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DES REALISMUS I.
Dr. Szabó Erzsébet
DOMINANZ DES EPISCHEN
◦Romane, Erzählungen und Novellen
dominieren die Literatur des Realismus.
Gliederung der Vorlesung
I. Populäre Literatur
◦ Historische Romane
◦ Liebesromane
◦ Reise- und Abenteuerromane
II. Belletristik
◦ Romane
◦ Gesellschaftsromane, Zeitromane - Fontane
◦ Bildungsromane – Keller, Stifter
◦ Historische Romane
◦ Erzählungen
I. Populäre Literatur
Populäre Literatur erscheint.
Populäre Literatur:
+ standartisierte, schematisierte, formelhafte Literatur, mit dem Ziel, das Interesse des Massenpublikums zur
Unterhaltung zu befriedigen.
+ harmonisierende Handlungsverläufe, Happy End
+ Schematisierte Handlung + schematisierte Figuren
+ Stets aktualisierte Kontexte, Öffnung zu aktuellen Themen.
Dreiteilung: Trivialliteratur - populäre Literatur - hohe Literatur
Bisher: Trivialliteratur vs. hohe Literatur
Gründe:
a) Breites Publikum: Alphabetisierung.
b) Niedrige Herstellungskosten: technische Innovationen -> Bücher, Zeitschriften erschwinglich
für breite Bevölkerungsschichten.
Das Buch wird zur Massenware, Billigprodukte erscheinen (z.B. Reclam)
Die Reihe heute:
Populäre Romangattungen
◦ a) Romantisch-historisierende Romane. Eine fiktive Handlung wird als Teil eines
historischen Geschehens erzählt. Sie dienen der politischen Gesinnungsbildung.
◦ Willibald Alexis (Die Hosen des Herrn von Bredow, Ruhe ist die erste Bürgerpflicht).
◦ b) Liebesromane. Eine Liebesgeschichte.
◦ Eugenie Marlitt: Die bekannteste Erfolgsautorin der Zeit., Gartenlaube. Frauen-Unterhaltungsromane;
die erste Bestsellerautorin der Welt. Ziel: mit ihren Frauengestalten ein Vorbild für ihre Leserinnen
geben. Sie sind die Verkörperung eines Frauenideals. Im Mittelpunkt der Romane steht weniger die
Liebesgeschichte, als das ganze Leben der Heldinnen, ihre Ansichten, Handlungsweisen, Erlebnisse und
Abenteuer. (Goldelse, Die Heideprinzessin, Im Hause des Kommerzienrats usw.)
◦ c) Reise- und Abenteuerromane. Der Held wird in eine bunte Kette von Irrfahrten und
Ereignissen verwickelt. Zeigt möglichst objektiv die Begebenheiten, Ortschaften auf einer
Reise. Typisch für beide: Der Ausbruch des Helden aus einer fest gefügten Ordnung in eine
unbekannte Welt; lockere Folge relativ selbständiger Geschichten (Kettenstruktur)
◦ Karl May: Einer der meistgelesenen Autoren deutscher Sprache. Seine Erzählungen sind im Vorderen
Orient, im Nordamerika und in Mexiko angesiedelt. (Winnetou I-III (1893), Old Surehand I-III (1894-
95), Der Schatz der Silbersee (1891).
II. Belletristik
◦ a) Der Gesellschaftsroman (Zeitroman)
◦ Ziel: die Totalität der bürgerlichen Gesellschaft, die Erscheinungen der zeitgenössischen
Wirklichkeit, das gesellschaftliche Leben darstellen
◦ Umfangreiches Figurenspektrum, eine Vielzahl von Schauplätzen, wichtige politische,
kulturelle Ereignisse
◦ Konflikt: zwischen den Normen der Gesellschaft und den individuellen Bedürfnissen der Figuren
◦ Handlungsschema: Normbruch - die Normbrecher werden von der Gesellschaft bestraft
◦ Vertreter:
◦ Theodor Fontane: L’Adultera (1882), Graf Petöfy (1884), Cécile (1887), Irrungen,
Wirrungen (1888), Stine (1890), Unwiederbringlich (1892), Frau Jenny Treibel (1893), Effi
Briest (1894), Der Stechlin (1899) usw.
Theodor Fontane
(1819-1898). Neuruppin - Berlin
Nach der Entdeckung der Briefe bestellt Innstetten seinen Arbeitskollegen Wüllersdorf zu sich und bittet ihn darum, sein
Sekundant zu sein. Er schildert ihm die Geschehnisse und gibt zu, dass er weder Hassgefühle hat, noch Rachsucht
verspürt. Ausserdem liebt er seine Frau.
◦ Wüllersdorf nickte. „(…). ja, wenn es so liegt, Innstetten, so frage ich, wozu die ganze Geschichte?”
◦ „Weil es trotzdem sein muß. Ich habe mir's hin und her überlegt. Man ist nicht bloß ein einzelner
Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu
nehmen, wir sind durchaus abhängig von ihm. Ging' es, in Einsamkeit zu leben, so könnt ich es
gehen lassen; (…) Aber im Zusammenleben mit den Menschen hat sich ein Etwas ausgebildet, das
nun mal da ist und nach dessen Paragraphen wir uns gewöhnt haben alles zu beurteilen, die andern
und uns selbst. Und dagegen zu verstoßen geht nicht; (…) Also noch einmal, nichts von Haß oder
dergleichen, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den
Händen haben; aber jenes, wenn Sie wollen, uns tyrannisierende Gesellschafts-Etwas, das fragt
nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl.
Ich muß.« (27. Kapitel)
◦ -> Fontane bringt gerade dadurch, dass er den Anlass um Jahre zurückverlegt,
Innstetten sich also persönlich nicht mehr gekränkt fühlt, das gesellschaftlich
Zwanghafte dieses Rituals nur um so deutlicher zum Vorschein.
◦ -> Durch die zeitliche Verschiebung wird das Duell – auch für Innstetten – fragwürdig
und zugleich symptomatisch für den Zustand der ganzen Gesellschaft.
http://www.zeno.org/Literatur/M/Fontane,+Theodor/Romane/Effi+Briest/27.+Kapitel
2. Beispiel: Innstetten als alter Geliebter der Mutter
Die Geschichte fängt damit an, dass Effi von ihren drei Freundinnen besucht wird. Sie befinden sich im Garten des Hauses der
Familie von Briest (-> blättern, Karte)
◦ „sie [die Mutter] erwartet nämlich Besuch, einen alten Freund aus ihren Mädchentagen her, von dem ich euch nachher erzählen muß, eine
Liebesgeschichte mit Held und Heldin und zuletzt mit Entsagung. Ihr werdet Augen machen und euch wundern.”
◦ (…)
◦ „Also Baron Innstetten! Als er noch keine zwanzig war, stand er drüben bei den Rathenowern und verkehrte viel auf den Gütern hier herum,
und am liebsten war er in Schwantikow drüben bei meinem Großvater Belling. Natürlich war es nicht des Großvaters wegen, daß er so oft
drüben war, und wenn die Mama davon erzählt, so kann jeder leicht sehen, um wen es eigentlich war. Und ich glaube, es war auch
gegenseitig.« »Und wie kam es nachher?« »Nun, es kam, wie's kommen mußte, wie's immer kommt. Er war ja noch viel zu jung, und als
mein Papa sich einfand, der schon Ritterschaftsrat war und Hohen-Cremmen hatte, da war kein langes Besinnen mehr, und sie nahm ihn und
wurde Frau von Briest ...”
◦ Grund für die Änderung des Stoffes: „Held und Heldin und zuletzt mit Entsagung”
◦ „Entsagung”= Goethes Lebensphilosophie, er meint mit dem Begriff „den Rückzug aus Beziehungen, die man oft zugleich
leidenschaftlich fortzuführen wünschte”. Goethe untersucht literarisch die Folgen des Nicht-Entsagen-Könnens in seinem Eheroman: die
Wahlverwandtschaften. Das Nicht-Entsagen-Können der Hauptfigur (des Barons) führt zur Katastrophe.
◦ Effis Worte setzen Fontanes Roman in die Tradition des Goetheschen Eheromans. Den Ausgangspunkt bildet das Nicht-Entsagen-
Können von Luise Briest und Baron Geert von Innstetten. Innstetten erfüllt seine alte Liebe für die Mutter durch das Heiraten der
Tochter, die der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten ist: (Innstetten: „instett”, „anstatt”). Moderne Nicht-Entsagen-Können-
Geschichte. Die Geschichte lässt sich im Lichte des Goetheschen Romans lesen.
Sachliche,
präzise,
detailreiche Effi & Freundinnen
Beschreibung des
Schauplatzes
nach dem Vorbild
des Schlosses
Nennhausen. Die
Beschreibung soll
den Effekt des
Realen erwecken.
Schloss Nennhausen (Vorbild für Hohen-Cremmen)
3. Beispiel: Schaukel, schaukeln
◦ „Seitenflügel und Kirchhofsmauer bildeten ein einen kleinen Ziergarten umschließendes Hufeisen, an dessen offener Seite man
eines Teiches mit Wassersteg und angeketteltem Boot und dicht daneben einer Schaukel gewahr wurde, deren horizontal gelegtes
Brett zu Häupten und Füßen an je zwei Stricken hing – die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend.” (1. Kapitel)
http://www.zeno.org/Literatur/M/Fontane,+Theodor/Romane/Effi+Briest/1.+Kapitel
◦ „Aber kommt, wir wollen uns schaukeln, auf jeder Seite zwei; reißen wird es ja wohl nicht,” (2. Kapitel)
◦ „Am liebsten aber hatte sie wie früher auf dem durch die Luft fliegenden Schaukelbrett gestanden, und in dem Gefühle:
jetzt stürz ich, etwas eigentümlich Prickelndes, einen Schauer süßer Gefahr empfunden.“
◦ -Effis Schaukeln hat mit ihrer Lebensführung das Merkmal „Risikobereitschaft”, risikoreich gemeinsam. Sie mag die Gefahr
◦ -Außerdem weist es auf ihren zweipoligen Charakter hin
◦ Innstetten: vertritt die traditionell-ständische Ethik, die Standesregeln, die Normen und Kontrollmechanismen der Gesellschaft
◦ Crampas: Normbrecher, Dichter
◦ Effi: steht zwischen den beiden Bereichen („sie hat Vergnügungssucht und Ehrgeiz“), ist eine Art Mischfigur („Effi komm”-
Szene)
◦ ->Es wird realistisches Material genommen, es wird aber so kunstvoll zusammengebracht durch das Erzählen, dass es jedes
Element des Textes nicht nur Teil der Realität, sondern auch der künstlerisch-ästhetischen Konstruktion ist
◦ Der Roman ist also doppelbödig. Man kann ihn
durchaus als „realitätsdarstellenden” Roman lesen.
Aber man kann ihn auch als raffiniertes künstlerisches
Konstrukt genießen, wo jedes Realitätselement in
einem künstlerischen Verweiszusammenhang steht,
verklärt ist.
◦ b) Bildungsroman
◦ Thema : erfolgreiche Suche eines jungen Individuums nach
Orientierungsmustern, nach Bestimmung seines gesellschaftlichen Standortes;
◦ Figurenkonstellation: eine Zentralgestalt, ihre Biographie steht im Mittelpunkt.
Die übrigen Figuren sind ihr funktional unterordnet. Teils repräsentieren sie
Lebens- und Erfahrungsbereiche, die für den Reifeprozess der Zentralfigur
relevant sind; teils stellen komplementäre oder gegensätzliche Figuren und
spiegeln so das Wesen der Hauptfigur.
◦ Grundkonflikt des realistischen Bildungsromans: Die Poesie des Herzens,
der Innerlichkeit wird ständig von der Gefahr der Prosa der Welt bedroht.
◦ Die Idee der Selbstperfektion, Selbstoptimierung ist nicht mehr möglich.
Unmöglichkeit der Größe
◦ Vertreter: Gottfried Keller (typischer Vertreter), Adalbert Stifter (obsolete
Bildungsidee)
Gottfried Keller:
(1819-1890)
◦ Stoff aus der Wirklichkeit: Kellers Leben: Kindheit, Jugend, seine Verwandte, seine Mutter, seine
abgebrochene Ausbildung zum Maler; + Ergänzungen der Phantasie
◦ Heinrich Lees (genannt der gründe Heinrich) Bildungsgeschichte: Formale und inhaltliche
Erneuerung des klassischen Bildungsromans:
◦ Formal: Aufhebung der klassischen, geradlinigen Bildungsgeschichte: Im Gegensatz zu Goethes Wilhelm Meister,
in dem die Bildungsgeschichte des Helden chronologisch und weitgehend geradlinig erzählt wird, wird bei Keller
die Chronologie aufgelöst, ferner wird eine Ich-Erzählung in den auktorialen Erzählrahmen eingebettet.
◦ Inhaltlich: der Bildungsprozess besteht darin, dass Heinrich sein Festhalten an der eingebildeten Berufung zum
Künstler (Maler) als Selbsttäuschung erkennt.
◦ Eine Art Desillusionierungsgeschichte, ein Antibildungsroman, die Geschichte des Scheiterns im
zweierlei Sinne:
◦ Scheitern als Künstler
◦ moralisches Scheitern, Scheitern als Mensch.
◦ Symbol des Namens: wird wegen seines grünen Anzugs, den die Mutter aus den Gewändern des
verstorbenen Vaters dem Sohne schneidern lässt, grüner Heinrich genannt. Heinrich kann die im Vater
verkörperten Hoffnungen auf die Zukunft nicht einlösen.
◦ Handlung:
◦ Der auktoriale Erzähler : Der bereits 20-jährige Heinrich Lee verlässt seine Schweizer Heimatstadt und fährt in
eine näher nicht bezeichnete Residenzstadt im Süden Deutschlands, um dort seine Ausbildung zum Maler zu
vervollkommnen („Aufbruch zum Künstler“). Auf seiner Reise lernt er eine gräfliche Familie (Graf, Frau und
Tochter) kennen. Nach der Ankunft findet er im Reisekoffer seine Jugendgeschichte, die er vor seiner Abreise
niedergeschrieben hat. An dieser Stelle bricht die auktoriale Erzählung ab.
◦ Ich-Erzählung Heinrich Lee verliert früh seinen Vater und muss wegen eines Jugendstreiches vorzeitig die
Realschule verlassen. Er will nun Landschaftsmaler werden und innere Klarheit finden und schwankt
zwischen religiöser Verankerung seines Seins in Gott und von Gott gelöster völliger Hingabe an die diesseitige
Welt. So liebt er auch zwei ungleiche Frauen, die blasse, kränkliche, tief religiöse Anna und die von
Gesundheit strotzende, leidenschaftliche, heißblütige Judith, eine junge Witwe. Als er sich für Anna
entscheidet, wandert Judith nach Amerika aus. Sein Liebesglück währt nicht lang. Anna stirbt.
◦ Dann übernimmt wieder der auktoriale Erzähler das Wort. Er schildert Heinrichs Erlebnisse in der Kunststadt
(lernt zwei Künstler kennen: den dilettantischen Erikson und den genialen, zur Reflexionen neigenden Ferdinand
Lys, sowie zwei neue Frauen: Agnes und Rosalie), seine Verarmung und sein Scheitern und seine langwierige
Rückkehr in seine Heimat (Zwischenstation: Auf der Heimreise begegnet er nochmal dem Grafen, der sich als
sein Mäzen entpuppt und seiner Tochter, Dortchen, in die er sich verliebt, ohne ihr diese Liebe zu gestehen).
Nach seiner Ankunft erfährt er, dass seine Mutter in Armut und voll von Selbstzweifeln an der Richtigkeit ihrer
Erziehung angesichts des Sohnes gestorben ist. Heinrich wird krank und folgt seiner Mutter ins Grab.
◦ Grund des Scheiterns: Schwanken zwischen Fantasie (innere Imagination, Poetisierung
der Wirklichkeit, Gegenwelte) und Wirklichkeit. (typisches realistisches Thema)
◦ Das bestimmt seine Weltsicht, aber auch andere Lebensbereiche