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DIE EPIK

DES REALISMUS I.
 Dr. Szabó Erzsébet
DOMINANZ DES EPISCHEN
◦Romane, Erzählungen und Novellen
dominieren die Literatur des Realismus.
Gliederung der Vorlesung
I. Populäre Literatur
◦ Historische Romane
◦ Liebesromane
◦ Reise- und Abenteuerromane
II. Belletristik
◦ Romane
◦ Gesellschaftsromane, Zeitromane - Fontane
◦ Bildungsromane – Keller, Stifter
◦ Historische Romane
◦ Erzählungen
I. Populäre Literatur
Populäre Literatur erscheint.
Populäre Literatur:
+ standartisierte, schematisierte, formelhafte Literatur, mit dem Ziel, das Interesse des Massenpublikums zur
Unterhaltung zu befriedigen.
+ harmonisierende Handlungsverläufe, Happy End
+ Schematisierte Handlung + schematisierte Figuren
+ Stets aktualisierte Kontexte, Öffnung zu aktuellen Themen.
Dreiteilung: Trivialliteratur - populäre Literatur - hohe Literatur
Bisher: Trivialliteratur vs. hohe Literatur
Gründe:
a) Breites Publikum: Alphabetisierung.
b) Niedrige Herstellungskosten: technische Innovationen -> Bücher, Zeitschriften erschwinglich
für breite Bevölkerungsschichten.
Das Buch wird zur Massenware, Billigprodukte erscheinen (z.B. Reclam)
Die Reihe heute:
Populäre Romangattungen
◦ a) Romantisch-historisierende Romane. Eine fiktive Handlung wird als Teil eines
historischen Geschehens erzählt. Sie dienen der politischen Gesinnungsbildung.
◦ Willibald Alexis (Die Hosen des Herrn von Bredow, Ruhe ist die erste Bürgerpflicht).
◦ b) Liebesromane. Eine Liebesgeschichte.
◦ Eugenie Marlitt: Die bekannteste Erfolgsautorin der Zeit., Gartenlaube. Frauen-Unterhaltungsromane;
die erste Bestsellerautorin der Welt. Ziel: mit ihren Frauengestalten ein Vorbild für ihre Leserinnen
geben. Sie sind die Verkörperung eines Frauenideals. Im Mittelpunkt der Romane steht weniger die
Liebesgeschichte, als das ganze Leben der Heldinnen, ihre Ansichten, Handlungsweisen, Erlebnisse und
Abenteuer. (Goldelse, Die Heideprinzessin, Im Hause des Kommerzienrats usw.)
◦ c) Reise- und Abenteuerromane. Der Held wird in eine bunte Kette von Irrfahrten und
Ereignissen verwickelt. Zeigt möglichst objektiv die Begebenheiten, Ortschaften auf einer
Reise. Typisch für beide: Der Ausbruch des Helden aus einer fest gefügten Ordnung in eine
unbekannte Welt; lockere Folge relativ selbständiger Geschichten (Kettenstruktur)
◦ Karl May: Einer der meistgelesenen Autoren deutscher Sprache. Seine Erzählungen sind im Vorderen
Orient, im Nordamerika und in Mexiko angesiedelt. (Winnetou I-III (1893), Old Surehand I-III (1894-
95), Der Schatz der Silbersee (1891).
II. Belletristik
◦ a) Der Gesellschaftsroman (Zeitroman)
◦ Ziel: die Totalität der bürgerlichen Gesellschaft, die Erscheinungen der zeitgenössischen
Wirklichkeit, das gesellschaftliche Leben darstellen
◦ Umfangreiches Figurenspektrum, eine Vielzahl von Schauplätzen, wichtige politische,
kulturelle Ereignisse
◦ Konflikt: zwischen den Normen der Gesellschaft und den individuellen Bedürfnissen der Figuren
◦ Handlungsschema: Normbruch - die Normbrecher werden von der Gesellschaft bestraft
◦ Vertreter:
◦ Theodor Fontane: L’Adultera (1882), Graf Petöfy (1884), Cécile (1887), Irrungen,
Wirrungen (1888), Stine (1890), Unwiederbringlich (1892), Frau Jenny Treibel (1893), Effi
Briest (1894), Der Stechlin (1899) usw.
Theodor Fontane
(1819-1898). Neuruppin - Berlin

◦ Er gilt als der bedeutendste Vertreter der Literatur


des Realismus.
◦ Er stammt aus einer französischen
Hugenottenfamilie (aus Frankreich stammende
Protestanten).
◦ Hat zunächst als Apotheker, dann als freier
Mitarbeiter im Presse-Büro des
Innenministeriums, als Journalist und als
Theaterkritiker bei regierungsnahen Zeitungen
gearbeitet.
◦ Sein Romandebüt erscheint 1878.
(„Alterskunst”)
◦ „Der moderne Roman soll ein Zeitbild sein, ein
Bild seiner Zeit.” Carl Breitbach: Theodor Fontane, 1883
◦ „Aufgabe des modernen Romans scheint mir die zu sein, ein Leben,
eine Gesellschaft, einen Kreis von Menschen zu schildern, der ein
unverzerrtes Widerspiel des Lebens ist, das wir führen. Das wird der
beste Roman sein, dessen Gestalten sich in die Gestalten des
wirklichen Lebens einreihen, so daß wir in Erinnerung an eine
bestimmte Lebensepoche nicht mehr genau wissen, ob es gelebte
oder gelesene Figuren waren, (…). Also noch einmal: darauf kommt
es an, daß wir in Stunden, die wir einem Buche widmen, das Gefühl
haben, unser wirkliches Leben fortzusetzen, und daß zwischen den
erlebten und erdichteten Leben kein Unterschied ist als der jener
Intensität, Klarheit, Übersichtlichkeit und in Abrundung und in Folge
dann jener Gefühlsintensität, die die verklärende Aufgabe der Kunst
ist.” (Th. Fontane: Rezension zu Paul Lindau. In: Fontane, Theodor: Sämtliche Werke. A.a.O., S.568f. zitiert nach:
Goldammer 1999, S. 23)
Effi Briest (1894)
1. Stoff aus der zeitgenössischen Wirklichkeit
◦ Die Ardenne-Affäre: eine Ehebruchsgeschichte in der guten Gesellschaft, 1886
◦ „In hiesigen Offizierskreisen wird augenblicklich in lebhafter Weise von einem Duell
gesprochen, das am letzten Sonnabend in der Umgebung Berlins stattgefunden hat. (…)
Amtsrichter H. erhielt einen Schuß in den Unterleib und wurd (…) noch an demselben Tage
nach dem königlichen Klinikum in der Ziegelstraße gebracht. (…) [Er] ist trotz sorgfältigster
Behandlung am Mittwoch, dem vierten Tage nach dem Duell, an den Folgen der erhaltenen
Schußverletzung gestorben. H. war etwa 40 Jahre alt und verheirathet, sein Gegner ist
ebenfalls verheirathet. – Ueber die Ursache zu diesem Duell wird uns von glaubwürdiger
Seite noch Folgendes mitgetheilt: Der betreffende Offizier hatte vor einiger Zeit in seiner
Wohnung nach wichtigen Papieren gesucht, dieselben jedoch nicht gefunden; statt deren fiel
ihm eine Reihe von Korrespondenzen in seine Hände, von deren Vorhandensein er bis dahin
keine Kenntniß hatte und die ihm Anlaß gaben, dem Urheber derselben, dem Amtsrichter H.
in Düsseldorf, eine Herausforderung zuzuschicken.”
(Berliner Tageblatt am 3. Dezember 1886)
Elisabeth Baronin von Ardenne

Gegner = Baron Arman Leon von Ardenne Amtsrichter H. =Emil Hartwich


2. Verklärung des Realen =Transformation des Realen in
ein äshetisch-poetisches Konstrukt
◦ Schauplatz: Deutschland der Kaiserzeit (Hohen-Cremmen – Kessin – Berlin)
◦ Handlungszeit: Sommer 1877-September 1889 (Das Duell findet 1886 statt)
◦ Handlung: Effi Briest (17 Jahre) heiratet den früheren Verehrer ihrer Mutter, den
Baron Geert von Innstetten (38 Jahre). Das Ehepaar zieht nach Kessin in
Hinterpommern, wo Innstetten Landrat ist. Nach der Geburt ihrer Tochter fängt Effi
heimlich eine Affäre mit dem neuen Landwehrbezirkskommandanten, Major von
Crampas an. Als Innstetten nach Berlin befördert wird, endet die Affäre. Nach 7
glücklichen Ehejahren kommt das Verhältnis ans Licht. Innstetten findet durch
Zufall die Briefe Crampas an seine Ehefrau, er duelliert mit Crampas und erschießt
ihn. Er lässt sich von Effi scheiden, sie wird auch von ihren Eltern verstoßen. Nach
Jahren wird sie von den Eltern aufgenommen. Kurz darauf stirbt sie (mit 29 Jahren).
◦ Verklärungsverfahren
◦ a) Modifikationen, Änderungen des realen Stoffes
◦ b) Doppel- Mehrfachkodierung: Aufladung des realistischen
Materials mit symbolischer Bedeutung, Etablierung einer
zweiten/dritten/… künstlerischen Bedeutungsebene
– durch Bildungszitate, Allusionen (intextextuell)
– durch innere Korrespondenzen, textinterne
motivische Wiederholungen
– usw.
◦ a) Änderungen. Einige Beispiele:
◦ Innstetten ist um 20 Jahre älter als Effi in Wirklichkeit nur um 5
◦ Effi ist 17 in Wirklichkeit ist sie 19
◦ Innsten war früher in die Mutter verliebt Ardenne nicht
◦ Die Affäre dauert 3 Monate. sie dauert mehrere Jahre.
◦ Innstetten erschoss den Liebhaber um 7 Jahre später Ardenne gleich nachher
◦ Effi stirbt mit 29 Jahren. Elisabeth von Ardenne stirbt mit 98.

◦ Die Änderungen dienen dazu, die wesentlichen Charakteristika der


dargestellten Welt hervorzuheben, wahrnehmbar zu machen. Sie haben
eine reinigende, verstärkende Wirkung.
1. Beispiel: das Duell findet 7 Jahre später statt. Gespräch zwischen Innstetten und seinem
Kollegen Wüllersdorfhttps://www.youtube.com/watch?v=RFu0y-5UcQ0 1:34:42 – 1:41:16

Nach der Entdeckung der Briefe bestellt Innstetten seinen Arbeitskollegen Wüllersdorf zu sich und bittet ihn darum, sein
Sekundant zu sein. Er schildert ihm die Geschehnisse und gibt zu, dass er weder Hassgefühle hat, noch Rachsucht
verspürt. Ausserdem liebt er seine Frau.
◦ Wüllersdorf nickte. „(…). ja, wenn es so liegt, Innstetten, so frage ich, wozu die ganze Geschichte?”
◦ „Weil es trotzdem sein muß. Ich habe mir's hin und her überlegt. Man ist nicht bloß ein einzelner
Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu
nehmen, wir sind durchaus abhängig von ihm. Ging' es, in Einsamkeit zu leben, so könnt ich es
gehen lassen; (…) Aber im Zusammenleben mit den Menschen hat sich ein Etwas ausgebildet, das
nun mal da ist und nach dessen Paragraphen wir uns gewöhnt haben alles zu beurteilen, die andern
und uns selbst. Und dagegen zu verstoßen geht nicht; (…) Also noch einmal, nichts von Haß oder
dergleichen, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den
Händen haben; aber jenes, wenn Sie wollen, uns tyrannisierende Gesellschafts-Etwas, das fragt
nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl.
Ich muß.« (27. Kapitel)

◦ -> Fontane bringt gerade dadurch, dass er den Anlass um Jahre zurückverlegt,
Innstetten sich also persönlich nicht mehr gekränkt fühlt, das gesellschaftlich
Zwanghafte dieses Rituals nur um so deutlicher zum Vorschein.
◦ -> Durch die zeitliche Verschiebung wird das Duell – auch für Innstetten – fragwürdig
und zugleich symptomatisch für den Zustand der ganzen Gesellschaft.

http://www.zeno.org/Literatur/M/Fontane,+Theodor/Romane/Effi+Briest/27.+Kapitel
2. Beispiel: Innstetten als alter Geliebter der Mutter
Die Geschichte fängt damit an, dass Effi von ihren drei Freundinnen besucht wird. Sie befinden sich im Garten des Hauses der
Familie von Briest (-> blättern, Karte)
◦ „sie [die Mutter] erwartet nämlich Besuch, einen alten Freund aus ihren Mädchentagen her, von dem ich euch nachher erzählen muß, eine
Liebesgeschichte mit Held und Heldin und zuletzt mit Entsagung. Ihr werdet Augen machen und euch wundern.”
◦ (…)
◦ „Also Baron Innstetten! Als er noch keine zwanzig war, stand er drüben bei den Rathenowern und verkehrte viel auf den Gütern hier herum,
und am liebsten war er in Schwantikow drüben bei meinem Großvater Belling. Natürlich war es nicht des Großvaters wegen, daß er so oft
drüben war, und wenn die Mama davon erzählt, so kann jeder leicht sehen, um wen es eigentlich war. Und ich glaube, es war auch
gegenseitig.« »Und wie kam es nachher?« »Nun, es kam, wie's kommen mußte, wie's immer kommt. Er war ja noch viel zu jung, und als
mein Papa sich einfand, der schon Ritterschaftsrat war und Hohen-Cremmen hatte, da war kein langes Besinnen mehr, und sie nahm ihn und
wurde Frau von Briest ...”

◦ Grund für die Änderung des Stoffes: „Held und Heldin und zuletzt mit Entsagung”
◦ „Entsagung”= Goethes Lebensphilosophie, er meint mit dem Begriff „den Rückzug aus Beziehungen, die man oft zugleich
leidenschaftlich fortzuführen wünschte”. Goethe untersucht literarisch die Folgen des Nicht-Entsagen-Könnens in seinem Eheroman: die
Wahlverwandtschaften. Das Nicht-Entsagen-Können der Hauptfigur (des Barons) führt zur Katastrophe.
◦ Effis Worte setzen Fontanes Roman in die Tradition des Goetheschen Eheromans. Den Ausgangspunkt bildet das Nicht-Entsagen-
Können von Luise Briest und Baron Geert von Innstetten. Innstetten erfüllt seine alte Liebe für die Mutter durch das Heiraten der
Tochter, die der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten ist: (Innstetten: „instett”, „anstatt”). Moderne Nicht-Entsagen-Können-
Geschichte. Die Geschichte lässt sich im Lichte des Goetheschen Romans lesen.
Sachliche,
präzise,
detailreiche Effi & Freundinnen
Beschreibung des
Schauplatzes
nach dem Vorbild
des Schlosses
Nennhausen. Die
Beschreibung soll
den Effekt des
Realen erwecken.
Schloss Nennhausen (Vorbild für Hohen-Cremmen)
3. Beispiel: Schaukel, schaukeln
◦ „Seitenflügel und Kirchhofsmauer bildeten ein einen kleinen Ziergarten umschließendes Hufeisen, an dessen offener Seite man
eines Teiches mit Wassersteg und angeketteltem Boot und dicht daneben einer Schaukel gewahr wurde, deren horizontal gelegtes
Brett zu Häupten und Füßen an je zwei Stricken hing – die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend.”  (1. Kapitel)
http://www.zeno.org/Literatur/M/Fontane,+Theodor/Romane/Effi+Briest/1.+Kapitel

◦ „Aber kommt, wir wollen uns schaukeln, auf jeder Seite zwei; reißen wird es ja wohl nicht,” (2. Kapitel)
◦ „Am liebsten aber hatte sie wie früher auf dem durch die Luft fliegenden Schaukelbrett gestanden, und in dem Gefühle:
jetzt stürz ich, etwas eigentümlich Prickelndes, einen Schauer süßer Gefahr empfunden.“

◦ -Effis Schaukeln hat mit ihrer Lebensführung das Merkmal „Risikobereitschaft”, risikoreich gemeinsam. Sie mag die Gefahr
◦ -Außerdem weist es auf ihren zweipoligen Charakter hin
◦ Innstetten: vertritt die traditionell-ständische Ethik, die Standesregeln, die Normen und Kontrollmechanismen der Gesellschaft
◦ Crampas: Normbrecher, Dichter
◦ Effi: steht zwischen den beiden Bereichen („sie hat Vergnügungssucht und Ehrgeiz“), ist eine Art Mischfigur („Effi komm”-
Szene)

◦ ->Es wird realistisches Material genommen, es wird aber so kunstvoll zusammengebracht durch das Erzählen, dass es jedes
Element des Textes nicht nur Teil der Realität, sondern auch der künstlerisch-ästhetischen Konstruktion ist
◦ Der Roman ist also doppelbödig. Man kann ihn
durchaus als „realitätsdarstellenden” Roman lesen.
Aber man kann ihn auch als raffiniertes künstlerisches
Konstrukt genießen, wo jedes Realitätselement in
einem künstlerischen Verweiszusammenhang steht,
verklärt ist.
◦ b) Bildungsroman
◦ Thema : erfolgreiche Suche eines jungen Individuums nach
Orientierungsmustern, nach Bestimmung seines gesellschaftlichen Standortes;
◦ Figurenkonstellation: eine Zentralgestalt, ihre Biographie steht im Mittelpunkt.
Die übrigen Figuren sind ihr funktional unterordnet. Teils repräsentieren sie
Lebens- und Erfahrungsbereiche, die für den Reifeprozess der Zentralfigur
relevant sind; teils stellen komplementäre oder gegensätzliche Figuren und
spiegeln so das Wesen der Hauptfigur.
◦ Grundkonflikt des realistischen Bildungsromans: Die Poesie des Herzens,
der Innerlichkeit wird ständig von der Gefahr der Prosa der Welt bedroht.
◦ Die Idee der Selbstperfektion, Selbstoptimierung ist nicht mehr möglich.
Unmöglichkeit der Größe
◦ Vertreter: Gottfried Keller (typischer Vertreter), Adalbert Stifter (obsolete
Bildungsidee)
Gottfried Keller:
(1819-1890)

◦ Als Sohn eines Drechslermeisters in Zürich geboren. Er


besucht dort die Stadtschule, von der er wegen eines
Streiches verwiesen wird.
◦ Er will Maler werden, geht nach München (an die
Kunstakademie), wo er in bittere Not gerät.
◦ Erst 1848 kommt er mit einem Staatsstipendium nach
Heidelberg, wo die materialistische Philosophie Ludwig
Feuerbachs eine große Wirkung auf ihn ausübt. „Wende
zur Diesseitigkeit”
◦ Er lebt vorübergehend als freier Schriftsteller in Berlin,
wird 1861 erster Staatsschreiber des Kantons Zürichs.
◦ „in der gemeinen Wirklichkeit eine schönere Welt
wiederherstellen durch die Schrift”; „die wahre ideale
Reallandschaft” darstellen
Der Grüne Heinrich 1854/55

◦ Stoff aus der Wirklichkeit: Kellers Leben: Kindheit, Jugend, seine Verwandte, seine Mutter, seine
abgebrochene Ausbildung zum Maler; + Ergänzungen der Phantasie
◦ Heinrich Lees (genannt der gründe Heinrich) Bildungsgeschichte: Formale und inhaltliche
Erneuerung des klassischen Bildungsromans:
◦ Formal: Aufhebung der klassischen, geradlinigen Bildungsgeschichte: Im Gegensatz zu Goethes Wilhelm Meister,
in dem die Bildungsgeschichte des Helden chronologisch und weitgehend geradlinig erzählt wird, wird bei Keller
die Chronologie aufgelöst, ferner wird eine Ich-Erzählung in den auktorialen Erzählrahmen eingebettet.
◦ Inhaltlich: der Bildungsprozess besteht darin, dass Heinrich sein Festhalten an der eingebildeten Berufung zum
Künstler (Maler) als Selbsttäuschung erkennt.
◦ Eine Art Desillusionierungsgeschichte, ein Antibildungsroman, die Geschichte des Scheiterns im
zweierlei Sinne:
◦ Scheitern als Künstler
◦ moralisches Scheitern, Scheitern als Mensch.
◦ Symbol des Namens: wird wegen seines grünen Anzugs, den die Mutter aus den Gewändern des
verstorbenen Vaters dem Sohne schneidern lässt, grüner Heinrich genannt. Heinrich kann die im Vater
verkörperten Hoffnungen auf die Zukunft nicht einlösen.
◦ Handlung:
◦ Der auktoriale Erzähler : Der bereits 20-jährige Heinrich Lee verlässt seine Schweizer Heimatstadt und fährt in
eine näher nicht bezeichnete Residenzstadt im Süden Deutschlands, um dort seine Ausbildung zum Maler zu
vervollkommnen („Aufbruch zum Künstler“). Auf seiner Reise lernt er eine gräfliche Familie (Graf, Frau und
Tochter) kennen. Nach der Ankunft findet er im Reisekoffer seine Jugendgeschichte, die er vor seiner Abreise
niedergeschrieben hat. An dieser Stelle bricht die auktoriale Erzählung ab.
◦ Ich-Erzählung Heinrich Lee verliert früh seinen Vater und muss wegen eines Jugendstreiches vorzeitig die
Realschule verlassen. Er will nun Landschaftsmaler werden und innere Klarheit finden und schwankt
zwischen religiöser Verankerung seines Seins in Gott und von Gott gelöster völliger Hingabe an die diesseitige
Welt. So liebt er auch zwei ungleiche Frauen, die blasse, kränkliche, tief religiöse Anna und die von
Gesundheit strotzende, leidenschaftliche, heißblütige Judith, eine junge Witwe. Als er sich für Anna
entscheidet, wandert Judith nach Amerika aus. Sein Liebesglück währt nicht lang. Anna stirbt.
◦ Dann übernimmt wieder der auktoriale Erzähler das Wort. Er schildert Heinrichs Erlebnisse in der Kunststadt
(lernt zwei Künstler kennen: den dilettantischen Erikson und den genialen, zur Reflexionen neigenden Ferdinand
Lys, sowie zwei neue Frauen: Agnes und Rosalie), seine Verarmung und sein Scheitern und seine langwierige
Rückkehr in seine Heimat (Zwischenstation: Auf der Heimreise begegnet er nochmal dem Grafen, der sich als
sein Mäzen entpuppt und seiner Tochter, Dortchen, in die er sich verliebt, ohne ihr diese Liebe zu gestehen).
Nach seiner Ankunft erfährt er, dass seine Mutter in Armut und voll von Selbstzweifeln an der Richtigkeit ihrer
Erziehung angesichts des Sohnes gestorben ist. Heinrich wird krank und folgt seiner Mutter ins Grab.
◦ Grund des Scheiterns: Schwanken zwischen Fantasie (innere Imagination, Poetisierung
der Wirklichkeit, Gegenwelte) und Wirklichkeit. (typisches realistisches Thema)
◦ Das bestimmt seine Weltsicht, aber auch andere Lebensbereiche

◦ +Die zweite Fassung (1879/80):


◦ Keller vereinheitlicht die Perspektive durch einen Ich-Erzähler und präsentiert die Geschichte
chronologisch. an die Stelle des tragischen Schlusses tritt ein versöhnliches Ende. Keller
mildert Heinrichs Schuld. Er nimmt ein Amt im Staatsdient an und heiratet Judith, seine
Jugendliebe. Auch nahm er einige neue Episoden in die Geschichte auf und strich einige
anstößig wirkende Szenen (wie zum Beispiel die Geschichte der badenden Judith, oder
Polemiken gegen das Schulwesen oder die Kirche).
◦ Die Goethesche Bildungsidee subjektiver Selbstfindung wird hier überführt in eine Arbeit am
Wohl des Ganzen.
Thomas Koerfer:
Der grüne
Heinrich, 1993
Adalbert Stifter
1805-1868

◦ Sohn eines Leinewebers und Flachshändlers aus


einfachen Verhältnissen. Als er 12 Jahre alt war, starb
der Vater, und er wurde von da ab von den Großeltern
erzogen.
◦ 1818 bis 1826 : Gymnasium (Benediktiner Stift
Kremsmünster) 1826-bis 1830 Studium in Wien,
Rechtswissenschaft, dann Naturwissenschaften und
Geschichte, keine Abschlussprüfung, wurde
Landschaftsmaler. Den Lebensunterhalt verdiente er
sich als Privatlehrer in Wiener Adelshäusern.
◦ 1848 Linz, wird Schulrat, entwickelt viele
Reformideen, wird der oberste Denkmalpfleger von
OÖ. In seinen letzten Lebensjahren: schwerkrank,
Depressionen, Leberzyrrose. Selbstmord  
◦ Adalbert Stifter: Nachsommer 1857
Stifter: Nachsommer, 1857
◦ Spätwerk Stifters, besteht aus drei Bänden.
◦ Radikaler Bruch mit dem klassischen Romanschema: Bildungsroman & Strukturmerkmale des Märchens, der Utopie, der
Idylle oder des Epos.
◦ Enzyklopädisches Erzählen: Alle wichtigen Wirklichkeitsbereiche werden dargestellt. (anfangs wirken sie noch
unzusammenhängend, mosaikhaft und chaotisch, im Akt des Erzählens werden sie jedoch in ein harmonisches und
überschaubares Gefüge gebracht)
◦ Hauptfigur: Heinrich Drendorf. Eine Durchschnittsfigur mit unauffälligen Attributen. Als Sohn eines vermögenden Wiener
Kaufmanns und Antiquitätensammlers kann er sich vollständig der Ausbildung seiner Anlagen widmen. Er beginnt eine
weithin autodidaktische Ausbildung in aller Breite, macht lange, sehr gleichförmige Spaziergänge in die nähere und fernere
Umgebung Wiens, vor allem ins Hochgebirge der Alpen, stellt lange Beobachtungen auf, mustert Gemälde, führt lange
Gespräche, registriert und katalogisiert alles, vom Sitzmöbel bis zum Kaktus.
◦ Bildungsweg: Heinrich wird auf drei Handlungsfelder – Natur, Kultur (häusliche Kultur, Kunst und Dichtung) und Liebe –
geführt. Seine Entwicklung besteht in der stetig sich perfektionierenden erkenntnishaften Durchdringung der Wirklichkeit. Als
er ein Maximum an Bildung erreicht, nähert er sich Natalie, die er am Ende heiratet.
◦ Diese Bildungsidee ist obsolet: Die Idee der Erfahrbarkeit, der totalen Durchdringbarkeit der Wirklichkeit stammt aus der Zeit des
deutschen Idealismus und gilt zu Stifters Zeit bereits als unerreichbar.
◦ -reduzierter Bildungsprozess: Heinrich gerät nicht in Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit, er ist von Anfang an ohne sittliche
Makel, überaus lernwillig und bildsam.
◦ Zwei Lehrmeister: der Vater und der Freiherr von Risach. Heinrich lernt den Freiherrn von Risach bei einer
seiner Reisen kennen. Er sucht Schutz vor einem drohenden Gewitter in seinem Schloss. Der Graf hat seinen
Garten zu einer Art geordneten Paradieses kultiviert und Teile seines Hauses als Museum eingerichtet. Die hier
vorherrschende systemische Ordnung wird für Heinrich zum Modell.
◦ Die rechte Haltung des Menschen der Natur gegenüber ist die Haltung des kultivierenden Gärtners,
◦ der Kunst, der Tradition gegenüber die des Restaurators (und nicht die des schöpferischen Künstlers, der das Überlieferte
sprengen will).
◦ Struktur: Das Werk ist sehr handlungsarm, enthält viele Betrachtungen und Beschreibungen. Es ist in drei
Bücher geteilt, die die Stationen der Beziehung von Heinrich und Natalie darstellen: Das erste Buch endet mit
der Bekanntschaft, das zweite mit dem Liebesgeständnis, das dritte mit der Hochzeit. Diese Teilung weist darauf
hin, dass die bedeutendste Bildungsmacht innerhalb der Welt des Nachsommers die Liebe ist. (eine gemäßigte
Liebe ↔ nicht das romantische Konzept der Liebe als Leidenschaft, Maßlosigkeit, Sinnlichkeit und Begehren;
dieses erscheint als Kontrastfolie)
◦ Kontrastierung: Heinrichs Bildungsweg wird auf allen drei Feldern seiner Bildung dem Lebensweg von
Kontrastfiguren gegenübergestellt.
◦ Fiktive Autobiographie mit didaktischem Aspekt: Heinrich schreibt am Ende seines Lebens seinen Weg bis
zur Hochzeit nieder. Auf dies Weise wird dem Leser ein Erziehungsbeispiel vorgestellt, seine Geschichte ist eine
exemplarische Bildungsgeschichte. Mit Stifters Worten: Er habe „eine große einfache sittliche Kraft der elenden
Verkommenheit gegenüberstellen wollen.“ (Brief vom 11.02.1858. zit. n. Mayer 131)
◦ Bizony, kell némi álszentség ahhoz, hogy az ember pozitívan értékelje Stifter Nyárutóját, egy kevés fellengzős nagylelkűség, egy csipet megjátszott főhajtás,
mintha csodálattal adóznánk hétszáz oldal tömény tájleírásnak, holott sunyi módon folyton átlapozunk egy-két kevésbé izgalmas oldalt. Már amennyiben
izgalmasnak nevezzük a regényt, mert ezt a két dolgot összekapcsolni egyszerűen nonszensz. Talán nem véletlen, hogy a mű kritikusai a világirodalom
„legunalmasabb könyvének” nevezték. Azért ne vessük el máris a kockát, megvan a maga szépsége és ereje, csak nagyon nehéz megtalálni a milliónyi részlet
között.
◦ A Nyárutó állítólag nevelési regény, én inkább azt mondom, meghonosítja saját magával a „leíró természettudományos regény” műfaját. Főszereplőnk, a tehetős
és gondtalan Heinrich tanulmányi kalandozásait követjük nyomon, egészen az iskolás évektől a házasságáig. Olyan csöndes, békés, illuzórikus könyv ez, ahol
minden túl tökéletes: boldog család, sok pénz, végtelen szabadidő. Akad egy kis romantika a történet kedvéért, de tudjátok, mindenki olyan piszkosul
visszafogott és erkölcsös, hogy attól féltem, nehogy a női főszereplőnk érzelmi sokkot kapjon, ha séta közben netalán leesik a kesztyűje és valaki visszaadja.
„Kérem, uraságod ne fáradjon” – mondta volna – „mert olybá tűnik, mintha végtelen esztendők bölcsessége gyülekezne ebben a mozdulatában; s bizony, mi kik
már esztendők óta lakjuk e völgyet, mind amondók vagyunk, nincs helye efféle bizalmaskodásnak férfi s nő között.” Sosem tudtam elképzelni, hogy az életben
valaha valaki úgy beszélt volna, mint a Nyárutó szereplői ( akaratlanul is a Norvég erdő jutott eszembe Murakamitól, bár teljesen más műfaj és kor, de valahogy
vissza-visszatérnek az életemben azok a könyvek, amelyekben a szereplők nem létező kimértséggel adják elő a kétoldalas, biedermeier monológjaikat.)
◦ Azért, hogy jót is mondjak, valami érthetetlen okból mégis tetszett ez a regény, a maga végtelen részletességével és lassúságával. Az első ötszáz oldalon
jóformán semmi nem történik Heinrich természettudományos megfigyelésein, többoldalas kőzetleírásokon és a környezet növényvilágának, valamint a
vendéglátója házának leírásán kívül. Heinrich kíváncsi, lelkes és a világon mindenre rácsodálkozik, a legapróbb dolgokban is meglátja a szépséget – egy kicsit
arra emlékeztetett, amikor gyerekként én is mindenféle füzetet vezettem, szárított virágokkal és leírásokkal, tanulmányokat készítettem magamnak a vallásról,
mitológiáról meg ezernyi dologról, ami érdekelt. Talán mégis nevelési regény ez, az önnevelés, a tanulás, a tudásszomj leírása. Persze, ismét csak azt kell
mondanom, túl szép ahhoz, hogy az ember komolyan vegye, kivéve ha…… kivéve, ha Heinrich lennék és az életben annyi dolgom lenne csupán, hogy a
hegyekben barangoljak és felfedezéseket tegyek, mert egyébként minden mást megteremtenének nekem. Bizony, jó lett volna úrifiúnak születni :) Azt hiszem,
ebben az esetben tudnám értékelni azt a csöndes, eseménytelen életet, ami főszereplőnk él. Ő a maga módján boldog és mégiscsak ez a lényeg.
◦ Nehezen tudnám megmondani, kinek ajánlom ezt a regényt, mert biztos vagyok benne, hogy az olvasók 99%-a a sarokba vágná ötven oldal után. Meg is
érteném őket, annak ellenére is, hogy tetszett a hangulat, ami átjárta a regényt. Azt hiszem, nyugodt embereknek való ez a könyv, tavaszi délutánokon a fűzfák
alatt kell olvasni vagy ősszel az avarban hemperegve, akkor talán átérezhető az a természet iránti végtelen rajongás, amiről Stifter ír.
◦ (Moly)
◦ c) Der historische Roman
◦ Thema: ideale Vergangenheit
◦ Drei Zielsetzungen: a) Unterhaltsame Popularisierung von Geschichts- und damit Bildungswissen; b)
Archivierung dieses Wissens; c) Aktualisierung dieses Wissens (meistens im Interesse der Nationenbildung).
◦ Er hatte v.a. in den 60er Jahren Konjunktur.
◦ Vertreter:
◦ Joseph Victor von Scheffel: Eckehard (1855): Spielt im 10. Jahrhundert und handelt von der Liebesgeschichte
eines Mönches und einer Herzogin. Zahlreiche Fußnoten verweisen darauf, dass der Autor den Anspruch auf
historische Exaktheit erhebt und auf diese Weise Realismuseffekte erreichen will.
◦ Georg Ebers: Eine ägyptische Königstochter (1864). Die Tochter des Pharaos wird durch ihren eifersüchtigen
Bräutigam in den Freitod getrieben. Der Roman bietet eine lange Kette von Intrigen und Liebesgeschichten. Ist
ebenfalls mit zahlreichen Fußnoten versehen.
◦ Theodor Fontane: Vor dem Sturm (1878), Adalbert Stifter: Witiko (1865-1867), Conrad Ferdinand Meyer: Jürg
Jenatsch (1876)

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