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Plakat
Niemeyer
Titelillustration: Lithographie von Walter Schnackenberg, 2 5 x 1 8 cm.
Münchener Stadtmuseum.
© VG Bild-Kunst, Bonn 1998.
Wir danken dem Münchener Stadtmuseum und der VG Bild-Kunst für die
Reproduktionsgenehmigung.
Kamps, Johannes:
Plakat / Johannes Kamps. - Tübingen : Niemeyer, 1999
(Grundlagen der Medienkommunikation ; Bd. 5)
1. Einleitung 1
2. Definition: Was ist ein Plakat? 3
2.1. Allgemeine Charakteristika 3
2.2. Herkunft und Begriff 6
2.3. Historische Voraussetzungen 7
3. Herstellung 10
3.1. Historischer Überblick 10
3.2. Gegenwart 13
3.3. Materialien: Papier und Farben 14
3.4. Auflagen 16
3.5. Plakatdruckereien 16
3.6. Plakatformate 17
3.7. Entwerfer 19
4. Verteilung 23
4.1. Geschichte der Plakatträger 23
4.2. Heutige Anschlagarten 24
4.3. Plakatierungsfirmen 27
4.4. Klebung 29
5. Juristische Aspekte 31
5.1. Reglementierungen des Plakats 31
5.2. Geschäftsrecht 36
6. Theorien des Plakats 38
6.1. Allgemeiner Überblick 38
6.2. Kunsttheoretische Aspekte 40
6.3. Werbetheoretische Aspekte 45
6.4. Sozialistische Plakattheorie 51
6.5. Kommunikations-, informations-
und zeichentheoretische Aspekte 52
7. Kategorien, Plakatgattungen, Typen 55
7.1. Allgemeines 55
7.2. Branchen 57
7.3. Rangfolgen 60
7.4. Drei ausgewählte Gattungen 62
VI
Werbung - früher auch Reklame genannt - ist eine alltägliche, an die Kon-
sumbedürfnisse, die bewußten und unbewußten Wünsche der Menschen appel-
lierende, das Interesse forcierende, im wesentlichen verkaufspolitischen Zwek-
ken dienende Erscheinung der medialen Kommunikation, das Plakat eines ihrer
klassischen Medien. Kann man bis zu den 1920er Jahren die Geschichte der
modernen Werbung zunächst fast ausschließlich als die des Plakats betrachten,
gibt es zur tatsächlichen Einschätzung dieses Werbemittels am Ende des
20. Jahrhunderts allerdings unterschiedliche Positionen. So wurde anläßlich des
Plakattages der Marketing-Fachzeitschrift .Horizont' im März 1997 kundgetan,
der Marktanteil des Plakats betrage gegenwärtig lediglich ca. 3 % - gegenüber
dem Fernsehen mit 38% - , und die einzige Produktkategorie, die das Plakat
noch strategisch gezielt einsetze, sei der Bereich der Zigaretten und der alkohol-
freien Getränke (vgl. Putze 1997). Gleichzeitig hieß es aber, Plakate seien eines
der zukunftsträchtigsten Medien (vgl. Udina 1997). Solche Widersprüche ver-
deutlichen, wie wenig eindeutig und wie uneinheitlich das Vertrauen in das
Plakat, in seine kommunikativen Fähigkeiten, seine werbliche Aussagekraft und
seine Wirtschaftlichkeit letztlich ist. Die niedrige Rangeinstufung hat sich in
den letzten zehn Jahren auch darin niedergeschlagen, daß das Plakat in ver-
öffentlichten Werbestatistiken häufig kaum mehr als Einzelposten genannt
wird, daß einige renommierte Werbefachbücher aus jüngerer Zeit wie etwa die
von Kroeber-Riel oder Schweiger/Schrattenecker - ganz im Gegensatz zu den
älteren von Kropff oder Seyffert - seine Existenz nicht oder nur noch am
Rande erwähnen. Demgegenüber wächst das historisch-nostalgische Interesse
am Plakat ständig; alte Exemplare erzielen auf Auktionen Höchstpreise, Plakat-
ausstellungen gewinnen immer mehr an Bedeutung, plakatgeschichtliche Litera-
tur erscheint in stetiger Folge. Gleichzeitig sind öffentliche Plakatwettbewerbe
keine Seltenheit.
Doch ist diese gespaltene Haltung keineswegs neu. Schon in den 1920er Jah-
ren gab es sie, als Film und Lichtreklame einen Höhepunkt erreicht und dem
Plakat bereits wesentliche Marktanteile abgewonnen hatten. Das Licht habe das
herkömmliche Plakat besiegt, diese Aussage wurde seinerzeit wiederholt getrof-
fen. „Litfaß ist krank" (Kopsch 1955, 33) lautete ein Verdikt, das man sich 1952
gefallen lassen mußte. Und die Frage „Hat das Plakat noch die Werbewirksam-
keit der zwanziger Jahre?" stellte 1966 eine Fachzeitschrift (Roth 1966, 296) mit
2 Einleitung
Beim Plakat handelt es sich um ein auf stärkste optische Wirksamkeit ausgerich-
tetes grafisches Medium persuasiven Charakters. Es wird durch seinen spezifi-
schen Zweck, nämlich zu werben, seine bestimmte Materialbeschaffenheit - in
der Regel ist dies Papier - , ein gewisses Format, das in Deutschland nicht unter
DIN A 3 liegt, eine spezielle Technik - in der Regel Druck nach Vorentwurf -
und eine eigene Verbreitungsform Aushang oder Klebung an Säulen und
Wänden - in seiner Identität bestimmt. Dabei unterliegt es einem Arbeitsprozeß,
der in einer Verkettung von Entwurf, Herstellung und Veröffentlichung „eine
Verständigungshandlung" verkörpert, „die mit der Reaktion des Angesprochenen
ihr Ziel findet" (Kämpfer 1985, 16). Seine Existenz wird dadurch gekennzeich-
net, daß es kontinuierlich, weithin wahrnehmbar, auffällig und suggestiv, im
Einzelfall aber zeitlich begrenzt an einem ausgewiesenen Punkt des öffentlichen
Raumes zugegen ist. Das Plakat wirbt für kommerzielle, politische, soziale,
karitative, kirchlich-religiöse, kulturelle, sportliche und andere Zwecke. Dabei
bedient es sich einer komprimierten Verbindung von grafischen Chiffren,
Symbolen, verkürzten Schriftpassagen (Schlagwörtern, Slogans) etc., die in
ihrem Zusammenwirken eine der jeweiligen Aufgabe entsprechende Werbebot-
schaft formulieren. Diese Reduktion, basierend auf der Kunst des Weglassens,
ist typisch für das Plakat und seiner Aufgabe angemessen: Nicht der ausführli-
chen Information dient es überwiegend, sondern der knappen unmittelbaren An-
sprache, der Überredung durch wiederholte, ständige Konfrontation.
Die spezifische Struktur des Plakats liegt in der Verknüpfung zweier Be-
reiche, an deren Schnittpunkt es liegt: Einerseits ist es Exponent der Interessen
der Auftraggeber, die seine Zwecke bestimmen, seien sie nun wirtschaftlicher,
politischer, gesellschaftlicher, kultureller oder anderer Natur. Als der verlängerte
Arm des Auftraggebers soll es den Betrachter an den zu bewerbenden Gegen-
stand heranführen, ihn spontan ansprechen, und zwar so, daß sich die Botschaft
im Unbewußten des Angesprochenen festsetzt, dort weiterwirkt und eine po-
sitive Einstellung zur propagierten Sache suggeriert. Andererseits muß man im
Plakat auch den Widerhall einer mehr oder weniger intensiven künstlerischen
Gestaltung sehen:
4 Definition: W a s ist ein Plakat?
Als Brücke vom Gebrauchsartikel zum Kunstgegenstand verbindet das Plakat - seit
den Wurzeln des Künstlerplakates Ende des 19. Jahrhunderts - verschiedene Welten:
kommerziellen Nutzen und künstlerischen Ausdruck (APG 1996, 47).
Folglich illustriert das Plakat also auch den Formenwandel der bildenden Kunst,
deren Einfluß die Plakatkünstler ständig unterworfen sind. Es wird aber nicht
so sehr nach Werten der Ästhetik beurteilt, sondern nach seiner Werbewirkung;
es hat eine dienende und zweckgebundene Aufgabe.
Ihre reine publike Existenz schon unterscheidet Plakate von anderen Medien
- öffentliche Videobildschirme, Videowände und Computeranimationen einmal
ausgeklammert - , da für ihre bloße Registrierung keine große Eigeninitiative
seitens des Passanten erforderlich ist. Das Fernsehprogramm muß man erst ein-
schalten und kann es wieder ausschalten, oder man kann beides auch ganz unter-
lassen - , die Zeitung und die Zeitschrift muß man kaufen, aufschlagen und
durchblättern, kann dabei die Anzeigenseiten auch überschlagen, den Computer
mit den Web-Sites muß man erst aktivieren; um einen Werbefilm im Kino zu
sehen, muß man dort hingehen etc.. Plakaten hingegen kann man sich nicht so
einfach entziehen, es sei denn, man schaut bewußt nicht hin oder wohnt in ei-
nem reklamelosen Niemandsland. Diese ständige Präsenz sagt zwar noch nichts
über die tatsächliche Werbewirksamkeit von Plakaten aus, ist jedoch ein erster
Schritt und wesentliche Vorbedingung zum möglichen Erfolg.
Hatte das Plakat zeitweilig eine dominierende Stellung - hier differieren
allerdings bereits die Einschätzungen der Zeitgenossen - unter den Werbemit-
teln, war sozusagen Basismedium der Werbekampagnen, so ist es heute mehr
denn je Bestandteil eines umfangreichen Apparates von Werbemitteln, deren
Interaktion und Relation man auch als Media-Kombination oder Media-Mix
bzw. Media-Netz bezeichnet. Neben Anzeigen, Rundfunk- und Fernsehspots
kommt dem Plakat dabei eine unterstützende Funktion zu. Da das Plakat durch
passive Nutzung, hervorgerufen durch das zufällige Vorbeikommen, gekenn-
zeichnet ist, muß es sich zumeist mit einer „Ergänzungsfunktion zur Aktuali-
sierung von Markenbild und Image [...] flankierend" (Althans 1993, 411) zu
anderen Werbemaßnahmen begnügen. Der Passant wird somit öfters von Werbe-
bildern begleitet, die er zu Hause wahrscheinlich bereits in einem anderen Zu-
sammenhang vorgesetzt bekam. Dies birgt die Gefahr, daß das Plakat selbst nur
noch „ein Surrogat von Informationsvermittlung zu bieten hat" (Rademacher
1996, 76).
Plákate werden „[...] woanders" und „[...] deshalb auch anders aufgenommen
als andere Medien" (Schirner 1988, 21). In der Regel sind Plakate statisch fi-
xiert und werden im Vorbeigehen, Vorbeifahren für einen Moment erlebt, um
kurz darauf bereits von etwas anderem aus dem Gesichtskreis verdrängt zu wer-
den. Als Teil einer Bilderflut müssen sie sich „nicht nur gegen die Konkurrenz
der Plakate nebenan durchsetzen, sondern gleichzeitig auch gegen die Kon-
A l l g e m e i n e Charakteristika 5
kurrenz der Dinge" (Schirner 1988, 22) in ihrer Umgebung. Folglich sollen sie
starke Blickfänger, unmittelbar verständlich sein und einen besonderen Gedächt-
niswert besitzen (Prakke 1963, 30), denn ihre Mitteilungsebene „liegt im Be-
reich der Umgangssprache" (Braun 1997,1). Das Plakat soll zwar auffallen, darf
dem Betrachter aber keine Rätsel aufgeben. Es teilt sich dem Betrachter direkt
mit, es verkörpert also keine „sprechende Visualität, sondern visuelle Sprache"
(Braun 1997, 2; ähnlich auch Rademacher 1996, 95). Um zu funktionieren, hat
es seine ganze Botschaft in äußerst kurzer Zeit zu übermitteln. Zur Erfüllung
seiner Aufgaben muß das Plakat an möglichst vielen Orten und Stellen ange-
schlagen werden, damit es von möglichst vielen Menschen gesehen wird.
Beim Plakat handelt es sich um ein Medium, das von vornherein schon auf-
grund seiner Funktion im Zentrum des sozialen Spannungsfeldes unterschied-
licher gesellschaftlicher Klassen steht (Henatsch 1994, 273). Plakate sind „Baro-
meter sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Ereignisse und Wechselbeziehun-
gen, Spiegel geistiger und praktischer Aktivitäten, der lebenszugewandten Seite
des Menschen" (Müller-Brockmann 1971, 10). Über ihr aktuelles Dasein hinaus
können Plakate die „bündigsten Zeugen der Geschichte" (Arnold 1985, O.S.)
sein, ebenso ein Spiegel, „der sowohl spiegeln, als auch verzerren kann" (Gallo
1975, 12), aber eben auch „ein lebendiger Spiegel des gesellschaftlichen Diskur-
ses" (Braun 1997, 3). Sie geben Aufschluß über die sozialen Zustände. Sie
demonstrieren das Angebot der wirtschaftlichen und industriellen Produktion
einerseits, zum anderen auch die Nachfrage, die Bedürfnisse der Konsumenten.
Sie orientieren über das kulturelle Niveau und gewähren einen Einblick in die
Mentalität der Bevölkerung und der Auftraggeber (vgl. Gries/Ilgen/Schindelbeck
1995). Plakate offenbaren die politische Situation, machen die Regierungsvertre-
ter bekannt, informieren z.B. über die aktuellen Probleme des Staatshaushaltes,
die konventionellen oder progressiven Problemlösungen u.a..
Plakate reflektieren die ideellen und materiellen werblichen Angebote in ih-
rer Zeit und Umgebung und dokumentieren damit eine bestimmte Wirklichkeit.
Sie spiegeln Normen, Werte, Klischeevorstellungen, moralische Grenzen,
Geschlechterrollen, Leitbilder, festigen sie, können sie aber auch durchbrechen.
Mitunter kann das Plakat bei der Rekonstruktion vergangener Zeiten und vieler
ihrer Details behilflich sein. „Aber nicht das einzelne Plakat natürlich [...] kann
diese Aufgabe erkenntnisfördernd leisten. Nur im Vergleich und in der Summe
vieler wird es zur historischen Erkenntnis der Vergangenheit beitragen" (Rade-
macher 1992, 12/13). Unter dieser Voraussetzung sind Plakate in der Lage, bei
tieferer Analyse vielfach auch die sozialen Provenienzen und Bedingtheiten der
bildlichen Darstellungen zu zeigen. Dabei muß allerdings auch in Rechnung ge-
zogen werden, daß das Plakat gerade als Quelle für den Historiker „ein mehr
oder weniger zufällig überkommenes Zeugnis vergangener Kommunikation"
(Kämpfer 1985, 14) darstellt.
6 Definition: W a s ist ein Plakat?
Wie weit man die Geschichte des Plakats zurückverfolgen kann, wo seine Wur-
zeln liegen, ist nicht unumstritten. Die meisten Plakatgeschichten versuchen, sie
schon in der Antike zu verankern oder die Anfänge in Ladenschildern des späten
Mittelalters zu sehen. Vorläufer mag es hier und da im Altertum wie auch später
gegeben haben, eine direkte Linie zur Neuzeit läßt sich aber nicht unbedingt zie-
hen. Henatsch (1994, 15) weist mit Recht darauf hin, daß dem Plakat lediglich
unter der Prämisse, es handle sich, wie im Brockhaus von 1864/68 zu lesen, um
eine private oder obrigkeitliche Ankündigung für ein breites Publikum, eine lange
Geschichte bis hin zu den ägyptischen Papyri zuzuschreiben ist. Ebenso zutref-
fend betonen Zankl (1969, 24/25), Suckale-Redlefsen (1975, 46) und andere, daß
man vom eigentlichen Plakat erst seit der Zeit sprechen kann, als massenhaft be-
druckte Papierbogen in der Öffentlichkeit zum Anschlag gelangten. Seyffert sieht
die ersten gedruckten Plakate zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Zankl zählt zur
Vorgeschichte des Plakats die Zeit von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts,
als durch die Erfindung des Buchdrucks mögliche flugblattartige Mitteilungen,
Aufrufe, Pamphlete en masse aufkamen und z.B. zur Reformationszeit und
während der Bauernkriege angeheftet wurden, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts,
als aus Frankreich von einer Plakatkleberzunft berichtet wird und während der
Revolution Anschlagzettel eine wichtige Rolle spielten. Schindler (1972, 19ff.)
verweist hier auf Holzschnitte, Bilderbogen, Flugblätter, Embleme, Anschläge für
Tierschauen in ihrer Funktion als ästhetische und funktionale Vorläufer des
Plakats. Dort wurden sicher die Grundlagen gelegt und dann durch die Erfindung
der Lithographie 1796/98 noch ausgebaut. Mit der Entwicklung des eigentlichen
Plakatwesens darf jedoch erst - wenn man auch das technisch-logistische Umfeld
einbezieht - seit der Aufstellung von speziellen Plakatsäulen oder Anschlagtafeln
gerechnet werden. Dies erscheint besonders auch deswegen plausibel, weil das
Plakat als solches eben ein auf druckgrafischem Wege seriell hergestelltes Werbe-
mittel ist, für dessen massenhafte Verbreitung nicht zuletzt die Existenz und das
Interesse potentieller Auftraggeber sowie geeignete Produktions- und Distri-
butionswege vorausgesetzt werden müssen (vgl. 2.3).
Auch über die Herkunft des Wortes an sich herrscht nicht überall Einigkeit.
Laut .Kluges Etymologischem Wörterbuch der deutschen Sprache' ist Plakat aus
dem niederländischen plakkaat entlehnt, das sich wiederum aus dem französi-
schen placard entwickelt haben soll. Auch gibt es im Niederländischen das Wort
anplakken, was ,anheften' bedeutet bzw. plakken (.Flecken'). Man liest wie-
derholt auch von dem lateinischen Wort plaga - plagare ist die lateinische
Vokabel für .schlagen' - , was im Provencalischen zu placa .Platte, Blatt, Platte,
Täfelchen' wurde, wovon sich auch Plakette ableiten soll. In diese Wortfamilie
gehört auch noch plaquer, im Deutschen mit .auflegen, auftragen' wiederzuge-
ben, und somit auch plaque (.Belag'). Im Niederdeutschen wurde das Wort Pia-
Historische Voraussetzungen 7
kat bzw. plakaat bereits im 16. Jahrhundert für einen öffentlichen Anschlag
verwendet. Im Französischen hat sich allerdings affiche (.Anschlag', von affige-
re) durchgesetzt und wurde z.B. im Niederländischen übernommen, blieb auch
in der Schweiz üblich, gelangte im 18. Jahrhundert in den deutschsprachigen
Raum, kommt ansonsten im älteren deutschen Sprachgebrauch der Jahrhundert-
wende wiederholt vor. Während im Englischen poster (to post m e i n t , ankleben,
anheften') gebräuchlich ist, heißt es im Italienischen cartello oder manifesto
(,Plakatierung' ist allerdings affissione) - Begriffe, die eher die Materialbeschaf-
fenheit bzw. den inhaltlichen Zweck ausdrücken - und im Spanischen cartel.
Im Jahre 1848 und noch bis in die 1860er Jahre wurden in den deutschspra-
chigen Ländern mit Plakat und Affiche zunächst lediglich obrigkeitliche An-
schläge bezeichnet. Die Lexika des 19. Jahrhundert führen den Begriff Plakat
lange Zeit gar nicht auf bzw. verweisen auf Anschlag. Für die „Allgemeine
deutsche Real-Encyclopaedie für die gebildeten Stände" von 1833 existiert
weder Affiche noch Plakat, und unter Anschlag sind Erklärungen aus der Musik
und der Baukunst aufgeführt. Im Brockhaus von 1892 findet man unter Affiche
„Anschlagzettel [...]. affichieren, öffentlich anschlagen, auch zur Schau tragen."
Anschlag bezeichnet dort „eine öffentlich aushängende Bekanntmachung, An-
kündigung, Verfügung oder Aufforderung, ein Plakat". Plakatschriften sind
„große auffällige Typen, die man besonders für öffentliche Anschläge verwen-
det." Meyers Konversations-Lexikon erklärt im ersten Band seiner dritten Auf-
lage von 1874 „affiche" als „eine öffentliche, möglichst sichtbare Kundma-
chung, ein[en] Anschlagzettel" und definiert „Anschlag" als „jede öffentlich an-
geheftete oder angeklebte Bekanntmachung, welcher Art dieselbe auch sei und
von wem auch immer sie ausgehe. Anschläge können geschrieben, lithographirt
[sie!] oder durch die Buchdruckpresse hergestellt werden." Erst später wird das
Plakat als eigenes Stichwort genannt und unter Einbeziehung künstlerischer Kate-
gorien bestimmt: So heißt es z.B. im Brockhaus von 1901/4: „Durch künstleri-
sche Ausbildung der zu Reklamezwecken verwendeten Pflakate] entstand in
neuerer Zeit eine besondere Plakatkunst, die eigenen, ihrem Zweck gemäßen Ge-
setzen folgt." Und bei Meyer im 15.Band der 6. Auflage von 1906 erscheint der
Hinweis darauf, daß die „Plakatmalerei, die Anfertigung von Plakaten und An-
schlagtafeln für gewerbliche Reklamezwecke, die bis dahin untergeordneten
Kräften, wie Lithographen und Zeichnern für Bunt- und Luxuspapierfabriken,
überlassen war, ein Gegenstand künstlerischen Betriebs geworden" sei.
Das Phänomen der Reklame existiert bereits, solange es Handel und Gewerbe
gibt, also seit dem Altertum. Aber erst mit dem sich im 19. Jahrhundert vollzie-
henden Umbau der Warenwelt auf industrielle Massenfabrikation begann sich
8 Definition: W a s ist ein Plakat?
die Werbung im modernen Sinne herauszubilden und zielgerichtet mit dem Ein-
satz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel, wie z.B. der Anzeige, dem Hand-
zettel, der Broschüre und dem Plakat, später auch mit dem Film zu operieren.
Die zunehmende Bedeutung des öffentlichen Raumes als Bühne der massiven
Warenpräsentation, der kulturellen Selbstdarstellung und der politischen Agita-
tion bereitete den gesellschaftlichen Boden für die Etablierung des modernen
Werbewesens, das sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunächst noch schritt-
weise, dann aber um so forcierter zu entwickeln begann. Zwischen 1900 und
1920 waren dann die hauptsächlichen Grundzüge der Werbung, wie beispiels-
weise die Bedürfnisweckung, bereits praktisch wie theoretisch entwickelt und
wurden in zunehmendem Maße von einer immer zahlreicher werdenden Rekla-
meliteratur wissenschaftlich untermauert. Fast gleichzeitig begann man, die
künstlerische Gestaltung der Werbemittel als notwendig zu erachten.
Auf gesellschaftlicher Seite mußte also ein kapitalkräftiger Finanzierungs-
und Absatzmarkt erwachsen. Wesentlich ist dabei der „Umbau der Gesellschaft
zu einer Geldwirtschaft, die ihrerseits auf einer totalen Warenöffentlichkeit be-
ruht" (Reck 1988, 95). Ebenso sind das Aufkommen demokratischer Parteien,
moderner politischer Kräfte, neuer kultureller Energien durch die Metropolen-
kultur, also Schübe, die auch die verkehrstechnische Neuerungen und die Be-
schleunigung der Wahrnehmung beinhalten, von fundamentaler Bedeutung. Eine
vorher nie gekannte Verstädterung begann sich abzuzeichnen: Zwischen 1850
und 1900 wuchsen New York um das sechsfache, London um das vierfache, Pa-
ris um das dreifache und Berlin um das sechsfache.
Die Grundsituation, der sich das Plakat bemächtigt, also das Auftreten eines anonymen
heterogenen und mobilen Massenpublikums, ist zwar nicht erst mit d e m industriellen
Zeitalter gegeben, wohl aber ist sie aus den Lebensverhältnissen der großen Stadt
erwachsen: Ihr Wirkungsfeld ist die dichtbevölkerte Straße (Hagen 1984, 50).
Schon Sponsel (1897, 108) äußerte sich dahingehend, daß die moderne Plakat-
kunst der Großstadtluft bedürfe. Der „rasche und ununterbrochene Wechsel äu-
ßerer und innerer Eindrücke", der „die Steigerung des Nervenlebens nach sich"
zieht, die „rasche Zusammendrängung wechselnder Bilder, der schroffe Abstand
innerhalb dessen, was mit einem Blick erfaßt wird, die unerwartet sich aufdrän-
genden Impressionen", wie sie der Philosoph Georg Simmel 1908 in seiner
Abhandlung ,Die Großstädte und das Geistesleben' zu beschreiben suchte, alle
diese Faktoren wurden charakteristisch für die Großstadt. Das Reagieren auf
veränderte Wahrnehmungsgewohnheiten im Zuge der Technisierung und des
wachsenden Verkehrsaufkommens, der Mechanisierung des Alltags sowie des
Blicks mußte zur bildlich-signalhafen Kurzform führen, eine kulturelle Tendenz,
der auch andere Kunstformen wie etwa der frühe Film ihre Existenz verdanken.
Plakatzentren wurden in diesem Zuge fast zwangsläufig die großen Metropolen.
Historische Voraussetzungen 9
Die heftige Brandung des Berliner Straßenverkehrs, das eilige Hasten, die Geschäftig-
keit und die Inanspruchnahme des Menschen machte einen eigenen Plakatstil not-
wendig [...], der für malerische Beschaulichkeit keinen Raum bot, der [...] vielmehr
an Knappheit und Eindringlichkeit das Äußerste aufbringen mußte.
standen zahlreiche Plakate etwa der für Artisten- und Zirkusplakate bekannten
Hamburger Druckerei „Friedländer". Die Berliner Firma „Hollerbaum &
Schmidt" war die erste deutsche Druckerei, die um die Jahrhundertwende Pla-
kate ausschließlich auf Bestellung fabrizierte.
Der Prozeß der Herstellung vom Entwurf bis zum Druck kannte mehrere
Möglichkeiten: (1) Zeichner und Lithograph waren identisch, dieser setzte ent-
weder einen Eigenentwurf auf die Platte bzw. benutzte vorrätige Schablonen-
motive; (2) Das Plakat entstand durch die Zusammenarbeit zwischen einem an-
gestellten Entwerfer und dem Lithographen, der den Entwurf auf die Platte um-
zeichnete; (3) Die Vorlage kam von einem auswärtigen Künstler, der dann mit-
unter auf den weiteren Verlauf keinen Einfluß mehr hatte. Auch gab es häufig
eine Trennung von Bild- und Schriftentwerfer. Eigenhändig lithographierte
Künstlerplakate waren um 1900 eher selten und fast nur in Frankreich üblich.
Mitunter beharrten die Lithographenvereinigungen auf der Trennung von Künst-
ler und Lithograph und verlangten von den Grafikern eine eigene ausdrückliche
Lithographenausbildung, wie aus Wien bekannt.
Seit den 1920er Jahren wurde die Lithographie Zug um Zug vom Offset-
druck abgelöst. Dieses, bereit ab 1904 mögliche, aber für das Plakat zunächst
noch nicht gebräuchliche Verfahren brachte als Neuerung Folgendes: Durch die
Schaltung einer mit einem Gummituch bespannten weiteren Walze zwischen
Druckform und Papier konnte jetzt mechanisch seitenrichtig gedruckt werden.
Eine Weiterentwicklung bestand darin, daß der Entwurf auf einen Film übertra-
gen, die Druckplatten mit einer lichtempfindlichen Schicht gleichmäßig bedeckt
wurden; die Übertragung des Films erfolgte durch starke Belichtungslampen auf
die Druckplatte. Die Verbreitung ging einher mit einem Wechsel im plakativen
Ausdruck durch die Avantgarde-Technik der Fotomontage, wobei es auch zu
Verknüpfungen der Techniken kam. Die Vervielfältigung der Schwarzweißfoto-
grafie geschah dadurch, daß Grautöne aufgerastert oder im Tiefdruckverfahren
wiedergegeben wurden. Problematisch war zunächst die Reproduktion von Farb-
aufnahmen: Man hinterlegte Schwarzweißaufnahmen mit Farben, ein Verfahren,
das bis Ende der 1930er Jahre bereits ausgereift war.
Eine Zeitlang war auch die Praxis üblich, daß man ein „Original" als Litho-
graphie erstellte, die weiteren Vervielfältigungen jedoch als Offsetdruck ausge-
führt wurden. Der Offsetdruck sollte sich schließlich ganz durchsetzen und die
Lithographie, von limitierten Künstlerplakaten einmal abgesehen, völlig verdrän-
gen. Während dies in den USA schon vor dem Zweiten Weltkrieg der Fall war,
gab es die genannten Mischformen in Europa noch bis in die ersten Nachkriegs-
jahre, jetzt jedoch auf Grund der Einschränkungen erheblich verschlechtert. Der
Siebdruck (Durchdruck) wurde in den 1950er Jahren bei geringeren Auflagen
gebräuchlich. Siebdrucke sind lichtbeständiger als Offsetdrucke.
Gegenwart 13
3.2. Gegenwart
arbeitet werden. Aus diesen Vorlagen wird das Mutterlitho erstellt. Als Kon-
trolle werden dem Werbetreibenden mit Hilfe der Mutterlithos sogenannte An-
drucke oder Proofs vorgelegt, um die Druckfreigabe zu erhalten. Plakatvorlagen
müssen nicht die Größe der endgültigen Plakate haben, das Format DIN A 3
reicht aus. Zu Zeiten der Plakatzensur mußten hin und wieder alle Entwürfe und
Druckvorlagen im Format 1:1, z.B. 142 χ 95 cm, angefertigt werden, um, da es
sich um eine Wirkungsprüfung handelte, eine aussagekräftige Vorlage zu liefern
(vgl. 5.1.).
Der Druck erfolgt in der Regel im Offset-Druckverfahren. Um Plakate
drucken zu können, benötigt die Druckerei vor allem ausreichend große Druck-
maschinen. Andrucke werden - im Gegensatz zu früher - ebenfalls nicht im
Endformat gedruckt, sondern häufig im Kleinformat (27 χ 30 cm bis 50 χ 70
cm). Es findet auch bereits der digitale Farbdruck Verbreitung. Er eignet sich
besonders zur Herstellung von Ganzsäulen- und Großflächenplakaten sowie für
Vitrinen- und Einzelplakate, größte Anschlagfläche 1,32 m breit und etwa 20
m lang. Im Computer wird mit Text, Grafik, Fotos und Farbe die endgültige
Gestaltung entworfen und digital ausgedruckt. In einem Arbeitsvorgang ohne
langwierige Repro- und Druckverfahren erfolgt die Übertragung mit einer hohen
Auflösung direkt auf das Endformat.
Auf welchem Papier das Plakat seine Endgestalt erhält, ist für das Aussehen von
großer Bedeutung. Das Material unterliegt heutzutage bestimmten hohen Quali-
tätsmaßstäben. Im Vordergrund steht die einseitige Glätte des Papiers. Sie be-
dingt eine sehr gute Druckqualität und eine leichte Brillanz, ohne zu reflek-
tieren, was aber nur dann zur Geltung kommt, wenn auch auf der glatten Seite
gedruckt wird. Die rauhe Rückseite hingegen ermöglicht eine problemlose
Affichierung. Da das Plakat starken Witterungseinflüssen ausgesetzt ist und an
Säulen und Großflächen in der Regel in Wasser eingeweicht und naß ange-
schlagen wird, muß das Papier naßfest und ausreichend geleimt sein und darf
nur eine geringe Naßdehnung besitzen. Die Naßreißfestigkeit bedeutet, daß das
Plakatpapier sich auch nach dem Ansetzen an der Anschlagstelle noch aus-
dehnen lassen muß, ohne dabei einzureißen. Deshalb werden von Fachleuten
eigens holzfreie, vollgeleimte, nicht vergilbende Naturpapiere mit einem Ge-
wicht von 100 bis 120 Gramm pro Quadratmeter besonders empfohlen. Leich-
tere Papiere sind öfter durchscheinend und reißen schneller; schwerere Papiere
lassen sich schlechter verarbeiten. Die Dehnung muß bereits bei der Erstellung
des Mutterlithos berücksichtigt werden.
Nicht unwichtig ist auch die Laufrichtung (Faserlauf) des Papiers. Da sich
Papier quer zur Laufrichtung im feuchten Zustand stärker dehnt, müssen mehr-
Materialien: Papier und Farben 15
3.4. Auflagen
Was die Auflagenzahlen gerade in früheren Zeiten angeht, so bieten die Quellen
kaum verläßliche und widersprüchliche Zahlen an. Diese hingen und hängen
einerseits von der jeweiligen Kampagne und deren Reichweite wie auch von der
Branche ab. Determiniert sind sie mitunter durch die Zahl der zur Verfügung
stehenden Anschlagstellen. Für das Filmplakat in Deutschland um 1930 z.B. ist
eine Ziffer von ca. 3000 überliefert (Albachary 1933, 50), die aber mit der hier
üblichen Praxis zusammenhing, Plakate für den Aushang am Kino leihweise
abzugeben. In anderen Branchen waren auch Zahlen von 6000 bis 8000 und
mehr möglich, u.a. bei Plakaten für internationale Messen und Ausstellungen.
Für England ζ. B. sind Kampagnen mit über 20000 Plakaten allein im Großraum
London überliefert (Albachary 1928, 80). Die Höhe der Auflage variiert auch
nach Plakatgrößen. Bei den Zirkusplakaten der Firma .Friedländer' etwa wurden
um 1900 von den kleinen, auf einem Bogen gedruckten Plakaten 3000 Exem-
plare hergestellt, bei den großen, mehrbogigen höchstens 1000 Stück. Von
Alphonse Muchas Plakat für den Salon de Centenaire (1896) sollen 6000 Stück
gedruckt worden sein.
3.5. Plakatdruckereien
Mit ständig wachsender Auftragslage begannen sich in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts und dann noch einmal verstärkt nach der Jahrhundertwende ty-
pische Plakatdruckereien zu etablieren. Hier seien nur einige der wichtigsten
Firmen der Hochphase des Plakats in Deutschland genannt, wie die Berliner
,Hollerbaum & Schmidt' als wesentliche Förderer der künstlerischen Plakate,
gegründet 1894; sodann ,Dinse, Eckert & Co.', gegründet 1911; .Plakate R.
Spiegel', gegründet 1912; die bereits seit 1888 bestehende .Lithographische An-
stalt Arnold Weylandt'; die 1910 entstandene ,Rotophot A.G.'; .Lindemann &
Lüdecke', gegründet 1905, und .Paul Grasnick', ins Leben gerufen 1898. Der
Film als Auftraggeber wurde bald von besonderer Bedeutung: Viele Berliner
Druckereien erlebten gerade mit diesem Medium ihren Aufstieg. Einige, wie die
1921 gegründete ,Tilco' oder die ,Plakatkunst Paul Eckert', sollten sich sogar
ganz auf Kinoplakate spezialisieren. ,Offset-Druck Scherl' wurde ab den 1920er
Jahren für die Filmindustrie wichtig. In München waren u. a. die Firmen .Bruck-
Plakatformate 17
3.6. Plakatformate
Die Vielzahl von Formaten ließ immer wieder die Forderung nach einer Ver-
einheitlichung aufkommen: Bereits um die Jahrhundertwende wurde ein von
Wilhelm Ostwald entwickeltes Weltformat von 90,5 χ 128 cm vorgeschlagen,
das die Schweiz übernahm; es ermöglicht ein Erfassen der Gesamtfläche auf
mittlere Sehdistanz und auf einen Blick. Schon mit der Etablierung der Litfaß-
säulen in Deutschland war eine Beschränkung auf fünf Formate verbunden ge-
wesen, was jedoch offenbar nur für Berlin galt. Spätere Berliner Formate waren
z.B. die der Größen V (ca. 70 χ 9 5 cm), VI (ca. 142 χ 95 cm), das zumeist im
Hochformat gemessen wurde, und VII (ca. 2 8 0 x 9 5 cm). Im Jahre 1922 be-
schloß der 1917 gegründete Normenausschuß der deutschen Industrie die Ein-
führung der DIN-Normen. Für das Plakat setzten sich derartige Änderungen
trotz ständiger Forderungen nur schrittweise durch, bis es im Zuge einer Neu-
ordnung der DIN-Normen im Jahre 1942 zur endgültigen Verpflichtung zum
DIN-Format für alle Plakate kam, was z.B. bei DIN A 1 84 χ 59,4 cm und bei
DIN A O 1,19 χ 94 cm beträgt.
Die letztendliche Größe des Plakats hing einerseits vom Wunsch des Auf-
traggebers ab, andererseits aber auch von der Zahl der zusammengefügten Bo-
gen. Diese wiederum war von den Möglichkeiten der jeweiligen Druckerei ab-
hängig, denen sich auch der Entwurf anzupassen hatte. Ein Plakat im Hochfor-
mat von ca. 230 χ 180 cm etwa konnte um 1914 aus drei Teilen bestehen, ein
entsprechendes Querformat einer anderen Firma wiederum aus lediglich zwei.
Die hoch- bzw. querformatigen Exemplare der Größe 142 χ 95 cm wurden in
den 1910er Jahren bereits auf einem Bogen gedruckt. Bei großformatig montier-
ten Plakaten kam es häufig zu Farbverschiebungen und Versetzungen zwischen
den einzelnen Teilen. Schon früh wurde die Praxis gehandhabt, daß sich auch
beim Plakat die Bogenformate aus dem Vielfachen einer Grundgröße ergaben.
Berücksichtigt werden bei Entwurf und Druck mußte auch der sog. Kleberand
von ca. 5 - 6 cm, heute ein Überlappungsbereich von lediglich 15 mm Breite.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich in Westdeutschland allgemein Plakate
nach DIN-Norm durch. In der DDR wurden, um sich gegenüber dem Westen ab-
zusetzen, eigene Normen etabliert, die TGL (Technische Normen, Gütervor-
schriften und Lieferbedingungen), deren übliche Plakatformate jedoch denen der
DIN-Norm entsprachen.
In Deutschland findet man heute folgende Formate: Die Größe der Plakatbo-
gen basiert auf dem Format DIN A 1 (siehe oben). Dieser Bogen wird auch als
1/1-Bogen bezeichnet. Alle anderen Formate sind Teile oder ein Vielfaches
diese 1/1-Bogens, wobei DIN A 3 4 2 x 3 0 cm, 1/4-Bogen, die kleinste Plakat-
einheit, die größte 356 χ 252,18/1-Bogen, darstellt. Eine Sonderform ist das
Superposter mit 372 χ 526 cm, das 4/1 Format, es ist für Aushängung in Vitri-
nen gedacht. Das City-Light-Poster besitzt ein Sonderformat 120 χ 176 cm. Bei
Großflächen unterscheidet man in der Zahl der Bogen die Achter- und die
Neunerteilung (Hoch- und Querformat), sowie die Sechserteilung. Zu difieren-
Entwerfer 19
zieren ist zwischen Plakatbogen und Druckbogen: So wird z.B. das 18/1 Format
eben keineswegs in 18 Druckbogen gedruckt, sondern in sechs, acht oder sechs
Bogen. Eine europa-einheitliche Plakatnorm gibt es noch nicht, weshalb abge-
stimmte europaweite Plakatkampagnen erschwert werden. Eine Annäherung
erfolgte bisher lediglich bei den Vitrinenplakaten.
3.7. Entwerfer
Der Plakatgrafiker ist Teil eines Teams von Mitwirkenden, angefangen vom
Auftraggeber bis hin zu den in Typo-, Repro-, Litho- und Druckwerkstätten
Tätigen oder noch weiter bis hin zum Plakatkleber. Die Plakatgeschichte hebt
immer wieder die Bedeutung der Künstler für die gesellschaftliche Etablierung
des Plakats hervor (vgl. 9). Wenn in diesem Zusammenhang des öfteren die
Bezeichnung „Künstler" verwendet wird, so ist damit überwiegend nicht der
„freie" Künstler gemeint: Im Zuge der Kunstgewerbebewegung mit ihrer Forde-
rung nach der Ästhetisierung von Alltagsgegenständen und einhergehend mit der
von Seiten der expandierenden Geschäftswelt gestellten Aufgabe der Gestaltung
von Werbematerialien entwickelte sich auch in Deutschland vor 1914 der eigen-
ständige Berufszweig des reinen Gebrauchsgrafikers bzw. des Werbegrafikers.
Die meisten bedeutenden Grafiker waren bis zum Zweiten Weltkrieg in
Berlin ansässig. Doch gab es auch in der „Provinz" Plakatateliers von Belang.
Die Adreßbücher des grafischen Gewerbes und Mitgliederverzeichnisse von
Standesorganisationen geben dazu aber aufgrund ihres selektiven Charakters
keine verläßlichen Angaben. Ein wesentliches Moment für die Ausbreitung einer
künstlerischen Plakatproduktion war neben den technischen Möglichkeiten und
den kulturellen und kommerziellen Energien auch das Vorhandensein von spe-
ziellen Kunstschulen und Kunstgewerbeschulen als Ausbildungsstätten der
Grafiker. Solche Einrichtungen gab es außer in Berlin u. a. in Düsseldorf, Köln,
Leipzig, Dresden, München. In diesem Zusammenhang muß betont werden, daß
in den 1920er Jahren die Reformkunstschulen außerhalb Berlins und Münchens
den avantgardistischen Ton angaben und somit auch für die allgemeine Pla-
katgestaltung schrittmachend wurden, wie etwa diejenigen in Magdeburg, Jena,
Weimar, Dessau, Halle oder Essen.
Zunächst war noch derjenige Typus Grafiker vorherrschend, den Viktoria
Schmidt-Linsenhoff (Plakate in Frankfurt 1985, 233-234) als „handwerklich ge-
schulte Gebrauchsgraphiker, die in einem weitestgehend industrialisierten
Herstellungsprozeß von Plakaten nicht die Rolle von Künstlern spielen konn-
ten", beschreibt. Diese „setzten sich nicht individuell mit ihren Themen und
deren Anlässen auseinander, sondern montierten, arrangierten und reproduzierten
in immer neuen Variationen Motive, Figuren, Bilderfindungen". Solche Grafiker
waren vor allem in den Firmen vertreten, die sich auf Zirkus-, Varieté- und
20 Herstellung
Bei den gängigsten Plakatträgern unterscheidet man schon seit den 1920er Jah-
ren in der Regel nach einfacher Säule (Allgemeinstelle), Ganzstelle, Großfläche,
Vitrine und mobilen Trägern. Im deutschsprachigen Raum meint das Wort An-
schlagstelle alle nichtmobilen Träger. Waren Plakate zunächst „wild" an Wän-
den und Mauern angebracht, so wurden ab den 1840er Jahren Änderungen
sichtbar. In London erschienen Plakatwände und Säulen, nach deren Vorbild
Ernst Litfaß 1855 die ersten, nach ihm benannten Plakatsäulen in Berlin auf-
stellte. Ihre dauerhafte Existenz verdankten sie hier einer Interessenskoalition
zwischen Litfaß, der gleichzeitig der erste Plakatanschlagunternehmer in
Deutschland wurde, und der Obrigkeit. Ersterer sah die kommerziellen Möglich-
keiten. Letztere besaß nun, indem sie den Anschlag fortan nur an diesen An-
schlagstellen zuließ und somit formal das ungeordnete Plakatieren innerhalb der
Stadt unterband, ein Instrument zur Überwachung des öffentlichen Meinungs-
bildes (vgl. 5.1.). In der Folge wurde die Anzahl der Säulen in Anpassung an
die Zunahme der Bevölkerung und der Bedürfnisse von Industrie und Handel
ständig vermehrt. So wurden die ersten Litfaßsäulen nach Berlin in Dresden
1856, in Hamburg 1868, in Stuttgart 1872, in Bremen 1873, in Frankfurt um
1880 und in Düsseldorf um 1885 errichtet. Ihre Ausbreitung stieß nicht immer
auf Gegenliebe. Vielerorts wurden sie als Verunstaltung empfunden. Ein Münch-
ner Beispiel aus dem Jahre 1881 mag stellvertretend sein:
[...] Kein Mißverhältnis störte bisher die classischen Linien, und selbst der ungebildet-
ste Wanderer empfindet die Wirkung eines wahrhaft schönen Anblicks. Und nun stellt
man links und rechts an den Ecken der Universität und des Georgianum zwei jener
scheußlichen Placatsäulen, deren Harlekinsüberzug die ganze Umgebung so recht
gründlich schändet. [...]. Bleibe die moderne Marktschreier-Industrie doch wenigstens
unseren classischen Stätten fern (Allgemeine Zeitung v. 21.4.1881, zitiert nach Plakate
in München 1976, 174).
Für Paris ist der Drucker Morris zu nennen, dessen Säulen auch heute noch als
Colonnes Morris bekannt sind. Auch in den USA blieb das Plakatieren nicht
ungeordnet: Betrachtet man fotografische Ansichten nordamerikanischer Städte,
so sieht man, daß schon lange vor der Jahrhundertwende mehrstöckige Plakat-
24 Verteilung
Die Litfaßsäule hat in der Regel eine Höhe von 360 cm und einen Umfang von
380 cm und besteht aus Beton. Allgemeinstellen sind hauptsächlich Litfaß-
säulen, mitunter auch Tafeln ζ. B. auf U-Bahnhöfen oder in Unterführungen, die
dem Plakatanschlag mehrerer Werbetreibender gleichzeitig dienen und aufgrund
eines Werbenutzungsvertrages mit der zuständigen Behörde auf öffentlichem
Terrain errichtet wurden. Das heißt, daß die Anschlagstelle selbst zwar meist Ei-
gentum des zuständigen Anschlagunternehmen ist, wohingegen der Grund und
Boden jedoch, auf dem die Säule steht, der Gemeinde gehört. Die Genehmi-
gung, allgemeine Anschlagstellen aufzustellen bzw. zu verwalten, erteilt die Ge-
meinde meist nur einem Anschlagunternehmen am Ort. Auf ihnen werden
Plakate mit den unterschiedlichsten Informationen angeschlagen: amtliche und
private Bekanntmachungen, Theater und Kinoprogramme, Ankündigungen von
Veranstaltungen, Werbung für den Einzelhandel, für Markenartikel oder für
Dienstleistungen. Allgemeine Anschlagstellen sind im Idealfall gleichmäßig über
das Stadtgebiet verteilt. Sie stehen auch dort, wo es keine andere Werbung gibt.
Das optimale Verhältnis zwischen der Zahl der Allgemeinstellen und der Zahl
der Einwohner eines Ortes, also die Streudichte, wird bei 1:1000 gesehen
(Bestzahl). Die tatsächlichen Stellenzahlen bewegen sich im Bereich um diesen
Wert. Die Feststellung des richtigen Zahlenverhältnisses wird ständig erforscht,
bei Mißverhältnissen spricht man von Überstreuung oder Unterstreuung. Die
Großflächen-Plakatierung für die mobile Gesellschaft hat mancherorts zur Ver-
nachlässigung der Plakatsäule geführt, somit den allgemeinen Anschlag zu-
rückgedrängt.
Bei Ganzstellen handelt sich es sich hauptsächlich um Säulen, die nur einem
Werbetreibenden vorbehalten sind. Sie befinden sich ebenfalls auf öffentlichem
Grund und Boden, werden von den jeweiligen örtlichen Pächtern des allgemei-
nen Plakatanschlags verwendet und sind wie die Allgemeinstellen netzartig über
das Stadtgebiet verteilt. Pro Dekade (vgl. 4.4.) steht die Ganzstelle nur einem
Kunden zur Verfügung. Einsetzt werden können alle Formate bis 6/1-Bogen
oder auch Spezialformate, die insbesondere für die Rundum-Wirkung einer
Heutige Anschlagarten 25
Manche Säule dient jetzt ein- und demselben Plakat. Konkurrenz braucht dieses dann
nicht mehr zu fürchten, aber die tödliche Wiederholung. Es gibt Bildmotive, die nicht
für das Nebeneinanderkleben taugen. Das zwölfmal nebeneinander gestellte süße Lä-
cheln eines Filmstars in sechsfacher Lebensgröße wird zum unerträglichen Grinsen
(Horn 1931, 350).
Bei Ganzstellen liegt der Empfehlungswert für die Streudichte bei 1:3000, eine
Ganzsäule auf 5000 Einwohner wird aber noch als ausreichend bezeichnet.
Großflächen sind in der BRD seit ca. 1951 bekannt. Hierunter versteht man
Anschlagtafeln, die für eine Größe von 18/1 Bogenformat geeignet sind. Bei
Großflächen von 456 χ 252 cm liegt die werbewirksame Wahrnehmungsgrenze
je nach Motiv bei einer Sichtentfernung von 100 Metern. Im allgemeinen sind
sie auf privatem Grund angebracht. Als Streudichte wird ein Wert zwischen
1:2000 und 1:3000 empfohlen. Weiterhin zählen zum Bogenanschlag die Super-
poster, es handelt sich hierbei um quer zum Straßenverkehr angebrachte, be-
leuchtete Tafeln an Einzelstandorten in einem Format von 2 qm. Shopping-Cen-
ter-Werbeflächen sind hinter Plexiglas montierte 4/1-Bogenplakate auf Park-
plätzen von Supermärkten.
Eine Sonderform ist das City-Light-Poster (CLP), das sich seit den 1980er
Jahren ständig mehr durchsetzte und vor allem im Bereich von Haltestellen
öffentlicher Verkehrsmittel bei Nacht zur Geltung kommt. Eine Weiterentwick-
lung der City-Light-Poster sind die City-Light-Poster-Säulen, Leuchtsäulen, bei
denen die Plakate durch Glas vor Beschädigung geschützt und durch Leucht-
stoffröhren hinterleuchtet werden. Eine Abart des CLP für die Innenwerbung
stellt das Cine-Light-Poster dar, ein Plakat, das innerhalb von Kinos wie das
CLP funktioniert und gezielt die Kinobesucher ansprechen soll, teilweise mit
Kinowerbung, aber auch mit kommerzieller Werbung anderer Sparten (häufig
Fast Food). Eine weitere Neuerung ist die beleuchtete Großfläche. Sie wird von
außen durch Leuchtstoffröhren angestrahlt und ist seit Mitte der 1990er Jahre
in Formaten der 18/1-Bogen oder in Sonderformaten auf dem Markt. Im Unter-
schied dazu gibt es auch noch die hinterleuchtete Großfläche für spezielle licht-
durchlässige Plakate.
Zu nennen ist auch das Wechsel-Plakat, wobei es sich um Anlagen handelt,
die in variablen Intervallen in Indoor-Eingangsbereichen von Einkaufszentren,
großen Handelsmärkten, Passagen bzw. an Bus- und Straßenbahnhaltestellen
oder in Hauptverkehrsstraßen ihr Motiv wechseln. Bei der rollenden Plakatwand
26 Verteilung
handelt es sich um eine Variante der Verkehrsmittelwerbung, bei der die Seiten-
wände von LKW-Flotten gemietet und mit Plakaten im Großformat des 18/1-Bo-
gen bezogen werden. Für diese Art von Werbung wurde das Riesenplakat 3 M-
Scotch-Print entwickelt, ein Farbbild auf Folie, das auch in der Schaufensterwer-
bung und auf Messeständen verwendbar ist. Das Blow-up-Riesenplakat ist eine
Großfläche, die auf der Verkleidung von Baugerüsten in innerstädtischen Berei-
chen, vorzugsweise bei Um- und Neubauten, angebracht wird. Die zuletzt ge-
nannten Werbemöglichkeiten sind bereits Ausdrucksformen, die das klassische,
überkommene Erscheinungsbild des Plakats erheblich hinter sich gelassen haben.
Unter Sonderstellen - auch Spezialstellen fallen diejenigen Anschlag-
stellen, die nicht den Allgemeinstellen, Ganzstellen und Großflächen zuzurech-
nen sind, sondern hinsichtlich Format, Verwendungsmöglichkeit, Standort und
Einsatzdauer abweichen. Es handelt sich um behelfsmäßige Anschlagflächen
bzw. Anschlagflächen zur vorübergehenden Verwendung, die hauptsächlich der
Plakatierung von Wahlaufrufen, örtlichen Großveranstaltungen, Zirkusvorstellun-
gen o. ä. dienen, und zwar meist in Form von transportablen Sondertafeln, auch
Kleinsäulen, die nach Ablauf der Veranstaltungen wieder verschwinden und für
Wirtschafts werbung - von Ausnahmen kurz vor und kurz nach einer Wahlkam-
pagne abgesehen - nicht zur Verfügung stehen. Man denke hier auch an die
Dreieckständer oder die Sandwichtafeln, die an Latemenpfählen, Bäumen,
Pollern, Treppengeländern, Brüstungen etc. angebracht sind und etwa auch Feste
ankündigen oder während Wahlkämpfen entlang von Straßen üblich sind. Eine
weitere Erscheinung, die besonders in der Nachkriegszeit vorhanden war, ist die
vorübergehende Vermietung von Bauzäunen und Schaltkästen für Werbezwecke:
Von ihr wird erst in jüngster Zeit vielfach wieder gezielt Gebrauch gemacht,
nachdem jahrelang dort ein gänzliches Anschlagverbot zu beobachten war bzw.
ungeachtet dessen der Wildanschlag praktiziert und geduldet wurde.
Blickt man auf die Anzahl der Plakatstellen in Europa, so läßt sich erkennen,
daß die dichteste Verteilung in der Schweiz liegt, gefolgt von Österreich und
Finnland; am niedrigsten fällt sie in Spanien aus. Die Bundesrepublik Deutsch-
land bleibt dabei im letzten Drittel. Ende 1938 standen im gesamten Gebiet des
damaligen Deutschen Reiches 59300, im Bundesgebiet (einschließlich West-
Berlin) um 1955 rund 4 5 0 0 0 Anschlagstellen. Diese Zahl erhöhte sich bis 1962
auf ca. 65 000, um stetig zuzunehmen, wenn auch mit unterschiedlicher Gewich-
tung bei den einzelnen Plakatträgern. Die Entwicklung für die Großflächen lief
von 3 1 2 3 5 Großflächen (1966) über ca. 7 0 0 0 0 im gesamten Bundesgebiet mit
West-Berlin im Jahre 1968 auf 2 2 9 1 1 4 im Jahre 1993 (einschl. neue Bundes-
länder) hin. Laut Stamms ,Leitfaden durch Presse und Werbung' verteilten sich
auf das Bundesgebiet 1996 6073 Allgemeinstellen, 15468 Ganzstellen, 2 1 5 9 0 0
Großflächen, 423 Kleinflächen, 6 5 4 1 6 City-Light-Poster. Aufgeschlüsselt nach
Bundesländern nahmen bei den Allgemeinstellen Nordrhein-Westfalen, Baden-
Württemberg und Niedersachsen die Spitzenplätze ein, während die neuen Bun-
Plakatierungsfirmen 27
desländer bei fast allen Werbeträgern noch Schlußlichter markierten, mit Aus-
nahme von Sachsen, das dort an der Spitze lag und im Bundesgebietsvergleich
im Mittelfeld zu finden ist. City-Light-Poster sind am stärksten in Nordrhein-
Westfalen vertreten mit weitem Abstand zu den anderen Bundesländern. Gene-
rell kann man bei Allgemeinstellen eine leicht abnehmende Tendenz, bei Ganz-
stellen eine leichte Zunahme beobachten, Schwankungen bei Spezialstellen und
Großflächen sowie eminente Zuwächse beim City-Light-Poster.
4.3. Plakatierungsfirmen
Für die Bestückung der Anschlagstellen sind in der Regel die Plakatinstitute
zuständig. Die hier entstandene Zusammenarbeit zwischen Werbetreibenden,
Herstellern und Plakatierungsgesellschaften entwickelte sich schnell zu einem
Verhältnis, das sich zunehmend auf der Organisation der Verteilung mittels ge-
nau aufeinander abgestimmter Klebepläne und auf speziell ausformulierten, die-
sen Bereich regelnden Geschäftsbedingungen gründete (vgl. 5.2.). Diese bis
heute gültige und fortwährend weiter verbesserte Koordinierung von einzelnen
Kampagnen wurde notwendig, um im ständig wachsenden Markt die Übersicht
zu behalten und unlautere Konkurrenz zu unterbinden.
Ab den 1850er Jahren begannen in der Nachfolge Litfaß' auch andere Ge-
sellschaften, das zersplitterte Angebot und die zerstreute Nachfrage auf dem Ge-
biet der Plakatwerbung straffer zu organisieren. Die Anschlaggelegenheiten ver-
blieben zumeist im Besitz der jeweiligen Stadt, während die Unternehmer le-
diglich als Pächter auftraten, doch wurde dies in den einzelnen Staaten unter-
schiedlich gehandhabt. Alle größeren Städte in Europa verfügten kurz vor dem
Ersten Weltkrieg über solche Einrichtungen. Teilweise waren dies Druckereien
(in Berlin z.B. als Litfaß' Nachfolgerin die Firma Nauck & Hartmann), teils
aber auch extra für diesen Zweck gegründete Unternehmen, teils städtisch, teils
privat. Ab ca. 1921 versuchten die deutschen Kommunen, eine Lösung auf
gemischtwirtschaftlicher Basis durchzuführen. 1922 entstand in Frankfurt/Mün-
chen die .Deutsche Städtereklame' (DSR), die für die Etablierung der DIN-
Formate sorgte und die ihr anvertrauten Anschlagsäulen nur an ausgesuchten
Verkehrsknotenpunkten aufstellte, etwa pro 1000 Einwohner eine Säule. 1921
wurde die .Berliner Anschlagwesen- und Reklame G.m.b.H.' (,Berek') gegrün-
det. Bei ihr handelte es sich um eine gemischtwirtschaftliche GmbH in kom-
munaler Regie, die in der Hauptstadt nach der Bildung von Groß-Berlin mit ca.
3000 Plakatsäulen die meisten öffentlichen Anschlagmöglichkeiten besaß und
diese an die Werbetreibenden vermietete.
Plakate wurden schon ab der Jahrhundertwende auch an Straßenbahn- und
Bushaltestellen und auf U-Bahnhöfen, vorher auch schon entlang von Eisen-
bahnlinien und auf Bahnhöfen verbreitet. Die Eisenbahnen besaßen bereits vor
28 Verteilung
4.4. Klebung
Die Preise für Plakatwerbung werden pro Tag und pro gebuchtem Werbeträ-
ger ausgewiesen. Berechnet wird nach Tagen und Plakatgrößen. Grundlage bei
den Allgemeinstellen ist der Bogentagpreis, das sind die Kosten für das An-
schlagen eines Plakats in der Größe von 1/1 Bogen an einem Tag und an einer
Stelle. Ein 2/1-Bogen-Plakat kostet das Doppelte, ein 3/1-Bogen das Dreifache
usw.
Vor dem Plakatieren wird die Oberfläche der Anschlagstelle - vor allem der
Säule mit geeignetem Papier unterfüttert. Plakate müssen seit 1964 nach DIN-
Norm 683 paßgenau geklebt werden. Geklebt wird mit einem witterungsbestän-
digen Spezialkleister. Mitunter wird nach Klebevorlagen gearbeitet, z.B. mit
verkleinerten Abbildungen für 18/1-Bogen-Plakate als Großflächen, die die
Teilungslinien und die Nummern der Druckbogen enthalten. Plakate in kleineren
Auflagen werden gerollt oder in Kartons versandt. Ab ca. 300 Stück erfolgt die
Anlieferung auf Europaletten. Dabei werden die einzelnen Plakatteile gesammelt
und aufeinanderliegend - keinesfalls bereits sortiert - angeordnet. Im Versand-
lager werden die einzelnen Teile dann gefalzt, sortiert, zusammengetragen und
für die Klebung vorbereitet.
Von Schachbrettklebung spricht man, wenn eine Großfläche mit mehreren
kleinformatigen Plakaten beklebt wird und diese zwecks Erhöhung der Sicht-
wirksamkeit durch benachbarte weiße oder andersfarbige Flächen voneinander
getrennt werden.
5. Juristische Aspekte
Die „einzelnen Regelungen des Werberechts bilden insgesamt ein schwer über-
blickbares Flick- und Stückwerk" (Koschnik 1996, 1131). Diese Feststellung gilt
seit jeher, die Teilbereiche verbergen sich in zahlreichen unterschiedlichen
Rechtsgebieten. Ein spezieller Grundzug ist, daß es in der Regel um Schranken
geht, die der Werbung vom Recht gesetzt werden und die alle Werbemedien
betreffen. So sah sich auch das Plakat von Anfang an juristischen Reglementie-
rungen unterschiedlichster Art ausgesetzt. Im Jahre 1914 schrieb der Mann-
heimer Jurist Ludwig Lindner, seinerzeit Syndikus des , Verbandes der Reklame-
Interessenten e.V.', in seiner Artikelserie ,Die Plakatreklame und die Beschrän-
kung der Plakatfreiheit':
Gerade die Oeffentlichkeit des Plakats bringt es auch mit sich, daß keine Reklameart
gleich vielseitigen Rechtsbeziehungen unterworfen ist. Denn je intensiver eine Erschei-
nung des Verkehrs- und Wirtschaftslebens die Oeffentlichkeit beschäftigt, desto ra-
scher und vollständiger drückt ihr die Rechtsordnung den Stempel auf (Lindner 1914,
57-58).
Niemand darf auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen oder an andern öffentli-
chen Orten, Druckschriften oder andere Schriften ausrufen, verkaufen, vertheilen,
anheften oder anschlagen, ohne daß er dazu die Erlaubnis der Orts-Polizeibehörde
erlangt hat und ohne daß er den Erlaubnisschein, in welchem sein Name ausgedruckt
ist, bei sich hat [...].
32 Juristische Aspekte
und 1914 unter §1, wobei gleichzeitig auch der Aspekt der Selbstkontrolle
anklingt:
Plakattafeln wirken in der Regel im Orts- und Straßenbild durch die Größe und die
vielen verschiedenen, dicht nebeneinander angebrachten, schlecht aufgeklebten und oft
zerrissenen Plakate verunstaltend (Hellweg, Anhang, Teil IV, 274).
Die sittliche, geistige und gesundheitliche Entwicklung der Jugend wird gefährdet und
in ihrer Phantasie überreizt. 1. Durch die Darstellungen, in denen geschlechtliche
Beziehungen zum Ausdruck kommen, sei es durch lüsternen Gesichtsausdruck, durch
Bekleidung und Haltung oder durch sonstige Umstände. [...] 2. Durch alle Darstellun-
gen von Roheiten, Gewalttätigkeiten und verbrecherischen Handlungen. Durch alle auf-
regenden Darstellungen [...] (zit. nach Kamps 1997, 138).
34 Juristische A s p e k t e
Von den zahlreichen indizierten Beispielen, die einer der Kommentatoren des
Gesetzes, Ernst Seeger, 1932 erwähnt, sei hier nur eines herausgegriffen:
Der Entwurf zeigt eine Tänzerin im Revuekostüm mit extatisch [sie!] geschlossenen Au-
gen und sinnlichem Gesichtsausdruck. Sie wird umringt von farbigen Männern mexika-
nischen Aussehens, deren einer seinen Arm um ihre unbekleidete Hüfte gelegt hat.
Durch den sinnlichen Gesichtsausdruck der wenig bekleideten Tänzerin und die Art, wie
einer der dargestellten Männer ihren Unterleib umspannt, wird die Phantasie jugend-
licher Zuschauer auf das Geschlechtliche hingelenkt (zit. nach Kamps 1997, 139).
Nacktheit galt lange Zeit nur dann als abbildbar, wenn es sich um ethnologische
Motive handelte. Heute ist sie in fast allen Werbebereichen ein wesentlicher
Faktor.
Auffallend ist, daß einerseits zahlreiche Plakate Szenen enthalten, die eigent-
lich dem Verbot hätten anheimfallen müssen, andererseits aber beispielsweise
Kußszenen so gut wie überhaupt nicht vorkommen bzw. auffallend „dezent"
gestaltet sind. Im Großen und Ganzen ist zu vermuten, daß letztlich durch eine
Art Selbstzensur Einfluß auf die Gestaltung genommen wurde. Interessant ist
auch, daß offenbar, zumindest in den frühen 1920er Jahren, für Tanz-, Revue-
und Varietéplakate die verschärften Bedingungen nicht in gleichem Maße galten,
wie aus der Zensurschelte eines namhaften Grafikers in der Zeitschrift ,Das
Plakat' hervorgeht:
Wie Herzfeld (1929, 787) zu verstehen gab, spielten auch politische Gesichts-
punkte bei der Plakatzensur eine Rolle, da es sich nicht minder verstehe, „daß
solche ästhetischen Urteile immer politische verbergen und daß kein Plakat von
lebendig sozialer Auffassung die Zensur durchläuft." 1933 bis 1945 funktionier-
te die Plakat-Zensur als politische und als geschmackliche Zensur. Natürlich
standen auch Stilfragen unter behördlicher Aufsicht. Im Jargon der Zeit als
„entartet" geltende Gestaltungsmittel waren spätestens ab 1937 nicht mehr
zugelassen.
Nach 1945 fiel das Plakat - in der Bundesrepublik - unter die durch das
Grundgesetz garantierte Pressefreiheit. Das Reichspressegesetz galt allerdings
noch bis 1966, als es durch die weitgehend in den 1960er Jahren erlassenen
Landespressegesetze abgelöst wurde. Diese - sie ähneln sich und besitzen ζ. T.
identische Paragraphen kennen im Gegensatz zu den früheren Jurisdiktionen
keine eigenen plakatbezogenen Regelungen. Rechtliche Konsequenzen ergeben
Reglementierungen des Plakats 35
sich aus den Auslegungen und Kommentaren, wonach Plakate eben durch An-
schlagen, Ausstellen oder Auslegen in der Öffentlichkeit verbreitete Druckwerke
im Sinne von §7 LPG (Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-
Anhalt und Thüringen: §6, Hessen: §4) sind (vgl. Löffler 1983, 4, 69, 223f„
372ff.). Sie unterliegen dabei den einschlägigen Vorschriften über den Jugend-
schutz, die Verbreitung gefährdender Schriften, pornographischer Bilder und
Texte, den Bestimmungen über verbotene Organisationen etc. (Presseinhalts-
Delikte, vgl. Löffler 1997, 872ff.). Für deren Einhaltung sind der Hersteller wie
auch der Plakatuntemehmer verantwortlich. Letzterer besitzt das Recht, den
Richtlinien nicht entsprechende Exemplare zurückzuweisen. Dies ist jedoch
mitunter Ermessenssache. So ist es vorgekommen, daß die veraltete Beurtei-
lungskategorie „Verstoß gegen die guten Sitten" zum Vorwand genommen
wurde, Plakate für AIDS-Aufklärungskampagnen abzulehnen. Ein wesentlicher
Punkt des Presserechts ist die Impressumspflicht nach §8 LPG (vgl. Löffler
1983, 398ff.; Löffler 1997, 454ff.): Auf dem Plakat müssen Name des Herstel-
lers bzw. der auftraggebenden Firma, Partei, Organisation etc. sowie Name und
Ort der Druckerei genannt werden. Filmplakate unterliegen seit 1953 der Frei-
willigen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft.
Der wilde Anschlag ist nach § 303 StGB verboten und erfüllt den Tatbestand
der Sachbeschädigung, kann aber auch nach § 360 Ziffer 11 StGB als grober
Unfug gewertet werden. Ebenso wird das Abreißen und Beschädigen von Plaka-
ten als Sachbeschädigung nach §303 gewertet. Das vorsätzliche Beschädigen
von Anschlagtafeln und Säulen (Abriß, Demolierung) fällt zusätzlich unter § 304
und kann mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden; dies wird vor allem
im Fall von Wahlplakaten hervorgehoben. Auch können zivilrechtliche Scha-
densersatzforderungen seitens der betroffenen Eigner geltend gemacht werden.
Was den Zusammenhang von Verkehrssicherheit und Anschlag betrifft, so
können Plakate laut § 42 Straßenverkehrsordnung verboten werden, wenn sie den
Verkehr beeinträchtigen, dies jedoch nur außerhalb geschlossener Ortschaften.
Insgesamt unterliegt das Recht der Außenwerbung auch den jeweiligen Landes-
bauordnungen, die sich den EU-Richtlinien anpassen müssen.
Über die in den vergangenen Jahren wiederholt in die Diskussion gebrachte
Möglichkeit, aus gesundheitspolitischen Gründen z.B. die Plakatwerbung für
Tabakwaren oder scharfe alkoholische Getränke ganz zu verbieten, besteht
rechtliche Unsicherheit. Um hier selbst einzugreifen, haben sich z.B. die dem
Verband der Zigarettenhersteller angehörigen Unternehmen gegenüber dem
Bundesgesundheitsminister verpflichtet, „an Straßen und Haltestellen um Schu-
len und Jugendzentren sowie in dem vom Haupteingang von Schulen und
Jugendzentren aus einsehbaren Bereich bis zu einhundert Meter Entfernung
keine Plakatwerbung für Zigaretten mehr zu schalten" (Werbung in Deutschland
1995, 313). Auch hier sind Bestrebungen seitens der EU im Gange, die ein
völliges Werbeverbot vorsehen.
36 Juristische Aspekte
Besonders heikel wird die Rechtsprechung, sobald sie auf die Kategorie der
„schockierenden Werbung" angewendet werden soll. Auch hier besteht weit-
gehende Ratlosigkeit, wie im Fall der Werbung einer renommierten Beklei-
dungsfirma, die in den 1980er und frühen 1990er Jahren mittels erheblicher
Schockeffekte der zur Schau gestellten Motive ihre Produkte anpries. Dabei
wurden die Werbekampagnen durch die tagespolitische Aktualität der Werbemo-
tive publicityträchtig in Szene gesetzt, ohne daß über die Waren oder das
Unternehmen signifikante Neuigkeiten bekannt wurden (vgl. Kassebohm 1995;
Gawert/Middel 1994). Diese Fragestellungen berühren jedoch eher den Bereich
der Werbeethik, ebenso die Werbung mit sexuellen Motiven. Beschwerde- und
Schiedsstelle in solchen Fällen ist der 1972 eingerichtete Deutsche Werberat als
Organ der Freiwilligen Selbstkontrolle der Werbung. Hier werden vor allem die
Themen Diskriminierung von Frauen, Aufforderung zur Gewalt und Verletzung
des religiösen Empfindens thematisiert.
5.2. Geschäftsrecht
Das Recht zur Nutzung von Anschlagfächen auf öffentlichen Wegen, Straßen
und Plätzen wird der Gesellschaft mittels Pachtvertrag von Seiten der Gemeinde
übertragen. Der Pachtvertrag enthält ausführliche Bestimmungen über die
gegenseitigen Rechte und Pflichten und die Verteilung der Anschlagstellen
innerhalb der Ortschaft etc. Geregelt wird das Verhältnis zwischen den einzel-
nen Teilnehmern des Werbekontraktes durch die Allgemeinen Geschäftsbedin-
gungen für den Bogenanschlag, die vom Ausschuß für Außenwerbung im
Zentralausschuß der Werbewirtschaft 1949 zusammengestellt wurden und 1979
eine Neufassung erlebten. 14 Ziffern (früher 19) regeln vor allem die Größe des
Plakats, die Vermietung von Ganzstellen, die Annahme oder Ablehnung von
Plakaten durch das Anschlagsunternehmen, die Auftragserteilung, die Berech-
nung der Kosten für Anschläge und die Zahlungsbedingungen, die Haftung bei
Nichterfüllung von Plakataufträgen, die ordnungsgemäße Anbringung der
Plakate, die Rücksendung nicht verbrauchter Exemplare etc. Erfüllungsort und
Gerichtsstand ist jeweils der Sitz des Anschlagsunternehmens. Die Handhabung
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gilt in Fachkreisen als extrem unflexible
Abwicklung des Plakatierungsverfahrens (vgl. Putze 1997).
Ein weiterer Gesichtspunkt ist das Urheberrecht. Es betrifft einerseits das Ei-
gentumsrecht des Plakatgrafikers an seiner Idee gegenüber dem Auftraggeber,
was auf der Grundlage der jeweiligen Geschäftsbedingungen zwischen den Ver-
tragspartnern auszuhandeln ist, andererseits aber auch und vor allem den Schutz
des Werbetreibenden gegenüber der Nachahmung von Werbeideen durch die
Konkurrenz. Die kreative Eigenleistung des Grafikers bezüglich des Schutzes
vor Plagiaten wurde in der Frühzeit recht einseitig betrachtet. Lindner (1914,
Geschäftsrecht 37
Teil 3, 138), schreibt hierzu: „Nur den originellsten Entwürfen der besten Pla-
katkünstler, wie eines Bernhard, Hohlwein, Gipkens, Klinger, Pirchan, Kainer,
dürfte dieser reine Kunstschutz zuzubilligen sein [...]."
Wie die gesamte Werbung unterliegt auch das Plakat den Bedingungen des
Wettbewerbsrechts. Demnach ist vergleichende Werbung unzulässig nach § 1 des
Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und nach § 3 (irreführende
Angaben) - gegenüber beispielsweise den USA - , soll aber in den kommenden
Jahren via EU-Recht erlaubt werden. Allerdings haben inzwischen verschiedene
Gerichte abweichende Meinungen dahingehend vertreten, sie könne in Ausnah-
mefällen durchaus eingesetzt werden, wenn sie sachlich und wahr ist und z.B.
aus Gründen des Verbraucherschutzes angewandt wird. Die Beweislast liegt je-
doch im Konfliktfall beim Werbetreibenden (vgl. Koschnik 1996, 957 959). Ab-
bildungen auf Plakaten unterliegen ebenfalls dem UWG §5, Abs. 3, wonach sie
nicht irreführend sein dürfen.
6. Theorien des Plakats
Die Quellen lassen erkennen, daß schon in seiner Hochphase versucht wurde,
das Plakat auch theoretisch zu hinterfragen. Die Ausgangsbedingungen für eine
Bilanz sind äußerst defizitär. Die wenigsten plakatgeschichtlichen Arbeiten be-
handeln Theoriebildung. Ebenso selten werden Werbetheorien mittels Plakaten
exemplifiziert; dies geschieht zumeist anhand von Zeitungsanzeigen - in jünge-
rer Zeit häufiger noch Werbespots - oder in einem mitunter recht vagen überge-
ordneten Bezug der „Werbebilder". Folglich existieren im allgemeinen fachli-
chen Bewußtsein keine literarisch fixierten Plakattheorien in der Art und Weise
wie z.B. Filmtheorien oder eine Theorie des Kinos. Gleichwohl läßt sich im
Laufe der modernen Plakatgeschichte eine unterschiedlich starke Bereitschaft
zu einer Theoriebildung erkennen. Auch waren und sind Theorien in eine Stel-
lenwertdiskussion innerhalb des Werbeapparates eingebunden, dabei - trotz ge-
wisser Konstanten eben auch Widerhall des ständigen medialen Wandels.
Ebenso sind sie Spiegel allgemeiner soziokultureller Strömungen, was die
Komplexität eines Versuchs ihrer Bündelung zusätzlich unterstreicht.
Zur Theorie des Plakats äußerten sich bis heute u. a. Kunstwissenschaftler,
Werbefachleute, Psychologen, Kommunikationswissenschaftler, Publizisten, Me-
dientheoretiker. Gleichfalls von Interesse sind Selbstzeugnisse von Plakatgra-
fikern wie etwa Jules Chéret, Leonetto Cappiello, Jean Carlu, Julius Klinger,
A. M. Cassandre, Jan Tschichold. Vieles ist allerdings lediglich als Statement
bzw. Aperçu, selten als durchformulierte Theorie zu bewerten. Die Erforschung
der weit verstreuten Materialien steckt noch in den Anfängen. Deutlich wird
aber der Wandel von den „naiven" Betrachtungen der Frühzeit hin zu kom-
plexeren Sichtweisen.
Umfassender als in Deutschland wurde das Plakat innerhalb der Werbetheo-
rie Frankreichs debattiert. Mit Albert Halters Dissertation (1992) liegt ein erster
Schlüssel zur dortigen Diskussion zwischen 1900 und 1930 vor. In der anglo-
amerikanischen Theoriebildung stehen eher gesamte Werbestrategien im Mittel-
punkt. Die ersten plakattheoretischen Gedanken vor 1900 kamen aus dem
Kunstbereich. Schon damals ging es um Form und Funktion des Plakats, sein
Werbezweck wurde aber noch ästhetischen Kategorien untergeordnet (z.B.
Chéret 1896). Die deutsche Kunstdebatte um das Plakat verband sich vor allem
A l l g e m e i n e r Überblick 39
mit Herbert Tannenbaum, Paul Mahlberg, Adolf Behne, Paul Westheim. Von
werbewirtschaftlicher Seite trat u. a. Ernst Growald hinzu, dessen ,Plakatspiegel'
(1904) jedoch keine ausformulierte Theorie, sondern eine thesenartige Manife-
station darstellt. Wichtig als Diskussionsforum wurden die Zeitschriften (vgl.
8.4.2.). ,Kaindls Schriften über Reklame', erschienen 1928, geben einen Ein-
druck von der Fülle der bis dahin erschienenen deutschsprachigen Fachliteratur;
nur sehr wenigen Titeln wird man allerdings ernsthafte Beiträge zur Theorie des
Plakats zubilligen können.
Neue psychologische Erkenntnisse in England und Amerika wirkten sich auf
die kontinentaleuropäische Werbewissenschaft aus. Seyffert (1929) definiert in
seiner mehrfach neugefaßten Werbelehre das Plakat analytisch als Komplex von
Werbeelementen und Werbefaktoren. Fast alle deutschen Autoren berufen sich
auf ihn. Wichtig wurde ebenso Königs 1924 zum ersten Mal erschienene und
wiederholt aufgelegte ,Reklame-Psychologie' und der Aufsatz .Psychologie der
Reklame' von Moede (1920). Besonders den französischen Publikationen war
das Bemühen um eine wissenschaftliche Fundierung der Reklame auf der
psychologischer Grundlage gemeinsam: Mit Arrens ,La publicité lucrative et
raisonée' erschien 1909 das erste umfassende werbetheoretische Buch in Frank-
reich, zahlreiche folgten und behandelten das Plakat im Kontext, jedoch nur
,Les affaires et l'affiche' (1922) von Dermée und Courmont trug den Gegen-
stand selbst im Titel und gestand ihm Priorität zu. Die NS-Zeit brachte in
Deutschland vor allem - keineswegs zufällig - eine Betrachtung des politischen
Plakats (Schockel 1938, Medebach 1941).
Fast gleichzeitig wurden - aus heutiger Sicht die bislang faßbaren Funda-
mente schwächer. Die wesentlichen Argumentationen zu Form, Inhalt, Funktion
und Dasein des Plakats waren schon zu Beginn der 1930er Jahre ausgetauscht.
Späteres wiederholte und variierte die Grundgedanken, lediglich das Vokabular
wandelte sich. „Reklame" wurde zur „Werbung", aus „Blickkontakt" ein Prozeß
„visueller Kommunikation". Max Benses Studie ,Plakatwelt' (1952) öffnete den
Blick auf Wechselwirkungen zwischen Lebensbereich und Plakaten. Mit sozial-
psychologisch-philosophischen Sehweisen wurde das Plakat als „Werbung für das
riesige Kaufhaus der großen Welt" (de Haas 1953) bzw. als „Esperanto unseres
Jahrhunderts" (Schön 1954) bezeichnet. Den „Plakatjargon" (Walter Jens, zit. n.
Hundhausen 1961, o.S.) erklärte man zum sprachlichen Widerhall des Zeitalters
der abstrakten Verdichtung. Neue allgemeine theoretische Ansätze wurden auf die
Werbung übertragen, wie etwa Informations-, Zeichen- und Kommunikations-
theorie (vgl. Moles 1970), ein mit der zunehmenden Historisierung des Plakats
seit den späten 1950er Jahren einhergehender, nicht immer ganz unproblemati-
scher Prozeß. Allerdings entstand in diesem Zuge eine Fülle von Theoriegedan-
ken, in denen das Plakat selbst kaum oder gar nicht mehr Erwähnung fand.
Eine Konstante der Plakattheorien von der Frühzeit an ist das visuelle Erle-
ben des Rezipienten innerhalb der modernen Großstadt. Das Plakat treffe auf
40 Theorien des Plakats
Aber auch auf der Straße ist nicht jedes Plakat für den Eiligen gedacht. Die unzähligen
Schriftplakate verlangen nach Lektüre, ebenso jene Plakate, wo zum Bild eine Ge-
schichte, ein Aufruf oder anderes Kleingedrucktes gestellt worden ist. Hier mag
manches Fließtext sein. Aber für die Passanten fehlt hier oft das visuelle Lasso eines
Schlagwortes. Nur das modern konzipierte Bildplakat mit knappster Parole kann für
den Eiligen gedacht sein. Aber schon wenn zwei oder mehrere Bilder auf einem
Plakatblatte zusammen- oder gegenübergestellt werden, bedarf es des Verweilens und
Mitdenkens.
Ich fürchte, in der Idee des Plakats liegt an sich schon etwas wesentlich Vulgäres,
sofern es sich nicht auf die einfache Ankündigung von Anordnungen beschränkt oder
zu einer Art von Heraldik oder Schildermalerei wird. Die bloße Tatsache laut schreien
zu müssen, diese Assoziation zu ordinärer Marktschreierei, steht im Gegensatz zum
Künstler und ist eine unerträgliche Belastung für ihn [...] (so Walter Crane 1892, zit.
nach Barnicoat, 135).
Mahlberg (1913, 200) betont vor allem den Signalcharakter des Plakats in-
nerhalb der Metropole. Es tauge folglich nicht zum Erzählen von Geschichten,
denn „davon bleibt im Autobusfenster bei der Vorüberfahrt nichts hängen." An
die Stelle realistischer Bildform habe demnach „plakatistische Stilisierung" zu
treten, die Mahlberg als „konsequente Abstraktion auf das Notwendige unter
Verzicht auf das zum klaren Ausdruck Unwichtige" bezeichnet. Für den Grafi-
ker Hiroshi Ohchi (1957, 10) ist - um den Bogen über die Jahrzehnte zu span-
nen - die Abstraktion im Plakat „eine Form der Gestaltung, die absolute Einheit
zwischen Idee und Ausdrucksfähigkeit bedingt, um auch in der Vorstellungskraft
des Publikums als Begriff existieren zu können". Um Aufmerksamkeit zu
erregen, sei es deshalb für das Plakat notwendig, „unnötige Details aus der Ge-
samtform auszuscheiden." Sein Kollege Sutnar (1953/54, 26) geht pragmatisch
vor und teilt die Plakate diesbezüglich nach solchen ein, die sich an den Auto-
fahrer wenden und solchen, die für den Fußgänger bestimmt sind. Die visuelle
Gestaltung ersterer müsse auf die „einfache Unmittelbarkeit reduziert werden,
die ein Verkehrszeichen aufweist". Details sollten so weit ausgeschaltet sein,
daß das Plakat schließlich „wie eine bildhafte Kurzschrift erscheint, die leicht
zu lesen ist, die man leicht im Gedächtnis behält." Demgegenüber könnten Pla-
kate, die den Fußgänger ansprechen, das Detail stärker berücksichtigen.
Müller-Brockmann (1971, 14) faßt die in diesem Zusammenhang wichtigen
Gestaltungskriterien zusammen:
42 Theorien des Plakats
Damit die Gestaltung kompakt wirkt, sollen die Darstellungselemente [...] kompositio-
neil auf einander bezogen sein. Die Elemente sollen sinngemäß geordnet sein, um Im-
pulse und Informationen in der gewünschten Reihenfolge zu wecken bzw. vermitteln.
Die Formelemente sollen durch starke Kontraste und spannungsreich gegliederte
Fläche eine problemlose, schnelle Lesbarkeit ermöglichen. Die diagonale Komposition
erzeugt dynamische Wirkung. Rhythmisierte Formelemente haben ebenfalls eine
dynamische Wirkung. Der richtige Beschnitt des Motivs unterstützt die monumentale
Wirkung. Horizontale und vertikale Formelemente mit harmonischer Komposition
können eine statische Form bilden. Die Bildform soll in der Gesamtform transparent
erscheinen. Der Gegenstand, stilisiert, typisiert und von jedem überflüssigen Detail be-
freit, wird dadurch wesentlicher, objektiver, zeitloser. Das Überschneiden transparenter
Formen steigert die Dynamik, Rhythmik, Tiefenwirkung, Eleganz und Leichtigkeit der
Bildformen. Expressive zeichnerische Linienführung kann das psychische Verhalten
des Betrachters beeinflussen. Eine Diagonale von unten nach rechts oben scheint anzu-
steigen, die andere abzusteigen. Die Bildelemente auf der rechten Seite sehen schwerer
aus als auf der linken.
Die Farbe kann als Symbolträger bei sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kultu-
rellen Aktionen die Absicht untermalen. Die Farbe lässt sich als Gegenstandsfarbe
einsetzen. Die Farbe kann Vermittlerin einer bestimmten Atmosphäre sein. Die Farbe
als experimentelle Äußerung mit starker Innovation kann in Bann ziehen. Die Farbe
kann ein rhythmisierendes Element sein. Die Farbe als expressives Ausdrucksmittel
psychischer Zustände kann Situationen erhellen. Die Farbe als Kommunikationsmittel
kann Vorgänge erleichtern und Prozesse beschleunigen. Die Farbe kann verbindendes
Element bei Serien-Plakaten sein.
schreibt, sie liefere „gewissermaßen den Schlüssel zum Bilde und ist sozusagen
dessen Apologie pro vita sua." Sie müsse so eingerichtet werden, „daß sie das
Plakat in augenfälliger Weise interpretiert, ohne doch die künstlerische Wirkung
zu zerstören." Adolf Behne (1923/24, 400) äußert sich, sie erlaube „kein Aus-
spielen persönlicher, individueller Stimmungen und Neigungen. Oberstes Gesetz
ist stets: vollkommenste Lesbarkeit. Denn jede andere Einstellung hübe den Sinn
der Schrift, Mitteilung an alle zu sein, logisch auf. Die Schrift kann doch nie
und nimmer durch den Inhalt der Mitteilung beeinflußt werden, sondern stets
nur durch die Besserung der Mitteilungstechnik!" Sie soll also keineswegs
inhaltlich bestimmt sein, sondern sich durch sachliche Neutralität auszeichnen,
wobei Behne sich gedanklich den um diese Zeit auftretenden ersten Protagoni-
sten der Neuen Typographie zur Seite stellt.
Auch für Walter Dexel ist 1925 Sachlichkeit eine Grundbedingung:
Der Text ist zu ordnen nach seiner Bedeutung und bestimmt die äußere Form des Gan-
zen. Große Schrift sagt das wesentlichste, kleinere das, was sonst noch unumgänglich
scheint, gute klare leicht lesbare Schrift ist die Grundbedingung aller Außenwerbung.
Sogenannte Kunstschriften können wohl den Blick des Passanten auf sich lenken, aber
seine Gedankengänge knüpfen sich an das Schriftbild statt an den Inhalt des Gesagten.
Solche Art Schrift nimmt zuviel Aufmerksamkeit für sich in Anspruch, die Form über-
wiegt den Inhalt, das Mittel den Zweck, die Kunst drängt sich vor und die Wirkung
bleibt aus (zit. nach Grözinger 1994, 26).
Cassandre (1928, 153) bezeichnet den Schriftzug als den konkreten Ausgangs-
punkt für die Plakatgestaltung, geradezu als das Zentrum der Komposition. Daß
ihm seitens der Werbetheorie die Aufgabe zukam, dem Publikum die magische
Verkaufsformel zu übermitteln, spitzt er in der Aussage zu: „L'affiche n'est pas
un tableau. C'est avant toute chose un mot" (zit. nach Halter 1992, 15).
Es gibt zweierlei Arten von Schrift auf Plakaten, die in die Bilddarstellung
integrierte und die außerhalb des Bildteils piazierte Schrift. Erstere wertet
Müller-Brockmann (1971,14) als „Bestandteil der Bildinformation. In der Erin-
nerung verschmelzen beide Elemente untrennbar miteinander." Letztere er-
scheint „als Teil der Gesamtkomposition, wenn sie in Größe und Farbe propor-
tional und kompositionell mit den übrigen Teilen des Plakats verbunden und die
Schriftfarbe im Bildteil wieder enthalten ist oder dort ihre komplementäre
Entsprechung findet." Das Überschneiden von Schrift und Bild, zum Beispiel
eines Produktnamens oder einer Produktmarke mit der Produktform fördere die
Bildeinheit.
Gerade das Verhältnis von Wort und Bild war u. a. die Grundlage, das Plakat
gegenüber Kunstwerken wie dem Gemälde abzusetzen: Ein Gemälde, das der
Worte benötige, sei kein Gemälde. Ein Plakat hingegen wolle die Worte. Ein
künstlerisch geprägtes Wort, das des Bildes bedürfe, sei unkünstlerisch. Das
Wort im Plakat dagegen wolle das Bild, „weil es nur geprägt wird, um mit dem
44 Theorien des Plakats
Bilde eine höhere Zweckgemeinschaft einzugehen, mit ihm eine höhere Zweck-
einheit zu bilden" (Knatz 1918, 286). Im Plakat könne - um der stärkeren ge-
meinsamen Wirkung willen - das Bild wie das Wort auf einen Teil seiner Wir-
kung verzichten.
Die Polarisierung Kunst vs. Werbemittel betraf jedoch vor allem die Idee
von einer „Galerie der Straße": Schon für Sponsel (1897, 14), den Verfasser der
ersten deutschen Darstellung des internationalen Plakatschaffens, ist das Plakat
„vielleicht der mächtigste Agent in der Erziehung des Volkes zum Kunstempfin-
den und zum Kunstbedürfnis." Von Rheden (1903, 308) äußert sich wie folgt:
Durch den steten, sich immer wiederholenden Anblick von künstlerisch Wertvollem
gewöhnt sich das Auge an die schöne Linie und wird der Geschmack in gewissem
Grade unbewußt veredelt und geläutert. So kann also auch die Geschäftswelt bei der
ästhetischen Erziehung des Volkes mitwirken.
An anderer Stelle ist in dieser Hinsicht zu lesen: „Das moderne Plakat stellt
eines der vorzüglichsten und wirksamsten Mittel dar, allen Volkskreisen die
charakteristischen Seiten der Kunst zu übermitteln" (Möbs 1914, 80). Diese
Kultivierung „des Bildplakats zu einer ,Kunst der Straße' und Kunst für alle in
einem demokratischem Sinn war das Verdienst der Künstler des Jugendstils, die
mit der Versöhnung von Kunst und Leben die Ästhetisierung des Alltags als
eine ihrer ersten Aufgaben erkannten" (Schmidt-Linsenhoff 1985, 8 - 9 ) .
Dagegen äußerte sich schon 1908 Paul Westheim. Er stellte den reinen
Werbezweck der Plakate heraus und verneinte alles darüber Hinausweisende: Es
sei nicht die Aufgabe des Plakats, so Westheim, „neue Werte zu verkünden oder
den Kreis der menschlichen Empfindungen zu erweitern, sondern den alltägli-
chen Neigungen der Vielen zu schmeicheln" (Westheim, zitiert nach Gagel
1971, 2). Mahlberg (1913, 19Iff.) stellte die Idee in den Mittelpunkt seiner
Überlegungen, Plakate seien, wie es der programmatische Titel seines Aufsatzes
schon ausdrückt, ein „Erzieher des Kunstsinns" (Mahlberg 1913, 191), da die
Museen und Kunstgalerien diese Aufgabe nur unvollkommen oder gar nicht
wahrnehmen könnten. Weil die große Masse der Besucher nicht in die Tiefe der
Bilder eindringe, erfülle die Plakatkunst diesen Zweck am besten. Klinger
(1913, 110) wiederum sah sich genötigt, zu betonen: „Wir suchen [...] nicht
Kunst ins Volk zu tragen, weil wir wissen, daß dies eine hohle Phrase ist. Wir
wollen unsere Arbeit gut und zweckentsprechend gestalten", die Reklame sei
„ihrer inneren Natur nach eine wirtschaftliche Sache." Für Tannenbaum (1914,
240f.) muß das Plakat immer „populär sein. Eine Erziehung des Volkes zum
Verständnis des Plakats kann und braucht es nicht zu geben; denn ein Plakat,
das eine Exegese verlangt, mag ein Kunstwerk sein, aber es ist ganz gewiss kein
Plakat; wobei man sich darüber einig sein muß, daß die Möglichkeiten des Pla-
kats - am Maßstab großer Kunst gemessen - verhältnismäßig gering sind." Noch
Werbetheoretische Aspekte 45
bei Waetzold (1964) heißt es hingegen, Plakate seien „die Hieroglyphen ihrer
Zeit, ihre [...] Bildsprache prägt das Gesicht unserer Welt [...]. Als öffentliche
Kunst konfrontiert sie den Mann auf der Straße täglich mit den Problem der
künstlerischen Form unserer Zeit." Und Schirner (1988, 19) meint - jedoch ganz
im Sinne der Pop-art , der flotte Wechsel der Plakate mache sie „zur modern-
sten Kunst, die es gibt."
Diese Debatte betrifft auch das Selbstverständnis der Entwerfer. Cassandre
z.B. betrachtet die Verpflichtung gegenüber der Geschäftswelt als grundlegende
Voraussetzung für sein Schaffen (vgl. Halter 1992, 12ff.). Seine Definition des
Plakats als „machine a annoncer" apostrophiert den Entwurf als rein technisches
und kommerzielles Problem, das Plakat selbst unverhohlen als Serienprodukt.
Dabei verlange das Plakat den vollkommenen Verzicht auf die Persönlichkeit
des Künstlers. Es sei nur ein Mittel der Mitteilung vom Verkäufer zum Pu-
blikum, „ähnlich [...] wie die Télégraphié" (Cassandre, zit. nach Brendel
1955,3). Dabei spiele der Plakatmaler die Rolle des Telegraphenbeamten, „er
gibt keine Mitteilung heraus, er übermittelt sie nur. Man fragt ihn nicht nach der
Meinung, man verlangt nur von ihm, dass er eine klare, knappe, gute und exakte
Verbindung herstellt." Allerdings sei, so Kossatz (1970, 7), der Plakatsektor ei-
ner der wenigen Bereiche der modernen Kunst, wo das alte Verhältnis zwischen
Auftraggeber und Künstler weiterlebe, was seine Zuspitzung in der These
Schirners (1988, 19) findet, die Entwerfer seien die „Raffaels" bzw. „da Vincis
von Heute" (in: Wündrich 1979).
er Bild, Farbe und Schrift. Die Werbeträger als rein stoffliche Teile - differen-
ziert er nochmals in das Werbesubstrat (das Plakat selbst als den unmittelbaren
Werbeträger), dann den Werbemittler als den mittelbaren Werbeträger (die
Plakatsäule oder die Plakatwand). Der Werbewirker setzt sich für Seyffert aus
mehreren Werbeelementen zusammen, bei denen er inhaltliche, sinnliche und
formale unterscheidet. Beim Plakat sind die inhaltlichen Werbeelemente ge-
danklicher und gefühlsmäßiger Natur. Das sinnliche Werbeelement ist die Farbe.
Als formale Werbeelemente werden Größe, Form, Plazierung, Anzahl bezeich-
net. Die Werbeelemente sind die letzten werbewirksamen Bestandteile des
Werbewirkers. Sie verbinden sich untereinander zu festen, typischen Elementar-
verbindungen, den Werbefaktoren. Diese verkörpern im Werbewirker die Haupt-
träger der Werbewirkung.
Die Werbefaktoren gliedert Seyffert ebenfalls in inhaltliche und formale. Die
inhaltlichen Faktoren bilden in der Mehrzahl mit den ihnen entsprechenden for-
malen Faktoren sogenannte Faktorenpaare. So sind für das Plakat in erster Linie
die Faktorenpaare Bildinhalt-Bildgestaltung und Schriftinhalt-Schriftgestaltung
wichtig. Es bedarf folglich einer durchdachten Abstimmung aller dieser Kom-
ponenten. Bei der Werbewirkung - auch des Plakats - wird von Seyffert in
sechs Wirkungsvorgänge unterschieden: Sinneswirkung, Aufmerksamkeitswir-
kung, Vorstellungswirkung, Gefühlswirkung, Gedächtniswirkung und Willens-
wirkung (1929, 58ff.). In gleicher und ähnlicher Weise stellen Lysinski
(1919/20, 157f.) und König (1924, 32) die Teilwirkungen der Werbewirkung
dar. Moede (1919/20, 200ff.) beschränkt sich auf Sinneswirkung, Aufmerksam-
keitswirkung, Gedächtniswirkung und Willenswirkung.
Für die Werbewirkung und die Aufgabe des Plakats konnte sich die franzö-
sische Theorie auf das schon 1898 entwickelte A.I.D. A.-Konzept berufen
(Halter 1992, 66ff.). Es teilte die Werbemitteilung in vier psychologische
Wirkungsstufen auf: „attirer l'Attention, susciter l'Intérêt, provoquer le Désir,
déclencher l'Achat." Das Plakat solle also die Aufmerksamkeit auf sich ziehen,
das Interesse wecken, das Verlangen herausfordern und somit den Kauf bewir-
ken, eben nicht mehr allein darauf beschränkt sein, als Blickfang zu funktionie-
ren. Im Englischen wird A.I.D.A. in "attention", „interest", „desire" und
„action" aufgelöst.
Die Reklamepsychologie der 1920er Jahre wies dem Perzeptionswert (er be-
zeichnet den Grad der Wahrnehmung) und dem Apperzeptionswert (er nennt die
Fähigkeit des Begreifens) des Plakats große Bedeutung zu. Dermé differenziert
nach „attention volontaire" (der willentlichen, aktiven Aufmerksamkeit) und
„attention spontanée" (der unwillkürlichen, passiven Aufmerksamkeit). Marbe
(1927, 36) betont, die Betätigung der willkürlichen Aufmerksamkeit gegenüber
einer Reklame werde besonders durch einen guten Apperzeptionswert gefördert,
der um so besser ist, je leichter und schneller sie auffaßbar (begreiflich) ist.
Undeutliche Details könnten unter Umständen die unwillkürliche Aufmerksam-
48 Theorien des Plakats
keit leicht erregen und doch einen geringen Apperzeptionswert besitzen. Marbe
(1927, 51) weißt auch auf die Notwendigkeit guter Assoziatonswerte von Bild-
elementen hin. Diese Mitwirkung des Betrachters bedeute kein Minderung des
Werbeeindrucks, sondern sie verankere den übermittelten Werbeinhalt im Be-
wußtsein des erwarteten Konsumenten fester als die bloße Sachdarstellung der
Ware (Brendel 1955, 28). Mataja (1926, 42) betont, das Plakat sei die beste
„Erinnerungsreklame". Das Plakat muß deshalb durch ständige Wiederholung
wirken.
Aufmerksamkeit kann durch die Aktivierung verschiedener Reize erzeugt
werden. Die gestalterischen Elemente eines Werbemittels können alle mensch-
lichen Sinne ansprechen: Es stehen drei Reizkategorien im Vordergrund. Emo-
tionale Reize appellieren an Mitgefühl, Schamgefühl, Angst, Schuldgefühl oder
sinnliche Empfindungen (z.B. erotische Werbung). Auch wird häufig eine Er-
fahrungs- und Wunschsituation des Empfängers assoziiert. Kognitive Reize
stellen die gedankliche Wahrnehmung und das Verständnis des Werbeemp-
fängers vor unerwartete Aufgaben oder Gegebenheiten. Dies kann durch Über-
raschungseffekte geschehen, aber auch durch die Darstellung neuartiger, kom-
plexer, widersprüchlicher und konfliktorientierter Situationen: Diese Art von
Werbung richtet sich in erster Linie an eine vorgebildete Zielgruppe mit einem
von vornherein großen Produktinteresse. Bei physischen Reizen handelt es sich
um formale Aspekte der Werbung wie Farbe, Farbkontraste, Größe, Schärfe. In
der Werbung ist zumeist eine Kombination von emotionalen und physischen
Reizen anzutreffen.
Eine Begründung für die Forderung, das Plakat müsse, um zu wirken, mit
den knappsten Ausdrucksmitteln arbeiten, sieht die Werbefachliteratur der
1920er Jahre in der Eigentümlichkeit des menschlichen Auges, bei flüchtigem
Sehen nur eine bestimmte Fläche zu Bewußtsein zu bringen. Das außerhalb ei-
nes - gedachten - Kreises Liegende bleibe unbeachtet oder komme nur flüchtig
zum Bewußtsein, da es sofort wieder aus der Erinnerung verschwinde. Man
nennt diese Stelle, auf die sich der Blick unwillkürlich konzentriert, den Blick-
fang. Hingewiesen wird auch auf die Bedeutung sogenannter Bewegungslinien,
die den Blick des Betrachters zwangsläufig auf den Blickpunkt hinführen:
Bewegungslinien dieser Art ließen sich aber nur aus dem Künstlerentwurf selbst
heraus entwickeln. Regeln gäbe es dafür nicht. Handele es sich um größere Pla-
katflächen, so müßten diese für den Blick des Beschauer entweder scharf geglie-
dert sein oder es müßten mehrere Blickfänge vorhanden sein, die am besten
durch Bewegungslinien miteinander verbunden werden. Das gute Plakat unter-
scheide sich vom schlechten dadurch, daß es einen sich sozusagen von selbst er-
gebenden Blickfang besitze. Als solcher könne entweder eine bildliche Darstel-
lung oder ein gutes Schlagwort wirken.
Von eminenter Bedeutung für die Plakatwirkung seien schließlich die ver-
wendeten Farben, denen bestimmte Gefühlswerte zukämen. Ihre optische Wir-
Werbetheoretische Aspekte 49
Was die Kriterien wie Plakatwirkung etc. angeht, unterscheidet sich der gedankli-
che Apparat sozialistischer Sichtweisen kaum von dem kapitalistischer Prägung.
Ansonsten befand sich man sich im Zwiespalt, einerseits das Konsumbedürfnis
der Bevölkerung anzuerkennen, sich dabei gleichzeitig aber gegenüber dem We-
sten abzusetzen. Da nach der sozialistischen Auffassung in der Werbung der
grelle, auf kommerziell begründete Überredung und Überlistung basierende Anruf
keine Rolle spielt, wird das Plakat fast ausschließlich als Kunstwerk im Dienst
der progressiven Entwicklung der Gesellschaft gesehen. In der ehemaligen DDR
war es Rademacher, der die Maximen der sozialistischen Plakatwerbung am prä-
gnantesten zusammenfaßte. Diese sei nicht Mittel des „früheren [...] auf Profite
ausgehenden Reklamebetriebs". Sie habe vielmehr eine aufklärende Rolle zu spie-
len, habe den Konsumenten wahrheitsgemäß über die Angebote zu informieren,
zu belehren und ihn bei seiner zweckmäßigen Auswahl zu unterstützen. Sie solle
der Gesundheit und einer modernen Lebensführung angepaßten Konsumgewohn-
heiten dienen, dies „ohne [...] ökonomische, vom Profit bestimmte Gesichts-
punkte". Vielmehr sollten die „echten Bedürfnisse der Werktätigen im Vorder-
grund stehen" (Rademacher 1965, 268). Das Plakat diene der „sozialistischen
Bewußtseinsbildung", und zwar auf allen Sektoren, dem politischen wie dem
wirtschaftlichen und kulturellen. Es solle den Betrachter „für eine dem Sozialis-
mus gemäße individuelle und kollektive Lebensweise gewinnen und ihn zu einer
parteilichen Auseinandersetzung mit dem Imperialismus und zu dessen Verurtei-
lung führen" (Rademacher 1970, 9). Es unterliege also einer gesellschaftlichen
Zweckbestimmung und sei so in den Wirkungsmechanismus der allgemeinen
Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklungen einbezogen.
Als künstlerisch gestaltetes Formgebilde unterliegt das Plakat gleichzeitig
den Gesetzmäßigkeiten der Kunst, deren bestimmender Anteil aus den Maximen
der marxistisch-leninistischen Ästhetik abgeleitet wird: Kunst sei eine spezifi-
sche Form des gesellschaftlichen Bewußtseins, „das als die Gesamtheit der Idee
gesellschaftlicher Vorstellungen, Anschauungen, Theorien, Ideen und der in ihr
gegebenen psychologischen Voraussetzungen zu begreifen" sei. Dadurch werde
der Klassencharakter der Kunst bestimmt, der sich speziell im Plakat, vor allem
im politischen, dokumentiere (Rademacher 1970, 10f.). Die charakteristische Ei-
genart eines Kunstwerks bestehe darin, daß es „die objektive Realität in sinnlich
konkreten Bildern reproduziert, das Wesen der Dinge erfasst und diese anschau-
lich gestaltet." Die Kunst solle den arbeitenden Menschen das Bewußtsein ihrer
gemeinschaftlichen Existenz und ihrer schöpferischen Kraft vermitteln helfen.
Aus einem Kunstwerk solle für den Betrachter das Typische einer dargestellten
Erscheinung erkennbar werden. Dies solle „sich in der wirklichkeitsbezogenen
Gestaltung einzelner [...] Aspekte verkörpern, die in anschaulich ästhetischer
Umsetzung gleichsam für das Ganze sprechen." Der ausgewählte Wirklich-
52 Theorien des Plakats
Seit den späten 1950er Jahren genügte die Beschränkung auf rein formale und
inhaltliche Problemstellungen nicht mehr. Der mediale Wandel verlangte nach
neuen Definitionen. Das Plakat sollte nun vor allem auch als optische Botschaft
verstanden werden, „die zwischen Schlagwort und Sinnbild, Reklameaufschrift
und Verkehrssignal existiert" (Schindler 1972, 236), also als Teil eines „univers
des images" (Moles 1970, 3). In enger Verbindung mit der Plakattheorie der
1960er und 1970er Jahre entstanden auf dem Saussureschen Zeichenbegriff
basierende und diesen erweiternde sozio-linguistische Kriterien. Plakate werden
nunmehr als Zeichensysteme, Texte, jüngst auch als Paratexte, betrachtet.
Mitunter erschweren unterschiedlich belegte, aus ihrem ursprünglichen Zu-
sammenhang gerissene und allzu spezialistisch ausdifferenzierte Begriffe den
Zugang. Vor allem Barthes (1964, 40ff.) und Eco beschreiben den semiotischen
Ansatz zum Verständnis von Werbebildern als Zeichensysteme. Moles und Enel
haben versucht, diese Bereiche explizit für das Plakat fruchtbar zu machen.
Das Reklamebild setzt sich für die Autoren aus Zeichen zusammen, die sich
auf den drei Ebenen der verschiedenen Botschaftsarten mitteilen: der linguisti-
schen Nachricht („message linguistique": sie beinhaltet die Nennung des Gegen-
standes und einen Kommentar); der codierten ikonischen - symbolischen -
Nachricht („message iconique codé": sie umfaßt die vom kulturellen Wissen des
Betrachters abhängigen Konnotationen des Bildes, die das Image des zu bewer-
benden Gegenstandes ausmachen) und der nicht kodierten ikonischen - buch-
stäblichen Nachricht („message iconique non-codé": sie meint die begriffliche
Identität von dargestelltem Objekt und Bezeichnung). Neben der sprachlichen
Botschaft steht also das konnotatative, symbolische Bild, dessen Verständnis
einen bestimmten kulturellen Hintergrund bedingt, und das denotative Bild, das
sich der Wahrnehmung unmittelbar erschließt. Gewisse Attribute des angepriese-
nen Gegenstandes bilden die Inhalte der Werbebotschaft.
Im Plakat wird also die zu bewerbende Sache (das ist das „objet réel",
mitunter auch mit dem Begriff „chose" belegt) zum Zeichen („signe"), beste-
hend aus den Elementen des „signifiant" (das ist beim Plakat die Zeichengestalt)
Kommunikations-, informations- und zeichentheoretische Aspekte 53
7.1. Allgemeines
Man kann Plakate auch nach ihrer jeweiligen werblichen Intention in überge-
ordnete Kategorien einteilen. In diesem Sinne hat Zankl (1969, 187ff.) versucht,
eine Typologie der Plakatwerbung nach werbefachlichen Kriterien aufzustellen:
Unter AB-Plakaten versteht er Plakate zur allgemeinen Bekanntgabe, also
solche, die ausschließlich dazu da sind, die Existenz einer Sache anzukündigen.
„Diesem Phänomen kommt erhebliche Bedeutung zu, gibt es doch Menschen,
Dinge, Institutionen, die ohne diese Form der Werbung sozusagen gar nicht
existent wären." Als einen weiteren Typ nennt Zankl die Inf-Plakate, die der
Information dienen. Bei ihnen spielt die direkte Beeinflussung eine untergeord-
nete Rolle. „Sie gehen über die Information des AB-Plakats hinaus, indem sie
Einzelheiten über eine Sache mitteilen, ansonsten aber auch nur von deren
Existenz künden." Bei Map-Plakaten handelt es sich um Exemplare zur Marken-
prägung, denen die Aufgabe zukommt, eine bestimmte Marke in der Erinnerung
breiter Bevölkerungskreise zu verankern. Im-Plakate wiederum dienen zur
Pflege des Image, das Zankl als „Vorstellungsbild, welches eine mehr oder
minder klar abgegrenzte Personengruppe von einem Produkt, einer Person oder
Institution besitzt", definiert. Dieses Image kann durch Werbung geschaffen
oder gewandelt werden. Bei Mo-Plakaten Plakaten zur Motivation handelt
es sich in erster Linie um Plakate im „ursprünglichen Sinn der Werbung als
Beeinflussungsmaßnahme zur Erreichung eines bestimmten Zwecks." Est-Plaka-
te (Einstimmungsplakate) versuchen, „für ein Produkt oder eine Maßnahme zu-
nächst erst die richtige gefühlsmäßige Bereitschaft, die Einstimmung zu erzeu-
gen." KK-Plakate schließlich dienen im Konkurrenzkampf zum Angriff auf
einen wirtschaftlichen oder auch politischen Gegner mit dem Faktor der Kon-
kurrenzaggressivität.
dessen die Elemente ganz der Gestaltung untergeordnet sind. Zwischen ihnen
besteht ein proportionales Verhältnis, ebenso zwischen den Elementen und der
ganzen Gestaltform. Bei dieser Form des Plakats herrscht der tektonische Aspekt
vor. Das experimentelle Plakat schließlich „überrascht stets, das Neuartige domi-
niert. Seine Farben- und und Formkonstellationen befremden zuerst, weil sie
noch nicht zum Formvokabular der Zeit gehören. Sie sind ihrer Zeit weit vor-
aus."
7.2. Branchen
Wofür wird nun mit Plakaten geworben? Das Jahrbuch der Werbung' teilt seit
1992 die beworbenen Objekte in folgende Hauptkategorien ein, dies allerdings
unter dem übergeordneten Komplex der Kampagnen ohne Aufschlüsselung nach
Werbemitteln und ohne Rangfolgenabstufung und Anteiligkeit:
1. Verbrauchsgüter: Darunter fallen Nahrung, Getränke, Tabakwaren,
Wasch- und Reinigungsmittel, Körperpflege, Pharmazeutika.
2. Gebrauchsgüter: Hier sind Kfz und Zubehör, Haushaltswaren und -ge-
rate, Einrichtungsgegenstände (Möbel, Heimtextilien), Fernsehen, HiFi, Video,
Radio, Gegenstände des persönlichen Bedarfs wie Schmuck, Uhren, Schreibge-
räte, Kleidung etc. sowie der Bereich Foto, Film, Optik vertreten.
3. Bereich Dienstleistungen, Medien: Man findet hier die Werbung für
Tourismus, Verkehr, Finanzen, Banken, Versicherungen, Bausparkassen, den
Handel, die Gastronomie, den Versorgungssektor (Strom, Gas, Wasser), die
Telekommunikation, die Post, die Medien-Fachwerbung, Medien-Publikumswer-
bung, Verpackungen sowie für sonstige Dienstleistungen.
4. Bereich Business, Kommunikation: Hierunter fallen Unternehmensimage,
Bürokommunikation, EDV (Computer), die Bauwirtschaft, der Maschinenbau,
die ethischen Produkte der Pharmazie, Investitionsgüter, Messen, Personalwer-
bung.
5. Bereich Gesellschaft, Social-Marketing: Hierunter fällt die Werbung für
Kultur, Verbände, sowie für öffentliche und private Investitionen.
Eine etwas andere Gewichtung finden wir im Plakatkunst-Jahrbuch ,Graphis
Posters'. Allerdings ist zu bedenken, daß es sich um von namhaften Grafik-De-
signern und Ateliers ausgewählte und eingesandte Exemplare handelt. In den
1980er Jahren lautete die Einteilung wie folgt: 1. Werbeplakate: Dazu zählen die
Direktwerbung, Genußmittel, Industrie, Mode, Tourismus, Verlagswerbung; 2.
Kulturelle Plakate: Dazu gehören Ausstellungen, Filme, Theater, Veranstaltun-
gen; 3. Soziale Plakate: Hierzu zählen: Ausbildung, erzieherische Plakate,
politische Plakate, soziale Plakate, Unfallverhütung. Mitte der 1990er Jahre
lautet die Einteilung: 1. Werbung: Architektur, Automobile, Computer, Dienst-
leitungen, Druckereien, Einzelhandel, Gestalter, Illustratoren, Kosmetik, Mode,
58 Plakatgattungen, Kategorien, Typen
Kampagnen. Für die Artikel der Gruppe der Warenplakate sei auf Kapitel 7.4.1.
verwiesen.
7.3. Rangfolgen
branche mit Zahlen zwischen 18 und 27, an dritter Stelle der Einzelhandel und
das Zeitungsgewerbe ( 4 - 1 0 , 7 ) , an vierter Stelle die Reedereien ( 0 , 2 - 3 , 3 ) und
Sommerlokale und an fünfter Stelle die Reise- und Bäderverwaltung (0,5 bis
1,0). 1933 und 1934 nahm dann der Markenartikel jetzt mit großem Abstand
(36,5 bis 58,5) den ersten Platz ein, Kino den zweiten Platz mit 15,3 bis 21,7,
die anderen folgten.
Eine für den Zeitraum von 1937 bis 1940 in Mannheim durchgeführte Un-
tersuchung von Plakatsäulen ergab eine prozentuale Dominanz für Zigaretten
und Tabak mit 29,9, gefolgt von Theater und Kino mit 13,2, sowie Konzerten
und kulturellen Veranstaltungen mit 10,4. Danach kamen: Vergnügungen (9,8),
Wasch- und Scheuermittel (6,6), Sportveranstaltungen (4,3), Austellungen (3,8),
Nahrungs- und und Genußmittel (3,6), soziale Einrichtungen (2,7), amtliche
Bekanntmachungen (2,5), politische Bekanntmachungen (2,4), Städtewerbung
(2,0), Zeitungen und Zeitschriften (1,8), Gaststätten (1,2), Kleidung (1,2),
chemische Erzeugnisse (1,1), Fremdenverkehrswerbung (1,0), Büromaschinen
und Motorräder (0,6), Schadensverhütung (0,5), Elektroartikel (0,5), Lotterien
(0,5), Banken, Sparkassen (0,2), Photo u. Zubehör (0,2), religiöse Veranstaltun-
gen (0,1), Möbel und Einrichtungen (0,1).
1950 wurde folgende Rangfolge in den wichtigsten bundesrepublikanischen
Großstädten ermittelt: (1) Zigarettenindustrie; (2) Seifen- und Waschmittelindu-
strie; (3) Nahrungsmittelindustrie; (4) Messen und Ausstellungen; (5) Tabak-
industrie; (6) Warenhäuser; (7) kosmetische Industrie; (8) Reinigungsmittel
(außer Seifen und Waschmittel); (9) Pfefferminz- und Kaugummiindustrie;(10)
Brauereien und Brennereien; (11) Glühbirnenindustrie; (12) Festtagsanschläge
der Geschenkartikelindustrie; (13) Zahnpflegemittelindustrie; (14) Schuhindu-
strie; (15) Einzelhandel; (16) Zeitungen/Zeitschriften; (17) Zigarrenindustrie;
(18) Molkereigenossenschaften; (19) Mineralwasserindustrie; (20) Kaffee-Ersatz-
industrie; (21) Lotterie-Toto-Unternehmen; (22) Tanzschulen; (23) Porzellan-
industrie (vgl. Kopsch 1955, 22/23). Die Autoindustrie war dabei nicht vertre-
ten, auch nicht die von der ,Berek' seinerzeit erhobenen Kategorien.
1993 nutzten die Werbetreibenden die Plakatwerbung insgesamt zur Be-
werbung von 2004 Marken. Dabei entfielen allein auf die Großfläche 1754 ver-
schiedene Produkte, beim City-Light-Poster waren es 441 Marken und auf der
Ganzsäule wurden immerhin 206 unterschiedliche Produkte beworben. Das
bedeutende Marktforschungsinstitut ,Nielsen S + P' in Hamburg wies für 1993
einen Bruttowerbeumsatz für Großflächen, Ganzsäulen und City-Light-Poster
von 656 Millionen aus. Davon entfallen rund 60 % auf Großflächenplakate und
rund 2 0 % auf City-Light-Poster. Der Rest wurde für den allgemeinen Anschlag
und den Ganzsäulenanschlag ausgegeben, wobei zu berücksichtigen ist, daß
Zigaretten Werbung von Nielsen nicht erfaßt wird. Die 10 meistbeworbenen
Gruppen in der Plakatwerbung waren 1993 unter dieser Voraussetzung: (1) Bier,
(2) nichtalkoholische Getränke, (3) Massenmedien, (4) Automarkt, (5) Computer
62 Plakatgattungen, Kategorien, Typen
Das Warenplakat ist wohl die Gattung, die am engsten mit Massenherstellung,
Massenverbrauch und Massenverkehr in Verbindung steht. Hierzu zählen vor
allem Plakate für Nahrungs- und Genußmittel. Sie galten lange Zeit als die im
Plakatanschlag wichtigste Gruppe. An der Durchsetzung der alkoholfreien Ge-
tränke ist die Plakatwerbung sehr wesentlich beteiligt. In den 1960er Jahren nah-
men Kindernährprodukte einen wesentlichen Raum ein. Zu nennen sind hier des
weiteren Plakate für Früchte, Fertiggetränke, Fertignahrung, Backwaren, Milch-
und Milchprodukte, Margarine, Backfette, Schokoladen- und Süß Warenprodukte,
Suppen, Gewürze und Teigwaren, Fleisch- und Wurstwaren, Kaffee und Tee,
Bierwerbung (häufig lokalorientiert), Sekt- und Weinwerbung, Spirituosenwer-
bung sowie die Zigarettenwerbung, die nach wie vor äußerst umfangreich und
offensiv vorgeht. Früher saisonal begrenzte Werbung wie die für Speiseeis wird
inzwischen ganzjährig betrieben.
An Gebrauchsgütern für den täglichen Bedarf zu nennen sind Kleidung und
Schuhe, Oberbekleidung, Unterbekleidung, Strümpfe, Unterwäsche. Waren zur
Dienstleistung für den Haushalt beinhalten elektrische Küchen- und Hausgeräte,
Haushaltsgeräte für Gas, Kohle und Öl, Haushaltsmöbel, Markisen und Jalou-
sien, Metallwaren, Porzellan und Glaswaren, Strickapparate, Putzmittel, Wasch-
mittel, Farben und Lacke, Kunststofferzeugnisse, Klebestoffe, Fußbodenbeläge,
Blumen u. a.
Zu Waren und Dienstleistungen für Verkehrszwecke gehören Kraftfahrzeuge,
KFZ-Pflegemittel, KFZ-Zubehör, Kraft- und Schmierstoffe sowie Reifen u.ä..
Drei ausgewählte Gattungen 63
Des weiteren sind Waren zur Körper- und Gesundheitspflege, wie Kosme-
tika, Seifen, Zahn- und Gebißpflegemittel, Papier und Zellstoff, Hygienepapier,
Toilettenpapier, chemisch-pharmazeutische Werbung, erkältungsverhütende und
-bekämpfende Mittel, empfängnisverhütende Mittel etc. aufzuführen.
Bei Waren und Dienstleistungen für Bildungs- und Unterhaltungszwecke ist
hinzuweisen auf Rundfunk- und Fernsehgeräte, Fotooptik, Plattenspieler, Ton-
bandgeräte und Schreibgeräte, Unterhaltungselektronik, die heute durch den
MC- und CD-Markt völlig umstrukturierte Schallplattenindustrie, Spielwaren,
Sportartikel. Hier hat seit den achtziger Jahren die Computerbranche wachsen-
den Anteil gewinnen können.
Warenwerbung spiegelt in hohem Maße die Gestalt der Gegenstände, sie
unterrichtet über Innovationen, Moden etc., in ihrer historischen Dimension auch
über verschwundene Produktgruppen. Diese Vielfalt an zu bewerbenden Produk-
ten an sich machte das Warenplakat zwangsläufig zum - relativ gesehen - be-
vorzugten Gegenstand der Werbetheorie. Das komplexe Wechselverhältnis von
Plakat und Ware bedingt schließlich Konsequenzen für die Existenz des Plakats,
die Bense (1952, 11) wie folgt ausdrückt: „Das Plakat ist kein Geschöpf des
Schöpfers, sondern der Gegenstände, die Ware geworden sind, eines sich selbst
zeigenden Seins [...]." Die Denotation der abgebildeten Ware sind deren wich-
tigste Merkmale, ihr Aussehen, ihr Name; alle Eigenschaften, die ihr mit Hilfe
des, wie Enel (1973, 53) es nennt, „supports" zusätzlich zugeschrieben werden,
bilden die Konnotation der Ware. Einzelne frühe Theoretiker wie Métivet
(Halter 1992, 5) in Frankreich hatten zunächst gefordert, die Ware solle nur
dann abgebildet werden, wenn sie nicht allzu prosaisch sei, und dem Plakat die
Möglichkeit zur sachlichen Information abgesprochen sowie den außerhalb der
Warenabbildung liegenden Überraschungseffekt betont. Zunehmend wurde
jedoch nicht mehr nur die Warenbezeichnung für die Identifizierung des Ar-
tikels, sondern auch das gesamte Erscheinungsbild des Gegenstandes von
Bedeutung.
Einige frühe Schriften artikulieren - wenn auch recht undeutlich das Pro-
blem dessen, was spätere Stimmen mit dem Begriff der Warenästhetik belegten
(z.B. Haug 1980). Diese neue Warenkultur, „ein eigentliches Warentheater"
(Reck 1988, 95), bewirkte, daß die zu verkaufenden Gegenstände zunehmend
auf glanzvolle Erscheinung ausgerichtet und in einem magisch wirkenden
Umfeld ausgestellt wurden. Growald z.B. bezieht die Auffälligkeit des Plakats
auf die Qualität der Ware (1904, 27). Die Sensation dürfe vom Gegenstand nicht
ablenken, sondern solle auf ihn hinweisen. Von einem guten Plakat müsse
folglich eine suggestive Wirkung ausgehen, so daß die Ware zu einem festste-
henden Begriff beim Betrachter werde. Westheim (1908, 119ff.) charakterisiert
die Funktion der Plakatwerbung unter dem Gesichtpunkt der positiven Identifi-
zierung des Käufers mit dem Image der Ware, die als Voraussetzung für den
Werbeerfolg gesehen wird. Doch müßten auch, so Ruben (1913, 72f.), nicht nur
64 Plakatgattungen, Kategorien, Typen
den Aggressivität und Angriffslust genannt. Auch der Schriftform kommt eine
besondere Rolle zu. Die stärkere Überzeugungsaufgabe fordert für Medebach
(1969, 4) eine Verwendung von mehr Hauptzeilen als bei anderen Plakaten.
Beim politischen Plakat unterscheidet man zwischen den publizistischen
Kampfmethoden Propaganda und Agitation. Propaganda dient der Unterrichtung,
aber auch der Falschunterrichtung (Kämpfer, 24). Medebach (zit. nach Kämpfer,
23) definiert Agitation als „negativ angreifend". Sie solle „die Massen aufpeit-
schen, ihre Leidenschaft auf den Siedepunkt bringen [...]." Seine Überlegungen
beinhalten auch den Versuch, eine Systematik der Anwendung des politischen
Plakats zu entwerfen. Er differenziert dabei nach aktionstragender Wirkung und
aktionsstiitzender Funktion, womit er die Reichweite des Plakats meint. Dabei
übernimmt er Argumente der Werbetheorie Seyfferts, was Werbeelemente und
Werbefaktoren angeht, und führt in bezug auf die Werbefaktoren auch das
„politische Symbol mit Symbolinhalt und Symbolgestalt" an (Medebach 1969,
5). Kämpfer (1985, 23) bezeichnet Agitation und Propaganda als Manipulation
von Sprache - aber auch des Bildes - zur Beherrschung der öffentlichen Mei-
nung. In diesem Sinne kann für Hagen (1985, 55) das politische Plakat mittels
Stereotypen auf den psychischen Bereich einwirken, indem es Aversionen und
Ängste hervorruft, verstärkt oder Solidarität erzeugt bzw. bekräftigt oder eine
Identität ermöglicht, ein Phänomen, das der Autor als „Wirk-Appell" bezeichnet.
Das Plakat kann folglich auch der systemstabilisierenden Propaganda dienen.
Horvat-Pintaric (1975, 45ff.) unterteilt die politischen Plakate in zwei
Gruppen: in Plakate, die Kritik am Bestehenden üben mit der Unterscheidung
in Protest- und Aktionsplakat und in Plakate, die sich für die Erhaltung des
Bestehenden einsetzen. Hierbei wird danach differenziert, ob das jeweilige
Plakat Mittel einer freien politischen Propaganda ist oder aber einer einseitigen.
Die Propaganda kann vom Staat ausgehen, aber auch von gellschaftlichen
Kräften, Parteien, Kirchen, informellen Gruppierungen. Wichtig ist für die
Autorin die Unterscheidung der konkurrierenden Parteienlandschaft in der
Demokratie von der Propaganda-Hegemonie totalitärer Staaten.
Reumann führt den Begriff des antithetischen Kampfbilds in die Debatte ein,
das er als Bildtyp charakterisiert, „auf dem die Opposition von Gut und Böse
dargestellt wird" (nach Kämpfer 1985, 37). Also könne man, so Kämpfer, wenn
eine positive und eine negative Gruppe im Plakat erscheine, von Pluspartei und
Minuspartei sprechen. Darin liege die Voraussetzung, die positive Seite könne
mit der propagierenden Gruppe identifiziert werden, also mit dem Auftraggeber
oder dem Produzenten des betreffenden Plakats. Dieser Pluspartei entspräche ein
Plusideal, d.h. ein durch Bild, Sprache oder Symybol ausgedrücktes, positiv zu
bejahendes Phänomen. Der positiven Seite stehe eine negative Welt gegenüber,
in Symbol oder Personifikation, in der Form von Situationen oder Szenen. Die
auf dem Plakat zu findende Oppostion gut contra böse (schlecht) bezeichnet
Kämpfer mit Pius-Partei-Ideologie und Minus-Partei-Ideologie. Pluspartei und
Drei ausgewählte Gattungen 69
Und was hilft mehr, die revolutionäre Leidenschaft unter den Arbeitern lebendig zu
erhalten, als gerade die Plakate, die jede Straßenecke in eine große Zeitung verwan-
deln, in der die vorbeikommenden Arbeiter [...] ein Journal und einen Club in einem
haben (Friedrich Engels: Die Debatte über das Plakatgesetz, zit. nach Lexikon der
Kunst, Bd. V, Leipzig 1993, S.627).
Während der Pariser Kommune 1871 wie auch der Oktoberrevolution 1917 und
dem Bürgerkrieg wurde das Plakat als Mittel direkter Staßenagitation und
mobilisierender Information genutzt. In den Rosta-Fenstern fanden die Bolshe-
wiki ein wirksames Instrument, das letztlich auch zu ihrem Sieg beigetragen
haben mag.
Für die Entwicklung des politischen Bildplakats in Deutschland bis 1918
sollten folgende inhaltliche Faktoren wichtig werden: Es zeichnete sich eine
Vorliebe für weibliche Allegorien im 19. Jahrhundert ab, so z.B. die Germania
als nationale Allegorie, schließlich fand die Herausbildung eines heroischen
Männerideals in der wilhelminischen Gesellschaft statt, als Nationalhelden im
Bild zu erscheinen begannen. Im Ersten Weltkrieg bestimmten Plakate für
Kriegsausstellungen, vaterländische Veranstaltungen und Kriegsanleihen den
Anschlag. In den zwanziger Jahren waren schon früh Plakate gegen die Gefahr
des Bolschewismus zu finden, sodann spielten Reichswehrplakate und mit
zunehmendem Maße die Wahlplakate, Plakate für Abstimmungen, Volksent-
scheidungen eine Rolle, wobei sich die Wahljahre 1924, 1928 und 1932 als
besonders markante Jahre der Parteienwerbung erwiesen.
Die meist allegorische vergangenheitsorientierte Darstellung läßt sich von
der Reichsgründung bis in den Ersten Weltkriegs verfolgen. Sie wird in den
zwanziger Jahren durch einen Realismus abgelöst, der zuvor nur in wenigen
Beispielen sichtbar wurde. Verschwinden die weiblichen Allegorien in den
70 Plakatgattungen, Kategorien, Typen
durch das, was es zeigt, sondern „vielmehr durch das, was es verschweigt" (Da-
vidson 1924, O.S.) zu wirken. Ist das eine Medium eindimensional-flächig, starr
auf den Moment fixiert, gegenüber dem bewegten Lichtbild statisch und existiert
in der Fläche, so lebt das andere trotz seiner Projektion ebenfalls auf eine Flä-
che von der Bewegung und entwickelt sich in der Dimension der Zeit. Auch ist
das Plakat gegenüber dem Film rückständiger, da es noch auf die herkömmliche
Drucktechnik vertraut.
Wie der Film kam auch das Plakat dem Bedürfnis nach Reduktion und
schneller, knapper, präziser, optisch verdichteter Information entgegen. Frühe
Kinoplakate entsprachen dem keineswegs, ja sie bedeuteten in den Augen der Ver-
fechter moderner Plakatkunst einen Rückschritt, weil sie sich in detaillierter Aus-
führlichkeit gefielen. Mahlberg postulierte eine Trennung von der illustrativen
und malerisch-allegorischen Art, wie sie im wesentlichen vor 1900 vorherrschend
war, und die Hinwendung zum flächig orientierten Sachplakat. Die Frage, warum
das Kinoplakat sich diese modernen Errungenschaften nur sehr wenig zunutze
gemacht hat, beantwortet 1914 Adolf Behne. Dieser „Plakattyp war für den Kino
von vornherein unbrauchbar. Tatsächlich stießen die besonderen Verhältnisse und
die speziellen Ansprüche des Kinos das für den Kino arbeitende Plakat wieder
auf die alte illustrative Art des Plakats zurück". Behne folgert dies aus der be-
sonderen Aufgabe des Kinoplakats, welche er wie folgt definiert:
Die Plakate sollen in der Kinobranche nicht für eine dauernde Spezialität Stimmung
machen, sondern für einen Artikel, der nur für einen kurzen Zeitraum dargeboten wird.
Ein Plakat [...], das etwa einen Namen und die knappe Darstellung eines Films ent-
hielte, nicht eines bestimmten, sondern eines symbolisch-repräsentativen, ist in der Ki-
nobranche unsinnig [...], die Theater wollen nicht bekannt geben, daß sie Filme zeigen,
sondern wollen beweisen, was für spannende, rührende, dramatische, sensationelle
Szenen der heute vorgeführte Film enthält (Behne 1914/15, 4).
Tannenbaum ist zwar nicht der erste, der sich zu Film und Plakat äußerte, er
sollte aber als erster die Beziehung zwischen beiden Medien insofern näher
charakterisieren, als er in seiner theoretischen Beschreibung des Filmplakats die
bis dahin getrennt zu beiden Medien erfolgten Beobachtungen in ihren Grundzü-
gen zusammenfaßt. 1913 beschreibt er die Wirkung des Plakats im Straßenle-
ben:
Und wenn einer noch so hastig und noch so beschäftigt seinen Weg rennt, bald hier,
bald da, auf Gassen und Plätzen schreit ihm ein helles Plakat zu ,schau mich an' [...].
Es ist ein Augenblickskönig. Es zuckt auf, prägt sich ein und ist im nächsten Moment
schon wieder verdrängt von seinem Konkurrenten an der nächsten Ecke.
1914 stellt er fest, Film und Plakat seien auch in inhaltlich-formaler Beziehung
wesensverwandt: So erscheint ihm der Film „in seiner Konzentriertheit wie der
Drei ausgewählte Gattungen 73
Extrakt einer dramatischen Handlung, die [...] auf die letzte knappe Formel ge-
bracht ist" (Tannenbaum 1914, 237). Daraus ergebe sich eine „gewisse groteske
Steigerung und Uebertreibung des Vorgangs im ganzen wie der schaupieleri-
schen Darstellung der einzelnen Menschen. Daher trägt das Filmstück einen
primitiven, grellen, aber in einem bestimmten Sinne monumentalen Charakter
an sich." Ähnliches konstatiert er für das Plakat, dessen Aufgabe es sei, „in aller
Konzentriertheit mit Hilfe einer grotesken Steigerung der dargestellten Objekte
ein primitives, formelhaftes, buntes Bild von der Art und der Beschaffenheit
eines Dinges zu geben."
Aus dieser Charakterisierung folgert er für die Beziehung zwischen Film und
Plakat: „Kino und Plakat sind aus dem Geist unserer Zeit heraus gewachsen, die
in ihrer Hast und Arbeitsamkeit mit kräftigen Mitteln angepackt sein will, deren
Menschen am meisten und am raschesten durch den Sehsinn erfassen und die
mit Vorliebe all das annehmen, was sich knapp, formelhaft und bunt darbietet"
(Tannenbaum 1914, 237). Seiner räumlichen Zweckbestimmung nach müsse das
Filmplakat zwar immer als Außenplakat dienen. Seine Aufgabe aber sei indes
„nicht so sehr, den Vorbeieilenden grell anzurufen und seine flüchtige Aufmerk-
samkeit zu verlangen, sondern mehr den zwischen den einzelnen Kinotheatern
auswählenden Besucher zum Eintritt zu verleiten". Und dasjenige Plakat werde
diese Aufgabe am besten erfüllen,„das seinem aufmerksamen Betrachter eine
lockere Filmszene ausführlich und vielversprechend vor Augen setzt". Seine in-
haltlichen Bedingungen charakterisiert der Autor wie folgt:
Das Tempo, die Konzentriertheit, die bis zur Groteske gesteigerte Intensität der Film-
handlung, die das Wesen und den Erfolg des Kinos ausmachen, müssen auch im Kino-
plakat zum Ausdruck kommen. Im Plakat muß etwas von der Erregtheit, dem Aben-
teurlichen und Phantastischen, das dem Kino eigentümlich ist, nachzittern, eine Aufga-
be, die dem Plakat besonders gemäß sein muss. Es kann von Tollheit überschäumen,
dann wieder in mystischen Farben geheimnisvolle, unheimliche Vorgänge dartun.
Immer muss es heiss, voller Glut sein, immer im inneren Zusammenhang mit dem ihm
zugrunde liegenden Film.
verhaken und ein diffuses Geflecht bilden, das dort konkret wird, wo unsere
eigenen Vorstellungen greifen und Festlegungen vornehmen" (1995, 46).
Das Filmplakat ist in noch stärkerem Maße die Verbindung von Bild und
Schrift. Diese muß nämlich eine ganze Anzahl von mitunter bildbeeinträchtigen-
den Informationen aufnehmen: den Titel, den Namen der Gesellschaften und den
Stab, die Hauptdarsteller, Stars. Beim Filmplakat ist das von Kroeber-Riel
(1993, 68ff.) für die Warenwerbung festgestellte Erlebnisprofil häufig schon in
den genrespezifischen Vorgaben enthalten. Es braucht also nicht - wie dort - zu-
sätzlich hinzuerfunden werden, wenn auch viele Plakate mehr versprechen, als
der Film selbst zu bieten in der Lage ist. Das gilt in gleicher Weise auch für die
Möglichkeiten der Identifikation des Zuschauers mit den Dargestellten bei Sex-
idolen, „Helden" und dergleichen. Um den Betrachter bereits im Voraus in
„ferne" Erlebniswelten zu entführen, bedient sich das durchschnittliche Filmpla-
kat häufig einer collageähnlichen Zusammenfassung von Inhaltspartikeln, in
deren Mittelpunkt die Hauptdarsteller und Hauptdarstellerinnen dominierend
erscheinen. Je nach Filmgenre können die jeweiligen inhaltlichen Versatzstücke
in farblich besonders auffälliger Form bildlich umgesetzt sein, z.B. Verbre-
cherjagden, Detektivdarstellungen, unheimliche Atmosphäre bei Kriminal-
Filmen, Reiterszenen, Verfolgungen mit Planwagen, Cowboys, Indianer, Schie-
ßereien bei Western, Liebespaare bei Liebesfilmen, tragische Szenen und Ge-
fühlsaufwallungen sowie Hauptfiguren in pathetischer Pose bei Melodramen, um
nur einige wenige zu nennen.
Von der Gestaltungsweise her wurden seit den 1960er Jahren beim durch-
schnittlichen Filmplakat der großen Verleiher die früher auf gezeichneten und
gemalten Vorlagen basierenden Plakate vielfach von solchen ersetzt, die durch
Bearbeitung meist fotografischer Vorlagen entstehen. Allerdings sind hier bereits
wieder gegenläufige Tendenzen zu beobachten.
8. Das Plakat als Forschungsgegenstand
8.1. Forschungslage
8.2. Werbeforschung
8.2.2. Werbeträgeranalyse
die Möglichkeit der Werbewirkung eines Plakats geschlossen, von der Passan-
tenzahl auf das Ausmaß dieser Möglichkeit. Ebenso wurden bereits Passanten
befragt. Für England sind Untersuchungen von Sheldon (1927) zu nennnen.
Mit zunehmender Ausdifferenzierung der Werbemethoden und Werbemittel
geriet das Plakat ein wenig in den Hintergrund; in den USA scheint dies schon
sehr früh der Fall gewesen zu sein. Ergebnisse der Werbeforschung, besonders
nach dem Zweiten Weltkrieg, wurden nun kaum mehr anhand von Plakaten vor-
gestellt. Anzeigen und Werbespots scheinen heute erheblich besser erforscht zu
sein (vgl. Kroeber-Riel 1993). Dennoch erlangte die Plakatuntersuchung im
europäischen Wiederaufbau nach 1945 eine neue Bedeutung, vor allem unter
dem Gesichtspunkt der Werbeträgeranalyse. Im Auftrag der Wirtschaftsfach-
verbände, der GWA (Gesellschaft - heute Gesamtverband - Werbeagenturen)
und dem FAW (Fachverband Außenwerbung) wurden seit den 1950er und
1960er Jahren in der BRD die Meinungsforschungsinstitute aktiv. Im Oktober
1952 führte das Emnid Institut erstmals eine Befragungung im damaligen
Bundesgebiet durch, denen bis Mitte der fünfziger Jahre sieben weitere folgten,
wobei die Prozentzahl derer, die sich an ein Plakat erinnern konnten, zwischen
59 und 80% lag.
Die Werbeträgerbetrachtung von 1955 basierte auf Methoden, welche als
„Verfahren der Reproduktion natürlich erworbener Eindrücke mit leichten
Hilfen" (Jaspert 1963, 121) und „Verfahren der Reproduktion erlebter Wer-
bewirkungsvorgänge" (Jaspert 1963, 146f.) bezeichnet werden. Bei der Be-
fragung von Passanten konnten für jedes der geprüften Plakate im Durchschnitt
die Erinnerungswerte für Abbildungen, Text, Farben ermittelt werden. 1954
legte die Frankfurter ,Divo Gesellschaft für Markt- und Meinungsforschung'
einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung eines westdeutschen Land-
kreises die Frage vor, ob in der letzten Zeit eine Werbung besonders aufgefallen
sei, also eine Methode auf der Basis ungestützter Erinnerung. Dabei ließ sich
feststellen, je höher das Einkommen war, desto stärker wurde die Werbung
wahrgenommen. 34% der Befragten erinnerten sich an Plakate, 21 % an Anzei-
gen in Illustrierten, 14% an Anzeigen in Tageszeitungen, 10% nannten den
Werbefunk.
Seit den 1960er Jahren unternahm das ,Allensbacher Institut für Demosko-
pie' weitere Untersuchungen bezüglich der Kontakthäufigkeit (vgl. Noelle-Neu-
mann 1966, 648ff.), dies bis 1979, dann wieder ab 1992. Zu nennen sind auch
,Infratest', das ,Werbewissenschaftliche Institut' der Universität Köln, das .In-
stitut für Werbepsychologie und Markenerkundung' in Frankfurt a. Main. In der
DDR war die Erforschung der Werbewirksamkeit von Plakaten in den 1960er
Jahren von Bedeutung, die von der DEWAG mittels Befragungen vorgenommen
wurde. Trotz früherer Überlegungen zur Errechnung der Reichweite wurde erst
in den 1960er Jahren vom englischen ,Institute of Practioners in Advertising'
nach längerer Forschung die international gültige IPA-Formel entwickelt.
Werbeforschung 79
Seit den späten 1950er Jahren gewannen auch Ausstellungen und dazugehörige
Publikationen sowie anderweitige museumsgebundene Veröffentlichungen (z.B.
Bestandskataloge) für die historische Forschung an Bedeutung (vgl. 8.4.1.). Auch
hier waren die Ansätze unterschiedlich. So ging es bei dem großangelegten, von
der Thyssenstiftung geförderten Forschungsprojekt ,Das frühe Plakat in Europa
und den USA' vor allem darum, den Bestand der Sammlungen u.a. in Berlin,
Hamburg, Stuttgart, München zu sichern, ihn, ergänzt mit Daten und biogra-
phischen Notizen zu Künstlern und Druckereien, archivalisch zu hinterfragen und
dabei Material für die weitere Forschung bereitzustellen. Interpretierende, hi-
storisch-wissenschaftliche Begleittexte, die noch im Frankreichband enthalten wa-
ren, mußten beim letzten Teil Deutschland - aus Finanzgründen entfallen.
84 Das Plakat als Forschungsgegenstand
8.3.3. Gattungen
Publikation ,Der rote Keil' die „erste systematische Untersuchung zum politi-
schen Plakat zwischen 1914 und 1945 und zu seinem Quellen wert für die po-
litisch-historische Kommunikation" (Umschlagtext). Von Seiten der Linguistik
kam die pragmatische Untersuchung Gerd Müllers über Wahlplakate der Wei-
marer Republik und der Bundesrepublik, welche die Objekte unter textuellen
Kriterien betrachtet.„Die Methode der Untersuchung soll gewährleisten, daß der
sprachliche Aspekt politischer Werbung nicht von anderen Faktoren der Kom-
munikationssituation isoliert wird" (Müller 1978, 1).
Wenig erforscht ist bislang die Geschichte des Filmplakats (vgl. Kamps
1997). Die gleichwohl zahlreichen Publikationen auf diesem Gebiet sind über-
wiegend nostalgischen Charakters. Eine 1995 in Zürich veranstaltete Ausstellung
(Beilenhoff/Heller 1995) lieferte dagegen im Katalograhmen wichtige Beiträge
zum expressionistischen Filmplakat, zum tschechischen und Schweizer Filmpla-
kat und zum Starplakat. Das Zirkus- und Artistenplakat wurde bisher fast aus-
schließlich als illustrative Beilage für die kulturhistorische Betrachtung der Arti-
sten- und Zirkusgeschichte verwendet. Detailliertere Untersuchungen zu Ikono-
graphie, Stil etc. stehen noch aus. Im akademischen - hier kunsthistorischen -
Bereich der 1970er, 1980er und 1990er Jahre erhielten z.B. eine Behandlung:
Die Motivgeschichte des deutschen Plakats zwischen 1900 und 1914 (Gagel
1971), das frühe politische Bildplakat 1848-1918 (Zeller 1988), die Imagebil-
dung im Automobilplakat 1900-1930 (Rimmler 1991), wobei die Autorinnen
überwiegend ikonographisch vorgingen. Alle drei Arbeiten dürfen als wichtige
Forschungsbeiträge zum jeweiligen Thema gelten. Dies gilt auch für die Unter-
suchung Halters (1992) zum französischen Warenplakat, welche die zeitgenössi-
sche Theorie einbezieht. Die Entstehung des Plakats unter rezeptionsästhetischen
Gesichtspunkten thematisiert eine Arbeit von Martin Henatsch (1994).
8.4.1. Sammlungen
Fehlen von trivialen Beispielen gerade aus der Frühzeit erklärt. Zwar hatten die
schon um 1900 Werbeplakate sammelnden Museumsdirektoren die kulturelle
Bedeutung der Plakatwerbung erkannt und sie somit auch als Zeitdokument für
wichtig erachtet, doch blieben die meisten Plakate immer noch an der Barriere
zwischen angewandter und freier Kunst hängen. Max Lehrs legte die Plakat-
sammlung für das Dresdner Kupferstichkabinett an, Friedrich Deneken sammelte
in Krefeld (Kaiser-Wilhelm-Museum), Gustav Pazaurek für das Landesgewerbe-
museum in Stuttgart, das im Zweiten Weltkrieg einen Totalverlust erlebte.
Erhalten blieben Bestände der Landesgewerbeanstalt, die in den Besitz der
Stuttgarter Staatsgalerie übergingen. Max Schmidt legte eine Plakatsammlung
für das Suermond-Museum in Aachen, Justus Brinckmann war in Hamburg am
Museum für Kunst und Gewerbe tätig (vgl. Döring 1994), Peter Jessen sammelte
in Berlin für die Bibliothek des Kunstgewerbemuseums, die heutige Kunstbiblio-
thek (vgl. Kühnel 1994). Zu nennen ist auch noch der Hagener Sammler, Mäzen
und Gründer der Folkwang-Sammlung, Karl-Ernst Osthaus, der ab 1909 im
Museum für Handel und Gewerbe Plakate präsentierte.
Während all diese Kollektionen jedoch als Vorbilder-Sammlungen mit öfters
internationalem Zuschnitt und eben rein künstlerischem Impetus gedacht waren,
sammelte der erste Direktor des Frankfurter Historischen Museums, Otto Cornili,
schon seit 1880 Plakate als Francofortensien, also unter regionalem Aspekt.
Letztere Vorgehensweise ermöglicht es heute, eher als in Kunst-Sammlungen,
„die Plakate gleichsam als Momentaufnahmen der großstädtischen Alltagswahr-
nehmung, als materielle Partikel der von Passanten belebten Straße zu werten,
in denen Gefühls- und Bewußseinsinhalte einer Großstadtbevölkerung konser-
viert sind, die, wie wir wissen, nur zum geringsten Teil aus Bildungsbürgern und
geschulten Ästheten bestand" (Schmidt-Linsenhoff, in: Plakate in Frankfurt, 15).
Ein bedeutender Faktor für die Verbreitung des künstlerischen Plakates in
Deutschland war der 1906 gegründete und 1921 aufgelöste .Verein der Plakat-
freunde e.V.'. Dessen Gründer und Vorsitzender, der Berliner Zahnarzt Hans
Sachs (1881-1974), hatte schon 1896 mit dem Sammeln von Plakaten begonnen.
Seine Kollektion wuchs im Laufe der Zeit zur damals umfassendsten privaten
Plakatsammlung der Welt heran und zählte im Jahre ihrer Beschlagnahme durch
die Gestapo 1938 ca. „12500 künstlerisch wertvolle Objekte und 18000 inter-
essante Stücke" (Sachs 1953/57, Wündrich 1979, 9 - 4 4 ) .
Ein Verzeichnis aus dem Jahre 1919 führt 360 sammelnde Mitglieder des
.Vereins der Plakatfreunde' nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch des
nahegelegenen Auslandes auf, zu denen private Einzelpersonen ebenso gehörten
wie Institutionen, beispielsweise das Gewerbemuseum in Basel und das Kunst-
gewerbemuseum in Zürich. Die Sammlungen umfaßten alle Bereiche ange-
wandter Grafik, also nicht nur Plakate. In dem genannten Verzeichnis gaben
einige Sammler ihre Spezialgebiete an. Sachs war es zu verdanken, daß die pri-
vate Sammeltätigkeit sich zu bedeutenderem Umfang entwickelte.
Forschungsquellen: Archive und Zeitschriften 87
1914 begann der Aufbau einer weiteren wichtigen privaten Sammlung. Fried-
rich Josef Maria Rehse (1870-1952) sammelte unter dem Eindruck des Ersten
Weltkriegs historisch bedeutsame Dokumente wie Plakate, Flugblätter, Bilder,
Zeischriften etc., so daß eine Weltkriegssammlung entstand, wie sie auch einige
Museen anlegten, z.B. das Historische Museum in Frankfurt. 1929 wurde die
Sammlung von der NSDAP erworden und gelangte nach dem Zweiten Weltkrieg
in die Library of Congress in Washington, wurde 1963 nach Deutschland zurück-
gegeben und befindet sich heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München.
Substantielle Einschnitte im Bestand brachten die Zerstörungen des Zweiten
Weltkrieges. Die Sammlung Sachs, die nach dem Zweiten Weltkrieg als ver-
schollen galt, befindet sich in Großteilen im ehemaligen Museum für Deutsche
Geschichte in Berlin, dem heutigen Deutschen Historischen Museum. Die
meisten Kollektionen setzen sich also hauptsächlich aus zufällig überlieferten
Altbeständen bzw. in öffentliches Eigentum übergegangenen Privatsammlungen
zusammen, die im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten erweitert werden,
wenn sie nicht z.B. durch Geschenke lebender Grafiker ständige Bereicherung
erfahren. Wündrich (1979, 60-77) führte 1979 350 öffentliche und private Ein-
richtungen in der Bundesrepublik Deutschland und dem deutschsprachigen
Ausland (außer der damaligen DDR) auf. Ein neuerer Überblick dieser Art ist
mir nicht bekannt.
Kunstsammlungen, die sich um das Plakat bemühen, sind z.B. diejenigen in
Cottbus, wo zu DDR-Zeiten ein bedeutender Fundus entstand; regelmäßige
Veröffentlichungen (Reihe ,Plakatedition') in Verbindung mit Ausstellungen
machen mit den Beständen bekannt. Das Hamburger Museum für Kunst und
Gewerbe, die Sammlung der Kunsthalle in Mannheim, die Neue Sammlung in
München, das Münchener Stadtmuseum, die Kunstbibliothek in Berlin (ca.
60000 Plakate) besitzen bedeutende Bestände. Für Österreich seien diejenigen
der Wiener Albertina, der Österreichischen Nationalbibliothek sowie der Wiener
Stadt- und Landesbibliothek erwähnt, in der Schweiz die Sammlungen der
Museen für Gestaltung in Zürich und Basel, die selbst wiederholt mit epochalen
Plakaten für die Eigenwerbung hervortraten. Über wichtige Filmplakatsammlun-
gen hierzulande verfügen etwa die Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin, das
Bundesarchiv/Filmarchiv in Berlin (teilweise Übernahme des ehemaligen Staat-
lichen Filmarchivs der DDR), das Deutsche Filmmuseum und das Deutsche In-
stitut für Filmkunde e.V., beide Frankfurt. Größere Anzahlen politischer Plakate
finden sich z.B. im Institut für Zeitungsforschung in Dortmund, im Bundes-
archiv, im genannten Bayerischen Hauptstaatsarchiv und im Deutschen Histori-
schen Museum. Auch die Deutsche Städtereklame in München verfügt über ein
großes Archiv. Zu erwähnen sind auch noch die reinen Plakatmuseen. Neben
dem 1970 gegründeten Deutschen Plakatmuseum in Essen - basierend auf der
Plakatsammlung der Folkwang-Schule - gibt es ein Plakatmuseum in Emmerich.
Aufarbeitungszustand und Sammlungsdokumentation der einzelnen Archive
88 Das Plakat als Forschungsgegenstand
differieren. Ständig wichtiger wird dabei aber die Erfassung via Computer:
Einige Sammlungen publizieren ihre Bestände bereits auf CD-ROM, so z.B. das
Deutsche Historische Museum in Berlin seine Plakate des Ersten Weltkriegs
oder, um ein Beispiel des nahen Auslandes anzuführen, die Österreichische
Nationalbibliothek in Wien ihre Filmplakate. Ein eigener Sektor ist schließlich
das private Sammeln von Plakaten, das regelrechten Marktgesetzen unterliegt.
8.4.2. Fachpresse
Auch die Plakatwelt hat ihre Fachzeitschriften. Sie stellen ebenfalls eine wichtige
Quelle für die historische Plakatforschung dar, zumal sie einerseits das Rezep-
tionsspektrum der Zeit erkennen lassen, zum anderen auch mitunter heute nicht
mehr vorhandene oder nur schwer zugängliche Plakate abbilden. Zunächst waren
es noch die Kunstzeitschriften, die, basierend auf dem allgemeinen Interesse an
den neuentstehenden Kunstgewerbeformen und in Verbindung mit den ersten
großen Plakatausstellungen und dem einsetzenden Sammlungswesen, ab den
1880er und 1890er Jahren ein regelrechtes Forum für reklame- und plakatbezoge-
ne Belange bildeten. Vor allem Titel wie ,Das Kunstgewerbeblatt' (1889
1916/17), .Kunst für alle' (1885-1943), .Kunstwart' (1887-1931/32), ,Pan'
(1895-1900), .Dekorative Kunst' (1897-1928/29), .Deutsche Kunst und Dekora-
tion'(1897-1937), .Jugend' (1896-1940) aber auch ,Ver Sacrum' (1898-1903),
erschienen in Wien, sind hier im deutschsprachigen Raum zu nennen. In England
war es ,The Studio' (ab 1893) in Frankreich ,Art et Decoration' (seit 1897).
Schon bald etablierten sich, wenn auch mitunter nur von kurzer Dauer, reine
plakat- und reklameorientierte Zeitschriften, die bereits nach werbefachlichen
Kriterien zusammengestellt waren. Die Grenzen sind hier allerdings fließend. Im
Rahmen dieser Publikationen kristallisierte sich dann auch der Berufszweig des
Werbejournalisten heraus. Die wichtigsten sind: .Die Reklame' (1891-1900), ,Die
Propaganda' (1897/98-1900, mit der Beilage ,Internationale Plakatgalerie'), .Mo-
derne Reklame' (1902/3), ,Zeitschrift für moderne Reklame' (1904), ,Das Plakat'
(1902 bis 1904). Weitere plakatbezogene Artikel erschienen dann in ,Die Re-
klame' (1909-19: Mitteilungen des Vereins deutscher Reklamefachleute e.V.,
1933-43: ,Deutsche Werbung') und ,Seidels Reklame' (1913-15; 1919-35,
1935-43: .Werben und Verkaufen'), aber auch in ,Die Anzeige' (1930-72) und
der .Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelpraxis' (1908/09-29). Ein
Periodikum .Der Plakatanschlag' existierte für kurze Zeit in den 1920er Jahren.
Für Frankreich sind hier v.a. .Art et décoration' (1897ff.) .L'estampe et
l'affiche' (1897-99), ,Les maîtres de l'affiche' (1896-1900), .Arts et metièrs
graphiques' (1927-39), ,La Publicité Moderne', ,La Publicité' oder ,Vendre'
(1923-72) erwähnenswert. Als englische Periodika müssen ,The Poster' (1898-
1900), ,The Poster and Art Collector' (1901), ,Art and Publicity' (1925), .Po-
sters and Publicity' (1926-29) und .Modern Publicity' (1930-84), .Commercial
Forschungsquellen: Archive und Zeitschriften 89
Art' (1926-31, ab 1932 als .Commercial Art and Industry', später ,Art and
Industry') genannt werden.
Die bedeutendste deutsche Plakatzeitschrift waren die .Mitteilungen des
Vereins der Reklamefreunde e.V.', gegründet 1910 - ab 1914 unter dem Titel
,Das Plakat' - und bis 1921 erschienen, denen der Forscher einen umfangrei-
chen Fundus zu allen möglichen Problemen des Plakats entnehmen kann. Da-
nach gab es lange Zeit kein ausschließlich diesem Medium gewidmetes künst-
lerisch orientiertes Periodikum in Deutschland, bis sich 1994 das vierteljährlich
erscheinende .Plakat-Journal' gründete, herausgegeben von Mitarbeitern des
renommierten Hannoveraner Auktionshauses Weigelt. Es wendet sich vor allem
an Sammler, Museen und Händler und enthält aktuelle Berichte, historische
Artikel zu Themen und einzelnen Künstlern, Buchbesprechungen sowie einen
Terminkalender mit Ausstellungen und Auktionen. Als Beilage enthält es seit
1995 die Mitteilungen des Deutschen Plakat-Forums e.V., das Informationsblatt
des Fördervereins des Deutschen Plakatmuseums in Essen.
Die .Gebrauchsgraphik', das Fachorgan des .Bundes deutscher Gebrauchs-
graphiker', die dem Plakat umfangreichen Raum gewährte und sich zunächst als
Nachfolgerin von .Das Plakat' sah, erschien zwischen 1924 und 1943. 1950
weitergeführt, firmiert sie ab 1972 als ,novum-Gebrauchsgraphik' mit dem
programmatischen Untertitel .Internationale Monatszeitschrift für Kommunika-
tionsdesign'. Die .Graphik' erschien von 1948 bis 1982. Eine wichtige interna-
tionale, in der Schweiz (neuerdings auch New York) mehrsprachig publizierte
Zeitschrift mit regelmäßigen Plakatbeiträgen ist .Graphis'. Sie gibt auch zu
verschiedenen Themen Jahresbände heraus, wie z.B. ,Graphis Posters'; man
erhält hier einen guten Überblick über die Entwicklung der aktuellen Plakat-
kunst. Zwischen 1948 und 1973 erschien noch das .International Poster Annual'.
Der Schwerpunkt liegt bei .novum' und .Graphis' inzwischen fast vollständig
auf den Design-Qualitäten - so auch bei .High Quality' (seit 1985) - , weniger
auf Wortbeiträgen denn auf Hochglanzabbildungen.
Als reine werbefachliche Publikation ist das ,Media-Plakat-Magazin' (seit
1984) zu nennen; ebenfalls über Plakatwerbung berichten die Marketing-Zeit-
schriften .Horizont' (seit 1983), .Werben und Verkaufen'(ab 1963), ,Der Mar-
kenartikel^ 1934-1944, ab 1950) und ,Die Absatz Wirtschaft'(seit 1953), die drei
letztgenannten aber insgesamt nur sporadisch, was auch für .Wirtschaft und Wer-
bung' (1947-63) galt. ,DSR-Plakatbeobachtung', ,GF-Plakatbeobachtung' und
.Plakat-Beobachter' waren bzw. sind von Marktforschungsinstituten herausgege-
bene Publikationen mit den jeweils aktuellen Marktanalysen auf der Basis quan-
titativer Datenerhebungen. In der ehemaligen DDR war es vor allem die Zeit-
schrift ,Neue Werbung', die ab 1954 regelmäßig über Plakate informierte, nach
der Wiedervereinigung jedoch nur noch kurze Zeit, bis 1991, existieren konnte.
Aufgrund des hohen Kunstwertes, den Plakate offenbar in der DDR genossen,
wurde das Thema auch in der Zeitschrift,Bildende Kunst' wiederholt behandelt.
9. Kurzer Abriß der allgemeinen Plakatgeschichte
Schon bevor sich das Plakat aus den bereits genannten Vorläufern zu einer
eigenständigen Spezies entwickelt hatte, begann sich eine Spaltung in die
Durchschnittswerbung und in die als künstlerisch anerkannte Plakatwerbung,
deren Geschichte wir heute gut zu kennen glauben, abzuzeichnen. In den 1860er
Jahren hatte der Umbruch vom Textplakat zum Bildplakat begonnen, insbeson-
dere durch die Werbung großer Warenhäuser in London und Paris. Bald in-
teressierten sich bildende Künstler zunehmend für die Lithographie. Verleger in
Paris ließen zur Zeitschriften- und Bücherwerbung die Illustrationen als Plakate
vergrößern (u.a. von Grandville, Gavarni). Honoré Daumier (1810-79) legte
1862 mit seinem Blatt für eine Kohlenhandlung ein illustriertes Plakat vor. Edu-
ard Manets auf Flächenwirkung orientierter Entwurf ,Le Chat' (1869) schließ-
lich gilt als Bindeglied zwischen der Buchseitenwerbung und der Entwicklung
des künstlerischen Plakats der folgenden Jahre. In der Regel herrschte jedoch
anfangs eine grobe naturalistische Umsetzung vor, der konkrete inhaltliche und
gestalterische Bezug zum Werbegegenstand fehlte oft. Beliebt waren die vielfäl-
tig verwendbaren Blankoplakate bzw. die sogenannten Blindentwürfe. In den
1870er und 1880er Jahren war das anonyme Plakat dominant, die Benutzung der
Lithographie wurde zwar technisch bewältigt, nicht aber künstlerisch.
Nach dem Vorangehen von Frederick Walker (1840-75, ,Woman in White',
1871) und William Harcourt Hooper (1834-1912) in London gilt Jules Cheret
(1836-1932) im Paris der 1870er und der 1880er Jahren als Begründer der Pla-
katkunst. Für die Entwicklung der Lithographie zum plakatgemäßen Ausdrucks-
mittel auch technisch von Bedeutung (vgl. 3.1.) - er hatte die englische Plakat-
werbung studiert - setzte er anstelle weitläufiger Darstellungen auf das We-
sentliche konzentrierte, die Fläche beherrschende, meist farbig und beschwingt
umgesetzte zeitgemäße Bildmotive. Wenig später begann der in Europa bekannt
werdende japanische Farbenholzschnitt mit flächigem Farbauftrag, starken
Konturen und Verzicht auf Perspektive, das künstlerische Plakat anzuregen. Die
weitgehende Verknappung des Ausdrucks im linearen Flächenstil findet man bei
den Porträt- und Cabaretplakaten von Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901).
Neben ihm war Theophile Alexandre Steinlen (1859-1923) der bedeutendste
Plakatkünstler, der in seinen Entwürfen in sozialkritischer Absicht Motive aus
dem Milieu des Proletariats verwendete. Weitere wichtige französische Plakat-
künstler waren der gebürtige Tscheche Alphonse Mucha (1860-1939, z.B.
Kurzer Abriß der allgemeinen Plakatgeschichte 91
Sind dies die künstlerischen Spitzen der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg, so
stand ihnen eine Überzahl von Plakaten gegenüber, die für Abnormitäten- und
Völkerschauen, für Nationalfeste und Ballonfahrten, für Orte der Schaulust und
der Wissensvermittllung wie Panoptikum, Panorama und Zirkus, auch das noch
neue Kino und andere Freizeitkulturen jener Jahre warben, und dabei, wie auch
später, keinesfalls den heute als epochal geltenden Stilrichtungen folgten. Sie
entstanden vielmehr noch lange entweder im altmodischen, historisierenden
Kurzer Abriß der allgemeinen Plakatgeschichte 93
„Diplomstil" der Jahre vor 1880 oder in einem bunt-naiven, schabloniert wirken-
den Figuren-Duktus wie etwa diejenigen der Firma Friedländer, deren Plakate
von einem farbenprächtigen, etwas groben Realismus geprägt waren, aber heute
wertvolle Dokumente der Schausteller- und Zirkusgeschichte der Zeit von 1872
bis 1935 sind. Gleichfalls kamen viele Plakate als überladene Drucke mit natu-
ralistischer Gestaltungstendenz daher, widersprachen also ebenfalls der von einer
ästhetisch geprägten Theorie und den Plakatzirkeln ihrer Zeit geforderten forma-
len Ausrichtung. Auch gilt dies noch lange für die Geschäftswerbung der Pro-
vinz. Haushaltswaren- und Nahrungsmittelhersteller warben bis weit über die
Jahrhunderwende mit Chromolithographien in konventioneller minutiöser,
„lebensechter" Zeichenmanier bzw. einem naturalistischen Ölgemälden mög-
lichst nahekommenden Bildstil. Gerade auch die massenhaft auftretenden Film-
plakate in „englischer Manier" wurden durch kruden Naturalismus bestimmt.
Die nationalistische Propaganda im Ersten Weltkrieg bedeutete für das
künstlerische Plakat einen Verfall, das politische Plakat jedoch erlebte einen
Aufschwung. Eine wesentliche Bedeutung erhielten Plakate während der russi-
schen Oktoberrevolution, beim Aufbau und in der Politik der Sowjetunion v. a.
durch Wladimir Majakowskij (1893-1930), Alexander Apsit (1880-1944), Iwan
Maljutin (1983-1935), Dimitri Moor (1898-1946). Von den während der
Räterepublik in Ungarn entstandenen Plakaten sind vor allem diejenigen von
Mihály Biró (1886-1948), Robert Berény (1887-1953) oder Béla Uitz zu
nennen.
Durch einige Arbeiten freier Künstler, wie den Plakaten von Ernst Ludwig
Kirchner (1880-1938), Erich Heckel (1883 1970), Max Pechstein (1889 1955)
u.a. für die ,Brücke' und die ,Neue Secession' oder Oskar Kokoschka (1886
1980) in Wien bereits um 1910 vorgeprägt, gelangte der Expressionismus in der
frühen Nachkriegszeit auch im Plakat stärker zum Ausdruck, so etwa mit César
Klein (1876-1954) oder Heinz Fuchs (1889-1961), bzw. im Filmplakat durch
Josef Fenneker (1893-1956).
In den weiteren zwanziger Jahren wurde das Plakat für die Avantgarden zum
zentralen künstlerischen Anliegen. Alexander Rodtschenko (1891-1956) und
Gustav Klucis (1895-1944) wurden während der 1920er Jahre zu Hauptvertre-
tern der Montage im sowjetischen Plakat, El Lissitzky (1890-1941, ,Schlagt die
Roten mit dem weißen Keil', 1919) und andere erfanden den Konstruktivismus
mit. Schließlich wurden die Brüder Wladimir (1899-1982) und Georg Stenberg
(1900-33) für das sowjetische Filmplakat von Bedeutung. Anregungen des
Kubismus und Futurismus bzw. die funktionalistischen Auffassungen führten zu
einem entweder dynamisch oder sachlich konstruktiven, auf klare Flächengliede-
rung und auf die Erzielung signalhaft-assoziativer Wirkungen orientierten
Plakatstil, der besonders die Photographie einschloß, eine sachlich-unverschnör-
kelte Typographie und die Montagetechnik. Hervorragende, die Entwicklung be-
stimmende Vertreter dieser unterschiedlichen Gestaltungen waren in Frankreich
94 Kurzer Abriß der allgemeinen Plakatgeschichte
A.M.Cassandre (1901-66, z.B. .Etoile du Nord', 1927) und Jean Carlu (geb.
1900), in deren Stil sich kubistische Tendenzen spiegelten; in Deutschland
wirkten Jan Tschichold (1902-74, Kinoplakate 1927: ,Die Hose', ,Der General',
.Laster der Menschheit'), Herbert Bayer (1900-85; Kandinsky-Ausstellung,
1926), Max Burchartz (1887-1961), Walter Dexel (1890-1973), Willy Baumei-
ster (1889-1955); in Holland u.a. Hendrik Nicholaas Werkman (1882-1945)
und Piet Zwart (1885-1977, Werbung für die Niederländische Post). In Deut-
schland wurde u.a. von Kurt Schwitters (1887-1948) und Tschichold der .ring
neue werbegestalter' gegründet, um die Ideen der Neuen Typographie und des
Konstruktivismus zu verbreiten. John Heartfied (1891-1968, .Fünf Finger hat
die Hand', 1927), machte sich auf dem Gebiet der polischen Satire als einer der
Schöpfer des politischen Fotomontageplakats einen Namen.
Neben neuen Gestaltungskriterien lebten Traditionen der Vorkriegszeiten in
Varianten von Fin-de-Siècle-Formen, z.B. Walter Schnackenberg (1881-1961,
,Bonbonniere & Eremitage', 1920) weiter. Neue dekorative Formen begannen
sich auszubreiten. Besonders vielfältig erschienen Art-Deco-Prinzipien in fran-
zösischen Plakaten. Seit den 1920er Jahren schuf dort Charles Loupot (1892-
1962, ,Le Café Martin', 1929) Plakate in diesem Stil, ebenso Paul Colin
(1892-1985). In England arbeitete der Amerikaner MacKnight-Kauffer
(1890-1954) in einem kubistisch-konstruktiven Maschinenstil.
Eine gewisse Kontinuität wies seit den 1920er Jahren das Plakatschaffen in
der Schweiz auf. Max Bill (1908-94), Ernst Keller (1891-1968), Donald Brun,
Hans Falk (geb. 1918), Hans Erni (geb. 1909), Herbert Leupin (geb. 1916),
Henri Steiner (geb. 1905), Nicolaus Stoecklin (1896-1982) sind die wichtigsten
Namen. Walter Herdeg (geb. 1908) und Herbert Matter (1907-84) stehen für
touristische Fotoplakate. Im Deutschland der 1930er Jahre nutzten die National-
sozialisten das Plakat gezielt zu politischen und gesellschaftlichen Propaganda-
zwecken (Führerkult, Antisemitismus), u.a. Arbeiten von Mjölnir (d.i. Hans
Schweizer, 1901-80), wobei es künstlerisch in seiner Verbindung neoklassizisti-
scher und realistischer Darstellungsweisen weitestgehend bedeutungslos wurde.
Während des 2. Weltkriegs diente das Plakat den Mächten der Anti-Hitler-Koali-
tion zum Aufruf gegen den Faschismus und Nationalsozialismus, wie es bereits
früher in Spanien gegen das Franco-Regime eingesetzt worden war. In Deutsch-
land wurde vor allem Propaganda gegen den Bolschewismus betrieben.
Signifikant in den Gestaltungstendenzen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde
ein internationaler Stil, auch Schweizer Stil genannt, etwa mit Josef Müller-
Brockmann (1914-95, .Weniger Lärm', 1960), der Elemente der klassischen
Moderne verwendete. Im Frankreich der 1950er Jahre war Raymond Savignac
(geb. 1907) mit karikaturistischen Motiven von Bedeutung. England leistete ua.
seinen Betrag mit den Filmplakaten für die Ealing-Studios. Große internationale
Beachtung fand die eigenständige Entwicklung der polnischen Plakate seit den
1950er Jahren vor allem für Theater und Film, deren Renommée sich u.a. mit
Kurzer Abriß der allgemeinen Plakatgeschichte 95
Braun, Reinhart: Anschläge auf den alten Adam. Zur gesellschaftlichen Funktion des Pla-
kats, in: Mitteilungen des deutschen Plakat Forum e.V., 3. Jg. 1997, Nr. 2, S. 1 - 3 (Bei-
lage zu Plakatjournal 1997, Nr. 2).
Brendel, Rolf: Das Schweizer Plakat. Phil. Diss. Berlin 1955.
Bure, Gilles de: Der Fußgänger, hier und anderswo, in: Graphis Posters '80, Zürich 1980,
S. 10-11.
Carlu, Jean: Idées nouvelles sur l'esthétique de l'affiche, in: Vendre, Nr. 80, Juli 1930, S.
35-46.
Carlu, Jean: Que pensez-vous de l'affiche?, in: L'affiche et les Arts de la Publicité,
Nr. 110, Mai 1934, S. 153.
Carlu, Jean: Réflexions sur l'esthétique de l'affiche, in: Arts et Métiers Graphiques, Nr. 7,
Sept. 1928, S. 436-438.
Cassandre, A.M.: Zur Ästhetik des Plakats, in: absolut modern sein. Zwischen Fahrrad und
Fließband. Culture technique in Frankreich 1889-1937. Ausstellungskatalog Berlin
(Staatliche Kunsthalle), 1986, S. 306-316.
Chéret, Jules: Über das Entwerfen von Plakaten, in: Freie Künste, 1896, Nr. 6, S. 85-87.
Cyrus, Wilhelm: Bogenanschlag, in: Deutsche Werbung (Die Reklame), 31. Jg. 1937, H.2
(1. Februarheft), S. 137-138.
Das frühe Plakat in Europa und den USA. Ein Bestandskatalog. Hg. von Lise Lotte Möller,
Klaus Popitz, Axel von Saldern, Heinz Spielmann u. Stephan Waetzoldt für die Kunst-
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