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NUNC COCNOSCO EX PARTE

THOMASJ.BATA LIBRARY
TRENT UNIVERSITY
Digitized by the Internet Archive
in 2019 with funding from
Kahle/Austin Foundation

https://archive.org/details/robertmusillebenOOOOcori
KARL CORINO ROWOHLT

ROBERT
MUSIL
LEBEN UND WERK IN BILDERN UND TEXTEN
\

Aufnahmedaten der Porträtphotos


auf den Zwischentiteln:

Seite 9: um 1935
Seite 19: 1887 (in Steyr)
Seite51: 1892 (alsMilitär-Unterrealschüler)
Seite 67: ca. 1901
Seite 101: um 1906
Seite 127: um 1910
Seite 183: um 1910
Seite 219: 1917 (als Oberleutnant)
Seite 261: Paßphoto auf dem Mitgliedsausweis
des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller
in Österreich
Seite 319: 1931
Seite 393: um 1935
Seite 443: Anfang der vierziger Jahre

Seite 485: Musils Schreibmaschine,


Underwood Standard Portable Typewriter

1. —8. Tausend Oktober 1988


9. —13. Tausend Januar 1989
Copyright © 1988 by Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg
Alle Rechte Vorbehalten
Bildnachweise s. Seite 499
Design Bettina Rosenow, Regine Thienhaus;
Welfhard Kraiker (Beratung)
Schutzumschlag- und Einbandgestaltung
Bettina Rosenow. Regine Thienhaus
Satz aus der Bauer Bodoni (Linotron 202)
von Utesch Satztechnik GmbH, Hamburg
Druck und Bindung
Passavia Druckerei GmbH. Passau
Printed in Germanv
ISBN 3 498 00877 3
INHALI

VORWORT 9

DIE ENTDECKUNG DER FAMILIE 19


1880-1892

DIE VERWIRRUNGEN DES ZÖGLINGS 51


1892-1897

MONSIEUR LE VIVISECTEUR 67
1898-1903

WURZEL AUS MINUS EINS - 101


WISSENSCHAFT UND DICHTUNG
1903-1907

VEREINIGUNGEN 127
1907-1911

IM GLASHAUS 183
1912-1914

DIE FLUCHT VOR DEM FRIEDEN 219


1914-1918

SYMPTOMEN-THEATER 261
1919-1924

DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN 319


1924-1933

INS TAUSENDJÄHRIGE REICH 401


1933-1938

DAS EXIL 443


1938-1942

NACHWORT 485

DANKSAGUNG 491

ANMERKUNGEN 492

REGISTER 496

BILDNACHWEISE 499
FÜR ELISABETII
VORWORI

ROBERT MUSIL -
GENAUIGKEIT
UND
SEELE
Helden Reiting und Beineberg erinnert, die «heu¬
VORWORT

Jvobcrt Musil war ein Mann mit vielen Eigen¬ tigen Diktatoren in nucleo . Schließlich, auf der
schaften: Männern gegenüber (vor allem über¬ philosophischen Ebene, der Versuch, der Verwir¬
schätzten Kollegen) schneidend scharf; Frauen rungen durch ein quasi Nietzsehesches Rezept Herr
gegenüber von geradezu altvaterischer Verbind¬ zu werden. das Gehirn so zu organisieren, daß W is-
lichkeit: er war hilfsbedürftig und undankbar; er senschaft und Nicht-Wissenschaft streng geschie¬
war wohl der gelehrteste Autor seiner Epoche und den werden: «Ich wreiß: die Dinge sind die Dinge
nannte sich vielseitig ungebildet. Er trainierte sei¬ und w erden es w ohl immer bleiben: und ich w erde
nen Körper bis zum Schluß mit militärischer Diszi¬ sie wohl immer bald so. bald so ansehen. Bald
plin und war von seinem 4o. Lebensjahr an ein mit den Augen des Verstandes, bald mit den
schwerkranker Mann. Er war Schriftsteller und anderen...»
schrieb nicht gern, wenngleich leidenschaftlich. Er
T
war nicht redselig und konnte plötzlich überspru¬
deln. Er war ein Moralist, und er hatte das Leben ar der Törleß noch relativ mühelos entstan¬
seiner Gefährtin Hermine Dietz auf dem Gewissen. den, als Freizeitbeschäftigung eines gelangweilten
Er plädierte für die böse-experimentelle Gesinnung Technikers, so hat die Arbeit an seinem zweiten
und lebte wie ein kleiner Beamter. Er war von der Buch, dem Novellenband Vereinigungen. Musil see¬
Untauglichkeit des Kapitalismus und des Bürger¬ lisch beinahe ruiniert. Frisch promoviert mit einer
tums überzeugt, ohne sich je vorbehaltlos für ihre Arbeit über die erkenntnistheoretischen Grundla¬
politischen Gegner zu entscheiden. Er hielt es für gen der Physik bei Ernst Mach, nahm er eine Einla¬
wachtiger, ein Buch zu schreiben, als ein Reich zu dung Franz Bleis an, für die Zeitschrift Hyperion
regieren, und war nicht in der Lage, sein Haupt¬ eine Erzählung zu schreiben. Aus der Gelenkpro¬
werk zu vollenden. Er klagte über seine verpfuschte be» wnirde ein rund zweieinhalbjähriges, Tag und
Kunst und war überzeugt von seinem Nachruhm. Nacht währendes Exercitium, Beispiel jener bis
Musil hat fünf Prosabücher veröffentlicht und zwei «auf die Knochen abmagernden Inbrunst für ein
Stücke: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß, Ver¬ intellektuell-emotionales Ziel», das Schreiben für
einigungen, Die Schwärmer, Vinzenz, Drei Frauen, Musil fortan immer blieb. Zum erstenmal versuchte
Der Mann ohne Eigenschaften und Nachlaß zu er sich nun an Stoffen, die nicht seiner eigenen
Lebzeiten, viele davon in Abständen, die ihn beim Erfahrung entstammten (sondern dem Leben sei¬
Publikum immer wieder neu in Vergessenheit gera¬ ner späteren Frau Martha), und er ließ sich auf eine
ten ließen. Sein Erstling, der Törleß, war, von Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse ein, die
Alfred Kerr enthusiastisch begrüßt, ein Achtungs¬ ebenso subtil wüe heroisch war. Unzweifelhaft hatte
erfolg bei der Kritik. Das Buch, auf Ereignisse wäh¬ er sich von den Breuer—Freudschen Studien über
rend Musils Kadettenzeit in Mährisch-Weißkirchen Hysterie anregen lassen, w'ehrte sich aber gleichzei¬
zurückgehend und 1902/03 während seiner Assi¬ tig dagegen, sich der Konzeption des Unbewußten
stententätigkeit an der Stuttgarter Materialprü¬ zu unterwerfen. Zwar sprach er, theoretisch, er¬
fungsanstalt begonnen, wurde von den Zeitgenos¬ zählte er von den Jugendtraumata seiner Figuren,
sen in seiner Vielschichtigkeit nicht verstanden. schilderte ihre Wirkungen, zugleich aber lehnte er
Erst heute wird die psychologische, soziologische, sich gegen jene Kausalität auf und wollte nur
philosophische Dimension des Textes allmählich «Motive» gelten lassen, die, aus einem Reich der
klar. Der Törleß bildet auf der psychologischen Freiheit stammend, von «Bedeutung zu Bedeutung
Ebene den Zustand akuter Identitätsverwirrung führen». Gegen das Unbewußte setzte er das trans¬
ab, der nach den Erkenntnissen der heutigen Psy¬ zendentale Ich Kants, Schopenhauers, Weiningers,
choanalyse (Erikson) gewöhnlich zu einem Zeit¬ versuchte eine Synthese von Psychoanalyse und
punkt manifest wird, wo sich der junge Mensch idealistischer Philosophie, die mitunter abenteuer¬
einer Kombination von Erlebnissen ausgesetzt fin¬ liche Züge trägt, die jedoch die außerordentlichen
det, die gleichzeitig körperliche Intimität, energi¬ Schwierigkeiten bei der Entstehung des Textes er¬
schen Wettstreit und psychosoziale Selbstdefinition klärt. Das Publikum las, recht verständnislos, die
erfordern. Musil, schon als Kind in der Latenzzeit Geschichte einer Frau, die einen Ehebruch als Ver¬
seiner Geschlechtsrolle sehr unsicher und von einer einigung mit ihrem betrogenen Mann erlebt, und
großen Sehnsucht nach dem Wechsel des Ge¬ die eines alternden Mädchens, das sich einem
schlechts beseelt, liefert die Pathographie einer der¬ dringlich w erbenden Jugendfreund verweigert, sich
artigen Identitätsstörung mit geradezu klinischer einem W ildfremden-Ungeliebten hingibt. Der Le¬
Präzision — rein aus der Erinnerung und der Selbst¬ ser begriff nicht, daß da ein titanenhafter Kampf
erforschung. Nicht minder präzise sind die grup¬ stattfand um die Versöhnung von Freiheit und Not¬
pendynamischen Mechanismen im Kräftefeld eines wendigkeit. um einen Spielraum der Literatur, der
Kadettenjahrgangs erfaßt, die Machtkämpfe und fortschreitend von der massenwirksamsten Psy¬
Bündnisse zwischen den Klassendiktatoren, die chologie des 20. Jahrhunderts, von der Psychoana¬
Rolle des Mitläufers und intellektuellen Handlan¬ lyse, besetzt wurde. Auch: daß sich da einer aus
gers. die Rituale der Unterwerfung: nicht umsonst ureigensten Gründen gegen die Determinierung
fühlte sich der Autor während des Zweiten Welt¬ wehrte durch «etwas Dunkles ... unter allen Ge¬
kriegs durch Hitler, Stalin und Mussolini an seine danken», das sich «mit den Gedanken nicht aus-

10
messen» läßt, «das sich nicht m Worten ausdruck¬ Schwärmer nun. nach dem 100. Geburtstag des
te» und das doch sein Leben war. Autors, endgültig für das Theater-Repertoire ge¬
Sein Drama Die Schwärmer, an dem er mit den wonnen sind, bleibt abzuwarten. Fest steht jeden¬
Unterbrechungen, die der Erste Weltkrieg mit sich falls: wir leben noch immer im Zeitalter des Schau¬
brachte, rund zehn Jahre arbeitete, begriff Musil als spielers. Musil nahm für zehn Aufführungen im
«verbesserte W iederholung» der Vereinigungen Apri I 1929 eine Summe von 66,25 Mark ein: die
und ihres Bauprinzips der «motivierten Schritte», Akteure, die heute sein Stück tragieren, arbeiten
das lautet: «Lasse nichts geschehen (oder: tue für Abendgagen von 1000 DM.
nichts), was nicht seelisch von Wert ist.» Die Fabel,
an der es sich bewahren sollte, war denkbar simpel:
ein Mann, Anselm, sucht mit Regine, einer verhei¬
rateten Frau, im Haus seines Freundes Thomas
E her als die Schwärmer gehört die Posse / inzenz
und die Freundin bedeutender Männer aus dem
Zuflucht und geht dann mit dessen Frau. Maria, Jahre 1923 zum Bestand der Stücke, die man für
durch. Eigentlich der Plot für ein Boulevard-Stück, spielbar hält. Selbst kleinere Stadttheater wagen
dessen Elemente (etwa im Auftritt des Detektivs sich da mit Erfolg heran. Musil schrieb dieses
Stader) auch vereinzelt aufblitzen. Musil tat freilich Stück, eine Schlüsselkomödie im doppelten Wort¬
alles, um ein, wie Kerr sagte, «Seelenstück» daraus sinn — Wiener Theaterbesucher erkannten in der
zu machen. Während der Arbeit an seinem Drama weiblichen Hauptfigur Alpha unschwer Ea von Al-
ging er bewußt nicht ins Theater, um sich nicht von lesch, im «Gelehrten» Egon Friedell, im «Musiker»
den herkömmlichen Scheinkausalitäten beeinflus¬ Eugen d'Albert, im «jungen Mann» Hermann
sen zu lassen, um sich der Wirkung der überliefer¬ Broch usw. —, um seinen Schwärmern den Weg auf
ten Kochrezept-Dramaturgie zu entziehen, ln einer die Bülme zu bahnen. Er wollte den Regisseuren
Zeit, in der laut Max Reinhardt das Heil nur vom beweisen, er sei ein mit allen Wassern gewaschener,
Schauspieler kommen konnte, behauptete Musil mit allen Salben gesalbter Theatermensch. In der
den Primat des Textes und wagte es, einen 1 laupt- Tat belegt der Vinzenz, sein Autor hat sich als Thea¬
darsteller, Anselm, im ganzen dritten Akt, dem terkritiker der Prager Presse Einblick in die Mecha¬
Schlußakt, nicht mehr auftreten zu lassen. (Die nik des Theaters verschafft, er macht Gebrauch von
Rolle hatte daher für jeden möglichen Darsteller seinen Effekten, ohne doch unter sein Niveau zu
einen unheilbaren Defekt.) Er kümmerte sich nicht gehen, er macht es philosophischen Zwecken
um die Gesetze der Aristotelischen Poetik, um Ex¬ dienstbar: am Kreis der Männer um die schöne
position, Krise, Katharsis, sondern machte ein Alpha zeigt Musil die Parzellierung des Lebens, die
Theater der gleitenden Libergänge, eigentlich ein Entfremdung der Teile untereinander und den
episches Theater (wenn auch nicht im Brechtschen übertriebenen Anspruch des einzelnen, für das
Sinne) mit sehr vielen essayistischen Elementen. Ganze zu stehen. Ironischerweise ist Alpha, die Kri¬
Kein Wunder, wenn die führenden Regisseure der tikerin dieses heillosen Zustands, selbst ganz leer
zwanziger Jahre von einem Lesedrama sprachen und kraftlos. Ihre geistige Garderobe ist bunt zu¬
und trotz intensiver Bemühungen des Autors, des sammengewürfelt. mit bizarren Pailletten benäht,
Verlags und einiger befreundeter Kritiker acht Jah¬ die sie von Zeit zu Zeit abtrennt und sieghaft
re lang keine Uraufführung zustande kam. Um das ausspielt, wenn sie ihr jeu macht mit den rivalisie¬
Risiko zu verringern, bestand Musil auf einer Star¬ renden Verehrern. Nur einen gibt es. der sie durch¬
besetzung. Und obwohl das Stück eine Länge hatte schaut, der ihre changierenden Kolibri-Worte auf¬
wie Faust I und II zusammen, lehnte er Kürzungen spießt und der selber «harmonisch gesprenkelt» ist,
ab. Sie hätten seiner Meinung nach ein wichtiges nicht bereit, sich auf eine Farbe festzulegen wie
Merkmal des Dramas zerstört, seine Chromatik: Bärli, der Großkaufmann, wie der «Politiker», der
der Weg der kleinsten Schritte wäre durch Sprünge «Reformer» usw. Was alle getrennt sind, könnte er
unterbrochen worden. So ging die Premiere der in einer Person sein. Aber er nimmt diese Aufgabe
Schwärmer unter der Regie von Paul Gordon und nicht an. Er gibt sich mit phantastischen Plänen ab.
Jo Lherman im Berliner Theater an der Komman¬ mit einem unfehlbaren System, alle Spielbanken
dantenstraße 1929 —ohne Starbesetzung, mit Kür¬ der Welt zu sprengen, und endet mit dem Resümee:
zungen der Regisseure — unter Musils Protest über «Es gibt nur zw ei Möglichkeiten für einen ehrgeizi¬
die Bühne. Der Erfolg war entsprechend: nach ei¬ gen Mann: ein großes Werk zu schaffen oder Be¬
nem guten Dutzend Aufführungen verschwanden dienter zu w erden. Für das erste bin ich zu ehrlich:
die Schwärmer in der Versenkung. Erst fünfzig für das zweite reicht es gerade noch.» So w ird Vin¬
Jahre später erlebten sie in Ervin Axers Wiener zenz schließlich Diener und nicht der wahre Refor¬
Aufführung (der Inszenierungen in Berlin und Ba¬ mer oder gar der «Erlöser», wie einer von Musils
sel folgten) eine Renaissance. Das Publikum, viel¬ Helden aus jener Zeit hieß.
leicht auch ein wenig vom Weltruhm des Epikers Der Vinzenz hat, wie im Nachhinein sichtbar wird,
Musil eingeschüchtert, ist heute beeindruckt vom eine wichtige propädeutische Funktion im Hinblick
intellektuellen Brio der Musilschen Figuren und auf den Mann ohne Eigenschaften, eine wichtigere
eher bereit als die Zuschauer dazumal, den Gedan¬ etwa als der Erzählungsband Drei Frauen, der
kenreichtum als Reichtum des Gefühls zu erleben, manches etwas kurz abtat, was ursprünglich zum
die Dialektik als Substitut der Handlung. Ob die Komplex des großen Romans gehörte: zum Beispiel
die Geschichte der «Tonka« aiias Hennine Dietz,
die von ca. 1900 his 190? Musils Lebensgefährtin
war und an den Folgen einer syphilitischen
Schwangerschaft, resp. seiner seelischen Grausam¬ ^ f I l'/itsI I
keit, starb. Bei der Arbeit an seiner Posse und an
hlosscn sich die folgenden Auf/cidmunjl
den folgenden Entwürfen zum Roman entdeckte
J- -[ /A* anf Ule äälteste,
ticd« J noch heute recht regsam« g
Musil die Wirkung von Ironie und Satire. Herrschte
* ( / , ] ^on der "Überzeugung aus daß petm -GefwhT i
im Frühwerk das lyrische Pathos, so erweiterten it G ' / sehen dem Zustand foW-Vot t{ Fühle rgTseit1
sich nun die Ausdrucksmöglichkeiten. Der große 11 * ff inti/iSn-j ^ Ursadicn und seinen Wirkungei.
Wirkungen deutlich getre
Roman, der die unterschiedlichsten Titel trug — -M- "* ^ werden denn sie veriteht unter Gefühl c
«Der Spion», «Der Erlöser», «Die Zwillingsschwe¬ & 9**'"Gattung innerer Erlebnisse, die sich von den ande
ster» —, ehe er seinen definitiven Titel fand, verei¬ fn n Gattungen — und zwar sind dies nach ihr das Er
° * *> <-z ^ finden, Denken und Wollen — bis in den Grt
nigte alle Stile in sich, weil er eben auch ein Ge¬ t U»«"fi
unterscheide. Diese Auffassung ist volkstümlich i
samtbild der Zeit entwerfen sollte.
seit alterj überliefert, undJhn Hofitnim«»
. — *■ *
daß wir in jedem Augenblick des GefL
.j /um! -5? i r
c . •allem wodurch es-um bewegt, immer«
kJ eiten hat ein Autor einen ingeniöseren Plot er¬ nt. \i h*LrC« w Ih'v r unterscheiden können, daß wir fühlen
funden als Musil mit seiner «Parallelaktion». Er •4 u Jj-li ; 6 Zustand eines Gefühls beKjfcn
geht davon aus, ins Jahr 1918 wären das siebzig¬ Die zweite AuffasninAgeln dagegen von der
Ari HCicCai i-kr-j U/h* ■<<>., * obachtrnigg aus, daß das Imhlen Imh aufs innigste mit c
jährige Regierungsjubiläum des Habsburger
Handeln und dem Ausdmck verbunden ist^unc
Monarchen Franz Joseph und das fünfunddreißig-
jährige des deutschen Kaisers Wilhelm II. gefallen, J folgt sowohl?3aräu57 daß siejdazu neigt, dä< Gef.
als einen Vorgang zu betrachten, als auch, daß
Anlaß für große Feierlichkeiten, die natürlich ent¬ i< ihren Blick nicht auf das Fühlen allein richtet, s
i ‘i* fl f *>< elf
sprechend vorbereitet werden müssen. Im Wien des
1 C/
c
dern es mitsamt seinen Äußerungen und seinen
Jahres 1913 konstituiert sich ein Komitee, das ent¬ Sprüngen als ein Ganzes ansieht, plc1 Mauuuit
sprechende Ideen sammeln und koordinieren soll. I tnhh tßesec-zweiten Atrff.issung lies lehr raun allerdi igs
Sekretär dieses Komitees wird Ulrich, Musils Held, nächst t Infi in rlnr Spynihr rlrr irrrin-^-l—
'ca t tin~C Z« /* ’ Flrnrl n«llr man irirtfrin Gefühljals etwas|vor,
geschult «am besten Wissen seiner Zeit, an Mathe¬
IÄiSWf e*t l nach außen und innen wirkt, undauch von bei
matik, Physik, Technik». In seiner Funktion trifft
\>Jyt cot&ü (Ui* ■ Seiten Rückwirkung empfängt, so offen
er mit den Repräsentanten der österreichischen Ge¬ lj£ i t, t<Zz C cU-cUl. kfc > i, nicht bloß e i n Gefühl vor firn, sondern eine ur
sellschaft zusammen, allen voran mit Diotima alias stimmte Anzahl wechselnder Gefühle. Die Spr.
Ermelinda Tuzzi, der Gattin eines Präsidialisten. Stwllrffür diese Unterarten eines Gefühls selten c '
In ihrem Haus, Schauplatz vieler Sitzungen, ver¬ t utitrUAy Mehrzahl zur Verfügung, sie kennt keine Ne
tritt man die Idee der altösterreichischen Weltbe¬ Zörner oder Trotze, für sie sind das die Abws
glückung, ein Zusammenleben der ganzen Welt r/. / , lungen eines Gefühls in verschiedenen Spielai
oder in verschiedenen Zuständen seiner Entö¬
nach dem Muster der Habsburger Monarchie unter
lung; aber ohne Frage ftßt 5l«h ebfflSÖ "BöV
ihrem «Friedenskaiser». Dann ist da Graf Leins¬
dorf, ein Vertreter des Adels, der einen Ausgleich V / / ' / /
■ nt
mit dem modernen Sozialismus sucht, General
Stumm von Bordwehr, Vertreter des Kriegsmini¬ A i cji i y> c etc.?. itfuhUytuLe. ö ^\*
steriums, von niemandem eingeladen und dennoch
Stt't £ olct-ü £.{c »,t nt'i+LmU**'M^
präsent, schließlich die schillerndste Figur, der
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preußische Großindustrielle Arnheim, Exponent
der Idee der Macht aul Grund technischer Voll¬ Irtii. Cb ica <-/•')> i 9
kommenheit. zugleich ästhetisch gebildet, Vereh¬
rer von Intuition und Mystik, ein neuer uomo uni¬ umej,. r /(tu ’/tttf ii Ht\
versale, Objekt der Haßliebe für Ulrich. Denn auch
Arnheim strebt eine Synthese der getrennten Wel¬ isfi i/Jc rffr-itsSyift A1** v'.'Z’ >//v/ •'
Hf •/ • rft.j i » ’* p • -
ten. der zwei Kulturen an. Er ist in der Tat ein Mann
«größten Formats und oberster Welt», und gäbe es
nicht immer wieder die geschäftsbedingte Zweck¬
lüge, die finanzielle Ausbeutung der Intuition -
welche Angriffsflächen böte er Ulrich dann noch.
Die intelligenten Nazis waren von diesem Porträt
Walther Rathenaus, er ist das Modell Arnheims, so
entzückt, daß sie im Sommer 1938, nach dem An¬
schluß Österreichs, eventuell versuchten, Musil in
ihr Lager zu ziehen. Waren sie Arnheims wegen
1
bereit, über Musils satirische Ausfälle gegen die
Fahnenkorrekturen
Rassenidee hinwegzusehen und die Vollendung des zu einem Kapitel
Werks zu finanzieren? Der Versuch Eugen Claas- über Gefühls-Psychologie
sens. im Sommer 1938 mit Musil einen Verlagsver- aus dem Nachlaß
trag zu schließen und Hindernisse im Propaganda- ser These führte hier zu weit, aber es sollte gezeigt
ministerium aus dem Weg zu räumen, könnte werden, wie die Nicht-Vollendung des Romans mit
darauf hindeuten — es sei denn. Claassen handelte dem Komplex Zwillingsschwester zusammen¬
auf eigenes Risiko.) hängt.
Um den Salon Diotimas sind in konzentrischen In dem zitierten Gespräch mit Fontana skizzierte
Kreisen die anderen Figuren gruppiert: die Familie Musil den Gang der Romanhandlung bis in Details.
des jüdischen Bankdirektors Leo Fischei, in der der Bruder und Schwester, das Ich und das Nicht-Ich.
völkische Schwärmer Hans Sepp verkehrt; Walter fühlten den inneren Zwiespalt ihrer Gemeinsam¬
und Clarisse, Ulrichs Jugendfreunde; Moosbrug- keit, sie zerfielen mit der Welt, flöhen. Der Versuch,
ger, ein Sexualmörder, an dessen Beispiel Musil die das Erlebnis der ekstatischen Liebe zu fixieren,
bis heute nicht gelösten Fragen der Zurechnungs¬ schlage fehl, das Absolute sei nicht zu bewahren,
fähigkeit diskutiert; endlich Ulrichs Geliebte, die die Welt hole sie wieder ein. Aus Opposition gegen
altmodisch-gefräßige Leona, die nymphomane Bo- eine Ordnung, in der der Ungeistigste die größten
nadea und — ein Anschluß, der sich eigentlich ver¬ Chancen habe, werde sein Held Spion. Das Mittel
bietet — Agathe, seine Zwillingsschwester. «Die der Spionage sei die Zwillingsschw'ester, die er also
Zwillingsschwester ist biologisch etwas sehr Selte¬ fixr seine Zwecke prostituiert. Sie reisten durch Ga¬
nes, aber sie lebt in uns allen als geistige Utopie, als lizien, er sehe, wie sich ihr Leben und auch seines
manifestierte Idee unserer selbst. Was den meisten verlören. Die Mobilisierung von 1914 enthebe
nur Sehnsucht bleibt, wird meiner Figur Erfül¬ schließlich ihn, wie alle Personen des Romans, ei¬
lung», sagte Musil in einem Interview mit Oskar ner Entscheidung.
Maurus Fontana 1926, als der Roman noch «Die Der Öffentlichkeit und seinem (Vorschuß zahlen¬
Zwillingsschwester» heißen sollte. Es ist nicht von den) Verlag gegenüber war Musil also festgelegt,
ungefähr, daß Musil während des Gesprächs mit und der Nachlaß dokumentiert: zahlreiche Kapitel,
Fontana fortwährend zu seiner großen Hebbel- vor allem das Kernstück, «Die Reise ins Paradies»,
Ausgabe griff und daraus zitierte. Agathe ist näm¬ auf der der Inzest stattfindet, waren zu diesem Zeit¬
lich, vielleicht unbewußt, nach einer Heldin Heb¬ punkt bereits geschrieben. Freilich, als der Autor
bels benannt, der Agathe im Barbier Zitterlein, rund sechzehn Jahre später, am 15. April 1942,
einer Novelle über eine inzestuöse Vater-Tochter - starb, war die Romanhandlung in den veröffent¬
Konstellation. Ebenfalls signifikant ist, wenn der lichten und reinschriftlich vorliegenden Kapiteln
Bruder Agathes, nachdem er die Namen Achilles noch längst nicht zu dem Punkt gediehen, an dem
und Anders getragen hatte, schließlich den Namen die Geschwister Ernst machen und sich auf ihre
Ldrich bekommt. Buchstabiert man den Namen Reiseflucht begeben. Ein Vergleich des teilweise
Musil nach der bekannten Methode, so lautet er «M erhaltenen «Zwillingsschwester»-Manuskripts von
wie Martha, u wie Ulrich» usw. Als Musil auf dieses 1926 mit dem gedruckten Mann ohne Eigenschaf¬
eigentlich triviale Phänomen stieß, muß es ihn tief ten zeigt, wie schon die erste Begegnung des 1 leiden
berührt haben; man weiß, Namen sind stark mit mit Agathe an der Bahre des Vaters immer weiter
Gefühlen besetzt. Er fand in seinem Nachnamen hinausgeschoben wird. Rollt die Handlung bis
quasi magisch eingekapselt den Namen seiner dorthin zunächst auf ca. 50 Schreibmaschinensei¬
Frau, Vorbild Agathes, und den seines Helden. ten ab, so verbraucht der Autor im ersten Band des
Chiastisch und chiliastisch verschränkt ergaben MoE von 1930 rund 1000 Druckseiten, ehe Ulrich
sich zwei Namenspaare: Martha — Ellrich zum Wiedersehen mit der Schwester aufbricht.
Robert — Agathe
Dies ist ein genaues Abbild der Tatsache, daß in
jeder Ehe mehrere Paare miteinander verheiratet -E/s gibt gewiß viele Gründe, deretwegen Musil
sind, die realen Personen und die Bilder, die die den Roman nicht in der angekündigten Form voll¬
Partner voneinander selbst haben und die sie sich enden konnte: die finanzielle Misere, die labile Ge¬
voneinander machen. Wenn dies schon für <norma- sundheit, die bürokratischen Schikanen im
le Ehern gilt, dann erst recht für Schriftstellerehen, Schweizer Exil. Andere Autoren indes vollendeten
in denen sich die Personen bürgerlichen Rechts oft unter ähnlich schlimmen Umständen Buch um
über kurz oder lang in literarische Figuren verw an¬ Buch. Es dürften also wohl andere, psychische, Me¬
deln. chanismen am Werk gewesen sein, die die Ausfüh¬
Das literarische Problem der Zwillingsschwester rung der alten Pläne verhinderten. Während «von
Ulrichs sei eng mit seiner eigenen Ehe verquickt, vornherein» und für lange Jahre feststand, daß die
gestand der Autor dem Psychoanalytiker Rene A. Geschwister «einander gehören werden» — das
Spitz bei einem Spaziergang in Berlin 1932. Man Merkwürdige und eigentlich zu Erzählende dabei,
könnte diesen Komplex als private Marotte abtun, «daß es zunächst nicht möglich wrar»—, begann
spräche Musil nicht selbst von der geistigen Utopie Musil im Schweizer Exil Argumente gegen den In¬
der Zwillingsschwester, die w eit verbreitet sei. Und zest und damit gegen das Scheitern der Geschwister
sagte nicht Freud, wer im Liebesieben wirklich frei zu erw ägen. Er las etwra einen Artikel über I’rance-
und damit auch glücklich werden solle, der müsse Heilungen und ekstatische Tänze auf Bali und no¬
sich mit der Vorstellung des Inzests mit Mutter oder tierte dann «ad Ulrich und Agathe»: Der Coitus
Schwester befreundet haben? Die Erörterung die¬ ein Rest der Trance. Die Trance gehört den magi-
srlirn l' inwirkinui' ii «In Realwelt an. So i>t es lo- sche \iishildung schiebt. Seine geistige Ausrüstung

L'iii li daß \gathe iiidI I llricli den (ioitus nicht wol¬ für den Roman sei dichterisch, psychologisch und
len. I)n- Ki>nl<‘iii[)la(ivi‘ des linderen Zustands ist zum Teil philosophisch gewesen. Deswegen verlau¬
nlier rissn- anderes als die Irance. es ist außerdem fe er sich immer hilflos in Nebenprobleme, die aus¬
weniger ein (»esamtserlialtens-Surrogat. Ls ist ein einander-. statt zusammengingen. Eine sehr wahr¬
europäischer Versuch, ohne Bewußtseinsverlust scheinliche Vermutung ist, er hätte sich bei noch
iindsosseilri So konnte es ssolil — mit apriorischer umfangreicheren soziologischen Kenntnissen (die
I n liest mimt heit des erreich! iure n C>rades — als Ver¬ ohnehin von Max Weber bis Pareto und Sorel reich¬
such möglich erscheinen und gewollt werden.» ten) noch rettungsloser in den Irrgärten der Wis¬
So rätselhaft eine derartige Notiz wiederum ist — senschaften verlaufen, der Essayismus hätte noch
man konnte sie als Nationalisierung einer Angst weiter zugenommen, das Tempo der Erzählung
deuten. Musil scheint, (laraul deuteten schon die sich progressiv verlangsamt. Zur Dichtung gehörte
Idmlilätsverwirrungen im Tiirleß, zu jenen Men¬ für ihn wesentlich das, was man nicht weiß - ein
schen gehört zn haben, die an «Identitätshunger» hohes intellektuelles Niveau vorausgesetzt. Fata¬
leiden. Lrikson schilderte l alle, in denen jemand lerweise, gegen jede Vernunft und Arbeitsökono¬
versucht, einen Nicht-Zwilling als Zwilling zu be¬ mie, erstreckte sich diese <docta ignorantia» im Lauf
handeln1 Ls sieht so aus, als lieferten unsere Pa¬ der Zeit auch auf das Schicksal seiner Figuren, so
tienten ihre eigene Identität der ihres Bruders oder daß ihm der unbefangene Rückgriff auf Entwürfe,
ihrer Schwester aus, in der Hoffnung, durch ir¬ in denen es präformiert war, immer unmöglicher
gendeinen Akt der Verschmelzung eine größere wurde. Ende Oktober 1937 jammerte er: «Weil ich
und bessere zu erwerben. Zeitweise haben sie Lr- nicht gewußt habe, wie es kommen wird, rede ich
folg, aber die Enttäuschung, die dem Zusammen¬ um jede Bewegung zwischen Ulrich und Agathe das
bruch der künstlichen Zwillingsschaft folgen muß, gleiche herum, und das gleicht einem sehr sorgfäl¬
ist nur um so traumatischer.» tig aufgestrichenen Brei, mag er auch an jeder Stelle
Just dieses Truiuna wollte Musil anscheinend ver¬ etwas anders zusammengesetzt sein. Einzige Hofl-
meiden, obwohl es von Beginn an zum Kalkül sei¬ nung: etwas unwillkürlich Episches entstand da¬
nes Hornaus gehörte. Die Katastrophe lag in der durch auch, es gleicht vielleicht wirklich auch dem
ganzen Logik des Werks, aber Musil war von einer gesprächsweisen Vortasten im Leben. Aber wäre es
vielleicht gar nicht deutlich bewußten Angst beses¬ nur ungedruckt und noch zu schnüren und zu be¬
sen. als konnte das Schicksal Ulrichs und Agathes scheiden! »
auch Rückwirkungen auf sein eigenes und das sei¬ Für Musil wurde also nicht nur das künftige Ge¬
ner Frau haben. Das mag an Aberglauben grenzen schick seiner Figuren immer unsicherer, auch das
oder ein Atavismus sein, seiner Intelligenz unwür¬ bereits Fixierte glich einer schwankenden Moor¬
dig. Man darf aber nicht übersehen, wie hilflos decke, auf der er sich unlustig bewegte. So verglich
dieser Autor manchmal war, dem Benjamin doch er sich in einem anderen, sehr treffenden Bild ein¬
sogar nachsagte, er sei klüger als er’s notig habe; mal mit Penelope, die nachts auftrennt, was sie
wie ratlos er war gegenüber seinen Arbeitshem¬ tagsüber gewebt hat. Seine Reserve erstreckte sich
mungen. Ls ist überliefert, vor der Reinschrift des dabei nicht nur auf das, was er ursprünglich mit
ersten Randes zum Mann ahne Eigenschaften war den Zwillingsgeschwistern vorhatte, sondern auch
er total unfähigzu schreiben. Wochenlang umkrei¬ auf die Entwicklung zwischen dem Helden und
ste er, ruhelos rauchend, seinen verhängten dem Sexualmörder Moosbrugger. Anfangs war eine
Schreibtisch, und er verdankte es einigen therapeu¬ enge Verwandtschaft zwischen der Hauptfigur und
tischen Sitzungen bei dem Adler-Schüler 1 lugo I ,u- dem Prostitutiertenschlächter gegeben. Der Protest
kües. daß er das Manuskript der ersten 123 Kapitel gegen die Gesellschaft, der jene zum Spion werden
abschließen konnte. läßt, ließ sie beispielsweise auch an einem Coup
teilnehmen, bei dem Moosbrugger befreit werden
sollte — die entsprechenden Entwürfe hegen vor. Im
JVl usils Notizen deuten daraufhin, seine Gesprä¬ Lauf der Arbeit schwand Musils Interesse an Moos¬
che mit Dr. I.ukaes seien nicht tiefenpsychologi¬ brugger, die Distanz Ulrichs zu der einst geliebten
scher Natur mit ausführlicher Anamnese der Kind¬ Bestie wuchs: in den von Musil noch selbst veröf¬
heit, sondern eher verlialtenstherapeutischer Art fentlichten Teilen des zweiten Bandes wird die Be¬
gewesen. Der \rzt versuchte, ihm einige falsche treuung Moosbruggers an Clarisse delegiert, deren
Gewdlmheiten, verkehrte Vrbeitstechniken abzu- geistige Gesundheit labil ist. Ulrich zivilisiert und
gew itimen die Duldung konkurrierender Zielvor- normalisiert sich —was aus seinem «riesigen Klien¬
'Irlluu.en etwa und die mühsame Kompromiß- ten» wird, bleibt ungewiß. Fester Besitz für den
bildung Die Hemmnisse, von (lenen Musil selbst Leser sind nur jene großartigen Passagen des ersten
aigwohnic -ic koniiien in den Bereich der eigentli- Bandes, in denen die Fiktionen des Strafrechts ana¬
1 heil P-\i ho.m.dx - lallen, blieben unberührt und lysiert werden. «Es gibt für Juristen keine halbver¬
kehrten «o vielleicht immer wieder. Ls ist fast er- rückten Menschen» — an Hand solcher Kapitel er¬
::ti ilend w • Uli I I.III Ul den hii'biiehi nitragungetl läutern einem noch heutzutage manche literarisch
aus der Schweiz um 1940 h> -i w » Musil die Ar- gebildeten Rechtsanwälte, warum sie mit Strafsa¬
beitsbemmungen auf eint mangelnde soziologi¬ chen nichts zu tun haben wollen.

14
Gebärden der Verzweiflung Oder wie Sehlufei
IV* 1 il der endlosen Verzögerung der (irsrhwisler Insekten wie Menschen. Menschen wie Insekten
llondlung nickte auch das geplante Ende des Hu lieferte mit seinem Aufsatz Fnropäcrtnm, Km e
mans in immer weitere l erne Daß Krieg wurde, Deutschtum zu Beginn des Kisten Weltkriegs einen
werden mußte, isl die Summe all der widerstreben der Sundenhdle der damaligen europäischen Intel
den Strömungen und Km Iltisse und Bewegungen, ligenz. Musil, der wußte, wie hauchfem die (iren/c
die ich zeige», halte Musil 1926 formuliert, acht zwischen dem Brich des Ajiollinisehen und dem
Jahre nach dem Knde des Kisten Weltkriegs. \Is Dionysischen war (um es mit Nietzsche zu satten
Miller im September 19.J9 den /weilen Weltkrieg überschritt sie damals mit einem irre glücklichen
entfesselte, war der Autor, hei dem gegebenen Ar Kacheln Bew eis genug, w ie anfällig selbst höchste
heitstetnpo von ca. anderthalb Kapiteln per an Intelligenz lur die Versuchungen der l iefe ist. Jene
mim, immer noch Arbeitsjahre von jenem längst zwei Druckseiten Fnropäcrtnm, Krieg, Deutschtum
versunkenen August I() 14 entfernt. In radikaler sind ein faszinierendes und deprimierendes Sjiek
Verrinluelumg konnte man sagen: Inzest und Krieg takel — aktuell tut höchsten Grade, weil Musil da im
seien die beiden großen Themen des Mannen ahne Negativen ein Beispiel gab, das sich auch heute
Eigenschaften. Nur, und dies ist das Paradox, sie jederzeit wiederholen kann: die Begeisterung über
kommen darin nicht vor. Alle hinien, die privaten den Ausbruch des I ülkland Kriegs in Kngland und
seiner Melden, die der Kollektive sollten sich in Argentinien ist Beweis genug. Mil Bravour führte
einem Punkt schneiden, in der Mobilisierung, die die Vernunft ihren eigenen l Intergang vor, eine Vrt
Welt und Denken so zerriß, daß sie bis heute nicht umgekehrter Kehlcrnaeher Springprozession, drei
geflickt werden konnten». Daß es bei einem ledig¬ Schritte zurück und zwei nach vorne, bis tu den
lich imaginären Krlmili|>unkt blich, ist die Gmx Abgrund: Die Welt klaffte in Deutsch und W ider
von Musils I .eben. deutsch, und eine betäubende Zugehörigkeit riß
Sehr früh, schon im Tärleß,, hat sich Musil, Keilt uns das I lerz aus den I landen, die es vielleicht noch
nunt Musil, mit dem Phänomen des Krieges be¬ lur einen Augenblick des Nachdenkens festhallen
schäftigt. «Dann war es... möglich, daß von der wollten. Gewiß, w'ir wollen nicht vergessen, daß
hellen, täglichen Welt, die er bisher allein gekannt stets auch die andern das gleiche erleben: wahr
hatte, ein Tor zu einer anderen, dumpfen, branden¬ scheinlich sind die, welche drüben unsre Freunde
den, leidenschaftlichen, nackten, vernichtenden waren, genau so In ihr Volk hineingerissen, viel
führte. Daß zwischen jenen Menschen, deren I .eben leicht vermögen sie sogar das Unrecht ihres Volkes
sich wie in einem durchsichtigen und festen flau zu durchschaut! und es zieht sie doch mit. Unsre
von (das und Kisen geregelt zwischen flureau und Skejisis verlangt diese Vorstellungen. W ir wissen
Familie bewegt, und anderen, I Icrubgesloßenen. nicht, was es ist, das uns in diesen Augenblicken
Blutigen, ausschweifend Schmutzigen, in verwirr von ihnen trennt und das wir trotzdem lieben.
teil Gängen voll brüllender Stimmen Irrenden, Schon an diesen wenigen Zeilen läßt sich zeigen,
nicht nur ein l Ibergang besieht, sondern ihre (Gren¬ mit welchem Raffinement eine vorläufig nicht nä¬
zen heimlich und nahe und jeden Augenblick iiber- her hczeirlmele Triebschichl die Ratio in ihren
schreitbar aneinanderstoßen... Und die frage Dienst nimmt, welch fatale Synthese hier braut.
bliebe nur: wie ist es möglich? Was geschieht in Noch immer ist die Ratio zu Relativierungen in der
solchem Augenblicke? Was schießt da schreiend in I .age. Sie weiß im (Jrunde, daß die (Jegenseite sieh
die Höhe und was verlischt plötzlich?» genauso im Recht fühlt. Und entschließt sich doch,
Dies ist eines der zentralen Zitate aus dem Tärleß. sie ins Unrecht zu setzen. Die Ermordung eines
Es stellt sich die Frage nach dem Kimes zwischen ranghohen Rejiräsentanten der I lahshurger Mon
normalem Zustand und jenem ganz anderen, der arcliie genügt, tun jemanden wie Musil, der bis dato
dem weiten Bereich der Ekstase angehört, «voll alles andere als ein glühender Monarchist war. auf
Dunkelheit, Geheimnis, Blut und ungeahnter Über¬ die Barrikaden zu treiben, von einer Verschwörung
raschungen». Kaum einer der Keser von 1906 wird «von allen Rändern dieses Weltteils» zu sprechen
geahnt haben, daß in einem solchen Passus nicht und die »Todesfinsternis», die angeblich gieriger
nur die sadistischen Exzesse*, von I lalhwtichsigen mit jeder neuen Stunde aufzog», zu verklären,
thematisiert wurden. Musil tat Blicke in ein «Flie¬ heller als hundert Sonnen: Der Tod hat keine
genpapier», «in ein Zusammenleben von Alfen Schrecken mehr, die Kebensziele keine Korkung.
oder Kadetten und erkannte erst im Abstand von Die, welche sterben müssen oder ihren Besitz op
einigen Jahrzehnten, es seien Weissagungen fern, haben das I .eben und sind reich: das ist heute
«späterer Zustände» gewesen. Texte sind manch¬ keine Übertreibung, sondern ein Erlebnis, itnüber
mal klüger als ihre Urheber. blickbar aber so fest zu fühlen wie ein Ding, eine
Urmacht, von der höchstens I ,iebe ein kleines Sjilit
terchen war.»
Der Musil, der mit dem Fliegen/xipier aus dem Abenteuerlich, wie mit I lilfe von biblischen Anspie
römischen Sommer 1913 ein Schlachtfeld be¬ hingen (Matthäus-Evangelium) die Vorzeichen
schrieben hatte— «So liegen sie da. Wie gestürzte von Tod und Kelten vertauscht werden, die Gesetze
Aeroplane, die mit einem Flügel in die Kult ragen. der l.ogik ihre Kraft verlieren. Es gehl dabei nicht
Oder wie krejiierte Pferde. Oder mit unendlichen um Denunziation eines individuellen Versagens
Musils. '(uultTn um die l ntersuchung der Voraus¬ drei Begriffe als einen — bilden die Grundschicht,
VORWORT

setzungen tur eine Katastrophe mit Millionen rö¬ auf der die Sphäre der Rationalität aufruht. Er
ten Wenn derlei den Yllerklügsten widerfuhr, war umschreibt erstere im Törleß auch mit dem «dunk¬
es dann ein Wunder, wenn die Massen jubelnd len Boden des Innersten» und letztere mit dem
durch die Straßen zogen und die Gewehre mit Blu¬ «Lichtkreis des Gehirns», und die Erkenntnis ist
men geschmückt wurden? Charakteristisch also, ihm ein «Seelenzustand», auf dessen «äußerster
um das schwer Begreifbare noch einmal auf den Spitze der Gedanke nur wie eine Blüte sitzt».
Begriff zu bringen, die Rationalisierung des Irratio¬ Dieses Schichtmodell (das sich, dreigliedrig, ja
nalen oder noch eher die Emotionalisierung der auch bei Freud findet) ist offenbar nicht Fiktion,
Ratio. sondern physiologische Wirklichkeit. Das älteste
unserer Gehirne stammt aus der Reptilienphase,
das zweite haben wir von niederen Säugetieren ge¬
M usil hat einen nicht geringen Teil seiner Denk- erbt, das dritte erst ist spezifisch menschlich: das
anstrengung in den Essays der Nachkriegszeit dar¬ Großhirn.
auf gerichtet. «jenes bekannte Sommererlebnis im Diese «Denkhaube», der entwickeltste Teil unseres
Jahre 1914. den sogenannten Aufschwung zur gro¬ Gehirns, ist quasi vorsintflutlichen Strukturen im
ßen Zeit» zu ergründen, ln seinem Aufsatz Die Zentrum des Hirns übergestülpt worden, die ihrer¬
Nation als Ideal und als H irklichkeit aus dem Jahre seits Instinkte, Leidenschaften und biologische
19 21 schrieb er: «... was man anfangs stammelte Triebe steuern. Arthur Koestler, Musils kakani-
und später zur Phrase entarten ließ, daß der Krieg scher Ingenieur- und Schriftsteller-Kollege, leitet
ein seltsames, dem religiösen verwandtes Erlebnis aus dieser Schizo-Physiologie die Schizo-Phrenie
gewesen sei. kennzeichnet unzweifelhaft eine Tat¬ der menschlichen Geschichte ab: altes Gehirn und
sache; Entartung beweist nichts gegen den ur¬ neues Gehirn, Gefühl und bitellekt, Glaube und
sprünglichen Charakter. Es ist zu einer Phrase Vernunft lägen sich dauernd in den Haaren. Auf
gemacht worden, in der üblichen Weise eben da¬ der einen Seite der blasse Abdruck rationalen Den¬
durch, daß man es ein religiöses Erlebnis nannte kens, eine an einem dünnen, allzu leicht reißenden
und ihm damit eine archaistische Maske gab, statt Faden hängende Logik; auf der anderen Seite das
zu fragen, was da eigentlich an einem doch längst angeborene Ungestüm leidenschaftlich vertretener

ä entschlafenen Vorstellungs- und Gefühlsbereich so


heftig seltsam poche: dennoch läßt sich nicht leug¬
nen, daß die Menschheit zu jener Zeit (und natür¬
Glaubenssätze, das sich in den Massenmorden der
Vergangenheit und der Gegenwart austobe.

lich alle Völker in der gleichen Weise) von etwas


Irrationalem, Unvernünftigem, aber Ungeheurem D er alte Streit zwischen Kopf und Herz, der die
berührt worden ist, das fremd, nicht von der ge¬ deutsche Literatur seit dem 18. Jahrhundert durch¬
wohnten Erde, war... Man war plötzlich Teilchen zieht — schon Lichtenberg wollte mit dem Kopf
geworden, demütig aufgelöst in ein überpersönli¬ fühlen und dem Herzen denken, um dem Dilemma
ches Geschehen... es war, als ob mystische Urei- abzuhelfen—, dieser Streit ist eigentlich der zwi¬
genschaften, welche in einem Wort eingeschlossen schen Kopf und Kopf, zwischen Alt-Hirn und Neu-
die Jahrhunderte verschlafen hatten, plötzlich so Hirn. Nicht umsonst kam Musil immer wieder auf
real erwachten wie die Fabriken und Kontore am diesen Riß zurück, der durch das Wesen des Men¬
Morgen.» schen und durch seine Schöpfungen geht. Er sprach
Musil stieß allmählich zur Diagnose vor, warum vom Dualismus von Genauigkeit und Seele, von
das Leben — s. etwa Langemarck — «mit Wollust in Gewalt und Liebe, und er wollte für diese Frage ja
die Flammen geworfen» wurde. Er konnte das «ex¬ sogar ein eigenes Generalsekretariat eingerichtet
plosiv-seelische Moment», das zu Kriegen wie dem wissen, dem er nach dem Versagen des Völker¬
von 1914 gehörte, «das offenbar menschliche Be¬ bunds in den dreißiger Jahren in der Tat eine politi¬
dürfnis, von Zeit zu Zeit das Dasein zu zerreißen sche Bedeutung zumaß. Denn: «Man ist gewalttä¬
und in die Luft zu schleudern», immer genauer tig, weil die Eindeutigkeit der Gewalt nach langem
orten. Mit einem geradezu medizinischen Bild ergebnislosem Reden wie eine Erlösung wirkt. Man
sprach er vom Krieg als einer «Krankheit an diesem vereinigt sich zu Gruppen, weil Gehorsam alles das
Gesellschaftskörper»: «...eine ungeheure, ohne zu tun erlaubt, was man aus eigener Überzeugung
Zugang zur Seele arbeitende Energie brach sich längst nicht mehr vermöchte, und die Feindselig¬
diesen brandigen Eisteigang zu ihr hin.» keit dieser Gruppen schenkt den Menschen die
Ansatzweise gelangte Musil zu einer Anatomie der nimmer ruhende Gegenseitigkeit der Blutrache,
menschlichen Vernunft und Unvernunft, die von während die Liebe bald zum Einschlafen käme.
der Gehirn- und Neurophysiologie der letzten 60 Das hat mit der Frage, ob die Menschen gut oder
Jahre noch verfeinert wurde. Unzweifelhaft liegt böse seien, weit weniger zu tun als damit, daß sie
den Musilschen Vorstellungen — in seinem Essay die Verbindung von I Jöhe und Niederung verloren
I ber Robert Musils Bücher aus dem Jahre 1913 haben.»
bewies er genaue Kenntnisse in der Gehirnanato- An solchen Passagen kann man ablesen, Musil war
tnie —ein Schichteninodi 11 zugrunde. Die Seele, die allem primitiven Moralisieren, jedem expressioni¬
Triebschicht, das Unbev i ■ neiimen wir diese stischen <Der-Mensch-ist-gut>-Pathos abhold. Eine

1<>
Formulierung wie die von der fehlenden Verbin¬ ken, das indes (anders etwa als bei Ernst Gassirer
dung zwischen Höhe und Niederung kann man bei nicht an der Spitze der 1 lierarchie stehen sollte. Vis
ihm, dem ausgebildeten Experimentalpsychologen, das wahre Leben erschien ihm ein Gleichgewicht
fast im Sinne der modernen Hirnforschung verste¬ der Kräfte des Gemüts und des Verstandes. Er
hen: in vertikaler Richtung, also zwischen dem nannte es, in seiner Dauerform, Geist.
Klein- und Zwischenhirn einerseits und dem Gro߬ Koestler, ein spiritueller Bruder Musils, hofft auf
hirn andererseits gibt es sehr viel weniger Nerven- chemische Enzyme, die den homo maniacus, hilflos
verbindungen als in horizontaler Richtung, zwi¬ seinen zerstörerischen Gefühlen ausgeliefert, in ei¬
schen rechter und linker Gehirnhälfte. Vor aller nen wahren homo sapiens verwandeln könnten, so
moralischen Bewertung unserer Reaktionen möch¬ wie einst die Jodbeigabe im Speisesalz den Kretinis¬
te Musil die körperlichen Substrate untersuchen. mus in den Alpentälern beseitigte. Musil, der das
Zeitalter der Psychopharmaka nicht mehr erlebte,

D as Romankapitel, das er wohl am Tag seines


konnte nur auf die langsame, allzu langsame Ent¬
wicklung des Geistes setzen, auf «Gefühlserkennt¬
Todes (15. April 1942) vollendete, «Atemzüge nisse» und «Denkerschütterungen», die via Litera¬
eines Sommertags», ist ein Beispiel wissenschaft¬ tur sich dem Leben verschwisterten und nicht dem
licher Epik oder epischer Wissenschaft. Er thema¬ Tod. Wenn Kriege mit der Dissoziation von Gefühl
tisiert darin die Rolle des Gefühls im Leben des und Intellekt zu tun haben, dann hängt von dieser
einzelnen wie der ganzen Spezies. Er verwies auf Frage im Zeitalter der Atombombe nicht nur unse¬
die animalische Grundlage der Hauptgefühle wie re eigene Zukunft, sondern die der Welt ab.
Hunger, Zorn, Freude, Liebe, auf ihre Verwandt¬
schaft mit den tierischen Instinkten, auf die Ten¬
denz, sie ungehemmt auszuagieren: «... man heult
vor Wut oder Unglück oder Begeisterung jedesmal
los wie ein Kind und entledigt sich seines Gefühls in
einem kurzen, nichtigen Wirbel. In diesem ball,
und er ist der gewöhnliche, ist das Gefühl am Ende
der alltägliche Vermittler des alltäglichen Lebens;
und je heftiger und leichter erregbar es ist, um so
mehr erinnert dieses an die Unruhe in einem Raub¬
tierkäfig zur Fütterungsstunde, wenn das Fleisch
an einem Raubtierkäfig vorbeigetragen wird, und
bald nachher an die satte Ermüdung.»
Musil glaubte, dem «appetitartigen Teil der Gefüh¬
le» verdanke die Welt alle Werke und alle Schön¬
heit, allen Fortschritt, aber auch alle Unruhe und
allen sinnlosen Kreislauf: vom Krieg zum Frieden,
vom Frieden zum Krieg. In seinem Roman be¬
schrieb Musil die Ausbrüche <reinen> Gefühls in
sogenannten <Bewegungsstürmen>, in motorischen
Ekstasen (deren letalste Form der Gefechtsrausch
ist), er notierte auch die vermittelten Formen, in
denen sich die Ratio dem Gefühl beigesellt, ihm
dient oder es stört. Als die erstrebenswertere Art,
leidenschaftlich zu sein, erschien ihm freilich jede
andere, in dem die Ratio Gefühl und Handlung
scheinbar niederdrückt. «Und in diesem Fall wird
das Leben wie ein etwas unheimlicher Traum, wor¬
in das Gefühl bis an die Wipfel der Bäume, an die
Turmspitzen, an den Scheitel des Himmels steigt.»
Er nannte diese Versöhnung von Emotion und In¬
tellekt den «anderen Zustand» oder die «taghelle
Mystik». Sie war eine Trance ohne Bewußtseinstrü¬
bung, freilich seltenen Momenten Vorbehalten wie
jenen, da vor den Augen der Zwillingsgeschwister
ein «geräuschloser Strom glanzlosen Blüten¬
schnees» durch die Luft schwebt.

I3is zuletzt beschäftigte den Autor die Harmoni¬


sierung der Gefühls- und Verstandessphäre, von
den viszeralen Impulsen bis zum abstrakten Den¬
1880-1892

DIE ENTDECKUNG
DER FAMILIE
II IIIWI M Kl -)\ IN >1(1.1 VI 11(1

Einer m:h oi xkelsten Pi nkte im Li


ben des Menschen ist die (lehnet.
Nichts weiß man daran, als daß ein¬
gehüllt van nrweltlichen Massen et¬
was (Quiekendes, Blaurotes, wie eine
Wursthaut Glänzendes mit fessello¬
sem Wehgebrüll in die Welt gestoßen
wird — ein Vorgang, der in jeder Hin¬
sicht gegen den vornehmen Ton völlig
verstößt — und siebzehn bis zwanzig
Jahre später erfährst l)u, daß es eine
Hochgeburt, eine Hochwohlgeburt
oder eine Höhlgeburt gewesen ist.
Denn dann fängt man an, jene Wurst¬
haut, die sich inzwischen schon mit
den nötigen menschlichen Torheiten
und Niedrigkeiten zu füllen begonnen
hat, je nach ihrem Glanze als Buer
Hochgeboren, Ilochwohlgeboren oder
Wohlgeboren anzusprechen. Und nie¬
mals erfährt man eigentlich so recht,
warum und nach welchen geheimnis¬
vollen Gesetzen das vor sich geht.1

/\ Ifred Musil, der Vater Hubert Mu¬ 1


sils, geh. am 10. August 1846 in Te- Robert Musil, geb.
6. November 1880,
mesvar. wuchs von 1848 an in Cruz
im Sommer 1881
auf. studierte von I8().r) bis I8(>7 an
der dortigen Technischen Hochschu¬
le, ging dann fiir zwei Jahre als frisch-
2
gebackener Ingenieur nach Troisdorf
Das Geburtshaus
am Hliein, wo er ui der Masrlnneiifu- (vorne links) in der
brik der Friedrich-Wilhelms-Hütte Klagenfurter Bahn¬
als Konstrukteur beschäftigt war. hofstraße

20
1809 Ins 1872 war er Assistent an der
Urazer I I I. anschließend leehm-i liei
Inspektor der Dampfkessel-I ntersu
cliungs- und Versiehorimgs-Oesell
schaft in Brünn. 1873 wurde er Mit
arbeiter der Klagenfurter Maschinen
fahrik.
Wie, wann und wo er seine spätere
Frau I lennine. geh. Bergauer, ken
nenlernte, ist nicht überliefert. Seit
spätestens Sommer 187-t war das
Paar verlobt: die I loehzeil fand am
2h. Oktober 187-t in klagenlürt statt,
das bis 1881 Wohnsitz der Familie
blich. Uber die Stationen koinotau.
wo Allred Musil 1881 und 1882 l)i
rektor der Mechanischen Lehrwerk
stätte war, und Steyr, wo er von 1882
bis 1890 die Versuchsanstalt für
Stahl- und Fiscnmdustric leitete,
kam er nach achtzehn .fuhren nach
Briinn zurück: als Professor für Mn
sehinenbau. Brunn wurde ihm beruf¬
lich zum Schicksal. Trotz unbestreil
barer Reputation konnte er sich bis
zum lode nicht mehr verändern.
Hermine Musil, geh. am 18. Oktober
1853 in I .iiiz. erhielt als Tochter eines
kaiserlichen Rats und Oberinspektors
wohl die damals übliche Erziehung
einer höheren Tochter: Haushalt und
ein wenig Klavierspiel — sie soll eine
ganz passable Pianistin gewesen sein,
während Alfred Musil malte.

Der schöne Aitstiec ms /i n Ihm


lang nach Brünn. (Seme glättenden
Eigenschaften; Vorzugsschüler ohne
die üblichen Nachteile; aber doch ir¬
gendwie ohne alles geistig Vulkani¬
sche. Vielleicht muh l'ehler der Be¬
rufswahl; siehe seine Neigung zur be¬
schreibenden Naturwissenschaft.)
[...] Seine Unlust zur Mathematik,
obwohl er auch da ein vorzüglicher
Schüler gewesen war. Der Eehlschlag
mit Wien und Graz, das Stranden in
Brünn, der Verlust des Ehrgeizes o. a.
Es kommt mir manchmal cor, irgend
wie konnte ich auch so sein. ~

Mein Vater ihr sei tu kiar. heim


3 Mutter war eigentümlich verwirrt.
Hermine Musil, Wie verschlafenes Haar auf einem
geb.Bergauer hübschen Gesicht. ’
(1853-1924), die |...] die Starke meiner Mutter [... |
Mutter
die scheinbar m nichts bestand . ..
es war oft ein hoher affektiver Druck
4 hinter ihren Reaktionen, und dieser
Ingenieur Alfred war in edlen und sympathischen
Musil (1846-1924), Grundsätzen stabilisiert. Leider mu h
der Vater die Beute ihrer Nervosität .1

21
1)11. I N ll)l.< Kl v; 1)1 I! IWill I

1 ranz Xaver Bergauer, geboren ain


3. Dezember 1303 als Sohn des Ober¬
wirtschafters der Herrschaft Horo-
witz in Böhmen, der Großvater Ko¬
ben Musils mütterlicherseits, war der
erste Techniker in seiner Familie und
einer der europäischen Eisenbahn-
piomere. Von 1821 bis 1824 besuchte
er die Technische Lehranstalt in Prag
und trat sofort nach seiner Inge-
nieurprufung in die Dienste der K. k.
Privilegierten ersten Eisenbahnge-
sellschaft. Bergauer hatte bei der Aus-
steckung der Strecke Linz—Budweis
wie beim Betrieb dieser Pferdebahn
wichtige Funktionen: Bahnkorninis-
sär 1837), Lokaldirektor-Stellver¬
treter (1853), Betriebsinspektor
1855). Er diente diesem Unterneh¬
men bis zu seiner Auflösung, der Er¬
setzung der Pferdekraft durch
Dampflokomotiven. Mit seiner Frau
Emmeline, geh. Böhm, der Tochter
eines Oberamtsmanns aus Horowitz,
hatte er sieben Kinder. I lermine, Ro¬
bert Musils Mutter, war das jüngste
Kind. Der älteste Bruder Hermines,
Emil, geh. 1841, dankte als Offizier
ab und ging wegen einer unglückli¬
chen Liebe als Kaufmann nach Bue¬
nos Aires. Der Bruder Franz, geh.
1846, litt an der «fallenden Krank¬
heit» und starb bereits mit fünfzehn
Jahren.’ Musil schreibt über seine
I lerkunft:

Kickmuch müsste doch meine Le


ben.igc.sc/iic/itc dadurch interessant
sein, daß ich ein sehr disziplinierter
Schriftsteller [... j bin. meine Aszen-
denz aber allerlei Belastendes auf¬
weist. Meine ruhigen Großeltern. Ihre
originellen > Sohne. Der epilleptische,
1
früh verstorbene Sohn mit dem insel-
Konstruktions¬
artigen Zahlengedächtnis. Der gei¬
zeichnung für die
steskranke Vorfahr, von dem ich Pferdebahn Linz-
augenblicklich nicht weiß, ob er der Budweis
Erblinie angehört oder einem Seiten ¬
zweig.
Psychisch übergegangen auf mich 2
durch die Mutter. Ich will ihren Franz Xaver Bergauer
Wunsch erfüllen, nichts Schlechtes (1805-86), der Gro߬
vater mütterlicherseits,
von dir zu reden. — Die heroische, edle
einer der vier Erbauer
Seite ihres Charakters, ihre Kindes¬
der Bahn Linz-Budweis
liebe zu later und Brüdern. Ilas kann
vom übrigen gesagt werden? Große
nervöse Reizbarkeit; Heftigkeit und
3
Weiterbohren eines Reizes bis zum
Emmeline Bergauer,
Iusbruch. Heftigkeit übergehend in geb. Böhm (1820-1905),
U einkrumpf \bhcingigkeit dieser die Großmutter
Vorgänge von inneren. Auf gesteigert mütterlicherseits
glückliche oder verhältnismäßig har
manische Tage folgte unweigerlich
ein zum Ausbruch treibender.1'

M atthias Musil, geb. am 10. Fe¬


bruar 1806 als Sohn des Kleinbauern
Franz Musil, war Doktor der Medizin
und Chirurgie und diente als Militär¬
arzt bei Infanterie-Regimentern in
Salzburg, Temesvar und Graz. Ca.
1840 quittierte er den Dienst und gab
auch die Medizin auf, um Landwirt
zu werden. Er kaufte den vor den To¬
ren von Graz liegenden, 50 Joch gro¬
ßen Plachelhof, den er bis zu seinem
81. Lebensjahr mustergültig bewirt¬
schaftete. Robert Musil schreibt über
diesen Großvater:

Man hat mir in meiner Kindheit i nd


Jugend oft gesagt: du bist wie dein
Großvater (vaterseits)! Das hieß: ei¬
gensinnig, energisch, auch erfolg¬
reich, schwer umgänglich, und doch
mit einem Unterton der Achtung ge¬
sagt. Es wurde nie ins einzelne ver¬
folgt, erklärt und beurteilt. Ich habe
es immer gern gehört. Solche Kindern
gemachte Bemerkungen sind wichtig:
ungreifbar, werden sie zu Leitsternen,
stärken die Eigenliebe auf fruchtbare
Art usw. Das Merkwürdige ist das
Hereinspielen des Halbausgespro¬
chenen, Phantasieanregenden. Es
hat etwas vom Wesen des dichteri¬
schen Vergleichs.

••

T_Jber Großmutter Aloisia, Tochter


eines Hauptmann-Rechnungsführers
aus Salzburg, heißt es in Robert Mu¬
sils Tagebüchern:

Bei Grossmama Musil, h eil die Söhne


sie so liebten, scheint Herzensgüte
dazugekommen zu sein. Ihre Rück¬
sicht auf den Großvater, deren unge¬
achtet das Vermögen vielleicht von ihr
4 stammte. Denn wie konnte er in ver¬
Dr. med. Matthias hältnismäßig jungen Jahren ein Gut
Musil (1806-89) erwerben? Vielleicht war sie nicht
und seine Frau Aloisia, süßlich weich, sondern hatte viel Hal¬
geb. Haglauer
tung! viel freiwillige Unterordnung.
(1814-93),die
Was nicht ganz ins Bild paßt, ist der
Großeltern väter¬
Akatholizismus, überhaupt die Areli-
licherseits
giosität der Familie. / ielleicht
herrschte eine Art Theismus, eine Irt

5 Gut- und Ordentlichsein; vielleicht


Der Plachelhof auch eine Scheu, viel von Gott zu
bei Graz sprechenf

23
/

Als Ingenieur Alfred Musil am


1. September 1882 zum Leiter der
Fachschule und Versuchsanstalt für
Eisen- und Stahlindustrie in Steyr be¬
rufen wurde, war diese Stadt an der
Enns dank der Werndlschen Gewehr¬
fabrik eine der führenden Waffen¬
schmieden Österreichs. Dank Werndl
und seinem Mitarbeiter Schuckert
war Steyr indes auch führend in der
Elektrotechnik, in der Entwicklung
von Turbinen, Generatoren und
Glühlampen. Ingenieur Musil erhielt
so Kontakt zur neuesten Technik. An¬ 1
läßlich einer Elektrizitätsausstellung Maschinenhalle
wurde Steyr am 1. August 1884 als der Werndlschen
Gewehrfabrik in
erste Stadt in der Geschichte der
Steyr
Menschheit durch Strom taghell er¬
leuchtet.

2
Geboren in Steyr. Eigextuch nicht Werndl-Denkmal
ganz. Aber im Zeitalter der Verset¬ in Steyr
zungen, Geschäftsaufenthalte udgl.
werden viele anderswo geboren als sie
auf die Welt kommen [...] 3
K. k. Fachschule
für Eisenindustrie
Steyr ei\ sehr umsichtig gewählter
in Steyr, deren
Ort. IVaffenfabrik — soziale Frage und
Direktor Alfred
Wettrüsten. Aufgeklärtes Haus, in
Musil vom Septem¬
dem man nichts glaubt und nichts als ber 1882 bis
Ersatz dafür gibt. Januar 1891 war

24
_„Steqrer 3gitunfl“
tocaInai)rid)Un.
Stepr, 12. September 1880
Die natürliche Liehe iies Sohns zi \i
Vn#|et(|nanfl. <5e. Sftajeftdt ber ftaifer ^at mit
Vater ist größer als die zur Mutter.
Äßcr$ö<$fttr ttntfqlicBung oom 2. September b. 3 bem
Aber warum? Da ist noch etwas da¬
^irector ber oereinigten ^ac^fc^ute unb 33erfu<f)*anftalt für zwischen. Warum hat sie ihren Sohn
Sifert: unb Staf)I*3nbuftrie in Stepr, $errn ?üfreb flftufU, nicht mit Zärtlichkeit umgeben und
ba? iHitterfreuj be2 5rünJ;3ofef;Crben8 oerliefjcn. seine Zärtlichkeit auf sich gelenkt '
Spätestens in seinem 4. oder 5. Jahr
beginnt der Konflikt.
4 Eigensinn gegen Eigensinn. Nicht die
Spur von Erotischem.
(Die einzige Andeutung höchstens die
Ermahnung, die Hände stets über der
Bettdecke zu halten, aus nicht ganz
bestimmten Gründen. Aber die war
erfolgreich und packte das leicht zu
entflammende Gemüt, dessen Erinne¬
rung eine Farbe der Dankbarkeit und
des Vertrauens bewahrt.)
Vielleicht Eifersucht, weil die Zärt¬
lichkeit des Sohnes mehr dem Vater
gilt.
Bewußt erinnerter Ausbruch des Kon¬
flikts: Spaziergang. Stoppelfeld (Ich
erinnere mich noch an einen Bach mit
Weiden und an «Hundsveilchen».)
Der Knabe höchstens 5jährig. An¬
scheinend heftig und ungehorsam ge¬
zeigt. Mit den Schuhen ins Hasser
odgl. Mußte zur Strafe bloßfüßig wei¬
tergehen. Irgendeine Erinnerung, die
in die Sohlen sticht. Zu Hause dann
die solenelle Bestrafung. Eine Rute
wird eingeweicht. Papa außerordent¬
lich höflich und ernst; ich glaube, er
hat bei seiner Ermahnung fast ge¬
weint und das Ganze war etwas um¬
ständlich.
Die Exekution offenbar auf Betreiben
der jungen Mutter. Und deshalb setzt
der ganze Vorfall frühere Konflikte
(wahrscheinlich Ungehorsam und
Heftigkeit) voraus. Der Knabe hat
keinen Widerstand geleistet, er war
einfach überzeugt von Papa. Keine
Erinnerung an Schmerz, kein Schrei¬
4 en. Wahrscheinlich Tränen verbissen,
Nachricht in der und wahrscheinlich eine sehr gelinde
«Steyrer Zeitung» Züchtigung.
über eine Auszeich¬ Aber welches Entsetzen! Ich glaube,
nung des Vaters am es war auch die Eltern erschreckend.
12. September 1889
Beinahe fieberhaft.
Und im zehnten Jahr haben sich die
heftigen Auftritte wiederholt, sind zur
5
Hermine und Gewohnheit geworden.
Alfred Musil im Jahre Noch einmal Versuch einer Züchti¬
1887 in Steyr gung, da aber Widerstand10
1)11. KN 1 1)1 ( Kl \(. 1)1 H IWill 1!

[. . . j MEINE VOR MEINER GEBURT GE-


storbene Schwester, mit der ich einen
gewissen Kultus trieb ... Ich trieb in
Wahrheit keinen Kultus; aber diese
Schwester interessierte mich. Dachte
ich manchmal: wie, wenn sie noch am
Leben wäre; ihr stünde ich am näch¬
sten? Setzte ich mich an ihre Stelle?J 1

[. . .] ALS ER EIN KLEINER KNABE


war, in den Jahren, wo sie noch Mäd¬
chenkleider tragen, wünschte er sich
selbst heimlich, ein ' Mädchen zu
sein. In solchen Augenblicken fühlte
er gegen die Türe eines Wunderraums 1
zu lehnen, die er nicht öffnen konnte. Elsa Musil, die
Da seinem Alter der l literschied der Schwester, geb. am
Geschlechter nicht klar ist, war die 15. Januarl876,
Wirklichkeit zwar ein unüberwind¬ gest. am 5. Dezem¬
licher, aber ein blutwarmer Hider- ber 1876
stand, den der von keinem Aachden¬
ken über die Art der Verwu ' rhung
gehemmte H ürisch durchdrang. ' irl- 2
Robert Musil (vorne
leicht geschah auch nichts, als daj>
rechts) und die
die Seele eines Mädchens, die er da
Geschwister Lorenz:
mals noch in sich tragen mochte, sieh
der Cousin Oskar
nach der Knabenseele in ihm sehnte und die Cousinen
und für Minuten die andre überflu- Hermine und Anita,
Steyr 1884

26
Das Zimmer mar gross, hatte 2 Fes
ster gegen den Garten und lag infolge
der großen Bäume fast stets im Schat¬
ten [...] Öfters stand er lange — eine
halbe Stunde, dreiviertel Stunden —
an einem der Fenster und schaute in
den Garten. Aber auch dies war mehr
ein unerklärlicher Bann als ein Ge¬
nuß. Man konnte ohnedies nichts se¬
hen als ein Stückchen der Kieswege
und Blätter, tausende, zehntausende
von Blättern, in den verschiedensten
Farben von beschattetem Grän und in
den verwickeltsten Durcheinander¬
schiebungen. Aber auch das sah Ro¬
bert nicht. Er sah nur eine dunkle
Masse, eine langsam bewegte, atmen¬
de Masse, etwas Dunkles breitete sich
über sein Inneres, etwas ganz Gleich¬
mäßiges, ohne alle Kennzeichen er¬
3
füllte seine Seele. Und wenn er sich
Blick in den Garten
des Steyrer Wohn¬ endlich vom Fenster losriß, war er
hauses Preuenhuber- stets müde und zum IIeinen aufge¬
gasse 4 legt-13
1)11. IM 1)1 ( Kl V. 1)1 II l-WII

Seit hann sie ihres Taufnamen eng-


lisch führte, weiß ich nicht; aber sie
wur schon die jüngere Freundin mei¬
ner Großmutter gewesen und die Kla¬
vierlehrerin meiner Mutter [...] Sie
trug nur ein Kleid, wenn es auch, wie
das wahrscheinlich ist, mehrmals
vorhanden war; es war ein enges Füt-
teral aus rilliger schwarzer Seide, das
bis zum Hoden reichte, keinerlei kör¬
perliche Ausschweifungen kannte
und mit unzähligen kleinen schwar¬
zen Knöpfen zu schließen war wie die
Soutane eines Priesters. Oben kam
ein niederer Stehkragen knapp dar¬
aus hervor, mit umgebrochenen
Ecken, zwischen denen die fleischlose
Haut des Halses bei jedem 7ug an der
Zigarre tätige Rinnen bildete [...]
und das Dach bestand aus einer röt¬
lich blonden, schön gewellten Pe¬
rücke, die in der Mitte gescheitelt

[. . .] UND ER HAR KÜNSTLER, WENN


1
auch aus schnödem Mißgeschick nur
Mary Petermandl
Photograph einer Provinzstadt. Sie (1833-1920), die
heiratete ihn gegen den Willen ihrer langjährige
Angehörigen. Er machte Schulden Klavierlehrerin der
wie ein Genie. Er war leidenschaftlich Familie Bergauer,
und mußte trinken. Sie entbehrte für Linz, auch von
ihn. Sie holte ihn aus dem Wirtshaus Robert Musils Mutter
Hermine. Musil
zu den Göttern zurück. Sie weinte
nannte sie in seinem
heimlich und zu seinen Knien [...] Er
Feuilleton «Die Ent¬
verließ Mary nach dreiviertel Jahren
deckung der Familie»
mit ihrer bäurischen Magd, die er ge¬
bei ihrem wirklichen
schwängert hatte. Er starb bald dar¬ Vornamen Mary, im
auf. Sie nahm sein uneheliches Kind 99. Kapitel des
an eigen statt und zog es auf. Sie «Mannesohne Ei¬
schnitt eine Eocke von dem gewalti¬ genschaften» Jane
gen Haupt und bewahrte sie auf. Sie
sprach nie von dieser Zeit. Man kann
2
vom Leben, wenn es gewaltig ist,
Albert Petermandl,
nicht auch noch fordern, daß es gut
Photograph, der
sein soll.1’ Gatte Mary Peter¬
mandls, in Linz zwi¬
Onkel Nepoml k. genannt Mi schen 1855 und
war ursprünglich Chemiker, und 1873 nachweisbar
wichtige Erfindungen waren ihm ein¬
gefallen, welche die Menschheit ein
tüchtiges Stück hätten vorwärtsbrin¬ 3
gen können. Aber er hatte das aufge¬ Moritz Bergauer
(1845-96), Bruder
geben und kaufte sich ein Steinmetz¬
von Musils Mutter
geschäft, wo er nichts ah Grabsteine
Hermine, Steinmetz
machte; das kam davon, daß er Scho¬
in Linz. In seinen
penhauer las, es wareine Laune. Und Texten nennt
zum anderen Ted kam es wahrschein- Musil ihn Mucki 3


lieh auch davon, daß er sich bis zu
seinem Tod vor der Zuckerkrankheit
fürchtete, und in seinem Zimmer
stand eine ganze Glasburg von Destil¬
lierkolben und Reagenzgläsern, mit
denen er sich allwöchentlich unter¬
suchte. Aber dann starb er an etwas
ganz ariderem; denn so war er, lau¬
nenhaft und übrigens auch jähzornig,
aber nett, trug immer Anzüge aus
braunem englischem Cheviot mit wei¬
ßen Westen, und hielt das in der Man¬
neslinie sich vererbende schöne eng¬
lische Rasierzeug Urgroßvaters viel
4
ordentlicher, als ich es heute tue.16
Alois Musil
(1868-1944),
bedeutender
Orientalist und jVIoritz Bergauer starb tatsächlich
Forschungsreisender nicht an Zuckerkrankheit, sondern
in der arabischen an einem Gehirnschlag.
Welt, Mitglied der
Royal Society of Mein Grossster ist ein Mann gehe-
London for Improv¬
sen, der seinen Kreis durchbrochen
ing Natural
und dabei Erfolg gehabt hat. Mein
Knowledge, im
Vater hat ganz innerhalb des ihm Ge¬
Beduinengewand
gebenengestrebt, durchaus in Anpas¬
sung an die Möglichkeiten, und nur
5 zuletzt (Wien, Graz) ohne Erfolg. Ich
Richard Musil, geb. bin wie mein Großvater (meinem la¬
1848, der jüngste ter eigentlich unverständlich), aber
Bruder Alfred Musils,
ohne Erfolg. Alois hat das Schicksal
Oberingenieur
meines Großvaters, seines Großon¬
bei den Staatsbah¬
kels, wiederholt.1
nen, mit seiner Frau.
Außerdem hatte
Alfred Musil die Welche gedeihende Familie, die va-

Brüder Rudolf (geb. terseits! In welcher Liebe die Ge¬


1838), der Feld- schwister um die Mutter versammelt.
marschalleutnant Sie trinken viel Milch von ihren eige¬
wurde, Viktor (geb. nen Kühen und dürfen ein paar Trop¬
1840), Buchhalter fen Kaffee hineintun. — Meine Mutter
in Graz, und die
hat dann ihren Mann des vielen
Schwester Hermine
Milchkaffeetrinkens (statt des Abend¬
(geb. 1842), die
essens) entwöhnt. — Die Romantik der
mit einem Landes¬
gerichtssekretär Brüder noch bei der Erbteilung, und
Geyer in Graz verhei¬ später waren sie teils verfeindet we¬
ratet war gen der Frauen), teils abgekühlt.n

90
/

[...] OHNE DASS EH RECHT WUSSTE WAR-


um, erinnerte er sich an einige Kin¬
derbildnisse, die er vor einiger Zeit
wiedergesehen hatte ... und mit
Fremdheit hatte er auf ihnen einen
kleinen Knaben erblickt {...] Die äu¬
ßerst eindringliche Vorstellung eines
braven, liebevollen, klugen kleinen
Jungen, die man sich von ihm ge¬
macht hatte; Hoffnungen, die ganz
und gar noch nicht seine eigenen wa¬
ren; ungewisse Erwartungen einer
ehrenvollen erwünschten Zukunft, die
wie die offenen Flügel eines goldenen
Netzes nach ihm langten—: obgleich
alles das seinerzeit unsichtbar gewe¬
sen war, hatte es sich nach Jahrzehn¬
ten doch sehr deutlich den alten Plat¬
ten ablesen lassen, und mitten aus
dieser sichtbaren I nsichtbarkeit. die
so leicht hätte Wirklichkeit werden
können, blickte ihm sein weiches, lee¬
res Kindergesicht mit dem etwas ver- ]
störten Ausdruck des Stillhaltens ent- Robert Musil
gegen.'" in Steyr 1887

30
Ein IETTER MEINER Ml TIER IEIISTIWH
mir einmal eines seiner Reitpferde
[...] und ich weiß noch heute ganz
genau die Stelle, wo das geschah; an
einer bestimmten Straßenecke, um
die wir nach links bogen, ich neben
ihm wie ein Prellstein neben einem
wendenden Heuwagen. Da hatte ich
ohne jede Einleitung gesagt: Onkel
[...] schenk mir eines von deinen
Pferden! Und er hatte ebenso rasch,
ohne jede Überlegung geantwortet:
Gern, du mußt nur warten, bis es um¬
gestanden ist! Er hatte sich einen
Scherz mit mir erlaubt, aber ich hörte
nur die Bereitwilligkeit des Tonfalls
und verstand die Einschränkung
nicht [...] so dachte ich, daß auch
Umstehen etwas mit dem Pferde sei,
das bald kommen und abgewartet
2 werden müsse, ehe man es mir über¬
Oberst Josef Edler
geben könne [...] es entstand eine
von Bergauer,
unbeschreibliche Verwirrung von
einer jener zahlrei¬
chen Offiziere, Schlaf und Hachen, eine Vereinigung
Reiterund Jäger von Ich und Pferd, die sich bis in die
in der Familie Einge weide fraß.

31
7
1

Der Kirchberg in Stetr. Das grosse


(vermutlich) junge schwere Pferd, das
(vermutlich) im Scherz mit der
Schnauze nach meiner Brust gefaßt
oder gedroht hat. Mein ungeheurer
Schreck, an die Hauswand gepreßt,
ohne Möglichkeit, auf dem sehr
schmalen Gehsteig auszuweichen.
Wahrscheinlich auch Wirkung der
I berrasehung dabei. Als Scheu vor
Pferden (ja vor Tieren) zeitlebens ge¬
blieben. So bestimmend wäre die
Nachwirkung solcher A ugenblicke.11

[...] ES H AR SEINE KINDHEIT [...] DARIN


kamen schöne braune und gescheckte 1
Pferde vor in schweren mit Messing Der Kirchberg
in Steyr
und Pellen beschlagenen Geschirren
[...] die Pferde zogen immer Holz
[...] und die Knechte trugen kurze, 2
violett und braun gewürfelte Langholzfuhrwerk
Jacken.11 in Steyr

32
I

33
DU I MDI CKI M. DM I

Sie alle säumen des Hut vor einem


großen Kreuz ab mit einem blecher¬
nen Christus, das in der Mitte der
Brücke stand, nur ein kleiner Bub,
der im Hinter bei der Brücke zu¬
schaute, hatte den seinen nicht ziehen
wollen, denn er war schon klug und
glaubte nicht. Da konnte er plötzlich
seinen Bock nicht zuknöpfen; er
konnte es nicht. Der Frost hatte seine
Fingerlein gelähmt, sie faßten einen
Knopf und zogen ihn mit Mühe heran,
aber so wie sie ihn in das Knopfloch
schieben wollten, u nr er wieder auf
seinen alten Platz zurückgesprungen,
und die Finger blieben hilflos und ver¬
dutzt. Sooft sie es auch versuchten, 1
endeten sie in einer steifen Verwir¬ Zusammenfluß der
rung. 21 Enns und Steyr

:u
I Iernnne Musil lernte Keiler in Kn
motau kennen, wo Alfred Musil von
September 1881 bis Wigiist 1882 1)1
rektor der Mechanischen Lehrwerk
Stätte war lind Heiter, Jahrgang 1856
und zehn Jahre jünger als Alfred Mu¬
sil, Supplent an eben dieser Anstalt.
Reiter, der auf die Jagd ging, scheint
eher dem «Typ Hormine Musils ent¬
sprochen zu haben. Der Sohn Robert
schreibt:

Sit: HATMEINEN I ATER l-l StIHT/1 1 HER

er hat /acht ihren Neigungen entspra¬


chen, die anscheinend in der Rich¬
tung des männlichen Mannes gegan¬
gen sind.'*

••

Überliefert ist, daß Reiter Familie


Musil auch nach deren Abschied von
Komotau und deren Übersiedlung
nach Steyr und Brunn häufig in die
Ferien begleitete. Im Jahre 1900 ließ
er sich an die Staatsgewerbeschule in
Brünn versetzen, hielt dort zwar eige¬
ne Wohnungen, war aber die folgen¬
den 24 Jahre ständiger Hausgenosse
der Familie Musil. Hermine Musil ge¬
stand ihrem Sohn Robert um 1905,
daß Reiter, zu dem einzigen Inhalt
ihres Lebensgeworden sei. Über
den eigentlichen Charakter der Bezie¬
hung zwischen seiner Mutter und Hei¬
ter blieb sich Robert Musil wohl bis
zuletzt im unklaren. In seiner Novelle
«Tonka» nannte Musil Heiter Hya¬
zinth.

Er har nicht hirklich ein Verhand-


ter, sondern ein Freund beider Eltern,
einer jener Onkel, welche die Kinder
vorfinden, wenn sie die Augen auf-
schlagen [...] Aus Gründen, die dem
jüngeren niemals klar geworden, heg¬
te dieser Mann seit vielen Jahren eine
ausdauernde, bewundernde, selbst¬
lose Liebe zu dessen Mutter [...] Sie
maskierten ihr Verhältnis sorgfältig
und auch vor sieh als geistige Freund¬
schaft, aber es gelang nicht immer,
2 und zuweilen waren sie ganz entsetzt
Familie Musil
über Hyazinthische Schwächen, die
mit dem Hausfreund
sie in Gefahr brachten und unsicher
Heinrich Reiter
(sitzend) auf einem machten, ob sie nun Julien müßten
Ausflug an den oder starkmütig zur alten Hohe wie¬
Achensee 1887 der hinansteigen sollten/"

35
1)11, KM 1)1.( kl \(. Dl H IAMIl.lt

on seiner Jugendlektüre nennt


Musil nur den seligen Käptn Marryat,
der unsere Kindertage erfreut hat.
In der Erzählung «Die Amsel» erin¬
nert sich Musil an die Zeit, als er dort
am Fichtentisch unter der Petroleum¬
lampe saß, deren ketten drei Delphi¬
ne im Maul trugen. Dort saß ich [..
viele Stunden des Tages und las
ein Kind das mit den Beinen nicht zur
Erde reicht. Denn siehst du, daß un¬
ser Kopf haltlos ist oder in nichts ragt,
daran sind wir gewöhnt, denn wir ha¬
ben unter den Füßen etwas Festes;
aber Kindheit, das heißt, an beiden
Enden nicht ganz gesichert sein und
statt der Greifzangen von später noch
die weichen Flanellhände haben und

!
vor einem Buch sitzen, als ob man auf
einem kleinen Blatt über Abstürzen
durch den Raum segelte

Ras kr [...] lernte, war ihm sehr


gleichgültig, er frug nie, wozu es ihm
eigentlich dienen sollte, — der Zwang
des Lernens an sich bereitete ihm Ge¬
nuß. Er war wie ein starker Strick, der
ihn an seinem Stuhle festband, und
ihn vor dem Schwindel sicherte, den
die ringsum ins Grenzenlose abstür-
l zende Leere ihm verursachte. Gab es
einen Deutschaufsatz, so steigerte
j sich dies Gefühl. Die Lehrer wunder¬
ten sich über die Länge seiner Arbei-
| ten und über den Reichtum von An-
S sichten und Bildern, den er hinein¬
trug. Ihm war es als ob er mit glühen¬
den Rängen auf einem Turmseile liefe Illustration zu
• und sich nur durch die Geschwindig¬ Frederick Marryats
keit, mit der er seine Gedanken häuf- «Sigismund Rüstig»

1 te, retten könne. Aber wenn es auch


manchmal zwei bis drei Stunden dau¬
2
erte, — schließlich, wenn das letzte
Volksschule an der
[ Rört geschrieben und alles nochmals
Promenade, Steyr,
durchgelesen war — stürzte er doch die Musil von 1886
I wieder ab.2H bis 1890 besuchte

36
Aus den Zeugnissen geht hervor,
daß Musil - ein vorzüglicher Schüler!
- im zweiten Halbjahr der dritten
Volksschulklasse, von Ende Januar
bis Juli 1898, an einer «Nerven- und
Gehirnkrankheit» litt und daß er

3 auch in der vierten Klasse wegen Ge¬


Klassenkatalog hirnhautentzündung und Nervener¬
der Volksschule krankung insgesamt 65 läge den l n-
an der Promenade, terricht versäumen mußte und Pri¬
Steyr, Schuljahr vatunterricht erhielt.
1888/89 Die medizinischen Auswirkungen die¬
ser schweren Erkrankung, die sich im
Frühjahr 1892 in Brünn in ähnlicher
4
Form wiederholte, sind ungeklärt,
Bundesreal¬
aber möglicherweise gravierend, spe¬
gymnasium Steyr,
das Musil 1890/91 ziell im Hinblick auf Musils neuroti¬
besuchte sche Arbeitshemmungen.

37
/./MM/ vtV* LH VEF HIXTER l>L\ SwÄl
ehern, an dem Holzzaun, der den
Nachbargarten abtrennte. Da be¬
treute sieh drüben gleichfalls etwas in
den dichten Gebüschen. Sein Herz
hämmerte ängstlich aber er blieb ru¬
hig sitzen. Es war ein kleines Mäd¬
chen. das Hertha hieß und das jüng¬
ste von den fünf Kindern des nebenan
wohnenden Landesgerichtsrats war.
Sie trafen sich dann öfters in aller
Heimlichkeit. I ridjedesmal, — schon
wenn er vorsichtig die Büsche teilte
um hineinzukriechen — klopfte sein
Herz so stark wie beim ersten Mal,
Besonders stark aber, wenn ihm Ber¬
tha erzählte, wie ihr later, der sehr
jähzornig war, sie schlage. I nd ein¬
mal als Bertha noch mit Thronen in
den Augen kam und die Haut ihrer
Hangen von den salzigen Tropfen er¬
weicht und aufgezogen einen eigen¬
tümlich warmen Duft ausströmte, —
schlug sein Heiz bis in den Hals hin¬
auf, so daß er sich an den hölzernen
Stäben des Gitters anhielt und an je¬
dem Horte würgen mußte, während
es in seinen Augen rijs und zitterte.
Endlich hatte er es hervorgestoßen.
♦Zeig mir, wo er dich geschlagen hat»
und war nun ganz furchtsam über
seine K ühnheit und hatte ein unklares
Gefühl etwas Schlechtes zu tun und
fürchtete daß Bertha davonlaufen
und erzählen würde, wie schlecht er
sei.
Denn er mußte Nachts immer mit den
Händen ober der Decke schlafen und
man hatte ihm immer erklärt, daß ge¬
wisse Körperteile unanständig seien
[•••]
Später hatte er noch öfters Zusam¬
menkünfte mit Bertha. Aber sie
brachten nur sein ganzes Besen in
Aufregung, verliehen ihm eine un¬
heimliche Beschleunigung—er konnte
nichts lange in der Hand halten, er
überstürzte sich beim Sprechen, wenn
er im Bett lag jagten sich die Gedan¬
ken so, daß er keinen recht festhalten
1
konnte.1'1
Der Garten am
Haus Preuenhuber-
gasse4inSteyr
• Tinter der von Musil apostro¬
phierten Bertha verbirgt sich Alberti-
ne Barber. Tochter des im Nebenhaus 2
Franziska, Maria
wohnenden jüdischen Kreisgerichts-
und Madeleine
adjunkten I)r. Isidor Barber. Alberti¬
Honsak (von links),
ne zog mit ihrer Familie 1893 nach
Spielgefährtinnen
)Xels. 192, nach Wien und würfle
Robert Musils aus
1941 nach Kowno «umgesiedelt». dem Haus Preuen-
Ein Bild von ihr liels sich nicht finden. hubergasse 4

38
TX rotz Sozialleistungen wie Invali¬
den- und Alterskasse in den Werndl-
schen Betrieben kam es im Stevr der
achtziger Jahre gelegentlich zu Arbei¬
terunruhen, unter anderem wegen
schlechter Wohnverhältnisse. Eine
dieser Unruhen fand bald nach
Werndls Tod (29. April 1889) iin Juni
1889 statt. Sie wurde durch ein Ba¬
taillon Infanterie aus Linz niederge¬
schlagen.
3
Selten ein politisches Wort im El
ternhaus [...] Die Angst des Kindes
vor den Russen und vor den Arbeitern
ist ohne Einfluß geblieben. Erwägens¬
wert aber, wie gute Leute, wie meine
Eltern, die streikenden und unruhi¬
gen Arbeiter zum voraus als bös emp¬
fanden. Welche Freude als Militär
nach Steyr dirigiert wurde [...] und
als einziges Ergebnis davon die Verlo¬
bung von Oberleutnant Graf Wimpfen
mit Gisa Ecker.30

In einem Hotel am Marktplatz, ton


wo man als Bübchen, auf einen Stuhl
gekniet, auf einen langen rotsamte¬
nen Fensterpolster gestützt, den
Fronleichnamsumgang sah. Stehen¬
bleiben, ruckweises Anziehen der
Prozession; um den länglichen
Marktplatz herum. Schreck vor die¬
sem aufgeregten, wurmartigen Sich-
gebärden. Fast Angst wie vor einer
Übeltat. Lichtgrün aufschreiend im
Anblick der jungen Birken, die wie
erwachsene Spielschachtelwäldchen
bei den Altären aufs Pflaster gestellt
sind. Unergründlich vor den kleinen
Mädchen, die heute so dumm tun, wie
Konditorhandschrift in weißen
3 Schnüren von Zuckerguß. Unter die
Steyrer Arbeiter umklammerten Wurzeln der Haare
beim Verlassen
verkrochen vordem Entzücken unten,
der Fabrik
das wie ein Schwert aus der Scheide
fliegt, wider alles Gesetz, wenn die

4 Bürgergarde sich zum Feuern rüstet.

Fronleichnams¬ Beruhigung endlich; fröhliches Loch,


prozession auf dem das ein zu spät losgegangener Schuß
Hauptplatz in Steyr verlegen wichtig in die Luft rundet

39
i
1)11. I M Dl < kl M . Hl R !

AaG/SA KNÜPFT SICH: [...] MEINE KnA-


benerotik, u. a. mit einem Wünsch 'ei¬ 1
ne Erau zu haben», der wohl nicht nur Gisa Ecker, Tochter
für mich persönlich bezeichnend istf2 des Direktors
der Wolfsegger
Es] lockte seine Erinnerungen hie Kohlenwerke (qeb.
1874)
leises heißes Lampensummen lang¬
sam in seinen Gliedern empor. Die mit
dem Geruch und dem Herzklopfen 2
stammte von einem Zirkus in der Höhle im Steyrer
Stadt Steyr in Oberösterreich. Er war Stodtwald

40
Circus Hubert Cooke
um (Sari

in brr böseren IReitfunft, Pferbrbrefjur, ©ei^


tang, (Stymnaftif unb Pantomimen, mit ftets ab
medjfelnbem Programm
3n jeherSorfteHung Auftretenber meltbniltjmten
3a|ianefett;Xrn|i|)e ftamafitdi

Freitag ben 14. Februar


große (5aln-öorftcllnuo
$um ©enefije ber beliebten Leiterin SRtfe $(attd)f.
An ©onn* nnb Feiertagen $mei SSorfteKungen,
um 4 Ufjr 9tad)mittag unb 71/2 Uf)r Abcnb$
§od>ad)tenb
[58] Hubert Cooke, $)itfctor.

damals ein kleiner Bub und konnte


nicht begreifen, daß solche Uärider-
menschen ein gewöhnliches Familien¬
leben führen [...] Er [...] hatte [..
das Unvorstellbare angebohrt; hinten
in die Bretterverschalung des Zirkus
schnitt er heimlich ein Loch und erst
als es dann in den Stall statt in die
Garderobe sehen ließ, versagte sein
Mut und er traute sich nicht ein zwei¬
tes zu machen. Jedoch spürte er nun
eine Höhle im Stadtwald auf und dort
3 saß er wirklich, dachte an die wun¬
Annonce des derschöne Blanche, die währenddes¬
Circus Cooke anläßlich
sen unten in der Stadt mit gelösten
seines Steyrer Gast¬
Haaren, in grünen Samt auf ihrem
spiels im Februar 1890
Schimmelfür den Abend ihre Sprünge
probte, und hielt finster ein Reh-
4 krickel in der Tasche bereit für alles,
Zirkusreiterin was kommen konnte.33

41
IW i M 1(1
IN ) Kl I VI
MCI

[...] zv jexer Zeit rarex ix der


Stadt die Ankündigungen eines Zir¬
kus ungeschlagen gewesen, worauf
... Löwen, Tiger ebenso wie große
prächtige, in Freundschaft mit ihnen
lebende Hunde vorkamen, und schon
lange hatte er diese Anschläge ange¬
starrt, als es ihm gelang, sich eines
dieser bunten Papiere zu verschaffen
und die Tiere auszuschneiden, denen
er nun mit kleinen Holzständern Stei¬
fe und Halt gab. Uäs sich sodann
begab, läßt sich nur mit einem Trin¬
ken vergleichen, das den Durst nicht
zu Ende löscht, auch wenn man es
noch so lange fortsetzt; denn es hatte
weder einen Halt, noch ergab es in
wochenlanger Ausbreitung einen
Fortschritt, und war ein dauerndes
Hinübergezogenwerden in diese be¬
wunderten Geschöpfe, die zu besitzen
er mit dem unsäglichen Glück des ein¬
samen Kindes jetzt ebenso stark ver¬
meinte, wenn er sie ansah, wie erfühl¬
te, daß daran etwas Letztes fehle, das
durch nichts zu erfüllen war. wovon
1
dann gerade das lerlungen das ma߬ Dressurgruppe
los durch den Körjrer Strahlerule er¬ mit Löwen, Tigern
hielt. H und Doggen

42
IM 1)1 ( Kl N(. Dl K I AM 11 Ü

An. 1. Oktober 1890 wurde Inge¬


nieur Allred Musil zum Professor für
Maschinenkunde, Maschinenbau und
theoretische Mast hinenlehre an der
TU Brünn ernannt. Robert Musil
nannte dies später ein «Stranden» in
1)11

Brünn, weil sich Pläne einer Professur


an den Technischen Hochschulen in
Wien oder in Graz. Alfred Musils Hei¬
matstadt, zerschlugen. Im Rahmen
des Üblichen absolvierte Alfred Musil
jedoch durchaus eine erfolgreiche
Professoren-Karriere. Er war Mit¬
glied zahlreicher Kommissionen und
Jurvs, mehrfacher Patentinhaber,
zweimal Rektor der TH Brünn und
wurde 1908 zum Hofrat ernannt.

E/.v Ältester Kth \ deltsche.\ Bür


gertums, der vor Jahrhunderten auf
slawische Erde geraten war, war da
verwittert, so daß außer einigen Kir¬
chen und Familiennamen kaum noch
etwas an ihn erinnerte. und auch vom
alten Sitz der Landstände, den diese
Stadt später abgegeben hatte, war
außer einem erhalten gebliebenen
schönen Palast wenig mehr zu sehen;
aber über diese Vergangenheit hatte
sich in derZeit der absoluten Verwal¬
tung das große Aufgebot einer kaiser¬
lichen Statthalterei gelagert mit sei¬
nen Zentralämtern der Provinz, mit
den Haupt- und Hochschulen, den
Kasernen, Gerichten, Gefängnissen,
dem Bischofssitz, der Redoute, dem
Theater, allen Menschen, die dazuge¬
hörten, und den Kaufleuten und
Handwerkern, die sie nach sich zo¬
gen, so daß sich schließlich auch noch
eine Industrie zugewanderter Unter¬
nehmer anschloß, deren Fabriken
Haus an Haus die Vorstädte füllten
und das Schicksal dieses Stücks Erde
in den letzten Menschenaltern stärker
beeinflußt hatten als alles andere.
Diese Stadt hatte eine Geschichte,
und sie hatte auch ein Gesicht, aber 1
darin paßten die Augen nicht zürn Brünn, Blick vom
Mund oder das Kinn nicht zu den Jakobsturm über
Haaren, und über allem lagen die ^en 9r°ßen Platz
Spuren eines stark bewegten Lebens, au^ *^en ^om
das innerlich leer ist. Fs mochte sein,
daß dies unter besonderen persönli- O
chm I nutänden große l ngewöhn- Der Spielberg,
lieh keilen begünstigte.™ Brünn

44
*Dieses alte Brünn ist übrigens eine
üble Stadt [...] In der Mitte liegt auf
einem Berg eine alte häßliche Fe¬
stung, deren Kasematten von der
Mitte des 18. bis zu der des 19. Jahr¬
hunderts als Staatsgefängnis gedient
haben und berüchtigt waren, und
die ganze Stadt ist stolz darauf!

Als ich etwas über 10 Jahre alt har.


zogen wir nach Brünn. Ich besuchte
3
dort die Realschule weiter, die ich in
Technische Hoch¬
Steyr, wo es kein Gymnasium gab,
schule, Brünn
begonnen hatte, und ich erinnere
mich, daß in seiner Heise der Ein¬
4 druck nicht unbedeutend war, den
Deutsche Landes- ich dadurch empfing, daß ich aus der
Oberrealschule, Brünn, alpischen Natur kam, die Landschaft
die Robert Musil und Menschen in Steyr eigentümlich
vom Februar 1891 war, und mich sowohl in der sanften
bis zum Sommer und etwas melancholischen Land¬
1892 besuchte. schaft Mährens fand wie zwischen
Menschen, die mir beinahe noch
fremder vorkamen, wenn sie Sudeten ¬
5
deutsche waren, mit denen ich
Tivoligasse, Brünn
Im Haus Nr. 29 sprach, als zu den Tschechen gehör¬
wohnte Familie ten, neben denen wir ohne Berührung
Musil 1891/92 herlebten f

45
1)11. I \ I l)l.( Kl \(. IH h ! 'All!

»hert Musil erkrankte in dieser


Wohnung noch einmal schwer, viel¬
leicht an derselben rätselhaften Ner¬
ven- und Gehirnkrankheit wie in
Steyr, und fehlte im Frühjahr 1892
34 Tage in der Schule.

Eismal lag Robert krask. Er har


schon in der Genesung, über noch
sehr schwach und konnte sich kaum
im Bette rühren. Gustl Donath, sein
Jugendfreund] saß neben ihm und las
ihm vor. Von Vineta der versunkenen
Stadt. Dann klappte er plötzlich das
Buch zu und begann ein Märchen zu
erzählen. [...]
Ion einem Mädchen, das beide lieb¬
ten [...]
Er hatte sich an das Rußende des Bet¬
tes gestellt, von wo er jede Bewegung
Roberts genau beobachten konnte
und bald versicherte er, daß das was
er aber jetzt erzählen werde. If ahr-
heit sei. Er schilderte ein Erlebnis ge¬
nau wie es Robert gehabt hatte. Nur
nahm es sich jetzt in seinem Munde
viel verführerischer aus [...] und Ro¬
bert begriff mit einem Male, daß Gustl
sich jetzt dafür räche, daß er bei ihren
Prügelspielen stets der Schwächere
gewesen war.

? Als Gustl mit Behagen die Szene wei-


ter ausmalte, dachte Robert gar nicht
mehr daran, ob dies IVahrheit oder
Lüge sei. — er suchte nach einem Ge¬
genstände. um ihn Gustl an den hopf
zu werfen. Aber er war von den
Eieberanfällen erschöpft und hatte
keine Kraft. I nd Gustl beruhigte ihn.
1
• Uns ist weiter dabei? — Du hast mir
Tivoligasse 29,
, doch selbst immer alles erzählt?• Brünn, Wohnung
•Ja. aber das war ich - und du hattest der Familie Musil
dich du gar nicht hineinzuniischen*38 1891/92

4<>
I M 1(1 ')\ IN )'l(I 1 VI 11(1

[...] Gustl har mittler heile in das


eigentlichste Schulgeheimnis einge¬
weiht worden.
Jetzt verlor der Garten seine Anzie¬
hungskraft. an seine Stelle trat der
Dachboden [...] Unter dem Vorwän¬
de irgend eines Räuberspiels schlich
man sich auf den hintersten Boden
und kauerte sich in eine dunkle Ecke.
Ein bemerkenswerter Unterschied
äußerte sich da zwischen den beiden
Freunden. Bei Gustl war es mehr ein
Vergnügen, bei Robert mehr ein La¬
ster. Gustls Illusionsfähigkeit kannte
keine Grenzen. Robert wußte nur um
ein dunkles Brennen, ohne Phantasie,
das ihn zur Erde nötigte und bis m die
Erschöpfung hineintrieb. Nachher
war ihm. als sei nichts gewesen; mit
Ausnahme der unvermeidlichen
Scham fühlte er sich leicht und frei,
S während in Gustl alles nachzitterte
und äußerst intensive, aber krankhaft
abgeblaßte Phantasien ihn ver¬
folgten ,39

In Brünn hatten ihr am II eg zur und


von der Schule zwei Kampfstätten, wo
es zu Schlachten mit anderen Schü¬
lern und mit den <Graseln> derdarna-
§ ligen Augustinergasse kam, diese
1
Gasse in den Getreideplatz. Es wurde Thalgasse, Brünn
mit Steinen geworfen und geboxt. Ich Im Haus Nr. 24
erhielt einmal einen Schlag in die Nie¬ wohnte Familie Musil
rengegend, der mich außer Gefecht von 1895 bis 1897
setzte. Dergleichen kommt in jedem
Leben vor und wird in der Biographie
entweder als unwürdig übergangen
2
Getreideplatz,
oder als Jugendlichkeit liebevoll¬
Brünn
harmlos ausgcrnalt. Aber am Ende ist
es wesensbildend für den heutigen
Menschen? für seine Fähigkeit, den 3
Mitmenschen als grenzenlos gleich- Augustinergasse,
' gültig zu behandeln?™ Brünn
D ie Familien der Professorenkolle¬
gen Alfred Musil und Eduard Donath
waren eng befreundet und zogen drei¬
mal gemeinsam um, damit sie 1 iir an
Tür wohnen konnten.

Sie spielten Räuber und Gendarm, sie


rangen und boxten. Gustl wurde es
aber häufig zuviel sich von Robert
ständig verprügeln zu lassen und
dann erzählten sie sich Märchen.
Darin war Gustl über; er konnte das
Ungeheuerlichste zusammenlügen,
wobei er stets von irgend einem wirk¬
lichen., beiden bekannten Menschen
oder Ereignis ausging. Überhaupt log
er. Von seinen Eltern wurde er nicht
gut behandelt, — ohne alles Interesse,
das sich gänzlich auf seine kränkeln¬
de ältere Schwester richtete, erbekam
nur die pflichtgemäßen Strafen, wenn
er in der Schule nichts gekonnt hatte
oder dgl. und dieser unangenehmen
Formalität suchte er sich gerne zu
entziehend

Unter dem Vorhände, Kollegen zu


besuchen, schlichen sie sich abends
auf die Straße. Sie suchten die Vor¬
städte auf, wo an den Planken obszö¬
ne Kreidezeichnungen waren, und die
Laternen spärlicher standen. Drei
vier Mädchen - Arbeiterinnen, die
aus der Fabrik kamen, Bürgermäd¬
chen, die Bier holten — ließen sie vor¬
bei, ohne den nötigen Mut zu finden.
Endlich machten sie einer das unfehl¬
4 bare Zeichen im Vorbeigehen und
Gustav Donath, blieben stehen. Die aber ging weiter,
Jugendfreund Musils, — oder drehte sich ärgerlich um, und
IR I das Vorbild Walters einmal geschah es dabei sogar, daß
11 L - ~v

1
im «Mann ohne Eigen¬ die beiden plötzlich wieder Angst be¬
| jlf- -||
schaften», und seine
kamen und davonliefen. Aber diese
Schwester Fritzi
I ’ y'*~ -
Hoffnung und diese Angst, diese hei¬
ßen Lippen und eiskalten Füße, dieser
beklemmende Nebel, der von den lee¬
5
Rote Gasse und ren Bauplätzen aufstieg — schön war
Schmalgasse, Brünn es dochf2

4P
1892-1897

DIE VERWIRRUNGEN
DES ZÖGLINGS

j
/jj
6. a«b k. Militär-Mwtrrrcaird|oU ;■
1)11. \ I KW IRRl \<;i \ Dl S Z< K .1 IV

£lafTification£=j£tße

(£ingetreten in bic Militär IT


Unterrealfönle

Ausgetreten ano brr Kilttär; y -- > u-.f, —- y~-- Z


Untmealfäule

3ft betfjeilt mit einem

Crt unb fcanb


j t?yfy y*
(9eburts-
Tatum
6>
ÖWigion

.fteiniötfl^ujtänbißfeit

'Jtame, cduub unb Süoljnort


bes Haters (bet 'Kutter ober
bei 2>ovmunbes)

tJJriöatüert)ältnifie

jvrn^rr obfoluirric cdjnlrn


-£*rr~h--
$>at in bni KilitSr.^qif;
buitg'j; unb '^ilbuugtUAuftoU
tru einen Jahrgang loieber-
boll unb tueldjru

Gtiunigrs :&förberungft:$*erbot

ff/U.-Lr- 2&>Ar,

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ÜJerpflidjtunß gum 'Jiodibiciten

£aari Augen i Augenbrnurn

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Äörpcrgeiotdjt in Äilogramm

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1 mtten mü cont® [ knfrt 9u0* V" '// % öv’vA

b) Ättrjfi^tig. f rünge:

M
lVAusil besuchte die Militär-Unter¬
■I n
realschule Eisenstadt (3. und 4. Jahr¬
gang) von Herbst 1892 bis Sommer
1894. Uber die Gründe notiert er:

Ich muss meinen Eltern durch meine


Heftigkeit die allerdings ein Reflex
der Heftigkeit meiner Mutter war,
aber doch auch mit einem reizbaren
Selbstbewußtsein zusammenhing,
große Sorgen bereitet haben. So ist es
zu erklären, daß sie mich, obwohl sie
mich sonst verwöhnten, in die Militär¬
schule eintreten ließen, die wahrhaf¬
tig kein Erziehungsinstitut war. Ich
bin also ein schwer erziehbares Kind
1
gewesen, und ich weiß heute, wie hilf¬
Classifications-
los man dem gegenübersteht, ohne die
Liste der k. und k.
seither ziemlich allgemein gewordene
Militär-Unter¬
Erkenntnis, die also eine große Lei¬
realschule zu
stung unserer Zeit sind.*' Eisenstadt
Immer die Form der Heftigkeit
[bei meiner Mutter]. Von mir teils aus
gleicher Anlage erwidert; auch ich
bin von Natur heftig, auch ich steigere
mich nervös, anstelle eines ruhigen
Entschlusses. Diesen, die normale Re¬
aktion, habe ich niemals kennenge¬
lernt. Mein Vater hat nur gesucht, mit
guten Ermahnungen auf mich einzu¬
wirken. Ich habe immer den Eindruck
gehabt, daß er bei diesen Streitigkei¬
ten beiseite trete. Als wollte er nicht
entscheiden. Er ist seltsam gewesen.
Anderenteils hat mir der knabenhaft-
männliche Teil mitgesprochen, der
sich von einer Frau nicht auszankeri
lassen wollte. So war in dem Verhält¬
nis auch etwas Geschlechtlich-Pola¬
res, ohne daß wir es spürten. Um mein
zehntes Jahr haben sich diese Szenen
so gesteigert (es ist bei uns wohl auch
ein intellektueller Protest dabei gewe¬
sen, ich wollte meine >geistige> Unab¬
hängigkeit haben, und ein wieder¬
kehrender Vorwurf war der, daß ich
nicht kindlich-liebevoll sei), daß ich
im Einvernehmen aller drei in ein In¬
stitut gegeben worden bin.
2 Bei meinem later haben wohl auch
Hermine Musil die Aussichten auf die Laufbahn mit-
im Jahre 1897 gesprochen.’H

53
1)11 \ KHWIKRl \( l \ Dl s /<" I 'N'

Kismarton - Eisenstadt
Cs es kir. katonai föreältskola — K. u. könifl. Militär Oberrealschule

DlE SCHILDF.Rl. XG EtSER <K. I . E Mll.l


tär-Erziehungs- und Bildungsan-
steilt* [...] wäre seltsam genug, auch
abgesehen von der Hichtigkeit des
Zöglings für die spätere Politik. ...
Die Erziehung war ,...} fast ganz un¬
teroffiziersmäßig. Die Lehrgehilfen
und der Klassenfeldwebel (und meine
Opposition gegen ihn). Die Monturen
und das Schuhwerk. Die bloß nicht
passende Paradeuniform und die al¬ 1
ler Beschreibung spottenden Schul¬ Typische Sanitär¬
monturen. Arger als Sträflinge. Die anlagen einer k. u. k.
Haschgelegenheiten und 'Globuster- Kadettenanstalt
beeren*. Die Abtritte.
Dabei ein Bild der Schulwiese in Ei¬
senstadt mit den überall turnenden 2
Zöglingen. Militär-Realschule
Eisenstadt
Meine Peinlichkeit heute noch eine
l berkompensution?
llarum haben meine Eltern nicht pro¬ 3
testiert'.' Heute nach unverständlich. Exerzierende Zög¬
Mensch/<5 linge in Eisenstadt

.">4
C3 bwohl Musil Militär-Oberreal
schulen wie (he von Mährisch-Wei߬
kirchen (Hranice) das «A-Loch des
Teufels» nannte — er besuchte sie vom
Herbst 1894 bis zum Sommer
1897—, schickte selbst der hohe Adel
seine Söhne in diese Anstalten.

[. . .] HIER ERHIELTEN DIE SÖHNE DER

besten Familien des Landes ihre lns-


bildung, um nach Verlassen des Insti¬
tutes die Hochschule zu beziehen oder
m den Militär- oder Staatsdienst ein¬
zutreten, und in allen diesen Fällen
sowie für den Verkehr in den kreisen
der guten Gesellschaft galt es als be¬
sondere Empfehlung, im Konvikte zu
W aufgewachsen zu sein. *1'

-Ejrzherzog Heinrich absolvierte


Mährisch-Weißkirchen von 1891 bis
1894. Musil stilisiert ihn in den Ver¬
wirrungen des Zöglings Törleß» zum
Fürsten H.

Eines Tages rar [...} derjl ngeFürst


H. ins Institut eingetreten, der aus
einem der einflußreichsten, ältesten
und konservativsten Adelsgeschlech¬
ter des Reiches stammte. Alle anderen
fanden seine sanften Augen fad und
affektiert: die Art und Heise, wie er im
Stehen die eine Hüfte herausdrückte
und beim Sprechen langsam mit den
Fingern spielte, verlachten sie als wei¬
bisch [...] Wenn er ging, so geschah
es mit weichen geschmeidigen Bewe¬
gungen, mit diesem etwas schüchter¬
nen Sichzusammenziehen und
Schmalmachen, das der Gewohnheit
4
eigen ist, aufrecht durch die Flucht
leerer Säle zu schreiten, wo ein an¬
derer an unsichtbaren Ecken des lee¬
ren Raumes schwer anzurennen
scheint7

Wenn Törless durch die Gänge


Schritt, so widerhallte es von einem
Ende zum andern: kein Mensch be¬
kümmerte sich um ihn [...] Nur bei
4 den Mahlzeiten, die Jetzt in einem
Die Erzherzoge kleinen Zimmer neben dem verlasse¬
Heinrich, Josef nen Speisesaale serviert wurden, sa¬
Ferdinand und hen sich die wenigen zurückgebliebe¬
Peter von Toskana
nen Zöglinge: nach Tisch zerstreuten
in Kadettenuniform
sich ihre Schritte wieder in der weiten
(von links)
Flucht der Gänge und Zimmer, das
Schweigen des Hauses verschlang sie
gleichsam, und sie führten m der Zwi¬
5
Speisesaal der schenzeit ein Leben, nicht mehr be¬
Militärreal-Schule achtet als das der Spinnen und Tau¬
Eisenstadt sendfüßler in Keller und Boden. ^

oo
! i ><>/ S
Kl \ !' )\ null
WM
I
\
11(1

Eise klei.xe Station a.x her Strecke.


welche nach Rußland führt. Endlos
gerade liefen vier parallele Eisen¬
stränge nach beiden Seiten zwischen
dem gelben Kies des breiten Fahr-
dammes; neben jedem wie ein
schmutziger Schatten der dunkle, von
dem Abdampfe in den Boden ge¬
brannte Strich.
Hinter dem niederen, ölgestrichenen
Stationsgebäude führte eine breite,
ausgefahrene Straße zur Bahnhofs¬
rampe herauf Ihre Ränder verloren
sich in dem ringsum zertretenen Bo¬
den und waren nur an zwei Reihen
Akazienbäumen kenntlich, die trau¬
rig mit verdursteten, von Staub und
Ruß erdrosselten Blättern zu beiden
Seiten standen. Machten es diese
traurigen Earben, machte es das blei¬
che, kraftlose, durch den Dunst ermü¬
dete Licht der Nachmittagssonne:
' Gegenstände und Menschen hatten
etwas Gleichgültiges, Lebloses, Me¬
chanisches an sich, als seien sie aus
der Szene eines Puppentheaters ge-
49
nommen.

Die jlncex Lei te hatte:x enter


dessen den Bahnhof verlassen und
gingen in zwei Reihen hintereinander
1
auf den beiden Rändern der Straße
Bahnhof in Mäh¬
[...] Er blickte mit so brennenden Au-
risch-Weißkirchen
i gen durch die kleinen Fenster und (Hranice)-die Sze¬
winkligen, schmalen Torwege in das nerie, die zu Beginn
Innere der Häuser, daß es ihm be¬ des «Törleß»
ständig wie ein feines Netz vor den beschrieben wird
j Augen tanzte. Fast nackte Kinder
wälzten sich m dem Kot der Höfe, da
und dort gab der Rock eines arbeiten- 2
\ den Ueibes die Kniekehlen frei oder Militär-Oberreal¬
schule Mährisch-
drückte sich eine schwere Brust straff
Weißkirchen
I in die Falten der Leinwand. Und als
I ob all dies sogar unter einer ganz an-
; deren, tierischen, drückenden Atmo-
3
- Sphäre sich abspielte, floß aus dem Straßenszene
' Flur der Häuser eine träge, schwere in Mährisch-Wei߬
Luft, die Törlefs begierig einatmeteß* kirchen

56
f^_ichard von Boyneburg-Lengsfeld
ist das Vorbild des Beineberg im
«Törleß». Er war Sohn eines Offi¬
ziers, des Generals der Kavallerie
Moritz Freiherr von Boyneburg-
Lengsfeld, eines «Freiluftmenschen»
mit Neigung für fernöstliche Philoso¬
phie, wie sie ihm Musil attestiert.
Richard von Boyneburg war einer der
Klassendiktatoren in Musils Jahrgang
— der Autor sah in ilun einen Typus
vorweggenommen, der ein paar Jahr¬
zehnte später an die Macht kam.
Richard von Boyneburg nahm als
Seekadett im Sommer 1900 an der
Bekämpfung des Boxeraufstands in
Peking teil, erhielt einen Kopfschuß
und starb siebenundzwanzigjährig,
ein Jahr vor Erscheinen des «Törleß».

4
Er HATTE SICH JETZT HALB VOM FENSTER
abgewandt und beobachtete Beine¬
berg, der sich eine Zigarette drehte.
Und er fühlte wieder jenen merkwür¬
digen Widerwillen gegen diesen, der
zuzeiten in ihm aufstieg. Diese
schmalen dunklen Hände, die eben
geschickt den Tabak in das Papier
rollten, waren doch eigentlich schön.
Magere Finger, ovale, schön gewölbte
Nägel: es lag eine gewisse Vornehm¬
heit in ihnen. Auch in den dunkel¬
braunen Augen. Auch in der gestreck¬
ten Magerkeit des ganzen Körpers lag
eine solche. Freilich, — die Ohren
standen mächtig ab, das Gesicht war
4 klein und unregelmäßig, und der Ge¬
Richard von samteindruck des Kopfes erinnerte an
Boyneburg-Lengsfeld
den einer Fledermaus. Dennoch — das
(1878-1905)
fühlte Törleß, indem er die Einzelhei¬
ten gegeneinander abwog, ganz deut¬
lich — waren es nicht die häßlichen,
5
Richard von sondern gerade die vorzüglicheren
Boyneburg (2. v. r.) derselben, die ihn so eigentümlich
mit seinen Brüdern beunruhigten.''
K. u. k. Militar-Uherrealschule.

&?/.
V I Hl'/ s 1(1 \ |!)\ 1HHI WM I \ 11(1

in den 1 Verwirrungen des Zöglings Classifications-Liste


1 örleß . für den /weiten KJassendik-
taior neben Beineberg.
Heising ist am 8. November 1878 in
Mezolornbado, Siidtirol, als Sohn des
V ietor Reising von Reisinger geboren,
der damals als Leutnant bei der
k. u. k. Landwehr diente. 1879 wurde
der Vater wegen Subordinationsver¬
letzung aus dein Militärdienst entlas¬
sen. \<>ii 1883 bis ca. 1888 lebte er

mit seiner Familie in Graz als Bau-


zeichner. Danach trennte er sich of¬
fenbar von Frau und Kindern und
lebte — mit oder ohne deren Wissen —
in Hall, Tirol. In den Schul-Doku-
menten den Sohnes wird der Väter als
toi bezeichnet, obwohl er erst 1906 in
Hall starb. Auf ein entsprechendes
Gesuch seiner Mutter Maria an den
Kaiser wurde Jarto Reisings militäri¬
sche Ausbildung vom Allerhöchsten
Privat- und Familien-Fonds bezahlt.
Jarto Reising stieg aus Mährisch-
Weißkirchen in die Militär-Akademie
in \\ iener Neustadt auf und starb
schon am 13. Juli 1899 in Neumarkt,
Steiermark, an Lungentuberkulose
und 1 lerzlähmung.

Ri m.Ni;j sprüh xiuuantirlow.it


he davon, daß sein luter eine merk¬
würdig unstete, später verschollene
Person gewesen sei. Sein Name sollte
überhaupt nur ein Inkognito für den
eines sehr hohen Geschlechtes sein. Kr
dachte von seiner Mutter noch einmal
in weitgehende Ansprache eingeweiht
zu werden, rechnete mit Staatsstrei¬
chen und großer Politik und wollte
1
demzufolge Offizier werden.
Solche Ibsichten konnte sich Törleß
ernstlichgarnichtvorsteilen. Die Jahr¬
hunderte der Revolutionen schienen
ihm ein für alle Male vorbei. Dennoch
verstand Reiting Ernst zu machen.
Vorläufig freilich nur im kleinen. Kr
war ein Tyrann und unnachsichtig
gegen den. der sich ihm widersetzte.
Sein Anhang wechselte von Tag zu
Tag, aber immer war die Majorität
auf seiner Seite. Darin bestand sein
Talent. — Degen Beineherg hatte er
ror ein oder zwei Jahren einen großen
krieg geführt, der mit dessen Nieder¬ 1
lage endete, Beinebcrg war zum Classifications-
Schlüsse ziemlich isoliert dagestan¬ Liste der Militär-
Oberrealschule
den, obwohl er in der Beurteilung der
Mährisch-Weißkir¬
Personen, an Kaltblütigkeit und dem
chen für Jarto Rei¬
lernlägen. Antipathien gegen ihm
sing von Reisinger

:»8
Mißliebige zu erregen. kaum hinter
seinem Gegner zurückstand. Aber
ihm fehlte das Liebenswürdige und
Gewinnende desselben. Seine Gelas¬
senheit und seine philosophische Sal¬
bungflößten fast allen Mißtrauen ein.
Man cermutete garstige Exzesse ir¬
gendwelcher \rt am Grunde seines
Uesens. Dennoch hatte er Reiting
große Schwierigkeiten bereitet und
dessen Sieg warfast nur ein zufälliger
gewesen. Seit der Zeit hielten sie aus
gemeinschaftlichem Interesse zu¬
sammen.'1

Tf'mxss H1SGICL\ Hl RlJf. f O\ DfE.'t£\

Dingen gleichgültig gelassen. Er be¬


saß daher auch kein Geschick in ih¬
nen. [Jennoch war er mit in diese Heit
eingeschlossen und konnte täglich vor
lugen sehen, was es bedeutete, in ei¬
nem Staate - denn jede Klasse ist in
einem solchen Institute ein kleiner
Staat für sich — die erste Rolle innezu¬
haben. Deswegen hatte er einen ge¬
wissen scheuen Respekt cor seinen
beiden Freunden. Die Anwandlun¬
gen. die er manchmal hatte, es ihnen
gleichzutun. blieben in dilettanti¬
schen Versuchen stecken. Dadurch
geriet er. der ohnedies jünger war. in
das Verhältnis eines Schülers oder
Gehilfen zu ihnen. Er genoß ihren
Schutz, sie aber hörten gerne seinen
Rat. Denn Törleß ’ Geist war der be¬
weglichste. Einmal auf eine Fährte
gesetzt, war er im Ausdenken der win¬
kelzügigsten Kombinationen überaus
fruchtbar. Es cermochte auch keiner
so genau wie er die verschiedenen,
von dem Verhalten eines Menschen in
einer gegebenen Lage zu erwartenden
Möglichkeiten corauszusagen. \ur
wo es sich darum handelte, einen Ent¬
schluß zu fassen, con den vorhande¬
nen psychologischen Möglichkeiten
eine auf eigene Gefahr als bestimmt
anzunehmen und danach zu han¬
deln. cersagte er. cerlor das Interesse
und hatte keine Energie. Seme Rolle
als geheimer fjeneralstabschef mach¬
te ihm aber Spaß. L m so mehr, als sie
2
Robert Musil als
so ziemlich das einzige war. das ui
Miiitär-Oberrecl- seine tiefinnerliche Langweile einige
schüier, 1394 Bewegung brachte.

-V>
\ i r »o/ s ici \
Y)\
nmi \\m i \ iki

l~^ jin anderer Mährisch-Weißkir-


chener Zögling, der spätere General
Edmund Glaise von Horstenau. be¬
richtet über die sexuelle Initiation der
Kadetten:
«Ein großer Teil der Zöglinge lernte
unter Anleitung durch erfahrene Ka¬
meraden die Liebe in ihren scheu߬
lichsten Formen, bei unmöglichen
Dirnen, kennen.»34 So scheint es auch
Musil ergangen zu sein.

Zwischen den Baumen wurde es nun


lichter, und nach wenigen Schritten
standen sie am Rande einer Blöße, in
deren Mitte ein quadratisches, zwei
Stock hohes Gebäude massig aufge¬
baut war.
Es war das alte Badhaus [...] in sei¬
nem Erdgeschosse bot es einem verru¬
fenen Wirtshause Unterkunft [...]

Bozena war als Bauernmädchen in


die Großstadt gekommen, wo sie in
Dienst trat und später Kammerzofe
wurde.
Es ging ihr anfangs ganz gut. Die
bäurische Art, welche sie so wenig
ganz abstreifte wie ihren breiten, fe¬
sten Gang, sicherte ihr das Vertrauen
ihrer Herrinnen, welche an diesem
Kuhstalldufte ihres Wesens seine Ein¬
falt liebten, und die Liebe ihrer Her¬
ren, welche daran das Parfüm
schätzten. Wohl nur aus Laune, viel¬
leicht auch aus Unzufriedenheit und
dumpfer Sehnsucht nach Leiden¬ 1
schaft gab sie dieses bequeme Leben Tschechische
Prostituierte, Typus
auf. Sie wurde Kellnerin, erkrankte,
Bozena
fand in einem eleganten öffentlichen
Hause l nterkommen und wurde all¬
gemach, in dem Maße, wie das Lot¬
2
terleben sie verbrauchte, wieder — Das alte Badhaus
und immer weiter — in dir Provinz unweit Mährisch-
hinausgespult. ” Weißkirchens

(>()
I Iugo Hoinkes, eines der beiden
Modelle für die Romanfigur Basini.
wurde wegen eines Diebstahls am
21. Februar 1896 strafweise aus der
Militärerziehung entfernt. Möglicher¬
weise wurde er wegen dieses Ver¬
gehens von Klassenkameraden eine
Zeitlang erpreßt, ehe er den Schulbe¬
hörden ausgeliefert wurde. Allerdings
gibt Musil zu bedenken, die Intrige,
die er im Roman schildert, sei in der
Wirklichkeit in einigen Punkten an¬
ders verlaufen.

«Du, ICH HAB’IHN., FLÜSTERTE REITINC.


«Wen?»
«Den Spielladendieb.» [...]
Törleß war einigermaßen neugierig.
Die Spielladen standen im Hinter¬
gründe des Zimmers und waren lange
Kästen mit vielen versperrbaren
Schubfächern, in denen die Pfleglinge
des Institutes ihre Briefe, Bücher,
Geld und allen möglichen kleinen
Kram aufbewahrten.
Und bereits seit geraumer Zeit klag¬
ten einzelne, daß ihnen kleinere Geld¬
beträge fehlten, ohne daß sie jedoch
bestimmte Vermutungen hätten aus¬
sprechen können.
Beineberg war der erste, der mit Ge¬
wißheit sagen konnte, daß ihm — in
der Vorwoche — ein größerer Betrag
gestohlen worden sei [...]
«So deute doch wenigstens an, wer?»
Reiting wandte sich von den übrigen
ab und sagte leise: «B.» Niemand au¬
ßer Törleß hatte etwas von diesem
vorsichtig geführten Gespräche ver-
3 standen. Aber auf diesen wirkte die
Hugo Hoinkes Mitteilung wie ein Überfall. B.?-das
(1879-1962) konnte nur Basini sein.ab

61
\ I KW IRRl \(.l \ 1)1 S ZO(.I :\i

1. abini. S*»lm eines leichtlebigen


und früh verstorbenen Kaufmanns
aus Hermannstadt. Siebenbürgen,
scheint die homosexuelle Komponen¬
te der Figur Basini geliefert zu haben.
In den Classifiration9-Listen ist fest-
gehalten. daß er unter nicht ganz ge¬
klarten l mständen «ausnahmsweise
in den II. Jahrgang der Infanterie-Ka¬
dettenschule Hermannstadt über¬
setzt» wurde. Als Gründe werden un¬
1)11

ter Datum des 10.April IRÜb ge¬


nannt. er sei «consequent unfleißig»
und gebe in seiner Aufführung zu
ernsten Klagen Anlaß».
Fabini galt in seinem späteren Leben
als das schwarze Schal der Familie
und ist schließlich spurlos ver¬
schollen.

Er har ethas grösser als Törless, je-


doch sehr schwächlich gebaut, hatte
weiche, träge Bewegungen und wei¬
bische Gesichtszüge. Sein Verstand
war gering, im Fechten und Turnen
war er einer der letzten, doch war ihm
eine angenehme Art koketter Liebens¬
würdigkeit eigen [...]
Mitunter log er auch aus Eitelkeit. So
kam er nach jedem Urlaube mit An¬
denken an kleine Abenteuer zurück, —
Bändern, Locken, schmalen Brief¬
chen. Als er aber einmal ein Strumpf¬
band in seinem Koffer mitgebracht
hatte, ein liebes, kleines, duftendes,
himmelblaues, und nachträglich sich
herausstellte, daß es von niemand an¬
derem als seiner eigenen zwölfjähri¬
gen Schwester war, wurde er wegen
dieses lächerlichen Großtuns viel ver¬
lacht.
Die moralische Minderwertigkeit, die
sich an ihm herausstellte, und seine
Dummheit wuchsen auf einem
Stamm.'

An seinem Bett sass Basini: Und


mit rasender Behendigkeit löste die-
1
Franz Fabini
i ser im nächsten Augenblicke das
(geb. 1880), eines
Hemd von seinem Leibe, schmiegte
der Vorbilder für
sich unter die Decke und preßte sei¬
Basini im «Törleß»,
nen nackten, zitternden Leib an Tör- mit Mutter und
j leß an. [...] Schwester
Die Sinnlichkeit [...] raunte ihm süße
Horte der Resignation ins Ohr und
I schob mit ihren warmen f ingern alle
2
[ Fragen und Aufgaben als vergebens Zöglings-Schlaf-
I weg. Und sie flüsterte: in der Einsam¬ saa! in Mänrisch-
keit ist alles erlaubt.** Vtteißkirchen

62
2
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-R-obert Musil besuchte die techni¬


sche Militärakademie nur vom
iL.
1. September bis 30. Dezember 1897.
Dann ließ er sich auf Ansuchen des
Vaters aus der Militärerziehung ent¬
lassen, um Maschinenbau zu stu¬
dieren. 1
Gesuch von Prof.
Alfred Musil um
Dass man in der Jugend den Tod
Aufnahme seines
heftiger fürchtet! [...] Noch im 17ten
Sohnes in die
Jahr Angst vor der Festungsartillerie,
k.u.k. technische
weil man im Werk eingesperrt ist und
Militärakademie
der imaginären Möglichkeit des Aus-
ueichens und des <Gegenzug$> ent¬
behrt. Im Handgefecht könnte man 2
glücklich und geschickt sein.59 Technische Militär¬
akademie, Wien
[...] ERINNERE [.. .] MICH ZUFÄLLIG
und plötzlich an das l mgebensein
3
t’on fielen Artillerieoffizieren in der
Robert Musil als
Akademie. Liebe zu dieser Uniform,
Absolvent der
die ruhig im Hunten ist. damals spür¬
Militär-Oberreal¬
te ich aber keine.*10
schule, 1897

(»4
65
189«-190:i

MONSIEUR

•v y '
LE VIVISECTEUR
I
\IO\SII l Kl I \ i\ M

f^obert Musil immatrikulierte sich


am 29. Januar 1898 als ordentlicher
Hörer für Maschinenbau an der Tech¬
nischen Hochschule in Brünn — zu ei¬
nem Zeitpunkt, als sein Vater gerade
Rektor der Hochschule war.

Ulrich rar. als er die Lehrsäle der


Mechanik betrat, vom ersten Augen¬
blick an fieberhaft befangen. Wozu
braucht man noch den Apollon von
Belvedere, wenn man die neuen For¬
men eines Turbodynamo oder das
Gliederspiel einer Dampfmaschinen¬
steuerung vor Augen hat! [...] Die
Welt ist einfach komisch, wenn man
sie vom technischen Standpunkt an¬
sieht; unpraktisch in allen Beziehun¬
gen der Menschen zueinander, im
höchsten Grade unökonomisch und
unexakt in ihren Methoden; und wer
gewohnt ist, seine Angelegenheiten
mit dem Rechenschieber zu erledigen,
kann einfach die gute Hälfte aller
menschlichen Behauptungen nicht
ernst nehmen [...] wenn man einen
Rechenschieber besitzt, und jemand
kommt mit großen Behauptungen
oder großen Gefühlen, so sagt man:
Bitte einen Augenblick, wir wollen 1
vorerst die Fehlergrenzen und den Technische Hoch¬
schule Brünn,
wahrscheinlichsten Wert von alledem
Treppenhaus
berechnen.
Das war zweifellos eine kraftvolle
lörstellung vom Ingenieurwesen. Sie
bildete den Rahmen eines reizvollen Große vertikale
zukünftigen Selbstbildnisses, das ei¬ Compundmaschine
nen Mann mit entschlossenen Zügen mit Dynamo ge¬
zeigte, der eine Shagpfeife zwischen koppelt
den Zähnen hält, eine Sportmütze
aufhat und in herrlichen Reitstiefeln
zwischen Kapstadt und Kanada un¬
Ingenieure und
terwegs ist, um gewaltige Entwürfe Arbeiter beim
für sein Geschäftshaus zu verwirk- Eisenbahnbau in
lichen.b] Südafrika um 1900
■*? »CT
) M \l \
I I H l ll-\()l\

k H HATTE IIW A.XT IXGS ELSA Czi WH


ausgesucht, um sie zu lieben. Emanu-
el (?) v. Czuber, Prof, der Mathematik
an der TU in Brünn, später in Hien.
Später habe ich ein Buch über Wahr¬
scheinlichkeitsrechnung von ihm ge¬
lesen. Seine Tochter hat einen öster¬
reichischen Erzherzog geheiratet, der
ihretwegen seiner Würde entsagte.
Aus mir hat sie sich nicht das gering¬
ste gemacht.
Ich bewahre eine Erinnerung an ihr
dunkelblondes, seidenweiches, langes
und sehr schön gewachsenes und ge¬
bürstetes Haar. Diese Erinnerung ist
offenbar in den Mann ohne Eigen¬
schaften eingegangen.
Aber sie hieß auch Elsa so wie meine
vor meiner Geburt gestorbene Schwe¬
ster. mit der ich einen gewissen Kultus
trieb. Ersichtlich sind das Zusam¬
menhänge! 1,2

D ie Verwechslung des Vornamens


Berta Czubers mit dem seiner Schwe¬
ster Elsa ist eine bemerkenswerte
Erinnerungstäuschung. Im übrigen
hat Musil recht.

Mit 17, 18 Jahren - wohl auch


unter dem Einfluß meiner Lektüre; es
war die Übergangszeit vom <Barba¬
ren > zur Kultur — habe ich mir das
gepuderte und gehöckerte Rokoko
sehr schön vorgestellt; die Trau als
Geist, Schein und Sex. Etwas von dem 1
Begnügen mit dieser Trias ist mir bis Berta Czuber, partiell
heute verblieben ff Vorbild für Agathe
im «Mann ohne

v▼ om Herbst 1897 bis zum Früh-


Eigenschaften»

sonuner 1900 war Paula Ulmann am


2
Brunner Deutschen Theater als
Rokoko-Schönheit:
Schauspielerin engagiert. Musil sah
Dame mit Schleier,
sie wahrscheinlich im Winter 1897/ gemalt von Alexan¬
98 als Rau tem Jelein m einer Inszenie- der Roslin

70
rung von Hauptmanns «Versunkener
Glocke», aus der das nebenstehende
Szenenfoto stammt. Er verliebte sieb
in sie und nannte sie in seinem Tage¬
buch Valerie. Der Name wird fortan
für ihn zum Symbol erotisch-mysti¬
scher Entrückung, wobei er Paula-
Valerie möglicherweise nie angespro¬
chen oder gar besessen hat. Im
November 1901 heiratete sie den
Brunner Frauenarzt Dr. Scherbak.

ES KAM EIN UNGEHEURER STURM. ZUM


erstenmal trug seine Sinnlichkeit den
roten, goldgestickten Mantel der Lie¬
be. Sein ganzes Uesen wurde verän¬
dert. Etwas Gütiges, Schenkendes
überkam ihn. Weite Gedanken¬
strecken, kunstvolle Gedankenver¬
schlingungen wurden klar. In weni¬
gen Wochen reifte er weit über sich
hinaus. Seine Gedanken und Empfin¬
dungen ordnen sich; die Philosophie
der Stille und Reife bildet sich heraus.
Dann kam die Ernüchterung. Ein¬
fach, kurz, notwendig. Sie waren fer¬
tig miteinander. «Es ist unsittlich län¬
ger zusammen zu bleiben, wenn nicht
jede Stunde der Seele Wachstum
bringt», sagte er, «leb wohl.»
Er hatte sie am Tag vorher in einer
Rolle gesehen, in der sie ihm abge¬
schmackt, unwahr und banal er¬
schienen war. Für Augenblicke hatte
ihn ein Erwachen gepackt; wie ein
frischer Lufthauch, wie ein neuer un¬
gewohnter Ausblick.64

.Beinahe wäre Musil während seines


Ingenieur-Studiums oder des Einjäh-
rigen-Freiwilligen-Jahrs in Brünn,
zwischen 1898 und 1902, 1 heater-
kritiker des sozialdemokratischen
«Volksfreunds» geworden, wenn der
städtische Theaterausschuß dem als
radikal geltenden Blatt nicht den Kri¬
tikersitz gesperrt hätte.

3 «Erinnerst Du Dich noch an dieses


Paula Ulmann
Theater!1 Es muß in den S(/r oder 90"
(1873-1957)
Jahren einen Baumeister gegeben ha¬
ben, der in die meisten größeren Städ¬
4 te solche Theaterschatullen hinsetzte,
Deutsches Theater, die um und um mit Zierformen und
Brünn Statuenzierrat beschlagen waren.

71
\ IN I-; < i

A an-die Musil quartierte sich an


Hotel Ulhing am 20. August 1898 für
ca. drei Ferien-Wochen ein- für Ro¬
bert eine Zeit voller Schlüssel-Erleb¬
MONSII.l R I I

nisse.

Ich ihr wohl schon 18 oder 19 Jah-


re alt ah ich während eines Sommer¬
aufenthaltes am Wörthersee (in Vel¬
den) Folgendes erlebte. Ich hielt mich
am Sprungbrett der Herrenschwimm¬
schule auf während auf der Spitze
des Sprungbretts an benachbarten
Damenbad meine Mutter stand und
auf den See hinausblickte. Sie war im
Bademantel und bereits nach dem
Bade. Meine Nähe hatte sie nicht be¬
merkt. Mit einer gar nicht beachteten
Bewegung öffnete sie ihren Bademan¬
tel am ihn anders zu schließen und
ich sah sie einen Augenblick nackt
dastehen. Sie muß damals etwas über
-t() Jahre alt gewesen sein, war sehr
weiß und voll und schön gebaut. Ob¬
gleich mich das bis heute mit einer
gewissen Anerkennung erfülltt, ist
noch viel lebendiger das schamhafte
und ich glaube zornige Entsetzen, das
mich damals durchfuhr.bb

[...] der Herbst in Velden. Ich har


wohl zwischen 18 und 20 Jahren.
Mondscheinspaziergänge auf der Pa¬
pelgesäumten Straße. Nebel vom See.
Ich habe Gedichte gemacht, die aus
schwerem und sehnsüchtigem Gemüt
gekommen sind, und nicht viel wert
waren.
Dieses Gemüt, es ist ganz von der Se¬
xualität bestimmt, von der Geliebten,
die man, unerachtet der vorhandenen
gemeinen Möglichkeiten, haben will
[...] In dieser substanzlosen, aber
ganz eindeutigen Situation ist die
Mutter etwas Störendes [...] Stellt
sich nicht statt Ödipusempfindungen
eine gereizte Ablehnung ein?<J"

N
1 i ach dem seelischen Schock im
Strandbad des 1 Ictels Ulbing trennte
sich Musil von seinen Eltern und fuhr 1
für ein paar Tage in einen Wallfahrts- Badeanstalt
ort. vermutlich Maria Luschari, ca. des Hotels Ulbing
40 Kilometer vom Wörthersee ent- jo Velden am
fernt: für ihn ein Ort «ozeanischer Ge- ”**
fühle», ausgelöst durch die Liebe zu
der entfernten Valerie (Paula Ul- 2
mann I. Diese Tage bildeten für ihn Voldenam
eine Art mystischer Konversion Wörthersee

72
Eh nahm nichts als einen Ei cxsack
mit, fuhr ein kürzestes Stück mit der
Bahn und wanderte dann, mit dem
ersten Schritt schon im Neuen, durch
ein völlig einsames Tal einem hoch im
Gebirg versteckten ganz kleinen Hall¬
fahrtsort zu, der in dieser Zeit des
Jahrs von niemand besucht und kaum
von jemand bewohnt wurde. Was er
dort tat, wäre, wenn man es jeman¬
dem erzählen sollte, das reine Nichts.
Es war Herbst und die Frühherbst¬
sonne im Gebirg hat eine eigene
Macht, sie hob ihn morgens auf und
trug ihn zu irgend einem hochgelege¬
nen Baum, unter dem man weithin
sah, denn er wußte trotz der schweren
Nagelschuhe eigentlich nicht, daß er
gehe—In der gleichen selbstvergesse¬
nen Weise wechselte er einigemale im
Tag den Ort und las ein wenig in ein
paar Büchern, die er bei sich hatte. Er
dachte auch eigentlich nicht, ob¬
gleich er seinen Geist in tieferer Bewe¬
gung fühlte als sonst, denn die Ge¬
danken schütteten sich nicht auf, wie
sie es zu tun pflegen, so daß immer ein
neuer Gedanke auf die Py ramide der
frühem fällt und die zuun terst immer
fester und zuletzt eins werden mit
Fleisch, Blut, Schädelkapsel und tra¬
gendem Gebänder der Muskeln; son¬
dern die Einfälle kamen wie ein Strahl
in ein volles Gefäß, in endenlosem
Uberfließen und Erneuern oder sie zo¬
gen wie Wolken am Himmel in einer
ewigen Veränderung, in der sich
nichts ändert, die blaue Tiefe nicht,
und nicht das lautlose Schwimmen
der Perlmutterfische. Es konnte Vor¬
kommen, daß ein Tier aus dem Wald
trat. Anders betrachtete und langsam
davon sprang, ohne daß sich etwas
änderte, daß eine Kuh in der Nähe
graste, ein Mensch vorbeiging, ohne
daß damit mehr geschah als ein Puls-
schlag, zwillingsgleich allen andren
des unendlichen, leise an die Wände
des Verstehens pochenden Lebens¬
stroms.
Anders war ins Herz der Welt geraten.
Von ihm zur Geliebten war es ebenso
weit wie zu dem Grashalm bei seinen
Füßen oder zu dem fernen Baum auf
der himmelskahlen Höhe jenseits des
Tals. [...] Anders fühlte auch nicht
3 mehr, daß die Landschaft, in der er
Wallfahrtsort außen war; sie war auch nicht
Maria Luschari innen; das hatte sich aufgelöst oder
beiTarvis durchdrungen.l,H

73
•il ’ i l>l \l \
IIH llMNOK

Der junge Musil zeigt die von Sig¬


mund Freud als typisch geschilderte
Spaltung seines Liebeslebens in Eros
und Sexus. Der ekstatischen Ent¬
rückung. die er einer fernen Geliebten
verdankte, folgte die Triebbefriedi¬
gung ohne tiefere seelische Beteili¬
gung im 1 laibweit- und Prostitu¬
iertenmilieu.
In einem solchen Milieu infizierte sich
Musil ca. 1901 mit Syphilis wie einst
Nietzsche. Da das Salvarsan zu jener
/.eit noch nicht erfunden war, wurde
er eineinhalb Jahre lang mit Schmier¬
und Jodkuren behandelt, die keine
definitive Heilung bringen konnten.

adJoszA.
Lernte sie im Oktober 98 kennen. Ein
schlüpfriger nebliger Herbstabend -
wurde ihr auf der Gasse durch Pigi
vorgestellt. Nachher erzählte er mir
ihre Geschichte. Maitresse des Dr. S.
1
-für einen intimen Kreis zugänglich
Paula Ulmann
! ■ ■ •. Nach ca. 14 Tagen machte ich
alias Valerie Notizen
allein Besuch und wurde in den Kreis
über Anamnese. Status praesens, Verlauf (Komplikationen, Nachkrankheiten),
der Intimen aufgenommen. II ir spra¬
operative Eingriffe, Behandlung, Obduktionsbefund. __
chen über Das und Jenes furchtbar 2 tXA, tdot/ovru? cXiS/c ixA* ^ k*

decent — so daß der Übergang fast österreichische


f./M w/f.tL Vb« tst«.
gewaltsam wurde [...] Bald darauf «Grabennymphe»
wurde ich krank. Nach meiner Her¬ l(£. rf&
stellung besuchte ich sie noch einige J.Cinfiffe "Jc'~

male, konnte jedoch später wegen ei¬ 3


1 »fta'sXs Z tv\/ AKAOfxiXxJ JÖi/ay, i^»v yO/i/uo^jf. /) jf.v abt,
Kopfzettel des
ner Recitive [sic] nicht wieder s*)rw SJ /V/. • , 2*+^'** JCct ,

kommen. Reservespitals ^ { $f>oy*Z • tNitÄ**, /o «


Innsbruck von 1916 al/x ftA.t.ili.tZ'rUj <<n/ Orw c/x/e. oicx, ) •'forcX

mit Anamnese der


^<A. (%*■X ÄJvijb/fln/JcSavIaX* '
M , Lues-Infektion, von
ivAii-d verkehrt)
Martha Musi! unle¬ a.~S ß'—J' V(A/<Ac.(/4««gMK,4IU'. ■Äi.VC.<u'*» rtt ■
und 1902 in etwas anrüi l.. ;i n Brün- serlich gemacht . . ■/«#'• /r o/tM. <it* / ri.n /- /. zj/ . . . ». J^/s’

74
ner Lokalen wie dem Variete Casino
und sammelte dort Eindrücke, die er
im Tagebuch, in dem Text «P. A. und
die Tänzerin» und in den «Leona
Kapiteln des «Mannes ohne Eigen¬
schaften verarbeitete.

Es HAR EINMAL EIN GROSSES ERNSTES


Haus in einer breiten stillen Gasse, ln
diesem Hause ein Saal mit gelbgrü¬
nen charakterlosen Tapeten. In die¬
sem Saale eine kleine Varietebühne.
Auf dieser Bühne eine kleine Sänge¬
rin, in dieser Sängerin ein ganz-ganz
kleines verwickeltes Gemüthsleben, in
diesem Gemüthsleben ein Punkt, der
den Namen führt, wenn mir einer
doch heute das Abendessen zahlen
würde — und das alles empfindet man
in blassen silhouettenartigen Farben,
gewissermaßen als: es war ein¬
mal [...]
Schicksale, Personen, Stimmungen —
alles mögliche hat das Leben in einen
kleinen gelben Saal hineingespült
und dann traten vier Frauen in den
Saal, die singen konnten und mit ih¬
ren Röckchen flattern, das [sic] man
die schönen wolgeformten Beine se¬
hen konnte. Und alle Leute erhitzten
sich an aufregenden Getränken, an
dem Rhytmus der tanzenden Beine
und dem Durcheinander der Stimmen
— Das war so gegen Ende des 19—
Jahrhunderts — Klingt das nicht wie
ein Alährchen? 11

Wenn.alle nach Hause gegangen ra-


ren, suchte er erst eine jener dunklen
Gassen auf wo die schmalen, winkeli¬
gen Häuser mit verhängten Fenstern
standen. Und immer spielte sich da¬
bei in ihm das Gleiche ab. Eine jäh
aufsteigende Vorstellung. Keine sinn¬
liche, sondern die Vorstellung einer
braunen, enggewundenen Stiege, ein
Geruch, wie er in allen Winkeln dieser
Häuser herrscht, das Bild eines vor
ihm die Treppen hinansteigenden
Weibes und am stärksten der Augen¬
blick wo dieses sich in der Türe um¬
kehrt und dem fremden Gaste in die
Augen schaut. Dieser gelangweilte,
musternde Blick, der nicht weiß ob er
4 in Cynismus oder in eine Bitte um
Variete Casino, Gnade vor Langweile und Ekel Um¬
Brünn schlagen soll.
Und immer war damit alles vorüber,
ein flüchtiger Gruß, ein hastiges nach
5
Prostituierte, sich Hause eilen und am nächsten Tage
dem Betrachterzu¬ erst eine Reaktion der Phanta¬
kehrend sie [...^
.
!. > M \l \
I I H l IIS\()l\

Du BIRGST TOR DEN ÄNDERN, DEX BlIX-


den all das, dessen Erkennen mich
jetzt über diese erhebt. Hab Dank
stilles Haus! mit deinen rauschenden
Bäumen im Garten, aus deren ewig-
eintöniger Melodie vielleicht einmal
ein schreckhafter Gedanke in das
Herz eines Menschen flog, stilles Haus
dessen nächtliche Einsamkeit viel¬
leicht einmal einen Gedanken reifte,
der aus Angst vor seiner Mutter schon
im Leibe erstickt wurde, daß beide
daran starben, stilles Haus indem
[sic] in Neumondnächten die sonder¬
baren Wesen meines Schlafes umge¬
hen mögen. 1

Sehen Sie dieses Haus da - A® 10? -


und jenes dort wo die Seitengasse ab-
biegt — und jenes große mit den vielen
Baikonen. Da wohnen lauter Be¬
kannte von mir. In dem da habe ich
heute Besuch gemacht und in jenem
werde ich morgen zu Mittag speisen —
es sind dort zwei erwachsene Töchter
und eine Mama — wir werden über
Theater plaudern, vielleicht auch 1
über Kunstgenuß und in jenem drit¬ Augustinergasse 10,
ten Haus dort glaubt man gar, daß Brünn. Wohnung
ich nicht übel zum Heirathen passen der Familie Musil von
würde - sehen Sie die schlafen jetzt 1898 bis 1924

alle und ich gehe mit einer kleinen


Sängerin um Arm an ihren Fenstern
2
vorüber und keui Mensch weiß etwas
Augustinergasse,
davon. ' Brünn

76
!< H HOHNE l,\ DER POLARGEGENÜ, DEW
wenn ich an mein Fenster trete so sehe
ich nichts als weiße ruhige Flächen,
die der Nacht als Piedestal dienen. Es
ist um mich eine organische Isolation,
tV7i ruhe wie unter einer 100 m tiefen
Decke von Eis. Eine solche Decke,
giebt dem Auge eines solchen Wohlig-
Begrabenen jene gewisse Perspective,
die nur der kennt, der 100 m Eis über
sein Auge gelegt hat [...]
Zn dieser Stunde stehe ich sehr gerne
am Fenster. Weit drüben ein schwar¬
zer mächtiger Schatten, von dem ich
weiß, daß er eine Häuserreihe jenseits
der Gärten ist. Hie und da ein verein¬
zeltes gelbes Quadrat — das Fenster
einer Wohnung! Es ist die Zeit zu der
(j^) \JlA-nri<AA>o> lc
die Leute aus den Theatern oder Re¬
C*> . staurants zurückkehren. Ich sehe ihre
sTuJ! -rSt 'rmwnt«'w' Silhouetten als schwarze Flächen in
den gelben Quadraten, ich sehe ihnen
<WWw ^ w»*^ zu wie sie die unbequemen Theater¬
kleider ablegen, wie sie sich gleich¬
v. 'vn ) sam verinnerlichen. Das Leben ver¬
i / ^ / y 7 ( a// doppelt sich ihnen durch all die inti¬
^>H men Beziehungen die jetzt zu Recht
gelangen. 4

Ul./ • V . (üt n*^wi A fl « ' / # M onsieur le vivisecteur» ist der be¬


deutendste imaginäre Held des jun¬
«»^{Jpb^y'prt-^
gen Musil, der seinen Namen dem
/)W *»/> <^vtuX-o
'»/-IN ^Kt^l ^ Prinzip der seelischen Vivisection in
Nietzsches Schriften verdankt. Musil
sah in ihm den «Typus des kommen¬
u^"* V- tiiJI
3 den Gehirnmenschen» und sammelte
Blick aus der Musil- in seinem Tagebuch-Heft Nr. 4 eine
/A • /*. v. o/y ^l^v/ schenWohnung Brünn, Reihe von Blättern aus dem «Nacht¬
Augustinergasse 10, buche des monsieur le vivisecteur»
in den Garten wie «Variete», «Die Geheimnisse des
Lebens» oder «Aus dem stilisirten
Jahrhundert». Sie sind in enger Nach¬
4
Manuskript barschaft mit den kurzen Prosatex¬
r*
aus dem Komplex ten zu sehen, die Musil 1901 unter
/i-?'~™ -A-* *»-f#Jt.
«Monsieur dem Titel «Paraphrasen* publizieren
Z.-*t le vivisecteur» wollte.
1 ijf t rftrVUi/ ' 1 Jl

I Brunn um IW) rrui trutnu I l(mm


murr Oix'r. <iem /jrijiwJi dküOrriiJ*
v ii**n I/Mivcrcui rut tuvtfptviz*
kulturell*' Mili/fu. Di»- ll/-
MO\>U IHM

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Ju/I-I. /I Hl/'luif'i S* llulikaj "Sem* Kol
I* Im du jungen Brunne» l.mraien
»•nnneii um (/ l/onuili I » galt un-
iiIn lntx'prriff eine» Didil«/* und vor
nehme» I e|,« n-ge-ialtung *

Im Mm 1001 null mithin ^1 u^il s*-»


-i Incden»- V»-r-m li* « in Uu< li imi

I Iiiii/i i l'io-.i < lw» im ~til<- IVii-i AI


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Imifj /«'/in/* rrrilllirllri Im liifJAlilu i
milinir /.m*ii lil ii ni'lunrn,
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trhnrh. I lin ilu hnwuhrtr ihn iln
krihkrr. /.» lurfi / /eg/ [nie] mul war
kinuruiiith. \hu kritikrn aun ilnu ff -

I 7ii ( nun iililelmle und nu ll um Ii


kein lindem Xei'lng luiid ging dnn 1
Muniinki i|>1 gml.Meuteiln serluren. Richard Schaukal
Nur wenigen luil nu Ii erliullen (1874-1942)
Mimd min hie in dei /weilen I lullte
Jllll l'»00 IIII ( •llnlllul llilliili lllinril III
2
llorf I uni Ii I rliiuli I>•-1 |em dei uul
Dr. Han» Flögl,
lui|Menn|iuieii iii (Üeneill (.imiliof /u Brünna* Finaniral
rm kgelit, geliurt gewiln /um Isjein und Kritikar
fW Prona-riu k/r. ili*- in d*-ri F^r<i
phra-*-n- z^samrwlr »'-rrJen -»llff-ri

l'-H fj\MAL Ktft \4fJ\f.M Sf.fOTf.T


tennng aus Alpacca. Hinter mir war
eine Cif unrund mit hölzernen Leuten
— hinter dieser Hemd ein Ceirten, mit
dem zweifachen Rauschen ce,ri F.rlen
und Tannen unrl ganz im Hinter-
gründe ehe decoratire Silhouette eies
Hochgebirges. Ich langweilte mich
sehr in dieser Cegend. denn mein
F.mpfmdungsapparat schien die Ce -
birgsluft schlecht, zu vertragen, mein
fielst zerlieh nicht wie eine Pflanze
der mein die Sahrung entzogen hat
... Dei seih ich von L ngefähr auf mei¬
nen Serviettenring. .'lerne runde Torrn
hrrich die Linien ein wenig, und sein
'iübergrau re räch dem Bilde der fle¬
venstände. etwas von der Stille dieser
Farbe. Ich sah das Bild. Ein verzerrtes
Bildl — L nd doch war etwas dann con
jener Traurigkeit wie wir sie im iter-
heakte eines Tristan fühlen, wenn wir
die salzige Kälte der Meerluft uns be¬
rühren glauben — oder wie in der
trostlosen Enge ccm Leibis .'•rhneider-
stube — oder...
Oder. oder, oder! Alles \atur in zwei¬
ter Folge. L nd in meinem Servietten¬
ring das noch verzerrt zu \atur dnt-
ter Folge. \r,r einer l iertelstunde noch
freute mich die kräftige blonde Kell¬
nerin — das war fJefühl — und Tristan
ist Cefühl des Gefühls — und das Bild
im Serviettenring.' Ich verstehe es
wenn der Zauberkönig im Märchen
sagt: Hier hast du emen Ring und
wenn du in diesen Ring blickst so
siehst du...
Rohm wird das noch führen ? Herde
ich durch Kasteiung und Blindheit
meinen Leib fähig machen Gesichte
zu bekommen.'—
Oder werde wh \atur zweiter, dritter
Folge als \atur empfinden lernen.
Oder werde wh lachen, daß swh mein
tyJ4 f^f'/~ Geist in den Fallen des Hortgeistes
gefangen hat.'-
i nd all das wird mir nun wieder zu
blutlosen Dingen, so daß mir eines
Tages einfullen winl: Glaswand mit
hölzernen Leisten, tSorten mit dem
zweifachen Rauschen von Erlen und
3 Turnen, decomtire Silhouette eines
Gosmef rnoccr»-
Hochgebirgs. Tnstun. Ring, Gesichte.
icn, Cor* ^uscr»
HortLogtk.' L nd ich wenie rtuch weiter
rtahren von buidosert Ihrigen — ran
4 \atur zweiter, dritter Folge — der
POsAtfrti '•'hin s -:>» schon ange das warme Blut ausgeso-
4 L Ti
-*«'» C »m*- W««q»} gen wunse.
1
Karl Hans Strobl
(1877-1946)
[...] das Brünn früher Jugend, ho
Strobl für eine das Höchste verspre¬
chende Erscheinung galt und ich für 2
den •Paraphrasen»-macher. 9 Franz Schamann
(1876-1909)
Kurze Zeit, ehe ich die Verwirri ngen
des Zöglings Törlefi zu schreiben be¬
3
gann. etwa ein Jahr vorher, habe ich
Eugen Schick
diesen »Stoff verschenkt», d. h. alles,
(1877-1909)
was in der Geschichte an •Milieu», an (Sortrag bfö bfutfifj-'öffl&fmlfrfirn Crlfbrreluffl.)
•Realität> und •Realismus» vorkam. “IS Irfctfii Dffrntlicfjett '-üortrag in bitjnn d^fluß vlaI,t öft
fcrutfd) Qfübfinijdje ürjfücrfin unter gütig» 2Hitn>itfung btt
Ich war damals bekannt mit zwei be¬ 4 f»trrrn @. 2)onntb, Sin], (Sfjrenflein, 91. ftrnutb,
gabten •naturalistischen» Dichtern, Erste Annonce St. ©rünfelb, 91. SRufif, H.tßamet, ft.Gdjn-
die heute vergessen sind, weil sie bei¬ eines Autorenabends mann unb dug. Gdjid eintn SrümttrTlutortnabtnb, btr
de sehr jung starben (Franz Scha- unter Beteiligung ftrtilag brn 23. b. um 7 llfjr abrnbS im UJorlrogSjaalf
munn und Eugen Schick). Ihnen er¬ Musils, Brünn, bf* mäfjr. ©fhjtrbtutrtinfS ftattfinbcn (oQ unb bei brm bie
23. März 1900 «tnannlfit Herren einzeln ihre iJic^tungcn borltfen tuetben.
zählte ich das Ganze, das ich mit an¬
wintrittsfarltn ju biefem iüorlragt finb Don SJiontag an
gesehen (es war in entscheidenden unentgeltlich in brr f. f. $ofl>ud)f)anbIiing SSinfltt
Dingen anders, als ich es später dar¬ (Uitnntrgafjt) ju ljabtn.
5
stellte). und trug ihnen an, damit zu
Robert Musil,
machen, was sie wollten.8U ca. 1901
4

80
Kl
h u merke mir Kt:t\E Melodie \ 1 her
ich weiß genau, wann mir cm Gefühl
auffiel. Damals na! siebzehn Jahren
ttrrrtn „flnitfdjrs t)aus“ in Örftrtn
als Paderewski spielte. war es mit der im grefeett ^cftföölc
lorstellung einer Iran verbunden. »ontflg. h<n 18. Notterafrer t 3.:
Diese I rau sollte alter sein als ich: ich

/
/
sah sie aber nicht vor mir; ich hatte
nur ein Gefühl meiner Xeigung zu ihr.
\ufdie Hinkelminute genau; das gibt
es. I ntl dann hatte ich eine Vorstel¬
Concert 6c* €lat>i*r«ZHrtttofen
lung von eigentlich sinnlosen Gesprä¬
chen ohne Dankt und Beistrich mit
Herrn J. Paderewski.
dir. Sur so: me wenn man in der Son¬ -
ne steht und fröstelnd vom II ind be¬ Vortrags-Folge:
1. Schuman«: Etüde» S;n)phouic|aea.
strichen wird/'1 2. Beethoven: Sonst« op. 57.
3. Scbubert-Llezt: •) Serenade, b) Erlkönig.
4. Chopin: a) Ballade As-dor. b) Etüden Nr. 8. 9, op. 25
e) Noctnrne op 62 H-dur, d) Sonate b-moll.
Ignaz Paderewski war seil 1887 Pia¬ 5. Paderewski: Noctnrne B-dor.
nist von Weltruf. 6. Strause-Tausig: „Man lebt nur einmal*, (Walter).
7. Hart: Rhapsodie.
Sein Klavierkonzert vom 18. Novem¬
Concertfliigel: Böeendorfer.
ber 1901 war wohl das einzige große
prriit her plä%«: (Irrcleftp 10 K, ?arqurtft|}f K u. 4 K,
Musik-Erlebnis des jungen Musil. Er «aalfintrut 2 K, tSlalrrtetanrn 6 K. 4 K unb 2 K
schrieb darüber auch eines seiner sen¬
fiiliS I ll)r iknks. — Sr;iu 1» fiitrrls 7 Ihr ikuR
timentalen Jugendgedichte, die einen
3ugang oom Saifcr 3old«plag.
merkwürdigen Kontrast zu seinem Drn SDIitglirbrrn br« Crrrinr« „®rut14f8 §aul" toitb ba«
Studium des Maschinenbaus bilden. tn brr «rttraltungsfantln (SiSfraflraBf 2 auSjuübrnbe flatutm
gtmä&r 8orfauf«rrd)t bi« i. ilootmbtr grroabrt.
Es trägt den 1 itel Paderewski-Phan-
tfom 4. 'Jlopfmbtr an ftnb bie Cmtnttefattfn nur in I
tasie»: « ®u*6anblung («uguft «artel) »tnner-
9a“f. Ibonrtbof unb am Soncmabrnbr an brr ®atfa (Auqana
pom Heiler 3ofrf«plag) für 3ebmnann rrfcSltU*. 6929
Da nur i \ ter i xs der Ma \ x mit i>i:\
träumenden Händen /1 nd wies uns¬
ren Seelen Pfade die sie nimmer sonst 2
fänden / l nd seine Finger träumten /
II le Beter auf wolkenumsäumten /
Sachte besonnten Geländer/1

lv.lu.sil legte die 1. Ingenieurprü¬


fung am 10. November 1899 mit der
Gesamtnote «befähigt», die 2. Prü¬
fung am 18. Juli 1901 mit der Ge¬
samtnote «sehr befähigt* ab. Unter
den Prüfern auch der Vater!

Auch im Verhältnis zur tech-


nischen Entwicklung hat mein Leben
einiges II ichtige berührt. Mein Lehrer
llellner mit seinem Segelflugrad und
Ignaz Paderewski
den dazu gehörenden Studien: heute
(1860-1941)
vergessen, aber es läßt sich nicht aus-
schheßen. daß diese Ideen noch ein¬
mal wichtig sein könnten [...] Die
Entwicklung der Turbine, von der. die Ankündigung von
meinem later in klagenfurt nicht Ignaz Paderewskis
ganz gelang bis zu ihrer heutigen Klavierkonzert in
II ichtigkeit. Ev. meines Vaters letzte Brünn, November
1901
Steuerungskonstruktion, die nicht
glückte [...] Kaplan, Diesel [recte
wohl: Ressel und mein later. Die
Entwicklung der Elektrotechnik fällt
Prüfungsprotokoll
fast ganz in diese Zeit. Ebenso die der
der 2. Staatsprü¬
synthetischen (’hcmw*'
fung zum Ingenieur

82
/ Ergebnis, der.o/digatori-,tun /•'in :,/prnfnngeii i tu/ t.rnud di - Ergetnns-C* der mit . In.--,h/n-- der 1 hffenth,hin/ ergeuonnn,«. ..
Hernllinng und . tb-hininnng der 1 oninitssion ;.;,r,bn ,/■ ;i t andi-lnt, 0 an - t. n . ,1, . /,. „
Gegenstand Siadleojtbr Hocbicbale I Jatui
H lt. tvnhoi'fhc //.« tu Itrunu. / ’rn/nngsgegenst,inden na, h-t, tu ud I r/,dg-not, n n, rkannt
tJU
Gegenstand ü f f o • g Anmerkung
t lunniissioii für die ?ir/fr Staatsprüfung
'r 1 ZuJm+U. O*
aas dein tun he Praktische Prüfung
£ Xyi/ijniilii j~r
ei} 'u* <f~*~ .*.
7<y(i.v
CitUrt^rz
Prüfungsprotokoll. 1 ■ i£tz Ctr+A*cA'to~f}u, p~Zy _
j/ , j. .
Theoretische Prüfung
r . j /te^u^Lr „ ,//// M‘/^/
« /. er<.
Marne des Candidati n
L'
Ort. !j*"d geboren zn

fahr der Gebart ,m Jahrt /ÜQ

2'mrmckgetegte
Hachschu/stndie u
A * A-E'O- ~
//. Ergebnisse von lünzelprifnligen, welche nach 8 44 bei der Staatsprüfung
zu berücksichtigen sind
Schtusscalcul y
Erfolg der
jjJJ1 Gegenstand Stodieojibr Hocbscbal« Datum
ersten Staat sfrufn Hg ditto gfO • J/$ *Umsi**r /ÄfJ

J Juiy / M£~-
dt<- 2- 'fP
/ ’argr sch neben, r
danh da- Me/dnngshmh erbracht l - £
EreynenzuaekvctS Der Landn/at wurde sohin mit Stimmen 4- ft-’-i, it/
^ dS*c.**A*—.. —
/«r £ ---befähigt erklärt
j. U iCa uC. J.f
Militärischer
v»oL v /Uu.~AzrI .
Eräscnedieüst

f dtmdt*t~euAj
/ 'rnfnngsta.xc *- vr K-: /i°f Brunn, an, ff- /&&’ Sp / ^
JT* >
l - * ./-£ /f»y^
Anmerkung
7 ... ^ < «.''ff?

Eiir die /Dichtigkeit der /löschrift <8 /y n Ministerin/-/irt ;• >/ . Ingn-f /yon / i//j</
II

IDie Lebensgefährtin Musils iu den


\ l\ M

Jahren 1901 bis 1007 war Herraine


Dietz. Geburtsdatum und Herkunft
MONSII.l R l.l

Herraines flemias) sind unbekannt.


Fest steht nur, daß sie in einem Brün-
ner Textilgeschäft arbeitete. Musil
mietete 1001/02 in Brünn sog.
«Schmeichelzimmer», in denen er
sich mit ihr traf. So notierte er am Id.
Februar 1002 in seinem Tagebuch:

Heite mit Herma voraussichtlich


das letzte Mal in unserem alten Zim¬
mer gewesen, in dessen Verschwie¬
genheit ihre«Unschuld» verlorenging.
Herma war sehr hübsch."*

In der Novelle «Tonka» heißt es,


passend zu der Zeichnung:

Und Tonka h ar gekommen. In ih■


rem moosgrünen Jäckchen, in dem
blauen Hut mit den schwarzen Puf¬
fen, die Hangen von dem raschen
Gehn in der Abendluft gerötet.8 ’

Sie iiar also damals in dem Tuchge-


schüft, und es war ein großes Ge¬
schäft, das viele Mädchen für seine
Lager angestellt hatte. Sie mußte die
Stoffballen beaufsichtigen und die
richtigen finden, wenn ein Muster ver¬
langt wurde, und ihre Hände waren
stets etwas feucht, weil sie von den
feinen Haaren der Tuche gereizt
wurden.8h

In H ahrheit haite er sie zum ersten-


mal am <Iling> gesehen, jener Haupt¬
straße mit den steinernen Lauben
[...] Dort hatte ihn plötzlich ihr Blick
in die Augen getroffen, ein lustiger
Blick, nur ein Sekündchen lang und
une ein Ball, der aus Versehen einem
1
Mutmaßliches
lorübergehenden ins Gesicht flog, im
Porträt von
Nu von einem Hegschauen gefolgt
Hermine Dietz,
und einem geheuchelt arglosen Aus¬ Vorbild der Tonka,
druck [...] und ihr Gesicht hatte, oh¬ als Palimpsestin
ne schön zu sein, etwas Deutliches Musils Nachlaß
und Bestimmtes. Nichts darin hatte
jenes Kleine, listig Weibliche, das nur
durch die Anordnung wirkt; Mund, 2
,\ase, Augen standen deutlich für Alt-österreichisches
sich, vertrugen es auch, für sich be¬ Textilgeschäft

trachtet zu werden, ohne durch ande¬

I res zu entzücken als ihren Freimut


und die über das Ganze gegossene
Frische,8
3
Der Brünner «Ring»
um 1900

»4
iHäljnfdHrtilfltfdjcr Daß Brünn das mährisch e Man¬
» er OMumut viora
chester war, erfuhr Musil durch Her¬

IklMM ÜMMfl 5 kl. ofMmtni».


£^an ber Socidlbcmofrutie Hlübrens unb Schlefiens.^,»^
;‘.w;
l>HMbt H« *• “*
mine Dietz. Das spiegelt sich noch 20
Jahre später im Entwurf zum Mann
ohne Eigenschaften»:

jlr. r>. ffrnmi, :i*. April II Kolironiiji. «Das »ahrf. Brünn ist natürlich der
Ring der Fabrikviertel, die Tuch- und
Garnstadt/» fuhr Ulrich fort und
wandte sich an Agathe. «H äs sind das
doch große, schmale, schmutzige
Häuserschachteln mit unzähligen
Wer mit uns bas Herlaugcii Ijrg!,
Dir Hrübtr’jn brlt^rrn, Fensterlöchern, Gäßchen, die nur aus
Hit ruhig nodj uub unbewegt
Htm tidjt brn Höchen kehren, Hofmauern und Eisentoren bestehn.
Htr mufs mit freiem kühnem itlutb
Hon unfrei 3e*t ©ebredjeu,
Unb mit brr Ueberjeugung <X)luit)
Straßen, die sich breit, ausgefahren
io rtd)t uom flfrirn fpredjen.
Hodj wirltuugsuoller nodj, fürwahr, und trostlos krümmen!» Ein paarmal
AU, alles Herlaraieren
381 es,. bie lüahrlitit hur; uub klar, hatte er nach dem Tod seines Vaters
Nnb alter Hialektik. bar,
$<jatfädj(id) Dcuionjlrkrm! dieses Viertel durchstreift. Er sah die
ds lebt uom flrote nidjt allein . hohen Schornsteine wieder, an denen
Htr illcnfch; in Druck unb Hauben
flleibl ewig ihm baß (glück ein idjtin
Sein UUftn- uiioerftanbcul die schmutzigen Fahnen des Rauches
Uloltt* ihr, ^fß'enerHHorJ im Halb
Htß Üanbes ©ellung finbe** * ' ijj hingen, und die ölüberzogenen Stra¬
Itnb eiitr UliUe in bec ©hat {,
Hie fiiiedjlfdjaft iibenoiiibe?& ßen (Fahrbahnen). Dann verlor sich
Wollt ihr bie Freiheit? Wollt lljr nidjt
3m Slaubt (tumui uertljieren? seine Erinnerung unvermittelt ins
Wohlan beim, kommt h^aus ans fidjt
drljebet euer Angefidjt Bauernland, das auch wirklich un¬
Hub helft uus Dcmoiiftrirren!

Wir waren an ber Arbeit i'all vermittelt hinter den Fabrikmauern


3n iibermäfi’geu Slunben
Hei hargew iMalji unb huorr Haft begann, mit schwerer, fetter, frucht¬
©rwohnhdlßfeft g.’bunben.
Wir haben freilidi proteflirt, barer Erde, die im Frühling schwarz-
©efungett unb geprebiat —:
Hodj bleiben ©riinbe iguortrt
Itnb Wünfdje uncrleblgt.
braun aufbrach, mit niedrigen, lan¬
Wollt iljr ber W< rlitaasftuuben Spann*
drlileddidj reburi ren? gen, längs der Straße liegenden
flommt tjrr uub teilet euren iHann,
Heraus, euer fidj nodj regen kann, Dörfern, und Häusern, die nicht nur
perau*! Sir öemonftricrcn!
in schreienden Farben angestrichen
©tn fjerrfdjfuciit, iifl uub (eigennut)
Wir haben uns icrbünbet,
Unb in bem flun) jiun Sdjut) unb iruty
waren, sondern in solchen, die mit
Her Sadie Sieg hegrönbet.
Hub wo ein fjer; uoll Sehnfudjt podil unverständlich häßlicher Stimme
Itadj ireihrit um ©nlfaltung,
Ha iljm bas ©leib nntrriodjt schrien. Es war ein demütiges [...]
Hit Schönheit bt Öeftallung;
Has fdjlicge |\dj ans au gefdjwinb Bauernland, aus dem die Industrie
Hub oljne JBeitoc liertn:
$>craud! «o IJtattn. wie Selb unö ttinb ihre Arbeiter und Arbeiterinnen sog,
Xic ftciljucii tvc4*n im ftriU)liußSwin&:
£>crau3! Sir Heuionftricrcu!
Animi» dm». weil es eingeengt zwischen ausge¬
dehnten Zuckerrübenplantagen des
Großgrundbesitzes dalag, der ihm
nicht die nötigste Wohlhabenheit üb¬
rig gelassen hatte. Jeden Morgen rie¬
fen die Fabriksirenen aus diesen Dör¬
fern Scharen von Bauern in die Stadt
und verstreuten sie [...] des Abends
wieder über das Land [.. ,]88

[...] In Brünn war es wohl bloss


die Abseitsstellung des jungen Man¬
nes, natürlich doch auch vernünftige
Erwägungen, was mich mit dem So¬
zialismus sympathisieren ließ, so daß
4 beinahe mein erstes literarisches Auf¬
Aufruf zur Demon¬ treten das als Theaterkritiker des
stration am 1. Mai *Volksfreund» gewesen wäre. Welcher
1899 im «Mäh¬ Schicksalswitz, daß der Theateraus¬
risch-schlesischen
schuß in diesem Augenblick dem Blatt
Volksfreund»
den Sitz sperrte. Der Besuch beim Ab¬
geordneten Czech, der Vortrag im Ar¬

5 beiterheim; muffige Atmosphäre:


Arbeiterheim, Auch hier waren ästhetische Elemen¬
Brünn te abstoßend-entscheidend.H''

8fi
!
\ l\ l'l •

j s ist bezeichnend. Musil als


MONSIF.I R I I

angehender Techniker einerseits in


den \ dien der Brunner lextildyna
sien Strakosch, l.nw Heer oder
Schneller verkehrte, mit ihren löch-
tern tanzte und andererseits mit dem
Proletariat l ingang halte, mit sozial
demokratischen Ahgeordnelen in
Kontakt trat, fürein sozialdemokrati¬
sches Blatt schreiben wollte. Politi¬
sche Äußerungen waren von ihm da¬
mals noch nicht gefragt. Sie hätten
sich wohl kaum von dem unterschie¬
den. was zum Beispiel Karl Kraus
schrieh.
In der «Fackel» von Ende Mai 1BW
solidarisierte sich Karl Kraus mit den
streikenden Brunner Arbeitern:
«Aus Dörfern, die sechs Stunden ent¬
fernt sind, fahren sie täglich zur
Werkstatt, drei Stunden gehen sie zu
Fuß. Sechs Stunden täglicher Marsch
neben elfstündiger Arbeit, das ist das
Glück, das unsere Gesellschaft, das
unsere Industrieblüte ihren eigentli¬
chen treibenden und tragenden Kräf¬
ten beschert hat. Spat abends sind
diese Armen heiingekornmen und
früh um .">. ja •+ und um 3 l hr müssen
sie aufstehen. Sommer und Winter,
um den Arbeitsbeginn nicht zu ver¬
säumen. Es sind zumeist Frauen, und
viele von ihnen sehen ihre Kinder nur
Sonntags wachend und beim Tages¬
licht [...] Andere, die in entfernteren
Orten zuhause sind, leben die ganze
Woche hindurch in Brünn, in dumpfi¬
gen. schmutzigen (Quartieren. Män¬
ner. Frauen und Kinder durcheinan¬
der. fünf bis zehn Personen in einem
Zimmer zusammengepfercht, aus¬
nahmslos zwei in einem Bett [...] und
manchmal mit einer merkwürdigen
Anpassung an das Schicht System, so
daß der Nachtarbeiter sich morgens
in das noch wanne Bett legt, welches
der Tagarbeiter eben verlassen hat.
Die Krankenstatistik mit ihren
furchtbaren Ziffern, der entsetzliche
Percentsatz der an Tuberculose Hin¬
sterbenden beleuchten den Zustand
einer Verelendung, an der die trauri¬
gen Lohn- und Wohnungsverhältnis¬
se, der Mangel an Schlaf und Ruhe
1
und die Wanderungen durch W inter-
Wohnverhältnisse
frost und feuchten Nel>e| gleicherma¬
Brunner Arbeiter
ßen mitgr« irkt liuhrn um 1900

<3t*
mmm
/\.nfang Mai 1899 traten die 12 000
Weber und Spinner Brünns für rund
zwei Monate in Streik, um zu errei¬
chen, daß für ein Jahr probeweise der
zehnstündige Arbeitstag eingeführt
werde. Sie wollten, wie Karl Kraus
schreibt, «also weder an der capitali-
stischen Ordnung überhaupt, noch an
der Gewinnrate der Herren Stra-
kosch, Löw-Beer, Schoeller riit-
teln»,0a. Aus Entwürfen zum «Mann
ohne Eigenschaften» geht hervor,
daß Musil die Brünner Sozialdemo¬
kratie zu wenig revolutionär war:

Ein solcher Zustand, der von der


Erzeugung von Tuchen und Garnen
[...] kommt, wird nicht mit den glei¬
chen Mitteln überwunden. Vielleicht
hätte das dem Kampf [...] einer auf¬
sässigen Arbeiterschaft gelingen kön¬
nen oder dem Kampf gegen eine Ober¬
schicht oder einem imperialistischen
Kampf um den Weltmarkt, wie ihn
andere Staaten führten, kurz nicht
dem Verdienen nach Verdienst son¬
dern einem Rest tierischen Erbeutens,
worin sich die Lebenswärme wach-
hölt.'m
1
Streik der Brünner

\4 ,
1 ▼ Ausil genoß zwar die tierische Le-
Textil-Arbeiter:
Demonstration im
benswürme des Brünner Proletariats Garten des Arbei¬
in Gestalt von Hermine Dietz/Tonka, terheims am 2. Mai
1899
aber er befand sich bei ihr nicht in
ästhetisch gleichwertiger l mgebung.
Das Ethische, das Menschliche in
2
Tonka betrügt ihn um das Ästheti¬
Brünner Arbeiter¬
sche, kunst-voll Persönliche'**. wohnung 2

88
Die- wurde ihrn vor allem an der
Geliebten meines Freunde- Gustav
Donath, an der Wiener Maleritoehter
Alice Charlemont. klar.
-:ie ist dar Vorbild der 01an--e irn
«Mann ohne Eigenschaften •. -o wie
ihr Mann das Vorbild Walters ist.
Gustav Donath verkehrte von ca.
1900 an im Hanse Charlemont und
führte w ohl auch Musil dort ein.

De: VEMHiLTWS fO\ GtJSTL l \fj


ihre. Die Ausgangssituation war so:
Bei den Charlemont* liegt die Sinn¬
lichkeit in derEamilie. Sie lehen in der
Hauptstadt eine* sinkenden Landes
coli Parteizerwürfnissen. in einer
Stadt wie Madrid oder Kien, wo die
socialen \ufgaben nicht mehr befrie¬
digt werden können und dafür der
Einzelne und die comehme Gesell¬
schaft in feinster Ausbildung vorhan¬
den sind. Das Haus ihrer Eltern ist
vornehm, dunkelprächtig. Ihr later
pflegt eine rem auf das \uge gerichte¬
te Kunst: er malt Landschaften. Still¬
leben. 0reu:ander, — sein Glanzpunkt
ist die Einrichtung von Palästen und
Schlossern.
Dies übrigens ruft seine Leidenschaft
für ErL Gintskay hervor: es berauscht
ihn. voll mit dem kostbarsten Mate¬
rial schalten zu können: er ist über¬
haupt noch dem tRausche > zugäng¬
lich. wie die Künstler von ehedem.
Dies macht den bedeutsamen <Gegen¬
satz zu Gustl aus. der einfach ist. wie
klarhnige englische Möbel und im
Kiemen träumt, in sanft und bezie-
hungsvoll gebogenen Linien wie der
mitteldeutsche DekorationsstiL Die¬
3
ser Gegensatz fällt durchaus nicht
Der Maler
durchgehend zu L ngunsten Charle-
Hugo Charlemont,
(1850-1939, monts aus. Gustl* Mangel an Bil¬
derpracht und seine einseitige Ein¬
fachheit wird ihm in der Musik zum
4 groben Hmdemis. ErL Gintskay aber
Alice Charlemont läßt sich wohl von Charlemont hmrei-
(1885-1939 flen. ist jedoch schon zu sehr emer \rt
nach einem Ge¬
wie die Gustls zugänglich um nicht
mälde
cor der geringen inteU.ec tue Ile n Con-
ihres Vaters
sistenz dieses ferhältnisses zurückzu -
schrecken.
5 Gustl wird so zu einem Machtfaktor m
Gustav Donath dem Leben seines Schwiegervaters.

«9
/
/

I
J3t:im Infanterie-Regiment Nr. 49
Freiherr von I leß diente Musil vom 1.
Oktober 1901 bis 30. November
1902 sein Einjährig-Freiwilligen-
Jahr ab. Die Eindrücke, die er in Ent¬
würfen zum Mann ohne Eigenschaf¬
ten der Figur Hans Sepp zuschreibt,
dürften seine eigenen gewesen sein —
in der Brünner Jesuiten-Kaserne.

H'ew man seixex Buck i her die


Heile des Hofes gleiten ließ — an und
für sich hol ein kasernenhof etwas
l hmenschliches, unfrei Regelmäßi¬
ges. wie es die tote Heit der kn stalle
hat —. so endete er bei hockenden und
steif laufenden blauen Figuren, die an
alle Mauern gemalt waren, damit
man das Gewehr auf sie anschlage;
und dieser Heilzweck, beschossen zu
werden, drückte sich auch in der ab¬
strakten Art dieser Malereien zum
Verzweifeln gut aus [...] Der Mensch
hat auf den Bildern, die an die Hände
der Kaserne gemalt werden, kein Ge¬
sicht. sondern anstelle des Gesichts
nur eine helle Fläche. Er hat auch
keinen Körper, den der Maler in einer
der Stellungen festgehalten hätte wie 1
sie Fier und Mensch, dem Spiele ihrer Feldmarschalleut-
Bedürfnisse folgend, t on selbst ein¬ nant Rudolf von
nehmen. sondern erbesteht aus einem Musil, das militäri¬
sche Vorbild
mit dunkelblauer Farbe ausgefülltem
grobem I inriß. der die Stellung eines
mit dem Gewehr in der Hund laufen¬ 2
den Mannes oder eines Mannes, der
Maximilian von Becher,
kniet und schießt. für eine Ewigkeit Militärkamerad
festhält, m der es niemals wieder et¬ Musils in Brünn,
was so l berflüssiges wie persönliche Modell für General
Zeichnung geben wird. Das war kei¬ Stumm von Bordwehr
neswegs unvernünftig; der Fachaus¬ im «Mann ohne
druck für diese Figuren hieß <Ziel- Eigenschaften»
flächet, und wenn der Mensch als
Zielflache betrachtet wird, so sieht er
3
so aus. daran ist nichts zu deuteln
Jesuiten-Kaserne,
[... Durch die |hiv- - ih-'i jeder Brünn

9()
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m-~^/y/*^^fcr^n' ^</*< A -_✓

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V* "l^H- j-- ^>~>—ft**V ~~'V

, w*-*" '* •
JS=—

-rZ^ persönlichen H öhlwollensmöglich -


keil wirkten die rechtwinkligen Ge¬
bäude. die eintönigen Mauern, mit
den blauen Figuren darauf, die end¬
losen Geraden der Gänge, mit den un¬
zähligen parallelen Schrägstrichen
der daraufhängenden Gewehre,
wirkten die den Tag einteilenden
Trompetensignale und Forschriften
als die klare, kalte Auskristallisation
eines Geistes ... der Ulgemeinheit.
der Öffentlichkeit, der unpersönli¬
chen Gemeinschaft oder wie man das
nennen solL der dieses Haus und die¬
se Formen geschaffen hatte ...
In den Pausen des Dienstes, diesen
unregelmäßigen, auf die unnutzesten
Zeiten fallenden Pausen, trieb er sieh
mit den anderen Einjährigen umher,
trank Branntwein und Kaffee in der
Kantine und saß in der trüben Flut
ihrer Gespräche und H itze wie in ei¬
nem schmutzigen Bach, ohne sich
zum Aufstehen entschließen zu kön¬
nen. Erst jetzt haßte erzürn erstenmal
in seinem Leben den Soldaten rtamd.
4 u etl er sich setnem Einflujs unterwor¬
Revers des fen fühlte. - Mein Inneres ist ietzt
Einjährig- nichts als das Futter eines Militär-
Freiwilligen R. Musil mantels — sagte er sich; aber erfühlte
daß er keiner sich erstaunt cersucht, die neuen Be¬
geheimen Gesell¬ wegungen ui seiner Einkleidung zu
schaft angehöre
erproben. Es kam ror. da.«■ er at.c-:
nach dem IKenst mit underen zusam-

5 menblieb und die etwas n>hen Lust


Robert Musil als barkeiten dieser halbseibstän:
Leutnant, Mai 1903 nmgen Menschen cerkostete. ~

Ut
I-
um \ l\
MONSII

8. V. [1902] Hel te zhei grosse


Bände Nietzsche aus dem Franzens¬
museum entliehen. Unwillkürlich hei¬
lige Stimmung, denn wie las ich ihn
einst!
H ie wird er wohl diesmal auf mich
wirken?!
Jedenfalls bedeutet er Sammlung,
Selbstprüfung und alles mögliche
Gute.93

15. V. [1902] [...] Dass ich


Nietzsche gerade mit achtzehn Jah¬
ren zum ersten Male in die Hand be¬
kam. Gerade nach meinem Austritt
vom Militär. Gerade irn soundsoviel¬
ten Entwicklungsjahr,94

[ca 1937] Nietzsche Habe ich in


meiner Jugend auch nur 1/3 von ihm
aufgenommen? Und doch entschei¬
dender Einfluß.93

Entscheidende geistige Einflüsse 1


empfing ich mit ungefähr neunzehn Friedrich Nietzsche
(1844-1900)
Jahren durch Nietzsche, Dostojew-
sky s Raskolnikow, Doppelgänger
und Hahnrei. Emerson's Essays, die
2
Fragmente von Novalis und den
Fjodor Michajlo-
eklektischen Vermittler Maeter¬
witsch Dostojewski
linck (1821-81)

92
26. V. [1902] Mach's populär-
wissenschaftliche Vorlesungen fielen
mir heute zur rechten Zeit in die
Hand, um mir das Vorhandensein ei¬
ner vorwiegend verständlichen Exi¬
stenz von trotzdem hoher Bedeutung
zu erweisen. Schließlich habe ich ja
daran nie gezweifelt — aber ich erlau¬
be mir, mich hiermit nochmal zur Vor¬
sicht zu erinnern!''

Ejinige Jahre später wählte sich


Musil die physikalischen und philo-
phischen Theorien Machs als Gegen¬
stand seiner Dissertation «Beitrag zur
Beurteilung der Lehren Machs»
(1908).

8. VH. [1905] Für alle diese -


Ruskin, Carlyle, Emerson, Thoreau
Channing (Selfculture) — ist die Wir¬
kung der Selbstkultur eine steigende
Entwicklung, ein gesteigertes Leben,
ein gesunderes, größeres, wahreres
Leben, vermöge eines wachsenden
Gefühls der Einheit mit dem Dasein
und durch die Gesamtanschauung
desselben. (Das wäre statisch.)
Selbstkultur bedeutet nicht nur die
Entwicklung gewisser unserer Kräfte.
Es bedeutet, daß alle großen Lebens¬
möglichkeiten gleichzeitig befreit
werden und wachsen, eine Befreiung
und ein Wachstum, das zugleich die
Lebensfülle des Denkens, des Fiihlens
und des Wo Ile ns erhöht. Jeder ist sein
eigenes Ziel und hat daher die Pflicht,
das größte Maß von so gesteigertem
Leben, mit anderen Worten das Glück
zu erstreben. m

25. VII. [1905] Essais I sagt


Emerson: Der Mensch gehört nur
halb sich selbst — die andere Hälfte ist
3 Ausdruck. Denn alle Menschen ver¬
Ernst Mach
langen in ihrer Seelennot nach Aus¬
(1838-1916)
druck. In der Liebe, in der Kunst, in
der Habsucht, in der Politik, in der

4 Arbeit und im Spiele suchen wir unser


Ralph Waldo schmerzvolles Geheimnis auszuspre¬
Emerson (1803-82) chen.99

93
1 II TM \l \
I I 11 I l|s\()|\

J^faeh Vblristung seiner Militur-


dienstzeit als Kinjnhrig-Frnwilliger
wurde Ylusil im Oktober 1 ‘>02 auf
\erinittlmig seines \aters \olontar-
\ssistent Praktikant des bedeuten¬
den Ingenieurs Prof. Carl Bach. Baeli
galt als Utmeister der Materialpru-
lung .Seme Vrbeiten hatten bis in die
fünfziger Jahre Weltgeltung. Da Mu¬
sil offiziell nur Hörer der Techni¬
schen Hochschule war. erhielt er
kein Salar. sondern bekam die noth-

S wendigen Subsidien vom Klternhau-


se . Musil begriff diese Stuttgarter
/eit ab weiteren Versuch, ihn mit
dein Realitätsprinzip zu befreunden,
kr entzog sieh dem auf seine Weise.

l/./.A SP. 177.7t/.'\ /j.xn.i sst. - IxSTITVT,


Technik. Hach ... dann darauf ge¬
richtet. einen normalen Zeitgenossen
aus ihm zu machen.1011

In seinem «Vermächtnis II schil¬


dert .Musil die Stuttgarter
D
/eit folgen-
r

dermaßen:

li tt HAH 22 Jumt \1X TROTZ UF.IXPR


Jugend schon Ingenieur anil fühlte
mich in meinem Beruf unzufrieden.
Jeden \bend um 1/2 9 Uhr besuchte
mich eine Freundin [vermutlich Her¬
ma Dietz . aus dem Büro kam ich
aber schon um 6 I hr nach llause.
Stuttgart, wo sich das abspielte. war
nur fremd und unfreundlich, ich woll¬
te meinen Beruf aufgeben und Philo¬
sophie studieren (was ich bald auch
tat . drückte mich von meiner Irbeit.
trieb philosophische Studien in mei¬ 1
ner Irbeitszeit und am spülen Xach- Prof. Carl Bach
inillag. wenn ich mich nicht mehr (1847-1931)
aufnahmefähig fühlte, langweilte ich
mu h. So geschah es. daß ich etwas zu
schreiben begann, und der Stoff
2
Material-Prüfungs¬
der gleichsam fertig dalag. war eben
anstalt der Techni¬
der der Irrwirran gen des Zöglings
schen Hochschule
Törleß.""
Stuttgart

•M
4
Warum tragen [Ingenieure] bf.i-
spielsweise so oft eine Uhrkette, die in
einseitigem, steilem Bogen von der
Westentasche zu einem hochgelege¬
nen Knopf führt, oder lassen sie über
dem Bauch eine Hebung und zwei
Senkungen bilden, als befände sie
sich in einem Gedicht? Warum gefällt
es ihnen, Busennadeln mit Hirsch¬
zähnen oder kleinen Hufeisen in ihre
Halsbinden zu stecken? Harum sind
ihre Anzüge so konstruiert wie die An¬
fänge des Automobils? Harum end¬
lich sprechen sie selten von etwas an¬
derem als ihrem Beruf; und wenn sie
es doch tun, warum haben sie dann
eine besondere, steife, beziehungslo¬
se, äußere Art zu sprechen, die nach
3
Festveranstaltung innen nicht tiefer als bis zum Kehl¬
der Technischen deckel reicht? [...] Sie zeigten sich als
Hochschule Stutt¬ Männer, die mit ihren Reißbrettern
gart mit Professor fest verbunden waren, ihren Beruf
Carl Bach liebten und in ihm eine bewunderns¬
(1. Reihe, 4. v. r.) werte Tüchtigkeit besaßen; aber den
Vorschlag, die Kühnheit ihrer Gedan¬
ken statt auf ihre Maschinen auf sich
4
selbst anzuwenden, würden sie ähn¬
Urbanstraße 46,
lich empfunden haben wie die Zumu¬
Stuttgart. Woh¬
nung Musils vom tung, von einem Hammer den wider¬
Oktober 1902 bis natürlichen Gebrauch eines Mörders
April 1903 zu machen.'02
MONSIEl |{ I ! \ IMSI.Cl I

V on Mitte Mai bis August 1903


wohnte Musil in Stuttgart-Degerloch.
Die Adresse ist nicht bekannt. Musil
hielt die Szenerie in einem Entwurf
der zwanziger Jahre unter dem Titel
♦ Der Sommeraufenthalt. Zwei Ge¬
nies» fest:

Als Peter mit seiner Frau und mit


einem Kajütenkoffer voll Büchern un¬
ter dem andren Gepäck in Stuttgart
eintraf, führte sie ein Mietauto in
Kletterschlingen die sonnige Bergleh¬
ne nach Degerloch hinauf - zwischen
Wein und Villen hindurch — das da¬
mals ein reizendes Dorf war, welches
wie aus einem hohen Baumwipfel auf
die Stadt hinabsah. Als sie das Holz¬
gatter des kleinen Vorgartens aufstie¬
ßen, stand in der Türe des Hauses ein
Mann mit schwellendem Bart und di-
lettantenhaften H illkomrnsgebärden
[• •.] seine Worte waren wie ein Anzug
vom Dorfschneider [.. .]103

r
VXelegentlich machte Musil von
Stuttgart aus Ausfluge in die nähere
Umgebung, zum Beispiel nach Eßlin¬
gen. Daran erinnert sich sein Held in
einem Entwurf zu dem Roman, der
spater den I itel «Der Mann ohne Ei- 1
genschaften» trägt: Weinsteige, Stutt¬
gart, die Straße
Irgendra.w Eriweri xg an' Essun nach Degerloch
gen. Museum 1. Stock. Er sitzt am
Fenster, spiegelndes Nichts, Abglanz «
des Zimmers. Henri man sich aber - _
nah hinbeugt, taucht erst von allen S,utt9art-Degerloch
Seiten das Schwarz herein und dann
die Kirche, die gezackten schwarzen 3
Häuser mit den Schneehauben.104 Eßlingen, Marktplatz

'Xi
q , .,
LJtefanie Iyrka-Gebell war die I- rau
eines Regierungsbeaniten. lebte von
1890 bis 1898 und von 1905 an auf
Dauer in Graz. Sie spielte auf Liebha¬
berbühnen Theater, interessierte sich
für Literatur und Musik und unter¬
hielt einen kleinen Salon, in dem jun¬
ge Autoren und Musiker verkehrten.
Zu ihnen zählte auch Musil. Der Kon¬
takt erstreckte sich von ca. 1902 bis
1909.
Am 1. August 1903 schrieb Musil aus
Degerloch an Stefanie Tyrka-Gebell:

Vergebens habe ich gehofft, .bald


wieder von Ihnen und Ihrer Unthätig-
keit zu hören». Das kommt wohl weil
ich so undankbar schwieg. Aber es ist
mir einfach unmöglich zu schreiben!
Ich habe noch nie in meinem Leben,
trotz aller Examen, erfahren, — so
sehr erfahren, was mit derZeit sparen
müssen bedeutet, als jetzt. Mein Ar¬
beitstag umfaßt circa sechzehn Stun¬
4 den, von denen Sie höchstens drei für
die Unumgänglichkeiten des Lebens
abrechnen dürfen. Und selbst damit
habe ich zu wenig. Ich soll in vielleicht
Stefanie Cyrha-Gebell
vierzehn Tagen zu meinen Eltern aufs
Land fahren und muß vorher doch
eine gewisse Etappe meiner Sprach¬
studien hinter mich gebracht haben,

m Silhouetten m — auf meinem Tische stauen sich die


Bücher, die man unumgänglich lesen
soll, — ich habe kleinere literarische
Arbeiten, die ich einer Redaktion ver¬
'Eine Sammlung aus rcalijHfdjen Hcinattcu sprochen habe (nichts für Sie, — po¬
ber ^rübmoberne unb llToberne Jta? pulärwissenschaftlich) bis Anfang
Oktober abzuliefern. — und überdies
diesen dummen Roman, der ganz si¬
cherlich nicht sehr innig zu mir ge¬
ITlit etn<m Donrort »oit Peter Rosegger
hört, den zu vollenden ich mir aber
nun einmal in den Kopf gesetzt habe
[= «Die Verwirrungen des Zöglings
Törleß»].105

4 Die «Silhouetten» von Stefanie


Stefanie
Tyrka-Gebell waren eine Sammlung
Tyrka-Gebell
von Exzerpten aus Texten von Keller,
(1854-1949)
Spielhagen, 1 lamerling, Rosegger.
Sudermann, Bierbaum, 1 lamsun,
Strindberg, Drachmann u. a. Rund
5
München «Silhouetten» zehn Jahre nach Erscheinen, 1910,
August Schupp von Stefanie nannte Musil die Bemerkungen der
5 Tyrka-Gebell 1 lerausgeberin «schrecklich».106

97
/
/

-Bevor Musil in der zweiten Hälfte


des September 1903 nach Berlin
übersiedelte, um dort Philosophie
und Psychologie zu studieren, ver¬
brachte er, etwa von Mitte August an,
mit seinen Eltern einige Wochen auf
dem Land. Am 4. Oktober 1903
schrieb er im Rückblick an eine Un¬
bekannte über die Begegnung in
Schladming (Steiermark):

Gott sfj Daxk, ich habe eine Stunde


wie eine Erlösung; - die erste seit lan¬
ger, weiß nicht wie langer Zeit. Eine
jener köstlichen Stunden, in denen
man einsieht, daß man sein Leben
verfehlt hat, daß die Gipfel über¬
mächtig hoch über einem ragen. Daß 1
alles schlecht war, was man tat, daß Die Enns bei
Schladming,
man weiter vom Ziele steht als je [.. ]
Steiermark
Ich weiß, daß ich Sie m Schladming
enttäuscht habe, - ich war so klotzig,
kantig, rational, - ach ich will ja gar
2
nicht daran zurückdenken; ich u ur
Straßenszene
nicht ich.10 in Schladming
M usil beschrieb die Szenerie von
Schladming in einem kurzen, an seine
«Paraphrasen» erinnernden Prosa¬
text, der alles andere als «klotzig,
kantig, rational» ist — eher jugend-
stilig-sentimental:

In einigen Tagen reise ich. - Ich


habe gründlichen Abschied von unse¬
rem lieben, kleinen Dorf genommen —
schweren Abschied. In der Rahe des
Herbstes wurde es hier ganz anders. —
Ein paar verschlafene Hunde, die sich
auf einem Stückchen fadenscheinig
besonnter Erde wärmen, — abblät¬
ternde Bäume am Platz, — unser still¬
rauschender Brunnen — hie und da
der schwere Schritt eines Bauers. Es
ist wirklich schön!
Da gieng ich all die lieben liege noch
einmal. Da und dort fielen mir Horte
ein, die wir zueinander sagten, und
solche, die wir einander verschwiegen
und von denen wir doch wußten.
Erinnerst du dich noch an den abend-
finsteren Wald, der uns vom Rohr-
Moos herunterführte?
Du giengst ganz vorne, ganz in der
Dämmerung, die dich mit grauem
Leuchten umgab. Und ich als letzter
in unsrer langen Reihe; — ich sah von
dir nur einen dunklen Schatten und
den Heiligenschein, den die grauen
Flammenzungen der Dämmerung um
dich flochten.
Und ich betete dich damals an. Ir¬
rend, fiebernd.
Und als ich dann dein Lachen hörte.
3 — hell-flatternd — wie ein Spitzentuch
Dorfstraße in zwischen den schlanken Baumstäm¬
Schladming
men — da fühlte ich mich gepeitscht
und gedemiithigt und wäre am lieb¬
sten in den Hold hineingelaufen, wie
4
ein Kind, das den Lindwurm erschla¬
Schladming und
Rohr-Moos (am gen will, weil es zu Hause gescholten
linken oberen wurde. Wie ein Kind haßte ich
Bildrand) dich.m

<)<>
1903-1907

WURZEL AUS
MINUS EINS-
WISSENSCHAFT
UND DICHTUNG
I
Wl'RZKI. \l S MIM S KINS - W ISSI \S( 11\l I l \|) |)|< 11

1
Der Philosoph und
Psychologe Carl Stumpf
(1848-1936)

-A-n der I lumboldt-Universität Ber¬


lin studierte Musil vom IS mterseme- 2
ster 1903 bis zum Frühjahr 1908 Der Physiker
Philosophie und Psychologie im Heinrich Rubens
Hauptfach, Mathematik und Physik
im Nebenfach, vor allem bei den Pro¬
fessoren Stumpf und Riehl. Rubens
3
Der Philosoph
und Schwarz.
Alois Riehl

c
V^arl Stumpf, Ordinarius für Philo¬ 4
sophie und Psychologie an der Berli¬ Der Mathematiker
ner Universität, war Musils wichtig¬ H. A. Schwarz
ster akademischer Lehrer. Kr war
Mitbegründer der Cestaltpsycho-
r
logie. D
Humboldt-Univer¬
sität Berlin
Diese m'i hteuxe i.xdh jssexsi mm.i
ehe Atmosphäre war doch ein ler-
dienst dieses Lehrers, der wohl nicht 6
bloß durch Zufall die bedeutendsten
Aula der Hum¬
Schaler hatte.10,1
boldt-Universität

102
103
\l S MIM S I.IN'' - \\ l»| \SG1IAI I ! \|> | >|< |!

J in Sommersemester 1904 lernte


Musil Johannes von Allesch kennen.
Er war Holm eines Grazer Offiziers,
\\ l H/l I

zwei Jahre jünger als Musil (Jahrgang


1882 ;. und kam über die Universitä¬
ten Graz und München nach Berlin.
Er studierte Philosophie, Psycholo¬
gie. Kunstgeschichte und Archäolo¬
gie. Die Beziehung war zunächst sehr
spannungsreich, von gegenseitigen
Ressentiments und geistigen Duellen
gekennzeichnet. Im Laufe der Zeit
entwickelte sich allerdings eine
!• reundschaft, die lebenslang dauerte.
Allesch war (seit dem Ersten Welt¬
krieg) einer der ganz wenigen Duz-
!• reunde Musils. Züge Alleschs gingen
in die Figur des Anselm in den
«Schwärmern» (Anselm als Poseur!)
und in die des Dr. Apulejus-1 ialm in
der Posse «Vinzenz und die Freundin
bedeutender Männer» ein.
ln seinem Tagebuch notiert Musil am
5. Juli 1904:

Ein Typus, den ich eigentlich nie


verstund, rückt mir nun nahe. Der
Typus des ästhetisch Sensitiven. Ich
bin moralisch sensitiv. Entschieden
seit Valeries Zeit. Früher ging ich mit
den Ästheten mit. Später hielt ich sie
von einem gewissen Grade an für
1
Treibhauscultur. Unvollkommene Robert Musil
Typen wie Strobl bestärkten mich (links), Johannes
darin. von Allesch (rechts)
Construirte Empfindungen, Papier¬ und eine Unbe¬
empfindungen. Nun ist mir ein kanntein Berlin
Mensch gegeben der culturell vielsei¬ währenddes Stu¬
tig angeknüpft hat. l.mpfindungen, diums

die ich nur aussprechen kann, gibt er


vor empfinden zu können. Ich muß
2
hinter ihn kommen: es ist eine Aufre¬
Königstraße am
gung. wie damals als ich als Halbbar¬
Alexandorplotz,
bar unter die Gymnasiasten kam."" Berlin

104
Die Tapete des Zimmers har grün
und grau. Die Türen waren rötlich
braun und voll still spiegelnder Lich¬
ter. Die Angeln der Türen waren dun¬
kel und aus Kupfer. Ein weinroter
Samtstuhl stand irn Zimmer und hat¬
te eine braune Mahagonirahmung.
Aber alle diese Dinge hatten etwas
Schiefes, Vornübergeneigtes, fast Fal¬
lendes in ihrer Aufrechtheit, sie er¬
schienen ihm unendlich und sinnlos
[...]
Er brauchte nur zum Fenster hinaus¬
zusehen, so schob sich plötzlich in die
Welt eines unten wartenden Drosch¬
kenkutschers die eines vorübergehen¬
den Beamten und es entstand etwas
Aufgeschnittenes, ein ekelhaftes
Durcheinander, Ineinander und Ne¬
beneinander auf der Straße, ein Wirr¬
3
warr von bahnziehenden Mittelpunk¬
Hohenstaufenstraße,
ten, um deren jeden ein Kreis von
Berlin-Schöneberg.
Weltgefallen und Selbstvertrauen lag,
Im Haus Nr. 50
wohnte Musil von und das alles waren Hilfen, um auf¬
Oktober 1906 bis recht durch eine Welt zu gehen, der
April 1908 das Oben und Unten fehlte.111

105
WTRZ.I.I. VI S MIM - I l\> — V l^>l \S< II \l I I M) I

W ährend des ersten Dreiviertel-


jahrs betrieb Musil in Berlin eine Art
von intellektueller Dreifelderwirt¬
schaft: Studium, Arbeit am Törleß V. Reifeprüfungen.
und Vorbereitung auf das Abitur, das
er benötigte, um ordentlicher Hörer
zu werden. Aus der Retrospektive
Im Schuljahr 1903—1904 meldeten sich 34 Öffentliche Schiller des VIII. Jahrganges
analysiert er seinen Bildungsgang:
und S Externisten zur Ablegung der Kcifeprül'uug.
Die schriftlichen Prüfungen wurden im Sommertermine vom 0. bis 10. Juni 1904
Jedexfallsbixich[. ..] anei.xeReal- abgehalten.
schule statt an ein Gymnasium ge¬ Die Aufgaben lauteten:
Aus dem Lateinischen ins Deutsche: Livius, XXIII, 10.
kommen, und das bestimmte wieder
Aus dem Deutschen ins Lateinische: A. Lauge. Übungsbuch zum Übersetzen aus
den nächsten Schritt, denn als ich das dem Deutschen ins Lateinische für Prima. Seite 102 f.
Militär verließ, war es mir leichter ge¬ Aus dem Griechischen ins Deutsche: Homer, Ilias, XIV, 225—262.
macht, an eine Technische Hoch¬ Aus dem Deutschen: Rom, die ewige Stadt.
Aus der Mathematik : 1. Die Summe von 3 Zahlen, welche eine arithmetische Reihe
schule zu gehen, als an eine Universi¬
bilden, ist 9, die Summe ihrer Quadrate ist 35; welche Zahlen sind es und wie groll ist
tät. So bin ich Ingenieur geworden, die Summe der ersten 10 Glieder dieser Reihe!*
was schon alles mögliche für die in¬ 2. W ie groll ist der Flächeninhalt eines Dreieckes, in welchem die Summe zweier
nere Entwicklung bedeutet; damals Seiten u-f- b — 32cm, die dritte Seite c=18,194c«. und der dieser Seite gegenüber-
liegende Winkel ■« durch die Gleichung bestimmt ist:
galt der Amerikanismus noch für un¬
kultiviert und bedeutete Opposition. sin 2-» 1/ 1 — cos 2j ,j
cos ■’ \ 1 cos 2f
Später mußte ich nicht ohne Mühsal
umkehren, um die nötigen Ergänzun¬ •i. Einem geraden Kreiszylinder mit dem Halbmesser r = 10cm und der Höhe
h — 13'iirw ist ein dreiseitiges Prisma eingeschrieben, dessen Grundfläche die Winkel
gen zu suchen. Als ich die Reifeprü¬
a 4' 24 und ji -- 101"24‘ 36” besitzt; wie groll ist der Rauminhalt des Prismas?
fung am Gymnasium nachholte, um 4. Für einen beliebigen Schnittpunkt der Ellipse x2-f 2j/2 = 3 mit der Hyperbel
mich an der l niversität habilitieren - '* * V~ - 1 soll die Gleichung der Tangente an jede der beiden Linien aufgestellt und
zu können, hatte ich schon die *Ver¬ der \\ inkel, den die beiden Kurven miteinander einschlielien, berechnet werden.
1
wirrungen des Zöglings Törleß» veröf¬
Das Deutsche Aus dem böhmischen: Yyklad slohy:
fentlicht. aber tm Klassenaufsatz
Gymnasium Brünn,
Pevnc vüli, tuzbe uileohtihS
über tRorn, die ewige Stadt» konnte an dem Musil vom nerozdilne srdee tadusti,
ich nur einen schwachen Mittelplatz 6.-16. Juni 1904 liido davä nebe dojit eile. (Jan Kollar „Slavy Dcera“.)
erringen [...]**2 das Abitur nach¬
holte

\TAtisil...irrte insofern, als die «Ver¬ Von den genannten öffentlichen Schillern waren 22 durch 8, 10 durch 9, 2 durch
10 Jahre Gymnasialschüler.

wirrungen des Zöglings Törleß» zur 2 Mit d*ni Externisten Robert Musil wurde die mündliche Prüfung am 16. Juni 1904
Auszug aus dem abgehalten, die übrigen Prüfungen werden am 4. Juli 1904 beginnen. Das Ergebnis wird
Zeit seines Vbiturs zwar schon weit mi Jahresberichte des nächsten Schuljahres mitgeteilt werden.
Jahresbericht des
gediehen, aber noch nicht abge¬
Deutschen Gymna¬
schlossen. geschweige denn veröf¬
siums Brünn mit
fentlicht waren. Dies geschah erst den Abituraufgaben
zweieinhalb Jahre später. des Jahres 1904 2
E Js gibt Indizien, daß an Musil nach
dem Abitur «nervöse Herzerschei¬
nungen in Folge von Überanstren¬
gung» konstatiert wurden und daß
ihm der Arzt deswegen «H Monate ab¬
solute Ruhe» verordnete. Er fuhr
nach Südtirol und an den Gardasee
(Salö, Torbole, Trient, Brixen . wo er
mit Gustav Donath und mit Berliner
Bekannten (Oskar Pfungst. Johannes
von Allesch, Emma Rudolf) zusam¬
mentraf.

ElN BLAV-GRELLME1SSER TAG IN TRIENT


Brixen. Zwei elegante junge Männer
sahen sich die Stadt an. Es ist ein
Tag, der innerlich verdorrt macht.
Auf einem Platze begegnen sie einem
Paare. Eine Frau in den Dreissig, mit
langer schmaler Nase und rotblond
gefärbtem Haar, durch das ein ur¬
sprüngliches Schwarz durchscheint.
Der Oberleib um ein Unauffindbares
zu lang. Der eine junge Mann sieht
auf ihre Schuhe - schrecklich bei dem
Staub keinen fujifreien Rock zu tra¬
gen — aber die Schuhe scheinen spitz
und für den Fuß zu schmal zu sein. Sie
empfindet Stiefelhälzer sicher nicht
als Notwendigkeit - sie kennt das Ge¬
fühl nicht als unrein des Morgens in
den noch vom Abend verknitterten
Schuh zu fahren. Überhaupt hat sie
das wofür junge Mädchen den schärf¬
sten Instinkt haben. Eine Art seeli¬
schen Schweißgeruch - etwas Unap¬
petitliches, Unreines. Der Mann in
ihrer Begleitung hat neugebügelte
Hosen und deutsches Schuhwerk und
natürlich einen imitierten Panama¬
hut. Es ist Dr. Pfingst.
Die beiden jungen Leute gehen wei¬
ter. Sie schweigen. Der eine möchte
etwas sagen und weß. daß es dem
andern nicht recht sein wird: - etwas
Geschlechtliches, Spöttelndes, oder
etwas über die Hitze, die jeden mora¬
lisch-intellektuellen Halt ertötet.
In der Kirche hört das plötzlich auf.
3 Es ist eine Kirche wie in Salö. Eine
Emma Rudolf, geb. wunderbare Räumlichkeit. Der vor¬
Täubele, und ein
hin sprechen wollte gibt historische
unbekannter Begleiter
Erklärungen. Wieso? Er interessierte
sich für den Cusaner. Aber es ist als ob
4 Teppiche vor den grünen Nischen
Kreuzgang des hängten. Das Bild jener Trau verfolgt
Doms zu Brixen ihn."*

107
WURZEL \l S \ll\l S I.INS — \\|s->| NS( l|\| | l M) |)|( ||| ; \i

I 1 » uf dem Sonnwendstein am Sem¬


mering geriet Musil im April 1905 in
j einen Schneesturm und erlebte eine
Halluzination, ln Entwürfen zum
[ «Mann ohne Eigenschaften» läßt er

!
diese Erfahrung seinen Helden An¬
ders machen:

ANDERS ERINNERTE SICH. HIE ER EINMAL,


nicht gar so hoch im Gebirge, nur früh
im Jahr, in einen Schneesturm geriet;
er war damals Freunden entgegenge¬
gangen, die einen lieg herabkommen
sollten, und er hatte sich schon ge¬
wundert, sie noch nicht getroffen zu
haben, als das 11 etter sich plötzlich
änderte, die Klarheit sich verfinsterte,
ein heulender Sturm losbrach und
Schnee in dichten Holken spitzer Eis -
nadeln auf den Einsamen schleuder¬
te, als ob es diesem ans Leben ginge.
Obgleich Anders schon nach wenigen
Minuten den Schutz einer verlassenen
Hätte erreichte, hatten ihn Wind und
Schneemassen bis an die Knochen er¬
reicht. und die eisige Kälte wie der
anstrengende Kampf gegen den Or¬
kan und die Wucht des Schnees hat¬
ten ihn in der kürzesten Zeit ermüdet.
Als das Unwetter ebenso rasch vor¬
beiging wie es gekommen war, setzte
er freilich seinen Weg fort, und er war
nicht der Mann, sich durch ein sol¬
ches Ereignis einschüchtern zu las¬
sen, wenigstens war sein bewußtes
: Selbst ganz frei von Aufregung und
jeder Art Überschätzung der iiber-
standenen Gefahr, ja er fühlte sich
äußerst aufgeräumt. Aber er mußte
dennoch erschüttert worden sein,
denn mit einemmal härte er die Partie 1
sich entgegenkommen und rief sie hei¬
ter an. Aber niemand antwortete. Er
rief nochmals laut — denn im Schnee
konnte man leicht vom Weg ab- und
aneinander vorbeikommen - und lief,
so gut er es vermochte, in der wahrge-
nommenen Richtung, denn der
I Schnee war tief er hatte sich nicht
darauf gefaßt gehabt und den Auf¬
stieg ohne Skier oder Reifen unter¬
nommen. Nach etwa fünfundzwanzig
I Schritten, bei deren jedem er bis an
, die Hüften einbrach, mußte er vor Er-
j Schöpfung stillhalten, aber in diesem
I Augenblick hörte er wieder die Stim-
I men in angeregtem Gespräch und so
I nahe, daß er die Sprechenden, die
j nichts verdecken konnte, unbedingt 1
1 hätte sehen müssen. Niemand war je¬ Der Sonnwendstein
doch da als der weiche, hellgraue am Semmering

10«
Schnee. Anders nahm seine Sinne zu¬
sammen, und das Gespräch wurde
deutlicher. - Ich halluziniere - sagte
ersieh. Dennoch rief er abermals; oh¬
ne Erfolg. Er begann sich vor sich
selbst zu fürchten und prüfte sich auf
jede Weise, die ihm einfallen mochte,
sprach laut und zusammenhängend,
rechnete im Kopf kleine Aufgaben aus
und machte mit Armen und Fingern
schwierige Bewegungen, deren Aus¬
führung volle Herrschaft über sich er¬
forderte. Das alles gelang, ohne daß
die Erscheinung wich. Er härte ganze
Gespräche, voll überraschenden
Sinns und in klangvoller Mehrstim¬
migkeit. Da lachte er, fand das Erleb¬
nis interessant und begann, es zu be¬
obachten. Aber auch das machte die
Erscheinung nicht verschwinden, die
erst abklang, als er umgekehrt und
schon etliche hundert Meter abgestie¬
gen war, während seine Freunde
überhaupt nicht diesen Ruckweg ge¬
nommen hatten und keine menschli¬
che Seele in der Nähe war. So unsi¬
cher und sich ausdehnend ist die
Grenze zwischen Wahn und Gesund¬
heitm

30. V. [1905] Mit gesetzmassiger


Regelmäßigkeit vollzieht sich folgen¬
der Kreisgang in mir. Ich bin arro¬
gant, ablehnend, zurückgezogen, fein,
glücklich.
Irgendein Kraftgefühl greift Platz. Ich
habe mich beim Rudern zu sehr mei¬
ner Muskeln gefreut oder ich arbeite
zu stumpfsinnig intensiv Philosophie.
Ich fühle zunächst, daß mich meine
nach allen Seiten konziliante Arro¬
ganz verläßt. Ich bin weniger liebens¬
würdig, weniger witzig. Ich fühle
mich leer und arbeite aus Verzweif¬
lung. Mein gesellschaftliches Beneh¬
men leidet. Ich erlebe eine Niederlage.
Ich komme mir im Vergleich zu ir¬
gendeinem anderen Menschen dumm
vor. Ich benehme mich hervorragend
ungeschickt vermag eine Beleidigung
nicht entsprechend zu erwidern.
2 Wenige Stunden nachher bin ich u ie-
Robert Musil der arrogant, ablehnend, zurückge-
um 1906 zogen, fein, glücklich.11

10«
DIE
. I I IMI >-\ ISS1 \\

Im F rühjuhr 11905 war das. Mann¬


skript der Verwirrungen dies 7.ög-
lings 1 orleß» vo llendet. Musil schick-
LITERATUR
le es Ilttcheinanc1er an drei VerJage, an
HERAUS GEGEBEN-VON
Dieder ichs in Je na. an Bruns in Min- GEORGBRANDES
den. aiii Schuste r und Löffler in Ber-
Im. Sir■ lehnten idankend ah:
SNI I - l\ll\ S )\ 13ZH 1\\

ES BESTÜRZTE MICH ETIiAS, DASS ALLE

drei, und alle drei auch in gleicher


Kurze, nachgeprüft und abgelehnt
Schauspielkunst
hatten. Ich wollte damals sowohl von Alfred ^err
Dichter werden als auch die Habilita¬ Mit einer Heliogravüre
und achtzehn Vollbildern
tion für Philosophie erreichen und
in Tonätzung
war unsicher in der Beurteilung mei¬
ner Begabung. So bin ich zu dem Ent¬
schluß gekommen. eine Autorität um
ihr Erteil zu bitten.
Meine Uald fiel auf Alfred kerr. und
daran war immerhin etwas Merkwür¬ BARDLIARQUARDTeEGBERLIN
diges. I ielleicht hatte ich einige seiner
Kritiken gelesen, die damals im Berli¬
ner Tag erschienen, und hatte hinter
seiner Schreibart, die mir als Süd¬
deutschem besonders maniriert vor¬
kam und mich, gleich einem fremden 2
Fasching, anzog und ausschloß, das
gut Begründete der Sprache und der
l rteile gespürt; ich glaube aber die
wirkliche Ursache lag in meiner
Kenntnis seines Büchleins über die
Düse ... ich erinnere mich, daß bloß
eine kleine Gruppe von zwei bis vier
Sätzen mein Zugehörigkeitsgefühh
geweckt hatte. Dieses Büchlein hatte
ich noch in Brünn gelesen, und die
Erinnerung daran ist mit der <Es-
planade> verknüpft, einer mit Bäu¬
men bepflanzten Strecke, wo man
Sonntags zu Militärmusik auf einer
Seite hm - und aufder andern her ging
I...] Es mag so gewesen sein: An den
entsetzlich langweiligen Sonntagen
machte man dort den l ersuch der Le-
bensberührung [...] und wahr¬
scheinlich hatte ich das Buch unter
dem Arm mitgenommen, um interes¬
santer junger Mann zu sein. Auf diese 1
Heise bin ich zu Alfred Kerr ge¬ Alfred Kerr
kommen. 110 (1867-1948)

IT
2
A w-err erkannte Musils Begabung
Kerrs Studie über
sofort und stellte wahrscheinlich den
Schauspielkunst,
Kontakt zum Wiener Verlag her. der Eleonora Düse ge¬
den • I örleß > Ende 1906 publizierte. widmet

110
D er Psychologe Oskar Pfungst war
eine Berliner Studienbekanntschaft
Musils. Am bekanntesten wurde er
durch sein Buch über den «klugen
Hans», das angebliche Wunderpferd
eines Herrn von Osten, das um 1904
durch scheinbar bedeutende intellek¬
tuelle Leistungen von sich reden
machte. Viele Zeitgenossen glaubten,
der «kluge Hans» könne rechnen, le¬
sen, Farben erkennen u. v. a. in. Allen
Ernstes war vom Genie des Pferdes
die Rede, bis Pfungst nachwies, es
reagiere nur auf unwillkürliche Bewe¬
gungen des Menschen.
Musils Satire auf das «geniale Renn¬
pferd» im «Mann ohne Eigenschaf¬
ten» knüpft wahrscheinlich an die
Diskussionen um den «klugen Hans»
an.
Der h all lehrt, daß Musil immer wie¬
der psychologische Forschung in Li¬
teratur verwandelte, zum I eil auch in
3 Form von Knittelversen. Anne von
Der Psychologe Hornbostel berichtete von einem
Oskar Pfungst scherzhaften Epitaph, das Musil aus
(1874-1932) ste„reif auf Pfungst dichtete:

4 Hier ruht Oskar Pfungst,


Der «kluge Hans» gestorben an einem Hängst,
mit seinem Besitzer, der aus Hache mit dem Pein
Herrn von Osten stieß ihn in das Grab hinein.

111
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-v-f-ei .

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■ ‘ e C f r <f /-»-„

Der belgische Schriftsteller Mau¬


rice Maeterlinck übte mit seinen Bü¬
X4,
chern «Der Schatz der Armen» und
«Weisheit und Schicksal» großen
Einfluß auf den jungen Musil aus.
Dies beweist auch der Entwurf eines
*4'~s-rH~h^ t-*-**** a.v-^0^ jSI
[‘WA™
Vorworts zu den «Verwirrungen des
Zöglings Törleß», die einzige erhalte¬
t*4 fa-t H \ r U |{j n if' Pt P
ne 1 landschrift zu Musils Erstling:

Im Schatz, der Armen steht fol-


gende Tatsache vermerkt: «Sobald
r=. =c

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rhUi-? * rjp * r'■ suiiysj
i'V ? f r ^ 1 ^

h
R.
ä 5, -
PP»

*
^
c s-s i
^ \ ^
u
l

wir etwas aussprechen, entwerten wir


es seltsam. Wir glauben in die Tiefe
der Abgründe hinabgetaucht zu sein, üt Hf mm fÄlpTfi
und wenn wir wieder an die Oberflä¬
che kommen, gleicht der Hassertrop¬
fen an unseren bleichen Fingerspitzen
fm-l
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H>!t,LJ* r*
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nicht mehr dem Meere, dem er ent¬
• IT fHli
y |T 4 '“t. f
.4 K.r
" ! i>n
stammt. Wir wähnen eine Schatzgru¬ ?
be wunderbarer Schätze entdeckt zu
haben, und wenn wir wieder ans
J. ^ c -X4 ; 1

t|[l
tflr!
s «m iv t;
iT •

f tMvf |[fU H
Tageslicht kommen, haben wir nur
falsche Steine und Glasscherben mit¬
gebracht; und trotzdem schimmert
der Schatz irn Finstern unverändert.»
Wer die Wahrheit dieser Worte an sich
erlebt hat, wird dieses Buch verste¬
hen. Und selbst, wenn er darin nur
einen mißglückten Versuch erblicken
sollte, wird er ihn verzeihen.
Fiir Andere sei es gestattet, folgenden
Ausspruch Wilde's hieherzusetzen:
Die Abneigung des neunzehnten 1
Jahrhunderts gegen den Realismus ist Entwurf des Vorworts
die Wut Calibans, der sein Gesicht im zum «Törleß».
Spiegel sieht. Darunter Skizzen zu
Die A bneigung des neunzehnten Jahr¬ «Tonka»

hunderts gegen die Romantik ist die


H üt Calibans, der nicht sein Gesicht
2
im Spiegel sieht.
Maurice Maeter¬
/)enn dieses Buch hat beide Ferne- 1' linck (1862-1949)

112
113
/

X
X

IVlusil verbrachte im August—Sep¬


tember 1906 mit seiner Mutter einige
Urlaubswochen im Hotel Werzer in
Pörtschach und korrigierte die
Druckfahnen des «Törleß».

Sie SASSEN am Balkon, in »eiche


Decken gehüllt, wortlos.
Da fiel ihm etwas Angenehmes ein. Er
erbot sich einen Grogk zu brauen, wie
es ihn Antoinette [= Tonka, Hermine
Dietz] gelehrt hatte. Es ist ein Kunst¬
stück, die richtigen Maße zu wählen.
Und seine Mutter lächelte. Der starke
Trank durchzog ihr Blut als ob sie die
Härme Antoinettens atmete... Und
er erzählte ihr wieder einmal ein we¬
nig. In seinen Horten war die tiefe,
einzige Resignation dessen, der alles
besaß. Aber er erzählte nicht so di¬
rekt. Es war so als ob er seiner Mutter 1
den Hof machte. Er wählte geschliffe¬ Parkpartie im
ne Horte und sanfte galante Horte — Etablissement Werzer
und nur zwischendurch erzählten sie in Pörtschach
am Wörthersee
von Antoinette und erzählten von
Margarite und von ihm, der so still
blieb wie ein feines Spiegelglas, das
2
diese bewegten Bilder nicht halten Hermine Musil,
kann..."* die Mutter

1 14
\\ ISSI \S( II \l I I M) |)|( INI \

Abb. 2.
\\ l RZKI. US MIM S I .INS -

Abb. 4.

Der Psychologe Erich Moritz von


1 lornbostel war Leiter des Staatlichen
Phonogrammarchivs im Psychologi¬
schen Institut der Universität Berlin
und mit Carl Stumpf Herausgeber der
Sammelbände für vergleichende Mu¬
sikwissenschaft.
Musil verkehrte von der Studienzeit
an bis in die dreißiger Jahre in seinem
Haus und verdankt ihm literarische,
musikalische und psychologische An¬
regungen. Vor allem beeindruckte
Musil Hornbostels Aufsatz «Uber op¬
tische Inversion», über <Kippfiguren>,
die bei längerer Betrachtung plötzlich
<umspringen>, z. B. Vorder- und
Rückseite vertauschen. In entschei¬
denden Momenten erleben auch Mu¬
sils Figuren mitunter solche (räumli¬
1
Der Psychologe
chen) Inversionen — z. B. Ulrich im
Erich Moritz von
120. Kapitel des «Manns ohne Eigen¬
Hornbostel
schaften», «Die Parallelaktion erregt
(1877-1935)
Aufruhr».
für Suse von Hornbostel, die zu einer
Art von Waschzwang tendierte, dich¬ 2
tete Musil nach dem Zeugnis ihrer Suse von Hornbostel,
Schwiegertochter Anne die scherz¬ seine Frau

haften Crabverse:

3
Hier ruht Hornbostel Susanne,
Kippfiguren aus
gestorben in der Badewanne,
Hornbostels Auf¬
aus der sie nie herausgekrochen, satz «Über opti¬
seit sie an einem Hund gerochen sche Inversion»

I lt»
_/\un psychologischen Seminar der
Humboldt-Universität wurden u. a.
die Gesetze der Farbwahmehmung
erforscht, auch von Musils Freund Al-
lesch. Nicht zuletzt für ihn entwickel¬
te er ein verbessertes Modell des Farb¬
kreiseis. Das 1906/07 von Musil ent¬
worfene experimentalpsychologische
Gerät wurde von 1908 an durch die
Göttinger Firma Spindler und Hoyer
vertrieben. Der Preis betrug vor dein
Ersten Weltkrieg 225 Mark.

Den hie« abgebildeten Apparat habe


ich konstruiert, als ich am Berliner
Psychologischen Institut arbeitete
[...] Man verwendet solche Farbkrei-
sel zu allen möglichen psychologi¬
schen, physiologischen und physika¬
lischen Zwecken; es sind Apparate,
welche man statt der teuren und um¬
ständlichen Spektralapparate be¬
nützt, wo es nicht auffeinste Genau¬
igkeit ankommt. Ihr Prinzip ist aus
der Schule bekannt. Man schiebt zwei
farbige Blätter, von denen eines ra¬
dial aufgeschlitzt ist, so ineinander,
daß die Farbfläc.hen in dem ge¬
wünschten Größenverhältnis zuein¬
ander stehen; dann setzt man den
Kreisel in Rotation, und sobald die
Umdrehungsgeschwindigkeit groß
genug ist, entsteht für das Auge die
angestrebte Mischfarbe. Der Nachteil
der älteren Apparate war nun der,
daß man sie jedesmal anhalten und
neu einstellen mußte, wenn man die
Anteile der Grundfarben ändern
wollte, um eine neue Farbenmischung
darzubieten; und das Wesen des ab¬
gebildeten Apparates besteht eben
darin, daß man das nicht tun muß,
sondern die Änderungen während der
Rotation durchführen kann und in
der Lage ist, in beständigem FUß jede
Farbe vorzuführen, die sich aus zwei
I gegebenen Farben überhaupt herstei¬
len läßt."9

D ie Analogie zu Musils poetischem


Verfahren in den «Vereinigungen»
von 1911 - die Demonstration des
4 moralischen Spektrums mit den steti-
Der Farbkreisei gen Übergängen von einem Prinzip zu
nach Musil seinem Gegenteil - ist frappierend.

117
\ IUI )l(l(l\ I I l\11 )^\ ISSIW-SM IS 1\II\S 1\ TI/M )\\

onka alias Herma Dietz folgte


Musil offenbar 1901 von Brünn nach
Stuttgart und 1903 von Stuttgart
nach Berlin. Sie scheint, wie in Brünn,
in der Textilbranche beschäftigt ge¬
wesen zu sein. Bei den wechselnden
Flirts ihres Liebhabers «in ästhetisch
gleichwertiger Umgebung» sorgte sie
für die dauerhafte sexuelle Erfüllung.

Ihre Beine sind vom Boden bis zu


den Knien so lang wie von den Knien
nach oben und überhaupt sind sie
lang und können gehen wie Zwillinge,
ohne zu ermüden. Ihre Haut ist nicht
fein, aber sie ist weiß und ohne Makel.
Ihre Brüste sind fast ein wenig zu
schwer, und unter den Armen trägt sie
dunkle, zottige Haare; das sieht an
dem schlanken, weißen Körper lieb¬
lich zum Schämen aus. An den Ohren
hängt ihr Haar in Strähnen herab,
und zuweilen glaubt sie es brennen
und hoch frisieren zu müssen; dann
sieht sie wie ein Dienstmädchen aus,
und das ist gewiß das einzig Böse,
was sie in ihrem Leben getan
hat..:20

Die Beziehung zwischen Musil und


Herma Dietz geriet in eine schwere
Krise, als sie 1905/06 schwanger
wurde und gleichzeitig Symptome der
Syphilis zeigte. Musil war sich un¬
schlüssig, ob er sie infiziert hätte oder
ob es ihr bei einem etwaigen Seiten¬
sprung passiert sei. Dieser Konflikt
liegt unter anderem der Erzählung
«Tonka» zugrunde.
Hinzu kam, daß Musils Eltern auf ei¬
ne Trennung und Abfindung des
Mädchens pochten. Sie drängten auf
eine standesgemäße Partie mit einer
gewissen Anna, über die nichts Nähe- •j
res bekannt ist. Musil lehnte beides Proletarisches
ab. geriet aber vorübergehend in eine Künsttermodell,
finanzielle Notlage. Berlin 1

11»
Er spielte jetzt mit Tonka in der
Pferdelotterie. Die Ziehungsliste er¬
schien, er hatte Tonka erwartet [...]
Es handelte sich um eine elende Pfer¬
delotterie mit einem Haupttreffer von
wenigen tausend Mark; aber das
machte nichts, er hätte für die näch¬
ste Zukunft sorgen können. Und wenn
es nur ein paar hundert Mark gewe¬
sen wären, so hätte er Tonka das Nö¬
tigste an Kleidern und Hasche kaufen
oder sie aus ihrer ungesunden Man¬
sarde befreien können. Und wären es
nur zwanzig Mark gewesen, so würde
das eine Ermunterung sein, und er
/ hätte neue Lose gekauft. Ja selbst
wenn sie nur fünf Mark gewonnen
hätten, so wäre dies ein Zeichen ge¬
wesen, daß der Versuch, wieder An¬
schluß an das Leben zu gewinnen, in
unbekannten Gegenden wohlgelitten
war. Aber alle drei Lose waren
Nieten.12'

Sie mussten jetzt in kleinen Speise-


wirtschaften essen, für wenige Pfenni¬
2
Berliner Mansarde ge zwischen Schmutz und Grobheit
eine Kost, die er nicht vertrug. Er hol¬
te Tonka zu diesen Mahlzeiten ab,
3 pünktlich, in Erfüllung einer Pflicht.
Tonka [?]- Versuch Er machte eine sonderbare Figur in
einer Reinzeich¬ seinen vornehmen Kleidern zwischen
nung nach einer den Gehilfen und Geschäftsdienern,
Skizze Robert Musils ernst, schweigsam, treu zur Seite sei¬
ner schwangeren Gefährtin und un¬
zertrennlich. Viele spöttische lllicke
4
Berliner flogen ihm zu, und manche anerken¬
Gastwirtschaft nende, die nicht weniger brannten.1

1U>
' V
\l " MIM - I l\- - W I—I \'i UM
VllRZKI

. \tn Viktoria luison Platz in Bor


Im lat; tlio Prnsion Slolzonhorg. m drr
Musil mi I ruhjnhr P>07 vorkohrto
mul m ilor or «In* loohtor »los I latisos,
ihr (>|irnisant;rmi I Irrtlia Slol/on
liriu. krnuonlrrntr In soinuu Vul
/rirlmmit;rn ührrliolort or oino Kon
Irssion 11 StuUtcnliori;s. von ilor niolit
Htm/ sirltor ist, oh sio an ilm gerichtet
wni I>01 Vugeuzongo Johauuos von
\llosrh hohauptot. ilor frisoligeharke
no \utor MiimI, ilrt in soinom gerade
erschienenen l.rstling für ilon Ge
schmuck der /nt \or homaho nichts
/m urks, Inn kto. sei I Irrtlia Stol/on
horg gegenüber srlir gehemmt und
schnellten» gewrsrn

UjlS, »IS »m IHK MIMVI. TtT WM


so mWi. Ilrtt/t ich die Strx ibc kreuze,
wo du u'ohust. bekomme ich Herz
klonten. Ich sitze um Halkon und hon-
zum erstenmal, dnls in Heriin abends
die (diH'ken lauten. Ich möchte dir die
hihe küssen. Itu bist bos aut mich:
konntest i/m nur auf meinem \rm ein
schlafen Ich Inn gims erfüllt not dir.
Ich tue alles für dich, \htten in etwas
fallt mir ein: wml es ihm mht sein.
Heim ich dich einen lax lana nicht
1
Hectho
xesehen habe und dir auch nicht
schreiben kann. begehe ich I miu
sichlixkcilcH. Ich habe Wi(*r#i
sihmenen. Ich kann da za 2
(gen, uas das ist. Ssm\>hl Herthm «rar Vürtono
Tijuk Wuti. S»H o

120
WURZEI. \l S MIM S EINS- V ISSI \S< l|\l I I M) DK IIII V

seiner Rezension der «Verwir¬


rungen des Zöglings Törleß» im Ber¬
liner «Tag» vom 21. Dezember 1906
gab Kerr als führender Berliner Kriti¬
ker den anderen Besprechungen den
Tenor vor und begründete Musils
Ruhm. In seinem Nachruf auf Musil
(1942) sagte er:
«Musil und ich, wir haben jede Zeile
dieses Buches im Manuscript. nicht
nur zusammen durchgegangen — son¬
dern zusammen durchgearbeitet.
Musil kam nicht (wie so viele, die heut
etwas sind) zu mir, als er noch auf der
Schule war — sondern er war schon
auf dem Polytechnikum. (Stuttgart).
Er war im Leben eine der anziehend- 1
„ sten, leicht-schweren Gestalten, die Die Erstausgabe
ich getroffen habe. Ein (auch äußer¬ der «Verwirrungen
des Zöglings Tör-
lich) ästhetischer Mensch — kein Äs¬
less» im «Wiener
thet! (Denn er hatte leisen Humor.)
Verlag», der bald
1 Er war ein Grübler - aber, trotz der nach Erscheinen
Versenktheit, ein leicht-schwerer des Buches in Liqui¬
: Grübler. dation ging
... Musil blieb immer ein Mittelding
zwischen Mann und Knabe. Einer,
der die unbegreiflichsten Dinge des 2
Hierseins bohrend und fast hoff¬ Alfred Kerr
nungslos — aber mit einem nicht un-
■ heitren Kopfschütteln ansah, er war
3
offen für alles Ungelöste — dennoch
y’ nicht verzweifelt. Sondern lächelnd-
Beginn von Kerrs
Kritik dos «Törleß»
kri tisch.»124 im Berliner «Tag»

122
Snpalt bc5 £>aufc3 unb bie geitioeiligru Säfte barin.
53a§ ifjt öcr erblictt. Enb tämmernbe gwifdjcn«
eine Sirne Cot na. bie Scpüter einc-5 mäpnflen
Hofrcvt hilfst. grabe: bom Slug* eine» Untcifcpciber» umriffen. mit
ilonbicts in iprrr Uniform, bie niebtidjen Segen au ber
Cea ben Sterben eine» SUcteiligtcrt empfunten, in ber §ant*
Seite, bie ßerätfepeften bc3 gimmcrS. unb_ba3 Gdijcu
iUfrib 1v«rr. firift einc3 SiditerS nadiergäptt. 3d) erinnere midi
Geroölt. ba» bon oben perecnüept. — tag aEc» ll,:c
be» gricbrid)Sd)tegeIfd)en Sapc§: „S3cnn man ciiiinal
L ein Scftanbteit ber Seele bc3 gägl'Utj» Scrlejj Wirft...
cu» if)it)d)oIcgie Stamane fdjieibt ober lieft, fo ift c3
unb bämmerig fi-htbar bleibt, grei bon Gi.-pfiub*
oO-rt SRuiir ifl in Sütö'terreid) geboren, fünf« fepr intanfrqitent unb Eiein. aud) bie tangfapifte unb
famfeit. Gatiad)cnbar[teCung. Seidt „gemalt* i;t bie
’.inSj'vcnjig 5cpr ctt, unb pat e'n Qc* auSfüprlicpfte gergliebcrung unnatürlidjcr Säfte,
Stimmung, fonbern ba-3 SargeiteEte laitit fie ab.
fcjricten, ba3 bleiben wirb. gräßlicher Wärter, empörer.ber gnfamie . . . fdjeuen
2iae5 wirb nad) längerer g.it im GebäcptniS bleiben
Gr nennt c«: „Sie SerWiri ungen bc3 853linS8 ju looEen." öunbert gib,re bergingen, feit er ba5
mit ber Jönung ber Umroett, mit ber Seleudifutig
JörlcB". Ser SSieitcr Ccrlag bringt e5 percu?. jd)ticb. gnbeffen War SoftojcwSfi ba. .. Slber ipt
bon Stufjenbingen unb. nidit gulept, mit ben 53eroufjt-
5n bie|cm jungen unb wopl ibalb berrufenen. ber- merbet tropbem getern, ir.cdetn unb fd;üumcn.
ieiuSgnftänben cine3 SJtcnfdien: be» göglingS ^örleß.
gctciten, beipieneu 23er?. tc5 cuf ben gntej ornat« II.
SlEe3 baS Wirft real unb. beim Griuncrn. bifionar —,
lojir «piajjeu gefegt Wirb. Wehr. ein palbcS Supcnb WufilS Grgäplung ift otjnc ©eicplicpfeit. G3 iteett
ein iöorgang. wie ipn Sörlcfe apnlicp felber ait feiner
Wenfcpen es nur cift geleirn pat. fin& Weiftcrftrccfen. barin feine, fogufagen, Sprit. Gr ift ein Wenicp. ber
Slrt gu fepen beobachtet- Ober man nehme gu*
'So5' Starre leine5 QerteS liest 'in ber rupigen, in 2atiad)en fiept, — nur au3 iprft Saspgeftattung
bor einen inneren 3uftar.b am Soiintagnad;mittag
bcrinnerlicptcn ©efraltung a&ieiligcr Singe bieleS erwädjit itjm baSjenige SDtafj bon „Sprit“, ba» in ben
in ber Sonbitorei enter fleinen. Statt; ober auf
Sefcer.3, ' bie eben boq in bie;em Seben [inb. Sie Singen etroa ftecft. üttan bemerft Sidjtcr unb SuntleS.
einem Gang bei ben elften fleinen £nuiern ^ °rl5-
‘üüf7r~£~jchprögrßbcrfä pren peule ft: oft. „SRatt- ',-^yäy 53ud)"'gibf;''Iba3' 'mir WcrtPoE erfdjeint,- bie borübet an tfinbern, Scpmup. §öfen, fiaWifcpen
feiten" fügt ber geuiGctonift; clfo SJachtfeiten. gür ! Suftftimniung_ gwtfcpcn bem Stäumlidien unb benr SSäbern-
jeben finD fie nicht borpanbtn: infofern fein 2eib ' SeeUfdien... '-Bet ber Grinneruug an bnS 23ud) bat 55i[iouäc unb real luiifsn bann Qblotibcrltaj'iurd]!-
ober bie fTonfunftur feine» Sxicfial» c5 m:t fiep matt bic Grir.nerung att Singe, bie biiionär aufleben
bäte Gefcpepniffe gur S?ad)tgeit in einem 33_obcnraum
feraiten, baß er in feine biefe: TJcbenmetten je geriet; unb bod) Sirftidjfcit finb. Gingelbeiten paiten im
be» StonbittS. 3n einem £>cEbnnfel finb Tic gemalt,
biiueEcn- GcbäcptniS. (SaS ift PieEcicpt ber l'riifftein
aber borpanben finb fie. ba& neben ben Wirflicpcn Singen etwa5 Unioägbarcä,
für bie GcftaltungSart eine» S.diriftftcEerS: ob feine
Unb al» Gpifoben im 6e?cmtfeau:piel ber Wenicuen« GntgtcitenbeS burep fie pinburd)fdiWingt, auh übet
SgcnerTIn" bifueEem 6ebäd)tni3 wiebcrfcpren ober
rjifti’nj baten fie bargefteCt ju luerbcn ein Stecht, ipneit wegtönt,, man fühlt aber aGen Scprueln
in einer abftratteren Gebäd)tui?ericpcinung.)
ia5 jlinber ober Sarient butd) Stimmteaft unigauft« unb Satbareien, bie Ed) bott gutcagcn, rt.wa» 5>cr-
G-.n Meiner SSalb etroa, mit einem §au3 barin;
gemalt nici)t eriifttjaft erfd)üttern fönnen. Wögen fie ftömenbc3._wie ben JäAtigjwr gciJL_ 2ie Seieuditung
ba5 Sltmofpparifdje barum; aüe3 fccrflodjtcn mit einer
beim Steten bcS SucpeS umfaßen (ist) Ijörc bereits briidt fid) Wieber bem Gebäd)tni3 ein. gibt ben
Scetenftimn-.nng ... nein: fo gemalt, ba& bie Sor-
ir,r Geniester). — eS geigt neue Stufungen im Greueln unb 2icrpeit3auitcitten etwa? UnWirtlidjcS,
gänoe, bie SJäume, ba3 Selter. bic iOelcucptuug, ber
S*eliid;cu.
WISSENS! 11\l i I M) |)|( ||
WUR/.KI. USMINl Sl l\>

_I\_errs Fanal tat seine \\ irkung. Die


besten Köpfe lasen den «Törleß» und
nahmen öffentlich dazu Stellung oder
warben im Freundeskreis dafür.

ilhelm Herzog schrieb in der


Zeitschrift «Nation»:
«Musil ist ein eigener. In einem unge¬
wöhnlich feinen, schlichten persönli¬
chen Stil ist dieses merkw ürdige Buch
geschrieben. Eine differenzierende
Psychologie, die in die dunkelsten
Schichten der menschlichen Brust
hellseherisch eindrang und die leise¬
sten Schwingungen mit feinhöriger
Präzision aufzunehmen vermochte,
schuf sich hier eine neue, reine,
durchsichtige Form.»125

.^Lm 3. April 1907 wandte sich Har¬


ry Graf Kessler an Hugo von Hof¬
mannsthal:
«Auch Musils «Verwirrungen» habe
ich inzwischen gelesen. Ein ganz un¬
gewöhnliches Buch: nicht des Sujets
wegen, das ja heute fast Mode ist, son¬
dern wegen der Behandlung der Psy¬
chologie. IS ie die Motive aus dem Un¬
bewußten herauskommen, sich ver¬
schlingen, aneinander vorbeiwach¬
sen, bis die That entsteht, ist ganz und
gar merkwürdig und. ich glaube, bis¬
her einzig. Ich kann dir deshalb auch 1
kein Bild davon geben und es mit Wilhelm Herzog
(1884-1960)
Nichts recht vergleichen. Man denke
an Stehr oder an deine Geschichte von
<ier6~'2. Nacht um ungefähr die Rich¬
2
tung zu geben. Du solltest es unbe¬ Harry Grol Kassler
dingt lesen.»126 (1868-1937)

124
W ie verwirrend der «Törleß* auf
Hotten Musils Angehörige und ihren
Kren wirkte, laßt -\< h auf Grund der
spärlichen L berlieferurig nur ari-
deuten.

^N,/Xauia rJi Gaspero war ein Be¬


kannter der Familie Musil aus ihrer
Klagenfurter Zeit. Bi- IBBd war er.
wie Alfred Musil. Ingenieur der Alpi¬
nen Montangesellschaft, dann Lehrer
an der Fachschule für Eisenindustrie
in Steyr, von 1B8” bis 1909 Professor
an der Bau- und Kunsthand*erker-
schule in Klagenfurt. Prof. Alfred
Musil soll ihrn geklagt haben, sein
Sohn Holsen sei jetzt ganz damisch
ganz verrückt auf den Kerr. halte e-
in keinem Beruf aus und wolle nun
wohl gar Literat werden. Di Gaspero.
der gewiß den Typus des bürger¬
lichen Lesers verkörperte, gratulierte
dem jungen Autor zu seinem Erstling,
nahm aber gleichzeitig moralischen
Anstoß. In seiner .Antwort präludierte
Musil seine nächsten Werke:

Gt*l%'.f. VutfAU1l\ BEUtTULLS ßjft


rein sachlich zh. Diebstahl Mord.
Krida — wir wünschen sie bestreift zu
sehen jedoch wir regen uns nicht wei¬
ter auf. Andere aber empören uns.
ekeln uns an. Kindesschändung. In-
cest Homosexualität Roheit usw.
Was mag der Grund sein?
Es handelt sich hier weniger um Ver¬
stehen oder nichL scjndem um die
Frage: Darf man überhaupt cerste¬
hen wollen? Wenn ich con Incest
höre brauche ich nicht an meine eige¬
ne Mutter c/der Schwester zu denken,
tue ich es doch, so übersehe ich. daß
der Incest in gewissen anderen Fallen
grcße positice Qualitäten hat Der
3 Fehler liegt am Verallgemeinern. Für
Mottio dt Gaspero eine feine Wägung gibt es ruckt zu >
(1853-1937 gleiche Vergehen '

125
VEREINIGUNGEN
\ ERI i\k;i \( I N

iVlartha war die Toehter des jüdi¬


schen Bankiers Benno Heimann und
seiner Frau Franziska Friederike,
geb. Meyer. Der Vater Marthas be¬
ging wenige W ochen nach der Geburt
seiner Tochter (21. Januar 1874) we¬
gen vermeintlichen Bankrotts Selbst¬
mord. Die Mutter starb am 12. De¬
zember 1893. Martha wuchs im Haus
ihres Onkels, des Bankiers Julius
Alexander, in der Berliner Matthäi-
kirchstr. Nr. 1, auf, umgeben von den
vier Vettern Edmund, Fritz, Hans
und Karl Alexander. Am 5. Januar
1895 heiratete sie ihren Vetter, den
Maler Fritz Alexander, der noch auf
der Hochzeitsreise, am 7. November
1895, in einem Florentiner Hotel an
Tvphus starb.
Knapp drei Jahre später, am 25. Sep¬
tember 1898, heiratete Martha in
Rom den Kaufmann Enrico Marco-
valdi. Sie gebar den Sohn Gaetano
(20. Mai 1899) und die Tochter
Annina (4. März 1903) — sie, nach
.Andeutungen Musils, schon Frucht
einer außerehelichen Beziehung.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten En¬
rico Marcovaldis führten zu einer
Entfremdung der Eheleute und
schließlich zur Trennung von Tisch
und Bett.
Robert Musil und Martha lernten ein¬
ander vermutlich im August 1906 im
Ostseebad Graal kennen.

Uxi) ICH SEHE ALLES MIT ÜBERMÄSSIGER


Deutlichkeit vor mir. Deinen hohen
Huchs und Deine breite, ein wenig
flache Brust, Deine niedrige, wöl¬
bungslose Stirn mit den dicht darüber
zusammengeschlossenen Haaren,
Deinen großen, wollüstigen Mund
und den leichten Flaum schwarzer
Haare, der Deine Arme bedeckte. Und 1
Martha Marcovaldi,
wie Du den Kopf gesenkt trugst, als ob
geb. Heimann,
ihn der feine Hals nicht tragen könn¬
verwitwete Alexan¬
te, ohne sich zu biegen, und die eigen¬
der (1874-1949),
tümliche, fast schamlos gleichgültige die spätere Frau
Sanftmut, mit der Du den Leib ein Robert Musils, um
wenig hervordrücktest.128 1905

128
M artha war. im Gegensatz
Robert Musil, nicht sehr sportlich. Ih¬
zu

re Schwimmkünste blieben zeitlebens


spärlich, sie blieb immer auf
<Schwimmliilfen> angewiesen.
Sie mochte auch eigentlich keine
<Muskelmänner>, wie Robert Musil
nach eigenem Bekenntnis einer war,
wenn auch ohne die ganze dazu gehö¬
rige Überzeugung.

Und als mR uns [...] kennengelernt


haben, hatte sie die ganze deutsche
Literatur gelesen und von mir noch
nicht einmal den Namen gehört.129

Jjei seinem unterentwickelten Zeit¬


2 gefühl entging Musil vielleicht, daß
Ostseebad der «Törleß» bei seiner ersten Begeg¬
Graal in
nung mit Martha im Sommer 1906
Mecklenburg,
noch gar nicht erschienen war. sie ihn
Damenbad
also gar nicht kennen konnte. Die
räumliche Verschiebung war dagegen
3 bewußt:
Das Wald-Hotel in Das Hotel-Gebäude mit dem charak¬
Graal, an dessen teristischen Turm diente Musil mög¬
tabled'hötesich licherweise als Vorbild für das Hotel
Robert Musil und in den Roman-Entwürfen «Die Reise
Martha nach der ins Paradies»; er projizierte es an die
Familienüberliefe¬
Küste des Mittelmeers.
rung näherkamen

Anfang: In Grau. Sie alt ihrem


4 Bett Brantome lesend. Sich entblö-
Zimmer im Wald- ßend so weit sie kann, in sich hinein-
Hotel Graal greifend.1'"
\ l')\ )‘)|\| |}| I \

]Vu_arthas ungewöhnlich farbiges


Leben diente Musil von 1908 an im¬
mer wieder als Vorwurf und stoffli¬
ches Reservoir. Sie bildete das Modell
fiir die Figur Viktoria im «Verzauber¬
ten Haus» und für Veronika in der
«Versuchung der stillen Veronika».

Und an Deinen Namen musste ich


denken, sooft ich die kleinen Löck¬
chen an Deiner Stirn ansah. diese
kleinen, sorgfältigen, an der Stirn kle¬
benden Löckchen, oder Dein Lächeln
[...] Ich stoße immer wieder auf et¬
was Unpersönliches, das mich nicht
verstehen läßt, wie ein Mensch gleich
Dir zum Mittelpunkt eines leiden¬
schaftlichen Ereignisses werden
konnte. Es war in meiner Erinnerung
stets etwas längst Verflackertes, wie
der Duft verlöschter Kerzen um Dich
etwas Umgangenes wie unsere Sa¬
lons, die reglos unter Leinenbezügen
und hinter geschlossenen Vorhängen
schlafen. Ich konnte mir Dich nie in
leidenschaftlicher Bewegung vorstel¬
len, oder es mußte etwas Dahinge¬
wehtes sein, eine ruhelose Zärtlich¬
keit, etwas spät und gespenstisch Er¬
wachtes [...] 131

-/\.uch die Villa in Berlin, Matthäi-


kirchstr. 1, das Haus der Familie
Alexander, in dem Martha aufwuchs,
nutzte Musil als Schauplatz im «Ver¬
zauberten Haus», in der «Versuchung
der stillen Veronika» und in seinem
Drama «Die Schwärmer». In der Ver¬
lagsanzeige zur «Versuchung der stil¬
len Veronika» schreibt Musil:

Man sieht (...) i.i\ MäDOSN UND ca. acht-


reine zwei Vettern in einem einsamen
alten Haus nebeneinander leben. Das
Ganze wie aus einem Nebel in größere 2
Klarheit ruckend und weder cer- Berlin, Matthäi-
schwimmend.UJ kirchstr. 1

130
Hjdmunrl Alexander, Jurist und
Privatier, fungierte als Modell des
animalisch-ungebrochenen Demeter
im «Verzauberten Haus» und in der
«Versuchung der stillen Veronika».
Fritz Alexander, der Künstler, wurde
transformiert in das Gegenbild des
«weichen, entselbsteten fast priester -
lichen Menschen» namens Johannes.

f'ritz galt von Anfang an als Wun¬


derkind der Familie. Als Zwanzigjäh¬
riger, 1890, ging er nach München,
um sich bei Hugo von Habermann
zum Maler ausbilden zu lassen. Ob¬
3
Familie Alexander wohl er nur 25 Jahre alt wurde, be¬
im Münchner Ate¬ scheinigte ihm die zeitgenössische
lier des Sohnes Fritz. Kunstkritik, er habe sich als ein selb¬
Von links: Edmund (* 1865), ständiger, moderner Porträtist im be¬
Fritz (* 1870), die Mutter sten Sinne, besonders als ein freier
Guthilde Henriette Kolorist bewährt.
(1842-98), der Vater, Ban¬ Sein Nachbild findet sich nicht nur in
kier Julius Alexander
der Figur des Johannes im «Verzau¬
(1836-1906)
berten Haus» wie in der «Versuchung
der stillen Veronika», sondern auch
in den «Schwärmern» und im «Mann
4
Fritz Alexander, ohne Eigenschaften», wo er als der
Selbstporträt, ca. frühverstorbene Gatte Regines und
1893/94 Agathes figuriert.

181
\erlinici \<:i \

^eit die Beziehung zu Martha inten¬


siver wurde, lebte Musil in einer Art
produktiver Eifersucht auf ihre (frü¬
heren Liebhaber, die er teils zu ratio¬
nalisieren, teils metaphysisch zu
überbauen suchte.

M artin Cohn war Sohn von Emil


Cohn, eines Ritterguts- und Fabrik¬
besitzers; zeitweilig war der Vater
auch Mitinhaber der Firma Rudolf
Mosse. Martin Cohn studierte Jura,
promovierte und trat 1904 in den
großen Berliner Verlag Mosse ein,
dem das «Berliner Tageblatt», die
«Berliner Volkszeitung» und die
«Berliner Morgenzeitung» gehörten.
Seit 1. Oktober 1907 war er General¬
bevollmächtigter des Verlages.
Um 1893/94 war er mit Martha ver¬
lobt — bis sie sich entschloß, ihren
Vetter Fritz Alexander zu heiraten.
Nach ihrer Rückkehr aus Rom, um
1907/08, nahm Martha die Bezie¬
hung zu Martin Cohn wieder auf. Sei¬
netwegen kam es zu einer Krise, die
Musil in der «Vollendung der Liebe»
verarbeitete. Er schreibt über diese
Affäre:

Martha geht zu Cohn .Absagen.,


Nach der hohen Spannung zwischen
ihr und mir, die das bewirkte, fühlt sie
plötzlich an Ort und Stelle des einst
einen Heiz mich zu betrügen. Es ge¬
schieht und von da ab verteidigt sie
geradezu fanatisch die Höhe ihrer
Beziehung zu mir. Aber nicht aus
1
Heue sondern aus Hechthaben. Ich
Martin Cohn
«muß» ihr glauben, daß sie mich ganz
(1872-1931), der
rein liebt, sie sucht mich dazu zu erste Verlobte
1.33
zwingen. Marthas

132
H ans Alexander war promovierter
Ingenieur und bis zu seiner Emigra¬
tion Direktor der Lokomotivenfabrik
der AEG.
In dem Manuskript «Rabe» schreibt
Musil über Martha und ihn:

HaNS BETRACHTET MARTHA ALS ÄRT


Vermächtnis von Fritz, den er sehr
liebte, Martha fühlt in Hans einen
Vertrauten, er soll ihr später Gift ver¬
schaffen, wenn sie durch den Tod des
Schwiegervaters ihres Versprechens
ledig ist. Martha liest in seinem Zim¬
mer, wenn er arbeitet, gehen gegen
Abend spazieren, Martha spricht,
Hans hört zu. Verwandte mutmaßen
Heiratspläne, Martha trotz flüchti¬
gen Einfalls [...] sehr beleidigt [...]
Projekt freundschaftlich zusammen-
zuziehn, ohne zu heiraten, geschwi¬
sterliche Stimmungen.1,4

(^!a. 1897 war Paul Cassirer für


kurze Zeit Marthas Geliebter, verließ
ihretwegen Frau und Kind. Im «Mann
ohne Eigenschaften» heißt es dar¬
über:

Wie das geschah, war in seinen Ein-


zelheiten recht gleichgültig; einem
Mann, dessen Bemühungen unter an¬
deren Umständen wohl nie vermocht
hätten, sie aus dem Gleichgewicht zu
bringen, gelang es, er wurde ihr Ge¬
liebter, und dieser Versuch einer Wie¬
2 derholung endete nach einer sehr
kurzen Zeit fanatischer Hoffnung in
leidenschaftlicher Ernüchterung [...]
Sie gehörte zu jenen heftigen Men¬
schen, die sich sehr lange reglos und
abwartend verhalten können, bis sie
an irgend einer Stelle mit einemmal in

2 alle Verwirrung geraten, und faßte


Hans Alexander darum in ihrer Enttäuschung bald ei¬
(1873-1938),der nen neuen unüberlegten Entschluß,
jüngste Bruder Fritz der, in Kürze gesagt, darin bestand,
Alexanders dajs sie sich in entgegengesetzter Hei¬
se bestrafte, als sie gesündigt hatte,
indem sie sich dazu verurteilte, das
3 Leben mit einem Mann zu teilen, der
Paul Cassirer
ihr einen leichten Widerwillen ein-
(1871-1926),
Kunsthändler und
Verleger, der in
Deutschland u. a.
Cezanneundvan Dieser Mann war Enrico Marco-
Gogh durchsetzte valdi.

133
vn\ niM ui i \

Der römische Kaufmann Enrico


Vlarcovaldi, Besitzer einer Kalkgrube
und einiger Zementöfen, lieh Joseph
in den «Schwärmern» wie Hagauer
im «Mann ohne Eigenschaften» ge¬
wisse Züge. Die Ehe mit Martha.
1898 in Rom geschlossen, wurde am
2. November 1907 getrennt lind nach
langwierigen Auseinandersetzungen
gegen Ende des Jahres 1910 oder im
Frühjahr 1911 geschieden.
Enrico Marcovaldi sali die Gründe für
das Scheitern seiner Ehe vor allem in
seinem wirtschaftlichen Gebaren. In
einem Aide-memoire schrieb er:
«1907 begannen meine Mißge¬
schicke. als w egen einer Unachtsam¬
keit einiger Arbeiter eine Steinlawine
in der Grube drei Arbeiter erschlug.
Dieser Umstand kostete mich etwa
40000 Lire und besiegelte den .An¬
fang meines Untergangs, w eil ich, da
meine Frau und dritte Personen das
Vertrauen in mich verloren, Wucher¬
kredite aufnehmen mußte, um die
Kosten des Prozesses zu zahlen, den
die Familien der Unglücklichen gegen
mich angestrengt hatten [...]
In der Zwischenzeit strengte meine
Frau den Scheidungsprozeß gegen
mich an: für den Widerspruch mußte
ich enorme Kosten aufwenden, ich Berlin NW
war gezwungen, nach Budapest zu
reisen. Gerichtskosten. Reisekosten
und die Abwesenheit von meinem Ge¬
schäft richteten mich völlig zugrunde,
und die Wechselübertragung [...] »o. JJb t
funktionierte nicht mehr reibungslos
wegen der Aufhebung der Güterge¬
meinschaft, die der Anwalt meiner
Frau gegen mich erwirkt hatte.»136

Die Bescheinigung des Königlich


Italienischen Konsulats über die
Trennung der Eheleute Marcovaldi
lautet:
1
Das Königlich Italienische Konsulat Enrico Marcovaldi
bescheinigt hierdurch auf Grund des (1874-1944),
rechtskräftig gewordenen Urteils des der zweite Gatte
«■ ' •• ‘ 1, ■*
J v - ’**«*.
Königlichen Landgerichts zu Rom Marthas V-

vom 2. November 1907 daß die Ehe¬


leute Fmrico Marcovaldi, Kaufmann f* - .• Nt

zu Rom. und Martha Marcovaldi geb. 2


Bescheinigung des
1 leimann z. Zt. in Berlin in gegenseiti¬
Königlich Italieni¬
gem Einverständnis von Tisch und
schen Konsulats
Bett geschieden sind.
über die Trennung
Berlin, den 14. November 1908
der Eheleute
Der Königlich Italienische Konsul Marcovaldi von
Kunheim Tisch und Bett

134
ttrrjridtntß brr in brr
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3

W ährend Martha Marcovaldi die


Trennung ihrer problematischen Ehe
betrieb, besiegelte Gustav Donath sei¬
ne nicht minder kritische Beziehung
zu der psychisch schwer gefährdeten
Alice Charlemont.
Robert Musil fungierte neben dem
Maler Carl Hofer als Trauzeuge.
Anschließend an die Hochzeit fuhr
Musil nach Sistiana bei Duino. Park¬
3
hotel, um einige Wochen Urlaub zu
Trau-Eintrag im
Kirchenbuch
machen. Er und Allesch hatten das
Kastelruth, Süd¬ Bedürfnis, für eine Weile voneinander
tirol, für Gustav und ihrer schwierigen Freundschaft
Donath und Alice befreit zu sein.
Charlemont vom
2. September 1907 Und hie Musil zum erstenmal das
südliche Meer vor sich hat, atmet er
weit auf, er fühlt wie er über Allesch
4 hinauswächst indem er zu sich selbst
Die Bucht von
fand. Dasselbe fühlt aber Allesch un¬
Sistiana.
ter dem feuchten, über die Ebene her¬
Das Parkhotel ist
kenntlich an den aufkommenden Himmel Hollands. -
zwei kleinen Eck¬ Recht haben nur Sonne, Hirid und
türmen Regen.1 *
\ I RI IMCl \( .I N

•Hier wohnte Tonka (Henna Dietz)


in ihrer letzten Lebenszeit hei einer
gewissen Emilie Prawdzik, geb. Pahl-
ke, im Haus Nr. 90. AL Musil Anfang
November 1907 nach Berlin zurück¬
kam, war Tonka gerade an den Fol¬ 1
gen eines syphilitischen .Abortus ge¬ Berlin, Elsässer
storben. Straße

136
137
\ EREIMCt N( ;KN

iV I usils I iiIw ni I Im die Schlußsze¬ Jryty-*-.-


./U /t
x o

ne sciiHT Novelle lonka». (len er, zu


seiner eigenen Schonung, nieht in die ^-jZ*—p—rAj P 'Y /-A~ 1s.
endgültige r’n.ssnng iiliernalim. stelle, -J'*■—J~~7‘—— -yi/1* *
du sirli ein Intenseliein und (>rali-
-fl*-***—/**•r-■—A*/—//- —
stein des Mädelieus uielil finden lie¬
ßen. liier als sein K|iitii|lll. IVails- JL l* A4«*—^ ' " —
skriiitinn der (irundsehicht ohne
<2m W i
\iirianleu mul \anuheln.
-- H
.1 ArS-y- -
S< in i sss// \i I) t.s u> ui ii in in iK.i t;
liehe /immer in (lern Herma starb. -v' Z-. 's— 4-y>—. ^ *-^/—/.y
Der Mann ran der Leiehenbestattnng -v. 4*, „ M
kämmt mul fragt. wann sie Herma
abhalen sollen ... eon der Linie an
ge/ds schnell, da fahrn wir im
Trub... lim oder das andre der
\aehbarsleute steekt sieh hinter I ran
Prawdzik um die lote zu sehen. Ho- Am, S— l\.umi— /• »AZ t-A ~ 'fmmm^tSm.

hert sitzt stumm aul dem zerrissenen -S- i - -er A—J— KmCr ~ -- trnS
roten Sammtsoja sie — er sieht fort — -*—/ trmM. —e ■'»-'**. kmm.'imS —
sie die wachsgelben ineinander ge¬
steckten linder an. Plötzlich fällt dun
n/\Am A., *■—- 4w /A—S——**— et, ~Zyi , n mm A*
ein: sie hiengja an den (Icbrauchcn
ihrer Heligion und er schickt Trau A A'A— -y-—
Prawdzik um Kerzen und Blumen.
Iber es ist Herbst und keine Blumen
H*t~~i****' *■ ^^ y
ui der\ähe zu bekommen. Xur \stern
A^/>>
und kümmerliche Hosen mit braunen ’ 4A ■ jmm st«^. ■
Bändern an den Blättern. Xur die As.'t iyt X.yAs/ --— —yi yi. —
Kerzen brennen wie es sein sott. mit
(fjm, J^ _- A «wy- A. >r.
einem feinen wehmütigen Duft.
Dadurch gewinnt die Leiche etwas
f eierliches und Schönes. Pin l.'edan-
i.' SS— ^ >W t{> t

ke laft Hubert keine Hohe. Seme In l-'*S' /ksw.» ««•}> fimmmm. »—7^1 <-y —f— -AmA— *-*«•

gen cerschärfen sich, sie zeichnen jede ^ -—> y-i A-: —V A- A*-*-
Linie der harten starren Maske nach,
die der Tod über llemuis (lestcht ge¬
/^4s «s/- S. /. -« »»*>
zogen hat. I nd immer wieder cer¬
sucht er es und will Jene unmerkliehen 7*
Zutaten linden, die das lnthtz wtetler A-a-y* u s—rv i,
beleben konnten. I ber es gelingt *+»*—*/ — -
nicht. Da steht er auf und tritt neben
das Bett. I nd lost die Verschlingung
—vVv
der Finger und hebt die kalte Hand
mit der seinen. Ihtbei neigte sieh der
1
Körper ein wenig zur Seite, aber die
Hand ist so kalt und schwer und das
Zittern der seinen findet keine Int
wort. - so als ob er gerufen hätte urul
alles schwiege. Da labt er - cor dieser
Leblosigkeit erschrocken - die Hand
los und sie schlagt dumpt gegen das
Bett und schlägt eine \lulde ms La¬
ken und bleibt liegen.
Du bekam der (ledarike, dab Herma
tut sei, einen neuen \usdruck. So als
oh Hobert ihn erst /eczt erf; s v. I n-
1
ter der Decke standen du f \ >-> starr
Musiis Entwurf für
m die Höhe. I nd H rv*t imsjit* di« Sdtl«6u*fl«
diesen Kur:irr tienkc . • er .»,■« der

13»
beweglich war und wie erzittert* und
sich anxchmiegte. und nicht ruht*, hu
er in dem Bett. ein ur.herex Sest fee
wühlt hatte und tutete mein fiub.
mein lieber lieber fiub. jetzt ent bin
w,h glücklich. jetzt erst hab uh dich
tanz... f nd die Thronen rannen ihm
rujjt den Kutten. Aber ue ertönten ihn
nicht, tun hartnäckiger zchmerz naß.
tief, den ne rächt In ien kennten - und
er trieb Bahert durch den Zimmer und
ließ ihn mit den Zahnen m die Kleider
heißen- die Herma nc,rh an der Hand
hatte hangen gelaxxen.
bann kam. bu-itl und tafart nahen der
schmerz etjreu fiexchäfumaßigex an
— etjc.a wie. man. bei einem. TdeifalJ m
der frambe Kr,ndctle.nze.n entgegen-
njcnmt, fdxxtl hatte emen Strauß wei¬
ßer Baien mitgebrnc.ht. und legte ihn
auf; Bett, [jahei blje.b er etur.ru langer
gehen rill ruitjg und ;ah in die müden
herben Zuge der Taten- Kber Baben
rief ihn rruch weg. ■'<eh. ue nicht an —
ne ixt häßlich-heute. ■ L nd weil
Baken rannt nichts tagte, frag fdutl
nach einer Hede: <nag geht ex dir
ihemaupt nahe. ba bemerkte er ent.
da» Robert weinte, und w.hwieg Itie
Kerzen brnnnJen oh. [Jann kam trau
Prruwizik und brachte die. lamp*
bau Bett lag jetzt, im Itunkein nur die.
Hand war nre.h beleuchtet — faxt
bernsteingelb und tiefe bleue ■'.chat¬
ten ...

Tn ‘Zer DmrltfArt-üirui har Vfu.-*! die


•nrrae -tn ‘Zer Taimmtire erexxi
<taxrh. eine rmSremtzme-

Ls -xtvß ot Ltrtrr i.gc hk lat, i. vth»


der LrOe, aber aIlex in allem turnte er
za.i Behagen 'tes Lichte. Bla» me er
da um ach tan. blickte er plötzlich
einem ler eie.ien Kauter nngsum in
Oax zufällig warnende tjesudu. es wie
prall ton der Tanne Geschienen aut
cranmle ach wie ein grudir.ncr
2
H irrt wen ulen Teilen: rtu tenrte de

ir lef im. »mwr t~nne ring n tun ruf: Tanna.


Tanäa. er*

tlu
\ FRKIMGl NU N

Ohne Zweifel bevorzugte Musil ei¬


nen bestimmten Frauentypus (ver¬
mutlich von frühkindlichen Ein¬
drücken geprägt), so daß bei seiner
j erotischen Objektwahl gewisse phy-
siognomische Eigenheiten des müt¬
terlichen Gesichts immer wiederkeh¬
ren, von der großen Jugendliebe Pau¬
line Ulmann alias Valerie über Mar¬
tha bis hin zu Grigia, der Geliebten
des Ersten Weltkriegs, ln dem fikti¬
ven Namen Pauline Amara, den er
Martha gab (d. h. Pauline, die Bittere)
sind diese Züge maximal verdichtet.

Ich sass in einem Vortrag von 1


Franz] Blei im herein für Kunst [Ber¬ Hermine Musil, die
lin. 19. November 1908] und fühlte Mutter, als junges
mich eine Wendung empfangen. Ne¬ Mädchen
ben mir saß Maria. Sie hieß eigentlich
Johanna aber ich nenne alle Frauen,
die ich hebe, entweder Maria, denn 2
Johanna Casper,
das kommt von Myrriam und heißt die
geb. Heimann,
llittere, oder Martha, was die Leiden¬
Marthas ältere
de heißt. Ich liebe nur Frauen, die
Schwester
etwas Bitteres und Leidendes haben.
; Äußerlich eine gewisse Linie von den
\asenflugeln zu den Mundwinkeln 3
I hinunter,118 Pauline Ulmann

HO
Liebeskalendfm Ein kalter Ne-
bei hat sich wie ein Vorhang gesenkt
und der neue Akt beginnt Ich liebe
auch ihn. Dieses winterliche an die
Stube gebannt sein. Auf der Straße ist
man von der Kälte, wie von einer eisi¬
gen Kugel umgeben. Sie schützt gegen
fremde Einflüße. In der Stube löst sie
sich langsam. Und läßt eine Stim¬
mung wie Tciuwetter im Vorfrühling
zurück, so frisch und doch müde und
zärtlich. Eür Liebende ist es als ob sie
sich jedesmal von neuem gewännen,
in einer Reinheit wie vom Tode Aufer¬
standene. Denn nichts Fremdes ist in
solchen Augenblicken. Die Seele
bricht auf und der Körper duftet nach
sich lösender Kälte.
Oft wenn ich um eine Straßenecke
biege, ist mir jetzt, als müßte ich Dich
sehen, in Pelzwerk und Kälte gehüllt.
Mir ist dann so mild und still zumute,
wie wenn ich die Hand in weiches
Schneewasser getaucht hätte.
Solche Bilder sind es, mit denen ich
mich jetzt trage und ihretwegen —
Deinetwegen — liebe ich diese Zeit, die
mich sonst immer mit Schrecken er¬
füllt hat — und so jede f39

Da Martha nach ihrer Rückkehr


aus Rom wieder verstärkt zu malen
anfing und zum Beispiel bei Corinth
Unterricht nahm, mietete sie Atelier¬
wohnungen. Vom September 1908
an wohnte sie in der Martin-Luther-
Str. in Berlin-Schöneberg.

Das Atelier
Das dunkle Zimmer mit den verhäng¬
ten Wänden und der kleinen Luke.
Wie liegen gelassen ein Blatt von
Rembrandt. Der biedere Evangelist
Matthaeus. Der Engel aber, der sich
über seine Schulter beugt, hat eines
jener Gesichter, die heute erst leben
4
und die gleichermaßen zu den Ge¬
Martha
schlechtsteilen eines Mannes oder ei¬
ner Frau sich finden.
5 Und dann stieg auf der engen Holz¬
Rembrandt, treppe langsam eine Frau hinan. Ihre
Der Evangelist Füße bewegten sich wie hinter einem
Matthäus Vorhang.140

141
\ l.m INK.l M l \

/V
11. .ktinituifieti-Buch No. f V 0 •JiMinml-No.

Sitzung der philosophischen Fakultät am 19(V


Promotionsprüi'nng des Kandidaten

f Prädikat der Dissertation /* ft *

Kxaminatoren: die Herren J/tt. H i -€*4. f </c/A v- ir

Die Prüfung eröffnet« Herr


M
lTXusil hatte seine Dissertation un¬
£—-
ter dein Titel «Sfudien zur erkennt¬
nistheoretischen Grundlage der Phy¬
sik mit Bezug auf die Anschauungen
Ernst Machs» im Juni 1907 einge¬
reicht. Carl Stumpf akzeptierte sie je¬
doch nicht und verlangte Änderun¬
gen. In seiner Beurteilung der .Arbeit
schrieb er:
«Die .Arbeit des Hrn Musil erlaubte '//><'/ •" StL *7«
ich mii zunächst zur Umarbeitung .✓<- ✓'5'V'G «~. /'/». .4.
dem Gand, zurückzugeben, wobei zu¬
gleich das Thema anders gewendet '*'« nt* ff,'ft,* -y -s*, z«-» «/"■ *4^» 7 „ /(„,
wurde. Sie ist mir in der neuen Gestalt S.fu...-; - Cr ^ *(,i—„ . z; *V. .
(«Beitrag zur Beurteilung der Lehren
Mach s») am 31. Januar 08 zugekom¬ ^^ •*!» 1^«*-/'/^,.^ , •'Irf ,4 77
men. Sie entspricht jetzt als Ganzes
den Anforderungen einer historisch¬
'V' *7-
kritischen Untersuchung. Der Verl,
gibt eine scharfsinnige und überall C'y^ccL,
quellenmässig belegte Analyse der
’ ß »/»/" • , t< V «« I
7'/ ^7

Erkenntnislehre Mach’s, ausgehend


von den Forderungen der Stetigkeit
und Ökonomie und von der Anpas¬
r^£tr
sungslehre, dann übergehend zu
Mach’s Stellungnahme gegen die me¬ +/t-^ ^ /_
chanische Physik und ihre Grundbe¬
griffe, weiter dringend zum Begriff
der Kausalität und seinem Ersatz
durch den Funktionsbegriff, endlich
abschliessend mit der Leugnung der
Naturnotwendigkeit und der Auflö¬
sung alles Wirklichen in Empfin¬
dungselemente.
Die Kritik ist dabei überall eine im¬
manente. Der Verf. sucht, ohne mehr,
als irgend nötig ist, selbst eine positive
Stellung zu nehmen, zu zeigen, wie
man unweigerlich von einem Punkte
zum anderen getrieben w ird, zuletzt ^. r>iMV^v ^,7’,

aber in inneren Widersprüchen hän¬ *^*<«*^ »Js/1


■K
nr/rr £ U*Vn«,S
_ />
gen bleibt. An verschiedenen Punkten
/ k. ^
wird er immer noch in der Sache klä¬
Är*.
ren und schärfen, in der Form mil¬
dern müssen. Dies kann aber nach der
Prüfung mit ihm besprochen werden.
Zunächst beantrage ich Zulassung ^
zur mündlichen Prüfung und für die Protoko,| von Musi|s , tu * 4 t y Atft -

Arbeit das Praedikat laudabile Rigorosumam


7. II. ÜS Stumpf»141 27 Februar 1908 lT /a

142
Der Coreferent Riehl schloß sich
dem Urteil Stumpfs an.
hi einem ausführlichen Brief an Jo¬
hannes von Allesch berichtet Musil,
daß er mit Riehl in der mündlichen
Prüfung die meisten Probleme hatte,
weil er kein Wort von dem verstanden
habe, was Riehl wollte. So habe er
sich im wesentlichen auf das «Aufrei¬
ßen von Augen und Ohren» be¬
schränkt. Weiter heißt es:

Geprüft wird man in derAula oder im


Sitzungszimmer, an kleinen Tisch¬
chen je ein Examinator und ein
Kandidat. Die Situation ist ganz
gemütlich. Die einander ablösenden
Examinatoren tauschen abseits ihre
Eindrücke aus, nach Stumpf ist die
Sache so ziemlich entschieden. Vorher
schon nahezu. Denn man ist ganz in
der Hand des Prüfenderi, der einen
fragen kann, was er will. Ich habe den
Eindruck, daß man, außer man ant-
2 wortet exceptionell gut oder schlecht,
Robert Musil dasselbe Prädikat wie auf die Arbeit
um 1910 erhält. Bei mir laudabile.HJ

143
\ l )\ l >l\l IM I \

IVlusil hatte diesen Engel quasi vor


Augen, als er nach der Promotion auf
Einladung Franz Bleis seine erste er¬
zählerische Arbeit nach dem «Tör-
leß» entwarf, eine Novelle, die zuerst
den Titel «Der Schutzengel» trug. Aus
ihr entwickelte sich im Lauf der Ar¬
beit «Das verzauberte Haus» und
daraus wiederum «Die Versuchung
der stillen Veronika». Am 12. April
1908 schrieb er aus Brünn an Franz
Blei:

Verbindlichen Dank für das liebens-


ivürdige Erinnerungszeichen. Ich
mußte aber leider, — kaum nach dem
Examen zu Atem gekommen, — zu ei¬
ner lange verschobenen Waffenübung
einrücken, von der ich erst gegen Mit¬
te Mai loskomme. Soweit ich bis jetzt
sehe, ist an ein Arbeiten während die¬
ser Zeit nicht zu denken. Ich habe
aber etwas angefangen, woraus hof¬
fentlich etwas werden wird. Nur muß
mich der Herr erst von meinen Übeln
erlösen.143

.Eline der ersten Skizzen zu «Der


Schutzengel» hat folgenden Wort¬
laut:

Einmal, in den J ahren, wo man schon


etwas von der Vergeblichkeit eingese¬
hen hat, kommen plötzlich drei Näch¬
te, in denen man Beziehungen zu sei¬
nem Schutzengel erwachen fühlt (er 1
ist bei Männern eine Frau, bei Frauen Engelsfigur in der fö“ miHux Je*^j-*r** d*fo

ein Mann) End zwar fühlt man sie Brünner Augustiner¬


gerade so erwachen wie zu einem gasse, gegen¬ ux-i KNe-* ^-et X- N-et-e-t-i cCdi. UM.JJ, *v »«VW -V» wv ßuj*.)
über der Wohnung
Lieb. Man weiß er war immer dabei,
der Familie Musil iS^wi'V ***■yyyi’i J(f£*vJ*-CeCi'i^ f
er hat immer zugesehen, man gehört
mit nichts so persönlich zusammen
JUtX-ei lyi et-ey-yj}-JjJyyt % ^ u-t V>*« ‘in-/’
wie mit ihm. Er übt eine Kontrolle aus 2
wie das Meer. Man tut alles in seiner Manuskript J}A V hm-X-S. tylH-ei ./mV 9c//*~P -eOC jo-iYres t-Vj‘
l «-C/ LO~dy-H- .
Gegenwart.. «Der Schutzengel»

144
Q .
kJteinach. oftmals Ferienort der Fa¬
milie Musil, sollte Schauplatz des
Textes «Der Schutzengel» bzw. Der
Dämon» sein. Die Heldin, von Musil
Mathilde Emminger genannt, sollte
Umgang mit transzendenten Wesen
haben und in turbulente Ereignisse
verwickelt werden:

Sonntag-Vormittag in Steinach.
Kirchgang. Blauer Kugelhimmel. Ein
unbewegliches Wölkchen über den
Innsbrucker Bergen. Sie mehlspeisig
anmutig und pastös weichlich. Der
Gendarm will schießen, etwas bläst
ihn um, er behauptet nachher, es war
wie ein Feueratem. Sie muß sich allem
unterwerfen, darf aber Steinach be¬
suchen. Mit diesem Bewußtsein. Die
Eltern und die anderen reden, — sie
weiß,144

jVdathilde Emminger, Kosename


Milli, war sozusagen eine in alpines
Milieu versetzte Martha, worauf auch
die äußere Beschreibung deutet:

Sie hat einen grossen Mund, niedere


breite Stirn, starke Augenbrauen,
Haare auf den Armen, aber ein läng¬
liches, schmales Kinn.141

^\_uch die Konstellation Edmund


Alexander — Fritz Alexander kehrt
wieder, und zwar in Gestalt eines Ju¬
risten oder Oberleutnants und eines
Kandidaten der Theologie, eines jun¬
gen Priesters:

[...] der Anfang eine iersteckt


erotische Beziehung zwischen den
beiden, er spricht von der Ausbaufä¬
higkeit der katholischen Religion und
dergleichen; sie lieben sich durch das
Medium eines solchen gemeinsamen
Ausbaus.14b

3
_A_m Ende sollte eine Verführung
Steinach am
durch den männlichen Gegenpart des
Brenner
Priesters stehen:

4 [...] eine Seele, die sich streckt.

Steinacherin streckt, und darin von einem Ober¬


in Tracht leutnant gevögelt wird.14

145
IJtu Inxcn^ut Ihm Steyr ist ein
10KI3M3A

Schauplatz in der fragmentarischen


lastung der * Versuchung der stillen
Veronika», die durrli eine Vereini¬
gung panpsyclustisrh mystischer
und psychologisch psychounulv It
scher l'.leinentc charakterisiert ist:

i/> mi mv\ ot\i. i \i> /ms


Cutterschloß, ii'ur's nur geradeso, als
hatte ich nach me ein Ihr au knarren
gehört, au zogenul und eindringlich,
and die I ogel hatten noch nie au laut

I
mul nienachenahnheh gesungen, und
zii'iachcn den Wiesen atand jeder
Uanni grols und iineernickhar and
run seinem Platz getragen [...]
So feat und scharf in die Heit gegra
heil ine mit der Stichel, I mm, jeder
lullt, jede I inte, jctlca Leuchten an
luge einea cuniherlatifenden Tiers.
Xur mich ein iiemg anders als sonst,
trotzdem ein jetlea an ganz hei sich
UHir, schien jetles doch ein wenig cci
ändert, icie abgestimmt aufeinander,
eine \hnlichkeit. nein, keine 1hnlich
keil, aber eticaa nie eine ihnlichkeit
ztcischen allem, ja. trenn Sie mich
noch i'erstehen, mochte ich sagen, ei
ne ihnlichkeit u'ic mit nach aufu'arts
geu'andtein Intlitz; als ob jedes nur
so klar dastunde, damit man erfaßt,
dtiß es nicht Idols so da ist. wie man
geglaubt hat. sondern daß es ein
Clietl ist. mit dem ein ganz andrer
Sinn gemeint ist als der, zu dem man
sonst fluchtig und halbcerstamlen die
Dinge zusammensetzte. - ein über¬
menschlicher Sinn - Sein Sinn. Ich
fühlte plötzlich, wie er sachte alles
; l>eliegt. Tr nimmt das l'iahlensche,
das in allem Ci\ßen ist, und das l teb
' liehe, das hinter jetlem W idngen ist,
nie ein bittendes Lächeln m einem
j häßlichen [ntlitz, er macht das Crv
tse stiller unil das Widrige trauriger,
er fangt die Stimmen der Tegel tm
WaliL damit das Knarren eines Tors,
durch ilas einer zum letztenmal ikt
t•vnsihntt, steh tiefer ut die Welt
grabt, er glättet die Kalten im (-esicht
einer Toten wegen der l ichter in den
Augen eines Tiers, er gualt einen
J Maitn, wett ein H,tum Vc uber der 1
0«S FvJOMSvJWt
Knie ragt, lunxsam cerruckt er erst
bw« Sa»yr
die Si'hntten der Ihnge. auf daß ste
I sich zuetsc: / (• _• c
I gregt er am Tnde nach jedem« und
2
I packt es uw N/i v • Vi aer S»9m<#we Frwad
I Lauen, aw e. lAs . 1JS*-1

140
M usil war 1908 schon intensiv er
mit der Psychoanalyse in Berührung
gekommen. Die Texte des Komplexe-
«Der Schutzengel». «Der Dämon».
«Das verzauberte Haas» und «Die
Versuchung der stiJJen Veronika»
verraten. da£s sich .Musil vor allem
von Freuds und Breuers «Studien
über Hysterie» anregen ließ. Musils
Überlegung. der Dämon miLire u ie et¬
was Selhstcerständlirhes erscheinen:
wie man im Mittelalter schlechtweg
eine Handlung aus Besessenheit er¬
klärte'*’. entspricht exakt der These
Breuers, die abgespaltene Psvche sei
jener Dämon, von dem die naive Be¬
3 obachtung alter, abergläubischer
Hypnose-Behand¬
Zeiten die kranken besessen glaub¬
lung der Hysterie
te.1 v' Durch Einbeziehung der Ce-
staltpsycbologie und der Transzen-
4 dentalphilosophie »ersuchte Mast]
Josef Breuer gegenüber der PsychoanaJy se seine
(1842-1925 Selbständigkeit zu wahren.

14
YI.HI.INICI \ci \

C
Ocit den «Verwirrungen des Zög¬
lings Törleß» war Franz Blei Bewun¬
derer Musils und rund drei Jahrzehn¬
te mit ihm befreundet. Als Mitheraus¬
geber der Zeitschrift «Hyperion» gab
er Musil den Auftrag für einen Prosa¬
text und setzte damit die Arbeit an
dessen zweitem Buch, den «Vereini¬
gungen». in Gang.

Hjiner der literarischen Anreger


Musils war auch Peter Altenberg, den
er persönlich allerdings wohl erst
1911/12 kennenlernte. Ca. 1908
widmete er ihm die Studie «P. A. und
1
die Tänzerin».

[...] die Tänzerin, die aus den


Büchern des «P. A.» vorlas, hatte
schon zwölfmal das llört edel ausge¬
sprochen und achtmal das Hört ex¬
zeptionell [...] Vorlesen kann sie
nicht, dachte er. Dann: Sie ehrt Peter
Altenberg mit einem feierlichen Hoch¬
deutsch wie ein Dienstmädel, das ein
nobles Verhältnis hat. H ie ein Dienst¬
mädel?—: wie ein bescheidenes, güti¬
ges Dienstmädchen, würde P. A. sa¬
gen. Na ja.
Dann jedoch tanzte sie. Und gewiß
1
Peter Altenberg
gab sie auch da nicht eine Kritik der
(1859-1919)
reinen Vernunft mit den Beinen und
nicht die Fußnoten von Diels zu den
fragmentis veterorurn stoicorum und 2
ihre Schenkel waren nicht Klärbotti¬ Bibiana Amon,
che dunkelster Seelengewißheiten wie rezitierende Tön
die der Duncan. Sie tanzte vielmehr zerin und Freun¬
Variete: sie hatte prächtige Gewän¬ din Altenbergs
der. liebliche Bewegungen und schö¬
ne Beine [...]
Als nun die Tänzerin wieder etwas
3
Franz Blei
vorlas, wurde sehr lebhaft, was der
(1871-1942), einer
junge Herr vor einiger Zeit über den
der vielseitigsten
Menschen PA. zu denken begonnen und anregendsten
hatte, ohne es zuendezuführen. Fs fiel Literaten seiner
ihm ein: P. A. war ein großer Dichter. Epoche

148
IIYPERIÖN
ROBERT MUSIL: DAS VERZAUBERTE HAUS
»Sie hätte mich damals ja beinahe vergiftet«, beteuerte der Oberleutnant Demeter
Nag>', so oft er später von seinem Abenteuer in dem verzauberten Hause er¬
zählte. Es ereignete sich, als er während einer winterlichen Truppenkonzentrierung
durch mehrere Wochen auf dem alten Stadtbesife der gräflichen Familie einquartiert
EINE ZWErMÖNATSSCHRIFT war, und begann damit, dal) er am Tage vor einer kurzdauernden Abkomman¬
dierung, — kopfschüttelnd, weil er ihn nicht verstand, — den Schluß eines Ge¬
HERAUSGEGEBEN VON FRANZ spräches mit anhören mußte, der vom Nebenzimmer mit den fühlbar durch eine

BLEI <0 CARL «UERNHEIM Erregung verstärkten Stimmen zweier Menschen zu ihm herübergetragen wurde.
Es kam erSt ein Nein, ganz leise und trotzdem sich merkwürdig aus dem Vor¬
Zu sprechen ist aber von einem Phä¬
nomen, das sich an diesem langsam
herigen herauslösend und durch das Haus gehoben, dann sprach ein Mann etwas,
das er nicht recht hören konnte, und von da ab vernahm er mit voller Deutlichkeit
jedes Wort“
zurückbleibenden Dichter mit wach¬
Eine tiefe, von der Leidenschaft in die Höhe getriebene und oben zerfallende Frauen¬ sender Deutlichkeit zeigt: in dem Ma¬
stimme rief: »Lassen Sie mich, ich kann nicht! ich kann nicht!!« und die Worte
brachen zackig wie mürbes Mauerwerk von ihr ab. Dann hörte Demeter wieder ße als er uns entschwindet, unnuari-
den Mann sprechen: »Trofedem, Sie lieben mich! denn Ihr ganzes Wesen i^f von
ciert. bilderbogenhaft wird, in dem
dem meinen ergriffen, es hat keinen Gedanken, hinter dem nicht ich wäre, Ihr Leben
begann erSt mit dem meinen wieder. Täuschen Sie Sich nicht selbst.. Das i^t Liebe,- Maße schließt sich sein Umriß und
sagen Sie.. Sie heben mich..?« Und die Stimme der Frau antwortete stiller, aber
sie stieg wieder während der Worte an und zerriß: »Ich? oh .. vielleicht, das heißt gewinnt einen hellen Saum wie Men¬
DRITTER- nein,, .nein ich weiß nicht.« Und Demeter hörte noch einmal den Mann sprechen:
»So hören Sie, Viktoria, wenn Sie Sich weigern, reise ich heute ab, morgen habe ich
schen vor einem Abendhimmel. Henri
BAND mein Leben weggeworfen, wenn Sie Sich weigern. Sie wissen, wrie dies in dem letzten wir uns umwenden, sehen wir ihn so
Jahr nur mehr an Ihnen hing. Ich weiß, daß Sie mich lieben, morgen werden vielleicht
auch Sie es wissen: ich frage Sie noch einmal, können Sie?« — Darauf trat eine auf einer uns fernen Hügelkette auf
kleine Stille ein und dann hörte Demeter »nein!« sagen und »nein!!« — zweimal und ab gehn, immer das gleiche Stück
wie mit der Peitsche oder wie ein besinnungsloses Sichfe^fklammern — und dann
noch einmal nein, — leiser, zusammengesunken und wie ein Schmerz über Wehtun. hin und wieder zurück, mit einer fast
Demeter Nagy pfiff, als er nichts mehr horte, halblaut durch die Zähne, wie er dies
in schwierigen Situationen seit seiner Knabenzeit zu tun pflegte, in deren Geschichten unverständlichen Unermüdlichkeit,
zwischen Indianern und Pfadfindern ihm dieses Zeichen tapferer Kaltblütigkeit zum aber mit jenem hellen, hellen Saum
erstenmal erstrebenswert erschienen war, dann klappte er mit den Absäfeen zu¬
sammen, zog seinen Schnurbart in die Höhe, schüttelte abermals den Kopf und gezeichnet. Seine Höhen heißen die
lächelte. Es ging ihm, wie es auch andern geht, wenn sie plöfelich zwei Seelen mit
blutigen Eingeweiden ineinander verschlungen sehen. Denn mag es sich um ein
Hügel der Güte und liegen uns immer¬
lefetes Auseinanderreißen handeln oder um ein erstes Sichineinanderstürzen, um ein hin neunzehnhundertundacht Jahre
MÜNCHEN igo 8 belauschtes Liebespaar oder um eines sterbenden Menschen schamlos vergessenes
sich Stemmen und Klemmen, keiner weiß warum, aber man liebt nicht, daran er¬ näher als die letzten des gleichen Na¬
HANS VON WEBERWERLAG innert zu werden, daß die äußersten Heimlichkeiten des Leides und der Lu^f, die
man als die tiefsten Erregungen des eigenen Wesens ahnt, den einen ohne Unter¬
mens. Er verläßt sie niemals mehr und
schied gegen den anderen treffen,- man fühlt das wie einen Eingriff, w ie ein Zunahe- betreibt dort eine kleine Apotheke:
14 105 Tamar-Grillon um einen linden, be¬
schwingenden Stuhl zu erzeugen, Ab¬
sud vom Lebensbaum für kleine Mäd¬
4 chen, die in Verlegenheit geraten sind,
Blumen für Melancholiker, kleine,
primitive Stundengläser für allzu Lu¬
stige; er heilt die Seele mit hundert
Kniebeugen und den Körper durch
Zuspruch; er nennt das Lebensener¬
gien wecken. Am gröjsten ist er, wenn
er ausgelacht wird. Wenn ein Mädel
zu ihm sagt: «Sei lieb, Peter, der Ba¬
ron will heut nacht zu der Paula kom¬
men. leg dich für das einemal ins
Dienstbotenzimmer», dann geht Peter
wie der weise, gütige Elefant, wie der
ernste, nachdenkliche Tapir zu der
wunderschönen, edlen Magd und legt
sich ins Gesindebett. < Herrn es dir nur
genützt hat,» sagt er am nächsten
Mittag zu Paula. Sagt aber eine:
«Fahr ab, Peter! ein Waschlappen
bist und kein Mann!» — so rafft er still
seine Weichteile zusammen, erhebt
noch einmal den Blick und geht. Geht
und stolfjert bald wieder über sein
Seelengekröse, schleift es, hört ein Ge¬
lächter, faßt mit einer geduldigen Be¬
wegung wieder an sich und schreitet
4
weiter. Schreitet erhaben, traurig
Erstdruck der No¬
velle «Das ver¬ und lächerlich, legendenhaft und mit
zauberte Haus» in einem Gesicht ganz ähnlich dem uns-
der Zeitschrift rigen, ... ein Christus mit einem
«Hyperion» Hornkneifer.1,1
\ I.KI INK .1 MGEN

./lJexius Meinong war seit 1882


Professor für Philosophie in Graz und // /j ij
Gründer des ersten psychologischen
Laboratoriums in Österreic h.
Er bot Musil im Dezember 1908 eine
Assistentenstelle an der Universität
keth JbrJi , sß*Iv, tLthj, Jref,
Graz an. Da Musil gleichzeitig ein Ha-
bilitationsangebot der Technischen fo-i eXr/J

Hochschule München prüfte, bat er fa-r 4*^ *** ^ r>\ fUNÄ-J


zunächst um Bedenkzeit und sagte
ryui'^’ ^
schließlich Mitte Januar 1909 Mei¬ Uk^tsyi tt/f/
nong ab — die Entscheidung für eine
<-*-r /s~/ —r
Existenz als freier Schriftsteller.

18. Jänner / 909. Berlin ^'ryyry/>

H 50. Regensburgerstrasse 15. ,yßfitt 'ßß rrrVv eZ/ *


Euer Hochwohlgeboren, sehr geehr¬
ter Herr Professor. ßetfj Ayuutci-n-v ßftJVUA* /r *
Verzeihen Sie, daß ich solange meine
Antwort zurückhielt, der Grund lag in
der Schwierigkeit des Entschlusses für
ß* }'*->-* Qfln] rypi-/ Äy>irß Jt* HTyrv-K L* /(f* * * * ~
mich. Üie Angelegenheit mit München
stellte swh am Ende als ganz anders
G.y I, ft 4-pj

heraus denn zu Anfang und in der


Versprechung, ich kann mich aber
trotzdem nicht entschließen nach
Graz zu gehen. Ich möchte Sie, sehr
'4c*-sn-ßybi-/ Ah/$ c *nß{/ .'•Ji-fyJ)
geehrter Herr Professor, bitten, daß
Sie mir wirklich glauben, ich hätte es ^'rrryV^x^ a/ **«-
nicht nur als Auszeichnung sondern V
auch für meine wissenschaftliche
Weiterbildung als den denkbar grö߬
ten Gewinn betrachtet, an Ihre Seite
zu gelangen, allein meine Liebe zu
künstlerischer Literatur ist nicht ge- 1
)y?lh+++ !tj '$'>* UL4^f ^**7^ ’Y**'
ringer als die zur Wissenschaft und Alexius Meinong
0>Z~f *+•<*£ ~*n+K*+* ^
durch sie wurde die scheinbar leichte ö853-1920)
Entscheidung zu einer Lebensfrage
für mich. o
Hie ich heute die Umstände beurteile. Musi|s Ablehnung
die sich darauf beziehen, glaube ich der Assistenten-
nun der Verlockung mu h Graz zu ge- stelle in Graz

150
^^Z^CrjUc'A ^

Die Uerwirrungen
des Zöglings törlejj
t-L-l i A-Zt^C / iXc Ä-v 'fct/t^<)X

t££\+n —y/j ),

^ <-Zt< (&,y^r / ^ce 2* &

ItutZjff t^. tfy&Yfp-c*. J,


Sy &AA y<.<c< y*^yy

/ t'Vv« f-ucy^-yt-yiy*-**y &y/sjy j


Cft+1 UT»-* ; /4A^-C^/a rpyyy^y/^V

^lu^~Asflst^l tJc^cy »?W'"*V' Jf+VC tL-th'yt

U. /ys&. 6^*~Ajt (fy

hen widerstehen zu müssen. Ich bin


mir dabei bewußt, daß dieses Urteil
noch kein voll einsichtiges und defini¬
tives ist, es kann sein, daß ich es schon
in der nächsten Zeit ungeschehen
3 wissen möchte, allein ich fürchte, Ih¬
Widmung an eine rer Liebenswürdigkeit noch länger
Unbekannte von dem mit Zögern zu antworten, und halte
«Hältnichtdaswas- mich zu aufrichtiger Mitteilung ver¬
versprichter» und pflichtet.
«Gedickter» R. Musil
Indem ich Sie bitte, mir Ihr Wohlwol¬
len auch künftig zu erhalten, obgleich
ich diesmal meine Erkenntlichkeit da¬
4
für nicht genügend beweisen konnte,
Berlin, Regensbur¬
ger Str. 15, Wohnung bleibe ich in vorzüglicher Hochach¬
Musils von ca. Mai tung Ihr ergebener
1908 bis April! 909 Dr. Robert Musil'52

151
\ i:>\ )')|\i IM'I \

Es gibtei\e\ TmsFral : ich hill ih\


\ den passiv-sinnlichen nennen. Ich
habe diesen Typus mit äußerster Ein¬
dringlichkeit studiert, denn ich habe
nichts in meinem Leben an der Frau
so sehr gehaßt u'ie diesen Typus. Sein
erstes Merkmal könnte man Güte
nennen, sein zweites Schwäche. Diese
Frauen sind leicht enthusiasmirt. sie
hängen ihrem Manne an. pflegen ihn
mit Liebe. Sie sind nur ganz wider¬
standslos. »wenn der Hundskerl in ihr
Leben tritt*, wie P. [eter] /4. [Itenberg]
sagt. Das kann im Fluge gehen, wäh¬
rend einer Eisenbahnfahrt, sie sind
nachher sehr erstaunt und glauben es
selbst nicht; sie hängen dann erst
recht an ihrem Mann. Deswegen sind
sie außer im Moment der Thal fast
gar nicht zu überführen, denn sie sind
wirklich nur für Augenblicke untreu,
deswegen sind sie aber auch das, was
das Leben eines Mannes mit Zweifeln
vergiften kann wie sonst nichts. Denn
wenn man einmal dieses Mißtrauen in
eine Frau hat, ist man nicht zu heilen,
weil man nie mehr Gewißheit ge¬
winnt. Und nichts ist für einen Mann
schändlicher als die Untreue einer
solchen Frau, denn wenn eine Frau
einen jAndern liebt, wird man immer
finden, daß hier eine Konstellation,
ein Zusammenpassen zweier Seelen
bestand, das man ihr nicht bieten
konnte (trotzdem man dem Neben¬
buhler dabei überlegen sein kann),
hier aber kann man sich nur sagen:
ich war blind, daß ich das nicht frü¬
her erkannte, dumm, verächtlich.153

*Und ich habe gar kei.\e Lust oh.\e


dich zu reisen...» Seine Frau sagte
das, während sie den Tee einschenk¬
te, und sie sah dabei zu ihm herüber,
der in der Ecke des Zimmers in dem
1
Martha, für Musil
hellgeblümten Lehnstuhl saß und an
Inbegriff des
seiner Zigarette rauchte. Es war
«passiv-sinnlichen
Abend und die dunkelgrünen Jalou¬
Frauentypus».
sien blickten außen auf die Straße, in Das Selbstporträt
einer langen Reihe anderer dunkel¬ ist durch fehler¬
grüner Jalousien, von denen sie nichts hafte Restaurierung
unterschied. Hie ein Paar dunkel und teilweise verwischt
gleichmütig herabgelassener Lider und verblaßt
' verbargen sie den Glanz dieses Zim-
■ mers, in dem der Tee aus einer matten
silbernen Kanne jetzt in die Tassen
2
Robert Musil.
3 fiel mit einem leisen Klingen auf-
Zeichnung Marthas
' schlug und dann im Strahle stillzuste-
vom April 1909,
hen schien, wie eme gedrehte, durch-
Pendant zur Eingangs¬
^ sichtige Säule aus strohbraunem, szene der «Vollen¬
I leichtem Topas... ,5‘l dung der Liebe»

152
j p0) I Fa rte Loferer gfcintorge.
D ie Niederschrift der Vereinigun¬
gen» nannte Musil ein zweieinhalb¬
* CcLniMt-Ss^ieyev' r<l”-«•
t2050 “•> twij. d. L' & 0. a. y,'"<
jähriges verzweifeltes Arbeiten, wäh¬
renddessen er sich -u nichts anderem
I /-/. Zeit gönnte. Das heißt, er nahm seine
i v Manuskripte wohl auch mit in den
Urlaub — so nach Lofer im Sommer
1909. «Die Vollendung der Liebe»
\ jr*1* . und «Die Versuchung der stillen Ve¬
^oc^>y^ is o-v-v.^&77t/\oL
ronika» absorbierten ihn so, daß er
kein Tagebuch führte, nichts an äu¬
W~ra- ßeren Eindrücken festhielt. Aller¬

1£ A* . /»^U^jn < ■
dings:
Noch an seinem letzten Geburtstag,
tSlsirfrtEcrf //*-
am 6. November 1941, erinnerte sich
1~CC4sC4 tflti
Musil an eine Szene mit Martha aus
jenem Sommer:

Der Küpe mit des schharzes Zöp


fen am Fenster des Nebenzimmers
morgens in Lofer.111

Da auch Professor Alfred Musil


und seine Frau die Sommerferien in
3 Lofer verlebten, ist denkbar, daß die
Gasthof zum Bräu, Bekanntschaft Marthas mit ihren
Lofer bei Salzburg, künftigen Schwiegereltern schon im
Urlaubsort im Juli Sommer 1909 zustande kam. Earl
Dinklage berichtet darüber:
«Als diese die Sommerferien in Ober-
4 Österreich verbrachten, begab sich
Urlaubsgruß aus Martha ebenfalls dorthin und nahm
Lofer, erstes von im gleichen Gasthof Logis. Sie ver-
Robert und Martha stand es. mit Roberts Eltern bekannt
gemeinsam unter- zu werden und ihnen viele Freund-
zeichnetes Schrift- lichkeiten zu erweisen. Die gewannen
stück darauf Martha so lieb, daß sie dem
Sohn von ihrer erfreulichen Bekannt-
c Schaft berichteten. Dem war es nun

Hermine und Alfred «“ Leichte8’ darauf hinZUweisf1’


Musil (links und (laß er eben wegen dieser sympathi-
rechts außen) in der sehen Eigenschaften Martha zu seiner
Sommerfrische 1912 zukünftigen Krau erkoren habe. 1

153
\ KRKIMU N<.1 \

in ihre katholische Ehe mit Enri¬


co Marcovaldi scheiden lassen zu
können, wurde Martha sog. «Heirats¬
ungarin». d. h. sie ließ sich von einem
ungarischen Staatsbürger adoptie¬
ren. 1909/10 reiste sie daher mehr¬
mals. begleitet von Robert, in die un¬
garische Hauptstadt.

Ei.\ Sommertag in Budapest. Auf

j hartem Pflaster hastig holpernde Ha¬


gen, dazwischen leichtes Getrappel
und Gummiräder, dazwischen rat-
ternde Motocycles der Briefträger, die
die Postkasten ausheben,
Hufe — ein schaifes,
Schreie,
heftiges, ge¬
schäftsgehetztes Leben, Herr Salo¬
nion Wirz und Herr Roszenthal haben
keine Zeit aber Herr Istvan Tunicht¬
gut und Herr Joszef Habnichts haben
die Zeit und liegen in einem Torweg
auf den schattenwarmen Steinen und
der Dienstmann schläft auf der Bord¬
schwelle und die Weiber stehen und
lachen und alles mustert jeden Vor¬
übergehenden. Ein Dollarleben und
dabei doch die Zeit, Luft, Licht, Weib,
Mann, ein gutes Pferdegeschirr und
alles Auffallende zu genießen. Män¬
ner sitzen mit Tüchern in den Kaffe-
häusern. Frauen gehen im Schlafrock
über die Gasse. Tücher von einer
1 Stärke der Farbe, wie sie nicht einmal
Pariser Maler ersinnen. Ausgezeich¬
netes Schuhwerk, bei den Elegants
vielleicht etwas weniger schön, viel¬
leicht ebensoschön wie in London
oder Wien, bei den unteren Schichten
verblüffend, etwa an Italien gemah¬
nend. Viel bloße Füße. Mit oder ohne
Pantoffel. Bäuerinnen sitzen mit weit
auseinanderhängenden Beinen und
bieten Früchte feil. Jeder Murin sieht
jede Frau an, jede Frau jeden Mann.
Tausend Möglichkeiten. Nie eine
Frechheit. Die Arbeiter — im Gegen-
! satz zu Österreich — so wenig devot
• wie in Berlin, aber chevaleresk, man
wird nicht ungepöbelt. Der bekannte 1
Nationulstolz, viele Denkmäler uns Budapest,
I gleichgültiger Menschen.IV Andrässystraße

154
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ili nde Januar/Anfang Februar 1910 hy >ß{ fr-rfr^l N ftfi., ¥*. u fv^oj,
hielten sich Robert und Martha wegen Ouß fuk/fij,444 ^ fr"'.
Scheidungsangelegenheiten wieder in L*. A,' ‘ /h-i^Xh-
Roin auf. Nachdem eine gütliche I4-4« C)Lf 04 K/it+i f **-« y^~ *4,/A*»"'

finanzielle Einigung mit Enrico Mar- */


covaldi. der sich in prekären wirt¬
schaftlichen Verhältnissen befand,
1
zunächst gescheitert schien, beauf¬
tragten Robert und Martha einen De¬
tektiv, um Marcovaldi des Ehebruchs
zu überführen. Dies fand seinen Re¬
flex in der Szene mit dem Detektiv
Stader in dem Drama «Die
Schwärmer».

31. Jänner 1910.


Lieber Allesch
Wir befinden uns in vollem Kriegszu¬
stand. Nicht ohne Situationswitz; Sie
erinnern sich, daß Sgr. E. zuletzt eine
Frist bis zum 31. verlangte um sich
gütlich zu einigen. Das war - wie wir
vermutet hatten — wirklich eine List;
er benutzte die Zeit um sich mit Geld
und Advokatenratschlägen zu verse¬
hen und reiste heimlich nach Berlin,
uns zu überraschen und die Kinder zu
entführen. Das haben wir hier auf
amüsante Heisej gerade noch recht¬
zeitig erfahren um die Kinder fort¬
bringen zu lassen und die Wohnung
zu schließen. Dieweil der daneben ge¬
sprungene Löwe in Berlin ist. sitzen
wir hier in seiner Höhle und benützen
seine Abwesenheit nach Kräften. ]
Gluck im Pech, Lohn der Tugend; Brief aus dem
hätten wir nicht den H unsch gehabt Hotel Lavigne, Rom, an
uns mit Geld gütlich zu einigen, hätte Johannes von Allesch

156
uns seine Tücke vielleicht überrum¬
pelt. - (Dazu müssen Sie aber erst die
näheren Umstände wissen)
Immerhin ist die Situation recht
schwierig, der Prozeß durch Neben¬
umstände unglaublich verwickelt;
wir haben in der kurzen Zeit furcht¬
bar viel zu tun. Wir reisen sobald wir
fertig sind, vermutlich in 3 bis 4 Ta¬
gen direkt nach Berlin, es tut uns sehr
leid dadurch um das Vergnügen zu
kommen, Frl. G. zu sehen.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn
Sie mir dann ein wenig helfen wür¬
den. denn E. dürfte nicht so rasch von
Berlin fortgehen; vielleicht könnten
Sie jetzt schon durch einen Zufall er¬
fahren, wo er wohnt; aber bitte größte
Vorsicht, er ist, nach allem was ich
hier gehört habe, ungeheuer mißtrau¬
isch und gefährlich. Auch ist die Si¬
tuation noch nicht so geklärt, daß wir
für das Heitere bestimmte Beschlüsse
fassen konnten. Der seinerzeitige Ver¬
führungsplan ist gegenstandslos, wir
arbeiten hier mit Dedektiv und hoffen
auf Resultat.
Erinnern Sie sich seiner Photogra¬
phie? Er trägt jetzt einen kleinen
Spitzbart. Hauptsächliche ( harakte-
ristika: 1,75 groß, sehr stark,
schwarz stark meliert, kleiner Ihriter-
kopf und im Verhältnis grojses Ge¬
sicht, Tenorgang.
Auf Wiedersehen, allzu fröhlich
scheint es nicht zu werden.
2 Mit herzlichen Grüßen Ihr
Enrico Marcovaldi Musil1
\ I RI INKil VI N

Im Mai 1910 hielten sich Roberl und


Martha in Scheidungsangelegenhei¬
ten erneut in Rom auf.

Hill SASSEN OBEN AM PlNCIO IN JENEM


kleinen vorspringenden Geviert von
dem aus man auf die Piazza del Popo-
lo hinabblickt, dann weiter die Pia ...
entlang bis zu dem mit dem Kopf in
den Schultern steckenden Bau der
Peterskirche und endlich bis zu den
herrlichen Höhen der Pilla üoria
Pamphili. Es war Nachmittag, es war
warm, m den Straßen hatte der ■
Asphalt bereits aufzuweichen begon- Rom, Blick vom
nen und schaukelte noch lange leise P'nc'°
seekrank in der Erinnerung nach
Pom mit seinen häßlichen, flachen, n
ineinandergeschobenen Dächern war ^ D , .
Georg Bernhard,
w,e ein riesiges, mit allerhand Haren Chefredakeur der
unordentlich beladenes zitterndes «Berliner Zeitung
Schiff in einem glühenden Meer.159 am Mittag»

15«
Berliner Leitung

JAK-Mittaas

nr. 210 1 Utir


cm«« Ultffcln > Co. Brtjirtion; Berlin $0». 63 loAltrfftc M-». Oie 6 geteerten« Koionct- Jctl« 50 Pfennig. Pornigiflellen
Berliner 3eitung H*on mm IHoiiftliA I Utr* In 6eiltn frei Ini Ijfuv «uftcrDil» 7}Pfenn g;R«ki«mi>rclle! Aar*. OcfAlftilA« Inn .unOijiu4 Jdltn
Donnerstag
Kl Mr Pell Ju|cnhuoj inner Srmr®«n# »MicnillA 60 Pfennig. iperoen m i 7 Bier» »«retfwet. - Ijlegremm-noreff»: Beier Berlin,
34. Jahrgang. Bullen» 00 Pfennig. Cuueieummrr 5 Pfennig. «uBerteiP 10Pfennig. telepoon • Jenmiei uiiOcin t Ce. nmt IV. flr. n JOO »l» UUO. 8. September 1910.

Sulbtuttr g.-weftr tat SfAltatmitglitb


Das fjodttDaffer B. Z. - Depeschen. ©roiefiot Cfeto» fuubigt icpi Enlbul-
l u » g c n uh« fnltctnanlAen Oalb-
in Sdileficn. Die )agb auf Pcrfcl)(sBm. RitimoA ob-nb ttbitlt bet lütf iAc ©etlAafiet
taub in SotbtuBlonb an. Xotl |mb toufenbe
Dun Cuabtatfilomcieen bellen Salbt» an bie
-e.g««il Xt»htbcci4t) ben ©eluA be» UnterjiaaUfelittat» be» ©pcfutnnlen al» »ettlojc» Steppen-
.(•igenet StablbcMfbt) neuffetn. bet offigicfl bn» ‘Schauem bet St-
©teile«, 9. ©roiembct. (anb oe ifauft »otben. Gohloetftanbcn
Oeiertbnrg, 8. September. g etung outbtudic.
untec bet ©ebingung. bab bie ©eainlen ihren
t>» Cbet iH aud) Beule in ©ic»Iau im Jn bec Umgebung bet Oauplllabt »utbe in Bnteil an bec ©eine erhielten Xic au
3teigen begriffen. ebenfo Bic Chic. ^fad>-
f««i tl Ix gonge »aAt »inhut4 »eilet ge-
bet lebten SaAt »lebet eine » e 11 b e r •
(»cigte SnatA1 Henoeteimgung
TTTaffenunglüch auf bem ©clAarr ©ettiiigien lipcii »um gcobleii
Xeil in ben lKiniftcrien in ©cletlburg.
Kgnei teile. i|l Beute früh gtgtn 10 Ufet eine autgehoben. bic mir ben nculiA gemelbeten ©et-
sngfam« Bufflatung eingcUeicn. hu aber, to« fHaftungen in ©erbtnbung heben BuA bei bem einem Karuflell. Eine totale ©cnpaltiing bei Galber egi|tiett
taum. Ein einfaAer Galbbutcc hat Steeden
et lAeini. leibet mAt een langet Xauct (ein legt feftgenommenen Teil bet ©onbe »utbe cm untet hA. bie et im Säule eine» gangrn Jahre»
Wtfie. ba heb bet fcnnmtl (Aon »icbet Habt.
SO Kinber perletft.
läget »on ©gplofio fl offen gefunben. bar- mAt abgehen fonn ©ti bet lunglleu Xeftou-
S«t bet »beten Ober finb gelten bic Gebt« uniet g»ei ©omben. ton benen jebe ge¬ (5 ; g c n 11 X 10 h t b 11: A tl botion Kanbelt et 11A unt Summen, bie gu ben
eiebagelegt soeben, bei © lieg itt bte Cbet nug!. ein gange» fau* bem Ctbbobcn gletA tu ffaifetfflauictn, 8. September. umfalfenbften fogiotcn Selotmcn im »eilen
i«e> IA«eD im Steigen. Io bafc eine Uebet. maAes. ©tlbct »urben b t e 1 fc 1 fl ©cte Seulje be» 3aicn au»te>Aenb gcDtfcn Bäten.
©ln lAtoereff UuglHd hat flA t« beoi
flutung bet ©ctdnbet unmilielbot b«. (A»ötct fehgtnommen. Crte ©Ibetcmetier ftelguel. die bie
Mdtebt. ©ei Cppeln unb ffatibot hebt bie
tMiiljlfAe ffJteffe melbei, Ift boti ein
genge Cbetnicbetung bereitg untet Gaffet, bic Der belelbigte Botfctiafter.
mebttg gelegenen
(Iclegrapb» f Aet Senffl.)
ffaenffcll, auf bem W> aAmg «in-
bet belanbeu. etngrRUrgt. Z n m 1.
Dm Krankenlager
Ctobetelle »o« Senior fl«6 bereut Über, ffonflantlnopef. 9. 6ep!emhet. II Ae Slnier würben mehr obet mlnbrt
fiiirl. Xtt auffehenertegenbe 8®'fA<nfaD. an bem (Awet »etfeif i. Jofef Kainz’.
liebet ben fubliAcr. Xol bet JBieifct Sau¬ bet ilaliemlAe ©eifAallet Ragot be» («igenet XtahlbetiA«-!
lot unb bie ©coveinbcn Jbtano»i|. Bote Ina. % 1 a n A < » beteiligt »ar. bat hA naA einet die«. 8. ©eptembet.
Äe.'ati# u a. ging in bei JJaAt jutn Shit- XarileOung oan uallenifAet Seite fofgenbet- Drama eines Brautpaares.
mähen abgefpielr: Set italienifAe ©offAalftt («igenet X t a M b e t i A t.) Xet 3“iwnb oon Jofef Salng. bee geliern gu
eob ein harter Golfeabt uA niebet. bet unb feine ©emabl'i »oOten Ronlag abenb ben fAtimmllcn ©elotgniffen Bnlab gab, i|t heute
ha» Selens« faHioeft unlct Gaffet legte tot einet ttalienifAen tSoblfatigteitlMtitcllung bei- ©eri», 8. September
u tt D e r ä n b e r t. Jn bet SaAt mürbe bem
Cppatal bat io &cobfAü|ct Steife hott ge- mobnen. ©u tanbefen am ffat bon Jopbone in Jn einem ©eebabeotte in bec Sähe ©aiienten, Per iibet RogenbefA»etben
litten, unterhalb BltifAw'O lii bet Ufetbamin ©cgleitung be# etflen Xtagoman unb eine» Sa- Don © 01 b e a u g bat hA geüetn ein ItogifAet Hagle. Ctnbeublutentce gerctA*. worauf fiA eine
>et Cppa auf 10 Reiet ©teile getiffen unb bic maffen. um naA ©eta gu labten. X<t ffutlAet ©oifaO abgcfpitli, bet einem © r au 1 p a a r au»
be» eingigen Gagen». »elAet am ©lape wn ©elletung einffeDle unb ber fttante ein-
Blut ergeh UA >nt ©elänbt. BuA in T roplo- ben beiten ftamtlten ba» fitben gefoltcl bat. ©ot
lapbani gefunben »utbe. »eigetle fiA behart- 1A 11 e f. $eute früh erlAicnen bie behanbeln-
mg an bet ••ictteidbileben ©tenge ift «in lamm. ben Bugen Ihrer Clletn naten eint junge Xame,
liA unb mit gtofjcn Gotten, gu fahren, angeb- ben flergte ©cofcflor Xt. ©Aniblet unb
truA eingeltclca. unb bic oltetttiAKA« 8«uet- Biber!int ff a 111 < t. ein lSjabtige» ©etilion»-
IiA. »eü bie ©fetbe gu mube Boten C-t ge- Xc. Pon ©tennetbetg am Jhanfcnlager
»ehr i|t alarmiert »orbrn. um bat 9ren»gebiel ftäuleln au» bet ©tgitbungtanftol! bet ©bten-
nei fn einen ©teert mit bem Sa »affen. unb fonltaliccten, bafs bet ©ul» gegen geftetn
tu (AiiBen. ©ei Genien jingt bie Cble (tatf. legion. ein Setbab in ©efcOfAatl anbetet
nelAet Säbtl unb Sebolpct gog Xet eine fiAtbacc ©effetung aufneifr. ffaing.
ober- unb unterhalb |inb bie ffartoflel- unb UaltenilAe ©otfAoflet muhte bem ÄuilAer Xamcn unb fetten, batunlet auA ihce» ©tau- bet noA immet übet feinen 3uftonb
©tau<«fclb<t bet ©labt »eitfiin unlet Gaffet, einen ©ioShieb »ctfe|en unb Mtlegic An ligamt, eine» jungen S dt) i f f'P fAlfncid)* Polilommen im Unflaten ilt, etUärte
t.e Sellien ieeigt beule früh topibc. ho- am ffopfe. tet angefammetle ©bbel (tieb namen» Raune« Xaoib. ©logliA fanl bet bie gelttige ©AwäAe al» eine 8a,8c ber Dielen
gegen >| bie Selbe bei ©lag um S Retei Q 0 b n - unb Xtobtufe aut unb fAeie fo- junge Rann, bet offenbar einen € A ! * 9 * Rorphiumeinfptibungen unb itölltie feine Um¬
guindgcgangin. flu» Selbe leibii »itb gar: .lob ben t u 111 a ge n b en (Euro¬ o n f o 11 erlitten hatte, bor ben Bugen leinet
päern)! Xob ben ffbtiflenr Tet ©ot- gebung bannt, baf) blefe BefA»erben
*et noA »eifere» 6teigcn gemetbet ti« ©taut im Gaffet untet. bie jungt Xame
fAaftet begab hA fofotl »um Rlnlltcc bei baib behoben fein würben unb bag et fiA
Seabtdet Biele unb bie Rohre haben mefitete fAkamrn ihm naA- um ihm gu helfen,
Beuffetnunb legie eneigtf Aen © t 0 I e ff ein. bann gang wohl fühlen werbe. 3m Qormillag
CrtlAafftn unlet Gaffer gelegt, btt Rebtcftcu- b c t f a n f nber ebenlaü» ooi ben Bugen ihcet
Sifaat ©afAo gab fernem ©tbauecn Sutbcud äußerte et ben SunfA. feinen ffollegen. ben
»eibet gltiAi einem mäAtigen See Die entfebten öltein in ben gluten.
unb berfptaA b>‘ ©eftiafung bet ©Aulbigen. ©offAaufplelet ffontab 2öwe gu (eben; e*
unieten 5 tob Utile wn «A&eiing haben |d*r«t
wutbc fofort naA biefeot gcfAidl. Xen gröfjteii
grillten.
Xeil be» gtjttigeu läge» bcaAt« Saing
mebeete ©rürfe« Warb«« torggetlffen
Börfe oon beute. fAlummctnb gu. oon Seit gu 8«it geigte ein
UeuAlen feinet Bugen unb ein 24A«ln. ba»
B«b bat Ufet iff hart befAübtgt »orbin Qm
SiebctbeurtAe ©a«f Ueber la* «ctmögn Berliner Bnfangskurfe. übet feint 2ippen fjufAle. bafc tt feine nm-
Sicfeogebitge nahm bet Segen ben
ber S f 11 e« $ e le I lf 4 • f I lüt luflfofe 8.B. 7.9. f 8 9 geliung bcobaAle. Bl» 8tau ffaing fiA
Cbaraftci einet SolfenbtuArt an. bet ©ober
20aUbrlltObr
ctahilAc 3«btieBgbeieifu«8 in 3 Uh« 12Ubc ln ibe Simmet gutüdgog, flufierle et: .©retei
ubcrf4i»cmBile bic Sicherungen unb bt Jelbtc
u«> 9 eleu Sie $»±tPofliii4uhbd-ii«n haben
X*tl»«nb irt. Bie belannl. fet tenfurt et.
effnef »orten Xic elfte 0>(aii»ijereet'aom!una |in.
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©Autlung 136.6.'189 50 O retei.' &ut motgen früh <fi b't Bnfunft
hA behtnt bemüht!, bie regulierter Gafft il Auf« bei am d Cfwf« liali XuC Unternehmen iff eine Xtl4. ©C 2W.87
ör.ecit. 18fl.0U 1*0.12 feiner Gti«t»oA»e* Wojn ©übtet |ig-
'ebenen beheutenb ntefct Gaffet auf all fiubet.
3m ©eget Gitfengrunb ba! et j®«i tage um
bet ccrfenltAen ©rimfungen te# ©anfleiC Chm.
bet i« bie (belcil!4a!i tm ©min mit onteren ©tun-
Xrt»e. et 168.70 108^1
(Ur.b -©if. 18M.M iß». 2«
XarmtL«f. lal.12 I8I.00
4
$# fabn
t<ade!|ah;t
— 1122.00
144.12144.12
naf ifiert.
ualrtlitoAen geregnet, fo ba(j bie 5upa btru betn bat ©erftriluiTjCgebeimnil füt bt« Robnfation 21cSh 11UA7 110 *7
krticl Reiet beA gelegen ift. Jjmei Arbeitet luhlrlet c,aht|4et hahtitugteceiUnj anp ©ahn!-
fffalu natht 124.25 124.24
4>anfj 176,37 179 12
Die Krankli«ttsge|d)ld)te.
Gom.-2ictll3.UU 118.00
Butte« Mn ben fluten tätigenden. fic fonnlm •mreieungen emhrodte nn» hietlflr 84 allein bie 64ao|lb. 1M.UU 144.00 Ttnamlt 18437182 60 Uebet bic ÄtemtbeutgefAiAl* be» Äünfilet»
©ante ’iftlenfapitalC oon IV» 3Kifl R uhenoiel. »uff eanr 103.87 im.*; ©«bumet 236.12 280 *7 gibt unftt Gien et ff 0 1111 p 0 n b en l fof-
>iA obet teilen. Ja ttaulenau mutt« b:t Seht
b-e gang« ffoAl «ufblcibcn. pur Einbringung een ©tuneftflden u XüfleUecf et-
hielt et »titere 120 Bftien. irihimh btt ©eleül4olt
©el^Jnl.e. 202.00 202.60
3fc*.-7ln!. a^37 *8,87
Xortmunh.
Sa. Stahl
09,26 99 50
177.75 177 88 genOe guiammenialienbe XatfleBung. D a sich die Heiratspläne allmäh¬
tie ha tauf rubenbtn OnMtbefen een 190 OCO SMatf 1902 Sufi lri«2 98.00 ©Oinig 236.75 289,87 Bm lü. Rai begat» |>A Jojeph »amg. bec
Die IDcftersataflropI)« in nMfyren. über nahm 3« fern HuHidtCtal Ift ©el<0<»a|l »Oien i . -; Jap »7.87 —
©uen.flu. 70 87 71.1t
Sfinhafrr
Cherhtbatf
188.50 1(6*76
111,00,116.82
|Aon feit Jahren an XatmbelAw.t- lich konkretisierten, wurde die Grün¬
augrr tem ©anfir: Chm neA inrhrcie BulfiAtCrat«- Zürfeule'e 182,25 1*8.00 Gera 101.25 lob 87 ben lut. abet liog oieltaAen 8>*tcbcnl fein«
©bleu, 1 September Iia fairerungen,
DtlAe bie GelfetfaiaftiMben in Ratten an-
miljliettt brr Sieb«teullAen ©onf tertrtlen. Xie
©eifU'dsH hat im elften ©ffthi'titobi nm 0601 iü
Unif. Züit
fuhtd 184.75 —
©cheol.Q. 210.OO 21b 76 Jteunbc HA 111A1 enilAlitfc*« fonnie. eine»
dung einer bürgerlichen Existenz für
gc rufet et Kober, hnb no-ti »l«I « taget alt
«r|ffi*mmr« »urbe Jn vielen C tMiHca finb
ruh im geeite« ©e^lfltiaht mit bC 100 R Setlu't
ebgHAloWtn.
Biaiijcfen 180 0
, i»
kemfattrn 21.50 —
XtlA.-tu;.
tai.rah utit
«tlfenlirg.
209.37 206.75
177.12 177.12
215.50 218,00
Bim gu lonfullietcn. au* ben Sal be» ©urg-
Iheattiorgic» Xt o. ©tennetbetg in ba» Sara-

u»«t 100 Raufet gcrgfM«|l; bie Xireftrr C*m ren bet S1 e b c e b e u 11 4 e» ©iimncit 104.fi >100« ^arpentt 199,00 199.67 toe-um l'uir. wo et am iiebenlen Tage noA
feinet llebertuhtung oon ©toftfict 3A">bl«
Robert Musil unumgänglich. Der Vä¬
Ganata 101.25,191.7* «L’g. G.-0. 2*412 2*4.25
Job! bet C 111 n u f e n e n iU f 181 fl t« 5. ©on* in wie uni ci« ©iioafletegiamm «leitet, et- ©»nn'olo. —I —,- SAu.tert 166.25 18*, <i opecieii luiitbe. M fo*®»*- *'n«
?» abet ta» Ga**et »egi «u »allen b.-.' twi.
b c flt.'Bie Ocfa.it alt betätigt,
franft Cr labt fub rnUu'-g mdt mehr eeciirbmc«
»ot bar ton tlntrt'ud .iug»rt>irr «rllarl rt In brr-
Rlilleimrer —|
Wtilficnal 133.37 —
S.u (’a!*fe
J.Uehtriei
258.12 259,25
l*5.5u l*5.5u
roliuaiibige ©cfeinguug bet ttftanfien Xatm- ter dachte an eine Stellung in Wien —
jieUen ni.t'l ungluh fet. eifonnle auA ben b6»-
«.! .-r-ir'ojnni laft r. fen ©e nehmnn-jeu ;ut<cil ♦«Ui 147.50. liIiflt.Ur.t 1T0.5U 176 62
m#l mehr (rlaen l.-nne — Ta# Bufftdl.MltinilginO bi4t|^.S 19?. 75 189,87 CruihSi'i", 182.50 1*2,87 artigen 0 waHer Ni fltanfheit. tnifAlofi UA
j,-bo.ii \u eines Cpctaiwu. um ffaing »emgffeng
der Sohn wollte lieber in Berlin blei¬
Der KorruptlonstwnD rn wieJecbrutideB thi»f. Rai »eg in Tetlmuub.
not: te*‘<>i Bttinfgen ta< ffoafnitrcrtahieii tW'iut fut eniii. 8c" ßrlciAietuiig gu oetfAafftij.
ber IDalbrenrüfler. 9t*.
i**. t:i!t etnen S*«*3**trl,f|* fl,; T‘e Uilruilm" » m m ©o»f reu l? Seltuv.-irtär.. ft Wrtibt ÄBtnj fuwehl n!» auA ben und erwog die Gründung einer
(eigene t Stobfbtti Al.l «eie reu einn ji t.mi.rvi-uju dbirhrn <-11: x ben wahren Cfhntafiet br»
; EeMmai • . *'«:»>. 1 .,-.11« U AI unten »lei. llnb ba fein fub-
Oeieetbnrg. ff. arpttmbt:.
©«■bare. ■ !» <©crunmclbtiI4t.l *offe#
v.v'0-'Aihm ;.fci‘fii» v. .. -aa*i-
I».'lu|ji:,tl •" 1«*.« al. A. I • i-., f • rjtn Iid' tfltfuAliift Ul bet eigenen Zeitschrift «Das Pasquill»
»ft ti jeM le*u Tag. *K»r ><••; fü un.
4«r» 5mui Cnuel xi Een «4.1. hi legt R in IM Mül v RpffR .. - SW . ! m.‘»!c ci ji^fli ©tajelle
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oder einen Kritiker-Posten beüu
M-Oubij: »nb. ben Xitviintunern «»•äs«#»tftt KuVni • fltttui.i I. ViiCuti »all! tliilfr« <.!«<• -• t- - -• r.-.
."Hl rtroJiiie«’ cm ll'anci. rtel an Bor» firtuta en • .1 ■ efTti'f« Sr: ■ -m) C'i X i •* '«»ritfa.fl lurtt tflOliO flüujlig;
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1 i.rnijeu B'.iftcn bete-li fcnnle «ning bn» Feuilleton der «Berliner Zeitung am
in 'lanaf!• Bl»i| ll/ji. per Jfc« II*”* .. P»t
ir> St |ini •«» te bet ti» itf S »ug U.K . flau i.f-ie- . im 1 rli-ii.u . ai.f ber Semmtt'"g
lalatibnlcni.il »ut bc Pein*» ra«-*r. Tort tw'aiib flA Ht Sunhlrt geil- Mittag», deren Chefredakteur Georg
Bernhard war.
3
8. September [1910] [...] bei
Bernhard gewesen. Nichts; liebens¬
würdige Ausreden.
Ich glaube das — Lustrum heißt es
wohl—1905-1910 schließt mit einem
Defizit an erreichten Zielen ab. 1905
noch der Törless, 1910 nichts, Hien
Beamtenkarriere. Welche Hoffnun¬
gen haben sich mir als nicht realisier¬
bar erwiesen! (Martha gehört nicht in
diese Rechnung, sie ist nichts, das ich
3 gewonnen, erreicht habe, sie ist etwas
«Berliner Zeitung das ich geworden bin und das ich ge-
am Mittag» vom worden ist., davon spreche ich
8. September 1910 nicht)160

159
vi:>\ m\i m i \

D urch Vermittlung des Vaters er¬


hielt Musil vorn 1. März 1911 an eine
Stelle als «nichtadjustierter Prakti¬
kant an der Bibliothek» der Techni¬
schen Hochschule, \\ ien.
Als er sich Mitte September 1910 in
Wien vorstellte, besuchte er auch
Gustav Donath und erfuhr Näheres
über die schwere psychische Erkran¬
kung Alice Donaths, der Clarisse im
«Mann ohne Eigenschaften», und be¬
schloß. auf ihren Spuren nach Vene¬
dig zu fahren.

./\jice Donath hatte sich in Dresden


zunächst einer Mastkur unterzogen,
die ihren labilen seelischen Zustand
freilich nicht stabilisierte. Sie geriet in
eine Psychose und verliebte sich in
einen homosexuellen Griechen.

Alice hah dem .Griechem; bei Lah


marin. Sie zeigte ihn Gustl ...] Dann
hörte sie im Vorbeigehn wie der Grie¬
che einer Dame sagte: ein Mensch,
der so viel gereist ist, vermag über¬
haupt nicht eine Frau zu lieben. Am

i
gleichen Abend schrieb sie ihm einen
Brief. Ungefähr so: Ich bin die einzige
Frau, die Sie lieben werden. Am näch¬
sten Tag brachte er ihr den Brief zu¬
rück. Ich glaube, sie machte ihm so-
fort einen Antrag und wurde aggres¬
siv. Sie hatte von ihm das Gefühl einer
ungeheuren Reinheit. Auch bei allen
Unanständigkeiten, die sie tat, hatte
sie das Gefühl sehr reiner Hand¬
lungen,lbl

Sie fährt mach Wien. Verbringt ein


paar Tage mit Gustl und Klages. Hat
schon ein Gefühl ihrer Mission und
Göttlichkeit, D. h. Gustl und Klages
erscheinen ihr wie zu ihrem Gebrauch
da. Gustl bringt sie unter einem Vor¬
1
wand zum Nervenarzt; am Abend im
Wien, Technische
I Gasthaus gibt sie vor auf die Toilette Hochschule
zu gehen, nimmt einen Hägen und
fährt zur Bahn Im Spiegel er¬
kennt sie sich mit klarem sinnlichen 2
, Eindruck bald als weiße Teufelin, Sanatorium Lah-
bald als blutrote Madonna. In Mün¬ mann, Dresden

chen wohnt sie luxuriös in den Vier


Jahreszeiten, raucht den ganzen Tag,
3
trinkt Cognac und schwarzen Kaffee
Alice Donath (sit¬
und schreibt Briefe und Tele¬ zend) mit ihrer
gramme. Ib2 Schwester Lilly

160
Dann will sie nach Griechenland.
via Venedig—Triest. In Venedig führt
sie das gleiche Leben wie in München.
Nur bemalt sie die Heinde ihres Zim¬
mers; hat dabei das Gefühl: in hun¬
dert Jahren werden die Menschen vor
diesen Zeichnungen und Aufschriften
4 stehn. Verteilt Geld usw. Löst sich ein
Casa Petrarca, Schiffsbillet. Nimmt ihre Bettdecke
Venedig, veneziani¬
und ein zu einem Turban gedrehtes
sches Domizil Alice
Tuch mit an Bord, als ihre kaiserliche
Donaths während
Ausstattung. Ihre Zimmerwirtin lockt
ihrer Psychose
sie mit der Fiktion eines Telegramms
zurück. Sie hat schon nicht mehr die
5 Kraft zu der Reise. Dann kommt die
Blick auf den Mar¬ Gondelfahrt. Im Spital wird sie sofort
kusplatz, Venedig angeschnallt....163

161
\ ERKIMCl \(.l \

21. September [1910], Lido.


Das Hospital in das Alice gebracht
wurde, liegt beim Colleoni. Sie verteil¬
te ihren Schmuck an die Wärterinnen,
die ihn nahmen. Man schnallte sie am
Bett fest, sie weinte. Die Wärterinnen
sagten poveretto. Aus der Pension
holte sie ein Herr zu einer Gondel¬
fahrt vor der Abreise ab. Sie hatte in
der Gondel das Gefühl, daß er sich vor
ihr scheute. Sie fixierte ihn [...] Bei
der Kirche sagte er: wollen wir nicht 1
vorher noch hier rechts hereingehen, Ospedale civile
es ist etwas Schönes. Ls kam ihr wohl beim Colleoni-
Denkmal, Venedig
verdächtig vor aber [...] die Verdäch¬
tigkeit [...] pausierte nicht. Über¬
haupt mit Alicens Augen gesehen, ist
2
Mahnsinn vielleicht bloß das Heraus¬
Säulengang im
fallen aus der allgemeinen Causie- Ospedale civile,
Venedig

162
163
\ i m iMi.i m.i \

_L austinus Charlemont. der Bruder


Alice Donaths, war von Beruf Arzt.
Kr brachte sie von Venedig in die
Psvchiatrische Klinik nach München
zu Prof. Emil Kraepelin. — Im «Mann
ohne Eigenschaften» nennt Musil
Faustinus Siegmund.

D
x rofessor Emil Kraepelin galt zu
' seiner Zeit als einer der führenden
Psychiater Deutschlands.
Er war Schüler Wilhelm Wundts und
Begründer der Pharmakopsycholo-
gie. Er unterschied bei Psvchosen De¬
mentia praecox (Schizophrenie) und
manisch-depressives Irresein.

In München, als ihr [Alice] ihre


Situation aufdämmert, ist das erste
der feste Entschluß um jeden Preis
sobald als möglich wieder herauszu¬
kommen [...] Auf Rat der Arzte be¬
schäftigt sie sich viel mit sich selbst
und schreibt. Es entgeht ihr nicht,
daß und warum die Arzte Wert darauf
legen, sie mit Gustl wieder zusam¬
menzubringen. 160

Bei Kräpeun dann lässt ihr Gustl 1


sagen, daß er sich trennen lassen Faustinus
wird. Ion da an ist sie ihm ergeben. Charlemont
... I ngeheure Ernüchterungen; tie- (1878-1957),
risch, wie er sagt, diese rasende Sinn- ^er ®rut^er Alice
lichkeit über einem geisteskranken ona* 5
Körper. Alice tut ihm sehr leid. Er
weiß noch nicht, wie ersieh ihr gegen- 2
über verhalten wird. Wahrscheinlich Professor
bringt ihr nächster infall die völlige Emil Kraepelin
Loslösung.' r"‘ (1856-1926)

lf>4
*P//v
K. Psychiatrische Klinik München.

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Alter Jahre i «r <» <> am Z/>«J lg£}\
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He* htfliirunK CL44^^y °
St .i d ledig, verheiratet, verwindet, iteechieden. Kinder (davon *
A u « ajj m e E n t Ia h »u n k /«ach
Aufnahme Entlassung
i twlcr V Vhi A *> >>*-<
Das Krankenblatt der Psychiatri-
schen Klinik München für Alice Do¬
K r ii 11 c h k 911 /fa'Ju. iofa+t<A4it C/ßso/Zti, fZn* /■■+
> */ nath vom 20. Mai bis •+. August 1910
\ n il e r e Ursachen enthält die Diagnose: Manisch-de¬
pressives Irresein.
Unter der Rubrik «Vorgeschichte. Be¬
fund bei Aufnahme und Verlauf» ist
festgehalten:
«Als Kind von 10 Jahren von einem
Schulknaben manuell mißbraucht.
Darauf führt P. [atientin ] die Entste¬
hung ihrer nervösen Symptome zu¬
rück. Unverträglichkeit mit Mutter
Abneigung gegen Fleischnahrung.
Mit 19 Jahren: Tendenz zum Fortlau¬
fen, Fügenhaftigkeit, Nahrungsver¬
weigerung mit kleinlicher Nahrungs¬
Anatomteche Diagnose Foremiecb
aufnahme. Mit 22 Jahren Heirat:
Keine sexuelle Befriedigung bei sinn¬
licher Veranlagung infolge Vaginis¬
mus, Zuneigung zu fremden Män¬
3
nern.
Abneigung gegen Ehemann. In den
letzten 2 Jahren musikalische] Stu¬
dien (Staatsprüfung). Aß nicht viel
um denken zu können. Entwicklung
allgemeiner Nervosität (schlechter
Schlaf, Reizbarkeit, vertrug keinen
Widerspruch mehr) glaubte homo¬
sexuell zu sein, ihre ganze Umgebung
sei homosexuell. Geld sei Ursprung
alles Bösen, verteilte unsinnige Trink¬
gelder. Behauptete, sie könne den
Teufel austreiben. Religiöse abenteu¬
erliche Vorstellungen. Weinkrämpfe.
Sehr empfindsam, geistig sehr rege.
Ausgesprochener Rededrang, geho¬
bene Stimmung. Produktion aben¬
teuerlich-phantastischer Vorstellun¬
gen über Homosexualität und deren
Beziehung zu Christus und Maria.
Teufelsbesessenheit, Vegetarismus.
Erhöhte Ablenkbarkeit, übertrieben
ausdrucksvolle Mimik. Mangel des
Gefühls für Dezenz. Neigung zu idea¬
listisch) = «mystisch) = «symboli¬
schen) Tendenzen. Stimmung leicht
erotisch gefärbt.
3
Krankenblatt der Rachenreflex fehlt. Tachykardie. Im
Psychiatrischen Bad sehr erregt, spricht nackt über
Klinik München für die Schönheit des Leibes.
Alice Donath 2. VI. ruhiger.»

165
\ I REINlGl NCI N

M usil nutzte seinen wohl mehrwö¬


chigen Aufenthalt auf dem Lido vom
21. September 1910 an zu Fahrten
auf die vorgelagerten Inseln, von de¬
nen er eine in den Entwürfen zum
«Mann ohne Eigenschaften» als «In¬
sel der Gesundheit» beschrieb. Der
Aufenthalt des Romanhelden auf die¬
ser Insel in Gemeinschaft mit Clarisse
ist allerdings fiktiv.

[...] als er mit Clarisse zusammen-


getroffen war, fanden sie in der Nähe
der Küste einen schönen Ort. Es war
eine kleine, dem Festland nah vorge¬
lagerte Insel, die ein altes halb aufge¬
lassenes Fort trug, und vor diese Insel
geschoben lag noch eine riesige Sand¬
bank mit Bäumen und Sträuchern,
die wie eine große leere zweite Insel
war, die ihnen allein gehörte. Man
schien ihrer Beständigkeit nicht ge¬
traut zu haben, denn es waren keiner¬
lei Zeichen von Ansiedlung oder Be¬
sitzverteilung auf ihr zu sehn. [...]
Ungefesselt lebten Wind, Wellen, wei¬
ßer Sand, spitze Gräser und aller¬
hand kleine Tiere beisammen; so leer
und stark war hier der Zusammen¬
klang des Lebens als ob man Blech¬
becken auf einanderschlüge.
[...] Anders taufte sie Die Insel der
Gesundheit, weil jeder Wahnsinnsan¬
fall darauf hell wurde vor diesem
dunklen Hintergrund. [...] Wenn sie
von der Insel der Gesundheit auf ihre 1
Höhninsel zurückblickten, stand sie Venedig, Lido
mit ihren Kanonen, Scharten, Ba¬
stionskämmen, Häuschen und Bäu¬
men da wie ein geöffneter, zahnläcki-
2
Pension Corne
ger, verwackelter dunkler, irrsinniger
d'Orauf dem Lido,
Mund, und wenn sie von dort auf das
venezianisches
Eiland blickten, schwebte es in der
Domizil Roberts
Luft als wäre es bloß eine Spiege¬ und Marthas im
lung. September 1910

106
C^a. Oktober—November 1910 hiel¬
ten sich Robert und Martha wegen der
Scheidung noch einmal in Budapest
auf. Anschließend fuhren sie per
Bahn nach Fiume und von dort per
Dampfer nach Ancona.

Morgens in Budapest. Unterredung


mit einem Advokaten. Der Platz vor
dem Parlament: Wie dünne Eisplat¬
ten zerbricht etwas unter den Füßen;
Windstöße fegen ihn von Menschen
leer [.. .]168

In Fiume Regen, Sturm. Ein Mensch


auf der Bahn sagt, der Dampfer ist
schon morgens weg; ein anderer: er
wird noch da sein. Weg über den Ha¬
fenplatz: der Sturm dreht den Schirm
um — Lachen auf den Steinplatten,
der Regen durchnäßt die Kleider so,
daß man in Halbschuhen durch¬
watet.
Spaziergang in Sonnenschein, Pal¬
men, wie ein Band in Schleifen geleg¬
ter Straße.169

Überfahrt. Seekrankheit. Auf-


schießendes Bewußtsein einer fürch¬
terlichen Leidenschaft zueinander,
weil man sich so sieht, erträgt, zuge¬
hörig fühlt mit aufgerissenem Mund,
erbrechend. Das ganze Schiff eine
Orgie.170

Die Erinnerung an Ancona hob sich


heraus. [...]
Sie waren todmüde gekommen und
mußten schlafen. Sie trafen am frü¬
hen Vormittag ein und verlangten
Betten. Aßen Zabaglione im Bett und
tranken starken Kaffee, dessen
Schwere durch den Schaum gespru¬
delten Gelbeis wie in die Himmel ge¬
hoben war. Ruhten, träumten. Wenn
sie eingeschlafen waren, schien ihnen
3 jedesmal, daß die weißen Gardinen
Budapest, Platz vor vor den Fenstern in einem bezaubern¬
dem Parlament den Strömen erquickender Luft sich
hoben und senkten; das waren ihre
Atemzüge. Wenn sie erwachten, sa¬
4
hen sie zwischen den sich öffnenden
Fiume, Hafen
Spalten erzblaues Meer, und die roten
und gelben Segel der aus dem Hafen
5 oder einfahrenden Barken waren
Ancona, Hafen schrill wie dahinschwebende Pfiffe.1 1

167
\ n\ m\rm i \

IVl itte November 1910 trafen Ro¬


bert und Martha in Rom ein und blie¬
ben rund fünf Wochen. Am 18. No¬
vember beendete Musil «Die Vollen¬
dung der Liebe». Bis zum 11. Januar
1911 arbeitete er noch an der letzten
Fassung der «Versuchung der stillen
Veronika». Die Wochen in Rom nutz¬
te er auch, um mit quasi pathologi¬
schem Blick Material für Roman-Ka¬
pitel über Clarissens Wahnsinn zu
sammeln, wobei Alice Donath wäh¬
rend direr Psychose vom Mai 1910
nicht nach Rom gekommen war.

Alle Eindrücke, die Clarisse in


Rom empfing, ordnete sie der kühnen,
brennenden Farbe Rot unter. Heim
sie sich ihrer Erlebnisse im Sanato¬ i

rium erinnerte, so war sie aus einem


wässrigen Grün, einer zur Gegenwart
gehörenden Farbe, der Farbe des
deutschen Haides, in dieses Rot ge¬
kommen, das das Rot der Prozessio¬
nen in ihrer Phantasie gewesen war
[•••] _

Dabei begegnete es ihr, daß sie bei


einem Streifzug durch die Paläste
Roms das wundervolle, ganz rote
Bildnis Innozenz X von Velasquez
sah; der Anblick schlug wie ein Blitz
durch sie hindurch. Nun war ihr klar,
daß diese lodernde Farbe des Lebens,
1
I Rot, zugleich die Farbe jenes Chri¬
Porträt I nnozenz' X.
stentums war, das, nach Nietzsches
von Veläzquez in
Hört, dem antiken Eros Gift zu trin¬ derGalleria Doria,
ken gegeben hat [...]* 2 Rom

168
I^obert und Martha Musil blieben
bis zum 21. Dezember 1910 in Rom.
waren am 22. und 23. Dezember in
Florenz, trafen dort mit Familie Blei
zusammen, waren den 24. Dezember
auf der Eisenbahn und trafen am 25.
Dezember 1910 in Wien ein, wo sie in
der Pension Seleschan abstiegen.
Wahrscheinlich sah Musil bei seinem
Florenzer Aufenthalt Michelangelos
Mediceer-Grab. Er spielte später in
seiner Novelle «Grigia» darauf an:

Wenn Homo, um sie zu suchen, oben


die lange Reihe von Heuhaufen ent¬
langging, welche die Bäuerinnen auf
2 der ebenen Stufe des Hangs errichtet
Michelangelos
hatten, ruhten sie gerade: da konnte
Mediceer-Grab in
er sich kaum fassen, denn sie lagen
Florenz
auf ihren Heuhügeln wie Michel An-
gelos Statuen in der Mediceerkapelle
3 zu Florenz, einen Arm mit dem Kopf
Ehepaar Blei mit aufgestützt und den Leib wie in einer
Tochter Sibylle Strömung ruhend.1 !

169
\ ERKINICl NGLN

30. Jänner. [1911]. Unser Leben


ist sehr sonderbar und schön; es hat
etwas neblig-schlafend Gleitendes,
mit einer unwirklichen völlig stillen
Helligkeit von innen.
Wir verkehren mit niemandem. (Gustl
und Alice lassen es an jenem Mini¬
mum konventioneller Höflichkeit feh¬
len, das nötig wäre; wir haben Zeit,
kein Bedürfnis, wir erwägen, daß ich
vielleicht irgendwann einmalzu Gustl
gehen werde und ihm das sagen.) Wir
gehen vormittags ein bis zwei Stun¬
den mit den Kindern spazieren,
abends meist noch etwas allein. Die
Kinder wirken so wie kleine häklichte
Dinge in diesem kaum transparenten
sanften Gewirr unseres Lebens.1 4

M arthas Kinder als Bestandteil


des neuen gemeinsamen Lebens spie¬
len auch in die Werke Musils aus jener
Zeit hinein. Gaetano taucht in den
Entwürfen zu dem Drama «Die
Schwärmer» als Tino auf, und Anni-
nas Spuren finden sich in der Novelle
»Die Vollendung der Liebe». Die
Tochter der 1 leldin Claudine nennt
Musil Lilli. Im Text heißt es:

Dieses Kind stammte a us ihrer ersten


Ehe, aber sein Vater war ein amerika¬
nischer Zahnarzt, den Claudine —
während eines Landaufenthaltes von
Schmerzen gepeinigt — aufgesucht
hatte. Sie hatte damals vergeblich auf
den Besuch eines Freundes gewartet,
dessen Eintreffen sich über alle Ge¬
duld hinaus verzögerte, und in einer
eigentümlichen Trunkenheit von Ar-
' ger, Schmerzen, Äther und dem run¬
den weißen Gesicht des Dentisten,
das sie durch Tage beständig über
dem ihren schweben sah, war es ge¬
schehen. Es erwachte niemals das Ge¬
wissen in ihr wegen dieses Vorfalls,
j noch wegen irgendeines jenes ersten,
verlorenen Teils ihres Lebens; als sie
nach mehreren Wochen noch einmal
; zur Nachbehandlung kommen mu߬
te, ließ sie sich von ihrem Stubenmäd¬
chen begleiten und damit war das Er-
j lebnis für sie beendet; es blieb nichts 1
Gaetano Marcovaldi
davon als die Erinnerung an eine son¬
(1898-1977)
derbare Wolke von Empfindungen,
die sie eine Weile wie ein plötzlich
< über den Kopf geworfener Mantel ver- 2
| wirrt und erregt hatte und dann rasch Annina Marcovaldi
zu Boden geglitten war.' 5 (1903-57)

170
'

Vater des Kindes scheint ein Zahn¬


arzt namens Mario Rosati aus Mon¬
taione bei Florenz gewesen zu sein,
den Martha, während eines Aufent¬
halts in der Villa California bei
Verwandten, aufsuchte. Ein großes
Akt-Selbstporträt von ihr trägt die
Widmung «Al amico Mario Rosati
con affetto».
Musil verwendete Affären und Be-
kanntschaften seiner Frau mitunter
völlig ungeniert. Dann wieder ver¬
wischte er die Spuren, um nicht juri¬
stisch belangt zu werden. So war der
perverse Lüstling in der «Vollendung
der Liebe» laut Text eine Figur aus
einem Buch. Laut Marthas eigenem
Zeugnis war Vorbild jenes G., der
Kinder verführt und junge Frauen
verleitet, «sich selbst zu schänden»,
ein gewisser Alessandro Giongo aus
Thiene, ein Trivialschriftsteller und
Lokalhistoriker, den man gelegent¬
lich in Rom und Lavarone traf und
den Musil haßte.
In der «Vollendung der Liebe» heißt
es über ihn:

f. ..ER TUT SEINEN OPFERN SCHLECHT,

weh. er muß wissen, daß er sie demo¬


ralisiert, ihre Sinnlichkeit verstört
und in eine Bewegung bringt, die nie
mehr an einem Ziel wird ruhen kön¬
nen; .. und dennoch, es ist, als ob
3
Villa California in
man ihn dabei lächeln sähe, ... ganz
Montaione bei weich und bleich im Gesicht, ganz
Florenz, während wehmütig und doch entschlossen, voll
ihrer italienischen Zärtlichkeit; .. mit einem Lächeln,
Jahre häufiger Land¬ das voll Zärtlichkeit über ihm und sei¬
aufenthalt Marthas nem Opfer schwebt, .. wie ein Regen¬
tag über dem Land, der Himmel
schickt ihn, es ist nicht zu fassen, in
4 seiner Wehmut liegt alle Entschuldi¬
Alessandro Giongo
gung, in dem Fühlen, mit dem er die
(1846-1944), Vorbild
des perversen G.
Zerstörung begleitet... Ist nicht jedes
in der «Vollendung Gehirn etwas Einsames und Allei-
der Liebe»

171
\ i:>\ i )i\i im i \

Im Frühjahr 1911 war die Schei¬


dung Marthas vollzogen, so daß sie
und Robert heiraten konnten. Die
Vermählungsanzeige ist, rätselhaf¬
terweise, mit «Dresden im April
1911» datiert, die kirchliche Trauung
fand nach dem Übertritt beider Part¬
ner zum evangelischen Glauben in
der Kapelle Schützengasse 13, W ien II.,
statt. SronUnb Kicbmtflmridi.
Vom 1. März bis 31. Dezember 1911 #
war Musil «nichtadjustierter Prakti¬
Cramtmiö-Siljein.
kant», anschließend Bibliothekar
zweiter Klasse, Beamter mit einem
Gehalt von 4000 Kronen im Jahr.
Äuajuij au» btm Cranunöeburfjec bev eoanpel. JPfarrtfcmnnDc
otv euanprl. Pfarrperannbt Äuoab.
Jäuaeb. Brhtnntit.
Prl in
Musil war sehr ungern Bibliothekar,
ü Sdf] l
vor allem weil er sich durch den
Barne beo CrAiwitbcn
Dienst gehindert fühlte, an seinem Btf hei- Ct.tumtu
1
Drama zu arbeiten, das zunächst den
rir
\
Titel «Die Anarchisten», später «Die
Schwärmer» trug.
Um den 16. April notiert er im Tage¬
buch:
Wut
/
^ tWWßtÄtJ Zf///

•Utut unb Beruf’ Eltern


. ifft

Ostern. Ich gehe ungefähr seit 3


Wochen in die Bibliothek. Unerträg-
lich. mörderisch (allzu erträglich, so¬ ALujit
lange man dort ist) ich werde wieder
austreten und ins Ungewisse hinein¬
steuern}

Am 23. Mai 1911 im Tagebuch die


Notiz: 1
Prof. Paul Ehrlich
mit seinem Assi¬
Täglich Überlegungen, hin. her.
stenten Hata, Erfin¬
zerreibend wegen Bibliothek. Es ist
der des Salvarsan,
wohl sicher, daß ich weggehe.1 8
des ersten Heilmit¬
tels gegen Lues

V. der Hochzeit unterzog sich Mu¬


sil wegen seiner rund zehn Jahre zu¬ 2 ent .
rückliegenden luetischen Infektion Trauschein
einer Wassermann’schen Probe. Sie für Robert und
Uckunb ötfftn Mt ur Htdje Jtrtijjung.
fiel negativ aus. Dennoch fürchtete Martha Musil
PfAtramt öer eüanuel. ikeittbe Rituell. Brhenntn.
Musil, wie Nietzsche an Paralyse zu
erkranken. in absehbarer Zeit //J~. Siehst
3 t®i(n, «in m//
schlecht sterbe1 zu müssen, weil
Bibliothek der
das Salvarsan für ihn zu spät ent¬ Technischen Hoch¬ (* miwnf
wickelt wordeti war. schule, Wien k» A.C. •>

172
3

173
\ KRKINICl N(.l \

Da der «Wiener Verlag», der die


«Verwirrungen des Zöglings Törleß»
1906 veröffentlicht hatte, inzwischen
bankrott war, brauchte Musil für die
«Vereinigungen» wie für den Erstling
einen neuen Verleger. Er fand ihn in
Ceorg Müller, München.
Die Beziehung zu dun stellte offenbar
Franz Blei her. Als Midier Bedenken
äußerte, die «Vereinigungen» seien
für das Publikum schwer verständ¬
lich, antwortete Musil:

Sei in geehrter Herr Miller.


Im Allgemeinen lege ich Ihren Beden¬
ken gewiß Wert bei und
Schwer verständlich zu sein, ist auch
in meinen Augen kein Vorzug, ängst¬
lich bin ich darin aber auch nicht und
den Lesern ein wenig im Magen liegen
zu bleiben — nun den Weg über den
Magen ins Herz hat auch schon man¬
che Kunst nicht ohne Nutzen einge¬
schlagen.
Ich danke Ihnen verbindlichst für Ihre
Anregung; ich werde ihr mit größter
Willigkeit nachgehen. Wäre es Ihnen
angenehm, mir Ihre Ansicht an Ort
und Stelle in den Korrekturen selbst
anzudeuten?Es würden vielleicht ein,
zwei solcher Stellen genügen, viel¬
leicht schon die bloße Bezeichnung
solcher Stellen. Nur dürften Sie es mir
nicht übel nehmen, falls ich dennoch
aus meiner Fassung nicht heraus kön¬
nen sollte. Denn da gibt’s eben Für
und Wider.
Wäre es möglich, den Druck so einzu¬
richten, daß ich 14 Tage lang jede
Novelle ganz zur Verfügung habe und
sie dann erst — fertig korrigiert — zu¬
rücksende? Fs wäre vorteilhaft für die
eventuellen Änderungen. (Während
'
die erste \oveile lagert, könnte aber i
zur Korrektur Georg Müller
(1877-1915),
ts ergebener Musils Verleger
bert Musilm 1911 bis 1913

174
In einer Anzeige im Anhang der
zweiten Auflage des «Törleß». deren
Text wahrscheinlich von Musil selbst
stammt, heißt es über die «Vereini¬
gungen»:
«Mit den beiden Novellen: <Die Voll¬
endung der Liebe> und <Die Versu¬
chung der stillen Veronika> tritt
der Dichter der Verwirrungen des
Zöglings Törleß> [...] mit seinem
zweiten Werk vor das Publikum.
Die Eigenart dieses neuen Erzählers,
sein erstaunliches Eindringen in die
Dämmerung der Seele, kommt in der
knappen Form der Novellen noch
schlagender zur Geltung als in seinem
ersten Werk. [...]
In der (Vollendung der Liebe> wird
erzählt, wie eine Frau ihrem Manne
untreu wird. Es ereignet sich nichts,
die Untreue ist von allem Anfang an
dagewesen. Die Erzählung beginnt
mit einer Liebesszene von überreicher
Schönheit und endet, ohne daß sich
etwas ändert, mit der Untreue — als
mit einer — Steigerung der Liebe. Es
wird nur die Untreue entfaltet, die in
dieser Liebe liegt, als ihre letzte, am
spätesten erblühende Frucht. — Nicht
das Ereignis — obgleich es mit einer
2 3
minutiösen Psychologie aufgebaut ist
— ist es, was Sinn und Wert des Er¬
zählten bestimmt, sondern die Ein¬
heit scheinbar getrennter Gefühlsbe¬
zirke, die hier zum erstenmal erwie¬
sen wird.
In der zweiten Novelle <Die Ver¬
suchung der stillen Veronika» ist das
Wagnis unternommen, den Zusam¬
menhang zwischen der Liebe zu ei¬
nem weichen, entselbsteten, fast prie-
sterlichen Menschen und der seltsam
atavistischen, aus der Kindheit her¬
stammenden und ängstlich abscheu¬
vollen Neigung zu einem Tier zu ge¬
stalten. Man sieht drei Menschen, ein
Mädchen und seine zwei Vettern, in
einem einsamen alten Hause neben¬
einander leben. Das Ganze wie aus
einem Nebel in größere Klarheit
2 rückend und wieder verschwimmend.
Erstausgabe der Dazwischen ein Sichnühern dem ei¬
«Vereinigungen» nen, ein Loslassen und Wiederver-
bei Georg Müller, sinken. Dahinter das eigentliche
München 1911 Schicksal, die Angst vor einem
Tier [...]
Das Ganze jenseits alles Krankhaften
3
und fast an jener Grenze, wo Gefühl,
Zweite Ausgabe
des «Törleß» bei Instinkt und Erlebnis zu einer nur
Georg Müller, ahnungsweise zu empfindenden Ur-
München 1911 einheit sich wiederfinden. —»

17!
c
Opatesten- im Juni 1911 werden
Mu-il- Vereinigungen erschienen
sein. Schon die ersten brieflichen Äu¬
ßerungen des Freundeskrei-c- -igna-
h-ierten \brbehalte gegen ilire kom¬
plizierte Metaphorik.

J^aul Scheffer hatte Philosophie und


Psychologie in Marburg und Mün¬
chen Studien, gehüne mit Mas ßrod.
Emil von Gebsattel. Annette kolb.
Roben Musil. Mas Scheier. Roben
Walser und Franz Werfel zu den Mit¬
arbeitern der von Franz Blei im
Verlag kun Wolff herau-gegebenen
Zeitschrift «Der lose Vogel». Vom
3. September 1910 bis 15. Januar
1911 wohnte Scheffer in Wien. So
könnte er Musil w ährend der letzten
drei Wochen seines Wiener Aufent¬
halts persönlich kennengelemt ha¬
ben. In einem nicht überlieferten
Brief an Musil äußerte er vorsichtige
kntik am Stil der «Vereinigungen«.
Musil antwortete darauf am 15. Juli
1911 aus Steinach am Brenner:

Lieber Herr Scheeeer.


Ich hatte eine llaffenübung auszu¬
halten und bin nun einem Erholungs¬
aufenthalt in Tirol ausgesetzt, wel¬
ches Land stets eine cerebrale Tief
Depression in mir hervorruft ...
Helleicht möchte ich unterstreichen.
daß manches, was Sie eruähnen. zum
Ted an dem Charakter Xocelle liegt.
Das Parabolische ist nicht kommen-
tatorisch. sondern zentral und eigent¬
lich — wie Sie sagen — und der Tenor
des Buches erwächst durum aus ei¬
nem Mittelding von Sprache und Ge¬
genständlichkeit: das Bild ist nicht
Ornament, sondern Bedeutungsträ¬
ger .. Das Bildliche hat hier mehr 1
Paul Scheffer
Begriffliches in sich als normal ist,
(1883-1963)
mehr von der Rolle der direkten Be¬
schreibung des äußeren und inneren
Geschehens. Darum ist das Bild kaum 2
mehr Bild, sondern eigentlicher und Steinach am
uesentlicher Ausdruck181 Brenner
3
Johann Wolfgang
von Goethe
(1749-1832)

4
Friedrich Hölderlin
(1770-1843)

5
Friedrich Hebbel
(1813-63)

6
Hendrik Antoon
Lorentz (1853-1928)
erforschte die elektri¬
schen und optischen
Erscheinungen in
bewegten Körpern.
Nobelpreis
für Physik 1902

7
Die Reaktion der Kritik auf die
Hermann Minkowski
«Vereinigungen» enttäuschte Musil.
(1864-1909) schuf
Vor allem sein Mentor Kerr schwieg
die mathemati¬
schen Grundlagen und kommentierte später: «Musils
derspeziellen <Mittelstück> (nach dem <Törleß>) war
Relativitätstheorie nicht sein Bestes.»18
An der literarischen Tradition gemes¬
sen und auf sie festgelegt zu werden,
8 dieses Verfahren der Kritik beant¬
Albert Einstein
wortete Musil mit einer Trotzhand-
(1879-1955) be¬
lung:
gründete mit seiner
Abhandlung «Zur
Nicht vom Goethe, Hebbel. Höldeh
Elektrodynamik
bewegter Körper» Hn werden wir lernen. sondern ron
die spezielle Mach. Lorentz. Einstein. Minkowski
Relativitätstheorie [...]183

177
VEREINIG! NCKN

I j ntlin-in-tiselie Rt7fn>ioiit'ii be¬


kamen Musil- Yereinisjunseit u>r
allem \mt zwei Kritikern. die selbst
\utoren der e\|>re-sionistiseheii t.e-
neratuui waren: Frust Hl als und
Mltvd Wollenstem
I rn-t Hlals. der -uh u a al- "ehüler
um Musil- Mentor kerr be/enltnete
und l'*H m -einer /eitsehrift Die
Vrgunanten kln-il- Mie^enjvapier
unter dein 1 uel Komi" her
mer* dniekte. \er\*flFentliohte in der
/eitsehnft «Tan- Februar W12 fol¬
gende Flöge
■ Was maelu der neue Weutendr
l'tv-ai-t Kobert Mu-tF Fr i-i ein Fnt-
dev kor von Neu Scdknd I in i nret-
teivr des Bevvusstsem-gebiets f r zer¬
gliedert Xorhandenhetien dieses Da
-eins mul Ivueutu das I imdstt l nd
«aruui ist da- bedeutend? Weil er zu
den alten neue Erleb tusltezirke hin-
ruer»trbt genauer He/irke be»uss-
leu. iin-uitupfen Fa-eti-. Haltens.
ElfÜlMnt «t9 er tiefer m das
I eeeeeKn lunemführt Seine
Zergliederungen \\ erden in hunviert
Um piMMirt mm; das Ewige ist.
via— uU rbaiipt rergl ledert »tnl vtass
vier Stoff eines Men-eheovlasems >tel-
faltiser. reicher »ml. genauer: da—
iitt-re Sinne mstanvl gesetzt »erden,
statt vles l»« Selbe« Neues aufm
nehmen. viaso- für unsre Sinne immer
Neues real »ml. neue Nahrung. neue
Heue, »etui vt*e allen antanfen. Lurg-
»erhg unvi alvceWsci rv »ervlen IW
i-i vier Sinn
In vtem Ruvi XeretcuoKwm r.S<
VlieJ kvtceuvies via- OetühL »re das
hana »ad »*- rvaa be»v— er-v-f-:
— latWk vW SeWnrwrWt md dem
IN v len l wKanae« via- man ais
-‘Wb--- ne ifrtvffl um. »eie e>
vknvk via- IrMwa Wre. und Kanal
»mim »rarvv IV Wad» »vtd «Wr
l uKehrevWtrWna n rnaer Vranr-
m - 4 an eanrr VK-iant iw ddaf
wnd ’laWmt. lud tvdw. Wdb
| IjMtamWtu an tearm (Wm m
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3» '! Irr, ta cIbkcc irr sei rrer Anne zirL. :-\ >r i. __ rr_
matri^E Ir er Frauen a»i VLi-i r^n
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Lrfat an <i*n < ^-» Farhr m Vr r iat
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~.:rrrr.!- r ;r mmt rar-* ~A^t, ra^fc i.t" .rtrr. oi t* ^ >r-c r- rm t-
=cse ® frrgr-gr: nr ildtr täte, ann h» rr M-i-r-- xs "■>• ams-r-n j.±r*-

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■ G*cs ausxa- krknarfl Pmmr. >i*s JC~ ia krank-
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Zeit a*sx**oasd*e*
behen_ RMr M aid ra »irwa.
Vt y.*f_a~ • <i Li-era-rrcrcce-

3 >id ijii *>fc «iaijipaw ii ■ ■ ii —il


Jocoe Scicrwf
(1875-1

*~v»
f_ . nmitteibar na< h \eröffenlli-
2 3 chung der <Vwmi(!un)ien> begann
Musil di<- Arbeit an einem Drama. das
zunächst «Die Anarchisten» heißt
und spater den fite! «Die Schwär¬
mer» trägt. Schon iri den ersten Ent¬
würfen sind die spateren Figuren zu
erkennen: I hotnas. Anseirn. Regine.
Maria. Josef. I>i«- Namen wechseln zu
Beginn noch häufiger, auch sind den
Vornamen noch Nachnamen beigege¬
ben ä la I hornas Gentebrück, Anseirn
Mornas. Josef Greil.
Thomas Centebrück und Anselm
Mornas scheinen Spiegelungen Musils
seihst, wobei an Anselm Mornas auch
Züge des «Poseurs» Johannes von Al¬
leseh kaum zu übersehen sind.
Die weibliche Hauptfigur, die ab¬
wechselnd l.isa oder Fanny heißt, bis
sich der Name Begine stabilisiert, ver¬
eint Zuge Martha Musils und Alice
Donaths. So heißt es in einem Ent¬
wurf für die 1. Szene gleichzeitig:
Lisa hat Art gut. Hus für eine Angst:''
Angst vor dem Irrenhaust'.
Und in Anspielung auf Fritz Alexan¬
der. Marthas ersten Gatten:
Sie erzählt [... J von ihrem ersten
Murin usw.IK'’

6. SF.rtr.mm [1911]. (notieht


i 2.r>. S. um Huhnhnf Marlhat Ankunft
: von Hum erwartend.)
Muri ilnrf sieh nie in <li<‘ Deduktion
der Ideen verlieren. Diese ist l'orur-
heit. Muri legt die Ideen — die allge¬
mach sieh zu einem einheitliehen
Kreis geschlossen hohen — den Perso¬
nen m den Mund oder läßt sie aus
, sulchen Ideen heraus, oder solche
Ideen illustrierend hundehi. Duhei
muß muri (dies ist die gewisse I Uihei-
ligkeit) lieher von der Idee und ihren
lolgerungen und Lrentuulithten et-
t was ubzwicken als die Lebendigkeit
und/irukt ische Situutiorisrnöglirhkeit
} zu opfern.
Man darf ober nicht • (.'esichts/iunk-
, lei in Szenen umsetzen wollen, son¬
dern muß:
I I. Philosophisch durchdenken (und
| nüchtern)
I 2. In Szenen denken, i wobei man das
| theoretisch Gedachte nur ringsherum
] unter der Schicelle hui
I 3. Das Gedankliche hineinreth- ]
gieren'*'' Südbahnhof, Wien

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1912-19H

IM GLASHAUS

e
^ ly r. Otto Pötzl vertrat als Schüler
Prof. Vi agner-Jaureggs die klassische
_ Wiener Psychiatrie, war aber auch an
der experimentellen Überprüfung der
— Freudschen Theorien interessiert.
Er wurde von Musil wohl ab Ende
Januar 1913 konsultiert. Pötzl stellte
i «Erscheinungen einer schweren
Merzneurose» fest:
! »Anfälle von Herzklopfen mit jagen¬
dem Puls, Palpitationen beim Ein¬
schlafen, Verdauungsstörungen ver¬
bunden mit den entsprechenden
psychischen Erscheinungen: De-
pressionszuständen und hochgradige
körperliche und psychische Ermüd¬
barkeit. »1<,J
Pötzl beantragte deshalb am 3. April
1913 einen sechswöchigen Erho¬
lungsurlaub und am 28. Juli gar eine
sechsmonatige Sistierung der Berufs¬
tätigkeit, die gewährt wurden.

30. März 1913. Wien: Ich wartete


nachmittags fast zwei Stunden ui ei¬
nem Korridor der psychiatrischen
Klinik auf Dr. PötzL der einen Kurs
abhielt. Ich tat es. weil dieses unener¬
gische Zeitverlieren mir angenehm
war. Ich konnte über einen Lichthof
und durch zwei Fenster und eine gro¬
ße Glastür zusehen, wie er demon¬
strierte. Eine hübsche fettejunge Frau
saß in einem Krankenstuhl und sah
sanft und geschmeichelt aus. Hinter
ihr hingen an der Tafel Abbildungen
von Hirnschnitten. Mir schien, daß sie
oft lächelte. Er nahm ihre Hand und
hob sie, hielt ihr etwas vor Augen,
lehnte sich zärtlich wie ein Bändiger
auf ihren Stuhl udgl. Durch die drei
Glasscheiben war das alles viel ein¬
dringlicher. Ich dachte wie schön das
sein muß. Ein eigentümliches Gefühl
vom .Menschen, wenn man ihn häufi¬
ger entstellt sieht als normal.193

1
D ie vom Arzt diagnostizierten
Vorlesung Prof.
Symptome Musils legen nahe, daß Wagner-Jaureggs
ihm seine Wiener Bibliothekarsexi¬ in der psychiatri¬
stenz <im Magen lag». Er versuchte schen Klinik Wien
sich deshalb wieder stärker auf Berlin
zu orientieren, wo Franz Blei für ihn
die Mitarbeit an S. Fischers «Neuer 2
Rundschau» und Aufführungsmög¬ Dr. Otto Pötzl
(1877-1962), Schü¬
lichkeiten für die entstehenden
ler Prof. Wagner-
«Schwärmer» sondierte. Im Mai 1913
Jaureggs und Assi¬
fuhr Musil deshalb nach Berlin, traf
stent an der psych¬
Blei und lernte durch ihn Max S. 1. \,-r iatrischen Klinik
kennen. Wien

184
Max Scheler: Feuriger Katheder
hengst, die sonderbarsten Gefühle
sprühen ihm aus den Küstern. Aber
doch ein großer Reichtum des (mit
verschiedener Intensität) Durchdach-

Schön die Nacht von drei bis zum


Morgen in den großen leeren Gesell¬
schaftsräumen bei Hanna [Casper .
Die ruhigen altenglischen Möbel das
Überhitzte, Geistige des Gesprächs,
in der Nacht, itn Raum verschwin¬
dend. Selbst der große Blei eine
schwanke Figur in solchen Räu-

Der in allen Spielarten der Erotik


bewanderte Blei könnte Musil auch
spezielle Milieus der deutschen
Hauptstadt erschlossen haben, zum
Beispiel Lokale lesbischer Frauen.
Musil nutzte Erfahrungen wie die auf
dem «Ball der Veränderten», die er im
«Losen Vogel» beschrieb, für das Ka¬
pitel «Gartenfest» im «Mann ohne
Eigenschaften».

Es h:ar in Berlin und ist noch jedes


Jahr dort, was man den Ball der Ver¬
änderten nennen könnte. Eine lächer¬
liche Veranstaltung, wie fast alle
menschlichen Vergnügungen, die
mehr als Zwischen- oder Obertöne
sind, die irgendwobei unbeabsichtigt
entstehen, — aber in einzelnen Win¬
keln von einem seltsam übernächti¬
gen Glück bogenlichtbesonnt. Kein
Mann zugelassen, Frauen auch in der
Rolle der Tänzer und Souperherren;
im Anzug, ob modern oder historisch,
die verräterische Kehlung zwischen
Hüften, Schenkeln und Bauch kind¬
lich sorgfältig ausgestopft. Das Seeli¬
sche war deformiert, fleckig, un¬
gleichmäßig erhitzt, unnatürlich, mit
den Beinen in einer alkoholisierten,
3 kellnerbedienten, tribadischen Wirk¬
Der Philosoph lichkeit, dennoch gab es da und dort
Max Scheler jenes Glück, wenn eine gähnte und
(1874-1928) sich vergaß, wenn es eine kreisend zu
schläfern begann, wenn eine dritte
auffuhr und in Gesichter starrte. Das
4
Bezeichenbarste daran ist die Rück¬
Franz Blei
wirkung der Tracht aufs Gesicht. Als
Mann gedacht, gewinnen die unhüb¬

5 schen, gealterten, selbst die fetten


Berliner Lokal für Frauen sofort etwas Faszinieren¬
lesbische Frauen des.,197

185
IM GIASHAl

Aj um Kreis Musils und Bleis gehör¬


te auch Ida Roland. Musil hatte mit
der Schauspielerin, die seit 1915 mit
Richard Graf Coudenhove-Kalergi
verheiratet war, jahrzehntelangen
freundschaftlichen Kontakt und ver¬
kehrte häufig in ihrem Domizil, dem
Heiligenkreuzer Hof in Wien.

10. Ji xi [1913] (Dienstag) Schal


Spieler, Direktoren: Ton nur graduell
verschieden von dem kleinster Tin¬
geltangel. Die Roland zu Blei: Ach du
kannst ja nichts. Bub. Bald Sie bald
Du. Ohhh Du! und klopft ihr den
Rücken. Ein Chinese hausiert: Wie
kommt der her?! So weit!! Kauft ihm
doch was ab. — Die gewisse Gutmütig¬
keit, Solidarität niedrer Herkunft. Sie
sieht sehr hübsch und unbedeutend
aus; geladen mit Nervosität, die aber
nicht als Schwäche, sondern als Elek¬
trizität wirkt. Ostentativ durchdrun¬
gen von: ich will erreichen. Ich habe
die Vorstellung: sie fiebert und plötz¬
lich wird es ihr langweilig zu fiebern
und sie rutscht vollständig gleichgül¬
tig unter einem weg; mit irgend einer
Bemerkung, ach streng dich doch
nicht so an, oder so. Ich habe die Vor¬
stellung: ihre Vagina ist für sie wie ein
Trichter, durch den sie manchmal
ungeduldig Reizungen in sich füllt;
für sie selbst nicht mehr. Aber dabei
ein tapferer Mensch.
Trotzdem: Ich sah morgens vom Fen¬
ster ein Mädchen in Unterkleidern;
als es mich sah. versteckte es sich. Mir
fiel auf, daß mir das nicht solche
Freude bereitete wie sonst. Und ganz
ferne entdeckte ich lachend etwas in
nur wie: oh du Gewöhnliche, ich ver¬
kehre mit Tragödinnen. Gar nicht
ich, doch aber in mir dieses lächerli¬
che Geschehnis. Freilich kann sein,
daß es nur eine Möglichkeit war, die
ich mir vorzustellen suchte und die ]
mir dam en erschien, ida Roland
Sicher ‘ (1881-1951)

l«t)
M usils Entwurf «Der Mann ohne
Gefühl» liefert Indizien, die Bezie¬
hung zu Ida Roland sei im Juni 1913
nicht bloß platonisch gewesen:

Er lerntoie Tragödin kennen IVird


von ihr genommen ... Er will seiner
Erau nicht untreu sein, er hat auch
gar kein unwiderstehliches Begehren
nach der Schauspielerin, aber es er¬
schiene ihm so gewaltsam und lächer¬
lich, sich diesem Angriff zu ent¬
ziehen.199

JSei einem Spaziergang in der Fra¬


ter-Hauptallee äußerte Martha wohl
wegen dieser Affäre Selbstmordab-
sichten, Grundlage für entsprechende
Pläne Agathes im «Mann ohne Eigen¬
schaften».

Spaziergang in der Halpt.allee.


Martha, schlecht disponiert, machte
mir unnötige Vorwürfe, die mich er¬
kälteten. Du wirst von mir weggehn.
Ich habe dann niemand. Ich werde
mich töten. Ich werde von Dir weg¬
gehn. Martha begab sich in einer au¬
genblicklichen Schwäche lief unter
ihr eigenes Niveau auf das einer eifer¬
süchtigen oder vernachlässigten Erau
von Temperament. Persönlich zwi¬
schen uns hat das natürlich gar
nichts zu bedeuten. Aber ich schaltete
diesen Vorbehalt gleichsam aus und
gab mich den Eindrücken hin, als ob
es eine Stunde der Enttäuschung wä¬
re. Und das Nebeneinander war un¬
2 gefähr so: Ich halte das nicht aus usw.
Dringlichkeiten —Ja sie ist amoralisch
und Du bist bloß unmoralisch; und
das ist im Verhältnis etwas Bürgerli¬
ches. Deine Unmoral hat mich ge¬
blendet und ist im Grunde etwas Bür¬
gerliches. Sehr reizvoll das ruckweise
Klarerwerden solcher Gedanken,
während man Bitten und Vorwürfen
zuhört. (Ich persönlich wußte dabei
natürlich, daß das nur ein Spiel
|199a
war)

M artha hielt diese


Mannes vom 10. Juni 1913 für so
Notiz ihres

kompromittierend, daß sie sie nach


seinem Tod aus dem Tagebuch her-
2 ausschnitt und sie in einen Mantel-
Robert und Martha säum einnähte: eine Art Gottesurteil.
Musil im Prater ob sie gefunden würde oder nicht.

187
s,
IM CLXSHAl

o chon im Herbst 1911, ein Jahr


nach dein Abschied von Berlin, no¬
tierte Musil anläßlich einer Begeg¬ L) E R L OSE VOGEL

------
nung mit den alten Kollegen Hornbo¬ EINE MONATSCHRIFT
stel und Wertheimer, er habe «ein
No. 7.
bißchen I leim weh ■ nach der Psycho¬
logie bekommen.

Es SIEHT Al 'S,'ALS HÄTTE MEINNATÜRL1-


eher II erdegang so aussehen müssen:
Annahme der Dozentur in Graz. Ge¬
duldiges Tragen der langweiligen As-
sistententätigkeit. Geistiges Miterle¬
ben der Wendung in der Psychologie
und Philosophie. Dann, nach Sätti¬
gung, ein natürlicher Abfall und Ver¬
such zur Literatur überzugehen.
Harum ist es so nicht gekommen? Daß
wir vor der Heirat nicht nach Graz INHALT: Der Abb£ Loisy. Andere aktuelle Geschichten.
wollten, wäre zu überwinden gewe¬ Über Robert Mustl’s Bücher. Jesus und die Armen. Die
Judenheitsfrage. Anima Pellegrina. Literatur und Leben.
sen. Entscheidend war, daß ich naive Wagners Memoiren.
Hoffnungen in den weiteren Verlauf
meiner Schriftstellerkarriere gesetzt
habe. Daß ich durchaus nicht wußte,
wie gefährlich es im Leben ist, nicht
seine Chancen auszunützen. (Provin¬
ziell großartig, verträumt großartig. DEMETER VERLAG LEIPZIG
Folge gesicherter Jugend) Anständi¬
gerweise, daß ich mich psychologisch
nicht versiert genug fühlte und wenig
2
Freude am psychologischen Experi¬
ment hatte; schon in Berlin dem Be¬
trieb ferngeblieben war. Dummerwei¬
se, daß ich für mich die Vorstellung:
man arbeitet sich in die Materie mit
Energie ein, die einem das Leben über
den Heg legt: nicht im mindesten an¬
erkannte, sondern mit Energie nur
machte, was ich mir selbst aussuchte.
Wichtig: daß ich mich wohl immer mit
Ethik befassen wollte, aber keinen
Zugang wußte, der mir gepaßt hätte.
M. a. H. daß ich zu wenig studiert
hattel Denn Scheler hat den Zugang
gefunden! Daß ich mir eingebildet
hatte, das Wichtigere wäre, was man
will, aus sich selbst zu holen und erst
zur Prüfung und Ergänzung Rat zu
1
suchen. Bei der ersten Belastung
Max Wertheimer
durch das Leben ist das zusammen¬ (1880-1943) mit
gebrochen. Es wäre auch zu sagen: einem Gerät zur Er¬
Der Phantast hatte dem Denker ein forschung des phi-
Bein gestellt. Phänomens
Noch einmal etwas später hätte ich in
den natürlichen Weg einlenken kön-
nen, wenn ich als Bibliothekar nicht
2
«Der Lose Vogel»,
mich mit Dichtung ohne nötige
eine Monatsschrift,
Sammlung gequält, sondern mir ge¬
herausgegeben
sagt hätte, man könne ein Gelehrter
von Franz Blei bei
auch außerhalb der I ’nivt rsitüit wer¬ Kurt Wolff in
den. Zeit und Bibliothek war du. Ich Leipzig

1B»
Ganglion semilunare

N. trochlearis legte aber das Geivicht auf den Dich¬


X. petrosus super¬ ter.i und obwohl ich mit der Psycholo¬
ficialis wajor
X omlomotorius
gie in Fühlung zu bleiben trachtete,
, AJ. tensor
X opktkalmicus trieb ich von ihr ab. Ursache: Interes¬
tympani
R medialis n. fontahs
seteilung. wobei das größere der
X . lacrimalis Incus
Radix longa ganglti Dichtung galt. Zweite Ursache, die
ciliaris ..
Manu-
Ganglion ciliare brium auch im ersten Fall eine Hauptsache
Ramus inf. n. ocu- mallei
loMotoni Chorda
war: Daß ich ohne bestimmtes Ziel
X. abducens . tympani
nicht expeditiv bin und auch da nicht
X- mandibu- X. facia¬
lan s lis immer. Melancholische Schwerflüs¬
Ganglion .. Plexus ca-
ptcngopa- roticus int. sigkeit. Fehlen der Neugierde «kennen
laltuum
N. glosso-
pharyngicus
zu lernen», was vorgeht, die ein Ge¬
N. ca-
Main lehrter in großem Maße braucht. Ich
ptery-
- N. suboccipitalis
goidei habe mich nie in meiner geistigen Mit¬
S. MSof*
tat i*u> N.occipitalis major
welt «umgesehen», sondern immer
[Scart*,,
Verbindung von C, u.C,
Nn. pa/otimi , N. hypoglossi
den Kopf in mich selbst gesteckt.
N. fatalmuJ ’
hypoglossus
major Andre Seite: Hätte ich statt am losen
X. hngualis
X. vagus
.V. ahrolaris
Vogel mitzuarbeiten und die Schwär¬
man dibularis X.laryngic.
cranialis mer zu beginnen, studiert, exzerp-
Ganglion cer-
vieale medium tiert. gar publiziert, wäre ich mögli¬
X.accessorius
cher-, sogar wahrscheinlicherweise
R tkyreohyoidcus n. hypoglossi Ganglion
spinale von der Literatur fortgekommen und
ein Fall Andrian geworden.21111
R. exirr uns u. laryngici cranialis
Ganglion cervicalc
caudale

w, er von Psychologie mehr ver¬


Abb. 103. Kopfnerven. Die linke Kopfhälfte ist größtenteils entfernt, die Nerven sind
stand als die meisten Zeitgenossen,
stehen geblieben. Nach einem alten Präparat der Kieler Sammlung.
wehrte sich Musil gegen das ver¬
meintliche Lob. seine Literatur sei
3
Psychologie.
Im Jahre 1913 verfaßte Musil für den
«Losen Vogel» acht essayistische Bei¬
träge, darunter für Nr. 7 die Apologie
in eigener Sache «Über Robert Musil’s
Bücher», in der er sich gegen die Mi߬
verständnisse der Kritik vor allem bei
den «Vereinigungen» wehrte: eine
Selbstverteidigung in Gestalt einer
Reise durch das Gehirn des Autors.

Gehirn dieses Dichters: Ich rutsch -


te eilig die fünfte Windung in der Ge¬
gend des dritten Hügels hinunter. Die
Zeit drängte. Die Großhirnmassen
wölbten sich grau und unergründlich
wie fremde Gebirge am Abend [...]
Rechts von mir lag die Stelle der Ver¬
wirrungen des Zöglings Törleß, sie
Warschau eingesunken und mit grau¬
er Rinde überwachsen: zu meiner an¬
dern Seite hatte ich die kleine. seltsam
intarsierte Doppelpyramide der Ver¬
einigungen. Eigensinnig kahl in der
Linie, glich sie. von einer engen Bil¬
derschrift bedeckt. dem Mal einer un¬
bekannten Gottheit, in dem ein
3 unverständliches Volk die Frtnrie-
Löngsschnitt rungszeichen an unverständliche
durch einen mensch- Gefühle zusammengetragen und auf-
lichen Schädel geschichtet hat.2 "

189
/Viilan" April 1913 schrieb Franz
Blei an den Verleger Kurt Wolff:
— «Vielleicht interessiert Sie. daß Mu¬
sils Contract mit Georg Müller dem-
— nächst abläuft und Musil ihn nicht
mehr erneuern will. Fischer will ihn
haben, aber M.[usil] will seine ilm
ruinierende Stellung als Bibliothekar
der Technik aufgeben und verlangt
für seine Arbeiten deshalb ein monat¬
liches Fixum [...] Fr arbeitet an ei¬
nem famosen Roman und an einem
Stück, das Barnowsky sehr im Auge
hat als zweites Stück nach seiner
Eröffnung mit Feer Gynt.
M. usili bat erst den ersten Akt fertig
und braucht dafür den bibliothekslo¬
sen Sommer.»202
Auf Grund des Krankenurlaubs hatte
Musil den bibliothekslosen Sommer
und hielt sich ab ca. 10. August in
Zermatt (vermutlich Hotel Seiler)
auf. Die Zermatter Eindrücke tau¬
chen auf in einem nachgelassenen
Prosatext «Lieber Pan —!».

[. ..] ÜBERALL STEHEN DIE WlESENRÄN-


der scharf wie Schiffstaue gegen den
Himmel, der in der Sommermitte
herbststillblau ist, Kiefern wachsen in
eine Leere, die sich wie ein Abgrund
über ihnen wölbt, und in zweiein¬
halbtausend Meter Höhe blüht das
Edelweiß so dicht, daß man es mit der
Sichel ernten könnte, zwischen Stein¬
nelken, Enzianbechern, Margeriten,
großen, wilden Vergißmeinnicht und
kleinen aufs Gras geworfenen Teppi¬
chen von Stiefmütterchen. Oben aber
steigen Sie aus einer letzten Feisrinne
heraus, arbeiten sich über ein steifes,
wie eine Hemdbrust vorgewölbtes
Schneefeld und — Pan! — Sie glauben
sich rückversetzt in eine Hirtenland¬
schaft [...] Über tausend Metern
Michts und Steile eine Fels- und Wie-
semnsel, leise gesenkt und gehoben,
mit Mulden, die geformt sindfür stille
riesenhafte Liebespaare, von einem
bröckelnden Steinriff überkämmt, wo
Murmeltiere bei ihrem Kommen
Männchen machen und verhuschen.
Es ist jenseits von warm und kalt, die
Luft strömt wie aus Bechern, und
Schafe, welche ein weißes Vlies und
seltsam schmale, schwarze Schädel
haben, sonnen sich auf kleinen zuge¬
frorenen Seen. Abends aber werden
Sie Ihren Smoking anziehvn und bei
Seiler oder Gindraux dinier"n . 1
Sie finden dort vieles von dem. n us die Zermatt

190
moderne Seele zu ihrem Behagen
rechnet {...] Eine Hall, in deren Ka¬
min Holzscheite zündeln, eine II iener
Kapelle, Münchner Bierhalle und
American Bar, draußen den Tennis¬
platz, das Kegelspiel und eine ( hurch
für die Amerikaner, wo sie ihren lie¬
ben Gott wie zum Tee empfangen.1" '

T_Jm den 20. August 1913 reiste das


Ehepaar Musil von Zermatt nach
Südtirol.

23. August[1913].
Lavarone: Der Herbst kommt durch
die Luft, bleibt etwas an den Bäumen
hängen. Fahrt Caldonazzo—Lavaro¬
ne: Baumgruppen m der Sonne:
dunkle zusammenhängende Schatten
hingetuscht, darüber und weitergrei¬
fend hellere wie lasiert. Das Ganze
unregelmäßig gefleckt wie man einen
Pinsel auf dem Papier ausdrückt.
Großer, alter, unbequemer Hagen;
hochrädrig, bräunlichweiße Polste¬
rung. Die Straße führt durch ein aus-
getrocknetes schottriges Flußbett als
Furt hindurch. Dann in sehr engen
Windungen an sehr steilem Abhang
hinan.20*

V, on Lavarone aus beantwortete


Musil die Rundfrage des Georg Müller
Verlags nach dem Verhältnis von
Schriftsteller, Verleger und Publi¬
kum:

Ein com Publikum nicht favorisier-


ter Schriftsteller hat das Einkommen
eines Liftboys, in ganz seltenen Fällen
das eines Bankdieners. Häufig bloß
das eines Volontärs. Schuld an diesen
Zuständen will niemand haben, nicht
der Schriftsteller, nicht der Verleger
und nicht das Publikum. Hie alle
weitgreifenden wirtschaftlichen Kon¬
2 stellationen sind sie unpersönlich
Caldonazzo- oder überpersönlich. Daß sie von
See, Südtirol größtem Einfluß auf das künstlerische
Schaffen sind, ist sicher. Daß sie ge¬
ändert werden müssen, ist sicher. H ie
3 — darüber habe ich nicht nur kein
Straße nach
Urteil, sondern kann auch keines mit
Lavarone
Überzeugung äußern, weil ich auf
Reisen bin und das redlich übertrei¬

4 bungslose Leben eines Nichtschrift¬


Lavarone, stellers führe.
Grandhotel Lavarone, im August 1913'°'

191
pUJ! «i *■-- -
CVjfflnX r Piazza J)ante. vv v K'

ff. / äjf**,*#■/> djf! .4, *//., sC-'e

Uber die Reise durch Südtirol im


Spätsommer 1913 hinterließ auch
Martha Musil Notizen, vor allem über
literarische Gespräche mit einem al¬
ten Bekannten, Alessandro Giongo,
über den Nobelpreisträger des Jahres
1913, Rabindranath Tagore, und die
dänische Autorin Karin Michaelis.
Giongos Reaktion:
«0, diese Skandinavier, was bringen
sie für Fragen auf die Bühne! Solche
Leute können wohl im nebeligen Nor¬
den Vorkommen, aber bei uns im Sü¬
den nie! Diese Figuren gehören ins
Kranken- und Irrenhaus, aber nicht
auf die Bühne. Es ist nichts an Ibsen,
die Gedanken fehlen, die Figuren sind
verschwommen, im Nebel, unklar.
Solche Menschen gibt es flicht im Le¬
ben; nur Kranke. - Ja, es ist wahr,
auch Shakespeare im König Lear, ...
aber das ist doch ganz anders.
Von Robert sagte er: Aber wie
schreibt dieser Mensch! ich lese doch
gut deutsch, aber das ist nicht zu ver¬
stehen! »

^on Lavarone aus fuhren Robert


und Martha weiter nach Trient.206

Triest.- Hotel Triest. Frühstücks-


terasse mit heller, gestreifter Marqui¬
se, Palmen. 1
In den Straßen kann man die Augen Trient, Piazza Dante,
mit Hotel Trient
kaum offenhalten vor Grelle. Das
(rechtes Gebäude)
Schiff des Doms diesmal sehr enttäu¬
schend. Hei den Geschä ften Wieder¬
sehn mit ausgehobenen Türen und 2
wehenden torhängen. Trient, Dom

192
In Porto cTAnzio am Tyrrhenischen
Meer, etwa 60 Kilometer von Rom,
hielten sich Robert und Martha Musil
von ca. Ende August bis etwa 20. Sep¬
tember 1913 auf. Eindrücke dieses
Aufenthalts in der kleinen Hafenstadt
verarbeitete Musil in dem Kapitel-
Entwurf «Die Reise ins Paradies>, auf
der die Geschwister Anders und Aga¬
the Inzest begehen.

Hier, ho sie geblieben hären, stieg


von dem schmalen Strand, zwischen
den zwei Felsenarmen der Küste, wie
ein an die Brust gedrücktes Gewinde
von Blumen und Büschen, kleine We¬
ge in ganz sachtem langem Anstieg
darum gewickelt, ein Stück Garten¬
natur zu einem kleinen, weißen, am
Hang geborgenen, zu dieser Zeit men¬
schenleeren Hotel empor.208

v 'on
TOB Porto d’Anzio besuchte Musil
den Monte Circeo, der nur ca. 10 Ki¬
lometer entfernt ist. Der Name des
Berges leitet sich von der mythischen
Zauberin Kirke ab, die einst Odysseus
beherbergt haben soll.

3 Die Sonne glänzte schher am Meer


Porto d'Anzio am wie in einem Spiegel von Blei. Boote
Tyrrhenischen Meer,
waren beim Fischfang wie zu Sankt
Colle del Paradiso
Petri Zeiten. Das Kap schwang den
Blick wie ein Laufbrett zum Himmel

4 und brach lohgelb und weiß, wie


Monte Circeo, un¬ zur Zeit des verirrten Odysseus, ins
weit Porto d'Anzio Meer.209

193
Ix i>f:k Hfjde bei Rom. Sie hatti. \ die
I\IIS\T)

langen Gesichter und die zierlichen


Schädel von Märtyrern. Ihre schwar¬
zen Socken und Kapuzen an dem wei¬
ßen Fell gemahnten an Tbdesbrüder
INI

und Fanatiker.
Ihre Lippen, wenn sie über dem kur¬
zen. spärlichen Gras suchten, zitter¬
ten nervös und stäubten den Ton ei¬
ner erregten Metallsaite in die Erde.
Schlossen sich ihre Stimmen zum
Chor, so klang es wie das klagende
Gebet der Prälaten im Dom. Sangen
aber ihrer viele, so bildeten sie einen
Männer-, Frauen- und Kinderchor. In
sanften Rundungen hoben und senk¬
ten sie die Stimmen; wie ein Wander-
zug im Dunkel war es, den in jeder
zweiten Sekunde das Licht traf, und
es standen dann die Stimmen der Kin¬
der auf einem immer wiederkehren¬
den Hügel, während die Männer das
Tal durchschritten. Tausendmal
schneller rollten Tag und Nacht
durch ihren Gesang und trieben die
Erde dem Ende entgegen. Manchmal
warf sich eine einzelne Stimme empor
oder stürzte hinab in die Angst der
Verdammnis. In den weißen Ringeln
ihrer Haare wiederholten sich die
Holken des Himmels. Es sind uralte
katholische Tiere, religiöse Begleiter
des Menschen.
Noch einmal im Süden: Der Mensch
ist zwischen ihnen doppelt so groß als
sonst und ragt wie der spitze Turm
einer Kirche gegen Himmel. Unter un¬
seren Füßen war die Erde braun, und
das Gras wie eingekratzte graugrüne
Striche. [...]
Überall: Schafe sind ängstlich und
blöd, wenn der Mensch naht; sie ha¬
ben Schläge und Steinwürfe des
Übermuts kennengelernt. Aber wenn
er ruhig stehenbleibt und in die Weite
starrt, vergessen sie ihn. Sie stecken
dann die Köpfe zusammen und bil¬
den, zehn oder fünfzehn, einen Strah¬
lenkreis, mit dem großen, lastenden
Mittelpunkt der Köpfe und den an¬
dersfarbigen Strahlen der Rücken.
Die Schädeldecken pressen sie fest ge¬
geneinander. So stehen sie, und das
Rad, das sie bilden, regt sich stunden¬
lang nicht. Sie scheinen nichts fühlen
zu wollen als den Wind und die Son¬
ne, und zwischen ihren Stirnen den
Sekundenschlag der Unendlichkeit,
der im Blut pocht und sich von einem
Kopf zum andern mitteilt wie das ]
Klopfen von Gefangenen an Gefäng- Schafe in der
• 210
nismauern. Campagna

l‘H
195
- 1MIS\ I!) I\l

H js ist möglich, daß Musil den Auf¬


enthalt in Porto d'Anzio sogar zu ei¬
nem Abstecher nach Neapel nutzte
und dort die berühmte versteinerte
Pompeianerin sah. Er beschrieb sie in
Entwürfen zum «Mann ohne Eigen¬
schaften».

Man hat in Po mpeji - sagte Anders -


das Abbild einer Frau gefunden, das
die Dämpfe, in die sich ihr Körper im
Bruchteil einer Sekunde auflöste, als
ihn der furchtbare Feuerstrom ein¬
hüllte, wie eine Statue in die verstei¬
nernde Lava eingesiegelt hatten. Die¬
se fast nackte Frau, der das Hemd bis
zum Rücken hinaufgerutscht war, als
sie, im eiligen Lauf eingeholt, vorn¬
über aufs Gesicht und die vorgehalte¬
nen Arme stürzte, während der kleine
Knoten ihrer Haare unordentlich auf¬
gesteckt, aber fest im Nacken saß,
war nicht schön, nicht häßlich, nicht
üppig von fl blieben, noch abgezehrt
von Armut, nicht verrenkt vom
Schreck, noch ohne Angst ahnungslos
überwältigt, aber gerade wegen all
dessen war diese vor vielen Jahrhun¬
derten aus dem Bett gesprungene und
auf den Bauch geworfene Frau so un¬
sagbar lebendig geblieben, daß sie in
jeder Sekunde wieder aufstehen und
weitereilen könnte.211

-Ajn 23. September 1913 schrieb


Musil aus der Pension Aurora (unweit
des Pincio) ari Franz Blei:

Weil ich keinen Schlafwagen nach


Wien bekam, bin ich nach Rom gefah¬
ren. Zu meinem Entzücken [...]
In einer Woche werde ich jetzt wirk¬
lich in Wien sein.212

I-ietzteres traf indes nicht zu. Er


blieb bis in den Dezember hinein in
Rom. Martha reiste zwischendurch
nach Wien oder Berlin und kehrte in 1
der zweiten Novemberhälfte nach Versteinerte Pom¬
Rom zurück. peianerin, Neapel

196
Irgendwo hinten am Pincio, oder
schon in Villa Borghese, ruhen zwei
Sarkophagdeckel aus unedlem Stein
zwischen den Büschen im Freien. Sie
stellen keine Kostbarkeit dar, sie lie¬
gen umher. Lang hingestreckt lagert
auf ihnen das Ehepaar, das sich einst
zum letzten Andenken hat abbilden
lassen. Man sieht viele solcher Sarko¬
phagdeckel in Rom; aber in keinem
Museum und in keiner Kirche machen
sie solchen Eindruck wie hier unter
den Bäumen, wo sich die Figuren wie
auf einer Landpartie ausgestreckt
haben und eben aus einem kleinen
Schlaf erwacht zu sein scheinen, der
zweitausend Jahre gewährt hat.
Sie haben sich auf den Ellbogen ge¬
stützt und sehen einander an. Es fehlt
nur der Korb mit Käse, Früchten und
Wein zwischen ihnen.
Die Frau trägt eine Frisur mit kleinen
Locken, — gleich wird sie sie ordnen,
nach der letzten Mode vor dem Ein¬
schlafen. Und sie lächeln einander
an; lang, sehr lang. Du siehst weg:
und noch immer tun sie es ohne Ende.
Dieser treue, brave, bürgerliche, ver¬
liebte Blick hat die Jahrhunderte
überstanden; er ist im alten Rom aus¬
gesandt worden und kreuzt heute
dein Auge.
Wundere dich nicht darüber, daß er
vor dir andauert; daß sie nicht wegse¬
2 hen oder die Augen senken: sie wer¬
Römischer Sarkophag den nicht steinern dadurch, sondern
auf dem Pincio, Rom menschlich,2U

197
I\l CLASIIM

W ährend seines römischen Auf¬


enthalts besuchte Musil den Zoo in
Villa Borghese und seine Affeninsel.
Als er [c>3ö den Text «Die Affeninsel»
in den «Nachlaß zu Lebzeiten» auf-
nalim. wehrte er sich dagegen, bei
dieser Prosa handle es sich um erfun¬
dene Umschreibungen späterer Zu¬
stände, also um eine Allegorie faschi¬
stischer Strukturen. Er wies auf die
Entstehungszeit 1913 hin und nannte
seinen Text einen Vorausblick, getan
in ein Zusammenleben von Affen

Diese wundervolle Insel wird von


drei Familien von verschiedener Mit¬
gliederzahl bewohnt. Den Baum be¬
völkern etwa fünfzehn sehnige, be¬
wegliche Burschen und Mädchen, die
ungefähr die Größe eines vierjährigen
Kindes haben; am Fuße des Baumes
aber lebt in dem einzigen Gebäude
der Insel, einem Palast von Form und
Größe einer Ilundehiitte, ein Ehepaar
weit mächtigerer Affen mit einem
ganz kleinen Sohne. Das ist das Kö¬
nigspaar der Insel und der Kronprinz.
Nie kommt es vor, daß sich die Alten
in der Ebene weit von ihm entfernen;
wächterhaft regungslos sitzen sie
rechts und links von ihm und blicken
geradeaus an ihren Schnauzen vorbei
ins Veite. Nur einmal in jeder Stunde
erhebt sich der König und besteigt
den Baum zu einem inspizierenden
Rundgang. Langsam schreitet er
dann die Aste entlang, und es scheint
nicht, daß er bemerken will, wie ehr¬
fürchtig und mißtrauisch alles zu¬
rückweicht und sich — um Hast und
Aufsehen zu vermeiden — seitlings vor
ihm herschiebt, bis das Ende des Astes
kein Entweichen mehr zuläßt und nur
ein lebensgefährlicher Absprung auf
den harten Zement übrigbleibt. [...]
Es braucht längere Zeit, ehe man be¬
merkt, daß außer diesen ein geordne¬
tes Leben führenden Wesen noch an¬
dere von der Insel beherbergt werden.
Verdrängt von der Oberfläche und der
Luft, lebt m dem Graben ein zahlrei-
\ ches lölk kleiner Affen. Wenn sich ei¬
ner von ihnen oben auf der Insel nur j_g
zcwt. u nd er schon von den Baumaf- Die AHeninse|
i fen unter schmerzlichen Züchtigun- im Zoo der
gen wieder in denGn scheucht Villa Borghese,
[•. ■] Oer Verfolger geht aber nur den Rom

198
Rand entlang und schiebt die Woge
von Entsetzen vor sich her. Da erhe¬
ben sich die kleinen schwarzen Ge¬
sichter und werfen die Arme in die
Höhe und strecken die Handflächen
abwehrend vor den bösen fremden
Blick, der vom Rande herabsieht. Und
allmählich heftet dieser Blick sich an
einem fest [...] Dann nagelt der lange
gleichgültige Blick den zufälligen ei¬
nen an; und nun wird es ganz unmög¬
lich., sich so zu beherrschen, daß man
weder zuviel noch zuwenig Angst
zeigt: und von Augenblick zu Augen¬
blick wächst die Verfehlung an, wäh¬
rend sich ruhig eine Seele in eine an¬
dere bohrt, bis der Haß da ist, und der
Sprung losschnellen kann, und ein
Geschöpf ohne Halt und Scham unter
Peinigungen wimmert. Mit befreitem
Geschrei rasen da die anderen aus¬
einander, den Graben entlang; sie
flackern lichtlos durcheinander wie
die besessenen Seelen im Fegefeuer,
und sammeln sich freudig schnat¬
ternd an der entferntesten Stelle.2' ’

199
IM (.I.\—l I VI

/Vus der Zeit ihrer Ehe mit Enrico


Marcovaldi kannte Martha die An¬
thropologen- und Medizinerfamilie
; Sergi, Rom.
( Sergis verdankt Musd den Zutritt
zum römischen Irrenhaus.

Sergis Arbeitszimmer. Ehemalige Je


suitenzelle [...] Beim Fenster der
Tisch zum Mikroskopieren mit vielen
Chemikalien in Fläschchen. Ein
Schrank mit ungezählten kleinen La¬
den, die [...] Hirnschnittpräparate
enthalten. Ein kostbares großes Mi¬
krotom, ein kleineres. Mikroskope.
Ein Kanarienvogel. Sergi arbeitet ca.
14 Stunden täglich, steht um sechs
Uhr auf. Hat sehr viel publiziert.
Sieht aus wie ein fescher junger römi¬
scher Droschkenkutscher, hat aber
eine sehr durcharbeitete schönhäßli¬
che Stirn; mit sehr vielen langen
scharfen Querfalten. Seelisch scheint
er wie ein Siebzehnjähriger zu sein.
Ton seiner Wissenschaft geht nicht
das Kleinste in sein Leben über, cha¬
rakterisiert ihn als Menschen nicht
das Geringste. Er ist naiv wie ein hei¬
terer Mönch [...]
Sein Vater, der Freidenker, der Anar¬
chist sagt: Die Frau gehört für die
Kinder. Sobald sie Mutter ist, muß sie
auf ihr eigenes Leben verzichten.
(Giuseppe heißt er und scheint eine
Art W. Wundt zu sein) [...]
Quirino ist 27 [...] Für seine Jahre
erstaunlich reif auch als Arzt [...]
Vielleicht ein gewisser sohnlicher Zug
in seiner Erotik. Weil er zu seiner
schlichten, religiösen Mutter offenbar
kein geistiges Verhältnis hat. Und er
macht alles allein, gegen den Willen
der Eltern; er macht sich, arbeitet
sich als praktischer Arzt herauf und
will nicht einen Heller von dem Ver¬
mögen Ediths. Er ist ganz Idealist.216

Ende September [1913].*


Rom: Nächtlicher Besuch im Anthro¬ 1
pologischen Institut [...] Lange Hal¬ Die Anthropolo¬
le, beiderseits die ganzen Wände voll gen- und Mediziner¬
Totenschädeln in Schränken. Die To¬ familie Sergi, Rom.
tenschädel wirken bloß als wissen- Sitzend rechts:
’ schaftliche Präparate, aber oben auf Professor Giuseppe
Sergi, Direktor des
den Schränken stehen kolorierte
anthropologischen
Wuchsabgüsse, Büsten, verschiede-
Instituts Rom. Ste¬
‘ ner primitiver Völker, vom lebenden
hend, zweiter von
Menschen genommen; diese wirken
links: Sergio Sergi,
mit ihrem sprechenden Ausdruck sehr zweiter von rechts:
I unheimlich.1^ Quirino Sergi

200
M usils Besuch im Irrenhaus fand
Anfang Oktober 1913 statt. Seine
umfangreichen Tagebuch-Notizen
dienten dun als Material für die Irren¬
haus-Kapitel bzw. -Kapitelentwürfe
im «Mann ohne Eigenschaften :

Besuch bei Sekcio im Manicomio.


Via Lungara. 'treppe, Kanzleien, Arz-
tewohnungen. Ein winkliger Gang,
weißgetünchte Balken, wie ein Bo¬
denraum führt über die Straße in den
Gebäudekomplex, der sich den Gia-
nicolo hinaufzieht. Man öffnet und
schließt vorher schwere Türen. Pavil¬
lons in einem sehr großen ansteigen¬
den, oben nach links sich abdehnen¬
den Garten. Aussichtspunkte. Auf
einem derselben Kranke mit Wärte¬
rinnen, auf den ersten Blick kaum
voneinander zu unterscheiden. H ir
durchschreiten eine Frauenabtei¬
lung; Haus, umgitterter Platz, Bäu¬
me, Bänke. Alle mit offenem Haar.
Alle abstoßend häßliche Gesichter,
fett verwachsene weiche Züge. Eine
zieht sich den Strumpf hoch, ein sehr
weißes häßliches Bein. Eine alte gibt
uns einen Brief an ihren Mann mit.
Ernesto, Geliebter..! Ziemlich zu¬
sammenhängend, soviel ich sehen
kann. Immer die gleiche Sache: wann
kommst Du? Hast Du mich vergessen?
Du beförderst ihn doch gleich, sagt sie
zum Arzt. Gewiß, verspricht er, und
zerreißt ihn, sobald die Oberschwe¬
ster das Tor hinter uns geschlossen
hat [...]
Dann der andere Hof. Vorsicht beim
Eintreten, der Wärter pocht mit der
Faust an das Tor und auf dieses Zei¬
chen müssen sich alle in einer Reihe m
der Gallerie aufstellen oder dort auf
die Bänke setzen. Sergio schärft mir
noch eigens ein, in mindestens zwei
Schritten Abstand vorbeizugehn. Alle
tun wir es. Wie einer seinen Platz ver¬
läßt, packen ihn die Wärter. Es
kommt alles darauf an jede Unruhe
im Keim schon zu ersticken, wir sind
sieben gegen dreißig; in einem stillen
ummauerten, nur von Irren umwohn¬
ten Hof; darunter Mörder [...] Gleich
2 bei der Tür steht einer, mittelgroß,
Anthropologisches
mittelstark, einen braunen Knebel¬
Institut, Rom
bart und stechende Augen. Er lehnt
mit verschränkten Armen in der Ecke,

3 schweigt und sieht uns böse zu. Ich


Römisches Irrenhaus, glaube, dem wird es gelingen, auszu-
Männerabteilung brechen,218

201
vierzig-fünf zig Typhuskranke in ei-
T nein Kaum zu sehn. Gut genährt !man
— gibt ihnen viel zu essen. Gries, Huhn:
keine Medikamente, nur Kompressen,
— wenn Temperatur 38°, kühle Bäder,
wenn 39*) nur so ein bischen fieber-
glänzende Ilaut. /labet wird der F uß-
boden alle Stunden mit Karbol aufge¬
wischt. wir reinigen unsre Schuhe auf
einem Karbolteppich und geben vor¬
sichtig acht, nirgends anzustreifen.
Stärkster Eindruck: Tuberkulöse in
den letzten Lebensnächten. Sie schla¬
fen aufgerichtet mit fünf sechs Kis¬
sen, die langen Hände ausgestreckt
auf der Decke. Die langen, dünnen
Hälse wie gereckt. Der untere Teil des
Gesichts ganz eingegangen, so daß
die Köpfe wie ein Dreieck aussehri, in
dem die Augen glänzen, wenn sie auf-
sehn, und mit griinweißer oder gelb-
weißer Haut. Sie sterben entweder,
indem sie ganz rasch und klein zu
atmen beginnen (verflackerndes
Licht) oder sie fallen nach einem be¬
sonders starken Bluterbrechen vor
Erschöpfung in Agonie, oder sie ster¬
ben an einem Blutaustritt ins Gehirn
udgL Sie sehn eigentlich aus wie
Träumer. Hie Fanatiker einer un¬
kenntlichen Angelegenheit.219

Der berühmteste und zu seinen


Lebzeiten ineistgedruckte Text
Musils, das «Fliegenpapier», mit dem
er 1936 seinen Band «Nachlaß zu
Lebzeiten» eröffnete, wurde im No¬
vember 1913 in Rom entworfen
(nicht, wie im Vorspann behauptet,
1912) und erschien im folgenden Jahr
in der ersten Nummer der Heidelber¬
ger Zeitschrift «Die Argonauten». Er
erregte u. a. die Bewunderung Ernst
Blochs.
In der Vorbemerkung zum «Nachlaß
zu Lebzeiten» nannte der Autor sei¬
nen auf kommende Katastrophen
deutenden Text einen

[...] Vorausbuck [...], getan mein


Fliegenpapier [...] aber jedermann 1
werden solche ff'eissagungen gelin¬ Ospedale
gen, der an kleinen Zügen, wo es sich di S. Spirito in
unachtsam darbietet, das menschli¬ Sassia, Rom
che Leben beobachtet und sich den
'wartenden Gefühlen überläßt, die
bis zu einer Stunde, the sie aufrührt,
2
Einer der zahlrei¬
scheinbar mirhts zu sagen haben>
chen Nachdrucke
und sich harmlos m dem ausdrücken,
des «Fliegenpapiers»
was wir tun und womit wir uns um¬ in der«Bühne»,
geben.''" Wien, Oktober 1925

202
die bühne

){$>***

Der Dichlor des „Tfirlefl“ und Augenblick, wo ein Klellcrcr wegendes


der „Schwärmer“ schlich diese Schmerzes in den Fingern fieiwillig den
Skizze, die schon den kommen¬ Griff der Hand öffnet, wo ein Verirrter
den Krieg ahnt, im Jahre IUI“. im Schnee sich hinlogt wie ein Kind,

D :ts FlicgenpapierTnnglc-footist nahe¬


zu sechsunddreißig Zentimeter lang
wo ein Verfolgter- mit brennenden Flan¬
ken stellen bleibt. Sie hallen sich nicht
mehr mit aller Kraft ab von unten, sio
und einundzwanzig Zentimeter breit; sinken ein wenig ein und sind in diesem
es ist mit einem gelben, vergifteten Leim Augenblick ganz menschlich. Sie werden
bestrichen und kommt aus Kanada. Wenn sofort an einer neuen Stelle gefaßt,
sich eine Fliege darauf nieder!äi Lt — höher oben am Bein oder hinten am
nicht besonders gierig, mehr aus Kon¬ Leit) oder am Ende eines Flügels.
vention, weil schon so viele andere da Wenn sie die seelische Erschöpfung
sind —, klebt sie zuerst nur mit den überwunden haben und nach einer
äußersten, umgebogenen Gliedern aller kleinen Weile den Kampf um ihr Leben
ihrer Beineben fest. Eine ganz leise, wieder aufnehmen, sind sie bereits in
befremdliche Empfindung, wie wenn wir einer ungünstigen Lage fixiert, und ihre
im Dunkel gingen und mit nackten Bewegungen werden unnatürlich. Dann
Sohlen auf etwus träten, das noch nichts liegen sie mit gestreckten Hinterbeinen
ist als ein weicher, warmer, unüber¬ auf den Ellbogen gestemmt und suchen
sichtlicher Widerstand und schon etwas, sich zu heben. Oder sie sitzen auf der
n das allmählich das grauenhaft Mensch¬ Erde, aufgebiiumt, mit ausgcstreckten
liche hineinflutet, duB Erkannlwerden Armon, wie Frauen, die vergeblich ihre
als eioe Hand, diu da irgendwie liegt Hände aus den Fäusten eines Mannes
und uns mit fünf Immer deutlicher wer¬ winden wollen. Oder Bie liegen auf dem
denden Fingern festhält. Hauch, mit Kopf und Armen voraus,
Dann stehen sie alle forciert aufrecht, wio im Lauf gefallen, und hallen nur
wie Tabiker, die es sich nicht merken das Gesicht hoch. Immer aber ist der
lassen wollen, oder wie klapprige alte Feind bloß passiv und gewinnt bloß
Militärs (und ein wenig O-beinig, wie von ihren verzweifelten, verwirrten
wenn man auf einem scharfen Grat Augenblicken. Ein Nichts, ein Es zieht
steht). Sie geben sieb Haltung und sam¬ sie hinein. So langsam, daß man dem
meln Kraft und Überlegung. Nach kaum zu folgen vermag, und meist mit
wenigen Sekunden sind sie entschlossen einer jähen Beschleunigung am Ende,
und beginnen, was sie vermögen, zu wenn der letzte innere Zusammenbruch
schwirren und sich abzuheben. Sie über sie kommt. Sie lassen sich dann
führen diese wütende Handlung solange plötzlich fallen, nach vorne aufs Ge¬
durch, bis die Erschöpfung sie zum sicht, über die Beine weg, oder seit¬
Einhalten zwingt. Es folgt eine Atem¬ lich, alle Heine von sich gestreckt, oft
pause und ein neuer Versuch. Aber die auch auf die Soite, mit den Beinen
Intervalle werden immer länger. Sie rückwärts rudernd. So liegen sie da.
stehen da, und ich fühle, wie ratlos sie Wie gestürzte Aeroplane, die mit einem
sind. Von unten steigen verwirrende Flügel senkrecht in die Luft ragen. Oder
Dünste auf. Wio ein kleiner Hammer wie krepierte l’ferdo. Oder mit unend¬
tastet ihre Zunge heraus. Ihr Kopf ist lichen Gebärden der Verzweiflung. Oder
hrnun und haarig, wie aus einer Kokos¬ wie Schläfer. Noch am nächsten Tag
nuß gemacht; wie menschenähnliche wacht manchmul eine auf, tastet eine
Ncgcridole. Sio biegen sich vor und Weile mit einem Hein oder schw irrt mit
zurück auf ihren festgeschlungcnen dem Flügel. Manchmal geht solch eioe
Ueinchcn, beugen sich in den Knien Bewegung über das ganze Feld, dann
und stemmen sich empor, wie Menschen sinken sic alle noch ein wenig tiefer in
es machen, dio auf alle Weiso versuchen, ihren Tod. lind nur an der Seite des
eine zu schwere. Last zu bewegen ; Leibs, in der Gegend des Buinansutz.es,
tragischer als Arbeiter, wahrer im sport¬ haben sie irgendein ganz kleines, flim¬
lichen Ausdruck der äußersten Anstren¬ merndes Orgau, das lebt noch lange.
gung uls Laokoon. Und dann kommt Es geht auf und zu, mau kann es ohne
der immer gleich seltsame Augeublick, Vergrößerungsglas nicht bezeichnen, es
wo das Bedürfnis einer gegenwärtigen sieht wie ein winziges Menschenuuge
^eiehnuny von AI. BirQ Sekunde Uber alle mächtigen Dauer- aus, das sich unaufhörlich öffnet und
gefiihlc des Daseins siegt. Es ist der schließt.

25
2

203
November [1913].- Die Farben der
Dinge sind blaß ohne schwach zu
sein. Sie sind anders, ohne daß ich
mir Rechenschaft geben kann, wie.
Bloß vorn Himmel weiß ich. daß er oft
hell blaugrau ist.
Entsetzlich: Daß du hier schwanger
warst. Deinen Leib durch diese Stra¬
ßen getragen hast. Anerkennend, daß
du mit diesem Volk lebst.
Entsetzlich auch, daß du dich nicht
geschämt hast, deinen Leib wie eine
Tafel zu tragen mit der Inschrift: ich
habe mit diesem Menschen Ge¬
schlechtsverkehr.
Von überall ist es nur ein Schritt in die
Metaphysik: ln acht Tagen wirst du
hier mir gegenübersitzen. Ich sehe
schon den Raum, den du einnehmen
wirst. Die Polsterung wird sich etwas
unter dir einsenken. Es wird alles ge¬
nau so sein, wie es jetzt schon wäre,
nur Zeit wird vergangen sein. Wir
werden im Wagen von der Bahn kom¬
men, du wirst mir die Hand drücken,
das alles wird ganz gewiß sein, ist
schon; nur die Zeit fehlt daran. Was
ist das Zeit? 221

r
VJJaetano Marcovaldi kehrte 1914
zu seinem Vater nach Rom zurück
und lebte fortan bei ihm, während
Annina, die Tochter, bei ihrer Mutter
Martha blieb. In einem nicht datier¬
ten Briefentwurf von ca. 1911 schrieb
Musil an Enrico Marcovaldi:

[. ..] ICH FÜHLE, DASS DIE SITUATION


der Kinder erfordert, daß ich mein
persönliches Interesse zurückstelle.
Was dies betrifft — können Sie nun
versichert sein, daß ich die Kinder
stets aLs Ihre Kinder respektiert habe
und respektieren werde. Es liegt mir
ferne — wie Sie zu glauben scheinen,
mich hier dazwischen zu drängen. Als
Berater und Freund — soweit es mir
die Mutter gestattet - würde ich ihnen
natürlich jederzeit zur Verfügung ste- I
hen, aber die Rolle des Vaters mir an- Martha mit ihrem
zumaßen würde durchaus meiner Ge- Sohn Gaetano, um
sinnung zuwiderlaufen. Ich würde
wünschen, daß Ihre Kinder mich ger¬
ne haben, aber sie sollen es nicht 2
mrhr tun. ab einem gutt nfn and ge- Enrico Marcovaldi
gcnubrr. auf de, ne jederzeit zahlen mit seinem Sohn
könnenGaetano, um 1920

204
Die Rückkehr Marthas aus Wien
oder Berlin erwartend, notierte Musil
gegen Ende November 1913 im Tage¬
buch:

Warten: Ich sehe meine Arbeit .an.


Sie ist bewegungslos; wie aus Stein.
Nicht bedeutungslos, aber die Sätze
rühren sich nicht. Ich habe zwei Stun¬
den Zeit, bevor ich - gut gerechnet -
weggehn kann. Jede fünfte Minute se¬
he ich nach der Uhr. es ist immer we¬
niger nicht als ich geschätzt habe
aber als ich — wie auf ein Wunder
hoffe. Ich sehe zum erstenmal die Mö¬
bel in meinem Zimmer still stehn. Es
sieht so anders aus wie wenn man fünf
Punkte als Spielfünf sieht. Der Tisch,
die zwei Stühle, das Sofa, der
Schrank. So muß es Menschen ohne
Ideen gehn, wenn ihr Tagwerk ge¬
schlossen hat. Eine schon etwas über¬
freute Erwartung ist in mir. So über¬
freut wie am Ende des 24. Dezember
kurz bevor es losgeht.216

CAftFiRAGLIA [...] Eine URSE. GEBISS


banale, Kaffeehausmusik spielt sanft.
3 Martha sagt; wenn du mich so an-
Hauptbahnhof fährst, bin ich immer ganz kopflos vor
R°m Verzweiflung. Als wir aus dem Kaffee
hinaus traten, war eine weiche milde
4 Luft, dunkelstahlblaue Nachtwolken
Palazzo Venezia, standen zu Mauern aufeinander^ -
Rom, mit Cafe wälzt am Himmel. Ich fühlte mich
Faraglia links unter weinerlich vor Gernehaben und hätte
den Sonnenschirmen sie immerzu streicheln mögend''

205
r
I j iner der wichtigsten Texte Musils,
die im Herbst 1(H3 in Hum entstan¬
den. ist sein «Politisches Bekenntnis
eines jungen Mannes», das die »Wei¬
ßen Blatter» im November 1913
druckten. Die Ahnung der kommen¬
den Katastrophe ist darin unüberseh¬
bar — Glashausgefühle.

EiXSTH E/LE.X TREIBEN MR POLITIK, »EIL


wir nichts wissen. Es zeigt sich deut¬
lich. darin, wie wir es tun. Unsre Par¬
teien existieren durch die Angst vor
der Theorie. Gegen die Idee, fürchtet
der Rähler, läßt sich stets eine andre
Idee einwenden. Darum schützen sich
die Parteien gegenseitig vor den paar
alten Ideen, die sie ererbt haben. Sie
leben nicht von dem. was sie verspre¬
chen. sondern davon, die Versprechen
der andern zu vereiteln. Das ist ihre
stillschweigende Interessengemein¬
schaft. Sie nennen diese gegenseitige
Behinderung, die nur kleine prakti¬
sche Ziele erreichen läßt. Realpolitik.
Keine von ihnen weiß wirklich, wohin
es führen würde, wenn man den Agra¬
riern folgte, oder den Forderungen
der Großindustriellen oder denen der
Sozialdemokratie. Sie wollen gar kei¬
ne Politik machen, sondern Stände
vertreten und für bescheidene U ün-
sche das Ohr der Regierung haben.
Ich hätte nichts dagegen, wenn sie
darum die Politik andren überließen,
so aber konservieren sie durch die Le¬
gierung mit wirtschaftlichen Tages¬
vorteilen auch noch entwertete Ideo¬
logien. wie die des Christentums, der
Könige, des Liberalismus, der Sozial¬
demokratie. Und indem sie sie nie¬
mals ausführen, geben sie ihnen einen
Schein von Bedeutung und Heilig¬
tum, was neben allem andren auch
noch eine Sünde wider den Geist ist.
Ich bin überzeugt, daß das wirt¬
schaftliche Programm keiner einzigen
von ihnen durchführbar ist und daß
man auch gar nicht daran denken
soll. eines zu verbessern. Sie werden
weggeblasen, sobald der Rind sich 1
erhebt, wie allerhand Mist, ih r sich Cafe Greco, Rom

20()
auf stillem Boden angehäuft hat, sie
werden falsch gestellte Fragen sein,
auf die es kein Ja und Nein mehr ge¬
ben soll, sobald eine Sehnsucht durch
die Welt fährt. Ich habe keinen Beweis
dafür, aber ich weiß, so wie ich war¬
ten viele.
Noch aber ist es still und wir sitzen
wie in einem Glaskäfig und traun uns
keinen Schlag zu tun, weil dabei
gleich das Ganze zersplittern könn¬
te.225

Q . . ,
kJchon im Frühjahr 1913 war Musil
aus unbekannten Gründen entschlos¬
sen, seinen Vertrag mit dem Verlag
Georg Müller nicht mehr zu verlän¬
gern. Franz Blei fühlte deshalb für
Musil bei Kurt Wolff wegen eines
monatlichen Fixums vor und winkte
mit einem Drama, den späteren
«Schwärmern», und einem «famosen
Roman». Wolff erkundigte sich dar¬
aufhin bei Franz Werfel, ob er Musil
verpflichten solle. Werfel antwor¬
tete darauf in einem undatierten
Schreiben von ca. Ende April, Anfang
Mai 1913:
«[...] natürlich sollen Sie Musil ver¬
pflichten. Aber so, daß er nicht, wie
jetzt Walser bei Fischer, einen großen
Roman wo anders erscheinen läßt
und Ihnen kleinere Bücher gibt.»220
Bei seiner Rückkehr aus Italien ver¬
handelte Musil ca. Ende Dezember
1913, Anfang Januar 1914 mit Kurt
Wolff in Leipzig. Eine Einigung kam
aber nicht zustande.

Wolff: Gross. Schla.\k. Blond.


Grauenglisch angezogen. Elegant.
2 Weiches Haar. Glatt rasiert. Jiing-
Kurt Wolff lingsgesicht. Blaugraue Augen, die
(1887-1963) sich verhärten können

207
I\l CI \SM\l

F; ntschJossen, gegen ein festes En¬


gagement seine Bibliothekarstelle in
Wien aufzugeben, verhandelte Musil
Anfang Januar 1914 nach Kurt Wulff
auch mit S. Fischer. Der Versuch war
nicht ohne Delikatesse, weil die Haus¬
zeitschrift des S. Fischer Verlags im
Dezember 1911 die «Verwirrungen
des Zöglings Törleß» und die «Verei¬
nigungen» einer teilweise vernichten¬
den Kritik unterworfen hatte:
«Blindgeborene sind das geborene
Publikum für ihn. Es ist keine Form
gedichtet, sondern alles zu Dunst und
Nebel getrachtet. Die Mutmaßlich-
keit ist die Seele dieser Poesie» hieß es
über die «Vereinigungen».2“8 Gewiß
keine leichte Hypothek für die Ver¬
handlungen, vor denen Musil nur
zweimal, im Januar und April 1913,
mit einer eigenen Rezension in der
«Neuen Rundschau» vertreten war.
Der unwahrscheinliche Fall trat ein —
Musil wurde als Redakteur der «Neu¬
en Rundschau» engagiert.
1
Samuel Fischer
Gang zv Fischer• Ich nehme mir un- (1859-1934)
terwegs vor, die geschäftlich exorbi¬
tante, persönlich mir notwendige For¬
derung zu stellen. Sie erscheint mir so 2
unmöglich, daß ich zu dichten begüi- Gebäude des
ne. Ich merke ein leises Nachgeben im S. Fischer Verlags in
Berlin, Bülowstr. 90/91.
andern. Ich glühe. Ich habe nur den
Als Redakteur der
einen Hillen, den Erfolg nachhause
«Neuen Rundschau»
zu bringen. Ich spüre überhaupt, daß
hielt Musil hier diens¬
ich einen H illen habe. Eine ganz har¬
tags und freitags von
te, glückselige Beziehung zwischen 15 bis 16 Uhr Sprech¬
zwei Menschen}1'* stunde

208
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D ie Urteile, die Moritz Heimaim


als Vertrauter S. Fischers über Musil
als Autor und Redakteur abgab —
auch im Hinblick auf ein eigenes Bei¬
heft zur «Neuen Rundschau» als pro¬
spektives Organ für die junge Auto-
ren-Generation — sind nicht ohne
Delikatesse. Am 10. Januar 1914
schrieb er:
«[...] ist Herr Musil ohne Zweifel ein
Mann von ungewöhnlichen Eigen¬
schaften: gebildet, kenntnisreich, von
tiefem und starkem Verstand, höchst
talentvoll und dabei in sozialem Sinne
klug und klar. Dennoch hatte ich —
nicht ein Bedenken, aber doch ein
<Zubedenken>. Sein Talent, das un¬
nachgiebig und diamanthart ist, ist
doch auch zähe und entbehrt der ei¬
gentlichen Produktivität, worunter
ich nicht die Menge des Geschaffenen
verstehe, sondern eine eigentümliche,
schwer zu definierende Spannung.
Ganz im Einklang damit ist es, daß
seine Natur und sein Geist um sich
selber kreisen, in allen Instinkten ex¬ 1
klusiv sind und des Hochmuts sich Moritz Heimann
(1868-1925),
nur aus Höflichkeit entschlagen.»230
von 1895 bis 1923
Lektor und Berater
S. Fischers
-Aun 5. April 1914 schrieb Heimarm
an S. Fischer:
<Dr. Musil ist ein ausgezeichneter 2
Schriftsteller, kein Organisator. Und Oscar Bie (1864-1938),
es ist merkwürdig und nicht ohne leitender Redakteur
boshaften Beigeschmack zu beobach¬ der «Neuen Rundschau»,
ten, wie schon jetzt, kaum daß er an¬ nach einer Zeichnung
von Martha Musil
gefangen hat, zwischen der Ultra-Ju¬
gend und ihm die Gegensätze und
Unstimmigkeiten so groß sind, daß er
3
zu den Konservativen neigt. Ein Ge¬ Verlagsvertrag
winn ist er in jedem Falle, schon weil zwischen Robert Musil
er Bie in Atem hält [.. ,]»231 und S. Fischer

210
o

Zwischen der Firma R. Fischer, Verlag ln in oder deren

Rechtsnachfolger einerseits and Herrn pr. Robert Musil in 3erlin Mitarbeit an der Redaktion der Neuen Rundschau,ein Pauschalhonorar

andererseits wurde heute folgender '-'ertrag abgeschlossen: von Fünftausend Mark p~o Jahr, zahlbar vor. 1. Februar d. J. ab,

i i- postnumerando in monatlichen Ra'en vor. M. 41Ü. Oß auf die Dauer

ftp’ Pr. Robert Mus 7 tritt am 1. Februar -.ieses Jahres in von zwei Jahren.

die Redaktion der „Neuen Rundschau" ein. Zs obliegt ihm in der t 4.

Hauptsache die Heranziehung der jungen Rchriftsteiler-Gen»ratton, Rollte sich die Begründung einer selbständigen Zeitschrift

die Finholung und redaktionelle Richtung der Produktion Z"/t Ver¬ zur Erfüllung des hier genannten progran-s während der Dauer

öffentlichung in der Neuen Rundschau, eaentl. auch zu~ 3u"hausgabe dieses Vertrages als notwendig erweisen, ’O gilt dieser Vertrag

für den Verlag. Zu diesem Zweck wird er sich mit d»n in Frage in allen Punkten eventl. auch für die neue Zeitschrift, unter

kommenden Rchriftste11ern persönlich und schriftlich in Verbindung der Redaktion des Herrn Pr. Robert Musil.

setzen und mit der Gruppe dieser Rchriftstel7er, sowie mit dem

Verlag und der Redaktion der Neuen Rundschau in ständigem Kontakt

halten. Regelmassige Sprechstunden in 3üro der Redaktion sind

ilcbei ebenfalls vorgesehen.

Es obliegt ihm ferner die keltische .Begründung und Führung

dieser Gruppe ln der Rundschau durch Essais und- Aufsätze.

f 2.

Herr Dr. Musil übernimmt ferner die literarische K'-iiik der

Rundschau und verpflichtet sich, in einer Ans- hl kritischer Auf-

eätee die neu erscheinenden literarischen Werke in der Fundschau

**• besprechen. Während der Dauer dieses Vertrages darf Herr Pr.

Musil in keiner andern Zeitschrift Essais oder Besprechungen der

hier genannten Art veröffentlichen.

( 3.
Herr Pr. Robert yUsll erh-lt für die hier genannten redaktio¬

nellen Arbeiten, sowie für eeine gesamte schriftstellerische

11-1

211
IM (.1 \SH\l

M,
IVJLusil lernte Rathenau bald nach
seinem Eintreffen in Berlin kennen,
am Sonntag, den 11. Januar 1914.
Schon bei der ersten Begegnung ent¬
schloß er sich, Rathenau als Figur in
einem Roman zu verwenden:

11. JÄNNER: ür. W. RaTHENAU: eis


wundervoller englischer Anzug. Hell¬
grau mit dunklen, von kleinen weißen
Augen gerahmten. Längsstreifen. Be¬
haglicher warmer Stoff und doch
unendlich weich. Faszinierend ge¬
wölbte Brust und Seitenebenen weiter
abwärts.
Etwas Negroides im Schädel. Phöni-
kisches. Stirn und vorderes Schädel¬
dach bilden ein Kugelsegment, dann
steigt der Schädel — hinter einer klei¬
nen Senkung, einem Stoß — rückwärts
empor. Die Linie Kinnspitze — wei¬
testes Hinten des Schädels steht bei¬
nahe unter 45° zur Horizontalen, was
durch einen kleinen Spitzbart (der
kaum als Bart sondern als Kinn
wirkt) noch verstärkt wird, kleine
kühne gebogene Nase. Auseinander¬
gebogene Lippen. Ich weiß nicht wie
Hannibal aussah, aber ich dachte an
ihn.
Er sagt gern: Aber, lieber Doktor und
faßt einen freundschaftlich beim
Oberarm. [...]
Er ist doktrinär und immer dabei gro¬
ßer Herr. Man macht einen Einwand.
Gern; ich opfere ihnen diese Voraus¬
setzung ohneweiters. aber-
Er sagt (und hier erleuchtete er mich
als Vorbild zu meinem großen Finanz¬
mann in der Hotelszene): Mit der Be¬
rechnung erreichen sie im Geschäfts¬
leben gar nichts. Wenn sie klüger sind
als der andere, so sind sie es einmal;
denn das nächstemal nimmt er sich
ganz zusammen und überlistet sie.
Renn sie mehr Macht haben als er, so
tun sich das nächstemal mehrere zu¬
sammen und haben mehr Macht als -j
sie. Nur wenn sie die Intuition haben, Walther Rathenau
erreichen sie im Geschäftsleben etwas ji ß67_i 922)
über die Menschen [... ]

XVund drei Monate nach der Begeg- Alfred Wolfenstein


nung besprach Musil in der «Neuen (1888-1945)
Rundschau» Rathenaus Buch «Zur
Mechanik des Geistes». Diese Rezen- 3
sion war eine intellektuelle Kriegser- Rainer Maria Rilke
klärung und verbitterte Rathenau (1875-1927)

212
sehr. Musil kritisierte in Rathenaus
Werk die Verflüchtigung des Erleb¬
nisses und die Ersetzung der Gefühls¬
mystik durch eine rationale Interpo¬
lation.

Das Unglück will, dass die Men


sehen, die heute für solche Fragen in
Betracht kommen, wenig Verständnis
für die Tugend scharfen Denkens ha¬
ben und kaum fühlen werden, daß
hier alles wieder verlorengeht, wäh¬
rend die andern, die dieses Verständ¬
nis besäßen, meist keine Ahnung ha¬
ben, was hier ein Griff in der Tiefe
erfaßte, dem es auf dem lieg zur
Oberfläche wieder entrann. — Wir
Deutschen haben — außer dem einen
großen Versuch Nietzsches — keine
Bücher über den Menschen; keine Sy¬
stematiker und Organisatoren des
Lebens. Künstlerisches und wissen¬
schaftliches Denken berühren sich bei
uns noch nicht. Die Fragen einer Mit¬
telzone zwischen beiden bleiben un¬
gelöst.,233

Es spricht für S. Fischers außeror¬


dentliche Liberalität, wie er duldete,
daß der Newcomer Musil das Werk
des erfolgreichen Hausautors Rathe¬
nau förmlich zerriß. Anders als heuti¬
ge Verlagschefs verhängte Fischer
keinerlei Sanktionen über seinen un¬
gebärdigen Angestellten. Wiederholt
war Musil Gast bei Abendeinladun¬
gen im Hause Fischer.
Solche Gesellschaften dienten manch¬
mal der literarischen Urteilsfindung.
Alfred Wolfenstein erinnert sich in ei¬
nem Brief an Anton Kippenberg:
«Ich weiss nicht, ob Sie wissen, wie er
[Rilke] am Anfang meines dichteri¬
schen Hervortretens stand: Fr war im
I lause S. Fischers eingeladen, zusam¬
men mit Robert Musil, der aus einem
4 kurz vorher dem Verlag übersandten
Abendgesellschaft
Manuskript von mir vorlas, und Rilke
im Hause S. Fischer
(der mich nicht kannte) las danach
im Grunewald,
jedes Gedicht noch ein Mal vor. Am
Berlin, Erdener Str. 8.
Die Gastgeberin, nächsten Morgen erhielt ich die Nach¬
Hedwig Fischer, erste v. r., richt, dass mein Buch «Die gottlosen
S. Fischer dritter v. r. Jahre> dort erscheinen werde.»234

213
IM (.1 \SI I \l

J^Iusil nahm als Redakteur der


- Neuen Rundschau» sofort Kontakt
mit Kafka auf und bat ihn um Einsen¬
dung von Manuskripten.
Am 23. Februar 1914 notierte Kafka
in seinem Tagebuch: «Briel von Mu¬
sil. Freut mich und macht mich trau¬
rig. denn ich habe nichts.»2,1
Im April verlobte sich Kafka in Berlin
inoffiziell mit Felice Bauer, zu Pfing¬
sten (23. Mai 1914) folgte das offi¬
zielle Verlöbnis. Bei einem dieser Ber¬
liner Aufenthalte lernte Musil Kafka
und Felice persönlich kennen.
Trotz der spontanen <Fehlanzeige> in
seinem Tagebuch bot Kafka der
«Neuen Rundschau» seine Erzählung
«Die Verwandlung» an, die schon im
November-Dezember 1912 entstan¬
den w'ar. Musil konnte sich mit sei¬
nem Votum für den Text in der Re¬
daktion offenbar nicht durchsetzen.
Er mußte Kürzung um ein Drittel ver¬
langen. die Kafka ablehnte. Der Text
erschien so 1915 in den «Weißen
Blättern».

V erehrter Herr Doktor!


ln dieser Sache geschieht mir Unrecht
und gewiß auch Ihnen. Die Geschich¬
te w urde geprüft, lag genug lange in
der Redaktion, um in jeder Hinsicht,
auch auf die Länge hin, geprüft wer¬
den zu können und wurde schließlich \ 1 ,
bedingungslos angenommen oder
vielmehr nur unter der einen von mir ' G. L<wi ^

überreichlich erfüllten Bedingung,


daß man mit der Veröffentlichung b tj
längere Zeit wrarten dürfe. Und jetzt
nachdem auch seit dieser Annahme
Monate vergangen sind, verlangt
H fr
- (vw ' tfUU
f
^ SU I

man, ich solle die Geschichte um 'A


J
kürzen. Das ist unwürdig gehandelt.
qJEL/ (.HjAaw ^
Um die Wahrheit zu sagen, verehrter
Herr Doktor, denn ich weiß daß Sie -yö-U-.. ^-CV
mir vollständig recht geben: wenn K^ Z Lawu. *W, U CÖiv. -
man gleich anfangs vor der Annahme |v , -I n
diese Forderung an mich gestellt hät¬ /WÄ Vtw, ,L C eG~~«
1 \ # \ /\ jjMt (
te, so wäre dadurch nur die gegen¬ Franz Kafka
wärtige Peinlichkeit, die Ihnen und und seine Verlobte
mir jetzt bereitet wird vermieden Felice Bauer
worden. Gekürzt hätte ich aber die
Ceschichte auch damals nicht
2 -JU-Xy r~- ^
ebensowenig w ie ich sie heute kürzen
Entwurf eines L \ ... • .t
würde; Sie billigen gewiß auch dieses
Briefes Franz Kafkas t ^ . +. V u
— es ist gar nicht anders möglich.
an Robert Musil 'b-
Es gibt jetzt, soweit ich sehe, nur zwei
wegen Kürzung der
Ausgleichsmöglichkeiten. Entweder ^ ^
«Verwandlung»
man druckt nur das erste Kapitel der - 9 ^ Jul. \ "ÄjA- ’ ^ yWw.
für die «Neue Rund¬
Geschichte, wie ich es gleich anfang schau»

214
angeboten habe, dann hätte man
gleich eine Kürzung um Vs oder aber
man druckt die ganze Geschichte,
aber noch später, als man ursprüng¬
lich wollte, also vielleicht einmal im
nächsten Jahrgang. Mit beiden Mög¬
lichkeiten bin ich vollständig und
sehr gerne einverstanden.
Ihr herzlich ergebener
[Franz Kafka]236

T ielleicht zur Wiedergutmachung


der Querelen um die «Verwandlung»
besprach Musil bei nächster Gelegen¬
heit Kafkas erstes Buch «Betrach¬
tung» und die Novelle «Der Heizer».
Musil kann so für sich beanspruchen,
als einer der ersten nachdrücklich auf
Kafka hingewiesen zu haben! Dessen
«Betrachtung» mit Robert Walsers
«Geschichten» vergleichend, schreibt
er:
Auch hier Kontemplation in einer
Art, für die ein Dichter vor fünfzig
Jahren sicher den Buchtitel Seifen¬
blasen erfunden hätte; es genügt, die
spezifische Differenz zu erwähnen
und zu sagen, daß hier die gleiche Art
der Erfindung in traurig klingt wie
dort in lustig, daß dort etwas frisch
Barockes ist und hier in absichtlich
seitenfüllenden Sätzen eher etwas von
der gewissenhaften Melancholie, mit
der ein Eisläufer seine langen Schlei¬
fen und Figuren ausfährt. Sehr große
künstlerische Herrschaft über sich
auch hier und vielleicht nur hier ein
Hinübertönen dieser kleinen Endlo¬
sigkeiten ins Leere, eine demütig er¬
wählte Nichtigkeit, eine freundliche
3 Sanftheit wie in den Stunden eines
Robert Musil Selbstmörders zwischen Entschluß
um 1910 und Tat [.. .]23

215
IM CI.VSIIM

Im Haus Mommsenstr. 64, Berlin-


Charlottenburg, wohnte Musil nur
von ca. Mitte März bis 20. August
1914. Es spielt aber eine Rolle als
Schauplatz der Erzählung «Die Am¬
sel». Gegen Ende Mai 1914 notierte er
im Tagebuch:

Die Nachtigall: (Aber es har eine


Amsel.) Nach ein Uhr fängt die Straße
an ruhiger zu werden. Gespräche wir¬
ken als Seltenheit. Um zwei Uhr ist
Lärmen und Lachen unten schon
deutlich Trunkenheit, Späte. Gegen
drei Uhr (im Mai) fängt der Himmel
an, lichter zu werden. Ich lege mich
schlafen. Hinter den grünen Vorhän¬
gen, den Spalten der grünen Rolläden
ist Weißliches. Ich werde aus dem
Halbschlummer erweckt durch etwas
Näherkommendes. ... Die Töne zer¬
platzen an den Fenstern wie Leucht¬ 1
kugeln beim Feuerwerk. Wie man so Mommsenstr. 64,
liegt: erster Findruck wie ein Mär¬ Berlin-Charlottenburg
chen. Ein Zaubervogel, Himmelsvo¬
gel. Man meint, man muß nun an das
2
Übersinnliche glauben: das gibt es al¬ !
Romanisches Cafe -
so wirklich, sagt man sich, sogleich in das Berliner
dieser Zauberwelt heimisch wie ein Literatencafe, in dem
Kind.239 auch Musil verkehrte

21(>
/'VXA
i

3 nt) a [ t
35«m<Hb Starr, Sin OMäbeptr für bi« @l«id>b«it
•&«nnan Qkng, (£ommerfriub«n. s«man
£uri« ®era greft, gicu een @t«in
^«rthclb Q?i«rt«(, Sin grp<r.mcnt. SctxOt
SJlertxrt 3iicqu««. ®übf«t
-£><rmann -£)*<Tf, 3n einer gommlung ägpptifd’er ©fulpturtn

SKunbfcfsflu:
SUfrefc S(tr, 2lm(rifa
©aniel SRtcarbo, 5Kuf|if<b< l2Binfcbaft
Scbcn SStSk £ü«tarifb&« Sfeamif
SliK 3unius’ iaaebucb

Slnm«tfung«n:
*
&n(i SuDfmbfr St*l / t£ugn fnd), Zir ntat Zen Jaen / C«(ar
®if, 2SoP«tn« Stapbil / 0®», ©t« üaicrnen

‘3i«mlj%li(f' biti -fjefte 7 ®!atf. ginjtli)<ft« 1 Sföatf fo Q>f.

SbtrKn /&.JPtTc5«r/cVtrraj

Ich war 1914 in einer Krise. Die


Fortsetzung durch Jugend, die ich bei
der Neuen Rundschau sogar fördern
sollte, gefiel mir nicht. Die Vereini¬
gungen, die Mühe und der Mißerfolg,
lagen mir noch in den Gliedern. Die
Schwärmer waren ein Nebel geistiger
Materie, ohne dramatisches Skelett
[...] Meine Aufsätze befriedigten
mich nicht, die Notizen zu verschiede¬
nen Sujets waren vielleicht nicht im¬
3 mer uninteressant, aber von nichts
«Die neue Rundschau»,
hatte ich den Eindruck, daß es we¬
August 1914, mit
Rezensionen Musils sentlich sei.
über R. Walser, M. Brod, Der Krieg kam wie eine Krankheit,
F. Kafka und besser wie das begleitende Fieber,
A. Holitscher über mich.~MI

217
1914-1918

DIE FLUCHT
VOR DEM FRIEDEN
1)11. III (III NOR 1)1 AI I RI 1.1)1 \

D ie Westerländer Kurzeitung vom


23. Juli 1914 meldete, der Schriftstel¬
ler Dr. Robert Musil und seine Frau
hätten sich am 20. des Monats in
Wenningstedt auf Sylt im tJause E. B.
Seidel einquartiert. Das Ehepaar
machte aber nur in der letzten Juli-
Woche Urlaub und kehrte wegen der
politischen Situation nach der Er¬
mordung des österreichischen Thron¬
folgers in Sarajevo Anfang August
vorzeitig nach Berlin zurück.

Wenni\gstedt, zweite Häute Jvu


[1914].
Im Bad wird es einem ganz blond vor
den Augen.
Die junge Bademeisterin, die das
Trinkgeld nimmt, um trotz des An¬
dranges eine Hütte zu reservieren,
dies dann doch nicht über das Gewis¬
sen zu bringen erklärt, aber das
Trinkgeld behält.
Der große Mann, der sich mit dem
Kopf durch die Brandung boxt. Frau- 1
en in die vierzig, an Hüften und Der Strand
Bauch schon breit, aber mit kugeligen von Wenningstedt
kleinen Brüsten. auf Sylt
Der Nußknackeroberlehrer, der alles
schreiend sagt, mit seinem Stachel- ^
hart, der dann, als der Krieg droht, yyennin stedtauf
ganz still und unruhig und in den Au- Sy,t Ha„$ $eide,
gen glänzend wird, weil er sich wegen jn dem Musil 1914
altll
eines Bruders sorgt.-Ml und 1923 logierte 2

220
I J instein gehörte mit seinem Ro¬
man «Bebuquin» (1912) zu den füh¬
renden Autoren des deutschen Ex¬
pressionismus. Aber auch er wurde
wie viele andere Literaten in den
Bann des Krieges gezogen.

[...] Einsteix erzählt: ix den Kasch


nen Unordnung, Entfesselung. Mit
Ausnahme des Dienstes. Zentimeter-
hoher Schmutz, Notlager, Trinken. Es
wird wie verrückt gestohlen. Koffer
erbrochen. Liegen lassen darf man
überhaupt nicht. Er sagt, er weiß
nicht, was es ist, es sitzt auch in ihm,
er braucht keine Bürste, aber er
stiehlt zwei, sieht eine dritte und
stürzt auf den Mann los: Du hast mei¬
ne Bürste, nimmt sie mit Gewalt.
Ganzen Abteilungen werden die Ge¬
wehrverschlüsse entwendet, sinnlos
versteckt, verstreut. Selbst die Offizie¬
re sagen nur: wenigstens nicht in der
eigenen Kameradschaft stehlen!
Richter und Rechtsanwälte sagen ein¬
ander, als wäre es nichts, hast du
nicht meine Koppel geklaut? Man hat
das Gefühl, paßt man nicht sehr auf,
fallen alle übereinander her.
Einstein ist begeistert; alles andere
ausgelöscht. Schläft er bei seiner
Frau, hat er nur Interesse für sein
Knopfputzmittel. Sein Arbeitszimmer
betritt er überhaupt nicht

jN/Iusils vorläufiger Abschied von


der «Neuen Rundschau» war sein Ar¬
tikel im Septemberheft 1914 «Euro-
päertum, Krieg, Deutschtum» — eine
heute unbegreifliche Hymne auf den
Krieg.

Der Tod hat kei.xe Schrecken mehr.


die Lebensziele keine Lockung. Die,
3 welche sterben müssen, oder ihren
Der Schriftsteller Besitz opfern, haben das Leben und
Carl Einstein sind reich: das ist heute keine Über¬
(1885-1940) treibung, sondern ein Erlebnis, un¬
überblickbar aber so fest zu fühlen
4 wie ein Ding, eine Urmacht, von der
Deutsche Kriegs¬ höchstens Liebe ein kleines Splitter¬
freiwillige 1914 chen war.2'"

221
I 1.1 ( III \( )R DI AI FRIEDEN
1)11

i.V_Lusil rückte am 20. August 1914


zum Landsturmbezirkskommando in
Linz ein und übernahm als Land¬
sturmleutnant die 1. Kompanie des
24. Landsturm-Marschbataillons.
Um den 20. September ging es zur
Grenzsicherung nach Südtirol in den
Raum Spondinig — Dreisprachenspit¬
ze—Eisseepaß. Am 1. November wur¬
de er zum Oberleutnant befördert.
Vor dem Abmarsch aus Linz erhielt er
Besuch von seinem Vater. Im Rück¬
blick schrieb Prof. Alfred Musil am 3.
März 1915 an seinen Sohn:
«Ich habe es auch in Linz gesehen, in
Deinem Gruße anderer Officiere, in
dem allein schon so wenig Entgegen¬
kommen und Verbindlichkeit lag,
daß Dein Wesen den Eindruck der
Arroganz hervorrufen mußte: das
Wertvolle eines Menschen liegt nicht
allein in seinen geistigen Fähigkeiten,
sondern namentlich auch in der
Duldsamkeit mit den Mängeln ande¬
rer, die man ihnen nicht fühlen lassen
darf. — Nimm es Deinem alten Vater 1
nicht übel, wenn er sieht, wie wenig Robert Musil
als Oberleutnant
Du es verstehst. Dir trotz Deiner gei¬
stigen und sonstigen guten Eigen¬
schaften, Freunde zu machen und Dir 2
daher nicht jene Beurteilung zuteil Elitär in Linz
wird, die Du verdienst i »244 ftusmarsch

222
\v
\

223
mi ni \
DIE II.HI II YOK 1)1 M I

In Trafoi und im nahe gelegenen Go-


magoi war Musil zwischen dem
10. Oktober 1914 und dem 13. Janu¬
ar 1915 stationiert. Am 19. Dezember
1914 schrieb er an Hedwig Fischer:

IHRE FREUNDLICHE LlEBESCABE HAT

mich in meinem jetzt entzückenden


Bären idyll mit Dankbarkeit und Süße
erfüllt. Ich stecke rings im Schnee,
Skis sind mir an den Füßen gewach¬
sen und meine Prophezeiung, daß ein
so weites Wegsein von der Welt — denn
ich fange an zu bemerken, daß das
mit meinem Begriff von Glück iden¬
tisch ist, — nicht mehr von langer
Dauer sein kann, scheint sich auch zu
erfüllen. Wenigstens ist mein Batail¬
1
Trafoi, Südtirol
lon schon am Kriegsschauplatz und
nur mir und meiner Kompagnie blieb
noch eine unbestimmte Frist aus Gott 2
weiß welchen Gründen und wie lange Sperrwerk Gomagoi,
Vorbehalten.2*3 Südtirol

224
W'IR FAHREN \ ACH PrAI) l IU IW.I I.IK. I
die Sonne; die Wälder scheinen zu
bliihri. Der Herbst glüht.
Vielleicht dreihundert Schritte über
der Straße gehen die Platzermädchen
mit der Mutter aus der Kirche.
Schwarze Gestältchen. Ich kenne sie
nicht, der andre erzählt mir; wir se¬
hen hinauf. Plötzlich winkt die eine
mit dem Arm übermütig, übermütig
zu uns herüber.
Sonderbarer Eindruck; ich weiß, die
Mädchen sind hier etwas berüchtigt,
uneheliche Kinder sind da; aber et¬
was quillt in einem Menschen auf und
herüber. eine Sympathie bricht aus.
wenn auch leichtsinnig, und Mensch¬
liches berührt dich.
Wir begegnen einer Bäuerin. Viel¬
leicht Ende dreißig, gealtert wie diese
Weiber sind. Wir sehen sie, sie uns an.
mit einemmalgrüßt sie verlegen. Es ist
sehr ergreifend in dieser leblosen,
steifen Erscheinung, so neutral wie
Großmütter, dieses Evazüglein sich
rühren zu sehn.14<>

das Landsturm-Marschbatail¬
lon um die Jahreswende 1914/15
nach Rußland abgezogen wurde,
blieb Musil als Abschnittskomman¬
dant im Grenzabschnitt Sulden-Tra-
foi zurück. Gegen Mitte Januar 1915
wurde er wegen Differenzen mit ei¬
nem pedantischen Vorgesetzten und
unter dem Vorwurf organisatorischer
Unzulänglichkeiten von seinem Po¬
sten abgelöst. Anfang Februar 1915
wurde er Adjutant von Franz Graf
Alberti de Poja, dem Kommandanten
des Landsturm-Infanteriebataillons
169 in Levico, Südtirol.

-Ljeopold Hirsch, Kommandant des


Landsturm-Marschbataillons Nr. 24,
trug durch Abziehung eines tüchtigen
Recfmungsunteroffiziers wohl zur
3 Ablösung Musils als Abschnittskom¬
Die «Platzer- mandant bei. Musil kommentierte
Mädchen», Trafoi. seine private militärische Niederlage,
Von links: Elisabeth, die vor allem sein Vater als Schande
Marianne und
empfand, später so:
Hermine Platzer
Ern Mensch, der alles richtig, nach
Grundsätzen und moralisch in Ord¬
4
nung bringen wi/L verwirrt alles.
Oberstleutnant
Konsternierende II irkung, die ich auf
Leopold Hirsch,
Kommandant meine Kompanie hatte! Ich selbst,
des Landsturm- nicht irgend ein Pedant. Die prak¬
Marschbataillons tisch ordnenden Menschen sind im¬
Nr. 24 mer Improvisatoren.1*

225
DU. Hi CHI Voll 1)1 M I RIKm N

Bts zur Kriegserklärung Italiens


(23. Mai 1915) hielten sich Musil, sei¬
ne Frau Martha und seine Stieftochter
Annina in Pergine und in Levico auf.
Von der Veränderung der politisch-
militärischen Lage ahnten sie noch
nichts. In einem Brief an Hedwig Fi¬
scher schrieb Martha am 3. April
1915 aus der Villa dalla Torre in Le¬
vico:

[...] die Lage ist uesentuch ent-


spannter als früher, es sind bestimmte
Anzeichen dafür vorhanden, die mein
Mann weiß, aber über welche sich
nicht gut schreiben läßt; und auch für
den Außenstehenden ist die Tatsache,
daß hier, so nahe der Grenze, sehr
viele Verwundete untergebracht sind,
ein beruhigendes Zeichen, denn die
würden bei Gefahr zuerst fortge¬
schafft werden. [...]
Wir sind schon über einen Monat in
Levico, waren vorher zehn Tage in
Pergine, die ganze Välsugana ist jetzt
im Frühling wunderschön, besonders
der Caldonazzosee. [...] Hier ist es
auch recht hübsch, aber keine Kurgä¬
ste, weil fast alle Hotels als Spitäler 1
für Leichtverwundete eingerichtet Levico, Kurhaus,
sind; nur die Frauen der Offiziere sind Sitz des 11. Armee¬
hier und jetzt in den Ferien auch An¬ kommandos

nina, die das Grenzabschnittskind


genannt wird. Wir haben eine große
2
Offiziersmenage und leben ganz lu¬
österreichisches
stig, — ich versuche, nicht an die Offizierskasino in
Wahrscheinlichkeit, daß mein Mann Südtirol während des
noch ms Feld muß, zu denken.■48 Ersten Weltkriegs

226
v„, om Mai bis November 1915 bil¬
deten Pergine und seine Umgebung
das Zentrum für Musils militärische
Aktivitäten. Von Pergine aus rückte
er bei Ausbruch des Kriegs mit Italien
als Adjutant des Grenzunterab¬
schnitts Palai in das Fersental ein. Die
Eindrücke, die er in seinem Tagebuch
notierte, verarbeitete er in der Novelle
«Grigia».

In den Strassen war eine Litt, aus


Schnee und Süden gemischt. Es war
Mitte Mai. Abends waren sie von gro¬
ßen Bogenlampen erhellt, die an
quergespannten Seilen so hoch hin¬
gen, daß die Straßen darunter wie
Schluchten von dunklem Blau lagen,
auf deren finstrem Grund man dahin-
3
gehen mußte, während sich oben im
Pergine (Südtirolj
Weltraum weiß zischende Sonnen
mit Caldonazzo-See
drehten. Tagsüber sah man auf Hein¬
berg und Wald. [...] Oben aber war
4 der Wald dunkel und der Berg hieß
Pergine, Rathaus Selvot.249

99 '
Kl IUl i IVKl ll<)\ III ) TI I 11(1

9/VI. [1915] Weiss-violett-grük-


braun standen die Wiesen.
Märchenwald von alten Lärchen-
stärnmen, zart behaarten, auf grüner
Schräge.
Der Bach fällt einmal über einen
Stein wie ein silberner Steckkamm.
In dieser geheimnisvollen Natur, als
hinge es damit zusammen, unser Zu¬
sammengehören. Die Scharlachblu¬
me: wundervolles Hissen daß diese
Stelle einer Frau nur da ist. dich mit
ihr zu vereinen. Es ist nämlich so un¬
sinnig, so unpraktisch, direkt eine re¬
ligiöse Tollheit. Länge des sich nicht
Wiedersehens: eine solche Außer¬
kraftsetzung des Zusammerigehörens,
Bankerotterklärung, daß man nach¬
her gedemütigt sein und neu beginnen
muß. Muß dich neu erwerben, nach¬
dem ich das zugelassen habe. Schwur.
Dachte — immerhin — daß ich da, zwi¬
schen Anemonen, Vergißmeinnicht,
Orchideen, Enzian und (herrlichem
grünbraunen) Sauerampfer bald lie¬
gen werde. Wie dich hinübernehmen?
Glauben können, daß hier es nicht zu
Ende. Fange überhaupt an, mystisch
zu werden. Diese persönliche Vor¬
sicht, die in diesem Krieg bisher meine
Schicksale gelenkt hat, berührt mich
schon lange. Wie herrlich nun: Wie¬
dervereinigung. Neugewonnene Ju¬
gend. Die kleinen Entstellungen, die
die Jahre der Geliebten zufügen, von
ihr genommen. Mit der Hoffnung auf
die Ewigkeit eines Verhältnisses ist die
Liebe unerschütterlich. Wer wird sich
zur Untreue verleiten lassen und die
Ewigkeit für eine Viertelstunde op¬
fern. Das kann nur geschehn, wenn
man irdisch rechnet. Die Liebe welt¬
männisch betrachtet.
Keine Frage, wo die größere Glücks¬
kraft liegt. Die Stete, Der Mut in der
Schlacht.
1
Mari kann überhaupt nur liehen,
österreichisches
wenn man religiös ist. Militär in den
I ntreue bringt um die himmlische Se- Wiesen bei Palai im
Iich' - t; ist ein Sakramentsbruch.2 ,0 Fersental
12. VI. [1915]
Dü: Du LÄDST DEN RAUM UM DICH ZU
nehmend stark mit deiner Gegenwart.
Intensitätsunterschied zwischen Vor¬
stellen und Dasein wird zu einem
Glück, das ich fühle.
Eine Menge von Grazie, Duft, IVohl-
ordnung umgibt mich. In die Vor¬
nehmheit deines Körpers trete ich wie
ein Bauer ein. Ich bin selig mit dir zu
plaudern. Ich kann es überhaupt nur
mit dir. Kamerad. Einziger Mensch,
den ich liebe Mit dem ich mich verste¬
he. Verlaufe, verliege; ohne einen
Schatten von sich nicht mögen.
Aber Mystik ist fort; hält sich nicht in
der Stadt.
Dafür etwas Eiliges, Huschendes. Das
rasch Gestohlene dieses kurzen Bei¬
sammenseins. Irdisch; heiß wie Sonne
auf einem Erdbeerenschlag.
Und doch ein Mißtrauen: ich will dir
nie untreu sein — ohne einzusehen
warum, bloß weil du es nicht willst —
und du könntest es sein. Du wärst es
2
Selbstporträt imstande, ohne mir etwas zu sagen.
Martha Musils, dem Diese Einbildung macht mich für Mi¬
Vater ihrer nuten mitten im Glück heimtückisch.
Tochter «con affetto» Und dann standest du am Bahnhof
gewidmet als ich wegfuhr, und hieltst den gebo¬
genen Arm hoch wie eine Eahne, die
man aufrecht hält, eigensinnig, unbe¬
3
kümmert um die Menschen, durch das
Hotel Kaiserkrone,
Uberwinden des Müdigkeitsschmer¬
Bozen, Logis des
Ehepaars Musil zes dem Schicksal etwas abtrotzend:
während eines Front¬ und ich liebte in diesem Augenblick
urlaubs Roberts bis zu Tränen dich und dein ganzes
vom 9.-12. Juli 1915 Leben.25'

2‘2<>
1)11. I 11 < III VOR 1)1 M I-RIEDEN

nfang Juni 1916 fragte Franz Blei


(in einem unveröffentlichten Brief)
hei Martha Musil an:
«Auf welcher Cima di Brenta reitet
Musil? Warum ist er nicht besser im
Hauptquartier? Dort kann er doch
das Stück [«Die Schwärmer»] fertig
machen, nach dem alle fragen. Oder
ist es fertig? [... Bitte um Musils Rei¬
terbildnis! Ich will mit der Literatur
zu Pferde renommieren. —»
Die Erfahrungen seines militärischen
Reiterlebens verwendete Musil im
«Mann ohne Eigenschaften» in der
Beschreibung einer Kutschenfahrt:

<ÜAS IST DER Pep/. UND DAS IST DER


Hans», erläuterte Graf Leinsdorf un¬
terwegs; man sah die tanzenden
braunen Hügel der Kruppen und zu¬
weilen einen der nickenden Köpfe, der
im Rhythmus zur Seite blickte, daß
der Schaum com Maul flog. Es war
schwer zu begreifen, was in den Tie¬
ren vor sich ging; es war ein schöner
Vormittag, und sie liefen. Vielleicht
sind Futter und Laufen die einzigen
großen Pferdeleidenschaften, wenn
man berücksichtigt, daß Pepi und
Hans verschnitten waren und die Lie¬
be nicht als greifbares Verlangen
kannten, sondern nur als einen
Hauch und Schmelz, der ihr Weltbild
zuweilen mit dünn leuchtenden Wol¬
ken überzog. Die Leidenschaft des
Futters war in einer marmornen Krip¬
pe mit köstlichen Haferkörnern auf¬
bewahrt, in einer Raufe mit grünem
Heu, dem Schnurren der Stallhalfter
am Ring; und in dem Brodgeruch des
warmen Stalls zusammengezogen, 1
durch dessen würzigen, glatten Duft
wie Nadeln das ammoniakhaltige
starke Ichgefühl drang: hier sind
Pferde! Etwas anderes mochte es um
das Laufen sein. Da ist die arme Seele
noch mit dem Rudel verknüpft, wo
voran in den Leithengst oder in alle
auf einmal von irgendwoher eine Be¬
wegung kommt und die Schar Sonne
und Wind entgegensprengt; denn
wenn das Tier einsam ist und ihm alle
vier Weiten des Raums offen stehn, so
läuft oft ein irrsinniges Zittern durch
seinen Schädel, und es stürmt ziellos
fort, stürzt sich in eine schreckliche
Freiheit, die in einer Richtung so leer
ist wie in der anderen, bis es vor i
Ratlosigkeit still steht und mit Robert Musil
einer Schüssel Ilafer zurückzulocken auf einem Südtiroler
«t.251« Gebirgsweg

230
.^lun 24. August 1915 schrieb Mar¬
tha Musil (in einem nicht publizierten
Brief) an ihren Mann:
«[...] es wurde von guten Reitern er¬
zählt, daß man nie seines Pferdes si¬
cher sein kann, und deshalb — beson¬
ders wenn man allein reitet — seine
Gedanken immer beim Pferd und
Weg haben soll. Bitte Acht geben!»

_/\.m 14. September 1915 (unveröf¬


fentlicht):
«Wenn Du mich wegen der Arbeit
verkürzt, macht es mir nichts, irn Ge-
2 genteil: das ist ichdu, nur wenn Du
Robert Musil auf allein verschlossen grantig bist, mir
seinem Pferd Pepi den Peppi vorziehst, bin ich bös.*

231
VKIMUI.I l\ Kl HU\ I.IIWl.l

Mo/lxas [= Deckname für Musil


nach einer Figur aus dem Drama «Die
IKI

Schwärmer» ] auf dem Lande: Es setzt


ein wie die Entstehung eines Lust¬
mords: eine ganz verschlossene innere
Bahn ist plötzlich zwingend frei.
Wahrhaftigste Hingegebenheit und
eine Viertelstunde später die vollkom¬
mene Klarheit, daß es sein wird. —
Er liebt eine Frau und kann nicht wi¬
derstehn, eine andre zu probieren,
üie Forderung der Treue ist, die erste
hors de concours zu rücken. Seine
Form dafür die ekstatische Liebe. In¬
dem er ekstatisch liebt, kann er den
niedrigen Lüsten Freiheit geben. Ge¬
nügt das nicht, so kommt die Demüti¬
gung der zweiten.

Will man sich von der Geschlechtlich¬


keit der Bauern eine zutreffende Vor¬
stellung machen, so muß man an ihre
Art zu essen denken. Sie kauen lang¬
sam, schmatzend, jeden Bissen wür¬
digend. So tanzen sie auch Schritt um
Schritt und wahrscheinlich ist alles
andere ebenso.1'1

GtUDSCUt V ERBAU.HÖRNTE KOSEFORM


von Grigia]: Zu unserer Alm gehn.
Welche Verzauberung.
Heustadl: Durch die Fugen zwischen
den Balken strömt silbernes Licht ein.
Das Heu strömt grünes Licht aus. Un¬
ter dem Tor liegt eine dicke goldene
Borte.
Das Heu riecht säuerlich. Wie die be¬
rauschenden Getränke der Neger
(aus dem Teig der Brotbaumfrucht
und Speichel bereitet) Durch diesen
Gedanken entsteht ein wirklicher
Rausch. In der Hitze des engen, von
gärendem Heu erfüllten Raums.
Das Heu trügt in allen Lagen. Alan
steht darin bis zu den Waden, zu¬
gleich unsicher und überfixiert. Alan
1
Südtiroler Bauern
liegt darin wie in Gottes Hand, möch¬
beim Mittagsmahl
te sich in Gottes Hand wälzen wie ein
Schweinchen. Man liegt schräg und
fast senkrecht, wie ein Heiliger, der in 2
einer Wölke zum Himmel fährt.1''' Heustadel bei Palai

2A2
]\/[agdalene Lenzi war Musils Ge¬
liebte während seiner Stationierung
im Fersental in den Sommermonaten
1915.

SiehiessLeneMabiaLenzi [...] Und


das Gesicht, das zu ihr gehörte, war
ein ein wenig spöttelndes Gesicht, mit
einer feinen, graziösen Gratlinie,
wenn man es von der Seite ansah, und
einem Mund, der ihm sehr auffiel.
Dieser Mund war geschwungen wie
Kupidos Bogen, aber außerdem war
er gepreßt, so wie wenn man Speichel
schluckt, was ihm in all seiner Fein¬
heit eine entschlossene Roheit, und
dieser Roheit wieder einen kleinen
Zug von Lustigkeit gab [.. .]2°4

[. ..] ER NANNTE SIE [.. .] GrICIA,


mit langem I und verhauchtem
Dscha, nach der Kuh, die sie hatte,
und Grigia, die Graue, rief. Sie saß
dann, mit ihrem violett braunen Rock
3 und dem gesprenkelten Kopftuch, am
Magdalene Lenzi Rand ihrer Wiese, die Spitzen der
(1880-1954),
/Lolländerschuhe in die Luft ge¬
Bäuerin aus Palai in
krümmt, die Hönde auf der bunten
vorgerücktem Alter
Schürze verschränkt, und sah so na¬
türlich lieblich aus wie ein schlankes
4 giftiges Pilzchen, während sie der in
Bäuerin im Fersen¬ der Tiefe weidenden Kuh von Zeit zu
tal mit ihren Kühen Zeit ihre Weisungen gab.2"

233
1)11. KU ( III \<>l< 1)1 M I KlI 1)1 \

30/H. [1915] Hübsch, jedesmal


wenn Pferde kommen. Stehn auf der
Wiese, legen sich nieder. Gruppieren
sich immer regellos in die Tiefe (wie
nach einem ästhetischen Gesetz)2°6

30/11. [1915] Ankunft der Hunde.


Paarweise oder zu dritt führen sie die
Soldaten an Stricken ohne Halsband.
Es sind teure Jagdhunde darunter
und kleine Hausköter, wie böse kleine
Affen. Von Zeit zu Zeit fällt irgendwo
eine Gruppe übereinander her. Man¬
che sind halbverhungert, manche ver¬
weigern die Nahrung. Ein kleiner wei¬
ßer fährt dem Koch an die Hand, als
er ihm die Schüssel mit Suppe hinstel¬ 1
len will, und beißt ihm einen Finger Militärpferde in
einem Südtiroler
halb ab [...] Wir füttern sie mit
Gebirgstal
Fleischsuppe und rohem Fleisch in
Menge; aber Brod, von dem wir nur
wenig haben, scheint ihnen besser. 2
Das Detachement wird von einem Ka¬ Zughunde im
detten herbeigeführt.1'' Einsatz

234
Dieses Schwein hatte schon ge-
schrien, als es ein einzelner bloß am
Strick führte und ihm gut zusprach,
doch weiter zu kommen. Dann schrie
es lauter, als es zwei andre Männer
erfreut auf sich zurennen sah. Er¬
bärmlich, als es bei den Ohren ge¬
packt und ohne Federlesens vor¬
wärtsgezerrt wurde. Es stemmte sich
mit den vier Beinen dagegen, aber der
Schmerz in den Ohren zog es in kur¬
zen Sprüngen vorwärts. Am andern
Ende der Brücke hatte schon einer
nach der Hacke gegriffen und schlug
es mit der Schneide gegen die Stirn.
Von diesem Augenblick an ging alles
viel mehr in Ruhe. Beide Vorderbeine
brachen gleichzeitig ein, und das
Schweinchen schrie erst wieder, als
ihm das Messer schon in der Kehle
stak; das war zwar ein gellendes, zuk-
kerides Trompeten, aber es sank
gleich zu einem Röcheln zusammen,
das nur noch wie ein pathetisches
Schnarchen war.1'*

H J indrücke wie die von den 1 lunden


in Palai oder vom Schweineschlach¬
ten wollte Musil zunächst in einem
Tierbuch oder einem Band mit «Idyl¬
len» sammeln. Die beiden genannten
3 integrierte er dann in «Grigia»; ande-
Dorfszeneim res, wie die «kleine Geisterkatze in
Fersental Bozen», in der «Portugiesin».

235
1)1 K I 1.1 CIIT VOR 1)1 \l I Rll DIA

[Ca. August 1915] Gefangene. Mir


einem kleinen Schwung kommen sie
um die Ecke, drehen bei, lehnen mit
einem kleinen Schwung das Gewehr
an die Mauer. Wenden vielleicht ein
wenig dabei das Gesicht ab. Sind lie¬
benswürdig und bei der Sache. Der
Offizier grüßt, man dankt.
Sie sind todmüde. Der Offizier wirft
sich in dem kleinen Zimmer aufs Bett.
Ich bringe ihm Zigaretten; er springt
auf, lächelt. Mir ist ich bin in Italien.
I Überall Posten aufgestellt; ich habe österreichisches
immerzu das Gefühl, wir haben einen Militär mit italieni¬
läget eingesperrt. ~ schem Gefangenen

236
Es HAR DIE ÜBERALL GLEICHE ElXHE/TS
masse von Seele: Europa. Ein so un¬
bestimmtes Unbeschäftigtsein, wie es
sonst die Beschäftigung war. Sehn¬
sucht nach Heib. Kind. Behaglich¬
keit. Und zwischendurch immer von
neuem das Grammophon. Rosa, wir
fahr’n nach Lodz. Lodz. Lodz... und
Komm in meine Liebeslaube... Ein
astraler Geruch von Puder. Gaze, ein
Nebel von fernem Variete und euro¬
päischer Sexualität. Unanständige
Witze zerknallten zu Gelächter und
fingen alle immer wieder mit den Hor¬
ten an: Da ist einmal ein Jud auf der
Eisenbahn gefahren...; nur einmal
fragte einer: Wieviel Rattenschwänze
braucht man von der Erde zum
Mond? Da wurde es sogar still, und
der Major ließ Tosca spielen und sag¬
te. während das Grammophon zum
Loslegen ausholte, melancholisch:
dch habe einmal die Geraldine Far¬
rar heiraten wollen.» Dann kam ihre
Stimme aus dem Trichter in das Zim¬
mer und stieg in einen Lift. diese von
den betrunkenen Männern ange¬
staunte Frauenstimme, und schon
fuhr der Lift mit ihr wie rasend in die
Höhe, kam an kein Ziel, senkte sich
wieder, federte in der Luft, Ihre Röcke
blähten sich vor Bewegung, dieses Auf
und Nieder, dieses eine Weile lang an ¬
gepreßt Stilliegen an einen Ton, und
wieder sich Heben und Sinken, und
bei alldem dieses Verströmen, und im¬
mer doch noch von einer neuen
Zuckung Gefaßtwerden, und wieder
Ausströmen: war Wollust. Homo fühl¬
te, es war nackt jene auf alle Dinge in
2 den Städten verteilte Hollust, die sich
Grammophon- von Totschlag, Eifersucht, Geschäf¬
Konzert im Felde
ten, Automobilrennen nicht mehr un¬
terscheiden kann, — ah, es war gar
nicht mehr Hollust, es war Abenteu¬
3
Geraldine Farrar ersucht, — nein, es war nicht Abenteu¬
(1882-1967), ersucht, sondern ein aus dem Himmel
amerikanische niederfahrendes Messer, ein Würg-
Sängerin engek Engelswahnsinn, der Krieg?200

23'
I 1.1 ( II I \<>l< DIA! FRIEDEN
1)11

22/IX. [1915]
Das Schrapnellstück oder der Elieger-
pfeil auf Tenna: Man hört es schon
lange. Ein windhaft pfeifendes oder
windhaft rauschendes Geräusch. Im¬
mer stärker werdend. Die Zeit er¬
scheint einem sehr lange. Plötzlich
fuhr es unmittelbar neben mir in die
Erde. Als würde das Geräusch ver¬
schluckt. Von einer Luftwelle nichts
erinnerlich. Von plötzlich anschwel¬
lender Nähe nichts erinnerlich. Muß
aber so gewesen sein, denn instinktiv
riß ich meinen Oberleib zur Seite und
machte bei feststehenden Füßen eine
ziemlich tiefe Verbeugung. Dabei von
Erschrecken keine Spur, auch nicht
von dem rein nervösen wie Herzklop¬
fen, das sonst bei plötzlichem Choc
auch ohne Angst eintritt. — Nachher
sehr angenehmes Gefühl. Befriedi¬
gung, es erlebt zu haben. Beinahe
Stolz; aufgenommen in eine Gemein¬
schaft Taufe.-2,il

Diese Feuertaufe durch einen ita¬


lienischen Fliegerpfeil nahm Musil
1927 in seine Erzählung «Die Amsel»
auf. Literarisch war der Sommer im
Fersental für ihn am ergiebigsten. Ein 1
ähnliches intensives Landschaftser¬
lebnis hatte er in der Folgezeit nicht
mehr. Die Szenerie der Val di Fersina
schilderte er 1924 auch in seiner Er¬
zählung «Die Durstigen», in derer die
Kriegseindrücke nur noch in Andeu¬
tungen zuließ.

[. ..] um KAMEN ZV FÜNFEN AM NACH


mittag aus dem Wirtshaus, den holp¬
1
Deutscher und rus¬
rigen Steinweg zur Torrente hinunter
sischer Fliegerpfeil,
oder wie man dieses wüste Dreieck
Abbildung in der von
nennt das der Bergbach, sein eigenes Musil herausge¬
wildes Tal verlassend, in das großr. gebenen «Soldaten¬
fruchtbare Haupttal geschüttet und leitung»

2.18
gewühlt hat [... ] jedesmal wenn wir
durch die Torrente streiften, war es
ein wüster Eindruck, der sich unserm
eignen Verhalten mitteilte. Wir ver¬
mieden den lieg, der srhottrig. als ob
auch er ein ausgetrockneter Bach wä¬
re, das Dreieck durchquerte; über¬
sprangen mit Gepolter die steinigen
Furchen, in welche der Bach während
der wasserarmen Zeit aufgelöst war;
hielten uns an den Handgelenken, um
bei einem umfassenden Angriff gegen
ein Gebüsch nicht zurückgeschleu¬
dert zu werden, und purzelten alle
hinein; brüllten, als ob in dieser zehn
Minuten breiten ft äste meilenweit
kein Mensch wäre, und scheuchten
polternd die Schafe auf welche die
kleinen Grasinseln abweideten [...]
Jenseits [der Stadt Pergine] lagen die
übermannshohen Kukuruzfelder.
Wenn man hindurchstreift und etwas
am Gewissen hat, wispern sie ganz
erstaunlich. Und dann kam der See;
der Weg, die Bergflanke hinauf.
Durch den Wald von Edelkastanien.
Und Ahorn. Der See sinkt immer tie¬
fer. Aber keiner von uns war je über
das Wirtshaus am Weg hinausgekom¬
men, wo es Brotwecken gab und
Wein. Die Hitze des Tags verglühte
auf unsern Gesichtern, und die Hitze
des Weins ging langsam in ihnen auf
wie der Mond in Wolken. Unter den
Bäumen dunkelte es; ein Windlicht
wurde auf den Steintisch gestellt.
Man sagte, der Weg führe später in
wilde Steinhänge, dann über das Ge¬
birge in das große Tal hinüber. Agne-
se sagte es, die Wirtstochter, deren
Geliebten wir nicht kannten, aber als
einen stattlichen Mann ahnten, der
für uns nichts übrig ließ/62

Feigenbaum am CaldonazzoSee:
Wie ich unter den Baum trete: Wie ein
grüner seidener Unterrock, durch den
die Sonne scheint.
Und die Feigen aufgesprungen,
fleischfarben und rot geöffnet...: oh
so lange keine Frau...!
Wie von Honig oder Goldstaub glit¬
zernde Bienen summen mit mir. [...]
Zuvor: Rudern im blauen See. Die
Weitgänger von Cima Vezzena fällen
2 in die schmale Ebene zwischen Fels¬
Bett des Fersenbaches
wand und Wasser. Ein wenig weiter
mit abgeschossenem
und es kann einer voll ins Boot fallen
österreichischem Flugzeug
und es in Splitter zerstäuben. So
könnte es uns auch beim Schwimmen
3 erwischen, — wie man mit Dynamit¬
Caldonazzo-See patronen Fische fängt. '

239
du Mi ( in \<m di \i miii ni.N

T^Tm den 20. November 1915 wur¬


de Musil aus dem relativ ruhigen Ge¬
biet um Pergine in den Raunt Görz
abkommandiert.

Alarm in Christue \ ach langer Ri he


und friedlicher Eingewöhnung wie
der Eingriff einer Eaust. Diese kurzen
Befehle: Bataillon Alarm, Bereitstel¬
lung zur Einwaggonierung usw. Die
Nerven, die es im Augenblick nicht
mehr gewöhnt sind zittern. Ich war
bleich und aufgeregt, ohne einen
Grund zu fühlen.
Einwaggonierung Während langen
Wartens entfernen sich unbemerkt
bald die, bald jene Leute, abends ist
ein großer Teil der Mannschaft ange¬
heitert, einige total betrunken. Der
Brigadier mit Stab am Bahnhof hält
eine Ansprache. In den Waggons
lärmt eine Menagerie. Sonst brave
Leute sind wie Tiere. Gütliches Zure¬
den und Drohen hilft nicht. W ir lassen
die Schiebetüren schließen. Innen
wird mit Fäusten dagegen getrom¬
melt. An einigen Türen wird heimli¬
cher Widerstand geleistet. Oberleut¬
nant v. Hoffingott, der die Schließung
durchführt, schreit Hände weg und
im gleichen Augenblick schlägt er
schon mit dem Hirschfänger gegen die
heimlichen Hände.. Diese Bewegung
des Hirschfängers war unbeschreib¬
lich. Wie eine Spannung sich in einem
Blitz entlädt; — aber ohne Blinken,
Blitzen oder so — etwas Weißes, Ent¬
scheidendes. . . 64

D er im Tagebuch erwähnte Ober¬


leutnant von Hoffingott rückte im
August 1914 als Landsturmleutnant
nach Bozen ein. Wohl seit Frühjahr
1915 war er mit Musil bekannt. V'or- ]
bild für die Figur Hoffingott in Armin von Hoffingott
«Grigia». (1875-1965)

240
V on Mitte November 1915 bis zum
14. März 1916 war Musil Adjutant
des 169. Landsturm-Infanterie-Ba-
taillons, u. a. bei der 5. Isonzo-
Schlacht, im Abschnitt Descla-Pra-
potno. Anschließend war er bei Aus¬
bau und Sicherung der Linie Cima
Vezzena-Barco-Selva im Yälsugana
eingesetzt. Vom 27. Februar 1916 an
war er im Kampfabschnitt Arabba
und erlebte dort in der ersten Hälfte
März eine schwere Lawinenkatastro¬
phe. Während er sich am «Bettungs¬
werke unter persönlicher Gefahr her¬
vorragend beteiligte», erkrankte er an
ulceröser Stomatitis, Gingivitis und
Pharyngitis, verbunden mit hohem
Fieber und starker Abmagerung.
Am 14. März 1916 wurde Musil ins
Garnisonsspital Bruneck, am 24.
März ins Reservespital Innsbruck ge¬
bracht. Am 6. April wurde er ins Re¬
servespital Prag-Karolinenthal trans¬
portiert. Über seine Erfahrungen mit
Lawinen schrieb er später:

Ich habe schon viele Lawinen mitge-


macht und mich dabei einigemal in
unmittelbarer Todesnähe befunden,
aber noch immer eine beinahe eroti¬
sche Neugierde für diese vielartigen
Erlebnisse bewahrt, die jedesmal an¬
ders sind, bis ich sie einmal in einer
2 Form mitmachte, die mein Liebesver-
Lawinenabgangan mögen, symbolisch gesprochen, mit
der Dolomitenfront der Wurzel ausrißf"

241
M
DIE 11.1 (III \(>K l)l.\l I 1(11 IH

Lusil war im Lazarett Prag-karo-


linenthal vom 8. bis 29. April 1916 in
Behandlung.

Schwestern.- Sie reden mit dir ßrer


alles. Lues. I rinproben. Darmein¬
lauf Sie kleiden dich an und aus und
würden dich überall berühren. Sie
sind wie immun gegen das gehäuft
Sexuelle. Und bleiben doch ganz
Weibchen. Haben Lieblingskranke,
gehen mit den jungen Herrn auf den
Gängen auf und ab. girren. Manch¬
mal flirrt es nur so auf den Gängen
von Pärchen. Soldaten machen wie es
scheint derbe Andeutungen. Leut¬
nants greifen in die Schürzenta¬
schen. 266

M usils Infektion in Mund und Ba¬


chen klang offenbar nach wenigen
Tagen ab. Schon am 14. April 1916
schrieb Franz Kafka an Felice Bauer:
<Heute w ar Musil — erinnerst Du Dich
an ihn? — bei mir, Oberleutnant der

I
Infanterie, krank und doch recht gut
in Ordnung.»267
In der zweiten Aprilhälfte erhielt Mu¬
sil Besuch von seiner Stieftochter An-
nina:

Prag. Das Gehn mit Annina, das


Gebundensein macht mich so mild.
Charakteristik der Existenz der Mut¬
ter: darin zu leben, ständig im Aus-
tausch mit einem zweiten Wesen zu
leben. Das Bewußte wird Gespräch,
nicht Wille, nicht Entscheidung. Um¬
wölkte Lebens wärme.268

(jTesundgeschrieben wurde Musil


Ende April zum Höchstkommando
der Südwestfront nach Bozen transfe¬
riert. Nach drei Reisetagen kam Musil
am 2. Mai 1916 aus Prag an. Er hatte
es sich mit der Hilfe seines Freundes
Maximilian von Becher, eines Ober¬
sten im Generalstab, <gerichtet> und
tat vorerst Dienst in der Auszeich¬
nungsgruppe des 1 leeresgruppen-
kommandos Erzherzog Eugen.

Dl RIST ANGEKOMMEN. Dl HAST DEINE


Frau ein Jahr lang nicht gesehn. Ein
Jahr Stellungskrieg ohne Ablösung
1
und Urlaub. Zuletzt hatte dieses Jahr
Krankenschwestern
zu schaukeln begonnen, anzusteigen in einem
begonnen; wie die Meeresfläche vor österreichischen
der Seekrankheit sich hebt. •'iS0 Fie- Militärhospital

242
ber, 39°, 4(P: immer steiler mit jeder
Stunde. Dann bist du getragen wur¬
den und sacht geschaukelt auf 40
Graden Fiebern wie auf einem geho¬
benen Wasserspiegel. den du zugleich
von unten, von der matten Seite, von
der das Licht weggebrochen ist, ge-
sehn hast. Tagelang. Hachen. Sun
steht deine Frau zwischen den massig
grünen Bäumen der Allee, die vom
Bahnhof in Bozen zum Halt herplatz
führt, hat dich erwartet und sagt:
Gott, dein Kopf ist ja kleiner ge¬
worden. 209

JV^tusils private Adresse von Mai


1916 bis April 1917 war die Villa
Isidora, von ihm Villa Theodora ge-
nannt, in Gries bei Bozen. Sie wurde
eine Zeitlang von den Familien Musil
und Becher gemeinsam bewohnt.
Hier trug sich die Episode mit der
kleinen «Geisterkatze von Bozen» zu,
die Musil in der Novelle «Die Portu¬
giesin» verwendete.

Die Villa Theodora in Gries steht


am Berghang in den ansteigenden
Rebengründen auf einer kleinen Te-
rasse, die mit Rosen bepflanzt und
von einer um das Gitter gerankten
Geisblatthecke eingeschlossen ist
[...
Als sie zurückkamen, war die kleine
Katze da. Sie saß an der Schwelle des
Hauses unter dem Porticus. Machte
einen Buckel zum Willkomm und
strich den erstaunten großen Ge¬
schöpfen um Beine und Röcke. [...]
An einem -tag begann ihr Martyrium.
Sie fing in der Nacht an, wiederholt
zu erbrechen und war am Morgen
ganz matt. Nun vielleicht hatten wir
dem verhungerten armen Katzerl in
gutem Übereifer zuviel zu fressen ge¬
geben. Aber im Schlafzimmer Anselms
konnte sie nicht mehr bleiben und
wurde zu den Burschen in die Dach¬
kammer gegeben. Aber die Burschen
klagten, daß es nicht besser geworden
sei und wahrscheinlich hatten sie sie
auch in der Nacht hinausgeworfen.
2 Und sie begann nun nicht nur zu bre¬
Bahnhof Bozen chen, sondern konnte auch den Stuhl
nicht halten und nichts war vor ihr
sicher. Da entstand der Beschluß —
3
wir hatten inzwischen eifahren, wo¬
Vorne links die
Villa Isidora, von her sie gekommen war, — sie dorthin
Musil Villa Theodora (Hausmeistersleute in einer höher
genannt, in oben liegenden l Hin) wieder zurück¬
Gries bei Bozen zustellen™

243
OIE FLI CHT VOR DEM FRIEDEN

ISecher, mit Musil seit dessen Zeit


als Einjahrig-Freiwilliger in Brünn
(1901/02) befreundet, war 1916
| Chef der Operationskanzlei des Hee-
resgruppenkommandos in Bozen.
Musil nannte Becher in einem Dra-
men-Entwurf über die Zeit beim Bo-
zener Kommando den kleinen Napo¬
leon2 1 und lieh manche seiner Züge
i später dem General Stumm von Bord¬
wehr im «Mann ohne Eigenschaften»,
u. a. den gemütlichen Zynismus:

WAS IST WICHTIGER: 230 TüTE ODER


die richtige Bereitstellung einer Re¬
servedivision? [...]
Und was ist wichtiger: 230 Tote oder
die Frage, ob der Generalstabschef

S
des 12. Korps zu belassen oder fortzu¬
schicken sei? [...]
Jawolll! Davon hängen mehr als 320
Tote ab [...] 230 Tote mehr, das ist
nur eine kleine Manometerschwan¬
kung. Ja ich sage dir, dieser Brief hier,
den ich eben an einen Bischof schrei-
be, in dessen Diözese nicht genug von
den Kanzeln herab zum Patriotismus
gemahnt wird, ist wichtiger! Jedes
Hort darin, das nicht zu scharf und
nicht zu lind sein darf, ist wichtiger!!
Das sind die Grundlagen, auf denen
eine Schlacht ruht, die Bürzeln [...]
die sich durch das ganze Reich span¬
nen und aus denen der Sieg
wächst!1

13 ie Konstellation Marietta Becher


— Martha Musil, ihr Zusammenleben
in der Villa Isidora in Gries bei Bozen
interessierte Musil auch aus literari¬
schen Gründen:

[...] Agathe zu Marietta. Dieses


Stutzen einen Augenblick wie wenn
zwei große Hunde einanderbegegnen.
Sofort aber ist Marietta gefaßt und
beschließt: Dich kauf ich mir. Sie ha¬
ben sich nur vom Hörensagen ge¬
kannt.
1
Maximilian von Becher (rechts)
Marietta fischt ihr alle Männer weg.
und Kaiser Karl (links)
Agathe belauscht Marietta. In einer
Gewaltstunde gestUi-, •/< dasoffen
einander. Es ist eia I ■ < abhek nicht 2
ohne Größe.1 1 Marietta von Becher

2-H
Scftausgabc

6oldatcn-3^t«n0
^tfrCdtcint jeden 6onntag ————„—b
Pejugöpreis He.2.50 (JHP. 2.50)füc (JadDicrtcljabr + Prctp öcr£injclnummcr206cUcr
(20 Pfg.) + «PerAoiftsonjeigen 30 (Seiler (30 Pfg.) für die 4gcfpaltcnc rionparciUneik.
flöccfTc für alle Jufenöungcn: R. u. f. Jeldpoftamt He. 23« ——————
floibdrutf (amtlicher Artifcl, <Pcdi<htc uftr. nur mit genauer «pucUcnangabc gcflattct.

Hummer 10 3m $eldc, 1$. fluguft 1<H6_2. Jahrgang

M
Redakteur
usil war vom
der
8. Juli 1916 an
«Soldaten-Zeitung»
und vom 8. Oktober an im Impressum
als verantwortlicher Redakteur aus¬
gewiesen. Aufgabe des Blattes war.
den Leser zum Verständnis der Le¬
bensfragen des Staates und der Ar¬
mee zu erziehen, den Irredentismus
zu bekämpfen und die Reichseinheit
zu betonen. Musil schrieb eine ganze
Reihe von nicht gezeichneten Artikeln
für die «Soldaten-Zeitung», die bis
zum 15. April 1917 erschien.
In der Festausgabe für Kaiser Franz
Joseph vom 18. August 1916 druckte
Musil einen Artikel des k. u. k. Gehei¬
men Rats, des Landsturmoberleut¬
nants Franz Graf Harrach, der eines
der Modelle für den Grafen Leinsdorf
im «Mann ohne Eigenschaften» dar¬
stellt.
«Unser Kaiser! Welche Fülle von Lie¬
be und Verehrung, von Erinnerung
und Hoffnung lösen die zwei Worte
aus. Vier Generationen haben ihm
schon den Falmeneid geleistet. Er war
immer unser aller Führer und Len¬
ker, unser aller Ansporn und Trost.
Jetzt, m diesen zwei Jahren furchtba-
3 ren Ringens, füllt sein Name und das
Erinnern an ihn das ganze Herz seiner
Soldaten aus. Für ihn ziehen sie stolz
auf die Walstatt, für ihn kämpfen sie
und für ihn sterben sie, ihr brechen¬
des Auge sieht im Geiste nach ihm,
dem Heißgeliebten, dem Schmerzer¬
probten [...] wenn von Sterbenden
und Verwundeten die Rede war, lag
ein so tiefer wehmutsvoller Ausdruck
in seinem Antlitz, daß mir bei diesem
Anblick die Augen feucht wurden in
der Erkenntnis, wie er, der hebende
3 Vater seiner Untertanen, der selbst so
Festausgabe der viel geduldet und gelitten, von den
von Musil redigierten unausweichlichen Greueln des Krie-
«Soldaten-Zeitung» ges tief in das Herz gelroffen ist.»
DU . I LJL'CIII VOR Dl AI I Hl EDI \

eben zahlreichen essayistischen


Arbeiten veröffentlichte Musil in der
«Soldaten-Zeitung» einen einzigen
erzählenden Text, anonym wie alles
Übrige, «Aus der Geschichte eines Ke-
eirnents». ln der Tendenz ist er den
Texten Ernst Jüngers aus dem Ersten
Weltkrieg vergleichbar: Feier der mo¬
torischen Ekstase, der Mystik des
Kampfes.

Flr des sechstes Tag hi weder An¬


grifffestgesetzt. [...]
Artillerie begann langfingrig hinzuta¬
sten; um 10 Uhr vormittags fällt ihr
Chor ein und das Wirkungsschießen
beginnt; die ersten Infanterielinien
lösen sich aus Busch und Stein, ver¬
schwinden, das Gelände beginnt von
ihnen zu flimmern, füllt sich mit etwas
unruhig Unwahrnehmbarem.
Da legt auch der Gegner los. Artillerie
aus der Flanke; hastig ausbrechendes
Feuer bis dahin zurückgehaltener
Batterien von überallher. Deckung ist
ausgeschlossen, man wüßte nicht, ge¬
gen welche Richtung; wird auch bald
so ermüdend und nach einer Weile
gleichgültig. Die allen bekannte bös¬
artige Sinnlosigkeit des von Ferne Be¬
schossenwerdens senkt sich auf die
Herzen. Aus den warmgewordenen
Kleidern dampft die Nässe der Regen ¬
nacht. Die Verluste sind nicht groß;
viel größer scheinen die bleiernen Fü¬
ße zu sein, auf denen jeder vorwärts
schleift; nichts vermag den ruhigen
Fluß ihres Vorwärtsstrebens auch nur
für einen Augenblick zu hemmen.
[...}
Kurzes, erbittertes Handgemenge.
Einzelnen stockt das Herz; dann be¬
ginnen Büchlein Fliehender nach hin¬
ten zu rinnen; endlich ergiej.it sich mit
einemmal wilder Schwall der Flucht.
Nachrennen, Halten; Feuer setzt wie¬
der ein. [...] Dann setzt das Feuer
aus. Irgend etwas verraucht, Augen,
die lange nur einen Flug von Undeut¬
lichem gesehen haben, kehren zurück
zu festen Dingen; Gesichtern, Toten, ]
der Sonne, die hoch und rund am österreichische
Himmel steht, dem liegen gelassenen Soldaten beim Sturm-
Rucksack.'^ * angriff

24b
247
1)11. 111 cm VOR 1)1 \l I Hli.DI \

Aus eigenen Eindrücken während


der Reise von Innsbruck ins Reserve-
Spital Prag-Karolinenthal und aus
anderweitig Erfahrenem formte Mu¬
sil den Prosa-Text «Schwerverwun¬
detenzug» - Kriegsdichtung, wie er
sie nicht veröffentlichte!

Stroh quoll über die Ränder des


Blicks, als er sich abwärts senkte,
dann füllten ihn weiße Verbände, rote
Flecken durchgesickerten Bluts, glän¬
zende Augen und verwirrte Köpfe aus,
die aus dem Stroh ebenso wirr wie
dieses herauswuchsen [...] Dann
[...] stöhnte einer brüllend auf, den
wieder der Schmerz überfiel, ein zwei¬
ter und dritter fielen ein in heller Pein
ihrer Hunden, die keine Dämmerung
jetzt überschattete, selbst die zeigten,
daß sie noch lebten und nach zwei
Sekunden brüllte, schrie, tobte und
stöhnte der ganze Wagen so daß die
Wände zitterten und das Geheul weit
in die unbekannte Luft um irgend ei¬
nen kleinen Ort hinaussandten der an
einer Eisenbahnlinie lag. Das dauerte
einige Minuten bis wieder die Dumpf¬
heit kam [...] Zwei Soldaten lagen
nah beieinander, der eine vom Wiener
Hausregiment, der andre ein Tiroler

I
Jäger, die hatten am ersten Tag — in
einer der Pausen, wo alle sich verhält¬
nismäßig wohl fühlen — einander zu
necken begonnen und kamen davon
nicht wieder los. Erst hatte der Wiener
den Tiroler freundlich angesprochen
und einen Witz über die Russen ge¬
macht, dann hatte der Tiroler grin¬
send geantwortet, daß die Wiener da¬
vongelaufen seien, dort, wo er ver¬
wundet worden sei, und dann hatte
der Wiener natürlich auf die Lang¬
samkeit der Tiroler geschimpft. Sie
meinten es nicht ernst, die beiden,
aber sie vertrieben sich die Zeit und
konnten nicht damit aufhären, denn
der ganze Wagen horchte auf lachte
mit und wartete darauf, wer der Stär¬
kere bliebe. Nach den Regimentern
und ihren Fehlern kamen Klugheit
und Dummheit, Pfaffen- und Juden¬ 1
herrschaft, Wiener und Tiroler Fraß, Artillerie-Volltreffer

24«
endlich die Jungfräulichkeit und die
körperlichen Nachteile der Mädchen
in Tirol und Wien daran, aber da dies
für eine achttägige Reise nicht reich¬
te, wurde auch oft der gleiche Vorwurf
in einer neuen Bearbeitung wieder
aufgenommen. Wie zwei Hähne flat¬
terten sie, einer nachdem der andre
zu Ende war, aus ihrem Stroh auf
waren gleich stark und vertrugen sich
nur, wenn sie schliefen oder im Chor
der Schmerzen brüllten. Als der Zug
sich schon der Endstation näherte —
es war manches darüber gemutmaßt
worden, aber niemand wußte, daß es
Prag war — hob sich der Wiener auf,
als fiele es ihm schwer zu atmen,
schnüffelte in der Luft und sagte,
denn schon war auch der Kopf des
Tirolers neben ihm in der Höh:
«Hörst? S’ stinkt. Mir san do nach
Tirol kemma.», worauf der Tiroler
nichts mehr erwiderte. Beide sanken
friedlich zurück und als man die Ver¬
wundeten heraushob, waren die zwei
still verschieden.1 4

Tote■ Liegt einer ganz zugedeckt


oder von Erde und Schnee vergraben
und du siehst nur die Füße, nur die
genagelten Schuhsohlen: an den
Schuhsohlen merkst du, daß es ein
Toter ist. (Dieses Starrste, Stahlnä-
2 geh ist in irgendeiner Weise noch star-
Verwundetenzug rer, darüber erschrickst du).2 ’

24<>
1)11. III (III VOR 1)1 M I Kl1.1)1 \

-Burg Runkelstein bei Bozen zeich¬


nete Musil als Wohnsitz der Herren
von Ketten in der «Portugiesin». Für
diese Novelle, die in ritterlicher Ver¬
gangenheit spielt und dennoch viel
autobiographisches Material verar¬
beitet, erwog er auch den Titel «Der
Gobelin». Ein Zusammenhang mit
den eindrucksvollen Fresken der
Burg ist nicht auszuschließen.

Seitlich des grossek Cher des Bre,\


ner nach Italien führenden Wegs, zwi¬
schen Brixen und Trient, lag auf einer
fast freistehenden lotrechten Wand
ihre Burg; fünfhundert Fuß unter ihr
tollte ein wilder kleiner Fluß so laut,
daß man eine Kirchenglocke im sel¬
ben Raum nicht gehört hätte, sobald
man den Kopf aus dem Fenster bog.
Kein Schall der Heit drang von außen
in das Schloß der Catene, durch diese 1
davorhängende Matte wilden Lärms Burg Runkelstein
bei Bozen
hindurch; aber das gegen das Toben
sich stemmende Auge fuhr ohne Hin¬
dernis durch diesen Widerstand und 2
taumelte überrascht in die tiefe Rund¬ Fresken auf Burg
heit des Ausblicks Runkelstein

250
]^^ach Einstellung der «Soldaten-
Zeitung» wurde Musil im April 1917
zum Kommando der Isonzo-Front
versetzt. Zwischen Mai und Dezem¬
ber 1917 hielt er sich häufig in Adels¬
berg auf und wohnte zusammen mit
Martha und der Lehrerin Alma De-
reani im Haus Reichsstr. 34. An
Weihnachten 1917 entstanden die
Notizen für das «Slowenische Dorfbe¬
gräbnis».

Begräbnis in Aüelsberg. Die Thai


ergesellschaft steht vor dem Haus,
Zylinder und Pelzmützen, modische
Hüter [sic] und winterliche Kopftü¬
cher Schwarz gegen das lichte
Schneegrau des Himmels. Die Geist¬
lichkeit kommt, ein großer zottiger
brauner Hund bellt sie an. Das Män¬
nerquintett stimmt ein schönes me¬
lancholisches Lied an. Sveto Maria
verstehe ich. Aus dem Haus quellen
3 Frauen mit schwarzen Kopftüchern
Adelsberg um den Kopf. Kerzen brennen gegen
(Postojna),
den Winterhimmel. Fs ist fast zu
Reichsstr. 34
Thränen rührend. Heiter hinten pufft
sich die Jugend und der junge große
4 Hund spielt mit der Hand eines
Adelsberg, 17jährigen Burschen, beißt schmei¬
Reichsstraße chelnd hinein usur

251
1)11. I U cm \OH 1)1 M I Kil l>1 \

V ermutlich im Frühjahr 1917 war


Musil in der Nähe von Cortina
d'Ampezzo stationiert und entwarf
danach den Text «Die Maus auf der
Alpe Fodara Yedla», den er unter
dem Titel «Die Maus» in den «Nach¬
laß zu Lebzeiten» aufnahm.

Fodara vedla, ladinische Alpe, tau-


send Meter und mehr über bewohnter
Gegend', und noch viel weiter abseits
von ihr! Her hat da eine Bank hinge¬
stellt?
Wer auf dieser Bank sitzt, sitzt fest.
Der Mund geht nicht mehr auf Das
Atmen wird fremd; wird ein Vorgang
der Natur; oh. wird nicht Atem der
Natur, sondern - wenn man merkt,
daß man atmet - etwas Angetanes
wie eine Schwangerschaft.
Das Gras ist noch vom Jahr vorher, so
blutleer, als ob man eben einen Stein
davon weggewälzt hätte. Rings sind
Buckel und Mulden ohne Sinn und
Zahl; Knieholz und Alpe. Aus ihrer
brandenden Ruhe wird der Blick im¬
mer wieder an das runde gelbe Fel¬
senriff hochgeworfen und rinnt in
hundert Blicke zersplittert ab. Es ist
nicht übermäßig hoch, aber darüber
ist noch das blaue Nichts. So wüst
und unmenschlich ist die Welt noch
immer wie in den Schöpfungszeital¬
tern.
Die kleine Maus hat sich darin ein
System von Laufgräben angelegt.
Maustief, mit Löchern zum Ver¬
schwinden und anderswo wieder auf¬
zutauchen. Sie huscht im Kreis, steht,
huscht im Kreis weiter. Die Men¬
schenhand sinkt von der Lehne der
Bank: ein Auge, so groß und schwarz
wie ein Spennadelkopf richtet sich
hin. Ist es dieses sich drehende kleine
lebendige Auge oder die Unbeweg¬
lichkeit der Berge?
Gottes Wille geschieht? Oder der Wille
einer kleinen Feldmaus, vor dem du
zitternd unvorbereitet stehst? 1
Man weist den Gedanken an Gott als Alpe Fodara Vedla
i r ' l i bei Cortinad Ampezzo
unzuständig ab. tragt sich exakt:
Wirkte es die Beweglichkeit des Auges
oder die Unbeweglichkeit der unge- 2
heuren Berge? - l nd hilflos merkt Adelswappen
man: das ist ganz das gleiche. der Familie Musil

252
,/^Lm 22. Oktober 1917 wurde Prof.
Alfred Musil geadelt und durfte fort¬
an das Wappen seines bereits geadel¬
ten Bruders Rudolf sowie das Prädi¬
kat «Edler von» führen. Der Titel war
erblich, konnte also auch vorn Sohn
geführt werden. Am 1. November
1917 wurde Robert Musil überdies
zum Landsturmhauptmann beför¬
dert.
Beförderungen und Auszeichnungen
scheinen Musil nicht sonderlich be¬
eindruckt zu haben. Nach der Verlei¬
hung des Ritterkreuzes des Franz-Jo¬
sephs-Ordens mit Kriegsdekoration
schrieb er am 30. April 1917 an
Martha.

Helte Glückwünsche von Eltern.


3 Donath, Heinrich [Reiter] erhalten;
Hauptmann Robert Papa ist ganz weg, wirklich Herzens¬
Musil ca. 1918 mit seinen
töne des Stolzes und Glücks, so daß
Auszeichnungen:
ich verblüfft bin, wie schlecht die
Bronzene Militärver¬
Menschheit noch aufrecht gehen
dienstmedaille,
Ritterkreuz des kann. Es fällt mir ordentlich schwer
Franz-Josephs-Ordens, dem guten Menschen zu danken und
Kaiser-Karl-Truppen- meine Indignation dabei zu ver¬
kreuz bergen.1 8“

253
Dil. I IA ( III \<>H Dl M I Hl EDEN

DENKE Al CH AN DIE ROLLE ALS KUNST-


historischer Sachverständiger beim
Heeres Gruppen Kommando Boroe¬
vic. H ie man iibercdl etwas zu finden
glaubt. [...]
(Ich war nach dem Durchbruch von
Tolmein/Karfreit/ beim Stab des
Oberkommandos der nachdrängen¬
den Truppen eingeteilt. usw.)~ 9

^^^ährend der 12. Isonzo-Schlacht,


die am 23. Oktober 1917 begann und
bei Tolmein und Karfreit zu einem
österreichisch-ungarischen Durch¬
bruch aus dem Flitscher Becken in die
Ebene von Tarcento führte, übertrug
man Musil die Aufgabe, die requirier¬
ten Kunstwerke zu taxieren. Insge¬
samt hatte er rund ein Dreivierteljahr
Zeit, den «Löwen vom Isonzo», Gene¬
ral Svetozar Boroevic von Bojna aus
der Nähe zu studieren. Er hielt Boroe¬
vic für einen dummen General — un¬
geachtet der Tatsache, daß der Feld¬
herr von der kroatischen Franz-
Josephs-Universität in Zagreb zum
Ehrendoktor der Rechts- und Staats¬
wissenschaften ernannt worden war.
Musil interessierte sich offenbar für
die Verbindung von geistiger Sub-
alternität und militärischem wie ge-
8eUschaftlichem Erfolg. Noch 1937
ließ er sich von seinem Freund Max
von Becher — mit Hinblick auf den
General Stumm von Bordwehr —
Anekdoten über Boroevic erzählen.
Unklar ist. ob Musil darüber Bescheid
wußte, daß Boroevic bei Ende des
Ersten Weltkriegs um ein Haar
Geschichte gemacht hätte (wie die
Parole im »Mann ohne Eigenschaf¬
ten» immer wieder lautet), als er
plante, Wien zu besetzen und dem
Kaiser die Handlungsfreiheit wieder¬
zugeben. Boroevics Absichten schei¬
General Svetozar
terten nur daran, daß Kaiser Karl ihn von Boroevic
nicht verstand und keine Erlaubnis (1856-1920),
gab. Modell sitzend

254
ÄLS E1NF.H HER STÄRKSTEN ALTEN

Kriegseindrücke fällt mir nach und


nach (und mit einemmal) auf daß ich
plötzlich von lauter Menschen umge¬
hen war, die nie ein Buch lasen: daß
man Bücher schreibe, außer fachli¬
chen, sich nicht als etwas Anständi¬
ges vorstellen konnten; und es für
völlig richtig hielten, daß man die
Zeitung, und nichts als die Zeitung,
lese. Ich glaube, daß sich höchstens in
jedem Bataillon ein Mensch fand,
der wußte, was lesen ist. Welche
unerwartete und breite Berührung
mit dem Durchschnittsleben!

iViusil plante um die Jahreswende


1917/18, u. U. ein Enthebungsge¬
such für etliche Monate einzureichen,
um am Drama weiterzuarbeiten, also
den «Schwärmern». Da traf es sich,
daß das Kriegspressequartier eine er¬
neute journalistische Tätigkeit bei ei¬
ner Soldatenzeitung für ihn vorsah —
mit Sitz in Wien. Vermutlich hoffte
2 er, bei einer reinen Btirotatigkeit
«Lektüre im Schützen¬
mehr zur literarischen Arbeit zu kom¬
graben während
men, und sah sich ironischerweise er¬
eines sonnigen Nach¬
mittagsstündchens». neut dazu verurteilt, Zeitungen für
Bild in der «Soldaten- Menschen zu machen, die keine Bü¬
Zeitung» vom cher lasen. Und die seinen schon gar
3. Juni 1916 nicht.
DIE FIJl ( in VOR 1)1 M I RU DI \

Haiti -- mich weiter!

SckrtfllelluntuVe»
waJhing:W)än llj Bezugspreis!
Lorbeergaflac 9 vlcrleliähriq k7^
Fernruf: uw ganzjährig K.4-J

ERSCHEINT JEDEN DONNERSTAG <3**^


Nr. 10. Wien, den 6. Mal 1918. I. Jahrgang.
D as Kriegspressequartier war vom INHALT! Umgekehrt kommt ea natürlich ebenso oft vor,
daß sich ein Streit aus dem Reichsrat in dt«
Armeeoberkommando beauftragt Dl« Vertagung de« Reicher« U. — Zwei b/Ucra Lehren. — DU Ueb«
zum Vaterland. — Dl« Wiener Me***. — Di« Ersatzstoff«. — DU Landtage fortpflanzt und diese lahmlegt Daa ist der
Badehose. — Der silbern« Löffel. — Der schlaue Mann. — lm Zustand, in dem wir uns »dt Jahrzehnten befinden.
worden, wöchentliche Berichte über U-Boot. — Wer trügt am schwersten? (Bild). — Wie entstehen
Kuriert kann er nur werden, wenn man das Uebd bd
meistens die Verbrechen ? — InvaUeden-Oenosaenschaften. — Samm¬
lungen für Invalide. — Von unseren Feinden. — Wissenswertes. der Wurzel packt, nämlich bd dieser gefährlichen Mög-
die gute militärische Lage und die — RftteL — Briefkasten. lichkeit, daß jede Nation irgendwo über ein« ander«
herrscht Denn; Herr, führ« mich nicht in Versuchungl
materiellen Leistungen der Monar¬ heißt es. So dn« Regelung muß ihren Ausdruck daher
in Gesetzen finden, die jeden Mißbrauch der Herrschaft*
chie während des Kriegs zu veröffent¬ Die Vertagung des Reichsrats. gewalt unmöglich machen. Das nennt man di« Verla*
sungsreform. Und veon man keiner Nation mit ihr
lichen. um defätistischen Strömungen Das Parlament ist auf Grund einer kaiserlichen weh bin will, so geht das nur so, daß dl« Nationen
Entschließung bis zura 18. Jutti vertagt worden. Was untereinander sdbst über sie einig werden.
im Hinterland und der Kriegsmüdig¬ bedeutet das? Der Ministerpräsident hat es in einer Wie sie am besten zu machen ist läßt sich nicht
Unterredung mit den Parteiführern, die dann veröffenb- 6chon von vornherein sagen. Jeder Vorschlag hat in der
keit an der Front entgegenzuwirken. licht wurde, der Allgemeinheit erklärt Er hat gesagt Idee Schönheiten und in der Durchführung Schwierig¬
daß er nicht mit verdeckten Karten spielen will; und das keiten. Den besten und ausführbarsten zu finden, wir«
Das Organ, das am 7. März zu er¬ ist jedenfalls gut. — Vor mehr als dreiviertel Jahren hat Sache von Verhandlungen zwischen den Parteien.
die Regierung schon die Frage der Verfassungs¬ Sicher ist daß es höchste Zeit damit wäre, wenn wir
scheinen begann und von dem es auch revision aufgeworfen. Das ist außer den Kriegs¬ unseren Feinden nicht die Hoffnung lassen wollen, daß
und Ernahrungsfragen die wichtigste Angelegenheit dis unser innerer Zwist vielleicht doch noch das vollbringt,
eine tschechische Ausgabe unter dem es in Oesterreich gibt. Und diese Angelegenheit ist in was den Ententeheeren nicht gelungen ist. Darum haben
drei viertel Jahren nicht um einen Schritt vorwärts ge¬ die deutschen Parteien ln Oesterreich sich stets zu Ver¬
Titel «Domov» sowie eine kroatische kommen; ja sie steht heute scheinbar weiter von ihrem handlungen bereit erklärt Sl« haben zwar ihr« eigenen
Ziel als je — wegen der nationalen Schwierigkeiten. Forderungen und Ansichten, aber sie lassen mit «leb
namens «Domovina» gab, hieß «Hei¬ Es muß einer schon ein sehr alter Landstürmer reden. Die Führer der Tschechen und Slowenen da¬
sein, wenn er sich einer Zeit erinnern will, wo In Oester¬ gegen haben auch ihr Programm aufgestellt aber gleich¬
mat». Musil wurde am 2. März seitens reich über nationale Fragen nicht so lange gestritten zeitig erklär^ daß sie nicht einen I-Punkt von diesem
worden wäre, bis jeder den Schaden hatte. Wenn aber Programm srh abreden lassen werden. Trotzdem da
des Kriegspressekommandos von der ein Uebd so alt ist, dann muß es wohl in den Knochen wissen, daß di« Deutschen ohne Aenderungen ihr Prc*
sitzen; und die Knochen eines Staates sind seine Ver¬ gramm nie annehmen werden.
fassung, wie er gebaut ist, so lebt er, gut oder schlecht
Detailabteilung des Heeresfrontkom¬ Darum muß hier einmal ein Wort über den politi¬
Warum skt so unversöhnlich sich hinstellen,
gehört nicht hierher; wohl aber fragen wir
schen Aufbau Oesterreichs cingeflochten werden. Wir
mandos Boroevic dringend angefor¬ haben bekanntlich den Reichsrat für ganz Oesterreich
uns, was die Folgen sein müßten? Der Streit
der Nationen käme auf diese Weise nie zur Ruhe und
und dann in jedem Kronland noch einen Landtag. Voq
dert, da er sich «infolge großer Erfah¬ diesen beiden werden die Oesetze beschlossen, dl«
das Parlament nie zur Arbeit. Dabei brennt uns aber di«
Ordnung der Steuern unter den Nägeln, um die img*
Steuern und fast alles, was für das äußere Leben der
rung auf dem Gebiete des Zeitungs¬ Staal'.bürger von Wichtigkeit ist. Nun sind die Nationen
heueren Ausgaben des Krieges zu decken, und die Er¬
nährungsschwierigkeiten heischen gebieterisch dl« MiV
schon seit langem in Oesterreich undnig und es trifft
wesens für eine dabei in Betracht arbeit der Volksvertreter. Bleibt sie noch lange aus, so
sich so, daß eine Nation, wenn sie in einem Landtag in
werden die Politiker Oesterreich in eine Oefahr bringen,
der Mehrzahl Ist und über eine andere herrscht, fast
die nicht kleiner ist als jene, aus der Oesterreich durch
kommende Sonderbestimmung her¬ immer in einem andern Landtag in der Minderzahl ist
die Tapferkeit seiner Soldaten gerettet worden ist. Man
und von der andern Nation beherrscht wird. So herr¬
kann aber annehmen, daß selbst unter den extremsten
vorragend eignen»281 würde. Vom 9. schen die Deutschen in Kärnten und Schlesien, Steier¬
Parteien viele Politiker sind, die im Herzen das nicM
mark und Tirol und werden von den Tschechen und
wollen. Sie sind es, an die sich die Vertagung des Reich*
Mai an fungierte als «verantwortli¬ Slowenen beherrscht in Böhmen, Mähren und Kraln.
rates eigentlich wendet Sie stellt dJe politische Maschine
Die Tschechen herrschen in Böhmen und Mähren und
ln Oesterreich für einig« Wochen »tili, um Zeit zur B*
cher Schriftleiter für alle Ausgaben: werden beherrscht in Schlesien. Wenn nun eine natio¬
slnnung zu geben. Und mahnt all« die, welche einer
nale Mehrbdt der nationalen Minderheit in einem
Besinnung fähig sind, daran, was es heißt wenn diese
Dr. Robert von Musil». Die «Heimat» Landtag etwas tut, so rächt sie sich dafür ln einem
Maschine ganz stehen bleibt, weil die Besinnung «ich
anderen Landtag. Jeder Streit breitet sich auf diese Wdse
nicht rinsteRi
soll bis in den Oktober 1918 erschie¬ in mehren Landtage aus und ergreift schließlich den
Reichsrat, wo alle Nationen beisammen sind
nen sein.
Aufgabe der «Heimat» war u. a., die
russische Revolution fortlaufend zu
kommentieren und vor einer Revolu¬
tion im Habsburger Reich zu warnen. , Seite 8 H BIM AT 9. Mai 1918

Musil erfüllte diese Aufgabe, obwohl


er selbst in der «Soldaten-Zeitung» Von dleier Zeitschrift erscheint euch dn« tschechisch« Ausgib« toto Aua THd .Domov* und ein« kroeüedj* axAtt dem Titel .Doraovtn«*
Herausgeber: .D«nnM«*, VexUg 0. m. b. H Verantwortlicher Sdvtflldtsr fOr all« Ausgaben! Dr. Robert von Mufti.
Drack: Amor. Opltx Nachfolger, Wlo VüL, Strorrlgwe« f
Sympathie für den Sozialismus hatte
bekunden lassen.
ln der «Heimat» vom 30. Mai 1918 1
stand folgende Mahnung:

Unsere Kriegsgefangenen kehren


aus Rußland zurück. Nach langer Ge¬
fangenschaft kommen sie wieder in
ihr Heimatland. Vieles haben sie er¬
lebt, Schweres durchgemacht. Sie ha¬
ben die harte Hand der zaristischen
Herrschaft gespürt und auch den gro¬
ßen Umschwung miterlebt, die Revo¬
lution, die das Unterste zu oberst ge¬
1
kehrt hat. Die flucht dieses Gesche¬
Die von Musil
hens hat auf einzelne von ihnen ver¬ herausgegebene
wirrend gewirkt, und nun kommen Soidatenzeitung
diese Einzelnen Infizierten, diese \ri- «Heimat»

256
gesteckten, nach Hause und kramen
die Eindrücke, die sie sich in dem
Wirrwarr, der heute in Rußland
herrscht, geholt haben, wieder heraus
und versuchen, sie unseren Verhält¬
nissen anzupassen. Trotzdem es nur
einige wenige sind, diese Infizierten —
vielleicht unter Zehntausenden einer
— ist ihr Treiben schädlich und ver¬
werflich. Sind es Verbrecher oder sind
es Narren? Gleichviel, auch mit einem
Narren schläft man nicht gern unter
einem Dach. Es ist daher Pflicht aller
Anständigen unter den Heimkehrern
selbst, ständig Obacht zu geben und
so einen Mann, der uns die russischen
Verhältnisse bescheren möchte, sofort
dingfest zu machen. Noch bevor er
Schaden angestiftet hat [.. .]282

D iese Haltung änderte sich später


gründlich. Auf eine Umfrage von
«Nowy Mir» antwortete Musil im Juli
1930:'

Ich meine, dass die Revolution eine


große geistige Stütze ist für uns alle,
die da hoffen, daß aus dem Menschen,
wenigstens in irgendeiner Hinsicht,
noch etwas Gutes werden kann.

••

-/whnlich in einer Zuschrift an die


«Literaturnaja Gaseta» vom 27. Ok¬
tober 1932:

Ich behe ndere Ihre Revolution als


einen entscheidenden Schritt in die
Zukunft der Menschheit. Ich glaube

2 nicht, daß unter den Voraussetzun¬


Fraternisierender gen des Kapitalismus noch eine geisti¬
österreichischer und ge Organisation möglich ist, die den
russischer Soldat Namen Kultur verdient.282*

9A7
IMF. I UCHT YOK Dl M I Hll IM N

1 reilich: auch das kriegspresse¬


quartier in Wien und die Soldaten¬
zeitung «Heimat» konnten den Zu¬
sammenbruch tles Habsburger Rei¬
ches und die Revolution in Österreich
im November 1()18 nicht verhindern.
Mit den gängigen Erklärungen für
den Ausbruch des Weltkriegs und den
Revolutionsparolen gab sich Musil in¬
des nicht zufrieden:

Auch muss man [...] wenn man ms-


seri will wie man zum Frieden kommt,
sich endlich einmal die Frage vorle¬
gen, wie man zum Krieg gekommen
ist. Ich glaube, die richtigste Antwort
darauf ist: weil wir den Frieden satt
hatten [...]
Da die Erscheinungen bei Freund und
Feind gleich waren, muß die Ursache
eine europäische sein. Da es sich nicht
um eine einmalige, sondern um eine m
der Weltgeschichte regelmäßig wie¬
derkehrende Erscheinung handelt,
kann sie keine Gelegenheitsursachen
haben, sondern die. Ursachen müssen
gerade in der Gegend der ewigen Wer-
te und der gleichgebliebenen Da¬
seinsformen liegen. Es folgt schon
daraus, daß der Kapitalismus nicht
die Ursache des Kriegs sein kann und
ebensowenig der Nationalismus, son¬
dern daß diese beiden, gewöhnlich
verantwortlich Gemachten, höch¬
stens Zwischenursachen sind oder
Vorstadien [...} Das gleiche, was den
Krieg verursacht hat, verursacht
auch sie, der Mangel eines höheren
Lebensinhaltes. Man kann den Krieg
auf die Formel bringen: Man stirbt für
seine Ideale, weil es sich nicht lohnt
für sie zu leben. Oder: Es ist als Idea¬
list leichter zu sterben als zu leben.1" ''

Der Mensch ist nicht gut, wenn man


ihm bloß die verschiedenen Joche des
Kaiserismus, .Militarismus, Kapitalis¬
mus usw. abnimmt. Er ist auch nicht
schlecht, sondern er ist eine liquide
Masse, die geformt werden muß.
ft ievielfolgerichtiger ist Clemenceau!
Er spekuliert in Menschheit auf bais¬
se, er glaubt nicht an sie. Er will ein
reiches und starkes Frankreich (wenn
1
Die Abreise des
schon denn schon) und Ludendorff
Exkaisers Karl und
hätte genau so gehandelt. Diese Män¬
seiner Familie in
ner müssen beseitigt werden, wenn
die Schweiz- der
man eine neue Welt bauen will, in der Hofzug in Kopfstet¬
alten aber sind sie zur Führung be¬ ten unmittelbar vor
rufen.11“ der Abfahrt

258
1n
A

259
1919-1924

SYMPTOMEN-
THEATER
SYMPTOMEN Illl.Vn H

I J
H gon Erwin Kisch, der rasende Re-
porter, war Gründer und Führer der
Roten Garden in Wien. Kisch gehörte
vom Frühjahr 1917 an zum Kriegs -
pressequartier in Wien. Schon im No¬
vember 1917 beschloß ein «Aktions¬
komitee der Linksradikalen»
Gründung eines illegalen Arbeiter¬
und Soldatenrats. Damit beauftragt
die

wurden der Obergefreite Leo Roth-


ziegel, der Korporal Stephan Haller
und der Oberleutnant Egon Erwin
Kisch. Kisch arbeitete konspirativ,
wechselte den Namen, die Unifor¬
men, die Chargen, die Regimentsfar¬
ben. 1 lauptmann Musil als Vorgesetz¬
ter Kischs duldete dies, soweit er ein¬
geweiht war. und Kisch bewahrte ihm
dafür lebenslange Dankbarkeit.
Die Roten Garden wurden am 1. No- j
vember 1918 gegründet. Kisch muß- Egon Erwin Kisch
te seinen Posten als Kommandeur am (Ün|cs) und Leo
18. November 1918 niederlegen und Rothziegel, Führer
beendete sein Engagement bei den der Roten Garden
Roten Garden Ende März 1919. in Wien

262
Rf.VULI TIONSTAGEBL'CH.
2. 11. 18: Bisher nicht ärger als die
chronischen nationalpolitischen De¬
monstrationen waren. \...
Hätten nicht Dynastie and Behänden
förmlich freiwillig demissioniert, so
hätte es beinahe keine Revolution ge¬
geben. Die Vertreter der Volkssouve¬
ränität sind nur zögernd in die ge¬
räumten Positionen nachgerückt.
Zu anfanggab einem die Arbeiterzei¬
tung das Gefühl, daß sie weiß, was sie
will; seit zwei Tagen ist ihre Haltung
matt geworden, sie hat kein rechtes
Thema. Die Partei scheint sich durch
die Zusammenarbeit mit den Natio¬
nalen und Christlich Sozialen zu
kompromittieren. Auch hat man das
Gefühl, daß nirgends Plan und Wille
herrscht. Es rächt sich bitter, daß die
Deutsch Österreicher immer das Re¬
gierungsvolk waren; sie sind politisch
nicht organisiert und ohne nationa¬
len Willen.
Kisch bemüht sich, da hinein Bol¬
schewikismus zu tragen. «Kommen
Sie hin, mich sehen?» fragt er vor der
Versammlung der Roten Garde am
Deutschmeisterplatz heute meine
Frau. «Heute abend habe ich -tOOO
Gewehre zur Verfügung Es wird noch
viel Blut kosten>, sagt er mit der Mie¬
ne ernsten Bedauerns. (Vor vier Hö¬
chen hat er den Tod jeden weiteren
Mannes an der Front für ein Verbre¬
chen erklärt!)
Seit 48 Stunden glaubt er nicht geges¬
sen und geschlafen zu haben (wurde
aber im Cafe bei einer Mahlzeit gese¬
hen) Er ist ganz heiser, fahrig und
man kann nicht zwei zusammenhän¬
gende Sätze aus ihm herausbringen.
Mit ihm zieht Werfel, in diesen zwei
Tagen blaß mager und ganz heiser
geworden. Hat anscheinend keine
Ahnung, was er tut, glaubt auf die
Leute im Sinne friedlichen Umsturzes
zu wirken. Es ist enorm komisch.
Kisch dagegen wirkt hysterisch. Um
jeden Preis bemüht, sich in den Mit¬
telpunkt einer Staatsaktion zu brin¬
gen. Geist vom Geiste des Expressio¬
nismus. (Vielleicht gehört solche Lust
am Theaterspiel aber zu den Vorbe¬
dingungen einer historischen Rolle)
II as man zu ihm sagen wird, ist ihm
jedenfalls wichtig; dem KPQ eine
2 Gänsehaut einzujagen ist jedenfalls
Ausrufung der p>n uneingestandener Ehrgeiz. Ihn
österreichischen und Werfel schieben zwei richtige \n
Republik archisten vor sich her."K'

263
S1 MPTOMI.N I II! VI I H

D -1
2-J

DRITTES DER JAHRBÜCHER


FÜR GEISTIGE POLITIK
HERAUSGEGEBEN VON KURT HILLER

ERSTER HALBBAND

iituiiiiuiiiiiiiiiiiHtimniuimuimmiiiUiiiiiiiHiiuiuiiiiuiiiimimiiiimiiiiiiiiimiiiiiuumiiiiiiinmiiuuuuiiuiittiiii

lVLusil hatte schon um 1910 in Ber¬


BEITRÄGE VON
lin Kontakt mit Hiller und widmete Erwin CUNTZ * Otto FLAKE + Alfons
ihm den Programm-Entwurf der GOLDSCHMIDT * Kurt HILLER * Magnus
nicht zustande gekommenen Zeit¬ HIRSCHFELD * Arthur HOLITSCHER
schrift «Das Pasquill». Umgekehrt Rud. KAYSER * H. KOCH-DIEFFENBACH

war Hiller ein großer Bewunderer der Rudolf LEONHARD * Leo MATTHIAS
Rob. MÜLLER (Wien) * Heinr. NIENKAMP
«Verwirrungen des Zöglings Törleß».
Walther RILLA * Hermann SCHÜLLER
Es hat gewiß auch mit diesen persön¬
Hugo SINZHEIMER * Helene STÖCKER
lichen Beziehungen zu tun, daß Musil
Frank THIESS * Johannes M. VERWEYEN
Ende 1918 das Programm des «Poli¬ Carl M. WEBER * Armin T. WEGNER
tischen Rates geistiger Arbeiter» un¬ Gustav WYNEKEN
terschrieb, zusammen mit Kasimir
BRUCHSTÜCKE AUS
Edschmid, Otto Flake, Magnus Ferdinand Lassalle * Oscar Wilde
Hirschfeld, .Annette Kolb, Alexander
DOKUMENTE
Moissi, Kurt Pinthus, Heinrich Mann,
...
Walther Rilla, Rene Schickele, Bruno
Taut, Fritz von Unruh, Armin Weg- t91 9
ner, Kurt Wolff, Gustav Wyneken, KURT WOLFF VERLAG / LEIPZIG

Paul Zech und vielen anderen.


1 M
Gefordert wurden die «Vergesell¬
schaftung von Grund und Boden;
Konfiskation der Vermögen von einer
bestimmten Höhe an; Umwandlung
kapitalistischer Unternehmungen in
Arbeiterproduktivgenossenschaften».
Gefordert wurde weiter die «Freiheit
des Geschlechtslebens in den Grenzen
der Verpflichtung, den Willen Wider¬
strebender zu achten und die Uner¬
fahrenheit Jugendlicher zu schüt¬
zen», ferner eine grundlegende Re¬
form des Erziehungswesens, speziell
des Geschichtsunterrichts, Wahl der
Professoren durch studentische Aus¬
schüsse. Gegen die «Beeinträchtigung
der Kulturpolitik durch einseitig
wirtschaftliche Gesichtspunkte und
zur Ausgleichung der Schäden partei¬
bürokratischer Erstarrung» sollte ein
«Rat der Geistigen» an der Regierung
beteiligt werden.
Der Vollzugsrat des Arbeiter- und
Soldatenrates von Groß-Berlin ver¬
hielt sich diesen Vörstellungen gegen¬
1
über sehr abweisend. Er empfahl am
«Das Ziel», Organ
29. November 1918 dem «Rat geisti¬
des Aktivismus
ger Arbeiter», Berufsinteressenver-
bände zu gründen und von je 1000
Mitgliedern einen Delegierten für den 2
Arbeiter- und Soldatenrat wählen zu Kurt Hiller
lassen. (1885-1972)

264
fvobert Müller war wie Musil Mit¬
unterzeichner des Programms des
«Rates geistiger Arbeiter». Er gehörte
zu den führenden Aktivisten der
Nachkriegszeit. Müller, Autor zahl¬
reicher Essays imd Romane, beging
Ende August 1924, politisch des-
dlusioniert und finanziell ruiniert,
Selbstmord.
In seinem Nachruf auf ihn schrieb
Musil:

Ich habe ihn kennencelernt, als um


aus dem Kriege heimkehrten. Er war
damals ein schlanker, hochgewach¬
sener Mann, der sich im Ausgang der
Zwanzig oder Anfang der Dreißig be¬
finden mochte, aus zähem Draht ge¬
baut, mit einem aufmerksam, sach¬
lich und freundlich spähenden Kopf,
dessen Profil die Angriffskraft eines
Raubvogels hatte; er sah weit eher
einem Leichtathleten gleich als einem
Schriftsteller [...]
; Ter Warften __ __ ^tmfoft 3, Xtbmnz »OID
Dieser Schriftsteller war entschlos¬
Bor Den ffiäfjlern. sen, das Leben unromantisch zu lie¬
ben, wie es ist [...] aber es auch
ebenso zu bekämpfen und den Ideen
schließlich zum Sieg über das Getrie¬
be zu verhelfen: von der ersten Zeile
angefangen, die er schrieb, bis zu dem
Schuß, der seinem Leben ein Ende
machte,286

So wie die österreichische Linke


mit der deutschen fraternisierte, taten
es auch die Parteien der Mitte und der
Rechten. Man hielt das Rumpf-Öster¬
reich mit dem Wasserkopf Wien nicht
/ -+* n

für lebensfähig und wollte unter ganz


anderen Auspizien als 1938 «heim ins
Reich».
Vom 15. Januar 1919 bis April 1920
war Musil im Staatsamt des Äußeren
3 angestellt mit der inoffiziellen Aufga¬
Robert Müller be, publizistisch für den Anschluß an
(1887-1924) Deutschland einzutreten. Er tat es mit
dem Artikel «Buridans Österreicher»
in der Wiener Wochenschrift «Der
4
Friede» vom 14. Februar 1919 und
Maximilian Schreier,
Chefredakteur der mit einem im Tenor ähnlichen Auf¬
CbrfrcDaileur SRotimUlan Sdjtciet Wiener Wochenschrift satz in der «Neuen Rundschau» vom
VihrntUtirrr utr Dftnofroltltf.rn «arlft ittr öen I.. III. ■*» IV. Betlrf.
4 «Der Friede» März 1919.287

265
*1 1 I\ 11I I VII\OTdl\ kS

jV^lusils Texte aus den Nachkriegs¬


jahren belegen: die Pitrasen von Re¬
volution wie Konterrevolution waren
ihm gleichermaßen zuwider.

Unser Freund Horthy zum Beispiel,


der ungarische Reichsverweser, war
ehedem, bevor er verweste, sondern
als einfacher Vorkriegs-Marineoffi-
zier bei uns verkehrte, ein sehr netter
Kerl; ein bischen beschränkt, aber
das wirkte äußerst natürlich: nun
sieh Dir an, wie dieser Mann spricht,
seit er eine historische Figur gewor¬
den ist! Ich habe mir eigens eine Pro¬
klamation aufgehoben, die er erließ,
als er an der Spitze der känigstreuen
Reaktion die ungarischen Bolschewi¬
ken geschlagen hatte und Ende 1919
in Budapest einzog: «Wir haben Bu¬
dapest zärtlich geliebt. Hier am Ufer
der Donau rufe ich die ungarische
Hauptstadt vor den Richterstuhl.
Diese Stadt hat ihre Vergangenheit
verleugnet, ihre Krone und die natio¬
nalen Farben in den Staub getreten
und sich in rote Fetzen gekleidet...
Aber je näher wir kamen, umso mehr
schmolz das Eis von unsren Herzen,
und wir sind bereit zu verzeihen> j...]
Nachdem er so gesprochen hatte, ließ
er zu, daß tausende Menschen aufge¬
hängt, totgeprügelt und vernichtet
wurden.2™

M
Ivxusil verkehrte während der
zwanziger Jalire viel in den Kreisen
der linken ungarischen Emigranten 1
Einzug
in Wien. Näher bekannt war er mit
Admiral Horthys und
dem Schriftsteller, Filmkritiker und
der Weißen Truppen
Film-Theoretiker Bela Baläzs. dessen
in Budapest nach
Bucb «Der sichtbare Mensch» er ei¬ der Niederlage der
nen ausführlichen Essav widmete: Räteregierung
«Ansätze zu neuer Ästhetik. Bemer¬ Bela Kuns am
kungen über eine Dramaturgie des 16. November 1919

2 <><>

|
Films». Durch Baläzs kam Musil in
Kontakt mit Georg Lukäcs. ( her ihre
Begegnung Berichtet Soma Morgen¬
stern:

«Im Jahre 1922 wurde ich einmal zu


einem Tee geladen von dem ungari¬
schen Schriftsteller Bela Baläzs. Bei
diesem Nachmittagstee lernte ich
zwei Männer kennen, Robert Musil
und Georg Lukäcs [...] Über Lukäcs
wußte ich nur, daß er ein bekannter
Kommunist und ein gewesenes Mit¬
glied der Regierung Bela Kun war.
Aber der Respekt und das Interesse,
das Robert Musil für ihn bezeugte,
ließ mich vermuten, daß Lukäcs
mehr sein mußte als eben ein Minister
einer kommunistischen Regierung
[...]
Georg Lukäcs war gerade von einer
Reise nach Rußland zurückgekehrt
und hatte uns viel zu erzählen. Baläzs
hörte zu wie ein Kind einem Märchen¬
erzähler. Er hat zu den wenigen
ungarischen Flüchtlingen in Wien
gehört, die ihre kommunistische Ge¬
sinnung nicht versteckten. Aber da er
ein durchaus gebildeter Mittelschul¬
professor war, wuinderte mich sein ge¬
treues Zuhören. Musil hörte zu mit
dem Respekt vor dem Erzähler, aber
mit kühler Distanz gegen das Erzähl¬
te. Ich saß mäuschenstill [...] Lukäcs
äußerte so nebenbei die Meinung,
daß in Rußland eine Wandzeitung in
einer Fabrik wichtiger sei als Litera¬
tur. «Sie teilen doch nicht diese An¬
sicht, Dr. Lukäcs?> fragte in allem
Ernst Robert Musil. Mit dem Stolz
und dem Ernst eines griechischen
Rhetors, der sich eben zum Christen¬
tum bekehren ließ und seine ganze
griechische hohe Bildung verleugnet,
gab Lukäcs zu: «Gewiß, gewiß. Ich
bin auch der Ansicht.) — «Sie meinen
in dem Sinne: Inter arma silent Mu-
sae>, versuchte Musil ihn zu be¬
schwichtigen. Allein Lukäcs war un¬
erbittlich. Er fing damit an. daß der
Bürgerkrieg in Rußland ja längst vor¬
2 bei war. Und ohne die Beherztheit je¬
Weißer Terror
nes griechischen Rhetors, der seinen
in Ungarn
neuen Glauben mit dem Zusatz quali¬
fizierte: «Ich weiß, vom Standpunkt
3 unserer Bildung ist das, was in den
Georg Lukäcs (links) Evangelien steht, Unsinn. Aberdas ist
und Bela Baläzs die Zukunft», blieb er fest ... »**’*’

267
SYMPTOMEN I III VI l li

egen der sehr unzureichenden


Wohnverhältnisse in der Ungargasse
17 — man konnte keinen Besuch emp¬
fangen - wurde die Helmstreitmühle
I o
in Mödling 1920 für Musil zu einem
dringend benötigten, aber auch poli¬
tisch interessanten Ausweichquartier.
Sie wurde in den Jahren nach dem
Ersten Weltkrieg von l)r. Lugenie
Schwarzwald, der Leiterin der re-
form- pädagogischen Schwarzwald-
Schule Wien, als Erholungsheim und
Asyl für <unbehauste> Prominenz be¬
trieben. Musils wohnten mindestens
dreimal in der Helmstreitmühle, vom
6. April bis Anfang oder Mitte Mai
1920. vom 23. Juli bis Anfang Sep¬
tember 1920 und in der letzten De¬
zemberwoche jenes Jahres.
Franz Theodor Csokor berichtet:
«In dieser abenteuerlichen Nach¬
kriegszeit hausten Musil und seine
Gattin bei dem Städtchen Mödling in
einem Erholungsheim — mit dem
martialischen Titel Helmstreit¬
mühle) — der Philanthropin Dr. Euge-
nie Schwarzwald, zwischen Krieger¬
witwen, aus ihren Bahnen geschleu¬
derten Politikern und Offizieren [...]
unter der Obhut der von allen Partei¬
en unterschiedslos angeschwärmten
blonden Sekretärin der <Frau Dok¬
tor), die — wie Musils Gattin — auf den
sanften Namen Martha hörte, mehr -|
oder weniger friedreich beisammen. General
Alle Spannungen konnte nämlich Pflanzer-Baltin
selbst eine so ausnahmslos gemeinsa¬
me Verehrung nicht beseitigen, wie
sie die Teilnehmer jener mageren 2
Konserven -Symposien gegeneinan - Egon Erwin Kisch
der an Herz und Nerven hegten. Denn (1885-1948)
Monarchisten und ihre Antipoden
teilten sich in die Plätze der Gemein¬
3
schaftstafel, und zwischen den um
Martha Friedländer,
seiner Strenge willen im Krieg ver¬
Leiterin des
haßt gewesenen Generalobersten Erholungsheims
Pflanzer-Baltin und seinen Gegenpol, Helmstreitmühle
den Gründer der Wiener Roten Gar¬
de, Egon Erwin Kisch, hatte das sanf¬
te Fräulein Martha deshalb Robert
Musil gesetzt. Er [...] gab [...] bei¬ Ungargasse 17,
den Exponenten von rechts und links Wien,
Behausung Musils
die Wand ab, an die ein jeder von den
von Juli 1920 bis
zweien den anderen gern gestellt hät¬
Dezember 1921,
te, wenn ihm das vergönnt gewesen
zwei Zimmer und
wäre. Und Musil machte diese Wand Küche im 1. Stock-
voll Takt und höflichem, vielleicht eine Arme-Leute-
auch etwas triftigem VerttnÜL'en. > Wohnung

2(>8
T-Jber Pflanzer-Baltin notierte Mu¬
sil im Tagebuch:

Bei aller Männlichkeit ist das ei


gentlich das Gesicht einer Frau: Un¬
bedeutende Stirn, guter Hinterkopf
schöne Augen und überhaupt das ei¬
gentliche Gesicht sehr ausdrucksvoll.
Das heißt: wenig mit dem Verstand
erlebt, viel rein menschlich.1"'
[...] wie ich höre einer der ärgsten
Blutgenerale, bestellt friedlich seine
Gemüsebeete; Macht der Verhält-
292
nisse.

X_Tnverkennbar hatte der Krieg


auch die Rolle der Intelligenz verän¬
dert:

Ein Fleischhauer mietet ein Zim-


mer, das ich mir nicht leisten kann.
Ich mache mir nichts daraus. Plötz¬
lich fällt mir auf: Die ungeheure Ge¬
duld mit der wir uns gefallen lassen,
aus einer geistigen Oberschicht zu
Parias herabgedrückt zu werden.1"1

Seit ich zum Leben erwacht bin,


denke ich mir die Sache anders. Das
heißt: Stellenweise klare Kritik, stel¬
lenweise klare durchdachte Vorschlä¬
ge. Einiges davon habe ich niederge¬
schrieben und veröffentlicht. Viel
mehr aber ist dunkles Widerstreben
geblieben. Halb emporgehoben, wie¬
der Versunkenes. Weite Ahnungszu¬
sammenhänge, denen der Verstand
nicht gefolgt ist [...]
Die fünfjährige Sklaverei des Kriegs
5 hat inzwischen aus meinem Leben
Robert Musil, das beste Stück herausgerissen; der
um 1921
Anlauf ist zu lang geworden, die Gele¬
genheit, alle Kräfte zu spannen, zu
6 kurz. Verzichten oder springen, wie
Die Helmstreit¬ immer es kommt, ist die einzige Wahl,
mühle in Mödling welche geblieben ist.294

269
M iiv-llll \ IWOLdWAS

D i*' allgemeinen Veränderungen


der Nachkriegszeit ließen auch die
Beziehungen Musils nicht unberührt.
Ehemalige Untergebene spielten
plötzlich in der Öffentlichkeit eine
wichtige Rolle.
In der österreichischen Republik wur¬
de zum Beispiel Josef Luitpold Stern
einer der führenden Männer der
Volksbildung auf politischer Grund¬
lage. Er kannte Musil schon seit dem
Winter 1915/16 an der Südtiroler
Front und hatte wegen dessen stren¬
ger Dienstauffassung ein etwas ge¬
spanntes Verhältnis zu ihm. ln Erin¬
nerungen an Musil berichtet er:
«Man schrieb Jänner 1919. Ich wurde
der Anreger. Begründer und Leiter
des Reichsbildungsamtes der öster¬
reichischen Volkswehr [...] Ich blieb
leitend tätig, als die Aufgaben dieser
Stelle im September 1920 vom
Staatsamt für Heerwesen übernom¬
men wurden. Zu dieser Zeit trat auch
Robert Musil ein. Er war mit der Ein¬
führung der Offiziere in die Methoden
der Arbeits- und Geistesausbildung
betraut. Es kam zwischen Musil und
mir zu keiner Aussprache. Er war und
blieb der verschlossene Mann.»295

M usil selbst notiert in seinen Ta¬


gebüchern:

Dr. Stern: Der Zweck heiuct nicht


das Mittel, heiligt das Mittel wird als
das Letzte angebetet: Entwicklung
zum Politiker. Die Parteischulung,
der Drill der Masse zum Selbstgefühl
die Suggestion mit einem Marxbüchel
den Schlüssel zu alter Geistigkeit in
der Hand zu haben, ist sehr viel wert.
Die nächste Stufe bedeuten die leuch¬
tenden Augen, wenn man an den
Bildungseifer der Arbeiter und der
Jugendlichen denkt; sie sollten die
Disziplin, das Leben in unsren Lese¬
sälen sehn! Auf der dritten Stufe teilt
man die Wissenschaften in Natur-
und Gesellschaftswissenschaften und
leugnet jede andre Möglichkeit. Das
Selbstgefühl, das der Arbeiter durch
den Marxismus erhält, wird hier zur
1
Josef Luitpold
jüdischen Arroganz.
Stern (1886-1966),
Dabei ist so ein Mensch wie warmer
1. von links stehend,
Hind, belebend, schmelzend, hinter mit dem ersten Jahr¬
allem drein, tatkräftig und geistig gang der Wiener
praktisch. Oder auch nicht? 290 Arbeiterhochschule

270
7 u der Galerie austromarxistischer
t
Journalisten und Schriftsteller, die
Musil in die Figur seines Schmeißer
projizierte, gehörte neben Josef Luit¬
pold Stern auch Richard Robert
Wagner.
Wagner war promovierter Germanist,
im Ersten Weltkrieg Oberleutnant
der Reserve, danach Sekretär des
Staatssekretärs Julius Deutsch im
Heeresministerium. Von 1920 bis
1923 war er «Gruppenleiter für Gei¬
stespflichtschulen und allgemeine
pädagogische Fragen». In dieser
Funktion wurde er mit Musil be¬
kannt. Dieser notierte über ihn im Ta¬
gebuch:

Geist heute: Ich ordxe Mexsches


wie Dr. JL [agner unter den Typ:
Markensammler. Genugtuung, nach
einiger Zeit der Beschäftigung sich
spezialistisch auszukennen. Einerder
ersten Männer auf diesem Gebiet zu
sein.
Lieber im Dorf der Erste.. usw.
Die Genugtuung ist verwandt mit der
des versierten Personalreferenten
oder Kanzleidirektors.
Ist aber verquickt mit Seele. Daher die
Verachtung gegen Dichtung. Daher
gehören: Schulreform, freiw. [illiges]
Bildungswesen, freideutsche Jugend,
Wandervogelbewegung usw.

D aß Wagner eine Verachtung für


die Dichtung empfunden hätte, trifft
nicht zu. Er schrieb selbst Lyrik, Dra¬
men und Romane, vorwiegend über
historische Stoffe. Er schrieb auch ei¬
ne «Geschichte der Kleiderarbeiter in
Österreich im 19. Jahrhundert und im
ersten Viertel des 20. Jahrhunderts»
(1930), daneben aber zahllose Arti¬
kel für den «Aufstieg», die Gewerk¬
schaftszeitschrift der Kleider- und
Pelzarbeiter Österreichs, deren Re¬
dakteur er von 1925 bis 1934 war.
Eine solche Zeitschrift hatte Musil im
Auge, als er über Schmeißer schrieb:

Er DACHTE DARAN. DASS El\ PAArZe.ILE \


im tSchuhmacher*, ein paar saftig
gespitzte Glossen, jederzeit am rech-
2 ten Ort sein würden, um wieder ein-
Richard Robert vor diesem Bürgerlichen zu war-
Wagner nen, die es nie lange in der Bewegung
(1888-1941) aus halten.298

271
D a ein naturwissenschaftlicher Be¬
ruf und politische Orthodoxie sich für
Musil ausschlossen, war der marxi¬
stische Physiker Fritz Zerner für ihn
eine paradoxe Gestalt — paradox ge¬
nug, um in die Sammlung von Zeit-
Figuren aufgenommen zu werden.

Zerner. Sitzend der junge David.


Breil abfallende Schultern. Gehend,
große, beinahe Plattfüße, etwas
krumme Beine, rasch dahinmau¬
schelnder Gang, im gestreckten Arm
die Mappe. Hat schon mehrere klei¬
nere physikalische Arbeiten gemacht,
aber noch nicht den Doktor. Typi¬
scher zweiter Assistent.
Kann seine Gedanken schlecht ent¬
wickeln.
Harum ist er eigentlich Kommunist?
Fragen. Was treibt ihn zur Politik?
Wahrscheinlich jüdischer Reform¬
eifer.
Nein: Ideen! tWir wenden uns gegen
die, die Endgültiges zu besitzen glau¬
ben» tder schöpferische Mensch» —
"der einzig wahrhafte Revolutionär.»
tWir wollen letzten Endes die bestän¬
dige Diktatur der Revolutionäre.»2<><>

Auf Grund seines naturwissen¬


schaftlichen Berufs, seiner Physio¬
gnomie und seines Habitus ist wahr¬
scheinlich. daß Zerner der Figur des
Schmeißer viele äußere Züge lieh:

[...] der Kandidat der technischen


Wissenschaften Schmeißer [...] hatte
eine schmale Brust zwischen Schul¬
tern, die breitknochig waren, und
trug scharfe Brillengläser. Diese sehr
scharfen Brillen waren die Schönheit
in dem Gesicht, das eine fahle, fette,
schlecht durchblutete Haut hatte; in
harten Nächten über Büchern und 1
Pflichtarbeiten notwendig geworden Fritz Zerner
(1895-1951)

979
Der tragischste Fall unter den lin¬
ken Intellektuellen, mit denen Musil
nach dem Ersten Weltkrieg umging,
war Hugo Sonnenschein alias Sonka.
Eine Zeitlang soll Sonka täglich mit
Musil verkehrt, lange Spaziergänge
mit ihm gemacht und sogar eine Art
Eckermann gespielt haben. Basis des
Umgangs war eine gemeinsame sozia¬
listische Position, ln den «Unterhal¬
tungen mit Schmeißer» bekennt Mu¬
sils Romanheld Ulrich:

Dass über kl rz oder lwg die Messch-


heit in irgendeiner Form sozialistisch
organisiert sein wird [...] das habe
ich schon als Kavallerieleutnant ge¬
wußt; es ist sozusagen die letzte
Chance, die ihr Gott gelassen hat.
Denn der Zustand, daß Millionen
Menschen auf das roheste hinabge¬
drückt werden, damit tausende mit
der Macht, die ihnen daraus er¬
wächst, doch nichts Hohes anzufan¬
gen wissen, dieser Zustand ist nicht
bloß ungerecht und verbrecherisch,
sondern auch dumm, unzweckmäßig
und selbstmörderisch!»
Und Schmeißer erwiderte ihm höh¬
nisch: «Aber Sie haben sich immer da¬
mit begnügt, das zu wissen! Nicht
wahr? Das ist der bürgerliche Intel¬
lektuelle!» [...]
Friedlich räumte Ulrich ein: «Es mag
sein, daß meine Art zu denken bürger¬
licher Herkunft ist [...] Aber: Inter
faeces et urinam nascimur — warum
nicht auch unsere Meinungen? Was
beweist das gegen ihre Richtig¬
keit?!»™0*

Ejine parteipolitische Bindung


lehnte Musil für sich ab, während
Sonka Mitglied der KPC war, bis er in
der Auseinandersetzung zwischen
Stalin und Trotzki sich gegen Stalin
wandte. Aus unbekannten Gründen
kam es eines Tages zum Zerwürfnis
mit Musil.
1934 wurde Sonka aus Österreich
ausgewiesen, 1942 nach Auschwitz
deportiert. Er überlebte, wurde aber
in der kommunistischen Tschecho¬
slowakei des Jahres 1948 aus politi-
2 sehen Gründen erneut verhaftet und
Hugo Sonnenschein starb 1953 im Zuchthaus Mirov: ein
alias Sonka unschuldiges Opfer seiner politischen
(1890-1953) Überzeugungen.

273
S1MPTOMI \ III! \ 11 II

lni März 1921 erscliien in der von


Kfrairn Frisch und Wilhelm Hausen¬
stein herausgegebenen Zeitschrift
j «Der neue Merkur» Musils Rezension
von Spenglers «Untergang des
Abendlandes». Kr nutzte sie. um von
einer grundsätzlich linken Position zu
einer generellen Diagnose der Zeit-
Problematik vorzudringen.

Hie schon gesagt, halte ich das


Wachstum der Anzahl daran beteilig-
ter Menschen für die Hauptursache
des Übergangs von Kultur in Zivilisa¬
tion. Es ist klar, daß hundert Millio¬
nen Menschen zu durchdringen ganz
andre Aufgaben stellt als hunderttau¬
send. Die negativen Seiten der Zivili¬
sation hängen zum größten Teil da¬
mit zusammen, daß diesem Volumen
des sozialen Körpers seine Leitfähig¬
keit für Einflüsse nicht mehr ent¬
spricht. Man betrachte den Höhe¬
punkt vor dem Krieg; Eisenbahn,
Telegraph, Telephon, Flugmaschine,
Zeitung, BuchhandeL Schul- und
Fortbildungssystem, Wehrpflicht: al¬
les völlig unzureichend. Der Unter¬
schied zwischen Großstadt und
schwarzgeistigem Land ist größer als
der zwischen Rassen. Vollkommene
Unmöglichkeit, selbst in der eigenen
Schicht in die Voraussetzungen eines
andren Gedankenkreises einzudrin¬
gen außer unter ungeheurem Zeitein¬
satz. Folge: schmale Gewissenhaftig¬
keit oderirnpetuose Oberflächlichkeit.
Mit dem Rächst um der Zahl hält die
geistige Organisation nicht Schritt:
darauf sind achtundneunzig vom
Hundert aller Zivilisationserschei-
nungen zurückzuführen. Keine Initia¬
tive vermag den sozialen Körper auf
weitere Strecken zu durchdringen
und empfängt Rückwirkung von sei¬
ner Totalität. Man kann tun, was
man will, Christus könnte auf die Er¬
de wieder niedersteigen: es ist ganz
ausgeschlossen, daß er zur Hirkung
käme. Die Frage auf Leben und Tod
ist: geistige Organisationspolitik. Das
ist die erste Aufgabe für Aktivist wie
Sozialist; wird sie nicht gelöst, so sind
alle andren Anstrengungen umsonst,
denn sie ist die Voraussetzung dafür, 1
daß die überhaupt wirken können.301 Oswald Spengler
(1880-1936)

JLjaurin, von der ersten bi- zur letz- 2


teil Nummer (21. März 1921 bis 31. ArneLaurin
Dezember 1938) Chefredakteur der (1889-1945)

274
regierungsoffiziöseil Prager Presse,
und mit Musil seil Frühjahr 1918. >rii
der gemeinsamen Arbeit an der Sol
datenzeitung Heimat . bekannt,
sicherte seinem ehemaligen Vorge-
setzten mehrere Jahre lang durch den
Abdruck zahlreicher Artikel ein Ein¬
kommen in harten tschechischen
Kronen. Allerdings brachte die Mitar¬
beit bei der Prager Presse» Musil in
politische Schwierigkeiten, da er als
österreichischer Staatsangestellter in
einem Blatt publizierte, das die öster¬
reichische Politik konterkarierte.
Am 23. April 1921 schrieb Musil an
Laurin:

Ich muss mich mit Ihnen über die


Prager Presse aussprechen, denn die
Beurteilung, welche das Blatt findet,
ist derart, daß es mir auch in Ihrem
Interesse zu liegen scheint, wenn ich
rückhaltlos darüber rede.
Sie haben mir seinerzeit zwei Direkti¬
ven gegeben, von denen ich bisher bei
der Anwerbung von Mitarbeitern Ge¬
brauch machen konnte: Sie sagten,
das Blatt sei Organ Masaryks; und
die Orientierung sei überstaatlich.
Dem entgegen ist hier die allgemeine
Überzeugung: die Prager Presse ist
ein Organ des tschechischen Außen¬
ministeriums und die Orientierung sei
derart, daß die Deutschen in ihrem
Widerstand gegen den tschechoslo¬
wakischen Staat geschwächt werden
sollen und dem Ausland Sand in die
Augen gestreut werden soll.
[...] wenn ich die Prager Presse
durchsehe, muß ich doch sehen, daß
die Informationen [...] aus der Men¬
talität einer Regierung geschöpft
sind, die sich mit Frankreich und
Deutschland zu verhalten wünscht,
deren oberstes Interesse aber ist, daß
die Friedensverträge eingehalten und
möglichst glatt durchgeführt werden
[...] Für uns sind die Friedensverträ¬
3 ge unentschuldbarer als es die Kriegs¬
Richard erklärungen waren. Denn der Krieg
Coudenhove-Kaiergi war die Katastrophe einer edlen Welt,
(1894-1972), die Friedensverträge die Verhinde¬
der Gründer der Pan- rung der Geburt einer neuen. 'm
Europa-Bewegung

I^ichard Coudenhove-Kaiergi be¬


4
kräftigte dies auf Grund persönlicher
Staatsamt für
Erinnerungen:
Heereswesen, Rück¬
seite, Musils Arbeits¬ «[Musil] war von Anfang an ein über¬
stelle vom Septem¬ zeugter Anhänger der pan-europäi-
ber 1920 bis schen Idee, als die meisten Menschen
Februar 1923 sie noch für eine Utopie hielten.» 03
SYMPTOMEN 11IK VI I K

M usil war bei der «Prager Presse»


als Rezensent für Theater und Kunst¬
ausstellungen engagiert. Auf Bitten
der Redaktion versuchte er, dem Blatt
renommierte Mitarbeiter zuzuführen,
und wandte sich deshalb z. B. an Tho¬
mas Mann304, Arthur Schnitzler305,
Alban Berg. An Berg schrieb er am
2. März 1921:

Ich möchte Sie bitten, mir eine


Zusammenkunft in der Stadt zu ge¬
ben; entweder an einem Ort, wo man
mich zu Ihnen führen kann, oder im
Kuppelsaal des Cafe’s Zentral, wo die
Kellner mich kennen. ""'

Z u einer regelmäßigen Mitarbeit


Alban Bergs an der «Prager Presse»
kam es trotz der Bemühungen Musils
allerdings nicht.

M usil war ein leidenschaftlicher


Raucher, ein leidenschaftlicher Kaf¬
feetrinker und ein leidenschaftlicher
Kaffeehausbesucher. «Das Kaffee¬
haus war für uns, was für Sokrates die
Agora war»30 , notierte Karl Otten in
seinen «Eindrücken von Robert
Musil».
Neben dem Cafe Central verkehrte er
auch im Cafe Museum und im Cafe
Herrenhof. Selbst die triviale Ent¬
spannung wie das Billard konnte in¬
des zum Anlaß philosophischer Refle¬
xion werden:
1
Alban Berg
(1885-1935)
Intuition
Betrachten wir eine ganz alltägliche
I Sache, einen einfachen Kararnbol- 2
stoß. Ich kann den Ball hoch oder tief Cafe Central, Wien

276
rechts oder links nehmen, den zweiten
Ball damit voll treffen oder nur eben
streifen. Ich kann stark oder schwach
stoßen. Die Fälsche stärker oder
schwächer wählen. I ’nd wahrschein¬
lich gibt es noch mehrere solcher
Möglichkeiten, die auf verschiedenen
Wegen das gleiche Ergebnis oder ver¬
schiedene Nuancen des gleichen Er¬
gebnisses herbeiführen. Vielleicht gibt
es sogar, da jedes dieser Elemente des
Stoßes beliebig abgestuft gedacht
werden kann, unendlich viele Kombi¬
nationsmöglichkeiten, die eben noch
zum Ziel führen.
Wollte ich sie theoretisch ermitteln, so
müßte ich außer den Gesetzen der
Mechanik auch die der Elastizitäts¬
lehre berücksichtigen, ich müßte die
Koeffizienten des Materials kennen,
ich müßte die feinsten Maßmet hoden
für die Koordination und Abstufung
meiner motorischen Impulse besitzen,
meine Distanzschätzung müßte ge¬
nau wie ein Nonius sein, mein kombi¬
natorisches Vermögen von Blitzes¬
helle und -Schnelligkeit. [...]
Der Verstand gibt hier eine unend¬
liche Aufgabe auf und läßt uns im
Stich.
Dennoch trete ich an das Billard her¬
an, die Zigarette im Munde, betrachte
nachlässig die Situation, gebe mir
kaum die Mühe, eine richtige Stellung
anzunehmen, stoße zu und löse die
Aufgabe. Das Gleiche, vielleicht noch
mehr beim TennisspieL Florettfechten
und in tausend Fällen.
Spielt also meine Seele Billard, mein
Dämonion?308

Im Kaffeehaus war Musil indes nicht


nur Brennpunkt philosophischer Re¬
flexion, sondern auch Gegenstand
psychologischer Wahrnehmung. Karl
Otten z. B. beobachtete Anzeichen
von Platzangst bei Musil:
«Da war z. B. das Problem der Geo¬
graphie des Platzes, den er sich im
Cafe, im Restaurant oder wo immer
auswählen mußte. Diese Wahl des
Platzes war bedingt durch seine
Furcht vor der Masse, in der er den
Angreifer witterte. [...] Diese Not¬
3 wendigkeit, die Tür oder Türen beob¬
Billardspieler
achten zu können, brachte es mit sich,
in einem Wiener
daß er des öfteren im Kaffeehaus um¬
Kaffeehaus
herstand und wartete, bis einer der
drei Tische, die seiner Forderung
4 nach Rückendeckung genügten, frei
Cafe Museum wurde.»309
smi’TOMiA iin vii i;

Bei seinen Kaffeehausbesuchen


wurde Musil in aller Regel von seiner
Frau begleitet. Das hielten manche
für eine - vielleicht eifersüchtige —
Marotte von ihrer Seite. Es war aber
mindestens seit den späten zwanziger
Jahren die pure Notwendigkeit, weil
Musil Mitte Februar 1929 nach zwei
Herzattacken auf der Straße ohn¬
mächtig wurde:

[. ..] ES HAR SEHR PEINLICH; ZUM


Glück war es nachts, und war Martha
dabei, aber ich bin seither den Ein¬
druck noch nicht ganz losgeworden
I [...] eine neurasthenia cordis309a, ge¬
stand er Franz Blei.

I A/f
IVlarthas fürsorgliche All-Gegen¬
wart wurde von kurzsichtigen und
oberflächlichen Zeitgenossen leicht
verkannt, wirkte auf Uneingeweihte
abschreckend. Gina Kaus hielt eine
bösartige Anekdote fest:
«Da ich eine große Verehrerin des Ro¬
mans <Die Verwirrungen des Zöglings
Törleß> war, achtete ich auf jede Be¬
merkung Robert Musils, der, immer
von seiner häßlichen Frau begleitet,
ein sehr treuer Besucher und ein sehr
schweigsamer Mann war [...] Broch,
der [...] damals noch in der Fabrik
seines Vaters arbeitete und bisher
noch keine Zeile veröffentlicht hatte,
wurde von seinem Bruder gefragt,
warum er täglich ins <Cafe Herrenhof»
gehe. Er antwortete, weil die Leute
dort so gescheit seien. Einmal kam
der Bruder mit; er trat ein, gerade als
Frau Musil ihr Gesicht zur Tür wand¬
te. Der Bruder sagte: <So gescheit
kann man gar nicht sein», machte ]
kehrt und kam nie wieder. Mm Cafe Herrenhof, Wien

278
279
SYMPIOMI \ IIII M l i;

/\m 21. April 1922 veröffentlichte


Musil in der «Prager Presse» eine Re¬
zension von Nestroys «Liebesge¬
schichten und Heiratssachen»310. in¬
szeniert im Wiener Raimund-Thea¬
ter.
Sie forderte den Zorn des Nestroy-
Verehrers Karl Kraus heraus, ln der
«Fackel» vom Juli 1922 antwortete er
mit dem Artikel «Nestroy und die Li¬
teraten »:
«ln der «Präger Presse» zum Beispiel,
jenem expressionistisch orientierten
Regierungsblatt, welches die Aufgabe
hat, die Deutschen in Böhmen da¬
durch für die tschechische Sache zu
gewinnen, daß es ihnen die deutsche
Sprache in verhunztem Zustand dar¬
bietet, muß einer zwar zugeben, daß
<in dem schamlos improvisierten
Charakter der Nestrovschen Stücke
eine gewisse geistige Großartigkeit
steckt» — was ein absoluter Unsinn
ist —: «dennoch, zwischen erhöhten
Punkten, schleift dieses Spiel durch
breite Niederungen, die unerträglich
albern sind». Nun kann zwar eine Nie¬
derung nie so albern sein wie manches
Urteil, das sich über sie erhaben fühlt,
aber es bringt dafür auch sofort wie¬
der alles in Ordnung, wenn es die Fra¬
ge stellt:
«Souveränität sagen die einen, Schna¬
bel eines in der Entwicklung wie das
vormärzliche Wien stecken Gebliebe¬
nen, die andern?» Ich möchte, schon
weils so schön gesagt ist, zu jenen zäh¬
len, die für den Schnabel optieren.

I Zumal angesichts des wirklich souve¬


ränen Standpunktes.
«Wenn man viele Stücke von Nestroy
hintereinander liest, hat man das ent¬
mutigende Gefühl, w ie bei der Berüh¬
rung mit einem untiefen Menschen.»
Das habe ich mir immer ganz anders
vorgestellt, da ich geglaubt habe, daß
selbst wenn die Literaten nur ein ein¬
ziges Stück von Nestroy lesen, sie das
entmutigende Gefühl haben werden,
nichts mehr schreiben zu sollen.»311
Auf diesen Angriff antwortete Musil
am 9. Mai 1924:

[. ..] ICH MISS MICH ALT DIE FEST-


Stellung beschränken, daß auch die¬
ser streitbare Geist seine Achillesferse
hat, oder wenn ich mich ganz mytho¬
logisch ausdrücken darf, daß die Lei¬
er, die erim Busen trägt, mit Achilles- }
sehnen bespannt nt. Seine mehr mit Karl Kraus
Beziehun ulle ne- (1874-1936)

280
ladene Sprache deckt vollkommen dir
Gebiet der satirischen Prosa, für das
sie geschaffen wurde, verliert ihre
persönliche Ausdruckskraft aber in
der dichterischen Prosa und im fers.
Seine unbiegsame Moral, als Rück¬
halt der Angriffe auf dubiose Zeiter¬
scheinungen von höchstem Wert, ist
ohne deren Gegendruck ein wenig
spießbürgerlich. Sein Rille, Mut und
Fanatismus, seine ungeheuer scharfe
Witterung für das Unreinliche, die
unnachahmliche Art seines Polizei¬
griffs, seine Fähigkeit, die Zeit als sa¬
tirische Halbfertigware der Zeitung
zu entnehmen und zu vollenden, alle
diese Eigenschaften, die in seiner Pu¬
blizistik zum Gebilde werden, wirken
ui seiner Dichtung um viele Grade
schwächer.a12

]V^[usil und Polgar lernten einander


vermutlich in Musils erster Wiener
Zeit (1911—13) kennen. Sie trafen
einander 1918 in Wien wieder, arbei¬
teten 1919 am «Neuen Tag» mit, ver¬
legten von der Mitte der zwanziger
Jahre an beide im selben Verlag, bei
Rowohlt. 1926 veröffentlichte Musil
in der «Literarischen Welt» sein «In¬
terview mit Alfred Polgar », in dem er
dem Urteil von Karl Kraus über Pol¬
gar recht nahekam, dieser bilde den
geistigsten und literarisch erheblich¬
sten Fall der Wiener Kritik.

Man würde [...] fehlgreifen, renn


man mit ihm die Vorstellung verbin¬
den wollte, die man heute an die Wor¬
te Impression und Impressionismus
knüpft, etwas Weiches, nur den Ein¬
drücken Hingegebenes. In seinen Ein¬
drücken liegt ein System. Er läßt die
Dinge vorbei, versetzt ihnen eins von
hinten, und dadurch zerfallen sie wie
auseinandergenommene Spielzeuge.
Das ist seine Philosophie, und seine
Technik des Schreibens bedient sich
für diesen Zweck zum Beispiel der Si-
multaneität, indem sie still nebenein¬
andersetzt, was im Leben vereint ist,
aber sich gar nicht verträgt, sobald
die atmosphärische Soße der Ge¬
wohnheit davon genommen wird,
oder er macht es so, daß er etwas, das
er tadeln will arglos in der Mitte der
2 lobenswerten Eindrücke promenieren
Alfred Polgar läßt, aber ihm das Sprachgewand des
(1873-1955) Lobes heimlich verkehrt anzieht.'"

281
SYMPTOM! N I III \l I R

Im zweiten (vorletzten) Stock des


Eckhauses Rasumofskygasse 20
wohnte Musil vom November 1921
bis August 1938. Es handelte sich um
eine sog. Bassener-Wohnung ohne
großen Komfort — das fließende Was¬
ser gab es an einem Wasserhahn im
Flur. Ein eigenes Bad war nicht vor¬
handen. in der Küche wurde bei Be¬
darf eine Gummibadewanne instal¬
liert.
Die Wohnung hatte einen relativ
schmalen, rechteckigen Grundriß,
war sozusagen schlauchförmig.
Damit Besucher nicht Küche und
Schlafzimmer durchqueren mußten,
wurden diese Bäume durch einen
Korridor zum Fenster hin abgegrenzt.
Danach folgten das Wohn-Eßzimmer
und schließlich, als Eckzimmer, das
Arbeitszimmer. Zwei Fenster sahen
auf das gegenüberliegende Rasu-
mofskypalais, eines ging auf das Pa¬
lais Salm.
Franz Theodor Csokor schildert die¬
ses Domizil so:
«So eigenartig wie Robert Musils
W erk war seine Wohnung, die er nach
langem Suchen in dem stillen dritten
W iener Gemeindebezirk in der Ra¬
sumofskygasse 20 aufgestöbert hatte.
Sie lag an einem zum Plätzchen aus¬
geweiteten Gassenschlauch, den Em¬
pirehäuser umstanden, einem (Lar¬
go, mehr italienisch als wienerisch,
wie man sie zuweilen in lombardi¬
schen oder toskanischen Städtchen
noch finden mag, in denen habsbur¬
gische Sekundogenituren herrschten.
Die Räume dieser Wohnung grup¬
pierten sich nicht nach üblicher Wei¬
se, sondern sie liefen wie an einer
Schnur gereiht die ganze Gassenfront
des zweiten Stockwerkes entlang, mit
Garderobenraum und Küche anfan¬ 1
gend. hn letzten der Gemächer, das Wien, Mi. Bezirk,
nur mehr eine Eingangstür besaß, Rasumofskygasse 20
hatte Musil sein Arbeitszimmer einge¬
richtet, mit der Bibliothek, die sich in
vielen Rängen bis zur dunklen Decke
2
Blick von der Rotun¬
staffelte. Gardinen schürzten sich
denbrücke in die
schwer um die Fenster, die nach Sü¬
Rasumofskygasse.
den und nach Osten schauten, in alte Musils Wohnung
Gärten und auf den josephinischen hinter der Krümmung
Trakt des Palais Rasumofsk\ auf der rechten Seite

282
Es HAR EIX AI.TES PALAIS, MIT pRI CHT
gewinden am kapital der Steinpfeiler
und schöner Gliederung nach der Hö¬
he und Breite, und während der Spä¬
her noch die Beamten gesucht hatte,
war ihm schon aufgefallen, wie deut¬
lich sich dieses Pfeilerwerk, diese
Fenster und Gesimse ins Fernglas hin¬
einstellten; nun, da er sie mit einem
gesammelten Blick erfaßte, erschrak
er beinahe vor der steinernen per¬
spektivischen Korrektheit, mit der sie
zu ihm herüberblickten. Er wurde
plötzlich inne, daß er bisher diese zu
einem Punkt irn Hintergrund zusam¬
menlaufenden Haagrechten, diese, je
weiter seitlich, umso trapezförmiger,
zusammengezogenen Fenster, ja die¬
sen ganzen Absturz vernünftiger, ge¬
wohnter Begrenzungen in einen ir¬
gendwo seitlich und hinten gelegenen
Trichter der Verkürzung nur für einen
Alp der Renaissance gehalten hatte:
eigentlich für eine grauenvolle Maler¬
sage vom Verschwinden der Linien,
die gerüchtweise übertrieben werde,
wenn auch etwas Richtiges an ihr sein
möge. Nun sah er sie aber überlebens¬
groß, und weit schlimmer als das
unwahrscheinlichste Gerücht, vor
seinen eigenen Augen.
Wer es nicht glaubt, daß die Welt so
ist, der triedere die Straßenbahn. Vor
dem Palais machte sie einen S-förmi¬
gen Doppelbogen. Ungezähltemal
hatte sie unser Beobachter von sei¬
nem zweiten Stockwerk aus daher¬
kommen, eben diesen S-förmigen
Doppelbogen machen und wieder da¬
vonfahren gesehen: sie, die Straßen¬
bahn, in jedem Augenblick dieser
Entwicklung der gleiche längliche ro¬
te Wagen. Als er sie nun durch das
Trieder betrachtete, bemerkte er aber
etwas völlig Anderes: Eine unerklärli¬
che Gewalt drückte plötzlich diesen
Kasten zusammen wie eine Papp¬
schachtel, seine Wände stießen immer
schräger aneinander, gleich sollte er
platt sein; da ließ die Kraft nach, er
fing hinten an breit zu werden, durch
alle seine Flüchen lief wieder eine Be¬
wegung, und während der verdutzte
3 Augenzeuge noch den angehaltenen
Rasumofsky-Palais, Wien, Atem aus der Brust Wißt, ist die alte.
Sitz der Geologischen vertraute rote Schachtel wieder in
Bundesanstalt Ordnung.'n<>

283
SWIPTOMI \ lillMI H

V om September 1920 an war Musil


Fachbeirat im Staatsamt für Heeres¬
wesen. Seine Aufgabe war, das Offi¬
zierscorps m die Methoden der
Geistes- und Arbeitsausbildung ein¬
zuführen. Außerdem war er eine Art
Schiedsrichter für die Fachbeiräte,
die die drei großen Parteien, die
Christlich-Sozialen, die Sozialdemo¬
kraten und die Großdeutschen stell¬
ten. Zu seinem Bedauern wurde ihm
die Stelle zum 28. Februar 1923 ge¬
kündigt. Sie hatte ihm. bei dem Ge¬
halt eines Obersten, viele Freiheiten
gelassen.
Obwohl Musil rund zweieinhalb Jahre
im Dienst der neuen demokratischen
österreichischen Armee gestanden
hat, war er anscheinend der Ansicht,
ihre Auflösung könne exemplarisch
wirken. Anläßlich einer Pensionie¬
rungsaktion für ungarische Generale
schrieb er 1925, anonym, in Franz
Bleis Zeitschrift «Roland»:

Staats resen hie Österreich und

I
Ungarn. deren Budget nur das dau¬
ernde Deßzit kennt, vergeuden mit ih¬
ren Armeen eine Menge Geld, das sie
gar nicht haben. Daß diese Armeen
nicht zum Angriff auf die Nachbarn
gehalten werden, das braucht man
weder in Wien noch in Pest mit gro¬ 1
ßem Ehrenwort zu versichern. Aber Soldaten des
auch zu irgendeiner Verteidigung des österreichischen
Bundesheers
Landes gegen einen feindlichen Ein¬
fall sind diese Armeen zu schwach. Ihr
Dasein würde nur jeden Einfall mili¬
2
tärisch immer rechtfertigen. Schaffte
Generale des
Österreich seine Armee ab, wäre es österreichischen
vor dem Einfall eines Einfalls feind¬ Bundesheers
licher Truppen sicherer als wenn es
dagegen eine Hehr parat hält. Denn
dadurch wird es ein <militärischer 3
Gegner». Mit guten Gründen, und nur österreichisches
solche gibt es, könnte es seine militä¬ Bundesministerium
für Heereswesen.
rische und kriegerische Kompetenz
Musils Zimmer (Nr. 89)
durch die Auflösung seiner Armee ab¬
befand sich auf
lehnen und damit ein vortreffliches
der Rückseite des Ge¬
Beispiel der Abrüstung geben, von der bäudes mit Blick
man immer nur redet. *1 überden Wienfluß

284
]^^ach der Ermordung des deut¬
schen Außenministers Walther Ra¬
thenau durch Rechtsextremisten
fragte Musil am 1. Juli 1922 Efraim
Frisch, den Herausgeber des «Neuen
Merkur»:

Planen Sie irgendeinen Protest


wegen Rathenau?Käme wohl zu spät.
Wenn es trotzdem geschehn sollte,
bitte ich auf meinen Anschluß zu
rechnen, trotzdem ich literarisch zu
seinen Gegnern zählte.318

IVtusil hatte indes später auch


Kontakt mit den Verschwörern gegen
Rathenau, z. ß. mit Ernst von Salo-
mon. Er lernte ihn in der zweiten
Hälfte der zwanziger Jahre im Ro¬
wohlt Verlag in Berlin kennen — der
Verleger beschäftigte Salomon gele¬
gentlich, um ihm ein kleines Einkom¬
men zu sichern, als eine .Art Türsteher
oder Empfangschef.
Da Salomon in seiner Jugend wie
Musil Kadett gewesen war, ergaben
sich viele Anknüpfungspunkte. Musil
regte Salomons Roman «Die Kadet¬
ten» an und nannte unter den besten
Büchern des Jahres 1930 Salomons
Buch «Die Geächteten». Er schrieb:

Ernst von Salomons Büch <Die Ge-


ächteten» überrascht durch die Bega¬
bung des Verfassers und packt auf das
lebhafteste. Denn aus seinen jungen
Menschen, die fast von ganz Deutsch¬
land geächtet worden sind, spricht ei¬
ne mächtige moralische Energie, der
4 bloß die richtige Fassung gefehlt
Königsallee, Berlin, hat.3,9
Schauplatz des
Attentats auf
Walther Rathenau
y\.n Rathenau rügte Musil laut Ge¬
am 24. Juni 1922
sprächen mit Salomon dessen wolki¬
gen Stil und die mangelhafte Vermitt¬
5 lung von Rationalität und Mystik. Es
Ernst von Salomon sei, sozusagen, kein Funke zwischen
(1902-72) Anode und Katliode gesprungen.320

285
MITOMI \ I III Ml i;

Fischer 4\ der ( Istsee


\m Strand haben sie mit den Ilanden
eine kleine Kate ausgehoben, und da¬
hinein werden aus einem Sack mit
schwarzer Erde die dicken Regenu'iir-
mer geschüttet; die lockere schwarze
Erde und das Gewürm ergeben eine
mulmige, ungewisse, anziehende
Häßlichkeit im blanken Sande, he¬
ben diese wird eine sehr ordentliche
Holzlade gelegt. Sie sieht aus wie eine
lange, nicht sehr breite Tischlade
oder ein Zahlbrett und ist coli von
sauberem Garn; und auf die andere
Seite der kitte wird noch eine solche,
aber leere I.ade gelegt.
Die hundert Haken, die am Garn der
einen Lade sitzen, sind manierlich auf
eine kleine eiserne Stange an deren
Ende gereiht und werden nun einer
nach dem anderen heruntergenom¬
men und in die leere Lade gebettet,
deren Ende bloß mit reinem, nassem
Sand gefüllt ist. Eine sehr ordentliche
Beschäftigung. Zwischendurch sor¬
gen aber der lange, mager-kräftige
I lande so sorgfältig wie Pflegerinnen
dafür, daß auf jede I ngel ein Hürrn
kommt.

I
Die Männer, die das tun. hocken auf
knien und Fersen zu zweien im
Sande, mit mächtigen, knochigen
Rücken, langen, gütigen Gesichtern,
und einer Pfeife im Mund, und sie
wechseln unverständliche Horte, die
ebenso sacht aus ihnen hervorkom¬
men wie die Bewegungen ihrer Hän¬
de. Der eine nimmt einen fetten Re¬
genwurm mit zwei Fingern, holt die
gleichen zwei Finger der anderen
Hand hinzu und reißt ihn in drei
Stücke, so gemächlich und genau, wie
ein Schuster das Papierband ab¬
knipst. nachdem er Miß genommen;
der andere stülpt dann diese sich
bäumenden Stücke sanft und acht¬
1
sam über die Angel. Ist das den Wür-
Fischer am Strand
mern widerfahren, so werden sie mit von Koserow auf
Hasser gelabt und in der Lade mit Usedom. Musil
weichem Sand in kleine, zierliche, ne¬ machte im August
beneinander liegende Betten ge¬ 1922 in Koserow
bracht. wo sie sterben können, ohne Urlaub
gleich ihre Frische zu verlieren.
Es ist ein stilles, feines Tun, wobei die
groben Fischerfinger leise wie auf
2
Koserow auf Usedom.
Fußspitzen gehn. Man muj< sehr auf
Währenddes
die Sache achten. Bei schönem Hefter
Koserower Urlaubs
wölbt sich der dunkelblaue Himmel sammelte Musil
darüber, und die \löwcn kreisen hoch auch die Eindrücke für
über Land wie weife Schwalben. 'I den Text «Inflation»

28<>
Inflation
Es gab einstmals eine bessere Zeit, ivo
man auf einem holzsteifen Pferdchen
pedantisch wiederkehrend im Kreise
ritt [...] Diese Zeit ist vorbei. Heute
[...] hängen an dreißigmal-vier ei¬
sernen Kettchen kleine Schaukel¬
brettchen im Kreis, ein Kreis innen
und einer außen, so daß man sich,
wenn man nebeneinander fliegt, an
Hand oder Rein oder an den Schür¬
zen fassen kann [... ] Dieses Ringel¬
spiel steht auf dem kleinen Platz mit
dem Ehrenstein für die gefallenen
Krieger; neben der alten Linde, wo
sonst die Gänse sind. Es hat einen
Motor, der es zeitgemäß antreibt, und
kalkweiße Scheinwerfer über vielen
kleinen warmen Lichtern. Der Rind
wirft einem, wenn man ui der Dunkel¬
heit nähertappt, Fetzen von Musik,
Leuchten, Mädchenstimmen und Lu¬
chen entgegen. Das Orchestrion
brüllt schluchzend. Die Eisenketten
kreischen. Man fliegt im Kreis, aber
außerdem, wenn man will, aufwärts
oder hinab, auswärts und einwärts,
einander in den Rücken oder zwi¬
schen die Beine. Die Burschen peit¬
schen ihre Schaukeln an und kneifen
die Mädel, an denen sie vorbeifliegen,
ins Fleisch oder reißen die Aufschrei-
enden mit sich; auch die Mädel ha¬
schen einander im Flug, und dann
schreien sie zu zweit erst recht so, als
ob eine von ihnen ein Marin wäre. So
schwingen sie alle durch die Kegel der
Helle ins Dunkle und werden plötz¬
lich wieder in die Helligkeit gestürzt;
anders gepaart, mit verkürzten Lei¬
bern und schwarzen Mündern, ra¬
send bestrahlte Kleiderbündel, flie¬
gen sie auf dem Rücken oder auf dem
Bauch oder schräg gegen Himmel
und Hölle. Nach einer ganz kleinen
Weile des wildesten Galopps fällt aber
das Orchestrion rasch wieder in
Trab, dann in Schritt zurück, wie ein
altes Manegepferd, und steht bald
still. Der Mann mit dem Zinnteller
geht im Kreis, aber man bleibt sitzen
3 oder wechselt höchstens die Mäd¬
Johannes R. Becher chen. Und es kommen nicht wie in der
und Eva Hermann Stadt ein paar Tage lang zu dem Rin¬
in Kölpinsee, Urlaubs¬ gelspiel wechselnde Menschen; denn
nachbarn Musils
es fliegen hier immer die gleichen, vom
auf Usedom. Becher
Einbruch der Dunkelheit an, zwei bis
versuchte damals
drei Stunden, durch alle acht oder
vergeblich, Musil
bei einem Wechsel vierzehn Tage hindurch, so lange bis
vom S. Fischer Verlag der Mann mit dem Zinnteller ein
zum Insel-Verlag Nachlassen der Lust spürt und eines
i. . 322
behilflich zu sein Morgens weitergezogen ist.' “

287
S\MPTOMEN IIII VTER

_D ie folgende Sommerfrische, 1923,


verbrachte Musil erneut an einem
nördlichen Meer: wie 1914 in Wen¬
ningstedt auf Sylt. Haus Seidel. Die
Ereignisse jener Wochen finden ihren
Niederschlag in einem Feuilleton
«Sturmflut auf Sylt *.

Am 30. August [1923] ist die be-


kannte Bäderinsel Sylt durch eine
Sturmflut von solcher Macht über¬
rascht worden, derengleichen man
seit Jahrzehnten vergessen hatte und
nicht mehr erwartete.
[...] In der Nacht, die der Sturmflut
voranging, zündete der Blitz auf der
Insel und verbrannte ein Bauern¬
haus, und losgelöst von dem Leben
der Badezeit und der Erholurigs- und
Dollaraufgeregtheit der abgereisten
Städter, gewann das unbedeutende
Ereignis das ganze Gewicht, das es
für einsam wohnende Leute hat, die
sich erschreckt erzählen, ein solches
Unglück hätte sich seit siebenund¬
zwanzig Jahren nicht mehr ereignet.
[...] Ich begriff, warum die Leute in
diesen Gewitternächten sich nicht zu
Bett legen, und Lichter hinter den
Fenstern aller Häuser gegeistert hat¬
ten, welche [...} nirgends Blitzschutz
tragen: wir standen herum, die Hän¬
de in den Taschen, und sahen in den
Brand, den auch der heftige Regen
nicht löschte, wir wenigen Sommer¬
gäste aus den Nachbarhäusern und
die Feuerwehr, die hie und da ein bi߬
chen mit den Hacken in den glühen¬
den Sparren stierte oder ein wenig
Hasser aus der Spritze rieselte wie
aus einem Gartenschlauch. Unter
dem ungeheuren Wolkenhimmel sah
alles fast niedlich und zierlich aus
323

Q .
kJeit dem Brand von Wenningstedt
hatten Robert und Martha Musil Be¬
fürchtungen, sie könnten durch ein
ähnliches Ereignis der Manuskripte
verlustig gehen. Noch achtzehn Jahre
später bekannte Martha ihrer Tochter 1
Annina: Sturmflut auf Sylt

Auch finden hir beide es sicherer. ^


den ganzen Arbeitsapparat neben Das durch B!it2.
dem Schlafzimmer zu haben, z. B. bei schlag abgebrannte
nächtlichen Gewittern. (Ich denke HausBundisin
dabei oft an Wenningstedt.)*2 Wenningstedt

288
Achilles eriswert sich in dieses Ta-
gen an einen alten friesischen Bau¬
ern. Er hatte ihn in dem kleinen Insel¬
bad schon oft beobachtet. Er war so
komisch. Gut an die achtzig. Mit einer
schwarzen Schirmmütze. Obeinig.
Abends holte er das Kalb vom Gras¬
platz. An der Kette riß es ihn hin und
her; aber mit Geduld steuerte er es
doch in den Stall. Einmal sah er ihn
die Leiter am Strohschober hinauf¬
kriechen. Unbehilflich aber ent¬
schlossen. Oben richtete er die Lei-
nenplache. Und dann kam Achilles
einmal durch Zufall ins Gespräch mit
ihm. Schnupftabak zog sich über die¬
ses Gesicht mit den weißen Bartstrei¬
fen. Der typische Stoffel hatte Achilles
gedacht. Ein hinkendes Schweinchen
hüpfte vergnügt am Dunghaufen.
Steif ist es sagte der Bauer und nann¬
te eine Krankheit, die Achilles nicht
verstand. Vier Monate haben wirs
aufgezogen und es wird nicht besser.
Der Bauer sprach wie man von einem
mißratenen Kinde spricht. Wie merk¬
würdig diese Liebe, empfand Achilles,
trotzdem man es nur zum Abstechen
aufzieht. — Dann sprachen sie über
die Weltlage und Achilles war er¬
staunt, wie fein und zart der alte Bau¬
er sprach, wie er all das sagte, was
jeder Gebildete sagt. [...] Wo hat er
es her? Wird das mit jedem ge¬
3
boren?325
Der Bauer Christian
Ludwig Nielsen
aus Wenningstedt Eine Erinnerung aus der Geogra-

vor seinem Haus, phiestunde wird lebendig: Insel — ei¬


eine Urlaubsbe¬ gentlich stehen wir da auf der Kuppe
kanntschaft Musils eines hohen Meerbergs? [...] fers fort
wie ein Pferd, das den Reiter abge¬
worfen hat, ist die Erde überall dort,
4
wo der Mensch in der Minderheit
Dünenlandschaft
auf Sylt. bleibt; ja, gar nicht gesund, sondern
Musil beschreibt sie wahrhaft geisteskrank erweist sich
in dem Prosastück die Natur im Hochgebirge und auf
«Hasenkatastrophe» kleinen Inseln.'126

28‘»
S\MPTOMI \ I III M I R

D ic erste Veröffentlichung der No¬


velle «Grigia» findet sich in Efraim
Frisehs Zeitschrift «Der Neue Mer¬
kur» vom Dezember 1921. Sie ist der
Reflex von Musils Liebesbeziehung
zu der Bäuerin Lenzi im Fersental
1916.

D ie erste Buchausgabe der Novelle


«Grigia» mit den Illustrationen von
Alfred Zangerl erschien 1923 als ach¬
ter Band der Sanssouci-Bücher, her¬
ausgegeben von Franz Blei, in einer
Auflage von 2100 Exemplaren. Die
Radierungen von Nr. 1—100 wurden
vom Künstler signiert. Hundert Ex- -j
emplare des Buchs wurden von Ifand Bibliophile Erstous-
gebunden und in der Presse mime- gäbe der Novelle
riert. «Grigia»

200
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^V'^1 1 '^9^ V*^ fs ’■**-* &~ e~*y a jg-SC^.,

^ fnVß-^y. -ni-/ £-s^ ,


Als «Grigia» — Dezember 1921 —
•«»-* A*- «w /Ai«/ <&~,'*tc At* ^*r /fCy^s»-4y^^(,
im «Neuen Merkur» erstmals c t;e-
^>»«y»«< 4*“**-Ä-fc* V**v^ i£+tyfL. m Kjkj*/ druckt wurde, galoppierte in Öster¬
m/t y£** Äo^ J^r***/£y/* &y reich die Inflation. Ein Haushalt von
9xj/(/{*•£*/u4 n>pS->~***+ n~+ >(v A^, ■« ^W3> >m,V zwei Personen brauchte im Monat
150 000 bis 200 000 Kronen. Musil
^v^-v ^**X ^
sah sich deshalb gezwungen, nicht
•*« Ar (+*SpU /^+~> ^ ♦****' m»Jp9k+m <&>^7++~A~< ~-
nur die Urheberrechte an seinem Text
4-.1C A^P *►—*?^C*P^»P. ^n,^.
zu verkaufen, sondern auch die
Üft/Tt/S V*WWt/ A*/J%At\ P— Ä-^4 AVPPI^. £> *< ►***> ^4^NT>, ^-Zv^»p/^.{ A £ .
Manuskripte. Die der Reinschrift zu¬
w«M tlCv Am« 'vAp^ •* */»»H *>p grunde liegende Handschrift liegt
«~?« &-*/•■ *2, ,~^£&~ur:f™/*~ 6~-'**/ a— heute in der Bibliotheca Bodmeriana,
f P-P« .', If
/_h-+}**+, £/+ •*•—/ >/y>iyi<y, AsV-y't/ A Ä ^ Genf.
«■ Vv—a A»-/ iE ^/*~~ t*yfrr>*y»~f >-■» A. ££.■*** £. v>/'*
^ JC ^'**',*> l*>f*i* ßr* ~Z,e /( // ERINNERE MICH, DASS HüFMANNS-

^V A/ ^-»p ✓ ^ A v*~/^-//5 >~-’-A.V^ ^ -A thal die «Grigia»sehr gelobt hat, aber


den Einwand machte, daß es nach
kZl t./ seiner Meinung bedauerlich sei, daß
J~»
ich der Konstruktion der Erzählung,
^iMv *.w ~*~*/^t ^***/ Ap 7
dem Rahmen, nicht mehr Aufmerk¬
*r*~, r*~/tf~t* 4«—. -^Vy^-Vy^^ ^4-Vy^ . samkeit geschenkt hätte. Ich erinnere
*'^**/ ““-/f A-t. <y_/ ^j*-^.. iU^i-^JU, V. •—. A-t. /^/>. mich geantwortet zu haben, daß, und
w<5^: /«!^/. i, «*y7*~. <~)^ AI i^A wohl auch warum, ich es mit Absicht
.-»_ »w ^*—^7—"7 v^_- unterlassen hätte, ohne jedoch tiefer
UJ-1 ^ ~Z~s~^eAf^ aaaI j^ ^v. ^-’ (*/^/<#t^. auf diese Frage einzugehen.
Heute ist mir eingefallen: Ich habe
dem Einwand eigentlich immer recht
gegeben und mir den gleichen Vor¬
wurf gemacht; Eile und teilweis
Gleichgültigkeit haben sich im Ge¬
dächtnis als Ursachen befestigtf~

w
W ie aus Hofmannsthals «Ad me
2
«Der Reinschrift ipsum» hervorgeht, las er «Die Ver¬
zugrunde liegendes wirrungen des Zöglings Törleß» be¬
Manuskript der reits 1907 in der Erstausgabe. Die
Novelle Grigia», persönliche Bekanntschaft zwischen
vom Autor signiert ihm und Musil scheint um 1921 zu¬
und an einen Auto¬
stande gekommen zu sein, vielleicht
graphensammler
dadurch, daß Musil Hofmannsthal
veräußert
als Mitarbeiter für die «Prager Pres¬
se» anwarb. Ein Gespräch in Sachen
des Stückes «Die Schwärmer» fand
3
Hugo von im Aprd 1923 statt. Bei dieser Gele¬
Hofmannsthal genheit kann sich Hofmannsthal
(1874-1929) auch über «Grigia» geäußert haben.

291
S1! MPTOMEN I III ATI K

K. u. k. Ministerium des kaiserl. und königl. Hauses und r1-^1 “—


Für die Bezeichnungen: „Dringend“, .T

T~C ~

Mlterledlgt: 11 X«* ■ . . —,
KJ ?~A—J

Bezogt iah1 and Datom: *-y*

A DvJTZZZ*.
Herkunft mit Zahl and Datum *4- --

Verfasser AU JU km t,Znr Einsicht ror Ibaandaag (a. »■): /-> y-

Departement-Chef
,f. — “*'""**-*

’->►*' *■»-

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Zarr Eins!
Einsicht nach Abaandung (p.a.):

/.&•**—**/ •^r *******


/tat T*

r-~ 7*1
•WM ^*/r (j^ «Z *>
-• -V
/ »A'Ä*
— -- — C J2t^i)
(Tte- - _ AX/r-riA
/•/?*■**'* J ^ >>u_
Die Novelle «Die Portugiesin» ist
,./A *•
ein sehr kompliziertes Textgewebe.
Musil verknüpfte autobiographisches / /uL W«.

Material aus seiner Bozener Zeit V/» ^^


(1916/17), etwa die Geschichte der in
.nehmigt (Exp ): ^
der Villa Isidora an Staupe eingegan¬ zTj—-
^ J Ay(L«S w |W> K
genen Katze, der «Geisterkatze» von •/*,/ / «*//•— ~i~7~ * *■>»*
CzLtL
Bozen, mit Eifersuchtsphantasien,
die sich auf Fritz Alexander, den er¬ *xP«aitl »»-7ä*~r>uifc~y ,
Betschlleflen: «./ X/*
sten Mann Marthas, den «Jugend¬
y-tAJr* *, -/«. V^t
freund» bezogen.328 Bei dem Krieg
4> «7y. -. /' ^ a»- ~ *4 4 *TL
zwischen dem Helden, dem Herrn
von Ketten, und dem Bischof, y^4w... /•< ,/W.x... —v. X»—^ «:^—yy “'ffiffAMpirtemeiit 4röa«f
MtngeMhrieben: I absrprüft: abgessndet: romlegan am:
schwebten Musil wahrscheinlich die
f.u/H-y httyoT*Vw,v*"' A ■*•"* /»/y*»***— Jr
Auseinandersetzungen vor, in die Cu- I^y »A^T/->V*VaM
' ^ . /.d
h-H A. ■ - •
sanus als Bischof von Brixen verwik-
kelt war. Der Name der Heldin, der
«Portugiesin», ist aller Wahrschein¬ 1
lichkeit nach eine Anspielung auf die Erste Seite eines
von Rilke gefeierte «Portugiesin», die Entwurfs zu der
portugiesische Nonne Mariana Alco- Novelle «Die Por¬
forado, die dieser eine große Lieben¬ tugiesin»

de nannte. Als Alternative zu dem ge¬


wählten Titel erwog Musil damals
2
«Der Gobelin».
Robert Musil.
Aus Papiermangel verwendete er in
Zeichnung von
den Notjahren nach dem Ersten Welt¬ Friedrich Feigl,
krieg alte Formulare aus den k. u. k. Berlin 1920
Ministerien, die aus dickem, festem,
holzfreiem Material bestanden — ganz
im Gegensatz zu den brüchigen, holz¬ 3
Erstausgabe
haltigen Papieren der Inflationsjahre.
der «Drei Frauen»
Den großformatigen Erstdruck
von 1924 («Grigia»,
brachte Ernst Rowohlt. Musils neuer
«Die Portugiesin»,
Verleger, als Handpressendruck der «Tonka») im
Offirina Serpentis in nur 200 Exem¬ Ernst Rowohlt Verlag,
plaren heraus. Berlin

292
293
M l I\ INI VIIMHdKAS

In den «Schwärmern» unternahm


der Autor den Versuch, einen pro¬
duktiven Lebenskonflikt zwischen
Menschen zu gestalten, die sowohl be¬
deutend als auch leidenschaftlich
sind: im Gegensatz zu den üblichen
sowohl intellektuell als emotional be¬
schränkten Figuren der modernen
Bühne, die bloß nach höheren Scha¬
blonen handeln.
Die Brouillons zeigen: Musil benutzte,
wie so oft, autobiographisches Mate¬
rial. um die geistigen Leidenschaften
in Szene zu setzen. Es beginnt mit
dem Ort der Handlung. Die Szenen¬
anweisung gibt vor:

Das Stück spielt in einem Landhaus,


das Thomas und Maria geerbt haben,
in der Nähe einer Großstadt. ' "1

Bezeichnenderweise heißt es im er¬


sten Aufzug. Regine und Maria hätten
in diesem Haus gemeinsam ihre
Kindheit verlebt wie Martha und ihre
Schwester Johanna (die Musil gele¬
gentlich Maria nannte; s. S. 140) in
der Alexanderschen Villa.
Erneut taucht in diesem Stück der
Schatten Fritz Alexanders auf. Als
früh verstorbener erster Gatte Regines
trägt er den Namen Johannes.

Die Figur des Josef — Reginens


Mann; Universitätsprofessor und ho¬
her Beamter der Unterrichtsverwal¬
tung 330 — konstituierte Musil aus Zü¬
gen Enrico Marcovaldis und Georg
Kerschensteiners, des Begründers der
Arbeitsschule. Musil lernte Kerschen¬
steiners Buch über «Wesen und Wert
des naturwissenschaftlichen Unter¬
richtes» aus dem Jahre 1914 wohl erst
nach dem Weltkrieg kennen und ex¬
zerpierte es ausführlich. Er kommen¬
tierte:
1
Villa Alexander,
Sein Kopf ist ein a usgefüllier Lehr
Berlin, Matthäi-
plan aller Arten von Mittelschulen,331
kirchstr. 1, Schau¬
platz manchen
Dieser sehr kluge und sich selbst ge
Familiendramas¬
rechte Schulpabst. ln allen Sätteln und der
gerecht; Rezept Göthe und doch nicht «Schwärmer»

294
Göthe. Ein solches Beispiel des guten
Menschen ohne Größe ist sehr lehr¬
reich."2

Inder Figur des Josef ist die I lagau-


ers. des Gatten Agathes im Mann oh¬
ne Eigenschaften», deutlich präfor-
iniert.

Regine ist dunkel, unbestimmbar.


Knabe, Frau, Traumgaukelding,
tückischer Zaubervogel333, heißt es in
der Personenbeschreibung.

Daß Martha das Modell dieser Fi¬


gur bildete, bezeugen viele Details.
Regines Kindheit ähnelt der Marthas,
ihre Ehe mit Johannes und dessen
früher Tod spiegelt das Schicksal
Marthas mit Fritz Alexander, die
Flucht Regines aus dem Haus Josefs
in das ihrer Kindheit ähnelt der Rück¬
kehr Marthas aus Rom nach Berlin.
Regine wird von Thomas «Krähleim
genannt - so wie Martha von Robert
als «Rabe» bezeichnet wurde.
Die Formulierungen «Traumgaukel¬
ding» und «tückischer Zaubervogel»
kommen wörtlich auch in dem an
Martha gerichteten Gedicht «Heim¬
weh» vor.3,4

Thomas [...] ist fast klein, schlank


und nur raubtierhaft sehnig; dem
ähnlich, entgeht sein Gesicht unter
einer herrlich starken Stirn fast der
Aufmerksamkeit [...] 335
lautet die Personenbeschreibung.
Dies ist die Statur und Physiognomie
Musils. Auch die intellektuelle Phy¬
siognomie und der Werdegang Tho¬
mas’ ähneln der seines Schöpfers.
Allerdings bildet die Figur des Hoch¬
staplers Anselm ebenfalls eine Ab¬
spaltung Musils, wenngleich mit den
2 Gesichtszügen seines Freundes Jo¬
Der Pädagoge
hannes von Allesch versehen:
Georg Kerschen-
steiner (1854-1932)
Anselms Stirn-ist hart, niedrig, breit
wie ein fanatisch gespanntes Band
j 336
3
Martha - unvollen¬
detes Selbstporträt
aus ihrer römischen
In einer Art von intellektueller Eifer¬
Zeit (ca. 1900)
sucht bezichtigte Musil Allesch in der
ersten Zeit der Bekanntschaft, ein
4 <Empfindungs-Baconist> und ein «Po¬
Robert Musil - seur) zu sein.33 Diese antipathischen
Zeichnung von Eigenschaften sind der Figur Anselm
Martha Musil einverleibt.

295
SYMPTOM! \ Uli \ 111

Das Schicksal der «Schwärmer»


gleicht einer Odyssee. Da mit S. Fi¬
scher keine Einigung zustande kam,
druckte der Sibyllen-Verlag in Dres¬
den das Werk 1921. Der Text wurde
an 150 Theater des deutschsprachi¬
gen Raums verschickt, viele bedeu¬
tende Regisseure und Dramaturgen
wurden damit konfrontiert und prüf¬
ten die Möglichkeit einer Inszenie¬
rung. Musil wünschte eine Auffüh¬
rung am Wiener Burgtheater und be¬
richtet am 7. August 1920 über die
Begegnung mit dessen Dramaturgen
Stefan Hock:

[...] meine Seele mit dem Lamm


feil nach außen angezogen, pilgerte
ich heute zu Dr. Hock [...] er begann
mit der Überlastung des Burg Thea¬
ters. Er trennte: 1. er könne über¬
haupt kein Stück mehr zur Annahme
empfehlen, außer es wäre ein aufge¬
legter Erfolg 2. aber noch wenn er
könnte, hätte er schwere Bedenken
[...] Er fühlt nicht den Menschen,
nicht die Hauptsache, nicht das Pa¬
thos, nicht das Ethos [...] er sieht an
meinem schönen Käs nur die Löcher
und findet, daß der Käs zu wenig Lö¬
cher habe?'™

]^^ach dem Scheitern der Wiener


Pläne versuchte Musil sein Glück in
Berlin. Am 1. Juni 1921 wandte er
sich an seinen Freund Allesch:

Wenn Du irgend eine Gelegenheit


findest, Jessner [auf die «Schwär¬
mer»] aufmerksam zu machen oder
machen zu lassen, nimm sie bitte 1
wahr, denn ich möchte das Stück gern Stefan Hock
zu ihm bringen und habe gar keine (1877-1947)
Verbindung bis jetzt. Bei Hollaender
sitzt nämlich jetzt Stefan Hock, der
ehemalige Burgtheaterdramaturg 2
Leopold Jessner
und ist mein ehrlich verständnisloser
(1878-1945)
Gegner: ein Brief, den ich offen die-
serhalb an Kahane schrieb, ist mir bis
heute nicht beantwortet worden. Also 3
muß ich mich wohl zum Weiterwan¬ Arthur Kahane
dern entschließen?6' (1872-1932)

296
-Bis zum Jahre 1929 schlugen alle
Bemühungen Musils und seiner
Freunde fehl, die «Schwärmer» an ei¬
ner großen Bühne, von einem promi¬
nenten Regisseur mit hervorragender
Besetzung spielen zu lassen — Max
Reinhardt und seine Häuser einge¬
schlossen. Selbst wenn alles auf be¬
stem Wege schien, scheiterten die Ab¬
sichten einer Inszenierung. So schrieb
Otto Nebelthau vom Münchener
Schauspielhaus (Leitung: Hermine
Körner) am 14. Februar 1923 an
Franz Blei, der damals im Theater am
Kurfürstendamm beschäftigt war:
«Ich habe mich neuerdings mit dem
auch von Ihnen sosehr geschätzten
Stück <Die Schwärmer) v. Musil be¬
schäftigt und habe mich entschlossen,
das Stück noch in dieser Spielzeit zur
Aufführung zu bringen.
Nun las ich vor einiger Zeit, daß Di¬
rektor Robert das Stück für die Tri¬
büne angenommen hat. Wollen Sie
mir bitte mitteilen, ob Direktor Ro¬
bert die Aufführung dieses Stückes
noch in dieser Spielzeit beabsichtigt;
wenn nicht, ob er bereit ist, uns die
Uraufführung zu überlassen. Es dürf¬
te ja wohl im Interesse Musils sein,
daß dieses außerordentlich schöne
Stück möglichst bald an die Öffent¬
lichkeit gelangt. Wir können hervor¬
ragend besetzen, sodaß sicher ein Er¬
folg zustande kommt. Haben Sie sich
mit dem Stück schon soweit beschäf¬
tigt, daß Sie Striche gemacht haben?
Ich denke mir, daß von den 164
Schreibmaschinenseiten [...] 60 her¬
4 ausgestrichen werden müssen.»340
Felix Hollaender Warum weder Direktor Robert in
(1867-1931)
Berlin noch Hermine Körner in Mün¬
chen das Stück auf den Spielplan

5 brachten, ist im einzelnen unerfind¬


Max Reinhardt lich.
(1873-1943) Bis zur Uraufführung vergingen noch
rund sechs Jahre. Musil tröstete sich
schließlich:
6
Konstantin
Mein Theater, das der Schwärmer
Sergejewitsch
und Stanislawskis (wobei Stanis¬
Stanislawski
lawski wahrscheinlich die Schwär¬
(1863-1938),
Regisseur des mer nie gespielt hätte) ist utopisch
Moskauer und wider die Entwicklung, oder ab-
. .. 341
Künstlertheaters seits von ihr.

29?
M I IN

Wien,III.Rp.sumoT'etcy«~'9*a '’G.
111.1

l-J.J9#iner 1^?4.
\ 11\()I <11\ NS

g^ht-tar n<-rr .
•V
* V
IcU komm* erst Vute 9azu.Ihnen für Jhr Buch ^rkllch^«F halss* a.eA h

aera Lesen zu Senken.3a 1*4- o*Vr s*h»n,u^ Art.rle Ihr*» ,

«He .Grenzen zwischen reeller una imaginärer Welt verwi scVAi. reM *
.a » A " A . . I
x-.
mir habe iwai ifengohe* in spiner Art-do?h al«, Indl- ' *
\
▼lduen sehr verncfiieden vor^ ihm-in den "Schwärm-"™" be»**riei«h;Uh *

Ȋchte nicht, einmal pager^seiner^ Art.epndern nur Slys seiner'VrtVrtftAt-


\
SfsUaft, viel leicht ^}tr ns 4«r *r’,tfejKji;a<ti Hai^uindtscha lan^rhin he-'
X-Jm die Jahreswende 1923/24 hat¬
^ ^fTÜsse ich ihn aber wie ein Freimaurer.Verz<»rhen et* mir sj.ie Frage,ob .4
te Thomas Mann Musil ein Exemplar *
des «Felix Krull» mit einer Widmung, Sie diese* Buch kennen?Es wäre mir von höchstem fnt««r*ss* zu

die sieh auf den «Törleß» bezog, ge¬ ob nur ich m: ch ln Ihrer Figur oder auch Sie c'ch in meinen (/•em'-lnt
schickt. ln seiner Antwort versuchte
sind Anselm und Regine Verkennen .Be die freund 11 eher. Worte Ihrer Wtd-
Musil Thomas Mann für die «Schwär¬ J,
.^jnuog dem Törleas gelten,lat mir eingefallen.wie seltsam es r-^re.renn
mer» zu interessieren, zumal an des¬
sen Wohnort, in München am Schau¬ Sie das soviel näher liegende andere Buch kennten.aber ablehnten.
spielhaus, ja Pläne bestanden, das Ba ich also naturgeH*ss von dieser Seite her Ihren Krull sehe.hat
Stück zu realisieren.
mich am stärksten berührt,daes 81« die Absicht nndeuten ln der Fort¬
Ob und in welcher Weise sich Mann
setzung
über die «Schwärmer» äußerte, ist
nicht bekannt, da der Briefwechsel ^ i /^1« — 1*. *e ««. , ■ , «_ ; X/ ’*» 4t .

der beiden Autoren bis auf ein paar ^ tx , < fy-r. *4 »»V> rJ • — 'X ■/» M, /d w
7 4Cwrf4, •***- aw
Konzepte Musils verlorengegangen
ist. />v a ., * .4, ^ . -- Si*
' /
,<4, *4,r --A«- ^ - t 1

5W*v. ** //■—^
M usils Verhältnis zu Thomas Mann
war von Beginn an ambivalent. Im
7^
X./ 7.« r. *«ft« m. * * 4.
-/* £»-*< -'X -■«-.*y4^U<— 4-^.
A^— k «v«
« «

Mai 1905 las er die «Buddenbrooks»


7r/~ ^ »»«1 «.«*• .
und notierte im Tagebuch: /aä ^ A-/1 * *«»/•/' fr i

Sehr ffj\! und uncheiuc: heleeicht


meisterlich al fresco — aber langwei¬
lig; mitunter überraschend sou¬
verän.3^2

I3ald nach Erscheinen las er Manns


Drama «Fiorenza» und identifizierte
sich mit dessen Figur Forenzo de Me¬
dici:

LAß Hubert ist wie Lorenzo de Me-


dici in Manns Fiorenza.3'*3

.Bei seiner Beeindruckbarkeit durch


Kritiken seines Mentors Alfred Kerr
1
wird ihn dessen Verriß des Mann-
Abgebrochene
schen Stücks vom Januar 1913 aller¬
Reinschrift eines
dings nicht gleichgültig gelassen ha¬ Briefes an Thomas
ben. Kerr charakterisier:<• Mann so: Mann

29«
«Der Verfasser isi ein feines, etwas
dünnes Seelchen, dessen W urzel ihre
stille Wohnung im Sitzfleisch hat.
Was zu ersitzen war, hat er hier erses¬
sen. Es gibt ja zwei Gattungen von
Schriftstellern: die erste gleicht in ir¬
gend etwas dem raschen Siegfried:
heiter; unverwundbar kraft einer
hörnernen Haut; schier blitzend. Die
andere Gattung (zu ihr zählt 1 lerrTh.
Mann) ist weniger im Blitzen als im
Sitzen stark. Bei dieser Gattung bildet
sich die Siegfried-Hornhaut nur an
einer Stelle.»344
Musil ließ sich von den Verdikten
Kerns über Mann — «vorzeitige Rück¬
bildung nebst (immer noch feinen)
Verkümmerungen und etwas Ge¬
klemmtem, Untergekrochenem»345 —
allerdings nicht abhalten, nach dem
Ersten Weltkrieg Kontakt mit ihm
aufzunehmen, und versuchte 1919,
ihn für ein Zeitschriften-Projekt als
Mitarbeiter zu gewinnen. Damals
kam es, anläßlich eines Besuchs in
Wien, wohl zum ersten persönlichen
Kontakt (6. Dezember 1919). Musil
überreichte ihm den Novellenband
«Vereinigungen» mit einer Wid¬
mung, die aus Manns «Tod in Vene¬
dig» stammte. Mann goutierte die
Musilschen Novellen nicht — «Zuviel
weibliches Geschlecht»346, revan¬
chierte sich aber v ier Jahre später mit
dem «Krull». Die Kontakte verdichte¬
ten sich in der ersten Hälfte der zwan¬
ziger Jahre. Musil versuchte z. B.
Mann für einen Vorabdruck des
«Zauberbergs» in der «Prager Pres¬
se» zu gewinnen (März 1921), griff
ihn wenige Wochen zuvor allerdings
öffentlich an, weil er «sein Urteil nicht
selten mit großer Ordnungsliebe»
entzweispalte.347
Genau dies praktizierte Musil im Hin¬
blick auf Thomas Mann selbst: jah¬
relang übte er öffentliches Lob und
private Schmähung, wobei die Kapi¬
tel über den Großschriftsteller im
«Mann ohne Eigenschaften» neben
Rathenau auch Thomas Mann galten,
also einen verkappten Angriff dar¬
stellten.
Thomas Mann hat sich Musil gegen¬
über immer generös verhalten, er un¬
terstützte ihn publizistisch und gele¬
gentlich auch praktisch und finan¬
ziell. Die Bilanz der Beziehung
schließt in menschlicher Hinsicht ein¬
2 deutig mit einem Debet Musils und
Thomas Mann bekräftigt sein eigenes Urteil:
(1875-1955) Ich bin undankbar'l48

299
SYMPTOM KN-Illi \ I *

C3bwohl Direktor Robert 1923 Mu¬


sils «Schwärmer» für die Berliner
«Tribüne» angenommen hatte, kam
es weder dort noch am Münchener
Schauspielhaus zu einer Inszenie¬
rung. Als Direktor Robert aus Alters¬
gründen das «Theater in der Kom-
mandantenstraße» an seinen jungen
Oberspielleiter und Mitdirektor Paul
Gordon abgab, beschloß dieser, das
1 laus in «Theater in der Stadt» umzu¬
benennen und ein Uraufführungs¬
theater daraus zu machen. Starten
wollte er u. a. mit «Prozeß Bunter¬
bart» von Max Brod, «Sacco und
Vanzetti» von Erich Mühsam, den
«Schwärmern» von Musil und «Bibi»
von Heinrich Mann. Sein literarischer
Berater war Ernst Weiss, als Regis¬
seur engagierte er Jo Lherman, der
seiner Theaterleidenschaft zuliebe
notfalls sogar eine Unterschlagung
riskierte. Gordon und Lherman bear¬
beiteten und kürzten die «Schwär¬
mer» gemeinsam: der Text hatte
schließlich nur mehr ein Viertel (ge¬
nauer wohl: die Hälfte) des ursprüng¬
lichen Umfangs.
Wie zu erwarten, war Musil sowohl
mit der Kürzung des Textes als auch
mit der geplanten Besetzung (Regie
und Schauspieler) nicht einverstan¬
den. Er traf Gordon zweimal. Gor-
dons Erinnerung nach hatte sich Mu¬
sil in den Kopf gesetzt,
«daß sein Stuck entweder im Burg¬
theater, Wien j...] oder in Max Rein¬
hardts Deutschem Theater in der
Schumannstraße, Berlin, uraufge-
fuhrt werden durfte. Nach gewisser
Zeit stellte sich jedoch heraus, daß
kein Mensch im Burgtheater das
Stück gelesen hatte, und Reinhardt,
mit dem ich zweimal wegen der
<Schwärmer> gesprochen habe, muß
es sozusagen nur durchgeblättert ha¬
ben [...] wiederholt hat er betont,
dieses sei ein Werk zum Lesen, aber
nicht zum Spielen.»349
So kam es zu einer Uraufführung un-
ter Protest des Autors.
Über die Frage der Kürzbarkeit seines
Stücks und seine mögliche Bühnen¬
wirksamkeit schrieb Musil am 20.
April 1929 in dem Artikel «Der 1
Schwärmerskandal»: Paul Gordon

300
Sind nun die Schwärmer ein Bühnen
stiick? Ich behaupte noch heute, daß
die richtigen Schwärmer es sein müs¬
sen. Sie sind außerordentlich schwer
zu kürzen — richtiger gesagt, zu bear¬
beiten, oberes ist nicht unmöglich, sie
sozusagen proportional zu vermin¬
dern. ohne daß Verzerrungen eintre-
ten, wenn auch natürliche Substanz¬
verluste nicht zu vermeiden sind. Ich
bin überzeugt, daß dann, wenn man
sie richtig auf die Bühne bringt, zu
den Horten und Gedanken jenes Le¬
ben wieder hinzutritt, aus dem sie ge¬
boren sind, und daß sie dann auch
gar nicht so sehr schwer zu verstehen
sein werden, wie ich vorläufig nach
den bedauerlichen Eindrücken ein¬
ofichnuRg tton Gtg$t!
zelner Kritiker feststellen mußte. Ich
£*rt«, €PfinfI>cr, 272üücr, SRetoe*, ?l«);)Ku^r ^«Ik«
habe hier manches über Kritik ge¬
sagt: ich möchte darüber nicht ver¬
säumen, auch für die Hilfe zu danken!
2 Man kann den Halt wahrhaftig brau¬
chen, in solcher schweren Stunde, wo
ein anderer für einen kreißt. Und ich
glaube mich nicht zu überheben,
wenn ich sage, daß die Schwärmer
noch etwas warten können; das Gen¬
re wird ja nicht überlaufen. Ich habe
auch keine Angst vor dem Veralten,
obgleich mir schon viele versichert
haben, daß sie darüber hinaus sind.
Denn meine Überzeugung ist, daß
man über nichts, das einmal Geist
war, hinaus, sondern nur daneben
geraten kann. Ich würde aber gerne
sehen, daß das Experiment richtig
2 noch zu meinen Lebzeiten wiederholt
Die Darstellerder
werde, denn eigens deshalb auf die
«Schwärmer»-
Erde zurückkehren, würde mir nach
Premiere im Theater
an der Kommandan¬ dem Gesamteindruck, den ich hier
tenstraße, Berlin, empfangen habe, etwas schwer
am 3. April 1929 fallen™

301
MI’IOMI \ Uli \| !

ie Kritik, die dem Autor wie der


Aufführung am gerechtesten wurde,
schrieb, einmal mehr. Alfred Kerr. Im
«Berliner Tageblatt» vom 4. April
192Ü war zu lesen:

ROBERT MUSIL:
«DIE SCHWÄRMER
Theater in der Stadt.

Das ist (im Rotwelsch des Handwerks


zu reden) wieder ein «individualisti¬
sches» Drama.
Individualistisch; kollektivistisch.
(Man müßte zweckmäßig äußern
«hie» individualistisch, «hie» kollek¬
tivistisch; der Schmock heiligt die
Mittel.)
Drama für den Einzelnen. Drama für
die Masse... Die Forderung nach
dem nurkollektivistischen Schauspiel
ist ein ungewöhnlich flacher Kitsch.
Drama für den Einzelnen wird (na¬
türlich) immer bestehen: weil die
Kenntnis der menschlichen Seele mit
ihren halb unerforschten Gängen ja
nicht belangslos für die Entwicklung
auf dieser tanzenden Kugel ist.
Morgen wird so was abermals belang¬
voller sein als die gröberen Umrisse
der Vereinspsychologie. (Alles ist re¬
lativ.)
Die Modeforderung nach dem nur¬
kollektivistischen Drama bleibt Mas¬
senergebnis einer Denkschwäche.
(Fabelhafte Flachheit.)
II.
Musil gibt aber sozusagen ein Gip¬
felbeispiel des «individualistischen»
Dramas.
Dieser bedeutende Schriftsteller, in
Erzählungen dramatisch, bringt im
Dramatischen Überspitzung.
Ein Klimakterium: worin die Leute
sich pausenlos zerfasern, sich beklop¬
fen, sich belauschen, sich zergrübeln,
sich belauern, sich zerspalten, sich
zerlegen, sich zerlähmen. Ilamlet-
teratur.
[...]
IX.
Ein Direktorich in der Kommandan¬
tenstraße, Raul Gordon, gelobte bei
1
seinen \ ätern. wenn man ihm eine
Karikatur von vier
Gnadenfrist lasse, den Spruch zu er¬
Darstellern aus
füllen: «Mensch, werde wesentüch.» der Uraufführung
Wesentlich ward gestern sein Haus; der «Schwärmer»

.102
p

X.
Lherman wirkt künstlerisch. Den
Aufstieg dieses Rampensüchtlings zu
bestreiten, wäre für mein Gefühl jetzt
unanständig.
Sehr wohlfeil, über eine Fehlbeset¬
zung zu ulken. (Über den Exzellenz¬
professor: über den Diener-Detektiv.
Von der Schmiere.)
Doch es gibt keine Stadt in der Welt,
wo in einer schmucklosen Nebenbüh¬
ne so Innerstes mit solcher Hinge¬
bung, mit solchem Ernst, mit solcher
dem Ldk wehrenden Wirkung zwei-
einhalb Stunden lang (es ist ein im¬
merhin irdischer Vorgang) so tragiert
würde.
Das gibt es in keiner Kommandanten¬
straße des Planeten.

iif Güntheri Bog« XI.


Die Namen sollen genannt sein.
Paul Günther; um der Artikulation
willen; und weil er die Kaffern zum
Ernst scheucht.
Sonja Bogs: weil sie morgen eine
«Frau vom Meer» sein kann. Martha
Maria Newes weil sie nicht nur lecker,
sondern verstehend ist. Rappard: weil
er gar nicht ein kitschiger Verführer,
sondern ein hirnlicher Verführer...
und selbst ein armes Luder ist.
XII.
Riesenarbeit: Musils Werk auf den
!
fünfzehnten Teil zusammenzuhauen.
Lherman hat es vermocht. Ist hier ein
Spekulant? Oder ein Werdender?
Nach drei Proben war der Spott gegen
ihn spottbillig... Gebt ihm ein leidli¬
ches Theater: und er wird etwas. Die
Bühne braucht solche Menschen. Fa¬
natiker — ohne Sicht auf Erfolg.
Alfred Kerr1'1

303
JVxanches spricht dafür, daß Musil
seine Posse «Vinzenz und die Freun¬
S\ MPTOMEN 11

din bedeutender Männer» sozusagen


aus strategischen Gründen im Hin¬
blick auf die «Schwärmer» schrieb.
Er wollte dem großen Stück, das vor¬

I
erst niemand spielen wollte, mit ei¬
nem Publikumserfolg den Weg auf
die Bühne bahnen.
«Vinzenz» ist in vielen Hinsichten ei¬
ne Schlüsselkomödie. Die Figuren
entstammen alle dem Bekanntenkreis
Musils, auch wenn er z. T. stark typi¬
siert hat und einigen gar keine Namen
mehr gab.
Alpha ist, wie so manche Figur Mu¬
sils, synthetisch. Neben Gina Kaus
dachte er vor allem an Ea von Allesch.
Beiden Frauen war gemeinsam, daß
sie mit einer Reihe bedeutender oder
bekannter Männer liiert waren.
Gina Kaus war während des Ersten
Weltkriegs gleichzeitig die Mätresse
von Dr. Josef Kranz, der als Präsident
des Spirituskartells Pate stand für
Musils Großkaufmann Bärli. und die
Geliebte von Franz Blei, der seine Ge¬
stalt — lang und mager352 — der Figur
des Vinzenz lieh. Auch mit Hermann
Broch war sie befreundet (den Musil
in seiner Posse als «jungen Mann» ka¬
rikierte) und nicht zuletzt mit Musil
selbst. Sie lernte ihn gewiß im Früh¬
jahr 1918 kennen, als er in Wien die
Herausgeberschaft der «Heimat»
übernahm. Gina Kaus sah Musil häu¬
fig im Kaffeehaus oder auch in ihrer
Wohnung, die als Redaktionsbüro der
Zeitschrift «Summa» diente: er pu¬
blizierte darin seine «Skizze der Er¬
kenntnis des Dichters».
Über ihren späteren Mann stand Gina
Kaus übrigens auch in Kontakt mit
Gräfin May Török, die eine Zeitlang
mit dem Vizekönig von Ägypten ver¬
heiratet war. Aus ihrer Biographie
stammt Alphas Bekenntnis:

Meine Herrx. ich trug den Namen


einer großen Königin. Ich war fünf¬ 1
zehn Jahre alt und wehrlos, als meine Gina Kaus, eines
pflichtvergessene Mutter mich [...] der Modelle für die
an diesen Mann, der ihr Unrechtes Figur der Alpha in der
versprach, verheiratete.353 Posse «Vinzenz und
die Freundin be¬

r.
vJräfin Iörök alias Prinzessin Dja-
deutender Männer»

vidan Hanum, wie sie während ihrer


2
Ehe mit dem Khediven von Ägypten
Gräfin May Török,
hieß, ist auch das Modell der Freun¬ Vorbild der
din Alphas im 2. Akt des «Vinzenz». «Freundin» Alphas

304
Die nymphomanischen Neigungen
Bonadeas im «Mann ohne Eigen¬
schaften» sind in dieser Figur deut¬
lich vorgezeichnet.

M usil kannte Ea von Allesch — da¬


mals hieß sie noch Emma Rudolf —
wohl seit dem Sommer 1904. Intensi¬
ver wurde der Kontakt nach dem
Zeugnis von Musils Tagebüchern
zwischen 1911 und 1913, als er wie
sie in Wien lebte. Sie war damals mit
dem englischen Pianisten Henry
James Skeene und mit Eugen d1 Albert
befreundet, galt in dessen Harem als
Orakel, wie Musil notiert, verlobte
sich aber, ein wenig überraschend,
mit Johannes von Allesch. Die Hoch¬
zeit mit Allesch fand 1916 statt. Die
Ehe, mit zwiespältigen Gefühlen von
beiden Seiten geschlossen, scheiterte
schon 1919, als Hermann Broch sich
Ea zuwandte.
Ea war intelligent, vielseitig interes¬
siert, belesen, trieb Graphologie und
Modeschriftstellerei in einer ganzen
Reihe von Blättern. Daß Alpha nach¬
gesagt wird, sie kleide sich mit geisti¬
ger Besonderheit354, dürfte eine .An¬
spielung auf Eas besondere Bezie¬
hung zur Mode sein. Sie war nicht
eigentlich produktiv, das Bil¬
dungsgut, häufig nur im Kaffeehaus
aufgeschnappt, lieferte aparte Ver¬
satzstücke.

Vinzenz: [...] Alpha hat die


gebratenen Horte. [... J Kolibri das
sind die heißfarbigen Horte, die in
der fiammenden Urwaldsonne her-
umfliegen. [...] Falsch, aber es hört
sich wunderbar an. Die wörtliche Zu¬
sammengehörigkeit des Unzusam-
3 mengehörigen. [...] Man kann nicht
Ea von Allesch, zusammengehörige Stücke so zusam-
das wichtigste Modell menfügen bloß mit Horten, daß es
der Alpha kein Mensch merkt:'" '

303
A
-TTlm Gelehrten, die in einer Schlüs-
selkomödie hätten figurieren können,
war Wien nicht arm. Als Modell für
den «Gelehrten» im «Vinzenz» kam
wohl nur einer in Frage, weil er mit Ea
lange befreundet und mit Musil gut
bekannt war: Egon Friedell.

Gelehrter-. Ich bin nicht so ge-


schmacklos, mich mit Beethoven zu
vergleichen. Aber angenommen, ich
wäre Beethoven: wie könnte ich es
beweisen, ohne zugleich Historiker zu
sein?! Ich danke Dir. Herr, daß Du in
dieser Frau [Alpha] den Sinn für Ob¬
jektivität geweckt hast, um mich im
Vertrauen auf meinen Beruf zu be¬
stärken

Den «Musiker» hat Musil aus zwei


Klavierspielern synthetisiert: Skeene
und d'Albert. Von ca. 1904 bis 1906
bewohnte Henry James Skeene mit
Ea von Allesch (damals noch Emma
Rudolf) eine Villa in der Wiener Arm -
brustergasse. Dritter im Haus war
Alfred Polgar. Skeene, im Ersten
Weltkrieg gefallen, war angeblich ih¬
re einzige große Liebe.

Musiker. Im Grunde ist die Welt


Musik. Es ist das Höchste. Ich danke
Dir, Herr, daß die andren nicht wis¬
sen, daß Du die Seele Deines Engels
Alpha nur mir geschenkt hast.357

Die Beziehung des Klaviertitanen


und Komponisten d’Albert zu ihr
scheint eher einseitig zu sein. Den- i
noch war sie vor allem um 1913 recht Fgon Friedeil
eng. Ea richtete ihm seine Wiener (1878-1938)
Wohnung ein - er spielte ihr häufiger
vor, Beethoven zum Beispiel.
2
Er zeigt ihr aus Liebesbriefe, die er ^en7 James ^eene,
bekommt, und läßt sie die Briefe sei- en9*'sc*1er ^lan's*
ner Frau lesen, die er aus Angst nicht
ansehn mag. Die Wirtschafterin und 3
alle Damen telephonieren bei jeder Eugen d'Albert
Gelegenheit um ihre Entscheidung,358 (1864-1932)

306
VV egen seiner Ideen im Hinblick
auf Ernährung und Kleidung (und
wegen seiner Beziehungen zu Ea von
Allesch) porträtierte Musil Peter Al¬
tenberg als den Reformer. Er besaß
26 Photographien von Ea. die er mit
Epigrammen versehen hatte. Zusam¬
men erschienen sie ihm wie ein «wun¬
derbarer Essay» über die «tiefsten
Leiden», die er je zu erdulden hat¬
te.359 Ein Porträt Eas versah er mit
der Aufschrift:

«Beeth o ven - An tlitz.

Schaffst Du Symphonien,
Beethoven-An tlitz?! ?
Du bist ein Weib, kannst
Dich nicht austönenl
Nicht Dich erlösen! Ein
Spiegelbild der Welt
kannst Du nicht sein!
Zur Tages-Th&t zu groß, zur
ewigen zu klein!
So bleibst Du Weib und
kannst’s dennoch nicht sein!!
PA»

M
jüngeren
usil karikierte den sechs Jahre
Hermann Broch als den
«jungen Mann». Durch sein Geschenk
für Alpha, einen hinterindischen
Schal, deutet er an. daß er in der
Textilbranche tätig sei. Tatsächlich
arbeitete Broch zu Beginn der zwanzi¬
4 ger Jahre als Textilingenieur in den
Peter Altenberg Teesdorfer Fabriken seines Vaters.
Ea war der äußere Anlaß für das
Scheitern seiner Ehe. Bis ca. 1627
5 lebte er mit ihr in der Wiener Pere-
«Beethoven-Antlitz» gringasse.
Ea von Allesch

Der junge Mann: [...] Sie hat sich


von mir *Oes Ingenieurs Taschen¬
6
Hermann Broch buch, Die Hütte»gewünscht; ich stu¬
(1886-1951) und diere, wie Sie wissen, Technik, um in
Ea von Allesch auf die Fabriken meines Utters einzu¬
einem Ausflug treten

307
II 1 IA III I \ ll\OI,II\ VS

V inzenz, von Beruf < Wortemacher.


Namenmacher», zugleich mathema¬
tisch gebildet, wirkt nicht selten wie
eine possenhafte Vorwegnahme des
«Mannes ohne Eigenschaften»: er hat
viele Eigenschaften, ohne sich mit ei¬
ner einzelnen zu identifizieren:

Hätte ich nl r dex geringsten De


fekt! Ich wäre unwiderstehlich! — Ich
hätte dann eine Manie, ein Stecken¬
pferd, eine heimliche Perversion, eine
Sendung, ich wäre Künstler, Liebha¬
ber, Gauner, Geizhals, Bürokrat, mit
einem Hort irgendein bedeutender
Mann [...] Jedoch ich bin ein harmo¬
nischer Mensch, ich habe dieses Un¬
glück; während jeder andre in einer
Farbe angestrichen ist, bin ich har¬
monisch gesprenkelt,361

D r. Josef Kranz war Präsident der


Wiener Depositenbank wie des Spiri¬
tuskartells und bis zu der Anklage
wegen Preistreiberei während des Er¬
sten Weltkriegs ein mächtiger Mann
in Wien. Eine Zeitlang beschäftigte er
Franz Blei als Privatsekretär.
Musil, der ihn vielleicht nur durch die
Erzählungen von Gina Kaus und Blei
kannte, karikierte Kranz als den «Ge¬
schäftselefanten» namens Bärli.

Bärle [...] ich habe schon Männer


vor mir auf den Knien gesehn, die um
Schonung ihres Geschäfts und ihrer
Familie baten [...] Ich darf sagen,
1
Robert Musil,
daß ich mit meinen Unternehmungen
Ea von Allesch,
ein wirtschaftlicher Faktor im Staat
Martha Musil,
bin, und ich habe mehr als einmal
Franz Blei (kniend),
diese ganze Macht auf eine einzige ein unbekannter
Karte gesetzt, bloß um sie in die Luft Pierrot auf einem
zu werfen und wieder zu gewinnen. In Faschingsball
dieser Richtung habe ich Phantasie, in Wien
Alpha, eine genügend wilde Phanta¬
sie! [...] Sie fühlen, daß ich etwas
andres in den Armen habe als diese
2
Dr. Josef Kranz
schwätzenden Krüppel, die Sie umge¬
und seine Mitange¬
ben; ich kann, was ich will: Aber was
klagten vorden
will ich denn, um Gotteswillen, was Schranken eines
will ich denn?!!362 Wiener Gerichts

308
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SYMPTOM KN IHI.\! I l<

Diese A tmosphäre von Kunst htl-


che solche Menschen der Geschäfte,
der Tatsachen, der Wissenschaft so
auflecken wie der Affe den Schnaps,
liefere heimlich ich. der geschiedene
Kunstschriftsteller! Ich mache die un¬
erwarteten, zarten und tiefen Äuße¬
rungen über Liebe und Leben, die alle
etwas aufreizend Kaltes in ihrer Wär¬
me haben. Ich liefere echt weiblichen
Reiz des Geistes und die unbestimm¬
ten Gedanken, welche soviel umfas¬
sender sind als die der Männer. Ich
habe seit Jahren alle aparten Einfälle
künstlerischer Kleidung und Ge¬
wohnheiten geliefert. Alpha hat ja
nichteinen eigenen Gedanken! Ich al¬
so liefere allen Geist, alle Phantasie,
alle berauschende Kühle, verkehre
hier irn Haus, und diese Idioten, glau¬
ben Sie, daß einer mich entzückend
findet? Unentbehrlich? Bedeutend?
Anerkennt mich einer?!
Mit den Beziehungen dieser Leute
vermöchte ich einer der anerkannte¬
sten Männer meiner Zeit zu sein: aber
nur die Aufmachung wirkt; wie in der
Welt so in der Liebe! Verstehen Sie
jetzt, was ich an der Seite dieses Wei¬
bes leide?! Ich bin ein denkender
Mann, was ich sage, kann ich mit den
Autoren belegen, von denen ich es ha¬
be; aber Alpha hat es bloß von mir,
zwitschert es hinaus, und die Aufma¬
chung mit einem Busen, breiterem
Gesäß und so weiter sichert ihr die 1
Aufnahme. Dabei - und das ist das Johannes von Allesch,
Ärgste! - reizt sie noch durch das Experimental¬
Maskuline, das hinter ihrer jungen¬ psychologe und
Kunsthistoriker, von
haften Weiblichkeit steckt, aber ich
1916 bis 1919 Gatte
bin doch immerhin noch um einiges
Eas.
maskuliner als sie und muß das echte
Er wurde in der Figur
Verdienst hinter seiner Verwässerung des Dr. Apulejus-
und Verfettung zurücktreten sehn! * Halm konterfeit

310
V on Anfang August 1924 bis ca. 20.
des Monats machte Musil in Mariazell
Urlaub. Er traf dort den Schauspieler
Rudolf Förster, an dem er die Verbin¬
dung von Bodenständigkeit und Raf¬
finement schätzte und der bei der
Berliner Premiere des «Vinzenz»
neun Monate zuvor die Titelrolle ge¬
spielt hatte. Danach kehrte er nach
Wien zurück, weil am 23. August
«Vinzenz und die Freundin bedeu¬
tender Männer» am Deutschen
Volkstheater österreichische Premie¬
re hatte.

Maria Zell:
Die Kirche steht erhöht auf abfallen¬
dem Platz. Vorplatz von Bäumen und
Mauern gesäumt. In der Fallrichtung
eine Treppe, zwei Engel auf Pfeilern.
An den übrigen Einlässen der Mauer
Heilige auf Pfeilern. Unten an die
Mauer gebaut die Wallfahrergeschäf¬
te. Fast alle Gold- und Silberwaren.
Christus hat die Händler aus dem
Tempel gejagt, aber an der Mauer
haben sie Halt gemacht. Neben den
Füßen der Heiligen steht in großen
Buchstaben: cGold und Silber». Der
Katholizismus sagt: Wenn das Herz
sich läutert, macht man gern seinen
Lieben ein Geschenk.
Das andre fühlen die Dickhäuter
nicht. Nach der Prozession in die Kir¬
che folgt eine Versammlung mit politi¬
scher Rede, dann Völlerei. Habsucht,
2 Ereßsucht feiern Triumphe in Maria
Wallfahrtskirche
Zell.
Mariazell
Die Kirche ist eine Basilika mit Re¬
naissancefassade zwischen deren
3 Türme mit Kuppeldach ein höherer
Rudolf Förster gotischer Turm eingesetzt ist: ler-
(1884-1968) dichtung. u>4

311
:: i i.\ UIJ \>ll\«XLdl\AS
jmssmammamauBm

13 erlhold V iertel war der Regisseur


der Uraufführung des «Vinzenz» im
Berliner Lustspielhaus am 4. Dezem¬
ber 1^23 mit Sybille Binder als Alpha
und Rudolf Förster als V inzenz.
An den Regisseur schrieb Musil am
15. November 1923:

/,\ oehissem Sinn ist diese Posse die


Travestie einer Posse, d. h. sie benützt
die Mittel der Posse, vor allem ihre
logische und kausale Verantwor¬
tungslosigkeit zu einem höheren
Zweck. Das Publikum soll soviel Un¬
motiviertheit schlucken wie bei einer
wirklichen Posse, aber statt deren
Unsinns einen Sinn herauskommen.
Im Stil steckt also ein Stück Da-da
[...]365

D ie eindrucksvollste und treffend¬


ste Kritik der Uraufführung des «Vin¬
zenz» stammte — einmal mehr — von
Alfred Kerr in der Abendausgabe des
Berliner «Tageblatts» vom 5. Dezem¬
ber 1923:

ROBERT MUSIL:
«VINZENZ ODER DIE EREUNDIN
BEDEUTENDER MÄNNER».
Lustspielhaus (Die Truppe).
1.
Dies Stück (das kein «Stück» ist —
vielmehr ein Bündel oft spaßiger Vor¬
gänge) bedeutet eine Parodierung
nicht nur des Expressionismus; son¬
dern des Zeitalters, wo er Mode zu
werden schien. [...]

- "
Der Untertitel könnte sein: «Verkehr¬
te Welt» — Alles ist umgedreht. In der
Nacht um Drei beginnt’s.
Alpha (die Heldin heißt so; die Frau
als Anfang aller Dinge: Symbol) ...
Alpha kommt in ihre Wohnung mit
i einem machtvollen Unternehmer und
Croßkaufmann — verwandt mit We-
dekinds Dr. Schön. Sie verschmäht
ihn; er droht; ein Revolverschuß...
Da taucht hinter dem Wedekindschen
Wandschirm der Jugendfreund auf:
der Erste. Der vor elf Jahren. Er 1
bringt gefällig und ruhig-feig (weil er Berthold Viertel
nicht liebt), alles in Ordnung. Auch (1885-1953)
als fünf Stück zu so ungewohnter Zeit
bestellte Freier nah'n.
2
Da Alpha verheiratet ist. besucht so¬
Rudolf Beer, der
gar ihr Mann sie nachts. «Wie kom¬
Regisseur der Wie¬
men Sie grade auf den?», ließe sich ner Inszenierung
fragen. des «Vinzenz»

312
III.
Nachher sieht man den Jugend¬
freund, wie er mit ihr. . lebt? Nein,
bloß wohnt. Der Großkaufmann
schießt nochmals; scheint sich getötet
zu haben; steht wieder auf. Der Ju¬
gendfreund plant ein System für
a m : 11E111:11 !■ M 811E11111111111111111111111111111111111111111111111111!

Montecarlo, Betriebskapital von den


Freiern.

V28
IJhr
Zametag Den 23. ttuguft 1924
7 8
thr
z Hernach erkennt sie ihn als Schwind¬
ler. Sie soll schlimmstenfalls ihren
3>tm fijtcn Wale: .Mann heiraten (der als Kunstkritiker
Lobartikel über seine eigenen Ankäu¬
fe schreibt und Alpha bestens veräu¬
Sine leidjte SfomSbie in btei Wien »on Diobert Wiijil ßern will.)
. 3n Sjtnt fld«! Don $r. 91 ub elf Beet
"'Pn'1.. ®ufd). Der Jugendfreund wird zuletzt ir¬
®atli, OltoBlaufmann.SBilitj @d)miebet
gendwo Bedienter. Sie vielleicht Ähn¬
~er öelefjrte..Cubtoig ©ibifet
Xet «fühlet.§ugo «tabt, liches? ... In dieser Art.
acv polttilet.Star! (Sämann
Tot SRefornti-r.D«far SBeraun IV.
Gm junger «faim.- SBolf Seiften
Xie ftreunbin.Gli(abelf) «farfuä Also: Wedekindscher Tanz um die
®t. Slpulcju« ©alm.jmu« 3iegict
Frau. Welt voll abgebrühter Lumpen.
*»<«<:''».Statt Gtüntfjer
®üf)nenbilbet Don jjtanj Sdjaltub Sexualtrottel. Hochstapler. Gründer.
«fad, Dem Ituriten 21 ft eine nröftere 'baufc
Zuhälter. Feiglinge. Cocain. Entgöt¬
SH'mftltrittbe« loilftknnrrannemcnt «nele ealimonn, 6. Sei;rt. SumDtnborfrrflrafse 139
Xie So'jellen Der Xamen !9uld) unD «taifu« Dom UfoDehau« Der Iblener «.'erlfiäiie, I. SSejirf terung.
ffarntaerfltobe 41
SfeDerroefle unD öul De« fftöulein «iarlu« Don ber Thema «oaue, l., Snntlaubcn 12
«eljmanlel Don Der Sirtno Uenleje» * Diainer, 1. »ejirf, Sinoerftrofie 8
Heiraten, die keine Ehen sind. Ver¬
iirauiifeDertärtjer. SMuutenbou« van8 eummerer, 7. »ijirf. 'Jfeubmiaoffe 4
Sebubt Der Stamm iSuIct. »failu« um Dt« öttru Sieglet oon Der 3itma JM>r»e», 1. »ejirf Särnlner» hältnisse, die keine Liebschaften
fltotie i
54rnu(f unD SoDfDue b<« Sri. a?nf<* Don ber „Vfrltdntjt«", *. Steifdicr, 6. »«., «fariabilfeiftr. 81 sind. Schüsse, die fauler Zauber sind.
Selbstmorde, die Komödien sind.
Mafien-Gröffnung y47 Ubr Hafang i/28 M)t ttnbc Kor 10 übt
Freundinnen, die Raubtiere sind.
Sonntan Den 24. 0u«utt. önfana y,8 Ubr: Slnjenj nnt Die ^reanbln betentenber Waancr
«lontoa Dm 25. Sluouft. Jlnfona H8 llbr: eed>« «erloneu fmben einen ttuior Liebe ist Quatsch. Die Möglichkeit
$ifn8tafl brn 26. Äufluft. SÄrtfartQ 7*8 Ubr-' SM«*«* unt> Mc $reaabin bebrntenber TOäanrr
des Zusammenstimmens zweier Leu¬
»rERROWATT ‘GLÜHLAMPEN te beginnt erst, wenn sie einander ero¬
tisch satt haben...
Aber J*MrbIi<t>e fcanrtn«na (lab Obcrfleibrt, 6d>lna< anb 6t8dt au bca Oarberatxa «biagttxiL 9tad)
feaetalgt« tyatxn £>«a«a
^«uwrbaung aab $m«n Tai 8a{d>«uci> Das ist «unsre» Welt, sagt Musil ver¬
*) We tüU ab^untlMBCB. Sclefta bo 6tto»tt|c ftfl bebirtllt* aamiegt «JJ
erj stehend. Das ist «ihre» Welt, sagt er
• (Srti« 4000 «rotten -m oJ
ui ia

humoristisch. [...]
imiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiini VII.
,.<810(0)0(1 CB wo U.
Berthold Viertel, Spielwart, ist nicht
nur glücklich im Ausknipsen des
3 Lichts, ehe der Vorhang fällt — was
recht gut einen abrupten, ausschnitt¬
haften Eindruck macht. Sondern
auch glücklich in parodistisch-tän-
zerhaften Bewegungen seiner Künst¬
ler. In wohlangebrachten Spitzgeber¬
den, in Huschtempi. [...]
VIII.
Nicht nur das Alpha, sondern das
Omega des Werks ist Sybille Binder.
Mit geschwungenen Brauen. Mit
3 wohlgezirkt halbtiefem Sprechton.
Theaterzettel zur Mit Darlegungen, die Einfälle sind.
Wiener Inszenierung Mit einem Gefühl, das gleitet und
des «Vinzenz» weht. Mit einer Flut von Sekunden¬
bildern. Bald kauert sie. Bald liegt sie.
Bald schrumpft sie. Bald in goldgel¬
4
ben Pyjamas. Bald in was Erdbeeri-
Szenenphoto der
Berliner Auffüh¬ gem. Bald knabenschwarz.
rung: die «bedeu¬ ... Schönheit und Klugheit. Höchst
tenden Männer» fesselnd.
umringen Alpha Alfred Kerr.

dl 3
Hl I \ IIII \ IKOI.IIUS

Am Jahre 1924 — jeweils kurz nach


den Premieren des «Vinzenz* in Ber¬
lin und Wien — verlor Musil innerhalb
von acht Monaten beide Eltern. Die
Mutter litt an Diabetes, eine Gehirn¬
blutung kam hinzu. Der Vater litt an
einer Schwäche der Blutgefäße und
i starb wohl an einem (lange befürch¬
teten) Gehirnschlag.

Sein Sterben nach dem Tod Mamas


hatte Größe und war ganz ohne
Glauben/"1'

Zwischen Mai 1918 und 1924 läßt


sich nur ein einziger Besuch Musils in
Brünn nachweisen (März 1923). Die
\\ iederbegegnung mit dem Ort seiner
Jugend stand also im Zeichen des Ab¬
schieds.
Musil beschreibt diese Stadtland¬
schaft zu Beginn des zweiten Bandes
des «Mannes ohne Eigenschaften»,
als Ulrich anläßlich des Todes seines
Vaters in seine Heimat zurückkehrt.

Als Ulrich gegen Abend des glei-


chen Tags in.. .* ankam und aus dem
Bahnhof trat, lag ein breiter, seichter
Platz vor ihm. der an beiden Enden in
Straßen auslief und eine beinahe
schmerzliche Wirkung auf sein Ge¬
dächtnis ausiibte, wie es einer Land¬
schaft eigentümlich ist, die man schon
oft gesehen und wieder vergessen hat.
[...] Ulrich hatte mitten in der Fröh¬
lichkeit und Hast der Ankunft, die das
Tor des Bahnhofs wie die Mündung
eines Rohrs in die Ruhe des Platzes
ausfließen ließ, gewartet, bis sie nur
noch tropfenweise rann; nun stand er
im Saugraum der Stille, die auf den
Lärm folgt. Und zugleich mit der Un¬
ruhe seines Gehörs, die dadurch her¬
vorgerufen wurde, fiel ihm eine unge¬
wohnte Ruhe vor den Augen auf. Alles
Sichtbare war darin stärker als sonst,
und wenn er über den Platz blickte,
so standen auf der anderen Seite
ganz gewöhnliche Fensterkreuze so
schwarz im Abendlicht auf bleichem
Glasglanz, als wären sie die Kreuze
von Golgatha. Auch was sich beweg¬
te, löste sich vom Ruhenden der Stra¬
ße in einer Weise los, wie es in sehr
großen Städten nicht vorkommt.
Treibendes wie Stehendes hatte hier
1-3
offenbar Raum, seine Wichtigkeit zu Der Brünner Bahnhof
weiten/" und seine Umgebung

314
315
MI'IOMI A IHK Al ! (•;

Hl\TER KIMM SaRC:


Merkwürdiger Zustand Tage nach¬
her: Er kann objektiv ihre bösen Ei¬
genschaften betonen. sogar einen
boshaften Ausdruck unwillkürlich
finden oder einen Scher: machen; ja,
er findet sie bös; und im nächsten
Augenblick stürzen ihm die Tränen
aus den Augen.
Fürchterlicher Zustand: man möchte
etwas Liebes tun oder sagen. Man will
nicht begreifen, daß es nicht mehr
möglich ist. Ich habe ja nicht Ab¬
schied genommen, es ist unabge¬
schlossen; es ist nicht für mich zu¬
ende, nur für sie. Die sie hinsiechen
gesehri haben, sind vorbereiteter; da
ist eine Erlösungskomponente auch
für sie.
Ich habe als Kind gebetet: cUnbe¬
kanntes höheres Uesen, mach mich
und meine Eltern ewig leben.» Da ich
als Mann nach langer Abwesenheit zu
ihm einlenke und gebeten habe, gib
mir ein Zeichen, läßt er sie sterben.
Subjektiv schien die Bitte Kraft zu ha¬
ben denn der Zustand dehnte sich,
wurde stationär, mit Hoffnung auf
halbe Besserung, bis plötzlich der Zu¬
sammenbruch kam. Objektiv sagt Dr.
Mager: wenn wir nicht die Insulinin¬
jektion gemacht hätten, wäre sie zwei
Monate früher gestorben.
Ich begrüße im Namen meines Vaters
die Anwesenden. Ich muß als erster
hinter dem Hägen gehn, von zwei viel
älteren Herrn eingefaßt. Es ist ein Re¬
präsentationsakt. <Das Volk» schaut.
Ich verstehe die Gefühle eines Thron¬
erben, auf dessen Schultern die
Macht übergegangen ist. Ein solcher
1
Tod wurde gewichtslos durch das Be¬
wußtsein des Staatsakts. Schon ist
der Nachfolger an der Stelle des To¬
ten; man starrt nicht in dieses ent¬
setzliche Loch.
Hofrat ALFRED ML’SIL, Professor der Technischen Hochschule in Brünn
Zuweilen aber sehe ich in die Spiegel¬ i. R., gibt hiemit im eigenen, sowie im Namen seines Sohnes Dr. ROBERT
scheiben des Hägens und sehe meinen
MUSIL, sein r Schwiegertochter Frau MARTHA MUSIL und aller Verwandten
Kopf mit Hut und Schultern.
Nachricht von dem Ableben seiner geliebten Frau
Zuweilen Wachsschuppen am Boden,
die man nicht weggefegt hat.
Es ist ein leichter, klarer, herrlicher
Hintertag.
HERMINE MUSIL
Ion allen Anwesenden will ich nur welche nach längerem Krankenlager am heutigen Tage sanft entschlafen ist.
Julie [der Köchin] etwas Gutes sagen. Die Verblichene wird zur Einäscherung nach Reichenberg übergeführt
In der Leichenhalle steht mindestens 1
Alfred und Hermi¬ BRONN-WIEN, am 24. Jänner 1924.
ein halbes Dutzend Särge. Große,
ne Musil, um 1912
kinderkleine, elegante, einfache. Ein
Zettel: Hermine Musilova. Fabrik. Als Blumen- und Kranzspenden werden im Sinne der Verstorbenen dankend abgelehnt.
wir zur Halle gehn, ist rechts, Seiten¬ 2
trakt, ebenerdig, der Oberteil eines
Todesanzeige der Brünn«r Cflrti«nb«statlung<-Unrcrnfhmung „fUyl“, G. m. b. H.
Brün"
Fensters geöffnet. Heinrich zeigt es Mutter 2
mir. ln diesem Zimmer ist sie gestor¬
ben. Und <platzt* heraus; sein I nter-
kiefer schiebt sich hakenförmig vor.
Injs- ^r* KOBER I MUSIL gibt hiemit im eigenen und im Namen seiner Frau Unvorstellbar: Hinter diesen sechs
MARTHA Nachricht von dem Ableben seines geliebten Vaters Brettern ist sie.
Man hat sie obduziert: Bauchspei¬

Alfred Musil cheldrüse, Gehirnblutung. Sicher nur


flüchtig zugenäht. Hinter den Bret
Hofrat, emer. o. ö. Professor der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn
tern dieser kaum zusammengenähte
welcher am heutigen Tage nach längerem Krankenlager sanft entschlafen ist. Kadaver, vor den Brettern die Feier¬
lichkeit und Illusion.
Der Verblichene wird zur Einäscherung nach Reichenberg überführt.
Papa und Mama glauben nicht an
WIEN, am i. Oktober 1924. Weiterexistenz. Was mit dem toten
Leib geschieht, ist gleich. Das Be¬
Blumen- und Kranzspenden werden im Sinne des Verstorbenen dankend abgelehnt. gräbnis ist billigste Sorte. Kein Prie¬
ster. Niemand verständigt. Nur ein
paar Freunde. Der Sarg wird in einen
Lastwagen gehoben, am Rangier-
Brflnner Cfitfimtxstottungs-Unternehmung „Rsyl", 0. m. b.
0ur*«u: Klrchennaeee *. Telephon »01. „Typos" Brünn
bahnhof. Fracht, nicht Eilgut. Nie¬
3 mand fährt mit. Von Samstag Morgen
bis Dienstag irrt der Sarg über die
Schienen und Bahnhöfe, ln Reichen¬
berg kommt er in den Ofen. Asche ein
Jahr in Urne dort, dann verstreut.
Papa will keinen Trost mit Möglich¬
keiten. Sein Schmerz ist: nie mehr
wird das wieder sein. Alles soll weg,
was ihn erinnert. Ich bin mit ihr ein
Einsiedler geworden, sagt er, nimms
nicht übel ich bin auch lieber ohne
Dich.
Nach der Ankunft Weg durch die be¬
kannte Stadt. Ist es möglich, daß sie
fehlt. Alle diese Empfindungen sind
banal und unglaublich stark.
In der Wohnung fehlt sie merkwürdi¬
gerweise nicht. Ich kann mir kaum
vorstellen, wo sie Platz hatte, ob¬
gleich die Wohnung ja nicht klein ist.
Ich suchte sie mir an ihren Lieblings¬
plätzen vorzustellen, aber diese sehr
deutliche Empfindung ist mir bis jetzt
unerklärlich geblieben.
Der Agent der Leichenbestattung.
Untersetzter Jude mit blondem
Schnurrbart. Mit einem Formular in
der Hand wie ein Reiseführer. Unter¬
sucht dies und das. Steigt in den Wag¬
gon. Ist überall.
<Das ist eine Diebin! hat die gute Ma¬
ma gesagt>, erzählt Papa und beginnt
vor Rührung zu weinen; dabei liegt
3 nicht die geringste Tatsache vor und
Todesanzeige des es war kein Akt der Güte, sondern
Vaters einer der Antipathie.
Sie war in ihrer Krankheit of sehr zor¬
nig. Sie ließ Heinrich 15mal hinter¬
4
einander, immer zorniger den Polster
Der Hausfreund
Heinrich Reiterin umdrehn. Er macht nach, wie sie ihn
den zwanziger Jah¬ anfletschte, Zähne entblößt, beide
ren mit einer Ver¬ Kiefer vorgeschoben, und ist gerührt
wandten darüber.3

317
1924-1933

DER MANN OHNE


EIGENSCHAFTEN
\ M l\ II )K\T)I I IVI 1<) \\\ |\ M Kl

Auf den Blättern der Sterne tag


der Knabe V— iK* i >■
Mond in silberner Ruh,
l nd des Sonnenrades Nabe Is4t fei ** Jyjt
Drehte sich und sah ihm zu.
Ion der R äste blies der rote Rind,
&Kg M»/ Ar
i nd die Kästen leer von Segeln sind.
4t** hl iTVß*-—, n-*
Und die Schwester löste von dem
Schläfer
4*y* f »..y
Leise das Geschlecht und aß es auf.
Und sie gab ihr weiches Herz, das pt tu*/» r*<-t ßtt-l jg
rote,
»**-V /-^v. f *~y,
Ihm dafür und legte es ihm auf.
Und die Runde wuchs im Traum zu¬
«/» As**y, ßAyä -je.
recht.
Und sie aß das liebliche Geschlecht. ^ a» ** t• /
tedh*~r f~/y~n- **
Sieh, da donnerte die Sonne, o»—, /0 ö» • f,
Als der Schläfer aus dem Schlafe ‘fve*/>»»> *--*-*/ 2* //\-hf
schrak. « y* fr ^y-y f,
Sterne schwankten, so wie Boote
Bäumen, die an Ketten sind, "ZyVyf A*1^» Äv
Renn der große Sturm beginnt.
aV»»V»
^ ».‘zCv
Sieh, da stürmten seine Brüder
teflZ >4» «r v~-T Zvx*~-*y «- V-»
Hinter holdem Räuber drein.
Und er warf den Bogen über.
Und der blaue Raum brach ein, KpJ /v i*Z n+ff.
Raid brach unter ihrem Tritt,
j Und die Sterne liefen ängstlich mit.
Doch die Zarte mit den Vogelschul¬
tern
Holte keiner ein so weit er lief.

Nur der Knabe, den sie in den Näch¬


ten rief,
Findet sie, wenn Mond und Sonne
wechseln.
Aller hundert Brüder dieser eine,
Und er ißt ihr Herz, und sie das
seine.w>

An Isis-Us/ris-Gedicht erinnert.
Es enthält in nucleo den Roman. Man
hat dem Roman Perversität vorge¬
worfen: Entgegnung: Das Archaische
und das Schizophrene äußern sich
künstlerisch übereinstimmend, trotz¬
dem sind sie total-verschieden.
Ebenso kann das Geschwistergefühl
pervers und es kann Mythos sein.370 1

Ausschnitt aus der


Handschrift des
In den frühen Nachkriegsjahren Gedichts «Isis und
sollte der große Roman, den Musil Osiris», April 1923,
plante, «Der Erlöser» oder «Der Nucleus des gro¬
ßen Romans
Spion» heißen. Um die Mitte der
zwanziger Jahre trug das Werk den
Titel «Die Zwillingsschwester», von 2
1928 an hieß es «Der Mann ohne Ei¬ Isis und Osiris auf
genschaften». Jede Änderung des Ti- ägyptischem Relief

320
tels deutet auch auf eine Ynderuns
der Konzeption. Viele der Motive des
jeweils überholten Plans werden aber
in den folgenden integriert. Das Erlö¬
ser-Motiv z. B. ist un < Mann ohne Ei¬
genschaften» in den Reflexionen des
Generals Stumm von Bordwehr über
die Wortgruppe Erlösen aufgehoben:

Die geistigen Menschen, die er jetzt


auf allen seinen Hegen traf waren
nicht befriedigt. Sie hatten an allem
etwas auszusetzen, überall geschah
ihnen zuwenig oder zuviel, niemals
schienen in ihren Augen die Dinge zu
stimmen. [...] Sie schimpften auf die
Uberwissenschaftlichkeit und auf die
Un wissenheit, auf die Roheit und auf
die Uberfeinerung, auf die Streitsucht
und auf die Gleichgültigkeit: wohin
ihre Blicke sich richteten, überall war
ein Spalt offen! Ihre Gedanken kamen
niemals zur Ruhe und gewahrten den
ewig wandernden Rest aller Dinge,
der nirgends in Ordnung kommt. So
waren sie schließlich überzeugt, daß
die Zeit, in der sie lebten, zu seelischer
Unfruchtbarkeit bestimmt sei und nur
durch ein besonderes Ereignis oder
einen ganz besonderen Menschen da¬
von erlöst werden könne. Auf diese
Weise entstand damals unter den so¬
genannten intellektuellen Menschen
die Beliebtheit der Hortgruppe Erlö¬
sung. Man war überzeugt, daß es
nicht mehr weitergehe, wenn nicht
bald ein Messias komme. Das war je
nachdem ein Messias der Medizin, der
die Heilkunde von den gelehrten Un¬
tersuchungen erlösen sollte, während
deren die Menschen ohne Hilfe krank
werden und sterben; oder ein Messias
der Dichtung, der imstande sein soll¬
te, ein Drama zu schreiben, das Mil¬
lionen Menschen in die Theater rei¬
ßen und dabei von voraussetzungs¬
losester geistiger Hoheit sein sollte:
und außer dieser Überzeugung, daß
eigentlich jede einzelne menschliche
Tätigkeit nur durch einen besonderen
Messias sich selbst wieder zurückge¬
geben werden könne, gab es natürlich
auch noch das einfache und in jeder
Heise unzerfaserte Verlangen nach
einem Messias der starken Hand für
3 das Ganze. So war es eine recht mes-
Naturmensch in
sianische Zeit, die damals kurz vor
Berlin, um 1907, ei¬
ne der zahlreichen dem großen Kriege, und wenn selbst
Erlöser-Figuren vor ganze Nationen erlöst werden woll¬
dem Ersten Welt¬ ten, so bedeutete das eigentlich nichts
krieg Besonderes und Ungewöhnliches.1

321
etritbtsfüiiL
Set Giifel eines ßciiHöls als 6pion.
■ II NVIDI I IM IO \\\ IV M Kl

Cin Ctftemidjc* S'crufSjpion — aus $>nü ßcflcn


Ccftrrrtirfj.
Ster (Jnfel einte öitcrrcietifd?cn ßencrali, bcc für (ein
brabourojei «ieUjoltci, in i>cr Ed.Jadit bei VI f v c r n mit bem
D^jria Jberejien.Crbcn auiv)cicid)»ct lutirbc, (i(jt jefct auf
ter tlnflaßcbauf bei tSiener ttanbebßenditej, nm fidi iMßcn
£ P i o n o ß e tu uernntiuorteu. (i'.el)ürt biefeö Uieibrcdfu
|d!on an unb für (irti jn teil fdiiuipflidlftcu, > tri(|t teil Vlu«
geflößten — er nennt |idj filaton SUItjanbec 3)t u r ui « ii n

X
F iir das Projekt seines Spion-Ro-
mans hatte Musil in seinem Zeitungs¬
ausschnitt-Archiv Artikel über den
für Rußland arbeitenden Alexander
Murmann aus dem Jahre 1912 ge¬
speichert — Beweis, daß er sich schon
vor dem Ersten Weltkrieg für das Mo¬
tiv der Spionage interessierte.
Die Begegnung mit Egon Erwin
Kisch, in den Jahren 1918 und später,
dürfte sein Interesse noch weiter ver¬
stärkt haben, da Kisch 1913 den Fall
des Generalstabs-Obersten Redl, ei¬
nes hochrangigen russischen Agen¬
ten, publik gemacht hatte. Die Motive
für Redls Agententätigkeit — großer
Geldbedarf wegen seiner homo¬
sexuellen Neigungen — waren gewiß
ganz andere als die für den Musil-
' sehen Helden, aber allein das Stich¬
wort Spion konnte in der österreichi¬
schen Nachkriegsöffentlichkeit große
Aufmerksamkeit sichern.
In seinem Interview mit Oskar Mau¬ Bon Vt a r dj f e I b — limfo flröfjcre tßcraddunfl. lueil i^nt
uon feinem öflereeidjiidien Catcvlanb oicle SSobltaten er-
rus Fontana für die «Literarische mieieii morben fmb Gielen ftui)re Inim Umrbe IPoruu Dl u r.
mann auf St o it e n bei StaiferB in Sfübcttcujdmlcii
Welt» vom 30. April 1926 (folgende criofleu. bann biente er eine fteitlaiiß in ber üiteeveidiiidien
Stroter, StSeil man tim bann tranlliciut)nptber entlief), luurbe !
Seite) hielt Musil auch für sein Pro¬ er ein tu ii t c n b c r £> n i f c r C e it c r r e i di e. beu tiefer
jekt «Die Zwillingsschwester» an der Ictbcnfdjaftlidje vafo 4nut »eiiififplen tunkte.1

Spionagetätigkeit seines Helden fest:

Aus Opposition gegen eine Ordnung,


in der der Ungeistigste die größten 1
Chancen hat, wird mein junger Der russische Spion
«Heidt Spion. Sein spielerisches In¬ Alexander Murmann

teresse ist daran beteiligt und auch


sein Lebensinhalt. Denn das Mittel
2
seiner Spionage ist die Zwillings¬
Oberst Alfred Redl -
schwester. Sie reisen durch Galizien. österreichischer
Er sieht, wie ihr Leben sich verliert Generalstabsoffizier
und auch seines. im Dienste Rußlands

D as Zusammentreffen
und allgemeiner Katastrophe löste
privater 3
Interview mit Ro¬
bert Musil über sei¬
beim Autor trotz aller rationalen Ab¬
nen Roman «Die
sichten unter Umständen gar nicht
Zwillingsschwe¬
klar bewußte atavistische Ängste aus
ster» in der «Litera¬
und verhinderte so vielleicht die Fer¬ rischen Welt» vom
tigstellung des Buches. 30. April 1926

322
OIE LITERARISCHE WELT
XT D
N R.
t0
18
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HERAUSGEBER WILLY ||au
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BERLIN \ru ctjrofwo»* in RocWurk
'. S. Sx RM, ln S. 415 RM, S. *25 RM, •„ S. 125 RM,
PREIS
2-JA,,R- FREITAG, 50. APRII. ' M -V 75 RM. Keüx Verbindlichkeit (ur die Aufnahme La bc-
20
GANG l,o,Wi,n >&4 549 (Otiu Erich Dtutttb)
1926 »timmtr Nummer. Anirurnirrmiolun* nur durch den Ern»t
PFENNIG
Rowohlt Verlas, Berlin W 35, Pondxmcr Str. tajB

®as arbeiten Sie? Su» bem JJnljalt:


Seite 1: Bruchstück aus seinem neuen Roman
von Robert Musil
VI. aefpräd) mit Robert jHuftl Seite z: Zcitchronik
/V InStnitatr:
Ihr neuer Roman -? Er heißt? sehr merkwürdigen und bezeichnenden Finheit man braucht, um »ich eine lebten zu können, son¬ Seite j: Hamlet im Smoking von Böla Balizs /
Nach Österreich kommt er aus Berlin, um sich zu
dern weil das Heilige ohne da» Unheilige ein reg- DicThcatcrcrfolgc der jungen Generation
Must/: erholen - in Wahrheit aber, um in aller Stille seinem
U**cr Brei ist. Auch diese Zweiheit ist bedingt und
Die Zwillinguchwcstcr. Konzern die bosnischen Erzlager und Hol/
notwendig. Die Erzählung lauft dann weiter, in
von Otto Zoff / Wpzzcck nach drei Mo¬
schlagungen zu sichern. Im Salon der ..zweiten dem ich den Kemkomplex: lache und Ekstase von naten von Klaus Pringsheim / Georg
Der la/m/tmtr .-
Diotima“, der Gattu eines PrUidialistcn. de» Re¬ der Wahminnsscitc her aufmile durch eine von der
Zeit? Kaisers „Zweimal Oliver“
präsentanten der a'iostcrreichisehcn Wclthcglük-
Mu.il: Erlöcungsidcc Besessene. Die Gevrhehnisae spitzen
kimg stoße er auf diese F'rau. Zwischen beulen ent¬ sich zu einem Kampf zwischen dem Alumnen eines
Von 191* b«a 1914. Die Mobilisierung, die Well
wickelt sich nun ein „Scclcnroman", der im Leeren
neuen Geistes und dem Wtmehaftsästheten zu.
Seite 4: Der Sinn der Hemmung, Brief an
wd Denken *0 zerriß, daß ue bis heute nicht
fcdickt werden konnten, beendet auch den Roman. Ich schildere da eine große Sitzung, aber keiner Robert Musil von Julius Levin
von beiden erhält da» Geld, das zu vergeben ist,
Drr laterrmtr: sondern ein General, Vertreter des Kriegsmini' Seite j: Buchchronik der Woche
Was wohl als Symptom gewertet weiden darf! stcriums, das ohne Einladung einen Delegierten
Sltuil: entsandte. Da» Geld wird für Rüstungen aufge¬
Seite 7: Zwei Philosophen von Hans Kafka
(Gewiß. Wenn ich dabei den Vorbehalt machen wandt. Was gar nicht so dumm ist, wie man gewöhn¬
darf, Mm historischen Roman geschrieben zu lich glaubt, weil alles Gescheite sich gegenseitig und Hellmuth Falkenfcld
W*n, Die reale Erkllrung des realen Geschehens aufhebt. Aus Opposition gegen eine Ordnung,
interessiert mich nicht. Mein Gedächtnis ist schlecht. in der der Ungeistigste die größten Chancen hat.
Die Tatsachen sind überdies immer vertauschbar. wird mein junger ..Held“ Spion. Sein spielerisches Wir bitten untrere Letter und Freunde,
Mich interessiert das geistig Typische, ich mochte Interesse ist daran beteiligt und auch sein Lebens¬
^ sich an der Abstimmung
geradezu sagen: das Gespenstische des Geschehen» inhalt. Denn das Mittel seiner Spionage ist die
Zwilltngsschwcstcr. Sie reisen durch Galizien. Er „iSPcldjc Oidjtcr gehören
Der Inimimr ; sicht, wie ihr leben sich verliert und auch seines.
Wo ist der Punkt, wo Sic ansetzen? l)cr junge Mensch kommt darauf, daß er zufällig in Me Beftion für 2>id)tfunft

Mjuil: ist, daß et seine Wesentlichkeit erschauen, aber ber atabemic?"


Ich setze voraus: Das Jahr 1918 bitte da* 70jährige nicht erreichen kann. Der Mensch ist nicht kom¬
Itgicningsjubilium Franz Josef I. und das 31 jih- plett und kann cs nicht sein. Gallertartig nimmt (Nr. 16/11. „Lit.Welt“) recht rege zu
rifR Wilhelm II. gebracht Aus diesem künftigen ex alle Formen an, ohne das Gefühl der Zufällig¬
beteiligen. Es bandelt sich um einen
keit »einer Existenz zu verlieren. Auch ihn, wie alle
Zusammentreffen entwickelt sich ein Wettlauf der
Personen meines Romans, enthebt die Mobilisie¬ wichtigen kulturpolitischen Versuch.
beiderseitigen Patrioten, die einander schlagen
wollen und die VC eit, und im Kladderadatsch von
rung der Entscheidung. Daß Krieg wurde, werden Der Termin läuft Mittwoch den 5. Mai
1914 enden. „Ich habe cs nicht gewollt!" Kurz mußte, ist die Summe all der widerstrebenden ab. Spätere Einsendungen können
Strömungen und Einflüsse und Bewegungen, die
ood gut: ca entwickelt sich das. was ich „die Paral-
ich zeige.
nicht mehr berücksichtigt werden.
Idsktion" nenne. Die Schwarzgclbcn haben die
österreichische Idee", wie Sie sk aus den Kriegs¬
Dtr Inlenirorr:
(fasziniert von der Größe der Konstruktion, ver¬
herrn kennen: Erlösung Österreichs von Preußen
mag in der Raschheit, zu der sein Amt verpflichtet, • Verwirklichung nicht mehr ganz das Gealcht der
- es soll ein Wcltostcrrcich entstehen nach dem
nur zu stammeln): Müssen Sie da nicht noch eine Urt räume bewahrt haben - ist das ein Malheur?
Mu«tcr des Zusammenlehens der Völker in der
ganz groß*. Anzahl ron Haupejiersoncii laben, Wir brauchen auch dafür eine neue Moral. Mit
Monarchie - der ,.Friedenskaiscr" an der Spitze. ROBERT MUSIL um einen solchen Kreis ziehen zu können? unserer alten kommen wir nicht aus. Mein Roman
Krönung des Ganzen soll eben das imposante
möchte Material zu einer solchen neuen Moral
Jobeliahr 1918 bringen. Die Preußen wieder haben Mtuil:
enden muß. Zugleich trifft der junge Mensch an¬ geben. Er ist Versuch einer Auflösung und An¬
dis Idee der Macht auf Grund der technischen Voll¬ Ich komme mit etwa zwanzig Hauptpersonen aus.
läßlich eines Stcrbcfallct im Haus seiner toten deutung einer Synthese.
kommenheit - auch Ihr Schlag der Patallelaktion ist
Eltern seine Zwilltngsschwcstcr, die er bisher nicht * Dtr laterrinrr ;
Ar 1918 geplant. Der lu/trriturr:
kannte. Die Zwillingssehwester ist biologisch Und furchten Sic nicht bei der Struktur Ihres Ro¬
Dtr Intrrrmrr; Wo ordnen Sic Ihren Roman in die zeitgenössische
etwas sehr Seltenes, aber sic lebt in uns allen als mans das Essayistische?
Epik ein?
Abo eine sehr ironisch durchsetzte Materie. Aber
geistige Utopie, alt manifestierte Idee unserer selbst. Musi/: Musil:
kfc möchte Sie zuvor nicht danach fragen, sondern
Was den meisten nur Sehnsucht bleibt, wird meiner Ich furchte es schon. Ebendarum habe ich es durch (taumelt wie unter einem gutplaziciten Kinnhaken
liebet: Wie setzen Sie diese Umwelt resp. Um¬
Figur Erfüllung. Und bald leben die beiden ein zwei Mittel bekämpft. Zuerst durch eine ironische und hat nur noch die Kraft, zu sagen): F.rlaasöt Sic
wehen in Bewegung?
Leben, das der guten Gemeinschaft einer alten Ehe Grundhaltung, wobei ich Wert darauf lege, daß mir die 'Antwort.
Musil: entspricht. Ich stelle die beiden mitten hinein in mir Ironie nicht eine Geste der Überlegenheit ist, Der InSerrimtr:
Zuerst, indem ich einen jungen Menschen cin- den Komplex der „Schmerzen von beute": Kein sondern eine Form des Kampfes. Zweitens habe (bcharn darauf und beginnt «uszuzählen, in der
fuhre, der am besten Wissen seiner Zeit, an Mathe- Genie, keine Religion, statt „in etwas leben" - ich meiner Meinung nach allem Essayistischen gegen¬ Hoffnung als „Vertreter der Presse" im Finish zu
«•rik, Physik, Technik geschult ist. Dieser tritt „für etwas leben" - lauter Zustlndc, in denen ich über ein Gegengewicht in der Herausarbeitung siegen. Aber)
® <!•» Leben ron heute - denn nochmals, mein unsere Idealität ionisiere. Aber Bruder und ZwiJ- lebendiger Szenen, phantastischer Leidenschaftlich¬ Musi/:
«hbtorischcr" Roman soll nichts geben, was nicht lingsschwcstcr: das Ich und das Nicht-Ich fühlen keit. (der Champion der geistigen Boxklmpfier schlägt
■sch heute Geltung hätte. Der also sicht zu seinem den inneren Zwiespalt ihrer Gemeinsamkeit, sic Dtr lnlrrriratr : den Interviewer knock-out): Wo »eh meinen Roman
Eotaunen. daß die Wirklichkeit um mindestens zerfallen mit der Welt, fliehen. Aber dieser Ver¬ Trotzdem Ihr Roman seinen Personen nur den cinordne? Ich möchte Beiträge zur geistigen Be¬
t» Jahre zurück ist hinter dem, was gedacht wird. such, das Erlebnis zu halten, zu fixieren, schligt Kopfsprung in die Mobilisierung als Ausweg läßt, wältigung der Welt geben. Auch durch den Ro¬
Aus diesem Phasen unterschied, der notwendig ist fehl. Die Absolutheit ist nicht zu bewahren. Ich glaube ich ihn nicht als pessimistisch ansprechen man. Ich wäre darum dem Publikum sehr dankbar,
and den ich auch zu begreifen suche, ergibt sich schließe daran, die Welt kann nicht ohne das Böse zu sollen? wenn es wenige? meine ästhetischen Qualitäten
öo Hauptrhema: Wit so// jub tm ftutiger \lernet bestehen, es bringt Bewegung in die Welt. Das Muri/: beachten würde und mehr meinen Willen. Stil ist
V* fLtm/jtds rtrbal/ea? Dem stelle ich eine Gegen- Gute allein bewirkt Starre. leb gebe dazu die Da haben Sic recht. Im Gegenteil. Ich mache mich für mich exakte Herausarbeitung eines Gedankens.
Rgwr gegenüber: den Typus des Mannes größten Parallele mit dem Paar: Diotima und Wirtschafts¬ darin über alle Abcndlandsuntcrgingc und ihre Ich meine den Gedanken, auch ln der schönsten
~ und oberster Welt; Er verbindet wirt- held. Würde er keine Geschäfte machen, konnte Propheten lustig. Urträume der Menschheit werden Form, die mif erreichbar ist.
s Talent und isthctische Brillanz zu einer er keine Seele haben; nicht wegen des Geldes, das in unseren lagen verwirklicht. Daß sie bei der Os kur Maurus Votum*.

Robert iRuftf: Brudjftütf der Geist in vielem der Bevormundung 6rwas wie ein fachliches Gewissen, das daraus, daß Sc. Erlaucht mit Recht über
durch die Kirche entzogen habe. Er war unter Umständen dem religiösen wider¬ demagogische Angriffe entrüstet sein durfte,
(Ein Kapitel aus seinem neuen Roman)
jederzeit bereit, diese in öffentlicher Herren¬ spricht. Wenn dann gesagt wurde, daß hohe denn seine Ansichten entsprachen so ziem¬
Diotima war die Freundin Sr. Erlaucht haussitzung zu bedauern, aber wenn er Herrn nicht selten für ihre Person das täten, lich dem wirklichen Zustand der Weit
des Grafen Leinsdorf. nicht davon sprechen mußte, war er über¬ was sic in der Öffentlichkeit bekämpften, und den Ansichten aller andren arbeit¬
Von den Körperteilen, nach welchen zeugt, daß man aus irgendwelchen Grün¬ so war das nach Graf Lcinsdorfs heiligster samen Menschen.

hi Freundschaften benannt werden, lag der


fäflkh Leinsdorfschc an einem solchen
Ort zwischen Kopf und Herz, daß man
Diotima nicht anders als seine Busen-
den sich damit abzufinden habe. Denn er
konnte sich nicht vorsteUcn, wie zum Bei¬
spiel eine Fabrik, eine Börsenbewegung
in Getreide oder eine Zuckerkampagne
Überzeugung hetzerische Demagogie, das
heißt, Gerede von wühlerischen und wicglc-
rischen Elementen, die von den Zusam¬
menhängen innerhalb einer ausgebreiteten
Es handelt sich um das Leben, nicht um
Sc. Erlaucht; das Leben hat sich allen Grund¬
sätzen, welche sich durch schöne Einfach¬
heit und überdies durch menschliche wie
nennen dürfte, wenn dieses Wort nach religiösen Grundsitzen zu leiten Verantwortlichkeit keine Ahnung hatten. göttliche Überlieferung auszcichncn, in
°°ch gebräuchlich wäre. Sc. Erlaucht dachte wären, während andrerseits ohne solche Sicht man cs nicht mir seinen Augen einer geradezu zaubertückischen, kunst¬
*°ders als Sektionschef Tuzxi über den Hilfen kein moderner Großgrundbesitz an, so wäre also zu sagen: Graf Lcinsdorf stückhaften Weise entzogen, indem cs
Wen geistiger Schönheit. Durch sein rationell zu denken ist. Auch der Kardinal- besaß die festen, überkommenen Grund¬ unter ihrem Stempel auswich und solange
Wohlwollen gewann Diotimas Salon nicht Erzbischof hätte dabei nicht anders han¬ sätze der christlichen staatscrhaltcnden Mo¬ über alle Rinder floß, bis cs draußen ein
*°r eine unerschütterliche Stellung, son¬ deln können als er, und wenn Sc. Erlaucht ral, aber sic ließen «ich auf die Verwick¬ ganz andres, unendlich viel größere» und
dern erfüllte, wie er sich auszudrücken den Vortrag seines Wirtschaftsdircktors lungen des heutigen Ichcns nicht anwenden, schwieriger zu fassendes Leben hervor¬
F*g*c, ein Amt. empfing, und cs zeigte sich, daß in Ver¬ weil sic in ihrer Einfachheit über diese gar gebracht hatte; Sc. Eilaucht tat also ganz
Man möge sich erinnern, daß Sc. Er- bindung mit einer ausländischen Spekulan¬ nichts aussagten. Sc. Erlaucht gab sie recht, wenn er für dieses emanzipierte
■ätht, der reichsunmittelbare Graf „nichts tengruppe irgendein Geschäft besser zu freilich außerhalb des Gcschäftslcbcns des¬ Ixbcn auch die Ideen verantwortlich machte,
jd» Patriot" war. Dann möge man bedenken, machen war als auf der Seite des einheimi¬ halb noch lange nicht preis; im Gegen¬ die zugleich mit ihm an Stelle des Glauben»
der Staat zwar aus der Krone und dem schen Grundadcls, so mußte Sc. Erlaucht sich teil, er lobte, wo er konnte, ihre Einfach¬ getreten sind, und aus diesem, etwas
Volk besteht, dazwischen die Verwai¬ in den meisten Fällen für das erste entschei¬ heit, die den Zugang in jedes Herz findet, indirekten Grunde war er nicht nur ein
st. daß cs eines aber noch außerdem gibt: den, denn die sachlichen Zusammenhänge was allein schon sowohl ihre Natürlichkeit religiöser, sondern auch ein icidcnscf Et¬
Gedanken, die Moral, die Idee! - So haben ihre eigene Vernunft, der man sich wie ihre Übernatürlichkeit bewies, und licher ziviler Idealist. Die vertiefte büi-
Se. Erlaucht für seine Person war, nicht einfach nach Gefühl cntgcgcnstcllcn verlangte von jedermann die Hoffnung, geriiehe Bildung, mit ihicn großen Ge
•o wenig verschloß er sich - als ein von kann, wenn man als Leiter einer großen daß das Leben zu ihnen wieder zurück¬ danken und Idealen auf den Gebieten des
"Beantwortung durchdrungener Geist,’^cr Wirtschaft die Verantwortung nicht für finden werde; in der Zwischenzeit, wenn Rechts, der Pflicht, des Sittlichen und
•**'dies auf seinen Gütern Fabriken bc- sich allein, sondern auch Tür ungezählte man nicht weltfremd bleiben wollte, mußte des Schönen, bjs zu ihren Tag cs kämpfen
— der Erkenntnis, daß sich heute andere Existenzen trägt; ja cs gibt sogar man sich freilich behelfen. Man sieht (Fortsetzung Sei« 4. Spalte 1. unten)

323
i. i\ 11 >svi:)i i Ivi io \\\ i\

rsprünglich sollte Musils großer


w Kl

Roman mit dem recht blutrünstigen


Kapitel «Der Vorstadtgasthof» begin¬
nen, mit dem «Traum eines Logi¬
kers». in dem ein Mann einer Frau im
erotischen Delirium die Zunge ab¬
beißt: Einstimmung auf die Tat des
Sexualmörders Moosbrugger:

Es SCHIEN IHM LANGE ZV DAUERN, BIS


die Zähne ganz durch ihre Zunge ka¬
men. Dann fühlte er sie dick im Mun¬
de. Der Sturm einer großen Tat wir¬
belte ihn empor, die unglückliche
Frau aber war eine weiße, blutende,
in einer Zimmerecke um sich schla¬
gende, um einen hohen heiser krei¬
schenden Ton, um den taumelnden
Rumpf eines Lauts kreiselnde
Masse.3 2

Als Örtlichkeit für diesen Traum


hatte Musil die «Goldene Birn» ge¬
wählt, einen Vorstadtgasthof an der
Landstraßer Hauptstraße, unweit
der Rasumofskygasse, in dem er gele¬
gentlich Verwandte unterbrachte:
1
Um zwölf Uhr. ohne Unterschied
Hotel Goldene
der Nacht, wurde das schwere Holz- Birn, Außenansicht,
tor der Einfahrt geschlossen und zwei der «Vorstadtgast¬
armbreite Eisenstangen wurden da¬ hof»
hintergelegt; bis dahin erwartete eine
verschlafene, bäurisch aussehende
Magd verspätete Gäste. [...] 2
Bibliophile Aus¬
Die Magd [...] ging dann ohne zu
gabe des «Vor¬
fragen voraus. Es kam erst eine stei¬
stadtgasthofs» in
nerne Treppe, dann ein langer, fen¬
der Reihe der Pan¬
sterloser Gang, kurz und unerwartet dora-Drucke, Heft
zwei Ecken, eine Treppe mit fünf von 181,1931
vielen Füßen ausgemuldeten Stein¬
stufen und wieder ein Gang, dessen
gelockerte Fließen unter den Sohlen 3

schwankten. An seinem Ende führte, Innenhof der «Gol¬


ohne daß dies die Besucher befremde¬ denen Birn», in der
laut Gedenktafel
te, eine Leiter von wenigen Sprossen
1835 auch Balzac
zu einer kleinen Diele empor, in wel¬
genächtigt hat, der
che drei Türen mündeten; sie standen
Dichter «der Dä¬
nieder und braun um das Loch im monie der Liebe
Boden.'372* und des Geldes»

•124
• - r ,r r

32.r
DKR M.WN Ol I\I. I 1( .1 \S( I i \l II

Der Wiener Autor Hugo Bettauer,


dessen Themen sich mitunter mit de¬
nen Musils berührten — die Parallelen
zwischen seinem «Frauenmörder»
und Musils Moosbrugger sind nicht zu
übersehen —, wurde am 26. März
1925 das Opfer eines Attentats. Der
Schutzverband Deutscher Schriftstel¬
ler (SDS) mit seinem Vizepräsidenten
Musil veröffentlichte dazu folgende
Erklärung:
«Der Schutzverband deutscher
Schriftsteller als die Vertretung der
österreichischen Schriftsteller aller
Parteirichtungen verurteilt anläßlich
des mörderischen Anschlages auf
Hugo Bettauer die zum Terror aufrei¬
zende Hetze gegen das Werk eines
Schriftstellers, das nur der Kritik
durch das Wort unterworfen sein soll.
Der Schutzverband sieht in der Dul¬
dung und Verherrlichung dieser Het¬
ze eine Verletzung des Rechtes jedes
Schriftstellers auf freies Wirken und
fordert, daß in Zukunft alle Berufe¬
nen dieses Recht besser schützen.»373
Musil hatte das Amt des 2. Vorsitzen¬
den von 1923 bis 1929 inne. 1. Vor¬
sitzender war Hugo von Hofmanns¬
thal.
Hofmannsthal schätzte Musil als
Redner und legte bei verschiedenen
Gelegenheiten Wert darauf, 1
«dass auch Dr. Musil sich äussert, ein Robert Musil nach
so ungewöhnlich gescheidter Mensch, dem Paßphoto auf
dem Mitgliedsaus¬
der zu allen Dingen eigene Ansichten
weis des Schutzver¬
hat und sie ausgezeichnet formu¬
bandes Deutscher
liert»374.
Schriftsteller in
Einem Autographensammler gab Österreich
Musil ex officio und pro domo die la¬
pidare Antwort: ^ /* >*T**-r * £•* 4 C0 Pf*7/ + a/
2
Es ist besser. Geld für notlei- Hugo Bettauer
dende Schriftsteller zu sammeln als (1872-1925)
Autogramme und es an den Schutz¬
verband deutscher Schriftsteller,
3
Wien I Schottenring 17, Kanzlei I)r.
Autograph Musils
Fischmann zu senden.
zugunsten not-
Robert Musil. leidender Schrift¬
Wien, 10. November 1023. steller

326
Die Arbeit Musils an seinem um¬
fangreichen Roman wurde seit ca.
1924 durch seinen neuen Verleger
Ernst Rowohlt finanziert, und zwar
durch monatliche Vorschüsse, die
wohl ca. 250 RM betrugen. Seinem
Freund Allesch gestand Musil Ende
1925:

Er pflegte mir Wechsel auf das


Wiener Sortiment zu schicken, weil
das für ihn eine Erleichterung bedeu¬
tet [...}
Ich hatte Vertrauen in ihn und habe
mich ihm mit Haut und Haaren aus¬
geliefert. Ich lebte eingeschränkt auf
seine Rate von einem Einkommen, das
bestimmt keinem Berliner Autor ge¬
nügen könnte, um mich nicht hetzen
oder zersplittern zu müssen; ich aner¬
kenne, daß auch dieses Ausmaß der
Finanzierung für ihn kein Augen¬
blicksgeschäft bedeutet und sehr lo¬
benswert ist [.. ,]375

D ie Rowohltschen Raten erlaubten


im Sommer 1925 einen Arbeitsurlaub
am Wörther See. in der Villa Olga in
Velden.
Musil bewohnte vom ca. 10. Juni bis
15. August 1925 die Dependance der
Villa (rechts am Bildrand), während
Stieftochter und Schwiegersohn im
Haupthaus wohnten.
Der Schwiegersohn erinnert sich:
«Unser gemeinsames Wohnzimmer
sah auf den See hinaus [...] Wie im¬
mer bei längeren Ferienaufenthalten
begann Martha sofort alle Möbel in
Roberts Arbeitszimmer zu verschie¬
ben. bis zufriedenstellende Konstella¬
tionen gefunden waren. Wichtig wa¬
ren die Anordnung der Arbeitstische
und die Placierung der Mappen [... ]
Zu dieser Zeit veranstaltete ein
Schwimm verein ein Wettschwim¬
men, für das unser Bootssteg w ohl zur
Übung für das Langstreekenschwim-
4 men von einem der Sportler und sei¬
Villa Olga in nem Lehrer ausgewählt war.
Velden am Wir sahen hier zum ersten Male die
Wörthersee neue Technik des <crawling>. Robert
war fasziniert und erörterte die Tech¬
nik mit dem Lehrer [...] So begann er
5
auch sogleich, crawling selber auszu-
Die Stieftochter
Musils, Annina probieren, entschied dann aber, die
Rosenthal, und ihr letzten Feinheiten in W ien zu lernen,
Mann, Dr. Otto wo der Lehrer meiner Erinnerung
Rosenthal nach unterrichtete.»3'6

327
DEB \l WNOIIM EIGENS« MM I I \

LJchon im Juni 1925 hatte Musil


nach einer Durchquerung des W ör¬
thersees in der folgenden Nacht star¬
ke Schmerzen, möglicherweise infol¬
ge einer Gallenkolik. Anfang Juni
1926 erkrankte er bei einem Besuch
in Berlin schwer und mußte sich laut
Meldung der «Literarischen Welt»
«im Sanatorium des Westens einer
gefährlichen Gallenoperation unter¬
ziehen». Von ca. 8. bis 28. Juli erholte
er sich im Palast-Hotel Kaiserhof in
Bad Harzburg von den Folgen des
Eingriffs. Die Erinnerung daran fi¬
xierte er in der «unfreundlichen Be¬
trachtung» unter dem Titel «Wer hat
dich, du schöner Wald ..?».

Man liegt dann - angenommen: nach


einem schweren Unglücksfall, ope¬
riert und doch wieder ganz geworden
— als Genesender in dem schönen Sa¬
natorium eines Kurorts, in weiße Tü¬
cher und Decken gehüllt, auf einem
luftüberströmten Balkon, und die
Welt ist ein nur fernes Summen; jede
Wette, wenn das Sanatorium diese
Möglichkeit hat, wird man auch so
gebettet, daß man wochenlang nichts
vor Augen sieht als das steile, grüne
Waldzelt eines Berges. Man wird so
geduldig wie ein Kiesel in einem Bach,
um den das Wasser spült. Das Ge¬
dächtnis ist noch voll Fieber und der
überstandenen süßen Trockenheit
nach der Narkose. Und man erinnert
sich bescheiden, daß man in den Ta¬
gen und Nächten, wo Tod und Leben
miteinander stritten und die tiefsten
oder doch letzten Gedanken am Platz
gewesen wären, rein nichts gedacht
hat, als immer das gleiche: wie man
auf einer Hochsommerwanderung
sich dem kühlen Saum eines Waldes
nähert. [...] Wie wenig bedeuten Ge¬
mälde, Romane, Philosophien in sol¬
chen Augenblicken! In diesem Zu¬
stand der Schwäche schließt sich das,
was einem an Körper geblieben ist
wie eine fiebernde Hand, und die gei¬
stigen Wünsche schmelzen darin weg, ]
wie Körnchen Eis, die nicht zu kühlen Palast-Hotel Kaiserhof in
vermögen. Bad Harzburg

828
329
! W11TSN T)l ! I\II() \\\|\ H Kl

I n einer autobiographischen Notiz


berichtet Hermann Kasack:
«Etwa fünfzig Schriftsteller schlossen
sich kameradschaftlich zur «Gruppe
1925) zusammen. Bestimmend für
die Zugehörigkeit waren das Gefühl
der Zeitverbundenheit und eine fri¬
sche Radikalität des Geistes. Wir hat¬
ten keine Statuten. Unter der organi¬
satorischen Leitung von Rudolf
Leonhardt diskutierten wir zwanglos
über aktuelle Fragen der Lite¬
ratur.»3 8
Zur Gruppe 1925 gehörten die Auto¬
ren Johannes R. Becher, Ernst Blaß,
Ernst Bloch. Bertolt Brecht, Max
Brod, Alfred Döblin, Albert Ehren¬
stein, Oskar Maurus Fontana, Leon¬
hard Frank, Willy Haas, Walter
Hasenclever, Arthur Holitscher, Her¬
mann Kasack, Egon Erwin Kisch,
Klabund, Ferdinand Lion, Ludwig
Marcuse, Leo Matthias, Walter Meh¬
ring. Robert Musil, Erwin Piscator,
Joseph Roth u. a. Differenzen waren
damit nicht ausgeschlossen.
Die Beziehung zwischen Brecht und
Musil war recht spannungsreich. Carl
Zuckmaver berichtet in seinen Me¬
moiren über seine und Brechts Tätig¬
keit als Dramaturgen) in Max Rein¬
hardts Deutschem Theater, als ihnen
Musils Posse «Vinzenz» eingereicht
wurde:
«Ich hinterlegte das Manuskript [...]
für Brecht und bat ihn um seine Mei¬
nung. Am nächsten Tag fand ich es
wieder, er hatte diagonal über den
Umschlag mit Bleistift <Scheiße> ge¬
schrieben.»379
Musil seinerseits nannte die frühen
Stücke von Brecht «Lausbübereien»
und lenkte erst nach 1930 ein - in der
Methode, nicht was die Person Brecht
anging:

Der ganze Mensch ist in Unsicher-


heit geschleudert. Erörterungen nüt¬
zen ihm nichts, er braucht die [...]
verloren gegangene Festigkeit. Dar¬
um das Verlangen nach Entschei¬
dung. nach Ja und Nein. In diesem
Sinn ist ein so substanzloser Mensch
wie Brecht durch die Form seines Ver¬
haltens vorbildlich. Er ergreift die 1
Leute, weil er ihnen ihr eigenes Erleb¬ Bertolt Brecht
nis vormach t.mi (1898-1956)

330
Dublin war wie Musil Mitglied der
Gruppe 1925. Ihre Bekanntschaft
reichte aber vermutlich schon in das
Jahr 19 H zurück, als Musil Redak
teur der «Neuen Rundschau - im
Hause S. Fischer war.
1919 wurde Doblin für etwa ein hal¬
bes Jahr Nachfolger Musils bei der
«Neuert Rundschau», da die Hinigung
zwischen Musil und S. Fischer an ein
paar tausend Inflationsmark schei¬
terte.381

Doblin erkannte Musil 1923 für


«Die Schwärmer» den Kleist-Preis zu
und vertrat die Maxime: «Es wird
dem deutschen, sehr in Gefühlen
schlampenden Lesepublikum gut
tun, sich mit dem hellen elastischen
Geist Musils zu befassen.»382
Musil widmete Döblins Epos «Ma-
nas» einen längeren Essay. Er schloß
mit den Worten:

Ich heiss nicht, welchen Einfluss


dieses Buch gewinnen wird und ob es
die Widerstände, die ihm zweifellos
nicht erspart bleiben werden, über¬
winden kann. Deshalb möchte ich
nicht austrompeten, daß da etwas ge¬
schaffen worden ist, das auf den Ent¬
wicklungsgang unserer Dichtung von
großem Einfluß sein wird. Aber auch
wenn ich es mir kühl überlege, traue
ich mich zu behaupten, daß dieses
Werk von größtem Einfluß sein
sollte! 383

I-Jnter den besten Büchern des Jah¬


res 1930 nannte Musil schließlich
die unübertreffliche Menschenschil¬
derung «Berlin Alexanderplatz>, zu
deren Lob nichts mehr gesagt zu wer¬
den braucht'™*.

Im Zusammenhang mit der Cruppe


1925 überliefert Doblin:
«Einmal eine heftige Debatte, als der
Lyriker Rilke starb. Einige hielten ei¬
ne Trauerfeier für notwendig, die
sanfteren; andere waren durchaus
dagegen, besonders Brecht. Robert
Musil, gerade in Berlin w'egen seiner
Theaterstücke, wollte eine Trauer¬
feier.»385
2 Ergebnis der Debatte war, daß Musil
Alfred Döblin die Gedenkrede auf Rilke im Renais-
(1878-1957) sance-Theater hielt.

331
I)KR MANN ()ll\l I K.lASt !, ■ i ■;

Als ich gewahr hvrde. wie gering der


Verlust Rilkes im öffentlichen Rechen-
exernpel veranschlagt wurde — er wog
kaum so schwer wie eine Film-Pre¬
miere, so war, ich gestehe es offen,
mein erster Einfall, auf die Frage,
warum wir heute Zusammenkommen,
zu antworten:
weil wir den größten Lyriker ehren
wollen, den die Deutschen seit dem
Mittelalter besessen haben! [...]
Bei Rilke werden nicht die Steine oder
Bäume zu Menschen — wie sie es im¬
mer und überall getan haben, wo Ge¬
dichte gemacht wurden -, sondern
auch die Menschen werden zu Dingen
oder zu namenlosen Uesen und ge¬
winnen damit erst ihre letzte, von ei¬
nem ebenso namenlosen Hauch be¬
wegte Menschlichkeit. Man kann sa¬
gen: im Gefühl dieses großen Dichters 1
ist alles Gleichnis, und — nichts mehr Büste Rainer Maria
nur Gleichnis. Die vom gewöhnlichen Rilkes von Fritz Huf
Denken getrennten Sphären der We¬
sensgattungen scheinen sich zu einer
einigen Sphäre zu vereinen. [...] Die 2
Eigenschaften werden zu Aller- Karikatur von
Dolbin anläßlich der
schaften! Sie haben sich von den Din¬
Gedenkrede zu
gen und Zuständen gelöst, sie schwe¬
Rilkes Tod im Berliner
ben im Feuer und im Wind des
Renaissance-Theater ROBERT MUSIL
Feuers,386
am 16. Januar 1927 2 Zur Rilkefeier ira Berliner Renaissance-Theater

332
Der Tadel Musils an die Öffent¬
lichkeit, der Rilkes Tod kaum so
schwer gewogen habe wie eine Film-
Premiere, ließe vermuten, daß ihm
Film-Premieren und ihre Begleitum¬
stände wenig bedeutet hätten. Sein
Tagebuch lehrt anderes:

19. II. [1930] Entsetzlich lang-


weiliger Film. Unsere Sitze mit dem
verlockenden Namen Cercle lagen im
ersten Drittel. Die Plätze betreten,
Salten in der Mitte hinten thronen
sehn und nach den Leitern des Arran¬
gements fragen. war eins. Nannte
meinen Namen und stellte die Sitze
zurück; Entschuldigung, kurzes Har¬
ten in zwei Korbstühlen des Foyers.
Logenplätze. Saltens und mein Blick
zweimal blind aneinander vorbei;
dumm, ich kann mich in diesen Din¬
gen nicht zu einer leichten gesell¬
schaftlichen Haltung bewegen ...
Eine Loge neben der Leinwand mit
der Aufschrift Willkommen und ir¬
gendwelchen Schnörkeln auf Pap¬
pendeckel. Ankündigung, daß die
Filmkünstlerin Evelyn Holt (die im
Film mitspielte) die Anwesenden be¬
grüßen werde: «Meine lieben Film¬
freunde. Ich freue mich. Sie persön¬
lich. im schönen Wien.. .> usw. Leicht
berlinerischer Klang. Stimme einer
3 Schauspielerin kleiner Hollen. Dann
Imperial-Kino in
saß sie in einem sehr prunkvollen
Wien
Abendkleid in unserer Nähe.
Bedeutsam: H ie sehr durch den Film
4 jüdisches Schönheitsideal verbreitet
Die Filmschauspie¬ wird. Evelyn Holt zb. ist eine blonde
lerin Evelyn Holt Jüdin.M

333
DKK M \\\ OIIM i;k;i \S(.H\! I I N

Ich habe an aufeinanderfolgenden


Tagen die Gespenstersonate in der
Inszenierung von Heine-Roller ge-
sehn. die mir einen ungewöhnlich
starken Eindruck machte, und ein
Kinostück, das mich bis auf wenige
Bilder so langweilte, daß ich kaum
darin aushielt.
Dennoch ergibt Selbstbeobachtung in
den nächsten Tagen, daß ich fast gar
nicht an die Theateraufführung den¬
ke, während einzelne Bilder des Films
mich verfolgen. In gewissem Sinn hat
dieser also stärker auf mich gewirkt.
Ich glaube, die Ursache liegt darin, 1
daß der Film Wirklichkeit abbildet. Szene aus dem Film
Einen Samum, ein orientalisch¬ «Chu-Chin-Chow»,
üppiges Zeltinneres, einen Kameel- den Musil im April
ritt. Er tut es zwar nur schwarz-weiß, 1924 in Wien gese¬
aber wir sind gewohnt, Photos als hen zu haben scheint

Wirklichkeitserinnerungen zu lesen
[...] Ihrer Wirkung kommt deshalb
2
etwas von der Stärke des Erlebten zu.
Rochus-Kino in der
Später hat aber das Theater stärker Landstraßer
auf meine Gesamteinstellung ge¬ Hauptstraße,
wirkt™ Wien, Musils Lieb¬
lingskino, das er
Gestern [17. Febriar 1930] vor beinahe täglich
dem Abendbrot waren wir oben auf besuchte

der Landstraße in einem alten Chap-


linfilm. Genial sein Balanzieren an
3
Bord eines rollenden Dampfers. Die
Charlie Chaplin in
Gebärde der seitlich fliegenden Beine seinem Film
ist reich und graziös. ™ «The Immigrant»

334
In einem Tonfilm nach einer dummen
alten Posse spielt Vlasta Bunan einen
Briefträgervereinsobmann, der eine
Ansprache an den Postminister hält.
In Worten: er verliert den Faden,
druckst komisch herum, rutscht
plötzlich auf einem falschen Geleis
weiter. Tausendmal vorher gestaltet
worden. Ist dieses 1000 lte Mal, das
er gibt, nun eine neue Gestalt? Wahr¬
scheinlich; aber wie gleichgültig ist
diese Feststellung. Hat seine Gestal¬
tung einen Mitteilungswert? Sicher,
sie ließe sich transponieren: Aber dem
gilt gar nicht unser Interesse, sondern
es ist mit dem Augenblicksgebilde, mit
der Augenblicklichkeit des Gebildes
verbunden. Nicht die bleibende Ver¬
änderung in uns, sondern das durch
uns Hindurchgehende (und Ver¬
schwindende) ist das, was wir suchen
und lieben. Solches Ephemere ist in
aller Kunst [...]
Dasselbe: Chaplin in City Lights, er
hängt sich in den Armkorb der Blin¬
den ein, aus Versehen, aus Scheu — er
fährt mit dem Rolls Royce des Millio¬
närs Tschicksammeln: reizende Ein¬
fälle, aber ihre Bedeutung ist rasch
erfaßt. Die Ausführung gibt dem
nichts Besonderes hinzu. Aber das
Denkbare seiend zu machen, viel¬
te leicht eine Art Hünschzauber. das ist
Charlie Chaplin in das Erlebnis! I brigens ist das ähnlich
«City Lights» dem naiven Zauber des Märchens/ m
I G
/
-Gelegentlich nutzte Musil Ein¬
/ drücke aus Filmen für seine Prosa,
zum Beispiel die Szenerie von Fritz
Längs 'Metropolis» für die Beschrei¬
hung der Zukunftsstadt im 8. Kapitel
7
des * Mannes ohne Eigenschaften»;

Z [...] Ei.\F. Akt überamerikanische


— Stadt, wo alles mit der Stoppuhr in
CC der Hand eilt oder stillsteht. Luft und
Erde bilden einen Ameisenbau. von
den Stockwerken der Verkehrsstraßen
durchzogen. Luftzüge, Erdzüge, Un¬
tererdzüge, Rührpostmenschensen -
düngen, Kraftwagenketten rasen
horizontal. Schnellaufzüge pumpen
vertikal Menschenmassen von einer
Verkehrsebene in die andre; man
springt an den Knotenpunkten von ei¬
nem Bewegungsapparat in den an¬
dern, wird von deren Rhy thmus, der
zwischen zwei losdonnernden Ge¬
schwindigkeiten eine Synkope, eine
Pause, eine kleine Kluft von zwanzig
Sekunden macht, ohne Überlegung
angesaugt und hineingerissen,
spricht hastig in den Intervallen die¬
ses allgemeinen Rhythmus miteinan¬
der ein paar Worte. Fragen und Ant¬
worten klinken ineinander wie Ma¬
schinenglieder, jeder Mensch hat nur
ganz bestimmte Aufgaben, die Berufe
sind an bestimmten Orten in Gruppen
zusammengezogen, man ißt während
der Bewegung, die Vergnügungen
sind in andern Stadtteilen zusam¬
mengezogen. und wieder anderswo
Sitte ftunbgebunq öes
_ _
geiftiaett
4.
fflien.
_
ß» 3rttflnis
Offt .'Rrtinttlft für «»Mb« n n
für Me grabt fojlole unb Iwltnrefle JCetfhmg ber ©lener ©emetnb
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stehen die Türme, wo man Frau, ÄnarftAf* M


be* polüifdten
tmlBifaf^n ftampfei
OnmxU in »*»-«—
Meier ©tobt «uM«* Pari 0ä(lcc, Barftanb be* tfftxioWfdxn ‘
« *>tr an* Der nnjextm «oniNen Oerjrfli^tt, Jolgtnhe fBtut» ber nnibcrrüäl SSt«. ' ’
1 inmo abftueeben:
Familie, Grammophon und Seele | Brüfeflot bei PupttgcwexbchfaUe.
3Renl«ft ftiljt |»fW>rn nnb Rim •« t) 111 b, afabemiftl« Rain.
findet Metropolis- iir Jliaflm. farm fufc feinem Dolitilden Debcohlft ofabcmtfder Rai«.
»iflma len een. benn ber «eifl allein ift el, ber ble Äad 8»t«ft ©«loufptelet rnib Begilfear bc« *>taif*ai
Szenerie aus dem ■joint airflrdiEetfen fäofft. beim Wj bie «oliiif erft Jpäter ÖofllileoUzl. •
•wödhat $tn augenblid aber mie btefer bedangt non *>t. «iegmniib 8 c« u b, ^rofefloe en-bei EniPcrfllM Bi«
gleichnamigen
Q
LJolche Film-Utopien verschlossen
Film von Fritz Lang
nO Wtbejbnngeru bie fan fleißigen ©inn« getroffen
■erben muffen.
jatftre Äbfrbi in ben ber Oiit-
tk.i tftcs ® t of ©Anftfteflet Rlcofeffoe «n bc‘ Haben
füt SKufil unb bartürüenbe IhtirfL
«rünboBBv ©cftnftftelUx, Quitos be« GtapU
(1924) teuerfragen etroo tbealtti.
ng lohen ©tnoi tn, ff an Ina t a U t. «xbriftfUfleti*.
Musil nicht den Blick für die realen, ^7 r~*7*r*»1..«^. mw.. wuaciiicii 2Renfd>en bol ***** tonal alabesmftlcr Bilblau«, Btofeffoc a b
Böen |u erleuWern nnb ntdjt «u erfefimeren. Sörr beiuwrfen Äunftgr BerbcfduiU.
gebauten Utopien des neuen Wien, loser alle nnbiüiQe $ärte obrigfetfliajer Sorberupgen. Cbed B*ine, ^oftai, Itfxeltor bei Burg totaler« n. ft
«I tDore aber ein toobre« BeifönmuVl, ^««ifla« nnb ©^aufptniot. Btoftflor am ber tafttonk f
den karl-Marx-Hof, den Goethe-Hof 2 • euntnap i m H bme Irfa mt>f qege n ©teuer» Ruft! unb barfUlUnbe ftunjt,
l.len bie Wiialt nnb (nlincellt ijofef 3 a.r n o. ftireftor ber ffUnaiüaitcebaim.
usw. Musil nahm die Leistungen der Karl-Marx-Hof¬ ItiRnng btr Bpn«r 6tabtB«ruaItuna ftt ^an« Pelfen. BtoftRor ^ b« Umnerftldi Btc«.
Ib.tlbbt Dirk (froh» nnb tnidilbor» SVtftuna, iwlil)» ftt. fBirieljn Äfenjt AompomfL
sozialer Woh¬ •b» BeSürttiaen Ifiblnli briroil. btt tjuemk nndi bm brftm
sozialdemokratischen Wiener Stadt¬ «oniinltn mttw unk mtoidtli. bui «Itom ber Rultur
XVobor Plo|*ftflrcnba(t alabcmifClez —-»kr
ftt. Stubolf Pian», Brofefior an bei UniDerfUfc Bkp.
nungsbau der Ge¬ « Mt Zielt leetrt bltlt toten »ollen aerobe
verwaltung zur Kenntnis und enga¬ • ll akttlennca. bielel übmwtihl*, Bert »bebten Btofeffot ftmß ö l <11 b I a b, Erctyfcft.
Brimariu» ftt. Stöbert Sidt(Bftern,
meinde Wien in den “ole »tt etlollen unb oelbrbetl »Ulen, «eifl
gierte sich dafür mit seiner Unter¬ • Dmnonüdt finb ein imb baiftlbe. ©re ber mögen bit fllma Roda Ra |Iec.
zwanziger Jahren itw «rtb gi engen «egtnfalc bei materiellen ßehenl ua
FW«
Rnzia Ra«er, Burgftlanfpiclcrtit.
•ectfl Rer f eh afabemtfilcr Rake.
schrift. so wie er auch immer wieder Rmgorele Rinot.
^ ontf) W Öfononrtftben Betoemxngen unb
m den W iener Volkshochschulen Le¬ frPBlIlnn ©<6ioflU)uile kbrttenb ben Corbergrunb be* ftr. Raben Rnfit, €4)riftfttHer.
■fttr toerben uni aiftt betäuben fallen. ftt. Btlleln »eubantt, Btofeffor an ber t«H4nlB fl
Sir Onnen bo* Obfer be« beleeUen ^nfeHefU nix# Bobenlulhir. ’
sungen hielt. 3
IriwiR.ÜB.-Tmfiflen babei bemSerlnifi entgegen* Jfcrbtnanb Cns. ftttanfpulcx am fteuJf^m WAlTB^rtt
llllt« Mt Oeffentlnbfett bnr* eine imrtkbaftrube HJfreb f »Ifiat. ftdriftlUflet.
Wahlaufruf zugun¬ •«nfoorole p blenben. bie aber tn ©trfliäreii mir auf BtflfeRor Otto Btrtf4er.
*01 « H11 ft a a b. kt auf benSRüdfdritt abiteli. Bufeflor C*cknt Waucftberf.
sten der Wiener Orlen be* «eifiel ift ber allem Sreibeit bi« Iftani ft a I m l o f e r, Potnbomft
|ftt|«f&lrbetift. unb bie «n 1 dj ü H n mir
Sozialdemokratie ■ ■Ibtrbfli&tet füllen. fta« Stingen um eint
Pari ft 4 n *lle r. ft^nftfteütr.
Als Musil 1936 den Ständestaat ftt. Cilax 6t t nab, HtcltieJ^^roffflac am bex ftintfk
vom 20. April 1927 Mlltl Äe«IBIi<6feit nnb ber »ampf gegen
Trfiglritnnb Beröbung toirb nn« immer bereil
um eine Pension bat, wurde diese Un¬ ffr flnbet nn« autb iebt bereit
ftr. Inton Bcbctn. lanfünfUet.
in der «Arbeiter¬ tn «I frtb «Mer.
ftt. «gon Belle»«. fto#eni an ber Pnitierfitftl Bün.
terschrift offenbar von den Behörden Scan« B c r f c l ftelriftfteller.
zeitung» mit Musils Bttlels Citstt, febriftßdlex. Brofcfior Pari B I » m a n n. Ixtlliell
«etne «r« |eti honet «labcaUßlcx Pofar
als belastend empfunden. Unterschrift
frta«| 8 11 • p, cfabumMta Ralez.
3

M usil war ein Gegner konservativ-


klerikaler Politik. Als das Kabinett
Seipel erwog, ein Gesetz zum Schutz
der Jugend vor Schmutz und Schund
zu erlassen - gegen den Widerstand
vieler österreichischer Künstler
protestierte auch Musil, nur zu ver¬
ständlich bei einem Autor, der in sei¬
nem Buch den Inzest zweier Geschwi¬
ster beschreiben wollte.
Ernst Lothar schildert den Besuch der
Künstlerdelegation inklusive Musil
bei Seipel am 8. Juni 1928:
«Der große Konferenzsaal im Bun¬
deskanzleramt auf dem Ballhaus¬
platz. Den Vorsitz führt Bundeskanz¬
ler Prälat Ignaz Seipel, das strenge
Asketengesicht auf die Versammlung
gerichtet. Zu seiner Rechten der mas¬
sige Unterrichtsminister Schmitz
[...] Schnitzler [...] meldet sich zu
Wort [...] Er spricht von der Unzu¬
lässigkeit, künstlerischen Erzeugnis¬
sen. die in keiner anderen Absicht als
in einer künstlerischen hervorge¬
bracht werden, «einen Maulkorb an¬
zulegen). «Verzeihen Sie, Herr Dok¬
tor), unterbricht Prälat Seipel in dem
gesammelt-gleichförmigen grauen
Ton, den er bevorzugt. «Woraus geht
diese Absicht her\-or?> «Aus dem
Kunstwert>, antwortet Schnitzler. Ist
der absolut?) fragt der Kanzler im Ge¬
wand des Priesters. «Relativ wde alles,
Herr Bundeskanzler), antwortet
Schnitzler, herausgefordert [...]
«Dann gäbe es>, examiniert der Vor¬
sitzende weiter, «kein gültiges Krite¬
rium dafür, was Sie Kunstwerk nen¬
nen? Denn der eine hielte für Kunst,
was dem anderen als Frivolität oder
Blasphemie erscheinen könnte?) «Das
ist eine Frage der Urteilsfähigkeit»,
sagt Schnitzler kurz [...] das Beste,
was wir erreichen können, ist das
Versprechen der Regierung, den Ge¬
setzentwurf zu vertagen.»392
4
Prälat Ignaz Seipel, Musils eigener Kommentar:
österreichischer
Bundeskanzler Wenn das geplante Gesetz zlh Be-
(1922-24 und Währung der Jugend vor sog. Schund-
1926-29), christ¬ und Schmutzschriften Wirklichkeit
lich-sozialer Politi¬ wird, ist unsere geistige Enwicklung
ker und Professor bis auf weiteres zu Ende! Dieses
für Moraltheologie
scheinheiligste aller reaktionären Ge¬
setze — welches das Schutzbedürfnis

5 der Jugend in widerwärtiger Weise


Richard Schmitz, vorschätzt — wird den deutschen Geist
Unterrichtsminister zwischen den Plattheiten der Partei-
im Kabinett Seipel en zerpressen.

337
DI R MAWOIINI EIGENS« II \l 1

Im Frühjahr 1928 geriet M usil in


eine schwere Arbeitskrise. Er umkrei¬

8 ste einige Wochen lang seinen mit


Decken verhangenen Schreibtisch,
konnte keine Zeile zu Papier bringen.
«Unzufriedenheit mit dein Erreich¬
ten, Zweifel über die Fortführung,
Unentschlossenheit, welchen der
möglichen Wege er in der Fortlüh¬
rung des Romans weiterverfolgen sol¬
le. und auch die Unüberschaubarkeit
der Gesamtkonzeption, namentlich in
ihren Zusammenhängen und Ver¬
flechtungen von Entwicklung des
Geschehens und Entwicklung des Ge¬
danklichen», nannte sein ins Vertrau¬
en gezogener Kollege 0. M. Fontana
als Ursachen.395 Auf Vermittlung von
Bela Baläsz begab sich Musil bei dem
Adler-Schüler Dr. Hugo Lukäcs in in¬
dividualpsychologische Behandlung,
der seine Arbeitsfähigkeit in einer
Reihe von Gesprächen wieder her¬
stellte.
Auf Bitten des Arztes versuchte Musil
selbst, die Mechanik seiner Hemmun¬
gen zu erforschen. Er tat dies unter
der Überschrift «Technik sub specie
Lukäcs.»:

Ha upterschfjnunG: 2 ko\ki wieren-


de Zielvorstellungen; Lähmung. Un¬
terdrückung der einen anscheinend
unmöglich; schwierige Verschmel¬
zung.
Gewöhnlich: I. Die ursprüngliche
Zielvorstellung
II. Aus herangezogenem Notizenma¬
terial bildet sich konkurrierende Teil¬
zielvorstellung.
III. Breite. Langweile. Immer länger
werden.
Gewöhnliche Lösung: Linen oder
einige Tage warten; die determinie¬
rende Kraft schwächt sich ab. Lin
neuer Gedanke schafft eine I mgrup-
pierung. Oder umgekehrt, eine Um¬
gruppierung führt auf einen neuen
Gedanken, nichtiges wird plötzlich
unwichtig und fällt weg.
1
Ls entsteht immer zuviel Tic
Robert Musil nach
Essay einem Photo von Rieß

338
Henri du weißt, was du willst, so
kannst du.
Du kannst immer wissen, was du
willst.
[•••]
nichtigstes Erfordernis: eine Leitvor¬
stellung (sowohl fürs Schreiben wie
fürs Verstehen nötig). Und zwar im
Ganzen wie im Einzelnen.
«Was ist denn eigentlich der Inhalt?» -
Diese Frage drückt eigentlich das
ganz berechtigte Bedürfnis danach
aus.
Eine Leit Vorstellung muß einfach
und drastisch sein, sonst taugt sie
nichts. 393a

Im Gefolge solcher Analysen legte


Musil eine ganze Reihe von Leit-Blät¬
tern an, die das Ideen-Material für die
Niederschrift ordnen sollten: wie die
fragmentarische Gestalt des Romans
beweist, zwar kein Patent-Rezept bis
ans Lebensende, aber immerhin ge¬
lang es ihm in den beiden folgenden
Jahren, den ersten Band des Werks
abzuschließen. Der Dank, den er Dr.
Lukäcs öffentlich abstattete, war si-
byllinisch.
In seiner Rezension von Lukäcs’ Bro¬
schüre «Psychologie des Lehrlings»
schrieb Musil am 30. Mai 1928:

[. ..] DAS GANZE GROSSE UND KLEINE


Arsenal der Lebensleiden und -ent-
gleisungen, stellt sich in der Tat in
vielen Fällen sozusagen nur als ein
paar kleine Fehler der Lebenstechnik
heraus, die sich tausgewachsen» ha¬
ben und auf die mildeste Weise der
Welt, durch eine Reihe von Unterre¬
dungen, die kaum mehr Intimität for¬
dern wie eine freundschaftliche Kon¬
versation, dann allerdings auch
durch fortgesetzte Übung wieder zu
beseitigen und aufzulösen sind. Diese
Technik ist eigentlich nichts anderes
als eine Art ärztlich geleiteter Lebens¬
schule, aber ich glaube sagen zu kön¬
nen, daß es mit ihrer Hilfe in erstaun-
2 licher fleise gelingt, dem Schicksal
Dr. Hugo Lukäcs buchstäblich an den Leib zu
(1879-1939) rücken.39*

339
1)1.1? M \\\ ()l I\I I K.I NSCIIAI

Im August 1928 veranstaltete die


«Deutsche Zeitung Bohemia» eine
Umfrage bei sudetendeutschen (!)
Schriftstellern in ihren Sommersit¬
zen. Musil antwortete:

Ich verbringe den Sommer in Ötz.


Hauptsächlich auf meinem Zimmer
1
Robert Musil vor
im guten alten PosthotelKaßl, neben¬
dem Post-Hotel
sächlich auf den Bergen. Denn ich
Kaßl in ötz (Tirol),
muß leider einen zweibändigen Ro¬ wo er von Mitte Juli
man zu Ende führen, der im Frühjahr bis Ende August
erscheinen soll und <Der Mann ohne 1928 einen Arbeits¬
Eigenschaften> heißiß’‘ urlaub verbrachte

T
JL rotz der durch die Therapie neu
2
Kurhaus Tarasp in
gewonnenen Arbeitsfähigkeit ver¬
Graubünden. Musil
schätzte sich Musil erneut, was die
kurte hiervon Ende
Fertigstellung des Buchs betraf: sie August bis ca.
dauerte nicht sieben oder acht Mona¬ 20. September
te, sondern zweieinhalb Jahre. 1928

840
Q.
LJpatestens seit den frühen zwanzi¬
ger Jahren litt Musil an Gallensteinen.
In einer medizinischen Notiz spricht
er von namenlosen Qualen, tobend,
bohrend, krampfartig und versteigt
sich sogar zu der Behauptung, durch
derartige Krankheiten werde mehr
Leid verursacht als durch roten und
weißen Terror.395®
Auch nach der Entfernung der Gal¬
lenblase im Sommer 1926 war er auf
regelmäßige Kuraufenthalte ange¬
wiesen, die er meist in Karlsbad, 1928
in Tarasp-Yülpera absolvierte, um
die Graubündener Säuerlinge zu
trinken.
Die Landschaft ging mehr als zwei
Jahre später in einen Traum ein, der
auch im Kap. 115 des «Mannes ohne
Eigenschaften» verarbeitet wurde:

Ich gehe Martha mitnehmend längs


des außerordentlich steilen Abhangs
eines (Buchen-) Waldes. Komme an
eine kahle Stelle, hart, grau, glimm-
rig, ein alter Abrutsch, ähnlich wie
die Ennsufer [recte: Innufer] bei Ta-
rasp, für mich unpassierbar. Ich muß
heftige Schwindelgefühle nieder-
kämpfen, mache in Gedanken den
Versuch, ob ich etwas tiefer über die
Stelle komme, mir wird fast übel. Ich
erkläre, wir kehren um, (ganz) unten
(in der Talsohle) führt ohnehin der
bequeme allgemeine Wegfb

3 ^^ahrend sich der Traum ur¬


Post-Hotel
sprünglich auf eine Absage an den
Kaßl in ötz, Tirol
SDS bezog, seinen 50. Geburtstag fei¬
ern zu lassen (November 1930),
4 wandte Musil ihn im Roman auf Ul¬
Trinkhalle richs Ratlosigkeit gegenüber dem
Tarasp am Inn Sexualmörder Moosbrugger an.

341
Dl.II M \\\ ()||\l i K.I.Nm.I ! '■! : :

Ejs ist unschwer vorstellbar, wie die


Überschreitung der Ablieferungster¬
mine für den Roman .Iahr um Jahr die
Geduld und Finanzkraft des Rowohlt
Verlages strapazierten. Ernst Ro¬
wohlt erinnert sich an die Entstehung
des Romans:
«[Musil] hatte, nachdem wir den Ver¬
trag gemacht hatten, immer die Vor¬
stellung, er müsse mir das ganze Ma¬
nuskript persönlich vorlesen. Das w ar
außerordentlich interessant. Er kam
immer in Etappen nach Berlin,
brachte einen riesigen Handkoffer
mit, und in diesem Handkoffer lagen
die Manuskripte. Leider fand er nie
den Anschluß.
Musil war ein Mensch, der einen un¬
geheuren, sympathischen und sugge¬
stiven Eindruck machte. Er hatte sehr
tiefliegende Augen und hat auf mich
ungeheuer gewirkt. Ich war, so möch¬
te ich beinahe sagen. Wachs in seiner
Hand. Denn es ging ihm immer sehr
schlecht, und er kam nie mit den zwi¬
schen uns ausgemachten Renten aus.
Es war so, daß er zwölf Monate lang
monatlich soundsoviel Geld bekom¬
men sollte und dafür aber soundso-
viele Seiten Manuskript abzuliefern
hatte. Das hat er aber nie geschafft.
Dann erklärte er immer — und er ist
der einzige Mensch, der mir mit sol¬
chen Drohungen imponiert hat-: Ja,
wenn Sie mir das Geld nicht geben,
Herr Rowohlt, ich kann nicht weiter¬
1
Ernst Rowohlt
leben. Dann bleibt mir nichts anderes
(1887-1960),
übrig, dann muß ich mich erschie¬
Musils Verleger in
ßen!» Ihm hab" ich geglaubt, daß er es
den zwanziger und
auch tun würde. Daher habe ich ihn frühen dreißiger
immer wieder unterstützt.»3%a Jahren

M2
Nach einem schweren Zerwürfnis mit
Rowohlt im Sommer und Versöhnung
im I lerbst 1 ()29 spielte Musil mit dem
Gedanken einer Rückkehr zu S. I i-
scher. von dem er sich getrennt hatte,
weil nach dem Ersten Weltkrieg we¬
der eine Erneuerung des Redakteurs¬
vertrags bei der «Neuen Rundschau
zustande gekommen noch S. b ischer
bereit war. die «Schwärmer* zu ver¬
legen.

Freitag, d. 28. II. [ 1930 ... kn


habe Samuel Fischer unter Diskretion
gefragt, ob er wirklich nicht mich zu¬
rücknehmen mochte. Ich erwarte eine
Ablehnung; denn von ihm aus gese¬
hen, welchen Grund hätte er, sich ei¬
nen schwierigen Autor, der noch dazu
gegenwärtig gar keinen besonderen
Ruf hat, in seinen Abendfrieden zu
setzen. Dabei ist mir auch gegenwär¬
tig, wie schlecht ersieh mir gegenüber
benommen hat und wie ich gegen ihn
noch viel heftigere Abneigung hatte
als jetzt gegen Rowohlt. Das einzig
Positive ist ein lächerlich romanti¬
sches angenehmes Gefühl’, das die
halbe Stunde in mir hinterlassen hat,
die ich mit der Familie Fischer vorigen
Herbst im Hotel Imperial verbrachte;
es war etwas von resigniertem Alters¬
wiedersehen darin nach vergeblichen
Stürmen. Ich vergesse darüber nicht,
daß er in Geschäften hart und (wo er
keinen großen Gewinn erhofft) klein¬
lich ist. zb. die paar tausend Infla¬
tionsmark, an denen seinerzeit die
Wiedervereinigung scheiterte! Das
Richtige wäre, die Altersgefühle ä
part genießen und keine Geschäfts¬
verbindung mit ihm haben, außer un¬
ter ganz anderen Umständen! Ohne
Affekt gesagt, daß ich mich ihm an¬
biete, ist Demütigung, Friedensbitte
des Besiegten. Noch dazu vergeblich;
und wenn nicht ganz vergeblich, so
nur die Einleitung zu neuen Unan¬
nehmlichkeiten. Was mich trotzdem
bestimmt, ist, daß ich auf meine Zu¬
kunft als Dichter gar nichts mehr gebe
und annehme, daß ich nach Ende des
Romans und von ihm etwas gehoben,
mein Brot als Essayist suchen werde;
dabei ist die kleine Sicherheit, die der
Verlag Fischer bietet, der Unsicher¬
heit Rowohlts vorzuziehen. ''1

Der Verlagswechsel fand nicht


2 statt. Die Verträge mit Rowohlt, viel-
S. Fischer fach gebrochen, blieben in Kraft.

343
I)FR \l \\\ OHNE I K.l \S< II \! ! I

Ara 22. März 1929, in Österreich


als Tag des Buches ausgerufen, no¬
tierte Musil während der Reinschrift
des I. Bandes zum «Mann ohne Eigen-

!
1 schäften»:

U ih sind ohne Bedienung. Das Was-


ser wieder abgesperrt. Aber volle
Frühlingswärme; das (f etter ist ohne
Übergang von den ungewöhnlichen
Schneefällen zu reifer Frühlingsluft
übergegangen.
Ich putze wundervoll Schuhe.
Frau Stanek (KißdieHand) hilft Mar¬
ia aus.
Im <Tag> morgens Getu vom Tag des
Buchs gelesen. Alles Unsinn und Äu¬
ßerlichkeit. 398

Jemanden, der seit fünf Jahren ver¬


zweifelt um die Fertigstellung seines
Buchs kämpfte, mußten Schaufen¬
ster-Aktionen der Buchhändler, die
Verteilung von Handzetteln u. ä. in
der Tat unsinnig und äußerlich Vor¬
kommen. Noch bei der Reinschrift
des Textes 1929/30 tauchten immer
neue unvorhergesehene Schwierig¬
keiten auf. Musil versuchte ihrer mit
der bei Lukäcs gelernten Psychotech-
nik beizukommen, ohne den Ver¬
dacht loszuwerden, daß der Probleme
eventuell eher mit einer Freudschen
Psychoanalyse als mit Adlerscher In¬
dividualpsychologie Herr zu werden
sei. ]

Seit dem Eindruck meine Hemmuncen


könnten doch in die Psychoanalyse
fallen habe ich mir aber wieder fol¬
gendes gesagt: Die Unsicherheit, die
sich einstellt, ist keine andere als die
nervöse, die ich beim Tennis, Fechten,
Maschinschreiben kenne, wenn mir
jemand zusieht oder ich es besonders
gut machen will. Eine allgemein be¬
kannte Erscheinung. Daraus würde
der Wert von Beruhigungsmitteln
(Brom) folgen, Ablenkung, kurz al¬
lem, was die überfixierte Aufmerk¬
1
Robert Musil um 1930,
samkeit verteilt. Siehe das kalte,
Zeichnung Marthas
gleichgültige Gefühl beim Schreiben,
das mir besonders günstig ist. Ent¬
spannen, Unterbrechen, Spazieren 2
gehen. Es muß aber auch eine Tech¬ Tag des Buches in
nik der Abhärtung dagegen geben.39'1 Wien, 22. März 1929

344

i ; ya
Ijär.-
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•((

1 BUCHES

345
\ !
I\ll >S\ Di l IVI10 \\\l\ M Kl

Hfmmi xc: 5.1. 29. Natürlich bei


Beginn der Reinschrift. Erstes Kapitel
neu zu machen; vor 3 Tagen befriedi¬
gende Idee; gestern begonnen, erster
Teil gut geglückt; die Hemmung setzt
ein. Wie tat sie das? Ich habe auch
einen mich befriedigenden letzten
und Hauptteil des ersten Kapitels im
Kopf. Ich setze den ersten Teil in einer
Weise fort, die formal ungeschickt
wirkt und von mir gestrichen wird. Es
fällt mir ein, die nicht verwendete
Schilderung der Geräusche und Ge¬
schwindigkeiten der Großstadt hier
einzuschieben. Es schwebt mir vor,
wie sie in den letzten Teil übergehen
soll. Aber ungenau und nicht fixiert.
Nun ist die klassische Situation ge- ■
schaffen: Zwei fixierte Pfeiler und da¬
zwischen ein Übergang, der nicht zu¬
stande kommen will.
Ich schiebe ihn ein und bringe ihn nur
zum Teil unter. Ich streiche und ver¬
suche es anders. Mißfallen schleicht
sich ein \... i Wenn das so weitergeht,
brauche ich ein Jahr zur Reinschrift.
Immerhin Trost am fertigen Gan-

Das fertige Ganze liest sich so:

A UTOS SCHOSSEN A US SCHMALEN, TIEFEN


Straßen in die Seichtigkeit heller
Plätze. Fußgängerdunkelheit bildete
wolkige Schnüre. Wo kräftigere Stri¬
che der Geschwindigkeit quer durch
ihre lockere Eile fuhren, verdickten sie
sich, rieselten nachher rascher und
hatten nach wenigen Schwingungen
wieder ihren gleichmäßigen Puls.
Hunderte Töne waren zu einem drah¬
1
tigen Geräusch ineinander verwun¬
Wien, Kärntner Straße,
den, aus dem einzelne Spitzen vor¬ um 1930: die Szenerie
standen, längs dessen schneidige des 1. Kapitels zum
Kanten liefen und sich wieder ein¬ «Mann ohne Eigen¬
ebneten, von dem klare Töne absplit¬ schaften»
terten und verflogen. An diesem
Geräusch, ohne daß sich seine Beson¬
derheit beschreiben ließe, würde ein 2
Mensch nach jahrelanger Abwesen¬ Wien, Kärntner Straße,
ca.1911.
heit mit geschlossenen Ilugen erkannt
Ein Vergleich zeigt,
haben, daß er sich in der Reichs -
daß Musil den Zustand
haupt- und Residenzstadt h'ien be¬ von 1930 in das Jahr
finde.*0' 1913 zurückprojiziert

.‘H6
[. •.] har ethas aus der Reihe ge
Sprüngen, eine quer schlagende Be¬
wegung; etwas hatte sich gedreht,
war seitwärts gerutscht, ein schwerer,
jäh gebremster Lastwagen war es,
wie sich jetzt zeigte, wo er, mit einem
Rad auf der Bordschwelle, gestrandet
dastand. Hie die Bienen um das Flug¬
loch hatten sich im Nu .Menschen um
einen kleinen Fleck angesetzt, den sie
in ihrer Mitte freiließen,402

••

T^Tbergiinge schaffen, Antithesen in


der Schwebe halten und Synthesen
bilden sind wichtige Stichworte für
das ganze erste Roman-Kapitel IVor-
aus bemerkenswerter Heise nichts
hervorgeht (und darüber hinaus fin¬
den ganzen Roman).
Wien ist der Schauplatz, aber ein
«durchstrichenes Wien». Die Zeit um
1930 und die vor 1914 sind ineinan-
dergespiegelt, die Figuren Arnheim
und Ermelinda Tuzzi sind gleichzei¬
tig an- und abwesend, und der ge¬
schilderte Verkehrsunfall fand quasi
3 an zwei Schauplätzen statt: einer in
Tödlicher Ver¬ Wien am 17. Oktober 1911, Ecke
kehrsunfall vor Florianigasse und Landgerichtsstra¬
Musils Wiener
ße, unmittelbar vor Musils Haustür,
Haustür, 1911
der andere im Berlin der zwanziger
Jahre. \X ie aus der Erzählung «Der
Riese Aboag» hervorgeht, hat Musil
Verkehrsunfall der einen Unfall der Aboag. der Allgemei¬
ABOAG, Berlin, nen Berliner Omnibus .Aktiengesell¬
zwanziger Jahre schaft, verfolgt.40'1

347
i \
1)1.1! MWNOIINI. I.U;i.\S( II

Das har ein teilweise noch erhalten


gebliebener Garten aus dem acht¬
zehnten oder gar aus dem siebzehn¬
ten Jahrhundert, und wenn man an
seinem schmiedeeisernen Gitter vor¬
beikam, so erblickte man zwischen
Bäumen, auf sorgfältig geschorenem
Rasen etwas wie ein kurzßügeliges
Schlößchen, ein Jagd- oder Liebes-
schlößchen vergangener Zeiten. Ge¬
nau gesagt, seine Traggewölbe waren
aus dem siebzehnten Jahrhundert,
der Park und der Oberstock trugen
das Ansehen des achtzehnten Jahr¬
hunderts, die Fassade war im neun¬ 1
zehnten Jahrhundert erneuert und et¬ Palais Salm, Ra-
was verdorben worden, das Ganze sumofskygasse,
Wien, auf das Musil
hatte also einen etwas verwackelten
aus dem Fenster
Sinn, so wie übereinander photogra¬
hinter seinem
phierte Bilder; aber es war so, daß
Schreibtisch sah.
man unfehlbar stehen blieb und <Ah!> Dieses Palais
sagte.404 schwebte ihm vor
als «Haus und
Und kenn das Heisse, Niedliche, Wohnung des
Schöne seine Fenster geöffnet hatte, Mannes ohne
blickte man in die vornehme Stille der Eigenschaften»
Bücherwände einer Gelehrtenwoh¬
nung.
2
Diese Wohnung und dieses Haus
Robert Musil in
gehörten dem Mann ohne Eigen¬
seinem Arbeitszim¬
schaften f05 mer, ca. 1924

348
349
Dl K \l \\\ OHM I.K.I AM 11 \, 1 i

V^iota\ Donatli promovierte 1904


in \\ ten mit einer Arbeit unter «lern
I uel «Florian Leopold (.assmann als
Operakomponist». Nach kurzen
Gastspielen als Mitarbeiter einer
rheateragentur und als Kapellmei¬
ster wurde Donath 1909 Bibliothekar
an der Akademie für Musik und dar¬
stellende Kunst. Zeitweilig war er
Leiter einer Klasse für Musiktheorie
und Direktor der Abteilung für Kir¬
chenmusik. Fr schrieb Aufsätze über
musikpsychologische Probleme und
komponierte Kammermusik, u. a. ein
Präludium und Fuge für zwei Klavie¬
re, ein Trio für 2 Violinen und Kla¬
vier, ein Streichquartett — alles eher
im Rahmen des Kleinmeisterlichen
wie auch seine Malerei.
Nach seiner Scheidung von Alice
((darisse) und einer neuen I leirat riß
der Kontakt zu Musil im Laufe der
zwanziger Jahre ab — die Standpunk¬
te waren unvereinbar geworden.

ES WÄRE SCHUERZU SAGEN GEWESEN, WAS


Halter wirklich war. Er war ein ange¬
nehmer Mensch mit sprechenden, ge¬
haltvollen Augen [...] eigentlich war
Halter Maler; er hatte gleichzeitig mit
dem Kunstgeschichtsstudium an der
Universität in einer Malklasse der
Staatsakademie gearbeitet und spä¬
ter eine Zeitlang in einem Atelier ge¬
wohnt. Auch als er mit Clarisse in
dieses Haus unter dem freien Himmel
gezogen war [...] war er Maler gewe¬
sen; aber jetzt, so schien es, war er
wieder Musiker und im Lauf seiner
zehnjährigen Liebeszeit war er bald
das eine, bald das andere gewesen,
dazu noch Dichter, hatte eine literari¬
sche Zeitschrift herausgegeben, war,
um heiraten zu können, Angestellter
eines Bühnenvertriebs geworden,
hatte nach wenigen Höchen auf seine
Absicht verzichtet, war, um heiraten
zu können, nach einiger Zeit Theater¬
kapellmeister geworden, hatte nach
einem halben Jahr auch diese Un¬
möglichkeit durchschaut, war Zei¬
chenlehrer, Musikkritiker, Einsiedler
und manches andere gewesen [...]
Sein Lebensweg war eine Kette von
erschütternden Erlebnissen, aus de¬
nen der heroische Kampf einer Seele
1-2
hervorging, die allen Halbheiten wi¬
Gustav Donath
derstand und keine Ahnung davon
(1878-1965),
hatte, daß sie damit der eigenen Jugendfreund Musils,
diente.™' das Vorbild Walters

.150
Sie hau die Tochter eixes Malers
dessen Bühnenentwürfe in der weiten
Heit berühmt waren. Sie hatte ihre
Kindheit in einem Reich von Kulissen¬
luft und Farbengeruch verbracht,
zwischen drei verschiedenen Kunst¬
jargons. denen des Schauspiels, der
Oper und des Malerateliers, umgeben
von Samt, Teppichen, Genie, Pan¬
therfellen, Bibelots, Pfauenwedeln,
Truhen und Lauten. Sie verabscheute
darum aus ihrer ganzen Seele alle
Hollust der Kunst und fühlte sich zu
allem Mager-Strengen hingezogen,
ob es nun die Metageometrie der ato¬
nalen neuen Tondichtung war oder
der enthäutete, wie ein Muskelpräpa¬
rat klar gewordene H ille klassischer
Formen. In ihre jungfräuliche Gefan¬
genschaft hatte Halter die erste Bot¬
schaft davon gebracht. «Lichtprinz*
hatte sie ihn genannt, und schon als
sie ein Kind war, hatten Halter und
sie einander zugeschworen, nicht zu
heiraten, ehe er ein König geworden
sei. Die Geschichte seiner Verände¬
rungen und Unternehmungen war
zugleich eine Geschichte unermeßli¬
cher Leiden und Entzückungen, de¬
ren Kampfpreis sie gebildet hatte

]^^aoh der Therapie bei Prof. Krae-


pelin in München (1910) besserte
sich der Zustand Alices vorüberge¬
hend. Sie brachte einen Sohn Ludwig
zur Welt, aber schon während des Er¬
sten Vieltkriegs waren ihre psychi¬
sche Gesundheit und ihre Ehe so zer¬
rüttet, daß sie sich in die Sattlersche
Villa am Magdalensberg bei K lagen-
furt zurückzog. Von 1926 an war sie
nicht mehr in der Lage, ihren 1 laus¬
3
halt zu führen. Als der I. Band des
Alice Donath
«Mannes ohne Eigenschaften» er¬
(1885-1939), geb.
Charlemont, das schien. war sie bereits vier Jahre in
Vorbild derClaris- der Wiener Irrenanstalt Steinhof in¬
se, porträtiert von terniert, wo sie am 8. Februar 1989
ihrem Vater starb.

351
* Wofür würdest du ihn halten?
Sieht er aus wie ein Arzt, wie ein
Kaufmann, ein Maler oder ein Diplo¬
mat? [...] vielleicht wie ein Mathe¬
matiker Du kannst keinen
Beruf aus seiner Erscheinung erraten,
und doch sieht er auch nicht wie ein
Mann aus, der keinen Beruf hat. [...]
Er weiß immer, was er zu tun hat; er
kann einer Erau in die Augen schaun;
er kann in jedem Augenblick tüchtig
über alles nachdenken; er kann bo¬
xen. Er ist begabt, willens kräftig, vor¬
urteilslos, mutig, ausdauernd, drauf¬
gängerisch, besonnen - ich will das
gar nicht im einzelnen prüfen, er mag
alle diese Eigenschaften haben. Denn
er hat sie doch nicht! Sie haben das
aus ihm gemacht, was er ist, und sei¬
nen Heg bestimmt, und sie gehören
doch nicht zu ihm. Wenn er zornig ist,
lacht etwas in ihm. Wenn er traurig
ist, bereitet er etwas vor. Wenn er von
etwas gerührt wird, lehnt er es ab.
Jede schlechte Handlung wird ihm in
irgendeiner Beziehung gut erschei¬
nen. Immer wirdfür ihn erst ein mög¬
licher Zusammenhang entscheiden,
wofür er eine Sache hält. Nichts ist für
ihn fest. Alles ist verwandlungsfähig,
Teil in einem Ganzen, in unzähligen
Ganzen, die vermutlich zu einem
Lberganzeri gehören, das er aber
1-2
Robert Musil! 931
nicht im geringsten kennt. So ist jede
seiner Antworten eine Teilantwort,
jedes seiner Gefühle nur eine An¬ 3
sicht [.. .]>‘*08 Der Autor 1932

352
353
I : l' l I >S\ i:t| I l\H() \\\ |\ }| Kl

Ulrichs Freixdix ix jexen Tagen


hieß Leontine und umr Liedersänge¬
rin in einem kleinen Variete; sie war
groß, schlank und roll, aufreizend
leblos, und er nannte sie Leona.
Sie war ihm aufgefallen durch das
feuchte Dunkel ihrer Augen, durch ei¬
nen schmerzlich leidenschaftlichen
Ausdruck ihres regelmäßigen, schö¬
nen, langen Gesichts und durch die
gefühlvollen Lieder, die sie anstelle
von unzüchtigen sang. [...] Ulrich
fühlte sich sofort an alte Photogra¬
phien oder an schöne Frauen in ver¬
schollenen Jahrgängen deutscher Fa¬
milienblätter erinnert, und während
ersieh in das Gesicht dieser Frau hin¬
eindachte, bemerkte er darin eine
ganze Menge kleiner Züge, die gar
nicht wirklich sein konnten und doch
dieses Gesicht ausmachten. [...] Sol¬
che Gesichter wandern wie Leichen
früherer Gelüste in der großen Wesen ¬
losigkeit des Liebesbetriebs, und den
Männern, die in die weite Langweile
von Leontinens Gesang gafften und
nicht wußten, was ihnen geschah, be¬
wegten ganz andre Gefühle die Na¬
senflügel als vor den kleinen frechen
Chanteusen mit den Tangofrisuren.
I)a beschloß Ulrich, sie Leona zu nen¬
nen, und ihr Besitz erschien ihm be¬
gehrenswert wie der eines vom
Kürschner ausgestopften großen Lö¬
wenfells. 4,14

In der Figur der Sängerin Eeontine-


Leona reinkarnierte Musil Erinne¬
rungen an Chanteusen des Brunner
1
Varietes «Kasino», evtl, auch an Peter
Die Sängerin Lillian
Altenbergs gefräßige Freundin Bibia¬
Russell in der Zeit¬
na Amon und an Frauen aus den I'a- schrift «Die moderne
milien-lllustrierten. Kunst»

354
Bonadea hak die D ime, die l Jlkicii i.\
seiner unglücklichen Boxnacht geret¬
tet und am folgenden Morgen tiefver¬
schleiert besucht hatte. Er hatte sie
Bonadea getauft, die gute Göttin,
weil sie so in sein Leben getreten war
und auch nach einer Göttin der
Keuschheit, die im alten Rom einen
Tempel besessen hat, der durch eine
seltsame Umkehrung zum Mittel¬
punkt aller Ausschweifungen gewor¬
den ist. Sie wußte das nicht. Der
klangvolle Name, den ihr Ulrich bei¬
gelegt hatte, gefiel ihr, und sie trug
ihn bei ihren Besuchen wie ein präch¬
tig gesticktes I lauskleid. « Ich bin also
deine gute Göttin?* fragte sie — «deine
Bona Den?» — und die richtige Aus¬
sprache dieser beiden llorte eiforder¬
te es, daß sie ihm dabei die Arme um
den Hals legte und ihn mit leicht zu¬
rückgeneigtem Kopf gefühlvoll an¬
blickte f10

M usil kannte May Torok schon


aus der Zeit vor dem Ersten Vi eltkrieg
2
und verwendete Teile ihrer Biogra¬
Gräfin May Török
phie Bereits in seiner Posse «Vin¬
alias Djavidan
Hanum, ehemals zenz». Die erotische Beziehung seines
Frau des Khediven Romanhelden zu ihr ist allerdings fik¬
von Ägypten, das tiven Charakters, entbehrt der Bio¬
Modell Bonadeas graphischen Fakten.

;r>:>
OKR MANN OHM I .IU \S ! i \, : '

Ulrich erinnerte sich dabei an das


Bild einer berühmten Tennisspiele¬
rin, das er vor einigen Tagen in einer
Zeitschrift gesehen hatte; sie stand
auf der Zehenspitze, hatte das Bein
bis über das Strumpfband entblößt
und schleuderte das andere Bein ge¬
gen ihren Kopf, während sie mit dem
Schläger hoch ausholte, um einen
Ball zu nehmen; dazu machte sie das
Gesicht einer englischen Gouvernan¬
te. In dem gleichen Heft war eine
Schwimmerin abgebildet, wie sie sich
nach dem Wettkampf massieren ließ;
zu Füßen und zu Häupten stand ihr je
eine ernst zusehende Frauensperson
in Straßenkleidung, während sie
nackt auf einem Bett am Rücken lag,
ein Knie in einer Stellung der Hingabe
hochgezogen, und der Masseur dane¬
ben hatte die Hände darauf ruhen,
trug einen Arztekittel und blickte aus
der Aufnahme heraus, als wäre dieses
Frauenfleisch enthäutet und hinge
auf einem Haken. Solche Dinge be¬
gann man damals zu sehen, und ir¬
gendwie muß man sie anerkennen, so
wie man die Hochbauten anerkennt
und die Elektrizität,411

D ie seinerzeit überragende franzö¬


sische Tennisspielerin Suzanne Leng-
len sah Musil in einer Zeitschrift wie
in natura. Franz Blei gesteht er am
26. Mai 1925, er habe eine Woche bei
der Tennismeisterschaft von Öster- 1
reich als Zuschauer zugebracht, wohl Suzanne Lenglen
der ergriffenste von allen Zuschauern, beim Prater-Preis
ein alter Kunstreiter, der nach vielen In W'en ^ ^^5
Jahren noch einmal Stallmist
riecht"2.
Das Bild der Schwimmerin fand er o
tatsächlich in einem Journal, das vom Schwimmerin bei
Ullstein-Bilderdienst beliefert wurde. der Massage

356
35:
fflormtfith H3 ärone
DER \l \\\ OHM KIGI NS< II \i

[. . .J AfoOSBRUQCER HATTE EIME FRAL!-


ensperson, eine Prostituierte nieder¬ X1. gdirjana 7lr. 381 7,'ß mit Six/telTang ins ikus.
sten Hanges, in grauenerregender
Heise getötet. Die Berichterstatter
hatten genau eine vom Kehlkopf bis
zum Genick reichende Halsivunde,
ebenso die zwei Stichwunden m der
Brust, welche das Herz durchbohr¬
ten. die zwei in der linken Seite des
Sibminiftration: SOitit, ken 17. "(ugiift 1910. sJL>Jonat$.2lbo»uif me nt i
Rückens und das Abschneiden der IXIU ftacitrgaitc 29, Irl. 15744. ffct >i( «roslni (mit U«<‘4rl
^tabtBurenit: y JOkaktUits fflim. IX/1, 3Srnmtrga|Tt J3. t.r * •fhKrJfibmio)
Brüste beschrieben, die man fast ab¬ J.. Stinlrnrrnvr 11. 7927. %&. UKÄ. tslal-ZcL lU3a WaauiTrtst« trettra ouM jut&fgtfteSL r: 1 ßrone 60
heben konnte; sie hatten ihren Ab¬
sehen davor ausgedrückt, aber sie
hörten nicht auf. bevor sie fünfund¬
dreißig Stiche im Bauch gezählt und
die fast vom Nabel bis zum Kreuzbein
reichende Schnittwunde erklärt hat¬
ten, die sich in einer Unzahl kleinerer
den Rücken hinauf fortsetzte, wäh¬
rend der Hals Würgspuren trug.*'*

n
_L/ as Modell für Christian Moos-
brugger ist der Zimmermann Chri¬
stian Voigt aus Tettau in Ober-
franken.
Voigt hatte schon eine längere krimi¬
nelle und psychiatrische Karriere hin¬
ter sich, ehe es in Wien zu der ent¬
scheidenden Tat kam. Er hatte 1897
einen Kollegen niedergestochen und
1902 ein Mädchen ermordet. Deswe¬
gen war er bis 1906 in der Irrenan¬
stalt Bayreuth interniert. Für vier Mo¬
nate konnte er nach Wien fliehen,
wurde zurückgebracht und 1909 als
angeblich geheilt entlassen. In der
Nacht vom 13. auf den 14. August
1910 tötete er im Prater eine Gelegen¬
heitsprostituierte — die Tat, die Musil
schildert.
Alle Einzelheiten des Prozesses gegen
(Srmorbctc
Voigt, der im Oktober 1911 statt¬ Jln* Juftmart» in Bev* ginfcn*mn ogucitjicrt.
fand, entnahm Musil den WienerZei-
4I4
tungen.
1
Während der Arbeit am Roman ak¬
tualisierte sich für den Autor der Fall
Voigt durch den Sensationsprozeß
gegen Fritz Haarmann.413
Der Fall dieses Massenmörders hatte
1924 eine große Öffentlichkeit. Über 1
Haarmanns Taten und über den Pro¬ Bericht der «Illu¬
zeß mit seiner Diskussion über die strierten Kronen-
Zurechnungsfähigkeit des Täters er¬ Zeitung», Wien,
über den Mordfall
schienen Hunderte von Artikeln und
des Zimmermanns
von Theodor Lessing ein ganzes
Christian Voigt
Buch. Musil verfolgte diese Berichte
(1878-1938), das
zur Ergänzung seines Materials über Modell des Sexual¬
Voigt - so wie er 1930/31 auch den mörders Moos-
Fall Kürten nicht unbeachtet ließ. brugger

338
Mnn 21. Cftober 1911. JtHuflrierte Sronen.jleiiunR.
*r. 4*<2. Sri)» 5.

veRT ^iOHÖNBRUMN

Es IIAH H IE DEM KAMPF EI XES ScilAT


tens mit der Hand, und zum Schluß
flackerte Moosbruggers Schatten nur
nach gräßlich. Bei dieser letzten ler-
handlung war l Irich dabei. Als der
Vorsitzende das Gutachten vorlas.
das ihn als verantwortlich erklärte,
erhob sich Moosbrugger und tat dem
Gerichtshof kund: *Ich Inn damit zu¬
frieden und habe meinen Zweck er¬
p.
reicht.» Spöttischer Unglaube in den
Augen rings umher antwortete ihm.
und er fügte zornig hinzu: «Dadurch.
•U m *1
daß ich die Anklage erzwungen habe,
bin ich mit dem Beweisverfahren zu¬
frieden!» Der Vorsitzende, der jetzt
ganz Strenge und Strafe geworden
war, verwies es ihm mit der Bemer¬
kung, daß es dem Gerichtshof nicht
<bc&jse-r?T~££\A.*£Ct?-o*M]}_.
-*0. f.
auf seine Zufriedenheit ankomme.
Dann las er ihm das Todesurteil vor,
6in guter SoHrge. ™ geferjt, toenn Sie fcBcn nie^t bas ©cbiirfniS genau so, als ob der Unsinn, den
vl5 fcjetbcn nun etile Steifer bon 3eiK'fn brniwimen, feie babin, gQt ©eluijicn erleirf)tern, bann tun (Bie e| mit
:n S^itclwuldKn arfunbenen efolljtob unk ko« 3 u 11 e b c unb berföaffen Sie mit bie p e r f ö n I i tfc e @ e . Moosbrugger zum Vergnügen aller
' t r als ©iflcn.um Briefs erlennen. lir mcifte i Sengen, nugtuung unb gegeben Sie mir e§ etn,
SfoIIcsen bcS Slnflcüafltm, erllätcn Bois't a.s fluten dngefl. (ladjcfnb): ^abc mir nidjt gebaut, ban Anwesenden während der ganzen
e ä ? n, einer nennt itm gutmütig, (§in Seuge fagl, mxb bte SB« unb ©enugtuung $abcn tuerbc, ben £»eccn
n(*fiaate habe ifent feSit ergäblt. er brie einem Kdbdjcn »crartninar gier ju fe^en. Verhandlung gesprochen hatte, nun
. ben 9!cd ouigefduiil.tn. SBatum. feabc Boigt niefit gefugt. «r1 °.a 1 ö o n to a l tr $umor fat er. (^uierieit.)
lur* bie öingcrabbriitfe rntbeit. or i .Tr 3cußc ben Saal pcrlößt, berbeugte iirfi ber auch einmal ernst beantwortet wer¬
?Tngrfiagtc Iadjclnb bor i^m.
'•Eolijetobcrfemnuiiät SDr. S i 4 6 c r g gab fein bäht)-
- '*cs ©utadjlen bc$in ab, bafj bie ^anbaubriide auf ber tuiD bab Opfer nidjt bclcibigcn.
den müßte. Da sagte Moosbrugger
;5« bce tf miorbctcn bur* einen Bcrgictd) als b o n B o i g t
: ii b r e n b bclannt tturben. S>icfe ©id'erf|cit fei burdi t•u ® Spiplopf unb ber Cor» nichts, damit es nicht wie ein Schreck
uatfealgrnbe ©ejtänbnts Boigts iu>± bcjtäligt unb t * b.e n b e fleUcn uerfcfy-.ebcne gragen an ben 2lngcflact:r.;
a b t motben 9!a* bem ©taube ber Bij|cnf<baft beft-*! Sicjcr fagt, er $abt fiel) 3ur gart bec Xat f ebr j * tx> a dj aussehe. Dann wurde die Verhand¬
•geruht.
ui fein 3»eife(. bafj ber fjingerabbrud nur bom Meinen
ger ber regten $ani Boigts betrübten tonne. — S o i g t f95«t toäBrenb er fprkijt in immer grofecre lung geschlossen, und alles war vor¬
!■: Soren Sie beim Boliaeieetbör jugegen? — ioftor S r r e g u n g); ftxir Iran! unb batte bag a^abdjcr
bei.mir;, beten STörpcr baejelbe Serben trug . . . i* bei. Da aber wankte doch sein Geist;
•' ' eg: S:in. 2)ie gtnuernabme beforgte Boliaeifmnmijfär
Seinberget. — B r ä f.: Berftänbigen ©ic ben babi mr* baton fl6eraeugt ... Sic mar a 5 ft o k e n b
einherget/bofc et am 9to*mitlog bicr als Heute erfdjeint. : • (®cf'nni ft4) ... toi II bas Opfer er wich zurück, ohnmächtig gegen
-Vierenif trat bie KittagSpaufe etn. n^iiBt beleibt gen . . füllte muB friBtoodB...—
etaatßantoalt (untecbred>enb): <Die SK c f f e c (t i jfi c
ftnb mit g r o c t Ä ra f t gefüBrt. den Hochmut der Verständnislosen;
Sn fleöeimer »erBanöfuns.
$nm«r pat er. fttrdile ben ©nrjen ttidj). er drehte sich um, den schon die Ju¬
her Sto#mittagSt>crI)anblung, bie g t $ e i m geführt . 8 L(i" s<toct:J uni> :
®ut auSEirecfcrnb) SJion tr.
fontmt afict Straft. Kan tetammt filöblitbr Slraft ST^in stizsoldaten hinausführteri, kämpfte
' tmiib: oli «n'tct 3cuge bec J^oliaeilommiflär £ugo
M Untcroang getne^t . . . SSut uni HWifieu . .
n J c r fl c 1 unternommen, gc -gibt an. ber angtflagte (©udft tn ©rteflung nod) Sorten): 3^ fyi,' fein« Oirüni, Sir um Horte, reckte die Hände empor
anfangs geleugnet, fpäter aber ein ©citänbni® Abgelegt,
angulcirgnen . . . 3 d) f ü r 4> 11 i t i n e © t r a f t. Kit ift
ifuge fogt: (Bin äufecrer ßtoang ift auf iJ&n ntc?t und rief mit einer Stimme, welche die
tnorben. 5>ie Unterrebungert jtoifdjen iljni unb uiir «e*8.“ v”0* !''.' Beeten unBfüiIid)en Seien aef*iebt
ffllaubcn ©t« leb baie einmal einen gitletlbufef orbait
*n einer gelle unter bicr &.«gca jtattgefunben. Stöße seiner Wächter abschüttelte:
©a tooHtr einen meieren in brr menfätidjeii ®cfcn.'
3>er SJngenogte Bat Beute Bi« gejagt. Eie Ja^ift emnebmen als ein jtoeifacBer SKörbet Sfbet
oaS ©eftänbnig bon if>m bedangt i$n barmn mit Per Hch bin damit zufrieden, wenn ich
mein ©etoifien. i<6 h o 6 e ein »aoiffen. menn au* iraentaw
ioll eßi?tCn' CC ^ biCf<n Ct^oIß gcniricicn fteit. iafi i<b feines baie. Kein ©eroiffen Bet
lang! »an mit: « a g 1; i i e SB a 6 r * e i tl Hbcr fürste mit» Ihnen auch gestehen muß, daß Sie
«* ^ V ^iefc ^cufeerung ift in einer anberen gorm nirbt. an* m*t Bor ket bö*ften ©träfe, niil twr @ift uni
w ^»ite bie Uebetaeugung. bafe B*igt bec Xätcr ift n 4 * t Ber bem »eigen. .. " . J einen Irrsinnigen verurteilt haben!»
Das war eine Inkonsequenz; aber Ul-
2 Eich saß atemlos. Das war deutlich
Irrsinn, und ebenso deutlich bloß ein
verzerrter Zusammenhang unsrer
eignen Elemente des Seins. Zerstückt
und durchdunkelt war es; aber Ulrich
fiel irgendwie ein: wenn die Mensch¬
heit als Ganzes träumen könnte,
müßte Moosbrugger entstehn. Er er¬
nüchterte sich erst, als der *elende
Hanswurst von Verteidiger», wie ihn
Moosbruggers Undank einmal im
Lauf der Verhandlung genannt hatte,
wegen irgendwelcher Einzelheiten die
2 Nichtigkeitsbeschwerde anmeldete,
Christian Voigt auf während ihrer beider riesiger Klient
der Anklagebank abgeführt wurde.4'6
v ! I i\ i I )SV Dl I MMHO \W l\ BIG

;
[...}Ulrich [...] malte ihr kräftig
das Schicksal aus, das Moosbrugger
bevorstand. <Zwei Männer werden
ihm die Schlinge um den Hals legen,
ohne daß sie im geringsten böse Ge¬
fühle gegen ihn hegen, sondern bloß
weil sie dafür bezahlt sind. Vielleicht
hundert Menschen werden Zusehen,
teils weil es ihr Dienst verlangt, teils
weil ein jeder gern einmal im Leben
eine Hinrichtung gesehen haben will.
Ein feierlicher Herr in Zylinder, Frack
und schwarzen Handschuhen zieht
die Schlinge an, und im gleichen Au¬
genblick hängen sich seine zwei Ge¬
hilfen an die zwei Beine Moosbrug-
gers, damit das Genick bricht. Dann
legt der Herr mit dem schwarzen
Handschuh die Hand auf Moosbrug¬
gers Herz und prüft mit der sorgenden
Miene eines Arztes, ob es noch lebt

r
VJ hristian Voigt wurde im Oktober
1911 zum Tod durch den Strang ver¬
urteilt. Im Februar 1912 begnadigte
ihn der Kaiser zu lebenslangem
schwerem Kerker.
Voigt wurde in das Zuchthaus Gar¬
sten bei Steyr gebracht und verbüßte
dort eine fast zwanzigjährige Haft. Im
1
Dezember 1930 wurde er mit fünf-
Hinrichtung in
riger Bewährungsfrist begnadigt,
Österreich-Ungarn
kehrte nach Deutschland zurück und während des Ersten
starb am 18. Mai 1938 in Nürnberg. Weltkriegs

360
2
Die Parallelaktion:
Huldigung der
deutschen Bundes¬
fürsten am 7. Mai 1908
an Kaiser Franz
Joseph I. in Schön¬
In Deutschland soll im Jahre 1918,
brunn aus Anlaß
u. zw. in den Tagen um den 15. FI.
des 60. Regie¬
herum, eine große, der Hielt die Größe
rungsjubiläums.
und Macht Deutschlands ins Ge¬
6. v. r. Kaiser
Wilhelm II. dächtnis prägende Feier des dann
eingetretenen 30jährigen Regie-
rungsjubiläums Kaiser Wilhelms 11.
3 stattfinden [...] Nun weißt Du wohl
Fünfundzwanzig¬ auch, daß in dem gleichen Jahre un¬
jähriges Regie¬ ser verehrungswärdiger Kaiser das
rungsjubiläum 70jährige Jubiläum Seiner Thronbe¬
Kaiser Wilhelms II. steigung feiert und daß dieses Datum
1913: Einzug des
auf den 2. Dezember fällt [...] ich
Zaren in Berlin
kann Dir verraten, dajs in Wien eine
Aktion im Gange ist, um [...] das vol¬

4 le Gewicht eines 70jährigen, segens-


Parade der deut¬ urid sorgenreichen Jubiläums gegen¬
schen Truppen vor über einem bloß 30jährigen zur Gel¬
dem Kaiser tung zu bringen.4I8

361
DLR MAW <>ll\l I K.I.Nm IIU'II \

St. Erlaucht ihr der Erfinder der


grüßen vaterländischen Aktion. Ihm
u'ar. als die aufregende Nachricht
aus Deutschland kam. zuerst das
Hort Friedenskaiser eingefallen. Es
halte sich sofort damit die Vorstellung
eines 88jährigen Herrschers ver¬
knüpft. eines wahren Vaters seiner
Völker [...] Überhaupt war der Zu¬
satz €der wahret zu politischen Ge¬
sinnungen eine seiner Hilfen, um sich
ui einer von Gott geschaffenen, aber
ihn zu oft verleugnenden fielt zu¬
rechtzufinden. Er war fest überzeugt,
daß sogar der wahre Sozialismus mit
seiner Auffassung übereinstimme, ja
es war von Anfang an seine persön¬
lichste Idee, die er sogar sich selbst
noch teilweise verbarg, eine Brücke
zu schlagen, auf der die Sozialisten in
sein Lager marschieren sollten [...]
«wir alle sind ja im Innersten Soziali¬
sten» war ein Lieblingsausspruch von
ihm und hieß ungefähr so viel und
nicht mehr, wie daß es im Jenseits
keine sozialen Unterschiede gibt.*'9

-Musil nutzte für die Gestalt des


Grafen Leinsdorf zwei Vorbilder:
Aloys Prinz Liechtenstein, den er per¬
sönlich offenbar nicht kannte, und
Franz Graf Harrach, mit dem er
während seiner Zeit als Redakteur
der «Soldaten-Zeitung» 1916/17 in
Kontakt gekommen war. Die theore¬
tischen Konzeptionen, die Graf
Leinsdorf im Roman vertritt, sind
weitgehend Gedankengut Liechten¬
steins und seines Gesinnungsfreunds
Karl von Vogelsang. In seinem Tage¬
buch notierte Musil die antiliberalisti-
sche Stoßrichtung von Liechtensteins
Politik:

Hat wie ai ch andre Aristokraten das


Elend des Gewerbestands entdeckt.
Ressentiment gegen die Finanz. Der
Liberalismus muß wirtschaftlich an¬
gegriffen werden [...] Zerstreute bei
Hof und im hohen Klerus die Furcht 1
vor dem demagogischen Ungestüm Aloys Prinz
Liechtenstein
• Eine andre Theorie von ihm: «Je¬
(1846-1920)
der Mensch besitzt ein Amt im Staa¬
te.» Der Arbeiter, der Fürst, der
Handwerker sind Beamte. (Könnte 2
eine vorübergehende Berührung mit Franz Graf Harrach
einem Sozialistenführer geben! (1870-1937)

362
Der MITTELGROSSE, ETUI SECHZIGJÄH
rige Mann saß reglos vor seinem
Schreibtisch, die Hände im Schoß
verschränkt; und wußte nicht, daß er
lächelte. Er trug einen niederen Kra¬
gen, wed er Anlage zu einem Blähhals
hatte, und einen Knebelbart entwe¬
der aus dem gleichen Grund oder weil
er damit ein wenig an die Bilder böh¬
mischer Aristokraten aus der Zeit
Wallensteins erinnerte. Ein hohes
Zimmer stand um ihn, und dieses war
wieder von den großen, leeren Bäu¬
men des Vorzimmers und der Biblio¬
thek umgeben, um welche, Schale
über Schale, weitere Bäume, Stille,
Devotion, Feierlichkeit und der Kranz
zweier geschwungenen Steintreppen
sich legten; wo diese in die Einfahrt
mündeten, stand in schwerem, tres¬
senbeladenem Mantel, seinen Stab in
der Hand, der große Türhüter, ersah
durch das Loch des Torbogens in die
helle Flüssigkeit des Tags, und die
Fußgänger schwammen vorbei n ie in
einem Goldfischglas. An der Grenze
dieser beiden Helten zogen sich die
spielerischen Banken einer Bokoko-
fassade hoch, die unter den Kunstge¬
lehrten nicht nur wegen ihrer Schön¬
heit berühmt war, sondern auch weil
sie höher war als breit; sie gilt heute
als der erste Versuch, die Haut eines
breit bequemen Landschlößchens
3 über das auf bürgerlich beengtem
Palais Daun-Kinsky Grundriß hochgeratene Gerüst des
auf der Freyung in
Stadthauses zu spannen, und damit
Wien, Vorbild für das
als einer der wichtigsten l bergänge
Palais Leinsdorf
von der feudalen Grundherrlichkeit
zum Stil der bürgerlichen Demokra¬
4 tie. Hier ging die Existenz der Leins¬
Treppenhaus im dorfs kunstbücherlich beglaubigt in
Palais Daun-Kinsky den Weltgeist überf 1

363
DI R M \\N OHM I ICI.NSt 11 M i

D iotima alias Ermelinda Tuzzi. die


«Seele» der Parallelaktion, ist eine
hochsynthetische Figur. Musil dachte
an das <Edelfett> der Tänzerin Isadora
Duncan ebenso wie an das <Schmalz>
in den Texten der Schriftstellerinnen
Agnes Harder, Margarete Susmami
und Ellen Key.
An Hand früherer Skizzen, in denen
der Romanheld noch nicht Anders
oder Ulrich heißt, sondern Achilles,
kann man die Entstehung der Figur
nachvollziehen:

A CHILLES HAT EINEN S TREIT MItMäRGA-


rete Susmann — Ellen Key' usw. — Ag¬
nes Harder. Man sagt von ihr, sie ist
eine zweite Diotima. Noch nie ist et¬
was so Edles seit Platos Gastmahl ge¬
schrieben worden. Wie schön ist In¬
halt und Form zugleich, wie eins sind
Dichter und Denker (Wenn sie
spricht. Denn sie schreibt nur hie und
da ; in der Frankfurter Zeitung und in
der Neuen Freien Presse.) Ebenso tief
wie umspannend. Liebe als Religion.
Vergißt nicht das Menschliche im
Weiblichen, noch das Weibliche im
Menschlichen.
Achilles will so viel Dummheit wie in 1
diesen Verwechslungen liegt, nicht Isadora Duncan
(1878-1927)
glauben. Diese Frau ist die Folie für
Agathe! Achilles erkennt es für wichti¬
ger diese Frau zu bekämpfen als die
2
soziale Aktion zu fördern. Dies ist das Margarete Sus-
erste seiner Verbrechen. mann (1872-1966)

364
«Hier ist das Buch, in dem die sich
widersprechenden Irrungen und Wir¬
rungen unserer Zeit als tiefgefaßte
Probleme neu geschaut sind.»
«Das Sehnen der Seele vom Leben er¬
löst und vom Sein verschlungen zu
werden, was sie doch nicht erreichen
kann, ohne sich dem Leben hinzuge¬
ben und von ihm durchpulsen zu las¬
sen. Hier werden Probleme aufge¬
deckt. die an die letzten Geheimnisse
der Seelen reichen.» \...] «Wir haben
im heutigen Leben nichts, das ein
Äquivalent bilden könnte zu der vol¬
len, realen Hingabe von Leib und

3 Seele in vergangenen Zeiten, wie sie


Agnes Harder in den Taten der Märtyrer sich
(1864-1934) vollzog.» —
Aber das ist ja Quatsch, schreit
Achilles!
4 Agathe ist der Mensch, der diese Din¬
«Liebe» von
ge nicht intellektuell auslegen kann
Agnes Harder
und viel tiefer bleibt. Überhaupt der
(1905)
Mensch, der nicht durch systemati¬
sches Denken, sondern durch die
5 Gleichheit der wichtigen Ge¬
Ellen Key schmacksreaktionen zu ihm ge¬
(1849-1926) hört! 422

365
1)1 U \l \\\ (IHM I K.l \M !

Er hatte sich [... ] schon oft nach


den besondrer! Eigenschaften dieser
Frau erkundigt, aber niemals darauf
befriedigende Antwort erhalten. Es
hieß entweder: »Sie hat eine unbe¬
schreibliche geistige Anmut• oder:
»Sie ist unsere schönste und geschei¬
teste Frau>, und manche sagen ein¬
fach: »Sie ist eine ideale Frau!» — »ft ie
alt ist denn diese Person?» fragte Ul¬
rich, aber niemand wußte es, und ge¬
wöhnlich war der Befragte darüber
erstaunt, daß er selbst noch nicht
darauf gekommen sei, sich das zufra¬
gen. find wer ist denn nun eigentlich
ihr Geliebter?» fragte Ulrich schlie߬
lich ungeduldig. »Ein Verhältnis?»
Der nicht unerfahrene junge Mann,
zu dem er so sprach, staunte. »Sie
haben ganz recht. Kein Mensch käme
auf diese Vermutung.» »Also eine gei¬
stige Schönheit» sagte sich Ulrich;
»eine zweite Diotima.» Und von die¬
sem Tag an nannte er sie in Gedanken
so, nach jener berühmten Dozentin
der Liebe.*2*

M .
1 ▼ JLusil verkehrte vom Ende des Er¬
sten Weltkriegs an bis zur Emigration
1938 in Hause von Eugenie
Schwarzwald, das als Vorbild für den
Salon Ermelinda Tuzzis alias Dioti-
mas diente. Bei ihr war —wie bei Alma
Mahler-Werfel und Bertha Szeps-
Zuckerkandl — das geistige Wien zu
Gast: Adolf Loos. Oskar Kokoschka,
1
Die Wiener Philan¬
Arnold Schönberg, Egon Friedeil. Ja¬
thropin und
kob Wassermann sind ein paar bei¬
Reform-Pädagogin
spielhafte Namen aus ihrem Umkreis.
Dr. Eugenie
Ein Kontakt mit Kathenau alias \rn- Schwarzwald
heim ist nicht überliefert. (1872-1940) 1

366
Gegen diesen Snmoxsi hie Ti //im
saß Ulrich kein geringeres Vorurteil
wie gegen seine Gattin. Er war in ei¬
nem Ministerium [...] der einzige
bürgerliche Beamte m maßgebender
Stellung, leitete darin die einflu߬
reichste Sektion, galt als die rechte
Hand, gerüchtweise sogar als der
Eopf seiner Minister und gehörte zu
den wenigen Männern, die auf die Ge¬
schicke Europas Einfluß hatten.
Wenn aber in so stolzer Umgebung ein
Bürgerlicher zu solcher Stellung auf¬
steigt, darf man füglich einen Schluß
auf Eigenschaften ziehen, die in einer
vorteilhaften Heise persönliche Un¬
entbehrlichkeit mit bescheidenem Zu-
rücktretenkönnen vereinen müssen,
und Ulrich war nicht weit davon ent¬
fernt, sich den einflußreichen Sek¬
I tionschef als eine Art properen Kaval¬
'• /£//
SuftrAZl-ßbpAjh/ •■/ • -jt-, C-t leriewachtmeister vorzustellen, der
hochadelige Einjährige kornmandie-
O 424
ren m uß.

H ermann Schwarzwald alias Tuz¬


zi war von 1914 bis 1917 im W iener
Handelsministerium tätig, 1917 wur¬
de er ins Finanzministerium berufen.
Als Sektionschef leitete er von 1919
bis 1923 dessen Kredit- und W äh-
rungssektion. Von 1923 bis 1925 war
er Generalrat der Anglobank. Seine
Verdienste um die Stabilisierung der
zerrütteten österreichischen Wäh¬
rung und um die Gründung der No¬
tenbank trugen ihm den Ehrentitel
2 eines Baumeisters des neuen Öster¬
Sektionschef reich ein. Äußerlich wurde er so be¬
Hermann Schwarz¬ schrieben: kaum mittelgroß, zart,
wald (1871-1938), blutleeres Antlitz, spärliches Haar,
das Vorbild für kurzsichtige Augen unter scharfer
Sektionschef Tuzzi
Brille, Schmollippen, auf verkürztem
Bein einen dicken Schuh schleppend,
auffallend schöne Hände, mißtraui¬
3
Dr. Hermann sche Visage eines verhärmten Staats¬
Schwarzwald nach anwalts, ein Tatsachenmensch, dem
einer Zeichnung nur Fakten und Zahlen imponieren,
von Oskar aber doch auch geistreich, witzig und
3 Kokoschka I
ironisch.
425

367
I |(.| NS< I'
1)1.» \l \\\ OMNI

Dtortms Gesellschaften waren be


rühmt dafür, daß man dort an großen
Tagen auf Menschen stieß, mit denen
man kein llort wechseln konnte, weil
sie in irgendeinem Fach zu bekannt
waren, um mit ihnen über die letzten
Neuigkeiten zu sprechen, während
man den Namen des Wissensbezirks,
in dem ihr Weltruhm lag, in vielen
Fällen noch nie gehört hatte. Es gab
da Kenzinisten und Kanisisten, es
konnte Vorkommen, daß ein Gram¬
matiker des Bo auf einen Partigenfor¬
scher, ein Tokontologe auf einen
Quantentheoretiker stieß, abzusehen
von den Vertretern neuer Richtungen
in Kunst und Dichtung, die jedes Jahr
die Bezeichnung wechselten und ne¬
ben ihren arrivierten Fachgenossen in
beschränktem Maße dort verkehren
durften. Im allgemeinen war dieser
Verkehr so eingerichtet, daß alles
durcheinander kam und sich harmo¬
nisch mischte; nur die jungen Geister
1
Wohnung des
hielt Diotima gewöhnlich durch ge¬
Ehepaars Schwarz¬
sonderte Einladungen abseits und
wald in der Josef¬
seltene oder besondre Gäste verstand
städter Straße,
sie unauffällig zu bevorzugen und Wien, eingerichtet
einzurahmen. 6 von Adolf Loos

368
Dr. Paul Arnheim har nicht nur ein
reicher Mann, sondern er war auch
ein bedeutender Geist. Sein Ruhm
ging darüber hinaus, daß er der Erbe
weltumspannender Geschäfte war,
und er hatte in seinen Mußestunden
Bücher geschrieben, die in vorge¬
schrittenen Kreisen als außerordent¬
lich galten. Die Menschen, die solche
rein geistigen Kreise bilden, sind über
Geld und bürgerliche Auszeichnung
erhaben; aber man darf nicht verges¬
sen, daß es gerade darum für sie et¬
was besonders Hinreißendes hat,
wenn ein reicher Mann sich zu ihres¬
gleichen macht, und Arnheim verkün¬
dete in seinen Programmen und Bü¬
chern noch dazu nichts Geringeres als
gerade die Vereinigung von Seele und
Wirtschaft oder von Idee und Macht.
Die empfindsamen, mit der feinsten
Witterung für das Kommende begab¬
ten Geister verbreiteten die Meldung,
daß er diese beiden, in der Welt ge¬
wöhnlich getrennten Pole in sich ver¬
eine, und begünstigten das Gerücht,
2
daß eine moderne Kraft auf dem Hege
Walther Rathenau
(1867-1922), wich¬ und berufen sei, einstmals noch die
tigstes Modell des Geschicke des Reichs und wer weiß
«Großschrift¬ vielleicht der Welt zum Bessern zu
stellers» Arnheim lenken.42
DI .K MANN OHM I .ICI .NM 11 \ •

VON

kommenden dingen

VON

WALTHER RATHENAU

Er har ein Mann grossen Formats.


Seine Tätigkeit breitete sich über
Kontinente der Erde wie des Wissens
aus. Er kannte alles: die Philosophen,
S. FISCHER • VERLAO • BERLIN
die Wirtschaft, die Musik, die Welt,
den Sport. Er drückte sich geläufig in
fünf Sprachen aus. Die berühmtesten
Künstler der Welt waren seine Freun¬
de, und die Kunst von morgen kaufte
er am Halm, zu noch nicht hinaufge¬
setzten Preisen. Er verkehrte am kai-
: serlichen Hof und unterhielt sich mit
Arbeitern. Er besaß eine Villa in
modernstem Stil, die in allen Zeit¬
schriften für zeitgenössische Bau¬
kunst abgebildet wurde, und ein
wackliges altes Schloß irgendwo in
der kärgsten adeligen Mark, das ge¬
radezu wie die morsche Wiege des
preußischen Gedankens aussah.
j Solche Ausbreitung und Aufnahmefä¬

i
higkeit ist selten von eigenen Leistun-
' gen begleitet; aber auch darin mach-
2
; te Arnheim eine Ausnahme. Er zog
sich ein- oder zweimal im Jahr auf
sein Landgut zurück und schrieb dort
die Erfahrungen seines geistigen Le¬
bens nieder. Diese Bücher und Ab¬
handlungen, deren er nun schon eine
| stattliche Reihe verfaßt hatte, waren
, sehr gesucht, erreichten hohe Aufla- 1

t
3 gen und wurden in viele Sprachen
j übersetzt; denn zu einem kranken
* Arzt hat man kein Vertrauen, was
aber einer zu sagen hat, der es ver¬
standen hat, für sich selbst zu sorgen,
daran muß doch wohl mancherlei
Wahres sein. Dies war die erste Quelle
Rathenaus Schrift
«Von kommenden
Dingen» (1916)

2
Schloß Freien¬
waide, Landsitz
seiner Berühmtheit.*2* Rathenaus
Er besass in seinem Berliner Wohn-
haus einen Saal, der ganz voll mit
barocken und gotischen Skulpturen
war. Nun bddet aber die katholische
Kirche (und Arnheim hatte große Lie¬
be zu ihr) ihre Heiligen und die Ban¬
nerträger des Guten meistens in sehr
beglückten, ja verzückten Stellungen
ab. Da starben Heilige in allen La¬
gen, und die Seele rang die Körper wie
ein Stück Wäsche, aus dem man das
Wasser preßt. Die wie Säbel gekreuz¬
ten Gebärden der Arme und der ver¬
wundenen Hälse, losgelöst aus ihrer
ursprünglichen Umgebung und in
einem fremden Zimmer vereinigt,
machten den Eindruck einer Katato-
3 nikerversammlung in einem Irren¬
Wohnhaus Walther haus. Diese Sammlung wurde sehr
Rathenaus im Gru-
geschätzt und führte viele Kunstge¬
newald
lehrte zu Arnheim, mit denen er sich
gebildet unterhielt, aber er setzte sich
4 auch oft allein und einsam in seinen
Sammlung von Saal, und dann war ihm ganz anders
Plastiken in Rathenaus zumute; ein schreckartiges Staunen
Wohnzimmer war in ihm wie vor einer halb irrsinni¬
(postumer Zustand) gen Weltf 29

371
DKR \l WMIIIM I ICI NS( 11 \I : I \

Fk(jT7. AU. SfJXER Busiemtheit üAll


Solimans Phantasie aus wie ein Na¬
delkissen voll Schwertern und Dol¬
chen. und in allem, was er HacheI von
Arnheim erzählte, donnerte es von
Roßhufen. und es schwankten
Fackeln und Strickleitern. Fr vertrau¬
te ihr an. daß er gar nicht Soliman
heiße, und nannte ihr einen langen,
sonderbar klingenden Namen, den er
so schnell aussprach, daß sie sich ihn
niemals merken konnte. Später fügte
er das Geheimnis hinzu, daß er der
Sohn eines Negerfürsten und seinem
later, der tausende Krieger, Rinder,
Sklaven und Edelsteine besitze, als
Kind gestohlen worden sei; Arnheim
habe ihn gekauft, um ihn dereinst
dem Fürsten furchtbar teuer wieder
zu verkaufen [... 430

_/\.ls Kind aus Nordafrika nach Eu¬


ropa verschlagen, lebte Soliman bis
zu seinem Tod als hochfürstlicher
Mohr in Wien und wurde danach aus¬
gestopft. Musil entnahm seine Le¬
bensdaten einer 1922 erschienenen
biographischen Studie431 und atta-
chierte Soliman in poetischem Ana¬
chronismus dem Nabob Arnheim. Die
Abenteuer Solimans mit Diotimas
Zofe Rachel sind Musils Erfindung.

iMaria (Mieze) Schneider lebte in


den zwanziger Jahren im Hause
Schwarzwald, in dem der Schulbe-
trieb mit der Häuslichkeit kommuni¬
zierte und schöne, gepflegte junge
Damen Pagendienste leisteten. Mieze
j Schneider sorgte als Kosmetikerin für
die Schönheit der Hausherrin und ih¬
res Kreises. Diotimas Zofe Rachel
kann einige Modelle gehabt haben —
sie mag eines davon gewesen sein.

Fix eleixesS n :benmädchen mit träl /-


merischen Augen geleitete ihn. Im
Dunkel des Vorzimmers waren ihre
Augen wie ein schwarzer Schmetter¬
ling gewesen, als sie zum erstenmal 1
an ihm emporflatterten; jetzt beim Angelo Soliman
Fortgehn sanken sie durch das Dun¬ (1721-96)
kel wie schwarze Schneeflocken. Et¬
was Arabisch- oder Algerisch-Jüdi¬
2
sches, eine Vorstellung, die er nicht
Maria (genannt
1 deutlich in sich aufgenommen hatte,
Mieze) Schneider,
| war so unbeachtet lieblich um diese
Haustochter bei
Kleine, daß Ulrich auch jetzt vergaß, Familie Schwarz¬
I sich das Mädchen genau anzu.se/in; wald

372
erst als er sich auf der Straße befand,
fühlte er, daß nach Diotimas Gegen¬
wart der Anblick dieser kleinen Per¬
son etwas ungemein Lebendiges und
Erfrischendes gewesen warf32

F
-L iir die Figur des jüdischen Bank-
direktors Leo Fischei stand der jüdi¬
sche Sektionsrat Wolfgang Reichle
Pate. Musd lernte ihn und seine Frau
(das Modell für Klementine Fischei)
nach dem Ersten Weltkrieg wohl in
der Helmstreitmühle kennen. In sei¬
nem Tagebuch schilderte er die eheli¬
chen Auseinandersetzungen und die
<Abschreckungsstrategien> im Schlaf¬
zimmer des Ehepaars Reichle.433

Klementine Fischel [...] hatte vor


vierundzwanzig Jahren Leo [...] ge¬
heiratet [...] Die Arme mußte später
erleben, daß in ganz Europa ein Geist
des Nationalismus emporkam und
mit ihm auch eine Welle der Judenan-
grtffe hochstieg, die ihren Mann sozu¬
sagen in ihren Armen aus einem ge¬
3
achteten Freigeist in den Ätzgeist
eines bodenfremden Abstämmlings
verwandelte. Anfangs hatte sie sich
dagegen mit dem ganzen Ingrimm ei¬
nes »groß denkenden Herzens» aufge¬
lehnt, aber mit den Jahren wurde sie
von der naiv grausamen, immer wei¬
ter um sich greifenden Feindseligkeit
zermürbt und von dem allgemeinen
Vorurteil eingeschüchtert. [...] Au¬
ßerdem war aber Leo Fischel auch
gar nicht der Mann, der sich hätte
verbessern lassen. Fr erklärte die Be¬
mängelungen, die das christlich-ger¬
manische Schönheitsideal eines Mini¬
sterialrats aus ihm machen wollten,
für gesellschaftliche Faxen und lehnte
ihre Erörterung als eines vernünftigen
Mannes unwürdig ab [...]434

F
-L ür Hans Sepp, den arisch-antise¬
mitischen Freund von Leo Fischeis
Tochter Gerda, ließ sich kein Vorbild
ermitteln. Musil hat diese Figur mög¬
licherweise aus rassistischen Flug¬
3
Wolfgang Reichte schriften, aus entsprechenden Strö¬
(1873-1922), mungen des Zeitgeistes synthetisiert.
Sektionsrat im Sozial¬ Die Kritik am Antisemitismus der Na¬
ministerium, tionalsozialisten war mit ihr vorweg¬
in jungen Jahren genommen.

373
EIGI NM I! M

Er har ein nicht sehr stattijcher


[ General mH einem kleinen Hauch und
i einer kleinen Lippenbürste an der
DEH MANN Ol INF

I Stelle des Schnurrbarts. Sein Gesicht


war rund und hatte etwas von Iarni-
lierikreis bei Abwesenheit jedes Ver¬
mögens über das in der Heiratsvor¬
schrift für Truppenoffiziere geforderte
hinaus. [...] Er [...] bediente sich
einiger klassischer Zitate, an die er
sich, wie er hinzufügte, noch aus der
Gymnasialzeit mit Vorliebe erinnerte,
und behauptete, daß diese Jahre des
humanistischen Studiums die schön¬
sten seines Lebens gewesen seien;
suchte Diotima fühlen zu lassen, daß
er sie bewundere und von der Art, wie
sie die große Sitzung geleitet habe,
entzückt gewesen sei [...]435

M usil und Becher kannten einan¬


der seit ihrer gemeinsamen Militärzeit
in Brünn (1901/02). Sie begegneten
einander wieder spätestens in Bozen
während des Ersten Weltkriegs
(1916/17), wo sie im selben Kom¬
mando Dienst taten und eine Zeitlang
unter einem Dach wohnten.
Becher ist wohl der einzige Offizier
aus der Kriegszeit, mit dem Musil
auch während der zwanziger und
dreißiger Jahre noch regelmäßigen
Kontakt hatte — bis zur Emigration
1938. Alles deutet darauf hin. daß
Becher das wichtigste Vorbild für den
Ceneral Stumm von Bordwehr war.
Becher selbst schreibt in einer Art von
Nachruf aus dem Jahre 1945:
«Ich kenne Musil seit seinen Jugend¬
jahren. der Sturm- und Drangperiode
in Brünn, wo wir in Hochschulkreisen
den «Faust» aufführten. Im ersten
Weltkriege berief ich ihn in meiner
Eigenschaft als Operationschef des
Oberkommandos des Erzherzogs Eu¬
gen ins Hauptquartier und gab ihm
• Gelegenheit, auf publizistische Fra¬ 1
gen Einfluß zu nehmen. Der große Hauptmann Max
Mann mit vielen Eigenschaften ließ es von Becher (2. v. r.)
j sich gefallen, mit mir Steckenpferde in Bozen mit Kaiser
Karl von Öster¬
zu reiten und die Enunziationen des
reich (2,v. I.)
| hohen Kommandos unter die I .upe zu
j nehmen. Voll Ehrfurcht und Dank¬
barkeit gedenke ich der vielen ge¬
2
meinsam verbrachten Abende in Max von Becher
I Wien [...]•• in Zivil

374
[. . .] DER KLEINE STUMM [. . .] HAT-
te angefangen, wissenschaftlich Ta¬
schenmesser zu sammeln; zu einer
Waffensammlung reichte sein Ein¬
kommen nicht, aber Messer, nach ih¬
3 rer Bauart, mit und ohne Korkzieher
Die Petermandl-
und Nagelfeile geordnet, und nach
sche Messer¬
den Stählen, der Herkunft, dem Ma¬
sammlung aus
terial der Schale und so weiter, besaß
Steyr, die Musil aus
er bald eine Menge, und hohe Kasten
seiner Kindheit
kannte und die er mit vielen flachen Schubfächern und
dem General beschriebenen Zetteln standen in sei¬
Stumm von Bord¬ nem Zimmer, was ihn in den Ruf der
wehrunterschob Gelehrsamkeit brachte.**

375
I i \ 11
i: )l I l\ll<) \\\ \\ H 1(1

Eine der wichtigsten Bedingungfa


der Feldherrnkunst ist es, sich über
die Stärke des Gegners Klarheit zu
verschaffen. (Ich habe mir also» er¬
zählte der General (einen Eintritts¬
schein in unsere weltberühmte Hofbi¬
bliothek besorgen lassen und bin
unter Führung eines Bibliothekars
... 1 in die feindlichen Linien einge¬
drungen. [...] Da war ich dann also
wirklich im Allerheiligsten der Biblio¬
thek. Ich kann dir sagen, ich habe die
Empfindung gehabt, in das Innere ei¬
nes Schädels eingetreten zu sein;
rings herum nichts wie diese Regale
mit ihren Bücherzellen, und überall
Leitern zum Herumsteigen, und auf
den Gestellen und den Tischen nichts
wie Kataloge und Bibliographien, so
der ganze Succus des Wissens, und
nirgends ein vernünftiges Buch zum
Lesen, sondern nur Bücher über Bü¬
cher: es hat ordentlich nach Gehirn¬
phosphorgerochen [...] Herr Biblio¬
thekar,* rufe ich aus Sie dürfen mich
nicht verlassen, ohne mir das Ge¬
heimnis verraten zu haben, wie Sie
sich in diesem [...] Tollhaus von Bü¬
chern selbst zurechtfinden.> [...] Wie
ich ihn nicht gleich loslasse, richtet er
sich plötzlich auf, er ist förmlich aus
seinen schwankenden Hosen heraus¬
gewachsen, und sagt mit einer Stim¬
me, die jedes Wort bedeutungsvoll
gedehnt hat, als ob er jetzt das Ge¬
heimnis dieser Hände aussprechen
müßte; Herr Generalsagt er <Sie
wollen wissen, wieso ich jedes Buch
kenne? Das kann ich Ihnen nun aller¬
dings sagen: Heil ich keines lese.'A38

D as Kapitel «General Stumm


dringt in die Staatsbibliothek ein und
sammelt Erfahrungen über Bibliothe- 1

kure. Bibliotheksdiener und geistige Katalogsaal der


Ordnung las Musil gerne vor. weil es österreichischen
sieb als publikumswirksam erwies. Nationalbibliothek

:r<)
Der 1. Band des MoE erschien im
Winter 1930. In einem Curriculum
Vitae kennzeichnet Musil Struktur
und Resonanz des Werkes:

I\ diesem Roman[... ] geht Mi sie von


dem Prinzip, schmale Probenaus¬
schnitte in die Tiefe zu gestalten, ab
und beschreibt seine Welt in universa¬
ler Breite. Das Buch findet sofort An¬
erkennung und wird von der Kritik zu
den ersten Werken des europäischen
Romans gerechnet. Unter dem Vor¬
wand. das letzte Lebensjahr Öster¬
reichs zu beschreiben, werden die
Sinnfragen der Existenz des moder¬
nen Menschen darin aufgeworfen und
in einer ganz neuartigen, aber sowohl
leicht-ironischen wie philosophisch
tiefen Weise beantwortet. Das Epi¬
sche befindet sich in vollendetem
Gleichgewicht mit dem Gedanklichen
und die Geschlossenheit des Riesen¬
baus mit der lebendigen Eiille des De¬
tails. 43f)

TJ- rotz dieser Tatsachen w aren die


wirtschaftlichen Voraussetzungen für
die Fortsetzung des Werks recht
schlecht.

Da der jetzt abgelieferte Erste Teil


[...] 800 Maschinseiten stark ist.
hatte ich erwartet, von Rowohlt für
den zweiten Teil neues Geld zu be¬
kommen. Aber er war dazu nur in
ganz ungenügendem Maß zu bewe¬
gen; immer verschanzt hinter kauf¬
männische Berechnungen, deren letz¬
ter Sinn der ist, daß er kein Vertrauen
in den Absatz hat, obgleich er den
künstlerischen Wert nach dem Urteil
seines Lektors hochhob. Ich habe den
Eindruck, daß er, wenn kein Erfolg
kommt, nicht mehr weiter will, und
von den Bedingungen, unter denen
ich weiter arbeiten muß, kann ich nur
sagen, daß sie unmöglich sind. Ich
mußte aber gute Miene zum bösen
Spiel machen, weil ich mit einem hal¬
ben Riesenbuch in der Hand bei der
heutigen Lage der Dinge völlig hilflos
bin. Wenn es nicht noch gelingt einen
*

(sehr gekürzten) Zeitungsvorabdruck


unterzubringen, was bei der Qualität
2 des Buchs sehr unwahrscheinlich ist,
«Der Mann ohne obgleich eine gewisse Chance besteht,
Eigenschaften». so muß ich wieder Zeitungsartikel
Erstausgabe, schreiben, ja sogar mich in der
Rowohlt 1930 Hauptsache darauf umstellen,‘M0

377
T\
IJ ,-T Mann ohne I^tgenschaften»
halt«.- ein überwältigendes Presse-
11

Echo. Der Verlag sprach von über


200 Rezensionen — rund 150 haben
i in Musils Nachlaß erhalten. I n-
rH i

sich

ter den Kritikern finden sich viele


heute noch bekannte Namen: Ernst
i\iio \\\ i\ m ui

Blaß. Franz Blei. Franz Theodor Gso-


kor. Axel Eggebrecht, Ernst Fischer,
Oskar Maurus Fontana, Efraiin
Frisch, Bernard Guillemin, O. E. Hes¬
se. Rudolf Kayser, Ludwig Marcuse,
Karl Otten. Paul Rilla. (.arl Seelig. W.
E. Süskind. Peter Suhrkamp, Ludwig
Wirider.
In einem Brief an Johannes von Al-
lesch vom 15. März 1931 bilanzierte
Musil die Befunde der Bespre-
, chungen:

We\n ich die Kritik überblicke, sehe


ich: Erstens die merkwürdige Erschei¬
nung., daß man den Mann ohne Ei¬
genschaften imstande ist, bis aufs
Höchste zu loben, beinahe ohne daß
dabei für den Dichter davon etwas
abfällt. Man sagt z. B. Unter den eu¬
ropäischen Romanen der bedeutend¬
ste, oder: Kein zweiter deutscher Ro¬
man erreicht diese Höhe: daß ich
aber danach zumindest unter den
deutschen Dichtern bisher unter¬
schätzt worden sei davon spricht
kein Mensch, so als ob das eine ganz
andere Sache wäre. Darum würde es
mir wichtig und dankbar erscheinen,
den Nachweis dafür zu erbringen,
daß der letzte Roman, bloß in breite¬
rer Entfaltung, ja doch nur die an¬
dern Sachen fortsetzt. Zweitens ent¬
nehme ich der Kritik — nicht so sehr
als formulierte Einwände, wie als
Spuren von ausgestandener Schwie¬
rigkeit - die große Unsicherheit dem
Problem der Gestaltung gegenüber.
Der Roman unserer Generation (Tho¬
mas Mann, Joyce, Proust usw.) hat
sich allgemein vor der Schwierigkeit
gefunden, daß die alte Naivität des
Erzählens der Entwicklung der Intel¬
ligenz gegenüber nicht mehr aus¬
reicht. Den Zauberberg halte ich in
dieser Hinsicht für einen ganz mi߬
glückten Versuch; in seinen <geisti¬
gen> Partien ist er wie ein Haifisch¬
magen. Proust und Joyce geben,
soviel ich davon gesehen habe, ein¬
fach der Auflösung nach, durch einen
assoziierenden Stil mit verschwim- ]
menden Grenzen. Dagegen wäre mein Marcel Proust
Versuch eher konstruktiv und synthe- (1870-1922)

3?«
tisch zu nennen. Sie schildern etwas
Aufgelöstes, aber sie schildern eigent¬
lich gerade so wie früher, wo man an
die festen Konturen der Dinge ge¬
glaubt hatf*x

JVdusils Kenntnis von Prousts Werk


scheint nicht so genau gewesen zu
sein wie die des «Ulysses» in der
Übersetzung von Georg Goyert. Seine
Eindrücke vom Werk Joyces (der üb¬
rigens während der Zeit seines Zür¬
cher Exils in unmittelbarer Nahes sei¬
nes aus Wien geflohenen Kollegen
wohnte, ohne daß es zu einer Begeg¬
nung kam) formulierte Musil folgen¬
dermaßen:

JOYCE
Ein Profil: der spirituaeisierte Na-
turalismus. — Ein Schritt, der schon
1900 fällig war. Seine Interpunktion
ist naturalistisch.
Dazu gehört auch die tUnanständig-
keit». Anziehung: Wie lebe der
Mensch im Durchschnitt? Verglichen
damit praktiziere ich eine heroische
Kunstauffassung.
Frage: Wie denkt man?Seine Abkür¬
zungen sind: Kurzformeln der
sprachlich orthodoxen Formeln. Sie
kopieren den sich auf Jahre er¬
streckenden Sprachprozeß. Nicht den
Denkprozeß.
Eine andere Kennzeichnung Joyce's
und der ganzen Richtung der Ent¬
wicklung ist: Auflösung. Er gibt dem
heutigen aufgelösten Zustand nach
und reproduziert ihn durch eine Art
freien Assoziierens. Das hat etwas
2 Dichterisches oder den Schein davon;
James Joyce etwas Unlehrhaftes und Wiederan-
(1882-1941) stimmen eines Urgesangsf*x“

379
M j wischen April 1930 und Sc.ptem-
! :

| her 1931 hielt sich Musi! viermal in


i Berlin zu Verhandlungen mit Ro¬
i »I I

wohlt auf. bn Dezember 1930 lernte


er den wohl umstrittensten Juristen
dieses Jahrhunderts, Carl Schmitt,
IM 10 NW l\ M Kl

i kennen.
Schmitt, der seit 1926 an der Berliner
I Jandelshochschule unterrichtete,
war schon seit 1917 mit Franz Blei in
engerem Kontakt. Auf Grund seiner
Bücher über «Politische Romantik»
(1919), «Politische Theologie»
1922), «Die geistesgeschichtliche
Lage des heutigen Parlamentaris¬
mus» (1926) zählte er zu Beginn der
dreißiger Jahre zu den führenden
Staatsrechtlern Deutschlands. Über
seine Begegnung mit Musil zeichnete
er Folgendes auf:
«[...! meine persönliche und literari¬
sche Bekanntschaft mit Robert Musil
ist mir durch Franz Blei vermittelt.
Persönlich habe ich Musil nur einmal
gesehen und gesprochen. Das war al¬
lerdings ein intensives Gespräch, das
in einem für mich besonders patho-
gnomischen Moment stattfand (nach
einer aufregenden Tagung der Fried-
rieh-List-Gesellschaft über die Beur¬
teilung des damaligen Nationalsozia¬
lismus), am Sonntag, den 14. Dezem¬
ber 1930. abends 8 bis Vi 12 [...]
Franz Blei kam abends 8 Uhr pünkt¬
lich zum Abendessen: ich trank zuviel
Saarwein, er zuviel Slivovitz. Dann
kam Musil mit seiner Frau. Jeder
sprach zuviel (außer den Frauen);
Thema: sein Roman und die Wiener
Juden. Begleitete die Gäste noch zum
Bahnhof Zoo. Traurig zurück.»442

^Begegnungen wie die mit Carl


Schmitt können zu Musils Entschluß
beigetragen haben, im November
1931 vorübergehend nach Berlin zu
übersiedeln, weil dort, so seine Be¬
gründung, 1
die Spannungen und Konflikte des Carl Schmitt
deutschen Geisteslebens fühlbarer (1888-1985)
sind als in H ien** ia.
Carl Schmitt war freilich noch am
13. Januar 1933 der Meinung: «Die¬
2
Anton Wildgans
ses Berlin ist ein Vakuum zwischen
(1881-1932)
Osten und Westen, eine Passage, in
der es scheußlich zieht. Die Berliner
! selbst halten diesen Luftzug für den 3
Atem des Weltgeistes und fühlen sich Karl Otten
in einer historischen Rolle.»443 (1889-1963)

.380
im Rückblick gab Musil noch einen
anderen Grund lur seine l bersied-
lung von Wien nach Berlin an - aller¬
dings mit tendenziöser Gedächtnis¬
täuschung:

Ich habe 1931 H 'iea iehlassex heil


Hot und Schwarz darin einig gewe¬
sen sind, m Wildgans einen großen
österreichischen Dichter verloren zu
haben.***

Wildgans starb erst am 3. Mai 1932.

J—Jiner der wesentlichsten Gründe


für die Umsiedlung Musils nach Ber¬
lin dürfte allerdings die Nähe zum
Rowohlt Verlag gewesen sein, auch
wenn der 1931 eine schwere Krise
durchmachte, sein teures, großes
Quartier in der Potsdamer Straße
aufgeben und in eine Mietwohnung
in der Passauer Straße umziehen
mußte. Von seiner Pension am Kur¬
fürstendamm aus konnte Musil nun
selbst intervenieren, war nicht mehr
durch wochenlange Stockungen des
Briefverkehrs behindert, nicht länger
auf Mittelsmänner wie Allesch ange¬
wiesen.
Die Pension Stern lag also «strate¬
gisch» günstig. In ihrer Nähe auch ein
Stückchen Österreich in Berlin - die
Konditorei «Wien».
Musil suchte dieses Cafe öfters auf,
weil es unweit seiner Pension lag. Hier
traf er Bekannte wie Franz Blei und
Karl Otten. In seinen Erinnerungen
an Musil berichtet Otten:
«In der Nähe des Nollendorfplatzes,
Anfang der dreißiger Jahre in Berlin,
ein Tag der Revolte, der Verzweif¬
4
lung, der Arbeitslosigkeit, des Trüb¬
Konditorei Wien
sinns, der mit grauen Wolken und
auf dem Kurfür¬
stendamm, Berlin Schneeregen tief auf die desolate
Einöde herabdrückte. Wir gingen auf
den Wittenbergplatz zu, wo Rowohlt
5 hauste. <Ich verstehe die Ziele des So¬
Kurfürstendamm zialismus, ich billige sie, ich gehöre
Nr. 217. Zu Beginn dazu; aber ich billige nicht die Hal¬
der dreißiger Jahre
tung der Sozialistischen Partei, der
war in diesem Haus
Bürokratie, der ungeistigen Gewis¬
die Pension Stern,
senlosigkeit. Wie kommt es, wie ist es
in der Musil vom
21. November 1931 möglich [sagte Musil], daß wir außer¬
bis 21. Mai 1933 halb dieser großen Bewegung stehen,
zwei Zimmer keinen Anteil an ihr haben können
bewohnte [•■•]>445

381
r 'I
I
l\ll<) \\\ l\
a
ICI

ain ca. 17. bis 20. November 1931


hielt sich Musil in Frankfurt zu einer
Lesung auf. Die Einladung, angeregt
1
von Theodor W. Adorno, war vom
Musil im Frankfur¬
Freien Deutschen Hochstift ausge¬ ter Goethe-Haus
gangen. (Dichter-Zimmer),
Bei der Führung durch das Goethe- geführt von Ernst
Haus interessierte er sich u. a. sehr für Beutler
die gußeisernen Ofen — sein Vater war
in Steyr Leiter einer Fachschule für
Eisenindustrie gewesen — und zeigte
2
Preußische Aka¬
die vom Großvater geerbte gußeiser¬
demie der Künste,
ne Uhrkette.446
Abteilung für
Dichtung.
Meine » Unfruchtbarkeit, als Dich Von links: (sitzend)
ter, die mich so oft kränkt. Die mich, Hermann Stehr,
abgesehen von der Lyrik, so weit un¬ Eduard Stucken,
ter Goethe stellt [...] Wer viele [...] Alfred Mombert,
Einfälle hat und vorhersieht, ist nicht Wilhelm von Scholz,
unfruchtbar! Und erinnere dich wie¬ Oskar Loerke,
Walther von Molo,
der einmal an das gute Beispiel Flau-
Ludwig Fulda,
bert 's (Wenn ich es nicht mißverstehe;
Heinrich Mann;
I ich weiß zu wenig von ihm!); Welches
(stehend) Bernhard
j Irren war es, die Fruchtbarkeit eines
Keilermann, Alfred
, Dichters in der Quantität seiner Lei- Döblin, Thomas
I stung zu sehen! 447 Mann, Max Hc!t

382
Verhandelt in der Freusa»3Chen Akademie der Kün^t«-, Sitzung

der Abteilung für Dichtung

Anwesend Berlin, dpn 29. Januar 19v2


Beginn der Sitzung: y^ L ^^/
unter dem Vorsitz der fv
Frau Dr. Ricarda Huch

die Herren: Es wird festgestellt, dass . ff(T. Hit-


: . / [Z ^'"AjJUv
Döblin glieder an’-es<=nd und £ weitere nämlich: St^-irr,
G /
Fulda Wassermann, von Scholz, Heinrich Mann, Schmidt¬

Frau Huch bonn durch bebertragung ihrer Stimme vrtr<-trn

Hoerke Stehrs Stim¬ sind/ Ferner wird festgerteilt, dass keine von
me musste
Mann, H. leider aus- den anwesenden Mitgliedern mehr eis 2 Stimmen
falien, da
Mann, Th. ^ die beiden neben der eigenen vertritt. Die Sitzung ist also
Mitglieder,
von Molo denen er nach § 5 der Satzung beschlassberechtigt
seine Stimme
Frank übertragen (■nicht- beaclnliissberenht.igt .l-r>*rr+jrsH c o e ofi -ird
hatte, nicht Da der «Mann ohne Eigenschaf¬
Kaiser erscheinen 3 ie gesch l ossan—and—li Uhr wnn-nB;iP Sit sang ten» 1930/31 das literarische Ereig¬
konnten.
Kellermann nis des deutschen Sprachrauins war,
p.nhermrit,—die nach dam-gl-ei-ehen raragrai>faen
erhoben sich Stimmen, die forderten,
ohrip Häaje&lehL auf die nahl'"cler An'”e^iIS7n^bp>~ Musil solle in die Preußische Akade¬

schlussberechtigt ist. mie der Künste, Abteilung für Dich¬


tung aufgenommen werden. Es gab
Die niste der 26 Namen umfassenden darin Autoren, die ihn favorisierten:
Wahlvorschläge wird in einer Aussprache auf Theodor Däubler, Alfred Döblin. Os¬
kar Loerke, Thomas Mann. Für eine
. f.J. Namen verringert.
Mehrheit war dies allerdings nicht
Nach dem in § 5 der Satzung festgeleg¬ ausreichend. Das Protokoll der Aka¬
demiesitzung vom 29. Januar 1932
ten Verfahren werden gewählt:
zeigt, daß Max Mell, Rudolf Binding,
1 dimf 'htc-fy mit /3st imra^n Ina Seidel, Rudolf Pannwitz, Adolf

2. ffjßdf ft'-' Paquet und Gottfried Benn als Mit¬


n ^ "
glieder gewählt wurden. Musil fand
3. faq " “f2 " keine Gnade, weil angeblich zu intel¬
" 4 2- "
ligent für einen Dichter.448
n 42 ii
Musil begleitete die Etablierung der
«Deutschen Dichterakademie> von
om>/> Anfang an mit Kritik und plante eine
% Satire unter dem Titel «Die Akademie
von Dünkelshausen»:

[...] der Geist konsolidiert sich,


wie sieht das aus? Dafür ist die
Akademie repräsentativ. (Man hätte
glauben sollen, daß nichts so des¬
avouiert sei wie der Geist der Ver¬
gangenheit zb. die Moral, die sich
nicht bewährt hat; aber es ist nicht
so.)
2 Der bürgerliche Thomas Mann, die

Protokoll der Sitzung Stimme der Nation'

vom 29. Januar 1932 Der blecherne Heinrich Mann


in der Preußischen Der kitschige Wassermann
Akademie der Künste, Der frohgenießende Präsident Lud-
Abteilung für Dichtung wig Fulda.44 '

383
\Jtn Sommer 1932, von Ende Juni
bis Mitte September, verbrachte Mu¬
11 \

sil im Hotel Rheinland in Bnuishaup-


ten an der Ostsee.
Am 2. Oktober 1932 informiert er
I.IGI

0. M. Fontana:
DI R M \\\ < )l l\l

Mir ist es i.\ diese m Som mer dar nicht


besonders gut gegangen [...]. Von
Berlin bin ich mit einem Dickdarmka-
tarrh weggefahren, der an sich nicht
schlimm war. aber ungeheuer hart¬
näckig und die Operationsnarbe ge¬
reizt hatte; als ich ihn endlich wieder
los war. ging ich mit einer leichten
Grippe vor ihrem völligen Verschwun¬
densein ins Hasser und büßte es mit
wochenlangen Ubertemperaturen.
Kopfneuralgien und ähnlichem, das
meinen armen Schädel wie Raben
umflatterte, während er jeden Tag so
und soviel Meter Dichtung herausge¬
ben sollte. Ich wäre auch ohne das mit
dem Buch nicht fertig geworden, und
unter diesen Umständen sind es
sechs- bis siebenhundert Druckseiten
geworden, die Rowohlt vor oder gleich
nach lleihnachteri heruusgeben will,
wogegen ich mich wegen der nieder¬
schlagenden kaufmännischen Not¬
wendigkeiten nicht wehren kann, ob¬
gleich es meinem Gefühl widerstrebt,
den zweiten Band zu teilen. Die Ver¬
hältnisse sind sehr schlimm, meine
Schulden so groß, daß Rowohlt er¬
klärt, das Buch nicht weiter eskontie-
ren zu können, und versucht [...] auf
irregulären liegen zu beschaffen,
durch eine Kreuzung von Subskrip¬
tion und Höhlfahrt. Ich sitze da,
schreibe weiter und nehme an, daß
ich in drei Höchen noch leben werde.
Gut begründet ist es aber nicht.

Ejiner der interessantesten Ge¬


sprächspartner für Musil während
der Zeit in Berlin war der Psychoana¬
lytiker Rene Spitz, den der Autor
1925 in Velden am W örthersee ken¬
nengelernt hatte. Er rekonstruiert
den Moment, als Musil eine Fortset¬ 1
zung des I. Bandes, den Teilband II] Hotel Rheinland
zum MoE vorbereitete: in Brunshauptenan
»Das letzte unserer Gespräche dürfte der Ostsee
im Jahre 1932 gewesen sein, und ich
erinnere mich noch recht lebhaft dar¬
2
an. Musil war gerade im Begriff, den
Strandpromenade
zweiten Band des 'Mannes ohne Ei¬
Brunshaupten
genschaften* entweder zu beenden (heute Kühlungs¬
oder schon zu publizieren. Und mit- born)

384
ten im Gespräche stellte er mir die
Frage: was ich denn wohl meine, wo¬
mit der zweite Band anfangen wurde.
Keine leichte Frage... Ich hatte an
jenem Abend ihm meine Einwände
gegen seine Darstellung des Helden
im ersten Bande gesagt. Ich meinte,
daß selbst ein Mann ohne Eigenschaf¬
ten einen Anfang haben muß. aus
welchem sich sein So-Sein versteht.
Musil antwortete, daß er dies aus
Gründen der Struktur des Romanes
nicht habe darstellen wollen; daß je¬
doch im zweiten Bande manches dar¬
über zu finden sein würde. Und dann
kam die Frage, die ich oben zitierte.
Ich antwortete ihm, daß ich einen
Menschen immer nur als ein Ganzes
zu sehen vermag. Daß für mich als
Psychoanalytiker gewisse Indizien,
Obertöne in der Darstellung, mir ei¬
nen ganz bestimmten Eindruck über
die Persönlichkeit dieses Menschen
nahegelegt hatten — Eindrücke frei¬
lich, die der Durchschnittsleser kaum
erfaßt haben w'urde. Wir waren, nach
einem Abendessen in einem nahen
Restaurant, nunmehr schon auf der
Straße, und als ich in weiteren Sätzen
Musil darlegte, wie ich diese Person
sähe, blieb er wie vom Donner gerührt
stehen, und fuhr mich an: <Wer hat
Ihnen das gesagt? Woher wissen Sie
das?> Sie wissen wahrscheinlich, daß
Musil ein verletzlicher, verschlossener
und mißtrauischer Mensch war. Er
hatte den Verdacht gefaßt, daß ir¬
gend jemand eine Indiskretion began¬
gen habe, und ich mußte ihm im Ein¬
zelnen darstellen [...] was mir meine
Ansicht aufgedrängt hatte. Musil w ar
von den Gedankengängen, die ich
ihm darlegte, sehr betroffen, und er¬
klärte sich überzeugt; er gab mir
Recht, er sagte mir sogar, daß genau
das, was ich vorausgesagt hatte, in
den ersten Kapiteln des zweiten Ban¬
des sich abspielen würde [...] meine
Rekonstruktion der Jugend seines
Helden und meme Voraussage, wie
der zweite Band beginnen dürfte und
die dabei angewendete Methodik hat¬
te ihn tief beeindruckt. Wir gingen
noch eine Stunde und länger zwi¬
schen seiner und meiner Wohnung
hin und her, diese Frage diskutierend,
endeten bei einer Flasche Wein in
meiner Wohnung, und er erzählte mir
manches darüber, in welcher Bezie-
3 hung das, was ihn in meinen Ideen
Rene Spitz beeindruckt hatte, zu seinem Erleben
(1887-1974) stünde. »4jI

385
;
io-
DER \l\\\ OIIM

ie es Rene Spitz vorausgesagt


hatte, begann der 2. Band «Mann oh¬
ne Eigenschaften» mit der «vergesse¬
nen Schwester» Ulrichs, mit Agathe —
in der Tat der «Beginn einer Reihe
wundersamer Erlebnisse»:

Er BEITUCHTETE, UÄHREND SIE SPRACH,


noch einmal ihr Gesicht. Es kam ihm
nicht sehr ähnlich dem seinen vor;
aber vielleicht irrte er, es mochte ihm
ähnlich sein wie ein Pastell einem
Holzschnitt, so daß man überder Ver¬
schiedenheit des Materials das Über¬
einstimmende der Linien- und Flä¬
chenfährung übersah. Dieses Gesicht
beunruhigte ihn durch irgend etwas.
Nach einer IVeile kam er darauf, daß
er einfach nicht erkennen konnte, was
es ausdrücke. Es fehlte darin das, was
die gewöhnlichen Schlüsse auf die
1
Person erlaubt. Es warein inhaltsvol¬
Martha, Vorbild
les Gesicht, aber nirgends war darin
Agathes, nach ei¬
etwas unterstrichen und in der geläu¬
nem Pastell ihres
figen Heise zu Charakterzügen zu¬ ersten Mannes
sammengefaßt. 452 Friti Alexander

3»<>
Aber her das, was zwischen diesen
Geschwistern vorging, nicht schon an
Spuren erkannt hat, lege den Bericht
fort, denn es wird darin ein Abenteuer
beschrieben, das er niemals wird bil¬
ligen können: eine Heise an den Rand
des Möglichen, die an den Gefahren
des L nmöglichen und Unnatürlichen,
ja des Abstoßenden vorbei, und viel¬
leicht nicht immer vorbei führte; ein
iGrenzfall», wie das Ulrich später
nannte, von eingeschränkter und be¬
sonderer Gültigkeit, an die Freiheit
erinnernd, mit der sich die Mathema¬
tik zuweilen des Absurden bedient,
um zur Wahrheit zu gelangend

D ie Untertitel des II. Bandes zum


«Mann ohne Eigenschaften» — «Ins
Tausendjährige Reich» und darunter
in eckigen Klammern «Die Verbre¬
cher» — lieferten bei Erscheinen des
Buches gegen Ende des Jahres 1932
für den flüchtigen Blick Anlaß zu
vielen Mißverständnissen. Politische
Anspielungen lagen Musil fern: er
wollte schon im Titel auf die verbre¬
cherischen Neigungen seines Ge¬
schwisterpaars hinweisen, auf die
Testamentsfälschung, die sie zu un-
gunsten von Agathes Gatten Hagauer
vornehmen, und den Inzest auf der
sog. «Reise ins Paradies».
Es gehört zu den großen Rätseln der
Musil-Forschung, warum es dem Au¬
tor nicht möglich war. die Entwürfe
jenes Inzests, die seit ca. der Mitte der
zwanziger Jahre Vorlagen, ins reine zu
schreiben und sie definitiv in die
2 Romanhandlung zu integrieren, also
Max Beckmann, auch Ankündigungen wie die vorste¬
Geschwister (1933) hende einzulösen. Trotz der bereits in
gedruckten wie ungedruckten Texten
objektivierten Kräfte, die das Ge¬
3
schwisterpaar der privaten Katastro¬
Robert Musil nach
einer Zeichnung phe (und dem Ausbruch des Ersten
Marthas für die Weltkriegs) zuführten, wehrte sich
holländische Zeit¬ Musil bis zu seinem eigenen Tod, das
schrift «Den Gul¬ vorgezeichnete Schicksal seiner Figu¬
den Winckel» ren zu vollziehen.

387
DIR MANN Ol IM KIGl NS< !i\K|

| JLii den ersten Kapiteln des 2 Bandes


I verarbeitete Musil die familiären Er-
I eignisse des Jahres 1924, den Tod der
Eltern. Auch die Spaziergänge in der
I Umgebung Brünns wurden literari¬
sches Sujet, Schauplatz für «heilige
! Gespräche», für Bildungsgespräche,
die manche für eine Schwache des po-
' lyhistorischen Romans ä la Broch,
Thomas Mann und Musil halten, «als
seien solche <Dialoge> nicht am Platz,
wo der Vi ind bläst und Baume stehn»
- als ob, so Musils Entgegnung,
«menschliche Bildung nicht die Zu¬
sammenfassung aller Naturgebilde
wäre!».

[. . .] SIE WAREN MITTLERREILE ALE


einen Hügel gelangt, den er sich als
das Ziel ihrer Wanderung vorgenom¬
men hatte, und schritten seinem Hand
zu. Das war eine mächtige Bodener¬
hebung. welche die Sage mit einer
Schwedenbelagerung im Dreißig/üb¬
rigen Krieg verknüpfte, weil sie wie
eine Schanze aussah, wenn sie auch
viel zu groß dafür war, ein grünes
Bollwerk der Natur, ohne Busch und
Baum, das auf der Seite, die es der
Stadt zuwandte, in einer hohen hellen
Felswand abbrach. Eine tiefe, leere
Hügelwelt umgab diesen Platz; kein
Dorf, noch Haus war zu sehen, nur
Holkenschatten und graue Heidewie¬
sen. Ulrich wurde wieder von diesem
Ort gepackt, den er aus jugendlicher
Erinnerung kannte: Noch immer lag
weit vorne in der Tiefe die Stadt,
ängstlich um ein paar Kirchen ge¬
drängt, die darin wie Hennen mit ih¬
ren Jungen aussahen, so daß man un¬
willkürlich den H ünsch empfand, mit
einem Sprung sie zu erreichen und
zwischen sie hineinzusetzen oder sie
mit dem Griff einer Riesenhand in die
Finger zu bekommen. <Es muß ein
herrliches Gefühl in diesen schwedi¬
schen Abenteurern gewesen sein,
wenn sie nach wochenlangem Traben
an einem solchen Ort anlangten und
aus dem Sattel zum ersten Mal ihre
Beute erblickten/> sagte er, nachdem
er seiner Schwester die Bedeutung des
Ortes erläutert hatte. •Die Schwere
des Lebens — dieser heimlich auf uns
lastende Mißmut, daß wir alle sterben
müssen, daß alles so kurz ist und
. wahrscheinlich so vergeblich! - hebt 1
sich eigentlich nur in solchen Augen¬ Die Schweden¬
blicken von uns!>* schanze bei Brünn 1
W)
JLJin ungeliebten Gatten Agathes

i
!

v.-~<
nennt Musil i lagauer. Da Enrico Mar-
covaldi intellektuell zu unergiebig
1)1.K MWNOHM I M.l NM

war. machte der Autor, wie schon in


den «Schwärmern», Anleihen bei
dem Pädagogen Ceorg K.erschen-
sleiner.

DER II \R EIN MITTELGROSSER MANN MIT


eingezogenem Kreuz, rund iri derbge¬
schneiderten Hosen steckenden Bei¬
nen, etwas wulstigen Lippen unter ei¬
nem borstigen Schnurrbart und einer
Liebhaberei für großgemusterte Kra¬
watten, die wohl anzeigen sollte, daß
er kein gewöhnlicher, sondern ein zu¬
kunftswilliger Schulmeister sei. Ul¬
rich fühlte wieder sein altes Mißtrau¬
en gegen Agathes Wahl erwachen,
aber daß dieser Mann geheime Laster
verbergen sollte, war ganz auszu¬
schließen, wenn man sich an das offe¬
ne Leuchten erinnerte, das von Stirn
und Augen Gottlieb Hagauers glänz¬

( te. <Das ist doch einfach der aufge-


klärte tüchtige Mensch, der Brave,
der die Menschheit auf seinem Felde
fördert, ohne sich in Dinge zu mi¬
schen, die ihm ferne liegen» stellte Ul¬
rich fest, wobei er sich auch an die
Schriften Hagauers wieder erinnerte,
und versank in nicht ganz angenehme
Gedanken.
Man kann solche Menschen schon ur¬
sprünglich in ihrer Schälerzeit kenn¬
zeichnen. Sie lernen weniger — wie
man es, die Folge mit der Ursache
verwechselnd, benennt — gewissen¬
haft als ordentlich und praktisch. Sie
legen sich jede Aufgabe vorerst zu¬
recht, wie man sich abends die Klei¬
dung des nächsten Tags bis auf die
Knöpfe zurechtlegen muß, wenn man
morgens rasch und ohne Fehlgriff fer¬
tigwerden will; es gibt keinen Gedan¬
kengang, den sie nicht mittels fünf bis
zehn solcher vorbereiteten Knöpfefest
in ihr Verständnis heften könnten,
und man muß einräumen, daß dieses
sich danach sehen lassen kann und
der Untersuchung standhält. Sie wer¬
den dadurch Vorzugsschüler, ohne
ihren Kameraden moralisch unange¬
nehm zu sein, und Menschen, die wie
Ulrich von ihrem Wesen bald zu einem
leichten Übermaß, bald zu einem
| ebenso geringfügigen Untermaß ver¬
1
leitet werden, bleiben auf eine Weise,
Der Pädagoge
die so leise schleicht wie das Schick-
Georg Kerschen-
I saL hinter ihnen zurück, auch wenn steiner
sie viel begabter sind. Fr bemerkte. (1854-1932)

340

i
daß er vor dieser Vorzugsart Men¬
schen eigentlich eine geheime Scheu
habe, denn ihre gedankliche Genau¬
igkeit ließ seine eigene Schwärmerei
für Genauigkeit ein wenig windig er¬
scheinen.^

-/Vis Agathe im 31. Kapitel, eifer¬


süchtig auf die Geliebte ihres Bruders,
Selbstmord begehen möchte, macht
sie eine Herrenbekanntschaft: Lind-
ner alias Friedrich Wilhelm Foerster.
Musil kannte verschiedene seiner Bü¬
cher, vor allem «Lebensführung»
(1909); eine persönliche Begegnung
(die nicht belegt ist) hätte 1913 statt¬
gefunden haben können, als Foerster
zum Professor für Pädagogik an der
Universität Wien berufen wurde. Er
fungiert als Modell für Lindner, den
zweiten, etwas bornierten Pädagogen
des Romans.

Der Herr har gross und mager, trug


dunkle Kleidung, und ein kurzer
blonder Bart verdeckte Kinn und
Wangen. Unter diesem Bart konnte
man leicht aufgeworfene, weiche Lip¬
pen gewahren, die in so merkwürdig
jugendlichem Gegensatz zu den al¬
lenthalben sich schon in das Blond
mengenden grauen Haaren standen,
als hätte sie das Alter unter dem
Haarwuchs übersehen. Überhaupt
war dieses Gesicht nicht ganz einfach
zu entziffern. Der erste Eindruck
machte an einen Mittelschullehrer
denken; das Strenge in diesem Ge¬
sicht war nicht aus hartem Holz ge¬
schnitzt, sondern glich eher etwas
Weichem, das sich unter täglichem
kleinen Arger verhärtet hatte. Ging
man aber von dieser Weichheit aus,
auf der der Mannesbart wie einge¬
pflanzt wirkte, um einer Ordnung zu
genügen, der sein Besitzer beipflich¬
tete, so bemerkte man doch in dieser

2 ursprünglich wohl weibischen Anlage


Der Pädagoge harte, fast asketische Einzelheiten der
Friedrich Wilhelm Form, die offenbar ein unablässig tä¬
Foerster tiger Wille aus dem weichen Material
(1869-1966) geschaffen hatte.*5 ’

391
23. XI. 19. 7-3 .XI . I<J.
0' Klages! -
Dl B M\\\ OHM I li.l \-( I ■ o

Fühlst Du nicht, dass wir gemeinsam


auf einem Erdball weilen! —
Das^ w ir gemeinsam — um die Sonne
kreisen? —
Dass wir gemeinsames Leitl tragen? — 0' ' *

0 Klages! —
Wie oft sprech" ich Deinen Namen
des Nachts, wenn kein Schlummer
tfcfcM OV '•wW, ■

meine Augen bedeckt;


Wenn ich — lautlos! — der Stille
des Dunkels lausche.
[...]
()’ Klages! —
Es ist etwas eigenes um Deine Per¬
son! —
Möge sie «enträthseln» wer wolle! —
Ich sehe eine «dämonische» Gewalt
in ihr.-

Und so gehen w ir unserem


Schicksal entgegen! —
Gott sei bei uns\ —
Amen.
/•
Sonntag! — 1 Uhr Mittags! —
(lor dem Aufstehen!)

D ieses Briefgedicht Alice Donaths


(Clarissens) an Ludw ig Klages stammt
aus ihrem <Exil> in der Sattlerschen
Villa am Magdalensberg bei Klagen-
furt. in der sie nach der Trennung von
ihrem Mann lebte. Klages ist das domi¬
nierende Vorbild des Philosophen
Meingast im «Mann ohne Eigen¬
schaften».

[. . .] ClAUSSE SENKTE NUN WIEDER DEN * ä* ^

Kopf so daß sich ihr Blick irgendwo


in Meingasts Anzug vergrub, und
nach einer Beile näherte sie ihre
Hand langsam seinem Unterarm. Sie «A* w** > . .. , -
hatte plötzlich unbändige Lust, die¬
sen hartem mageren Arm unter dem
weiten Ärmel anzufassen und den
Meister zu berühren, der sich verstell¬
te, als wüßte er nichts von den er¬
leuchtenden Borten, die er über den
Zimmermann gesagt hatte. Es walte¬ 1
te, während es geschah, in ihr die Briefgedicht
Empfindung, daß sie einen Teil von Alice Donaths an
Ludwig Klages p ve n±. & ^ ’
sich zu ihm hinüberschiebe, und in
der Langsamkeit, mit der ihre Hand ^ (U*
in seinem Ärmel verschwand, in dieser
flutenden Langsamkeit, kreisten
2
Von links: Gustav
Trümmer einer unbegreiflichen Wol¬
Donath, Ludwig
lust, die von der Bährnehmung her¬
Klages, Lilly Char-
rührten, daß der Meister stillhalte lemontundein WH1 - w
und sich von ihr berühren lasse A1,1 Unbekannter

392
l

393
/Vus den beiden Gesellschaftslö¬
i

winnen Alma Mahler-Werfel und


Bertha Szeps-Zuckerkandl, in deren
r)1 I l\IIO \\\l\ M Kl

Salons nahezu die gesamte kulturelle


Elite Wiens verkehrte, formte Musil
die Gestalt der Frau Drangsal, die
sich des jungen Dichters Feuermaul
annimmt.

«//Mt Drangsal ist die Dame, die den


Dichter Feuermaul protegiert. Den
kennst du auch nicht?» fragte er. in¬
dem er seinen runden Körper wieder
zurück drehte, als aus der Richtung
Ulrichs keinerlei Bestätigung kam.
«Doch. Der L\ riker.>
tHalt so ferse» meinte der General,
mißtrauisch dem ihm ungewohnten
ffört ausweichend.
•Sogar gute. Und allerhand Theater¬
stücke. »
«Das weiß ich nicht. Ich hab auch
meine Aufzeichnungen nicht bei mir.
Aber er ist der. der sagt: der Mensch
ist gut. Und mit einem Hört. Frau
Professor Drangsal protegiert halt die
These, daß der Mensch gut ist, und
man sagt, das sei eine europäische
These, und Feuermaul soll eine große
Zukunft haben. Sie aber hat einen
Mann gehabt, der als Arzt in der gan¬
zen fielt bekannt war, und wahr¬
scheinlich möchte sie aus dem Feuer¬
maul auch einen berühmten Mann
machen: Jedenfalls besteht die Ge¬
fahr, daß deine Kusine die Führung
verliert und der Salon der Frau
Drangsal sie übernimmt, wo ohnehin
alle berühmten Leute auch ver¬
kehren.»457

Als Feuermaul hatte Musil Franz


Werfel auf dem Korn. Sie hatten ein¬
ander schon vor dem Ersten Welt¬
krieg zur Kenntnis genommen. Zu¬
mindest für Werfel ist dies belegt. Als
er im Frühling 1913 von dem Verle¬
1
ger Kurt Wolff gefragt wurde, ob er Alma Mahler-
Musil verpflichten solle, riet Werfel, Werfel (1879-1964)
erfolglos, zu. Die persönliche Be¬
kanntschaft zwischen den beiden Au¬
toren dürfte 1918 in Wien zustande 2
gekommen sein. Bertha Szeps-
Zuckerkandl
Musil verfolgte ironisch Werfels Be¬
(1864-1945),Jour¬
mühungen um die österreichische He-
nalistin und Gattin
J volution und zunehmend kritischer
des Anatomen
seine epische wie dramatische Pro¬ Prof. Emil Zucker¬
duktion. kand!

394
Der Dichter lieht i yter hem Balm
cles Lebens und sieht das Halten eines
Jcr MAß! Scöurlslflfl Eines ffiiener Geheimnisses; es schaltet, es tigert die
Soumnliften. Gesichter, es bricht aus, es zischt wie
lumjtfn, btt $enau#gcbcr bet .florrcfponbcn» gBiHieJtn”, loifet. Dampf aus Kesselfugen,
Iii^ec Wat 9gn<>d SB i l $ e I m, feiert % morgen feipen

schreibt Musil über Werfels Bocks¬


gesang».Musils Abneigung gegen
den Expressionismus ist in der Figur
Feuermaul inkorporiert.

Tf
-L-Jin kleiner Zeitungsausschnitt in
Musils Nachlaß belegt, auch der
Agent des «Man», der journalistische
Hofberichterstatter Meseritscher, ist
nicht erfunden. Er hieß Ignaz W il¬
helm.

Dieses Man, die überwachende Neu-


gierde der Öffentlichkeit, war natür¬
lich ein Mensch; gewöhnlich sind es ja
deren viele, in der Metropole Kaka-
nien überragte aber damals einer alle
übrigem und zwar war das Regie¬
KAIS.RAT WiLHELf^
Sofien GIcBnrfita g. ©erben Heiuen ölten ßerrn rungsrat Meseritscher. Geboren in
nut Dem guten, ftugen Glejicftt tinb b«n nodj immer fdnontjen
£>oaren rennen lernt, mitft if;ti fyxtyfdjäfccn mtb Iicbp«ninucn#
unbtoer t^n, ber je hi 70 $oljre olt ectoorben, ttom friiljen
Wallachisch-Meseritsch, wovon sein
Swrgeo ln# in bte fpole Wod^t Uncrmublidj auf ben Seine»
Name Spuren behalten hatte, war
dieser Herausgeber, Chefredakteur
und Chefberichterstatter der von ihm
gegründeten «Parlaments- und Ge¬
4
sellschaftskorrespondenz» in den
sechziger Jahren des vorigen Jahr¬
hunderts als junger Mann in die
Hauptstadt gekommen, der die Aus¬
sicht, den elterlichen Schnapsaus¬
schank in Wallachisch-Meseritsch zu
übernehmen, für den Beruf des Jour¬
nalisten huigab, angezogen von dem
Glanz des damals in Hochglut strah¬
lenden Liberalismus. Und alsbald
hatte auch er das Seine zu dieser Ära
beigetragen durch Gründung einer
Korrespondenz, die mit der Versen¬
dung kleiner lokaler Nachrichten po¬
lizeilicher Art an die Zeitungen
begann. Diese Urform seiner Korre¬
spondenz erregte dank des Fleißes,
der Zuverlässigkeit und Gewissenhaf¬

3 tigkeit ihres Besitzers nicht nur die


Franz Werfel Zufriedenheit der Zeitungen und der
(1890-1945), Vor¬ Polizei, sondern wurde in Bälde auch
bild des Dichters von anderen Hohen Behörden be-
Feuermaul merkt, zur Unterbringung wün¬
schenswerter Nachrichten, für die sie
nicht selbst einstehen wollten, be¬
4
nutzt, schließlich bevorzugt und mit
Regierungsrat
Material versehen, bis sie auf dem Ge¬
Ignaz Wilhelm,
Wien - das Vorbild biete der nichtamtlichem aber aus
des Gesellschafts¬ amtlichen Quellen schöpfenden Be¬
journalisten richterstattung eine Ausnahmestel¬
Meseritscher lung einnahm f54

395
I ) as < Man, die überwachende Neu -
DI-.M \l\\\OMNI I K.i \-' I!\!

' gierde der Öffentlichkeit» mag Musil


zw ar zu Kenntnis genommen haben,
aber man erwarb den «Mann ohne
Eigenschaften» nicht wie die «Bud¬
denbrooks» oder den «Zauberberg».
Deshalb trat der Kritiker und Schrift-
steiler Bernard Guillemin ca. Oktober
1932 an Thomas Mann mit der Frage ROBERT MUSIL
heran, ob es ihm nicht möglich sei,
'' I':
mit einem großen Essay auf den
j «Mann ohne Eigenschaften» hinzu¬ DER MANN OHNE
weisen, weil der Verkauf des «Mannes
ohne Eigenschaften» so ungenügend
sei, daß Rowohlt das Projekt nicht EIGENSCHAFTEN
weiterführen könne.
Thomas Mann antwortete darauf am I
-

4. November 1932 aus München, Po-


schingerstr. 1:
Über 200 Urteile
«Sehr verehrter 1 lerr Guillemin:
Sie haben vollkommen Recht, für
zählen dieses Werk zu den bc- dcrlnlands- Ulld
deutendsten Leistungen der
Musil und sein Werk muss etw as ge¬
gegenwärtigen Literatur, AllS1 andspTCSSC
schehen, wenn es so um sie steht, wae
manchestellen es noch höher. - -
Sie sagen. Dass der Einzelne wenig
tun kann, ist schmerzlich. Das Buch Ein Roman, der mit Klarheit, Leidenschaft und hei¬
hatte eine bewunderungsvolle Presse, terer Ironie das Leben schildert, wie es wirklich ist.
es sind wahre Hymnen darauf gesun¬
gen worden, und doch kein Verkauf
oder ein unzulänglicher! Das konnte
wohl nur in dieser Zeit geschehen, in
der sogar Bücher, die im Nu eine w äh¬
re Popularität gewannen, es bei Wei¬
tem nicht zu den Auflagen bringen,
an die man sich in den letzten Jahr¬
zehnten bei Erfolgsbüchern gewöhnt
hatte. Ich denke etwa an Kleiner

t Mann — was nun?> von Fallada. Mit


Musils grossem Buch ist es natürlich
viel schw ieriger. Etw as Neues zu sei¬
nem Ruhm zu sagen und die Lob¬ 1
sprüche zu überbieten, die ihm mit «Der Mann ohne
höchstem Recht gezollt worden sind, Eigenschaften»,
fühle ich mich nicht fähig und bin mit Schutzum¬
ausserdem in einer Weise belastet und schlag und Bauch¬
binde des Verlags.
beansprucht, dass ich einen Essay
Die Titelgestaltung
über das Buch, der doch ein ernstes
von E. R. Weiss ver¬
und anspruchsvolles literarisches Un¬
suchte in einem
ternehmen wäre, jetzt einfach nicht Signet, das manche
zustande bringe. Gerade aber ist wie¬ irrtümlich an das
der die herbstliche Biicher-Rundfrage Hakenkreuz erin¬
des <Tagebuch> eingetroffen, und un¬ nert, alle Buchsta¬
ter dem Eindruck Ihres Briefes habe ben des Namens
ich nun beschlossen, obgleich ich ihn MUSIL zu vereinen
schon voriges Jahr nannte, sonst kei¬
nen Titel anzuführen und nur noch
2
einmal mit allem Nachdruck auf dies
Oskar Loerke
Werk hinzuweisen, das. wenigstens
(1884-1941), Se¬
äusserlich, nicht zu seinem Recht ge¬ kretär der Preußi¬
kommen ist. Ich denke, das wird nicht schen Dichteraka¬
ohne W irkuug sein. Denn, w ie immer demie

396
PREUSSISCHE AKADEMIE DER KÜNSTE

BERLIN W 8, PARISER PLATZ 4

den 12. Januar 193^

An

die Mitglieder des Y/erkhilfenaus Schuss es.


(
Sehr verehrter Herr Kollege!

Haben Sie die Freundlichkeit, Jhre Stellungnahme zu dem fol¬


wieder versichert wird, sind diese En¬
genden Antrag Thomas Manns möglichst bald bekanntzugeben. Herr
queten des Tagebuchs tatsächlich von
Mann schreibt:
Einfluss, und ausserdem kann der
"Sie haben vielleicht im "Tagebuch" meinen Appell an das Fu- Verlag nach seinem Ermessen Ge¬
brauch von meiner Aeusserung ma¬
blikura in Sachen des Homans von Robert Musi^gelesen. Eine kleine
chen. Ich möchte sogar fast glauben,
Wirkung hat er, wie Rowohlt mir~ic^febT'wohi gehabt, aber natür¬ dass diese Demonstration nützlicher
sein kann als ein Artikel, wie viele
lich keine sehr ausgiebige, und nun höre ich von einer Musil nahe¬
erschienen sind. Ich glaube, dass Sie
stehenden Seite wiederum von den Schwierigkeiten, in denen der die Wirkung eines solchen überschät¬
zen. Ein derartiger isolierter Hinweis,
Verfasser des"Mannes ohne Eigenschaften" sich befindet, und von
wie ich ihn vorhabe, ist sehr mögli¬
der Gefährdung seines Werkes. Jch meine doch, dies wäre ein Fall, cher Weise einprägsamer und ein¬
wo die Akademie mit einer Werkbeihilfe eintreten sollte, und ich drucksvoller. Sie sehen jedenfalls,
dass Ihr Appell seine Wirkung auf
möchte daher hiermit beantragen, dass Robert Musil aus dem betref¬
mich nicht verfehlt hat.
fenden Fonds der Akademie eine Summe, wie sie uns eben erschwing¬ Ihr sehr ergebener
Thomas Mann»“*60
lich ist, 500^ bi3 1 000 Mark, bewilligt werden möge. Bitte brin¬

gen Sie den Antrag doch beschleunigt vor das zuständige Gremium!

! 1JAN. ly 33
Mit kollegialem Gruss
M usil veröffentlichte im Vinter
1932 die fragmentarische, aus 38 Ka¬
piteln bestehende Fortsetzung nur
Werkhilfenausschuss
auf Drängen des Rowohlt Verlags,
Jm Aufträge

a V5
o der sich in großen wirtschaftlichen
Schwierigkeiten befand, an den rela¬
tiven Erfolg des 1. Bandes anknüpfen
wollte und sich außerstande sah, den
2. Band ähnlich lange vorzufinanzie¬
ren wie den 1., nämlich rund ein hal¬
bes Dutzend Jahre. Auf Initiative
Thomas Manns schaltete sich die
Preußische Akademie der Künste,
Sektion für Dichtkunst, ein. In der
Ecke des Briefs von Oskar Loerke an
die Mitglieder des Werkhilfenaus¬
schußes notierte Walter von Molo:
«Ich bin dafür, Musil zu geben, was
wir frei machen können.»
Oskar Loerke, Lektor bei S. Fischer.
Lyriker, schätzte Musil hoch.
Im Juli 1922 notierte er über .Musil:
3
Antrag Thomas «Angenehm, klug, warm. Freude,
Mannsaufeine daß es Menschen ab und zu gibt,
Werkhilfe für die die Welt in der Gerechtigkeit
Robert Musil halten.»461
13 ie Voten der Mitglieder des
Werkhilfenausschußes fielen zugun¬
sten Musils aus. wenngleich die Nu¬
ancen bemerkenswert sind. Heinrich
Mann stimmte zu mit der Bemer¬
kung:
«Es ist wohl die Frage, ob ein Autor
ohne Kapital sich heute auf eine viel¬
jährige .Arbeit einlassen darf [...]
Wenn nun ein Schriftsteller, der seine
Berufung schon früher bewiesen hat¬
te. inmitten seines Unternehmens ge¬
fährdet ist. müssen wir offenbar einen
anderen Maßstab anlegen als
sonst.»-"’“

r
V Jottfried Benn antwortete Loerke,
«daß man sich wohl einem derartigen
.Antrag von Herrn Thomas Mann
nicht entziehn kann, auch wenn man
über den in Frage stehenden Roman
und seinen Autor anderer Meinung

13en massiven Vorbehalt, Intelli¬


genz sei eine Hypothek für einen
Schriftsteller, gab es augenscheinlich
auch außerhalb der Akademie bei
Autoren, deren Stil selbst stark re-
flektiv und essayistisch war. So
schrieb Walter Benjamin nach der
Lektüre des «Mannes ohne Eigen¬
schaften» am 23. Mai 1933 an Ger¬
hard Scholem über Musil:
«[...] ich habe diesen Autor bei mir
mit der Erkenntnis verabschiedet,
daß er klüger ist als er’s nötig hat.»464

13er «Mann ohne Eigenschaften»


polarisierte die Zeitgenossen. Oder
hinterließ eine Art von Ratlosigkeit
auf hohem Niveau wie bei Kurt
lucholsky. Als Autor des Rowohlt
Verlags schrieb er 1931 über den
Rowohlt-Autor Musil:
«Leben ist aussuchen. Und man su¬
che sich das aus, was einem erreich- ]
bar und adäquat ist, und an allem Heinrich Mann
andern gehe man vorüber. Ließe man (1871-1950)
mich auf .Andre Gide, auf Paul Clau¬
del. auf Robert Musil los: das gäbe ein
rechtschaffenes Unglück. Ich verste- ^
he sie nicht; sie sagen mir nichts; ich Walter Benjamin
weiß gar nicht, was ihre Schriften zu t1892-1940)
bedeuten haben. Ich habe mich be¬
müht: ich weiß es nicht. Ich spüre die 3
geistige Potenz - das genügt aber Gottfried Benn
nicht. Also habe ich zu schweigen. (1886-1956)

39«
wenn von ihnen die Rede ist, und
nicht etwa zu glauben, dadurch, daß
ich eine Meinung über sie abgebe,
hätte ich sie schon verdaut.»465

••

T^Jber die Beziehung Musils und Jo¬


seph Roths zueinander zeichnete So¬
ma Morgenstern Folgendes auf:
«Ich war fast sicher, daß die zwei
nicht zueinanderfinden würden. Mu¬
sil war ein poeta doctus [...] Roth
hatte eine Abneigung gegen Denker-
Künstler. [...] Als Musil sich verab¬
schiedet hatte [...] sagte Roth: <Er
spricht wie ein Österreicher, aber er
denkt wie ein Deutscher. Fast so, wie
deine Freunde Benjamin oder Bloch.
Lauter Philosophen.)
Ein Jahrzehnt später, vielleicht schon
im Jahre 1938 in Paris, fragte mich
ein österreichischer Emigrant, ob
Roth den «Mann ohne Eigenschaften»
gelesen habe. Es saßen mehrere Leute
an unserm Tisch, auch Roth, der
schrieb, aber er hörte die Frage und
beeilte sich, sie selbst zu beantworten:
«Ich habe ein ganzes Stück mit Ver¬
gnügen gelesen. Aber wie er dann auf
tausend Seiten Österreich immer wie¬
der Kakanien nennt, und noch einmal
Kakanien und noch einmal Kaka¬
nien, habe ich aufgehört. Das ist ekel¬
haft!» Das w ar alles über den «Mann
4 ohne Eigenschaften».
Kurt Tucholsky Nach dem Erscheinen des ersten Ban¬
(1890-1935) des von Musils Meisterwerk erschien
Joseph Roths «Radetzkymarsch». Als
Musil von Berlin nach Wien zurück¬
5
kam, fragte ich ihn gelegentlich, ob er
Joseph Roth
diesen Roman gelesen habe. [...]
(Bildmitte) und
Nach vielen Monaten kam er darauf
Soma Morgenstern
(rechts), der Musil und zurück. [...] «Es ist ein sehr hübsch
Roth ca. 1928 im Cafe geschriebener Kasernenroman. Hal¬
Museum, Wien, ten Sie dieses Buch für einen bedeu¬
zusammenbrachte tenden Roman?»»466

399
1933-1938

INS TAUSEND¬
JÄHRIGE REICH
I\s | U >| ND.IMIIC

den 30. Januar 1933

Hochverehrter Herr Dr. Mus i ±,

der Werkhilfenausschuss der Abteilung für Dichtung

möchte sich die Freude machen, Jhnen zur V/'eiterführung Jhres

grossen ?.Omanwerkes eine Werkhilfe von 1000 F-f zur Verfügung

zu stellen. Diese Summe möchten wir Jhnen in einer oder z-ei

F.aten, je nachdem wir sie von der Bau-uno Finanzdirektion

erhalten können, auf dem Postwege zugehen lassen. Wir hoffen,

dass keine nennenswerte Verzögerung eintreten wird.

Mit verehrungsvollem Gruss und den besten Wünschen

Jhr vollkommen ergebener

fi e rkhi lf enausschuss

Jm Aufträge

Herrn

Dr. P.obert Musil


1
Berlin * 15
Fackelzug anlä߬
lich von Hitlers Kurfürst^ndamm 217
«Machtergreifung) Pension Stern
-A.m Tage von Hitlers Ernennung am 30. Januar 1933
zum Reichskanzler teilte Oskar Loer-
ke Musil im Namen der Preußischen
2
Akademie der Künste mit. daß er eine
Zusage einer
Werkhilfe von 1000 RM erhalte
Werkhilfe von 1000 RM
Bald darauf wurdt
durch die Preußische
gleichgeschaltet. Akademie der Künste 2

402
3
Siegfried von Kar-
dorff, Vizepräsi¬
dent des Deutschen Die schöne Erscheinung des Abc
Reichstags. Kardorff irn undeutlichen Licht von
Musil verkehrte in
Stehlampen, der verzweifelt das Ge¬
seiner Familie
sicht in den Händen vergräbt. Alle
Vorstellungen brachen ihm zusam¬
4 men. Er schämt sich der Nation. Er ist
Robert Musil in den sehr groß, kräftig-schlank, hat dich¬
frühen dreißiger tes gescheiteltes meliertes Haar und
Jahren ein adeliges Gesicht.46?

403
-lüiiyrnv'is i\ i sm

Hitler, ein Person gewordener


Affekt, ein sprechender Affekt. Erregt
den Hillen ohne Ziel.
Unheimlicher Eindruck: Spät abends
ein Polizeiauto mit Hakenkreuzfah¬
nen und singenden Schupos, schnell
den Kurfürstendamm hinab fahrend.
Der heutige Deutsche hat er¬
schreckend wenig Wirklichkeitssinn.
Am Kriegsopfertag viele Autos mit Ab¬
ordnungen, Palmen, Studenten in
Wichs. Siegesrauschstimmung, wo es
ein Arbeitsanfang ist. Die Earnilien-
blattliteratur hat auch keinen Hirk¬
lichkeitssinn.
Ein Mann hat ein Volk erobert! (Chri¬ 1
stus mit Radio, Auto, Vereinsbin- Hitler beim Einstu¬
dung)M>H dieren seiner Posen

404

i
V

Der grosse Geist selbst hatte vor


zwei, drei Tagen noch das Gefühl,
man «müßte» sich zur Verfügung stel¬
len, man müßte G. [oebbels?] töten;
heute fällt ihm schon ein, mit Kommu¬
nisten ist eine Zusammenarbeit un¬
möglich, man muß sie, wo man etwas
leisten will, hinausdrängen, die neu¬
en Leute wissen also, was sie wollen
und wenn sie es auch im Höheren
wüßten, wäre es vielleicht ein histori¬
sches Zwischenglied, das Sinn hat.
Etwa so, daß sich bis zu ihrer ge¬
schichtlichen Ablösung eine höhere
Stufe des Sozialismus entwickeln
könnte als durch die Diktatur des
Proletariats, die sehr plötzlich vieles
zerstört. Der große Geist ist eben ein
2 Bourgeois, den bei der Umwälzung
Robert Musil 1931 keine Existenzsorgen drücken.* "

405
: IM I >mil\ l'(l\ IS l\ I s\l

m Musil ein sorgenfreieres Arbei¬


ten zu ermöglichen, konstituierte sich
in Berlin ca. 1932 eine inoffizielle
Musil-Gesellschaft, deren wesentli¬
cher Zweck war, Geld zu sammeln.
Auf Grund eines entsprechenden Ap¬
pells kamen angeblich rund 8000
Reichsmark zusammen. Der Kreis der
Spender bestand zu einem großen
Teil aus reichen und gebildeten Ju¬
den, die nach Hitlers Machtübernah¬
me aus Deutschland fliehen mußten.
1
Der Umkreis der
Wolfdietrich Rasch beschreibt das
Berliner Musil-
Milieu, in dem Musil verkehrte und
Gesellschaft:
das ihn förderte, so:
Professor Richard
«In diesem Winter [1932] hatte ich von Mises
Musil in Berlin kennengelernt, und
zwar — das ist kennzeichnend — im
Hause des bedeutenden Mathemati¬ 2
kers Richard von Mises [...] Mises Professor Curt
war von seiner Wiener Schulzeit her Glaser, Leiterder
Staatlichen
mit Hofmannsthal bekannt und hatte
Kunstbibliothek,
die größte private Sammlung von
einer der
Handschriften und Ausgaben Rilkes.
Initiatoren
Sein Haus am Sigmundshof im Tier¬
der Gesellschaft
garten war ein echtes Stück öster¬
reichischer Kultur in Berlin, Mathe¬
matikern, Naturwissenschaftlern und 3
Männern der Literatur gleicherma¬ Walter Feilchen-
ßen offen. Das war eine sehr gemäße feldt, Mitinhaber
Atmosphäre für Musil. In Mises ver¬ der Kunsthandlung
Paul Cassirer
band sich ein differenziert-verfeiner-
ter, sublimierter Positivismus mit
höchstem geistigen Niveau und mit 4
einem echten, erlesenen musischen Der Bankier
Sinn.»4 4 Arthur Rosin

-MX)
D ie meisten Mitglieder der Berliner
Musil-Gesellschaft hatten nach Ent¬
stehung des Dritten Reiches, selbst
emigriert, keine Gelegenheit mehr,
Musil finanziell unter die Arme zu
greifen. Eine Ausnahme bildete Klaus
Pinkus, in heikler Gleichzeitigkeit
Heinrich Mann wie Musil freund-
5 schaftlich verbunden.
Der Schriftsteller Am 21. Oktober 1933 schrieb ihm
Max Tau Musil:

Und nun muss ich Ihnen auch sagen,


6 lieber Freund, daß sich um mein Le¬
Der Maler
ben seit dem Umsturz niemand mehr
Konrad von Kardorff
bekümmert hat als Sie, der Sie selbst
wahrscheinlich am wenigsten dazu in
7 der Lage sind, und daß ich Ihren
Der Bankier und Edelmut und Ihre Unerschütterlich-
Mäzen Klaus Pinkus keit bewundere!*

407
IM l< II
I\s |Al s| M).|\HI!|U

I3ri der Bücherverbrennung am


10. Mai 1933 wurden u. a. die Schrif¬
ten von Musils Mentor \lfred Kerr
«wegen dünkelhafter Verhunzung
der deutschen Sprache», seiner Ro¬
man-Figur Lindner alias Friedrich
Wilhelm Foerster. Sigmund Freuds,
Heinrich Manns. Kurt Tucholskys,
Georg Bernhards u. v. a. m. den
Flammen übergeben.
Im Laufe des Jahres 1933 schlug Ru¬
dolf Binding Musil als Stipendiaten
der Harn-Kreismann-Stiftung vor.
In einem Brief an das Preußische Mi¬
nisterium für Wissenschaft, Kunst
und Volksbildung vom 29. November
1933 entschuldigte sich Binding des¬
wegen und erklärte sich bereit, zu
eruieren, ob Musil jüdischer Abstam¬
mung sei. Obwohl Musil nur «jüdisch
versippt» war, wie der amtliche Jar¬
gon lautete, schlug er an seiner Stelle
Ina Seidel vor.'* r’
Elf Tage nach der Bücherverbren-
nung reiste Musil für drei Wochen
nach Karlsbad (ca. 21. Mai bis 12. Ju¬
ni 1933), und anschließend war er bis
5. Juli Gast auf Schloß Potstejn in
Böhmen bei Gräfin Mary Dobrzen-
sky, die auch mit Rilke und Ea von
Allesch befreundet war. Von dort
kehrte er nach 20 Monaten in seine
Wiener Wohnung (Rasumofskygas-
se) zurück.
Noch von Karlsbad aus bilanzierte
Musil am 11. Juni 1933:

Ich[. ..] habe das letzte Jahr i.xBer-


tin zugebracht, zuletzt einfach festge¬
halten von dem Zustand Deutsch¬
lands, der sich jeden Tag neu Über¬
schlag, während ich immer mehr er¬
starrte. Ich habe die Zeit gekannt. wo i
. man noch nicht an den Krieg glaubte, Bücherverbrennung
und dann den Krieg, aber was jetzt jn Berlin,
I geschehen ist und noch geschieht, ist 10. Mai 1933
[ viel unverständlicher, obgleich es mir
I eigentlich keine Schwierigkeiten in
. den Heg legt. ...] Wahrscheinlich ist *
jj es auf die Doppelform zu bringen: Rudolf Binding
- wirkliches geschichtliches Geschehen H 867-1938)
| in der Richtung der Kollektivierung
1 der Menschheit; Träger des Gesche- j
j hens der halbgebildete Mittelstand Gräfin Mary Dobr-
| und darum der große Rückschritt vor zenslcy im Park von
dem neuen Anlauf4?ä* Schloß Potstejn

40H
w

409
politische Entwicklung in
Hl l

Deutschland blieb nicht ohne böigen


für den österreichischen PEN. Auf
INS I M Sl MXIMIRK I

dem PEN-Kongreß von Ragusa


(25.—28. Mai 1933) kam es zu einer
Resolution gegen die «Ruchverfol¬
gungen» und gegen die Angriffe auf
«die Freiheit der Schriftsteller» in Na¬
zi-Deutschland. Diese Resolution, die
mit Unterstützung der österreichi¬
schen Kongreßteilnehmer Csokor,
Fontana. Frischauer, Sonka u. a. zu¬
stande kam. führte in der Folgezeit zu
schweren Spannungen mit den völki¬
schen und Hitler-freundlichen PEN-
Mitgliedern. In einem Brief an Ferdi¬
nand Bruckner vom 9. Oktober 1933
berichtet Csokor:
«Hier bemühen sich die Reste der un¬
garischen Emigration von 1919 um
V isa, falls es von hier, von Rom oder
Berlin aus an den Kragen gehen sollte.
Das beste Barometer dafür ist unser
Rurnpf-Pen-Club: nachdem ihn die
eindeutige Gruppe um Bruno Brehm
verlassen hat, bröckeln noch weitere
ab — sogar unser verehrter Präsident
ist ausgetreten, so daß Fontana und
ich mit Jacob, Frischauer, Robert
Neumann, Sonka und Robert Musil
verblieben sind!»'*

In Österreich wollte Bundeskanzler


Dollfuß seinen autoritären christli¬ 1-8
chen Ständestaat durchsetzen und Von links nach
rechts: Mitglieder
bekämpfte den Nationalsozialismus
des österreichi¬
gleichermaßen wie die Sozialdemo¬
schen PEN-Clubs:
kratie. Nach dem Verbot des republi¬
Bruno Brehm,
kanischen Schutzbundes erhoben Oskar Maurus
sich im Februar 1934 die österreichi¬ Fontana, Heinrich
schen Sozialdemokraten. Ihr Auf¬ Eduard Jacob,Paul
stand wurde blutig niedergeschlagen, Frischauer, Robert
die Sozialdemokratie in Österreich li¬ Musil, Robert Neu¬
quidiert. ln einem Brief an Klaus Pin- mann, Sonka,
kus vom 21. Oktober 1933 hatte Mu¬ FranzTheodor
Csokor
sil geäußert:

[...] dass rav der Sozialdemokratie 9


als politischer Organisation irgendei¬ Niederschlagung
ne entscheidende Äußerung noch zu des sozialdemo¬
erwarten wäre, wird meines IVissens kratischen Auf¬
nirgends mehr angenommen. Dabei stands am 14. Fe¬
ist aber die Arbeiterschaft zwar im bruar 1934 durch
Augenblick keine Macht mehr, doch Dollfuß-treue Bun¬
aber noch eine harte Masse und da destruppen

ihr der Austrofaschismus nicht einmal


ein soziales Schlagwort anbietet, son¬
10
dern bloß gegen ihre bisherige politi¬
Zerstörtes Arbei-
sche Vertretung drückt, dürfte er terbildungsheim,
nicht viel Glück bei ihr haben.* * Wien

410
411
>1 m imm\kivis
n.i km

In Bruno Fürsts kurzer Geschichte


der Wiener Musil-Gesellschaft 1934
bis 1938 ist zu lesen:
«Eines Tages, im Jahre der «Machter¬
greifung», erfuhr ich, daß Musils so
gut wie mittellos in Wien angekom-
men seien. Auf welche Weise es dazu
kam. daß wir uns zu einer Bespre¬
chung im Cafe Herrenhof trafen,
weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur
noch, daß er mir am Ende ruhig und
sachlich, als ob er von einem Dritten
spräche, sagte, dieser Tag sei die letz¬
te Frist gewesen, die er dem Schicksal
gesetzt hätte. [...] An wieviel hundert
Menschen unser Gründungsaufruf — 1-3
dessen würdevolle Reserve seine pu¬ Förderer Musils in
blizistische Wirksamkeit sicherlich Wien 1934-1938
nicht förderte — schließlich verschickt Von links:
wurde und warum gerade an diese, Stella Ehrenfeld,
wüßte ich nicht mehr zu sagen; aber Alfred Ehrenfeld,
Ernst Polak
bei einigem Nachdenken könnte ich
mehr als die Hälfte der ungefähr zwei
Dutzend Menschen namentlich auf¬
4-6
zählen, von denen wir schließlich eine Bruno Fürst, Erna Fürst,
mehr oder weniger bedingte Zusage Karl Graf Wilczek
erhielten. !...] Von den ganz wenigen
Unentwegten, die niemals versagten,
möchte ich besonders meinen verstor¬ 7-9
benen Freund Carl Askonas erwäh¬ Milan Dubrovic,
nen. [...] Oft, wenn ich den Men¬ Alexander Hartwich,
Robert Brunner
schen gegenübertrat, die man mir als
literarisch interessiert genannt hatte,
sank mein Herz, und fast verlor ich
10-12
den Mut, den Namen Robert Musil Carl Askonas,
auszusprechen. Waren es sehr Belese¬ Rudolf Förster,
ne, denen ich mein Anliegen vor¬ Otto Pacht
brachte, so konnte es geschehen, daß
sie unsicher fragten: «Musil? Meinen
Sie Alois, den Orientalisten?» Von Ro¬ 13
bert, dem Autor des «Mann ohne Ei¬ Aufruf zur Gründung
eines Musil-Fonds,
genschaften», hatten sie offenbar
Wien, Mai 1934
noch nie gehört. [...]- ich gedenke
dankbar der Generosität Rudolf För¬
sters und Raimund von Hofmanns¬ 14
thals. ,479 Robert Musil

412
Euer Hochwohlgeboren!
Der Freundeskreis hat sich darum die Aufgabe gesetzt, die Vollendung

Wir erlauben uns, Ihnen mitzuteilen, daß sich ein Kreis kunstverständiger
des großen Romanwerkes «Der Mann ohne Eigenschaften- zu sichern, indem

Menschen zusammengeschlosscn hat, in der Absicht, einen


er die dazu nötigen Mittel zunächst für ein Jahr aufzubringen trachtet. Wir

denken an einmalige größere Zuwendungen oder an monatliche Beiträge in


ROBERT MUSIL-FONDS
der Höhe von 20 bis 50 Schilling, wobei wir es selbstverständlich nicht aus-
zu bilden.
schlicßrn, daß sich jeweils ein kleiner Kreis von Freunden zur Aufbringung

Wir dürfen vonusseuen, daß Ihnen nicht nur die ungewöhnliche des gewidmeten Betrages zusammenschließt.

Bedeutung Robert Musils bekannt ist, sondern auch die öffentliche Aner¬
Über diese unmittelbar drängenden Erfordernisse hinaus ist es unser

kennung und das kritische Urteil, das ihn zu den größten Erscheinungen
sehr begreiflicher Wunsch, dem Dichter in seinem Schaffen als Freunde

rechnet, die die deutsche Uteratur unseres Zeitalters hervorgebraeht hat. seines Werkes auch in Zukunft zur Seite zu stehen.

Dennoch sind die großen Schwierigkeiten, unter denen das Werk dieses
Die einlaufenden Beträge werden im Einvernehmen mit Robert Musil

Schriftstellers entsteht, unbekannt. In Wahrheit hat Robert Musil die bi her


von einem Kuratorium verwaltet, dem die Herren Dr. Bruno Fürst, Dr. Paul

vorliegenden Teile seines Romanwerkes »Der Mann ohne Eigenschaften»


Neumann, Wien I. Tuchlauben 13, und Dr. Karl Graf Wilczek, Wien L

nach dem Verlust seines Privatvermögens nur unter den größten materiellen Herrengasse 5, angchören.

Schwierigkeiten geschrieben und befindet sich heute, nachdem die Mittel


Zuschriften werden erbeten an den Schriftführer des Kuratoriums,

aus dem Ertrag seiner Bücher seit einem Jahr erschöpft sind, in einer völlig
Dr. Bruno Fürst, Wien L Minoritenplatz 3, Einzahlungen auf das Postspar¬

ausweglosen Lage. Wir berufen uns auf die der Sähe Musils gewidmeten
kassenkonto des Genannten, Nr. B 194.084 (Robert Musil-Fonds).

Worte von Thomas Mann:


Wir glauben erwarten zu dürfen, daß der ausgewählte Kreis, an den

»Man muß die Öffentlichkeit aufrufen und sie ermahnen, daß sie sich
wir uns wenden, die Verpflichtung gegenüber diesem österreichischen Dichter

nicht durch Teilnahmlosigkeit schuldig mache an der Verkümmerung eines


anerkennen wird. Die Ungewöhnlichkeit der Zumutung möge entschuldigen,

dichterischen Unternehmens, dessen Außerordentlichkeit, dessen einschnei¬


daß wir noch einmal betonen, wie wichtig für die gesamtdeutsche Kultur

dende Bedeutung für die Entwicklung, Erhöhung, Vergeistigung des deutschen


der Gegenwart die Rettung und Sicherung seines Werkes ist.

Romans außer Zweifel steht.«

Man wird verstehen können, daß eine solche Leistung nur durch eine
DIE FREUNDE DES DICHTERS

ungemeine Konzentration und eine vertiefte Arbeit errungen werden konnte,

die den Dichter der Möglichkeiten des leichten Erwerbs beraubt haben. Wien, im Mai 1934

413
~ ;

j f
f VJafe Parsifal, Wien. Wallfischgas-
'l? . . ^
— se. hieß der Treffpunkt Musils mit
seinen Förderern aus der Wiener Mu-
j sil-Gesellschaft. wie Bruno Fürst und
Otto Pacht. Gelegentlich machte er
Äußerungen über seine Lektüre, wie

Ich lese jetzt Tolstois .Krieg und


Frieden», um meinen Erzähl-Stil zu
ölen.. .480

tj rgiebiger sind die Reminiszenzen


Erwin Hexners an einen gemeinsa¬
men Ausflug nach Mariazell. Musil
besuchte den Ort mit dem Ehepaar
Hexner an einem Wochenende gegen
Ende April/Anfang Mai 1934. Erwin
Hexner erinnert sich:
«Musils intellektueller Interessen¬
kreis war außerordentlich breit und
tief. Freges Zahlentheorie, die radi¬
kale philosophische Wandlung Witt¬
gensteins nach der Publikation seines
<Tractatus>, Santayanas Verhältnis
zu den traditionellen Institutionen
von Vaterland und Kirche, der Ratio¬
nalismus von Gondorcet, die Grund¬
lage einer agnostischen Ethik, das
Verhältnis zwischen Logik und Ma¬
thematik bilden eine (nicht ganz vol¬
le) Zusammenstellung der Gegen¬
stände, über die Musil während eines
Wochenendausfluges nach Mariazell
mit Interesse und Leidenschaft
sprach. Theorien von der Unumgäng-
i lichkeit bestimmter historischer Er¬
eignisse und der Gesetzmäßigkeit in
der Geschichtsentwicklung waren
ständige Gegenstände seines Spottes. -j
1 legel, Marx und Spengler studierte C(jf • par$ifa|/ W)en
; er, um sie zu widerlegen. Er bewun¬
derte das Werk des damals jungen
W iener Philosophen Karl Popper, der 2
sich mit diesen Fragen auseinander- Mariazell
. setzte. Der <grand amour> Musils un¬
ter den griechischen Dichter-Philo- »
sophen war Euripides. Er identifizier- . _ .
. • 1 • • . . . Musil mit Erwin und
te sich einigermaßen mit ihm. der r- ...
... , Gertrud Hexner
| auch bewundert, aber zu semer Le- vordem Berghotel
! benszeit nicht entsprechend belohnt auf der Bürgeralpe
I wurde.» bei Mariazell

414

1
Da Musil nach Berichten Bruno
Hirsts Mitte der dreißiger Jahre schon
sehr empfindlich auf Höhenunter¬
schiede reagierte, mußten die Orte für
sommerliche Vakanzen sorgfältig ge¬
wählt werden. Gasthof zur Rose,
Mayrhofen im Zillertal, lautete Musils
Urlaubsadresse von ca. 20. Juli bis
Anfang September 1934.
Am 18. Juli schrieb er an Klaus
Pinkus:

[. • •] GEHE ICH [. . .] NÄCHSTER TAGE


nach Mayrhofen im Zillertal und
freue mich nicht sonderlich darauf
mit Ausnahme der Gebirgsluft.
Ich nehme sogar die Arbeit mit, aber
eigentlich will ich drei Wochen lang
die Zügel etwas lockrer lassen. Meine
Ungeduld, endlich einmal fertig und
frei für Neues zu werden, steht in ei¬
nem etwas unglücklichen Gegensatz
zu der Geduld, mit der ich jedes Kapi¬
telfünfmal schreibe, ehe ich es erträg¬
lich finde, und so bin ich mit dem
ersten Entwurf (der definitiven Ro¬
mangestalt) schon am Ende, indes ich
mit den «beinah druckfertigen» Kapi¬
teln noch so weit zurück bin, daß ich
schon fürchte, selbst zum Frühjahrs¬
termin noch nicht ganz fertig zu sein.
Ich schreibe gerade jetzt eine Reihe
davon, wo ich die Liebe als personales
Phänomen zur Liebe «als dem Leben
selbst» ausdehne und das Geschwi¬
sterpaar mit Menschen- und Natur¬
welt auseinandersetze. Sie werden
mit meiner Individualitätsphiloso¬
phie zufrieden sein; ob auch mit mei¬
ner Behandlung der Natur, ist dabei
vielleicht ein wenig fraglich. Denn ich
gehe mit der Natur etwas finster und
herrisch um, indem ich sie den seeli¬
schen Forderungen unterordne, die
Liebe zur Natur wie die andere Liebe
^ analysiere und den mystischen Kern
~ . , „ finde, der leider ungenießbar ist. In
Gasthof zur Rose, J . 6 r .
Mayrhofen im Zillertal der Tat> lch &aube s0 weniS die
Natur wie an den Menschen; sogar
genau ebenso wenig.*61
5
Rückeroberung O
des Rundfunks durch l^ieben Tage nach Abfassung dieses
Regierungstruppen, Briefs wurde Engelbert Dollfuß, der
u 1 österreichische Bundeskanzler, wäh¬
rend des nationalsozialistischen Put-
c sches vom 25. Juli 1934 ermordet. Er
Bundeskanzler verblutete, während regierungstreue
Dollfuß, in seinem Truppen die Schlüsselpositionen in
Amtssitz von Nazis Wien, wie den Rundfunk (die RA-
ermordet VAG), zurück eroberten.

415
Nr 11313
1 )IHII\KI\ IS IV1SM

Kj leich nach seinem Eintreffen in


Wien im Sommer 1933 ließ Musil
durch einen ihm ergebenen Ministe¬
rialrat und später noch einmal durch
einen sehr beziehungsreichen Mann
vorfühlen, ob sich die Regierung nicht
in Würdigung der Umstände an einer
Spende für ihn beteiligen wolle. Aber
das Ergebnis war ganz negativ. We¬
der der Staat Österreich noch die
das Heimatrecht in WIEN besitzt
Stadt W ien waren vorderhand bereit,
ihre Kulturfonds außer der Reihe zu
strapazieren. Immerhin: der Magi¬
strat der bundesunmittelbaren Stadt
Wien überreichte dem Schriftsteller
einen prächtigen Heimatschein. VOM MAGISTRAT DER
Gelegentlich konnten ehemalige Mit¬ BUNDESUNMITTELBAREN STADT WIEN
glieder der Berliner Musil-Gesell¬ IM SELBSTÄNDIGEN WIRKUNGSBEREICH
schaft eine freundliche Geste machen.
So lud der Bankier Arthur Rosin den
Autor im .Anschluß an seinen Zillerta¬
ler Aufenthalt nach Toblach (Dob-
biaco) in Südtirol ein. Rosin hatte
dort ein Ferienhaus gemietet. Musil
blieb vom ca. 5. bis 12. September
und schrieb darüber an Klaus Pinkus;
er hätte herrliche, auch für die .Arbeit
— SEwi de
nicht unfruchtbare acht Tage am
Brenner verbracht, die Tag um Tag 1
aus dem glücklichen Zaudern hervor¬
wuchsen.483

Ich KANN MIR VORSTELLEN. EINE BAURIN


zu heiraten und ein nicht allzu
schlechter (wenn auch natürlich
schlechter) Bauer zu werden. Wenn
ich dann täglich die andern um mich
hätte, mit meiner Unter- und Überle¬
genheit, ordneten sich die Eindrücke
bald nach ihrem Gewicht und Druck. 1
\ So könnte eine gute realistische Dich¬ Heimatschein
tung entstehn, worin alles erlebt und Robert Musils,
, Lockerung von Druck ist. Aber bliebe Wien 1935
das nicht die einmalige Leistung eines
| Lebens? Es ist, vom Standpunkt der
2
| Literatur, ein äußerst unökonomi-
Robert Musil und
I sches Verfahren. Die Gedanken-
Arthur Rosin bei
dichter sind die lebens-ökonomi- Toblach (Südtirol),
t scheren.484 September 1934

41h
;:l
i )I>111\ f(l\ IS l\ I SM

W ie viele andere Autoren ent¬


deckte Musil in den späten zwanziger
Jahren den Rundfunk für sich, als In¬
strument der Werbung zugunsten sei¬ „ 3t»W!ättm b«f
ner Bücher und als direkte Einnah¬ t*utfd>er Crfrrtftftefter in Oefttrrtid).) finbtt on*
mequelle. Weitere Reisen mußte er Iäfilidi bei jmanjiajäljrigen s-öcftanbeß beß sxf)u&»wbonbfß beutfdjfr
oft von Rundfunkhonoraren abhän¬ ©djTiftftetter irt Ucftcrreicfj um 10.30 Uljr tm Onßenieur* utib
gig machen. Da der österreichische 2rdiitetttem>emn, I. (Sjdjenbndjflciffe 9, ein« ftefifeter öor ßelabenen
Rundfunk für 20 Minuten Sprechen ©äflen flott. einer ScßrüBunflßcmfprödje beß beseitigen
200 Schilling Honorar zahlte, lehnte ’ißräfibenten Oßiutr Sftauruß $ o n t o n o jpitb ftulio 3 a n f f e n
Musil entsprechende Einladungen non granj @ i n j & e 9 (^räftbent beß «©djufcüertatrbeß
auch nach dem Februar 1934 nicht ooti 1917 biß 1923) bie „SRomnnje oom ftünftter* urtb 5Änoul
ab. obwohl die in Österreich unter¬ 2 81 o n üon ßuao o. $0fmonitätljäi OPräftben* »on
drückte oder emigrierte Linke Auf¬
1923 Wß 1929) bte yiebe „(Smttparyt uitb unfet Oejlmeidj" not*
Icfctt. ^ierouf halt ber frühere ^ßröftfccrrt beß ’Sajufewrfwubeß
tritte in der RAYAG als Einverständ¬
Robert 97? w f 11 einen fteftoortrag „$er 3>icf)ter in biefer 3^"-
nis mit dem Klerikofaschisinus aus¬
legte.

2
Die tech.xischex RituE der Rmag
[...] schwarz-glänzende Maschinen,
geharnischtes Geheimnis. hohe
Athergeschützbatterien u. ä. [...]
Dann eine dünne Rand, und dahinter
sitzt Herr Professor Nüchtern.
i Schmale Stirn (Affenstirn?), kleiner
stark behaarter Schädel, daran hän¬
gend ein großes, länglich-volles Ge¬
sicht. Dieses Gesicht zeichnet sich
durch eine auffallende Leere aus wie
die Fläche eines Sees und wie diese 1
kann es von innen und unten nach Studio der RAVAG,
allen Seiten bewegt werden. Man hat Wien
, den Eindruck. daß es ebenso leicht in
Demut wie in Hochmut übergeht, in
Behagen wie in Ernst [... ] Sehr viel
2
Ankündigung von
Unsicherheit ist darin und viel gutes
Musils Festvortrag
, Gewissen.
«Der Dichter in
An der Hand hängt ein großes Porträt dieser Zeit» für
des Quasi-Dichters.48S 16. Dezember 1934

-t 18
In einer wenn schon nicht gewalti¬
gen, so doch gewalttätigen Zeit, in der
der Geist oft genug mißhandelt wur¬
de, hatte das zwanzigjährige Bestehen
eines «Schutzverbandes Deutscher
Schriftsteller» eine symbolische Be¬
deutung. Musil, als ehemaliger zwei¬
ter Vorsitzender zum Festvortrag ein¬
geladen, versuchte die Rolle des Gei¬
stes im anbrechenden Zeitalter des
Kollektivismus zu bestimmen:

Wir müssen den harmlose* Satz, dass


im Kollektivismus die menschenbil¬
dende Einwirkung von außen über¬
wiege, darum in der ff eise ergänzen,
daß der Mensch als Staatsbürger
mancherorts heute so organisiert
wird, daß von ihm beinahe nichts iib-
rigbleibt als der unendlich kleine
Schnittpunkt der verschiedenen öf¬
fentlichen Ansprüche. Der individuel¬
len Sphäre wird die Mehrzahl der
Rechte entzogen und der öffentlichen
überantwortet, und daraus erst ist ein
äußerst fragwürdiges Verhältnis der
Politik zu den schöpferischen Kräften
außerhalb der Politik entstanden,
das wohl allen Formen des Kollekti¬
vismus gemeinsam ist, wenn auch die
angewandte Gewalt [...] so verschie¬
den ist wie ff indstärke Zehn und eine
angenehme Brise [...] '*8b

Bei der Wiederholung des Vortrags


im November 1935 in Basel fügte Mu¬
sil hinzu:

Wir haben uns damals alle in Unge


wißheit befun den, wie der Begriff des
Autoritären [...] ausgelegt werden
wird. Das deutsche Vorbild lag trotz
aller Gegensätze scheinbar doch
nicht so ganz ferne, auch eine Restau¬
ration befürchteten viele [...]
So gab es denn damals viele Befürch¬
tungen, die nicht ausgesprochen wur¬
den, und ich glaube, der Erfolg dieses
meines Vortrags hat hauptsächlich
darin bestanden, daß ich überhaupt
gesprochen habe; und dann auch
darin, daß ich, ohne an dem politi¬
schen Geschehen freundlich oder
feindlich teilzunehmen, unbefangen
3
darauf hingewiesen habe, daß es
Auditorium bei
Musils Vortrag zum auch noch anderes zu gewinnen —
zwanzigjährigen oder zu verlieren, und jedenfalls zu
Jubiläum des SDS. bedenken gibt, als das, was politisch
2. v. I., 4. Reihe: bewegte Zeiten in den Vordergrund
Erwin Hexner stellen.486,1

419
Ul
INS TU Sl M).l M IKK .!

l\_ngeblich auf Betreibe» von Dr.


Paul Friedländer und seiner I ran
Martha (die einst die Helmstreitmüh¬
le in Mödling geleitet hatte und nun
mit ihrem Mann nach Paris emigriert
war) wurde Robert Musil zum Ersten
Internationalen Schriftstellerkongreß
zur Verteidigung der Kultur eingela¬
den. Er fand vom 21. bis 25. Juni
1935 in Paris statt.
Von seinen Freunden Fürst und
Pacht wurde Musil gedrängt, der Ein¬
ladung zu folgen. Damit Martha ihn
begleiten konnte, tauschte er die
Fahrkarte zweiter Klasse in zwei Bil¬
letts dritter Klasse um und fuhr so in
der Holzklasse nach Paris. Der Kon¬
greß sollte offenbar zur Errichtung
einer Volksfront gegen Hitler beitra¬
gen. Die Initiative ging von der Inter¬
nationalen Vereinigung revolutionä¬
rer Schriftsteller aus, die in vielen
Ländern die Entwicklung revolutio¬
närer Schriftstellerorganisationen an
der Seite der kommunistischen Par¬
teien unterstützte.
Eingeladen waren «bürgerliche
Demokraten und Kommunisten,
Avantgardisten und proletarische
Ein »Kultur«*Sendling
Autoren», wobei die Linke eindeutig des österreichischen Faschismus abgeblitzt.
überwog. An deutschen Autoren wa¬
In Paris fand kürzlich ein Kongreß antifaschisti¬
ren Kisch. Kerr. Brecht, Brod, Klaus
scher revolutionärer Schriftsteller »für die Ver¬
Mann, Becher, Kantorowicz, Seghers,
teidigung der Kultur« statt. Durch ein unbegreif¬
Heinrich Mann, Feuchtwanger, Jan
liches Versehen der Einbcrufer hatte sich als Ver¬
Petersen, Bloch, Uhse, Regler. Wei-
nert, Ludwig Marcuse, Toller und
treter Österreichs auch Herr Robert Musil in
Musil zugegen. Um Musils Beitrag,
diese Gesellschaft gedrängt, der mit dem öster¬
der gleich am ersten Tag des Kongres¬ reichischen Klerikofaschismus auf gutem Kulturfuß
ses sprach, gab es Auseinanderset¬ steht und seine Werke im Wiener Radio vorliest.
zungen. Er hat sich dazu eine Theorie zurcchtgelegt, die
er auch auf dem Kongreß vortrug: Kultur und
Politik hätten nichts miteinander zu tun. Auf diese
Im Unterschied zu Bodo Uhse war feige Ausflucht erhielt er von mehreren Teil¬
Musil 1935 der Meinung, das in -j nehmern des Kongresses die gebührende Antwort;
Österreich «gehandhabte politische Andre Gide bei einer der in der Emigration lebende deutsche Schrift¬
Regiment» dürfe sich (verglichen mit Ansprache auf steller Uhse stellte unter Beifall des Kongresses
dem Nationalsozialismus) dem Internationalen ausdrücklich fest, daß in Österreich die¬
Kongreß zur Vertei- selbe kulturfeindliche Tendenz
w/7 Recht ein tolerantes nennen; digung der Kultur,
herrsche wie in Deutschland. Die
obwohl natürlich auch ein tolerantes 21. bis 25. Juni 1935
Musils und andere katholisch-gekrauste Literaten
politisches Regiment mehr oder weni- ’n ^er Mutualite, Paris
und Lakaien verteidigen vergebens die »Kultur« des
ger immer in der gleichen Heise vor¬
österreichischen Klerikofaschismus — die wahre
geht: Es trennt in allen Kulturfragen 2
Kultur erkennt sie nicht als Verteidiger, sondern
einen Vor- Teil für sich ab und den Artikel der« Arbeiter-
als Verräter.
Rest verteilt es dann mit großer Ce- Zeitung» (im Exil)
i
rechtigkeit auf sich und alle f6 vom 14. Juli 1935 2

420
Musil tadelte in Paris provinzielle
Tendenzen der österreichischen Kul¬
turpolitik, sagte dann aber, im Blick
das Deutsche Reich und die Sowjet¬
union :

Die Geschichte unseres Zeitalters


entwickelt sich in der Richtung auf
einen verschärften Kollektivismus. Ich
brauche nicht zu sagen, wie sehr sich
dieser Kollektivismus m seinen For¬
men unterscheidet und wie verschie¬
den sein Zukunftswert wahrschein¬
lich zu beurteilen ist. Politiker pflegen
eine herrliche Kultur als die natürli¬
che Beute ihrer Politik anzusehen, so
wie früher che Frauen den Siegern zu¬
gefallen sind. Ich meine dagegen, daß
es für die Herrlichkeit sehr von seiten
der Kultur auf die edle Kunst der
weiblichen Selbstverteidigung an-
kommtfl88

M usils Hellsicht, seine Warnung


vor blinder Parteilichkeit, auch vor
der zugunsten des Sowjet-Kommu¬
nismus Stalinscher Prägung, erregte
auf dem Pariser Kongreß den Unmut
mancher parteigebundenen Autoren,
was vor Ort und anschließend in der
Presse zu weiteren ideologischen Ge¬
fechten führte.
Musil erholte sich vom Kongreß
durch Besuche im Rodin-Museum
und in Ville d’Avray bei seinem Mä¬
zen Henry Church.

D ie von Le Corbusier erbaute Villa


von Henry und Barbara Church, in
der Musil zusammen mit seiner Frau
Martha und Klaus Pinkus zu Gast
war, vermittelte ihm wohl das einzige
Erlebnis bewohnter architektoni¬
scher Moderne.
Henry' Church war ein ebenso reicher
3 wie gebildeter Amerikaner, der selbst
Bodo Uhse
schrieb und Musil bis zu seinem Tod
(1904-63)
immer wieder mit Dollar-Beträgen
unterstützte.
4 Barbara Church übersetzte einige Ka¬
Die von Le Corbusier pitel aus dem «Mann ohne Eigen¬
erbaute Villa Church schaften» für ihre Zeitschrift «Me-
in Ville d'Avray sures» ins Französische.

421
Zl h Physiologie des dichterisches
Schaffen s. Ein Fragebogen 1928’
IN:- I \l SI ND! \IIHH.I I,' i

/. Erste Inspiration: Können Sie ans


[... Beispiele nennen, wie Ihnen der
erste Einfall zu einem Werke kam?
I. Das ist ganz verschieden. Gerne in-
i sam ist den Einfällen ...] das schein¬
bar unvermittelte Kommen. Ich halte
sie in Reserve. Der Plan zu ausgeführ¬
ten Werken ist gewöhnlich erst durch
Verschmelzung mehrerer schon vor¬
handen gewesener Plane entstanden.
Dieser Prozeß dauert lange an, und
oft verschwindet der sogenannte erste
Einfall dabei völlig. Das Determinie¬
rende während dieser Vorgänge sind
sehr allgemeine Absichten; die kon¬
krete Ausstattung der Szenen und
Charaktere hängt von ihnen ab.
II. Wie fixieren Sie den ersten Einfall?
Haben Sie ein Notizbuch bei sich und
denken Sie intensiv an Ihren Plan
oder suchen Sie sich eher abzulenken?
! 2. Ich habe in meinem Arbeitszimmer
. Notizhefte, bin aber unregelmäßig im
Einträgen. Ich beschäftige mich dau¬
ernd mit meinem Plan. Muß mich ab¬
lenken. Sport, Spaziergänge.
III. Arbeitszeit: Arbeiten Sie zu be¬
stimmten Stunden oder Tageszeiten?
- Zwingen Sie sich zur Arbeit, auch
■ wenn Sie keine Lust haben? Brechen
I Sie ab, auch wenn Sie Lust haben,
weiterzuarbeiten?
* 3. 9—12.30; 16—19 Uhr; manchmal
auch noch abends. Zwinge mich un¬
ter Umständen. Breche nicht ab, au¬
ßer bei äußerem Zwang. Halte es
aber für richtiger, die Arbeit mehr zu¬
sammenzudrängen und durch stark
ausgefüllte Pausen zu unterbrechen;
wünsche, mich in diesem Sinn umzu¬
stellen.
IV. Arbeitsmaterial: Haben Sie be¬
stimmte Gewohnheiten, was die Art
und Anordnung des Schreibmaterials
und der Schreibutensilien betrifft?
Können Sie überall arbeiten? Wo am
besten?
• 4. Ich behalte eine einmal getroffene
; Anordnung des Schreibtisches bei.
Kann nur in ruhigen Zimmern arbei-
' ten. Am besten in der eigenen Woh¬
nung.
V. Arbeitshygiene: Enthalten Sie sich
, während intensiver Arbeit von be¬
stimmten Genüssen und verschaffen
I Sie sich bestimmte Genüsse (Stirnu-
1
lantien)?
Robert Musil am
5. Ich trinke reichlich starken Kaffee Schreibtisch in der
und rauche sehr viel. Enthalte mich Rasumofskygasse,
bei der Arbeit ganz des IIkohols.iBq 1936

422
ilis a£5# #■•» X \ j&Njjtig||!^’'%J
r 'r. ..;■•» > £*• Sfe1 i -v
i J. - •- • 1 *■ ® ‘i* iICt f ^K* J f£pp| ‘

I
I
I

423
ins I \i skmxi mmii .1

C
kjelbst im Jahre 1935 gab es im
Deutschen Reich noch Versuche, Mu¬
sils Werk zu diskutieren. In seinem
Aufsatz für die «Tat» schrieb Adolf
Frise im April 1935:
I «<Der Mann ohne Eigenschaften) ist
mehr als ein Roman und etwas Ande¬
res. und Musil mehr als ein Dichter
oder besser gleichfalls etwas völlig
.Anderes. Die Grenzen stoßen hart an¬
einander und zuweilen durchschnei-
den sie sich. Wb das Gefühl die Kon¬
trolle über die Wirrungen verliert und
systematische Analyse die Waffen
schärft. Wo die Dogmen zu erstarren
drohen und der Traum die allzu aus- Die „Tat" reichlich schwach
■ geklärte Sicherheit wieder in sich
schlingt. Wo die Wirklichkeit die Brachte fdjon bas $lpril*#eft 1935 eine wahre
Wahrheit Lügen straft und das Wah¬ Betle Itterarifcher Cathtroächterei, inbem es
re über den Dingen schwebt. Wo die &etrn 2R u f i I mit feinem ameibänbigen übet*
Geister wachgerufen werden und der inteüeftuellen SBäljer „Der SJtann ohne (Eigen*
Geist nichts von ihnen wissen will. Wo fdjaften »on neuem auf ein für bas 3aht 1935
das Unentschiedene die Entscheidun¬
etwas unerwartetes Biebeftal hoh. fo fteigert
gen durchkreuzt [...] und den Über¬
legungen der Boden ausgeschlagen
fidj unfere überrafthung noch beim Cefen bes
wird. Der Mann ohne Eigenschaften)
meloerfprcchenben Beitrages „Com 83 e f e n
ist ein gefährliches Buch und Musil in fchöpferifdjer Cudjfritif“ im ©loffen»
einer unerhörten Kühnheit der Spra¬ teil bes 3uli*£>eftes. £crt Campe, ber ihn oer»
che mächtig [.. .]»490 fafote, fcheint feine Campe ju $jaufe gelaffen ju
1
Solche Thesen empörten die Kultur¬
Musil bei einem Land¬
haben, unb jmar fchon aiemlich lange, fonft
wächter des Dritten Reichs, zumal ih¬ dürfte ihm nämlich aufgegangen fein, bafi es
aufenthalt am Semme¬
nen der Auftritt Musils auf dem ring, August 1935. feit einiger 3eit in Deutidjlanb eine febr rege,
(kommunistisch dominierten) Pari- Auf der Rückseite des
| ser Kongreß nicht entgangen sein
unverblümte, mit forgfältigen Cegrünbungen
Fotos die Aufschrift:
wird. Die Antwort auf Musils Pariser «Inmitten der Weltun¬
nid)t fparenbe unb immer mehr auf bas gegen*
Rede und Frises Aufsatz erfolgte in geheuerlichkeit!» ftänbliche Ceiipiel als auf ben ungegenftänb»
der SS-Zeitschrift »Das Schwarze lühen Schmus gerichtete Buchfritif gibt. Über
Korps» vom 7. August 1935; es sei leiber ftnb $errn Campe unb allen übrigen
2
«eine wahre Perle literarischer Nacht¬
Angriff des SS-Organs
„Dätern“ bie Urheber jener für unteren Stanb»
wächterei», Herrn Musil «mit seinem punft fchöpferifchen Äritif wohl ju berb
«Das Schwarze Korps»
Intellektuellen älzer «Der Mann oh¬
auf Musil und auf unb baher mufj bie „lat" nunmehr ein ihr ge*
ne Eigenschaften» von neuem auf ein
für das Jahr 1935 etwas unerwartetes
den Kritiker (den mäfjes Sbeal für berartige Äultnrfiage* auf»
Piedestab zu heben.
späteren Herausgeber rieten.
Musils) Adolf Frise

42-4
A. an 4. Juni 1935 schrieb Musil an
den nach Mallorca emigrierten Franz
Blei:

Es MACHT [. . .] HEL TE KAUM EINEN


Unterschied aus, ob man erwünscht
ist oder nicht. Auch was die Ferne von
der Nation betrifft, nicht; zu diesem
sich immer mehr verknorpelnden
Neuen ist es weit, wo immer man sich
befindet. Und bei Ihnen gibt es doch
Hasser, Sterne, Wind, und selbst das
Flöhesuchen am Haustier ist ein ur-
adeliges Geschäft; während ich mir
jetzt den Kopf zerbreche, wohin wir,
falls ich das Geld aufbringe, der Hitze
ausweichen sollen, ohne dort alles in
Natur zu sehen, was mir im Kino als
die Schönheit von Österreichs Fand
und Leuten gezeigt wird und schlecht
macht, ehe das Hauptprogramm be¬
ginnt fn

M usil fuhr dann von ca. Anfang


August bis 25. d. M. nach Kirchberg
am Wechsel in das Haus von Be¬
kannten.
In jenen Tagen machten Bürgermei¬
ster und Kunstbeirat der Stadt Wien
eine Geste - sie ließen Musil 200
Schilling überreichen. Der Autor be¬
dankte sich für das «Zeichen» und
versprach:

Sob ald ich iheder in Wien bin. herde


ich mich bemühen, ein [...] Manu¬
skript zu finden, um es der Stadtbi¬
bliothek zur späteren Erinnerung an
die Jahre der Not zu vermachen, die
Österreichs ernstester Dichter nach
dem geistigen Niederbruch Deutsch¬
lands in seiner Heimat gelitten
hat ff u

3
Robert Musil, 1935
M usil schenkte den Städtischen
Sammlungen Wien verschiedene Fas¬
sungen eines Textes mit dem bezie¬
4 hungsreichen Titel «Slowenisches
Adolf Frise Dorfbegräbnis».

425
>! : I i:>IMIIVIll\ IS IM SM

1.J her die Gründe für die Veröffent-


I lichung des «Nachlasses zu Lebzei-
Htcn> berichtet Otto Pacht:
Lieh persönlich vertrat den Stand¬
punkt. der Reiz der knappen Form,
der von Musils Kleininalerei ausging,
könnte vielleicht seinen Stil Leuten
nahe bringen, die sich durch die Rie-
senmasse und Gedankenschwere des
Hauptwerkes von seiner Lektüre hat¬
ten abschrecken lassen. Musil, in klei¬
nen Dosen verabreicht, sollte die Auf-
nalunebereitschaft der Leserschaft
für schwerere Kost erhöhen.
Es war nicht leicht. Musil zur Heraus¬
gabe des Essay-Bandes zu bewegen.
Er hielt nicht viel von diesem Plan
und machte sich wenig Illusionen
über die Erfolgschancen des kleinen
Buches. Sein Pessimismus, der leider
recht behielt, fand in der unnach¬
ahmlichen Prägung des Titels bered¬
ten Ausdruck.»4,2
In der Vorbemerkung des Buchs frag¬
te Musil:

Hat sich der Dichter deutscher Na -


tion nicht schon längst überlebt? Es
sieht so aus, und genau genommen.
hat es. so weit ich zurückzudenken
vermag, immer so ausgesehn. und ist
bloß seit einiger Zeit in einen ent¬
scheidenden Abschnitt getreten. Das
Zeitalter, das den Maßschuh aus fer¬
tigen Teilen hervorgebracht hat, und
den fertigen Anzug in individueller
Anpassung, scheint auch den aus fer¬
tigen Innen- und Außenteilen zusam¬
mengesetzten Dichter hervorbringen
zu wollen. Schon lebt der Dichter
nach eigenem Maß beinahe allerorten
in einer tiefen Abgeschiedenheit vom
Leben, und hat doch nicht mit den
Toten die Kunst gemeinsam, daß sie
kein Haus brauchen und kein Essen
und Trinken. So günstig sind die Leb¬
zeiten den Nachlässen,493

Von solchen Feststellungen fühl¬


ten sich die angeblichen Wahrer der
deutschen Kultur provoziert. Der
Reichsführer SS verbot das Werk per
Kundmachung im Reichsanzeiger. In
den braunen Gauen, in denen nur
noch die Machthaber kritisierten, war
Musils Hoffnung obsolet, daß die
1
Simon Menzel,
poetische «Kritik kleiner Kehler auch
Inhaber des
in /.eiten, wo schon viel größere ge¬
Humanitas-Verlags,
macht werden*, ihren Wert nicht ver¬ Zürich, mit seiner
liere. Zudem setzte Musil eines der Frau

42t>
heiligsten Güterder deutschen Nation
einer «unfreundlichen Betrachtung
D
aus unter dem I itel «Wer hat dich, du
schöner Wald .Darin zeigte er die
Denaturierung des Waldes durch die
Eingriffe des Menschen. Anspielend
auf den göttlichen «Meister in Ei¬
chendorffs Lied spottete er:

Der Meister ist eix Forstmeister.


Oberforstmeister oder Forstrat, und
hat den Haid so aufgebaut, daß er
mit Recht sehr böse wäre, wenn man
darin seine sachkundige Hand nicht
sofort bemerken wollte. Er hat für
Licht, Luft, Auswahl der Bäume, für
Zufahrtswege, Lage der Schlagplätze
und Entfernung des Unterholzes ge¬
sorgt und hat den Bäumen jene schö¬
ne, reihenförmige, gekämmte Anord¬
nung gegeben, die uns so entzückt
wenn wir aus der wilden Unregelmä¬
ßigkeit der Großstädte kommen. Hin¬
ter diesem Forstmissionar, der einfäl¬
tigen Herzens den Bäumen das Evan¬
gelium des Holzhandels predigt, steht
eine Gäterdirektion, Domänenver¬
waltung oder fürstliche Kammer und
schreibt es vor. [...] Aber nicht in
ihrer Hand ruht das letzte Geschick.
2 Noch höher als sie thronen in der Rei¬
he der Waldgötter der Holzhändler
und seine Abnehmer, die Sägewerke,
Holzstoffabriken, Bauunternehmer,
Schiffswerften, Pappwaren- und Pa¬
piererzeuger. .. Hier verliert sich der
Zusammenhang in [...] jenen ge¬
spenstischen Güter- und Geldkreis¬
lauf, welcher selbst einem Menschen,
der vor Armut aus dem Fenster
springt, die Gewißheit gibt, daß er
durch die Folgen einen wirtschaftli¬
chen Einfluß ausübt [...]494

D iese wirtschaftliche Betrach¬


tungsweise erregte den Unwillen
Wolfgang Weyrauchs. In einer der
wenigen Rezensionen, die im Deut¬
schen Reich über den «Nachlaß zu
Lebzeiten» erschienen, schrieb er im
«Berliner Tageblatt» vom 9. Februar
1936 mit drohendem Unterton:
2 «Bei [Musil] ist der Wald kein Wald,
Erstausgabe des sondern ein «schönes Magazin der
«Nachlasses zu
Technik und des Handelst Waldgöt¬
Lebzeiten» im Hu-
ter sind für Musil die Holzhändler
manitas-Verlag
und Sägewerke. Der Gott des Wäldes
aber ist ein trunkener, und wer es
3 nicht glaubt, dem wünschen wir wohl
Wolfgang Weyrauch seinen schreienden Zug vor Auge und
(1907-1980) Ohr.»

427
I\> l \l SIMM VIIRIGI lil K I i

Im Dianabad, unweit seiner Woh¬


nung, jenseits des Donaukanals erlitt
Musil um den 20. Mai 1036 beim
Schwimmen einen Schlaganfall und
wäre ertrunken, wenn ihn sein
Freund Bruno Fürst nicht aus dem
Wasser gezogen hätte. Die Folgen wa¬
ren einige Wochen lang wahrzuneh¬
men: leichte Sprachstörungen und
ein verzerrter Mundwinkel. Der
Schwiegersohn Dr. Otto Rosenthal,
von Haus aus Mediziner, lieferte die
Anamnese:
«Eine eingehende Untersuchung
(neurologisch, serologisch etc.) ergab
zumindest keinen bleibenden Defekt.
Die Bezeichnung <tiefe Ohnmacht»,
ungenügende Blutversorgung infolge
von Arteriosklerose erschien richtiger
als Schlaganfall (Hirnblutung) und
besser für RM und die Familie.»4 ,J

r
VJFerade erst knapp dem Tod ent¬
ronnen, schuf Musil die Vorausset-
zungen, um eine Handfeuerwaffe

i führen zu dürfen. Vermutlich bean-


tragte Musil den Waffenpaß, um im
Falle absoluter Mittellosigkeit Selbst¬

( mord begehen zu können. In dem


Text «Vermächtnis I» von ca. 1932/
33 bekennt Musil, die Tatsache, im
absoluten Sinn kein Geld zu haben,
hätte ihn in den letzten Jahren einige¬
mal in die nächste Nähe des Suicids
gebracht*'*6.
; Um nicht dauernd auf die milden Ga¬
ben seines Freundeskreises angewie¬
sen zu sein, entschloß sich Musil,
beim österreichischen Staat eine Pen-
i sion zu erbitten.
Der Bitte wurde nach eingehender 1
Prüfung nicht entsprochen. Aus den Dianabad, Wien

Akten geht hervor, daß Musil — wohl


nicht zuletzt im Hinblick auf seine 2
Bitte um Pension — am 3. November Robert Musil,
1936 der «Vaterländischen Aktion» um 1937

32 «
beigetreten war. Daß dies Taktik und
nicht Sympathie war. geht aus dem
Kommentar hervor, mit dem Musil
eine Hede des österreichischen Bun¬
deskanzlers Schuschnigg in Steinach
vom Sommer 1936 versah: Philister
über I)irwtm

Der Bitt-ßriel' an Schuschnigg


“O

trägt das Datum des 21. November


1936:

Eure Exzellenz/ Sehr geehrter


Herr Bundeskanzler!
Euer Exzellenz wiederholte persönli¬
che Kundgebungen über Fragen des
Geistes, die jedesmal nicht nur auf
seinen schicksalsmäßigen Lenker,
sondern in glücklicher Verbindung
auch auf seinen Kenner zurückwei¬
sen, geben mir den Mut und das Ver¬
trauen, Ihnen eine Bitte zu unterbrei¬
ten, deren Erfüllung nur von der
Macht und dem Kunstsinn Euer Ex¬
zellenz erwartet werden kann: Ich
bitte Sie, gütigst bewirken zu wollen,
daß mir und meinem Schaffen eine
Unterstützung zuteil werde und zwar
in Form einer Pension für Dienstjah¬
re, während deren Dauer ich nicht
nur als Dichter, sondern auch auf un¬
mittelbare und buchstäbliche Heise
als Beamter und Offizier meinem Va¬
terlande gedient habe.
Es kommt mir nicht zu, dies damit zu
begründen, daß ich mein dichteri¬
sches Verdienst oder Grad und Um¬
fang meiner Geltung darzulegen ver¬
suche. Aber eines darf und muß ich
sagen, daß ich, so lange ich schreibe,
stets nur um diese hohe Aufgabe
selbst bemüht gewesen bin und mich
deshalb nicht um die üblichen Neben¬
rücksichten auf Mode, gute Gelegen¬
3 heit, Marktlage, Kameraderie und
Robert Musil
ähnliches habe kümmern können;
während eines
denn diesem Verhalten verdanke ich
Erholungsurlaubs
eine gewisse Isolierung in der deut¬
auf dem Semmering
schen und österreichischen Literatur,
im guten Sinn wie leider auch im
4 schädlichen. Mehr noch als diese Iso¬
Waffenpaß Musils lierung hat es aber schließlich die
für eine Hand¬ lange Herstellungsdauer bewirkt, die
feuerwaffe unter mit meinen Werken notwendig ver¬
18 cm Länge vom
bunden ist, daß ich mich nicht mehr
6. Oktober 1936
selbst erhalten kann, seit ich mein
Privatvermögen verloren habe, und
5 ich stehe heute, nach fürchterlich
Der österreichische wahrscheinlicher Voraussicht, vor
Bundeskanzler dem Ende, wenn mir nicht Hilfe zuteil
Kurt Schuschnigg wird.™

429
JL rot/ der Schmeicheleien gegen¬
über Bundeskanzler Schuschnigg
hatte Musil keine Illusionen über die
INS I \l Sl ND.IAIimt.

Kulturpolitik der Regierung.

Wahrend Schuschsigg i uv Kultur


spricht sagt Pernter in diesem Jahr
ganz unumwunden, daß diese Kultur
kirchlich-katholisch sein werde, und
die Praxis Pflichtvorlesung in kirch¬
licher Philosophie, Unterdrückung
alles freien Geistes, neuestem: Beset¬
zung der anatomischen Lehrkanzel
an der Universität dien mit einem
ganz jungen Mann, der eine Arbeit
über alpenländischen Schädelbau
od. ähnl. verfaßt hat, und sonst buch¬
stäblich nichts!) entspricht dertiA "'

Y
X\_onfrontiert mit der mächtigen
Dummheit überall entschloß sich der
Autor, einer heiklen Einladung zu fol¬
gen. Er entwarf seine Rede «Über die
Dummheit», gehalten im Österreichi¬
schen Werkbund, \\ ien, am 11. März
1937 und wiederholt am 17. des Mo¬
nats. Das Bedeutsame an dieser Rede,
das allen Einsichtigen schlagartig
klar wurde, war ihre politische Sto߬
richtung:
1

[...] die Dummheit [...] vermag


zu reizen und besänftigt durchaus
nicht unter allen Umständen [...] sie
erregt gewöhnlich Ungeduld, sie er¬
regt [...] aber auch Grausamkeit;
und die Abscheu einflößenden Aus¬
schreitungen dieser krankhaften
Grausamkeit, die landläufig als Sa¬
dismus bezeichnet werden, zeigen oft
genug dumme Menschen in der Rolle
des Opfers. Offenbar rührt dies davon
her, daß sie den grausamen leichter
als andere zur Beute fallen; aber es
scheint auch damit zusammenzuhän¬
gen. daß ihre nach allen Seiten fühl¬
bare Widerstandslosigkeit die Einbil¬
dung wild macht wie der Blutgeruch
1
die Jagdlust und sie in eine Ode ver¬ Erstausgabe der
lockt, wo die Grausamkeit beinahe Rede «Über die
bloß darum *zu weit•geht, weil sie an Dummheit» bei
nichts mehr eine Grenze findet. Das Bermann-Fischer,
ist ein Zug von Leiden am Leidenbrin¬ Wien
ger selbst, eine Schwäche, die in seine
Roheit eingebettet ist; und obwohl die
bevorrechtete Empörung des belei¬
2
Hans Pernter,
digten Mitgefühls es selten bemerken
Staatssekretär für
läßt, so gehören doch auch zur Grau¬
Unterricht in der
samkeit, wie zur Liebe, zwei, die zu¬ Regierung Schusch¬
einander passenZ499 nigg

430
JJjiner der Augen- und Ohrenzeu¬
gen jener Rede war der junge Palko
Lukäcs:
«Ich sah Musil zum ersten Mal im Ca¬
fe Herrenhof. Er war mittelgroß, un¬
tersetzt, hatte ein rotes Gesicht und
eine ziemlich entwickelte Glatze. Er
war elegant, wenn auch konservativ
gekleidet und schien mir eher ein ho¬
her Beamter oder erfolgreicher Ge¬
schäftsmann zu sein, als ein Dichter.
[...] Ein anderes Mal fragte er mich,
wie, meiner Meinung nach, meine Ge¬
neration sein Buch aufnehmen wür¬
de. Ich muß hier vorausschicken, daß
ich 17 Jahre alt war und mir in Wien
einen Namen gemacht hatte als Her¬
ausgeber einer Monatsschrift, die den
eigenartigen Titel «Der Neuen Jugend«
(im Dativ) trug. [...] Die Zeitschrift
war sehr polemisch. Eine Nummer
z. B. erschien unter dem Titel «Angst
vor dem Leben« und rief einen Sturm
der Entrüstung unter den älteren Le¬
sern und Mitarbeitern hervor.
Von meiner neu errungenen Höhe
setzte ich Musil auseinander, daß die
Probleme der Jugend denen des
Buches diametral entgegengesetzt
wären. Unsere Ziele und Befürchtun¬
gen gehörten einer ganz anderen Welt
an. Die kakanische Vergangenheit
wäre durch die Ereignisse der Nach¬
kriegszeit überholt — die Existenz
der Sowjetunion, der Aufstieg des Fa¬
schismus, die Wirtschaftskrise, die
besonders für die akademische Ju¬
gend Österreichs katastrophal war,
da wenig Hoffnung bestand, nach be¬
endigtem Studium eine Anstellung zu
finden. Meine Generation hatte kein
Heimweh nach der verschollenen
Welt der österreichisch-ungarischen
Monarchie. So z. B. tanzten wir lei¬
denschaftlich gerne Volkstänze, Tan¬
go, Foxtrott, doch nie Walzer. [...]
3 Einige Monate vor dem Anschluß gab
Ernst Schönwiese, einer Musil eine Vorlesung mit dem Titel
der jungen Wiener «Über die Dummheit«. Der Saal war
Literaten, die Musil gestopft voll — alles, was in Wien Rang
bewunderten. Erdrückte und Namen hatte — und kein Nazi
Lyrik und Prosa von ihm war —, war anwesend, auch eine be¬
trächtliche Anzahl von jungen Leu¬
ten. Da saß Musil allein hinter seinem
4
Tischlein und las mit einem leichten
Palko Lukäcs, Sohn
von Musils Psycho¬ Lächeln, mit vernichtender Ironie sei¬
therapeuten ne erbarmungslose Anklage gegen
Dr. Hugo Lukäcs, das Nazituin und dessen Schergen.
mit Maria Antonia Ich war tief ergriffen und bewunderte
Vazquez seine Courage.»500

431
i\> i \i si \m\nmu i:i

D ie I .ebensmöglichkeiten schrank¬
ten sich für Musil in der zweiten 1 liilf-
t te der dreißiger Jalire immer weiter
? ein - auf Grund der gesundheitlichen
Labilität und der finanziellen Misere.
An Arthur Rosin meldete Musil am
24. Juni 1937 die «negativen Bedin¬
gungen» seines Sommeraufenthalts:

Ausser Geldmangel Höhe-Verbot


schon über 700 Meter, Sonne-verbot,
Bade-verbot, große Müdigkeit, und
als einziges Positivum die Notwendig¬
keit zu arbeiten, weil ich im Herbst
ein Teilbanderl abliefern soll. (Ich bin
jetzt ganz von Rowohlt zu Bermann-
Fischer übergegangen.) Als Schnitt¬
punkt von alledem ist herausgekom¬
men, daß wir bei (Vien bleiben und
wieder wie im Vorjahr in Reichenau
(NÖ.) Hotel Talhof sein werden

Ich fürchte, dass auch meine Treue


ein Nichtlebenwollen ist. Hier, d. h.
im Thalhof ...j ist eine ungarische
Baronin gewesen, sie hat anfangs ein¬
zelnstehende Frau betont und mit
niemand verkehrt, Zigaretten ge¬
raucht und den ganzen Tag in einem
abseits aufgestellten Liegestuhl ver¬
bracht. Ihr Mund war wie aufge¬
schlitzt, allerdings gemalt, ich glau¬
be, er war recht schön, jedenfalls
sinnlich und eine Einladung. Er ließ
an die Vagina denken [...]
Ich hatte bald gewahrt, daß diese
Frau, die sich sehr langweilte, mich
«bemerkt» hatte und das gleiche von
mir wußte. Unsere Augen streiften bei
jeder Begegnung aneinander vorbei.
Die Wahrscheinlichkeit war groß,
daß wir nicht viel Wartezeit ver¬
braucht hätten, wäre ich allein gewe¬
sen. Und nun sagte ich mir: Du
1
Martha Musil in
brauchst sie doch bloß anzusprechen.
den späten
Sie wird etwas erfinden, das dich auf
dreißiger Jahren
ihr Zimmer führt, oder du erfindest
etwas, das ihre Bereitwilligkeit prüft.
Seid ihr so weit, so ist das andere nur 2
noch die Aufgabe im Fallen etwas Robert Musil 1937
Haltung zu bewahren. Und ich sah am Semmering
das alles recht lebendig vor mir. Das
Leben ist so einfach und bereitwillig.
Da begriff ich an diesem: Du könntest
3
Hotel Thalhof,
es sogleich haben, daß ich nichts ha¬
Reichenau. Ur¬
ben will. Und daß wie gesagt auch die
laubsort von Ende
Treue unter anderem nichts ist als der Juni bis ca. Mitte
I Unwille zu leben.*0** September 1937

432
LJ nier drin Druck der politischen
Verhältnisse im nationalsozialisti-
i

| sehen Deutschland war nach S. Fi-


INS I \l -I ND.I \l IUI* '

i sclier' Tod (15. Oktober 1934) die


Fortführung des S. Fischer Verlags in
der gewohnten Weise nicht mehr
möglich. Gottfried Hermann Fischer,
S. Fischers Schwiegersohn, emigrier¬
te deshalb nach W ien und gründete

I dort unter seinem Namen einen neuen


Verlag.
Da auch der Rowohlt Verlag im Deut¬
schen Reich inzwischen weitgehend
lahmgelegt war, kaulte die Wiener
Musil-Gesellschaft mit einer Spende
Erna Fürsts in Höhe von 5000 Mark
Rowohlt die Rechte an Musils Werk
und die vorhandenen Bestände ab
und schenkte sie Bermann Fischer. Er
band die Bücher neu, druckte das
achte Tausend des 1. Bandes zum
«Mann ohne Eigenschaften» und
drängte auf eine w eitere Teil-Fortset¬
zung des II. Bandes, die im Frühling
1938 erscheinen sollte. Musil gab, mit
einigen Bedenken, 20 Kapitel in Satz,
mit deren Fahnenkorrektur er be¬
schäftigt war, als Hitler in Österreich
einmarschierte. Cottfried Bermann
Fischer, seine Familie und ein Teil der
Verlagsmannschaft mußten sofort
fliehen. So unterblieb die Publika¬
tion. Musil stand zw ar mit dem neuen
Bermann Fischer Verlag in Stock¬
holm, vor allem mit dem Lektor Vic¬
tor Zuckerkandl, noch in Kontakt —
ein neuer Vertrag kam jedoch nicht
mehr zustande. Musil verbrachte die
ihm verbleibenden Jahre mit der Um¬
arbeitung der Wiener Druckfahnen¬
kapitel.

W otruba erinnert sich, er habe 1


Musil bei einer Lesung Elias Canettis Gottfried Bermann
am 17. April 1935 im Vortragssaal Fischer DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN
der Schwarzwald-Schule durch Ver¬
mittlung von Franz und Valerie Zeis
2 Leinen ca. öS 13.35, Sfr. 11.—
kennengelernt: Die von der gesamten literarisch interessierten Welt¬
Victor Zucker¬
öffentlichkeit mit größter Spannung erwartete Fort¬
«Die Beziehung von Robert und Mar¬ kandl, Lektor des setzung des monumentalen Gegenwartsromans.
tha Musil zu Marian [meiner Frau] Bermann Fischer Aus den Presiestimmen über die beiden ersten Bände:
und mir war sofort sehr stark. Von Verlags in Wien „Einer der wenigen ganz großen, reichen, wich¬
und Stockholm tigen und weltfähigen Romane, welche die deutsche
jenem lag an waren w ir häufig zu¬
Literatur seit ihrem Bestehen hervorgebracht hat.. ,**
sammen. Musil muß damals 50 [rec¬ „Ein Gesamtbild menschlichen und zeitgeschichtlichen
Daseins, das im heutiger deutschen Schrifttum nicht
te: 54 ] gewesen sein, ich war um die seinesgleichen hat..
30 herum. Er machte auf mich den
3 „Ein Wunder an Totalität dichterischen und philo¬
Ankündigung des sophischen Schaffens.. .**
Eindruck eines alten Menschen, aber
dritten Bandes zum
eines zeitlos Alten, dem die Attribute ERSTER BAND 16.-7. Aufl./LeinenöS 18.20,Sfr. 15.“
«Mann ohne Eigen¬
des Männlichen noch sehr wichtig ZWEITER BAND/ Leinen öS 14.10, Sfr. 1 x.65
O schaften» im
waren, [...]
Bermann Fischer Prospekte über die Anderen Werke Robert Musils auf Veri
I
Es war eine Reaktion auf diese Ereig- Verlag Wien 3 libtJi

434
nisse, daß er dann auf Betreiben sei¬
ner
••
freunde den berühmten Vortra"
O

«Über die Dummheit hielt. Es war der


letzte Vortrag von Bedeutung, den ich
seit damals bis heute auf \\ tener Bo¬
den gehört habe. Es war aber auch
der letzte öffentliche Erfolg bis an
sein Lebensende in der Schweiz. Ob
er verstanden wurde, ich weiß es
nicht, aber vielleicht hat die heikle
Situation, in der sich Österreich da¬
mals befand, die Bedrohung durch
Deutschland und vor allem die Unru¬
he, die über den jüdischen Teil Wiens
gekommen war. die Menschen hellhö¬
riger gemacht.
Ich glaube, es war zugleich die letzte
Versammlung Intellektueller zu einer
Stunde, die keine besondere Anru¬
fung mehr nötig hatte, es war ein Ab¬
schieds- und Totenfest; denn unter
den Anwesenden waren 75 Prozent
Juden. Ich erinnere mich auch noch
an eine Zusammenkunft in unserer
damaligen Wiener Wohnung in der
Nußdorfer Straße, bei der Musils,
Hermann Scherchen, Canetti und
Franz Blei zugegen waren. Anlaß war
der Plan Scherchens, wieder einmal
eine Zeitschrift zu gründen; aber an¬
statt nur Musik sollten in ihr auch
bildende Kunst und Literatur vertre¬
ten sein. Musil war eigentlich uninter¬
essiert; er fühlte sich mit Recht nur
benützt, und auch das zufällig.
Ich habe bald bemerkt, daß sein In¬
teresse an der Dichtung der jüngeren
Generation gering war; er traute ihr
auf diesem Gebiet nicht viel zu. Der
bildenden Kunst gegenüber war er
sichtlich unkritischer und unbelaste¬
ter. Seine frühe Beziehung zum Werk
Paul Klees zeigt, daß er hier nicht
unempfindlich war. Im Gegensatz zur
Musik, die ihn kalt ließ, ja vielleicht
sogar abgestoßen hat.»002

4 Bei seiner Lesung in der Schwarz¬


Fritz Wotruba wald-Schule lernte auch Canetti
(1907-75) Musil kennen. In seiner «Lebensge¬
schichte 1931-1937» «Das Augen¬
spiel» bekennt er, er habe in jenen
5 Jahren die ersten zwei Bände des
Hermann Scherchen
«Mannes ohne Eigenschaften» gele¬
(1891-1966)
sen und habe sich daran nicht ersätti-
gen können.
6 «Es schien mir. daß es in aller Litera¬
Elias Canetti tur nichts gäbe, das sich damit ver¬
(*1905) gleichen ließe.»003

435
INS TAI SK.NDJÄHRIGI Hi l( I •

Jjertha von Suttner, Autorin des


Buchs «Die Waffen nieder» und Trä¬
gerin des Friedensnobelpreises
(1906) hatte für Mitte September
19 H zu einem Weltfriedenskongreß
nach Wien eingeladen. Zu diesem
Zeitpunkt war sie schon drei Monate
tot und der Frste Weltkrieg hatte be¬
gonnen.
Mit dieser ironischen Materie — «Ge¬
neral von Stumm laßt eine Bombe fal¬
len. Weltfriedenskongreß», Druck¬
fahnen-Kapitel 49 — war Musil im
Frühjahr 1938 beschäftigt - kurz vor
dem Einmarsch Hitlers in Österreich.

•Die Parallelaktion hateik Zif.i. ge-


funden!» [...]
Ganz nebenbei u>ar das geschehen:
• Wir haben uns alle schon so daran
gewöhnt gehabt, daß nichts ge¬
schieht, aber immer etwas geschehen
soll»erzählte Stumm. *Und da hat auf
einmal jemand anstatt eines neuen
Vorschlags die Nachricht gebracht;
daß heuer im Herbst ein Welt-Frie¬
dens-Kongreß tagen wird, und noch
dazu hier bei uns! [...] weil da näm¬
lich eine Frau, die einen pazifisti¬
1
schen Roman geschrieben hat, ich
weiß nicht wieviel Jahre alt wird oder,
falls sie schon gestorben sein sollte,
alt geworden wäre [...] Das Merk¬
würdigste ist ja, daß alle Welt einver¬
standen gewesen ist mit so einem
Kongreß oder daß wenigstens keiner
hat nein sagen wollen! Undjetzt frage
ich dich: was bleibt einem da übrig;
besonders wenn man schon vorausge¬
sagt hat, daß man etwas unterneh¬
men wird, was der ganzen Welt ein
Vorbild sein soll und immer die Paro¬
le der Tat ausgegeben hat?! Wir ha¬
ben einfach vierzehn Tage wie die
Hilden arbeiten müssen, damit das
wenigstens hinterdrein so ausschaut,
wie es sozusagen unter anderen Um¬
ständen im vorhinein ausgeschaut
hätte. Und so haben wir uns der orga¬
nisatorischen Überlegenheit der
Preußen - vorausgesetzt, daß es
überhaupt die Preußen gewesen sind!
I — eben gewachsen gezeigt. Wir nen¬
nen es jetzt eine Vorfeier. Den politi-
, schert Teil behält dabei die Regierung
1
im Auge, und wir von der Aktion bear¬
Bertha von Suttner
beiten mehr das Fes (liehe und Kultur-
(1843-1914) bei
menschliche, weil das für ein Ministe¬ einem Vortrag in
rium einfach zu belastend ist — >M Berlin 1912

436

l
icht minder ironisch waren Pläne
der Parallelaktion für das imaginäre
Regierungsjubiläum Kaiser Franz Jo¬
sephs im Jahre 1918. Musil nutzte für
die entsprechenden Passagen die hi¬
storischen Vorlagen vom sechzigjähri-
gen Regierungsjubiläutn 1908. zum
Beispiel den von Oskar Kokoschka
entworfenen Festwagen «Zeit Jo¬
seph II. Ländliches Fest. Ernte und
Weinbau».

«Und Dionm?> erkundigte sich


Ulrich vorsichtig.
«Ja, die [...] entwirft jetzt zusammen
mit einem Maler den Trachtenfest¬
zug. <Die Stämme Österreichs und
Ungarns huldigen dem inneren und
äußeren Frieden> wird er heißen» be¬
richtete Stumm und wandte sich nun
flehend an Agathe, als er bemerkte,
daß auch sie die Lippen zum Lächeln
verzog. «Ich beschwöre Sie, Gnädig¬
ste, wenden Sie nichts dagegen ein
und gestatten Sie auch ihm keinen
Eiriwand!» bat er. «Denn der Trach¬
tenfestzug und wahrscheinlich eine
Militärparade sind das einzige, was
bis jetzt von den Feierlichkeiten fest¬
steht. Es werden die Tiroler Stand¬
schützen über die Ringstraße mar¬
schieren, denn die geben mit ihren
grünen Hosenträgern, den Hahnenfe¬
dern und den langen Bärten immer
ein malerisches Bild ab; und dann
sollen auch noch die Biere und ff eine
der Monarchie den Bieren und klei¬
nen der übrigen ffelt huldigen. Aber
schon da besteht zum Beispiel noch
keine Einigung darüber, ob nur die
österreichisch-ungarischen Biere und
Weine denen der übrigen Welt huldi¬
gen sollen, damit der liebenswürdige
österreichische Charakter umso gast¬
licher hervorkommt [...] oder ob
auch die ausländischen Biere und
Weine mitmarschieren dürfen, damit
sie den unsrigen huldigen, und ob sie
dafür Zoll zahlen müssen oder nicht.
Jedenfalls ist das eine sicher, daß es
bei uns einen Festzug ohne Menschen,
die in altdeutschen Kostümen auf
Faßwagen und Bierpferden sitzen,
nicht geben kann und noch nie gege¬
ben hat; und ich kann mir bloß nicht
vorstellen, wie das im Mittelalter
selbst gewesen ist, als die altdeut¬
2
Festwagen beim schen Kostüme noch nicht alt gewe¬
Kaiser-Huldi- sen sind, und nicht einmal älter aus¬
gungs-Festzug, geschaut haben all heutzutage ein
Juni 1908 Smoking/.V05

437
Am Jahre 1919 hatte Musil wie alle
I\> I \l >1 NDIAMHK I !il l

»roße n österreichischen Parteien den


Anschluß des deutschen Rumpf-
Österreich an Deutschland gefordert.
In seinem Aufsatz «Der Anschluß an
Deutschland» folgerte er aus der ge¬
gebenen Situation. Österreich tue
das Aufgehen in Deutschland not und
zu ar sowohl dann, wenn morgen
schon die aus dem Osten kommende
Bewegung der Heit eine neue, die
Grenzen brechende Gestalt geben
sollte, wie dann, wenn im Hestert die
Beschränktheit von gestern noch ein¬
mal siegen sollte '1'1'.
Im März 1938 war der Anschluß nun
vollzogen — aber um welchen Preis. Pr
ist bekannt.
Martha Musil war als Jüdin und als
sehr jüdisch aussehender Typus ele¬
mentar gefährdet, selbst wenn sie
(wie Bruno Fürst überliefert) zu
Zwecken der Tarnung das Haken¬
kreuz ansteckte. Die jüdischen Mit¬
glieder der iener Musil-Gesellschaft
mußten ebenso wie Musils Verleger
Bermann Fischer fluchtartig das
Land verlassen. Über kurz oder lang
blieb Musil selbst nur die Emigration.
Es war lediglich eine Frage der Moda¬
litäten und der Absicherung danach.

13. II ’ 38. Int HABE BAHREND DER BE-

drängenden Zeit des Hitlerschen Ein¬


marsches und seiner Folgen Lust von
d’Annunzio wiedergelesen. Es ist ei¬
nes der ersten Bücher gewesen, durch
die ich vor 40 Jahren Bekanntschaft
mit der «Moderne» machte, und eins
der ersten, die Einfluß auf mich hat¬
ten. Ich gäbe etwas darum, noch zu
wissen, welchen. Wahrscheinlich eine
allgemeine Imrnoralität und einen
ebenso allgemeinen Ästhetizismus.

Den Bedrängungen nach dem An¬ 1


schluß ließ sich freilich mit Lektüre
Einzug Hitlers in
Wien am 14. März
nicht auf die Dauer entgehen. Der
1938
Ierror in den Straßen war allgegen¬
wärtig. Csokor berichtet über Musils
Reaktion auf solche Szenen: «Und als 2
die Dummheit] dann im März 1938 Gabriele d'Annun-
über Österreich hereingebrochen zio (1863-1938)
war. zeigte er ihr seinen Ekel unver¬
hüllt. besonders, wenn er in den Stra¬
3
ßen zum unfreiwilligen Zeugen der
Hitler-Jugend
dort aufgeführten menschlichen Ent¬
zwingt jüdische
würdigungen wurde, so daß die Aus¬
Bürger Wiens, die
brüche seiner Reaktion ihn bald Straßen zu
selbst gefährdet u schrubben

438
4.*‘>
fahrend Mu.sil bereits seine Emi¬
f f

gration vorbereitete, unternahm Eu¬


! >IHIIM'(I\ IS 1V.I.SM

gen Claassen einen letzten Versuch,


als deutscher Verleger Musils Werk
im Dritten Reich zu publizieren. 0. M.
Fontana berichtet darüber:
«Eines Tages im Sommer 1938 rief
mich Rudolf Brunngraber an und
sagte, der auch mir bekannte Verle¬
ger Claassen aus Hamburg sei in
Wien und wolle Musil einen Vertrag
anbieten: ich möge eine Zusammen¬
kunft bewerkstelligen, falls Musil zu
einem prinzipiellen Gespräch bereit
sei. Musil war bereit, nur habe es
nicht viel Sinn, wie er sagte [...]
Claassen war sehr entgegenkom¬
mend. er bot Musil einen fixen und
recht ansehnlichen Monatsbetrag und
machte sich erbötig, eventuelle
Schwierigkeiten im Propagandamini-
sterium zu beheben; die Beschlag¬
nahme des dritten Bandes falle nicht
ins Gewicht, sie richte sich nicht ge¬
gen Musil, sondern gegen Bermann-
Fischer. Das Anerbieten Claassens
war sehr verlockend und eine große
Versuchung für Musil, denn mit ei¬
nem Schlag wären alle seine finan¬
ziellen Sorgen behoben gewesen.
Doch Musil sagte <nein> auf eine sehr
liebenswürdige, aber auch sehr ent¬
schiedene Art. So sehr ihn das Aner¬
bieten Claassens freue, könne er ihm
nicht nähertreten, einfach aus dem
Grunde, weil es ihm unmöglich sei,
Bindungen einzugehen: denn er wisse
nicht, ob und wie lange er in Wien
bleiben werde.»508

1
Eugen Claassen
Die Tatsache, selber «Auswurf der (1895-1955)
Demokratie» zu sein, nalun Musil
nicht die Neigung zur Invektive:
2
Der Aushire der Demokratie Mas
Lion Feuchtwanger
(1884-1958) im Exil
kann nicht gegen Emil Ludwig, Ste¬
an der Cöte d'Azur
fan Zweig und Feuchtwanger einzeln
polemisieren, es wird Tagesgezänk,
aber alle drei zusammen, diese Nutz¬ 3
nießer der Emigration, die erst recht Stefan Zweig
WeltUeblinge geworden sind, wäh¬ (1881-1942) in
rend sich gute Schriftsteller kaum vor Brasilien
dem Untergang bewahren können,
alle drei zusammen sind sie ein unge¬
heures Symbol der Zeit, Präsident
4
Emil Ludwig
Roosevelt, der Mann des Intelligenz¬
(1881-1948) im
trust, der Emil Ludwig in der Maske
Wagen des ameri¬
eines Porträtisten beim Regieren zu¬
kanischen Präsi¬
hören läßt! 509 denten Roosevelt

44(1
441
1938-1942

DAS EXIL
1 homas Mann und Gottfried Ber-
f mann Fischer versuchten, Musil bei
I)\s

I der Emigration behilflich zu sein. Am


18. Juli 1938 schrieb Thomas Mann
an den Verleger:
»Zum Schluß noch zum Fall Musil, in
dessen Interesse ich einen Schritt ver-
! sucht habe. Man müßte vor allem
wissen: 1) ob er im Besitz seines Fas¬
ses ist: 2) ob seine Frau ihn begleiten
wird; 3) ob seine Ausreise im Zeichen
legaler Auswanderung geschehen
kann und soll. Nach Luxemburg
könnte er mit einem deutschen Faß
ohne weiteres, ohne Visum einreisen,
und Frau Mavrisch, von der ich heute
Antwort hatte, w äre bereit, ihn jeden¬
falls ein paar Wochen über Wässer zu
halten. Mit der Aufnahme von Emi¬
granten in ihr Haus ist sie, wreil sie oft
Freunde aus dem Reich bei sich hat,
außerordentlich vorsichtig, jedenfalls
möchte sie ihm aus diesem Grund
eine Einladung nach Wien nicht
schicken, wie sie überhaupt in sol¬
chen Zusammenhängen möglichst
w'enig genannt zu w'erden wünscht.
Sie könnte auch erst nach dem
28. August sich um Musil kümmern,
weil sie bis dahin abwesend und das
Haus geschlossen ist. Auf keinen Fall
könnte sie ihn dann mit seiner Frau
aufnehmen, da das Haus schon über¬
besetzt ist, aber einige Geldmittel
würde sie ihm bestimmt zur Verfü¬
gung stellen und auch suchen, ihm
mit ihrem Rat behilflich zu sein. Lu¬
xemburg könnte ja immer nur eine
Durchgangsstation für ihn sein.>510

I Auf diese Bedingungen — vor allem


die Trennung von Martha - wollte
Un salutö da €dolo - Panorama.

sich Musil nicht einlassen. Mitte Au¬


gust reiste er mit seiner Frau von
Wien nach Edolo und von dort am

I 2. September in die Schweiz, nach


Zürich. Am 9. September schreibt
Martha Musil an Toni Cassirer:
«Seit drei Wochen sind wir von Wien
fort, zuerst waren wir über die
Sch weiz nach Edolo, einem kleinen
italienischen Städtchen im Adamello-
j Gebiet nahe der Grenze, gefahren, wo
w ir einige Zeit blieben und Gaetano
1
Haus von Madame
^ 11 AäK *Yfc
trafen; Edolo ist in mittlerer Höhe AlineMayrisch
! von hohen Bergen umgeben, hat wun- j*e ^u^ert in * '.mit ‘tr
dervolle Luft und altertümliche Stra- uxem ur9
ßen mit sehr alten Häusern, die den
Blick entzücken, ebenso wie die Ka- 2
Manien hainc ringsum und die hüb- Edolo
2

444
sehen Mädchen. Schließlich aber fan¬
den wir uns doch ein wenig zu abseits
vom Weltgeschehen, (bekamen auch
sonderbarer- und noch unaufgeklär¬
ter Weise keine Post nach gesandt
und fuhren hierher, um wieder die
Verbindung mit dem Leben aufzu¬
nehmen. Auch Zürich gefällt uns sehr
[•■•]» 511

D as Ehepaar quartierte sich in der


Pension Fortuna, Mühlebachstr. 55,
ein.
Der Zürcher Schriftsteller Armin
Kesser spricht von einer ruhigen alt¬
bürgerlichen Pension, «die damals in
einer wenig belebten Seitenstraße des
Zürcher Seequartiers gelegen war.
Das bescheidene Haus aus der Em¬
pirezeit [...] ist heute verschwunden
[...] In unmittelbarer Nähe zu diesem
pied-ä-terre war auch die Pension
Delphin gelegen, ein stilles, zart ver-
algtes Boardinghouse, in dem James
Joyce seine letzten Lebensmonate
verbrachte. Musil und Joyce sind sich
nie begegnet und haben wohl auch
wenig voneinander gewußt.»512

In einem Brief an ihre Tochter Anni-


na vom 5. September 1938 beschrieb
Martha Musil das Domizil in der Pen¬
sion Fortuna folgendermaßen:
«[...] wir haben es sehr- gut getroffen.
Wir wohnen ganz separiert in einem
Oberstock der kleinen Villa [... ha¬
3
ben zwei (nicht große) Zimmer mit
Blick auf Zürich und
Couches und anschließend ein hüb¬
Zürichsee
sches Badezimmer, auch ein eignes
Vorzimmer und so viele Schränke
4 und Kommoden, wie man sich nur
Robert und wünschen kann. Frühstück auf dem
Martha Musil im Zimmer, Mittag- und Abendessen ge¬
Garten der meinsam, an kleinen Tischen, und
Pension Fortuna,
sehr gut, und dabei leicht, gekocht:
Zürich
sie nehmen Rücksicht auf Diät. — Zü¬
rich gefällt uns diesmal sehr gut. wir

5 kannten es bisher nur flüchtig von der


Martha Musil, Durchreise: da sieht man eigentlich
lesend in der nur die Bahnhofstraße und den
Pension Fortuna See.»513

445
il\ ! SVCI

J liomas Mann liatte um 11. Febru¬


ar 1933 Deutschland verlassen, uni
I seinen Vortrag über «Leiden und
; Größe Richard Wagners- in Amster¬
dam. Brüssel und Paris zu wiederho¬
len. Auf Grund der deutschen Hetze
gegen seinen Vortrag und der allge¬
meinen Entwicklung im Deutschen
Reich kehrte er nicht mehr nach Mün¬
chen zurück, sondern ließ sich 1934
in Küsnacht nieder.
An Musils Schicksal nahm er fortge¬
setzt helfend Anteil, auch wenn er
sich mitunter, wie im November 1935
bei einer kurzen Vortragsreise Musils
in die Schweiz, «mit störenden An¬
sprüchen» konfrontiert sah.’H Lr be¬
mühte sich aber von Juli 1938 an,
dem gefährdeten Musil aus dem von
Hitler <heimgeholten> Wien ins Freie
zu helfen. Unmittelbar nach dessen
Einreise in die Schweiz, am 4. Sep¬
tember 1938, empfing er Musil und
Martha «zum Thee» und führte ein
Gespräch «über seine Lage»51'’. Am
28. Oktober 1938 bat Musil «auf das
dringendste» um eine einmalige au¬
genblickliche Hilfe, um sich halten zu
können. Thomas Mann handelte so¬
fort. Im November bedankte sich
Musil:

Ein solches Zeichen der Zuneigung


von Ihnen und Ihrer Gattin zu emp¬
fangen — denn unter den jetzigen Ver¬
hältnissen muß das selbst für Sie ein
Opfer sein — hat mich mit Glück, aber
auch mit Heue erfüllt; wenn sich mein
Schicksal, wie ich hoffe, noch zum
Bessern wenden kann, wird das im¬
mer derfeste Stein im Morast bleiben,
der nur den Tritt hinüber ermöglicht
hat.™

-^^.n ihre Tochter Annina berichtet


Martha am 5. September 1938 über
den Besuch:
«Gestern haben wir Joe’s Väter [Tho¬
mas Mann] besucht, sie sind schon im
Abreisen begriffen, fahren Mitte
d. M s. F> sieht viel besser aus als
früher, ich fand ihn immer ganz
nüchtern und langweilig aussehend,
während er jetzt eleganter und etwas
verzwickt aussieht. F> macht seine
Vorträge deutsch, läßt sie übersetzen
1
und präpariert dann das Lesen. Sie
Katja und Thomas
spricht sehr viel und rasch, sieht ein
Mann auf der
w enig aus w ie die Hexe in Hansel und Veranda ihres
Gretel, obgleich sie hübsch ,-i Hauses in Küsnacht

44<>
Thomas Mann ist sehr hilfsbereit, hat
die bisherige Hilfe vermittelt [...]
Und doch, glaube ich. wäre ihm nicht
recht, wenn Robert auch hinüber gin¬
ge. Er ist wirklich auf der Höhe des
Ruhms und trifft es drüben wun¬
derbar; ich hörte, daß er nur -t Vorle¬
sungen zu halten braucht, auch ist
ihm eine \ dla in Pnnceton zur Verfü¬
gung gestellt worden. Man kann nicht
umhin, Robert’s Schicksal damit zu
vergleichen. —»51T

-El nde des Monats September 1938


fand die Konferenz von München,
statt. Sie endete mit einem überwälti¬
genden Erfolg für Hitler:
Abtretung des Sudetengebiets an das
Deutsche Reich ohne Gegenleistung.

Welches Erlebnis, dieses Tscheche


sehe, nach dem etwas kindlichen
Traum zwischen den Großmächten.
Von allen verlassen, preisgegeben,
verraten. Der Vernichter wegen seiner
Mäßigung bejubelt, weil er ein wenig
von ihnen übrig läßt. Ungeachtet
des tschechischen Unrechte, welche
Rechtsbelehrung, welche Menschen¬
belehrung überhaupt!
Ich weiß nicht, wo ich gelesen habe,
Herr Chamberlain habe die Friedens¬
moral gerettet, und das sei eine große
Leistung; aber es ist eine kennzeich¬
nende Äußerung in diesen Tagen.
Ein Staatsmann hat nicht die Frie¬
densmoral zu retten, sondern — wenn
er das will — den Frieden. Von der
Moral u. ä. borgend und es einseitig
anwendend', im Namen der Moral
diese zu banalisieren, ist die demo¬
kratische Politik so gewohnt, daß sie
wirklich schon bei Entscheidungen
die Aufgabe des Staatsmannes mit
der moralischen verwechselt. Ein
Hauptsymptom des Niedergangs.
Könnte die Form erhalten: Sucht
2 nicht die Moral bei den Staatsmän¬
Konferenz von
nern (Sonst kommt ihr zu...) Sucht
München,
sie bei den Moralisten, bei der Reli¬
29.-30. September
gion, bei den paar Dichtern...! Und
1938.
1. Reihe von links: da ich Dichter bin, tritt es in umge¬
Chomberloin, kehrter Richtung an mich heran: Was
Daladier, Hitler, habt ihr mit der Dichtung getan; nun
Mussolini, Ciano seht die Folgen!5'8

■+47
PF. KSIIM \ H F.S( II R RI Bl N C

Vf
IVXusil blieb bis zu seinem Tod
deutscher Staatsbürger, weil er die
Fiktion aufrechterhielt, er habe eine
d * un i Fhi frru
Reise krankheitshalber in der
Schweiz unterbrochen. Die Stempel
der Fremdenpolizei in Zürich und
|-> irinl hiermit hisrheinißt, d,ib der Inhaber dir durch
Genf zeigen, daß die Aufenthaltsver¬ das nbciMlehntde Lichtbild duyestrllte Person ist und
die darunter befindliche Unterschrift eifenhtndif- voll¬
längerung jeweils nur für ca. zwei Mo¬ zogen bat.

nate gewährt wurde. «,*>„21 Dez.UdÖ


Die Wiener Wohnung in der Rasu- $n ' ’iyra'fonft
rnofskygasse mit dem gesamten -_lüldJ
Hausrat, seiner Bibliothek und um¬
fangreichen literarischen Materialien
konnte er trotz finanzieller Schwie¬
rigkeiten und behördlicher Wider¬
KANTON ZÜRICr
stände ebenfalls bis zum Tod halten.
AotCTTtfialMgeaud
Danach mußte sie geräumt werden, Wiedcre nreise bi

seine Habe lagerte man in einer Spe¬ bewilligt.


ZOricJi,
dition ein. in der sie bei Kriegsende
durch Bombentreffer vernichtet
wurde.
Kurz nach Ausstellung des neuen
deutschen Passes durch den deut-
, sehen Generalkonsul in Zürich wur¬
den per Liste des schädlichen und un¬
erwünschten Schrifttums «Der Mann Säjour
£:n*ve,
ohne Eigenschaften» und der «Nach¬
laß zu Lebzeiten» ab 1939 für das
Deutsche Reich verboten. Das Verbot
aller Schriften Musils erfolgte per Li¬
ste von 1941.
Um gegebenenfalls auch aus der
Schweiz fliehen zu können, sicherte er
1
j sich die Möglichkeit, nach China ein¬
zureisen:

Visum der Gesandtschaft der


Republik China in der Schweiz
Nr. 486
nach Schanghai
1
(unterzeichnet vom) 3. Sekretär
Reisepaß Musils,
Li Ren-min ausgestellt vom
Republik China 3. Jan. 1939 Deutschen General¬
konsul in Zürich am
Anmerkung: Dieses Visum ist gültig 21. Dezember 1938.
für mehrfache Einreise von dem Tag Chinesisches Visum in
der Unterzeichnung an bis zum Musils Paß

2. Jan. 1940. aber nur für Handelshä¬


fen Chinas
2
Efraim Frisch
Die Quittung ist noch nicht ge¬
(1873-1942), seit
kommen.’14 1933 Emigrantin
Ascona

448
Da die Schweiz voller Emigranten
steckte, traf Musil viele alte Bekannte,
und durch sie gewann er neue, zum
Beispiel Ignazio Silone.
Silone, Mitbegründer der kommuni¬
stischen Partei Italiens, aus der er
1930 austrat, lebte von 1930 bis
1944 als Emigrant in der Schweiz.
1934 erschien seine Studie Der Fas-
cismus. Seine Entstehung und seine
Entwicklung». 1938 «Die Schule der
Diktatoren», 1939 sein Roman «Fon¬
tamara».
Silone berichtet:
«In Zürich traf Musil einige Leute
wieder, die ihn von früher kannten
und sehr schätzten. Zwei dieser alten
Freunde bemühten sich auch, gleich
nach Musils Ankunft unsere erste Be¬
gegnung zustande zu bringen, und
zwar der Dramaturg Kurt Hirschfeld
und der Schriftsteller Efraim Frisch,
der über den <Mann ohne Eigenschaf¬
ten» in der «Frankfurter Zeitung» eine
fundamentale Kritik veröffentlicht
hatte, die volles Verständnis offen¬
barte. Auf Frisch deutend, sagte Mu¬
sil zu mir: <Er und seinesgleichen sind
schuld daran, daß ich nun Emigrant
bin. [...] meine Leser und Kritiker
waren fast durchwegs Juden. In den
letzten Jahren sind sie nach und nach
alle abgereist. Hätte ich allein Zu¬
rückbleiben sollen, und wozu?»
[...] Einen Ausspruch Hegels para-
phrasierend und wiederum auf Frisch
deutend, sagte er [...]: <Er ist der ein¬
zige, der mich verstanden hat.» Nach
einigem Zögern fügte er hinzu: «Aber
4 auch er hat mich nicht verstanden.»
Und flüsternd, als spräche er zu sich,
schloß er: «Leider verstehe ich mich ja
selber nicht.»»520

IN^eben Armin Kesser und Carl See-


3
lig gehörte Rudolf Jakob Humm zu
Ignazio Silone
den wenigen Zürcher Intellektuellen,
(1900-78)
die mit Musil Kontakt hatten:
«Auch Robert Musil war eine Zeitlang
4 in Zürich, ein vergrämter Herr, der
Kurt Hirschfeld meine Frau und mich zum Tee einlud
(1903-64), seit und uns die Art erklärte, wie er seine
1933 Dramaturg Romane zusammenfüge. Einmal ha¬
und Regisseur
be ihn der Verleger gedrängt, und das
am Schauspielhaus
ganze Buch sei ihm schief geraten,
Zürich
und nun habe er seine liebe Not, es in
die ursprüngliche Richtung zurück¬
5 zuführen. Dies, indem er die Hände
Rudolf Jakob zu Kanalufern formte und nach vorne
Humm verschob.»521

440
D, rcr kunstverständige
Pfarrer Robert Leieune war der treue¬
Zürcher

ste Helfer und Förderer Musils im


Kxil Er beschaffte fortwährend Geld,
schenkte aus eigenen Mitteln, knüpfte
Kontakte, intervenierte bei den Be¬
hörden. Schließlich hielt er die loten¬
rede auf Musil. In einem Brief an ihn
vom 26. November 1939 sprach
Musil \on der «vorsorglichen- und
behütenden (illte Leieunes:

Dieses Bt.in sstseis. dass Sie sich sh


um mich kümmern, und dünn auch
die Härme, die Wotrubas mir einflö¬
ßen, damit die Kunst nicht erkalte
f... j davon borge ich den Leichtsinn,
den ich brauche, um an einem Kar¬
tenhaus weiterzubauen, während die
Erde liisse bekommt. ''1

v3bwohl Lejeune alles Menschen¬


mögliche tat, konnte er allein Musil
und seine Frau nicht ernähren. Musils
Monatsbudget in der Schweiz stand
wie ein Tausendfüßler auf vielen klei¬
nen kurzen Beinchen, von denen oft
genug eines ins Stolpern kam oder
plötzlich ganz fehlte. Eines dieser
Beinchen bildete die American (mild
for Cultural Freedom mit deren Se¬
kretär 1 Jubertns Prinz zu Löwenstein.
Ihm gegenüber charakterisierte Musil
am 18. April 1939 seine Lage so:

[. ..] ICH GEHÖRE WEDER El SER POLITI-


schen Machtgruppe noch einer legiti¬
mierten Opfergruppe an, ich bin nicht
Journalist, und bin sogar in der Dich¬
tung ein wenig ein Spatzenschreck,
um den sich gern Stille breitmacht.
Der nicht geringe Ruf, den ich immer
noch genieße, (entschuldigen Sie, daß
ich selbst von ihm spreche!), dieser
merkwürdige, lautlose Ruf ist natür¬
lich auch nicht geeignet, Mäzene an¬
zulocken, und so lebe ich mit meiner
Frau nun schon seit Monaten, wenn
nicht von heute auf morgen, so doch
von heute auf zwei Wochen f23 1
Pfarrer
Robert Lejeune
.Erhalten hat sich eine Quittung (1891-1970)
Musils über den Empfang von 266.20
Franken = 60 Dollar, die ihm die
American Guild for Cultural Freedom
2
American Guild for
schickte. Im Durchschnitt standen
Cultural Freedom.
ihm monatlich aus Spenden ca. 500
In der Mitte ihr
Franken zur Verfügung — etwa das Sekretär Hubertus
Gehalt eines kleinen Angestellten. Prinz zu Löwenstein

•450
v/
CRfiDIT SUISSE, GENfiVE P.
X larrer Lejeune gegenüber äußerte
Qulttance
Musil den unchristlichen, taktlosen
Hecu du Credit Suisae, ä Gentve
vurrV Lcurt
Weihnachtswunsch, ihm. der immer
•neve, le 1 1 JUIL 1939 • . Cf T. solche Freundesop fer bringe, ein paar
tx/ ic»*ü ijr.CfT Il( • :*i c der selbstgefälligen, von Gunst be¬
d ordre <le pour compte de sonnten, landesbekannten Mäzene an
Monlant

’ c lpt1/ * Fr den Baum zu knüpfen.524


CK t 1/ • T . !:»>,£ A C 0 • Ui roP K, i»iLv~ Lt
T' -»7 ■G l 4/c ) L .•! w Namen nennt er nicht, aber es steht
dl** ICh c-i* i la« r <, c-
o
r

r
OS , c •v V?jt: r . 266.2c fest, daß er auch mit den Reinhart-
Brüdern keine positiven Erfahrungen
Francs tCiX CCVT *w*a*i*-*** t? 10/ machte, obgleich er Respekt vor ihrer
dont quitlunce double valable pour une seule. sonstigen Leistung hatte. Hans Rein¬
hart ließ ihm durch Pfarrer Lejeune
100 Franken zukommen. Musils Ant¬
wort an Lejeune vom 10. April 1940:

Wegen df.h 100 Franken können Sie


meiner Diskretion schon deshalb si¬
cher sein, weil es auch für mich pein¬
lich wäre, mich zu seiner solchen Ab¬
findung zu bekennen [...] ich möchte
Reinhart ungefähr sagen, daß ich sei¬
3 ne Verbitterung gegen das künstleri¬
Quittung Musils sche Getu und seine Gläckssucher, ja
über 266,20 Fran¬ seinen Ekel davor, völlig selbst teile,
ken von der Ameri¬
daß ich es aber einen verkehrten
can Guild for
Schluß, daraus gezogen, finde, «das
Cultural Freedom
vom Juli 1939 Kind mit dem Bad auszuschütten»
und gerade dem die Hilfe in kritischer
Lage zu versagen, der einer der weni¬
4 gen Gegengründe gegen diesen Pessi¬
Oskar Reinhart mismus ist.525
(1885-1965),
Kunstmäzen und
Sammler, Begrün¬
M it Martin Bodmer hatte Musil
der der «Stiftung
nicht mehr Glück als mit den Brüdern
Reinhart»
Reinhart. Er besaß in Cologny, hoch
über dem Südufer des Genfer Sees,
5 einen großartigen Landsitz, auf dem
Werner Reinhart er eine der größten Privatbibliothe¬
(1885-1954), ken der Welt zusammentrug mit den
Förderer des
Schwerpunkten Homer und die Anti¬
Kammerorchesters
ke, die Bibel, Dante und das Mittelal¬
Winterthur, Rilkes,
ter, Shakespeare und Goethe.
Momberts,
Kassners u.v. a. m. Musil schrieb über ihn an Pfarrer Le¬
jeune aus Genf, am 14. September
1939:
6
Hans Reinhart Überha upt Martin Bodmer: er könn-
(1880-1963), te mir in manchem helfen, ohne sich
Schriftsteller, wehzutun, da er eine Zeitschrift und
Stifter des Hans-
einen Verlag hat, und ich ihm wenig¬
Reinhart-Ringsfür
stens teilweise eine Gegenleistung
hervorragende
bieten könnte, da ich verlegerisch frei
Schauspieler
bin! Aber ich glaube, daß ich ihm —
der Valery lieben soll — zu wenig «lie¬
7 get, und daß er weniger von mir ge¬
Martin Bodmer hört hat, als möglich wäre und seinen
(1900-71) Ehrgeiz packen könnte.

4öl
Das Zusammengehen Hitlers und
I Stalins, den deutsch-sowjetischen
Nichtangriffspakt, kommentierte
. Musil so:

[22-/23. August 1939] DerDevt-


sche, er weiß nicht, was ihm lieber ist,
Himmel oder Hölle. Aber die Aufgabe,
eins von beiden zu organisieren, be¬
geistert ihn. Lind wahrscheinlich ein
wenig mehr noch die Durchbildung
der Hölle. Mit dem Feind Nr. 1 von
gestern eines Zweckes willen brüder¬
lich zusammenzustehn, ist also tief
deutsch. Entgegen dem Anschein war
Hitler nie so populär wie durch seinen
Wechsel zu den Bolschewiken, vor¬
ausgesetzt, daß er in diese einen deut¬
schen Betrieb bringt. Wenn man will,
kann man das genial nennen?2

HJ ine Woche später brach Hitler


den Zweiten Weltkrieg vom Zaun.
Der Zürcher Schriftsteller Armin
Kesser als gelegentlicher Gast und
Augenzeuge in der Pension Fortuna:
«Der Zweite Weltkrieg war entfesselt;
die Deutschen hatten Polen über¬
rannt; stündlich verkündete die Gift¬
orgel des propagandistischen Hinke¬
manns neue Siegesmeldungen, neue
Drohungen der Achsenmächte. Im
Kreise der Pensionsbewohner, dieser
spärlichen, vergreisten, eingeschüch¬
terten Herde, hörten wir die Funk¬
nachrichten ab. Ich richtete meine
Blicke auf Musil und war erstaunt
über die affektlose, skeptisch interes¬
sierte Art, mit der er den Reden des 1
Reichsabschaums lauschte. Aus sei¬ Unterzeich¬
nem Munde kam kein Zwischenruf; nung des Nicht¬
er hörte zu, als handle es sich um angriffpakts
zwischen dem
einen Wetterbericht oder ein futiles
Deutschen Reich
Handelsabkommen. [...] Zwei seiner
und der Sowjet¬
Äußerungen zu diesem Thema klin¬
union am
gen mir noch deutlich in den Ohren: 23. August 1939.
«Gegen die Sintflut kann man nicht Von links:
protestieren, wohl aber gegen die un¬ Rippentrop, Gaus,
auffälligen Weichenstellungen und Stalin, Molotow
Vorurteile, die sie notwendig herbei¬
zwingen. Ihr nächstes unmittelbares
Ergebnis ist ja für die meisten Men¬
2
Beginn des
schen positiv: Man wirft die letzten
Zweiten Weltkriegs:
Hemmungen, die uns .Anstand und
Deutsche Truppen
Menschenwürde auferlegen, gro߬
öffnen einen
sprecherisch ab. unter Berufung dar¬ polnischen Schlag¬
auf. daß eben Sintflut ist!>»528 baum

452
An den Schweizer Jahren beschäftig¬
te sich Musil intensiv mit der Frage
der Genialität — nicht verwunderlich,
da der Mann, der ihn aus Österreich
vertrieben hatte, allenthalben als Ge¬
nie gefeiert wurde. So hieß es etwa in
Rauschnings (mittlerweile als Fäl¬
schung entlarvten) «Gesprächen mit
Hitler», die Musil las:
«Er ist das Universalgenie. Er regt
alle Welt an: Baumeister und Generä¬
le, Gelehrte und Dichter, Staatsmän¬
ner und Wirtschafter, alle empfangen
von ihm den entscheidenden Gedan¬
ken, der ihre Arbeit glücken läßt.»529
In dem Kapitel «Eine auf das Bedeu¬
tende gerichtete Gesinnung und be¬
ginnendes Gespräch darüber» brach¬
te Musil das Problem auf die Formel:

«Ich habe immer, und fast von Natur,


daran geglaubt, daß der Geist, weil
man seine Macht in sich fühle, auch
dazu verpflichte, ihm in der Welt
Geltung zu verschaffen. Ich habe ge¬
glaubt, daß es sich nur lohne, be¬
deutend zu leben, und habe mir
gewünscht, niemals etwas Gleichgül¬
tiges zu tun. Und was für die allge¬
meine Gesittung daraus folgt, mag
hochmütig verzerrt aussehen, aber es
ist unvermeidlich dies: Nur das Ge¬
niale ist erträglich, und die Durch-
3 schnittsmenschen müssen gepreßt
Robert Musil, werden, damit sie es hervorbringen
um 1938 oder gelten lassen! [... ] j530
g\_nfang Juli 1939 zog Musil nach
Genf. u.a. hatte dort das ihn unter¬
stützende Cotnite international pour
le placement des intellectuels refugies
f. /• Ff, ^

seinen Sitz. Zunächst wohnte er im


Hotel du Palais in der Rue de Lau¬ -

sanne Nr. 135, dann in Nr. 125, in


einer kleinen Wohnung mit Blick auf
den See und die Berge. Im Tagebuch
die Notiz:

Die schöne Landschaft (Genf, Am


einfachstem Man ist ständig etwas
verliebt in sie! Das unterscheidet sie
von der anerkennenswerten Züricher
Landschaft. ’ "

v.V ier Monate später übersiedelte


Musil in das Erdgeschoß eines Hau¬
ses. das zu einem Mütter- und Säug¬
lingsheim gehörte, und lebte dort vom
Oktober 1939 bis Ende März 1941.
An Erwin Hexner schrieb er am
31. Dezember 1939:
^Zr'
[...] sollte ich Ihnen und Ihrer er.au
aber auch unseren Garten beschrei¬
ben, der ... im Herbst [...] wie drei
nebeneinander bestehende Träume
ce.
gewesen ist, denn er ist teils heimat¬
ct&s c/h_> eZEf
lich, teils subtropisch und teils über¬
haupt unwahrscheinlich, und ich ha¬
be Seiten eines Tagebuchs von weni¬
gen Seiten damit vollgeschmiert, daß
ich seine Gestalten und Farben ver¬
geblich wiederzugeben versucht ha¬
be. Ich möchte auch mein Arbeitszim¬
mer beschreiben, das, zu ebner Erde,
mit seiner Glastür auf diesen Garten
geht, groß ist, gelb und grün ist und
vor sich einen von archaischen Stein¬
säulen getragenen Steingang hat und
das Halboval eines Steinbrunnens."1

Der PEN-Club veranstaltete im


Herbst 1939 eine Hilfsaktion für Mu¬
sil. deren Ergebnis im wesentlichen
aus rühmenden Briefen von exilierten
Kollegen bestand. Arnold Zweig am 1
..Juli 1939 an Rudolf Olden: Brief Arnold
Zweigs an Rudolf
London, 7. 7. 39, Esplanade I lotel Olden in Sachen
Robert Musil
Lieber Olden,
für Robert Musil Zeugnis abzulegen — 2
ich wüßte kaum einen, der es mehr Dependance der
verdiente. Er erschütterte uns und Po^ponn^re in"
entzückte uns mit seinem «Zögling Genf, Chemin des
Törless», als w ir auf die Universität Grangettes29

4.>4
kamen, und er hat seither nicht auf¬
gehört, uns in Atem zu halten, auf die
formvollste und geistigste Weise. An¬
dere Oesterreicher wurden bekannter
und weiterhin übersetzt als er. Aber
für Preußen, wie Sie und ich, war Mu¬
sil die Essenz des Besten, was die
oesterreichische Literatur zu geben
hatte: feinnervig und kräftig zu sein,
geschmeidig, weise und heiter. Als wir
alle Welt zu Lesern fanden, Musil
aber für sich blieb, war mir das <ein
neuer Pall Hardy>; denn es gelang uns
nicht, Thomas Hardy dem deutschen
Leser nahe zu bringen.
Sie wissen, wie sehr meine Augen
mich am Lesen hindern, und wieviel
Zeit das Vorlesen verschlingt. Aber
wenn ich 5 Bücher der deutschen Li¬
teratur seit 1929 auszuzählen hätte,
die ich selber zu lesen begierig bin.
wäre Robert Musils <Mann ohne Ei¬
genschaften» bestimmt dabei.
Mit den herzlichsten Wünschen fürs
Gelingen Ihrer schönen und noblen
Anstrengung
Ihr
Arnold Zweig
weiland Vorsitzender des Schutzver¬
bandes Deutscher Schriftsteller.
Berlin.533

M usil notierte am 27. November


3 1939:
Hermann Broch
(1886-1951) De/i Pen Cll n London halt es rin
geboten, die Aktion zu meinen gun-
sten jetzt aufzugeben. Olden, der mir
4 den Brief schickte, legte Abschriften
Arnold Zweig
von Briefen an den PC. bei von: Ar¬
(1887-1968)
nold Zweig. Broch, Robert Neumann,
Thomas Mann. Ich bin gerührt, na¬
5 mentlich durch Thomas Mann, dem
Rudolf Olden ich oft Unrecht getan habe. Ich bin
(1885-1940) auch geschmeichelt.' u

Aon
-Alu Pfarrer Robert Lejeune schrieb
er arn 11. November 1940:

[. . .] HIERZULANDE UND HEUTZUTAGE


ist selbst mir kalt geworden, die
Wahrheit zu sagen; denn man kann
sich doch nicht fortwährend selbst in
die Hände blasen. Es sieht aus, als ob
ich schon so gut wie nicht da wäre,
und da ist es mir nun wirklich ein
Trost gewesen, Ihre und der Ihren
Teilnahme zu fühlen.535

7
i—l u den wenigen Schweizer Patrizi¬
ern. zu denen Musil gelegentlich Kon¬
takt hatte, gehörte Carl Jacob Burck-
hardt. Seine physiognomischen
Eindrücke von Musil umriß er so:
«Er hatte ein merkwürdiges, nach in¬
nen gewandtes Bauerngesicht, mit
kleinen, leicht mißtrauischen, äu¬
ßerst klugen Augen - Kassner würde
sagen, seine Seele war so spürbar in j
jedem seiner Worte, daß er den Blick Robert Musil
ganz aufs Reale einstellen konnte, in seinem Arbeits¬
nichts Seelenhaftes im Blick zu haften zimmer in der
brauchte, und mit diesen scharfen Genfer Pouponniere
Tagesaugen, diesem messenden,
überlegenden, äußerst Wachen seines
Sehens betrachtete er große und ferne ^
innere Vorgänge als betrachte er Porträtphoto aus
Stempel und Staubfäden, oder als derSchweizer Zeit
schaue er durch das Mikroskop
auf präzise und äußerste Wachheit 3
und Verstandesraschheit erfordernde Dos Arbeitszimmer
• Vorgänge. i536 in der Pouponniere

456
457
I_)ie Leiterin des Kinderheims, in
dem Robert und Martha Musil bis En¬
de März 19-tl wohnten, hieß Barbara
von Borsinger. Die Notizen über sie,
die freundlich beginnen, werden im
Laufe der Monate gereizter, nicht zu¬
letzt deshalb, weil die schön gelegene
Wohnung in der Pouponniere durch
Kinderlarm von anderen Mietern
nicht die Ruhe bot. die sie versprach.
Am 19. August 1940 notierte Musil
im Tagebuch:

/1 ABEICH SCHON EINGETRAGEN, HASS ICH


Barbara die Abtissin nennen möchte.
Heißer Operationskittel, kleines rotes
Kreuz am Hals, Schaftstiefel. Martha
nennt sie treffend, aber zu literarisch:
Nike [...] Wotrubas äußerlich: der
rasende Roland. Das gefällt ihr am
besten''

Sie hat ohne Frage vornehme Zöge.


wäre aber sehr beschämt, sich in
Geldfragen schwach zu zeigen; und
von ihrem Verständnis für mich dür¬
fen Sie nicht mehr erwarten als beina¬
he landesüblich ist. 'M

20. XII [1940] SlF. IST EIN GEIZIGER


weiblicher Krautjunker! Frierend ge¬
sagt; während sie die Kohlenknapp¬
heit zum Iersuch einer Zinssteigerung
ausnutzt.539

V erglichen mit den anderen Emi¬


granten. die in Lagern untergebracht
wurden, war Musils Situation aller¬
dings noch recht komfortabel. Ma߬
geblich für die Behandlung der unge¬
betenen Gäste in der Schweiz war 1
Heinrich Rothmund. Barbara vor.
Als (.lief der Polizeiabteilung im Eid¬ Borsingerde Baden,
Leiterin
genössischen Justiz- und Polizeide¬
der Pouponniere
partement schlug er z. B. den deut¬
schen Behörden 1938/39 vor. die
Pässe deutscher Juden mit einem «J» 2
zu stempeln und mittellose Exilanten Heinrich Rothmund
in Camps zu konzentrieren. (1881-1961)

4ö8
Schweiz: s. die Zwangsarbeits-Lager
für Emigranten, die nicht reich sind.
Es ist nichts Spezifisch-Schweizeri¬
sches: daß solche Lager Wohltaten
sind und dem Insassen moralisch nut¬
zen, hat schon Minister Friclc oder
Rust gesagt. Schweizerisch aber ist,
daß der Initiator dieser Lager (Roth-
mund?) von der Presse gepriesen wird
als besonderer Freund der Künstler
und Intellektuellen, dessen hoher
Sinn sich auch in der bitteren Wohltat
äußert,540

W IR HABEN DEN CHRISTABEND [1939]


hier und höchst wunderlich in der
Pouponniere verbracht [...] einer
Anstalt, wo Kinder geboren werden,
Kleinkinder aufgezogen, größere Kin¬
der von allerhand Übeln wegerzogen
und weggepflegt, und endlich an hun¬
dert Kinderpflegerinnen im Jahr aus¬
gebildet werden, die weiße und blaue
Uniformen tragen, nach der Ausbil¬
dung in alle Welt gehn, aber in Kon¬
takt mit dem Mutterhaus bleiben, und
zum Teil recht hübsch sind. Wir woh¬
nen nämlich seit Herbst in einer ir¬
gendwie dazugehörenden Villa und
darum hat es einen großen Weih¬
nachtsbaum gegeben, an hundert im
Kerzenglanz auf dem gehöhnten Bo¬
den eines Saals sitzende weiße Mäd¬
chen, auf dem Schoß eines jeden von
ihnen ein Poupon, der freudig oder
ängstlich gegreint hat und darüber
ein harmonisches goldenes Zittern
dieser Kinderlaute und des Kerzen¬
3 lichts [...] erst wenn man weiß, daß
Weihnachtsfeier
ich mein Leben lang kleinen Kindern
in der Pouponniere
ausgewichen bin und sie so wenig
mag wie Schnecken, zeigt sich,
4 was dieser merkwürdige Abend war
Schweizer Flüchtlings¬ und was das Schicksal aus einem
lager, Schlafsaal macht.'*'

459
bäne ffjcaltterthelt fterta $eger butd) ihre geroinnenbe ten rourbe, aber aud) nldjt lebet Würbet für ein ©ente.
©rtdjelnung, heitern ©barme unb julefot burd) faft müt¬ Bcrroaltet rourbe ba» Canb oon btt beften Bürokratie
terliche ©aite In ftjmpatbtfcher ©elfe mllberte. (Eine ber Belt. Die Berfaffung root liberal, regiert rourbe e»
reife Celftung bot nud) Blabelalne Roebel nie Stlfa- hlerlhal, aber man lebte frelftnnlg. Brie Bürger roaren
bett), bte felbftficbere unb fcharfjüngtge ffreunbln oot bem fflefefje gleld), aber i,lrf)t alle roaren Burger. Bon
©orba». 0ud) bte Certreter ber Meinen tRoIIcn hoben ben nationalen ©egenfäfjen unb ben fle nu»l8ftnS*n
Ihren reblldten Hntetl on bet burdi „lauter Cügen" Rümpfen fagte Wufil. bah He ouher Canbe* eine unrich¬
erroldenen SBahrbelt, baft ba» St. ©oller Stabttheoter tig« Deutung erfahren hätten; fle bllbeten eher fo etrao»,
eine ganj ausgejeldjneie truppe beflfct. Huf Iffiiebet- role ein „(ubllmlerte» Zeremonien". (E» fei nld)t ein
fehnt
elgentlldjer gab bet oer|d)lebenen Nationalitäten gerne-
fen, forrbern nur eine geroiffe Bbnelgung gegenelnanbet,
eine foldje allerbtng», ble ntdjt galt pemaajt höbe not
5Dr. Stöbert SJlafll In ber ßilerarlfdjen bet eigenen Serfon. So fei blefer alte öfterr»lchi|d)-un.

S)ereiniguno SDtntertbnr. i9.+.,rvB garlfdre Ralferftaot ein Canb für ©ente» geroefen unb fei
roohrfdjeinlld) baran jugrunbe gegangen.
3n Dt. fRobert IFtufll, ber am »ergangenen TOorttag ©Int roeltere Roftprobe behonbelte In trtfffldtet Sa¬
bet bet Ctterarlfd)tn Bereinigung ju (Botte roor un* (Be. tire ba« Dhema Btbllolheken-Bibtlothekare unb gipfelte In
bruchte» unb Ungebrudrte» aus feinen 6d)tl|ten ootla» bem Mejept: Da» ©ehelmnl» aller guten Bibliothekare
I_Jher seine Lesung im Zürcher Ly- lernte man einen au» Rlopenfurt (Rärnten) [tammenben Ift, bah fie ble Bürfter nldjt lefen. ©er fld) auf ben Zn-
unb nun tn bet Sdjroelj febenben Schrlftfteller kennen halt ber Büdjer einläfjt, Ift al» Bibliothekar oerloren; et
ceumclub berichtete Musil am 27. Fe¬ ber fld) mit Wenfchen unb menfd)lld)tn Berhättnlffen un- rolrb niemals einen Ueberblldr gewinnen.
feret 3elt tn eigenartiger, gelftpotler ©elfe oueelnanber- ©Int mehr phllofophlfdi» Betrod|tung übet ben Be¬
bruar 1939 an Dr. Nellie Kreis: fe^t unb fte mtt häftftd)em gumor unb feiner jronle ju griff „Ctebe , ble jelgte, role feljr ber Dldjter Denker IR
jeidjnen roeife. (Er rourjelt feft Im felber bal)lngdd)roun- unb ben Dingen nach Urgrünben nadjfpürt, leitete über
benen Oeftetrelrb, ba» un» Schroeijern fo fgmpatbtfd) jur koftlldjen Satlre\.Rtelne ®e|d)ld)le über Denkmüler".
root.
[. . .] DER LyCEUM-KlUB HAT ZU MEINER Denkmale ober Denkmälert Schon ble jroelfelbafte
,(E» log nab«, ba& ber Sortragenbe [eine Darbietungen OTehrjahlbllbung beute auf ©ertfragllebhelt hin. ffloju
mit einem ba» alte öftetr«id)tfd)-ungorltd)« Ratferreld) Denkmäler? Sie rounben hlngeftelll, um nicht gefehen tu
Vorlesung eine hektographierte Ein¬ diorohterlflereitben Rapltel begann. Rontrapunhtlfd) bo» roerben. Sdiuhlnfel, Rompah. fRld)tung»jelg»t nennt et
ruhefofc Ceben einer amerthantfdjcn SBeltftabt jelchnenb, fl». ÜBen fle barftellen? Der Beruf ber meTften fei, ba«
leitung verschickt, worin — scheinbar roo ber Bientet) gehest, gefahren, gehoben, gefdjoben rolrb ©ebenken ju roechen. Dlefen Beruf oerfehlten bl» Denk-
unb gelmroeb bekommt nodi „aufgehalten werben, nadi mäler Immer, Wan bemerke fte nldjt, nein, fte t n t mer¬
in <twerbender» Absicht — zu lesen fteehenblelben", lieh er ba» alte Oeflerreld) erltehen, über kten fld) [ogat un*. Da» gleiche fet übrigen« oon Silbern
ba» fo oft gerolfceft rourbe. ba» atro etn Canb mar roo an ben ©änben ju lagen, freute müffe man oon einem
war, daß ich meinen Hohnsitz zwar fld) leben lieh, roo ber fütenfd) SJlenfd) fein konnte.'Rein Denkmal mehr oerlangen. fRüchftänblg fei unfert Denk-
ffieltrolrtfdtafleehrgelj roar ba, man härte nld)t» oon Ro- mol9hunft Im 3eftalter be» Cärme unb ber Bewegung.
verlegt hätte, aber trotzdem tArier» lonlen, non Ueberfee. Utan hotte a u d) tempo bod) nldjt 5» [el eine au»gefud)te Bosheit, groben männern Denk-
ju olel. Wan trieb Sport, bod) nld)t fo närrlfd) role ble mäler ju fehen. ©Bell man Ihnen Im Ceben nldjt mtbt
sei, oder daß ich ihn verlegt hätte, Bngelfad)fen. Det Cujue roor nlcf)t überfeinert. IE» roor [droben könne, fenke man fle mit einem Wühlfleln be-
ein Canb, roo nldjt jebe« ©ente für einen Cümmel gehol¬ fdjroerl In» Weer bet Bergeffenhelt. m.
obzwar ich es sei. Gestern habe ich
von einem guten Bekannten, der des¬
halb nicht in die Vorlesung gekommen
2
ist, obwohl er mich nicht eine Sekun¬
de lang der Mitwisserschaft verdäch¬
tigt hat, diese odiose Geschichte er¬
1
fahren. [...] Eine paradoxe Welt, die
Lyceumclub Zürich
auf dem Kopf steht, weil sie keinen
hat!™*
2
Bericht des «Land¬
Im Vortragssaal des Kirchgemein¬ boten» über Musils
dehauses fand die Winterthurer Le¬ Lesung in Winter¬
sung Musils vom 22. Januar 1940 thur

statt. Veranstalter war die Literari¬


sche Vereinigung Winterthur unter
3
ihrem Vorsitzenden Rudolf Hunzi-
Vortragssaal
ker. Musil, aus W ien Auditorien bis
im Kirchgemeinde¬
zu (zweimal) 350 Zuhörern gewöhnt. haus Winterthur

400
interessierte in der Schweiz nur noch
ein kleines Publikum. In Winterthur
scheinen es ca. 20 Menschen gewesen
zu sein. Es war offenbar sein letzter
öffentlicher Auftritt auf Schweizer
Boden. Am 11. Februar 1940 berich¬
tete Musil an Fritz Wotruba:
4
Dr. Doris Gäumann- Ich habe keinen faden Nachge-
Wild, Organisatorin schtnack von der Winterthurer Unter¬
der Lesung Musils im nehmung, aber daß sie mißglückt ist,
Zürcher Lyceumclub steht außer Zweifel; ich sehe es auch
am 22. Februar 1939
an dem Nachfrost, von dem der fröhli¬
che Professor Hunziker befallen wor¬
den zu sein scheint, der nichts mehr
5
Rudolf Hunziker, hat hören lassen, obwohl ich ihm
Vorsitzenderder noch dazu — von so vielen Jahren ge¬
Literarischen Vereini¬ rührt — zu seinem 70sten Geburtstag
gung Winterthur gratuliert habe. ’*1

461
Y\ ährend ringsum das alte Europa
in Trümmern fiel, meditierte Musil im
Schweizer Exil noch immer darüber,
ob der «Mann ohne Eigenschaften»
nun mit seiner Schwester schlafen
solle oder nicht. Ein beliebiger Zei¬
tungsbericht konnte das Problem
akut machen. So ein Artikel über
Trance-Tänzer auf Bali in der «Neuen
Zürcher Zeitung» vom 10. Dezember
1939. Musil nahm ihn zum Anlaß,
um über den geplanten Inzest der Ge¬
schwister Ulrich und Agathe zu re¬
flektieren.

Trance und Coitus [...] auf Bali.


[...) Die Tanzspiele haben die Aufga¬
be, die Götter mit den Menschen zu
versöhnen (... ] Die Darsteller werden
sehr dramatisch und der Trancezu¬
stand greift von ihnen auf die Zu¬
schauer über. Manchmal plötzlich
und explosiv; wie tvom Schlage ge¬
troffen, stürzt ein Teil der Tänzer aus
dem klaren Dasein in einen qualvoll
erscheinenden Zustand. Der Körper
wird von konvulsiven Zuckungen ge¬
peitscht, der Blick ist starr, Schreie
werden ausgestoßen.» Die Krieger
streben krampfhaft danach sich mit
ihrem Kriß selbst zu verletzen, ohne es
aber zu können. Der Kriß kann unter
der Wirkung der Hypnose [...] nur
bis zur Haut gestoßen werden. [...]
Die Ähnlichkeit mit dem Coitus geht
aus dem physiognomischen Ausdruck
der Bilder noch deutlicher hervor.
Ad I Irieh und Agathe: Der Coitus ein
Best des Trance.
Der Trance gehört den magischen
Einwirkungen der Bealwelt an. So ist
es logisch, daß Agathe und Ulrich den 1
Coitus nicht wollen. Das Kontempla¬ Martha Musil
tive des Anderen Zustands ist aber im Säulengang vor
etwas anderes als der Trance, es ist der Wohnung in
außerdem weniger ein Gesamtverhal- derPouponniere
tens-Surrogat. Ts ist ein europäischer
(ersuch, ohne Bewußtseinsverlust
2
usw. So könnte es wohl-mit apriori¬
Trance-Tänzer auf
scher I nbestimmtheit des erreichba¬
Bali nach einem
ren Grades — als Iersuch möglich er¬ Photo der «Neuen
scheinen und gewollt werden.™ Zürcher Zeitung»

4<>2
D urcli die politische Entwicklung
sah Musil in der Schweiz, dem Land
Bachofens, die Frauenfrage neu ge¬
stellt: Agathe zwischen den Theorien
der sowjetischen Frauenbataillone
und den Vamps des amerikanischen
Films.

[...] Eindruck: die erstaunliche


Leistung Rußlands; die militärische
und industrielle Stärke, der Zusam¬
menhalt. Siehe dazu die «amerikani¬
schem, aber künstlerisch geformten
Stadtbilder; die Kämpferinnen, die
einen neuen Frauentypus darstellen,
der weitaus reizvoller ist als der unse¬
re (Ad notarn zu nehmen für die Rich¬
tigkeit Agathes und Ulrichs) [...]044
Auf Hitler, den Konkurs der Mann-
Ideen, wird ein Matriarchat folgen.
Amerika: Ich denke an Annina [in
Philadelphia]. Sie beherrschen das
Kulturelle.
Eigentlich müßte im Mann ohne Ei¬
genschaften von diesen Kapiteln an¬
gefangen die geistige Führung auf
Agathe übergehen. Für den Marin
bleibt die Nicht-Sokratische Ironie
[•••]545
3
Soldatinnen in
Sowjet-Rußland
./Vuch in Genf war Musil nach Be¬
richten von Nellie Seidl-Kreis noch
4 ein eifriger Kino-Gänger. Nach Mög¬
Mae West lichkeit ließ er keinen Film mit Mae
(1893-1980) West oder Fred Aslaire aus.

463
_jmr. Art Mae West hatte Musil in
der ‘vhweiz unter seinen Bekannten.
Nur besaß sie, Susanne Langnese,
den Vorzug, mit einem begüterten
Mann (Rolf Langnese) verheiratet zu
sein und Musil hin und wieder mit
Geld zu bedenken.
Am 3. Dezember 1941 dankte Musil
ihr für ein solches Geschenk:

LlEBE GNÄDIGE FHW!


Aus tRonco» ist vor einigen Tagen ei¬
ne Postanweisung auf 200 Fr. einge¬
troffen., und weil ich mich erinnere,
daß in Marthas von mir auch unter¬
schriebenem Brief an Sie ein Zweifel
an der Sicherheit stand, mit der wir
erwarten könn ten, daß die großherzi¬
ge Regung den hundert Giften der
Vergeßlichkeit widerstehe, fühle ich
mich heute ein wenig beschämt.
Ich möchte Ihnen danken. [...] Unse¬
re Lage in der Schweiz ist ja wirklich
schwierig. Ja, ich möchte sagen,
schändlich schwierig; wenn ich be¬
denke. daß ich doch eigentlich reich¬
lich bekannt bin für das, was ich bin,
und nur hier fast niemand davon weiß
oder wissen will, fVoran das liegt, da¬
mit will ich Sie nicht langweilen; und
es wäre wohl auch schwierig zu ana¬
lysieren, da die Fehlleistungen eines
Landes genau so wie die eines Kör¬
pers oft nur von kleinen wichtigen,
und schlecht funktionierenden Teilen
abhängen, die das Ganze an irgend¬
einer Leistung verhindern können, die
sonst von seiner Gesundheit zu erwar¬
ten wäre.
Also, ich bin entzückt, daß Sie mich
nicht ganz vergessen haben; und bin
es nicht nur deshalb, weil Sie mir,
gradeheraus (und mit Erlaubnis mei¬
ner Frau und mit Nachsicht meines
Alters) gesagt, immer überaus gefal¬
len haben; sondern auch deshalb,
weil ich mich unnützerweise von der
Gleichgültigkeit meines Pflegevater¬
landes doch immer beleidigt fühle,
und auch zu schwere Last auf den
Schultern habe, um bloß mit einem
heiteren Achselzucken darauf ant¬
worten zu können. Nun, eine einzige
Frauenfreundlichkeit läßt mit Ver¬
gnügen alle Unfreundlichkeiten der
Vaterländer vergessen/546
Susanne Langnese

Rolf Langnese, Pianist und Kom- 2


pomst, betätigte sich als Mäzen. Er Rolf Langnese
gehörte 1938 zu den privaten Grün- (1904-68)

464
dern der Neuen Schauspiel AG Zü¬
rich, die das von Schließung bedrohte
Zürcher Theater rettete, und er un¬
terstützte auch Musil gelegentlich.

D aß der Schwerenöter Roda Roda


im Genfer Exil hei den Nonnen von
Saint-Boniface wohnte, der Sozialist
Arthur Holitscher bei der Heilsarmee
und Musil im Kinderheim, empfan¬
den die Eingeweihten als Pointe.
Schon im November 1911 bekannte
Musil:

[. . .] ZUWEILEN BEFASSE ICH MICH


selbst mit Philosophie und hole mir
eine moralische Indigestion, in der
mir dann die Existenz Roda-Roda s
näher zum Herzen steht als die
Leibniz's [...]547

Q
LJo verkehrte er auch in Genf mit
ihm.

iir Holitscher, mit dem er wohl


seit ca. 1914 bekannt und eine Zeit¬
lang <Stallgefährte> bei S. Fischer
war, hielt Musil am 17. Oktober 1941
die Totenrede:

UlB NEHMEN VON EINEM MäNNE Ab


schied, dessen Werk ihn überleben
wird; und dessen persönliches Uesen,
worin immer es sich äußerte, solange
er bei Kräften war. die reine und erfri¬
schende Wirkung eines Gewitters ge¬
habt hat.
Es ist ein kleiner Freundeskreis, der
seinen armen Körper dem Boden
Genfs übergibt; als dem der Stadt, die
dem Flüchtling schon zu Lebzeiten
3 die letzte Rast gewährt hat; und ihn
Arthur Holitscher
nun als Geschenk empfängt.
(1869-1941)
Denn die heute hier stehn, sind nicht
die letzten, die an sein Grab in Genf
4 kommen werden: Arthur Holitscher,
Roda Roda den Dichter und Kämpfer, zu
(1872-1945) ehren! )48

4bo
Stellen Sie sich einen BCffel ior.
dem an der Stelle seiner gewaltigen
Hörner ein anderes Hautgebdde,
nämlich zwei lächerlich empfindliche
• Hühneraugen», entstanden ist. Die¬
ses Uesen mit der gewaltigen Stirn,
die einst Haffen getragen hat und
jetzt Hühneraugen trägt, ist der
Mann im Exil. Har er ein König, so
redet er von der Krone, die er einst
besessen hat, undfühlt, daß die Men¬
schen schon zweifeln, ob es auch nur
ein Hut war, ja er selbst zweifelt am
Ende, ob überhaupt noch ein Kopf auf
seinen Schultern sitzt. Es ist eine
traurige, aber fast ebensosehr eine lä¬
cherliche, und darum doch doppelt
traurige Situation.5*9

■^\.m 28. Dezember 1941 schrieb


Musil an Wotruba:

Mehr Schnee als Geld ist keine be-


hagliche Weihnachtsmischung; so
wenigstens sieht es bei uns aus.
Das kommende Jahr sehe ich darum
sehr mißtrauisch an. Nach allen Zei¬
chen der Außenwelt müßte mir schon
etwas dem Wunder Verwandtes zu
Hilfe kommen, wenn es mir gelingen
soll, den Kopf so lange über den Bei¬ 1
nen zu behalten, wie es — nach den Robert Musil im
von allen Seiten dieser llelt kommen¬ März 1941
den Erklärungen — nötig sein wird.
Täte nur aber leid, denn dialt er’s
aus, is’guatfür ihn».550 2
Carl Jacob
Burckhardt
(1891-1974)
ber seinen Umgang mit Musil be¬
richtet C.J. Burckhardt:
‘Hin und wieder erschien Musil bei 3
mir. Meist war ich abwesend, oder in Martha und Robert
einer Irost- und Heil-losen Sitzung. Musil vor der
Dann unterließ er es wieder mit Scheu Pension Fortuna,
wochenlang, oft monatelang. Trafen Zürich
wir uns, so ergab das Gespräch immer
sehr viel, er war von jeder Zutat
4
frei, er hatte kein Inventar, er bildete
Villa Diodati.
und schuf immer, jedesmal wenn er
Wohnsitz Carl
seine ruhigen, bedeutenden Sätze Jacob Burckhardts
formte [.. am Genfer See

4<>(>
4

■i67
\ j\f Bekanntschaft aus W ien mit
dem Bildhauer Fntz Wotruba setzte
sich un gemeinsamen Schweizer Exil
fort und wurde zu einer Art — wenn
auch von Musils Seite nicht ungebro¬
chenen — Freundschaft. Wotruba
über die Besuche Robert und Martha
Musils in seinem Genfer Atelier:
«Jeden zweiten Tag holten sie mich
vom Arbeitsplatz, manchmal kam er
allein. Er saß dann oft stundenlang
und schaute mir bei der Steinarbeit
zu. Der Rückweg führte zwischen den
halbhohen Gartenmauern, die die
aristokratischen Parks und Besitzun¬
gen der Genfer Patrizier umschlossen.
Diese Mauern waren von einer selt¬
samen Eindringlichkeit. Durchaus
nicht monoton, sondern eher voll von
versteckten Überraschungen. Es wa¬
ren Mauern, die schöpferische Eigen¬
schaften entwickelten: das Gehen
zwischen ihnen, gemeinsam mit Mu¬
sil, war von großem Gewinn. Auf die¬
sen Wegen lernte ich Musil kennen;
hier ging er aus sich heraus .
Musils Beurteilungen waren frei von
Bewunderung oder Verachtung, sie
waren sachlich, beinahe wissen¬
schaftlich nüchtern und dadurch
manchmal auszeichnend, manchmal
vernichtend, hn Gegensatz zu seinem
sehr komplizierten Stil war er im Ge¬
spräch einfach, klar und leicht ver¬
ständlich, das Fremdwort vermei¬
dend, wo es möglich war. Die Antwor¬
ten waren immer überlegt; er brauch¬
te Zeit, kein Satz wurde wegen seiner
Brillanz gesagt, kein Einfall wegen
seiner Einzigartigkeit ausgespro¬
chen.»552
In seinem Tagebuch notiert Musil
über Wbtrubas plastische Antriebe
und Prinzipien:

Man muss der Ablehnung des Akt


Studiums (das angeblich auch
Michelangelo nicht betrieben hat)
hinzufügen, daß Wotruba allem den
Körper seiner Frau zugrunde legen
soll. Diesen hat er täglich vor Augen
[•..] A'un kann die Vision nach ihrem
Körper Vorhalten, bis die <Liebe> ein¬
mal erschöpft, d. h. nicht mehr schöp¬
ferisch ist. Dann ist dieses <Wir> zu¬
ende.553

D as Foto Robert Musils in seinem


Arbeitszimmer in der Genfer Poupon- 1
niere zeigt im Hintergrund ein Ge- Fritz Wotruba

4h8
schenk Wotrubas zu Weihnachten
1940, eine Graphik, die ein junges
Paar, möglicherweise - in Anspielung
auf Ulrich und Agathe - ein Geschwi¬
sterpaar, wiedergibt.

-/^.m letzten Geburtstag. 6. Novem¬


ber 1941, zog Musil eine Bilanz seines
eigenen «Wir», seiner Ehe. Martha
trennte nach seinem Tod die Seite aus
dem Heft Nr. 35 heraus und nähte sie
in ihren Mantel:

6. XI. 1941: Ein Morgen, freund-


lieh, ja zärtlich, aber ohne Coitus
Wie war es an all den Tagen all der
Jahre? Wie standen die Betten in den
Zimmern? Wie geschah das als selbst¬
verständlich Vorausgesetzte? Keine
Übersättigung, kein Überdruß'?
Manchmal etliche Zeichen davon,
aber post. Wie die Übergänge?
Immerhin ein Exempel, die noch nach
Jahrzehnten währende Ehe.
Wenig Einzelheiten sind erinnerlich
geblieben. Die es tun, sind lyrisch ge¬
worden: der goldene *Dattelleib» auf
dem weißen Laken in der Martin -
Luther-Straße [Berlin], Die grün¬
blaue Decke darunter. Das Gaslicht.
Der scharlachrote Blutenkelch. Siehe
das Gedicht, die lyrisch exzessive
Stelle in Grigia
Das schwarze Haar auf dem weißen
Kopfkissen in der Weißgärberstraße.
Der Kopf mit den schwarzen Zöpfen
am Fenster des Nebenzimmers mor¬
gens in Lofer. Von vielen Orten nichts:
Venedig, Lavarone. Pergine, Schlüs¬
sel- und Schlösselgasse [Wien]. Kose¬
row usw.
Trotzdem ohne Zweifel sexuelle und
erotische Menschen.
Es ist gleichgemäßig geworden, ein¬
geebnet, statistisch.
2 sieht es rückschauend aus? Das
Robert Musil in sei- gehört zum Sinn eines Lebens über-
nem Arbeitszimmer

Wir selbst von uns selbst wiederer-


2 weckt, in fast statistischem Sinn. Wir
Junges Paar, betrachten uns nach Eigenschaften
Zeichnung von des Durchschnitts. Gelegentlich be-
Fritz Wotruba, lebt davon, daß auch der Geist gelebt
in Musils Besitz hat. ’H

469
r jjiffntlirli war Musil der Meinung,
nur das Geniale sei erträglich und die
| Durchschnittsmenschen müßten ge¬
preßt werden, tun es hervorzubringen
oder gelten zu lassen. Die Frage, die er

I
dabei nicht beantwortete, war. was
geschah, wenn sich die Sphären zwei¬
er Genies berührten: die seine und die
Wotrubas zum Beispiel.

Zi m Egoismus.- Zuei Fräuleins (?) in


Zug hatten ihnen Fahrräder geborgt.
Mit diesen waren sie zu Ostern in
Genf; aber obwohl sie längst hätten
sie zurückgeben sollen, kamen sie im
Juni damit wieder und erstatteten sie
erst nach wiederholter und anschei¬
nend ernster Aufforderung zurück.
(Kauften sich eigene.)
Zwei Leintücher ihrer Zuger Wirtin
entführt; werden sie erst zurückbrin¬
gen. wenn sie im Oktober wiederkeh¬
ren. [...]
Sie sind wie ein Vogelpaar, das sein
Nestausbaut. [...]

I
Eine Formel: der geniale Künstler
muß und darf den Banausen ausbeu-
ten; er übt ein höheres Recht mit gro¬
ßer Rücksichtslosigkeit aus. Befremd¬
lich an dieser Gewalttechnik ist aber,
daß sie auf längere oder kürzere Beile
mit Freundschaft verbunden wird.
Dabei spielt Marian auf den weißen
Klaviertasten und Fritz streicht den
Baß.
Aber er trinkt und lacht gern mit den
Leuten und ist wirklich ebenso nett,

!
wie er sich auch selbst in ihrer Gesell¬
schaft wohl fühlt.555

In der späten Genfer Zeit verfaßte


Musil einen Text über einen Säulen¬
heiligen, in dem er das Verhältnis zu
seiner Umwelt, besonders wohl zu
Marian und Fritz Wotruba, spiegelt.

Ein Säulenheiliger: Früher haben


sich in meiner Nähe Liebespaare ge¬
troffen. Vorbeieilende haben einen
Schauer in der Brust gefühlt! Jetzt
sind es nur noch die Hunde, die sich
um die Säulen kümmern!
Die junge Frau: Hier, lieber Alter!
(Birft etwas in seine Reisschale.)
(Nach einem Monat:)
1
Die junge Frau / der junge Herr: Ent¬
Marian und Fritz
schuldige, lieber Säulenheiliger! Wir Wotruba in
haben soviel zu tun. Hier! Lausanne 1940,
(Nach einem Monat:) von Musil kommend

470
Die junge Frau: Entschuldige, lieber
Säulenheiliger, ich bin jetzt in Eile;
übermorgen komme ich nochmals
vorbei!
(Nach acht statt zwei Tagen:)
Die junge Frau: Fiier, lieber Alter!
Halte mich nicht für schlecht oder
vergeßlich. Ich weiß ja alles! Aber ich
kann manchmal nicht anders!
Der Säulenheilige: Gewiß, gewiß! Ich
vermag ja auch nicht zu sagen, daß
du eine Verpflichtung hättest!
(Nach sechs statt vier Wochen:)
Die junge Frau: Oh, ich weiß es sehr
gut! Ich suche dich diesmal in weni¬
gen Tagen wieder auf! Laß mich ge¬
nau sein, höchstens in drei Tagen! Tu
mir nicht weh und erwidere nichts!
(Diesmal ist viel Zeit vergangen:)
Der Säulenheilige: Was soll ich ihr
sagen? Die Tage sind schon wieder in
die Wochen gekommen, und die Wo¬
chen werden noch eine Endlosigkeit
gebären. Der junge Herr macht sich
nichts wissen, und die junge Frau
macht sich alles vergessen. Dabei
muß mein irdisches Postament von
Zeit zu Zeit neu gekalkt werden, und
dergleichen mehr. (Überlegt.) Was
soll ich tun? Religiosität in der Brust
dieser Menschen wecken, die Zer¬
streuungen im Kopf haben, und
nichts weniger als meine Höhe?Klap¬
pern und Schaumschlagen, oder das
lächerliche Schauspiel eines steiner¬
nen Heiligen darbieten, der herab¬
steigt und einem nachläuft? (Ärger¬
lich:) Es ist wenig zartfühlend, mich
vor eine solche Entscheidung zu
stellen!
(Der Säulenheilige schreibt schlie߬
lich einen Brief Es ist ein etwas be¬
schämendes Schauspiel. Der Schöp¬
fer im Himmel lacht über seine vor¬
zügliche Welt.)
Gott: Schämst du dich nicht, alter
Säulenheiliger!
Der Säulenheilige: Doch, doch! Aber
2 warum ernährst du deinen Heiligen
Musil-Büste von
eigentlich nicht selbst!
Fritz Wotruba.
Sie fand beim (Gott zuckt die Achseln und lacht;
Porträtierten und und der Säulenheilige möchte über
seiner Frau nicht ihn lachen, wenn ersieh nicht vor ihm
allzuviel Beifall fürchteteJ556

471
W~ \

l y ie letzte Adresse, gültig vorn


1. April 1941 an, hieß Chernin des
DAS

I Clochettes 1. Maßgeblich für den


Umzug war Musils Bedürfnis nach
Stille, die in der Pouponniere durch
: Mitbewohner immer wieder gestört
worden war. Am 4. Mai 1941 schrieb
er an seine Gönnerin Barbara
Church:

Wir haben hie alte Wohnung, die


nach einst gekannten besseren Tagen
aussah, hier und heute aufgegeben
und haben das getan, was fast alle
Welt tut, uns etwas zum Schlechtem
verändert. Wir wohnen jetzt, wie das
Romeo und Julia auf einem Puppen¬
theater tun könnten, ganz allein in
einem »turmartigen» Gebäude, das
vier Puppenzimmer enthält, eine
Puppenküche und ein, merkwürdi¬
gerweise erwachsen proportioniertes,
Bad, das an Rückenschwimmen erin¬
nert, weil man durchs Dach den blau¬
en Himmel sieht und die weißen Hol¬
ken, die sehr weiß sind. Wenn man
horribile dictu die Strümpfe vergessen
hat, muß man eine Treppe tiefer klet¬
tern; und langt man mit ihnen wieder
oben an, von neuem zwei Treppen
hinab in den Flur, wo wahrscheinlich
der Schuhlöffel liegt. Es hat Mühe ge¬
kostet, in Genf dieses Quartier zu fin¬
den; aber in der Geschichte vieler
Entdeckungen spielt der Geldmangel
eine Rolle. In unserem Fall auch noch
mein Bedürfnis nach Stille, das nun
anscheinend befriedigt ist; denn die
nächstbenachbarten Straßen heißen
hochsymbolisch Bout du monde und
LegraridFin. [...]
Ich glaube man bereitet sich hier
langsam darauf vor, ein Engel zu wer¬
den und das Leben nur durchs Radio
zu hären. [...]
Sie fragen nach Genf. Was dürfte ich
Ihnen erzählen, das nach Ihrer Auto¬
reise nicht wie ein Kinderfest von al¬
ten Liliputanern wirkte. Eines viel¬
leicht. Sie wissen, daß die Stadt, ehe
sie ihre geschäftliche Bedeutung ver¬

I
lor, ein wenig stolz gewesen ist, und
aus dieser Zeit hat sich ein etwas alt¬
modisch gekleideter Kaufherrengeist
bis auf unsere Tage erhalten. So gibt
es hier einen kleinen Villenbezirk, wo
— die Hähne nicht krähen dürfen. Es
ist polizeilich verboten. Wird einer ]—2
angezeigt, so muß sein Besitzer Strafe chemin des
zahlen. Sie werden, damit sie ihren Clochettes 1
Zweck als Hahn trotzdem erfüllen Genf-Champel

472
können, irgendwie beizeiten an den
Stimmbändern operiert. Ich habe von
keinem zweiten Ort der Heit gehört,
wo ein solches grausam-vornehmes,
und nicht etwa ein Spital und derglei¬
chen, sondern die Ruhe der Noblesse
schützendes Gesetz existiert. Und
Nietzsche sagt, daß alles Vornehme
grausam sei; aber ich liebe Genf für
diesen Ausnahmezustand, den sein
Gesetz in der Hielt der Lautsprecher
und Denkstörungen hinterlassen
hat [.. ,]557

7
/ j u den obligaten Übungen gehörte
in Genf auch der nachmittägliche
Spaziergang, der sich folgenderma¬
ßen abspielte: Robert und Martha
gingen zuerst einmal gemeinsam vom
2 Hause fort; mit der Entfernung vom
Robert und Martha Haus vergrößerte sich der Abstand
Musil beim Aufbruch eschen Musil und seiner 1 rau. und
zum Spazier- bei der Rückkehr marschierte Musil,
gang, Chemin des mit Stock, mehrere Meter weit vor sei-
Clochettes 1 ner Frau.»558

473
H ans W. Schwerin, Enkel des Sal-
varsan-Erfinders Paul Ehrlich, lebte
von 1937 bis 1941 in der Schweiz. Er
lernte Musil durch Vermittlung des
Schweizer Autors Otto Wirz kennen.
Schwerin, selbst Lyriker, erinnert
sich:
«Musils hatten ein Haus im Genfer
Vorort Champel bezogen, das wir Vo¬
gelbauer nannten, da es aus mehreren
kleinen Zimmern bestand, von denen
jedes ein Stockwerk bildete. [...] Es
war in einem dieser kleinen Zimmer,
seiner Arbeitsstätte, daß Musil mich
fragte, ob er mir ein Kapitel des »Man¬
nes ohne Eigenschaften) vorlesen
dürfe, das er gerade beendet habe — er
sagte <dürfe>, es klang eher wie ein
Ansinnen. Wir waren allein, d. h. er,
Frau von Musil und ich. Sie ließ ihn
niemals für mehr als wenige Minuten
allein. Nachdem er vor einigen Jahren
einen leichten Schlaganfall erlitten
hatte, war sie stets um ihn besorgt
und ängstigte sich, wenn er wenige
Minuten auf sich warten ließ. »Nun
fehlt nur noch einen, sagte er, indem
er seine Brille aufsetzte, »dein ich das
gern vorgelesen hätte: Ihr Vetter.>
Das w ar mein Großvetter Klaus Pin-
kus, mit dem ihn eine lebenslange
Freundschaft verband. Es war ein
großes Erlebnis, einen Schriftsteller,
der für mich seit meiner Jugend ein
Klassiker geworden war, mir ganz
persönlich etwas vorlesen zu SEHEN.
Ehrlich gesagt, war das Erlebnis des
t Sehens so stark, daß ich dem Gelese¬
1
nen selbst nur w enig Aufmerksamkeit
Hans W. Schwerin
I schenkte. Musil w»ar sichtlich erregt. (*1916)

4?4
2 seine hohe gefurchte Stirn war gerö¬
tet, die Stimme bebte, manchmal
stockte er, als gefiele ihm eine Formu¬
lierung noch nicht recht, und ein-
oder zweimal trug er eine Korrektur
ein — es war, als sähe ich den Dichter
bei seiner Arbeit. Plötzlich legte er
seine Brille ab und sah mich an. <Wie
gefällt es Ihnen?> Pause. <Was sagen
Sie dazu?>
[...] <Ich finde es ausgezeichnet. Sehr
eindrucksvoll.) Ich werde nie verges¬
sen, wie er sich zurücklehnte, seine
hohe gerötete Stirn mit dem Taschen¬
tuch wischte und mit einem tiefen
Aufatmen der Erleichterung sagte:
<Gott-sei-Dank. Sonst wär’s ja auch
furchtbar gewesen.) Es w ar der Aus-
2 druck eines großen Geistes in seinem
Musil im tödlichen Kampf mit seinem
März 1941 Zweifel...»559

475
DAS

IVlichelangelos rund dreißigjährige


Freundschaft zu dem fast 40 Jahre
jüngeren Tommaso Cavalieri war die
beständigste und leidenschaftlichste
seines Lebens.
Musil las irn Schweizer Exil offenbar
Romain Rollands Studie «Das Leben
Michelangelos» und verglich die Be¬
ziehung zwischen Michelangelo und
Tommaso mit der zwischen seinen
Roman-Figuren Ulrich und Agathe:

Michelixgelo hat alt dex schönen,


edlen und sehr männlichen jungen
Tommaso dei Cavalieri berühmte Ge¬
dichte gemacht, die man bis vor nicht
langer Zeit an Vittoria Colonna ge¬
richtet glaubte, was schöner war.

<Deiri ll illen schließt den meinen völ¬


lig ein. / Aus Deinem Herzen all mein
Sinnen sprießt. / Aus Deinem Atem
meine Hörte quillen. > /

denn Herz an Herz in keuscher Liebe


hängt / Voll Mitgefühl, wenn an des
einen Heil / Wie Unheil nimmt das
andre gleichen Teil / Ein Geist, ein
1
H die beide Herzen lenkt, /
Tommaso
Herrn eine ew’ge Seele, zwei’n ge¬
Cavalieri
schenkt, / Sie beide hebt zum Himmel (ca. 1512-87)

476
gleicherweiU, / Und wenn mit eins
durch Eros'goldnen Pfeil /Das Innre
beider Busen wird versengt, /
Wenn keins sich selbst liebt, jedes so
dem andern / In gleicher Lust und
Neigung zugewandt, / Daß beide auf
ein einz ’ges Ziel sich richten, /
Wenn unerreichbar bleibt viel tau¬
send andern / So feste Treue, solcher
Liebe Band, / Könnt 's bloßer Mißmut
lösen und vernichten?>

Michel Angelo demütigte sich mit Lei¬


denschaft vor Cavalieri. Es ist dieLie-
besleidenschaft als solche — nicht ho-
mo-, nicht bi-, nicht heterosexuell —,
die zu diesen Eingebungen führt! Die
selbst ein so großer Mann wie Michel
Angelo immer wieder durchlebt hat,
ohne ihrer Herr zu werden.
Will denn Ulrich Herr werden,p56°

2 3
j^^eben Michelangelo war Dante ei¬
ne der Identifikationsfiguren Musils
in der späten Schweizer Zeit. Auf ei¬
nem seiner letzten Korrektur-Blätter
schreibt er:

Dantes enorme Wirkung: Vergil als


Führer genommen = Vorgriff auf Re¬
naissance, Aber in Dante auch Ideen¬
kreis der Scholastik oder ähnliches.
Diese zwei Ideenfluten kommen zu¬
einander. Dadurch seine führende
2 Stellung.
Michelangelo Nach diesem Wirkungstypus wäre
Buonarroti
heute zu erwägen: Individuum — Kol¬
(1475-1564)
lektivismus. Politisch eklatant. Kul¬
turell, von der christlichen Auffassung
3 zu den Denkschwierigkeiten der Ato¬
Dante Alighieri mistik. Das kann Mann ohne Eigen¬
(1265-1321) schaften rech tfertigen.1
JDie Vorstufen zu dem Kapitel
«Atemzüge eines Sommertags», an
dem der Autor noch am Tag seines
Todes arbeitete, führen zurück bis in
die Wiener Zeit, ins Jahr 1938. Die
Einleitung des Textes verkörpert am
vollkommensten jene klare Ekstase,
die Musil «taghelle Mystik» nannte.

DieSoime hak unterdessen höherge-


stiegeri; die Stühle hatten sie wie ge¬
strandete Boote in dem flachen
Schatten beim Haus zurückgelassen,
und lagen auf einer Wiese im Garten
unter der vollen Tiefe des Sommer¬
tags. Sie taten es schon eine ganze
Weile, und obgleich die Umstünde ge¬
wechselt hatten, kam es ihnen kaum
als Veränderung zu Bewußtsein. Ja,
eigentlich tat dies auch nicht der
Stillstand des Gesprächs: es war hän¬
gen geblieben, ohne einen Riß verspü¬
ren zu lassen.
... Die zärtlich und verschwende¬
risch vom jungen Sommer belaubten
Bäume und Sträucher, die beiseite
standen oder den Hintergrund bil¬
deten, machten den Eindruck von fas¬
sungslosen Zuschauern, die, in ihrer
fröhlichen Tracht überrascht und ge¬
bannt, an diesem Begräbniszug und
Naturfest teilnahmen. Frühling und
Herbst, Sprache und Schweigen der
Natur, auch Lebens- und Todeszau¬
ber mischten sich in dem Bild; die
Herzen schienen stillzustehen, aus
der Brust genommen zu sein, sich dem
schweigenden Zug durch die Luft an¬
zuschließen. <Da ward mir das Herz
aus der Brust genommen», hat ein
Mystiker gesagt: Agathe erinnerte
sich dessen. [...]
Die Zeit stand still, ein Jahrtausend
wog so leicht wie ein Öffnen und
Schließen des Auges, sie warans Tau¬
sendjährige Reich gelangt, Gott gar
gab sich vielleicht zu fühlen. Und
während sie, obwohl es doch die Zeit
nicht mehr geben sollte, eins nach
dem andern das empfand; und wäh¬
rend ihr Bruder, damit sie bei diesem
Traum nicht Angst leide, neben ihr
1
Frühling
war, obwohl es auch keinen Raum
im Garten des
mehr zu geben schien: schien die
Mannesohne
Heit, unerachtet dieser Widersprü¬
Eigenschaften
che, in allen Stücken erfüllt von Ver¬ (Park des Palais
klärung zu sei riß'2 Salm, Wien)

478
479
I)\"

J_Jtwa drei Tage vor seinem Tod be¬


kannte Musil dem amerikanischen
Mäzen Henrv Church. der ihn immer
wieder mit DoUarbeträgen unter¬
stützte. er wolle in wenigen Wochen
darangehen, die erste Hälfte des
Schlußbandes zum «Mann ohne Ei¬
genschaften» ins reine zu schreiben.

Ursprünglich habe ich Ihnen heute


erzählen wollen, wie dieser Schlu߬
hand aussieht; was ich schon längst
habe tun wollen. Er wird im ganzen
doppelt so groß sein wie der seinerzeit
vorschnell veröffentlichte erste Teil
des zweiten Bandes und aus einer Un¬
zahl von Ideen, die uns beherrschen,
weil wir keine von ihnen beherrschen,
die Geschichte einer ungewöhnlichen
Leidenschaft ableiten, deren schließ-
licher Zusammenbruch mit dem der
Kultur iibe'.reinfällt, der anno 1914
bescheiden begonnen hat und sich
jetzt wohl vollenden wird, wenn nicht
die Chirurgen Glück haben, und auch
die Nachkur von guten Internisten
übernommen werden wird. Es ist
schwer, diese Geschichte gut zu er¬
zählen und dabei weder dem Sein
noch dem Sinn, nicht den Ursprüngen
noch der Zukunft etwas schuldig zu
bleiben. Sie werden verstehen, daß es
mich Zeit und zuweilen viel Verzweif¬
lung kostet; aber ich glaube doch,
daß ich auf rechtem Wege bin. Was
damals in Vulpera fertig und gedruckt
war, habe ich gründlich umgearbeitet
und was ich weitergeschrieben habe,
ist wohl schon das beste Stück des
Ganzen und dürfte bis zur Spitze auf-
steigerul weitergehen. Es wiederzuge¬
ben, wäre aber beinahe ebenso um¬
ständlich, wie es niederzuschreiben; 1
und auch das ist ein Grund, weshalb Henry Church
ich Sie bitte, lieber gleich einen (1880-1947)
Durchschlag des Manuskripts entge¬
genzunehmen. 563
2
Harald Baruschke
IT (1907-84)
X Juruld Baruschke gehörte zum
kleinen Genfer Freundeskreis Musils,
gehörte zu der Hand voll Trauernder 3
an seinem Sarg, photographierte die Letzte Seite des
Totenmaske und trug dazu bei, daß Kapitels «Atemzüge
eines Sommertags»,
Martha den postumen dritten Band
das Musil wohl
zum «Mann ohne Eigenschaften» bei
am Tag seines Todes,
der Imprimerie Centrale in Lausanne
am 15. April 1942, ab¬
drucken lassen könnt*- |Ü43 schloß

480
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Ö^aA^t*. /(/*■ ***^f&m+ V#">J*

481
M artha Musil au Klaus Pinkus:
«Genf. 3. V. 1942.
Lieber Herr Pinkus!
Mein Mann ist beim Auskleiden zum
Bad vom Tod getroffen worden, ohne
Vorahnung, ohne Schmerz. Ich fand
ihn. als ich ihn rufen wollte und ah¬
nungslos die Tür des Badezimmers
öffnete, leblos liegend, mit heiterem,
spöttischem Ausdruck. Es war un¬
möglich zu glauben, daß er tot sei;
einige Minuten vorher hatte er gesagt:
ich will noch schnell vor Tisch ein Bad
nehmen, — den ganzen Vormittag war
er wie immer im .Arbeitszimmer und
zwischendurch in unserem hübschen
Garten, den er selir liebte; in ruhiger,
guter Stimmung. Er muß beim Aus¬
kleiden eine heftige Bewegung ge¬
macht, sich zu plötzlich gebückt ha¬
ben, w-as er nicht sollte. .Anders ist es
nicht zu erklären. Es war nicht ein
Herzschlag, sondern ein Blutaustritt
im Gehirn. Er litt schon lange an ho¬
hem Blutdruck, hatte aber so wenig
Beschwerden davon, daß er nicht im¬
mer vorsichtig genug war.
Ich will von mir gar nichts sagen.
Aber es ist unfaßbar und furchtbar
traurig, daß er nicht sein Werk und
sein Leben vollenden konnte. Trotz
vieler Bitterkeit lebte er gern und
fühlte sich mindestens bis zum
80. Jahr sicher; er dachte noch vieles
zu schreiben, wenn endlich der Mann
o. E., der ihn überaus angestrengt
hat, beendet w äre. Das nächste Buch
sollte etwas Aktuelles werden, Apho¬
rismen und kleinere Essays. Er hat
unendlich viele Konvolute mit kleinst
beschriebenen Folioblättern hinter¬
lassen: Notizen, Entwürfe, ältere Fas¬
sungen. — Aber er hätte nie etwas Un¬
fertiges veröffentlicht, und niemand
als er könnte das Begonnene voll¬
enden.»564

-R.obert Musil starb am 15. April


1942 um 13 Uhr.
Bei seiner Einäscherung w'aren acht
Menschen zugegen.
Pfarrer Lejeune hielt die Gedenkrede.
1
Totenmaske
Vor ihrer Abreise nach Amerika ver¬
Robert Musils
streute Martha, wie es Familien¬
nach einer
brauch w ar. die Asche in einem Wald
Aufnahme von
am Saleve. Harald Baruschke

482
483
NACIIWORI

DIE MACHT DER BILDER

0
L. nd er nah mit einemmal viele solcher Bilder Fi in Schreibender, der wohl zu Zeiten von Bil-
. .1 Der Anblick einer Wiese am frühen Morgen. i\ ird. sic aber nicht zu komman¬
— Das von der Eisenbahn gesehene, von dicken dieren vermag, der seinen Erinnerungen wohl im
/ Abendnebeln erfüllte Bild eines langen, gewunde¬ allgemeinen trauen kann, im einzelnen nicht immer
nen Flußtals. Am anderen Ende Europas ein Ort. - er ist auf Hilfsmittel angewiesen, die ihm die
wo er sich von einer Geliebten getrennt hatte; das Eindrücke liefern, die ihm sein Kopl momentan
Bild der Geliebten war vergessen, jenes der erdigen verweigert. Seit Daguerres Erfindung sind dies für
j Straßen und schilfgedeckten 1 läuser frisch wie ge- nicht wenige Autoren - so auch für Musil - Photo¬
i steril. Das Achselhaar einer anderen Geliebten, ein¬ graphien.
zig und allein übriggeblieben von ihr. [...] Ein
Mensch auf verschiedenen Wegen, beinahe peinlich
anzusehen: er: wie eine Reihe Puppen übrig geblie¬ j\ I usil sammelte - das geht aus dem poetischen
ben. in denen die Federn längst gebrochen sind. Werk wie aus den begleitenden Schriften herv or -
Man sollte meinen, solche Bilder seien das Flüchtig¬ Photos. Er hielt sich zum Beispiel an die zeitgenös¬
ste von der Welt, aber eines Augenblicks ist das sischen Journale:
ganze Leben in solche Bilder aufgelöst, nur sie ste¬ «Ich liebe nämlich illustrierte Zeitschriften. Als
hen auf dem Lebensweg, nur von ihnen zu ihnen drastische Archive. Man sieht da Bewegungen. Aus¬
scheint er gelaufen zu sein, und das Schicksal hat drücke, die besser sind als eine seitenlange Sitten¬
nicht Beschlüssen und Ideen gehorcht, sondern die¬ schilderung. Nur liest sie das Publikum nicht rich¬
sen geheimnisvollen, halb unsinnigen Bildern.» tig, sieht, was sie intendieren, nicht w as sie sind. Mit
Ein Mann, der als intellektueller Schriftsteller par dem Bildermaterial, das bei Ullstein einläuft, und
excellence gilt, im Bann der Bilder. Bilder, mächti¬ einigen Unterschriften ließe sich da wohl etwas sein'
ger als Verstand und Wille. Bilder, jäh vor dem Amüsantes machen.» So in einem Brief an Franz
inneren Auge aufspringend, unabweisbar und be¬ Blei vom 4. Februar 1925, mitten während der Ar¬
zwingend. Eidetiker nennt man Menschen, die von beit am großen Roman, der später «Der Mann ohne
solchen, direkt physisch wahrgenommenen Bildern Eigenschaften» heißt. Musil selbst, der nur wäh¬
heimgesucht werden, oft spontan, ohne entspre¬ rend seiner Tätigkeit als Redakteur einer Soldaten-
chende reale Reizgrundlage, wie es für die frühe zeitung professionellen (und recht konventionel¬
Kindheit typisch ist. Einmal Gesehenes steht mit len) Umgang mit Photos gehabt hatte, begriff, daß
geradezu photographischer Treue vor ihnen. War das Bild den Zeitcharakter unter Umständen ra¬
Musil ein Eidetiker? Dafür spricht manches. Zu oft scher und leichter festhielt als das Wort, ja, daß die
taucht dieses Phänomen der unwillkürlich-ban- Kamera manches fixierte — Walter Benjamin nann¬
nenden Bilder in seinem Werk auf, als daß man es, te es das «optisch Unbewußte»—, was dem Auge
quasi mit einem Lidschlag, fortw ischen dürfte: und der Sprache zunächst verborgen blieb. Die Ka¬
«Erinnerungen quälten Anders; er sali plötzlich je¬ mera mit ihren kurzen Verschlußzeiten machte Ge¬
de Statue und jede architektonische Einzelheit ir¬ biete betretbar, die dem unbewaffneten Auge ver¬
gendeiner daran überreichen Stadt vor sich, die er schlossen waren, sie hielt Momente fest, die den
vor Jahren besucht hatte; Nürnberg stand vor ihm Sinnen rasch entglitten — die Streckung einer Ten¬
und Amiens, obgleich sie ihn niemals gefesselt hat¬ nisspielerin, die Gebärde eines Masseurs: das Ull¬
ten; irgendein großes rotes Buch, das er vor Jahren stein-Bildarchiv, auf das Musil sich bezog, gibt sie
in einer Auslage gesehen haben mußte, ging vor noch heute wieder (s. S. 357). Wobei man in diesem
seinen Augen nicht weg.» Falle studieren kann, wie Musil sich nicht sklavisch
So zu lesen in dem berühmten Entwurf aus den an die photographische W irklichkeit hielt, sondern
frühen zwanziger Jahren mit dem Titel «Die Reise retuschierte oder entblößte. Er zog der Schwimme¬
ins Paradies». Aufenthalte in Städten, die zunächst rin, ohne das in der Stellung der Hingabe hochgezo¬
so gleichgültig waren, daß sie nirgends dokumen¬ gene Knie zu touchieren, den Badeanzug vom Lei¬
tiert sind, w eder in den Tagebüchern noch in den be. um die Sachlichkeit des Masseurs in seinem
Briefen, dann gegenwärtig in einem Moment, der Arztekittel ins Menschenfresserische-Sexualmör-
über das weitere Schicksal des 1 leiden entscheidet. derische zu steigern.
Vi ährend des Ersten Weltkriegs erinnert sich Musil,
daß er sich in Berlin zur Zeit seines Studiums Tests
unterzog, bei dem sein Gedächtnis-Typus festge- -/^uich Musil blätterte gelegentlich in den «dicken,
> stellt werden sollte. Man unterschied damals drei alten Alben mit Lichtbildern seiner Familie». Trotz
Typen: visuell, auditiv oder motorisch, wobei er in der Vernichtung seines W iener Nachlasses gegen
keine der genannten Rubriken exakt paßte. Er Kriegsende 1945 haben sich manche jener Aufnah¬
j selbst charakterisierte sein Gedächtnis - «erstes men erhalten mit den Felsblöcken aus Karton, «die
Kapitel einer Autobiographie» — und seine Phanta¬
von Efeu aus Papier umsponnen waren», mit den
sievorstellungen so: er stelle unanschaulich vor, in
Offizieren, die die Beine auseinander stellen und
«Sachverhalten»; er merke sich auch selten Einzel¬
den Sabel dazwischen, mit den Mädchen, die die
heiten. ondern nur irgendeinen Sinn der Sache.
Hände in den Schoß legten und die Augen weit
Darum schreibe er auch so schwer.
öffneten; mit den Männern, deren Hosen «in kiih-

4B(.
ner Romantik, ohne Bügelfalte, gleich gekräusel¬ selbst mit dem Vergrößerungsglas nicht zu entneh¬
tem Rauch von der Erde» aufstiegen und deren men sind, und er bietet zudem akustische Informa¬
Röcke einen «runden Schwung» hatten, «etwas tionen, die in ein dichterisches Bild transformiert
Stürmisches, das die steife Wurde des bürgerlichen werden:
Gehrocks verdrängt hatte». Musil entwickelt aus «Diese Stimme von Tante Jane war wie mit Mehl
dem Material der Kami lienalben eine Physiognomie bestaubt [...] geradezu wie wenn man den nackten
der Zeit, die vor seiner Geburt lag: Arm in ganz feines Mehl getaucht hätte. Fine beleg¬
«Das mag so zwischen achtzehnhundertsechzig te, eine mild panierte Stimme; es kam davon, daß
und -siebzig gewesen sein, nachdem die Anfänge sie sehr viel schwarzen Kaffee trank und dazu lan¬
des [photographischen] Verfahrens uberwunden ge, dünne, schwere Virginiazigarren rauchte, die
waren. Die Revolution der Vierzigerjahre lag als zusammen mit dem Alter ihre Zähne schwarz und
wüste Zeit längst zurück, und es gab neue Lebens¬ klein gemacht hatten. Sah man ihr ins Gesicht, so
inhalte, man weiß heute nicht mehr recht, welche; konnte man übrigens auch glauben, daß der Klang
auch die Tränen, Umarmungen und Geständnisse, ihrer Stimme mit den unzählbaren kleinen, feinen
in denen das neue Bürgertum zu Beginn seiner Zeit Strichen Zusammenhängen müsse, von denen ihre
seine Seele gesucht hatte, gab es nicht mehr; aber Haut wie eine Radierung überzogen war.»
wie eine Welle auf Sand ausläuft, war dieser Edel¬ So eindrucksvoll ein Photo sein kann — es bleibt
mut nun bei den Kleidern angelangt und einer ge¬ zweidimensional. Ein Schriftsteller wie Musil be¬
wissen privaten Schwunghaftigkeit, wofür es wohl gnügte sich nur hin und wieder damit. Fr stellte — a
ein besseres Wort geben mag, von dem aber vorläu¬ second maker under Jove - erst die Plastizität eines
fig nur die Photographien da sind. Das war die Zeit, Menschen, seiner Figur her und wies auf die Analo¬
wo die Photographen Samtjoppen und Knebelbärte gien zwischen der akustischen und der optischen
trugen und wie die Maler aussahen, und die Maler oder haptischen Physiognomie hin.
große Kartons entwarfen, auf denen sie kompa¬ Photographen konnten für Musil offenbar nur un¬
gnieweise mit bedeutsamen Figuren exerzierten; ter ganz besonderen Umständen (oder gar nicht) zu
und den Privatmenschen schien es zu dieser Zeit Genies werden - diese Rolle war seiner Meinung
gerade an der Zeit zu sein, daß auch für sie ein nach den Dichtern Vorbehalten. Sie waren, wenn
Verewigungsverfahren erfunden wurde.» nicht die Erzeuger, so doch die Deuter der Zeiten,
Gewiß ist es sozialgeschichtlich bedeutsam, wie und die Photographen lieferten lediglich Hilfs¬
sich das aufstrebende Bürgertum nach der Revolu¬ mittel.
tion von 1848 in der Photographie ein demokrati¬
sches «Verewigungsverfahren» schuf, das
Individuum zu vertretbaren Kosten Dauer garan¬
dem
c
LJo ist es nur logisch, wenn Musil selbst — anders
tierte, und wie umgekehrt die <Verewiger>, die Pho¬ als etwa Zola — nicht selbst photographierte. Wäh¬
tographen, die das Leben auf ihre Platten bannten, rend des Ersten Weltkriegs entwickelte seine Frau
aus ihrem Beruf ein enormes Sozialprestige bezo¬ Martha die Vorstellung eines Postkartenverlags.
gen: die Männer unter ihren schwarzen Tüchern, «Ich glaube ein Photographenapparat in richtiger
denen alles zu gehorchen hatte, halb Alchimisten, Größe wäre dazu eine große Hilfe; man sieht so oft
halb Zauberer - auf jeden Fall Künstler—, Musil etwas Hübsches, wenn man es dann festgehalten
ironisierte den Berufsstand in der Figur von Tante hat, muß man mit irgendeinem tric Stil hineinbrin¬
Janes Gatten im «Mann ohne Eigenschaften» (s. gen», schrieb sie als gelernte Malerin und Zeichne¬
S. 28). «Er sah wie ein Genie aus, mit mächtigem rin, ohne daß der Plan weiterverfolgt wurde.
Mund und stolzem Haar, und wenn Tante Jane die Immerhin hat Musil als angehender Ingenieur wie
Fähigkeit besessen hätte, die Leidenschaft ihrer als Student der Experimentalpsychologie die Ge¬
Verzweiflung auf ihn zu übertragen, so wäre er mit setze der Optik, des Sehens und den Wert entspre¬
dem Unglück seiner Laster groß wie Lord Byron chender Hilfsmittel kennengelernt. In den populär¬
gewesen.» wissenschaftlichen Vorlesungen Ernst Machs (u. a.
Gegenstand seiner Dissertation) wurde er auf die

D as Photoalbum der Familie Bergauer in Linz,


aus der ja Musils Mutter stammte, hat übrigens
Bedeutung der Photographie bei der Erforschung
physikalischer Prozesse hingewiesen. Als Kandidat
der Philosophie experimentierte er mit dem Tachi-
nicht nur das Porträt jenes verkrachten rausche¬ stoskop (mit dem sich u. a. die Schnelligkeit der
bärtigen Genies, sondern auch das seiner heroi¬ Wahrnehmung kontrollieren läßt) und baute selbst
schen Gattin aufbewahrt, die jahrzehntelang die einen Farbkreisei zur Erforschung des Farbense¬
Klavierlehrerin der Familie war (s. S. 28). Ver¬ hens. Offenbar faszinierte ihn der unmerkliche
gleicht man ihre Photographien und die Schilde¬ Übergang einer Farbe in die andere, und es ist wohl
rung aus dem 99. Kapitel des «Mannes ohne Eigen¬ nicht von ungefähr, daß er dieses chromatische
schaften», so wird man einmal mehr feststellen, Verfahren in der Folgezeit, bei der Abfassung sei¬
daß Musil das Konterfei als Vorlage nutzte und es ner Novelle «Die Vollendung der Liebe», auch auf
aus der Erinnerung zunächst nur kolorierte. Das moralische Phänomene übertrug.
genaue Studium von Text und Bild zeigt indes ein
Surplus des Textes: Fr bietet Details, die dem Photo

487
• !i -ionirrte Postkassier Josef I larlaß von dem
k_/eine optischen Hilfsmittel für das Bcobaeh len wagen des Barons Leo Chi umeck y überfah-
und Schreiben sei einen eher bescheiden gewesen l)em Verunglückten war ein Had über den
zu sein: Er besaß eine Lupe und ein Fernglas. In¬ ■ hds gegangen und hatte den Kehlkopf einge¬
/ strumente. die beide den Blickwmkel vergrößern. druckt. Die Illustration des Journals zeigte einen
Er nutzte sie. um Dingen wie Menschen auf den schweren Kraftwagen, an dessen Volant einen rat¬
Leib zu rücken, und in Glücksfällen gelang ihm los zur Seite blickenden Chauffeur, und zwischen
dieser vergrößernde, quasi mikroskopische Blick, Vorder- und Hinterrad den Körper des Toten, der
wie das zu Hecht berühmte «Fliegenpapier» im Kopf verdeckt, Stock und Hut neben dem
«Nachlaß zu Lebzeiten» beweist, auch ohne techni¬ Leichnam.
sches Gerät. Indes wies die Strichzeichnung in Musils damaliger
In seinem Text « Friedere» — ein Inq leraliv: Benutze Leib- und Magen-Gazette einige Defizite gegen¬
das Fernglas! — zeigt Musil ein zweites Prinzip, das über der Schilderung im Roman auf. Da war es
bei derartigen Geraten neben der Vergrößerung des angezeigt, sich einer anderen Unfall-Szene in Mu¬
Blickwinkels wirksam wird: Es ist die Isolation. sils Werk zu erinnern und nach deren Vorlage zu
«Man sieht Dinge immer mitsamt ihrer Umgebung suchen. «Er wurde zufällig Zeuge, wie ein riesen¬
an und hält sie gewohnheitsmäßig für das. was sie hafter Omnibus einen athletisch gebauten jungen
darin bedeuten. Treten sie aber einmal heraus, so Mann überfuhr, und dieser Unfall, so tragisch für
sind sie unverständlich und schrecklich, wie es der das Opfer, gestaltete sich für ihn zum Ausgangs¬
erste lag nach der Weltschöpfung gewesen sein punkt eines neuen Lebens. Der Athlet w urde sozu¬
mag, ehe sich die Erscheinungen aneinander und sagen vom Dasein abgeschält wie ein Span oder
an uns gewöhnt hatten.» eine Apfelschale, wogegen der Omnibus bloß pein¬
Das Trieder enthüllt die Dämonie und Lächerlich¬ lich berührt zur Seite w'ich, stehenblieb und aus
keit der Welt. Oder gar das tödliche Geheimnis vielen Augen zurückglotzte», heißt es in Musils
einer Krankheit, die ein junger Mann mit sich um¬ Feuilleton «Der Riese AGOAG». Sobald klar war,
herschleppt. Das Trieder zeigt, wie seltsam ein Pas¬ daß AGOAG, die Musilsche Allgemein Geschätzte
sant die Beine wirft: Indiz einer Paralyse. (Insofern Omnibus Athleten Gesellschaft, eine Mystifikation
eignet sich ein solches Glas nicht nur vorzüglich zur der Berliner ABOAG, der Allgemeinen Berliner
Diagnose, sondern-bei einem Luetiker wie Musil — Omnibus Aktien Gesellschaft sei, ließ sich im Ull¬
auch zur Projektion eigener Ängste!) stein-Archiv nach einem Unfall-Bild der ABOAG
Musil vergleicht den Blick durch das Fernrohr auch suchen. Es fand sich, und es scheint, als hätte Musil
mit Zeitlupenaufnahmen beim Film. Sie «tauchen gemäß seiner Maxime «Wer heute noch Märchen
unter die bewegte Oberfläche, und es ist dir Zauber, erleben will, darf mit der Klugheit nicht ängstlich
daß sich der Zuschauer zw ischen den Dingen des umgehn» die Berliner Szenerie nach W ien transpo¬
Lebens gleichsam mit offenen Augen unter Wasser niert und den Vorfall zugleich um ein rundes Dut¬
umherschwimmen sieht». Zeitlupenstudien durch¬ zend Jahre vorverlegt.
leuchten die Mechanik von Bewegungen. Sie luden
jemanden wie Musil, der die Gabe hatte. Gesehenes
sofort in eigene Tätigkeit umzusetzen, nicht nur zu JVtusil kontaminierte häufig Landschaften, Zei¬
sportlicher Nachahmung ein. ten, Personen. Für die berühmte Reise seiner Zwil¬
Das bewegte Bild, der F ilm. wie das stehende waren lingsgeschwister Anders und Agathe synthetisierte
für Musil dauernde Quellen der Anregung. Er, der er aus dalmatinisch-istrischen und thyrrenischen
beinahe täglich ins Kino ging, entnahm ganze Sze¬ Landschaften bei Porto d'Anzio und am Monte Cir-
narien Filmen seiner Zeit - etwa die Vision einer ceo eine ideale südliche Landschaft, die «würdig
Zukunftsstadt Fritz Längs «Metropolis» (s. war des Lebens und Sterbens» seiner Figuren; das
S. 336). Eben weil er häufig unanschaulich vor¬ Hotel mit dem Glockenturm aber, in dem die Ge¬
stellte. sich nur den Sinn einer Sache merkte, w ar er schwister wohnen, bleibt bis zum Beweis des Ge¬
dankbar fiir optische Stimuli. Schlüsselszenen sei¬ genteils jenes Waldhotel in Graal an der Ostsee, in
ner Bücher rekurrieren darum nicht selten auf Bil¬ dem Robert und Martha Musil einander kennen¬
der, auf «Photos als Wirklichkeitserinnerungen». lernten. Der Autor versetzte es von dem nördlichen
Nehmen w ir beispielshalber das 1. Kapitel des Meer ans Mittelmeer. Vor allem deshalb war es
«Mannes ohne Eigenschaften», aus dem angeblich realiter dort nicht zu finden — ungeachtet der Tat¬
«bemerkenswerterweise nichts hervorgeht» (s. sache, daß Porto d Anzio 1944 bei der Invasion
S. 347). Musil schildert darin bekanntlich den Un¬ Italiens durch die Alliierten fast vollständig zerstört
fall eines schweren Wagens auf einer Wiener Stra¬ wurde.
ße. Bei seinem poetischen Verfahren lag es nahe, in
Nicht anders, wie gesagt, sprang Musil mit den
Wiener Archiven nach dem Bild eines derartigen
Vorbildern seiner Figuren um. Da das Leben nicht
Unfalls zu fahnden. Tatsächlich meldete die «Illu¬
dicht genug war. um unkomprimiert Literatur zu
strierte Kronen-Zeitung» einen tödlichen Auto-Un¬
werden, da sich die Eigenschaften einer dramatur¬
fall. der sich am 17. Oktober 1611 kurz nach sieben
gisch notwendigen Figur in der Realität nicht bei
l lir abends an der Ecke 1 lonanigasse/Landesge-
einem Menschen fanden, spiegelte Musil nicht sel¬
richtsstraße ereignete. Dabei wurde der 70 Jahre
ten mehrere ineinander, überblendete er sie gewis-
serinaßen, riskierte er mehrfache Belichtung des- mit einer gewissen Vieldeutigkeit aus. die sich in
selben Negativs. Er kannte dieses photographische ihrem Gesicht sozusagen kristallisiert. Nehmen wir
\erfahren. das etwa Man Ray verwendete, durch¬ das Beispiel Moosbrugger. Über diesen Sexualmör-
aus und schilderte mit seiner I lilfe «Haus und Woh¬ der heißt es:
nung des Mannes ohne Eigenschaften», jenes kurz- «Moosbrugger war ein Zimmermann, ein großer,
flügelige Schlößchen, «ein Jagd- oder Liebes- breitschultriger Mensch ohne überflüssiges f ett,
schlößchen vergangener Zeiten», in dem Ulrich mit einem Kopfhaar wie braunes Lammsfell und
wohnt (s. S. 348): «[...] das Ganze hatte also einen gutmütig starken Pranken. Gutmütige Kraft und
etwas verwackelten Sinn, so wie übereinander pho¬ der Wille zum Rechten sprachen auch aus seinem
tographierte Bilder.» Gesicht, und hätte man sie nicht gesehn. so hätte
Genau nach dieser Technik zeichnete Musil seine man sie doch gerochen, an dem derben, biederen,
Diotuna, seinen Grafen Leinsdorf, seinen Schmei- trockenen Werktagsgeruch, der zu dem Vierund-
ßer, ja selbst Agathe, die nicht einfach ein Ab¬ dreißigjährigen gehörte und vom Umgang mit 1 lolz
klatsch Marthas ist — eine Technik übrigens, die und einer Arbeit kam. die ebensoviel Bedachtsam-
Musil nachgewiesenermaßen (und völlig unabhän¬ keit wie Anstrengung fordert.
gig von ihm) mit Marcel Proust teilt. Man blieb wie eingewurzelt stehn, wenn man die¬
sem von Gott mit allen Zeichen der Güte gesegneten
Gesicht zum erstenmal begegnete, denn Moosbrug¬
-El inerseits, das ist unbestreitbar, war Musils ger war gewöhnlich von zwei bewaffneten Justizsol¬
Weltbild physiognomisch; das heißt er schloß, wie daten begleitet und hatte die eng aneinandergebun-
das die Autoren vor und nach Lavater taten, vom denen Hände vor dem Leib, an einem starken
Äußeren aufs Innere. Anders wäre die Versenkung stählernen Kettchen, dessen Knebel einer seiner
in die Oberfläche, etwa bei der Beschreibung von Begleiter hielt.
Gesichtern, unerklärlich und sinnlos. Wenn er bemerkte, daß man ihn ansah, zog über
Man vergegenwärtige sich in diesem Zusammen¬ sein breites, gutmütiges Gesicht mit dem unge¬
hang noch einmal die ungewöhnlich subtile Be¬ pflegten Haar und dem Schnurrbart samt dazuge¬
schreibung des Gesichts von Professor Lindner (s. höriger Fliege ein Lächeln; er hatte einen kurzen
S. 391). Auch in diesem Fall scheint mir übrigens schwarzen Rock mit hellgrauen Beinkleidern an,
unabweisbar, daß Musil ein photographisches Por¬ seine Haltung war breitbeinig und militärisch, aber
trät des Vorbilds, des Professors Friedrich Wilhelm dieses Lächeln war es, was die Berichterstatter des
Foerster benutzte. Weit entfernt von Lavaterscher Gerichtssaals am meisten beschäftigt hatte. Es
Sicherheit und Eindimensionalität, verweist Musil mochte ein verlegenes Lächeln sein oder ein ver¬
auf die Schwierigkeiten physiognomischer Deu¬ schlagenes, ein ironisches, heimtückisches,
tung - «Überhaupt war dieses Gesicht nicht ganz schmerzliches, irres, blutrünstiges, unheimliches -
einfach zu entziffern» - und auf die W idersprüche sie tasteten ersichtlich nach widersprechenden
des Materials: nebeneinander Junges und Altes, Ausdrücken und schienen in diesem Lächeln ver¬
Hartes und Weiches. Und während sich die Frage zweifelt nach etwas zu suchen, das sie offenbar in
jung-alt noch relativ leicht entscheiden läßt - die der ganzen redlichen Erscheinung sonst nirgends
grauen Haare zeigen das wirkliche Lebensalter, die fanden.»
jugendlich vollen Lippen sind ein Anachronis¬
mus—, ist das Problem der Priorität von Hartem
oder Weichem schon schwieriger. Der Text ent¬ P
X eter von Matt hat diesen Passus in seiner Studie
scheidet sich für ein ursprünglich weiches Material, «... fertig ist das Angesicht. Zur Literaturgeschich¬
das sich «unter täglichem kleinen Ärger verhärtet te des menschlichen Gesichts» einer sehr einleuch¬
hatte». Da dies aber nur ein passiver, reaktiver tenden Analyse unterzogen. Musil liefert das abso¬
Prozeß gewesen wäre, folgt eine Revision, die die lute Gegenteil einer Galgenvogelphysiognomie,
formende und härtende Kraft des «unablässig täti¬ einer Verbrechervisage, die Moosbrugger von vorn¬
gen W lllens» betont, nicht ohne einen denunzieren¬ herein für den Henker prädestiniert hätte. Was von
den Anwurf, demzufolge Lindner gar kein richtiger Matt noch nicht wußte, war, daß Musil Moosbrug¬
Mann sei, sondern weiche, weibische Anlagen auf¬ ger nach dem Modell Christian Voigts entwarf, daß
weise, denen der Bart nur zur Tarnung diene. Auch er sozusagen die Zeichnungen aus der «Illustrierten
die «leicht aufgeworfenen, weichen Lippen» sind Kronen-Zeitung» oder Photos aus dem «Interes¬
also offenbar eine Abweichung vom biologischen santen Blatt» durchpauste. Vielleicht kamen dabei
Programm der Männlichkeit. die Zeichnungen aus dem Gerichtssaal Musils Ab¬
Agathe, so fährt der Text fort, «wurde aus dem sichten (die auf eine abgründige Zweideutigkeit
Anblick nicht klug, auch Anziehung und Absto¬ zielten) sogar stärker entgegen als die Photogra¬
ßung hielten sich in ihr die Waage». Positives und phien, die eher einen pathologischen Blick als ein
Negatives sind in der physiognomischen Beschrei¬ derartig changierendes Lächeln zeigen.
bung so ponderiert, daß die Waagschalen umein¬
ander spielen, mit einem winzigen Überhang des
Negativen.
Selbst die Figuren an der Peripherie stattet Musil

489
ren Zeit o «larstellen, oder sich gern erinnern, was
,| e näher die Figuren dem Zentrum des Homans sie da und dann getan haben, dieses Ich-Sparkas-
stehen desto vielsagender werden die Gesichter, sen-System ist mir völlig unbegreiflich.»
desto schwerer sind sie festzulegcn. Machen wir die Wäre dies auch so gewesen, wenn ihm der Unter¬
Probe bei Agathe. Die Quintessenz ihres Signale¬ schied zwischen seinem Habitus, seinen zufälligen
ments, eigentlich eines Nicht-Signalements, lautet: Entstellungen - kleiner Wuchs, 1,64m , rötlicher,
«Es war ein inhaltsvolles Gesicht, aber nirgends später apoplektischer Teint, Glatze, abnorme
war darin etwas unterstrichen und in der geläufigen Transpiration, eine gequetschte «gelbe» Stimme —
Weise zu Charakterzügen zusammengefaßt.» und seinem Ich-Ideal nicht ständig schmerzlich be¬
1 lier wird alle Physiognomik ä la Lavater zuschan¬ wußt gewesen w äre? Vieles an Ulrich, darüber muß
den. Man könnte sagen: ein inhaltsvolles, aber ei¬ man sich klar sein, sind Projektionen von Wün¬
genschaftsloses Gesicht. Damit das sichtbare Echo schen, die seinem Autor versagt blieben: die Größe,
von Ulrichs Gesicht. Es entspricht der Logik von sein blondes Haar, die «duftige Trockenheit der
Musils Roman, wenn der «Mann ohne Eigenschal¬ Haut, die er als das einzige an seinem eigenen Kör¬
ten» auch ein Gesicht ohne Eigenschaften hat. Er, per liebte». Dies quasi mit schwitzender Hand ge¬
der drei Berufe gelernt hat — Militär, Ingenieur, schrieben. So ist es höchst bezeichnend, daß Musil
Mathematiker—, trägt seinen Berufscharakter nicht am meisten mit Röntgenaufnahmen seines Schä¬
auf dem Präsentierteller vor sich her. Und kann dels anfangen konnte. .41s 1930 ein altes Zahnübel
Ulrich auch seinen männlichen Geschlechtscharak¬ virulent wurde, durchleuchtete man ihn und über¬
ter nicht leugnen, so weiß man doch, daß eine tiefe reichte ihm anschließend «he Aufnahmen. Sie bil¬
Sehnsucht in ihm lebt, eine Frau zu sein. Abgesehen deten ein ganzes Album. Darunter sein Schädel im
vom Berufs- und Geschlechtscharakter bleibt Ul¬ Profil, «ziemlich groß»: «sehr slawisch, vom langen
rich noch ein gutes halbes Dutzend anderer Cha¬ Typus». Sein Kommentar: «Ich habe für mein Ge¬
raktere, von denen Musil spricht — der National-, sicht w enig übrig, aber auf diesen Schädel empfin¬
der Staats-, der Klassencharakter, der geographi¬ de ich merkwürdigerweise eine gewisse Eitelkeit.»
sche, der bewußte, der unbewußte, der private Nicht das Porträt also, sondern das Röntgenbild,
Charakter—, der Mensch «vereinigt sie in sich, aber oder zumindest beides in einem sinnvoll komple¬
sie lösen ihn auf». So war Musils Welt-Anschauung mentären Verhältnis zueinander. Die Physiogno¬
und Menschenbild, wie vorhin schon angedeutet, mie und der Knochenbau darunter...
einerseits unzweifelhaft physiognomisch im klassi¬
schen Sinne. Andererseits vertrat er eine ausdrück¬
liche Philosophie der Nicht-Identität von Außen
und Innen. Er hielt es, wrie in den «Schwärmern»
w,s ernst Ernst Mach im Scherz befürchtete,
daß nämlich demnächst ein Photograph «seine arg¬
nachzulesen, für geradezu lebensgefährlich, wenn lose Kundschaft in der Durchsicht mit allem, was
Außeres und Inneres identisch wurden, wenn man das Herz birgt, und mit den geheimsten Gedanken
nicht mehr die Kraft hatte, das, w as man außen tat auf nimmt» — dies dürfte ziemlich exakt Musils lite¬
oder war, in ein anderes Innen zu verwandeln. In rarischem Ideal entsprochen haben.
der physiognomischen Beschreibung seiner Prot¬
agonisten wird deshalb häufig der Widerspruch so¬
fort <mitgeliefert>, die Vorzeichen werden, kaum
gesetzt, jäh vertauscht, die Antriebsrichtung umge¬
kehrt. In der psychoanalytischen Terminologie (der
Musil in diesem Fall ausdrücklich mißtraute)
könnte man von einer umfassenden Ambivalenz,
besser noch von einer Multivalenz sprechen.
Noch angebrachter als eine psychologische Rede¬
weise wäre aller vielleicht eine transzendental¬
philosophische: die von empirischem und transzen¬
dentalem oder intelligiblem Ich. Das Gesicht des
«Mannes ohne Eigenschaften» ist ein Gesicht, in
dem das empirische Ich fortwährend vom intelligi-
blen dementiert wird.
Natürlich ist die Psychologie damit noch nicht aus
dem Spiel. Denn man kann nach den Grunden einer
solchen Spaltung fragen. Es liegt nahe, an eine
l Inzufriedenheit des Autors mit seinem empiri¬
schen Ich zu denken, die philosophisch überbaut
wurde. Gewiß hangt das Problem mit dem man¬
gelnder Selbstliebe zusammen. Musil bekannte:
«Denn ich kann wohl sagen, ich verweile nicht gern
bei mir. und was so viele Menschen tun. daß sie sich
behaglich Photographien ansehen, die sie in frühe¬

400
DANKSAGUNG

Dieses Buch hätte nicht entstehen können ohne


die Unterstützung zahlreicher hilfsbereiter Perso¬
nen und Institutionen.

An erster Stelle sei das Musil-Archiv Klagenfurt mit


seinem früheren Leiter, Professor Dr. Karl Dinkla¬
ge (f), und seinem Nachfolger Dr. Josef Stnitz ge¬
nannt. Dann die Arbeitsstelle für Robert-Musil-
Forschung an der Universität Saarbrücken Frau
Professor Dr. Marie-Louise Roth und ihre Mitarbei¬
ter); der Doyen der Musil-Forschung. Professor Dr.
Adolf Frise; die Erben Robert Musils, Dr. Otto Ro¬
senthal (f), Professor Gaetano Marcovaldi (f) und
Edgar Rosenthal; Dr. Murray G. Hall. Dr. Sibylle
Mulot und Margrit Haller; die Beamten des öster¬
reichischen Staatsarchivs — Kriegsarchivs, der
österreichischen Nationalbibliothek und vieler an¬
derer Behörden des Landes, Professor Dr. Walter
Zettl, ehemals Direktor des österreichischen Kul¬
turinstituts in Rom. Ihnen allen gilt mein Dank
nicht minder als den zahllosen privaten Leihgebern
und Informanten.

Gedankt sei auch Jan Philipp Reemtsma, der die


Recherchen in der Schlußphase mit einem namhaf¬
ten Betrag unterstützte.

Bedankt seien meine Frau Elisabeth und meine


Kinder Carsten und Eva, die um dieses Buches
willen manches auf sich genommen und auf nicht
Weniges verzichtet haben. Ohne ihre Toleranz und
moralische Unterstützung hätte ich dieses jahrelan¬
ge Leben in den <Musielen> neben meiner Berufsar¬
beit wahrscheinlich nicht durchgehalten.

Der größte Dank, den ich schulde, läßt sich nicht


mehr abstatten: er gilt Peter Zollna. ln zahlreichen
Gesprächen mit ihm und seiner Tochter Jann Simo¬
ne entstanden die Umrisse dieses Buchs, verdichte¬
te sich das umfangreiche Material zu Doppelseiten
und Kapiteln. Aber bevor der Entw urf fertiggestellt
war, starb Peter Zollna. Mit Wehmut und Trauer
gedenke ich der vielen, vielen Stunden in seinem
Frankfurter Atelier. Bettina Rosenow und Regine
Thienhaus gingen bei ihrem Layout andere, neue
Wege. Dennoch: in dieses Werk sind nicht wenige
Ideen Zollnas eingegangen, auch w enn ihre Aufhe¬
bung) dem Leser nicht sichtbar ist. Nach Musils
bitterem Satz ist die Literaturgeschichte allzuoft
eine Belohnungsanstalt für Tote. Und manchmal ist
sie nicht einmal dies.

Karl Corino

491
NGEN

Zitiert wird nach folgenden Ausga¬ 31 PS 1461 88 MoE 1443 f. 136 Unveröffentlichtes Manuskript
ben: 32 T 1006 89 T 915 im Musil-Archiv, übersetzt von
Robert Musil: Gesammelte Werke. 33 PS 712 90 Karl Kraus. Die Fackel, W ien, Sibylle Mulot
Herausgegeben von Adolf Frise. 34 MoE 689 Nr. 6, Ende Mai 1899, S.7f. 137 T 181 f.
1 Der Mann ohne Eigenschaften. 35 MoE 671 f. 90a Ebd., S. 6 137a PS 306
Reinbek bei Hamburg 1978 (ab¬ 36 MoE 1443 90b MoE 1446 f. 138 Manuskript «A72», Katalog-
gekürzt: MoE) 37 PS 948 90c T II 882 Nr. IV/3, 107
11 Prosa und Stücke, Kleine Prosa, 38 T 42 f. 91 T 88 f. 139 T 179 f.
Aphorismen, Autobiographisches, 39 T 43 f. 92 MoE 1597 ff. 140 T 179
Essays und Reden, Kritik. Rein¬ 40 T 916 93 T 19 141 Robert Musil. Beitrag zur Beur¬
bek bei Hamburg 1978 (abge¬ 41 T 42 94 Ebd. teilung der Lehren Machs. Rein¬
kürzt: PS) 42 T 44 95 T 903 bek 1980. S. 136. Dort, auf
Robert Musil: Briefe 1901—1942. 43 T 916 96 B 368 S. 138, auch die Transscription
Herausgegeben von Adolf Frise. 44 T 935 f. 97 T 20 des Protokolls des Rigorosums
Unter Mithilfe von Murray G. Hall. 45 T 936 98 T 156 142 B 52 f.
Reinbek bei Hamburg 1981 (abge¬ 46 PS 8 99 T 170 143 B 53
kürzt: B) 47 PS 10 f. 100 T 316 144 Corino, Robert Musils «Vereini¬
Robert Musil: Tagebücher. Heraus¬ 48 PS 94 f. 101 PS 954 gungen», S. 53
gegeben von Adolf Frise. Reinbek bei 49 PS 7 102 MoE 38 145 Ebd., S. 52
Hamburg 1983 (abgekürzt: T und 50 PS 15 ff. 103 PS 766 146 Ebd.
TU) 51 PS 20 104 MoE 1827 147 Ebd., S. 54
Robert Musil. Leben, Werk, W irkung. 52 PS 40 f. 105 B 8 148 Ebd., S. 95 f.
Im Aufträge des Landes Kärnten und 53 PS 41 106 T 218 149 Ebd., S. 51 f.
der Stadt Klagenfurt herausgegeben 54 Ein General im Zwielicht. Die Er¬ 107 T 80 f. 150 Sigmund Freud, Josef Breuer.
von Karl Dinklage. Zürich-Leipzig - innerungen Edmund Glaises von 108 RMS 12 f. Studien über Hysterie. Frank¬
W ien 1960 (abgekürzt: LWW) Horstenau. Band 1. K. u. k. Ge¬ 109 T 925 furt a. M. 1981. S. 203
Robert Musil. Studien zu seinem neralstabsoffizier und Histori¬ 110 T 153 151 PS 711 ff.
Werk. Im Aufträge der Vereinigung ker. Eingeleitet und herausgege¬ 111 PS 297 f. 152 B 63 f.
Robert-Musil-Archiv Klagenfurt her¬ ben von Peter Broucek. Wien- 112 PS 943 153 T II 1094
ausgegeben von Karl Dinklage zu¬ Köln—Graz 1980. S. 105 113 T 83 154 PS 156
sammen mit Elisabeth Albertsen und 55 PS 27 ff. 114 Wilhelm Bausinger, Studien zu 155 T 1026
Karl Corino. Reinbek bei Hamburg 56 PS 36 f. einer historisch-kritischen Aus¬ 156 LWW 221
1970 (abgekürzt: RMS) 57 PS 50 f. gabe von Robert Musils Roman 157 Nachlaß, AN 299
58 PS 107 f. «Der Mann ohne Eigenschaf¬ 158 B 67 f.
59 T 947 ten». Reinbek 1964. S. 173 a f. 159 PS 738
1 LWW S. 265 60 T 936 115 T 150 f. 160 T 226
2 T 958 f. 61 MoE 37 f. 116 T 912 f. 161 T 228
3 T 914 62 T 952 f. 117 T II 841 162 T 228 f.
4 Ebd. 63 T 949 f. 118 T 108 163 T 229
5 LWW 192 64 T 48 119 PS 944 164 Ebd.
6 T 935 65 MoE 1443 120 PS 296 165 Ebd.
7 T 936 66 T 315 121 PS 294 166 T 227
8 T 963 67 T 773 122 PS 293 167 MoE 1740
9 T 316 68 MoE 1637 f. 123 PS 890 f. 168 MoE 1827
10 T 962 69 T 49 124 RMS 276 f. 169 Ebd.
11 T 952 f. 70 T 4 f. 125 LWW 215 170 Ebd.
12 T 612 f. 71 T 46 f. 126 Hugo von Hofmannsthal, Harry 171 MoE 1625
13 T 39 72 T 9 f. Graf Kessler: Briefwechsel 172 MoE 1373 f.
14 MoE 2025 73 T 6 f. 1898—1929. Frankfurt a. M. 173 PS 249
15 MoE 2026 74 T 1, 3 1968. S. 155 174 T 234
16 MoE 2025 75 LWW 210 127 B 44 f. 175 PS 160
17 T 941 75a B 1 f. 128 Corino, Robert Musils «Vereini¬ 176 PS 158
18 T 954 76 Leo Slezak, Mein Lebensmär¬ gungen». Studien zu einer histo¬ 177 T II 944
19 MoE 648 chen. München 1978. S. 47 risch-kritischen Ausgabe. Mün¬ 178 T 236
20 MoE 2023 f. 77 T 316 chen-Salzburg 1974. S. 171 f. 179 T 237
21 T 936 f. 78 T 69 f. 129 PS 974 180 B 74 f.
22 PS 200 79 T 945 130 T II 956 181 B 85 f.
23 PS 300 f. 80 PS 954 131 Corino, Robert Musils «Vereini¬ 182 RMS 277
24 T 935 81 T II 827 gungen», S. 170f. 183 PS 1316
25 T 96 82 T II 828 132 Robert Musil. Die Verw irrungen 184 T 237
26 PS 282 f. 83 T 948 f. des Zöglings Törleß. München 185 T 238
27 PS 561 84 T 11 1911 (Anhang) 186 T 239
28 T 39 85 PS 286 133 T II 957 187 Ebd.
29 T 40 f. 86 PS 273 134 T II 959 f. 188 LWW 223
30 T 915 und 1006 87 PS 272 f. 135 MoE 758 189 T 251

492
190 Das Stück erschien 1921 Frankfurt a.M. 1967. S. 259 282a B 472. 542 337 T 153
191 s. die Erwähnung in Freuds 236 Zitiert nach: Hartmut Binder, 283 PS 1342 f. 338 B 201 ff.
«Traumdeutung» Kafka und «Die Neue Rund¬ 284 PS 1348 339 B 232
192 T II 987 f. schau». In: Jahrbuch der Deut¬ 285 T 342 f. 340 Nachlaß
193 T 265 schen Schiller-Gesellschaft 12, 286 PS 1131 ff. 341 T 782
194 T 267 1968. Stuttgart 1968. S. 103 287 PS 1030 ff. 342 T 151 f.
195 T 904 237 PS 1468 288 TU 1132 f. 343 T 87
196 T 267 238 PS 548 ff. 289 Unveröffentlichtes Manuskript 344 Alfred Kerr, Die Suche r und die
197 PS 984 239 T 297 f. 290 LWW 351 f. Seligen. Die Veit im Drama 111.
198 T 269 240 T 956 291 T 369 Berlin 1917. S. 96
199 TU 854 f. 241 T 298 292 T 371 345 Ebd., S. 97
199a T 270 f. 242 T 299 293 T 404 346 s. Thomas Mann, Ta gebücher
200 T 918 f. 243 PS 1022 294 T 527 1918-1921. Hg. von Peter de
201 PS 995 f. 244 Zitiert nach: Karl Corino, Der 295 LWW 345 f. Mendelssohn. Frankfurt a. M.
202 Kurt Vtolff. Briefwechsel eines Zaubervogel küßt die Füße. Zu 296 T 416 1979. S.334E, 337. 341. 343,
Verlegers 1911—1963. Hg. von Robert Musils Leben und Werk 297 T 420 376
Bernhard Zeller und Ellen Otten. in den Jahren 1914—1916. In: 298 MoE 1518 347 Vgl. zu dem ganzen Komplex
Frankfurt a. M. 1966. S. 75 f. Robert Musil — Literatur, Philo¬ 299 T 427 f. Karl Corino, Robert Musil -
203 PS 748 sophie und Psychologie. Hg. von 300 MoE 1454 f. Thomas Mann. Ein Dialog.
204 T 276 Josef und Johann Strutz. Mün¬ 300a MoE 1455 f. Pfullingen 1971
205 PS 1709 chen-Salzburg 1984. S. 152 f. 301 PS 1057 f. 348 T 928
206 Unveröffentlicht 245 B 107 302 B 226 f. 349 Unveröffentlichtes Manuskript
207 T 276 246 T 425 303 Briefliche Mitteilung an den 350 PS 1192 f.
208 MoE 1654 247 T 857 Herausgeber 351 RMS 258 ff.
209 PS 485 248 B 108 f. 304 B 217 352 PS 413
210 PS 484 f. 249 PS 235 305 B 238 353 PS 425
211 MoE 1742 250 T 305 f. 306 B 216 354 PS 426
212 B 99 251 T 306 f. 307 LWW 361 355 PS 417
213 PS 485 f. 251a MoE 175 f. 308 TU 1167 f. 356 PS 423
214 PS 474 252 T 307 309 LWW 361 f. 357 Ebd.
215 PS 478 f. 253 T 345 f. 309a B 441 358 T 266
216 T 276 f. 254 PS 245 f. 309b Gina Kaus, Und was für ein 359 Sammlung Elisabeth Albertsen.
217 T 276 255 PS 245 Leben. Hamburg 1979. S. 46 aus dem Besitz von Hermine
218 T 278 ff. 256 T 308 310 PS 1569 Pötzl, Wien
219 PS 474 257 Ebd. 311 Karl Kraus, Die Fackel, Juli 360 PS 424
220 T 284 258 PS 243 1922, S. 53 f. 361 PS 450
221 T 283 259 T 311 312 PS 1660 362 PS 410 f.
222 B 79 260 PS 244 313 PS 1158 363 PS 420 f.
223 T 286 261 T 312 314 LWW 143 364 T 635
224 T 287 262 PS 642 ff. 315 LWW 353 365 B 319 f.
225 PS 1013 f. 263 T 344 316 PS 519 f. 366 T 911
226 Wolff. Briefwechsel eines Verle¬ 264 T 323 317 Zitiert nach dem Wiederab¬ 367 MoE 671
gers 1911—1963, S. 102 265 B 640 druck in der Frankfurter Rund¬ 368 T 629 f.
227 T 293 266 T 326 schau, Samstag, 30. Januar 369 PS 465
228 Die Neue Rundschau, Dezember 267 T 328 1971, Nr. 25 370 T 847
1911, S. 1771 —Die Kritiken Ja¬ 268 Franz Kafka, Briefe an Felice 318 B 263 371 MoE 519 f.
kob Schaffners über den «Tör- und andere Korrespondenz aus 319 PS 1722 f. 372 MoE 1982
leß» und die «Vereinigungen» der Verlobungszeit. Hg. von 320 Mündliche Mitteilung Ernst von 372a MoE 1981
bildeten den Anlaß für die Erich Heller und Jürgen Born. Salomons an den Herausgeber 373 T II 804
Selbst-Rezension «Über Robert Frankfurt a.M. 1967. S. 652 321 PS 480 374 B 403
Musils Bücher» im «Losen Vo¬ 269 PS 762 322 Becher und die Insel. Briefe und 375 B 389 f.
gel», der ja bei Kurt Wolff er¬ 270 TU 1058 Dichtungen 1916—1954. Hg. 375a Briefliche Mitteilung von Dr.
schien (PS 995-1001) 271 T II 1021 f. von Rolf Harder und Ilse Sic¬ Otto Rosenthal an den Hg.
229 T 293 272 T 358 hert. Leipzig 1981. S. 280 376 s. Karl Corino, Ödipus oder
230 Peter de Mendelssohn, S. Fi¬ 273 »Tiroler Soldaten-Zeitung« Nr. 323 PS 481 Orest? Robert Musil und die
scher und sein Verlag. Frank¬ 194-196, 26. Juli 1916, Litera¬ 324 PS 625 Psychoanalyse. In: Vom Törleß
furt a.M. 1970. S. 669 rische Beilage, S. 2 f. 325 MoE 1814 zum Mann ohne Eigenschaften.
231 Ebd. 274 PS 759 ff. 326 PS 487 Hg. von Uwe Baur und Dietmar
232 T 295 275 T 327 327 T 938 Goltschnigg. München-Salz¬
233 PS 1019 276 PS 252 f. 328 T 306 burg 1973. S. 210 f.
234 Rainer Maria Rilke. 1875 1975. 277 T 337 329 PS 950 377 PS 525
Eine Ausstellung des Deutschen 278 PS 565 330 PS 309 378 s. dazu Klaus Petersen. Die
Literaturarchivs im Schiller- 278a B 118 331 T 574 «Gruppe 1925». Geschichte und
Nationalmuseum Marbach a. N. 279 T 835 332 T 572 Soziologie einer Schriftsteller¬
Katalog Nr. 26. München 1975. 280 T 945 333 PS 309 vereinigung. Heidelberg 1981,
S. 223f. 281 LWW232 334 PS 466 passim
235 Franz Kafka, Tagebücher 282 «Heimat», Nr. 13, vom 30. Mai 335 PS 309 379 Carl Zuckmayer. Als w ar s ein
1910-1923. Hg. von Max Brod. 1918. S. 2 336 Ebd. Stück von mir. Horen der
Freundschaft. Werkausgabe in 421 MoE 90 f. 464 Nach dem Original in der Aka¬ 507a LWW 355
zehn Bänden 1920—1975. 422 Nachlaß-Manuskript VII/3, 1 demie der Künste, Berlin 507b Unveröffentlichtes Manuskript
Frankfurt a.M. 1976. Bd.2, 423 MoE 91 f. 465 Kurt Tucholsky, Gesammelte 508 LWW 343
S. 405 424 MoE 92 Werke in 10 Bänden. Hg. von 509 T 903
380 Zitiert nach: Elisabeth Albert- 425 Robert Scheu. Hermann und Mary Gerold-Tucholsky und 510 Thomas Mann, Briefwechsel
sen. Batio und «Mystik» im Werk Genia. In: Arbeiter-Zeitung, Nr. Fritz .1. Raddatz. Reinbek 1975. mit seinem Verleger Gottfried
Robert Musils. München 1968. 234. 8. Oktober 1947. S.2 Bd. 9, S. 113 Bermann Fischer 1932—1955.
S. 164. Anm. 134 426 MoE 100 466 Soma Morgenstern, Dichten, Frankfurt a.M. 1973. Bd. 1,
381 T 705 427 MoE 108 denken, berichten. Gespräche S. 172
382 Alfred Dublin: Robert Musil: 428 MoE 190 f. zwischen Roth und Musil. In: 511 B 841 f.
Erzählendes. In: Berliner Tage¬ 429 MoE 187 frankfurter Allgemeine Zei¬ 512 LW W 183
blatt. 3. Februar ll>24 430 Wilhelm A. Bauer. Angelo Soli - tung. 5. April 1975 513 B 839 f.
383 PS 1680 man, der hochfürstliche Mohr. 467 T 726 514 Thomas Mann, Tagebücher
384 PS 1722 Eiin exotisches Kapitel Alt- 468 T 725 1935—1936. Hg. von Peter de
385 Petersen, Die «Gruppe 1925», Wien. Wien 1922 469 PS 1058 Mendelssohn. Frankfurt a. M.
S. 79 431 MoE 222 470 T 723 1978. S. 203
386 PS 1229, 1237 432 MoE 95 471 T 726 515 Thomas Mann, Tagebücher
387 T 704 433 T 413 f. 472 T 725 1937—1939. Hg. von Peter de
388 PS 909 434 MoE 203 f. 473 T 722 f. Mendelssohn. Frainkfurt a. M.
389 T 704 435 MoE 267 474 Wolfdietrich Rasch, Über Ro¬ 1980. S. 280
390 Nachlaß, IV, 3 436 Unveröffentlichtes Manuskript bert Musils Roman «Der Mann 516 B 883
391 MoE 31 437 MoE 342 ohne Eigenschaften». Göttingen 517 B 840 f.
392 Zitiert nach Franz Endler, Wien 438 MoE 459 ff. 1967. S. 10 518 T 970 f.
zwischen den Kriegen. Wien 439 PS 950 f. 475 B 589 519 Übersetzt von Schiii Scheng
1983. S. 70 440 B 463 476 Joseph Wulf, Literatur und Ilang
392 a PS 1177 441 B 504 Dichtung im Dritten Reich. Ei¬ 520 RMS 349 f.
393 LWW336 441a PS 858 ne Dokumentation. Frankfurt 521 Rudolf Jakob Humni, Bei uns
393a TU 1182 f. 441b Ebd. a. M — Berlin—Wien 1983. S. 104 im Rabenhaus. Zürich 1982.
394 PS 1683 442 Briefliche Mitteilung Carl 476a B 573 f. S. 116
395 Deutsche Zeitung Bohemia, Schmitts an den Herausgeber 477 Franz Theodor Csokor 522 B 1117
26. August 1928 442 a PS 950 478 B 586 523 B 975
395a T 383 f. 443 Zitiert nach: F.franz] B.[lei]: 479 LWW 377 ff. 524 B 1258
396 Zitiert nach Corino, Ödipus Der Fall Carl Schmitt. Von ei¬ 480 Mündliche Mitteilung von Otto 525 B 1179
oder Orest? S. 204 f. nem, der ihn kannte. In: Der Pächt 526 B 1078
396a Nach einem Gespräch zwi¬ christliche Ständestaat, 25. De¬ 481 LWW 143 f. 527 T 986
schen Adolf Frise und Ernst zember 1936, S. 1217 482 B 616 f. 528 LWW' 184
Rowohlt im Hessischen Rund¬ 444 T 924 483 B 620 529 Hermann Rauschning, Gesprä-
funk vom 19. Dezember 1952 445 LWW 359 484 T 917 che mit Hitler. Wien 1973.
397 T 705 446 Mündliche Informationen von 485 T 890 S. 247
398 T 691 f. Josefine Rumpf 486 PS 1249 f. 530 MoE 1255
399 T 715 447 T 958 486a PS 1256f. 531 T 780
400 T 681 448 T 921 487 PS 1257 532 B 1131 f.
401 MoE9 449 T 677 488 PS 1267 533 Nach dem Original im Besitz des
402 MoE 10 450 B 539 489 PS 945 f. Herausgebers (s. a. T II 1277)
403 PS 531 ff. 451 Zitiert nach Corino, Ödipus 490 Die Tat, Jena, April 1935. W ie¬ 534 T 1003
404 MoE 11 f. oder Orest?, S. 211 f. der abgedruckt in RMS 316 535 B 1244
405 MoE 12 452 MoE 676 f. 491 B 647 536 Carl Jacob Burckhardt, Max
406 MoE 50 f. 453 MoE 761 491a B 650 Rychner: Briefe 1926-1965.
407 MoE 52 f. 453a MoE 736 f. 492 LWW 386 f. Frankfurt a. M. 1970. S. 74 f.
408 MoE 64 f. 454 MoE 679 493 PS 473 537 T 1024
409 MoE 21 f. 455 MoE 966 f. 494 PS 527 538 B 1239
410 MoE 41 456 MoE 919 495 Briefliche Mitteilung an den 539 T 1025
411 MoE 59 457 MoE 931 f. I lerausgeber 540 T 803
412 B 384 458 PS 1558 496 PS 952 541 B 1149 f.
413 MoE 68 459 MoE 997 f. 496 a T 865 541ai B 947
414 s. zu diesem Komplex: Karl 460 Zitiert nach Corino, Robert Mu¬ 497 B 747 542 B 1149 f.
Corino, Zerstückt und durch¬ sil - Thomas Mann, S. 28 498 PS 1274 543 T 786
dunkelt. Der Sexuahnörder 461 Oskar Loerke, Tagebücher 499 T 863 544 T 995
Moosbrugger im «Mann ohne 1903—1939. Hg. von Hermann 500 Unveröffentlichtes Manuskript 545 T 811
Eigenschaften» und sein Modell. Kasack. Heidelberg—Darmstadt 501 B 776 f. 546 B 1369 f.
In: Musil-Forum 10, 1984, 1-2, 1956. S. 93 501a T 917 f. 547 B 88
S. 105 ff. 462 Nach dem Original in der Aka¬ 502 LWW 400 f. 548 TU 1218
415 MoE 1817 f. demie der Künste, Berlin 503 Elias Canetti, Das Augenspiel. 549 B 1388
416 MoE 75 f.
463 Walter Benjamin, Briefe 2. Hg. München-W ien 1985. S. 149
417 MoE 119 f. 550 B 1380
und mit Anmerkungen versehen 504 MoE 1117 ff.
418 MoE 78 f. 551 Carl Jacob Burckhardt, Max
von Gershom Scholem und 505 MoE 1119 f.
419 MoE 88 ff. Rychner: Briefe 1926-1965.
Theodor W. Adorno. Frankfurt 506 PS 1042
420 T 366 S. 74 f.
a.M. 1978. S.575 507 T 736 552 B 403 f.
553 T 765 557 B 1283 in Italien: Ein Itinerar. ln: Bo- 561 Nachlaß-Manuskript
554 T 1026 558 LW 403 bert Musil nel primo centenario 562 MoE 1232 f
555 B 1015 559 Unveröffentlichtes Manuskript della nascita. Innsbruck—Vien- 563 B 1418
556 Nachlaß-Manuskript 111/3, 75 560 Zitiert nach: Karl Corino, M usil na 1980. S. 89 f. 564 B 1429
j i S1 EH

Die kursiv gesetzten Zahlen bezeich¬ Bettauer. Hugo 326. 326 Chlumecky, Baron Leo 487 Erikson. Erik H. 10. 14
nen che Abbildungen Beutler. Ernst 382 Church, Barbara 421,472 Eugen. Erzherzog 374
Bie. Oskar 210 Church, Henry 421,480, 480 Euripides 414
Adler, Alfred 14, 344 Bierbaum, Otto Julius 97 Ciano, Galeazzo Graf 447
Adorno, Theodor \\. 382; Anrn. 464 Binder. Hartmut Anm. 236 Claassen, Eugen 12 f.. 440, 440 Fabini, Franz 62, 62
d"Albert, Eugen 11, 306 f.. 306 Binder, Sybille 312,313 Claudel, Paul 399 Fallada, Hans 396
Alberti de Poja. Franz Graf 225 Binding. Rudolf Georg 383, 408, Clemenceau, Georges 258 Farrar, Geraldine 237,237
Albertsen, Elisabeth 491: Anm. 380 409 Cohn, Emil 132 Feilchenfeldt, Walter 466
Alcoforado. Mariana 292 Blaß, Ernst 178, 330,378,178 Cohn. Martin 132,732 Feuchtwanger, Lion 420. 440. 446
Alexander, Edmund 128.131, 145, Blei. Franz 10. 140, 144. 148. 169, Colonna, Vittoria 476 Fischer. Hedwig 224. 226. 212/213
131 174. 176, 185, 186, 190.196, Condorcet, Antoine Marquis de 414 Fischer, Ernst 378
Alexander, Fritz 128. 131. 132 f., 207, 230. 278. 284. 290, 297, Corino, Carsten 491 Fischer, Samuel 190. 208. 210,
145. 180. 292. 294 f.. 131 304,308. 356. 378. 380. 381, Corino, Eva 491 213,296, 331.343,397, 434.
Alexander, Guthilde Henriette 131 425, 435, 485; Anm. 443: 148, Corino, Karl Anm. 128.131,144. 208, 212/213, 343
Alexander. Hans 128. 133, 133 169. 185, 308 244. 376, 396, 414, 451, 460, Flake, Otto 264
Alexander, Julius 128.73/ Blei, Maria 169,769 560 Flaubert, Gustave 382
Alexander, Karl 128 Blei, Sibylle Marie 769 Corinth, Lovis 141 Flögl. Hans 78, 78
Allesch. Ea von 11.107. 304 f., Bloch, Ernst 202, 330, 399, 420 Coudenhove-Kalergi. Richard Graf Foerster, Friedrich Wilhelm 391,
408. 107; 305, 307, 30S Bodmer, Martin 451,451 186, 275,275 408, 488, 391
Allesch. Johannes von 104, 107. Bogs, Sonja 303, 301, 302/303 Csokor, Franz Theodor 268. 282, Fontana, Oskar Maurus 13, 322,
117,120, 135, 143, 156. 180, Born, Jürgen Anm. 268 378, 410. 438; Anm. 477; 476 330,338,378.384,410, 440,
295, 296,305,327,378.381, Boroevic von Bojna, Svetozar 254, Cusanus (Nikolaus von Kues) 292 476
104, 310 254 Czech, Ludwig 85 Förster. Rudolf 311,312,412.377,
Altenberg. Peter 78. 148 f., 307, Borsinger de Baden, Barbara von Czuber. Berta 70, 76 472
354,148, 307 458, 458 Cztiber, Emanuel 70 Frank, Leonhard 330
Amon. Bibiana 354, 148 Boyneburg-Lengsfeld, Moritz Frei¬ Franz Joseph I., Kaiser von Öster¬
d Annunzio, Gabriele 438. 438 herr von 57 Daladier, Edouard 447 reich 12,245,361 f., 437, 361
Aristoteles 11 Boyneburg-Lengsfeld, Richard Dante Alighieri 451,477, 4 77 Frege, Gottlob 414
Askonas, Carl 412,412 von 57, 57 Däubler, Theodor 383 Freud, Sigmund 10, 13, 16, 74,
Astaire. Fred 463 Brantome, Pierre de Bourdeille, Sei¬ Dereani, Alma 251 147, 344, 408; Anm. 150; 746
Axer, Ervin 11 gneur de 129 Deutsch, Julius 271 Friedeil, Egon 11,306, 366, 306
Brecht, Bertolt 11. 330. 331, 420, Dietz. Hermine 10, 12. 84 f., 94. Friedländer, Martha 268, 420.268
Bach, Carl 94, 94, 95 330 118, 136, 84 Friedländer, Paul 420
Bachofen, Johann Jakob 463 Brehm. Bruno 410,476 Dinklage. Karl 153, 181, 491 Frisch, Efraim 274, 285, 290, 378,
Baläzs. Bela 266 f., 338.267 Breuer, Josef 10, 147; Anm. 150; Döblin, Alfred 330, 331. 383; Anm. 449, 448
Barber, Albertine 38 747 382; 331, 382
Barber. Isidor 38 Frischauer, Paul 410, 476
Broch, Hermann 11. 278. 304 f., Dobrzensky, Gräfin Mary 408, 469 Frise, Adolf 424, 491; .Anm. 396a;
Barnowsky, Viktor 190 307, 388, 455,307, 455 Dollfuß, Engelbert 410, 415,475 425
Baruschke, Harald 480. 480 Brod, Max 176,300,330,420; Donath, Alice 89, 135, 160 f., Fulda, Ludwig 383, 382
Bauer, Felice 214,242,274 Anm. 235 168,170,180,350 f., 392, 89, Fürst, Bruno 412,414,415.420,
Bauer, Wilhelm A. Anm. 430 Broucek, Peter Anm. 54 160, 351
Baur, Uwe Anm. 376 428, 438,472
Bruckner, Ferdinand 410 Donath, Fritzi 49 Fürst, Erna 434, 472
Bausinger, Wilhelm Anm. 14 Brunngraber, Rudolf 440 Donath, Gustav 48 f., 78, 89. 107,
Becher, Johannes Robert 330, 420, Burckhardt, Carl Jacob 456, 466; 135.160, 164, 170, 350,49, 89, Gaspero, Mattia di 125, 725
287 Anm. 536, 551; 466 350, 393 Gäumann-Wild, Doris 467
Becher, Marietta von 244.244 Burian, Vlasta 335 Donath, Ludwig 351 Gaus, Friedrich Wilhelm Otto 452
Becher. Maximilian von 242, 244, Byron, George Gordon Noel Lord Dostojewski, Fjodor M. 97, 97 Gebsattel, Emil von 176
254,374, 90, 244, 374 486 Drachmann, Holger Hendrik Her- Gerold-Tucholsky, Man- Anm. 465
Beer. Rudolf 312
holdt 97 Gide, Andre 399, 426
Beethoven. Ludwig van 306 Canetti, Elias 434 f: Anm. 503: Dubrovic, Milan 472 Gintskay, Hermine 89
Benjamin. Walter 14,399,485; 435 Duncan, Isadora 364, 364 Giongo, Alessandro 174,192,777
Anm. 464; 398 Carlyle. Thomas 93 Düse, Eleonora 110 Glaise von Horstenau, Edmund 60
Benn, Gottfried 383, 398. 398 Casper, Johanna 140,185, 294,
Berg. Alban 276,276 Glaser, Curt 466
140 Ecker, Gisa 39, 40, 46
Bergauer. Emil 22 Goebbels, Joseph 405
Cassirer, Emst 17 Edschmid, Kasimir 264
Bergauer. Emmeline 22, 22 Goethe, Johann Wolfgang von 177,
Cassirer, Paul 133, 133 Eggebrecht, Axel 378
Bergauer. Franz 22 294 f., 382, 451, 777
Cassirer, Toni 444 Ehrenfeld, Alfred 472
Bergauer, Franz Xaver 22.22 Goltschnigg, Dietmar Anm. 376
Cavalieri, Tommaso 476 f., 476 Ehrenfeld, Stella 472
Bergauer. Hermine s. u. Hermine Gordon, Paul 11, 300, 302, 300
Chamberlain, Neville 447, 447 Ehrenstein. Albert 330
Musil Goyert, Georg 379
Channing, William Ellen- 93 Ehrlich, Paul 474,777
Bergauer. Josef Edler von 31 Guillemin, Bernard 378, 396
Chaplin, Charlie 334 f., 334, 335 Eichendorff, Joseph von 427
Bergauer, Moritz 29,28 Günther, Paul 303, 301, 302/303
Charlemont, Alice s. u. Alice Donath Einstein, Albert 177,777
Bermann Fischer, Gottfried 434, Charlemont. Faustinus 164,764
438, 440, 444, 434 Einstein, Carl 221.227 Haarmann. Fritz 358
Charlemont, Hugo 89 Emerson, Ralph Waldo 92, 93, 93
Bernhard. Georg 159. 408. 75$ I laas, Willy 330
Charlemont, Lilly 160, 393 Endler, Franz Anm. 392 I labermann. Hugo von 131

49t)
Halbe. Max 382 Josef Ferdinand, Erzherzog 55 Lorentz, Hendrik Antoon 177. 777 Musil. Alois 412,29
Hall. Murrav G. 491 Joyce, James 379, 445. 379 Lorenz, Anita 26 Musil. Aloisia 23. 23
Haller. Margrit 491 Julie 316 Lorenz, Hermine 26 Musil, Elsa 70,26
Haller. Stephan 262 Jünger, Ernst 246 Lorenz, Oskar 26 Musil. Franz 23
Hamerling, Robert 97 Lothar, Ernst 337 Musil, I lermine 21. 22,35. 53. 114.
Hamsun, Knut 97 Kafka, Franz 214 f.. 242; Anm. Löwenstein. Hubertus Prinz zu 450. 153,314,316 f.. 388,486,21,25,
Harder, Agnes 364. 365 235. 268; 274 456 35, 53, 115, NO, 153, 316
Harder, Rolf Anm. 322 Kahane, Arthur 296, 296 Ludendorff, Erich 258 Musil, Martha 10. 13,128 f.. 132 f..
Hardv, Thomas 455 Kant, Immanuel 10 Ludwig, Emil 440, 44/ 140 f., 145,153,154 f., 158,159,
Harlaß. Josef 487 Kantorowicz, Alfred 420 Lukacs, Georg 267, 267 167 f.. 180. 181. 187. 191,192,
Harrach, Franz Graf 245, 362, 362 Kardorff, Konrad von 407 Lukacs, Hugo 14,338 f., 344,339 196. 200. 204 f.. 220. 220. 220.
Hartwich, Alexander 412 Kardorff. Siegfried von 403, 463 Lukacs, Palko 431, 43 7 230 f„ 244. 251, 268,278. 288.
Hata, Sahatschiro 7 74 Karl I., Kaiser von Österreich 244, 292, 294 f., 327, 344,380. 420,
Hasenclever, Walter 330 374 Mach, Ernst 10, 93. 142. 177, 486, 421, 434, 438, 444 £., 450,458,
Hausenstein, Wilhelm 274 Kasack, Hermann 330; Anm. 461 489, 93 464, 468, 469. 473, 474. 480.
Hebbel, Friedrich 13, 177, 777 Kassner, Rudolf 451,456 Maeterlinck. Maurice 92, 112, 7/3 482. 486,487f., 12s. 130, NI.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich Kaus, Gina 278, 304, 308: Anm. Mahler-Werfel, Alma 366, 394, 394 152, 187, 204, 229, 295, 308,
414. 449 309b; 304 Mann, Heinrich 264. 300, 383, 398, 386, 432, 445, 462, 467, 473
Heimann, Benno 128 Kavser, Rudolf 378 407, 408, 420, 382, 398 Musil, Matthias 23. 23
Heimann, Franziska Friederike Keiler, Gottfried 97 Mann, Katja 446,446 Musil, Richard 29
128 Kellermann, Bernhard 382 Mann, Klaus 420 Musil, Rudolf von 253, 96
Heimann, Moritz 210,270 Kerr, Alfred 10,11, 110,122 f., Mann, Thomas 276, 298 f., 379, Mussolini, Benito 10.447
Heinrich, Erzherzog 55 177,178, 298 f., 302 f., 312 f., 383, 388, 396 f.. 444, 446 f., 455;
Heller. Erich Anm. 268 408,420, 776, 722 Anm. 510, 514, 515; 299, 382, Nebelthau. Otto 297
Hermann, Eva 287 Kerschensteiner, Georg 294, 390, 446 Nestroy, Johann Nepomuk 280
Herzog, Wilhelm 124,724 295, 396 Marcovaldi, Annina s. u. Annina Neumann, Robert 410, 455,4/6
Hesse. Otto Ernst 378 Kesser, Armin 445, 449, 452 Rosenthal Newes. Martha Maria 303. 367.
Hexner. Erwin 4l4. 454, 474, 479 Kessler, Harry Graf 124, 724 Marcovaldi, Enrico 128,133 f., 154, 302/303
Hexner, Gertrud 454,474 Key, Ellen 364, 365 156 f„ 200, 204, 294,390, 734, Nielsen, Christian Ludwig 289
Hiller, Kurt 264. 264 Kippenberg, Anton 213 757, 264 Nietzsche. Friedrich 10. 15. 74. 77,
Hirsch, Leopold 225 Kisch, Egon Erwin 262 f., 268, 322, Marcovaldi, Gaetano 128, 170,204, 92,172, 92
Hirschfeld, Kurt 449, 449 330, 420,262, 268 444, 491,170,204 Novalis 92
Hirschfeld, Magnus 264 Klabund 330 Marcovaldi, Martha s. u. Martha Nüchtern, Hans 418
Hitler, Adolf 10, 15, 402, 404, 406, Klages, Ludwig 392, 393 Musil
410, 420, 434, 436, 438, 446, Klee, Paul 435 Marcuse, Ludwig 330,378,420
447, 452, 463,404, 438, 447 Koestler, Arthur 16, 17 Marx, Karl 414 Olden. Rudolf 454 f.. 455
Hock, Stefan 296, 296 Kokoschka, Oskar 366, 437 Masaryk, Tomäs Garrigue 275 Osten, Herr von 111. 777
Hofer, Carl 135 Kolb, Annette 176,264 Matt, Peter von 488 Otten, Ellen Anm. 202
Hoffingott, Armin von 240, 240 Körner, Hermine 297 Matthias, Leo 330 Otten, Karl 277,378,381.380
Hofmannsthal. Hugo von 124, 291, Kraepelin, Emil 164, 351, 765 Mayrisch de St. Hubert, Aline 444
326. 406: Anm. 126; 297 Kranz. Josef 304, 308, 369 Mehring, Walter 330 Pacht, Otto 414,420,426; Anm.
Hofmannsthal. Raimund von 412, Kraus, Karl 86, 88, 289 f.: Anm. 90, Meinong, Alexius 150, 756 480;473
473 311; 280 Mell, Max 383 Paderewski, Ignaz 82, 82
Hoinkes, Hugo 61, 67 Kreis, Nellie 460, 463 Mendelssohn, Peter de Anm. 230. Pannwitz, Rudolf 383
Hölderlin, Friedrich 177, 777 Kun, Bela 267 514,515 Paquet, Adolf 383
Holitscher, Arthur 330, 465, 465 Kürten, Peter 358 Menzel, Simon 426 Pareto, Vilfredo 14
Hollaender, Felix 296, 297 Menzel, Sophie 426 Pernter, Hans 430,436
Holt, Evelyn 333,333 Lang, Fritz 336, 487 Michaelis, Karin 192 Peter, Erzherzog 55
Homer 451 Langnese, Rolf 464, 464 Michelangelo Buonarroti 169, 468, Petermandl, Albert 28
Honsak, Franziska 38 Langnese, Susanne 464,464 476 f„ 477 Petermandl. Mary 28
Honsak, Madeleine 38 Laurin, Arne 274 f., 274 Minkowski, Hermann 177; 777 Petersen, Jan 420
Honsak, Maria 38 Lavater, Johann Kaspar 488, 489 Mises, Richard von 406, 466 Petersen, Klaus Anm. 378, 385
Hornbostel, Anne von 111, 116 Le Corbusier 421 Moissi, Alexander 264 Pflanzer-Baltin. Karl von 268. 268
Hornbostel, Erich Moritz von 116, Leibniz, Gottfried Wilhelm Freiherr Molo, Walter von 397, 382 Pfungst, Oskar 107,111,777
188, 776 von 465 Molotow, Wjatscheslaw M. 452 Pinkus, Klaus 407,410,415.416,
Hornbostel, Suse von 116 Lejeune, Robert 450 f., 456, 482, Mombert, Alfred 451,332 421,474, 482.467
Horthv von Nagybanva, Nikolaus 450 Morgenstern, Soma 267, 399; Anm. Pinthus, Kurt 264
266.266 Lenglen, Suzanne 356, 356 466;399 Piscator, Erwin 330
llunun, Rudolf Jakob 449: Anm. Lenzi, Magdalene 233, 290, 233 Mühsam, Erich 300 Platon 364
521; 449 Leonhardt, Rudolf 330 Müller, Georg 174, 190, 174 Platzer, Elisabeth 225
Hunziker, Rudolf 460 f., 467 Lessing, Theodor 358 Müller, Robert 265,265 Platzer, Hermine 225
Lherman, Jo 11, 300, 303 Mulot, Sibylle 491; Anm. 136 Platzer, Marianne 225
Ibsen. Henrik 192 Lichtenberg, Georg Christoph 16 Murmann, Alexander 322, 322 Polak, Ernst 413
Innozenz X.. Papst 168, 168 Liechtenstein, Aloys Prinz 362, 362 Musil, Alfred Edler von 20 f., 24. Polgar, Alfred 281, 306,281
Lion, Ferdinand 330 35,45, 64, 68. 82,94. 125, 153, Popper, Sir Karl 414
Jacob, Heinrich Eduard 410, 410 Loerke. Oskar 383, 397 f„ 402; 159.160. 181.222. 253,314, Pötzl. Otto 184, 184
Jessner. Leopold 296,296 Anm. 461; 382, 396 316 f„ 382,388,21, 25. 35, 153, Prawdzik, Emilie 136
Jesus 274,311 Loos, Adolf 366 316 Proust. Marcel 379. 488. 378
Raddatz, Fritz J. Anin. 465 Ruskin, John 93 Sonka (Hugo Sonnenschein) 273, Wagner. Richard Robert 271.27/
Rappard, Gilles Willem van 303, Russell, Lilian 354 410.273,410 Wagner von Jauregg, Julius
301, 302/303 Rychner, Max Anm. 536,551 Sorel, Georges 14 Ritter 184
Rasch. Wolfdietrich 406; Amn. 4?4 Spengler, Oswald 274. 414,274 Walser, Robert 176, 207, 215
Rathenau, Vialiher 12, 272 f., 285, Salomon, Ernst von 285; Anm. 320; Spielhagen, Friedrich 97 Wassermann, Jakob 366, 383
2'<l<. 366,212, 369 285 Spitz. Rene A. 13. 384 f., 385 Weber, Max 14
Rauschning, 1 lermann 453; Anm. Salten, Felix 333 Stalin, Josef W. 10. 273. 421.452. Wedekind, Frank 313
520 Santayana, George 414 452 Wegner, Armin 264
Rav. Man 488 Schaffner, Jacob 179; Anm. 228; Stanek, Frau 344 Weinert, Erich 420
Redl, Alfred 322, 322 179 Stanislawski, Konstantins. 297.297 Weininger, Otto 10
Reemtsma, Jan Philipp 491 Schamann, Franz 80, 80 Stehr, Hermann 382 Weiss, Ernst 300
Regler. Gustav 420 Schaukal, Richard 78 Stern, Josef Luitpold 270 f., 270 Werfel, Franz 176. 207, 263, 394 f.,
Reichle, Wolfgang 373, 373 Scheffer, Paul 176, / 76 Stolzenberg, Hertha 120, 120 395
Reinhardt, Max 11, 297, 300, 330, Scheler, Max 176, 185, 185 Strindberg, August 97 Werndl, Josef 24, 39
297 Scherbak. Adolf Leopold 71 Strobl. Karl Hans 80, 80 Wertheimer, Max 188, 188
Reinhart, Hans 451,451 Scherchen, Hermann 435, 435 Strutz, Johann Anm. 244 West, Mae 463, 464, 463
Reinhart, Oskar 451 Scheu, Robert Anm. 425 Strutz, Josef 491; Anm. 244 Weyrauch, Wolfgang 427, 427
Reinhart, Werner 451 Schick. Eugen 80. SO Stucken, Eduard 382 Wilczek, Karl Graf 4/3
Reising von Reisinger, Jarto 58 Schickele, Rene 264 Stumpf, Carl 102, 115, 142 f., 102 Wilde, Oscar 112
Reising von Reisinger, Victor 58 Schmitt, Carl 380; Anm. 442; 380 Sudermann, Hermann 97 Wildgans, Anton 381,330
Reiter. 1 leinrich 35, 316 f., 35, Schmitz, Richard 337, 337 Suhrkamp, Peter 378 Wilhelm II., Deutscher Kaiser 12,
317 Schneider, Maria 372, 372 Siiskind. Wilhelm Emauuel 378 361,36/
Ribbentrop, Joachim von 452 Schnitzler, Arthur 276, 337 Susman, Margarete 364, 364 Wilhelm, Ignaz 395, 395
Riehl, Alois 102, 143, 103 Scholem, Gerhard (Gershom) 398; Suttner, Bertha von 436,436 Wimpfen, Simon Graf 39
Rilke, Rainer Maria 213, 292. Anm. 464 Szeps-Zuckerkandl, Bertha 366, Winder, Ludwig 378
331 f„ 406, 408, 451, 212, 332 Scholz, Wilhelm von 382 394, 394 Wirz, Otto 474
Rilla, Paul 378 Schönberg, Arnold 366 Wittgenstein, Ludwig 4l4
Rilla. Walther 264 Schön wiese, Ernst 431 Tagore, Rabindranath 192 Wolfenstein, Alfred 178, 213, 2/2
Robert. Eugen 297, 300 Schopenhauer, Arthur 10 Tau, Max 407 Wolff, Kurt 190,207,208,264.
Roda Roda 465, 465 Schreier, Maximilian 265,265 Taut, Bruno 264 394; Anm. 202,226, 228; 207
Roland, Ida 186 f., 186 Schü Scheng Hang Anm. 519 Thienhaus, Regine 491 Wotruba, Fritz 434, 450, 458, 461,
Rolland, Romain 476 Schuckert, Johann Siegmund 24 Thoreau, Henry David 93 466, 468, 470, 435, 468, 470
Roosevelt, Franklin Delano 440, Schuschnigg, Kurt von 429 f., 429 Toller, Ernst 420 Wotruba, Marian 434, 450, 458,
441 Schwarz, Hermann Amandus 102, Tolstoj, Leo N. 414 468, 470,470
Rosati, Mario 171 103 Török, Gräfin May 304, 304, 355 Wulf, Joseph Anm. 476
Rosegger, Peter 97 Schwarzwald, Eugenie 268, 366, Trotzki, Leo D. 273 Wundt, Wilhelm 164,200
Rosenow, Bettina 491 366 Tucholsky, Kurt 398, 408; Anm. WVneken, Gustav 264
Rosenthal, Annina 128. 170,204, Schwarzwald, Hermann 367, 367 465;399
226, 242, 288,327, 445, 446, Schwerin, Hans W. 474, 474 Tyrka-Gebell, Stefanie 97, 97 Zangerl, Alfred 290
463, 170, 327 Seelig, Carl 378, 449 Zech, Paul 264
Rosenthal, Edgar 491 Seghers, Anna 420 Uhse, Bodo 420,421 Zeis, Franz 434
Rosenthal. Otto 327,428,491; Seidel, Ina 383, 408 Ulmann, Paula 70 f., 72, 140, 71, Zeis, Valerie 434
Anm. 375a; 327 Seidl-Kreis, Nellie s. u. Nellie Kreis 74, 140 Zeller, Bernhard Anm. 202
Rosin, Arthur 416.432,406,4/7 Seipel, Ignaz 337, 337 Unruh, Fritz von 264 Zerner, Fritz 272, 272
Roth, Joseph 330, 399, 399 Sergi, Giuseppe 200, 200
Zettl, Walter 491
Roth, Marie-Louise 491 Sergi, Quirino 200,200 Valery, Paul 451 Zola, Emile 486
Rothmund, 1 leinrich 458. 459,458 Sergi, Sergio 201,200 Vazquez, Maria Antonia 431 Zollna, Jann Simone 491
Rothziegel, Leo 262,262 Shakespeare, William 192,451 Veläzquez, Diego Rodriguez de Zollna, Peter 491
Rowohlt, Ernst 285, 292,327, Siebert, Ilse .Anm. 322 Silva y 168 Zuckerkandl, Victor 434, 434
342 f„ 377,380,381, 384,396, Silone, Ignazio 449, 449 Vergil 477 Zuckmayer, Carl 330; .Anm. 379
434; Anm. 396a; 342 Skeene, Henry James 305 f., 306 Viertel, Berthold 312 f., 312 Zweig, Arnold 454 f., 455
Rubens, Heinrich 102, 103 Slezak, Leo 78; Anm. 76 Vogelsang, Karl von 362 Zweig, Stefan 440, 441
Rudolf, Emma s. u. Ea von Allesch Sokrates 277 Voigt, Christian 358,360, 488,
Rumpf, Josefine Anm. 446 Soliman, Angelo 372, 372 358, 359
BILDNACI IW EISE

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f PT 2625 -US Z618 1988

Corino, V--.arl.
und
Musil s
Leben
Robert
in Bildern und
Werk
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