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H. M. ENZENSBERGERS "REQUIEM FÜR EINE ROMANTISCHE FRAU"

Dichtung ist eine Sache, das Leben eine andere


Die bewegte Beziehung zwischen der 16-jährigen Auguste Bußmann und dem Dichter Clemens Brentano: Ihre Ehe,
die Skandale und die Trennung bis hin zu Augustes Tod wurde von Enzensberger durch Briefe rekonstruiert. Von
ungebrochener Aktualität.

8. April 2017, 21:58 Teilen

Sie war jung, sie war schön und sie war ungestüm. Und sie spielte eine nicht unerhebliche Rolle im Leben des
Dichters Clemens Brentano, einem der Hauptvertreter der Deutschen Romantik. Die Rede ist von Auguste
Bußmann, Nichte und Ziehkind des Bankiers Simon Moritz von Bethmann, einem der damals reichsten
Männer Europas.

Wir schreiben das Jahr 1807. Auguste ist 16 Jahre alt und verliebt sich unsterblich in den um 12 Jahre älteren
Clemens. Der Dichter erliegt dem stürmischen Werben der jungen Schönheit aus gutem Haus und stolpert in
die extremste Liebesgeschichte seines Lebens. Das Mädchen habe sich ihm "mit erschrecklicher Gewalt" an
den Hals geworfen, wie Brentano später schreibt. Nach einer dramatischen Flucht, von der jungen Auguste in
überspannter Manier inszeniert, heiraten die beiden im Dom zu Fritzlar.

Eine einzige Provokation


Was dann folgt ist ein Ehekrieg, der beinahe von der ersten Stunde an ebenso exaltiert verläuft wie alles vor
dieser überstürzten Eheschließung. Der schon zu Lebzeiten prominente romantische Dichter, berühmt unter
anderem für den exzentrischen Gefühlsüberschwang, den er in seiner Dichtung zelebriert, erträgt das
überschwängliche Gebaren seines jungen Eheweibes nicht. Das Verhalten seiner Auguste, ja ihr ganzes Sein
ist für Clemens Brentano eine einzige Provokation!

Von der unzüchtigen Kleidung bis zum unhäuslichen und unweiblichen Verhalten reichen die Vorwürfe. Der
große romantische Dichter, der wortreich die Liebe außerhalb bürgerlicher Konventionen besingt, entpuppt
sich in diesem Konflikt als engherziger Spießer. Als einer, der ein angepasstes Weibchen am Herd zur Frau
wünscht, und der sich philisterhaft über jedes verrutschte Brusttuch aufregt. Nach einem Beziehungskampf
bis aufs letzte Messer, der auch die familiären Umgebungen beider Streithähne arg in Mitleidenschaft zieht,
trennen sich die beiden schon bald wieder.

Unangepasst, romantisch, emotional


Die Ehe wird aber erst 1814 auch formell geschieden, nach langen und schwierigen Interventionen beider
Familien. Eine Scheidung war zu dieser Zeit überhaupt nur möglich aufgrund des großen politischen
Einflusses von Augustes Ziehvater Moritz Bethmann. Aber Auguste erholt sich auch nach der Trennung von
Clemens Brentano nicht. Zu unangepasst ist ihr Wesen, zu viel an emotionalem Engagement fordert sie von
ihrer Umgebung. Sie heiratet noch einmal, bringt vier Kinder zur Welt, die sie alle vier abgöttisch liebt, und
ertränkt sich 1932 nach einem Streit mit ihrem Ehemann im Main. Auguste Bußmann wurde nur 39 Jahre alt.

Der deutsche Autor Hans Magnus Enzensberger hat diese Geschichte aufgrund der vielen Briefe der
Dichterrunde um Brentano und dessen Schwester, der romantischen Dichterin Bettina vom Arnim,
rekonstruiert. Enzensberger, der mit einer Arbeit über Brentanos Poetik promoviert hatte, wollte der wahren
Romantikerin Auguste Bußmann, dieser furchtlosen und in allen ihren Lebensäußerungen sehr extremen
Frau, ein möglichst authentisches Denkmal setzen.
Enzensbergers dokumentarische Briefcollage erschien 1988 in der Friedenauer Presse. Das Hörspiel folgt
diesem Buch, und lässt uns an einem Drama teilhaben, das sich auch unter geänderten historischen
Bedingungen heute noch genauso abspielen könnte. Denn es ist eine überaus konfliktreiche Geschichte von
männlichen Normierungswünschen, von weiblichem Aufbegehren, sowie von fatalen kulturellen
Missverständnissen zwischen den Geschlechtern!

Service
Hans Magnus Enzensberger, "Requiem für eine romantische Frau. Die Geschichte von Auguste Bußmann und
Clemens Brentano", Suhrkamp Verlag

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