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Susan Sontag - Schillernd Und Umstritten - Intellectures
Susan Sontag - Schillernd Und Umstritten - Intellectures
Susan Sontag gilt bis heute als intellektuelle Ikone ihrer Zeit. In diesen
Tagen wäre sie 90 Jahre alt geworden. Seit ihrem Tod haben zahlreiche
Bücher von und über Sontag den Blick auf Leben und Werk der Essayistin
geweitet.
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Weniger ihr literarisches Werk (trotz National Book Award für ihren
historischen Roman »In Amerika«) als vielmehr ihre mit Aphorismen
gesättigten Essays sind Grundlage ihres Rufs einflussreiche Intellektuelle. Allen
voran ihre Nobilitierung der vermeintlich unintellektuellen Popkultur
in »Anmerkungen zu ‚Camp‘«, ihre nüchternen Gedanken über »Krankheit als
Metapher« oder die gesammelten Kulturkritiken in »Gegen Interpretation«.
Wie keine andere hat Sontag den Blick auf die Welt geschärft und dabei
verändert, wie wir das Leiden der anderen betrachten, über Fotografie
sprechen oder auf die Herausforderungen unserer Zeit schauen.
Amerikanischen Leser:innen hat sie in den USA wenig bekannte europäische
Autoren wie Antonin Artaud, Walter Benjamin, Elias Canetti oder W.G. Sebald
nahegebracht. Als sie 2003 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in
der Frankfurter Paulskirche erhielt, wurde ihre große analytische Schärfe
betont, mit der »seit den sechziger Jahren die Ausprägungen der dynamischen
Alltagskultur und ihre Bedeutung für unsere Vorstellung von Modernität und
Freiheit beschrieben« hat.
Der Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Sontags Leben ist zweifellos die
Publikation von Benjamin Mosers monumentaler Biografie »Sontag«. Noch nie
wurde derart viel Material über »Amerikas letzten großen Literaturstar«
zusammengetragen, wie in diesem von Hainer Kober übertragenen Wälzer.
Moser nimmt ganz im Sinne eines Freud-Schülers unbewältigte Traumata in
den Blick und wühlt sich in seinem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten
Psychogram durch jedes Detail in Leben und Werk. Ungeduldig, zum Teil
auch ungnädig arbeitet er sich an der »Königin der Leugnung« und »Sklavin
der Ernstha igkeit« ab, die er immer wieder latent als Opfer kindlicher
Traumata zeichnet. Die Lebensleistung von Sontag schmälert er dabei nicht,
ihre unbändige Energie – aller Widerstände und Traumata zum Trotz –
kommt dabei aber zu kurz.
Sigrid Nunez: Sempre Susan. Erinnerungen an Susan Sontag. Aus dem
Englischen von Anette Grube. Aufbau Verlag 2020. 141. Seiten. 18,- Euro.
Hier bestellen.
Nobelpreisträger Salman Rushdie sprach einmal von zwei Susans, einer guten
und einer bösen. »Die gute Susan war brillant, witzig, loyal und einfach
großartig, die böse Susan hingegen konnte ein gnadenloses Biest sein.« Davon
erzählt auch Sigrid Nunez in ihrem parallel zur Moser-Biogra e erschienenem
Memoir »Sempre Susan«. Als ehemalige Assistentin und Ex-Partnerin von
Sohn David lebte sie in New York zeitweise mit Sontag in einer Wohnung. Sie
zeichnet in ihrem Buch das Bild einer herrischen Diva, die zu emotionaler
Kälte neigte. Von derlei Attitüden wusste auch die Fotogra n Annie Leibovitz,
Sontags langjährige On- und O -Partnerin, zu berichten. »Im Rückblick«,
schreibt Nunez betro en, »wünschte ich nur, dass ich mehr Freude emp nden
könnte – oder mich zumindest auf eine Weise erinnern, die nicht so
schmerzha ist.«
Wie sehr Sontag aber auch zu berühren wusste, wird in Leibovitz Bildband
»Pilgrimage« deutlich, der nach Sontags Tod entstand. Er ist eine Art Ersatz für
ein gemeinsam geplantes Schönheiten-Buch, das nie entstand. Ganz im Sinne
von Sontag bezeugen die Bilder in diesem Band die Existenz des Menschen
und seine gegenständliche und geistig-spirituelle Hinterlassenscha .
Susan Sontag: Wie wir jetzt leben. Aus dem Englischen von Kathrin
Razum. Hanser Verlag 2020. 128 Seiten. 20,- Euro. Hier bestellen.
Mit jedem weiteren Jahr, das seit Sontags Tod vergeht, lichtet sich der
biogra sche Nebel. Mehr und mehr tritt ihr Werk in den Vordergrund. Dazu
hat auch der elegant von Kathrin Razum übersetzte Band »Wie wir jetzt leben«
mit fünf schillernden Erzählungen – unter anderem einer über die frühe
Begegnung mit Thomas Mann – beigetragen, weil die Geschichten einen Blick
auf die andere Seite freimachen. Sie bilden in ihrer spielerischen Pose »das
Bindeglied« zwischen den Selbstzweifeln der Tagebücher und der Autorität
ihrer analytischen Essays, schreibt die Literaturwissenschaftlerin Verena
Lueken in ihrem Nachwort zu den Stories.
Anna-Lisa Dieter: Susan Sontag. 100 Seiten. Reclam Verlag 2022. 102 Seiten. 10
Euro. Hier bestellen.
beschreibt unter Rückgri auf die von Sontag geliebten Listen, wie sich die
Essayistin selbst erfand. Sie blickt auf ein ussreiche Wegbegleiter:innen,
ordnet bedeutende Texte ein, bietet Rückschlüsse auf Bezüge zwischen Leben
und Werk und zeigt, wie Sontag intellektuell zwischen Akademie und
Kunstszene sur e. Eine eigens zusammengestellte Playlist zum Buch gibt dem
Ganzen noch einen zusätzlichen Charme.
Dieters Essay-Essay ist auch deshalb so lesenswert, weil sie aktuelle Fragen und
Debatten an Sontags Texten re ektiert und so aufzeigt, wie es Sontag gelang,
politisch engagierte Texte zu schreiben, die auch von ihr handelten, ohne
identitätspolitisch zu werden. Oder wie sie durch das genaue Betrachten des
Leidens anderer zur Antikriegsaktivistin wurde, ohne in blinden Pazi smus zu
verfallen.
Anna-Lisa Dieter, Silvie Tiedtke (Hrsg): Radikales Denken. Zur Aktualität Susan
Sontags. Diaphanes Verlag 2017. 288 Seiten. 29,95 Euro. Hier bestellen.
»Ich möchte lieber einen Schritt zu weit in Richtung Gewalt und Exzess gehen,
als den Moment nicht voll auszuschöpfen«, hielt die junge Susan Sontag im
Tagebuch fest. Diese Unmittelbarkeit nimmt der Sammelband »Radikales
Denken« in den Blick. Dessen Texte widmen sich, ausgehend von einem
gleichnamigen Symposium zum zehnten Todestag, der Aktualität von Susan
Sontag. »Sontags Aktualität geht gegen Interpretation. Die Wucht ihrer Texte
berührt, egal, wie viel zusätzliche Komplexität sich in der Zwischenzeit auch
angehäuft haben mag«, schreiben die beiden Herausgeberinnen Anna-Lisa
Dieter und Silvia Tiedtke.
Die Autor:innen fragen in ihren Texten, wie bei Sontag Stil und Form
aufeinander bezogen sind, wer ihr Denken und Schreiben beeinflusst hat, wie
sie als öffentliche Intellektuelle auftrat und wie sie bis heute wirkt.
Kulturkritikerin Ina Hartwig etwa schreibt über »Bilder von Geburt und Tod«
in Anlehnung an Sontags Texte, die Philosoph:innen Carolin Emcke und
Juliane Rebentisch diskutieren mit Daniel Schreiber über »Ethik und Ästhetik
des Sehens«, Verleger Michael Krüger über Sontags Verhältnis zu Deutschland
und Popkritiker Jens-Christian Rabe mit Bezug auf Umberto Eco, Roland
Barthes und Susan Sontag darüber, was originelle Kulturkritik ausmacht.
Dieser Band zeigt facettenreich, wie sich Sontags Denken zwischen den
Fundamenten der klassischen Bildung und den Superlativen der
Bewunderung bewegt und dabei einen Ehrgeiz des Schreibens hervorbringt,
der ihre Texte zeitlos gültig und unverrückbar macht.