beim ersten
Eigentümer der Beteiligung – zur Realisierung eines finanziell attraktiven Ausstiegs –
die meisten der klassischen Werttreiber zur Anwendung gekommen waren.
Damit stellt sich die Frage, welche neuen Werttreiber einem zweiten Halter einer
Beteiligung noch zur Verfügung stehen, da auch dieser irgendwann nach einem attrak-
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tiven Ausstieg aus seinem Engagement sucht. Dabei spielten die sog. Buy & Build-Stra-
tegien (oder »Leveraged Build-up«, »Strategic Roll-up«, »Consolidation Play«) eine be-
deutsame Rolle: In einer fragmentierten, aber meist überdurchschnittlich wachsenden
Branche mit Konsolidierungspotenzial erwirbt ein PE-Unternehmen über einen LBO
eine erste, initiale Beteiligung. Diese sog. »Plattform« wird nach und nach durch eine
ganze Reihe weiterer Unternehmenskäufe aus der gleichen Branche ergänzt (»Add-on
Acquisitions«), um aus der wachsenden Größe der Gruppe Wirtschaftlichkeitsvorteile zu
ziehen. Aufbauend auf der Plattformstrategie sucht der Käufer nach Zielunternehmen
mit einem hohen strategischen Fit, um Synergien auszuschöpfen, die dem Verkäufer in
dieser Form nicht zur Verfügung stünden. Die Zielunternehmen bleiben dabei rechtlich
selbständige Einheiten.
Mit einem etwas »neidvollen Blick« schauten einige strategische Käufer auf die Er-
folge der PE-Unternehmen, die teilweise in kurzer Zeit erstaunliche Wertsteigerungen
bei ihren Anlageobjekten erzielen konnten. So konnte z. B. bei den Verkäufen von Dex
Media und Texas Genco innerhalb einer Jahresfrist der Einstiegspreis beim Ausstieg um
ein Vielfaches übertroffen werden. Die Ersten begannen sich zu fragen, ob die PE-Un-
ternehmen die »Konglomerate der Zukunft« sein würden.16
In dieser Phase waren es nicht nur ein paar wenige Branchen, die die Entwicklung vo-
rantrieben, sondern der Umbau der Wirtschaft der westlichen Industrieländer passierte
auf voller Breite: Insbesondere im Technologiesektor wurde akquiriert. Historisch be-
merkenswert war, dass im gleichen Jahr, in dem AT&T als »Mutter« der Telekommunika-
tionsbranche als unabhängiges Unternehmen verschwand, eine ablösende Technologie
(»Voice over IP«) durch den Verkauf des Start-up-Unternehmens Skype an Ebay beson-
dere Aufmerksamkeit erfuhr – wobei sich diese Transaktion später als nicht erfolgreich
herausstellte.
Exkurs
Wetten auf die Zukunft in der Finanzwirtschaft und Telekommunikationsbranche
Es kommt immer wieder vor, dass Branchen bezogen auf ihre zukünftige Entwicklung vor scheinbar
irreversiblen und einschneidenden Weggabelungen stehen. Um mit solchen Umwälzungen Schritt zu
halten, tätigen Unternehmen oft enorme Investitionen. Man ist nun entweder dabei, oder eben nicht.
So sind teilweise ganze Branchen Wetten auf ihre veränderte Zukunft eingegangen. In Erinnerung sind
z. B. die Milliardeninvestitionen, die viele Unternehmen der Automobilindustrie in den 1980er Jahren
in Form von Akquisitionen in Raumfahrtunternehmen tätigten. Annahme war, dass das vorhandene
technologische Know-how spielentscheidend für den eigenen zukünftigen Erfolg wäre. Doch wie sich
zeigte, gab es diese technologischen Synergien nur auf dem Papier.
Am 01.02.2005 schienen zwei solcher Wetten auf die Zukunft weitgehend verloren gegangen zu sein.
Die erste davon fand in der Finanzwirtschaft statt. 1998 erwarb die Bank Citigroup für 70 Mrd. US-$
(!) die Versicherung Travelers Group. Idee der spektakulären Transaktion war die Konvergenz der beiden
Branchen. Das Allfinanz-Konzept war geboren und zog viele Wettbewerber in seinen Bann. Doch die
Citigroup gab in 2009 bekannt, dass der zweitgrößte US-Lebensversicherer MetLife die Versicherung
Travelers Life für 11,5 Mrd. US-$ übernehmen werde, was faktisch den Ausstieg von Citigroup aus dem
Versicherungsgeschäft besiegelte. Das Sachgeschäft wurde schon in 2006 an St. Pauls Cos. für 16,5
16 Vgl. Financial Times vom 31.10.2006 »Shades of old conglomerates in private equity trend«.
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Mrd. US-$ abgestoßen. Die erhofften Synergien waren ausgeblieben, zumindest in dem Ausmaß, indem
sie die enormen Investitionen gerechtfertigt hätten.
Ähnlich fand eine zweite Wette in der US-Telekommunikationsbranche im Jahr 2006 ihren nicht mehr
überraschenden Abschluss: SBC Communications, die Nummer zwei in den USA, kündigte an, dass
sie für 16 Mrd. US-$ AT&T übernehmen wolle. Im Jahr 1984 wurde der Monopolist AT&T in einem
Antitrust-Verfahren in »Ma Bell« AT&T Corp. (zuständig für den Fernverkehr) und sieben für das Regi-
onalgeschäft zuständigen »Baby Bells«, die i. d. R. auch über die umkämpfte »letzte Meile« verfügen,
aufgespalten. Drei von ihnen fusionierten zu SBC, zwei zu Verizon, der Nummer eins in den USA. Viele
Versuche, AT&T neu zu positionieren, schlugen fehl. So etwa die Akquisition des Computerkonzerns
NCR und des Mobilfunkunternehmens McCall. Letzteres ging in AT&T Wireless auf und wurde 2004
von Cingular (Joint Venture zwischen SBC und Bell South) gekauft. Auch die teuer zusammengekauften
Kabelfernsehbetreiber wurden weit unter ihrem Einstandspreis an Comcast verkauft. Und die Hard-
wareaktivitäten wurden in Lucent Technologies abgespalten. Was verblieb, war das Telefongeschäft,
wobei das Festnetz zunehmend Konkurrenz durch die Mobil- und Internettelefonie erhielt. In beidem
war AT&T aber nicht relevant vertreten. Nach einem Gerichtsentscheid wurden auch die Gebühren für
die letzte Meile für AT&T erhöht, so dass die 25 Mio. Privatkunden für AT&T uninteressant wurden.
Einzig verbleibendes größeres Asset waren noch die 3 Mio. Geschäftskunden; SBC hoffte, bei diesen
mit anderen Diensten zusätzlich Geschäft machen zu können. Zudem erhoffte sich SBC Synergien aus
den weitgehend komplementären Infrastrukturen. Der über 130 Jahre alte Markennamen AT&T sollte
vorerst auch in den Bundesstaaten erhalten bleiben, in denen SBC nicht präsent ist. Nach 20 Jahren
bleibt lediglich die Frage, ob die Liberalisierung des US-Telekommunikationsgeschäft volkswirtschaftlich
wertschöpfend war.
17 In Deutschland war die Geschäftsleitung der Deutschen Börse bei ihrem Übernahmeversuch der
Londoner Börse seitens zweier Hedgefonds eines der ersten Unternehmen, das diesen zunehmenden
Aktivismus der Aktionäre zu verspüren bekam.
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Wie nicht anders zu erwarten war, so hatte auch die sechste M & A-Welle ein Ende
gefunden. Es gab dabei kein langsames Abschwingen, sondern – überrascht durch die
Schärfe der Krise in den Finanzmärkten und der im Dominoeffekt daraus folgenden,
durch Rezessionsängste geschürten Auswirkungen auf die verschiedenen Branchen (von
den Automobilherstellern auf deren Zulieferer etc.) – brach der Markt für Unterneh-
menskontrolle parallel zu den Aktienmärkten relativ abrupt und breitflächig ein. Klarer
Indikator war die Verschiebung bzw. Absage bereits angekündigter Transaktionen. Ende
2008 war das Volumen der abgesagten Transaktionen zum ersten Mal seit fünf Jahren
wieder größer als das der neu angekündigten. Auch wurde der Abschluss bei einer gan-
zen Reihe angekündigter Transaktionen hinausgezögert, um angesichts der ungewissen
Zukunft neu zu verhandeln.
2008 war eines der schwärzesten Jahre der Börsengeschichte und man entging nur
knapp einer Weltwirtschsaftskrise. Anfang März mehrten sich an der Wall Street die
Gerüchte, dass Bear Stearns erheblich im stark angeschlagenen US-Hypothekenmarkt
engagiert sei. Dem traditionsreichen Bankhaus drohte die Insolvenz, die eine Übernah-
me durch J. P. Morgan Chase gerade noch verhinderte, wobei allerdings die erforderliche
Finanzierungslinie in Höhe von 29 Mrd. US-$ von der US-Notenbank garantiert wurde.
Erstmals seit der Weltwirtschaftskrise hatte der Staat wieder den Zusammenbruch ei-
ner Bank verhindert. Wegen der hohen Ausfälle bei den Hypothekarkrediten (»Subpri-
me-Krise«) mussten auch die staatliche Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie
Mac mit 400 Mrd. US-$ vor dem Ruin gerettet werden. Die Steuerzahler mussten für die
Fehler krasser Fehlentscheidungen und Hybris im Bankmanagement einstehen. Wem
nicht mehr geholfen wurde ist der traditionsreichen Investmentbank Lehman Brothers,
die am 15.09.2008 ihre Insolvenz anmeldete. Schätzungsweise 28.000 Mitarbeiter ver-
loren ihre Arbeit.
Auch die starke Zunahme von »Distressed M & A« (im Unterschied zu »Healthy M & A«)
im Jahr 2009 zeigte, wie zugespitzt die Situation in manchen Branchen bzw. bei ein-
zelnen Unternehmen war. Es handelt sich dabei um Transaktionen, die aus der Not
heraus entstehen und unter höchstem Zeitdruck – und damit auch mit entsprechender
Ungenauigkeit – durchzuführen sind. Große Risiken gehen mit großen Chancen – we-
gen der meist sehr niedrigen Preise – Hand in Hand. Dazu zählten kurz nach Ausbruch
der Krise die meisten Transaktionen in der Bankenbranche, es folgten aber auch andere
Branchen, wie etwa die Automobilbranche mit den Unsicherheiten um die drei großen
US-Autokonzerne.
Ein wesentlicher Grund für die negative Entwicklung bei den M & A-Transaktionen
seit 2007 war die starke Zurückhaltung, die die Banken aufgrund der Schwierigkeiten
bei der kurzfristigen Refinanzierung bei der Vergabe von Krediten ausübten. Die Zu-
rückhaltung hatte auch nicht nur dazu geführt, dass die strategischen Käufer seltener
geworden sind, sondern auch dazu, dass die PE-Unternehmen – die in den USA zuvor
etwa ein Viertel des M & A-Volumens abdeckten – auf dem Markt kaum noch wahr-
nehmbar waren. Damit ging auch ein wichtiger Wettbewerbstreiber in Auktionen von
Unternehmen verloren. Doch auch auf der Verkäuferseite haben die durch die Rezes-
sionsängste geprägten Perspektiven generell das Preisniveau deutlich sinken lassen,
weshalb die Akteure tendenziell eher nicht verkaufen wollten, es sei denn, man musste.
Zerfallende EBIT-Multiples erzeugten auf der Käuferseite zudem eher eine abwartende
Haltung, da die Kaufobjekte später auch noch günstiger zu erstehen sein könnten.
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Die eingetretenen Wertvernichtungen der sechsten Welle lassen sich nur sehr schwer
bemessen, aber sie dürften um einiges höher ausfallen als die der fünften Welle. Allein
die Abschreibungen der Banken belaufen sich auf mindestens 1.500 Mrd. US-$. In dieser
Turnaround-Situation hatten die Unternehmen die Nase vorne, die Cashflow-stark waren
und sich nicht dem Druck zu einem möglichst weitgehenden »Leveraging« ihrer Bilanz
gebeugt hatten.18 Sie konnten sich ergebende Opportunitäten wahrnehmen. Sie konnten
aber auch zur Absicherung ihrer Geschäfte den eigenen Lieferanten und Kunden helfen,
finanziell kritische Situationen zu überstehen.
Was bleibt von der sechsten Welle? Erstens: M & A ist zum Standardrepertoire bei der
aktiven Portfolio-Entwicklung in Unternehmensgruppen geworden. Vor diesem Hinter-
grund ist anzunehmen, dass das untere Niveau, das nach der fünften Welle erreicht
war, in Zukunft kaum unterschritten werden dürfte.
Zweitens: Viele Unternehmen haben gelernt, auf der Unternehmensebene Know-how
zum Management von M & A aufzubauen, das die Fehlerrate bei Akquisitionen verrin-
gern dürfte. Dies gilt auch für das Management von Akquisitionsserien zur Umsetzung
neuer Unternehmensstrategien.
Drittens: Unternehmen gehen an das Thema M & A »nüchterner« und damit wohl
auch realistischer heran (teilweise nach dem Vorbild der PE-Unternehmen).
Viertens: PE-Unternehmen (und auch die Hedgefonds) konnten sich auf dem Markt
erfolgreich als wichtige Investorengruppe etablieren. Auch wenn am Ende der sechsten
M & A-Welle eine ganze Reihe von ihnen aus dem Markt gehen musste und die Rolle der
PE-Unternehmen als Investoren seit Ausbruch der Finanzkrise Mitte 2007 äußerst gering
ist, so werden sie als Käufertyp im Markt bleiben. Auch wenn ihr Handeln vermutlich
durch neue gesetzliche Vorschriften genauer geregelt werden wird (Transparenz etc.),
so haben ihre Managementprinzipien auch außerhalb der eigenen Branche Beachtung
gefunden. Auch das Potenzial, welches sich durch den Einsatz der durch PE-Unterneh-
men etablierten Wertsteigerungshebel ergibt, ist sicher noch nicht ausgeschöpft.
So rasant der Einbruch der Märkte war, so erstaunlich war ihre relativ schnelle
Erholung. Man ist zwar immer noch weit weg vom Höchststand im Jahr 2006, doch es
konnte bereits wieder eine ganze Reihe großer, strukturverändernder Akquisitionen ver-
zeichnet werden. Deals, wie etwa der Kauf von WhatsApp durch Facebook, bei dem das
Unternehmen bereit war für etwa 50 Mitarbeiter und die 450 Mio Nutzer von WhatsApp
19 Mrd. US-$ zu bezahlen, ließen wieder hoffen. Doch reichen diese Entwicklungen für
eine neue Welle aus? Wohl eher nein, denn die Treiber dieser Entwicklung sind ganz
unterschiedlicher Art, d. h. es fehlt eine gesamthafte ökonomische Logik, die es zu einer
M & A-Welle benötigt.
Doch was sind denn solche einzelnen Faktoren, die Deals dieser Jahre haben ent-
stehen lassen. Zum einen ist es sicher das nach wie vor extrem günstige Zinsumfeld,
das M & A derzeit begünstigt. Dann ist es der Effizienzsteigerungsdruck in Commodi-
ty-Branchen, wie etwa der Zementindustrie, der z. B. das Zusammengehen von Holcim
und Lafarge mit zu erklären vermag. Oder es ist der Wachstumsdruck, der mit den
Plattform-basierten Geschäftsmodellen verbunden ist, denn der Kunde profitiert dort
über die Netzwerkeffekte von der Größe. So hat z. B. Amazon offenbar neue Wege
gefunden, relativ problemlos jenseits der Grenzen der bislang durch das Unternehmen
bearbeiteten Branchen zu wachsen. Einige bemerkenswerte Transaktionen der letzten
18 Ende 2007 hatte Goldman Sachs mit einem Eigenkapital von 43 Mrd. US-$ Wertpapiere in Höhe von
1.000 Mrd. US-$ erworben.
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Jahre waren aber auch durch den tiefgreifenden Strukturwandel geprägt, dem sich
manche Branchen ausgesetzt sehen. So kann z. B. der Kauf des US-amerikanischen Zu-
lieferers für die Fahrzeugindustrie TRW durch ZF Friedrichhafen erklärt werden. Beide
Unternehmen bereiten sich mit dieser eher komplementären Wachstumsakquisition auf
Veränderungen wie z. B. das autonome Fahren vor.
Die Private-Equity-Branche, die ja als neue Kraft im Kapitalmarkt die sechste
M & A-Welle entscheidend prägte, sieht sich eher mit rückläufigen Zahlen hinsichtlich
attraktiver Targets und damit einhergehend steigenden Preisen konfrontiert, was das
Branchen-Konzept der Wertschöpfung erschwert. Diese muss daher immer stärker
durch operative Maßnahmen kreiert werden, um die gewohnt hohen Renditen weiter-
hin erhalten zu können.
Nach diesem Versuch die Entwicklung des Marktes für Unternehmenskontrolle in
Form von M & A-Wellen zumindest grob zu beschreiben, stellt sich die Frage, wie sich
das empirische Phänomen M & A allgemein erklären lässt.
19 Das Bruttoinlandsprodukt der USA hat sich von 1980 bis 2009 etwa verfünffacht.
20 Es gilt zu beachten, daß diese konsolidierte Betrachtung der M & A-Wellen Unterschiede in den
M & A-Entwicklungsmustern in den Branchen überdeckt. Diese bestehen aber, speziell dann, wenn
es bezogen auf die jeweiligen Branchen zu markanten Veränderungen in den gesetzlichen Rahmen-
bedingungen kam. Vgl. dazu Mitchell/Mulherin 1996.
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Private
1 Monopol- 22 Vertikali- 3 Konglome-
4 Merger 5 Mega- 6 Equity
bildung sierung ratsbildung Manie Merger
Dauer und •1897 bis 1899 •1916 bis 1929 •1963 bis 1969 •1982 bis 1987 •1991 bis 2000 •2003 bis 2006
Verlauf •Dauert nur drei •M-förmiger Verlauf: •Dauert 6 Jahre •Eher niedrig •Extrem steiler •Schnelle Erholung
Jahre 1916 bis 1920 und •Schneller und verlaufend und Anstieg über neun und Aufstieg zum
1921 bis 1929 steiler Anstieg schnell abstürzend Jahre Allzeithoch
Aufschwung •Industrialisierung •Vertikale M&A •Celler-Kefauer Act •Liberalisierung von •Vielzahl von •Private Equity-
der Wirtschaft führt dominieren von 1950 schränkt Monopol- u. Steu- Treiber: Globalisie- Unternehmen
teilweise zur •1916 bis 1920: nun auch vertikale ergesetzgebung rung & Konsolidie- etablieren sich als
Monopolbildung Kriegsgewinne Akquisitionen ein. •Deregulierung von rung, Liberalisier- dritte Kraft im
durch horizontale lassen die USA zur •Ausweichen auf Märkten ung & Deregulier- Kapitalmarkt
M&A größten Handels- unverbundene ung, Shareholder •Zunehmender
•Erhöhung des Fo-
nation werden. M& A (Diversifika- Value und Internet Shareholder-
kus auf das Kern-
•1921 bis 1929: tionstheorie) geschäft , aber •Mega-Merger, Aktivismus
»Goldene •Abhängigkeit von auch Eintritt in Merger of Equals ; •Umbau der west-
Zwanziger« führen Zyklen reduzieren neue Geschäfte Aktie als lichen Wirtschaft
zu Börsenboom Währung
Abschwung •Shermann Act von •1920/21: •1970: Schneller •1987: Crash der •2000: »Platzen des •2007: Die
1890 wird ab 1901 Rezession folgt auf Rückfall der Aktienmärkte Dotcom-Bubbles«: beginnende
unter Roosevelt Nachfragerück- Transaktionen auf •Verstärkt wurde Zweifel an »Subprime-Krise«
auch zur Anwen- gang nach Niveau wie zu dies durch den Werthaltigkeit löst eine gewaltige
dung gebracht: Kriegsende Beginn der Welle neuen automati- •Firmenzusammen- Finanzkrise aus,
Untersagt Abspra- •1929: Beginn der wegen Stagflation, sierten Handel brüche aufgrund die sich zu einer
chen und Monopol- lange anhaltenden Dollarabwertun- über Computer von Bilanz- globalen
bildung Weltwirtschafts- gen, stark steigen- fälschungen (z.B. Wirtschaftskrise
•Auch der Markt für
krise dem Ölpreis etc. Enron, WorldCom) ausweitet.
die neuen Junk
Bonds bricht ein. •»Distressed M& A«
Dominante •Vorteile aus •Vorteile aus •Vorteile aus •Vorteile aus •Vorteile aus •Vorteile aus
Wertsteige- Marktbeherrschung Beherrschung der Diversifikation und Unterbewertung globalen Finanzoptimierung
rungslogik Wertkette Risikostreuung Skaleneffekten
Ereignisse •1907: Erdbeben •1914–1919: •1973: Ende von •1990: Japan-Krise •11. September 2001 •2008: Insolvenz
von San Francisco Erster Weltkrieg Bretton Woods •1990/91: Golfkrieg •1993: Irak-Krieg von Lehmann
•1973: Ölkrise »Desert Storm« •1997/98: Asienkrise
Der Abstand zwischen den Höhepunkten der einzelnen Wellen scheint sich tendenziell
zu verkürzen: 30 Jahre (von 1899 bis 1929), 40 Jahre (von 1929 bis 1969), 18 Jahre (von
1969 bis 1987), 13 Jahre (von 1987 bis 2000) sowie sechs Jahre (von 2000 bis 2006).
Demzufolge ist die Frequenz der Wellen höher geworden, d. h. sie treten häufiger auf.
Bezogen auf diese M & A-Wellen stellt sich eine ganze Reihe von Fragen: Was sind
die Gründe, dass es überhaupt zu diesen Wellen kommt? Welches sind die Treiber dieser
Wellen? Was bestimmt die Höhe ihrer Ausschläge und was ihre Dauer? Warum verlieren
diese Wellen wieder an Kraft? Was löst die Richtungswechsel beim oberen und unteren
Wendepunkt der Wellen aus? An was lässt sich frühzeitig erkennen, dass es zu einem
solchen Richtungswechsel kommt? Etc.
Antworten auf diese Fragen sollen helfen das Phänomen M & A nicht nur empirisch
zu beschreiben, sondern es insgesamt auch besser zu verstehen. Dabei geht es weniger
um die Manager und deren Motive, M & A durchzuführen. Vielmehr sind die Manager
in dieser Betrachtungsweise Teil einer Entwicklung, derer sie sich kaum entziehen
können. Um erfolgreich handeln zu können, sollten sie diese Wellenvorgänge möglichst
gut verstehen. So sind sie in der Lage, entsprechend vorausschauend entscheiden zu
können: Dies würde heißen, ein Unternehmen z. B. auf dem Höhepunkt einer Welle zu
verkaufen, da es sich dann zumeist um einen Verkäufermarkt handelt und sehr hohe
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Preise bezahlt werden; oder z. B. auf dem Tiefpunkt einer Welle in neue Engagements
einsteigen, wenn viele Unternehmen stark unterbewertet sind. Wer diese Form des an-
tizyklischen Verhaltens beherrscht, kann erhebliche Vorteile daraus generieren.
Praxisbeispiel
Investor Warren Buffet
Ein Investor, der auf Basis der »Gegen-den-Trend«-Logik eine Vielzahl seiner Entscheidungen fällt, ist
Warren Buffet. So gelang ihm mitten in der Wirtschaftskrise Ende 2009 ein weiterer Überraschungs-
coup, als er ankündigte, dass seine Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway die Eisenbahngesellschaft
Burlington Northern Santa Fe für 44 Mrd. US-$ übernehmen werde. Er wettet damit darauf, dass der
Bahnverkehr entscheidend für das künftige Wachstum Amerikas sein wird – und dies in einer Zeit, in der
diese Branche durch die Krise schwer getroffen war. Ähnlich hatte er bereits in 2008 hohe Investitionen
in die US-Investmentbank Goldman Sachs und General Electric (GE) getätigt – als das M & A-Geschäft
im Prinzip zum Erliegen gekommen war.
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Eine andere, nicht weit davon entfernt liegende Theorie liefert Lambrecht (2004):
Er argumentiert, dass M & A als Antwort auf Veränderungen in den ökonomischen Rah-
menbedingungen verstanden und erklärt werden kann. Es würde sich bezogen auf den
Zustand der Wirtschaft (Boom oder Rezession) um ein prozyklisches Phänomen handeln,
d. h. es wäre damit vermehrt in Zeiten eines wirtschaftlichen Booms anzutreffen, eher
weniger dagegen in rezessiven Phasen der Wirtschaft.23 M & A-Wellen gingen damit
auch mit prosperierenden Aktienmärkten einher, da letztere der Akquisitionswährung
Aktie Auftrieb gewähren und generell von höherer Marktliquidität geprägt sind. Ent-
sprechend wirke auch ein rückläufiger Aktienmarkt auf Transaktionszahl und -volu-
men: So waren mehr oder minder ausgeprägte Rückgänge bzw. Crashs am Ende aller
Wellen zu verzeichnen: Welle eins im Jahr 1900, Welle zwei a und zwei b in den Jahren
1920 und 1929/30, Welle drei im Jahr 1970, Welle vier im Jahr 1987, Welle fünf im Jahr
2000 sowie Welle sechs im Jahr 2007. In der sechsten M & A-Welle liefen die Entwick-
lungen von Transaktionsanzahl und -volumen sogar dem Dow Jones Index voraus und
hätten somit eine Frühwarnfunktion übernehmen können.
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• Zur Zeit der vierten M & A-Welle wurden Investoren mit neuen Finanzierungsinstru-
menten (LBO) in die Lage versetzt, auch ohne viel Eigenkapital große Unternehmen
mit mehreren Geschäftsfeldern zu übernehmen. Die Vorteile lagen in deren Unterbe-
wertung. Sie wurden aufgebrochen und in Einzelteilen verkauft. Annahme war, dass
das Ganze weniger wert ist als die Summe seiner Teile.
• In der Phase der fünften M & A-Welle dachten die Käuferunternehmen, sie können
Vorteile aufgrund erst neuerdings global erschließbarer Skaleneffekte erlangen. Diese
ergaben sich einerseits aus der Deregulierung und Liberalisierung von Ländermärk-
ten, andererseits aber auch aus der Nutzung des Internets; diese Technologie ermög-
lichte es, innerhalb von nur wenigen Wochen Kundenstämme aufzubauen, für deren
Aufbau zuvor vielleicht Jahrzehnte vonnöten waren.
• Die Phase der sechsten M & A-Welle war sehr stark geprägt von den Vorteilen durch
finanztechnische Optimierung in einer Unternehmensgruppe. Dies geschah zu einem
wesentlichen Teil durch die neue Konkurrenz der PE-Unternehmen als Bieter auf dem
Markt für Unternehmenskontrolle; sie bedienten sich tendenziell anderer Wertstei-
gerungshebel als die klassischen Konzerne, was wiederum dazu führte, dass auch
bei diesen Unternehmen die Bereitschaft zu einem aktiven Portfolio-Management
wuchs.
Während zu Anfang einer M & A-Welle es zu einer Art Wette auf die neue Wertsteige-
rungslogik kommt, muss sich dann über die Zeit auch beweisen, ob diese Wette auch
der Wirklichkeit standhält. Bei der dritten Welle war dies beispielsweise nicht der Fall,
was zu deren Zusammenbrechen führte. Ein Zusammenbruch kann aber auch dadurch
ausgelöst werden, dass zu hoch gewettet wird, d. h. dass die Logik zwar greift, aber
nicht in dem Umfang, wie gegen Ende einer Boomphase von den Investoren angenom-
men wird.
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nicht passenden Randgeschäften getrennt etc. Geld aus der erfolgreichen Bewältigung
der vorangegangenen Rezession wartet auf Anlage. Sobald die Volatilität der Märk-
te wieder auf ein Normalniveau zurückgekehrt ist und die Nachfrage wieder etwas
wächst, suchen sie nun nach neuen Wachstumsimpulsen. Dazu zählt auch der frühe
Einstieg bei Unternehmen, die nun noch günstig bewertet sind. Dieser Umschwung
– und später oft auch noch der Aufschwung – wird vielfach noch durch ein niedriges
Zinsniveau begünstigt.
4.2 Aufschwung
Langsam entstehen erste Annahmen und Experimente zu neuen, zukünftig erschließ-
baren Wertsteigerungspotenzialen. Ihren Ausgang haben sie oft in Verwerfungen im
ökonomischen Umfeld. Dies können technologische Durchbrüche sein, geostrategi-
sche Veränderungen, neuartige Kundenbedürfnisse etc. Da Unternehmen aufgrund
damit verbundener Prognoseunsicherheiten auf derartige Verwerfungen unterschied-
lich schnell reagieren, entsteht eine breite Streuung der Zukunftserwartungen auf den
Unternehmensebenen, was sich z. B. in breiteren Spannen an Preisvorstellungen bei
M & A-Verhandlungen niederschlägt. Doch es kommt zu einer ersten Häufung, zumin-
dest individuell rationaler M & A-Transaktionen. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn
die dominante Logik zur optimalen Wertschöpfungstiefe von Unternehmen in einer
Branche zu kippen beginnt.
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2) Oracle will Sun übernehmen: »I am very surprised. I have to think about it.« – so soll die spontane Re-
aktion von Steve Ballmer, CEO von Microsoft, gewesen sein, als er am 20.04.2009 davon hörte, dass
Oracle für 7,4 Mrd. US-$ Sun übernehmen werde. Der Preis wurde mit 9,50 US-$ pro Aktie beziffert,
was in etwa einem 8-fachen EBIT-Multiple entspricht. Oracle ist im Kern ein Softwareunternehmen
(Datenbanken und Unternehmenssoftware). Seit 2005 hat Oracle ca. 30 Mrd. US-$ in den Kauf von
etwa 50 Unternehmen wie People-Soft, Siebel oder BEA investiert. Sun ist dagegen im Kern nicht nur
ein Hardwareunternehmen (Server und Speichergeräte/-einheiten). Die Speicherhardware musste
immer mit der passenden Software zu einem Speichersystem gekoppelt werden. Das Unternehmen
hatte sich nie so richtig vom Platzen der Dot.com-Blase erholt, und es war kein Geheimnis, dass
es auf der Suche nach einem passenden Käufer war. Im Portfolio von Sun gab es zwei Perlen für
Oracle. Die eine war die Programmiersprache Java, mittels derer viele Unternehmenssoftwarepakete
und auch die Software von Mobiltelefonen betrieben werden. Die andere war Solaris, ein Betriebs-
system auf dem viele Oracle-Datenbanken laufen. Über beides verfügen zu können, würde Oracle
verschiedene Optimierungsmöglichkeiten bieten. Auch verfügte Sun über eine große Anzahl von
Open Source-Software und -Unternehmen. Sun erwarb diese Software in der Hoffnung, dass deren
Nutzer dann die teuren Sun-Geräte kaufen würden. War diese Akquisition damit eine Transaktion,
die primär auf die Software-Assets von Sun abzielte, und würde Oracle deshalb die Hardware bald
wieder abstoßen?
Neben diesen beiden Transaktionen ließen sich weitere Indizien ausmachen: Vertikal diversifiziert hat
z. B. auch Hewlett-Packard (HP) mit dem Kauf des IT-Dienstleisters Electronic Data Systems Corp. (EDS)
(und schon vor längerer Zeit mit der Übernahme der Beratungsaktivitäten von PricewaterhouseCoopers
(PwC)). Ein anderes Beispiel ist Cisco. Das Unternehmen wollte mit einer Reihe von Allianz-Partnern
beginnen, Server im Sinne von Datenzentren zu bauen. Waren dies nun alles Sonderfälle oder sind dies
Hinweise auf einen fundamentalen Wandel der Logik, nach der die Wertschöpfungsarchitekturen der
führenden Unternehmen in dieser Branche konzipiert sind?
Der Aufschwung gewinnt dann Momentum, wenn die M & A-Investitionen derer, die
zuerst ihre Wetten auf eine neue Wertschöpfungslogik abgeschlossen haben, mit po-
sitiven Bewertungsziffern belegt werden. Steigende Aktienpreise und geringe Zinsen
beschleunigen in dem Fall die M & A-Aktivitäten.24 Ermuntert durch die ersten Erfolge
kommt es zum »Finetuning« der neuen dominanten Wertsteigerungslogik.
Angelockt durch die Erfolge der Pioniere und frühen Nachahmer schwenken nach
und nach immer mehr Unternehmen auf den gleichen Kurs ein. Topmanager haben es
immer schwerer, sich zu legitimieren, wenn sie nicht in ähnlicher Art und Weise agie-
ren. Mimetisches Verhalten (»Herdentrieb«) setzt ein. Es kommt zu eigendynamischen
und selbstverstärkenden Effekten, z. B. wenn – teilweise bereits rational nicht mehr
nachvollziehbare – Kurssteigerungen wieder zu neuen Investitionsmöglichkeiten (»Aktie
als Währung«) verhelfen. Es wird eine Welle neuer Akquisitionen ausgelöst, wenn sich
Käufer mit sog. »Me Too Acquisitions« der Modeerscheinung anschließen. Da die Ban-
ken im Allgemeinen davon profitieren, entwickeln sie oft auch Bewertungsmodelle, die
die Werthaltigkeit derartiger Investitionen »nachweisen«. So entstehen wechselseitige
Verstärkungsmechanismen, und in der Spitze eines Booms besteht ein wahrer »Run«
auf Zielunternehmen, verbunden mit entsprechenden Preissteigerungen. Unternehmens-
leitungen, die nicht »auf Einkaufstour gehen«, kommen oft unter Legitimationsdruck
bezüglich der Frage, warum sie diese »Jahrhundertchance« nicht wahrnehmen.
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4.4 Abschwung
Wurde der obere Wendepunkt durchschritten, so kippen (bei einem abrupten Absturz)
fast über Nacht alle Regeln, die noch ein paar Tage zuvor unumstößlich für ein erfolgrei-
ches Agieren erschienen. Sie verkehren sich in ihr Gegenteil mit teilweise fatalen Folgen.
Dass es tatsächlich zu einem Abschwung kommt, kann verschiedene Ursachen haben:
1. Die zur jeweiligen Wertsteigerungslogik gehörende Basisannahme hat sich nicht be-
stätigt. Viele durchgeführte Transaktionen stellen sich als enttäuschend heraus. Dies
trifft insbesondere auf die dritte Welle (»Conglomerate Era«) zu, als sich Ende der
1960er Jahre langsam herausstellte, dass die unter Risikoaspekten sehr breit und
unverwandt diversifizierten Konglomerate eine schlechtere Performance zeigen.
2. Jede Welle produziert »Standards« manageriellen und systemischen Verhaltens, die
in einem Boom in der Endphase zu extrem spekulativen Handlungsannahmen füh-
ren können. So entbehrten die in den Bewertungsansätzen Ende der 1990er Jahre ge-
troffenen Annahmen oft jeder Rationalität, was zu einer »spekulativen Überhitzung«
des Systems und – z. B. beim Platzen der Internetblase – auch zum Crash führen
kann.
3. Die Rahmenbedingungen haben sich so geändert, dass dadurch der dominanten
Wertsteigerungslogik ihre Gültigkeit entzogen wurde. Neue Gesetze, innovative
Technologien oder eine veränderte politische Situation sind Beispiele hierfür. Dies
trifft z. B. auf die erste Welle zu, als mit der tatsächlichen Anwendung des Sherman
Antitrust Act durch die Regierung Roosevelt die Möglichkeiten zur Monopolbildung
stark unterbunden wurden.
Mit dem Abschwung verbunden ist häufig eine Verschlechterung der ökonomischen
Rahmenbedingungen: Eine rezessive Phase der Wirtschaft nimmt ihren Lauf; nicht
selten verbunden mit einem Crash der Kapitalmärkte. Die Bewertungsziffern der Unter-
nehmen sind eher negativ belegt. Die Kapazitätsauslastung der Industrie ist rückläufig.
Natürlich gibt es in einem Abschwung auch gegenzyklische M & A-Aktivitäten ein-
zelner Akteure.25 Diese Akquisitionen sind jedoch meist eines anderen Typs, als die im
Aufschwung getätigten Transaktionen. Die Käufer nutzen die fallenden Preise und die
oft aus Notlagen heraus geborenen Kaufgelegenheiten. Solche Transaktionen werden
demnach oft von Desinvestitionen ausgelöst. Meist sind sie nicht expansiv angelegt,
sondern eher auf eine Konsolidierung ausgerichtet.26
25 Maksimovic/Philips 2000.
26 Lambrecht/Meyers 2004.
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• Wachstum: Es ist hinlänglich bekannt, dass das Wachstum ein wesentlicher Wer-
treiber des Unternehmenswertes ist. Im Aufschwung, auf Basis einer guten Bör-
senbewertung und bei Verfügbarkeit von billigem Geld, wird deshalb das Thema
Wachstum forciert. Doch im Abschwung, wenn die Kunden bei sinkender Nachfrage
wählerischer werden, zeigt sich häufig, dass ein Teil dieses Wachstums noch ohne
Substanz ist. Dann müssen teure Rückzugsgefechte geführt werden. Zum Beispiel
müssen neue Aktivitäten unter ihrem Einkaufspreis wieder veräußert werden.
• Opportunistisches Verhalten: In Boomphasen neigen Unternehmen dazu, Geschäfte
aufzugreifen, in denen gerade gutes und schnelles Geld verdient wird. Doch was
heißt dies, wenn diese neuen Tätigkeitsfelder nicht zum Geschäftsmodell passen
oder das Unternehmen von ihnen nicht genug versteht. Dann entpuppen sie sich
häufig als Fehlinvestitionen, weil das Unternehmen unüberschaubare Risiken einge-
gangen ist. Dazu zählen bspw. die Ausflüge der dem »One Bank«-Ansatz folgenden
Banken in die Bereiche des Investmentbankings jenseits des für das integrierte Ge-
schäftsmodell erforderlichen Beratungsgeschäfts.
• Kapitaldecke: Im Aufschwung werden Unternehmen von den Analysten häufig ge-
scholten, wenn sie ihr Eigenkapital nicht besser »leveragen«. Durch solche Maßnah-
men lässt sich relativ leichtfüßig die Eigenkapitalrentabilität verbessern, und zudem
lassen sich Fremdkapitalzinsen auch steuerwirksam abziehen. Mit Blick auf den
vollen Zyklus kann ein zu starkes Ausreizen dieser Logik im Abschwung verhängnis-
voll werden: »Cash is King!« – wie es dann heißt. Dies kann z. B. zu Problemen bei
der Refinanzierung fälliger Kredite führen. Oder es können günstige Gelegenheiten
z. B. zum Kauf angebotener Unternehmen im Sinne antizyklischer Investitionen nicht
wahrgenommen werden.
• Schuldenlast: Eine Aufschwungphase wird meist durch billig aufzunehmendes Geld
begünstigt. Das heißt, dass sich auch Akquisitionen leicht finanzieren lassen. Da-
mit kumulieren sich aber auch auf der Passivseite der Bilanz die Schulden. Müssen
diese im Abschwung dann refinanziert werden, sehen sich Unternehmen plötzlich
aufgrund gestiegener Risikoprämien deutlich höheren Belastungen gegenüber.
• Goodwill: Auf der Aktivseite der Bilanz haben die Akquisitionen aus der Phase des
Aufschwungs häufig die Kumulation einer hohen Goodwill-Position (als Folge der bei
der Akquisition gezahlten Prämie auf die erworbenen Vermögenswerte) zur Konse-
quenz. In der Abschwungphase kann dies zu erheblichen Wertberichtungen Anlass
geben, die das Eigenkapital belasten. In einem völlig veränderten wirtschaftlichen
Umfeld wird man sich ein neues Bild von der Werthaltigkeit des bilanzierten Good-
wills machen müssen.
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Erreichen des Jahresziels gebundenen Bonus noch zu retten. Damit wird jedoch der
Turbo auf der Fahrt in die Krise eingeschaltet. Ein Unternehmen verantwortungsvoll zu
führen heißt jedoch, neben all den Kurzfristanforderungen, die es zu bedienen gilt, bei
den Entscheidungen zumindest einen vollen Zyklus im Visier zu haben.
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52 |
Teil
1 Einleitung
2 Überblick über die Marktentwicklung
3 Wesentliche Transaktionen
4 Transaktionsstrukturen und Übernahmeprämien
5 Wesentliche Treiber der Marktaktivitäten
5.1 Feindliche Übernahmen
5.2 Finanzinvestoren
5.3 Staatsfonds als neue Käufergruppe
6 Warten auf die nächste M & A-Welle
1 Einleitung
Ein Rückblick auf die globalen M & A-Aktivitäten über die zwei Jahrzehnte seit 1990
deckt die wohl interessanteste Phase ab, die der Markt für Unternehmen je gesehen hat
– nie zuvor waren die Volumina höher, die Strukturen aggressiver und die Ausschläge
größer. Einige der besten und leider auch sehr viele der schlechtesten Transaktionen
aller Zeiten wurden in den letzten 20 Jahren getätigt. Der vorliegende Rückblick fokus-
siert auf die wesentlichen Trends und empirischen Beobachtungen in der Entwicklung
des weltweiten M & A-Marktes und greift einige der prägenden Marktteilnehmer und
Transaktionen heraus.
* Kai Tschöke, Managing Director, Rothschild GmbH, Frankfurt a. M.; Martin Mailänder, M & A Ana-
lyst Intern, Rothschild GmbH, Frankfurt a. M.
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500 1600
400
1200
300
800
200
400
100
0 0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
1)
Angekündigte Transaktionen je Quartal MSCI World Index
Abb. 1: Angekündigte weltweite M & A-Transaktionen vs. MSCI World Index von 1990 bis 2014 (Quelle: Thomson
Reuters)
Der Einbruch der M & A-Aktivitäten als Folge gesunkener Börsenkurse ließ sich ins-
besondere nach der Internetwelle leicht begründen: Aufgrund des hohen Anteils an
aktienfinanzierten Unternehmensübernahmen sank mit den Kursen auch die relative
Opportunität des Einsatzes hochbewerteter eigener Aktien als Akquisitionswährung
für den Erwerber. Bei der Leveraged-Welle, die sehr stark von Barakquisitionen sowohl
durch strategische Erwerber als auch durch Finanzinvestoren geprägt war, war aller-
dings viel stärker die substanzielle Verengung der Kreditmärkte der Auslöser, die das
Geschäftsmodell der Finanzinvestoren fundamental infrage stellte und bei den Unter-
nehmern zu einer Priorisierung der Mittelbereitstellung für das operative Geschäft im
1 Müller-Stewens 2010a.
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Gegensatz zur externen Expansion führte. Darüber hinaus nimmt die Risikoneigung
des Erwerbers in einem unsicheren Marktumfeld selbst bei ausreichend vorhandener
Liquidität zur Finanzierung von Unternehmenserwerben substanziell ab. Die Gefahr
des »noch zu teuer« Einkaufens angesichts hoher Planungsunsicherheit beim Zielun-
ternehmen, die nur teilweise über Sicherheitsabschläge adressiert werden kann, und
eine Trägheit der Preiserwartungen beim Verkäufer – der Marktkorrekturen meist nicht
zeitgleich in seinen Wertvorstellungen reflektiert – führen zu einem Auseinanderdriften
der Marktseiten, so dass auch viele bereits weit vorangeschrittene Transaktionen nicht
mehr zum Abschluss gebracht werden.
Bei einem Vergleicht der M & A-Aktivitäten mit den ökonomischen Gesamtaktivitä-
ten zeigt sich eine relativ höhere gesamtwirtschaftliche Relevanz des M & A-Booms in
der Internetphase gegenüber der jüngsten kreditinduzierten Hochphase. Belief sich das
gesamte M & A-Volumen in den Jahren 1999 und 2000 auf 10 % des weltweiten Brut-
tosozialproduktes, ging dies bis 2002 auf 4 % zurück und erreichte 2006 und 2007
nurmehr 8 % der weltweiten Wirtschaftsleistung – obwohl nominal höher, war das
Gesamttransaktionsvolumen in der sechsten M & A-Welle somit real kleiner als in der
vorangegangenen Phase.
3 Wesentliche Transaktionen
Die Liste der größten Transaktionen (vgl. Abb. 2) verdeutlicht eindrucksvoll, wie viel
enger der Übernahmemarkt um die Jahrtausendwende im Vergleich zur volumenmäßig
stärkeren Phase von 2005 bis 2007 war. Relative wenige, aber sehr große Transaktionen
prägten das Bild, und der Fokus lag auf sehr wenigen Branchen – im Jahr 2000 machten
Telekom/Medien/Technologie insgesamt 45 % des gesamten M & A-Transaktionsvolu-
mens aus.
Unter den Top 15-Transaktionen in der Zeit von 1990 bis 2009 befanden sich 8 Er-
werbe im Bereich Telekom/Internet; 12 der 15 Transaktionen fanden im Zeitraum 1998
bis 2001 statt. Im Vergleich dazu war die sechste M & A-Welle breit über nahezu alle
Branchen abgestützt, bei einer insgesamt geringeren Durchschnittsgröße der Transak-
tionen. Herauszuheben ist allerdings der Anteil von Erwerben durch Finanzinvestoren,
der 2007 bei fast 23 % lag.
A
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1) O
hne die Abspaltung von Philip Morris von Altria (Volumen 113 Mrd. US-$) im Jahr 2007, da sich diese Transaktion
ausschließlich an die eigenen Aktionäre richtete
Abb. 2: Top 15 globale M & A-Transaktionen von 1990 bis 2009 (Quelle: Dealogic, Eigene Analyse)
3.500 1.000
3.000
800
2.500
600
2.000
1.500
400
1.000
200
500
0 0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Anzahl Transaktionen
US-Ziele 445 398 462 535 702 842 1003 1102 954 1028 1018 510 406 485 492 568 696 732 628 449 521 511 519 493 560
Europ. Ziele 401 363 357 333 350 460 557 562 642 935 1050 618 668 691 734 847 998 1146 963 617 773 775 747 701 691
Sonstige Ziele 148 242 204 282 320 418 573 724 793 1037 1251 964 853 1045 1161 1452 1693 2277 2035 1952 2126 2090 1957 1986 2447
1) Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 Mio. US-$.
Abb. 3: Weltweite M & A-Aktivitäten nach Regionen von 1990 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)
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100 %
11 14 9
18 17 20 20 17 17 14 16
23 28 23 20 18 18 19 18
29 33 30 33
80 % 45 43
45 45 54
40 41 40 37
60 % 47 42
52 51 52
58 60 60 59 53 44 53
50
40 % 49 51 51
40
42
43 45 43 45 44 41 37
20 % 39
24
31
24 28 24 29 35 29
22 21 20 21 18 20 17
13 16
0%
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Ausschließlich Barmittel Barmittel und Aktien Ausschließlich Aktien
Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 Mio. US-$.
Abb. 4a: Weltweite Akquisitionen nach Zahlungsmitteln (Transaktionsvolumina) von 1990 bis 2014 (Quelle:
Thomson Reuters)
100 % 6 6 6 7 6 6 7 6
11 10 12 13 11 15 16 15 10 8 8 8 8 8 9
17 12
80 %
43 43 45 45
53 53 49 48 49 51 48 48
Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 Mio. US-$.
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100 % 6 6 6 7 6 6 7 6
11 10 12 13 11 15 16 15 10 8 8 8 8 8 9
17 12
80 %
43 43 45 45
53 53 49 48 49 51 48 48
50 47 43 48 50 53 58 58
60 % 51 48 50 47 52
40 %
51 51 48 48
20 % 41 41 39 43 45 40 39 34 35 35 36 36 37 34 34 43 45 43 43 44 45
0%
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Ausschließlich Barmittel Barmittel und Aktien Ausschließlich Aktien
Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als 100 Mio. US-$.
Abb. 4b: Weltweite Akquisitionen nach Zahlungsmitteln (Anzahl der Transaktionen) von 1990 bis 2014 (Quelle:
Thomson Reuters)
60 400
50
300
40
30 200
20
100
10
0 0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Abb. 5: Globale Transaktionsprämien vs. MSCI World Index von 1990 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)
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enangeboten, der in der Spitze im Jahr 2008 10 % erreichte. Auch daran lässt sich eine
Abgrenzung zum Transaktionsmodus der Jahrtausendwende erkennen: ein höherer Fo-
kus der Investoren auf die Verwässerungsthematik und damit die Abkehr von der Aktie
als »billiger Papierwährung«, die unbegrenzt zur Verfügung steht.
Mrd. US-$
300
263
250
200
150
103
100 71
57 48 52
44
50 23 26 18 32
16 13 19 10 11 14
5 2 4 1 2 5 1 1
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Abb. 6: Volumina feindlicher Übernahmeangebote von 1990 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)
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In den Folgejahren und insbesondere in der nächsten M & A-Hochphase entfiel ein sub-
stanzieller Teil feindlicher Übernahmeversuche auf europäische Ziele (vgl. Abb. 6).
Neben dem sehr aktiven Grundstoffbereich mit BHP Billiton/Rio Tinto oder Xstrata/
Anglo American sind Sanofi/Aventis, Total/Elf oder Gas Natural/Endesa zu nennen, in
Deutschland Merck/Schering und Schaeffler/Continental.
Abb. 7: Top 10 feindliche Übernahmeangebote von 1990 bis 2009 (Quelle: Dealogic, Eigene Analyse)
5.2 Finanzinvestoren
Wenn es eine Erwerberbranche gab, die die M & A-Hochphase von 2005 bis 2007 ge-
prägt hat, dann waren dies die Finanzinvestoren. Das Transaktionsvolumen in diesem
Segment erreichte in den Jahren 2006 und 2007 ein nie gesehenes Rekordvolumen, und
in der Spitze machten die Käufe von Finanzinvestoren fast 23 % am Gesamtvolumen
des globalen M & A-Marktes aus. Ermöglicht wurde diese Einkaufswelle durch ein sehr
hohes Angebot an Kreditfinanzierungen für Unternehmen unterhalb eines Investment
Grade Ratings, sog. Leveraged Buyout (LBO)-Finanzierungen. Das Volumen der durch-
geführten LBO-Finanzierungen verdreifachte sich in den Jahren 2004 bis 2007 von 500
Mrd. US-$ auf 1.500 Mrd. US-$. Die Eigenkapitalinvestoren in den Private Equity-Fonds
gingen dabei das hohe Tempo mit: 2007 und 2008 waren die beiden historisch stärksten
Jahre bezogen auf das insgesamt von Finanzinvestoren eingesammelte Kapital.
Obwohl in dieser Phase sicherlich fast jedes namhafte Unternehmen der Finanzie-
rungsanalyse durch die Private Equity-Branche unterzogen wurde, ist es auffallend, dass
fast alle tatsächlich durchgeführten Großtransaktionen in den USA stattfanden. Angeführt
vom Erwerb des Versorgers TXU durch Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) und Texas
Pacific Group (TPG) mit einem Volumen von 44 Mrd. US-$ über Immobilien (Equity Of-
fice), Gesundheit (Hospital Corporation of America, kurz: HCA) oder Casinos (Harrah’s)
sind bei neun der zehn größten Private Equity-Erwerbe amerikanische Zielunternehmen.
Nur der Erwerb des britischen Flughafenbetreibers BAA durch Ferrovial im Jahr 2006, mit
30 Mrd. US-$ die viertgrößte Transaktion durch Finanzinvestoren, ist eine europäische.
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Für die meisten Investitionen dieser Boomphase – die Top 10-Transaktionen fanden
sämtlich im Zeitraum von nur 16 Monaten zwischen März 2006 und Juli 2007 statt –
steht die endgültige Beurteilung noch aus. Bei einer signifikanten Anzahl von Trans-
aktionen, bei denen das gewählte Verschuldungsniveau nicht krisenadäquat oder teils
einfach nicht branchengeeignet war – ex post gilt dies z. B. für die Automobilzulieferin-
dustrie –, mussten Finanzinvestoren aber auch schon substanzielle Vermögensverluste
realisieren. Die Folge wird ein Selektionsprozess in der Branche und eine stärkere Er-
folgskontrolle durch die dahinterstehenden Geldgeber sein.
Anfang 2010 stellt sich die Situation vieler Finanzinvestoren daher so dar, dass einer-
seits substanzielle Anlagemittel zur Verfügung stehen und daher ein erheblicher Inves-
titionsdruck besteht, andererseits die Renditeerwartungen der Anleger vor dem Hinter-
grund der nur relativ niedrig möglichen Verschuldungsgrade in den meisten Situationen
nicht erfüllt werden können, wenn es Konkurrenz durch strategische Investoren gibt.
In einem normalisierten Finanzierungsumfeld wird Private Equity aber auch weiterhin
als ein veritabler Spieler im Markt für Unternehmenserwerbe auftreten.
3 DFIC: Dubai International Financial Centre; Mubadala: Mubadala Development Company; ADIA:
Abu Dhabi Investment Authority; IPIC: International Petroleum Investment Company; QIA: Qatar
Investment Authority.
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700 1.200
600 1.000
500
800
400
600
300
400
200
100 200
0 0
1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
1) Beinhaltet Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr
als 100 Mio. US-$, bei denen Finanzinvestoren als Käufer auftreten.
Abb. 8: Weltweite M & A-Transaktionen mit Finanzinvestoren als Käufer von 1997 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)
60
53
50
40
30 32
29
30 26
24
20 16
12 11
8
10
2 1 2 1 1
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Definiert als M& A-Transaktionen mit einem Unternehmenswert (aggregierter Wert) von jeweils mehr als
100 Mio. US-$, bei denen das Zielunternehmen aus Europa und das bietende Unternehmen bzw.
die Muttergesellschaft aus dem Mittleren Osten, Singapur oder China stammt.
Abb. 9: Europäische M & A-Transaktionen mit Staatsfonds oder staatseigenen Unternehmen als Käufer
von 2000 bis 2014 (Quelle: Thomson Reuters)
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Eine schnell wachsende Bedeutung kommt auch den SWFs aus dem asiatischen Raum
zu, insbesondere aus China (CIC) und Singapur (Temasek, GIC). Neben reinen Finanz-
beteiligungen liegt ein Fokus auf der langfristigen Sicherung des Zugangs zu Rohstoff-
quellen, unterstrichen u. a. durch Transaktionen mit Rio Tinto oder Unocal.4 Letzteres
Beispiel (der Erwerb dieses Erdölunternehmens durch ein staatsnahes chinesisches Un-
ternehmen wurde von der US-Regierung untersagt) illustriert aber auch die Akzeptanz-
probleme von Staatsfonds als Investoren in Schlüsselindustrien.
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men in den nächsten Jahren wieder deutlich ansteigen wird. Und es bleibt auch noch
etwas Zeit, den Katalysator für die nächste Welle zu entwickeln – zwischen den Spitzen
der letzten beiden Wellen lagen immerhin sieben Jahre.
Literatur
Bridges, S./Cristerna, H. (2009): The Era of Globalized M & A. Thomson Reuters and J.P. Morgan, 2009.
Cools, K./Gell, J./Kengelbach, J./Roos, A. (2007): The Brave New World of M & A. The Boston Consul-
ting Group, Juli 2007.
Ecker, M. (2010): Die sechste M & A-Welle – was blieb davon übrig nach der Finanzkrise? In: M & A
REVIEW, 20. Jg., Nr. 1, 2010, S. 1924.
Gell, J./Kengelbach, J./Roos, A. (2009): Be Daring When Others are Fearful. The Boston Consulting
Group, 2009.
Müller-Stewens, G. (2010a): M & A als Wellen-Phänomen. Analyse und Erklärungsansatz. In: Müller-Ste-
wens, G./Kunisch, S./Binder, A. (Hrsg.): Mergers & Acquisitions. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2010,
S. 14–44.
Müller-Stewens, G. (2010b): Vodafone/Mannesmann: Der größte M & A-Deal aller Zeiten. In: Müller-Ste-
wens, G./Kunisch, S./Binder, A. (Hrsg.): Mergers & Acquisitions. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2010.
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64 |
Teil
Die Versicherungsbranche hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die
weltweite Finanzkrise im Jahr 2008 hat zum Teil auch einst führende Versicherer bzw.
Finanzkonglomerate im Mark erschüttert bis hin zu staatlichen Eingriffen. Für die
restlichen Versicherungskonzerne geht es darum, sich strategisch neu zu positionieren,
und für extreme Zinsszenarien gerüstet zu sein. Aufgrund des Rückgangs von versi-
cherbaren Risiken in Europa und Nordamerika bleiben die Wachstumsprognosen für
viele Versicherer über die nächsten Jahre gedämpft. Ein verstärkter Fokus auf Emerging
Markets ist die Folge.
Wurde einmal die Entscheidung für einen Markteinstieg in eines der Länder der
Emerging Markets via M & A getroffen (im Gegensatz zu einem reinen »Green Field«-Ein-
stieg in den Markt), geht es in einem nächsten Schritt um die Wahl einer Zielgesell-
schaft. Dabei spielt die Größe eine zentrale Rolle. Versicherer haben typischerweise die
Wahl zwischen einigen wenigen marktführenden, vormals staatlichen oder quasi-staat-
lichen Versicherungsgesellschaften und einer Anzahl von kleineren bis mittelgroßen,
zum Teil gut etablierten Konkurrenten.
Auf der einen Seite hat ein Kauf einer führenden Versicherungsgesellschaft unbe-
strittene Vorteile – vor allem bei der Erreichung von mit Skaleneffekten verbundenen
Vorteilen wie z. B. Größe des Vertriebsnetzwerkes, Kostenvorteile, gut etablierte Marke,
tiefe Verankerung und Akzeptanz im lokalen Markt. Auf der anderen Seite sehen sich
Käufer oftmals mit Nachteilen konfrontiert – vor allem mit rückgängigen Marktanteilen,
komplizierten Besitzverhältnissen, Reputationsrisiken, Altlasten und einer Unterneh-
menskultur, die eine nachfolgende Integration vor allem für zentral geführte westliche
Unternehmen schwierig macht. Dazu kommen häufig Schwierigkeiten, einen Mehr-
heitsanteil einer Gesellschaft zu erwerben. Angesichts dieser erheblichen finanziellen
und reputationsbezogenen Risiken schrecken viele Unternehmen vor dem Erwerb eines
solchen früheren Mono- oder Oligopolisten zurück.
Viele Käufer konzentrieren sich daher auf kleinere bis mittelgroße Versicherer. Oft-
mals können diese zu einer Mehrheit oder gar zu 100 % übernommen werden. Dies
wiederum vereinfacht die operationale Führung und ermöglicht eine finanzielle Kon-
solidierung. Letzteres erlaubt es einem Käufer, das Wachstum direkt in der Erfolgsrech-
nung und nicht nur in der Bilanz auszuweisen. Auch wenn die mit einem kleineren Kauf
verbundenen Transaktionskosten erheblich bleiben, bilden kleinere Zielgesellschaften
* Prof. Dr. Andreas Grünbichler, Chief Financial Officer und Vorstandsmitglied Wüstenrot Gruppe,
Salzburg, Titular- und Honorarprofessor, Universität St. Gallen (HSG)/Universität Wien, St. Gallen/
Wien; Peter Hirs, Chief Financial Officer, Zürich Versicherungsgesellschaft AG Schweiz, Zürich.
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oftmals eine attraktive Alternative zwischen einem Green Field-Einstieg und einem
risikobeladenen, größerem finanziellen Abenteuer in einem oftmals fremden Markt.
Das Bild von kleineren bis mittelgroßen Versicherern ist oft gemischt, was das Aus-
wahlverfahren umso schwieriger macht und eine Anpassung der Due Diligence erfor-
dert. Geht es bei größeren Zielgesellschaften mehr um die Identifizierung von Synergien
und möglichen Altlasten (z. B. finanzielle Buchhaltung, Reservierung von Schäden),
steht die Frage im Vordergrund, wie skalierbar die Infrastruktur und das Vertriebsnetz-
werk der Zielgesellschaft ist. Diesem Aspekt kommt eine zentrale Bedeutung zu, und er
ist insbesondere für die Festlegung des Kaufpreises maßgebend.
Wachstumsaussichten werden i. d. R. eher überbewertet, und der traditionelle Dis-
counted Cashflow (DCF)-Ansatz kommt an seine Grenzen. Prognosen zum Wachstum
des Marktes und zu Entwicklung der Zielgesellschaft über die nächsten 20 Jahre sowie
Annahmen über Umrechnungskurse zwischen lokalen Währungen und einer der Leit-
währungen sind keine Seltenheit. Dass es dabei zu erheblichen Fehleinschätzungen
kommt, kann nicht überraschen, vor allem auch, weil oftmals die i. d. R. erst kürzlich
eingetretene Verbesserung des Marktumfeldes und Unternehmensergebnisses linear
über die nächsten 20 Jahre projiziert werden. Die für Emerging Markets typischen
Korrekturen werden vielfach außer Acht gelassen. Anstelle der traditionellen Bewer-
tungsmethode wäre es angebracht, sich eher an einem Optionsbewertungsmodell zu
orientieren. Schließlich geht es gerade bei den Käufen von kleineren bis mittelgroßen
Unternehmen um nichts anderes, als einer Option über die zukünftige Entwicklung
eines Emerging Markets.
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Teil
1 Einleitung
2 Begriff und Rahmenbedingungen
2.1 M & A Stakeholder-Perspektive
2.2 Nationale M & A-relevante Besonderheiten
3 Qualitative Betrachtung: Vier Phasen des deutschen M & A-Marktes
3.1 Phasen in der Übersicht
3.2 Phase 1: Entstehung
3.3 Phase 2: Wachstum und Professionalisierung
3.4 Phase 3: Internet-Boom
3.5 Phase 4: Finanzinvestoren und Globalisierung
4 Quantitative Betrachtung: Zahlen und Fakten
4.1 Transaktionszahlen und -volumina
4.2 Top-Deals
4.3 Branchenbetrachtung
4.4 Grenzüberschreitende Transaktionen
4.5 Beratungsgeschäft
4.6 Neuemissionen (IPOs)
5 Zusammenfassung und Ausblick
1 Einleitung
Nichts bleibt wie es ist! So oft wie leichtfertig wird das Gegenwärtige für gegeben
und beständig gehalten – als wenn es schon immer so gewesen wäre und auch stets
so bleiben würde. Wer erinnert sich beispielsweise noch an die mühsamen Mittel der
Kommunikation vor dem Aufkommen der E-Mail und wer könnte sich im Jahr 2015
die Arbeitswelt ohne diesen Kommunikationsweg überhaupt noch vorstellen? Umso er-
* Der vorliegende Beitrag basiert auf dem Artikel »Von Sonderkonjunktur bis Notverkäufe – Ein Due
Diligence-Bericht zur Entwicklung des deutschen M & A-Marktes«, erschienen in: Müller-Stewens/
Kunisch/Binder: Mergers & Acquisitions. 2010, S. 47–81. Im Rahmen der aktuellen Neuauflage wur-
de der Artikel grundlegend überarbeitet und die Analysen wie Abbildungen aktualisiert und um
den Zeitraum bis 2014 ergänzt.
** Henning Düsterhoff, Chefredakteur M & A REVIEW St. Gallen; Dr. Sven Kunisch, Lehrbeauftragter
für Strategisches Management und Executive Director Master für Unternehmensführung (MUG-
HSG), Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen.
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staunlicher ist dieser Umstand, da die erste E-Mail in Deutschland erst 1984 empfangen
worden ist, sodass erst in den 1990er Jahren der Triumphzug der elektronischen Post
beginnen konnte.1
Ähnliches gilt auch für die M & A-Aktivitäten in Deutschland. Im Allgemeinen sind
Fusionen und Übernahmen mittlerweile fester Bestandteil der deutschen Wirtschafts-
welt. Spektakuläre Transaktionen wie die von Vodafone/Mannesmann, Bayer/Schering,
Mckesson/Celesio, ZF/TRW, Daimler/Chrysler, Volkswagen/Porsche oder Schaeffler/
Continental wurden von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und stehen für
Erfolg und Misserfolg von Unternehmen und deren Management. Im Besonderen sind
mittlerweile auch Private Equity- und Hedge-Fonds – die »Heuschrecken« – oder Staats-
fonds akzeptierte M & A-Akteure und häufig Investoren bei deutschen Unternehmen.
Und selbst unfreundlichen Akquisitionen begegnet man heute gelassener als noch zu
Zeiten der Vodafone-Mannesmann-Transaktion, als dies noch als eine Art »Barbarei«
angesehen wurde. Dabei begann sich der deutsche M & A-Markt, im Gegensatz zum
angelsächsischen Raum, in dem M & A seit vielen Jahrzehnten eine wichtige Stellung im
Wirtschaftsgeschehen einnimmt, erst seit Mitte der 1980er Jahre zu entfalten.2 Seither
hat sich der deutsche M & A-Markt beständig weiterentwickelt und in den beiden Jahr-
zehnten vor und nach der Jahrtausendwende zunehmende Professionalisierung und
großes Wachstum erfahren.
Um die gegenwärtige Situation auf dem Markt einzuordnen und auch das Vergan-
gene zu reflektieren, bietet sich eine entwicklungsbezogene Analyse des deutschen
M & A-Marktes an. Ziel dieser Analyse ist es, die Entwicklungen des Geschäftes mit
Fusionen und Übernahmen in Deutschland über einen längeren Zeitraum hinweg um-
fassend zu betrachten. Als Zeitraum werden 25 Jahre gewählt. Auch die vor diesem
Betrachtungszeitraum liegende Vergangenheit wird dabei berücksichtigt, um die Ent-
wicklungen in dem tatsächlichen Betrachtungszeitraum besser einschätzen zu können.
Der gewählte Zeitraum ist sinnfällig, da er mit dem Fall der Berliner Mauer und des
Eisernen Vorhangs beginnt, die als historische Ereignisse eine Reihe von Stimuli für
den deutschen M & A-Markt wie z. B. Privatisierungen und die Osterweiterung zur Folge
hatten.
Der vorliegende Bericht zum deutschen M & A-Markt besteht im Kern aus drei Teilen:
Im ersten Teil werden die Grundlagen für die Betrachtungen geschaffen. Zunächst wird
der Begriff M & A-Markt definiert, woraufhin eine Darstellung der Besonderheiten des
deutschen Standortes folgt, die für die hiesigen M & A-Aktivitäten relevant erscheinen.
Im zweiten Teil wird die Einteilung in vier M & A-Phasen des deutschen M & A-Marktes
vorgeschlagen. In Ergänzung dazu werden im dritten Teil detaillierte Analysen zu spe-
zifischen Aspekten des deutschen M & A-Marktes präsentiert. Den Abschluss bildet eine
Zusammenfassung mit einem kurzen Ausblick.
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Diese Definition ist bewusst breit gefasst und erscheint aus folgenden Gründen zweck-
mäßig: Erstens erlaubt sie es, sowohl auf der Käufer- als auch auf der Verkäuferseite
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Die erste Gruppe bilden politische und geographische Faktoren. Hierzu zählt vor allem
die deutsche Wiedervereinigung mit dem Fall der Berliner Mauer am 09. November
1989 und der Proklamation des wiedervereinigten Deutschlands am 03. Oktober des
Folgejahres. Mit diesem historischen Ereignis waren zweifelsohne auch enorme wirt-
schaftliche Umbrüche in der damaligen DDR verbunden, die u. a. auch den deutschen
M & A-Markt in erheblichem Maße beeinflusst haben. Zum wichtigsten Förderinstru-
ment des wirtschaftlichen Umbruchs wurde die 1990 gegründete »Anstalt zur treuhän-
derischen Verwaltung des Volkseigentums«, die der Umwandlung von volkseigenen
Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften dienen sollte. Die
Treuhandanstalt übernahm noch im selben Jahr 7.894 Volkseigene Betriebe (VEB). Da-
zu zählten Kraftwerke und Bergbauunternehmen, ausgedehnte Ländereien mit land-
und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie Hotels und Gaststätten mit insgesamt ca.
4 Mio. Beschäftigten, etwa 40 % aller Arbeitskräfte, sowie eine mehr als die Hälfte der
DDR umfassende Grundfläche.7
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Neben diesem historischen Ereignis sind die EU-Osterweiterung8 und die starke In-
tegration Deutschlands in Europa als wesentliche Charakteristika für den deutschen
Standort zu nennen. Aufgrund der geographischen Lage und der historischen Han-
delsbeziehungen in den Osten fungierte Deutschland (ähnlich wie Österreich) für viele
ausländische Unternehmen als Brückenkopf für Expansionen nach Osteuropa.9 Auch
Deutschlands zentrale Lage in Europa spielt (seit der Wiedervereinigung) eine wesent-
liche Rolle für dessen M & A-Markt, denn Deutschland ist von Handelspartnern umringt.
Über 95 % des Staatsgebietes liegen nicht mehr als 200 km von einer Staatsgrenze ent-
fernt. Die Relevanz von starken Außenhandelsbeziehungen in Europa ist für Deutsch-
land, den langjährigen »Exportweltmeister«, somit augenfällig.
In einer zweiten Gruppe lassen sich Spezifika der deutschen Wirtschaftsstruktur subsu-
mieren. Fünf Charakteristika sind besonders bemerkenswert: Erstens kennzeichnet den
deutschen Markt die vorwiegend mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft. So
umfassen Klein- und Mittelunternehmen (KMU)10 2012 rund 99,7 % aller umsatzsteuer-
pflichtigen Unternehmen, rund 36,8 % aller Umsätze werden von KMU erwirtschaftet,
knapp 59,4 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sind in KMU angestellt
und rund 82 % aller Auszubildenden absolvieren ihre berufliche Lehre in KMU.11
Zweitens sind die äußerst einflussreichen Gewerkschaften zu nennen, im Vergleich
zu einem Teil der europäischen Nachbarn, aber insbesondere im Vergleich zu den USA.
Diese Gewerkschaftsmacht spielt für die M & A-Aktivitäten eine wichtige Rolle. Sie kann
u. U. zu Bedenken seitens potenzieller Käufer führen, da nach der Akquisition besondere
Arbeitnehmerinteressen berücksichtigt werden müssen, die eventuell mit den unterneh-
merischen Zielen kollidieren.
Drittens zählen zu dieser Gruppe die industriellen Verflechtungen deutscher Unter-
nehmen. So waren vor allem Großunternehmen in Deutschland häufig kreuzweise mit-
einander verflochten (sog. »Deutschland AG«), was Übernahmen für ausländische Un-
ternehmen erschwerte. Nach der Jahrtausendwende kam es, u. a. im Zuge der Corporate
Governance-Diskussion, zu einer zunehmenden Entflechtung der »Deutschland AG«.
Viertens kennzeichnet die Eigentümerstruktur bei deutschen Unternehmen (d. h.
Rechtsformen der Unternehmen) den hiesigen Wirtschaftsstandort. Anfang der 1990er
Jahre gab es noch eine geringe Zahl marktgängiger Unternehmen, an denen Anteile über
die Börse erworben werden konnten. So gab es im Jahr 199012 in Deutschland ca. 2 Mio.
Unternehmen, 17.000 davon erzielten einen Jahresumsatz von mehr als 25 Mio. DM. Von
8 Im Jahr 2004 traten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien,
Ungarn und Zypern der EU bei, im Jahr 2007 folgten Bulgarien und Rumänien, im Jahr 2013 dann
Kroatien als 28. Mitgliedsstaat.
9 Vgl. Herden 1999.
10 Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn definiert Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten
respektive weniger als 1 Mio. EUR Jahresumsatz als kleine und solche mit 10 bis 499 Beschäftigten
bzw. einem Jahresumsatz von 1 Mio. EUR bis unter 50 Mio. EUR als mittlere Unternehmen. Die
Gesamtheit der KMU setzt sich somit aus allen Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten
respektive 50 Mio. EUR Jahresumsatz zusammen. Quelle: Institut für Mittelstandsforschung (IfM)
Bonn, www.ifm-bonn.org. Abgefragt am 30.05.2015.
11 Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn, http://www.ifm-bonn.org/statistiken/mittelstand-
im-ueberblick, abgefragt am 30.05.2015.
12 Vgl. Müller-Stewens 1991; Hartmann 1991.
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diesen 17.000 hatten 5 % die Rechtsform AG, 33 % GmbH und 45 % KG. Zum Vergleich:
201213 gab es in Deutschland ca. 3,6 Mio. Unternehmen, von denen jedoch 3,3 Mio. Un-
ternehmen weniger als 10 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte hatten. Von den ca.
33.000 größeren Unternehmen waren 53 % Kapitalgesellschaften (GmbH, AG) – 17,2 %
Einzelunternehmer und 19 % Personengesellschaften (z. B. OHG, KG). Insgesamt zeigt
sich eine deutliche Verschiebung zu den Kapitalgesellschaften, und zunehmend nutzen
Unternehmen, auch im Mittelstand14, europäische Rechtsformen (SE).
An fünfter Stelle steht die bereits im Zusammenhang mit der geographischen Lage
erwähnte Tatsache, dass Deutschland seit Dekaden eine Exportnation ist. In diesem
Faktum spiegelt sich auch die unterschiedliche Gewichtung verschiedener Branchen
wider. Traditionell haben Ingenieur-Branchen wie die Automobilbranche, der Maschi-
nen- und auch der Anlagenbau in Deutschland eine große Bedeutung. Dienstleistungs-
bereiche erfuhren hingegen lange Zeit weniger Aufmerksamkeit als Industriesektoren.
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Merkmale des Marktes, Eigenschaften der Transaktionen, Aspekte der Akteure sowie
regulatorische Rahmenbedingungen.
Konkret lassen sich vier Phasen identifizieren (vgl. Abb. 1):21 Die erste Phase wird
als Entstehung bezeichnet und verlief bis zum Jahr 1989. Anschließend folgten mehrere
Jahre des Wachstums mit fast stetig steigenden M & A-Aktivitäten und einer Professi-
onalisierung des M & A-Geschäftes. Die beiden darauf folgenden Phasen verliefen sehr
analog zur fünften und sechsten M & A-Welle: Die dritte Phase war durch die Inter-
net-Euphorie und das Platzen der Dotcom-Blase gekennzeichnet. In der vierten Phase
stiegen die Transaktionszahlen und -volumina bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2007
wieder an. Die M & A-Aktivitäten waren auf einem guten Niveau und das M & A-Geschäft
entwickelte sich weiter. Im Sog der Finanz- und Wirtschaftskrise brach jedoch auch das
M & A-Geschäft wieder deutlich ein. Obwohl in den letzten Jahren Zeichen der Belebung,
insbesondere die Transaktionsvolumina betreffend, erkennbar sind, bleibt die die Frage
nach dem Ob und Wann einer nachhaltigen Erholung der Aktivitäten auf dem deutschen
M & A-Markt bis dato ungeklärt. Im Folgenden sind die vier Phasen genauer charakteri-
siert (zur Übersicht vgl. Abb. 222).
1 2 3 4
436,0
Transaktionsvolumen (in Mrd. US-$) Mrd. US-$
2745
Anzahl Transaktionen
DAX-Performanceindex
2363 2372
Bruttoinlandsprodukt (normiert, saison- und
kettenbereinigt)
2133 2122
2029
1854 1817
1765 1791 1769
238,0
Mrd. US-$ 1640 1660
1581
1483 1470 1493 1496 1509
1435 1402
1185
1048
985
475
311 73,8
Mrd. US-$ 60,1
174 Mrd. US-$
53 94
35
Privatisierung
Internet und Neue Medien Finanzinvestoren
Treuhand
Abb. 1: Phasen des deutschen M & A-Marktes23 (Quelle: Eigene Analyse; Thomson One, Statistisches Bundesamt)
21 Die Bezeichnungen der ersten beiden Phasen deuten Phasen eines Marktlebenszyklus an, wo-
hingegen die Titel der beiden letzten Phasen die Treiber (Wertsteigerungslogiken) der jeweiligen
M & A-Welle anzeigen. Diese beziehen sich logischerweise auf den Aufschwung.
22 Für Details zu den rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen in Deutschland siehe Binder
2016; Classen 2016; Köhler et al. 2016; Menke 2010; Picot 2016.
23 Die gegenüber der 1. Auflage veränderten Angaben zu Volumina und Anzahl der Deals basieren auf
fortlaufender Datenbankpflege der Datenbanken. Dies gilt insbesondere auch für weitere Auswer-
tungen über Thomson One.
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Phase Phase 1: Entstehung Phase 2: Wachstum und Phase 3: Inter- Phase 4: Finanzinvestoren und
Professionalisierung net-Boom und Globalisierung
EU-Osterweiterung
Merkmal
Zeitraum (ca.) bis 1989 1990 bis 1997 1998 bis 2003 2004 bis 2014
Wesentliche • Shareholder • Shareholder Value- • Internet-Euphorie • Finanzinvestoren
Treiber/ Value-Gedanke Gedanke • M & A im Mittel- • Zunehmende Globalisierung
Charakteristika • »Entmystifizierung« • Privatisierungen, stand: Entwicklung • Entflechtung Deutschland
im Zuge der vierten Deregulierung, Libera- Small und Mid- AG
M & A-Welle in den lisierung cap-Market • ab 2007: »Distressed M & A«
USA • Sondereffekte durch
• Hauptsächlich ostdeutsche Privati-
freundliche Über- sierungen (Treuhand
nahmen verkäufe)
• Geringe Markttrans- • Hohe Liquidität der • Steigende Markt- • Barmittel, Hybrid
parenz (bei Kauf- Kapitalmärkte und transparenz (bei • ab 2007: Zurückhaltung
Akquisitions- preisen) geringe Finanzierungs- Kaufpreisen) der Banken bei Kreditver-
preise und • Barmittel kosten • Aktien, Hybrid gabe; Liquiditätsschonende
-währung • Barmittel Transaktionen (Earn-outs,
Share for Share, zeitliche
Verzögerung)
• Fokus auf deutschen • Osterweiterung • Anstieg bei gren- • Erschließung neuer Märkte
Transaktionen
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26,17
23,13
19,85
19,32
Anteil Transaktionen mit bekanntem Kaufpreis in Prozent
17,23
16,53
15,41
14,81
13,46 13,62 13,94
10,23
8,50
6,48 6,82
5,43
3,89
2,55 2,36 2,76 2,88
2,25
1,70
1,02 1,06
0,04 0,04
1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Abb. 3: Anteil Transaktionen mit bekanntem Kaufpreis (Quelle: Eigene Analyse; M & A DATABASE)
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Ein wesentlicher Wachstumsmotor für den deutschen M & A-Markt zu Beginn der 1990er
Jahre lässt sich als »Sonderkonjunktur Wiedervereinigung« etikettieren. Unter dieses
»Label« fallen vor allem die Privatisierungen der Betriebe der ehemaligen DDR nach
der Wiedervereinigung. Bereits in der ersten Jahreshälfte 1990 hatten 2.800 Unterneh-
men, die außerhalb der neuen Bundesländer ansässig waren, eine Genehmigung zur
Gründung eines Joint Ventures mit einem ehemaligen DDR-Betrieb erhalten. Etwa 95 %
dieser Unternehmen waren in den alten Bundesländern domiziliert.31 Insgesamt wurden
im Zeitraum 1990 bis 1994 ca. 10.000 Unternehmen privatisiert.
Die Privatisierungen der ehemaligen DDR-Betriebe wirkten sich positiv auf die Pro-
fessionalisierung des gesamten M & A-Geschäfts aus. Mit Blick auf die M & A-Akteure wa-
29 Unter Konzernmanagement (auch Corporate Management) werden hier die Aktivitäten auf der Kon-
zernebene verstanden. Vgl. dazu Müller-Stewens/Brauer 2009.
30 Vgl. Drueker 1999, S. 23.
31 Quelle: Kurzbeitrag in der M & A REVIEW 4/1990, S. 267.
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ren diese Privatisierungen bspw. eine große Herausforderung für das Bundeskartellamt,
denn es gab einen schmalen Grat zwischen wirksamer Hilfe und der Sicherung wett-
bewerblicher Strukturen.32 Bei diesen Aktivitäten gab es großen Bedarf an M & A-Be-
ratung33, die alle Phasen des M & A-Prozesses umfasste: von der Käuferfindung bis zu
technischen Fragen der Durchführung und Integration. Die Verkäufe der Treuhandan-
stalt führten somit auch zu einem »Sonderkonjunktur«-Effekt für die Intermediäre.
Dieser übertrug sich auf den gesamten M & A-Markt. Da im Falle erfolgreicher Ab-
schlüsse hohe Erfolgsprämien lockten, drängten immer mehr Berater und Kanzleien
in das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen.34 Auch wendeten sich die deutschen
Universalbanken mittels verschiedener Strategien dem M & A-Geschäft zu: Sie gründe-
ten eigene Corporate Finance-Abteilungen und Tochtergesellschaften oder akquirierten
externes Know-how. So kaufte bspw. die Deutsche Bank 1990 für 950 Mio. brit.-£ die
Investmentbank Morgan, Grenfell & Co. und auch andere große internationale Finan-
zinstitute und Kanzleien stießen auf verschiedene Weise auf den deutschen M & A-Markt
vor. Insgesamt lassen sich in dieser Zeit gravierende Veränderungen bei den Interme-
diären beobachten.
Ein zweiter, wichtiger Treiber der M & A-Aktivitäten in den 1990er Jahren waren die Pri-
vatisierungen der Öffentlichen Hand.35 Im Gegensatz zu früheren Privatisierungsphasen
spielten in dieser »dritten Privatisierungsphase« neben ordnungspolitischen zunehmend
auch haushaltspolitische Motive eine wesentliche Rolle.36 Dazu gehörten Privatisierun-
gen über die Börse (Deutsche Lufthansa, Deutsche Telekom). Im klassischen M & A-Stil
wurden aber auch Wohnungsbaugesellschaften (Deutschbau, Eisenbahnwohnungsge-
sellschaften), kommunale und überregionale Versorgungsbetriebe (Harzwasserwerke
des Landes Niedersachsen, Berliner Wasserbetriebe) und andere Vermögensgegenstände
des Bundes, der Länder und der Kommunen (z. B. Autobahn Tank und Rast AG, Auto-
bahnnotrufsäulen, Saarbergwerke AG) privatisiert.37 Wenngleich die Privatisierungen
der Öffentlichen Hand besonders kennzeichnend für diese Phase waren, blieben sie
auch in den nachfolgenden Jahren fester Bestandteil des deutschen M & A-Marktes.38
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100% 2% 1% 3% 1% 2% 4%
6% 4% 4%
10% 8% 7% 1% 2% 7% 10%
5% 5% 10% 11% 3% 11%
1% 3% 5% 19%
90%
24% 22% 25% 0% 1% 3%
30% 31%
36% 37% 15%
80% 4%
0% 3% 42%
70%
2% 13%
9%
60% 4%
64% 12%
50% Hybrid
98% 99% 98%
92% 95% 94%
91% 91% 88% 92% 89% 89% 88% 87% Aktien
40% 77% Barmittel
76% 75% 75%
67%
30% 60% 61% 59%
56%
52%
20%
26%
10%
0%
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Basis: Angekündigte Transaktionen mit Transaktionsvolumen von mind. 100 Mio. US-$
Bemerkenswert für diese dritte M & A-Phase ist, dass vor allem Aktien als Akquisitions-
währung en vogue waren (vgl. Abb. 4). In den anderen Phasen wurden Transaktionen
überwiegend mit Barmitteln bezahlt, während in dieser Phase Unternehmen ihre Deals
verstärkt mit eigenen Aktien bezahlten, vor allem kurz vor dem Platzen der Internet-
blase im Jahr 2000. Dies ist auf die Höhenflüge an den Aktienmärkten zurückzufüh-
ren und Indiz dafür, dass die geflossenen Übernahmeprämien aus einer euphorischen
Übertreibung resultierten. Die Akquisitionswährung Aktie ist überbewertet worden,
und Unternehmen setzten sie, auch in diesem Wissen, vorzugsweise ein.
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7.000
250
6.000
200
5.000
in Mio. EUR
Anzahl
4.000 150
3.000
100
2.000
50
1.000
0 0
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
1994
2004
2014
Private Equity-Investitionen Deals mit Beteiligungsgesellschaften
53 % 53 % 53 %
51% 52 %
49 % 48 %
50%
45%
39 % 39 %
40% 38 % 38 %
36% 35%
31% 32%
30%
30% 28% 28% 28%
27%
25%
22% 22%
20%
20% 17%
14%
13%
9%
10%
0%
1985
1986
1987
1989
1990
1991
1992
1993
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
1988
1994
2004
2014
Ein zweiter wesentlicher Treiber war die fortschreitende Globalisierung. Damit ver-
bunden war ein deutlicher Anstieg bei den grenzüberschreitenden Transaktionen (vgl.
Abb. 6). In dieser Phase war ca. jede zweite Transaktion grenzüberschreitend. Vor allem
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die BRIC-Länder und der Rest der Welt (u. a. Länder des Nahen Ostens und Südostasi-
ens) haben sowohl als Zielregionen als auch als Käuferregionen zunehmend an Bedeu-
tung gewonnen (vgl. Abb. 7). Der gemeinsame Anteil bei den Käuferländern stieg auf
mehr als 12 %, bei den Zielnationen sogar auf über 21 %. Speziell in den BRIC-Ländern
versuchten deutsche Unternehmen zunehmend mittels M & A weiter Fuß zu fassen, um
an den sich dort bietenden Wachstumschancen zu partizipieren. Aber auch umgekehrt
beteiligten sich Unternehmen aus den BRIC-Ländern in zunehmendem Maße an deut-
schen Unternehmen. Der Anteil mutet zwar mit 3,5 % noch bescheiden an, versechs-
fachte sich aber immerhin im Vergleich zur vorangegangenen Phase. Der seit Langem
erwartete und vielfach diskutierte »Shift of Power« (vor allem nach China) ist jedoch
trotz dieser Entwicklungen bisher ausgeblieben.
100 %
5,77 % 4,19 % 6,14 % 4,53 %
8,55 % 7,85 % 9,44 % 8,93 % 10,52 %
12,36 %
90 % 6,77 % 11,00 %
12,79 % 9,36 %
10,95 % 11,97 % 12,09 %
11,75 %
12,38 %
80 % 14,85 %
70 %
45,39 % 38,67 %
37,96 % 32,18 %
60 % 41,83 % 47,30 % 49,42 % 39,03 % Österreich
45,45 % 30,86 %
Schweiz
50 %
Westeuropa (Rest)
0,69 %
Osteuropa
40 % 8,93 % 5,33 % 14,53 % 5,49 %
0,62 %
1,10 % 8,24 % USA
0,58 % 19,58 %
0,38 %
30 % 10,69 % 14,25 % BRIC
19,73 % 16,55 %
13,89 % 9,79 %
Rest der Welt
1,21 % 22,53 % 16,37 % 20,51 % 3,50 %
20 % 4,14 %
6,62 % 1,89 % 8,20 % 9,27 %
3,98 % 0,55 %
22,71 % 1,28 % 21,15 %
10 %
16,11 % 16,05 %
13,10 % 13,30 % 10,67 % 11,19 % 12,09 % 12,92 %
0%
Zielregionen Käufer Zielregionen Käufer Zielregionen Käufer Zielregionen Käufer Zielregionen Käufer
deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher deutscher
Käufer Unternehmen Käufer Unternehmen Käufer Unternehmen Käufer Unternehmen Käufer Unternehmen
Gesamt Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4
Westeuropa (Rest): Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Monaco, Niederlande, Norwegen,
Portugal, Schweden, Spanien, Zypern
Osteuropa: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Estland, Georgien, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Kasachstan, Kroatien, Lettland, Litauen, Moldawien, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien,
Tschechische Republik, Ukraine, Ungarn, Usbekistan
Abb. 7: Grenzüberschreitende Transaktionen mit deutscher Beteiligung nach Phasen (Quelle: Eigene Analyse;
M & A DATABASE)
Nach dem Platzen der Dotcom-Blase und dem Einbruch des M & A-Marktes kehrte recht
schnell wieder Zuversicht ein und der deutsche M & A-Markt erholte sich.41 Die Welt-
wirtschaft wuchs kräftig, die Aktienkurse der Unternehmen stiegen und den Käuferun-
ternehmen stand nach der Ende 2004 weitgehend abgeschlossenen Restrukturierungs-
phase wieder ausreichend Geld für M & A zur Verfügung. Das Selbstbewusstsein der
deutschen Manager war ebenfalls erkennbar gestiegen, und es wurden auch feindliche
Übernahmen versucht, ehemals eine vornehmliche Domäne angelsächsischer Unterneh-
41 Vgl. u. a. Voss 2005a; Voss 2005b; Voss 2006a; Voss 2006b; Voss 2007a; Voss 2007b.
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Die Finanzkrise im Jahr 2007 und die anschließende Wirtschaftskrise44 erfassten den
Markt für Unternehmenskontrolle erheblich. Mit der Krise hatten sich die Bedingungen
für Transaktionsfinanzierungen deutlich verschlechtert, denn obwohl das Geld weiter-
hin billig war, zeigten sich die Banken bei der Kreditvergabe sehr zurückhaltend. Die
Transaktionsanzahlen sanken zwar vergleichsweise moderat, doch die Transaktionsvo-
lumina brachen deutlich ein. Dies ist bemerkenswert, da sich die Realwirtschaft nach
der Krise relativ schnell wieder erholte. Im Vergleich zum Zeitraum vor der Finanzkrise
sind eine Reihe von Veränderungen auf dem deutschen M & A-Markt bemerkenswert,
von denen die Folgenden eine Hervorhebung verdienen:45
Erstens hatten sich die Transaktionscharakteristika verändert; so war eine Vielzahl
von Unternehmen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise in Schieflage geraten. Viele
Unternehmen hatten sich im Boom der zurückliegenden Jahre für Akquisitionen teils
hoch verschuldet oder wurden von Finanzinvestoren mit Schulden überladen. Folglich
konnten Zinsen nicht mehr gezahlt oder Kreditauflagen nicht mehr eingehalten werden.
Daher setzten viele Unternehmen einerseits auf Kapitalerhöhungen, um ihre Verschul-
dung zu senken und der Kreditklemme zu entgehen. Andererseits kam es vermehrt zu
aus der Not heraus geborenen Transaktionen (sog. Distressed M & A), darunter einige
spektakuläre Übernahmen wie z. B. VW/Porsche.
Ein Extremfall von Distressed M & A sind M & A aus Insolvenzen. Aus M & A-Sicht
können insolvente Unternehmen durchaus attraktive Kaufobjekte sein. Die Herausfor-
derungen beim Erwerb eines insolventen Unternehmens liegen darin, das Potenzial
des Unternehmens möglichst exakt zu beurteilen und den Erwerb vertraglich so zu
gestalten, dass die Risiken minimiert werden. Dann können solche Zukäufe erhebliche
Chancen bieten. Insbesondere vor dem Hintergrund der Änderung der gesetzlichen Rah-
menbedingung durch das »Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen«
(ESUG) im Jahr 2012 hat die »Restrukturierung durch M & A« an Bedeutung gewonnen.46
42 Dies gilt im bedingten Rahmen auch für 2014, als VW das Unternehmen für 6,7 Mrd. EUR vollstän-
dig übernahm.
43 Quelle: M & A DATABASE.
44 Z. B. illustriert durch den deutlichen Einbruch des deutschen BIP (vgl. Abb. 1 rechte Spalte).
45 Vgl. u. a. Kunisch 2008a; 2008b; Kunisch 2009; Kunisch/Wahler 2009; Kunisch/Wahler 2010.
46 Vgl. u. a. Bächstädt 2014.
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Zweitens zeigten sich neue Trends bei den Akteuren: Vor allem auf dem Private-Equi-
ty-Markt hatte die Finanzkrise deutliche Spuren hinterlassen. So waren z. B. die Priva-
te Equity-Aktivitäten in Deutschland nach ein paar »fetten Jahren« (vgl. Abb. 5), seit
dem vierten Quartal 2008 fast vollständig zum Erliegen gekommen. Gegen Ende des
Jahres 2009 zeigten sich laut BVK zwar erste Erholungsanzeichen, eines jedoch wurde
deutlich: Die Private Equity-Branche würde nach der Finanzkrise eine andere sein, da
diese Unternehmen ihre Geschäftsmodelle nun an die neuen Gegebenheiten anzupassen
hatten.47 So mussten sie z. B. mehr Eigenkapital in die Transaktionen einbringen, sich
auch kleineren Deals zuwenden oder stärker auf die operative Wertsteigerung ihrer
Portfoliounternehmen setzen. Insbesondere die Verlagerung auf die operativen Werts-
teigerungshebel während der Haltedauer hat sich dabei in den letzten Jahren als erfolg-
reiche Strategie erwiesen, um an die gewohnten Renditeerwartungen anzuknüpfen.48
Auffällig war zudem der Banken-Bailout und mit diesem verbunden die (neue) Rolle
des Staates als Miteigentümer von Geschäftsbanken. Lange hatte die Bundesregierung
davon Abstand genommen, doch schließlich wurde auch in Deutschland die Teilver-
staatlichung von Banken Realität. Zunächst hatte die Regierung den notleidenden Insti-
tuten im Rahmen des Bankenrettungsschirms Bürgschaften und Garantien ohne direkte
staatliche Beteiligung gewährt. Im Mai 2009 stieg der Staat als Großaktionär mit 25 %
plus eine Aktie bei der Commerzbank ein, die im Zuge der Finanzkrise und nach Über-
nahme der Dresdner Bank eine weitere Finanzspritze benötigte. Ein weiteres staatliches
Engagement bei einer Großbank war die Verstaatlichung von Hypo Real Estate (HRE).
Diese wurde als erste Bank in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit 1949
vollständig verstaatlicht. Deutschland folgte damit dem Weg, den andere Staaten (USA,
Großbritannien, Irland etc.) zuvor eingeschlagen hatten.
Mit der Krise hatte sich auch für die Berater einiges geändert: Die Beratungsschwer-
punkte verlagerten sich, während gleichzeitig die Einnahmen in der Restrukturierungs-
und Schuldenberatung verdreifacht werden konnten.49 Vor allem mit Distressed M & A
(z. B. Compliance Due Diligence) ließ sich noch Geld verdienen. Insgesamt verdeutlichte
die Krise, dass auch die Berater vor neue Herausforderungen gestellt werden.50
Zu diesen Herausforderungen gehört auch der Trend hin zu mehr Volumen bei we-
niger Deals, der insbesondere ab 2012 zu beobachten ist. Dies bedeutet nichts anderes,
als dass die durchschnittlichen Transaktionen größer werden und sich damit weg vom
Bread&Butter-Geschäft bewegen – hin zu einer »the winner takes it all«-Stimmung, wie
auch an den League Tables (vgl. Kap. 4.5) deutlich zu erkennen ist. Ihren bisherigen
Höhepunkt erlangte diese Entwicklung 2014 als das kumulierte Volumen der 10 größten
Deals mit deutscher Beteiligung bei knapp 70 Mrd. EUR lag. Nur zwei der Top-Ten-Deals
blieben 2014 unter 4 Mrd. EUR und in der sehr aktiven Pharmabranche konnten sogar
zwei Mega-Deals mit einem Volumen von über 10 Mrd. EUR (Merck/Sigma-Aldrich und
Bayer/OTC Sparte von Merck & Co.) verzeichnet werden. Ob dieser Trend sich auch in
der Masse der Transaktionen durchsetzt oder nur an der »Spitze« verbleibt – oder, wie
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auch schon vor 10 Jahren – nur von kurzer Dauer ist (s. Kap. 3.5.1) wird sich zeigen.
Sicher ist: Sollte dieser Trend der Mega-Deals weiter Bestand haben, würde dies auch
die Beraterbranche unter weiteren Konsolidierungsdruck setzen.
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zeigen die Daten deutlich die Sondereffekte auf dem deutschen M & A-Markt, die vor
allem in den ersten vier Jahren nach der Wiedervereinigung in Form der Verkäufe durch
die Treuhandanstalt stattgefunden haben (vgl. Kap. 3.3.1).
4.2 Top-Deals
4.2.1 Übersicht
Viele der wesentlichen Entwicklungen auf dem deutschen M & A-Markt spiegeln sich in
der Liste der größten Transaktionen mit Beteiligung eines deutschen Unternehmens wi-
der (vgl. Abb. 8): So zeigt sich, dass der Großteil der Transaktionen in die Zeit der Hochs
der letzten beiden M & A-Phasen fällt. Je neun der 25 größten Transaktionen wurden in
den Jahren 1999 bis 2001 bzw. 2005 bis 2007 registriert. Zusammen entfallen auf diese
beiden Drei-Jahres-Zeiträume über 70 % der größten Transaktionen.
Datum Transaktionswert
Käufer Objekt Industrie (Ankündigung) (in Mio. EUR)
8 UniCredit Banca Mobiliare S.p.A Bank Austria Creditanstalt AG (BA-CA) Finanzdienstleistungen 12.06.2005 15.400
12 Kemble Water Ltd. Thames Water Holdings plc Energiewirtschaft 16.10.2006 11.900
20 BellSouth Corp (KPN, BellSouth) E-Plus Mobilfunk GmbH Telekommunikation 28.07.1999 9.204
22 Deutsche Bank AG Bankers Trust New York Corp Finanzdienstleistungen 30.11.1998 8.812
Abb. 8: Top Deals mit deutscher Beteiligung (Quelle: Eigene Analyse; Thomson One, M & A DATABASE)54
Zudem fällt auf, dass ein großer Anteil der Transaktionen grenzüberschreitend statt-
fand. Dies zeigt vor allem die Internationalisierungsstrategien der großen Unternehmen.
Vor allem britische (8) und US-amerikanische (7) Unternehmen waren daran beteiligt.
Lediglich knapp ein Viertel der 25 größten Transaktionen waren innerdeutsch. Darun-
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ter fallen die Zusammenschlüsse von Allianz und Dresdner Bank, Bayer und Schering,
VEBA und VIAG sowie Continental und Siemens VDO. Auffällig ist weiter, dass die
meisten dieser Deals in der letzten Hochphase stattgefunden haben und es seither kei-
nen deutsch-deutschen Deal gab, der es unter die Top 25 schaffte.
Des Weiteren fallen in der Liste vor allem fünf Branchen ins Auge. Ein Großteil der
bei diesen Transaktionen beteiligten Unternehmen lässt sich den Branchen Energie- und
Entsorgungswirtschaft, Finanzen, Telekommunikation, Automobil sowie Chemie/Phar-
ma zuordnen. Dies sind vornehmlich Branchen, die dereguliert und liberalisiert wurden
bzw. in denen hoher Konsolidierungsdruck herrschte und teils immer noch herrscht.
55 Die Informationen zu den einzelnen Transaktionen stammen aus den Analysen zum deutschen
Transaktionsgeschehen in der M & A REVIEW (siehe dazu Fussnote 48) sowie aus der Datenbank
Thomson One Banker (insbesondere die Informationen zu den Beratern).
56 Einzelheiten siehe Müller-Stewens 2010b.
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Eine Tochtergesellschaft von Cerberus übernahm daraufhin 80,1 % der Aktien an der
neu geschaffenen Chrysler Holding LLC, Daimler behielt 19,9 % der Anteile.
Ein weiterer Zusammenschluss, der sich als »nicht für die Ewigkeit« herausstellte,
war die Übernahme der Dresdner Bank AG durch den Münchener Versicherungskonzern
Allianz SE (seinerzeit AG) im Jahr 2001 für knapp 22,5 Mrd. EUR (inkl. Verbindlich-
keiten). Ziel der Akquisition war es, einen Allfinanz-Konzern zu schaffen, woraufhin
als Nebeneffekt das Allfinanz-Konzept auch wieder in aller Munde war. Als Berater der
Dresdner Bank waren Dresdner Kleinwort Wasserstein und Goldman Sachs & Co. invol-
viert, während auf der Käuferseite UBS Warburg, Deutsche Bank AG, Sal. Oppenheim
beteiligt waren. Im Jahr 2008 wurde das »Unterfangen« beendet:57 Die Aufsichtsräte von
Allianz SE und Commerzbank hatten sich auf den Verkauf der Dresdner Bank AG an die
Commerzbank für insgesamt 9,8 Mrd. EUR geeinigt. Der Verkauf sollte in zwei Schritten
erfolgen und spätestens Ende 2009 abgeschlossen sein. Seit Sommer 2010 trat die Com-
merzbank mit einem neuen Logo auf, welches die früheren Logos von Dresdner Bank
und Commerzbank integrierte. Der Name Dresdner Bank sollte bis Ende 2010 wegfallen.
Der Versicherer Allianz SE machte mit weiteren Transaktionen auf sich aufmerksam.
Nach der Umwandlung in eine europäische Aktiengesellschaft im Jahr 2006 und der
Integration der italienischen Tochter Riunione Adriatica di Sicurtà (RAS) wurden im
Jahr 2007 die Konzernstrukturen weiter vereinfacht. Insgesamt 10,5 Mrd. EUR in bar
und Aktien wurden in die Komplettübernahme der französischen Tochter Assurances
Générales de France (AGF) und der Allianz Lebensversicherungs-AG investiert.
Zum M & A-Geschehen gehören auch »Weiße Ritter«. Ein beachtliches Beispiel für
einen solchen lieferte die Bayer AG mit der Übernahme von Schering im Jahr 2006. Das
Leverkusener Chemie- und Pharmaunternehmen konterte im März das Angebot der
Merck KGaA, die den Berliner Pharmakonzern Schering feindlich übernehmen wollte,
und übernahm diesen selbst für ca. 16,3 Mrd. EUR. Bayer schützte Schering mit diesem
Zug vor einer feindlichen Übernahme durch den Konkurrenten Merck und versprach
sich von der Übernahme ab dem dritten Jahr nach Abschluss der Transaktion Synergien
in Höhe von jährlich 700 Mio. EUR.58 Ziel der Fusion war der Ausbau des Geschäfts
mit Pharma-Spezialprodukten. Nach der Fusion wurde Bayer Schering Pharma AG das
viertgrößte Pharmaunternehmen der Welt. Die Transaktion wurde auf Seiten des Kauf-
objekts von Morgan Stanley, Dresdner Kleinwort Wasserstein und der Deutschen Bank
AG begleitet. Auf Seiten des Käufers waren Credit Suisse Group, Greenhill & Co. und
Citigroup die Berater. Auch die Übernahme der OTC-Sparte (over the counter) von
Merck & Co. durch Bayer im Jahr 2014 war nicht nur ein Kind seiner Zeit in einem
von Spartentäuschen und Fusionen geprägten Branchenjahr, sondern auch ein weiterer
Schritt für das Unternehmen, das damit nach Johnson & Johnson zum zweitgrößten
globalen Anbieter rezeptfreier Medikamente aufgestiegen ist.
Eine andere Möglichkeit zur Verhinderung einer feindlichen Übernahme zeigten
VIAG und VEBA. Aus Sorge vor einer solchen Übernahme mit anschließender Zerschla-
gung fusionierten sie zur E.ON AG. Darüber hinaus war es gemeinsames Ziel der beiden
ähnlich strukturierten Fusionspartner, anstelle zweier Konglomerate einen neuen, auch
global marktstarken Energiekonzern zu formen und die übrigen Industrie-Geschäfts-
felder zu veräußern. Die VIAG-Energiebeteiligungen wurden ein Teil von E.ON und
erhielten neue Firmennamen. Die Vereinigte Aluminium-Werke AG (VAW) wurde 2002
57 Vgl. zur M & A-Strategie von Allianz SE seit der Jahrtausendwende Achleitner/Teklu 2010.
58 Vgl. zur Integration Marschmann/Moscho 2016.
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an Norsk Hydro verkauft. Die Süddeutsche Kalkstickstoff-Werke (SKW) wurde mit der
damaligen VEBA-Tochter Degussa-Hüls zur neuen Degussa verschmolzen, die zu Evonik
Industries gehört. Auch alle sonstigen in den Jahren zuvor erworbenen Industriebetei-
ligungen wurden von E.ON wieder veräußert.
Eine weitere Großtransaktion in der Energiebranche wurde im Jahr 2009 registriert
als die RWE AG den niederländischen Versorger Essent N.V. übernahm. Die Transaktion
hatte ein Volumen von 7,3 Mrd. EUR und ist ein Beispiel für die zusammenwachsenden
Strom- und Gasmärkte in Europa sowie für die damit verbundenen Konsolidierungs-
aktivitäten. In dieses Bild passt auch die Veräußerung von Thames Water Holding an
Kemble Water durch die RWE AG im Jahr 2006. Für RWE war der Verkauf des Wasser-
geschäfts, welches der Energieriese im Jahr 2000 für ca. 11,2 Mrd. EUR (inklusive 4,1
Mrd. EUR Schulden) übernommen hatte, ein entscheidender Schritt bei der Umsetzung
der Strategie einer konsequenten Konzentration auf die Kernkompetenzen. Das Trans-
aktionsvolumen des Verkaufs lag bei ca. 11,9 Mrd. EUR (8,0 Mrd. brit.-£).
Die Fokussierung auf die Kernkompetenzen war auch das entscheidende Motiv für
die Übernahme des britischen Konkurrenten BOC PLC durch Linde im Frühjahr 2006.
Dieser Schritt war mit einer Trennung von dem Geschäftsbereich Material Handling im
Dezember 2006 verbunden. Das Ergebnis war ein fokussierter Gase- und Anlagenher-
steller mit mehr als 50.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 12,5 Mrd. EUR
im Jahr 2008, der seither mit Air Liquide SA im Wettbewerb um die weltweite Markt-
führerschaft steht.59 Das Transaktionsvolumen wurde auf 11,7 Mrd. EUR beziffert.
Auch in der Bauindustrie gab es eine Transaktion oberhalb der 10 Mrd. EUR-Schwel-
le. Im Jahr 2007 übernahm die HeidelbergCement AG 100 % des Aktienkapitals des
britischen Unternehmens Hanson PLC für ca. 14 Mrd. EUR in bar. Als Berater war die
Deutsche Bank AG auf Seiten von Hanson aktiv. Die freundliche Übernahme hatte vor
allem strategische Gründe, denn sowohl aus Produkt- als auch aus geografischer Markt-
sicht ergänzten sich beide Unternehmen sehr gut.
Strategische Überlegungen dürften auch bei Siemens AG die entscheidende Motiva-
tion für die getätigten Transaktionen im Jahr 2007 gewesen sein. Das Münchener Tra-
ditionsunternehmen, das sich inmitten umfangreicher Umstrukturierungsmaßnahmen
befand, verkaufte die Autozuliefersparte Siemens VDO Automotive AG an den Reifen-
konzern Continental AG. Bei diesem stieg kurz darauf das fränkische Familienunterneh-
men Schaeffler AG mit einer Milliardenbeteiligung als Großaktionär ein. Nach einem
längeren Übernahmekampf einigten sich Schaeffler und Continental im Spätsommer
2008 auf eine Erhöhung des Kaufangebots und eine Beteiligung von höchstens 49,9 %.
Zwischenzeitlich wurden Schaeffler jedoch mehr als 90 % der Aktien angedient, da das
Übernahmeangebot bei den Continental-Aktionären angesichts der Finanzkrise und der
trüben Aussichten für die Autobranche auf unerwartet hohen Zuspruch stieß. Siemens
reinvestierte den Erlös von ca. 11,4 Mrd. EUR für die Autozuliefersparte im Anschluss
teilweise. So wurde z. B. die Medizinsparte des Konzerns mit der Übernahme des US-Di-
agnostikspezialisten Dade Behring für ca. 5,1 Mrd. EUR weiter gestärkt.
Die größte Akquisition der letzten sieben Jahre am deutschen Markt nahm die Merck
KGaA im zweiten Halbjahr 2014 vor, indem sie den Laborausrüster Sigma-Aldrich Corp.
für mehr als 13 Mrd. EUR übernahm. Die Transaktion wurde am Kapitalmarkt sehr
positiv aufgenommen und die Aktie bewegt sich seitdem auf einem Rekordniveau.
65,9 16.3 % 62,3 14,3 % 63,0 14,6 % 69,1 16,3 % 70,2 21,9 %
Finanzdienstleistungen 7,2 % 6,5 % 6,5 % 7,6 % 8,6 %
46,2 10,5 % 42,1 9,6 % 43,9 9,6 % 48,9 9,3 % 53,1 15,3 %
DATABASE)
Dienstleistungen allg. 12,2 % 11,0 % 11,4 % 11,7 % 17,8 %
73,6 5,8 % 75,7 5,2 % 78,0 5,8 % 76,1 7,8 % 67,5 5,3 %
Medien/Verlage 6,3 % 5,5 % 5,9 % 8,4 % 5,8 %
54,7 4,7 % 56,1 4,1 % 54,4 4,1 % 54,9 4,1 % 43,0 3,4 %
Handel 4,9 % 4,0 % 4,3 % 4,7 % 4,3 %
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54,2 1,7 % 56,1 1,7 % 61,0 1,8 % 66,7 1,9 % 45,3 1,1 %
Papier/Möbel/Holz/Verpackung 2,0 % 1,8 % 1,9 % 2,1 % 1,4 %
Abb. 9: Branchenübersicht bei Transaktionen mit deutscher Beteiligung nach Phasen (Quelle: Eigene Analyse; M & A
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4.3 Branchenbetrachtung
Bei der Betrachtung der Top-Deals deuteten sich bereits bestimmte Branchenentwick-
lungen auf dem deutschen M & A-Markt an. Eine genauere Branchenanalyse liefert wei-
tere interessante Aufschlüsse zu den wesentlichen Entwicklungen auf dem deutschen
M & A-Markt (vgl. Abb. 9). In der Rangliste der aktivsten Käuferbranchen liegt der Fi-
nanzdienstleistungssektor (16,3 %) deutlich vorne. Im Klassement folgen die Branchen
Dienstleistungen allgemein (10,5 %), Chemie/Pharma (8,0 %) und Energie-/Entsor-
gungswirtschaft (7,2 %). Die geringsten Aktivitäten waren in den Branchen Papier/
Möbel/Holz/Verpackung (1,7 %), Textil/Bekleidung (1,5 %) sowie Luft- und Raumfahrt/
Marinautik/Bahntechnik (0,8 %) zu verzeichnen.
Differenziertere Aussagen erlauben Analysen der Branchenentwicklungen über den
gesamten Zeitverlauf hinweg. So war die Finanzdienstleistungsbranche zwar auch im
ganzen Zeitraum am aktivsten, die Aktivitäten stiegen allerdings in der dritten und
dann erneut in der vierten Phase sehr deutlich an. Im letztgenannten Zeitraum war fast
jeder vierte Käufer ein Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche; in den Jahren
2006 bis 2008 betrugen die Anteile jeweils sogar etwas mehr als ein Viertel. Dieser
Anstieg in der dritten und vierten Phase lässt sich zu einem erheblichen Teil auf die
Aktivitäten von Private Equity-Investoren zurückführen (vgl. Abb. 5).
Ähnlich verlief die Entwicklung in der Branche Dienstleistungen allgemein. Obgleich
der Anteil auf der Käuferseite in den ersten drei M & A-Phasen schon beachtlich war
(jeweils über 9 %), stieg er in der vierten Phase noch einmal deutlich an (15,3 %). Vor
allem zwei Gründe lassen sich für diese Entwicklung ausmachen: Ein erster ist die ins-
gesamt gestiegene volkswirtschaftliche Bedeutung des Dienstleistungssektors. Hierzu
zählen Dienstleistungen im Kranken- und Pflege- sowie im Bildungsbereich, aber auch
jene von Beratungen und Personalvermittlungen. Ein zweiter Grund sind die vielen
Grundstücks- und Immobilientransaktionen, die dieser Branche zugerechnet werden.
Dies trägt auch dazu bei, dass Dienstleistungen allgemein in der Rangliste der Objekt-
branchen deutlich vorne liegen (12,2 %).
Ein weiterer Aspekt des deutschen M & A-Marktes zeigt sich eindrucksvoll in den
Entwicklungen bei den Branchen Computer/Telekommunikation sowie Medien/Verlage.
Die Zahlen verdeutlichen wesentliche Treiber für die Aktivitäten der dritten M & A-Pha-
se. So spielte die Branche Computer/Telekommunikation in der ersten und zweiten
Phase eine noch eher geringe Rolle (ca. 5,3 % bzw. 7,2 % der Kaufobjekte). Das Bild än-
derte sich jedoch maßgeblich in den Jahren um die Jahrtausendwende: In dieser dritten
M & A-Phase gehörten 7,9 % der Käufer und 10,74 % der Kaufobjekte dieser Branche an.
Die Treiber für den deutlichen Anstieg der M & A-Aktivitäten in dieser Branche stehen
in Zusammenhang mit dem technologischen Fortschritt und einer daraus resultieren-
den außerordentlichen Euphorie. Die neuen Technologien ermöglichten innovative Ge-
schäftsmodelle, die wiederum zu einer stark fragmentierten Branchenlandschaft führ-
ten. Konsolidierungsaktivitäten und externer Zukauf von Kompetenzen und Fähigkeiten
waren die Folge. Dies zeigt sich u. a. auch daran, dass über den gesamten Zeitverlauf
die Hälfte aller Transaktionen branchenintern war. Nach dem Platzen der Internetblase
gingen die Anteile dann in der vierten M & A-Phase wieder zurück, blieben jedoch auf
einem höheren Niveau als noch zu Beginn des Betrachtungszeitraums.
Vergleichbar damit sind die Entwicklungen im Bereich Medien/Verlage. Auch in die-
ser Branche erreichten die Aktivitäten in der dritten Phase ihren Höhepunkt. 7,8 % der
Käufer und 8,4 % der Kaufobjekte waren dieser Branche zuzurechnen. Zu den wesent-
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aus und waren damit aktiv an der Entwicklung des deutschen M & A-Marktes beteiligt.
Käufer aus Osteuropa traten verstärkt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in der zwei-
ten M & A-Phase in Erscheinung, wobei deren Aktivitäten aber seitdem rückläufig sind.
Die BRIC-Länder und der sog. Rest der Welt (u. a. Länder des Nahen Ostens und Süd-
ostasiens) haben insbesondere in der vierten Phase an Bedeutung gewonnen. Deutsche
Käufer suchten vermehrt Kaufobjekte in den BRIC-Ländern, wodurch der Anteil der
dortigen Kaufobjekte am Gesamtaufkommen seit 2004 jährlich knapp 10 % erreichte.
Gleichzeitig stieg aber auch der Anteil der Käufer aus diesen Ländern.
4.5 Beratungsgeschäft
Aus einer M & A Stakeholder-Perspektive wird deutlich, dass auf dem M & A-Markt
nicht nur Manager um die Kontrollrechte von unternehmerischen Ressourcen konkur-
rieren. Auch verschiedene Dienstleister wie Investmentbanken, Wirtschaftsjuristen,
Wirtschaftsprüfer und Berater wetteifern miteinander um Mandate. Für sie haben sich
Dienstleistungen rund um Fusionen und Übernahmen in Deutschland zu einem lukra-
tiven Geschäft entwickelt. Dies deuten auch die Ranglisten (»League Tables«) der bei
deutschen Transaktionen beteiligten Finanz- und Rechtsberater an (vgl. Abb. 10).
4 Bank of America Merrill Lynch 1.037.314 612 Citi 6.059 31 Deutsche Bank AG 328.186 307 JP Morgan 236.081 218 Citi 430.802 171
5 Morgan Stanley 606.509 447 Morgan Stanley 5.575 31 Bank of America Merrill Lynch 326.494 91 Commerzbank AG 177.819 194 JP Morgan 425.474 229
6 UBS 590.982 728 JP Morgan 4.737 17 Rothschild 314.944 78 Bank of America Merrill Lynch 171.886 128 Bank of America Merrill Lynch 310.004 161
7 Rothschild 772.426 479 Commerzbank AG 3.216 24 UBS 296.459 160 Credit Suisse 158.141 138 UBS 303.642 224
8 Citi 587.189 533 Deutsche Bank AG 2.682 17 Credit Suisse 163.183 184 UBS 142.291 164 Rothschild 278.920 315
9 Credit Suisse 572.069 535 Goldman Sachs & Co 2.680 12 Commerzbank AG 126.651 125 Rothschild 140.540 212 Credit Suisse 241.438 180
10 Commerzbank AG 434.878 549 Bank of America Merrill Lynch 2.315 8 Citi 107.782 141 Citi 136.564 138 Nomura 199.427 90
11 Lazard 346.047 534 ING 1.688 10 Lazard 71.847 96 Lazard 84.293 177 BNP Paribas SA 193.894 123
12 Nomura 319.980 254 RBS 1.349 5 Nomura 48.943 88 Nomura 70.865 64 Lazard 181.569 244
13 BNP Paribas SA 260.798 235 Barclays Capital 932 15 HSBC Holdings PLC 36.909 40 Sal Oppenheim 61.014 171 HSBC Holdings PLC 151.678 48
14 HSBC Holdings PLC 188.842 100 Nomura 745 12 Credit Agricole CIB 20.962 15 BNP Paribas SA 50.909 60 Ernst & Young LLP 133.473 495
15 Ernst & Young LLP 172.280 714 Sagent Advisors Inc 484 1 BNP Paribas SA 15.996 52 Ernst & Young LLP 38.806 219 Commerzbank AG 127.192 206
16 Barclays 122.321 148 BHF-Bank AG 457 2 RBS 14.413 59 Greenhill & Co, LLC 30.207 23 Barclays 88.956 79
17 Greenhill & Co, LLC 108.628 68 Drexel Burnham Lambert 410 6 Barclays Capital 12.913 35 KPMG 21.369 165 Greenhill & Co, LLC 65.824 44
18 KPMG 84.324 727 Tanner 280 1 Greenhill & Co, LLC 12.597 1 PricewaterhouseCoopers 20.475 85 Perella Weinberg Partners LP 64.111 16
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19 RBS 72.483 204 3i Group PLC 276 1 Huebner Schloesser & Cie 11.375 22 Gruppo Banca Leonardo 19.863 62 Mediobanca 53.195 34
| M & A aus Marktperspektive
20 Credit Agricole CIB 91.476 104 Ermgassen & Co. 261 2 KPMG 10.439 177 Barclays Capital 19.521 19 KPMG 52.517 385
21 PricewaterhouseCoopers 73.885 550 HSBC Holdings PLC 255 12 Cazenove & Co 10.432 4 Credit Agricole CIB 14.501 9 PricewaterhouseCoopers 46.395 255
22 Perella Weinberg Partners LP 52.517 385 Mitsubishi UFJ Financial Group 213 1 Metzler Corporate Finance 6.442 35 RBS 12.689 55 RBS 44.032 85
23 Mediobanca 53.195 34 Prudential Securities Inc 213 1 Handelsbanken Capital Markets 5.098 4 Macquarie Group 12.048 4 UniCredit 43.149 121
24 UniCredit 43.149 121 Blackstone Group LP 121 1 Communications Equity 4.788 5 Freitag & Co 11.471 19 Societe Generale 35.046 45
25 Societe Generale 35.046 45 Freeman Spogli & Co 121 1 goetzpartners Corp Finance 4.788 4 Deloitte & Touche 8.281 42 Credit Agricole CIB 33.719 30
Rechtsberater
Gesamt Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4
Nr. Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl Berater Volumen Anzahl
1 Freshfields Bruckhaus Deringer 1.303.108 1.504 Sullivan & Cromwell 5.300 5 Shearman & Sterling 403.540 107 Freshfields Bruckhaus Deringer 400.732 577 Freshfields Bruckhaus Deringer 512.048 809
2 Shearman & Sterling 845.623 609 Skadden 4.704 8 Freshfields Bruckhaus Deringer 389.846 116 Hengeler Mueller 347.802 371 Hengeler Mueller 407.417 508
3 Linklaters 815.284 962 Chadbourne, Parke, Whiteside & Wolff 3.165 1 Sullivan & Cromwell 340.021 31 Shearman & Sterling 249.780 253 Clifford Chance 318.628 630
4 Clifford Chance 793.567 1.227 Richards Layton & Finger 2.904 1 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton 310.443 26 Clifford Chance 245.013 518 Linklaters 272.097 509
5 Hengeler Mueller 782.117 900 Cravath, Swaine & Moore 2.363 1 Linklaters 300.635 48 Linklaters 242.552 405 Shearman & Sterling 189.941 248
6 Sullivan & Cromwell 695.452 161 Irell & Manella 2.363 1 Skadden 295.342 36 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton 177.511 118 Allen & Overy 183.147 318
7 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton 637.101 320 O'Melveny & Myers 2.363 1 Norton Rose 290.040 17 Sullivan & Cromwell 174.529 56 Sullivan & Cromwell 175.601 69
8 Skadden 503.804 277 Potter, Anderson & Corroon 2.363 1 Simpson Thacher & Bartlett 265.483 19 Herbert Smith/Gleiss Lutz/Stibbe 168.304 178 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton 149.147 176
9 Simpson Thacher & Bartlett 391.286 91 Shearman & Sterling 2.363 1 Clifford Chance 229.889 78 Allen & Overy 138.481 194 Herbert Smith/Gleiss Lutz/Stibbe 122.226 219
10 Allen & Overy 353.126 539 Freshfields Bruckhaus Deringer 482 2 Dorsey & Whitney 206.601 14 Jones Day 129.230 179 Skadden 112.774 135
11 Herbert Smith/Gleiss Lutz/Stibbe 290.530 397 Simpson Thacher & Bartlett 468 2 BEITEN BURKHARDT 205.042 2 Skadden 90.984 98 Latham & Watkins 96.136 262
12 Norton Rose Fulbright 290.176 18 Allen & Overy 447 1 Haarmann Huegel Rechtsanwaelte 204.792 3 Slaughter & May 77.141 31 White & Case 94.782 312
13 Slaughter & May 223.383 81 Slaughter & May 447 1 Dewey & LeBoeuf 100.664 9 Cravath, Swaine & Moore 67.629 18 Cravath, Swaine & Moore 90.135 29
14 Dewey & LeBoeuf 210.089 94 Andrews Kurth 215 1 Slaughter & May 94.829 18 Dewey & LeBoeuf 63.516 37 Hogan Lovells 82.786 267
15 Dorsey & Whitney 206.601 14 Debevoise & Plimpton 201 1 Davis Polk & Wardwell 61.060 18 Simpson Thacher & Bartlett 63.459 33 Jones Day 74.511 278
16 BEITEN BURKHARDT 205.042 2 Fulbright & Jaworski 137 1 Debevoise & Plimpton 55.434 20 Morris Nichols Arsht & Tunnell 44.542 2 CMS 63.049 691
17 Haarmann Huegel Rechtsanwaelte 204.792 3 Jenkens & Gilchrist 98 1 Darrois Villey Maillot Brochier 51.308 3 Latham & Watkins 41.396 79 Simpson Thacher & Bartlett 61.877 37
18 Jones Day 203.741 457 Kieffer & Hahn 70 1 Richards Layton & Finger 42.584 5 Davis Polk & Wardwell 37.472 3 Weil Gotshal & Manges 57.352 98
19 Cravath, Swaine & Moore 186.193 68 Myerson & Kuhn 70 1 Fried Frank Harris Shriver & Jacobson 35.325 11 Sidley Austin 35.686 2 Slaughter & May 50.966 31
20 Latham & Watkins 137.531 341 Greenberg, Traurig, Askew 37 1 Allen & Overy 31.052 26 Blake Dawson 34.592 5 King & Wood Mallesons 48.746 176
21 Hogan Lovells 107.184 366 Clifford Chance 36 1 Hengeler Mueller 26.898 21 McCarthy Tetrault 29.965 10 Dewey & LeBoeuf 45.909 48
22 Davis Polk & Wardwell 98.532 21 Gibson Dunn & Crutcher 36 1 Cravath, Swaine & Moore 26.067 20 CMS 29.021 86 Bredin Prat 45.737 24
23 White & Case 94.782 312 Addleshaw Sons & Latham 21 1 Ashurst 21.247 23 Clayton Utz 27.580 9 Blake Cassels & Graydon 44.570 23
24 Fried Frank Harris Shriver & Jacobson 77.244 39 Lovell White & King 21 1 Mallesons Stephen Jaques 8.937 5 Lovells 24.377 98 McCarthy Tetrault 43.691 19
25 Weil Gotshal & Manges 57.352 98 Gordon Hurwitz Butowsky 18 1 Gianni, Origoni, Grippo & Partners 7.622 1 Osler Hoskin & Harcourt 21.704 10 Fried Frank Harris Shriver & Jacobson 41.919 28
Abb. 10: Finanz-und Rechtsberater bei M & A-Transaktionen mit deutscher Beteiligung nach Phasen (in US-$) (Quelle: Eigene Analyse; Thomson One, Dealogic)
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Ein zweiter wichtiger Dienstleistungsbereich auf dem M & A-Markt ist die juristische
Beratung (vgl. Abb. 10 unten). Insgesamt hat die Komplexität der Vertragswerke über
den Betrachtungszeitraum hinweg zugenommen – auch aufgrund der Entwicklungen
bei den rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen. In M & A-Vereinbarungen
sind verschiedenste Aspekte zu adressieren, von möglichen Kaufpreisanpassungen und
Garantielaufzeiten bis zu Wettbewerbsklauseln.
Bei Betrachtung der League Tables für Rechtsberater ist zu berücksichtigen, dass
insbesondere um die Jahrtausendwende zahlreiche internationale Großkanzleien in
Deutschland neu entstanden sind. Ein gutes Beispiel dafür ist die Großkanzlei Fresh-
fields Bruckhaus Deringer. In ihrer Form als internationale Wirtschaftskanzlei besteht
sie seit 2000. Damals schloss sich die Londoner Kanzlei Freshfields zunächst mit der
deutschen Kanzlei Deringer Tessin Herrmann & Sedemund zusammen und wenige Mo-
nate später auch mit der deutsch-österreichischen Kanzlei Bruckhaus Westrick Heller
Löber, die 1998 als erste grenzüberschreitende Fusion einer deutschen Anwaltskanzlei
entstanden war. Der Zusammenschluss wurde Mitte 2000 bekanntgegeben62 und galt in
Branchenkreisen als einziger wirklicher Erfolg unter den zu dieser Zeit zahlreich neu
entstandenen internationalen Großkanzleien in Deutschland.63 In der näheren Vergan-
genheit scheint auch der Zusammenschluss von Norton Rose und Fulbright & Jaworski
erfolgreich gewesen zu sein, da sich die fusionierte Großkanzlei Norton Rose Fulbright
über Jahre hinweg im vorderen Mittelfeld behaupten konnte.
Freshfields Bruckhaus Deringer ist ebenfalls der Branchenprimus, sowohl gemessen
an der Anzahl (1.504) als auch gemessen am Volumen (ca. 1.303 Mrd. US-$) der betreu-
ten Transaktionen. Insgesamt wird die Liste von den internationalen Großkanzleien
bestimmt. Dass auch für diese der deutsche Markt kein Selbstläufer ist64, zeigen die
Entwicklungen der letzten Jahre: Als prominentes Beispiel sei hier nebst vielen ande-
ren partiellen oder kompletten Rückzügen die deutliche Verkleinerung der deutschen
Repräsentanz von Shearman & Sterling im Jahr 2013 genannt.
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35000 200
180
30000
160
25000
140
Volumen in Mio. EUR
120
20000
Anzahl
100
15000
80
60
10000
40
5000
20
0 0
1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Volumen 2300 900 400 1200 2400 1600 500 600 700 4000 13000! 3200 4200 15500 32200 3300 200 0 1800 3600 7600 7400 380 61 2611 1500 2400 2200 3400
Abb. 11: Anzahl und Emissionsvolumen von IPOs in Deutschland 1986–2014 (Quelle: Auswertung GoingPublic
Magazin)
onen verharrte zunächst auf einem niedrigen Niveau (von 1986 bis 1996), worauf zwei
IPO-Wellen folgten, die ihre Höhepunkte in den Jahren 1999 (199 IPOs) und 2006 (76
IPOs) erreichten. Das Niveau der darauf folgenden Jahre ist von noch geringerer Akti-
vität als vor 1996, aber von höheren Volumina gekennzeichnet. Wie bei Transaktionen
geht auch hier der Trend im Schnitt zu größeren »Events«. Bemerkenswert ist zudem
das Jahr 2003, in dem kein einziger IPO erfolgte.
Die Entwicklungen bei den Volumina der emittierten Aktien verliefen grundsätzlich
analog. Die Höhepunkte fielen auf die Jahre 2000 (32,2 Mrd. EUR) und 2006 (7,6 Mrd.
EUR). Auffallend ist, dass die Volumina in der Hochphase der Jahre 2006 und 2007 (15
Mrd. EUR) deutlich unter jenen der Boomjahre 1999 und 2000 (45,7 Mrd. EUR) lagen.
Ferner zeigt sich, dass bereits im Jahr 1995 (4 Mrd. EUR) ein vergleichsweise hohes
Volumen registriert wurde, im Vergleich zum Vorjahr (700 Mio. EUR.) fast das Sechs-
fache. Vor allem der Börsengang der Deutschen Telekom schlägt mit ca. 10 Mrd. EUR
zu Buche.65 Im Folgejahr ist bei diesem Wert mehr als eine Verdreifachung auf 13 Mrd.
EUR zu verzeichnen.
Das hohe Emissionsvolumen im »Jahr der Neuemissionen« 2000 war insbesondere
auf die großen Börsengänge von Infineon Technologies AG (5,4 Mrd. EUR), T-Online AG
(3,1 Mrd. EUR) und der Deutschen Post AG (5,8 Mrd. EUR) zurückzuführen.66 Auch die
65 Unter dem damaligen Vorstandschef Ron Sommer erfolgte am 18.11.1996 der Börsengang der Deut-
schen Telekom. In einer bis dahin einmaligen Werbekampagne wurde der Begriff der T-Aktie ge-
prägt und vor allem auch Privatanlegern als Volksaktie angepriesen. Der Erstausgabepreis betrug
28,50 DM (14,57 EUR). Das entsprach einem Erlös von 10,0 Mrd. EUR. Später folgten eine zweite und
dritte Tranche (28.06.1999, Stückpreis 39,50 EUR, Erlös 10,88 Mrd. EUR und 19.06.2000, Stückpreis
66,50 EUR, Erlös 15 Mrd. EUR).
66 Vgl. Mezger 2001.
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zweite Hochphase war von großen IPOs gekennzeichnet: Im Jahr 2006 bewerkstelligten
Symrise AG (Emissionsvolumen: 1,4 Mrd. EUR) und Wacker Chemie AG (1,2 Mrd. EUR)
die größten Börsengänge.67 Auch im Jahr 2007 gab es volumenträchtige IPOs.68 Die
größte Erstnotiz schaffte die Tognum AG (ca. 2,0 Mrd. EUR). Ferner platzierte die Stadt
Hamburg 2007 einen Teil ihrer Anteile an dem Hafenlogistikkonzern Hamburger Hafen
und Logistik AG (HHLA) an der Börse (1,17 Mrd. EUR). Auch die Gerresheimer AG de-
bütierte in dem Jahr an der Börse (912 Mio. EUR). Zusammen standen die drei größten
Börsengänge des Jahres 2007 für mehr als die Hälfte der gesamten Emissionserlöse.
In der zweiten IPO-Hochphase wurde auch ein steigendes Interesse am Finanzplatz
Deutschland aus dem asiatischen Raum deutlich. So wurden beispielweise im Jahr 2007
aus China sieben Neuzugänge registriert, darunter die ZhongDe Waste Technology AG
und die Asian Bamboo AG. Erstmals registrierte die Deutsche Börse 2007 auch Erst-
notierungen von Unternehmen aus Russland/CIS: Insgesamt gaben acht Gesellschaften
ihr Börsendebüt im Open Market.69 Die Zahlen zeigen eine zunehmende Internationa-
lisierung des Primärmarktes.
Nach 2007 ging es auf vergleichsweise niedrigem Niveau weiter – insbesondere was
die Anzahl der IPOs betrifft. Ab 2010 erholten sich die Aktivitäten etwas. Höhepunkt
war 2012 der Börsengang von Telefonica bzw. Telefónica Deutschland Holding AG. Die
Spanier schafften es trotz der Nachwehen der Finanzkrise knapp 1,5 Mrd. EUR ›ein-
zusammeln‹.70 2014 war mit 3,4 Mrd. EUR das stärkste Jahr seit 2007 – nach Volumen,
auch wenn dieses im Vergleich zu 2007 nicht einmal dessen Hälfte ausmacht. Es wird
erwartet, dass das Jahr 2015 noch spannender wird.71
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| 99
Teil
* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen
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Rückspiegel – Vodafon und Mannesmann: Der größte M & A-Deal aller Zeiten | 101
Teil
onsunternehmen kaum für möglich gehalten, was sich als Selbstüberschätzung heraus
stellte. Das Unternehmen wurde danach zerschlagen, da Vodafone nur an D2 interessiert
war. Ende Mai 2000 wurde Orange von Vodafone für 26,9 Mrd. brit.-£ (ca. 84 Mrd. DM)
an die France Telecom verkauft. Vodafone rangierte danach in der Weltrangliste der
»wertvollsten« Unternehmen auf Platz vier. Das Unternehmen war lange Jahre das Pa-
radebeispiel für nahezu grenzenloses Wachstum mittels internationalen Akquisitionen.
Man kann heute sagen, dass diese Übernahme nicht nur die größte war, sondern
sicher auch eine der wertvernichtendsten. Die enorme Höhe des Gebots bei der Einigung
ist vor dem Hintergrund der damals nahezu grenzenlosen Euphorie auf der Investo-
renseite zu sehen. Dass ein Preis von 101 Mrd. brit.-£ mit den bestehenden Cashflows
nicht annähernd zu rechtfertigen war, wurde mit dem Argument, dass zusätzliche
zukünftige Einkommensströme aus den neuen Technologien (Videogespräche, Down-
loads und Streaming von Videos etc.) derartige Preise durchaus legitimieren würden,
zur Seite gewischt. Der hohe Preis wurde durch Vodafone auch durch die »inflationierte
Währung« mit der die Transaktion bezahlt wurde, nämlich den Aktien von Vodafone,
legitimiert. Und es lässt sich sogar argumentieren, dass der Vodafone-Kurs ohne die
Mannesmann-Akquisition noch stärker gefallen wäre, da die Vodafone-Aktien noch
stärker inflationiert waren als die Mannesmann-Aktien.
Erst relativ spät begann Vodafone den Kritikern der Transaktion auch zuzubilligen,
dass zu deutlich überhöhten Preisen der Aktienbestand von Mannesmann aufgekauft
wurde. Nach wochenlangen Unruhen um die zukünftige strategische Ausrichtung des
Unternehmens musste der seinerzeit neue CEO Arun Sarin am 27.02.2006 nicht nur
eingestehen, dass die bislang kommunizierten und im Kapitalmarkt als sehr ambitiös
wahrgenommenen Wachstumsprognosen in den eigenen Schlüsselmärkten deutlich zu-
rückgenommen werden müssen. Er musste auch ankündigen, dass Vodafone auf rund
des eingetretenen Teilwertverfalls von Mannesmann im Jahresabschluss 2005 Abschrei-
bungen in Höhe von rund 23,5 Mrd. brit.-£ auf einige der internationalen Aktiva vorneh-
men musste. Ein Großteil dieser Abschreibungen in Höhe von 19,4 Mrd. brit.-£ entfällt
auf den deutschen Markt und dürften den Goodwill der im Jahr 2000 übernommenen
Mannesmann AG und die getrübten Aussichten in einem immer härter umkämpften
deutschen Mobilfunkmarkt betreffen.1
Diese Abschreibungen dürften wohl als Eingeständnis zu werten sein, wie extrem
überbewertet diese Transaktion wirklich war und welchen Preis eine »Wachstumsstra-
tegie um jeden Preis« haben kann. Ein Anhaltspunkt über den Wertverfall des Mannes-
mann-Engagements liefert die Differenz zwischen dem Buchwert beim Abschluss der
Transaktion in Höhe von 140 Mrd. brit.-£ und Anfang 2006 in Höhe von etwa 88 Mrd.
brit.-£ – ein Rückgang um etwa 37 %. Bezogen auf die Marktkapitalisierung reduzierte
sich der Buchwert von 160 % auf 128 % – was im Verhältnis zu Wettbewerbern wie der
Deutschen Telekom oder France Telekom, wo dieser Prozentsatz deutlich unter 100 liegt,
immer noch ziemlich hoch ist.
Doch diese Jahrhundert-Transaktion hatte nicht nur eine ökonomische Dimension,
sondern auch eine moralische und juristische. So zeigte sie recht deutlich, wie gut bzw.
schlecht die teilweise erst neuerdings eingerichteten Regulative des Marktes für Unter-
nehmenskontrolle (bereits) funktionierten. So hatte diese Transaktion denn auch ein
juristisches Nachspiel. Gegen Mannesmann-Organmitglieder wurde Strafanzeige durch
die Änwälte Binz und Sorg wegen des Verdachts der Untreue bei der Düsseldorfer Staats-
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2 Vgl. hierzu im Detail Theisen, M. R. (2014): Zehn Jahre später: »Zehn Lehren aus dem Mannes-
mann-Prozess« auf dem Prüfstand, in: Freudenberg, G./Sorg, M. (Hrsg.): Familienunternehmen im
Fokus von Wirtschaft und Wissenschaft, Festschrift für Mark K. Binz, Beck: München, S. 685–695.
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| 103
Teil
1 Einleitung
2 Überblick zum Schweizer M & A-Markt von 1990 bis 2014
2.1 Entwicklung der Transaktionsaktivitäten
2.2 Länderstatistik
2.3 Branchenstatistik
2.4 M & A-Beratungen
3 Schweizer Top Deals von 1990 bis 2014
3.1 Übersicht der 25 größten Deals
3.2 Ausgewählte Top Deals
4 Fazit und Ausblick
1 Einleitung
»Schweizer M & A-Markt blickt auf aktives Jahr zurück«, »1998 wird zum Jahr der Konsoli-
dierung für den Schweizer M & A-Markt«, »Finanzdienstleister im Mittelpunkt des Schwei-
zer M & A-Geschehens«, »Spektakuläre Zukäufe der Schweizer Großbanken«, »Konsolidie-
rung auf dem Schweizer Telekommunikationsmarkt«, »Akquisitionen der Pharmariesen
prägen Schweizer M & A-Markt«, »Berg und Talfahrt im Schweizer M & A-Markt 2008« – Ein
Blick auf einige Titel der in den letzten 25 Jahren in der Branchenfachzeitschrift M & A
REVIEW erschienen Beiträge zeigt die Vielfältigkeit des Marktgeschehens allgemein
sowie auch einige der aktivsten Branchen im Schweizer M & A-Markt. Während die
meisten Medien einen zeitnahen, d. h. quartalsweisen oder jährlichen, Rückblick auf das
Schweizer M & A-Geschehen geben, soll dieser Beitrag eine langfristigere Perspektive auf
den M & A-Markt ermöglichen und über kurzfristige Trends hinausgehende Einschät-
zungen erleichtern.
Der Beitrag greift überwiegend auf Daten der M & A DATABASE der Universität St.
Gallen und teilweise auch auf internationale Datenbanken wie Thomson ONE Banker
zurück. Diese Daten werden einerseits deskriptiv ausgewertet und visuell dargestellt,
andererseits werden unter Verwendung von makroökonomischen und firmenspezifi-
schen Hintergrundinformationen, eine Kontextualisierung und Interpretation vorge-
nommen. Insbesondere der zweite Aspekt soll das Verständnis für die Entwicklungen
über die letzten 25 Jahre im Schweizer M & A-Markt fördern und damit möglicherweise
sogar die Einschätzung zukünftiger Ereignisse erleichtern.
* Prof. Dr. Markus Menz, Professor für Strategisches Management, Universität Genf, Genf;
Fabian Barnbeck, Doktorand, Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen.
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Der Beitrag ist wie folgt strukturiert: Zunächst erfolgt ein Überblick über den
Schweizer M & A-Markt von 1990 bis 2014. Dies schließt nicht nur die allgemeine Trans-
aktionsentwicklung, sondern auch Länder- und Branchenstatistiken mit ein. Zudem
wird auf die Rolle der wichtigsten finanziellen und rechtlichen Beratungsdienstleister
eingegangen, die im (erfolgreichen) Transaktionsprozess vielfach eine Schlüsselrolle
spielen. Anschließend folgt eine Darstellung der 25 größten M & A-Transaktionen mit
Schweizer Beteiligung, ebenfalls für den Zeitraum von 1990 bis 2014. Dies umfasst
auch die detaillierte Vorstellung ausgewählter spektakulärer Deals, die teilweise in der
Schweizer Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wurden. Der Beitrag schließt mit einem
Fazit und einem kurzen Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen im Schweizer
M & A-Markt.
Die Entwicklung der Transaktionszahlen verläuft zyklisch bzw. in Wellen. Für den Zeit-
raum von 1990 bis 2014 lassen sich vier M & A-Wellen ausmachen.1 Die erste Schweizer
M & A-Welle, von 1990 bis 1994, ist mit einer Dauer von fünf Jahren vergleichsweise
kurz. Charakteristisch für diese Welle ist der kurze Aufschwung und der ebenso abrup-
te Abschwung von 1993 auf 1994. Während diese Entwicklung nicht die eher negative
konjunkturelle Entwicklung der Schweiz zu Beginn der 1990er Jahre reflektiert, bieten
Ereignisse in den Nachbarländern und andere internationale Entwicklungen einen Er-
klärungsansatz für diese Welle.2 So spiegelt diese Welle die konjunkturelle Entwicklung
nach der deutschen Wiedervereinigung und nach dem Niedergang der Sowjetunion und
weiterer ehemaliger Ostblockländer wider. Während in den ersten Jahren nach 1990 ein
Wirtschaftsboom – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen
Ländern – festzustellen war, folgte nach diesem kurzen Aufschwung eine Rezession.
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700
628 607
590 590
600 557 548 536
513
482 487
500 437 456
408 427
404
377 363 364
400 353 341
331
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300 242
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Abb. 1: Jährliche Transaktionsentwicklung in der Schweiz von 1990 bis 20143 (Quelle: Eigene Analyse, M & A
DATABASE Universität St. Gallen)
Die zweite Welle, von 1995 bis 2001, dauerte bereits sieben Jahre an. Ausgehend von
einem relativ niedrigen Niveau bei der Anzahl der M & A-Transaktionen – nur 242 Deals
mit Schweizer Beteiligung in 1994 – entwickelte sich der M & A-Markt in diesem Zyk-
lus sehr positiv auf ein Hoch von 557 Deals in 1997. Auch in der Schweiz stand diese
Entwicklung im Zeichen der New Economy, und die Investorenphantasie spielte eine
große Rolle. Der Markt blieb in den Jahren 1997 und 1998 auf einem vergleichsweise
hohen Niveau, war nach einem Knick 1999 auch 2000 noch rege, bevor ein deutlicher
Rückgang im Jahr 2001 erfolgte. Einer der Hauptgründe für die Abnahme der Schweizer
M & A-Transaktionen war, dass sich aufgrund des erheblichen Einbruches der internati-
onalen sowie Schweizer Kapitalmärkte die Finanzierung von Transaktionen börsenno-
tierter Unternehmen stark verteuerte.
Die dritte Welle, von 2002 bis 2009, war mit einer Dauer von rund acht Jahren
die längste Welle im Schweizer M & A-Markt in den vergangenen 20 Jahren. War sie
zunächst Ausdruck eines vergleichsweise lang anhaltenden globalen sowie schweize-
rischen wirtschaftlichen Aufschwungs, stand sie in den letzten Jahren im Zeichen der
weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise.4 Aufgrund der mit der Krise verbundenen
Unsicherheit sowie Finanzierungsschwierigkeiten scheuten viele Unternehmen Trans-
aktionen als ein Mittel zum Wachstum. Zudem gestaltete es sich in den Jahren 2008
und 2009 teils erheblich schwieriger, Fremdkapital für Akquisitionen zu erhalten, was
zu einem Rückgang der Transaktionstätigkeiten insbesondere bei Private Equity-Fonds
führte. Schließlich war in 2009 eine Abnahme von Akquisitionen Schweizer Unter-
nehmen durch ausländische Käufer festzustellen, nicht zuletzt aufgrund der Stärke
der Schweizer Währung. Einem noch weiteren Rückgang des Schweizer M & A-Marktes
wirkte vor allem die vergleichsweise gute Situation Schweizer Unternehmen entgegen.
Die Einbrüche im Zuge der Krise waren in vielen Branchen in der Schweiz geringer
als im Ausland und die Unternehmen nicht von einer »Kreditklemme« wie etwa in
Deutschland betroffen.
3 Transaktionen in den Jahren 1990 und 1991 nicht vollständig in Datenbank erfasst; Werte 1999 und
2000 ohne Joint Ventures.
4 Vgl. zu den entsprechenden Quartalszahlen: Menz/Clüver 2010.
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Die vierte Welle, von 2010 bis 2014, ist vor allem durch den rapiden Rückgang der
M & A-Aktivität im Jahr 2012 gekennzeichnet. Grund für diese einschneidende Entwick-
lung auf dem Schweizer M & A-Markt war das Erstarken des Schweizer Franken im Zuge
der Eurokrise. Allerdings schlug sich diese Wechselkursentwicklung zunächst positiv
in der Transaktionsaktivität nieder: Während Schweizer Zielobjekte für ausländische
Investoren an Attraktivität verloren, nutzten Schweizer Unternehmen im Jahr 2011 die
starke Heimatwährung für günstige Investitionen im Ausland. Dieses Abschöpfen von
Wechselkursvorteilen führte 2011 zur dritthöchsten Transaktionsanzahl in den ver-
gangenen 25 Jahren. Aufgrund der anhaltenden Frankenstärke kehrten zwischen 2012
und 2014 ausländische Investoren allerdings nicht auf den Schweizer Markt zurück. Da
Schweizer Investoren ihr Pulver im Jahr 2011 bereits verschossen hatten und sich in den
Folgejahren auf dem M & A-Markt eher zurückhielten, kam es zu dem beschriebenen
rapiden Rückgang der Transaktionsaktivität im Jahr 2012.
Neben dem zuvor beschriebenen Wellenverlauf, ist die Entwicklung der Transaktions-
zahlen in der Schweiz im Zeitraum von 1990 bis 2014 insgesamt positiv. Obwohl die
Zahl der M & A-Transaktionen in der Schweiz im Jahresvergleich jeweils teils erheblich
schwankt, ist über einen längeren Zeitraum hinweg ein Anstieg der Transaktionsakti-
vitäten festzustellen. Schweizer Unternehmen nutzen seit den 1990er Jahren vermehrt
aktives Portfoliomanagement mit Akquisitionen und Desinvestitionen im Rahmen ih-
rer Unternehmensstrategien – ein Trend der auch in den letzten Jahren vor Erschei-
nen dieses Beitrags noch anhielt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einerseits war in
vielen Branchen in den vergangenen Jahren eine Konsolidierung festzustellen. In der
Finanzdienstleistungsbranche etwa nahm die Anzahl der Unternehmen in der Schweiz
seit 1990 durch M & A ab. Andererseits führte die fortschreitende Globalisierung dazu,
dass auch Schweizer Unternehmen sich immer mehr internationalisierten und auf M & A
(oder oftmals auch auf Joint Ventures) als ein mögliches Instrument zurückgriffen.
Hier kam den Schweizer Unternehmen auch ihre im Vergleich zu ausländischen Wett-
bewerbern weit überdurchschnittliche Stellung zu Gute, beispielsweise hinsichtlich der
Eigenkapitalausstattung.
2.2 Länderstatistik
Eine Unterscheidung der Marktaktivitäten in Binnentransaktionen und Deals mit aus-
ländischer Beteiligung, sog. grenzüberschreitende bzw. Cross-Border-Transaktionen,
zeigt hinsichtlich der Internationalisierung Schweizer Unternehmen verschiedene Pha-
sen. Bis auf die Jahre 2002, 2004 und 2005 waren in allen Jahren die meisten De-
als Cross-Border-Transaktionen, d. h. entweder mit einem ausländischen Käufer oder
einem ausländischen Zielunternehmen (vgl. Abb. 2). Dies verdeutlicht allgemein die
Wichtigkeit ausländischer Märkte für die Schweiz. Während Mitte bis Ende der 1990er
Jahre Schweizer Binnentransaktionen häufiger als Deals mit einem Schweizer Käufer
und einem ausländischen Zielunternehmen waren, so verlagerte sich der Schwerpunkt
in den Jahren 1999 und 2000 zugunsten der ausländischen Zielunternehmen. In den
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letzten Jahren überwog aber wieder die Zahl der Schweizer Binnentransaktionen, d. h.
Schweizer Käufer erwarben deutlich häufiger Schweizer Unternehmen als ausländische.
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Abb. 3: Zielländer für Schweizer Cross-Border-Transaktionen (relative Transaktionsanzahl): Jahresdaten von 1990 bis
2014 (Quelle: Eigene Analyse, M & A DATABASE Universität St. Gallen)
Großbritannien (6,1 %), Frankreich (5,7 %), Österreich (4,4 %) und Italien (4,2 %). Mit
etwas Abstand folgen die Niederlande, China, Schweden und Belgien.
Interessanterweise kommt China neben den USA als einziges nichteuropäisches Land
in die Top 10 der letzten 25 Jahre, was auf den hohen Stellenwert Chinas für die Schweiz
in diesem Zeitraum schließen lässt. Dies wird auch durch Jahresdaten bestätigt (vgl.
Abb. 3), in denen China in den Jahren 2006, 2010 und 2014 auf Platz sechs und in den
Jahren 2009 und 2013 auf Platz sieben rangiert. Während die Platzierungen der wich-
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2.3 Branchenstatistik
Ein Blick auf die Branchen der Zielunternehmen vermittelt einen Eindruck über die
M & A-Aktivitäten der verschiedenen Industrien in der Schweiz. Über den gesamten
Zeitraum 1990 bis 2014 betrachtet kommen die Branchen Dienstleistungen allgemein
(11,7 %) und die Finanzdienstleistungsbranche mit 10,1 % aller Transaktionen als ein-
zige Branchen über die Marke von 10 %. Es folgen jeweils mit etwas Abstand Chemie/
Pharma (8,5 %), Maschinenbau/Feinmechanik (8,3 %) sowie Elektrotechnik/Medizin-
technik (8,3 %). Die geringsten M & A-Aktivitäten waren in den Branchen Textil/Beklei-
dung (2,4 %), Papier/Möbel/Holz/Verpackungen (2,2 %), Automobilbau (1,8 %) sowie
Luft- und Raumfahrt (0,7 %) zu verzeichnen. Die Ergebnisse sind wenig überraschend,
spiegeln sie doch den Stellenwert der einzelnen Industrien in der Schweizer Volkswirt-
schaft wider. Dies lässt zunächst den Schluss zu, dass die M & A-Aktivitäten positiv mit
der Anzahl der Unternehmen in der Branche korrelieren. Des Weiteren erscheint es,
dass Branchen, die durch eher international tätige Unternehmen gekennzeichnet sind,
häufig eine höhere Anzahl M & A-Transaktionen vorweisen. Beispiele hierfür sind die
Branchen Maschinenbau/Feinmechanik und Chemie/Pharma.
Bei einer Betrachtung der Daten über den Zeitverlauf zeigen sich deutliche Unter-
schiede in der Entwicklung der M & A-Aktivitäten verschiedener Branchen (vgl. Abb. 4).
So reflektieren die M & A-Zahlen vielfach volkswirtschaftliche und branchenspezifische
Entwicklungen sowie auch einzelne einschneidende Ereignisse. Die Daten deuten auf
einen heute wesentlich größeren Stellenwert der Dienstleistungsbranche als noch vor
25 Jahren hin. Beispielsweise konnte die Branche Dienstleistungen allgemein einen deut-
lichen Aufwärtstrend beim relativen Anteil der M & A-Deals verzeichnen und rangiert
seit 2009 ununterbrochen auf dem ersten Platz. Auch die Branche Computerindustrie/
Telekommunikation illustriert eine spezifische Entwicklung: Sie hatte einen deutlichen
Höhepunkt in den Jahren von 1999 und 2000 (11,3 % respektive 13,4 % aller Schweizer
M & A-Transaktionen) – eine Entwicklung, die durch den Boom des Internets bzw. den
New Economy-Hype in diesen Jahren erklärt werden kann. Seit dem Höchststand in
2000 ging der relative Anteil an M & A-Deals überwiegend stetig zurück und stabilisierte
sich in den letzten Jahren bei einem relativen Anteil um die 6 %. Zusätzlich zu Verschie-
bungen des Anteils am gesamten M & A-Markt in der Schweiz, reflektieren die Zahlen
die unterschiedlichen Branchenvolatilitäten. Eher wenig volatil geltende Branchen wie
die Bau-/Baustoffindustrie oder die Energie-/Entsorgungswirtschaft wiesen geringere
Schwankungen bei den M & A-Aktivitäten auf, als eher dynamische Branchen wie etwa
Dienstleistungen allgemein oder Computerindustrie/Telekommunikation.
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Branche 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000
Energie-/Entsorgungswirtschaft 7.2% 6.4% 3.7% 4.9% 2.0% 3.7% 3.0% 5.2% 2.5% 1.9%
Chemie/Pharma 8.5% 9.3% 10.1% 6.6% 9.4% 1.0% 9.8% 9.0% 7.4% 8.2%
Anlagenbau/Stahl/Umwelttechnik 7.4% 6.2% 4.9% 1.9% 3.0% 5.4% 3.6% 3.8% 5.4% 5.0%
Maschinenbau/Feinmechanik 5.2% 11.4% 6.0% 5.8% 7.2% 6.8% 6.0% 8.4% 8.2% 12.1%
Automobilbau 2.2% 2.3% 0.7% 0.8% 1.5% 6.7% 1.3% 1.9% 2.5% 2.2%
Elektrotechnik/Medizintechnik 4.7% 5.4% 9.7% 7.2% 10.7% 11.8% 8.1% 9.7% 8.2% 10.2%
Textil/Bekleidung 1.1% 1.7% 1.1% 1.2% 1.6% 7.2% 1.1% 0.6% 2.7% 1.5%
Nahrungs- und Genußmittel 4.4% 3.7% 5.8% 4.9% 6.3% 2.7% 7.9% 6.4% 3.5% 6.7%
Handel 2.5% 1.0% 4.9% 3.7% 3.3% 7.8% 3.4% 4.4% 4.1% 3.7%
Finanzdienstleistungen 14.6% 11.6% 8.8% 18.5% 9.1% 3.5% 11.8% 9.4% 9.5% 5.2%
Versicherungen 3.9% 4.1% 3.5% 1.9% 2.8% 0.3% 4.4% 5.5% 3.0% 3.5%
Transport und Verkehr 4.7% 6.8% 6.2% 6.0% 7.6% 5.4% 8.1% 8.0% 9.3% 6.9%
Dienstleistungen allg. 20.1% 11.2% 10.3% 9.7% 12.7% 7.3% 11.4% 7.1% 10.6% 7.6%
Medien/Verlage 4.7% 3.7% 7.8% 5.7% 6.8% 7.8% 6.0% 8.0% 6.5% 3.7%
Bau-/Baustoffindustrie 5.0% 4.4% 6.5% 4.5% 5.6% 3.2% 5.5% 2.5% 4.9% 4.1%
Papier/Möbel/Holz/Verpackungen 0.6% 2.5% 1.9% 1.4% 2.5% 0.2% 2.0% 3.0% 3.3% 2.8%
Luft- und Raumfahrt 0.3% 0.4% 0.6% 0.6% 1.0% 3.0% 0.4% 0.4% 0.3% 0.9%
Computerindustrie/Telekommunikation 3.0% 4.8% 6.0% 7.0% 6.9% 11.1% 6.1% 6.7% 8.2% 13.4%
Sonstige 0.0% 2.9% 1.7% 7.6% 0.2% 5.1% 0.0% 0.0% 0.0% 0.4%
Summe 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0%
Branche 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990
Energie-/Entsorgungswirtschaft 3.3% 3.0% 2.2% 1.9% 0.6% 0.8% 3.7% 3.2% 4.1% 0.0%
Chemie/Pharma 5.3% 6.7% 9.1% 9.2% 7.8% 8.8% 4.9% 9.1% 7.2% 17.0%
Anlagenbau/Stahl/Umwelttechnik 6.0% 2.8% 2.6% 1.7% 3.7% 0.8% 2.4% 4.8% 2.1% 3.8%
Maschinenbau/Feinmechanik 10.2% 8.9% 6.9% 9.2% 7.2% 9.9% 8.1% 11.2% 19.6% 9.4%
Automobilbau 1.8% 1.4% 1.0% 2.5% 0.9% 1.9% 0.2% 1.9% 2.1% 3.8%
Elektrotechnik/Medizintechnik 5.6% 10.1% 9.7% 10.3% 11.8% 8.8% 10.0% 12.3% 4.1% 5.7%
Textil/Bekleidung 2.9% 1.8% 2.0% 2.8% 6.5% 3.1% 4.6% 3.7% 1.0% 4.7%
Nahrungs- und Genußmittel 6.2% 7.1% 5.1% 5.0% 7.2% 8.4% 10.5% 5.1% 7.2% 6.6%
Handel 2.5% 2.2% 3.4% 5.6% 3.7% 5.7% 6.6% 4.0% 6.2% 9.4%
Finanzdienstleistungen 8.4% 9.5% 11.8% 10.3% 11.8% 15.6% 13.7% 9.4% 11.3% 8.5%
Versicherungen 5.3% 5.1% 4.9% 7.8% 5.0% 4.6% 3.9% 1.3% 1.0% 2.8%
Transport und Verkehr 7.3% 9.5% 10.1% 6.7% 7.5% 6.5% 4.2% 5.1% 2.1% 3.8%
Dienstleistungen allg. 9.1% 9.5% 8.7% 10.6% 8.7% 7.3% 8.1% 7.5% 9.3% 5.7%
Medien/Verlage 5.5% 5.1% 4.1% 3.6% 5.0% 2.7% 4.6% 6.7% 5.2% 6.6%
Bau-/Baustoffindustrie 6.2% 6.3% 8.7% 5.6% 4.7% 4.2% 6.4% 7.0% 4.1% 1.9%
Papier/Möbel/Holz/Verpackungen 1.8% 3.2% 2.2% 2.2% 3.4% 2.7% 3.9% 4.0% 1.0% 1.9%
Luft- und Raumfahrt 1.3% 0.8% 0.8% 0.0% 0.6% 0.0% 0.0% 0.5% 2.1% 0.9%
Computerindustrie/Telekommunikation 11.3% 7.1% 6.1% 5.3% 3.7% 8.4% 4.2% 2.7% 8.2% 6.6%
Sonstige 0.2% 0.2% 0.4% 0.0% 0.0% 0.0% 0.0% 0.5% 2.1% 0.9%
Summe 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0%
Abb. 4: Branchenverteilung der Akquisitionsobjekte von 1990 bis 2014 (relative Anzahl Transaktionen) (Quelle: Eigene Analyse,
M & A DATABASE Universität St.Gallen)
2.4 M & A-Beratungen
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Anzahl M & A-Deals mit großem Abstand die beiden Schweizer Großbanken UBS (388
Deals) und Credit Suisse (363). Es folgen auf den weiteren Plätzen der Top 10 angelsäch-
sische Investmentbanken (Goldman Sachs, JP Morgan, Morgan Stanley, Lazard), drei
der »Big Four«, die führenden Wirtschaftsprüfungsfirmen (PricewaterhouseCoopers,
KPMG, Ernst & Young) sowie die Deutsche Bank.
Unter Berücksichtigung des kumulierten Dealvolumens der Transaktionen (was üb-
licherweise die Grundlage für die durch die Transaktionsberatung eingenommenen Ge-
bühren bildet) verschieben sich die Platzierungen. Während Goldman Sachs mit großem
Abstand auf den ersten Platz der wichtigsten Finanzberatungen kommt, folgen Credit
Suisse und JP Morgan auf den Plätzen zwei und drei. Insgesamt wird deutlich, dass sich
einige M & A-Beratungen auf eher kleinere und mittlere Transaktionen konzentrieren,
andere sich jedoch (fast) ausschließlich mit großen Deals befassen. Zu den ersteren
gehören insbesondere die drei Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCoopers, KPMG, Ernst
& Young, die vergleichsweise niedrige Volumina je Deal aufweisen und daher in dem
Ranking nach Transaktionsvolumen nicht mehr in den Top 10 vertreten sind. Auch
die beiden Schweizer M & A-Beratungen von Credit Suisse und UBS weisen wesentlich
geringere durchschnittliche Dealvolumina als ihre ausländischen Wettbewerber auf.
Diese Zahlen zeigen, dass ausländische M & A-Berater insbesondere bei größeren Trans-
aktionen (mit oftmals international diversifizierten Akquisitionsobjekten und Käufern)
involviert sind.
Top 10 M & A-Beratungen: Anzahl Deals Top 10 M & A-Beratungen: Deal Volumen
Deal Volumen
Rang M & A-Beratung Anzahl Deals Rang M & A-Beratung
(in Mio. US-$)
1 UBS 388 1 Goldman Sachs & Co 625,214.23
2 Credit Suisse 363 2 Credit Suisse 500,469.94
3 PricewaterhouseCoopers 205 3 JP Morgan 359,386.91
4 KPMG 179 4 Morgan Stanley 326,356.33
5 Goldman Sachs & Co 177 5 Citi 324,619.02
6 JP Morgan 165 6 Deutsche Bank 321,501.33
7 Ernst & Young LLP 162 7 UBS 297,818.58
8 Deutsche Bank 162 8 Barclays 183,671.10
9 Morgan Stanley 130 9 Lazard 179,337.42
10 Lazard 114 10 Centerview Partners LLC 168,976.48
Abb. 5: Top 10 finanzielle M & A-Beratungen in der Schweiz von 1990 bis 2014 (abgeschlossene Transaktionen)
(Quelle: Eigene Analyse, Thomson ONE Database)
Bei den rechtlichen M & A-Beratungen sieht es ähnlich aus. Während einige der in
Schweizer Transaktionen involvierten Sozietäten im Ranking nach Dealanzahl in den
Top 10 vertreten sind, bietet sich bei Berücksichtigung des Dealvolumens ein etwas
anderes Bild (vgl. Abb. 6). Beispiele sind Baker & McKenzie, nach Dealanzahl auf dem
ersten Platz und nach Dealvolumen nicht in den Top 10, sowie Lenz & Staehelin, die
größte Schweizer Anwaltskanzlei, nach Dealanzahl auf Platz zwei und nach Dealvolu-
men nicht in den Top 10. Insgesamt fällt auf, dass bis auf Lenz & Staehelin und Hom-
burger ausschließlich ausländische (vor allem angelsächsische) Kanzleien in den Top 10
vertreten sind. Viele dieser Kanzleien haben vergleichsweise früh Niederlassungen in
der Schweiz, etwa in Zürich oder Genf, gegründet und können durch ihre internationa-
len Niederlassungsnetzwerke grenzüberschreitende Transaktionen kompetent juristisch
beraten. Ein Beispiel ist Baker & McKenzie, seit über 50 Jahren in der Schweiz tätig.
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Top 10 M & A-Beratungen: Anzahl Deals Top 10 M & A-Beratungen: Deal Volumen
Deal Volumen
Rang M & A-Beratung Anzahl Deals Rang M & A-Beratung
(in Mio. US-$)
1 Baker & McKenzie 242 1 Sullivan & Cromwell 339,075.24
2 Lenz & Staehelin 176 2 Freshfields Bruckhaus Deringer 251,160.61
3 Freshfields Bruckhaus Deringer 156 3 Skadden 225,323.92
4 Clifford Chance 135 4 Cravath, Swaine & Moore 218,210.65
5 Allen & Overy 134 5 Latham & Watkins 202,278.88
6 Linklaters 131 6 Bar & Karrer 197,082.61
7 Homburger 124 7 McCarthy Tetrault 193,831.58
8 Bar & Karrer 111 8 Allen & Overy 189,491.54
9 CMS 96 9 Linklaters 185,911.60
10 Sullivan & Cromwell 88 10 Gibson Dunn & Crutcher 175,725.56
Abb. 6: Top 10 rechtliche M & A-Beratungen in der Schweiz von 1990 bis 2014 (abgeschlossene Transaktionen)
(Quelle: Eigene Analyse, Thomson ONE Database)
5 Siehe zur Wertschöpfung von 32 Schweizer Branchen: Credit Suisse Economic Research 2009.
Transaktionsvolumen in
Käufer Objekt Verkäufer Transaktionsjahr
Mio. SFr
Holcim Ltd LafargeHolcim AG Lafarge S.A. 50,000 2014
Roche Holding AG Genentech Inc. 48,353 2008
Glencore International AG Xstrata AG 36,723 2012
Xstrata AG Falconbridge Ltd. 26,701 2006
Novartis AG Alcon Inc. Nestlé S.A. 26,207 2010
Zurich Financial Services Group (ZFS) Scudder Investments 25,582 1997
UBS AG Paine Webber 24,000 2000
Credit Suisse Group (CS Group) Donaldson, Lufkin & Jenrette (DLJ) 22,000 2000
Nestlé S.A. Ralston Purina Company 16,911 2001
UBS AG/Standard Chartered/CITIC Capital/National Socia China Cinda Asset Management Corporations 15,482 2012
Credit Suisse Group (CS Group) AXA Winterthur 13,068 1997
Novartis AG Alcon Inc. 12,487 2010
AXA S.A. AXA Winterthur Credit Suisse Group (CS Group) 12,313 2006
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Takeda Chemical Industries Ltd Nycomed International Management GmbH 11,799 2011
Swiss Reinsurance Company General Electric Insurance Solutions (GEIS) General Electric Capital Corporation 11,264 2006
Singapore Investment Corporation UBS AG 11,000 2007
Novartis AG Alcon Inc. Nestlé S.A. 10,884 2010
Nestlé S.A. Pfizer Nutrition Pfizer Inc. 10,634 2012
Merck KGaA Serono SA Familie Bertarelli 10,452 2006
Qatar Investment Authority Credit Suisse 10,000 2008
Swiss Reinsurance Company GE Insurance Solutions 9,980 2005
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Abb. 7: Abgeschlossene Top 25-Deals mit Schweizer Beteiligung von 1990–2014 (Quelle: M & A DATABASE Universität St. Gallen)
V. Der Schweizer M & A-Markt |
113
A
Teil
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6 Siehe zu einer ausführlichen Darstellung: Schwierholz/Reiners 2010 in diesem Buch sowie zur Inte-
gration der Swiss in die Deutsche Lufthansa: Schwierholz 2007.
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weltweit zweitgrößte Fusion des Jahres. Damals entstand nicht nur das größte Finan-
zinstitut der Schweiz, sondern gemessen an der Pro-forma-Bilanzsumme in Höhe von
rund 922 Mrd. SFr. die damals zweitgrößte Bank der Welt. Gemessen am verwalteten
Vermögen kam das neu gegründete Institut auf den weltweit ersten Platz. Als Grund
für die Fusion wurden zum damaligen Zeitpunkt von den beteiligten Instituten insbe-
sondere die fortschreitende Globalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte und
die starke Zunahme des internationalen Wettbewerbs angeführt.
An der ab diesem Zeitpunkt unter dem Namen UBS firmierenden Gesellschaft wa-
ren die SBV-Aktionäre zunächst mit 40 % und die UBS-Aktionäre mit 60 % beteiligt,
wobei das nominelle Aktienkapital des neuen Instituts 4,29 Mrd. SFr. betrug. Intensiv
wurde in den Schweizer Medien der Sinn der Fusion und deren Konsequenzen für
den Schweizer Bankenplatz diskutiert. Zudem sorgte die Ankündigung von einmali-
gen Restrukturierungskosten in Höhe von 7 Mrd. SFr. sowie der geplante Abbau von
13.000 Arbeitsplätzen – davon 7.000 in der Schweiz – für öffentliche Aufregung. Den
Vorsitz der Konzernleitung übernahm Marcel Ospel, bis dahin SBV-Konzernleitungs-
vorsitzender, während Mathis Cabiallavetta, bis dahin UBS-Chef, Präsident des neuen
Verwaltungsrates wurde.7
Die Fusion wurde zwar von der schweizerischen Wettbewerbskommission geneh-
migt, allerdings nur mit Auflagen. So musste die neue UBS AG ihr Tessiner Vermö-
gensverwaltungsinstitut Banca della Svizzera Italiana sowie die Informatikfirma Boss
Lab veräussern. Käufer der rund 1,92 Mrd. SFr. teuren Transaktion war der italienische
Versicherer Assicurazioni Generali.8 Des Weiteren erhielt die neue Großbank die Auf-
lage, 25 Filialen in der Schweiz zu verkaufen, was sich zunächst als schwierig her-
ausstellte. So war 1998 zunächst die Deutsche Bank als Käufer im Gespräch, die sich
dann jedoch aus strategischen Überlegungen von dem Deal distanzierte.9 Auch die
Raiffeisenbanken ließen ihr anfängliches Interesse im Jahr 1999 fallen.10 Da sich der
von der Wettbewerbskommission geforderte En bloc-Verkauf der 25 Filialen nicht wie
geplant durchführen ließ, wurden schließlich je elf Filialen an die Migros Bank sowie
die Coop Bank veräußert.11
Infolge der Fusion zur neuen UBS AG sorgte das Institut mit einer ganzen Reihe von
weiteren nationalen und internationalen Desinvestitionen, beispielsweise dem Verkauf
einer 25 %-Beteiligung an Swiss Life, der Veräußerung eines 11 %-Paketes an Julius Bär
oder der Abgabe des Handelsfinanzierungsgeschäfts des Investmentbanking-Arms War-
burg Dillon Read für 300 Mio. SFr. an die britische Standard Chartered Bank, für Auf-
merksamkeit. Aber auch als Käufer mit Akquisitionen zur Stärkung des Kerngeschäftes,
um sich als weltweit führender Vermögensverwalter zu positionieren, war die UBS Ende
der 1990er Jahre aktiv. So erwarb die Bank die gesamten Private Banking-Aktivitäten
der Bank of America außerhalb der USA mit verwalteten Vermögen in Höhe von 6 Mrd.
US-$.12 Der seit der Fusion spektakulärste Zukauf war im Jahr 2000 die Akquisition des
viertgrößten US-amerikanischen Vermögensverwalters Paine Webber.13
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Die bis dato mit Abstand größte Transaktion mit Schweizer Beteiligung ist die vollstän-
dige Übernahme der US-Tochtergesellschaft Genentech durch Roche im Jahr 2008. Das
Schweizer Pharmaunternehmen F. Hoffmann La Roche Ltd. gab im Jahr 2008 bekannt,
dass es die vollständige Übernahme seiner US-Tochter Genentech Inc., an der die Basler
zu diesem Zeitpunkt schon 56 % der Anteile hielten, beabsichtige. Von der Transaktion
in Höhe von 46,8 Mrd. US-$ (knapp 48,4 Mrd. SFr.) erhoffte sich Roche, dass Genen-
tech sich wieder verstärkt auf die Kernkompetenz Forschung fokussiert. So sollte das
Biotechnologieunternehmen infolge der Akquisition reorganisiert werden. Jedoch sollte
zur Wahrung der nach Aussage von Roche einzigartigen Innovationskultur von Genen-
tech keine vollständige Integration erfolgen. Der Börsenkurs von Roche geriet durch die
Ankündigung der Akquisition unter Druck und gab zwischenzeitlich um 4,8 % nach.
Eine Ursache lag in den im Verhältnis zum Angebotspreis sehr geringen Synergien in
Höhe von schätzungsweise jährlich 750 bis 850 Mio. US-$. Trotz des vergleichsweise
hohen Übernahmeangebots lehnte der Verwaltungsrat von Genentech das Angebot von
Roche ab, da das öffentliche Angebot das US-amerikanische Pharmaunternehmen sowie
die aus der Akquisition für Roche entstehenden Vorteile »substanziell« unterbewerte.14
In der Folgezeit wuchsen im Markt zunächst Zweifel, ob der Schweizer Pharmariese
die Akquisition noch zu annehmbaren Konditionen finanzieren könne. Bei dem Mark-
tumfeld in der zweiten Jahreshälfte 2008 deutete sich an, dass die Akquisition zu teuer
oder zumindest erschwert werden könnte. Zunächst schien es zwischenzeitlich für
Roche problematisch, eine Fremdkapitalfinanzierung in Höhe von 20 bis 30 Mrd. US-$
zu finden. Obwohl zu diesem Zeitpunkt davon auszugehen war, dass Roche über einen
zugesicherten Kreditrahmen für die Übernahme verfügte, gab die Finanzkrise Anlass
zu Spekulationen, dass sich dieser verteuert oder schlimmstenfalls gar nicht zur Verfü-
gung gestanden hätte. Hinzu kam, dass Veränderungen des US-$/SFr.-Kurses zu einer
erheblichen Verteuerung der Übernahme geführt hatten. Seit Juli 2008 legte der US-$
gegenüber dem SFr. um etwa 8 % an Wert zu. Ohne eine Absicherung der Akquisition
gegenüber etwaige Kursschwankungen hätte die Veränderung des Wechselkurses allein
die Transaktion für Roche um mindestens 3,5 Mrd. SFr. verteuert.15
Obwohl der Verwaltungsrat von Genentech bereits das ursprüngliche Angebot von
89 US-$ weiterhin zurückwies, da es das Unternehmen »substanziell unterbewerte«,
unterbreitete Roche den verbliebenen Genentech-Aktionären, die zu diesem Zeitpunkt
noch 44 % der Aktien hielten, ein öffentliches Kaufangenbot von nur 86,50 US-$ je
Aktie. Roche begründete das neue tiefere Angebot mit der veränderten Gesamtwirt-
schaftslage und der verpassten Chance, eine einvernehmliche Einigung zu erzielen.
Roche machte die Realisierung des Angebots davon abhängig, dass es die Mehrheit der
verbliebenen Aktien offeriert bekäme. Zudem hing die Transaktion weiterhin vom Zu-
standekommen der Finanzierung ab. Da es Roche trotz schwieriger Marktlage gelang,
eine US-$-Anleihe in Höhe von 16,5 Mrd. US-$, eine kombinierte Euro-Pfund-Anleihe
in Höhe von 11,25 Mrd. EUR und 1,25 Mrd. brit.-£ sowie eine SFr.-Anleihe in Höhe von
8 Mrd. SFr. am Finanzmarkt zu platzieren, schien zumindest Letzteres gesichert. Eine
weitere Unsicherheit bestand darin, dass die Genentech-Aktionäre möglicherweise auf
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positive Ergebnisse einer im April 2009 erwarteten Studie über die Wirksamkeit des Ge-
nentech-Krebsmedikaments Avastin spekulierten und daher die Aktien halten würden.16
Im März 2009 schließlich gab der Pharmakonzern Roche nach langem Kampf be-
kannt, dass er Genentech in einer freundlichen Übernahme vollständig übernehmen
werde. Nach einem mehrfach verbesserten Angebot auf schließlich 95 US-$ pro Aktie
empfahl der Verwaltungsratsausschuss von Genentech den Aktionären, das Angebot
anzunehmen. Insgesamt beliefen sich damit die Kosten für das ausstehende Aktienpa-
ket von 44,2 % auf 46,8 Mrd. US-$. Roche gelang es nicht nur die Akquisition trotz des
schwierigen Finanzmarktumfeldes erfolgreich zu finanzieren, sondern auch durch die
letztlich freundliche Übernahme, entscheidende Mitarbeiter von Genentech im Konzern
zu halten.17
Bereits im Jahr 2008 zeichnete sich eine Transaktion ab, die den zuvor beschriebenen
Roche/Genentech-Deal hinsichtlich des Transaktionsvolumens übertreffen könnte. Es
handelt sich um Akquisition der Nestlé-Tochter Alcon durch den zweiten Schweizer
Pharmariesen Novartis für eine voraussichtliche Gesamtsumme von 49,7 Mrd. US-$.
Während bei den meisten der Top 25-Deals entweder Käufer- oder Verkäuferunterneh-
men aus dem Ausland kommen, sind bei dieser Akquisition interessanterweise sowohl
Käufer als auch Verkäufer Schweizer Unternehmen.
Zunächst gab das Basler Pharmaunternehmen Novartis im Jahr 2008 bekannt, für
die Gesamtsumme von 39 Mrd. US-$ eine 77 %-ige Beteiligung an der Nestlé-Tochter
Alcon zu erwerben. Der Akquisitionsprozess sollte in zwei Schritten vollzogen werden.
Zunächst zahlte Novartis in 2008 für einen 25 %-Anteil einen Preis von 143,18 US-$
pro Aktie bzw. gesamt 11 Mrd. US-$. In einem zweiten Schritt, geplant für den Zeit-
raum 2010 bis 2011, sollte Novartis weitere 52 % der Anteilsscheine zu einem Preis von
maximal 181 US-$ je Aktie bzw. gesamt 28 Mrd. US-$ übernehmen. Die Transaktion
sollte überwiegend mit Eigenkapital und 5,5 Mrd. US-$ mit einem kurzfristigen Kredit
finanziert werden. Die Akquisition von Alcon ist ein wichtiger Schritt im Rahmen der
Novartis-Strategie, das Geschäft in wachstumsstarken Segmenten des Gesundheitssek-
tors zu verstärken. Alcon ist Marktführer in dem Spezialgebiet der Augenpflege und
wies in den fünf Jahren vor 2008 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von
13 % auf. Nach Einschätzung von Novartis verfügte Alcon zudem über eine vielver-
sprechende Produktepipeline. Nestlé beabsichtigte mit der Veräußerung, sich weiter auf
die Kernkompetenz des Unternehmens, das Nahrungsmittelgeschäft, zu fokussieren.18
Wie erwartet gab Novartis zu Beginn des Jahres 2010 bekannt, die mit Nestlé 2008
vereinbarte Kaufoption ausüben zu wollen, wodurch sich der Novartis-Anteil an Alcon
auf 77 % erhöhen würde. Der Erwerb der 52 %-Beteiligung an Alcon in Höhe von 28,1
Mrd. US-$ (181 US-$ je Aktie) würde durch einen Großteil mit Krediten in Höhe von 16
Mrd. US-$ finanziert und der restliche Betrag durch Liquiditätsreserven von Novartis.
Zudem strebte Novartis auch die Übernahme der vollständigen Kontrolle von Alcon
an. Die Ziele der vollständigen Übernahme der Anteile der Minderheitsaktionäre lagen
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Im April 2014 gab die Schweizerische Holcim Ltd. die Fusion mit der französischen
Lafarge S.A. bekannt, welche hinsichtlich des Transaktionsvolumens in einer Größen-
ordnung mit den Genentech- und Alcon-Akquisitionen liegt. Das neue Unternehmen
würde mit einem kombinierten Umsatz von 32 Mrd. EUR und einem EBITDA von 6,5
Mrd. EUR zum weltweit größten Zementkonzern aufsteigen. Im Zuge der Transaktion
sollten Lafarge-Aktionäre eine Holcim-Aktie pro Lafarge-Anteilsschein erhalten – daher
konnte hier zunächst von einer Fusion unter Gleichen gesprochen werden. Außerdem
war geplant, dass der bisherige Lafarge-CEO Bruno Lafont die Leitung der neuen Ge-
sellschaft, deren Hauptsitz in der Schweiz liegen sollte, übernimmt. Aufgrund kom-
plementärer geografischer Strukturen erwartete Holcim durch die Fusion 30–40 % der
geplanten Investitionen in Werksweiterentwicklung einzusparen. Insgesamt rechneten
die beiden Unternehmen mit jährlichen Synergien in Höhe von 1,4 Mrd. EUR, die über
einen Zeitraum von 3 Jahren realisiert werden sollten.20
Allerdings mussten die beiden Unternehmen, um die Genehmigung zahlreicher Wett-
bewerbsbehörden für die Fusion zu erhalten, ihre immense Marktmacht durch den Ver-
kauf von Unternehmensbereichen limitieren. Zur Besänftigung der Aufsichtsbehörden
gab Lafarge-Holcim frühzeitig bekannt, sich von Geschäften, die zum damaligen Zeit-
punkt rund 10 % des kombinierten Umsatzes erwirtschafteten, zu trennen. Ein Groß-
teil dieser Geschäftsbereiche wurde schließlich für 6,5 Mrd. EUR an die irische CRH
Plc. veräußert, die durch die Transaktion ihre Wettbewerbsposition in Osteuropa, den
Philippinen und Brasilien stärken konnte. Nach einigen weiteren, kleineren Verkäufen
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M & A als Instrument zum aktiven Portfoliomanagement immer wichtiger für Schweizer
Unternehmen. Nach drei auch währungsbedingt schwachen Jahren auf dem Schweizer
M & A-Markt ist damit zu rechnen, dass in naher Zukunft eine neue M & A-Welle ent-
steht. Viele Schweizer Unternehmen beabsichtigen die günstige Wechselkurssituation
und ihre in vielen Fällen relativ gute Wettbewerbsposition zu nutzen und sich weiter
strategisch zu verstärken. Zusammenfassend lassen diese Faktoren einen positiven Blick
auf die Zukunft im Schweizer M & A-Markt zu.
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Teil
1 Einleitung
2 1970er und 1980er Jahre: Die Ruhe vor dem Boom
3 Fünf wesentliche M & A-Phasen in zweieinhalb Jahrzehnten
3.1 Phase I von 1988 bis 1993: Der Start
3.2 Phase II von 1994 bis 1998: Die Stagnation
3.3 Phase III von 1999 bis 2007: Der Boom
3.4 Phase IV von 2008 bis 2009: Die Krise
3.5 Phase V von 2010 bis 2014: Die Stabilisierung
4 M & A und der Wandel Österreichs
1 Einleitung
Die Zahl der M & A-Transaktionen mit österreichischer Beteiligung brach zwischen 2007
und 2009 um mehr als 50 % ein. Die kumulierten Transaktionswerte gingen im selben
Zeitraum sogar um über 80 % zurück. Am Ende der ersten Dekade des neuen Jahrtau-
sends stand der österreichische M & A-Markt mit 197 Transaktionen und rund 5,2 Mrd.
EUR an kumulierten Transaktionswerten1 im Jahr 2009 etwa am gleichen Punkt, an
dem er das alte Jahrtausend abgeschlossen hatte – bevor der M & A-Boom in Österreich
seinen Anfang nahm.
Handelte es sich dabei um eine vorübergehende Abschwächung des M & A-Booms seit
Anfang des neuen Jahrtausends im Schatten der globalen Finanzkrise? Oder war die
Erfolgsgeschichte österreichischer M & A-Expansionen im In- und Ausland zu Ende und
hatte die weltweite Finanzkrise einen strukturell schwächeren M & A-Markt in Öster-
reich zur Folge? Wie nachhaltig war die Entwicklung des österreichischen M & A-Mark-
tes in den letzten Jahren?
Der vorliegende Beitrag gibt einen ausführlichen, faktenorientierten Überblick über
zweieinhalb Jahrzehnte der Entwicklung des österreichischen M & A-Marktes – von der
beschaulichen Alpenrepublik am Rande Westeuropas in den 1980er Jahren hin zum
zentraleuropäischen M & A-Powerhouse der vergangenen Jahre, von sozialistischer Ord-
* Dr. Nikolaus Lang, Senior Partner & Managing Director, The Boston Consulting Group, München;
Dr. Mona Philomena Ladler, Postdoc-Assistentin, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt; Tibor von
Mérey, Projektleiter, The Boston Consulting Group, Wien.
1 Als grundlegende Datenbasis für Transaktionsvolumina wurde für den gesamten Beitrag die M & A
DATABASE herangezogen. Für die Jahre vor 2001 wurde Thomson ONE Banker als zusätzliche Da-
tenquelle genutzt, um die M & A-Daten in Einzelfällen vor allem um innerösterreichische Transak
tionen zu ergänzen. Transaktionswerte wurden ausschließlich Thomson ONE Banker entnommen.
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des Eisernen Vorhangs, den Vorboten des europäischen Binnenmarktes und der zu-
nehmenden Globalisierung, trug diese liberalere Wirtschaftspolitik entscheidend zum
Aufschwung des österreichischen M & A-Marktes ab Ende der 1980er Jahre bei.
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dieser Phase ebenfalls sprunghaft an und betrug 1993 stolze 70 % aller erfassten Trans-
aktionen. Dominierten Ende der 1980er Jahre noch Branchen wie Maschinenbau und
Chemie das M & A-Geschehen, übernahmen Anfang der 1990er Jahre Bau, Handel und
Finanzdienstleistungen die Spitze des Rankings.
Zu den größten Transaktionen in dieser Startphase gehörten:
• 1991 die Fusion der Österreichischen Länderbank mit der Zentralsparkasse Wien
(Volumen: ca. 1 Mrd. EUR),
• 1992 die Übernahme der Steiermärkischen Elektrizitäts-AG durch die Österreichische
Elektrizitätswirtschafts-AG (Verbund) (Volumen: ca. 240 Mio. EUR) und
• 1993 der Verkauf der amerikanischen Tochter Equipment Credit Services durch die
Länderbank an die Commercial Investment Trust Group (CIT) (Volumen: ca. 230
Mio. EUR).
3.1.1 Ostöffnung
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Abb. 2: Zielmärkte österreichischer Käufer 1990–2014 (Quelle: MAR-Datenbank; Thomson ONE Banker; BCG-
Analyse)
Nach Jahren der sozialistischen Alleinregierung unter Bruno Kreisky (von 1970 bis
1983) sowie einer drei Jahre währenden »kleinen Koalition« mit der FPÖ8 vollzog die
österreichische Wirtschaftspolitik unter der Regierung von Franz Vranitzky – ab 1987
eine »große Koalition« aus SPÖ und ÖVP – einen deutlichen Richtungswechsel. Zur
Entlastung der öffentlichen Budgetsituation und des Schuldendienstes kam es zu ersten
Privatisierungen der verstaatlichten Industrie – ähnlich wie in Frankreich unter Jacques
Chirac oder in Großbritannien unter Margaret Thatcher.
Als erstes verstaatlichtes Unternehmen ging im Jahr 1987 die Österreichische Mine-
ralölverwaltung (OMV) an die Börse. Bis 1989 wurden 25 % der Anteile an der OMV
über die Börse privatisiert. Insgesamt wurden im Rahmen dieser ersten Welle, die bis
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Das M & A-Geschehen in dieser zweiten Phase wurde vor allem durch zwei zentrale
politische Entwicklungen geprägt: die zweite Privatisierungswelle unter der Regierung
Vranitzky/Schüssel sowie den Beitritt Österreichs zur EU.
Mit dem Privatisierungsgesetz von 1993 leitete die Regierung der großen Koalition die
zweite Privatisierungswelle ein. In diesem Gesetz wurde die Österreichische Indus
trieverwaltungs-AG (ÖIAG) verpflichtet, »die ihr unmittelbar gehörenden Beteiligungen
an industriellen Unternehmungen in angemessener Frist mehrheitlich abzugeben«. Unter
9 Lang 1994.
10 Steindl/Lang 1998.
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dem Dach der ÖIAG war zu diesem Zeitpunkt der Großteil der verstaatlichten Industrie
zusammengefasst. So veräußerte zwischen 1994 und 2009 die ÖIAG als »Privatisie-
rungsagentur des österreichischen Staates« eine Reihe von Beteiligungen an wichtigen
Unternehmen der österreichischen Wirtschaft – darunter folgende Beispiele:
• AT&S: Der weltweit führende Leiterplattenhersteller wurde 1994 zu 100 % an eine
Bietergruppe um das damalige Management verkauft.
• Austria Tabak: 49,5 % der Anteile an dem Zigarettenhersteller wurden 1997 über die
Börse privatisiert.
• Bank Austria/Creditanstalt-Bankverein: Zwischen 1996 und 1998 privatisierten die
ÖIAG sowie der österreichische Bund ihre gesamten Anteile an der Bank Austria.
Parallel dazu verkaufte der Bund den Creditanstalt-Bankverein an die Bank Austria.
• Böhler-Uddeholm: Die ersten 27,3 % der Anteile an dem Spezialstahlhersteller wur-
den 1995 über die Börse privatisiert. 1996 folgte dann eine weitere Abgabe von 47,7 %
im Zuge eines Secondary Offering.
• OMV: Zwischen 1994 und 1996 wurden ca. 38 % der Anteile privatisiert. Mit dem
Staatsunternehmen International Petroleum Investment Company (IPIC) aus Abu
Dhabi kam neben der ÖIAG ein zweiter Kernaktionär in das Unternehmen.
• Telekom Austria: 1997 stieg die italienische STET, eine Tochter der Telecom Italia,
zunächst mit 25 % plus einer Stimme bei der Telekom-Austria-Tochter Mobilkom ein.
1998 folgte eine Beteiligung der Telecom Italia von 25 % plus einer Stimme direkt
bei der Telekom Austria.
• Voestalpine Stahl: 31,7 % der Anteile wurden 1995 über die Börse verkauft. 1996
erfolgte die Abgabe weiterer 4,6 % an einen institutionellen Investor.
• VA Technologie (kurz: VA Tech): 1994 wurde das Unternehmen durch Abgabe von
51 % der Anteile über die Wiener Börse mehrheitlich privatisiert – dieser war die
größte Kapitalmarkttransaktion in Österreich bis Ende 2009. VA Tech wurde 2005
von Siemens übernommen.
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3.2.2 EU-Beitritt
Nachdem Österreich bereits 1989 ein Beitrittsgesuch an die Europäische Union (ehe-
mals Europäische Gemeinschaft) gestellt hatte, erfolgte zum 01.01.1995 der tatsächliche
Beitritt. Vorausgegangen war im Jahr 1994 eine Volksbefragung, bei der sich zwei Drittel
der österreichischen Bevölkerung für eine EU-Mitgliedschaft ausgesprochen hatten.
Der EU-Beitritt blieb auch nicht ohne Auswirkungen auf das M & A-Geschehen in
Österreich. Der Anteil westeuropäischer Targets stieg im Beitrittsjahr 1995 auf 80 %,
um sich anschließend wieder auf dem langjährigen Durchschnitt von 50 % bis 60 %
einzupendeln. Auch das Interesse nichtösterreichischer Käufer stieg in dieser Zeit enorm
an: von lediglich ca. 30 % im Jahr 1994 auf immerhin 44 % im Jahr 1996.
Diese zunehmende Vernetzung mit Westeuropa spiegelt sich auch in den Top-Trans-
aktionen dieser Zeit wider. So war eine der größten Transaktionen österreichischer Käu-
fer in Westeuropa im Jahr 1997 der Einstieg der OMV bei dem damals finnisch-norwe-
gischen Kunststoffhersteller Borealis für ca. 690 Mio. EUR. Aber auch eine der größten
Transaktionen ausländischer Käufer in Österreich fällt in diese Phase: die Übernahme
der Perlmooser Zementwerke durch das französische Baustoffunternehmen Lafarge. Mit
einem Transaktionswert von ca. 3,7 Mrd. EUR findet sich diese Übernahme auf dem
dritten Platz der österreichischen Top-Transaktionen zwischen 1990 und 2014.
In den Jahren 1996 und 1997 stellte die Regierung Vranitzky/Schüssel auch die we-
sentlichen Weichen für die weitere Entwicklung des österreichischen Bankensektors
im europäischen Wettbewerb. Nach der Privatisierung der Bundesanteile an der Bank
Austria im Jahr 1996 übernahm diese 1997 den Creditanstalt-Bankverein (99,5 % der
Anteile für ca. 1,7 Mrd. EUR). Diese Übernahme drohte kurzfristig die große Koalition
aus SPÖ und ÖVP zu sprengen, wurde dann aber doch von der ÖVP unter bestimm-
ten Bedingungen akzeptiert. Die Bank Austria musste u. a. 56 % ihrer Anteile an der
Girocredit an die Erste Österreichische Sparkasse (ca. 600 Mio. EUR) verkaufen. Die
beiden Spitzeninstitute des österreichischen Bankensektors erhielten so jene Gestalt,
in der sie die Expansion österreichischer Banken ins Ausland über die folgenden Jahre
entscheidend prägen sollten.
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korrelierte und dementsprechend nach dem Platzen der Internetblase abflaute. In der
Folge dominierten dann die Banken mit ihren Osteuropa-Expansionen sowie die allge-
meinen Dienstleistungen vorrangig mit Immobilientransaktionen das M & A-Geschehen
der Boomjahre.
Die größten Transaktionen in dieser Phase wurden allesamt durch Banken getätigt:
• 2000 die Übernahme der Bank Austria Creditanstalt durch die Bayerische HypoVer-
einsbank (Volumen: ca. 7,8 Mrd. EUR),
• 2005 der Kauf der rumänischen Banca Comercială Română durch die Erste Bank
(Volumen: ca. 3,75 Mrd. EUR),
• 2006 die Übernahme der BAWAG P.S.K. durch eine Investorengruppe um den US-
Fonds Cerberus (Volumen: ca. 3,2 Mrd. EUR).
3.3.1 EU-Osterweiterung
Über viele Jahre hinweg war der österreichische M & A-Markt von den Schlagworten
»Osteuropa« und »Banken« geprägt – nicht ganz unberechtigterweise, denn immerhin
waren unter den Top-10-Transaktionen zwischen 1990 und 2014 (vgl. Abb. 3) vier bank-
bezogene Transaktionen.
Die Konsolidierung der heimischen Bankenlandschaft sowie deren starke Expansio-
nen in Osteuropa haben das M & A-Geschehen und die österreichische Industriestruktur
tiefgehend beeinflusst. So liefern sich die österreichischen Top-Player – allen voran die
UniCredit-Tochter Bank Austria, die Erste Bank und die Raiffeisen International – ihre
Schlacht um Marktanteile nicht mehr ausschließlich im Heimatmarkt. Vielmehr haben
sie sich aktiv an den Privatisierungen und der Konsolidierung der osteuropäischen
Bankenlandschaft beteiligt und zählen zu den führenden Finanzinstituten der Region.
Begonnen hat diese Entwicklung nicht erst im Zuge der EU-Osterweiterung. Bereits nach
dem Fall des Eisernen Vorhangs waren österreichische Banken in Osteuropa aktiv und
konnten ihre Präsenz durch Top-Transaktionen wie den Einstieg der Erste Bank bei der
rumänischen Banca Comercială Română deutlich ausbauen.
Aber die Expansion österreichischer Unternehmen in Osteuropa wurde nicht nur von
Banken getrieben. Auch Österreichs führende Versicherer wie die Wiener Städtische und
die UNIQA Versicherungen haben stark in den osteuropäischen Nachbarländern zuge-
kauft. Des Weiteren wurde durch die Telekom Austria mit der Übernahme des bulgari-
schen Mobilfunkbetreibers Mobiltel im Jahr 2004 (ca. 1,6 Mrd. EUR) eine der größten
– wenngleich nicht im Ranking der 10 Top-Transaktionen gelisteten – österreichischen
Transaktionen getätigt. Bereits zuvor war die Telekom Austria über die Mobilkom in
Slowenien und Kroatien aktiv – in beiden Ländern als klarer Marktführer. Der OMV
gelang es mit der Übernahme des rumänischen Erdöl- und Erdgaskonzerns Petrom zwar
ebenso nicht unter die Top-10-Transaktionen, sie ist aber gleichfalls stark in Osteuropa
engagiert. Durch den Kauf des ungarischen Mineralölkonzerns MOL wollte die OMV
zum echten Schwergewicht in der Region mutieren. Ein diesbezüglicher Übernahme-
versuch scheiterte 2008.11
Nicht übersehen werden sollten gerade vor dem Hintergrund der Finanzkrise auch
die österreichischen Immobilienfonds. Diese konnten nach 2000 vor allem in Osteuro-
pa deutlich an Bedeutung gewinnen. Vor Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 hielten
11 Lang/Plankensteiner 2008.
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österreichische Fonds wie Immoeast, Meinl European Land und die CA Immobilien
Anlagen AG einen beachtlichen Anteil von 15 % am kumulierten Immobilieninvesti-
tionsvolumen in Osteuropa. Von der Finanzkrise wurden diese Fonds aber besonders
hart getroffen.
Auch wenn Osteuropa über zwei Jahrzehnte eine charakteristische Determinante
des österreichischen M & A-Marktes darstellte, so sollte nicht vergessen werden, dass
die Anzahl von Transaktionen mit Deutschland und Westeuropa über den gesamten
Zeitraum größer war. So machten mit Ausnahme des Jahres 1993 Deutschland und
Westeuropa bei österreichischen Käufern stets über 50 % aller Transaktionen mit aus-
ländischen Targets aus.
Dafür verantwortlich sind Unternehmen wie der Ziegelhersteller Wienerberger, der
sich erfolgreich zum Weltmarktführer entwickelt hat, oder der Baukonzern Strabag, der
mittlerweile unter den Top-10-Baukonzernen in Europa rangiert. Auch österreichische
Maschinen- und Anlagenbauer wie Palfinger oder Papier- und Verpackungshersteller
wie Constantia Packaging und Mayr-Melnhof sind in Deutschland, Westeuropa und
weltweit aktiv.
Abb. 3: TOP 10-Transaktionen 1990–2014 (Quelle: MAR-Datenbank; Thomson ONE Banker; BCG-Analyse)
Anders als in den beiden früheren Rekordjahren 1997 und 2000, in denen einige wenige
Mega-Deals die kumulierten Transaktionswerte in die Höhe trieben, war das Rekord-
jahr 2007 von einer Vielzahl substanzieller, mittelgroßer Transaktionen geprägt. Neben
den zwei Top-Deals Böhler-Uddeholm (ca. 2,6 Mrd. EUR) und Hypo Group Alpe Adria
(ca. 1,6 Mrd. EUR – die turbulente Weiterentwicklung dieses Deals wird im Folgen-
den noch weiter beleuchtet) trug auch die deutliche Steigerung des durchschnittlichen
Transaktionswertes zum historischen Höchststand von 27,4 Mrd. EUR bei. Dies spie-
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gelt die zunehmende Reife des österreichischen M & A-Marktes und den Höhepunkt des
M & A-Booms zwischen 1999 und 2007 wider. Nach vier Jahren in Folge mit kumulier-
ten Transaktionswerten oberhalb der 10-Mrd.-EUR-Marke und sieben Jahren mit einer
jährlichen Transaktionsanzahl von über 400 fiel der österreichische M & A-Markt in den
Krisenjahren 2008 und 2009 sehr schnell wieder auf das Niveau von Ende der 1990er
Jahre zurück.
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der österreichischen Finanzinstitute auch ihre negative Seite: Mit einem damaligen
Kreditvolumen von über 200 Mrd. EUR in Osteuropa hing die österreichische Banken-
landschaft und mit ihr das ganze Land sehr stark von einer stabilen Entwicklung der
osteuropäischen Wirtschaftsräume ab. 2009 sanken folglich auch bei den Finanzdienst-
leistern die Transaktionszahlen deutlich.
Eine gegenläufige Entwicklung nahm die österreichische Bau-/Baustoffindustrie. In-
folge eines nahezu weltweiten Einbruchs der Baumärkte bereits in der zweiten Jahres-
hälfte 2007 rutschte auch die M & A-Transaktionsanzahl im Jahr 2008 von 25 auf 8 deut-
lich ab. Die zuvor sehr aktive Wienerberger AG beispielsweise hatte 2008 mit massiven
Ergebniseinbrüchen zu kämpfen, was nicht ohne Auswirkungen auf ihre M & A-Tätigkeit
blieb. Statt weiter die Konsolidierung des weltweiten Ziegelmarktes voranzutreiben,
wurde das Investitionsbudget, welches vor der Krise jährlich über 250 Mio. EUR be-
tragen hatte, deutlich gekürzt. Im Jahr 2009 konnte sich der Sektor im Hinblick auf
M & A-Transaktionen aber schon wieder etwas erholen: Die Anzahl der Transaktionen
stieg leicht von 8 auf 11, blieb aber deutlich unter dem Niveau der Vorjahre.
Am härtesten traf die Krise den jahrelangen Spitzenreiter im österreichischen
M & A-Branchenranking, die allgemeinen Dienstleistungen. Der beinahe zum Erliegen
gekommene Immobilienmarkt spielte dabei eine zentrale Rolle. Die Transaktionsaktivi-
täten der Branche gingen 2008 um fast 50 % gegenüber dem Vorjahr zurück.
Abb. 4: Österreichischer M & A-Markt in der Finanzkrise 2008–2009 (Quelle: MAR-Datenbank; Thomson ONE Banker;
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Die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise dauern in Österreich bis in das
Jahr 2015 an. Insbesondere im Bankensektor wurden eine Vielzahl von Transaktionen
abgewickelt, die teils – wie oben dargestellt – als unmittelbare Reaktion zur Abfederung
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der Krise in den Jahren 2008 und 2009 ergingen, in der überwiegenden Anzahl der Fälle
aber auf durch europarechtliche Vorgaben notwendige Umstrukturierungen und staatli-
che Divestments zurückzuführen sind. Dieser Umstand wird am Beispiel der Hypo Alpe
Adria deutlich: Diese wurde im Jahr 2009 notverstaatlicht, doch konnte erst 2013 ein
Käufer für das Österreich-Geschäft gefunden werden. 2014 wurde das Spitzeninstitut
des Konzerns, die HBInt, mittels eines Pakets an Sondergesetzen in eine Abbaueinheit
umgewandelt, welche ohne Innehabung einer Banklizenz lediglich der langfristigen
Verwertung des Portfolios dient. Noch nicht finalisiert – wenngleich die Vertragsun-
terzeichnung bereits erfolgte – ist der Verkauf des Südosteuropa-Geschäfts der Gruppe.
Auch die Veräußerung des Italien-Geschäfts befindet sich noch in der Schwebe. Ähnli-
ches gilt für die Privatisierung der im Zuge der Krise verstaatlichten Kommunalkredit
AG, die erst 2015 zum Abschluss gebracht werden konnte: Nach einer Abspaltung und
Einbringung der toxischen Assets in eine Bad Bank, die KA Finanz, wurde der »gesun-
de« Teil der Bank, die Kommunalkredit Austria AG, von der Gesona Beteiligungsverwal-
tung GmbH erworben. Der Verkauf hätte nach Auflagen der Europäischen Kommission
bereits im Jahr 2013 abgeschlossen werden sollen; ein Vertragsverletzungsverfahren
gegen Österreich konnte durch die Beantragung eines zeitlichen Aufschubs abgewendet
werden. Die Umstrukturierung der österreichischen Volksbank-Gruppe dauert derzeit
noch an. Von Restrukturierungen und einem Rückzug aus dem osteuropäischen Raum
ist auch der Raiffeisen-Konzern gekennzeichnet.
Neben dem Bankensektor waren auch in den Sektoren Bau, Handel und Industrie
durch die Finanzkrise induzierte Transaktionen zu verzeichnen. So wurde der Baukon-
zern Alpine nach seiner Insolvenz im Jahr 2013, welche als die größte der österreichi-
schen Wirtschaftsgeschichte gilt, zerschlagen und an eine Vielzahl in- und ausländi-
scher Käufer veräußert. Als »distressed« sind ebenso die Deal-Aktivitäten rund um die
insolventen Handelsketten baumaxx, DiTec, daily, Holland Blumen Mark sowie um den
insolventen Industriekonzern A-Tec zu qualifizieren.
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3.5.3 Ausblick
Ein aktiver Kapitalmarkt zeugt von einem gesteigerten Vertrauen der Investoren in
die österreichische wirtschaftliche Entwicklung, was wiederum Rückschlüsse auf eine
nachhaltige Stabilisierung des M & A-Marktes erlaubt. Erste entsprechende Indikationen
konnten bereits im ersten Halbjahr 2015 beobachtet werden, in welchem sich der Trend
des Jahres 2014 – welches sich insbesondere durch Transaktionen in den Sektoren Bau
und Immobilien sowie kapitalmarktorientierte Transaktionen auszeichnete – fortsetzt.
Die Attraktivität des österreichischen M & A-Marktes wird auch durch eine Betrachtung
der geographischen Verteilung der Käufer österreichischer Unternehmen belegt: Im Jahr
2014 wurden 8 % mehr Transaktionen durch ausländische Investoren getätigt als im
Jahr zuvor. Gedämpft wird diese positive Prognose hingegen durch die bereits ange-
deuteten politischen Entwicklungen im osteuropäischen Raum. Neben einer durch die
Finanzkrise ausgelösten Desillusionierung und den dadurch bedingten Rückzug öster-
reichischer Unternehmen aus der Region sind die aktuellen politischen Entwicklungen
im Russland-Ukraine-Konflikt Vorboten weiterer Divestments.
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Mit der globalen Finanzkrise gehören diese Ausreißer der Vergangenheit an und das
österreichische M & A-Geschehen gleicht sich dem in den westeuropäischen Nachbar-
ländern wieder an. Die Transaktionsanzahl und -volumina haben sich auf einem sta-
bilen Niveau eingependelt. Die Zeiten einer überproportional starken Entwicklung des
M & A-Marktes in Österreich sind damit zu Ende – zumindest vorerst.
Abb. 6: Vergleich der M & A-Aktivitäten Österreich, Deutschland und der Schweiz (Quelle: MAR-Datenbank;
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| 139
Teil
Private Equity als Überbegriff umfasst bislang eine breite Palette von Investitions-
tätigkeiten, die von Frühphasenrisikokapital bis zu Wachstumskapital in Form von
Eigenkapital oder auch stark nachrangig gestalteten Fremdfinanzierungen (Beispiel:
Mezzanine-Kapital) reicht. Seit der Finanzkrise 2008/2009 hat sich die Palette der Fi-
nanzierungskategorien weiter entwickelt und verbreitert. Andere Formen der Darlehens-
vergabe zum Beispiel sowie die Anlageklasse Infrastrukturinvestitionen sind enorm
stark gewachsen. Das seit der Finanzkrise herrschende niedrige Zinsumfeld hat dafür
gesorgt, dass Investoren neue Anlageformen suchten, die zumindest zum Teil jährliche
Einkommensströme in Form von Zinsen oder Dividenden erzeugen. Sehr niedrig ren-
tierende Anleihen brauchten einen Ersatz als Anlageinstrument.
Besonders bekannt geworden ist der Begriff Private Equity, und vielerorts als solcher
auch so eng definiert, durch eine Investitionstätigkeit, in der sog. Finanzinvestoren
Zweckgesellschaften mit einer Mischung von Eigenkapital und von Banken oder an-
deren bereitgestelltem Fremdkapital ausstatten, um damit Firmen oder zum Verkauf
stehende Unternehmensbereiche zu erwerben. In der Vergangenheit wurde dies als Le-
veraged Buyout-Geschäft bezeichnet und beinhaltete unterschiedlichste Investmentphi-
losophien. Auf der einen Seite des Spektrums gab es das eigenkapitalrenditefördernde
Financial Engineering und am anderen Ende ein stark operativ fokussiertes Gesellschaf-
terengagement. Dazwischen existieren eine Vielzahl unterschiedlicher Investitionsan-
sätze und Fokussierungen.
Es ist wichtig, die Vielfalt von Private Equity-Aktivitäten und ihre besonderen Cha-
rakteristiken zu verstehen, da sich hieraus wichtige Fragestellungen für die Frage »Cap-
tive- oder Non Captive-Modell« ergeben, die am besten von Anfang an beantwortet sein
sollten, um somit im Vorfeld Risiken und unerwünschte Konsequenzen zu vermeiden.
Die Überlegung, überhaupt in Private Equity zu investieren, beruht auf der Suche von
Investoren nach höheren Renditen und niedrigerer Volatilität. Private Equity als Teil der
sog. Anlageklasse »Alternative Assets« findet seine Rechtfertigung grundsätzlich in der
Möglichkeit, höhere mittelfristige Renditen zu erwirtschaften, seinem Portfolio-Diver-
sifikationseffekt für große Anleger und, je nach Strukturierung und Fokus, in positiven
Auswirkungen durch niedrigere Korrelationen zu der Volatilität anderer Investments im
Portfolio eines Anlegers. Die vorgenannten Entwicklungen stellen lediglich veränderte
Gewichtungen in der Anlagezielsetzung von Investoren dar. Diese Neugewichtungen
in den Portfolios von Investoren beruhen auf einer Mischung von neuer Risikoorientie-
rung, Anlagezwängen, ausgelöst durch das sehr niedrige Zinsumfeld, und veränderten
regulatorischen Anforderungen für insbesondere Banken und Versicherungen.
* Thomas U. W. Pütter, Chairman und Chief Executive, Ancora Finance Group, London
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Es sind drei grundsätzliche Formen der Organisationsstruktur für ein Private Equi-
ty-Geschäft aus Sicht eines institutionellen Anlegers zu unterscheiden: Das erste Modell,
Fully Captive genannt, ist das Modell, in dem eine Gruppe von Spezialisten, möglicher-
weise in einer eigenen Rechtseinheit organisiert, ausschließlich das Geld des instituti-
onellen Anlegers (»seiner Mutter«) investiert. Der Investor trägt zur Gänze die Kosten
der Spezialisten und der Organisationseinheit. Er steht voll im Marktwettbewerb um
Investmenttalent und muss sich somit u. a. mit den marktüblichen Vergütungssystemen
der Branche auseinandersetzen
Das Investmentteam befasst sich möglicherweise, je nach existierender Kompetenz,
mit einer Palette von Investitionsgattungen. Meistens, und aus gutem Grund, wird zwi-
schen Direktinvestitionen in Private Equity-Situationen (Leveraged Buyout, Wachstums-
kapital, Infrastrukturinvestitionen oder Mezzanine-Darlehen, um nur einige Beispiele
zu nennen) und indirekter Investitionstätigkeit, in der ein Investor in Investmentfonds
(meist geschlossene Fonds) anderer Investmentspezialisten investiert, unterschieden.
Das zweite Integrationsmodell wird als Captive Asset Manager bezeichnet. In diesem
Modell gilt es wiederum zu entscheiden, ob direkt oder indirekt in die unterschiedlichen
Private Equity Investitionsalternativen investiert werden soll. Der Captive Asset Mana-
ger jedoch investiert nicht nur das sog. »Inhouse-Geld«, sondern verwaltet auch Anla-
gegelder Dritter, für die er marktübliche Vergütung erhält. Es gibt von der Investitions-
tätigkeit her keine grundsätzlichen Unterschiede zum Fully Captive-Modell, aber eine
Reihe von Unterschieden zu Auswirkungen, die nachfolgend näher beleuchtet werden.
Auf jeden Fall werden die Kosten des Investmentteams und der Organisationseinheit mit
den außenstehenden Investoren über die Gebühren, die solche bezahlen, gemeinsam
getragen. Das Berichtswesen muss möglicherweise angepasst werden.
Im Gegenzug für das Potenzial, Gebühreneinkommen oder Gewinnbeteiligungen zu
generieren, muss das Team sich aber entsprechend auch um die Belange, Investmentkri-
terien und Vorgaben des Drittinvestors kümmern. Dies setzt entweder einen Einklang
der »Inhouse«-Ziele mit denen des Drittinvestors voraus, oder die Organisationsstruktur
ist derart skaliert und aufgestellt, dass unterschiedliche Ausrichtungen berücksichtigt
werden können, ohne Konflikte herbeizuführen.
Bei dem dritten Modell, dem Non-Captive Modell, ist ein institutioneller Anleger
ausschließlich damit befasst, eine Drittmanagerauswahl zu treffen und Gelder in meist
geschlossene Fonds zu investieren, die von i. d. R. unabhängigen Investmentteams in-
vestiert werden. Oft wird der Ersteinstieg in die Anlage in Alternative Assets in Private
Equity sogar über sog. Fund-of-Fund getätigt. Dies bedeutet, dass Gelder in einen Dach-
fonds, gemanagt von Spezialisten in externen Verwaltungsfirmen, invertiert werden,
welcher wiederum in einzelne Fonds weiter investiert. Investoren mit weniger Erfah-
rung oder mangelnden internen Fachressourcen erhoffen sich über diesen Weg eine
größere Diversifikation und somit ein niedrigeres Risikoprofil zu erlangen. Der Preis
dafür sind höhere Gebühren durch die doppelstöckige Struktur.
In der Wahl zwischen einem Captive-Modell oder dem Non-Captive-Modell, ist die
Einstellung zu den folgend aufgeführten wesentlichen Punkten ausschlaggebend:
• Welche Kosten rechtfertigt das Investmentvolumen und welcher Renditeanspruch
wird verfolgt? Dabei ist Rendite immer mit Risiko abzuwägen. Soll aktiv im Markt
bei Direktinvestitionen aufgetreten werden oder ist eine eher passive Rolle bezogen
auf die Investmentphilosophie angebracht? Welche relevante Expertise existiert oder
kann herangezogen werden, und ist es machbar, die notwendige Teamkultur im
größeren Unternehmensumfeld zu integrieren?
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Die Wahl zwischen Captive- oder Non-Captive-Modell für einen institutionellen Anleger
hängt somit sowohl von den objektiven Stellgrößen dieses Investors ab, den regulato-
rischen Auflagen und Ansprüchen seiner Aufsichtsbehörden sowie von den eigenen
subjektiven Präferenzen zu Risiko, Renditeanspruch und allgemeiner Geschäftsphilo-
sophie. Insgesamt ist zu beobachten, dass Versicherer und Banken sich eher von dem
Captive-Modell entfernen. Große international investierende Pensionskassen und sog.
Sovereign Wealth Funds jedoch bauen zunehmend Captive Investment Teams auf.
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142 |
Teil
1 Einleitung
2 M & A als professionelle Dienstleistung
3 M & A als Transaktionsbegleitung
3.1 Typen von M & A-Transaktionsberatung
3.2 Leistungsspektrum und Beraterauswahl
3.3 Entlohnungsmechanismen
4 M & A als Spezialdienstleistung
4.1 Unternehmensberatung beim Pre- und Post Merger Management
4.2 Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
4.3 Weitere Akteure
5 Zusammenfassung und Ausblick
1 Einleitung
Der Kauf und Verkauf von Unternehmen(-steilen) gehört seit dem Auftreten kapita-
listischer Wirtschaftsordnungen zum Wirtschaftsgeschehen. Zwar haben Käufer und
Verkäufer seit jeher Dritte zu Rate gezogen, um ihre Entscheidungen möglichst op-
timal zu treffen, allerdings entwickelte sich die M & A-Beratung1 erst seit Ende der
1980er Jahre zu einer professionellen Dienstleistung. So übernehmen heutzutage z. B.
Investmentbanken, Wirtschaftsprüfer, Strategieberatungen oder Anwaltskanzleien bei
vielen Transaktionen wichtige Aufgaben bei der Durchführung und Anbahnung von
M & A-Transaktionen. In diesem Beitrag wird ein Überblick über die verschiedenen Ak-
teure, deren Rollen und Interessenlagen gegeben.
* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen; Dr. Michael Schäfer, Redakteur, Neue Zürcher Zeitung, Zürich.
1 Die Begriffe »M & A-Beratung«, »M & A-Consulting« und »M & A-Dienstleistung« werden in diesem
Beitrag synonym verwendet.
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2 Vgl. Blankenburg 1996; Bross et al. 1991; Schmitz 1993; Storck 1993.
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In dieser Gruppe sind Spezialisierungen der Berater auf einzelne Branchen oder
»Produkte« zu beobachten. Diese Entwicklung ist sicherlich auch auf die insgesamt
gestiegene Anzahl von M & A-Beratern und die damit verbundene Notwendigkeit einer
strategischen Positionierung in Gebieten, in denen der einzelne Berater dann besondere
Kompetenzen vorweisen kann, zurückzuführen. Durch eine Konzentration auf bspw.
die Pharma- oder Elektronikindustrie sind diese M & A-Consultants in der Lage, ihre
durch ein gewachsenes Netz von Beziehungen zu Schlüsselpersonen und potenziellen
Unternehmenskäufern ergänzte Branchenkenntnis derart einzusetzen, dass sie aktiv
nach Objekten bzw. Käufern für ihre Klienten Ausschau halten bzw. Ideen eigenständig
entwickeln und an potenzielle Klienten herantragen und somit viele Deals mit initiie-
ren können. In gleicher Weise kristallisieren sich auch Spezialisierungen auf einzelne
Transaktionsformen wie Management Buy-outs (MBO) oder Leveraged Buy-outs (LBO)
und auf Cross-Border-Transaktionen mit bestimmten Ländern heraus.
Alternativ zum letztgenannten Punkt, bei dem der M & A-Berater als Systemführer fun-
giert, ist auch denkbar, dass ein M & A-Berater aufgrund von beim Kunden vorhandenem
M & A-Know-how nur als »Komponentenlieferant« auftritt und einzelne Aktivitäten bei
der Durchführung einer Transaktion beisteuert. Dies kann sogar so weit gehen, dass der
M & A-Consultant nur als »Ideenlieferant« dient, und die Transaktion von der internen
M & A-Abteilung des Mandanten durchgeführt wird.
6 Vgl. Schwetzler 2009 zum Zusammenhang von Fairness Opinions und dem Rang eines M & A-Bera-
ters in den League Tables.
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Unabhängig davon ist es für den erfolgreichen Abschluss einer Transaktion unerläss-
lich, dass die teilweise parallel ablaufenden Aktivitäten, in die verschiedene Beteiligte
involviert sind, professionell koordiniert werden, um letztlich auch eine zügige Durch-
führung des Projektes zu gewährleisten. Die dabei entstehende Kommunikationsfunk-
tion erstreckt sich nicht nur auf die direkt am Transaktionsprozess Beteiligten, sondern
auch auf die letztlich von der Transaktion Betroffenen. Den internen und externen
Stakeholdern der involvierten Unternehmen muss der Vorgang mit dem Ziel erklärt
werden, Vertrauen in die neuen Eigentümerinteressen und Managementstrukturen zu
schaffen, was Aufgabengebiet einer auf M & A-Fragen spezialisierten Kommunikations-
beratung sein könnte.
Bei der Auswahl des M & A-Beraters7 im konkreten Fall muss abgeschätzt werden,
welchen Zusatznutzen der Berater aufgrund seines spezifischen Länder-, Branchen-,
Funktions-, und Prozesswissens generieren kann. Aufgrund der Intransparenz des
Marktes und der Komplexität der Problemstellungen, die häufig in der Ausgangssituati-
on noch nicht hinreichend bekannt sind, ist diesbezüglich eine optimale Entscheidung
fast unmöglich. Gerade im mittelständischen Bereich werden viele Mandate auf Empfeh-
lung von Geschäftsfreunden vergeben, ohne weitere, infrage kommende M & A-Berater
auf ihre individuellen Fähigkeiten zu untersuchen. Wichtige Anhaltspunkte können
diesbezüglich sog. Beauty Contests liefern, in denen M & A-Berater dem potenziellen
Mandanten ihre generellen und fallspezifischen Kompetenzen und Stärken im Wettbe-
werb präsentieren. Dabei ist es natürlich von Vorteil, wenn ein Berater auf Referenzen
erfolgreich abgewickelter Transaktionen in dem jeweiligen Land oder in der jeweiligen
Branche verweisen kann.
Dass die erfolgreiche Ausübung eines Mandates das beste Argument für einen
M & A-Berater darstellt, unterstreicht auch die Tatsache, dass auf dem Markt für Un-
ternehmenskontrolle aktive Firmen häufig auf den gleichen M & A-Spezialisten zurück-
greifen. Auf dieser Logik baut auch die von M & A-Beratern häufig gewählte »Tombsto-
nes«-Werbeform auf – d. h. Zeitungsanzeigen, in denen auf von dem jeweiligen Berater
begleitete Transaktionen hingewiesen wird. Eine gewisse Vergleichbarkeit der einzelnen
Häuser versprechen die League Tables, die die M & A-Berater nach den Kriterien »Anzahl
der abgeschlossenen Transaktionen« und »Transaktionswert« auflisten. Man vergleiche
exemplarisch dazu die Abbildung 1.
Aufgrund der fallspezifischen Konfiguration jeder einzelnen Transaktion ist es al-
lerdings durchaus fragwürdig, ob die Durchführung von Transaktionen in der Vergan-
genheit als alleiniger Indikator für eine optimale Durchführung zukünftiger Deals aus-
reichend ist. Wie bereits angeklungen, besitzt jeder Berater neben seinen individuellen
Stärken auch Nachteile, so dass es primär darum gehen sollte, den Berater zu wählen,
der für das anstehende Projekt die M & A-spezifischen Kompetenzen des Unternehmens-
käufers bzw. -verkäufers bestmöglich ergänzt. In diesem Zusammenhang ist natürlich
auch entscheidend, aus welchen Mitarbeitern einer M & A-Beratung im Einzelfall das
Beratungsteam konkret zusammengesetzt wird. Ein Klient wird sich sicherlich nicht
optimal betreut fühlen, wenn er das Mandat aufgrund einer von erfahrenen Profes-
sionals durchgeführten Präsentation erteilt und anschließend von einem Team eher
unerfahrener Berater im Transaktionsprozess begleitet wird.
7 Vgl. die Analyse des Beschaffungsprozesses von M&A-Dienstleistungen bei Beier 2009.
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3.3 Entlohnungsmechanismen
Natürlich ist auch der Preis für die in Anspruch genommene Dienstleistung ein wichti-
ges Kriterium bei der Auswahl des M & A-Consultants. In den USA setzte sich zunächst
die nach ihrem Erfinder benannte Lehman-Formel durch, die erfolgsabhängig eine ge-
staffelte prozentuale Vergütung auf Basis des Kaufpreises vorsieht: Für die erste Mio.
US-$ Kaufpreis werden 5 %, für die zweite 4 %, für die dritte 3 %, für die vierte 2 %
und für jede weitere Mio. US-$ 1 % veranschlagt. Diese Vorgehensweise fand auch in
Deutschland in einer modifizierten Form Anwendung – 2,5 % bis 4,5 % für die ersten
10 Mio. DM, 1,5 % bis 3 % für den Bereich von 10 bis 50 Mio. DM und 0,75 % bis 1,75 %
für den 50 Mio. DM übersteigenden Transaktionswert –, allerdings haben sich etwa seit
den 90er Jahren im Allgemeinen flexiblere und damit kompliziertere Vergütungsstruk-
turen durchgesetzt, die im individuellen Fall oft Ergebnis eines Verhandlungsprozesses
zwischen Klient und Berater sind.
8 http://www.bloomberg.com/professional/content/uploads/sites/2/2015/01/Bloomberg-2014-MA-
Financial-Rankings.pdf.
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gen der M & A-Berater besteht ihre originäre Hauptaufgabe in der optimalen Durch-
führung der Transaktion; gleichzeitig gehört es zu den Anforderungen an einen guten
Berater, seinem Klienten von unvorteilhaften Transaktionen abzuraten. So kann eine
fallspezifische Gewichtung der aufwandsbezogenen und der erfolgsabhängigen Kompo-
nenten des Honorars zur Interessenwahrung des Mandanten beitragen.
In diesem Sinne ist natürlich auch die Frage von Interesse, welchen Einfluss das Hin-
zuziehen von M & A-Beratern auf die Preisbildung hat. Eine Auswertung vorhandener
Studien zu Investmentbanken zeigt,
»… dass aus Sicht der Anteilseigner der Käuferunternehmen der Erfolgsbeitrag von Investmentban-
ken gering ist und die Höhe der von den Käuferunternehmen bezahlten Akquisitionsprämien durch
die Beteiligung von Investmentbanken (an sich) nicht beeinflusst wird. Unternehmen, die von In-
vestmentbanken mit hoher Reputation beraten werden, zahlen jedoch durchschnittlich eine höhere
Akquisitionsprämie.«9
Offensichtlich ist hier den Auftraggebern die Sicherstellung eines erfolgreichen Ab-
schlusses der Transaktion das wichtigere Ziel, als die Zahlung einer möglichst geringen
Akquisitionsprämie. Dafür spricht auch, dass die übliche Bezahlung der Investmentban-
ken in Form einer Erfolgsprämie bei Abschluss erfolgt.
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der politischen Prozesse innerhalb der beteiligten Unternehmen abdeckt. Da die Integra-
tion häufig mit größeren Investitionen in das gekaufte Unternehmen verbunden ist, wird
durch den Käufer nicht selten ein neues Controlling-System installiert, welches u. a. ein
effizientes Post Merger Controlling ermöglichen soll. Um den Integrationsfortschritt in
den einzelnen Bereichen erkennen und steuern zu können, muss der Managementbe-
rater auch über das entsprechende Funktionalwissen (Einkauf, Produktion, Marketing
usw.) verfügen.
Über diese als angestammtes Geschäft zu bezeichnenden Tätigkeiten hinaus ver-
suchen Unternehmensberater in zunehmendem Maße ihre Klienten auch während der
Transaktion per se zu begleiten. Als Verkaufsargument gegenüber dem Kunden wird
der Vorteil der »Beratung aus einer Hand« (»One Stop Shopping«) angeführt, was insbe-
sondere bei kleineren Transaktionen in gewissem Maße nachvollziehbar ist. Allerdings
ist die Qualität der Strategieentwicklung in diesen Fällen infrage gestellt, da die Ergeb-
nisse von den Geschäftserwartungen in den anderen Beratungssegmenten beeinflusst
sind. Ein weiterer Konflikt besteht im Falle eines Verkaufsmandates, das im Erfolgsfall
den Verlust eines Beratungskunden zur Folge haben kann. Da es sich bei den in die
M & A-Domäne strebenden Unternehmensberatern vor allem um international agierende
Gesellschaften mit einem großen Kundenstamm handelt, besteht zusätzlich die Gefahr,
dass sowohl das Käufer- als auch das Verkäuferunternehmen zu ihrer Klientel zählt,
was ein hohes Konfliktpotenzial aufwirft.
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Eine wichtige Rolle nehmen auch die Wirtschaftsprüfer ein. Ihre Stärken liegen in
der Analyse der Finanzsituation und der Rechnungslegung einer Gesellschaft. Kon-
sequenterweise liegen ihre Hauptaufgaben einerseits in der Durchführung einer Due
Diligence und andererseits in der Bewertung des Kaufobjektes als Teil der Preisfin-
dung. Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und Steuerberater treten über ihre Funktion
der Bereitstellung von spezialisierten M & A-Services teilweise auch als eigenständige
M & A-Berater auf. Einige große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit internationaler
Infrastruktur haben diese Anstrengungen intensiviert und M & A-Abteilungen aufgebaut,
in denen sie gezielt einen kompletten Service anbieten und damit in direkte Konkurrenz
zu den klassischen M & A-Beratern treten. Für diese, eher aus einer Beratungstradition
stammenden Unternehmen entsteht neben dem Fehlen einer M & A-Kultur ein weiteres
Konfliktpotenzial: Bei der Übernahme von Kaufmandaten sind Probleme vorgezeichnet,
wenn das Zielunternehmen durch die Mutter geprüft wird. Darüber hinaus besteht für
den Wirtschaftsprüfer analog zu den Steuerberatern und Rechtsanwälten die Gefahr,
durch die Begleitung eines Verkaufsmandates einen Kunden zu verlieren.
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156 |
Teil
1 Einleitung
2 Erratik von M & A-Entscheidungen
3 Frühes Hinterfragen des Quellcodes für eine M & A-Transaktion:
der Portfolio-Ansatz
4 Folgerung für den M & A-Beratungsansatz
5 Erwartungsmanagement im M & A-Prozess
5.1 Kundenseitige Entscheidungsprozesse
5.2 Entscheidungsprozesse der Gegenseite(n)
5.3 Erwartungen der weiteren Stakeholder
6 Zusammenfassung
1 Einleitung
Die Praxis der M & A-Beratungsdienstleistung hat ihr Spektrum seit Anfang der 1990er
Jahre erheblich erweitert. Lagen in den ersten Jahren die Schwerpunkte der Beratung
in der professionellen Transaktionsbegleitung mit der Optimierung von Verfahrens-
schritten, Dokumentationserstellung und -management, Unternehmensbewertung und
Vertragsprozessgestaltung, so hat sich mittlerweile der Beginn eines M & A-Beratungs-
prozesses bereits im Vorfeld von möglichen Transaktionsvorhaben etabliert, um früh
die Frage der Sinnhaftigkeit und Machbarkeit abzuprüfen, um zu einer Einschätzung
des zukünftigen Wertbeitrages zum bestehenden Beteiligungsportfolio zu gelangen und
ein günstiges Zeitfenster für die Durchführung einer Transaktion zu bestimmen. Auf
dieser Grundlage können sich zunehmend M & A-Transaktionsabläufe entwickeln, die
wegen ihrer gründlich vorbereiteten Fundierung ein Mehr an Prozesssicherheit und
Berechenbarkeit in ihrem späteren Verlauf liefern.
Neben den nach wie vor überwiegenden und gewünscht »opportunistisch« getriebe-
nen Transaktionsvorhaben nehmen aber »systematische«, aus vorgegebenen Zielsetzun-
gen abgeleitete Unternehmenskäufe und -verkäufe an Bedeutung zu. Als Folge kommt
es beim Auftraggeber zu einer frühen Einbindung der M & A-Berater in den Prozess der
Festlegung der Transaktionskriterien und der sonstigen Entscheidungsparameter, die
im späteren Transaktionsablauf von Bedeutung sind. Daraus resultiert ein fundiertes
und abgestimmtes Verständnis für die jeweilige Interessenlage des Auftraggebers und
damit verlässliche Vorgaben für den weiteren Transaktionsverlauf. Einen wesentlichen
Einfluss auf eine Kauf- oder Verkaufsentscheidung hat letztlich die zugrunde liegende
* Dr. Maximilian Dietzsch-Doertenbach, Managing Partner, Doertenbach & Co. GmbH, Frankfurt a. M.
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Was sich seit Anfang der 1990er Jahre geändert hat, sind
• eine stärkere Sensibilisierung der Entscheidungsträger für die möglichen Gründe des
Scheiterns von M & A-Transaktionen in späten Phasen des Prozesses und
• eine Ableitung der mit einem »erfolgreichen« Abschluss einer Transaktion zu errei-
chenden Zielsetzung aus Vorgaben für eine optimale Allokation des Beteiligungs-
portfolios zur nachhaltigen Sicherung des von den Gesellschaftern anvertrauten
Vermögens, sowie
• eine Etablierung von Abgleichmaßnahmen während des Transaktionsprozesses, mit
denen die Veränderungen in den Interessenlagen der am Transaktionsprozess Betei-
ligten und die sonstigen Rahmenbedingungen ständig dahingehend abgeprüft wer-
den, welchen Einfluss sie auf den weiteren Fortgang der Transaktion haben.
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Nun stellt sich die Frage, wie die Rendite einerseits und das Risiko andererseits mit
einer mit einem Unternehmenserwerb verbundenen Investition verknüpft werden kann.
Es gibt erste Ansätze, die es erlauben Aussagen zu treffen, wie sich die gegenwärtige
und zukünftige Rendite einer neuen Unternehmensbeteiligung entwickeln kann, abge-
leitet aus den finanziellen Projektionen, die der Finanzplanung zugrunde liegen. Das
Risiko, das mit einer solchen Investition verbunden ist, kann dargestellt werden als
eine anzunehmende Abweichung der angenommenen Rendite. Solche Planungen un-
terstellen eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit wesentlicher Annahmen über die
Zukunft, so dass sich neben einer Rendite auch die Volatilität dieser Renditeerwartung
darstellen lässt. Entsprechend lässt sich die Performance einer solchen Beteiligung in
ein Rendite/Risiko-Koordinatensystem eintragen (vgl. Abb. 1). Alle diese Überlegungen
rund um den Portfolio-Ansatz sollen helfen, sich vor Beginn einer M & A-Transaktion
darüber im Klaren zu sein, welche grundsätzlichen Kriterien an einen erfolgreichen
Abschluss eines solchen Vorhabens geknüpft werden.
y9
y8
Durchschnittsrendite (µ) (%)
y7
Aktien A
Aktien B
y6 Aktienfonds
y5
Immobilienfonds Das im
y4
Gold Unternehmen
y3 Anleiheportfolio gebundene
Vermögen
y2
Farm
y1 Forst
x1 x2 x3 x4 x5 x6 x7
Risiko σ (Volatilität in %)
Bei Familienunternehmen kommt eine Besonderheit hinzu. In der Regel steht bei
M & A-Überlegungen ausschließlich das im Unternehmen gebundene Vermögen der Fa-
milie im Vordergrund. Nicht selten macht diese Beteiligung an einem Unternehmen
mehr als 90 % des Gesamtvermögens einer Familie aus. Aus dem Blickwinkel einer
Risikodiversifikation betrachtet, stellt diese hohe Konzentration angesichts des techno-
logischen Wandels und von Marktveränderungen teilweise ein erhebliches Risiko dar,
wenn dieses im Unternehmen gebundene Vermögen nicht sinnvoll gestreut ist (»al-
le Eier in einem Nest«). Es gibt verschiedene Ansätze, um eine Risikostreuung eines
Familiengesamtvermögens durchzuführen. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll,
das Gesamtvermögen ganzheitlich zu betrachten und die übliche Trennung (Schisma)
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Forst- &
Im Unternehmen Immobilien Landwirt-
gebundenes Vermögen schaft
Kunst Sonstige
Kapitalbeteiligung
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Zukunft ausweisen kann und ob nicht durch Zukauf von geeigneten Unternehmen ei-
nerseits und die Desinvestition von weniger ertragsstarken und eher risikobehafteten
Unternehmensbeteiligungen andererseits die Gesamtperformance der Unternehmens-
gruppe verbessert werden kann. Diese Betrachtung von Portfolio-Entwicklungen und
das Denken in Rendite und Risiko ist in vielen Fällen das auslösende Moment für
Transaktionsentscheidungen.
Aufgabe einer M & A-Beratung ist demnach auch die Beratung der Gesellschafter
hinsichtlich der zu erwartenden Performanceentwicklung des im Unternehmen gebun-
denen Vermögens einerseits und andererseits einer Abschätzung, ob sich durch Zukäu-
fe oder Desinvestitionen entsprechende Performanceverbesserungen erreichen lassen.
Solche Beratungen basieren in der Regel auf einer Unternehmensbewertung für das be-
stehende Unternehmen und einer Ableitung aus der sich ergebenden Renditeerwartung
im Planungszeitraum. Es gibt bereits Modelle, mit denen sich die Unsicherheiten der
Planung explizit darstellen lassen, so dass auch die erwartete Risikoneigung abschätzt
werden kann.
Entsprechend lassen sich bei geplanten Akquisitionen Annahmen treffen, ob das zu
erwerbende Unternehmen das bestehende Performance-Niveau verbessern oder ver-
schlechtern wird. Zumindest sind die dazu angestellten Überlegungen häufig eine gute
Grundlage, die Sinnhaftigkeit einer Erweiterungsinvestition und Akquisition gründlich
erörtern zu können. Bei der Umschichtung von Vermögen vom Unternehmens- in den
Privatbereich ist ebenfalls die Frage zu stellen, ob die Risikoneigung und die Rendi-
teerwartung einer Investition in andere Asset-Klassen, wie z. B. Wertpapierdepots oder
Immobilien eine sinnvolle Diversifikation darstellen.
Es gibt auch Modelle, bei denen eine auf das Gesamtportfolio bezogene Ȇbergewich-
tung« des im Unternehmen gebundenen Vermögens durch sog. Rückbeteiligungsmodelle
reduziert werden kann; einerseits kann dabei aus dem Verkauf eines Unternehmens ein
Teil des Verkaufserlöses zum Rückerwerb einer (mehrheitlichen) Beteiligung an dem
Unternehmen über eine Erwerbergesellschaft reinvestiert werden und andererseits der
verbleibende Verkaufserlös in andere Asset-Klassen wie Aktien, Festverzinsliche Papie-
re, Immobilien, etc. (»privates Portfolio«) angelegt werden (vgl. Abb. 3).
Rückbeteiligung Beteiligung
»Privates« Restkauf- Erwerber-
(Alt-) Gesellschafter Investor
Portfolio preis Kaufpreis gesellschaft
Verkauf
Erwerb
Mittelzufluss für
strategische Weiterentwicklung
Unternehmen
Abb. 3: Rückbeteiligung als Option für mittelständische Unternehmen (Quelle: Eigene Darstellung)
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Rückkopplung Antizipation
terhin einen optimierenden Beitrag leistet und ob die Post Merger Integration erfolgsver-
sprechend gestaltet werden kann, nicht berücksichtigt werden. Im Transaktionsablauf
sind daher vom M & A-Berater regelmäßig interne Abstimmungen mit dem Auftraggeber
anzusetzen, um einen Abgleich des Transaktionsfortschritts mit den Zielvorgaben und
den sich daraus ergebenden Konsequenzen durchzuführen, um zu verhindern, dass
durch die taktische Getriebenheit häufig schon ein Punkt überschritten ist, an dem
sich abzeichnen liess, dass sowohl von den Preiserwartungen als auch von den sich
herausstellenden Parameter in der Due Diligence eine Fortsetzung der Gespräche und
damit ein weiterer Ressourceneinsatz nicht mehr vertretbar ist.
Daher ist es sehr sinnvoll, den M & A-Prozess selbst von Anfang an noch stärker
mit strategischen Vorgaben und einer genauen Definition der zu erfüllenden Kriteri-
en auszustatten und klare, sog. Meilensteine zu setzen, an denen die Sinnhaftigkeit
und Machbarkeit einer Transaktion reflektiert und eine Entscheidung über die weitere
Fortsetzung des Transaktionsprozesses getroffen werden. Dies alles erfordert eine viel
stärkere Verankerung des M & A-Prozesses bei den ursprünglichen Zielen, die das Unter-
nehmen mit einer Diversifikationsstrategie – sei es dem Kauf oder Verkauf von Unter-
nehmen oder Unternehmensteilen – verfolgt. Die Analyse der zu erwartenden weiteren
Entwicklung nach einem erfolgreichen Abschluss, verbunden mit einer Rückkopplung
auf die ursprünglichen Transaktionsziele sollte regelmäßig in den Meilensteinzeitpunk-
ten abgeglichen werden, um über die Sinnhaftigkeit der Fortführung des Transaktions-
prozesses zu entscheiden.
Neben dem tiefen Verständnis der strategischen Ziele, die mit einem Transaktions-
vorhaben erreicht werden sollen, kommt zunehmend auch eine noch schärfere Betrach-
tung der jeweiligen Interessenlage der an dem Transaktionsprozess Beteiligten zum
Tragen. Typisch für M & A-Prozesse ist, dass sie in einem stets sehr diskreten Rahmen
stattfinden, um die vereinbarte Vertraulichkeit zu gewährleisten und nicht unnötig Un-
sicherheit zu verbreiten, solange eine finale Entscheidung über Kauf oder Verkauf noch
nicht getroffen ist. Dennoch zeigt sich bei vielen Abbrüchen, dass die Kenntnis der
Zielsetzungen der verschiedenen Beteiligten am M & A-Prozess nur unzureichend waren
und durchaus hinterfragbar gewesen wären. Dies lässt den Schluss zu, dass es sinnvoll
ist, auch während eines Transaktionsprozesses die Beweggründe für ein Interesse an
der weiteren Durchführung der Transaktion aller daran Beteiligten zu durchdenken.
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5 Erwartungsmanagement im M & A-Prozess
5.1 Kundenseitige Entscheidungsprozesse
Die Anstöße für Transaktionsideen sind vielfältig. Unabhängig von der Unternehmens-
struktur und damit der Größe ist es sinnvoll sicherzustellen, dass insbesondere bei gro-
ßen Vorhaben die wesentlichen Entscheidungsträger aktiv eingebunden sind. Aufgabe
des M & A-Beraters ist es sicher zu stellen, dass nicht nur die Geschäftsführungs- bzw.
Vorstandsebene entsprechend informiert ist, sondern auch der Beirat bzw. Aufsichtsrat
und schlussendlich die wesentlichen Gesellschaftergruppen (Familie). Angesichts der
Vertraulichkeit, mit der M & A-Transaktionen durchzuführen sind, ist es aber dennoch
sehr sinnvoll, mit den im Unternehmen Beteiligten ein klares Verständnis darüber zu
entwickeln, wie sie einer solchen Investitions- oder Desinvestitionsentscheidung ge-
genüberstehen. Es hat sich sehr bewährt, im Vorfeld einer konkreten Transaktionsidee
mit den Beteiligten zu einem klaren Verständnis zu kommen, in welche Bereiche in
der Zukunft investiert oder welche Unternehmensteile ggf. abgeben werden sollen. Bei
Akquisitionsvorhaben hat es sich bewährt, die Kriterien, die das zu erwerbende Un-
ternehmen erfüllen sollte, festzulegen. Als minimale, aber sehr anschauliche grafische
Grundlage bietet sich ein Spinnendiagramm an (vgl. Abb. 5).
Prozess Know-how
3
Mitarbeiter- Technologie
2
stärke 1
0
Verfügbarkeit Marktanteil
Abb. 5: Beispiel für
Spinnendiagramm zur
Transaktionsgröße Kriteriendarstellung
(Quelle: Eigene
Darstellung)
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6 Zusammenfassung
Basiert der Transaktionsprozess auf einem systematischeren Durchdenken der Positi-
onen aller am Transaktionsprozess Beteiligten und die Transaktionsentscheidung auf
einer klar abgeleiteten strategischen Allokationsoptimierung des Unternehmensportfo-
lios, lässt sich mit Einsatz von antizipativer Intelligenz und einem Transaktionsdesign
mit klaren Entscheidungsintervallen (Meilensteinen) ein Beitrag dazu leisten, dass die
Ressourcenvergeudung durch zu späte Abbrüche, die ihren Grund in Wahrheit in Er-
eignissen und Grundlagen haben, die lange Zeit vor dem Abbruch hätten bekannt oder
analysiert sein können, reduziert werden. Dies stellt die M & A-Beratung in der Praxis
vor komplexe Herausforderungen, die sich in den internen organisatorischen Abläufen
und Aufstellungen niederschlagen.
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166 |
Teil
1 Einleitung
2 Bedeutung der Politik für das M & A-Geschäft
2.1 Öffentliche Hand als direkte Partei bei M & A-Transaktionen
2.2 Politik als Rahmensetzer für M & A-Transaktionen
3 Auswirkungen auf die M & A-Beratungsleistung einer Bank
3.1 Staat als Nachfrager von M & A-Beratungsdienstleistungen
3.2 Staat als politische Größe in M & A-Prozessen
3.3 Schlussfolgerungen für die Ausrichtung der M & A-Abteilung einer Bank
1 Einleitung
Nicht erst seit der Finanzkrise spielt die öffentliche Hand in nahezu allen Ländern der
Welt eine wichtige und tendenziell zunehmende Rolle im allgemeinen Wirtschaftsge-
schehen. Dies gilt auch für das M & A-Geschäft. Zum einen tritt der Staat als Käufer
oder Verkäufer in M & A-Prozessen auf. Zum anderen beeinflusst er oder induziert gar
M & A-Transaktionen in seiner Funktion als Rahmensetzer oder durch spezifische (in-
dustrie-) politische Interventionen. Dies hat direkte Konsequenzen für das M & A-Bera-
tungsgeschäft, werden dadurch doch zusätzliche Erfolgskriterien wichtig wie z. B. die
Kenntnis der politischen Entscheidungsmechanismen oder die Fähigkeit, die politischen
Parameter verlässlich beurteilen zu können. Die vorliegende Abhandlung beleuchtet die
vielfältige Rolle des Staates bzw. der öffentlichen Hand als institutionelle Ausprägungen
politischer Willensbildung für das M & A-Geschäft näher und untersucht die damit ver-
bundenen Herausforderungen für den M & A-Beratungsansatz einer global agierenden
Investmentbank.
* Dr. Berthold Fürst, Co-Verantwortlicher M & A-Geschäft EMEA, Deutsche Bank AG, Frankfurt a. M.;
Dr. Stephan Leithner, Partner, EQT Partners GmbH, München.
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hervorgetreten. Dieses Bild hat sich jedoch als Folge der Finanzkrise umgekehrt, als der
Staat als Retter in Form des ungewollten Käufers von in Schieflage geratenen Unterneh-
men, primär Finanzdienstleistern, aufgetreten ist. Erst zuletzt, im Jahr 2014, überstieg
das Verkaufsvolumen westeuropäischer Regierungsorganisationen erstmals seit 2007
wieder das Kaufvolumen (vgl. Abb. 1).
160
146,2
134,6
140
120
101,5
91,9
100
Transaktionsvolumen
in Mrd. EUR
80
50,2
60
47,9
47,3
44,6
45,1
36,3
34,9
33,7
33,5
30,9
31,6
40
28,2
27,4
23,9
22,0
17,7
16,4
16,3
15,1
14,4
14,3
12,5
20
9,9
7,4
7,4
7,3
7,2
6,4
0
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Westeuropäische Regierungsorganisation tritt als Käufer auf Westeuropäische Regierungsorganisation tritt als Verkäufer auf
Als Partei in M & A-Prozessen verfolgt die öffentliche Hand stets auch politische Zielset-
zungen. Bei Privatisierungen bzw. Unternehmensverkäufen stehen neben fiskalischen
Aspekten wie der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen regelmäßig auch allokati-
onspolitische Zielsetzungen wie Deregulierung, Intensivierung des Wettbewerbs, Effi-
zienzsteigerung und die Förderung privater Initiative im Vordergrund. In den vergan-
genen 25 Jahren sind viele ehemalige Staatsbetriebe auf allen Ebenen der öffentlichen
Hand komplett oder teilweise privatisiert worden. Die Deutsche Post, die Deutsche Te-
lekom und die Deutsche Lufthansa zählen zu den bekanntesten (teil-)privatisierten
Unternehmen. Bereiche, in denen häufig Privatisierungen durchgeführt wurden, sind
Wasser- und Energieversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung, Telekommunikation
und Postdienstleistungen, Infrastruktur und Immobilien, öffentlicher Nahverkehr, Fi-
nanzdienstleistungen sowie Krankenhäuser (vgl. Abb. 2). Beispielhaft ist die erfolg-
reiche Veräußerung von knapp 50.000 kommunalen Wohnungen in Dresden im Jahr
2006 zu nennen, die der Stadt ca. 1 Mrd. EUR einbrachte, womit diese auf einen Schlag
schuldenfrei war.
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160
140
120
Transaktionsvolumen
100
in Mrd. Euro
80
60
40
20
0
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Tritt die öffentliche Hand als direkter Käufer von Unternehmen auf (vgl. Abb. 3), sind
hierfür meist (abgesehen von den Bankenrettungen infolge der Finanzkrise) industrie-
oder arbeitsmarktpolitische Erwägungen ausschlaggebend. Im Jahr 2008 beteiligte sich
beispielsweise die Stadt Hamburg am Konsortium Albert Ballin, um eine »Hamburger
Lösung« für das von TUI veräußerte Transport- und Logistikunternehmen Hapag-Llo-
yd zu unterstützen und einen Verkauf der Reederei nach Fernost zu verhindern. In
Frankreich beteiligte sich der Staat im Jahr 2013 an PSA Peugeot Citroën, um ein Ge-
gengewicht zum Einfluss des chinesischen Anteilseigners Dongfeng zu bilden. Ebenso
erwarb der französische Staat im Jahr 2014 eine Beteiligung an Alstom im Zuge des
Übernahmekampfes um dessen Energiesparte und übte signifikanten Einfluss auf den
Ausgang des Bieterkampfs aus. Interessant wird weiterhin auch zu beobachten sein, ob
und inwieweit die Staaten ihre im Zuge der Finanzkrise und der dadurch erforderlichen
Rettungsmaßnahmen unfreiwillig erworbenen Beteiligungen an Finanzinstituten dazu
nutzen werden, die vielfach für notwendig erachtete Konsolidierung oder den politisch
erwünschten Umbau des Bankensektors aktiv voranzutreiben. 1 2
140
120
100
Transaktionsvolumen
80
in Mrd. EUR
60
40
20
0
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
1 Nur Branchen mit kumulativem Veräußerungsvolumen (1999 bis 2014) von über 10 Mrd. EUR.
2 Nur Branchen mit kumulativem Akquisitionsvolumen (1999 bis 2014) von über 10 Mrd. EUR.
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politischen Widerstand stießen, waren u. a. der beabsichtigte Kauf der Turbinensparte
von Alstom durch Siemens im Jahr 2004 (sowie später der Kauf des Energiegeschäfts
von Alstom durch General Electric im Jahr 2014, welcher letztlich nach Zugeständnis-
sen durch General Electric doch von der französischen Regierung gebilligt wurde), die
geplante Übernahme des französischen Versorgers Suez durch das italienische Energi-
eunternehmen Enel im Jahr 2006 sowie die geplante Übernahme des spanischen Ener-
gieversorgers Endesa durch den deutschen Energieriesen E.ON ebenfalls im Jahr 2006,
um nur einige zu nennen.
Die Formen der (industrie)politischen Einflussnahme sind mannigfach: Sie reichen
von allgemeinen politischen Willensbekundungen über diplomatische Interventionen
bis hin zu direkter Einflussnahme auf die Entscheidungsträger in den beteiligten Unter-
nehmen und Behinderungen in ggf. erforderlichen Genehmigungsprozessen. So wurde
etwa im Jahr 2005 dem italienischen Zentralbankchef Antonio Fazio vorgeworfen, die
Übernahme der norditalienischen Kreditinstitute Banca Antonveneta und Banca Nazi-
onale de Lavoro durch ausländische Bieter mittels Verzögerung von Genehmigungspro-
zessen und aktiver Hilfe beim Aufbau von nationalen Gegenspielern de facto blockiert
zu haben. Im Jahr 2014 stieß die geplante Übernahme des britischen Pharmakonzerns
AstraZeneca durch seinen amerikanischen Rivalen Pfizer auf beiden Seiten des Atlan-
tiks auf heftigen politischen Widerstand. Während die amerikanische Seite insbesonde-
re den Verlust von Arbeitsplätzen befürchtete und die möglichen steuerlichen Motive für
die geplante Übernahme kritisierte, sorgte sich die britische Regierung neben Arbeits-
platzverlusten vor allem um die Abwanderung von Forschungskapazitäten und nutzte
dabei auch den indirekten politischen Hebel des staatlichen Gesundheitssystems als
Großkunde der Pharmaindustrie.
Einzelne Branchen sind dem politischen Einfluss in besonderem Maße ausgesetzt.
Dies gilt insbesondere für die Rüstungsbranche, die aufgrund sicherheitspolitischer Er-
wägungen traditionell im Fokus der Politik steht. Beispielhaft ist der Fall der Airbus
Group (ehemals EADS) anzuführen, die im Laufe der letzten 15 Jahre immer wieder
Spielball nationaler politischer Interessen wurde und dessen geplante Fusion mit der
britischen BAE Systems im Jahr 2012 daran scheiterte, dass sich die beteiligten Staaten
nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten. In der Folge kam es zu einer
Neuordnung der politischen Interessen und einer Reduzierung des französischen und
deutschen Einflusses durch den Verkauf der Beteiligungen von Lagardère und Daimler
im April 2013. Verstärkter politischer Einfluss macht sich seit der Finanzkrise auch in
der Bankenbranche bemerkbar. Hier gestaltet sich etwa der Verkauf von Banken auf-
grund hoher regulatorischer Anforderungen an potenzielle Käufer deutlich schwieriger
als in der Vergangenheit. Darüber hinaus kann in diesem Zusammenhang die Ener-
giebranche genannt werden, in der politische Entscheidungen wie der Ausstieg aus der
Atomenergie und die staatliche Förderung erneuerbarer Energien das Geschäftsmodell
großer Energiekonzerne stark beeinflussen und dadurch indirekt teilweise weitreichen-
de strategische Transaktionen (siehe zum Beispiel die Ankündigung von E.ON im Jahr
2014, sein traditionelles Kraftwerksgeschäft abspalten und separat an die Börse bringen
zu wollen) induzieren.
Grundsätzlich unterscheiden sind einzelne Länder, auch die der EU, deutlich bezüg-
lich ihrer Einstellung zu industriepolitischer Einflussnahme voneinander. So gilt Groß-
britannien als besonders liberal und offen für ausländische Investoren, während Frank-
reichs Regierung sich häufig für eine »französische Lösung« einsetzt und die Schaffung
nationaler Champions sowohl finanziell als auch politisch unterstützt. Deutschland
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2.2.2 Außenwirtschaftsgesetz
350
300
250
Transaktionsvolumen
200
in Mrd. EUR
150
100
50
0
1991
1992
1993
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
1994
2004
2014
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durch Ausländer machen regelmäßig mehr als ein Viertel aller M & A-Transaktionen
in Deutschland aus.7 Solche Investitionen haben dabei zunehmend ihren Ursprung in
den Schwellenländern. Entsprechend groß wäre der potenzielle Schaden gewesen, den
eine wesentliche Erschwerung des Zugangs ausländischer Unternehmenskäufer für die
deutsche Volkswirtschaft im Allgemeinen und für internationale Unternehmenstrans-
aktionen im Speziellen hätte haben können.
Die aus kontroversen Debatten hervorgegangene Novellierung des AWG zu Beginn
des Jahres 2009 hat indes nichts daran geändert, dass Deutschland weiterhin über eines
der liberalsten und offensten Investitionsregime im internationalen Vergleich verfügt. Es
sieht neben dem bereits bestehenden, stark eingegrenzten Interventionsrecht des Bun-
des bei ausländischen Investitionen in sicherheitspolitisch relevante Unternehmen nun
ein generelles Prüfrecht der Bundesregierung unter der Führung des Bundesministeri-
ums für Wirtschaft und Technologie vor, wenn die Beteiligung eines Käufers aus einem
Nicht-EFTA-(European Free Trade Association)-Land an einem deutschen Unternehmen
eine Größe von 25 % überschreitet. Die Bundesregierung kann eine solche Transaktion
untersagen oder Bedingungen erlassen, sollte sie zu dem Urteil kommen, der Erwerb
gefährde die Sicherheit des Landes oder die öffentliche Ordnung.
Gleichwohl sind die Interventionsmöglichkeiten der Politik unter dem vergleichswei-
se liberalen AWG gerade für ausländische Unternehmenskäufer, die mit den politischen
Prozessen des Ziellandes weniger vertraut sind, ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor.
Umso wichtiger ist es für die umfassende M & A-Beratung, potenzielle Kaufinteressenten
auch in dieser Hinsicht zu begleiten. Informelle Sondierung bei den entsprechenden
staatlichen Stellen durch die beratende Bank im Auftrag, aber ohne Nennung des aus-
ländischen Käufers, Erläuterung der Entscheidungskriterien und -prozesse der Regie-
rungsstellen und Unterstützung bei der Präsentation des Übernahmevorhabens bei den
relevanten politischen Entscheidern können einen wichtigen Beitrag leisten, die gefühlte
oder tatsächliche Transaktionssicherheit für den Käufer zu erhöhen.
2.2.3 Kartellrecht
7 Dealogic 2006–2014.
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ersten Mal in der Geschichte des europäischen Kartellrechts veräußert ein Unternehmen
bedeutende Vermögenswerte, um Wettbewerbsbedenken auszuräumen.«8
Weitaus bekannter ist zum anderen der Einfluss des Kartell- und Wettbewerbsrechts
auf Unternehmenstransaktionen im Rahmen der Fusionskontrolle. Die europäische Fu-
sionskontrollverordnung sowie das nationale Recht der Mitgliedstaaten stellen bei der
Beurteilung im Wesentlichen darauf ab, ob durch Unternehmenszusammenschlüsse ei-
ne marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird. In beiden Fällen hat die
zuständige Wettbewerbskontrolle den Zusammenschluss zu untersagen oder – soweit
ausreichend – von Auflagen oder Bedingungen abhängig zu machen (vgl. Abb. 5). Einen
der prominentesten Fälle einer Untersagung durch die EU-Kommission stellt in der jün-
geren Vergangenheit die geplante Fusion der Deutschen Börse mit der NYSE Euronext
dar, bei der die EU-Kommission im Jahr 2012 zu der Einschätzung gelangte, dass der
geplante Zusammenschluss zum größten Börsenunternehmen der Welt in erheblichem
Maße den Wettbewerb behindern würde.
2.500
126
38
2.000 7
Entscheidungen bzw. Erledigungen vor
238 91 117
151 10 44
126
Abschluss des Verfahrens
129 40 5 56
1.500 23 17 39 6 4
2 2 35 26 59 29
2 6 30 12 50
2 59
2.104
100 62 19 19
1.000 4
34 34
1.679
2
1.584
1.573
1.548
1.540
1
1.457
3
1.400
1.344
1.244
1.058
1.009
500
899
888
0
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Abb. 5: Beim Bundeskartellamt angemeldete Zusammenschlüsse und Entscheidungen bzw. Erledigungen vor
Abschluss des Verfahrens (Quelle: Bundeskartellamt)
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te, stellten die beiden Parteien im April 2015 einen Antrag auf Ministererlaubnis, um
ihren Zusammenschluss doch noch zu retten.
Erlaubnis
3
Antragsrücknahmen
7
Teilerlaubnis
1
Ablehnungen
6
Abb. 6: Übersicht der Ausgänge des Ministererlaubnisverfahrens nach § 24 Abs. 3/§ 42 GWB10 (Quelle: Bundes
ministerium für Wirtschaft und Energie)
10 Seit 1973 gab es 21 Fälle, in denen eine Ministererlaubnis zur Anwendung kam.
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Literatur
Bundesbank (1991–2014): Zeitreihe: Kapitalbilanz/Ausländ. Nettokapitalanl. im Inland/Direktinvesti-
tionen/Beteiligungskapital/Beteiligungskapital i.e.S./Neuanlage.
Bundeskartellamt (1999–2012): Tätigkeitsbericht 1999/00, S. 207 f.; Tätigkeitsbericht 2001/02 S. 259 f.;
Tätigkeitsbericht 2003/04, S. 215 f.; Tätigkeitsbericht 2005/06 S. 225; Tätigkeitsbericht 2007/08
S. 178; Tätigkeitsbericht 2009/10 S. 158; Tätigkeitsbericht 2011/12, S. 126.
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2015): Übersicht über die bisherigen Anträge auf Mi-
nistererlaubnis nach § 24 Abs. 3/§ 42 GWB.
Deutsche Bank Research (2006): EU-Monitor 35, S. 7 ff.
Deutscher Bundestag (2004): Drucksache 15/3610, S. 75 und S. 111 ff.
Europäische Kommission (2008): IP/08/1774.
UNCTAD (2014): World Investment Report 2014, S. 205–208, 213.
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| 177
Teil
1 Einleitung
2 Übliche Formen der Honorierung
3 Hohe Umsatzerwartungen im Risikomodell
4 Transaktionskalkulation oder Umsatzpriorität
5 Risikogewichtete Kostenanalyse
6 Vergleich mit vorgeschriebener Rechnungslegung
7 Schärfung des Geschäftsmodells
1 Einleitung
Für diejenigen, die sich seit längerer Zeit auf dem M & A-Markt bewegen, ist es erstaun-
lich, wie wenig sich das eigentliche M & A-Produkt über einen Zeitraum, der sich durch-
aus über 30 Jahre erstreckt, im Kern verändert hat. Im Prinzip laufen Akquisitionen,
Divestitures, Fusionen, ob mit oder ohne Kapitalmarktbeteiligung, und auch feindliche
Übernahmen bzw. Übernahmeangebote noch heute so ab, wie sie auch vor vielen Jah-
ren abgewickelt worden sind. Daran ändern auch einige IT-trächtige Verbesserungen in
Sachen Datenspeicherung und Datentransfer nicht viel. Was sich allerdings sehr wohl
verändert hat, ist der Grad der Professionalisierung praktisch aller Marktteilnehmer, die
M & A-Dienstleistungen anbieten bzw. nachfragen.
Von wesentlich größerer Bedeutung ist die Beobachtung, dass M & A-Produkte aus
verschiedenen Geschäftsmodellen heraus angeboten werden. Im Laufe der letzten Jahr-
zehnte haben sich einige der fähigsten Marktteilnehmer, vornehmlich im angelsäch-
sischen Raum, zu integrierten und global agierenden Anbietern entwickelt, während
nationale Boutiquen häufig ihren durchaus überschaubaren Produktfokus beibehalten
und sich zu international operierenden Marktteilnehmern entwickelt haben. Aber auch
reine Start-ups konnten sich behaupten und mit ihren Geschäftsmodellen expandieren.
Dabei kam allen Marktteilnehmern zugute, dass sich der Markt über einen sehr lan-
gen Zeitraum regional und bezogen auf die Intensität der Nachfrage in den einzelnen
Regionen sehr stark vergrößert hat. Immer wieder kam es in diesem Zusammenhang
zu massiven Veränderungen der Grundbedingungen wie z. B. die Zerschlagung von
Konglomeraten, der Einsatz von hochriskanten Anleihen (Junk Bonds) oder auch die
Verbreitung des Private Equity-Modells, das wiederum auf außerordentlich vorteilhafte
Finanzierungsbedingungen zurückgreifen konnte. In der Tat haben alle vorgenann-
* Siegfried L. Drueker, Geschäftsführer, Druecker & Co. GmbH, Frankurt a. M.; Frank Ponndorf, Pro-
jektmanager, Hamann Softwareentwicklung, Nidderau.
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ten Geschäftsmodelle, aus denen heraus das M & A-Produkt angeboten wird, ihre Wirt-
schaftlichkeit und auch ihre Expansionskraft unter Beweis stellen können.
Im Folgenden soll gezeigt werden, wie die Tauglichkeit des Geschäftsmodells einer
selbstständigen M & A-Beratung dargestellt oder sichergestellt werden kann. Die selbst-
ständige M & A-Beratung zeichnet sich in diesem Zusammenhang dadurch aus, dass sie
als »Monoliner« nur das M & A-Produkt und vielleicht einige verwandte Dienstleistungen
wie Debt-, IPO- und Restrukturierungsberatung anbietet, aber keine ausgesprochenen
Kuppelprodukte, die eine starke Präsenz auf dem Kapitalmarkt voraussetzen würden.
Bruttoumsatzmodell
Projekt A 4.000 0% 0
Projekt B 2.000 100 % 2.000
Summe 2.000
Eine solche Ernüchterung stellt sich ein, wenn konsequenterweise und von Anfang
an die Umsatzerwartung nicht brutto, sondern nach entsprechender Gewichtung mit
der spezifischen Erfolgswahrscheinlichkeit der Transaktion ausgewiesen wird. Die Be-
sonderheit dieses Risikoumsatzmodells liegt darin, dass mit einem risikogewichteten
Umsatz »mit statistischer Sicherheit« immer gerechnet und der Risikoumsatz mit den
transaktionsspezifischen Kosten verglichen werden kann.
Es ist nicht zu verkennen, dass die Abkehr von einem Bruttoumsatzmodell mit hohen
Einzelhonoraren, wenn sie denn tatsächlich anfallen, verbunden mit der Außerachtlas-
sung der misslungenen Transaktionen, zu erheblichen Irritationen führen kann. Diese
Irritationen ergeben sich aus dem Zurückschneiden zweifelsfrei hoher, aber eben auch
risikobehafteter Erfolgshonorare und der Ansetzung und Zurechnung von statistischen
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Erfolgshonoraren, selbst wenn gar keine Transaktion zustande kommt und damit eben
auch kein wirklicher Umsatz erzielt wird.
Mit dem Risikoumsatzmodell (vgl. Abb. 2) ergibt sich eine erste Transformation,
die eine wesentlich schärfere Analyse des Erfolges der kleinsten geschäftlichen Einheit
im M & A-Geschäft, nämlich der einzeln vereinbarten Transaktion, ermöglicht. Diese
Transformation führt am Ende zu einer Erfolgsbetrachtung, die nicht mehr nur pauschal
für das Geschäft als Ganzes, sondern für jede einzelne Transaktion Gültigkeit hat. An
späterer Stelle wird noch genauer auf die Besonderheiten der Erfolgsbetrachtung einzu-
gehen sein, da sich die Erfolgswahrscheinlichkeit im Verlaufe eines Projektes durchaus
sehr stark verändern kann. Je nach geschickter Auswahl von neuen Projekten kann die
statistische Erfolgswahrscheinlichkeit eines gesamten Projektportfolios in einem Jahr
über 50 % liegen, während ein einzelnes Projekt mit einer Wahrscheinlichkeit von ledig-
lich 10 % beginnen kann, um dann in einem späteren Stadium durchaus nahe bei 100 %
zu liegen. Außerdem ergibt sich gerade aus dem Umstand, dass erfolglose Projekte oft-
mals gar nicht zu Ende geführt werden, eine maßgebliche Entlastung der Kalkulation.
Risikoumsatzmodell
Erfolgs-
Erfolgshonorar wahrscheinlichkeit Risikoumsatz
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aus Sicht der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV). Dieses Modell stellt die Personalkos-
ten, die Verwaltungskosten und den Gewinn z. B. im Verhältnis 50:25:25 in einen engen
zeitlichen Zusammenhang mit den Umsatzerlösen und sieht eine rasche Reduktion der
Kosten im Falle von Marktschwächen vor oder eine entsprechende rasche Expansion,
wenn sich die Märkte wieder erholen. Hierbei ist die Anpassungsgeschwindigkeit bei
den Kosten der entscheidende Erfolgsfaktor.
Überraschend ist, dass sich dieses, so konsequent von den Kalkulationsgrundlagen
einer einzelnen Transaktion abstrahierende Prinzip so nachhaltig am Markt behaupten
konnte, trägt es doch den Keim unangemessener Honorarvereinbarungen in sich. Der
Argumentation, dass die M & A-Beratung besonders ideenreich sei oder eine besondere
Form der Urteilsfähigkeit darstelle und damit anderen Dienstleistungen gegenüber einen
höheren Stellenwert habe und keine nachprüfbare Korrelation zwischen Aufwand und
Ertrag rechtfertigen müsse, kann angesichts der sehr weit verbreiteten hochprofessio-
nellen Dienstleistungen, die im Markt anzutreffen sind, nicht wirklich ernsthaft gefolgt
werden.
Die konsequente Verfolgung des einen oder anderen Geschäftsmodells führt zu gänz-
lich unterschiedlichen Verhaltensweisen und Normen im täglichen Geschäftsverkehr.
Während das Transaktionsmodell von einem vorübergehend festen Bestand an per-
sonellen Ressourcen und damit einer begrenzten Transaktionskapazität ausgeht, die
möglichst gewinnbringend am Markt zu platzieren ist, zielt die Umsatzorientierung
darauf ab, den Umsatz in einer gegebenen Periode durch möglichst viele Transaktionen
und intensive Vertriebsanstrengungen zu maximieren, und zwar unabhängig davon,
ob jede einzelne Transaktion unter Einbeziehung der teilweise erheblichen Marketing-
und Vertriebskosten auch wirklich profitabel ist. Es ist nicht zu verkennen, dass ein
solches Geschäftsmodell auch zu gänzlich anderen Vorstellungen über die regelmäßige
zeitliche Inanspruchnahme von Mitarbeitern führt und entsprechende Übertreibungen
zur Folge haben kann.
5 Risikogewichtete Kostenanalyse
Wenngleich das Risikoumsatzmodell für die Veranschaulichung des Grundkonzeptes
gut geeignet ist, so bedarf es doch einer Veränderung, um den Erfordernissen der Pra-
xis gerecht zu werden. Diese Veränderung stellt sich als eine Umsatz/Kosten-Transfor-
mation dar und ist am ehesten mit einem risikogewichteten Kapitalkostenansatz zu
vergleichen. In diesem Falle werden die vereinbarten Erfolgshonorare in voller Höhe in
die Berechnungen mit aufgenommen, dafür aber werden die laufenden Kosten mittels
der jeweils aktuellen Erfolgswahrscheinlichkeit kalkulatorisch erhöht (vgl. Abb. 3). Dies
lässt sich anhand der folgenden Gleichung einfach herleiten:
G = U × WS – K = (U – K/WS) × WS
G = Gewinn
U = Umsatz (Erfolgshonorar in voller Höhe)
WS = Wahrscheinlichkeit
K = Kosten
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Durch diese Transformation ergibt sich im Zeitablauf ein wesentlich stabileres Erfolgs-
modell, da die Umsatzgröße bei der Transaktionskalkulation gleich bleibt, sich dafür
allerdings die wahrscheinlichkeitsgewichteten Kosten laufend verändern können. Dieses
Modell eignet sich nicht zuletzt auch aus psychologischen Gründen wesentlich besser
für das laufende Transaktionsreporting und die laufende Erfolgskontrolle. Über die
gesamte Laufzeit einer Transaktion kann sich anhand dieser Darstellung ein Transakti-
onsgewinn in Höhe von (nur) 350.000 EUR ergeben, und zwar bei einem Erfolgshonorar
in Höhe von 4.000.000 EUR 2.500 Stunden zu je 500 EUR Erlöserwartung und einer
durchschnittlichen Erfolgswahrscheinlichkeit von 40 %. Bei einem Erfolgshonorar von
nur 2.000.000 EUR würde sich allerdings ein Verlust von 450.000 EUR einstellen. Nicht
gleich einsichtig ist bei dieser Vorgehensweise die Folge, dass auch eine Transaktion,
die am Ende scheitert, dann doch den gleichen Gewinn bzw. Verlust ausweist wie eine
Transaktion, die erfolgreich beendet wird.
In der Praxis sind i. d. R. komplizierte Honorarmodelle mit einer Kombination aus
Erfolgshonoraren und verschiedensten Abschlags- oder Meilensteinzahlungen anzutref-
fen. Hierdurch wird die Transformation des Risikoumsatzmodells in ein gewichtetes
Kostenmodell besonders kompliziert und verlangt nach Algorithmen, die auf möglichst
zahlreiche typische Fallkonstellationen anwendbar sind. So wird i. d. R. die Wahrschein-
lichkeit des Erfolgshonorars deutlich von der Wahrscheinlichkeit einer Meilensteinzah-
lung und der 100 %-igen Wahrscheinlichkeit einer Abschlagszahlung abweichen. Im
Rahmen der Transformation muss letztlich eine kombinierte Transaktionswahrschein-
lichkeit ermittelt werden, die solchen konkreten Fallkonstellationen gerecht wird. Diese
würde dann für eine möglichst detaillierte Nachkalkulation des Transaktionserfolges
ausreichen.
In dem Maße jedoch, in dem die Erfolgskontrolle nicht nur ex post, d. h. am Ende
einer Transaktion erfolgen soll, sondern transaktionsbegleitend, ergibt sich die Not-
wendigkeit, die Transaktionswahrscheinlichkeiten in gewissen zeitlichen Abständen
(Wochen oder Monate) immer wieder neu zu ermitteln, die in den entsprechenden
Perioden anfallenden Kosten jeweils zu gewichten und im Laufe der Transaktion zu ku-
mulieren. Eine solche fortlaufende Transaktionskontrolle erfordert dann natürlich auch
die Einbeziehung eines angemessenen Teils der Gesamterlöse in die Berechnung. Der
angemessene Teil der Gesamterlöse ergibt sich vorzugsweise durch Addition der bereits
angefallenen Erlöse (z. B. Abschlagszahlung) und der im Verhältnis der verbrauchten
Stunden zu den erwarteten Gesamtstunden in Ansatz zu bringenden Erfolgshonorare.
Durch konsequente periodengerechte und kontinuierlich mitgeschriebene Erfolgs-
rechnungen erübrigt sich schließlich die Nachkalkulation, da sich das Nachkalkulati-
Transaktionskalkulation
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gebnisse auf der Ebene einzelner führender Mitarbeiter zusammengefasst und für die
Leistungsbemessung herangezogen werden, kommt es zu geringeren cash-orientierten
Verhaltensweisen, da die Wahrscheinlichkeitsgewichtung von Umsätzen und die Ein-
beziehung abgebrochener Projekte in die Leistungsbemessung zu nachhaltigeren Ver-
haltensweisen führen wird und dadurch Kundeninteressen einen höheren Stellenwert
bekommen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch unverkennbar, dass monetä-
re Leistungsanreize selbst in der moderaten Form, wie sie die Transaktionskalkulation
vorsieht, auch zu übertriebenem Wettbewerbsverhalten einzelner Professionals führen
kann. Der entscheidende Test stellt sich dann ein, wenn vom betroffenen Mitarbeiter
die liquiditätswirksamen Umsatz- und Kostengrößen im Falle einer erfolgreichen Trans-
aktion mit dem Ergebnis der Transaktionskalkulation verglichen werden. Die Tatsache,
dass die Transaktionskalkulation auch Erfolgsbeiträge bei gescheiterten Transaktionen
ermittelt, führt nicht ohne Weiteres zu einem uneingeschränkten Verständnis der Zu-
sammenhänge. Es ist eben doch festzustellen, dass die zuvor schon beschriebene Er-
folgshonorar-Illusion in solchen Fällen Platz greift.
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nicht erkannt wird, vom Kunden u. U. jedoch bevorzugt wird. Eine kritische Überprü-
fung der Geschäftsmodelle von selbstständigen M & A-Beratungen stößt dabei oft auf
das außerordentlich hohe Risikopotenzial, das ihnen insbesondere dann innewohnt,
wenn sie sich auf einzelne große Transaktionen konzentrieren, die hohe Vorlaufkosten
verursachen und eben das Risiko des Scheiterns in sich bergen.
Es zeigt sich, dass die Ergebnisse der Transaktionskalkulation dann am ehesten mit
den Ergebnissen der üblichen Rechnungslegung korrelieren, wenn eine Vielzahl von
Einzeltransaktionen vorliegt. Ist dies nicht der Fall, so kann sich ohne Weiteres der Fall
einstellen, dass die Transaktionskalkulation ein durchaus zufriedenstellendes (mittle-
res) Ergebnis aufzeigt, während der in der Rechnungslegung leider nur mögliche binäre
Ausweis von Erfolg oder Misserfolg mit einer Transaktion zu starken Abweichungen
nach oben oder unten führen und eine überdurchschnittliche Stärke der Organisation
vorspiegeln oder auch zu einem wirtschaftlichen Scheitern führen kann. Nicht zuletzt
wegen dieses Casino-Effektes aus Erfolg und Misserfolg, der die wirtschaftliche Ent-
wicklung der selbstständigen M & A-Beratung durchaus prägen kann, ergibt sich die Not-
wendigkeit einer überdurchschnittlichen Gewinnmarge, um die mit dem Casino-Effekt
verbundenen finanziellen Risiken abdecken zu können.
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186 |
Teil
* Dr. Patrick Beitel, Partner, McKinsey & Company, Frankfurt a. M., Founding Partner und Managing
Director, Digital Plus Frankfurt a. M.; Jörg Musshoff, Partner, McKinsey & Company, Frankfurt a. M.
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welche M & A-Modelle überlegen sind, um so Best-Practice-Ansätze für die an der Studie teilnehmenden
Unternehmen herauszuarbeiten.
Maßgeschneiderter Ansatz
II M & A-Governance
Klare Verantwortlichkeiten
Transparente Entscheidungsprozesse und -kriterien sowie
entsprechende Gremien
Controlling der M & A-Aktivitäten
- und des Prozesses
Einbindung des CEO und des Topmanagements
M & A-Strategie. Wichtig sind die enge Verknüpfung der M & A-Strategie mit der Unter-
nehmensstrategie sowie die Erarbeitung einer Roadmap für den Übernahmeprozess mit
quantifizierten Zielen. Es hat sich gezeigt, dass es an beidem in vielen Unternehmen
mangelt. M & A-Transaktionen entstehen oft eher opportunistisch, d. h., es fehlt das kon-
tinuierliche Screening des Marktes, Unternehmen arbeiten ohne Roadmap und ohne
quantifizierte Zwischenziele. Auch eine regelmäßige Portfolioüberprüfung, mit der sich
geeignete Divestment-Bereiche identifizieren lassen, führen nur wenige Unternehmen
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systematisch durch. Fusionen und Akquisitionen werden mehr als Kunst und weniger
als Wissenschaft betrachtet.
M & A-Governance. Hier ist das Ziel, klare Verantwortlichkeiten, transparente Ent-
scheidungsprozesse und -kriterien sowie die entsprechenden Entscheidungsgremien zu
schaffen. Es hat sich gezeigt, dass interne Hindernisse wie langsame Entscheidungspro-
zesse und unklare Verantwortlichkeiten in vielen Unternehmen einer zügigen Durch-
führung von M & A im Wege stehen. Häufig ist auch das Topmanagement nicht genü-
gend intensiv in den Prozess eingebunden, oder es fehlt an einem effektiven Controlling
der M & A-Aktivitäten.
M & A-Organisation. Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit ist ein M & A-Team,
das über ausreichende Größe und Erfahrung verfügt. Eine strukturierte Zusammenar-
beit zwischen Zentrale und Geschäftsbereichen ist ebenso wichtig. In der Regel werden
geeignete Übernahmekandidaten entweder von den Geschäftsbereichen oder der Kon-
zernzentrale identifiziert. Die Akteure sollten sich hierbei eng abstimmen – doch genau
daran hapert es oft.
M & A-Prozess. Damit der Prozess reibungslos verläuft, müssen im Unternehmen die
entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Das beginnt bei der Identifizie-
rung geeigneter Kandidaten für eine M & A-Transaktion, dem so genannten Deal Sour-
cing. Hier sind klare Kriterien erforderlich. Danach braucht das Unternehmen einen
strukturierten Gesamtprozess mit definierten Kontrollpunkten, an denen anhand ein-
deutiger Kriterien entschieden wird, wann eine Transaktion weiter zu verfolgen ist und
wann nicht. Eine Vielzahl der untersuchten Unternehmen hat durchweg signifikante
Verbesserungspotenziale im gesamten M & A-Prozess.
M & A-Tools und -Anreizsysteme. Für einen effizienten M & A-Prozess brauchen die
Unternehmen einerseits wirksame Anreizsysteme für das Management und anderer-
seits eine Auswahl von immer wieder einsetzbaren Standardhilfsmitteln, beispielsweise
standardisierte Checklisten und definierte Prozessabläufe, zusammengefasst in Hand-
büchern, in denen Erfahrungen aus früheren M & A-Transaktionen strukturiert nach
Problemfeldern aufbereitet sind. Es hat sich gezeigt, dass viele Unternehmen ihre Erfah-
rungen noch nicht in solche Toolkits umgesetzt haben und so einen wichtigen Vorteil
verschenken: Viele Unternehmen wissen nicht, was sie wissen.
Post-Merger-Management und -Integration. Erst die Integration schafft den zusätzli-
chen Wert nach einer Transaktion. Damit die Integration gelingt, müssen ausreichende
Ressourcen für das Management des Prozesses bereitgestellt werden. Außerdem muss
die Integration frühzeitig und synchronisiert geplant werden. Viele Unternehmen lei-
ten diesen Prozess zu spät ein und versäumen es, das M & A-Kernteam bereits beim
Deal-Assessment mit Blick auf die spätere Integrationsfähigkeit und den entsprechend
richtigen Ansatz zu involvieren. Zudem wird nur selten ein Integrationsmanager bereits
zu Beginn des Transaktionsprozesses eingebunden. Dabei ist klar, dass die möglichen
Probleme einer Integration sich verschärfen, je länger sie aufgeschoben werden.
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1 Verknüpfung von M & A- und Nur wenige Unternehmen haben eine klare, detaillierte M & A-Strategie,
Unternehmensstrategie die aus der Unternehmensstrategie abgeleitet ist
I
2 Identifizierung der Werttreiber Beinahe 40 % der Teilnehmer spezifizieren die Werttreiber nicht ausreichend
3 Transparente Den meisten M&A-Funktionen fehlt es entlang der gesamten M & A-Wertschöpfungskette
Entscheidungsprozesse an effizienten Prozessen und Standards
II
4 Einbindung des CEO Das Topmanagement wird zu spät eingebunden oder treibt den M & A-Prozess nicht gezielt
bzw. des Topmanagements genug voran
5 Einbindung der Geschäftsbereiche Verantwortlichkeiten von Zentrale und Geschäftsbereichen sind häufig nicht eindeutig festgelegt
und die Bereiche nicht genug eingebunden
III 6 Zusammenarbeit von Bei nur 50 % der befragten Unternehmen sind Unternehmensentwicklung und Corporate M & A
M & A- und Strategieabteilung genau aufeinander abgestimmt
7 Erfahrenes M & A-Team Nur ein Drittel der Teilnehmer hat ein ausreichend erfahrenes M & A-Team
8 Leistungskontrollen und Die meisten Teilnehmer versäumen es, die Effektivität ihrer M & A-Aktivitäten zu kontrollieren
IV
Lernmechanismen und haben kein klares Anreizsystem
9 Nutzung von leistungsstarken Viele Unternehmen lassen Tools außer Acht, mit denen der M & A-Prozess unterstützt
V
Tools und reibungslos gestaltet werden kann
10 Frühzeitige Integrationsplanung Synchronisiertes Integrationsmanagement und Vorbereitung der Integration sind rar;
VI
vorab gebildete Integrationsteams sind die Ausnahme
Viele M & A-Funktionen sind weniger solide aufgestellt als angenommen: Von den be-
fragten Unternehmen erfüllten nur rund 15 % einen Großteil der 10 Exzellenzkriterien.
Das Vorhandensein der Must-Haves kann allerdings nicht mit einer simplen Ja-Nein-
Logik überprüft werden. Stets müssen der Unternehmenskontext und die spezifische
Situation beachtet werden.
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Tools und • Klare Prozesse, aber kein spezifiziertes • Kodifizierte Enabler für jeden Schritt
Anreizsysteme M & A-Playbook des M & A-Prozesses
Die zehn Must-Haves bilden die Voraussetzung für exzellente M & A-Funktionen
Die Wahl des Modells ist jedoch nicht fix, sie kann flexibel gehandhabt werden. Mit
zunehmenden M & A-Aktivitäten hat beispielsweise ein zunächst projektgetrieben agie-
render Teilnehmer der Studie seine Prozesse standardisiert und ein M & A-Komitee ein-
geführt. Außerdem hat das Unternehmen die Prozesse in einem »M & A-Playbook« kodifi-
ziert und niedergeschrieben, das nach jedem Deal aktualisiert wird. Zusätzlich wurden
Anreizsysteme für M & A-Manager entworfen, die an klare Ziele gekoppelt sind – ein
systematisches Modell, das es dem Unternehmen ermöglicht, erfolgreiche Transaktionen
durchzuführen.
Das projektbasierte und das systematische Modell unterscheiden sich bezüglich der
oben genannten Design-Dimensionen in vielerlei Hinsicht voneinander:
M & A-Strategie: Unternehmen, die auf das projektgetriebene Modell setzen, definieren
in der Regel ihre M & A-Strategie in Richtung priorisierter Wachstumsfelder. Befürworter
des systematischen Modells hingegen verfolgen eine sehr detaillierte und ausgefeilte
M & A-Strategie, in der potenzielle Ziele auf Unternehmens- und Geschäftsbereichsebene
klar benannt und mit wichtigen Kennzahlen sowie einem möglichen Übernahmezeit-
raum hinterlegt werden.
M & A-Governance und -Organisation: Im systematischen Modell sind die Entschei-
dungsprozesse standardisiert; häufig gibt es spezifische Komitees und Genehmigungs-
formate für Mergers & Acquisitions, Ziele und Ergebnisse werden in eigens dafür
vorgesehenen Sitzungen verabschiedet. Im Vergleich dazu sind die M & A-Entschei-
dungsprozesse im projektgetriebenen Modell deutlich weniger formalisiert und werden
oft an die spezifischen Merkmale der jeweiligen Deals angepasst.
M & A-Prozess: Die Identifizierung geeigneter Kandidaten kann je nach verwendetem
Modell unterschiedlich komplex sein. Anwender des projektbasierten Modells gehen
eher reaktiv vor und schlagen zu, wenn sich eine Deal-Möglichkeit ergibt. Unterneh-
men, die das systematische Modell verwenden, bedienen sich hingegen spezieller Tools,
etwa verschiedener Screening-Methoden, um den Markt zu beobachten. Alle relevan-
ten Funktionen (Strategieabteilung, Forschung & Entwicklung, Vertrieb etc.) sowie alle
relevanten Entscheidungsträger (CEO, CFO, Geschäftsbereichsleiter etc.) werden dabei
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P Projektgetriebenes Modell
S Systematisches Modell
Wahl des M & A-Modells
Durchschnittliche quantifizierte Bewertung (1–5) 1
Hoch Stark
systematisch
P S P S
2,9 3,8
Transaktions-
aktivitätsniveau2
P S P S
2,1 2,0
Gering
Gering Hoch
Transaktions-
komplexitätsniveau3
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Betrachtet man die enormen Chancen, die Fusionen und Akquisitionen bieten, ist es
überraschend, dass die M & A-Fähigkeiten vieler internationaler Unternehmen nicht bes-
ser ausgeprägt sind. Tatsächlich beurteilen die befragten Unternehmen ihre Kompeten-
zen zum Teil positiver, als die Studienergebnisse es nahelegen. Manager, die dies ändern
wollen, sollten genau untersuchen, ob ihre Organisation die erforderlichen Exzellenzkri-
terien erfüllt und welches M & A-Modell für ihr Unternehmen das erfolgsversprechendste
ist – das projektgetriebene oder das systematische Modell.
Die aktuelle M & A-Welle könnte in vielen Branchen der Startschuss zu einer tief-
greifenden Neugestaltung sein. Erfolgreiche, finanzkräftige Unternehmen werden diese
Chance nicht versäumen wollen, nur weil sie ihre M & A-Fähigkeiten nicht entsprechend
entwickelt haben.
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| 193
Teil
1. Einleitung
2 Methodik
3 Unternehmensjuristen und Transaktionen – eine Bestandsaufnahme
3.1 Zeitpunkt der Einbindung der Rechtsabteilung
3.2 Due Diligence und Planung
3.3 Rückhalt der Rechtsabteilung im Management
3.4 Management- oder Serviceaufgaben: Eine Richtungsentscheidung
3.5 Die Integrationsphase
4 Kosten, Risiken und Komplikationen – die Negativbeispiele
5 Handlungsempfehlungen
5.1 Frühzeitige Einbindung der Rechtsabteilung
5.2 Suche nach geeigneten Beratern
5.3 Zeitdruck versus Due Diligence: Die Priorisierung von Aufgaben
5.4 Die Integrationsphase
6 Die Einbindung externer Rechtsberater in die Integrationsphase
7 Fazit
1 Einleitung
Unternehmen stehen immer unter Wachstumsdruck, auch in wirtschaftlich angespann-
ten Zeiten. Lässt die Nachfrage nach, bleibt ein bewährtes Mittel, dennoch Wachstum
zu generieren: die Übernahme anderer Unternehmen, sei es um das Geschäft von Wett-
bewerbern zum eigenen zu machen, neue Märkte zu erschließen oder in neue Branchen
einzusteigen. Dabei lohnt sich stets ein Blick über die Grenzen. Länder- und sogar
kontinentübergreifende Transaktionen bergen häufig von Mitbewerbern nicht erkannte
Chancen.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Deal aber auch erfolgreich abgeschlossen und
vor allem umgesetzt werden – dies ist keineswegs selbstverständlich. Von der Targetfin-
dung bis hin zur Integration lauern viele Fallen, und wenn verschiedene Kultur- und
Rechtskreise zusammenkommen, nehmen die Schwierigkeiten noch zu. Die Erfolgs-
und Misserfolgskriterien zu identifizieren war Zweck einer von Eversheds in Auftrag
gegebenen Studie. Im Fokus stand hier – erstmalig – die Rolle der Unternehmensjuris-
ten, von der Dealplanung bis hin zum Integrationsabschluss. Vor allem die Integration
wird häufig unterschätzt, und doch entscheidet sie über den Erfolg einer Transaktion.
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Nicht nur die Rolle der Rechtsabteilung wurde unter die Lupe genommen, auch der
Mehrwert externer Juristen wurde untersucht. Die Studie sollte Antworten geben auf
Fragen wie »Wann und wieso müssen In-House-Counsel in Transaktionen eingebunden
werden?« und »Ist die Beauftragung von Rechtsanwaltskanzleien überhaupt sinnvoll
und wie sollte die Einbindung ausgestaltet werden?«.
Vorab: Die einzelnen Phasen eines M & A-Projekts können nicht isoliert betrachtet
werden und frühzeitig begangene Fehler wirken sich erst sehr viel später aus. Mit
anderen Worten: Der so oft strapazierte Begriff des ganzheitlichen Denkens muss eine
Renaissance erleben, bereits bei der Targetfindung und der Due Diligence muss die
Integration mitbedacht und mitgeplant werden.
Und: Der ganzheitliche Ansatz gilt auch für die beteiligten Juristen, gleich ob sie in-
tern oder als externe Berater tätig sind. Das bedeutet auch: Rechtsberater bei M & A-De-
als müssen weg vom rein juristisch fokussierten Denken hin zum Mit-Entscheidungs-
träger mutieren. Diese Rolle muss ihnen, um einen Deal erfolgreich abzuschließen,
zugemutet, aber auch zugetraut werden.
2 Methodik
Von Mai bis Juli 2012 wurden über 434 Befragungen und Interviews mit Unternehmens-
juristen, die bei M & A-Prozessen beteiligt sind oder waren, durchgeführt (vgl. Abb. 1).
41 Länder
IT-Service
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XII. Vom juristischen Service Center zum Manager – Die Rolle von Juristen bei M & A-Prozessen | 195
Teil
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anders aus: Nur 45 % der Due-Diligence- Abwicklungen werden als »gut« bewertet, die
restlichen 55 % als »mäßig« oder sogar »schlecht« (vgl. Abb. 3).
Die Ursachen und Verbesserungspotenziale lassen sich leicht identifizieren. Die Unter-
nehmensjuristen verfügen häufig über eine bessere Kenntnis der betreffenden Branche als
externe Rechtsberater, die Transaktionen aus allen, wenigstens aber mehreren Branchen
betreuen. Diese bessere Branchenkenntnis ermöglicht wiederum, die für die Branche mate-
riellsten Punkte abzuarbeiten und insofern Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Eine flüssigere und direktere unternehmensinterne Kommunikation scheint – neben
der besseren Branchenkenntnis – genauso vorteilhaft zu sein wie die bessere Kontrolle
über den Projektzeitplan, die intern ausgeübt werden kann. Hier stehen externe Dienst-
leister naturgemäß vor praktischen Problemen und die interne Rechtsabteilung muss
zusätzlichen Koordinationsaufwand leisten.
Nein
39 % Ja
61 %
In welcher Phase wurde die Rechtsabteilung einbezogen?
0% 20 % 40 % 60 %
mäßig
15 %
mäßig
45 %
gut
gut 45 %
85 %
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XII. Vom juristischen Service Center zum Manager – Die Rolle von Juristen bei M & A-Prozessen | 197
Teil
45 % 45 % 10 %
Wirtschaftliche
Rechtswidrigkeit Bedenken Andere Gründe
• Bestechung und Korruption • Preis-/Leistungsverhältnis • Führungskultur beim
• Wettbewerbsrechtliche Bedenken • Erlaubnis- und Lizenzprobleme Übernahmeobjekt
• Umweltrechtliche Probleme • Prozessrisiken • Schwaches Management beim
• Steuerrechtliche Risiken • Integrationskosten Übernahmeobjekt
• Geistiges Eigentum • Ethische Bedenken
• Ungünstige vertragliche Regelungen bei • Vertrauensmangel
Übernahmen • Zwischenmenschliche
Probleme
Interessant ist vor allem, dass General Counsel nicht nur wegen rechtlicher Bedenken
einen laufenden Deal stoppten oder von ihm abrieten. Genauso oft wie aus juristischen
Gründen schritten Unternehmensjuristen wegen wirtschaftlicher Bedenken ein (vgl.
Abb. 4). Welcher Natur diese wirtschaftlichen Bedenken waren, ist unterschiedlich.
Seien es sich abzeichnende wirtschaftliche Schwierigkeiten in der durch die Übernahme
angepeilten Branche oder auch enorme Kosten wegen der Vereinheitlichung der Arbeits-
verhältnisse in der Integration, beispielsweise weil das zu übernehmende Unternehmen
traditionell eine starke Flächentarifbindung hat. Bezeichnend ist, dass nur erfahrene
Juristen Deals wegen wirtschaftlicher Bedenken stoppten. Da der Jurist hier sein urei-
genes Terrain verlässt, müssen der Rückhalt im Management und das Selbstbewusstsein
der Rechtsabteilung umso stärker sein.
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XII. Vom juristischen Service Center zum Manager – Die Rolle von Juristen bei M & A-Prozessen | 199
Teil
Arbeitsrechtliche Fragestellungen 5% 3% 6% 5% 5%
Umweltrechtliche Fragestellungen 4% 5% 3% 2% 4%
Immobilienrechtliche Fragestellungen 4% 4% 3% 2% 3%
Compliancefragen
Ethische Fragen
Steuerrechtliche Planungen
Sekretariat/Verwaltungsaufgaben
Planerstellung
0% 2% 4% 6% 8% 10 % 12 % 14 %
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5 Handlungsempfehlungen
Empirische Erhebungen und Auswertungen sind schön und gut, und mancher mag sich
in seinen Erfahrungen bestätigt fühlen. Ein echter Mehrwert folgt allerdings nur aus
konkreten Handlungsempfehlungen, die sowohl internen Rechtsabteilungen als auch
Kanzleien, die Transaktionsprozesse begleiten, nutzen können.
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XII. Vom juristischen Service Center zum Manager – Die Rolle von Juristen bei M & A-Prozessen | 201
Teil
Der Rückhalt, das heißt das Selbstbewusstsein und auch die Befugnis, einen Deal
zu stoppen, ist je nach Unternehmen, unter Umständen je nach Branche und vor allem
aber je nach Rechtskreis unterschiedlich stark ausgeprägt. Hier ist vor allem die Sensi-
bilität gefordert zu erkennen, dass die anderen am Deal beteiligten Unternehmen, vor
allem aus anderen Rechtskreisen, den Rechtsabteilungen nicht dieselben Strukturen
und Kompetenzen zuteilen und sie oft deutlich unterschiedlich am Prozess beteiligen.
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Vor allem die Bedeutung steuerlicher Strategieplanung steigt mit zunehmender Er-
fahrung, ebenso wie die Identifikation von potenziellen Haftungsrisiken, gefolgt von
einer genauen Analyse des Targets.
Die Besonderheiten internationaler Transaktionen erfordern eine sorgfältige, hierauf
abgestimmte Due Diligence. Dies steht jedoch im Gegensatz zum steigenden Zeitdruck
und der engen Taktung, mit der Rechtsabteilungen konfrontiert sind.
Umso wichtiger sind die konsequente Einhaltung einer genau getakteten Be-
richtspflicht und die Betrauung einer mit den Branchenbesonderheiten vertrauten Kanz-
lei, die nachweislich cross border M & A-Erfahrung hat. Die Aufgabenverteilung sollte
dabei möglichst frühzeitig und exakt zwischen Unternehmen und externen Rechtsbe-
ratern abgestimmt werden. Häufig lassen sich Aufgaben ohne große Reibungsverluste
nach außen geben; hierzu gehört zweifellos die Einholung von etwaig erforderlichen
Genehmigungen und Bewilligungen, aber auch wettbewerbs- und kartellrechtliche Fra-
gen, ebenso wie die Klärung von Haftungs- und Eigentumsfragen. So bliebe der internen
Rechtsabteilung, die eine Due-Diligence-Prüfung auch häufig »nebenbei« leisten muss,
mehr Zeit für strategische Mitsprache.
Beinahe banal, trotzdem erfolgsentscheidend, ist die Forderung nach einem ver-
besserten Datenraummanagement. Immer noch sind virtuelle Datenräume leider nicht
überall und bei jedem Deal Standard. Selbstverständlich: Nur weil nun die Dokumente
in digitalen statt in kartonierten Ordnern gesichtet werden, bedeutet dies nicht zwangs-
läufig größere Übersichtlichkeit. Dennoch lassen sich virtuelle, sinnvoll strukturierte,
gefüllte Datenräume schlicht leichter zugänglich machen, ein Vorteil, der nicht nur bei
internationalen Deals für eine effiziente Due Diligence unschätzbar ist.
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XII. Vom juristischenService Center zum Manager – Die Rolle von Juristen bei M & A-Prozessen | 203
Teil
US
9;)
In hohem
Überhaupt Maße UK
9:)
nicht 17%
26% Mittlerer Osten, Afrika
5#66-1)0$"+7)!8,#'$)
Europa
0*,341)
In geringem Osteuropa
0$"+1,2)0*,341)
Maße
57% Australien und!*"+,$-#$)./)
Neuseeland
0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %
Ob und wie Kanzleien überhaupt zum Einsatz kommen, ist wohl eine strategische Fra-
ge. Der Nachteil liegt auf der Hand: Externe Rechtsberater kosten Geld und im Zweifel
nicht wenig. In der Erhebung wurde der Nutzen externer Berater jedoch deutlich: In-
ternationale Kanzleien haben einen immensen Erfahrungsschatz bei grenzüberschrei-
tenden Deals und im Zweifel schnelleren Kontakt zu Ansprechpartnern aus anderen
Rechtsordnungen.
Ganz pragmatisch ist noch ein anderer Vorteil: Rechtsabteilungen können zeitrau-
bende, unterstützende Tätigkeiten auslagern und haben so mehr Zeit für Koordinations-
und Managementaufgaben. Von Vorteil ist es, einen einzigen festen Ansprechpartner
bei der beauftragten Kanzlei einzufordern, der den Deal vom ersten Tag an begleitet.
Nur so werden Reibungsverluste vermieden.
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7 Fazit
Weltweit scheint ein Grundmuster vorzuherrschen: Rechtliche Fragen werden an die
Rechtsabteilung gegeben. Dort sollen sie gelöst werden. Vielen Unternehmensjuristen
wird die Rolle eines »Unternehmens-Service-Centers« wie etwa der IT-Abteilung zuge-
schrieben oder sie schreiben sich diese Rolle sogar selbst zu. In M & A-Prozessen greift
dies jedoch viel zu kurz. Juristen haben – wie jede andere Profession – eine ganz spe-
zifische Kompetenz, die in Prozessen proaktiv zum Einsatz kommen muss. Sie können
und dürfen sich nicht darauf beschränken lassen, nur auf Zuruf tätig zu werden. Ver-
einfacht gesagt: Nichtjuristen erkennen nicht immer und sofort, wann ein Jurist tätig
werden sollte.
Die Rechtsabteilung muss daher ein Teil des M & A-Managements werden und M & A-
Prozesse von Anfang an, noch vor der Due Diligence, bis zum Ende und einschließlich
der Integration begleiten. Dies erfordert anfänglich ein wenig mehr Koordination und
Kommunikation innerhalb des M & A-Teams und von den beteiligten Juristen echtes
Branchen-Know-how, das deutlich über den juristischen Tellerrand hinausgeht. Der
Erfolg ist messbar.
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Teil
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| 207
Teil
* Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, Professor für Strategisches Management, Universität St. Gallen
(HSG), St. Gallen; Dr. Michael Schäfer, Redaktion NZZ Wirtschaft, Zürich.
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sind, die in einer Vielzahl von Fällen zu einem Scheitern oder zumindest zu einer sub-
optimalen Realisierung fernab der Zielvorgabe geführt haben.
2 Der Akquisitionsprozess
Um einen grundlegenden Einblick in die mit einem Unternehmenskauf zusammenhän-
genden Fragestellungen und Aktivitäten zu gewinnen, bietet sich eine prozessorientierte
Betrachtung einer Transaktion an. Dabei hat sich in der Literatur eine Dreiteilung in
eine Phase vor der Transaktion, die technische Durchführung der Transaktion selbst
und eine Post-Akquisitionsphase durchgesetzt. Da eine Akquisition auf die Steigerung
des Unternehmenswertes abzielt, sollte jeder Abschnitt einen Beitrag zur Erhöhung
des Unternehmenswertes leisten. Dabei kommt der Phase vor der Akquisition die Rolle
der Identifikation von Wertsteigerungspotenzialen (WSP) zu. Neben der Analyse des
strategischen und organisatorischen Fits ist es hier ebenso wichtig, die zu erwarten-
den Schwierigkeiten des Wertschöpfungsprozesses zu erkennen. Durch die Transaktion
selbst werden die evaluierten Wertschöpfungspotenziale gesichert. Wird aus Sicht des
Käufers ein zu hoher Preis gezahlt, reduziert dies das Gesamtpotenzial der Wertschöp-
fung, während es durch den Kauf zu einem günstigen Preis vergrößert wird. Versteht
man die Transaktion als Erwerb von Wertschöpfungspotenzialen, so gilt es, diese im
sich anschließenden Integrationsprozess zu realisieren. Damit wird klar, dass nicht
nur dem Entscheidungsprozess, in dem die Basis für die Wertschöpfung gelegt wird,
ein kritischer Stellenwert zukommt. Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg einer
Akquisition ist letztendlich die Umsetzung dessen, was in ihrem Vorfeld als Zielvorgabe
definiert wurde. Dieser Zusammenhang wird noch einmal in Abb. 1 verdeutlicht.
Akquisition:
Pre - Akquisition: Post - Akquisition:
) WSP
) evaluieren ) Ergebnis
WSP lokalisieren WSP realisieren
und sichern
Abb. 1: Phasen im
Akquisitionsprozess
Die Durchführung einer Transaktion wird häufig auf Grund der Vielschichtigkeit der
Anforderungen an das Management der involvierten Unternehmen und des hohen Kom-
plexitätsgrads der Aktivitäten und Entscheidungen von spezialisierten Beratern beglei-
tet. Außerdem ist der hier idealtypisch dargestellte Ablauf in der Praxis häufig durch
Schleifen geprägt, d. h., die einzelnen Stationen werden aufgrund der sukzessiven In-
formationsgewinnung mehrmals durchlaufen.
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3 Pre-Akquisitionsphase (Planung)
Die Planung soll WSP bestimmen mittels denen der Unternehmenswert aus Sicht der
Eigentümer durch eine Akquisition gesteigert werden kann. Der Parenting Advantage
gilt als gängiges Konzept zur Konkretisierung des Unternehmenswertes.1 Dem Konzept
liegt die Idee zugrunde, dass die Konzernzentrale gegenüber den Konzerntochterunter-
nehmen die Rolle von Eltern einnimmt. Ein Parenting Advantage liegt vor, wenn das
Management des Käuferunternehmens die Ressourcen des Zielunternehmens ökono-
misch besser nutzt als es das Zielunternehmen vorher selbst getan hat. Konkret legt
die Planung die Strategie und die Suche nach einem geeigneten Zielunternehmen fest.
Damit werden die Weichen für den Erfolg der Akquisition gelegt und ein bereits in die-
ser Phase hoher Einsatz an Ressourcen gerechtfertigt.
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Eine dritte Strategie ist die Erkundung neuer Geschäftsfelder, indem ein Unterneh-
men in neue Tätigkeitsbereiche vordringt, die außerdem neue Fähigkeiten erfordern.
Diese konglomeraten Akquisitionen sind häufig durch den Gedanken der Diversifikation
bzw. Risikominderung geprägt, was im Lichte der Finanztheorie massiver Kritik aus-
gesetzt ist, da der individuelle Anleger sein Portfolio billiger nach seinen persönlichen
Risikopräferenzen zusammenstellen kann. Allerdings können konglomerate Akquisiti-
onen auch der Wertschöpfung dienen. Denkbar ist hier der Erwerb neuer Fähigkeiten
oder Geschäftsfelder, die im langfristigen Interesse des Kerngeschäftes liegen und zu
einem späteren Zeitpunkt eingegliedert werden sollen.
Die Festlegung der Strategie zur Erreichung der Ziele kann durch eine Analyse der
Domänen oder Geschäftsfelder mittels Konzepten zur Portfolioanalyse unterstützt wer-
den. Gemein ist allen Konzepten, dass sie die Geschäftsfelder des Käuferunternehmens
entlang zweier Dimensionen betrachten: die Marktattraktivität bezüglich Wachstum
und Gewinn und die relative Stärke gegenüber Wettbewerbern. Das sich daraus erge-
bende Portfolio wird danach auf seine Ausgewogenheit hin analysiert.3
3.2 Kandidatensuche
Die vorgängig festgelegte Strategie bestimmt das Suchfeld für die Akquisitionsobjekte.
In diesem werden diejenigen Kandidaten mit dem größten Wertsteigerungspotenzi-
al identifiziert. Die Identifikation kann als ein trichterförmiger Prozess verstanden
werden.4 In einem ersten Schritt werden anfänglich viele potenzielle Kandidaten
durch K.O.-Kriterien reduziert. Solche Kriterien sind zum Beispiel die Branche des
Zielunternehmens, dessen Finanzgrößen (Umsatz und Ergebnis), das Produkt oder
Kundenportfolio des Kandidaten, potenzielle Synergien und Produktionsstandorte. In
einem zweiten Schritt wird der Fit des Zielunternehmens zum Käuferunternehmen
abgeschätzt. Der Fit bezieht sich hier auf Markt-, Produkt-, Kultur-, und weiteren
Aspekte zwischen den Unternehmen. Weiterhin wird eine realistische Abschätzung
der WSP vorgenommen.
Die Kandidatenidentifikation sollte ein kontinuierlicher selbstreflektierter Prozess
zwischen Käufer und Akquisitionsobjekt sein. Denn es geht nicht nur darum, dass
der Übernahmekandidat lediglich die »Wunschliste« der gesuchten Ressourcen und
Fähigkeiten abdeckt, sondern auch eine erfolgreiche Integration ermöglicht. Wie die
Kriterien des zweiten Auswahlschrittes oben zeigen, bedarf es einer weitaus kom-
plexeren Abstimmung als nur das Aufsetzen neuer Strukturen und Verantwortlich-
keiten.
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4.1 Unternehmensbewertung
Eine Vielzahl der im Rahmen einer Unternehmensbewertung notwendigen Fragen kann
nicht aus der Distanz beantwortet werden, sondern erst, nachdem der Kontakt mit
der Zielgesellschaft und entsprechende Verhandlungen aufgenommen wurden. Damit
können die einzelnen, während einer Transaktion durchgeführten Aktivitäten nicht
als sequentiell und unabhängig voneinander angesehen werden. Stattdessen besitzen
sie einen interdependenten Charakter, der noch durch die teilweise parallele Durch-
führung einzelner Tätigkeiten unterstrichen wird. So kann der oft graduelle Informa-
tionszuwachs während des Verhandlungsprozesses die ursprüngliche Strategie oder
das Suchprofil des Käufers beeinflussen. Auch der Bewertungsvorgang wird häufig mit
zunehmender Kenntnis des Akquisitionskandidaten mehrfach durchgeführt. Nachdem
ein Unternehmen aufgrund des extern verfügbaren Datenmaterials als dem Anforde-
rungsprofil entsprechend eingestuft wurde, wird man Kontakt mit dem Management der
Zielgesellschaft aufnehmen, um die für eine konkrete Unternehmensbewertung notwen-
digen Informationen zu erhalten. Nach Unterzeichnung einer Vertraulichkeitserklärung
wird dem Interessenten in der Regel ein Unternehmensprofil zur Verfügung gestellt,
das die wesentlichen Daten der Zielgesellschaft enthält. In einem weiteren Schritt wird
die Zielgesellschaft vom Management in einer Präsentation vorgestellt, was zusätzliche
Erkenntnisse ermöglicht. Die Seriosität seines Interesses hat der Bieter bis zu diesem
Zeitpunkt in der Regel durch die Unterzeichnung eines Letter of Intent, d. h. einer Ab-
sichtserklärung, demonstriert. Die letzte Phase des Informationsgewinnungsprozesses
stellt die Durchführung einer Due Diligence dar.
Unter Due Diligence kann »die umfassende, auf ein einzelnes, potenzielles Akqui-
sitionsobjekt bezogene Unternehmensanalyse, zur Ermittlung aller für die Akquisition
entscheidungsrelevanten Informationen verstanden« werden.5 Dabei sollen Synergien,
Synergiekosten und Akquisitionsrisiken quantifiziert werden.6
Die Due Diligence kann unterschiedliche Aspekte zum Gegenstand haben. So gibt es
eine Financial, Tax, Legal, Market, Environmental, Human und Cultural Due Diligence.
Jedoch steht die Financial Due Diligence häufig im Vordergrund. Doch eine Cultural
Due Diligence ist nicht minder wichtig, da sie wesentliche Hinweise auf spätere Integra-
tionsrisiken geben kann. Eine Due Diligence sollte deshalb auch einen selbstreflektier-
ten Charakter aufweisen und nicht über Ergebnisse hinweggehen, die im Widerspruch
zu einer angestrebten Transaktion stehen.
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hinaus erste Anhaltspunkte für die mit einer eventuell beabsichtigten Anpassung der
Mitarbeiterzahl verbundenen Kosten. Zusätzliche Aspekte sind die Beziehungen zu
weiteren Stakeholdern wie z. B. den Aktionären, der Gewerkschaft und öffentlichen
Stellen. Schließlich muss geklärt werden, ob dem Unternehmen Gefahren aus rechtli-
cher (z. B. schwebende Verfahren, Produkthaftung, etc.) oder ökologischer (Bestehen
von Altlasten; ökologische Vertretbarkeit und Sicherheit von Produktionsverfahren)
Sicht drohen. In einem weiteren Schritt der strategischen Unternehmensbewertung
muss eruiert werden, in welchen Teilbereichen sich durch einen Zusammenschluss
der beiden Gesellschaften eine Wertschöpfung erzielen lässt. Gleichzeitig muss auch
darüber nachgedacht werden, wie das erkannte Wertschöpfungspotenzial ausgeschöpft
werden soll. Neben den in Frage kommenden Realisierungsmethoden (sollen z. B. Res-
sourcen zusammengelegt oder soll technologisches bzw. Management-Know-how aus-
getauscht oder sollen Produkte/Märkte komplementär ergänzt werden?) müssen auch
die Geschwindigkeit und Reihenfolge von einzelnen Maßnahmen zur Wertschöpfung
Teil der Überlegungen sein. Zum Abschluss der strategischen Bewertung muss versucht
werden, die wahrscheinlichen Folgen der Akquisition auf wichtige Beziehungen abzu-
schätzen. So lassen sich bei horizontalen Unternehmensübernahmen die Marktanteile
von Käufer und Zielunternehmen nicht einfach addieren, weil häufig Abschmelzeffekte
bei Kunden zu beobachten sind. Auch führen Unternehmensübernahmen in vielen
Fällen zu einer erhöhten Fluktuation des Managements und der Mitarbeiter beim über-
nommenen Unternehmen, was einen beträchtlichen Verlust an Know-how auslösen
kann. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass ein Unternehmen durch eine Ak-
quisition zwar neue Freiheitsgrade gewinnt, auf der anderen Seite aber auch Freiheits-
grade aufgibt. Deshalb muss auch berücksichtigt werden, welche Entwicklungsmög-
lichkeiten sich ein Unternehmen durch einen Zukauf verbaut, was noch einmal den
grundsätzlichen Vergleich der beiden Alternativen Durchführung der Akquisition und
Verzicht auf die Akquisition erzwingt. Die in der strategischen Unternehmensbewer-
tung gewonnenen Erkenntnisse dienen als Basis für die in der finanziellen Bewertung
vorgenommenen Berechnungen, weshalb eine sorgfältige und möglichst umfangreiche
Beantwortung der oben gestellten Fragen essenziell ist und einen wichtigen Beitrag
leistet, eine finanzielle Bewertung der Zielgesellschaft nach dem Prinzip »Garbage In
– Garbage Out« zu verhindern.
Das Problem der mangelnden Exaktheit der Aussagen gilt in erhöhtem Maße für die fi-
nanzielle Unternehmensbewertung. Dies liegt zum einen darin begründet, dass im Rah-
men der strategischen Bewertung nicht alle Fragen beantwortet werden können, so dass
das gewonnene Bild der Zielgesellschaft und ihrer Umwelt keineswegs exakt ist. Zum
anderen trägt vor allem die mangelhafte Prognostizierbarkeit der zukünftigen Umwelt-
zustände, die den Unternehmenswert in wesentlichem Maße beeinflussen, zu diesem
Defizit bei. Aus diesem Grund sind in der Vergangenheit eine Vielzahl von Verfahren
entwickelt worden, die eine zweckabhängige, funktionale Unternehmensbewertung er-
lauben. Grundsätzlich unterscheidet man Einzel- und Gesamtbewertungsverfahren. Wäh-
rend bei Einzelbewertungsverfahren die Summe aller einzelnen Vermögensgegenstände
abzüglich aller Schulden bewertet werden, beziehen sich die Gesamtbewertungsver-
fahren auf das Unternehmen als Ganzes. Wegen der unvollständigen Perspektive der
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Einzelbewertungsverfahren Gesamtbewertungsverfahren
Gesamtbewertungsverfahren
Zukunftserfolgswert-
Multiples
verfahren
Der Substanzwertmethode liegt die Fiktion zugrunde, dass die einzelnen Bestandteile
des Unternehmens am Bewertungsstichtag zu ihrem Marktwert wiederbeschafft werden
können. Ausgangsbasis zur Ermittlung der Einzelwerte bildet in der Praxis häufig die
Bilanz, wobei die jeweiligen Buchwerte durch entsprechende Korrekturen an gegebe-
nenfalls abweichende Marktwerte angepasst werden, wodurch häufig stille Reserven
aufgedeckt werden. Vorteil dieser Methode ist die relativ problemlose und einfach nach-
zuvollziehende Ermittlung des so definierten Unternehmenswertes, weshalb sie häufig
als »objektiv« bezeichnet wird. Das Bestreben, einen möglichst allgemein anerkannten
Wertmaßstab anzuwenden, wird allerdings durch schwerwiegende Nachteile aufgewo-
gen. Zum einen ist die Berücksichtigung immaterieller Vermögensgegenstände, soweit
sie nicht aktiviert sind, äußerst problematisch und zum anderen fehlt der Substanzwert-
methode aufgrund ihrer statischen Natur und ihrer Verwurzelung im Rechnungswesen
eine Zukunftsorientierung, was ein entscheidendes Manko für die Ermittlung eines
realistischen Unternehmenswertes darstellt. Der Substanzwert war nach der deutschen
Wiedervereinigung bei Unternehmenskäufen in den neuen Bundesländern häufig die
einzige verfügbare Größe und findet seine Anwendung auch bei aus Kostengründen mo-
tivierten Zusammenlegungen von Kapazitäten ertragsschwacher Partner. Naheliegend
ist schließlich die Anwendung in Branchen, in denen die Unternehmen hohe Aktiva im
Vergleich zu den laufenden Erträgen besitzen. Beispielhaft können hier Brauereiunter-
nehmen genannt werden, deren Wert nur unter starker Gewichtung solcher Vermögens-
gegenstände wie Grundstücke und Fuhrpark ermittelt werden kann.
Ein spezieller Fall des Substanzwertes stellt der Liquidationswert dar. Dieser gibt
den Wert des Unternehmens für den Fall an, dass dieses vollständig zu den erwarteten
Erlösen veräußert wird. Schließlich ergibt sich der Liquidationswert aus der Differenz
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zwischen erwarteten Erlösen aus der Veräußerung und den Auszahlungen zur Beglei-
chung der Schulden und Auflösungskosten.
Unter den Gesamtbewertungsverfahren unterscheidet man Zukunftserfolgswertver-
fahren und Multiples. Bei den Zukunftserfolgswertverfahren werden zukünftige erwartete
Erfolge berücksichtigt. Das Dividendenbarwertmodell stellt dabei das älteste Model dar
und bildet somit den Ausgangspunkt für alle späteren Modelle. Der Unternehmenswert
ergibt sich hier aus der Summe der Zahlungen zukünftiger Perioden, die den Eigentü-
mern aus dem Unternehmen zugehen. Während der Vorteil des Modells unter anderem
in der einfachen Handhabung liegt, ist die Unsicherheit über die zukünftigen Dividen-
denzahlungen ein Unsicherheitsfaktor bei der Berechnung.
Die Ertragswertmethode versucht den Nachteil der Statik des Substanzwertverfahrens
zu schließen, indem sie den Unternehmenswert auf der Basis zukünftig erwarteter Net-
toentnahmen bzw. -ausschüttungen, die auf die Gegenwart abgezinst werden, ermittelt.
Die diesem Ansatz zugrundeliegende Annahme liegt im »going concern« , d. h. der Fort-
führung der Unternehmenstätigkeit, begründet. Zentrale Probleme dieses dynamischen
Verfahrens, das bewusst von der Berücksichtigung des Vermögens abstrahiert, sind die
Schwierigkeiten bei der Prognose der zukünftigen Einnahmen- oder Ertragsüberschüsse
und die Wahl des risikoadäquaten Diskontierungszinssatzes.8 Damit kommt den im
Rahmen der strategischen Unternehmensbewertung gewonnenen Erkenntnissen eine
entscheidende Bedeutung zu. Zur Quantifizierung drohender Risiken, wie z. B. fehlge-
schlagener Investitionen oder einer ungünstigen Konjunkturentwicklung, bietet sich die
Verwendung von Szenariotechniken und die Durchführung von Sensitivitätsanalysen,
wie z. B. einer Monte-Carlo-Simulationen, an, was zwar die Unsicherheit der Zukunft
nicht reduziert, aber die Abschätzung der Gefahren ermöglicht. Einen erheblichen
Nachteil des Verfahrens stellt die Berechnung der diskontierten Zukunftserfolge auf
Basis buchhalterischer Gewinne dar, denn diese besitzen bilanzpolitischen Spielraum.
Aus diesem Grund verliert das Ertragswertmodel in den letzten Jahren immer mehr an
Bedeutung und wurde weitestgehend durch die Discounted Cash Flow-Methode (DCF)
abgelöst.
Das insbesondere im angelsächsischen Raum angewandte DCF-Verfahren basiert wie
die Ertragswertmethode auf Überlegungen der dynamischen Investitionsrechnung. Im
Vergleich zur Ertragswertmethode werden hier die Einnahmenüberschüsse aus der ope-
rativen Tätigkeit vor Zinsen mit einem aus den von Eigen- und Fremdkapitalgebern
geforderten Renditen gewogenen Kapitalkostensatz abdiskontiert. Trotz der Robustheit
der Cash Flows als Berechnungsgrundlage bestehen auch bei diesem Verfahren Proble-
me bei der Bestimmung des Diskontierungsfaktors, die insbesondere bei nicht-börsen-
notierten Unternehmen auftreten. Insofern besteht auch hier die Ungewissheit bei der
Prognose der zukünftigen Cash Flows.
EVA-Konzept
Das Economic Value Added-Verfahren ist eine Weiterentwicklung des Zunkunftswerts-
verfahren und damit mit dem Dividendenbarwertmodell, dem Ertragswertverfahren
und dem DCF-Verfahren verwandt. Das Verfahren wurde originär zur wertorientierten
Unternehmensführung eingesetzt.9 Über die Differenz zwischen operativem Gewinn ei-
8 Alternativ können die erwarteten Sicherheitsäquivalente mit einem risikolosen Zinssatz diskontiert
werden.
9 Vgl. ursprünglich Stewart 1991.
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ner Periode und den zugehörigen Kapitalkosten zeigt der Economic Value Added (EVA)
an, ob Wert für die Eigentümer geschaffen wurde. D. h., ob die Rendite höher als die
Opportunitätskosten (Kapitalkosten) ist. Das EVA-Verfahren ist einfach anwendbar, ver-
ständlich und die Ergebnisse sind gut zu kommunizieren. Nachteilig ist der Bezug auf
Erfolgsgrößen die bilanzpolitischen Spielraum bieten. Das Verfahren wird daher immer
noch weitestgehend zur wertorientierten Unternehmensführung herangezogen und eher
selten zur Unternehmensbewertung.
Der Realoptionsansatz kann als Ergänzung zum relativ starren DCF-Verfahren (An-
nahme unveränderlicher zukünftiger Investitionsprogramme) gesehen werden. D. h.
bei dem Realoptionsansatz wird der Handlungsspielraum des Managements unter ver-
schiedenen Umweltbedingungen mit einbezogen. Der Berechnung unterliegen damit
operative Realoptionen, dies sind Handlungsspielräume über bereits getätigte Inves-
titionen, sowie strategische Realoptionen, die Handlungsspielräume über langfristige
Unternehmensentscheidungen. Der Vorteil des Verfahrens ist seine Realitätsnähe. Die
Herausforderung dabei ist, dass Realoptionen häufig schwer in ihrem Wert zu bemessen
sind.10 Daher stellt der Realoptionsansatz eine Näherungslösung dar, die zusätzliche
Komplexität in sich birgt und eher schwer verständlich ist.
Multiples beziehen sich auf eine relative Bewertung zu anderen vergleichbaren Un-
ternehmen bzw. Transaktionen. Die dieser Vorgehensweise zugrundeliegende Annahme
lautet, dass ähnliche Unternehmen wie das Bewertungsobjekt einen ähnlichen Markt-
wert haben, da deren gleiche Vermögenswerte einen gleichen Marktpreis besitzen. Dazu
dienen branchenspezifisch berechnete Multiplikatoren, die sich auf Stromgrößen wie
den Umsatz und Gewinn oder auf Bestandsgrößen wie z. B. Buchwert des Eigenkapitals
beziehen. Vorteil der Anwendung von Multiplikatoren ist sicherlich die extrem einfache
und über den Mark objektivierte Vorgehensweise. Für eine bestmögliche Unternehmens-
bewertung ist die Auswahl eines vergleichbaren Unternehmens und eines geeigneten
Multiplikators der zentrale aber auch schwierige Aspekt. Der Vorteil der Objektivität
der Multiplikator-Methode ist gleichzeitig deren Achillesferse. Denn der über den Markt
objektiv festgelegte Preis spiegelt nicht die Chancen und Risiken sowie erwartete Syner-
gie- und Restrukturierungspotenziale wieder. Damit verstößt das Multiplikationsverfah-
ren gegen den Grundsatz der Subjektivität.11 Auch hängen gezahlten Marktpreise von
der Marktsituation ab, d. h. Vergleiche sind oft nicht vor dem Hintergrund der gleichen
Marktsituation durchführbar. Dennoch stellen Multiplikatoren gute Indikatoren für die
Preisfindung dar.
10 Z. B. welches Basisinstrument kann zur Festlegung des Wertes eines Forschungs- und Entwick-
lungsprojekts herangezogen werden.
11 Vgl. Böcking/Nowak 1999, S. 175.
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Wechselt man die Perspektive von Käuferunternehmen zum Ziel- oder Verkäuferun-
ternehmen, kann dieses versuchen seinen zum Verkauf stehenden Unternehmenswert
durch den Mechanismus der Auktion zu maximieren. Während Auktionen öffentlich
oder privat sein können, wird in der Praxis regelmäßig die private Auktion, bei der
es mindestens zwei Käufer geben muss, genutzt. Öffentliche Auktionen unterliegen
Übernahmevorschriften und börsenbezogener Offenlegungsgesetze und sind somit sehr
restriktiv und lassen wenig Gestaltungsspielraum zu. Während der Unternehmenswert-
maximierung durch das verkaufende Unternehmen unterliegt dieses einem Zielkonflikt
zwischen anstrebten Preis, der Geschwindigkeit der Transaktion und der Sicherheit über
den geforderten Preis, den es zu optimieren gilt.
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und Praxis. Ein Übernahmeversuch kann aus der Perspektive des Managements aus
persönlichen Gründen, wie drohenden Macht-, Lohn- oder Prestigeeinbußen, oder aus
sachlichen Gründen als feindlich eingestuft werden. In letzterem Fall kann das Manage-
ment der Meinung sein, das den Aktionären unterbreitete Übernahmeangebot sei zu
niedrig oder durch den Zusammenschluss entstünden keine ausreichenden Synergieef-
fekte, die die Übernahme rechtfertigen würden. Insbesondere in den USA wurde eine
Vielzahl von Vorgehensweisen entwickelt, die ein Hostile Takeover verhindern sollen.
Dabei gibt es zwei generelle Strategien, die hier verfolgt werden können. Die erste
Möglichkeit liegt darin, die Übernahme für den Bieter zu erschweren bzw. unmöglich
zu machen, während die Alternative darin besteht, das eigene Unternehmen durch ent-
sprechende Manöver für den potenziellen Käufer unattraktiv zu machen. Aufgrund des
Gleichbehandlungsgebotes und der Treuepflicht der Unternehmensleitung ist jedoch die
Mehrzahl der denkbaren Abwehrmanöver in Deutschland nicht zulässig. Grundsätzlich
ist auch anzumerken, dass Abwehrstrategien feindliche Übernahmen meist nicht ver-
hindern können, sondern lediglich deren Wahrscheinlichkeit reduzieren.13
Vor der Abgabe eines feindlichen Übernahmeangebotes kann das Management
präventive Maßnahmen ergreifen. Viele dieser Vorkehrungen sind an die Änderung
der Satzung gebunden. Sie werden als Shark Repellents bezeichnet. Denkbar sind in
Deutschland u. a. folgende Maßnahmen: Durch den Aufkauf eigener Aktien sind für den
Bieter weniger Anteile verfügbar, was für ihn die Übernahme der Kontrolle erschwert.
In Deutschland ist das Halten eigener Anteile nur äußerst eingeschränkt zulässig, was
jedoch durch ein »Parken« von Anteilen bei Dritten umgangen werden kann.
Durch eine Satzungsänderung können die Voraussetzungen für eine angeordnete
Zwangseinziehung festgelegt werden, d. h. die davon betroffenen Anteile werden einge-
zogen und die Aktionäre abgefunden. Eine niedrig festgelegte Abfindungssumme kann
einen potenziellen Bieter, soweit er nicht von vornherein eine 100 %ige Beteiligung
anstrebt, abschrecken, allerdings ist der Geltungsbereich nur auf Aktien begrenzt, die
nach der Satzungsänderung emittiert wurden.
Vinkulierte Namensaktien können durch einen entsprechenden Satzungsbeschluss
nur mit Zustimmung der Gesellschaft übertragen werden, womit die Fungibilität dieser
Anteile entscheidend begrenzt ist. Allerdings ist eine nachträgliche Vinkulierung nur
mit Zustimmung des jeweils betroffenen Aktionärs möglich, so dass diese Abwehrmaß-
nahme in erster Linie einen Präventivcharakter besitzt.
Durch wechselseitige Verflechtungen kann der erwerbbare Anteil des Kapitals wir-
kungsvoll reduziert werden. Bei bilateralen inländischen Verflechtungen gilt allerdings
eine Grenze von 25 % bis zu der Beteiligungsrechte geltend gemacht werden können, so
dass hier Verflechtungen mit ausländischen Partnern wirkungsvoller sind. Bereits bei
vier beteiligten Unternehmen sind Verflechtungen derart konstruierbar, dass keine der
Gesellschaften gegen ihren Willen übernommen werden kann. Allerdings können hier
kartellrechtliche Bedenken entstehen, und außerdem besteht die latente Gefahr, dass
sich mehrere Gesellschaften arrangieren, um eine der so verbundenen Gesellschaften
zu beherrschen. Denkbar ist auch die sogenannte Pac Man-Abwehr, nach der das Ziel-
unternehmen seinerseits eine Übernahmeofferte für den Bieter abgibt.
Außerdem sind in Deutschland in Ausnahmefällen Mehrfachstimmrechte, Stimm-
rechtsbeschränkungen und Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss (Poison
Pills) möglich.
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Eine weitere Abwehrmaßnahme sind Asset Lockups bei denen sich die zu überneh-
mende Unternehmensgruppe kurzfristig von den Geschäftsbereichen trennt, die für den
Erwerber besonders interessant sind. Die Trennung von solchen Geschäftsbereichen
erfolgt über Kaufoptionen an Dritte.
Schließlich kann sich ein Zielunternehmen gegen eine feindliche Übernahme schüt-
zen, in dem es seine Wertschöpfungspotenziale voll ausnutzt. Denn für den Erwerber
sind Zielobjekte dann interessant, wenn die Wertschöpfungspotenziale des Letzteren
besser durch den Käufer ausgeschöpft werden können.
Darüber hinaus haben sich in den USA zusätzliche präventive Abwehrformen entwi-
ckelt, die jedoch in Deutschland teilweise nicht zulässig sind: Durch Staggered Board
Elections wird die Amtsdauer der Aufsichtsratsmitglieder dergestalt verteilt, dass jedes
Jahr nur ein Teil zur Wiederwahl steht und die übernehmende Gesellschaft nicht sofort
die Kontrolle übernehmen kann. Golden Parachutes legen hohe Abfindungen für das
amtierende Management im Falle einer Übernahme fest.
Neben der bereits erwähnten Pac Man-Strategie gibt es weitere Abwehrformen, die
erst nach der Konfrontation mit einem Übernahmeangebot eingesetzt werden (reaktive
Abwehrstrategien). Viele der oben genannten Abwehrmaßnahmen sind zwar generell
auch zu diesem Zeitpunkt noch möglich, allerdings ist es für ihre Anwendung dann
häufig bereits zu spät. In Deutschland sind folgende Varianten denkbar: Zielunterneh-
men können sich durch gezielte Pressearbeit schützen in dem über die Medien eine
ablehnende öffentliche Meinung über die feindliche Übernahme geschaffen wird. Da
feindliche Übernahmen häufig mit einem Verlust von Arbeitsplätzen einhergehen, kann
durch Pressearbeit eine kritische Stimmung, geäußert durch z. B. Proteste, gegen die
Übernahme erzeugt werden. Über die Investor-Relation-Arbeit kann das Zielunterneh-
men direkten Einfluss auf die Aktionäre nehmen. Ziel ist es die Aktionäre durch die
Aufbereitung von wirtschaftlichen Gründen und anderweitigen Informationen gegen
den Kauf aufzubringen.
Um sich für den Käufer »unverdaulich« zu machen, kann ein Zielunternehmen selbst
akquisitorisch tätig werden (Defensive Merger). Damit kann erreicht werden, dass die
finanziellen Mittel des Bieters nicht ausreichen oder dass er aus kartellrechtlichen Grün-
den die Akquisition unterlassen muss.
Durch die Veräußerung von Crown Jewels, d. h. für den Bieter besonders wertvolle
und interessante Vermögensgegenstände, kann das Target seine Attraktivität verrin-
gern. Unzulässig ist diese Vorgehensweise in Deutschland i. d. R., wenn sie mit soge-
nannten Lock Ups – Optionsrechte für Dritte auf die betreffenden Vermögensgegenstän-
de – verbunden ist. In extremen Fällen, besonders wenn Aktiva weit unter ihrem Wert
verschleudert werden, spricht man von einer Strategie der verbrannten Erde (Scorched
Earth Strategy).
Wie im vorigen Punkt spricht man von einem White Knight, wenn ein Drittunter-
nehmen nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern das ganze Unternehmen
übernimmt. Zwar konnte dann eine Übernahme nicht mehr verhindert werden, aller-
dings konnte man dann bessere Konditionen realisieren; als sie mit dem feindlichen
Übernahmeangebot verbunden gewesen wären.
Grundsätzlich sind immer die erwarteten Folgewirkungen abzuschätzen, da im
Einzelfall die Abwehr oder Abschreckung einer feindlichen Übernahme tiefgreifende
negative Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb haben kann. So kann z. B. die Pac
Man-Abwehr zu nicht entflechtbaren Verbindungen führen, so dass die beteiligten Un-
ternehmen von einem Dritten übernommen werden müssen. Auch eine Scorched Earth
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Strategy oder eine Fat Man Strategy sind in vielen Fällen betriebswirtschaftlich nicht zu
rechtfertigen, da die Aktionäre die Leidtragenden solcher Aktionen sind.14
5 Post-Akquisitionsphase (Integration)
Obwohl die Transaktion per se mit dem Übergang der Verfügungsgewalt abgeschlossen
ist, schließt sich mit der Post Merger Integration (PMI) der entscheidende Abschnitt
im Akquisitionsprozess an. Denn nach der erfolgten Übernahme gilt es, die Wertsteige-
rungspotenziale entsprechend der strategischen Vorgabe zu realisieren. Vor Aufnahme
der konkreten Integrationsaktivitäten werden diese im Allgemeinen in einer Vorberei-
tungsphase in die Wege geleitet.
Diese Planung der Integration beinhaltet eine große Vielfalt von Aufgaben wie etwa
die Benennung eines Integration Managers inklusive Team, Aspekte der Kommunika-
tion, Deadlines und Arbeitspläne, das Binden von talentierten Mitarbeitern, ein Fokus
auf Produktion und Logistik, die Berücksichtigung von intangiblem Kapital, das Etab-
lieren von Informationssystemen, die Organisation des Schnittstellen-Managements, die
Diagnose der Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie daraus abzuleitende Erkennt-
nisse und Maßnahmen, der Aufbau von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis, die
Vereinbarung gemeinsamer Meilensteinpläne und Zielvorgaben usw.15 Es geht dann
darum beschlossene Inhalte zügig umzusetzen und sich nicht durch auftauchende po-
litische Manöver, unerwarteten Problemen usw. im Integrationsprozesses aufhalten zu
lassen. Auf der einen Seite soll möglichst wenig Unsicherheit bei den Mitarbeitern des
übernommenen Unternehmens entstehen und auf der anderen Seite sollte die Phase der
Unsicherheit für die Umsetzung der gewünschten Veränderungen genutzt werden, was
zu einem späteren Zeitpunkt oft mit noch mehr Problemen verbunden ist.
Die Länge der Vorbereitungsphase und die sich anschließenden Integrationsmaß-
nahmen richten sich in erster Linie am zur Realisierung des Wertsteigerungspoten-
zials angestrebten Integrationsgrad aus. Bruner (2004) schlägt drei Dimensionen vor,
die den Integrationsgrad leiten: Autonomie, gegenseitige strategische Abhängigkeit und
Kontrolle. Bei der Autonomie geht es um die Notwendigkeit von organisatorischer Au-
tonomie bei Erwerber und Objekt, die damit zu begründen ist, dass beim Objekt gerade
durch die organisatorische Eigenständigkeit in der Vergangenheit die vom Erwerber ge-
suchten Fähigkeiten entstanden sind und durch eine zu starke Bindung zerstört werden
könnten. Die Autonomie bezieht sich auf Kultur, Führungsstil und Entscheidungsbefug-
nisse. Die strategische Abhängigkeit, die sich aus den Akquisitionszielen ableiten lässt,
legt fest, inwiefern Grenzen und Hindernisse zwischen den Partnern aufgelöst werden,
um Fähigkeiten zu übertragen und so zur Realisierung des Wertschöpfungspotenzials
beitragen. Dabei bezieht sich die strategische Abhängigkeit auf Geschäftsprozesse, die
Integration der Logistik und der Wertkette. Die Kontrolle als dritte Dimension bezieht
sich auf die Überwachung von Risiken. Es geht darum Systeme zu etablieren, die Ri-
siken überwachen, im Bedarfsfall schnelle Antworten liefern, und Risiken absichern.
Neben der Berichtserstattung adressiert die Kontrolldimension die Qualitätskontrolle
14 Vgl. Glaum et al. 2010, S. 335 zu einem ausführlichen Überblick zu feindlichen Übernahmen.
15 Vgl. Bruner 2004, S. 901 f.
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und die Überwachung von Beziehungen. Durch eine starke Kontrolle kann z. B. einem
Tochterunternehmen eine große Autonomie gewährt werden.
Durch die Kombination unterschiedlicher Grade von Autonomie, strategischer Ab-
hängigkeit, und Kontrolle ergeben sich vier klassische Integrationsstrategien: Erhaltung
(preservation), Bündnis (confederation), Verbindung (linking), und Absorption (absorp-
tion).16 Bei der Erhaltungsakquisition (hohes Maß an Autonomie, geringer Grad an stra-
tegischer Interdependenz und Kontrolle) wird das Objekt weitgehend unverändert fort-
geführt. Die Wertsteigerung wird hier durch bilaterale Lernprozesse und den Transfer
von allgemeinen Management-Fähigkeiten anvisiert. Die Bündnisakquisition kontrolliert
eng Risiken und erhält gleichzeitig die spezifischen Qualitäten des Zielunternehmens
und/oder dessen Identität. Z. B. werden dem Zielunternehmen Best-Practice-Manage-
mentprozesse aufgezwungen, aber es findet kein Eingriff in das operative Geschäft
statt. Bei der verbundenen Integrationsstrategie ist die Autonomie, strategische Abhän-
gigkeit, und Kontrolle hoch. Es geht darum die Kultur des Zielunternehmens zu erhal-
ten, dieses zu überwachen und es mit den Geschäftsprozessen und der Wertkette des
Käuferunternehmens zu verbinden. Diese Integrationsstrategie wird häufig in vertikalen
aber auch in horizontalen Akquisitionen angewendet. Wenn dagegen der erforderliche
Autonomiegrad des Objektes gering, die notwendige strategische Interdependenz hoch,
und die Kontrolle hoch ist, handelt es sich um eine Absorptionsakquisition. Die Grenzen
zwischen Erwerber und Objekt werden hier im Verlauf der Integrationsphase aufgelöst,
was zu einer gemeinsamen Nutzung der Ressourcen führt. Rationalisierungsmaßnah-
men bieten sich hier insbesondere in den Bereichen der Wertkette an, die durch die
Zusammenlegung mehrfach vorhanden sind. Hier werden Skaleneffekte ausgenutzt.
In vielen Fällen werden bei einem Unternehmenszusammenschluss zwei oder meh-
rere Integrationsstrategien angewendet. Ausgangspunkt für die Wahl der Strategie ist
deren Passung zum Rational des Unternehmenszusammenschlusses. Insofern gibt es
keine generalisierbare Integrationsstrategie und daher sollte diese in Einklang mit dem
ursprünglichen strategischen Ziel der Transaktion stehen.
Weiterhin wird die Komplexität von Unternehmenszusammenschlüssen durch die
Möglichkeit einzelne Unternehmensbereiche in unterschiedlicher Intensität zu inte-
grieren, d. h. durch ein Nebeneinander verschiedener Integrationsstrategien, weiter
gesteigert. So ist ohne weiteres eine parallele Weiterführung der F & E-Bereiche bei
gleichzeitiger Zusammenlegung der Vertriebe denkbar. Im Einzelfall scheitern viele Ak-
quisitionsversuche an der Lösung dieser Probleme, was dazu beiträgt, dass empirische
Studien in der Vergangenheit überwiegend zu dem Schluss kommen, dass bei weitem
nicht alle Akquisitionsversuche als Erfolg gewertet werden können (vgl. Abb. 4).
PA Consulting 28 große Käufer in der 1982–1988 80 % der Käufe hatten einen
Bankenindustrie negativen Effekt auf den Aktienpreis
des Käufers.
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Abb. 4: Übersicht über die Erfolge von Akquisitionen (in Anlehnung an Bruner 2004, S. 59 f.)
Zwar kann nicht beurteilt werden, wie sich die einzelnen Unternehmen bei einer Unter-
lassung der Akquisition entwickelt hätten, dennoch ist insgesamt eine offensichtliche
Diskrepanz zwischen den mit einer Unternehmensübernahme verbundenen Zielen und
deren Erreichungsgrad festzustellen. Dies kann partiell durch Veränderungen in der
Umwelt erklärt werden, liegt jedoch mehrheitlich in einem suboptimalen Management
der Wertschöpfungspotenziale (WSP) begründet. Bereits durch das Festlegen eines An-
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forderungsprofiles und die Auswahl der in Frage kommenden Unternehmen wird das
realisierbare WSP durch den Ausschluss anderer Möglichkeiten eingeschränkt. Ist die
Entscheidung zur Akquisition eines Unternehmens getroffen, besitzt das Management
eine Vorstellung über das maximal auszuschöpfende Wertschöpfungspotenzial, das bei
einem optimalen Verlauf der Vertragsverhandlungen und einem wunschgemäßen Ver-
lauf der Integration der Gesellschaft realisierbar ist. Der Unterschied zu der realisierten
Wertschöpfung entsteht sowohl durch die während des Akquisitionsprozesses durch-
geführten Maßnahmen als auch durch Veränderungen der Unternehmensumwelt. Das
subjektiv erkannte WSP wird sich während der Bewertungsphase und der Integrations-
phase aufgrund des Informationszuwachses verändern, d. h. im Idealfall vergrößern.
Durch die Konditionen des Kaufvertrages und insbesondere die Höhe des Kaufpreises
wird der Erfolg der Akquisition direkt beeinflusst. In der sich anschließenden Integra-
tionsphase wird aufgrund von Problemen nur ein Teil der lokalisierten und gesicherten
Wertschöpfungspotenziale umgesetzt werden können. Zeitliche Verzögerungen, das
Ausscheiden wichtiger Mitarbeiter oder die Vernachlässigung der kulturellen Kompo-
nente können hier beispielhaft genannt werden. Letztendlich wird die Höhe des WSP
auch durch Veränderungen des Marktes beeinflusst. Der Neueintritt oder das Ausschei-
den von Konkurrenten kann aufgrund der zu erwartenden Auswirkungen auf die Mar-
gen und die Absatzmenge den Erfolg der Akquisition entscheidend beeinflussen.
Der hier dargestellte Zusammenhang unterstreicht noch einmal die Wichtigkeit, eine
Akquisition als einen ganzheitlichen Prozess zu verstehen. In diesem Prozess gilt es,
sich des jeweiligen Beitrags zum Management des Wertsteigerungspotenzials bewusst
zu sein, was zur Konsequenz hat, dass keine Phase vernachlässigt werden darf und
danach gestrebt werden sollte, sie insgesamt optimal zu gestalten.
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Teil
1 Einleitung
2 Herstellung eines attraktiven und nachhaltigen Geschäftsmodells
3 Rechtliche und organisatorische Verselbstständigung
3.1 Rechtliche Verselbstständigung
3.2 Organisatorische Verselbstständigung
3.3 IT-Systeme
3.4 Managen des Übergangs vom »Corporate Orphan« zu einem selbstständigen
Unternehmen über Transfer Service Agreements (TSAs)
4 Weiterentwicklung des Unternehmens vom »Corporate Orphan« zu einem
fokussierten Unternehmen
4.1 Strategisches »Full Potential«
4.2 Operatives »Full Potential«
5 Typische »Watch-outs«
6 Fazit
1 Einleitung
Carve-outs sind der Überbegriff für die Abspaltung von Unternehmensbereichen oder
Tochtergesellschaften. Sie stehen am Ende eines Strategieprozesses, der die Busi-
ness-Einheiten – vereinfacht ausgedrückt – in Kerngeschäfte und Randbereiche unter-
teilt. In dessen Folge werden die Randbereiche, die nicht mehr als Kernbestandteil des
Gesamtunternehmens angesehen werden, abgespalten und verselbstständigt. Carve-outs
sind hier jene Unternehmensteile, die schon vorher nicht als rechtlich und wirtschaft-
lich selbstständige Einheiten agiert haben und mindestens teilweise in das verbleibende
Unternehmen integriert waren, sei es durch gemeinsame Overhead-Funktionen (z. B.
IT, Finanzen) oder auch durch eine operative Teilintegration, zum Beispiel in Vertrieb,
Produktion oder R & D. Carve-outs sind technisch komplexe Prozesse mit hohen Trans-
aktionskosten, in denen parallel wirtschaftliche, rechtliche, personelle und steuerliche
Fragen geklärt werden müssen. Der gesamte Prozess kann bis zu drei Jahre in Anspruch
nehmen.
Beispiele von Carve-outs sind die Verselbstständigung von Orion aus dem Evonik-Kon-
zern, der Autolackiersparte Axalta aus der Dupont-Gruppe oder der Arvos-Gruppe
aus dem Alstom-Konzern, um nur einige zu nennen. Rund ein Drittel der globalen
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• Entwicklung strategischer • Festlegen von klar definierten • Quantitative und qualitative • Entwicklung eines De-
Prioritäten entlang des Segmenten für das Beurteilung der Segmente zur Investitionsansatzes & Suche
gesamten Portfolios der gegenwärtige Portfolio Bestimmung ihrer nach potenziellen Synergien für
Organisation Marktposition Käufer
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Ist die zu veräußernde Einheit einmal definiert, müssen die Finanzkennzahlen erho-
ben und zusammengestellt werden. Gerade weil Mutter- und Teilbereiche häufig mitei-
nander verwoben sind, liegen in der Regel keine fertigen Zahlen aus der Vergangenheit
vor, sodass sie erst zusammengestellt werden müssen. Die Kaufinteressenten brauchen
neben den Finanzdaten der letzten drei Jahre auch belastbare Planzahlen für die kom-
menden Jahre. Diese beiden zusammen sind die Basis für den Verkaufspreis.
1 Einen guten Überblick über gesellschaftsrechtliche, steuerliche und arbeitsrechtliche Themen bietet
der Vortrag von Hörmann/Pupeter (Gesellschafts- und Steuerrecht, beide P+P Pöllath + Partners)
und Lambrich (Arbeitsrecht, Noerr) vom 12. November 2013. Abrufbar unter www.mma-forum.eu/
archiv/mma-11.htm.
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sich – auch aus Perspektive des neuen Eigentümers – an, eine starke und unterneh-
merisch denkende Führungsmannschaft für die Transition zu einem eigenständigen
Unternehmen aufzubieten. Auch können die Entscheidungsprozesse, die im Carve-out
installiert werden, bereits vorher eingeübt werden.
Positiv vermerkt werden kann, dass die Reporting-Strukturen im Allgemeinen deut-
lich verschlankt werden und näher an den Kunden rücken.
3.3 IT-Systeme
IT-Systeme sind in den meisten Fällen ein sehr kritischer Teil, der über TSAs (Transition
Service Agreements) abgedeckt werden muss. Erforderlich ist in der Vorbereitung ein
genau definiertes Anforderungsprofil: Was wurde bereitgestellt und was ist erforderlich?
Die Bepreisung und auch die Maintenance (erforderliche Updates) müssen vereinbart
werden. Ein User-Support sollte sehr zügig selbst aufgebaut werden, wobei Vergleiche
mit Leistungen externer Dienstleister sehr hilfreich sind.
Der Neuaufbau sollte gleich auf ein modernes System erfolgen, das die Digitalisie-
rung der Prozesse erlaubt. Das erfordert auch das Überarbeiten der bestehenden Pro-
zesse. Im Idealfall erfolgt hier ein über die bisherige Konzernumlage hinausgehender
»Cost-take-out«, das heißt, die Kosten der Leistungserbringung sinken um mehr als die
bisherige Konzernumlage durch Wegfall von Tätigkeiten, Reduzierung oder schlicht
weil sie effizienter erbracht werden, zum Beispiel durch verstärkte Systemunterstützung
und Automatisierung.
Auch das Reporting ist in der Regel eine große Baustelle. Häufig haben Konzer-
neinheiten nicht das ausreichende Instrumentarium, um auf der Segment-Ebene zu
berichten und Transparenz herzustellen. Weitere Anforderungen kommen hinzu, wenn
Finanzinvestoren ihre Standards einführen.
3.4 M
anagen des Übergangs vom »Corporate Orphan»
zu einem selbstständigen Unternehmen über Transfer
Service Agreements (TSAs)
Während des Übergangs erhält der Carve-out weiter Unterstützung durch die bisheri-
ge Muttergesellschaft zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs. Transition Service
Agreements sind Verträge zwischen Käufer und Verkäufer, um Dienstleistungen interi-
mistisch anzubieten, bis der Käufer eine eigene Struktur aufgebaut hat.
Die Unterstützungsleistungen sollten klar definiert sein – im Wesentlichen die klassi-
schen Overhead-Funktionen wie Finanz- und Rechnungswesen, Personal und vor allem
IT, im Umfang und Dauer beschrieben, die Service-Niveaus festgelegt und die Preise
fair ausgehandelt und in den Transition Service Agreements festgehalten werden: TSAs
regeln den Bezug, den Umfang und das Leistungsniveau, sowie den Preis:
(1) Leistungsniveau
Welche Leistungen werden für welchen Zeitraum bereitgestellt?
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(2) Preise
Wie werden die Dienstleistungen bepreist, welche fixen, welche variablen Preise, wel-
che Caps (Maximum) und welche Floors (Minimum) werden gesetzt? Hier hilft nur
gründliche Vorarbeit:
• Identifizieren der historischen (voll verteilten, mit und ohne Mark-up) Baseline-Kos-
ten für die Dienstleistungen
• Identifizieren aller Preiskategorien (variable, fixe und Spezial-Projekte)
• Definieren von Floors (Minimum-Preise) und Caps (Maximum-Preis, verglichen mit
externen Anbietern)
• Wie und wann werden die Leistungen bezahlt?
1 2 3 4
Bereitstellung der Laufendes
Umfang und Dauer Preise & T&C
Dienstleistungen Management
»Wie managen wir die
»Was stellen wir bereit?« »Wie stellen wir bereit?« »Was verlangen wir dafür?«
Dienstleistungen?«
Dienstleistungen/ Vergütung
Service Niveaus Governance Struktur
Assets (inkl. Cap & Floor)
Definition: Ein Transition Service Agreement (TSA) ist ein Vertrag zwischen Verkäufer und Käufer, um
Dienstleistungen interimistisch anzubieten bis der Käufer eine eigene Struktur aufgesetzt hat.
Abb. 2: Transition Service Agreement: Bausteine (Quelle: Eigene Darstellung, Pöllath + Partners)
(3) Bezug
Wie wird die Dienstleistung von den beteiligten Parteien (Alt- und Neugesellschaftern)
gemanagt, insbesondere wie werden Konfliktfälle gelöst?
• Definieren der Governance-Struktur (»Wie managen wir die Dienstleistungen?«)
• Das Monitoring des Service-Niveaus
• Die Gestaltung des Übergangs von der Altstruktur auf eine neue, eigenständige
Struktur
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schwer nachzuvollziehen und rechtlich zweifelhaft. Typisches Beispiel hierfür ist die
Nutzung von Produktionsstandorten/Maschinen mit historischen Kosten.
Für die Käuferseite muss das Ziel der TSAs sein, ausreichend Zeit für den Aufbau der
eigenen Struktur zu haben, aber so schnell wie möglich auf die Zielkosten zu kommen,
die unter den historischen Kosten liegen sollten. In der neuen Situation gibt es typi-
scherweise keine Umlagen, häufig auch keine Größenvorteile, dafür kann der Umfang
der erbrachten Dienstleistungen an den Bedarf angepasst werden.
Zu beachten ist, dass für die Zeit der Gültigkeit der TSAs doppelte Kosten anfallen.
Schneller ans Ziel der Eigenständigkeit zu gelangen, spart also doppelt Kosten und muss
im Business-Plan berücksichtigt werden.
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5 Typische »Watch-outs«
Unternehmen, die Unternehmensteile herauslösen und verkaufen wollen, müssen diesen
Schritt gut vorbereiten, während sie gleichzeitig gewährleisten müssen, dass die Ge-
schäfte weitergehen und der Wert des Transaktionsobjektes erhalten beziehungsweise
gesteigert wird. Im Folgenden sind typische Watch-outs aus Verkäufer- und Käufersicht
stichpunktartig aufgeführt:
• Verkäufersicht
– Definition des Verkaufsobjektes: Was wird genau verkauft? Sind es die Non-Co-
re-Bereiche? Sind es die »Underperformer«? Sind es zukunftsträchtige Geschäfts-
bereiche? Lassen sie sich aus der Gruppe heraus verselbstständigen?
– Balancierte Darstellung des Unternehmensteils: auf der einen Seite als attraktives/
zukunftsorientiertes Unternehmen und auf der anderen Seite als »Verkaufskandi-
dat«.
– Durchführung der organisatorischen und rechtlichen Trennung mit Kommuni-
kation des Schrittes nach innen und außen, einerseits um die Unsicherheiten im
Geschäftsverlauf so gering wie möglich zu halten, andererseits gilt nach dem
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Formulieren der Erwartungen und Prinzipien für den Carve-out – Definieren der Ziele und Prinzipien des De-
1 Investments für die Separierung vor dem Hintergrund der Firmenziele RemainCo
Managen der Transition – Etablierung klarer und transparenter Führungsstrukturen mit Entscheidungsrechten und
2 Verantwortlichkeiten in den Händen von RemainCo
Begrenzen der Serviceverpflichtungen – Nachvollziehen der Auswirkungen der TSA (Umfang & Dauer) auf die Fähigkeit
4 von RemainCo, Kosten zu reduzieren und die Performance zu verbessern
Proaktives Adressieren der Unsicherheit bei Mitarbeitern und Kunden – Gewinnen der Unterstützung von Angestellten
5 und Kunden für die Trennung, um eine Abwanderung von Talenten und Umsatzverluste zu vermeiden
6 Fazit
Carve-outs sind potenziell attraktive Investitionsziele für die Käufer, wenn sie ein
nachhaltiges und entwicklungsfähiges Geschäftsmodell haben. Sie performen (von der
Wertsteigerung betrachtet) in der Regel besser als »normale« Transaktionen, also als
die Weitergabe von Unternehmen, die keine Carve-outs sind. Das liegt vor allem da
ran, dass Carve-outs zusätzliche Wertstellhebel bieten, nämlich die Fokussierung des
Geschäftsmodells (»vom Corporate Orphan zum Kerngeschäft«) und die Chance zur
Neudimensionierung der gesamten Wertschöpfungskette außerhalb eines Konzerns.
Für den Verkäufer gilt es daher, dies in einer attraktiven Story herauszuarbeiten und
umzusetzen, durch gute Vorbereitung mithilfe eines präzisen Plans, einer gestuften
Kommunikation und eines Denkens aus der Perspektive eines erfolgreichen Exits. Für
den Käufer gilt es, die Chancen in dem Geschäftsmodel, die ja vorher nicht transpa-
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rent sind, herauszuarbeiten und so viel Sicherheit zu bekommen, dass es in den Busi-
ness-Plan (zur Bewertung) einfließen kann. Gleichzeitig müssen die unterstützenden
Funktionen dimensioniert, bewertet und aufgebaut werden, während die Transition
Services den Übergang sicherstellen. Ist das Unternehmen »ausgecarvt«, kann mit der
eigentlichen Arbeit, nämlich der Weiterentwicklung des Unternehmens und dem Heben
der Potenziale, die letztlich unter dem vorhergehenden Gesellschafter vorborgen geblie-
ben sind, begonnen werden.
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236 |
Teil
1 Integrierte Kommunikation
2 Kommunikation in der Transaktionsphase
2.1 Planung und Vorbereitung
2.2 Ankündigung der Transaktion
2.3 Taktik und Reputationsmanagement
3 Kommunikation in der Integrationsphase
3.1 Vorbereitung bis Closing
3.2 Day 1 – Der erste gemeinsame Tag
3.3 Post Closing
4 Zusammenfassung der Erfolgsfaktoren
4.1 Erfolgsfaktor 1: Vorbereitung
4.2 Erfolgsfaktor 2: Flexibilität
4.3 Erfolgsfaktor 3: Feedbackprozess
4.4 Erfolgsfaktor 4: Begeisterung
4.5 Erfolgsfaktor 5: Nachrichtenfluss
4.6 Erfolgsfaktor 6: Integrierte Kommunikation
1 Integrierte Kommunikation
Aufgrund der zunehmenden Komplexität von Transaktionen, wachsender Internationa-
lisierung der Anspruchsgruppen sowie dem Trend zur Digitalisierung der Medienland-
schaft besteht heute in der M & A-Kommunikation mehr denn je die Notwendigkeit zu
einer integrierten Kommunikation. Integriert werden dabei nicht nur die Kommunikati-
onsinstrumente, sondern vor allem die einzelnen Prozessabschnitte bei einer Transkati-
on. Insbesondere der kommunikativen Begleitung einer Transaktion über den formellen
Vertragsabschluss hinaus, dem sogenannten »Signing«, kommt heute eine besondere
Rolle zu. Bei großen Übernahmen beginnt ein wichtiger Teil der Arbeit des Kommu-
nikationsteams erst mit der Bekanntmachung der Transaktion und endet zumindest
mittelfristig erst mit dem sogenannten »Closing«.
Bei einer Transaktion steigt das Informationsbedürfnis und dadurch der Kommuni-
kationsaufwand, um mit allen relevanten Parteien einen Dialog zu führen. Die Unter-
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1 Bruhn 2006.
2 Lipin 2003.
3 PricewaterhouseCoopers 2009.
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4 Vgl. Kindler/Poussot 2009: Interview mit Jeff Kindler und Bernard Poussot am 26.01.2009.
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Die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wird selten wieder dasselbe Ausmaß erreichen
wie kurz nach der Bekanntgabe. Fehler in diesen ersten Stunden lassen sich später
nur mit viel Aufwand korrigieren. Die ersten Stunden am Tag der Ankündigung der
Übernahmeabsicht müssen daher sehr genau geplant werden. Dies beinhaltet nicht
nur die Veröffentlichung einer möglichen Ad-hoc-Mitteilung und Pressemitteilung, die
Durchführung einer Telefonkonferenz mit Investoren, Analysten und Medienvertretern,
sondern auch den Dialog mit den Mitarbeitern, mit Arbeitnehmervertretern, Politikern
und Regulierungsbehörden.
5 Die Deal-Website oder Microsite wird im Vorfeld vollständig programmiert und mit den entspre-
chenden Materialien bestückt. Als sogenannte Dark Site ist sie zunächst nicht für die Öffentlichkeit
zugänglich und wird erst mit der Bekanntmachung der Transaktion freigeschaltet.
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Eine hohe Präsenz des Managements nach außen, aber auch gegenüber den Mitar-
beitern ist unerlässlich. Während die externe Kommunikation hauptsächlich dem Top-
management zukommt, ist intern das gesamte Management gefragt. Insbesondere das
mittlere Management spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, den eigenen Mitar-
beitern die Vorteile der Transaktion zu erläutern und den Dialog zwischen Unternehmen
und Mitarbeitern zu führen. In der Phase bis zum Closing unterliegen allerdings alle
Beteiligten sehr restriktiven Kommunikationsrichtlinien. Für das Unternehmen ist es
daher sinnvoll, nur eine sehr begrenzte Anzahl an Sprechern einzusetzen, die diszip-
liniert Sprachregelungen und Gesprächsleitfäden einhalten.
2.2.2 Prozessmeilensteine
2.2.3 Feedback/Stimmung/Wahrnehmung
Von entscheidender Bedeutung für die taktische Planung der Kommunikation wäh-
rend des Transaktionsprozesses ist die kontinuierliche Markt- und Medienbeobachtung.
Diese stellt sicher, dass zeitnah auf wichtige Entwicklungen reagiert werden kann.
Gleichermaßen von Bedeutung ist die Versorgung des Transaktionsteams mit aktuellen
Informationen zur Entwicklung an den Kapitalmärkten. Dabei handelt es sich zum ei-
nen um kurze Meldungen zum Handelsverlauf der Aktien beider Unternehmen (Trading
Updates), zum anderen um eine profunde Einschätzung der relevanten Analystenmei-
nungen, die durch den direkten Dialog mit dieser Zielgruppe gewonnen werden und
durch Auswertung von Analystenzitaten in den Medien angereichert werden.
In einer weltweit vernetzten Medien- und Finanzwelt ist dies ebenso eine globale
Aufgabe. So werden von Nachrichtenagenturen wie Bloomberg, Reuters oder Dow Jo-
nes, Nachrichten und Gerüchte aus einem Wirtschaftsraum binnen Sekunden in einen
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anderen getragen. Dies gilt naturgemäß auch für Social Media, die heute einen immer
größeren Einfluss auf die Wahrnehmung von Transaktionen haben und entsprechend
im ersten Schritt in die Beobachtung und im zweiten Schritt in den Dialog einbezogen
werden sollten.
Darüber hinaus gilt es, die unternehmensinternen Feedbackschleifen zu nutzen, um
einen Eindruck von der Stimmung der Mitarbeiter zu bekommen. Institutionalisierte Mit-
arbeiterbefragungen sind dabei ebenso von Bedeutung wie der informelle »Flurfunk«.
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• Wie soll mit Informationen umgegangen werden, die dem Markt nicht bekannt sein
können, wie z. B. Schwächen im Finanzierungskonzept oder erste vertrauliche Ein-
schätzungen der Kartellbehörden?
• Wie muss die Kommunikation gestaltet werden, wenn einer offiziell kämpferischen
Linie die inoffizielle Vorbereitung einer Verhandlungslösung gegenübersteht?
• Welche Maßnahmen können sinnvollerweise eingesetzt werden, um die Verhand-
lungsposition zu verbessern oder den Gegner überraschend unter Druck zu setzen?
Das oberste Ziel der Kommunikation bleibt es, die Reputation des Unternehmens und
dessen Management zu schützen und sicherzustellen, dass die besten Mitarbeiter weiter
an Bord bleiben. Jede Transaktion wird Teil des sogenannten »M & A Track Records«,
der Bilanz aller M & A-Transaktionen eines Unternehmens, der gerne genutzt wird, um
Übernehmer mit Misserfolgen der Vergangenheit zu diskreditieren und damit künftige
Transaktionen zu beeinflussen. Dabei muss ein Ausstiegsszenario nicht zwangsläufig
negativ sein. Wenn beispielsweise der Übernehmer bei einem Scheitern klar vermittelt,
dass der Grund für den Ausstieg in der eigenen Preisdisziplin liegt, kann dies im Gegen-
teil bei künftigen Transaktionen die Verhandlungsposition stärken. In jedem Fall sollte
ein Ausstiegsszenario umfänglich vorbereitet werden.
7 Die Phase zwischen Bekanntgabe der Übernahmeabsicht und Closing/Day 1 kann mehrere Wochen
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Ressourcen-
bedarf
aber auch Monate andauern. Dennoch: Unabhängig wie lange die Phase andauert, sollte direkt nach
der Bekanntgabe mit den Vorbereitungen begonnen werden.
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In der Pre-Closing-Phase stellt sich allerdings die Problematik, dass gerade in den
ersten Wochen nach Ankündigung der Übernahmeabsicht der Informationsbedarf der
Interessengruppen am größten ist, das Unternehmen aber aufgrund juristischer Vorga-
ben in dem limitiert ist, was es kommunizieren darf. Das Kommunikationsteam steht in
enger Absprache mit den Juristen, um dennoch z. B. die Mitarbeiter, die konkret wissen
möchten, was auf sie zukommt, soweit wie möglich zufriedenzustellen und damit für
die Integration zu motivieren. Trotz der nicht immer einfachen Umstände sind die Zie-
le der Pre-Closing-Phase, beide Unternehmen auf die Veränderung einzustimmen, die
dafür nötige Motivation aller Mitarbeiter zu mobilisieren und die Annäherung beider
Unternehmen bis hin zum ersten gemeinsamen Tag vorzubereiten. Das setzt eine inten-
sive Vorbereitung des Topmanagements und der funktionalen Integrationsteams (IT, HR
usw.) auf den Integrationsprozess voraus.
Zu einer guten Vorbereitung gehört, sich der kommunikativen Ziele und Herausforde-
rungen einer Integration bewusst zu sein. Diese variieren in ihrer Intensität, je nachdem
wie gut die beiden Unternehmen z. B. in Fragen der Struktur oder Kultur zusammen-
passen. Zudem ist jeder Integrationsprozess individuell und läuft keinesfalls immer
gleich ab. Es lassen sich dennoch allgemeine Ziele und Herausforderungen definieren
(vgl. Abb. 2).
3.1.2 Kommunikationsteam
Im Verlauf eines M & A-Prozesses steigen mit Blick auf die Integrationsphase die Fre-
quenz der weltweiten Kommunikationsaktivitäten sowie die Anzahl der involvierten
Personen überproportional an (vgl. Abb. 1). Im Gegensatz zur Transaktionsphase wer-
den im Verlauf der Integrationsphase hunderte Dokumente erstellt und ebenso viele
Kommunikationsmaßnahmen weltweit umgesetzt. Eine wichtige erste Maßnahme ist
daher – im Idealfall spätestens zum Zeitpunkt der Ankündigung der Kaufabsicht – die
Bildung eines Kommunikationsteams, welches die Integration aus dem Blickwinkel der
Kommunikation arbeitsgruppenübergreifend leitet, die wesentlichen Integrationsziele
und -meilensteine im Blick hat und dadurch den Integrationsprozess auf Kurs hält.
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Abb. 2: Kommunikative Ziele und Herausforderungen in der Integrationsphase (Quelle: Eigene Darstellung)
Von Anfang an muss ein Team dafür sorgen, dass die richtigen Botschaften formuliert
und kommuniziert werden, um die diversen Interessengruppen zu überzeugen. Dieses
Team ist während des ganzen Integrationsprozesses aktiv und steht in enger Verbin-
dung sowohl mit der Projektleitung als auch mit allen anderen Arbeitsgruppen wie z. B.
Personal und IT. Die Teammitglieder sind an den Sitzungen der Projektleitung beteiligt,
um damit als wesentliche Multiplikatoren relevante Informationen direkt zu erhalten.
Es muss sichergestellt sein, dass das Kommunikationsteam über alle wichtigen Neuig-
keiten, Fakten und Themen informiert wird, um diese wiederum an die unterschiedli-
chen Interessengruppen weitergeben zu können.
Bei der Aufstellung des Teams ist zu beachten, dass die Integration mit einem hohen
Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden ist. Es muss sichergestellt sein, dass sich die Team-
mitglieder bzw. ein speziell dafür abgestelltes Team voll und ganz auf das Integrations-
geschehen konzentrieren können. Für viele Unternehmen stellt dies jedoch bereits ein
Hindernis dar. So versucht jedes dritte Unternehmen, eine Integration durchzuführen,
ohne über ausreichende Kapazitäten zu verfügen.8 Speziell die Kommunikationsabtei-
lungen sind in den meisten Fällen nicht ausreichend besetzt, um neben dem Tagesge-
schäft in Vollzeit einen Integrationsprozess zu steuern.
Darüber hinaus sollte ab der Closing-Phase das Kommunikationsteam durch Mitar-
beiter des akquirierten Unternehmens ergänzt, oder diese zumindest eng mit in den
Prozess einbezogen werden. Es ist von großem Vorteil, wenn das Team auch schon vor
Closing – im Rahmen der Möglichkeiten und mit angemessener Diplomatie – engen
Kontakt mit den Kommunikationsverantwortlichen des übernommenen Unternehmens
pflegt. So kann man sich frühzeitig mit den Kommunikationsprozessen und der Kultur
vertraut machen, Kompetenzen sowie Kräfte bündeln und voneinander lernen.
Des Weiteren können Kommunikationsmaßnahmen gezielter aufgesetzt und Pro-
zesse besser gesteuert werden. Durch die frühe Einbindung kann außerdem möglichen
Widerständen entgegengewirkt werden, die entstehen können, wenn sich Personen
»entmachtet« oder übergangen fühlen – ein fataler Zustand, denn Kommunikationsver-
antwortliche sind wichtige Weichensteller, da sie in ihrem Unternehmen hervorragend
vernetzt sind. Das Team muss sich bewusst sein, dass Verbündete »auf der anderen
Seite« wichtig für eine reibungslose Integration sind.
8 Gerds 2009.
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werden. Nur so kann das Unternehmen im Beziehungs- und Spannungsfeld der ver-
schiedenen Stakeholder und deren vielfältigen Meinungen, Erwartungen und Ansprü-
chen erfolgreich kommunizieren und eventuelle »Bedenkenträger« und Zögerer von der
Fusion überzeugen.9
Im Rahmen einer maßgeschneiderten Kommunikationsstrategie sowie eines Integ-
rationsprogramms werden das gegenseitige Verständnis und die Annäherung gefördert
sowie schließlich die Integration sichergestellt. Für die Formulierung der Kommunika-
tionsstrategie gilt ebenfalls: Es gibt keine allgemeingültige Strategie. Jede Integration
unterliegt verschiedenen Voraussetzungen. Das führt wiederum zu der Notwendigkeit
individueller Kommunikationsstrategien. Jeder Versuch der Standardisierung kann dem
individuellen Charakter einer Integration nicht gerecht werden. Dennoch gibt es Grund-
sätze der Integrationskommunikation, die beachtet und konsequent verfolgt werden
sollten. So müssen beispielsweise eine aktive Kommunikation sowie eine »One-Voice-
Policy« sichergestellt werden.
Darüber hinaus müssen Mitarbeiter Informationen immer vor bzw. zumindest zeit-
gleich mit der Öffentlichkeit erhalten. Dies basiert auf dem notwendigerweise in der
Strategie verankerten Grundsatz, offen und zeitnah zu informieren. Es zeigt sich zu-
dem, dass die Strategie in Ergänzung zur Top-down-Kommunikation die Implementie-
rung von Feedbackprozessen vorsehen sollte.
Gerade im Rahmen von Integrationen ist es wichtig, Rückmeldung über die Stim-
mung und mögliche Konfliktpotenziale zu bekommen. Diese Informationen sind wich-
tige Indizien zur Einschätzung von Integrationsfortschritt und -erfolg und geben dem
Integrationsteam die Möglichkeit, rechtzeitig intervenieren zu können. Solange Wider-
stände den Prozess- und Planungsvorgang nicht aufhalten oder behindern, sollten sich
Unternehmen auf die Unterstützer der Integration und nicht zu sehr auf die Gegner
fokussieren. Gegner oder gar Lager des Widerstands sind im Rahmen solcher Prozesse
zu erwarten. Die zu erwartenden Machtverschiebungen sind ein Grund dafür. Den-
noch zahlt es sich aus, sich auf die Koalition aus Unterstützern zu fokussieren und
diese zu mobilisieren. Ferner kommt es darauf an, in der Strategie einen guten Mix aus
faktenorientierten sowie emotionalen Kommunikationsinhalten festzulegen. Es muss
auch klar hervorgehoben werden, dass die Integrationskommunikation nicht nur vom
Kommunikationsteam alleine umgesetzt werden kann, sondern dass viele Aspekte der
Kommunikation »Chefsache« sind.10
Im Zuge dessen sollte sich das Kommunikationsteam Gedanken über geeignete Maß-
nahmen und Kommunikationskanäle machen. Dabei steht die Frage im Vordergrund:
»Wie erreiche ich die unterschiedlichen Interessengruppen am besten und welche Inst-
rumente passen zu den Unternehmen, ihren Kulturen und der Art der Integration?«. Da
bei einer Integration vielfältige Bedürfnisse befriedigt und unterschiedliche Zielgruppen
– intern wie extern – angesprochen werden müssen, bietet sich ein breiter Mix an Kom-
munikationsmaßnahmen an. Alle haben das Ziel, Unsicherheiten aufzufangen, Irrita-
tionen zu vermeiden und die Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Stakeholder
müssen überzeugt und Widerstände überwunden werden, indem die Erwartungen für
die einzelnen Integrationsphasen gemanagt werden und Schritt für Schritt aufgezeigt
wird, wie die gemeinsame Arbeit gestaltet wird.
9 Rotering/Kubis-Fettes 2009.
10 Rotering/Kubis-Fettes 2009.
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Es ist nicht nur sinnvoll, sondern absolut notwendig, diese Maßnahmen in einem
Plan aufzuführen, der exakte Aussagen über Zuständigkeiten und Fristen zur Fertig-
stellung von Dokumenten inklusive eventueller Korrekturläufe beinhaltet. Dies schafft
Übersicht und diszipliniert, Dokumente pünktlich fertigzustellen und Fristen einzuhal-
ten. Während eines Integrationsprozesses ist es wichtiger denn je, »am Ball zu bleiben«,
wachsam und sensibel für Entwicklungen zu sein, die den Prozess stören können. Die
Kommunikationsstrategie und darin verankerte Maßnahmen müssen daher flexibel ge-
staltet sein, so dass das Team die Möglichkeit hat, schnell auf unvorhergesehene Ent-
wicklungen reagieren zu können, um die Integration »auf Kurs zu halten«.
Basisdokumente • Integrationsvision/Integrationsmotto
• Integrationslogo
• Kernbotschaften
• Integrationsgeschichte
• Spielregeln der Kommunikation/Kaskadenkommunikation
• Fragen- und Antwortenkatalog
• Medienkonzept
• Übersicht der wichtigsten Fakten beider Unternehmen
Bevor auf die konkrete Vorbereitung des ersten gemeinsamen Tages, dem sogenannten
Day 1 eingegangen wird, soll im Folgenden eine Auswahl an Basisdokumenten und
Kommunikationswerkzeugen, die für den gesamten Integrationsprozess relevant sind
und frühzeitig vorbereitet werden müssen, aufgezeigt werden (vgl. Abb. 3). Auf die
Themen Integrationsmotto und -logo sowie Kernbotschaften und Integrationsstory soll
näher eingegangen werden, da es sich hierbei um besonders erfolgskritische Aufgaben
handelt, die es gilt, mit größter Sorgfalt vorzubereiten. Sie generieren letztlich Verständ-
nis für Veränderung und schaffen Transparenz und Begeisterung.
Jede Integration benötigt eine Vision, der sie folgen kann. Die Integrationsvision leitet
sich aus den bereits für die Transaktion formulierten Zielen ab. Daher ist sie ein wich-
tiger und entscheidender Verknüpfungspunkt von Transaktions- und Integrationsphase.
Die Vision für das neue gemeinsame Geschäft ist angepasst an die Bedürfnisse aller
Anspruchsgruppen, wenngleich der Fokus auf den Mitarbeitern liegt. Aus der Vision
leitet sich dann das Integrationsmotto ab, welches eingesetzt als »Werbeslogan« Begeis-
terung und Motivation für die Veränderung schafft und die internen Anspruchsgruppen
überzeugt.
Das Motto muss zum Integrationscharakter und den Unternehmen passen, es muss
individuell, authentisch und ehrlich sein. Vor allem die Mitarbeiter müssen sich da-
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mit identifizieren können. Passend zum Motto wird ein Logo entworfen, welches auf
Werbeartikeln zum Einsatz kommt und überall dort zu finden ist, wo Integration eine
Rolle spielt. Es können Plakate entworfen werden, Banner, Aufsteller. Auf jedem Integ-
rationsnewsletter und jedem Mitarbeiterbrief sollten sich Logo und Motto wiederfinden.
Richtig eingesetzt, unterstützt die Werbung oder eine Imagekampagne die Integrations-
kommunikation in entscheidendem Maße.
Die Kernbotschaften der Integrationsphase leiten sich ebenfalls aus den bereits für die
Transaktion formulierten Argumenten ab, so dass auch diesbezüglich Konsistenz si-
chergestellt ist. Alle Stakeholder müssen sich angesprochen fühlen, und aus jeder Sicht-
weise sollen der Weg und das Ziel der Transaktion überzeugend nachvollziehbar sein.
Während die Botschaften in der Transaktionsphase eher fakten- und zahlenfokussiert
sind (externe Stakeholder), sollten die Kernbotschaften für die Phase der Integration
um emotionale Elemente erweitert werden, um vor allem die Mitarbeiter (interne Sta-
keholder) von dem Vorhaben zu überzeugen, ein neues gemeinsames Unternehmen zu
schaffen.
Ein schwieriges Thema in diesem Zusammenhang sind die in der Transaktionspha-
se formulierten Synergieversprechen. Synergien erreichen, bedeutet in vielen Fällen
Restrukturierung und dadurch bedingter Stellenabbau – ein schwieriges Thema, wenn
eigentlich Mitarbeiter motiviert und begeistert werden sollen. Es ist dennoch wichtig,
über Synergien zu sprechen. Zudem sollte der Grundsatz befolgt werden, soweit wie
möglich offen zu kommunizieren.
Botschaften zu Synergien sollten offen die notwendigen Anpassungen und Verände-
rungen adressieren, aber gleichzeitig auch die Chancen einbeziehen. Im Gegensatz zu
der Transaktionsphase besteht in der Integrationsphase die Möglichkeit, beim Thema
Synergien einen Schritt weiter zu gehen. Aus Kommunikationssicht gehen Synergiepo-
tenzial und Synergieziele weit über die Kosten- und Ertragsdimension hinaus. Synergi-
en sollen für die Organisation und ihre Mitarbeiter als Mehrwert zu spüren sein – im
Sinne von sich gegenseitig fördern und bereichern. Mittels geeigneter Kommunikations-
maßnahmen wird Wissens- und Kulturaustausch gefördert, um bei den Mitarbeitern
die Bereitschaft für Veränderung und Lust auf Neues zu erzeugen. Daher sollte die
Kernbotschaft, die Synergien thematisiert, darauf abzielen, den aus der Transaktion
resultierenden gemeinsamen Nutzen zu vermitteln.
Wichtig ist, dass die Kernbotschaften zu Beginn des Integrationsprozesses einmal
final formuliert werden und damit Argumentationsbasis aller Dokumente sind. Für
kommunikative Meilensteine wie den Day 1, den ersten gemeinsamen Tag beider Un-
ternehmen, können selbstverständlich ergänzende Botschaften der Situation entspre-
chend formuliert werden. Dennoch, um glaubwürdig zu bleiben, müssen Tonalität und
Basisbotschaften im weiteren Prozess stringent fortgeführt werden. Selbst wenn die
Kernbotschaften diszipliniert kurz und knapp formuliert sind, kommt aufgrund der
Vielzahl an Stakeholdern eine erhebliche Anzahl von Botschaften zusammen. Zudem
lassen sich Kernbotschaften schlecht »einfach mal erzählen« und eignen sich auch nicht
wirklich für den »Flurfunk«.
Es ist sinnvoll, die definierten Botschaften in eine Integrationsgeschichte zu verpa-
cken. Geschichten lassen sich leichter erzählen und wiedergeben. Sie prägen sich besser
ein und können zudem zwischen den Zeilen Emotionen transportieren. Eine Geschichte
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hat zudem den Vorzug, dass sie sich immer weiterschreiben lässt. Damit erfüllt sie den
für die Kommunikationsstrategie festgelegten Grundsatz der Flexibilität, eignet sich
daher hervorragend für die Vermittlung von Visionen und dient als Verpackung für
Appelle. Sie sollte sich eng an das Integrationsmotto halten und die Philosophie sowie
den Charakter der Akquisition und Transaktion widerspiegeln.
»Wie bei einer privaten Trauung auch, geht ihm [Day 1] harte Arbeit voraus. Dabei müssen die
Verantwortlichen wichtige Fragen beantworten: Welche Botschaften sollen die Mitarbeiter erhalten?
Wo soll der CEO auftreten? Sollen die Mitarbeiter Geschenke bekommen? Wie können alle im Unter-
nehmen Zugriff auf wichtige Informationen haben, obwohl die IT-Systeme noch nicht harmonisiert
sind? Wie sollen die Kunden, Lieferanten, Weiterverteiler etc. da eingebunden werden?«11
Idealerweise wird dieser Tag direkt nach dem Closing gefeiert. In der Praxis lässt sich
dies vor allem aus logistischen Gründen schwer umsetzen. Wichtig ist dennoch eine
zeitnahe Veranstaltung, wobei je nach Kultur der Unternehmen dieser Tag mehr oder
eben weniger aufwendig ausfällt. Es gibt kein Muss, den Day 1 als »Showveranstal-
tung« aufzuziehen. Er muss emotional aber authentisch sein. Den Maßnahmen und
der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Für das Kommunikationsteam ist die
Vorbereitung ein enormer Kraft- und Logistikaufwand, was sich in den Maßnahmen/
Kommunikationsinstrumenten, die für diesen Tag vorbereitet werden müssen, wider-
spiegelt. Diese umfassen u. a.:
• Day-1-Kernbotschaften
• Day-1-Fragen- und Antwortenkatalog
• Day-1-Willkommenspaket inklusive Begrüßungsgeschenk und -brief
• Day-1-Newsletter
• Fact Sheets
• Willkommensvideo
• Day-1-Medienkonzept
• Management- und Botschafterreden
• Medientrainings
• Pressemitteilungen
11 Rotering/Kubis-Fettes 2009.
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• Interview mit Topmanagement sowohl für Medien als auch für interne Kommunika-
tionskanäle wie z. B. die Integrationswebsite oder DVDs für das Willkommenspaket
• Dankesbrief an das Topmanagement und die Arbeitsgruppen
• Mitarbeiterbrief
• Day-1-Inhalte für die Integrationswebsite
• Organisation von Day-1-Events
• Schulungsunterlagen für alle Integrationsbotschafter
• Workshops
Dieser Anlass muss auch genutzt werden, um die externen Stakeholder von den Vortei-
len der Transaktion zu überzeugen. Es bietet sich an, Interviews des Topmanagements
in führenden nationalen und internationalen Medien mit großer Breitenwirkung zu
platzieren, sowie die wichtigsten Fakten zur Transaktion für externe Stakeholder (Ana-
lysten, Kunden, Lieferanten etc.) zusammenzustellen. Sind z. B. Standortschließungen
geplant, sollten im Hintergrund Gespräche mit den jeweiligen regionalen Politikern
geführt werden.12
So anstrengend und aufwendig die Vorbereitungen für diesen Tag sind, umso größer
ist der Nutzen eines erfolgreich durchgeführten Day 1. Dieses positive Momentum kann
noch lange genutzt werden und ist Motivation für die nächste Phase: Post Closing.
In den ersten 100 Tagen besteht die Hauptaufgabe darin, auf dem positiven Momen-
tum des Day 1 aufzubauen, um Bedenken, Vorbehalte und Widerstände auszuräumen
bzw. ihnen entgegenzuwirken. Das ist Voraussetzung für die erfolgreiche Integration
der beiden Unternehmen, vor allem mit Blick auf die kulturelle Integration. Ziel der
Kommunikation ist es, den Mitarbeitern die Angst davor zu nehmen, gewohnte Ver-
haltensweisen zu ändern und sich neuen Dingen zu öffnen. Die Tage nach dem Day 1
eignen sich gut zum kurzen Durchatmen, um einen Blick auf die Aufgaben zu werfen,
die in den nächsten Monaten, der Phase Day 2 bis Day 100, anstehen. Zu den möglichen
Kommunikationsmaßnahmen für den Zeitraum Day 2 bis Day 100 gehören:
12 Rotering/Kubis-Fettes 2009.
13 RWE 2002.
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Die ersten 100 Tage des neuen gemeinsamen Unternehmens sind entscheidend. Die
Mitarbeiterkommunikation muss daher kontinuierlich fortgesetzt und der Nachrichten-
fluss aufrechterhalten werden, indem über Integrationsfortschritte, anstehende Maß-
nahmen, Entscheidungen und kurzfristige Erfolgsmeldungen berichtet wird. Wie lang
eine Integration dauert, bis sie aus Kommunikationssicht erfolgreich zum Abschluss
gebracht wurde, kann nicht pauschal beantwortet werden. Da bei der Kommunikation
der menschliche Austausch im Mittelpunkt steht, ist eine Integration erst dann vorbei,
wenn niemand mehr über sie spricht und das neu geschaffene Unternehmen mit all den
durchlaufenen Veränderungen als selbstverständlich angesehen wird.
Mit Beginn der Integrationsphase hat das Kommunikationsteam alle Stakeholder, ins-
besondere die Mitarbeiter, auf Veränderung eingestellt und vorbereitet. Die Chancen
von Veränderungen sind kommuniziert, die Akzeptanz dadurch gesteigert. Sind weitere
Veränderungen im Unternehmen geplant, beispielsweise die Einführung einer neuen Vi-
sion und Mission oder einschneidende Personalveränderungen, sollten diese umgesetzt
werden, so lange die Veränderungsbereitschaft der Interessengruppen noch vorhanden
ist – also noch im Zuge der Integrationsphase. Geplante Veränderungen sind so um ein
Vielfaches einfacher umzusetzen.
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts | 257
Teil
Praxistipp
Rechtzeitiges und wiederholtes Informieren sowie eine verstärkte persönliche Kommunikation redu-
zieren die Anspannung und geben Orientierung. Das gilt sowohl für das akquirierende Unternehmen
als auch für das Zielunternehmen, selbstverständlich in verschiedener Weise, wenn die Umstände es
rechtlich und politisch zulassen: Wer Hintergründe kennt, kann mehr verstehen und mehr akzeptieren.
Überraschungscoups sind für die Öffentlichkeit – nicht für das Innenleben einer Organisation.
Außerdem: Gute Kommunikation erschöpft sich nicht in blanker Information – und schon gar nicht in
rein schriftlicher Form – z. B. im Intranet oder per E-Mail. Gute Kommunikation, die Unruhe reduzieren
soll, verlangt fast immer den persönlichen Dialog! Gute Kommunikation, die nach innen überzeugend
wirkt, bedient sich nicht alleine der allzeit positiven Hoffnungsbotschaften, sondern einer zum Teil auch
selbstkritischen Betrachtung, wenn erwartete oder unerwartete Schwierigkeiten entstehen.
Quasi-sozialistische »Prawda-Nachrichten« sind weniger überzeugend als ehrliche und realistische –
solange die Botschaft nach innen geht! Marketinggetriebene Außenkommunikation ist anders und hat
andere Aufgaben. Insofern: Achtung vor dem »Toyota-Syndrom«.
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Praxistipp
Zu unterscheiden sind zwei völlig verschiedene Vorgehensweisen in dem gesamten Umsetzungsprozess,
die durch zwei Fragen markiert werden. Erstens: »Was kann das Unternehmen tun?« Zweitens: »Was kann
die einzelne Führungskraft selbst tun?«
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts | 259
Teil
12 Frese 1989.
13 Vgl. Jöns & Schultheis 2004.
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Praxistipp
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Führungskräfte und Mitarbeiter im Rahmen von M & A- und PMI-Pro-
zessen gestalterisch zu beteiligen: über Mitarbeit in Projekten, Entscheidungsvorbereitungen und der
aktiven Beteiligung bei der Kommunikation an die Mitarbeiter – und nicht allein durch das Nachlesen
von Emails oder Ansprachen über Videos oder reine Telefonkonferenzen. Auch Mitarbeiter-Workshops
zur Verarbeitung der neuen Situation oder zum kreativen Finden von drängenden Problemlösungen für
aktuelle Themen können angebracht sein. Nicht totale Verschwiegenheit oder das Zurückhalten von
halbfertigen Lösungen sind hilfreich, beruhigt die Gemüter und führt zu den besten Ergebnissen, sondern
nur die frühe Einbindung durch Information und die aktive Beteiligung der Betroffenen.17 Autonomie für
begrenzte eigene Aufgaben bzw. Problemlösungen und eine aktive Partizipation reduzieren nachweislich
Stress und fördern nicht nur die Arbeitszufriedenheit im Allgemeinen, sondern gerade in besonderen
Situationen.18 Kommt noch das Bemühen um einen wertschätzenden Umgang gerade unter diesen
herausfordernden Bedingungen dazu, können oft eine Reihe negativer Folgen abgemildert werden.19
Dazu gehören u. a. die Abnahme des Vertrauens in die Unternehmensleitung bzw. in die Vorgesetzten
sowie ein Nachlassen des Commitments der Betroffenen und der Effizienz der unternehmensrelevanten
Arbeitsabläufe.20
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts | 261
Teil
und zu einem eher direktiven oder gar autoritären Führungsstil neigen – oder dass
dieser von ihren Mitarbeitern in diesem Moment so erlebt wird.23
Im Allgemeinen gilt: Etablierte Verhaltensmuster werden bei Fusionen als bedroht
erlebt, wenn die Unternehmenskultur des Fusionspartners als hierarchischer und au-
toritärer als die eigene angenommen wird.24 Mitarbeiter erleben die Fusion eher als
eine positive Herausforderung und somit als positiven Stress, wenn sie faktisch mehr
Handlungs- und Gestaltungsspielräume haben.25
Praxistipp
In vielen Fällen werden die Projektgruppen, die die Übernahme vorbereiten oder die Integration ma-
nagen sollen, nicht richtig vorbereitet und begleitet! Zwar würde im Sport keiner Fußballmannschaft
der Champions League und keiner Nationalmannschaft ein Trip zu den Europameisterschaften oder
Weltmeisterschaften ohne Coach zugemutet werden – aber Führungskräfte sollen und wollen das ger-
ne probieren. Die Illusion der Selbstständigkeit und Alleskönnerschaft siegt immer wieder über eine
professionelle Vorbereitung.
Aber auch Führungskräfte können mental eingestellt und auf ihren Arbeitseinsatz genau vorbereitet
werden, damit sie in ausgezeichneter physischer und psychischer Verfassung Topleistungen erbringen
können! Sie können auf ihre spezifische Rolle im Einsatz und im Projektteam vorbereitet werden, damit
sie mit Stress und Spannungen gut umgehen und Konflikte besser managen können. Denn Berichte von
Nächten ohne Schlaf, Erzählungen von nervenaufreibenden Verhandlungen und Frustsituationen sowie
von Führungskräften, die gereizt auf Mitarbeiter reagieren, sind nicht nur Fantasien von leistungsschwa-
chen Mitarbeitern oder externen Berufs-Pessimisten, die das Business nicht verstehen.
Spitze wäre es z. B., ein Coaching-Team bestehend aus einem Business-Coach, einem Change-Berater
und einem Sporttrainer zusammenzustellen, das sich um die optimale mentale und körperliche Ver-
fassung der für die Fusion und die Integration wichtigen Schlüsselpersonen kümmert. Die Erfahrung
zeigt: Business-Coaching kann im Rahmen von PMI-Prozessen viel mehr leisten als es kostet! Denn auch
Überlastung hat ihren Preis.
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Zwei Berater waren wöchentlich für zwei Tage vor Ort im Einsatz, um in unterschied-
licher zeitlicher Intensität Business-Coachings mit dem oben genannten Personenkreis
sowie Workshops durchzuführen. Ziele der Workshops waren das Entwickeln einer
gemeinsamen Vorstellung und einer gemeinsamen Ausrichtung des Vorstandes und der
ersten Berichtsebene bzgl. der Integration und der Akzeptanz gemeinsamer Spielregeln;
aber dann auch die Diskussion zu Fortschritten und noch bestehenden Schwierigkeiten
sowie zum Erreichen eines Alignements für die weitere Umsetzung. An erster Stelle
stand die Verbesserung der Zusammenarbeit. Hier galt es, Lösungen für Führungspro-
bleme sowie für sachliche und zwischenmenschliche Konflikte zu erarbeiten. Während
die Berater in den Workshops die neutrale Rolle von Moderatoren einnahmen, war ihre
Aufgabe als Business-Coach, sich ziel- und ergebnisorientiert bei der Weiterentwicklung
der Top-Führungskräfte zu verhalten.
Jeder der Workshops wurde mit den Vorständen in Einzelgesprächen vorbereitet.
Hierbei ging es um inhaltliche Themen, aber auch um Fragen der Führung, des Kon-
fliktmanagements und des Ausfüllens der eigenen Rolle. Im Zusammenhang mit der
eigenen Rolle standen immer auch persönliche Themen im Mittelpunkt: Die ehemaligen
Besitzer der übernommenen Unternehmen waren es bislang gewohnt, alleine zu ent-
scheiden. Nun hatten sie ihre Funktion in der Zusammenarbeit mit anderen Top-Mana-
gern zu erfüllen, was eine geteilte Verantwortung, einen höheren Abstimmungsbedarf
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Teil
und eine Zunahme von Konflikten zur Folge hatte – abgesehen von der in einigen Fäl-
len wahrgenommenen verringerten Bedeutung der Manager als Entscheider mit allen
emotionalen Folgen.
Hinzu kamen zwischenmenschliche Konflikte aufgrund persönlicher Animositäten
und Abneigungen der verschiedenen Charaktere untereinander. Einige Mitglieder des
Gremiums fühlten sich als weniger wichtig und nicht ernst genommen. Da sie sich nicht
»das Wasser abgraben lassen« wollten, wehrten sie sich – z. T. offen, z. T. recht subtil.
Fast zwangsläufig gewannen zwischenmenschliche Themen im Business-Coaching er-
heblich an Bedeutung.
Im Verlauf des ersten Jahres zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen einzelnen
Mitgliedern des Vorstandes und dem restlichen Gremium hinsichtlich der Einschät-
zungen zur Gesamtsituation, zur strategischen Ausrichtung, zur erfolgreichen Zusam-
menarbeit aber auch hinsichtlich der Einschätzungen der persönlichen Leistungen der
einzelnen Vorstandsmitglieder. Da nicht alle Schwierigkeiten und Unterschiede zu über-
brücken waren, verließen nacheinander zwei Vorstände das Gremium, was sich am
Ende auch als ein Teil der Problemlösung herausstellte. Die Beratungsmaßnahme führte
letztlich zu einem vollen Erfolg – und dies aus verschiedenen Gründen:
1. Die Kommunikation in das Unternehmen hinein wurde geöffnet – womit auch die
neue Unternehmensphilosophie Raum bekam.
2. Unverträglichkeiten im Vorstand bezüglich der Umsetzung wurden offengelegt und
aktiv bearbeitet.
3. Die Auswirkungen der Probleme im Führungsgremium auf die nächste Ebene wur-
den transparent gemacht und konstruktiv aufgearbeitet.
Als Fazit lässt sich sagen: Ohne die ungewöhnlich offene und selbstkritische Ausein-
andersetzung der beteiligten Vorstände und Führungskräfte wäre ein großer Teil der
bearbeiteten Probleme vermutlich nicht (oder nicht rechtzeitig) gelöst und das Ausmaß
der erfolgskritischen Belastungen für die Einzelpersonen wie für die Mitarbeiter im
Unternehmen nicht reduziert worden.
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Die Lagebeurteilung und die mögliche Neuausrichtung wurden durch die Eigentümer-
struktur erschwert: Mehrere, untereinander zerstrittene Mitglieder seiner Familie hiel-
ten Anteile an dem Unternehmen. Neben wirtschaftlichen Aspekten beschäftigten den
Vorstandsvorsitzenden auch ganz persönliche Fragen im Zusammenhang mit seiner
Zukunft. Er überlegte, sich nach und nach aus der Rolle des Unternehmenslenkers zu-
rückzuziehen, um sich dann mehr seiner Familie widmen zu können.
Vor dem Hintergrund der komplexen Gesamtsituation sprach er einen Business-Coach
und Berater an, den er um die Begleitung und Beratung in seinem Entscheidungsprozess
bis zu einer möglichen Übernahme bat. Im Rahmen der Coaching-Sitzungen kristalli-
sierten sich allerdings mehrere, miteinander verknüpfte Problemfelder heraus:
1. Das Geschäft war direkt an seine Familie gekoppelt.
2. Es ging um das Aufgeben der Eigenständigkeit seines Unternehmens, das bis dahin
in seinem Bereich technisch und qualitativ führend war.
3. Es ging um die Veränderung seiner persönlichen und unternehmerischen Rolle, die
zukünftig möglicherweise geringere Gestaltungsmöglichkeiten und geringere Bedeu-
tung haben würden.
4. Das hatte zur Konsequenz, dass er vor der Korrektur seines eigenen Selbstbildes
stand, was mit einem befürchteten Prestigeverlust seines Unternehmens, seiner Fa-
milie und seinem persönlichen Umfeld einherzugehen drohte.
Die persönlichen Fragen des Coaching-Partners waren also stark mit Familienthemen
und Unternehmensaspekten verwoben. Folglich ging es im Coaching um sein persönli-
ches Verhalten, um strategische Fragestellungen, aber auch um familiäre Themen und
Konflikte. Ziel des Business-Coachings war es, diese Themenkomplexe zu identifizieren,
sie zu sortieren, zu analysieren, mit ihren Folgen zu durchdenken und Handlungsop-
tionen zu erarbeiten.
Zusätzlich musste der Vorstandsvorsitzende seine eigenen Anteile und Möglichkeiten
bewusst wahrnehmen und seine Position klären. Wie stand es um seine Durchset-
zungsfähigkeit? Es galt, diese realistisch einzuschätzen, um damit mögliche Konflikte
in den Griff zu bekommen. Da die Gesamtsituation für ihn in erheblichem Maße inte-
ressengesteuert war, gestaltete sie sich für ihn auch emotional hochgradig aufgeladen.
Hier trug das Business-Coaching zu einem guten Teil zur Affektregulation und damit
zu seiner Beruhigung bei. Dies war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass er seine
Entscheidungen ausbalancierter und sachangemessen treffen konnte, die nun weniger
von seinen subjektiven Befindlichkeiten und persönlichen Verletzungen abhingen.
Das Business-Coaching hat den Manager damit auch im Sinne einer Stabilisierung
bei seiner Einschätzung der Gesamtsituation unterstützt. Primär beschränkte sich die
Arbeit während der Coaching-Sitzungen auf den Manager. Punktuell führte der Coach
Gespräche mit dem sozialen Umfeld, d. h. der Familie und einigen Unternehmensange-
hörigen, um die Gesamtlage objektiver und mit ihren Facetten realistischer einschätzen
zu können. Letztendlich ließ sich nicht mit allen Familienmitgliedern die angestrebte
Einigkeit erzielen, was aber die unternehmerische Entscheidung des Hauptanteilseig-
ners beschleunigte.
Fazit: Das Business-Coaching unterstützte den Unternehmer dabei, eine für ihn per-
sönlich und für sein Unternehmen positive Entscheidung schneller und klarer treffen
zu können: Die Entscheidung lautete: Verkaufen!
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts | 267
Teil
che im Unternehmen neu zusammen. Das Veränderungskonzept wurde von einer großen
Strategieberatung entwickelt. Die Umsetzung sollte von einer anderen Beratung zusätzlich
unterstützt werden, deren Aufgabe es war, sich auf die verhaltens- und einstellungsbe-
zogene Umsetzung der Integration der verschiedenen Bereiche zu konzentrieren. Im ge-
samten Projekt arbeiteten folglich zwei verschieden ausgerichtete Beratungsunternehmen
im Sinne einer Komplementär-Beratung intensiv zusammen: eines, das sich mit der neu-
en Strategie, dem neuen Organisationskonzept sowie mit der Integration verschiedener
IT-Systeme beschäftigte, und eines, das sich mit »dem Change«, d. h. mit der Umsetzung
der Veränderugen auf der Verhaltens- und Einstellungsebene auseinandersetzte.
Auch in diesem Projekt spielte Business-Coaching eine wichtige Rolle. Zum einen er-
folgte ein Coaching des Vorstandes: Ziel der Maßnahme war es, ähnlich wie in den oben
beschriebenen Beratungsprojekten, die Verbesserung der Zusammenarbeit im Gremium.
Zusätzlich erfolgte ein Coaching mit Führungskräften und weiteren Schlüsselpersonen
der zwei nachgeordneten Führungsebenen, um sie bei der Bewältigung von Konflikten
und bei der Einbindung ihrer Mitarbeiter in den Veränderungsprozess zu unterstützen.
Auf diese Weise sollte der Veränderungsprozess beschleunigt und durch ein stärkeres
Delegieren mehr Verantwortung und Eigenständigkeit in das Subsystem der Führungs-
kräfte gebracht werden. Ziel war die Reduktion der Stressbelastung sowie das Erhalten
oder gar Erhöhen der Arbeitszufriedenheit der Beteiligten.
Im Wesentlichen wurde dabei der gesamte verhaltens- und einstellungsbezogene
Veränderungsprozess über ein zentrales Instrument gesteuert, nämlich über ein re-
gelmäßiges Kernteam-Meeting, dem Führungskräfte aus allen betroffenen bzw. direkt
beteiligten Bereichen und Abteilungen des Unternehmens angehörten. Dazu gehörten
neben dem Bereichsleiter und den Schlüsselpersonen der nachgeordneten Ebenen auch
der Betriebsrat und die Organisationsabteilung, die die Restrukturierung physisch bis
zum Umstellen der einzelnen Schreibtische begleiteten. Alle im Veränderungsprozess
anfallenden wichtigen Themen wurden in diesem Meeting präsentiert und lösungsori-
entiert diskutiert. Das Kernteam-Meeting wurde durch externe Berater moderiert und
ergebnisbezogen protokolliert. Das Protokoll mit Themen, Verantwortlichen, Arbeits-
stand und Meilensteinen diente als Steuerungsinstrument für den gesamten Prozess.
Dieses scheinbar schlichte, aber wirkungsvolle Vorgehen verfolgte verschiedene Ziele:
• Betroffene zu Beteiligten machen;
• Einbindung auch gerade jener Betroffenen, die der Veränderung kritisch gegenüber-
standen;
• Gewinnen der gesamten Mannschaft für die Veränderungen;
• Transparenz des Vorgehens für alle Beteiligten;
• Lösen von Konflikten unter Einbeziehung vieler unterschiedlicher Perspektiven;
• Bearbeiten auftretender Friktionen und Widerstände von Anfang an;
• Beteiligung verschiedener Perspektiven an der Entwicklung von Maßnahmen von
Anfang an.
So wurde z. B. ein Konzept zur Höherqualifizierung von Mitarbeitern durch den Perso-
nalleiter vorgestellt und anschließend mit allen Beteiligten diskutiert und damit für die
jeweiligen Bedürfnisse verschiedener Bereiche optimiert. Der projektverantwortliche
Vorstand selbst nahm an den Sitzungen nicht teil, erhielt aber im Anschluss an die
Sitzungen das jeweilige Ergebnis-Protokoll, so dass er bezüglich der Umsetzung der
Veränderungen informiert und entscheidungsbeteiligt war und bei Bedarf die nötige
Unterstützung geben konnte.
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Wichtig waren auch die wöchentlichen Treffen zwischen den beteiligten Beratergrup-
pen, um ihr Vorgehen miteinander abzustimmen, was sich ebenfalls integrierend und
modellbildend auf den Gesamtprozess auswirkte.
Da viele Stellen neu besetzt werden mussten, wurde ein Mitarbeiter-Audit durchge-
führt, in dessen Rahmen Führungskräfte die Kompetenz ihrer Mitarbeiter einschätzten.
Dies geschah systematisch in Form einer Potenzialanalyse im Kreis der abgebenden und
aufnehmenden Bereichsleiter. Ein Vorteil dieses Verfahrens war, dass die Mitarbeiter
von verschiedenen Personen aus unterschiedlichen Perspektiven beurteilt wurden. Das
Ergebnis führte mit einer hohen Erfolgsquote zu einer sehr hohen Akzeptanz bei allen
Beteiligten.
In solchen Prozessen gibt es immer wieder die Momente, zu denen alle Beteiligten,
Führungskräfte wie Mitarbeiter, den gleichen Informationsstand über die Veränderun-
gen haben sollten bzw. haben müssen. Für dieses Ziel wurde im vorliegenden Fall eine
große Informationsveranstaltung organisiert, auf der alle direkt am Prozess beteiligten
Mitarbeiter und Führungskräfte – im vorliegenden Beispiel ca. 500 – auf einmal alle für
sie relevanten Informationen zum Integrationsprozess erhielten. Dies geschah in Form
eines großen »Marktplatzes«, auf dem die Protagonisten der Veränderung – Bereichslei-
ter und Hauptabteilungsleiter – alle Veränderungen präsentierten: neue Strukturen und
Prozesse, Personalentwicklungskonzepte, neue Führungsleitbilder bis hin zu den neuen
Schreibtischen für die Mitarbeiter.
Dieses Vorgehen hatte verschiedene Vorteile:
• Das komplexe Veränderungsgeschehen wurde auf einen Blick sichtbar.
• Es wurde von den Betroffenen vorgestellt und nicht von den externen Beratern – und
kam damit aus dem Inneren der Organisation selbst.
• Die Beteiligten aus den verschiedenen Bereichen mussten sich vorher geeinigt haben,
wie sie ihre Bereiche gestalten wollten und mussten dies gemeinsam nach außen
vertreten. Ehemalige interne Wettbewerber lernten auf diese Wiese, konstruktiv zu-
sammenzuarbeiten.
• Nachdem die Beteiligten ihr Projekt »unzählige« Male selbst erklärt hatten, hatten
sie es gleichzeitig auch erheblich verinnerlicht.
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts | 269
Teil
3 Fazit
Vieles bei M & A-Prozessen ist untersucht und schon beschrieben worden. Umgesetzt
wird es aber trotzdem nur sehr begrenzt! Einer der Gründe liegt in den verschiede-
nen Spielregeln der Beteiligten: Einerseits die M & A-Profis, die den Deal strategisch,
finanztechnisch und juristisch organisieren sowie die Entscheider, die über einen Kauf,
Verkauf oder eine Fusion das letzte Wort haben. Andererseits die betroffenen Führungs-
kräfte und die Mitarbeiter in den betroffenen Unternehmen, besonders dem Target!
Wer marktstrategisch, öffentlich oder politisch handeln muss, vergisst sehr schnell die
Spielregeln des Vertrauens im täglichen Geschäft.
Nicht zu übersehen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die beteiligten
Personen (Finanzberater, Juristen, Strategen etc.) andere Persönlichkeitstypen reprä-
sentieren als diejenigen, die mit den Emotionen der Beteiligten umgehen, um Kommu-
nikationsfehler der »Aktionisten« sowie Abwehrreaktionen, Widerstände, Ängste und
Konflikte der Betroffenen zu minimieren. Während die Erstgenannten mit »harten Fak-
ten«, Zahlen und rationalen Überlegungen ihr Geschäft machen, konzentrieren sich die
Vertreter der zweiten Gruppe mehr auf die »weichen Faktoren« der Menschen in den
beteiligten Unternehmen.
Hoffnungen auf einen erfolgreichen Deal, einen sich selbst stabilisierenden Prozess
oder ein gutes finanzielles Ergebnis, gehören zu den Einstellungen der rational und
analytisch kalkulierenden Entscheider auf den obersten Ebenen. Die Protagonisten ei-
nes »guten Prozesses« hingegen, die die menschlichen Reaktionen der Beteiligten in den
Vordergrund ihrer Erfolgsbeiträge rücken, bevorzugen eher eine psychologisch »weiche«
Vorgehensweise und befinden sich eher auf den nachgeordneten Ebenen. Kurz gefasst
könnte man auch sagen: In der Planung schlägt rationale Überlegung die Emotionen.
In der Umsetzungsrealität hingegen schlägt das Emotionale oft das rationale Kalkül.
Deshalb sollten oft andere Personen als die Entscheider selbst die Integration (mit-)
managen, allerdings ohne die Entscheider »außen vor« zu lassen. Integration ist mehr
als die nackte Passung von Zahlen und Fakten und die mechanische Übersetzung von
Strategiekonzepten in neue IT-Systeme. Es ist auch die manchmal schwierige Passung
der neu zusammenkommenden Menschen, die Aufnahme neuer Netzwerke, die schwie-
rige Veränderung überholter Arbeitsprozesse, Arbeits- und Verhaltensgewohnheiten. Es
bedeutet auch, die Konzepte mit lebenden Unternehmenskulturen zu verknüpfen, die
oftmals ein bemerkenswertes Eigenleben führen.
Jeder weiß: Eine betriebswirtschaftliche Due Diligence ist eine unverzichtbare Maß-
nahme. Wer aber führt konsequent auch eine Due Diligence der beteiligten Unter-
nehmenskulturen und der im Blickpunkt stehenden Führungskräfte durch? Wer das
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(neue) Unternehmen weiterentwickeln will, der sollte den Boden kennen, auf dem er
erfolgreich pflanzen will. Strategische Pläne, juristisch gute Verträge und eine sinnvolle
Finanzierung eines Mergers oder einer Akquisition sind keine hinreichenden Antworten
auf diese Frage. Es bedarf vielmehr einer professionellen Unternehmenskulturanalyse,
die die Passung wie die Differenzen der zu integrierenden Kulturen und Milieus er-
kennbar macht, um sie in die Entscheidungen und die Umsetzung einzubeziehen. Und
Management-Audits wie professionelle Potenzialanalysen der zur Verfügung stehenden
Führungskräfte sind nicht am besten die Sache von hervorragenden Technikern, Juris-
ten, IT-Fachleuten oder anderen fachlichen Spezialisten. Es gibt auch Experten für die
psychologischen Themenstellungen in M & A-Projekten. Eine Zusammenarbeit dieser
so repräsentierten verschiedenen Perspektiven trägt wohl am meisten zum Erfolg der
komplexen M & A-Projekte bei.
Womit wir abschließend wieder am Anfang angekommen wären, denn wie der Titel
des vorliegenden Kapitels schon sagte: »Psychologie ist nicht alles, aber ohne Psycho-
logie ist alles nichts!«
Literatur
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IV. Übernahmen und Fusionen: Psychologie ist nicht alles – aber ohne Psychologie ist alles nichts | 271
Teil
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* Dr. Lisa Hopfmüller, Investment Manager, INVESTNET AG, Herisau; Dr. Markus Schimmer, Strate-
gieberater, Accenture Strategy, Zürich.
1 Bain 1959; Porter 1985.
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4 Porter 1985.
5 Bower 2001; Chatterjee 1986.
6 Hasperlagh/Jemison 1991.
7 Vgl. z. B. Barney 1991.
8 Angwin 2007.
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Die obige Aufzählung führt die häufig genannten strategischen Motive von M & A auf,
die in der Forschung typischerweise nach fünf generischen Transaktionstypen bzw. Ziel-
setzungen gegliedert werden. Diese beinhalten Überkapazitäts- und Konsolidierungs-
transaktionen, Deals zur Ausweitung von bestehenden Produktlinien, geographische
Roll-ups, M & A als R&D-Substitut und letztlich Industriekonvergenztransaktionen.10
Eine a priori verfeinerte Untersuchung der Performance-Implikationen strategischer
M & A-Transaktionen erfolgt empirisch jedoch vor allem auf Basis der Akquisitions-
typen:11 horizontal, vertikal, konzentrisch und diversifizierend. Damit wird die Ak-
quisition in Relation zur Industrie bzw. Wertschöpfungskette gesetzt. So haben z. B.
Walter und Barney (1990) gezeigt, dass die strategischen Ziele, die Unternehmen mit
M & A verfolgen, durch den Transaktionstyp unterschieden werden können. Während
vertikale Akquisitionen vor allem zur Kontrolle kritischer Interdependenzen genutzt
werden, wurde aufgezeigt, dass konzentrische M & A vor allem zur Ausweitung beste-
hender Produktlinien dienen. Dementgegen wurde als wichtigstes strategisches Ziel der
M & A-Aktivitäten von Konglomeraten die Ausnutzung finanzieller Synergien aufgeführt.
Horizontale Transaktionen hingegen folgen keinem eindeutigen, übergeordneten strate-
gischen Ziel. Weiterführende Klassifizierungen innerhalb dieser vier Akquisitionstypen
beruhen vor allem auf dem Grad der Verbundenheit von diversifizierenden Akquisitio-
nen oder aber auch hinsichtlich möglicher Hedging- bzw. Selbstschutzmotive auf Seiten
der Manager.
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lungstaktik sowie auf die Finanzierung der Transaktion. Die Integrationsphase befasst
sich dann mit der Integrationsplanung und der tatsächlichen operativen Umsetzung der
in der Definitionsphase festgelegten strategischen Ziele.15
Aus Sicht der Strategieforschung kann die Akquisitionsstrategie als Resultat ver-
schiedener Einflussfaktoren, allen voran der gegenwärtigen Unternehmensstrategie und
des Unternehmensumfelds angesehen werden. Während die Unternehmensstrategie die
Zielsetzungen der Analysen der Ausgangssituation bedingt, bestimmt das Unterneh-
mensumfeld – intern wie extern – die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Stra-
tegie formuliert wird.
Unternehmensumfeld ➛ Rahmenbedingungen
Formulierung der
Akquisitionsstrategie
Akquisitionsstrategie Identifikation, Bewertung,
➛ Verhandlung & Orientierung
Definition
Stimuli Transaktion Integration
Fokussierung Alternativen-
Aufmerksamkeit/ auswahl/ Entscheidung
Screening Evaluierung
Abb. 1: Konzeptionelle Darstellung des M & A-Prozesses mit Fokus auf der Definitionsphase (Quelle: Eigene
Darstellung)
Der Fokus des vorliegenden Beitrags liegt – bedingt durch den Hintergrund der Unter-
nehmensstrategie – vorwiegend auf der Definitionsphase. Diese ist so zu verstehen,
dass verschiedene unternehmensinterne und -externe Stimuli eine Fokussierung der
Aufmerksamkeit bzw. einen Screening-Prozess anstoßen, der M & A als eine Möglich-
keit zur Umsetzung der strategischen Ziele eines Unternehmens ins Gespräch bringt.
Wenn dies geschehen ist, folgt eine Auswahl von Alternativen bzw. Zielunternehmen,
die dann hinsichtlich strategischem Fit, Erfolgsaussichten, Preis etc. evaluiert werden.
Der letzte Schritt bezieht sich dann auf den eigentlichen Entscheidungsprozess bzw. die
Entscheidung über den Kauf eines bestimmten Unternehmens.
15 Chaumet/Wagner 2002.
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16 KPMG, 2015.
17 Vgl. bspw. Meta-Studie von King et al. 2004.
18 Seth 1990.
19 Leeth 2000.
20 Agrawal/Jaffe 2000.
21 Schoenberg 2006.
22 »[T]he sobering reality is that only about 20 percent of all mergers really succeed. Most mergers typi-
cally erode shareholder wealth…[and it is] cold, hard reality that most mergers fail to achieve any real
financial returns« (Grubb/Lamb 2000, S. 9).
23 Huang/Walkling 1989; Yook 2000.
24 Gregory 1997; Rau/Vermaelen 1998.
25 You 1986.
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26 Ferreira/Santos/deAlmeida 2014.
27 Bauer/Matzler 2014.
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ständnisses bezüglich der Faktoren, die den Einsatz von M & A-Strategien als Teil der
Unternehmensstrategie beeinflussen bzw. deren Erfolgsdeterminanten, geführt. Auch
scheint der hohe Spezialisierungsgrad der M & A-Forschung – und die damit einherge-
hende Uneinigkeit – nur begrenzte direkt anwendbare Hilfestellung für Praktiker leisten
zu können. Dies manifestiert sich in den über die Dekaden nahezu unverändert hohen
M & A-Misserfolgsquoten. Sowohl heute wie auch in den Anfängen der M & A-Forschung
bringen M & A-Transaktionen im Durchschnitt negative Shareholder Returns mit sich.
Ebenso unterschiedlich wie die Forschungsinteressen und Grundannahmen gestalten
sich die Forschungsmethoden und Erfolgsmessgrößen der verschiedenen Disziplinen.
Während Studien im finanzwissenschaftlichen Feld vorwiegend die Event Study-Metho-
de nutzen, um den Effekt von M & A auf den Shareholder Value zu untersuchen 28, bevor-
zugen organisationale Ansätze vor allem Fallstudien oder Interviews. Strategiebasierte
Disziplinen wiederum nutzen häufig Profitabilitäts- und Rentabilitätskennzahlen, sog.
»Accounting Measures« wie bspw. (Eigenkapital-) Rendite oder EBIT als Messgrößen für
den M & A-Erfolg. Prozessorientierte Studien dagegen stützen sich häufig auf subjektive
Erfolgsbewertungen der involvierten Manager und den Grad der Zielerreichung relativ
zu den vor der Transaktion gesetzten Zielen. Durch diese verschiedenen Operationali-
sierungen von Transaktionserfolg wird vor allem die interdisziplinäre Vergleichbarkeit
der Ergebnisse sowie die Vernetzung zwischen den Disziplinen erschwert.
Auch sind die einzelnen mit diesen Operationalisierungen verbundenen Methoden
nicht frei von Schwächen. Während z. B. Fallstudien, Interviews und Umfragen zwar
durch einen hohen Detailgrad bestechen bzw. ermöglichen, nicht direkt zugängliche Va-
riablen zu erforschen, bleibt die Generalisierbarkeit der Ergebnisse oft auf der Strecke.
Rentabilitäts- und profitabilitätskennzahlenbasierte Methoden dagegen können zwar
die langfristige finanzielle Entwicklung des Unternehmens reflektieren und damit po-
tenziell erst nach einigen Jahren einsetzende Vermögenseffekte von M & A aufdecken;
jedoch ist es kaum umsetzbar, diese Effekte kausal direkt einer einzelnen Akquisiti-
on zuzurechnen. Auch werden diese Studien häufig nicht in Form von sog. »Matched
Pair«-Vergleichen durchgeführt, im Rahmen derer akquirierenden Unternehmen solchen
gegenübergestellt werden, die in bestimmten, als dominant eingeschätzten Charakteris-
tika übereinstimmen, jedoch keine Akquisitionen vorgenommen haben bzw. ein solcher
Vergleich auf Basis des Akquisitionserfolgs, i. e. erfolgreicher vs. nicht erfolgreicher
Akquisition erfolgt. Auf der Kapitalmarkttheorie und Kursveränderungen basierende
Event-Studien mit einem adäquat gewählten Zeitfenster können zwar weitgehend ob-
jektiv und störungsfrei die Erwartungen der Investoren hinsichtlich der künftigen Cas-
hflow-Entwicklung des Unternehmens einfangen; jedoch basiert diese Methode auf der
Annahme, dass Marktteilnehmer umgehend und im Kollektiv genau den Cashflow-Ef-
fekt einer Akquisition einschätzen (können). Zudem beziehen sich diese Studien häufig
auch nur auf eine bestimmte Klasse von Aktien, wodurch alternative Erklärungsansätze
und Ergebnisse verschleiert bleiben könnten.
Diese uneinheitlichen methodischen und konzeptionellen Ansätze implizieren nicht
nur, dass einerseits keine einheitliche M & A-Theorie existiert, sondern zum anderen
auch, dass die unterschiedlichen Grundannahmen und Methoden der traditionellen
Forschungsansätze oftmals einen erheblichen Integrationsaufwand mit sich bringen.
Wohl basierend auf letzterer Annahme existieren tatsächlich nur wenige disziplinüber-
greifende Review-Artikel zum Thema M & A-Forschung.
28 Schimmer/Levchenko/Müller 2015.
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2.3 M & A-Forschungsmodell
Die Historie der M & A-Forschung, wie die nachfolgenden Analysen der einzelnen For-
schungsfelder aufzeigen, zeichnet ein komplexes Bild des Themas M & A. Als Instrument
der Unternehmensstrategie dienen einzelne Transaktionen Zwecken, welche genauso
vielfältig und vielschichtig sind, wie Unternehmensstrategien selbst. Jedoch wird oft
vergessen, dass sich zu den rationalen Motiven, welche in den Strategien zum Ausdruck
kommen, auch irrationale Motive gesellen, welche sich durch Merkmale der Entschei-
dungsträger und Markteinflüsse begründen. Das heißt, M & A-Transaktionen können
zeitgleich mehrere Ziele verfolgen, welche sich zudem in ihren Effekten teilweise ent-
gegenstehen.
Neben der Gesamtheit an verfolgten Motiven beeinflussen zahlreiche weitere Fak-
toren den Erfolg einzelner Transaktionen. Diese finden sich auf unterschiedlichen Be-
schreibungsebenen der Transaktion und umfassen auf der Makro-Ebene Markt- und
Kontextmerkmale, auf der Unternehmensebene Prozess- und Transaktionsmerkmale,
sowie auf der Ebene der Entscheidungsträger die involvierten Akteure selbst. Für die
Forschung und ihre Modelldefinitionen ergibt sich damit eine Vielzahl an transakti-
onsspezifischen Einflussfaktoren, welche für die Beantwortung der generischen For-
schungsfragen »Wieso verfolgen unterschiedliche Unternehmen trotz hochgradig un-
sicherer Erfolgsaussichten Akquisitionsstrategien? Welche Akquisitionsstrategien sind
unter welchen Bedingungen erfolgversprechend? Und wie kann das Management den
Erfolg einer Akquisitionsstrategie aktiv beeinflussen?« relevant sind. Die in Abb. 2 dar-
gestellten Problemfelder des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses legen nahe, dass
sich die Forschungskonzeption in stärkerem Maße der Problemkomplexität anpassen
Externes Unternehmensumfeld
Internes Unternehmensumfeld
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muss. Andernfalls läuft die Forschung Gefahr, mit unterspezifizierten Modellen keine
soliden empirischen Erkenntnisse zu schaffen, sondern statistische Artefakte. Diese
können sich letztlich widersprechen und die Glaubwürdigkeit der M & A-Forschung wei-
ter untergraben.
So sollten eine Reihe von Faktoren bedacht werden, die sich um das »Wieso«, das
»Wie« und damit letztlich um das »Mit welchem Erfolg« drehen. Die traditionelle
M & A-Forschung hat sich vorwiegend aus verschiedenen Perspektiven mit der Frage
nach den Ursachen der Akquisitionstätigkeit beschäftigt und Erklärungsansätze in Form
von Imitation, Ertragsmaximierung und opportunistischem Verhalten von Seiten des
Managements geliefert. Alternative Forschungsstränge dagegen gehen vermehrt der Fra-
ge nach, wie akquiriert wird. Sie betonen beispielsweise, dass Akquisition nicht isoliert
zu betrachten sind, sondern im Kontext übergreifender strategischer Konzepte, wie
beispielsweise M & A-Programmen. Auch legen sie nahe, dass die durch Mehrfachakqui-
sitionen erworbenen Kompetenzen im Forschungsmodell zu integrieren seien. Parallel
dazu betonen interdisziplinäre Ansätze, dass die Handhabung von Wahrnehmungs-
verzerrungen, d. h. den verschiedenen Ausprägungen des kognitiven »Bias«, Rechnung
getragen werden muss. Ebenso wird der Einfluss von wichtigen kontrollierenden In-
termediären als relevant angesehen, allen voran der des Boards des Unternehmens.
Das Zusammenspiel dieser Faktoren definiert im Rahmen eines Kontingenzmodells die
Ausprägung des Akquisitionserfolgs. Nachfolgend sollen die einzelnen Komponenten
eines derartigen Modells näher beleuchtet werden.
3 Traditionelle M & A-Forschung
Die wissenschaftliche Forschung hält zahlreiche Theorien bereit, welche die Bedeu-
tung von M & A-Transaktionen für Unternehmen und Investoren beleuchten. Neben ei-
nem marktorientierten Ansatz zur Erklärung des wellenartigen Auftretens von M & A
beschreiben diese Theorien, welche spezifischen Wertpotenziale M & A-Transaktionen
versprechen und welche Faktoren den Transaktionserfolg beeinflussen. Obgleich reale
Transaktionen meist auf ein Bündel dieser Potenziale abzielen,29 werden sie in der
Wissenschaft nicht integrativ, sondern einzeln betrachtet. Wichtige Bausteine dieser
Theorien sind Ausprägungen der Portfoliotheorie,30 Prinzipien der Marktökonomie,31
sowie Ressourcen-32 und Prinzipal-Agenten-theoretische Überlegungen.33
29 Ravenscraft/Scherer 1987.
30 Markowitz 1952.
31 Samuelson/Nordhaus 2009.
32 Penrose 1959.
33 Jensen/Meckling 1976.
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34 Müller-Stewens/Lechner 2005.
35 Gort 1969; Rhodes-Kropf/Viswanathan 2004.
36 Hartford 2005; Maksimovic/Philips 2001.
37 Song/Walking 2000.
38 Larsson/Finkelstein 1999.
39 Z. B. Martin/Sayrak 2003; Rumelt 1974 und 1982.
40 Christensen/Montgomery 1981; Palepu 1985; Simmonds 1990.
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dieser Bereiche besondere Kompetenzen, wie es z. B. dem Konglomerat General Electrics
(GE) zugesprochen wird,52 so kann die Ausrichtung der Akquisitionsstrategie auch an
diesen Synergien sinnvoll sein.
Marktmachttheoretische Ansätze verbinden die Idee der Synergie mit der Ökonomie
von Marktstrukturen. Hinsichtlich der Anbieter-Kunden-Beziehung nimmt mit der An-
zahl an Anbietern in einem Markt die Fähigkeit der Unternehmen ab, ihre Waren und
Dienstleistungen mit einem Gewinnaufschlag anzubieten: Die abnehmende Möglichkeit
zur Kollusion führt zu einem preisbasierten Verdrängungswettbewerb. Gelingt es den
Unternehmen dagegen, die fragmentierte Marktstruktur durch Akquisitionen zu konso-
lidieren, so können sie am Markt höhere Preise durchsetzen. Im Extremfall der Mono-
polstellung, fällt dem verbleibenden Unternehmen die gesamte Zahlungsbereitschaft der
Kunden zu.53 In umgekehrter Form fallen die Größeneffekte von Unternehmen auf ihren
Beschaffungsmärkten aus. Sie treten als mächtigere Kunden auf und generieren Vorteile
durch günstigere Konditionen in der Anbieter-Zulieferer-Beziehung.54 Obschon dieses
ökonomisch stilisierte Bild nicht der realen Marktkomplexität gerecht wird, haben die in
ihm zum Ausdruck kommenden Mechanismen breite Gültigkeit in empirischen Studien
gefunden.55 Da Marktmacht bei M & A-Transaktionen jedoch häufig nur als sekundäres
Ziel verfolgt wird, mögliche Preiseffekte vom Markt nur schlecht antizipiert werden
können und individuelle Akquisitionen eine meist nur geringe Auswirkung auf das
allgemeine Preisniveau haben, konnten bisher keine signifikanten Vermögenseffekte
von Einzeltransaktionen basierend auf dem Marktmachtargument festgestellt werden.56
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ment keine eigenen Aktien hält, welche als Korrektiv im Sinne der Aktionäre wirken
würden.59
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rausgehend vorgestellter Ansätze an und fokussieren sich vor allem auf die Natur der
in der strategischen Definitionsphase gestellten Anforderungen an das Management,
d. h. auf die Frage »was wird wieso und unter welchen Voraussetzungen mit welchem
Erfolg akquiriert«?
Da der Erfolg einer Akquisition bezogen auf die strategische Definitionsphase vor
allem von der Übereinstimmung zwischen Ex ante-Bewertungen des Synergiepotenzi-
als – d. h. implizit der Targets und des Kaufpreises – und den de facto realisierten bzw.
realisierbaren Synergien im Rahmen der Gesamtstrategie abhängt, wird für die weiter-
gehende Analyse die folgende Gleichung als Ordnungsrahmen verwendet:
SM & A = f (α, R, ψ, ω)
60 Markowitz 1952.
61 Haleblian/Finkelstein 1999.
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cen bestehen. So ist anzunehmen, dass die Einschätzung von Synergien mehr als nur
eine Funktion bzw. Addition von Einzelkomponenten zum Gesamtportfolio ist, son-
dern gleichsam die Wechselwirkungen zwischen bestehenden, zusätzlichen und aus
der Kombination neugeschaffenen Ressourcen erfordert. Demnach erscheint es sinnvoll,
nicht nur Akquisitionsprogramme, sondern selbige auch vor dem Hintergrund der Kehr-
seite der »Restrukturierungsmedaille«, d. h. parallelen Desinvestitionen, zu erforschen.
Obschon diese Betrachtungsweise bisher nur wenig Beachtung erlangte, unterstützen
erste Studien eine solche Programmperspektive. Conn et al. (2004) haben diesbezüglich
empirisch bewiesen, dass Serienakquisiteure profitablere Akquisitionen durchführen als
Einzelakquisiteure. Es wurde jedoch auch aufgezeigt, dass sich die Returns der einzel-
nen Akquisitionen von Serienakquisiteuren sukzessiv verschlechtern und gegen Ende
sogar negativ werden. Daran ansetzend haben Barkema/Schijven (2008) festgestellt,
dass sequenzielle Akquisitionen von Unternehmen in ihren Performance-Implikationen
interdependent sind. So konnte aufgezeigt werden, dass die Position einer Einzelakqui-
sition im Akquisitionsprogramm deren Akquisitionserfolg beeinflusst. Laamanen/Keil
(2008) zeigten auf, dass das Timing der Einzelakquisition im Rahmen eines Akquisi-
tionsprogramms in Form von Akquisitionsrate und -variabilität den Erfolg signifikant
beeinflusst. Letztere Autoren stellten darauf aufbauend die Hypothese auf, dass der
Rhythmus von Akquisitionen bestimmt, ob Erfahrungen, die in zeitlich vorgelagerten
Akquisitionen gesammelt wurden für nachfolgende genutzt werden können oder ob
negative Zeitkompressionseffekte die effektive Nutzung von Erfahrung zunichtema-
chen. Hutzschenreuter et al. (2014) erweitern diese Perspektive durch Verknüpfung
mit finanziellen Charakteristika, so dass im Kontext von Akquisitionsprogrammen ein
alternierendes Verhältnis zwischen Akquisitionsrhytmus und Transaktionserfolg be-
steht. Dieses wird positiv durch die Liquidität und die Zeitabstände zwischen den ein-
zelnen Akquisitionen und negativ durch den Market-to-Book-Value des akquirierenden
Unternehmens beeinflusst. Es wird allgemein als »Mindfulness« bezeichnet. Hierbei
wird implizit auf die Fähigkeiten und gesammelten Kompetenzen im akquirierenden
Unternehmen abgestellt und darauf inwiefern diese Kompetenzen in sinnvoller Art und
Weise genutzt werden können.
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63 Jemison/Sitkin 1986.
64 Barney 1986.
65 Cyert/March 1963.
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66 Roll 1986.
67 Langer 1975.
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vermeiden. Eine solche Perspektive auf M & A-Kompetenz erfordert einen Wechsel von
einem rein marktorientierten Fokus hin zum Einbezug der Charakteristika der invol-
vierten Akteure.
68 Vgl. hierzu auch Craninckx/Huyghebaert (2015) für eine Forschungsperspektive auf die Involvie-
rung von familiengeführten Akquisiteuren.
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Gegenwartswert von
Nutzen Subjektivität
Entscheidungen
(Erfolgsdefinition über … (interpretations-
(Zeitdimension und
monetäre Anreize hinaus) beeinflussende Faktoren)
Diskontierungsfaktor)
M&A-Forschungssetting
M&A-Erfolg
M&A-Misserfolg
Abb. 3: M & A-For-
schungsmodell (Quelle:
Eigene Darstellung)
5 Schlussfolgerungen
Die Praxisempfehlungen der M & A-Forschung stellen an Manager nahezu unerfüllbare
Forderungen – vor allem deshalb, weil diese Vorschläge parallel und isoliert statt in-
tegrativ präsentiert werden. So sollen Manager darauf achten, den Transaktionspreis
realistisch festzulegen, sich von Selbstinteresse und übermäßigem Selbstvertrauen ab-
zugrenzen, den strategischen Fit der Akquisition sicherzustellen, ein Set an M & A-re-
levanten Kompetenzen zu entwickeln usw. Jedoch werden selten die Zusammenhänge
und Schnittstellen zwischen diesen einzelnen Problemen bzw. Komponenten aufgezeigt.
Zwar stellt der vorliegende Beitrag kein vollständiges Review aller im Rahmen der
Definitionsphase für den M & A-Erfolg relevanten Aspekte dar; so existieren natürlich
eine Vielzahl potenziell ebenso wichtiger Faktoren wie z. B. der Einfluss der Art der Fi-
nanzierung, die Kapital- und Eignerstrukturen, etc., welche sich auf die Wahl von M & A
als Teil der Unternehmensstrategie und auf den letztendlichen Erfolg auswirken können.
Jedoch zeigt der Beitrag verschiedene zukunftsweisende, miteinander kombinierbare
Forschungsperspektiven auf M & A-Aktivitäten auf, welche das dargestellte M & A-Para-
doxon adressieren. So lässt die ausbleibende Verbesserung der M & A-Erfolgsquoten in
der Praxis drei Schlüsse im Hinblick auf die Forschung zu, wie auch schon Cartwright/
Schoenberg (2006) feststellten:
• Manager vollziehen Akquisitionen, die nicht von wertgesteuerten Anreizen motiviert
sind;
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• die Best-Practice-Empfehlungen aus der Forschung sind zu abstrakt für eine prakti-
sche Umsetzung;
• die Forschungsbemühungen sind unvollständig und wichtige Einflussfaktoren wer-
den in den Studien nicht simultan und integrativ betrachtet.
Im Hinblick auf die erste mögliche Schlussfolgerung mag es zwar der Fall sein, dass
M & A-Transaktionen nicht stets von der Maxime der Steigerung des Unternehmenswerts
getrieben sind.69 Jedoch ist es wahrscheinlicher, dass auf lange Sicht die M & A-Akti-
vitäten auf Wertschaffung ausgerichtet sein müssen, um das Überleben des Unterneh-
mens zu sichern. Auch die zweite Schlussfolgerung ist eher unwahrscheinlich, da viele
Forschende parallel zu ihrer Forschungsarbeit aktiv in als Berater tätig sind und daher
eine gewisse Anwendbarkeit ihrer Konzepte gewährleisten müssen. Die dritte Erklärung
hingegen hat aus der Forschung selbst Unterstützung erlangt. So ergaben verschiedene
Meta-Analysen zu M & A,70 dass die Forschungsmodelle unterspezifiziert sind und wich-
tige Einflussfaktoren auf den M & A-Erfolg nicht bedacht wurden.
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tierten Netto-Effekt der Transaktion erfasst, irren und den mittelfristigen operativen
und finanziellen Kennzahlen widersprechen. Umgekehrt lässt sich ex post wiederum
schwierig feststellen, ob eine Transaktion erfolgreich war: Zum einen geht mit der
M & A-Verkündung das objektive Vergleichsszenario der eigenständigen Unternehmen
verloren und zum anderen verwässern im Zeitablauf nach der Ankündigung unzähli-
ge, von der Transaktion unabhängige Faktoren den Effekt der Transaktion auf die für
ihren Erfolg typischerweise herangezogenen Indikatoren. Obwohl diese Probleme nicht
gänzlich ausgeräumt werden können, sollten sich Forscher bei der Operationalisierung
von M & A-Erfolg verstärkt darum bemühen, Performance mehrdimensional zu erfassen
und dabei Indikatoren auszuwählen, die in engem Zusammenhang mit der Transaktion
stehen.
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5.3 Schlusswort
Neben einer überblicksartigen Zusammenfassung der bestehenden M & A-Forschung
liefert der vorliegende Beitrag potenziell fehlende Erklärungsvariablen und diskutiert,
wie diese helfen können, das eingangs dargestellte M & A-Paradoxon aufzuklären. Die
wesentliche Entwicklungsrichtung der M & A-Forschung sollte es sein, integrierter vor-
anzuschreiten, Erkenntnisse unterschiedlicher Disziplinen zu verbinden und alternative
Variablen in stärkerem Maße kontrollierend einzubeziehen. Denn erst wenn es der
Forschung gelingt, das Thema M & A ganzheitlicher zu greifen, kann sie im Hinblick auf
die Wertgenerierungsmechanismen und -probleme gezielter anleiten und ihren Beitrag
dazu leisten, dass die Unternehmenspraxis nicht in erster Linie aufgrund des Fehlens
an alternativen Instrumenten auf M & A zurückgreift, sondern aufgrund generell positiv
eingeschätzter Erfolgsaussichten.
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Teil
Innerhalb der jüngeren Vergangenheit ist ein starker Anstieg der M & A-Aktivitäten chi-
nesischer Unternehmen in Europa zu verzeichnen. Dabei rücken zunehmend deutsche
Unternehmen in den Fokus chinesischer Großkonzerne. Diese schätzen das Qualitätssie-
gel »Made in Germany« und besitzen großes Vertrauen in die Qualität deutscher Techno-
logie und Ingenieuerleistungen. Darüber hinaus sind chinesische Unternehmen, anders
als beispielsweise die angelsächsischen Interessenten, die vor allem auf kurzfristige
Wertsteigerungen abzielen, an einer langfristigen positiven Unternehmensentwicklung
interessiert. Die Chinesen suchen gezielt nach Unternehmen, die dazu in der Lage sind,
das Know-How der eigenen Unternehmen auf ein höheres Niveau zu heben, um dadurch
eine verbesserte Wettbewerbspositionierung zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund genießen die asiatischen und insbesondere die chinesischen
Unternehmen auf dem gesamten europäischen Markt ein im Vergleich zu früheren
Zeiten stark verbessertes Ansehen. Die lange Zeit verbreitete Einschätzung, dass chine-
sische Unternehmen primär an der Absaugung externer Technologien und Know-Hows
sowie der Verlagerung von Arbeitsplätzen interessiert sind und darüber hinaus sogar
eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen können, steht nicht mehr im
Fokus der Diskussion.
Während lange Zeit vor allem kurz vor der Insolvenz stehende Unternehmen das
Interesse der Chinesen auf sich zogen, läßt sich erkennen, dass mittlerweile auch pro-
fitabel agierende Unternehmen Ziele der Übernahmeanstrengungen asiatischer Unter-
nehmen sind. Dabei handeln insbesondere die chinesischen Unternehmen, die für einen
Großteil der Übernahmen verantwortlich sind, vor allem auch im Interesse der Politik.
Diese fordert und fördert die sogenannte »Go Global M & A«-Strategie in China: Besitzen
die Unternehmen beispielsweise nicht das für eine Fusion notwendige Kapital, werden
sie im entsprechenden Umfang von den staatlichen chinesischen Banken ausgestattet.
Ein Beispiel für eine chinesisch-deutsche Übernahme stellt das chinesische Unterneh-
men Sany Heavy Industries dar, das 2012 den deutschen Hersteller von Betonpumpen
und Konkurrenten Putzmeister übernahm. 2013 übernahmen der chinesische Flugzeug-
und Rüstungskonzern Aviation Industry of China den fränkischen Automobilzulieferer
Hilite, 2014 dann den Zementanlagenbauer KHD Humboldt Wedag. Ein weiteres Beispiel
stellt der deutsche Küchenhersteller Alno dar, der 2015 zu Teilen von der Nature Home
Holding aus China übernommen wurde.
Diese Beispiele zeigen, dass primär Unternehmen des deutschen Mittelstands, die
tendenziell in den Branchen Automobilzuliefererindustrie, Industrieausrüstung und
* Prof. Dr. Bernd W. Wirtz, Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Informations- und Kommunikations-
management, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer;
Marc Elsäßer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Informations- und Kommunikations-
management, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer.
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Abruf: 15.06.2015.
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Abruf: 15.06.2015.
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nehmen denn je. http://www.pwc.de/de/deals/china-kauft-im-ausland-ein-deutsche-unternehmen-
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Teil
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2 Walter 2004.
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Des Weiteren können die Kriterien nach ihrer Priorität gewichtet werden. Dies kann
soweit gehen, dass das Unternehmen sog. »Killer-Kriterien« definiert, die bei einer
Nichterfüllung eine Akquisition grundsätzlich verbieten respektive verhindern. Dies
kann z. B. eine Mindestrendite sein, die durch die Akquisition erreicht werden muss.
Ein Unternehmen kann je nach Präferenz entweder auf einen stabilen, formalisierten
oder auf einen opportunistischen, flexiblen Kriterienkatalog abstellen, wie etwa durch
Anpassungen auf Strategien einzelner Geschäftseinheiten mittels unterschiedlicher Zu-
sammensetzung und/oder Gewichtung des Katalogs.
Solche Anforderungsprofile sind nicht nur ideale Werkzeuge zur Systematisierung
des Such- und Identifikationsprozesses von Übernahmekandidaten, sondern sie zwin-
gen ein Unternehmen bzw. seine Geschäftseinheiten dazu, die formulierten Zielrich-
tungen und Akquisitionsstrategien nochmals zu reflektieren und einzelne Schlüssel-
kriterien zu definieren. Als solches sind sie ein integraler Bestandteil einer effizienten
Akquisitionsstrategie.
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den. Als strategisch werden die aktiven, vom Unternehmen selbst direkt angestoßenen
Suchprozesse bezeichnet, die auf die Identifikation einzelner Targets zur Schließung
einer strategischen Lücke ausgerichtet sind. Als opportunistisch werden hingegen die
Vorbereitung eines Unternehmens bezeichnet, auf sich kurzfristig bietende Akquisiti-
onsmöglichkeiten schnell und effektiv reagieren zu können. Im engeren Sinn handelt
es sich beim opportunistischen Marktfokus nicht um ein Suchen, sondern eher um eine
Herstellung der Bereitschaft von M & A; es ist weniger das »aktive Jagen« als mehr ein
»lauerndes Warten«.
Darüber hinaus spielt auch eine Rolle, wie ein Unternehmen ihre Akquisitionsstrate-
gie im Markt kommuniziert und ob die Strategie bereits in ein konkretes Projekt mün-
det. Ein solches Projekt kann entweder in der aktiven Ansprache konkreter Targets oder
aber die direkte Reaktion auf ein an das Unternehmen herangetragenes Angebot zur
Übernahme eines Targets bestehen. Im Gegensatz dazu kann ein Unternehmen auch
zunächst nur seine Akquisitionsbereitschaft signalisieren, ohne direkt ein konkretes
Projekt zu starten. Es wird daher dementsprechend zwischen einer konkreten und einer
indikativen Positionierung bzw. Projektfokus unterschieden.
In ihrer Kombination ergeben sich somit vier generische Suchprozesse (vgl. Abb. 1).
Die im Folgenden skizzierten Suchstrategien schließen sich dabei nicht notwendiger-
weise gegenseitig aus. Im Gegenteil, die vorherrschende Meinung ist, dass eine erfolg-
reiche M & A-Strategie voraussetzt, dass ein potenzieller Käufer in der Lage ist, alle vier
möglichen Suchstrategien entsprechend seiner Strategie und der gegebenen Situation
einzusetzen. Die Auswahl des »richtigen« Prozesses wird durch die Gegebenheiten im
Suchraum, die Strategie des Käufers aber auch nicht zuletzt durch taktische Überlegun-
gen bestimmt.
Strategisch
Signalisierung von
Angebot
Kaufbereitschaft
Konkret Indikativ
Projektfokus/Positionierung Abb. 1: Formen des
Suchprozesses (Quelle:
Eigene Darstellung)
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2.2.2 Angebot
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2.2.3 Wunschliste
Nicht alle Übernahmeprozesse verlaufen nach einem klaren und vorhersehbaren Mus-
ter. Insbesondere die Krise der Finanzindustrie in den Jahren 2008 und 2009 hat gezeigt,
wie schnell sich auch große Akquisitionsmöglichkeiten ergeben können, die wenige Wo-
chen zuvor kaum denkbar gewesen wären. Es stellt sich die Frage, wie sich ein Käufer
für solche Marktopportunitäten positionieren kann. Voraussetzungen für eine erfolgrei-
che Anwendung dieses Suchstrategie sind einerseits die Fähigkeit, Marktentwicklungen
und mögliche Opportunitäten richtig einschätzen zu können, sowie das Vorhandensein
von effizienten und effektiven Entscheidungsstrukturen, Auswahlkriterien und M & A
Prozesserfahrung; andererseits aber auch eine klare Kommunikationsstrategie, um das
Interesse an Übernahmemöglichkeiten in strategisch relevanten Bereichen frühzeitig
und glaubwürdig signalisieren zu können.
Das Risiko dieser Suchstrategie liegt primär in der Gefahr der Übernahme unbekann-
ter Risiken aufgrund unzureichender Due Diligence. Eine Krise kann auch als Alterna-
tive den Kauf von Aktiven nach einer Insolvenz des Targets bieten, wie die Übernahme
von Teilen der Investmentbank Lehmann Brothers durch Nomura und Barclays gezeigt
hat. Allerdings sind die meisten Übernahmen weniger spektakulär als das genannte
Beispiel. Weniger öffentlichkeitswirksam aber durchaus hoch interessant waren im Zu-
sammenhang mit der Finanzkrise eine Reihe kleinerer Möglichkeiten, durch die einige
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Kandidatenspektrum
abnehmendes Kandidatenspektrum
steigendes Informationsniveau
Endauswahl
Target
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In einer ersten Phase wird anhand eines rastergestützten Screenings auf Basis eines
definierten Anforderungsprofils (vgl. Kap. 2.1) eine sog. Long List an Übernahmekan-
didaten zusammengestellt. Diese erste Suche ist eher mechanistisch und dient dazu,
anhand eindeutig definierter Kriterien aus einem zunächst großen Suchfeld, z. B. aller
Unternehmen einer Branche in einem bestimmten Zielmarkt, diejenigen herauszufil-
tern, die den groben Rasterkriterien entsprechen. Dies können Mindestgrößen oder ein
bestimmtes Produktspektrum sein. Dieses sog. First Strategic Screening erfolgt meist
über Datenbanken (z. B. Mergermarket, Bloomberg, Orbis), Firmenverzeichnisse sowie
Presse- und Medienmitteilungen und wird durch Expertengespräche mit internen sowie
externen Gruppen (wie z. B. mit Beratern, Anwälten oder Investmentbankern) unter-
stützt und ergänzt.
Während das erste Screening der schnellen Reduzierung der Kandidatenliste anhand
relativ einfacher Kriterien dient, werden in der zweiten Phase des Selektionsprozesses
die einzelnen Kandidaten der Long List individuell analysiert. Ziel dabei ist es, durch
eine gezielte Informationsbeschaffung zu jedem Unternehmen ein Kurzprofil entlang
der Dimensionen Strategie, Finanzen und Integration zu erstellen. Durch Vergleich die-
ser Profile kann eine Rangordnung der Übernahmekandidaten, erstellt werden, wobei
die vielversprechendsten Kandidaten in eine Short List aufgenommen werden. Hierfür
sind meist die strategischen Präferenzen und Prioritäten des suchenden Unternehmens
ausschlaggebend, da der Dimension Strategie in dieser Phase meist die höchste Bedeu-
tung und Gewichtung zukommt. Ist die Short List mit den potenziellen Übernahme-
kandidaten einmal erstellt, können weitere Analysearbeiten, wie erste Bewertungs- und
Integrationsüberlegungen, oder bereits einzelne Vorbereitungsarbeiten im Hinblick auf
eine spätere Sorgfaltsprüfung, vorgenommen werden. Bei der Endauswahl der Kandi-
daten ist es wichtig, dass diese mit dem Management abgestimmt werden. Eine enge
Einbindung der Entscheidungsträger in den Screening Prozess hat den großen Vorteil,
dass die Akzeptanz und Verbindlichkeit der Short List unternehmensintern erhöht wird,
dass weitere M & A-Interaktionen zwischen dem Projektmanagement und der Führungs-
etage gefestigt werden, und dass dadurch letztlich die Aktualität und die Konformität
der Akquisitionsstrategie mit der Gesamtstrategie sichergestellt werden kann.
4 Zusammenfassung
Zum Teil ist in der Praxis das Zitat zu hören, dass M & A keine exakte Management-
disziplin sei: »M & A more an art than a science«. In der Tat ist etwa der Verhandlungs-
erfolg oder die erfolgreiche Ansprache und Überzeugung des Übernahmekandidaten,
sich überhaupt auf einen solchen Prozess einzulassen, oft auch von den persönlichen
Fähigkeiten und der Erfahrung der Beteiligten abhängig. Aber ebenso wie ein Musiker
ohne Beherrschung seines Instruments kaum Erfolg haben wird, ist auch ein M & A-Pro-
zess ohne disziplinierte und professionelle Planung und Vorbereitung ein Glücksspiel.
In diesem Beitrag wurden die Kernelemente dieser Vorbereitung dargestellt:
• Eindeutige Strategie des Unternehmens und Klarheit inwiefern M & A für die Umset-
zung dieser Strategie überhaupt infrage kommt.
• Klare Vorstellung von den M & A Fähigkeiten des Unternehmens, d. h. der finanziellen
Möglichkeiten, des Risikoappetits und der Integrationsfähigkeit.
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• Vorab definierte Aufbau- und Ablauforganisation mit eindeutigen Rollen und Ent-
scheidungskompetenzen inklusive Abbruchkriterien.
• Verständnis und Beherrschung der vier generischen Suchstrategien
• Disziplin und Konsequenz in der Umsetzung.
Die Berücksichtigung dieser Kernelemente bedeutet natürlich noch lange nicht den Er-
folg von M & A, reduzieren aber bereits im Vorfeld einige der gröberen Fehler.
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312 |
Teil
* Dr. Martin Baumüller, Bereichsleiter, Geberit International AG, Rapperswil-Jona; Thomas Wirth,
COO Private Banking Northern & Eastern Europe, Credit-Suisse, Zürich.
1 Nur ca. 30–40 % aller M & A-Transaktionen schaffen Wert für den Käufer, und das nur bei einer
guten Deal-Logik und Planung, einem disziplinierten Transaktionsprozess und bei exzellenter Post
Merger Exekution.
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VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung des Unternehmenswerts | 313
Teil
und Integration verfügt, werden eher mit positiven Kursentwicklungen nach Ankündi-
gung einer Transaktion belohnt.2
Exzellente M & A-Fähigkeiten steigern jedoch nicht nur die Erfolgswahrscheinlichkeit
einer einzelnen Transaktion, sondern können auch ganz neue strategische Möglich-
keiten eröffnen. Durch das Sammeln von Erfahrungen aus vergangenen Transaktio-
nen können in Verbindung mit einem kollektiven Lernprozess signifikante, nachhal-
tige M & A-Kompetenzen und damit Wettbewerbsvorteile geschaffen werden, die für
zukünftige Transaktionen gezielt genutzt werden können. Einerseits nutzen in reifen
Industrien (z. B. Konsumgüter- oder Maschinenbauindustrie) Unternehmen wie Nestlé
oder General Electric erfolgreich die gewonnen Erkenntnisse aus vergangenen Trans-
aktionen für einzelne große Akquisitionen, um vor allem durch Konsolidierung primär
Kostensynergien zu realisieren. Andererseits sind insbesondere in Know-how intensiven
Branchen wie IT, High-Tech oder Pharma exzellente M & A-Fähigkeiten notwendig, um
erfolgreich neue Produkte und/oder Kompetenzen durch mehrere kleinere parallele
oder sequenzielle Akquisitionen zuzukaufen (z. B. Roche mit Kooperations- und Betei-
ligungsabkommen).
Der vorliegende Beitrag soll zeigen, wie M & A als strategisches Führungsinstrument
genutzt werden kann und welche Fähigkeiten ein Unternehmen benötigt, um eine er-
folgreiche Serienakquisitionsstrategie auf der Basis von verschiedenartigen parallelen
oder sequenziellen Transaktionen umsetzen zu können.
2 Dobbs 2006.
3 McKinsey & Company 2009; In der Studie wurden die für eine erfolgreiche Durchführung von
Transaktionen notwendigen institutionellen Fähigkeiten untersucht. Dazu wurden in über 50 in-
ternationalen Unternehmen in elf Ländern und in sechs Hauptbranchen (Konsumgüter, Finanz-
dienstleistungen, Telekom/High-Tech, Energie- und Rohstoffe, Pharma, Automobil) Interviews mit
Topmanagern durchgeführt; durchschnittlich über 20 Transaktionen pro Unternehmen.
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Während sich 40 % der Unternehmen durchaus bewusst sind, dass ihre M & A-Fähigkei-
ten in gewissen Bereichen nicht der Best Practice entsprechen, hat die Untersuchung auf
Defizite hingewiesen, die von den Teilnehmern nicht als solche erkannt wurden. Somit
sind die Verbesserungspotenziale bei M & A-Fähigkeiten in der Praxis erheblich größer
als gemeinhin angenommen.
4 Uhlaner/West 2008.
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VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung des Unternehmenswerts | 315
Teil
Klare strategische Zielsetzungen und definierte Wachstumsfelder, die mit einer M&A-Strategie
1
unterstützt werden können
2 Gezielter Aufbau und Entwicklung eines M& A-Teams mit notwendigen Ressourcen
Proaktive Überwachung der M& A-Pipeline und Identifikation von möglichen Kandidaten aufgrund klar
3
definierter Kriterien
Standardisierte Prozesse mit klaren Meilensteinen und Werkzeugen für eine effiziente Due Diligence
4
und Unternehmensbewertung sowie eine schnelle Exekution
Abb. 1: Sechs zentrale Erfolgsfaktoren für Serienakquisitionen (Quelle: McKinsey & Company)
ein Werkzeug ist, um strategische Lücken zu füllen (z. B. Diversifikation des Portfolios
oder geographische Expansion). Eine Führungskraft einer Konsumgüterfirma bringt
dies folgendermaßen zum Ausdruck: »Wenn unsere Unternehmensstrategie einmal defi-
niert ist, überlegen wir uns, welche organischen und anorganischen (M & A) Möglichkeiten
wir haben, um diese Strategie umzusetzen. Wir fischen nicht bloß nach guten Übernah-
mekandidaten, sondern wir nutzen M & A bewusst als Instrument, um unsere Strategie
umzusetzen«. Darüber hinaus tätigen erfolgreiche Käufer keine Akquisitionen, lediglich
um einen Wettbewerber zu blockieren – sie setzen M & A proaktiv (und nicht reaktiv)
als strategisches Führungsinstrument ein.
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Vollzeitstellen (Full Time Equivalent, kurz: FTE) notwendig. Die Softwareabteilung von
IBM bspw. hat 2007 gleichzeitig 18 Unternehmen übernommen und integriert, was
ein entsprechend systematisches Programm und die dafür notwendigen Ressourcen
erforderte; zusätzlich zu den spezialisierten M & A-Teams waren über 100 interne und
externe Vollzeitexperten in verschiedenen Funktionen und Geographien daran beteiligt.
Dabei ist selbst bei großen Teams mit dedizierten Ressourcen die Unterstützung von
erfahrenen Linien-Managern aus den operativen Geschäftseinheiten unverzichtbar. Bei
General Electric zum Beispiel müssen die betroffenen Geschäftsbereiche jede mögliche
Transaktion aus strategischen Gesichtspunkten überprüfen und darlegen, wie die Trans-
aktion in die strategische Stoßrichtung der Einheit passt. Im weiteren Prozess über die
Verhandlung bis hin zur Integration bleibt das Management eines Geschäftsbereichs
in den Prozess maßgeblich involviert.
M&A-Team
Evaluierte Deal-Owner/
Transaktionen Integrationsmanager HR Finance
Auftrag zur
Due Diligence
•6 Monate, Senior •8 Monate, Senior •10 Monate, Senior
40 •14 Monate, Junior •6 Monate, Junior •14 Monate, Junior
Nichtbindende
Absichtserklärung
20
Bindender •12 Monate, Senior •9 Monate, Senior •9 Monate, Senior
Vertrag •28 Monate, Junior •20 Monate, Junior •8 Monate, Junior
10
Closing
Abgeschlossene Insgesamt benötigte •22 Monate, Senior •19 Monate, Senior •29 Monate, Senior
Transaktionen FTEs pro Monat •48 Monate, Junior •29 Monate, Junior •37 Monate, Junior
Abb. 2: Ressourcenbedarf zur Abwicklung von zehn Transaktionen pro Jahr (Quelle: McKinsey & Company)
Der Einbezug von erfahrenen Linien-Managern ist vor allem auch für Unternehmen
wichtig, die nur gelegentlich Transaktionen tätigen. Ein kleines Kernteam muss auf
erfahrene Manager und die volle Unterstützung des CEOs zurückgreifen können. Diese
kennen den Prozess und können aufgrund ihrer guten Vernetzung das M & A-Team mit
weiteren Stabsfunktionen (Rechtsdienst, IT, HR) und vor allem mit der Business-Seite
(Vertrieb, Produktion) verbinden. Zudem wissen sie, welche internen und externen Spe-
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VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung des Unternehmenswerts | 317
Teil
zialisten bei Bedarf hinzugezogen werden müssen. Ein solches schlankes Setup kann
kleinen Teams zusätzliche Agilität und Flexibilität verleihen.
Standardisierte Prozesse für eine effiziente Due Diligence und Unternehmensbewertung sowie
schnelle Exekution einer Transaktion
Der vierte Erfolgsfaktor beinhaltet standardisierte Prozesse mit klaren Meilensteinen
und Werkzeugen für eine effiziente Due Diligence und Unternehmensbewertung sowie
eine schnelle Exekution einer Transaktion mit kurzer Anlauf- und Durchführungszeit.
Unternehmen, die mehrere Transaktionen durchführen, brauchen einen klar definier-
ten »Stage Gate«-Prozess, um die richtigen Entscheidungen zur rechten Zeit treffen zu
können und alle notwendigen Schritte in der vorgegebenen Zeit durchzuführen (zumal
der Zeitplan oft vom Verkäufer vorgegeben wird). Jeder Fehltritt im Transaktionsprozess
birgt das Risiko, dass sich der Übernahmekandidat von der Transaktion zurückzieht
oder ein exklusiver Prozess zu einem kompetitiven Bieterwettbewerb wird. Ein effekti-
ver »Stage Gate«-Prozess besteht typischerweise aus drei Hauptphasen, an deren Ende
jeweils wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen (vgl. Abb. 3):
1. Bei der ersten Phase, dem Screening, geht es um die Beurteilung des »strategischen
Fit« einer Transaktion. Für die identifizierten Übernahmeobjekte wird vom Business
Development- oder M & A-Team »outside-in« geprüft, inwiefern sie einen Beitrag zur
Unternehmensstrategie des Käufers leisten, wie hoch ihr intrinsischer Wert ist und
wie attraktiv aufgrund weiterer qualitativer Kriterien die Kandidaten gegeneinander
abschneiden. Bereits jetzt müssen kritische Punkte wie Fragen für die Due Diligence
sowie mögliche Integrationsprobleme angesprochen werden.
2. In der zweiten Phase, der Due Diligence, geht es darum, mögliche Risiken zu iden-
tifizieren sowie ein Preisband festzulegen. Die Resultate einer vorläufigen Due Dili-
gence (inkl. limitiertem Datenaustausch und ersten Managementgesprächen) spielen
eine wichtige Rolle, um ein besseres Verständnis zu bekommen, wie das Objekt in
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Der Ablauf jeder Phase sollte auf die spezifische Transaktion zugeschnitten werden.
Kleinere R & D-Deals müssen nicht unbedingt einen umfassenden Prozess mit Einbezug
des Verwaltungs- oder Aufsichtsrates durchlaufen, sondern können unter Umständen
direkt durch das Management eines Geschäftsbereichs entschieden werden. Für größere
Übernahmen mit entsprechenden rechtlichen Implikationen hingegen ist eine umfas-
sende Prüfung notwendig.
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VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung des Unternehmenswerts | 319
Teil
Abb. 4: Anpassung von Transaktions- und Integrationsprozess an Transaktionsrationale (Quelle: Bower 2001)
5 Die 39 zwischen 2002 und 2005 übernommenen Unternehmen mit einem Wert unter 500 Mio. US-$
haben ihren direkten Umsatz innerhalb von zwei Jahren verdoppelt.
6 Fubini et al. 2006.
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Strategie
Organisation BU 1 Kontinuierliche
Verbesserung der
IT R&D …
Fähigkeiten für M& A
Instrumente
Abb. 5: M & A-Handbuch zur Institutionalisierung von M & A-Fähigkeiten (Quelle: McKinsey & Company)
4 Fazit
Der Markt für Unternehmensakquisitionen und -zusammenschlüsse unterliegt typi-
scherweise Zyklen, die mit der Wirtschaftslage einhergehen; auf einen starken wirt-
schaftlichen Abschwung folgt normalerweise mit einer Verzögerung von ein paar
Jahren ein Anstieg der M & A-Aktivitäten, was zu einschneidenden Veränderungen in
vielen Industrien führen kann. Unternehmen in M & A-affinen Industrien (insbesondere
Pharma, IT, High-Tech, Konsumgüter) mit einer starken operativen Basis sowie einer
gesunden Kapitalstruktur sind in einer ausgezeichneten Position, um gezielt Akquisi-
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VII. Serienakquisitionen als strategischer Hebel zur Steigerung des Unternehmenswerts | 321
Teil
tionen zu tätigen und von der etwas geringeren Käuferkonkurrenz zu profitieren. Die
Fähigkeit, mehrere Transaktionen parallel bzw. sequenziell durchzuführen, ist für diese
Unternehmen neben organischem Wachstum zentral, um ihre Unternehmensstrategie
gezielt umzusetzen.
Für eine erfolgreiche Serienakquisitionsstrategie müssen sechs Elemente berücksich-
tigt werden: (1) eine klar definierte Unternehmensstrategie mit qualitativen und quanti-
tativen Zielen und Wertetreibern, (2) der gezielte Aufbau eines M & A-Teams mit entspre-
chenden Ressourcen und Fähigkeiten, (3) eine proaktive Identifikation und Selektion
von möglichen Transaktionsobjekten, (4) ein klarer, effizienter »Stage Gate«-Prozess, (5)
ein hohes Bewusstsein für transaktionsspezifische Faktoren und (6) vor allem die kon-
tinuierliche Weiterentwicklung und Institutionalisierung von gesammelten Erfahrungen
und entwickelten M & A-Fähigkeiten. Unternehmen – unabhängig der Größe – sollten
vermehrt darauf hinarbeiten, das erlernte Transaktionswissen zu sammeln und für
zukünftige Fusionen und Akquisitionen zu nutzen.
Die in diesem Beitrag beschriebenen Fähigkeiten können aufgebaut werden, indem
M & A bewusst als Teil der Unternehmensstrategie verstanden wird und die entsprechen-
de Verantwortung in der Geschäftsleitung geschaffen wird. Zugleich muss ein Manage-
mentprozess für die M & A-Funktion geschaffen und gezielt einige M & A-Spezialisten
rekrutiert werden, die über ausgewiesene Kompetenzen und Erfahrungen verfügen und
die Fähigkeit besitzen, Manager aus der Linie in den Transaktionsprozess zu integrie-
ren.
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Bayer-Schering-Übernahme: Nachhaltige
Wertschöpfung mittels einer erprobten
Vorgehensweise bei der Integration
Bernd Marschmann/Alexander Moscho*
Die Übernahme von Schering war für Bayer ein wichtiger Meilenstein in der langjähri-
gen Firmengeschichte. Rückblickend gelang es Bayer mit der Übernahme der Schering
AG, erneut in die Riege der weltweit führenden Spezialpharmaunternehmen aufzu-
rücken. Darüber hinaus war die Transaktion bemerkenswert, weil sich entgegen be-
kannter Statistiken an eine spektakuläre Übernahme auch eine erfolgreiche Integration
anschloss. Die Vorgehensweise bei der Integration hatte Bayer bereits vor der Sche-
ring-Übernahme erprobt, und sie wurde auch bei den nachfolgenden Transaktionen
eingesetzt. Daher blicken wir nachstehend auf die Schering-Transaktion zurück und
beschreiben die wesentlichen Erfolgsfaktoren bei der Integration.
* Bernd Marschmann, Leiter des Integrationsbüros von 2006 bis 2008 – aktuell Einkaufsleiter der
Bayer Technology Services GmbH, Leverkusen; Dr. Alexander Moscho, Leiter Geschäftsfeld Business
Consulting. Bayer Business Services GmbH von 2006 bis 2010 – aktuell CEO Bayer UK/Ireland sowie
Leiter der Pharmasparte UK.
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mageschäfts am Konzernumsatz von 2005 bis 2008 wurde der Schwerpunkt des Kon-
zerns weiter in Richtung der Gesundheitssparte verschoben. Diese Veränderung wurde
– in Kombination mit der 2004 erfolgten Akquisition des Consumer Care-Geschäftes
von Roche – von vielen Analysten als »transformierend« wahrgenommen und führte zu
einer signifikanten Anpassung der Bewertung des Bayer Konzerns. Von der resultieren-
den Anhebung des Multiples von ca. 15 (Januar bis März 2006) auf ca. 25 (November
bis Dezember 2006) profitierte das Gesamtunternehmen und mit ihm seine Aktionäre.
Über diese finanzmarktrelevante, »positive Begleiterscheinung« hinaus wurden je-
doch auch die in Höhe von 700 Mio. EUR angekündigten Synergien schneller und um-
fangreicher realisiert, als bei der Übernahme angekündigt: bis Anfang 2010 konnte
Bayer Pharma mehr als 800 Mio. EUR erreichen, davon etwa 80 % bereits in 2008. Be-
standteil der Synergien war die konsequente Streichung redundanter Positionen, insbe-
sondere in der Verwaltung und den Unterstützungsfunktionen. Weitere Potenzialfelder
lagen – kurzfristig – im Einkauf sowie in der eher langfristig wirkenden Anpassung der
Infrastrukturen in den Ländern und der Verschlankung des Produktionsnetzwerkes.
Im über die Nachhaltigkeit entscheidenden R & D-Bereich profitiert Bayer Pharma
ebenfalls spürbar von der neuen Größe: Mit einem gebündelten Budget von jährlich 1,5
Mrd. EUR stehen den Forschern heute ausreichende Mittel zur Verfügung, um mit der
weltweiten Konkurrenz mithalten zu können.
Parallel konnten auch auf der Erlösseite Synergien in Form von Umsatzsteigerungen
realisiert werden. Durch die konsequente Zusammenführung der Vertriebsorganisatio-
nen in den Ländern wurden rund um den Globus, insbesondere in den sog. BRIC-Län-
dern, die kritische Masse übersprungen und damit Skaleneffekte realisiert. Als promi-
nentestes Beispiel kann China angeführt werden: Alleine 2007 stieg der Umsatz von
Bayer Pharma in dieser Region um 43 %, und das Unternehmen gilt als Marktführer im
Gesundheitsmarkt. Gleichzeitig sind die aus der Integration gestärkt hervorgegangenen
Vertriebsorganisationen schneller in der Lage, die Produktinnovationen in Form von
Produktneueinführungen in die Märkte zu tragen.
Zusammengenommen schlagen sich diese Integrationseffekte sichtbar sowohl in ei-
ner signifikant gestiegenen EBITDA-Marge von ca. 28 % von Bayer Pharma nieder als
auch im Beitrag dieses Teilbereichs zur Entschuldung des Gesamtkonzerns. Letztere
konnte, insbesondere durch die starke Performance der Gesundheitssparte, von 17,5
Mrd. EUR Ende 2006 auf ca. 10 Mrd. EUR im Frühjahr 2010 reduziert werden.
Letztendlich sind für eine erfolgreiche Integration jedoch nicht nur quantitativ mess-
bare Synergien entscheidend, sondern auch qualitative, insbesondere kulturelle. Dem
integrierten Unternehmen Bayer Pharma wird heute eine deutlich schnellere und in-
ternationalere Kultur nachgesagt, als vor dem Merger. Dies basiert auf der nahezu
ausgeglichen Auswahl von Führungskräften mit 53 % von Schering und 47 % von Bay-
er als auch auf dem Aufbau einer eigenen Identität von Bayer Pharma innerhalb des
Bayer-Konzerns.
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Literatur
Courth, L./Marschmann, B./Kaemper, M./Moscho, A. (2008): Spannungsfeld zwischen Geschwindig-
keit und Best-in-Class-Ansätzen – PMI am Beispiel der Bayer-Schering-Übernahme. In: M & A REVIEW,
19. Jg., Nr. 1, 2008, S. 8–14.
Wenning, W. (2008): Sind bei Schering-Integration voll im Plan. Reuters, 22.02.2008.
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| 325
Teil
1 Einleitung
2 Werttreiberbasierte Finanzplanung
2.1 Identifizierung von Werttreibern
2.2 Leistungswirtschaftliche Werttreiber
2.3 Finanzwirtschaftliche Werttreiber
3 Cash Conversion Cycle als wertorientierte Zielkennzahl
4 Business Intelligence im Kontext der Unternehmensplanung
4.1 Technische Dimension
4.2 Organisatorische Dimension
4.3 Inhaltliche Dimension
5 Fazit
1 Einleitung
Der außergewöhnliche Koordinationsbedarf im Rahmen einer Post Merger Integrati-
on macht ein effizientes und zielorientiertes Controlling zur Führungsunterstützung
erforderlich. Dabei steht die Ableitung eines unternehmerischen Oberziels in einem
untrennbaren Zusammenhang mit den Interessen der Anspruchsgruppen der Unterneh-
mung. Bei der prospektiven Unternehmens- und Strategiebewertung ist die Discounted-
Cashflow-Methode (DCF) am weitesten verbreitet. 80 % der CDAX-Unternehmen nutzen
diesen Ansatz für eine wertorientierte Unternehmensbewertung.1
Der vorliegende Artikel beschreibt, wie das Controlling-Instrument der Integrierten
Finanzplanung dabei unterstützen kann, den betriebswirtschaftlichen Integrationser-
folg sicherzustellen. Drei zentrale Thesen bilden den Analyserahmen:
1. Die Integration beginnt nicht erst zum Zeitpunkt des Closings. Die Basis für eine
erfolgreiche Transaktion wird bereits während der Financial Due Diligence durch
eine realitätsnahe Bewertung des Akquisitionsobjekts geschaffen.
2. Der Erfolg des Geschäftsmodells wird durch wenige Werttreiber bestimmt. Die Iden-
tifikation und Kommunikation operativer Stellhebel erhöht das Verständnis über
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2 Werttreiberbasierte Finanzplanung
2.1 Identifizierung von Werttreibern
Nach Gebhardt/Mansch stellen Werttreiber »grundlegende Ansatzpunkte zur Verbes-
serung des Unternehmenswertes« dar.5 Im Fokus stehen Prozesse, die maßgeblichen
Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben.6 Dabei gilt die Entscheidungsrelevanz als
zentrale Anforderung bei der Identifikation bestimmter Werttreiber, woraus sich ein
strenger Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen dem Unternehmenswert und
den wertsteigernden Einzelmaßnahmen ergibt.7 Der Unternehmenswert kann als Er-
gebnis leistungs- und finanzwirtschaftlicher Strategien interpretiert und entsprechend
systematisiert werden. Leistungswirtschaftliche Werttreiber zielen dabei auf eine Opti-
mierung der laufenden Geschäftsprozesse des Übernahmeobjekts ab. Hingegen setzen
finanzwirtschaftliche Werttreiber bei der Finanzierungsstruktur an.8
Anlagenintensität
Investitionstätigkeit + Einzahlungen aus Desinvestitionen Sale-and-Lease-Back
Finanzwirtschaftliche Kapitalkosten Finanzierungsstruktur
Verschuldungsgrad,
Werttreiber (WACC) Verschuldungspolitik (I)
Eigenkapitalquote
Alternative Finanzinstrumente (II)
Erklärungen:
Spalte E: Einzelmaßnahmen in Anlehnung an HOFMANN ET AL. (2007).
Spalte F: positiv/negativ = signifikant positive/negative Korrelation nach Pearson und Spearman zwischen dem Operativen Cashflow und den Komponenten in Spalte E nach HOMBURG/WREDE (2007), S. 888.
* Nach Sondereffekten aus der Transaktion (Restrukturierungskosten, insb. Beratungsaufwand)
VIII. Werttreiberbasierte Finanzplanung im Rahmen der Unternehmenstransaktion |
ment als Stellhebel zur Steigerung der Kapitaleffizienz: Stand und neuere Entwicklungen, in: Cont-
9 Vgl. Hofmann/Sasse/Hauser/Balzer (2007): Investitions-, Finanz- und Working Capital Manage-
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Teil
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(2) Kostenstruktur
Im Rahmen der Budgetplanung wird in der Praxis häufig viel Zeit damit verbracht, die
voraussichtlichen Kosten abzuschätzen. Vor dem Hintergrund der Entscheidungsrele-
vanz und der Forderung nach Wesentlichkeit und Einfachheit ist die Ausrichtung der
Planung an der Kostenstruktur dagegen wichtiger als eine Scheingenauigkeit und ein
hoher Detailgrad. Die Kostenstruktur ergibt sich aus dem individuellen Geschäftsmodell
des Unternehmens.12 Dabei zeigt sich, dass bereits zehn bis zwölf Kostenarten 90 % der
Gesamtkosten determinieren.13 Im M & A-Kontext stellt die Analyse der Kostenstruk-
tur eine wesentliche Funktion dar, um die Werttreiber und Risiken des Geschäfts des
Targets zu identifizieren.14 Um die Fristigkeit realisierbarer Ergebnisverbesserungen
und Synergiepotenziale transparent zu machen, empfiehlt sich eine Differenzierung der
Kostenarten nach variablen Einzelkosten und fixen Gemeinkosten.
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Bilanz
Anlagevermögen Eigenkapital
Abb. 2: Net Working Capital (Quelle: Eigene Darstellung nach Hofmann/Maucher/Piesker/Richter, 2011)
Besondere Bedeutung wird in der Praxis einer nachhaltigen Reduzierung der Forde-
rungen aus Lieferungen und Leistungen sowie Vorräten beigemessen. Außenstehende
Forderungen stellen für das Unternehmen »eingefrorene Liquidität«17 dar, die temporär
nicht zum Wirtschaften zur Verfügung steht und zwischenfinanziert werden muss. Wei-
teres Optimierungspotenzial liegt in einer Reduzierung der Vorräte. Variantenvielfalt und
Produktkomplexität sind häufig die Ursache für hohe Lagerbestände und das Ergebnis
gewachsener Kundenanforderungen. Hervorzuheben ist, dass die Optimierung des Wor-
king Capital sowohl für Finanzinvestoren als auch für strategische Investoren gleicher-
maßen Ansatzpunkte zur Optimierung des operativen Cashflows des Targets darstellen.
15 Vgl. Eitelwein/Wohlthat, Steuerung des Working Capital im Supply Chain Management über die
Cash-to-Cash Cycle Time, Controlling & Management, 2005, S. 416.
16 Vgl. Hofmann/Maucher/Piesker/Richter, Wege aus der Working Capital-Falle, 2011, S. 17.
17 Vgl. Hofmann/Sasse/Hauser/Baltzer, Investitions-, Finanz- und Working Capital Management als
Stellhebel zur Steigerung der Kapitaleffizienz: Stand und neuere Entwicklungen, in: Controlling &
Management, 2007, S.160.
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DIH = DSO =
(Vorräte/Umsatzkosten) x 365 (Forderungen aus L&L/Umsatz) x
365
DPO =
CCC = DIO + DSO ./. DPO
(Verbindlichkeiten aus L&L/
(Dauer der Kapitalbindung)
Umsatzkosten) x 365
Zahlungs- Zahlungs-
ausgang eingang
Abb. 3: Prototypische Berechnungslogik des CCC für ein Industrieunternehmen (Quelle: Eigene Darstellung
in Anlehnung an Alexandre/Sasse/Weber, 200421)
20 Vgl. Alexandre/Sasse/Weber, Steigerung der Kapitaleffizienz durch Investitions- und Working Ca-
pital Management, Controlling & Management, 2004, S. 126.
21 Vgl. Supply Chain Council, Supply Chain Operations Reference Model: SCOR 7.0, 2005, S. 314.
22 Vgl. Losbichler/Rothböck, Der Cash-to-cash Cycle als Werttreiber im SCM – Ergebnisse einer euro-
päischen Studie, in: Controlling & Management, 52. Jg., Nr. 1, S. 49 sowie die in Abb. 1 beschriebe-
nen Maßnahmen.
23 Vgl. Eitelwein/Wohlthat, Steuerung des Working Capital im Supply Chain Management über die
Cash-to-Cash Cycle Time, in: Controlling & Management, 49. Jg., Nr. 6, S. 417.
24 Vgl. www.relconsultancy.com/working-capital/REL2012-Europe-Working-Capital-Survey.pdf (Ab-
ruf vom 14.05.2013), S. 5 f.
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Technische BI-Dimension
+ Vermeidung einer redundanten Datenhaltung
+ (Teil-)automatisierte Anbindung an Vorsysteme
+ Erhöhung der Datensicherheit
+ Performanceverbesserung im Umgang mit großen Datenmengen
+ Multi-User-Umfeld ermöglicht simultanes Arbeiten auf gleichem Datenbestand
+ Berechtigungskonzepte steuern Zugriff der Anwender
Organisatorische BI-Dimension
+ Einheitliches Kommunikationsmedium
+ Transparenz über die betrieblichen Wirkungszusammenhänge
+ Operationalisierung des unternehmersichen Oberziels
Inhaltliche BI-Dimension
+ Vordefinierte betriebswirtschaftliche Logiken durch Business Content Abb. 4: Zielkatalog
+ ABC-Analysen, Soll-/Ist-Abweichungsanalysen von BI-Anwendungen
+ Simulation, Sensitivitäten, Szenarien (Worst-, Best-, Base-Case) im Segment
+ Top-down-, Bottom-up- und Gegenstrom-Planung der Integrierten
+ Rollierender Forecast Finanzplanung (Quelle:
+ Standard- und Ad-hoc Reporting Eigene Darstellung)
25 Ebenda.
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5 Fazit
Die Integrierte Finanzplanung eignet sich als phasenverbindendes und wertorientiertes
Controlling-Instrument, um den Erfolg einer Transaktion nachhaltig zu steigern. Drei
eingangs aufgestellte Thesen liefern hierbei den Argumentationsrahmen:
1: Integration beginnt nicht erst zum Zeitpunkt des Closings. Die Grundlage eines soliden
Businessplans liegt in der Planung selbst. Nach empirischen Untersuchungen planen 91 %
der Unternehmen die GuV, 60 % die Kapitalflussrechnung und nur 45 % auch ihre Bilanz.29
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Vor dem Hintergrund einer sich derivativ ermittelnden Cashflow-Rechnung klingt die-
se Auswertung nach einem Widerspruch in sich. Sie bringt allerdings das Problem
auf den Punkt: Die Komplexität einer integrierten Finanzplanung scheint nur Beratern
zugänglich. Dabei haben sich ausgewählte Softwarehäuser aus dem anwendungsorien-
tierten BI-Umfeld auf die Integrierte Finanzplanung spezialisiert. Sie liefern nicht nur
vormodellierte GuV-, Bilanz- und Cashflow-Strukturen, sondern auch vorgedachte be-
triebswirtschaftliche Planungslogiken (Business Content). Im M & A-Kontext trägt diese
Entwicklung zu einer Standardisierung im Planungsprozess bei und hilft, die Fehleran-
fälligkeit der Excel-basierten Finanzplanung zu vermeiden.
2: Der Erfolg des Geschäftsmodells wird durch wenige Werttreiber bestimmt. Der Detaillie-
rungsgrad der Erfolgsplanung hat über die letzten Jahre immer weiter zugenommen. Diese
Scheingenauigkeit nimmt bei den jährlichen Budgetplanungen einen Zeitbedarf ein, der im
M & A-Kontext nicht zur Verfügung steht. Ziel ist eine deutliche Komplexitätsreduktion in
der Planung und Fokussierung auf die zentralen Stellhebel des Geschäftsmodells.30 Diese
leistungs- und finanzwirtschaftlichen Werttreiber wirken unmittelbar auf die Höhe des Un-
ternehmenswertes. Das Kriterium der Entscheidungsrelevanz ist die zentrale Anforderung
an die Identifikation planungsrelevanter Werttreiber. Erfolgsseitig wurde die Bedeutung der
Umsatzplanung herausgestellt. Die Werttreiber innerhalb der Kostenstruktur sind hingegen
branchen- und geschäftsmodellabhängig. Eine Sensitivitätsanalyse liefert Aufschluss zu ih-
rem Wertbeitrag. Hinsichtlich der Bestrebungen zur Gemeinkostenreduktion nach Closing
empfiehlt sich eine Differenzierung nach umsatzproportionalen und (sprung-)fixen Kosten-
bestandteilen. Erfolgs- und Liquiditätssteuerung dürfen im Rahmen einer ganzheitlichen
Unternehmensplanung nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Dies zeigen die Aus-
führungen zum aktiven Working Capital Management. Hohe Forderungs- und Vorratsbe-
stände stellen für das Unternehmen »eingefrorene Liquidität«31 dar, mit der bei Freiwerden
Wertsteigerungsstrategien aus der reinen Innenfinanzierungskraft getragen werden können.
3: Die Integrierte Finanzplanung stellt ein phasenverbindendes Controlling-Instrument
zur Planung, Steuerung und Kontrolle der Transaktion dar. Der Ansatz der Integrierten
Finanzplanung verbindet durch seine sachliche, zeitliche und organisatorische Verzah-
nung die einzelnen Phasen einer Unternehmenstransaktion. Mit einem einheitlichen
Medium sprechen die Mitarbeiter eine gemeinsame Sprache, was die Planabstimmung
zwischen dem strategischen Management und den operativen Fach- und Führungskräf-
ten vereinfacht. Der Einsatz von BI-Software mit vordefinierten Logiken gewährleis-
tet zudem Flexibilität in der Projektskalierung, Standardisierung im Vorgehen, kurze
Implementierungszeiten sowie Konsistenz in der Datenhaltung und sorgt damit für
Vertrauen in die Validität der Finanzplanung gegenüber internen und externen Adressa-
ten. Die frühzeitige Implementierung als Führungs-, Frühwarn- und Kontrollinstrument
ermöglicht eine Ausrichtung aller Mitarbeiter auf das – nicht nur im M & A-Kontext
entscheidende – unternehmerische Oberziel: Erfolg und Liquidität.32
30 Vgl. Günther/Schomaker, 10 Thesen für mehr Effizienz in der Planung mittelständischer Unter-
nehmen, in: Controlling & Management, S3, S. 21; Rieg/Gleich/Schentler, Der Kern der Planung,
CFOaktuell, 2009, S. 250.
31 Vgl. Hofmann/Sasse/Hauser/Baltzer, Investitions-, Finanz- und Working Capital Management als
Stellhebel zur Steigerung der Kapitaleffizienz: Stand und neuere Entwicklungen, in: Controlling &
Management, S. 160.
32 Vgl. Krützfeldt, Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung als Instrument der Prognose
und Simulation, in: Freidank, Controlling und Rechnungslegung, 2008, S. 73.
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| 335
Teil
1 Einführung
2 Hybride Finanzierungen: »Bridging the Gap«
2.1 Definition und Hauptmerkmale
2.2 Hybride Finanzierungsinstrumente im Überblick
2.3 Wesentliche Zielsetzungen der Kapitalnehmer
2.4 Risiken bei der Nutzung von Hybridkapital
3 Bedeutung von Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen
4 Aktueller Marktüberblick
4.1 Marktentwicklung in Europa
4.2 Marktentwicklung in Deutschland
4.3 Weitere Entwicklung
5 Exkurs: »Loan-to-own«
6 Fazit
1 Einführung
Hybridkapital, eine Zwischenform aus Eigen- und Fremdkapital, galt lange Zeit als eine
der innovativsten und aufstrebensten Formen der Unternehmensfinanzierung. Bis zur
Finanzkrise im Jahre 2007 wurde Hybridkapital von immer mehr – zum Schluss auch
mittelständischen – deutschen Unternehmen zur Finanzierung verschiedenster Zwecke
genutzt. Gleichzeitig fanden sich auf der Suche nach Rendite mehr und mehr institutio-
nelle aber auch private Investoren, die bereit waren, Hybridkapital zu begeben.
Wenngleich sich der Markt um Hybridkapital wieder etwas beruhigt hat, ist der gro-
ße Hype (vorerst) zu Ende.1 So ist insbesondere das Angebot an sog. »Programm-Mez-
zanine«2 komplett zum Erliegen gekommen. Im Jahr 2014 waren die letzten Mezzani-
ne-Programme ausgelaufen, meist verbunden mit erheblichen Ausfällen für die Anleger.
Die schwache Performance der Programme hat dazu beigetragen, dass an eine Neuauf-
lage – trotz des positiven Finanzierungsumfeldes – derzeit nicht zu denken ist.3
* Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel »Hybridkapital im Rahmen von M & A-Transaktionen – ein
Nachruf« (M & A REVIEW 2/2012, S. 57–65).
** Dr. Thomas C. Sittel, Partner, goetzpartners, München.
1 Vgl. Dentz 2014; vgl. auch Fleischhauer/Unser 2013.
2 Im Rahmen von Programm-Mezzanine wurden seit 2004 standardisierte Mezzanine-Forderungen
gebündelt und am Kapitalmarkt verbrieft. Käufer waren sowohl institutionelle als auch private In-
vestoren.
3 Vgl. Dentz 2014.
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Im Rahmen dieses Beitrags wird ein weiterer wesentlicher Aspekt beleuchtet: Denn
Hybridkapital wurde auch und gerade als Finanzierungsbaustein im Rahmen von
M & A-Transaktionen – nicht nur bei sog. »Leveraged Buyouts« (LBOs)4 – als Akquisiti-
onswährung eingesetzt. Es stellt sich daher die Frage: Ist auch dieses Thema tot? Nach-
folgend wird zunächst ein Überblick über die wesentlichen hybriden Finanzierungsin-
strumente gegeben, bevor deren Einsatzmöglichkeiten und Bedeutung im Rahmen von
M & A-Transaktionen sowie aktuelle Trends dargestellt werden.
Finanzierungsarten
Innenfinanzierung Außenfinanzierung
Eigenkapital
Mittel aus Geschäftstätigkeit
Cash-Flow
Hybridkapital
4 Leveraged Buyouts sind Akquisitionen eines Unternehmens unter Einbezug eines großen Anteils
an Fremdkapital zur Begleichung des Kaufpreises. Durch den geringen Einsatz von Eigenmitteln
lässt sich eine hohe Eigenkapitalrentabilität erzielen, solange die Gesamtrentabilität höher ist als
die Fremdkapitalzinsen. Bei LBOs wird typischerweise eine Kombination verschiedener Finanzie-
rungsinstrumente genutzt. Vgl. etwa Deutsche Bundesbank 2007.
5 Vgl. etwa Broda/Krings 2002.
6 Vgl. etwa Credit Suisse Economic Research 2006.
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Mit Blick auf einzelne Parameter ist Hybridkapital zwischen klassischem Eigen- und
Fremdkapital anzusiedeln (vgl. Abb. 2):13 Im Gegensatz zu Fremdkapital sieht Hyb-
ridkapital entweder gar keine oder eine lediglich nachrangige Besicherung vor. Die
Laufzeit beträgt in der Regel fünf bis acht Jahre und bewegt sich daher üblicherweise
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zwischen dem unbefristeten Eigenkapital sowie dem meist auf ein bis fünf Jahre ge-
währten Fremdkapital. Die Tilgung von Hybridkapital kann sehr flexibel gestaltet wer-
den. Während bei klassischem Fremdkapital eine regelmäßige Tilgung üblich ist, wird
Hybridkapital meist mit Endfälligkeit getilgt.
Ein weiterer entscheidender Unterschied liegt auch in der steuerlichen Behandlung
der zu zahlenden »Vergütung«. Trotz seiner Eigenkapitalkomponenten werden Zinszah-
lungen an Hybridkapitalgeber in der Regel nicht als Gewinnausschüttungen angesehen,
sondern mindern als Zinsaufwand den Gewinn. Typischerweise liegt die Rendite von
Hybridkapital auch zwischen der erwarteten Eigen- und Fremdkapitalrendite und kann
daher – je nach konkreter Ausgestaltung – zwischen 8 % und 25 % liegen. Hybridkapital
vereint somit Eigenschaften von Eigen- und Fremdkapital.
Klass. Eigenkapital
Vorzugsaktien
Options-/Wandelanleihe
Genussrechte
Rendite
Partiarisches Darlehen
Stille Beteiligung
Nachrangdarlehen
Klass. Fremdkapital
Risiko
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Die praktische Relevanz der einzelnen Instrumente hängt in erster Linie von der Unter-
nehmensgröße des Mezzanine-Nehmers ab. Generell lässt sich jedoch festhalten, dass
stille Beteiligungen, Nachrangdarlehen sowie Genussrechte in der Praxis die größte
Bedeutung haben.16
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Bilanzoptimierung
Erhöhung EK Eigentümerwechsel
Verbesserung Finanzprofil/
Verbesserung Rating ohne abgeleiteter Akquisitionswährung bei
Verwässerung der Finanzkennzahlen Fusionen, Übernahmen,
Anteilseigner MBOs etc.
Steuervorteile Investitionen
Abzugsfähigkeit von Flexibles Instrument für
Zinszahlungen trotz Hybridkapital risikoreichere Investitionen
Eigenkapitalcharakter
Kostenoptimierung Risikostreuung
Optimierung der Motivation Diversifikation der
Kapitalkosten und Cash-flow Finanzierungsquellen und
(→ WACC) Erfolgsabhängige -fälligkeiten
Management-/Mitarbeiter-
Incentivierung
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der Praxis meist dazu geführt hat, dass der Cash-out durch eine endfällige Tilgung
auf den spätestmöglichen Zeitpunkt hinausgeschoben wurde.
3. Finanzierung von M & A-Transaktionen: Schließlich wird Hybridkapital auch mit der
Zielsetzung aufgenommen, die neuen Finanzierungsmittel als Akquisitionswährung
im Rahmen von M & A-Transaktionen zu verwenden. Insbesondere bei Leveraged
Buyouts (LBOs) steht dabei meist die Erhöhung der sog. »Internal Rate of Return«
(IRR)22 durch Optimierung der Kapitalkosten im Vordergrund.
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Wachstumsfinanzierung 61%
Nachfolgefinanzierung 12%
Frühphase 8%
Innovation 8%
MBO/LBO 7%
Rekapitalisierung 4%
Diesbezüglich lässt sich feststellen,28 dass die Nutzung hybriden Kapitals im Rahmen
von M & A-Transaktionen zunächst stark mit der jeweiligen Unternehmens- bzw. Trans-
aktionsgröße korreliert. Je größer die Transaktion, desto stärker kommt auch Hybrid-
kapital zum Einsatz. Gleichzeitig wird das Instrument von Finanzinvestoren deutlich
öfter genutzt als von Strategen (vgl. Abb. 6).
Spezialisierte
Mid Cap Meist klassische Finanzierung
Mezzanine-Fonds
Wenig Relevanz,
Small Cap Keine Relevanz
kaum Angebot
28 Eigene Analyse aus der Betrachtung von Unternehmenstransaktionen sowie deren Finanzierungs-
struktur in den Jahren 2008–2011.
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4 Aktueller Marktüberblick
Das Finanzierungsumfeld für Unternehmen und Unternehmenstransaktionen hat sich
seit der Finanzkrise signifikant verändert.
29 Die durchschnittliche Größe der Mezzanine-Tranche lag bei Programm-Mezzanine bei rund 7 Mio.
EUR. Vgl. Hommel/Schneider/Nohtse 2010.
30 Bei privaten und öffentlichen Platzierungen wird ein Mindestvolumen von 10 bzw. 50 Mio. EUR
als Untergrenze angenommen. Auf internationaler Ebene dürfte die Grenze bei etwa 150 Mio. EUR
Emissionsvolumen liegen. Vgl. hierzu etwa Piaskowski/Kaczmarczyk 2008.
31 Die Bandbreite bei individuellen Mezzanine-Finanzierungen ist sehr hoch. Mikro-Tranchen fangen
durchaus im Bereich von rund 5.000 EUR an. Das obere Ende der Spannweite dürfe bei rund 50 Mio.
EUR liegen. Vgl. hierzu auch Fleischhauer/Unser 2013.
32 Vgl. Bollen 2015.
33 Vgl. Bollen 2015.
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100 %
83 %
85 %
Senior 90 %
93 %
95 % 95 %
97 %
99 % 99 %
17 %
15 %
Mezzanine 10 %
7%
5% 4% 1%
Unitranche 1% 0% 2% 0%
0% 0% 0% 0% 0% 1% 1%
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gestellt. Davon ging mit rund 3,7 Mrd. EUR der weit überwiegende Teil an über 530
deutsche Unternehmen.37
Demgegenüber konnte Individual-Mezzanine bis 2009 einen kontinuierlichen An-
stieg verbuchen. In 2009 betrug das Marktvolumen in Deutschland knapp 4 Mrd. EUR.
Erst im Jahr 2010 kam es zu einem rapiden Einbruch von knapp 80 % auf nur noch 0,8
Mrd. EUR. Aufgrund der anziehenden Konjunktur und einer Beruhigung des Finan-
zierungsumfelds gab es im 1. Halbjahr 2011 ein kurzes »Aufflammen«, welches jedoch
– wie die genannten Praxisbeispiele zeigen – seit den Unruhen an den Finanzmärkten
im Sommer 2011 erneut abgeflaut ist. Seither verharrt das Volumen auf einem gleich-
bleibenden Niveau. Im Jahre 2012 wurden rund 1.500 Unternehmen mit individuellem
Mezzanine finanziert.38
B
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Anbietern gehören neben den Förder- und Landesbanken die klassischen Geschäftsban-
ken sowie spezialisierte Mezzanine-Fonds.40
Die Anforderungen der Mezzanine-Geber und ihrer Investoren sind aber deutlich
angestiegen und die Vergabepraxis ist deutlich restriktiver geworden. Dies zeigt sich
auch daran, dass der Finanzierungsprozess deutlich umfangreicher und daher länger
geworden ist. Auch bei vermeintlich einfachen Fällen ist heute von einem Mindestzeit-
raum von zwei bis drei Monaten auszugehen (vgl. Abb. 9).
5 Exkurs: »Loan-to-own«
In einem anderen Zusammenhang haben hybride Finanzierungsinstrumente jedoch
auch während der Krise stark an Bedeutung gewonnen: »Loan-to-own« ist ein Prozess
bei dem Investoren notleidende Kredite (sog. »Distressed Debt«) aufkaufen, um diese in
Eigenkapital umzutauschen und so die Kontrolle über das Unternehmen zu erlangen.41
40 Eine Übersicht der Anbieter samt Konditionen ist beispielsweise unter www.mezzanine-vergleich.
de zu finden.
41 Vgl. etwa Paterson 2010.
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Die rechtliche Umsetzung geschieht meist in zwei Schritten: Zunächst erfolgt eine
vereinfachte Kapitalherabsetzung, gefolgt von einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinla-
ge.42 Prominente Beispiele sind in Deutschland etwa Conergy, Kiekert, MPC Capital,
Pfleiderer oder Schefenacker.
In den vergangenen Jahren ist diese Akquisitionsstrategie immer wichtiger gewor-
den.43 Eine Vielzahl spezialisierter Finanzinvestoren – meist Hedgefonds oder Invest-
mentbanken – haben sich auf dieses Instrument spezialisiert. Der Einsatz erfolgt meist
in Krisenzeiten und betrifft sowohl das klassische Fremdkapital als auch die Mezzan-
ine-Tranche.
Der Debt-Equity-Swap wird sich aufgrund der aktuellen Insolvenzrechtsreform
(ESUG) zunehmender Beliebtheit erfreuen: Künftig können im Rahmen des Planver-
fahrens – auch gegen den Willen der bisherigen Anteilseigner – Forderungen von Gläu-
bigern in Eigenkapital umgewandelt werden.44
6 Fazit
Hybridkapital hat sich am Markt als flexibles Instrument zur Schließung von Finan-
zierungslücken etabliert. Wenngleich die Bedeutung generell – und im speziellen im
Rahmen von M & A-Transaktionen – deutlich zurückgegangen ist, ist Hybridkapital kei-
neswegs tot. Selbst wenn der Boom samt seiner Übertreibungen aus den Jahren vor
der Finanzkrise möglicherweise nie wieder erreicht wird, hat die Beruhigung an den
Finanzmärkten das Finanzierungsumfeld bei Hybridkapital wieder leicht belebt.
Literatur
AB Kucher Investment Advisors (2010): Mezzanine Financing – DIE Alternative in der Unternehmens-
finanzierung. Verfügbar auf: http://www.finpoint.de/fileadmin/download/artikel/Mezzanine_Fi-
nancing.pdf, S. 5. Abruf: 17.09.2015.
Andersson-Lindström/Weber/Koch (2012): Vom faulen Kredit zum Solitaire in Jahrbuch 2012 Restruk-
turierung, Financial Gates 2012.
Barthold, B. (2000): Mezzanine-Finanzierung von Unternehmensübernahmen und Jungunternehmen.
Verfügbar auf: www.froriep.com/download/FR_Mezzanine_XX.pdf, S.8. Abruf: 13.09.2015.
Bollen, J. (2015): Mezzanine Finance: Mezzanine’s brief hour in the sun. Verfügbar auf: http://
www.ipe.com/investment/briefing-investment/mezzanine-finance-mezzanines-brief-hour-in-the-s
un/10007772.fullarticle. Abruf: 17.09.2015.
Brandt, D. (2004): Mezzanine Finanzierungsformen. S. 4, S. 5 f., S. 24 ff. München.
Broda, B./Krings, U. (2002): Finanzierungsmodalitäten bei M & A-Transaktionen. In: Der Schweizer
Treuhänder 10/2002, S. 877 ff.
Credit Suisse Economic Research (2006): Mezzanine Finance – Mischform mit Zukunft. In: Economic
Briefing Nr. 42, S. 5. Verfügbar auf: http://www.kmu.admin.ch/themen/00175/00196/index.htm-
l?lang=de. Abruf: 13.09.2015.
Dentz, M. (2005): Übernahme durch die Hintertür, FINANCE, Oktober 2005, S. 74.
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Teil
Ohne Zweifel stellt die Ermittlung des Wertes eines Unternehmens im Rahmen einer
M & A-Transaktion eine ganz zentrale Aufgabe dar. Dabei wiederum ist die Auswahl der
Methode der Bewertung eine wesentliche Problemstellung. Die Beurteilung in Wissen-
schaft und Praxis hinsichtlich der Bewertungs-Methodik ist in den letzten hundert und
nicht einmal in den dynamischen letzten 25 Jahren gleich geblieben.
Die wesentlichen Veränderungskreise sollen überblicksmäßig dargestellt und inso-
fern analysiert werden, ob die offenen Probleme damit reduziert werden konnten.
Vor 25 Jahren stand das Discounted Cashflow-Verfahren (DCF-Verfahren) ante por-
tas. Mit gehörigem angelsächsischen Westwind wurde an den Grundfesten der deutsch-
sprachigen Orientierung an der damals dominierenden Ertragswertmethode gerüttelt
(so spielten Mischwertverfahren oder das sog. Übergewinnverfahren, das noch starke
Elemente des Substanzwertverfahrens enthielt, Nebenrollen).
Cashflowzentrierung
So wurden von der »bewahrenden Fraktion« meist Vorbehalte hinsichtlich der finan-
zierungstheoriebasierten Ermittlung des Abzinsungssatzes und der Errechnung des
Cashflows vorgebracht, während die Anhänger des DCF-Verfahrens die Investitionsper-
spektive und damit die Cashflows in den Mittelpunkt stellten und genau den WACC als
Zinssatz als Argument für die Zurückdrängung eines subjektiven Einflusses priesen.
Begünstigt wurde die Cashfloworientierung einmal durch die zunehmende Inter-
nationalisierung von Transaktionen und damit dem Virulentwerden von den damals
vorhandenen strukturellen Unterschieden in der Rechnungslegung und folglich von
möglichen Bewertungsdifferenzen. Weiter galt in den USA seit jeher »Cash is King«,
was sich z. B. auch in einer schon damals etablierten eigenen Cashflowrechnung als
Teil des Jahresabschlusses ausdrückte; lediglich primär in der Schweiz wurde über die
Kapitalflussrechnungen im Sinne von Karl Käfer diskutiert und man war dort – zumin-
dest in der akademischen Diskussion – »cashflownäher«.
»Verwissenschaftlichung«
Die US-amerikanisch geprägte Finanzierungstheorie war zweifellos nicht flächende-
ckend (und wenn, dann mit geringem Gewicht) in den Lehrplänen der Universitäten
enthalten. Ein Ausfluss dieser zunehmenden Kapitalmarktorientierung war die vor al-
lem über das Capital Asset Pricing Modell (CAPM) starke Auseinandersetzung mit
* Der Beitrag ist eine erweiterte und ergänzte Fassung eines Aufsatzes des Autors in der M & A Review
11/2014, VI.
** Prof. Dr. Helmut Pernsteiner, Institut für betriebliche Finanzwirtschaft, Johannes Kepler Universi-
tät, Linz.
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den Abzinsungssätzen, die nun verstärkt theoretisch fundiert und besser hergeleitet
werden konnten. Das Modell ist damit die börsennotierte Aktiengesellschaft geworden;
vorher war es überwiegend in Deutschland und Österreich die kapitalmarktferne (Fa-
milien)-Gesellschaft.
Das frühere Wirrwarr von Zu- und Abschlägen bei Ermittlung der Abzinsungssätze
aufgrund der sogenannten Sekundärmarktrendite wurde von einer grundsätzlich the-
oretisch sauberen Errechnung primär aus Daten der Kapitalmärkte der Vergangenheit
abgelöst und ist damit in höherem Ausmaß nachvollziehbar. Für nicht börsennotierte
Unternehmen bleibt allerdings primär der Vergleich mit gelisteten Unternehmen (v. a.
als Peer-Group), was wiederum neue Probleme schafft und Spielräume ermöglicht.
Damit ist der dritte Punkt angesprochen:
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* Dr. Jens Kengelbach, Partner und Managing Director, The Boston Consulting Group, München;
Martin Link, Knowledge Expert Corporate Development, The Boston Consulting Group, München;
Alexander Roos, Senior Partner & Managing Director, The Boston Consulting Group, Berlin.
1 Ballwieser 2005, S. 73.
2 Baetge et al. 2004, S. 289 f.
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Diese Rendite wird weiter zerlegt. Dazu wird ein vereinfachendes Modell angewendet
(vgl. Abb. 1), um die Einflussgrößen auf den TSR zu verdeutlichen.
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Umsatzwachstum %
PE-/ EBIT-/EBITDA-
x
Wachstum
PE-/EBIT-/EBITDA-
Margenveränderung %
Kurssteigerung x Wachstumskennzahlen
(e.g. Asset-Wachstum)
Profitabilitätskennzahlen,
PE-/EBIT-/ % (e. g. Gewinnwachstum)
ƒ
EBITDA-Multiple
Kosteneffizienzkennzahlen
(e. g. Lagerumschlag)
TSR ƒ
Leverage-Kennzahlen
(e. g. Schulden/Kapital-Verhältnis)
Industriespezifische Kennzahlen
Aktienrück-
Cashflow- Beitrag ƒ
kauf % (e. g. durchschnittl. Ladengröße)
Veränderung in
Verschuldung %
und Leverage
Demnach lassen sich die beiden Komponenten des TSR, Kurssteigerung und Divi-
dendenrendite, in weitere Komponenten zerlegen: Da auf eine kapitalmarkorientierte
Bewertungssicht abgestellt wird, wird für die Zerlegung zunächst das Konzept einer
multiple-basierten Bewertung benutzt. Jedoch wird damit nicht die Ansicht vertreten,
dass ein aus dem Kapitalmarkt abgeleiteter Multiple eine an der individuellen Alterna-
tivanlage orientierte DCF-Bewertung ersetzen könnte; dieser Multiplikator wird eher im
Sinne eines auf einen Faktor verkürzten, einperiodigen und univariaten Maßstabs für
die Bewertung einer Kenngröße, ähnlich einer ewigen Rente, verstanden. Dieser Bewer-
tungsfaktor wird auf eine operative, im Idealfall möglichst Cashflow-nahe Kenngröße
des Unternehmens angewendet. Unter der Voraussetzung, dass sich intertemporal die
Einflussgrößen auf den Bewertungsmaßstab (also Risikoprofil, Nutzenfunktion und Al-
ternativanlage etc.) nicht ändern4, sind dann Veränderungen des Unternehmenswertes
ausschließlich von einer Veränderung der operativen Kenngrößen bestimmt.
Die zweite Komponente des TSR wird durch die Dividendenrendite bestimmt. Jedoch
ist der TSR (ähnlich wie der DAX als Performanceindex) auch um Veränderungen der
ausstehenden Aktien zu bereinigen.5 Daher wirken sich Kapitalerhöhungen oder -ver-
ringerungen, sowie auch eine Veränderungen des Verhältnisses zwischen Eigen- und
Fremdkapital zu Marktwerten auf den TSR aus. Obwohl TSR definitionsgemäß eine
eigenkapitalbezogene Größe ist, können (siehe Formel (3)) auch die auf den Unter-
nehmenswert (Enterprise Value) bezogenen Größen EBIT und EBITDA in das Konzept
4 Der Bewertungsmaßstab »multiple« ändert sich natürlich bei Änderung der fundamentalen Parame-
ter, ist also autokorreliert. Die Veränderung abzuschätzen, ist in der Praxis Gegenstand z. B. einer
multivariaten Regression, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen werden kann.
5 Deutsche Börse 2009, S. 11.
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einbezogen werden. Zwar können alle drei Margengrößen mathematisch ähnlich be-
handelt werden, jedoch sollte der Bewerter versuchen, praxisorientiert diejenige Marge
und denjenigen korrespondierenden Multiple heranzuziehen, die der Bewertungslogik
dieser Branche am besten gerecht wird.
Nachfolgend wird die TSR-Dekomposition beispielhaft unter Annahme eines EBIT-
DA-basierten Bewertungsmaßstabs oder Multiples hergeleitet. Ausgehend von Gleichung
(1) ergeben wenige Umformungen:
e + Div t o
MwE t Div t
e AnzA+ AnzAot
MwE t
Kurs t + DpA t t MwE t + Div t AnzA t - 1
TSR t =Kurs t + DpA t - 1 = AnzA t AnzA t - 1 =MwE t + Div t #AnzA t - 1 - 1 =
TSR t = Kurs t - 1 - 1 = MwE t - 1 -1 = MwE t - 1 # AnzA t - 1 =
Kurs t - 1 MwE t - 1 MwE t - 1 AnzA t
AnzA t - 1
AnzA t - 1
MwE t AnzA t - 1 Div t AnzA t - 1
(2)
= MwE t #AnzA t - 1
= MwE t -#1 AnzA t +
+ Div t
MwE t -#1
#AnzA t - 1
AnzA t - 1
-1
MwE t - 1 AnzA t
MwE t - 1 AnzA t
Kursgewinn Dividendenrendite
MwE t = UW t - NVt = UW t # b
UW t - NVt l
= UW t # b1 -
(3) NVt l
UW t UW t
und:
führt zu:
MwE t UW t - 1
# b1 +
Ums Mar Mult UW t $ MwE t - 1 NVt - 1 - NVt l AnzA
TSR t = Ums t # Mar t # Mult t # # AnzAt - 1 + DR - 1 (5)
b1 + (NVt - 1 - NVt) l
t-1 t-1 t-1 MwE t - 1 t
MwE t - 1
Mit:
AdjVG Adjustierter Verschuldungsgrad
Div Dividende
DpA Dividende pro Aktie
DR Dividendenrendite (DpA/Kurs)
NV Nettoverschuldung (Net Debt)
AnzA Anzahl ausstehender Aktien (Number of Shares)
Mar EBIT oder EBITDA Marge
Mult Multiple
MwE Marktwert des Eigenkapitals (Aktienkurs x Anzahl der Aktien)
Ums Umsatz
UW Unternehmenswert (MwE + NV)
Diese Gleichung (5) lässt sich besser interpretieren, wenn sie wie folgt dargestellt wird:
B
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Mit Gleichung (6) liegt eine Darstellung des TSR vor, die – unter der Annahme eines
konstanten Bewertungsverhältnisses in Form des Multiples – ausschließlich von den
fundamentalen, vom Unternehmen beeinflussbaren Faktoren abhängt, ausgedrückt in
Veränderungsraten gegenüber der Vorperiode.6 Dabei können unterschieden werden:
• Fundamentale Faktoren: Umsatzwachstum und Veränderung der jeweiligen operati-
ven Marge (ausgedrückt durch EBIT, EBITDA oder Net Income Marge)
• Bewertungseffekt: Dieser Faktor spiegelt Veränderungen im Bewertungsmaßstab (hier
vereinfacht durch einen Multiple ausgedrückt) wieder
• Cashflow-nahe Komponenten: Hier geht neben der bekannten Dividendenrendite die
oben genannte Veränderung ausstehender Aktien sowie die Veränderung des Ver-
schuldungsgrads ein.
Delta
EBITDA- Netto- Dividen-
TSR p.a. Umsatz- Verände- Anzahl
Name Margen- verschul- denren-
(2005-2009) wachstum rung Multiple ausstehen-
änderung dung dite
der Aktien
Google 24,8 % 48,0 % 5,6 % -18,8 % 1,7 % -3,4 % 0,0 %
Oracle 10,1 % 17,7 % 3,0 % -8,5 % -1,5 % 0,6 % 0,2 %
Intuit 5,8 % 11,3 % 0,6 % -6,2 % -2,7 % 3,5 % 0,0 %
IDS Scheer 5,3 % 5,4 % -10,6 % 8,0 % 1,7 % 0,1 % 2,1 %
Microsoft 3,6 % 8,9 % -2,3 % -5,8 % -2,2 % 4,1 % 1,8 %
Sage 3,4 % 15,3 % -4,0 % -5,9 % -2,6 % -0,4 % 2,4 %
Adobe Systems 2,3 % 13,2 % -1,6 % -11,4 % 1,1 % 2,4 % 0,0 %
Dassault Systemes 1,8 % 10,2 % -3,7 % -4,8 % 0,4 % -0,7 % 1,1 %
Progress Software 0,6 % 6,5 % 0,1 % -3,1 % -0,8 % -1,9 % 0,0 %
SAP 0,6 % 7,9 % 1,1 % -9,9 % -0,4 % 1,5 % 1,2 %
Gesamt-Sample 8,4 % 13,9 % -0,2 % -6,5 % -1,3 % 2,4 % 0,9 %
Abb. 2: TSR-Dekomposition für die Softwareindustrie von 2004 bis 2009 (Eigene Darstellung)
Diese Analyse kann entsprechend der Gleichung (6) ausschließlich mit öffentlichen In-
formationen durchgeführt werden. Die in der Tabelle aufgeführten Prozentsätze ergeben
jedoch nicht additiv die dargestellten TSRs, vielmehr sind die ersten fünf Komponenten
entsprechend der Gleichung (6) multiplikativ verknüpft und die Dividendenrendite da-
nach additiv, wobei hier die Veränderungsraten in Prozent per annum dargestellt sind.
6 Im mehrperiodigen Kontext gilt diese Zerlegung wegen der Additivität der Dividendenrendite in
Gleichung (6) nur näherungsweise.
7 Fundamentaldaten entnommen aus Thomson Reuters Worldscope, Thomson Reuters Datastream
und Bloomberg sowie Unternehmensangaben.
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Es zeigt sich, dass die aufgeführten Unternehmen im Durchschnitt für die Anteils-
eigner pro Jahr 8,4 % Wertsteigerung generiert haben, wobei der wesentliche Anteil der
TSR-Performance aus Umsatzwachstum stammte (+13,9 % p.a.), während die Margen
weitestgehend unverändert blieben. Jedoch hat sich die generelle Einschätzung des
Marktes hinsichtlich der Bewertung von Softwareunternehmen in diesem Fünfjahres-
zeitraum negativ entwickelt, was sich in einer im Durchschnitt rückläufigen Entwick-
lung des Multiple um -6,5 % p.a. ausdrückt.
Diese Darstellung historischer Wertschaffungs- und Bewertungskomponenten hat
sich für die Diskussion mit Entscheidungsträgern in Unternehmen in der Beratungspra-
xis bewährt, weil sie einen schnellen Überblick über die wesentlichen Einflussgrößen
ermöglicht.8 Jedoch ist zu beachten, dass der Bewertungsmaßstab in Form des Multiples
von den fundamentalen Parametern abhängt, mithin autokorreliert ist: Verbessern sich
das erwartete Cash Flow-Profil oder die Wachstumsperspektiven eines Unternehmens
z. B. durch ein neues Geschäftsfeld strukturell, so ist davon auszugehen, dass der Kapi-
talmarkt die gegenwärtig beobachtbaren Parameter anders bewertet, sprich der Multiple
sich verändert. In der Praxis liefert die Zerlegung jedoch bereits unter der Annahme der
Unabhängigkeit der Parameter wertvolle Erkenntnisse.
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SAP 7.514 10.974 12.824 2.235 3.441 4.686 1.243 1.152 1.187
Sage 711 1.451 1.611 208 345 443 1.282 1.310 1.201
Oracle 7.306 16.528 19.423 2.948 7.736 12.861 5.171 5.012 4.994
Microsoft 26.499 40.499 50.583 11.549 15.682 26.778 10.862 8.900 8.427
Google 2.294 16.314 19.298 712 6.644 17.023 267 317 330
Progress Software 261 357 383 45 62 n/a 36 40 n/a
Intuit 1.344 2.298 2.784 404 713 1.306 380 320 320
IDS Scheer 280 364 448 39 29 55 32 32 43
Dassault Systemes 797 1.295 1.517 210 283 471 114 118 119
Adobe Systems 1.199 2.233 3.350 469 808 2.203 592 525 562
Abb. 3: Fundamentaldaten und Consensus-Schätzungen, in Mio. EUR mit Ausnahme der Aktienkurse (Quelle: Eigene
Darstellung)10
Die Anwendung der TSR-Zerlegung auf diese Consensus Estimate-Werte lässt erkennen,
welche Quellen der Wertsteigerung Kapitalmarktanalysten im Durchschnitt annehmen:
Delta
EBITDA- Netto- Dividen-
TSR p.a. Umsatz- Verände- Anzahl
Margen- verschul- denren
(2009-2012) wachstum rung Multiple ausstehen-
änderung dung dite
der Aktien
SAP 11,0 % 5,3 % 5,2 % -3,2 % 2,8 % -1,0 % 1,8 %
Dassault Systemes 8,9 % 5,4 % 12,5 % -10,0 % 1,5 % -0,4 % 1,1 %
Sage 7,0 % 3,6 % 6,1 % -12,4 % 3,7 % 2,9 % 4,2 %
Google 6,0 % 5,8 % 15,9 % -15,7 % 4,0 % -1,3 % 0,0 %
Adobe Systems 5,5 % 14,5 % 9,4 % -16,8 % 3,7 % -2,3 % 0,0 %
Intuit 3,4 % 6,6 % 2,9 % -10,2 % 5,0 % 0,0 % 0,0 %
Microsoft 1,5 % 7,7 % -0,6 % -11,8 % 3,8 % 1,8 % 1,7 %
Oracle 0,8 % 5,5 % 0,6 % -9,5 % 3,6 % 0,1 % 1,1 %
IDS Scheer 0,3 % 7,1 % 15,9 % -14,6 % 2,5 % -9,8 % 2,1 %
Progress Software n/a 2,3 % n/a n/a n/a n/a 0,0 %
Abb. 4: Die TSR-Decomposition für die Softwareindustrie von 2009 bis 2012 (Quelle: Eigene Darstellung)
B
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Die Rangfolge hat sich gegenüber der Vergangenheit fundamental verändert, zum Teil
sogar umgedreht (vgl. Abb. 4): Während SAP über den historischen Fünfjahreszeit-
raum fast keinen TSR geschaffen hat (+0,6 % p.a.), erwarteten die Markteilnehmer im
Dezember 2009 die höchste Wertsteigerung für den Dreijahreszeitraum bis 2012 von
SAP (+11 % p.a.), verbunden mit der geringsten Reduzierung des Multiple. Ein anderes
Beispiel ist das US-Unternehmen Google, das historisch die höchste Wertsteigerung
aufweisen konnte, während für die Zukunft eine Performance eher im Mittelfeld der
Vergleichsgruppe erwartet wird: Grund kann die Skepsis des Marktes sein, dass das
historische Umsatzwachstum (+48 % p.a.) nicht aufrecht erhalten werden kann und
zukünftig nur noch +5,8 % p.a. beträgt.
Asset Manager und Buyside-Analysten führen in der Regel ab einer bestimmten Anla-
gesumme in eine einzelne Aktie Bewertungsmodelle für diese Aktien, die wesentliche
operative Kennzahlen und deren Einfluss auf den Free Cashflow als Bewertungsgrund-
lage abbilden. Mit Hilfe der dargestellten Methode haben sie eine Möglichkeit, entweder
die Bewertungs- und damit Wertsteigerungskonsequenzen aus der Planung des Ma-
nagements abzuschätzen, oder alternativ die Implikationen von eigenen Schätzungen
zur operativen Performance durchzurechnen. In den engen Grenzen einer ceteris pari-
bus-Annahme für den Multiple lässt sich so unmittelbar in erster Näherung (und unter
Vernachlässigung der Risikostruktur) abschätzen, ob ein Asset die Verzinsungsanfor-
derungen erfüllt oder nicht und somit Kauf- oder Verkaufsentscheidungen unterstützen.
Bei Privatisierungsentscheidungen steht die Frage im Vordergrund, ob ein Unterneh-
men unter veränderter Corporate Governance unter der Führung eines Großaktionärs
mehr Wert schaffen kann als in der Ausgangssituation. Dabei geht es oftmals darum,
die Unternehmensstrategie grundlegend zu verändern. Um zu beurteilen, ob der neue
strategische Plan, ausgedrückt in veränderten fundamentalen Kennzahlen, mehr Wert
schaffen kann als das, was bereits in der zukunftsbezogenen TSR-Dekomposition ein-
gepreist ist, kann der Investor Gleichung (6) zur Entscheidungsunterstützung heran-
ziehen.
Die in der Praxis sicher wichtigste Anwendung jedoch ist die aktive Unternehmens-
steuerung: Eine am Shareholder Value orientierte Unternehmensführung hat mit dieser
TSR-Zerlegung ein Instrument an der Hand, um die eigenen Mittelfristpläne kritisch
zu analysieren und die erwartete Performance relativ zu den Hauptwettbewerbern zu
sehen. Besonderer Vorteil ist, dass hiermit eine holistische Betrachtung möglich ist, und
nicht nur die operativen Kenngrößen Umsatzwachstum und Margenverbesserung im
Fokus stehen, sondern der Einfluss der oft unter »Financial Engineering« nicht im Fokus
stehenden Möglichkeiten auf der Finanzierungsseite gleichberechtigt ins Blickfeld rückt.
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Nicht zuletzt kann Gleichung (6) nicht nur für Gesamtunternehmen eingesetzt wer-
den, sondern auch im Rahmen des Portfolio-Controlling angewendet werden, jedoch
nur unter der einschränkenden Annahme einer Konstanz derjenigen Parameter, auf die
eine Division oder operative Einheit keinen Einfluss hat bzw. die nicht vorhanden sind
(z. B. muss eine klar abtrennbare Segmentverschuldung bekannt sein, um den Verschul-
dungsgrad sinnvoll steuern zu können).
4 Zusammenfassung
Ausgehend von der Hypothese, dass das Ziel von Unternehmensbewertungen in der
Regel die Ermittlung von Grenzpreisen ist, die letztlich dazu benutzt werden, ein Werts-
teigerungspotenzial durch den Unternehmenskauf zu identifizieren, basiert die hier
durchgeführte Analyse auf der Veränderung des TSR als zentralem Maßstab zur Er-
mittlung von Wertsteigerungen für Eigentümer von öffentlich notierten Assets. Mithilfe
einer TSR-Dekomposition genannten Methodik kann die Veränderung des TSR in die drei
Hauptkomponenten (a) fundamentale Werttreiber, (b) Bewertungsänderungen und (c)
Veränderungen von Kapitalstruktur, Aktienanzahl und Dividendenrendite zerlegt wer-
den. Diese formal-mathematische Zerlegung ermöglicht es Entscheidern, mit relativ ein-
fachen Kennzahlen die unterschiedlichen Wertschaffungsstrategien von Wettbewerbern
zu analysieren, wie am Beispiel von führenden Unternehmen der Softwareindustrie von
2004 bis 2009 gezeigt wurde.
Für die Unternehmensbewertung lässt sich die TSR-Dekomposition in vielfältiger
Weise zum Einsatz bringen, ohne gleichwohl eine DCF-Bewertung ersetzen zu können.
Dies wird beispielhaft gezeigt, durch Nutzung der – stellvertretend für die subjektiven
Planungen des Investors – I/B/E/S Consensus-Schätzungen für dieselben Unterneh-
men der Softwareindustrie von 2009 bis 2012, um den Einfluss der operativen und
finanziellen Werttreiber auf die Veränderung des Unternehmenswerts zu analysieren.
Dabei zeigt sich, dass die Methode in der Lage ist, die Quellen von Wertveränderungen
anschaulich in beeinflussbare Größen zu zerlegen, die typischerweise bei Unterneh-
mensbewertungen im Rahmen von M & A-Prozessen auch im Zentrum der Due Diligence
stehen. Während die Methode bewusst Komplexität reduziert, indem sie nur auf die
wesentlichen Einflussgrößen abstellt, liegen die Grenzen der Anwendbarkeit natürlich
in der Autokorrelation des hier als konstant unterstellten Bewertungsmaßstabs Multiple
mit den anderen Faktoren in Gleichung (6) und der ebenfalls damit einhergehenden
Verkürzung auf eine einperiodige Betrachtung unter Ausblendung von Risiko.
Literatur
Baetge, J./Niemeyer, K./Kümmel, J. (2004): Darstellung der DCF-Verfahren mit Beispiel. In: Peemöller,
V. (Hrsg.): Praxishandbuch Unternehmensbewertung. NWB, Herne, 2004, S. 265–362.
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| 361
Teil
1 Einleitung
2 Überblick und Zielsetzung
3 Identifikation der Ziele des Verkäufers
3.1 Individuelle Zieldimensionen
3.2 Zieldimensionen im Spannungsfeld
4 Strukturierung des Auktionsprozesses
4.1 Charakteristika erfolgreicher Auktionen
4.2 Generelle Prozessansätze: Einstufige und zweistufige Auktion
5 Auktionsvorbereitung
5.1 Aufbau eines erstklassigen Teams
5.2 Vorbereitung als Schlüssel für den Erfolg
5.3 Identifikation und Incentivierung von Schlüsselpersonen
6 Selektion der potenziellen Käufer
6.1 Kategorien potenzieller Käufer
7 Erste Runde: Der Weg zu einer unverbindlichen Offerte
7.1 Kontaktaufnahme zum Bieterkreis
7.2 Offenlegung von Informationen
7.3 Unverbindliches Angebot
8 Zweite Runde: Der Weg zu einem verbindlichen Angebot
8.1 Zugang zu einer umfassenden Due Diligence
8.2 Verteilung des Vertragsentwurfes
8.3 Strategische Kommunikation
8.4 Abgabe und Analyse des verbindlichen Kaufangebotes
9 Transaktionsabschluss: Vertragsverhandlungen und Signing
9.1 Aufrechterhalten wettbewerbsfähiger Spannung bis zum Ende
9.2 Selektive Gewährung von Exklusivität
9.3 Offizieller Abschluss der Due Diligence
9.4 Flexible Prozessgestaltung und Schutz des eigenen Rufs
9.5 Vertragsverhandlungen und Bereitschaft zu Kompromissen
9.6 Relativer Vergleich der vorliegenden Angebote
10 Fazit
* Frédéric Rochat, Teilhaber, Lombard Odier, Genf; Johannes Korp, Principal, Hellmann & Friedman,
London.
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1 Einleitung
Der Begriff »Auktion« lässt sich vom lateinischen Wort »augere« ableiten, welches für
»erhöhen« oder »erweitern« steht. Schon in der Römerzeit war das primäre Ziel einer
Auktion, auf Basis des zugrundeliegenden Bieterwettbewerbs den maximal erzielbaren
Preis für ein bestimmtes Gut zu ermitteln. Heutzutage stellen Auktionen einen verbrei-
teten Mechanismus für die Preisfindung beim Verkauf eines einzelnen, seltenen und
nichtstandardisierten Gutes dar. In einer Auktion wird das Objekt i. d. R. an den Bieter
mit dem höchsten Preisangebot innerhalb eines klar definierten, kompetitiven Prozesses
verkauft.
Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Versteigerungsmodelle entwickelt. Auf
englischen Auktionen überbieten sich interessierte Parteien gegenseitig im Rahmen
eines offenen Wettbewerbs, während auf niederländischen Auktionen der Verkäufer
mit der Ankündigung eines hohen Preises beginnt, welcher anschließend schrittweise
gesenkt wird, bis ein erster Bieter das Angebot akzeptiert.
Auch heute noch stellen Auktionen einen wichtigen Mechanismus dar, um Preis
und Bedingungen beim Verkauf von nichtstandardisierten Gütern zu maximieren. Im
Retail-Bereich stellt das Internetauktionshaus e-Bay ein gutes Beispiel für den Erfolg
von Auktionen dar: So wurden 2009 durchschnittlich über 3 Mio. Artikel pro Tag auf
der Webseite gekauft, was einem Warengesamtwert von über 60 Mrd. US-$ pro Jahr
entspricht. Das Auktionshaus Christie’s konnte im Jahr 2009 Waren im Gesamtwert
von rund 3,3 Mrd. US-$ weitgehend im Rahmen von Versteigerungen veräußern. Auch
auf dem M & A-Markt werden Auktionen häufig genutzt, um die Konditionen bei der
Veräußerung von Vermögenswerten zu maximieren.
Firmenauktionen können öffentlich oder privat sein. Private Auktionen beziehen sich
auf die Veräußerung eines privat geführten Unternehmens durch ein Ad-hoc-Verfahren.
Bei dem vertraulichen Prozess bedarf es mindestens zwei potenzieller Käufer. Öffentli-
che Versteigerungen von börsennotierten Unternehmen sind seltener und bieten einen
geringeren Grad an Flexibilität bei der Gestaltung; dies weil sie i. d. R. in den Geltungs-
bereich der öffentlichen Übernahmevorschriften und anderer börsenbezogener Offenle-
gungsgesetze fallen. So ist das Management von börsennotierten Unternehmen in den
meisten Ländern im Rahmen eines Übernahmeangebots verpflichtet, alle Beteiligten
gleich zu behandeln (»At Arm’s Length«-Prinzip). Aufgrund der aus der Gestaltungs-
freiheit resultierenden praktischen Bedeutung von privaten Auktionen widmet sich der
vorliegende Beitrag ausgewählten Best-Practice-Beispielen im Rahmen von Privataukti-
onen aus Sicht des veräußernden Unternehmens.
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Der Begriff »Unternehmenswert« wird hierbei relativ breit definiert und umfasst in
der M & A-Praxis die realen Vermögenswerte (Sachanlagen), die immateriellen Vermö-
genswerte (Rechte an geistigem Eigentum, Humankapital) oder Teile eines Unterneh-
mens (z. B. der Tochtergesellschaft einer größeren Gruppe). Zur Veranschaulichung wird
in diesem Beitrag der Verkauf einer nicht zum Kerngeschäft gehörenden Tochtergesell-
schaft (»Unternehmen«) angenommen.
Die wichtigsten Schritte einer typischen privaten Auktion sind:
• Identifizierung der Ziele des Verkäufers
• Strukturierung des Auktionsprozesses
• Auswahl von potenziellen Käufern
• Vorbereitung der Auktion
• Erste Runde: Der Weg zu einem unverbindlichen Angebot
• Zweite Runde: Der Weg zu einem verbindlichen Angebot
• Vertragsunterzeichnung (»Signing«) und Abschluss (»Closing«)
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Transaktion bekanntgegeben, stellt der Preis das deutlichste Signal an die Außenwelt
über den Erfolg des Verkaufsprozesses dar. Jedoch ist der Preis allein i. d. R. nicht aus-
reichend, da preisliche Überlegungen auf unterschiedliche Weise strukturiert werden
können, wodurch meist auch die zugrundeliegende Preissicherheit beeinflusst wird. Zum
Beispiel können Preise als eine variable Formel oder als ein fixer Betrag ausgedrückt
werden. Die Zahlung des Kaufpreises kann in liquiden Barmitteln, Aktien, und/oder
in Form eines Asset-Tausches erfolgen. Der Berechnungszeitpunkt kann zwischen dem
Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung (Signing), der Eigentumsübertragung und Zah-
lung (Closing) oder manchmal auch einem Zeitpunkt nach dem Closing (in Form einer
Earn-out-Struktur) variieren.
Je weiter entfernt der Zeitpunkt der Berechnung, desto höher ist auch die Unsicher-
heit. Insgesamt wird der Verkäufer i. d. R. die Preissicherheit maximieren wollen. Ein
Preis, welcher vollständig in bar zur Zeit des Closings bezahlt wird, wird bspw. einer
»Long-tailed-earn-out«-Klausel, welche die Bezahlung an zukünftige operationale Leis-
tungen des Assets knüpft, vorgezogen. Ebenso wird ein schlanker Vertrag, welcher ein
Minimum von Repräsentationen und Garantien seitens des Verkäufers einräumt, gegen-
über einer Version mit einer Vielzahl solcher Bestimmungen favorisiert.
Während ein hoher Preis am Tag der Bekanntgabe auf den ersten Blick attraktiv
anmuten mag, muss bedacht werden, dass dieser Preis vor dem Hintergrund des Dis-
kontierungsfaktors zu interpretieren ist, der von den wahrgenommenen Transaktionsri-
siken abhängt. So darf nicht vergessen werden, dass eine Transaktion auch durch eine
fehlende Genehmigung durch die zuständigen Regulations- oder Wettbewerbsbehörden
fehlschlagen kann, welche i. d. R. in der Zeitspanne zwischen Signing und Closing sei-
tens des Käufers einzuholen ist. Auch kann eine spezifische Material Adverse Change
(»MAC«)-Vertragsklausel wirksam werden und den Abschluss einer Transaktion verhin-
dern. Alles in allem will der Verkäufer die Transaktionssicherheit maximieren, indem
die Bedingungen für den Abschluss begrenzt werden.
In vielen Fällen ist die Geschwindigkeit, mit der eine Transaktion abgewickelt wer-
den kann, ein weiteres Schlüsselelement; dies u. a., da die Mitarbeiter des zu veräu-
ßernden Unternehmens im Rahmen des Transaktionsprozesses einem hohen Grad an
Unsicherheit ausgesetzt sind. In der Konsequenz kann dies negative Folgen auf den
Wert des Assets haben. Zudem erhöht sich das Risiko, dass sich Marktumfeld und/oder
Unternehmensperformance mit steigender Transaktionsdauer verschlechtern, wodurch
der Wert des zu veräußernden Assets gemindert werden kann. Darüber hinaus sind
Prozesse, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, einem höheren Risiko aus-
gesetzt, dass Informationen nach außen dringen, die dem veräußernden Unternehmen
schaden und das Vertrauen des Käufers beeinflussen können.
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Preis
Minimierung von:
• Vertraglichen Zugeständnissen und
Verkäuferpflichten
• Störung des Geschäftsganges
Transaktions-/ Transaktions-
Preissicherheit geschwindigkeit
Abb. 1: Spannungsfeld der Zieldimensionen bei einer Auktion (Quelle: Eigene Darstellung)
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Ein großer Bieterkreis ist nach wie vor der einfachste und effektivste Weg, um Wettbewerb
in einem Prozess zu intensivieren und dadurch optimale Bedingungen für den Verkäufer
zu generieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine wahllos hohe Anzahl von poten-
ziellen Käufern zu Auktionen eingeladen werden sollte. Der Umfang des ursprünglichen
Käuferkreises muss hinsichtlich des strategischen Fits des Bieters, seiner Zahlungsfähig-
keit, seiner Fähigkeit, Vertraulichkeit zu wahren, und der Verpflichtung seitens des Käu-
fers, den skizzierten Zeitplan einzuhalten, evaluiert werden. Zusätzlich dürfen externe
situative Faktoren und Wettbewerbsbefindlichkeiten nicht außer Acht gelassen werden.
Während Zeitplan und Fristen streng kontrolliert werden müssen, sollten die Bieter je-
doch in der Lage sein, die Qualität des Assets angemessen einschätzen zu können. Dies
schließt eine umfassende finanzielle, rechtliche und operative Due Diligence ein, welche
ermöglicht, ein Angebot unterbreiten zu können, das den Wert des Unternehmens für
den jeweiligen Käufer widerspiegelt und sämtliche bekannte und offengelegte Risiken
und Synergiepotenziale bereits mit einpreist. Eine vollständige und transparente Offen-
legung von allen relevanten geschäftlichen Angelegenheiten und identifizierten Risiken
im Rahmen der Due Diligence ist entscheidend für die Maximierung der Preissicher-
heit und für die Begrenzung der zukünftigen potenziellen vertraglichen Garantien und
Earn-out-Klauseln.
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Sowohl das Management als auch der Verkäufer tendieren dazu, den Arbeitsaufwand
und die durch den Verkaufsprozess verursachte Störung der Geschäftstätigkeit zu un-
terschätzen. Je größer das Interesse für das Asset am Markt, desto größer ist generell
auch der zu erwartende Prozessaufwand. Die einzelnen Stufen des Prozesses von den
ersten Vorbereitungen, Käuferansprache, Informations- und Managementpräsentationen
bis hin zur Due Diligence und zu finalen Vertragsverhandlungen können sich oft über
mehrere Monate erstrecken und eine intensive Zusammenarbeit mit dem Management
erfordern. In einem gut strukturierten Prozess wird der Verkäufer versuchen, das Ma-
nagement zu schützen, es vom Druck der täglichen Interaktion mit den potenziellen
Käufern abzuschirmen und genügend Zeit zur Fortführung der operativen Tätigkeiten
zu gewähren. Dies kann durch den Einsatz von Beratungsressourcen zur Vorbereitung
von qualitativ hochwertigen Informationsdokumenten und zur Bearbeitung der Käufer-
kommunikation und der eingehenden Anfragen erreicht werden.
Einer der Vorteile einer privaten Auktion ist, dass es dem Verkäufer jederzeit frei steht,
die Spielregeln zu ändern, um die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Abschlusses
zu erhöhen. Das Einladungsschreiben, welches an alle potenziellen Käufer zu Beginn
der Auktion gesendet wird, inkludiert i. d. R. »Kleingedrucktes«, welches dem Verkäufer
zu jedem Zeitpunkt des Prozesses eine uneingeschränkte und maximale Diskretion
und Flexibilität hinsichtlich der Auktionsverwaltung, Auswahl der Bieter und Fristen-
setzung einräumt.
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5 Auktionsvorbereitung
Eine sorgfältige Vorbereitung ist ein wichtiger Parameter für jede erfolgreiche Auktion.
Ein übermäßig beschleunigter oder gehetzter Prozess erhöht das Risiko von Verzöge-
rungen, welche die fragile Reihenfolge und die Vertragsverhandlungen durcheinander-
bringen können. Die Zeit, die vor Beginn der ersten Käuferansprache nicht investiert
wird, lässt den gesamten Prozess gegenüber den Bietern oft unprofessionell erscheinen
und kann zu einer unverhältnismäßigen Verlängerung der Auktion führen.
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zerne usw.), deren Firmenwert typischerweise eng mit der Qualität und Stabilität der
wichtigsten Mitarbeiter verbunden ist. Der Verlust von Mitarbeitern in Schlüsselpositi-
onen inmitten des Verhandlungsprozesses führt in den meisten Fällen zu signifikanter
Werterosion. Daher sollte der Verkäufer im unmittelbaren Vorfeld der Auktion einen
geeigneten Plan zur Anbindung seiner wichtigsten Mitarbeiter ausarbeiten, welcher
abhängig von einem erfolgreichen Verkauf des Assets ist.
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6.1.2 Finanzinvestoren
6.1.4 Management
In bestimmten Situationen kann das Management des Assets dank der vorhandenen
Expertise, dank seines tiefgründigen Wissens über das Unternehmen und sein Potenzial
eine weitere Partei – alleine oder in Verbindung mit einem dritten Geldgeber – im Kauf-
prozess darstellen. Die Beteiligung des Managements als Partei im Transaktionsprozess
ist nicht ohne Risiken und kann zu Interessenkonflikten mit dem Verkäufer führen.
Um seine Flexibilität zu schützen und den Wettbewerb aufrechtzuerhalten, wird ein
Verkäufer im Allgemeinen versuchen zu erreichen, dass die vom Management geführte
Investorengruppe vollständig mit allen übrigen Bietern in der Auktion gleichgestellt
ist (»At Arm’s Length«-Prinzip) und die Managementanreize so ausgerichtet sind, das
unfaire Verzerrungen vermieden werden können.
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9 Transaktionsabschluss: Vertragsverhandlungen
und Signing
In der entscheidenden letzten Phase der privaten Auktion wird der endgültige Käufer-
kreis anhand des gebotenen Preises und der vertraglichen Anforderungen ausgewählt.
Die Anzahl der potenziellen Käufer ist nun i. d. R. aufgrund des Ausscheidens der Bieter
mit unzureichendem Interesse und/oder inadäquaten Offerten signifikant gesunken,
zumeist auf ein bis maximal drei Parteien. Mit dem/den verbliebenen Bieter/Bietern
wird der Verkäufer in individuelle Verhandlungen eintreten, in deren Rahmen die Moda-
litäten des Kaufvertrags, der konfirmatorischen Due Diligence und letztlich des Signings
und Closings der Transaktion besprochen werden.
Typischerweise steigt mit der zeitlichen Annäherung an die Vertragsunterzeichnung
auch die Sensibilität auf beiden Seiten. Späte Offenlegung von sensitiven Informationen
und/oder abrupte Änderungen von vertraglichen Verhandlungspositionen oder wich-
tigen Kaufbedingungen erhöhen das Konfliktpotenzial und können wertschädigende
Auswirkungen haben, die im schlimmsten Fall bis hin zu einem plötzlichen Abbruch
der Verhandlungen seitens des Käufers führen können. Demnach ist dem Verkäufer auf
der Zielgerade anzuraten, vor allem sechs Punkten Beachtung zu schenken.
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• Exzessive Übertragung von Risiken auf und Gewährung von Garantien durch den
Verkäufer gegen bestimmte Risiken.
Der Verkäufer wird i. d. R. versuchen, eine Haftungsfreistellung vom Käufer für alle
potenziellen Risiken zu erhalten, die im Rahmen der Due Diligence offengelegt wur-
den – eine Strategie, die im Jargon oft als »Sandbagging« bezeichnet wird.
Unter der Annahme, dass eine Einigung über den Preis und die Vertragsbedingungen
erreicht werden kann, können der Verkäufer und sein bevorzugter Käufer schlussend-
lich den Kaufvertrag unterzeichnen. Manchmal wird die abschließende Verhandlung
mit einem einzigen verbleibenden Käufer geführt. In den besten Fällen gelingt es dem
Verkäufer, bis zur letzten Minute einen alternativen Käufer durch parallele Verhand-
lungen zu behalten.
10 Fazit
In den vorausgehenden Ausführungen wurde das Ziel verfolgt, den Grad der Flexibilität,
welche ein Verkäufer bei der Gestaltung eines Auktionsprozesses hat, zu skizzieren.
Es gibt kaum Instrumente und Mechanismen, die es dem Verkäufer ermöglichen, eine
vergleichbare kompetitive Spannung im Verkaufsprozess zu schaffen, um für den Ver-
käufer den bestmöglichen Preis relativ zu den vertraglichen Bedingungen zu erzielen.
Natürlich gibt es Alternativen: Eine solche stellt der bilateral ausgehandelte Verkauf
dar. Jedoch findet sich der Verkäufer dabei oft in einer Situation wieder, die durch re-
duzierte Verhandlungsflexibilität gekennzeichnet ist. Dies kann zu einem signifikant
niedrigeren Kaufpreis und wesentlich unattraktiveren Verkaufskonditionen führen.
Um seine Verhandlungsposition zu stärken, schafft der Verkäufer oft eine künstliche
Auktionssituation und kommuniziert direkt mögliche strategische Alternativen an den
Käufer (Verbleib des Assets beim Verkäufer, Börsengang, Start eines privaten Aukti-
onsprozesses etc.). Mögliche Vorteile der bilateralen Verhandlung sind ein verkürzter
Zeitplan, geringere Prozesskomplexität, reduziertes Störungsrisiko im Hinblick auf den
Geschäftsgang des zu veräußernden Unternehmens und ein generell höherer Grad an
Vertraulichkeit während des Prozesses.
Eine weitere Alternative ist eine vereinfachte Auktion in der Form eines »Sealed
Bid«-Ansatzes. Hierbei wird den Käufern nur eine einzige Chance für eine Angebots-
abgabe gegeben. Im Falle eines erfolglosen Vorschlages scheiden die Käufer aus dem
Wettbewerb aus, wodurch die Parteien ermutigt werden sollen, ein hohes erstes und
zugleich finales Angebot zu unterbreiten.
In beiden Fällen jedoch bilden Versteigerungen weiterhin den strukturellen Kern des
Veräußerungsprozesses, indem der Verkäufer durch die Generierung von Alternativen
eine Wettbewerbssituation um das Asset schafft, und ihm die Möglichkeit offensteht,
aus verschiedenen Handlungsansätzen zu wählen.
Aus den erläuterten Gründen und in Anbetracht der kontinuierlich hohen Anzahl von
Unternehmensverkäufen in der M & A-Welt ist davon auszugehen, dass die Firmenauk-
tion nach wie vor ein präferiertes und zeitgemäßes Instrument für Unternehmensver-
käufe bleiben wird.
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Rock, H. (2010): Win-Win-orientierte Verhandlungstaktik. In: Müller-Stewens, G./Kunisch, S./Binder,
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| 381
Teil
* Prof. Dr. Wolfgang Berens, Lehrstuhlinhaber für BWL, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster;
Prof. Dr. Thorsten Knauer, Lehrstuhlinhaber für Controlling, Universität Bayreuth, Bayreuth;
Dr. Anja Schwering, Akademische Rätin am Lehrstuhl für Controlling, Universität Bayreuth, Bay-
reuth.
1 Vgl. hierzu ausführlich Berens/Strauch 2013, S. 3–20.
2 Vgl. Torggler/Hofmann 1993, S. 77; Wegen 1994, S. 291 und Merkt 1995, S. 1041.
3 Eichborn, von 1994, S. 180.
4 Lawrence 1995, S. 2–7; vgl. auch Kiger/Scheiner 1994, S. 137, 148 und Ebke 1983, S. 183.
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1. Bei der Due Diligence handelt es sich um Analysen und Prüfungen, die im Rahmen
der Vorbereitung von geschäftlichen Transaktionen – meistens dem Kauf eines Un-
ternehmens – zum Ziel der Informationsversorgung des Entscheidungsträgers in den
Planungs- und Entscheidungsprozess integriert werden.
2. Die Due Diligence umfasst Aktivitäten der Informationsbeschaffung und -aufberei-
tung zur Erhöhung der Qualität von Entscheidungen durch Chancen- und Risikoer-
kennung5 auf betriebswirtschaftlicher und juristischer Ebene sowie durch Genauig-
keit in der Wertfeststellung als Folge eines verbesserten Informationszustands.
3. Gegenüber der ursprünglichen Verwendung des Begriffs im Rahmen der US-ameri-
kanischen Gesetzgebung als Entlastungsbeweis für die an der Emission von Wert-
papieren Beteiligten wird der Begriff Due Diligence beim Kauf von Unternehmen im
Sinne von Acquisition Investigation,6 Businessman’s Review,7 Pre Acquisition Audit8
oder Kauf- oder Übernahmeprüfung9 verwendet.
Due Diligence wird somit immer dort eingesetzt, wo zwei oder mehr Parteien eine
vertragliche Bindung eingehen, deren Konsequenzen aufgrund ungleicher Verteilung
unvollständigen Wissens in Bezug auf Tatsachen und die Entwicklung zukünftiger
Umweltzustände unsicher sind. Neben der originären Anwendung im US-amerikani-
schen Recht zu Informations- und Schutzzwecken der Anleger kommt der Due Diligence
überall dort besondere Bedeutung zu, wo für Zwecke einer Unternehmensbewertung
die entsprechende Datenbasis zur Verfügung zu stellen ist.10 Aufgrund der Komplexität
von Unternehmensakquisitionen sind das Interesse und die Notwendigkeit am größten,
die Entscheidungsträger über die Chancen und Risiken umfassend zu informieren und
die Transaktion entsprechend zu strukturieren, um Enttäuschungen nach dem Eigen-
tumsübergang zu vermeiden.11
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Während der Erwerber stets an einer vollständigen Aufdeckung aller für die Ent-
scheidung wesentlichen Informationen interessiert sein wird, ist die Interessenlage beim
Verkäufer differenzierter. Einerseits kann oder muss er befürchten, dass der Kaufinter-
essent in den Besitz vertraulicher Informationen gelangt und die Verhandlungen nach
erfolgter Offenlegung abbricht. Andererseits sollte der Verkäufer Interesse an einer Of-
fenlegung haben, da ein Käufer, der das Unternehmen nicht beurteilen kann, einen »Un-
sicherheitsabschlag«14 bei der Preisfindung vornimmt bzw. aufgrund nicht erkannter
positiver Eigenschaften des Unternehmens eben eines »mittlerer Art und Güte« unter-
stellt. Im Extremfall könnte der Interessent sogar gänzlich vom Kauf Abstand nehmen.
Die Offenlegung von Unternehmensinformationen erlangt weiterhin Bedeutung im
Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorschriften über den Kauf und die Gewährleis-
tung.15 Durch die Aufdeckung negativer Umstände vor Vertragsabschluss werden späte-
re Gewährleistungsansprüche des Käufers für diese Umstände verhindert. Denn Mängel
des Unternehmens, die der Käufer bei Vertragsabschluss kannte, hat der Verkäufer nicht
zu vertreten (§ 442 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Offenlegung schafft somit Rechtssicherheit
und dient bei späteren Rechtsstreitigkeiten der Beweisführung.
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chungen sowie die Dokumentation und Berichterstattung über das Prüfungsurteil an.
Auf Basis der festgestellten Abweichungen kann – je nach Tragweite – eine Minderung
des Kaufpreises angestrebt werden oder bei sog. Deal Breakern sogar ein Zurücktreten
vom Kauf erfolgen.
2.4 Exkulpation
Unter der Exkulpationsfunktion der Due Diligence sollen diejenigen Sachverhalte ver-
standen werden, bei denen der zur Rechenschaft Gezogene mit Hilfe der bei der Due Di-
ligence durchgeführten Arbeiten einschließlich ihrer Dokumentation den Entlastungs-
beweis antritt, dass er sorgfältig alle für die Transaktion relevanten Aspekte aufgedeckt
und beurteilt hat und ihn somit die Behauptung der Fahrläßigkeit bei eventuellen spä-
teren Rechtsstreitigkeiten nicht treffen kann. Ausgehend von der originären Begriffs-
bedeutung als Sorgfaltsmaßstab können dem Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung
nicht nur das Management des Käuferunternehmens, sondern auch die im Auftrag des
Käuferunternehmens tätigen Berater, insbesondere Rechtsanwälte und Wirtschaftsprü-
fer, ausgesetzt sein.24
Prüfungsgeschehens finden sich im Rahmen der Urteilsfindungshypothese von Egner (vgl. Egner
1993, S. 571 f.) sowie der Deutung der Handlungen von Prüfer und geprüftem Unternehmen auf der
Basis spieltheoretischer Überlegungen (vgl. Drexl 1990, S. 32 ff.).
20 Vgl. Bretzke 1992, S. 139.
21 Vgl. Ruhnke 1995, S. 6; Ruhnke 1991, S. 1889 f. und Korth 1992, S. 2.
22 Vgl. Tichy 1994, S. 160 und 173; Korth 1992, S. 2 und Caytas/Mahari 1988, S. 60.
23 Dementsprechend wurde versucht, das Marktgeschehen beim Kauf eines Unternehmens und die
Preisdiskussion auf Basis spieltheoretischer Überlegungen zu erklären, vgl. Schneider 1988, S. 524.
24 Vgl. Wegen 1994, S. 291.
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In der Literatur werden hinsichtlich des Zeitraums, den die Due Diligence im gesamten
Akquisitionsprozess einnimmt, verschiedene Meinungen vertreten, die auf zwei prinzi-
pielle Ansätze zurückgeführt werden können. Zum einen werden unter einer Due Dili-
gence sämtliche Aktivitäten der Beschaffung, Verifizierung, Aufbereitung, Analyse und
Dokumentation von Informationen über potenziell zum Kauf anstehende Unternehmen
verstanden. Diese Sichtweise ist mithin prozessbegleitend und erstreckt sich zeitlich
über den gesamten Akquisitionsprozess. Due Diligence wäre bei dieser Sichtweise mit
dem Akquisitionscontrolling gleichzusetzen, wenn hierunter die Frage verstanden wird,
»wie sichergestellt wird, dass die Zielsetzungen, die mit Akquisitionen und Kooperati-
onen verfolgt werden, auch eintreten.«38
Eine zeitliche und damit zugleich inhaltliche Differenzierung der den gesamten
Akquisitionsprozess begleitenden Due Diligence Review-Tätigkeiten innerhalb der sich
abwechselnden Phasen des Verhandelns und Überprüfens nehmen Binder/Lanz vor.39
Sie beschreiben fünf Phasen der Due Diligence. Gemeinsames Ziel dieser Phasen ist die
Informationsbeschaffung und ‑auswertung im Hinblick auf
• die Übereinstimmung des Akquisitionsobjektes mit der Akquisitionsstrategie,
• die Aufdeckung von Deal Breakern und
• die Gestaltung der Transaktionsstruktur.
um of Understanding, Agreement in Principle oder Memorandum of Intent (vgl. Reed 1989, S. 531
Fn. 1).
33 Vgl. Steinöcker 1998, S. 112; Gomez/Weber 1989, S. 70 und Reed/Reed Lajoux/Nesvold 2007, S. 460 f.
34 Vgl. Chalupsky 1993, S. 34.
35 Jung 1993, S. 336. Vgl. Gomez/Weber 1989, S. 71 und Jung 1993, S. 336 ff.
36 Vgl. Holzapfel/Pöllath 2010, S. 37.
37 Vgl. hierzu ausführlich Berens/Schmitting/Strauch 2013, S. 79–82.
38 Steinöcker 1998, S. 7.
39 Vgl. im Folgenden Binder/Lanz 1993, S. 19 f.
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Gleichwohl wird betont, dass nicht alle Due Diligence-Phasen durchgeführt werden
können oder sollen, sondern dass sich die Prüfungen auf die Pre Acquisition Due Dili-
gence I und II fokussieren sollten und je nach Vertragsgestaltung zusätzlich eine Post
Completion Due Diligence oder Post Acquisition Due Diligence durchgeführt werden
sollte.41 Diese Sichtweise entspricht dem vielfach verwendeten Ansatz, der den Zeitraum
für die Due Diligence enger eingrenzt und auf diejenigen Aktivitäten beschränkt, die
den Zugang zu internen, sensitiven Informationen voraussetzen und in einem engen
zeitlichen Bezug zum Vertragsabschluss stehen (Pre Acquisition Due Diligence II und
Post Completion Due Diligence nach obigem Schema). Nach diesem üblichen Ansatz
findet die Due Diligence nach der Unterzeichnung eines Letter of Intent, jedoch vor der
definitiven Entscheidung statt42 und erstreckt sich bis zum Closing.43
In Abhängigkeit von der Terminierung und inhaltlichen Ausgestaltung differieren die
Meinungen über die notwendige Dauer der Due Diligence. Hier reichen die Nennungen
von zwei Tagen, ein bis zwei Wochen, über vier bis acht Wochen44 bis zu zwei bis drei
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Monaten,45 selten wird die Due Diligence länger als drei Monate dauern.46 Die Ursache
für diese Spannbreite liegt darin, dass die Vorgänge bei einer Unternehmensakquisi-
tion zu heterogen bzw. vielschichtig sind, um eine generelle Aussage hinsichtlich des
Umfangs und der Terminierung der Due Diligence zu erlauben. Grundsätzlich sollte
– dem Wirtschaftlichkeitspostulat folgend – gelten, dass eine Due Diligence so kurz wie
möglich und so lang wie nötig ist.
Vor der Beschaffung und Auswertung der Informationen müssen die entsprechenden
Informationsquellen bestimmt werden. Auf der einen Seite stellen interne Informations-
quellen nicht öffentlich zugängliche Informationen bereit und sind nur mit Hilfe der
Kooperation des Verkäufers zu erlangen. Externe Informationsquellen auf der anderen
Seite liegen außerhalb der Zielgesellschaft und sollten für den potenziellen Käufer nach
Möglichkeit ohne das Einverständnis und die Mitwirkung des Verkäufers zugänglich sein.
Interne Informationsquellen
Die Konzentration der erforderlichen Dokumente des externen und internen Rechnungs-
wesens, des Personalwesens, der Rechtsabteilung, des Einkaufs und Verkaufs etc. an
einem Ort durch die Einrichtung eines (elektronischen) Data Rooms seitens des Ver-
käufers empfiehlt sich insbesondere dann, wenn bei einem Auktionsverfahren mehre-
re Interessenten im Wesentlichen die gleichen Informationen benötigen und/oder der
Umfang der Unterlagen einen anderen Weg der Bereitstellung (Zusendung, Übergabe)
nicht sinnvoll erscheinen lässt.48 Zu den Dokumenten gehören Handelsregisterauszüge
und Gesellschaftsverträge, Jahresabschlüsse, Steuererklärungen, Produktergebnisrech-
nungen, Lohn-, Gehalts- und Sozialleistungsinformationen, Angaben über die Dotierung
von Pensionsplänen, Betriebs- und Behördengenehmigungen oder ‑auflagen, Umweltbe-
richte, Kunden- und Lieferantenbeziehungen, Kreditverträge, Arbeitsverträge, Lizenz-
und Leasingverträge, Patente etc.49
Interviews mit dem Management und den Mitarbeitern dienen dazu, die Informa-
tionen aus der Dokumentensichtung zu bestätigen und zu erweitern und zugleich die
Einstellung der Mitarbeiter zum Verkauf zu erkunden.50 Bei der Befragung des Manage-
ments ist die Beurteilung der Zuverlässigkeit der erhaltenen Angaben von besonderer
Bedeutung.51 Sieht der Käufer den Verbleib des Managements nach dem Eigentümer-
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wechsel vor, dürfte es im eigenen Interesse des Managements liegen, dem Käufer ein
richtiges und vollständiges Bild von der Zielgesellschaft zu vermitteln.52 Die Koopera-
tion des Managements kann bspw. sichergestellt werden, indem dem wichtigsten Per-
sonal frühzeitig attraktive Arbeitsverträge angeboten werden, die die unmittelbare Zeit
nach der Übernahme überdauern.53 Befragungen von Mitarbeitern unterer Hierarchie-
stufen sind oftmals besonders instruktiv, um ungefilterte und zusätzliche Informationen
zu erhalten. Wenn diese Mitarbeiter die Situation nicht einschätzen können, sagen sie
die Wahrheit aus ihrer Perspektive. Ist den Mitarbeitern der Anlass für die Befragung
jedoch bekannt, könnte die Sorge um die Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes dazu
führen, dass das Unternehmen bewusst negativ dargestellt wird, um die bevorstehende
Übernahme zu verhindern.
Über die Einsicht in unternehmensinterne Dokumente oder die Auskünfte der Mitar-
beiter hinaus ist oftmals die eigene Recherche vor Ort aufschlussreich.54 Die Beurteilung
im Rahmen der Betriebsbesichtigung erstreckt sich auf die Verkehrslage des Betriebs
sowie die Beschaffenheit und Ausstattung des Betriebsgeländes und der Betriebsge-
bäude (einschließlich der Anlagen und des Inventars).55 Durch die Beobachtung und
Inspektion konkreter Geschäftsabläufe und Einblicke in Bereiche, die bislang verborgen
blieben (z. B. Forschungs- und Entwicklungsabteilung), kann der Käufer die Effizienz
der Prozesse nach bisheriger Zielsetzung und zur Erfüllung der Akquisitionsziele beur-
teilen sowie Schwachstellen aufdecken, die nach dem Kauf zu Kosten führen könnten.
Darüber hinaus kann das Betriebsklima, die Motivation der Mitarbeiter, ihr Verantwor-
tungsbewusstsein und ihre Sorgfalt im Umgang mit Anlagen und Materialien sowie ihr
Verhalten gegenüber Vorgesetzten durch persönliche Beobachtung festgestellt werden.56
Externe Informationsquellen
Neben den Informationsquellen, die direkt im Einflussbereich der Zielgesellschaft lie-
gen, werden externe Informationsquellen zur Vorbereitung der Gespräche mit der Ziel-
gesellschaft, zur Verifizierung der von der Zielgesellschaft erhaltenen Informationen
und zur ergänzenden Information genutzt.57 Zu diesen Informationen gehören Auskünf-
te Unternehmensexterner sowie Publikationen, die sich direkt auf das Unternehmen
oder die relevante Unternehmensumwelt beziehen, bspw. Informationen über die un-
ternehmensspezifischen Märkte und über volkswirtschaftliche Rahmendaten. Auskünf-
te Unternehmensexterner im Rahmen von Befragungen können insbesondere von den
Banken, dem Wirtschaftsprüfer, dem Anwalt sowie von den wichtigsten Lieferanten,
Kunden und Wettbewerbern eingeholt werden.58
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Zentrale Aspekte im Rahmen der Planung des Due Diligence-Programms sind die Ab-
grenzung und Auswahl der Teilbereiche, die Bestimmung der Reihenfolge der einzelnen
Teilprüfungen und der Prüfungsverfahren sowie schließlich die Fixierung des Prü-
fungsprogramms, die i. d. R. anhand von Checklisten erfolgt. Simultan hierzu muss
eine Verständigung über die für die einzelnen Teilbereiche zuständigen Mitarbeiter des
Käuferunternehmens und externen Berater vorgenommen werden.
Reihenfolgebedingungen
Die Notwendigkeit der Beachtung von Reihenfolgebedingungen bei der Durchführung
der Teilbereiche ergibt sich zum einen aus zwangsläufigen Abhängigkeiten, zum an-
deren – unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten – aus einer möglichst frühzeitigen
Identifizierung von Deal Breakern, die bei der Entdeckung zum Abbruch der Verhand-
lungen führen. Zwangsläufige Abhängigkeiten ergeben sich, wenn ein Teilbereich erst
dann beurteilt werden kann, wenn die Beurteilung eines anderen bereits abgeschlossen
ist.62 Um zu einer möglichst frühzeitigen Korrektur einer Entscheidung zu gelangen,
wird die Reihenfolge (1) Leistungsprogramm/Absatzbereich, (2) Produktion/Betrieb, (3)
Personal/Organisation, (4) Vermögensstatus/Bilanz, (5) Ergebnisanalyse, (6) Zukunfts-
erfolg/Synergieeffekte vorgeschlagen.63
Prüfungsverfahren
Die Aufdeckung von Schwachstellen und die Prüfung der Kompatibilität mit den Kauf-
motiven können durch die Prüfung einzelner Sachverhalte (Einzelfall- bzw. Ergebnis-
prüfung) oder durch die Prüfung von Prozessen (System- bzw. Verfahrensprüfung)
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Die Durchführung einer Unternehmensakquisition und die Due Diligence können als
Projekt charakterisiert werden, für dessen Planung, Organisation und Durchführung
ein Projektmanagement eingerichtet werden sollte.66 Die Durchführung der Due Dili-
gence wird in den meisten Fällen durch ein Team erfolgen, besetzt mit Mitarbeitern des
Käuferunternehmens und externen Beratern verschiedenster Fachrichtungen und Spe-
zialisierungsgrade.67 Gegenstand des Projektmanagements in aufbauorganisatorischer
Hinsicht ist dementsprechend die Zusammenstellung eines multidisziplinären Due Dili-
gence-Teams, seine aufgaben- und kompetenzmäßige Ausstattung sowie die Festlegung
der Art und des Umfangs der Zusammenarbeit mit externen Beratern. Die Herausfor-
derung für das oberste Management des Due Diligence-Prozesses besteht in der Integ-
ration der fragmentierten Sichtweisen der Spezialisten verschiedenster Fachrichtungen
und ihrer Analysen, um nicht den Blick für die übergeordneten Akquisitionsziele zu
verlieren.68 Wichtig ist, dass sich die einzelnen Spezialisten nicht verselbstständigen.69
Daher ist neben einer Vielzahl von Fachleuten mit Spezialkenntnissen ebenso ein Gene-
ralist wichtig, der in der Lage ist, das Team zu führen und der weiß, wann zusätzliche
Spezialisten um Rat zu fragen sind.
Obwohl bei Unternehmensakquisitionen mehr als bei anderen Entscheidungen ex-
terne Berater beauftragt werden, besteht der Kern des Teams aus Führungskräften und
Mitarbeitern des Käuferunternehmens.70 Zum einen hat nur der Käufer ein Konzept, in
das die Zielgesellschaft passen muss; die Entscheidung über die Vorteilhaftigkeit des
64 Zur Unterscheidung der beiden Prüfungsverfahren vgl. Ewert 2005, S. 505 f. und Schmid 1991, S. 10 ff.
65 Vgl. für eine typische Checkliste auch Berens et al. 2013, S. 929–958.
66 Vgl. Krüger 1988, S. 374; Pasricha 1993, S. 98; Eiffe/Mölzer 1993, S. 17; Gomez/Weber 1989, S. 46
und Bressmer et al. 1989, S. 173 ff.
67 Vgl. Lawrence 1995, S. 3–2 ff. und Crilly 1993, S. 2–03.
68 Vgl. Haspeslagh/Jemison 1992, S. 76 ff.
69 Vgl. Blex/Marchal 1990, S. 97 f.
70 Vgl. Milligan 1990, S. 88. Vgl. auch Weiss 1990, S. 380.
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Es ist offensichtlich, dass es zur zügigen und vollständigen Durchführung der Due
Diligence nicht allein auf eine entsprechende Personalauswahl seitens des Käufers
ankommt, sondern dass auch auf der Verkäuferseite Vorbereitungen getroffen werden
müssen. Hierzu gehört, dass von der Verkäuferseite, in Übereinstimmung mit der Per-
sonalbesetzung des Käufers, Ansprechpartner benannt werden, die für die Fragen des
Käufers zur Verfügung stehen. Die Auskunftspersonen sollten ausreichend qualifiziert
sein sowie mit der Kompetenz ausgestattet sein, mit dem Personal des Käufers die re-
levanten Aspekte zu erörtern. Eine Beschleunigung des Prozesses wird erreicht, wenn
die Zielgesellschaft vor der eigentlichen Durchführung der Due Diligence die Zusam-
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menstellung der gewünschten Unterlagen vornimmt und diese im Data Room bereithält.
Hierzu dienen die Due Diligence Information Request Lists, die der Käufer dem Verkäu-
fer mit der Bitte um Zusammenstellung der Unterlagen übermittelt.74
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Mit der Legal Due Diligence79 kann sich ein potenzieller Erwerber die maßgeblichen
Informationen beschaffen, die er benötigt, um ein in rechtlicher Hinsicht belastba-
res Angebot abzugeben und gegebenenfalls eine entsprechende Gewährleistung vom
Verkäufer abzufordern. Den entscheidenden Stellenwert in der Beurteilung eines Un-
ternehmens erhält die juristische Perspektive bei den Fragen, ob die Unternehmenstä-
tigkeit einwandfrei begründet ist und ausgeübt wird, welchen offenen oder verdeckten
Bestands- oder Haftungsrisiken sie ausgesetzt und inwieweit die aktuelle wettbewerbs-
rechtliche Situation abgesichert ist.
Compliance-Verstöße können neben strafrechtlichen und zivilrechtlichen Sank-
tionen, damit einhergehenden Zahlungen und Kosten, immense Reputationsschäden
mit sich bringen. Bei dem Erwerb eines Unternehmens besteht das Risiko, sich in der
Vergangenheit begangene Compliance-Verstöße und damit deren Gefährdungs- sowie
Schadenspotenzial einzukaufen. Daher ist es sinnvoll, im Rahmen einer Compliance
Due Diligence80 vor Erwerb eines Unternehmens Compliance-Verstöße aus der Vergan-
genheit soweit wie möglich aufzudecken, sowie einen dezidierten Eindruck von der
Anwendung und Durchführung des Compliance-Management-Systems im betrachteten
Unternehmen zu gewinnen, um diese Erkenntnisse in den Vertragsverhandlungen ad-
äquat zu berücksichtigen.
Die Aufgabe der Market Due Diligence81 besteht darin, marktseitige Risiken und
Chancen einer Beteiligung zu identifizieren sowie deren Effekt auf die zukünftige Un-
ternehmensentwicklung zu quantifizieren. Während sich insbesondere die Legal, Tax
und Financial Due Diligence methodisch darauf fokussieren, die historische Unterneh-
mensleistung abzubilden, konzentriert sich die Market Due Diligence explizit auf eine
systematische Bewertung der Zukunftschancen des Unternehmens.
Komplementär ist eine fundierte technologische Betrachtung des Akquisitionsobjekts
im Rahmen der Commercial-technological Due Diligence82 von zunehmender Bedeu-
tung: Technologiestrategien und insbesondere die technologische Plattform eines Unter-
nehmens sind i. d. R. nicht kurzfristig und nur mit hohem Kapitaleinsatz veränderbar.
Zudem ist es bedeutsam, frühzeitig zu erkennen, welche Technologieinnovationen in
der Zukunft marktfähig werden und die Technologiepassung des in Frage stehenden
Targets mit Zukunftstechnologien zu ermitteln.
Die Ressource Mensch bildet einen zentralen Wertschöpfungsfaktor. Entsprechend
werden bei der Human Resources Due Diligence83 Chancen und Risiken mit Blick auf
zentrale personalwirtschaftliche Fragen identifiziert und bewertet. In diesem Zusam-
menhang spielt auch die Unternehmenskultur eine wichtige Rolle. Die hohe Misserfolgs-
quote bei Unternehmensakquisitionen wird vielfach auf Probleme bei der Integration
unterschiedlicher Unternehmenskulturen zurückgeführt. Mitunter werden Differenzen
im kulturellen Bereich bzw. Disharmonien zwischen den Persönlichkeiten an der Füh-
rungsspitze für den Abbruch von Akquisitionsverhandlungen verantwortlich gemacht.
Mittels der Cultural Due Diligence84 erfolgt eine umfassende, systematische Analyse
und (vergleichende) Bewertung der Kultur von Unternehmen. Auf diese Weise soll die
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Cultural Due Diligence einen wertvollen Beitrag dafür leisten, kulturelle Informations
asymmetrien abzubauen.
Zur Erkennung und Einschätzung der sich im Rahmen eines Unternehmenskaufs
ergebenden umweltbezogenen Risiken wurde in den USA die Environmental Due Di-
ligence85 (synonym im Deutschen: Umwelt Due Diligence) entwickelt. Diese soll mög-
lichst alle umweltrelevanten Probleme und finanziellen Risiken erfassen, die von einem
Standort ausgehen oder auf diesen einwirken.
Die hohe Bedeutung der Informationstechnologie für die Generierung, das Manage-
ment und mithin die Qualität von Führungs- und Steuerungsinformationen ist unbe-
streitbar. Eine vollständige, gut strukturierte IT Due Diligence86 soll helfen, Umfang
und Qualität einer im Target bereits vorhandenen Informationstechnologie zu bewerten,
Neu- und/oder Ergänzungsinvestitionen in IT zu quantifizieren und den ggf. notwendi-
gen Integrationsaufwand bei der unternehmensübergreifenden Zusammenführung von
Informationstechnologien zu ermitteln.
4 Zusammenfassung
Der Begriff Due Diligence bezieht sich auf den Sorgfaltsmaßstab bei geschäftlichen
Transaktionen. Ursprünglich bei der Emission von Wertpapieren auf dem US-ameri-
kanischen Kapitalmarkt angewandt, spielt die Due Diligence heute eine entscheidende
Rolle bei Unternehmensakquisitionen. Hierbei übernimmt die Due Diligence verschie-
dene Funktionen wie die Offenlegung von Informationen, die Analyse und Prüfung
des Zielunternehmens, die Unterstützung der Preisbestimmung und die Schaffung von
Rechtssicherheit.
Typischerweise findet eine Due Diligence nach der Formulierung eines Letters of
Intent statt und kann sich bis zum Closing erstrecken. Die Dauer der Due Diligence
kann wenige Tage oder auch mehrere Monate betragen. An der Durchführung sind
sowohl Mitarbeiter des akquirierenden Unternehmens als auch verschiedene externe
Berater beteiligt. Die Auswahl externer Berater hängt unter anderem von den durch-
zuführenden Teilreviews ab. Typische Teilreviews sind die Strategic Due Diligence, die
Financial Due Diligence, die Legal Due Diligence, die Tax Due Diligence und die Market
Due Diligence.
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400 |
Teil
* Prof. Dr. Claus Steinle, Professor (em.), Leibniz Universität Hannover, Hannover; Prof. Dr. Timm
Eichenberg, Dekan Fachbereich Wirtschaft, Professor für Personal- und Projektmanagement,
Hochschule Weserbergland, Hameln; Julia Weber-Rymkovska, Managerin im Bereich Integration
Advisory, KPMG, London.
1 Kerler 2000, S. 2.
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen | 401
Teil
Gewicht durch die Tatsache, dass in jüngerer Vergangenheit vor allem im Bereich inter-
nationaler M & A spektakuläre Fehlschläge zu beobachten waren.2 Die branchenüber-
greifende durchschnittliche Misserfolgswahrscheinlichkeit liegt zwischen 50 % und
70 % und kann somit als ein eindeutiges Warnsignal sowie als Impulsgeber für neue
Untersuchungsakzente interpretiert werden.
Dabei empfiehlt es sich, den Fokus verstärkt auf den »weichen« Erfolgsfaktor Kultur
zu richten, da die Aktualität dieses Themas für internationale M & A immer deutlicher
wird.3 Um mögliche Chancen und Risiken internationaler M & A rechtzeitig zu anti-
zipieren, wird i. d. R. eine umfassende Due Diligence (DD) durchgeführt, die jedoch
relativ selten eine strukturierte Analyse kultureller Aspekte − Cultural Due Diligence
(CDD) − einschließt. Die CDD zielt auf die frühzeitige Erkennung der Risiken und
Chancen, die aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten der Akquisitionspartner re-
sultieren, sowie auf die Einschätzung ihrer Konsequenzen. Ist die festgestellte Gefahr
einer kulturellen Inkompatibilität zu groß, so kann die Empfehlung der CDD auch darin
bestehen, von der Transaktion ganz abzusehen, wobei eine solche Entscheidung stets
eine Synthese aus Erkenntnissen mehrerer erfolgskritischer DD-Bereiche sein muss.
Die Durchführung einer CDD empfiehlt sich insbesondere für Cross-Border-M & A, da
diese nicht nur von unterschiedlichen Unternehmenskulturen, sondern auch von unter-
schiedlichen »Ländermentalitäten« maßgeblich beeinflusst werden. Im Kontext dieses
Beitrags werden nur diejenigen Cross Border M & A-Partnerschaften in Betracht gezogen,
die eine dauerhafte Bindung unter einheitlicher Unternehmungsleitung sowie langfristig
eine gemeinsame Unternehmungskultur anstreben.4 Der folgende Beitrag zielt darauf
ab, ein strukturiertes CDD-Konzept vorzustellen, welches sich in die herkömmliche DD
eingliedern lässt. Diesem Konzept wird die gegenwärtige Durchführung der CDD in der
Praxis gegenübergestellt, um daraus Entwicklungsperspektiven der CDD bei internati-
onalen M & A-Aktivitäten abzuleiten.
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Idealtypischer M & A-Prozess
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen | 403
Teil
relle Richtungsfestlegung auf Landes- und Unternehmungsebene, sofern die Wahl eines
bestimmten Partners nicht durch strategische Motive eindeutig determiniert ist.
Nach der Wahl eines geeigneten Landeskontextes sollte eine grobe Modellierung
eines idealen Unternehmungskulturprofils mit Hilfe eines mehrdimensionalen Kultur-
messkonzeptes erfolgen.9 Es werden z. B. folgende Dimensionen, die den Suchkriterien
zugrunde liegen sollten, vorgeschlagen: Beabsichtigte Richtung und Ergebnisse (In-
tended Direction and Results), Schlüsselmasse (Key Measures), Schlüssel-Treiber für das
Geschäft (Key Business Drivers), Infrastruktur (Infrastructure), Organisationale Prakti-
ken (Organizational Practices), Führungs-/Managementpraktiken (Leadership/Manage-
ment Practices), Überwachungspraktiken (Supervisory Practices), Arbeitspraktiken (Work
Practices), Technologienutzung (Technology Use), Physisches Umfeld (Physical Environ-
ment), Wahrnehmungen und Erwartungen (Perceptions and Expectations), Kulturindi-
katoren und Artefakte (Cultural Indicators and Artifacts).10 In diesem Stadium können
auch diverse Typologisierungskonzepte als erste Orientierung angewandt werden.11 Auf
dieser Basis ist für jede einzelne Dimension die folgende Kernfrage zu beantworten:
Wie sollte diese Dimension beim potenziellen Übernahmekandidaten (Target) ausgeprägt
sein, um eine bessere Zusammenarbeit zu ermöglichen?
Darauf aufbauend entsteht eine Suchkriterienliste, die lediglich dazu dient, eine gro-
be Suchrichtung festzulegen und anschließend eine erste Vorauswahl an potenziellen
Kandidaten zu treffen. Parallel zu den kulturellen Kriterien werden auch andere stra-
tegisch wichtige Aspekte − dazu zählen z. B. die finanzielle Situation, die strategische
Position etc.12 − geprüft und letztendlich ein »idealtypischer Kriterienmix« gesucht.
Daraus lässt sich ein erstes vages Bild eines jeden Targets ableiten. Die neu generierten
Kandidatenprofile werden mit dem Käuferprofil auf ihre Transaktionseignung abgegli-
chen, woraus sich eine Endauswahl an potenziellen Partnern ergibt. Die beschriebene
idealtypische Planungsphase ist in Abb. 2 grafisch dargestellt.
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CDD-Urteil
Urteile anderer DD
Targetunternehmungskulturprofil
Käuferunternehmungskulturprofil
Pre-Integrations-
phase
Landeskulturelles Rahmenkonzept
13 Jansen stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Fluktuationsrate nach einer Fusionsankündi-
gung auf das zwölffache des Normalniveaus ansteigt (Jansen 2001, S. 19).
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen | 405
Teil
Nutzen
Feststellung der Profilunterschiede zwischen dem Target und dem Käufer.
Feststellung der Abweichung der Ist-Kulturen von der Soll-Kultur.
Festlegung der gewünschen Veränderungsrichtung.
vs.
Abb. 4: Multipler Kulturvergleich vor der Wahl eines Integrationskonzeptes (Quelle: Eigene Darstellung)
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• Erfassung und Erklärung der Kultur sowie der Grund- • Identifikation von kulturbedingten Problembereichen.
einstellung der Zielunternehmung zur besseren Ein- • Schaffung eines »Bewusstseins« für kulturelle Proble-
schätzung der Transaktionszukunft. me.
• Ableitung eines optimalen Verhandlungs- und Kom- • Reduktion der möglichen Konfliktpotenziale.
munikationsstils. • Unterstützung des Reflexionsprozesses über die eige-
• Bestimmung der kulturbedingten Synergiepotenziale ne Unternehmungskultur (z. B. der des Akquisiteurs)
bzw. -risiken. und Erhöhung der allgemeinen Betriebseffizienz durch
• Analyse und Gegenüberstellung der beiden kulturel- Einleitung von Veränderungsmaßnahmen.
len »Ist-Zustände« von M & A-Partnern und die daraus • Sensibilisierung der Akquisitionsbeteiligten für Kultur
folgende Ableitung von Transaktionsrisiken und als einen der zentralen Erfolgsfaktoren von internatio-
-chancen. nalen Transaktionen.
• Bestimmung einer idealen »Soll-Kultur«. • Reduktion des Cultural Clash.
• Ableitung der Konsequenzen und der Empfehlungen • Erleichterung der Integration.
für die kulturelle Integration. • Möglichkeit eines kulturellen Benchmarking.
Abb. 5: Ziele und Nutzen einer CDD aus Praxissicht (Quelle: Eigene Darstellung)
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen | 407
Teil
Abb. 6: Zentrale Probleme einer CDD in der Praxis: Beratungssicht (Quelle: Eigene Darstellung)
Aus Sicht der Beratungsrepräsentanten gehört zunächst ein analytischer Vergleich zwi-
schen den beiden Ist-Kulturen von M & A-Partnern zu den Basisteilergebnissen einer
CDD, aus deren Gegenüberstellung eine Identifikation von Ähnlichkeiten und Differen-
zen erfolgt sowie darauf aufbauend kulturelle Risiken und Chancen abgeleitet werden.
Dabei wurde die Notwendigkeit der Herstellung eines direkten Bezugs zwischen kul-
turellen Risiken und Chancen und ihrer möglichen Auswirkungen auf das operative
Geschäft besonders deutlich hervorgehoben. Schließlich wird i. d. R. aufgezeigt, welche
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen | 409
Teil
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XIII. Cultural Due Diligence als Erfolgsfaktor für internationale M & A-Transaktionen | 411
Teil
5 Ausblick
Die vorangegangenen Überlegungen basieren auf der Erkenntnis, dass eine adäquat ge-
staltete CDD essenzielle Informationen liefern kann, die letztendlich zu einer erfolgrei-
chen Zusammenführung von zwei Unternehmen beitragen. Da die Internationalisierung
der Märkte weiterhin voranschreiten wird, ist internationalen M & A-Aktivitäten auch
in Zukunft eine wichtige Rolle zuzuschreiben. Allerdings darf auch erwartet werden,
dass Lerneffekte aus gescheiterten Transaktionen resultieren und zukünftige M & A-Ak-
tivitäten »... notgedrungen anderen Mustern folgen müssen als es gegenwärtig der Fall
ist.«23 Dies impliziert u. a. auch den Einsatz einer professionellen kulturellen Analyse.
Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Kultur in
der heutigen M & A-Praxis zum Teil immer noch als ein abstraktes, höchst subjektives
und kaum messbares Phänomen gilt und dies laut der empirischen Untersuchung auch
auf absehbare Zeit bleiben wird. Gleichzeitig lassen sich aber deutlich entgegengesetzte
Meinungen identifizieren, die jedoch zugestehen, dass die Kulturmessung sowie die
-operationalisierung eine hohe Komplexität aufweisen. So wird z. B. erklärt, dass der
Prozess der Kulturdiagnostik durchaus eine hohe Analysequalität gewährleistet, indem
er sich an Kriterien wie Objektivität, Verlässlichkeit sowie Validität orientiert (»… Kultur
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ist messbar, sobald man sie pragmatisch begreift«24).25 Diese Kontroverse ist zunächst
als Status Quo in Bezug auf die CDD zu betrachten, wobei hinsichtlich der allgemeinen
Kulturbedeutung für internationale Transaktionen sowohl in der M & A-Forschung als
auch -praxis eine weitgehende Übereinstimmung herrscht. Gleichzeitig geht diese mit
einer in der Praxis häufig anzutreffenden Widerstandshaltung gegenüber einer me-
thodengestützten, standardisierten Kulturuntersuchung einher. Vor dem Hintergrund
der aufgezeigten Widersprüche sind die Potenziale einer CDD noch längst nicht aus-
geschöpft. Viele Fragen, z. B. bezüglich der konzeptuellen Gestaltung einer kulturellen
Analyse, ihrer möglichen Erhebungsinstrumente, ihres Einflusses auf die Unterneh-
mungsbewertung sowie der optimalen Methodik sind noch offen und bedürfen einer
weiterführenden Forschung.
Somit lassen sich zwei zentrale Entwicklungstendenzen für eine CDD prognostizie-
ren: Zum einen darf eine interne Verbesserung und Modifikation der CDD-Analyse-
möglichkeiten erwartet werden. Zum anderen trägt die weiterhin anhaltende Aktuali-
tät der kulturellen Thematik im Kontext internationaler M & A-Transaktionen zu einer
naturgemäss steigenden Aufmerksamkeit und Sensibilisierung der M & A-Spezialisten
hinsichtlich der CDD bei. Diese Entwicklungstendenzen bedingen sich gegenseitig und
können somit zu einer höheren zukünftigen Akzeptanz der CDD führen. Im Rahmen
dieses Beitrags wird eine eindeutige Position vertreten, nach der eine CDD ein sehr
bedeutsames Instrument für internationale M & A-Transaktionen darstellt. Der Umfang
und die Umsetzung einer CDD werden je nach Transaktionssituation variieren, jedoch
lässt sich unabhängig von diesen Variationen festhalten, dass die Erfolgschancen der-
jenigen internationalen M & A wesentlich gesteigert werden, die Kultur ihrer Bedeutung
entsprechend begreifen und behandeln.
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414 |
Teil
* Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks, Vorsitzender, Bundesverband Mergers & Acquisitions e. V., Geschäftsfüh-
rer, MMI Merger Management Institut GmbH, München.
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6.5 Querschnittstellen
6.6 Querschnittsmanagement durch Cross Functional Support Teams
6.7 Übergabe an das zukünftige Management
6.8 Projektsteuerung und Berichterstattung: Cockpit
7 Zusammenfassung und Ausblick
1 Die dem sog. Projekteigentümer (Project Owner) nicht unterworfenen Stakeholder sind von Anfang
an die Parteien, die die gegnerische Seite vertreten und die Protagonisten der Öffentlichen Hand,
wie etwa die Kartellbehörden, Arbeitnehmerorganisationen, lokale und überregionale Politik.
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des Projektes vor dem Hintergrund getroffener Entscheidungen und der sich ergebenden
potenziellen Zwänge – bis hin zur Entdeckung von Sackgassen – ist eine Übung, die im
Zuge eines M & A-Projektes wiederholt durchlaufen werden muss (vgl. Abb. 1).
Das Implementierungskonzept leitet sich dabei aus zahlreichen Randbedingungen
ab, die frühzeitig mithilfe eines durchgestochenen Planes identifiziert werden sollten.
Der unternehmerische Umbau zur Erreichung der M & A-Ziele ist dabei die wichtigste
Aufgabe. Sie ist einzubetten in eine Fülle von Randbedingungen, die aus der Ausgangs-
situation der zu fusionierenden Unternehmen hervorgehen sowie aus der Zielsetzung
des M & A-Projektes und der sozial-politischen Rahmenbedingungen, z. B.:
• begrenzte Finanz- und Managementressourcen,
• steuerliche Hebel und Lösungsansätze,
• kartellrechtliche Randbedingungen und Anforderungen an den Deal,
• Aufbau- und Ablaufstrukturen der Fusionskandidaten,
• Ergebnisverbesserungsziele vs. sozialverträglicher Geschäftsumbau.
Dazu kommen die Ziele, die mit der Übernahme von Anfang an verbunden sind, näm-
lich:
• Strategisch: Verbesserung der Wettbewerbspositionen,
• Finanziell: Stand-alone oder im Verbund,
• Zeitlich: Beschleunigungseffekte gegenüber organischen Vorhaben.
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• Produktgeschäft, Systemgeschäft...
Geschäftsdefinition • »Make or Buy«
• Auktion
Transaktionsform • Direkterwerb
• Ausgliederungen
• Separat lassen
Integrationsmodell • Organisationen aneinander hängen
• Fusionieren
• Holding
Rechtliche Strukturen • Konsolidierung
• Rechtsform
• Zentralisiert
Führungsstrukturen • Divisionalisiert
• Horizontalisiert
• Standardisiert
Geschäftsprozesse • Operative Aufgabenteilung
• Outsourcing
• Finanziell
Ziele • Strategisch
• Wert
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Integriertes
Akquisitions-
Reengineering-Projekt
Closing Closing
Legende:
Kopfzahl
Reine Akquisition
Closing Closing
Zeitbedarf
Überlappung: Komplementarität:
Abb. 3: Projektkatego-
Kostensenkungen Technologie/Regionen rien bei M & A (Quelle:
Eigene Darstellung)
Diese Fragen zur Charakterisierung des M & A-Projektes sollten frühzeitig erörtert wer-
den, weil sie sich stark auf die bereitzustellenden Kapazitäten und Kompetenzen für
die Projektteams auswirken. So empfehlen sich etwa für Projekte, die vorwiegend auf
Kostensenkung abzielen, eher kurze Einsätze der Projektteams mit großen Kapazitäten,
um die umfassenden Programme entwickeln und schnellstens zur Wirkung bringen zu
können. Dies impliziert auch, dass die Teams in starkem Maße »extern« bereitzustellen
sind, sei es von Beratern oder aus anderen Geschäftseinheiten (übergeordnete Organi-
sation oder zentrale Stäbe). Im Gegensatz dazu stehen Projekte mit hoher Komplemen-
tarität, sei es zur Erschließung neuer Technologien oder zum Eintritt in neue Marktre-
gionen. Im Technologiefall geht es i. d. R. eher darum, die Produktfamilien schneller
aneinander anzupassen oder eine neue Generation früher in den Markt einzuführen.
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Beides sind Aufgaben, die zumeist von der (internen) Produktenentwicklung zu leisten
sind, sei es durch Bildung einer gemeinsamen »Taskforce« aus den Entwicklungsabtei-
lungen beider Fusionskandidaten, unterstützt auch von Kunden und Lieferanten. In der
Regel erfordern solche Verdichtungen von Forschung und Entwicklung einen Zeitauf-
wand, der sich mehr auf der Zeitstrecke abspielt als in der Höhe der Kopfzahl.2
Das Teilprojektmodell kommt der Praxis am nächsten, wenn die Strategieentwick-
lung oder die Transaktion mehr oder weniger abgeschlossene Projekte darstellen, weil
dazwischen größere Zeiträume für die Entscheidungsfindung liegen oder weil etwa
vorlaufende Strategie- oder Screening-Projekte nur den Rahmen für ein nachfolgendes
M & A-Projekt abstecken. Dies trifft insbesondere auf Fälle zu, bei denen die grundlegen-
den strategischen Handlungsoptionen, ob organisch oder extern, erst erarbeitet werden
müssen und bei denen die Handlungsbandbreite auf wenige potenzielle Kandidaten
eingeschränkt ist. Die »Projektpause« fungiert dabei als Zeitfenster, um den optimalen
Zeitpunkt für den »Abschuss« des Wunschkandidaten abzuwarten.
Stufenkonzepte basieren nicht so sehr auf einer Unterscheidung der Hauptprojektpha-
sen. Sie sind vielmehr nach den einzelnen Arbeitsschritten gegliedert, die in strenger
Folge und unter Parallelschaltung einzelner Schritte abgearbeitet werden. Dieses Kon-
zept ist bei Projekten geringer Komplexität anzuwenden bzw. findet seinen Platz bei
Vielkäufern und bei relativ einheitlichen und nicht zu großen M & A-Projekten. Durch
hohe Standardisierung, durch relativ schnelle Wiederholraten lassen sich Erfahrungen
aus vergangenen Projekten zunutze machen, die eine enge Verzahnung der Projektstu-
fen, ein Antizipieren einzelner notwendiger Aufgaben erlauben und damit helfen, etwa
ungeplante Iterationen zu vermeiden.3
Integrale Prozessmodelle empfehlen sich bei komplexen Großvorhaben mit dem Cha-
rakteristikum hohen Explorationsgrades4 bzw. Einzigartigkeit und Seltenheit. Die pa-
rallel laufenden »End-to-end«-Prozesse erlauben einen ständigen Abgleich zwischen
den Teilprozessen und sichern die Konsistenz von Beginn bis zum Ende des gesamten
Projektes – vorzugsweise unter durchgängiger Verantwortung der Führungskräfte in
den einzelnen Prozessen und unter der Gesamtleitung durch einen »Projekteigentümer«
(Project Owner), etwa dem CEO der erwerbenden Organisation.
In der Realität sind die zuvor genannten Reinformen der M & A-Projektführung eher
selten anzutreffen.5 Vielmehr bieten sich Hybridvarianten an, etwa mit Teilprojektkonfi-
guration (weil durch notwendige Weichenstellungen größere Pausen entstehen), geglie-
dert durch Einzelstufen im Projektvorfeld und bei der Transaktion, weil die Abfolge der
2 Grundsätzlich zu unterscheiden sind auch die Phasen der Produktlebenszyklen, mit der die Produk-
te beider Kandidaten aufeinandertreffen. Liegen die Produkte beider Kandidaten »synchron« und
regional überlappend zueinander, dann geht es bei der Zusammenführung um die Harmonisierung
der Technologien. Liegen die Produkte im Lebenszyklus versetzt zueinander, dann impliziert dies
eine Wechselstrategie, d. h. die Übernahme z. B. der kommenden Produkttechnologien des Targets
für das Gesamtunternehmen nach seiner Fusion.
3 Eine der wesentlichen Schwachstellen bei den sog. Stufenprojekten ist die Iteration, d. h. das Zu-
rückspringen auf Projektstufen, die bereits durchlaufen sind. Eine sehr erfahrene M & A-Organi-
sation zeichnet sich dadurch aus, dass Iterationen nicht notwendig sind oder vermieden werden
können, weil entsprechende Fragestellungen bereits im Vorfeld durch Antizipation gelöst worden
sind.
4 Tendenziell sind Prozessmodelle deshalb dann geeignet, wenn es um die Erschließung neuer Tech-
nologien oder neuer Vertriebsregionen – sprich: Einstieg in neue Länder und Regionen – geht.
5 Die meisten M & A-Projektorganisationen sind ad-hoc formierte Gebilde ohne Bewusstmachung wel-
che grundsätzlichen Modelle sich anbieten und welche Hybride den jeweiligen Zweck optimal er-
füllen. Damit bleibt ein erhebliches Verbesserungspotenzial unangetastet.
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Schritte durch die operativ zu Beteiligenden vorgegeben ist, und eine eher prozessorien-
tierte Organisation bei der Implementierung, da die parallel laufenden Handlungsströme
auf vorhandenen Funktionsvertretern aufsetzt.6
6 Bedingt zum Beispiel durch Gliederungen in funktionale Hauptvertreter beim Übernehmer und
beim Target. Dadurch ergeben sich geschäftsorientierte Prozesse, etwa für R & D, Fertigung, Ver-
trieb.
7 Um Missverständnisse zu vermeiden: Es handelt sich nicht um ein »Maximalmodell«, sondern um
die Einführung von Begrifflichkeiten für die einzelnen Aktivitäten (sog. »Working Packages«) eines
M & A-Projektes, sofern dieses Projekt in einem Zuge durchgeführt werden kann. Es können erheb-
lich komplexere Organisationen erforderlich werden, wenn das Projekt z. B. aus kartellrechtlichen
und wettbewerbsrechtlichen Gründen aufgespalten werden muss.
8 Gemeint sind konsekutive oder zeitparallel ablaufende Tätigkeiten (Arbeitspakete) die so gestaltet
werden können, dass größere Iterationen im Projektablauf vermieden werden können. Es kann da-
gegen notwendig werden, aufgrund von übergeordneten Randbedingungen das gesamte Projekt in
mehrere Teile zu zerlegen, um etwa zu vermeiden, dass eine kartellrechtlich kritische Region den
Fortlauf des gesamten Projektes verzögert.
Phasen Vorbereitungsphase Transaktionsphase Implementierungsphase
Kernprozesse
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Die besonderen Herausforderungen bei dem Prozessmodell bestehen beim Grad der
Erfahrungen, die die Protagonisten der einzelnen Prozesse hinsichtlich Abstimmung
ihrer Aufgaben untereinander haben müssen, um ihre Rolle optimal für das Gesamt-
projekt spielen zu können. Dazu gehört vor allem die Tarierung der Gewichte, die die
Kernprozesse im Verhältnis zueinander in den verschiedenen Projektstufen beitragen:
(1) der in der Vorfeldphase dominierende Kernprozess Strategie & Planung, (2) der sog.
Deal Making-Prozess, der die Transaktionsphase hauptsächlich bestimmt und (3) der
Implementierungsprozess, der die Schlussphase eines M & A-Projektes prägt. Die Prozesse
selbst gliedern sich in sog. Arbeitspakete. Unter der Ebene der Arbeitspakete befindet
sich eine dritte Ebene: die Workstreams zur Sicherung der Durchgängigkeit des Ein-
satzes von Instrumenten, sogenannten Tools. Im Folgenden werden die hintereinander
gelagerten, für die Integration der drei Kernprozesse hauptsächlichen Arbeitspakete in
ihrer Abfolge behandelt. Auf die Tools wird an späterer Stelle, in Kapitel 5. vertiefend
eingegangen, zu ihrer Organisation siehe speziell Abschnitt 5.8.
2.1 Integrationsstrategien
Erster Schritt ist die Ableitung der erfolgversprechendsten Strategie, unter Einbezug
aller Handlungsoptionen (vgl. Abb. 4 Punkt 2.1), Priorität genießt der organische Ge-
schäftsausbau. Erst wenn sich dieser Pfad als nicht gangbar oder – im Vergleich zu
Wettbewerbern im Konsolidierungswettbewerb – als nicht weitreichend genug erweist,
weil etwa ein Konkurrent in derselben Konsolidierungswelle mit einer besseren Strate-
gieposition ein stärkeres Wachstum erreicht und ein Kandidat in diesem Fall relativ zu-
rückfällt, dann sollte auf externe Strategien »höher geschalten« werden, d. h. auf M & A
oder strategisches Partnering (mit oder ohne Einbringung von Eigenkapital). Grund
für die Zurückhaltung gegenüber M & A ist, dass ein »externer« Pfad – im Gegensatz zu
einem organischen Geschäftsausbau – grundsätzlich ein höheres Risiko beinhaltet und
somit aus Risikoüberlegungen organisches Wachstum vorzuziehen ist.9
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ausbau. Im angelsächsischen Raum wird einem externen Geschäftsausbau über M & A ein grund-
sätzlich niedrigeres Risiko beigemessen, weil die dazugehörigen Maßnahmen schnell getroffen
werden können, und ein erfolgreicher Umbau zu einer sprunghaften Verbesserung der Geschäfts-
position führt. Dies schlägt sich in einer größeren Offenheit gegenüber Nachfolgelösungen mithil-
fe von M & A nieder, etwa mittels Management Buy-out (MBO) oder Management Buy-in (MBI).
Organischer Ausbau, insbesondere regionaler Markteinstieg über neue Produktfamilien wird im
angelsächsischen Raum dagegen als kritischer angesehen, wegen zeitlicher Bindung von Finanzen
und Managementressourcen. Im deutschen Sprachraum wird dagegen M & A als kritischer gesehen,
während organischer Ausbau über mehrere R & D-Generationen wegen seiner Nachhaltigkeit als
erfolgversprechender angesehen wird.
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Im Fall eines beschränkten Informationszuganges infolge einer Auktion oder bei einer
unfreundlichen Übernahme entfällt notgedrungen der zweite Schritt. Umso wichtiger ist
es, in diesem Fall eine Simulation ohne direktem Kandidatenzugang durchzuführen.10
2.4 Exploration
Die Kontaktaufnahme mit dem Kandidaten zum Zwecke der Exploration (vgl. Abb. 4
Punkt 2.4) hat vor allem das Ziel, herauszufinden, ob der Kandidat überhaupt zu ei-
nem M & A-Modell mit dem eigenen Unternehmen bereit ist, in welcher Konstellation
dies geschehen sollte und ob diese Konstellation mit den eigenen Modellvorstellungen
kongruent ist. Bei ernsthaftem Interesse und bei komplexen Projekten wird zu diesem
Zweck in einem zweiten Schritt ein von beiden Seiten zu besetzendes Explorationsteam
gebildet, das die Aufgabe hat, Modelle des Zusammengehens unter strategischen As-
pekten und Werthebeln zu untersuchen.
10 Die Belastbarkeit eines Business Case in Form einer sorgfältigen Simulation der integrierter Ge-
schäftsmodelle (eigenes Geschäft plus Geschäft des Kandidaten plus Verbundeffekte) ist erstaunlich
groß, wenn plausibilisierende Annahmen zugrunde gelegt werden, z. B. Korrelationen des Geschäf-
tes des Kandidaten mit dem eigenen Geschäft, so etwa: Relationen von Rendite basierend auf der
Marktposition und der Abdeckung der Wertschöpfungskette.
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Hintergrund für die sog. »externe« Exploration ist immer die Existenz und Aktivität
der »internen«, hauseigenen Exploration, die der externen Exploration voraneilt und
vertiefende Analysen durchführt. In diesem Zusammenhang können sog. »Non Ne-
gotiables« behandelt werden, kartell- und wettbewerbsrechtliche Dinge simuliert und
Modelle vorüberlegt werden, die maßgeblich für die spätere Umsetzung sind. Sie be-
treffen den Grad der Erreichung strategischer Führungspositionen im Markt, den Grad
der Beschleunigung im Konsolidierungswettlauf, die geschäftliche Stabilität der für die
Integration vorgesehenen Einheiten in der Phase bis zur Integration sowie das Integ-
rationsmodell selbst. Darüber hinaus sind die Handlungsoptionen der Wettbewerber
zu untersuchen, deren Hebel gegen unsere Fusion (sog. »Retaliation Strategies«) und
deren M & A-Handlungsoptionen als Antwort auf den von einem selbst angestrebten
Zusammenschluss.
Wenn Zusammenschlüsse von Wettbewerbern als Gegenreaktion auf die eigenen
M & A-Aktivitäten zu erwarten sind, oder wenn die eigenen Aktionen Teil einer Konso-
lidierungswelle sind, dann müssen die daraus folgenden Effekte bewertet werden. Es
könnte sich dadurch z. B. ergeben, dass in der Konsolidierungsrunde ein Preiskarussell
angeschoben wird, nach dem sich die gewonnenen Synergien zwischen den jeweiligen
Partnern wieder aufheben. Als »belastbare« Synergien bleiben dann nur diejenigen üb-
rig, die stärker sind als die Kostenvorteile, die eine gegnerische Allianz erreicht. Sollte
sich herausstellen, dass die in den eigenen M & A-Aktivitäten erreichbaren Synergien
kleiner sind als die eines gegnerischen Zusammenschlusses, dann kann es sinnvoll
sein, einen anderen Partner zu wählen. Wenn dieser Partner dann größer ist als man
selbst, so könnte das zu einer Minderheitsposition führen oder in eine Anlehnungsstra-
tegie. Wenn sich dies jedoch nicht mehr mit den strategischen Zielen deckt – etwa nach
der Forderung der industriellen Führung in diesem Projekt – dann müsste konsequen-
terweise über einen Ausstieg aus diesem Geschäft, sprich einen Verkauf, nachgedacht
werden. Da in dieser frühen Phase eines M & A-Projektes noch keine großen Kosten
aufgelaufen sind, ist ein »Umlenken« noch möglich. Zu einem späteren Zeitpunkt, z. B.
in der Integrationsvorbereitungsphase (vgl. Kap. 3.3), wären bereits erheblich höhere
Kosten aufgelaufen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, schon in der Vorbereitungsphase
einen belastbaren Business Case aufzustellen und die beschriebenen Hintergrundana-
lysen durchzuführen.
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3.2 Integrationskonzept
Parallel zur Due Diligence und auf das Engste verzahnt mit der gezielten Informati-
onsbeschaffung ist das Integrationskonzept (der »Business Case«) als erstes integrales
Gesamtmodell für die Fusion zu entwickeln. Für diese Aufgabe wird erstmals das Inte-
grationsteam herangezogen, bestehend zunächst aus Stabs- und Linienverantwortlichen
der Konzernzentrale bzw. des betroffenen Geschäftes. Ihr Aufgabenspektrum beinhaltet
die Strategie, einschließlich erreichbarer Markt- und Technologiepositionen, sowie die
Produktlandschaft, gebildet aus dem Portfolio beider Kandidaten, und deren Weiterent-
wicklung zu einem Produktfamilienkonzept. Des Weiteren ist das Kulturprofil abzubil-
den, etwa die Harmonisierung oder die Kultivierung und Abstimmung beider Kulturen,
was z. B. bei verschiedenen Nationalitäten oder unterschiedlichen Herkunftsbranchen,
Unternehmensgrößen und verschieden großen Lenkungsspannen sinnvoll sein könnte.
Das Integrationskonzept sollte vor allem die Ansätze zur Harmonisierung der Ab-
laufmodelle (Prozesshauskonzept), aus der Sicht des Käufers abbilden, wobei die bis
dato gewonnenen Kenntnisse (Due Diligence!) über die Aufbau- und Ablaufstrukturen
des Kaufkandidaten mit einfließen. Insofern stellt das Zielszenario erstmals die Gesamt
organisation der zu bildenden neuen Einheit dar. Dieses Zielszenario wird unmittelbar
nach dem Closing dem Management und den Teammitgliedern der Zielgesellschaft vor-
gestellt (vgl. die folgenden Kapitel). Neben diesem Zielszenario ist der zeitliche Weg
(»Fahrplan«) zu diesem Ziel darzustellen; zumindest sollte festgelegt werden, zu wel-
chem Zeitpunkt und über welche groben Zwischenschritte das finale organisatorische
Modell erreicht werden soll.
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der Fertigung und bei Forschung & Entwicklung präzisieren lassen – und zwar sowohl
bezogen auf die Organisation des Käufers als auch auf die Organisation des Targets, der
zum Verkauf stehenden Einheit des Verkäufers. Bezogen auf die Erfolgshebel des Target
kann vor dem Closing nur mit Annahmen (Simulation) gearbeitet werden, da die Käu-
ferseite in der Arbeitsstufe vor dem Closing aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nur
summarisch (und nicht auf Einzelprojektebene) und nur mit ausgewählten Vertretern
der Leitungsebene des Targets verhandelt wird und die operative Ebene der Zielorgani-
sation nicht eingebunden sein darf.
Um zu belastbaren Annahmen über einzelne Geschäfte oder Produktlinien des Tar-
get zu kommen, kann zu diesem Zeitpunkt ein sog. »Clean Team« organisiert werden,
bestehend aus neutralen Beratern, die die Aufgabe haben, aus operativen Projektdaten
(auf die zu diesem Zeitpunkt der Käufer keinen Zugriff haben darf, da wettbewerbs-
relevant) die Kostenstrukturen und Ergebnisprofile des Gesamtgeschäftes abzuleiten.
Dieses Datengerüst dient als die Basis für das Herunterbrechen der Gesamtoptimie-
rungsziele etwa auf Produktlinien, Standorte oder auf die Wertschöpfungsstufen.
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•Projektübersicht Integrationsbüro
•Business Anwendungsbereich Integrationsbüro
•Wertvorschlag Integrationsbüro
•Verkaufs- und Marktanteilsziele Integrationsbüro
•Risikobeurteilung Funktionale Teams
•Rechtsform Rechtsberater
•Organisationsstruktur Integrationsbüro
•Unternehmensbewertung & Business Plan Integrationsbüro/Management
•Integrationsplan (Maßnahmen, Synergien) Funktionale Teams
•Kommunikationsfahrplan Kommunikationsteam
•KulturelleDue Diligence Integrationsbüro
•HR-Integrationsplan HR-Team
•Integrationsteam-Aufbau Integrationsbüro
Abb. 5: Themen und Statusbericht für die Integrationsbereitschaft zum Closing (Quelle: Siemens-Alstom)
Mit dem Closing beginnt die operative Integration. Hierzu wird ein umfassendes Inte-
rimsteam, das sog. Integrationsteam aufgesetzt, das zusammen mit dem Management
der beiden zu integrierenden Einheiten sämtliche Funktionen des Kontinuitätsmanage-
ments (Schwerpunkt liegt beim Management der beiden zu integrierenden Einheiten)
und des Diskontinuitätsmanagements (Schwerpunktmäßig bei Interim Team) abdeckt.
Aus Gründen der Arbeitsteiligkeit (vor allem zwischen Kontinuitätsmanagement und
Diskontinuitätsmanagement) und wegen des erforderlichen Funktions- und Erfahrungs-
hintergrundes hat sich in der Praxis eine Teilung der Verantwortlichkeiten etwa nach
folgenden Schwerpunkten als vorteilhaft erwiesen (vgl. Abb. 4):
• Wertschöpfungskette und Standorte (s. Kap. 4.1)
• Organisation und Prozesse (s. Kap. 4.2)
• Maßnahmenprogramm (s. Kap 4.3)
• Das Programm für den kulturellen Wandel (s. Kap. 4.4)
• Das Team für den Readiness-Plan (s. Kap. 4.5)
• Das 100-Tage-Programm (s. Kap. 4.6)
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dann können die Prozesse einheitlich definiert und über alle Geschäfte und Regionen
ausgerollt werden.
4.3 Maßnahmenprogramm
Das Maßnahmenprogramm (Measures Program)-Team setzt die Aufgaben des »He-
bel«-Teams (vgl. Kap. 3.4) fort und ist als Stabsteam im Project Office dem Integrations-
manager direkt unterstellt. Dieses Arbeitspaket ist hauptsächlich mit Beratern (intern
oder von extern) zu besetzen, da spezielle Erfahrungen und Instrumente anzuwenden
sind. Die Aufgabe ist einzubetten in die aus dem für »Organisation und Prozesse«-Team
(vgl. Kap. 4.2) gebildeten »Zellen« der Organisation. Jede »Zelle«, gebildet in der Matrix
zwischen Aufbau- und Ablauforganisation, trägt bestimmte Kosten- und Verbesserungs-
potenziale der neuen, zusammengeführten Organisation. Dies gilt es in einer Bottom-up-
Übung zu definieren, um letztendlich die top-down entwickelten Ergebnishebel zu 100 %
abzudecken. Erfahrungsgemäß gelingt das nicht »im ersten Rutsch«, sondern es bedarf
wiederholter Anläufe und dauert in der Praxis größerer Projekte mehrere Monate.
Das Maßnahmenprogramm ist die Quintessenz des Integrationsprojektes. Ziel sollte
es sein, alle Hebel in den drei Hebeldimensionen – (a) Wertschöpfung, (b) Geschäfte
und (c) Produkte und Standorte – zu 100 % bottom-up mit Maßnahmen zu hinterlegen.
Darüber hinaus sind die Einzelmaßnahmen schrittweise zu »erhärten«. Dazu kann
ein sog. »Härtegradkonzept« dienen (vgl. Kap. 5.4). In einem Meilensteinprogramm ist
festzulegen, zu welchem Zeitpunkt welche Maßnahme in welchem Härtegrad erfüllt
sein soll. Insgesamt ergibt sich daraus zu jedem Zeitpunkt ein Soll für einen »Meilen-
stein-Härtegrad-Füllstand«. Dieser ist mit dem erreichten Härtegrad zu vergleichen. Aus
dem Vergleich ergibt sich das Maß über die Erreichung oder Verfehlung der Ziele.
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Abb. 6: Stimmungs-
schwankungen im Zuge
der M & A-Integration
(Quelle: Fujiutsu-Sie-
mens)
Unverkennbar besteht dabei ein direkter Bezug zwischen Kommunikation bzw. Maß-
nahmenergreifung durch das Management und der Motivationsebene des Mitarbeiters
(vgl. Abb. 7). Auf der Strategie-/Strukturebene werden Schritt um Schritt die Struk-
turziele definiert, die entsprechenden Maßnahmen verkündet und die Umsetzung ver-
folgt. Demgegenüber steht die (individuelle) Motivationsebene des Mitarbeiters. Dieser
sollte – seiner Rolle entsprechend – in die Programmentwicklung mit einbezogen wer-
den, indem er – nach Information über ein Maßnahmenbündel – hierzu Stellung bezieht
und sein Feedback geben kann. Im Idealfall fließt dies über eine Controlling-Verknüp-
fung in die Maßnahmengenerierung auf der Strukturebene ein, so dass sich am Schluss
dieses auf zwei Ebenen miteinander verknüpften Regelkreises eine Zielkonsistenz zwi-
schen der emotionalen Erwartung des Mitarbeiters und des Strukturzieles für diesen
Abschnitt der Maßnahmen ergibt.
Strukturziel Strukturmaßnahmen
Strategie-/
Strukturebene
Controlling
Kulturziel Kommunikation
Kultur-/
Motivationsebene
Abb. 7: Korrespondenz-
beziehungen zwischen
Feedback
Struktur und Kultur
(Quelle: Siemens)
Das Management des kulturellen Wandels ist somit ein fester Bestandteil des Integra-
tionsmanagements, das immer »das Ganze« im Auge behalten muss, nämlich (a) die
Maßnahmenentwicklung und Umsetzung auf der Ebene des Unternehmens und (b) die
Feedbackschleife auf der Ebene des Individuums, um den einzelnen Mitarbeiter im Zuge
der M & A-Maßnahmenumsetzung nicht zu verlieren.
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Alle internen und externen Stakeholder müssen in der Reihenfolge ihres (politisch-ge-
sellschaftlichen) Gewichtes und dem Grade ihrer Unmittelbarkeit entsprechend infor-
miert werden. Die Informationspflicht ergibt sich auch aus den Notwendigkeiten der
Finanzmarktkommunikation, indem z. B. bei einer Börsennotierung (Listing) einer der
beiden in der M & A-Transaktion involvierten Muttergesellschaften in Europa (etwa DAX
in Deutschland) und Nordamerika (etwa New York Stock Exchange (NYSE)) der Vollzug
zeitgleich angekündigt werden muss (etwa 14 Uhr Frankfurt entsprechend 8 Uhr New
York – bei sechs Stunden Zeitunterschied).
Dem gesamten Informationsprogramm (Zeitplan und Abarbeitung der Stakeholder)
sollte ein Strategiepapier zugrunde gelegt werden, aus dem Konzepte, Ziele und Pfa-
de entnommen werden können. Auf diesem zu entwickelnden Basispapier sollte die
gesamte interne und externe Kommunikation aufsetzen, um die Konsistenz über die
Hauptphase des Kommunikationsprozesses (zwischen Signing bis zum Ende der ersten
100 Tage) und über alle Stakeholder sicherzustellen.
4.6 100-Tage-Implementierungsprogramm
Das 100-Tage-Implementierungsprogramm beinhaltet im Wesentlichen zwölf Themen:
1. Festlegung der zugrunde zu legenden Steuerungsprinzipien und des Zieleprofils für
das Projekt, z. B. für (i) Tiefgang der Integration, (ii) Art der Integration, (iii) Haupt-
quellen für Synergien, (iv) Geschwindigkeit der Integration und damit Arbeitsprofil
für das Interimsteam (z. B. viele Mitarbeiter in kurzfristigem Einsatz oder weniger
Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum),
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Auftakt für die Umsetzung des vom Käufer entwickelten Maßnahmenkataloges sind
die sog. Alignment Workshops unmittelbar nach dem »Day 1«. Hierbei machen sich
die Managementteams beider Seiten gegenseitig bekannt, wobei das übernehmende
Management auch die Führungsebene des Integrationsprogramms vorstellt und dem
Management der übernommenen Gesellschaft die Gelegenheit gibt, Gegenvorschläge zu
machen. Ein begrenzter Zeitraum von wenigen Tagen sollte ausreichen, um Ziele abzu-
stimmen und grundlegend über den Ablauf des weiteren Programms zu entscheiden.
Des Weiteren sollte das Gesamt-Verbesserungsziel vorgestellt werden, einschließlich
der Hebel, soweit diese im Vorfeld des Closings auf der Käuferseite definiert werden
konnten. Sofern aus dem Kreis des Kaufobjektes keine besseren Vorschläge kommen,
sind die Pläne der übernehmenden Seite verbindlich. Für strittige Themen oder Ver-
tiefungen können gemeinsame Spezialteams aufgesetzt werden. Damit wären die Eck-
punkte der Top-down-Planung gesetzt. Nunmehr können die gemischten Teams des
Integrationsmanagements tätig werden und mit der Bottom-up-Planung beginnen (vgl.
Abb. 4 Punkte 4.1 bis 4.4).
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4.7 Ein-Jahres-Implementierungsplan
Der Ein-Jahres-Implementierungsplan (»One Year Implementation Plan«) umfasst die
Einzelprogramme der Kapitel 4.1 bis 4.5. Die eigentlichen Ziele dieses Planes liegen
darin, (1) die Top-down-Planung mit der Bottom-up-Planung zur Deckung zu bringen
und (2) die Einzelprogramme zu verzahnen. Das erste Ziel ist ein ehrgeiziges, welches
in zahlreichen Runden verfolgt werden muss. Erfahrungsgemäß treten zwischen beiden
Planungen erhebliche Differenzen auf, die mit der Zeit gefüllt werden müssen. Dabei
ist es nicht zielführend »sklavisch« die Einzelmaßnahmen soweit zu biegen, bis sie mit
der Top-down-Planung stimmig sind. Vielmehr geht es in diesem dynamischen und
intelligenten Prozess darum, Deckungslücken aufzuspüren und ggf. durch ganz neue
Maßnahmen anzufüllen.
Auch das zweite Ziel, die Verzahnung der Einzelprogramme, erfordert immer wieder
Intelligenz und Mut. Erfahrungsgemäß gehen Motivationen verloren, sobald der Betref-
fende von Maßnahmen erfährt, die seinen Bereich schmälern. Da die einzelnen Prota
gonisten an den Standorten »gemischt« verteilt sind, kommt es natürlich laufend vor,
dass ein negativ Betroffener einem gerade vom Erfolg motivierten Kollegen gegenüber-
tritt. Diese Treffen münden in Spannungen und meist mehr in Demotivationen denn
in Motivationen. Daher muss das Management mit »Cultural Alignment-Programmen«
eingreifen, bevor es zu spät ist, und die Mitarbeiter Schaden nehmen bzw. verursachen.
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5.1 B
enchmarking zur Analyse von Ausgangssituation und
Potenzialen verschiedener Handlungsoptionen
Benchmarking ist ein systematischer und kontinuierlicher Prozess des wettbewerbli-
chen Vergleiches. Er dient vor dem M & A-Projekt zur Feststellung der Ausgangspositi-
on und der Abschätzung der Verbesserungspotenziale durch organische Maßnahmen
und durch Zusammenschlüsse mit verschiedenen potenziellen Kandidaten (vgl. Abb.
8). Auch zur Analyse der Handlungsoptionen gegnerischer Parteien ist Benchmarking
geeignet. In der Industriepraxis wird dieses Instrument zur Analyse ganzer Konsolidie-
rungswellen herangezogen – etwa zur Klärung der Frage, ob ein bestimmtes M & A-In-
tegrationsmodell mit einem konkreten Wettbewerber zu einer besseren Zielposition
führt als die wahrscheinlichsten gegnerischen Zusammenschlüsse. Diese Analyse kann
im Vorfeld eines M & A-Projektes auch zur Priorisierung von Kandidaten herangezogen
werden (vgl. Kap. 2.2 Kandidatenscreening).
Einkauf
Produktivität Durchschnittliche
Einsparungen
beim Einkauf
Profit
bevor
Herstellung
Industrielle Kostenfaktor- Einsparungen
Konkurrenten Steigerungen pro
Aktivitätsgruppe
Konkurrenten
Preisverfall
Volumen-
abnahme
Goodwill/
Restrukt.
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12 Auf die methodischen Ansätze zur Bewertung des Terminal Value soll an dieser Stelle nicht einge-
gangen werden. Angesichts von über 70 % des Gesamtwertes, den der Terminal Value repräsentie-
ren kann, werden verschiedenste Verfahren zur Verfeinerung und Plausibilisierung eingesetzt, wie
etwa das Ramping von Ergebniswerten über eine sog. Ramping-Periode in Richtung »null Zusatz-
synergien« oder in Richtung »Eigenkapitalrendite gleich Eigenkapitalkosten«, da anderenfalls bei
langfristigen »Überrenditen« neue Wettbewerber angezogen werden würden.
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Dieses Konzept wird in einen Plan »gegossen«, nachdem zu einem bestimmten Zeit-
punkt (Meilenstein) ein bestimmter Grad, z. B. an Vereinbarungen zur Umsetzung der
Maßnahmen erreicht werden soll. Ist dies tatsächlich der Fall, wird dieser Erreichungs-
zustand im Sinne einer »Ampelsteuerung« (vgl. Kap. 6.4) mit der Schaltung »grün«
signalisiert.
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Monat 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Härtegrad:
1 2 3 4 5
Zielentwicklung per TT/MM/Jahr Besonderer Handlungsbedarf
Soll IST # Maßnahmen
HG 1
HG 2
HG3
HG4
HG5
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Auch auf der Ebene der Einzelmaßnahmen wird das Prinzip der Mehrdimensionali-
tät »gelebt«, indem die Maßnahmenkataloge z. B. in der Form einer Matrix aufgegliedert
werden und Verantwortliche in zwei Dimensionen die Gewährleistung für die Umset-
zung per Unterschrift übernehmen – also bspw. einer für Forschung & Entwicklung ge-
samt und die jeweils Produktverantwortlichen für dem Forschung & Entwicklungsgehalt
ihres jeweiligen Produktportfolios.
Business Field: Gas Org.-Unit: Gasturbine Reference Calculation Project GuD 2.94.3A2ZGK5
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Interne Prozesse
◆ Konstruktionsstunden
◆ Letzte Fertigungszeit
◆ Einführung von SAP
Angestellte/Innovation
◆ Kombinierte Managementsitzungen
◆ Sitzungen mit wichtigen Angestellten
◆ Anzahl von Job-Rotationen
◆ Volumen der kombinierten F & E
04/00 05/00 06/00 07/00 08/00 09/00
Definierte Scorecard Follow-Up-Punkte Scorecard Window open »on click«
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Start of project [D1] Start of Requirements Eng. [D2] Start of Coding [D3]
Start of Sys/Integ Test Start of Beta Beta Acceptance Abb. 12: Fallbeispiel
General Availability [D4]
Siemens Shared
Medical Services:
Scorecard-Einsatz bei der
Case: Siemens Shared Medical Services
Umsatzungsverfolgung
(Quelle: Siemens)
5.8 W
orkstreams zur Harmonisierung des Tool-Einsatzes
mit dem Prozess-Ansatz
Der Einsatz oben genannter Tools muss übergreifend über die beschriebenen Arbeitspa-
kete erfolgen. Dabei ist daran zu erinnern, dass die Arbeitspakete gewissermaßen »Pro-
dukte« darstellen, die jeweils mit einem Zwischenergebnis abzuliefern sind. Dies erlaubt
(a) eine Kontrolle der Zwischenergebnisse und (b) einen Abbruch des Projektes sofern
sich dies aus übergeordneten Erkenntnissen oder Ereignissen als notwendig erweist,
ohne dass Folgekosten durch Commitments für anschließende Arbeiten entstehen. Die
Tools hingegen sind Arbeitspaket-übergreifend einzusetzen, indem sie von Arbeitspaket
zu Arbeitspaket voranschreiten oder verfeinernd eingesetzt werden. Sie bilden damit
sogenannte Workstreams, die in der Hierarchie der Projektorganisation die dritte Ebene
darstellen (nach den Prozessen und den Arbeitspaketen als erster und zweiter Ebene).
Abb. 13 zeigt exemplarisch, wie sich dies im Kontext von Phasen und Arbeitspaketen
in komplexen Großprojekten darstellt. Bei einfachen, kleineren Projekten kann man
auch auf die Ebene der Kern- und Unterstützungsprozesse sowie auf die Arbeitspakete
verzichten und auf oberster Hierarchieebene die Workstreams anordnen, um Komplexi-
täten zu senken. Neben den oben beschriebenen Workstreams zu »Benchmarking«, »Ba-
selining«, »Maßnahmenentwicklung« und »Härtegradverfolgung« können auch weitere
Workstreams definiert werden wie Produktportfolio-Entwicklung, Wertschöpfungstiefe
(Make or Buy), Verteilung derselben auf Regionen und Standorte (z. B Entwicklung pro-
duktreiner Standorte zur Senkung der Komplexität und Erzielung von Skalen-Effekten),
Prozesshaus-Ansätze (sofern die Mütter entsprechendes eingeführt haben), Ableitung
und Definition der Führungsinstrumente mit ihren Gremien sowie die Entwicklung der
projektinternen Implementierungsteams und – last but not least – der ganze Komplex
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Arbeits Carveout Design Umsetzung Separierung Umsetzung Stand Alone Post Closing Carve-In
pakete
Integrationskonzept Integrations-Vorbereitung 100 Tage Implem. 1 Jahr Implement. Kontin. Verbessrg.
Führung +
Gremien Absichten/Schlüsselfunk-Träger/Assessments/Besetzungen
Abb. 13: Workstreams zum kontinuierlichen Einsatz der M & A-Tools (Quelle: Siemens)
zur Führung des kulturellen Wandels. In der Praxis sind auch Workstreams nach Wert-
schöpfungsstufen (Produktbereitstellung, Vertrieb…) und Stabsfunktionen (Strategie,
Marketing…) für einfache Projekte geringerer Komplexität denkbar. Auf dieses sich
selbst erklärende Modell soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.
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Mit Beginn der Post Closing Integration werden dem Projekteigentümer zur fachlichen
Unterstützung auf den einzelnen Geschäftsressorts und in den Geschäftszweigen sog.
»Paten« (»Business Sponsor«) zugeteilt, die den einzelnen Projektteams (vgl. Kap. 6.2)
beratend zur Seite stehen. Diese Business Sponsors sind Führungskräfte des operativen
Geschäftes beider Seiten, die im Sinne von Chefberatern (Senior Advisors) fungieren
und Maßnahmen oder Programmteile im Vorfeld von Lenkungsausschusssitzungen ab-
segnen.
Der Lenkungsausschuss ist die höchste Instanz für das M & A-Projekt. Es stellt sicher,
dass alles an oberster Stelle zusammenläuft. Bei großen Projekten setzt sich der Len-
kungsausschuss aus Mitgliedern des Vorstands zusammen. Grundprinzip sollte jedoch
sein, dass das Steering Committee so niedrig wie möglich »aufgehängt« wird – mit
anderen Worten, dass es »so nahe beim Geschäft wie möglich« ist. Je kleiner und je
strategisch nachrangiger das Projekt ist, desto niedriger ist das Projekt damit insgesamt
»aufzuhängen«. Doch immer gilt das Grundprinzip, dass nämlich die Mitglieder des
Lenkungsausschusses hierarchisch höher stehen als der Projekteigentümer.
Ab dem Closing sind auch Vertreter des Targets in das Steering Committee aufzu-
nehmen, um die Identifikation der gesamten Organisation mit dem Integrationsprojekt
und den dazu gehörigen fachlich-geschäftlichen Einfluss sicherzustellen.
13 Etwa als konzernübergreifendes Projekt durch den Aufsichtsrat beschlossen oder als Fusionspro-
jekt, das der Vorstand in toto beschlossen hat.
14 Erfahrungsgemäß bilden sich M & A-Projekte zunächst als informelle Projekte heraus, die erst mit
der Zeit zu »offiziellen« Projekten erhoben werden. Es sollte das Bestreben und die Regel sein, dass
über »informelle« Projekte so früh wie möglich entschieden wird, ob sie zu offiziellen Projekten er-
hoben werden, da informelle Projekte beträchtliche Kapazität und Aufmerksamkeit auf sich lenken,
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ohne dass mit der Geschäftsleitung über den Fokus, den Impact und die notwendigen Kapazitäten
beraten wurde.
15 Hinzuweisen ist auf den Sachverhalt, dass die Verantwortung für ein Akquisitionsprojekt im Über-
gang vom Vorfeld zur Transaktion häufig wechselt. Während der für das operative Geschäft Ver-
antwortliche das Projekt im Vorfeld lenkt, wird diese Funktion während der Transaktion gern vom
CFO übernommen. Sofern eine Art Vier-Augen-Prinzip dabei erhalten bleibt, ist dagegen nichts
einzuwenden. Wenn jedoch die Transaktion zum Selbstläufer unter dem CFO wird, ohne z. B. den
strategischen Wert (Vorfeld!) und die Integration (Implementierung!) zu berücksichtigen, dann ist
das Risiko des Scheiterns groß.
Teil
Projekt- Lenkungsausschuss Projekt- Lenkungsausschuss Projekt-
Steuerungsausschuss
B
verantwort. verantwort. verantwort.
Projekt Integrations-
446
Team Leader
Manager manager
Team Marketing
Informations- Einkauf Herstellung Service
Integrations- Herstellung & Verkauf
technologie
Kapa-
zitäten
Zeit
Start Verhandlungs- Investment- Unterzeichnung Closing 100 Tage 1 Jahr
appl. appl.
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Während das Projekt im Vorfeld als »streng geheim« und »in einem Strang« (Strategie-
team) geführt wird, wird das Projekt mit der internen Genehmigung zum offiziellen
(aber immer noch geheimem) Projekt, jedoch zweistrangig wegen der Teilung in (a)
Transaktion und (b) Integrationsvorbereitung. Trotz dieser Zweigliederung sollte das
Projekt möglichst unter eine gemeinsame Leitung gestellt werden. Dies dient vor allem
der Querschnittkonsistenz, z. B. Transaktionsteam vs. Integrationsvorbereitungsteam.
Mit der Vorbereitung für die Integration, die rechtzeitig vor dem Closing einzusetzen
hat16, nehmen die Aufgaben für das Interimsteam entsprechend zu. Rechtzeitig zum
Closing muss die Teamstruktur für das Integrationsprojekt stehen, und Vorkehrungen
für die Aufnahme von Vertretern des Targets in das Team müssen getroffen sein.
Die Migration vom Transaktions- bzw. Integrationsvorbereitungsteam in das Post
Closing Team erfordert eine saubere Gestaltung (vgl. Abb. 14, rechte Spalte). Es bietet
sich an, dass der Teamleiter des Interimsteams vor dem Closing z. B. die Aufgabe zur
Führung des Project Office nach dem Closing übernimmt. Auch dies ist eine wichti-
ge Projektschnittstelle. Dem Project Office kommt in jedem Fall bei einem Restruk-
turierungsprojekt eine Schlüsselfunktion zu. Bei kleinen Projekten kann das Project
Office aus einer Stabsstelle bzw. aus einem Vertreter bestehen, der die wichtigsten
Querschnittfunktionen bündelt. Bei größeren Projekten bietet sich eine eigene Stabsor-
ganisation an, da der Integrationsprojektleiter eine Reihe von Aufgaben unmittelbar in
seiner Verantwortung haben sollte. Dies sind:
• das interne Projektbüro mit der Projektdatenbank,
• das Maßnahmenverfolgungsteam,
• die Projektkommunikation mit dem Change Management und
• die Regionalteams (falls erforderlich).
Zur physischen Integration des Interimsteams empfiehlt sich die räumliche Zusammen-
fassung des Teams. Um eine klare Rollenabgrenzung zwischen Diskontinuitätsmanage-
ment zur Findung und Umsetzung der neuen Strukturen gegenüber dem Kontinuitäts-
management zur Führung des laufenden Geschäftes zu erhalten, sind das Projektteam
und die Verantwortung für das Tagesgeschäft streng auseinanderzuhalten.
16 Sofern es sich nach angloamerikanischem Muster um ein formales Signing handelt, und dem in
einem konkreten Konzernprojekt voraussichtlich eine Phase zur kartellrechtlichen Prüfung von ca.
drei Monaten (»First Request«) folgt, reicht es meist aus, wenn das Integrationsvorbereitungsteam
mit dem Signing benannt wird. Sollten Signing und Closing voraussichtlich mehr oder weniger
zeitlich zusammenfallen, ist entsprechend vorher für die Integrationsvorbereitung zu sorgen.
17 Die Erfahrung zeigt, dass auch Großkonzerne nur noch diejenigen Kapazitäten für M & A »an Bord«
haben, die zur Abwicklung kleinerer Projekte ausreichen und die zur Steuerung größerer Projekte
erforderlich sind. Siemens konnte bis 2007 eine M & A-Frequenz von ca. 50 Closings pro Jahr mehr
oder weniger aus eigener Kraft abwickeln. Großprojekte werden – bis auf steuernde Funktionen –
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lige Projekt die Erfahrungs- und Kompetenzpläne zu entwickeln. Vor allem ist darauf
zu achten, dass der eigenen Organisation angesichts der Fülle von Arbeiten nicht »die
Luft ausgeht«.18 Idealerweise ist das Kapazitäts- und Kompetenzmanagement für ein
Einzelprojekt eingebunden in ein übergeordnetes M & A-Wissensmanagement.
6.5 Querschnittstellen
Mit dem Projektfortschritt bekommen neben den »vorwärts gerichteten« (im Zeitverlauf
parallel liegenden) Schnittstellen die Schnittstellen, die quer zur Zeitachse liegen, ein
zunehmendes Gewicht. Denn während es sich im Vorfeld im Wesentlichen um ein
einstrangiges (Strategie/Struktur-) Projekt handelt und dieses während der Mehrstran-
gigkeit vor dem Closing von einer starken Regulierung der Einzelprozesse geprägt ist
(und damit die Prozesse in festen Abläufen eingebettet sind), handelt es sich spätes-
tens nach dem Closing um vielstrangige (Meta-)19 Prozesse. Dies erfordert, besonderes
Augenmerk auf die Schnittstellen zwischen den Einzelprozessen zu legen, also »quer
zur Zeitachse«. Für diese bietet sich das Modell der Querschnittstellenverantwortlichen
an, i. S. v. »Botschaftern« zwischen den Projektteams, in dem einzelne Teammitglieder
benannt werden, um Einflüsse aus ihrem Team an andere Teams zu kommunizie-
ren (»Push-Funktion«) und externe Einflüsse auf die eigene Teamarbeit einzuholen
(»Pull-Funktion«). Auf diese Weise gibt es zwischen jedem Team ein Mitarbeiterpaar,
das sich mit den Auswirkungen einzelner Teambewegungen beschäftigt.
aus Kapazitäts- und Kompetenzgründen meist durch externe Berater und Fachkräfte abgewickelt,
zumal es sich auch bei großen Unternehmen nicht lohnt, für ferne Regionen und einzelne Geschäfte
die Fachkräfte für M & A intern vorzuhalten.
18 Modellbeispiel Siemens: Umfang der Stäbe nur berechtigt für 50 Closings pro Jahr. Dennoch ist
immer zu überlegen, welche Kapazitäten und Kompetenzen von außerhalb zu holen sind.
19 Unter »Metaprozesse« werden in der betriebswirtschaftlichen und in der IT-Literatur jene Prozesse
subsumiert, die keine unmittelbaren Geschäftsprozesse, keine Stabsprozesse und keine Unterstüt-
zungsprozesse des Tagesgeschäftes sind. Während die Transaktionsprozesse zum größten Teil stark
reguliert sind, zeichnen sich die Prozesse im Vorfeld durch exploratorischen Charakter und die
Prozesse nach dem Closing durch einmalige strukturelle Maßnahmen aus.
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»horizontale«
Integrationsteams »vertikale« Teams aus den neuen integrierten
Organisationseinheiten
Abb. 15: Beispiel Siemens-Alstom Industry: Aufgaben und Aufgabenübertragung vom Team in die neue Organisation
(Quelle: Siemens)
Je nach Fortschritt der einzelnen Aktivitäten ist die Übergabe der einzelnen Aufga-
ben an das zukünftige Management zu gestalten. Dies sollte grundsätzlich – nach
obengenannter Maßgaben – so schnell wie möglich erfolgen. Dabei hat sich bewährt,
Verzahnungen zuzulassen, d. h. frühzeitig Übertragung »reifer« Teilteamaufgaben an
das korrespondierende (Teil-)Management sukzessive vorzunehmen, so dass sich aus
»horizontalen« (Querschnitts-) Teams schrittweise die »vertikalen« zukünftigen Orga-
nisationseinheiten entwickeln. Diese Zeitpunktreihe ist die kritischste im gesamten
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| 453
Teil
Der Merger von Sanofi und Aventis war der bedeutendste Unternehmenszusammen-
schluss im Jahr 2004 und führte zu dem größten europäischen Pharmakonzern. Nach-
dem bereits zu Jahresbeginn 2004 die Übernahmeinteressen von Sanofi-Synthélabo an
Aventis öffentlich wurden, dauerten die Verhandlungen bis ins zweite Halbjahr des
Jahres 2004. Wie in allen Akquisitionsprozessen üblich, wurden bereits vor dem juris-
tischen Vollzug der Übernahme die Überlegungen zur Integration und Zusammenfüh-
rung der leistungswirtschaftlichen Bereiche der beiden Unternehmen begonnen. Der
offizielle Kick-off der Integration startete im September 2004 mit einem aus der Zentrale
in Paris heraus strukturierten weltweit einheitlichen Prozess. Dieser war auf der ersten
Ebene in die drei Funktionsbereiche Marketing und Vertrieb, Produktion und Ferti-
gung sowie Forschung und Entwicklung unterteilt. Der geografische Schwerpunkt der
Integration lag aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des integrierten Konzerns in
Deutschland – mit Fokus auf die Geschäftsaktivitäten (Commercial Operations). Dort
wurde der vorgegebene Prozess durch das Regional Integration Office (RIO) operati-
onalisiert und gesteuert. Das RIO setzte sich aus jeweils einem Vertreter der beiden
Unternehmen sowie einem externen Berater zusammen.
Die Integration folgte drei grundlegenden Prinzipien, die sich auf den gesamten
Prozess auswirkten:
• Wachstum durch Umsatzsteigerung (»Growth through Top Line-Growth«)
• Keine Störung des operativen Geschäftes (»No Disruption of Ongoing Business«)
• Geschwindigkeit (»Speed«)
* Dr. Jean-Yves Wessely, Senior Manager im Ruhestand, Sanofi-Aventis, Paris; Dr. Ralf Moldenhauer,
Senior Partner & Managing Director, The Boston Consulting Group, Frankfurt a. M.
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Literatur
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Teil
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+10 % Methodik
-6%
Zielunternehmung Käufer
Abb. 1: McKinsey Deal Value Added (DVA)-Index (Quelle: McKinsey & Company, PMM Practice)
Untersuchungen zeigen auch, dass rund 60 % bis 70 % aller M & A-Transaktionen für
die Aktionäre des kaufenden Unternehmens letztlich keinen Wert generieren (McKinsey
PMM Practice). Dies hat unterschiedliche Gründe (vgl. Abb. 2): In 15 % bis 20 % der
Fälle handelt es sich um einen schlechten Deal. Dies kann heißen, dass der Käufer einen
zu hohen Kaufpreis bezahlt, unrealistische Synergieerwartungen hat oder die Reaktion
des Wettbewerbs auf den Zusammenschluss unterschätzt. In den anderen 45 % bis 50 %
der Fälle scheitert die Wertgenerierung nicht am Deal an sich, sondern an einem unge-
nügenden Post Merger Management (PMM). Unzureichende Kommunikation, kulturelle
Hindernisse, Managementfehler in der Vorbereitung und Durchführung der Integration
sowie der Verlust von Leistungsträgern und Talenten sind einige der wesentlichsten
wertvernichtenden Faktoren.
Viele Manager haben aus M & A-Erfahrungen der Vergangenheit gelernt, und Fort-
schritte im Umgang mit M & A sind deutlich erkennbar. Der Bereich, den die meisten
Manager weiterhin als größte Herausforderung ansehen, ist jedoch das PMM. Der vor-
liegende Beitrag zeigt, welche zentralen Schlüsselmomente ausschlaggebend sind für
den Erfolg im PMM und wie es im Rahmen einer Performancetransformation gelingt,
verschiedene Unternehmenskulturen zu integrieren und durch gezielte Verhaltensände-
rungen eine substantielle Leistungssteigerung zu bewirken.
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management | 457
Teil
Anzahl M&A-Transaktionen in %
15-20% 100%
45-50%
30-40%
Abb. 2: Untersuchung zum Erfolg von M & A-Transaktionen aus der Sicht des Käufers (Quelle: McKinsey & Company,
PMM Practice)
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Syngenta, im Jahr 2000 durch die Abspaltung und Fusion der Agrogeschäftseinheiten
von Novartis und AstraZeneca entstanden, ist ein Beispiel, bei dem es gelungen ist, die
besten Eigenschaften von zwei Unternehmen miteinander zu vereinen. Mit der Vision
vor Augen, das weltweit größte und langfristig wettbewerbsfähigste auf Agrochemie-
produkte spezialisierte Unternehmen zu schaffen, war die Ausgestaltung der Integration
seit den ersten Transaktionsüberlegungen fixer Bestandteil der Managementagenda. Das
ursprünglich tiefer geschätzte Synergiepotenzial konnte dank der Analysen und Pla-
nungen des Integrationsmanagements noch vor der Bekanntgabe und Bewilligung der
Transaktion durch den Regulator auf 525 Mio. US-$ angehoben werden. Eine zusätzliche
Chance zur Wertgenerierung wurde darin erkannt, mit dem neu entstehenden Unter-
nehmen eine Performancekultur zu etablieren, welche auf Leistungsprinzipien beruht
und Talente fördert. Diese wurde in die Integrationsplanung aufgenommen und in der
Folge konsequent umgesetzt. Die Auswirkungen waren so positiv, dass die realisierten
Synergien in den Folgejahren mehrere Male nach oben korrigiert werden konnten und
schließlich rund 650 Mio. US-$ erreicht haben. Bis 2010 hat sich das Unternehmen als
ein globaler Marktführer im Bereich Agrochemie und Saatgut etabliert. Der aus dem
Griechischen und Lateinischen abgeleiteten Namen Syngenta, »Wir bringen Menschen
zusammen«, spricht für sich selbst.
Die Vorbereitung der Integration ist ausschlaggebend dafür, ob ein Deal letztlich
zum Erfolg wird oder nicht, und ist deshalb integraler Bestandteil des PMM. Der Begriff
PMM ist aufgrund des Wortes »Post« irreführend, weil er dazu verleitet anzunehmen,
die Arbeit beginne erst nach Abschluss der Transaktion. Tatsächlich startet das PMM
bereits während der Exekution einer Transaktion und geht über den Zeitraum der ei-
gentlichen Integration, die nach dem Abschluss der Transaktion beginnt, hinaus. Die
Wichtigkeit der Vorbereitung der Integration wird dadurch verdeutlicht, dass sich vier
der fünf PMM-Schlüsselmomente bereits vor Abschluss der Transaktion ereignen. Diese
lassen sich in den M & A- und Integrationsprozess einordnen (vgl. Abb. 3):
1. Mit der Definition der Integrationseckpfeiler wird die Stoßrichtung des neuen Unter-
nehmens und der Integration vorgegeben.
2. Bei der Ankündigung der Integrationsstrategie werden die Erwartungen an die
Transaktion gesetzt und nach außen kommuniziert.
3. Durch die Bekanntgabe des Integrationsblueprints konkretisiert sich die Gestalt der
neuen Unternehmung.
4. Die Kommunikation des Integrationsplans macht die Ziele für die Organisation ver-
bindlich.
5. Spätestens am Day 1 des neuen Unternehmens muss das Zusammenführen der Un-
ternehmen in den Köpfen aller Mitarbeiter verankert sein.
1 Die Zitate stammen aus Fubini/Price/Zollo (2007). Bei der Entstehung dieses Buches haben die
Führungskräfte der McKinsey PMM und Organization Practices mit nahezu 30 M & A- und inte-
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management | 459
Teil
Meilen- Start der Ankündigung der Bewilligung durch den Abschluss der
steine Verhandlungen Transaktion Regulator Transaktion
Zeitlicher Performance
Ablauf Transformation
Integra- Eigentliche
Vorbereitung der Integration
tion Integration
1 2 3 4 5
PMM- Definition der Ankündigung Bekanntgabe Kommunikation Day 1
Schlüssel- Integrations- der Integra- des Integra- des Integra- des neuen
momente eckpfeiler tionsstrategie tionsblueprints tionsplans Unternehmens
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Integration vor. Damit wird erfahrungsgemäß bereits zu einem wesentlichen Teil über
Erfolg oder Misserfolg bestimmt, da nachträgliche, größere Richtungsänderungen nur
noch beschränkt oder mit erheblichen Zusatzkosten möglich sind. Die Integrations-
eckpfeiler dienen dazu, den Deal greifbar zu machen und die Führungsmannschaft
auf die Verhandlungen und weiteren PMM-Arbeiten einzuschwören. Zu ihnen zählen
Klarheit über den Kontext der Transaktion, die Vision des neuen Unternehmens, eine
Grobschätzung möglicher Synergien sowie die Zusammensetzung des Deal- und Inte-
grationsteams.
M & A sind ein mögliches Instrumentarium für Unternehmen, ihre strategischen Ziele
zu erreichen. Dabei kann es sich z. B. um Kostenführerschaft durch Konsolidierung
oder vertikale Integration entlang der Wertschöpfungskette, Innovationsführerschaft
durch Zukäufe neuer Fähigkeiten oder Technologien, den Eintritt in neue Märkte oder
eine Kombination der genannten Optionen handeln. Die Motivation für eine mögliche
M & A-Transaktion leitet sich idealerweise aus der Unternehmensstrategie ab. Eine sich
im Markt ergebende Opportunität alleine mag einen Deal für einen Finanzinvestor
rechtfertigen, reicht aber für einen industriellen Käufer nicht aus. Mit der Auswahl
möglicher M & A-Kandidaten muss sich das Management auch Gedanken zur Art der
Transaktion machen: Will man das Zielunternehmen vollständig oder nur teilweise
übernehmen, mit ihm fusionieren oder ein Joint Venture eingehen. Je nach bevorzugter
Variante ist mit unterschiedlichen Implikationen auf das PMM zu rechnen. Wird das
Zielunternehmen nur teilweise oder in mehreren Schritten akquiriert, so ist es schwie-
rig, theoretisch mögliche Synergien in der Praxis vollständig und rasch zu realisieren.
Bei einer Fusion oder einem Joint Venture wird zudem das Partnerunternehmen we-
sentlichen Einfluss auf die Integration ausüben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt vor Aufnahme von Verhandlungen ist, Klarheit über
die Wertschöpfung aus der Transaktion zu schaffen. Damit am Verhandlungstisch eine
Aussage gemacht werden kann, wie die Transaktion Wert generiert, muss eine klare Vi-
sion feststehen und das zu schaffende Unternehmen in groben Zügen umrissen werden.
Zentrale Fragestellungen sind, ob und in welchem Ausmaß die Unternehmen integriert
werden und wie sich der Autonomiegrad der Einheiten verändert. Andere Fragen erge-
ben sich im Hinblick auf die Ausgestaltung des operativen Geschäfts und den Auftritt
im Markt. Industriespezifische Beispiele sind der Umgang mit verschiedenen Marken im
Konsumgüterbereich, die Zusammenlegung von Backoffice-Funktionen bei Banken oder
die Ausgestaltung von Forschung und Entwicklung in der Pharmaindustrie.
Direkt mit der Wertschöpfung verbunden ist die Abschätzung des Synergiepotenzials
und der anfallenden Integrationskosten. Der Nettobarwert aller Synergien zusammen
mit dem intrinsischen Wert des Zielunternehmens ergibt den maximalen Betrag, den
der Käufer aus rein finanzieller Perspektive für eine mögliche Übernahme bereit ist zu
bezahlen. Wie hoch die Synergien sein können, hängt stark von der Motivation und vom
Integrationsgrad des Deals ab. Kostensynergien stehen typischerweise bei Konsolidie-
rungstransaktionen im Vordergrund. Sie können rasch den Umfang von 15 % bis 30 %
der Kostenbasis des kleineren Unternehmens annehmen und sind generell einfacher
und kurzfristiger zu erreichen als Umsatzsynergien, die bei Wachstumstransaktionen
mit langfristigerer, strategischer Ausrichtung einen bedeutenderen Stellenwert haben.
Eine der größten Herausforderungen für das PMM ist es, anspruchsvolle, aber den-
noch realistische Synergieziele zu formulieren. Dabei geht es darum, einerseits die
Zielhöhe und andererseits die zeitliche Erreichbarkeit festzulegen. Werden die Ziele zu
ambitioniert angesetzt und diese nicht erreicht, bestraft dies der Markt, und die Moral
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management | 461
Teil
2 Erfahrungswerte der McKinsey Corporate Finance Practice aus einer Vielzahl unterschiedlicher
PMM-Projekte.
3 Siehe Koller/Goedhart/Wessels 2005, S. 436–444 für weitere Details zur Ermittlung von Synergien.
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»The role of boards is often underestimated. Very few companies actually change the board as the
result of a merger. But in the same way that the management team needs to be tested for whether
it has the right skill set, so should the board be. The capabilities of incumbent directors should be
tested and the best chosen.« (Don Argus, Präsident des Verwaltungsrats/Aufsichtsrats von BHP
Billiton)
Was den Mitarbeitern in diesem Schlüsselmoment besonders am Herzen liegt, sind die
direkten Konsequenzen für sie. Behalten sie den direkten Vorgesetzten? Ändert sich das
Aufgabengebiet? Eröffnen sich Gelegenheiten für einen lange erhofften internen Wech-
sel? Wo steht man in der internen Hierarchie? Welchen Einfluss wird das auf das Gehalt
haben? Wie sehen Chancen zum Aufstieg in der längeren Perspektive aus? Verfügt man
über die in Zukunft benötigten Kompetenzen? Steht ein Umzug an? Ist der Arbeitsplatz
gefährdet? Obwohl das Management nicht auf Einzelheiten für spezifische Mitarbeiter
eingehen kann, so muss aus der Kommunikation doch hervorgehen, wie die Mitarbeiter
von den Auswirkungen der Transaktion betroffen sein werden. Wenn im Rahmen der
4 In diesem Beitrag wird die Schweizer Bezeichnung für das Kontrollgremium verwendet. Die Aussa-
ge gelten ebenso für den Aufsichtsrat in Deutschland und Österreich.
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management | 463
Teil
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management | 465
Teil
Exkurs
Der Einsatz von Clean Teams – eine Geheimwaffe im PMM5
Vor der Bewilligung durch den Regulator hat der Käufer noch keinen direkten Zugriff auf Informatio-
nen und keine Entscheidungsbefugnis im Zielunternehmen. In diesem Zeitraum, der durchschnittlich
rund drei Monate beträgt, aber abhängig von der Transaktion auch länger als ein Jahr dauern kann,
hat sich der Einsatz von sog. Clean Teams bewährt. Im Wesentlichen unterstützt ein Clean Team die
Integrationsorganisation dabei, wichtige Fragen zur Integration anzupacken, die sonst nicht vor Trans-
aktionsabschluss geklärt werden könnten. Dadurch kann der PMM-Prozess beschleunigt und das Risiko
von Fehlentscheidungen verkleinert werden.
»We lived under an extraordinary regime of lawyers, but we found we could get a third party to col-
lect all the data that we needed: pricing, every major customer, every country, vast amounts of pro-
duct data. On the day of completion they dumped the truckload on us and that saved us five months.
It was just wonderful.« (John McGrath, früherer CEO von Diageo)
Unter Geheimhaltungspflicht und in Abstimmung mit in die Transaktion involvierten Anwälten und
Rechtsabteilungen hat das zum Großteil mit Externen besetzte Clean Team Zugang zu Daten beider
Unternehmen. Nach der Sammlung und systematischen Aufbereitung relevanter und sensitiver Infor-
mationen wie beispielsweise Preislisten im Ein- und Verkauf, Kundendaten, Produktplänen oder der
Forschungs- und Entwicklungspipeline kann das Clean Team detaillierte Analysen und Synergieab-
schätzungen durchführen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können in aggregierter Form, und nach
Bewilligung durch Rechtsvertreter, dem Integrationsausschuss vorgelegt werden und diesem helfen,
frühzeitig wichtige Entscheidungen zur Planung der Struktur und zur operativen Geschäftstätigkeit des
zusammengeführten Unternehmens zu treffen. Manchmal erweisen sich bestimmte Analyseergebnisse
auch als hilfreich, den Bewilligungsprozess durch den Regulator zu beschleunigen. Zieht sich dieser
Prozess in die Länge, kann das Clean Team zusätzliche Aufgaben übernehmen, um das neue Unterneh-
men darin zu unterstützen, direkt nach dem Transaktionsabschluss voll operativ zu werden. So kann
erreicht werden, dass Synergien genutzt werden, bevor Wettbewerber reagieren können. Abb. 5 zeigt
die typische Struktur eines Clean Teams.
Integrations-
office
Integrations-
ausschuss
Unter- Unter-
nehmen A • Analyseergebnisse nehmen B
• Synergieschätzungen
• Empfehlungen
• etc.
Datenanfragen Datenanfragen
Clean Team
Daten & Interviews Daten & Interviews
Abb. 5: Typische Struktur eines Clean Teams (Quelle: McKinsey & Company)
5 Siehe Albizzatti/Christofferson/Sias (2005) für weitere Details zum Einsatz von Clean Teams im
PMM.
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Eine der Hauptaufgaben des Integrationsoffice ist das Management des Zielsetzungspro-
zesses. In einem ersten Schritt werden hierzu die in der Bewertungs- und Due Diligen-
ce-Phase ermittelten Top-down-Ziele verifiziert und in für das Linienmanagement rele-
vante Kennzahlen übersetzt. Ist es z. B. das Ziel, die Gewinnmarge durch Ausnutzung
von Skalen- und Lerneffekten um ein Drittel zu erhöhen, müssen konkrete Absatz- und
Kostenziele für einzelne Geschäftseinheiten formuliert werden. Hierfür ist von einer
einheitlichen Basis, der sog. Baseline, in Bezug auf Umsatz, Kosten und Anzahl Mitar-
beiter auszugehen. Diese wird auf einen bestimmten Stichtag festgelegt und stellt jenen
Wert dar, gegen den die Synergien gerechnet und verglichen werden.
Parallel zum Top-down-Prozess ermitteln die in der Linie verankerten Integrations-
teams Bottom-up für ihren Bereich realistische Ziele. Diese können sowohl quantitativer
als auch qualitativer Natur sein. Wichtig ist, dass die Ziele und die Maßnahmen zu
deren Erreichung hinreichend genau definiert werden. Zu den notwendigen Detailinfor-
mationen pro Maßnahme gehören neben der erwarteten Auswirkung die Zuteilung eines
Verantwortlichen, die Definition eines Zeitplans mit Meilensteinen, die Berücksichti-
gung von Voraussetzungen zur Implementierung und Abhängigkeiten zu anderen Maß-
nahmen sowie eine Abschätzung der Implementierungskosten. Die Bereitstellung einer
zentral vom Integrationsoffice gestalteten Vorlage hilft, Vollständigkeit sicherzustellen.
Im nächsten Schritt gilt es, Top-down- mit Bottom-up-Zielen zu koordinieren. Abwei-
chungen sind nicht ungewöhnlich (das Linienmanagement tendiert dazu Synergiepo-
tenzial tiefer einzuschätzen) und müssen vom Integrationsmanager kritisch hinterfragt
werden. Im Zweifelsfall hat der Steuerungsausschuss zu entscheiden. Von diesem wer-
den auch klare Aussagen zum Umgang mit Personalthemen erwartet. Betriebsversamm-
lungen und Roadshows haben sich als effektives Instrument bewährt, die Belegschaft
von den Plänen zu überzeugen und offene Fragen zu beantworten. Eine weitere Verbes-
serung der Zustimmung kann mithilfe von durch das Linienmanagement organisierten
Teambuilding-Events erreicht werden.
Das Integrationsoffice ist verantwortlich für die Überwachung und periodische Mes-
sung des Integrationsfortschritts. Damit Transparenz darüber geschaffen werden kann, wo
die einzelnen Integrationsteams mit der Umsetzung ihrer Maßnahmen stehen, empfiehlt
sich der Einsatz von Implementierungsgradmessern. Diese geben Aufschluss darüber, in
welchem Stadium der Zielerreichung sich die einzelnen Maßnahmen befinden. Zum Zeit-
punkt der Kommunikation des Integrationsplans sollten alle Maßnahmen voll ausdefiniert
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management | 467
Teil
und bereit für den Start der Implementierung sein. Später kann unterschieden werden,
welche Maßnahmen bereits eine Wirkung zeigen bzw. abgeschlossen sind und bei wel-
chen es zu Problemen oder Verzögerungen kommt. Formale Messungen des Integrations-
erfolgs finden typischerweise vierteljährlich statt und werden dem Steuerungsausschuss
vorgelegt. Informelles Feedback sammelt das Integrationsoffice in kürzeren Abständen.
Der Austausch von Erfahrungswerten zwischen den Integrationsteams kann bei der Lö-
sung auftretender Schwierigkeiten helfen, idealerweise gestützt durch regelmäßig stattfin-
dende Meetings des Integrationsoffice mit den Integrationsteamleitern.
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Der Erfolg von Day 1 hängt schließlich von der durchgängig orchestrierten und frist-
gerechten Implementierung der identifizierten kritischen Prozesse ab. Nicht selten sind
bei globalen Deals die zentralen Day-1-Vorbereitungsteams in 24-Stunden-Bereitschaft,
um die Aktivitäten und Fortschritte mit den lokalen Teams abzustimmen und zeitnah
bei Fehlentwicklungen oder auftretenden Schwierigkeiten reagieren zu können. Ein
gemeinsames Verständnis über das zu erreichende Ziel des erfolgreichen Day 1 sowie
klar dokumentierte Rollout-Manuals für den Weg dorthin, klare Prioritätensetzungen
und ein transparentes und einfaches Frühwarnsystem sind wesentliche Faktoren, um
die Implementierung über mehrere geografische Räume und Organisationsstufen hin-
weg sicherzustellen.
Ein gut vorbereiteter Day 1 entfaltet eine starke Dynamik bereits in der Vorbereitung,
indem wichtige Funktionen und Mitarbeiter für ein sehr konkretes Ziel zur Zusam-
menarbeit gebracht werden. Erste Erfolge und Schwierigkeiten der Zusammenarbeit
werden in diesem Kontext sehr rasch spürbar und erfahrbar und erlangen damit die
Aufmerksamkeit des Managements. Der Erfolg eines gelungenen Tages 1 ist schließlich
eine ideale Gelegenheit, einen ersten, wesentlichen Erfolg in der Geschichte des neuen
Unternehmens zu feiern und Momentum für die anstehenden Integrationsarbeiten und
die Performancetransformation zu schaffen.
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management | 469
Teil
Definition
Das Erreichen von höherer Performance durch gezielte Veränderung von Verhalten und Einstellungen
ist der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung jeder Integration und wird im Folgenden als Performan-
cetransformation7 bezeichnet.
3.1 V
erständnis von kultureller Ausgangslage, Herausforderungen
und Prioritäten
Jede Integration und Performancetransformation hat neben der kurzfristigen Verbes-
serung der Performance, insbesondere der Realisierung der angekündigten Synergien,
auch zum Ziel, ein langfristig gesundes und überlebensfähiges Unternehmen zu ent-
wickeln. Ohne diese Perspektive kann das Topmanagement Integrationsmaßnahmen
kaum überzeugend kommunizieren und in der Organisation verankern. Es hat sich
gezeigt, dass bei erfolgreichen und erfahrenen Integrationsmanagern die beigemessene
Bedeutung der kulturellen Dimension und gleichzeitig auch der Nachhaltigkeit der In-
tegration stark gewachsen ist. Erfolgreiche Integrationsmanager befassen sich folglich
insbesondere mit der Identifikation von kulturbedingten Risiken, der Diagnose von
entsprechenden kulturellen Stärken der betroffenen Einheiten und der Miteinbeziehung
von Veränderungsmaßnahmen in den Integrationsprozess.
Ausrichtung
Richtung Was sind Vision und Strategie des
Unternehmens und werden diese
verstanden und mitgetragen ?
Koordina-
Verant-
tion und
wortlichkeit
Kontrolle
Ausführung
Externe Wie gut sind die Fähigkeiten der
Führung Innovation
Orientierung Organisation, Dinge auszuführen
und Ziele zu erreichen?
Kompe-
Motivation
tenzen
Erneuerung
Wie gut versteht und reagiert die
Kultur und Organisation auf die externe
Werte Umgebung?
Abb. 6: McKinsey Organizational Health Index (OHI) (Quelle: McKinsey & Company)
7 Für die in diesem Beitrag kurz erläuterten Kernelemente einer erfolgreichen Performancetransfor-
mation wurden zahlreiche konkrete Konzepte und Instrumente entwickelt, um Unternehmen ge-
zielt in dieser entscheidenden Phase zu unterstützen. Es würde den Umfang dieses Beitrags spren-
gen, wenn diese Ansätze im Detail vorgestellt würden. Stellvertretend und zur Illustration werden
stattdessen einige ausgewählte Beispiele aufgegriffen.
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Als ein Instrument zur Beurteilung und gezielten Steuerung der organisationalen und
kulturellen Entwicklung wurde der sog. Organizational Health Index (OHI) entwickelt,
der über neun Dimensionen nachhaltigkeitsorientierte Faktoren messbar macht und
dadurch Unternehmen gerade in PMM-Situationen helfen kann, die richtigen Prioritäten
zu setzen (vgl. Abb. 6). Der OHI operationalisiert aktuelles Verhalten und die Kultur
einer Organisation über neun Dimensionen, die wiederum in gesamthaft über 150 Ein-
zelfragen bzw. -dimensionen heruntergebrochen werden. Damit wird das Instrument
gerade für das Topmanagement und das Integrationsteam hilfreich, weil sich anhand
konkreter Fragen Ausgangslage, Risiken sowie Entwicklungsschwerpunkte klar ableiten
und nachvollziehbar machen lassen.
»My starting assumption is always that there may be something in the other side’s culture that could
make us stronger. If you don’t start with such an assumption, you will never take the trouble to
look.« (Jean-François Pontal, früherer CEO von Orange)
Zudem, und auch das ist für eine PMM-Situation von zentraler Bedeutung, lässt sich
mit dem OHI eine Balance zwischen Ausrichtung (insbesondere Integrationszielset-
zung, neue Strategie), Ausführung (insbesondere Umsetzung des Integrationsplans
und Realisierung der identifizierten Synergien) und Erneuerung (z. B. Aufnehmen von
Kundenwünschen, Eingehen auf Geschäftspartner) erreichen. Gerade in einer Phase
des internen Umbaus ist es für die integrierenden Einheiten überlebenswichtig, die ex-
terne Markt- bzw. Kundenorientierung nicht zu verlieren. Ebenso ist es essenziell, dass
unter Fragen der strategischen Ausrichtung nicht der Fokus des operativen Geschäfts
leidet. Die konsequente Ausrichtung auf die für die konkreten Rahmenbedingungen der
M & A-Transaktion relevanten Prioritäten hilft, in der herausforderungsreichen Integrati-
onsphase die richtigen Impulse zu setzen.
3.2 G
ezielte Entwicklung von Interventionen mit Fokus
auf Einstellungen und Verhalten
Es ist entscheidend, die Integrationsphase nicht nur als komplexes Projekt zu verste-
hen, das mit entsprechend professionellem Projektmanagement bewältigt werden kann.
Selbstverständlich ist dies eine wesentliche Grundlage. Eine erfolgreiche kulturelle Inte-
gration verlangt jedoch mehr. Nämlich den konsequenten Fokus auf Einstellungen und
Verhalten der beteiligten Mitarbeiter. Für viele Unternehmen und Integrationsmanager
stellt genau dies eine große Herausforderung dar, da Einstellungen und Verhalten we-
sentlich schwieriger zu beeinflussen sind als Organisationsstrukturen und Prozessab-
läufe. In der Praxis zeigen sich für nachhaltige Veränderung von Einstellungen und
Verhalten vor allem vier wesentliche Voraussetzungen (vgl. Abb. 7):
1. Mitarbeiter müssen verstehen, warum sie sich verändern sollen und warum die Ver-
änderung für sie sinnvoll ist.
2. Mitarbeiter müssen sicher sein, dass sie die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkei-
ten für die Bewältigung des Wandels besitzen oder bekommen.
3. Mitarbeiter müssen Vorbilder haben, die den Wandel vorleben.
4. Es muss Verbindlichkeit in der Ausführung von Strukturen, Prozessen und Systemen
sichergestellt werden.
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management | 471
Teil
»… ich verstehe, warum ich mich ändern muss, »… ich die nötigen Fähigkeiten und Skills habe,
ich dem zustimme und es sinnvoll für mich ist« um mich in der neuen Weise zu verhalten«
Nicht unterschätzt werden darf in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Topma-
nagements und der Integrationsorganisation in diesem Veränderungsprozess. Gerade
in der schwierigen Übergangsphase sind es diese wichtigen Multiplikatoren, die ge-
wünschte Werte und Verhalten transportieren und Exempel statuieren.
»We had learned from the Algroup integration the importance of laying out clear guidelines and
expectations at the very beginning so that the Pechiney people would know how to behave, because
they would be looking for those signals.« (Dick Evans, Präsident des Verwaltungsrats von Abitibi-
Bowater und früherer CEO von Alcan)
Es ist wichtig, dass nicht einerseits finanziell getriebene PMM-Maßnahmen zur Aus-
schöpfung des Synergiepotenzials und andererseits davon losgelöste kulturelle Maß-
nahmen geplant und umgesetzt werden. Um sicherzustellen, dass die Veränderung in
die tägliche Arbeit einfließt und damit Wirkung entfaltet, achten erfolgreiche Integrati-
onsmanager vielmehr auf die enge Verzahnung der wesentlichen kulturellen Stellhebel
in performanceorientierte Maßnahmen. Wenn z. B. »Stärkung der Verantwortungsüber-
nahme« als prioritäres Handlungsfeld identifiziert wurde, sollte das Integrationsteam
die notwendigen kulturellen Teilmaßnahmen direkt in den Integrationsplan bei der
Einführung neuer Organisations- und Aufsichtsmodelle einbringen und verankern. Ver-
einfacht gesagt: Das Integrationsteam sollte mit der Kenntnis aus der Kulturdiagnose
(z. B. OHI) und den Handlungsoptionen (z. B. Influence Model) die Hauptmaßnahmen
zur Integration überprüfen und hinsichtlich kultureller Hebel ergänzen bzw. komplet-
tieren und so einen voll integrierten Ansatz schaffen.
Was aus unserer Erfahrung in diesem Kontext oft vernachlässigt wird, ist der gezielte
Fähigkeitenaufbau ab Day 1 der Transformation. Hervorragend geführte Integrationen
nehmen diesen Faktor bereits in der Vorbereitung auf, sie berücksichtigen verfügbare
wie auch benötigte Fähigkeiten im Integrationskonzept, bei der Day-1-Vorbereitung so-
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wie im Integrationsplan und stellen sicher, dass den Integrationsteams, den kritischen
Funktionen und Führungsrollen und schließlich allen betroffenen Mitarbeitern geeig-
nete Befähigungsformate zur Verfügung stehen.
Es wurde bereits betont, dass der spezifische Unternehmens- und Transaktionskon-
text (Potenzial, Strategie, Bereitschaft für Wandel, vorhandene Fähigkeiten) die Ge-
schwindigkeit der Integration bestimmt. Es wurde ebenfalls bereits ausgeführt, dass
bei der Sicherstellung der Wertgenerierung eines Deals die kulturellen Herausforderun-
gen und damit verbundene, unterschiedliche mitarbeiterorientierte Herausforderungen
zu den komplexesten Hindernissen gehören. In der Verbindung ist die Erarbeitung ei-
ner maßgeschneiderten Lösung die einzig vernünftige Antwort zur Sicherstellung der
Wertsteigerung. Der Vorteil des hier vorgestellten Influence Models für die Performance-
transformation sind die ganzheitliche Betrachtung wesentlicher Faktoren zur nachhal-
tigen Verankerung des kulturellen Wandels sowie die Ableitung von fokussierten und
pragmatischen Interventionen.
Für die Integrationsverantwortlichen heißt dies auch, dass die Integrationsphase
nicht nur allein durch das Topmanagement und Integrationsteam, sondern in Zusam-
menarbeit mit dem verantwortlichen Management und den Mitarbeitern zu gestalten
ist. Die gemeinsame Erarbeitung von Konzepten erhöht nicht nur die inhaltliche Pas-
sung, sondern auch die Zustimmung der Belegschaft und vermeidet so spätere Verzö-
gerungen und fehlende Nachhaltigkeit.
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XV. »From Good to Great« – Erfolgsfaktoren aus der Praxis in der Umsetzung von Post Merger Management | 473
Teil
Gerade zur raschen Erreichung der kritischen Mitarbeitermasse sind die oben be-
schriebenen Schlüsselmomente von großer Bedeutung. Wenn entlang der Schlüssel-
momente Vision, Organisation, Vorgehen und Ziel der neu geschaffenen Organisation
stimmig und konsistent erarbeitet, kommuniziert und umgesetzt wurden, kann in der
Integration glaubwürdig und begeisternd kommuniziert werden.
4 Fazit
In diesem Beitrag wurde gezeigt, dass Exzellenz im PMM einen ausschlaggebenden
Faktor für den Erfolg von M & A darstellt. Neben dem Aufbau einer neuen Organisa-
tion und dem Erreichen von Synergiezielen geht es um eine nachhaltige Veränderung
von Verhaltensweisen innerhalb des neuen Unternehmens hin zu einer an Leistungs-
prinzipen ausgerichteten Unternehmenskultur. Eine solche Performancetransformation
gelingt nur, wenn fünf grundsätzliche Schlüsselmomente im PMM richtig gemeistert
und der Prozess des konstruktiven, nachhaltigen Wandels von Beginn an in der Integ-
rationsplanung berücksichtigt und konsequent umgesetzt werden.
Die vorgelagerten Schlüsselmomente sind deshalb so zentral, weil sie die zielorien-
tierte und in sich konsistente Vorbereitung, Kommunikation und Umsetzung der nach-
gelagerten Integration stark begünstigen. Wenn es gelingt, in den Schlüsselmomenten
die richtigen Akzente zu setzen und die Mitarbeiter für die gemeinsamen Ziele zu
gewinnen, kann durch das PMM das volle Potenzial des neuen Unternehmens ausge-
schöpft werden.
Obschon die PMM-Schlüsselmomente und das skizzierte Vorgehen generell gültig
sind, muss der konkrete Ansatz auf den jeweiligen Transaktionskontext angepasst wer-
den. Das Kodifizieren der Ergebnisse und das bewusste Reflektieren der Erfahrungen
aus jeder M & A-Transaktion erlaubt Unternehmen, ihre institutionellen Fähigkeiten in
diesem Bereich so weiterzuentwickeln, dass die herausforderungsreiche Phase der In-
tegration gezielt als Chance für die nachhaltige Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit
genutzt werden kann.
Literatur
Albizzatti, N. J./Christofferson, S. A./Sias, D. L. (2005): Smoothing Postmerger Integration. In: McKin-
sey on Finance, Nr. 17, 2005, S. 11–16.
Fubini, D. G./Price, C./Zollo, M. (2007): Mergers: Leadership, Performance & Corporate Health. Palgra-
ve Macmillan, New York, NY, 2007.
Koller, T./Goedhart, M./Wessels, D. (2005): Valuation: Measuring and Managing the Value of Compa-
nies. 4. Aufl., Wiley, Hoboken, NJ, 2005.
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474 |
Teil
* Dr. Juan Rigall, Geschäftsführer, Santiago Advisors, Willich; Dr. Alexander Tarlatt, Geschäftsführer,
Santiago Advisors, Willich.
1 Stellvertretend sei an dieser Stelle auf die Zusammenstellungen der Autoren Feldmann/Spratt 2000,
Janssen 2002, Habeck et al. 2002 und Larsson/Finkelstein 1999 verwiesen, die wesentliche Ent-
wicklungslinien zusammenfassen.
2 Haspeslagh/Jemison 1991; Schweiger/Walsh 1990; Chatterjee et al. 1992; Jansen/Petersen 2000;
Jansen, 2002.
3 Gerds/Schewe 2009.
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen | 475
Teil
Finanz- und Wirtschaftskrise im Herbst 2008. Auch der Markt für Unternehmenstransak-
tionen kam im Zuge der Kredit- und Finanzkrise stark unter Druck, erlebte in den Jahren
2010 und 2011 seinen Tiefpunkt in Deutschland, und erreichte erst ab 2013 wieder das
Vorkrisenniveau4 Zum einen war das Geschäftsmodell der Finanzinvestoren durch das
plötzliche Fehlen von jeglichen (Re-) Finanzierungsmöglichkeiten von einem Tag auf den
anderen zum Erliegen gekommen. Zum anderen fehlten jedem strategischen Investor
angesichts der Devise »Wir fahren auf Sicht«5 bei plötzlichen Einbrüchen im Auftragsein-
gang von bis zu 70 % und zusammenbrechenden Finanzmärkten die Risikobereitschaft,
Fantasie und Legitimation, an Akquisitionen zu denken. Dass in der Krise auch eine
Chance für einen günstigen Zukauf liegt, haben eine Reihe von CEOs 2009 bestätigt.6
»In der Krise liegen für uns auch Chancen und die werden wir nutzen […]. Wir wollen für jede Si-
tuation gewappnet sein und ganz gezielt auch attraktive externe Wachstumsmöglichkeiten nutzen«
(Peter Löscher, Vorstand der Siemens AG, anlässlich der Hauptversammlung im Januar 2009).
»Lufthansa investiert weiter in Übernahmen« (Jürgen Weber, Vorsitzender des Aufsichtsrats Luft-
hansa AG).
»Wir halten die Augen offen und wollen nicht defensiv sein« (Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzen-
der Daimler AG, auf der Automesse in Detroit).
»Sollte sich eine günstige Gelegenheit ergeben, würden wir zugreifen« (Axel Heitmann, Vorstands-
vorsitzender Lanxess AG).
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Abb. 1: Wichtige unternehmensinterne Maßnahmen zur Verbesserung der eigenen PMI-Performance (Quelle:
Santiago Advisors Integration Survey Europe 2014)
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen | 477
Teil
Vorgehensweisen und ist am Ende ein viel bedeutenderer Inputgeber für die Ablage von
Informationen in den oben beschriebenen Know-how-Datenbanken als nur evaluierte
Projektunterlagen. Es geht vielmehr um eine selbstkritische Reflektion zwischen Integra-
tionsprojektteam und involvierten Unternehmensfunktionen, wie z. B. Finanzen, HR, IT,
Logistik, über die eigene Leistungsfähigkeit im Rahmen des Integrationsprojektes. Damit
Schwächen einerseits klar herausgearbeitet werden können und es andererseits nicht zu
internen Blockaden bzw. Eskalationen kommt, muss dieser Review in einem moderier-
ten Prozess durchgeführt werden. Methodisch kommen erfahrungsgemäß vor allem 360
Grad-Feedbacks, anonyme interne Befragungen der Integrationsbeteiligten und struktu-
rierte Feedback-Workshops zum Tragen. Dabei ist häufig eine neutrale Stabsfunktion, wie
z. B. die Unternehmensentwicklung oder das zentrale Controlling, je nach unternehmen-
sinterner Positionierung, Rolle, Ansehen und Erfahrung für diesen Prozess verantwortlich.
Durch das von der Finanzkrise ausgelöste stark reduzierte Transaktionsvolumen
fand in vielen Unternehmen eine Neuallokation der ehemals für Integrationsvorhaben
vorhandenen Experten statt. Hierdurch ist oft der in der Vergangenheit angesammelte
Erfahrungsschatz nicht mehr unmittelbar zugänglich und die Integrationsmethoden
teilweise aufgrund fehlender Projekte wieder verlernt worden. Mit ansteigender Trans-
aktionsintensität stehen diese Unternehmen nun vor der Herausforderung, das Wissen
und die anzuwendenden Methoden für die nächste Integration wieder zu reaktivieren.
Einige Unternehmen konnten oder mussten Integrationsvorhaben auch in und während
der Krise durchführen, weil das Closing kurz vor Ausbruch der Finanzkrise lag und
nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte oder sollte. Was sich vielleicht in man-
chen Fällen mittelbar negativ auf den zu zahlenden Kaufpreis ausgewirkt haben mag,
weil dieser im Laufe der Krise signifikant geringer ausgefallen wäre, war andererseits
ein Glücksfall für die unmittelbare Umsetzung von Lessons Learned aus vorangegan-
genen Zukäufen. So musste BASF die CIBA-Integration oder die Deutsche Bank die
Postbank-Integration in einem solchen Umfeld vollziehen.
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Dies führt im Verlauf der Zeit zu Verschiebung von Prioritäten (vgl. Abb. 2). Bei
einer Befragung von Integrationsmanagern im Jahr 2007 waren deren Prioritäten da-
durch geprägt, dass es in den M & A-Boomjahren bis 2006/07 ein Bedürfnis gab, aus
den reichlich dokumentierten Fehlern und Erfahrungen zu lernen. Daher legten sie
im Schnitt eine hohe Priorität auf die Planung und Vorbereitung der Integration und
gaben dem Thema »frühzeitige Transparenz über das Kaufobjekt« eine hohe Wertung.
Gleichzeitig war die Absicht, das so gewonnene Mehr an Information in eine realisti-
schere Abschätzung der Synergiepotenziale zu investieren. Vor allem in den 2000er
Jahren wurden Synergieversprechen insbesondere bei börsennotierten Unternehmen
regelmäßig vor dem Hintergrund einer externen Begründung des Kaufpreises gemacht.
Sie beruhten weniger auf spezifischen Annahmen und Erfahrungssätzen, sondern wa-
ren vielmehr politisch gesetzt. Auch die Notwendigkeit einer intensiven Unterstützung
des Integrationsprozesses durch Change Management- und Kommunikationsprogramme
war 2007 tief ins Bewusstsein von Integrationsmanagern eingegangen. Zusammen mit
dem Thema Sicherstellung der Geschäftskontinuität sind v. a. diese Punkte fest in das
Standardrepertoire der Integrationsmanager aufgenommen worden.
Diese Weiterentwicklung darf aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Zei-
ten einer sehr positiven konjunkturellen Entwicklung eine Vielzahl von Zukäufen nur
sehr rudimentär integriert wurde. Aus Furcht, die Geschäftsentwicklung des Kaufob-
jekts am Markt und damit die versprochenen positiven Umsatzeffekte durch eine zu
intensive Anbindung in einen Konzernverbund zu gefährden, wurden viele Kaufobjekte
lediglich kaufmännisch angebunden (v. a. Berichterstattung, gesellschaftsrechtliche In-
tegration) und somit an das neue Mutterunternehmen nur angehängt. Bei einer »Integra-
tion Light«, wie sie etwa bei sehr unterschiedlichen Geschäftsmodellen zwischen Käufer
und Kaufobjekt oder zur Gewinnung eines neuen und überschneidungsfreien Marktseg-
mentes oft durchgeführt wurde, musste sich die Wertsteigerung in einem neuen Unter-
nehmensverbund zwangsläufig auf eine verbesserte Bereitstellung von Ressourcen oder
regionalen Markt- oder Kundenzugängen fokussieren. Neben diesen Sachargumenten
kamen allerdings oft auch politisch motivierte oder der dezentralen Führungskultur
eines Mutterunternehmens entspringende Erwägungen in das Entscheidungskalkül, die
schließlich zum »Andocken« und nicht zur intensiven Integration geführt haben.
Der enorme wirtschaftliche Druck auf die Unternehmenszukäufe, die in 2009 integ-
riert wurden, hat den Blick auf zwei Fragen gelenkt: In welchen Bereichen, die bislang
noch nicht vollständig integriert wurden können noch Synergien geschöpft werden?
Wie kann eine schnelle Synergierealisierung auf der Kosten- als auch auf der Markt-
seite ohne Zeitverluste11 ermöglicht werden? Die Integrationsmanager haben dabei die
frühzeitige Entscheidung und Kommunikation über die führungstechnische und orga-
nisatorische Einbindung in das neue Mutterunternehmen in den absoluten Vordergrund
gestellt. Wenn klar ist, welche Strategie und Vision mit dem Zukauf am Markt umge-
setzt werden soll, dann müssen schnell die organisatorischen Fragen des strukturellen
Aufbaus der Aufhängung und der Führung geklärt sein, um ebenso schnell mit klaren
Verantwortlichkeiten an die Hebung der Synergien auf der Markt- und Kostenseite gehen
zu können. So könnten die ersten drei Prioritäten der Integrationsmanager in 2009 in
ihrer inhaltlichen Vernetzung interpretiert werden. Dass dabei für Rücksichtnahmen
weniger Raum bleibt als bei einem einfachen Andocken, wird vor dem Hintergrund des
wirtschaftlichen Drucks in Kauf genommen.
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Teil
2009 2014
Abb. 2: Sich verändernde Priorisierung von Erfolgsfaktoren im Management von Integrationen (Quelle: Santiago
Advisors Integration Survey Europe 2014, S. 9)
In 2014 schließlich wurde seitens der befragten Integrationsmanager der »Fokus auf
Synergien am Markt« bei Zukäufen als neue und gleichzeitig wichtige Priorität gesehen
und damit die Marktseite der Akquisitionsstory noch stärker betont. Dies lässt sich
unter anderem durch die oftmals deutlich gestiegenen Kaufpreise erklären, die in der
Folge eine noch ganzheitlichere Herangehensweise an die Integration erforderlich ma-
chen, um den maximal möglichen Wert aus der Akquisition zu generieren. Im gleichen
Zusammenhang ist auch die Priorisierung der »Steigerung der Marktperformance des
Kaufobjektes« zu sehen.
Nachdem also in 2007 die kontinuierliche Verbesserung der Akqusitionsprozesse im
Vordergrund stand, rückte 2009 die Klarheit im Führungs- und Organisationskonzept,
eine klare strategische Rationale und die konsequente Synergienrealisierung in den
Vordergrund. Nachdem diese Themen 2014 als »good integration practice« bereits ver-
innerlicht sind, liegen jetzt die Prioritäten bei Integrationen klar in der noch stärkeren
Betonung der Marktseite.
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ist sicherzustellen, dass die Führungsprinzipien (z. B. Richtlinien) des kaufenden Un-
ternehmens zügig Anwendung finden (Sicherstellung Governance). Schließlich findet
im dritten Schritt die eigentliche Integration der operativen sowie der administrativen
Service-Strukturen statt (Eigentliche Integration).
Target
Target
Target
1
2
1 Operative Strukturen
2 Servicestrukturen
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen | 481
Teil
Auf Basis dieser ersten Organisationstransparenz gilt es, die Führungsfähigkeit des
neuen Unternehmensteils ab Tag eins des Eigentumsübergangs sicherzustellen. Die Go-
vernance-Funktionen müssen ab Tag eins gewährleisten, dass die Führungs- und Com-
pliance-Anforderungen der neuen Muttergesellschaft im neuen Unternehmensteil erfüllt
wirden: Wie werden Berichterstattungspflichten ab Tag eins erfüllt? Welche Buchhal-
tungs- und Publizitätsgrundsätze gelten? Wie wird die Finanzierung und Liquidität der
übernommenen Gesellschaften von Tag eins an sichergestellt? Welche Richtlinien sind
zu beachten?
Im Hinblick auf die Einbindung in die Führungs- und Organisationsstrukturen des
neuen Mutterunternehmens sind insbesondere folgende Richtlinien von entscheidender
Bedeutung: Führungsgrundsätze und -werte, Verhaltenscodex (Code of Conduct) und
Unterschrifts- und Vertretungsregelungen. Da ab Tag eins die Eigentümerfunktion und
damit die Haftung auf das neue Mutterunternehmen übergeht, muss gleich zu Beginn
gewährleistet sein, dass Führungs-, Verhaltens-, Vertretungs- und Verantwortungsrah-
men den Führungskräften bereits in Vorbereitung auf Tag eins oder spätestens mit dem
Eigentumsübergang top-down vermittelt wurden. Hierzu wird meistens zum Auftakt
der Integration eine Versammlung der Top 3-Führungsebenen des neuen Unterneh-
mensteils genutzt, um diese wichtigen Inhalte persönlich zu vermitteln. Regelungen,
z. B. zu verschärften Arbeitssicherheitsregeln, strengeren Normen für Risikogeschäfte
oder solchen in bestimmten Ländern, oder einfach auch eine andere Wahrnehmung
kaufmännischer Zusagen (Finanzierung, Zahlungsziele etc.) können das operative Ge-
schäftsgebaren im neuen Unternehmensteil erheblich beeinflussen. So ist die Schließung
von Produktionsstandorten oder -linien in der ersten Woche nach Eigentumsübergang
keine Seltenheit, weil Arbeitsschutzbestimmungen oder Arbeitssicherheitskontrolle in
unterschiedlichen Unternehmen auch unterschiedlich ausgelegt werden und die Sorge
vor Image- und potenziellen finanziellen Schäden ganz unterschiedlich gewichtet wird.
Bei der Kommunikation dieser Regelungen kann es aber nicht bleiben. Es schließen sich
kaskadierend weitere Informations- und in der Folge Schulungsveranstaltungen an, um
sicherzustellen, dass einerseits allen Führungsebenen die Regelungen des neuen Mutter
unternehmens sachgerecht vermittelt werden, aber andererseits auch die Anwendung
dieser Regelungen eingeübt wird.
Sind die Grundlagen des Führungsverhaltens und der Verantwortungsinhalte zur
Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des fortzuführenden Geschäftes grundsätzlich
geklärt, ist die formale Einordnung der neuen Funktionen und damit auch deren Funk-
tionsträger in die Führungsebenen des neuen Mutterunternehmens von entscheidender
Bedeutung. Zunächst einmal stellt sich unabhängig von der Integrationsphilosophie für
operative und funktionale Bereiche, die in Abschnitt 2.2.3 besprochen wird, die Frage
nach der Einordnung in die Managementstruktur des neuen Mutterunternehmens und
damit die Festlegung der zukünftigen Managementebene und der daraus abzuleitenden
Rahmenbedingungen für die neue Führungskraft: Verantwortungsumfang, Gehaltshöhe
und -system, weitere Arbeitgeberleistungen und Ausstattung.
Führungskräfte, die über einen Zukauf in ein neues Unternehmen übergehen, stellen
sich oft drei Kernfragen: Wer wird der neue Chef? Wie sehen die Verdienstmöglichkeiten
aus? Und welche Aufstiegs- und Entwicklungsperspektiven bieten sich? Ein in den aller-
meisten Unternehmen vorhandenes Grading-System hilft, eine formalisierte, kriterienge-
stützte Antwort auf die Frage nach der Wertigkeit einer Position und eines Stellenprofils
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zu finden. So ergibt sich aus der Evaluierung der zukünftigen Managementebene für
den Stelleninhaber aus dem zugekauften Unternehmensteil Klarheit über das für ihn
geltende Vergütungssystem, darüber hinausgehende Incentives und das neue Zielver-
einbarungssystem. Durch dieses formale Verfahren findet sich eine Führungskraft sehr
kurzfristig – vielleicht auch zunächst einmal interimistisch – in der Führungsorganisa-
tion des neuen Mutterunternehmens wieder.
Dieser formale Prozess ist allerdings sehr intensiv durch kommunikative Maßnah-
men und persönlicher Führungs- und Coachingarbeit der Führungsverantwortlichen des
neuen Mutterunternehmens zu flankieren: Es gilt gerade bei den Integrationsvorhaben,
in denen erhebliche Größen- oder Führungskulturunterschiede zwischen zugekauftem
und kaufendem Unternehmen bestehen, den Integrationsschock von z. B. weitgehenden
unternehmerischen Freiheiten in einer mittelständischen Struktur zu dem empfundenen
Untergehen in einer undurchsichtigen Konzernstruktur mit stark einengenden Regulari-
en zu mildern bzw. aktiv zu begleiten. Je besser vorbereitet die neuen Führungskräfte
in den Integrationsprozess gehen und je besser die neuen Verantwortungs- und Gestal-
tungsbereiche persönlich aufgezeigt und erläutert werden und im Folgenden durch ein
persönliches Coaching durch Topführungskräfte begleitet werden, umso höher wird
der Integrationserfolg. Wichtig ist, dass diese Transparenz sehr frühzeitig geschaffen
wird, damit sich die neuen Führungskräfte von Beginn an mit der neuen Situation ak-
tiv auseinandersetzen können. Und je aktiver die Integrationsverantwortlichen poten-
zielle persönliche »Barrieren« aufgrund der neuen Struktur und Kultur bei den neuen
Führungskräften antizipieren, Argumentationen liefern und Vorteile darstellen, desto
reibungsfreier kann die »persönliche« Integration erfolgen. Hierdurch wird auch ein
positiver Einfluss auf die Rate ungewollter Abgänge solcher Führungskräfte erzielt.
Bei der strukturellen Integration des zugekauften Unternehmensteils lassen sich zwei
Dimensionen unterscheiden. Einerseits soll das zugekaufte operative Geschäft werts-
teigernd in das existierende Setup eingegliedert werden, andererseits müssen die im
zugekauften Unternehmensteil enthaltenen Servicefunktionen möglichst gebündelt und
in vorhandene Strukturen überführt werden.
Grundsätzlich durchläuft die Integration der operativen Strukturen sechs Schritte (vgl.
Abb. 4). Ausgangspunkt einer jeglichen organisatorischen Weiterentwicklung und so-
mit auch im Rahmen eines Integrationsprozesses ist die Strategie des gemeinsamen
Portfolios von Geschäftsaktivitäten: Wo liegt und wie hoch ist das gemeinsame Wachs-
tumspotenzial am Markt? Wie sieht die gemeinsame Position am Markt aus? Wie muss
das gemeinsame Unternehmen grob dimensioniert werden, um die bei der Kaufent-
scheidung definierten finanziellen Akquisitionsziele zu erzielen (ROI, RONA etc. bei
Berücksichtigung des Kaufpreises bzw. bilanziell zu verarbeitenden Goodwills). Ganz
wesentlicher Input für die Strukturdiskussion in den marktnahen Funktionen ist die
Festlegung der gemeinsamen Produkt-, Kunden- und Vertriebskanalportfolios. Über die
Definition der anzuwendenden Geschäftsmodelle sind schließlich alle wesentlichen An-
forderungen an die Strukturorganisation definiert: Von der notwendigen Marktperfor-
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen | 483
Teil
mance über die Profitabilitäts- und Wachstumsziele bis hin zu Produkten, Zielkunden
und grundlegenden Abwicklungskonzepten. Eine Integration der operativen Strukturen
endet aber typischerweise nicht bei der reinen Strukturorganisation, sondern muss noch
das zukünftige Standortkonzept und die Synergien umfassen.
• Definition Prozesssynergien
6 Synergien
• Definition Struktursynergien
Abb. 4: Ganzheitliches Vorgehen bei einer strukturellen Integration von operativen Einheiten (Quelle: Santiago
Advisors)
Wesentliche Weggabelung bei der Entscheidung über Vorgehen und Ziel einer Zusam-
menführung bzw. Eingliederung von Organisationsstrukturen ist der Integrationstypus:
Handelt es sich um eine »Scale«- oder »Scope«-Integration? Auch wenn bei beiden Inte-
grationstypen die in Abb. 4 beschriebenen sechs Schritte zu durchlaufen sind, unter-
scheiden sich Ziel und Vorgehen im Detail.12
Entscheidend bei dieser Unterscheidung zwischen Scope und Scale ist die Frage, ob
der zugekaufte Unternehmensteil oder deren Geschäftseinheiten in identischen Markt-,
Kunden-, Produkt-, Regional- oder Vertriebskanalsegmenten tätig sind, also große Über-
schneidungen im Markt existieren. Ist dies der Fall, so führt die Integration des Zukaufs
zu einer Erhöhung der Marktbedeutung in dem jeweiligen Segment (Scale). Handelt es
sich dagegen um ein neues, weitgehend überschneidungsfreies Segment, so verbreitert
sich die Anzahl der abgedeckten Marktsegmente (Scope).
Bei einer Scale-Integration muss das strukturelle Konzept der Zielsetzung Rechnung
tragen, dass die Zusammenführung der auf dem gleichen Segment arbeitenden Ressour-
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cen und Produkte aus beiden Unternehmen zu einer höheren Markt- und Kundenpene-
tration bei gleichzeitiger erhöhter Effizienz führt.
Die genaue Stoßrichtung wird in Schritt eins »Strategie« festgelegt. Gleichzeitig muss
das erweiterte Produkt- und Serviceportfolio ohne Doppelungen gestaltet werden. Aus-
gehend von einer Neudefinition des gemeinsamen Produkt- und Serviceportfolios und
der gleichzeitigen Festlegung der zukünftigen Besetzung von Vertriebskanälen (z. B.
Wechsel von Händlervertrieb auf Direktvertrieb aufgrund des jetzt verbesserten Poten-
zials in bestimmten Regionen oder vollständige Übernahme der zugekauften Produkte
durch den Vertrieb des Mutterkonzerns und Abbau der zugekauften Vertriebsorgani-
sation) sind wesentliche Eingangsdaten für die Neuaufstellung der operativen Orga-
nisationseinheiten festgelegt. Je nach Überschneidungsgrad und Marktsituation bzw.
-potenzial (z. B. Zukauf führt zur Marktbereinigung mit relativ geringem Wachstum-
spotenzial) ist der Übergang zwischen notwendiger Effizienzsteigerung und einschnei-
dender Restrukturierung fließend. Hierauf muss die Gestaltung des Geschäftsmodells in
Schritt vier Rücksicht nehmen: Wie kann z. B. angesichts starker Überschneidungen in
einem gering wachsenden Segment ein »Low Cost«-Geschäftsmodell aussehen, das dem
strategischen Ziel der Kostenführerschaft folgt und gleichzeitig die neue Marktposition
für eine verstärkte Preisführerschaft nutzt?
Neben den oben beschriebenen Anforderungen aus Strategie, Portfolio und Ge-
schäftsmodell stellen auch die Organisationsgrundsätze des neuen Mutterunternehmens
wesentliche Anforderungen an die zukünftige Organisation der operativen Einheiten
der zugekauften Unternehmensteile. Typische Organisationsgrundsätze eines Mutter-
unternehmens, die es zu beachten gilt, sind z. B.:
• Stammhaus- vs. Holdingunternehmen,
• Organisation nach Regionen, Kunden(-Industrien), Produkte,
• Dezentralität vs. zentraler Führungsanspruch.
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen | 485
Teil
Neue, innovative
Geschäftsfelder
Abb. 5: Organisatorische Alternativen zur strukturellen Integration operativer Einheiten bei Scope-Erweiterungen
(Quelle: In Anlehnung an Gomez et al. 2007)
Handelt es sich bei dem zugekauften Geschäft um ein völlig neues Geschäftsmodell, das
keine oder nur geringe Synergien mit den Kunden, Produkten oder Vertriebskanälen der
angestammten Geschäfte hat, sondern im Gegenteil eine ganz andere Flexibilität am
Markt und in den internen Systemen (IT, HR etc.) erfordert, dann sollte das zugekaufte
Geschäft separat aufgestellt werden (Abb. 5: Alternative »Räumliche Trennung«). Die
wesentliche Herausforderung bei diesem Modell besteht in vielen Konzernen darin,
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Sehr viel stringenter vollzieht sich häufig die Integration der Servicestrukturen. In der
Regel werden Zukäufe nicht mit der Übernahme von internen Services begründet, son-
dern es sind die Services, die standardmäßig einen wesentlichen Bestandteil der Wirt-
schaftlichkeitsrechnung bei der Kaufpreisdefinition im Vorfeld des Kaufs ausmachen.
Während die Quantifizierung von Marktsynergien typischerweise schwer fällt, fällt die
Stoßrichtung bei Services eher leicht: Es lassen sich x % der heutigen Kosten beim Ziel
unternehmen reduzieren, wenn die internen Dienstleistungen durch die heute bereits
existierenden Servicestrukturen erbracht werden können. Daher stehen die Services in
den allermeisten Fällen unter der Maxime der Effizienz.
Zu Beginn der Integration, nämlich in Phase eins und zwei der strukturellen Integra-
tionslogik (vgl. Abb. 3), stehen aber nicht die Effizienz, sondern die reine Funktionsfä-
higkeit und Führbarkeit des neuen Unternehmensteils im Vordergrund. Beim Carve-out
des Targets und bei der Sicherstellung der Governance- und Führungsstrukturen geht
es lediglich um das Andocken. Der Fahrplan für die weitere Integration von übernom-
menen Servicefunktionen wird im Folgenden durch zwei Aspekte bestimmt: Welche
Übergangsservices (vgl. auch 2.2.1) müssen bis wann vom alten Mutterunternehmen
abgelöst werden, und in welche, bereits existierende, Servicestruktur des neuen Mutter
unternehmens soll integriert werden?
Praktische Erfahrungen zeigen, dass in der strukturellen Integration zwar alle Funk-
tionsträger des neuen Mutterunternehmens gerne mit gleicher Intensität und in bester
Absicht die Integrationsarbeit für ihren Verantwortungsbereich aufnehmen wollen, dass
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XVI. Strukturelle Integration als Herausforderung des Management von Post Merger Integrationen | 487
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es aber eigentlich um eine klare Priorisierung geht. Um Tag eins herum stehen Liquidi-
tät, grundlegende Geschäftsabläufe und unmittelbare Risiken im Vordergrund. Es sind
also i. d. R. Funktionen wie Finanzen, IT15 und – bei sicherheitsrelevanten Produktions-
unternehmen wie z. B. in der Chemie – auch die Umwelt- und Sicherheitsabteilungen,
die gleich zu Beginn sehr intensiv in die funktionale Integration eingebunden werden.
Ist das erste Andocken an das neue Mutterunternehmen vollzogen, dann stellt sich
nicht wie bei der Integration operativer Einheiten die Frage nach Scale oder Scope.
Services sind i. d. R. immer Scale, d. h. es gilt sie in bestehende Strukturen des neuen
Mutterunternehmens aufgehen zu lassen. Das Integrationsvorgehen hängt somit von der
existierenden Organisationsform für die einzelnen Servicefunktionen im neuen Mutter-
unternehmen ab. Es wird zwischen Funktionen, die als Shared Services organisiert sind
(wie oftmals Finanz- und Buchhaltungsservices, transaktionale HR Services, Einkaufs-
oder IT Services), und solchen, die einer reinen Zentral- vs. Dezentral-Aufstellungslogik
folgen, unterschieden.
Die Integration in Shared Service-Strukturen folgt i. d. R. einer klaren Aufgaben-
teilung, die definiert, welche (Teil-) Prozesse in Zukunft zentral und welche (Teil-)
Prozesse weiterhin dezentral durchgeführt werden. Diese Aufgabenteilung wurde be-
reits beim Aufbau des Shared Service-Centers verwendet und ist somit erprobt. Auch
die projektmäßige Übernahme von Services ist i. d. R. ein eingeübtes und standardi-
siertes Vorgehen. Gleichzeitig wird so weit wie möglich versucht, bei der Übernahme
von Serviceprozessen den bereits existierenden Standards des neuen Mutterkonzerns
unmittelbar Gültigkeit zu verschaffen. Diese Standardisierung ist der größte Beitrag
zur Effizienzsteigerung und Qualitätssicherung in den Serviceprozessen. Sie ist aber
auch, wie der Integrationsalltag zeigt, eine Herausforderung für das Integrationsma-
nagement – insbesondere immer dann, wenn es sich um mitbestimmungsrelevante bzw.
arbeitnehmervertreterrelevante Regelungsinhalte handelt (z. B. bei der Änderung von
HR IT-Systemen) oder wenn bestimmte geschäftsmodellabhängige Abweichungen vom
Standard zugelassen werden sollen (z. B. beim Kundenkreditmanagement).
Die Integration in solche Servicefunktionen, die nicht bereits in Shared Services orga-
nisiert sind, erfolgt nach der vorliegenden Zentral- vs. Dezentral-Aufstellungslogik, die
im neuen Mutterunternehmen bereits Anwendung findet. Welche Aufgabenvolumina
müssen dezentral an zugekauften Standorten wahrgenommen werden? Können diese
Aufgaben durch vorhandene dezentrale Strukturen (z. B. an existierenden Standorten
des neuen Mutterunternehmens) übernommen werden (z. B. typischerweise bei Service-
funktionen wie Kommunikation, Recht/Steuern/Versicherungen, Einkaufsdisposition)?
Was kann zentral erledigt werden? Im Ergebnis werden ein Großteil der übernommenen
Serviceaufgaben durch vorhandene Strukturen übernommen und die entsprechenden
Servicekapazitäten zur Schöpfung von Synergien bis auf ggf. verbleibende lokale Auf-
gabenerfüllung weitgehend abgebaut.
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3 Zusammenfassung
Die strukturelle Integration gewinnt immer mehr an Bedeutung. Befragungen und Ex-
perteninterviews zeigen, dass eine schnelle Orientierung und organisatorische Rich-
tungsvorgabe für die erfolgreiche Integration eines zugekauften Unternehmensteils mit
entscheidend ist. Einerseits suchen die neuen Führungskräfte und Mitarbeiter nach
Orientierung, wo sie sich im neuen Mutterunternehmen wiederfinden und was die Ver-
änderung für sie persönlich an Vor- und Nachteilen mitbringt. Ein Hinauszögern – so
die Empirie – führt zu noch größerer Verunsicherung und oftmals zu einem übermä-
ßigen Verlust von Leistungsträgern. Nur wenn klar ist, warum und wo ein Mitarbeiter
integriert wird, kann die Change Management-Arbeit gezielt und konkret beginnen.
Darüber hinaus wird dadurch auch die Funktionsfähigkeit des operativen Geschäftes
gefördert. Verunsicherung darüber, was, wer, wann entscheiden darf und wie das in
die Strategie, die Philosophie oder das Geschäft des neuen Mutterunternehmens passt,
wird vermieden.
Bei der strukturellen Integration ist zu beachten, dass sie drei Phasen durchläuft, die
ganz unterschiedliche Anforderungen erfüllt: (1) Herauslösung des Kaufobjekts (Car-
ve-out), (2) Sicherstellung der Governance und (3) strukturelle Integration. Geht es zu
Beginn insbesondere um die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit und Führbarkeit, so
steht bei der strukturellen Integration die Schöpfung von Markt- und Kostensynergien
im Vordergrund. Bei der Integration operativer Einheiten ergeben sich ebenfalls unter-
schiedliche Vorgehensweisen, die davon abhängig sind, ob es sich um bekannte oder
neu zu integrierende Geschäftsfelder handelt (Scale oder Scope). Handelt es sich bei
dem zugekauften Geschäft um ein völlig neues Geschäftsmodell mit anderen Kunden,
Produkten oder Vertriebskanälen, das eine ganz andere Flexibilität am Markt und in
den internen Systemen (IT, HR etc.) erfordert, dann sollte das zugekaufte Geschäft
separat aufgestellt werden.
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Teil
Bisher hört man in der Öffentlichkeit wenig von Post Merger Rechtsstreitigkeiten bzw.
Disputes. Hintergrund hierfür ist, dass die Transaktionsbeteiligten in der Regel an
Vertraulichkeit interessiert sind und – wenn es zu unvermeidbaren Konflikten kommt
– oftmals Schiedsgerichte den staatlichen Gerichten mit ihrem Öffentlichkeitsprinzip
vorziehen. Doch natürlich gibt es davon auch spektakuläre Ausnahmen, insbesondere
wenn die öffentliche Kommunikation eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Ein gutes
Beispiel hierfür sind etwa die bis heute anhaltenden Auseinandersetzungen um die
Übernahme der Anteile des französischen Staatskonzerns EdF an EnBW durch das
Land Baden-Württemberg. Einmal abgesehen von der eher staatsrechtlich interessanten
Frage der Zustimmungspflicht des Landtags, steht insbesondere der Kaufpreis, seine
Ermittlung und Prüfung im Rahmen einer Fairness Opinion sowie der Zugang zu In-
formationen im Rahmen eines Public Take Over im Streit. Ein anderer öffentlicher Fall
war etwa das Tauziehen um das deutsche Traditionsunternehmen Loewe im Frühjahr
2014, einer der wenigen verbliebenen »nationalen« TV-Hersteller. Bei dem damals un-
ter Eigenverwaltung stehenden Unternehmen hatte die Panthera Gruppe zunächst eine
Übernahme zugesagt. Als diese dann scheiterte, wurden erhebliche Schuldzuweisungen
sowie »Drohungen« des Loewe Managements öffentlich, wegen des geplatzten Deals
Erfüllungs- beziehungsweise Schadenersatzansprüche in erheblichem Umfang geltend
zu machen.
All dies zeigt: Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien nach Signing beziehungs-
weise Closing nehmen zu. Und die Ursachen hierfür sind vielfältig, meist sind sie bereits
angelegt im Unternehmenskaufvertrag. Zu nennen sind zunächst die in der Finanzkrise
populärer gewordenen Kaufpreisanpassungsklauseln sowie Earn-out-Strukturen. Auch
wenn man sich auf eine Methode der Unternehmensbewertung, sei es Substanzwert,
Ertragswert oder Discounted Cash Flow geeinigt hat, gibt es doch vielfältige Möglich-
keiten, diesen zu beeinflussen. Gerade bei Earn-out-Strukturen kommt hinzu, dass nach
dem Closing der Informationsfluss vom Käufer gesteuert wird. Wenn nicht mit klaren
Begriffen und Abläufen gearbeitet wird, ist dies ein Einfallstor für eine streitige Ausein-
andersetzung. Gegebenenfalls ist es sinnvoll, sich bereits im Unternehmenskaufvertrag
auf einen bestimmten Gutachter zu einigen.
Hinzu kommt ein Faktor, der bereits seit einigen Jahren bekannt ist: bei vielen
Käufern stellt sich alsbald nach dem Closing Dinner und den entsprechenden Presse
mitteilungen eine gewisse Kaufreue ein, z. B. weil die im Vorfeld berechneten Synergien
nicht, beziehungsweise nicht im vorgesehenen Zeitraum, umgesetzt werden können.
Gerade bei Unternehmenskäufen durch strategische Investoren dokumentieren Studien
* Prof. Dr. Christoph Schalast, Rechtsanwalt & Managing Partner, Schalast & Partner Rechtsanwälte, Acade-
mic Director M & A, Frankfurt School of Finance and Management, Frankfurt a. M.
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1 Christian Dorda, M&A und alternative Streitbeilegung, Der Gesellschafter 2012, S. 5, 8 ff.
2 Guter Überblick bei Christoph Louven/Kim Lars Mehrbrey, Bedeutung aktueller M&A-Streitigkeiten
für die Gestaltungspraxis, NZG 2014, S. 1321 ff.
3 Siehe dazu P&P, Pöllath & Partner Mandanteninformation vom 18.06.2015, M&A Streitfall zu »Per-
mits und Käuferpflichten vor Gericht«.
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die oft streitige Zurückhaltung von Informationen im Rahmen der Due Diligence durch
den Verkäufer, zu überprüfen.4 Folgerichtig raten M & A-Berater zunehmend dazu, den
E-Mailverkehr auf der Verkäuferseite etwa unter Compliance-Gesichtspunkten zu kon-
trollieren. Im Gegenzug gibt es Mechanismen, um Post Merger Disputes kalkulierbar
zu halten. Dabei helfen Caps, Baskets, De-Minimis-Regeln und Verjährungsvorschriften
für Gewährleistungsverletzungen, aber auch darüber lässt es sich im Zweifel bestens
streiten.
Allerdings gibt es noch erhebliches Steigerungspotenzial für Post Merger Disputes,
denn bis heute nutzen nur wenige Unternehmen standardisierte Verfahren zur Iden-
tifikation möglicher Ansprüche. Dies wird sich in den nächsten Jahren – auch unter
Compliance Gesichtspunkten und wegen der zunehmenden Haftung von Organen, wie
Vorstand, Geschäftsführung und Aufsichtsrat, – erheblich verändern. Im Augenblick
bildet sich daher ein spezialisierter Markt von Beratern für die Vorbereitung und Ab-
wehr von M & A-Disputes und zahlreiche Anwaltskanzleien spezialisieren sich für ent-
sprechende Schiedsverfahren.
4 Siehe dazu Verena Koppmann, Die gesetzliche Aufklärungspflicht des Verkäufers und ihre Erfül-
lung beim Unternehmenskauf – Ein Praxisleitfaden, BB 2014, S. 1673.
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Teil
1 Einleitung
2 Unternehmenskultur als Determinante des Unternehmenserfolgs
3 Innensicht: Kulturintegration durch Mitarbeiterintegration
3.1 Planung
3.2 Umsetzung
3.3 Erfolgsmessung
4 Außensicht: Bedeutung der Kulturintegration für Kunden
4.1 Planung
4.2 Umsetzung
4.3 Erfolgsmessung
5 Handlungsempfehlungen: Zehn Goldene Regeln
6 Zusammenfassung
1 Einleitung
Bei Fusionen und Übernahmen gehört die Kulturintegration zu einem »der am häufigs-
ten unterschätzten« Erfolgsfaktoren.1 Die Unternehmenskultur gilt als weicher Faktor
– hat jedoch harte Auswirkungen: Bis zu 31 % des finanziellen Erfolgs einer Organi-
sation hängen mit kulturellen Aspekten zusammen, etwa mit der Teamorientierung,
der Mitarbeiterförderung oder der Veränderungsfähigkeit eines Unternehmens.2 Tref-
fen bei M & A unterschiedliche Kulturen aufeinander, birgt dies Risiken. Auch in der
öffentlichen Diskussion wird zunehmend das Thema Unternehmenskultur als Grund
für das Scheitern von Zusammenschlüssen diskutiert. Ein Beispiel ist der De-Merger
von Allianz und Dresdner Bank. In der Presse wurde dies bspw. kommentiert mit: »Die
Crux liegt in der Unternehmenskultur. Sie ist die DNA eines jeden Wirtschaftsbetriebs.
Das Erbgut von Allianz und Dresdner Bank passte nicht zusammen…«.3 Gegenseitiges
Unverständnis zwischen den Mitarbeitern der »Beraterbank« und den Vertriebsmitar-
beitern der Versicherung haben die Schaffung eines Gemeinschaftsgefühls erschwert.
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Dagegen schienen die inzwischen miteinander verschmolzene Dresdner Bank und die
Commerzbank kulturell deutlich besser zusammenzupassen.
Auch die kulturelle Integration von Porsche in den VW-Konzern war und ist sicher
auch heute noch eine herausfordernde Aufgabe. Die Ausgangsposition war eine schwie-
rige: Zum einen wegen des vorausgegangenen Machtkampfes, der klare Gewinner und
Verlierer geschaffen hat, zum anderen wegen der großen kulturellen Unterschiede. Es
scheint fraglich, ob die kulturellen Divergenzen zwischen dem auf Schnelligkeit und
Flexibilität getrimmten Sportwagenhersteller und dem eher traditionellen, teilweise in
Staatsbesitz befindlichen und auf Kompromisse mit den Gewerkschaften angewiesenen
Konzern, überhaupt zu überwinden sind.4
• Persönliche
Kommunikation
• Orientierung geben (Strategie, Erkenntnis
Strukturen, Prozesse) • Partizipation bei der Erarbeitung
• Information über nächste
• Chancen kommunizieren von Bereichs-/Teamstrategien
Schritte • Neue Netzwerke etablieren
Abwehr Ausprobieren
Schock Einsicht
• Qualifikation anbieten
• Eindeutige Regeln vorgeben
• Erwartungs- Akzeptanz
management
• »Case for Change«
kommunizieren
• Ursachenanalyse
• Kommunikation von • Identifikation und
Fortschritten Einbindung in Projekte Zeit
• Abschiedsrituale
Wie gelingt die Kulturintegration bei M & A? In diesem Beitrag werden dazu zwei Per-
spektiven beleuchtet: die Innensicht der Organisation und die Außensicht der Kunden.
In der Literatur zur Kulturintegration ist überwiegend von Maßnahmen die Rede, die
sich nach »innen« richten. Doch neben der Mitarbeiterperspektive ist selbstverständ-
lich auch die externe Sicht zu beachten, denn die Bedürfnisse beider Zielgruppen sind
für den Erfolg der Kulturintegration entscheidend. Für die Mitarbeiter bedeutet eine
Fusion oder Übernahme eine einschneidende Veränderung. Das Management muss in
dieser Situation alles daran setzen, die Motivation der Belegschaft aufrechtzuerhalten
(vgl. Abb. 1). Denn nur dann stellen sich die gewünschten Synergieeffekte tatsächlich
ein. Das gilt besonders für Dienstleistungsunternehmen, deren Mitarbeiter der zentrale
Wettbewerbsfaktor sind. Eine sorgfältig geplante Mitarbeiter- und Kulturintegration ist
notwendig, um negative Effekte zu vermeiden und möglichst schnell zum Tagesgeschäft
zurückzukehren.
4 Knop 2009.
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XVII. Im Tandem zum Integrationserfolg: Aus Mitarbeiter- und Kundensicht die Kulturintegration gestalten | 495
Teil
Auch die Kunden sind durch den Zusammenschluss mit einer für sie ungewohnten
Kultur konfrontiert. Ihre Erwartungen sind bei der Kulturintegration daher mit einzu-
beziehen. Dies geschieht noch immer äußerst selten, obwohl entsprechende Fragen auf
der Hand liegen: Unter welchen Bedingungen etwa möchten Kunden einer bestimmten
Bank plötzlich Kunden einer ganz anderen Bank sein, deren Image sich deutlich unter-
scheidet? Was muss geschehen, damit Porsche-Käufer ihrer Marke treu bleiben, wenn
der Porsche aus dem Hause Volkswagen kommt? Die neue Unternehmenskultur muss
eine überzeugende Antwort auf diese Fragen liefern.5
5 Grosse-Hornke/Gurk 2009.
6 Peters/Watermann 1982.
7 Leitl/Sackmann 2010.
8 Sackmann 2002, S. 25.
9 Baetge et al. 2007.
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beeinflusst
beeinflusst beeinflusst
Mitarbeiter-
engagement
Unternehmenskultur Unternehmenserfolg
Kundenwahrnehmung
3 Innensicht: Kulturintegration
durch Mitarbeiterintegration
In der Post Merger-Phase besteht die Gefahr, dass die Mitarbeitermotivation einbricht
und mit ihr die Produktivität. Gründe sind häufig eine starke Verunsicherung (»Was
passiert mit mir?«), Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern des anderen Unternehmens
und ein Gefühl von Kontrollverlust (»Ich bin doch nur ein Rädchen im Getriebe«). Bei
den Mitarbeitern des vermeintlich »schwächeren« Unternehmens kann auch ein Gefühl
von Unterlegenheit aufkommen. Diese Emotionen führen dazu, dass sich die Mitarbei-
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Teil
ter stark mit sich selbst beschäftigen – das operative Tagesgeschäft wird zweitrangig.
Im Extremfall kommt es zur inneren oder tatsächlichen Kündigung. Werden kulturelle
Unterschiede nicht berücksichtigt, kann dies zu Widerständen und Konflikten führen,
die den Integrationsfortschritt behindern und damit erhebliche Kosten verursachen.
Closing
Kommunikation
In der Praxis wird häufig nicht (ausreichend) analysiert, wie sich ein Zusammenschluss
auf die Mitarbeiter auswirkt. Oder aber die Mitarbeiter werden zu spät in die Integra-
tion einbezogen. Die Kulturintegration bedarf einer frühzeitigen Planung sowie einer
konsequenten Umsetzung und Erfolgskontrolle (vgl. Abb. 3).
3.1 Planung
3.1.1 Identifikation kultureller Risikofaktoren in der Cultural Due Diligence
Das Thema Unternehmenskultur sollte schon bei der Vorbereitung eines Mergers in
den Blick rücken – nicht erst, wenn die Integration in vollem Gange ist und sich bereits
Konflikte abzeichnen. In der Vorbereitungsphase kann eine Kulturanalyse des Zielun-
ternehmens erste Erkenntnisse über mögliche Risiken liefern. Hilfreich dabei sind In-
formationen aus dem Internet und Aussagen von Kunden oder ehemaligen Mitarbeitern.
Zuverlässigere Informationen lassen sich gewinnen, nachdem der Deal publik gemacht
wurde. Mögliche Methoden sind wissenschaftlich fundierte Befragungen oder ein eher
pragmatisch-intuitives Vorgehen mit Interviews ausgewählter Führungskräfte und Mit-
arbeiter. Grundsätzlich empfiehlt es sich, bei der Cultural Due Diligence (CDD) auf
externe Unterstützung zurückzugreifen, um einen unverstellten Blick auf die Merkmale
der Unternehmenskultur sicherzustellen.13
13 Blöcher 2008.
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Übernahme
• Dominanz einer Kultur i.d.R. der des Käufers
1 • Große Klarheit
A + B • Hohe Widerstandswahrscheinlichkeit
Pluralismus
• »Charakter« der Kulturen bleibt erhalten
2 • Geringer Integrationsaufwand
A + • Gefahr der Auseinanderentwicklung
B
Symbiose
• Verschmelzung der Kulturen
3 • Gefahr der Verzögerung der Integration
A + • Geringere Widerstandswahrscheinlichkeit
B
14 Berner 2008.
15 Haspeslagh/Jemison 1992.
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Teil
Jede Strategie hat Vor- und Nachteile. Die erste, die Übernahme einer anderen Kultur,
kann zu starken Widerständen bei der »unterlegenen« Organisation führen. Jedoch ist
dieses Vorgehen durch große Klarheit gekennzeichnet – eine geeignete Variante gera-
de dann, wenn die Integration sehr schnell verlaufen muss. Die zweite Strategie, der
Kulturpluralismus, reduziert den Integrationsaufwand enorm. Das friedliche Nebenei-
nander birgt allerdings auch die Gefahr der Auseinanderentwicklung. Am schwersten
realisierbar ist der dritte Ansatz: die Verschmelzung der beiden Kulturen mit dem Er-
gebnis einer neuen gemeinsamen Kultur. Aber der hohe Arbeits- und Zeitaufwand wird
belohnt: Durch die Wertschätzung beider Kulturen beugt die Unternehmensführung
einem »Verlierergefühl« und Widerständen seitens der Mitarbeiter vor. Eine neue ge-
meinsame Kultur schafft die Basis für ein stärkeres Zusammenwachsen und erleichtert
für beide Seiten die Identifikation mit dem neuen Unternehmen.
Unabhängig von der gewählten Strategie ist es entscheidend, schnell Klarheit zu
schaffen, wie die Zielkultur des neu geschaffenen Unternehmens aussehen soll. Das
heißt: Welche Normen, Werte und Prinzipien sollen gelten und wie sind diese in der täg-
lichen Arbeit umzusetzen. Bei der Entwicklung der Zielkultur sind ein Top-down- oder
ein Bottom-up-Ansatz möglich. Aufgrund des Zeitdrucks bei der Integration wird häufig
ein Top-down-Vorgehen bevorzugt. Wichtig ist, dass die Zielkultur mit der Unterneh-
mensstrategie verknüpft wird. Die gemeinsame Kultur soll die Umsetzung der Unterneh-
mensstrategie unterstützen. Mitarbeiter und Führungskräfte müssen auf breiter Ebene
an der Entwicklung der Zielkultur beteiligt werden – dies fördert die Glaubwürdigkeit
und Akzeptanz bei der späteren Umsetzung.
Praxisbeispiel
Die neue Kultur bestimmen
Ein Chemie- und Pharmakonzern integrierte ein traditionsreiches Pharmaunternehmen in eine neue
Division mit Mitarbeitern aus beiden Ursprungsorganisationen. Aus der Unternehmensstrategie und
einer gründlichen Kulturanalyse (Mitarbeiterbefragung, Interviews/Fokusgruppen mit Mitarbeitern/
Führungskräften) wurde eine neue, gemeinsame Kultur abgeleitet. Das globale Führungsteam bewer-
tete und verabschiedete das Konzept. Kennzeichnend für die neue Zielkultur waren sieben Verhaltens-
weisen. Sie forderten die Mitarbeiter z. B. auf, schnell Entscheidungen zu treffen, den Kunden an die
erste Stelle zu setzen und teamübergreifend zu arbeiten. So entstanden Leitlinien für die gewünschte
Art der Zusammenarbeit, die in den verschiedenen Funktionen je nach Anforderung entsprechend
konkretisiert wurden.
3.2 Umsetzung
Ist die Zielkultur definiert, müssen die Mitarbeiter mit den neuen Maßstäben vertraut
gemacht werden. Für die Umsetzung sind umfangreiche Ressourcen erforderlich: ein
schlagkräftiges Projektteam und ein weit verzweigtes Netzwerk von Sponsoren (Vor-
stand und Führungskräfte) und Multiplikatoren (Change Agents). Sie alle müssen die
Kulturintegration über einen längeren Zeitraum intensiv vorantreiben. Damit das Top-
management die dafür nötigen Ressourcen bereitstellt, muss das Thema Kulturintegrati-
on auf der Prioritätenliste immer wieder nach oben gebracht werden. Neue Impulse ge-
ben z. B. regelmäßige Mitarbeiterbefragungen zur Arbeitszufriedenheit und -motivation.
In der Praxis haben sich drei Bausteine für eine erfolgreiche Kulturintegration be-
währt: (1) Information und Kommunikation, (2) persönlicher Kontakt und Zusammen-
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arbeit von Mitarbeitern beider Unternehmen sowie (3) unterstützende Maßnahmen, die
langfristig wirken und Nachhaltigkeit sicherstellen.
16 Barnett 1988.
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Teil
Neben der Kommunikation ist die Schaffung von Plattformen für persönliche Kontakte
zwischen den Mitarbeitern eine wichtige unterstützende Maßnahme auf dem Weg zu
einer gemeinsamen Kultur. Als Auftaktveranstaltungen eignen sich Integrationswork-
shops mit Teilnehmern beider Zusammenschlusspartner. Darin werden den Mitarbeitern
die neue Unternehmensstrategie sowie Werte und Prinzipien der neuen gemeinsamen
Unternehmenskultur erklärt. Die Integrationsworkshops sollten Raum für Diskussionen
geben, damit sich die Mitarbeiter mit den Inhalten auseinandersetzen und teamspezi-
fische Themen einbringen können.
Strategie und Werte dürfen keine »Luftblasen« des Managements bleiben, sondern
müssen in den Einflussbereich jedes einzelnen Mitarbeiters gebracht werden. Hilfreich
ist dafür die Beantwortung der Frage »Was heißt das für uns als Team bzw. für mich
als Mitarbeiter ganz konkret bei unserer/meiner täglichen Arbeit?« Darauf aufbauend
sind arbeitsbezogene Übungen nützlich, um die Umsetzung der Kultur im Arbeitsalltag
zu erleichtern. Nicht vergessen werden sollte, auch Gelegenheit für einen Rückblick
und eine Wertschätzung des »alten« Unternehmens zu geben. Denn wie bei jedem
Veränderungsprozess ist auch in der Post Merger Integration eine Phase des Abschieds
notwendig, bevor etwas Neues beginnen kann.
Praxisbeispiel
Auftakt: Integrationsworkshops
Bei der Übernahme des traditionsreichen Pharmaunternehmens durch den Chemie- und Pharmakonzern
startete die erste Welle des Integrationsprogramms einige Monate nach der Übernahme. Alle Mitarbei-
ter durchliefen eintägige Workshops – als Auftakt für die Entwicklung einer neuen gemeinsamen Un-
ternehmenskultur. Das Projektteam rollte die Workshops weltweit aus, von der obersten Führungsebene
bis zu den Mitarbeitern (Top-down- bzw. Kaskaden-Ansatz). Die über 2.000 Workshops fanden in den
bestehenden Teamstrukturen statt, geleitet von einem externen Moderator zusammen mit dem jewei-
ligen Vorgesetzten. Auf der Agenda standen: die Unternehmens- und Bereichsstrategie, Gründe für die
Veränderung (belegt durch aktuelle Ergebnisse aus Kunden- und Mitarbeiterbefragungen) und die in-
tensive Auseinandersetzung mit den neuen gemeinsamen Verhaltensweisen. Ergebnis jedes Workshops
war ein Teamaktionsplan, für dessen Umsetzung der jeweilige Vorgesetzte verantwortlich war. Darüber
hinaus definierte jeder Teilnehmer einen persönlichen Beitrag, um die neue gemeinsame Kultur im Ar-
beitsalltag umzusetzen. Bei den Führungskräften wurde das individuelle Ziel mit dem Bonus verknüpft.
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Mit einem einmaligen Workshop ist es natürlich nicht getan. Weitere Maßnahmen, wel-
che die Entwicklung der neuen Kultur fördern und Nachhaltigkeit sicherstellen, müssen
angestoßen werden. Dazu gehören persönliche Kontakte zwischen den Mitarbeitern,
z. B. in Form von gegenseitigen Besuchen an Standorten, der Mischung von Teams,
Teamentwicklungen und Führungskräftetrainings. Für Mitarbeiter mit Kundenkontakt
ist darüber hinaus auch die Frage zu beantworten, was sich im Umgang mit dem Kun-
den ändert. Als sehr hilfreich erweist sich, wenn Außendienstmitarbeiter des einen
Unternehmens die Vertriebsmitarbeiter des anderen Unternehmens zu Kundenbesuchen
mitnehmen oder Filialmitarbeiter vorübergehend den Arbeitsplatz tauschen. Dies hat
den Vorteil, dass die Mitarbeiter der beiden Vorgängerunternehmen sich nicht nur ge-
genseitig besser kennenlernen, sondern auch die jeweils anderen Kunden.
Praxisbeispiel
Laufende Kommunikation: Mitarbeiter zur aktiven Teilnahme motivieren
Die globale interne Kommunikation in dem Projektbeispiel beschränkte sich nicht auf Standardkanä-
le wie eine Mitarbeiterzeitschrift oder eine Nachrichtensektion im Intranet. Um die Mitarbeiter zur
aktiven Teilnahme zu motivieren, veranstaltete das Projektteam in jedem Quartal einen Wettbewerb:
Mitarbeiter konnten Kollegen vorschlagen, die sich im Sinne der Unternehmenskultur besonders en-
gagiert hatten. Ausgezeichnet wurden alle Nominierten, deren Engagement eine Jury aus Mitgliedern
des Topmanagements überzeugte. Die besten Geschichten wurden als »Best Case Stories« redaktionell
aufbereitet und auf einer eigenen Intranetplattform veröffentlicht. Die Porträts zeigten, wie Kollegen
die neue gemeinsame Unternehmenskultur im Berufsalltag leben.
Über den mehrjährigen Projektzeitraum hinweg gab es weitere, spielerische Kommunikationsmaßnah-
men, die für neue Aufmerksamkeit sorgten. Dazu zählten z. B. ein Onlinequiz zur Unternehmenskul-
tur und ein Postkartenwettbewerb. Die Mitarbeiter wurden aufgefordert, kreativ zu werden und ihr
persönliches Postkartenmotiv zu einer der neuen gemeinsamen Verhaltensweisen zu entwickeln. Alle
Postkarten konnten in einer Onlinegalerie angesehen und als eCards versendet werden. Die Gewinner-
postkarten wurden außerdem in großer Stückzahl gedruckt und im Unternehmen verteilt. Dies bot die
Gelegenheit, z. B. einem Kollegen aus einer anderen Region für die gute Zusammenarbeit über Grenzen
hinweg zu danken und ihm dazu das entsprechende Postkartenmotiv zuzusenden.
Eine spezielle Unterstützung benötigen außerdem die Führungskräfte. Vor allem das
mittlere Management muss besondere Herausforderungen meistern – zwischen den
obersten Führungsebenen und den Mitarbeitern nehmen sie eine anspruchsvolle Mitt-
lerrolle ein. Unterstützen können z. B. Trainings zum Thema Veränderungsmanage-
ment oder die Übersetzung der neuen Kultur in konkretes Führungsverhalten. Denn
Mitarbeiter erwarten, dass die neuen Verhaltensweisen vorgelebt werden. Um die neue
Kultur nachhaltig im Unternehmen zu verankern, sind ihre Merkmale in die HR-Prozes-
se (z. B. Performance Management, Recruiting) einzubeziehen. Entscheidend für den
langfristigen Erfolg ist, dass ein Verhalten im Sinne der Unternehmenskultur belohnt
wird, während umgekehrt mit Sanktionen rechnen muss, wer sich im Widerspruch zur
Zielkultur verhält.
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XVII. Im Tandem zum Integrationserfolg: Aus Mitarbeiter- und Kundensicht die Kulturintegration gestalten | 503
Teil
3.3 Erfolgsmessung
Um den Erfolg der Kulturintegration zu messen, müssen frühzeitig Kriterien definiert
werden. Es sind folgende Fragen zu beantworten: Anhand welcher Kennzahlen misst
das Unternehmen den Erfolg? Mit welchen Instrumenten werden die Daten erhoben? In
der Praxis haben sich Kennzahlen aus Mitarbeiterbefragungen bewährt. Um den Aus-
gangszustand zu bestimmen, findet zu Beginn der Kulturintegration eine Vollbefragung
statt – z. B. zu den Themen Kommunikation, Entscheidungsverhalten oder Kundenorien-
tierung. Im Laufe des Integrationsprogramms sollten regelmäßig weitere Daten erhoben
werden, um die Effekte der Maßnahmen zu ermitteln. Da dieser Veränderungsprozess
Zeit beansprucht, sind Vollbefragungen in ein- bis zweijährigem Abstand sinnvoll. In
der Zwischenzeit können sog. »Pulse Checks« mit kleineren Stichproben wichtige Hin-
weise zum Fortschritt der Kulturintegration geben. Diese Informationen sind hilfreich,
um das Thema Unternehmenskultur beim Topmanagement auf der Agenda zu halten.
Und sie liefern die Argumente gegenüber der Belegschaft für kontinuierliche, oft kos-
tenintensive Maßnahmen zur Verbesserung der Unternehmenskultur.
17 Schmickl/Jöns 2004.
18 Grosse-Hornke/Gurk 2009; zu der Fragestellung »Unternehmenskultur bei Fusionen – auch aus
Kundensicht relevant?« hat Grosse-Hornke Private Consult 2009 eine Onlinestudie im deutschspra-
chigen Raum mit 171 Unternehmen durchgeführt.
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ander.19 Das kann die Kundenbeziehung nachhaltig beeinträchtigen. Wird diese Gefahr
bei einer Integration ignoriert, kann das den Verlust von Kunden bedeuten.20
Vor allem wenn die Außenwahrnehmung eines Unternehmens eng mit einer Marke
verbunden ist, sind die Risiken erheblich. Dies betrifft in erster Linie Unternehmen aus
dem Premiumsegment – ihre Kunden stellen besonders hohe Ansprüche an ein Produkt
und dessen Hersteller.21 Bei Firmenzusammenschlüssen ist es daher notwendig, die
Kunden in die Integrationsplanung einzubeziehen und ihre Interessen zu berücksich-
tigen.
23 %
Sehr stark 21 %
23 %
63 %
Stark 56 %
68 %
11 %
Wenig 23 %
7%
1%
Fast nicht 0%
2%
2%
Keine Angabe 0%
0%
0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 %
Abb. 5: Einfluss der Unternehmenskultur auf die Kundenwahrnehmung (Quelle: Eigene Befragung)
4.1 Planung
Analog zur Mitarbeiterintegration ergeben sich auch aus der Strategie der Kulturinteg-
ration spezifische Chancen und Risiken aus Kundenperspektive. Bei einer Übernahme
der Kultur des Käufers etwa besteht die Gefahr, dass Kunden des gekauften Unterneh-
mens diese neue Kultur nicht akzeptieren. Das geringste Risiko, Kunden zu verlieren,
birgt dagegen der Kulturpluralismus – allerdings ist dieser nicht immer der effizienteste
Weg. Der dritte Ansatz, die Verschmelzung der beiden Kulturen, erfordert eine genaue
Prüfung: Wie werden die Kunden auf die neue Unternehmenskultur reagieren? Die
Befragung des Kundenstamms (z. B. über internetbasierte Instrumente), individuelle
Gespräche mit den wichtigsten Kunden der beteiligten Unternehmen oder die Durch-
führung von Fokusgruppen mit ausgewählten Kunden sind hilfreiche Maßnahmen, um
19 Brass 2002.
20 Hornke/Mandewirth 2009.
21 Rosengarten/Stürmer 2005.
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Teil
die Erwartungen und Bedürfnisse der Kunden bezüglich der Integration zu erheben und
ihre Reaktionen genauer vorherzusagen.
Studienergebnisse zeigen, dass in der Praxis oftmals jedoch kaum systematisch er-
hoben wird, wie die Kunden zu einem Zusammenschluss stehen, wobei Unternehmen
im Business-to-Business-Bereich etwas aktiver sind und beispielsweise mit ihren wich-
tigsten Kunden das Gespräch suchen.22 Die Kundenperspektive ist bei der Entscheidung
für eine Form der Kulturintegration sicher nicht der bestimmende Faktor, da eine Vor-
hersage der Auswirkungen auf den bestehenden Kundenstamm der beteiligten Unter-
nehmen sehr schwierig ist. Dennoch ist es wichtig, sich der möglichen Risiken bewusst
zu sein und sehr aufmerksam die Kundenmeinungen und -reaktionen zu beobachten
(vgl. Abb. 6).
7%
Systematische Erhebung 0%
11 %
47 %
Unsystematische Erhebung 38 %
55 %
27 %
Keine Erhebung 35 %
24 %
19 %
Keine Angabe 27 %
10 %
0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 %
Abb. 6: Erhebung der Kundenbedürfnisse während der Post Merger Integration (Quelle: Eigene Befragung)
4.2 Umsetzung
Der erste kritische Punkt in der Kundenbeziehung ist bereits die Bekanntgabe des Zu-
sammenschlusses. Falls die Kunden noch keine Vorstellung von dem jeweils anderen
Unternehmen haben, werden sie sich umgehend darüber informieren und ein Urteil
über die bevorstehende Transaktion fällen. Dieses Urteil wird durch die Unternehmens-
kultur des Zielunternehmens beeinflusst – als Informationsquelle für Kunden dienen
die zentral gesteuerte Kommunikation des Unternehmens und der direkte Kontakt zu
Mitarbeitern. Nicht immer ist dieser (Erst-)Kontakt von »spontaner Zuneigung« gekenn-
zeichnet. So dürfte beispielsweise dem sehr vermögenden Sal. Oppenheim-Kunden die
Vorstellung schwer fallen, seine Leistungen künftig von einer Großbank wie der Deut-
schen Bank zu beziehen.
22 Grosse-Hornke/Gurk 2009.
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4.3 Erfolgsmessung
Die Evaluierung des Erfolgs der Kulturintegration sollte neben der Mitarbeitersicht auch
die Kundenperspektive berücksichtigen. Dabei sind Kennzahlen, wie z. B. die Entwick-
lung des Umsatzes, des Marktanteils, die Anzahl der Reklamationen von Bestandskun-
den oder Veränderungen der Kundenbasis genauso wichtig wie die regelmäßige Mes-
sung der Kundenzufriedenheit. Darüber hinaus können die gleichen kundenbezogenen
Instrumente, die in der Planung und Umsetzung der Kulturintegration eingesetzt wer-
den, um Feedback von den Kunden einzuholen, genutzt werden, um die Wirksamkeit
der durchgeführten Maßnahmen zu messen.
23 Vgl. www.commerzbank-kundenbeirat.de/aktuelles_commerzbank_im_dialog.aspx.
24 Homburg/Bucerius 2004.
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Teil
6 Zusammenfassung
Zahlreiche Studien sowie Beispiele aus der Praxis zeigen deutliche Zusammenhänge
zwischen Unternehmenskultur, Unternehmenserfolg und dem Erfolg von M & A. Schei-
tert ein Zusammenschluss, sollten kulturelle Unterschiede nicht länger als diffuse Ent-
schuldigung dafür herhalten. Stattdessen muss das Management das Erfolgspotenzial
der Unternehmenskultur nutzen – und diese bewusst gestalten. Bewusst darum, weil
die Zusammenführung zweier Belegschaften und die Identifikation der Mitarbeiter mit
dem Unternehmen keine Selbstläufer sind. Die Kulturintegration verlangt professionelle
Planung und Management durch ein Expertenteam mit breiter Unterstützung aus der
Organisation.
Schon während der Vorbereitungs- und Durchführungsphase sollten die Risiken für
Kulturkonflikte eruiert werden. Dabei sind auch mögliche Reaktionen der Kunden auf
den Zusammenschluss zu berücksichtigen. Nach Abschluss des Deals untermauert eine
tiefergehende Kulturanalyse diese Erkenntnisse. Hieraus lassen sich in der Integrations-
planung Maßnahmen für die Kulturintegration ableiten. Eine intensive Kommunikation,
Integrationsworkshops, die Zusammenarbeit in gemischten Teams und die Implemen-
tierung der Unternehmenskultur (z. B. durch Werte oder Führungsprinzipien) in das
Performance Managementsystem haben sich in der Praxis bewährt. Darüber hinaus
spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Unterschiedliche Kulturen wachsen nicht
auf Anweisung zusammen. Dieser Prozess erfordert zum Gelingen einen langen Atem
und ausreichende Ressourcen. Der Erfolg spiegelt sich dann nicht nur in einer hohen
Identifikation und Zufriedenheit der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, sondern auch
in wirtschaftlichen Kennzahlen wider.
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| 509
Teil
1 Einleitung
2 Bereiche der IT-Integration
3 Due Dilligence
4 Vorbereitung ab Signing
5 Integration ab Closing
6 Fazit
1 Einleitung
Wenn zwei Unternehmen zu einem werden, ist das Thema IT-Integration von nicht zu
unterschätzender Bedeutung – denn die IT ist für einen Großteil der Synergien ver-
antwortlich, die mit der Unternehmensfusion erreicht werden: Insgesamt können bis
zu 60 % der Gesamtsynergien durch die IT realisiert werden. Sie spielt ebenfalls eine
wichtige Rolle dabei, den Geschäftsablauf eines Unternehmens während der Integration
aufrechtzuerhalten. Bekanntlich ist in den meisten Unternehmen ein funktionierendes
IT-System Grundvoraussetzung für den reibungslosen Ablauf der Geschäftsprozesse.
Die Abhängigkeit zum Beispiel von der E-Mail-Kommunikation ist enorm – man stelle
sich nur vor, Mitarbeiter wären mehrere Tage lang nicht per E-Mail erreichbar. Für
Unternehmen, für die eine schnelle und regelmäßige Kommunikation entscheidend ist,
wie zum Beispiel in der Kommunikationsbranche, kann ein Ausfall der Systeme ge-
schäftsschädigend sein.
Die Integration der IT-Systeme hat zwar auch ihren Preis, da in der Regel etwa 30 %
der Gesamtintegrationskosten allein darauf entfallen. Die Investition ist angesichts der
erreichten Synergien jedoch mehr als sinnvoll. Wie hoch die Kosten und der Zeitauf-
wand tatsächlich sind, hängt vom konkreten Fall ab. Tendenziell aber gilt: Oft wenden
Unternehmen für die IT-Integration bei Unternehmensfusionen deutlich mehr Geld und
Zeit als nötig auf, da es ihnen an Erfahrung mangelt, den Prozess ausreichend vorzu-
bereiten und effizient umzusetzen.
Aus diesem Grund ist ein konsequentes Projekt-, Integrations- und Kostenmanage-
ment essenziell. Daneben gilt es, schnell und flexibel vorzugehen, um die Integration
effektiv voranzutreiben. Ein Standardvorgehen für IT-Integrationen gibt es allerdings
nicht. Wie auch die Kosten und Synergien unterscheidet sich die konkrete Vorgehens-
weise von Fall zu Fall teilweise erheblich und ist abhängig vom Umfang und Zweck der
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onen sollten stets auch die Geschäftsprozesse überprüft werden, gegebenenfalls kann
eine Anpassung erforderlich sein.
Das dritte Themenfeld ist die IT-Infrastruktur und -Sicherheit. Der Begriff IT-Infrastruk-
tur steht für die komplette IT-Landschaft eines Unternehmens. Dazu gehören unter ande-
rem Data-Center, IT-Anlagen, Netzwerke, das Internet und Intranet sowie E-Mail-Systeme.
IT-Sicherheit bedeutet in erster Linie, den Schutz von Programmen, Systemen und Daten
vor Ausfällen oder Zugriff Dritter zu gewährleisten. Letzteres hat bei Integrationen zuletzt
zunehmend an Bedeutung gewonnen. Fälle von Datendiebstahl und Internet-Kriminalität
sind Themen von großer aktueller Brisanz. Bei IT-Integrationen ist die Gefahr besonders
groß, dass sensible Unternehmensdaten nicht ausreichend geschützt sind, weil alles im
Umbruch ist. IT-Sicherheit muss deswegen bei jeder Fusion einen hohen Stellenwert ein-
nehmen. Jedes Unter-nehmen sollte umfangreiche Maßnahmen zur IT-Sicherheit ergreifen
– nicht nur, aber insbesondere während einer Integration.
Daneben ist ebenfalls sehr wichtig, Ausfälle der IT-Systeme zu vermeiden bezie-
hungsweise Notfallpläne bereitzuhalten. Vorfälle wie zum Beispiel ein Brand in den
Serverräumen können zu langen Ausfällen der Systeme führen und den Ablauf der
Geschäftsprozesse beeinträchtigen. Maßnahmen zur IT-Sicherheit sind zum Beispiel
Speicherung der Daten als Back-up, Firewall-Regeln, User-ID-Management oder Richtli-
nien zur mobilen Datennutzung.
3 Due Diligence
Vor dem Beginn jeder Unternehmensfusion steht zunächst einmal ein Due Diligen-
ce-Prozess, der sinnvollerweise eine spezielle IT-Due-Diligence beinhalten sollte. Dabei
geht es zunächst darum, sich einen Überblick auf die IT-Landschaft zu verschaffen und
umfassende Informationen zu sammeln. In diesem Zusammenhang sollte die Käufer-
seite bereits auch eine IT-Integrationsstrategie festlegen, die sich aus der Gesamtinteg-
rationsstrategie des Unternehmens ableiten lässt.
Bei der IT-Integration unterscheidet man verschiedene Integrationstiefen, die für die
jeweilige Integration im Zuge der Strategiefindung festzulegen sind: Werden die IT-Orga-
nisationen, -Prozesse und -Systeme separat gehalten, spricht man von einem »Stand-Alo-
ne«-Szenario. Ein solches Szenario empfiehlt sich zum Beispiel, wenn ein Unternehmen
oder ein Unternehmenteil als temporäre Finanzanlage erworben wird. In diesem Fall
findet im Grunde keine Integration statt.
Daneben können IT-Systeme, -Organisationen und -Prozesse teilweise (»Partial Inte-
gration«) oder vollständig (»Complete Integration«) integriert werden. Solche tiefer grei-
fenden Strategien werden in der Regel dann gewählt, wenn das erworbene Unternehmen
oder der Unternehmensteil mittel- oder langfristig in das operative Geschäft des Käufers
eingebunden werden soll. Wichtig dabei ist: Je höher der Integrationsgrad, desto größer
sind die Synergiepotenziale sowohl in der IT selbst als auch in anderen Bereichen des
Unternehmens, die durch die IT unterstützt werden. Allerdings steigt analog zum In-
tegrationsgrad auch der Integrationsaufwand. Damit die Integration effizient ablaufen
kann, müssen Aufwand und Nutzen für jeden Fall sorgfältig abgewogen werden.
Ist die IT-Integrationsstrategie definiert und liegen dem Integrationsteam die IT-Kos-
tenstrukturen der gekauften Einheiten vor, lassen sich daraus Synergiepotenziale und
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-kosten bestimmen. Dabei handelt es sich sowohl um die Synergien in der IT als auch
in den Fachbereichen. Im Zuge der Synergieplanung werden dann mögliche Synergie-
treiber identifiziert und ihre Effekte auf die jeweiligen Gewinn- und Verlustpositio-
nen beziehungsweise auf das EBIT für einen bestimmten Zeithorizont ermittelt. Dabei
sollte berücksichtigt werden, ob Investitionen notwendig sind, um Synergien zu re-
alisieren. Wenn auf Käufer- oder Verkäuferseite noch Investitionen im IT-Bereich im
Gange sind, müssen diese gegebenenfalls angepasst werden. Die Schätzung der Höhe
der IT-Integrationskosten und der möglichen Synergien kann auf Basis geeigneter In-
dustrie-Benchmarks erfolgen. Die Ergebnisse der Synergieberechnungen, der geplante
Kaufpreis und die geplanten Integrationskosten ermöglichen dem Käufer eine Wirt-
schaftlichkeitsbetrachtung der geplanten Investition.
IT-relevante
Synergien
*Fachbereichs-
synergien ermöglicht
100 % 40–80 % durch IT
10–30 %
10–30 %
Erfahrungswerte zeigen, dass innerhalb der IT bis zu 30 % der möglichen Gesamtsy-
nergien erzielt werden können. Insbesondere bei den Personal-, Hardware- und Hos-
ting- sowie Lizenzkosten ergeben sich Synergien: Durch die Konsolidierung und Zen-
tralisierung von Systemen und Services besteht hier erhebliches Einsparpotenzial. Für
die Personalkosten, die in der IT anfallen, kann unter Umständen auch Outsourcing
sinnvoll sein, wenn durch die IT-Integration eine kritische Größe erreicht wird. Bei den
Lizenzen können Skaleneffekte bei der Beschaffung ebenfalls Kosten senken.
In den Fachbereichen ermöglicht die IT ebenfalls bis zu 30 % der potenziellen Ge-
samtsynergien. So können zum Beispiel Shared Service Center in den Fachbereichen
effektiver betrieben werden, wenn die IT einheitliche Applikationen und Systeme zur
Verfügung stellt. Auch einheitliche Datenbasen können Synergien ermöglichen. In der
Beschaffung ist zum Beispiel die Bündelung von Einkaufsvolumen bei gemeinsam ge-
nutzten Lieferanten oder im Vertrieb Cross-Selling an Kunden möglich.
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4 Vorbereitung ab Signing
Mit dem Signing beginnt die Vorbereitung für Tag 1 nach dem Closing. Wenn die
zukünftigen IT-Standards sowie deren Kosten und Risiken feststehen, wird in einem
nächsten Schritt für jeden Bereich und jede Komponente zunächst der Status quo über-
prüft und im Anschluss alle notwendigen Maßnahmen festgelegt, um die Zielstandards
zu erreichen. In der Regel ist es jedoch nicht möglich, alle Integrationsschritte bis zum
Tag 1 nach dem Closing umzusetzen. Aus diesem Grund gilt es, für einige Bereiche
Interimsperioden abzustecken und Maßnahmen festzulegen, wie das Unternehmen die
Übergangsfrist überbrücken kann. Dabei ist es wichtig, nicht nur das angestrebte Ziel,
sondern auch alle in diesem Zusammenhang umzusetzenden Schritte detailliert zu
dokumentieren. So kann der Fortschritt der Integration effektiv überprüft werden.
Neben einer umfassenden Planung und Dokumentation kann es auch entscheidend
zum Erfolg der Integration beitragen, wenn alle Ebenen des Unternehmens in die Pla-
nung und später auch die Umsetzung eingebunden werden. Dabei sollte auch vor den
Chief Information Officers (CIOs) nicht Halt gemacht werden.
Im Bereich der IT-Organisation und -Prozesse werden dazu zunächst die gegen-
wärtig genutzten IT-Organisationen und deren Aufgabenverteilungen analysiert. Diese
Analyse schließt auch die Subunternehmer und IT-Ressourcen in den Fachbereichen
mit ein. Anschließend wird eine Ziel-Organisation festgelegt, die eine genaue Beschrei-
bung der Rollen und Verantwortlichkeiten der Akteure enthält. Daraus werden dann die
erforderlichen Schritte zur Zielerreichung abgeleitet und die begleitenden Change-Ma-
nagement-Aktivitäten bestimmt. Für die IT-Prozesse und -Dokumentationen werden
ebenfalls die zukünftigen Standards und Schritte definiert, mit deren Hilfe die Ziele
erreicht werden sollen. Industriestandards wie Cobit, ITIL oder PMI dienen dabei häufig
als Maßstab.
Signing Closing
Anforderungen,
Konzepte, Risiken,
IT Due Diligence
Kosten und
Synergien
Aktivitäten-
ab Signing planung
Readi-
ness
Check
IT-Synergie-
IT-Synergieplanung
nachverfolgung
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Auch im Bereich der Applikationen und Systeme müssen die Schritte der Integration
detailliert geplant werden. In der Integrationsstrategie ist bereits festgelegt, wie mit den
Applikationen und Systemen verfahren werden soll, die das übernommene Unterneh-
men bislang genutzt hat. Wie oben bereits erwähnt, ist es hier zum Beispiel möglich, die
Applikationen und Systeme in eine vergleichbare Applikation oder ein vergleichbares
System des Käufers zu integrieren, sie eigenständig weiter zu nutzen oder ihren Betrieb
ersatzlos einzustellen.
Während der Integrationsplanung werden auch die zugrundeliegenden IT-Lizenzen
und -Serviceverträge gesichtet und eventuelle Kündigungs- und Anpassungstermine
bestimmt. Um Transferperioden bei der Integration von Applikationen und Systemen
zu überbrücken, kann es zum Beispiel sinnvoll sein, dass die Verkäuferseite Applika-
tionen und Systeme vorübergehend weiter zur Verfügung stellt (zum Beispiel Hosting
& Support). Dies geschieht auf Basis von Transitional Service Agreements (TSAs), die
ebenfalls während der IT-Integrationsplanung abgeschlossen werden.
Für die einzelnen Bereiche der IT-Infrastruktur und -Sicherheit wird ebenfalls zu-
nächst jeweils der Status quo der Einheiten festgelegt, bevor der zukünftige Standard
definiert wird. Bei der Integration von Data-Centern hat das Integrationsteam in der
Regel zwei Möglichkeiten: Entweder betreibt das erworbene Unternehmen weiterhin
seine Data-Center – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Betriebsstandards des
Käufers – oder die Data-Center der Verkäuferseite werden in diejenigen des Käufers in-
tegriert. Auch die Netzwerke bilden einen wichtigen Teil der IT-Infrastruktur. Hier ist es
besonders wichtig, Konzepte für die Interimsperiode bis zum Abschluss der Integration
zu entwerfen. Häufig werden den Mitarbeitern der übernommenen Unternehmen oder
Unternehmensteile separate User-IDs und VPN Tunnel eingerichtet, damit sie bereits am
Tag 1 nach dem Closing auf Applikationen und Systeme des Käufers zugreifen können.
Für die Kommunikationssysteme gilt: Damit die Mitarbeiter der übernommenen Firma
ab dem Closing ihre neuen E-Mail-Adressen nutzen können, unter den alten aber noch
erreichbar sind, müssen neue E-Mail-Accounts und Weiterleitfunktionen eingerichtet
werden.
Wie oben bereits erwähnt, birgt eine IT-Integration nicht nur Synergiepotenziale,
sondern auch Risiken. Das ist insbesondere bei der Vorbereitung zur Integration der
Applikationen und Systeme zu beachten – denn diese kann den Geschäftsablauf des Un-
ternehmens gefährden. Gegenmaßnahmen, die im Notfall ergriffen werden können, um
Risiken aufzufangen, sollten unbedingt Teil der Integrationsplanung sein. Die meisten
Risiken lassen sich zwar mit vertretbarem Aufwand reduzieren, in einer IT-intensiven
Branche wie dem Online-Handel aber kann das Gefahrenpotenzial einer IT-Integration
gar die Entscheidung über den Kauf eines Unternehmens beeinflussen und Zünglein an
der Waage sein.
Stehen die vorgesehenen Integrationsaktivitäten aller drei Bereiche fest, wird ein
Zeitplan erstellt. Einige Schritte müssen dabei bereits vor dem Closing durchgeführt
werden. Für die restlichen werden jeweils Fristen festgelegt, die idealerweise in einen
30-Tages-Rhythmus ab Closing unterteilt sind. Das bedeutet, dass einige Aufgaben be-
reits mit dem Closing abgeschlossen sein müssen, andere jedoch erst nach 30, 60 oder
90 Tagen.
Alle vorgesehenen Schritte inklusive ihrer Deadlines werden im Aktivitätenplan so-
wie im Blueprint detailliert festgehalten. Wie bereits erwähnt helfen diese später dem
Projektmanagement, den Fortschritt der Integration zu überwachen und zu kontrollie-
ren. Kurz vor dem Closing findet ein IT-Readiness-Check statt: Hier wird überprüft, ob
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alle Vorbereitungen für den Beginn der Integration abgeschlossen sind. Viele Konzerne,
die häufiger Integrationen von Unternehmen oder Unternehmensteilen durchführen,
haben Methoden und Tools zur Planung und Durchführung von Integrationen in soge-
nannten »Playbooks« festgehalten, auf die sie bei Bedarf zurückgreifen können.
5 Integration ab Closing
Mit dem Closing beginnt schließlich die Umsetzung der Maßnahmen. Bereits zu diesem
Zeitpunkt sollte das Unternehmen mit der Nachverfolgung der Synergien beginnen, die
auch über die Zeit der Integration hinaus fortgeführt werden sollte. Je nach Größe der
Unternehmen kann die Integrationsdauer mehrere Wochen oder auch mehrere Jahre in
Anspruch nehmen, zumal Synergien teilweise durchaus auch erst nach einigen Jahren
sichtbar werden. Aus diesem Grund sollten die Verantwortlichkeiten in diesem Bereich
klar geregelt sein. Bei der Überprüfung und Nachverfolgung der Synergien darf jedoch
nicht unterschätzt werden, dass unvorhergesehene Ereignisse die geplanten Ergebnisse
beeinflussen können. Diese Effekte müssen bei der Nachverfolgung separiert werden.
Es ist empfehlenswert, zur Planung und besonders zur Nachverfolgung der Synergien
entsprechende Tools zu nutzen.
Im Bereich »Applikationen und Systeme« ist auch nach dem Closing zu beachten:
Wenn es sich um ERP-Systeme handelt, bestehen bis zur vollständigen Integration der
Systeme Berichtsanforderungen der übernommenen Unternehmen an die Käuferseite.
Diese Anforderungen lassen sich unter Umständen nicht direkt aus den Applikationen
der gekauften Einheiten ableiten. Dabei handelt es sich unter anderem um Finanzbe-
richte wie die Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanzberichte für Monats- oder Jahresab-
schlüsse oder um Berichte mit Einkaufs- und Verkaufsdaten. Je nach den Berichtsanfor-
derungen und dem zugrunde liegenden Datenvolumen können für eine Interimsperiode
technische Anpassungen notwendig werden, zum Beispiel Extrakt- und Konversati-
onsprogramme aus den Applikationen der gekauften Einheiten. Die zugrunde liegen-
den Stammdaten werden dabei auf die Strukturen des Käufers übersetzt. Dazu kann
gegebenenfalls ein zentrales Stammdatensystem behilflich sein, das der Käufer nutzt.
6 Fazit
Eine IT-Integration ist ein komplexer und vielschichtiger Prozess – eine umfassende
und vor allem frühzeitige Planung ist aus diesem Grund essenziell. Daneben sind ein
konsequentes Projekt- und Kostenmanagement unabdingbar. Innerhalb der gesamten
Integration ist die IT-Integration zwar nur ein Teilaspekt – es ist jedoch insgesamt bis
zu 60 % der Synergien – jeweils bis zu 30 % in der IT und in den Fachbereichen – von
ihr abhängig.
Die IT-Integration erstreckt sich auf die Bereiche IT-Organisation und -Prozesse, Ap-
plikationen und Systeme sowie IT-Infrastruktur und IT-Sicherheit. Im Hinblick auf die
Integration bergen sie, neben dem Synergiepotenzial, jedoch auch unterschiedliche Ri-
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Teil
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| 519
Teil
I. M & A-Rechtsentwicklungen –
Blicke zurück und nach vorn
Andreas Binder*
1 Einleitung
2 Vertragsrecht
2.1 Entstehung eines internationalen Unternehmenskaufrechts
2.2 Asset Deal mittels Singularsukzessionen oder partieller Universalsukzession
3 Gesellschafts- und Übernahmerecht
3.1 Gesellschaftsrecht
3.2 Übernahmerecht
4 Öffentliches Recht
4.1 Wachsende Bedeutung behördlicher Bewilligungen bei M & A-Transaktionen
4.2 Wettbewerbsrecht
4.3 Steuerrecht
5 Ausblick auf die nächsten 25 Jahre: Corporate Governance
vor einem Paradigmawechsel
5.1 Aktuelle Entwicklungen im Markt für Unternehmenskontrolle
5.2 Gebot der Zeit: Langfristigkeit
5.3 Neue Rolle des Aktionärs
1 Einleitung
Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch, in großen Linien einen Überblick über
M & A-relevante Rechtsentwicklungen der vergangenen 25 Jahre zu zeichnen, und wagt
gleichzeitig Blicke in die Zukunft.
Der Ausgangspunkt der Betrachtungen liegt angesichts der Verwurzelung des Autors
im Schweizer Recht. Wo immer möglich wird der Blick aber auch nach Deutschland,
nach Europa und in die Welt gerichtet und versucht, internationale Entwicklungslinien
aufzuzeigen, Gemeinsames und Unterschiedliches.
Ein Tour d’horizon über die vergangenen 25 Jahre, eine für den Praktiker eher un-
gewohnte Sicht, zeigt erstaunliche Erkenntnisse: Vieles, sehr vieles hat sich in dieser
Zeit im M & A-Recht gewandelt, ganze Rechtsgebiete sind neu entstanden wie insbeson-
dere das Übernahmerecht, aber auch das Umstrukturierungsrecht, alte Fragen wie die
Vinkulierung der Aktienübertragungen wurden anders beurteilt und neu geregelt, der
Aktionär bekam eine völlig neue, zentrale Stellung im Corporate Governance-System
der börsenkotierten Aktiengesellschaft, der Staat hat sich mit Macht als relevanter Mit-
∗ Prof. Dr. Andreas Binder, Honorarprofessor für Schuld- und Gesellschaftsrecht, Universität St. Gal-
len (HSG); Partner, Rechtsanwalt, Binder Rechtsanwälte, St. Gallen/Baden.
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2 Vertragsrecht
2.1 Entstehung eines internationalen Unternehmenskaufrechts
In der internationalen M & A-Praxis hat sich über die letzten 25 Jahre ein weitgehend
einheitlicher Standard für den Inhalt von Unternehmenskaufverträgen herausgebildet.
Diese Entwicklung wurde maßgeblich getrieben durch die angloamerikanische Metho-
de der Vertragsgestaltung, welche auf dem Prinzip basiert, möglichst alle relevanten
Fragestellungen im Vertrag zu adressieren, und die damit im Unterschied zur kontinen-
taleuropäischen Usanz seit jeher äußerst umfangreiche Vertragstexte mit sich brachte.
Da sich diese angloamerikanische Methode in der M & A-Praxis mehr und mehr durch-
setzte, verfügen die Unternehmenskaufverträge heute international weitgehend über die
gleiche Struktur und den gleichen Regelungsinhalt, sie bilden ein »eigenständiges und
umfassendes Regelungssystem«1, das mit Fug und Recht als internationales Unterneh-
menskaufrecht bezeichnet werden darf.2
Die Entstehung eines solchen internationalen Unternehmenskaufrechts war deshalb
möglich, weil in weiten Teilen des Vertragsrechts sowohl in Europa wie in den USA das
Prinzip der Vertragsfreiheit gilt, welches es den Parteien freistellt, individuell vereinbarte
Regeln aufzustellen. Diese Freiheit kommt in allen Bereichen des Kaufvertrages zum
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Tragen, so bei Kaufpreisbestimmung und -anpassung, bei der Regelung des Übergangs
von Nutzen und Gefahr, bei der Regelung der Periode zwischen Unterzeichnung und
Vollzug und namentlich bei Erfüllungsstörungen.
Das auf diese Weise mit der Zeit entstandene internationale Unternehmenskaufrecht
hat sich damit vom dispositiven Kaufvertragsrecht in den einzelnen Ländern emanzi-
piert, womit auch die Frage der Rechtswahl an sich weniger wichtig geworden ist. Trotz
dieser Entwicklung kommt aber der Frage des auf die Transaktion anwendbaren Rechts
und insbesondere auch der mit dieser eng zusammenhängenden Frage nach dem zu-
ständigen Gericht (örtliche Zuständigkeit des staatlichen Gerichts oder Schiedsgericht)
in der M & A-Praxis nach wie vor – und wie Streitfälle zeigen durchaus zu Recht – au-
ßerordentlich große Bedeutung zu.
2.2 A
sset Deal mittels Singularsukzessionen
oder partieller Universalsukzession
Eine grundlegende Weichenstellung im Bereich von Unternehmenskaufverträgen ergibt
sich damit heute weniger aus der Frage des anwendbaren Rechts als aus der Frage nach
der Strukturierung des Kaufvertrages als Kauf der Geschäftsanteile, insbesondere Ak-
tienkauf (Share Deal) oder Kauf eines Unternehmens mit Aktiven und Passiven (Asset
Deal). Gegenüber dem Kauf der Geschäftsanteile bietet der Asset Deal bekanntlich den
Vorteil, dass die Vertragsparteien das Kaufobjekt weitgehend individuell zusammen-
stellen können. Aus diesem Grund haben beispielsweise Asset Deals bei M & A-Trans-
aktionen in der Finanzindustrie in den letzten Jahren jedenfalls in der Schweiz stark
an Bedeutung gewonnen.
Früher erfolgte ein Asset Deal als Kauf von Aktiven, Passiven und Verträgen mangels
spezifischer Rechtsvorschriften auf der Basis einer Vielzahl von Singularsukzessionen.
Aktiven mussten nach der für das jeweilige Wirtschaftsgut maßgeblichen Form über-
tragen werden, Grundstücke mittels öffentlicher Beurkundung, Fahrnis mittels Besitz-
übergabe, Forderungen mittels Zession. Für die Übertragung von Schulden bedurfte
es zwingend der Zustimmung des betreffenden Gläubigers, für die Übertragung von
Verträgen derjenigen des Vertragspartners.
Um die Formalitäten im Zusammenhang mit Asset Deals zu erleichtern, hat der
schweizerische Gesetzgeber im Jahr 2004 im Fusionsgesetz (FusG) die Möglichkeit
geschaffen, einen Unternehmenskauf in der Form einer sog. Vermögensübertragung ge-
mäß Art. 69 ff. FusG zu vollziehen. Das Institut der Vermögensübertragung wird auch
umschrieben als gewillkürte Gesamtrechtsnachfolge, indem es den Vertragsparteien
grundsätzlich freigestellt ist, in einem Inventar die übergehenden Vermögensbestand-
teile aufzuführen mit dem Effekt, dass sämtliche inventarisierten Aktiven und Passi-
ven ohne weitere Übertragungserfordernisse an den Käufer übergehen, ohne dass es
für Schulden der sonst unerlässlichen Zustimmung der Gläubiger bedarf. Zum Schutz
der Interessen des Gläubigers wird dieser Schuldnerwechsel durch eine solidarische
Haftung des Verkäufers gegenüber dem Gläubiger abgefedert. Die Verlockung der we-
sentlich einfacheren Übertragung der Aktiven und Passiven wird damit aber vom Ver-
äußerer teuer erkauft, kann er doch infolge der solidarischen Haftung das an sich mit
dem Verkauf angestrebte Ziel der Abtrennung des verkauften Unternehmens aus seinem
Einfluss- und Risikobereich nicht erreichen. Da dieses Ziel der sauberen und konsequen-
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ten Abtrennung der Unternehmenssphären für Verkäufer und Käufer regelmäßig sehr
wichtig ist, hat sich in der schweizerischen M & A-Praxis das Institut der Vermögens-
übertragung nur beschränkt durchgesetzt, und sehr viele M & A-Transaktionen werden
ganz bewusst weiterhin auf dem Weg der Singularsukzessionen abgewickelt.3
Eine Aktie ist als Wertpapier oder Wertrecht an einer Gesellschaft grundsätzlich wie
jedes andere Wertpapier oder Recht frei übertragbar. Dies bedeutet, dass ein Verkäufer
frei ist, das Wertpapier oder das Recht einer beliebigen natürlichen oder juristischen
Person zu verkaufen.
Der Grundsatz der freien Übertragbarkeit kann jedoch bei Aktien eingeschränkt
werden; diese Beschränkung der freien Veräußerlichkeit von Aktien wird Vinkulierung
genannt. Die meisten Jurisdiktionen kennen Vinkulierungsvorschriften.
Anhand der Entwicklung der Vinkulierungsvorschriften für schweizerische Publi-
kumsgesellschaften lässt sich plastisch nachzeichnen, wie die Stärkung der Stellung
der Aktionäre und die Entstehung eines Marktes für Unternehmenskontrolle die früher
hohen Vinkulierungswälle über die letzten 25 Jahre weitgehend geschliffen haben.
Bis 1992 konnten die schweizerischen Gesellschaften die Eintragung eines Aktiener-
werbers im Aktienbuch von bestimmten in den Statuten umschriebenen Vorausset-
zungen (z. B. dem Schweizer Bürgerrecht oder dem Nichtvorhandensein einer Konkur-
rentenstellung des Erwerbers) abhängig machen oder gar ohne Angabe von Gründen
verweigern. Einzige Schranke war das Willkürverbot, dessen Verletzung allerdings im
Einzelfall kaum nachzuweisen war, weil die Gesellschaft ja keine Gründe für die Ab-
lehnung nennen musste. Verstärkt wurde die Wirksamkeit der Vinkulierungsvorschrif-
ten in der Praxis durch eine Selbstbeschränkung der mit Aktien handelnden Banken:
Gemäß einer Empfehlung der Schweizerischen Bankiervereinigung aus dem Jahr 1961
sollten die Banken Aufträge zum Kauf vinkulierter Aktien nicht ausführen, wenn klar
war, dass der Auftraggeber die Vinkulierungsbedingungen der Gesellschaft nicht erfüll-
te.4 Die Eintragungsverweigerung führte immerhin nicht zu einer völligen Blockierung
des Erwerbers, gingen doch das Eigentum an den Aktien und die aus den mitglied-
schaftlichen Vermögensrechten fließenden Forderungsrechte (z. B. Dividendenansprü-
che) dennoch auf diesen über. Die mit den Aktien verbundenen Mitgliedschaftsrechte,
namentlich das Stimmrecht, blieben dagegen beim Veräußerer. Im Ergebnis führte dies
zu einer Spaltung der Aktionärsrechte.
3 Für weitere Besonderheiten der Vermögensübertragung vgl. Schenker 2016, Kap. 2.3, S. 625.
4 Vgl. Tschäni 1989, S. 179 f.
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(Art 32 Börsengesetz [BEHG]) bei 33 1/3% festgesetzt wurde, liegt in Tat und Wahrheit
deutlich tiefer, je nach Struktur und Engagement des Aktionariats irgendwo im Bereich
zwischen 20 % und 25 %. Dies ruft nach einer Lösung des Dispoaktienproblems im
Aktienrecht – oder nach einer Absenkung der Kontrollschwelle im Übernahmerecht.
Im Zusammenhang mit dem Übernahmerecht drängt sich eine weitere Bemerkung
zum Wirksamkeitsverlust der Vinkulierungsvorschriften auf: Da es zulässig ist, Über-
nahmeangebote an Bedingungen zu knüpfen, und da es namentlich möglich ist, die
Aufhebung von Vinkulierungsvorschriften zur Bedingung zu machen, können die oh-
nehin schon weitgehend abgebauten Vinkulierungshürden heute keinesfalls mehr vor
(unfreundlichen) Übernahmen schützen. Es ist der Aktionär und nicht mehr die Un-
ternehmensleitung, welcher entscheidet, ob ein neuer Aktionär im Übernahmekampf
akzeptiert wird.
8 Botschaft des Bundesrats über die Revision des Aktienrechts vom 23.02.1983, S. 23 f.
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undenkbar gewesen. Immerhin ist anzumerken, dass der Swiss Code of Best Practice im
Jahr 2014 überarbeitet wurde und den Begriff Corporate Governance neu wie folgt defi-
niert: »Corporate Governance ist die Gesamtheit der auf das nachhaltige Unternehmens
interesse ausgerichteten Grundsätze, die unter Wahrung von Entscheidungsfähigkeit und
Effizienz auf der obersten Unternehmensebene Transparenz und ein ausgewogenes Ver-
hältnis von Führung und Kontrolle anstreben« (vgl. dazu auch Kap. 5.2.2).
Seit Mitte des letzten Jahrzehnts ist in der Schweiz eine neue große Aktienrechts-
revision in Bearbeitung, welche sich eine nochmalige wesentliche Stärkung der Rolle
des Aktionärs auf die Fahne geschrieben hat.9 2008 wurde die Volksinitiative gegen die
Abzockerei (sog. Minder-Initiative) eingereicht. Mit ihr wurde die Diskussion um exor-
bitante Vergütungen und die Stärkung der Mitspracherechte der Aktionäre bei der Ver-
gütung (»Say-on-pay«) zum aktienrechtlichen Hauptthema in der öffentlichen Debatte in
der Schweiz. Die Aktienrechtsrevision stand in der Folge im Zeichen der Ausarbeitung
eines Gegenvorschlags zur Volksinitiative gegen die Abzockerei.
Im Jahr 2013 haben Volk und Stände mit großer Mehrheit der Volksinitiative gegen
die Abzockerei zugestimmt. Zwecks Umsetzung der Initiative erließ der Bundesrat per 1.
Januar 2014 die Verordnung gegen übermäßige Vergütungen bei börsenkotierten Aktien-
gesellschaften (VegüV). Neu müssen die Aktionäre aller an einer in- oder ausländischen
Börse kotierten Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz in der Generalversammlung
jährlich bindend über den Gesamtbetrag der Vergütungen des Verwaltungsrates und
der Geschäftsleitung abstimmen.10
Aufgrund der Annahme der Volksinitiative wurde die Vorlage zur großen Aktien-
rechtsrevision vom Parlament zur Überarbeitung an den Bundesrat zurückgewiesen.
Ende 2014 schickte der Bundesrat einen neuen Vorentwurf in die Vernehmlassung mit
umfassenden Revisionspunkten. Der Vorentwurf sah ebenfalls eine weitere Stärkung
der Rechte der Aktionäre vor, so beispielsweise die Senkung der Schwellenwerte für
die Ausübung gewisser Aktionärsrechte oder die Möglichkeit, eine Rückerstattungs-
oder Verantwortlichkeitsklage auf Kosten der Gesellschaft zu erheben. Nachdem in der
Vernehmlassung zum Teil heftige Kritik gegen noch weiter gehende zwingende Regu-
lierungsvorschriften geübt wurde, beauftragte der Bundesrat Ende 2015 das Eidg. Justiz-
und Polizeidepartement mit der Ausarbeitung einer neuen Botschaft an das Parlament
unter gleichzeitiger Festlegung einiger wichtiger Eckpunkte für das Revisionsvorha-
ben: i) Die Aktionärsrechte in Vergütungsfragen sollen gestärkt werden, indem die in
der Verordnung gegen übermäßige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften
(VegüV) enthaltenen Regeln mit einigen – allerdings vermutlich eher geringfügigen – Er-
gänzungen ins Gesetz überführt werden; ii) auf Basis eines Comply-or-explain-Ansatzes
sollen börsenkotierte Gesellschaften einen Geschlechterrichtwert von mindestens 30 %
jedes Geschlechts im Verwaltungsrat und von mindestens 20 % in der Geschäftsleitung
erfüllen; iii) auf die Möglichkeit, eine Rückerstattungs- oder Verantwortlichkeitsklage
auf Kosten der Gesellschaft zu erheben, soll dagegen verzichtet werden.11 Die Botschaft
wird auf Ende 2016 erwartet, sodass in der Schweiz noch einige Jahre verstreichen
werden, bis das umfassende Reformvorhaben den Gesetzgebungsprozess durchlaufen
haben wird.
9 Botschaft des Bundesrats vom 21.12.2007, S. 2 und Zusatzbotschaft vom 05.12.2008, S. 2.
10 Für Einzelheiten vgl. Schenker 2016, Kap. 3.2, S. 630 ff.
11 Medienmitteilung des Bundesrates vom 04.12.2015, http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/
news/2015/2015-12-04.html
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Bei all diesen Entwicklungen fällt auf: Jede Revision beginnt mit der Analyse, die
Stellung des Aktionärs liege im Argen. Und jede Revision verfolgt das Ziel, die Rolle des
Aktionärs zu stärken. Vielleicht muss auch einmal die Frage gestellt werden, weshalb
denn offenbar regelmäßig diese Zielsetzung verfehlt wird. Die Antwort ist offenkundig:
Solange der Aktionär nicht auch mehr Pflichten hat, er insbesondere keiner Treuepflicht
unterliegt, ist es systemimmanent und wird es deshalb immer so sein, dass auch seine
Rechtsstellung im System der Aktiengesellschaft eine beschränkte ist.
3.1.3 Fusion
Mit dem Inkrafttreten des Fusionsgesetzes im Jahr 2004 erfuhr der bis dato sakrosankte
Grundsatz der mitgliedschaftlichen Kontinuität in der Schweiz eine Relativierung. Wäh-
rend bis dahin als ehernes Gesetz galt, dass Gesellschafter der übertragenden Gesell-
schaft(en) mit der Fusion Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft werden und
als einzige Ausnahme der Spitzenausgleich in bar bei nicht ganzzahligen Austausch-
verhältnissen zugelassen war,12 führte das Fusionsgesetz verschiedene Möglichkeiten
ein, Gesellschafter bei der Fusion statt mit Aktien mit Barmitteln zu bedienen. So ist es
gemäß Art. 7 Abs. 2 FusG zulässig, bei der Festlegung des Umtauschverhältnisses für
Aktien eine Ausgleichszahlung bis zu maximal einem Zehntel des wirklichen Wertes
der Anteile vorzusehen. Weiter können die an der Fusion beteiligten Gesellschaften
gemäß Art. 8 Abs. 1 FusG im Fusionsvertrag vorsehen, dass die Aktionäre zwischen
Aktien und einer Abfindung wählen können, ihnen mithin ein Wahlrecht auf Abfin-
dung einräumen. Und zum Dritten können die Gesellschaften gemäß Art. 8 Abs. 2
i. V. m. Art. 18 Abs. 5 FusG im Fusionsvertrag auch regeln, dass den Aktionären der
übertragenden Gesellschaft nur eine Abfindung ausgerichtet wird, wobei ein solcher
Beschluss der Zustimmung von mindestens 90 % der stimmberechtigten Aktionäre der
übertragenden Gesellschaft bedarf. Das Schweizer Recht lässt damit seit 2004 auch
eine sog. Squeeze-out-Fusion zu. Und da als Abfindung nicht nur Bargeld, sondern auch
andere Vermögenswerte angeboten werden können, ist nach Schweizer Recht auch eine
Dreiecksfusion (Triangular Merger) möglich, indem den Aktionären Anteile einer dritten
Gesellschaft, typischerweise der Muttergesellschaft der übernehmenden Gesellschaft,
zugeteilt werden.13
Squeeze-out-Fusionen und Dreiecksfusionen sind auch nach amerikanischem und
japanischem Recht zulässig. Die Rechtslage in der EU war dagegen lange vom ehernen
Grundsatz der mitgliedschaftlichen Kontinuität geprägt und sah weder Squeeze-out-
Fusionen noch Dreiecksfusionen vor. Dies wurde für innerstaatliche Fusionen mit der
revidierten EU-Richtlinie über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften geändert,
welche neu den Mitgliedstaaten erlaubt, bei Upstream Mergers einen verschmelzungs-
rechtlichen Squeeze-out vorzusehen14. Und einzelne Länder wie die Niederlande oder
Finnland lassen inzwischen auch Dreiecksfusionen zu.15
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3.1.4 Spaltung
Das im Jahr 2004 in der Schweiz in Kraft getretene Fusionsgesetz heißt mit vollem
Namen »Bundesgesetz über die Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensüber-
tragung« und regelt damit alle Formen der Umstrukturierung von Gesellschaften, so
insbesondere auch deren Spaltung. Bis zum Jahr 2004 war die Spaltung von Gesell-
schaften in der Schweiz nicht geregelt, und man behalf sich mit einem Vorgehen in zwei
Schritten. In einem ersten Schritt wurden die Aktiven durch Singularsukzession, die
Passiven ebenfalls durch Singularsukzession oder durch Gesamtrechtsnachfolge nach
Art. 181 OR in die übernehmende Gesellschaft übertragen, wobei die übernehmende
Gesellschaft i. d. R. eine eigens zu diesem Zweck gegründete, u. U. aber auch eine bereits
bestehende Tochtergesellschaft war. In einem zweiten Schritt wurden den Gesellschaf-
tern der spaltenden Gesellschaft die Anteile der übernehmenden Gesellschaft zugeteilt,
entweder durch Ausschüttung der Tochtergesellschaftsaktien als Sachdividende oder
im Rahmen einer Kapitalherabsetzung oder Liquidation der spaltenden Gesellschaft.
Das Fusionsgesetz ermöglicht neu die Durchführung einer Spaltung in einem Schritt
und den Verzicht auf die Vornahme unzähliger Singularsukzessionen. Allerdings wird
dieser Vorteil ähnlich wie bei der Vermögensübertragung (vgl. dazu die Ausführungen
in Kap. 2.2) teuer erkauft, nämlich mit einer unbeschränkten solidarischen Haftung
sämtlicher an der Spaltung beteiligten Gesellschaften für die im Zeitpunkt der Spaltung
bestehenden – bekannten und unbekannten – Schulden (Art. 47 Abs. 1 FusG). Diese
solidarische Haftung ist gemäß Wortlaut des Gesetzes zeitlich nicht limitiert, einzige
zeitliche Schranke bilden damit die allgemeinen Verjährungsvorschriften.16 Diese Re-
gelung hat zur Folge, dass alle an einer Spaltung beteiligten Gesellschaften für die vor
der Spaltung bestandenen, mit der Spaltung übertragenen Schulden auch Jahre nach
der Spaltung weiterhaften, und dies, obwohl die Spaltung eine Trennung der unter-
nehmerischen Verantwortung der verschiedenen Gesellschaften bewirkt und zu einer
Verminderung der Aktiven und damit des Haftungssubstrats jeder einzelnen Gesell-
schaft führt. Bezüglich Verbindlichkeiten werden die aus der Spaltung hervorgegange-
nen Gesellschaften während Jahren so behandelt, wie wenn sie nicht gespalten worden
wären, wogegen auf der Aktivseite der Bilanz durch die Spaltung eine Schrumpfung des
Vermögens jeder Gesellschaft stattfindet.
Ist ein Investor an einer Gesellschaft interessiert, die an einer Spaltung beteiligt war,
hat dies zur Folge, dass er mit dem Erwerb dieser Gesellschaft nicht nur deren Aktiven
und Passiven erwirbt, sondern zusätzlich die Passiven bzw. Risiken der übrigen an der
Spaltung beteiligten Geschäftsbereiche bzw. Gesellschaften. Damit er weiß, auf welche
Risiken er sich einlässt, muss er daher eine Due Diligence nicht nur des Kaufobjektes
vornehmen, sondern auch aller anderen Gesellschaften, an denen er gar kein Interesse
hat; unterlässt er dies, setzt er sich später u. U. dem Vorwurf aus, er habe beim Erwerb
der Gesellschaft unsorgfältig gehandelt. Wer hier einwendet, die Sache sei nicht so
schlimm, in aller Regel könnten die Risiken, die mit einem Unternehmen verbunden
sind, anhand der Passivseite der Bilanz gut abgeschätzt werden, verkennt die Realität:
Mit jeder unternehmerischen Tätigkeit sind Risiken verbunden, die für das Unterneh-
Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten ist nicht mit der Richtlinie 2011/35/EU
vom 05.04.2011 zu verwechseln; letztere regelt innerstaatliche Verschmelzungen.
16 In der Literatur wird zum Teil mit Hilfe einer teleologischen Reduktion statt der ordentlichen zehn-
jährigen eine kürzere Verjährungsfrist von drei Jahren (wie bei der Vermögensübertragung) be-
gründet; vgl. Böckli 2009, § 3 N 323; Binder 2005, S. 33 ff.
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men respektive die Gesellschaft als Rechtsträgerin des Unternehmens existentiell sein
können und die doch in der Bilanz keine Abbildung erfahren; zu denken ist etwa an
Umweltrisiken oder Risiken aus Produktehaftung. Solche Risiken können sehr wohl in
der Vergangenheit, also vor der Spaltung, gesetzt worden sein, sich aber erst in u. U.
ferner Zukunft – aber noch vor Eintritt der Verjährung – in Form von Haftpflichtan-
sprüchen materialisieren.
Der Effekt dieser solidarischen Haftung ist eindrücklich: Die Spaltung nach Fusi-
onsgesetz ist weitgehend toter Buchstabe geblieben. Eine Analyse der schweizerischen
M & A-Praxis seit Inkrafttreten des Fusionsgesetzes zeigt, dass diese vom Institut der
Spaltung nach Fusionsgesetz nur wenig Gebrauch macht.17 Überall zeigt sich das glei-
che Bild: Man weicht der Spaltung18 nach Fusionsgesetz aus und strukturiert weiter
nach alter Technik um, indem statt in einem in zwei Schritten gespalten wird. Dies
ist – gemäß klar herrschender, wenn auch nicht unbestrittener Lehre19 – möglich, da
der Gesetzgeber diesen Weg mit dem Fusionsgesetz nicht geschlossen hat.20
Interessant wäre in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit der Praxis in anderen
Jurisdiktionen, kennt doch die EU-Spaltungsrichtlinie im Wesentlichen ebenfalls ein
Gebot der solidarischen Haftung der an einer Spaltung beteiligten Gesellschaften. Wie
sieht die M & A-Spaltungspraxis in Deutschland, Frankreich oder England aus? Wird
in diesen Ländern aus Gründen der Haftungseinschränkung ebenfalls häufig der Weg
der Singularsukzessionen gewählt? In der Schweiz jedenfalls ist ein M & A-Berater nach
verbreiteter Einschätzung nahe an einem Kunstfehler, wenn er eine Spaltung nach
Fusionsgesetz empfiehlt.
17 Vgl. Binder 2005, S. 8 f.; Pfeifer/Dobry Oesch 2012, Vor Art. 29–52 N 16; Schenker 2016, Kap. 2.2,
S. 624.
18 Und, in vermindertem Mass, auch der Vermögensübertragung (vgl. Binder 2005, S. 8 f.).
19 Vgl. die Übersicht bei Böckli 2009, § 3 N 342a ff.; Glanzmann 2014, § 6 N 132, m. w. H.
20 Auch das deutsche Recht lässt die Übertragung von Aktiven und Passiven durch Singularsukzessi-
on als Alternative zur Spaltung nach dem im Jahr 1994 geschaffenen Umwandlungsgesetz zu. Das
deutsche Umwandlungsgesetz stellt keine abschließende Kodifikation des Umwandlungsrechts dar,
weshalb die durch das Umwandlungsgesetz eröffneten Möglichkeiten neben die nach allgemeinem
Zivil- und Handelsrecht möglichen Methoden treten; vgl. Lutter/Bayer 2014, Einleitung N 55 f.;
Semler/Stengel 2007, Einleitung A, N 82 ff.
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Preis unterbreitet werden muss und iii) dieser Preis – nicht aber der Beschluss der
Dekotierung als solcher – einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.21 Im Jahr
2013 hat der Bundesgerichtshof dann jedoch im Frosta-Entscheid22 diese den Minder-
heitsaktionär schützende Rechtsprechung aufgegeben, indem er darin anders als im
Macrotron-Entscheid zum Ergebnis gelangte, dass ein Rückzug von der Börse keinen
verfassungsrechtlich relevanten Eingriff in das Aktieneigentum darstelle. Aus diesem
Grund bedürfe es für eine solche Entscheidung weder eines Beschlusses der Hauptver-
sammlung noch eines Pflichtangebotes.
Die aktuelle Rechtslage zur Dekotierung in Deutschland und in der Schweiz ist im
Hinblick auf den Minderheitenschutz problematisch.
3.2 Übernahmerecht
Im Bereich des Übernahmerechts haben in den vergangenen rund 25 Jahren zweifel-
los die markantesten regulatorischen Veränderungen stattgefunden. Die Regelung des
Übernahmerechts kann in drei Phasen unterteilt werden. Eine erste Phase dauerte bis
Ende der 1980er Jahre und kennzeichnete sich durch ein vollständiges Fehlen übernah-
merechtlicher Sondervorschriften. Dann folgte in den 1990er Jahren eine erste Welle
der Regulierung im Bereich des Übernahmerechts in der Form von grundsätzlich nicht
verbindlichen Selbstregulierungsregelwerken der Börsen und damit als sog. Soft Law.
Dieses Soft Law wurde schließlich in diesem Jahrtausend durch staatliche Vorschriften
abgelöst.
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an bestimmten Aktien machte eine Offerte, ein verkaufswilliger Aktionär konnte dieses
Angebot akzeptieren, und wenn er dies tat, war der Kaufvertrag perfekt. Nach diesem
Prinzip konnte ein Interessent ebenso einzelne Aktien wie eine Vielzahl von Aktien
einer Gesellschaft erwerben. Alles spielte sich im Verborgenen ab, Transparenz war ein
Fremdwort, schließlich hieß die Aktiengesellschaft nicht von ungefähr Société Anony-
me. Weder gab es Meldepflichten bei Erreichung gewisser Schwellenwerte an Aktien ei-
ner Gesellschaft noch Vorschriften über die Ad-hoc-Publizität, und ein öffentliches Zur-
schaustellen von Managementtransaktionen in Aktien der vom Management geführten
Gesellschaften gab es schon gar nicht. Insiderhandel war nicht verboten und strafbar.
Und es gab keine Verfahrensregeln für öffentliche Übernahmeangebote, keine Vorschrif-
ten zu den zu offerierenden Preisen und erst recht keine Pflicht, bei Erreichung der
Kontrolle über ein Unternehmen sämtlichen verbliebenen Aktionären ein Kaufangebot
unterbreiten zu müssen. Konkurrenzofferten waren praktisch ausgeschlossen, einerseits
weil ein Aufkäufer in einer ersten Phase einen erheblichen Aktienanteil heimlich kaufen
und sich so eine von einem Dritten kaum zu verdrängende Position in der Gesellschaft
sichern konnte, andererseits weil ein Aktionär, sobald er ein Übernahmeangebot ange-
nommen hatte, nicht mehr darauf zurückkommen konnte, falls später eine attraktivere
konkurrierende Offerte lanciert werden sollte. Ein Squeeze-out im Sinne eines privaten
Enteignungsrechts war schlicht unvorstellbar.
Und auf der anderen Seite war dies die Zeit der strengen Vinkulierungsregimes, die
den Unternehmensleitungen viel Macht gegen unerwünschte Eindringlinge gaben.
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3.2.3.1 Überblick
In der Periode der Selbstregulierung konnte sich in der Schweiz und in Deutschland
eine neue Übernahmekultur entwickeln. Die Regeln waren in einzelnen Bereichen be-
reits weitgehend ausgefeilt, in anderen tastete man sich behutsamer an das aus der
neuen Welt herübergekommene neue Zeitalter heran. Die Einhaltung der Regeln war
grundsätzlich freiwillig, aber Überwachungsorgane, welche deren Einhaltung gene-
rell und auch im Einzelfall würdigten, die unaufhaltsam zunehmende Transparenz
sowie die enge Beobachtung aller Akteure durch die Finanzmarktteilnehmer und die
Wirtschaftsmedien sorgten dafür, dass in den 1990er Jahren der Boden für gesetzliche
Regeln geschaffen wurde. So folgte im Bereich des Übernahmerechts gegen Ende des
ausgehenden und zu Beginn des neuen Jahrtausends die dritte Phase, welche durch die
Ablösung von Soft Law durch Hard Law gekennzeichnet war.
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Einen diesbezüglichen Meilenstein setzte der schweizerische Gesetzgeber mit dem er-
sten gesamtschweizerischen Börsengesetz, welches 1998 in Kraft trat. Das Börsengesetz
basierte zu einem wesentlichen Teil auf dem Entwurf der 13. gesellschaftsrechtlichen
EU-Richtlinie über Übernahmeangebote aus dem Jahr 1989, und pikanterweise setze das
Nicht-EU-Mitgliedsland Schweiz den wesentlichen Gehalt dieses Richtlinienentwurfs zu
einem Zeitpunkt um, als die Mitglieder der EU noch weit weg waren von einem Konsens
über den Inhalt einer Übernahmerichtlinie.
In der EU hatte die Gesetzgebung immerhin in einem Teilbereich des Übernahme-
rechts schon früher eingesetzt, nämlich in der Transparenz bei Erwerb oder Veräuße-
rung wesentlicher Beteiligungen an börsenkotierten Gesellschaften. Im Jahr 1988 wurde
die Richtlinie über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an
einer börsenkotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen, die sog. Trans-
parenzrichtlinie, verabschiedet. In der Schweiz wurden entsprechende Vorschriften,
welche heute zum weltweiten übernahmerechtlichen Standard gehören, erst 1998 mit
dem Börsengesetz eingeführt.
Aber mit dem Kerngehalt des Übernahmerechts tat man sich in der EU schwer. Der
ursprüngliche Vorschlag aus dem Jahr 1989, welcher mit detaillierten Regelungen eine
starke Harmonisierung angestrebt hatte, war äußerst umstritten. Deshalb legte die Kom-
mission in den Jahren 1996 und 1997 einen geänderten Vorschlag vor, der im Gegensatz
zum ursprünglichen Entwurf keine bis ins Einzelne gehende Harmonisierung anstrebte
und die Beibehaltung nationaler Unterschiede im Rahmen allgemeiner Grundsätze zuließ.
Zentrale Änderung war die Abkehr von der Vorgabe an alle Mitgliedsländer, Regeln zum
Pflichtangebot zu erlassen. Doch auch dieser abgeschwächte Vorschlag scheiterte und
wurde 2001 im Europäischen Parlament abgelehnt. Der Grundsatz, wonach die Leitungs-
organe der Zielgesellschaft für Abwehrmaßnahmen gegen ein Übernahmeangebot nach
Bekanntgabe des Angebots die Zustimmung der Aktionäre benötigten, fand Ablehnung,
solange es für europäische Gesellschaften kein »Level Playing Field« bei öffentlichen
Übernahmeangeboten gebe. Moniert wurden auch die unterschiedlichen Ausgangsbedin-
gungen in den USA und Europa sowie der unzureichende Schutz der Arbeitnehmer der
Zielgesellschaften. Schließlich war erst der dritte Anlauf der Kommission erfolgreich, und
so wurde im Jahr 2004 die nunmehr Übernahmerichtlinie genannte Richtlinie mit den
Kernelementen Verfahrensvorschriften, Pflichtangebot bei Kontrollerwerb sowie Neutrali-
tätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft, letztere allerdings mit einer Opting-out-
Möglichkeit der Mitgliedstaaten (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 3.2.3.4), erlassen.
Auch wenn heute weder in Europa noch weltweit von einem »Level Playing Field« im
Übernahmerecht gesprochen werden kann, so haben sich doch einige Elemente als breit
anerkannte Grundsätze durchgesetzt, die im Folgenden dargestellt werden.
3.2.3.2 Transparenz
27 Vgl. zur Regelung in Deutschland Classen 2016, Kap. 2, S. 688 ff. und zur Regelung in der Schweiz
Watter/Hoch 2016, Kap. 3.2.3 und 3.2.4, S. 723 f.
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senrelevanten Vorgängen; iii) Information über Transaktionen der Mitglieder der Unter-
nehmensleitungen in Aktien der von ihnen geführten Gesellschaft.
Insiderhandel und Marktmanipulation sind heute weitgehend verboten, auch wenn die
konkrete Ausgestaltung der Verbote und namentlich auch die Ausstattung der über-
wachenden und sanktionierenden Organe mit Kompetenzen und Ressourcen zum Teil
stark unterschiedlich sind.
Die meisten Jurisdiktionen kennen heute Verfahrensvorschriften wie Angaben zum Bie-
ter, zulässige Bedingungen, Fristen, Prüfung des Angebots, Bericht der Leitungsorgane
der Zielgesellschaft, Meldung von Transaktionen in Aktien, Veröffentlichung des Zwi-
schenergebnisses und Nachfrist an die Aktionäre zur Annahme des Angebots, Umgang
mit Konkurrenzangeboten etc. Es hat sich in diesen Fragen weitgehend ein weltweiter
Standard entwickelt.28
Bemerkenswert sind zwei aktuelle Entwicklungen: Die Regulierung im Bereich po-
tenzieller Angebote sowie die Gewährung der Parteistellung an Minderheitsaktionäre
im Übernahmeverfahren. So kann bspw. die schweizerische Übernahmekommission
gemäß Art. 53 der Übernahmeverordnung neu eine Person, die öffentlich bekannt gibt,
sie ziehe die Möglichkeit in Betracht, ein öffentliches Angebot zu unterbreiten (poten-
zieller Anbieter), verpflichten, innerhalb einer bestimmten Frist entweder ein Angebot
für die Zielgesellschaft zu veröffentlichen oder öffentlich zu erklären, innerhalb von
sechs Monaten weder ein Angebot zu unterbreiten noch eine die Angebotspflicht aus-
lösende Beteiligungsschwelle zu überschreiten.29 Auch der englische Takeover Code
kennt das Institut des potenziellen Angebots. Damit soll das mittlerweile häufig zu be-
obachtende Spiel unterbunden werden, sich als potenzieller Mitbieter oder White Knight
in Stellung zu bringen und sich gleichzeitig alle Optionen offen zu halten. Und gemäß
Art. 56 der schweizerischen Übernahmeverordnung kann ein qualifizierter Aktionär,
welcher im Zeitpunkt der Publikation des Übernahmeangebots eine Beteiligung von
lediglich 3 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft hat, im Verfahren Parteistellung
erlangen mit der Wirkung, dass ihm die vollen Verfahrensrechte zukommen, so insbe-
sondere die Ansprüche auf rechtliches Gehör, auf umfassende Akteneinsicht und auf
die Ergreifung von Rechtsmitteln.30 Diese Schwelle erscheint außerordentlich niedrig,
zumal eingedenk dessen, dass die Parteistellung auch jenem Aktionär zukommt, der
die Stimmrechte infolge Vinkulierung oder freiwilliger Nichtanmeldung bei der Gesell-
schaft (sog. Dispoaktien)31 nicht ausüben kann. Auch diese Änderung, über deren Sinn
und Berechtigung gestritten werden kann,32 liegt im Zug des weltweiten Trends zur
Stärkung der Aktionärsstellung.
Höchst uneinheitlich ist dagegen der Umgang mit zwei zentralen Fragen im Über-
nahmerecht: Der Frage der Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft,
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d. h. der Frage, ob die Leitungsorgane der Zielgesellschaft gegen einen nicht geneh-
men Übernahmeversuch Abwehrmaßnahmen ergreifen und welcher Art diese ggf.
sein dürfen,33 sowie der Frage des Pflichtangebots bei Kontrollerwerb. Es sind in diesen
Fragen weltweit zwei unterschiedliche Philosophien auszumachen: Die USA und Japan
kennen weder die Neutralitätspflicht der Unternehmensleitung noch das Pflichtange-
bot bei Erlangung der Kontrolle. England dagegen hat sich seit jeher für eine strikte
Neutralitätspflicht der Unternehmensleitung und für ein Pflichtangebot beim Kontrol-
lerwerb ausgesprochen. Die Schweiz kennt eine sehr strenge Neutralitätspflicht und
grundsätzlich auch ein Pflichtangebot, wobei sie den Unternehmen die Möglichkeit gibt,
die Schwelle des Pflichtangebots mit einem Opting-up von 331/3 % auf 49 % anzuheben
oder mit einem Opting-out allfällige Erwerber der Kontrolle über das Unternehmen
gänzlich vom Pflichtangebot zu befreien (Art. 32 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 2 und 3
Börsengesetz [BEHG]).34 Zusätzlich war in der Schweiz, anders als in England, bis vor
kurzem eine Preisdifferenzierung zulässig, indem das Pflichtangebot bis zu 25 % unter
dem durch den Anbieter vor dem Pflichtangebot maximal bezahlten Preis liegen durfte.
Im Zuge der im Jahr 2013 in Kraft getretenen Revision des Börsengesetzes wurde diese
Möglichkeit der Preisdifferenzierung abgeschafft.35 In England ist eine solche Preisdif-
ferenzierung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre seit jeher nicht
zu vereinbaren. In der EU ist mit Art. 5 Übernahmerichtlinie nach langem politischem
Kampf das Pflichtangebot ohne Opting-out und ohne Preisdifferenzierung eingeführt
worden. Die Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft ist dagegen als
Grundsatz wohl in der Richtlinie festgeschrieben, Art. 12 Übernahmerichtlinie gibt
den Mitgliedsländern aber die Möglichkeit, ihre Unternehmen mittels Opting-out von
der Neutralitätspflicht zu befreien. Und tatsächlich haben einige Länder von dieser
Opting-out-Möglichkeit Gebrauch gemacht, namentlich Deutschland, Holland, Belgien,
Luxemburg, Dänemark, Polen und Ungarn.36
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4 Öffentliches Recht
4.1 W
achsende Bedeutung behördlicher Bewilligungen
bei M & A-Transaktionen
Im M & A-Bereich ist in den vergangenen 25 Jahren weltweit ein Trend zu einer immer
größeren Bedeutung staatlicher Institutionen auszumachen. Dieser Trend hat sich in den
letzten Jahren im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise nochmals deutlich verstärkt.
Zu nennen sind zunächst Vorschriften und Bewilligungsverfahren in verschiedenen
Industriebereichen wie Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Luftfahrt oder Tele-
kommunikation. Solche Vorschriften hat es allerdings weitgehend schon früher gegeben.
Ein zentraler Regelungsgegenstand beschlägt die Frage der Investitionen durch Aus-
länder in inländischen Unternehmen. Mit nationalistischen Schutzmaßnahmen auf
Gesetzesstufe und auch mittels Interventionen im Einzelfall werden Unternehmens-
übernahmen durch Ausländer zunehmend erschwert oder unterbunden (vgl. die Aus-
führungen in Kap. 5.1.9). Dass es früher weniger solche Vorschriften gab, ist allerdings
primär auf die Realien zurückzuführen: Es gab schlicht viel weniger internationale
Übernahmen. Sei es, weil die Vinkulierungsvorschriften in vielen Ländern noch we-
sentlich schärfer waren, so dass sich Unternehmen auch ohne staatliche Unterstützung
fremder Eindringlinge erwehren konnten, sei es, weil Aktien wichtiger Unternehmen
in den Händen von langfristig orientierten freundlichen Aktionären lagen, häufig in
Form von Kreuzbeteiligungen, und deshalb gar nicht käuflich waren, oder sei es, weil
es vor dem Zeitalter der Globalisierung noch keine internationale Nachfrage und keinen
internationalen Markt für Unternehmenskontrolle gab.
Gegen diesen internationalen Trend hat die Schweiz den Erwerb von Grundstücken
durch Personen im Ausland und damit auch den Erwerb von Unternehmen mit großem
Immobilienportefeuille durch Ausländer in der gleichen Zeit erleichtert. Während bis
1997 viele M & A-Transaktionen einer diesbezüglichen behördlichen Bewilligung be-
durften, sind seither die meisten Unternehmenskäufe ohne entsprechende Bewilligung
möglich.
Einen zentralen Faktor bei M & A-Transaktionen bildet heute das Wettbewerbsrecht.
Da dieses auf dem Auswirkungsprinzip beruht, sind alle Jurisdiktionen für die Prüfung
eines Zusammenschlusses im Hinblick auf den Wettbewerb auf dem relevanten Markt
kompetent, in denen der Zusammenschluss Auswirkungen auf das Funktionieren des
Wettbewerbs zeitigt oder zeitigen kann. Bei großen Zusammenschlüssen kommt es
daher nicht selten vor, dass Bewilligungen bei den Wettbewerbsbehörden in Dutzen-
den von Jurisdiktionen eingeholt werden müssen.37 Zum Teil kann dabei beobach-
tet werden, dass die Zusammenschlusskontrolle durch die Wettbewerbsbehörde auch
wirtschaftspolitisch eingesetzt wird, als weitere mögliche Abwehrfront zum Schutz
der einheimischen Industrie gegen unerwünschte Eindringlinge. Einige Länder, welche
tiefe Umsatzschwellen als Aufgreifkriterien für die Prüfung eines Zusammenschlusses
statuiert haben, scheinen das Wettbewerbsrecht auch als lukrativen Generator für die
Erhebung von Gebühren zu missbrauchen.
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4.2 Wettbewerbsrecht
Im Wettbewerbsrecht der Schweiz hat sich in den vergangenen 25 Jahren ein eigentli-
cher Paradigmenwechsel abgespielt, und zwar über vier Phasen:
Bis zum Jahr 1986 kannte die Schweiz keinerlei wettbewerbliche Zusammenschluss
kontrolle.
Mit der Revision des Kartellgesetzes im Jahr 1986 wurde dann erstmals, allerdings
noch äußerst zaghaft, eine Zusammenschlusskontrolle eingeführt. Die Wettbewerbs-
behörde konnte neu Unternehmenszusammenschlüsse untersuchen, wenn durch den
Zusammenschluss eine den Markt maßgeblich beeinflussende Stellung begründet oder
verstärkt wurde und überdies Anhaltspunkte für volkswirtschaftlich oder sozial schäd-
liche Auswirkungen bestanden. Es gab aber unter jenem Regime noch keine Melde-
pflicht bei einem Zusammenschluss, keine Bewilligungspflicht und damit natürlich
auch kein Vollzugsverbot bis zu deren Vorliegen. Die Wettbewerbsbehörde war einzig
berechtigt, im Nachhinein einen Zusammenschluss bei Vorliegen der gesetzlichen Kri-
terien – welche wohlgemerkt keine formellen Aufgreifkriterien wie Umsatzschwellen
beinhalteten – zu untersuchen. Stellten die Behörden im Rahmen der Untersuchung fest,
dass ein Zusammenschluss volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen
hatte, konnten sie vom Unternehmen verlangen, gewisse Abreden abzuändern oder
aufzuheben oder bestimmte Verhaltensweisen zu unterlassen. Es lag dagegen außerhalb
ihrer Kompetenz, den Zusammenschluss rückgängig zu machen. Das schweizerische
Wettbewerbsrecht kannte damit in dieser Zeit einzig eine Verhaltens-, dagegen keine
Strukturkontrolle bei Zusammenschlüssen.
Mit den weiteren Revisionen des Kartellgesetzes in den Jahren 1996 und 2005 wurde
dieses dann in zwei Schritten auf das europäische Niveau gebracht, zunächst mit Ein-
führung einer vorgängigen Zusammenschlusskontrolle, einer Meldepflicht vor Vollzug
und der Möglichkeit, Zusammenschlüsse zu untersagen oder mit Bedingungen oder
Auflagen zu versehen, später mit der Einführung direkter Sanktionen, einer Bonusre-
gelung bei Selbstanzeige sowie einer klaren gesetzlichen Grundlage für Hausdurchsu-
chungen durch die Wettbewerbsbehörde.
Seit 2004 ist damit das schweizerische Wettbewerbsrecht weitgehend mit jenem in
den EU-Ländern vergleichbar.38
4.3 Steuerrecht
Das Steuerrecht nimmt seit jeher eine zentrale Rolle bei jeder M & A-Transaktion ein. Ne-
ben den drei Polen Transparenz, Kaufpreis und Gewährleistungen bildet der Steueras-
pekt einen vierten Pol, welcher infolge hoher Steuerlast Transaktionen verhindern oder
wegen optimierter Geschäftsgestaltung ermöglichen kann. Neben dem Haftungsaspekt
ist die Steuerfrage der zweite wichtige Faktor bei der Strukturierung und Gestaltung
einer M & A-Transaktion, wobei im Allgemeinen der Einfluss der Steuerberater auf die
Transaktionsstruktur deutlich größer ist als jener der Rechtsanwälte.
38 Für die Darstellung des europäischen Wettbewerbsrechts vgl. Seeliger/Heinen 2016, S. 737 ff.; für
die Darstellung des schweizerischen Wettbewerbsrechts vgl. Borer/Wijesundera 2016, S. 757 ff.; zur
Entwicklung in Deutschland vgl. Mundt 2016, S. 754 ff.
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Schlecht beraten sind allerdings Parteien, welche die Steuerfrage bei einem M & A-
Geschäft übergewichten. Manche Geschäfte, die stark von steuerlichen Aspekten getrie-
ben sind, erweisen sich später als höchst unattraktiv. Das Primat muss kompromisslos
bei der industriellen Logik eines Geschäfts, der Analyse allfälliger Unverträglichkeiten
der Unternehmenskulturen und einer konsequenten Post Merger Integration liegen. Und
oft müssen Parteien feststellen, dass Geld nicht nur beim Fiskus, sondern auch in teu-
ren Haftungssituationen verloren werden kann, denen vor dem Geschäftsabschluss zu
nonchalant begegnet wurde.
Steuerrecht ist eine weitgehend nationale Angelegenheit. Anders als in anderen
Rechtsgebieten gibt es kein internationales Unternehmenssteuerrecht. Aber trotz aller
Unterschiede in verschiedenen Ländern gibt es auch Gemeinsamkeiten.39
Ein Rückblick auf die letzten 25 Jahre zeigt im Wesentlichen die folgenden weltweit zu
beobachtenden Entwicklungslinien im M & A-Markt und in dessen Regulierung: i) Die
Etablierung eines Unternehmenskontrollrechts, ii) die Stärkung der Stellung der Aktio-
näre, iii) der kollektive statt individuelle Aktienbesitz mittels institutioneller Investoren
und die immer gewichtigere Rolle der Stimmrechtsberater (Proxy Advisors), iv) das
Aufkommen von Private Equity und Hedgefonds als neue Investoren und ein damit ein-
hergehender zunehmender Aktionärs-Aktivismus, v) das neue Phänomen des Empty Vo-
ting, vi) zunehmende Interessenkonfliktpotenziale, vii) die wachsende Bedeutung des
regulatorischen Rahmens, viii) das Aufkommen nationalistischer Schutzmaßnahmen
sowie ix) die Zunahme unfreundlicher Übernahmeversuche. Diese Entwicklungslinien
sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.
Die Gesetzgeber haben auf den neu entstandenen Markt für Unternehmenskontrolle
reagiert und ein eigentliches Recht der Unternehmenskontrolle geschaffen, mit den zen-
tralen Elementen Transparenz, Gleichbehandlung, geordnetes Verfahren, Unterbindung
von Missbräuchen sowie, in unterschiedlicher Ausprägung, mit Regeln zur Neutralität
der Leitungsorgane der Zielgesellschaft sowie zum Pflichtangebot bei Kontrollerwerb.
Damit wurde ein wesentliches neues Element in das Corporate Governance-System
von Publikumsgesellschaften eingefügt, nämlich eine Kontrolle der Unternehmenslei-
39 Für Deutschland vgl. Köhler/Vogel/Adolf 2016, S. 778 ff.; für Österreich vgl. Schragl/Schalko 2016,
S. 798 ff.; für die Schweiz vgl. Lutz/Poltera 2016, S. 809 ff.
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tung über einen – mehr oder weniger regulierten – Markt statt wie früher primär über
Rechte und Pflichten der Leitungsorgane und der Aktionäre. Im Ergebnis führte dieses
neue Corporate Governance-Element zu einer bedeutsamen Verlagerung der Entschei-
dungsmacht im Unternehmen weg von den Leitungsorganen hin zu den Aktionären.
Die Corporate Governance-Debatte läuft seit Beginn dieses Jahrtausends und dem Plat-
zen der New Economy-Blase weltweit in eine Richtung: Stärkung der Aktionäre als
Eigentümer der Gesellschaft. Ausgangspunkt und fundamentale Basis dieser Corpo-
rate Governance-Entwicklung ist die Positionierung des Aktionärs als Eigentümer des
Unternehmens sowie die viel zitierte Principal-Agent-Theorie mit der Trennung von Ei-
gentum und Führung im modernen, börsenkotierten Großunternehmen. Die Theorie
besagt, dass in großen Unternehmen mit breit gestreutem Aktionariat niemand in der
Lage ist, die Aufsichtsfunktion des Eigentümers (Principals) wahrzunehmen, und dass
deshalb die Unternehmensleitung (Agent) dem Risiko und der Versuchung ausgesetzt
ist, eigene Partikularinteressen den Interessen der Aktionäre voranzustellen.40 Diesem
institutionellen Problem gilt es zu begegnen, indem der Aktionär mit schärferen Waffen
als bisher ausgerüstet wird, damit er eine echte Kontrolle über die Unternehmensleitung
ausüben kann.
Wesentliche Elemente der Machtverlagerung zu den Aktionären bildeten die Ver-
besserung der Information und Transparenz, die Einschränkung der zulässigen Vin-
kulierungen, Erleichterungen der Klagerechte der Aktionäre, das Übernahmerecht und
insbesondere die mit der Neutralitätspflicht der Leitungsorgane mitgebrachte Kompe-
tenzverschiebung zur Generalversammlung im Übernahmekampf.41
Weltweit wurden in den letzten Jahren die Kompetenzen der Aktionäre im Bereich
Vergütung (»Say-on-pay«) erheblich erweitert, wobei die Aktionäre bisher in den mei-
sten Ländern lediglich konsultativ über die Vergütungen oder über die Vergütungspoli-
tik abstimmen. Die Schweiz ist in dieser Frage im Jahr 2013 noch einen großen Schritt
weiter gegangen, haben die Aktionäre doch nach Annahme der Volksinitiative gegen
die Abzockerei das Recht und die Pflicht, jährlich bindend über den Gesamtbetrag der
Vergütungen des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung abzustimmen.42 In der EU
hat die Europäische Kommission im Jahr 2014 einen Vorschlag zur Änderung der gelten-
den Aktionärsrichtlinie veröffentlicht, welcher ebenfalls eine verbindliche Abstimmung
der Aktionärsversammlung über die Vergütungspolitik des Unternehmens mit Festset-
zung einer Obergrenze für die Vergütung der Führungskräfte vorsieht sowie weitere
Reformen zur Erleichterung der Ausübung der Aktionärsrechte und zur Förderung des
Engagements der Aktionäre beinhaltet.43
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5.1.4 K
ollektiver statt individueller Aktienbesitz: Institutionelle Investoren
und Stimmrechtsberater (Proxy Advisors)
Weltweit wird das Vermögen zahlreicher Anleger durch institutionelle Investoren, na-
mentlich Investmentgesellschaften, Vorsorgeeinrichtungen und Versicherungen ver-
waltet. Im Rahmen dieser kollektiven Vermögensverwaltung investieren institutionelle
Investoren für eine Vielzahl wirtschaftlich Berechtigter in Aktien. Institutionelle In-
vestoren verfügen über eine hohe, in ihren Händen gebündelte Aktienstimmkraft und
damit einhergehend über einen großen – und angesichts der rationalen Apathie vieler
Kleinaktionäre zudem überproportionalen – Einfluss auf Verwaltungsrat und Geschäfts-
leitung eines Unternehmens.44 Es erstaunt daher nicht, dass in den letzten Jahren mehr
und mehr die Erkenntnis gereift ist, dass institutionelle Investoren ein zentrales Ele-
ment im Corporate Governance-Gefüge von Publikumsgesellschaften darstellen, und
dass man über Best-Practice-Regeln für institutionelle Investoren ebenso nachzudenken
beginnt wie über die Schaffung neuer Anreizstrukturen für diese Investoren oder gar
die Einführung neuer Aktionärspflichten (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 5.3.3).
Der Anteil der Aktien von Publikumsgesellschaften, der kollektiv durch Anlagefonds,
Vorsorgeeinrichtungen, Versicherungen und andere institutionelle Anleger gehalten und
verwaltet wird, beträgt heute in großen Publikumsgesellschaften regelmäßig über 70 %
aller Aktien. Der individuelle Aktionär, der im eigenen Namen und auf eigene Rech-
nung in Aktien einer Publikumsgesellschaft investiert, ist in den letzten Dezennien
von der Regel zur Ausnahme geworden. Damit aber ist die Principal-Agent-Diskussion
auf einer höheren Ebene angelangt: Denn plötzlich stellt man fest, dass der bis anhin
während Jahrzehnten als Principal gehandelte Aktionär in vielen Fällen gar nicht der
Principal ist, sondern seinerseits ein Agent eines anderen wirtschaftlichen Eigentümers.
In Abwandlung zum aus dem Principal-Agent-Vokabular stammenden Wortspiel der
separation of ownership from control spricht man in diesem Kontext vom Phänomen
der separation of ownership from ownership. Zu den divergierenden Interessen zwischen
Management (Agents) und Aktionären (Principals) treten in der zweiten Ebene diver-
gierende Interessen zwischen den wirtschaftlichen Berechtigten an einem Kollektivver-
mögen, die das Investitionsrisiko tragen, und den von ihnen Beauftragten, welche das
Kollektivvermögen verwalten und die damit verbundenen Aktionärsrechte ausüben.45
Aufgrund von Diversifikationsüberlegungen und regulatorischen Vorgaben sind in-
stitutionelle Investoren gezwungen, in eine große Anzahl von Publikumsgesellschaften
zu investieren. Dadurch steigt der Aufwand institutioneller Anleger im Zusammenhang
mit der Ausübung der Aktionärsrechte, insbesondere des Stimmrechts in der General-
versammlung. Hier hat sich in den letzten Jahren zunehmend ein Markt für professio-
nelle Stimmrechtsberater (Proxy Advisors) aufgetan. Stimmrechtsberater analysieren
die Strategie und Corporate Governance von börsenkotierten Unternehmen und geben
namentlich Empfehlungen zur Ausübung des Stimmrechts in den Generalversammlun-
gen ab. Mit dieser neuen Entwicklung aber ist die Principal-Agent-Diskussion auf einer
dritten Stufe46 angelangt: Stimmrechtsberater wie ISS oder Glass Lewis, die i. d. R. keine
oder bloß geringfügige Anteile an der jeweiligen Gesellschaft halten, beeinflussen mit
ihren Abstimmungsempfehlungen einen großen Teil der an einer Generalversammlung
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Das neue Jahrtausend hat zwei neue Investorenformen hervorgebracht, die es zwar
schon früher auf die eine oder andere Art gegeben hat, die aber erst seit neuerer Zeit
kraftvoll und mächtig ins M & A-Geschehen eingreifen und neue Corporate Governan-
ce-Fragen aufwerfen: Private Equity und Hedgefonds. Auch wenn angesichts der Vielfalt
an Private Equity- und Hedgefonds-Investoren eine Charakterisierung dieser beiden
Investorentypen schwierig ist, können doch einige typische Unterschiede festgestellt
werden:48
Für Private Equity-Investoren ist die Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft
zentral. Sie haben einen mittelfristigen Horizont von fünf bis acht Jahren und möchten
in dieser Periode das Unternehmen entwickeln und nachher mit Gewinn weiterveräu-
ßern. Die Möglichkeit einer Due Diligence ist für Private Equity-Investoren meist un-
erlässlich, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Fremdfinanzierung des Geschäfts,
und feindliche Übernahmen sind eher selten, da die Übernahme i. d. R. mit und nicht
gegen das Management durchgeführt wird. Private Equity-Investoren benötigen einen
Track Record, weshalb ihnen ihre Reputation meist wichtig ist.
Hedgefonds unterscheiden sich von diesem Investorenprofil in mancherlei Hinsicht.
Aktionärsaktivismus ist in diesem Zusammenhang das Zauberwort. Hedgefonds haben
i. d. R. einen kurz- bis sehr kurzfristigen Investitionshorizont, das schnelle Geld und
der rasche Exit sind ihnen wichtiger als die Kontrolle. Typische Techniken sind, die
Gesellschaft auf irgendeine Weise ins Spiel zu bringen, ein Ereignis zu provozieren,
bspw. mittels öffentlicher Kampagnen gegen alle oder gezielt gegen einzelne Personen
der Unternehmensleitung oder mittels Drohung oder tatsächlichem Einsatz von Kla-
gen. Häufig handelt es sich um unfreundliche Angriffe. Die Durchführung einer Due
Diligence ist nebensächlich, die Reputation oft ebenso. Vermehrt arbeiten verschiede-
ne Hedgefonds auch zusammen, womit sie den Druck auf die Unternehmensleitungen
naturgemäß nochmals verstärken können. Und in jüngster Zeit ist gar festzustellen,
dass institutionelle Investoren, darunter auch Pensionskassen, aktivistischen Aktionä-
ren folgen und ihnen und ihren Angriffstaktiken damit erhebliches Gewicht und auch
Reputation verschaffen.
Die weltweite Entstehung eines großen Marktes für derivative Finanzprodukte hat neue,
bisher ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, wie kurzfristig interessierte Investoren mit
relativ wenig Mitteln ein großes Gewicht in einer Gesellschaft erlangen können. Die
Stichworte dazu lauten Empty Voting, Hidden Ownership und Exaggerated Ownership.
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Der Begriff Empty Voting wurde geprägt durch die amerikanischen Professoren Henry
Hu und Bernard Black, welche im Jahr 2006 unter dem Titel »The new vote buying:
empty voting and hidden (morphable) ownership« eine aufsehenerregende Studie pu-
blizierten49. Ihre Kernaussage lautete, neue derivative Finanzinstrumente sowie das
Institut der Wertschriftenleihe würden es Investoren erlauben, das ökonomische Eigen-
tum an Aktien und das rechtliche Eigentum an Aktien – welches Mitwirkungsrechte
verschafft – zu entkoppeln (decoupling of economic ownership and voting power). Empty
Voting umschreibt die Situation, welche einem Investor Stimmrechte in der General-
versammlung einer Gesellschaft verleiht unter gleichzeitigem Einsatz von weniger, im
Extremfall unter Einsatz von null oder gar negativem ökonomischem Interesse. Dieses
Resultat kann ein Investor bspw. über Put-Optionen an Aktien oder eine Wertschriften-
leihe erzielen. Das umgekehrte Phänomen ist die Hidden Ownership, bei welcher der
Investor kein ökonomisches Interesse und vordergründig auch kein Stimmrecht hat,
aber die – rechtliche oder auch bloß tatsächliche50 – Möglichkeit besitzt, Stimmrechte
bspw. über Call-Optionen an Aktien oder Swap-Geschäfte zu erwerben. Das Element der
Exaggerated Ownership, der übertriebenen Darstellung des wirtschaftlichen Eigentums
an Aktien, kommt dann häufig in einer zweiten Phase eines Übernahmekampfes zum
Einsatz, wenn der bisher verborgene Investor seine Karten offen legt und gleichzeitig
neben einem großen Aktienbesitz auch hohe Bestände an Call-Optionen auf weitere
Aktien der Zielgesellschaft meldet, ohne dabei anzugeben, ob diese Optionen »in the
money« und damit auch tatsächlich in Aktien wandelbar sind oder nicht. Das Ziel die-
ser Taktik ist klar: Der Angreifer will mit einer übertriebenen Darstellung der eigenen
Aktionärsstellung potenzielle Konkurrenten zum vornherein von der Erwägung eines
Konkurrenzangebotes abhalten.51
In einem späteren Aufsatz52 zeigen die gleichen Autoren auf, dass die beschriebenen
Phänomene nicht nur in der Theorie denkbar, sondern in zunehmender Zahl weltweit
zu beobachten sind. Sie führen darüber akribisch Buch, wobei die schweizerischen Fälle
Saurer, Ascom, Converium, Implenia, Unaxis/Oerlikon und Sulzer der Jahre 2005 bis
2007 äußerst prominent und als typisch dargestellt werden.53 Zur Wertschriftenleihe
gelangen sie in dieser Studie zum Schluss, sie spiele eine zentrale Rolle im Entkop-
peln, weil erstens in einer typischen großen amerikanischen Publikumsgesellschaft
rund 20 % oder noch mehr Aktien ausgeliehen werden könnten und weil zweitens die
Kosten der Wertschriftenleihe marginal seien, i. d. R. um 20 Basispunkte (0,2 %) oder
ein Fünfhundertstel des Aktienpreises pro Jahr oder 0,0006 % (6/1.000.000) pro Tag.54
Da ein aktiver Investor von der Wertschriftenleihe einzig für die Zeit über eine Gene-
ralversammlung Gebrauch machen muss, kann er somit mit etwa 0,01 % oder einem
Zehntausendstel der Kosten der Aktien die Stimmrechte dieser Aktien an einer Generalver-
49 Hu/Black 2006.
50 Via Einsatz von Optionen mit Cash Settlement, Contracts for Difference oder Swaps mit Baraus-
gleich; vgl. dazu Watter/Hinsen 2009, S. 9 f.; Classen 2016, Kap. 3.2.4, S. 696 ff.
51 Vgl. Watter/Dubs 2008, S. 180 ff.; diese Taktik ist heute in verschiedenen Ländern wie beispielswei-
se der Schweiz nicht mehr zulässig, weil man neu auch wesentliche Parameter der Optionsrechte
melden muss.
52 Hu/Black 2008.
53 Hu/Black 2008, S. 655 ff.
54 Hu/Black 2008, S. 708; D‘Avolio gelangte in einer Studie zum amerikanischen Markt für Wertschrif-
tenleihe zu ähnlichen Ergebnissen: die durchschnittlichen Kosten pro Jahr betragen nach dieser
Studie 25 Basispunkte, bei Ausschluss der teuersten 9% kam er für die andern 91 % der untersuch-
ten Aktien auf einen Durchschnittswert von 17 Basispunkten pro Jahr (vgl. D‘Avolio 2002, S. 273).
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sammlung einsetzen. Zur Veranschaulichung: Mit einem Einsatz von 1 Mio. EUR können
auf diese Weise Aktien im Marktwert von 10 Mrd. EUR an einer Generalversammlung
vertreten werden. Dass solche Entwicklungen für die Corporate Governance-Diskussion
relevant sind, ist augenscheinlich.
Ebenfalls bedeutsam ist, dass von diesen neuen Möglichkeiten des Auftrennens von
ökonomischem Interesse und Stimmrecht häufig im Geheimen und damit ohne Transpa-
renz Gebrauch gemacht wird. Während die Leitungsorgane der Publikumsgesellschaf-
ten mit den vielen Publizitätsvorschriften heute im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit
agieren, haben sie es mit einem Gegenüber zu tun, das weitgehend aus einer Welt der
Dunkelheit operieren kann. Entspricht dies den im Übernahmerecht weltweit gepriese-
nen Geboten von Transparenz, Fairness und gleich langen Spießen?
Eine Entwicklung, welche sich seit Beginn dieses Jahrtausends akzentuiert hat, ist
die Zunahme von Interessenkonfliktpotenzialen bei M & A-Transaktionen. Die englische
Financial Services Authority identifizierte in einem Bericht im Jahr 2006 als Hauptri-
siken von Private Equity potenzielle Interessenkonflikte sowie Marktmissbrauch durch
Ausnutzung preissensitiver Informationen.55 Potenzielle Interessenkonflikte treten bei
Auktionen, Konsortiumtransaktionen (»Club Deals«) oder gestaffelten, vom Verkäufer
organisierten Finanzierungen auf. Auch die weltweite Konzentration bei den großen
Prüfgesellschaften mit dem Effekt, dass die gleiche Prüfgesellschaft verschiedene Par-
teien in der gleichen Transaktion vertritt, oder der Umstand, dass die gleiche Anwalts-
kanzlei verschiedene potenzielle Käufer in der gleichen Auktion vertritt, sind in diesem
Zusammenhang zu erwähnen.56
Mit einiger Überraschung kann vermerkt werden, dass alle diese Entwicklungen in
der gleichen Zeit erfolgten, in welcher die Toleranz für Interessenkonfliktsituationen
nach den Skandalen der New Economy rapid abgenommen hatte, wie ein Blick auf die
weltweiten Best Practice Codes for Corporate Governance oder den amerikanischen
Sarbanes Oxley Act aus dem Jahr 2002 zeigt.
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Weltweit wachsend ist die Zahl unfreundlicher Übernahmeversuche. Dies hat zwei in
die gleiche Richtung wirkende Effekte. Es gibt immer mehr erfolgreiche unfreundliche
Übernahmen. Und zahlreiche nicht erfolgreiche unfreundliche Übernahmeversuche
führen dennoch zu einem Kontrollwechsel, indem das bisher unabhängige Unterneh-
58 Vgl. Sovereign Wealth Fund Institute, Fund Rankings, abrufbar unter: www.swfinstitute.org/
fund-rankings.
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men neu in einen Konzern integriert wird oder unter die Fittiche eines Finanzinvestors
gerät, einfach nicht unter jene des Angreifers. Beispielhaft seien die einschlägigen Fälle
der letzten Jahre aus der Schweiz erwähnt: Saia-Burgess: Angriff von Sumida, Erfolg
von Johnson Electric; Leica Geosystems: Angriff von Hexagon, Weißer Ritter Danaher,
Erfolg von Hexagon; Unaxis/Oerlikon: Angriff und Erfolg von Victory; Saurer: Angriff
von Laxey, Erfolg von Unaxis/Oerlikon; SIG Schweizerische Industrie-Gesellschaft: An-
griff von Ferd und CVC Capital Partners, Erfolg von Rank; Sulzer: Angriff von Victory,
Erfolg von Renova; Sia Abrasives: Angriff von Behr, Erfolg von Bosch. In letzter Zeit
erfolgreich gewehrt hat sich einzig Implenia gegen Laxey, welche ihre Aktien nach
harter Übernahmeschlacht an diverse der Unternehmensleitung genehme langfristig
orientierte Aktionäre weiterverkaufte. International besonders hohe Wellen hat der
unfreundliche Übernahmeangriff der US-Firma Kraft Foods auf die englische Ikone
Cadbury im Jahr 2009 geworfen, welcher trotz heftiger Gegenwehr von Cadbury nach
einigen Monaten ebenfalls mit dem Verlust der Unabhängigkeit von Cadbury und ihrer
Integration in den US-Konzern endete.
Drei Gründe sind für diese Entwicklung zentral: Erstens können rechtliche Abwehr-
maßnahmen wegen des Instruments der Bedingungen, welche an ein Übernahmeange-
bot geknüpft werden können, jedenfalls in der Schweiz nicht mehr als sehr effektvoll
taxiert werden. Zweitens kommt es in Übernahmekämpfen häufig in kürzester Zeit zu
einer starken Veränderung der Aktionariatsstruktur, indem institutionelle Anleger und
Kleinaktionäre bei steigenden Kursen ihre Aktien verkaufen und diese von Hedgefonds
erworben werden, welche das Ziel einer kurzfristigen Gewinnmaximierung verfolgen;
häufig halten Hedgefonds vor Abschluss einer Transaktion 50 % und mehr der Aktien
der Zielgesellschaft und entscheiden damit über deren Schicksal.59 Und drittens führt
die strikte Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft dazu, dass diese
im Übernahmekampf mehr und mehr zum bloßen Auktionator werden und die Aufga-
be haben, für die bisherigen Aktionäre den höchsten Preis herauszuholen.60 Ob dies
langfristig im Interesse des Unternehmens und seiner (neuen) Aktionäre und weiteren
Stakeholder liegt, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.
»The age of hostility is coming«, prophezeite der Economist vor ein paar Jahren,
die nächste Übernahmewelle bringe weltweit mehr feindliche Übernahmen denn je,
diesmal würden diese aber weit häufiger getrieben durch eine Geschäftsstrategie als
durch das günstige Schuldenmachen von Finanzinvestoren.61 Nachdem die Finanz- und
Wirtschaftskrise zeitweilig zu einem Abflachen der Aktivitäten im M & A-Markt führte,
dürfte diese Prognose in den kommenden Jahren ihre Bestätigung finden.
Die weltweite Kredit- und Finanzkrise brachte große Änderungen im M & A-Markt mit
sich. Das Ansteigen der Finanzierungskosten führte zu einem massiven Abschwung
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der mit hohem Fremdkapitalanteil finanzierten Investitionen, Private Equity und Hed-
gefonds mussten tief unten durch, es gab eine Reflation der rechtlichen Standards in
den M & A-Verträgen. Die größte Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren führte zu einer
enormen Vertrauenskrise in Unternehmen und Management. Einen Hauptgrund der Kri-
se stellte nach weit verbreiteter Überzeugung die Kurzfristigkeit des Denkens und der
entsprechend ausgerichteten Systeme dar, am Augenfälligsten im Bereich der exzessiven
Bonuskultur der Banken, auch als »IBGYBG-Kultur«62 gebrandmarkt. Die Neue Zürcher
Zeitung ortete in einem Leitartikel eine Krise der Werte: »Die Wirtschaftskrise wurzelt
in einer Werte-Krise: zu kurzfristiges Denken, ungenügend klare Haftung, Vernachläs-
sigung des Kundennutzens, zu wenig Sorge um die politische Akzeptanz«; der markante
Verlust an Langfristdenken habe unser Wirtschaftssystem grundlegend untergraben.63
Heute besteht in weiten Teilen der Gesellschaft Einigkeit darüber, dass unser Wirt-
schaftssystem auf mehr Langfristigkeit umgestellt werden muss. Das ganze System
muss hin zu einem längerfristigen Fokus verändert werden. Dies geht weit über die
Salärdebatte hinaus und betrifft das ganze System der Corporate Governance, also
die Frage, wie Unternehmen geführt und überwacht werden. Und damit erlebt die alte
Shareholder-versus-Stakeholder-Debatte eine Renaissance: Ein Vergleich breit akzeptierter
aktueller Aussagen mit Aussagen aus der Corporate Governance-Diskussion der 1970er
und 1980er Jahre zeigt frappierende Ähnlichkeiten.
Damals und vor dem Aufkommen des Marktes für Unternehmenskontrolle entsprach
es bspw. der herrschenden Meinung im Schweizer Aktienrecht, dass sich die Leitungs-
organe bei ihren Entscheiden am sog. Unternehmensinteresse zu orientieren hätten. Das
Unternehmensinteresse wurde verstanden als das Interesse am langfristigen Gedeihen
des Unternehmens, welches als zentrales Ziel allen beteiligten Interessen dient und in
welchem sich alle Interessen vereinigen.64 Mit der aktuellen Revision des Aktienrechts
soll diese Richtschnur nun als »dauerndes Gedeihen des Unternehmens« im Zusam-
menhang mit der Festlegung der Vergütungen im Obligationenrecht explizit gesetzlich
verankert werden. Die Ausrichtung am nachhaltigen Unternehmensinteresse ist seit
2014 auch im revidierten Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance als
Richtschnur guter Corporate Governance verankert.65
Der Deutsche Corporate Governance Kodex, welcher wesentliche gesetzliche Vor-
schriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsenkotierter Gesellschaften dar-
stellt und international und national anerkannte Standards guter und verantwortungs-
voller Unternehmensführung enthält, wurde im Rahmen der Überarbeitung im Jahr
2009 mit folgenden Aussagen ergänzt: »Der Kodex verdeutlicht die Verpflichtung von
Vorstand und Aufsichtsrat, im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft
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für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen
(Unternehmensinteresse)«. In der Fassung 2008 hieß es an dieser Stelle noch: »Der
Kodex verdeutlicht die Rechte der Aktionäre, die der Gesellschaft das erforderliche Ei-
genkapital zur Verfügung stellen und das unternehmerische Risiko tragen«. Und unter
den Aufgaben und Zuständigkeiten des Vorstandes heißt es neu unter Ziffer 4.1.1: »Der
Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse,
also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der
sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nach-
haltiger Wertschöpfung« (Wortlaut gemäß Fassung 2015).
Und in England zeigt sich dieselbe Entwicklung. Das erste Hauptprinzip des im Jahr
2010 revidierten UK Corporate Governance Code lautet seither wie folgt: »Every com-
pany should be headed by an effective board which is collectively responsible for the
long-term success of the company«.66 In den früheren Fassungen war das Wort long-term
in diesem Hauptprinzip nicht enthalten.
In die gleiche Richtung entwickelt sich die Rechtslage in der EU. Dies zeigt der Vor-
schlag der EU Kommission aus dem Jahr 2014 für eine EU-Richtlinie im Hinblick auf
die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre, deren übergeordnetes Ziel
darin besteht, zur »long-term sustainability of EU companies« beizutragen.67
Damit aber akzentuiert sich ein Graben, der schon lange existiert hat, aber bisher
nicht recht wahrgenommen wurde: Wie kann ein System funktionieren, das die Lei-
tungsorgane auf das nachhaltige Unternehmensinteresse verpflichtet und gleichzeitig
dem Aktionär keine entsprechende Verpflichtung auferlegt? Dieser Bruch im Corporate
Governance-System mag solange hingenommen werden, wie die Rolle des Aktionärs
im Unternehmen beschränkt ist. Aber mit der Stärkung der Macht des Aktionärs bei
gleichzeitiger Forcierung kurzfristiger Verhaltensweisen eröffnet sich hier ein neues,
bisher kaum bearbeitetes Feld in der Corporate Governance-Debatte: die neue Rolle des
Aktionärs.
Die Corporate Governance der Aktiengesellschaften beruht fast weltweit auf der Leit
idee, dass der Aktionär als Eigentümer der Gesellschaft das Recht zur Wahrnehmung
der eigenen Interessen hat und keiner Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse
im Sinne des dauernden Gedeihens des Unternehmens unterliegt. Er hat deshalb, im
Gegensatz zur Unternehmensleitung, ja zu jedem Mitarbeitenden des Unternehmens,
insbesondere keine Sorgfalts- und Treuepflicht zu beachten.
66 Financial Reporting Council, The UK Corporate Governance Code 2010, Main Principle A1; ebenso
die aktuelle Fassung 2014.
67 «The overarching objective of the current proposal to revise the Shareholder Rights Directive is to
contribute to the long-term sustainability of EU companies» (Vorschlag für eine Richtlinie des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die
Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug
auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmensführung, COM (2014) 213 final, englische
Fassung, S.2; im Text der deutschen Fassung ist der Begriff «long-term sustainability» mit «Tragfä-
higkeit» umschrieben.
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Fragt man sich, wie ein solches System ohne rechtliche Verhaltensvorgaben an den
Aktionär funktionieren kann, stößt man auf zwei zentrale Verankerungen dieser Leit-
idee: Erstens: Der Aktionär ist Langfristinvestor, weshalb die eigenen Interessen i. d. R.
den Interessen aller Aktionäre und den Unternehmensinteressen entsprechen. Denn
auf lange Sicht vereinigen sich die Interessen aller Stakeholder im nachhaltigen wirt-
schaftlichen Erfolg des Unternehmens.68 Der Aktionär ist mithin im System der Akti-
engesellschaft wirtschaftlich gesteuert. Und zweitens: Wesentliche Kompetenzen in der
Aktiengesellschaft sind zwingend den Leitungsorganen zugewiesen und dem Aktiona-
riat entzogen.
Der Aktionär steuert und überwacht das Unternehmen mittels der Mechanismen
Voice, Exit und Change of Control: Er wirkt im Unternehmen unter Wahrnehmung
seiner eigenen Interessen mit (»Voice«), indem er die ihm vom Gesetz gewährten Mit-
bestimmungs-, Informations- und Klagerechte ausübt. Infolge der fehlenden Verpflich-
tung des Aktionärs auf das Unternehmensinteresse sind diese Rechte naturgemäß be-
schränkt, so dass der Aktionär seine Mitwirkungsrechte in erster Linie via Wahl oder
Abwahl der Mitglieder des obersten Leitungsorgans wahrnimmt. Zum Zweiten kann
der Aktionär einer Publikumsgesellschaft jederzeit Aktien verkaufen (»Exit«) oder hin-
zukaufen; Börse und Kapitalmarkt bilden damit einen Markt für Unternehmensüber-
wachung, die unsichtbare Hand des Marktes ist ein starkes Element im System der
Corporate Governance einer Publikumsgesellschaft. Und schließlich wirkt der Markt für
Unternehmenskontrolle (»Change of Control«), indem Interessenten an einem Zielun-
ternehmen ein Übernahmeangebot lancieren können und auf diese Weise virtuell oder
aktuell auf die Corporate Governance des Unternehmens einwirken.
Die Leitungsorgane sind im System der Aktiengesellschaft dagegen primär einer recht-
lichen Verhaltenssteuerung unterworfen. Leitidee ist ihre Verpflichtung auf das Unter-
nehmensinteresse im Sinne des dauernden Gedeihens des Unternehmens, in manchen
Ländern mit einem ausgeprägten Fokus auf das Aktionärsinteresse. Sie unterliegen ei-
ner umfassenden Sorgfalts- und Treuepflicht und machen sich haftbar, wenn sie diese
Pflichten verletzen.
Die Wirkungskette verläuft in der Weise, dass den Leitungsorganen vom Gesetzge-
ber umfassende Führungskompetenzen zugewiesen sind, welche weder an die Gene-
ralversammlung übertragen noch von dieser an sich gezogen werden können. Zwecks
Kontrolle und Korrektur dieser weit gehenden Führungskompetenz der Leitungsorgane
sind diese den Aktionären in der Generalversammlung zu umfassender Rechenschaft
verpflichtet, wobei die Rechenschaftsablage einer Kontrolle durch unabhängige Wirt-
schaftsprüfer unterliegt. Die Aktionäre können in der Schweiz die Verwaltungsräte je-
derzeit und ohne Angabe von Gründen abwählen, also namentlich jederzeit vor Ablauf
der Amtsdauer; Letztere beläuft sich zudem bei börsenkotierten Gesellschaften seit
2014 aufgrund der Annahme der Volksinitiative gegen die Abzockerei zwingend auf nur
noch ein Jahr. Und bei Pflichtverletzungen unterliegen die Organe der Verantwortlich-
keit, und sie haften für der Gesellschaft zugefügten Schaden unbeschränkt mit ihrem
ganzen Vermögen.
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Einige Entwicklungen der letzten Jahre haben nun zwei Phänomene hervorgebracht,
welche an den Grundfesten des Corporate Governance-Systems rütteln, indem sie die
Verankerung der Leitidee der wirtschaftlichen statt rechtlichen Verhaltenssteuerung des
Aktionärs in Frage stellen. Die in Kapitel 5.1.6 dargestellte Entkopplung von wirtschaft-
lichem Eigentum und Stimmrecht kann dazu führen, dass der über die Stimmrechte
verfügende Aktionär fast oder gar nicht mehr Investor in der Gesellschaft ist. Und
das kurzfristige Aktionärsdenken führt mehr und mehr dazu, dass der Aktionär nicht
mehr Langfristinvestor ist. Damit aber gilt das Axiom nicht mehr, wonach die eigenen
Interessen des Aktionärs i. d. R. den Interessen aller Aktionäre und den Unternehmens
interessen entsprechen.
Wenn aber die Verankerung der Leitidee ins Wanken gerät, stellt sich die Frage,
ob damit nicht auch die daraus abgeleiteten Mechanismen in Frage gestellt werden. Ist
der in den letzten Jahren weltweit festzustellende Trend der Stärkung der Stellung des
Aktionärs vorbehaltlos richtig? Können ihm immer mehr Rechte und Kompetenzen
übertragen werden, wenn nicht gewährleistet ist, dass er von diesen im Interesse aller
Aktionäre und Stakeholder Gebrauch macht? Was die Mitwirkungsrechte betrifft, so ist
zudem zu bedenken, dass jede Kompetenzverlagerung von der Unternehmensleitung
zum Aktionariat zu einer Verlangsamung von Entscheidungsprozessen führt, zu diffu-
ser Verantwortlichkeit sowie zur – sanktionslosen – Zunahme von Interessenkonflikten.
Im Bereich des Übernahmerechts haben die Gesetzgeber zum Teil durch Schaffung neu-
er Meldepflichten und zusätzlicher Transparenz bereits auf die neuen Entwicklungen
reagiert.69 Die Frage stellt sich, ob auch im Bereich des materiellen Übernahmerechts ge-
wisse Anpassungen geboten sind, sei es bei der in der Schweiz und in anderen Ländern
bestehenden strikten Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft, bei der
ebenfalls in der Schweiz eingeführten äußerst großzügigen Zuweisung der Parteistel-
lung im Übernahmeverfahren an Aktionäre mit einem Aktienbesitz von lediglich 3 %
oder bei der Festlegung der Kontrollschwelle im Übernahmerecht.
Und schließlich stellt sich auch die Frage nach der Infragestellung der Leitidee selbst.
Ist es noch richtig, dem Aktionär praktisch keine Pflichten aufzuerlegen, insbesondere
auch keine Sorgfalts- und Treuepflicht, ihm aber auf der anderen Seite immer mehr
Rechte einzuräumen? Drängen sich Überlegungen auf hinsichtlich einer neuen Ver-
antwortlichkeit auch des Aktionärs, im doppelten Sinne verstanden als Responsibility
und Accountability? Gemäß Economist trifft die institutionellen Aktionäre wie Pensi-
onskassen, welche eine zunehmend dominante Stellung unter den Eigentümern der
Gesellschaft einnehmen, einen großen Teil der Schuld für das weit verbreitete Kurz-
fristverhalten. Sie hätten es versäumt, nachhaltige Beziehungen mit den Gesellschaften
aufzubauen, in die sie investierten, und von ihren Stimmrechten sorgfältigen Gebrauch
im Interesse der wirtschaftlichen Eigentümer ihres Vermögens zu machen. Die Öffent-
lichkeit soll ihre Aufmerksamkeit darauf richten, wie diese Institutionen auf langfristige
Wertschöpfung fokussiert werden könnten, was nicht zuletzt auch eine Neudefinition
der Frage beinhalte, was es bedeutet, verantwortungsbewusster Treuhänder zu sein.70
69 Für das Schweizer Recht vgl. Watter/Hinsen 2009, S. 17 ff.; Watter/Hoch 2016, Kap. 4.2.2, S. 731.
70 The Economist, The World in 2010, Now for the long term, 13.11.2009.
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Und damit ist die Principal-Agent-Diskussion auf der nächst höheren Ebene angelangt,
beim Phänomen der sog. separation of ownership from ownership.71
Das Thema, welches während der ganzen, durch die Principal-Agent-Dogmatik
beeinflussten Corporate Governance-Debatte bis Ende des ersten Dezenniums dieses
Jahrtausends keines war, hat inzwischen rasch an Fahrt gewonnen. In den USA hat die
Börsenaufsichtsbehörde SEC im Jahr 2009 ein Investor Advisory Committee gebildet,
mit einem Subkomitee, welches sich mit den »Responsibilities of Shareholders« befasst.
Die EU-Kommission publizierte im Jahr 2009 einen Bericht, welcher die Formulierung
von Best Practice Codes für Investoren empfahl.72 Die OECD veröffentlichte im Jahr 2010
Good-Practice-Empfehlungen zu den OECD-Grundsätzen der Corporate Governance aus
dem Jahr 2004; von 25 Empfehlungen betrafen nicht weniger als 5 das Verhalten der
Aktionäre bei der Ausübung der Aktionärsrechte.73
In England, wo bis und mit dem Combined Code in der Fassung von 2008 die Stellung
des Aktionärs nur ein Nebenthema war, hat das Institutional Shareholders’ Committee
im Jahr 2009 einen Code über die Verantwortlichkeiten von institutionellen Investoren
verfasst, welcher im Jahr 2010 als Ergänzung zum neuen UK Corporate Governance Co-
de als »The UK Stewardship Code for Institutional Investors«, ebenso wie der Corporate
Governance Code, durch den Financial Reporting Council (FRC) als Soft Law erlassen
worden ist.74
Auch in der Schweiz gibt es seit dem Jahr 2013 einen Best Practice Code für institu-
tionelle Anleger.75 Insbesondere aber haben Pensionskassen in der Schweiz seit 2015, als
Folge der Annahme der Volksinitiative gegen die Abzockerei, eine Stimmpflicht: Vorsor-
geeinrichtungen sind neu verpflichtet, in den Generalversammlungen schweizerischer
Aktiengesellschaften das Stimmrecht der von ihnen gehaltenen Aktien auszuüben; sie
müssen im Interessen ihrer Versicherten abstimmen und ihr Stimmverhalten offenlegen.
In der EU liegt seit 2014 ein Richtlinienvorschlag der Kommission vor, welcher unter
anderem zum Ziel hat, das Engagement der Aktionäre und der Vermögensverwalter in
börsenkotierten Gesellschaften deutlich zu erhöhen und zu verbessern sowie die Zuver-
lässigkeit und Qualität der Beratung der Proxy Advisors zu gewährleisten.76
Und in den im Jahr 2015 revidierten OECD Principles of Corporate Governance betref-
fen die signifikantesten Änderungen das Kapitel III, welches neu »Institutional investors,
stock markets, and other intermediaries« heisst. Das Corporate Governance-System soll
Anreize für institutionelle Anleger schaffen, die ein Funktionieren der Aktienmärkte im
Sinne einer guten Corporate Governance sicherstellen. Besonderes Gewicht wird auf die
transparente Stimmrechtsausübung durch institutionelle Investoren gelegt.77
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Darüber hinaus gehend und unabhängig von allfälligen gesetzlichen Initiativen stellt
sich die Frage, ob die weitergehende Zuweisung von Kompetenzen an die Aktionäre
vielleicht automatisch und ohne Aktivitäten des Gesetzgebers zu neuen Aktionärspflich-
ten führen könnte. Internationale Entwicklungen zeigen durchaus in diese Richtung:
Sehr weit ist diesbezüglich Deutschland, wo bereits ein Konsens besteht, dass Aktionäre
auch Treuepflichten haben oder jedenfalls haben können.78 Und selbst in den USA wird
neuerdings die These vertreten, die größere Macht der Aktionäre sollte mit größerer
Verantwortlichkeit gekoppelt werden, weshalb Treuepflichten auch für aktivistische
Aktionäre gelten sollten.79
Auch in der Schweiz gilt es zu beachten, dass die Grenze vom pflichtenlosen Ak-
tionär zum pflichtbehafteten Organ fließend ist. Nimmt der Aktionär als faktisches
Organ wie ein Verwaltungsrat auf die Willensbildung der Gesellschaft Einfluss, haftet
er gemäß Art. 754 OR auch wie ein Verwaltungsrat. Nimmt jemand als Vertreter einer
juristischen Person im Verwaltungsrat Einsitz und zieht er diese in seine Willensbildung
ein, so kann die juristische Person ebenfalls als faktisches Organ qualifizieren. Und
schließlich schwebt über allen Handlungen des Aktionärs das Rechtsmissbrauchsverbot,
als ultimative Schranke auch für dessen Verhalten.
Als Alternative oder Ergänzung zu neuen Pflichten des Aktionärs wird neuerdings
auch diskutiert, einzelne seiner Rechte an eine gewisse Haltedauer der Aktien zu kop-
peln.80 Der gleiche Gedanke findet sich interessanterweise bereits im Standardwerk
Forstmoser/Meier-Hayoz zum schweizerischen Aktienrecht aus dem Jahr 1983, in wel-
chem de lege ferenda die Frage aufgeworfen wurde, ob Aktionärsrechte wie etwa das
Auskunftsrecht oder das Recht auf Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen
nur demjenigen zustehen sollten, der sich über einen Aktienbesitz von längerer Dauer
auszuweisen vermag.81 In einigen Ländern ist der Gesetzgeber bereits in diese Rich-
tung aktiv geworden. So haben die Gesellschaften in Frankreich neu die Möglichkeit,
mittels statutarischer Regelung Aktionären, die länger als zwei Jahre im Aktienbuch
eingetragen sind, eine Loyalitätsdividende von maximal 10 % zu bezahlen. Ebenfalls
in Frankreich wurde im Jahr 2014 mit dem Loi Florange die Möglichkeit eines doppel-
ten Stimmrechts für Aktionäre eingeführt, die länger als zwei Jahre im Aktienbuch
eingetragen sind; dieses Loyalitätsstimmrecht ist wohl ebenfalls dispositiv, der Verzicht
darauf bedarf aber eines Opting-out-Beschlusses der Generalversammlung mit einem
Quorum von zwei Dritteln der Stimmen. Und schließlich hat die Börsenaufsichtsbehörde
SEC in den USA den Gesellschaften die Möglichkeit der Schaffung eines Loyalitätsmit-
wirkungsrechts eingeräumt, indem diese ihren Aktionären das Recht zur Nominierung
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von Directors gewähren können, sofern sie ein Minimum an Aktien während einer
minimalen Periode halten; typischerweise setzen die Gesellschaften die Schwelle bei
3 % Aktienbesitz während 3 Jahren an.82
Der Aktionär wird sich möglicherweise noch wundern, welche neue Verantwortung
mit seiner stärkeren Stellung im System der Aktiengesellschaft daherkommen wird.
Anderseits darf man bei all diesen Entwicklungen eines nicht vergessen: Der Verwal-
tungsrat in der Schweiz bzw. der Board of Directors in den USA und in Großbritannien
ist der Treuhänder der Nachhaltigkeit im Corporate Governance-System der Aktienge-
sellschaft. Er muss auch in Zukunft den Willen, die Mittel und die Macht haben, diese
herausfordernde Aufgabe zu erfüllen.83
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82 Vgl. z. B. Financial Times, Investors fight for greater say on boards, 20.04.2015.
83 Im deutschen Corporate Governance-System fehlt ein Organ, dem gegenüber dem operativen Ma-
nagement ein gleich hohes Gewicht zukommt wie dem Verwaltungsrat bzw. dem Board of Directors.
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1 Vgl. Picot 2013, S. 13 ff.; Picot 2012, S. 2 ff.; Picot 2008a, S. 7 ff.
2 Vgl. Binder 2016, S. 520.
3 Vgl. Seibt 2008.
4 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl I 2001, S. 3138. Vgl. auch die am
08.01.2002 bekanntgemachte Neufassung (BGBl I 2002, S. 42).
5 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten
Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl EG Nr. L 171, S. 12.
6 International Institute for the Unification of Private Law.
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das in den §§ 433 ff. BGB typisierte Principles of European Contract Law anpassen
wollte, den ausdrücklichen Versuch unternommen, das in den §§ 433 ff. BGB typisier-
te7 deutsche Kaufrecht ab dem 01.01.2002 als Vertragsstatut für internationale Trans-
aktionsverträge populärer zu machen. Zwar hat der Gesetzgeber dabei bewusst auf
die Regelung eines speziellen Unternehmenskaufrechts verzichtet.8 In den besonderen
Rechtsbereichen von Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Betriebsrentenrecht, Steuerrecht,
Kartellrecht, Umweltrecht, Insolvenzrecht und internationalem Recht finden sich aber
ergänzende Regelungen, die einer typisierenden Ordnung zugänglich sind und auf den
Unternehmenskauf Anwendung finden.
Die bloße Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete bis zum Inkrafttreten des
Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts lediglich ein vertragsähnliches Vertrau-
ensverhältnis, das den Vertragspartnern Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme,
Fürsorge und Loyalität auferlegte und ihnen die Sorgfalt von Schuldnern abverlangte.
Im Falle einer vorvertraglichen Pflichtverletzung standen dem Verhandlungspartner
Ansprüche allenfalls im Rahmen des gewohnheitsrechtlich anerkannten Instituts des
sog. Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) zu. Dabei wurde der
Käufer in seinem Vertrauen so gestellt, wie er bei Wahrung des Vertrauens und der für
seinen Kaufentschluss erheblichen Umstände gestanden hätte. Der Käufer konnte daher
entweder am Vertrag festhalten und lediglich zusätzlich Schadensersatz beanspruchen
oder aber die Rückgängigmachung des Vertrags verlangen.9
Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat die vorvertraglichen Verhaltenspflichten
der Vertragspartner erweitert. § 311 Abs. 2 BGB bestimmt nun ausdrücklich, dass ein
Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB nicht nur durch einen Vertrag
(§ 311 Abs. 1 BGB), sondern auch durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
die Anbahnung eines Vertrags oder ähnliche geschäftliche Kontakte entstehen kann.
Derartige »vorvertragliche« (rechtsgeschäftsähnliche) Schuldverhältnisse haben selbst-
verständlich, ebenso wie rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse, in erster Linie gemäß
§ 241 Abs. 1 BGB leistungsbezogene Pflichten zum Inhalt. Durch die ausdrückliche
Bezugnahme auf § 241 Abs. 2 BGB will § 311 Abs. 2 BGB aber betonen, dass auch das
rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnis Nebenpflichten beinhaltet und jeden Teil zur
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Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet.
Verletzt ein Partner seine Pflichten aus dem Schuldverhältnis schuldhaft, so kann der
Gläubiger gemäß § 280 BGB Ersatz des ihm hierdurch entstehenden Schadens ver-
langen. Beim Unternehmenskauf liegt der hauptsächliche Anwendungsbereich solch
vorvertraglicher Pflichtverletzungen im Bereich unrichtig erteilter Informationen des
Verkäufers gegenüber dem Käufer. Dabei gilt der Grundsatz, dass bei gegenseitigen Ver-
trägen grundsätzlich jeder Vertragspartner selbst zu prüfen hat, ob das Geschäft für ihn
vorteilhaft ist oder nicht. Der Käufer muss sich daher grundsätzlich selbst die für seinen
Kaufentschluss maßgeblichen Informationen beschaffen. Ein bloßes Verschweigen von
Tatsachen bzw. eine mangelhafte Aufklärung seitens des Verkäufers beinhaltet deshalb
regelmäßig noch keine Pflichtverletzung des Verkäufers.10
Bei der Beurteilung der Frage, ob und inwieweit (bereits) gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1
BGB ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB zustande
gekommen ist, sollte folgende Grundregel beachtet werden: Je mehr sich bei objektiver
Betrachtungsweise das durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, die Anbah-
nung eines Vertrags oder ähnliche geschäftliche Kontakte begründete Vertrauensver-
hältnis der Verhandlungspartner im Hinblick auf den Abschluss des Vertrags verdichtet
und je wahrscheinlicher der Vertragsabschluss erscheint, umso intensiver und umfang-
reicher werden die Pflichten der Verhandlungspartner zur gegenseitigen Rücksichtnah-
me, Fürsorge und Loyalität und umso mehr wird von ihnen die Sorgfalt von Schuld-
nern zu verlangen sein. Für die Annahme des Tatbestandsmerkmals »Aufnahme von
Vertragsverhandlungen« brauchen deshalb nicht schon zweiseitige konkrete Verhand-
lungen vorzuliegen. Vielmehr können bereits einseitige Maßnahmen eines Vertragsteils
genügen, die den anderen veranlassen sollen, den geschäftlichen Kontakt zu suchen.
Dies gilt auch für die aus der internationalen Transaktionspraxis übernommenen Legal
Transplants,11 wie z. B. Letter of Intent, Term Sheet, Verhandlungsprotokoll, Positions-
papier, Punktation, Heads of Agreement, Letter of Understanding und Memorandum of
Understanding, die je nach Ausgestaltung als besonderer Ausdruck und als Indiz für
die Bildung bzw. das Vorliegen eines derartigen Vertrauensverhältnisses zu bewerten
sind. Dabei ist freilich zusätzlich zu prüfen, ob diese bereits die rechtlichen Qualität
eines (Vor-)Vertrags im Sinne des § 311 Abs. 1 BGB mit der Folge der Erfüllungshaftung
aufweisen.
Allerdings kann ein Verhandlungspartner durch einen separaten Verzicht des Er-
klärungsempfängers gewisse Beschränkungen eines Vertrauenstatbestandes bei seinem
Verhandlungspartner herbeiführen. Hierzu zählt z. B. auch ein sog. Disclaimer, der
vielfach bei einer Due Diligence, zu einem Informationsmemorandum oder auch einem
Engagement Letter, d. h. einem an eine Investmentbank oder auch an einen Unterneh-
mensberater gerichteten Beauftragungsschreiben, erklärt wird, und mit dem regelmäßig
der Dokumentenersteller den Tatbestand besonderen Vertrauens als Grundlage seiner
etwaigen Eigenhaftung aus § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB ausschließen will.
10 Vgl. BGH NJW 1989, S. 763, 764; Stengel/Scholderer 1994, S. 158, 160.
11 Vgl. Picot/Duggal 2003, S. 2635 ff.; Henssler 2006, S. 739 ff.; Fleischer 2004, S. 1129 ff.; Lappe/Schmitt
2007, S. 153 ff.
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Vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 wurde die deutsche Ge-
setzeslage für den Unternehmenskauf allgemein als unbefriedigend angesehen. Dies
galt vor allem im Hinblick auf das gesetzliche Gewährleistungs- und Haftungsrecht
beim Unternehmenskauf.
Insbesondere beim Asset Deal resultierten Wertungswidersprüche und Abgrenzungs-
schwierigkeiten daraus, dass es nach dem früheren Kaufrecht nicht zur Erfüllungs-
pflicht des Verkäufers gehörte, dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln
zu verschaffen. Vielmehr bewirkte bereits die Leistung einer – auch mangelhaften –
Kaufsache die »geschuldete Leistung« und stellte keine Verletzung der vertraglichen
Erfüllungspflichten des Verkäufers dar, sondern eröffnete dem Käufer lediglich An-
sprüche nach dem gesetzlichen Gewährleistungsrecht. Die Wertungswidersprüche und
Abgrenzungsschwierigkeiten bezogen sich besonders auf Folgendes:12
Lag ein Fehler des Unternehmens als Kaufsache (§ 459 Abs. 1 BGB a. F.) vor, so konn-
te der Käufer nach altem Recht u. a. sofort die Wandlung des Kaufvertrags oder Min-
derung verlangen (§ 462 BGB a. F.). Dabei waren die Rechtsfolgen der Wandlung und
Minderung aufgrund der Komplexität des Kaufgegenstandes »Unternehmen« regelmäßig
nicht interessengerecht und praktisch kaum zu handhaben. Schadensersatzansprüche
hingegen konnten nur beim Fehlen zugesicherter Eigenschaften geltend gemacht werden
(§ 459 Abs. 2 BGB a. F.).
Der Bundesgerichtshof behalf sich damit, dass er in restriktiver Weise sehr strenge
Anforderungen an das Vorliegen eines Fehlers (sog. »restriktiver Fehlerbegriff«) und der
Zusicherung einer Eigenschaft stellte. Ein Gewährleistungsanspruch wegen eines Man-
gels kam deshalb nur dann in Betracht, wenn die Abweichung von der Sollbeschaffenheit
auf den Wert des Unternehmens oder die Tauglichkeit des Unternehmens im Ganzen
durchgeschlagen war, insbesondere wenn die Mängel einzelner Gegenstände oder Po-
sitionen des Unternehmens dessen Ertragsfähigkeit nachhaltig gefährdeten, also seine
wirtschaftliche Grundlage erschüttert war (sog. »Gesamterheblichkeitstheorie«).13
12 Vgl. zu den Gründen, weshalb die Bundesregierung die sog. »große Lösung bei der Schuldrechtsre-
form« gewählt hat, Däubler-Gmelin 2001, S. 2281 ff. Vgl. dazu insgesamt Henssler/Graf von Westfalen
2002.
13 Vgl. BGH, NJW 1995, S. 1547; BB 1995, S. 1258.
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14 Vgl. BGHZ 60, S. 319, 321 f.; NJW 1973, S. 1234; NJW 1992, S. 2564, 2565.
15 Vgl. BGHZ 60, S. 319, 320; BGH NJW 1992, S. 2564.
16 Vgl. BGH NJW 1970, S. 653; 1977, S. 1536 und 1538; ferner in NJW 1990, S. 1659.
17 Vgl. BGHZ 77, S. 215, 217 ; NJW 1980, S. 1950 ff.; Palandt/Putzo 2002, BGB, 61. Aufl., Vorb. § 459 a. F.
RN 7.
18 Vgl. BGHZ 77, S. 215, 217; NJW 1980, S. 1950.
19 Vgl. BGHZ 77, S. 215, 217; NJW 1980, S. 1950.
20 Vgl. BGHZ 47, S. 312, 319; NJW 1967, S. 1805; BGH, NJW 1997, S. 3227, 3228.
21 Vgl. BGH, NJW 1990, S. 1658, 1659.
22 Vgl. RGZ 93, S. 71, 73 f.
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Auch beim Share Deal bestanden nach altem Recht erhebliche Wertungswidersprüche
und Abgrenzungsschwierigkeiten, und zwar insbesondere in Folgendem:
Es bestand eine Ungleichbehandlung der Rechtsfolgen des Asset Deal als Sachkauf
(mit einer Einstandspflicht für die wirtschaftliche Werthaltigkeit gemäß §§ 459 ff. BGB
a. F.) und des Share Deals als Rechtskauf (mit einer Einstandspflicht lediglich für den
Bestand und die rechtlichen Eigenschaften des Rechts gemäß §§ 437, 440 BGB a. F.).
Der BGH behalf sich hier mit der – dogmatisch kaum haltbaren, aber wirtschaftlich
angemessenen – Lösung, einen Käufer, der durch den Erwerb der Allein- oder Mehr-
heitsbeteiligung eine beherrschende Stellung an einem Unternehmen erlangt und damit
wirtschaftlich »das« Unternehmen gekauft hatte, rechtlich nicht anders – und nicht
schlechter – zu behandeln als einen Käufer, der durch einen Asset Deal (im Wesentli-
chen) sämtliche Vermögensgegenstände eines Unternehmens erworben hatte.
Beim Rechtskauf bestand ein Anspruch aus culpa in contrahendo, falls vorvertrag-
liche Aufklärungspflichten verletzt waren.
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satz und Gewinn vertraut hat, auf culpa in contrahendo oder auf die Lieferung einer
fehlerhaften Kaufsache gestützt wird. Denn in beiden Fällen beurteilen sich die Vor-
aussetzungen des Schadensersatzanspruchs nach den §§ 280, 281 BGB.«26 Insbesondere
sollten die Gründe entfallen, die den BGH zu seiner Rechtsprechung des »restriktiven
Fehlerbegriffs« mit einer ausweitenden Anwendung der culpa in contrahendo veranlasst
hatten. Dabei wurde betont, dass die neuen Vorschriften dem Käufer ein Nachbesse-
rungsrecht gewähren und ihm auch bei Fahrlässigkeit des Verkäufers ein Schadenser-
satzanspruch zustehen kann, die Berechnung der Minderung erleichtert wird und auch
eine angemessene Regelung der Verjährungsfrage bereitgestellt wird.27
Im Gegensatz zu § 433 BGB a. F. regelt § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB nunmehr die Erfüllungs-
pflicht des Verkäufers, dem Käufer die Sache frei von Sach- (§ 434 BGB) und Rechtsmän-
geln (§ 435 BGB) zu verschaffen. Gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Kaufsache frei
von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit, d. h.
die subjektiv vereinbarte Sollbeschaffenheit, aufweist. Ein Mangel des Unternehmens
kann auch auf einem Rechtsmangel einzelner Vermögensgüter gemäß § 435 BGB be-
ruhen; nach dieser Bestimmung ist eine Sache frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in
Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommenen Rechte gegen
den Käufer geltend machen können.
Schwierigkeiten einer derartigen positiven Beschreibung der Beschaffenheit eines
Unternehmens ergeben sich daraus, dass es sich bei dem Verkauf eines Unternehmens
um eine Gesamtheit von Sachen und Rechten, tatsächlichen Beziehungen und Erfah-
rungen sowie unternehmerischen Handlungen handelt; dies gilt besonders bei komple-
xeren nationalen und vor allem auch internationalen Transaktionen, insbesondere im
Falle größerer Unternehmen oder Unternehmensgruppen. Generell sei gesagt, dass die
Vertragspartner (ähnlich wie bei der Formulierung selbstständiger verschuldensunab-
hängiger Garantien und ihrer Rechtsfolgen) – möglichst präzise Vereinbarungen über
die Sollbeschaffenheit und ihre gewährleistungsrechte (Haftungs-)Reichweite treffen
sollten, um Zweifel über den Umfang der gesetzlichen Gewährleistung und Haftung aus-
zuschließen. Dies gilt vor allem bei derartigen Beschaffenheiten, die (a) die Gebrauchs-
tauglichkeit eines Unternehmens nur mittelbar betreffen und ggf. beeinträchtigen und
die daher dem Unternehmen auch nicht unmittelbar als Beschaffenheit im Sinne des
§ 434 Abs. 1 BGB anhaften, sondern nur mittelbar Schlüsse auf den Wert des Unter-
nehmens rechtfertigen,28 oder (b) die sich auf einzelne und von den Vertragspartnern
als für die Erfüllung des Unternehmenskaufs und die Einstandspflicht des Verkäufers
wesentlich erachteter Gegenstände des Unternehmens beziehen.
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29 Bei vorsätzlich falschen Informationen des Verkäufers und daraus resultierenden Fehlinvestitionen
des Käufers dürfte ein Anspruch aus § 311 Abs. 2 BGB anzuerkennen sein. Vgl. BGH, NJW 1992, S.
2564 (»Stundenhotel«).
30 Vgl. ebenso Seibt/Reiche 2002, S. 1135, 1139 f.
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§ 434 Abs. 3 BGB stellt es schließlich einem Sachmangel gleich, wenn der Verkäufer
eine andere Sache (aliud) oder eine zu geringe Menge liefert. Unter diese gesetzliche
Bestimmung sind nunmehr insbesondere auch die Fälle der Quantitätsmängel einer
Sache einzuordnen.31 Dies gilt z. B., wenn beim Verkauf eines Getränkegroßhandels das
mitverkaufte Leergut unauffindbar ist32 oder wenn sich beim Verkauf eines Gerüstbau-
unternehmens später ein Fehlbestand an Gerüsten herausstellt.33
Sach- oder Rechtsmängel (nur) einzelner Vermögensgegenstände sind im Falle ei-
nes Asset Deals entsprechend der bisherigen sachgerechten BGH-Rechtsprechung in
Ermangelung einer diesbezüglichen Vereinbarung nur ausnahmsweise als ein Mangel
des Unternehmens (als Kaufgegenstand) anzusehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn
die Abweichung von der Sollbeschaffenheit auf den Wert des Unternehmens oder die
Tauglichkeit des Unternehmens im Ganzen durchschlägt und infolgedessen die wirt-
schaftliche Grundlage des Unternehmenskaufs erschüttert ist (sog. »Gesamterheblich-
keitstheorie«).
Der BGH hatte allerdings erstmalig seit dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmoderni-
sierungsgesetzes am 01.01.2002 die Gelegenheit, sich mit dieser Problematik und den
Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf die Sachmängelhaftung beim Unterneh-
menskauf zu befassen. In dem zu entscheidenden Fall ging es um einen am 22.04.2005
notariell beurkundeten Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile an einer GmbH. Nach der
vertraglichen Vereinbarung sollte die Gewährleistung des Verkäufers den Vorschriften
des BGB folgen, wobei hinsichtlich der Beschaffenheit des Kaufobjekts auf ein von den
Parteien erstelltes Protokoll Bezug genommen wurde. Bei den Verkaufsverhandlungen
lag den Parteien ein Wertgutachten eines Sachverständigen vor, das dem Firmengrund-
stück einen »normalen Gesamtzustand« bescheinigte. Mit ihrer Klage vom 19.09.2007
verlangte die Käuferin Schadensersatz wegen Konstruktionsmängeln am Dach der Pro-
duktionshalle. Das LG Köln hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung beim OLG Köln
blieb mit der Begründung erfolglos, für das Vorliegen eines Unternehmensmangels
komme es auf das Unternehmen als Ganzes an und nicht auf die Mangelhaftigkeit
einzelner, zum Unternehmen gehörender Gegenstände. Das Urteil wurde dem achten
Zivilsenat des BGH zur Entscheidung vorgelegt.34Bedauerlicherweise hat der achte Zi-
vilsenat des BGH die Revision gegen das OLG-Urteil nicht angenommen, obwohl er
hier Gelegenheit gehabt hätte, sich mit dieser Problematik und den Auswirkungen der
Schuldrechtsreform auf die Sachmängelhaftung beim Unternehmenskauf zu befassen
und seine bisherige ständige Rechtsprechung zum »restriktiven Fehlerbegriff« sowie
zur »Gesamterheblichkeit des Mangels einzelner Unternehmensgegenstände« an das
reformierte gesetzliche Gewährleistungssystem anzupassen.35
31 Nach dem alten Recht wurden die Fälle der Aliud-Lieferung und der »Zuwenig«-Lieferung bisweilen
nicht der Gewährleistung, sondern der Leistungsstörung zugeordnet (vgl. BGH, NJW 1979, S. 33;
BGH, WM 1974, S. 312, 313).
32 Vgl. BGH, WM 1974, S. 312.
33 Vgl. BGH, NJW 1979, S. 33; siehe aber auch BGH, NJW 1992, S. 3224.
34 Vgl. OLG Köln, Urteil vom 29.01.2009 – 12 U 20/08, n. rkr., Az des BGH – VIII ZR 52/09, DB 2009,
S. 2259 ff.
35 BGH VIII ZR 52/09, DB 2009, S. 2259 ff.; vgl. dazu Picot 2009a; Picot 2009b.
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3.1.2 W
ertungswidersprüche beim Asset Deal bezüglich der Anwendung
des Leistungsstörungsrechts bei Leistung einer mangelhaften Kaufsache
Die Leistung einer mangelhaften Kaufsache bewirkt – wie vorstehend dargestellt – nicht
die »geschuldete Leistung« im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB und eröffnet dem Käufer
Ansprüche nach dem Leistungsstörungsrecht: Der Käufer kann nunmehr gemäß § 437
BGB (vorrangig) Nacherfüllung verlangen, und zwar nach seiner Wahl die Beseitigung
des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache. Erst nach einer angemessenen
Nachfrist und erfolglosem Fristablauf stehen ihm dann Rücktritt oder Kaufpreisminde-
rung und Schadensersatz oder Aufwendungsersatz zu. Gemäß § 434 BGB liegt ein Sach-
mangel insbesondere dann vor, wenn die Sache nicht die vereinbarte Beschaffenheit
hat. Im Falle eines Mangels kann der Käufer gemäß § 437 BGB innerhalb einer Frist von
zwei Jahren nach Ablieferung der Kaufsache, wenn die Voraussetzungen der folgenden
Vorschriften vorliegen und soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, vorrangig nach
§ 439 BGB Nacherfüllung verlangen und zwar nach seiner Wahl die Beseitigung des
Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache und erst nach dem Ablauf einer
angemessenen Nachfrist und erfolglosem Fristablauf vom Vertrag zurücktreten (§§ 440,
323, 326 Abs. 5 BGB)36 oder den Kaufpreis mindern (§ 441 BGB) und Schadensersatz
verlangen (§§ 440, 280, 281, 283, 311a BGB) 37 oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen
verlangen (§ 284 BGB). Die dargestellten Regelungen führen beim Unternehmenskauf
in der Form eines Asset Deals weiterhin zu schwerwiegenden Wertungswidersprüchen
bezüglich der Anwendung des Leistungsstörungsrechts bei der Leistung einer mangel-
haften Kaufsache.
Zunächst gilt dies für das (vorrangige) Recht des Käufers auf Nacherfüllung. Denn
die (wahlweise) Beseitigung des (gesamterheblichen) Mangels eines Unternehmens ist
i. d. R. kaum und allenfalls unter erheblichem Zeit- und Kostenaufwand möglich und
die Lieferung eines neuen, mangelfreien Unternehmens ist aufgrund der Einzigartigkeit
des verkauften Unternehmens überhaupt nicht möglich.
Sodann muss der Unternehmenskäufer nach Ausübung seines (vorrangigen) Rechts
auf Nacherfüllung dem Verkäufer zunächst eine angemessene und – bei einem kom-
plexen Unternehmensgebilde – erhebliche Zeit (von i. d. R. mehreren Monaten) für die
Nacherfüllung gewähren. Falls der Verkäufer die Nacherfüllung nicht innerhalb dieses
Zeitraums nicht ordnungsgemäß erfüllt, muss der Käufer ihm eine weitere angemessene
– ebenfalls erhebliche – Nachfrist für die Nacherfüllung setzen. Erst nach dem erfolg-
losen Ablauf dieser (weiteren) Nachfrist ist der Unternehmenskäufer dann berechtigt,
vom Vertrag zurückzutreten oder den Kaufpreis zu mindern sowie Schadensersatz oder
Ersatz seiner vergeblichen Aufwendungen zu verlangen. Insgesamt spiegelt auch das
Recht auf Rücktritt und Minderung sowie Schadens- und Aufwendungsersatz die Inte-
ressenlage des Unternehmenskäufers regelmäßig nicht hinreichend wider, zumal eine
Rückabwicklung des Unternehmenskaufvertrags – insbesondere nach dem Ablauf einer
36 Das Rücktrittsrecht des Gläubigers/Käufers für den Fall des Ausbleibens bzw. der mangelhaften Lei-
stung ist nunmehr unabhängig vom Vertretenmüssen des Schuldners/Verkäufers ausgestaltet und
erfasst daher auch die bisherige Wandlung, vgl. § 323 BGB. In Abweichung vom bisherigen Recht
gestattet § 325 BGB darüber hinaus ausdrücklich eine Kombination von Rücktritt und Schadenser-
satz statt der Leistung.
37 Schadensersatz »statt der ganzen Leistung« (den sog. »großen Schadensersatz«) kann der Käufer
nach der Neuregelung allerdings bei einem unerheblichen Mangel nicht verlangen, vgl. § 281 Abs. 1
Satz 3 BGB.
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38 Hintergrund ist der aus Verbraucherschutzgesichtspunkten motivierte Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Ver-
brauchsgüterkaufrichtlinie.
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Beweisführung gar nicht mehr möglich ist, weil inzwischen der Unternehmenskäufer
längst die unternehmerische Führung übernommen hat und der Verkäufer gar keinen
Zugriff mehr zu den (nun) in der Sphäre des Käufers liegenden Beweismitteln hat. Zum
anderen kann der Käufer anstelle des Schadensersatzes nach § 284 BGB Ersatz seiner
vergeblichen Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung
gemacht hat und billigerweise machen durfte, es sei denn, deren Zweck wäre auch ohne
die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht worden.
41 Eingehend dazu Picot 2013, S. 136; vgl. BGH, WM 1970, S. 819, 821; BGH-Urteil vom 12.11.1975 – VIII
ZR 142/74, BGHZ 65, S. 246, 249; DB 1976 S. 37; BGH, NJW 1976, S. 236 f. sowie BGH, NJW 1977,
S. 1536 f.; BGH vom 02.06.1980, VIII ZR 64/79, NJW 1980, S. 2408, 2409 und OLG München vom
25.03.1998, 7 U 4926/97, DB 1998, S. 1321. OLG Hamburg vom 03.06.1994, 11 U 90/92, WM 1994,
S. 1378, 1386.
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heit eines Unternehmens als »geschuldete Leistung« regelmäßig kaum machbar; und an-
dererseits führt auch die gesetzliche Mängelhaftung infolge des Fehlens spezieller und
sachgerechter Regelungen beim Unternehmenskauf nicht zu sachgerechten Ergebnissen
und ist nicht in der Lage, umfassende und sachgerechte Lösungen bei Mängeln eines
verkauften Unternehmens anzubieten. Die Vertragspartner müssen sich daher (nicht
zuletzt vor dem Hintergrund einer Due Diligence) vertragsautonom ein individuell und
filigran austariertes Äquivalenzverhältnis zwischen dem Kaufgegenstand und Kauf-
preis schaffen, das zugleich die aus dem ver- bzw. gekauften Unternehmen und seinen
Bestandteilen resultierenden Chancen und Risiken mit der Möglichkeit einer angemes-
senen Haftungsbegrenzung präzise widerspiegelt.42 Aus diesem Grunde schließt die
deutsche Vertragspraxis – wie in der Zeit vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform
und entsprechend einer früheren Empfehlung des BGH43 – regelmäßig das gesetzliche
Kaufrechts- und (insbesondere) Mängelhaftungssystem vollständig aus und ersetzt es
durch ein eigenständiges vertragliches Haftungs-System mit möglichst umfassenden
und auf den Einzelfall ausgerichteten Regelungen.44
Dabei ist es weitgehend üblich geworden, in den Unternehmenskaufvertrag um-
fangreiche Garantien der Vertragspartner (Warranties oder Guarantees) mit konkreten
Bestimmungen zum Haftungsgrund sowie zu den Rechtsfolgen und Umfang der Haf-
tung durch entsprechende Ausschluss- oder Beschränkungsklauseln aufzunehmen. In
Ergänzung dieser Garantien kann es nicht zuletzt wegen des möglicherweise langen
Zeitraums zwischen Signing und Closing45 und der in dieser Zeit auftretenden Unwäg-
barkeiten hinsichtlich der vertraglich gewünschten Leistungs-Äquivalenz sinnvoll sein,
z. B. im Wege sog. Material Adverse Change-Klauseln (MAC-Klauseln), eine dem gesetz-
lichen (allgemeinen) Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage vorrangige 46
vertragliche Risikoverteilung unter den Vertragspartnern vorzunehmen. Dabei können
insbesondere Fälle von erkennbarer schwerwiegender Veränderung der Umstände oder
des Abweichens wesentlicher Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden
sind, so weit wie möglich und denkbar, vertraglich konkretisiert und detailliert wer-
den.47
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4.1 V
ereinbarung von Garantien als Gewährleistungs-
und Haftungsgrundlage
In den regelmäßig vertraglich vereinbarten selbstständigen verschuldensunabhängigen
Garantien garantiert der Verkäufer, dass das Unternehmen in einem zu definierenden
Zeitpunkt bestimmte Gegebenheiten bzw. Eigenschaften aufweist und dass sich z. B.
die Produktionsanlagen in einem Zustand befinden, der eine Fortführung des Betriebs
mit bestimmten Qualitätsstandards und Mengen erlaubt. Auf diese Weise ergänzt das
Garantie- und Haftungssystem das zwischen den Verhandlungspartnern vereinbarte
Balance- bzw. Äquivalenzverhältnis zwischen dem Unternehmen als Kaufgegenstand
und dem vereinbarten Kaufpreis als Gegenleistung, das zugleich ein Spiegelbild der Ge-
gebenheiten und Daten sowie der Chancen und Risiken des Unternehmens darstellt. Für
den Fall einer Abweichung der Ist-Situation von der durch die Garantien versprochenen
Soll-Situation dienen die Haftungsfolgen dazu, das ursprünglich vereinbarte Äquiva-
lenzverhältnis wieder in ein »faires« Gleichgewicht zu bringen. Dabei sind grundsätz-
lich unselbstständige Garantien von selbstständigen Garantien zu unterscheiden.
4.1.1 V
ereinbarung unselbstständiger Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantien
gemäß § 443 BGB
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beschränkung gemäß § 444 BGB eine zwingende Vorschrift des BGB dar und kann
nicht durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Vertragspartnern abbedungen
werden.
4.1.2 V
ereinbarung selbstständiger (verschuldensunabhängiger) Garantien gemäß § 311
Abs. 1 BGB
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• Gesellschaftsverfassung
• Beteiligungsstruktur
• Wirtschaft, Finanzen und Steuern
• Operatives Geschäft, Technik, Logistik
• Einkauf, Absatz, Wettbewerb
• Versicherungen
• Betriebsstätten und -anlagen, Grundstücke
• IT/IP (Geistiges Eigentum)
• Personal
• Förderungen und Zuschüsse
• Recht, Rechtsstreitigkeiten, insbesondere:
– Vertragsrecht
– Gesellschaftsrecht
– Arbeitsrecht
– Recht der Altersvorsorge
– Steuerrecht
– Öffentliches Recht, insbesondere Umweltrecht
– Kartellrecht
• Sonstige wichtige Unternehmensgrundlagen
Dabei bedarf es der Regelung, ob der Verkäufer uneingeschränkt für die objektive Rich-
tigkeit einstehen soll (sog. harte Garantieerklärung) oder ob die Garantie subjektiv
danach ausgestaltet werden soll, ob der Verkäufer Kenntnis von dem Garantiefall gehabt
hat (sog. weiche Garantieerklärung).
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Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, soweit (Schuld
rechtsreform: wenn) er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die
Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Diese Bestimmung will (aus Gründen des
Konsumenten-Schutzes) sicherstellen, dass der Verkäufer einer Sache oder eines Rechts
nicht einerseits eine Beschaffenheit garantiert und dann andererseits diese Garantie
durch eine Beschränkung bzw. einen Ausschluss der Haftung wieder aushebelt (sog.
venire contra factum proprium).
Im Bereich der selbstständigen Garantien stellt § 444 BGB keine zwingende Vor-
schrift des BGB dar und kann durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Ver-
tragspartnern abbedungen werden. Würde § 444 BGB auch die selbstständigen Ga-
rantien erfassen, so wäre eine in internationalen Transaktionsverträgen völlig übliche
Haftungsbegrenzung nicht mehr möglich. Nach Ansicht des Verfassers umfasst bereits
die Formulierung des § 444 BGB im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ausweislich
der Gesetzesbegründung nur die Fälle der früheren Eigenschaftszusicherung.53 Hier-
von jedoch ist die selbstständige Garantie zu unterscheiden, da diese weitere Umstände
betreffen kann als »nur« die Zusicherung einer Eigenschaft.54
Problematisch sind insofern nur diejenigen Fälle, in denen eine selbstständige Garan-
tie für einen Umstand übernommen wird, der eine Beschaffenheit des Kaufgegenstandes
gemäß § 443 Abs. 1 BGB beinhaltet. Hierbei stellt sich die Frage, ob nicht die zwingende
Bestimmung des § 444 BGB unterlaufen wird, wenn vertraglich anstelle einer unselbst-
ständigen eine selbstständige Garantie übernommen würde. Wissenschaftler und Prak-
tiker haben zu dieser Frage umfassend Stellung genommen. Das Bundesministerium der
Justiz (BMJ) vertrat insoweit zunächst u. a. die Auffassung, dass eine summenmäßige
Begrenzung der Haftung keine Beschränkung im Sinne des § 444 BGB darstelle, son-
dern eine inhaltliche Begrenzung der Garantie selbst. Allerdings kamen dem BMJ dann
Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieses Lösungsansatzes mit dem in § 444 BGB
verwendeten Begriff »wenn«. Deshalb schlug es vor, künftig Beschaffenheitsgarantien
zu vermeiden, wenn eine summenmäßige Begrenzung beabsichtigt war. Stattdessen sol-
le man eine sog. »Beschaffenheitsvereinbarung« gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB treffen,
um eine Beschränkung der Haftung zu erreichen. Nach der Meinung der inzwischen
überwiegenden Meinung im Schrifttum und des Verfassers ist den Vertragspartnern
seit dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes angesichts der Unzu-
länglichkeiten des gesetzlichen Mängelgewährleistungssystems die Vertragsfreiheit ein-
zuräumen, die Lücken des gesetzlichen Gewährleistungs- und Haftungssystems in der
Praxis durch spezielle Regelungen im Transaktionsvertrag zu schließen.55
Um die dargestellte Rechtsunsicherheit zu beseitigen, hat der Bundestag am 01.07.2004
beschlossen, in § 444 BGB (a. F.) das Wort »wenn« durch das Wort »soweit« zu erset-
zen.56 Angesichts der enormen praktischen Relevanz der Frage und der Heftigkeit des
Streites um die Auslegung der Vorschrift muss es dem juristischen Laien allerdings als
merkwürdig anmuten, mit welch minimalistischen »mikro-invasiven« Mitteln nun der
Gesetzgeber den Versuch einer Klarstellung unternommen hat. Immerhin geht aber
nun aus der Neufassung hervor, dass eine Garantie von vornherein mit beschränktem
Umfang vereinbart werden kann. Die Beschränkung ist damit ein Teil der Garantie und
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bestimmt deren Reichweite; sie ist somit keine nachträgliche Beschneidung der Rechte
des Käufers, mit der dieser nicht hätte rechnen müssen. Die Gesetzesbegründung hat
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Änderung um eine gesetzliche
Klarstellung der ohnehin bereits herrschenden Auslegung des § 444 BGB, nicht hinge-
gen um eine inhaltliche Neuregelung handelt. Damit ist gleichzeitig geklärt, dass auch
Beschränkungen selbstständiger Garantieversprechen in Unternehmenskaufverträgen
wirksam sind, die zwischen dem 01.01.2002 und dem Inkrafttreten der Änderung im
Oktober 2005 abgeschlossen wurden.
In der Praxis kann somit nach persönlicher Ansicht des Verfassers auf die nach dem
01.01.2002 verwendeten artifiziellen und spitzfindigen Vertragsklauseln verzichtet wer-
den, mit denen versucht wurde, die auf § 444 BGB basierende Rechtsunsicherheit zu mi-
nimieren. Stattdessen wird man wieder zu der früheren und auch international üblichen
Struktur der vertraglichen Garantien zurückkehren können, sollte aber vorsorglich die
Formulierung verwenden, dass sowohl die Garantiezusage selbst wie auch (in gleicher
Weise) der Umfang der daraus resultierenden Haftung beschränkt werden. Dabei ist zu
hoffen, dass auch die richterliche – stets wirtschaftlich geprägte – Entscheidungspraxis
dem Bedürfnis nach vertraglicher Flexibilität bei Unternehmenskäufen Rechnung tragen
und den § 444 BGB nicht auf selbstständige Garantien ausdehnen wird.
Hinsichtlich der in § 437 BGB geregelten Gewährleistungs- und Haftungsfolgen ist
dem Gesetzgeber der Schuldrechtsreform zwar einzuräumen, dass er durch die Verei-
nigung des allgemeinen und des besonderen Leistungsstörungsrechts eine Vereinheit-
lichung des Mängelgewährleistungsrechts herbeigeführt hat und ferner im wohlver-
standenen Verbraucherinteresse im Sinne der Erfüllungstheorie Mängel einheitlich als
Nichterfüllung und nicht mehr als Voraussetzung für Sekundäransprüche behandelt.
Insgesamt ergibt sich aus den im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Gewährleis-
tungs- und Haftungssystem für den Unternehmenskauf verbleibenden Wertungswider-
sprüche die zwingende Folgerung, dass die Partner eines Unternehmenskaufvertrags
i. d. R. darum bemüht sein sollten, die Rechtsfolgen der Gewährleistung vertraglich kon-
kret zu vereinbaren. Dabei sollten sie insbesondere eine Rückabwicklung soweit wie
möglich ausschließen oder bereits im Kaufvertrag konkrete vertragliche Regelungen
für die Rückabwicklung vorsehen. Ferner sollten Sie erforderlichenfalls konkrete Be-
schaffenheits- und Haltbarkeitsgarantien (§ 443 BGB) sowie Haftungsausschlüsse und
Haftungsbegrenzungen (§ 444 BGB) vereinbaren.
Nicht zuletzt sollten in den vertraglichen Garantievereinbarungen auch die Verjäh-
rungsfristen für die einzelnen Gewährleistungsansprüche unter Berücksichtigung der
jeweiligen Interessensituation der Vertragspartner geregelt werden. Diese können je
nach Art der garantierten Gegebenheiten z. B. für Altlasten und Steuern differenziert
gestaltet werden.57
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Teil
∗ Dr. Rudolf Tschäni, Partner, Rechtsanwalt, Lenz & Staehelin, Zürich; Matthias Wolf, Partner, Rechts
anwalt, Lenz & Staehelin, Zürich.
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1 Vgl. etwa Tschäni 1989, der 1988 das Fehlen einer Gesamtdarstellung des Unternehmenskaufrechts
zum Anlass für sein Werk nimmt oder Watter 1990, S. 21, der noch 1990 konstatiert, dass freund-
liche Kontrollwechseltransaktionen in der Schweiz in Lehre und Rechtsprechung wenig Spuren
hinterlassen haben.
2 Zum Anstieg und Wandel der M & A-(Beratungs-)Aktivität und der Ursachen dafür vgl. namentlich
Kurer 2010, S. 3 ff. Kurer sieht die Triebfedern insbesondere in der Globalisierung der Wirtschaftstä-
tigkeit, der generierten Liquiditätsüberschüsse, welche in tendenziell »M & A-treibende« Anlagepro-
dukte (Buy-out Fonds und Private Equity, Hedge Funds etc.) investiert wurden, in der Innovation
der Finanzierungsinstrumente, der Hinwendung zum Shareholder Value und der damit verbunde-
nen Abkehr vom Konglomeratskonzern zur Fokussierung auf Kerngeschäfte sowie im Aufkommen
der (reinen) »Finanzierungstransktionen«, d. h. Investitions-Akquisitionen durch Finanzkäufer ge-
folgt von Exittransaktionen nach einer gewissen Anzahl Jahren.
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nen hat die schweizerische Praxis den Umgang mit englischer Rechtsterminologie und
Redaktion aber weitgehend problemlos geschafft. Heute gehört es selbst bei Transakti-
onen über mittelgroße Unternehmen zum Normalfall, dass der Kaufvertrag und oft die
gesamte Transaktionsdokumentation in englischer Sprache abgefasst sind.
Was die Regelungsmethodik betrifft, so folgen Unternehmenskaufverträge auch in
der Schweiz der Regel, dass eine möglichst umfassende Regelung angestrebt wird, statt
dass der Rückgriff auf die gesetzliche Regelung gesucht wird. Ein wichtiger Grund
dafür besteht wohl darin, dass das Kaufrecht des Schweizerischen Obligationenrechts
(OR) für derartige Transa ktionen nicht angemessen ist. Das Kaufrecht des OR ist auf
klassische Umsatzgeschäfte des Rechtsverkehrs, also den Handelskauf, den Kauf von
Gütern des täglichen Gebrauchs sowie den Grundstückskauf zugeschnitten. Schon die
Besonderheiten des Rechtskaufs sind im OR nur fast nebensächlich bei der Abtretung
geregelt. Dass die Knappheit der gesetzlichen Regeln großen Geschäften außerhalb des
Üblichen nicht gerecht wird, ist aber weder außergewöhnlich noch auf den Unterneh-
menskauf beschränkt. Die liberale schweizerische Privatrechtspraxis geht davon aus,
dass geschäftserfahrenen Parteien zuzumuten ist, bei großen Transaktionen außerhalb
des üblichen Geschäftsverlaufs ihre eigenen Regeln zu vereinbaren.
Was die Detailversessenheit der Vertragsredaktion angelsächsischer Prägung betrifft,
so bemüht sich die Praxis in der Schweiz um ein vernünftiges Mittelmaß. Wo Gesetz
und Praxis Konzepte entwickelt haben, die allgemein anerkannt sind, sieht man von
einer eigenen Regelung ab. Für viele andere Dinge muss man aber eingestehen, dass
eigentlich wenig gegen eine vertragliche Regelung und damit einen Gewinn an Vorher-
sehbarkeit spricht.
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prinzip entsprechend) die Übertragung der einzelnen Aktiven und Passiven gemäß den
auf sie anwendbaren Normen voraus.5 Der unmittelbare Unternehmenskauf ist daher
meist ein Vertrag über eine Kombination von Kauf diverser Sachen und Rechte, Erwerb
weiterer Wirtschaftsgüter (z. B. Goodwill), Vertragsübernahmen und Schuldübernah-
men. Obwohl damit die grundsätzliche Qualifikation als Kaufvertrag naheliegt, scheint
das Schweizerische Bundesgericht auf einer Qualifikation als Vertrag sui generis, also
einem Innominatvertrag, zu beharren.6 Die Literatur bejaht hingegen mehrheitlich die
Qualifikation als Kaufvertrag.7 Die Kontroverse ist selten von praktischer Bedeutung,
denn das Bundesgericht wendet Kaufvertragsrecht für mitverkaufte Sachen und Rechte
an, insbesondere hinsichtlich der Gewährleistung.8
Mit dem Inkrafttreten des Fusionsgesetzes im Jahr 20049 und der Einführung der
Trans a ktionsform der Vermögensübertragung wurde das juristische Instrumentari-
um für Asset Deals bedeutend erweitert. Mit der Vermögensübertragung gemäß den
Art. 69 ff. FusG wird eine Gesamtverfügung in partieller Universalsukzession ermög-
licht. Die Parteien schließen einen Vermögensübertragungsvertrag, der ein Inventar
zu enthalten hat (häufig zur Hauptsache eine Übertragungsbilanz der übertragenen
Aktiven und Passiven) und der im öffentlich zugänglichen Handelsregister eingetragen
wird. Die dingliche Übertragung erfolgt von Gesetzes wegen mit Eintragung im Han-
delsregister auch ohne Einhaltung der einzelnen sachenrechtlichen Verfügungsformen.
Schulden lassen sich auf diese Weise ebenfalls übertragen, doch haftet der Veräußerer
während dreier Jahre mit dem Erwerber für deren Erfüllung.10 Die Vertragspraxis (bzw.
die Strukturierung der Transaktionen) wurde durch diese gesetzgeberische Innovation
in der Schweiz in einem gewissen Maß beeinflusst, doch wird die Mehrheit der Asset
Deals in der Schweiz weiterhin nach der »traditionellen« Methode der Übertragung in
Einzelnachfolge abgewickelt. Immerhin hat sich diese Transa ktionsform dort, wo die
Nachteile der Vermögensübertragung nicht erheblich ins Gewicht fallen bzw. der Vorteil
der vertraglich gestaltbaren partiellen Universalsukzession bedeutend ist, ihren Platz
ergattert.11
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Vorteilen, insbesondere für Privatpersonen als Verkäufer, die auf diese Weise in der
Regel einen steuerfreien Kapitalgewinn realisieren können. Über die Qualifikation des
mittelbaren Unternehmenskaufvertrags, also dem Kauf aller oder einer großen Mehrheit
von Gesellschaftsa nteilen, als Kaufvertrag im Sinne der Art. 184 OR besteht Einmü-
tigkeit. Uneinig ist man sich in der Schweiz aber darüber, ob das von der verkauften
Gesellschaft gehaltene und betriebene Unternehmen in einem rechtlichen Sinne als mit-
verkauft gelten soll, so dass das Unternehmen in einem weiteren Sinne als Kaufgegen-
stand gelten soll (namentlich für die Zwecke der Gewährleistung). Die Rechtsprechung
in der Schweiz ist diesbezüglich (anders als in Deutschland) auf der Linie geblieben,
dass Kaufgegenstand allein die verkauften Anteile bilden und sie hat eine Anwendung
der »gesetzlichen« Gewährleistungsregeln auf Eigenschaften des Unternehmens stets
verneint.13
Der Share Deal kommt in der Schweiz überwiegend als Aktienkauf, seltener als Kauf
von Stammanteilen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung vor. Dies hat sich mit
der letzten Reform des GmbH-Rechts in den letzten Jahren leicht zugunsten der GmbH
verändert, doch bilden Aktiengesellschaften nach wie vor die große Mehrheit.
3 Entwicklungen in Einzelbereichen
der Transaktions- und Vertragsgestaltung
3.1 Asset Deals für maßgeschneiderte Lösungen
3.1.1 Business- und Portfoliotransfers im Banken- und Vermögensverwaltungsbereich
Während der Aktienkauf als Instrument des Kontrollerwerbs über ganze Unternehmen
vorherrscht, bildet der Asset Deal die Struktur für maßgeschneiderte Lösungen. Für
eigentliche Krisenfälle, d. h. für Akquisitionen aus insolventen Gesellschaften (nament-
lich an Auffanggesellschaften), wo auf diese Weise Verbindlichkeiten beim Verkäufer
zurückgelassen werden können, war dies schon seit jeher so. Daneben haben sich Asset
Deals in Bereichen durchgesetzt, in denen der Käufer als Unternehmen der gleichen
Branche bereits über die operative Infrastruktur, Kapazität und ggf. auch über die not-
wendigen Bewilligungen verfügt und lediglich (oder vor allem) sein Geschäftsvolumen
erweitern will.
In dem in der Schweiz wichtigen Privatbanken- und Vermögensverwaltungssektor
trifft diese Situation in jüngster Zeit mit anderen Faktoren zusammen, welche Asset
Deals begünstigen. Die schweizerische Finanzindustrie hat in den letzten Jahren eine
deutliche Zunahme von Konsolidierungstransaktionen erlebt.14 Neben der Zunahme an
Transaktionen überhaupt ist ein Anstieg der Asset Deals in diesem Bereich zu verzeich-
nen, was in einem deutlichen Kont rast zur Situation vor einigen Jahren steht. Die Grün-
de dafür liegen in dem mit der Finanzk rise für die Banken veränderten wirtschaftlichen
und regulatorischen Umfeld: Anhaltend tiefe Zinsen, sinkende Kommissionserträge,
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Die in solchen Situationen vorherrschenden Asset Deals der letzten Jahre wurden daher
oft als Portfolio-Transfers, also Verkäufe von Kundenstämmen zusammen mit den zustän-
digen Kundenbetreuern und den entsprechenden Geschäftsakten, strukturiert. Manchmal
bestehen die einzigen wirklich verkauften Bilanzaktiven bzw. übernommenen Bilanzpas-
siven in den Aktiven und Passiven gegenüber den entsprechenden Kunden.15
Eine weitere wesentliche Entwicklung für Asset Deals im Finanzbereich (aber z. T.
auch in anderen Bereichen) war die Lockerung der Voraussetzungen für die Vermö-
gensübertragung nach dem Fusionsgesetz. Traditionelle Asset Deals im Banken- und
Vermögensverwaltungsbereich sehen vor, dass von jedem Kunden zwischen Signing
und Closing eine Zustimmung zur Übertragung der Kundenbeziehung eingeholt und
eine neue Vertragsdokumentation abgeschloßen wird. Zumindest im schweizerischen
Binnenverhältnis von Bank zu Bank kommen inzwischen aber Transaktionsvarianten
mit einer Vermögensübertragung gemäß dem Fusionsgesetz vor. Diese erlaubt einen
gesamthaften Übergang der im Vermögensübertragungsvertrag bezeichneten Kunden-
beziehungen. Das Bankkundengeheimnis wird dabei gewahrt, indem die Kundenbe-
ziehungen nur in anonymisierter Form im Vertrag bezeichnet werden, was von der
Praxis akzeptiert wird, zumindest wenn für die Betroffenen aus einer generellen Um-
schreibung des Kreises der übertragenen Kundenbeziehungen klar wird, ob sie von der
Übertragung betroffen sind oder nicht.
15 Kundendarlehen werden dabei in der Regel vom Erwerber abgelöst gegen Übertragung der typi-
scherweise eingeräumten Wertschriftensicherheit (Lombardkredite).
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3.1.2 Carve-out-Transaktionen
Ein weiteres Anwendungsfeld der Asset Deals in der Schweiz bestand in jüngerer Zeit
in Carve-out- und Abspaltungstransaktionen, bei welchen rechtlich unselbstständige
Geschäftsbereiche, deren Grenzen sich nicht mit den Business Units decken, aus Konzer-
nen herauszulösen waren.16 Bei diesen Transaktionen sind zahlreiche Konzernverflech-
tungen des zu übertragenden »Carve-out-Business« zu trennen und nicht selten (und
abhängig vom Käufer) muss eine eigenständige und funktionsfähige Organisation und
Autonomie für den zu verkaufenden Geschäftsbereich erst im Rahmen der Transaktion
(und häufig in Kooperation mit dem Käufer) aufgebaut werden. Zum Unternehmenskauf
tritt dann ein starkes Element von Leistungs- und Kooperationsbeziehungen zwischen
Konzerneinheiten des Verkäufers und dem Zielunternehmen bzw. dem Käufer hinzu,
welche häufig über den Umfang üblicher Übergangsdienstleistungen hinausgehen.
Mit dem M & A-Boom der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts gewannen Preisanpas-
sungsklauseln eine immer größere Verbreitung. Es ließ sich beobachten, dass etwa in
dem Jahrzehnt von Mitte der 1990er Jahre bis zur Mitte des letzten Jahrzehnts eine Ent
wicklung hin zu komplexen und ausgefeilten Anpassungsmechanismen vorherrschte,
wobei die Net Debt-Methode (Nettoschuldenausgleich, d. h. ein Abstellen auf die Net-
to-Finanzverbindlichkeiten) und die Net Working Capital-Methode (NWC; Netto-Um-
laufvermögensanpassung) wohl am häufigsten waren,17 aber auch die in Deutschland
häufige Methode der Anpassung an ein Closing Balance Sheet (Eigenkapitalanpassung
bzw. Eigenkapitalgarantie) kam vor.18
Vor allem bei den vielen Transaktionen im Rahmen von strukturierten Auktions-
prozessen werden Net Debt Adjustments gerne eingesetzt, was ein Abstellen auf einen
finanzierungsneutralen Unternehmenswert und eine einfachere Vergleichbarkeit der
Angebote erleichtern sollte. Die Anpassung an die Netto-Finanzverbindlichkeiten hat
den Vorteil der Einfachheit und Schnelligkeit, denn die maßgebenden Parameter (zins-
tragende Verbindlichkeiten und Liquidität) lassen sich rasch bestimmen. Es wurde aber
anerkannt, dass dieser Mechanismus den Käufer schutzlos lässt vor Verschiebungen
zwischen der Liquidität und den Positionen des Umlaufvermögens, wenn also z. B. Li-
quidität künstlich generiert oder hoch gehalten wird (z. B. durch beschleunigtes Inkas-
so mittels Skontogewährung oder Aufschub von Investitionen und Lageraufstockung)
oder wenn die Liquidität starken Schwankungen (z. B. aufgrund eines saisonalen Ge-
schäftsverlaufs) unterliegt.19 Daher beziehen Preisanpassungsklauseln häufiger auch
das gesamte Umlaufvermögen (bzw. die anderen Posten des Umlaufvermögens neben
der Liquidität) und kurzfristige Verbindlichkeiten mit ein, womit der Preis also auch an
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Veränderungen der Debitoren und Kreditoren, Lager etc. angepasst wird. Im Extremfall
bleibt lediglich das Anlagevermögen ausgeklammert. Diese Klauseln sind entsprechend
komplizierter und streitanfälliger geworden.
In manchen Fällen wird schließlich eine Eigenkapitalanpassung mit Stichtagsab-
schluss (Closing Accounts) vereinbart. Um den aufwendigen Prozess der Bilanzerstel-
lung etwas zu erleichtern und zu beschleunigen, werden dann vertraglich aber häufig
gewisse Vereinfachungen vereinbart oder es werden für gewisse Objekte des Anlagever-
mögens (namentlich Grundstücke) die maßgebenden Werte gleich vertraglich festgelegt.
Diese (und andere) Preisanpassungsmechanismen kommen weiterhin vor und haben
auch ihre Berechtigung. Selbstverständlich gibt es »den richtigen« Preisanpassungsme-
chanismus nicht, dieser hängt vielmehr vom Zielunternehmen und seinem Unterneh-
mensvermögen, der Dauer bis zum Closing und – natürlich – von der Verhandlungs-
macht der Parteien ab.
Neben den traditionellen Preisanpassungsklauseln ist aber seit Mitte des letzten Jahr-
zehnts eine starke Hinwendung (oder Rückkehr) zu Festpreismechanismen zu beob-
achten.20 Festpreisklauseln in Unternehmenskaufverträgen gab es natürlich schon im-
mer und insofern wird zu Recht von einer Rückkehr des Festpreises21 gesprochen.
Die neuen Fixpreisklauseln kommen allerdings als konsequent angewendetes »Locked
Box«-Konzept daher. Die Zielgesellschaft 22 wird gestützt auf einen möglichst aktuellen
und geprüften Abschluss bewertet und davon ausgehend wird der Preis fix im Vertrag
bestimmt. Dieses »Locked Box Date« entspricht einem wirtschaftlichen Übergangsstich-
tag, denn ab jenem Zeitpunkt gehen Gewinne und Verluste auf Rechnung des Käu-
fers.23 Für die Vertragspraxis widerspiegelt das Aufkommen der Locked Box-Verträge
eine Verschiebung hin zu verkäuferfreundlichen Verträgen. Zum Teil lassen sich die
Locked Box-Verträge aus den Bedürfnissen der Private Equity-Verkäufer erklären, die
einen Exit aus ihrer Investition realisieren und auf hohe Preissicherheit angewiesen
sind, um anschließend den Private Equity Fund liquidieren und den Erlös ausschütten
zu können. Auch werden verschiedene Kaufangebote bei einem konsequenten Locked
Box-Ansatz einfacher vergleichbar, namentlich bei Verkaufsauktionen, während bei den
Preisanpassungsmechanismen erfahrungsgemäß der Teufel nicht selten in den Details
der Definitionen der maßgeblichen Parameter und der Methode ihrer Bestimmung liegt.
Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre sind für Käufer bei Transaktionen über
Stand-alone Unternehmen solche Fixpreisvereinbarungen durchaus akzeptabel, wenn
die Rahmenbedingungen passen und ausreichende vertragliche Schutzvorkehren vor-
gesehen werden. Zu den Rahmenbedingungen gehört, dass es sich in aller Regel nur
um einen Verkauf eines finanziell gesunden und weitgehend autonomen (stand-alone)
Unternehmens handeln muss. Eine starke Konzerneinbindung eines Zielunternehmens
in finanzieller und operativer Hinsicht erschwert Locked Box-Transaktionen, weil die
entsprechenden Konzerneinflüsse bei den Locked Box Accounts neutralisiert werden
20 Vgl. die empirischen Angaben bei Blum 2015, S. 228 ff. und die Studie von Ernst & Young 2012.
Eingehend zu den Auswirkungen auf die Unternehmenskaufverträge Diem/Erni 2010, S. 354 ff.
21 Ernst & Young 2012, S. 6.
22 Für Asset Deals eignet sich der Locked Box-Approach nicht.
23 Für eine Darstellung aus dem Gesichtspunkt der Bewertung vgl. Siegrist/Kremer 2010, S. 115 f.
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müssen, häufig nur pro-forma Abschlüsse verfügbar sind und die Möglichkeiten von
Abflüssen schwer zu übersehen sind. Außerdem brauchen die Käufer Zeit und Infor-
mationen, um sich im Rahmen der Due Diligence den nötigen Komfort in die Locked
Box Accounts zu erarbeiten. Zu den Schutzmechanismen in den Verträgen gehört tra-
ditionellerweise eine Schadloshaltungsgarantie für Mittelabflüsse (Leakage Indemnity)
seit dem Locked Box-Datum sowie Bestimmungen, welche das Risiko von unerlaubten
Mittelabflüssen möglichst einschränken sollen, etwa einschränkende Fortführungsklau-
seln (Conduct of Business) bei der Regelung der Geschäftsführung zwischen Signing und
Closing und eine belastbare Bilanzgarantie der Locked Box Accounts. Manchmal kann
eine Festpreisklausel auch den Druck auf die Zusicherungen erhöhen und den Käufer
dazu bringen, auf einem Rücktrittsrecht bei wesentlich negativer Geschäftsentwicklung
zu bestehen.24
Je nach Branche kommen in der Praxis diverse weitere Preisanpassungen vor, wobei
der Phantasie wenig Grenzen gesetzt sind und auch ganz fallspezifische Anpassungen
vorkommen. Von besonderer Bedeutung für den Schweizer M & A-Markt, in welchem
in den letzten Jahren viele Transaktionen in dem für die Schweiz wichtigen Privatban-
ken- und Vermögensverwaltungsbereich vorkamen, sind die Anpassungen an Verände-
rungen der verwalteten Kundenvermögen (Assets under Management oder AuM) einer
zu kaufenden Bank oder eines Vermögensverwalters. AuM gelten als hauptsächlicher
Wert-Indikator für das Vermögensverwaltungsgeschäft, weshalb heute kaum mehr eine
Privatbank oder ein Asset Manager erworben wird, ohne dass der Kaufpreis oder ein
Teil davon an die AuM angepasst wird. Mit dem Rückgang der Renditen im Vermögens-
verwaltungsgeschäft sind die gängigen Multiplikatoren für solche Transaktionen in den
letzten Jahren stark zurückgegangen.
Wird eine Privatbank oder ein Vermögensverwalter im Rahmen eines Share Deals
gekauft, so wurde »traditionell« meist der Kaufpreis sowohl vom Eigenkapital wie von
den vom Zielunternehmen verwalteten Kundenvermögen abhängig gemacht. Bei den
in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden Portfolio-Transaktionen rückte die
Eigenkapitalanpassung naturgemäß in den Hintergrund. Bei den AuM adjustments wird
manchmal schlicht an die Höhe der von der Ziel-Bank verwalteten Kundenvermögen
zum Zeitpunkt des Closings oder einem zeitlich nahe beim Closing liegenden Stichtag
angepasst. Es wird ein Multiplikator vereinbart, der dem Kaufpreis (oder einem Teil
davon) zugrunde liegt (z. B. 0.5 %), der auf den »erworbenen« AuM angewandt wird.
Auf das Closing oder den Stichtag hin werden die AuM gezählt und der Kaufpreis wird
an die Differenz (multipliziert mit dem Multiplikator) angepasst. Bei einer solchen rei-
nen Stichtagsmethode trägt der Verkäufer Risiko und Nutzen von Zu- und Abflüssen
(Attrition) wie auch von marktbedingten Änderungen des Werts der AuM. Häufiger sind
Anpassungen, welche nur auf den Saldo von AuM-Zu- und Abflüssen (Net New Money)
zwischen Signing und Closing abstellen, dann bleiben reine Marktschwankungen auf
den Kaufpreis ohne Folgen. In manchen Fällen wurde das System noch verfeinert, in-
dem verschiedene Multiplikatoren für verschiedene Klassen von Kundenvermögen fest-
gelegt wurden. Bei Abgängen von wichtigen Kundenberatern wurde zuweilen festgelegt,
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Mit der Krise der letzten Jahre haben sich zum Teil die Preiserwartungen von poten-
ziellen Käufern und Investoren von den Erwartungen der Verkäufer entfernt. Es scheint,
dass gerade bei Familienunternehmen zwar eine grundsätzliche Verkaufsbereitschaft
bestünde, doch besteht ein gewisses »Valuation Gap« gegenüber dem Markt. Als Folge
davon hat man zum Teil gestaffelte Übernahmen mit angepasstem Preis für nachfol-
gende Tranchen und Earn-out-Vereinbarungen wieder häufiger gesehen. Aus der Sicht
des Rechtsberaters bleibt die Erkenntnis, dass diese Modelle in der Theorie den Vorteil
haben, dass der Preis tatsächlich von der Ertragskraft und der Wertentwicklung nach
Vollzug abhängt und so den Verkäufer noch für eine Weile mit ins Boot nimmt. Aus
diesem Umstand resultiert aber auch das mit aller Vertragskunst nicht wirklich lös-
bare Problem, dass die preisbestimmenden Faktoren (typischerweise die Erträge bzw.
Gewinne nach Vollzug) bzw. ihre Darstellung von einer Seite (meist dem Käufer) be-
einflusst werden und dass auch unter gutwilligen Parteien Streit darüber nicht selten
vorkommt. Demgemäß ist die Regelung der maßgebenden Periode wie diejenige der
Bestimmung des Earn-out-Preises häufig heikel und trotz allem Antizipieren möglicher
Fragen findet sich schließlich zuweilen auch im vollkommensten Vertrag gerade für die
sich dann später stellende Frage keine Antwort.
Das Gewährleistungsrecht des Kaufs im OR wurde natürlich nicht mit Blick auf Unter-
nehmenskäufe geschrieben, doch hat dies in der Gerichtspraxis bemerkenswert selten
zu Problemen geführt und manche der Wertungswidersprüche, von denen aus Deutsch-
land berichtet wird,25 sind in der Schweiz nicht oder nur in geringerem Maß aufgetre-
ten. Im Zusammenhang mit dem Share Purchase hat das Schweizerische Bundesgericht
eine Anwendung des »gesetzlichen« Mangelbegriffs26 auf das Unternehmen selbst ab-
gelehnt und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, verkauft seien nur die Aktien
bzw. Gesellschaftsa nteile, nicht aber das Unternehmen selbst und Eigenschaften des
Unternehmens seien nicht Eigenschaften der Aktien bzw. Anteile.27 Hingegen hatte das
Bundesgericht kein Problem, die Sachgewährleistungshaftung bei Zusicherungen des
Verkäufers anzuwenden. Vertraglich vorausgesetzte Eigenschaften qualifizieren nach
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Schweizer Recht problemlos als Zusicherungen,28 und zudem ist die Haftung für Zu-
sicherung (anders als im früheren deutschen Recht) nach dem OR fast die gleiche wie
beim »gesetzlichen« Mangel.29 Eine verschuldensunabhängige Schadenersatzhaftung,
welche nach dem alten deutschen Recht Anlass zur Zurückhaltung bei der Annah-
me von Zusicherungen gab, besteht nach dem OR nur neben der Wandlung und nur
für unmittelbaren Schaden, was Folgeschäden häufig (aber nicht immer) ausschließt.30
Auch kann der Richter bei der Klage auf Wandlung nach Ermessen auch nur auf Min-
derung erkennen, wenn die Umstände die Rückgängigmachung des Geschäfts nicht
rechtfertigen,31 so dass sich das Problem der beim Unternehmenskauf unpassenden
Wandlung mit den gesetzlichen Gewährleistungsregeln lösen lässt. Weiter besteht
neben den Gewährleistungsregeln nach gefestigter Praxis ein verschuldensabhängi-
ger Schadenersatza nspruch aus den allgemeinen Nichterfüllungs- bzw. Schlechterfül-
lungsregeln von Art. 97 ff. OR und schließlich gilt (beim Fahrniskauf) eine zweijährige
Verjährungsf rist.32 Die Gründe, welche im alten deutschen Recht zu einer »Flucht« aus
dem Gewährleistungsrecht und einer Hinwendung zur culpa in contrahendo als Ausweg
führten, waren bzw. sind im OR nicht oder nur in geringerem Maße gegeben. Dass die
culpa in contrahendo-Haftung beim Unternehmenskauf zu einem wichtigen Rechts-
behelf für Schlechterfüllungstatbestände geworden ist, ist Schweizer Juristen häufig
schwer verständlich.
Für Fälle der »Gewährleistungslücke« beim mittelbaren Unternehmenskauf (Share
Deal), in denen berechtigte Käufererwartungen zu schützen waren, hat das Bundes-
gericht dem Käufer eine Teilanfechtung wegen Grundlagenirrtums zugestanden.33 Die
Teilanfechtung führt nach der Praxis des Bundesgerichts zu einer Preisherabsetzung,
d. h. einem ähnlichen Ergebnis wie die Minderung.34 In dieser Rechtsprechung wer-
den die Voraussetzungen und Modalitäten der Geltendmachung von Gewährleistungs-
ansprüchen (Rüge, Verjährung) unberücksichtigt gelassen, weshalb sie in der Literatur
mehrheitlich kritisiert wird.35
Beim Asset Deal wendet die Rechtsprechung Gewährleistungs-Kaufrecht an, aller-
dings anscheinend nur im Sinne einer »Einzelanwendung« auf die mitverkauften Sachen
und Rechte. Namentlich scheint das Fehlen einer (vorausgesetzten) Eigenschaft, welche
28 Die unter dem früheren deutschen Recht entwickelte »Beschaffenheitsvereinbarung« oder »Beschaf-
fenheitsangabe« (Soergel/Huber 1991, § 459 BGB a. F. N 169) hat sich in der Schweiz nicht eingebür-
gert.
29 Die Unterschiede beschränken sich auf das Fehlen der Voraussetzung der Erheblichkeit, d. h., dass
für das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft auch gehaftet wird, wenn dadurch weder Wert noch
Gebrauchstauglichkeit erheblich eingeschränkt wird. Ein weiterer Unterschied liegt noch darin,
dass die fahrlässige Unkenntnis des Käufers vom Mangel nur bei Zusicherung schadet (Art. 200
Abs. 2 OR).
30 Im Einzelnen ist zum Umfang der Schadenersatzpflicht aus Gewährleistung allerdings vieles un-
klar, vgl. etwa Honsell 2010, S. 110 ff.
31 Art. 205 Abs. 2 OR.
32 Bis zum 31.12.2012 betrug die Verjährungsfrist 1 Jahr. Im früheren deutschen Recht galt eine kurze
Frist von lediglich sechs Monaten, § 477 Abs. 1 BGB a. F.).
33 Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR (BGE 107 II 421; 97 II 45). Nach stetiger Praxis des Bundesgerichts herrscht
zwischen Gewährleistungsansprüchen und der Irrtumsanfechtung Alternativität, d. h. der Käufer
kann grundsätzlich wählen, ob er sich auf Sachgewährleistungsansprüche oder auf Anfechtung
(bzw. Teilanfechtung) wegen Grundlagenirrtums beruft und muss für jeden Rechtsbehelf die für
diesen geltenden Voraussetzungen erfüllen. Er muss sich aber auf der getroffenen Wahl behaften
lassen.
34 BGE 107 II 419, 423. Eingehend zur Teilanfechtung Schmidlin 2013, Art. 23/24 OR N 409 ff. und
bezogen auf den Unternehmenskauf Gmünder 1992.
35 Vgl. für den Kauf allgemein Honsell 2010, S. 121 ff. mit Hinweisen auf die Literatur.
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36 So zumindest wird man BGE 129 III 18 verstehen müssen, wonach es sich bei einem asbestverseuch-
ten gemieteten Lokal eines gekauften Nachtklubs nicht um einen gewährleistungsrelevanten Man-
gel handle, weil das betroffene Gebäude nicht mitverkauft sei. Immerhin wurde offengelassen, ob
bei erheblicher Betriebsbeeinträchtigung nicht doch ein Mangel vorliegen könnte. Zum Entscheid
vgl. auch die Besprechung von Vischer 2003, S. 335 ff.
37 So auch das Bundesgericht in 4A_321/2012, E. 4.2 und dazu Wolf/Ehrsam 2013, S. 301.
38 Vgl. dazu Kap. 3.3.3.
39 Vgl. dazu Vischer 2013, S. 330 f.
40 Ein solcher ist allenfalls die Verjährung, wo die Rechtsprechung (trotz guten Gegenargumenten)
eine zwingende Höchstfrist von zehn Jahren anwendet. Derart lange Latenzzeiten sind aber auch
in der Praxis nur in besonderen Fällen (z. B. Altlastenfreiheit) von Bedeutung.
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Umstand genügend klar offengelegt worden war, um die Haftung auszuschließen, oder
wann der Käufer genügend sichere Kenntnis erlangt hatte und hätte rügen sollen oder
welcher Schaden als ersatzfähig gilt). Aber die weitgehend anerkannte Regelungsmetho-
dik bewirkt in den Verhandlungen und in der Vertragsredaktion einen Effizienzgewinn
sowie eine »gemeinsame Sprache« der beteiligten Berater, was nicht zu unterschätzen
ist.
Eines der Hauptthemen in der Verhandlung der meisten Unternehmenskäufe ist die
Wirkung der Kenntnis des Käufers bzw. der vom Verkäufer oder von der Gesellschaft
auf dessen Vera nlassung offengelegten Informationen. Ausgangspunkt für die schwei-
zerische Praxis ist die Bestimmung von Art. 200 OR, gemäß welcher der Verkäufer dem
Käufer bekannte Mängel nicht und bei fahrlässiger Unkenntnis des Käufers nur für
bei Zusicherung haftet. In der Schweiz hat sich der angelsächsische Disclosure Letter41
nicht als Standard durchgesetzt, obwohl er durchaus vorkommt und gute Argumente
für seine Verwendung sprechen. Häufiger, so scheint es nach der Erfahrung der Auto-
ren42, wird für die haftungsausschließende Kenntn is eine Umschreibung der Dokumen-
te und Informationen im Vertrag vorgenommen. Dabei wird von Käufern nicht selten
hingenommen, dass sämtliche Dokumente eines Datenraumes als offengelegt gelten.43
Dies wird allerdings nur akzeptiert, soweit sich ein Sachverhalt vernünftigerweise vom
Käufer und seinen Beratern auch wirklich erkennen ließ. Der Sache nach lässt sich ein
»Fair Disclosure« Standard44, wie er aus der angelsächsischen Praxis bekannt ist, auch
dem Schweizer Recht entnehmen, denn haftungsausschließende Kenntnis wird von der
Rechtsprechung erst angenommen, wenn der Käufer die Bedeutung und Ausw irkung
der Umstände in sachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht erkannt hat (bzw. nach den
Umständen erkennen musste),45 was übertragen auf das Offenlegungskonzept des Un-
ternehmenskaufs so verstanden werden darf, dass die Offenlegungen dem Käufer unter
den gegebenen Umständen eben diese Kenntnis vermitteln.
Ob eine Offenlegung für den Anspruchsausschluss in einem konkreten Fall genügend
ist, hängt natürlich immer stark von der spezifischen Situation ab. Die Datenräume
haben zuweilen enormen Umfang erreicht und sie enthalten neben den erheblichen
Informationen nicht selten auch viele, aus dem Blickwinkel der Gewährleistungen un-
bedeutende Informationen. Auf einen versteckten flüchtigen Hinweis auf eine Gewähr-
leistungsverletzung in einem umfangreichen Dokument, dessen Titel oder Bezeichnung
nicht auf derartige Informationen schließen lässt, wird sich ein Verkäufer deshalb kaum
berufen können.
41 Oder »disclosure schedule«, also eine abschließende Umschreibung der Offenlegungen, welche dem
Käufer angerechnet werden und von der Haftung des Verkäufers ausgenommen sind.
42 Und ebenso nach der von der internationalen Anwaltskanzlei CMS durchgeführten Untersuchung
(vgl. Blum 2015, S. 245 ff.).
43 So auch Blum 2015, S. 247.
44 D. h. dass nur haftungsausschließend wirkt, was »fairly disclosed« wurde und ein geringfügiger
Hinweis nicht genügend ist.
45 BGE 66 II 137.
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Dass der Verkäufer für einzelne, mehr oder weniger genau bekannte Risiken oder dro-
hende Schäden verspricht, den Käufer oder das Unternehmen zu entschädigen, kam
selbstverständlich schon vor, bevor man begann, auch in der Schweizer Rechtssprache
von Indemnities zu sprechen. Solche Schadloshaltungsversprechen46 sind nun in den
letzten Jahren, der angelsächsischen Praxis folgend, häufig auch in Unternehmens-
kaufverträgen in der Schweiz anzutreffen. Ihren Anwendungsbereich haben sie haupt-
sächlich im Bereich der Steuern, wobei die Komplexität der englischen Tax Indemnities
bisher vermieden werden konnte. Daneben findet man solche Vereinbarungen etwa im
Bereich der Altlastenproblematik beim Erwerb von Industriebetrieben oder bei vermu-
teten oder bereits bekannten Compliance-Problemen, vor allem in jüngster Zeit beim
Erwerb von Banken.
Auch hierzulande gehört es zu den häufigsten Fragen eines Mandanten, welcher »cap«,
also welche Haftungshöchstgrenze des Verkäufers üblich sei. Dazu gibt es keine festen
Regeln, doch ist es bestimmt üblich, dass eine Höchstgrenze vereinbart wird. Üblich
ist ferner, dass die Höchstgrenze im Rahmen der Verhandlungen ins Verhältnis mit
dem Kaufpreis gesetzt wird (auch wenn im Vertrag oft ein absoluter Betrag steht, was
klarer ist als ein Prozentsatz eines allenfalls einer Anpassung unterliegenden Kaufprei-
ses). Ebenfalls üblich ist ein gewisser Freibetrag, wobei hier verschiedene Variationen
vorkommen: Vielleicht am häufigsten ist die Struktur, wonach ein relativ kleiner Wert
gilt, unter welchem Schäden überhaupt nicht ersatzfähig sind (de minimis) und darü-
ber eine höhere Freigrenze als Schwellenwert oder Selbstbehalt (basket, threshold oder
deductible) gilt.47
Zur Höhe dieser Werte kann man gewisse Tendenzen durch Marktbeobachtung,
Erfahrung und Statistiken feststellen,48 doch sind letztlich Verhandlungsmacht, Risi-
kobereitschaft und die Natur des Geschäfts wichtiger als Tendenzen im M & A-Markt.
Bestimmt lässt sich sagen, dass bei hohen Transaktionsvolumen die Haftungsobergren-
ze ausgedrückt in Prozent des Kaufpreises tendenziell tiefer und bei geringeren Volu-
men eher höher liegen. Meist werden Ausnahmen vorgesehen für die Rechtsgewähr und
gewisse fundamentale Gewährleistungen vorgesehen. In der Praxis wichtiger scheinen
uns aber besondere Ausnahmen bzw. höhere Einzelhöchstgrenzen für gewisse Risiken
oder Risikobereiche wie Steuern, Umweltaltlasten oder identifizierte Compliance-Risi-
ken. Wenn ein Käufer solche identifizierte heikle Bereiche mit größeren Haftungspols-
tern abdecken kann, ist er häufig bereit, für die »allgemeinen« Gewährleistungen zum
Vermögen und Geschäft des Unternehmens einen tieferen Cap zu akzeptieren. Dies ist
einer maßgeschneiderten Risikoallokation unter den Parteien förderlich.
46 Sie sind rechtlich in der Regel als Garantien zu qualifizieren (Blum 2013, S. 205 m.w.H.). Der in
Deutschland (zumindest bei Schadloshaltung gegen Drittansprüche) gebräuchliche Ausdruck »Frei-
stellung« hat sich in der Schweiz nicht breit durchgesetzt.
47 Diese häufige Ordnung liegt auch der von Blum 2015, S. 237 ff., vorgestellten und kommentierten
Untersuchung zugrunde.
48 Vgl. insbesondere die Ergebnisse der von Blum 2015, S. 237 ff., vorgestellten Untersuchung.
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Die nach der Erfahrung der Autoren in den letzten Jahren am häufigsten angetroffenen
Käufersicherheiten für Ansprüche aus Gewährleistung oder Schadloshaltungsgarantien
sind Escrows, also eine Hinterlegung eines Teils des Kaufpreises bei einem Dritten
(dem Escrow Agent) für eine gewisse Dauer. Hinsichtlich der Höhe besteht eine gewisse
Tendenz, zum indest bei tieferen Liability Caps, den Escrow-Betrag auf die Höhe einer
vereinbarten Haftungsobergrenze festzulegen. Eine ähnliche Tendenz besteht für die
Dauer des Escrow, hinsichtlich welcher man sich häufig an der allgemeinen Gewähr-
leistungsfrist (oft zwischen 12–24 Monaten) orientiert. Die Umstände verlangen (oder
erlauben) aber Abweichungen in beide Richtungen. Sieht man z. B. bei Transaktionen
mit einer Vielzahl von Verkäufern in aller Regel einen Escrow, so werden bei Verkäufen
aus großen Konzernen heraus manchmal gar keine Sicherheiten gestellt.
Der Escrow hat den Vorteil, dass zwar ein Haftungssubstrat zur Verfügung gestellt
wird, dass sich davon abgesehen aber (anders als etwa bei einem Rückbehalt) an der
Klagelast und den Parteirollen nichts ändert, was häufig (zu Recht) als fair empfunden
wird. In praktischer Hinsicht macht ein Escrow allerdings die Hinzuziehung eines
weiteren Teilnehmers in der Transa ktion notwendig. In der Schweiz üben Banken,
Treuhandunternehmen und auch Anwälte diese Tätigkeit aus. Nachdem sich bis vor
kurzer Zeit eine gewisse Vereinfachung und Standardisierung der entsprechenden
Vereinbarungen herausgebildet hatte, sorgen in der jüngeren Vergangenheit zuweilen
strenge Know Your Customer-Regeln und Dokumentationsstandards für aufwendigere
Umstände.
49 Prominentes Beispiel immerhin war der gescheiterte Kauf des Immobilienportefeuilles der Jelmoli
Holding durch das Delek-Blenheim Konsortium aus dem Jahr 2007.
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Reine »Financing-Outs«, also ein Finanzierungsvorbehalt, wonach sich der Käufer zwar
um die Finanzierung des Kaufpreises bemühen muss, er aber von der Vollzugspflicht
ohne weitere rechtliche Konsequenzen befreit ist, wenn es ihm nicht gelingt, eine nötige
Fremdfi nanzierung trotz seiner Bemühungen erhältlich zu machen, sieht man nach der
Erfahrung der Autoren in Unternehmenskaufverträgen in der Schweiz selten. Bei fremd-
finanzierten Akquisitionen von Private Equity-Häusern resultiert allerdings unter Um-
ständen ein Ergebnis, welches faktisch zu einem ähnlichen Ergebnis führt, weil es sich
beim Käufer in der Regel um eine (meist neu gegründete) Akquisitionsgesellschaft mit
minimalem Kapital handelt, welche bis zur Finanzierung unmittelbar vor dem Vollzug
weitgehend mittellos ist. Dass ein Private Equity Fund selbst Käufer oder mithaftende
Partei wird, sieht man auch in der Schweiz nicht. Die klassischen Verkäuferansprüche
im Käuferverzug (Realerfüllung einerseits oder andererseits Verzicht auf Erfüllung und
wahlweise Schadenersatz auf das Erfüllungsinteresse oder Rücktritt und Schadenersatz
auf das negative Interesse)50 sind dann ohne großen Wert.
In dieser Konstellation werden auch in der Schweiz zuweilen Break Fees bzw. »Re-
verse Break Fees« vereinbart.51 Sinnvoll sind diese in einer Private Equity-Akquisitions-
struktur jedoch nur, wenn sie besichert werden, wofür eine summenmäßig beschränkte
Garantie des PE-Fund dienen kann. Eine »gängige« Praxis hierzu hat sich in der Schweiz
bisher nicht herausgebildet, doch kommen solche Vereinbarungen vor und lassen sich
weitgehend problemlos unter dem OR strukturieren.52 Verkäufer versuchen bei fremd-
finanzierten Transaktionen naturgemäß den Schutz zu maximieren, indem sie starke
Finanzierungszusagen seitens der finanzierenden Banken (Commitment Letters), ver-
bindliche Term Sheets oder sogar abgeschlossene Finanzierungsverträge und allenfalls
Reverse Break Fees verlangen.
3.4.2 MAC-Bedingungen
50 Art. 107–109 OR; vgl. dazu etwa Tschäni/Diem/Wolf 2013, S. 179 ff. und eingehend Schenker 2004,
S. 109 ff.; zum Realerfüllungsanspruch auch Schärer/Gross 2014, S. 115 ff.
51 Die Zahlung wird als »reverse« verstanden, weil die nach amerikanischer Praxis »traditionelle«
Break Fee vom Target oder vom Verkäufer zu leisten ist, wenn diese von der Transaktion zurücktre-
ten (typischerweise um ein höheres Angebot anzunehmen, aber auch etwa wenn ein zustimmender
Aktionärsbeschluss nicht erhalten wurde oder aus anderen, näher beim Target oder dem Verkäufer
liegenden Gründen).
52 Je nach Ausgestaltung qualifiziert die Reverse Break Fee als Konventionalstrafe, Reugeld, Wandel-
pön oder Schadenspauschale (vgl. Triebold 2009, S. 234 ff.) oder steht diesen zumindest nahe. Sie
lässt sich auch vertraglich näher regeln, so z. B. dass der Verkäufer wahlweise auf Realerfüllung
beharren oder aber zurücktreten und die Break Fee verlangen kann, wobei für diesen Fall weiterer
Schadenersatz ausgeschlossen werden kann.
53 Nach der von Blum 2015, S. 251 ff., zusammengefassten Studie kommen MAC-Klauseln als schlichte
Vollzugsbedingungen im deutschsprachigen Europa überhaupt deutlich seltener vor als in den USA.
Für eine Darstellung der verschiedenen Erscheinungsformen vgl. außerdem Schleiffer 2004, S. 53 ff.
und Schärer/Gross 2014, S. 127 f.
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54 Im Recht der öffentlichen Übernahmen sind MAC-Klauseln nach der strengen Praxis der Übernah-
mekommission ausschließlich unter Bezugnahme auf Ertrags- oder Bilanzkennzahlen zulässig und
zum Teil orientieren sich Parteien eines Unternehmenskaufs an jenen Größen.
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M & A-Markt ist dabei insofern international, als die Mehrheit der Transaktionen eine
ausländische Beteiligung aufweist. Für M & A-Praktiker ist eine reine Binnentransaktion
eher selten. Vor diesem Hintergrund, und gestützt auf die Erfahrung der letzten Jahre,
darf man am ehesten erwarten, dass die Entwicklung den internationalen Trends mit
leichter Verspätung und in etwas abgeschwächter Weise folgen wird.
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| 595
Teil
1 Einleitung
2 Die drei Kern-Elemente
2.1 Bonding
2.2 Mission
2.3 Influence
2.4 Zusammenfassung
3 Vorbereitung der Verhandlung
3.1 Die 5 Aufgaben des Projekt-Managers
3.2 Mind-Set des Verhandlungsführers – 10 goldene Regeln
4 Einstieg in die Verhandlungsrunde
4.1 Small Talk
4.2 Agenda
4.3 Smart Start
5 Das Chaos: Die Kernphase der Verhandlungsrunde
5.1 Analyse Open Points
5.2 Break 4 Change
5.3 Concessions Package Procedure
6 Beendigung der Verhandlungsrunde
7 Zusammenfassung
∗ Dr. Hermann Rock, Rechtsanwalt, General Counsel, AFINUM Management GmbH, München.
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1 Einleitung
»The most important words in any negotiation: Talk to me.«1
Dominick J. Misino, (Former Primary Negotiator for the NYPD)
In dem vorliegenden Beitrag wird die Best Practice betreffend das Führen von komple-
xen Verhandlungen skizziert. M & A-Transaktionen sind ein geradezu klassischer Fall
solcher komplexer Verhandlungen. Die Best Practice, die für komplexe Verhandlungen
gilt, gilt somit uneingeschränkt für M & A-Transaktionen und umgekehrt.
Es ist kein Zufall, dass der vorliegende Beitrag mit dem Zitat von Dominick J. Misino,
einem ehemaligen Verhandlungsführer des New York City Police Departments (NYPD)
beginnt. Es war nämlich das NYPD, das 1972 damit begonnen hat, eine Best Practice
in Bezug auf die Verhandlungsführung zu entwickeln.2 1974 hat dann das FBI auf na-
tionaler Ebene – aufbauend auf den Erkenntnissen des NYPD – damit begonnen, Trai-
ningsprogramme betreffend die »Professionelle Verhandlungsführung« bzw. eine Best
Practice (»FBI-Methoden«) in Bezug auf Krisen-Situationen (wie z. B. Geiselnahmen) zu
installieren.3 Inzwischen werden ca. 70% aller polizeilichen Verhandlungsführer in den
USA unter Beachtung der FBI-Methoden trainiert.4
Ein Teil der so trainierten Verhandlungsführer – wie z. B. der eingangs zitierte Do-
minick J. Misino – nutzen ihre enorme Erfahrung und die Tatsache der universellen
Anwendbarkeit der FBI-Methoden dazu, nach dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst
Unternehmen in Bezug auf die Verhandlungsführung zu beraten. Diesen Weg hat auch
Matthias Schranner5, einer der führenden Experten für Verhandlungstaktik und ehema-
liger Verhandlungsführer der bayerischen Polizei, gewählt. Die Lektüre seiner Bücher6
– ein Muss für jeden, der professionell verhandeln will – war für mich der Einstieg in
die Welt der Best Practice der Verhandlungsführung.
Der vorliegende Beitrag beruht (i) auf meinen eigenen langjährigen Erfahrungen mit
der Anwendung verschiedenster Verhandlungsstrategien bzw. -taktiken und (ii) der hart
erarbeiteten Erkenntnis, dass mit der »entsprechenden« Anwendung der FBI-Methoden
beim Verhandeln von Unternehmenskaufverträgen (Share Purchase Agreement, kurz
»SPA«) die größten Erfolge erzielt werden können7.
Sämtliche Handlungen, die dazu dienen, die andere Seite von den eigenen Positi-
onen bzw. Forderungen zu überzeugen, sind Bestandteile einer »Professionellen Ver-
handlungsführung« und damit der »Best Practice«. Derjenige, der diese Best Practice
anwendet, wird nachfolgend als »Professioneller Verhandlungsführer« bezeichnet. Un-
abdingbare Bestandteile der Best Practice sind – in der zeitlich richtigen Reihenfol-
ge – insbesondere die optimale Vorbereitung (vgl. Kap. 3), der »richtige« Einstieg in
die Verhandlungsrunden (vgl. Kap. 4), die »richtigen« taktischen Maßnahmen in der
Kernphase der Verhandlungen (vgl. Kap. 5) und die professionelle Beendigung der Ver-
handlungsrunden (vgl. Kap. 6). Der vorliegende Beitrag orientiert sich konsequent an
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden | 597
Teil
der Zeitachse von Verhandlungen. Zudem ist er so strukturiert, dass er als Checkliste
verwendet werden kann.
In Kapitel 5 werden für den Verhandlungsführer zwei Konzepte skizziert, mit de-
nen er die Kernphase der Verhandlungen (also die »Chaos-Phase«) souverän gestalten
kann: Zum einen das »ABC-Konzept« betreffend die prozess-taktische Gestaltung und
zum anderen das »BMI-Konzept« betreffend die verhaltens-taktische Gestaltung der
Verhandlung.
Diese drei Kern-Elemente sind zum einen Bestandteil der Vorbereitung. Zum anderen
prägen sie – auch in zeitlicher Hinsicht – das Vorgehen des Professionellen Verhand-
lungsführers während der »Chaos-Phase« (vgl. Kapitel 5).
2.1 Bonding
Stark verkürzt geht es beim Bonding darum, sich stets vor Augen zu halten, dass es in
Bezug auf das Verhalten gegenüber der anderen Seite nur zwei Alternativen gibt: »Ge-
sichtswahrung« oder »Gesichtsverlust«. Entweder der Verhandlungsführer verhandelt
bzw. verhält sich bei einer Verhandlung so, dass die andere Seite ihr Gesicht wahren
kann, oder er legt ein Verhalten an den Tag, das dazu führt, dass die andere Seite ihr
Gesicht verliert.
Im ersten Fall besteht zumindest die realistische Möglichkeit, erfolgreich zu ver-
handeln, also die andere Seite zu beeinflussen und möglichst viele Positionen bzw.
Interessen (als Teil der Mission) durchzusetzen. 11
Im letztgenannten Fall wird jede Beeinflussung mit großer Wahrscheinlichkeit schei-
tern.12
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Das FBI formuliert sehr pointiert, dass man sich das »Recht zum Verhandeln« zu-
nächst durch das Bonding »verdienen« muss.13 Die Best-Practice-Regel Nr. 1 für den
Professionellen Verhandlungsführer im Rahmen der Verhandlung lautet deshalb un-
missverständlich: »First … form a bond«14.
Das diesbezüglich von der Crisis Negotiation Unit (CNU) des FBI entwickelte15 – uni-
versell in jeder Verhandlung anwendbare – Behavioral Change Stairway Model (kurz:
»BCSM«) wird in Kapitel 5.1 erläutert. Ein wesentliches Tool des BCSM ist dabei das
»Active Listening« (Aktives Zuhören). Die wichtigsten Worte des Professionellen Ver-
handlungsführers lauten dabei: »Talk to me«.
Das BCSM ist ein hocheffizientes Tool, das in Bezug auf jede Art von Verhandlung
einsetzbar ist. Wer dieses hochgradig effiziente Stufen-Modell perfekt beherrscht, ist
allen anderen am Verhandlungstisch – sehr weit – überlegen.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Das Bonding (Aufbau der Beziehung) ist das
unverzichtbare Fundament16 jeder Verhandlung, es stellt immer den ersten Schritt bzw.
den professionellen Einstieg in jede – auch jede »gewöhnliche« – Verhandlung dar. Die
konkreten Schritte des Bonding sind im BCSM bzw. in Kapitel 5.1 definiert.
2.2 Mission
Die Mission umfasst sämtliche Sach-Themen des Projekts, also hier die Themen des
M & A-Vertrags. Die eigene Mission wird im Rahmen der Vorbereitung vom Projekt-Ma-
nager entwickelt und in Gestalt von konkret formulierten Positionen/Forderungen doku-
mentiert. Als Checkliste für Positionen/Forderungen wird typischerweise ein umfassen-
des Muster eines SPA herangezogen, je nach Ausgangssituation ein »Verkäufer-Muster«
oder ein »Käufer-Muster«.
In den später stattfindenden Verhandlungen ist es die Aufgabe des Verhandlungsfüh-
rers, die Mission der anderen Seite zu ermitteln und die vom Projekt-Manager vorgege-
bene eigene Mission zu vertreten. Sein wichtigstes Tool ist dabei das »Active Listening«
(Aktives Zuhören), eine Stufe des in Kapitel 2.1 erwähnten Behavioral Change Stairway
Model des FBI. Auch insoweit sind die wichtigsten Worte des Professionellen Verhand-
lungsführers somit : »Talk to me«.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Das wichtigste Tool des Professionellen Verhand-
lungsführers in Bezug auf die Ermittlung der Mission der anderen Seite ist das Active
Listening. Das Active Listening hat also zwei Funktionen: es bewirkt einerseits das
Bonding und dient anderseits der Ermittlung der Mission der anderen Seite.
13 »[…] the negotiator has »earned the right« to recommend a course of action[…]« (Vecchi/van Has-
selt/Romano 2005, S. 533, 545).
14 Kohlrieser 2006, S. 152.
15 Vgl. Vecchi/van Hasselt/Romano 2005, S. 533, 541.
16 »The first basic step is to form a bond with the other person or persons. […] Bonding […] creates the
process for mutual influence.« (Kohlrieser 2006, S. 152).
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden | 599
Teil
2.3 Influence
Immer dann, wenn die andere Seite den eigenen Positionen/Forderungen (Bestandteile
der Mission) nicht zustimmt, ist es die Aufgabe des Verhandlungsführers, »Überzeu-
gungsarbeit« zu leisten. Dazu nutzt der Professionelle Verhandlungsführer sein umfas-
sendes Wissen in Bezug auf die Mittel der Beeinflussung (»Influence«).
Unter dem Begriff »Influence« werden diejenigen Instrumente/Werkzeuge bzw. »Waf-
fen« (Cialdini spricht von den »Weapons of Influence«17) verstanden, die dazu führen,
dass Personen (z. B. der Verhandlungsführer) auf die Einstellungen, Überzeugungen,
Wahrnehmungen oder das Verhalten anderer Personen (z. B. die andere Seite) Einfluss
nehmen.18
In der Wissenschaft werden diesbezüglich verschiedene sog. »Zwei-Prozess-Model-
le«19 diskutiert, die alle gemeinsam davon ausgehen, dass Einstellungen, Überzeugun-
gen, Wahrnehmungen und/oder das Verhalten jedes Menschen von zwei verschiedenen
miteinander interagierenden mentalen Systemen bestimmt werden.20 Diese beiden Sys-
teme des menschlichen Gehirns werden sehr eindrucksvoll vom Nobelpreisträger Daniel
Kahnemann 21 beschrieben: Es geht einerseits um das »Intuitive System I«, das immer
aktiv ist, zunächst alles Wahrgenommene glaubt und sodann mit einer unglaublichen
Reaktionszeit von ca. 11 Mio. Bit/sec. reagiert. Das Motto des Intuitiven Systems I lau-
tet: »Action«.22 Kahnemann bezeichnet das Intuitive System I deshalb auch als »mental
shotgun«23.
Es geht andererseits um das »Analytische System II«, das immer zuerst aktiviert
werden muss, in der Lage ist, an Wahrnehmungen zu zweifeln und dann mit einer au-
ßerordentlich langsamen Reaktionszeit von ca. 40 Bit/sec. (das sind ca. 6 Buchstaben)
reagiert. Das Motto des Analytischen Systems II lautet: »Think«.24 Dementsprechend
führt das Analytische System II kontrollierte Operationen durch.
Aufgrund der Tatsache, dass das Intuitive System I immer aktiv ist, also nicht deak-
tiviert werden kann, wirkt jede Art von Beeinflussung zunächst immer auf das Intuitive
System I.
Professionelle Verhandlungsführer kennen die typische Wirkweise jeder einzelnen
»Waffe der Beeinflussung« im Intuitiven System I. Sie können diese Waffen deshalb
bewusst einsetzen. Sie können deren Wirkung (seitens der Gegenpartei) auch bewusst
abwehren, indem sie immer wieder Time Outs herbeiführen und bei sich selbst das
Analytische System II aktivieren.
Die Anwendung dieser »Waffen« sind auch fester Bestandteil der FBI-Methoden 25.
Die Erläuterung der einzelnen »Waffen« würde den Umfang dieses Beitrags sprengen.
Daher sollen die klassischen Waffen hier nur kurz unter Nennung der maßgeblichen Li-
teratur erwähnt werden: (i) Cialdini 26: Sympathie, Autorität, Soziale Bewährtheit, Kon-
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2.4 Zusammenfassung
Die drei verhaltens-taktischen Kern-Elemente des Verhandelns sind Bonding, Mission
und Influence. Diese drei Kern-Elemente geben dem Professionellen Verhandlungsführer
auch die einzig richtige Reihenfolge seiner Aktivitäten vor:
Schritt Nr. 1 ist ausnahmslos das Bonding, also der Aufbau der Beziehung und de-
ren dauerhafte Aufrechterhaltung während der gesamten Verhandlung (»First … form
a bond«29).
Schritt Nr. 2 ist – nach dem Aufbau der Beziehung – das Vorbringen sämtlicher Po-
sitionen/Forderungen, die Bestandteil der eigenen Mission sind, je nach Einstieg (vgl.
»Smart Start« gemäß Kap. 4.3) sofort oder erst nach den Äußerungen der anderen Seite.
Erfahrungsgemäß wird ein Teil der Positionen/Forderungen ohne weiteres von der an-
deren Seite akzeptiert (Compliance). Insoweit kommt es also überhaupt nicht zu einer
Verhandlung im engeren Sinne. Ein anderer Teil der Mission bzw. der Positionen/For-
derungen löst demgegenüber Widerstand bei der anderen Seite aus.
Schritt Nr. 3 bezieht sich nun genau auf diejenigen Positionen/Forderungen, die
Widerstand auslösen. In Bezug auf diesen Widerstand wird der Professionelle Verhand-
lungsführer die »Weapons of Influence« einsetzen und versuchen, den Widerstand zu
überwinden.30 Zugleich muss er selbst die Beeinflussungen der anderen Seite abwehren,
indem er durch zahlreiche Time Outs sein Analytisches System II aktiviert.
Dieses dreistufige Verhaltensmuster, das auf dem BCSM beruht und jede professio-
nelle Verhandlungsführung prägt, wird hier kurz als »BMI-Konzept« bezeichnet; es ist
markenrechtlich geschützt31.
27 Kahnemann 2011.
28 Shell/Moussa 2008, S. 185 ff.
29 Kohlrieser 2006, S. 152.
30 Vgl. McMains/Mullins 2014, S. 261 ff.
31 »BMI« ist unter der Nr. 30 2015 012 119 als deutsche Marke eingetragen, Markeninhaber ist der Au-
tor.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden | 601
Teil
Die professionelle Vorbereitung jeder Verhandlung beginnt stets mit der Zusammen-
stellung eines Teams und der Aufteilung der Rollen entsprechend der FBI-Methoden.
In Bezug auf die Vorbereitung lautet die Best-Practice-Regel Nr. 1: »»A Team First«32.
Im Rahmen der Aufstellung des Teams bestimmt der Projekt-Manager zunächst den
Verhandlungsführer. Dieser hat dann die in nachfolgendem Kapitel 3.2 genannten Auf-
gaben.
Daneben bestimmt der Projekt-Manager Experten, die z. B. im Rahmen eines Unter-
nehmenskaufs die verschiedenen Teilbereiche der Due Diligence durchführen. Einige
wenige dieser Experten werden zudem Mitglied des Verhandlungsteams (z. B. Rechts-
anwälte).
Der Projekt-Manager kann zudem einen »Bad Guy«33 bestimmen, der an allen oder
nur an ausgewählten Verhandlungen teilnimmt. Der Bad Guy ist diejenige Person, die
Dinge machen darf, die dem Verhandlungsführer, also dem Good Guy (der für das Bon-
ding zuständig ist), verboten sind.
Der Bad Guy darf in der Verhandlung »unangenehm« auftreten, er darf »Klartext«
sprechen und »harte« Forderungen formulieren.
Kurzum: Der Bad Guy darf sich so verhalten, dass die andere Seite unmissverständ-
lich versteht, worauf es dem Projekt-Manager ankommt, ohne dass dadurch das Bon-
ding des Verhandlungsführers beeinträchtigt wird.
Schließlich kann der Projekt-Manager in Bezug auf besonders wichtige bzw. an-
spruchsvolle Verhandlungen einen weiteren Verhandler (in der Sprache des FBI »Se-
condary Negotiator«34) bestimmen, der sich ausschließlich auf das Active Listening
(Aktives Zuhören) konzentriert.
In Bezug auf den Rechtsanwalt ist sehr wichtig, dass der Projekt-Manager diesem
eine klare Rolle zuweist und die Einhaltung der Vorgaben kontrolliert: (i) Wenn der
Rechtsanwalt Verhandlungsführer und damit Good Guy ist, muss er das Bonding beherr-
schen und praktizieren; (ii) wenn er Bad Guy ist, darf er so auftreten, wie insbesondere
forensisch tätige Rechtsanwälte gerne auftreten: »hart und unangenehm«; (iii) wenn er
»nur« Experte ist, soll er nicht nur darüber dozieren, wie es nicht geht, er hat vielmehr
konstruktive Vorschläge zu unterbreiten und sich an der Mission des Projekt-Managers
zu orientieren. Rechtsanwälte, die zum Verhandlungsführer (also Good Guy) bestimmt
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werden und sich dann wie ein Bad Guy verhalten, agieren unprofessionell und gefähr-
den den Verhandlungserfolg. Nicht ohne Grund warnt der Verhandlungsexperte Roger
Dawson: »I’m not a big believer in having attorneys conduct a negotiation for you because
so few of them are good negotiators. […] Remember that in law school, they are not taught
how to make deals, only how to break deals«.35
Nachdem der Projekt-Manager das Verhandeln exklusiv auf den Verhandlungsführer de-
legiert hat, ist dieser während der gesamten Verhandlung der »Single Point of Contact«.36
Damit ist es die zweite Aufgabe des Projekt-Managers, selbst keinerlei Verhandlun-
gen zu führen.
Schon in den »FBI Guidelines« der 1990er Jahre wird unmissverständlich formuliert:
»The boss does not negotiate«.37 Oberste Maxime ist, dass derjenige, der entscheidet (in
der FBI Terminologie der »Decision Maker« oder »Commander«38), nicht selbst verhan-
delt.39 Umgekehrt darf der Verhandlungsführer (in der FBI Terminologie der »Primary
Negotiator«) nicht zugleich derjenige sein, der die Entscheidungen fällt.40
Die strikte Trennung hat insbesondere folgende Vorteile: Der Decision Maker, in
diesem Beitrag als »Projekt-Manager« bezeichnet, wird nicht unmittelbar durch das
Verhalten der anderen Seite beeinflusst, d. h. er erlebt weder den negativen emotionalen
Verhandlungsstress noch erlebt er unmittelbar die positive (emotionale) Beeinflussung
durch die andere Seite. Er kann somit – aufgrund der Distanz – reflektierte Entschei-
dungen fällen. Umgekehrt gerät der Primary Negotiator (Verhandlungsführer) niemals
unter Entscheidungsdruck, er kann/muss immer wieder auf ein Time Out drängen und
sich darauf berufen, dass er den Projekt-Manager um Zustimmung bitten muss, die
dieser erst kritisch abwägen wird.
Sollte der Projekt-Manager doch an den Verhandlungen teilnehmen müssen, weil
dies von der anderen Seite gefordert wird und nicht abgelehnt werden kann, so wird
der Projekt-Manager zwar präsent sein und sich gelegentlich im Konjunktiv äußern, der
Projekt-Manager wird seinen Verhandlungsführer jedoch weiterhin die Verhandlungen
führen lassen. Der Projekt-Manager wird sich dabei so verhalten, dass der Verhand-
lungsführer weiterhin als solcher wahrgenommen wird und so ein »Friendly Fire«41
(der Verhandlungsführer wird faktisch entmachtet und verliert unwiderruflich seine
strategische Rolle) vermeiden. In Bezug auf wichtige Entscheidungen wird auch der ver-
meintlich entscheidungsberechtigte Projekt-Manager auf ein »Gremium« bzw. »Board«
verweisen, das als »Ultimate Decision Maker« erst seine Zustimmung erteilen muss.
Die Best Practice »The boss does not negotiate« ist so zentral, dass sie auch umge-
setzt werden muss, wenn der Verhandlungsführer »eigentlich« alleine entscheidet. In
dieser Situation gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder der Verhandlungsführer »sucht«
35 Vgl. Dawson 1999, S. 132; vgl. auch www.schranner.com, News vom 18.06.2015, »Negotiation skills
for lawyers and managers – mandatory but underdeveloped«.
36 Vgl. Schranner 2011, S. 166 ff.
37 McMains/Mullins 2014, S. 21.
38 Vgl. Misino 2004, S. 15.
39 »Commanders and ultimate decision makers will not be negotiators« (Greenstone 2009, S. 7).
40 »The negotiator is NOT the decision maker. The decision maker is NOT the negotiator« (Misino 2004,
S. 16).
41 Vgl. Schranner 2011, S. 72, 166 ff.; zugleich das Thema der N-Conference 2013.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden | 603
Teil
jemanden, mit dem er seine endgültige Entscheidung abstimmt, z. B. einen Partner oder
Berater oder einen anderen Dritten, oder der Verhandlungsführer kreiert ein »One Man
Team«42, d. h. er erklärt gegenüber der anderen Seite, dass er derzeit keine endgültige
Entscheidung fällen will und zuerst nochmals eine Bedenkzeit benötigt; in dieser Be-
denkzeit »verwandelt« er sich zum Decision Maker und reflektiert – nach Aktivierung
des Analytischen Systems II – die Ergebnisse, die er zuvor – in der Rolle als Verhand-
lungsführer – erzielt hat.
Die dritte Aufgabe des Projekt-Managers ist die Entwicklung der Mission »Commander
sets the goal«.43 Dementsprechend analysiert er zunächst alle möglichen Optionen/Al-
ternativen (»Plan A«, »Plan B« usw.): »Never enter a negotiation without options«44; der
Verkäufer z. B. initiiert zu diesem Zweck typischerweise ein Auktionsverfahren. Dann
bestimmt der Projekt-Manager für jede einzelne Option die möglichen Sach-Themen
anhand eines möglichst umfangreichen Musters eines SPA.
Sodann bestimmt der Projekt-Manager – für jedes Sach-Thema – die Interessen »sei-
nes« Unternehmens sowie seinen Leverage45 (was will die andere Seite unbedingt von
uns?). Dabei hat er jeweils die restlichen Optionen/Alternativen im Auge. Aus einer
Gesamtabwägung von (i) Interessen, (ii) restlichen Optionen/Alternativen und (iii) Le-
verage entwickelt der Projekt-Manager für jede Option seine vorläufigen Positionen bzw.
Forderungen.
Im Rahmen eines »Role Reversal«46 schätzt der Projekt-Manager sodann für jede
Option (i) Positionen/Forderungen, (ii) Leverage, (iii) Optionen/Alternativen und (iv)
Interessen der anderen Seite ein.
Danach wird er für jede einzelne Option die eigenen vorläufigen Positionen/Forde-
rungen evtl. adjustieren.
Schließlich wird der Projekt-Manager für jedes Thema (z. B. Kaufpreis, Garantieer-
klärungen, Haftungsregime) drei Arten von Positionen ableiten: (1) Die »Reference Point
Position«, also diejenige Position, die der Verhandlungsführer tatsächlich erreichen soll,
(2) die »Maximum Plausible Position«, also diejenige Position, die gerade noch vertret-
bar ist, ohne unglaubwürdig zu wirken und schließlich (3) die »Walk Away Position«,
also diejenige Position, deren Unterschreiten bzw. Überschreiten dazu führt, dass der
Verhandlungsführer – nach einem Time Out und Rücksprache mit dem Projekt-Manager
– den Verhandlungstisch verlassen und eine der restlichen Optionen (z. B. den »Plan
B«) verfolgen muss.47
Die Positionen/Forderungen werden dann zunächst intern schriftlich dokumen-
tiert. Sie werden zudem – je nach Verhandlungsstadium – zu gegebener Zeit vom Ver-
handlungsführer auch gegenüber der anderen Seite schriftlich dokumentiert (als bloße
E-Mail, in einem Letter of Intent, in einem Vertragsentwurf, in einem Mark up zum
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Vertragsentwurf usw.). Diese Dokumente enthalten auch stets die erforderlichen Defi-
nitionen, die naturgemäß Gegenstand intensiver Verhandlungen sind.
Nach der Entwicklung der Mission in Bezug auf alle Themen des Projekts gibt der Pro-
jekt-Manager dem Verhandlungsführer die Details der Mission vor. Dies ist die vierte
Aufgabe des Projekt-Managers. Wenn möglich, sollte der Projekt-Manager nur so wenige
Informationen wie möglich, insbesondere nur die (zunächst hart zu vertretenden) Maxi-
mum Plausible Positions, mitteilen. Die Walk Away Positions sollte der Projekt-Manager
streng geheim halten48: Zum einen könnten diese Informationen »zufällig« an die andere
Seite kommuniziert werden, und zum anderen neigen Menschen dazu, sich an der Walk
Away Position zu orientieren, statt die enorme Motivationskraft der Maximum Plausible
Position zu nutzen.49
Weiterhin wird der Projekt-Manager dem Verhandlungsführer typischerweise gerin-
ge Verhandlungsspielräume einräumen und klarstellen, dass er im Übrigen ohne seine
Zustimmung keine Zugeständnisse erklären darf. Der Verhandlungsführer kann also
– ohne das Bonding zu gefährden – Positionen der anderen Seite abwehren, indem er
auf die Entscheidungen des Projekt-Managers (also des Decision Makers) verweist. Der
Projekt-Manager wird so zum »Bad Guy«, der im Rahmen von Time Outs immer wieder
zu konsultieren ist.
Die fünfte Aufgabe des Projekt-Managers besteht darin, sämtliche Informationen, die
er vom Verhandlungsführer im Verlauf des Projekts (während Time Outs) erhält, zu
bewerten und eventuell den Auftrag gemäß Kapitel 3.1.4 an die neuen Erkenntnisse im
Rahmen einer »Mission Control« anzupassen: »Finding out what the other side wants
is the negotiator’s job. Acting on it is the commander’s.«50 Schließlich wird der Pro-
jekt-Manager – einen positiven Verlauf der Verhandlungen unterstellt – dem Verhand-
lungsführer den Auftrag zur Unterzeichnung des endverhandelten Kaufvertrags sowie
eine entsprechende Vollmacht erteilen. Auch wenn die Vollmacht (im Außenverhältnis)
unbeschränkt ist, so bleibt es doch dabei, dass der Auftrag (im Innenverhältnis) limi-
tiert ist und Abweichungen von den zuletzt erzielten Ergebnissen dazu führen, dass der
Verhandlungsführer die Zustimmung durch den Projekt-Manager benötigt.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden | 605
Teil
be mentally and physically in the right place«.51 Die mentale Vorbereitung bezieht sich
auf die Aspekte Bonding (Nr. 1 und Nr. 2), Mission (Nr. 3 und Nr. 4), Influence (Nr.
5 und Nr. 6), Zeit (Nr. 7), Macht (Nr. 8), die Eröffnung (Nr. 9) und die Kernphase der
Verhandlungen, das Chaos (Nr. 10).
Diese Aspekte können wie folgt skizziert werden:
Nr. 1 (Bonding): Die andere Seite ist immer »Verhandlungs-Partner«52, niemals Ver-
handlungs-Gegner. Dies ist eine fundamentale Grundeinstellung, mit der der Professi-
onelle Verhandlungsführer in jede Verhandlung geht. Sie gilt jederzeit und unabhängig
davon, wie unsympathisch die andere Seite erscheint. Dementsprechend hat der Ver-
handlungsführer (mühsam) gelernt, zwischen Personen und Missionen zu differenzie-
ren: Er »kämpft« nur für seine Mission, er »kämpft« niemals gegen Personen.53
Nr. 2 (Bonding): Der Professionelle Verhandlungsführer verfügt über jederzeitige
Impulskontrolle. Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, er lässt sich niemals provo-
zieren, er bleibt stets cool. Er geht – entsprechend einer berühmten von Prof. Ury kre
ierten und vom FBI empfohlenen Metapher – in emotional herausfordernden Situationen
stets »auf den Balkon«: »Don’t react: Go to the Balcony«.54 Von dort schaut er sich das
Verhandlungsgeschehen von oben bzw. aus der Distanz an. In der Regel regt der Ver-
handlungsführer auch ein Time Out an, damit die Parteien getrennt voneinander »zur
Ruhe« kommen können.
Nr. 3 (Mission): Der Verhandlungsführer vertritt hochgradig motiviert die vom Pro-
jekt-Manager vorgegebene Mission und somit (i) in der ersten Phase der Verhandlung
(vgl. Kap. 5.1.) die Maximum Plausible Positions und (ii) in der dritten Phase der Ver-
handlung (vgl. Kap. 5.3) die vom Projekt-Manager vorgegebenen Positionen der jewei-
ligen Paket-Lösung (»Package Deal«).
Nr. 4 (Mission): Positionen/Forderungen des Verhandlungs-Partners werden – be-
wusst pointiert formuliert – nur als »Nebelkerzen« gesehen, die die eigene Orientierung
erschweren. Die Erfahrung zeigt: Nicht selten stellt sich in Bezug auf zahlreiche Forde-
rungen erst nach intensiver und professioneller Kommunikation (»Talk to me«) heraus,
dass man diese Forderungen einfach zunächst – vorschnell – selbst falsch verstanden
bzw. interpretiert hat. Der Professionelle Verhandlungsführer weiß, dass Menschen die
– angeblich objektiven – Fakten stets vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erwar-
tungen, also subjektiv bzw. höchstindividuell interpretieren, weshalb es keine zwei
Menschen geben kann, die ein- und dieselben Fakten identisch interpretieren.55 Es gilt
uneingeschränkt: »You and I do not see things as they are. We see things as we are.«56
Der Verhandlungsführer wird sich deshalb zunächst darum bemühen, die höchstin-
dividuelle Wirklichkeit der anderen Seite zu verstehen57 (vgl. Kap. 5.1). Zudem weiß
der Professionelle Verhandlungsführer ein »Nein« der Gegenseite richtig einzuordnen,
nämlich als bloße spontane Reaktion, nicht aber als »echte« Position: »No is a reaction,
not a position.«58
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59 Besonders empfehlenswert sind die von Ury in »Getting Past No« formulierten Fragen.
60 Misino 2004, S. 66. Vgl. auch S. 147.
61 Misino 2004, S. 50.
62 Vgl. Dawson 1999, S. 58.
63 Vgl. Misino 2004, S. 65 f.
64 Vgl. Misino 2004, S. 66, 147.
65 Greenstone 2009, S. 149, Rule 45.
66 Ury 2007, S. 49.
67 Vgl. Misino 2004, S. 130.
68 Greenstone 2009, S. 53.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden | 607
Teil
Ein Professioneller Verhandlungsführer setzt der anderen Seite nur Fristen (die mit
Konsequenzen verbunden werden), wenn er die angekündigten Konsequenzen auch zu
100 % umsetzt. Wenn er die angekündigten Konsequenzen nicht umsetzt, verhält sich
der Verhandlungsführer unprofessionell: Er hat sich selbst für den gesamten Rest der
Verhandlung unglaubwürdig gemacht.
Zudem wird die Frist als ein von »außen« kommendes, »nicht steuerbares« Ereignis
dargestellt. Es wird z. B. vorgebracht, dass der Ausschuss, der die Transaktion geneh-
migt, in zwei Wochen tagt und dann längere Zeit nicht entscheiden kann.
Nr. 8 (Macht): Nicht ohne Grund wird der Faktor »Macht« erst am Ende erwähnt.
Hier sollte uneingeschränkt der klaren Empfehlung des Experten Schranner gefolgt
werden: »Verzichten Sie auf die Einschätzung der Macht«.69
Die Erfahrung lehrt: Wenn man nach erfolgreichen Verhandlungen über mehr Infor-
mationen verfügt, erkennt man, wie selten die eigenen früheren Annahmen betreffend
die »Macht der anderen Seite« bzw. die eigene Macht zutreffend waren.
Aus diesem Grunde sollte man sich die zwei schweren Fehler in Bezug auf die Ein-
schätzung der Macht immer wieder vor Augen führen:
»1. Das Überschätzen der eigenen Macht
2. Das Unterschätzen der eigenen Macht«.70
Die eigene Macht beruht in Wirklichkeit alleine darauf, dass man die FBI-Methoden
kennt und beherrscht. So bleibt man immer im Driver Seat und steuert aktiv den Ver-
handlungsprozess.
Nr. 9 (Eröffnung): Der Professionelle Verhandlungsführer bereitet sich intensiv auf
den Einstieg in die Verhandlungen vor, indem er diesen Einstieg (vgl. Kap. 4) vor seinem
geistigen Auge ablaufen lässt: »Mental imagery and visualization techniques are the
hallmarks of high performing people, who see a clear picture in their minds of where
they want to go.«71
Nr. 10 (Chaos): Schließlich bereitet sich der Professionelle Verhandlungsführer inten-
siv auf das »Chaos« vor (vgl. Kap. 5) und lässt auch dieses vor seinem geistigen Auge
ablaufen, damit er dieses souverän gestalten kann: »This mental blueprint of what we
want to build, this inner picture of something that has not yet happened, will ultimately
guide the strategies and actions that will make our visions a reality.«72
Insgesamt gilt: »All high performers have a secret – they use their mind’s eye to focus
on the benefits and not the pain.«73
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4.2 Agenda
Es ist sehr sinnvoll und auch üblich, den jeweiligen Vertragstext, der allen Parteien
vorliegt, als Agenda zu verwenden. Die Erfahrung lehrt, dass im Falle der Erörterung
eines jeden einzelnen Punktes von Seite eins bis zur letzten Seite (»issue by issue«) des
vorliegenden Textes nicht selten »plötzlich« die Zeit für die wesentlichen Punkte (»Big
Points«) fehlt und beide Parteien vor dem Ende der aktuellen Verhandlungsrunde gar
nicht wissen, ob in Bezug auf diese »Big Points« überhaupt eine realistische Chance auf
eine Einigung besteht. Deshalb kann es sinnvoll sein, sich zu Beginn der Verhandlun-
gen darauf zu verständigen, während des vorhandenen Zeitrahmens (wer muss wann
die aktuelle Verhandlungsrunde verlassen?) sämtliche »Big Points« vorab zu diskutie-
ren, und zwar nur zu diskutieren, nicht mehr! Lösungen bzw. Konzessionen sind einer
separaten, späteren prozess-taktischen Phase vorbehalten (vgl. dazu Kap. 5.3).
74 Vgl. www.schranner.com, News vom 15.07.2015, »10 myths about negotiations that lead to a dis
appointing outcome«.
75 Cialdini 2007, S. 1 ff.
76 Cialdini 2007, S. 167 ff.
77 Vgl. www.schranner.com, Blog vom 26.08.2014, »Die erste Minute eines Gesprächs«.
78 Vgl. www.schranner.com, Blog vom 29.08.2014, Interview mit Gary Noesner.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden | 609
Teil
4.3.1 Eröffnung durch die Gegenseite und Ablehnung des ersten Angebots
Es ist ratsam, den anderen eröffnen zu lassen (»You go first«79); dies ist die Kernaussage
der »Never Open Rule«.80 Dies gilt (i) sowohl für den Beginn der Verhandlungen (ii) als
auch für die Fortführung von Gesprächen nach einer Verhandlungspause (Time Out), in
der beide Seiten isoliert und jeweils intern Gedanken (Gedanken des Analytischen Sys-
tems II) ausgetauscht haben. Dies gibt dem eigenen Team den Vorteil, Informationen zu
sammeln und auszuwerten, insbesondere in Bezug auf die Interessen, die Optionen und
den Leverage des Verhandlungs-Partners. Wenn dies gelingt, der Verhandlungs-Partner
also eröffnet, beginnt der Professionelle Verhandlungsführer »plangemäß« mit dem Ac-
tive Listening (Aktives Zuhören) gemäß Kapitel 5.1.1.
Die Eröffnung durch den Verhandlungs-Partner sollte gemäß der Regel »Never say yes
to the first offer«81 mit einer professionellen Ablehnung82 des ersten Angebotes beant-
wortet werden. Diese taktische Maßnahme verhindert eine Verärgerung des Verhand-
lungs-Partners. Im Falle einer raschen Zustimmung könnte der Verhandlungs-Partner
entweder verärgert annehmen, dass er zu wenig gefordert und nicht gut genug verhan-
delt hat oder er könnte skeptisch annehmen, dass »etwas nicht stimmt«, wenn die ande-
re Partei zu schnell nachgibt. Zudem eröffnet diese taktische Maßnahme Verhandlungs-
spielraum, wenn jede Partei den Aspekt auf ihre jeweilige Offene Punkte Liste setzt.
Sollte die Eröffnung durch die Gegenseite nicht erreichbar sein, weil die andere Seite
sich geschickt »weigert«, die Verhandlungen zu eröffnen, so muss der Verhandlungsfüh-
rer aktiv eröffnen. In diesem Fall startet der Professionelle Verhandlungsführer mit den
sog. I-Statements (Ich-Botschaften), so wie in Kapitel 5.1.2 skizziert. Zudem sollten zwei
Regeln beachtet werden: Erstens sollte die eröffnende Partei unbedingt mehr fordern
als sie tatsächlich erwartet und dies auch plausibel begründen können, also die – in
der Vorbereitung vom Decision Maker (Projekt-Manager) vorgegebene – »Maximum
Plausible Position«83 vertreten: »Ask for more than you expect to get.«84 Diese taktische
Maßnahme kreiert Verhandlungsspielraum, verhindert so zugleich den »Deadlock« und
führt zu großer Zufriedenheit des Verhandlungs-Partners, wenn er von der Maximum
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Plausible Position etwas »wegverhandeln« kann. Dementsprechend lautet die Regel Nr.
7 der FBI-Guidelines aus den 1980er Jahren: »Start bidding high to give yourself room
to negotiate (ask for all the hostages)«.85
Die Maximum Plausible Position ist zugleich ein »bewusster Anker«86 (eine Waffe
der Beeinflussung) und damit Bestandteil der Influence. Immer, wenn Menschen etwas
schätzen (die Höhe eines Preises für eine Immobile, die Höhe der Miete für eine Woh-
nung, das Alter einer Sache usw.), dann sucht das Gehirn stets nach einem – bekann-
ten – Vergleichswert bzw. Referenz-Punkt.87 Wenn eine Maximum Plausible Position
genannt wird, stellt diese ab sofort den vorgegebenen Referenz-Punkt bzw. Anker dar
und zwingt den Verhandlungs-Partner dazu, in den Kategorien »zu hoch« oder »zu
niedrig« zu adjustieren. Dies ist eine klassische Aktivität des Intuitiven Systems I (vgl.
Kap. 2.3). Gegen einen Anker wehren kann man sich nur durch die Aktivierung des
Analytischen Systems II: Pause machen und intensiv darüber nachdenken, ob man die
Maximum Plausible Position als Anker, von dem aus man adjustiert, akzeptiert. Wenn
man den Anker nicht akzeptiert, sollte man dies auch deutlich zum Ausdruck bringen.88
Zweitens sollte die Maximum Plausible Position grundsätzlich niemals mit der At-
titüde »take it or leave it« vertreten werden89, vielmehr sollte eine Verhandlungsbereit-
schaft signalisiert werden, die jedoch einer eigenständigen Phase vorbehalten bleibt
(Concessions Package Procedure, vgl. Kap. 5.3). »Take it or leave it« kann man sich nur
erlauben, wenn weder der Deal noch die dauerhafte Beziehung von Bedeutung sind
(»one shot deal »).90
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»Analyse Open Points« lautet die wesentliche Aktivität und das Ziel der ersten pro-
zess-taktischen Phase.
»Break 4 Change« ist die Bezeichnung der zweiten prozess-taktischen Phase, sie ist
geprägt von einem fundamentalen »Umdenken«.
»Concessions Package Procedure« ist die letzte prozess-taktische Phase der Verhand-
lungen, hier steht das Schnüren des Verhandlungs-Pakets (Concessions Package bzw.
Package Deal) im Vordergrund.
In jeder der drei prozess-taktischen Phasen wendet der Professionelle Verhandlungs-
führer das verhaltens-taktische BMI-Konzept (vgl. Kap. 2.4) an.
92 Das »Position Bargaining« prägt auch bei polizeilichen Krisenverhandlungen die frühe Phase (vgl.
McMains/Mullins 2014, S. 137).
93 Vgl. Vecchi/van Hasselt/Romano 2005, S. 533, 541.
94 »Put yourself in the perpetrator’s shoes« (Bolz/Hershey 1995, S. 153).
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von mehr als 50 % geführt haben (sog. »Concept 51«)95, ist Schritt Nr. 1 (vorerst) erfolg-
reich abgeschlossen.
Schritt Nr. 2 (das Vertreten der eigenen Mission) und Schritt Nr. 3 (die Ausübung/
Abwehr von Influence) sind dann Bestandteil derjenigen I-Statements, die nach Vollen-
dung des Schrittes Nr. 1 formuliert werden.
Im Ergebnis geht es darum, möglichst viele Fragen zu stellen und zuzuhören (»Talk to
me«).
Das Zuhören hat zwei Effekte: Zum einen wird eine Beziehung aufgebaut (Bonding),
zum anderen erhält der Verhandlungsführer viele wertvolle Informationen in Bezug auf
die Mission (Interessen, Optionen, Leverage, Positionen) des Verhandlungs-Partners,
insoweit ist die Hauptintention die Beantwortung der allerwichtigsten Frage in jeder
Verhandlung: »What exactly is it you want?«98
Es ist erstaunlich, wie leicht man Verhandlungen »im Griff« behält, wenn man die
vom FBI entwickelten taktischen Maßnahmen beherrscht, was jedoch sehr viel Übung
voraussetzt. So resümiert auch der ehemalige Chief Negotiator des FBI, Gary Noesner,
in Bezug auf seine Ausbildung beim FBI: »I was deeply impressed by the power of the
simple communications techniques being taught.«99
Das Active Listening ist insbesondere geprägt von (i) zahlreichen offenen Fragen
(sog. W-Fragen), (ii) der Zusammenfassung der Inhalte und der emotionalen Bewertun-
gen des Verhandlungs-Partners (sog. »Summarizing«): »Wenn ich Sie richtig verstehe,
lehnen Sie die zahlreichen Garantieerklärungen ab, weil sie glauben, dass diese nur
dazu dienen sollen, Sie später haftbar zu machen. Das ärgert Sie«.
Zudem legt der Verhandlungsführer immer wieder bewusst kurze Pausen ein und
schweigt (»Effective Pauses«), um so dem Verhandlungs-Partner weiterhin die Möglich-
keit zu geben, sich mitzuteilen bzw. Informationen preiszugeben.
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Teil
5.1.2 I-Statements
Immer dann, wenn der Professionelle Verhandlungsführer (in den restlichen 10 % der
Verhandlungszeit) sich zu Wort meldet, formuliert er sog. I-Statements (Ich-Botschaf-
ten). Diese sind weniger streitanfällig, denn über persönliche Erfahrungen/Meinungen
lässt sich nicht »objektiv« diskutieren.
I-Statements weisen folgende Eigenschaften auf:
• sie beginnen mit dem Wort »ich«: »Ich denke …, ich bin der Meinung …«;
• sie enthalten kein »Ja« und kein »Nein«, sondern die Begriffe »interessant« oder
»schwierig«;101
• sie werden im Konjunktiv formuliert, um frühe Festlegungen zu vermeiden;102
• sie enthalten den Hinweis: »Ich verstehe Sie« (Empathie) und zeigen, dass der Pro-
fessionelle Verhandlungsführer sich in die andere Seite hineinversetzen kann; und
• sie haben in der prozess-taktischen Phase »Analyse Open Points« die jeweilige Ma-
ximum Plausible Position (Mission) zum Inhalt und werden gegebenenfalls – wenn
nicht sofort eine Compliance erkennbar ist – mit den »Waffen der Beeinflussung«
(Influence) übermittelt (Schritte 2 und 3 gemäß Kapitel 5.1).
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»Dynamic Inactivity« geprägt.106 Kurzum: Die Auffassung, wonach Time Outs die Ver-
handlungen verzögern, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall.
Das »Position Bargaining« wird so lange fortgesetzt, bis der Verhandlungsführer alle
Offenen Punkte erkannt und analysiert hat. Dies kann – je nach Projekt – nach dem
ersten Meeting der Fall sein, kann aber auch Wochen oder Monate in Anspruch nehmen.
Ob die Liste vollständig ist, wird typischerweise durch Abstimmung mit dem Ver-
handlungs-Partner geklärt: »Wir haben ja sehr viele Gemeinsamkeiten und sind auch
gemeinsam auf dem richtigen Weg. Lassen Sie uns bitte die Offenen Punkte abstimmen,
damit wir beide wissen, in Bezug auf welche Aspekte wir nun gemeinsam ein Paket
schnüren wollen.«
Das (frühzeitige) Aufgeben/Nachgeben von Positionen ist ein (leider häufiger) Kar-
dinalfehler. Die einzige Konzession, die ein Professioneller Verhandlungsführer schon
zu Beginn der Verhandlung macht, ist schnell skizziert: »Aktives Zuhören« bzw. Active
Listening: »Listening is the cheapest, yet most effective concession we can make.«107
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden | 615
Teil
Es ist erstaunlich, wie häufig in der Praxis – nach dem offenen Dialog in Bezug auf
die jeweiligen Interessen – zumindest in Bezug auf einzelne Aspekte des Verhand-
lungs-Pakets »Orangen-Deals« geschlossen werden.
Auch wenn der Orangen-Deal nur ein Ideal aus dem Lehrbuch ist, so ist es dennoch
richtig und wichtig, sich an den Grundgedanken zu orientieren und so in der »Break 4
Change« ein Paket-Vorschlag zu entwerfen, der möglichst die allerwichtigsten eigenen
Interessen und auch die wichtigsten Interessen des Verhandlungs-Partners wahrt.
Neben den Interessen sind natürlich auch die Aspekte (i) Optionen/Alternativen und
(ii) Leverage in Bezug auf alle Parteien zu berücksichtigen.
Das Ergebnis der »Break 4 Change« sind intern diskutierte Paket-Lösungen, die die
eigenen wichtigsten Interessen möglichst weitgehend wahren. Die wichtigsten Interes-
sen sollten nicht preisgegeben werden.
Kurzum: Vor der Break 4 Change gilt: »Position Bargaining«. Nach der Break 4 Ch-
ange gilt genau das Gegenteil: »Go for interests, avoid positions«.110
Nach jedem Time Out und damit auch nach der »Break 4 Change« gelten die Re-
geln des Smart Start, d. h. der Professionelle Verhandlungsführer lässt den Verhand-
lungs-Partner zuerst sein Paket vorstellen. Notfalls eröffnet er selbst mit einem Pa-
ket-Vorschlag, das die eigenen Interessen optimal wahrt.
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das »Concept 51« eingehalten wird und damit das Fundament jeder Verhandlung (51 %
Trust) gegeben ist.
Die Mission ist nun das vom Projekt-Manager vorgegebene Verhandlungs-Paket (in-
teressenbezogene Lösung an Stelle von »Position Bargaining«).
Nr. 4: Es gibt kein Zugeständnis ohne ein Zugeständnis des Verhandlungs-Partners,
es gilt uneingeschränkt: »Something for something«.112
Nr. 5: Jede Einzellösung steht unter dem Vorbehalt der Einigung auf ein Verhand-
lungs-Paket: Jede Abweichung vom vorliegenden Verhandlungs-Paket führt dazu, dass
alle Punkte wieder offen sind; dies sollte auch ausdrücklich immer wieder – monoton
– hervorgehoben werden: »No issue is closed until all issues have been decided.«113 Nur
so schützt man sich vor dem ständigen Nachverhandeln, dem »Nibbling«114.
Nr. 6: Der »Orangen-Deal« gilt als motivierendes »Wunsch-Ziel«: Optimal ist das Pa-
ket, wenn der Verhandlungsführer möglichst unwichtige Punkte »hergibt«, dafür aber
für seinen Projekt-Manager wichtige Punkte erhält: »Make big moves on your »little«
(less important) issues and little moves on your »big« (most important) issues.«115 Dabei
sollte bei jeder Konzession hervorgehoben werden, wie schmerzhaft diese ist.
Nr. 7: Time Out: Der Verhandlungsführer sollte regelmäßig Time Outs anregen, um
ein »Festfahren« der Verhandlungen zu vermeiden.
Nr. 8: Das Protokoll: Jedes Paket wird protokolliert und enthält Erläuterungen betref-
fend die ursprüngliche Offene Punkte Liste (»Keep a log of all concessions«).116
Nr. 9: Das Protokoll wird mündlich besprochen und nach der Verhandlungsrunde
per E-Mail ausgetauscht, mit der Bitte um Mitteilung, ob das eigene Protokoll auch vom
Verhandlungs-Partner akzeptiert wird.
Nr. 10: Neue Offene Punkte führen immer dazu, dass das zuletzt verhandelte Paket
nicht mehr »bindend« ist, es beginnt wieder mit einem Time Out, in dem nun die er-
weiterte Offene Punkte Liste erörtert wird. Der »Verhandlungskreis«117 bzw. der »Kreis-
verkehr«118 beginnt erneut: »Never make a concession without linking it to a mutual
concession from the other party«.119
112 Misino 2004, S. 123: »Successful negotiations are two-sided, mutual benefit operations«.
113 Shell 2006, S. 169.
114 Dawson 1999, S. 86.
115 Shell 2006, S. 169.
116 Greenstone 2009, S. 54.
117 Vgl. Kunkel et al. 2006, S. 146.
118 Vgl. Kunkel et al. 2006, S. 145.
119 Shell 2006, S. 169.
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IV. Komplexe Verhandlungen: Die Best Practice unter Berücksichtigung der FBI-Methoden | 617
Teil
wiedergibt. Dies kann je nach Stand der Verhandlungen eine bloße E-Mail, ein Letter
of Intent (LoI), ein Mark up zu einem LOI, ein Vertragsentwurf, ein Mark up zu einem
Vertragsentwurf, eine isolierte Offene Punkte Liste oder ein isoliertes Paket sein. Zu-
gleich wird die nächste Verhandlungsrunde terminiert, in der die »Missverständnisse«,
die sich (erfahrungsgemäß praktisch immer) aus dem schriftlichen Dokument ergeben,
besprochen werden. Dieses Vorgehen wiederholt sich dann bis zum Signing.
7 Zusammenfassung
Zusammenfassend kann festgehalten werden:
Die FBI-Methoden sind eine unverzichtbare Grundlage für jeden, der professionell
verhandeln will.
Jede Vorbereitung beginnt mit der Aufstellung eines Teams. Der Projekt-Manger
(Decision Maker) hat 5 Aufgaben, vor allem bestimmt er die Mission. Zudem gilt un-
eingeschränkt: er darf nicht verhandeln.
Der Verhandlungsführer (Primary Negotiator) verhandelt die vom Projekt-Manager
vorgegebene Mission. Der Verhandlungsführer hat 10 Regeln zu beachten, die seine
mentale Einstellung prägen.
Der Einstieg in jede Verhandlungsrunde erfolgt grundsätzlich nach demselben Sche-
ma (Small Talk, Agenda, Smart Start).
Das Chaos, also die Kernphase jeder Verhandlung, kontrolliert der Professionelle
Verhandlungsführer mit zwei Konzepten, um so seine Mission zu erreichen.
In Bezug auf den Prozess gilt das hier entwickelte rein prozess-taktische ABC-Kon-
zept. Analyse Open Points beginnt mit der Ermittlung der Offenen Punkte (Open Points-
und endet, wenn – zumindest vorerst – eine Offene Punkte Liste erstellt ist. Bis dahin
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dominiert das »Position Bargaining«. In der Break 4 Change-Phase stellt der Verhand-
lungsführer seine Strategie um. Er verabschiedet sich vom »Position Bargaining« und
denkt in Paketen, die wiederum interessenbezogene Lösungen enthalten. Er lässt sich
die möglichen Paket-Lösungen vom Projekt-Manager genehmigen. Danach beginnt das
»Concessions Package Procedure«. Hier werden Paket-Vorschläge ausgetauscht. Schließ-
lich wird ein Package Deal vereinbart, der zu einem Signing und Closing führt.
In Bezug auf sein Verhalten wendet der Professionelle Verhandlungsführer in je-
der der vorbezeichneten drei prozess-taktischen Phasen das hier entwickelte verhal-
tens-taktische BMI-Konzept123 an. In Schritt 1 baut er eine Beziehung zum Verhand-
lungs-Partner auf (Bonding) und erhält diese aufrecht. In Schritt 2 vertritt er die vom
Projekt-Manager vorgegebene Mission. Wenn und soweit der Verhandlung-Partner nicht
zustimmt, also keine Compliance zeigt, wird der Professionelle Verhandlungsführer die
taktischen Maßnahmen in Bezug auf die Influence einsetzen, also professionelle Über-
zeugungsarbeit leisten. Zugleich wird er die Influence durch den Verhandlungs-Partner
(insbesondere durch Time Outs) abwehren.
Dabei wird der Professionelle Verhandlungsführer zu 90 % zuhören und in den rest-
lichen 10 % der Zeit I-Statements abgeben, um die Beziehung aufzubauen/aufrechtzuer-
halten bzw. möglichst viel über die Interessen des Verhandlungs-Partners zu erfahren.
Das Zuhören (Active Listening) ist dabei die Grundlage für alle anderen Fähigkeiten
eines Professionellen Verhandlungsführers. 124
Insgesamt ist es somit stets die vorrangige Aufgabe des Professionellen Verhand-
lungsführers, das Motto des Hostage Negotiation Teams des NYPD zu beachten: »Talk
to me«.125
Literatur
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Team and the Man who Leads it. Rawson Associates, New York, 1995.
Cialdini, R. (2007): Influence: The Psychology of Persuasion. William Morrow & Company, New York,
2007.
Cohen, H. (1982): You can negotiate anything. Lyle Stuart, New York, 1982.
Dawson, R. (1999): Secrets of Power Negotiating. 2. Aufl., Career Press, Pompton Plains, 1999.
Dobelli, R. (2011): Die Kunst des klaren Denkens: 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen.
Hanser, München, 2011.
Felser, G. (2007): Werbe- und Konsumentenpsychologie. 3. Aufl., Springer, Berlin Heidelberg, 2007.
Fisher, R./Ury, W./Patton, B. (2002): Das Harvard-Konzept, sachgerecht verhandeln, erfolgreich ver-
handeln. 21. Aufl., Campus Fachbuch, Frankfurt/New York, 2002.
Greenstone, J. L. (2009): The Elements of Police Hostage and Crisis Negotiations. Routledge, London/
New York, 2009.
Häusel, H.G. (2012): Neuromarketing. 2. Aufl., Rudolf Haufe Verlag, Freiburg, 2012.
Kahnemann, D. (2011): Thinking, Fast and Slow. Penguin Books, New York, 2011.
Kohlrieser, G. (2006): Hostage at the Table. Jossey Bass, San Francisco, 2006.
Kunkel, A./Bräutigam, P./Hatzelmann, E. (2006): Verhandeln nach Drehbuch. Redline Wirtschaft,
Heidelberg, 2006.
McMains, M./Mullins, W. (2014): Crisis Negotiations. 5. Aufl., Routledge, New York, 2014.
123 »BMI« ist unter der Nr. 30 2015 012 119 als deutsche Marke eingetragen, Markeninhaber ist der
Autor. Das BMI-Konzept beruht auf dem vom FBI entwickelten Behavioral Change Stairway Model.
124 Thompson/McGowan 2014, S. 3.
125 Thompson/McGowan 2014, S. 3.
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Teil
V. Entwicklungen im schweizerischen
Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht
Urs Schenker*
1 Einleitung
2 Fusionsgesetz
2.1 Fusionen
2.2 Spaltung
2.3 Vermögensübertragung
3 Aktienrecht
3.1 Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates für Transaktionen
3.2 Vergütungsverordnung (VegüV)
4 GmbH-Recht
1 Einleitung
Im schweizerischen Gesellschaftsrecht haben sich in den letzten fünfundzwanzig Jah-
ren einige Änderungen ergeben, welche sich auch auf die M & A-Praxis auswirken. Die
wichtigste Neuerung war das Fusionsgesetz (FusG), das im Jahr 2004 in Kraft trat und
Umstrukturierungstransaktionen regelt. Im Aktienrecht ist es seit der letzten »großen«
Revision von 1992 nur zu punktuellen Änderungen gekommen, die keinen wesentlichen
Einfluss auf die M & A-Praxis haben. Die Vergütungsverordnung (»Verordnung gegen über-
mässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften«; VegüV), welche gestützt
auf den neuen Art. 95 Abs. 3 BV (»Minder-Initiative«) per 1. Januar 2014 in Kraft gesetzt
wurde, beeinflusst dagegen die finanziellen Anreize, welche kotierte Gesellschaften ihren
Geschäftsleitungsmitgliedern im Zusammenhang mit Verkaufstransaktionen gewähren
können, und hat so mindestens indirekt einen Einfluss auf M & A-Transaktionen.
2 Fusionsgesetz
Das Fusionsgesetz, in Kraft seit 1. Juli 2004, regelt Fusionen, Spaltungen, Umwandlun-
gen und Vermögensübertragungen. Interessant an diesem Gesetz ist, dass es rechts-
formübergreifend Geltung hat und derartige Transaktionen bei Personengesellschaften
∗ Dr. Urs Schenker, Rechtsanwalt, Senior Counsel, Walder Wyss AG, Zürich. Der Autor bedankt sich
bei MLaw Nadja Al Kanawati, die das Manuskript kritisch durchgelesen hat und bei der Erstellung
der Fußnoten behilflich war.
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des OR sowie bei den juristischen Personen des OR und des ZGB regelt.1 Ziel des Fu-
sionsgesetzes ist es, Umstrukturierungen zu erleichtern und gleichzeitig den Schutz
der Stakeholder, d. h. der Aktionäre, Gläubiger und Arbeitnehmer, sicherzustellen.2 Bei
der konkreten Ausarbeitung des Gesetzes kam dann allerdings dieser Schutzgedanke
wesentlich stärker zum Tragen als die Idee, Transaktionen zu erleichtern. Dies führte
im Endeffekt zu einer Überregulierung von Umstrukturierungstransaktionen, weshalb
Transaktionen nach dem Fusionsgesetz nicht besonders attraktiv sind und die Parteien
deshalb in der Praxis häufig Alternativen wählen, um mit ähnlichen Transaktionen
außerhalb des Fusionsgesetzes die gleichen wirtschaftliche Ziele zu erreichen.3
Das Fusionsgesetz regelt verschiedene Vorgänge, die für M & A-Transaktionen von
wesentlicher Bedeutung sind.
2.1 Fusionen
Das Fusionsgesetz regelt in Art. 3 ff. FusG Fusionen, bei denen zwei Gesellschaften
zu einer neuen Gesellschaft zusammengeschlossen werden und die Aktionäre beider
Gesellschaften Aktien der neuen Gesellschaft erhalten,4 oder aber eine Gesellschaft die
andere übernimmt und neue Aktien an deren Aktionäre ausgibt.5 Eine derartige Absorpti-
onsfusion ist dann eine Alternative zu einem Unternehmenskauf, wenn der Erwerbspreis
in Aktien der übernehmenden Gesellschaft abgegolten werden soll.6 Die Fusion hat in
diesem Sinne die gleiche wirtschaftliche Funktion wie ein Aktientausch.7 Ein Vorteil der
Fusion gegenüber dem Aktientausch ist aber, dass die übernehmende Gesellschaft 100 %
der Zielgesellschaft übernehmen kann, wenn 2/3 der bei der betreffenden Generalver-
sammlung vertretenen Aktienstimmen und die absolute Mehrheit des vertretenen Ak-
tiennennwertes der Fusion zustimmen.8 Beim Aktientausch ist dagegen eine 100%-ige
Übernahme nur möglich, wenn jeder einzelne Aktionär der Zielgesellschaft mit dem
Erwerber einen Vertrag über den Tausch seiner Aktien abschließt – beim Aktientausch
ist gegenüber Minderheiten kein Zwang möglich.9 Damit eignet sich die Fusion vor al-
lem dann zur Übernahme eines Unternehmens, wenn damit zu rechnen ist, dass eine
Minderheit der Aktionäre ihre Aktien nicht verkaufen bzw. tauschen wird, der Erwerber
aber unbedingt 100 % der Aktien erwerben möchte.
Problematisch an der Fusion ist allerdings der Umstand, dass das Fusionsgesetz
ein dichtes Regelwerk vorsieht, welches das Fusionsverfahren komplex und langwierig
macht:10
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• Das Fusionsgesetz sieht für Vorbereitung und Vollzug einer Fusion relativ aufwen-
dige Schritte vor:11 Gemäß Art. 12 FusG muss zwischen den Verwaltungsräten der
beteiligten Gesellschaften zunächst ein Fusionsvertrag abgeschlossen werden, der
den in Art. 13 FusG aufgeführten Mindestinhalt aufweisen muss.12 Über die im
Vertrag vereinbarte Fusion müssen dann die Verwaltungsräte der beiden beteiligten
Gesellschaften gemäß Art. 14 FusG je einen Fusionsbericht verfassen, in dem sie
ihren Aktionären die Fusion und vor allem auch das Austauschverhältnis erläutern
und aus rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht begründen.13 Fusionsvertrag und Fu-
sionsbericht sowie die Berechnung des Austauschverhältnisses müssen dann von
einer Revisionsstelle in einer speziellen Fusionsprüfung geprüft werden.14 Erst wenn
Fusionsvertrag, Fusionsbericht und Prüfungsbericht sowie die Jahresrechnung und
Jahresbericht den Aktionären gemäß Art. 16 FusG zur Einsicht vorgelegt worden
sind, kann nach einer Frist von 30 Tagen an einer Generalversammlung über die
Fusion entschieden werden.15
• Die übernehmende Gesellschaft muss die Forderungen der Gläubiger beider Gesell-
schaften sicherstellen, wenn diese innerhalb von drei Monaten nach der Eintragung
der Fusion eine Sicherstellung verlangen und die Gesellschaft nicht nachweisen
kann, dass die Erfüllung der Forderungen durch die Fusion nicht gefährdet wird.16
Dieses Recht haben gemäß Art. 27 Abs. 2 FusG auch Arbeitnehmer.
• Die in Art. 105 FusG vorgesehene Überprüfungsklage ermöglicht es jedem Aktionär
einer der beteiligten Gesellschaften, beim Gericht die Überprüfung der Angemessen-
heit des Austauschverhältnisses zu verlangen.17 Obsiegt ein Aktionär in diesem Ver-
fahren, so muss nicht nur ihm, sondern allen Aktionären, die vor der Fusion an der
gleichen Gesellschaft wie der Kläger beteiligt waren, ein Ausgleichsbetrag bezahlt
werden.18 Eine derartige Klage ist für den Aktionär relativ attraktiv, da die Kosten
des Verfahrens gemäß Art. 105 Abs. 3 FusG grundsätzlich von der Gesellschaft zu
bezahlen sind. Diese Kostenfreiheit ist in der Gerichtspraxis aber insofern relativiert
worden, als ein Kläger, der gegen einen erstinstanzlichen Entscheid Rechtsmittel er-
greift, vor der Rechtsmittelinstanz nicht mehr kostenfrei prozessieren kann.19 Weiter
ist das Verfahren nicht kostenfrei, wenn der Kläger seine Aktien in einem Zeitpunkt
gekauft hat, in dem die vorgesehene Abfindung bereits bekannt war, da dann an-
zunehmen ist, dass er seine Aktien zum Zweck der Klageerhebung erworben hat.20
Damit haben die Gerichte vernünftigerweise »Berufsklägern«, die bewusst Prozesse
suchen,21 die kostenfreie Prozessführung verunmöglicht.
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• Da die betroffene Gesellschaft bei einem Erfolg der Klage einer großen Zahl von
Aktionären eine Ausgleichszahlung leisten muss, kann die Überprüfungsklage zu
einem sehr hohen Mittelabfluss führen. Wird eine Klage eingereicht, so schwebt
daher während der ganzen Verfahrensdauer das Risiko eines erheblichen Mittelab-
flusses über der Gesellschaft, was sowohl die Geschäftstätigkeit wie aber vor allem
auch eine Finanzierung erschweren kann.22 Immerhin haben sich die Gerichte –
analog zur »Business Judgment Rule« bei Verantwortlichkeitsklagen – eine gewisse
Zurückhaltung beim Eingriff in Austauschverhältnisse auferlegt, soweit die Fusion
zwei voneinander unabhängige Unternehmen betrifft und beim Entscheidungspro-
zess Interessenkonflikte vermieden worden sind.23 Die Gerichte gehen davon aus,
dass eine Korrektur des Austauschverhältnisses im Sinne einer Überprüfungsklage
in diesen Fällen nur möglich ist, wenn die Parteien die Grenzen des Ermessens in
willkürlicher Weise überschritten haben, d. h. sich das Austauschverhältnis nicht
mehr rechtfertigen lässt.24 Eine etwas härtere Praxis lässt sich bei Squeeze-out-Fu-
sionen feststellen, bei denen die übernehmende Gesellschaft schon vor der Trans-
aktion über 90 % der Aktien der übertragenden Gesellschaft hält und die Aktionäre
in bar abgefunden werden – in diesen Fällen kann das Gericht einen gerichtlichen
Gutachter mit der Bewertung der Gesellschaften beauftragen und auf der Basis des
entsprechenden Gutachtens frei überprüfen, ob das Austauschverhältnis angemessen
ist.25 Die genauere Kontrolle derartiger Fusionen ist m. E. gerechtfertigt, da bei einer
derart starken Beherrschung der begründete Verdacht besteht, dass der Hauptaktio-
när beim Austausch seine eigenen Interessen optimiert.
22 Böckli 2009, § 3 N 23, der die Überprüfungsklage als »Damoklesschwert« bezeichnet; vgl. auch
Vogel/Heiz/Behnisch/Sieber 2012, Art. 105 N 18a.
23 Glanzmann 2014, N 790.
24 Vgl. BGer 4A_341/2011 vom 21.03.2012 E. 5.1.3; Glanzmann 2014, N 789 f. m. w. H.
25 Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 30.04.2014, E. II.8.2.2, ZR 113/2014, S. 195 ff.
26 Schenker 2007, S. 154; vgl. auch Tschäni/Diem/Iffland/Gaberthüel 2014, N 301 (zum Vergleich von
öffentlichen Kaufangeboten und Fusionen).
27 Glanzmann 2014, N 966; Jung 2014, S. 133.
28 Sofern es sich beim übertragenden Aktionär um eine natürliche Person handelt, welche die Aktien
steuerlich im Privat- und nicht im Geschäftsvermögen hält.
29 Mauerhofer 2009, S. 72 f.
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zeigt aber, dass die meisten Übernehmer, die Probleme, die mit einem gewissen Anteil
von Minderheitsaktionären verbunden sind, geringer einschätzen als die mit einer Fu-
sion verbundenen Aufwendungen und Risiken.
Fusionen können aber auch dazu dienen, in Konzernstrukturen bzw. nach dem Kauf
einer Mehrheitsposition Minderheitsaktionäre zu »beseitigen«. Besitzt die Muttergesell-
schaft zwei Drittel der Aktien der Zielgesellschaft, kann sie mit dieser Mehrheit eine
Absorptionsfusion durchsetzen, bei der sie die Zielgesellschaft übernimmt und die Min-
derheitsaktionäre Aktien der Muttergesellschaft erhalten. Wenn die Muttergesellschaft
über 90 % der Aktien der Zielgesellschaft hält, kann sie gemäß Art. 8 Abs. 2 FusG diese
Minderheitsaktionäre in der Fusion mit einem Barbetrag abfinden.30 In diesem Sinne
kann eine Fusion nach einem Kauf der Mehrheit der Aktien auch zum »Squeeze-out« der
Minderheitsaktionäre verwendet werden – eine Transaktionsvariante, die in den letzten
Jahren schon mehrfach durchgeführt wurde.31
2.2 Spaltung
Auch die in Art. 29 ff. FusG geregelte Spaltung kann zur Unternehmensübertragung
genutzt werden. Wenn eine Gesellschaft einen Bereich an ein anderes Unternehmen
überträgt und ihre Aktionäre dafür Aktien der übernehmenden Gesellschaft erhalten,
so kann dies als Abspaltung im Sinne von Art. 29 lit. b FusG strukturiert werden.32 Der
Ablauf der Spaltung und die Formalitäten sind ähnlich gestaltet wie bei der Fusion, was
auch bei der Spaltung zu einem relativ aufwendigen Verfahren führt.33
Hauptproblem der Spaltung ist allerdings, dass die an der Spaltung beteiligten Unter-
nehmen gemäß Art. 47 FusG solidarisch für alle Schulden der aufgeteilten Gesellschaft
haften.34 Diese zeitlich unbegrenzte Haftung kann gerade bei Ansprüchen aus Delikt
oder bei gesetzlich begründeten Verpflichtungen35 zu einem ernsten Problem werden,
da sie die Bilanz des abgespalteten Unternehmensteils bzw. der Gesellschaft, welche den
Unternehmensteil übernimmt, belasten können, auch wenn dieser Unternehmensteil
mit der betreffenden Verpflichtung sachlich nichts zu tun hat. Dies führt dazu, dass in
der Praxis die fusionsrechtliche Spaltung in M & A-Transaktionen kaum je verwendet
wird.36 Ihr Hauptanwendungsbereich sind interne Umstrukturierungen geblieben.
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2.3 Vermögensübertragung
Mit der Vermögensübertragung im Sinne von Art. 69 ff. FusG ermöglicht es das Fusi-
onsgesetz, die in einem Asset Deal verkauften Aktiven in einem einheitlichen Akt zu
übertragen.37 Trotz der Vorteile, die ein derartiges Vorgehen hat, wird die Vermögen-
sübertragung selten verwendet, da sie der Öffentlichkeit im Handelsregister vollum-
fänglich offengelegt werden muss38 und da Art. 75 FusG eine solidarische Haftung des
übertragenden Unternehmens für alle übertragenen Schulden vorsieht.39 Obwohl der
Gesetzgeber eigentlich das Ziel hatte, Betriebsübertragungen zu vereinfachen, gehen
Dauerschuldverhältnisse wie z. B. langfristige Liefer- oder Lizenzverträge im Rahmen
der Vermögensübertragung nicht ohne Weiteres auf den neuen Rechtsträger über.40
Selbst wenn ein Betrieb durch Vermögensübertragung transferiert wird, ist daher für
die Übertragung von Verträgen, die mit dem Betrieb zusammenhängen, immer die
Zustimmung der Gegenpartei des betreffenden Vertrages notwendig. In der Lehre wird
heute immer stärker die Meinung vertreten, dass langfristige Verträge mit der Ver-
mögensübertragung auch ohne Zustimmung der Gegenpartei auf die übernehmende
Gesellschaft übergehen. Diese Auffassung widerspricht aber der Diskussion bei der
Beratung des Gesetzes im Parlament41 und ist bis heute nie gerichtlich bestätigt worden.
Deshalb kann in der Praxis nicht empfohlen werden, sich auf die in der Lehre vertretene
Theorie zu verlassen. Bei der vorsichtigen Planung einer Transaktion müssen immer die
Zustimmungen der Gegenparteien eingeholt werden.
Dies führt in der Praxis zur Erkenntnis, dass die Vermögensübertragung gegenüber
der traditionellen Übertragung einzelner Aktiven keine Vorteile hat. Dementsprechend
werden auch nach Einführung des Fusionsgesetzes die meisten Asset Deals dadurch
vollzogen, dass die verkauften Aktiven einzeln übertragen werden und Schulden sowie
Verträge ebenfalls einzeln auf den Übernehmer transferiert werden, wobei für diese
Übertragung jeweils die Zustimmung der Gegenpartei eingeholt wird.
3 Aktienrecht
Die zahlreichen kleineren Änderungen, die das Aktienrecht in den letzten gut zwan-
zig Jahren erfahren hat, haben nur zum geringsten Teil einen direkten Einfluss auf
M & A-Transaktionen.42 In der Praxis ist es aber im Zusammenhang mit der Diskus-
sion über die Pflichten des Verwaltungsrates zu Veränderungen gekommen, die für
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den M & A-Bereich bedeutungsvoll sind. Durch die am 1. Januar 2014 in Kraft gesetzte
Vergütungsverordnung (VegüV; vgl. nachfolgend Kap. 3.2) kam es zu einer materiellen
Änderung des Aktienrechts für kotierte Gesellschaften. Diese Verordnung bezieht sich
zwar nicht auf M & A-Transaktionen, hat aber insofern Auswirkungen auf diese, als die
finanziellen Anreize beschränkt werden, die kotierte Gesellschaften ihren Geschäfts-
leitungsmitgliedern im Zusammenhang mit M & A-Transaktionen gewähren können.43
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Die Verantwortung des Verwaltungsrates führt aber nicht dazu, dass er für den kom-
merziellen Erfolg einer Transaktion haftet: Der Verwaltungsrat haftet nur bei einer
Pflichtverletzung wie insbesondere einer Verletzung der Sorgfaltspflicht.52 Kommt es
trotz sorgfältigem Handeln zu einem wirtschaftlichen Misserfolg, so muss dieser in ers-
ter Linie von den Aktionären und in zweiter Linie von den Gläubigern der Gesellschaft
getragen werden. Die Gerichte haben bei der Beurteilung in den letzten Jahren immer
wieder festgehalten, dass geschäftliche Entscheide stets aufgrund der Informationsla-
ge beurteilt werden müssen, die sich im Zeitpunkt präsentierte, in dem der Entscheid
gefällt wurde.53 Dementsprechend darf nicht einfach aus dem späteren geschäftlichen
Misserfolg der Schluss gezogen werden, dass der Geschäftsentscheid unsorgfältig war.
Bei der Beurteilung geschäftlicher Entscheide wollen die Gerichte auch nicht ihr eigenes
Ermessen an die Stelle des Ermessens des Verwaltungsrates setzen, sondern respektie-
ren den Ermessensspielraum, den der Verwaltungsrat bei seinen Entscheiden hat. In
diesem Sinne wird in der Gerichtspraxis heute die »Business Judgment Rule« beachtet –
wenn ein Verwaltungsrat ohne Interessenkonflikt und in einem sorgfältigen Verfahren,
d. h. unter Abwägung der Vor- und Nachteile und auf einer angemessenen Informations-
basis, einen Entscheid fällt, sind die Gerichte in der Beurteilung von Geschäftsentschei-
den zurückhaltend.54 Zur Haftung kann es dementsprechend nur kommen, wenn ein
unter diesen Umständen gefällter Entscheid als völlig abwegig erscheint. Beispielsweise
hatte das Zürcher Handelsgericht aufgrund einer derartigen Analyse festgestellt, dass
der Verwaltungsrat der SAirGroup (Holdinggesellschaft der Swissair Gruppe) für die Ak-
quisition der Air Littoral nicht haftbar ist, obwohl dieser Erwerb später zu erheblichen
Verlusten führte.55 Das Gericht kam zum Schluss, dass dem Verwaltungsrat im Entschei-
dungszeitpunkt Informationen vorlagen, die vernünftigerweise für den Entscheid über
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eine derartige Transaktion vorliegen müssen, insbesondere auch eine Due Diligence
durchgeführt worden war, deren Ergebnisse dem Verwaltungsrat vorgelegt wurden, und
dass der Verwaltungsrat auch vertieft über Vor- und Nachteile der Transaktion beraten
hatte.56 Damit stellte das Gericht fest, dass der Verwaltungsrat sorgfältig gehandelt
hatte und für den wirtschaftlichen Misserfolg seiner Entscheidung nicht verantwortlich
gemacht werden konnte.57
Wenn der Verwaltungsrat die Geschäftsführung im Sinne von Art. 716b OR auf ein
Geschäftsführungsorgan58 übertragen hat, so muss er bei M & A-Aktivitäten im Sinne
seiner Oberleitungs- und Oberaufsichtsfunktion59 sowie im Rahmen seiner Verantwor-
tung für die Finanzierung der Gesellschaft60 folgende Punkte beachten:
• Gesamtstrategie:
Der Verwaltungsrat legt gemäß Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 OR die Strategie des Unterneh-
mens fest und überwacht die Geschäftsleitungsorgane gemäß Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5
OR bei der Umsetzung dieser Strategie.61 Dementsprechend muss er sich vergewissern,
dass Akquisitionen und Devestitionen, welche die Geschäftsleitung durchführt, tat-
sächlich im Rahmen der vom Verwaltungsrat beschlossenen Strategie liegen.
• Finanzierungskonzept:
Gemäß Art. 716a Ziff. 3 OR muss der Verwaltungsrat im Zusammenhang mit seiner
Verantwortung für die Finanzierung des Unternehmens sicherstellen, dass das Un-
ternehmen eine Strategie verfolgt, die es mit seinen Mitteln auch tatsächlich finan-
zieren kann.62 In diesem Sinne muss der Verwaltungsrat sicherstellen, dass Unter-
nehmenskäufe die finanziellen Möglichkeiten der Gesellschaft nicht übersteigen, und
deshalb insbesondere die Finanzierung der Transaktion und die daraus resultierende
Belastung der Gesellschaft analysieren. Dies gilt nicht nur bei großen Einzeltransak-
tionen, sondern auch für das gesamte Finanzierungsvolumen, das anfällt, wenn eine
Gesellschaft eine Wachstumsstrategie verfolgt, die auf Unternehmenskäufen basiert
und deshalb systematisch eine grössere Anzahl von Akquisitionen tätigt.63
• Risikokontrolle:
Der Verwaltungsrat hat aufgrund seiner Oberaufsichtskompetenz die Verpflichtung,
die Risikosituation des Unternehmens zu beurteilen und zu steuern. Gemäß Art. 961c
Abs. 2 Ziff. 2 OR muss der Verwaltungsrat im Lagebericht über die Durchführung
dieser Risikobeurteilung informieren,64 was seine Pflichten in diesem Bereich unter-
streicht.65
Die Pflicht zur Risikobeurteilung und -steuerung gilt auch für Akquisitionen. Ei-
nerseits muss der Verwaltungsrat sicherstellen, dass sich das Risikoprofil des Unter-
nehmens durch eine Akquisition nicht in einer für das Unternehmen untragbaren
56 Vgl. Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 26.01.2015 in Sachen SAirGroup in Nachlassliquidation
gegen diverse Beklagte, E. 7.3.5.
57 Vgl. Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 26.01.2015 in Sachen SAirGroup in Nachlassliquidation
gegen diverse Beklagte, E. 7.6.
58 Direktionsmitglied oder Delegierter.
59 Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 und 5 OR; vgl. hierzu Watter/Roth Pellanda 2012, Art. 716a N 4 ff. und 23 ff.;
Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 16 N 414 ff. und 422 ff.
60 Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3 OR; vgl. hierzu Watter/Roth Pellanda 2012, Art. 716a N 15 ff.
61 Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 16 N 415; Druey/Druey Just/Glanzmann 2015, §13 N 18.
62 Vgl. hierzu auch Art. 9 (3) des Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014; Böckli
2009, § 13 N 341.
63 Eine derartige Strategie verfolgte z. B. die SAirGroup.
64 Böckli 2010, S. 5; Böckli 2009, § 15 N 192 ff.; Meier-Hayoz/Forstmoser 2012, § 16 N 416.
65 Müller/Lipp/Plüss 2014, S. 300.
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Weise verändert – dieser Fall kann z. B. eintreten, wenn die Eigenkapitalquote des
Unternehmens durch einen fremdfinanzierten Unternehmenskauf unter ein Niveau
fällt, welches für das Unternehmensrisiko genügend ist oder, wenn die Fremdfinan-
zierung einer Akquisition zu Loan Covenants führt, die das Unternehmen einem
großen Defaultrisiko aussetzen. Auch operative Risiken des zum Kauf stehenden
Unternehmens66 muss der Verwaltungsrat beachten. Er muss analysieren, ob diese
Risiken in einem vernünftigen Verhältnis zum erwarteten Ertrag stehen und der Risi-
kotragfähigkeit des eigenen Unternehmens entsprechen. Zum Bereich der Risikosteu-
erung gehört aber auch, dass der Verwaltungsrat durch entsprechende Weisungen an
die Geschäftsleitung sicherstellt, dass diese einen sorgfältigen Akquisitionsprozess
durchführt. So muss der Verwaltungsrat verlangen, dass die Geschäftsleitung das
zum Kauf stehende Unternehmen im Rahmen einer Due Diligence vor dem Verkauf
untersucht, um das Risikoprofil dieses Unternehmens zu analysieren und die Fakto-
ren, die zur Preisbestimmung führten, zu erhärten. Zum sorgfältigen Prozess gehört
auch, dass die Akquisition steuerlich richtig strukturiert wird und dass ein Vertrag
ausgearbeitet wird, der die Interessen des Unternehmens im Rahmen der konkreten
Verhandlungssituation optimal schützt.67
Die Rolle des Verwaltungsrates sollte im Sinne seiner grundsätzlichen Funktion vor al-
lem in einer »High Level Kontrolle« liegen, mit der er sicherstellt, dass die Geschäftslei-
tung Prozesse und Methoden verwendet, die zu einer sorgfältigen Prüfung und Durch-
führung der Transaktion führen.68 Die Erfahrung zeigt, dass bei Akquisitionen eine
wichtige Rolle des Verwaltungsrates darin liegt, die Überlegungen der Geschäftsleitung
mit einer gewissen Distanz kritisch zu hinterfragen. Gerade wenn die Geschäftsleitung
eine Transaktion verfolgt, die sie als große Chance zur Realisierung einer Wachstums-
strategie sieht, nimmt sie häufig eine relativ euphorische Haltung ein und sieht deshalb
manchmal die Risiken und auch die finanziellen Grenzen des Unternehmens nicht mehr
in der notwendigen Schärfe oder beachtet mit der Transaktion verbundene Probleme
nicht mehr. In dieser Situation ist es wichtig, dass der Verwaltungsrat sicherstellt, dass
ein Unternehmenskauf die finanziellen und organisatorischen Ressourcen der Gesell-
schaft nicht übersteigt und sorgfältig durchgeführt wird.
Die stärkere Rolle, die der Verwaltungsrat im Rahmen einer modernen Corporate
Governance einnehmen muss, bedingt, dass ihm zur Beurteilung von Akquisitions-
vorhaben genügend Informationen zur Verfügung gestellt werden und dass er auch
frühzeitig in die Planung der Transaktion einbezogen wird, damit er tatsächlich einen
informierten Entscheid fällen kann.69 Nach den Vorstellungen einer positiven Corporate
Governance geht es heute nicht mehr an, dass Transaktionen allein von der Geschäfts-
leitung in Absprache mit dem Verwaltungsratspräsidenten vorbereitet werden und dem
Verwaltungsrat ohne entsprechende Vorbereitung und Information an einer Sitzung
66 Z. B. große Eventualverpflichtungen des zu kaufenden Unternehmens oder hohe Volatilität der Ge-
winne.
67 Vgl. Müller/Lipp/Plüss, S. 178 ff. allg. zu den Pflichten des Verwaltungsrates im Zusammenhang mit
der finanziellen Führung des Unternehmens.
68 Watter/Roth Pellanda 2012, Art. 716a N 6.
69 Die ausreichende Informationsbasis ist denn auch haftungsrelevant (vgl. die Ausführungen zur
»Business Judgment Rule«, bspw. bei Böckli 2009, § 13 N 589).
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präsentiert werden, an der er die betreffende Transaktion dann auch sofort genehmigen
muss.70
70 Dieses Vorgehen hatte die Geschäftsleitung der SAirGroup in dem Fall gewählt, der dem oben zi-
tierten Urteil des Handelsgerichtes vom 26. Januar 2015 zugrunde liegt. Weil der Verwaltungsrat
die Akten an der Sitzung einsehen konnte und diese sowohl vom CEO präsentiert wie auch nachher
eingehend diskutiert wurden, führte die mangelnde Vorbereitung nicht zur Haftung. Sie war aber
sicher nicht ideal.
71 Oser/Müller 2014, Allg. Einleitung N 1 ff.
72 Pöschel 2015, Art. 20, N 105 ff.; Oser/Müller 2014, Art. 20 N 131 ff.; vgl. zur Haftung des Verwal-
tungsrates in diesem Zusammenhang Isler/Schott 2014.
73 Vgl. hierzu Schärer/Oser 2006, S. 161 f.; Schenker 2014, S. 340 ff.
74 Schenker 2014, S. 304 ff.
75 Schenker 2014, S. 324.
76 Schärer/Oser 2006, S. 153.
77 Schärer/Oser 2006, S. 155; Schenker 2014, S. 304 ff.
78 Schenker 2014, S. 306 und S. 340 ff.
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Die Bestimmungen der VegüV beziehen sich nur auf Verwaltungsrat und Geschäfts-
leitung kotierter Gesellschaften.87 Außerhalb kotierter Gesellschaften können weiterhin
Bonuszahlungen im Zusammenhang mit M & A-Transaktionen versprochen und ausbe-
zahlt werden. Überdies ist es auch bei kotierten Gesellschaften möglich, auf unteren
Hierarchiestufen derartige Bonuszahlungen auszurichten.88
4 GmbH-Recht
Das GmbH-Recht (Art. 772 ff. OR) wurde per 1. Januar 2008 revidiert.89 Obwohl die
Revision des GmbH-Rechts von großer Bedeutung für die Gestaltung von GmbHs in
der Schweiz ist, hat sie auf M & A-Transaktionen nur wenige Auswirkungen. Wichtig
für diese Transaktionen ist allein, dass gemäß Art. 785 OR sowohl für die vertragliche
Verpflichtung zum Kauf und Verkauf von GmbH-Anteilen wie auch die Übertragung von
GmbH-Anteilen die einfache Schriftlichkeit erforderlich ist.90 Damit entfällt die früher
für die Übertragung notwendige öffentliche Beurkundung.91
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Teil
1 Einleitung
2 Aktienrecht und M & A
2.1 Die AG als Verkäuferin oder Käuferin
2.2 Die AG als Zielgesellschaft
3 GmbH-Recht und M & A
3.1 Die GmbH als Verkäuferin oder Käuferin
3.2 Die GmbH als Zielgesellschaft
4 Umwandlungsrecht
1 Einleitung
Von Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG) und öffentlichen Übernah-
men nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) abgesehen, regelt
das deutsche Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht M & A-Transaktionen nicht unmit-
telbar und im Detail. Viele gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Bestimmungen
betreffen aber einzelne Elemente einer Transaktion. Daneben ist das allgemeine ge-
sellschafts- und kapitalmarktrechtliche Fundament auch für deutsche Gesellschaften
auf Käufer- und Verkäuferseite sowie die deutsche Zielgesellschaft bei der Vorbereitung
und Durchführung einer M & A-Transaktion zu beachten. Transaktionsaspekte, die vom
Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht besonders betroffen sind, sind beispielsweise:
∗ Prof. Dr. Jochen Vetter, Partner, Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, München; Honorarprofessor, Uni-
versität zu Köln; Dr. Daniel Wiegand, Partner, Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, München.
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Die M & A-Praxis hat gerade in den letzten Jahren interessante Gestaltungsweisen her-
vorgebracht, die unterschiedliche Transaktionstypen und damit auch ganz unterschied-
liche Rechtsgebiete miteinander kombinieren: Bei »Dual-Track-Transaktionen« arbeitet
der Verkäufer parallel an einem Exit durch Verkauf und einen Börsengang seiner Toch-
ter. Die besonderen kapitalmarktrechtlichen Vorschriften zu Börsengängen, insbeson-
dere zum Timing und zu Veröffentlichungs- bzw. Verschwiegenheitsverpflichtungen,
haben unmittelbare Auswirkungen auch auf den M & A-Prozess. Noch komplexer sind
»Triple-Track-Transaktionen«, bei denen zusätzlich an einer Trennung von der Tochter
im Wege der Abspaltung, also der Übertragung der Aktien an der Tochter auf die be-
stehenden Aktionäre der Verkäuferin, gearbeitet wird.
Das deutsche GmbH-Recht ist in weiten Teilen seit 1892 unverändert; wichtige Mo-
difikationen resultieren aus den Jahren 1980 und 2008. Das Aktiengesetz wurde 1965
grundlegend neu gefasst, wird allerdings – insbesondere in den letzten 15 Jahren – ganz
regelmäßig modifiziert, ohne dass dabei aber in Grundprinzipien eingegriffen wurde.
1994 ist das Umwandlungsgesetz hinzugekommen, das die bis dahin bestehenden Mög-
lichkeiten der Verschmelzung neu gefasst und insbesondere die Möglichkeiten der Spal-
tung ergänzt hat. Die kapitalmarktrechtlichen Pflichten, die bei einer M & A-Transaktion
von Bedeutung sein können, insbesondere die Regeln über die Börsenzulassung von
neugeschaffenen Aktien, das Übernahmerecht1, Meldepflichten 2 und Pflichten zur Ad-
hoc-Veröffentlichung von marktrelevanten Insiderinformationen sind jüngeren Datums.3
Beispiele für gesetzliche Änderungen, die die M & A-Praxis maßgeblich berührt haben,
sind etwa:
• Die verschiedenen Verschmelzungsmöglichkeiten, die eine durch qualifizierten
Mehrheitsbeschluss legitimierte Alternative zu Unternehmenskäufen gegen Bezah-
lung in Aktien bieten.
• Die verschiedenen Möglichkeiten der Spaltung, die einerseits eine Herauslösung
(Carve-out) des zu verkaufenden Geschäftsbereichs im Vorfeld einer M & A-Transak-
tion erleichtern, andererseits aber auch eine Alternative zu einer Desinvestition im
Wege des Verkaufs oder des Börsengangs darstellen können.
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• Die verschiedenen Reformen des Beschlussmängelrechts, die im Laufe der Zeit die
Rechtssicherheit für Gestaltungsvarianten, die der Zustimmung der Hauptversamm-
lung einer börsennotierten Gesellschaft bedürfen, deutlich erhöht haben (vgl. hierzu
Kap. 2.1.1).
• Der schon seit 1965 gesetzlich geregelte Abschluss eines Beherrschungs- und Ge-
winnabführungsvertrags, der 2001 eingeführte Squeeze-out bei einer Beteiligung
des Hauptaktionärs von 95 % und der 2011 eingeführte verschmelzungsrechtliche
Squeeze-out bei einer Beteiligung des Hauptaktionärs von 90 % am Grundkapital
als Möglichkeiten der Integration der erworbenen Zielgesellschaft in den Konzern
des Erwerbers nach erfolgreicher Übernahme (vgl. hierzu Kap. 2.2.3.3 und 2.2.3.4).
• Die Reform der strengen Regelungen zur Kapitalerhaltung und zu (eigenkapitalerset-
zenden) Gesellschafterdarlehen in 2008, die zu einer deutlichen Erleichterung von
Finanzierungsmaßnahmen im Zuge einer M & A-Transaktion geführt hat (vgl. hierzu
Kap. 3.2.3 und 3.2.4).
• Die gerade aktuell sehr kontrovers diskutierte Organhaftung der Geschäftsleitungen
und die von der Rechtsprechung statuierte Regelverfolgung von Schadensersatzan-
sprüchen gegen Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat4, die die Praxis der Vor-
bereitung und Durchführung von M & A-Transaktionen maßgeblich verändert haben.
Nachfolgend sollen die gesetzlichen Vorgaben des deutschen Aktienrechts und des
GmbH-Rechts für verschiedene typische Problemstellungen bei M & A-Transaktionen
dargestellt werden. Dabei werden Schwerpunkte gesetzt; ein umfassender Überblick
kann nicht gegeben werden.
4 Grundlegend die »ARAG/Garmenbeck«-Entscheidung des BGH, Urteil vom 21.04.1997, BGHZ 135,
244.
5 Sonderregeln gelten für GmbH & Co. KG (§§ 4, 5 Abs. 2 MitbestG) sowie die SE, für die das Gesetz
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in diesem Fall wird die Hälfte der Aufsichtsratssitze von Vertretern der Belegschaft
und der Gewerkschaften eingenommen, auch wenn dem zwingend aus den Reihen der
Anteilseignervertreter stammenden Aufsichtsratsvorsitzenden bei einem Patt ein Zweit-
stimmrecht zusteht (§ 29 Abs. 2 MitbestG).6
Da die Gesellschaftsorgane an den in der Satzung festgelegten Unternehmensge-
genstand gebunden sind, können Kauf und Verkauf von Unternehmen nur in dessen
Grenzen erfolgen (§§ 23 Abs. 3 Nr. 2, 82 Abs. 2 AktG)7, insbesondere muss der Tä-
tigkeitsbereich des zu erwerbenden Unternehmens vom Unternehmensgegenstand der
erwerbenden AG umfasst sein. Spiegelbildlich hierzu darf eine Veräußerung von Akti-
vitäten nicht dazu führen, dass der Unternehmensgegenstand unterschritten wird.8 An-
dernfalls bedarf es gemäß § 179 Abs. 1 Satz 1 AktG einer formellen Satzungsänderung
durch einen Beschluss der Hauptversammlung mit qualifizierter Dreiviertelmehrheit.
Nach § 179a Abs. 1 Satz 1 AktG ist eine Zustimmung der Hauptversammlung zudem
erforderlich, wenn sich eine AG außerhalb umwandlungsrechtlicher Vorgänge dazu
verpflichtet, ihr (nahezu) gesamtes Vermögen zu übertragen.
Darüber hinaus kann sich eine Zuständigkeit der Hauptversammlung aus den unge-
schriebenen sog. Holzmüller-Grundsätzen ergeben. Nach der Holzmüller-Entscheidung
des BGH ist der Vorstand verpflichtet, bei schwerwiegenden Eingriffen in die »Mitglieds-
rechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse«
eine Entscheidung der Hauptversammlung einzuholen.9 In dem zu entscheidenden Fall
sollte ohne Zustimmung der Hauptversammlung die Ausgliederung des wertvollsten
Betriebsteils der AG (Größenordnung 80 %) auf eine 100 %-ige Tochtergesellschaft erfol-
gen, die speziell für diesen Zweck gegründet worden war. Diese Entscheidung markiert
den Beginn einer gut 20 Jahre dauernden Phase der Rechtsunsicherheit im Hinblick
darauf, welche Typen von Geschäften (insbesondere auch M & A-Transaktionen?) einen
»Holzmüller-Beschluss« der Hauptversammlung erfordern. In seinen Gelatine-Urteilen10
hat der BGH die Holzmüller-Entscheidung präzisiert. Den maßgeblichen Grund für die
Beteiligung der Hauptversammlung sieht der BGH nunmehr in der Mediatisierung der
Mitgliedschaftsrechte, wie sie insbesondere durch die Einbringung von bisher unmit-
telbar betriebenen Aktivitäten in eine Tochter herbeigeführt wird. In quantitativer
Hinsicht hat der BGH klargestellt, dass eine besondere wirtschaftliche Bedeutung der
Maßnahme vergleichbar der Konstellation im Holzmüller-Fall erforderlich ist. Nach wie
vor gibt es eine Vielzahl ungelöster Fragen; insbesondere wird die Anwendbarkeit der
Grundsätze auf Unternehmensverkäufe11 und insbesondere Unternehmenskäufe kontro-
vers diskutiert.12 Die praktische Bedeutung dieser Diskussion ist allerdings aufgrund
der anspruchsvollen quantitativen Kriterien heute nur noch vergleichsweise gering.
über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG) gilt.
6 Für deutsche Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern wird nach dem Drittelbeteili-
gungsgesetz ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder von den Arbeitnehmern gestellt.
7 Näher Kubis 2013, § 119 Rn. 66 f., 70.
8 Fleischer 2005, S. 143 f.; Fleischer 2015, § 82 Rn. 31.
9 BGH, Urteil vom 25.02.1982 (II ZR 174/80), BGHZ 83, 122.
10 BGH, Urteil vom 26.04.2004 (II ZR 155/02), »Gelatine I«, BGHZ 159, 30 und BGH, Urteil vom
26.04.2004 (II ZR 154/02), »Gelatine II«, ZIP 2004, 1001.
11 Hierzu hat der BGH den fehlenden Mediatisierungseffekt bestätigt: BGH, Beschluss vom 20.11.2006
(II ZR 226/05), AG 2007, 203. Im Übrigen bestimmt § 179a AktG, dass Verkäufe nur dann der Zu-
stimmung der Hauptversammlung unterliegen, wenn das gesamte Vermögen betroffen ist.
12 Auch für Käufe lehnt die wohl h.M. die Anwendbarkeit der Grundsätze ab, vgl. etwa Bungert 2004,
S. 1350; Reichert 2005, S. 156 f.; Götze 2004, S. 588; Kubis 2013, § 119 Rn. 71; OLG Frankfurt a.M.,
NZG 2011, 62; a.A. Habersack 2005, S. 144; Hoffmann 2015, § 119 Rn. 30a ff.
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13 BGH, Urteil vom 23.06.1997 (II ZR 132/93), »Siemens/Nold«, BGHZ 136, 133; hierzu Kirchner/Sailer
2002, S. 306.
14 Zu den hohen formellen und materiellen Anforderungen Kirchner/Sailer 2002, S. 308 f.; Servatius
2015, § 186 Rn. 25 ff.
15 Damit wäre auch den Unternehmen aufgrund der verbleibenden Rechtsunsicherheit nicht gedient,
da die Rechtsfolgen einer durchgeführten, aber nachträglich aufgrund einer erfolgreichen Anfech-
tungsklage für nichtig erklärten Kapitalerhöhung nach wie vor unsicher sind, hierzu etwa Servatius
2015, § 189 Rn. 6.
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tionen sieht man Aktien als Akquisitionswährung regelmäßig nur dann, wenn sie aus
genehmigtem Kapital gestellt werden können 20.
20 In anderen Fällen wird der Käufer eher eine Zwischenfinanzierung (»Equity Bridge«) aufnehmen,
die dann später aus den Erlösen einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht zurückgeführt wird.
21 Für nicht börsennotierte Aktiengesellschaften sieht § 20 AktG weniger weitreichende und insbeson-
dere erst an eine Beteiligung von 25 % anknüpfende Meldepflichten vor.
22 Beispiele sind der Aufbau einer Beteiligung von Schaeffler an der Continental AG oder von Porsche
an VW; für Einzelheiten vgl. Classen 2016, Kap. 3.
23 BGBl. I 2015, 2029; zu den Meldepflichten ausführlicher Classen 2016.
24 Details zur Bestimmung des Erwerbspreises sind in § 31 WpÜG und insbesondere den §§ 3 ff. der
WpÜG-AngebotsVO geregelt; zum deutschen Übernahmerecht ausführlicher Menke 2016.
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Ist bei einer M & A-Transaktion der Käufer, der Verkäufer oder die Zielgesellschaft
börsennotiert, ist die ebenfalls in den letzten Jahren verschärfte25 Pflicht zur Ad-hoc-
Mitteilung von Insiderinformationen zu beachten. Ab welchem Zeitpunkt für die jewei-
lige Gesellschaft eine diese unmittelbar betreffende Information vorliegt, deren öffent-
liches Bekanntwerdenden den Börsenpreis der Aktien (oder sonstiger Insiderpapiere)
erheblich zu beeinflussen geeignet ist, kann gerade bei M & A-Transaktionen, die sich
über einen längeren Zeitraum hinziehen und vor ihrer Finalisierung der Zustimmung
verschiedener Gremien bedürfen, schwierig zu beurteilen sein. Hilfestellung bietet der
von der BaFin herausgegebene Emittentenleitfaden.26 Liegt eine an sich veröffentli-
chungspflichtige Insiderinformation vor, kann sich die Gesellschaft nach § 15 Abs. 3
WpHG selbst befreien, solange es der Schutz ihrer berechtigten Interessen erfordert,
keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten ist und die Vertraulichkeit der Infor-
mation gewährleistet werden kann. Auch wenn dies aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 3
WpHG nicht erkennbar ist, verlangt die BaFin hierfür einen Beschluss des geschäftsfüh-
renden Organs.27 Auch die Regeln der Ad-hoc-Publizität werden kurzfristig geändert.
Die europäische Marktmissbrauchsverordnung, die bis zum 3. Juli 2016 in nationales
Recht umzusetzen ist, sieht eine Erweiterung des Anwendungsbereichs (insbesondere
auch auf lediglich im Freiverkehr gehandelte Gesellschaften) und Konkretisierungen
vor.28
Umstritten ist, ob der Vorstand der Zielgesellschaft beim geplanten Verkauf von Aktien
durch einen (Mehrheits-)Aktionär einer Neutralitätspflicht unterliegt. Gesetzlich aus-
drücklich geregelt ist das sog. Verhinderungsverbot nach § 33 Abs. 1 WpÜG im Rahmen
öffentlicher Übernahmeangebote. Danach darf der Vorstand der Zielgesellschaft keine
Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte.
Allerdings sieht § 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG weitreichende Ausnahmen vor.29 So darf
der Vorstand weiterhin Maßnahmen vornehmen, die er auch ohne Übernahmeangebot
getätigt hätte (Var. 1), auch wenn diese sich objektiv übernahmeverhindernd auswir-
ken. Er darf auch nach konkurrierenden Übernahmeangeboten (»Weißer Ritter«) suchen
(Var. 2). Zulässig sind nach dem Wortlaut auch Maßnahmen, die mit Zustimmung des
Aufsichtsrats erfolgen (Var. 3); die Bedeutung dieser Alternative ist gleichwohl gering,
da der Aufsichtsrat seinerseits einer nicht minder weitgehenden Pflichtenbindung un-
terliegt. Weitere, in Deutschland praktisch wenig bedeutsame Ausnahmen sind in §§ 33
Abs. 2 und 33a ff. WpÜG geregelt.
25 Grundlegend die Entscheidungen zur Beendigung des Amts des Vorstandsvorsitzenden der Daimler
AG Schrempp, BGH, Beschluss vom 23.04.2013 (II ZB 7/09), NJW 2013, 2114; EuGH, Urteil vom
28.06.2012 (C-19/11), NJW 2012, 2787.
26 Emittentenleitfaden 2013 der BaFin, S. 45 ff., 58 f.
27 Emittentenleitfaden 2013 der BaFin, S. 59.
28 Näher hierzu Klöhn 2015, S. 809 ff.
29 Ausführlicher etwa Schlitt/Ries 2011, § 33 WpÜG Rn. 127 ff.
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Der Erwerber einer Mehrheitsbeteiligung und auch des gesamten Aktienkapitals einer
deutschen AG muss sich der Beschränkungen seines Einflusses aufgrund der Vorgaben
des deutschen Aktienrechts bewusst sein, insbesondere:
• Der Vorstand wird nicht direkt durch die Hauptversammlung gewählt, sondern durch
den Aufsichtsrat bestellt. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner er-
folgt nach §§ 101 Abs. 1 und 133 Abs. 1 AktG durch Beschluss der Hauptversamm-
lung mit einfacher Mehrheit. Der herrschende Aktionär, der in der Hauptversamm-
lung über die einfache Mehrheit verfügt, kann also 100 % der Anteilseignervertreter
wählen.37 Eine Auswechslung von Aufsichtsratsmitgliedern während der Amtszeit
(die regelmäßig ca. fünf Jahre beträgt, § 102 Abs. 1 AktG) ist aber nur möglich, wenn
32 Fleischer/Körber 2013, S. 300; Müller 2000, S. 3456; Roschmann/Frey 1996, S. 454; Hilgendorf 2013,
§ 14 WpHG Rn. 175.
33 Schlitt/Ries 2011, § 35 WpÜG Rn. 247.
34 Meincke 1998, S. 751; Körber 2002, S. 268.
35 Körber 2002, S. 265; Fleischer/Körber 2013, S. 303.
36 Siehe etwa Hein/Tietz 2010, S. 89.
37 Bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften (zur Definition siehe § 264d HGB) ist allerdings nach
§ 100 Abs. 5 AktG ein unabhängiger Finanzexperte zu bestellen, wobei umstritten ist, ob dies auch
Unabhängigkeit vom Mehrheitsaktionär erfordert; dafür Habersack 2014, § 100 Rn. 68; Spindler
2015, § 100 Rn. 54.
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Diese strenge gesetzliche Ausgangslage setzt der Integration einer AG in den Konzern
des Erwerbers sehr enge Grenzen. Allerdings lässt das deutsche Konzernrecht Ausnah-
men und Erleichterungen zu, die nachfolgend skizziert werden sollen. Praktische Rele-
vanz haben neben einem regelmäßig nach einem Squeeze-out erfolgenden Formwechsel
in eine GmbH nur die Regelungen zum faktischen Konzern (§§ 311 ff. AktG) und der Be-
herrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nach §§ 291 ff. AktG. Die in den §§ 319 ff.
AktG geregelte Eingliederung hat heute in Deutschland keinerlei Bedeutung mehr.
38 Vgl. nur Koch 2014, § 57 Rn. 2; Diem 2013, § 45 Rn. 1; Raiser/Veil 2010, § 19 Rn. 1; a. A. Altmeppen
2006, S. 1031 f.; Henze 2005, S. 721.
39 Diem 2013, § 45 Rn. 55; Oechsler 2008, § 71a Rn. 36.
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Gewisse, allerdings immer noch sehr begrenzte Möglichkeiten zur Einbindung einer
(mehrheitlich) übernommenen Tochter-AG in den Konzern der Erwerberin bietet der
in den §§ 311 ff. AktG geregelte sog. faktische Konzern. Die Grundnorm des § 311
AktG erlaubt dem Vorstand der erworbenen Tochter, nachteiligen Einflussnahmen des
herrschenden Unternehmens – das ist insbesondere ein mehrheitlich beteiligtes Unter-
nehmen (siehe §§ 16 f. AktG) – nachzugeben, wenn der Nachteil bis zum Geschäftsjah-
resende ausgeglichen oder zumindest eine Vereinbarung über den Nachteilsausgleich
getroffen wird. Die strengen Kapitalbindungsvorschriften der §§ 57 ff. AktG, die an sich
jegliche vermögensmäßige Benachteiligung der AG zugunsten eines ihrer Aktionäre ver-
bieten und jedenfalls einen sofortigen Nachteilsausgleich verlangen, werden durch § 311
AktG zeitweise bis zum ordnungsgemäßen Nachteilsausgleich verdrängt.40 Eine ent-
sprechende zeitweise Verdrängung wird zunehmend auch für das Verbot der Financial
Assistance nach § 71a AktG angenommen.41 Erkauft wird diese Privilegierung des zeit-
lich verzögerten Nachteilsausgleichs einerseits durch eine gesteigerte Überprüfung der
konzerninternen Beziehungen durch den vom Abschlussprüfer und vom Aufsichtsrat
zu prüfenden Abhängigkeitsbericht (§§ 312 ff. AktG) und andererseits durch eine ver-
schärfte Haftung des herrschenden Unternehmens und seiner Organe sowie der Organe
der Zielgesellschaft bei Nichtdurchführung des Nachteilsausgleichs (§§ 317 f. AktG).
Der Käufer einer Mehrheitsbeteiligung an einer AG darf diese Privilegierungen nicht
überschätzen; die Möglichkeiten der Integration der Zielgesellschaft bleiben begrenzt:
• Das herrschende Unternehmen hat im faktischen Konzern keinerlei Weisungsrechte
gegenüber dem Vorstand der erworbenen AG, sondern ist auf dessen freiwillige Ko-
operation angewiesen.
• Der Vorstand der AG ist nach Begründung der Abhängigkeit zwar berechtigt, die
eigene Strategie zu überprüfen und dem geänderten Konzernumfeld anzupassen; er
bleibt aber allein auf die Wahrung der Interessen der AG und nicht etwa des Kon-
zerns, dem die Gesellschaft nun angehört, verpflichtet.
• Das System der §§ 311 ff. AktG beruht auf dem Ausgleich der Nachteile jeder einzel-
nen von der Muttergesellschaft veranlassten nachteiligen Maßnahme. Das bedeutet,
dass für die AG nachteilige Maßnahmen, bei denen der Nachteil nicht quantifiziert
werden kann oder aus sonstigen Gründen einem Einzelausgleich nicht zugänglich
ist, unzulässig sind. Bedeutung hat dies insbesondere für konzernintegrative Maß-
nahmen wie die Zentralisierung von Kompetenzen (wie beispielsweise der F & E-Ak-
tivitäten) bei der Muttergesellschaft oder einer konzernweiten Aufgabenverteilung
unter Beschränkung der AG auf einen Teilbereich ihrer bisherigen Aktivitäten. Qua-
lifizierte Nachteile, die so weitgehend in die Struktur oder die Unternehmenstätigkeit
der Gesellschaft eingreifen, dass einzelne Nachteile nicht mehr zu isolieren sind,
sind unzulässig.42
40 BGH, Urteil vom 01.12.2008 (II ZR 102/07), BGHZ 179, 76; BGH, Urteil vom 31.05.2011 (II ZR 141/09),
BGHZ 190, 7; Vetter 2015, § 311 Rn. 117 m.w.N.
41 Habersack 2013, § 311 AktG Rn. 82; Oechsler 2008, § 71a Rn. 8; Riegger 2008, S. 240; Vetter 2015,
§ 311 Rn. 119; a.A. Koppensteiner 2013, § 311 Rn. 163; Lutter/Wahlers 1989, S. 9.
42 Vgl. etwa Vetter 2015, § 311 Rn. 71 und 109 ff. m. w. N.
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Im Ergebnis kann eine Tochter-AG über einen Beherrschungsvertrag damit sehr weitgehend
in den Konzern der Muttergesellschaft und in dessen Finanzierung eingebunden werden.
Der Preis für diese weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten liegt in Folgendem:
• Das herrschende Unternehmen muss jeden sich ansonsten ergebenden Jahresfehlbe-
trag der Tochter ausgleichen, unabhängig davon, ob dieser gerade auf nachteiligen
Weisungen beruht (§ 302 AktG). Das primäre Schutzkonzept besteht also darin, dass
das bilanzielle Eigenkapital im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags (bzw. genau
genommen zu Beginn des betreffenden Geschäftsjahres) konserviert wird. Der Erhalt
des Unternehmenswerts und der Ertragskraft wird dagegen nicht sichergestellt.
• Das herrschende Unternehmen muss allen außenstehenden Aktionären im Vertrag
ein Angebot machen, ihre Aktien gegen eine angemessene Abfindung zu erwerben
(§ 305 AktG). Zur Ermittlung der Abfindung ist anerkannt, dass bei börsennotier-
ten Gesellschaften der volumengewichtete Durchschnittskurs der Aktie während
der letzten drei Monate vor Ankündigung der Maßnahme die Untergrenze bildet;
im Übrigen ist der auf Basis der IDW S1-Bewertungsgrundsätze des Instituts für
Wirtschaftsprüfer ermittelte Ertragswert der Gesellschaft maßgeblich, der gerade in
Zeiten niedriger Zinssätze sehr häufig zu einem (deutlich) höheren auf jede Aktie
entfallenden anteiligen Unternehmenswert führt.43
43 Zu den Details der Bestimmung der Abfindung und der Unternehmensbewertung etwa Stephan
2015, § 305 Rn. 47 ff.
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Einfacher ist die Integration der Zielgesellschaft, wenn der Käufer 100 % der Aktien
erwirbt und die Gesellschaft in eine GmbH umwandeln kann. Da im Rahmen eines
Übernahmeangebots nie 100 % der Aktionäre das Angebot annehmen, ist der Erwerber
auf einen Ausschluss der Minderheitsaktionäre durch Squeeze-out angewiesen. Nach
den §§ 327a ff. AktG kann der Hauptaktionär, der mehr als 95 % des Grundkapitals einer
AG hält, durch Hauptversammlungsbeschluss den Ausschluss der Minderheitsaktionä-
re gegen angemessene Barabfindung herbeiführen. Die Rechtsschutzmöglichkeiten der
Minderheitsaktionäre (Anfechtungsklage gegen den Hauptversammlungsbeschluss und
Spruchverfahren zur Überprüfung der Barabfindung) entsprechen denen bei Abschluss
eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags.
Zudem sieht auch das Übernahmerecht einen eigenständigen Squeeze-out vor. Die
§§ 39a f. WpÜG ermöglichen dem Bieter, die verbliebenen Aktionäre der Zielgesellschaft
per Gerichtsbeschluss auszuschließen, wenn ihm im Anschluss an ein Übernahme- oder
Pflichtangebot 95 % des Grundkapitals der Gesellschaft gehören; ein Übertragungsbe-
schluss der Hauptversammlung ist nicht erforderlich. Die Regelung über Art und Höhe
der Abfindung ist in §§ 39a Abs. 3 WpÜG geregelt. Der übernahmerechtliche und der
aktienrechtliche Squeeze-out stehen gleichrangig nebeneinander. Der aktienrechtliche
Squeeze-out ist aber praktisch bedeutsamer, weil Bewertungsrügen nur im Spruchver-
fahren geltend gemacht werden können und damit den Vollzug des Squeeze-out nicht
aufhalten können.44
Schließlich besteht seit Einführung des sog. umwandlungsrechtlichen Squeeze-
outs im Jahr 2011 die Möglichkeit, Minderheitsaktionäre schon bei einer Beteiligung
des Hauptaktionärs von lediglich 90 % im Zuge einer Verschmelzung der Zielgesell-
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schaft auf den Hauptaktionär auszuschließen (§ 62 Abs. 5 UmwG). Offen steht sie nur
Hauptaktionären, die ihrerseits Aktiengesellschaften sind.
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Sowohl der Verkauf als auch die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen müssen nota-
riell beurkundet werden (§ 15 Abs. 3 und 4 Gesetz betreffend die GmbH [GmbHG]). Die
Beurkundungspflicht erstreckt sich auf alle Abreden der Parteien im Zusammenhang
mit dem Verkauf der GmbH-Anteile (sog. Vollständigkeitsgrundsatz).48 Das kann beim
Abschluss von Unternehmenskaufverträgen einen erheblichen Aufwand verursachen,
da alle (häufig sehr umfangreichen) Vertragsanlagen mit zu beurkunden sind. Die
früher übliche Beurkundung von größeren Unternehmenskaufverträgen über deutsche
GmbHs bei Schweizer Notaren ist kaum noch verbreitet, da der Kostenvorteil nach
einer Reform des deutschen Notarkostenrechts nicht mehr erheblich ist und zudem in
46 D. h. 500 Arbeitnehmer für einen drittelmitbestimmten Aufsichtsrat oder 2.000 Arbeitnehmer in
deutschen Betrieben für einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat, vgl. Kap. 2.1.1.
47 Näher Lutter/Hommelhoff 2012, § 37 Rn. 11; Schneider/Schneider 2013, § 37 Rn. 19.
48 BGH NJW 2002, 142, Fastrich 2013, § 15 Rn. 30.
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der deutschen Rechtsprechung und Literatur immer wieder Zweifel an der Wirksamkeit
einer Auslandsbeurkundung geäußert wurden.49
Ferner kann der Gesellschaftsvertrag der Zielgesellschaft die Abtretung an weitere
Voraussetzungen knüpfen (§ 15 Abs. 5 GmbHG). Der gesetzlich beispielhaft genannte
und auch in der Praxis häufigste Fall sind Vinkulierungsklauseln, durch die die Wirk-
samkeit der Abtretung von der Zustimmung der Zielgesellschaft abhängig gemacht
wird.
Die Durchführung der Due Diligence stellt sich bei der GmbH deutlich einfacher dar
als bei der AG. Ein verkaufswilliger Alleingesellschafter kann und wird die Geschäfts-
führung notfalls zur Zulassung einer Due Diligence anweisen, dabei allerdings die
Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft im Blick behalten und die üblichen Me-
chanismen zur Wahrung der Vertraulichkeit (Geheimhaltungsvereinbarung mit dem
Kaufinteressenten, Zugänglichmachung der besonders vertraulichen Dokumente erst
bei hoher Transaktionswahrscheinlichkeit und/oder nur gegenüber Beratern) berück-
sichtigen. Etwas komplexer ist die Lage bei GmbHs mit mehreren Gesellschaftern, wenn
nur ein Gesellschafter seinen Anteil verkaufen will: Eine Offenlegung vertraulicher
Informationen und damit die Zulassung einer Due Diligence kann dann erfolgen, wenn
die Transaktion im Unternehmensinteresse liegt.50 Die Offenlegung von Geheimnissen
und vertraulichen Angaben stellt allerdings eine außergewöhnliche Maßnahme dar, so
dass der Geschäftsführer hierfür die Zustimmung der Gesellschafter einzuholen hat51;
der Beschluss über die Zulassung einer Due-Diligence-Prüfung muss nach herrschender
Meinung einstimmig erfolgen.52
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Das Kapitalerhaltungsrecht in der GmbH ist wesentlich weniger streng als in der AG
(vgl. Kap. 2.2.3.1). Dennoch stellen sich bei (teilweise) fremdfinanzierten M & A-Trans-
aktionen immer wieder Fragen, inwieweit das Vermögen der Zielgesellschaft zur Til-
gung und Besicherung des Akquisitionskredits eingesetzt werden kann.
§ 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bestimmt, dass das zur Erhaltung des Stammkapitals er-
forderliche Vermögen nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden darf. Somit sind
Zahlungen an Gesellschafter außerhalb von Dividendenausschüttungen nicht wie bei
Aktiengesellschaften grundsätzlich verboten, sondern nur wenn das Reinvermögen
der GmbH die Stammkapitalziffer bereits unterschreitet (Unterbilanz) oder ein solcher
Zustand durch die Zahlung herbeigeführt werden würde.64 Die Norm umfasst nicht
nur Geldzahlungen, sondern Leistungen aller Art, die wirtschaftlich das Gesellschafts-
vermögen verringern.65 Ein allgemeines Verbot der Financial Assistance gibt es im
GmbH-Recht ebenfalls nicht. Zahlungen, die gegen das Verbot der Auszahlung des
Stammkapitals in § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßen, sind der Gesellschaft jedoch nach § 31
GmbHG zurück zu gewähren.
Neben den Gesellschaftern haften nach § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG auch die Ge-
schäftsführer, wenn sie eine gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßende Zahlung selbst
veranlassen oder nicht dafür Sorge tragen, dass andere vertretungsberechtigte Personen
solche Zahlungen unterlassen.66 Nach § 64 Satz 3 GmbHG haften die Geschäftsführer
ferner für Zahlungen67 an Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft
führen.
In der M & A-Praxis stellt sich meist die Frage, inwieweit eine GmbH unter diesen
Rahmenbedingungen ihren (neuen) Gesellschafter durch Gewährung von Darlehen
(Upstream Loans, vgl. Kap. 3.2.4.2) bei der Bedienung der Finanzierung helfen und/
63 Greven 2014, S. 2312 f. Das funktioniert jedoch nur dann ohne wirtschaftliche Nachteile, wenn der
Verkäufer 100 % der GmbH hält und die Einlage steuerneutral erfolgen kann.
64 Altmeppen 2015, § 30 Rn. 9; Verse 2012, § 30 Rn. 42.
65 Fastrich 2013, § 30 Rn. 33; Raiser/Veil 2010, § 37 Rn. 10 ff.
66 Fleischer 2016, § 43 Rn 286.
67 Auch hier wird der Begriff weit verstanden; vgl. Müller 2011, § 64 Rn. 132; Schmidt-Leithoff/Bau-
mert 2013, § 64 Rn. 28.
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oder Sicherheiten für die Finanzierung stellen kann (Upstream Securities, vgl. Kap.
3.2.4.3).
3.2.4.2 Gewährung von aufsteigenden Darlehen durch die Zielgesellschaft (Upstream Loans)
Für die Bestellung von Sicherheiten durch die Zielgesellschaft zum Zwecke der Besi-
cherung der Akquisitionsfinanzierung des Käufers (etwa in Form von Sicherungsüber-
eignungen oder Verpfändung von Vermögensgegenständen der Zielgesellschaft) gelten
im Grunde die gleichen Grundsätze wie für Upstream Loans. Entsprechend dem weiten
Verständnis von § 30 Abs. 1 GmbHG liegt auch in der Bestellung solcher Sicherheiten
für Verbindlichkeiten eines Gesellschafters eine Zahlung an den Gesellschafter vor.73
68 Das galt insbesondere auch für konzernweite Cash-Pooling Systeme, hierzu Vetter 2015, Rn. 11.28 ff.
69 Bilanziell liegt in einem solchen Fall ein reiner Aktivtausch vor, so dass das Eigenkapital und damit
Stammkapital der GmbH nicht angegriffen wird.
70 Drygala/Kremer 2007, S. 1293.
71 Bundesrats-Drucksache 354/07, S. 94. In der Praxis hilft in dieser Situation oft nur eine Stärkung der
Finanzlage des kreditnehmenden Vehikels durch eine Patronatserklärung o. ä.
72 BGH, Urteil vom 01.12.2008 (II ZR 102/07), BGHZ 179, 71 ff.
73 Fleischer 2014, § 30 GmbHG Rn. 4; Heidinger 2010, § 30 Rn. 108.
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Die Bestellung von Sicherheiten darf nicht zur Unterbilanz der Zielgesellschaft füh-
ren oder eine Unterbilanz vertiefen. Ein Verstoß gegen Kapitalerhaltungsrecht liegt nach
herrschender Auffassung jedenfalls dann vor, wenn sich die GmbH bereits bei Bestel-
lung der Sicherheit im Stadium der Unterbilanz befindet.74 Schwieriger ist die Frage, ob
die Verwertung einer ohne Verstoß gegen die Kapitelerhaltungsvorschriften gewährten
Sicherheit75 einen Verstoß gegen § 30 GmbHG begründen kann. Dagegen lässt sich zwar
einwenden, dass die Verwertung kein von der Gesellschaft beeinflussbares Handeln ist,
jedoch greift das zu kurz, da die Upstream Securities gerade auf zukünftige Vermögens-
entziehungen ausgerichtet sind und der Geschäftsführer daher darauf achten muss, dass
auch im Zeitpunkt der Verwertung einer Sicherheit keine Unterbilanz entsteht. Zwar
würde nach § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG ein vollwertiger Regressanspruch gegen den
Gesellschafter im Falle der Verwertung der Sicherheit einen Verstoß gegen Kapitaler-
haltungspflichten ausschließen, doch wird es bei Verwertung der Sicherheit an dieser
Vollwertigkeit gerade fehlen.
Daher wird in den meisten Verträgen zu Upstream Securities vereinbart, dass dem
Sicherungsnehmer die Verwertung der Sicherheit verwehrt sein soll, wenn dies zur
Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz beim Sicherungsgeber führt (sog. Limi-
tation Language).76 Wird eine Verwertung der Sicherheiten zusätzlich auch unter den
Vorbehalt gestellt, dass diese nicht zur Zahlungsunfähigkeit der Zielgesellschaft führt,
ist auch der Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers nach § 64 Satz 3
GmbHG vorgebeugt.77
Entgegen verbreiteter Auffassung ist diese Limitation Language auch erforderlich,
wenn ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der sicherungsge-
benden GmbH und dem Kreditnehmer-Gesellschafter besteht. § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG
besagt zwar, dass das Auszahlungsverbot nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bei Bestehen
eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags nicht gilt. Der Abschluss eines
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags ist aber kein Allheilmittel78: Der Ge-
schäftsführer der sicherungsgebenden GmbH muss dann zwar nicht mehr das mögliche
Entstehen einer Unterbilanz und die Vollwertigkeit des Erstattungsanspruchs, wohl aber
die Vollwertigkeit des Verlustausgleichsanspruchs gegen das herrschende Unternehmen
nach § 302 AktG (vgl. Kap. 2.2.3.3) laufend prüfen. Das dürfte praktisch keinen großen
Unterschied machen: Wenn die den Gesellschafter finanzierenden Banken vom Kre-
ditnehmer (häufig ein Erwerbsvehikel) keine Befriedigung erhalten und Sicherheiten
verwerten, kann man kaum davon ausgehen, dass der Gesellschafter noch zum Verlust
ausgleich in der Lage ist.
Zur Vermeidung der weitreichenden Restriktionen für Upstream Loans und Upstream
Securities empfiehlt es sich, die Zielgesellschaft und das kreditnehmende Akquisitionsv-
ehikel zu verschmelzen. Das führt auch zu einer Strukturvereinfachung und lässt sich
über eine Verschmelzung der Zielgesellschaft auf das Akquisitionsvehikel (Upstream
Merger) oder die Verschmelzung des Akquisitionsvehikels auf die Zielgesellschaft
(Downstream Merger) erreichen. Der Downstream Merger kann aber seinerseits ge-
gen Kapitalerhaltungsrecht verstoßen, wenn die Zielgesellschaft durch Übernahme der
74 Diem, 2013, § 43 Rn. 46 ff.; Altmeppen 2015, § 30 Rn. 125; Gehrlein 2007, S. 785 f.; Flume 2011,
S. 1264.
75 Komo 2010, S. 233.
76 Diem 2013, § 43 Rn. 102; Kaulamo 2013, § 17 Rn. 66; Winkler/Becker 2009, S. 2362.
77 Komo 2010, S. 236.
78 Vetter 2015, Rn. 11.66.
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4 Umwandlungsrecht
Das 1995 in Kraft getretene Umwandlungsrecht bietet neben der Strukturvereinfachung
nach Vollzug einer Transaktion auch interessante Gestaltungsoptionen für M & A-Trans-
aktionen. Zu nennen sind insoweit insbesondere:
• Die Verschmelzung von Erwerberin und Zielgesellschaft: Es handelt sich um eine Vari-
ante einer Share-for-Share-Transaktion. Die Anteilsinhaber der Zielgesellschaft erhalten
Anteile an der Übernehmerin (oder umgekehrt). Aus Transaktionssicht interessant ist
der Umstand, dass für die Verschmelzung auf beiden Seiten (lediglich) ein qualifizier-
ter Mehrheitsbeschluss der Gesellschafterversammlung mit einer Mehrheit von 75 %
erforderlich ist; einer Minderheit von bis zu 25 % kann die Verschmelzung also aufge-
zwungen werden. Zum Schutz der Minderheit stehen wiederum die Anfechtungsklage
gegen den Verschmelzungsbeschluss mit der Möglichkeit des Freigabeverfahrens für
die Gesellschaft (§ 16 Abs. 3 UmwG) und – allerdings beschränkt auf die Gesellschafter
des übertragenden Rechtsträgers – das Spruchverfahren zur Überprüfung und Verbes-
serung des Umtauschverhältnisses zur Verfügung (§§ 14 Abs. 2, 15 UmwG). Damit
besteht im Hinblick auf das Spruchverfahren eine rechtspolitisch wenig überzeugende
Unwucht, da Gesellschafter des übernehmenden Rechtsträgers die Unangemessenheit
des Umtauschverhältnisses allein im Wege der Anfechtungsklage rügen können.
• In den §§ 122a ff. UmwG ist seit dem 25. April 2007 in Umsetzung der europarechtli-
chen Regelungen die grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine andere Gesellschaft
aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des
Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraums geregelt. Grenzüberschreitende
Spaltungen sind dagegen nicht kodifiziert.
• Die §§ 123 ff. UmwG regeln die verschiedenen Arten der Spaltung, bei der Vermögen
eines übertragenden Rechtsträgers auf einen oder mehrere übernehmende Rechtsträ-
ger im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übertragen wird: Bei der Aufspaltung wird
das Vermögen der übertragenden Gesellschaft auf (mindestens) zwei übernehmen-
de Rechtsträger unter Auflösung des übertragenden Rechtsträgers übertragen (§ 123
Abs. 1 UmwG). Bei der Abspaltung wird ein Teil des Vermögens auf (mindestens)
einen anderen Rechtsträger übertragen (§ 123 Abs. 2 UmwG). In beiden Fällen besteht
die Gegenleistung in Anteilen an dem oder den übernehmenden Rechtsträger(n), die
wie bei der Verschmelzung an die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers
gewährt werden. Schließlich besteht die Möglichkeit der Ausgliederung, bei der ein
Teil des Vermögens auf (mindestens) einen übernehmenden Rechtsträger im Wege
der Gesamtrechtsnachfolge übertragen wird, die Gegenleistung in Form von Anteilen
an dem übernehmenden Rechtsträger aber dem übertragenden Rechtsträger selbst
gewährt wird (§ 123 Abs. 3 UmwG).
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Spaltungen können zum einen unmittelbar als Technik eines Exit im Rahmen einer
M & A-Transaktion genutzt werden. Bei Triple-Track-Transaktionen wird parallel an ei-
nem Verkauf der betroffenen Tochter an einen Erwerber, dem Börsengang der Tochter
durch Verkauf der gelisteten Aktien an eine Vielzahl von Investoren über den Kapital-
markt und der Abspaltung der Tochter mit gleichzeitiger Börsenzulassung ihrer Aktien
gearbeitet. Bei der Abspaltung werden die Aktionäre der Mutter ohne ihr Zutun Aktio-
näre auch der bisherigen Tochter.79 Denkbar, wenngleich weniger üblich in der Praxis,
ist auch die Trennung von einem Geschäftsbereich durch Abspaltung auf den Erwerber.
Daneben – und das dürfte in der Praxis die wichtigere Funktion sein – können
Spaltungen im Vorfeld einer M & A-Transaktion für den Carve-out des zu veräußernden
Geschäfts auf einen eigenen Rechtsträger genutzt werden. Insoweit bietet sich die Aus-
gliederung an. Gegenüber einer rechtlichen Separierung eines bisher als unselbstständi-
ger Betriebsteil der Mutter geführten Unternehmensbereichs hat die Ausgliederung den
Vorteil, dass Verbindlichkeiten und insbesondere Verträge aufgrund der Gesamtrechts-
nachfolge im Grundsatz ohne Zustimmung der Gläubiger bzw. Vertragspartner über-
tragen werden können. Gerade bei einer Vielzahl von lang laufenden Verträgen kann
dies von großer Bedeutung sein. Nur im Wege einer solchen Gesamtrechtsnachfolge
können Pensionsverbindlichkeiten gegenüber ausgeschiedenen Mitarbeitern übertragen
werden. Nachteilig gegenüber einer Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge ist
neben der zwingenden Beteiligung der Haupt- oder Gesellschafterversammlung insbe-
sondere der umwandlungsrechtliche Gläubigerschutz: Die an der Spaltung beteiligten
Gesellschaften haften gesamtschuldnerisch für alle Verbindlichkeiten des übertragen-
den Rechtsträgers für fünf, für Pensionsverbindlichkeiten sogar für zehn Jahre (§ 133
UmwG). Daneben haben Gläubiger, die eine Gefährdung ihres Anspruchs aufgrund der
Spaltung glaubhaft machen können, einen Anspruch auf Sicherheitsleistung (§§ 22, 125,
133 Abs. 1 Satz 2 UmwG).
Literatur
Altmeppen, H. (2006): Die Grenzen der Zulässigkeit des Cash Pooling. In: ZIP, 2006, S. 1025–1026.
Altmeppen, H. (2015): In: Roth, G., Altmeppen, H.: Kommentar zum GmbHG. 8. Aufl., C. H. Beck,
München, 2015.
Bauer, S./Farian, M. (2015): Behandlung von abgetretenen Gesellschafterdarlehen im Insolvenzfall und
deren Folgen. In: GmbHR, 2015, S. 230–234.
Baums, T./Drinhausen, F./Keinath A. (2011): Anfechtungsklagen und Freigabeverfahren. Eine empiri-
sche Studie. In: ZIP, 2011, S. 2329–2352.
Baums, T./Keinath, A./Gajek, D. (2007): Fortschritte bei Klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse?
Eine empirische Studie. In: ZIP, 2007, S. 1629–1650.
Bayer, W./Hoffmann, T./Sawada, T. (2012): Beschlussmängelklagen, Freigabeverfahren und Berufs-
kläger. In: ZIP, 2012, S. 897–911.
Bayer, W./Hoffmann, T. (2015): Aktuelles zu Beschlussmängelklagen. In: AG, Sonderheft Oktober
2015, S. 12–15.
Bungert, H. (2004): Festschreibung der ungeschriebenen Holzmüller-Hauptversammlungs-zuständig-
keiten bei der Aktiengesellschaft. In: BB, 2004, S. 1345–1352.
Classen, D. (2016): Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht. In: Mül-
ler-Stewens, G./Kunisch, S./Binder, A. (Hrsg.): Mergers & Acquisitions. Schäffer-Poeschel, Stuttgart,
2016, S. 686–709.
79 Beispiele sind die Abspaltung der OSRAM Licht AG von Siemens oder der Lanxess AG von Bayer.
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660 |
Teil
1 Einleitung
1.1 Definition und Funktion
1.2 Typische Erscheinungsformen
2 Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Beitritt eines Investors
2.1 Unterstützung der und durch die Zielgesellschaft bei Übernahme (PIPE)
2.2 Kapitalmaßnahmen bei der AG (PIPE)
2.3 Lock-up- bzw. Stand-still-Verpflichtungen des Investors (PIPE)
2.4 Verwässerungsschutz für Investor (VC)
2.5 Garantien (VC, PIPE, Buy-out)
3 Corporate Governance
3.1 Präsenz des Investors in Gremien (VC, PIPE, Buy-out)
3.2 Zustimmungsvorbehalte des Investors (VC, PIPE, Buy-out)
3.3 Bestellung eines Garanten (PIPE)
3.4 Sicherung von Unternehmensinteressen (VC, PIPE)
4 Vereinbarungen im Zusammenhang mit einem Exit
4.1 Vinkulierung, Andienung und Vorkaufsrecht (VC, Buy-out)
4.2 Börsengang und Trade Sale (VC, Buy-out)
4.3 Erlösverteilungspräferenzen (VC, Buy-out)
4.4 Mitverkaufsverpflichtungen und -rechte (VC, Buy-out)
5 Allgemeine Bestimmungen
5.1 Laufzeit
5.2 Vertragsstrafe
5.3 Form
5.4 Einbeziehung Rechtsnachfolger
6 Zusammenfassung und Ausblick
1 Einleitung
1.1 Definition und Funktion
Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen sind schuldrechtliche Vereinbarungen
zwischen Gesellschaftern einer Kapital- oder Personengesellschaft und der Gesellschaft.
Vertragspartner müssen nicht notwendigerweise alle Gesellschafter sein. Ein ähnlicher
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Vertragstypus ist der sog. Beteiligungsvertrag. Dieser wird in der Regel im Zusammen-
hang mit der Beteiligung eines oder mehrerer Investoren an einem Unternehmen abge-
schlossen. »Klassischer« Anwendungsfall für den Beteiligungsvertrag ist die Beteiligung
von Venture Capital (VC)-Investoren an Wachstumsunternehmen.
Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen sollen in Ergänzung zu den statuta-
rischen Regelungen in der Satzung Regelungsgegenstände adressieren, die sich auf die
Beteiligung eines oder mehrerer Gesellschafter beziehen. Die Parteien haben i. d. R.
nicht das Interesse, diese Regelungen im Rahmen einer beim Handelsregister hinterleg-
ten Satzung öffentlich werden zu lassen. Zwingende Satzungsbestimmungen können
jedoch nur in der Satzung und nicht in einer Gesellschafter- oder Investorenvereinba-
rung geregelt werden.1 Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen sind seit etwa
der Jahrtausendwende insbesondere zunehmend von Finanzinvestoren genutzt worden,
um bei ihren Portfoliogesellschaften die Umstände des Erwerbs der Beteiligung, die
laufende Einflussnahme als Gesellschafter und die Absicherung eines Exits zu regeln.
Von Gesellschafter- oder Investorenvereinbarungen unterscheidet man Business
Combination Agreements,2 die sich auf Unternehmenszusammenschlüsse in verschie-
denen Strukturen beziehen und vornehmlich Fragen der Zusammenführung der ope-
rativen Geschäftsbereiche der beteiligten Unternehmen betreffen. Diese systematische
Einordnung ist jedoch nicht trennscharf zu Gesellschafter- und Investorenvereinbarun-
gen. Insbesondere Themenkreise, welche die Governance einer Zielgesellschaft in der
Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder SE betreffen, können sich überlappen.3
Die Schlagworte VC, PIPE und Buy-out dienen lediglich der Typisierung bestimmter Ge-
sellschafter- und Investorenvereinbarungen. Dies schließt selbstverständlich nicht aus,
dass einzelne Regelungsgegenstände auch im Rahmen jeweils anderer Beteiligungsfor-
men Verwendung finden.
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Zu den Verpflichtungen des Investors gegenüber der AG kann u. a. die Verpflichtung
zum Erwerb eines Aktienpakets oder zur Vereinbarung eines Irrevocable Undertakings
im Zusammenhang mit einem nachfolgenden Übernahmeangebot mit bisherigen Groß-
aktionären der AG gehören. Insbesondere bei zum Verkauf stehenden größeren Akti-
enpaketen kann die AG ein Interesse an einem geordneten außerbörslichen Übergang
substantieller Aktienpositionen haben.
Der Investor kann außerdem ein Übernahmeangebot ankündigen und die Eckpunkte
des Übernahmeangebotes in der Investorenvereinbarung im Verhältnis zur AG verbind-
lich festlegen. Darüber hinaus kann sich der Investor zur Zeichnung einer Kapitaler-
höhung verpflichten (vgl. Kap. 2.2). Schließlich kann der Investor sich auch zu einem
Lock-up bzw. Stand-still verpflichten (vgl. Kap. 2.3).
Die AG verpflichtet sich im Rahmen einer PIPE-Transaktion i. d. R. dazu, ein etwaiges
Übernahmeangebot des Investors für die freien Aktionäre zu unterstützen, insbeson-
dere seine Annahme im Rahmen der Stellungnahme nach § 27 Abs. 1 Satz 1 WpÜG zu
empfehlen.4 Solche Verpflichtungen können der Vorstand und ggf. der Aufsichtsrat nur
vorbehaltlich ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten als Leitungs- bzw. Aufsichts-
organ der AG übernehmen.5 Ferner kann der Investor von der AG unter Umständen
Exklusivität im Hinblick auf die angestrebte Beteiligung verlangen, so dass seitens der
AG für den vereinbarten Zeitraum keine konkurrierenden Investoren gesucht werden
dürfen.6 Zum Teil werden auch Break-Fee-Vereinbarungen getroffen, wonach die AG bei
Scheitern der Beteiligung/Übernahme zur Zahlung eines Geldbetrags verpflichtet wird.
Die Zulässigkeit solcher Vereinbarungen ist jedoch sehr fraglich.7
Die AG gewährt dem Investor ggf. einen Verwässerungsschutz. So kann sich die AG
mit dem gleichen Vorbehalt wie bei der Unterstützung des Übernahmeangebots ver-
pflichten, z. B. ein genehmigtes Kapital nicht auszunutzen und keine Finanzierungsins-
trumente mit Bezugsrecht auf Aktien auszugeben. Eine ähnliche Zielrichtung haben bei
gleichem Vorbehalt Verpflichtungen, wonach seitens der Verwaltung keine Vorschläge
für weitere Kapitalmaßnahmen bei kommenden Hauptversammlungen gemacht werden.
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Bis zu 10 % des Grundkapitals können unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altak-
tionäre bei einem Investor platziert werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind
dafür in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG normiert, wonach insbesondere der Ausgabepreis
den aktuellen Börsenpreis nicht wesentlich unterschreiten darf. Liegt zum Zeitpunkt
der Kapitalerhöhung ein Übernahmeangebot vor, so darf auch dessen Preis nicht un-
terschritten werden.8
Ist eine Kapitalerhöhung erforderlich, die 10 % des Grundkapitals übersteigt, ist allen
Aktionären ein Bezugsrecht einzuräumen. In diesem Fall kann ggf. der Investor gegen-
über der AG und den Emissionsbanken die Verpflichtung eingehen, von den Altaktio-
nären nicht gezeichnete Aktien zu übernehmen.9
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tungen. Danach kann der Investor berechtigt sein, bei einer niedrigeren Bewertung im
Rahmen einer künftigen Finanzierungsrunde weitere Aktien oder Geschäftsanteile zum
Nominalwert zu zeichnen.
Der Umfang einer solchen zusätzlichen Zeichnung hängt von der wirtschaftlichen
Einigung der Beteiligten ab. Die neue Bewertung kann nachträglich der Einstiegsbe-
wertung zugrunde gelegt werden. Alternativ kommt eine Durchschnittsbetrachtung in
Betracht, bei der die Bewertungen der Vorfinanzierungsrunde und der aktuellen Fi-
nanzierungsrunde in Abhängigkeit von den Finanzierungsvolumina gewichtet werden.
Zum Teil sollen solche Klauseln nur dann zur Anwendung kommen, wenn der Investor
seinerseits bereit ist, bei der nachfolgenden (geringer bewerteten) Finanzierungsrunde
mitzufinanzieren.
11 Vgl. Bayer 2016, in: Münchner Kommentar zum Aktiengesetz, § 57, Rn. 94.
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3 Corporate Governance
3.1 Präsenz des Investors in Gremien (VC, PIPE, Buy-out)
In allen Erscheinungsformen der Beteiligung ist es für den Investor von besonderer
Bedeutung, in den Gremien der Gesellschaft vertreten zu sein, um das Management
(mit-)kontrollieren und bei wesentlichen Unternehmensentscheidungen mitwirken zu
können. Entscheidendes Gremium bei der AG ist der Aufsichtsrat, bei einer GmbH kann
dies ggf. ein fakultativer Aufsichtsrat oder Beirat sein. Die weite Zuständigkeit der Ge-
sellschafterversammlung einer GmbH wird vielfach durch Kompetenzverlagerung in
solche fakultativen Aufsichts- oder Beiräte eingeschränkt.
Bei der AG kann die AG, d. h. die Hauptversammlung, im Rahmen einer Investo-
renvereinbarung nicht verpflichtet werden, bestimmte Personen in ihren Aufsichtsrat
zu wählen (vorbehaltlich etwaiger Entsendungsrechte nach § 101 AktG). Möglich ist
jedoch eine sog. Bemühensverpflichtung des Vorstands, wonach auf eine bestimmte
Aufsichtsratsbesetzung im Rahmen des gesetzlich Zulässigen hingewirkt werden soll.12
Alternativ kann der Investor bei bzw. nach Beitritt Stimmbindungsvereinbarungen
mit anderen (Groß-)Aktionären treffen, insbesondere auch zur Abstimmung des Stimm-
verhaltens in der Hauptversammlung bei Wahl des Aufsichtsrats. Gegebenenfalls kön-
nen Besetzungswünsche für den Aufsichtsrat auch dadurch umgesetzt werden, dass im
Rahmen der gerichtlichen Bestellung nach § 104 AktG auf Vorschlag des Vorstands neue
Aufsichtsratsmitglieder durch das Gericht bestellt werden.
Bei der GmbH besteht erheblich mehr Gestaltungsflexibilität. So können z. B. im
Rahmen eines fakultativen Aufsichts- oder Beirats-Entsendungsrechte in beliebiger Zahl
vereinbart werden.
Aufsichtsräte nehmen ihr Amt stets unabhängig wahr. Aufsichtsratsmitglieder sind
nicht an Weisungen eines oder mehrerer Gesellschafter gebunden. Dieser Gesichtspunkt
ist insbesondere relevant, wenn es um die Besetzung des Vorstands geht.13
12 Vgl. Seibt/Wunsch 2009, S. 204 f.; Kiem 2009, S. 301, 303; Reichert 2015, S. 1, 7.
13 Vgl. Reichert 2015, S. 1, 7.; Schall 2013, S. 75, 90, 95.
14 Vgl. BMF vom 16.12.2003, BStBl 2004 I, S. 40.
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15 Vgl. Seibt/Wunsch 2009, S. 200 f. mit weiteren Nachweisen, insbesondere zum Übernahmeverfah-
ren Continental/Schaeffler und zur Übernahme der Garantenfunktion durch Bundeskanzler a. D.
Gerhard Schröder.
16 Vgl. Kiem 2009, S. 301, 303.
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werden zum Teil auch im Rahmen von Buy-out-Transaktionen dargestellt, wenn Eigen-
kapital in verschiedenen Formen geleistet wird (z. B. Stamm- oder Vorzugsgeschäfts-
anteile).
In der VC-Finanzierungspraxis ist es verbreitet, dass die jeweils letzte Finanzie-
rungsrunde Vorrang vor den jeweils vorhergehenden hat. Erst nachrangig werden dann
die Gründungsgesellschafter an der Verteilung der Erlöse beteiligt. Die Erlösverteilungs-
präferenz soll grundsätzlich den Rückfluss des investierten Kapitals nebst (i. d. R.) ei-
ner bestimmten Verzinsung sicherstellen. Im Detail können diese Bestimmungen sehr
komplex und detailliert in die verschiedenen Rangverhältnisse widerspiegelnden, sog.
Wasserfallregelungen vereinbart werden.
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5 Allgemeine Bestimmungen
5.1 Laufzeit
Es ist üblich, dass für Gesellschafter- und Investorenvereinbarungen Vertragslaufzeiten
vorgesehen werden. Hauptzweck solcher Bestimmungen ist insbesondere, dass eine
Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung der Gesellschafter- und Investorenvereinba-
rung durch einzelne Gesellschafter vermieden werden soll. Den Gesellschaftern ver-
bleibt dementsprechend nur die Möglichkeit, eine solche Vereinbarung ggf. aus wichti-
gem Grund zu kündigen.
Die Laufzeiten sind unterschiedlich. Bei VC- und Buy-out-orientierten Transaktionen
sind Laufzeiten von zehn bis fünfzehn Jahren durchaus üblich. Demgegenüber haben
Investorenvereinbarungen bei PIPE-Transaktionen eher eine kürzere Laufzeit, z. B. fünf
bis zehn Jahre.
5.2 Vertragsstrafe
Einzelne Verhandlungs- oder Unterlassungsverpflichtungen einer Gesellschafter- oder
Investorenvereinbarung können ggf. durch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe pöna-
lisiert werden.
5.3 Form
Vereinbarungen, die sich mittelbar auf die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen
beziehen (z. B. Drag-Along- und Tag-Along-Verpflichtungen bzw. -rechte) bedürfen der
notariellen Beurkundung (§ 15 Abs. 4 GmbHG). Gesellschafter- und Investorenverein-
barungen, die sich auf Aktiengesellschaften beziehen, bedürfen grundsätzlich keiner
besonderen Form.
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Literatur
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Vahlen, München, 2008.
BMF vom 16.12.2003, BStBl 2004 I, 40.
Decher, C. E. (2010): Das Business Combination Agreement – ein verdeckter Beherrschungsvertrag
oder sonstiger strukturändernder Vertrag? In: Kindler, P./Koch, J. et al. (Hrsg.): Festschrift für Uwe
Hüffer zum 70. Geburtstag. C. H. Beck, München, 2010, S. 145 ff.
Groß, J. (2014): Gesellschaftervereinbarungen als Gestaltungsinstrument. In: ErbStB, 2014, S. 284 ff.,
305 ff.
Kiem, R. (2009): Investorenvereinbarungen im Lichte des Aktien- und Übernahmerechts. In: AG, 2009,
S. 301, 303.
Reichert, J. (2015): Business Combination Agreements. In: ZGR, 2015, S. 1–32.
Schall, A. (2013): Business Combination Agreements und Investorenvereinbarungen. In: Kämmerer,
J. A./Veil, R. (Hrsg.): Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion. Mohr Siebeck,
Tübingen, S. 75 ff.
Schiessl, M. (2009): Auf der Suche nach dem »Ankeraktionär« – »PIPE«-Transaktionsmodelle und Or-
ganpflichten. In: AG, 2009, S. 385, 388 f.
Seibt, C. H./Wunsch, O. (2009): Investorenvereinbarungen bei öffentlichen Übernahmen. In: Der Kon-
zern, 2009, S. 195, 202 f.
Wälzholz, E. (2009): Gesellschaftervereinbarungen (Side Letters) neben der GmbH-Satzung. Chancen
– Risiken – Zweifelsfragen. In: GmbHR, 2009, S. 1020–1027.
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| 671
Teil
1 Einleitung
2 Vorläufer des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG)
2.1 Leitsätze der Börsensachverständigenkommission von 1979
2.2 Übernahmekodex von 1995
3 Verabschiedung und Revision des WpÜG
3.1 WpÜG 2002
3.2 WpÜG 2006
4 Aktuelle Entwicklungen im deutschen Übernahmerecht
4.1 Erwerb eigener Aktien
4.2 Zurechnung von Stimmrechten
4.3 Angemessenheitsvermutung der Gegenleistung beim Squeeze-out
1 Einleitung
Mit dem am 01.01.2002 in Kraft getretenen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
(WpÜG) wurde in Deutschland erstmals ein umfassendes und verbindliches Regelwerk
für die Durchführung öffentlicher Verfahren zum Erwerb von Aktien oder vergleich-
baren Wertpapieren eines börsennotierten Unternehmens eingeführt. Dieses Gesetz
markiert den Schlusspunkt des als gescheitert anzusehenden Versuchs, den Ablauf öf-
fentlicher Wertpapiererwerbsverfahren den Marktteilnehmern selbst zu überlassen bzw.
sie durch die Vorgabe unverbindlicher Verhaltensstandards zur Einhaltung bestimmter
Regeln zu bewegen.
Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Entstehung des Rechts der
öffentlichen Unternehmensübernahmen in Deutschland, stellt die wesentlichen mate-
riellen Vorschriften dar und geht darüber hinaus auf einige Entwicklungen seit der
Neufassung des WpÜG im Jahre 2006 ein.
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renz während des gesamten Übernahmeverfahrens und (iv) die Pflicht der Organe der
Zielgesellschaft zur Wahrung der Neutralität.
Ähnlich wie die »Leitsätze« aus dem Jahr 1979 stellte allerdings auch der Kodex kein
von sich aus rechtsverbindliches Regelwerk dar; Verbindlichkeit erlangte er nur für
solche Unternehmen, die den Kodex offiziell anerkannten. Zwar war die Abgabe einer
solchen Anerkennungserklärung ab 1998 Voraussetzung für die Neuaufnahme in die
bedeutendsten deutschen Aktienindizes DAX und M-DAX. Gleichwohl blieb die erhoff-
te Anerkennung auf breiter Ebene aus. Bis April 2001 hatten lediglich 755 der damals
insgesamt 1.016 börsennotierten Unternehmen in Deutschland den Kodex anerkannt.2
Hinzu kam, dass auch diejenigen Unternehmen, die den Kodex anerkannt hatten,
nicht selten gegen dessen Bestimmungen verstießen und es nach wie vor an wirksamen
und mit staatlichen Mitteln durchsetzbaren Sanktionen fehlte. Eines der prominentesten
Beispiele öffentlicher Übernahmen, in deren Verlauf wiederholt gegen Prinzipien des
Kodex verstoßen wurde, war die »feindliche« Übernahme der Mannesmann AG durch
Vodafone Airtouch PLC im Winter 1999/2000. Das Prinzip der freiwilligen Ankerken-
nung des Kodex führte letztlich zu Marktungleichheiten, weil einige Marktteilnehmer
dem Kodex folgten und andere nicht. Darüber hinaus hatte der Kodex den Nachteil,
ausländische Bieter von vornherein nicht zu erreichen, was zu einer Benachteiligung
»kodextreuer« (deutscher) Unternehmen führte.
Maßgebliches Ziel dieses Gesetzes war es, dem Problem unregulierter Übernahmever-
fahren effektiv zu begegnen und den Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland
berechenbarer und damit im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger und für In-
vestoren attraktiver zu machen. Die Übernahme von Unternehmen und andere öffent-
liche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren sollten weder gefördert noch verhindert
werden; stattdessen sollte ein Rechtsrahmen geschaffen werden, in dem Übernahme-
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verfahren ebenso fair und geordnet wie rasch und transparent abgewickelt werden
können. Etwaige Abwehrmaßnahmen des Vorstandes der Zielgesellschaft, die den Un-
ternehmens- und Anlegerinteressen nicht gerecht werden, sollten verhindert werden.
Ein besonderer Stellenwert sollte darüber hinaus dem Schutz der Minderheitsaktionäre
zukommen.
3.1.2 Grundlagen
3.1.2.1 Anwendungsbereich
Das WpÜG ist anwendbar auf öffentliche Angebote zum Erwerb (d. h. zum Kauf oder
Tausch) von Wertpapieren, die von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden und zum
Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Unter »Wertpapieren« sind in
erster Linie Aktien oder vergleichbare Wertpapiere zu verstehen, die eine Mitglied-
schaft in einer Aktiengesellschaft verbriefen, sowie darüber hinaus Optionsanleihen,
Wandelschuldverschreibungen oder ähnliche Wertpapiere, die dem Inhaber ein Recht
zum Bezug von Aktien einräumen. Während das Gesetz zunächst nur Emittenten mit
Sitz im Inland erfasste, finden die Vorschriften des WpÜG seit dem Jahr 2006 auch auf
den Erwerb von Wertpapieren von Zielgesellschaften mit Sitz in einem anderen Staat
des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) Anwendung.3
Die Systematik des WpÜG folgt einer Dreiteilung öffentlicher Erwerbsangebote. Un-
terschieden wird zunächst zwischen freiwilligen und obligatorischen (sog. »Pflicht«-)
Angeboten. Bei freiwilligen Angeboten wird ferner differenziert nach solchen, die auf
die Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gerichtet sind (sog. »Übernah-
meangebote«) und solchen, die nicht auf den Kontrollerwerb abzielen (sog. »einfache
Erwerbsangebote«). Daraus ergibt sich die Unterscheidung zwischen (i) einfachen Er-
werbsangeboten, (ii) Übernahmeangeboten und (iii) Pflichtangeboten, der auch der
Aufbau des Gesetzes folgt.
Nach einigen allgemeinen Vorschriften (§§ 1 bis 3 WpÜG) und Vorschriften über
die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) (§§ 4
bis 9 WpÜG) enthält der dritte Abschnitt (§§ 10 ff.) des WpÜG zunächst Bestimmungen
über einfache öffentliche Erwerbsangebote, die nicht auf den Kontrollerwerb gerichtet
sind. Ein Kontrollerwerb in diesem Sinne liegt dann vor, wenn der Bieter als Folge des
Angebots mehr als 30 % der Stimmrechte der Zielgesellschaften halten würde. Unter
die Vorschriften über einfache öffentliche Erwerbsangebote fallen zum einen Angebote
zum Erwerb einer Beteiligung, die – ggf. unter Berücksichtigung einer bereits vorhan-
denen Beteiligung – unterhalb der Kontrollschwelle von 30 % der Stimmrechte bleibt
(sog. »Einstiegsangebote«); zum anderen gehören dazu auch diejenigen Angebote, die
der Aufstockung einer bereits zuvor bestehenden Kontrollbeteiligung dienen (sog. »Auf-
stockungsangebote«).
Im vierten Abschnitt (§§ 29 ff. WpÜG) sind die Übernahmeangebote geregelt, also
diejenigen öffentlichen Erwerbsangebote, die auf den Erwerb der Kontrolle über die
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Zielgesellschaft gerichtet sind. Die Vorschriften des fünften Abschnitts (§§ 35 ff. WpÜG)
enthalten schließlich die Bestimmungen für Pflichtangebote, die sich von den vorge-
nannten Angebotsarten dadurch unterscheiden, dass sie nicht auf freiwilliger Basis
abgegeben werden. Zur Abgabe eines Pflichtangebots ist verpflichtet, wer unmittelbar
oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt (bspw. durch einen au-
ßerbörslichen Erwerb von mindestens 30 % der Stimmrechte an einem börsennotierten
Unternehmen).
Die Bestimmungen des WpÜG über einfache Erwerbsangebote, Übernahme- und
Pflichtangebote stehen nicht selbstständig nebeneinander, sondern bauen jeweils auf-
einander auf. Hierbei betrachtet das Gesetz das einfache Erwerbsangebot als Grundfall
und enthält zusätzliche Anforderungen für Übernahme- und Pflichtangebote.
Den Regelungen über die verschiedenen Arten von Angeboten vorangestellt ist ein
allgemeiner Abschnitt (§§ 1 bis 3 WpÜG), der den Anwendungsbereich des Gesetzes
umschreibt und verschiedene Begrifflichkeiten klärt. Von besonderer Bedeutung ist in
diesem Zusammenhang § 3 WpÜG, der die allgemeinen Grundsätze und Zielvorstel-
lungen des Gesetzes festlegt, die allen nachfolgenden Regelungen zugrundeliegen und
bei jedem Angebot zum Erwerb von Wertpapieren beachtet werden müssen. Hierbei
handelt es sich um (i) den Gleichbehandlungsgrundsatz, (ii) das Transparenzgebot, (iii)
die Neutralitätspflicht von Vorstand und Aufsichtsrat, (iv) das Gebot der raschen Durch-
führung des Angebotsverfahrens sowie (v) das Verbot von Marktverzerrungen. Diese
fünf »vor die Klammer gezogenen« Grundsätze werden in den jeweiligen Vorschriften
über die Durchführung des Angebotsverfahrens im Einzelnen näher ausgestaltet und
konkretisiert. Gleichzeitig kommen darin aber auch die zentralen Ziel- und Wertvorstel-
lungen des Gesetzgebers zum Ausdruck, auf die in Zweifelsfragen regelmäßig rekurriert
wird.
Im Hinblick auf den Beginn des Angebotsverfahrens ist zwischen freiwilligen und obli-
gatorischen Erwerbsangeboten zu unterscheiden. Freiwillige Angebotsverfahren basie-
ren auf der autonomen Entscheidung des Bieters, ein Erwerbsangebot abzugeben. Eine
solche Entscheidung ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG unverzüglich zu veröffentli-
chen.4 Bei obligatorischen Angeboten hingegen ist die Abgabe des Angebots Folge einer
gesetzlichen Verpflichtung, die einen Wertpapierinhaber immer dann trifft, wenn er
die Kontrolle über die Zielgesellschaft (30 % der Stimmrechte) erlangt.5 Unterlässt der
4 Welches der genaue Bezugspunkt für die Verpflichtung des Bieters zur »unverzüglichen« Veröffent-
lichung seines Angebots ist, wird seit Jahren intensiv diskutiert. Erforderlich ist jedenfalls, dass der
interne Willensbildungsprozess des Bieters im Hinblick auf die Frage, ob er ein Angebot abgeben
wird, abgeschlossen ist. Wie die Angebotskonditionen im Einzelnen aussehen sollen, muss demge-
genüber noch nicht endgültig feststehen. Vgl. zu den Einzelheiten Geibel/Süßmann 2008, § 10 Rn.
7 ff.
5 Die Kontrollerlangung ist ebenfalls unverzüglich zu veröffentlichen (§ 35 Abs. 1 S.1 WpÜG).
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Bieter in einem solchen Fall die Abgabe eines Angebots entsprechend den gesetzlichen
Vorschriften, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar, die von der BaFin mit einem Buß-
geld von bis zu 1 Mio. Euro geahndet werden kann. Ob der BaFin darüber hinaus die
Befugnis zusteht, die Abgabe eines Angebots mit hoheitlichen Mitteln zu erzwingen,
ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden.6 Die wohl überwiegende Meinung in der
Literatur leitet eine solche Befugnis jedoch aus der Generalermächtigung des § 4 Abs. 1
Satz 3 WpÜG ab.7 Einig ist man sich indes darüber, dass ein Anspruch der Aktionäre
auf Abgabe eines Pflichtangebots nicht besteht.8
In beiden Fällen, d. h. sowohl bei freiwilligen als auch bei obligatorischen Erwerbsan-
geboten, hat der Bieter nach der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines
Angebots bzw. der Kontrollerlangung grundsätzlich vier Wochen Zeit, um der BaFin
eine sog. Angebotsunterlage zu übermitteln. Hierbei handelt es sich um ein verbindli-
ches und unwiderrufliches Angebot zum Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft.
Eine Ausgestaltung der Angebotsunterlage als bloße invitatio ad offerendum ist ebenso
unzulässig wie ein Angebot mit Rücktrittsvorbehalt (§§ 17, 18 WpÜG). Bedingungen
sind demgegenüber grundsätzlich zulässig, jedoch nur, soweit der Bedingungseintritt
nicht vom Bieter ausschließlich selbst herbeigeführt werden kann. Sofern für das An-
gebot die Zustimmung der Gesellschafterversammlung des Bieters erforderlich ist, darf
die Erteilung dieser Zustimmung jedoch ausnahmsweise zur Bedingung des Angebots
gemacht werden (§ 25 WpÜG).
Der genaue Inhalt der Angebotsunterlage ist in § 11 WpÜG sowie in einer auf Basis
des WpÜG ergangenen Rechtsverordnung (WpÜG-Angebotsverordnung) detailliert ge-
regelt. Zu dem erforderlichen Inhalt gehören insbesondere Angaben zum Bieter und zu
den mit ihm gemeinsam handelnden Personen, zu den Wertpapieren, die Gegenstand
des Angebots sind, zu Art und Höhe der vom Bieter gebotenen Gegenleistung, zur
Finanzierung des Angebots, zu den Angebotsbedingungen, zur Zahl der vom Bieter
bereits gehaltenen Wertpapiere bzw. Stimmrechte sowie zu den Auswirkungen des
geplanten Wertpapiererwerbs auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bieters.
Darüber hinaus muss die Angebotsunterlage über die Absichten des Bieters im Hinblick
auf die künftige Geschäftstätigkeit und geplante Eingriffe in die bestehende Betriebs-
struktur der Zielgesellschaft informieren sowie über etwaige Vorteile, die einzelnen
Organmitgliedern der Zielgesellschaft für den Fall eines erfolgreichen Übernahmever-
fahrens in Aussicht gestellt wurden.
Im Hinblick auf die anzubietende Gegenleistung ist zu unterscheiden zwischen ein-
fachen Erwerbsangeboten einerseits und Übernahme- und Pflichtangeboten anderer-
seits. Während das Gesetz bei einfachen Erwerbsangeboten insoweit keinerlei Vorgaben
macht, unterliegt der Bieter bei Übernahme- und Pflichtangeboten sowohl bezüglich
der Art als auch bezüglich der Höhe der Gegenleistung gesetzlichen Beschränkungen
(§§ 31, 39 WpÜG i.V.m. §§ 3 bis 7 WpÜG-Angebotsverordnung).
Hinsichtlich der Art der anzubietenden Gegenleistung kann der Bieter grundsätz-
lich frei wählen, ob er die Wertpapiere gegen Barzahlung oder gegen Aktien erwerben
will. Zur Abgabe eines Barangebots ist er lediglich dann verpflichtet, wenn er in einem
bestimmten Zeitraum vor Ablauf der Angebotsfrist bereits mindestens 5 % der Aktien
6 Vom BGH ausdrücklich offengelassen, Urteil vom 11.06.2013, NZG 2013, S. 939.
7 So etwa Geibel/Süßmann 2008, § 35 Rn. 57; Assmann et al. 2013, § 35 Rn. 248; a. A. Baums/Thoma
2012, § 35 Rn. 295.
8 BGH, Urteil vom 11.06.2013, NZG 2013, S. 939.
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oder Stimmrechte der Zielgesellschaft gegen Zahlung einer Geldleistung erworben hat
(§ 31 Abs. 3 WpÜG).
Hinsichtlich der Höhe der anzubietenden Gegenleistung bestimmt das Gesetz, dass
diese »angemessen« sein muss (§ 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG). Maßgebliche Kriterien zur
Bestimmung der Angemessenheit sind der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der
Zielgesellschaft in den letzten drei Monaten vor Veröffentlichung der Entscheidung zur
Abgabe des Angebots einerseits (sog. »Börsenpreisregel«) sowie Vorerwerbe von Aktien,
die der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunterneh-
men in den letzten sechs Monaten vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage getätigt
haben andererseits (sog. »Gleichpreisregel«). Die Gegenleistung muss mindestens dem
jeweils höheren dieser beiden Werte entsprechen.9 In der Angebotsunterlage sind die
angewandten Bewertungsmethoden offenzulegen und detaillierte Angaben zur Ange-
messenheit der angebotenen Gegenleistung zu machen.
Die vom Bieter eingereichte Angebotsunterlage wird von der BaFin auf ihre Überein-
stimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen geprüft. Der Bieter veröffentlicht die
Angebotsunterlage, wenn sie von der BaFin entweder positiv gestattet oder – und das
ist in der Praxis der Regelfall – nicht innerhalb von zehn Werktagen nach Einreichung
untersagt wurde (§ 14 Abs. 2 WpÜG). Die Veröffentlichung der Angebotsunterlage hat
sowohl im Internet als auch durch Bekanntgabe im elektronischen Bundesanzeiger oder
durch Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland zu
erfolgen (§ 14 Abs. 3 WpÜG). Zudem muss die Angebotsunterlage dem Vorstand der
Zielgesellschaft übermittelt werden, der sie seinerseits an den Betriebsrat bzw. an die
Arbeitnehmer weiterzuleiten hat (§ 14 Abs. 4 WpÜG).
3.1.3.3 Annahmefrist
Die vom Bieter in der Angebotsunterlage bestimmte Frist, innerhalb derer die Aktio-
näre der Zielgesellschaft das Angebot annehmen können, darf nicht weniger als vier
Wochen und i. d. R. nicht mehr als zehn Wochen betragen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 WpÜG).
Für Übernahmeangebote sieht das Gesetz eine sog. »weitere Annahmefrist« von zwei
Wochen vor, in der diejenigen Aktionäre, die das Angebot zunächst nicht angenommen
haben, die Annahme noch nachträglich erklären können (§ 16 Abs. 2 Satz 1 WpÜG).
Sobald der Bieter die Angebotsunterlage veröffentlicht hat, ist er verpflichtet, wöchent-
lich und in der letzten Woche vor Ablauf der Annahmefrist sogar täglich die Anzahl
der erworbenen Wertpapiere zu veröffentlichen (§ 23 Abs. 1 WpÜG). Weitere Veröffent-
lichungen haben zudem unverzüglich nach Ablauf der Annahme- sowie der weiteren
Annahmefrist zu erfolgen.
Sowohl der Vorstand als auch der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft sind verpflichtet,
zu dem Erwerbsangebot des Bieters eine begründete Stellungnahme abzugeben (§ 27
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Abs. 1 WpÜG). Diese Stellungnahme, die in der Praxis üblicherweise durch Vorstand
und Aufsichtsrat gemeinsam abgegeben wird, muss auf alle relevanten Punkte des Er-
werbsangebots eingehen, insbesondere auf die Art und Höhe der angebotenen Gegen-
leistung, auf die voraussichtlichen Folgen einer erfolgreichen Übernahme für die Ziel-
gesellschaft, auf die vom Bieter verfolgten Ziele sowie auf die Absicht der Mitglieder
von Vorstand und Aufsichtsrat, soweit sie Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft
sind, das Angebot anzunehmen. Die Stellungnahme hat im Regelfall eine konkrete
Handlungsempfehlung an die Aktionäre zu enthalten und soll diesen als weitere Infor-
mationsbasis und Entscheidungshilfe dienen.
Um die freie Entscheidung der Aktionäre der Zielgesellschaft über die Annahme
des Angebots nicht zu unterlaufen, trifft den Vorstand darüber hinaus eine – grund-
sätzlich umfassende – Neutralitätspflicht. Diese besagt, dass der Vorstand während
des gesamten Angebotsverfahrens keine Handlungen vornehmen darf, durch die der
Erfolg des Angebots verhindert werden könnte (§ 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG). Das Gesetz
lässt von diesem Grundsatz jedoch eine Reihe von Ausnahmen zu. So gilt die Neutra-
litätspflicht bspw. nicht für Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter
Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen
ist, vorgenommen hätte, für die Suche nach einem konkurrierenden Angebot sowie
für Handlungen, denen der Aufsichtsrat zugestimmt hat. Bei der Erteilung seiner Zu-
stimmung hat sich der Aufsichtsrat nach § 3 Abs. 3 WpÜG am Unternehmensinteresse
und damit u. a. auch an den Aktionärsinteressen zu orientieren. Die Zustimmungs-
möglichkeit des Aufsichtsrats gilt nach überwiegender Auffassung allerdings nur für
solche Maßnahmen, die nicht bereits nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen
in den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung fallen.10 Für solche, in den Kom-
petenzbereich der Hauptversammlung fallende Abwehrmaßnahmen enthält § 33 Abs. 2
WpÜG eine Spezialregelung, derzufolge die Hauptversammlung den Vorstand für einen
Zeitraum von höchstens 18 Monaten »auf Vorrat« zu konkret zu benennenden Arten
von Handlungen ermächtigen kann, die generell auf die Verhinderung des Erfolges von
Übernahmeangeboten gerichtet sind.
Zuständige Stelle für die Aufsicht über die Einhaltung der Vorschriften des WpÜG ist die
bereits erwähnte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit Sitz in Bonn und
Frankfurt a.M. Durch die Zuweisung der Überwachungsfunktion an eine selbständige
staatliche Bundesanstalt soll sichergestellt werden, dass die Aufsicht von einem Kont-
rollgremium durchgeführt wird, das den Beteiligten einerseits neutral gegenübersteht
und das andererseits über hoheitliche Zwangsbefugnisse verfügt und so bei Gesetzes-
verstößen wirkungsvolle Sanktionen verhängen kann. Die Übertragung der Kontroll-
funktion auf eine staatliche Stelle zählt zu einer der wesentlichen Veränderungen, die
das WpÜG mit sich gebracht hat.
Die Aufsicht durch die BaFin umfasst sowohl die laufende Überwachung der Ein-
haltung als auch die Durchsetzung der Vorschriften des WpÜG. In beiderlei Hinsicht
sind die Befugnisse der BaFin sehr weitreichend; über die in speziellen Vorschriften
10 Vgl. etwa Hirte/Bülow 2010, § 33 Rn. 80; Steinmeyer/Häger 2013, § 33 Rn. 26; Assmann et al. 2013,
§ 33 Rn. 174; a. A. Baums/Thoma 2012, § 33 Rn. 69.
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Seit der Umsetzung der Übernahmerichtlinie im Jahr 2006 können nicht mehr nur
inländische Unternehmen Zielgesellschaften im Sinne des WpÜG sein, sondern auch
solche, die ihren Sitz in einem anderen EWR-Staat haben. Die sich infolge dieser Ände-
rung u. U. ergebenden Überschneidungen mit dem ebenfalls anwendbaren Recht eines
anderen Staates sowie mit der zuständigen Aufsicht im Falle einer Börsenzulassung
außerhalb des Sitzstaates der Gesellschaft werden durch entsprechende Kollisionsvor-
schriften in den neu eingeführten Absätzen 2 und 3 des § 1 WpÜG 2006 vermieden.11
Der neu eingeführte § 11a WpÜG ermöglicht es einem Bieter, seine von der zuständi-
gen Stelle eines anderen Mitgliedsstaates des EWR gebilligte Angebotsunterlage zum
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Erwerb von Wertpapieren, die auch in Deutschland gehandelt werden, ohne erneutes
Billigungsverfahren nach den Vorschriften des WpÜG auch hierzulande einzusetzen.
Wesentliches Ziel der Übernahmerichtlinie war es, in zentralen Bereichen des Übernah-
merechts die rechtlichen Rahmenbedingungen innerhalb der EU anzugleichen (»Level
Playing Field«). Gleichzeitig sollten die Mitgliedsstaaten aber nicht zu einer umfassen-
den Vereinheitlichung ihrer Übernahmegesetze gezwungen werden. Jedenfalls im Hin-
blick auf den Umfang der Neutralitätspflicht des Vorstandes der Zielgesellschaft sowie
der Fortgeltung von Stimmrechts- und Übertragungsbeschränkungen während des An-
gebotsverfahrens sollte dem nationalen Gesetzgeber vielmehr die Möglichkeit gegeben
werden, die jeweiligen Wertpapieremittenten selbst entscheiden zu lassen, ob sie die
entsprechenden Regelungen der Richtlinie zur Anwendung bringen wollen oder nicht.
Unter Berufung auf dieses sog. Optionsmodell hat der deutsche Gesetzgeber die
bereits bisher geltenden Vorschriften zur Neutralitätspflicht des Vorstandes der Ziel-
gesellschaft zunächst unverändert gelassen (sog. »Opt-out«). Allerdings wird inländi-
schen Gesellschaften nunmehr die Möglichkeit eröffnet, sich durch eine entsprechende
Satzungsregelung freiwillig dem strengeren Regime der Übernahmerichtlinie zu un-
terwerfen (sog. »Opt-in«). Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Neutralitätspflicht des
Vorstandes (§ 33a WpÜG) als auch im Hinblick auf das Schicksal von Stimmrechtsbe-
schränkungen und Vinkulierungen (§ 33b WpÜG) während des Übernahmeverfahrens.
In diesem Zusammenhang ist allerdings auf den ebenfalls neu in das Gesetz eingefüg-
ten § 33c WpÜG hinzuweisen, welcher es der Hauptversammlung einer Zielgesellschaft,
die sich per Satzung dem strengen europäischen Regelungsregime unterworfen hat,
erlaubt, durch einfachen Mehrheitsbeschluss die Geltung der §§ 33a, b WpÜG im Ein-
zelfall davon abhängig zu machen, dass auch der Bieter selbst den strengen Regelungen
der Richtlinie unterliegt (sog. »Vorbehalt der Gegenseitigkeit«).
Die Wahl der strengeren Neutralitätsreglung der Übernahmerichtlinie führt u. a. da-
zu, dass die Hauptversammlung den Vorstand nicht mehr generell, d. h. unabhängig
von aktuellen Angebotsverfahren, zur Vornahme bestimmter Arten von Abwehrmaß-
nahmen ermächtigen, sondern eine solche Ermächtigung nur noch anlässlich konkreter
Erwerbsangebote ausgesprochen werden kann. Darüber hinaus kann nach den Vor-
gaben der Richtlinie nur die Hauptversammlung – und nicht auch der Aufsichtsrat
– der Zielgesellschaft zu solchen Abwehrmaßnahmen ermächtigen. Zusammengefasst
bedeutet dies, dass der Spielraum des Vorstandes einer Zielgesellschaft zur Abwehr von
öffentlichen Erwerbsangeboten im Falle des Opt-in durch den Emittenten im Vergleich
zu der bisherigen Regelung deutlich eingeschränkt ist (vgl. § 33a Abs. 2 WpÜG).
Nach dem ebenfalls neu in das Gesetz eingefügten § 33b WpÜG kann die Satzung ei-
nes Emittenten nunmehr zudem vorsehen, dass satzungsmäßige und vertragliche Über-
tragungsbeschränkungen der Wertpapiere der Zielgesellschaft während der Annahme-
frist außer Kraft gesetzt werden und dass außerdem satzungsmäßige oder vertragliche
Stimmrechtsbeschränkungen in der Hauptversammlung, in der über Maßnahmen zur
Abwehr des Übernahmeangebots entschieden werden soll, keine Wirkung entfalten. Als
Ausgleich für diese »Durchbrechung« ist allerdings der Bieter verpflichtet, demjenigen,
der hierdurch einen Rechtsverlust erleidet, eine angemessene Entschädigung in Geld zu
zahlen (§ 33b Abs. 5 WpÜG).
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3.2.4 Squeeze-out/Sell-out
Eine wesentliche Neuerung des WpÜG 2006 bestand auch in den aufgrund der Über-
nahmerichtlinie eingefügten Regelungen im Hinblick auf den Umgang mit Aktionären,
die im Anschluss an ein Übernahme- oder Pflichtangebot in der Gesellschaft verblieben
sind. Wenn der Bieter nach seinem Angebot über Aktien in Höhe von mindestens 95 %
des stimmberechtigten Grundkapitals der Zielgesellschaft verfügt, hat er für drei Mo-
nate die Möglichkeit, sich durch einfachen Gerichtsbeschluss auch die übrigen stimm-
berechtigten Aktien gegen Gewährung einer angemessenen Abfindung übertragen zu
lassen (§ 39a WpÜG).12 Dieser sog. übernahmerechtliche Squeeze-out steht grundsätz-
lich selbständig neben dem in den §§ 327a ff. des Aktiengesetzes (AktG) geregelten
aktienrechtlichen Squeeze-out, wobei zu beachten ist, dass das gleichzeitige Betreiben
eines aktienrechtlichen Ausschlussverfahrens neben dem übernahmerechtlichen Aus-
schlussverfahren nicht in Betracht kommt (§ 39a Abs. 6 WpÜG). Hervorzuheben ist
auch, dass der übernahmerechtliche Squeeze-out im Unterschied zum aktienrechtlichen
Squeeze-out keinen Beschluss der Hauptversammlung erfordert, sondern durch einen
entsprechenden Antrag bei dem dafür zuständigen Landgericht (LG) Frankfurt a.M.
eingeleitet wird, das die Aktien dem Bieter dann durch einfachen Gerichtsbeschluss
überträgt.
Parallel zu dem beschriebenen Ausschlussrecht des Bieters haben unter denselben
Voraussetzungen (Bieter erwirbt 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals) umge-
kehrt auch die in der Gesellschaft verbliebenen Minderheitsaktionäre ihrerseits das
Recht, innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist dem Bieter die von
ihnen gehaltenen Aktien der Zielgesellschaft anzudienen (§ 39c WpÜG, sog. »Sell-out«).
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die Erkenntnis durch, dass die Anwendung des WpÜG auf den Erwerb eigener Aktien
weder erforderlich noch sinnvoll ist.14 Dem Schutz- und Informationsbedürfnis der Ak-
tionäre wird in diesen Fällen bereits durch die Regelungen zum Erwerb eigener Aktien
in §§ 71 ff. AktG, die Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Aktionären sowie
das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG hinreichend Rechnung getra-
gen. Durch die zahlreichen Mitteilungs-, Veröffentlichungs- und Stellungnahmepflichten
und das formalisierte Gestattungsverfahren nach den §§ 14 ff. WpÜG würde der Erwerb
eigener Aktien darüber hinaus unverhältnismäßig erschwert und verzögert, was ins-
besondere dann misslich ist, wenn die Aktiengesellschaft kurzfristig ihren Bedarf an
eigenen Aktien decken muss.15
Seitdem im August 2006 schließlich auch die BaFin ihre frühere Auffassung revi-
diert hat,16 steht für die Praxis nunmehr fest, dass eine Anwendung des WpÜG auf den
Erwerb eigener Aktien nicht in Betracht kommt. Die Zulässigkeit derartiger Geschäfte
richtet sich vielmehr allein nach den entsprechenden aktienrechtlichen Vorschriften,
namentlich §§ 71 ff. AktG. Außerdem unterliegt die Beschlussfassung des Vorstandes
über den Erwerb eigener Aktien regelmäßig der Pflicht zur Ad-hoc-Publizität nach § 15
des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG).
14 Heute ganz h. M., vgl. etwa Geibel/Süßmann 2008, § 1 Rn. 128; Steinmeyer/Häger 2013, § 1 Rn. 9 ff.;
a. A. Wackerbarth 2011, § 2 Rn. 23–24.
15 Umfassend zum Ganzen Süßmann 2002, S. 424 ff.; Koch 2003, S. 61 ff.
16 BaFin-Bekanntmachung vom 09.08.2006, abrufbar unter www.bafin.de.
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21 Vgl. die Nachweise bei LG Frankfurt a. M., Beschluss vom 05.08.2008, NZG 2008, S. 665.
22 LG Frankfurt a. M., Beschluss vom 05.08.2008, NZG 2008, S. 665.
23 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 09.12.2008, NZG 2009, S. 74.
24 OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.05.2009, NZG 2009, S. 950.
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Dieser Ansicht hat das OLG Frankfurt a. M. in einer aktuellen Entscheidung zumin-
dest tendenziell zugestimmt.25 Es geht hierin grundsätzlich von einer unwiderleglichen
Vermutung aus, soweit nicht der zur Preisermittlung übliche Markttest ausnahmsweise
keine Aussagekraft hat. Insofern stellt das Gericht hohe Anforderungen an eine Entkräf-
tung der Vermutung im Einzelfall und qualifiziert die Angemessenheitsvermutung als
eine Art Missbrauchskontrolle. »Es müssten konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass das Angebotsverfahren in wesentlichen Punkten nicht korrekt abgelaufen, der dem
Angebot zugrunde liegende Börsenkurs manipuliert und somit der Markttest verfälscht
worden ist.«26
Durch dieses Urteil verringert sich die Gefahr des Scheiterns eines Übernahme- oder
Pflichtangebots durch die Rüge der Angemessenheit der Abfindung bei einem Antrag
auf Ausschließung der verbleibenden Minderheitsaktionäre.
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und Bankrecht, 2009, S. 340–349.
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3. Aufl., Erich Schmidt, Berlin, 2013.
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Aktiengesetz (AktG), Bd. 6. 3. Aufl., C. H. Beck, München, 2011.
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686 |
Teil
1 Einleitung
2 Gesetzliche Grundlagen
2.1 Erste Transparenzrichtlinie und Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)
2.2 Zweite Transparenzrichtlinie und Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz
(TUG)
2.3 Risikobegrenzungsgesetz
2.4 Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz (AnsFuG)
2.5 Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie
3 Umgehung der Beteiligungstransparenz durch den Einsatz von Cash Settled
Equity Swaps?
3.1 Übernahme der Continental AG durch die Schaeffler Gruppe
3.2 Rechtliche Würdigung vor Einführung des AnsFuG
3.3 Rechtliche Würdigung nach Einführung des AnsFuG
3.4 Sanktionen
3.5 Ergebnis
4 Lösen Umfirmierungen Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG aus?
4.1 Entscheidung des Landgerichts Köln vom 05.10.2007
4.2 Rechtliche Würdigung
4.3 Ergebnis
5 Schlussbetrachtung
1 Einleitung
Selten ziehen Transaktionen die Aufmerksamkeit der öffentlichen und veröffentlichten
Meinung in so hohem Maße auf sich, wie dies bei den (beabsichtigten oder tatsächlich
erfolgten) Übernahmen von Schaeffler/Continental, Porsche/VW und AWD/MLP der
Fall war. Gerade das Übernahmeangebot der Schaeffler Gruppe zum Erwerb der Aktien
der börsennotierten Continental AG erregte die Gemüter und warf eine Vielzahl juristi-
scher Fragen auf, die nicht frei von rechtspolitischer Brisanz waren – und die bis heute
nicht abschließend beantwortet sind.
Im Mittelpunkt der Diskussionen standen vor allem die Transparenz und die Regulie-
rung des Kapitalmarktes im Allgemeinen sowie die Verschärfung der Meldepflichten für
derivative Finanzinstrumente im Besonderen. Das große Interesse der Öffentlichkeit an
∗ Dr. Dirk Classen, Partner, Rechtsanwalt, Classen Fuhrmanns & Partner, Köln.
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Teil
dieser Transaktion ist vornehmlich darauf zurückzuführen, dass Schaeffler sog. »Cash
Settled Equity Swaps« einsetzte, um den kapitalmarktrechtlichen Meldepflichten nicht
nachkommen zu müssen. So sind nach deutschem Recht natürliche und juristische
Personen verpflichtet, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und
der börsennotierten Gesellschaft selbst die Höhe ihrer Stimmrechtsanteile mitzuteilen,
sobald sie durch Erwerb, Veräußerung oder auf sonstige Weise bestimmte Schwellen-
werte erreichen, über- oder unterschreiten.
Durch diese Offenlegung der Aktionärsstruktur und einer etwaigen Veränderung
der Stimmrechtsanteile sollen eine erhöhte Transparenz des Kapitalmarktes geschaffen
und zugleich wichtige Hinweise auf eventuell bevorstehende Unternehmensübernah-
men gegeben werden. Da Schaeffler aufgrund des Abschlusses der Swap-Geschäfte eine
Meldepflicht nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) und dem
Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) für nicht gegeben erachtete, wurde rasch der – in
diesem Beitrag widerlegte – Vorwurf laut, die Unternehmensgruppe habe sich mit dem
Einsatz ominöser Finanzinstrumente, die in Deutschland bislang allenfalls spezialisier-
ten Fachkreisen bekannt waren, »durch die Hintertür an den kapitalmarktrechtlichen
Mitteilungspflichten vorbei gemogelt«.
Zu heftigen Diskussionen im Bereich der beteiligungsbezogenen Mitteilungspflichten
führte auch die »Strabag-Entscheidung« des Landgerichts Köln vom 05.10.2007. In die-
sem Urteil hatte das Gericht für Recht erkannt, dass eine (bloße) Umfirmierung eines
Aktionärs nach § 21 Abs. 1 WpHG mitteilungspflichtig sei, da hierdurch »auf sonstige
Weise« die in der Vorschrift genannten Schwellen erreicht würden. Indem der Hauptak-
tionär diese Mitteilung unterlassen habe, seien gleich mehrere Hauptversammlungsbe-
schlüsse (auf entsprechende Anfechtungsklagen hin) für nichtig zu erklären. Da diese
Entscheidung unter den Marktteilnehmern zu einer großen Verunsicherung geführt hat,
soll sie nachfolgend ebenfalls kurz analysiert werden.
Der deutsche Gesetzgeber war in den vergangenen Jahren ebenfalls sehr aktiv. So
hat er sukzessive zahlreiche neue Regelungen erlassen, um eine bessere Transparenz
bei den Beteiligungsstrukturen börsennotierter Gesellschaften zu erreichen. Zu nennen
sind vor allem die Einführungen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) von 1995,
des Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (TUG) von 2007 und des Risikobegren-
zungsgesetzes von 2008. Mit Ausnahme des Risikobegrenzungsgesetzes sind diese
Regelungswerke auf europäische Richtlinien zurückzuführen, die in deutsches Recht
umgesetzt wurden – wobei der deutsche Gesetzgeber teilweise sogar über die euro-
parechtlichen Vorgaben hinausgegangen ist. Insgesamt ist es mit der Einführung der
Gesetze zu einer zunehmenden Verschärfung der kapitalmarktrechtlichen Mitteilungs-
pflichten gekommen.
Zudem reagierte der Gesetzgeber auf die hier beschriebene Diskussion mit der Ein-
führung des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes (AnsFuG). Mit diesem
Gesetz, das am 01.02.2012 in Kraft trat, wurden die Voraussetzungen für die Annahme
einer Mitteilungspflicht nach dem WpHG noch einmal deutlich erleichtert. Zeitgleich
trat eine von dem Bundesministerium der Finanzen erlassene Rechtsverordnung in
Kraft, in der die neuen Mitteilungspflichten des WpHG weiter konkretisiert wurden.
Flankierend veröffentlichte die BaFin wenige Tage vor Inkrafttreten des AnsFuG eine
Liste häufig gestellter Fragen zu der neuen Rechtslage; schließlich fanden die neuen
Vorschriften Eingang in dem aktuellen Emittentenleitfaden der BaFin.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung im Jahr 2015 den Entwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vorgelegt.
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Der vorliegende Beitrag soll dem Leser einen Überblick über die Problematik der
Zurechnung von Stimmrechten nach deutschem Recht geben, wobei der Fokus auf das
Wertpapierhandelsrecht gerichtet ist. Dabei werden in dem zweiten Kapitel zunächst
die rechtlichen Grundlagen anhand der gesetzlichen Bestimmungen und unter Berück-
sichtigung der neu geschaffenen Regelungen dargestellt. Sodann wird in dem dritten
Kapitel am Beispiel der Übernahme der Continental AG durch die Schaeffler Grup-
pe analysiert, ob es durch den Einsatz von Swap-Geschäften zu einer Umgehung der
gesetzlichen Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG gekommen sein könnte. Dabei
wird der Analyse zunächst die seinerzeit geltende Rechtslage (also vor Einführung des
AnsFuG) zugrunde gelegt, gefolgt von einer rechtlichen Würdigung der aktuellen, seit
der Einführung des AnsFuG geltenden Vorschriften. In dem darauffolgenden vierten
Kapitel wird beleuchtet, ob Umfirmierungen ebenfalls Mitteilungspflichten auslösen
können, wobei im Mittelpunkt der Untersuchung die Feststellungen des LG Köln in
seiner »Strabag-Entscheidung« stehen. Schließlich endet der Beitrag in einem fünften
Kapitel mit einer Schlussbetrachtung, in der die wesentlichen Ergebnisse noch einmal
kurz zusammengefasst sind.
2 Gesetzliche Grundlagen
2.1 Erste Transparenzrichtlinie und Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)
Das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) wurde 1995 als Teil des Zweiten Finanzmarktsta-
bilisierungsgesetzes1, mit dem der deutsche Gesetzgeber die Erste Transparenzrichtlinie
aus dem Jahre 19882 umgesetzt hat, eingeführt. Es bildet die gesetzliche Grundlage für
die Errichtung der BaFin und regelt ihre Aufgaben und Befugnisse, zu denen insbeson-
dere die Überwachung der Publizität bei Transaktionen über bedeutende Beteiligungen
an börsennotierten Unternehmen zählt. Die Erste Transparenzrichtlinie hatte vornehm-
lich das Ziel, in der Europäischen Gemeinschaft den Anleger zu schützen, sein Vertrau-
en in die Funktionsfähigkeit des Marktes zu stärken und damit die Funktionsfähigkeit
des Kapitalmarktes insgesamt zu fördern.3
Die kapitalmarktrechtlichen Mitteilungspflichten sind in den §§ 21 ff. WpHG geregelt.
Dabei sieht das Gesetz zwei separate Meldepflichten vor: Während für Aktien § 21 WpHG
gilt, ist für Finanzinstrumente § 25 WpHG anzuwenden. Laut Regierungsbegründung
dienen diese Meldepflichten dazu, die Transparenz für Anleger und Gesellschaften im
Wertpapierhandel zu fördern; die Zusammensetzung des Aktionärskreises und die Ver-
änderungen maßgeblicher Aktienbeteiligungen seien wichtige Kriterien für Anlagedi-
spositionen der Investoren und hätten erheblichen Einfluss auf die Kursentwicklung
1 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher
Vorschriften (Zweites Finanzmarkförderungsgesetz) vom 26.07.1994, BGBl. I 1994, S. 1749.
2 Richtlinie 88/627/EWG des Rates vom 12.12.1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer be-
deutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen,
Amtsblatt Nr. L 348 vom 17.12.1988, S. 62–65.
3 Zu der Stärkung der Rechte der Aktionäre und der Förderung des Kapitalmarktes durch die Euro-
päische Union unter Corporate Governance Aspekten vgl. auch Classen 2008, S. 51 ff., und Picot/
Classen 2008a, S. 22 ff.
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der Aktie. Diese Transparenz ermögliche auch der Aktiengesellschaft einen besseren
Überblick über die Aktionärsstruktur und die Beherrschungsverhältnisse.4
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass § 21 WpHG sogar über die in der
Ersten Transparenzrichtlinie vorgesehene Eingangsschwelle von 10 % der Stimmrechte
hinausging, indem nach § 21 Abs. 1 WpHG eine Mitteilungspflicht bereits ab 5 % der
Stimmrechte bestand.5
2.3 Risikobegrenzungsgesetz
Nach langer politischer Diskussion ist am 18.08.2008 das Risikobegrenzungsgesetz in
Kraft getreten.9 Dabei ging es der Bundesregierung mit Einführung dieses Gesetzes
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Bezüglich des letzten Punktes ist ergänzend auszuführen: Nach bisheriger Rechtsla-
ge waren mit Stimmrechten verbundene Aktien ab 3 % und Finanzinstrumente, die
das Recht verleihen, mit Stimmrechten verbundene und bereits ausgegebene Aktien zu
erwerben, ab 5 % zu melden. Auf diese Weise konnte – etwa zur Vorbereitung einer
beabsichtigten Übernahme einer börsennotierten Gesellschaft – eine Beteiligung von
insgesamt bis zu 7,99 % erreicht werden, ohne dass es hierfür einer Meldung bedurfte.
Mit der Einführung des Risikobegrenzungsgesetzes hat sich dies geändert, indem nun
nach § 25 Abs. 1 WpHG direkt gehaltene Stimmrechte und Finanzinstrumente zusam-
mengerechnet werden. Auf diese Weise wird ein unerkanntes »Anschleichen« (Stakebuil-
ding) an eine Gesellschaft erschwert.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht | 691
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• Einführung des § 25a WpHG, der (neben §§ 21 und 25 WpHG) eine selbstständig
bestehende Meldepflicht für weitere (Finanz-)Instrumente statuiert, insbesondere
(Finanz-)Instrumente mit Barausgleich.
Nach der bisherigen Rechtslage waren gemäß §§ 21 und 22 WpHG lediglich unmittelbar
gehaltene oder zugerechnete Stimmrechte sowie gemäß § 25 WpHG solche Finanzin-
strumente, die ihren Inhaber zum Erwerb von Aktien mit Stimmrechten berechtigen,
der BaFin zu melden. Mit dem neu eingefügten § 25a WpHG sind jedoch nunmehr auch
solche Finanzinstrumente oder »sonstigen Instrumente« mitzuteilen, welche nicht be-
reits von § 25 WpHG erfasst sind und die es ihrem Inhaber oder einem Dritten aufgrund
ihrer Ausgestaltung ermöglichen, mit Stimmrechten verbundene und bereits ausgegebe-
ne Aktien eines Emittenten zu erwerben.14
Die Motive für diese Änderungen lassen sich der Begründung des Regierungsent-
wurfs entnehmen. Darin stellt der Gesetzgeber zunächst (in einem etwas düsteren
Ton) fest, dass sich im Rahmen der Finanzmarktkrise Defizite an den Kapitalmärkten
gezeigt hätten, die drohten, »das Vertrauen der Marktteilnehmer und insbesondere der
Gesamtbevölkerung in funktionsfähige Märkte und ein faires, kundenorientiertes Fi-
nanzdienstleistungsangebot zu unterhöhlen«. Dies betreffe zum einen die Gefahr einer
Falschberatung von Privatanlegern und zum anderen die Nutzung nicht meldepflichtiger
Finanzinstrumente, wodurch »in der Vergangenheit in konkreten Fällen ein unbemerk-
tes »Anschleichen« an Unternehmen, bspw. bei Übernahmetransaktionen« ermöglicht
worden sei, was zu einer »Verringerung der Liquidität an den Börsen und zu Marktver-
werfungen« geführt habe.15
Angesichts dieser Situation sei das Ziel dieses Gesetzes darin zu sehen, das Funk-
tionieren der Kapitalmärkte zu verbessern und damit das Vertrauen in deren Integrität
wiederherzustellen. Hierbei sollen zusätzliche Vorgaben in die Kapitalmarktgesetzge-
bung integriert werden, um durch eine effiziente Regulierung und Beaufsichtigung des
Kapitalmarkts den beschriebenen Defiziten entgegen zu wirken. Darüber hinaus sollen
zur Verbesserung der Kapitalmarkttransparenz in das WpHG »neue Mitteilungs- und
Veröffentlichungspflichten für bislang nicht erfasste Finanzinstrumente, die lediglich
das Recht auf einen Zahlungsausgleich enthalten, sowie Geschäfte mit ähnlicher Wir-
kung (z. B. Wertpapierdarlehen) eingefügt werden«.16
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Der Bereich der Stimmrechtsmeldungen soll neu geregelt werden, und zwar dergestalt,
dass zukünftig § 21 des Wertpapierhandelsgesetzes die Meldepflicht bei Stimmrechten
aus Aktien, § 25 die Meldepflicht für sämtliche meldepflichtigen Instrumente und § 25a
eine Meldepflicht für die Summe der nach § 21 und § 25 gehaltenen Anteile enthalten.
Zudem werden in dem neuen § 22a bisher im Wertpapierhandelsgesetz und im Kapital-
anlagegesetzbuch verteilte Vorgaben zu einer umfassenden Regelung der Tochterunter-
nehmenseigenschaft zusammengefasst.
Zu weiteren Einzelheiten des Gesetzesvorhabens wird auf die offizielle Begründung
verwiesen.19
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht | 693
Teil
Diese Presseerklärung führte in der Öffentlichkeit vor allem aus zwei Gründen zu hef-
tigen Diskussionen. Zum einen war überraschend, dass sich die Schaeffler Gruppe stra-
tegisch mit einem derart signifikanten Anteil an einem Unternehmen beteiligen wollte,
das zum damaligen Zeitpunkt immerhin dreimal größer als das fränkische Familien-
unternehmen und im DAX 30 notiert 21 war. Zum anderen sorgten die nunmehr offen-
gelegten Beteiligungsverhältnisse für Aufregung: Nicht nur, dass die Schaeffler Gruppe
zum Zeitpunkt der Pressemitteilung bereits 2,97 % der stimmberechtigten Aktien der
Continental AG halte und auf Grundlage von Finanzinstrumenten berechtigt sei, wei-
tere 4,95 % der Continental-Aktien zu erwerben. Vielmehr habe die fränkische Unter-
nehmensgruppe sogar aufgrund des Abschlusses von Swap-Geschäften mit mehreren
Banken die Möglichkeit, zusätzlich über rund 28 % des Grundkapitals der Continental
AG zu verfügen. Selbst unter den Marktbeobachtern hatte es bis dato überhaupt keine
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Hinweise auf einen solchen Coup gegeben. Die Aktie der Continental AG gewann am
selben Tag deutlich und stieg schlagartig auf 73,92 EUR (vgl. Abb. 1).
Rasch wurde der Vorwurf laut, die Schaeffler Gruppe habe sich »durch die Hintertür«
einen Anteil von etwa 30 % des Grundkapitals der Continental AG gesichert und gleich-
zeitig durch die bisher nicht erfolgte Offenlegung verhindert, dass der Kurs der Aktien
der Continental AG in die Höhe getrieben wird.22 Die betroffene Continental AG selbst
sah in der unterbliebenen Mitteilung einen Verstoß gegen die §§ 21 ff. WpHG und bat
daher die BaFin um Prüfung der Rechtslage.
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Bezüglich der laut Pressemitteilung vom 15.07.2008 von der Schaeffler Gruppe erworbe-
nen 2,97 % der stimmberechtigten Aktien der Continental AG lässt sich klar feststellen,
dass diese unter der 3 %-Schwelle lagen und damit nicht von der Meldepflicht des § 21
Abs. 1 Satz 1 WpHG erfasst waren.
Fraglich ist, wie der Kauf der Finanzinstrumente zu qualifizieren sind, die die Schaeffler
Gruppe dazu berechtigen, weitere 4,95 % der Continental-Aktien zu erwerben.
Es könnte sich hierbei um »Finanzinstrumente« im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1
WpHG a. F. gehandelt haben. In der Tat sprechen gute Gründe dafür, dass diese als
Finanzinstrumente im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG a. F. einzuordnen waren.
Bereits der Wortlaut des Gesetzes berechtigt zu dieser Annahme. Da Finanzinstrumente
jedoch auch vor Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes nur dann meldepflichtig
waren, wenn mindestens die Eingangsschwelle von 5 % erreicht oder überschritten
wird, der Anteil mit Stimmrechten verbundenen Aktien aber mit 4,95 % darunter lag,
war die unterbliebene Meldung in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.23
23 Eine andere Betrachtungsweise könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn man eine Zurechnung
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Anders könnte es sich jedoch mit den ominösen »Swap-Geschäften« verhalten, die die
Schaeffler Gruppe über etwa 28 % der Continental-Aktien abgeschlossen hat. Hier wur-
den die Schwellenwerte des § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG in jedem Falle deutlich über-
schritten.
Da Cash Settled Equity Swaps unstreitig keine Stimmrechte im Sinne des § 21 WpHG
vermitteln können, kam eine Zurechnung nur über die Regelungen der §§ 22 oder 25
WpHG in Betracht.
Vor Klärung dieser Frage bedarf es jedoch der Prüfung, wie die von der Schaeffler
Gruppe durchgeführten »Swap-Geschäfte« rechtlich überhaupt zu qualifizieren sind.
Laut einer Pressemitteilung der BaFin vom 21.08.200824, der der Vorgang zur Prü-
fung vorgelegt wurde, handelte es sich bei den – von der Schaeffler Gruppe selbst
nicht näher beschriebenen – Swap-Geschäften um sog. »Cash Settled Total Return Equity
Swaps«. Allgemein gesprochen handelt es sich bei einem »Swap« um den Austausch von
Cashflows nach Maßgabe einer festgelegten Formel, wobei in der Regel die Vereinbarung
an die Entwicklung eines Basiswerts oder eines sog. »Underlying« (Zinssätze, Wäh-
rungsentwicklungen, Indices oder Wertpapierkurse) anknüpft. Bei einem Aktien- oder
Equity-Swap liegt etwa ein Vertrag zugrunde, in dem die Zahlungen der Vertragspartner
von der Entwicklung des Kurses einer Aktie (»Referenzaktie«) oder eines Aktienindex
abhängig gemacht werden. Bei Aktien-Swaps ist der Basiswert des Swap der Börsen-
kurs einer Aktie oder eines Aktienindex an dem Tag X (in der Regel an dem Tag des
Abschlusses des Swap-Vertrages). Verträge über Aktien-Swaps enden entweder durch
Zeitablauf am festgelegten Tag Y oder durch einseitige Kündigung eines Vertragspart-
ners. Nach Vertragsende wird der Swap zwischen den Vertragspartnern abgerechnet.
Bei einem Cash Settled Equity Swap erhält der Investor vom Ersteller sämtliche Kurs-
gewinne des Basiswertes (einschließlich Dividendenzahlungen) während der Laufzeit
des Swap in Geld ausbezahlt; Kursverluste des Basiswertes muss der Investor dagegen
dem Ersteller ersetzen. Daneben entrichtet der Investor dem Ersteller üblicherweise eine
der Finanzinstrumente nicht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG, sondern nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr.
5 WpHG vornehmen wollte. Dann müsste es sich hier um den Erwerb von Stimmrechten handeln,
die »der Meldepflichtige durch eine Willenserklärung erwerben kann«. Einer solchen Zuordnung
steht jedoch bereits der klare Wortlaut des § 25 WpHG entgegen. Auch auf die Frage, ob hier eine
Zusammenrechnung der 2,97 % der stimmberechtigten Aktien nach § 21 WpHG und der Finanzin-
strumente nach § 25 WpHG hätte erfolgen müssen, kommt es hier nicht an, da diese Regelung erst
mit Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes, mithin erst nach der erfolgten Mitteilung durch
die Schaeffler Gruppe, Anwendung findet.
24 BaFin-Pressemitteilung vom 21.08.2008, abrufbar unter: http://www.bafin.de/cln_116/nn_722552/
sid_63017949DFEFC0B3A036E1832D966CA5/SharedDocs/Mitteilungen/DE/Service/PM__2008/
pm__080821__conti.html?__nnn=true.
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Teil
Gebühr für den Abschluss des Swap einschließlich eines Einschusses, der dem Ersteller
die Absicherung des von ihm übernommenen Vertragsrisikos ermöglicht.25
Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich bei diesem Finanzinstrument also um
ein Differenzgeschäft, bei dem zwei Vertragspartner auf steigende bzw. fallende Kurse
wetten. Es ist nicht auf die effektive Lieferung von Aktien (sog. Physical Settlement)
ausgerichtet, sondern wird vielmehr durch einen Barausgleich (sog. Cash Settlement)
abgewickelt.
Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet dies: Die Schaeffler Gruppe vereinbart mit
den beteiligten Banken einen Ausgangspreis. Steigt der Kurs der Continental-Aktie, so
erhält das Unternehmen die Differenz zu dem entsprechend jeweils bei der Zeichnung
vereinbarten Aktienkurs. Fällt der Kurs der Continental-Aktie hingegen, so muss die
Schaeffler Gruppe die Differenz an die beteiligten Banken zahlen.
Im Ergebnis wird die Schaeffler Gruppe zwar wirtschaftlich so gestellt, als ob sie
bereits die 28 % der Aktien der Continental AG hält, in Wirklichkeit besitzt sie sie aber
nicht.26
Von Teilen der Rechtsliteratur27 wird die Auffassung vertreten, dass Cash Settled Equity
Swaps von den – nach Einführung des AnsFuG unveränderten – Mitteilungspflichten des
§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG erfasst seien. Hiergegen spricht jedoch bereits, dass ein sol-
ches »Halten für fremde Rechnung« typischerweise voraussetzt, dass der wirtschaftliche
Eigentümer – ähnlich wie bei einem Treuhandverhältnis – Weisungen im Hinblick auf
das Treugut erteilen kann. Das ist aber bei Cash Settled Equity Swaps-Konstellationen
gerade nicht der Fall.28
Zudem hätten die dem Swap-Geschäft zugrunde liegenden Aktien der Schaeffler Grup-
pe nur dann zugerechnet werden können, wenn die BaFin weitere Abreden festgestellt
hätte, nach denen die beteiligten Banken oder Dritte Continental-Aktien »für Rechnung«
der Schaeffler Gruppe gehalten haben; eine solche Vereinbarung hat die BaFin aber laut
Pressemitteilung nicht feststellen können. Insbesondere ergaben sich keine Anhaltspunk-
te, dass Merrill Lynch als Koordinatorin der Swap-Geschäfte für die Schaeffler Gruppe
fungierte oder zur Absicherung erworbene Aktien in ein späteres Übernahmeangebot
eingeliefert werden müssten.
Eine Zurechnung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG kommt daher nicht in Betracht.
Es könnte darüber nachgedacht werden, eine Zurechnung über – den ebenfalls nach
wie vor geltenden – § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG anzunehmen. Dann müsste es sich
bei den Swap-Geschäften allerdings um Stimmrechte aus Aktien gehandelt haben, die
der Meldepflichtige »durch eine Willenserklärung erwerben« kann.
25 Ausführlich zum Begriff und zur Funktionsweise von Swaps: Baums/Sauter 2009, S. 5 ff., und
Schanz 2008, S. 12 ff.
26 Vgl. hierzu auch Handelsblatt vom 17.07.2008 (Fußnote 14).
27 Zum Meinungsstand vgl. auch Fleischer/Schmolke 2008, S. 1501, 1504 ff.; Brandt 2008, S. 441,
444 f.; Gätsch/Schäfer 2008, S. 846, 849 f.
28 Ebenso Baums/Sauter 2009, S. 15; Fleischer/Bedkowski 2010, S. 933, 935 f.
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Eine solche Subsumtion erscheint jedoch bereits deshalb abwegig, da die Schaeffler
Gruppe in dieser Konstellation keine Continental-Aktien durch eine Willenserklärung
hätte erwerben können. Dies setzt der eindeutige Wortlaut der Vorschrift aber gerade
voraus.
Schließlich bleibt zu prüfen, ob sich aus § 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG a. F. eine Meldepflicht
ableiten ließ.
In diesem Falle müsste es sich bei den Swap-Geschäften um »sonstige Finanzinstru-
mente« gehandelt haben, die ihrem Inhaber das Recht verleihen, einseitig im Rahmen
einer rechtlich bindenden Vereinbarung mit Stimmrechten verbundene und bereits aus-
gegebene Aktien zu erwerben. Hieran bestehen erhebliche Zweifel, mangelt es doch
bei den Cash Settled Equity Swaps bereits an einer »rechtlich bindenden Vereinbarung«
im Sinne der Vorschrift, da sie dem Investor keinen Anspruch auf Übertragung des
Basiswerts vermitteln können. Aus diesem Grunde verneinte auch die BaFin in ihrer
Prüfung eine Meldepflicht nach § 25 WpHG a. F. für solche Derivate: Meldepflichtig
im Sinne des § 25 WpHG a. F. seien nur solche Finanzinstrumente, die ihren Inhaber
berechtigen, einseitig mit Stimmrechten verbundene bereits ausgegebene Aktien zu
erwerben. Dies sei bei diesem Finanzinstrument aber gerade nicht der Fall, da es
nicht auf die effektive Lieferung von Aktien ausgerichtet sei; vielmehr handele es sich
hierbei lediglich um eine »Wette« zwischen zwei Vertragspartnern auf steigende bzw.
fallende Kurse.
Diese rechtliche Bewertung verdient Zustimmung.29 Eine Zuordnung der Cash Settled
Equity Swaps unter § 25 WpHG a. F. war folglich nicht möglich.
3.2.5 Ergebnis
Im Ergebnis löste der Abschluss von Cash Settled Equity Swaps – bei allem rechts-
politischen Verständnis für gegenteilige Auffassungen30 – nach der damals geltenden
Rechtslage keine Mitteilungspflichten nach den §§ 21 ff. a. F. WpHG aus.
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Da die Regelungen der §§ 21 und 22 WpHG unverändert geblieben sind, ändert sich
an der rechtlichen Bewertung nichts; eine Verletzung dieser Vorschriften besteht nach
Auffassung des Verfassers aus den in Kapitel 3.2.4 dargelegten Gründen nicht.
Wie in Kapitel 2.4 beschrieben, beziehen sich die Meldepflichten nach der neuen Fas-
sung des § 25 Abs. 1 Satz WpHG nicht nur auf »Finanzinstrumente«, sondern auch auf
»sonstige Instrumente«.
Mit der Erweiterung des Anwendungsbereiches um den Begriff »sonstige Instrumente«
hat das AnsFuG die frühere Diskussion in Bezug auf die Auslegung des Begriffes »Finanz
instrument« beendet.31 Was unter dem Begriff »sonstige Instrumente« im Sinne des § 25
WpHG zu verstehen ist, lässt sich bereits der Gesetzesbegründung entnehmen. Danach
gelten als »sonstige Instrumente« alle Vereinbarungen, »die ein Recht auf den Erwerb von
mit Stimmrechten verbundenen Aktien gewähren, ohne unter den Begriff des »Finanzin-
strumentes« nach § 2 Absatz 2b WpHG zu fallen«.32 Von der Neuregelung sollen auch
Ansprüche aus schuldrechtlichen Verträgen erfasst sein, die dem Erwerber eine einseitige
Erwerbsmöglichkeit verschaffen, und zwar unabhängig davon, ob der Verpflichtete im
Veräußerungszeitpunkt die Aktien überhaupt hält, selbst einen entsprechenden Anspruch
auf Lieferung hat oder wenigstens tatsächlich zur Lieferung im Stande ist oder nicht.33
Aufschluss darüber, welche Finanzinstrumente oder »sonstigen Instrumente« im
Sinne des § 25 WpHG konkret gemeint sind, gibt der von der BaFin herausgegebene
Emittentenleitfaden. Wie sich seiner aktuellen Auflage (2013) entnehmen lässt, zählen
hierzu insbesondere34
• Termingeschäfte35,
• Wertpapierdarlehensgeschäfte und sog. Repo-Geschäfte36,
• sofort erfüllbare Kaufgeschäfte und Kauf über die Börse37,
• aufschiebend bedingte Kaufverträge38 und
• Irrevocables bzw. Irrevocable Undertakings.
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Nicht hierunter fallen allerdings Rechte zum Bezug neuer Aktien, vor allem aus Wan-
delanleihen, auch wenn die Gesellschaft das Recht hätte, bei Ausübung statt neuer
Aktien eigene Aktien zu liefern (da der Inhaber des Wandel- bzw. Optionsrechts hierauf
keinen Einfluss hat) und solche Instrumente, deren Bedingungseintritt der Inhaber nicht
beeinflussen kann (insbesondere Call-Optionen, die erst bei Erreichen eines bestimmten
Kursniveaus ausgeübt werden können).39
Selbst wenn es durch die Gesetzesänderung zu einer deutlichen Erweiterung des
Anwendungsbereiches gekommen ist, so lässt sich eine Zuordnung der Cash Settled
Equity Swaps auch unter dem geänderten § 25 WpHG nicht vornehmen. Denn nach wie
vor geht es bei diesem Instrument nicht darum, Aktien im eigentlichen Sinne (physisch)
zu »liefern«; vielmehr besteht sein eigentliches Merkmal (nach wie vor) darin, dass hier
zwei Vertragspartner auf steigende bzw. fallende Kurse »wetten«. Aus diesem Grunde
kommt – trotz Änderung des § 25 WpHG – auch nach der geltenden Gesetzeslage eine
Subsumtion der Cash Settled Equity Swaps unter den Begriff »sonstige Instrumente«
nicht in Betracht.
Die Neuregelung erweitert die Mitteilungspflichten des WpHG auf alle Finanzinstru-
mente und »sonstigen Instrumente«, die nicht bereits von § 25 WpHG erfasst sind und es
ihrem Inhaber faktisch oder wirtschaftlich ermöglichen, mit Stimmrechten verbundene
und bereits ausgegebene Aktien eines Emittenten zu erwerben.
Anders als § 25 WpHG bezieht sich diese Vorschrift auch auf den möglichen Erwerb
durch einen Dritten (also eine andere Person als die des Vertragspartners), um so Um-
gehungsmöglichkeiten zu vermeiden.
Ein Ermöglichen ist gemäss dieser Bestimmung insbesondere dann gegeben, wenn
die Gegenseite des Inhabers ihre Risiken aus diesen Instrumenten durch das Halten von
Aktien ausschließen oder vermindern könnte oder wenn die Finanzinstrumente oder
sonstigen Instrumente ein Recht zum Erwerb von Aktien einräumen oder eine Erwerbs
pflicht in Bezug auf solche Aktien begründen. Während sich Ersteres vor allem auf
(Finanz-)Instrumente mit Barausgleich bezieht, geht es bei dem zweiten Tatbestand um
(Finanz-)Instrumente, die einen tatsächlichen Erwerb von mit Stimmrechten verbundenen
Aktien vorsehen und dabei nicht bereits unter § 25 WpHG fallen.
Laut dem Emittentenleitfaden 2013 der BaFin können insbesondere folgende (Finanz-)
Instrumente unter den § 25a WpHG fallen (soweit sie nicht bereits von dem § 25 WpHG
erfasst sind)40:
• Finanz-)Instrumente mit Barausgleich,
• (Finanz-)Instrumente mit Recht oder Pflicht zum Erwerb,
• Aktienkörbe (Baskets) und Indizes,
besteht, hängt jedoch maßgeblich davon ab, inwieweit der Käufer den Bedingungseintritt einseitig
herbeiführen bzw. einseitig hierauf (etwa in Form eines Waiver) verzichten kann; vgl. Emittenten-
leitfaden 2013, S. 135.
39 Süßmann, in: Assmann/Schütze 2015, § 14 Rn. 59 und 60; Hirschmann, in: Hölters 2014, § 21 WpHG
Rn. 17 unter Verweis auf Hutter/Kaulamo 2007, S. 471, 475; ebenso Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas
2014, § 25 WpHG Rn. 2.
40 Vgl. Emittentenleitfaden 2013, S. 141 ff.; zu den Gestaltungsinstrumenten im Einzelnen vgl. auch
Leyendecker-Langner/Läufer 2014, S. 161 ff.; Merkner/Sustmann 2012, S. 241, 242 ff.; Merkner/Sust-
mann 2013, S. 1361, 1366 ff.; Cascante/Bingel 2011, S. 1086, 1094 ff.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht | 701
Teil
• Wandelanleihen,
• Unechte Pensionsgeschäfte,
• Put-Optionen mit Barausgleich,
• Aufschiebend bedingte Kaufverträge,
• Irrevocables bzw. Irrevocable Undertakings,
• Vorkaufsrechte im Rahmen von Gesellschaftervereinbarungen (wenn sie sich auf den
Bezug von Aktien beziehen),
• Pfandrechte an Aktien,
• Tag-along- und Drag-along-Klauseln41,
• Letter of Intent, Memorandum of Understanding42 und
• Aktienemissionen und IPO’s (wenn die beziehbaren Aktien bereits ausgegeben wur-
den).
Es bleibt abzuwarten, wie sich die BaFin in der Praxis verhalten wird. Sollte die Vor-
schrift konsequent angewendet werden, so würde dies etwa bedeuten – man mag es
kaum glauben -, dass bereits die (in der Praxis übliche) Regelung von aufschiebenden
Bedingungen eine Meldepflicht nach § 25a WpHG auslösen würde.43
Was bedeutet dies aber nun in Bezug auf die rechtliche Qualifizierung der Cash
Settled Equity Swaps? Die Gesetzesbegründung und der Wortlaut der Vorschrift lassen
es erahnen: Da es dem Gesetzgeber mit der Einführung des neuen § 25a WpHG ja ge-
rade darum ging, den Tatbestand des »Anschleichens«, insbesondere über Cash Settled
Equity Swaps, zu erfassen, sind diese Instrumente dem § 25a Abs. 1 WpHG auch recht-
lich zuzuordnen. Denn ohne Zweifel handelte es bei den Cash Settled Equity Swaps um
Geschäfte, »bei welchen ein Stimmrechtserwerb aufgrund der diesen zugrundeliegenden
wirtschaftlichen Logik zumindest möglich ist«.44
Damit sind Cash Settled Equity Swaps nach der geltenden Rechtslage mitzuteilen.45
Die Mitteilung ist gemäß § 25a Satz 1 WpHG entsprechend § 21 Absatz 1 Satz 1 unver-
züglich dem Emittenten und gleichzeitig der BaFin mitzuteilen.
41 Zu den Gestaltungsmöglichkeiten und -grenzen sog. Tag-along- und Drag-along-Klauseln (v. a. bei
Private-Equity-Transaktionen) vgl. Classen/Drechsel 2013, S. 488, 491 f.
42 In Abhängigkeit von der konkreten Gestaltung; kritisch zu dieser Einordnung äußert sich insbeson-
dere Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas 2014, § 25a WpHG Rn. 4; vorsichtiger Merkner/Sustmann 2012,
S. 241, 243; zu den Erscheinungsformen solcher Vereinbarungen vgl. ausführlich Picot/Classen
2008b, S. 207 ff. und Classen 2014, Kap. 7 Rn. 550 ff.
43 Auch vor diesem Hintergrund hat die Regelung – nebst ihrer Auslegung durch den Emittentenleitfa-
den 2013 der BaFin – heftige Kritik aus dem Schrifttum erfahren müssen, vgl. etwa (noch bezogen
auf den Referentenentwurf des § 25a WpHG) Merkner/Sustmann 2010, S. 681, 683 ff.; Merkner/Sust-
mann 2013, S. 1361 ff.; Hirschmann, in: Hölters 2014, § 21 WpHG Rn. 18; Merkner/Sustmann 2012,
S. 241, 242; Cascante/Bingel 2011, S. 1086, 1094; ebenso Götze 2013, S. 265, 269 f., der davon spricht,
dass die Auslegung des § 25a WpHG durch die BaFin »leicht die Grenze des Kontraproduktiven zu
erreichen droht«.
44 So der Wortlaut in Begr. RegE, BT-Drucks. 17/3628, S. 19.
45 Im Ergebnis ebenso: Fleischer/Schmolke 2010, S. 846, 849; Bödeker 2011, S. 278, 279; Möllers/Wen-
ninger 2011, S. 1697, 1700; Merkner/Sustmann 2010, S. 681, 683 f.; Merkner/Sustmann 2012, S. 241,
241; Süßmann, in: Assmann/Schütze 2015, § 14 Rn. 66 und 67; Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas 2014,
§ 25a WpHG Rn. 1 und 3; Kumpan, in: Baumbach/Hopt 2014, § 21 Rn. 1; Cascante/Bingel 2011, S.
1086, 1090; Renz/Rippel 2011, S. 235, 238.
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Die inhaltlichen Anforderungen einer solchen Mitteilung ergeben sich aus § 17 Abs. 4
der (ebenfalls am 01.02.2012 in Kraft getretenen) Wertpapierhandelsanzeige- und In
siderverordnung (WpAIV).46 Art, Form und Sprache sind (wie bei einer Mitteilung nach
§ 25 Abs. 1 Satz WpHG) in § 18 WpAIV näher geregelt.47
3.4 Sanktionen
3.4.1 Wegfall der Rechte nach § 28 WpHG?
Ungeachtet dessen kann die BaFin von dem Mitteilungspflichtigen die Einhaltung der
Rechtsvorschriften unter der Festsetzung eines Bußgeldes verlangen. Die Höhe des Buß-
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht | 703
Teil
geldes ergibt sich dabei aus § 39 WpHG. Danach handelt derjenige ordnungswidrig, der
vorsätzlich oder leichtfertig die Mitteilungspflichten der §§ 25, 25a WpHG außer Acht
lässt; in einem solchen Fall kann ein Bußgeld in Höhe von bis zu einer Million Euro
festgesetzt werden (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 f. in Verbindung mit Abs. 4 WpHG).52
3.5 Ergebnis
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass seit der Einführung des § 25a WpHG Cash Settled Equity
Swaps ohne Zweifel meldepflichtig sind. Lässt der Meldepflichtige die Mitteilungspflich-
ten der § 25, 25a WpHG außer Acht, dann begeht er eine Ordnungswidrigkeit, die – je
nach Intensität des Verstoßes – mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu einer Million Euro
bewehrt werden kann.
52 Wie sich aus den WpHG-Bußgeldleitlinien der BaFin entnehmen lässt, sind gerade Verstöße gegen
das Stimmrechtsregime der §§ 21 WpHG von größter praktischer Relevant, allein im 1. Halbjahr
2014 hat es 177 abgeschlossene Verfahren gegeben, von denen 62 mit Geldbußen endeten; eine de-
taillierte Analyse hierzu geben Becker/Canzler 2014, S. 1090, 1091 ff.
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SE« geändert. Eine Stimmrechtsmitteilung unterblieb jedoch dieses Mal, da laut einer
zuvor erfolgten Auskunft der BaFin eine bloße Firmenänderung keine erneute Mittei-
lungspflicht auslöse. Auch die Änderung der Firma der »BIBAG Bauindustrie-, Beteili-
gungs- und Verwaltungs-Aktiengesellschaft« in die »FIMAG« wurde nicht mitgeteilt. Auf
der ordentlichen Hauptversammlung der Strabag AG am 01.06.2007 wurden die mit den
Stimmen der Strabag SE gefassten Beschlüsse vom Juli 2006 bestätigt. Hiergegen wand-
ten sich die Kläger mit dem Argument, die Strabag SE hätte ihre Stimmrechte aufgrund
einer unterbliebenen Stimmrechtsmitteilung nicht ausüben dürfen.
Das LG Köln gab den Klägern recht: Es erklärte die angegriffenen Hauptversamm-
lungsbeschlüsse für unwirksam und gab den positiven Beschlussfeststellungsklagen
statt. In seiner Urteilsbegründung stellte das Gericht fest, dass die Umfirmierung der
»Bauholding Strabag AG« in »Strabag SE« im April 2006 eine Mitteilungspflicht nach
§ 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG ausgelöst habe. Da die Gesellschaft diese Pflicht schuldhaft
nicht erfüllt habe, sei sie in der Hauptversammlung 2006 der Strabag AG gemäß § 28
Satz 1 WpHG vom Stimmrecht ausgeschlossen gewesen. Auf die vorher erfolgte Aus-
kunft der BaFin hätte sie sich nicht verlassen dürfen. Auch komme ein Bestätigungs-
beschluss gemäß § 244 AktG nicht in Betracht, da Verstöße gegen § 28 WpHG nicht
geheilt werden könnten.53
Gegen die Sichtweise des LG Köln, dass die Umfirmierung einer Aktiengesellschaft eine
Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG auslöse54, spricht bereits der eindeuti-
ge Wortlaut der Regelung. Wie oben ausgeführt, wird die Meldepflicht nur dann ausge-
löst, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden. Dies ist bei der Umfirmie-
rung allein aber nicht der Fall; sie führt (selbstverständlich) nicht zu einer Änderung
der Beteiligungsquote. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift für Umfirmierungen
scheidet bereits deshalb aus, weil es an einer Regelungslücke fehlt, die durch eine et-
waige Analogie zu füllen wäre. Der Wortlaut ist hier eindeutig.55
53 Urteil des LG Köln vom 05.10.2007 (82 O 114/06), NZG 2009, 272 L.
54 Offenbar vertreten auch Heppe 2002, S. 60, 70, und Nottmeier/Schäfer 1997, S. 87, 89, diese Auffas-
sung.
55 Im Ergebnis ebenso Klein/Theusinger 2009, S. 250, 251; Nikoleyczik 2009, S. 264; Kirschner 2008,
S. 623, 624; Segna 2008, S. 1, 5 ff; Hirschmann, in: Hölters 2014, § 20 WpHG Rn. 5; Emmerich/Ha-
bersack 2013, § 20 Rn. 20; auch der Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins spricht
sich in seiner Stellungnahme zum Entwurf des BaFin-Leitfadens 2009 hiergegen aus, vgl. NZG
2009, S. 175 (»Der Handelsrechtssauschuss unterstützt nachdrücklich die Auffassung, dass weder
ein Formwechsel noch eine Umfirmierung oder Namensänderung eine Mitteilungspflicht auslösen
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht | 705
Teil
Dass eine Umfirmierung nicht nach § 21 Abs. 1 WpHG mitteilungspflichtig ist, hat
zwischenzeitlich auch die BaFin in ihrem Emittentenleitfaden 2013 bestätigt.56 Darüber
hinaus hat das Oberlandesgericht Köln in einer kürzlich verkündeten Entscheidung (in
der es allerdings um einen anderen Fall in der Vorinstanz ging) ausdrücklich festge-
stellt, dass weder die Umfirmierung noch der Formwechsel eine erneute Mitteilungspflicht
auslösten. Die Mitteilungspflicht bestehe lediglich bei einem Erwerb der Beteiligung,
d. h. einem Wechsel der Rechtszuständigkeit. Die Umfirmierung oder ein bloßer Form-
wechsel (in dieser Entscheidung ging es um eine Umwandlung von einer Aktiengesell-
schaft in eine GmbH) sei dagegen nicht mitteilungspflichtig, da sie die Inhaberschaft an
den Aktien und die Stimmrechte nicht berühre57. Ähnlich haben zwischenzeitlich das
Landgericht Krefeld58 und das Oberlandesgericht Düsseldorf59 entschieden. Den Gerichten
ist aus den vorgenannten Gründen beizupflichten.
eilung eines nach § 28 WpHG fehlerhaften Beschlusses durch einen neuen
4.2.2 H
Beschluss gemäß § 244 AktG möglich?
Das LG Köln geht in seinem Urteil davon aus, dass ein Bestätigungsbeschluss hinsicht-
lich einer unterlassenen Mitteilung nach dem WpHG bereits deshalb nicht geheilt wer-
den könne, weil Verstöße gegen § 28 WpHG grundsätzlich nicht heilbar seien und der
Rechtsverlust nach § 28 WpHG abschließend sei.60 Ein Verstoß gegen die Mitteilungs-
pflichten des WpHG sei kein Verfahrensfehler, der den Beschluss inhaltlich unrichtig
werden lasse. Deshalb sei der Stimmrechtsverlust nach § 28 WpHG auch nicht mit
anderen Fällen, in denen das Stimmrecht nicht ausgeübt werden dürfe, vergleichbar.61
Die rechtliche Bewertung des LG Köln überzeugt nicht. So besteht überhaupt kein
Grund, den Fall des Rechtsverlustes nach § 28 Satz 1 WpHG im Hinblick auf eine Be-
stätigung im Sinne von § 244 AktG anders zu beurteilen als vergleichbare Fälle von
Stimmrechtsverboten. In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des Bundes-
kann, da sich an der Identität des Rechtsträgers nichts ändert. Es bleibt zu hoffen, dass die unrich-
tige Entscheidung des LG Köln vom 05.10.2007, die für erhebliche Unsicherheit in der Praxis gesorgt
hat, alsbald rechtskräftig aufgehoben wird«.).
56 Dort heißt es lapidar: »Bei einem Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG bleibt der Rechtsträger dersel-
be, er erhält lediglich eine andere Rechtsform. Aufgrund der Kontinuität des Rechtsträgers verändert
sich die Rechtszuständigkeit für die Stimmrechte nicht. Daher kommt es nicht zu Schwellenberüh-
rungen und es entstehen keine Mitteilungspflichten. Auch bei Umfirmierungen oder Namensände-
rungen ändert sich das Rechtssubjekt nicht, sodass allein hierdurch keine Schwellen überschritten,
unterschritten oder erreicht werden können. Eine Mitteilungspflicht besteht daher auch in diesen
Fällen nicht«; Emittentenleitfaden 2013, S. 108, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die hier un-
tersuchte Entscheidung des LG Köln.
57 OLG Köln, Urteil vom 17.06.2009 (18 U 139/08) unter Verweis u. a. auf Emmerich/Habersack 2013,
§ 20 Rn. 20 (Vorauflage; die Entscheidungsgründe sind im Volltext in NZG 2009, S. 830 ff. und eine
Zusammenfassung in NJW-Spezial 2009, S. 448 abgedruckt.
58 Vgl. LG Krefeld, Urteil vom 20.08.2008 (11 O 14/08), abgedruckt in: NZG 2009, S. 265 ff.
59 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.09.2008 (6 W 30/08), abgedruckt in: NZG 2009, S. 260 ff.;
vgl. auch die Anmerkung von Selter 2010 zum Urteil des OLG Düsseldorf vom 29.12.2009 (6 U
69/08).
60 Urteil des LG Köln vom 05.10.2007 (82 O 114/06), NZG 2009, 272 L.
61 In ähnlicher Weise hatte sich bereits das LG Mannheim in der sog. »Friatec-Entscheidung« geäu-
ßert (auf das das LG Köln ausdrücklich Bezug nimmt); das LG Mannheim hatte in seinem Urteil
erkannt, dass ein auf Verlangen und mit den Stimmen eines gemäß § 28 Satz 1 WpHG von der
Ausübung seiner Rechte ausgeschlossenen Hauptaktionärs gefasster Beschluss an einem absoluten
nicht nachträglich heilbaren Mangel leide, der ein juristisches »Nullum« darstelle; die Bestätigung
eines solchen »Nullum« sei rechtswidrig und nichtig; vgl. LG Mannheim, AG 2005, S. 780 ff.
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4.3 Ergebnis
Das LG Köln schießt mit seiner Entscheidung gleich zweimal über das Ziel, für Trans-
parenz im Kapitalmarkt zu sorgen, hinaus: Zum einen fordert es eine Mitteilungspflicht
nach § 21 WpHG selbst dann, wenn es durch eine bestimmte Maßnahme (hier Umfir-
mierung) gar nicht zu einer Änderung der Beteiligungsquote gekommen ist. Zum an-
deren lehnt es die Bestätigung eines wegen Verstoßes gegen § 28 WpHG anfechtbaren
Beschluss nach § 244 AktG ohne stichhaltige Argumente ab.
Auch wenn das Motiv, im Interesse der Anleger, der Funktionsfähigkeit des Kapital-
markts und der Verhinderung von Insiderverstößen eine möglichst aktuelle und umfas-
sende Transparenz der Beteiligungsverhältnisse zu schaffen, ein an sich sehr ehrbares
ist, so darf dies doch nicht dazu führen, die Anforderungen an die Mitteilungspflichten
des WpHG derart zu überspannen.
Dies muss erst recht gelten, wenn es hierdurch zu einem klaren Widerspruch der
Rechtsauffassungen zwischen der BaFin und dem Gericht kommt. Zweifelsohne sind
die Gerichte bei der Auslegung des WpHG durch die BaFin nicht an die Auffassung
der BaFin gebunden – und erst recht entfaltet der Emittentenleitfaden der BaFin keine
unmittelbare Bindungswirkung. Gleichwohl stellt die Sicht der BaFin auf bestimmte ka-
pitalmarktrechtliche Fragen eine wichtige Orientierungshilfe dar, deren Bedeutung man
nicht unterschätzen darf. Gerade dieser durch das Urteil hervorgerufene Widerspruch
zwischen der Behörde und dem Gericht hat zu einer erheblichen Verunsicherung unter
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht | 707
Teil
den Beteiligten geführt; zudem bietet die Sichtweise des Gerichtes eine Steilvorlage für
all jene »Berufskläger«, die sich nun in ihren Mitteilungspflichten verletzt sehen.
5 Schlussbetrachtung
Der deutsche Gesetzgeber hat die Mitteilungspflichten bei börsennotierten Aktiengesell-
schaften durch die sukzessive Einführung von Gesetzen erweitert und verschärft. Wich-
tige Impulse gingen dabei von der Europäischen Union aus; so stellten allein zwei der
vier in Kraft getretenen Gesetze Umsetzungen europäischer Richtlinien dar, ein weiteres
wird mit dem Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie
folgen. Bei ihrer konzeptionellen Ausgestaltung wurde auch der Bildung neuer Finanz
instrumente und des Phänomens des unerkannten Anschleichens Rechnung getragen.
Der Einsatz von Cash Settled Equity Swaps (wie im Fall Schaeffler/Continental) löste
nach der seinerzeit geltenden Rechtslage zwar noch keine Meldepflichten nach dem
WpHG aus, da es sich bei diesen Finanzinstrumenten – vereinfacht ausgedrückt – (le-
diglich) um eine Art Wette zwischen zwei Vertragspartnern auf steigende oder fallende
Kurse handelte. Ihnen kam nicht dieselbe Rechtsqualität wie etwa den Stimmrechten
an Aktien oder Aktienoptionen zu.
Diese Rechtslage hat sich jedoch seit der Einführung des § 25a WpHG durch das
AnsFuG grundlegend geändert. Heute sind Cash Settled Equity Swaps ohne Zweifel mel-
depflichtig, da es sich hierbei um Geschäfte handelt, bei denen ein Stimmrechtserwerb
aufgrund der diesen zugrunde liegenden wirtschaftlichen Logik zumindest möglich ist.
Verletzt der Meldepflichtige seine Mitteilungspflichten, dann begeht er eine Ordnungs-
widrigkeit, die zu einem Bußgeld in Höhe von bis zu einer Million Euro führen kann.
Mit der Einführung des AnsFuG hat der Gesetzgeber die Transparenz des Marktes
zusätzlich gefördert, indem er nun auch bestimmte Formen des verdeckten Beteili-
gungserwerbes unter die Mitteilungspflicht fallen lässt. Die künftige Praxis wird zeigen,
inwieweit es durch diese neue Rechtslage zu einer Überdehnung der Mitteilungspflich-
ten kommen könnte. Ein Beispiel für eine solche Überdehnung gibt die fragwürdige
Entscheidung des LG Köln – die aber bis heute erfreulicherweise noch keine Nachahmer
gefunden hat.
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IX. Wahrung der Transparenz bei M & A-Transaktionen nach deutschem Recht | 709
Teil
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710 |
Teil
Das WpÜG ist auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren anzuwenden, die von einer
inländischen Zielgesellschaft ausgegeben werden und an einem organisierten Markt
des Europäischen Wirtschaftsraums zugelassen sind (§§ 1, 2 Abs. 3, 7 WpÜG). Es er-
fasst alle freiwilligen und öffentlichen Kauf- und Tauschangebote und stellt allgemeine
Grundsätze auf: Die Aktionäre der Zielgesellschaft müssen gleich behandelt werden.
Ihnen müssen genügend Zeit und ausreichend Informationen zur Angebotsüberprüfung
zur Verfügung stehen. Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft müssen in allen
Phasen des Geschäfts im Interesse ihrer Gesellschaft handeln. Das Verfahren ist zügig
durchzuführen und darf die normale Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft nur einen
angemessenen Zeitraum beeinträchtigen. Durch den Wertpapierhandel dürfen keine
Marktverzerrungen geschaffen werden (§ 3 WpÜG).
Für öffentliche Erwerbsangebote werden die Veröffentlichung der Entscheidung zur
Abgabe eines Angebotes (§ 10 WpÜG), der Inhalt des Angebots und die Haftung für die
Angebotsunterlage (§§ 11 f. WpÜG) geregelt. Der Bieter hat vier Wochen nach der Veröf-
fentlichung der BaFin als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde (§§ 4–9 WpÜG) die voll-
ständige Angebotsunterlage zu übermitteln (§ 10 WpÜG). Für die Annahme hat der Bieter
eine Frist zwischen vier und höchstens zehn Wochen festzulegen (§ 16 Abs. 1 WpÜG).
Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben eine begründete Stel-
lungnahme zu dem Angebot sowie zu jeder seiner späteren Änderungen abzugeben. In
der Stellungnahme ist insbesondere auf folgende Punkte einzugehen:
* Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Betriebswirt-
schaftliche Steuerlehre und Steuerrecht (beurlaubt), Ludwig-Maximilians-Universität München,
München, geschäftsführender Herausgeber »Der Aufsichtsrat«.
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Die zentralen Aufgaben des Aufsichtsrats liegen in der Kontrolle des Preises sowie in der
Prüfung einer (potenziellen) Nachbesserungspflicht. Die Aufsichtsratsm itg lieder ver-
letzen die ihnen obliegende Sorgfaltspflicht (§§ 93, 116 AktG), wenn sie diesbezüglich
unrichtige oder unvollständige Angaben machen, die für die Beurteilung des Angebots
wesentlich sind.
Besondere Regelungen enthält das WpÜG für Erwerbe, die auf die Erlangung der
unternehmerischen Kontrolle der Zielgesellschaft gerichtet sind. Eine solche Kontrolle
ist bei einem Aktienbesitz von mindestens 30 % anzunehmen (§ 29 Abs. 2 WpÜG). Wer
unmittelbar (durch öffentliches Angebot, Paketerwerb, Erbfall) oder mittelbar (z. B. über
eine börsennotierte Konzerngesellschaft) eine derartige Kontrolle über eine Zielgesell-
schaft erlangt, ist zur Abgabe eines Pflichtangebots und zur Veröffentlichung seines
Stimmrechtsanteils von mehr als 30 % verpflichtet (§ 35 WpÜG).
Im Zusammenhang mit den Übernahmea ngeboten sind Regelungen zum Verhalten
der Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft nicht unumstritten. Im Grundsatz schreibt
das WpÜG eine Neutralitätspflicht des Vorstands für die Zeit nach der Veröffentlichung
(§ 10 Abs. 3 WpÜG) bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses vor (§ 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG).
Dem Vorstand der Zielgesellschaft sind in diesem Zeitraum alle Handlungen untersagt,
die den Erfolg des Übernahmeangebots verhindern oder auch nur objektiv geeignet
sind, diesen zu beeinträchtigen. Erlaubt sind Handlungen, »die auch ein ordentlicher
und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernah-
meangebot betroffen ist, vorgenommen hätte, die Suche nach einem konkurrierenden
Angebot sowie Handlungen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt
hat« (§ 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG).
Insbesondere der zuletzt benannte Ausnahmetatbestand – Zustimmung des Auf-
sichtsrats der Zielgesellschaft – weicht die prinzipielle Neutralitätspflicht des Vorstands
erheblich auf: Danach kann der Vorstand mit Zustimmung seines Aufsichtsrats in seine
Zuständigkeit fallende Abwehrmaßnahmen einleiten, wenn die Obstruktion der Offerte
im Interesse der Zielgesellschaft liegt. Dieses Interesse zu formulieren, ist gemeinsame
Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat. In diesem Zusammenhang wird befürchtet,
dass in kritischen Übernahmesituationen entsprechende Abwehrmaßnahmen (auch) im
Interesse der Verwaltungsmitglieder der Zielgesellschaft, die regelmäßig auch persön-
lich von einer Übernahme betroffen sind, geltend gemacht werden.
Die Hauptversammlung der Zielgesellschaft kann zudem durch Beschluss den Hand-
lungsspielraum der eigenen Verwaltung (Vorstand und Aufsichtsrat) noch erweitern.
So kann sie den Vorstand mit einer Dreiviertel-Mehrheit des vertretenen Kapitals zur
Vornahme bestimmter Verteidigungshandlungen ermächtigen, die dieser dann inner-
halb von 18 Monaten mit Zustimmung seines Aufsichtsrats ergreifen kann (§ 33 Abs. 2
WpÜG). Diese Form von Vorratsbeschlüssen ist umstritten, da durch sie ein erheblicher
eigener Gestaltungsspielraum für die Verwaltung entstehen kann, der insbesondere
hinsichtlich der konkreten (späteren) Umsetzung weitgehend überwachungsfrei bleibt.
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Dem Bieter und den mit ihm gemeinsam handelnden Personen ist es ausdrück-
lich verboten, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft in Zusam-
menhang mit einer Übernahmeofferte »ungerechtfertigte Geldleistungen oder andere
ungerechtfertigte geldwerte Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen« (§ 33d
WpÜG); diese Regelung betont ein ohnehin bestehendes gesetzliches Verbot. Prämien
zahlungen der Zielgesellschaft an ihre eigenen Verwaltungsorgane oder Mitarbeiter
im Zusammenhang mit einem Übernahmeangebot und dessen Abwehr sind allerdings
nicht explizit verboten. Derartige Zahlungen in Form von »Appreciation Awards« waren
zuletzt im Übernahmefall Mannesmann/Vodafone in die Diskussion gerückt: Anerken-
nungszahlungen an Vorstandsmitglieder im Übernahmefall unterliegen der strengen
Kontrolle durch den Aufsichtsrat, sowohl die Angemessenheit als auch die Veranlassung
sind darauf hin zu überprüfen, ob sie mit dem Wohl des Unternehmens vereinbar sind.
Handelt es sich dabei um bewusste Schädigungen des Gesellschaftsvermögens, kann
eine schwerwiegende, strafbewehrte Pflichtverletzung des Aufsichtsrats vorliegen.
Für alle Erwerbe und Veräußerungen von Beteiligungen ist darüber hinaus in je-
dem Einzelfall zu prüfen, ob ein diesbezüglicher Zustimmungsvorbehalt nach § 111
Abs. 4 Satz 2 AktG zugunsten des Aufsichtsrats in der Satzung oder Geschäftsord-
nung zwingend vorgeschrieben ist oder vom Aufsichtsrat ad hoc formuliert wurde. In
diesen Fällen ist der Vorstand zu einer zeitnahen und umfassenden wie rechtzeitigen
Information des Aufsichtsrats verpflichtet. Die erforderliche Zustimmung darf grund-
sätzlich weder nachträglich noch vor vollständiger Vorlage aller Abschlussdokumente
und -kond itionen erfolgen. Die Erteilung der Zustimmung des Aufsichtsrats ist eine
unternehmerische Entscheidung und steht, im Rahmen seiner Verpflichtung auf das
Unternehmensinteresse, in dessen freiem Ermessen; die auch hier zu berücksichtigende,
haftungsprivilegierende »Business Judgement Rule« (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) ist auf
diese Entscheidung anwendbar. Dem Aufsichtsrat kommt dabei die Funktion zu, die
Einschätzung des Vorstands zu überprüfen und zu plausibilisieren, wobei insbesondere
auf die Werthaltigkeit, Nachhaltigkeit, Finanzierbarkeit und Integrationsmöglichkeit
des angestrebten Beteiligungserwerbs zu achten ist. Für Überwachungs-, Beobach-
tungs- und Kontrollmängel im Zusammenhang mit den Vorbereitungshandlungen, den
konkreten Vertragsverhandlungen, der Due Diligence, der Bewertung einschließlich
einer »Second Opinion«, dem Vertragsabschluss sowie der Post-Merger-Integrationspha-
se haftet der Aufsichtsrat (§§ 93, 116 AktG). So hat der Bundesgerichtshof 2006 im Fall
eines fakultativ eingerichteten Aufsichtsrats entschieden, dass ein Aufsichtsrat seine
gesetzlichen Pflichten im Zusammenhang mit einem Zustimmungsvorbehaltsgeschäft
verletzt, wenn er ohne gebotene Information und darauf aufbauende Chancen- und
Risikoabschätzung seine Zustimmung zu nachteiligen Geschäften erteilt (BGH Urteil
vom 11.12.2006, ZIP 2007, S. 224). Da zudem jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied sich
ein eigenes Urteil bilden und eine eigene Risikoabschätzung treffen muss, sollten alle
Aufsichtsratsmitglieder bei zustimmungspflichtigen M & A-Transaktionen darauf achten,
umfassend, zeitnah und kontinuierlich unterrichtet zu werden, um eine persönliche
Haftung zu vermeiden.
In Abhängigkeit von der Gewichtigkeit der einzelnen Transaktion muss bei bör
sennotierten Erwerbsgesellschaften ergänzend berücksichtigt werden, dass die Gesell-
schaft gegebenenfalls zur Ad-hoc-Information über Insidersachverhalte verpflichtet ist.
Soweit es hier zu keinem im Detail abgestimmten Verfahren zwischen Vorstand und
Aufsichtsrat kommt, kann es sich im Einzelfall sogar als notwendig erweisen, bereits
vor der abschließenden Zustimmung durch den Aufsichtsrat eine entsprechende Publi-
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zität nach § 15 WpHG durch den Vorstand zu veranlassen. Nach Auffassung der BaFin
sind pauschale Begründungen sowie der Hinweis auf noch ausstehende Gremienvor-
behalte insbesondere bei einem mehrstufigen Entscheidungsprozess nicht ausreichend,
um seitens des Vorstands eine Veröffentlichung berechtigterweise aufschieben zu dür-
fen. Dessen ungeachtet müssen Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam in jedem Ein-
zelfall entscheiden, welche Verfahrensweise einerseits den berechtigten Interessen des
Unternehmens und andererseits dem Interesse des Kapitalmarkts an einer vollständigen
und zeitnahen Veröffentlichung entspricht.
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714 |
Teil
1 Einleitung
2 Übernahmekodex der Vereinigung Schweizer Börsen
2.1 Entstehung
2.2 Transparenz
2.3 Pflichten des Anbieters
2.4 Verhaltensfreiheit der Zielgesellschaft
2.5 Überwachung und Verfahren
3 Schaffung eines Rechts öffentlicher Kaufangebote
3.1 Entstehung
3.2 Transparenz
3.3 Pflichten des Anbieters
3.4 Verhaltenspflichten der Zielgesellschaft
3.5 Überwachung und Verfahren
4 Revisionen des Übernahmerechts
4.1 Hintergrund
4.2 Transparenz
4.3 Pflichten des Anbieters
4.4 Verhaltenspflichten der Zielgesellschaft
4.5 Überwachung und Verfahren
5 Schlussbemerkungen
1 Einleitung
Das Schweizer Übernahmerecht hat sich während den vergangenen 25 Jahren als Reak-
tion auf praktische (und zum Teil auch nur vermeintliche) Probleme von einem zunächst
weitgehend selbstregulierten Markt für Unternehmenskontrolle zu einem komplexen
Regulierungsgeflecht herangebildet. Zum heute geltenden System mit rechtlich verbind-
lichen Normen, deren Einhaltung durch eine Fachbehörde kontrolliert wird, kam es in
drei Phasen; zunächst mit dem 1989 in Kraft getretenen Schweizerischen Übernahmeko-
∗ Prof. Dr. Rolf Watter, Partner, Rechtsanwalt, Bär & Karrer AG, Zürich; Dr. Mariel Hoch, Partnerin,
Rechtanwältin, Bär & Karrer AG, Zürich.
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dex der Vereinigung Schweizer Börsen (Kodex), danach unter dem börsengesetzlichen
Übernahmerecht, das seit 1998 gilt, und schließlich mit den zum 01.01.2009 und zum
01.05.2013 umgesetzten Revisionen der börsengesetzlichen Ordnung.1
Die zunehmende Verbindlichkeit und Verdichtung der Regeln können als Resultat eines
Verhoheitlichungsprozesses verstanden werden, in welchem die Marktteilnehmer und die
öffentliche Meinung dem Gesetzgeber und den Behörden zur Seite standen. Während der
Anbieter und die Zielgesellschaft früher einen eher partnerschaftlichen Umgang mit der
Übernahmekommission pflegen konnten, führte die Revision von 2009 zu einem stärker
hoheitlich geprägten Verhältnis. Aber auch wenn qualifizierte Aktionäre2 nun Parteistel-
lung beantragen und das Verfahren für ihre Interessen nutzbar machen können, wurde
der schnelle Entscheidungsfindungsprozess erfreulicherweise weitgehend bewahrt.
Es soll nachfolgend anhand von vier thematischen Bereichen – nämlich (i) Transpa-
renz, (ii) Pflichten des Anbieters, (iii) Verhaltenspflichten der Zielgesellschaft und (iv)
Überwachung und Verfahren – aufgezeigt werden, wie sich das Schweizer Übernah-
merecht in den drei Regulierungsphasen – Kodex3 (Kapitel 2), Schaffung eines Über-
nahmerechts (Kapitel 3) und Revisionen des Übernahmerechts (Kapitel 4) – in den
vergangenen drei Jahrzehnten entwickelt hat. Anhand der Pflichten, welche die Akteure
treffen, lässt sich erkennen, dass sich der Einfluss der (potenziellen) Zielgesellschaften
in dieser Phase erheblich zurückgebildet hat (womit sie heutzutage viel mehr Pflichten
treffen), während anderseits die nationalen und internationalen Anleger (oder generell
die Börse) stark an Bedeutung gewonnen haben. Dies äußert sich etwa darin, dass sich
Übernahmen mit einer genügend großen Prämie heute fast immer durchsetzen können
– uneinnehmbare Bollwerke gibt es kaum noch, denn der Druck der Anleger hat dazu
geführt, dass statutarische Schutzmauern heute viel niedriger sind als früher oder teil-
weise ganz geschleift wurden. Und wenn der Angriff kommt, sind der Verteidigungs-
mannschaft in vielen Bereichen die Hände gebunden, weil die Aktionäre nicht nur über
das Angebot, sondern auch über die Anwendung von Abwehrmaßnahmen entscheiden.
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die Taktiken, die eingesetzt wurden, führten zur Erkenntnis, dass Regelungsbedarf
bestand, so bei Kontrollwechseln durch Pakettransaktionen5 oder Übernahmen bör-
sennotierter Gesellschaften durch stille Aufkäufe über die Börse bis die angestrebte
kontrollierende Mehrheit erreicht war, wie etwa beim Erwerb der C. F. Bally AG durch
Werner K. Rey Mitte der 1970er Jahre, bei der versuchten Übernahme der Usego-Trimerco
Holding AG durch Karl Schweri oder beim systematischen Aufkauf von Aktien der Sulzer
AG durch Tito Tettamanti in den 1980er Jahren.6
Die sich damals im Gang befindliche Revision des Aktienrechts hatte die Regelung
öffentlicher Kaufangebote nicht zum Gegenstand. Daher setzte die Vereinigung der
Schweizer Börsen, ein privatrechtlicher Verein, eine Arbeitsgruppe ein, um den sich
stellenden Problemen bei öffentlichen Übernahmen börsennotierter Gesellschaften
selbstregulierend zu begegnen. Der Übernahmekodex wurde verabschiedet, nachdem
die Wirtschaftszweige und weitere interessierte Kreise angehört worden waren.7 Als
Vorbild im Grundsatz (wenn auch nicht für einzelne Regeln) diente dem Kodex der
damals ebenfalls auf Selbstregulierung basierende britische City Code on Takeovers and
Mergers sowie der Vorschlag zur EU-Übernahmerichtlinie,8 die allerdings erst 2004 in
mehrfach überarbeiteter und verwässerter Form in Kraft trat.9
Der Kodex stellte folglich das erste einheitliche Regelwerk für öffentliche Übernah-
meangebote der Schweiz dar. Er basierte auf der Idee eines flexiblen Konzepts und war
– ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mit seinen elf Ziffern kurz gefasst.10 Als Instru-
ment der Selbstregulierung fehlte ihm formelle Gesetzeskraft. Als Überwachungsorgan
wurde die Kommission für Regulierungsfragen geschaffen.
2.2 Transparenz
2.2.1 Prospektpflicht
Transparenz wurde schon unter dem Kodex als wesentliches steuerungsneutrales Ins-
trument des Aktionärsschutzes erkannt: Die Einführung einer Prospektpflicht für den
Anbieter mit einem Minimalinhalt stellte eine zentrale Errungenschaft des Kodex dar
und ermöglichte den Publikumsaktionären und den Organen der Zielgesellschaft, einen
informierten Entscheid über das Angebot zu fällen. Der Anbieter musste sich zudem im
Prospekt zur Einhaltung des Kodex verpflichten.11
S. 339 ff. Auch im Fall Publicitas blieb es bei einem feindlichen Übernahmeversuch durch die Jacobs
Suchard Holding.
5 Beispiel hier bildet etwa der Verkauf der Mehrheitsbeteiligung an der Mövenpick-Gruppe von Ulrich
Prager an August von Finck.
6 Vgl. Strazzer 1993, S. 46.
7 Vgl. Strazzer 1993, S. 96 f.
8 Vorschlag für eine 13. Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahme-
angebote, ABl. C 64 vom 14.03.1989.
9 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.04.2004 betreffend Über-
nahmeangebote.
10 Vgl. Strazzer 1993, S. 109; Frei 1996, S. 285 f. Das Verfahrensreglement, welches die Kommission
für Regulierungsfragen erließ, bildete einen Anhang zum Kodex. Ein Kommentar, dem allerdings
kein formeller Charakter zukommt, folgte, und schließlich wurden 1991 Erläuterungen zum Kodex
erlassen, die die Handhabung erleichtern sollten.
11 Ziffer 4 des Kodex.
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Im Unterschied zum Anbieter erfuhr die Kommunikation des Verwaltungsrats der Ziel-
gesellschaft unter dem Kodex keine Regelung. Aber auch ohne entsprechende Regelung
äußerten sich die meisten Zielgesellschaften zu einem auf sie gerichteten öffentlichen
Kaufangebot und empfahlen dieses entweder zur Annahme oder Ablehnung.
Der Kodex enthielt keine Bestimmung, wonach das Überschreiten wesentlicher Betei-
ligungen an einer börsennotierten Gesellschaft gemeldet werden musste. Damit wurde
namentlich der damals verbreitete Kontrollerwerb durch verdeckten Beteiligungsaufbau
nicht unterbunden.
Ein deklariertes Hauptziel des Kodex war der Schutz der Publikumsaktionäre.14 Deren
Schutzbedürftigkeit ergab sich aus der Erkenntnis, dass die Empfänger eines öffentli-
chen Angebots mit dem Anbieter nicht als gleichberechtigte Partner kontrahieren konn-
ten, sondern dieses nur annehmen oder ablehnen konnten.15 Der verbreitete sukzessive
Aufbau einer kontrollierenden Beteiligung über die Börse sowie private Paketverschie-
bungen waren jedoch vom Anwendungsbereich des Kodex ausgenommen. Von der Ein-
führung eines Pflichtangebots bei Überschreiten einer bestimmten Beteiligungsschwelle
war die Regulierungspraxis damals noch weit entfernt.
12 Entscheidung der Kommission für Regulierungsfragen in Sachen Öffentliches Kaufangebot der BBA
Group PLC an die Holvis AG vom 07.06.1995.
13 Vgl. nachfolgend Abschnitt 1.4.
14 Neben der Sicherstellung einer gewissen Transparenz und Entscheidungsgrundlage (auch) für die
Gesellschaftsorgane und der Sicherung einer Verhaltensweise nach Treu und Glauben für sämtliche
Beteiligten.
15 Vgl. Strazzer 1993, S. 112.
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2.3.2 Preisvorschriften
Unter dem Kodex galt weitgehende Preisfreiheit. Der Anbieter war namentlich auch
an keinen absoluten Mindestpreis gebunden. Aufgrund des statuierten Gleichbehand-
lungsgrundsatzes16 durfte ein Anbieter jedoch während der Dauer des Angebots weder
börslich noch außerbörslich Titel zu einem über dem Angebotspreis liegenden Preis
erwerben.17 Gemäß einem Grundsatzentscheid der Regulierungskommission im Jahr
198918 durfte der Anbieter bei Erwerbstatbeständen, die bis zu drei Monaten vor der
Unterbreitung des Angebots stattfanden, keinen über dem Angebotspreis liegenden Preis
bezahlen. Beachtlich ist, dass die Regulierungskommission mit dieser Dreimonatsregel
eine gewisse Vorwirkung des Kodex auf die Zeit vor Unterbreitung des öffentlichen
Kaufa ngebots herbeiführte. Allerdings erfuhr dieser Grundsatz verschiedene Einschrän-
kungen und galt namentlich dann nicht, wenn der Anbieter während der Dreimonats-
frist ein Mehrheitspaket von einem öffentlich bekannten Aktionär erwarb.19
Der Fall Jacobs Suchard AG20 war in diesem Zusammenhang richtungweisend: In-
nerhalb der Dreimonatsfrist vor dem öffentlichen Kaufangebot bezahlte Kraft General
Foods, Inc. (die wiederum von Philip Morris kontrolliert war) für den Erwerb eines
62 %-Pakets eine Prämie von 120 % auf dem späteren Angebotspreis. Diese Transaktion
wurde für kodexkonform befunden, da das an die Transaktion anschließende Übernah-
meangebot nicht im Hinblick auf den Erwerb der Kontrolle über die Jacobs Suchard AG
erfolgte, sondern die Kontrolle bereits vor der Unterbreitung des Angebots erlangt wur-
de.21 Öffentlich bekannt wurde das Ausmaß der bezahlten Prämie an den Hauptaktionär
aufgrund der mit dem Kodex ein Jahr zuvor eingeführten Prospektpflicht, die vorsah,
dass im Prospekt auch die essentialia von dem öffentlichen Angebot vorausgehenden
Block Trades offengelegt werden mussten.22 In Leserbriefen drückte sich Unmut über die
Ungleichbehandlung von Mehrheitsaktionär und Publikumsaktionären aus.23
Bei Teilangeboten verlangte der Kodex bei einer Überzeichnung eine proportionale
Berücksichtigung der angedienten Aktien, um dem Gleichbehandlungsgebot gerecht zu
werden. Im Zusammenhang mit der Regelung des Teilangebots finden sich zudem erste
Elemente einer Angebotspflicht: »Verfügt der Anbieter bei zustande gekommenem Ange-
bot zusammen mit seiner allfälligen bisherigen Beteiligung über 50 % der Stimmrechte,
so muss er alle Verkaufswilligen vollumfänglich befriedigen.«24 Dies galt selbst dann,
wenn sich das Teilangebot ursprünglich nur auf eine Titelkategorie bezog.25 Mit dieser
Bestimmung sollten sog. Front End Loaded Offers, bei denen der Anbieter mit einem
attraktiven Teilangebot die Kontrolle erwirbt, um anschließend die verbleibenden Min-
derheitsaktionäre zu einem tieferen Preis abzufinden, unterbunden werden.
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Der Übernahmekodex widmete der Zielgesellschaft eine einzige Ziffer, die als erstes
den Grundsatz festhielt, dass die Zielgesellschaft im Rahmen von Gesetz und Statuten
frei sei, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.27 Der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft
konnte namentlich bedeutende Vermögenswerte (sog. Crown Jewels) veräußern oder
Transaktionsvereinbarungen mit sog. Lock-up-Klauseln abschließen.28 Immerhin war
die Kommission über die Ergreifung von Abwehrmaßnahmen in Kenntnis zu setzen.
Bereits vor dem Inkrafttreten des Kodex gab es kritische Stimmen zu dieser Schief
lastigkeit zugunsten des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft.29 Beim Übernahme-
kampf um Holvis im Jahr 1995 wurden die sich stellenden Probleme manifest wie kaum
zuvor. Das öffentliche Kaufangebot von International Paper, Inc. war die erste feindliche
Übernahme seit dem Inkrafttreten des Kodex. Der Verwaltungsrat von Holvis erachtete
das Angebot als ungenügend und suchte daher einen Weißen Ritter (White Knight).
Nach einem gescheiterten Versuch konnte die britische BBA Group PLC gewonnen wer-
den. Deren Angebot war zwar knapp 15 % höher, doch hatte der Verwaltungsrat der
Holvis einen Tag vor der Veröffentlichung des Kaufangebots das Kronjuwel Fiberweb
für den Fall des Scheiterns des BBA-Angebots unwiderruflich an diese verkauft. Weiter
hatte er BBA eine Option zum Erwerb der von Holvis gehaltenen Vorratsaktien einge-
räumt. Mit dieser Maßnahme wurde zwar ein höheres Angebot ermöglicht, gleichzeitig
wurde aber ein im Interesse der Publikumsaktionäre liegender weiterer Bieterprozess
verunmöglicht.30
Die Regulierungskommission befand das Angebot von BBA für kodexkonform. Ob
die ergriffenen Abwehrmaßnahmen gegen Gesellschaftsrecht verstießen, prüfte sie
nicht. Vorbehaltlich offensichtlicher gesellschaftsrechtlicher Verstöße erachtete sie sich
einzig als kompetent, Transparenz zu schaffen, damit Aktionäre sich allenfalls an die
Zivilgerichte wenden konnten.31
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gen, 07.06.1995: Öffentliches Kaufangebot der BBA Group PLC an die Holvis AG. Zur Offenlegung von
Verträgen vorstehender Abschnitt 2.2.1.
32 Ziffer 9.2 des Kodex; Strazzer 1993, S. 99.
33 Ziffer 10.3 des Kodex. Ein Verfahrensreglement ergänzte den Kodex.
34 Ein Verfahren vor der Veröffentlichung des Angebots konnte durchgeführt werden, wenn die Ziel-
gesellschaft sich zur Vertraulichkeit verpflichtete. Falls die Zielgesellschaft nicht teilnahm, war der
Entschied des Ausschusses provisorisch und nach Veröffentlichung des Angebots war ein neues
Verfahren zu eröffnen (vgl. Verfahrensreglement, Ziffer B; Strazzer 1993, S. 101).
35 Vgl. Ziffer 9.2 des Kodex.
36 Eine solche ist aufgrund der zum Teil sehr deutlichen Wortwahl der Kommission auch anzuneh-
men. Vgl. die Entscheidung über ein nicht dem Kodex entsprechendes Angebot vom 29.07.1992
(Loreto Gestion AG), Schweizerischer Übernahmekodex, Entscheidungen der Kommission für Regu-
lierungsfrage (Januar 1992 bis Dezember 1992), in: SZW 1993, 72: »[…] Die Kommission für Regu-
lierungsfragen der Vereinigung der Schweizer Börsen warnt die Anleger vor diesem ungewöhnlichen
Angebot, an dem keine Bank mitwirkt. Es besteht keine Garantie für die Seriosität dieses Angebotes.«
37 Vgl. Ziffer 7 des Kodex.
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3.2 Transparenz
3.2.1 Prospektpflicht
Die börsengesetzliche Regelung der Prospektpflicht des Anbieters baute auf derjenigen
des Kodex auf und war beim Erlass wenig kontrovers. Verlangt wurden (und werden
heute noch) namentlich detailliertere Angaben über den Anbieter und Personen, die
mit ihm in gemeinsamer Absprache handeln, sowie Angaben über die Finanzierung
des Angebots.48 Weiter sind die Absichten des Anbieters bezüglich der Zielgesellschaft
und Vereinbarungen mit dieser oder deren Organen darzulegen.49
Einschneidender war die mit dem Börsengesetz dem Verwaltungsrat der Zielgesellschaft
auferlegte Pflicht, sich in einem zu veröffentlichenden Bericht detailliert zum Angebot
zu äußern. Der Bericht muss alle wesentlichen Elemente der Entscheidungsfindung
aufführen, eine eigentliche Empfehlung kann aber unterbleiben. Für den Angebotsemp-
fänger soll auch Transparenz über potenzielle Interessenkonflikte des Verwaltungsrates
und der Geschäftsleitung,50 die dem Verwaltungsrat bekannten Absichten von qualifi-
zierten Aktionären und allenfalls geplante Abwehrmaßnahmen geschaffen werden.51
Bei Vorliegen von Interessenkonflikten muss der Bericht aufzeigen, welche Maßnahmen
ergriffen wurden, damit sich potenzielle Interessenkonflikte nicht zum Nachteil der
Angebotsempfänger auswirken.
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Mit dem Börsengesetz wurde auch eine Offenlegungspflicht von Beteiligungen56 ein-
geführt, die zu einer erhöhten Transparenz für Gesellschaft und Anleger führen sollte.
Das Über- und Unterschreiten gewisser Beteiligungsschwellen57 ist bei der Gesellschaft
sowie bei der Offenlegungsstelle zu melden und wird publiziert. Dies erlaubt es, den
Beteiligungsaufbau durch einen Investor zu verfolgen und die Wahrscheinlichkeit eines
freiwilligen öffentlichen Kaufangebots abzuschätzen bzw. die Einhaltung der Angebots-
pflicht58 zu überwachen.59 Die Offenlegungspflicht bedeutete das Ende des unter dem
Kodex noch weit verbreiteten verdeckten Aufbaus von Beteiligungen und des stillen
Kontrollerwerbes.60
52 An die Unabhängigkeit werden hier die gleichen Anforderungen gestellt wie an die Prüfgesellschaft
(Art. 25 Abs. 1 BEHG – heute Art. 128 Abs. 1 FinfraG). Der Dritte darf selber jedoch nicht Prüf-
stelle sein. Vgl.: BSK BEHG, Art. 29, N 8 und Empfehlung 129/01 in Sachen Think Tools AG vom
17.05.2002, E. 6.3; Empfehlung 157/01 in Sachen Disetronic Holding AG vom 19.03.2003, E. 7.2.1.
53 Empfehlung 171/02 in Sachen EIC Electricity S.A. vom 21.08.2003, E. 9.3. Zum Detaillierungsgrad
von Fairness Opinions vgl. außerdem: Empfehlung 188/02 in Sachen Clair Finanz Holding AG vom
11.06.2004, E. 4.2.
54 Empfehlung 005/01 in Sachen la Société Internationale Pirelli S.A. vom 21.04.1998, E. 2.
55 Empfehlung 304/01 in Sachen Serono S.A. vom 08.01.2007, E. 6.1.2; Blaas/Barraud 2008, S. 340.
56 Art. 20 BEHG (heute Art. 120 FinfraG).
57 Die Schwellenwerte betrugen ursprünglich 5 %, 10 %, 20 %, 33,3 %, 50 % oder 66,6 % der Stimm-
rechte. Ab dem 01.12.2007 wurde Art. 20 BEHG (heute Art. 120 FinfraG) um die Schwellenwerte
3 %, 15 % und 25 % der Stimmrechte ergänzt.
58 Vgl. die Ausführungen in Kap. 3.3.1.
59 Vgl. Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel, BBl 1993, S. 1409 f.
60 Vgl. Strazzer 1993, S. 46 f.
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3.2.4 Transaktionsmeldungen
Eine weitere Meldepflicht wurde spezifisch für die Dauer des Angebots geschaffen. Der
Anbieter und Personen, die mit ihm in gemeinsamer Absprache handeln, sowie Akti-
onäre, die eine Beteiligung von 3 %61 der Stimmrechte an der Zielgesellschaft halten,
müssen der Übernahmekommission und der Börse sämtliche Transaktionen in Titeln
der Zielgesellschaft (und der im Angebot allenfalls zum Tausch angebotene Effekten
einer anderen Gesellschaft) melden. Diese Meldepflicht dient namentlich der Überwa-
chung der Einhaltung der Preisvorschriften62.
Eine der innovativsten und umstrittensten Neuerungen des Börsengesetzes stellte die
Schaffung einer Angebotspflicht bei Überschreitung von 33,3 % der Stimmrechte der
Zielgesellschaft dar. Damit wurde eine bedeutende Lücke im Minderheitenschutz ge-
schlossen, indem den Publikumsaktionären bei einem Wechsel der Kontrolle der Aus-
stieg zu einem gesetzlichen Mindestpreis63 ermöglicht wurde.
Der Tatsache, dass sich zahlreiche börsennotierte Schweizer Gesellschaften im Fa-
milienbesitz befanden oder von wenigen Investoren beherrscht waren, wurde dadurch
Rechnung getragen, dass sich jede Gesellschaft von der Angebotspflicht ausnehmen (Op-
ting-out) bzw. die Schwelle zur Angebotspflicht auf 49 % anheben (Opting-up) konnte.64
Damit wurde eine bedeutende Konzession an die Gegner der Angebotspflicht gemacht.65
Die Praxis hat gezeigt, dass zunächst nur wenige Gesellschaften sich für ein Opting-out
entschieden haben.66 Sofern die Aktionäre nicht benachteiligt werden, kann ein Opt-
ing-out auch nachträglich, d. h. nach dem Börsengang, eingeführt werden.
Anlass zu Kontroversen hat in der Praxis mehrfach die Grenzwertüberschreitung
durch die Bildung einer Aktionärsgruppe67 gegeben. Die Angebotspflicht darf nicht
mittels Verteilung der Beteiligung auf mehrere in gemeinsamer Absprache handelnde
Personen umgangen werden. Die Übernahmekommission verfolgt in diesem Bereich
eine restriktive Praxis.68 Namentlich kann eine Gruppe auch durch abgestimmte Verhal-
tensweisen von mehreren Personen, die sich auf die Beherrschung der Zielgesellschaft
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beziehen, gebildet werden. Immerhin muss die abgestimmte Verhaltensweise von einer
bestimmten Festigkeit und Dauer sein, kann aber auch auf sozialen oder faktischen
Bindungen beruhen.69
3.3.2 Preisvorschriften
Die Angebotspflicht ist heute als Grundpfeiler des Schweizer Übernahmerechts nicht
mehr wegzudenken. Einen weiteren Kernpunkt stellen die beiden börsengesetzlich ein-
geführten Preisregeln dar:
3.3.2.1 Mindestpreisregel
69 Empfehlung 135/01 in Sachen Quadrant AG vom 23.07.2002, E. II, A, 1 ff.; BGE 130 II 530, 549, E.
6.4.1.
70 Vgl. Art. 10 Abs. 5 UEV-UEK. Diese Bestimmung wurde mit einer frühen Teilrevision am 01.07.1998
in Kraft gesetzt.
71 Art. 32 Abs. 4 aBEHG.
72 Vgl. Art. 37 Abs. 2 BEHV-EBK, heute Art. 42 Abs. 2 FinfraV-FINMA.
73 Liquide war ein Titel, wenn er an 30 der 60 Börsentage, die der Voranmeldung bzw. der Veröffentli-
chung des Angebots vorangingen, gehandelt wurde (vgl. Mitteilung Nr. 2 der Übernahmekommis-
sion vom 03.09.2007).
74 Grundsatzentscheid vom 18.06.1989, der dann im erwähnten Jacobs-Entscheid relativiert wurde.
Näheres vgl. bei: Strazzer 1993, S. 134 ff.
75 Empfehlung 372/02 in Sachen Hiestand Holding AG vom 15.07.2008.
76 Empfehlung 384/03 in Sachen sia Abrasives Holding AG vom 18.11.2008.
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Die Best Price Rule verlangt die absolute preisliche Gleichbehandlung der Angebotsemp-
fänger ab Voranmeldung bzw. Veröffentlichung des Angebots. Die Übernahmekommis-
sion hat im Fall Société Internationale Pirelli S.A. 1998 erstmals bestimmt, dass die Best
Price Rule den Ablauf der Nachfrist des Angebots um sechs Monate überdauere.77 Diese
Dauer wurde anschließend in langjähriger Praxis gefestigt.78 Anhand verschiedener
Fälle wie bspw. auch Sarasin & Cie AG79 und Unilabs S.A.80 aus dem Jahr 2007 hat die
Übernahmekommission der Best Price Rule zudem eine Art Vorwirkung beigemessen,
indem sie das Institut der gekoppelten Gesamttransaktion schuf. Grundsätzlich stellt
ein Aktienerwerb, der vor der Voranmeldung des Angebots vereinbart, aber erst danach
vollzogen wird, einen vorausgegangenen Erwerb dar, bei dem im alten Recht eine Prä-
mie oder ein Paketzuschlag möglich war. Anders ist dies allerdings, wenn das vor der
Publikation des Angebots vereinbarte und danach zu vollziehende Erwerbsgeschäft di-
rekt oder indirekt an den Erfolg des Angebots geknüpft ist.81 Geschieht dies bspw. durch
die Parallelität der Bedingungen, so liegt eine gekoppelte Gesamttransaktion vor, und
die Best Price Rule kommt auf das vor Voranmeldung des Kaufangebots abgeschlossene
Erwerbsgeschäft zur Anwendung.
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Mit der börsengesetzlichen Regelung wurde das Ziel der Waffengleichheit zwischen
mehreren Anbietern, aber auch zwischen dem Verwaltungsrat der Zielgesellschaft
und dem Anbieter verfolgt.86 Nach der diesbezüglichen Regelungsabstinenz des Kodex
wurde damit der Zielgesellschaft ein neues Pflichtenheft übertragen, und es wurden
insbesondere die Möglichkeiten des Verwaltungsrats der Zielgesellschaft, Abwehrmaß-
nahmen zu ergreifen, stark beschränkt, dies trotz beträchtlichem Widerstand im Ge-
setzgebungsprozess.87
Die Regelung sieht vor, dass ab dem Zeitpunkt der Voranmeldung beim Ergreifen
von Abwehrmaßnahmen eine Kompetenzverschiebung auf die Generalversammlung
der Zielgesellschaft erfolgt. Der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft soll den Aktionärs
entschied über ein an diese gerichtetes öffentliches Kaufangebot nicht präjudizieren
können. Außerhalb der eingeschränkten Kompetenz vorgenommene Geschäfte des Ver-
waltungsrats sind daher nichtig.88
Der gesetzliche Katalog von der Generalversammlung vorbehaltenen Abwehrmaß-
nahmen umfasst den Verkauf oder Erwerb von Betriebsteilen im Wert von mehr als
10 % der Bilanzsumme, wertunabhängig den Verkauf oder die Belastung von durch
den Anbieter bezeichneten Kronjuwelen (auch Lex Holvis genannt), die Vereinbarung
von Abgangsentschädigungen an den Verwaltungsrat oder die Geschäftsleitung (Golden
Parachutes)89 und die Verwendung von bedingtem oder genehmigtem Kapital unter Aus-
schluss des Bezugsrechts.90 Die Übernahmekommission sieht dagegen in sog. Break Fees,
welche die Zielgesellschaft für den Fall des Scheiterns eines Angebots einem Anbieter
verspricht, bis zu einer gewissen Höhe keine gesetzeswidrige Abwehrmaßnahme.91
Im Zusammenhang mit der sog. Crown Jewel Defense hat die Übernahmekommis-
sion im Fall Leica Geosystems Holdings AG92 festgehalten, dass es nicht angehe, dass
der Anbieter de facto die ganze Zielgesellschaft zum Hauptgegenstand des Angebots
deklariere, da der damit geschaffene Vorbehalt der Genehmigung jeglicher Veräußerun-
gen durch die Generalversammlung die Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft für die
Angebotsdauer vollständig blockieren könne.
Im Übernahmekampf um Saia-Burgess im Jahr 2005 wurde die Rechtslage bei Ab-
wehrmaßnahmen weiter konkretisiert. Zum einen wurde entschieden, dass der Stich-
tag der Kompetenzverschiebung an die Generalversammlung bei der Voranmeldung
in Sachen SIG Holding AG vom 26.10.2006, E. 3; und Verfügung 378/02 in Sachen Speedel Holding
AG vom 20.01.2009, E. 2.
86 Vgl. dazu: Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel, BBl 1993,
1415.
87 Bernet 1998, S. 273; vgl. zum Ganzen ebenfalls: Zobl 1997, S. 62 ff.
88 Empfehlung 107/01 in Sachen Baumgartner Papiers Holding S.A. vom 16.07.2001, E. 3.2.
89 Seit 2014 sind Abgangsentschädigungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften in der Schweiz
gar generell verboten. Weder der Verwaltungsrat noch die Generalversammlung ist befugt, solche
zu beschließen, und die Verletzung dieses Verbotes ist strafbar. Das Verbot basiert auf Art. 95
Abs. 3 der Bundesverfassung und ist in der Verordnung gegen übermäßige Vergütungen bei börsen-
kotierten Aktiengesellschaften (VegüV) verankert.
90 Vgl. Art. 35 Abs. 2 UEV-UEK.
91 Vgl. Empfehlung 225/01 in Sachen Forbo Holding AG vom 07.03.2005.
92 Empfehlung 243/01 in Sachen Leica Geosystems Holdings AG vom 22.06.2005, E. 2.
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anzusetzen sei. Nie möglich sind Abwehrmaßnahmen, die offensichtlich gegen Gesell-
schaftsrecht verstoßen.93
Anzumerken bleibt, dass Abwehrmaßnahmen wie Vinkulierungen oder Stimm-
rechtsbeschränkungen zulässig bleiben; allerdings sind die Gesellschaften, die sich die-
se Möglichkeit statutarisch einräumten, immer mehr zurückgegangen, und das Mittel
des bedingten Angebotes erlaubt es einem Anbieter, trotz dieser Hürden die Zielgesell-
schaft zu übernehmen, wenn die Aktionäre das Angebot attraktiv genug finden und
bereit sind, die statutarischen Beschränkungen mittels eines Generalversammlungsbe-
schlusses aufzuheben.
Als weitere, neu geschaffene Pflicht wurde der Zielgesellschaft auferlegt, konkurrierende
Anbieter gleich zu behandeln, damit die Wahlfreiheit der Angebotsempfänger gestärkt
werde.94 Als zentral erweist sich diese Gleichbehandlungspflicht bei der Gewährung des
Zugangs zur Due Diligence. Im Übernahmekampf um die SIG Holding bedurfte es der
höchstrichterlichen Klärung dieser Frage. Die Pflicht zur Gleichbehandlung von Konkur-
renzanbietern wurde insofern ausgedehnt, als nach der bundesgerichtlichen Rechtspre-
chung die Zielgesellschaft verpflichtet ist, den Zugang zur Due Diligence, den sie einem
lediglich potenziellen Anbieter gewährt hat, in gleichem Umfang auch jenem Anbieter
zu gewähren, der bereits ein Angebot vorangemeldet hat.95 Wie bei Holvis hatte sich der
Verwaltungsrat der SIG Holding AG erhofft, durch die Öffnung der Gesellschaftsbücher
einen White Knight zu finden. Tut dies eine Zielgesellschaft, so ist sie gezwungen, den
unliebsamen Anbieter – selbst wenn es in der Folge zu keinem Angebot des potenziellen
White Knight kommt – in gleichem Umfang mit Informationen zu bedienen.
93 Dabei stellte die Übernahmekommission auf die herrschende Lehrmeinung ab. M.w.H.: Empfehlung
249/05 in Sachen Saia-Burgess Electronics Holding AG vom 23.08.2005, E. 1.3.3. Berechtigte Zweifel
an der separierten Betrachtungsweise von Art. 36 und 37 UEV weckt Nobel in SZW 2006, S. 148 f.,
indem er auf die Entstehungsgeschichte verweist und die Frage aufwirft, ob es nicht angemessen
wäre, im Zuständigkeitsbereich der Übernahmekommission gesellschaftsrechtswidrige Verhaltens-
weisen bloß in der Zeit der Übernahme (vom Zeitpunkt der Voranmeldung an) zu erfassen, da
außerhalb dieser Zeit das Gesellschaftsrecht genügend Handhabe biete. Die EBK bestätigte dies
mit einer Verfügung; Verfügung der Übernahmekammer der EBK vom 19.09.2005 und ausführlich
dazu: Nobel 2006, S. 146 ff.
94 Art. 48 UEV-UEK.
95 BGE 133 II 232, E. 3.3.3. Vgl. auch die Besprechung dazu von Bilek/von der Crone 2007, S. 403 ff.
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96 Bei dieser Auswertung wurden mehrfache Weiterzüge von verschiedenen Empfehlungen inner-
halb derselben Transaktion nur einmal berücksichtigt.
97 Art. 53 UEV-UEK.
98 Art. 38 UEV-UEK.
99 Im Fall Aare Tessin AG für Elektrizität aus dem Jahr 2006 wurde eine Minderheitsaktionärin als
Intervenientin zugelassen, und es war strittig, ob die Intervenientenstellung diese dazu berechtig-
te, eine Empfehlung der Übernahmekommission abzulehnen. Während die Eidgenössische Ban-
kenkommission diese Ablehnungsbefugnis bejahte, wurde sie vom Schweizerischen Bundesge-
richt verneint. Vgl. BGE 133 II 81, E. 4.2, und dessen Besprechung von Läser/von der Crone 2008,
S. 356 ff.
100 Im Fall Unaxis Holding AG hat die Übernahmekommission die Parteistellung der Ihag Holding
AG, die über 20 % an der Unaxis Holding AG hielt, abgelehnt, ihr aber als Intervenientin ein weit-
gehendes Akteneinsichtsrecht aufgrund eines erwiesenen, berechtigten Interesse gewährt. Vgl.
Empfehlung 240/01 in Sachen Unaxis Holding AG vom 12.05.2005.
101 Vgl. vorstehend Abschnitte 3.2.2 und 3.3.2.2.
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4.2 Transparenz
4.2.1 Erweiterungen der Dokumentation
Die Revision von 2009 hat keine wesentlichen Neuerungen im Bereich der Transparenz
gebracht. Der Prospektinhalt ist immerhin um den Hinweis zu erweitern, dass qualifi-
zierte Aktionäre dem Übernahmeverfahren als Partei beitreten können.111 Geschaffen
wurde die Möglichkeit, statt des gesamten Prospekts nur noch ein Inserat mit den
Eckwerten in den Tageszeitungen zu publizieren, unter Verweis auf die elektronische
Bezugsquelle.112 Diese Möglichkeit ist nicht als Einbuße an Transparenz, sondern als
Anpassung an zeitgemäße Kommunikationsformen zu verstehen.
Im Bericht des Verwaltungsrats ist neu auch das Abstimmungsverhältnis im Verwal-
tungsrat anzugeben, womit eine Verbesserung der Entscheidungsgrundlage der Ange-
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botsempfänger bezweckt wurde.113 Nicht durchsetzen konnte sich eine Bestimmung des
Revisionsentwurfs, die vom Verwaltungsrat der Zielgesellschaft verlangte, das Angebot
zwingend entweder zur Annahme oder Ablehnung zu empfehlen. Er kann sich folglich
weiterhin darauf beschränken, die Vor- und Nachteile des Angebots aufzuzeigen.
4.2.2 Transaktionsmeldungen
2009 wurde in das Pflichtenheft des Anbieters die zwingende Baralternative bei Pflicht-
tauschangeboten aufgenommen.115 Damit wird das Ausstiegsrecht der Aktionäre bei ei-
nem Kontrollwechsel noch konsequenter und direkter umgesetzt. Die Einführung einer
zwingenden Baralternative wurde namentlich im Zusammenhang mit Fällen, bei denen
die zum Umtausch angebotenen Effekten nicht liquide waren, als erforderlich erach-
tet.116 In ihrer Mitteilung Nr. 4117 hat die Übernahmekommission klargestellt, dass die
Pflicht zum Angebot einer Baralternative bei gemischt freiwilligen Angeboten nicht gilt.
Die Übernahmekommission hat in der Mitteilung Nr. 4 zudem eine unerwartete
Klarstellung zum Gleichbehandlungsgebot vorgenommen: Bei freiwilligen und gemischt
freiwilligen Tauschangeboten sollte allen Angebotsempfängern eine Baralternative an-
geboten werden, wenn der Anbieter während der Dauer der Best Price Rule Beteili-
gungspapiere der Zielgesellschaft gegen Barzahlung erwirbt. Damit kam dem Recht auf
Gleichbehandlung unter der Best Price Rule nicht mehr nur eine quantitative, sondern
zunehmend auch eine qualitative Komponente zu. Seit dem 01.05.2013 erstreckt sich
diese Pflicht zur Unterbreitung einer Baralternative explizit auch auf Kontrollwechsel-
tauschangebote. Eine Baralternative muss geboten werden, wenn (1) während der Zeit
zwischen der Veröffentlichung des Angebotes und dessen Vollzug Beteiligungspapiere
der Zielgesellschaft gegen bar erworben werden oder (2) wenn in den zwölf Monaten
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vor der Publikation des Angebots 10 % oder mehr der ausgegebenen Beteiligungspapiere
der Zielgesellschaft gegen bar erworben wurden.118 In diesem Fall kann die Baralter-
native allerdings gegenüber den angebotenen Effekten einen unterschiedlichen Wert
aufweisen.119
Die über Jahre entwickelte Praxis zum vorausgegangenen Erwerb fand keinen Nie-
derschlag in der Revision per 01.01.2009, ist aber weiterhin zu beachten.120 Erneu-
te öffentliche Kritik an der durch diese Revision nicht geänderten börsengesetzlichen
Prämienregelung löste der Fall Quadrant121 aus. Die gesetzlich zulässige Prämie von
33,3 % wurde in diesem Fall beim vorausgegangenen Erwerb eines Pakets von 7,85 %
der Stimmrechte und Optionen auf weitere 2,06 % nahezu vollständig ausgeschöpft. Die
Diskussion um eine Abschaffung der Bestimmung wurde auch auf parlamentarischer
Ebene angeschnitten.122 Im Rahmen der Vernehmlassung zur Änderung des Börsenge-
setzes (Börsendelikte und Marktmissbrauch) hat die Übernahmekommission festgehal-
ten, dass die Bezahlung einer Kontrollprämie nicht mehr gerechtfertigt sei, und reichte
hierzu einen Vorschlag zur Revision von Art. 32 Abs. 4 aBEHG ein. In der Folge sprach
sich die Mehrheit der Anhörungsteilnehmer für die Abschaffung der Kontrollprämie
aus. Dies wurde damit begründet, dass die Kontrollprämie dem im Übernahmerecht
geltende Prinzip der Gleichbehandlung der Aktionäre zuwiderlaufe.123 In der Folge wur-
de die Abschaffung der Kontrollprämie Gegenstand der Gesetzesrevision, die auf den
01.05.2013 in Kraft trat. Die Bezahlung einer Kontrollprämie ist seither nur noch bei
Gesellschaften mit einem gültigen Opting-out sowie bei Teilangeboten möglich.124 Mit
der 2013 erfolgten Abschaffung der Kontrollprämie hat die Praxis zur Abgrenzung des
vorausgegangenen Erwerbs und zu gekoppelten Gesamttransaktionen seine Bedeutung
weitestgehend verloren.125
Mit der Abschaffung der Kontrollprämie hat die Bedeutung des Instruments des
Opting-out entsprechend zugenommen. Dies hat die Übernahmekommission dazu ver-
anlasst, die Praxis zur nachträglichen Einführung des Opting-out zu verschärfen. Ge-
mäß neuester Praxis der Übernahmekommission ist eine Einführung nur noch dann
zulässig, wenn (i) die Aktionäre transparent über die Einführung des Opting-out und
dessen Folgen informiert werden und wenn (ii) die Mehrheit der vertretenen Stimmen
und (iii) die Mehrheit der Minderheitsaktionäre an der Generalversammlung der Ein-
führung des Opting-out zustimmen.126 In ihrer jüngsten Praxis hat sich die Übernahme-
kommission auch für die Zulässigkeit einer formell selektiven Opting-out-Klausel, d. h.
des Ausschlusses der Angebotspflicht für einen ausdrücklich in den Statuten bezeich-
118 Art. 9a UEV. Mit der Regelung auf Verordnungsstufe wurde die Mitteilung Nr. 4 der Übernahme-
kommission ersatzlos gestrichen.
119 Art. 9b UEV.
120 Vgl. insb. Verfügung 476/01 in Sachen Schulthess Group AG vom 19.04.2011, E. 4.2; Verfügung
416/01 in Sachen Jelmoli Holding AG vom 13.07.2009, E. 4.3.
121 Verfügung 410/01 in Sachen Quadrant AG vom 29.05.2009, E. 3.3; Verfügung 410/02 in Sachen
Quadrant AG vom 16.06.2009, E. 3 und Verfügung des Übernahmeausschusses der Eidgenössi-
schen Finanzmarktaufsicht FINMA vom 08.06.2009.
122 Vgl.: Interpellation von Hans Kaufmann vom 12.06.2009 (09.3667): Mangelhafte Finanzmarktauf-
sicht oder fehlerhafte Gesetzgebung?
123 Botschaft zur Änderung des Börsengesetzes (Börsendelikte und Marktmissbrauch), BBl 2011, S.
6894.
124 Art. 32 Abs. 4 BEHG (heute Art. 135 Abs. 2 FinfraG).
125 Vgl. die Ausführungen in Kap. 3.3.2 und 4.3.1.
126 Verfügung 539/01 in Sachen Logan Capital AG vom 24.06.2013, E. 1; Verfügung 518/01 in Sachen
Advanced Digital Broadcast Holding AG vom 11.10.2012, E. 4.1.
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Neu geschaffen wurde mit der Revision von 2009 das Institut des potenziellen Angebots.
Es wurde aufgrund eines Vorschlages in der Vernehmlassung in die Übernahmever-
ordnung aufgenommen.128 Das potenzielle Angebot dient der Übernahmekommission
dazu, Verunsicherungen im Markt, bei der Zielgesellschaft und deren Arbeitnehmern,
Kunden und Lieferanten innerhalb einer nützlichen Frist zu beseitigen, wenn ein poten-
zieller Anbieter die Möglichkeit der Unterbreitung eines Angebots öffentlich kundgetan
hat.129 Sie kann den Anbieter auffordern, innerhalb einer Frist entweder ein Angebot
zu veröffentlichen oder zu erklären, während sechs Monaten kein öffentliches Angebot
zu unterbreiten.130
Mit der Revision von 2009 wurde der Katalog der gesetzeswidrigen Abwehrmaßnah-
men im Wesentlichen um zwei Sachverhalte erweitert.131 Neu darf die Zielgesellschaft
keine eigenen Aktien, zum Tausch angebotene Effekten oder sich auf diese beziehen-
den Finanzinstrumente kaufen oder verkaufen. Rückkaufprogramme und Market Ma-
king-Aktivitäten sind folglich bis zu einem allfälligen Generalversammlungsbeschluss
zu suspendieren. Die Zielgesellschaft darf auch keine Rechte zum Erwerb von eigenen
Beteiligungspapieren (Wandel- und Optionsrechte) ausgeben. Davon ausgenommen sind
vorbestehende Verpflichtungen und Mitarbeiterbeteiligungsprogramme.132 Mit diesen
Ergänzungen des Katalogs der gesetzeswidrigen Abwehrmaßnahmen wird die Neu
tralitätspflicht des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft um den Preis einer stärkeren
Einschränkung von Finanzierungsmaßnahmen zusätzlich unterstrichen.
Der gesetzeswidrige Verkauf oder Erwerb von Betriebsteilen wurde um die Bezugs-
größe von 10 % der Ertragskraft der Zielgesellschaft erweitert.133 Was diese Bezugs-
größe umfasst, bedarf der Klärung durch die Übernahmekommission. Während im
127 Verfügung 518/01 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holding AG vom 11.10.2012, E. 4.1; Verfü-
gung 600/01 in Sachen Kaba Holding AG vom 22.04.2015, E. 1.4.2.
128 Art. 53 UEV.
129 Vgl. Blaas/Bovey 2009, S. 119.
130 Das sich an den englischen City Code anlehnende Instrument des potenziellen Angebotes kann im
schweizerischen Kontext auch dazu dienen, die im Zusammenhang mit Serono vor der Revision
entstandene Unsicherheit zum Begriff der Voranmeldung zu beseitigen. Die Übernahmekommissi-
on hatte damals angekündigt, dass sie Pressemitteilungen, die sämtliche Angaben einer Voranmel-
dung enthalten, unabhängig von einem entsprechenden Disclaimer als bindende Voranmeldung
behandeln könnte (Empfehlung 304/01 in Sachen Serono S.A. vom 08.01.2007).
131 Heute Art. 35 ff. UEV.
132 Die Ausnahmen in Art. 36 Abs. 3 UEV wurden erst nach der Vernehmlassung aufgenommen.
133 Art. 36 Abs. 2 lit. a UEV.
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Revisionsentwurf als Bezugsgröße noch Umsatz, Gewinn oder Cashflow dienten, ver-
zichtete die Übernahmekommission nämlich darauf, weitere Indikatoren zur Auslegung
des Begriffs der Ertragskraft anzugeben, um eine am Einzelfall orientierte Analyse
vornehmen zu können.134
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Die Schaffung des neuen Parteirechts und das mit dem rechtlichen Gehör einher-
gehende Akteneinsichtsrecht war bereits Gegenstand einiger Entscheide der Über-
nahmekommission. Um das kooperative, effiziente Verfahren bei der Ausarbeitung
übernahmerechtskonformer Angebotsdokumente nicht zu gefährden, hat die Übernah-
mekommission entschieden, dass Entwürfe von Angebotsdokumenten und Vereinbarun-
gen nicht vom Akteneinsichtsrecht eingeschlossen seien. Dies auch, weil die Parteistel-
lung erst ab dem Zeitpunkt der Prospektveröffentlichung erlangt werden kann.142
Unter Androhung der Ungehorsamsstrafe wurde einem als Partei konstituierten Ak-
tionär untersagt, nicht publizierte Inhalte von bei den Akten liegenden Dokumenten
außerhalb des Übernahmeverfahrens zu verwenden. Mit diesem Entscheid wurde ein
Ausgleich zwischen dem mit einer medialen Verwertung einhergehenden Störpotenzial
für das Tagesgeschäft der Zielgesellschaft einerseits und dem Teilnahmerecht von qua-
lifizierten Aktionären andererseits gesucht.
5 Schlussbemerkungen
Das Schweizer Übernahmerecht genügt trotz einiger helvetischer Besonderheiten inter-
nationalen Standards und hat für einige Zeit gar eine Führungsrolle in der internatio-
nalen Entwicklung gehabt. In enger Anlehnung an die sich in der Praxis stellenden Fra-
gen wurden die übernahmerechtlichen Leitprinzipen des Börsengesetzes Transparenz,
Gleichbehandlung der Anleger und Lauterkeit schrittweise konkretisiert, und durch die
Revisionen von 2009 und 2013 wurde die Praxis kodifiziert.
Die Autoren sehen eine Herausforderung des Schweizer Übernahmerechts für die
nächste Zukunft im Umgang mit qualifizierten Aktionären, die im Übernahmeverfah-
ren Parteistellung beantragen. Weiter wird durch die Abschaffung der Möglichkeit zur
Bezahlung einer Kontrollprämie das Opting-out attraktiver. Der jüngste Fall der Über-
nahme eines Kontrollpakets an der Sika AG durch Compagnie de Saint-Gobain mit einer
Prämie von knapp 80 % über dem Vortagesbörsenkurs hat aber zu vermehrter Kritik
am Institut des Opting-out geführt. Die mittelfristige Abschaffung auf Gesetzesstufe
ist daher denkbar. Selbst wenn dies geschehen sollte, darf im Ganzen jedoch weiter-
hin davon ausgegangen werden, dass das hiesige Übernahmerecht einen wesentlichen
Beitrag und Rahmen für einen effizienten und damit wettbewerbsfähigen Markt für
Unternehmenskontrolle bieten kann.
desverwaltungsgericht) kam (im Fall Harwanne ergriff allerdings die Anbieterin die Beschwerde,
nachdem die qualifizierten Aktionäre mit ihrer Einsprache vor der Übernahmekommission obsieg-
ten), sowie die Transaktion Sika AG, wobei es u. a. auch aufgrund der Intervention eines qualifi-
zierten Minderheitsaktionärs zu wesentlichen Verfahrensverzögerungen und einem Beschwerde-
verfahren bis vor das Bundesverwaltungsgericht kam (vgl. Verfügung 594/03 in Sachen Sika AG
vom 01.04.2015, Verfügung 598/01 in Sachen Sika AG vom 01.04.2015, Verfügung der FINMA vom
04.05.2015 in Sachen Sika AG).
142 Verfügung 410/01 in Sachen Quadrant AG vom 29.05.2009, Sachverhalt J.
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| 737
Teil
1 Einleitung
2 Wesentliche Entwicklungen in der EU und weltweit
3 Vollzugsverbot
4 Ermittlung der Anmeldepflichten
4.1 Zusammenschlussbegriff
4.2 Schwellenwerte
4.3 Ausnahmen der Anmeldepflicht
5 Europäische Fusionskontrolle
5.1 Zusammenschlussbegriff
5.2 Schwellenwerte
5.3 Zeitschiene
5.4 Vollzugsverbot
5.5 Verweisungsmöglichkeiten
5.6 Vereinfachtes Verfahren
5.7 Materielle Beurteilung
5.8 Zusagen, Bedingungen und Auflagen
6 Strategische Überlegungen
6.1 Vertragsgestaltung
6.2 Zeitliche Planung
6.3 Konsistenz
6.4 Verfahren
6.5 Veröffentlichung
7 Fazit
∗ Prof. Dr. Daniela Seeliger, Partnerin, Rechtsanwältin, Sozietät Linklaters LLP, Düsseldorf; Dr. Antje
Heinen, Leitung Interne Revision und Compliance, DALLI-WERKE GmbH & Co. KG, Stolberg. Die
Autorinnen danken Frau Dorothee de Crozals für ihre wertvolle Unterstützung.
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1 Einleitung
Im Zuge der Globalisierung und der damit einhergehenden internationalen Tätigkeit
und Verflechtung von Unternehmen haben sich auch die Rechtsvorschriften im Bereich
der Fusionskontrolle weltweit fortentwickelt. Gab es Anfang 2000 ca. 60 Fusionskon-
trollregime, so sind heute schon in mehr als 120 Ländern Fusionskontrollvorschriften
in Kraft. Dies führt dazu, dass die Anzahl der Anmeldepflichten von internationalen
Transaktionen in den letzten Jahren erheblich angestiegen ist. In Asien treiben nun-
mehr im Anschluss an China die sogenannten ASEAN-Länder die Durchsetzung ihrer
Wettbewerbsregeln weiter voran (z. B. Vietnam, Taiwan und Indonesien). Gleichzeitig
hat es auf dem afrikanischen Kontinent durch die regionale Wettbewerbsbehörde der
COMESA im Jahr 2013 eine Art Konsolidierung gegeben, auch wenn diese wohl noch
nicht mit der Zuständigkeit der Europäischen Kommission bei Zusammenschlüssen mit
gemeinschaftsweiter Bedeutung vergleichbar ist.
Neben den traditionell im Fokus stehenden Behörden in der EU, den USA und seit
mehreren Jahren in China zählen im Bereich der Fusionskontrolle auch Jurisdiktionen
wie Kanada, die Türkei, Brasilien, Südafrika, Japan, Indien, Südkorea, Australien und
die Ukraine zu den Ländern, die global tätige Unternehmen im Blick haben sollten.
Bei der Projektplanung für M & A-Transaktionen zwischen international tätigen Un-
ternehmen sind Fusionskontrollverfahren als ein wichtiger Zeit- und Kostenfaktor im
Auge zu behalten.
Für alle Länder, in denen die beteiligten Unternehmen tätig sind, sind daher etwaige
Anmeldepflichten zu ermitteln. Zu Mehrfachanmeldungen kann es unter anderem dann
kommen, wenn die Europäische Kommission nicht im Rahmen des sogenannten »One
Stop Shop« zuständig ist, so dass Anmeldeplichten in den einzelnen Mitgliedstaaten zu
prüfen sind. In einigen EU-Staaten, so z. B. in Deutschland und in Österreich, bestehen
relativ niedrige Schwellenwerte für Anmeldepflichten. Es kommt deshalb häufig zu
mehreren nationalen Fusionskontrollverfahren, wenn ein Zusammenschluss unter den
Schwellenwerten der EU-Fusionskontrolle liegt. Je nach Tätigkeitsschwerpunkten der
beteiligten Unternehmen können darüber hinaus auch die Schwellenwerte z. B. in Bra-
silien, China, Russland oder in der Ukraine rasch überschritten sein.
Jede Transaktion hat ihre Besonderheiten, die – unter Berücksichtigung der gelten-
den Rechtsvorschriften – rechtlich gestaltet werden sollten. In diesem Beitrag werden
Ansätze für die Beurteilung von Anmeldeplichten weltweit im Überblick dargestellt,
sowie einige wichtige Grundsätze bei der Koordinierung von Fusionskontrollverfahren
erläutert. Ein besonderer Fokus liegt auf der EU-Fusionskontrolle.
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle | 739
Teil
Von zentraler Bedeutung sind dabei die Reformen der europäischen Fusionskontrolle.
Diese betrafen zunächst Verfahrenserleichterungen. Anfang 2014 wurde der Anwen-
dungsbereich des sogenannten »vereinfachten Anmeldeverfahrens« ausgeweitet, in dem
die Unternehmen deutlich weniger Informationen beibringen müssen. Das vereinfachte
Verfahren gilt für Transaktionen, bei denen wettbewerbliche Bedenken in der Regel
nicht zu erwarten sind. Dies wird u. a. am Marktanteil der Unternehmen festgemacht.
Der Marktanteil bei horizontalen Überschneidungen wurde von 15 % auf 20 % ange-
hoben, bei vertikalen Überschneidungen von 25 % auf 30 %. Eine Ausdehnung erfolgte
auch auf Transaktionen, bei denen der gemeinsame Marktanteil zwischen 20 und 50 %
liegt, der Marktzuwachs jedoch gering ist. Mit diesen Änderungen sollen zukünftig bis
zu 70 % der Anmeldungen vom vereinfachten Verfahren profitieren.
Auch das allgemeine Anmeldeverfahren wurde hinsichtlich der erforderlichen In-
formationen verschlankt, z. B. in Bezug auf die Definition der vom Zusammenschluss
»betroffenen Märkte« und die Anmeldung von Gemeinschaftsunternehmen ohne Tä-
tigkeit im EWR. Andererseits wurde die Pflicht der Unternehmen, bestimmte »inter-
ne« Dokumente beizubringen, erweitert. Diese beinhaltet nunmehr auch Analysen und
vergleichbare Unterlagen über die vom Zusammenschluss betroffenen Märkte, die für
das Management innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Transaktion erstellt wurden.
Diese Vorlagepflicht sollten Unternehmen sowohl bei intern als auch extern für das
Unternehmen erstellten Unterlagen berücksichtigen.
Derzeit noch Gegenstand der Diskussion ist das von der EU-Kommission im Juli
2014 veröffentlichte Weißbuch »Towards more effective EU merger control«, mit dem die
Überarbeitung einzelner Regelungen der europäischen Fusionskontrolle vorangetrieben
werden soll. Die Änderungen betreffen insbesondere die Ausweitung der Zuständigkeit
der Kommission auf die Prüfung nicht-kontrollierender Minderheitsbeteiligungen und
die Verbesserung des Verweisungssystems zwischen der Kommission und den nationa-
len Wettbewerbsbehörden. Der Erwerb von nicht-kontrollierenden Minderheitsbeteili-
gungen soll der Kommission im Rahmen eines eigenen Verfahrens (Transparenzsystem)
mitgeteilt werden. Erfasst werden Minderheitsbeteiligungen an Wettbewerbern oder
vertikal verbundenen Unternehmen in Höhe von 5 bis 20 %, gegebenenfalls unter Be-
rücksichtigung zusätzlicher Faktoren wie z. B. Zugang zu wettbewerblich relevanten In-
formationen und Vertretung im Management. In Bezug auf das Verweisungssystem soll
z. B. eine Verweisung an eine nationale Behörde bereits im Vorverfahren möglich sein.
In China hat es in den letzten Jahren Bemühungen gegeben, den Unternehmen durch
verschiedene Maßnahmen mehr Rechts- und Planungssicherheit bei Fusionskontrollver-
fahren zu geben. Die Prüfung von Anmeldungen bei der chinesischen Behörde MOFCOM
kann drei Monate bis zu über einem Jahr dauern und ist nicht gezwungenermaßen an der
Komplexität der wettbewerblich erheblichen Auswirkungen festzumachen. Die Behörde
hat im Jahr 2014 neue Leitlinien für ein vereinfachtes Anmeldeverfahren sowie zur Defi-
nition des Kontrollerwerbs erlassen. Sie involviert zunehmend Ökonomen bei der Prüfung
der Transaktionen, insbesondere bei der Beurteilung möglicher Zusagen. Insgesamt ist die
Anzahl der Freigaben ohne Auflagen im Jahr 2015 deutlich angestiegen. Die jüngere Pra-
xis hat jedoch auch gezeigt, dass wettbewerblich unbedenkliche Vorhaben in bestimmten
Industriezweigen einer vertieften und langwierigen Prüfung unterzogen werden, was dar-
auf hindeutet, dass nicht nur wettbewerbsrechtliche Faktoren eine Rolle spielen könnten.
Dies stellt somit weiterhin eine gewisse Rechtsunsicherheit für Unternehmen dar.
Das indische Fusionskontrollrecht, das vor ca. vier Jahren in Kraft getreten ist, wur-
de in den letzten Jahren konsequent angewendet. Die indische Behörde hat z. B. im Jahr
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2014 Bußgelder für verspätete Anmeldungen und für Verstöße gegen das Vollzugsverbot
verhängt. In Brasilien wurde Ende Mai 2012 das Vollzugsverbot eingeführt. Somit gibt
es nur noch wenige Länder, in denen ein Zusammenschluss vor Freigabe durch die
Behörden umgesetzt werden darf.
Anschließend sei noch darauf hinzuweisen, dass das Bundeskartellamt – nach der
8. GWB-Novelle und der Einführung des sogenannten SIEC-Test durch den Gesetzgeber
im Jahr 2013 – im September 2014 neue Leitlinien für Inlandsauswirkungen von Zu-
sammenschlussvorhaben erlassen hat. Diese sollen den Unternehmen insbesondere bei
der Frage der Anmeldepflicht von Gemeinschaftsunternehmen mit Tätigkeit im Ausland
Hilfestellung geben.
3 Vollzugsverbot
Unternehmen müssen sich vor Abschluss einer Transaktion mit der Fusionskontrolle
befassen, da der Vollzug einer Transaktion vor Freigabe durch die Wettbewerbsbehör-
den in den meisten Jurisdiktionen verboten ist. Das Vollzugsverbot bedeutet, dass ein
Zusammenschlussvorhaben nicht umgesetzt werden darf. Die Parteien müssen letztlich
weiterhin vollständig unabhängig voneinander auf dem Markt agieren. Bis alle erforder-
lichen Freigaben vorliegen, dürfen die Parteien u. a. keine Informationen über Preise,
Gewinnspannen, Marktstrategien und Kunden austauschen.
Bei Mehrfachanmeldungen ist der Vollzug der Transaktion grundsätzlich erst dann
möglich, wenn alle nötigen Freigaben vorliegen. Selbst in unproblematischen Fällen
dauert dies in der Regel mindestens einen Monat. Hinsichtlich des Vollzugsverbots ist
danach zu unterscheiden, ob es nach dem Recht der jeweiligen Jurisdiktion allein auf
den lokalen Bereich begrenzt ist (und die Transaktion somit in anderen Ländern voll-
zogen werden kann) oder aber ob das Vollzugsverbot weltweit gilt.
Verstoßen die Parteien gegen das Vollzugsverbot (sog. »gun jumping«), können ihnen
Bußgelder auferlegt werden. Zudem ist in einigen Ländern eine Unwirksamkeit des
Rechtsgeschäfts die Folge (u. a. in Deutschland und Österreich).
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle | 741
Teil
menschluss« von zwei oder mehreren Unternehmen im Sinne der jeweiligen Fusions-
kontrollvorschriften handeln. Darüber hinaus müssen bestimmte Schwellenwerte (z. B.
Umsätze oder auch Marktanteile) von den Parteien überschritten werden.
4.1 Zusammenschlussbegriff
Der Zusammenschlussbegriff kann je nach Rechtsordnung unterschiedlich definiert
sein. Typische Konstellationen, die wohl in nahezu allen Jurisdiktionen als Zusammen-
schluss gelten, sind Verschmelzungen und der Erwerb von (alleiniger und gemeinsamer)
Kontrolle. »Kontrolle« bedeutet, wichtige strategische Entscheidungen eines Unterneh-
mens (mit)bestimmen zu können. Dabei können Unternehmen die Kontrolle über ein
anderes Unternehmen auf unterschiedlichen Wegen erwerben, z. B. über die Mehrheit
der Anteile mit Stimmrechtsmehrheit, über eine sogenannte qualifizierte Minderheitsbe-
teiligung mit besonderen Stimmrechten oder auch faktisch (aufgrund niedriger Präsenz
in der Hauptversammlung). Üben mehrere Unternehmen gemeinsam die Kontrolle über
ein Unternehmen aus, handelt es sich um sogenannte Gemeinschaftsunternehmen (Joint
Ventures), für die es besondere Voraussetzungen für die Anmeldepflicht geben kann,
so z. B. auf EU-Ebene (sogenannte »Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen«, s. u.). In
zahlreichen Ländern ist auch der Vermögenserwerb anmeldepflichtig, allerdings muss
es sich dabei in der Regel um »wesentliches Vermögen« eines Unternehmens handeln.
Ein »Sonderfall« ist derzeit noch der Erwerb von Minderheitsbeteiligungen ohne
Kontrollerwerb. Bislang sind diese Konstellationen nur in wenigen Ländern anmelde-
pflichtig. Dazu zählen insbesondere der Erwerb von Beteiligungen ab 25 % der Anteile
sowie – sogar darunter – der Erwerb eines sogenannten wettbewerblich erheblichen
Einflusses in Deutschland1 und Österreich. Die Europäische Kommission untersucht
seit Juli 2014 im Rahmen der Reform der europäischen Fusionskontrolle, ob sie ihre
Zuständigkeit zukünftig auch auf den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen ohne Kon-
trollerwerb ausdehnen wird.2
4.2 Schwellenwerte
Die Unternehmen müssen als weitere Voraussetzung bestimmte Schwellenwerte über-
schreiten, damit die Anmeldepflicht ausgelöst wird. Diese werden je nach Rechtsord-
nung unterschiedlich bemessen. Hauptausgangspunkt sind jedoch in den meisten Fällen
die weltweiten und/oder lokalen Umsätze der beteiligten Unternehmen. Hier sollte eine
1 In seiner Praxis geht das Bundeskartellamt davon aus, dass ein wettbewerblich erheblicher Einfluss
vorliegt, wenn eine Minderheitsbeteiligung von sogenannten »Plusfaktoren« begleitet wird. Plusfak-
toren sind u. a. Vetorechte des Erwerbers bei wichtigen Gesellschafterbeschlüssen (z. B. Bestellung
eines Geschäftsführers, Budget), Informations-, Mitsprache- und Kontrollrechte des Erwerbers, Or-
ganpräsenzrechte, das Recht zur Bestellung eines Geschäftsführers, Vorkaufsrechte, unternehme-
risches Interesse an der Beteiligung, Marktnähe des Erwerbers (vgl. u. a. Bechtold/Bosch 2015, § 37
Rn. 42; Langen/Bunte 2014, § 37 Rn. 45 ff.; Hartog 2010, Teil 3 B).
2 Vgl. dazu http://ec.europa.eu/competition/consultations/2014_merger_control/index_en.html.
Das Konsultationsverfahren zur Reform der Europäischen Fusionskontrolle wurde im Oktober 2014
abgeschlossen.
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Prüfung der Anmeldepflichten auch immer als erstes ansetzen. Alternative beziehungs-
weise zusätzliche Kriterien sind in bestimmten Jurisdiktionen Marktanteile (gemein-
sam oder einzeln) oder Vermögenswerte der Parteien. Auch der Transaktionswert kann
ausschlaggebend sein.
4.2.1 Umsätze
4.2.2 Marktanteile
In mehreren Ländern sind die Marktanteile der beteiligten Unternehmen ein entscheidendes
Kriterium zur Überprüfung der Anmeldepflicht – in einigen dieser Länder allerdings ledig-
lich alternativ zu Umsatzschwellenwerten, z. B. im Vereinigten Königreich, in Portugal oder
Spanien (und in der Praxis werden oftmals Anmeldepflichten bereits über diese Schwel-
lenwertklauseln ermittelt). Die Marktanteilsberechnung erweist sich in zahlreichen Fällen
als kompliziert. Sie setzt eine Abgrenzung des relevanten Produktmarktes und des geo-
graphischen Marktes unter Berücksichtigung der nationalen Entscheidungspraxis voraus.
Diese Abgrenzung kann sich als umstritten und darum schwierig erweisen. Zudem greift
sie der eigentlichen wettbewerblichen Beurteilung vor, die normalerweise erst im Rahmen
der Vorbereitung einer Anmeldung und somit nach Ermittlung der Anmeldepflicht erfolgt.
Voraussetzung für die Bestimmung der Marktanteile ist darüber hinaus die Kenntnis des Ge-
samtmarktvolumens. Für die beteiligten Unternehmen kann es problematisch sein, dies zu
ermitteln oder zu schätzen. Grundsätzlich erfolgt die Berechnung des Marktanteils zunächst
auf Grundlage des Umsatzes, ansonsten hinsichtlich des Volumens. Zu prüfen ist dann,
ob die Anmeldepflicht in den jeweiligen Jurisdiktionen nur bei Zuwachs des Marktanteils
ausgelöst wird oder ob es genügt, dass eine Partei allein den Schwellenwert überschreitet.
Auch bei der Ermittlung von Marktanteilsinformationen gilt, wie bei den Umsatzin-
formationen, dass bei Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung zunächst ein prag-
matischer Ansatz (Start mit Schätzungen, Nachprüfen bei Nähe zu Schwellenwerten)
gewählt werden kann.
In einer Reihe von Ländern, so z. B. den Vereinigten Staaten und Kanada, werden für die
Schwellenwertberechnung die Vermögenswerte der beteiligten Unternehmen betrachtet.
Hier wird zumeist der in den Bilanzen verzeichnete Buchwert von Bedeutung sein. In
manchen Ländern erfolgt zudem eine Schwellenwertberechnung auf Grundlage des
Transaktionswertes, so z. B. in den Vereinigten Staaten. Derzeit wird auch in Deutsch-
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle | 743
Teil
land im Rahmen der für das Jahr 2016 anstehenden 9. GWB-Novelle der Transaktions-
wert als neues Aufgreifkriterium für die Anmeldepflicht diskutiert.
5 Europäische Fusionskontrolle
Die nationalen Vorschriften zur Fusionskontrolle der Mitgliedstaaten des Europäischen
Wirtschaftsraums finden keine Anwendung auf Zusammenschlüsse, die vom Anwen-
dungsbereich der EG-Fusionskontrollverordnung erfasst werden.4 Werden bestimmte
Umsatzschwellenwerte überschritten, die eine gemeinschaftsweite Bedeutung begrün-
den, sind Zusammenschlüsse grundsätzlich bei der Europäischen Kommission anmel-
depflichtig.5 Die Europäische Kommission führt dann eine präventive Fusionskontrolle
durch. Den Parteien ist es untersagt, das Vorhaben vor Freigabe durch die Europäische
Kommission zu vollziehen.
5.1 Zusammenschlussbegriff
Ein »Zusammenschluss« liegt auf Grundlage der EG-Fusionskontrollverordnung vor,
wenn ein oder mehrere Unternehmen die Kontrolle über ein anderes Unternehmen
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5.2 Schwellenwerte
Eine gemeinschaftsweite Bedeutung liegt vor, wenn der weltweite Gesamtumsatz aller be-
teiligten Unternehmen 5 Mrd. EUR übersteigt und der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz
von mindestens zwei beteiligten Unternehmen bei jeweils mehr als 250 Mio. EUR liegt.7
Wenn dieser Schwellenwert nicht erreicht wird, ist die Europäische Kommission dennoch
zuständig, wenn der weltweite Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen
mehr als 2,5 Mrd. EUR beträgt, der Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen in min-
destens drei Mitgliedstaaten jeweils 100 Mio. EUR übersteigt, in jedem von diesen mindes-
tens drei Mitgliedstaaten der Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen
jeweils mehr als 25 Mio. EUR und der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindestens
zwei beteiligten Unternehmen jeweils 100 Mio. EUR beträgt.8 Allerdings hat ein Zusam-
menschluss dann keine gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn alle am Zusammenschluss
beteiligten Parteien über zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Umsatzes in ein und dem-
selben Mitgliedstaat erzielen.9 Die Anmeldung bei der Europäischen Kommission ersetzt
Anmeldungen bei den nationalen Kartellbehörden – es gilt das Prinzip einer einzigen
Anlaufstelle (One Stop Shop).10 Wenn es um die Zuständigkeit für die Prüfung eines Zu-
sammenschlusses geht, ist den Beteiligten in schwierigen Grenzfällen zu raten, diese Frage
vorab in einem Konsultationsverfahren mit der Europäischen Kommission zu klären.11
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle | 745
Teil
5.3 Zeitschiene
Die Zusammenschlussbeteiligten müssen für die Zeitplanung ihrer Transaktion die fol-
gende Zeitschiene vor Augen haben.12 Die Europäische Kommission entscheidet grund-
sätzlich innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Eingang einer vollständigen Anmeldung,
ob sie das Zusammenschlussvorhaben im Vorprüfverfahren (»Phase I«) freigibt oder ob
sie in eine detaillierte Prüfung im Hauptprüfverfahren (»Phase II«) eintritt. Ab Beginn
der Phase II muss die Europäische Kommission innerhalb von höchstens 90 Arbeits-
tagen entscheiden, ob der Zusammenschluss mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Die
anmeldenden Parteien können Abhilfemaßnahmen anbieten, um entweder eine Phase II-
Untersuchung zu vermeiden oder aber um eine Untersagungsentscheidung zu verhin-
dern. Während der Phase I müssen Abhilfemaßnahmen innerhalb von 20 Arbeitstagen
nach Anmeldung angeboten werden. Dies führt dazu, dass die Frist für die Phase I von
25 auf 35 Arbeitstage verlängert wird. In Phase II müssen Zusagen spätestens inner-
halb von 65 Arbeitstagen unterbreitet werden. Diese strengen Prüffristen der EG-Fusi-
onskontrollverordnung dienen dabei dem Bedürfnis der Zusammenschlussbeteiligten,
möglichst bald Sicherheit über die Zulässigkeit ihres Vorhabens zu erhalten.
Die meisten Zusammenschlussvorhaben, die in Phase II entschieden werden, werden
unter Auflagen und Bedingungen genehmigt. Seit 1990 wurden lediglich 24 Untersa-
gungen ausgesprochen.13
5.4 Vollzugsverbot
Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung dürfen von den Zusammen-
schlussbeteiligten solange nicht vollzogen werden, bis die Europäische Kommission
eine Freigabeentscheidung erlassen hat. In eng umgrenzten Fällen kann eine Befreiung
vom Vollzugsverbot erteilt werden.
Bei Verstoß gegen das Vollzugsverbot drohen den beteiligten Unternehmen und Per-
sonen Bußgelder, die bis zu 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten
Gesamtumsatzes des Unternehmens betragen können.14 Die Europäische Kommission
macht von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch. So verhängte sie 2009 ein Bußgeld
in Höhe von 20 Mio. EUR gegen Electrabel und 2014 in Höhe von 20 Mio. EUR gegen
Marine Harvest wegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot.15
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5.5 Verweisungsmöglichkeiten
Verweisungen sind unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen von der Kommis-
sion an die Mitgliedstaaten und umgekehrt möglich. Voraussetzung ist, dass die zu-
ständige Behörde zu dem Ergebnis kommt, die andere Behörde sei besser geeignet, den
Fall zu beurteilen. Die Unternehmen können eine solche Verweisung beantragen, haben
aber keinen Anspruch darauf.16
Ursprünglich war eine Verweisung nur möglich, wenn der Zusammenschluss bereits
angemeldet und das Verfahren eingeleitet war.17 Für die Unternehmen hat dies den
Nachteil, dass der Zusammenschluss ohne ihr Zutun an eine andere Behörde verwiesen
werden kann, die dann auch anderes Recht anwendet. Seit 2004 gibt es daneben die
sehr viel praktikablere Möglichkeit, dass ein Zusammenschluss schon vor der Anmel-
dung an die »besser geeignete« Behörde verwiesen wird.18 Eine solche Verweisung muss
rechtzeitig vor Einleitung des Verfahrens von einem Unternehmen beantragt werden.
Verweisungen ermöglichen eine »Feinsteuerung« der Zuständigkeitsabgrenzung, die
der tatsächlichen Bedeutung der Fusion oftmals besser Rechnung trägt. In der An-
fangszeit war dieses Instrument vielfach umstritten. Inzwischen wird vor allem die
Vorab-Verweisung auf Antrag eines Unternehmens wegen ihrer Flexibilität allgemein
geschätzt. In der Praxis wird zunehmend davon Gebrauch gemacht.
16 Die Voraussetzungen und das Verfahren bei einer Verweisung hat die Kommission in der Mittei-
lung über die Verweisung von Fusionskontrollsachen im Einzelnen erläutert. Außerdem haben die
nationalen europäischen Wettbewerbsbehörden gemeinsame Grundsätze für die Verweisung von
Fusionskontrollverfahren an die Kommission vereinbart (veröffentlicht auf der Internetseite des
Bundeskartellamtes).
17 Diese Fälle sind in Art. 9 FKVO (Verweisung an einen Mitgliedstaat) und Art. 22 FKVO (Verweisung
an die Kommission) geregelt.
18 Diese Regelung findet sich in Art. 4 Abs. 4 und 5 FKVO.
19 Art. 22 Abs. 1 EG-Fusionskontrollverordnung. Vgl. zum Verfahren, insbesondere zu den Fristen,
Art. 22 Abs. 1–5 EG-Fusionskontrollverordnung.
20 Vgl. zum Verfahren Art. 4 Abs. 5 EG-Fusionskontrollverordnung. Insbesondere kann jeder Mitglied-
staat, der für die Prüfung des Zusammenschlusses zuständig ist, innerhalb von 15 Arbeitstagen
nach Erhalt des Antrags der Zusammenschlussbeteiligten ein Veto gegen die Verweisung einlegen
(Art. 4 Abs. 5 Satz 3).
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle | 747
Teil
Umgekehrt kann die Europäische Kommission nach Unterrichtung durch einen Mit-
gliedstaat die Prüfung des gesamten oder eines Teils eines Zusammenschlusses mit
gemeinschaftsweiter Bedeutung an die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats ver-
weisen. Voraussetzung ist u. a., dass der Zusammenschluss den Wettbewerb auf einem
Markt in diesem Mitgliedstaat, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist,
erheblich zu beeinträchtigen droht.22
Auch die Zusammenschlussbeteiligten können eine Verweisung von der Europäi-
schen Kommission an die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats beantragen. Sie
müssen dann allerdings selbst einen wettbewerblich nicht unproblematischen Zusam-
menschluss einräumen.23 Dies mag ein Grund dafür sein, dass in der Praxis die Ver-
weisung an nationale Behörden weniger häufig beantragt wurde als die Verweisung an
die Europäische Kommission.24
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25 Quelle: http://ec.europa.eu/competition/mergers/statistics.pdf.
26 Art. 2 Abs. 2 EG-Fusionskontrollverordnung. In der Terminologie nach Inkrafttreten des Vertrags
von Lissabon tritt der Binnenmarkt an die Stelle des Gemeinsamen Markts.
27 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die
Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Amtsblatt der Europäischen Union C 31 vom
05.02.2004, S. 5 ff. Vgl. hierzu EuG, Urteil vom 09.07.2007, T-282/06 – Sun Chemical Group B.V. u. a./
Kommission (Nichtigkeitsklage gegen die ApolloAkzo Nobel IAR-Entscheidung der Europäischen
Kommission).
28 EG-Fusionskontrollverordnung, Erwägungsgrund 32. Zur Marktabgrenzung vgl. Bekanntmachung
der Kommission über den relevanten Mark, Amtsblatt C 372 vom 09.12.1997, S. 5 ff.
29 Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über
die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Amtsblatt der Europäischen Union C 265 vom
18.10.2008, S. 6 ff. Zu konglomeraten Effekten vgl. auch EuG, Urteile vom 14.12.2005, T-210/01 – Ge-
neral Electric Company/Kommission und T-209/01 – Honeywell International Inc./Kommission.
30 Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 25.
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Teil
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36 Vor allem in Phase I machen derartige Entscheidungen einen erheblichen Anteil (ca. 5 % aller Ver-
fahren) aus.
37 Die aktuelle Fassung ist im ABl. C 267 v. 22.10.2008, S. 1 veröffentlicht.
38 Die Texte der EU-Kommission (Modelltext für Veräußerungszusagen und Modelltext für Treuhän-
dermandate) sind nur in Englisch verfügbar und auf der Internetseite der GD Wettbewerb veröffent-
licht.
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle | 751
Teil
6 Strategische Überlegungen
Mehrfachanmeldungen bieten zusätzlich zu den durchzuführenden Rechtsprüfungen
zahlreiche Ansatzpunkte für strategische Überlegungen, die umfangreiche Kenntnisse
der Praxis in den einzelnen Jurisdiktionen voraussetzen. Aus Unternehmenssicht ist es
entscheidend, die erforderlichen Fusionskontrollverfahren zügig durchzuführen, damit
die Transaktion schnell vollzogen werden kann. Dabei gilt es, unnötige Verzögerungen
von Anfang an zu vermeiden. Die Koordinierung der einzelnen Verfahren durch einen
zentralen Ansprechpartner ist dabei von wesentlicher Bedeutung.
6.1 Vertragsgestaltung
In den meisten Jurisdiktionen gilt vor Freigabe des Zusammenschlusses durch die Kar-
tellbehörden das Vollzugsverbot. Das bedeutet, dass der Zusammenschluss erst nach
Freigabe umgesetzt werden darf. Dies ist bei der Gestaltung des Kaufvertrags zu be-
rücksichtigen, unter anderem bei der Formulierung der »Condition Precedent«, einer
aufschiebenden Bedingung für die Übertragung der Anteile bzw. die Ausübung der
Stimmrechte. Weiterhin ist zu berücksichtigen, ob es in allen Jurisdiktionen eine realis-
tische Chance auf Freigabe gibt und ob und inwiefern die Parteien bereit sind, Auflagen
zu akzeptieren. Gegebenenfalls möchten die Unternehmen auch regeln, wer die Kosten
der Fusionskontrollverfahren trägt. Dabei sind der Mehraufwand durch Koordinierung
und z. B. Übersetzungskosten zu berücksichtigen.
39 Vgl. ICN Merger Working Group, Practical Guide to International Enforcement Cooperation in Mer-
gers, Rn. 19 ff.
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6.3 Konsistenz
Es ist wichtig, dass Mehrfachanmeldungen konsistent sind. Denn die Wettbewerbsbe-
hörden kooperieren umfangreich miteinander, auf freiwilliger Basis im »International
Competition Network« (ICN), in einigen Jurisdiktionen auf Grundlage bindender Ver-
träge (so z. B. zwischen der EU und den Vereinigten Staaten, Kanada, Japan und der
Schweiz sowie zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten).40
Dass die Anmeldungen in den verschiedenen Ländern konsistent sind, kann bei ihrer
Erstellung durch Rückgriff auf eine Anmeldungsvorlage für sämtliche Länder gewähr-
leistet werden. In der Regel empfiehlt es sich, ein »Briefing Paper« mit den wesentlichen
Angaben zu Unternehmen, Umsätzen, Marktdefinitionen, Marktanteilen und sonstigen
relevanten Informationen vom Koordinator der Verfahren erstellen zu lassen.
6.4 Verfahren
In vielen Jurisdiktionen erfolgt die Beurteilung von wettbewerbsrechtlich unbedenk-
lichen Fällen in einem Vorprüfverfahren (Phase I), von »schwierigen« Fällen in einem
anschließenden Hauptprüfverfahren (Phase II).41 In den meisten Staaten legen die Ge-
setze für beide Phasen bestimmte Fristen für die Dauer des Verfahrens fest. Das Phase I-
Verfahren dauert in einigen Jurisdiktionen bis zu zwei Monate. Das Phase II-Verfahren
dauert in der Regel weitere drei Monate, in einigen Ländern auch länger. Ebenso ist zu
berücksichtigen, dass teilweise durch Rückfragen der Wettbewerbsbehörde die Uhr zur
Berechnung der Fristen angehalten werden kann.
40 Weitere Informationen auf der Webseite der Europäischen Kommission zu bilateralen Beziehungen
in Bezug auf Wettbewerbsregelungen unter <http://ec.europa.eu/comm/competition/internatio-
nal/bilateral/>. Vgl. auch Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung der Vereinigten Staaten über die Zusammenarbeit in Bezug auf restriktive Ge-
schäftspraktiken, BGBl. II (1976), 1711. Derzeit wird ein Abkommen zum Informationsaustausch
zwischen den Kartellbehörden der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafri-
ka) erarbeitet.
41 Keine Unterteilung in zwei Phasen aber z. B. in Polen, Kanada und Mexiko.
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XI. Fusionskontrolle in einer globalisierten Welt unter Berücksichtigung der EU-Fusionskontrolle | 753
Teil
6.5 Veröffentlichung
In zahlreichen Jurisdiktionen veröffentlichen die Wettbewerbsbehörden Mitteilungen
über den angemeldeten Zusammenschluss, beispielsweise die Europäische Kommis-
sion auf ihrer Internetseite und im Amtsblatt. Darüber hinaus werden die Behörden
bei vertiefter Prüfung oftmals Kontakt zu Wettbewerbern, Lieferanten, Kunden und
Verbänden aufnehmen. Dies muss den Parteien für ihre Öffentlichkeitsarbeit klar sein.
Sie sollten somit vorab überlegen, zu welchem für sie günstigen Zeitpunkt sie selbst der
Öffentlichkeit Informationen über den geplanten Zusammenschluss zukommen lassen.
7 Fazit
Durch strategische Gestaltung können die beteiligten Unternehmen zu beschleunigten
Fusionskontrollverfahren bei Mehrfachanmeldungen beitragen. Mehrfachanmeldungen
erfordern Zeitmanagement und die Zusammenstellung und Koordinierung des richtigen
Teams aus Rechtsabteilung und Businessbereichen im Unternehmen. Es gilt, sorgfältig
vorbereitet zahlreiche Informationen zu sammeln und zu bündeln. Bei multijurisdikti-
onellen Prüfungen und Anmeldungen sind Rechtskenntnisse, Kenntnisse der tatsächli-
chen Situation, gesammelte Erfahrungen, strategische und zeitliche Überlegungen und
eine ständige Beratung und Betreuung überaus wichtig. Die entsprechend erfahrene
Koordinierung der Mehrfachanmeldungen trägt dazu bei, auch komplexe Zusammen-
schlussvorhaben zügig vollziehen zu können.
Literatur
Bechtold, R./Bosch, W (2015): Kartellgesetz: GWB. 8. Aufl., C. H. Beck, München, 2015.
Langen, E./Bunte, H.-J. (2014): Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1. 12.
Aufl., Luchterhand, München, 2014.
Hartog, J. (2010): Der Zusammenschlusstatbestand des wettbewerblich erheblichen Einflusses. Diss., Peter
Lang Verlag, Frankfurt, 2010.
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den von dem Chefökonom des Bundeskartellamts koordiniert. Dem hohen Stellenwert
der ökonomischen Fundierung der Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts wird
so Rechnung getragen. Außerdem kommt dem Grundsatzreferat für deutsche und eu-
ropäische Fusionskontrolle die wichtige Rolle zu, die Beschlussabteilungen bei ihren
Verfahren in Fragen der formellen und materiellen Fusionskontrolle zu unterstützen
und so eine möglichst kohärente Entscheidungspraxis zu erreichen.
In der Fallpraxis werden die Möglichkeiten datengestützter Ermittlungs- und Ana-
lysemethoden intensiv genutzt. Unter anderem wurden sogenannte Kundenwechsel-
oder Gebotsanalysen (Bidding Studies) durchgeführt, um zu ermitteln, wie stark ver
schiedene Anbieter ihre Verhaltensspielräume gegenseitig beschränken.
Zur Prüfung der Auswirkungen der beabsichtigten Übernahme des Vollsortimenters
Kaiser’s Tengelmann durch den Vollsortimenter Edeka auf den betroffenen regionalen
bzw. lokalen Lebensmitteleinzelhandelsmärkten wurden sowohl eine datengestützte
Kundenbon-Analyse als auch eine empirische Event-Analyse eingesetzt. Mit einer Event-
Analyse wurde untersucht, wie die Umsätze verschiedener Supermarktformate (Vollsor-
timent sowie Discounter) auf die Öffnung und Schließung anderer Supermarktfilialen
in der Umgebung reagieren. So ließ sich beispielsweise empirisch nachweisen, dass
der Umsatz eines Vollsortiment-Supermarkts (u. a. Rewe oder Edeka) deutlich stärker
zurückgeht, wenn in dessen Nähe ein anderer Vollsortimenter eröffnet im Vergleich
zu einer Situation, in der in diesem Gebiet ein Discount-Supermarkt eröffnet wird. Die
Event-Analyse ermöglichte eine genauere Beurteilung der Marktabgrenzung, der wett-
bewerblichen Nähe der Zusammenschlussparteien sowie der konkreten Stärke des von
den verschiedenen Vertriebsschienen im Lebensmitteleinzelhandel aufeinander aus-
geübten Wettbewerbsd rucks. Durch die verfeinerten ökonomischen Analysen können
daher Entscheidungen fundierter begründet und Fehlerquellen in der wettbewerblichen
Beurteilung noch weiter verringert werden. Im konkreten Fall hat das Bundeskartellamt
das Zusammenschlussvorhaben mit Beschluss vom 31. März 2015 untersagt, nachdem
die Zusammenschlussbeteiligten keine ausreichenden Zusagen vorgelegt hatten, um
die festgestellten Wettbewerbsprobleme auf den betroffenen Absatz- und Beschaffungs-
märkten zu beseitigen. Der Erwerber hat eine Ministererlaubnis beantragt, über die
noch nicht entschieden wurde.
In Fällen, in denen Wettbewerbsprobleme identifiziert werden, steht den Zusammen-
schlussbeteiligten die Möglichkeit offen, Zusagenangebote vorzulegen, mit denen die
Wettbewerbsprobleme ausgeräumt werden können. Wenn Zusagenangebote diese An-
forderungen erfüllen, kann der Zusammenschluss trotz der ursprünglich festgestellten
Wettbewerbsprobleme freigegeben werden. Das Bundeskartellamt verbindet die Freigabe
dann mit entsprechenden Nebenbestimmungen und erklärt so die Zusagen für bindend.
Zurzeit arbeitet das Bundeskartellamt an einem Leitfaden zu Nebenbestimmungen in
der Fusionskontrolle. Dieser verfolgt das Ziel zu verdeutlichen, welche Anforderun-
gen Zusagenangebote der Unternehmen erfüllen müssen, um Wettbewerbsprobleme
wirksam und belastbar zu beseitigen. Für Unternehmen und ihre Rechtsberater wird
so die Transparenz der Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts weiter gesteigert.
Es ist geplant, einen Entwurf des Leitfadens zunächst im Rahmen einer öffentlichen
Konsultation zu veröffentlichen und so Fachkreisen die Möglichkeit zu geben, zu dem
Entwurf Stellung zu nehmen.
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Teil
* Jürg Borer, Partner, Rechtsanwalt, Schellenberg Wittmer AG, Zürich; Amalie Wijesundera, Rechts-
anwältin, Schellenberg Wittmer AG, Zürich.
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1 Vgl. zum Ganzen auch Ducrey/Drolshammer 1997, Vorbem. zu Art. 9–11 N 1 ff.
2 Zäch 2005, S. 348; Ducrey/Drolshammer 1997, Vorbem. zu Art. 9–11 N 32 f.; Reinert 2010, vor Art. 9
und 10 N 6 ff.
3 BBl 2013 3960, Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und der Euro-
päischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts.
4 Sogenannte »europakompatible Auslegung«. Bezüglich der Behandlung von Nebenabreden im Zu-
sammenhang mit Unternehmenszusammenschlüssen verweist die Wettbewerbskommission direkt
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stimmen sie sich bei parallelen Fusionskontrollverfahren in der Schweiz und in der EU
bezüglich des Verfahrensablaufs mit der EU-Kommission ab und tauschen Informatio-
nen mit den zuständigen Fallbearbeitern in der EU aus.
Mit der zunehmenden Internationalität und Marktintegration ist davon auszugehen,
dass die bereits bestehende Zusammenarbeit und Kooperation zwischen den Wettbe-
werbsbehörden der EU und der Schweiz in Zukunft noch intensiviert wird. Diese Zu-
sammenarbeit hält die meldenden Unternehmen dazu an, im Rahmen von parallelen
Verfahren Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten zu vermeiden und auch die
zeitliche Koordination der Verfahren nicht zu vernachlässigen.
3 Schweizer Fusionskontrolle
Wie in den meisten Ländern sind Unternehmen in der Schweiz verpflichtet, Transakti-
onen zu melden, die in den Anwendungsbereich der Schweizer Fusionskontrolle fallen.
Dies ist der Fall wenn (i) die beabsichtigte Transaktion den Zusammenschlusstatbestand
im Sinne der Schweizer Fusionskontrollbestimmungen erfüllt und (ii) die anwendbaren
Schwellenwerte erreicht werden. Zusätzlich besteht eine Meldepflicht, wenn an der
geplanten Transaktion ein Unternehmen beteiligt ist, für welches in einem Verfahren
nach den Schweizer Fusionskontrollbestimmungen rechtkräftig festgestellt worden ist,
dass es in der Schweiz auf einem bestimmten Markt eine beherrschende Stellung hat,
und die Transaktion diesen Markt oder einen solchen betrifft, der ihm vor- oder nach-
gelagert oder benachbart ist.
3.1 Zusammenschlussbegriff
Ähnlich wie in der EU und in vielen anderen Jurisdiktionen wird in der Schweiz eine
eigentliche gesellschaftsrechtliche Fusion oder der Erwerb von (alleiniger oder gemein-
samer) Kontrolle als Zusammenschluss erfasst. Die Kontrolle kann auf verschiedene
Arten erworben werden, etwa durch den Erwerb einer Beteiligung oder den Abschluss
eines Vertrags5, aufgrund der Beteiligungsverhältnisse ergänzt durch einen entspre-
chenden Aktionärbindungsvertrag mit Vetorechten bezüglich der strategisch zentralen
Entscheide6 oder auch aus faktischen Gegebenheiten (wirtschaftliche oder finanzielle
Abhängigkeiten)7. Entscheidend ist, dass das erwerbende Unternehmen dadurch die
Möglichkeit erhält, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des übernommenen
Unternehmens auszuüben.8 Ein Gemeinschaftsunternehmen, bei dem zwei oder mehr
auf die einschlägige europäische Praxis (vgl. die Mitteilung i.S. Zusammenschlusskontrolle Migros/
Schild, publiziert in der Reihe Recht und Politik des Wettbewerbs (RPW) 2014/1 S. 292 f., Rz. 11).
Auch verwenden die Schweizer Wettbewerbsbehörden oft die gleichen Marktabgrenzungen wie
die EU-Kommission (vgl. etwa RPW 2014/1, S. 305 f. Rz. 7, Carlyle Group/Vitol Group/Varo Energy
Holding, und RPW 2014/4, S. 729 ff. Rz. 45 ff., Cargill/Copersucar).
5 Z. B. RPW 2013/4, S. 657 ff. Rz. 6, Swisscom (Schweiz) AG/DL – Groupe GMG SA.
6 Z. B. RPW 2014/4, S. 751 ff. Rz. 9 ff., KKR & Co. L.P./Allianz SE/Selecta AG .
7 Z. B. RPW 2013/3, S. 389 ff. Rz. 19 ff., PubliGroupe/S1TV.
8 Vgl. Art. 4 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 06.10.1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbe-
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Unternehmen gemeinsam die Kontrolle über ein Unternehmen erlangen, das sie bisher
nicht gemeinsam kontrollierten, erfüllt auch den Zusammenschlusstatbestand, wenn
es sich um ein sogenanntes »Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen« handelt.9 Wird
das Gemeinschaftsunternehmen neu gegründet, ist der Zusammenschlusstatbestand
darüber hinaus nur erfüllt, wenn in dieses Unternehmen die Geschäftstätigkeiten von
mindestens einem der kontrollierenden Unternehmen einfließen.10
3.2 Meldepflicht
3.2.1 Umsätze
Eine Transaktion, welche den Zusammenschlussbegriff erfüllt, ist in der Schweiz mel-
depflichtig, wenn die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen im letzten Ge-
schäftsjahr vor dem Zusammenschluss (i) einen Umsatz von insgesamt mindestens 2
Mrd. CHF oder einen auf die Schweiz entfallenden Umsatz von insgesamt mindestens
500 Mio. CHF erzielten und (ii) mindestens zwei der beteiligten Unternehmen einen
Umsatz in der Schweiz von je mindestens 100 Mio. CHF erwirtschafteten.11
Bei einem Gemeinschaftsunternehmen besteht diese Meldepflicht ausnahmsweise
nicht, wenn das Gemeinschaftsunternehmen einerseits weder Aktivitäten noch Um-
sätze in der Schweiz aufweist und andererseits solche Aktivitäten oder Umsätze in der
Schweiz auch künftig weder geplant noch zu erwarten sind. In solchen Fällen vernei-
nen die Schweizer Wettbewerbsbehörden die Meldepflicht mangels Auswirkung auf die
Schweiz.12
3.2.2 Marktbeherrschung
Eine Meldepflicht kann in der Schweiz ungeachtet der Erreichung der Umsatzschwel-
len ausgelöst werden, wenn an der geplanten Transaktion ein Unternehmen beteiligt
ist, für welches in einem Verfahren nach der Schweizer Fusionskontrollgesetzgebung
rechtskräftig festgestellt wurde, dass es in der Schweiz auf einem bestimmten Markt
eine beherrschende Stellung hat und die Transaktion diesen Markt oder einen solchen
betrifft, der ihm vor- oder nachgelagert oder benachbart ist.13 Die Schweizer Wettbe-
werbsbehörden gehen insbesondere beim Begriff des »benachbarten« Marktes von einer
schränkungen (Kartellgesetz, KG; SR 251) und Art. 1 der Verordnung vom 17.06.1996 über die Kon-
trolle von Unternehmenszusammenschlüssen (VKU; SR 251.4); Reinert 2010, Art. 4 N 119 ff.; Borer
2011, Art. 4 N 27.
9 Art. 2 Abs. 1 VKU. Für die Merkmale eines Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens kann weitge-
hend auf die EU-Definition verwiesen werden (vgl. dazu Seeliger/Heinen 2016, Kap. 5.1, S. 743 f.).
10 Art. 2 Abs. 2 VKU. Dies ist eine Schweizer Besonderheit. Das EU-Fusionskontrollrecht sieht dieses
Kriterium nicht vor. Vgl. z. B. RPW 2006/4, S. 677 ff. Rz. 18 ff., GE/CSFBPE/GIMP; Borer 2011, Art. 4
N 42.
11 Art. 9 Abs. 1 KG.
12 Ziff. 4 der Mitteilung des Sekretariates der Wettbewerbskommission vom 23.03.2009 zur Praxis zur
Meldung und Beurteilung von Zusammenschlüssen (Version 3 vom 19.09.2014).
13 Art. 9 Abs. 4 KG.
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weiten Definition aus. Die bisherige Praxis der Schweizer Gerichte hingegen ist eher als
restriktiv zu bezeichnen.14
3.3 Zeitschiene
In der Schweiz müssen die Zusammenschlussbeteiligten für die Zeitplanung ihrer Trans-
aktion die folgenden Fristen einplanen.17 Die Wettbewerbskommission muss innerhalb
eines Monats nach Eingang der vollständigen Zusammenschlussmeldung beschließen
und den Zusammenschlussbeteiligten mitteilen, ob sie das Zusammenschlussvorhaben
in einer vorläufigen Prüfung (»Phase I«) freigeben oder ob sie eine vertiefte Prüfung
(»Phase II«) einleiten will. Erfolgt innerhalb dieser Frist keine Mitteilung, können die
beteiligten Parteien den Zusammenschluss ohne Vorbehalt vollziehen. Die Prüfung im
Rahmen der Phase II hat die Wettbewerbskommission innerhalb von 4 Monaten durch-
zuführen.18
Im Vorfeld zur Einreichung der definitiven Meldung führen die Zusammenschlusspar-
teien in der Regel Gespräche über die Vollständigkeit der Meldung mit dem Sekretariat
der Wettbewerbskommission. Dadurch lässt sich vermeiden, dass eine vermeintlich
definitive Meldung als unvollständig zurückgewiesen und folglich die gesetzliche Prü-
fungsfrist noch nicht ausgelöst wird. In schwierigen Fällen lassen sich anlässlich dieser
Gespräche auch bereits erste Optionen bezüglich Bedingungen und Auflagen themati-
sieren.19 Für diese informelle Abstimmung mit den Wettbewerbsbehörden ist mit einer
Dauer von etwa zwei bis drei Wochen zu rechnen; bei der Diskussion von zukünftigen
Zusagen kann diese Phase auch länger dauern.
Die meisten Zusammenschlussvorhaben, die in der Phase II entschieden werden,
werden unter Auflagen und Bedingungen genehmigt. Bislang wurde in der Schweiz nur
eine Untersagung ausgesprochen.20
14 Das Schweizer Bundesverwaltungsgericht (2. Instanz) verlangt etwa ein genügendes Nahverhältnis
zwischen demjenigen Markt, für welchen die Marktbeherrschung festgestellt wurde, und dem von
der Transaktion betroffenen Markt, etwa indem die Produkte dieser Märkte zusammen ver- oder
gekauft werden bzw. eine parallele Nachfrage nach diesen Produkten besteht (Urteil B-6180/2013
des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.4.2014, The Swatch Group AG gegen WEKO, publiziert in
RPW 2014/2, S. 473 ff., E. 2.3).
15 Art. 35 KG.
16 Art. 34 KG.
17 Art. 32 f. KG und Art. 20 VKU.
18 Art. 33 Abs. 3 KG.
19 Weber/Volz 2013, S. 301; Borer 2011, Art. 32 N 5.
20 Verfügung der Wettbewerbskommission vom 19.04.2010 i. S. France Télécom SA/Sunrise Communi-
cations AG, publiziert in RPW 2010/3, S. 499 ff.
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3.4 Vollzugsverbot
Wie in der EU und in vielen anderen Jurisdiktionen dürfen die Zusammenschlussbe-
teiligten die Transaktion nicht vollziehen, bis die Wettbewerbskommission diese frei-
gegeben hat. Bei Vorliegen von wichtigen Gründen kann ein Vollzug zwar vorzeitig
bewilligt werden.21 Die diesbezügliche Praxis der Wettbewerbskommission ist jedoch
sehr restriktiv.22
Bei Verstößen gegen das Vollzugsverbot können die beteiligten Unternehmen mit ei-
nem Betrag bis zu einer Million Franken belastet werden.23 In den vergangenen Jahren
hat die Wettbewerbskommission wiederholt solche Verstöße festgestellt und Sanktionen
ausgesprochen.24
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Marktabgrenzung ist mitunter ein sehr schwieriges Unterfangen, für welches vertiefte
ökonomische Kenntnisse und Modelle erforderlich sind. Insbesondere bezüglich der
sachlichen Marktabgrenzung liegt nicht ohne weiteres auf der Hand, welche Produkte
oder Dienstleistungen den notwendigen Grad an Substituierbarkeit aufweisen, um dem
gleichen relevanten Markt wie demjenigen der fusionierenden Unternehmen zugerech-
net zu werden. Die Marktabgrenzung ist somit zwar ein entscheidendes Instrument, um
möglichst systematisch wettbewerblich bedenkliche Bereiche auszusondern und den
unmittelbaren Wettbewerbsdruck, welchem das fusionierte Unternehmen ausgesetzt
ist, zu erfassen.31 Diese Abgrenzung des relevanten Marktes und die darauf abgestützte
Berechnung der Marktanteile bleibt dennoch nur eine indirekte Methode oder eine erste
Arbeitshypothese für die Feststellung von Marktmacht und Marktbeherrschung, welche
zwar der gängigen Praxis entspricht, aufgrund ihrer Ungenauigkeit jedoch in der Lehre
teilweise kritisiert wird.32
Es versteht sich folglich von selbst, dass bloße Marktanteile nur ein Element für die
materiellrechtliche Beurteilung eines Fusionsvorhabens sein können. Im Rahmen einer
Gesamtmarktbetrachtung sind andere Elemente, wie beispielsweise die Marktstruktur,
Marktzutrittsschranken, Marktentwicklungen, Finanzkraft des fusionierten Unterneh-
mens, Innovations- und Know-How-Potenzial, potenzielle Wettbewerber, Auswirkungen
des Zusammenschlusses auf andere Märkte, vom Zusammenschluss bedingte Effizienz-
vorteile etc. weitere gewichtige Faktoren für die Beurteilung.33
Sofern ein Zusammenschluss zu keinen Marktanteilsadditionen führt oder die gemein-
samen Anteile der Zusammenschlussbeteiligten auf den relevanten Märkten auch bei einer
Marktanteilsaddition unter 30 % betragen, gehen die Schweizer Wettbewerbsbehörden in
der Regel von dessen Unbedenklichkeit aus und verzichten auf die vertiefte Prüfung des
Vorhabens im Rahmen einer Phase II-Prüfung.34 Kommen die Schweizer Wettbewerbs-
behörden im Rahmen der Vorprüfung zur Auffassung, dass das Zusammenschlussvorha-
ben eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken könnte (etwa weil das
Zusammenschlussvorhaben zu Marktanteilen von 50 % oder mehr auf dem relevanten
Markt führt35), so werden sie die Hauptprüfung nach Art. 33 KG einleiten.36
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Bei den Bedingungen und Auflagen kann es sich einerseits um Zusagen der be-
teiligten Unternehmen oder andererseits um einseitige Maßnahmen der Wettbewerbs-
kommission handeln.38 Solche Bedingungen und Auflagen werden befristet oder auch
unbefristet in einem formellen Entscheid verfügt.39
4 Strategische Überlegungen
Häufig müssen geplante Zusammenschlussvorhaben nicht nur in der Schweiz, sondern
auch in mehreren anderen Jurisdiktionen, allen voran in der EU, gemeldet werden.
Dabei stellen sich oft Fragen hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs, der Koordination und
Konsistenz der Mehrfachmeldungen, die im Rahmen der Planung und Umsetzung der
Transaktion zu berücksichtigen sind.40
4.2 Konsistenz
Bei parallelen Meldungen in der Schweiz und in der EU ist besonders auf die inhaltli-
che Kohärenz beider Meldungen zu achten.42 Die Wettbewerbsbehörden der Schweiz
und der EU sind namentlich aufgrund eines im Jahre 2013 abgeschlossenen und in-
zwischen in Kraft getretenen Kooperationsabkommens ermächtigt, Informationen, die
38 Urteil 2A.325/2006 des Bundesgerichts vom 13.02.2007, E. 9.2, publiziert in RPW 2007/2, S. 324 ff.,
Aare-Tessin Wettbewerbskommission/Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel), BKW FMB Energie AG,
Centralschweizerische Kraftwerke AG, Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg AG, Elektrizitätswerk
der Stadt Zürich (ewz), Energie Ouest Suisse (EOS) SA, Nordost-schweizerische Kraftwerke (NOK),
Rekurskommission für Wettbewerbsfragen; vgl. auch Weber/Volz 2013, S. 293.
39 Meinhardt/Waser/Bischof 2010, Art. 10 N 183 f.
40 Vgl. hierzu auch Seeliger/Heinen 2016, Kap. 6, S. 751 ff.
41 Vgl. etwa Weber/Volz 2013, S. 293.
42 Vgl. hierzu auch Seeliger/Heinen 2016, Kap. 6.3, S. 752.
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4.3 Veröffentlichung
Die Schweizer Wettbewerbsbehörden sind gesetzlich ermächtigt, aber nicht verpflichtet,
ihre Entscheide, darunter auch diejenigen bezüglich Zusammenschlussverfahren, zu
veröffentlichen.45 Von dieser Ermächtigung machen die Behörden auch rege Gebrauch,
und beinahe alle Fusionskontrollentscheide werden in der offiziellen Publikationsreihe
der Schweizer Wettbewerbsbehörden46 auf der offiziellen Webseite und in gedruckter
Form veröffentlicht; zuvor werden allfällige Geschäftsgeheimnisse in den Entscheiden
bereinigt.
Während des Verfahrens nehmen die Wettbewerbsbehörden, wie in der EU, insbe-
sondere im Rahmen von vertieften Prüfungen Kontakt zu anderen Marktteilnehmern
wie Wettbewerbern, Kunden und Lieferanten auf, um mittels Fragebogen die Marktver-
hältnisse und die Marktgepflogenheiten zu ermitteln.
5 Fazit
Das Schweizer Fusionskontrollverfahren ist in vielerlei Hinsicht wenn nicht identisch,
so doch äquivalent zum Fusionskontrollverfahren in der EU. Das Recht und die Praxis
in der EU spielen vor diesem Hintergrund in der Schweiz eine bedeutende Rolle. Gleich-
zeitig ist jedoch darauf zu achten, dass die Praxis in der Schweiz auch einige Besonder-
heiten aufweist, die bei einer Meldung zu beachten sind. Dies betrifft vor allem die Ver-
fahrensdauer, die Voraussetzungen für die Meldung sowie die materielle Beurteilung.
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43 Art. 7 des Abkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union über die Zusammenar-
beit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts.
44 Vgl. diesbezüglich auch Ziff. 3.5.
45 Art. 48 Abs. 1 KG.
46 Recht und Politik des Wettbewerbs (RPW), abrufbar unter http://www.weko.admin.ch/dokumen-
tation.
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768 |
Teil
1 Einleitung
2 Überprüfung von Entscheidungen der EFTA-Überwachungsbehörde (ESA),
insbesondere komplexer wirtschaftlicher Beurteilungen
3 Öffentlicher Zugang zu Dokumenten
4 Verhältnis Wettbewerbsrecht – Tarifverträge
5 Vertretungsrecht der Unternehmensanwälte
6 Wettbewerb versus Großvaterrechte im Flugverkehr
7 Schluss
1 Einleitung
Das EWR-Abkommen fußt auf einem Zwei-Pfeiler-Modell. Das Recht in beiden Pfeilern
– EU und EWR/EFTA – ist weitgehend inhaltsgleich. Es bestehen aber getrennte Rechts-
ordnungen und jeder Pfeiler hat seine eigenen Organe. Im EU-Pfeiler ist die Kommission
zur Überwachung und der EuGH zur gerichtlichen Kontrolle zuständig; im EFTA-Pfei-
ler werden diese Aufgaben von der EFTA-Überwachungsbehörde (»EFTA Surveillance
Authority«, »ESA«) und dem EFTA-Gerichtshof wahrgenommen. Das EWR-Abkommen
hat in den Art. 53 und 54 das Kartellverbot und das Verbot des Missbrauchs einer
marktbeherrschenden Stellung der Art. 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise
der Europäischen Union (AEUV) übernommen. Gemäß den Art. 56–58 EWR-Abkom-
men ist allerdings vor allem in Kartellfällen mit EFTA-Bezug meistens die Kommissi-
on zuständig. Überdies ist die ESA in den ersten beiden Dekaden ihres Bestehens im
Wettbewerbsrecht nicht sehr aktiv gewesen, und auch die Gerichte der drei dem EWR
angehörenden EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen waren mit Vorlagen
an den EFTA-Gerichtshof zurückhaltend. Trotzdem hat der letztere eine eigenständige
wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung entwickelt.
∗ Prof. Dr. Dr. h. c. Carl Baudenbacher, Präsident des EFTA-Gerichtshofs, Luxemburg; Direktor Center
of European an International Law, Universität St. Gallen (HSG), St. Gallen.
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1 E-15/10 Posten Norge v ESA [2012] EFTA Court Report (Ct. Rep.) 246.
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Allerdings folgte der Gerichtshof dem Vorbringen der Norwegischen Post, dass die
Buße aufgrund der übermäßigen Dauer des Verwaltungsverfahrens reduziert werden
muss. Nach dem ersten Informationsersuchen – ein Jahr nach der Einleitung des Ver-
fahrens durch eine Beschwerde – benötigte die ESA fünf Jahre und acht Monate um
ihre Untersuchung abzuschließen. Darüber hinaus brauchte die ESA nach der letzten
Stellungnahme der Norwegische Post ein Jahr, um die endgültige Entscheidung zu
erlassen. Der Gerichtshof erachtete beide Zeitabschnitte für unverhältnismäßig lang.
Da eine Verletzung des Grundrechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist
einen wirksamen Rechtsschutz erfordert, reduzierte der Gerichtshof das Bußgeld von
12,89 Mio. EUR auf 11,112 Mio. EUR.
Der EuGH ist dem EFTA-Gerichtshof mit Bezug auf die volle Kognition nicht gefolgt.
Das Gericht der EU und die drei Generalanwälte Kokott, Mengozzi und Wathelet haben
sich aber der Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs in anderen, mit der Kognition zu-
sammenhängenden Punkten angeschlossen.2 Auch das schweizerische Bundesgericht
und das Bundesverwaltungsgericht haben sich auf das Posten Norge-Urteil bezogen.3
Diese Feststellungen sind in der Zwischenzeit ständige Praxis geworden.6 Man ist an die
Figur des private attorney general des amerikanischen Rechts erinnert.7
Der EuGH hat sich dieser Rechtsprechung nicht angeschlossen. Sie ist aber von Gene-
ralanwältin Kokott in der Rechtssache C-557/12 Kone u. a. übernommen worden, und der
2 Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in C-501/11 P Schindler Holding Ltd u. a. v Kommission,
FN 18; Schlussanträge von Generalanwalt Mengozzi in C-382/12 P MasterCard u. a. v Kommission,
FN 102; Schlussanträge von Generalanwalt Wathelet in C-295/12 P Telefónica und Telefónica de Es-
paña v Kommission, FN 63.
3 Siehe BGE 139 I 72 Publigroupe SA, E. 2.2.2., 4.4.; BVGE B-463/2010 Gebro vom 19.12.2013 E. 6.3
und 6.4; BVGE B-506/2010 Gaba vom 19.12.2013 E. 6.1.3; BVGE 8399/2010 Siegenia Aubi AG vom
23.09.2014 E. 3.2.; BVGE B-3332/2012 BMW vom 13.11.2015, E. 3.11.3.
4 Temple Lang 2016.
5 E-14/11 DB Schenker v ESA (›DB Schenker I‹) [2012] EFTA Ct. Rep. 1178, Rn. 132.
6 E-7/12 DB Schenker v ESA (›DB Schenker II‹) [2013] EFTA Ct. Rep. 356, Rn. 139; E-5/13 DB Schenker v
ESA (›DB Schenker V‹) [2014] EFTA Ct. Rep. 304, Rn. 134; Beschluss des Präsidenten des EFTA-Gerichts-
hofs vom 28.08.2015 in E-22/14 DB Schenker v ESA (›DB Schenker VII‹), noch nicht veröffentlicht, Rn. 39.
7 Siehe hierzu beispielsweise: Cheng 1985, S. 1929 ff.; Rubenstein 2004, S. 2129 ff.
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Gerichtshof hat sich seinerseits auf die entsprechenden Schlussanträge berufen.8 Auch
das Gericht der EU hat in den Rechtssachen T-345/12 Akzo Nobel u. a. und T-341/12
Evonik Degussa die Linie des EFTA-Gerichtshofs übernommen, indem es ausgeführt
hat:
»[D]as Recht, Ersatz der Schäden zu erhalten, die durch eine Vereinbarung oder Verhaltensweise,
die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, entstanden sind, [kann] wesentlich zur
Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union beitragen […] und trägt damit zur
Verwirklichung eines im öffentlichen Interesse liegenden Ziels bei […].«9
EuGH und EFTA-Gerichtshof gehen vom Bestand einer allgemeinen Vermutung zuguns-
ten einer Verweigerung des Zugangs zu Verfahrensakten von Beihilfekontrollverfahren
sowie Fusionskontrollverfahren aus, wenn deren Verbreitung den Schutz des Zwecks
von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten sowie bei Fusionskontrollverfah-
ren den Schutz der geschäftlichen Interessen der an einem solchen Verfahren beteiligten
Unternehmen beeinträchtigen würde.10 Unterschiede bestehen hinsichtlich der Anwend-
barkeit dieser allgemeinen Vermutung in kartellrechtlichen Verfahren. Der EuGH stellte
fest, dass die Kommission sich auch noch nach Erlass der endgültigen Entscheidung auf
diese berufen könne und es unerheblich sei, ob die betroffenen Dokumente ihr freiwillig
im Rahmen der Kronzeugenregelung übermittelt worden seien oder nicht. Es obliege
einem Schadenersatzkläger, den Nachweis der Notwendigkeit des Zugangs zu einzelnen
Dokumenten zu erbringen, damit die Kommission die Interessen, die die Übermittlung
der einzelnen Dokumente rechtfertigen, gegen die Interessen, die den Schutz dieser Do-
kumente rechtfertigen, Fall für Fall abwägen könne.11 Der EFTA-Gerichtshof akzeptierte
das Vorliegen einer allgemeinen Vermutung zugunsten einer Verweigerung des Zugangs
zu Dokumenten in Beihilfe- und Fusionsfällen.12 Er entschied aber, dass
»general presumptions regarding the purpose of investigations and inspections cannot apply in a si-
tuation in which ESA has already adopted a final decision concerning abuse of a dominant position
under 54 EEA […], closing the file to which access is sought, here the relevant information has not
been obtained by way of a voluntary submission from a leniency applicant, and where that decision
has not been appealed or where the Court has dismissed an appeal against such a decision.«13
8 Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in C-557/12 Kone u. a., noch nicht veröffentlicht, FN 36.
9 T-345/12 Akzo Nobel u. a. v Kommission, noch nicht veröffentlicht, Rn. 84; T-341/12 Evonik Degussa
v Kommission, noch nicht veröffentlicht, Rn. 114.
10 E-4/12 und E-5/12 Risdal Touring und Konkurrenten v ESA [2013] EFTA Ct. Rep. 668, Rn. 113 und
114; E-14/11 DB Schenker I [2012] EFTA Ct. Rep. 1178, Rn. 131; C-404/10 P Kommission v Editions
Odile Jacob, veröffentlicht in der digitalen Sammlung, Rn. 123; C-139/07 P Kommission v Technische
Glaswerke Ilmenau [2010] ECR I-5885, Rn. 61.
11 C-365/12 Kommission v EnBW, veröffentlicht in der digitalen Sammlung, Rn. 93, 97 und 107.
12 E-14/11 DB Schenker I [2012] EFTA Ct. Rep. 1178, Rn. 131–133.
13 E-14/11 DB Schenker I [2012] EFTA Ct. Rep. 1178, Rn. 224.
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Einige Jahre später bezog sich Generalanwalt Poiares Maduro in der Rechtssache
C-438/05 Viking Line auf das LO-Urteil des EFTA-Gerichtshofs hinsichtlich der Not-
wendigkeit einer beschränkten Freistellung von Tarifverträgen vom Wettbewerbsrecht,
da anderenfalls das primärrechtliche Ziel, den sozialen Dialog zu fördern, untergraben
würde.17 In der Bezugnahme in Urteilen des EuGH auf jene des EFTA-Gerichtshofs und
umgekehrt zeigt sich der etablierte judizielle Dialog zwischen den beiden europäischen
Gerichtshöfen.18 In der Rechtssache E-14/15 Holship wird der EFTA-Gerichtshof Gelegen-
heit zur erneuten Stellungnahme haben.
14 C-67/96 Albany [1999] ECR I-5751, Rn. 59–60. Diese Rechtsprechung wurde bestätigt in C-115/97 bis
C-117/97 Brentjens’ [1999] ECR I-6025; C-219/97 Drijvende Bokken (1999) ECR I-6121; C-180/98 bis
C-184/98 Pavlov [2000] ECR I-645; C-222/98 van der Woude [2000] ECR I-7111.
15 Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in C-67/96 Albany [1999] ECR I-5754, Rn. 109.
16 E-8/00 LO [2002] EFTA Ct. Rep. 114, Rn. 77.
17 Schlussanträge von Generalanwalt Poiares Maduro in C-438/05 Viking Line [2004] ECR I-10784, Rn. 27.
18 Vgl. auch die positive Stellungnahme des damaligen EuGH-Präsidenten Vasilios Skouris (Skouris
2014, S. 3 ff., 12); zum judiziellen Dialog des EFTA-Gerichtshofs mit dem EuGH und insbesondre
dessen Generalanwälten siehe Baudenbacher 2008, S. 90 ff.; Baudenbacher 2013, S. 341 ff.; Kokott/
Dittert 2014, S. 43 ff.; Mengozzi 2014, S. 53 ff.
19 Vgl. hierzu ausführlicher: Baudenbacher/Speitler 2015, S. 1211 ff.; Speitler 2014, S. 20 ff.
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wachungsbehörde, die Europäische Union und die Europäische Kommission vor dem
Gerichtshof durch einen Anwalt vertreten sein müssen. Der EuGH stellt hinsichtlich der
Parallelnorm in seiner Satzung (Art. 19) in ständiger Rechtsprechung auf die Vorstel-
lung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege ab, der in völliger Unabhängigkeit
und im vorrangigen Interesse der Rechtspflege seinem Mandanten die benötigte Un-
terstützung gewährt.20 In den verbundenen Rechtssachen C-422/11 P und C-423/11 P
Przes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Republik Polen v Kommission, in welchen
sich der EuGH über die Postulationsfähigkeit von Unternehmensanwälten aussprechen
musste, stellte dieser fest, dass »der Begriff der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts näm-
lich nicht nur positiv definiert [wird], d. h. unter Bezugnahme auf die berufsständischen
Pflichten, sondern auch negativ, d. h. durch das Fehlen eines Beschäftigungsverhältnis-
ses.«21 Besteht ein Dienstverhältnis wird sohin die fehlende Unabhängigkeit unwider-
leglich vermutet.
In einem klaren Gegensatz zu dieser Rechtspraxis hat der EFTA-Gerichtshof in der
Rechtssache E-8/13 Abelia v ESA entschieden. Während die ESA und die Kommission
den EFTA-Gerichtshof ersuchten, der Rechtsprechung des EuGH zu folgen, stellte dieser
fest, dass das Erfordernis der Vertretung einer Partei durch unabhängige Dritte nicht
generell die Vertretung durch deren Angestellte oder durch von ihr abhängige Personen
ausschließe. Das Wesentliche des EWR-rechtlichen Erfordernisses liege darin zu verhin-
dern, dass private Parteien ohne Rückgriff auf eine geeignete Mittelperson selbst Klage
erheben. Bei juristischen Personen solle das Erfordernis gewährleisten, dass sie von
einer hinreichend losgelösten Person vertreten werden. Ob diese Voraussetzung erfüllt
ist, sei vom EFTA-Gerichtshof von Fall zu Fall zu untersuchen.22 In Abelia wurde festge-
stellt, dass die Unabhängigkeit einer Unternehmensanwältin, der Leiterin der Abteilung
für Wirtschaftsrecht des Dachverbands norwegischer Unternehmer, deren Mitglied der
klagende Arbeitgeberverband war, nicht beeinträchtigt war, da in concreto nicht gleiche
Interessen der Klägerin und des Dachverbands sowie eine finanzielle oder administ-
rative Abhängigkeit dieser beiden dargelegt werden konnten. Die andere Anwältin der
Klägerin, eine Rechtsanwältin einer Osloer Anwaltskanzlei, die interimsweise für den
Dachverband norwegischer Unternehmen tätig war, wurde ebenso als ausreichend un-
abhängig betrachtet, da sie einerseits nur für diesen und nicht für die Klägerin tätig war
und ihr Gehalt weiterhin von ihrer Anwaltskanzlei bezog.23 Es sei auch darauf hinzu-
weisen, dass der ehemalige Präsident des Gerichtshofs der Europäischen Union Skouris
bereits 1975 die Auffassung vertreten hat, dass die Verneinung der Postulationsfähigkeit
von Unternehmensanwälten einer Diskriminierung gleichkommt.24
20 155/79 AM & S v Kommission [1982] ECR 1575, Rn. 24; C-550/07 P Akzo Nobel Chemicals und Akcros
Chemicals v Kommission [2010] ECR I-8301; C-422/11 P und C-423/11 P Przes Urzędu Komunikacji
Elektronicznej und Republik Polen v Kommission, veröffentlicht in der digitalen Sammlung, Rn. 23.
21 C-422/11 P und C-423/11 P Przes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Republik Polen v Kommis-
sion, veröffentlicht in der digitalen Sammlung, Rn. 24.
22 E-8/13 Abelia v ESA [2014] EFTA Ct. Rep. 638, Rn. 46.
23 E-8/13 Abelia v ESA [2014] EFTA Ct. Rep. 638, Rn. 48–57.
24 Skouris 1975, S. 1230 ff. Historisch geht der Ausschluss der Postulationsfähigkeit von Unterneh-
mensanwälten auf das Dritte Reich zurück und war auf den großen Anteil jüdischer Unternehmens-
anwälte zurückzuführen. Hellwig 2015, S. 2 ff.
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»To guarantee fair and effective competition is one of the most important goals of the EEA Agree-
ment. Effective competition benefits both consumers and competitors and contributes to the common
good. In the case at hand, Iceland’s special geographic situation must be taken into account with
Keflavík essentially being the only international airport in the country.«26
Nach weniger als drei Monaten verkündete der EFTA-Gerichtshof am 10. Dezember
2014 sein Urteil. Erstens betonte er die Unabhängigkeit des Koordinators, welcher als
Einziger für die Zuweisung der Slots zuständig ist.
»[I]n order for the system to be effective, the coordinator has to be independent from any vested in-
terests and has to have the necessary financial resources to accomplish the tasks assigned to him by
the Regulation. It must be ensured that neither the authorities of the EEA State concerned nor any
other party can unduly influence the coordinator before, during and after the allocation process.« 27
»a clear separation of tasks between the coordinator, the coordination committee and the EEA State
so as to avoid any conflict of interest at any time in the allocation and monitoring procedure. In
other words, the coordinator must have the expertise and the integrity necessary to contribute to the
objectivity, transparency and efficiency of time slot allocation.« 28
25 Diese Verordnung wurde mittels Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 7/94 vom
28.06.1994 (ABl. 1994 L 160, 1) in Anhang XIII des EWR-Abkommens aufgenommen.
26 Beschluss des Präsidenten des EFTA-Gerichtshofs vom 30.09.2014 in E-18/14 Wow air ehf. v Isländi-
sche Wettbewerbsbehörde, Isavia ohf. Und Icelandair ehf. [2014] EFTA Ct. Rep. 1330, Rn. 7.
27 E-18/14 Wow air ehf. v Isländische Wettbewerbsbehörde, Isavia ohf. Und Icelandair ehf. [2014] EFTA
Ct. Rep. 1305, Rn. 37.
28 Ibid., Rn. 38.
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Slots durch den Koordinator das Recht, die Übertragung von Slots zwischen Flugun-
ternehmen anzuordnen, wenn dies nach nationalem Wettbewerbsrecht oder jenem des
EWR erforderlich ist. Hierdurch wurde das System der Großvaterrechte in einem gewis-
sen Maße dem Wettbewerb geöffnet.
7 Schluss
Der EFTA-Gerichtshof betont die Bedeutung der privaten Rechtsdurchsetzung und hat
als einziger europäischer Gerichtshof Privatkläger als Akteure im Sinne des bonum com-
mune aufgefasst. Er hat auch hinsichtlich der Postulationsfähigkeit von Unternehmens-
anwälten einen wettbewerbsfreundlichen Standpunkt eingenommen. Der Präsident des
EFTA-Gerichtshofs hat sodann in der Rechtssache Wow air die Durchführung eines
beschleunigten Verfahrens in einer Wettbewerbsrechtssache beschlossen. Am EuGH
wurde das, soweit ersichtlich, noch nie gemacht.
Was den Umgang des EFTA-Gerichtshofs mit ökonomischer Theorie angeht, so hat
ein führender Wettbewerbsrechtler, der frühere Direktor in der Generaldirektion Wett-
bewerb der Europäischen Kommission, John Temple Lang, unlängst ausgeführt:
»In general one has the clear impression that the EFTA Court deals more readily with economic
issues than either the General Court or the European Court of Justice. Economic arguments are set
out more clearly and dealt with more concisely than in the judgments of the other two courts. This is
partly a result of a less formal judicial style, but it also seems to reveal a more economic approach,
which is certainly preferable, in particular in the sphere of competition law.«29
Daran ist richtig, dass der EFTA-Gerichtshof in keinem Fall einen einseitig strukturalis-
tischen Ansatz gewählt, sondern stets das Prozesshafte betont hat.30 Hier ist allerdings
festzuhalten, dass es nicht möglich ist, das Vorgehen des EFTA-Gerichtshofs in einer
bestimmten ökonomischen Schule zu verorten. Im Hinblick auf ökonomische Theorien
wird vielmehr – ebenso wie bei den unterschiedlichen Methoden der Auslegung – ein
pluralistischer Ansatz angewandt. In jedem Fall wird der überzeugendste Ansatz ge-
wählt werden. Der EFTA-Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung festgehalten:
»Whether an agreement restricts competition, and thereby infringes Article 53 EEA, is a legal questi-
on that must be examined in the light of economic considerations.« 31
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32 Entscheidung der Kommission vom 30.09.2013 in der Sache COMP/M.6850 – Marine Harvest/Morpol.
33 Skouris 2014, S. 3, 12.
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778 |
Teil
1 Einleitung
2 Käufersicht
2.1 Steuerliche Abzugsfähigkeit der Akquisitionsfinanzierungskosten
2.2 Steuerliche Abzugsfähigkeit der Anschaffungskosten
3 Verkäufersicht
3.1 Share Deal
3.2 Asset Deal
4 Zusammenfassung und Ausblick
1 Einleitung
Der Markt für Unternehmenskäufe ist seit Beginn der 1990er Jahre bis zum Jahr 2007 –
unterbrochen durch das Platzen der Internetblase in den Jahren 2000 bis 2003 – durch
stetiges Wachstum gekennzeichnet. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise waren große
Unternehmenskäufe, die zum überwiegenden Teil mit Fremdkapital finanziert werden,
kaum noch möglich. Die Anzahl der Transaktionen und auch die Transaktionsgrößen sind
in den Jahren 2008 bis 2010 daher substantiell zurückgegangen. Erst 2013 nahm sowohl
das globale M & A – als auch das kumulierte Transaktionsvolumen der zehn größten
Deals mit deutscher Beteiligung erstmals wieder zu.1 Im Jahr 2014 wurde dieser positive
Trend weiter fortgeführt, und für das Jahr 2015 ist mit einem signifikanten Wachstum an
Unternehmensübernahmen zu rechnen. Begünstigt wird dies durch das Niedrigzinsum-
feld und hohe Unternehmensgewinne. Deutschland rangiert unter den fünf beliebtesten
Investitionsstandorten – zusammen mit Großbritannien, China, den USA und Australien.2
Auch wenn Steuern im Rahmen eines Unternehmenskaufs nur eines von vielen relevanten
Kriterien ist und nur die wenigsten Transaktionen an steuerlichen Fragestellungen schei-
tern, spielen sie doch eine zentrale Rolle: Die optimale steuerliche Strukturierung, welche
im Idealfall den Interessen des Verkäufers und des Käufers Rechnung trägt, ist ein wesent-
licher Faktor für den nachhaltigen Erfolg einer Transaktion. So hat sich gezeigt, dass zent-
rale steuerliche Gesetzesänderungen, genannt seien hier insbesondere die Einführung des
Umwandlungssteuergesetzes 1995, durch welche insbesondere die sog. Step-up-Modelle
ermöglicht wurden (die aber zwischenzeitlich wieder abgeschafft wurden), sowie das
∗ Prof. Dr. Stefan Köhler, Partner, Steuerberater, Ernst & Young, Eschborn/Frankfurt a. M.; Michael
Vogel, Partner, Ernst & Young, Eschborn/Frankfurt a. M.; Michael Adolf, Partner, Ernst & Young,
Eschborn/Frankfurt a. M.
1 Düsterhoff 2014, S. 46.
2 EY Studie: Capital Confidence Barometer, Oktober 2015, 13. Aufl.
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2 Käufersicht
2.1 Steuerliche Abzugsfähigkeit der Akquisitionsfinanzierungskosten
Ein wesentlicher Aspekt bei Unternehmenstransaktionen ist die Finanzierung des Kauf-
preises durch Eigenkapital und (Gesellschafter-)Fremdkapital. Eine Fremdkapitalfinan-
zierung kann die Steuerquote der Erwerbsgesellschaft bzw. des zugehörigen Konzerns
nachhaltig mindern. Gleichzeitig bietet die grenzüberschreitende Gesellschafterfremdfi-
nanzierung den Reiz, Erträge im Wege von Zinszahlungen und Tilgungen quellensteu-
erfrei ins Ausland zu transferieren, ohne die strengen Substanzerfordernisse und Aus-
schüttungsbeschränkungen bei Dividenden beachten zu müssen. Die Finanzverwaltung
bemühte sich früh, die Finanzierungsmöglichkeiten im Erlasswege einzuschränken,
und ab 1994 wurde erstmals eine gesetzliche Regelung zur Gesellschafterfremdfinan-
zierung eingeführt, die im Wesentlichen auf einer Eigenkapital-Fremdkapital-Quote be-
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ruhte. Seit 2008 wurden diese Vorschriften durch eine völlig neue Regelung – die sog.
Zinsschranke – ersetzt, die als maßgebliche Messlatte für den Zinsabzug nunmehr das
steuerliche EBITDA der Gesellschaft bestimmt. Die Zinsschranke trifft nunmehr jede
Art von Finanzierungen, also auch Bankdarlehen, welche nicht durch den Gesellschaf-
ter besichert sind.
2.1.1 Bis 1993 (BMF-Schreiben vom 16.03.1987 und BFH-Urteil vom 05.02.1992)
2.1.2 1
994 bis 2000 (§ 8a Körperschaftsteuergesetz (KStG)
i. F. d. Standortsicherungsgesetzes)
Mit dem Standortsicherungsgesetz 1994 normierte der Gesetzgeber erstmals eine aus-
drückliche Regelung zur Gesellschafterfremdfinanzierung (§ 8a KStG), die für Wirt-
schaftsjahre ab 1994 Anwendung fand. Ziel der Vorschrift war die Begrenzung der
steuerlichen Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen durch inländische Kapitalgesellschaf-
ten an ausländische Gesellschafter. Hierdurch wollte der Gesetzgeber eine ausufernde
Fremdfinanzierung verhindern und die Messlatte für die Eigenkapitalausstattung über
das vom Bundesfinanzhof geforderte gesetzliche Mindestkapital heben, ohne aber die
Finanzierungsfreiheit generell einzuschränken.
Kernpunkt der Vorschrift war die Einführung einer Quote von Eigenkapital zu Fremd-
kapital der Gesellschaft, innerhalb derer Zinsaufwendungen nur steuerlich abzugsfähig
sein sollten (sog. »Safe Haven«). Betroffen von der Vorschrift waren alle Fremdfinan-
zierungen, die eine inländische Kapitalgesellschaft durch einen nicht zur Anrechnung
von Körperschaftsteuern berechtigten und zu mehr als 25% unmittelbar oder mittelbar
beteiligten (wesentlichen) Anteilseigner7, von einer diesem nahestehenden Person oder
einem rückgriffsberechtigten Dritten erhalten hatte. Überstieg das schädliche Fremd-
kapital den Safe Haven, waren auf den anteilig darauf entfallenden Zinsanteil die Vor-
schriften zur verdeckten Gewinnausschüttung entsprechend anzuwenden und der Zin-
saufwand der Gesellschaft entsprechend steuerlich nicht abzugsfähig.
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Bei Vergütungen, die nicht in einem Bruchteil des Kapitals bemessen waren, re-
gelmäßig also vom Gewinn oder Umsatz abhingen (z. B. Genussrechtskapital, hybride
Finanzinstrumente), betrug der Safe Haven nur die Hälfte des anteiligen Eigenkapitals
des Gesellschafters. Demgegenüber belief sich der Safe Haven bei erfolgsunabhängigen
Vergütungen (d. h. festverzinslichen Darlehen) auf das Dreifache des anteiligen Eigenka-
pitals. Für Holdinggesellschaften sah § 8a KStG in seiner ursprünglichen Fassung 1994
bei erfolgsunabhängigen Vergütungen einen deutlich höheren Safe Haven von 1:9 vor,
also eine dreimal höhere Fremdfinanzierung als bei Einzelgesellschaften (sog. Holding-
privileg). Im Gegenzug stand den nachgeschalteten Beteiligungen jedoch kein eigener
Safe Haven mehr zur Verfügung. Um als Holdinggesellschaft zu qualifizieren, musste
der Hauptzweck der Gesellschaft sein, Beteiligungen an (mindestens zwei) Kapitalge-
sellschaften zu halten und diese zu finanzieren, oder das Vermögen der Gesellschaft
musste zu mehr als 75 % der Bilanzsumme aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften
bestehen.
Obgleich die Finanzverwaltung bereits 1994 ein umfangreiches Schreiben zur An-
wendung des § 8a KStG veröffentlichte, blieben zahlreiche für die Transaktionspraxis
relevante Aspekte unbeantwortet bzw. wurden in einer für die Steuerpflichtigen un-
günstigen Weise ausgelegt. Die Folge waren zahlreiche Verfahren, von denen die sog.
Lankhorst-Hohorst-Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Jahre 2002
die bedeutendste war (vgl. hierzu Kap. 2.1.3). Im Rahmen von Transaktionen war den-
noch zu begrüßen, dass ein Mindestmaß an Planungssicherheit für die Finanzierung
und Fremdkapitalausstattung von Gesellschaften hergestellt wurde. Hierbei kamen bei
Erwerben insbesondere der Fremdkapitalmix aus Bankdarlehen und Gesellschafter-
darlehen und die Optimierung des anteiligen Eigenkapitals der Gesellschafter erhöhte
Bedeutung zu.
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Als Reaktion auf die Lankhorst-Hohorst-Entscheidung passte der Gesetzgeber mit dem
Steuervergünstigungsabbaugesetz die Regeln zur Gesellschafterfremdfinanzierung an
und weitete den Anwendungsbereich ab 2004 auch auf inländische Anteilseigner aus.
Gleichzeitig wurde eine Freigrenze von 250.000 EUR eingeführt, um kleinere Unterneh-
men gänzlich auszunehmen. Das Holdingprivileg wurde ersatzlos aufgehoben. Weiter
wurde der Wortlaut des § 8a KStG dahingehend klargestellt, dass kurzfristig überlas-
senes Fremdkapital nicht vom Anwendungsbereich erfasst sein sollte und den Safe
Haven übersteigende Zinsaufwendungen verdeckte Gewinnausschüttungen darstellen.
Zur Frage, welche Zinsen auf besicherte Bankdarlehen (»Rückgriffsfälle«) abzugsfä-
hig sind, schuf die Finanzverwaltung im Erlasswege eine praktikable Lösung. Danach
konnte durch Vorlage einer sog. Bankenbescheinigung nachgewiesen werden, dass kei-
ne schädliche Back-to-Back-Finanzierung vorliegt; die Zinsen waren insoweit abzugs-
fähig.9 Mit § 8a Abs. 6 KStG wurde zudem eine Missbrauchsvorschrift eingeführt, um
gesellschafterfremdfinanzierte Umstrukturierungen insbesondere nach einem Erwerb
im Rahmen von sog. Debt-Push-Downs zu verhindern (kein Zinsabzug nach »Umhän-
gen« in der Gruppe).
Eine völlige Abkehr von den bisherigen Grundsätzen bezüglich der steuerlichen Be-
grenzung des Zinsabzugs erfolgte 2008 mit der Einführung der sog. Zinsschranke
durch das Unternehmenssteuerreformgesetz. Diese erfasst in § 4h EStG i. V. m. § 8a
KStG n. F. nicht mehr nur Zinszahlungen einer Gesellschaft an deren Gesellschafter
und diesem nahestehenden Personen bzw. Dritten mit schädlichen Rückgriffsrechten,
sondern vollumfänglich alle Zinsaufwendungen – gleichgültig, ob diese auf kurzfris-
tigen oder langfristigen Verbindlichkeiten beruhen bzw. ob die Zinsen an verbundene
Unternehmen oder fremde Dritte (z. B. Banken) fließen. Die Zinsschranke gilt rechtfor-
munabhängig für Personen- und Kapitalgesellschaften und Einzelunternehmen. Maß-
gebliche Grundlage für die Berechnung des steuerlich wirksamen Zinsabzuges ist nicht
mehr das Eigenkapital zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, sondern
das steuerliche EBITDA im betreffenden Wirtschaftsjahr.10 Steuerlich abzugsfähig sind
Netto-Zinsaufwendungen, d. h. die den jährlichen Zinsertrag übersteigenden Zinsauf-
wendungen, i. d. R. nur noch bis zu einer Höhe von 30 % des steuerlichen EBITDA
der Gesellschaft. Übersteigen die Zinsaufwendungen diese Grenze, sind sie steuerlich
nicht (sofort) abzugsfähig und werden in das folgende Wirtschaftsjahr vorgetragen (sog.
Zinsvortrag). Anders als bei den Vorgängerregelungen wird der nichtabzugsfähige Zins
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11 Dies gilt zunächst nur für die Ertragsteuern. Für Gewerbesteuerzwecke erfolgt eine Hinzurechnung
von 25 % des Zinsaufwands.
12 Obgleich die Zinsschranke erst ab 2008 Anwendung findet, erlaubt der Gesetzgeber, den Netto-
Zinsaufwand und das steuerliche EBITDA fiktiv für das Wirtschaftsjahr 2007 zu ermitteln. Ein
EBITDA-Überhang konnte dann in das Jahr 2010 vorgetragen werden.
13 Vgl. hierzu die Aufzählung in Lohschelder 2014, S. 349–350.
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Unter dem Eindruck von Finanz- und Staatsschuldenkrisen hat sich international eine
breite Debatte über vermeintlich oder tatsächlich aggressive Steuervermeidungsstrategi-
en multinationaler Konzerne und Gewinnverlagerungen von Hoch- in Niedrigsteuerlän-
der entfaltet.26 Im Mittelpunkt der Debatte steht eine z. T. extrem geringe Besteuerung
bestimmter Konzerne. So unterlagen z. B. im Jahr 2010 die außerhalb der USA erzielten
Gewinne von Google und Apple, die für 54 % bzw. 70 % des Vorsteuergewinns stehen,
einer Besteuerung von lediglich 3 % bzw. 1 %.27
Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2013 im Rahmen der OECD und in enger
Kooperation mit den G20-Staaten das sogenannte BEPS-Projekt, das für die Vermeidung
der Aushöhlung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen von Unternehmen und die
Gewinnverlagerung steht, gestartet.28
Ausgangspunkt für das BEPS-Projekt war ein Report »Addressing Base Erosion and
Profit Shifting«, den die OECD nach vorheriger Anfrage der G20 erarbeitete und den
G20-Staaten am 12.02.2013 vorstellte.29 Dieser Report konzentrierte sich auf eine wis-
senschaftliche Analyse internationaler Gewinnverlagerung von multinationalen Unter-
nehmen sowie eine grundlegende Darstellung internationaler Besteuerungsprinzipien.30
Mit Vorlage des »Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting« am 19.07.2013 stellte
die OECD den sog. BEPS-Aktionsplan für das weitere Vorgehen vor, der schrittweise ab
2016 umgesetzt werden soll.31
Der BEPS-Aktionsplan umfasst 15 Aktionspunkte und basiert im Wesentlichen auf
dem Anliegen, dass die Wertschöpfung dort besteuert werden soll, wo sie stattfindet,
dass die weitgehende Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung durch das Ziel der
Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung ergänzt werden muss sowie dass das in-
ternationale Steuerrecht verwaltungsmäßig vollziehbare rechtliche Anknüpfungspunkte
für die Besteuerung digitaler Geschäfte in allen ihren Formen entwickeln muss.32
Im September 2014 hat die OECD zu sieben der 15 Punkte erste Ergebnisse sowie
vier vorläufige Maßnahmenpakete veröffentlicht.33 Insbesondere werden unter dem
Aktionspunkt 2, der bei grenzüberschreitenden Transaktionen eine bedeutsame Rolle
spielt, erstmals Maßnahmen zur Neutralisierung unerwünschter Effekte von hybriden
25 Otto 2013, S. 358; Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., 66. Steuerrechtliche
Jahresarbeitstagung Unternehmen 2015, Arbeitsbuch und Teilnehmerliste vom 11.05. bis 13.05.2015,
S. 135.
26 Burwitz 2015, S. 546.
27 Pinkernell 2012, S. 370.
28 Burwitz 2015, S. 546.
29 Gillamariam/Binding 2013, S. 1153.
30 OECD-Report vom 12.02.2013, Addressing Base Erosion and Profit Shifting, S. 13–14.
31 OECD-Report vom 19.07.2013, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, S. 29 ff.
32 Burwitz 2015, S. 546 ff.
33 Burwitz 2015, S. 546.
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34 OECD-Report vom 19.07.2013, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, S. 29 ff.
35 Kreienbaum 2014, S. 724.
36 Empfehlung der Ausschüsse vom 24.10.2014, AZ: 432/1/14, S. 13.
37 Burwitz 2015, S. 546.
38 Staats 2014, S. 750.
39 Koalitionsvertrag vom 14.12.2013, S. 64–65.
40 Beschluss des Bundesrates vom 23.05.2014; AZ: 205/14, S. 2, Rn. 1.
41 Beschluss des Bundesrates vom 23.05.2014; AZ: 205/14, S. 2, Rn. 3.
42 Beschluss des Bundesrates vom 23.05.2014; AZ: 205/14, S. 2, Rn. 5.
43 Empfehlung der Ausschüsse vom 24.10.2014, AZ: 432/1/14, S. 12 f.
44 Haarmann 2015, S. 28.
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rung beabsichtigt jedoch, »zeitnah« einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der in 2015
vorliegenden Ergebnisse des BEPS-Projekts vorzulegen, der insbesondere die Thematik
der hybriden Gestaltungen beinhalten soll.45 Vor diesem Hintergrund dürfte bereits im
Jahr 2016 mit entsprechender Gesetzgebung in Deutschland gerechnet werden. Sollte
sich der Gesetzgeber tatsächlich für die vorgeschlagene Regelung entscheiden und da-
mit künftig den steuerlichen Zinsabzug bei grenzüberschreitenden Transaktionen an
weitere Voraussetzungen knüpfen, könnte dies erhebliche Auswirkungen für die gängi-
ge Transaktionspraxis zur Folge haben.
Bei einem Share Deal hat der Erwerber in Höhe des gezahlten Kaufpreises Anschaf-
fungskosten (zuzüglich Anschaffungsnebenkosten), welche, soweit Bilanzierungs-
pflicht besteht, in seiner Bilanz zu aktivieren sind. Die Anteile unterliegen in der Fol-
gezeit keiner planmäßigen Abschreibung46, da es sich bei Kapitalgesellschaftsanteilen
um nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter handelt. Eine mögliche Differenz zwischen dem
Kaufpreis und dem Buchwert der Wirtschaftsgüter in der Bilanz des Zielunternehmens
kann somit bereits aus diesem Grund steuerlich nicht genutzt werden. Aufgrund dieses
steuerlichen Nachteils gegenüber dem Asset Deal (vgl. hierzu Kap. 2.2.2) wurden in
der Vergangenheit vielfältige Gestaltungsüberlegungen angestrengt, um eine steuer-
liche Optimierung herbeizuführen. Es wurde damit im Wesentlichen stets das Ziel
verfolgt, Anschaffungskosten in steuerliches Abschreibungsvolumen umzuwandeln47
(sog. Step-up48). Bis zur Einführung des Umwandlungssteuergesetzes 1995 standen zur
Zielerreichung beim Erwerb von Kapitalgesellschaftsanteilen hauptsächlich das Kombi-
nations- und das Mitunternehmerschaftsmodell zur Verfügung.
45 Protokollerklärung der Bundesregierung vom 19.12.2014, Gesetz zur Anpassung der Abgabenord-
nung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, S. 1.
46 Otto 2008, S. 207.
47 Schaumburg 2000, S. 12 ff.
48 Seibt 2000, S. 2073.
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2.2.1.1 Kombinationsmodell
Der Kerngedanke dieses Modells bestand darin, den Anteilskauf in einen Kauf von
Wirtschaftsgütern zu transformieren.49 Nach Erwerb der Anteile wurden hierzu aus der
erworbenen Zielgesellschaft die materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter durch
den Gesellschafter oder durch eine andere Konzerngesellschaft herausgekauft (Internal
Asset Deal)50.
Durch den Erwerb der einzelnen Wirtschaftsgüter standen diese mit ihren (hohen)
Anschaffungskosten in der Bilanz des Erwerbers, während die veräußernde Kapital-
gesellschaft einen (steuerpflichtigen) Veräußerungsgewinn erzielte. Diesen Gewinn
schüttete die Zielgesellschaft an den Käufer der Anteile aus. Unter Geltung des Anrech-
nungsverfahrens wurde die Körperschaftsteuerbelastung der ausgekehrten Gewinne
neutralisiert, soweit der empfangende Käufer anrechnungsberechtigt war (einerseits
durch Anrechnung der Körperschaftsteuer – Vermeidung einer nochmaligen Besteue-
rung –, andererseits durch Erstattung der gezahlten Steuern auf den Veräußerungsge-
winn im Rahmen der ausschüttungsbedingten Teilwertabschreibung (vgl. dazu nach-
stehend)). Aus gewerbesteuerlicher Sicht korrespondierte mit der gewerbesteuerlichen
Belastung bei der ausschüttenden Zielgesellschaft eine Entlastung beim begünstigten
Gesellschafter, wenn die Voraussetzungen des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs
nach § 9 Nr. 2a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) vorlagen und die Beteiligungser-
träge somit von der Besteuerung freigestellt wurden.
Die erfolgreiche Nutzung des Kombinationsmodells setzte ferner voraus, dass die
ausschüttungsbedingte Gewinnmehrung beim Käufer durch eine entsprechende (steu-
erwirksame) Abschreibung der erworbenen Beteiligung ebenfalls neutralisiert werden
konnte. Die Voraussetzungen einer solchen ausschüttungsbedingten Teilwertabschrei-
bung waren insbesondere dann erfüllt, wenn die Ausschüttung kurze Zeit nach dem
Anteilserwerb erfolgte.51
Gewerbesteuerlich wurde die Neutralität bereits durch die Einführung von § 8 Nr. 10
GewStG (i. F. d. Steuerreformgesetzes 1990) aufgehoben, welcher die Hinzurechnung der
ausschüttungsbedingten Teilwertabschreibung anordnete. Diese Hinzurechnung sollte
verhindern, dass sich als Folgewirkung von Gewinnausschüttungen der Zielgesellschaft
eintretende Gewinnminderungen auf den Gewerbeertrag des Erwerbers auswirkten.
Dies sollte nach Rechtsprechung und der Finanzverwaltung52 auch für Teilwertabschrei-
bungen nach organschaftlichen Gewinnabführungen durch die Zielgesellschaft gelten.53
Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999 wurde dies ab dem Erhebungszeitraum 1999
auch entsprechend gesetzlich normiert.
Durch die Einführung von § 8b Abs. 3 KStG (keine steuerlich wirksame Teilwert-
abschreibung) für Vorgänge nach dem 31.12.2001 (bzw. durch §§ 3c Abs. 2, 3 Nr. 40
EStG) sowie Abschaffung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsguthabens ist die
ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung steuerlich nicht mehr möglich (bzw. nur
noch anteilig nutzbar)54, so dass dem Kombinationsmodell endgültig die Grundlage
entzogen wurde.
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2.2.1.2 Mitunternehmermodell
Nach der Einführung des § 8 Nr. 10 GewStG wurde als Alternative zum Kombinations-
modell zunächst das Mitunternehmermodell genutzt. Dieses basierte auf dem Umstand,
dass die Veräußerung von Mitunternehmeranteilen durch Kapitalgesellschaften bis 2001
nicht der Gewerbesteuer unterlag.
Die Zielgesellschaft brachte hierzu ihren Betrieb vor oder nach dem Share Deal zu
Buchwerten nach § 24 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) steuerneutral in eine
neu gegründete Personengesellschaft ein. Anschließend veräußerte die Zielgesellschaft
den für ihre Sacheinlage erhaltenen Mitunternehmeranteil gewerbesteuerfrei an den
Käufer. Dabei wurden die stillen Reserven aufgedeckt und der dabei entstehende Veräu-
ßerungsgewinn wurde anschließend an den Käufer ausgeschüttet. Durch die wiederum
dadurch ausgelöste ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung auf die Beteiligung
an der Zielgesellschaft wurde dieser Gewinn neutralisiert. Mit der Einführung des § 8b
Abs. 3 KStG sowie dem Wegfall des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens
durch die Unternehmenssteuerreform 2001 sowie der i. d. R. nicht mehr gegebenen Ge-
werbesteuerbefreiung des Veräußerungsgewinns ist das Mitunternehmermodell aber
ebenfalls nicht mehr attraktiv.55
2.2.1.3 Umwandlungsmodell
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für Körperschaftsteuerzwecke untersagt, so dass dieses Modell ab dem Jahr 2001 seine
Bedeutung verloren hat.
2.2.1.4 Fazit
2.2.2.1 Kaufpreisallokation
Bei einem Asset Deal können die im Kaufpreis vergüteten stillen Reserven steuerlich
abgeschrieben werden, soweit sie auf abschreibbare Wirtschaftsgüter entfallen. Gemäß
der bisherigen Ansicht der Finanzverwaltung erfolgte die Aufstockung (Step-up) der er-
worbenen Wirtschaftsgüter grundsätzlich nach der sog. Stufentheorie: Die stillen Reser-
ven sind zuerst auf die bilanzierten (materiellen und immateriellen) Wirtschaftsgüter
zu verteilen, dann auf die bisher nicht bilanzierten (typischerweise selbstgeschaffenen
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Beim Erwerb von Personengesellschaften erfolgt die Aufstockung außerhalb der Ge-
samthandsbilanz in einer sog. Ergänzungsbilanz des neuen Mitunternehmers. Die
Abschreibung der Wirtschaftsgüter in der Gesamthands- und Ergänzungsbilanz führt
dann zu einer entsprechenden Minderung des zu versteuernden Einkommens des Er-
werbers. Wird ein Einzelunternehmen oder ein Geschäftsbetrieb erworben, wirkt sich
die Aufstockung direkt in der Steuerbilanz des Käufers aus.
Der Zeitraum, auf den die Anschaffungskosten zu verteilen sind, richtet sich bei
Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungs-
dauer. Diese wird zunächst in der Handelsbilanz festgelegt. Solange sich die handels-
rechtlichen Ansätze im Rahmen des § 7 EStG bewegen, ist die Handelsbilanz für die
Steuerbilanz nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit bindend.65 Allerdings wird in
der handelsrechtlichen Bilanzierungspraxis auf die vom Bundesfinanzministerium
veröffentlichte steuerliche AfA-Tabelle zurückgegriffen. Abweichend gilt steuerlich für
Firmen- und Geschäftswerte allerdings beispielsweise eine lineare Abschreibung über
15 Jahre.
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3 Verkäufersicht
3.1 Share Deal
3.1.1 Kapitalgesellschaft als Verkäufer
Unter dem bis Ende 2001 gültigen Körperschaftsteuergesetz 1977 führte die Veräußerung
von Kapitalgesellschaftsanteilen – wie auch die Veräußerung von Wirtschaftsgütern
(vgl. hierzu Kap. 3.2) durch eine im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesell-
schaft zu voll steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnen. Veräußerungsverluste waren
korrespondierend steuerlich in voller Höhe abzugsfähig. Folglich war die Rechtsform der
veräußerten Gesellschaft steuerlich grundsätzlich irrelevant (bzgl. der Gewerbesteuer
konnte es zu Unterschieden kommen).76
Bis Ende 1993 unterlagen Veräußerungsgewinne auf Ebene der Kapitalgesellschaften
einem Körperschaftsteuersatz von 50 %, der in der Folgezeit auf 45 % bzw. im Jahre
1999 auf 40 % abgesenkt wurde (jeweils zuzüglich Solidaritätszuschlag77). Bei einer
Ausschüttung des Veräußerungsgewinns an die Anteilseigner kam es zu einer Steuer-
satzreduktion auf 36 % bzw. 30 %. Die gezahlte Körperschaftsteuer wurde auf Ebene der
in Deutschland steuerpflichtigen Anteilseigner angerechnet.78 Veräußerungsgewinne
aus der Veräußerung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften waren bereits
ab 1994 i. d. R. nach § 8b Abs. 2 KStG a. F. steuerfrei. Durch das Steuersenkungsgesetz
vom 23.10.2000 wurde der Anwendungsbereich des § 8b Abs. 2 KStG, d. h. die Steuer-
freistellung von Veräußerungsgewinnen, ab 2002 auf Inlandsbeteiligungen ausgedehnt.
Im Ergebnis resultierte daraus bis Ende 2003 zunächst eine vollständige Freistellung für
Veräußerungsgewinne. Durch den ab dem Veranlagungszeitraum 2001 eingetretenen
Systemwechsel vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren war die Steuerbefrei-
ung auch notwendig, um Doppelbelastungen zu vermeiden. Zugleich stellt § 8b Abs. 3
KStG jedoch klar, dass ein Veräußerungsverlust aus der Veräußerung von Anteilen an
Kapitalgesellschaften steuerlich unbeachtlich ist.79 Eine leichte Schlechterstellung für
die veräußernde Kapitalgesellschaft trat durch die in 2004 eingeführte pauschale steu-
erliche Berücksichtigung von 5 % des steuerfreien Veräußerungsgewinns als nichtab-
zugsfähige Betriebsausgabe ein. Im Ergebnis ist der Veräußerungsgewinn nur noch zu
95 % steuerfrei. Diese Regelungen gelten – im Wesentlichen auch für die Gewerbesteuer
– unverändert bis heute.
Zwar wurde im Rahmen des Zollkodex-Anpassungsgesetzes seitens des Bundesra-
tes die Initiative gestartet, den Veräußerungsgewinn bei Beteiligungen unter 10 % am
Grund- oder Stammkapital, korrespondierend zu der Regelung im § 8b Abs. 4 KStG
(sog. Streubesitzdividende), der vollen Körperschaftsteuerpflicht zu unterwerfen, ih-
ren Eingang in das Zollkodex-Anpassungsgesetz fand die Regelung allerdings nicht.80
Mit Verweis auf den Koalitionsvertrag vom 16.12.2013 hat die Bundesregierung jedoch
zugesagt, die Behandlung von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitz im Rahmen der
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Auch im Falle einer natürlichen Person als Veräußerer ist ein beim Asset Deal entstan-
dener Veräußerungsgewinn voll steuerpflichtig. Steuermindernd konnte der unter be-
stimmten Voraussetzungen zu gewährende Freibetrag und eine Progressionsminderung
bzw. der hälftige Steuersatz bis zum Veranlagungszeitraum 1998 zur Anwendung kom-
men. Ab dem 01.01.1999 bleibt als ertragsteuerliche Vergünstigung lediglich noch ein
Progressionsvorbehalt. Die Aufgabe bzw. Veräußerung des Einzelunternehmens bzw.
des vollständigen Anteils als Mitunternehmer an Personengesellschaften unterliegt da-
gegen nicht der Gewerbesteuer (§ 7 GewStG).88
86 BGBl I 2001, S. 3858; Eilers 2002, S. 85, 89; Otto 2008, Rz. 209; Müller 1996, Rz. 27.
87 Vgl. hierzu auch oben die Ausführungen zum Mitunternehmermodell unter Kapitel 2.2.1.2.
88 Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns 2003, § 22, Rz. 20; Eilers 2002, S. 89.
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Teil
1 Einleitung
2 Käufersicht
2.1 Abzugsfähigkeit der Akquisitionsschuldzinsen
2.2 Abzugsfähigkeit von Transaktionskosten
2.3. Ergebniskonsolidierung
3 Verkäufersicht
3.1 Natürliche Person
3.2 Juristische Person
4 Gebühren und Verkehrssteuern
4.1 Vermögenserwerb
4.2 Finanzierung
5 Zusammenfassung und Ausblick
1 Einleitung
Die Entwicklung der Steuergesetzgebung der letzten Jahre ist wesentlich geprägt durch
globale Entwicklungen zur Verhinderung von »aggressiver Steuerplanung« (BEPS Re-
port und Action Plan der OECD etc.). Wesentliche steuerliche Rahmenbedingungen und
gesetzliche Änderungen im Zusammenhang mit M & A-Transaktionen in Österreich sind:
• Gruppenbesteuerung: Die Teilwertabschreibung beim Share Deal wurde abgeschafft,
die Verlustübernahme ausländischer Gesellschaften wurde erschwert;
• Abzugsfähigkeit von Finanzierungszinsen: Diese ist einerseits bei Konzernerwerben
eingeschränkt, andererseits sollen auch Konzernfinanzierungen mit Niedrigsteuer-
ländern verhindert werden;
• der Tatbestand für die Grunderwerbsteuer wurde erweitert (Anteilsvereinigung);
• die Gebühren für Kredit- und Darlehensverträge wurden abgeschafft, die Gesell-
schaftsteuer wird ab 01.01.2016 nicht mehr erhoben;
• die Wegzugsbesteuerung (Überführung von Wirtschaftsgütern, Verlegung von Be-
trieben, Einschränkung des österreichischen Besteuerungsrechts) wird verschärft.1
Damit ergibt sich ein nicht ganz einheitliches Bild. Ertragsteuerlich motivierte und
grenzüberschreitende Gestaltungen von Akquisitionen sollen erschwert und unattraktiv
∗ Dr. Markus Schragl, Partner, Steuerberater, Ernst & Young, Wien; Daniela Schalko, Director Corpo-
rate Tax, Automic Software GmbH, Wien.
1 (BGBl I Nr. 163/2015) Abgabenänderungsgesetz 2015.
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2 Käufersicht
2.1 Abzugsfähigkeit der Akquisitionsschuldzinsen
2.1.1 Abzugsfähigkeit der Akquisitionsschuldzinsen beim Asset Deal
Erwirbt eine natürliche Person eine Beteiligung, sind Finanzierungskosten gemäß § 20
Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die im Zusammenhang mit endbesteuer-
ten Beteiligungserträgen oder mit Beteiligungserträgen stehen, welche dem besonderen
Steuersatz unterliegen 2, grundsätzlich steuerlich nicht abzugsfähig. Werden jedoch bei
Veräußerungen von Anteilen vor dem 01.04.2012 steuerpflichtige Einkünfte erzielt, ist
der angefallene Finanzierungsaufwand insoweit abzugsfähig, als er die angefallenen
endbesteuerten Kapitalerträge übersteigt.3
Auf Ebene einer Kapitalgesellschaft sind Zinsen aus einem fremdfinanzierten An-
teilserwerb gemäß § 11 Abs. 1 Ziff. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) grundsätz-
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11 Die oben beschriebenen Beschränkungen gemäß § 12 Abs. 1 Ziff. 9 und Ziff. 10 KStG sind zusätzlich
zu beachten.
12 Vgl. BMF 15.12.2008, 010221/3364 IV/4/2008, Punkt 2.1.2. Konditionen zwischen nahe stehenden
Personen müssen tendenziell günstiger sein als solche, die von Geschäftsbanken angeboten wur-
den, da ein konzerninternes Risiko vielfach als geringer einzuschätzen sein wird und konzerninter-
ne Finanzierungen meist günstiger bereitzustellen sind; Angemessenheit von Zinszahlungen BMF
20.05.1992, EAS 131; BMF 29.10.2007, EAS 2898.
13 In Österreich gibt es keine fixen Debt/Equity-Ratios, eine absolute Untergrenze bilden i. d. R. die
Kriterien des Eigenkapitalersatzgesetzes: Eigenkapitalquote von weniger als 8 % und eine fiktive
Schuldentilgungsdauer von mehr als 15 Jahren.
14 EStR 2000, Rz. 2460.
15 EStR 2000, Rz. 2164.
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Bei einem entgeltlichen Erwerb eines Betriebes oder sonstiger einzelner Assets sind
die Wirtschaftsgüter unter Aufdeckung der abgegoltenen stillen Reserven mit ihren
Anschaffungskosten inklusive Anschaffungsnebenkosten anzusetzen. Es hat eine Auf-
teilung des Gesamtkaufpreises auf die einzelnen Wirtschaftsgüter zu erfolgen, wobei
sämtliche Aktiva und Passiva mit den Teilwerten angesetzt werden.22 Der verbleibende
Restbetrag stellt einen Firmenwert dar. Zum Firmenwert zählen u. a. der Kundenstock,
die Vertriebswege, gute Geschäftsbeziehungen, Bekanntheit der Firma sowie der Auf-
tragsstand. Davon zu unterscheiden sind firmenwertähnliche Wirtschaftsgüter wie Mar-
kenrechte, Patente und Konzessionen. Der Firmenwert wie auch firmenwertähnliche
Wirtschaftsgüter23 sind zu aktivieren und gemäß § 8 Abs. 3 EStG gleichmäßig auf 15
Jahre abzuschreiben.
Beim Asset Deal erhöhen die Anschaffungsnebenkosten die unmittelbaren Anschaf-
fungskosten (Kaufpreis) und dementsprechend das künftige Abschreibungspotential
für das jeweilige Wirtschaftsgut, soweit die vom Käufer abgegoltenen stillen Reserven
auf abnutzbare Wirtschaftsgüter und Firmenwert entfallen, welche gemäß § 7 und § 8
EStG einer laufenden steuerlichen Abschreibung unterliegen. Bei nicht abnutzbaren
Vermögensgegenständen werden die höheren Anschaffungskosten erst im Zuge des Aus-
scheidens der Wirtschaftsgüter durch einen höheren Buchwertabgang bzw. bei Wert-
minderungen durch die Vornahme von Teilwertabschreibungen steuerwirksam.
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Die Besteuerung von Beteiligungen bei natürlichen Personen wurde 2011 durchgehend
neu geordnet.24 Demnach sind Wertänderungen des Kapitalstammes unabhängig von
der Behaltedauer und Beteiligungshöhe immer steuerpflichtig. Die Bestimmung des
§ 27a EStG sieht für Einkünfte aus Kapitalvermögen einen besonderen Steuersatz vor;
das Abzugsverbot wesentlicher Aufwendungen im Zusammenhang mit Beteiligungen 25
stellt auf diesen besonderen Steuersatz ab. Damit sind Aufwendungen und Ausgaben
im Zusammenhang mit Einkünften aus Kapitalvermögen (auch aus Substanzgewinnen)
steuerlich nicht abzugsfähig.26 Im außerbetrieblichen Bereich dürfen diese Aufwendun-
gen weder unmittelbar als Werbungskosten noch als Anschaffungsnebenkosten berück-
sichtigt werden.
Anschaffungskosten für die Kapitalanteile selbst können im Rahmen einer späteren
Realisierung steuerlich geltend gemacht werden.27
Werden Anteile im Privatvermögen gehalten, löst nur ein Realisierungsvorgang Steu-
erpflicht aus.28 Bei im Betriebsvermögen gehaltenen Anteilen ist demgegenüber eine
(steuerwirksame) Teilwertabschreibung grundsätzlich möglich. Werden Anteile im Be-
triebsvermögen einer Kapitalgesellschaft gehalten, ist ebenfalls eine steuerwirksame
Teilwertabschreibung möglich, diese muss jedoch gemäß § 12 Abs. 3 Ziff. 2 KStG über
sieben Jahre verteilt erfolgen.29
Bis Februar 2014 konnte beim Erwerb von inländischen betriebsführenden Gesell-
schaften, die in eine steuerliche Gruppe aufgenommen wurden, eine Firmenwertab-
schreibung über 15 Jahre verteilt steuerlich geltend gemacht werden. Mit dem Abgaben
änderungsgesetz 2014 wurde die Firmenwertabschreibung auf nach dem 28.02.2014
angeschaffte Beteiligungen abgeschafft. Für vor dem 01.03.2014 erworbene Beteiligun-
gen können jedoch bereits begonnene Abschreibungsfünfzehntel unter bestimmten Vo-
raussetzungen weiterhin geltend gemacht werden.
2.3 Ergebniskonsolidierung
Die Abzugsfähigkeit von Zinsen und Transaktionskosten ist für einen Erwerber dann
besonders interessant, wenn eine Möglichkeit zur steuerlichen Ergebniskonsolidierung
gegeben ist. In Österreich wurde 2005 diese Möglichkeit durch Einführung der Grup-
penbesteuerung, die verbundenen Kapitalgesellschaften eine konsolidierte Besteuerung
ermöglicht, geschaffen.30 Die steuerliche Gruppe ermöglicht eine Zusammenfassung der
steuerlichen Ergebnisse der Gruppenmitglieder (und des Gruppenträgers) und eine ge-
meinsame Besteuerung auf einer Ebene, ohne dass die Ergebnisse auch unternehmens-
rechtlich übertragen werden müssen. Voraussetzungen sind u. a., dass eine zumindest
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50 %-ige Beteiligung besteht und die finanzielle Verbindung seit mindestens einem
gesamten Wirtschaftsjahr (12 Monate) vor Bildung der Gruppe besteht. Mit inländi-
schen Gruppenmitgliedern ist außerdem der Abschluss einer Steuerumlagevereinba-
rung zwingend vorgesehen. Der Gruppenantrag ist beim zuständigen Finanzamt des
Gruppenträgers einzubringen. Mindestbestanddauer der Gruppe ist drei Jahre. Grup-
penmitglieder können inländische Gesellschaften sein, aber auch bei ausländischen Ge-
sellschaften können Verluste unter bestimmten Voraussetzungen vom österreichischen
Gruppenträger berücksichtigt werden. Die Zurechnung ausländischer Gewinne zum ös-
terreichischen Gruppenträger ist ausgeschlossen. Im Zusammenhang mit ausländischen
Gruppenmitgliedern wurden die gesetzlichen Bestimmungen laufend verschärft.31 So
wurde etwa der räumliche Anwendungsbereich32, die Berechnungsmethodik des aus-
ländischen Ergebnisses und die Verwertungsmöglichkeit33 ausländischer Verluste in den
vergangenen Jahren eingeschränkt.
Eine andere Möglichkeit, Gewinne einer Akquisitionsgesellschaft mit Aufwendungen
einer Holding zu verrechnen, besteht z. B. durch den Einsatz von Personengesellschaf-
ten; auch hier wird die Besteuerung gemeinsam auf Ebene der Gesellschafter vorgenom-
men. Mit dem Steuerreformgesetz 2015/201634 soll die Verlustverwertung von »kapita-
listischen Mitunternehmern«35 eingeschränkt werden.36
3 Verkäufersicht
3.1 Natürliche Person
3.1.1 Asset Deal
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Veräußerungsgewinns auf drei Jahre gemäß § 37 Abs. 2 Ziff. 1 EStG oder Besteuerung
des Veräußerungsgewinns mit dem halben Durchschnittssteuersatz gemäß § 37 Abs. 5
EStG. Gewinne aus der Veräußerung von (Teil-)Betrieben und Mitunternehmeranteilen
können zur Gänze mit bestehenden Verlustvorträgen aus diesem Betrieb verrechnet
werden. Die Beschränkung durch die 75 %-ige Verlustvortrags- bzw. Verrechnungsgren-
ze kommt nicht zur Anwendung.
Für einzelne Assets, die keinen Betrieb oder Teilbetrieb darstellen, gilt Folgendes:
Werden diese Assets im Betriebsvermögen gehalten, liegt jedenfalls ein steuerpflichti-
ger Veräußerungsvorgang vor. Werden diese Gegenstände jedoch im Privatvermögen
gehalten, ist die Veräußerung außerhalb der einjährigen Spekulationsfrist i. d. R. steuer-
frei. Ausnahmen gibt es hier beispielsweise für Liegenschaften (Immobilienertragsteuer
i. H. v. derzeit 30 %39; seit 01.04.2012 grundsätzlich steuerpflichtig) und für ab dem
01.04.2012 veräußerte Beteiligungen und sonstige Finanzierungsinstrumente40 (beson-
derer Steuersatz i. H. v. 25 %).
Bei Körperschaften unterliegt der Gewinn aus der Veräußerung von (Teil-)Betrieben,
Mitunternehmeranteilen und einzelnen Assets der 25 %-igen Körperschaftsteuer. Die
Ermittlung des Veräußerungsgewinns erfolgt wie bei natürlichen Personen nach § 24
Abs. 2 EStG aus der Differenz zwischen dem Veräußerungserlös nach Abzug der Ver-
äußerungskosten und dem steuerlichen Buchwert des veräußerten (Teil-)Betriebes bzw.
dem steuerlichen Kapital des Mitunternehmeranteils. Die Steuerbegünstigungen gemäß
§ 24 EStG (Freibetrag, Verteilung über drei Jahre, Halbsatzbegünstigung) stehen einer
Kapitalgesellschaft nicht zu. Das Vorliegen eines Veräußerungsgewinnes nach § 24 EStG
spielt jedoch für die Verwertung möglicherweise bestehender Verlustvorträge eine Rolle.
Nur wenn ein Betrieb bzw. Teilbetrieb i. S. d. § 24 EStG vorliegt, kann ein Gewinn aus
der Veräußerung eines Teilbetriebes zur Gänze mit Verlustvorträgen verrechnet wer-
den. Ansonsten kommt die allgemeine Verlustvortrags- bzw. Verrechnungsgrenze zur
Anwendung, aufgrund derer nur 75 % des Gewinnes mit bestehenden Verlustvorträgen
verrechnet werden können.
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4.2 Finanzierung
Bis Ende 2010 war bei der Fremdfinanzierung einer erworbenen Gesellschaft eine
Rechtsgeschäftsgebühr i. H. v. 0,8 % vom Wert des Darlehens- bzw. Kreditbetrages zu
beachten. Mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 wurde die Gebühr für Darlehens- und
Kreditverträge abgeschafft. Demnach unterliegen neu abgeschlossene Kredit- und Dar-
lehensverträge ab 01.01.2011 keiner Rechtsgeschäftsgebühr. Die Ausstattung der Gesell-
schaft mit Eigenmitteln (Kapitalzuschuss) kann Gesellschaftsteuer i. H. v. 1 % auslösen.
Dies gilt jedoch nur für den Fall einer direkten Beteiligung, so dass die Gesellschaftsteu-
er beispielsweise durch die Gewährung eines Großmutterzuschusses vermieden werden
44 Abweichendes gilt für den Unternehmenskauf auf Leibrente, der gemäß § 33 TP 17 Abs. 1 Ziff. 4
explizit einer Vergebührung von 2 % unterworfen wird.
45 StRefG 2015/2016, BGBl I 2015/118.
46 Bisher war eine Anteilsvereinigung nur bei einer vollen 100 %-igen Vereinigung vorgesehen, d. h.
die Grunderwerbsteuer konnte bereits mit einem Zwerganteil vermieden werden.
47 Vgl. dazu beispielsweise Rief 2015, Rz. 5/2 ff.
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Laudacher, M. (2004): Kursverluste bei Fremdwährungskrediten. In: SWK, 2004, S. 1516–1518.
Rief, R. (2015): Grunderwerbsteuer. In: Marschner/Stefaner (Hrsg.), Steuerreform 2015/2016. Manz,
Wien, 2015, S. 85 ff.
Tissot, M. (2004): Abzugsfähigkeit von Fremdkapitalzinsen gemäß § 11 Abs. 1 Ziff. 4 KStG – Eine
Interpretation des Wortes »Zinsen«. In: SWK, 2004, S. 1497–1503.
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Teil
1 Einleitung
2 Käufersicht
2.1 Akquisitionsfinanzierungskosten
2.2 Anschaffungskosten, Abschreibungen
3 Verkäufersicht
3.1 Verkauf aus dem Geschäftsvermögen
3.2 Verkauf aus dem Privatvermögen
4 Transaktionssteuern
4.1 Emissionsabgabe
4.2 Umsatzabgabe
5 Zusammenfassung und Ausblick
1 Einleitung
In den letzten 25 Jahren des Auf und Ab in der Welt von Mergers & Acquisitions wa-
ren auch die steuerlichen Rahmenbedingungen starken Entwicklungen unterworfen.
Gewisse grundsätzliche steuerliche Fragestellungen, mit welchen Käufer und Verkäufer
von Unternehmen konfrontiert sind, sind indessen unverändert geblieben. Auf Verkäu-
ferseite ist dies in erster Linie die Frage, in welcher Form Veräußerungsgewinne oder
-verluste steuerlich behandelt werden. Auf Käuferseite ist die Frage der Abzugsfähig-
keit von Akquisitionsschuldzinsen und die steuerliche Behandlung des Goodwills von
großer Bedeutung.
Dabei hat sich in der Schweiz insbesondere die steuerliche Behandlung von Ver-
äußerungsgewinnen auf Ebene von Körperschaften durch die Einführung des Beteili-
gungsabzuges entspannt. Eher eine Verhärtung ist demgegenüber auf der Käuferseite
bezüglich der steuerlichen Anerkennung von Schuldzinsen festzustellen. Sicher darf
einleitend festgehalten werden, dass noch einige Reformen wünschenswert wären, um
den Kauf und Verkauf von Unternehmen – sprich die stets notwendigen Anpassungen
an sich rasch verändernde wirtschaftliche Gegebenheiten – steuerlich nicht zu behin-
dern, sondern zu fördern.
* Dr. Georg Lutz, Rechtsanwalt, Dipl. Steuerexperte, Leitender Partner M & A Tax, Ernst & Young, Zürich;
Flurin Poltera, Rechtsanwalt, Dipl. Steuerexperte, Leitender Partner M & A Tax, Deloitte AG, Zürich.
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Nachfolgend werden die typischen steuerlichen Interessen aus Sicht von Käufern und
Verkäufern von Unternehmen sowie die diesbezüglichen Entwicklungen der vergange-
nen Jahre beleuchtet. Eine abschließende Abhandlung sämtlicher Steuerthemen würde
den Rahmen dieser Darstellung sprengen. Nicht eingegangen wird insbesondere auf
das Fusionsgesetz und die entsprechenden steuerlichen Fragestellungen, da diese Re-
gelungen eher gruppeninterne Reorganisationen betreffen als Transaktionen zwischen
unabhängigen Dritten. Ferner wird auf Ausführungen zu den speziellen Steuerfragen
verzichtet, die sich im Zusammenhang mit der Übertragung von Immobilien und Im-
mobiliengesellschaften stellen.
2 Käufersicht
Unabhängig davon, ob ein Share oder Asset Deal angestrebt wird, wird eine Akquisition
in aller Regel über eine Kapitalgesellschaft (AG oder GmbH) abgewickelt. Der Käufer
verwendet dafür entweder eine bestehende Holding- oder operative Gesellschaft, oder er
gründet im Hinblick auf den Erwerb speziell für diesen Zweck eine neue Gesellschaft.
2.1 Akquisitionsfinanzierungskosten
2.1.1 Aktienerwerb durch Holdinggesellschaft
Die Holdinggesellschaft ist, sofern die einschlägigen Voraussetzungen1 erfüllt sind, auf
Kantons- und Gemeindesteuerebene von der Ertragssteuer befreit.2 Die Erträge unter-
liegen daher lediglich der direkten Bundessteuer, d. h. einem effektiven Steuersatz von
rund 7.83 %. Folglich können Zinsen auf der Akquisitionsfinanzierung nur beschränkt
steuerwirksam sein. Auch dieser beschränkte Steuereffekt tritt nur ein, wenn die Hol-
dinggesellschaft neben den über den Beteiligungsabzug indirekt freigestellten Beteili-
gungserträgen steuerbare Erträge vereinnahmt, wie z. B. Zinsen, Lizenzeinkünfte oder
Management Fees. Mangels derartiger Erträge bleibt der Zinsaufwand einer Holding-
gesellschaft steuerlich unwirksam, da das schweizerische Steuerrecht keine Konsoli-
dierung kennt. Mit der Unternehmenssteuerreform III3 ist davon auszugehen, dass das
Holdingprivileg wegfallen wird. Da sowohl der Bund als auch die Kantone Dividenden
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4 Dass damit verbundene Tätigkeiten allenfalls mit dem Holdingstatus nicht vereinbar sind, kann
hier nicht als Argument ins Feld geführt werden: Ein Verlust des Holdingstatus würde im Gegenteil
gerade für die vollumfängliche Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen sprechen.
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Erwirbt eine operative Gesellschaft die Aktien an der Zielgesellschaft, so ergibt sich,
gleich wie beim Asset Deal, ein »natürlicher« Debt Push Down. Die Abzugsfähigkeit der
Schuldzinsen wird dabei nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Sie ist lediglich limitiert
durch die Vorschriften betreffend verdecktem Eigenkapital.
Seit Erlass des Kreisschreibens Nr. 6 vom 06.05.1997 durch die Eidgenössische Steuer-
verwaltung (ESTV) besteht weitestgehend Klarheit darüber, inwiefern der Käufer von der
steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen ausgehen darf. Die Frage eines Share oder
Asset Deals spielt dabei insofern eine Rolle, als gemäß diesen Richtlinien je nach Kate-
gorie von Aktiven einer Gesellschaft aus steuerlicher Sicht mehr oder weniger Fremd-
kapital steuerlich anerkannt wird. Dabei sind die Unterschiede allerdings nicht derart
entscheidend, dass steuerliche Eigenmittelvorschriften bei der Entscheidung Share oder
Asset Deal eine Rolle spielen würden.
Der für die Aktien bezahlte Kaufpreis entspricht dem Buchwert der erworbenen Be-
teiligung. Eine Aufteilung des Kaufpreises auf Beteiligung und Goodwill ist nach dem
für das Steuerrecht maßgeblichen handelsrechtlichen Abschluss nicht zulässig. Da Ab-
schreibungen auf der Beteiligung nur vorgenommen werden dürfen, wenn nach der
Akquisition eine Wertverminderung eintritt, entfällt die Möglichkeit der Abschreibung
von Goodwill. Das Abschreibungspotenzial ist mithin bei einem Share Deal limitiert.
Insbesondere in den ersten Jahren nach der Akquisition verlangen die Steuerbehörden
klar dokumentierte Nachweise, dass und in welchem Umfang Wertverminderungen
5 Der Begriff »Carve Out« wird hier als Oberbegriff für ein breites Spektrum von Transaktionen ver-
wendet, in denen ein Verkäufer einen Teil seines Konzerns, Unternehmens oder Geschäfts an einen
Dritten veräußert.
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eingetreten sind, ansonsten Abschreibungen mit Hinweis auf den am Markt bezahlten
und damit steuerlich maßgebenden Verkehrswert aufgerechnet werden können.
Eine Fusion von Akquisitions- und Zielgesellschaft führt bezüglich steuerlichem Ab-
schreibungspotenzial zu keinen Vorteilen: Die Fusion muss, soll sie steuerfrei bleiben,
zu Buchwerten erfolgen. Ein sog. Step up auf den Aktiven wird somit nicht erreicht. Der
Fusionsverlust, der sich typischerweise bei einer der Akquisition folgenden Fusion er-
gibt, kann zwar handelsrechtlich als Goodwill aktiviert werden, und er ist handelsrecht-
lich erfolgswirksam abzuschreiben.6 Steuerwirksam ist diese Abschreibung indessen
grundsätzlich nicht, zumindest nicht in dem Umfang, in welchem der Fusionsverlust
als unechter7 Fusionsverlust qualifiziert.
Dies ist insofern konsequent, als eine steuerwirksame Abschreibung wohl dazu füh-
ren würde, dass die Aktivierung des Goodwills im entsprechenden Umfang als Aufwer-
tung im Rahmen der Fusion gewertet werden könnte, was zumindest in diesem Umfang
die Steuerneutralität der Fusion in Frage stellen würde. Ferner wird der Goodwill als
originärer8 Goodwill qualifiziert, der nach gängiger Praxis nicht steuerwirksam abge-
schrieben werden kann.
Im Rahmen eines Asset Deals werden die stillen Reserven auf den Aktiven und Passiven
realisiert und beim Verkäufer besteuert.
Der Käufer bucht die Aktiven und Passiven zu Verkehrswerten ein und hat sodann
das Potenzial, von diesen Verkehrswerten Abschreibungen vorzunehmen. Im Rahmen
der Kaufpreisallokation können ferner auch Immaterialgüter bewertet und aktiviert
werden, inklusive ein allfälliger Goodwill. Dieser qualifiziert bei einem Asset Deal
als derivativ erworben. Demzufolge sind die darauf vorgenommenen Abschreibungen
steuerwirksam.
Auch aus der Perspektive »Abschreibungspotenzial« hat der Verkäufer somit in der
Regel eine Präferenz für einen Asset Deal.
3 Verkäufersicht
Der Verkäufer will primär eine Besteuerung des Kapitalgewinns vermeiden. Gewinn-
rückführung, Transaktionssteuern sowie Fragen, die sich aus einem allfälligen Kapi-
talverlust ergeben würden (bspw. betreffend Nutzung der Verlustvorträge), sind nicht
Gegenstand der vorliegenden Ausführungen.
6 Üblicherweise über einen Zeitraum von 5 Jahren. In der Praxis werden je nach Umständen des Ein-
zelfalls auch längere Abschreibungsperioden angewendet.
7 Ein unechter Fusionsverlust ergibt sich, wenn der in der Fusionsbilanz ausgewiesene Verlust ein
rein buchmäßiger Verlust ist, d. h. der Verlust in einer Unterbewertung der übertragenen Vermö-
genswerte begründet ist.
8 Als originärer Goodwill wird der selbsterarbeitete Goodwill bezeichnet, im Gegensatz zum deriva-
tiven (erworbenen) Goodwill. Letzterer kann steuerwirksam abgeschrieben werden.
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Der Kapitalgewinn aus der Veräußerung von Aktien wird bei Kapitalgesellschaften und
Genossenschaften bei gegebenen Voraussetzungen über den Beteiligungsabzug frei-
gestellt. Diese indirekte Freistellung des Kapitalgewinns wurde erst mit der per 1998
umgesetzten Unternehmenssteuerreform I eingeführt. Vorher qualifizierten Kapitalge-
winne aus der Veräußerung von Beteiligungen nicht für den Beteiligungsabzug. Auch
nach heutiger Rechtslage wird eine (indirekte) Freistellung nur gewährt, sofern der
Veräußerungserlös die Gestehungskosten übersteigt, die veräußerte Beteiligung min-
destens 20 % des Grund- oder Stammkapitals der veräußerten Gesellschaft ausmacht
und als solche während mindestens eines Jahres im Besitz der Kapitalgesellschaft oder
Genossenschaft war.
Mit der Unternehmenssteuerreform II wurde per 1. Januar 2011 folgende Erleichte-
rung eingeführt: Die Mindestbeteiligungsquote wurde auf 10 % des Grund- oder Stamm-
kapitals reduziert. Alternativ reicht es, wenn die veräußerte Beteiligung einen Anspruch
auf mindestens 10 % des Gewinns und der Reserven der veräußerten Gesellschaft be-
gründete. Die einjährige Mindesthaltedauer wird weiterhin vorausgesetzt. Fällt die Be-
teiligungsquote infolge Teilveräußerung unter 10 %, so kann die Ermäßigung für jeden
folgenden Veräußerungsgewinn nur beansprucht werden, wenn die Beteiligungsrechte
am Ende des Steuerjahres vor dem Verkauf einen Verkehrswert von mindestens 1 Mio.
CHF hatten.
Bei einem Asset Deal werden die stillen Reserven realisiert und grundsätzlich besteu-
ert. Ein Asset Deal wird daher vom Verkäufer, wenn er die Wahl zwischen Share und
Asset Deal hat, üblicherweise nur akzeptiert, wenn er einen entsprechend höheren
Verkaufserlös realisieren kann oder wenn aus der Veräußerung kein Kapitalgewinn
resultiert resp. wenn der Verkäufer einen solchen gegen sonst ungenutzt verfallende
Verlustvorträge verrechnen kann. Selbst wenn ein Asset Deal infolge einer dieser spe-
ziellen Konstellationen in Frage kommt, bleibt die Frage nach der Attraktivität dieser
Lösung bestehen, wenn die veräußernde Gesellschaft vom Aktionär im Privatvermögen
gehalten wird, und er den auf Stufe der Gesellschaft im Rahmen des Verkaufs erzielten
Erlös mittels steuerbarer Dividende entnehmen muss (vgl. Kap. 3.2.2).
Kapitalgewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen sind gemäß Art. 16 Abs. 3 des
Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) sowie entsprechender kantonal-
rechtlicher Bestimmungen steuerfrei. In der Praxis ist die Anwendung dieses Grundsat-
zes eingeschränkt, wobei im Bereich von M & A-Transaktionen insbesondere die Praxis
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zur indirekten Teilliquidation, etwas weniger virulent auch jene zum gewerbsmäßigen
Wertschriftenhändler, von Bedeutung ist.
Die Praxis zur indirekten Teilliquidation hat ihre Ursprünge in den 1980er Jahren,
als sich Vertreter der Lehre sowie das Bundesgericht verschiedentlich und intensiv mit
der Thematik auseinandersetzten. 1988 erging das erste höchstrichterliche Urteil, in
welchem drei Wesensmerkmale der indirekten Teilliquidation bestätigt wurden: Sofern
(i) die übertragene Gesellschaft entreichert wurde, der Verkäufer (ii) bei der Entreiche-
rung mitwirkte, und (iii) ein steuerlicher Systemwechsel vom Nennwert- zum Buch-
wertprinzip erfolgte, konnte fortan der Kapitalgewinn aus der Veräußerung von Betei-
ligungen mit dem Segen des Bundesgerichts ganz oder teilweise in steuerbaren Ertrag
umqualifiziert werden. In der Folge wurden die drei Kriterien von den veranlagenden
und richterlichen Behörden immer extensiver ausgelegt, bis 2004 ein Bundesgerichtsent-
scheid erging, gemäß welchem auch eine virtuelle Entreicherung als schädlich erachtet
wurde. Der Entscheid warf derart hohe Wellen, dass der Gesetzgeber einschritt und
die indirekte Teilliquidation resp. deren Voraussetzungen gesetzlich verankerte. Seit
Inkrafttreten der entsprechenden Bestimmungen9 und Publikation des Kreisschreibens
der ESTV10 haben sich diese Wogen geglättet.
Für einen Privataktionär stellt ein Asset Deal (auf Stufe der im Privatvermögen gehal-
tenen Beteiligung) mit anschließender Ausschüttung des Verkaufserlöses steuerlich die
im Vergleich zum Share Deal klar nachteilige Alternative dar. Die stillen Reserven wer-
den auf Stufe der Gesellschaft realisiert und (vorbehältlich der in Kap. 3.1.2 erwähnten
Spezialfälle) grundsätzlich besteuert. Der Dividendenertrag unterliegt auf Stufe des
Aktionärs der Einkommensbesteuerung. Diese Steuerfolgen wurden im Rahmen der Un-
ternehmenssteuerreform II durch die Einführung der Teilbesteuerung von Dividenden
gemildert. Die Anwendung der Teilbesteuerung (resp. des Teilsatzverfahrens) ist jedoch
an eine Mindestbeteiligungsquote von 10 % geknüpft.
Trotz Teilbesteuerung von Dividenden (Teileinkünfte- und Teilsatzverfahren) dürf-
te aufgrund der Einkommenssteuerfolgen auf Dividendenerträgen ein Verkäufer aus
steuerlicher Sicht auch weiterhin eine klare Präferenz haben, sein im Privatvermögen
gehaltenes Unternehmen mittels eines Share Deals zu veräußern.
4 Transaktionssteuern
Von den transaktionsbezogenen Steuern spielen – neben den hier nicht abgehandelten
Grundsteuern – insbesondere die Emissions- und die Umsatzabgabe eine Rolle.
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4.1 Emissionsabgabe
Die (u. a.) auf der Begründung von Beteiligungsrechten und weiteren Einlagen ins Ei-
genkapital geschuldete Emissionsabgabe wurde per 01.01.1996 von 3 % auf 2 %, und per
01.01.1998 von 2 % auf 1 % reduziert. Weitere Erleichterungen brachte die Einführung
eines Freibetrags von 250‘000 CHF, welcher ebenfalls 1996 eingeführt wurde, sowie die
Erhöhung dieses Freibetrags auf 1 Mio. CHF per 01.01.2006.11
Das Bundesgesetz über Stempelabgaben (StG) sieht einen Katalog von Ausnahme-
und Befreiungstatbeständen vor. Insbesondere ist bei Kapitalerhöhungen, welche im
Rahmen von qualifizierenden Umstrukturierungstatbeständen vorgenommen werden,
die Emissionsabgabe nicht geschuldet. Bei größeren Transaktionen, bei denen die erfor-
derliche Eigenkapitalisierung den Freibetrag von 1 Mio. CHF (deutlich) überschreitet,
lohnt sich daher die Prüfung, ob durch geeignete Strukturierung die Voraussetzungen
für einen Ausnahmetatbestand allenfalls erfüllt werden können.
Um steuerlich wettbewerbsfähig zu bleiben, steht gegenwärtig in der Schweiz die
Abschaffung der Emissionsabgabe im Rahmen der Unternehmenssteuerreform III zur
Debatte.
Für die Emissionsabgabe ist weniger die Frage Share Deal oder Asset Deal entschei-
dend, sondern der Eigenfinanzierungsgrad der Akquisition sowie die Akquisitionsstruk-
turierung (Ausnahmetatbestand bei qualifizierendem Reorganisationstatbestand, z. B.
Strukturierung des Erwerbs über eine Einlage von Beteiligungen).
4.2 Umsatzabgabe
Die entgeltliche Übertragung steuerbarer Urkunden (u. a. Aktien) unterliegt der Um-
satzabgabe, sofern ein Effektenhändler in die Transaktion involviert ist. Als solche
qualifizieren – neben Banken – u. a. auch inländische Gesellschaften, deren Aktiven
nach Maßgabe der letzten Bilanz zu mehr als 10 Mio. CHF aus steuerbaren Urkunden
bestehen. Ist diese Voraussetzung bei einem Share Deal beim Käufer, Verkäufer oder
bei beiden erfüllt, dann fällt grundsätzlich die Umsatzabgabe von 0.15 resp. 0.3 % an.
Zu beachten ist, dass eine neu gegründete Akquisitionsgesellschaft die Umsatzab-
gabe nicht schuldet, auch wenn die Aktien, die sie erwirbt, einen Wert von mehr als
10 Mio. CHF haben. Die Umsatzabgabepflicht beginnt erst sechs Monate nach Ablauf
des Geschäftsjahres, in dem die dort genannten Voraussetzungen eingetreten sind, d. h.
sechs Monate nach dem Bilanzstichtag des ersten abgeschlossenen Geschäftsjahres der
Akquisitionsgesellschaft.
Gruppeninterne Umstrukturierungen werden, sofern gewisse Voraussetzungen er-
füllt sind, von der Umsatzabgabe ausgenommen.
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Stichwortverzeichnis
ABC-Konzept 599, 612, 619 Aktionär 18, 43, 116 ff., 240 ff., 360, 458
Abfindung 100, 649 – Aktivismus 542
– Angebot 651 – Bindungsvertrag 761
– Angemessenheit 650 – Mehrheits- 720
– Zahlung 100 – Pflichten 541, 552
Abgangsentschädigung 729 – Publikums- 720
Abhängigkeitsbericht 648 – Recht und Rechte 524, 548
Abschreibung – Rechtsmissbrauchsverbot 552
– steuerwirksam 803 – Sorgfaltspflicht 549
– Potenzial 814 f. – Verantwortung 550
Absorptionsfusion 623 Allianzen
Abspaltungstransaktion 584 – strategische 11 ff., 21, 209, 275
Abwehrmaßnahmen 220 ff., 534, 680, 713, 735 Allokationsentscheidung 158, 160
– Asset Lockups 222 Amortisation 792
– gesetzwidrige 735 f. Andienung 668 f., 681
– Pac Man-Abwehr 221 Anerkennungszahlungen 714
– Shark Repellents 221 Anfechtungsklage 641 f., 658
– Vinkulierung 730 Angebot
Acting in Concert 684, 692 – öffentlich 719
Active Listening 600, 603, 611, 613 f., 616 – Pflicht 723, 726, 735
Ad-hoc – Überprüfung 712
– Due-Diligence-Materialien 376 – Unterlage 678, 679
– Information 714 Angemessenheitsvermutung 686 f.
– Mitteilung 242, 644 Anlagevermögen 330, 585, 806, 808
– Publizität 532, 534, 644, 684 Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz
– Reporting 335 (AnsFug) 692 ff.
– Verfahren 364 Anschaffungskosten 803
– Veröffentlichung 638 – Abzugsfähigkeit 789 ff., 803 ff.
Akquisition 2 f., 15 f., 86, 105 ff., 187, 210 ff., Anschleichen 643, 685, 692 f., 695, 703, 709
279 ff., 415, 419, 576 f., 658 ff., 780 Anspruchsgruppen 68, 243
– Controlling 311 Anteilsvereinigung 800, 809
– Definitionsphase 277 f., 288, 293 Äquivalenzverhältnis 569 f.
– Finanzierung 656, 812 f. Asset Deal 12, 15, 151, 230, 523, 559, 562, 564 f.,
– Kandidat 162 568, 570, 580 ff., 588, 781, 789, 792, 797, 801,
– Kredit 655 804, 806 f., 810, 812, 814 ff.
– opportunistisch 304 – Closing 583
– Phasen 213 – Emissionsabgabe 818
– Planung 211, 387 – Privataktionär 817
– Prozess 63, 210, 223, 226, 277, 388, 455 – Signing 583
– Strategie 277, 279, 282, 286 Asset-Klassen 158, 161
– transformatorisch 304 – Aktien 161
– Typen 277 – Festverzinsliche Papiere 161
– Vehikel 656 ff., 802 – Immobilien 161
Akquisitionswährung 56, 69, 366, 643 – Rendite 158
– Aktien 44, 53, 56, 78, 279, 366, 528, 641 – Risiko 158
– Barmittel 56, 78, 279, 366, 528 Asset Lockups 222
– Hybridkapital 78, 343 Assets under Management 586
Aktienrecht 639, 652 Attrition 586
– Deutschland 639, 646, 718 Aufsichtsrat 157, 164, 222, 292 f., 320, 477, 547,
– Revision 525 ff., 530, 718 638 ff., 644, 646 ff., 652, 664, 667 f., 677, 679 f.,
– Schweiz 547, 552, 627 712 ff.
Aktientausch 32, 623 Aufstockungsangebot 676
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820 | Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis | 821
822 | Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis | 823
824 | Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis | 825
Nettoprinzip 785, 798 Post Merger Management 17, 33, 189, 458
Neutralitätspflicht 645, 677, 680, 682, 713 – Geschwindigkeit 463
– Leitungsorgane 536 – Schlüsselmomente 459
– Regelung 682 – Best of Both-Prinzip 456, 500
– Vorstand 644 Preisvorschriften
Non-Disclosure-Vereinbarung 369 – Best Price Rule 728, 731, 733
Notverkauf 668 – Mindestpreisregel 727
NWC siehe Net Working Capital Principal-Agent 14, 283, 286, 292, 540 f., 551
Private Auktion 364
OECD 787 Private Equity 4, 35, 59 f., 139, 141, 178, 539, 542,
– Action Plan 800 547, 578, 585, 663, 814
– Principles of Corporate Governance 551 – Buy & Build-Strategie 37
– Vorgaben 810 – Captive 140 f.
Offenlegung – Erlass 667
– Konzept 590 – Fonds 13, 59, 593
– Regel 219, 589 – Fully Captive 140
– Stelle 725 – Investor 667
Öffentliche Konsultation 758 – Non-Captive 140 f.
Öffentliches Übernahmeangebot 11 Private Investment in Public Equity 663
One Bank-Ansatz 50, 145 Privatisierungswelle 123, 125 f.
One Stop Shop 746 Progressionsmilderung 796 f.
One Voice Policy 242 Proxy Advisor 522, 539, 541
Opting-in 682 Prozessmanagement 14, 157, 424, 438
Opting-out 536, 682, 726, 734, 737
Opting-up 536, 726 Rahmenbedingungen 7
Optionsanleihen 676 – nationalistische Schutzmaßnahmen 545
Optionsmodell 682 – Öffentliches Recht 537
Ordnungsrahmen 288 ff. – regulatorisch 544
Organhaftung 639 Raider-Theorie 13
Organschaftsmodell 792 Realoptionsansatz 218
Owner Buy-out 161 Rechtskauf 559, 561
Rechtsprechungsregeln 654
Pac Man-Abwehr 221 Rechtsschutzmöglichkeiten 650
Parallelnorm 775 Rechtsverordnung 678
Parenting Advantage 2, 211 Regelungsmethodik 580
Partial IT-Integration 513 – abstrahierend 556
Partielle Universalsukzession 581 – generalisierend 556
Percentage of Completion-Methode 184 Regulierung 3, 175, 730
Performance 459, 471 Renditemessung 158 f.
Pflichtangebot 534, 536, 650, 676 f., 713, 727 Ressortkompetenzen 646
Pflichtentbindung 644 Restrukturierung 12, 417, 579
Pflichtverletzung 549, 714 Reverse Break Fee 593
PIPE siehe Private Investment in Public Equity Risiko 141, 159, 556, 818
– Transaktion 664 ff. Risikodiversifikation 159
Planung 309, 436 f. Robinson Patman Act 25
Poison-Pills 221 Rücktrittsrecht 566 f.
Portfolio Rückwährungsanspruch 647
– Bargaining 616 f. Rückzahlungsanspruch 654 f.
– Controlling 361
– Portfolio-Theorie 158 Safe Haven 782 ff.
– Portfolio-Transfer 583 Share-Deal 812
– Überlegungen 165 Sanierungsklausel 794
Post-Akquisitionsphase 210 Sanktionsmöglichkeiten 722, 749
Post Closing 253 Schadensersatz 567, 588, 641
– Integrationsmöglichkeiten 646 Schiedsklausel 579
Post Merger Disputes 492 f., 591 Schuldzinsen 813 f.
Post Merger Integration 163, 189, 223, 476 ff., 500, Scorecard 442
503, 508, 539, 567, 714 Screening 319, 425, 427
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Stichwortverzeichnis | 827
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